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Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit

2020
978-3-8233-9358-0
Gunter Narr Verlag 
Gisela Mayr
Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Giessener Beiträge Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Gisela Mayr Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit Gisela Mayr Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit Eine unterrichtsempirische Studie zur Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz in der Sekundarstufe II Sprachlich heterogene Klassen sind zum Normalfall geworden. Dies bedarf neuer didaktischer Ansätze, die es nicht nur ermöglichen, Lernprozesse in einem mehrsprachigen Kontext durch gezielte und individualisierte Maßnahmen zu fördern und zu unterstützen, sondern die Mehrsprachigkeit auch als Ressource anerkennen und aktiv in den Lernprozess integrieren. Nur so werden die Lernenden dazu befähigt, jene Kompetenzen zu erwerben bzw. zu erweitern, die eine aktive Partizipation in einer durch kulturelle und sprachliche Fluidität und Vielstimmigkeit gekennzeichneten Lebenswelt ermöglichen. Die mehrsprachige komplexe Kompetenzaufgabe stellt einen Versuch dar, diesem Umstand Rechnung zu tragen. ISBN 978-3-8233-8358-1 18358_Mayr_Umschlag.indd 3 22.11.2019 11: 29: 58 Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho Gisela Mayr Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit Eine unterrichtsempirische Studie zur Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz in der Sekundarstufe II © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-8358-1 (Print) ISBN 978-3-8233-9358-0 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0191-2 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 13 15 17 TEIL I 21 1. 23 2. 31 2.1 31 2.1.1 33 2.1.2 35 2.2 37 2.3 40 2.3.1 43 2.3.2 44 2.4 46 2.4.1 50 2.4.2 51 2.4.3 53 3. 55 3.1. 55 3.2 57 3.2.1 58 3.2.2 59 Inhalt Danksagungen: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Abkürzungen: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachigkeit und Sprachenlernen in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ziele, Gegenstand und Struktur der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachenvielfalt und Sprachenlernen in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachenlernen im GER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Mehrsprachigkeit im GER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rahmenstrategien zur Mehrsprachigkeit . . . . . . . . . . . . Aktualisierung der Deskriptoren: der CEFR/ CV . . . . . . . . . . . . Der FREPA/ CARAP oder A Framework of Reference for Pluralistic Approaches to languages and Cultures - Competences and Ressources . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pluralistische didaktische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . Savoir s’engager - ein unberücksichtigter Kompetenzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachigkeit als Priorität schulischen Handelns . . . . . . . Inklusion und Sprachenvielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Curriculare Verankerung von Mehrsprachigkeit . . . . . Aktuelle Projekte zur Mehrsprachigkeitsdidaktik . . . . Mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze und neue Perspektiven . . . . . . . . Mehrsprachigkeitsdidaktik nach Meißner . . . . . . . . . . . . . . . . Die Interkomprehension und ihre Didaktik . . . . . . . . . . . . . . . Metakognition und Language Monitoring . . . . . . . . . . . Interlingualer Transfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 61 3.3.1 62 3.3.2 63 3.4 64 3.4.1 64 3.4.2 65 3.5 65 3.5.1 66 3.5.2 66 3.5.3 67 3.5.4 70 3.5.5 72 Teil II 75 4 77 4.1 77 4.2 81 4.2.1 81 4.2.2 83 4.2.3 84 4.3 86 4.3.1 87 4.3.2 89 4.4 91 4.4.1 92 4.4.2 93 4.5 96 4.5.1 97 4.5.2 99 4.5.3 102 4.5.4 104 Das Tertiärsprachenlernen oder TLA (Third Language Acquisition) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spracherwerbsprozesse fruchtbar miteinander verknüpfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychotypologie und Lernbereitschaft . . . . . . . . . . . . . . CLIL / Bilingualer Sachfachunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lebensweltliche und wissenschaftliche Relevanz . . . . . Abstraktes Denken und soziales Lernen . . . . . . . . . . . . Unerfüllte Desiderate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Latein als Brückensprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktive Teilhabe am transkulturellen sozialen Diskurs . Literarisches Lernen und Sprachproduktivität . . . . . . . Mehrsprachiges Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forderung nach neuen didaktischen Ansätzen . . . . . . . Theoretische Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kompetenz: Eine Begriffsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . MKK und symbolische Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die symbolische Form als Baustein für die Identitätsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kulturelle und soziale Rekontextualisierung . . . . . . . . . Ambiguitätstoleranz in multiplen Diskursen . . . . . . . . . MKK und Sprach(en)bewusstheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die performative und soziale Dimension . . . . . . . . . . . . Die emotionale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psycholinguistische und soziolinguistische Aspekte der MKK Das Faktorenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das DMM (Dynamic Model of Multilingualism) . . . . . . MKK - Mehrsprachige Gesprächspraktiken und einfaches Sprachmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Code-switching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Language Mode und Sprachwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . Translanguaging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Code-mixing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 4.6 105 4.6.1 105 4.6.2 107 4.6.3 108 4.7 111 Teil III 113 5 115 5.1 115 5.1.1 116 5.1.2 118 5.1.3 119 5.1.4 121 5.2 125 Teil IV 129 6 131 6.1 136 6.1.1 136 6.1.2 137 6.1.3 142 6.1.4 144 6.1.5 145 6.2 147 6.2.1 148 6.2.2 148 6.2.3 149 6.2.4 152 6.2.5 155 6.3 157 6.3.1 159 6.3.2 162 6.3.3 166 6.3.4 167 6.3.5 168 6.3.6 169 MKK und Emotion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachen erfassen Emotionen unterschiedlich . . . . . . . Die gefühlsbedingte Sprachentlehnung . . . . . . . . . . . . . Die affektive Sozialisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussfolgerung für die Modellierung von MKK . . . . . . . . . . Datenerhebung und Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziales und geschichtliches Umfeld der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Zweizur Mehrsprachigkeit in Südtirol . . . . . . . . . . . Der lange Weg bis zum 1. Autonomiestatut . . . . . . . . . . Vom 2. Autonomiestatut bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . . Südtirol in der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Zweisprachigkeit zur Mehrsprachigkeit . . . . . Das Mehrsprachencurriculum Südtirol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsdesign und Datenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgabenorientierung und Task-Approach . . . . . . . . . . . . . . . . TBLT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Komplexe Kompetenzaufgabe nach Hallet . . . . . . . Die mehrsprachige Kompetenzaufgabe . . . . . . . . . . . . . Aktuelle und relevante Themen und Inhalte . . . . . . . . . Fazit für die Modellierung MKK: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenerhebungskontext: Das schulische Umfeld . . . . . . . . . . Die Wahl der Klasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau und Abfolge der Unterrichtsmodule . . . . . . . . . Von der Lehrperson zur Forscherin . . . . . . . . . . . . . . . . Gütekriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dokumentation und Analyse der Datensätze . . . . . . . . . . . . . . Fragebögen zur Sprachbiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Audio- und Videodateien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stimulated Recalls (SR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Forschungstagebuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die retrospektiven Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Triangulation der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt 6.3.7 170 6.4 175 6.4.1 176 6.4.2 178 7 187 7.1 187 7.1.1 189 7.1.2 190 7.2 190 7.2.1 197 7.2.2 213 7.3 214 7.3.1 219 7.3.2 227 7.4 229 7.4.1 236 7.4.2 246 8 249 8.1. 250 8.1.1 251 8.1.2 252 8.1.3 252 8.1.4 254 8.1.5 255 8.1.6 257 8.1.7 262 8.1.8 264 8.1.9 265 Kodierung und Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Module . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alternierend einsprachig/ mehrsprachiges Modul: Political Speeches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau der Unterrichtseinheit: Political Speeches . . . . . Auswertung der Aushandlungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufzeichnung 1: Mehrsprachigkeit als Kommunikationsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschichtliche und kulturelle Verortung von Sprache(n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufzeichnung 2: TL als Unterrichtspraxis und MKK als diskursstrategisches Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachiges Sprechen - eine Herausforderung . . . Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufzeichnung 3: Mehrsprachige Texterschließung und symbolische Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachigkeit und Bildungssprache . . . . . . . . . . . . Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufzeichnung 4: Intertextualität und Mehrsprachigkeit . . . . . Mehrsprachige Identitätsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . SchülerInnenauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung . . . . . . . . . . . . . . Verhalten in den Aushandlungsprozessen . . . . . . . . . . Kommunikationsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachrollen als mehrsprachige Lernstrategie . . . . . . . Erweiterung des sprachlichen Repertoires und Überwindung von Sprachbarrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . Dialekt und literarisches Worldmaking . . . . . . . . . . . . . Polysemie und Unübersetzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine neue Mehrsprachigkeit entdecken . . . . . . . . . . . . . Inklusion durch sprachliches Verhalten in heterogenen Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stimulated Recall 1: Mehrsprachigkeit - Eine kognitive und emotionale Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt 8.1.10 270 8.1.11 273 8.1.12 278 8.1.13 282 8.1.14 284 8.2 286 8.2.1 287 8.2.2 287 8.2.3 296 8.2.4 303 8.2.5 305 8.2.6 312 8.2.7 314 8.2.8 320 8.2.9 322 8.3 323 8.3.1 325 8.3.2 325 8.3.3 333 8.3.4 339 8.3.5 341 8.3.6 346 8.3.7 349 8.3.8 354 8.3.9 356 Stimulated Recall 2: Modifikation des Language Mode und Beschleunigung der Sprachaktivierung . . . . . . . . . Stimulated Recall 3: CS - Mehrsprachiges Scaffolding Retrospektives Interview: Mehrsprachiges literarisches Lernen als Third Space im Spiel unterschiedlicher Referenzsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenschau der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung . . . . . . Verhalten der Schülerin in den Aushandlungsprozessen Mehrsprachigkeit, Sprachregulierung und Language Monitoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empowerment durch Mehrsprachigkeit . . . . . . . . . . . . . Stimulated Recall 1: Sprachrollen und Identität . . . . . . . Stimulated Recall 2: Neue Lernwege entdecken und Inklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stimulated Recall 3: Neue mehrsprachige Kommunikationsformen entdecken . . . . . . . . . . . . . . . . Retrospektives Interview: Jede Sprache ist an ein Gefühl gebunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenschau der Lernprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhalten der Schülerin im Aushandlungsprozess . . . . Bildungssprache und Mehrsprachigkeit . . . . . . . . . . . . Bedeutungserweiterung und Bedeutungsentleerung im mehrsprachigen World Making . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stimulated Recall 1: Reizüberflutung und Vieldeutigkeit Stimulated Recall 2: Innere und äußere Mehrsprachigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stimulated Recall 3: Literarisches Lernen, Sprachwahrnehmung und Symbolik . . . . . . . . . . . . . . . Retrospektives Interview: Schreiben in mehreren Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenschau der Lernprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Inhalt 8.4 358 8.4.1 359 8.4.2 364 8.4.3 369 8.4.4 370 8.4.5 374 8.4.6 376 8.4.7 379 8.4.8 382 9 385 9.1 385 9.2 389 9.3 393 9.4 397 9.5 400 9.6 404 9.7 407 9.7.1 407 9.7.2 408 9.7.3 409 10 411 10.1 411 10.2 412 10.3 416 10.4 419 10.5 421 10.6 424 Vera: Diglossie und schulische Mehrsprachigkeit . . . . . . . . . . Sprachübergreifende Selbstkorrektur . . . . . . . . . . . . . . Soziales und ungesteuertes Lernens im MS-Unterricht Stimulated Recall 1: Gesprächsstrategischer Einsatz von CS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stimulated Recall 2: Veränderte Kompetenzwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stimulated Recall 3: Bildungssprache und Mehrsprachigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Retrospektives Interview: Mehrsprachige Texte verfassen als textstrukturierende Strategie . . . . . . . . . . Zusammenschau der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Codes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgleich: MKK theoretische Modellierung und Daten . . . . . . . . . . . . . . . . Auswertung und Kreuzung der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Symbolische Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesprächsstrategischer Einsatz von MKK . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprach(en)bewusstheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Identitätstheorie und soziales Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache und Gefühle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Kernkategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachiges Recherchieren im Internet . . . . . . . . . . Mehrsprachiges Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachiges literarisches Lernen . . . . . . . . . . . . . . . Kompetenzmodell Mehrsprachigkeit: Savoirs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkenntnisse zur Zielsetzung und Implementierung des mehrsprachigen Kompetenzmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Savoir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Savoir Être . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Savoir Faire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Savoir Apprendre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Savoir s’engager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Inhalt 11 427 11.1 430 12 433 12.1 433 12.2 434 461 463 465 469 473 475 Schlussfolgerungen für die Implementierung mehrsprachigen kompetenzorientierten Unterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Appendix I Texte Amelie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Appendix II: Texte Sarah . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Appendix III: Texte Andrea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Apendix IV: Texte Vera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Inhalt Danksagungen: Ich möchte mich besonders bei Herrn Professor Hallet und Frau Professor Mar‐ tinez für die intensive Betreuung und die konstruktive Kritik an meiner Arbeit bedanken. Ihre Feedbacks haben mich immer zum Überdenken meines Vorha‐ bens angeregt und zu Verbesserungen geführt. Prof. Hallet hat mich zudem mit viel Geduld wieder in die Kunst des wissenschaftlichen Schreiben eingeführt. Weiters möchte ich Prof. Legutke und Prof. Burwitz-Melzer für ihre Anregungen danken, die mir geholfen haben, die anfänglichen Schwierigkeiten zu über‐ winden und einen völlig neuen Kurs in meiner Projektplanung einzuschlagen, der sich als erfolgreich erwiesen hat. Die Korrekturen meiner Lektorin und Freudin Andrea waren für mich eine Stütze, ohne die ich es nicht geschafft hätte. Zuletzt wollte ich noch meinem Mann David für seine Geduld und Zuwendung danken, meinen Kindern Laetitia und Clemens, die mich immer wieder ange‐ spornt haben, weiter zu machen, insbesondere Clemens der mir bei der Trans‐ kriptionsarbeit zur Hand gegangen ist. Verzeichnis der Abkürzungen: CS: Code-switching CLIL: Content and Language Integrated Learning CLIN: Cross Linguistic Interaction CM: Code-mixing DLC: Dominant Language Constellation DM: Dokumentarische Methode DMM: Dynamic Model of Multilingualism FLA: Foreign Language Anxiety FLAM: Foreign Language Acquisition Model FREPA: Framework of References for Pluralistic Approaches FSU: Fremdsprachenunterricht GER: Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen GT: Grounded Theory Method INVALSI: Istituto nazionale per la valutazione del sistema educativo di istruzione e di formazione LOTE: Languages Other Than English MKK: Mehrsprachige Kommunikative Kompetenz MLA: Multilinguales Bewusstsein MSCS: Mehrsprachencurriculum Südtirol SLA: Second Language Acquisition TBLT: Task Based Language Teaching TL: Translanguaging TLA: Third Language Acquisition PISA: Programme of International Student Assessment Vorwort Als ich vor mehreren Jahren begann, mehrsprachige Module in den Regelun‐ terricht einzubauen, bemerkte ich sofort, dass die Lernenden große Freude daran hatten, ihr gesamtes sprachliches Repertoire auszuprobieren und im spieleri‐ schen mehrsprachigen Umgang miteinander gestalterisch tätig zu sein. Sie er‐ schlossen durch die gleichzeitige Arbeit mit mehreren Sprachen und Kulturen unterschiedliche Bedeutungsdimensionen und waren im Idealfall in der Lage, selbst Bedeutung kreativ zu konstruieren. Im Rahmen dieses Forschungsprojektes - durchgeführt am Gymnasium „Walther v. d. Vogelweide“in Bozenwurde simultane Mehrsprachigkeit im Unterricht mittels experimenteller Unterrichtsmodule im Laufe des Schuljahres sukzessive in den Sprachunterricht eingebaut. Jedes Modul erstreckte sich über 10 bis 20 Unterrichtsstunden und verfolgte das Ziel, den Lernenden auf der Basis multimodaler Arbeitsunterlagen die Möglichkeit zu bieten, simultane Mehr‐ sprachigkeit im schulischen Alltag zu (er)leben. Auch die Outputs waren mehr‐ sprachig: Narrative, poetische sowie Sachtexte, Vorträge, Gedichte, Sketches und kurze szenische Darbietungen wurden gleichzeitig in mehreren Sprachen vorgetragen. Die Verwendung mehrerer Sprachen in einem alltagsnahen Setting ermög‐ lichte einen sprachübergreifenden Vergleich von Genres und damit eine Kom‐ petenzerweiterung in verschiedenen fachsprachlichen Bereichen. Ein weiteres didaktisches Ziel bestand darin, durch Sprachvergleich das Bewusstsein dafür zu wecken, dass sprachlicher Umgang und Ausdrucksformen geschichtlich be‐ dingt sind und dass sich Kulturen und ihre Sprachen in ihrer unterschiedlichen Erfassung von Realität geschichtlich verorten lassen (vgl. Bredella et al. 2000). Es handelte sich dabei folglich um den Versuch, Ausschnitte der komplexen lebensweltlichen Mehrsprachigkeit, so wie sie für viele Lernende bereits alltäg‐ lich ist, ins Klassenzimmer zu bringen und in Richtung einer bildungssprachli‐ chen Mehrsprachigkeit weiterzuentwickeln, einer Mehrsprachigkeit mit grö‐ ßerer syntaktischer und lexiko-grammatischer Komplexität. Dabei wurde im Rahmen der empirischen Untersuchung überprüft, welche Lernprozesse statt‐ finden und wie sich mehrsprachige kommunikative Kompetenz und mehrspra‐ chige Sprachhandlungskompetenz (MKK) entwickeln und sich im Sinne einer Operationalisierung im Unterricht modellieren lassen. Die Datenerhebung erfolgte auf mehreren Ebenen: Auf der sprachlich-prag‐ matischen Ebene, bei der der Fokus auf Sprachmanagement und funktioneller Mehrsprachigkeit lag (vgl. De Angelis 2005; De Angelis & Selinker 2001; Arabski 2006; Cenoz et al. 2002), auf der Ebene des Einsatzes von Transferstrategien und der Aktivierung des mehrsprachigen Lexikons im Rahmen mehrsprachiger kommunikativer Settings, auf der Ebene der Funktionsweise des Language Mode (vgl. Norton 2000; Grosjean 1982, 1989, 1992, 2007) und dessen möglichen Ver‐ änderungen. In engem Zusammenhang damit standen auch Erhebungen bezüg‐ lich der Entwicklung des metasprachlichen Bewusstseins und der Wahrneh‐ mung der Psychotypologie von Sprachen. Sprachhandlungsfähigkeit - in diesem Falle mehrsprachige Sprachhand‐ lungsfähigkeit - ist Voraussetzung für die Persönlichkeitsentwicklung und -ent‐ faltung, da sich Identität durch Sprache gestaltet und darstellt (vgl. De Florio-Hansen 2003a; 2003b: VIII). In einem plurilingualen Umfeld tragen völlig neue und unbekannte Erkenntnisfaktoren zur Persönlichkeitsbildung bei und können diese nachhaltig positiv beeinflussen. Dabei spielt die Sprachbiographie und die damit einhergehende Einstellung den unterschiedlichen Sprachen ge‐ genüber eine besondere Rolle (Dewaele 2010; Dewaele & van Oudenhoven 2009). Maßgeblich zur Entwicklung dieser Einstellung zu Sprachen tragen auf emoti‐ onaler Ebene Erfahrungen im Umgang mit den Sprachen bei. Jeder einzelne Lernende bringt sprachbiographisch bedingte emotionale Aspekte und damit verbundene Haltungen unbewusst mit in den Unterricht ein (vgl. Busch 2013: 52). Besonders in einer durch historische Brüche gekennzeichneten Gesellschaft gestalten sich diese Biographien sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite gibt es Lernende, die zweibzw. mehrsprachig aufwuchsen, auf der anderen Seite Familien, welche die Zweitsprache Italienisch noch immer verweigern. Im fol‐ genden Absatz wird der Versuch unternommen, die geschichtlichen und sozialen Gründe, die zu diesen diversen Haltungen führen, anhand eines ge‐ schichtlichen Abrisses zu erläutern. Da im mehrsprachigen Austausch diese unterschiedlichen Auffassungen, Emotionen, Einstellungen und Haltungen aufeinandertreffen und sich gegen‐ seitig beeinflussen (vgl. Pavlenko 2005), konnte überprüft werden, ob durch die hier praktizierte Form des Unterrichts auch Formen der unbewussten Sprach‐ verweigerung bewusst gemacht und somit überwunden werden können (vgl. Edwards & Dewaele 2007; Norton 2000). Aus kontextgebundenem Sprachver‐ gleich wird den Sprechern unmittelbar ersichtlich, dass Kultur in Form von sprachlichem Umgang und sprachlichen Ausdrucksformen geschichtlich be‐ dingt ist und Sprachen Realität unterschiedlich erfassen. Das gleichzeitige Ar‐ beiten mit und zwischen mehreren Sprachen und Kulturen ermöglicht es dem 18 Vorwort Individuum, die eigene Persönlichkeit neu zu formen: „An die Stelle autonomer Individuen, die in stabile, homogene Nationalkulturen eingebettet sind, treten sich wandelnde Identitäten in kulturübergreifenden Netzwerken.“ (De Florio-Hansen & Hu 2003b : 9) (vgl. dazu auch Kramsch 2011: 205). Eine Unterrichtsform, die dies im Blick hat, distanziert sich von starren na‐ tionalstaatlich geprägten Auffassungen und orientiert sich hin zu mehr Offen‐ heit und zu der Entfaltungsmöglichkeit des gesamten Individuums mithilfe der Gesamtheit seines kulturellen und sprachlichen Repertoires und seiner emoti‐ onalen Haltungen. Besonders in einem durch die politischen Ereignisse der Kriegs- und Nachkriegszeit gekennzeichnetem Land ist dies von Bedeutung. 19 Vorwort TEIL I Mehrsprachigkeit und Sprachenlernen in der EU 1. Ziele, Gegenstand und Struktur der Studie Die Situation in Südtirol ist geschichtlich bedingt vom Zusammenleben unter‐ schiedlicher Sprachen und Kulturen geprägt. Zwei- und Mehrsprachigkeit sind deshalb von zentraler Bedeutung für alle bildungspolitischen Maßnahmen und die Entwicklung des Landes. Im Laufe der Geschichte kam es zu Konfliktsitua‐ tionen, die bis heute nachwirken und teilweise ungelöst blieben. Da außerdem die schulischen Institutionen aufgrund der massiven Zuwanderung aus anderen europäischen Ländern, der Flüchtlingsströme und des zunehmenden Drucks vonseiten der Eltern reagieren müssen, rückt der Begriff der Mehrsprachig‐ keitsdidaktik immer mehr in den Fokus, vor allem weil immer dringlicher wird, dass Maßnahmen zur Inklusion und Sprachbildung getroffen werden. Der erste Abschnitt dieser Arbeit setzt sich zunächst mit den Forderungen von Mehrsprachigkeit innerhalb der Europäischen Union und ihrem komplexen sozio-politischen Gefüge auseinander (2.1.). Insbesondere werden jene bildungs‐ politischen Dokumente hervorgehoben, in denen die Europäische Union rich‐ tungsweisend eingreift und eine Definition von Mehrsprachigkeit und Mehr‐ sprachigkeitsdidaktik gibt, auf deren Basis konkrete Maßnahmen zur Umsetzung angedacht werden sollten. Dabei nimmt der Gemeinsame Europä‐ ische Referenzrahmen für Sprachen (Europarat GER, 2001) eine zentrale Rolle ein, denn er stellt erstmals eine für Europa einheitliche Skalierung der fremdsprach‐ lichen Kompetenzen in Form von Deskriptoren zur Verfügung. Obwohl der 2018 erschienene Ergänzungsband (Council of Europe CEFR/ CV, 2018) (2.1.) erst nach der Datenauswertung der vorliegenden Studie erschienen ist, wird auch er in seinem Bezug zur vorliegenden Arbeit kommentiert, da er einen großen Fort‐ schritt in Richtung Mehrsprachigkeit darstellt, weil hier erstmals Deskriptoren für die Kompetenzbereiche Mediation und Mehrsprachigkeit ausformuliert wurden und der Bereich Literarisches Lernen mit den entsprechenden Deskrip‐ toren angeführt wird. Da diese drei Aspekte, die im GER zwar z.T. angeschnitten, aber nicht durch Deskriptoren erfasst wurden, in der vorliegenden Forschungs‐ arbeit einen prominenten Platz einnehmen, erscheint es aus erkenntnistheore‐ tischen Gründen wichtig, den CEFR/ CV mit einzubeziehen. Der Europäische Referenzrahmen für Mehrsprachigkeit ( Candelier et al FREPA 2012) diente zwar als Modell für den Entwurf des vorliegenden Kompetenzmo‐ dells für Mehrsprachigkeit, er hat allerdings die gleichen Schwächen wie der Europäische Referenzrahmen für die Sprachen (vgl. hierzu auch Steininger 2014; Quetz 2003; Bausch et al. 2003) (2.3.): In großen Teilen ist der FREPA zu abstrakt und für die Evaluation des Unterrichtes nicht geeignet, da die angegebenen Deskriptoren zwar für den Kompetenzbereich Mehrsprachigkeit von großer Bedeutung sind, aber die Erhebung des Kompetenzzuwachses im Unterricht aufgrund der Abstraktheit der Deskriptoren und der Unübersichtlichkeit des gesamten Dokuments sehr erschwert werden. Es fehlt außerdem größtenteils eine wissenschaftliche Fundierung: Die Deskriptoren wurden lediglich den Er‐ fahrungsberichten von Lehrenden entnommen, weshalb eine wissenschaftliche Fundierung fehlt. Der FREPA lässt außerdem das Savoir s’engager außen vor. Es wird in seiner Wichtigkeit für den mehrsprachigen Lernprozess nicht anerkannt und auch nicht als Desiderat ausgewiesen. Die vorliegende Kompetenzmodel‐ lierung hingegen verfolgt das Ziel, das Savoir s’engager in die Modellierung auf‐ zunehmen und unternimmt darüber hinaus erstmals einen ersten Versuch Des‐ kriptoren auszuformulieren (10.2 ff) Im nächsten Abschnitt wird die Relevanz von Mehrsprachigkeit im schuli‐ schen Alltag und im Unterricht behandelt (2.4.). Zunächst wird das Desiderat einer mehrsprachigen Schule, wenn auch nicht erschöpfend, so doch im Ansatz thematisiert. Es wird in der bildungspolitischen Diskussion kaum angesprochen, obwohl es für die Anschlussfähigkeit des Unterrichts an die lebensweltlichen Anforderungen, die an die SchulabgängerInnen gestellt werden, von zentraler Relevanz wäre. In diesem Zusammenhang versteht sich das Forschungsprojekt als Versuch, ein didaktisches Modell zu konstruieren, das den Forderungen eines kompetenzorientierten Unterrichts gerecht wird und gleichzeitig einen Bezugs‐ punkt darstellt, der vermittelnd zwischen lebensweltlicher Mehrsprachigkeit und traditionellem schulischen Fremdsprachenunterricht eingreift, wobei das Erkenntnisinteresse primär auf die Lernprozesse ausgerichtet ist, die im Unter‐ richt stattfinden. Da bislang empirische Untersuchungen zu diesem Thema fehlen, also auf keine empirisch untermauerten Vorlagen aufgebaut werden konnte, war die Erforschung ein Entdeckungsprozess. Insbesondere werden hier zwei Aspekte hervorgehoben, welche in engem Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt stehen und zentrales Anliegen des‐ selben sind (2.4.1/ 2.4.2.): Zunächst gilt es, den Begriff der Inklusion und deren Implikationen für schulisches Handeln zu beleuchten und in Zusammenhang zu bringen mit Mehrsprachigkeit, wobei aufgezeigt wird, wie Inklusion nur über mehrsprachiges und transkulturelles schulisches Handeln erfolgen kann. An‐ dererseits wird die Wichtigkeit der curricularen Verankerung von Mehrspra‐ chigkeit unterstrichen, denn nur wenn diese als schulisches Kerngeschäft in ihrer fächer- und stufenübergreifenden Valenz schriftlich verankert wird, kann sie wirklich zur alltäglichen Selbstverständlichkeit werden. Anschließend 24 1. Ziele, Gegenstand und Struktur der Studie werden Vorschläge zur Implementierung neuer Ansätze zur Mehrsprachigkeit einhergehend mit einigen laufenden oder soeben abgeschlossenen Projekten vorgestellt. Im folgenden Abschnitt wird auf mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze der europäischen und außereuropäischen Tradition eingegangen: Mehrsprachig‐ keitsdidaktik nach Meißner, Interkomprehensionsdidaktik, Tertiärsprachen‐ lernen und CLIL (3.1-3.5). Bezugnehmend auf das Aufgabenformat der Studie - der mehrsprachigen komplexen Kompetenzaufgabe - werden diese dargestellt und die darin vorkommenden Lernprozesse in ihrer Komplexität aufgezeigt. Da die mehrsprachige komplexe Kompetenzaufgabe einen umfassenden Lernpro‐ zess initiiert, der zu großen Teilen alle Kompetenzbereiche der anderen plura‐ listischen Ansätze beinhaltet, stellt sie ein den anderen Ansätzen unterliegendes Aufgabenformat dar, in das deren Aspekte den Zielsetzungen und Anforde‐ rungen der konkreten Unterrichtssituation entsprechend aufgenommen werden. Im Unterschied zu diesen werden im folgenden Absatz jene Desiderate der herkömmlichen mehrsprachigen Ansätze aufgezeigt, die in der mehrspra‐ chigen Kompetenzaufgabe Berücksichtigung finden und für die holistische Ent‐ wicklung der Lernenden von grundlegender Wichtigkeit sind. Im folgenden Absatz steht der Kompetenzbegriff in der Fremdsprachendi‐ daktik im Mittelpunkt (4.1.). Im Vordergrund stehen hier die kommunikative Kompetenz und Texterschließungskompetenz aufgrund ihres engen Zusam‐ menspiels beim Fremdsprachenlernen allgemein und insbesondere in der Mehr‐ sprachigkeitsdidaktik. Ausgehend von der Definition des Kompetenzbegriffes in den Rahmenrichtlinien für Sprachen für Südtirols Schulen (Schwienbacher et.al 2017) werden verschiedene Traditionen und unterschiedliche Begriffsdefiniti‐ onen analysiert und eine für in diesem Forschungsprojekt anvisierte theoreti‐ sche Modellierung mehrsprachiger Kompetenz sinnvolle Begriffsdefinition ver‐ sucht, die eine Operationalisierung ermöglichen soll. Das Erfassen mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz (MKK) im Unter‐ richt erfordert weiterhin, dass ausgehend von der Fremdsprachendidaktik eine Reihe von Referenzwissenschaften hinzugezogen werden müssen, um der Kom‐ plexität des Phänomens gerecht zu werden, wobei die angewandten Sprachwis‐ senschaften und insbesondere die Mehrsprachigkeitsforschung im Mittelpunkt stehen (4.2.-4.6.). Ohne fundiertes Wissen über die sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse in diesem Bereich ist es nicht möglich, mehrsprachige Lernpro‐ zesse in ihrer Komplexität zu erkennen, zu beschreiben und einen Bogen zu spannen in Richtung Fremdsprachendidaktik. Dabei kamen bei der Datenana‐ lyse Aspekte zum Vorschein, die für die Modellierung eines mehrsprachigen kommunikativen Kompetenzbegriffs als Indikatoren herangezogen werden 25 1. Ziele, Gegenstand und Struktur der Studie können, um so den Erfordernissen der Deskriptivität nachzukommen. Die theo‐ retische Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz (MKK) sieht folgende Kompetenzbereiche vor: symbolische Kompetenz, psycholingu‐ istische und soziolinguistische Aspekte der MKK, Sprach(en)bewusstheit, mehr‐ sprachige Gesprächspraktiken, Emotion. Zunächst gilt es, die Begrifflichkeit „einsprachig-, zwei-, und mehrsprachig“ zu definieren, um sie für den weiteren Gebrauch im Forschungsprojekt nutzbar zu machen. Anschließend werden, nach einer Einführung in den Begriff der Multicompetence nach Vivien Cook, unterschiedliche Modelle des mehrsprachigen Spracherwerbs vorgestellt und auf ihre Relevanz für eine Mehrsprachigkeitsdidaktik hin kritisch hinterfragt. Psycholinguistische Aspekte der Mehrsprachigkeit stehen im Folgenden im Fokus. Dabei werden all jene mehrsprachigen Phänomene erläutert, die für die Auswertung der Aushandlungsprozesse und der vier Fallstudien von Relevanz sind. So können bei der Datenanalyse die aus der Diskursanalyse und den Stimulated Recalls/ Leitfadeninterviews gewonnenen Erkenntnisse in ihrer Wichtigkeit für den mehrsprachigen Spracherwerbsprozess und der Entwick‐ lung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz (MKK) erkannt werden. Es wird dadurch zudem ein tieferes Verständnis der didaktischen Maßnahmen er‐ möglicht, die zu einem kompetenzbezogenen mehrsprachigen Unterricht führen. Es gilt dabei, in der Datenauswertung zu überprüfen, inwiefern und in welcher Form die in der theoretischen Modellbildung identifizierten Bereiche wiederzufinden sind. Diese dient als Vorlage und Orientierungshilfe, entlang welcher die Daten der Studie geordnet bzw. verifiziert oder falsifiziert werden können. Gleichfalls sollen neue aus der Studie resultierende Kompetenzbe‐ reiche/ Kategorien, die in der theoretischen Modellierung MKK keine Erwäh‐ nung finden, diese ergänzen (vgl. Aguado 2016: 246). In der Folge wird einleitend das geschichtliche und gesellschaftliche Umfeld umrissen, in dem die Studie durchgeführt wurde (5.1.). Zunächst wird die kom‐ plexe sprachliche und bildungspolitische Situation in Südtirol zusammenge‐ fasst, indem ein geschichtlicher Abriss vom Ende des Ersten Weltkrieges bis in die Gegenwart aufzeigen soll, wie ein Sprachtrauma, das unsere Region zum Teil auch heute noch prägt, zustande kam und wie auf politischer Ebene versäumt wurde oder nicht möglich war, hier mit gezielten Maßnahmen einzugreifen, um Aufarbeitungsarbeit zu leisten. Erst in den letzten Jahren wurde das Diktat des getrennten Sprachenunterrichtes in dieser Region aufgebrochen, da erstens die Europäische Union die Mehrsprachigkeit mit Nachdruck fordert und zweitens die sprachliche Situation so komplex geworden ist, dass auf bildungspolitischer Ebene reagiert werden muss, und nicht zuletzt, weil immer mehr Eltern Mehr‐ sprachigkeit in der Schule fordern. 26 1. Ziele, Gegenstand und Struktur der Studie Die Situation dieser Region ist durch Besonderheiten gekennzeichnet, die sich maßgeblich auf den Kompetenzerwerb der einzelnen Lernenden auswirkt. Immer noch beeinflussen die geschichtlichen und sozialen Ereignisse, die dieses Land geprägt haben, jede bildungspolitische Entscheidung hinsichtlich Spra‐ chen und Sprachenlernen maßgeblich mit. Bislang waren GER und FREPA im Bereich der Mehrsprachendidaktik Bezugspunkt für Schülerbewertung und Un‐ terrichtsevaluation auch in Südtirol die einzigen Orientierungsrahmen. Es wird deshalb kurz darauf eingegangen, in welcher Form diese Empfehlungen in den letzten Jahren in Südtirol rezipiert wurden, wie die Südtiroler Rahmenrichtlinien für den Sprachenunterricht entstanden sind und wie der Südtiroler Referenz‐ rahmen für die Mehrsprachigkeit aus dem FREPA abgeleitet wurde (Schwien‐ bacher et al. 2017). Des Weiteren werden in diesem Abschnitt das Projekt und seine Forschungsschwerpunkte umrissen und in seinem Umfeld verortet. Im darauffolgenden Abschnitt wird nach einer allgemeinen Einführung zum aufgabenorientierten Unterricht auf die Besonderheiten der komplexen Kom‐ petenzaufgabe eingegangen und in ihren Eigenschaften erklärt (6.1.). Anschlie‐ ßend wird auf das Forschungsdesign übergeleitet. Zunächst wird der schulische Datenerhebungskontext umrissen, der Wechsel von der LehrerInnen in die For‐ scherInnenrolle kritisch reflektiert und in diesem Zusammenhang die Gütekri‐ terien, die dieser Arbeit unterliegen, erläutert. Im Folgenden wird die Doku‐ mentation und Analyse der Datensätze detailliert in allen ihren Aspekten transparent gemacht (6.3.). Anschließend wird eine Unterrichtseinheit in ihrem Modellcharakter vorge‐ stellt und ihr Aufbau beschrieben. Dabei wird die ursprünglich für den einspra‐ chigen Fremdsprachenunterricht konzipierte Komplexe Kompetenzaufgabe von W. Hallet (; Hallet 2006, 2008, Hallet & Krämer 2012a/ b) für den mehrsprachigen Unterricht adaptiert. Es wird im Einzelnen angeführt, wie die Kompetenzziele im mehrsprachigen Unterricht z. T. neu definiert werden, indem Aspekten der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit mehr Raum im Unterricht zugesprochen wird. Da die Auswahl der Texte für die einzelnen Module u. a. literarische Texte im weiteren Sinne vorsah, kommt auch den literarischen Kompetenzen, so wie sie in der Tradition der rezeptionsästhetischen Literaturdidaktik (Bur‐ witz-Melzer 2007) verstanden werden, große Bedeutung zu, da diese im Zusam‐ menhang mit der Lese- und kommunikativen Kompetenz in einem mehrspra‐ chigen Forschungsrahmen in Bezug auf Informationsentnahme und Verarbeitungsprozesse Bestandteil der Modellierung von mehrsprachiger kom‐ munikativer Kompetenz sind (6.4.). Darauf folgen die Einzelanalysen der Aushandlungsprozesse. In den aus‐ zugsweisen Aufzeichnungen der Aushandlungsprozesse werden für den Lern‐ 27 1. Ziele, Gegenstand und Struktur der Studie prozess relevante Stellen im Diskurs hervorgehoben und diskursanalytisch untersucht. Es werden Auszüge analysiert, die in besonderem Maße den Kom‐ petenzerwerb im Bereich der MKK aufzeigen. Die Analyse der Aushandlungs‐ prozesse soll eine Perspektivenvielfalt ermöglichen, die die SchülerInnenaus‐ wertung ergänzt und so die Validität der Daten garantiert (7.1.). Auf die Auswertung der Aushandlungsprozesse folgen die vier SchülerInnenauswer‐ tungen (8). Sie beinhalten die Auswertungen der Fragebögen zur Sprachbiogra‐ phie und Auszüge aus den Aushandlungsprozessen. Diese ergeben zusammen mit den Ergebnissen der drei Stimulated Recalls, des abschließenden Leitfaden‐ interviews, des Forschungstagebuches und der Analyse der selbst verfassten Texte, ein Gesamtbild der individuellen Lernprozesse und der im mehrspra‐ chigen Unterricht geforderten Strategien, Fähigkeiten und Fertigkeiten der ein‐ zelnen Probandinnen. Hier wird die dokumentarische Methode (Bohnsack 2013) herangezogen, da sie aufgrund ihrer Eigenschaften als besonders geeignet er‐ achtet wird, die Entwicklung der symbolischen Kompetenz in ihrer Prozessmä‐ ßigkeit im mehrsprachigen Diskurs zu erfassen. Besondere Berücksichtigung finden in diesem Zusammenhang die persönli‐ chen, kulturellen und sprachlichen Voraussetzungen der einzelnen Lernenden. Ihr Einfluss auf den Kompetenzzuwachs steht in diesem Kontext im Fokus. Dies wirft die Frage auf, welchen Kompetenzzuwachs Lernenden mit unterschiedli‐ chen sprachlichen und kulturellen Voraussetzungen erfahren, wie dieser indi‐ viduelle Lernprozess sich in Anbetracht der unterschiedlichen kognitiven Vo‐ raussetzungen von zweibzw. mehrsprachigen und einsprachigen SchülerInnen gestaltet und welche Wechselwirkungen entstehen, wenn mehrsprachige und einsprachige Lernende in einem mehrsprachigen Setting zur gemeinsamen mehrsprachigen Arbeit veranlasst werden. Es stellt sich die Frage, wie sich in diesem Kontext mehrsprachiges soziales Lernen gestaltet und welcher Kompe‐ tenzzuwachs sich für alle Beteiligten daraus ergeben kann. Im dann folgenden Abschnitt werden die Ergebnisse aller Teilanalysen im Vergleich zueinander in einem systematischen Überblick dargelegt (10.1.). Die verschiedenen Aspekte und Daten werden systematisch verglichen und miteinander vernetzt, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, die für die konkrete Durchführung mehrsprachigen Unterrichts ebenso wie für den Erkenntnisgewinn des gesamten Forschungs‐ projekts von Interesse sind. In einem Abstraktionsprozess werden die so erhal‐ tenen Daten in Indikatoren umformuliert, um Kompetenzbereiche herauskris‐ tallisieren zu können. Daraus ergeben sich folgende Forschungsfragen: 1. Wie lässt sich mehrsrapchige kommunikative Kompetenz definieren? 2. Welcher Kompetenzzuwachs im Bereich MKK kann in einem mehrspra‐ chigen aufgabenorientierten Lernsetting beobachtet werden? 28 1. Ziele, Gegenstand und Struktur der Studie 3. Wie hängt dieser Kompetenzerwerb mit den (sprach-) biographischen Voraussetzungen der einzelnen Lernenden zusammen? 4. Welche Kompetenzbereiche können identifiziert und welche Deskrip‐ toren formuliert und werden? Im Abgleich der Daten mit der theoretischen Modellierung werden alle Ent‐ sprechungen in tabellarischer Form dargestellt und Leerstellen bzw. neue Er‐ kenntnisse aufgezeigt (9). Aus diesem Datenvergleich lassen sich Ähnlichkeiten, Unterschiede, aber auch Besonderheiten herausarbeiten, die kritisch beleuchtet werden. Ziel ist es aufzuzeigen, inwieweit die Ergebnisse der Datenauswertung mit denen der theoretischen Modellierung übereinstimmen bzw. differieren. Es werden außerdem jene neuen aus der Datenanalyse hervorgegangenen Kom‐ petenzbereiche aufgezeigt und umrissen, die in der theoretischen Modellierung noch nicht vorhanden waren. Anschließend wird ein erster Ansatz einer Kompetenzbeschreibung einer mehrsprachigen kommunikativen Kompetenz für einen mehrsprachigen kom‐ petenzorientierten Unterricht ausgearbeitet und in Hinblick auf die Operatio‐ nalisierung im Unterricht transparent gemacht (10). Es werden anhand von Ta‐ bellen die aus dem Datenvergleich gewonnenen Deskriptoren anhand von Kompetenzbereichen den fünf Savoirs zugeordnet. Diese vermitteln ein Ge‐ samtbild des erkenntnistheoretischen Wertes der Studie und können in die Dis‐ kussion über Sinnhaftigkeit und Durchführbarkeit mehrsprachigen Unterrichts eingebunden werden. In der Zusammenschau der einzelnen Elemente der Studie werden Eigenschaften und Merkmale nochmals gebündelt und - nicht zuletzt in Hinblick auch auf die bildungspolitische Diskussion und die Verankerung des mehrsprachigen Unterrichts an Südtirols Schulen durch die Öffnung der ein‐ zelnen Curricula und Schulprogramme in Richtung Mehrsprachigkeit - in ihrem erkenntnistheoretischen Wert offengelegt. 29 1. Ziele, Gegenstand und Struktur der Studie 1 Der Begriff Mehrsprachigkeit und Mehrsprachigkeitsforschung entwickelt sich aus dem Forschungsbereich des Zweitspracherwerbs (vgl. Singleton 1999; Diebold 1968; Green 1998; Grosjean 2008b) und der Zweisprachigkeit. Dies geschieht aus der Er‐ kenntnis, dass dem Erwerb zusätzlicher Sprachen zu L2 neue und bis dahin unerforschte Dynamiken und Phänomene zugrunde liegen (vgl. Aronin/ Hufeisen 2009a; Aronin/ Hufeisen 2009b; Otwinowska-Kasztelanic 2011), die zwangsläufig ein eigenes For‐ schungsfeld ergeben. 2. Sprachenvielfalt und Sprachenlernen in der EU Die vorliegende Studie orientiert sich bei der Ausarbeitung der Deskriptoren für mehrsprachige kommunikative Kompetenz maßgeblich an zwei Vorbildern: an der GER und der FREPA. Auf den nach Abschluss der Datenauswertung 2018 erschienenen Ergänzungsband zum GER (Concil of Europe CEFR/ CV 2018) wird ebenfalls eingegangen, da hier der Bereich der Sprachmediation eine promi‐ nente Rolle einnimmt. Dieser Bereich kristallisiert sich auch in der Datenanalyse als ein besonders wichtiger und facettenreicher heraus. Die entsprechenden Deskriptoren wurden den Kernkategorien Soziales Lernen und Gesprächsstrate‐ gischer Einsatz von MKK zugeordnet. Der Ergänzungsband stellt einerseits einen großen Fortschritt bezüglich der Ausarbeitung von Deskriptoren für plurilin‐ guale Kompetenzen, wie sie in dieser Studie anvisiert sind, dar, da der Bereich der Mediation aufgenommen wird, lässt aber dennoch viele Fragen offen bzw. scheint nicht ausreichend ausdifferenziert, vor allem was die literarischen und mehrsprachigen Kompetenzen anbelangt. Auf alle drei Dokumente soll im Fol‐ genden eingegangen werden, um ein besseres Verständnis der nachstehenden Datenanalyse und Modellierung von MKK zu ermöglichen und diese bildungs‐ politisch innerhalb der Zielsetzungen der EU einzuordnen. 2.1 Sprachenlernen im GER Seit geraumer Zeit ist Mehrsprachigkeit 1 und mehrsprachige Bildung ein zent‐ rales Anliegen der Europäischen Union. Der Grundstein dafür wurde 2001 in der Barcelona-Zielsetzung (Europarat 2001) gelegt. Dort wurde zum ersten Mal festgehalten, dass im europäischen Raum der Sprachenunterricht von mindes‐ tens zwei Fremdsprachen von früher Kindheit an zu den Zielsetzungen der EU im Bildungs- und Ausbildungsbereich gehört und besonders gefördert werden soll. Es ist demzufolge explizites Ziel der EU, die individuelle Mehrsprachigkeit zu fördern und somit die Sprachenvielfalt innerhalb der Union zu wahren und zu unterstützen. Dies beinhaltet eine klare Absage an das Englische als einzige Lingua franca, das erstmals als Bedrohung wahrgenommen wird (vgl. Fäcke 2008: 7). Seit dem Jahr der Sprachen 2001 ist klar, dass die EU dem Modell des Englischen als einzige dominante Fremd- und Verkehrssprache den Rücken ge‐ kehrt hat, um den Sprachenreichtum Europas, die Minderheitensprachen und Randsprachen als kulturelles Gut zu schützen und zu fördern. Damit will man sich nicht darauf beschränken, das Englische in seiner Wichtigkeit als Ver‐ kehrssprache in allen Lebensbereichen einzugrenzen, sondern auch den Einfluss dieser Sprache auf andere Sprache zu unterbinden. So hat z. B. laut House eine Reihe von validierten Recherchen deutlich gemacht, dass es bereits Einflüsse der englischen Genres auf Texte in anderen Sprachen gibt (House 2004; Bührig & House 2004; Böttger 2004). Mehrsprachigkeit soll nicht mehr als Hindernis in der Kommunikation empfunden werden, sondern als eine zusätzliche Ressource, ein „wertvoller Schatz“ und ein Potenzial, das es zu schützen und auszuschöpfen gilt (Europarat 2001: 15). Daher wird wiederholt bekräftigt, dass alle europäischen BürgerInnen min‐ destens zwei Sprachen neben der Muttersprache zumindest funktionell (d. h. in Teilbereichen) beherrschen sollten: eine zweite Sprache L2, die in den meisten Fällen Englisch ist und eine weitere Sprache L3, im Idealfall eine Nachbar- oder eine Minderheitensprache. Diese Vorgabe spiegelt sich im Prinzip der DLC (Dominant Language Constellation) wider, nach der nicht eine einzelne Sprache Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit einer bestimmten Gesellschaft ist, sondern eine größere Anzahl von Sprachen für den sozialen Diskurs nötig sind. Laut Aronin und Singleton scheinen im Schnitt drei Sprachen auszureichen, um diese kommunikative Funktionsfähigkeit einer bestimmten Gesellschaft zu ge‐ währleisten (Aronin & Singleton 2012: 59). Im Zuge der Kompetenzdiskussion in der Fremdsprachendidaktik wurde be‐ reits 2001 ein Instrument zur Erhebung der Sprachkompetenzen ausgearbeitet: Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (Europarat 2001). Dadurch wurde zunächst der Kompetenzbegriff für den Sprachenunterricht auf nationaler und europäischer Ebene vereinheitlicht. Es wurden fünf Kompetenz‐ bereiche erarbeitet, die anhand von sechs Niveaustufen durch Deskriptoren de‐ tailliert skaliert wurden. Diese Standardisierung ermöglichte es, das Sprachen‐ lernen europaweit nach vereinheitlichten Kriterien zu gestalten und zu evaluieren. Sprachliche Kompetenzen wurden somit vergleichbar gemacht, was zu bürokratischer Vereinfachung führte und die zwischenstaatliche Verständi‐ gung erleichterte. 32 2. Sprachenvielfalt und Sprachenlernen in der EU In Südtirol wurde der GER durch die Rahmenrichtlinien für den Fremdspra‐ chenunterricht rezipiert und größtenteils eins zu eins in verkürzter und verein‐ fachter Form übernommen. Inhalte und Aufbau sowie das Kompetenzver‐ ständnis wurden in Südtirol, aufgrund der besonderen schulpolitischen Gegebenheiten, auf die im Folgenden noch genauer eingegangen wird, nie kri‐ tisch hinterfragt. Eine Diskussion über das Verhältnis von Bildungsstandards und GER, wie sie sich in den Folgejahren in Deutschland entwickelte (Bausch et al. 2005; Burwitz-Melzer 2005), blieb hierzulande aus. Auch jegliche Bezug‐ nahmen auf im GER behandelten Aspekte von Mehrsprachigkeit, wie sie im Folgenden ausgeführt werden, blieben unbeachtet. Aufgenommen wurde ledig‐ lich die Öffnung des Unterrichts, allerdings beschränkt auf den Fremdsprachen‐ unterricht, in Richtung interkulturelles Lernen, das im Vorspann der Südtiroler Rahmenrichtlinien für Fremdsprachen erwähnt wird (Autonome Provinz Bozen-Südtirol 2010). 2.1.1 Die Mehrsprachigkeit im GER Im einleitenden Teil des GER wird erstmals Mehrsprachigkeit nicht nur gefor‐ dert, sondern auch umrissen sowie ein Definitionsversuch unternommen. Das Sprachenlernen wird nicht mehr als additiver Erwerbsprozess mehrerer Spra‐ chen betrachtet, sondern es steht die Vermittlung kultureller und interkultu‐ reller Kompetenzen als integrierter Bestandteil des Sprachenlernens im Mittel‐ punkt. Das Kennenlernen und das Verständnis für andere Kulturen, deren Gemeinsamkeiten mit der eigenen Herkunftskultur, aber auch deren Besonder‐ heiten, verhilft einerseits zur Fähigkeit, die eigene Kultur zu hinterfragen und aus einer anderen Perspektive zu sehen, und gleichzeitig Ungewohntes, Neues und Fremdes einer anderen Kultur in diesen Wachstumsprozess zu integrieren. Es folgt eine erste Definition von Mehrsprachigkeit (Europarat GER 2001: 17): Dabei wird zunächst zwischen Vielsprachigkeit und Mehrsprachigkeit unter‐ schieden. Vielsprachigkeit greift auf institutioneller Ebene, wie z. B. an Schulen, die ein vielsprachiges Angebot ausarbeiten können, um die Kompetenzen der Lernenden im Bereich Mehrsprachigkeit zu fördern. Mit Mehrsprachigkeit ist die individuelle Erfahrung, der Umgang des Einzelnen mit den Sprachen seines Repertoires und die Erfahrungen der kulturellen Erweiterung, die damit ein‐ hergeht, gemeint. Sprachen bilden im Gehirn keine klar voneinander getrennten Einheiten, sondern fächern sich in einer gemeinsamen mehrsprachigen Kom‐ petenz auf. Daher wird von einem parallelen Lernen von Sprachen zugunsten eines synergetisch verstandenen abgesehen. Es sollen sich so gemeinsame, sprachübergreifende Kompetenzen bilden, auf die je nach Bedarf und Kontext 33 2.1 Sprachenlernen im GER zurückgegriffen werden kann. Im Sinne eines lebenslangen Lernprozesses wird Abstand genommen von dem Ideal eines auf muttersprachlichem Niveau zwei- oder dreisprachigen Menschen zugunsten eines Verständnisses von Sprachen‐ lernen, das auch darauf abzielt, sich je nach Bedarf auf den Erwerb von Teil‐ kompetenzen zu beschränken. So soll die Entwicklung eines sprachlichen Repertoires unterstützt werden, das beim Erwerb weiterer Sprachen oder Teilkompetenzen eine spracherwerbs‐ fördernde und im Idealfall beschleunigende Funktion einnimmt. Die Begriffe „mehrsprachige Kompetenz“ und „sprachliches Repertoire“ werden in diesem Zusammenhang zwar öfter erwähnt, jedoch bleibt eine genauere Definition dieser Begriffe und ihrer Funktion für den Erwerb weiterer Sprachen aus (ibid.: 18 f.). Da der Referenzrahmen keine eingehendere Bedeutungserklärung dieser Begrifflichkeiten liefert, fällt es schwer, sich ein vollständiges Bild von der Funktionsweise und der Auswirkung mehrsprachiger Kompetenzen auf den Spracherwerbsprozess zu verschaffen. Es wird lediglich davon gesprochen, dass beim Sprachenlernen die Möglichkeit gegeben werden sollte, diese mehrspra‐ chige Kompetenz zu entwickeln, wobei der Sprachmittlung in all ihren Formen hier eine besondere Wichtigkeit eingeräumt wird. Es werden auch keine Des‐ kriptoren zur Mehrsprachigkeit angeführt. Es fehlt also ein grundlegender As‐ pekt, der unverzichtbar ist, will man Mehrsprachigkeit im Unterricht imple‐ mentieren. Was bleibt, ist lediglich eine allgemeine Definition mehrsprachiger Kompetenzen ohne deren Deskriptoren. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der GER zwar ansatzweise einige Grundbegriffe der Mehrspra‐ chigkeit ausformuliert hat, dass aber definitorische Unbestimmtheit vorherrscht und es versäumt wurde, den Bereich Mehrsprachigkeit in seinem Facetten‐ reichtum zu erfassen und zu erläutern (GER Kapitel 6). Einen wichtigen Beitrag hingegen leistet der GER in Bezug auf funktionale Mehrsprachigkeit, indem abgesehen wird von der Vorstellung einer idealen muttersprachlichen Kompetenz in einer Zweitsprache zugunsten der Ausbil‐ dung eines möglichst breitgefächerten Repertoires an situationsgebundenen Sprachfertigkeiten in mehreren Sprachen, die je nach Bedarf im Prozess des lebenslangen Lernens ausgebaut und erweitert werden können (ibid.: 132-134). Diese bereichsspezifischen und situationsgebundenen Sprachkompetenzen können gezielt im Unterricht vermittelt oder durch den Sprachgebrauch in All‐ tagssituationen erworben werden. Die funktionale Mehrsprachigkeit hat aller‐ dings noch nicht ihren Weg in die Bildungsinstitutionen gefunden und es wäre wünschenswert, dass Schulen sich baldmöglichst auf diese neuen gesellschaft‐ lichen Anforderungen einstellen. 34 2. Sprachenvielfalt und Sprachenlernen in der EU 2.1.2 Rahmenstrategien zur Mehrsprachigkeit Nach Fertigstellung des GER konnten in den Folgejahren konkrete Rahmen‐ strategien für Mehrsprachigkeit ausgearbeitet werden (Council of Europe 2005) und Ansätze mehrsprachiger Erziehung folgten (Council of Europe 2007a,b; 2008a/ b/ c,). Im Jahr 2008 wurden die ersten Resolutionen über eine gemeinsame europäische Strategie zur Mehrsprachigkeit verabschiedet - dabei handelt es sich um Schlüsseldokumente, die detailliert die Maßnahmen zur Förderung einer mehrsprachigen Bildung vorstellten (Dorner 2008). Auch hier wird auf die Wichtigkeit der Mehrsprachigkeit für die sprachliche und kulturelle Vielfalt innerhalb, aber auch außerhalb Europas hingewiesen. In diesem Zusammenhang wird der Begriff „Querschnittsthema“ in Bezug auf Mehrsprachigkeit erstmals erwähnt (Council of Europe 2008a: 1). Dadurch wird Mehrsprachigkeit zum Schnittpunkt nicht nur von Sprachen und Kul‐ turen, sondern auch der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Bildungspo‐ litik sowie allen Bereichen des täglichen Lebens. Von der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit bis zur Bildungssprache sind in der heutigen pluralen und globalisierten Gesellschaft alle Bereiche von Mehrsprachigkeit durchwirkt. Mehrsprachigkeit wird auf diese Weise aus dem sprachen- und kulturüber‐ greifenden Bereich in die alltägliche gesellschaftliche Realität in Europa und außerhalb Europas übertragen. Sie macht die kulturelle Vielfalt der EU aus, und im Zuge des Bewusstwerdungsprozesses darüber soll die Fähigkeit ent‐ stehen, das eigene Sprachenrepertoire zu verändern, um es neuen Umständen und Anforderungen anzupassen (Council of Europe 2006). Teil dieses Vorha‐ bens ist auch die Förderung weniger verbreiteter Sprachen, die in diesem Do‐ kument in ihrer kulturellen und sozialen Wichtigkeit unterstrichen wird. Vrings/ Vetter bezeichnen Mehrsprachigkeit als eine Schlüsselkompetenz (vgl. Frings & Vetter 2008). Es wird erstmals festgehalten, dass Mehrsprachigkeit zur Entwicklung von Kreativität beiträgt, indem sie Zugang zu anderen Denkweisen, Weltanschau‐ ungen und Ausdrucksformen ermöglicht (Council of Europe 2008b: 2). Dies ist eine für die Zielsetzung des vorliegenden Forschungsprojektes grundlegende Erkenntnis. Neben der individuell-kognitiven und der sozial-konstruktiven Komponenten von Mehrsprachigkeit wird erstmals die emotional-kreative Komponente angesprochen (vgl. Furlong 2009: 365). Es wird auf die Tatsache verwiesen, dass Mehrsprachigkeit divergentes Denken fördern kann und dass sie in sich den Zugang zu neuen Bedeutungsräumen birgt (vgl. Kharkhurin: 2007: 187). Eine solche Erkenntnis muss unterrichtsmethodische Folgen haben, d. h. innovative Unterrichtsmethoden, welche die Verständigungsbrü‐ cken zwischen den Sprachen nicht zuletzt in Form der Übersetzung nutzen, 35 2.1 Sprachenlernen im GER sollten bestärkt werden (vgl. hierzu auch Council of Europe 2014a: 2-3). Als solche versteht sich das in dieser Studie herangezogene Aufgabenformat, das Formen des autonomen und selbstgesteuerten Lernens einen großen Spiel‐ raum zugesteht und so Kreativität und originelle Problemlösungswege zu‐ lässt. Neu ist im GER auch, dass besonderes Augenmerk auf den Erwerb der Erst‐ sprache gelegt wird, die unterstützende Funktion für den Erwerb weiterer Spra‐ chen hat. Dabei bezieht man sich auf die Schwellentheorie Cummins (Cummins 1981: 27 f.), die besagt, dass kognitive Entwicklung und Sprachkompetenz in enger Beziehung zueinander stehen. Es ist demzufolge eine hohe L1-Kompetenz nötig, damit komplexe kognitive Strukturen auf die nachgelernten Sprachen übertragen werden können. Fehlen diese kognitiven und sprachlichen Struk‐ turen, so können auch Folgesprachen nur auf einem unteren Sprachniveau er‐ worben werden, woraus sich wiederum negative Folgen für die kognitive Ent‐ wicklung ergeben. Eine hohe Sprachkompetenz wirkt sich bei Zweisprachigen laut Cummins auch auf die kognitive Entwicklung positiv aus. Die Schwellen‐ theorie ist besonders für die sprachliche Förderung von Kindern mit Migrati‐ onshintergrund relevant, die in den Herkunftssprachen oft ein niedriges Kom‐ petenzniveau mitbringen und daher einer besonderen Förderung bedürfen. Dies gilt in Südtirol teilweise auch für Kinder, die aus einem deutsch-italienisch ge‐ mischtsprachigen sozialen Umfeld stammen und in vielen Fällen geringe Sprachkompetenzen in beiden Sprachen aufweisen. Dieser Aspekt wird in der Datenauswertung dieser Studie und der Modellierung einer MKK (Mehrspra‐ chige kommunikative Kompetenz) Erwähnung finden, da sowohl die Sprachbi‐ ographie als auch die sprachlichen Kompetenzen der Lernenden in allen Spra‐ chen sich auf die Entwicklung der MKK auswirken. Es hat sich erwiesen, dass die klare Unterscheidung zwischen L1 und L2/ Lx in den meisten Fällen nicht möglich ist, da je nach (Sprach)biographie unterschiedliche Formen simultanen Spracherwerbs festgestellt wurden. In den Rahmenstrategien für Mehrsprachigkeit wird auch das Bewusstsein für Sprachenvielfalt in seiner Bedeutung für die Vermittlung transkultureller Werte und der Teilhabe am mehrsprachigen sozialen Diskurs hervorgehoben. Die durch Migration und Transmigration veränderte Gesellschaft kann sich nicht mehr auf monolinguale Gewohnheiten und Gesprächspraktiken stützen, sondern muss ihren Diskurs den neuen Erfordernissen einer nunmehr mehr‐ sprachigen Gesellschaft anpassen. Das Bewusstsein dafür soll besonders in jungen Menschen gestärkt werden, da es eine aktive Teilhabe an den gemein‐ schaftlichen sozialen und politischen Prozessen ermöglicht, die in ein mehr‐ sprachiges Umfeld eingebettet und vielfach durch einen mehrsprachigen Ablauf 36 2. Sprachenvielfalt und Sprachenlernen in der EU gekennzeichnet sind. Die Bewältigung mehrsprachiger politischer und sozialer Prozesse erfordert ein Wissen um transkulturelle Werte und Kompetenzen, die situationsgebunden strategisch zum Einsatz gebracht werden können und sich in vielfacher Weise von einsprachigen unterscheiden. Um diesen gesellschaftlichen Veränderungsprozess aktiv zu begleiten, wären didaktische und pädagogische Maßnahmen zu ergreifen, die auf die neuen lern‐ psychologischen Umstände eingehen. Auch die im Unterricht angebotenen Sprachen sowie deren Reihenfolge wären neu zu überdenken. Insbesondere wäre es wichtig, im Sprachenunterricht von den Ausgangssprachen der ein‐ zelnen Schüler auszugehen. Folglich muss Unterricht, soll er die Grundlage für eine pluralistische Gesellschaft sein, in der junge Menschen sich zurechtfinden und gefördert werden, umgedacht werden. Die Form des Task als Unterrichtsverfahren, wie es in den Unterrichtsmo‐ dulen durchgeführt wurde, gibt auf diese Forderungen eine konkrete und di‐ daktisch gut operationalisierbare Antwort, da Task-based teaching (Nunan 2004; Hallet 2006, 2008) sich dadurch auszeichnet, dass die soziale Diskursfähigkeit und der Zuwachs kommunikativer Kompetenzen Ziel des Handelns im Unter‐ richt sind. Es wird im Rahmen der Studie die Frage in den Raum gestellt, welche Kompetenzen, Dispositionen, Strategien und Ressourcen junge Menschen ent‐ wickeln sollen, nicht nur um sich in einer mehrsprachigen Lebenswelt zurecht zu finden, sondern auch um einen Lernprozess zu initiieren, der schrittweise auf das Kompetenzniveau der mehrsprachigen Bildungssprache und den damit ein‐ hergehenden mehrsprachigen kognitiven, motivationalen und emotionalen Prozessen übergeht. In diesem Sinne versteht sich die Studie als wegweisend für die Entwicklung neuer Unterrichtsmethoden, die mehrsprachiges Arbeiten im Sinne des GER in eine komplexe Kompetenzaufgabe einbaut. 2.2 Aktualisierung der Deskriptoren: der CEFR/ CV Der im Januar 2018 erschienene Begleitband zum GER (Council of Europe CEFR/ CV 2018) enthält eine Reihe von Erweiterungen und Neuerungen, die den 2001 erschienenen Referenzrahmen aktualisieren und den neuen Anforderungen einer immer pluralistischeren Gesellschaft anpassen sollen. Es wird hier erst‐ mals darauf hingewiesen, dass eine klare Unterscheidung zwischen L1 und L2/ Lx nicht möglich ist, da es so unterschiedliche Formen des Sprachenlernens gibt wie (Sprach)lernbiographien und da Sprachen oft parallel erworben werden bzw. Kinder oft zwei oder mehrere Erstsprachen haben. Ähnlich verhält es sich mit dem Erwerb von L2 und weiteren nachgelernten Sprachen, auch hier gibt 37 2.2 Aktualisierung der Deskriptoren: der CEFR/ CV es Formen von parallelem Spracherwerb, die eine klare Gliederung nicht zu‐ lassen (CEFR/ CV: 38). Besonders hervorzuheben ist ganz im Sinne dieser Studie, dass die Deskrip‐ toren nicht dafür gedacht sind, eine Standardisierung der Lernprozesse im schu‐ lischen Alltag voranzutreiben. Es handelt sich vielmehr um ein Instrument, das unterstützende Funktion hat und den Bedürfnissen der Lernenden nachkommen sollte, indem es realweltliche kommunikative Bedürfnisse aufzeichnet. Gleich‐ zeitig soll es auch dazu dienen, qualitativ hochwertige Erziehungsziele auszu‐ formulieren, die Inklusion als Teil des Bildungsprozesses explizit ausformuliert (ibid.: 26, 41). Es geht nicht darum, Lernprozesse zu bewerten und neue Stan‐ dards aufzustellen, sondern vielmehr sollen die Deskriptoren die Lernenden dabei unterstützen, ausgehend von realen Bedürfnissen, lebensweltlich rele‐ vante kommunikative Fähigkeiten zu entwickeln (ibid. 27). Das Absehen von jeglicher Form von Standardisierung zugunsten einer individualisierten Lern‐ begleitung ist ein besonderes Anliegen dieser Studie und als Grundsatz im ita‐ lienischen Bildungssystem gesetzlich verankert. Ganz neu im Vergleich zum GER sind die Deskriptoren im Bereich Mediation (ibid.: 106-125) und Mehrsprachigkeit (ibid.: 159-162). Erstere stellen eine Er‐ weiterung des Verständnisses von Mediation, wie sie im GER ausformuliert wurde, dar. Mediation sieht hier den Lernenden als sozialen Agenten, der im Versuch, Bedeutung zu übertragen, Brücken zwischen den Sprachen baut. Dies geschieht immer dann, wenn in der Kommunikation Raum geschaffen wird für gemeinsames Lernen und für die Ko-Konstruktion von Bedeutung. Das Ver‐ ständnis von Mediation sieht hier auch Formen des sozialen Lernens vor, bei denen u. a. das Mitteln von Informationen in angemessener Form vorgesehen ist sowie die Fähigkeit, andere dazu zu motivieren, neue Bedeutung zu verstehen oder selbst zu konstruieren (ibid. 103). Erstmals wird auch von emotionaler In‐ telligenz und Offenheit gesprochen, von emphatischem Verständnis für die Be‐ dürfnisse und Gefühle anderer sowie der Wichtigkeit des Erkennens und Ein‐ schätzens unterschiedlicher Kommunikationssituationen (ibid. 106). Dieser erweiterte Begriff von Mediation überschneidet sich mit den in der vorliegenden Studie identifizierten Kernkategorien Soziales Lernen und Mehr‐ sprachige Gesprächspraktiken. Aspekte wie TL (Translanguaging), CS (Code-swit‐ ching) und CM (Code-mixing) werden hier allerdings in ihrer Wichtigkeit für den mehrsprachigen und transkulturellen Diskurs nicht erwähnt. Man be‐ schränkt sich vielmehr darauf, unterschiedliche Formen von Mediation vom Schriftlichen ins Mündliche und umgekehrt aufzuzeigen. Besondere Bereiche wie das Erläutern von Graphiken und Daten und das Mitschreiben werden auch anhand von Deskriptoren dargestellt. Erwähnt wird auch der Umgang mit lite‐ 38 2. Sprachenvielfalt und Sprachenlernen in der EU rarischen und kreativen Texten. Hervorzuheben ist hier, dass es sich ausschließ‐ lich um rezeptive Kompetenzen handelt und sich auf die Bereiche Persönliche Reaktion auf kreative und literarische Texte und Analyse und Kritik literarischer und kreativer Texte beschränkt. Der aktive kreative Sprachgebrauch hingegen findet keinen Eingang. Außerdem wird der Komplexität der hermeneutischen mehrsprachigen Interaktion mit Texten kaum Rechnung getragen. Im Bereich der Mediation in der sozialen Interaktion werden unterschiedliche Strategien aufgezeigt, wie ein mehrsprachiger Diskurs gelenkt, unterstützt und verständigungserleichternd geführt werden kann. Diese fallen in der vorlie‐ genden Modellierung MKK mit unterschiedlicher Gewichtung in die Kernkate‐ gorie Soziales Lernen, da die Deskriptoren sich ausschließlich auf den schuli‐ schen Bereich beziehen und somit mögliche Lernprozesse vorstellen. Da, wie aus der Datenauswertung hervorgeht, alle im CEFR/ CV vorgestellten Aspekte der Mediation vorkommen, wird den Lernenden dank des besonderen Aufga‐ benformats die Möglichkeit gegeben, sich diese anzueignen. Der Bereich Mehr‐ sprachigkeit wird mit lediglich zwei Kompetenzbereichen (Mehrsprachiges Re‐ pertoire und Mehrsprachiges Verständnis) umschrieben. Diese kommen mit einigen Unterschieden auch in der Modellierung vor (ibid.: 159 und 160). Auffallend ist, dass auch in den Ergänzungen zum GER der Bereich des Savoir s’engager nicht berücksichtigt wird. Das kulturkritische Bewusstsein und die Fähigkeit, Kulturen durch ein spezifisch kulturwissenschaftliches Vorgehen kri‐ tisch zu evaluieren und zu hinterfragen, ist zwar ansatzweise in allen anderen Savoirs enthalten, wird aber auch hier nicht systematisch aufgezeigt. Es ist kein Zufall, dass man besonders im Bereich Literarisches Lernen und kritische Refle‐ xion über literarische und kreative Texte auf Aspekte stößt, die auch dem Savoir s’engager zugeordnet werden könnten (ibid. 116-117). Trotzdem wird sowohl dem Literarischen Lernen als auch dem Savoir s’engager in dieser Überarbeitung nur ein geringer Platz eingeräumt, der bei weitem nicht die Komplexität der Phänomene erfasst, die ein kritisches Verständnis von Mehrsprachigkeit und Transkulturalität besonders im Bereich Literarisches Lernen fordert. Die vorlie‐ gende Modellierung stellt u. a. den Versuch dar, einen ersten Vorstoß in dieses noch unerforschte Gebiet zu wagen. 39 2.2 Aktualisierung der Deskriptoren: der CEFR/ CV 2.3 Der FREPA/ CARAP oder A Framework of Reference for Pluralistic Approaches to languages and Cultures - Competences and Ressources Von maßgeblicher Bedeutung für die in der vorliegenden Studie anvisierte Mo‐ dellierung der MKK sind Struktur und Inhalte des FREPA. Er versteht sich als ein Instrument zur Implementierung curricularer Mehrsprachigkeit. Daher diente er in großem Maße auch als Vorbild für das MSCS (Mehrsprachencurri‐ culum Südtirol), auf das im Folgenden noch eingegangen wird. Der FREPA wurde 2012 vom ECML (Europäisches Centrum für Mehrsprachigkeit) ausge‐ arbeitet und stellt einen ersten Versuch dar, mehrsprachige Kompetenzen struk‐ turiert zu erfassen und darzustellen. Unter Bezugnahme auf Byrams Definition von mehrsprachiger Kompetenz versteht es sich als ein Instrument zur Ent‐ wicklung eben dieser: Managing the repertoire [which corresponds to plurilingual competence] means that the varieties of which it is composed are not dealt with in isolation; instead, although distinct from each other, they are treated as a single competence available to the social agent concerned. (Candelier et al. 2012: 8 zitiert Byram 1997: 73) In dieser Definition wird mehrsprachige Kompetenz mit Repertoire gleichge‐ stellt und festgehalten, dass die Varietäten, aus denen sich das Repertoire zu‐ sammensetzt, obwohl sie unabhängig sind, nicht klar voneinander trennbar sind (zur Begriffsdefinition von Kompetenz cf. 4.1.). Sie sind als einzige umfassende Kompetenz für den Nutzer abrufbar. Aufbauend auf diese Definition werden vier dem Byramschen Modell für interkulturelle kommunikative Kompetenzen entnommene Kompetenzbereiche identifiziert, welche diese mehrsprachige Kompetenz ausmachen. Kompetenz ist demzufolge im FREPA die Fähigkeit „in‐ dividuelle Ressourcen (Kenntnisse, Fertigkeiten und Lernerpersönlichkeit) sowie externe Ressourcen zu mobilisieren, um miteinander verwandte, kom‐ plexe Anforderungen meistern zu können“ (Beckers 2002: 57; zitiert nach Can‐ delier et al. 2007: 16). Im Gegensatz zu Kompetenzen, die komplex und situationsgebunden sind, lassen sich laut Martinez & Schröder-Sura Ressourcen eher definieren und kon‐ kret im Unterricht durch geeignetes Unterrichtsmaterial und Aufgaben fördern (Martinez & Schröder-Sura 2011: 71). Daher bedient sich der FREPA der Des‐ kriptoren von Ressourcen. Es gibt vier Deskriptorenlisten: Savoir, Savoir faire, Savior apprendre und Savoir être (zur detaillierten Erläuterung des Aufbaus des FREPA vgl. Martinez & Schröder-Sura 2011: 72 ff.). Dabei ist für diese Studie aufgrund der Ergebnisse der Datenauswertung relevant, dass das Savoir ap‐ 40 2. Sprachenvielfalt und Sprachenlernen in der EU prendre als transversale Kompetenz verstanden wird, es bezieht sich somit auf alle anderen genannten Bereiche (cf. 9.1): Abb. 2.1. Martinez & Schröder Sura 2011, S. 72 Damit wird veranschaulicht, dass Savoir apprendre, die mehrsprachige Lern‐ kompetenz „eine deklarative (a), prozedurale (b) und personenbezogene Kom‐ ponente (c) umfasst, welche in einer Wechselwirkung zueinander stehen“ (ibid.: 73). Dabei berücksichtigt der deklarative Aspekt von Savoir apprendre den Wis‐ senstransfer von einem Bereich in den anderen, die prozedurale Komponente die Lernautonomie, das soziale Lernen sowie Lernstrategien und das Nutzen von kulturellem Vorwissen für den Lernprozess. Die persönlichkeitsbezogene Kom‐ ponente beschreibt hingegen die Lerneinstellung. Die transversale Valenz des Savoir apprendre schlägt sich auch in der Modellierung der MKK nieder, da sie veranschaulicht, dass das mehrsprachige Lernen ein Prozess ist, der alle Aspekte der Persönlichkeit des Lernenden miteinbezieht und ihm Möglichkeiten und Wege offenbart, wie er in Beziehung zum eigenen mehrsprachigen Ich treten kann und zum mehrsprachigen und mehrkulturellen Umfeld. Die Savoirs können sich laut FREPA nur in einem Klassenzimmer entwickeln, in dem mehrere Sprachen und Kulturen gemeinsam einen Platz finden. Es muss die Möglichkeit zur Begegnung geboten werden. Sprachen und Kulturen sollen nicht mehr als etwas Getrenntes erfahren werden, sondern in Verbindung zu‐ einander gebracht und vernetzt werden. Damit Unterricht mehrsprachige Res‐ sourcen mobilisieren kann, muss er umgedacht werden, denn traditioneller ein‐ sprachiger Unterricht kann das nicht. Daher wird ein pluralistischer Ansatz 41 2.3 Der FREPA Referenzrahmen 2 In der wissenschaftlichen Diskussion über die Differenzierung von Interkulturalität und Transkulturalität stehen sich zwei entgegengesetzte Auffassungen gegenüber. Inter‐ kulturalität ist laut Bredella der Versuch, eine andere Kultur zu verstehen und deren Perspektive einzunehmen (Bredella & Christ 2007: 13). Dies setzt allerdings voraus, dass klar abgegrenzte eigenkulturelle Kategorien vorhanden sind. Das Verständnis von Transkulturalität hebt diese klare Innenperspektive auf, indem das sog. Kugelmodell (Welsch 2009: 4) durch die Vorstellung des Hybridcharakters aller Kulturen ersetzt wird. Welsch sieht diesen Hybridcharakter sowohl auf einer gesellschaftlichen Makroebene als auch auf einer dem einzelnen Individuum zuzuordnenden Mikroebene. Jedes Indi‐ viduum ist demzufolge als solches transkulturell. Dieser Auffassung schließen wir uns an. gefordert, denn nur auf Mehrsprachigkeit aufbauend kann interkulturelles/ intrakulturelles Lernen auch wirklich gelingen. 2 Diese Annahme wird im vorliegenden Forschungsansatz übernommen, wobei ein transkultureller einem interkulturellen Ansatz vorgezogen wird. Laut Kramsch entwickeln sich Kulturen sprachspezifisch und umgekehrt Sprachen kulturspezifisch. Beim Sprechen beziehen sich die Menschen auf gemeinsame Erfahrung und geteiltes Weltwissen, das auch ihre Haltungen und Glauben und Meinungen beinhaltet (Kramsch 1998: 3). Dadurch wird Sprache zum Ausdruck kultureller Realität. Umgekehrt, meint Kramsch weiter, entstehen durch Sprache auch gemeinsame Erfahrungen. Folglich formt Sprache die kulturelle Realität und stellt sie durch ihre Zeichen symbolhaft dar (vgl. auch Byram 2000: 33). Wenn also eine Sprache Ausdruck einer bestimmten Kultur ist, dann kann die Erfahrung über diese Kultur ausschließlich über deren Sprache erfolgen (vgl. hierzu auch Bredella & Christ 2007, 1995; Bredella et al. 2000; Bredella 2000, 2004, 2010,). Geht man jedoch von der transkulturellen Auffassung von Welsch aus (Welsch 2009: 60), so bedeutet dies, dass über die Sprache(n) Erfahrungen über mehrere Kulturen gleichzeitig gemacht werden können, da Sprachen keinem Reinheitsgebot folgen, sondern hybride Formen sind. Die Dichotomie eigenkul‐ turell vs. fremdkulturell wird somit aufgehoben zugunsten eines sprach- und kulturübergreifenden Denkens, das den Lernprozess umgestaltet. Der transkul‐ turelle Vergleich vollzieht sich vor allem und zuerst auf sprachlicher Ebene durch Sprachvergleich und in der Mehrsprachigkeit. Wenn also Lernende ein Gespür für ihre eigene Transkulturalität entwickeln sollen, dann kann das not‐ wendigerweise nur im mehrsprachigen Kontext geschehen und nicht in einer monolingualen Lernumgebung. 42 2. Sprachenvielfalt und Sprachenlernen in der EU 2.3.1 Pluralistische didaktische Ansätze Bereits in den einleitenden Worten des FREPA wird festgestellt, dass pluralisti‐ sche Ansätze in der Didaktik nicht immer die Anerkennung haben, die sie ver‐ dienen, weil ihr Potenzial nicht erkannt wird (Candelier et al. 2012: 8 f.). Es wird ihnen im Unterricht lediglich die Funktion der Sensibilisierung für Mehrspra‐ chigkeit zugesprochen, sicherlich ein wichtiger Aspekt, aber angesichts der Viel‐ zahl an Lernprozessen, die durch den mehrsprachigen Unterricht initiiert werden, bei weitem nicht ausreichend. Ein Grund dafür ist laut Candelier darin zu finden, dass die Verbindung zwischen pluralistischen, aus der kommunikativen Tradi‐ tion stammenden und kompetenzorientierten Ansätzen bislang gefehlt hat. Die in Europa entwickelte sog. pluralistischen Ansätze sind: das Tertiärsprachen‐ lernen, die Interkomprehension und das integrierte Sprachenlernen (Aronin & Singleton 2012: 128). Sie entwickelten sich aus dem interkulturellen Ansatz nach Hawkins ( Hawkins 1985; Oomen-Welke 2016), beschränken sich jedoch auf Mo‐ mente des Vergleichs auf grammatischer, lexikalischer und syntaktischer Ebene und sind daher nur begrenzt im Unterricht einsetzbar. Der Referenzrahmen stützt sich bei der Ausformulierung der Deskriptoren ausschließlich auf die oben angeführten Ansätze, also auf das, was bereits vor‐ handen und im Unterricht erprobt worden ist. Es wird nicht, wie es hingegen in dieser Studie der Fall ist, der Versuch unternommen, andere Aspekte - ins‐ besondere den psycholinguistischen, soziolinguistischen und emotionalen - miteinzubeziehen. Erklärt wird diese Entscheidung mit der Tatsache, dass es zu wenige wissenschaftlich fundierte Forschungsprojekte auf diesem Gebiet gibt (ibid.: 15). Der FREPA als ein Instrument zur Verbreitung und Implementierung bereits vorhandener kommunikativer Ansätze stützt sich bei der Ausformulie‐ rung der Indikatoren ausschließlich auf Erfahrungswerte. Es liegt ihm daher im Gegensatz zu dieser Studie keine empirisch fundierte Studie zugrunde. Die Des‐ kriptoren sind zwei Bereichen zugeordnet: einem epistemologischen und einem praxeologischen. Folglich gibt es einen erkenntnistheoretischen Aspekt, der eine möglichst vielschichtige Erfassung des Phänomens anstrebt, und einen praxisbezogenen, der als ein konkretes Instrument für die Umsetzung im Un‐ terricht gedacht ist (ibid.: 16) . Bereits nach einer ersten Lektüre wird klar ersichtlich, dass es sich um eine sehr umfangreiche und komplexe Kompetenzbeschreibung handelt. Bei nä‐ herem Hinsehen bemerkt man außerdem, dass ein Großteil der Indikatoren (an die 1900) den epistemologischen Aspekt betrifft und für den Unterricht zum Zweck der Unterrichtsevaluation oder Lernstanderhebung nicht nutzbar ist. Außerdem wurde auch keine klar erkennbare Unterscheidung zwischen epis‐ temologischen und praxeologischen Beschreibungen vorgenommen (ibid.: 19). 43 2.3 Der FREPA Referenzrahmen Daher bleibt es den Schulen und Lehrkräften überlassen, sich auf die Suche nach den für Lernstanderhebungen oder Curricula verwendbaren Indikatoren zu ma‐ chen, wobei die objektive Erfassbarkeit eine ausschlaggebende Rolle spielt. Es war nötig, den Lehrkräften, Schulen und bildungspolitischen Einrichtungen Orientierungshilfen im Umgang mit dem FREPA an die Seite zu stellen, die al‐ lerdings bezüglich des Umgangs mit den Deskriptoren keine Erleichterung bringen. Daher verstehen sich die in den letzten Jahren ausgearbeiteten Zielvorgaben für schulischen Unterricht sowie die Leitfäden für die Ausarbeitung mehrspra‐ chiger Schulcurricula (Beacco et al. 2015a/ b/ c; Bono & Melo-Pfeifer 2011b; Breidbach 2003; Council of Europe 2014a/ b, 2016; Daryai-Hansen et al. 2014) als Ergänzung und Erläuterung zu den Vorgaben und Deskriptoren der Rahmen‐ richtlinien für Mehrsprachigkeit FREPA (Candelier et al. 2012). Es stellt sich auch hier die Frage, wie die Bedingungen im Unterricht ge‐ schaffen werden können, um den Erwerb mehrsprachiger Kompetenzen zu för‐ dern. Martinez plädiert als erste, und ganz im Sinne dieser Studie, für ein auf‐ gaben- und kompetenzorientiertes Sprachenlernen, da Lernautonomie gefordert und im Verlauf der Problemlösungsprozesse autonomes Lernen unterstützt wird. „Kompetenzorientiertes Lernen leiten die Lernenden an, Ressourcen zu mobili‐ sieren. (Martinez & Schröder-Sura 2011: 75). Dabei sollten die Lernenden im Sinne der Task awareness in der Lage sein, die Aufgabe bewusst zu bewältigen und die Ziele und Ressourcen klar vor Augen haben. 2.3.2 Savoir s’engager - ein unberücksichtigter Kompetenzbereich Die Mobilisierung mehrsprachiger Ressourcen entlang eben dieses kompetenz‐ orientierten Lernens ist die große Herausforderung der Mehrsprachigkeitsdi‐ daktik heute. Genaue Vorstellungen darüber, wie ein solcher Unterricht geplant und gestaltet werden soll, gibt es bislang jedoch nicht. Hier soll die vorliegende Studie Abhilfe schaffen: Anhand eines konkreten Unterrichtsverfahrens wurde mehrsprachiger kompetenzorientierter Unterricht im Klassenzimmer durchge‐ führt und evaluiert. Durch ein empirisch angelegtes Forschungsdesign wurde erforscht, welche MKK sich im Verlauf des Projektes entfalten und inwiefern sie im Unterricht erhoben werden können. In einem Abstraktionsprozess werden Deskriptoren ausformuliert, die sich nicht ausschließlich auf Best-practice-Bei‐ spiele und Erfahrungswerte stützen, sondern empirisch erforscht und in Form eines Modells übersichtlich dargestellt werden. Sie können daher alle der Kate‐ gorie der praxeologischen Deskriptoren zugeschrieben werden, jenen Deskrip‐ toren also, die unmittelbar für den Unterricht nutzbar gemacht werden können. 44 2. Sprachenvielfalt und Sprachenlernen in der EU Anhand der fünf Savoirs werden durch die Datenanalyse Kompetenzbereiche identifiziert und die gewonnenen Deskriptoren zugeordnet. Es ist explizites Ziel, in diese Modellierung, im Gegensatz zum FREPA, auch das Savoir s’engager miteinzubeziehen. In Byrams Modell von 1997 ist das Savoir s’engager von zentraler Wichtigkeit. Es steht im Zentrum des Modells und wird von den anderen Savoirs umgeben. Es ist daher nur schwer verständlich, weshalb dieses Savoir vom FREPA und folglich auch vom MSCS ausgeklammert bleibt: Abb. 2.2. Dieses Savoir integriert die politische Erziehung in den Unterricht, weil jeglicher Erziehung eine politische Dimension innewohnt. Kulturkritische Bewusstheit wird deklariertes Bildungsziel des Fremdsprachenunterrichts. Byram selbst be‐ zeichnet diese Fähigkeit als “an ability to evaluate critically on the basis of explicit criteria perspectives, practices and products in one’s own and other cultures and countries“ (Byram 1997: 53) und unterscheidet drei Teilbereiche: a. Die Fähigkeit, implizite und explizite Wertehaltungen der eigenen und fremder Kulturen in Texten und Aussagen zu identifizieren. b. Die Fähigkeit, eine evaluative Analyse von Dokumenten und Gegeben‐ heiten aufgrund präziser Perspektiven und Kriterien vorzunehmen. c. Die Fähigkeit der Interaktion und Mediation im interkulturellen Aus‐ tausch anhand spezifischer Kriterien sowie die Befähigung zur Aushand‐ lung und Akzeptanz aufgrund des erworbenen Wissens, Fähigkeiten und Haltungen. (ibid. 53) Da im Alltag das Savoir s’engager die Umsetzung aller anderen Savoirs impliziert und somit auch den Weg vom schulischen Handeln in das lebensweltliche Han‐ deln bahnt, soll es nicht vom schulischen Alltag ausgeklammert bleiben. Das Savoir s’engager kann als Kernkompetenzbereich nicht einfach aufgebrochen 45 2.3 Der FREPA Referenzrahmen und, in einige wenige Teilbereiche beschränkt, auf die anderen Savoirs, insbe‐ sondere das Savoir être, eingegliedert werden, wie dies im FREPA vielfach ge‐ schieht. Es muss in seiner Wichtigkeit anerkannt werden und ebenso wie das Savoir apprendre als eine transversale Valenz angesehen werden. Es ist, wie aus der obenstehenden Graphik hervorgeht, propädeutisch für alle Formen des mehrsprachigen und transkulturellen Lernens, denn erst durch das Savoir s’en‐ gager wird das Desiderat eingelöst, dass schulische Bildung dem Anspruch ge‐ recht werden muss, den Heranwachsenden zur Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Diskurs zu befähigen, sie also zu demokratiefähigen und selbst‐ bestimmten BürgerInnen zu erziehen (vgl. Hallet: 2016: 19), also „in der Teilhabe an Politik, Gesellschaft und Kultur und in der Gestaltung der eigenen Lebenswelt diesem Anspruch gemäß zu leben und als mündige BürgerInnen selbstbestim‐ mend zu handeln“ (Klieme et. al.: 2003: 63). 2.4 Mehrsprachigkeit als Priorität schulischen Handelns Im schulischen Alltag ist Mehrsprachigkeit zum Regelfall geworden. Es gibt kaum noch Lernende, die in einem rein einsprachigen Umfeld aufgewachsen sind. Dies ist auf die zunehmende Migration und Transmigration zurückzu‐ führen, aber auch darauf, dass sich verschiedenste Formen der Mehrsprachigkeit im Alltag allein durch die Nutzung der neuen Medien ergeben. Die Schülerpo‐ pulation ist mehr denn je heterogen, multikulturell und daher auch mehrspra‐ chig. Es lassen sich zwei Ebenen der Mehrsprachigkeit herauskristallisieren: Eine durch die Globalisierung und Migration bedingte Mehrsprachigkeit der gesamten Gesellschaft. Hier kann Schule sich den veränderten Umständen an‐ passen, indem streng einsprachige Gewohnheiten aufgegeben werden. Die ge‐ samte Schulgemeinschaft kann mehrsprachig gestaltet werden, indem alle vor‐ handenen Sprachen als Bereicherung in den Schulalltag eingebracht werden. Wichtige Anregungen, wie die Schule als Haus des mehrsprachigen Lernens umgestaltet werden kann, geben Schader und Baur/ Hufeisen (Schader 2000; Baur & Hufeisen 2011). Von der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit zu unterscheiden ist die indivi‐ duelle Mehrsprachigkeit. Redevielfalt oder Heteroglossie sind Begrifflichkeiten, die seit Bachtin (Bachtin 1997; Busch 2013, 2011; vgl. hierzu auch Wandruszka 1979) kennzeichnend geworden sind. Die Prinzipien der Multidiskursivität, die unterschiedliche soziokulturelle Welten in den Diskurs einbringt, der Vielstim‐ migkeit des sprachlichen Ausdrucks, die eine Perspektivenvielfalt ermöglicht und schließlich der Sprachenvielfalt, im Sinne einer soziokulturellen Differen‐ 46 2. Sprachenvielfalt und Sprachenlernen in der EU zierung, zählen zu den entscheidenden Faktoren sprachlichen Handelns (vgl. Busch 2013: 10). Dadurch entstehen vielfältige Möglichkeiten der sprachlichen Gestaltung und der Wahrnehmung der mehrsprachigen Lebenswelt (Bachtin, 1986: 163). Für die Schule bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass von der Prob‐ lematisierung der Mehrsprachigkeit übergegangen werden muss zu einem Denken, das die gesellschaftliche und individuelle Sprachenvielfalt als Potential und Bereicherung anerkennt. Lernende, die armuts- oder kriegsbedingt aus ihren Herkunftsländern geflüchtet sind, beherrschen neben der Schulsprache Deutsch und L2 Englisch bzw. Italienisch weitere Sprachen zumindest funktio‐ nell, da sie zuhause gesprochen werden. Diese Sprachen finden an den Schulen aufgrund ihres geringen sozialen Prestiges kaum Anerkennung und drängen ihre Sprecher an den Rand. Die unterschwellige Anerkennung der prestige‐ reichsten Sprachvarietät als einzige legitime Sprache, so Bourdieu, führt zum Identifikationsdrang mit der kulturell und wirtschaftlich führenden Schicht (Bourdieu 1991: 40 und 50). Randgruppen verstummen dabei, finden weder Aus‐ druck noch Wertschätzung für ihre Sprache und Kultur und verlieren dadurch auch ihren Anspruch auf Bildungsgerechtigkeit. Ein mehrsprachiger Unterricht hat die Aufgabe, hier entgegenzuwirken und durch die Anerkennung und Wert‐ schätzung von Diversität neue Voraussetzungen für das schulische Handeln und Lernen zu schaffen. Wenn von mehrsprachigkeitsdidaktischen Ansätzen die Rede ist, wird nicht zuletzt wegen der brennenden bildungspolitischen Aktualität meistens auf durch Migration bedingte Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer und den damit einhergehenden Problematiken des DaF- und DaZ-Unterrichts sowie des sprachsensiblen Fachunterrichtes Bezug genommen (vgl. Busch 2011; Bausch et al. 2005; Vetter 2015; López-Gopar et al. 2013; Krifka et al. 2014; Krumm 2004; Schader 2000; Shohamy 2006). Der Versuch, Integration über einen potenzierten DaF/ DaZ-Unterricht zu bewerkstelligen, berücksichtigt einen sicherlich sehr wichtigen soziokulturellen Aspekt, indem die Voraussetzung für Integration über die Vermittlung sprachlicher Fertigkeiten ermöglicht wird. Es werden aber viele andere Aspekte transkultureller Vermittlung und transkulturellen Ver‐ ständnisses nötig sein, um Mehrsprachigkeit und Transkulturalität in einer Schule der Inklusion zu verwirklichen. Shohamy (2006) stellt sich in diesem Sinne eine Schule vor, in der Lernende ihre mehrsprachigen Kompetenzen konstruktiv in den Schulalltag einbringen können und auch das Recht haben, diese weiter zu entwickeln, um ein höheres Kompetenzniveau zu erreichen. Andererseits muss den Ansprüchen einsprachig aufgewachsener Lernenden Rechnung getragen werden, nicht nur mehrere 47 2.4 Mehrsprachigkeit als Priorität schulischen Handelns Sprachen, sondern auch mehrsprachige Kompetenzen im Schulalltag erwerben zu können. Denn werden diese mehrsprachigen Kompetenzen nicht nachdrück‐ lich gefördert, gehen sie da, wo bereits vorhanden, durch Sprachreibung ver‐ loren oder werden einfach verdrängt und unterdrückt. (Shohamy 2006: 174). Dies führt, wie bereits erwähnt, zu einem Gefühl der Marginalisierung bei mehrsprachig aufgewachsenen Schülerinnen, wie auch aus den Untersu‐ chungen der vorliegenden Studie hervorgeht, wo sich Schülerinnen aus ladini‐ schen Gebieten mit ihrer Herkunftskultur und Sprache nicht in den Unterricht und den schulischen Alltag einbringen können und folglich in Teilen ihrer Per‐ sönlichkeit starke Einschränkungen und ein Gefühl des Nicht-Wahrge‐ nommen-Werdens erfahren. Daher ist es eines der übergeordneten Ziele des mehrsprachigen Unterrichts, die klare Grenzziehung zwischen den Sprachen, so wie sie für den traditionellen Fremdsprachenunterricht eine Selbstverständlichkeit ist, aufzuheben. Das Kon‐ strukt des Native Speaker als im Fremdsprachenunterricht anzustrebendes und doch nie zu erreichendes Ideal wird dadurch hinfällig und es öffnen sich neue Räume, in denen Sprachen(n) in Kontakt zueinander treten können und dürfen. In diesen Räumen ist auch Platz für Verschmelzungen und hybride Formen, für Sprachvermischung und all jene Formen des mehrsprachigen Diskurses, die sich je nach Kommunikationszweck und -situation strategisch einsetzen lassen bzw. unbewusst das Gespräch steuern und die eine Bereicherung der Kommunikation darstellen. Dies bringt einen realistischeren Umgang mit Sprache mit sich, der die alten Ideale der Sprachreinheit und Sprachkorrektheit hinter sich lässt und auf den Alltagsgebrauch schaut, in dem diese nur bedingt einen Platz finden (ibid.: 173). Die Verwendung mehrerer Codes innerhalb einer Sprache, aber auch zwi‐ schen verschiedenen Sprachen führt hin zu einer multimodalen Didaktik, die auch die Mehrsprachigkeit in sich eingliedern muss, aus dem einfachen Grund, dass die Auseinandersetzung mit realen lebensweltlichen Problemstellungen nur mehrsprachig sein kann. Will man kritische Texterschließungskompe‐ tenzen im Unterricht fördern und es den Schülern ermöglichen, zwischen den Zeilen des gesellschaftlichen Diskurses zu lesen, dann kann man nicht umhin, mit Texten aus verschiedenen Sprachen zu arbeiten, denn der gesellschaftliche Diskurs ist nicht nur multimodal, sondern auch mehrsprachig. Daher kann die Förderung einer rein einsprachigen Texterschließungskompetenz im Unterricht genauso als eine Abstraktion von der Realität angesehen werden wie die Ab‐ grenzung der Sprachen voneinander. Der mehrsprachigkeitsdidaktische Ansatz, wie er in dieser Studie präsentiert wird, gibt eine operationalisierbare Antwort auf dieses Desiderat, denn es werden der mehrsprachige mündliche und schrift‐ 48 2. Sprachenvielfalt und Sprachenlernen in der EU liche Diskurs als lebensweltlich real anerkannt, in den Unterricht aufgenommen und in seinem didaktischen Potential umrissen. Es geht hier auch darum, den Begriff der Multiliteracies, wie ihn die New London Group (Cazden: 2000) definiert hat, in den Unterricht aufzunehmen, wodurch in diesem Zusammenhang als logische Schlussfolgerung der mehrsprachige Dis‐ kurs in den Mittelpunkt gerückt wird (vgl. dazu House 2007: 92). Hier hinken jedoch die schulischen Institutionen den realen Anforderungen der Gesellschaft hinterher, sie bereiten die Lernenden nur unzulänglich auf die Anforderungen einer mehrsprachigen, globalisierten und transkulturellen Gesellschaft vor. Mehr‐ sprachige Sprachhandlungskompetenzen sind die Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs geworden. Das Erkennen kultur- und sprachspezi‐ fischer Merkmale von Textsorten sowohl auf formaler als auch auf inhaltlicher Ebene ist Voraussetzung für ein vertieftes Verständnis und somit ein erster, wich‐ tiger Schritt in Richtung transkultureller Verständigung und Toleranz (vgl. Huf‐ eisen 2007). Die bislang unternommenen Versuche, Mehrsprachigkeit in den Unterricht miteinzubringen, wie zum Beispiel mittels Interkomprehension, auf die noch im folgenden Kapitel genauer eingegangen wird, scheitern daran, dass Mehrspra‐ chigkeit ausschließlich auf der lexikalischen und manchmal grammatischer Ebene behandelt wird. Es wird versäumt, den notwendigen Folgeschritt zu unter‐ nehmen, nämlich von der lexiko-grammatischen Ebene auf die Ebene der Genres zu wechseln und die Mehrsprachigkeit in der Klasse in Zusammenhang zu bringen mit der intra- und transkulturellen lebensweltlichen Mehrsprachigkeit, die dem Individuum, der die Ebene der ausschließlich grammatischen oder lexikalischen Korrektheit überwindet und neue Bedeutungs- und Lebensräume eröffnet. Diese Studie versteht sich daher nicht primär als Versuch, das Problem der migrationsbedingten Sprachenvielfalt auf pädagogisch-didaktischer Ebene durch die verstärkte Vermittlung von Sprachkompetenzen in der Bildungs‐ sprache zu lösen. Es handelt sich vielmehr um einen neuen Ansatz mit dem Ziel, die bislang ausgearbeiteten Formen der Mehrsprachigkeitsdidaktik durch ein Konzept des holistischen Sprachenlernens zu ergänzen und zu erweitern, das durch seine Ausrichtung neue, bislang nicht berücksichtigte Ressourcen des mehrsprachigen Lernens mobilisiert und dadurch u. a. auch neue Formen des Lernens (Savoir apprendre) im Unterricht ermöglicht. Die Modellierung einer MKK (Mehrsprachige Kommunikative Kompetenz) wird dabei zentrales An‐ liegen sein, da durch sie alle am Bildungsprozess Beteiligten teilhaben am In‐ tegrations- und Inklusionsprozess - jeder mit seiner ganz persönlichen (Sprach)-Biographie und seinen individuellen Voraussetzungen. 49 2.4 Mehrsprachigkeit als Priorität schulischen Handelns 2.4.1 Inklusion und Sprachenvielfalt Das Prinzip der Inklusion ist ein übergreifender Begriff, der alle Aspekte schuli‐ schen Lebens und des gesamten Bildungssystems umfasst. Daher steht es auch hier im Fokus; es soll aufgezeigt werden, wie plurilinguale Unterrichtspraktiken auf unterschiedlichen Ebenen Formen der Inklusion zulassen, indem Lernende durch ein mehrsprachiges Unterrichtsdesign einen besseren Umgang mit Spra‐ chen und Mehrsprachigkeit erwerben und sich dadurch sprachlicher Hierarchien und deren Wirkung im Diskurs bewusst werden. Das führt zu einer veränderten Wahrnehmung des eigenen Sprachenrepertoires und zu einer gesteigerten Wach‐ samkeit gegenüber den kommunikativen Bedürfnissen der anderen. Inklusion als Prinzip schulischen Handelns stellt die individuelle Förderung des Einzelnen in den Mittelpunkt und erteilt dem Leistungsprinzip als oberstes Gebot schulischen Handelns eine klare Absage. Laut Böttinger ist die Anerken‐ nung jeglicher kultur-, sprach- und genderspezifischen Diversität sowie der ge‐ zielte und individualisierte Umgang mit geistiger und körperlicher Behinderung ein Mehrwert, der zu einem gerechteren, solidarischen und weniger selektions‐ orientierten Verständnis von Schule führen soll (; Hallet 2011: 7, 61; Böttinger 2016: 18). Jede Klasse setzt sich aus lauter Individuen zusammen, auf die Unter‐ richt ausgerichtet sein sollte mit dem Ziel schulischer Teilhabe und sozialer Partizipation für alle. In der systemtheoretischen Sozialforschung steht Inklusion dem Prinzip der Exklusion gegenüber (vgl. Luhmann 1995; Stichweh 2016). Das Prinzip der In‐ klusion greift, wenn Individuen in soziale Systeme und Subsysteme, wie z. B. die Schule, eingegliedert werden, indem sie aktive Teilhabe daran haben. Diese Teilhabe äußert sich im Klassenzimmer laut Stichweh ausschließlich durch kommunikative Interaktion (Stichweh 2016: 10). Bereits durch Beachtung, Nichtbeachtung oder Anrede des einzelnen Individuums treten Haltungen zu‐ tage, an denen Inklusion gelingen bzw. scheitern kann (ibid.). In einem sprachlich heterogenen Klassenzimmer werden solche Haltungen durch die Miteinbeziehung oder Marginalisierung aller im Klassenzimmer vor‐ handenen Sprachen umso klarer. Soll im Unterricht Inklusion gelingen, bedarf es der aktiven Teilhabe aller Individuen und ihres gesamten sprachlichen Reper‐ toires. Damit sind auch Dialekte und Soziolekte, Minderheiten- und Randspra‐ chen sowie Herkunftssprachen gemeint. Um dem Individuum die Möglichkeit zu geben, seiner gesamten Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen, bedarf es der Ak‐ zeptanz und Wertschätzung seines sprachlichen Reichtums. Heterogenität und insbesondere sprachliche Heterogenität dürfen nicht als Problem verstanden werden, sondern als Glücksfall und Bereicherung, welche die sprachliche und kulturelle Partizipation aller am Bildungssystem Beteiligten ermöglicht. 50 2. Sprachenvielfalt und Sprachenlernen in der EU 2.4.2 Curriculare Verankerung von Mehrsprachigkeit Es sollen in der Folge zwei Ansätze zur mehrsprachigen curricularen schuli‐ schen Planung vorgestellt werden, die aufgrund ihrer Anlage für die vorliegende Studie von großer Relevanz sind, da auch diese einen Versuch darstellt, Mehr‐ sprachigkeit curricular zu verankern. Zunächst wird auf Krumm/ Reich einge‐ gangen, der Spracherwerb und Mehrsprachigkeit als persönlichkeitsstiftend be‐ trachtet und daher erstmals sprachbiographische Aspekte in ihrer Relevanz für den Unterricht anerkennt (Reich & Krumm 2013: 92). Anschließend wird auf Hufeisens „Gesamtsprachenkurrikulum“ eingegangen, ein Instrument für sys‐ tematische mehrsprachige Schulplanung. Beide Ansätze beinhalten Kern‐ aspekte der curricularen Verankerung von Mehrsprachigkeit wie er dieser Studie zugrunde liegt und bedürfen daher einer eingehenden Erläuterung. Die curriculare Verankerung von Mehrsprachigkeit verfolgt zunächst das Ziel, sprachliche Bildung im Sinne von Mehrsprachigkeit zu erweitern. Das von Krumm/ Reich ausgearbeitete Curriculum Mehrsprachigkeit ist ein erstes Instru‐ ment, mit dem Mehrsprachigkeit konkret im schulischen Alltag umgesetzt werden kann (Reich & Krumm 2013). Dabei steht hier die Erweiterung des traditionellen Sprachenunterrichts im Fokus. Dieser soll laut Krumm/ Reich durch eine Reihe von Bereichen erweitert werden, die ein umfangreicheres Verständnis von Sprachen‐ lernen implizieren (ibid.: 16 f.). Dazu gehören die Berücksichtigung und Weiter‐ entwicklung persönlicher Sprachenprofile, die Vermittlung eines facettenrei‐ cheren Bildes der Wirklichkeit und, damit einhergehend, Vielseitigkeit und globale Gültigkeit des Gelernten All dies ist eingebettet in ein Verständnis von Sprachenlernen, das die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen in den Mittel‐ punkt stellt und den Lernprozess in der Persönlichkeit des Einzelnen verortet (ibid.: 18 f.). Daher ist es wichtig, einen Bogen zwischen der Sprachbiographie jedes einzelnen und dem Unterrichtsvorhaben zu spannen und beides konst‐ ruktiv in den Unterricht einzubauen. Es handelt sich bei diesem Dokument um Rahmenvorgaben für die Vernetzung und Erweiterung des Sprachenunterrichtes im Sinne einer mehrsprachigkeitsdidaktischen Ausrichtung (Reich & Krumm 2013: 2 ff.), die sich am Prinzip eines inklusiven schulischen Handelns orientiert. Das Gesamtsprachencurriculum von Hufeisen geht einen Schritt weiter, es ver‐ steht sich als konzeptionelle Grundlage zur curricularen Umsetzung von Mehr‐ sprachigkeit im Unterricht (Hufeisen 2011a/ b, 2015, 2016). Das Modell/ der Pro‐ totyp gibt genaue Anweisungen zur Fächer- und Stundenverteilung, zum „planvolle[n], systematische[n] und strukturierte[n] Einbezug von mehr Spra‐ chen, mehr Sprache in allen Fächern und über alle Fächer hinweg“ (All‐ gäuer-Hackl et al. 2015: 9). Merkmale dieses Prototyps sind laut Hufeisen (Huf‐ eisen 2011a: 10): 51 2.4 Mehrsprachigkeit als Priorität schulischen Handelns 1 Unterricht in der Umgebungssprache als L1 2 Unterricht in modernen oder klassischen Fremdsprachen, aber auch Herkunfts- und Minderheitensprachen. 3 Intensive DaZ-Förderung für SchülerInnen, für die Deutsch L2 ist 4 Herkunftssprachenunterricht 5 CLIL für den Sachfachunterricht 6 Jahrgangsübergreifender Unterricht von Fächern und Sprachen 7 Projektunterricht Tab. 2.3. Ziel ist dabei die Vernetzung von Sprach- und Sachfächern, um die Lernzeit für beides durch sprachübergreifendes Lernen effizienter zu gestalten (Hufeisen 2016: 170). Selbst Hufeisen gesteht ein, dass eine derart radikale Veränderung des schulischen Systems nur auf der Mikroebene der einzelnen Entscheidungs‐ träger vollzogen und nicht von oben herab anbefohlen werden kann. Hufeisen räumt ein, dass Initiativen, im Bereich der Schulentwicklung ein Gesamtspra‐ chencurriculum zu entwerfen bzw. curriculare Mehrsprachigkeit einzubauen, Zeit brauchen. Es muss mit „beträchtlichem Beharrungsvermögen von Etab‐ liertem, Traditionellem und immer schon Dagewesenem gerechnet werden, so dass man beim Versuch, Schule gesamtcurricular zu entwickeln, einen langen Atem haben muss“ (ibid.: 172). Sowohl das Curriculum Mehrsprachigkeit als auch das Gesamtsprachencurri‐ culum sind Ansätze, die die systematische Implementierung von Mehrsprachig‐ keit und den Umgang mit Sprachenvielfalt an Schulen vorantreiben. Ersteres übernimmt stützende Funktion, indem sprachübergreifende und sprachsensibi‐ lisierende Maßnahmen in den Sprachunterricht aufgenommen werden. Letzt‐ eres sieht die Umstrukturierung des gesamten Sachfach- und Sprachunter‐ richtes vor, indem stufenübergreifend mehrsprachiger Unterricht vorgesehen ist. Dies ist ein klarer Bruch mit der traditionellen Strukturierung schulischen Unterrichts, der aufgebrochen werden müsste, um für den Alternativvorschlag Platz zu machen. Eine derart radikale Umstrukturierung findet, wie von Huf‐ eisen eingestanden, nicht leicht ihren Weg von der Theorie in den schulischen Alltag, weshalb auch bis jetzt keine systematischen Umsetzungsversuche in diese Richtung bekannt sind. Das vorliegende Projekt versteht sich auch als ein Vorschlag, durch modulare Anlegung mehrsprachigen Unterricht curricular zu verankern. Es lässt sich 52 2. Sprachenvielfalt und Sprachenlernen in der EU zwischen den beiden vorhergehenden Ansätzen verorten. Die modulare Gestal‐ tung des Projektes macht sich Freiräume im curricularen Unterricht zunutze, um mehrsprachigkeitsdidaktisch arbeiten zu können, hat aber keine so ein‐ schneidende Auswirkungen wie das Gesamtsprachencurriculum und stellt daher eine Möglichkeit dar, wie dieses schrittweise in den schulischen Alltag integriert werden kann. Gleichzeitig geht es einen Schritt weiter als Krumms Curriculum Mehrsprachigkeit, indem es nicht von theoretischen Prämissen ausgeht, die in den Unterricht eingebaut werden sollten, sondern es werden modular gestaltete Unterrichtseinheiten in den Regelunterricht eingebaut und die Lernprozesse erhoben. Es handelt sich also nicht um eine einmalige Durchführung mehr‐ sprachiger Module nach der Komplexen Kompetenzaufgabe mit dem ausschließ‐ lichen Ziel, Daten zur Entwicklung mehrsprachiger kommunikativer Kompe‐ tenzen zu erheben, sondern um ein Schulprojekt, das die Implementierung und curriculare Verankerung dieser Form des modularen mehrsprachigen Unter‐ richts im Sinne des MSCS (Mehrsprachencurriculum Südtirol) vorsieht (cf. 5.2.). Durch die modulare Gestaltung können diese Einheiten ergänzend zum tradi‐ tionellen Unterricht eingebaut werden, um Lernprozesse zu initiieren, die sich ausschließlich in einem mehrsprachigen Setting entfalten können. Dieser Kom‐ petenzzuwachs und die damit einhergehenden Lernprozesse können auf den Regelunterricht übertragen werden und so nicht nur lernfördernd und -be‐ schleunigend wirken, sondern auch zur Persönlichkeitsentfaltung der Lern‐ enden beitragen. Daher werden diese Lernprozesse in der vorliegenden Studie untersucht und eine erste modellhafte Zusammenschau entworfen. Dadurch stellt es eine mögliche Umsetzung des MSCS dar. 2.4.3 Aktuelle Projekte zur Mehrsprachigkeitsdidaktik Im Folgenden werden einige Projekte im Bereich Mehrsprachigkeit kurz um‐ rissen, damit soll das Innovationspotential mehrsprachigen Unterrichts aufge‐ zeigt werden. Sie sind ein Indiz dafür, dass die veränderten lebensweltlichen Umstände Einfluss nehmen auf die schulische Praxis und dafür, wie Instituti‐ onen und Forschungszentren auf diese Herausforderung mit innovativen An‐ sätzen reagieren. Sie tragen der Tatsache Rechenschaft, dass Unterricht nicht in den gewohnten Bahnen weitergeführt werden kann, sondern neue Mittel und Wege angedacht werden müssen. Diese Darstellung versteht sich als ein Über‐ blick und hat keinen Vollständigkeitsanspruch: MEZ: „Mehrsprachigkeitsentwicklung im Zeitverlauf “ (MEZ). Diese im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter der Leitung von Prof. Ingrid Gogolin an der Universität Hamburg durchgeführte höchst interessante 53 2.4 Mehrsprachigkeit als Priorität schulischen Handelns Longitudinalstudie erforscht die Entwicklung lebensweltlicher Mehrsprachig‐ keit und ihre Auswirkungen auf den schulischen Erfolg. Dabei werden auch Schulleistungsvergleichsuntersuchungen durchgeführt. MALEDIVE: „Sprachliche und kulturelle Vielfalt im Mehrsprachenunterricht“ (MALEDIVE) wird am ECML (Europäisches Centrum für Mehrsprachigkeit) durchgeführt, mit dem Ziel, mehrsprachige Lernumgebungen für den Lernpro‐ zess nutzbar zu machen. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf Persönlich‐ keitsentwicklung und Identität der Lernenden gelegt. Ein weiterer Brennpunkt ist die curriculare Verankerung mehrsprachigen Unterrichts. voXmi: „Sprachen miteinander und voneinander lernen“ (voXmi). Hierbei han‐ delt es sich und ein vom BIMM (Österreichischen Bundesministerium für Inter‐ kulturalität, Migration und Mehrsprachigkeit) unterstütztes Schulnetzwerk mit dem Zweck, neue Wege für den Sprachunterricht unter besonderem Einsatz digitaler Medien und authentischer Kommunikation zu finden. Dieses Netzwerk ist von höchster Praxisrelevanz und ist auch im Bereich der Professionalisierung von Lehrpersonen tätig. Es sind viele Bundesländer und Pädagogische Hoch‐ schulen daran beteiligt. Plure>E: Plurilingual Whole School Curricula (Plur>E), ein von der EU finan‐ ziertes Erasmus+Projekt und Fortführung des 2015 abgeschlossenen PlurCur Projektes, an dem die TU Darmstadt, TU Tralee und Universität Turku ge‐ meinsam mit einem Netzwerk von europäischen Schulen beteiligt sind. Ziel dieses Projekt ist es, Vorschläge für ein Gesamtsprachencurriculum auszuar‐ beiten und Beispiele für Best Practice für andere Schulen und Institutionen zu‐ gänglich zu machen. Dabei wird ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, das Schulmanagement und die Bildungspolitische Ebene miteinzubeziehen, indem konkrete Vorschläge und Informationen ausgearbeitet und weitergeleitet werden. 54 2. Sprachenvielfalt und Sprachenlernen in der EU 3. Mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze und neue Perspektiven Die Mehrsprachigkeitsdidaktik kann auf eine nunmehr über 20-jährige Tradi‐ tion zurückblicken. Es haben sich im deutschen Sprachraum im Laufe der Zeit drei verschiedene Ansätze herauskristallisiert: die Mehrsprachigkeitsdidaktik nach Meißner, die Interkomprehension, das Tertiärsprachenlernen und CLIL. Allen ist der Versuch gemeinsam, simultanes Sprachenlernen in der Praxis um‐ zusetzen, indem Synergien zwischen den Sprachen auf den verschiedensten Ebenen genutzt werden. In diese Tradition lässt sich auch der in diesem Projekt entwickelte mehrsprachige kompetenzorientierte Ansatz einreihen. Daher werden im Folgenden die unterschiedlichen Ansätze in ihrer Relevanz für die gegenwärtige Studie erläutert und zu dieser in Beziehung gesetzt, um ein voll‐ ständiges Bild der gesamten Entwicklung der möglichen Lernprozesse und der für die Studie daraus gewonnenen Erkenntnisse zu ermöglichen. Im Anschluss werden noch offene Desiderate vorgestellt, deren Erfüllung zumindest ansatz‐ weise im gewählten Unterrichtsformat anvisiert wird. 3.1. Mehrsprachigkeitsdidaktik nach Meißner Dieser Ansatz legt erstmals das umfassende Transferpotential offen, das in einem mehrsprachigen Unterricht aktiviert wird. Da Transfer in all seinen Formen auch ein wichtiger Aspekt der Kompetenzerweiterung in der mehr‐ sprachigen komplexen Kompetenzaufgabe ist, sollen die dahinterliegenden Me‐ chanismen hier kurz umrissen werden. Die von Meißner und später Reinfeld entwickelte Mehrsprachigkeitsdidaktik entsteht im Rahmen einer Diskussion um und als Alternative zum Englischunterricht und zur Förderung der LOTE (Languages Other Than English)-Sprachen. Sie ist aufgrund ihrer eingehenden Untersuchung des interlingualen Transfers und seiner unterschiedlichen Formen insbesondere innerhalb der gleichen Sprachfamilie und ihrer Nutzung für den schulischen Spracherwerb für diese Studie relevant. Es wird hier ver‐ anschaulicht, wie vielfältig und unterschiedlich Transfer sein kann, wie er zu‐ stande kommt und welchen Reichtum an Ressourcen er für das Sprachenlernen nutzbar macht. Das LOTE-Konzept entspringt der romanistischen Sprachendidaktik und sieht bereits ab den ersten Schuljahren einen fächerübergreifenden Spracher‐ werb vor. Eine erste Theoretisierung erfolgt in einem Artikel aus dem Jahre 1995 (Meißner 1995), in welchem der interlinguale Transfer als Grundlage für jegliche Fremdsprachendidaktik erstmals postuliert und erste Didaktisierungsmöglich‐ keiten angedacht werden. Meißner postuliert für den Erwerb von nicht nur sprachübergreifenden, sondern auch von zwischensprachlichen kommunika‐ tiven Kompetenzen und Lernstrategien einen didaktischen Mehrsprachen-Mo‐ nitor bzw. ein Mehrsprachenverarbeitungsmodell - ein Modell, das einen Er‐ klärungsrahmen schafft für den Aufbau einer Spontangrammatik während multilingualer Rezeptionsvorgänge. Die dank der Spontangrammatik entstan‐ denen Hypothesen über die Zielsprache(n) durchlaufen mehrere Stufen bis hin zur Bildung einer lernerspezifischen Interimsprache (Meißner 2003a: 13). Diese Interimsprache ermöglicht eine Vernetzung, die zu einem pro- und retroaktiven Transfer auf der Basis von Transferbasen führt (vgl. Hufeisen & Neuner 2004a; De Angelis 2005; Singleton 2006; Pavlenko & Jarvis 2002; Cheung et al. 2011). Sprachen können sich demzufolge gegenseitig beeinflussen und es lassen sich, meist über eine Brückensprache, aufgrund von Ähnlichkeiten Hypothesen über die Zielsprache aufstellen. Der Verwandtschaftsgrad der Sprachen spielt hier laut Meißner (Meißner 1995, 2003b) eine wichtige Rolle, da bei Sprachen der gleichen Sprachgruppe eine größere Anzahl von Transferbasen zur Verfügung steht. Der Transfer kann in erster Linie auf grammatischer, lexikalischer und morpho-syntaktischer Ebene erfolgen. Jedoch gibt es laut Meißner auch einen Transfer über die Sprachenoberfläche hinaus (Meißner & Reinfried 1998: 48 f.). Dieser betrifft Aspekte des Weltwissens und der Kultur und Interkulturalität. Folglich wird Mehrsprachigkeitsdidaktik auch Mehrkulturalitätsdidaktik (Meißner & Reinfried 1998: 5), da das Verständnis anderer Sprach- und Kultur‐ bereiche gefördert wird und gleichzeitig eine Infragestellung der eigenen kultu‐ rellen Maßstäbe erfolgt. Der damit einhergehende Bewusstwerdungsprozess und die Anwendung eben dieser Transfermöglichkeiten kann, unterstützt durch eine korrekte Steu‐ erung im Unterricht, eine Beschleunigung des Spracherwerbsprozesses und des interkulturellen Lernens bewirken. Meißner unterscheidet weitere Typen von Transfer: Reidentifikations- und Produktionstransfer, didaktischer Transfer und lingual-materialer Transfer (Meißner 2010: 383). Entlang dieser Diskussions‐ ebene ließen sich aber außerdem Transfertypen identifizieren wie: Transfer von Lernerfahrungen, Lernstrategien, Transfer von Inhalten und Wissen (z. B. über Kultur und Genres) und Transfer von Gefühlen und Haltungen. 56 3. Mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze und neue Perspektiven Ein mehrsprachiges, textzentriertes Arbeiten, eingebettet in einen kompe‐ tenzorientierten Unterricht, wie es in den Modulen des Forschungsprojektes der Fall ist, bietet hier ideale Voraussetzungen, damit sich dieses breitgefächerte Transferpotenzial durch die Arbeit an und mit plurilingualen Unterlagen in seinem gesamten Umfang entfalten kann. Insbesondere wird hier auch das Transferpotential nicht verwandter Sprachen aufgezeigt. Denn der Transfer er‐ folgt nicht immer innerhalb der gleichen Sprachfamilie, sondern die Wahl der Brückensprache entspricht besonderen Bedürfnissen, die sich im Moment des Sprechens ergeben. 3.2 Die Interkomprehension und ihre Didaktik In engem Zusammenhang mit der Mehrsprachigkeitsdidaktik steht die Inter‐ komprehensionsdidaktik, die in den Folgejahren von Meißner, Hufeisen und Neuner ausgearbeitet wurde (Hufeisen & Neuner 2003b, 2004a; Hufeisen 2010a; Byram 2010). Sie nutzt laut Meißner (Meißner 2010: 381) die Fähigkeit des In‐ dividuums, unbekannte Sprachen ohne formalen Lernprozess zu verstehen. Das bedeutet, dass durch bereits vorhandene sprachliche Archetypen fremdsprach‐ liche Aspekte in allen Bereichen identifiziert, abgeglichen, angepasst und in eine noch unbekannte Zielsprache transferiert werden, um diese zu verstehen. Bei dieser Methode wird nicht die aktive Sprachproduktion in der Fremdsprache gefördert, sondern es werden hauptsächlich rezeptive Fähigkeiten angelegt, die es vor allem im europäischen Sprachraum ermöglichen sollen, fremdsprachliche Texte innerhalb derselben Sprachfamilie zu erschließen. So können z. B. vom Deutschen ausgehend anhand gezielter Texterschließungsstrategien, das Nor‐ wegische und Schwedische erschlossen werden. Solche rezeptive Fähigkeiten werden besonders durch den Sprachvergleich gefördert. Mit Blick auf diese Ei‐ genschaft interkomprehensiven Lernens kann in Bezug auf das hier vorgestellte Unterrichtsprojekt gesagt werden, dass Formen interkomprehensiven Lernens sich insbesondere für Französisch herauskristallisiert haben, wobei auch in diesem Fall die kritische mehrsprachige Texterschließung und die damit ein‐ hergehende ständige Mediation zwischen Sprachen und ihren Strukturen einen grundlegenden Beitrag leisten. Die Lernenden konnten zudem Vorgelerntes in anderen Sprachen auf das Französische übertragen und dadurch den Verständ‐ nisprozess erleichtern und beschleunigen. 57 3.2 Die Interkomprehension und ihre Didaktik 3.2.1 Metakognition und Language Monitoring Die Interkomprehension löst das Desiderat im Bereich der Didaktik ein, das „verfügbare, mehrsprachliche und potenziell lernrelevante ‚träge Wissen’ in aktives, den Erwerbsprozess förderndes Wissen umzuwandeln“ (Meißner 2010: 383; Doyé 2006: 16). Dazu werden laut Meißner Strategien aus dem kognitiven und metakognitiven Bereich herangezogen, die auch zur Bewusstwerdung der Lernsteuerung beitragen. Es werden in der Interkomprehension also keine Sprachstrukturen vermittelt, als vielmehr Strategien entwickelt, mittels welcher Neues auf Bekanntes zurückgeführt werden kann. Die daraus resultierende er‐ höhte Sprachlern- und Rezeptionskompetenz führen in der Folge zu einer er‐ weiterten Lernautonomie, wie Doyé sie beschreibt (Doyé 2010b: 133), da die ständige Hypothesenbildung und Verifizierung bzw. Falsifizierung, welche im Zuge der interkomprehensiven Texterschließung entsteht, einen sehr hohen kognitiven Anforderungsgrad für die Lernenden mit sich bringt. Dadurch bildet sich eine entdeckende und überprüfende Haltung heraus, die sich fördernd auf die Lernautonomie auswirkt. Eben dieser Wechsel von einer geleiteten in eine selbstgesteuerte, lernautonome Unterrichtsform führt auch in der mehrspra‐ chigen komplexen Kompetenzaufgabe dazu, dass die Lernenden neue Lernka‐ näle und Lernformen entdecken, die für sie besser nutzbar sind und eigene Stra‐ tegien entwickeln, um komplexe mehrsprachige Situationen zu meistern. Dabei nehmen die Lernenden eine forschende und verifizierende Haltung beim Spra‐ chenlernen ein, die es ihnen ermöglicht, sprachübergreifend Hypothesen auf‐ zustellen und diese gemeinsam zu überprüfen (ibid.: 135 f.). In diesem Zusammenhang wird der Begriff Language Monitoring, so wie ihn Jessner bereits 2004 postuliert ( Jessner 2004: 113), für die vorliegende Studie relevant, wird aber in dieser Form in der Theoretisierung der Interkomprehen‐ sion nicht erwähnt. Bär (Bär 2009: 72) spricht ausschließlich vom Monitorisieren des Sprachlernprozesses, nicht aber von dem der Sprachen selbst. Das metalin‐ guistische Bewusstsein (Language Monitoring) ist laut Jessner die Fähigkeit zweibzw. mehrsprachiger Menschen, ihre Sprachen und ihre Sprachproduk‐ tion ständig zu überwachen, zu vergleichen, zu kontrollieren und im Idealfall durch Autokorrektur zu verbessern. Daraus resultieren ein sehr hohes Sprach‐ bewusstsein und Flexibilität im Umgang mit Sprachen. Meißner spricht in diesem Zusammenhang von Metakognition und metasprachlicher Kompetenz in Bezug auf Interkomprehension (Meißner & Morkötter 2009: 53) und der Re‐ lation zwischen metasprachlichem und metakognitivem Wissen. Laut Meißner ist metakognitives Wissen nicht sprachspezifisch, es wird in Relation zum me‐ tasprachlichen Wissen gebracht, indem es von den Lernenden bei der Aufga‐ benanalyse herangezogen wird. Es bestehen also laut Meißner und im Gegensatz 58 3. Mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze und neue Perspektiven zu Jessner zwei Ebenen der Metakognition, eine sprachunabhängige und eine sprachabhängige, die bei der konkreten Aufgaben- und Problemlösung einge‐ setzt wird. Die Existenz einer sprachunabhängigen Metakognition scheint je‐ doch nicht sehr plausibel, weshalb für die vorliegende Studie Jessners Modell herangezogen wird. 3.2.2 Interlingualer Transfer Im Zuge der mehrsprachigen Sprachverarbeitung können interlinguale Trans‐ ferbasen identifiziert und Hypothesen gebildet werden. Diese wiederum werden aufgrund von Plausibilitätsprüfungen verifiziert oder falsifiziert (Meißner & Reinfried 1998: 46). Bei der Plausibilitätsprüfung spielt die „soziale Unterstüt‐ zung“, wie sie Meißner nennt, eine relevante Rolle: Hypothesen können im Austausch mit anderen und durch Übersetzungen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Hier kommen Formen sozialen Lernens, wie sie sich die mehrsprachige komplexe Kompetenzaufgabe zum Ziel setzt, zum Tragen. Die Lernenden können sich in der Gruppe austauschen und gemeinsam sprachübergreifend Hypothesen überprüfen und vergleichen. Dadurch wird eine Vielzahl an Res‐ sourcen mobilisiert, die sich als lernfördernd erweisen. Damit eng verbunden ist die Fähigkeit, Details zu verstehen und zuzuordnen unter der Anforderung eines hohen Maßes an Korrekturfähigkeit, enzyklopädischem Wissen und Re‐ konstruktionsfähigkeit (ibid.: 57). Es entstehen laut Meißner sog. Interlexeme oder Brückenwörter, die über Sprachbrücken zur zielsprachlichen Kompetenz führen. Folglich sind negative Transferleistungen bzw. Interferenzen eher als kreativer Aspekt des Fremdsprachenerwerbsprozesses zu sehen und Ausdruck einer provisorischen Hypothesengrammatik (ibid.: 59). Dabei spielt das Prinzip der thematischen Einbettung eine zentrale Rolle, da die Verarbeitungsprozesse der thematischen Interpretation laut Meißner (ibid.: 60) nicht auf einer le‐ xiko-grammatischen Ebene ablaufen, sondern auf der thematischen Auslegung der Nachricht beruhen. Da nun Themen kulturspezifisch verarbeitet und aktu‐ alisiert werden, sind Transferbasen nicht ausschließlich sprachlich zu verorten, sondern in besonderem Maße auch kulturell. Jeder Transfer ist somit ein kul‐ tureller Transfer (ibid.: 64). Dies ist aus didaktisch-methodischer Sicht durchaus sinnvoll und wird auch im hier vorgeschlagenen Modell eines mehrsprachigen aufgabenorientierten Unterrichts anvisiert. Denn Lernen nach thematischen Schwerpunkten und Kontextualisierung sind ausschlaggebend für erfolgreichen Unterricht und haben sich auch im vorliegenden Unterrichtsdesign als wir‐ kungsvolles und unabdingbares Instrument für die Entwicklung mehrspra‐ chiger kommunikativer Kompetenz erwiesen (MKK). Denn im mehrsprachigen 59 3.2 Die Interkomprehension und ihre Didaktik Diskurs vernetzt sich das Vorwissen und es wird je nach Bedarf auch auf hete‐ rolinguales Wissen zurückgegriffen (ibid.: 65). Es werden also Wissensbestände aus allen Sprachen und Kulturbereichen herangezogen und das nötige gesamt‐ sprachliche Weltwissen aktiviert, um die Dekodierung eines Textes zu ermög‐ lichen. Dazu ist es aber in erster Linie nötig, dass ein solches Weltwissen im Unterricht durch spezifische Unterrichtsdesigns vermittelt wird. Aus diesem Blickwinkel erhalten auch sog. Interferenzfehler eine völlig neue Valenz, sie sind nämlich ein Fenster zu diesem höchst komplexen Falsifizie‐ rungs- und Verifizierungsmechanismus, der in Gang gesetzt wird. Daher betont Meißner in seiner Ausführung, dass „was als Interferenzfehler sichtbar/ hörbar wird, ist nur die Oberfläche, deren Tiefenstrukturen bis weit in die Konzeptbil‐ dung und bis in den Zwischenbereich von Sprache und Welt hineinreichen“ (ibid.: 66). Es soll in den Kapiteln der Datenauswertung u. a. auch aufgezeigt werden, wie solche Interferenzfehler einerseits von einem kreativen Umgang mit Sprache zeugen und andererseits die Fähigkeit zur Selbstkorrektur akti‐ vieren, die häufig durch Formen sozialen Lernens ergänzt wird. Auch Morkötter betont in diesem Zusammenhang, dass Normabweichungen dahingehend gedeutet werden können, dass sie Ausdruck eines kreativen Um‐ ganges mit Sprache sind und sich somit auch positiv auf die emotionale Ebene auswirken können. Hier spielt die emotionale Ebene eine relevante Rolle, die allgemein bislang wenig Beachtung gefunden hat (Morkötter 2004: 37). Diese fehlende Aufmerksamkeit für die emotionale Kompetenz betrifft nahezu alle Bereiche des Sprachenlernens, obwohl sie von grundlegender Wichtigkeit für den Spracherwerbsprozess ist. Daher wird sie in die hier anvisierte Modellierung der MKK als Kompetenzbereich aufgenommen, denn ihr kommt vor allem im mehrsprachigen Lernen die Aufgabe zu, den Lernenden ihren unterschiedlichen emotionalen Zugang zu den einzelnen Sprachen und das daraus resultierende Sprachverhalten bzw. die unterschiedlichen emotionalen Sprachrollen bewusst zu machen. Bär (2009) betont in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit des Prinzips der Bewusstmachung für die Förderung der Sprachlernkompetenz. Diese erfolgt durch den andauernden Vergleich aller den Lernenden verfügbaren Sprachen und die daraus resultierende Nutzung aller Vorwissensbestände (Bär 2009: 505) - ein Prozess, der nur durch ständiges Monitoring und Reflexion des eigenen Lernprozesses ermöglicht wird. Meißner verwendet in diesem Zusammenhang erstmals den Begriff Metakognitive Kompetenz (Meißner & Morkötter 2009: 68). Einer der Vorteile, die sich aus dieser Methode für den Fremdsprachenunterricht ergeben, ist laut Meißner, dass die Nutzung der Wechselbeziehungen zwischen Sprachen den Anforderungen einer Lernökonomie entgegenkommt (Meißner 60 3. Mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze und neue Perspektiven 2010: 382), ein Aspekt, der in der heutigen Interkomprehensionsdidaktik von zentraler Bedeutung ist. Es werden in diesem Verfahren sehr schnell die nötigen rezeptiven Fähigkeiten entwickelt, indem die Sprachverarbeitungs- und Sprach‐ handlungsprozesse miteinander verknüpft werden. Durch diesen Zusammen‐ schluss entsteht eine Interimsprache, die Interlanguage, die das Potenzial zur Mehrsprachigkeit des mentalen Lexikons ankurbelt (vgl. Cenoz et al. 2003). Die Entwicklung dieser metakognitiven Kompetenz und die Nutzung der Vorwissenbestände resultieren, wie auch aus der Datenauswertung hervorgeht, in einer gesteigerten Sprach(en)bewusstheit, wodurch die Lernenden ihre Sprachkenntnisse in den einzelnen Sprachen besser einschätzen und für den Sprachlernprozess nutzbar machen. Ebenso hat sich gezeigt, dass der Sprachen‐ vergleich auf den verschiedensten Ebenen wirkt und zu Aktivierung und Er‐ weiterung des mehrsprachigen Repertoires führt. Es entwickeln sich also nicht nur die rezeptiven Fähigkeiten, wie vom Meißner postuliert, sondern, wie auf‐ gezeigt werden wird, auch die produktiven. Es kommt also auch zu einer Stei‐ gerung der aktiven Sprachkompetenzen. Projekte auf EU-Ebene wie GALATEA, EuroComGerm und EuroComRom, EuroComSlav haben didaktische Instrumente entwickelt wie z. B. die sieben Siebe, die schnell zu einer rezeptiven individuellen Mehrsprachigkeit führen. Zu erwähnen sind auch die Arbeiten von Bär, Morkötter und Schöpp zur Umsetzung und Implementierung interkomprehensionsdidaktischer Einheiten (vgl. Schöpp 2008; Morkötter 2014; Bär 2009, 2014; ). Laut Bär fußt die Interkomprehensions‐ didaktik zwar auf kulturellem, enzyklopädischem, pragmatischem und strate‐ gischem Wissen, ein Transfer wird in diesem Zusammenhang jedoch nicht er‐ wähnt (Bär 2008: 27). Das rührt wahrscheinlich daher, dass dieses Wissen laut Bär dazu benutzt wird, um Hypothesen über die unbekannte Zielsprache auf‐ zustellen. 3.3 Das Tertiärsprachenlernen oder TLA (Third Language Acquisition) Eng mit der Interkomprehension verbunden ist das Tertiärsprachenlernen. Dabei handelt es sich um einen Ansatz, der sich insbesondere damit beschäftigt, wie die Sprachabfolge der erworbenen oder gelernten Sprachen sich auf das Sprachenlernen auswirkt. Es werden Transfermöglichkeiten innerhalb spezifi‐ scher Sprachenkonstellationen festgehalten und für die Spracherwerbslehre und Didaktik nutzbar gemacht (Hufeisen & Lindemann 1998, Gibson & Hufeisen 61 3.3 Das Tertiärsprachenlernen oder TLA (Third Language Acquisition) 2003; Hufeisen 2003a; 2004b; 2010b; Hufeisen & Neuner 2000, 2004a; Hufeisen & Jessner 2009; Kemp 2009). Das Tertiärsprachenlernen baut sprachwissenschaftlich auf der Theorie der Third Language Acquisition (TLA) auf. Zunächst wurde der Drittspracherwerb als eine Unterkategorie des Zweitspracherwerbs (SLA) angesehen bis man auf‐ grund von Untersuchungen feststellte, dass es eine qualitative und quantitative Veränderung des Lernprozesses beim Erwerb einer zweiten Fremdsprache gibt (vgl. Cenoz et al. 2001; Herdina & Jessner 2002; Jessner 2008; Cenoz 2013). Laut Jessner unterscheidet sich der Erwerb einer Drittsprache sogar wesentlich von dem einer Zweitsprache, da auf ein „komplexes, qualitativ anderes System, einer bilinguale Norm, zurückgegriffen werden kann“ ( Jessner & Allgäuer-Hackl 2015: 212; Jessner 2008: 11). Aus dieser neuen Perspektive heraus entwickelten sich unterschiedliche Spracherwerbsmodelle: das Faktorenmodell (Hufeisen 2010b) und das Dynamic Model of Multilingualism DMM (Herdina und Jessner 2002), das Ecological Model of Multilinguality (Aronin & Òlaoire 2001, 2002) und das FLAM Foreign Language Acquisition Model (Groseva 1998). Für die Entwick‐ lung und Theoriebildung der Tertiärsprachendidaktik am einflussreichsten sind das Faktorenmodell und das DMM, auf die im folgenden Kapitel eingegangen wird. 3.3.1 Spracherwerbsprozesse fruchtbar miteinander verknüpfen Dem Englischen kommt im TLA eine besondere Rolle zu, denn es ist sowohl im europäischen als auch im außereuropäischen Kontext in den meisten Fällen als L2 anzutreffen. L1 ist variabel und L3 ist in Europa in sehr vielen Fällen Deutsch. Eben diese Konstellation Deutsch nach Englisch untersucht Hufeisen, wobei es darum geht herauszufinden, welche besonderen Merkmale diese beiden Spra‐ chen aufweisen, wie diese im Spracherwerbsprozess fruchtbar miteinander ver‐ knüpft werden können und welche Formen des retroaktiven und proaktiven Transfers stattfinden (vgl. Cheung et al. 2011; De Angelis 2005; Ó Laoire & Singleton 2009). So meint Cheung, es gebe Hinweise dafür, dass Deutsch L3 Englisch L2 rückwirkend beeinflusst, es also einen retroaktiven Transfer zwi‐ schen den beiden Sprachen gibt. Allgemein ist festgestellt worden, dass Ler‐ nende mehr von Sprachen beeinflusst werden, die genetisch nahe zusammen liegen. So kann Englisch L2 die Funktion einer Brückensprache zwischen L1 und L3 Deutsch übernehmen, besonders wenn L1 eine romanische Sprache ist. Durch diese Tatsache erlangt das Englische auch in der Mehrsprachigkeitsdidaktik un‐ erwartete Relevanz und das, obwohl es zunächst ein Anliegen der Mehrspra‐ chigkeitsdidaktik war, den Einfluss des Englischen als Lingua franca zu redu‐ 62 3. Mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze und neue Perspektiven zieren (vgl. Fäcke 2008: 12). Die Rolle des Englischen in der Funktion als Brückensprache ist mittlerweile unbestritten, da es sich aufgrund seiner sprach‐ geschichtlichen Entwicklung als Bindeglied sowohl für germanische Sprachen als auch für romanische Sprachen sehr eignet, was beim multiplen Sprachen‐ lernen einen erheblichen Vorteil darstellt. Allerdings wird diese Annahme nicht kritiklos von allen Forschern übernommen, denn auch psycholinguistische Faktoren beeinflussen die Transferleistung. 3.3.2 Psychotypologie und Lernbereitschaft Die Häufigkeit und Modalität des Transfers wird damit in Zusammenhang ge‐ bracht, wie nahe bzw. entfernt voneinander Sprachen subjektiv empfunden werden, die Psychotypologie also und die Anwendungshäufigkeit von be‐ stimmten Strukturen und Lexemen. Auch Jessner und Allgäuer-Hackl ( Jessner & Allgäuer-Hackl 2015: 221 f.) behaupten, dass Englisch nicht unbedingt als Brückensprache fungieren kann, da dies auch von der Psychotypologie der Sprache, also wie fern oder nah verwandt Sprachen subjektiv wahrgenommen werden, aber auch von dem subjektiven Bezug des einzelnen zu den verschie‐ denen Sprachen abhängt. Daraus ergeben sich laut Jessner und Allgäuer-Hackl sehr unterschiedliche und durch Subjektivität gekennzeichnete Lernvorausset‐ zungen. Christ betont hierzu, dass häufig in Vergessenheit gerät, dass in der Brückensprache, die eine Fremdsprache ist, die Referenzsysteme, wie sie in der Muttersprache vorhanden sind, fehlen (Christ 2004: 35). Bei diesen Referenzsystemen handelt es sich um kulturelle, gesellschaftliche und Referenzsysteme zum Sprachgebrauch. Daher unterstreicht Christ, dass die Verwendung von Brückensprachen im Unterricht kritisch reflektiert werden sollte (ibid.). Auch Sanchez betont die Wichtigkeit verschiedener Faktoren, die einen Transfer beeinflussen können: Zusätzlich zur Psychotypologie und dem L2-Status erwähnt sie auch die Sprachkompetenz und den Zeitabstand des Spracherwerbs. Singleton und Ó Laoire ( Ó Laoire 2006; Ó Laoire & Singleton 2009: 81; ) sprechen in diesem Zusammenhang von der psychotypologischen Perspektive und der L2-Perspektive (vgl. Cenoz & Genesee 1998; Cenoz et al. 2001, 2003; Hammarberg 2009; ). Besonders in Südtirol spielt L2 für den weiteren Spracherwerbsprozess, ein‐ hergehend mit der für europäische Begriffe unüblichen Sprachabfolge, eine grundlegende Rolle (cf. 5.1.), da L2 nicht Englisch, sondern Italienisch ist. Der soziale Status dieser Sprache ist hierzulande nicht so unumstritten positiv be‐ haftet wie das beim Englischen der Fall ist und wirkt sich, wie auch aus der Datenerhebung hervorgeht, in manchen Fällen auf das Verhalten der Lernenden 63 3.3 Das Tertiärsprachenlernen oder TLA (Third Language Acquisition) aus (cf. 8.1.). Aus diesem Grund und auch aufgrund der geschichtlichen Ereig‐ nisse und der sozialen Gegebenheiten kann die psychotypologische Wahrneh‐ mung dieser Sprache hier sehr unterschiedlich ausfallen. Wie aus der Daten‐ auswertung hervorgeht kann die Einstellung zu L2 Italienisch zu Formen der Verweigerung im Lernprozess führen, die Einfluss auf den weiteren Spracher‐ werbsprozess nehmen können. 3.4 CLIL / Bilingualer Sachfachunterricht Genauso wie die mehrsprachige komplexe Kompetenzaufgabe fokussiert auch CLIL auf das inhaltsbezogene Fremdsprachenlernen. CLIL bezieht sich auf Formen des Lernens, in denen der Sachfachunterricht in einer fremden Sprache stattfindet. Er hat sich besonders in Deutschland in den letzten Jahrzehnten entwickelt und wird in letzter Zeit in zunehmendem Maße auch in anderen europäischen Ländern eingeführt. Der englische Begriff, der sich für diese Form des Unterrichts entwickelt hat, heißt CLIL (Content and Language Integrated Learning) (Wolff 2005: 160). Es wird hier sowohl auf die Sprache als auch auf das Sachfach fokussiert. Es steht also die Sprache gemeinsam mit den Inhalten im Mittelpunkt. Durch die Authentizität der Unterrichtssituation sind die Lern‐ enden länger der Fremdsprache ausgesetzt und profitieren davon (ibid.: 161). Es wird eine Form des Unterrichts angestrebt, in der nicht ein Sachfach in einer Fremdsprache gelernt wird, sondern durch die Fremdsprache. CLIL versucht eine Konvergenz herzustellen zwischen beiden, indem der Unterricht anhand von Realien gestaltet wird, damit die Lernenden in Kontakt kommen können mit lebensweltlich relevanten Inhalten, was im traditionellen Sprachenunter‐ richt oft nicht der Fall ist. Bereits aus dieser kurzen Beschreibung kann abgelesen werden, in wie vielen Aspekten sich CLIL und die mehrsprachige komplexe Kompetenzaufgabe ähnlich sind: in Inhaltsbezogenheit, Authentizität, Realien im Unterricht und lebensweltlicher Relevanz. 3.4.1 Lebensweltliche und wissenschaftliche Relevanz Inhaltlich sind die Lerninhalte in hohem Grad abstrakt und fallen in die Kate‐ gorie der CALPS (Cognitive Academic Language Proficiency) (Cummins 2000), jenem durch Abstraktion und Unbestimmtheit gekennzeichneten Sprachge‐ brauch, der an bestimmte Strukturen und semantische Felder gebunden ist, die charakteristisch für Fachsprachen sind. Wolff spricht, wenn nicht von wissen‐ schaftlichen, so doch von wissenschaftspropädeutischen Inhalten (Wolff 2005: 64 3. Mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze und neue Perspektiven 161), Inhalten also, die auf ein einfacheres Niveau heruntergebrochen werden und dadurch den Lernenden zugänglicher sind. Sie sind aber dennoch gekenn‐ zeichnet durch eine größere lebensweltliche Realitätsnähe und einen größeren Reichtum und Komplexität. Zunehmend von pseudorealen Inhalten abzu‐ kommen, ist nicht zuletzt deshalb ein Muss, da die Lernenden die dahinterlie‐ genden Absichten wohl erkennen und authentische Kommunikation im Unter‐ richt so nicht zustande kommen kann. Ein ähnliches Ziel verfolgt die mehrsprachige komplexe Kompetenzaufgabe, indem durch komplexe realisti‐ sche Aushandlungssituationen im Unterricht realistische und inhaltlich an‐ spruchsvolle Kommunikationssituationen entstehen, die bereichsspezifische bildungssprachliche Kompetenzen in mehreren Sprachen vermitteln. 3.4.2 Abstraktes Denken und soziales Lernen Im CLIL-Ansatz werden Formen des sozialen Lernens und Lern- und Arbeits‐ techniken in einem realistischen Kontext erworben. Es werden Probleme the‐ matisiert und gemeinsam Lösungswege gesucht, wodurch Aushandlungspro‐ zesse initiiert werden, die individuelle Lernprozesse zulassen und sogar fördern (vgl. Hallet 2012a/ b). Die Lernenden tauchen in komplexe Lernsituationen ein, die von ihnen fordern, Informationen und Ideen zu verarbeiten, Probleme zu verstehen und zu lösen und neue Bedeutung zu konstruieren (Coyle et al. 2010: 29). Dadurch wird abstraktes Denken gefördert, einhergehend mit dem Erwerb komplexer, abstrakter Sprachstrukturen und Fachvokabular. In beiden Aufga‐ benformaten können die Lernenden ihre Lernprozesse als wirklich relevant und authentisch erkennen und lernen diese weiter zu entwickeln und selbstgesteuert zu organisieren. Laut Wolff hat sich gezeigt, dass das Arbeiten in Gruppen so‐ wohl sprachlicher als auch fachlicher Natur sein kann. Beide werden anhand der erworbenen Lern- und Arbeitstechniken bewältigt und es wird den Lern‐ enden dadurch besonders einsichtig deren Notwendigkeit vermittelt (Wolff 2005: 162). 3.5 Unerfüllte Desiderate Die EU hat auf theoretischer Ebene bereits ein komplexes didaktisches Pro‐ gramm ausgearbeitet, das jedoch bislang nur unzulänglich und stockend in die Unterrichtspraxis Eingang gefunden hat. Das liegt daran, dass die konsequente Umsetzung von Mehrsprachigkeit ein radikales Umdenken der gängigen Un‐ terrichtpraxis fordert. Zu diesem Zweck müssen ganz neue und bislang unbe‐ 65 3.5 Unerfüllte Desiderate tretene didaktische Wege begangen werden, die Mehrsprachigkeit auf allen Ebenen des Lernens und der sozialen Interaktion nicht nur zulassen, sondern auch fördern. Dazu braucht es viel Mut und ein flexibles Schulsystem, das ex‐ perimentelles Arbeiten im Unterricht zulässt. Erst dann wird es möglich, den qualitativen Sprung in die Mehrsprachigkeit zu schaffen. Die nachstehenden Punkte sollen Aspekte einer mehrsprachigen Didaktik aufzeigen, die bislang kaum oder gar nicht operationalisiert wurden, allerdings in der mehrsprachigen komplexen Kompetenzaufgabe ein zentrales Anliegen sind und eben durch dieses Aufgabenformat für die Unterrichtspraxis nutzbar gemacht werden sollen. 3.5.1 Latein als Brückensprache Die Wichtigkeit der klassischen Sprachen Griechisch und Latein und der Ver‐ weis auf ihre unterstützende und erleichternde Rolle beim Sprachenlernen (Council of Europe 2014a: 2) bleiben in ihrer zentralen Rolle für den Erhalt des gemeinsamen europäischen Erbes als ein Desiderat für mehrsprachiges Lernen, das noch nicht eingelöst worden ist. Ihre Wichtigkeit betrifft zunächst vor allem grammatische und lexikalische Aspekte, lässt sich aber auch auf kulturelle und sozialgeschichtliche Aspekte ausweiten. Der im Aufgabenformat dieser Studie unternommene Versuch, vor allem Latein in den mehrsprachigen Unterricht einzubauen, will ein Zeichen in diese Richtung setzen und sieht sich als Teil eines Bildungskonzeptes, in dem die sog. „klassischen“ Sprachen beim Spra‐ chenlernen nicht außen vor gelassen werden, sondern integrierter Bestandteil der Aufgabenstellung werden. 3.5.2 Aktive Teilhabe am transkulturellen sozialen Diskurs Informelles und außerschulisches Sprachenlernen werden zum ersten Mal in den von der EU verabschiedeten Rahmenrichtlinien erwähnt und in ihrer Wich‐ tigkeit auch für das schulische Lernen gewürdigt. Die 2015 erschienenen Do‐ kumente „The Languague Dimension in all Subjects: A Handbook for Curriculum development and teacher training und„ Guida per lo sviluppo e l’attuazione di curricoli per una educazione plurilingue ed interculturale (dieser Text ist bislang auf Französisch und Italienisch erschienen) (Beacco et al. 2015a/ b) sind ein wei‐ terer Abschnitt auf dem Weg zu mehrsprachigen und interkulturellen Unter‐ richtsformen und umreißen damit auch die Kerngedanken und didaktischen Zielsetzungen der mehrsprachigen Kompetenzaufgabe. Es wird hier nämlich erstmals nahegelegt, dass ausgehend von Genres und nicht von Grammatik oder 66 3. Mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze und neue Perspektiven Lexis fächerübergreifende Verbindungen hergestellt werden sollen. Dabei sollten Lernziele anhand von Genres erarbeitet werden, wobei die unterschied‐ lichen Kompetenzniveaus des einzelnen Sprechers in den verschiedenen Spra‐ chen berücksichtigt werden (Beacco 2015a: 16). Das Genre - insbesondere Formen des diskursiven Genres - wird so in seiner Relevanz für den Unterricht erkannt, da Synergien zwischen den verschiedenen Sprachfächern geschaffen werden können ebenso wie zwischen Sprach- und Sachfächern. Auf diese Weise können sich transversale kommunikative Kompetenzbereiche herauskristalli‐ sieren, die von einer auf die andere Unterrichtsdisziplin übertragen werden können (ibid.: 18). Ziele eines mehrsprachigen pluralistischen didaktischen Ansatzes sind dem‐ nach: Non è soltanto destinato ad assicurare agli apprendenti la padronanza di forme di discorso e competenze linguistiche necessarie alla vita sociale, esso ha anche la res‐ ponsabilità di far comprendere come queste forme linguistiche rappresentano e cost‐ ruiscono idee, opinioni, informazioni e conoscenze in modo che ne siano chiaramente percepite le modalità di funzionamento, la storicità, la diversità e la variabilità, le potenzialità creative. È, insomma, una forma e una condizione dello sviluppo della persona. (Beacco et al. 2015a: 28) Dabei spielen die Teilhabe am sozialen Diskurs eine wichtige Rolle und die Tat‐ sache, dass Sprachen Ideen, Meinungen, Werte und Wissen ganz unterschiedlich erfassen und übermitteln, nicht zuletzt, da sie geschichtlich anders verortet sind. Es wird auch hier von einem „kreativen Potenzial“ gesprochen und von Mehr‐ sprachigkeit als eine Bedingung zur ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung. Damit einhergehend werden zusammen mit interkulturellen und kommunika‐ tiven Kompetenzen Reflexionskompetenz, selbstständiges Lernen, kognitive Entwicklung und erstmals auch literarisch-ästhetische und transversale Kom‐ petenzen erwähnt. 3.5.3 Literarisches Lernen und Sprachproduktivität Sprachen haben kreatives Potenzial, das Zugang zu neuen Formen und Vorstel‐ lungswelten ermöglicht. In beschränkter Form wird auch die Möglichkeit ein‐ geräumt, dass Lernende selbst sprachlich kreativ werden, indem sie solche Va‐ rietäten - bezogen auf die Zielsetzung des Diskurses und des Kontextes - selbst erfinden können (Beacco 2015a: 29 f.). Dazu bedarf es laut Beacco nicht nur eines praktischen und realitätsorientierten Unterrichts, die Lernenden sollen auch die Möglichkeit erhalten, spielerische und ästhetische Erfahrungen mit Sprachen 67 3.5 Unerfüllte Desiderate zu machen (ibid.: 29). Dieses spielerische und ästhetische Element hatte bislang kaum Beachtung gefunden und findet hier erstmals einen prominenten Platz. Angesichts der essentiellen Bedeutung ästhetischer und literarischer Erfah‐ rung für die Persönlichkeitsentwicklung ist es notwendig, Unterrichtsformen zu finden, die sprachübergreifend die Lernenden in der Wahrnehmung narra‐ tiver Texte schulen. Narrative Konventionen können so durch den Vergleich besser wahrgenommen werden, wodurch der Erwerb narrativer Kompetenz ge‐ fördert wird (Hallet 2016: 12). Ein solches kreatives und aktives Lernen, in dem Sprachproduktivität ein zentrales Anliegen ist und erweiterte Realitätswahr‐ nehmung neue Bedeutungsräume eröffnet, liegt auch dem hier vorgestellten Ansatz zugrunde. Es soll gezeigt werden, dass sich durch mehrsprachiges auf‐ gabenorientiertes Lernen anhand literarischer Textsorten dank Mehrsprachig‐ keit kreative Fähigkeiten entfalten können, denn es werden unterschiedliche Referenzsysteme miteinander in Verbindung gebracht und literarische Diskurs‐ welten gekreuzt, wodurch neue hybride Bedeutungsräume entstehen. Neben dem kreativen, gestaltenden Umgang mit Sprache findet auch die Be‐ ziehung zwischen Sprache und Persönlichkeit erstmals einen prominenten Platz. Die Erkenntnis, dass Persönlichkeit und Emotionen sprachgebunden sind (vgl. Grosjean 1982, 1992; Pavlenko 2005; Todeva & Cenoz 2009; Dewaele 2010), findet hier Anerkennung und wird in ihrer unterrichtsstrategischen Wichtigkeit erkannt. Es soll auch in dieser Studie anhand des gewählten Aufgabenformats gezeigt werden, wie der spielerische, kreative Umgang mit mehreren Sprachen und Kulturen es den Lernenden ermöglicht, ihre eigene Persönlichkeit oder As‐ pekte ihrer Persönlichkeit in den unterschiedlichen Sprachen zu erkennen und zu reflektieren. Dabei kann auch Neues und Unerwartetes zum Vorschein kommen, wie aus den Einzelanalysen hervorgeht. Dieser Facettenreichtum der Person wird von den anderen Lernenden wahrgenommen, gespiegelt und re‐ flektiert (vgl. Beacco 2015a: 57). Auf diese Weise werden die persönlichkeitsbe‐ zogenen Kompetenzen als „Summe der individuellen Eigenschaften, der Per‐ sönlichkeitsmerkmale und Einstellungen“ (Burwitz-Melzer 2005: 23) in einem mehrsprachigen Setting aktiviert. Die Entwicklung einer metalinguistischen Reflexion in allen Bereichen und auf allen Ebenen des Sprachgebrauchs, wie sie von Beacco detailliert dargestellt und in ihrer kommunikativen Funktion hervorgehoben wird (ibd.: 57), ist ebenso zentrales Anliegen dieser Arbeit. Die Bedeutung und die Struktur von Äuße‐ rungen sollen innerhalb einer Sprache kritisch hinterfragt werden, der kritische Vergleich soll aber auch zwischen den Sprachen stattfinden, also im Sprachver‐ gleich. Dabei beeinflussen sich sprachliche Formen innerhalb unterschiedlicher Genres gegenseitig, mit anderen Worten: Kritisches und kreatives Lernen wird 68 3. Mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze und neue Perspektiven sowohl innerhalb als auch zwischen den Sprachen gefördert und umgesetzt. Dazu gibt es viele Anstöße zur möglichen Unterrichtsgestaltung: (…) a volte, in materie nuove, ad esempio in: corsi specifici di educazione civica e alla cittadinanza democratica (nel ciclo secondario); - un insegnamento centrato sulla co‐ municazione, sul linguaggio umano, sulle lingue e sull’analisi comparativa di tutte le lingue (in tutti i cicli); - un insegnamento centrato sullo sviluppo della creatività lin‐ guistica plurilingue (laboratorio di scrittura) (in tutti i cicli); - un corso centrato sull‐ ’epistemologia, sulla produzione e sui generi di discorso della conoscenza e sulla so‐ ciologia della conoscenza (nel ciclo secondario superiore); - corsi di introduzione alle grandi opere letterarie / filosofiche/ di filosofia politica / di scienze sociali … (soprat‐ tutto) europee, in versione originale e tradotte (nel ciclo secondario); - corsi di intro‐ duzione ai classici del cinema (nel ciclo secondario superiore); - corsi centrati sulla osservazione e sull’analisi degli stili televisivi nazionali (nel ciclo secondario). (Beacco et al. 2015a: 59) Unterschiedliche Ausdrucksformen, die im herkömmlichen Unterricht häufig vernachlässigt werden, sollen in diesem Projekt wie von Beacco erwünscht (ibid.: 71) Platz finden: So soll zum Beispiel die Beziehung zwischen Körper, Sprache und Rhythmus in den Vordergrund gerückt werden, indem Sprache und Raum, Gestik, Bewegung, Formen des Theaters, Rezitation und Erzählung ver‐ mehrt in den Unterricht aufgenommen werden. Der mehrsprachige lebenswelt‐ liche Diskurs soll in Form von Role Plays geübt werden, sodass die Lernenden lernen, in einem mehrsprachigen Kontext das Sprachregister zu ändern und die Genauigkeit bei der Wortwahl zu üben, um sich veränderten Situationen anzu‐ passen. Multimodale und multisensorielle didaktische Unterlagen sollen hier zur Unterrichtsgestaltung herangezogen werden, um unterstützend beim Unter‐ richt und der Erlangung der didaktischen Zielsetzungen einzugreifen. Es wird der besondere Wert literarischer, philosophischer und geschichtlicher Texte un‐ terstrichen, die integrierter Bestandteil des Unterrichts der Sekundarstufe sein sollen. Es soll also zu einem Perspektivenwechsel kommen, der noch im GER fehlte. Im Gegensatz zum Kompetenzbegriff im GER, der sich im kommunikativen Be‐ reich auf die Erfassung von Fertigkeiten beschränkt (Hallet & Krämer 2012: 8; Steininger 2014: 29 ff.), wird hier der Versuch unternommen, die Komplexität interkulturellen Handelns zu erfassen und eine Vielzahl von Teilkompetenzen und Fertigkeiten zu berücksichtigen, die dieses ausmachen. Dabei werden alle Formen der Sprachmittlung erstmals in ihrer Wichtigkeit für interkulturelles Handeln erkannt und in den Fokus gerückt. Von der Ebene der Fertigkeiten wird hier im Gegensatz zum GER auf die Ebene der Texte, Textsorten und Inhalte 69 3.5 Unerfüllte Desiderate verwiesen. Es wird sprachdidaktisch berücksichtigt, dass Kenntnisse, Fähig‐ keiten und Kompetenzen nicht ausschließlich über Sprachfunktionen vermittelt werden können, sondern über ästhetische Erfahrungen im Umgang mit den verschiedensten Texten und allen Ausdrucksformen der unterschiedlichsten Kulturen. Inhaltlich und kulturell anregungsreiche und anspruchsvolle Texte sollen in ihrer Operationalisierung im Unterricht den Weg von einer lebens‐ weltlichen Mehrsprachigkeit zu einer bildungssprachlichen Mehrsprachigkeit bahnen (vgl. Cummins 1979; 1984), denn genau hier liegt die Herausforderung mehrsprachigen und plurikulturellen Unterrichts in der Sekundarstufe, nämlich Instrumente und Unterrichtsformen zu finden, die von der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit ausgehend die bildungssprachliche Mehrsprachigkeit schu‐ lisch fördern (Beacco et al. 2015b: 14). Daher wird ebenso wie bei Beacco auch hier der Schriftlichkeit eine zentrale Rolle zugeschrieben, denn der Schreibprozess als Vertiefungsprozess benötigt komplexe Sprachstrukturen und einen erweiterten Wortschatz, welche die Grundeigenschaften der Bildungssprache sind. Der mündliche Austausch in der Klasse ist notwendig, um vorhergehendes Wissen zu aktivieren und die Bedeu‐ tung von neu Gelerntem gemeinschaftlich auszuhandeln (ibd.: 14). Im Schreib‐ prozess hingegen wird gefordert, dass abstrakte Konzepte sprachlich kohärent ausformuliert werden. Das Schreiben stellt demnach einen Abstraktionsprozess dar, der, gemessen an der Bloomschen Taxonomie, anspruchsvollere Denkpro‐ zesse fordert, wie zum Beispiel Evaluieren, Analysieren usw. (vgl. Bloom 1976). Im mehrsprachigen Schreibprozess, so wie er in diesem Aufgabenformat ge‐ wählt wurde, öffnen sich neue Möglichkeiten schriftlicher Kommunikation, indem Denkprozesse mehrsprachig ausformuliert werden und sich so pluralis‐ tisch gestalten können. 3.5.4 Mehrsprachiges Schreiben Es wird auch heute noch oft fälschlicherweise davon ausgegangen, dass der Schritt von der mündlichen Kommunikation zum Verfassen schriftlicher Texte alleine und ohne Hilfe von den Lernenden vollbracht werden kann. Dem ist nicht so, es kann aufgrund der veränderten sozialen und gesellschaftlichen Struktur nicht mehr vorausgesetzt werden, dass die Bildungssprache als bereits erworben in den schulischen Alltag mitgebracht wird (Feilke 2012a: 5 f.). Mehrsprachiges Schreiben kann hier als eine Übungsphase verstanden werden, in der unter‐ schiedliche Möglichkeiten der Teststrukturierung in der Mehrsprachigkeit er‐ kannt, geübt und kritisch reflektiert werden. Auch in Bezug auf die komplexe und vielschichtige kommunikative Realität unserer Gesellschaft übernimmt im 70 3. Mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze und neue Perspektiven schriftlichen Bereich besonders der Aspekt der Pluri-/ Multi-Literacy eine zent‐ rale Rolle. Im Bereich der Entwicklung von Schreib- und Lesekompetenzen soll daher das mehrsprachige Verfassen von Texten zur Förderung derselben durch sprach- und textvergleichende Maßnahmen unterstützt werden. So können auch komplexe Texte entschlüsselt und der Vergleich zwischen den Sprachen ermöglicht werden. In seiner Summe liegt hier ein erweitertes und facettenrei‐ cheres Bild fremdsprachlicher Didaktik vor. Es liegt nahe aufgrund der hier vorgestellten neuen Erkenntnisse, fremdsprachlichen Unterricht entlang neuer Bahnen zu planen und zu organisieren. Man gewinnt beim Lesen Beaccos den Eindruck, dass Schwerpunkte neuer kompetenzorientierter didaktischer Ansätze gesammelt und zusammengeführt wurden, um eine neue Form der mehrsprachigen Kompetenzaufgabe zu entwi‐ ckeln. Allerdings sind die Anstöße und Vorschläge sehr allgemein gehalten und Details müssen herausgelesen werden. Problematisch wird die Umsetzung dieser neuen Forderungen durch die gängigen und bislang implementierten pluralistischen Ansätze, die sich grob in drei Gruppen einteilen lassen: Intercultural Approach Awakening to Languages Integrated Didactic Approaches Auch diese beschränken sich größtenteils darauf, dass Sprachen auf grammati‐ scher und lexikalischer Ebene verglichen werden und Sprachsensibilisierung geschaffen wird, und das, obwohl es sich hierbei nur um die erste Stufe eines langen Lernprozesses im Bereich Transkulturalität und Mehrsprachigkeit han‐ delt und dies auf keinen Fall das ausschließliche Ziel eines pluralistischen An‐ satzes sein kann. So scheint es, dass alle unterrichtspraktischen Ansätze weit hinter den theoretischen Forderungen der EU nachhinken. Die Vorgaben sollen einen Beitrag leisten, Mehrsprachigkeit curricular festzulegen, dabei wird aber völlig versäumt darzustellen, wie konkret die Umsetzung im Unterricht aus‐ sehen soll. Es ist klar, dass selbst Methoden wie die Interkomprehension oder das Tertiärsprachenlernen aufgrund ihrer Eigenschaften und Ausrichtung nicht als geeignete Instrumente dafür angesehen werden können. Allein im Bereich der Dramendidaktik hat es in diese Richtung innovative Studien und Unter‐ richtsversuche gegeben (z. B. Fasse 2015; Henning 2015; Surkamp 2007; Grabes 2000). Die vorliegende Studie nimmt die großen Herausforderungen der Mehrspra‐ chigkeitsdidaktik an, neue Ansätze für einen mehrsprachigen Unterricht zu entwickeln, die die grammatisch-lexikalische Stufe hinter sich lassen und der Vielfältigkeit mehrsprachiger Verarbeitungsprozesse, so wie von Beacco be‐ 71 3.5 Unerfüllte Desiderate schrieben, im Unterricht gerecht werden. Dabei müssen auch Aspekte wie die Sprachbiographie der einzelnen Schülerinnen und ihre Auswirkung auf die emotionale Bindung zu einer Sprache berücksichtigt werden, wie sie bislang nur im Kontext von Migration Eingang gefunden haben. Die vorliegende Arbeit versteht sich als ein erster Versuch, durch eine umfassendere Unterrichtsform ein holistisches Instrument zur Vermittlung von Mehrsprachigkeit und Inter‐ kulturalität zu schaffen. Besonders in jungen Menschen soll das Bewusstsein für Sprachenvielfalt, für die Vermittlung interkultureller Werte und der Partizipa‐ tion am mehrsprachigen Diskurs gestärkt werden mit dem Ziel aktiver Teilhabe an den gemeinschaftlichen sozialen und politischen Prozessen. 3.5.5 Forderung nach neuen didaktischen Ansätzen Die Form des Task als Unterrichtsverfahren gibt auf diese Forderungen eine konkrete und didaktisch gut operationalisierbare Antwort, da task-based tea‐ ching (Hallet 2006, 2008; Nunan 2004) sich dadurch auszeichnet, dass Diskurs‐ fähigkeit und Zuwachs kommunikativer Kompetenzen Ziel des Handelns im Unterricht sind. Im Rahmen der Studie wird die Frage in den Raum gestellt, welche Kompetenzen, Dispositionen, Strategien und Ressourcen junge Men‐ schen entwickeln sollen, nicht nur, um sich in einer mehrsprachigen Lebenswelt zurecht zu finden, sondern auch um einen Lernprozess zu initiieren, der schritt‐ weise auf das Kompetenzniveau der mehrsprachigen Bildungssprache und die damit einhergehenden mehrsprachigen kognitiven, motivationalen und emoti‐ onalen Prozesse übergeht. In diesem Sinne versteht sich die Studie als wegwei‐ send für die Entwicklung neuer Unterrichtsmethoden, die mehrsprachiges Ar‐ beiten in eine komplexe Kompetenzaufgabe einbaut und die mehrsprachige Diskursfähigkeit in den Fokus der Unterrichtspraxis stellt. Dabei wird an den kommunikativen Ansatz angeknüpft, der anhand der ur‐ sprünglich für den einsprachigen Sprachunterricht konzipierten komplexen Kompetenzaufgabe für den mehrsprachigen Unterricht adaptiert wird. Dadurch wurde eine neue mehrsprachige Unterrichtsform entwickelt, die die gramma‐ tisch-lexikalischen Ansätze zwar mit einbezieht, jedoch Raum für neue Lern‐ wege und Lernergebnisse öffnet (Hallet 2012a: 11). In diesem Sinne wird durch mehrsprachige, kompetenzorientierte Aufgabenstellungen ein Lernprozess aus‐ gelöst, der die Bewältigung komplexer, mehrsprachiger Herausforderungssitu‐ ationen vorsieht. In diesem Prozess entstehen Aushandlungsprozesse, die sich aus den plurilingualen Unterlagen ergeben und daher den mehrsprachigen Dis‐ kurs fördern. Dadurch wird die Teilhabe an einem reellen kulturellen Diskurs möglich, der aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung in zunehmendem 72 3. Mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze und neue Perspektiven Maße durch Mehrsprachigkeit gekennzeichnet ist. Diese Teilhabe erfordert be‐ sondere kommunikative Kompetenzen, Fähigkeiten und Strategien, die sich im einsprachigen Sprachunterricht nicht entfalten können, die jedoch zur Bewäl‐ tigung mehrsprachiger alltäglicher oder beruflicher Situationen unabdingbar sind und maßgeblich zur Entwicklung der Persönlichkeit beitragen können. Es handelt sich hier um neue kommunikative Kompetenzen und Strategien, die von großer Bedeutung sind, aber bislang für den Unterricht nicht empirisch erforscht wurden (vgl. Burwitz-Melzer 2003, 2004a). Dieses Projekt setzt sich zum Ziel, kommunikative Vorgänge während der mehrsprachigen Aushandlungsprozesse und den Outputs zu erfassen und eine Modellierung eben dieser mehrsprachigen kommunikativen Handlungskompe‐ tenzen zu erstellen. Das spiegelt die realen Situationen wider, in der Menschen, die nicht dieselbe Muttersprache haben, miteinander kommunizieren. Dazu werden nicht die Indikatoren des FREPA herangezogen, die, wie bereits erwähnt, eine Zusammenschau der Erkenntnisse bisheriger didaktischer Forschungen sind, sondern es werden Erkenntnisse aus dem Bereich der Psycholinguistik, insbesondere der Mehrsprachenforschung herangezogen, um die durch das plu‐ rilinguale Unterrichtsdesign entstandenen Lernprozesse zu erforschen. Es soll gezeigt werden, welche Prozesse in einem kompetenzorientierten mehrspra‐ chigen Unterrichtssetting zur Entwicklung mehrsprachiger kommunikativer Handlungskompetenzen beitragen. 73 3.5 Unerfüllte Desiderate Teil II Theoretische Modellbildung 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) Im folgenden Abschnitt wird eine theoretische Modellierung vorgenommen, die die zentralen Aspekte mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz zusammen‐ fasst und veranschaulicht. Sie soll Kompetenzbereiche umreißen, innerhalb welcher sich MKK entwickeln, jene Kompetenzen also, die für erfolgreiches Kommunizieren in einem mehrsprachigen Umfeld erforderlich sind. Es kristal‐ lisierten sich insgesamt fünf Bereiche heraus: symbolische Kompetenz, Sprach(en)bewusstheit, Emotion und Mehrsprachigkeit, mehrsprachige Ge‐ sprächspraktiken, Formen sozialen Lernens. Einleitend wird der Begriff Kom‐ petenz, wie er für diese Studie verstanden wird, umrissen und definiert. 4.1 Kompetenz: Eine Begriffsdefinition Die Definition des Begriffes Kompetenz selbst bezieht sich zunächst in diesem Zusammenhng auf Weinert (Weinert 2001). Laut Weinert sind Kompetenzen er‐ lernbare Fähigkeiten, Probleme in unterschiedlichen Situationen zu lösen. Moti‐ vationale, volitionale und soziale Aspekte spielen dabei eine wichtige Rolle (Wei‐ nert 2001: 27 ff.). Laut Weinert dienen Kompetenzen zur Bewältigung von anspruchsvollen, in der Regel neuen Anforderungssituationen ohne Vorwissen (Weinert 2001; Hartig & Klieme 2006; Hartig et. al 2008; Canale 1983). Diese be‐ reichsspezifischen kognitiven Leistungsdispositionen lassen sich, so Weinert, in drei Bereiche unterteilen: fachliche Kompetenzen, fachübergreifende Kompe‐ tenzen und Handlungskompetenzen (Weinert 2001: 28). Durch ihre Kontextge‐ bundenheit und Lernbarkeit werden diese in der Bildungspsychologie klar vom allgemeineren Begriff der Intelligenz abgegrenzt (Hartig & Klieme 2006: 130). In dieser Bedeutung wurde der Begriff Kompetenz bei der Ausarbeitung des GER als auch der Bildungsstandards in Deutschland sowie der Rahmenrichtlinien für den Unterricht an Südtirols Schulen herangezogen, wobei ausschließlich der kogni‐ tive Kompetenzaspekt als Bildungsziel berücksichtigt wurde. In Anlehnung daran bezog sich die Definition der kommunikativen Kompe‐ tenz von Piepho auf die sozialphilosophische Theorie kommunikativer Kompe‐ tenz von Habermas (Habermas 1981) und unterschied zwischen kommunika‐ tivem Handeln und Diskurs (Piepho 1974, 1979). Kommunikatives Handeln entspricht in groben Zügen der Definition von Weinert als die Fähigkeit des Individuums, sich in einem thematischen und situativen Rahmen mit angemes‐ senen Mitteln und Strategien verständlich zu machen und andere verstehen zu können (Legutke 2008: 19; 2010). Allerdings wird bei Piepho der Begriff der kommunikativen Kompetenz durch zwei neue Aspekte erweitert, nämlich die metakommunikative und reflexive Fähigkeit, was bedeutet, dass das eigene sprachliche Handeln im Lernprozess problematisiert, analysiert und legitimiert werden soll (ibid.: 20). Laut Piepo bedeutet kommunikative Kompetenz nämlich: Weder in der einen noch in der anderen Auslegung das Erreichen bestimmter Normen, sondern die Fähigkeit, sich ohne Ängste und Komplexe mit sprachlichen Mitteln, die man durchschaut und in ihrem Wirkungen abschätzen gelernt hat, zu verständigen und kommunikative Absichten auch dann zu durchschauen, wenn sie in einem Code gesprochen sind, den man selbst nicht beherrscht und der nur partiell im eigenen Idiolekt vorhanden ist. (Piepho 1974: 9 f.) Dieser Auffassung von kommunikativer Kompetenz liegt zugrunde, dass Un‐ terricht nicht als ein Ort des Fertigkeitserwerbes betrachtet wird, sondern viel‐ mehr als ein Erziehungsprozess, der die gesamte Persönlichkeit der Lernenden motivierend unterstützt und gestalterisch aktiv mit einbezieht. Persönlichkeits‐ entfaltung und Erziehung zu mündigen BürgerInnen sind folglich Ziel eines Unterrichts, der Lernende in ihrer Individualität und ihren Neigungen respek‐ tiert und als vollwertiges Gegenüber wahrnimmt. Als Konsequenz wird von einer normativen Gestaltung des Unterrichtes Abstand genommen, Entschei‐ dungsprozesse sollen durch Konsensfindung gemeinsam bewältigt werden. Mit‐ gestaltung wird so integraler Teil des Unterrichtes und soll als kritische Haltung gegenüber der Gesellschaft über das Klassenzimmer hinausgetragen werden. Daher ist laut Legutke Unterricht „für ihn (Piepho) ein pädagogischer und so‐ zialer Prozess, der, zwar gebunden an reale Verhältnisse und Kontexte mit vielen Schwierigkeiten und Hemmnissen für die Entfaltung der kommunikativen Kompetenz der Lerner, dennoch zur gesellschaftlichen Veränderung beitragen kann“ (ibid.: 21 f.). Auf den von Piepho entworfenen Begriff der „Diskurstüch‐ tigkeit“ geht Hallet (Hallet 2008: 76) näher ein: Die metakommunikative Ebene beim Fremdsprachenlernen werde hier erstmals in ihrer Wichtigkeit für den Fremdsprachenunterricht erkannt. Sie verhindere die unreflektierte, akritische Sprachreproduktion, wie sie oft im traditionellen Fremdsprachenunterricht ge‐ fordert wird. Indem Lernende als kritische Aktanten im Unterricht tätig werden, können sie „gesellschaftliche, kulturelle und diskursive Prozesse aktiv und selbstbestimmt mitgestalten - auch in einer Fremdsprache“ (ibid.: 77). 78 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) Diese Formen der Reflexion und Metakommunikation führen zwangsläufig zu einer kulturellen und gesellschaftlichen Kontextualisierung und ermöglichen so im Unterricht, die in einer Gesellschaft vorhandenen Formen der Kommuni‐ kation zu vereinen und zu vernetzen. Nur dadurch kann auch da eine Discourse Communitiy entstehen (Hallet 2008: 81), denn wahre Kommunikation bedarf eines kulturellen und sozialen Umfeldes und aller im Laufe der Zeit erworbenen Sprachformen einer Gemeinschaft, in der sie stattfindet, weshalb sie als „ways of being in the world, of forms of life that integrate words, acts, values, beliefs, attitudes, and social identities“ bezeichnet werden kann (Kramsch 1998: 61). Hallet fasst die Bedeutung dieser Erkenntnisse für den Unterricht wie folgt zusammen: Didaktisch ist hierin eine außerordentlich bedeutsame Ausweitung des Diskursbe‐ griffes enthalten: Kommunikation lässt sich demzufolge nicht mehr reduzieren auf einen sprachlichen Akt, auf den Vorgang die Nutzung (fremdsprachlicher) Zeichen oder auf die Beherrschung von Skills, sondern es handelt sich um nichts weniger als um eine soziale und kulturelle Praxis, an der jeder Kommunikationsakt teilhat. „Kom‐ munikanten“ sind daher immer auch kulturelle Aktanten, die an der Erzeugung eines diskursiven Zusammenhangs beteiligt sind, die ihre Position in einer discourse com‐ munitiy bestimmen und darüber letztlich den Grad ihrer gesellschaftlichen Teilhabe entwickeln. (Hallet 2011: 31) Laut Hallet spielen zudem Faktoren wie Kommunikationsbereitschaft, Wissen, Verstehen, Problemlösen und Handeln, Erfahrungen, Einstellungen und Moti‐ vation bei der Beschreibung von kommunikativer Kompetenz eine grundle‐ gende Rolle (Hallet 2008: 83). Bei der Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz (MKK) ziehen wir es vor, dieses durchlässige, für die individuelle Entfaltung der Lern‐ enden geeignete und flexible Verständnis von kommunikativer Kompetenz he‐ ranzuziehen, wie es von Piepho für den monolingualen Fremdsprachenunter‐ richt ausdifferenziert und von Legutke/ Hallet weiterentwickelt wurde. Wie in der vorliegenden Studie gezeigt wird, ändert diese, eingebettet in ein mehrspra‐ chiges Unterrichtsdesign, nicht grundsätzlich ihre Beschaffenheit, sondern wird durch eine Vielzahl neuer Aspekte mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz bereichert und erfährt dadurch eine Erweiterung und Umformung. Denn der größere Facettenreichtum und die Komplexität, die durch die Vernetzung meh‐ rerer Sprachen im Diskurs entstehen, führen zu erhöhten Anforderungen an die Lernenden, sobald diese vor die Herausforderung gestellt werden, mehrspra‐ chige Formen des Diskurses und deren Besonderheiten zu bewältigen. 79 4.1 Kompetenz: Eine Begriffsdefinition MKK ist in einer vielsprachigen Gesellschaft mehr denn je an multiple Dis‐ kurse gebunden, die vernetzt miteinander bedeutungsstiftend sind. Mehrspra‐ chige Diskursfähigkeit impliziert deshalb auch den Umgang mit Bedeutungsviel‐ falt und Wahrnehmungserweiterung und Ambiguitätstoleranz. Dazu müssen mehrsprachige Diskurse in ihren Eigenschaften und Merkmalen erkannt und ihre Dynamiken durchschaut und richtig gelesen werden. Ziel ist es letztendlich, die Lernenden dazu zu befähigen, mit Hybridität und Fluidität im mehrsprachigen Diskurs umzugehen, zur Reflexion darüber anzustiften, und sich dieses Diskurses zu bemächtigen. Denn gesellschaftliche Partizipation kann sich nur entlang eines bewussten Umgangs mit der transkulturellen und mehrsprachigen lebensweltli‐ chen Umgebung entwickeln, in der die Lernenden sich befinden und durch die sie geprägt sind. In der Schulklasse spiegelt diese Gegebenheiten, weshalb den Lern‐ enden die Gelegenheit gebeben werden muss, sich mit dieser neuen Realität aus‐ einander zu setzen und zu lernen, sich darin zurecht zu finden. Gutzmann defi‐ niert Mehrsprachigkeit in diesem Sinne als „neue kommunikative Kompetenz“ (Gutzmann 2004: 45), die es im Unterricht anzustreben gilt. Diesbezüglich äußert sich deshalb Cummins skeptisch bezüglich traditio‐ neller Unterrichtsdesigns: From the perspective of multiliteracies, the exclusive focus within schools on linear text-based literacy in the dominant language of the society represents a very limited conception that fails to address the realities of a globalized, technologically sophisti‐ cated knowledge-based society. In urban contexts across North America and Europe, the student population is multilingual and students are exposed to, and engage in many different literacy practices outside school (…). Within school, however, he tea‐ ching of literacy is narrowly focused on literacy in the dominant language and typi‐ cally fails to acknowledge or build on the multilingual literacies or the technologicallymediated literacies that form a significant part of students‘ cultural and linguistic capital. (Cummins 2006: 53) Der mehrsprachige Dialog, so wie er im mehrsprachigen aufgabenorientierten Unterricht praktiziert wird, befähigt zu einer MKK in mehrerlei Hinsicht. Das heißt, der Begriff der kommunikativen Kompetenz wird im mehrsprachigen Unterricht durch eine Reihe von Aspekten erweitert, die im Folgenden im Ein‐ zelnen aufgezeigt und erläutert werden. Die Modellierung der MKK erfolgt zu‐ nächst, indem relevante Ergebnisse der Mehrsprachigkeitsforschung in diesem Bereich aufgezeigt werden. Diese werden anschließend mit den Ergebnissen der diskursanalytischen Untersuchung der mehrsprachigen Aushandlungsprozesse abgeglichen und in einem Abstraktionsprozess zur Modellierung der MKK he‐ rangezogen. 80 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) 4.2 MKK und symbolische Kompetenz Eine Definition von MKK ist nicht möglich, ohne die Perspektive des CLT (Communicative Language Teaching) zu überwinden und durch die symbolische Dimension des Spracherwerbs und -gebrauchs zu erweitern, wie sie Claire Kramsch erstmals umrissen hat. Wie bereits erwähnt, betrachtet CLT Sprache als Medium der sozialen Interaktion, ein formelles Konstrukt also, dessen Regeln und Anwendungsmuster es im Fremdsprachenunterricht zu vermitteln gilt. Hauptanliegen dieser Form des Unterrichts ist es, Lernende zu befähigen, die nötigen sprachlichen und pragmatischen Kompetenzen zu erwerben, um durch Sprache korrekt, angemessen und erfolgreich sozial interagieren zu können. Dazu muss Sprache zunächst kognitiv erfasst und verinnerlicht werden, um an‐ schließend als Medium der Kommunikation in einer Reihe von sozialen Kon‐ texten je nach Bedarf und Zielsetzung Anwendung zu finden (Canale & Swain: 1980). Sprache wird hauptsächlich als Instrument und als Werkzeug verstanden, um bestimmte pragmatische Ziele zu erreichen. Zu diesem Zweck setzt der CLT-Unterricht den Fokus auf realistische Interaktion im Klassenzimmer, indem Alltagssituationen zunächst vorgeführt und dann im Idealfall in einem kom‐ munikativen Unterrichtssetting nachgestellt werden. 4.2.1 Die symbolische Form als Baustein für die Identitätsbildung Der Begriff der symbolischen Kompetenz entstammt einem Verständnis von Sprache nicht nur als formales Konstrukt, sondern auch als „lebendige Verkör‐ perung der Realität“ (engl.: lived embodied reality, Kramsch 2009: 4). Sprache ist für Kramsch in vielerlei Hinsicht symbolisch, wobei sich der Begriff „symbo‐ lisch“ über die Jahre für Kramsch um vieles erweitert hat. Symbolisch bedeutet zunächst die Darstellung von Realität, wie sie durch Sprache erfolgt, diese ent‐ faltet sich laut Kramsch auf drei Ebenen (Kramsch 2011: 357): - Die Ebene der Darstellung: Sie beinhaltet grammatikalische und lexi‐ kalische Strukturen, die als konzeptionelle Darstellungen Aufschluss geben über die Funktionsweise des Geistes. - Die Ebene der Handlung: In Form von Sprechakten, Genres und sym‐ bolischen Interaktionsregeln gibt sie Aufschluss über die Wirksamkeit von Worten und Absichten der Sprechenden. - Die Ebene der Macht: Durch Intertextualität werden Werte einer Ge‐ sellschaft, ihres kollektiven und individuelles Gedächtnisses, Ideologien, Emotionen und Erwartungen offen gelegt (vgl. Bourdieu 1991: 163). 81 4.2 MKK und symbolische Kompetenz Sprache ist für Kramsch zudem für das Individuum in zweierlei Hinsicht sym‐ bolisch: Einerseits, weil sie durch ihre symbolischen Formen als konventionelles Medium zur Realitätsdarstellung dient und andererseits, weil eben diese sym‐ bolischen Formen durch Wahrnehmung, Emotionen, Haltungen und Werte die subjektive Realität jedes einzelnen konstruieren (Kramsch 2009: 7). So werden sprachliche symbolische Formen zu Bausteinen für die Bildung einer sozialen Identität. Dieser Identität wohnt die Sehnsucht und das Bestreben inne, sich mit dem anderem, dem Fremden zu identifizieren, sei dies nun ein anderer Sprecher, eine andere Sprache oder ein anderes Selbst. Eine solche Sehnsucht wird von Kristeva als desire bezeichnet (Kristeva 1980: 203) bzw. als Wunsch, aus den Einschränkungen der eigenen sprachlichen Realität zu entfliehen und nach Selbsterfüllung zu streben (Kramsch 2009: 14). Sprache ist also ein symbolisches Medium, mittels welches Gegenstände, Handlungen, Kontexte und Menschen dargestellt werden. Symbolisch ist daher für Kramsch auch die Konstruktion von Wahrnehmung, Einstellungen, Glauben, Werten, Bestrebungen und Sehnsüchten, die darin Ausdruck finden (ibid.: 6). Besonders junge Menschen haben laut Kramsch das Bedürfnis, ihren innersten Gefühlen und Wünschen Ausdruck zu verleihen, da sie sich auf der Suche nach der eigenen Identität und ihrer Positionierung in der Erwachsenenwelt be‐ finden. Im Sprachenunterricht können sie sich erstmals ihrem eigenen Sprach‐ gebrauch kritisch gegenüberstellen und die enge Beziehung zwischen ihrer Sprache, ihrem Körper und ihren Gedanken erkennen (ibid.: 5). Durch MKK gelingt es Lernenden, beeinflusst durch die unterschiedlichen Bedeutungen, die in Sprachgemeinschaften zur Beschreibung von Ereignissen Anwendung finden, diese symbolische Dimension von Sprache zu begreifen und eine neue Selbstwahrnehmung zu entwickeln. Da Subjektivität teils aus der bewussten, im Geistigen verankerten und teils unbewussten körperlichen Bedeutung besteht, die wir selbst dank der Vermitt‐ lung symbolischer Formen geben, ist das sprechende Subjekt durch diese Ei‐ genschaft bestrebt, sich selbst und die anderen nicht nur als das zu sehen, was sie im Augenblick darstellen, sondern auch deren Vergangenheit und deren Ge‐ schichte. Ebenso kann zukünftiges sprachliches Handeln erahnt werden. Ein Subjekt zu werden bedeutet für Kramsch, ein Bewusstsein für die Leerstellen zwischen den Wörtern und Sprachen zu entwickeln und für die möglichen ver‐ gangenen und zukünftigen Bedeutungen, die darin liegen (ibid.: 18). Durch die soziale Interaktion ergibt sich Intersubjektivität, denn jedes Subjekt kann sich selbst nur vollständig erkennen, wenn es sich in einem anderen spie‐ gelt. Intersubjektivität kann nur durch strukturierte und an einen Kontext ge‐ bundene Gesprächspraktiken erfolgen, unter Voraussetzung eines geteilten 82 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) Weltwissens. Sie wird gestaltet durch Gesprächsroutinen und Strategien, die ständig angepasst und verändert werden müssen. Es werden dabei in dem Au‐ genblick, in welchem durch Sprechakte soziale Realität geschaffen wird, soziale und kognitive Anforderungen an die Sprechenden gestellt (vgl. Gumperz 1982; Duranti & Goodwin 1994). Diese Realität wird in einem bestimmten Kontextu‐ alisierungsrahmen und vor dem Hintergrund eines geteilten Auslegungssys‐ tems anhand spezifischer Sprechverhalten konstituiert. 4.2.2 Kulturelle und soziale Rekontextualisierung In der mehrsprachigen Kommunikation sind multiple kulturelle und soziale Kontextualisierungen vorhanden, daher muss gemeinsame Bedeutung im Dis‐ kurs erst gefunden und neue Symbole erschaffen werden, damit Kommunika‐ tion funktionieren kann. Andererseits ist zu tolerieren, dass manchmal Kom‐ munikation eben nicht möglich ist. Zu berücksichtigen ist dabei, dass das mehrsprachige Subjekt unterschiedliche Sprachrollen einnehmen kann. Dazu ist nicht nur der gegenwärtige Rahmen nötig, sondern auch die kulturelle und geschichtliche Vielfalt, die die einzelnen Sprachen mit sich bringen, gebunden an die Subjektivität des Einzelnen, seiner ganz persönlichen Auslegung der Symbole, seiner Erinnerungen und Visionen (Kearney 2016: 47). Diese Intersubjektivität ist laut Kramsch gleichzustellen mit Intertextualität (Kramsch 2009: 20). Intersubjektives Handeln im mehrsprachigen Kontext be‐ fähigt die Lernenden in erhöhtem Maße, Genres und ihre Eigenschaften in den verschiedenen Sprachen zu erkennen, sie zu vergleichen und in ihren mehr‐ sprachigen Gesprächspraktiken zu nutzen, indem sie bewusst ins Gespräch ein‐ gebaut, vermischt, neu interpretiert oder parodiert werden. Laut Kramsch ge‐ hören Genres zum Sprachhabitus. Sie prägen sich durch ihren routinemäßigen Gebrauch in die mentalen Skripts ein und werden als selbstverständlich ange‐ nommen, sie formen unsere mentalen Muster und Denkweisen, ohne dass wir uns dessen bewusst werden, dabei erleben wir die Welt durch sie. Sie prägen das Denken und die Wahrnehmung der Welt mit, ohne dass ein Bewusstsein darüber entstehen kann. Die Sprecher eignen sich Genres und ihre Eigenschaften im Gespräch an, um ihrem Selbst in vielfacher Hinsicht Ausdruck zu verleihen, denn sprachliche Interaktion kann „response to some remembered or anticipated utterance, it might be a mythic, ritualistic, phatic or ostensible statmetn (ibid. 20) sein. Identität be‐ gründet und äußert sich im Diskurs durch das Erzählen der eigenen Geschichte und der Geschichten anderer. Sie ist gebunden an Texte in ihrer vielfachen Aus‐ prägung (geschrieben, gelesen, vorgetragen) und ihrem symbolischen Gehalt. 83 4.2 MKK und symbolische Kompetenz Durch sie positioniert sich das Subjekt in seiner Umgebung, es kann sich selbst in seiner Ganzheit ausdrücken. Im mehrsprachigen Diskurs kann es sich gleich‐ zeitig innerhalb und außerhalb des eigenen Diskurses und der Diskurse anderer positionieren und in der Spannung zwischen Text und Kontext Bedeutung neu rahmen und neu kontextualisieren. Erfundene und reale Welten sind hier gleich‐ wertig, da beide in die subjektive symbolische Realität des Einzelnen einge‐ schrieben werden. Das symbolische Selbst entsteht durch das Erzählen aus der Spannung zwischen bekannter und neuer unkonventioneller Interpretation von Zeichen. Dieses Fluktuieren zwischen den Sprachen und Kontexten bezeichnet Kramsch als Third Space (Kramsch 2011: 359; Kearney 2016: 46). Dabei vermitteln die Sprechenden nicht nur zwischen sozialen Normen und pragmatischen Gegebenheiten, sondern auch zwischen ihrem Körper und ihrem Geist, zwischen sich selbst und den anderen (Kramsch 2009: 76). Mehrsprachiges generisches Lernen befähigt die Lernenden, zwischen den verschiedenen sym‐ bolischen Welten zu vermitteln, sich spielerisch zwischen diesen Welten zu be‐ wegen und diese miteinander zu vernetzen und zu vermischen. Es befähigt Ler‐ nende, die Möglichkeiten und Grenzen auszuloten, wenn Erfahrungen von einer Sprache in die andere übertragen werden. Sie können erfahren, was es bedeutet, wenn sich die symbolischen Referenzsysteme für Erfahrungen ändern, oder sie können sich auf unterschiedliche Erzähltraditionen berufen und spielerisch damit umgehen (Kramsch 2009: 151). Laut der Blended Space Theory von Fauconnier und Turner ist Sprache von Natur aus metaphorisch, das heißt, dass Umstände und Handlungen durch das Zusammenführen mentaler Bilder beschrieben werden (Turner & Fauconnier 2002: 37). So hat z. B. das Wort independence für eine japanisch/ deutsche Ler‐ nende in einem englischsprachigen Kontext eine Reihe von metaphorischen Bedeutungen, die durch den mehrsprachigen Entfremdungseffekt kritisch re‐ flektiert werden können und durch Blending neue metaphorische Bedeutung bekommen (Kramsch 2009: 50). Es können durch Blending unterschiedlichste soziale, moralische, psychologische und geschichtliche Aspekte verschiedener Sprachen überlappt werden, um Bedeutung zu schaffen oder einzelne Aspekte der Bedeutung hervorzuheben. Blending ist an vergangene und gegenwärtige Erfahrungen und deren Manipulation gebunden. 4.2.3 Ambiguitätstoleranz in multiplen Diskursen Mehrsprachigkeit bereichert Kommunikation durch eine Vielzahl an neuen Ressourcen, die aber auch Ambiguitäten mit sich führen können. So muss Mehr‐ sprachigkeit in einer von multiplen Diskursen geprägten Gesellschaft, in der 84 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) Massenmedien, Politik und Unterhaltungsindustrie in zunehmendem Maße an Macht gewinnen und Bedeutung formen, die Mechanismen der Bedeutungs‐ konstituierung und Veränderung erkennen und hinterfragen. Daher ist es wichtig, dass Lernende Texte und Genres kulturell und geschichtlich verorten können, um zu erkennen, wie diese im Prozess des Erzählens an neue Umstände und Gegebenheiten angepasst und somit in ihrer Bedeutung verändert werden, indem sie rekontextualisiert werden (Kramsch 2006: 251, 2011: 355). MKK be‐ deutet, mit den Gegensätzen der modernen Gesellschaft umzugehen lernen, indem semiotische Zeichen in ihrer Vielfalt erkannt und richtig interpretiert werden. Es bedeutet aber auch, Ambiguität aushalten zu können, die diese se‐ miotische Vielfalt verursacht, und sich die folgenden Fragen zu stellen: Wer hat das geschrieben? Welche Haltungen bzw. Absichten stecken dahinter? Zu wel‐ chem Zweck? Warum ist es in dieser Sprache geschrieben? Warum sind be‐ stimmte Wendungen in einer Sprache möglich und in einer anderen nicht? Die Grenzen der semiotischen Ambiguität können überwunden werden, wenn dem ästhetischen Aspekt des Sprachenlernens mehr Wichtigkeit beige‐ messen wird. In einer mehrsprachigen Lernumgebung können Lernende laut Kramsch „draw on the formal semiotic an aesthetic resources afforded by various symbolic systems to reframe these contradictions and create alternative worlds of their own“ (Kramsch 2009: 22). Sie können Wörter und Genres, die für sie in ihrer Konventionalität noch nicht definiert sind, mit neuer Bedeutung anreichern, indem unkonventionelle Verbindungen zu Form, Laut und Ähnlichkeiten her‐ gestellt werden. Dies geschieht beim Versuch der Lernenden, die sie umgebende mehrsprachige Welt zu verstehen, indem Realität durch die Vermischung und Interpretation neuer und fremder symbolischer Formen neu konstruiert wird. Auf die gleiche Weise wird auch ihre Identität und Subjektivität neu konstruiert. Die Wahrnehmung von symbolischen Formen jenseits der Funktion von Sprache als Kommunikationsinstrument führt zu der Erkenntnis, dass Sprache laut Kramsch auch „an exotic and mysterious world of desire, escape, empower‐ ment, and transformation“ ist - eine Welt also, in der jenseits von Kognition tiefe, teils unbewusste rituelle und symbolische Akte vollzogen werden. (ibid.: 43) Kristeva unterscheidet zwischen einer semiotischen, vorsprachlichen Bedeu‐ tungswelt, in der Stimmen, Symbole, Gesten, Farben und Rhythmus vorherr‐ schen, und einer symbolischen Welt, in der sich Bedeutung geschichtlich ent‐ wickelt und klar kodifiziert ist. Die symbolische Sprache wird vom Kind im Übergang zur Erwachsenenwelt erworben. Es bleibt aber eine Welt ohne Worte in jedem erhalten, als Erinnerung an die Kindheit. Das veranlasst den Menschen, sich ständig zwischen diesen beiden Welten zu positionieren. Er befindet sich daher an Grenzen, er ist von Natur aus Grenzgänger und hat sich ständig in 85 4.2 MKK und symbolische Kompetenz Frage zu stellen, da er in der symbolischen Welt nicht zu Hause ist (Kristeva 1980: 99 f.). Durch kreativen mehrsprachigen Sprachgebrauch, mehrsprachige Spielereien von Lernenden und deren poetischen Gehalt kann die semiotische vorsprachliche Bedeutungswelt durchdrungen und die symbolische Ordnung umgestaltet werden (Kramsch 2009: 98). Die Polysemie von Wörtern, ihre Be‐ zugnahme auf unterschiedliche Referenzsysteme und nicht zuletzt der intertex‐ tuelle Umgang mit Genres sind Instrumente, die zur Umgestaltung der symbo‐ lischen Ordnung von mehrsprachigen Sprechern genutzt werden können. Die Vorliebe für poetische Formen und metaphorische Sprache beim Erzählen von Geschichten zeugt davon, dass der Erwerb fremder symbolischer Formen tief im kindlichen Gedächtnis verankert ist. Mehrsprachige Lernende erleben ei‐ nerseits die Not, sich in einem fremdem Symbolsystem zurechtfinden zu müssen, andererseits können sie dieses symbolische System eben durch ihre Fremdheit in seiner Konstitution erkennen und aufbrechen und sich in das se‐ miotische zurückversetzen. Dabei kommen Ironie, Entfremdung und Humor mit ins Spiel, aber auch Rhythmus und Klang. Es können allgemein für wahr gel‐ tende Annahmen und Überzeugungen in Frage gestellt werden. In diesem Sinne entsprechen Sprachen unterschiedlichen Zeitachsen, die ge‐ bunden sind an den Zeitpunkt, zu dem die Sprachen erworben wurden und daran, wie sie sich später weiter entwickelt haben. Daraus ergibt sich, dass Sprachen unterschiedliche Zeitwahrnehmungen innewohnen: die Sprache des Berufes, der Schule und die Sprache der Familie. Diese Wahrnehmungen können sich in der Mehrsprachigkeit ausdehnen und zusammenziehen, wodurch un‐ terschiedliche Resonanzen entstehen, die, verbunden mit Emotionen, dem Selbst die Erfahrung der Erweiterung ermöglichen (Kramsch 2009: 71). 4.3 MKK und Sprach(en)bewusstheit Wie bereits in Kapitel 2 vorweggenommen, stellt der FREPA eine sehr große Anzahl von Indikatoren für die Erhebung mehrsprachiger Kompetenz zur Ver‐ fügung. Dabei werden alle Sprach(lern)erfahrungen zu einem mehrsprachigen Repertoire zusammengefasst. Dieses Repertoire gilt es zu mobilisieren und be‐ wusst zu machen, um es aktiv im Sprachlernprozess nutzen zu können (Martinez 2008: 83; Prokopowicz 2017: 23). Das mehrsprachige Repertoire wird so zur Kompetenz, mittels welcher deklaratives bzw. prozedurales Wissen und per‐ sönliche Ressourcen aktiviert werden. Metakognitive Fähigkeiten und Sprach(en)bewusstheit spielen in diesem Zusammenhang bei der Beobachtung des eigenen Sprachlernverhaltens eine wesentliche Rolle (cf. 2.3.). Sie dienen als 86 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) 1 Hufeisen (2012) unterscheidet zwischen sprachlichem Wissen und Sprachenbewusst‐ sein. Ersteres bedeutet demnach über Sprachen zu sprechen und zu reflektieren „mit Sprachen spielen und jonglieren zu können“, Letzteres setzt theoretisches Vorwissen und Metakognition voraus und ist Teil der Sprachhandlungskompetenz, da Sprachen analytisch hinterfragt werden. Beides kann laut Hufeisen gelernt und geübt werden, ist nicht deckungsgleich, fällt aber im Idealfall zusammen (ibid. 58; vgl. auch Klippel 2012: 72). Instrument zur Automatisierung sprachlichen Wissens und folglich zur Be‐ schleunigung des fremdsprachlichen Aneignungsprozesses. 1 Der prozessorien‐ tierte Kompetenzerwerb wird durch Sprach(en)bewusstheit erst ermöglicht. Es handelt sich dabei laut Gutzmann (1997) um eine auf fast alle anderen Kompe‐ tenzbereiche übergreifende Teilkompetenz und versteht sich im Spracherwerb als die Fähigkeit, Sprache(n) analytisch zu hinterfragen. Dabei kristallisieren sich fünf Bereiche heraus, die durch Sprachen(en)bewusstheit eine Veränderung erfahren können: ein affektiver Bereich, ein sozialer, ein politischer, ein kogni‐ tiver und eine Performanz-Domäne. Die affektive Domäne besteht aus Gefühls‐ äußerungen, Haltungen und Einstellungen gegenüber Sprachen (vgl. James & Garett 1992; Eichler & Nold 2007). 4.3.1 Die performative und soziale Dimension Der Begriff Sprach(en)bewusstheit wird zunächst mit der Performanz-Domäne in Verbindung gebracht, da Fehleranalyse und Autokorrektur durch erhöhte Aufmerksamkeit und Kognition ermöglicht werden. Durch Sprach(en)bewusst‐ heit kann laut Burwitz-Melzer (Burwitz-Melzer 2012: 29) auch transkulturelles Lernen initiert und gefördert werden. Die Lernenden erkennen, dass der Sprach‐ lernprozess eine starke emotionale Komponente mit sich führt, die die Lernbe‐ reitschaft stark beeinflussen kann. Sie können erfahren, dass Sprachen politisch und sozial geprägt und sich demzufolge geschichtlich entwickeln und umge‐ kehrt durch geschichtliche Entwicklungen stark beeinflusst werden. Dies führt letztlich zur Akzeptanz unterschiedlicher Sprachen, Sprachvarietäten, Kulturen und Minderheitenkulturen. Denn Sprach(en)bewusstheit oder Language Awa‐ reness in seiner sozialen und politischen Dimension umfasst auch das Hinter‐ fragen von Machtverhältnissen zwischen Sprachen, Sprechern, sozialen Schichten, Kulturen und nicht zuletzt Genderproblematiken (ibid.: 29; vgl. hierzu auch Morkötter 2004: 28 ff.). Sprach(en)bewusstheit als Teilkompetenz und Instrument zur Kognitivierung kann sich in einem mehrsprachigen Lernprozess am besten entfalten, da hier Sprachen einerseits eng miteinander in Verbindung gebracht, aber auch vergli‐ 87 4.3 MKK und Sprach(en)bewusstheit chen und in ihren Besonderheiten geschichtlicher und sozialer Natur erkannt und kritisch hinterfragt werden können. Bevorzugt wird hier jedoch nach wie vor die Performanz-Domäne, wie bei der Ausrichtung der didaktischen Ansätze ersichtlich wird. Auch Krumm rückt ganz in diesem Sinne die „Bündelung sprachbezogener Lernprozesse“ (Krumm & Reich 2012: 87) in den Mittelpunkt. Diese begünstigt laut Königs (Königs 2012: 77) den Sprachlernprozess und wirkt sich motivationsfördernd und hilfreich auf das Lernen aus, da vorgelernte Wis‐ sensbestände aktiviert werden. Allerdings wird wie in der Interkomprehensi‐ onsdidaktik auch hier betont, dass eine solche Beschleunigung des Lernproz‐ esses nur innerhalb typologisch ähnlicher Sprachen möglich ist (ibid.: 77 und 79), da die Brückensprachenfunktion nur zwischen typologisch eng miteinander verwandten Sprachen gelingen kann. Eine Meinung, die in dieser Form nicht geteilt werden kann, da Sprachlernstrategien und mehrsprachige kommunika‐ tive Kompetenz, wie in der vorliegenden Studie gezeigt wird, sich auch in einer heterogenen Sprachkonstellation entfalten können und unabhängig von der Sprachtypologie übergreifend zur Anwendung kommen (Budde 2016: 1). Das Konzept der Metalinguistic Awareness (Bono 2011 a; Herdina & Jessner 2002; Gibson & Hufeisen 2011) ist der Versuch, das Konzept der Sprachbewusst‐ heit auf der Performanz-Ebene bei mehrsprachigen Menschen zu umschreiben. Die Mehrsprachigkeitsforschung sieht einen klaren qualitativen Unterschied zwischen dem Erwerb von L2 bzw. L3-Lx. Dieser sog. Multilingual Factor (San‐ chez 2011: 86) stellt ein Bündel an Kompetenzen und Strategien dar, die bei mehrsprachigen Lernenden (besser) ausgebildet sind und diese klar von ein‐ sprachigen unterscheiden: Dazu gehören höhere strategische Kompetenzen, die Fähigkeit, Probleme in der Kommunikation vorherzusehen, ein Repertoire an Fertigkeiten, um mit Unzulänglichkeiten sprachlicher bzw. kommunikativer Natur umzugehen, die Fähigkeit, sprachliche Strukturen selektiv zu analysieren und diese als Problemlösungsmöglichkeiten einzusetzen und insgesamt eine er‐ höhte Aufmerksamkeit und ein ständiges Monitorisieren des gesamten Sprach‐ verarbeitungs- und Produktionsprozesses vonseiten des mehrsprachigen Spre‐ chers. Dieses sog. Language Monitoring ermöglicht eine teils bewusste und teils unbewusste Überwachung aller mentalen sprachlichen Prozesse zum Zweck der Fehleranalyse und Korrektur sowie der Kommunikationsoptimierung (Bono 2011a: 25; Bialystok 2001: 126). Allerdings ist es nicht selbstverständlich, dass sich diese Fähigkeiten auf Spracherwerb und Erhalt positiv auswirken, da häufig das Bewusstsein darüber fehlt und diese daher für die Lernenden oft eher als Hemmung wahrgenommen werden (Bono 2011a: 26). Der mehrsprachige Un‐ terricht soll eben diesen Bewusstwerdungsprozess und die Entfaltung der Lang‐ uage Awareness / Metalinguistic Awareness durch soziales Lernen in heterogenen 88 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) 2 Der Begriff Psychotypologie bezeichnet die empfundene Nähe bzw. Distanz von L2 in Bezug auf die Erstsprache. Sie gehört zu den Hauptfaktoren, die bei CLIN und insbe‐ sondere den Transfer aus L2 beeinflussen (Kellermann 1983). Arbeitsgruppen bei mehrsprachigen und einsprachigen Lernenden initiieren und unterstützen. Eine weitere wichtige wissenschaftliche Erkenntnis zur Sprach(en)bewusst‐ heit im Bereich der Mehrsprachigkeitsforschung ist, dass mehrsprachige Ler‐ nende dazu neigen, für einen Transfer nicht ausschließlich auf L1 zurückzu‐ greifen, sondern häufig die nachgelernte Sprache L2 vorziehen: Der Grund dafür liegt darin, dass L2 im Gegensatz zu L1 bewusst erworben worden und daher leichter abrufbar ist. Da bei L1 der Spracherwerb fast ausschließlich unbewusst ist, wird diese nicht als Fremdsprache wahrgenommen. L2-Ln werden als Fremd‐ sprachen bewusst erworben und daher von den Lernenden für einen Sprach‐ vergleich als geeigneter empfunden als L1 (Herdina & Jessner 2002: 79; Müller-Lancé 2003: 178 f.; House 2004: 64). Dieser sog. L2-Faktor führt dazu, dass sich der Erwerb einer dritten Sprache von dem einer zweiten grundlegend un‐ terscheidet (vgl. Cenoz 2013). Unterschiedliche Vergleichsstudien haben gezeigt, dass frühe Zweisprachigkeit sich auf den Erwerb einer dritten Sprache positiv auswirkt (vgl. Lasagabaster 1997, 2006; Ringbom 2011; Safont 2003; Sanz 2000). Es wird belegt, dass ProbandInnen in Englisch L3 umso höhere Leistungen er‐ zielen, je höher das Niveau in L1 und L2 ist (z. B. Lasagabaster 1997; Muñoz 2000; Sagasta Errasti 2003). In Studien, in denen mehrsprachige ProbandInnen Regeln einer künstlichen Sprache herausfinden mussten, erzielten sie höhere Resultate (z. B. Kemp 2009). De Angelis & Jessner untersuchten Schreibkompetenzen drei‐ sprachiger ProbandInnen in Südtirol (De Angelis & Jessner 2012). Es stellte sich heraus, dass das Kompetenzniveau in der Drittsprache mit der Schreibkompe‐ tenz in L1 und L2 korreliert. Für diese Studie erwies sich als relevant, dass der L2-Faktor und seine Auswirkung auf den nachfolgenden Spracherwerb sehr stark von der Psychotypologie der Sprachen beeinflusst wird. 2 Wird L2 als ferne und unerwünschte Sprache wahrgenommen, dann erschwert das folglich auch den Transfer von L2 auf L3/ Lx. Je nach Zusammensetzung der DLC kann dies unterschiedliche Auswirkungen auf den nachfolgenden Spracherwerb haben. 4.3.2 Die emotionale Ebene Die besondere DLC Südtirols hat zur Folge, dass L2 in fast allen Fällen Italienisch ist, zweisprachige Lernende erwerben diese im Familienumfeld von klein auf und können alle Vorteile nutzen. Einsprachig aufgewachsene Lernende hin‐ gegen erwerben Italienisch erst als erste Schulfremdsprache im Alter von 6 89 4.3 MKK und Sprach(en)bewusstheit 3 Die besondere sprachgeschichtliche Entwicklung des Englischen aufgrund der nor‐ mannischen Besetzung, hat zu Folge, dass viele Aspekte der Grammatik und des Wort‐ schatzes ich aus dem Romanischen besser ableiten lassen als aus dem Germanischen, so das Gerundium, die Verbtempora, Latinismen. Jahren. Wie sich L2 auf den Erwerb weiterer Sprachen auswirkt, ist abhängig von der Haltung gegenüber dieser Sprache im Elternhaus und der sozialen Um‐ gebung (Lasagabaster & Huguet 2006; Krumm 2003). L3 hingegen ist in der Regel Englisch. Es wäre hier im Unterricht naheliegend, L2 Italienisch als Brücken‐ sprache für L3 Englisch heranzuziehen. 3 Daher wäre es nötig, L2 Italienisch für alle Lernenden abrufbar zu machen, indem die psychotypologische Wahrneh‐ mung verändert wird. Ein Bewusstsein darüber, wie unterschiedlich Sprachen den Erwerb von L1 und L2 beeinflussen und über die Wichtigkeit von L2 für alle nachgelernten Sprachen, könnte diesbezüglich behilflich sein und wird in diesem Sinne auch einen Aspekt der MKK darstellen. Über diese kognitiven Aspekte der Sprach(en)bewusstheit hinaus soll in der vorliegenden Studie zudem anhand der einzelnen Fallstudien aufgezeigt werden, inwiefern in heterogenen mehrsprachigen Arbeitsgruppen vorgelernte Einstel‐ lungen und Haltungen durch den Vergleich und die Interaktion mit anderen sich positiv verändern können. MKK bedeutet in diesem Fall besonders, dass Ler‐ nende die eigene Sprachbiographie im Vergleich mit anderen kritisch reflek‐ tieren und sich der eigenen Haltungen und Emotionen gegenüber Sprache(en) bewusst werden. Besonders für einsprachige Lernende bedeutet dies, Erfah‐ rungen und Haltungen mehrsprachiger Lernender zu erkennen und anzu‐ nehmen und die eigenen dadurch zu ändern, um am mehrsprachigen Gespräch aktiv und selbstwirksam teilnehmen zu können. Dazu ist für die Operationalisierung von mehrsprachigen Unterrichts‐ formen erforderlich, dass die sprachliche Identität der Lernenden - ihre Sprachbiographie - in den Mittelpunkt gerückt werden (De Florio-Hansen & Hu 2003b: VIII), denn Lernende verbinden mit Sprachenlernen nicht nur schu‐ lischen Erfolg, auch viele andere Faktoren sind von erheblicher Relevanz. So gilt es zum Beispiel, die biographische Sprachabfolge der einzelnen Lern‐ enden, die ein komplexes persönliches Sprach- und Emotionsgefüge darstellt, zu berücksichtigen. Jede neu erworbene Sprache verschafft Zugang zu neuen Welterfahrungen und somit neuen, auch hybriden Ausdrucksformen und Ver‐ netzungen der Realitätswahrnehmung. Der Erwerb der zweiten Sprache geht bereits mit der Erkenntnis einher, dass die eigene Identität nicht unveränder‐ lich und starr ist, sondern sich entwickeln, verändern und erweitern kann (vgl. Javier 2007: 30). Dieses Bewusstsein wird mit jeder weiteren Sprache er‐ weitert und wächst in seiner Komplexität (vgl. Krumm 2012: 88; Königs 2012: 90 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) 79). Auch diese Form der Sprach(en)bewusstheit macht MKK aus, das Bewusst‐ sein nämlich, dass jeder Sprechende eine ganz individuelle Sprachbiographie hat (vgl. Krumm 2001, der bei Kindern sehr erfolgreich mit Sprachenportraits arbeitet), dass mit dieser bestimmte Haltungen und Emotionen verbunden sind, die seine Sprachhandlungen ausmachen und ohne deren Verständnis Kommu‐ nikation nur zum Teil gelingen kann (zu Sprache und Emotion siehe folgendes Kapitel). Diese bislang in der Forschung unbeachteten Aspekte der Sprach(en)bewusstheit wie die kreative Dimension des Sprachenlernens, af‐ fektive Aspekte und soziales Lernen im mehrsprachigen Umfeld sowie die symbolische Dimension (cf. 4.2.1.) sind in der vorliegenden Untersuchung Be‐ standteil der Modellierung einer MKK. 4.4 Psycholinguistische und soziolinguistische Aspekte der MKK Das Erfassen der kommunikativen Phänomene im mehrsprachigen aufgaben‐ orientierten Unterricht kann nur ausreichend beleuchtet werden, wenn plura‐ listische Forschungsansätze eingesetzt werden. Daher ist eine Synthese zwi‐ schen psycholinguistischen und soziokulturellen Perspektiven nötig (vgl. Müller-Hartmann & Schocker von Ditfurth 2005: 14; Ellis 2003: 72 f.). Nur diese Doppelperspektive bei der diskursanalytischen Auswertung der plurilingualen Aushandlungsprozesse kann die kommunikativen Leistungen der Lernenden eingehend behandeln und die damit einhergehenden Formen des sozialen Lernens erkennen und kategorisieren. Dadurch soll ein ganzheitliches Bild des Kompetenzerwerbsprozesses umrissen werden, das die Innenperspektive des subjektiven Lernens mit der Außenperspektive des sozialen Lernens und der kommunikativen Interaktion zwischen Lernenden und Lernenden bzw. Leh‐ renden verbindet, denn beides ist für das Forschungsdesign gleichermaßen wichtig: Es handelt sich um Aufgabenformate, welche die Lernenden dazu an‐ regen, miteinander nicht nur ins Gespräch zu kommen, sondern im kritischen Austausch komplexe mehrsprachige Situationen zu bewältigen, indem sie alle ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und Kompetenzen aktivieren, um sich von einer lebensweltlichen Mehrsprachigkeit in Richtung bildungssprach‐ licher Mehrsprachigkeit zu bewegen. Dabei soll sowohl sprachliche als auch inhaltliche Kreativität nicht ausgeklammert werden, vielmehr werden die Lernenden dazu angeregt, neue Problemlösungsstrategien und Handlungs‐ möglichkeiten auf beiden Ebenen anzudenken (vgl. Legutke 1988; Hallet 2012b). 91 4.4 Psycholinguistische und soziolinguistische Aspekte der MKK Zunächst sollen zwei für dieses Forschungsdesign relevante aus den insge‐ samt fünf Spracherwerbsmodellen vorgestellt werden, um aufzuzeigen, welche Lernprozesse im mehrsprachigen Unterricht initiiert werden, wie diese im TBLT als Verstehensprozesse koordiniert werden und zu einem mehrsprachigen Kom‐ petenzzuwachs beitragen. Anschließend werden sprachliche Phänomene des mehrsprachigen Diskurses, die im Zuge der diskursanalytischen Auswertung besonders häufig vorkamen, in ihrer Funktion beschrieben und erläutert, da sie bei der Modellierung der MKK relevant sind. 4.4.1 Das Faktorenmodell Das von Britta Hufeisen entwickelte Faktorenmodell (Hufeisen 2010c: 203 f.) berücksichtigt beim Fremdsprachenlernen im Unterricht vorher gemachte Lernerfahrungen, insbesondere bezüglich der L2 und beim Erlernen weiterer Fremdsprachen. Nach dem Erlernen von L2 erfolgt ein qualitativer Sprung und das Erlernen weiterer Fremdsprachen unterscheidet sich von dem der L2 in vielen Aspekten, da zum Zeitpunkt des Erwerbes einer zweiten Fremdsprache die Lernenden bereits eine Reihe von Erfahrungen gesammelt und Strategien entwickelt haben, über ihren Lerntyp Bescheid wissen und gelernt haben, mit Motivation und FLA (Foreign Language Anxiety) umzugehen. Nicht nur diese neurolinguistischen, kognitiven und emotionalen Aspekte beeinflussen den Spracherwerb, sondern auch die Lernumgebung, die Quantität und Qualität des Input und fremdsprachenspezifische Faktoren. Die Erfahrungen in der Lern‐ umgebung sind ausschlaggebend für Einstellungen und Haltungen. Einen re‐ levanten Beitrag leisten auch eine erweiterte Lebenserfahrung und Welt‐ wissen, die beim Erlernen einer L3/ Lx zum Tragen kommen. Die Lernenden kennen Phänomene der Sprachmischung bereits und können sich darauf ein‐ stellen, verfügen z. B. bereits über Strategien beim Vokabellernen (Hufeisen & Neuner 2003b: 9; Allgäuer-Hackl et al. 2015: 12). Diesem entscheidenden kog‐ nitiven und emotionalen Unterschied sollte beim L3-FSU Rechnung getragen werden. So könnten komplexere und anspruchsvollere Inhalte im Unterricht behandelt werden, da von einem beschleunigten Spracherwerbsprozess aus‐ gegangen werden kann: 92 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) Faktorenmodell Hufeisen 2010: 204 4.4.2 Das DMM (Dynamic Model of Multilingualism) Das DMM ergänzt Hufeisens Faktorenmodell insofern als es einen Erklärungs‐ versuch der Funktionsweise mehrsprachiger Sprachverarbeitungssysteme im Menschen anhand der Systemtheorie darstellt (Herdina & Jessner 2002). Dabei wird angenommen, dass sich bei mehrsprachigen Menschen ein einziges Spra‐ chensystem entwickelt, das sich in seiner Gesamtheit durch äußere Einflüsse ändert, und dass diese Veränderungen nicht vorhersehbar sind. Dieser Prozess verursacht laut Jessner ( Jessner 2004: 34) eine Reihe von Reaktionen, CLIN (Cross Linguistic Interacition) genannt. Darunter versteht Jessner alle Transfer- und Interferenzphänomene sowie Code-switching, Borrowing, Translanguaging. Das Erkennen und Sich-zunutze-machen „interlingualer sprachlicher Einheiten, Kontraste und Regularitäten“ (Morkötter 2004: 31), der metakognitive translin‐ guale Transfer / CLIN (Cross Linguistic Interaction) ist zwar selbstgesteuert und weitgehend unbewusst (vgl. Cenoz et al. 2001; De Angelis 2005; Hammarberg 2009; De Angelis & Dewaele 2011; Ringdom 2011; Wunder 2011; Vidgren 2013), kann jedoch durch Bewusstmachung konstituierender Teil der MKK werden, da dadurch Ressourcen und Strategien zur Bewältigung komplexer mehrsprachiger kommunikativer Situationen verfügbar gemacht werden. Normabweichungen sind in diesem Falle Zeichen eines kreativen Umgangs mit Sprache und Beweis für sprachübergreifende und -vergleichende Hypothesenbildungen. Im Unter‐ schied zu Kecskes/ Papp (Kecskes & Papp 2000: XVI, 38), die von Überlappungen der Sprachsysteme sprechen, geht Jessner einen Schritt weiter, indem sie fol‐ gende Hypothese aufstellt: DST theory presupposes a complete metamorphosis of the system involved and not merely an overlap between two subsystems. If this is applied to multilingual deve‐ lopment, it means that the interaction between the three systems results in different 93 4.4 Psycholinguistische und soziolinguistische Aspekte der MKK abilities and skills that the learners due to their prior language learning experience. In other words as part of the M-factor [Multilingual Factor, Anmerkung vom Autor] third language learners develop, for instance, an enhanced level of metalinguistic awareness and metacognitive strategies which considerably contribute to the quality of CLIN in multilinguals. ( Jessner 2004: 35) Sprachen bilden demnach ein einziges dynamisches System mit dem Ziel, sich selbst zu erhalten. Um diese Aufrechterhaltung zu gewährleisten, bedarf es eines erheblichen Aufwandes. Diese sog. Maintenance-Leistung und der dafür nötige erhöhte Energieaufwand führen im mehrsprachigen System zu einem erwei‐ terten metasprachlichen Bewusstsein. Ein wichtiger Aspekt dieses metasprach‐ lichen Bewusstseins ist die erweiterte sprachvernetzte Wortsuche, bei der in zunehmendem Maße auf prozedurales und deklaratives Wissen auf L2 und Ln zurückgegriffen wird, L1 hingegen verliert seine Rolle als ausschließliche Trans‐ fersprache, was darauf zurückzuführen ist, dass L1 und L2 unterschiedlich er‐ worben worden sind (vgl. vorhergehendes Kapitel). Fehlererkennung und Ana‐ lyse im grammatischen Bereich sind bei mehrsprachigen SprecherInnen viel effektiver und zielführender (vgl. Gibson & Hufeisen 2003; Bialystok 2001). Außerdem neigen laut Jessner erfahrene SprachenlernerInnen zu größerer Ri‐ sikobereitschaft beim Sprachvergleich und Inferieren von Kognaten, da sie über eine erhöhte kognitive Kontrolle ihrer Sprachverarbeitungsprozesse verfügen. Auch in diesem Fall besteht Verbindung zum Sprachniveau. Cenoz postuliert unterschiedliche Sprachbewusstseinsniveaus, die sich auf die Organisation des mentalen mehrsprachigen Lexikons auswirken (vgl. Cenoz 2001, 2003). Eng mit CLIN und metasprachlichem Bewusstsein verbunden sind laut Jessner die sog. mehrsprachigen Kompensationsstrategien (Multilingual Compensatory Strate‐ gies, Jessner 2004: 87). Zu diesen Strategien gehören laut Poulisse Sprachenwechsel (Code-mixing), wörtliche Übersetzungen, Verfremdung, Beschreibung, Suche nach bedeutungs‐ ähnlichen Wörtern und Lehnübersetzungen. Dabei wechseln die Lernenden zu einem sog. Metamode ( Jessner 2004: 89; De Angelis & Selinker 2001), in dem die Sprachproduktion ständig monitorisiert und analysiert wird zum Zweck der Fehlersuche und Selbstverbesserung. Ist sprachliches Wissen nicht verfügbar, kommt es zu einem Ausgleichsverhalten, indem strategische Instrumente ein‐ gesetzt werden, um ein Gleichgewicht beizubehalten. Mehrsprachige LernerInnen können also laut Jessner auf ein Metasystem zu‐ rückgreifen (Interlanguage), das sich im Drittspracherwerb herausbildet und sich auf eine zweisprachige Norm beruft ( Jessner 2002: 131 und 61). Diese werden unter dem Begriff M-Faktor zusammengefasst (Multilingualism Factor) und sind keineswegs als gegebene Fähigkeiten und Kompetenzen zu verstehen, 94 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) sondern sie entwickeln sich, indem die Sprachsysteme miteinander interagieren im Sinne der Multicompetence. Je mehr also Sprachsysteme miteinander vernetzt werden, desto ausgeprägter ist der M-Faktor, was wiederum eine qualitative und quantitative Veränderung des gesamten Systems bedingt (ibid.: 221). Das MLA (Multilinguales Bewusstsein) entsteht eben aus diesem Kontakt der Systeme und setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen: MLA, dem sprachlichen Bewusst‐ sein, und XLA, dem zwischensprachlichen Bewusstsein. Letzteres, das Bewusst‐ sein der Interrelationen der Sprachen untereinander, impliziert die Fähigkeit, auf alles implizite und explizite, also prozedurale Wissen zurückzugreifen und Zusammenhänge festzustellen. Dabei können alle Sprachen als Brückenspra‐ chen, wenn auch in unterschiedlicher Form, fungieren. Eine Folge dieses erhöhten und erweiterten MLA ist, dass mehrsprachige Menschen laut Jessner eine besondere pragmatische Sensibilität aufweisen. Das heißt, sie können sich im Gespräch gut auf ihre Gesprächspartner einstellen, da sie über ein besonderes Gespür für pragmatische Feinheiten und Färbungen verfügen ( Jessner 2004: 106). Diese interaktionale Kompetenz befähigt mehr‐ sprachige Sprechende im mehrsprachigen Gespräch, auf das Sprachverhalten der Gesprächspartner angemessen zu reagieren und notfalls lenkend oder kor‐ rigierend einzugreifen. Darüber hinaus gewinnen sie durch ihr Gesprächsver‐ halten eine Vorbildfunktion und können, da sie für die Aufrechterhaltung und Entwicklung des Gespräches sorgen, das Gesprächsverhalten anderer positiv beeinflussen. Sie übernehmen die Funktion, zwischen Sprachen, Kulturen und Weltanschauungen zu vermitteln. Diese Mittlerfunktion ist aufgrund der besonderen Gegebenheiten in Südtirol sehr wichtig. Wie bereits im vorhergehenden Absatz erwähnt, findet sich hier eine für den Spracherwerb z.T. sehr problematische Situation. Die DLC (Domi‐ nant Language Constellation) ist üblicherweise Deutsch; Italienisch und Eng‐ lisch, Englisch folgt also auf Italienisch und ist demzufolge L3. Aufgrund der geschichtlichen Ereignisse und der daraus resultierenden Konsequenzen auf sprachlicher Ebene ergibt sich bei vielen SchülerInnen folglich eine als proble‐ matisch anzusehende Sprachkonstellation, da L2 (Italienisch) weitgehend ne‐ gativ behaftet ist, wie unter anderem auch aus der KOLIPSI-2-Studie der EURAC hervorgeht (2017). In der vorliegenden Studie ist zu zeigen, dass ein mehrspra‐ chiger Unterricht, der Italienisch nicht gesondert von anderen Sprachen behan‐ delt, sondern es integriert und durch diese Gleichbehandlung in seiner Funktion und seinem sozialen Prestige aufwertet, die subjektive Wahrnehmung der Sprachkonstellation einzelner Lernenden dahingehend positiv beeinflusst, dass Italienisch psychotypologisch und emotional anders empfunden wird und somit das metasprachliche Bewusstsein und sein Potenzial für den Sprachenerwerb 95 4.4 Psycholinguistische und soziolinguistische Aspekte der MKK 4 Das einfache Sprachmanagement betrifft die Sprachhandlungen und die entsprech‐ enden metasprachlichen Aktivitäten des Einzelnen und unterscheidet sich vom or‐ ganisierten Sprachmanagement. Letzteres betrifft das soziokulturelle Sprachmanage‐ ment innerhalb einer Gemeinschaft und seine Wichtigkeit für eine erfolgreiche Kommunikation innerhalb dieser ( Neustupní & Nekvapil 2003). und die kulturelle Begegnung besser ausgeschöpft werden kann. Ein wichtiges Instrument hierfür ist der mehrsprachige Aushandlungsprozess, weil unter an‐ derem durch die Mittlerfunktion mehrsprachiger Lernender die durch ge‐ schichtliche Ereignisse bedingte emotionale Trennung von Sprachen und Kul‐ turen durchlässiger werden. Die aufgezeigten Unterschiede zwischen einsprachigen und zweibzw. mehr‐ sprachigen Sprechern, die zunehmende sprachliche Vernetzung durch simul‐ tanen Sprachgebrauch bei beiden und der daraus resultierende Kompetenzzu‐ wachs sind im Rahmen einer Modellierung mehrsprachiger Kompetenz ein Erkenntnispool, der bei der Datenauswertung und Ausformulierung der Des‐ kriptoren zur MKK herangezogen werden kann, denn erst dieser ermöglicht die Analyse der vielfältigen mehrsprachigen Gesprächspraktiken. 4.5 MKK - Mehrsprachige Gesprächspraktiken und einfaches Sprachmanagement Die Verwendung mehrsprachiger Gesprächspraktiken wie Code-switching (CS), Code-mixing (CM), Translanguaging (TL) u. a. m. in sprachlich hetero‐ genen Gruppen ist eine kennzeichnende Praxis und verschafft Einblick in die Entwicklung der MKK. Im Falle der vorliegenden Studie konnte anhand von Audio- und Videoaufzeichnungen über einen Zeitraum von 7 Monaten beob‐ achtet werden, wie sich diese Praktiken und der Kompetenzzuwachs im Be‐ reich Mehrsprachigkeit bei den Lernenden der Recherchegruppe entwickeln. Die mehrsprachigen Gesprächspraktiken fallen größtenteils in den Bereich des einfachen Sprachmanagements 4 (Neustupný & Nekvapil 2003). Ge‐ meinhin wird angenommen, dass mit Sprachmanagement vor allem Fragen der sprachlichen Kompetenz gelöst werden. Es werden demzufolge im Dis‐ kurs sprachliche Probleme aufgegriffen und durch entsprechende Korrektur‐ maßnahmen gelöst. Allerdings umfasst das Forschungsgebiet ein viel umfas‐ senderes Spektrum an möglichen Interventionen. Diese beinhalten unterschiedliche kommunikative Phänomene sowie soziokulturelle und sozi‐ oökonomische Aspekte. Man versteht also darunter im weitesten Sinne all jene Aktivitäten metasprachlicher Art, die mit der Sprachproduktion zusammen‐ 96 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) 5 Da in der Fachliteratur definitorische Unklarheiten bestehen, ist bezüglich der Ver‐ wendung der Ausdrücke Code-Mixing, Code-Switching, Borrowing eine Erläuterung nötig. Code-mixing und Borrowing bezeichnen eine Kompensationsstrategie, auf die zurückgegriffen wird, wenn in einer Sprache die nötigen Ausdrucksmittel nicht zur Verfügung stehen. Code-swtching hingegen impliziert einen bereits strategischen Wechsel von einer Sprache in die andere. hängen, mit der Absicht, diese durch bewusste oder unbewusste Eingriffe zu regulieren. Als „Verhaltensmuster gegenüber Sprache“ (Fishmann 1975: 30) betrifft es die individuellen Merkmale des Sprachgebrauchs eines Indivi‐ duums in einer konkreten Interaktionssituation. Es kann sich sowohl mit Sprachvarietäten und Dialekten beschäftigen als auch mit der Verwendung mehrerer Sprachen im Diskurs. Dabei wird der Frage nachgegangen, nach welchen Kriterien und aufgrund welcher Bedürfnisse im Diskurs bestimmte Sprachen anderen vorgezogen werden, wie die Sprachwahl erfolgt und was sie beeinflusst. Fälle von Sprachmanagement oder gesprächsstrategischem Einsatz von Mehrsprachigkeit sind integraler Bestandteil des mehrsprachigen Diskurses. In den Aufzeichnungen soll ihre Funktion und Wichtigkeit für den Sprachlernprozess aufgezeigt werden. Mittels der diskursanalytischen Auswertung der mehrsprachigen Aushand‐ lungsprozesse konnten diese sprachlichen Phänomene in ihrer Funktion iden‐ tifiziert und als Indikatoren für den Erwerb von spezifischen Kompetenzen für den mehrsprachigen Diskurs herangezogen werden. In diesem Sinne können CS, CM und TL als Fenster bezeichnet werden, die Einblick verschaffen in Lern‐ prozesse und Kompetenzzuwachs im Bereich MKK, die sich bei den einzelnen Lernenden über einen längeren Zeitraum durch einen mehrsprachigen aufga‐ benorientierten Unterricht entwickeln. Dies gibt auch Aufschluss über die ver‐ änderte Einstellung einzelner Lernenden zu den verschiedenen Sprachen sowie über ihre Haltungen und Emotionen. 4.5.1 Code-switching Ein erstes bedeutendes Phänomen ist das Code-switching (CS) 5 . Darunter ver‐ steht man die Verwendung mehrerer Sprachen und Sprachvarietäten im Ge‐ spräch zwischen Menschen mit der gleichen Herkunftssprache oder unter‐ schiedlicher Herkunftssprachen und insbesondere den Wechsel von einer Sprache in die andere im Verlauf des Gespräches. Die Forschung hat CS lange Zeit als Sprachvermischung negativ bewertet und als ein Signal unzureich‐ ender sprachlicher Kompetenzen aus dem Unterricht ausgeschlossen. Dies geschah in der vermeintlichen Verteidigung eines sprachlichen Reinheitsge‐ 97 4.5 MKK - Mehrsprachige Gesprächspraktiken und einfaches Sprachmanagement botes, das es um jeden Preis zu erhalten galt. Aus soziolinguistischer Pers‐ pektive und aufgrund von Theorien zur sozialen Interaktion wurde jedoch bald klar, dass CS keine Sprachvermischung darstellt, sondern als kommuni‐ kative Strategie sowohl bewusst als auch unbewusst eingesetzt wird. Seitdem erfreut sich CS einer langen Forschungstradition (Auer 1998; Milroy & Mu‐ yskens 1995; Basnight-Brown & Altarriba 2007; Gardner-Chloros 2009a, 2009b) ,es wurde jedoch weiterhin weitgehend darauf zurückgeführt, dass Sprechende einen Sprachwechsel vornehmen, um einen temporären Wort‐ ausfall zu kompensieren. Dieses sog. Code-mixing wird heute als Kompensa‐ tionsstrategie aufgewertet und kann im mehrsprachigen Unterricht eine -Funktion einnehmen. Cook untersucht erstmals die pragmatischen Aspekte des CS im Fremdspra‐ chenunterricht (Cook 2001: 39, 1991: 132). Dabei stellt sich heraus, dass CS als strategisches Instrument in der mehrsprachigen Kommunikation dient. Es wird zwischen CS innerhalb des Satzes (intrasententiell), zwischen den Sätzen (ext‐ rasententiell) und satzunabhängigem CS unterschieden. Die Positionierung dient unterschiedlichen Bedürfnissen in der Kommunikation. CS kann pragma‐ tischer, metalinguistischer und sprachlicher Natur sein. Pragmatisches CS be‐ fähigt die Lernenden, die Konversation zu bearbeiten, die Rolle der Teilnehmer festzulegen oder einen impliziten Adressatenwechsel vorzunehmen zum Zweck der Aushandlung und Aufgabenverteilung oder für einen Themenwechsel. Es kann zudem herangezogen werden, um Informationen hervorzuheben oder um zu signalisieren, dass aus zweiter Hand berichtet wird. Häufig beobachtet werden beim pragmatischen CS Sprachwechsel bei Interjektionen, Heckenaus‐ drücken, kurzen Fragen, Gesprächseröffnung, Abschluss und Unterbrechungen. Metalinguistisches CS hingegen wird eingesetzt für Kommentare (auch in Form von Seitengesprächen), zur Besprechung sprachlicher Aspekte wie Grammatik, Syntax, Phonetik usw. Sie sind die häufigste Form von CS im Klassenzimmer und leiten oft zu einem Seitengespräch über, das sich auf formelle Aspekte be‐ zieht. Oft wechselt die Lehrperson zu L1 der Lernenden, um etwas verständlicher zu machen oder zu erklären, für einen metalinguistischen Einschub oder ganz einfach, um ein Wort zu übersetzen. Sprachliche CS signalisieren einen Hilferuf vonseiten des Sprechenden, der informell und implizit entweder Hilfe anbietet oder um Hilfe bittet. Dazu kommen unbewusste CS, deren Intention dem Be‐ obachter verborgen bleibt. Im letzteren Fall handelt es sich oft um Funktions‐ wörter, die keine besondere Relevanz in der Kommunikation einnehmen (Bono 2011a: 36 f., 43). Ungerer-Leitzke erwähnt eine besondere Form des CS, nämlich das informelle Dolmetschen (Ungerer-Leitzke 2008: 254) und meint damit die Praxis von Lernenden, schnell von einer Fremdsprache nach L1 zu übersetzen. 98 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) Dies kann aus unterschiedlichen Gründen geschehen, meistens jedoch wird übersetzt, um umständliche Erklärungen zu vermeiden und sich durch Über‐ setzung im Sinne der Sprachökonomie in der gemeinsamen Erstsprache oder der Lingua franca unmittelbar verständlich zu machen. Kognate fallen auch in diesen Bereich, ihre Übersetzung im Aushandlungsprozess ist laut Cummins ein Transferunterricht-Beispiel, um das Prinzip der konzeptionellen Interdepen‐ denz von Sprachen aufzuzeigen (Cummins 2009: 319). Besonders eignen sich dafür Sprachen, die genetisch in einem Verwandtschaftsverhältnis zueinander stehen, nicht aber unbedingt zur gleichen Sprachfamilie gehören. Im polyglotten Dialog können bei bestimmten Wortformen (darunter sind Internationalismen und Latinismen besonders hervorzuheben) die Interdependenz zwischen den Sprachen genutzt werden. So können Kognate durch das Instrument der „sieben Siebe“ abgeleitet werden. Bei zwei- und mehrsprachigen Menschen, bei denen die Sprachbeherr‐ schung teilweise nur funktional ist, ist CS oft dadurch bedingt, dass das sprachliche Wissen über bestimmte Themen in einzelnen Sprachen besser ausgeformt ist als in anderen. Da der Erwerb von Lebensumständen, Bedürf‐ nissen und sozialen Faktoren, Zweck und Umgebung abhängt, werden Spra‐ chen oft domänespezifisch erworben und die Sprachbeherrschung ist in Teilen unterschiedlich gut ausgeprägt (Grosjean 2008: 39; Herdina & Altarriba 2001: 165). Weitere ausschlaggebende Aspekte bei der Wahl der Sprachen sind laut Bono in erster Linie Psychotypologie, Sprachbeherrschung und zeitliche Nähe des Sprachgebrauchs. Aber es wirken auch Aspekte wie Kognition, Lerner‐ profil, Grad der Aufmerksamkeit und Kontrolle, Einstellungen und Selbst‐ wahrnehmung, erzieherische Zwänge, Lernumgebung, Lernerfahrungen bzw. Ziele und Erwartungshaltung der Lehrpersonen (Bono 2011a: 30 vgl. auch Scheu 2000). CS ist besonders beliebt unter Jugendlichen und in eher infor‐ mellen Kontexten, sofern die Sprachen nicht zueinander in Konkurrenz sehen (Franceschini 2009: 46 f.). 4.5.2 Language Mode und Sprachwechsel Grosjean postuliert in Bezug auf CS den Language Mode als ein Kontinuum, entlang dessen Sprachen auf unterschiedlichen Niveaus aktiviert und deakti‐ viert werden können. Es handelt sich dabei um einen Beschreibungsversuch der Beschaffenheit des Sprachverarbeitungsmechanismus’ bei zwei- und mehrsprachigen Menschen zu einem gegebenen Zeitpunkt (Grosjean 2001: 3). Laut Grosjean wählen Sprecher eine Ausgangssprache, im Normalfall die am häufigsten aktivierte, und aktivieren oder deaktivieren je nach Bedarf andere 99 4.5 MKK - Mehrsprachige Gesprächspraktiken und einfaches Sprachmanagement Sprachen. Dabei ist die Häufigkeit der Aktivierung auch davon abhängig, auf welcher Ebene des Language-Mode-Kontinuums sich die jeweiligen Sprachen und ihre Verarbeitung befinden. Der Language Mode kann sich verändern und die Aktivierung der unterschiedlichen Sprachen durch gezieltes Üben geför‐ dert werden, was umgekehrt bedeutet, dass der Sprachverarbeitungsprozess sich verändert und komplexer wird, indem die mehrsprachige Verarbeitung gefördert wird. Die Frage nach einem qualitativen Unterschied zwischen zweisprachigem und mehrsprachigem CS wird von Edwards & Dewaele mit Nein beantwortet. Es handele sich lediglich um einen quantitativen Unterschied, da bei mehrspra‐ chigem CS die gleichen Techniken angewendet werden, jedoch die Anzahl der zur Verfügung stehenden Sprachen größer ist und demzufolge auch die Vernet‐ zungs- und Wahlmöglichkeiten (Edwards & Dewaele 2007: 225/ 235). Dawaele & Pavlenko nehmen das von Cook entworfene Konzept der Multicompetence ( Cook 1991: 125 f.), auf und erweitern dessen Definition im Sinne der dynami‐ schen Systemtheorie nach Herdina & Jessner: It is in a constant state of flux both within and between individuals (two persons will never have isomorphic multicompetence). Metaphorically one could compare the languages in contact in the individual’s mind to two liquid colours that blend unevenly, that is, some areas will take on the new colour resulting from the mixing, but other areas will retain the original colour, while yet others may look like the new colour, but a closer look may reveal a slightly different hue according to the viewer’s angle. Multicompetence should be seen as a never-ending, complex, nonlinear dynamic pro‐ cess in speaker’s mind. This does not mean that parts of the system cannot be in equilibrium for a while; but a change in the environment, i.e., a change in the linguistic input, may cause widespread restructuring with some ‘islands’ remaining in their original state. (Dewaele & Pavlenko 2003: 137) Versteht man Mehrsprachigkeit in diesem Sinne als einen dynamischen, sich ständig verändernden Prozess (cf. 4.4.2.), so kann auch das Verständnis von CS in seinem Umfang und seiner Wirksamkeit um vieles erweitert werden. CS zeugt demzufolge von einem kreativen Umgang mit sprachlichen Normen. Mit an‐ deren Worten: CS setzt ein sehr hohes Niveau an Sprachgefühl und Bewusstheit voraus. So ist es bei fast allen CS möglich, besondere Intentionen und Strategien der SprecherInnen zu erkennen und subtile, auf das soziolinguistische Umfeld 100 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) 6 Green und später Grosjeans Modell der Language Modes führen CS darauf zurück, dass Sprachen bei mehrsprachigen Menschen nicht ein und aus geschaltet werden, sondern unterschwellig auf unterschiedlichen Niveaus immer aktiv bleiben. Wobei Grosjean eine Sprache identifiziert, die zu einem höheren Grad aktiv ist und andere Sprachen, die auf unterschiedlichen Niveaus aktiviert werden können. Die Aktivierung erfolgt weitgehend unbewusst (Green 1998; Grosjean 1989; Grosjean 2001: 3; Grosjean 2007 : 445-448). Der Language Mode ändert sich auch mit den Gesprächspartnern und passt sich an. Wenn also ein mehrsprachiger Mensch mit einem einsprachigen spricht, wird sich ersterer auf einen einsprachigen LM einstellen (Dewaele 2010: 193). Ebenso kann die Sprachaktivierung sich auf unterschiedliche Sprachkonstellationen einstellen. abgestimmte Begründungen zu finden (vgl. Franceschini et al. 2004; Gafaragna 2009; Aronin & Singleton 2012; ). 6 Der Prozess der mehrsprachigen Interaktion, so Jessner/ Allgäuer-Hackl (2015), ist als eine alltagsweltliche Form der Kommunikation zu verstehen, in der neue Eigenschaften und Fähigkeiten mehrsprachiger Lernenden zutage treten. CS gehört somit zu den Transferleistungen und werden als Strategie verstanden, die vielfältig eingesetzt werden können. CS-Praktiken inkludieren auch Varietäten und Dialekte (cf. 6.1.), was international üblichen Kommuni‐ kationssituationen entspricht und leider im Unterricht kaum Beachtung findet oder sogar als unangemessen oder fehlerhaft unterbunden wird. Dadurch dass diese Form der Kommunikation auch unterschiedliche Erstsprachen und Dia‐ lekte im Unterricht mit einschließt, mobilisiert sie auch Ressourcen, auf die üb‐ licherweise nicht zurückgegriffen wird ( Jessner & Allgäuer-Hackl 2015: 213 f.). So ist z. B. L1 für viele Sprechende die Sprache der Emotionen und ein CS kann in diesem Sinne zur Erweiterung des emotionalen Spektrums führen. Das Ver‐ ständnis des Spracherwerbs als komplexes System setzt voraus, dass komplexe Interaktionssituationen in Anlehnung an die mehrsprachige Alltagskommuni‐ kation im Klassenzimmer simuliert werden, da auch im Unterricht kein Sprach‐ system getrennt von den anderen betrachtet werden darf. CS im Klassenzimmer legt die Koexistenz verschiedener Kommunikations‐ rahmen offen. Edmondson bezeichnet diese Koexistenz als World-switching (Edmondson 1985, 2004). Diskursanalytisch betrachtet stellen diese Rahmungen das Nebeneinander von sehr unterschiedlichen kommunikativen Welten und sozialer Rollen dar. Besonders klar wird dieser Unterschied beim CS der Lehr‐ person im Klassenzimmer. CS kann den Wechsel von der Lehrerrolle in die in‐ stitutionelle Rolle bezeichnen und legt somit die Koexistenz dieser beiden im Klassenzimmer verborgenen Welten offen (Edmondson 2004: 162). Die Verwen‐ dung der Fremdsprache in der Lehrerrolle wird allgemein für den Lernprozess als wichtig erachtet. Bei Mitteilungen institutioneller Natur hingegen hat das Verständnis höchste Priorität, weshalb es als zulässig gilt, auf L1 zurückzu‐ 101 4.5 MKK - Mehrsprachige Gesprächspraktiken und einfaches Sprachmanagement 7 Der Begriff Language Crossing wird im Zusammenhang mit Translanguaging von Rampton (Rampton 2007) als Sprachwechsel zwischen SprecherInnen einer Gruppe definiert, die sich nicht zur Gruppe zugehörig fühlen. L2 (die Sprache der Gruppe) wird daher mit L1 alterniert, um diese Abgrenzung auch sprachlich sichtbar zu machen. Der Aspekt des Language Crossing ist in diesem Projekt wichtig, da bei der Datenerhebung ein solches Phänomen beobachtet werden konnte. Die Begriffe Polylingual Languaging ( Jòrgensen 2008) und Metrolingualism (Pennycook, 2010) werden hingegen weitgehend synonym zu Translanguaging benutzt. greifen. Genauso können Lernende sog. multifunktionelle Äußerungen dazu nutzen, z. B. MitschülerInnen halblaut die Antwort auf von der Lehrperson ge‐ stellte Fragen zu geben und gleichzeitig die Lehrperson darüber zu informieren, dass sie die Antwort wissen. In diesem Falle überlagern sich zwei kommunika‐ tive Absichten, es überlagern sich demnach zwei Realitäten, Edmondson spricht von Superimposed Discourse Worlds (ibid.: 163). CS legt diese parallelen Diskurs‐ welten offen, die unabhängig vom Diskurs des tatsächlichen Unterrichts exis‐ tieren und unterschiedliche soziale Funktionen übernehmen. Der Begriff Translanguaging (TL) wurde vom walisischen Pädagogen Cen Williams bereits 1996 geprägt und dann von der Mehrsprachigkeitsforschung übernommen und erweitert (Garcìa & Kleyn 2016a/ b; Garcìa 2014; Cenoz & Gorter 2015). Translanguaging setzt voraus, dass die Sprachen mehrsprachiger Sprecher keine getrennten Systeme sind. Mehrsprachige Sprecher wählen hoch flexibel Aspekte der einen oder anderen Sprache aus, um angemessen und ef‐ fektiv zu kommunizieren (Velasco & Garcìa 2014). Es gibt demzufolge einen graduellen Unterschied zwischen CS und TL. Bei CS wird angenommen, dass die Sprachsysteme zwar vernetzt sind, aber sich nicht vollständig überlappen. TS setzt hingegen ein einziges mehrsprachiges Sprachensystem voraus (Álvarez et al. 2015: 65). TL gehört zum sprachlichen Repertoire zweibzw. mehrspra‐ chiger Menschen und kann je nach Umfeld und Intention eingesetzt werden. 4.5.3 Translanguaging Translanguaging  7 wird von Busch als die Fähigkeit definiert, vorgelernte kom‐ munikative Kompetenzen zu nutzen und miteinander zu vernetzen, um (neue) Bedeutung zu schaffen. Dabei ist die Bedeutungsgebung abhängig vom kom‐ munikativen Kontext und von der Intention der Sprecher. Es werden dadurch Räume geschaffen für Kreativität und persönlichen Umgang mit Sprachstruk‐ turen und Bedeutung. Gleichzeitig setzt diese Form der Sprachpraxis kritisches Hinterfragen des vorgelernten Welt- und Sprachwissen voraus. Denn will man mit Normen und Regeln frei umgehen, vielleicht sogar sich darüber hinweg‐ 102 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) setzen, so müssen diese Normen, Regeln und Bedeutungen erst einmal erkannt, kritisch beleuchtet und hinterfragt werden (Busch 2013: 58; Li Wei 2011). Für Aronin & Singleton und Hornberger & Link (Aronin & Singleton 2012: 154; Hornberger & Link 2012: 265) bedeutet TL, sich zwischen Sprachstrukturen und Bedeutungen zu bewegen, aber auch jenseits derselben. Durch TL werden soziale Räume geschaffen, in denen Mehrsprachigkeit ihre verschiedenen Di‐ mensionen, Erfahrungen und Haltung in einer abgestimmten und in sich schlüs‐ sigen und sinnvollen Ausführung ausdrücken kann. Es handelt sich daher also keineswegs um Sprachvermischung oder fehlende Sprachdifferenzierung (Aronin & Singledon 2012: 154), sondern um eine Ressource, eine Kompetenz, durch die mehrsprachige Sprechende fähig sind, in einem Prozess der ständigen Entscheidungsfindung mehrsprachige Mittel einzusetzen, um spezifische kom‐ munikative Wirkungen zu erreichen. Folglich setzt TL ein hohes Maß an Sprach‐ sensibilität voraus, einhergehend mit einem höchst differenzierten Wissen um Sprachstrukturen und deren Anwendung (Garcia & Wei 2014: 89). Im Translanguaging werden z.T. völlig heterogene sprachliche Elemente zu‐ sammengebracht, in ihrer Funktion entfremdet und einem neuen Bedeutungs‐ feld zugeordnet. In der aktiven Sprachproduktion kann das vom einfachen Zitat bin hin zur ironischen bzw. parodierenden Distanzierung gegenüber geläufigen sozialen oder ethnischen Annahmen führen. Stereotypen und Kategorisie‐ rungen aller Art werden translingual leichter aufgeworfen und thematisiert und auch auf sprachlicher und diskursiver Ebene hinterfragt. Dadurch kann das Subjekt sich laut Bausch selbst positionieren in einem mehrsprachigem sozial markierten Umfeld. Durch TL nutzt es die vielfältigen sprachlichen Ressourcen, die ihm zur Verfügung stehen, um Identität zu konstruieren (Busch 2013: 59). Das Fluktuieren zwischen den Sprachen kann durch ein gezieltes Unter‐ richtsdesign gefördert werden, um das metasprachliche Bewusstsein zu stei‐ gern. Es entspricht dem natürlichen Sprachverhalten im Alltag und ermöglicht es den Lernenden, eine Verbindung zwischen der sozio-kulturellen Gemein‐ schaft und sprachlichen Domänen herzustellen. Mit anderen Worten: Es werden Haltungen verändert und Lernende können sich so auch im Klassenzimmer durch natürlichere Umgangsformen im Umgang mit einer polyglotten und transkulturellen Realität üben. Guerra spricht in diesem Zusammenhang von Transcultural Repositioning, der Fähigkeit also, sich zwischen Sprachen, Dia‐ lekten, unterschiedlichen sozialen Diskursen und auch künstlerischen Aus‐ drucksformen ohne Anstrengung bewegen zu können. Dieses Transcultural Re‐ positioning kann in der heutigen Gesellschaft, die Guerra als „fluid and hybridized“ bezeichnet (Guerra 2004: 15), als Grundvoraussetzung für erfolg‐ reiche Kommunikation und des sich Positionierens des Individuums in seiner 103 4.5 MKK - Mehrsprachige Gesprächspraktiken und einfaches Sprachmanagement Einzigartigkeit in einer Welt der Perspektivenvielfalt, in der die Grenzen unter‐ schiedlicher Denkweisen aufgebrochen werden, angesehen werden (ibid.: 8). Diese wichtige strategische Fähigkeit kann zu MMK gezählt werden, sie setzt eine rhetorische Geschicklichkeit voraus, die im Unterricht zu vermitteln drin‐ gend vonnöten ist. Damit CS und TL im Unterricht einen zentralen Platz einnehmen können, bedarf es laut Dewaele (Dewaele 2010: 222) interaktionaler Unterrichtssettings, die Gelegenheiten für weitgehend unkontrollierte Sprachproduktion bieten. Laut Dewaele steigt die Häufigkeit von CS und TL in solchen Situationen er‐ heblich und bietet den Lernenden die Möglichkeit, Versuche zu unternehmen, sich über ihr aktuelles Sprachkompetenzniveau hinaus zu wagen und neue Wege zu beschreiten, da hier die Korrektheit zugunsten von kommunikativen Anfor‐ derungen zurücktritt. Als besonders geeignet angesehen werden Aushand‐ lungsprozesse, in denen Lernende zusammenarbeiten und Bedeutung aushan‐ deln. Bedeutungskonstruktion kann so mehrsprachig und sprachübergreifend erfolgen (Bono 2011a: 32; Bono & Melo-Pfeifer 2011b: 293). Dabei spielen kon‐ textuelle Faktoren wie Sprachkompetenz, empfundene Emotionalität des Ge‐ spräches, Intention der Sprechenden und Autorität und Prestige der einzelnen Sprachen eine nicht minder wichtige Rolle (vgl. Pavlenko 2005: 147). 4.5.4 Code-mixing Unter Code-mixing versteht man, wie bereits erwähnt, den intrasententiellen Sprachwechsel nach L1. Dabei werden einzelne Wörter übersetzt, die gerade in L2/ Lx nicht abrufbar sind. Es kommt in sprachlich heterogenen Gruppen vor, die eine gemeinsame sprachliche Herkunft haben. Es kommt immer dann zum Einsatz, wenn im Prozess des Erlernens einer Sprache im mündlichen Ausdruck grammatikalische Wendungen oder einzelne Wörter aus L1 herangezogen werden, um eine vorübergehende Ausdrucksunfähigkeit in L2/ Lx zu überbrü‐ cken. Aus diesem Grund kann CM als wichtige Strategie im Fremdsprachener‐ werb betrachtet werden. Denn dadurch ist es den Lernenden möglich, ohne Un‐ terbrechungen und komplizierte Umschreibungen den fremdsprachigen Diskurs fortzuführen. Außerdem übernimmt CM häufig eine Scaffolding-Funk‐ tion, da es vielfach die Lernenden erst zu einem komplexen fremdsprachigen Diskurs befähigt. Die Häufigkeit von CM hängt vom Kompetenzniveau der Lernenden ab. Das bedeutet, dass mit steigendem Kompetenzniveau sich das CM von selbst reduziert (Muysken 2000). 104 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) 4.6 MKK und Emotion Laut Pavlenko (Pavlenko 2005: 81) werden Emotionen als durch Erfahrung er‐ worbene und innerhalb einer bestimmten Sprache und Kultur kodifizierte Mo‐ mente bezeichnet, die als autobiographische Erinnerung festgehalten werden und - mit bestimmten somatischen Zuständen verbunden - im limbischen System und insbesondere in der Amygdala und in der vorderen Cyngulate Gyrus gespeichert werden. Daraus ergeben sich Handlungsmuster/ Scripts, die im pro‐ zeduralen Gedächtnis verankert bleiben (vgl. Damasio 1994, 2003). Die enge Verbindung zwischen Emotion und Sprache wurde zuerst von Weinreich untersucht, der feststellt, dass zweisprachige Menschen unterschied‐ liche Gefühlsbindungen zu den verschiedenen Sprachen ihrer Repertoires haben. Im Falle von Migration ist die emotionale Komponente von Sprachpro‐ duktion besonders relevant. Die Sprache des Gastlandes ist mit anderen Ge‐ fühlen als die Erstsprache behaftet, was zu Konfliktsituationen und zur Unter‐ drückung einer der beiden Sprachen führen kann, meistens ist es die Herkunftssprache wegen ihres geringen sozialen Stellenwertes (Weinreich 1953; vgl. auch Middleton 1989). Der Begriff der Sprachloyalität kommt in diesem Zusammenhang laut Pavlenko (Pavlenko 2005: 36) zum Tragen, da es loyali‐ tätsbedingt zu Resistenzen im Transfer kommen, welche sich wiederum hem‐ mend auf jeden weiteren Spracherwerb auswirken können. 4.6.1 Sprachen erfassen Emotionen unterschiedlich Sprachen erfassen Emotionen unterschiedlich und es gibt große Differenzen in der Bandbreite der Beschreibungen emotionaler Zuständen. Gemeinhin wird nicht davon ausgegangen, dass kulturbedingt durch Emotionen hervorgerufene körperliche Reaktionen einfach ausfallen, sondern dass diese in sehr unter‐ schiedliche Auffassungen von inneren Zuständen und deren Bedeutung über‐ setzt werden (Pavlenko 2005: 88). Angesichts dieser zwischensprachlichen Un‐ terschiede liegt die Annahme nahe, dass zweibzw. mehrsprachige Menschen eine Vielfalt von Emotionsdefinitionen in ihrem mentalen Lexikon zur Verfü‐ gung haben, die sich auf ihr emotionales Leben auswirken (ibid.: 92). Außerdem stehen ihnen in der Konstruktion des Diskurses inner- und zwischensprachliche Ausdrucksmittel zur Verfügung, die in der Aushandlung sozialer und emotio‐ naler Gegebenheiten und von Machverhältnissen eine wesentliche Rolle spielen (ibid.: 114). Laut Pavlenko bilden sich aufgrund der unterschiedlichen affektiven sprachlichen Repertoires sog. Affective Personae in den verschiedenen Sprachen heraus. Das heißt, die SprecherInnen übernehmen sprachspezifische emotionale 105 4.6 MKK und Emotion Rollen, die sehr unterschiedlich ausfallen können (ibid.: 118), da Emotionen un‐ terschiedlich wahrgenommen und vermittelt werden. Diese Affective Personae können je nach individueller Sozialisationsgeschichte und Sprachlernerfahrung miteinander vernetzt sein oder auch nicht. Ein gleicher oder ähnlicher kultureller Hintergrund bedeutet demzufolge eine ähnliche Kodierung von Emotionen und eine daraus resultierende Überlappung der Gesprächserfahrungen, dies wiederum wirkt sich synchronisierend auf die Kommunikation aus. So sind etwa Intonation oder die Dauer von Sprechpausen aufeinander abgestimmt: Das Gespräch ist synchronisiert, denn es werden die‐ selben Annahmen über die Gesprächsstrategien geteilt. Findet die Kommuni‐ kation hingegen unter Voraussetzung verschiedener kultureller und kommuni‐ kationsstrategischer Hintergründe statt, können die Wahrnehmungen über ein korrektes und angemessenes Verhalten sehr unterschiedlich sein und es kommt folglich zu Missstimmungen im Gespräch. Nur ein sprachlicher Transfer auch auf pragmatischer und kommunikationsstrategischer Ebene kann, vor allem bei der Mitteilung emotionaler Inhalte, Missverständnisse aus den Weg räumen, indem die sprachliche und kulturelle Vorgeschichte des anderen wahrge‐ nommen und anerkannt wird (Gumperz 1982: 123). Ausdruck von Emotionen ist demzufolge kulturspezifisch und folgt einem genau kodierten Angemessen‐ heitsprinzip. Diese affektiven Repertoires beeinflussen sich jedoch, so Pavlenko (Pavlenko 2012: 410 f.) durch CLIN gegenseitig, wodurch neue Konzepte und mentale Skripts entstehen. Die sprachliche Rahmung kann sich bei längerem Gebrauch auch zugunsten der neuen dominanten Sprache ändern (vgl. auch Òzańska-Ponikwia 2013; Panayioutou 2004a/ b). Dieses kooperative Prinzip in der Kommunikation (vgl. Grice 1975) kann aber auch bewusst außer Kraft gesetzt werden. In diesem Fall wird CS nicht einge‐ setzt, um ein Argument verständlich für alle zu entwickeln, sondern um Emo‐ tionen freien Lauf zu lassen. Das Prinzip der Verständigung wird in diesem Falle zugunsten des unmittelbaren Ausdrucks emotionaler Befindlichkeiten hintan gestellt. CS erfolgt hier fast ausschließlich nach L1, da sich für die meisten zweibzw. mehrsprachigen Menschen das Mitteilen der eigenen Emotionen und Ge‐ fühle in einer L2 bzw. Lx nicht authentisch anfühlt. Dahinter liegt die Annahme, dass das Übertragen von Emotionen von einer Sprache auf die andere mit einem Sozialisationsprozess in der L2/ Lx verbunden ist und nicht unmittelbar erfolgen kann. Erst durch das Sich-Herausbilden einer neuen Sprachrolle kann sich das emotionale Repertoire erweitern und als solches agieren, ohne dass im Sprecher das Gefühl der Künstlichkeit entsteht (Pavlenko 2005: 134). Es muss also auch zu einem affektiven Sprachtransfer kommen, damit Emotionen in L2/ Lx ausge‐ drückt werden können. 106 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) 8 Pavlenko vertritt die Auffassung der kognitiven Bewusstseinstheorie von Scherer (Scherer 2009), wonach Emotion und Kognition miteinander verbunden sind und es fünf Subsysteme für emotionale Prozesse gibt: „Affective processing is somatovisceral responses triggered by automatic appraisal of verbal stimuli, which may or may not register as subjecitve feeelings at the level of higher cognition.“ (Pavlenko 2012: 409) 4.6.2 Die gefühlsbedingte Sprachentlehnung Das Phänomen des Affective Borrowing gefühlsbedingter Entlehnungen (Pav‐ lenko 2005: 36) beschreibt hingegen die Entlehnung einzelner Wörter aus einer Fremdsprache mit dem Ziel, emotionalen Zuständen Ausdruck zu verleihen. Im Gegensatz zum CS handelt es sich hier um einzelne L2-Lx Wörter, die oft wie‐ derholt in einen L1-Diskurs eingebaut werden. Dabei wird ein besonderer kom‐ munikativer Effekt der Entfremdung erzielt. Diese Entfremdung ermöglicht es, vom Gesagten Abstand zu gewinnen und es kritisch zu hinterfragen, da der automatisierte Sprachgebrauch von L1 unterbrochen wird und es zu einer Stö‐ rung im reibungslosen Gesprächsablauf kommt. Diese Störung zwingt zum In‐ nehalten und Reflektieren über die Gesprächssituation und die Bedeutung der verwendeten Wörter bzw. Fremdwörter. Durch diesen Moment der Reflexion und des Vergleichs werden Bedeutungsebenen und Färbungen freigelegt, die anderenfalls ohne Berücksichtigung blieben. Andererseits werden durch die ge‐ zielte Verwendung von Fremdwörtern Bedeutungsnuancen einzelner Wörter genutzt und dadurch ein Effekt der Bedeutungserweiterung des Diskurses er‐ zielt (vgl. Schülerauswertung). Pavlenko beschreibt dieses sprachliche Phä‐ nomen mit „disembodied cognition“ 8 (Pavlenko 2012: 424). Das heißt, dass die Kognition sich durch das Phänomen des Affective Borrowing vom Körperlichen trennt und somit auch vom unmittelbar Emotionalen und Gefühlsbedingten, das später gelernte Sprachen nicht so stark emotional codiert wie L1. Es kommt durch den Sprachwechsel zu einer vorübergehenden Trennung zwischen Kog‐ nition und Emotion, wodurch Raum geschaffen wird für den bewussteren Um‐ gang mit beidem und, im Idealfall für ein kritisches Hinterfragen derselben. Aus den Schülerauswertungen geht hervor, dass in diesem durch sprachliche Ent‐ fremdung entstandenen Freiraum nicht nur die kritische Reflexion über die ei‐ genen Emotionen und Denkprozesse angeregt wird, sondern auch Platz für den kreativen Umgang mit Sprache gegeben ist und dass ein Prozess der Bedeu‐ tungserweiterung stattfinden kann. Emotionale Ausdrücke können also mehrfach kommunikativ genutzt werden. Einerseits wird das Repertoire an emotionalen Ausdrücken und der Wahrnehmung von Gefühlen in einer Sprache durch das Hinzukommen von Emotionsausdrücken in anderen Sprachen ergänzt, wie z. B. das englische Wort 107 4.6 MKK und Emotion excited in der deutschen Sprache nicht kodiert ist (Pavlenko 2005: 139 f.). Um‐ gekehrt kann es zu einem Entfremdungseffekt kommen, durch den die Sprech‐ enden die Intensität der Emotionen abschwächen können, z. B. bei der Verwen‐ dung von Schimpfwörtern. Mehrsprachige SprecherInnen kombinieren Sprachen und Gefühlsausdrücke kreativ und es kann ein emotionaler Sprach‐ transfer erfolgen. Es werden Sprachgrenzen aufgebrochen und kreative neue Vernetzungen hergestellt. Zwei- und mehrsprachige SprecherInnen bedienen sich eines mehrsprachigen affektiven Repertoires, das strategisch eingesetzt wird. Dabei spielt nicht immer die Kommunikationsabsicht eine zentrale Rolle. Es wird von ProbandInnen immer wieder darauf hingewiesen, dass die persön‐ liche Genugtuung und Bedürfnisse hier eine große Rolle spielen. Mehrsprachige Sprecher greifen aus verschiedensten Gründen auf unterschiedliche Sprachen zurück, dazu gehören: Ausübung von Autorität, Prestige der Sprache, sich ab‐ sichtlich unverständlich machen, Selbstkontrolle, Sprachübung, wahrgenom‐ mene Emotionalität der Sprache(n) (ibid.: 140). Unausgesprochene Angemes‐ senheitsregeln in den verschiedenen Sprachen können dabei respektiert, aber auch gebrochen werden. 4.6.3 Die affektive Sozialisation Durch unterschiedliche Sozialisationsfaktoren ist die Sprache der Emotionen bei mehrsprachigen Menschen in den verschiedenen Sprachen unterschiedlich aus‐ gebildet, da sich die Form der Sozialisation auf das emotionale Repertoire aus‐ wirkt. Koven (2004) erläutert diesen Umstand anhand Linda, die Portugiesisch/ Französisch aufgewachsenen ist. Beim Erzählen der gleichen persönlichen Ge‐ schichte ist die Darstellung ihrer Emotionen in den beiden Sprachen so unter‐ schiedlich, dass man als Zuhörer eine andere Person dahinter vermuten könnte. Daraus folgert Koven, dass die Sprecherin durch ihre Mehrsprachigkeit nicht nur Zugang zu unterschiedlichen sprachlichen Strukturelementen hat, sondern auch zu unterschiedlichen Rollen, zu unterschiedlichen Aspekten ihrer Persön‐ lichkeit. Zusätzlich zum sprachlichen Repertoire steht ihr also auch ein Rollen‐ repertoire zu Verfügung (Koven 2004: 84). Beim Erzählen spielen Emotionsausdrücke eine nicht unbedeutende Rolle. Erst durch diese entsteht im Zuhörer eine komplexes und anregendes Bild dessen, was erzählt wird (Bruner 1968: 26). Dies setzt Ambiguität voraus und lässt den Zuhörer Dinge erahnen und Hypothesen aufstellen. Besonders in der Bildsprache sind Gefühlsausdrücke und das Spiel mit Emotionen ein konstitu‐ ierendes Element der Diskurskonstruktion. Sie sind Teil des Paradigmas der Imagination oder Intuition. In der Narrativik Bruners sind diese Voraussetzung 108 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) für „good stories, gripping drama, believable (though not necessarily „true“) his‐ torical accounts“ (ibid.: 13). Das Vorhandensein sprachlicher Instrumente für den Ausdruck von Emotionen ist meistens in der L1 am besten ausgebildet, hängt aber auch vom Sozialisations- und Lernkontext ab. Bekanntlich wird diesem Aspekt des Spracherwerbs im herkömmlichen Sprachunterricht kein Platz ein‐ geräumt, daher stehen L2- und Lx-Lernenden weder die pragmatischen noch die sprachlichen Mittel zur Verfügung, um einen emotionalen Diskurs zu führen und Techniken des Erzählens zu meistern. Das hat zur Folge, dass L2/ Lx-Geschichten für den Zuhörer weder interessant noch verlockend sind, da kein mentales Bild von den Gegebenheiten geformt werden kann und es zu keiner emotionalen Resonanz kommt. Folglich wird die Aufmerksamkeit des Hörers/ Lesers nicht gefesselt, sondern auf anderes gelenkt (Pavlenko 2005: 144; Dewaele 2010: 6 f.). Durch mehrsprachige Aushandlungsprozesse wird der mehrsprachige Dis‐ kurs initiiert und geschult. So kann Sensibilität für Angemessenheit emotionaler Äußerungen in verschiedenen Sprachen gefördert werden, und umgekehrt wird durch den mehrsprachigen Austausch auch die Sensibilität für die emotionale Befindlichkeit des anderen geschult, indem die Modulierung mehrsprachigen Sprachverhaltens beobachtet und interpretiert wird. Dewaele spricht von einer Affective Socialisation und betont, dass im Fremdsprachenunterricht Affekt und Emotion eine dominantere Rolle einnehmen sollten, damit die Lernenden lernen, in unterschiedlichen transkulturellen Kontexten damit umzugehen, indem sie sich ein mehrsprachiges Repertoire der Emotionen und Gefühle an‐ legen und auch noch so scheinbar geringe Unterschiede, die in ihrer Wichtigkeit keinesfalls unterschätzt werden dürfen, differenziert erkennen und gegebenen‐ falls ausagieren (Dewaele 2010: 144). Es soll hier keineswegs unterschätzt werden, dass Lernende, die aufgrund ihrer unterschiedlichen Sozialisation in einzelnen Sprachen nicht gleich leis‐ tungsstark sind bzw. nur funktionale Kenntnisse einer oder mehrerer Sprachen haben, in einem mehrsprachigen Aushandlungsprozess vor große Herausfor‐ derungen gestellt werden. Zwei- und mehrsprachige Lernende brauchen sich nur in geringem Maße um Aspekte der Wortwahl und Korrektheit zu kümmern, der Sprachproduktionsprozess ist weitgehend automatisiert und verläuft unbe‐ wusst, Inhalte können so in den Vordergrund gestellt und der Aushandlung und Argumentation mehr Gewicht gegeben werden. Vorwiegend einsprachig sozi‐ alisierte Lernende sind noch mehr mit Aspekten der Struktur und Korrektheit beschäftigt, mit der Suche nach dem richtigen Wort. Außerdem fällt ihnen bild‐ liches Sprechen nicht immer leicht, was häufig zu Unterbrechungen führt und das Gespräch in seinem Verlauf oft holprig erscheinen lässt. Besondere Schwie‐ 109 4.6 MKK und Emotion rigkeiten bereiten die Darstellung von Emotionen, da oft die begriffliche Vor‐ stellung nicht vollständig ist. Metaphern spielen laut Gibbs (vgl. Gibbs 2002a: 103; Gibbs et al. 2002b: 127) bei der Vermittlung emotionaler Inhalte und Be‐ deutungsfeinheiten eine wichtige Rolle und werden von L1-Sprechern und mehrsprachigen Sprechern zur Nuancierung eingesetzt. Dieser facettenreiche Bereich des symbolischen Sprachgebrauchs und der Metapher in mehreren Sprachen bleibt einem einsprachig sozialisierten Lernenden weitgehend ver‐ schlossen. Es hat sich aber gezeigt, dass durch die Bildung heterogener Arbeits‐ gruppen, in denen mehrsprachige mit einsprachigen Lernenden während der Aushandlungsprozesse zusammenarbeiten, ein Lernprozess eingeleitet wird, in dem das Bewusstsein für das Potential mehrsprachiger Bedeutungsfindung und mehrsprachiger emotionaler (Selbst)darstellung geweckt wird und ansatzweise neue Räume des sprachlichen Ausdrucks erschlossen werden. Es wird ihnen die Möglichkeit gegeben, neuen Ausdrucksmöglichkeiten für Gefühle und Emoti‐ onen zu finden, die es so in ihrer L1 nicht gibt. So können sich auch Haltungen und Einstellungen, die aufgrund persönlicher Erfahrungen oder durch familiäre bzw. soziale Umstände übernommen wurden, im Laufe dieses Lernprozesses verändern. Ringbom beweist, dass Lernhaltungen der einzelnen Lernenden durch geschichtliche, politische und sprachliche Um‐ stände geformt werden und keineswegs als statisch betrachtet werden sollen. Bei der Wahl der zu lernenden Sprachen spielen unbewusst und bewusst soziale, politische, genderspezifische Faktoren eine Rolle, aber auch die Vorstellung, die die Lernenden von der eigenen Zukunft haben (Ringbom 2001: 63; Pavlenko 2005: 234; Dewaele 2010: 141). Das enge Zusammenspiel zwischen Sprache und Emotion wurde bislang selbst in der Fremdsprachendidaktik kaum berücksichtigt, im Vordergrund standen und stehen stets kognitive Aspekte. Es wird aber aus der vorhergeh‐ enden Darstellung von Emotion und Mehrsprachigkeit ersichtlich, wie eng Sprache und Emotion besonders in einem mehrsprachigen Unterricht inein‐ ander verwoben sind. Dank der Mehrsprachigkeit finden Emotionen und ihre sprachliche Verankerung verstärkt Ausdruck und es wird ein Bewusstsein dafür geschaffen, wie unterschiedlich Emotionen in den verschiedenen Sprachen ko‐ difiziert sind. Dank Mehrsprachigkeit sind alle emotionalen Aspekte von Spra‐ chen gleichzeitig im kommunikativen Akt gegenwärtig und ein Reichtum an Wahrnehmungen und an Perspektiven tut sich auf. Das Bewusstsein darüber und das Entwickeln einer besonderen Sensibilität im Umgang mit dieser Viel‐ fältigkeit ist ein erstes Ziel der MKK. Bei der Modellierung von MKK muss auch berücksichtigt werden, dass darüber hinaus emotionale Ebenen und Formen des Gefühlsausdrucks miteinander vernetzt werden können, wodurch sich für die 110 4 Theoretische Modellierung Mehrsprachiger Kommunikativer Kompetenzen (MKK) Sprechenden neue Ausdrucks- und Wahrnehmungsräume eröffnen. Die Model‐ lierung einer MKK ist folglich ohne der Miteinbeziehung emotionaler Aspekte der Kommunikation nicht denkbar und es liegt im Forschungsinteresse der vor‐ liegenden Arbeit zu untersuchen, inwieweit mehrsprachiger aufgabenorien‐ tierter Unterricht es vermag, die Vermittlung emotionaler mehrsprachiger kom‐ munikativer Kompetenz zu vermitteln. Unter besonderer Berücksichtigung der Sprachsituation in Südtirol wird der Zusammenhang zwischen Emotion und Sprachtrauma untersucht und er‐ forscht, in wie weit ein aufgabenorientierter mehrsprachiger Unterricht Ein‐ stellungen und Haltungen positiv beeinflussen kann, mit besonderer Berück‐ sichtigung gefühlsbedingten Sprachverhaltens und dessen Einfluss auf Spracherwerb und Spracherhalt. Dazu werden Dialekt und Varietäten in den Unterricht mit aufgenommen, ihnen wird nämlich eine besondere Bedeutung für die emotionale Erstsozialisierung, die im engen familiären Umfeld erfolgt, zugesprochen (vgl. Altarriba et al. 2003: 8; Caldwell Harris 2014: 3). 4.7 Schlussfolgerung für die Modellierung von MKK Ein ganzheitliches Erfassen von MKK erfordert, dass eine Vielzahl von Aspekten berücksichtigt wird, die nach fünf Bereichen geordnet werden können: 1. die soziale Ebene 2. die metasprachliche Ebene 3. die sprachliche Ebene 4. die emotionale Ebene 5. die symbolische Ebene Die oben identifizierten Bereiche, in denen sich MKK konstituieren und entwi‐ ckeln kann, gehen weit über die traditionelle Definition von MKK im CARAP hinaus. Aus diesem Grunde ist es nötig, ausgehend von theoretischen Prämissen die Ausformulierung von Deskriptoren zu versuchen, da die empirische Beob‐ achtung erst durch diese in vielerlei Hinsicht verständlich wird. Das ermöglicht, ausgehend von den Unterrichtsbeobachtungen, Aufzeichnungen, Stimulated Re‐ calls und Leitfadeninterviews im Sinne der Triangulation durch einen dreistu‐ figen Abstraktionsprozess, valide Aussagen in Form von Deskriptoren über die Entwicklung von MKK im mehrsprachigen aufgabenorientierten Unterricht auszuformulieren. 111 4.7 Schlussfolgerung für die Modellierung von MKK Teil III Datenerhebung und Auswertung 5 Soziales und geschichtliches Umfeld der Studie Um ein besseres Verständnis der Zielsetzungen des vorliegenden Projektes und dessen Einbettung in das soziale und kulturelle Umfeld zu ermöglichen, ist es nötig, die sozial- und kulturgeschichtlichen Ereignisse der Zeit zwischen 1918 und heute und deren Auswirkung auf das Zusammenleben der unterschiedli‐ chen Sprachgruppen und besonders der deutschsprachigen Minderheit zu kennen. Daraus wird verständlich, warum auch heute noch Mehrsprachigkeit in dieser Region nicht selbstverständlich ist und ihr oft das Gebot des Sprach‐ erhalts und des Schutzes der eigenen Identität und Kultur entgegengestellt wird. 5.1 Von der Zweizur Mehrsprachigkeit in Südtirol Südtirol ist als geographisches und politisches Grenzgebiet gekennzeichnet durch das Ineinanderwirken verschiedener Sprachen und Kulturen. Es war immer schon ein Land des Durchzugs und übernahm seit der Antike die Funk‐ tion eines Bindegliedes zwischen dem Norden und dem Süden Europas, sowohl wirtschaftlich, politisch als auch kulturell. So konnten sich an den Durchzugs‐ straßen entlang der Brennerachse kleine Handelszentren bilden, die Reisenden Unterkunft boten und in denen auch Handel getrieben wurde. Aus ihnen bil‐ deten sich im Laufe der Zeit die ersten Marktgemeinden und Städte. Politisch aber gehörte Südtirol über fünf Jahrhunderte zum Habsburgerreich und wurde erst mit Ende des Ersten Weltkrieges Italien angeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt war Südtirol „fast hundertprozentig deutschsprachig“ (Stein‐ inger 2014: 9). Das durch den Krieg geschwächte Österreich konnte Südtirol bei den Verhandlungen in Versailles 1919 nicht helfen. Südtirol wurde ohne Auto‐ nomiebestimmungen und Minderheitenschutz Italien zugesprochen, als Einlöse für den Londoner Geheimpakt von 1915, in welchem Italien an der Seite der Entente in den Krieg eintrat. Es folgte eine lange Phase, in der die Auslöschung der deutschen Sprache und Kultur in diesem Land nicht nur deklariertes poli‐ tisches Ziel war, sondern auch konsequent umgesetzt wurde. Der geschichtliche Abschnitt, welcher vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zur Gegenwart reicht, soll nun im Folgenden kurz umrissen werden, um die sprach-kulturelle Entwicklung dieser Jahrzehnte darzustellen und somit auch das innovative Potential zu verdeutlichen, das einem mehrsprachigen Unter‐ 1 Für diese geschichtliche Darlegung wurden folgende Quellen benutzt: Romeo 2003; Steininger 2014; Baur et al. 2009; Hartungen von Hartung 1994. richt an Südtirols Schulen sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf bildungs‐ politischer Ebene innewohnt. 1 5.1.1 Der lange Weg bis zum 1. Autonomiestatut Südtirol gehörte bis zum Ende des Ersten Weltkrieges mit dem Trentino für mehr als 500 Jahre zur Grafschaft Tirol und somit zum Habsburgerreich. 1809 begann der Tiroler Volksaufstand gegen die französische Besetzung unter Führung Andreas Hofers. Auch heute noch wird er von vielen Südtirolern als Held an‐ gesehen, der für die Freiheit und gegen Fremdherrschaft kämpfte und wird als Ikone gegen Unterdrückung und Fremdherrschaft verehrt. Der zweite Bruch erfolgte nach Ende des Ersten Weltkrieges, als 1918 italienische Truppen Süd‐ tirol besetzten und durch den Vertrag von Saint-Germain Südtirol Italien zuge‐ sprochen wurde, obwohl die Bevölkerung fast ausschließlich deutschsprachig war. Durch die faschistische Machtergreifung begann eine Zeit der Repression, die ihren ersten Ausdruck im sog. „Blutsonntag“ in Bozen am 24. April 1921 fand, wo, während eines Trachtenumzuges zur Eröffnung der Herbstmesse, faschis‐ tische Schläger auf die Menge einschlugen und etwa 50 Personen verletzten und eine Person töteten. Ab 1922 wurde das Ziel, die deutsche Minderheit ohne An‐ wendung offener Militärgewalt zur Gänze zu assimilieren, systematisch umge‐ setzt. Mit dem „Marsch auf Bozen“ - Vorbote des Marsches auf Rom - am 1. Oktober 1922 wurde Südtirol offiziell Militärprotektorat. Ab dem 23. August 1923 wurde der Name Tirol verboten und damit auch alle Wörter, die sich davon ableiten ließen, wie: Südtiroler, Tiroler, usw. Auch die deutsche Sprache wurde mittels Dekret verboten. Italienisch war von nun an einzige Amts- und Ge‐ richtssprache, obwohl die meisten Südtiroler kein Italienisch konnten. Dies führte bei Gerichtsverhandlungen oft zu Formen des Missbrauchs. In den fol‐ genden Jahren wurden auch deutsche Radiosendungen und Zeitungen verboten und an den Schulen Deutsch als Unterrichtssprache untersagt. Italienische Lehr‐ kräfte wurden nach Südtirol geholt. Ihnen kam die Aufgabe zu, aus den deut‐ schen Kindern „bravi Italiani“ (gute Italiener) zu machen. Das Ergebnis dieser Maßnahmen war, dass der Analphabetismus in Südtirol rasant anstieg. Ladini‐ sche und deutsche Kinder wurden zum Besuch dieser Schulen gezwungen, schulischer Erfolg blieb aber aus. Weigerung und Zuwiderhandeln wurden strafrechtlich geahndet, aber das Lernen blieb aus. 116 5 Soziales und geschichtliches Umfeld der Studie Als Reaktion darauf entstanden die Katakombenschulen. Mit deutscher und österreichischer Hilfe konnten in diesen illegalen Untergrundschulen, die trotz Verfolgung bis 1940 bestehen blieben, ca. 30.000 Kinder und Jugendliche deut‐ schen Unterricht genießen. Zeitzeugen berichten von dem Verlust ihrer Iden‐ tität, der von dieser sprachliche Situation herbeigeführt wurde: „Wir waren Zerrissene, unsere Hülle war Lüge. Wir logen daheim über die Schule, in der Schule über daheim und über uns selbst.“ (Steininger 2014b: 54). Weitere Maß‐ nahmen betrafen die Personennamen, die italianisiert wurden (so ist mein Vater z. B. heute noch anagraphisch als Rudolfo Mayr eingetragen). Das gleiche Schicksal ereilte die Landschafts-, Flur- und Auennamen: Sie wurden von Ettore Tolomei, ohne Rücksicht und Verständnis für Sprache und Brauchtum, übersetzt und z.T. ganz neu erfunden. Die Folgen reichen bis in die Gegenwart, der sog. „Toponomastik-Streit“ fand nie eine Lösung. Baur spricht in diesem Zusam‐ menhang von der Zerstörung der Ich-Grenze einer ganzen Sprachgemeinschaft, eine Zerstörung, die in letzter Instanz zu einer „Sprachlosigkeit“, der Unfähig‐ keit, individuell und kollektiv zu kommunizieren, führte. Diese Aphasie und mit ihr einhergehend die Annäherungsängste und das Gefühl der Bedrohung durch zu engen Sprachkontakt sind auch heute noch tief im kollektiven Gedächtnis verhaftet (Baur et al. 2009: 21-22). Sie führen dazu, dass der Monolingualismus in Teilen der Bevölkerung noch immer als einzige und beste Lösung für den Erhalt der deutschen Sprache und Kultur, aber auch der italienischen ange‐ priesen wird. Dies führt letztendlich bei manchen Lernenden, wie auch aus der Datenaus‐ wertung hervorgeht, unbewusst zu einer verminderten Bereitschaft, sich des Italienischen bemächtigen zu wollen. Es soll anhand des Forschungsprojektes gezeigt werden, wie mehrsprachiger Unterricht diese Formen der Verweigerung aufgreift, bewusst macht und wie dadurch eine Veränderung der Haltung und des emotionalen Zuganges zu dieser Sprache herbeigeführt werden kann. Es kann sich also dank des mehrsprachigen Unterrichts die psychotypologische Wahrnehmung der Sprache dahingehend verändern, dass bislang nicht akti‐ vierte Sprachen in das aktive Sprachenrepertoire aufgenommen werden. Dies ist mit Blick auf die zentrale Rolle von L2 (vgl. L2-Factor) für den weiteren Spracherwerb von besonderer Bedeutung. Teil des faschistischen Assimilierungsplanes war auch die gezielte Ansied‐ lung italienischsprachiger Bevölkerung, hauptsächlich aus Friaul, Julisch-Vene‐ tien und dem Veneto. Die Folgen dieser Zwangsübersiedlung prägen auch heute noch das demografische Bild Bozens. Im Gegensatz zum restlichen Landesgebiet leben in Bozen ca. zwei Drittel Italiener und ein Drittel Deutsche. Das hat, wie aus den Forschungsergebnissen hervorgeht, sehr große Auswirkungen auf die 117 5.1 Von der Zweizur Mehrsprachigkeit in Südtirol Art und Weise, wie mit Mehrsprachigkeit umgegangen wird. Es zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle in den Sprachkompetenzen und unterschiedliche Zugänge zur Mehrsprachigkeit, die durch das soziale Umfeld geprägt sind. 1939 kam es zu einem Abkommen zwischen Hitler und Mussolini, Option genannt. Durch dieses Abkommen wurden die SüdtirolerInnen vor die Wahl gestellt, nach Deutschland umzusiedeln oder zu bleiben. Wer blieb, musste auf die eigene Sprache und Kultur verzichten. 86 % sprachen sich für die Umsiede‐ lung aus, diejenigen, welche bleiben wollten, wurden Verräter genannt. Tat‐ sächlich verließen ca. 220.000 Südtiroler ihr Land, viele kehrten nach 1948 wieder zurück. Die Option hat eine Kerbe in Südtirols Gesellschaft geschlagen, die auch heute noch ein emotionsfreies Gespräch über diese geschichtlichen Ereignisse nur schwer zulässt. 5.1.2 Vom 2. Autonomiestatut bis heute 1948 wurde Südtirol im Pariser Vertrag zwar Autonomie zugesichert; jedoch blieb es politisch weiter bei Italien. Das erste Autonomiestatut von 1948 wurde in den folgenden Jahrzehnten nur sehr schleppend umgesetzt, obwohl Öster‐ reich Schutzmacht und Garant für die Autonomie war. Die Zuwanderung der italienischen Bevölkerung wurde weiterhin vorangetrieben und es gab ab 1952 eine Reihe von Maßnahmen, die sich explizit gegen die deutsche Bevölkerung richteten. Aufgrund der angespannten innenpolitischen Lage radikalisierte sich die 1945 gegründete SVP (Südtiroler Volkspartei) in diesen Jahren und blickte immer mehr nach Wien und Innsbruck, auf Hilfe hoffend. Die große Angst war, dass durch die massive Besiedelung und Bevorteilung der italienischen Bevöl‐ kerung die deutsche Minderheit mit der Zeit völlig entmachtet würde. Das führte in Südtirol zu einer Reihe von Protesten und Kundgebungen, die bekannteste fand am 4. Februar 1958 auf Schloss Sigmundskron statt, wo sich ca. 35.000 Südtiroler unter dem Motto „Los von Rom“ einfanden. Da Italien Süd‐ tirols Forderungen zur Umsetzung des Statuts nicht nachkam, kam es auch zu bewaffnetem Widerstand: In den 50er und 60er bis in die 80er Jahren wurden wiederholt Bombenattentate verübt und es wurden immer wieder Menschen‐ opfer gefordert. Die Tatsache, dass Italien diesen Terrorismus mit äußerster Härte bekämpfte, verschlimmerte zusätzlich die Situation. Das führte dazu, dass die UNO hinzugezogen wurde, um die Umsetzung des Statuts zu beschleunigen. 1972 entstand das „Südtirol Paket“, das zweite Autonomiestatut, in dem Südtirol weitgehende Selbstverwaltung zugestanden wurde. Dazu kamen auch die Zwei‐ sprachigkeit und der ethnische Proporz bei der Vergabe öffentlicher Stellen, d. h. dass Stellen in der öffentlichen Verwaltung zu gleichen Teilen zwischen der 118 5 Soziales und geschichtliches Umfeld der Studie deutschen und der italienischen Bevölkerung vergeben werden und alle Ange‐ stellte im öffentlichen Bereich einen Zweisprachigkeitsnachweis erbringen müssen. Die Südtiroler Autonomie hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte ge‐ festigt und ist gewachsen, trotzdem ist sie keine Selbstverständlichkeit und be‐ findet sich immer in Abhängigkeit von den politischen Geschehnissen in Rom. 5.1.3 Südtirol in der Gegenwart Laut der letzten Volkszählung von 2011 zählt Südtirol 504.646 Einwohner (ASTAT-Nationalinstitut für Statistik: 20 ff.). Bei jeder Volkszählung wird eine sog. Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung abgegeben, eine Selbsterklärung, mittels der man sich einer der drei Landessprachen Deutsch, Italienisch oder Ladinisch zuordnet. Dieser Volkszählung zufolge leben in Südtirol 314.604 Deut‐ sche (69,41%), 118.120 Italiener (26,06%) und 20.548 Ladiner (4,53%). Bezeich‐ nenderweise ist Bozen die einzige Gemeinde, in der mehr Italiener als Deutsche leben. Seit der Volkszählung von 2001 ließ sich ein starker Zuwachs an Ein‐ wanderern verzeichnen, vor allem aus Albanien, Marokko, Pakistan, Indien, Makedonien, Rumänien, Ghana und Senegal. Diese Bevölkerung hat sich in 10 Jahren mehr als verdreifacht und beträgt 42.337 Einwohner, die sich vor allem an den Hauptverkehrsachsen und in den Ballungsgebieten ansiedelten (ASTAT 2011). Südtirol ist heute sicherlich eine der besten und modernsten Autonomien der Welt und hat Vorbildcharakter, was Minderheitenschutz anbelangt. Der wirt‐ schaftliche Aufschwung und der daraus folgende Wohlstand in den 60er bis 90er Jahren haben beträchtlich dazu beigetragen, dass diese Autonomie ein Erfolgs‐ modell werden konnte. Die Zweisprachigkeit erfüllt ihre Aufgabe, die deutsche Minderheit zu schützen auf hervorragende Weise. Sie hat aber gleichzeitig zu einer klaren Trennung zwischen den Sprachgruppen geführt. Dies geschah über Jahrzehnte und geschieht z.T. auch heute noch, hauptsächlich in den Bereichen Politik, Kultur, Freizeit, Sport und Schule. So gibt es z. B. zwei Schulämter, zwei getrennte Schulsysteme, zwei Stadttheater, deutsche und italienische Sport-, Freizeit- und Kulturvereine usw. In der Schule und insbesondere im Sprachen‐ unterricht ist diese Trennung sehr klar zu spüren. Gesetzlich begründet sie sich auf den Art. 19 des Autonomiestatuts (Autonomiestatut 2009), der folgendes besagt : In der Provinz Bozen wird der Unterricht in den Kindergärten, Grund- und Sekun‐ darschulen in der Muttersprache der Schüler, das heißt in italienischer oder deutscher Sprache von Lehrkräften erteilt, für welche die betreffende Sprache ebenfalls Mutter‐ sprache ist. In der Grundschule, von der 2. oder 3. Klasse an, je nachdem, wie es mit 119 5.1 Von der Zweizur Mehrsprachigkeit in Südtirol Landesgesetz auf bindenden Vorschlag der betreffenden Sprachgruppe festgelegt wird, und in den Sekundarschulen ist der Unterricht der 2. Sprache Pflicht; er wird von Lehrkräften erteilt, für die dieselbe Sprache die Muttersprache ist. (www.provinz .bz.it/ lpa/ download/ statut_dt.pdf) Mit diesem Artikel sollte eine Wiederholung sehr schmerzhafter, vergangener Erfahrungen verhindert werden. Ziel war es, die deutsche Sprache im schuli‐ schen Bereich zu schützen und eine Vermischung der Sprachen oder noch schlimmer ein Überhandnehmen des Italienischen mit allen Mitteln abzu‐ wehren. Noch 1994 gab es einen Beschluss der Landesregierung (12.9.1994 Nr. 23), durch den Versuche im Bereich des Immersionsunterrichts an Kindergärten und Schulen ausdrücklich verboten wurden. Man befürchtete, das Wesensele‐ ment einer Volksgruppe, ihre Sprache, könnte verwässert werden und somit die „Assimilierung der Tiroler südlich des Brenners in das italienische Mehrheits‐ volk“ vorangetrieben werden (Baur et al. 2009: 267). Die Angst vor Sprachverlust war allgegenwärtig, die Gesellschaft war traumatisiert. Dies führte in den folgenden Jahrzehnten unter anderem auch dazu, dass sämtliche neuen Erkenntnisse der Forschung im Bereich des Spracherwerbs und der Mehrsprachigkeit sowie Neuerungen in der Sprachendidaktik, wie z. B. CLIL, Immersion und Mehrsprachigkeitsdidaktik, lange Zeit bildungspolitisch unerwünscht blieben und daher nicht Eingang in den schulischen Alltag der deutschen Schulen fanden. Deutsch, Italienisch und ab den 80er Jahren auch Englisch wurden als völlig unabhängige Fächer voneinander getrennt unter‐ richtet, Synergien konnten sich nicht entwickeln, eine Zusammenarbeit war nicht vorstellbar. So erlangen z. B. die Schüler der deutschen Schulen auch heute noch nach 13 Jahren Italienischunterricht (4 Wochenstunden) sehr oft kein B2-Niveau. An den italienischen Schulen und in ländlichen Gebieten ist es noch dramatischer. Der Grund für dieses Debakel ist einerseits darin zu finden, dass Italienisch über kein hohes Ansehen unter Teilen der deutschsprachigen Bevölkerung ge‐ nießt, was aus geschichtlicher Perspektive durchaus nachvollziehbar ist. Ande‐ rerseits entspricht die Didaktik oft nicht modernen Anforderungen, da sehr häufig L1-Lehrwerke für den Unterricht herangezogen werden, mit denen die Schüler überfordert sind. Auf diese Weise konnte sich, vor allem in der Sekun‐ darstufe, nie eine Didaktik der italienischen Sprache entwickeln, die den be‐ sonderen Bedürfnissen unserer Region gerecht würde. Ein weiteres Phänomen, das auf schulischer Ebene bis jetzt keine Beachtung gefunden hat, ist die Ge‐ mischtsprachigkeit vieler Schüler. Diese beherrschen zwar beide Landesspra‐ chen, jedoch auf einem für schulische Anforderungen nicht immer angemes‐ senen Niveau. Eine Didaktik der Mehrsprachigkeit könnte hier sicherlich 120 5 Soziales und geschichtliches Umfeld der Studie Abhilfe schaffen. Zu dieser Einsicht ist man in den letzten Jahren auch auf bil‐ dungspolitischer Ebene gekommen, wenn auch zögerlich nicht zuletzt deshalb, weil die Sprachenpolitik der EU gezielte Maßnahmen zur Förderung der Drei‐ sprachigkeit und Mehrsprachigkeit vorsieht und auch Staatsgesetze rezipiert werden müssen. Ein Schritt in diese Richtung wurde mit dem BLR (Beschluss der Landesre‐ gierung) Nr. 1034 vom 8. Juli 2013 „Sprachprojekte und Sachfachunterricht mit der CLIL-Methodik an der deutschsprachigen Grund-, Mittel- und Oberschule“ getan. Dieser ermöglichte mit Einschränkungen eine CLIL-Pilotierung. Der Be‐ schluss löste eine Flut von Eingebungen aus und beschäftigte die Öffentlichkeit lange. Bezugnehmend auf Artikel 19 des Autonomiestatuts wurde er als auto‐ nomiefeindlich bezeichnet, einige unabhängigkeitsorientierte Parteien ver‐ langten die sofortige Beendigung des Projektes. Am Schulamt wurde in der Zwischenzeit ein Mehrsprachencurriculum ausgearbeitet, aufbauend auf dem Europäischen Referenzrahmen für Mehrsprachigkeit (FREPA), das nach und nach Eingang in die Sprachencurricula der einzelnen Schulen finden soll. Al‐ lerdings ist aufgrund der unsicheren politischen Lage, die Italiens Politik seit Jahrzehnten prägt, auch hier mit Rückschlägen zu rechnen. Anschließend wurde das MSCS (Mehrsprachencurriculum Südtirol) durch Beispiele mehrsprachiger Unterrichtseinheiten für alle Schulstufen ergänzt, 2017 veröffentlicht und im Rahmen einer Konferenz vorgestellt (Schwienbacher et al. 2017). Der nächste Arbeitsschritt ist nun, das Mehrsprachencurriculum mit den Rahmenrichtlinien für Südtirols Schulen und den Fachcurricula der ein‐ zelnen Schulen zu vernetzen, indem Synergien, Kontaktpunkte und Ähnlich‐ keiten genutzt werden, um auf den verschiedensten Ebenen Operationalisierung und Implementierung eines sprachübergreifenden mehrsprachigen Unter‐ richtes zu ermöglichen. Als ein solcher Operationalisierungsversuch versteht sich auch die vorliegende Studie, die in ihrem innovativen Potential erst vor dem Hintergrund der erwähnten sozialen und geschichtlichen Ereignisse verstanden werden kann. Es wird allerdings die Anlage des MSCS kritisch reflektiert und durch jene Kompetenzbereiche und Deskriptoren ergänzt und erweitert, die sich aus der MKK-Modellierung ergeben. 5.1.4 Von der Zweisprachigkeit zur Mehrsprachigkeit Die lebensweltliche Mehrsprachigkeit in Südtirol lässt sich einerseits über den Begriff der Diglossie definieren, nämlich der Koexistenz unterschiedlicher Va‐ rietäten und Dialekte des Deutschen, die gemeinsam mit einer hoch verschrift‐ lichten und standardisierten regionalen deutschen Standardsprache existieren 121 5.1 Von der Zweizur Mehrsprachigkeit in Südtirol (zur Definition des Begriffes Diglossie siehe Ferguson 1959: 325; Aronin & Sing‐ leton 2012: 22 f.). In Gröden und im Gadertal sind mehrere Varietäten des Ladi‐ nischen erhalten geblieben, eine rätoromanische Sprache, die sich dem Bündner-Romanischen zuordnen lässt. Seit 1918 hat sich das Italienische und einige Dialekte aus dem Veneto, von den Städten Bozen und Meran ausgehend, immer mehr auch auf die ländlichen Gebiete ausgebreitet. Diese bereits recht komplexe Situation wurde durch die massiven Migrationsflüsse der letzten Jahrzehnte zusätzlich verschärft. Von dieser sog. lebensweltlichen Mehrsprachigkeit spricht Ingrid Gogolin (Go‐ golin 2004). Sie bezeichnet Mehrsprachigkeit als eine gesellschaftlich allge‐ genwärtige Realität. Durch das Phänomen der Migration und Transmigration gelangen in immer größerem Maße Kinder und Jugendliche mit Migrationshin‐ tergrund an europäische Schulen. Diese sind es gewohnt, in schneller Abfolge in verschiedenen Sprachen und Kulturen zu leben. Meistens bringen sie mehr als nur eine Hintergrundsprache mit, die jedoch wegen der noch starken Hier‐ archisierung der Sprachen bildungspolitisch kaum zum Tragen kommen. Aus soziolinguistischer Sicht sind diese Sprachen laut Baur (Baur et al. 2009: 17) nicht homogen auf das Territorium verteilt. Er unterscheidet drei Sprachräume, in denen es unterschiedlich oft Anlässe gibt, die anderen Sprachen zu hören und aktiv zu nutzen: die Stadtgebiete, in denen die Anregungen recht mannigfaltig sind, die Gebiete der großen Täler, wo er bereits geringere Sprachkontaktmög‐ lichkeiten sieht, und die Berggebiete, in denen Sprachkontakt noch eine Aus‐ nahme bildet. Diese Dreiteilung hat ihren Ursprung in der unterschiedlichen Besiedelung der italienischen Sprachgruppe und der später zugezogenen Migranten und Flüchtlingen, die sich aus geschichtlichen Gründen hauptsächlich in den Stadt‐ gebieten niedergelassen haben. Die Motivation zum Sprachenlernen steht in direkter Verbindung zum Sprachkontakt und den Sprechanlässen. Demzufolge sind Lernende aus Bergregionen weniger motiviert, Italienisch und andere Spra‐ chen zu lernen, als Lernende aus Stadtgebieten, die den Sprachkontakt aus ihrem Alltagsleben, oft auch aus der eigenen Familie bereits kennen. Diese Aussage schlägt sich auch in der Datenauswertung nieder, bei der ein großes Sprach‐ kompetenzgefälle zwischen Lernenden aus ländlichen Gebieten und Lernenden aus der Stadt besonders in Bezug auf Italienisch festgestellt werden konnte. Englisch bildet hier eine Ausnahme, da es unter Lernenden und Eltern wegen seiner Funktion als Lingua franca ein sehr hohes Prestige hat (vgl. Schocker von Ditfurth 2004: 215; Ahrens 2004: 10). Motivation und soziopolitische Sprach‐ dreiteilung sind auch in der vorliegenden Untersuchung immer wieder Anlass für unterschiedliche Spracheinstellungen und individuell gestaltete Sprachlern‐ 122 5 Soziales und geschichtliches Umfeld der Studie prozesse. Es soll aufgezeigt werden, wie diese das Sprachverhalten beeinflussen, und wie sich dieses im Zuge des Projektes verändert. Dabei unterliegt diese Mehrsprachigkeit dem global festzustellenden Trend, der laut Aronin und Sing‐ leton einerseits eine bislang unvorstellbare Diversifizierung der Sprachenviel‐ falt und andererseits einen Sprachverfall bis hin zur völligen Sprachauslöschung vieler Minderheitensprachen auslöst (Aronin & Singleton 2012: 48). Ein weiterer Grund für die Marginalisierung des Ladinischen sowie in weiten Teilen auch des Italienischen ist, dass die lebensweltliche Mehrsprachigkeit, die dieses Land mehr als andere charakterisiert, kaum Niederschlag in den schuli‐ schen Institutionen findet, vor allem in der Sekundarstufe. Das ist sicherlich auf den sog. „monolingualen Habitus“ (Gogolin 1994) zurückzuführen, nämlich auf die Tatsache, dass Schulen als einsprachige Institutionen konzipiert wurden und ein Sich-Einstellen auf die sprachlichen und kulturellen Veränderungen in der Gesellschaft das gesamte System vor sehr große Herausforderungen stellt. Dabei geht es in erster Linie um die Anerkennung und Gleichstellung aller in einer Gemeinschaft vorhandenen Sprachen und die Auflösung der Hierarchisierung, die sich durch das Selbstverständnis der europäischen Nationalstaaten heraus‐ kristallisiert hat (Gogolin 2004: 55). Das unterschiedliche soziale Prestige der Randsprachen und Migrationssprachen führt dazu, dass diese systematisch aus dem Schulalltag ausgeklammert werden. Wie in dieser Studie noch gezeigt werden wird, bedeutet dies für Lernende, dass Teile ihrer Persönlichkeit und Kultur unerkannt bleiben und nicht gewür‐ digt werden. Dies trifft z. B. in Südtirols Sekundarstufe für das Ladinische zu: Dieser Sprache wird im schulischen Alltag kein Platz eingeräumt. Selbst für die ProbandInnen ist es selbstverständlich, diesen Teil ihrer Persönlichkeit und Kultur an der Schule auszuschalten. Daher soll es Anliegen dieser Studie sein, Sprachhierarchien und ihre Wirkung im Diskurs den Lernenden auch in Bezug auf eine Minderheitensprache wie das Ladinische bewusst zu machen im Sinne eines gerechteren Umgangs mit der großen schulischen Sprachenvielfalt. Denn Sprachengleichheit ist laut Franceschini nicht zuletzt eine Frage des Machtver‐ hältnisses zwischen Sprachen, und zwar nicht ausschließlich auf sprachlicher Ebene, sondern in besonderem Maße auch auf politischer. Wenn auf politischer Ebene nicht Abhilfe geschaffen wird, setzt sich die dominante Sprache, die Aus‐ druck von Macht ist, durch (Franceschini 2009: 42). In Südtirol lässt sich die Situation also wie folgt definieren: Es gibt eine ita‐ lienischsprachige Gemeinschaft, die geringe Anerkennung vonseiten der Deut‐ schen genießt, die sich selbst aber mittlerweile immer häufiger als Minderheit betrachtet. Es gibt eine deutsche Minderheit, die immer noch um den Verlust ihrer Sprache und Identität fürchtet und es gibt eine ladinische Minderheit, die 123 5.1 Von der Zweizur Mehrsprachigkeit in Südtirol um das Überleben ihres kulturellen Erbes kämpft. Dazu kommen in den letzten Jahrzehnten immer mehr Sprachen aus nicht europäischen Ländern. Dass hier Ängste entstehen, ist durchaus nachvollziehbar, jedoch ist Abschottung nicht der richtige Weg: Es braucht vielmehr eine offene, bewusste Haltung, die der Isolierung vor den Einflüssen der anderen vorhandenen Sprachen und Kulturen, welche der Sprache Flexibilität entzieht und sie der Realität entfremdet, entge‐ genwirkt, damit diese besonders für junge Menschen interessant und weiterhin lebendig bleibt (Franceschini, 2009: 40). Die Auswirkungen auf den schulischen Alltag und den Unterricht bleiben nicht aus, denn laut Bourdieu (Bourdieu 1991: 49) ist der Identifikationsprozess mit einer Sprache nicht nur ein individueller Prozess, sondern schafft Grup‐ penzugehörigkeit. Dieses Zugehörigkeitsgefühl kann Mechanismen der Aus‐ grenzung erzeugen, da linguistische Varietäten mit bestimmten Charakteren und kulturellen Zügen gleichgestellt werden (vgl. Gall 2009: 26; Aronin & Sing‐ leton 2012: 79). Sprachliches Verhalten wird dadurch eher moralischen In‐ stanzen, Charakter, sozialen oder politischen Variablen oder intellektuellen Fä‐ higkeiten zugeschrieben, als ganz einfach den historischen Gegebenheiten. Durch diese Mechanismen kann es geschehen, dass eine Gruppe, in der Regel die der dominanten Sprache, als überlegen angesehen wird und die Minderhei‐ tensprachen Gegenstand von Diskriminierung werden. Emotional wirkt sich das auf die Sprachlernenden dadurch aus, dass ausschließlich in den Erwerb der dominanten Sprache investiert wird (Pavlenko 2005: 198). Dieser emotionale Aspekt des Spracherwerbs hat auch zur Folge, dass Indi‐ viduen sich über die Sprache politisch definieren, und systematisch Sprachen abwehren, die in Verbindung stehen mit Unterdrückung und Totalitarismus (Pavlenko, 2005: 221). Dementsprechend sieht Pavlenko die Motivation zum Sprachenlernen als ein Zusammenspiel zwischen geschichtlichen, soziopoliti‐ schen und alltagssprachlichen Umständen, welche die persönlichen Vorlieben für bestimmte Sprachen bestimmen. Mit anderen Worten, die Wahl der Sprachen beim Sprachenlernen hängt von sozialen, politischen, genderspezifischen, und nationalen Faktoren ab, aber auch von der Vorstellung über die eigene Zukunft (Pavlenko, 2005: 234; Dewaele 2010: 141). Daraus leitet Ringdom ab (Ringdom 2001: 62), dass Sprachhaltungen, die emotional begründet sind und den Erfolg beim Spracherwerb stark beeinflussen, sich im Laufe der Zeit verändern können, einhergehend mit einer veränderten Selbstwahrnehmung bzw. einer Veränderung des Umfeldes. Insbesondere spricht Ringdom hier die Wichtigkeit der Lehrpersonen und des Unterrichtes an und ihre Fähigkeit, die Lernenden zu motivieren und für eine Sprache zu begeistern. Dewaele spricht in diesem Zusammenhang auch von Ambivalenz 124 5 Soziales und geschichtliches Umfeld der Studie der Spracheinstellung, da sie vom politischen Klima abhängt und sich sehr schnell wandeln kann. So geschieht es z. B. in Regionen, in denen zwei Sprach‐ gruppen zusammenleben, dass man die Sprache der anderen lernt, dabei gleich‐ zeitig aber die kulturellen Werte und Haltungen dieser Sprachgemeinschaft ab‐ lehnt. Dewaele nennt es Sprachenlernen „with a closepin on the nose“ (Dewaele 2010: 136). All diese unterschiedlichen Aspekte des Zusammenspieles von Spracherwerb, Sprachhaltung und Emotion kennzeichnen auch Südtirols Bil‐ dungslandschaft und werden im Kern der vorliegenden Arbeit behandelt. Aus diesem Grund wurde dem Aspekt Sprache und Emotion ein so großer Raum zugesprochen, denn es ist nicht weiter vertretbar, Spracherwerbsstudien durch‐ zuführen und dabei den emotionalen Aspekt, der, wie hier mehrfach gezeigt wurde, eine ausschlaggebende Rolle spielt, auszuklammern. Südtirols Entwicklung steht in harschem Widerspruch zu einer immer mehr globalisierten und multikulturellen Welt, die einem puristischen Monolingua‐ lismus den Rücken kehrt und in der in zunehmendem Maße mehrsprachige kommunikative Kompetenzen verlangt werden. Die Politik steht nun vor der schwierigen Aufgabe, diese beiden entgegengesetzten Pole zu vereinen - eine Aufgabe, die umso schwieriger ist, da es in den letzten Jahrzehnten versäumt wurde, die geschichtlichen Ereignisse der Region und die durch diese verur‐ sachten Verletzungen gemeinsam aufzuarbeiten. Aufgrund dieser Umstände waren die Probleme mit der Zweisprachigkeit Ende der 90er Jahre auch nicht im Ansatz gelöst und plötzlich wurde das Land von der Zeitgeschichte überrollt: Migrationsflüsse überschlugen sich und die sprachliche und kulturelle Situation wurde so vielschichtig und komplex, dass Handeln nicht länger auf die lange Bank geschoben werden konnte. Auf bil‐ dungspolitischer Ebene war es daher immer mehr vonnöten, im Sinne einer demokratischen Partizipation aller anzuerkennen, dass es von größter Wich‐ tigkeit ist, dass alle ihr sprachliches Repertoire zur Gänze ausschöpfen können und somit Teilhabe gewinnen an den demokratischen und sozialen Prozessen sowie an einer Politik der sozialen Inklusion (Council of Europe, 2002: 9). 5.2 Das Mehrsprachencurriculum Südtirol Die Ausarbeitung des Mehrsprachencurriculums Südtirol ist in eine Bildungs‐ landschaft eingebettet, die aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften zunächst kurz umrissen werden soll. Das italienische Schulsystem versteht sich als in‐ klusives Schulsystem (1971 (118/ 71 Art.28), Rahmengesetz 104 del 1992; Minis‐ terialdekret 27 Dezember 2012 - Ministerielles Rundschreiben n. 8 del 6/ 03/ 2013 125 5.2 Das Mehrsprachencurriculum Südtirol del MIUR). Das Prinzip der Inklusion wird folgendermaßen definiert: „L’inclu‐ sione è un processo. Si riferisce alla globalità delle sfere educativa, sociale e politica. Guarda a tutti gli alunni (indistintamente/ differentemente) e a tutte le loro po‐ tenzialità. Interviene prima sul contesto, poi sul soggetto. Trasforma la risposta specialistica in ordinaria.“ (Rahmengesetz 104/ 1929; deutsch: Die Inklusion ist ein Prozess. Sie bezieht sich auf die gesamten erzieherischen, sozialen und po‐ litischen Bereiche. Sie sieht alle SchülerInnen und ihre Potenziale. Sie greift zunächst in den Kontext ein und anschließend in das Subjekt. Sie verwandelt die Sondermaßnahme in gewöhnliche Maßnahmen). Mit anderen Worten: Die Lernenden werden ins Zentrum des Lernprozesses gerückt, den sie aktiv mit‐ gestalten, um ihren Kompetenz- und Wissenszuwachs in die Hand zu nehmen. Dabei wird die Heterochronie jedes einzelnen berücksichtigt und in Hinsicht auf schulischen Erfolg von Potenzialen gesprochen und nicht von Können und Nicht-Können. Es gibt daher weder Sonderschulen noch Sonderklassen. Alle Lernenden haben das Recht, in den Regelunterricht integriert und individuell betreut und gefördert zu werden. Das gilt für Lernende mit z.T. auch schweren geistigen oder körperlichen Behinderungen, diffusen Lernstörungen und auch für Kinder mit Migrationshintergrund, die der Sprache nicht mächtig sind. Es ist Aufgabe der Schule, im Rahmen ihrer Schulautonomie Maßnahmen zur Förderung dieser Lernenden zu ergreifen. Folglich wurden für das italienische Schulsystem keine Bildungsstandards vorgesehen. Diese stehen nämlich im Widerspruch zum Ideal der Inklusion und der individuellen Lernprozessgestaltung. Dies gilt auch für Südtirol. 2011 wurden Rahmenrichtlinien für den Unterricht erlassen (Autonome Provinz Bozen-Südtirol 2010), die Kompetenzziele für alle Fächer vorgeben und gesetzliche Verbindlichkeit für die Schulen haben. Es wurden jedoch keine standardisierten Überprüfungsmaßnahmen eingeführt. Die Kompetenzziele für den Sprachenunterricht wurden in reduzierter und ver‐ einfachter Form vom GER übernommen. Die in Deutschland und anderen euro‐ päischen Ländern entfachte kritische Diskussion bezüglich des GER und die Hinterfragung des gängigen Kompetenzbegriffes blieb hierzulande jedoch aus. Es wurden zwar unter der Lehrerschaft immer wieder Stimmen laut über die Unzulänglichkeit der Rahmenrichtlinien, eine fruchttragende Diskussion kam aber leider nicht zustande (cf. 4.1.). Das in einer Arbeitsgruppe am deutschen Bildungsressort ausgearbeitete Mehrsprachencurriculum Südtirol (Schwienbacher et al. 2017) orientiert sich in seinem Aufbau und Inhalt ausschließlich am FREPA: Es wurden jene Indikatoren im FREPA identifiziert, welche sich für Lernstanderhebungen und Unterrichts‐ beobachtung eignen, die also beobachtbar und nicht den epistemologischen In‐ 126 5 Soziales und geschichtliches Umfeld der Studie dikatoren zuzuordnen sind. Diese wurden den Savoirs zugeordnet, wobei nur vier Savoirs aus dem FREPA übernommen wurden. Das Savoir s’engager fiel auch hier weg, da eine Ausdifferenzierung beobachtbarer Indikatoren nicht möglich war. Es erfolgte anschließend eine Graduierung entlang der vier unterschiedli‐ chen Schulstufen: Grundschule, Mittelschule, Oberschule 1. Biennium, Ober‐ schule 2. Biennium. So wurde z. B. im Kompetenzbereich Savoir folgende Gra‐ duierung vorgenommen: SCHUL‐ STUFE SAVOIR Grundschule Wissen, dass weltweit viele Sprachen gesprochen werden Mittelschule Wissen, dass es viele Lautsysteme gibt Oberschule 1.Biennium Wissen, dass die real existierende Vielsprachigkeit in verschiedenen Ländern/ Regionen unterschiedlich ist (Anzahl und Status von Spra‐ chen, Einstellung gegenüber Sprachen) Tab. 5 Aus diesem Beispiel wird ersichtlich, dass es entlang der Schulstufen einen Komplexitätszuwachs gibt und dass die Indikatoren aufeinander aufbauen. Hinter diesem Aufbau steht der Gedanke, dass die einzelnen Schulen bei der Ausarbeitung ihrer schulinternen Curricula Elemente des Mehrsprachencurri‐ culums aufnehmen und fächerübergreifende didaktische Maßnahmen treffen, um eine gezielte Umsetzung im Unterricht voranzutreiben. Leider sind die Ziel‐ setzungen der Südtiroler Rahmenrichtlinien und des Mehrsprachencurriculums nur sehr schwer miteinander zu vereinbaren, daher stehen nun die Schulen vor der schwierigen Aufgabe, beides in ihre Schulcurricula aufnehmen zu müssen und neue Wege dafür im Unterricht zu finden (Mayr & Tschurtschenthaler 2018). 127 5.2 Das Mehrsprachencurriculum Südtirol Teil IV Forschungsdesign und Datenanalyse 6 Forschungsdesign Das Erkenntnisinteresse im fachdidaktischen Bereich liegt in der Beobachtung der Entwicklung mehrsprachiger Kompetenzzuwachsprozesse im kompetenz‐ orientierten Unterricht. Zur Ausarbeitung der Module wurde der aufgabenori‐ entierten Ansatz nach Hallet herangezogen, da er sich bereits im zielsprachli‐ chen Fremdsprachenunterricht als ein sehr effektives Instrument für die Unterrichtsplanung erwiesen hat . Dabei wird allerdings nicht der Frage nach‐ gegangen, in wie weit die komplexe Kompetenzaufgabe aufgrund ihrer Eigen‐ schaften geeignet für einen mehrsprachigen Unterricht ist. Es wird also keine Korrelation hergestellt zwischen den Eigenschaften der Kompetenzaufgabe und den identifizierten Lernprozessen. Die Komplexe Kompetenzaufgabe von Hallet (Hallet & Krämer 2012) wird dabei lediglich als Unterrichtsplanungsinstrument herangezogen und für den mehrsprachigen Unterricht adaptiert (siehe dazu Kap. 4.5 in diesem Band), es findet keine Evaluation derselben statt, da dies nicht zu den Zielsetzungen der vorliegenden Studie gehört. Ziel derselben ist es, wie einleitend in den Forschungsfragen bereits erläutert, vielmehr, zunächst MKK in ihrer Beschaffenheit zu umreisen und zu definieren. Weiters gilt es, den Kompetenzzuwachs und dessen spezifische durch die Bio‐ graphie der Lernenden bedingte Beschaffenheit in Bereich MKK im mehrspra‐ chigen aufgabenorientierten Unterricht zu erfassen, die entsprechenden Kom‐ petenzbereiche zu definieren und Deskriptoren dazu zu formulieren. Es sollen in den verschiedenen Kompetenzbereichen der MKK durch die Formulierung von Deskriptoren relevante Lernprozesse klassifiziert und typisiert werden. Dabei kann auf kein bereits vorhandenes Modell zurückgegriffen werden: Zur Verfügung stehen lediglich die Deskriptoren des FREPA und das daraus abge‐ leitete MSCS sowie der neue Referenzrahmen für Übersetzung. Allen diesen Dokumenten gehen keine fundierten empirischen Untersuchungen voraus (cf. 2.3.). Die vorliegende Arbeit setzt sich deshalb zum Ziel, erstmals eine Model‐ lierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch aufgabeninitiiertes Lernen im Unterricht anhand von Beobachtung und der Auswertung der Audio- und Videoaufzeichnungen, Stimulated Recalls und Leitfadeninterviews auszu‐ arbeiten. Daher versteht sich die Untersuchung als ein heuristischer Versuch der Dar‐ stellung der nötigen Fähigkeiten und Fertigkeiten im Umgang mit verschie‐ denen rezeptiven und produktiven Formen der Mehrsprachigkeit in der kom‐ plexe Kompetenzaufgabe nach Hallet und bleibt auf diese beschränkt. Die Modellierung ist ein Abstraktionsprozess komplexer Zusammenhänge und Sachverhalte und soll u. a. eine Anbindung an den MSCS ermöglichen, mit der Absicht zu verifizieren, inwiefern sich Aspekte des MSCS durch diese Un‐ terrichtsform auf den Unterricht herunterbrechen lassen und nutzbar gemacht werden können. Das MSCS kann so in seiner Top-down-Funktion kritisch re‐ flektiert werden, indem ein Vergleich mit einer empirisch begründeten Modell‐ bildung ermöglicht wird, die sich innerhalb eines Bottom-up-Prozesses im Be‐ reich der Schulentwicklung verankert sieht. Mit Blick auf den Forschungsgegenstand wurde ein qualitativer Zugang vor‐ gezogen. Dieser hat trotz einiger Schwachstellen den Vorteil, dass durch die Perspektivenvielfalt der Datenerhebung ein vertieftes Verständnis des Gegen‐ standes ermöglicht wird. Im Mittelpunkt steht das Erfassen von Strategien und Verstehensprozessen in der gemeinschaftlichen mehrsprachigen Bedeutungs‐ konstruktion und der interindividuellen Bedeutungsaushandlung. Der Kompe‐ tenzbegriff wird als ein Bündel von Fähigkeiten und Fertigkeiten beschrieben, der Aussagen darüber gibt, wie sich ein Individuum in einem sprachlich hete‐ rogenen Kontext zurecht findet. Dabei wird auf die im GER praktizierte Unter‐ scheidung in vier Kompetenzbereiche (Schreiben, Sprechen, Hören, Lesen) ver‐ zichtet, da die Fähigkeit eines Individuums, mehrsprachig zu handeln damit nicht umschrieben werden kann (vgl. (Schwienbacher et al. 2017: 27). Der Ler‐ nende muss all seine kognitiven und affektiven Ressourcen mobilisieren, um in einem mehrsprachigen und transkulturellen Kontext Problemstellungen zu lösen und verantwortungsvoll zu handeln. Aus diesem Grunde wurden in An‐ lehnung an den FREPA folgende Kompetenzbereiche angewandt und die Skalen Savoir, Savoir faire, Savoir apprendre, Savoir être, erweitert durch das Savoir s’en‐ gager, nötig. Die Deskriptoren der Modellierung der MKK wurden wie folgt den Savoirs zugeordnet und eigene Kompetenzbereiche ausgearbeitet, wonach Des‐ kriptoren entwickelt, die mit denen des MSCS abgeglichen und, wo nötig, er‐ gänzt wurden (cf. 2.3.2.). - Savoir (Wissen um Mehrsprachigkeit): das Wissen um grundlegende As‐ pekte, die unterschiedlichen Sprachen gemeinsam sind, und Wissen in allen Bereichen, die transkulturelle Verständigung erleichtern können. - Savoir faire (mehrsprachiges Können): Dies impliziert die Fähigkeit zum mehrsprachigen und interkulturellen Handeln und grundlegende Kennt‐ nisse beim Vermitteln zwischen Sprachen und Kulturen. 132 6 Forschungsdesign - Savoir apprendre (Sprachlern- und Transferstrategien): Das bewusste und unbewusste Anwenden von sprachübergreifenden Sprachlern- und Transferstrategien. - Savoir être (Wahrnehmung und Bewältigung sprachlicher Vielfalt): Dies beinhaltet Aufmerksamkeit gegenüber Einstellungen, Haltungen und Emotionen der eigenen und anderen Sprachen und Kulturen. Es sind die sog. persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen. - Savoir s’engager: kritische Textanalyse, Erkennen von Machstrukturen, symbolische Kompetenz. Die Lernprozesse und der mehrsprachige Kompetenzzuwachs wurden aus Gründen der Operationalisierung entlang dieser Bereiche organisiert. Die sym‐ bolische Kompetenz, die eine übergeordnete Stellung einnimmt, wurde dem Be‐ reich des Savoir s‘engager zugeordnet. Diese Entscheidung ist der Versuch, der Komplexität mehrsprachigen und transkulturellen Handelns gerecht zu werden. Im mehrsprachigen Lernen erfolgt ein komplexes Zusammenspiel von Kompe‐ tenzen, Einstellungen und Haltungen, die kaum zur Gänze beschrieben werden können, was nicht zuletzt daher rührt, dass sie stark vom Handlungsrahmen und den behandelten Themen abhängen. Es geht darum, die sprachlichen Hand‐ lungen und die dazugehörigen Entscheidungsfindungen in ihrer Wirkung und ihrem Ursprung, ausgehend von den spezifischen Unterrichtssituationen, zu beschreiben. Dadurch soll auch aufgezeigt werden, welche Lernsituationen für die Entwicklung von MKK besonders förderlich sind. In diesem Sinne versteht diese Modellierung sich als Grundlagenforschung und richtungsweisend für ein holistischeres Verständnis von MKK, das neue, für den Unterricht relevante Be‐ reiche identifiziert und in Form von Deskriptoren zur Verfügung stellt. Es ent‐ steht ein Planungsinstrument für einen auf Mehrsprachigkeit gerichteten hand‐ lungs- und kompetenzorientierten Unterricht. Es wurde im Vorfeld kein Kompetenzmodell für das Forschungsvorhaben entwickelt, um dann erprobt zu werden. Das Erkenntnisinteresse lag darin, das komplexe Konstrukt der MKK in seinen Eigenschaften zu umreißen und anhand empirischer Daten zu verifizieren oder zu falsifizieren, um ein für den Unterricht taugliches Modell zu entwerfen. Der Prozesscharakter eines solchen qualita‐ tiven Forschungsunterfangens und die Ausrichtung an den Forschungsgegen‐ stand fordern eine ständige Monitorisierung des Erhebungskontextes und der Erhebungsinstrumente, um die Validität und die Gegenstandsangemessenheit des Forschungsdesigns zu gewährleisten. Die Form der Datenerhebung wurde deshalb mehrfach den Erfordernissen des Erkenntnisinteresses angepasst, die sich im Laufe der Datenerhebung herauskristallisierten. Diese explorative An‐ lage des Forschungsdesigns soll im mehrsprachigen Unterricht bislang noch 133 6 Forschungsdesign nicht Offengelegtes und Erfasstes zugänglich machen. Indem mehrsprachiges Handeln im Unterricht so abgebildet wird, können anhand des theoretischen Konstruktes der MKK und der Beobachtung konkreter Sprachhandlungen im Unterricht bislang unbekannte Wechselwirkungen und Phänomene aufgezeigt werden. In seiner Anlage bewegt sich das Forschungsdesign innerhalb zweier Achsen. Einerseits geht es um die Erstellung eines für den mehrsprachigen Kompetenz‐ zuwachs geeignetes aufgabenorientierten Unterrichtsdesign, in dem sich mehr‐ sprachige Sprachhandlungen entfalten können, zum anderen muss dem Ver‐ langen nach einem analytischen, eingliedernden und zuordnenden Umgang mit den Daten Rechnung getragen werden. Um diesen beiden Anforderungen ge‐ recht zu werden, wurde in erster Linie dem Entwurf der Unterrichtsmodule Aufmerksamkeit gewidmet mit der Absicht, geeignete Sprachhandlungen und den damit einhergehenden Kompetenzerwerb zu initiieren. Dies ermöglichte die unterrichtsbegleitende Datenerhebung in Form von Audiodateien, Videoda‐ teien, Stimulated Recalls und Leitfadeninterviews, zu deren Auswertung die dis‐ kursanalytische Methode nach Ralph Bohnsack (Bohnsack 2013) herangezogen wurde. Im Sinne der Transparenz und Nachvollziehbarkeit wurden diese Erhebungs‐ formen für geeignet angesehen aufzuzeigen, wie die einzelnen Lernenden im Lernumfeld agieren und reagieren und welche sprachlichen und sozialen Res‐ sourcen und Strategien bei der Bewältigung mehrsprachiger Situationen he‐ rangezogen werden. Ebenso wird ein Zugang zu Haltungen und Sichtweisen ermöglicht. Auf diese Weise kann die theoretische Basis - das Konstrukt der MKK - anhand der Realität überprüft werden (vgl. Steininger 2014: 107 ff.). Ziel eines Kompetenzmodells ist es, Kompetenzziele für die Unterrichtspla‐ nung und Durchführung zu formulieren. Dabei werden in einem inklusiven Schulsystem wie dem italienischen keine konkreten Leistungserwartungen for‐ muliert. Der Kompetenzbegriff der psychometrischen Modelle wie PISA und für Italien INVALSI (Istituto nazionale per la valutazione del sistema educativo di istruzione e di formazione (www.invalsi.it/ invalsi/ istituto.php? page=chisiamo) versteht Kompetenz rein leistungsbezogen als die Fähigkeit, bestimmte Test‐ aufgaben zu lösen. Kompetenz wird hier verstanden als „latentes Fähigkeits‐ konstrukt“ (Beck & Klieme 2007: 4) und ist losgelöst von jeglichem Kontext. Die vorliegende Studie hingegen ist stark kontextbezogen, da die Entwicklung von MKK innerhalb der komplexen Kompetenzaufgabe erhoben wird und sich an einem Verständnis von Kompetenz orientiert, das situations- und prozessge‐ bunden ist. Das Kompetenzmodell hat die Aufgabe, mögliche Lern- und Ent‐ wicklungsprozesse aufzuzeigen, die in einem mehrsprachigen aufgabenorien‐ 134 6 Forschungsdesign tierten Unterricht stattfinden können ohne den Einsatz von Testformaten. Kompetenzerwerb erfolgt hier durch soziale Interaktion in einem bestimmten didaktischen Umfeld, das so angelegt ist, dass mehrsprachige Bedeutungsaus‐ handlungsprozesse und soziale Interaktion im Sinne des kooperativen Lernens gefördert werden. Das zugrundeliegende Verständnis von Kompetenz entspricht also keiner normativen Erwartung bezogen auf isolierte und kontextunabhängige Testauf‐ gaben. Es wird gerade durch die Kontextualisierung ein mögliches Spektrum an Kompetenzentwicklungen beschrieben, das anschließend datenanalytisch die Entwicklung von Haltungen, Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Lern‐ enden im mehrsprachigen Unterricht erfassen soll, also von konkreten Lernsi‐ tuationen auf den Kompetenzzuwachs in den Bereichen der fünf Savoirs Rück‐ schlüsse zieht. Es werden mögliche Lernergebnisse aufgezeigt und ergänzend neben die bereits vorhandenen gestellt. Aus diesem Grund wurde u. a. auf Me‐ thoden der sozialen Verhaltensforschung zurückgegriffen. Es soll das Spektrum der möglichen Lernentwicklungen im Bereich der Mehr‐ sprachigkeit erweitert und für den Unterricht nutzbar gemacht werden. Durch das Ineinandergreifen der theoretischen Referenzrahmen, des Konstruktes der MKK und der empirischen Daten kann ein sowohl auf empirischen als auch theoretischen Daten fundiertes Modell entstehen. Die Datenerhebungsinstru‐ mente wurden diesen Anforderungen angepasst, wobei einerseits das Erkennt‐ nisinteresse berücksichtigt und andererseits die Gütekriterien für das Modell festgelegt wurden. Es kann auch im italienischen Bildungssystem an keinen normativen Refe‐ renzrahmen für Mehrsprachigkeit angeknüpft werden. Selbst das MSCS wurde nur als ein Instrument ausgearbeitet, das den Schulen bei der curricularen Im‐ plementierung von mehrsprachigkeitsdidaktischen Ansätzen behilflich sein kann und den Entscheidungsträgern einen Bottom-up-Prozess zur Verfügung stellt. Daher kann die Modellierung keine normativen Erwartungen erfüllen. Es erfolgt zwar eine Typisierung, durch welche die einzelnen Kompetenzentwick‐ lungen den von der MKK vorgesehenen Bereichen mehrsprachiger Lernpro‐ zesse zugeordnet werden. Es kann sich daraus aber keine theoretische Verall‐ gemeinerung ergeben. Vergleichsmomente mit anderen Fallstudien an anderen Schulen fehlen zurzeit noch, da es aus rechtlichen Gründen nicht möglich war, mehrere Fallstudien an unterschiedlichen Schulen gleichzeitig durchzuführen. Es gibt allerdings Vergleichsmomente innerhalb der Klasse, da zwei Gruppen gleichzeitig beobachtet wurden. Es wird daher in der Modellierung von einer durchgehenden Skalierung abgesehen, da die Datensätze unzureichend sind, um Minimal- und Maximalanforderungen zu formulieren. 135 6 Forschungsdesign Um ein besseres Verständnis dieser Prozesses zu ermöglichen, sollen im Fol‐ genden der kompetenzorientierte Unterricht und insbesondere die komplexe Kompetenzaufgabe und ihre Anpassung an den mehrsprachigen Unterricht vorgestellt und erläutert werden. 6.1 Aufgabenorientierung und Task-Approach Wie bereits erwähnt, werden die für die vorliegende Studie ausgearbeiteten mehrsprachigen Unterrichtsmodule mit Hilfe der komplexen Kompetenzauf‐ gabe entwickelt (Hallet 2006, 2012 a). Diese entstammt der Tradition der TBLT (Task-based Language Teaching) und kann als eine Weiterentwicklung derselben verstanden werden. TBLT entwickelt sich aus dem kommunikativen Ansatz Ende der 1980er Jahre und hat sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte weltweit als erfolgreicher Ansatz zum Fremdsprachenlernen etabliert. Die Lernenden werden mit bedeutungsvollen Aufgabenstellungen im Unterricht konfrontiert und verwenden im Zuge von Problemlösungsprozessen die Sprache funktional jeweils der kommunikativen Situation angepasst. Es geht dabei nicht mehr nur um die Vermittlung von Sprachstrukturen, sondern es werden Inhalte und Prob‐ lemstellungen im Unterricht erarbeitet, die die Lernenden kognitiv fordern und emotional fesseln. Dazu soll eine Verbindung zwischen Alltagswelt und Schul‐ welt hergestellt werden, um die Relevanz der Themenstellungen zu gewähr‐ leisten. Neu ist in diesem Kontext auch die Rolle der Lehrperson, die Unter‐ richtsinhalte mit den Lernenden aushandelt und beratende Funktion einnimmt. Die Problemlösungsprozesse werden autonom und in der Gruppe von den Lern‐ enden selbst bewältigt. Sprachliche Mittel werden bei Bedarf und kontextbe‐ zogen zur Verfügung gestellt (Nunan 2004; Willis & Willis 2007; Littlewood 2004). 6.1.1 TBLT Willis arbeitet erstmals ein unterrichtsmethodisches Konzept aus, das Kriterien und Planungshilfen für TBLT zur Verfügung stellt (Willis 1996: 161-164) den sog. Task-cyrcle. Dabei unterscheidet sie einen Pre-Task, die Vorbereitung der Un‐ terrichtseinheit, und einen Task-cyrcle, die Durchführung der Aufgabenstellung und anschließende Präsentation. Vorgesehen ist auch ein Task-support, dieser versteht sich als Unterstützungsmaßnahme, der sich an den Bedürfnissen der Lerngruppe orientiert, aber vor allem den grammatikalisch-lexikalischen und pragmatischen Bereich betrifft (vgl. auch Ellis 2003: 3). Hartmann/ Scho‐ 136 6 Forschungsdesign cker-Ditfurth verweisen auf die Wichtigkeit der Unterscheidung zwischen Task as a Work-Plan und Task-in-Progress: Die Art und Weise, wie ein Task geplant wird, die Zielsetzungen und die tatsächliche Durchführung eines Task. Dabei unterscheiden sich die Motive der Lernenden von denen der Lehrenden, und die Lernenden können im Verarbeitungsprozess ihre Motive und somit indirekt auch ihren Sprachlernprozess beeinflussen. Für Kohonen (Kohonen 992: 37) impliziert diese Form des Lernens einen Per‐ spektivenwechsel, von der Wissensvermittlung zur Transformation von Wissen in Lernenden, folglich stehen Lernprozess und der Erwerb neuer Lernstrategien im Vordergrund. Dadurch wird der Selbstreflexion Platz eingeräumt und den Lernenden die Möglichkeit gegeben, sich ins Zentrum des Geschehens zu ver‐ setzen, Initiative zu ergreifen und autonom über ihr Lernen zu entscheiden (vgl. auch Kumaravadivelu 1991, 1993, 2006; Müller-Hartmann & Schocker von Dit‐ furth 2005; Eckerth & Siekmann 2008; Bausch et. al, 2006). Die Mitbestimmung bei der Unterrichtsgestaltung und der persönliche Beitrag führen leichter zu intrinsischer Motivation. Aus Sicht der Psycholinguistik spielt die emotionale Komponente in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle, da die Ver‐ wendung von Sprache als realistisches Kommunikationsinstrument den Lern‐ enden das Gefühl vermittelt, kompetente SprecherInnen zu sein, was wiederum motivationsfördernd ist (Dewaele 2010: 84 f.). So werden ideale Bedingungen geschaffen für die Entwicklung von kommunikativer Kompetenz und sozialem Lernen. 6.1.2 Die Komplexe Kompetenzaufgabe nach Hallet Die komplexe Kompetenzaufgabe entsteht aus der Notwendigkeit, TBLT und den Task-Approach mit den Anforderungen einer inhaltsbezogenen Sprachlern‐ kultur in Einklang zu bringen, deren deklariertes erzieherisches Ziel die Fokus‐ sierung auf (sprachliche) Bildung ist. Dieses neue Verständnis bringt eine Ver‐ änderung der schulischen Zielsetzungen mit sich (Hallet & Legutke 2013: 139), aber auch die Notwendigkeit, durch Kompetenzbeschreibung und Deskriptoren produktorientiertes Lernen zu umschreiben. Das Konzept der sprachlichen Bil‐ dung erfordert, dass der aufgabenorientierte Unterricht die Kompetenzen der Lernenden in ihrer Komplexität fördert. Dazu müssen Lernsettings ausgear‐ beitet werden, die es den Lernenden ermöglichen, anhand lebensweltlich rele‐ vanter und problemorientierter Aufgabenstellungen Problemlösungsstrategien einzusetzen und ihre sozialen, diskursiven und kognitiven Fähigkeiten zu ent‐ falten. Es werden komplexe Interaktionssituationen und Aushandlungsprozesse initiiert, die aus lebensweltlich relevanten und herausfordernden Situationen 137 6.1 Aufgabenorientierung und Task-Approach entstehen. Dadurch werden die Lernenden zu einer aktiven Teilhabe am kultu‐ rellen und sozialen Diskurs befähigt (ibid.: 147). In ihrem Kern setzt sich die komplexe Kompetenzaufgabe laut Hallet/ Krämer (Hallet & Krämer 2012: 12) aus folgenden Merkmalen zusammen: - Lebensweltbezug und Relevanz: Die behandelten Themen sind aktuell und für die Lernenden von Interesse. Sie entstammen realweltlichen Dis‐ kursen und Problemstellungen. - Komplexität: Da sie sich an realweltlichen Problemstellungen orientieren, sind die in ihrem Aufbau und Inhalt komplex. Daher müssen im Zuge der Problemlösungsprozesse unterschiedliche Strategien und Kompetenzen herangezogen werden. Dazu gehören Erfahrung, Weltwissen und Fach‐ wissen sowie der Umgang mit modernen Medien. - Kompetenzentwicklung: Oberstes Ziel dieser Form des Unterrichts ist die Entwicklung „fremdsprachlicher und interaktionaler lebensweltlicher Kompetenzen und auf das übergeordnete Bildungsziel der fremdsprach‐ lichen Diskursfähigkeit“ (ibid.: 13). - Prozessorientierung: Da lebensweltliches Handeln imitiert wird, werden auf kognitiver, sprachlich-diskursiver, sozialer und interaktionaler Ebene Lernprozesse und Problemlösungsprozesse initiiert. - Offenheit: Es werden, wie bei allen aufgabenorientierten Formaten, keine Vorgaben bezüglich der Aufgabenlösung und der Gestaltung der Out‐ comes gemacht. - Prozessstrukturierung: Der Lernprozess wird antizipiert und erwünschte Verläufe angezeigt. Dabei wird den Lernenden organisatorische Hilfe‐ stellung bei der Gestaltung ihrer Arbeit geboten. Eine besondere Rolle spielen hier sprachliche Mittel, die zur Verfügung gestellt werden. Sprachliche Diversität wird in diesem Kontext als selbstverständliche Voraus‐ setzung von Unterricht betrachtet, da jegliches Fremdsprachenlernen laut Hallet in einem transkulturellen und multilingualen kommunikativen Raum stattfindet (Hallet 2017b). Thematisches Lernen und Inhaltsorientierung vermögen laut Hallet in der sog. „integrativen Mehrsprachigkeit“ (ibid.: 41) das Erkunden viel‐ fältiger Wahrnehmungsräume, kulturelle und wissenschaftliche Perspektiven‐ vielfalt, da auch Wissensräume in den Unterricht integriert werden, die nicht der deutschen Tradition entstammen. Diese mehrsprachige Vielstimmigkeit stellt im Unterricht fördernde Maßnahmen zur Vernetzung jeglichen Lernens zur Seite. So können die Lernenden ihre individuellen Dispositionen und ihr Wissen in ein vielsprachiges, transkulturelles Netzwerk eingliedern und aus‐ bauen. Andere Ansätze wie die Interkomprehension, die Mehrsprachigkeitsdi‐ 138 6 Forschungsdesign daktik nach Meißner und das Tertiärsprachenlernen werden nicht ausge‐ schlossen, sondern in ein holistisches, aufgabenorientiertes Rahmenmodell integriert. Angesichts eines immer heterogeneren Sprachlernkontextes ist es verwun‐ derlich, dass mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze bis jetzt im TBLT kaum konkrete Anwendung gefunden haben. Cummins bemängelt, dass im TBLT das ideale Klassenzimmer nach wie vor einsprachig auf die Zielsprache aus‐ gerichtet ist. L1 und andere Folgesprachen werden im Zuge der Theoretisie‐ rung von TBLT mit keinem Wort erwähnt (Cummins 2009: 304). Dabei bietet sich dem Beobachter ein ganz anderes Bild im Unterricht als das im TBLT dargestellte. Hallet & Königs sprechen von mehrsprachigem vernetzten Lernen und stellen es dem additiven gegenüber (Hallet & Königs 2010: 302; Morkötter et al. 2010: 88). Es wird darauf hingewiesen, dass durch mehrsprachigkeitsdidaktische An‐ sätze und deren curriculare Verankerung das Sprachenlernen effizienter ge‐ staltet werden kann. Dabei wird hervorgehoben, dass CLIL und die Zusammen‐ führung von Sachfach- und Sprachunterricht in einer Fremdsprache derzeit die erfolgreichste Methode ist. Formen der integrativen Mehrsprachigkeitsdidaktik zielen auf folgende Fähigkeiten ab: Die Fähigkeit der Individuen zur kulturellen und sprachlichen Integration in mehr‐ sprachige, diversifizierte Gesellschaften und zur Partizipation an mehrsprachigen ge‐ sellschaftlichen Diskursen auch in einer anderen als der eigenen Sprache (mehrspra‐ chige Diskursfähigkeit). Die Fähigkeit, Sachverhalte aller Art in und zwischen verschiedenen Sprachen kommunizieren zu können, kann als essenzielles Ziel mehr‐ sprachiger Allgemeinbildung gelten. (Hallet & Königs: 305) Alle Ebenen des Spracherwerbsprozesses sollen nicht nur als Selbstzweck dienen, sondern der Erlangung eines Kompetenzerwerbs für die Bewältigung mehrsprachiger Kommunikationssituationen. Hallet/ Königs fordern weiter, dass die Mehrsprachigkeitsdidaktik neue Wege empirisch erforschen muss, vernetztes Sprachenlernen zu fördern und für den Unterricht nutzbar zu ma‐ chen. Dazu werden unterrichtstaugliche Modelle benötigt, die mehrsprachige Situationen und Diskurse vorsehen (ibid.: 306). Durch diese soll den Lern‐ enden die Möglichkeit gegeben werden, ihre mehrsprachigen Kompetenzen und Strategien auf allen Ebenen auszubilden und einzusetzen. Hierzu bietet Hallet konkrete Unterrichtsbeispiele, die sich an der Kompetenzaufgabe ori‐ entieren (Hallet 2008; vgl. auch Hallet 2017a/ b). Martinez & Schröder spre‐ chen in diesem Zusammenhang von der „Relevanz kompetenzorientierter Aufgaben“, da durch diese Form des Unterrichts Ressourcen mobilisiert und 139 6.1 Aufgabenorientierung und Task-Approach die Eigenkompetenz gestärkt wird (Martinez & Schröder-Sura 2011: 77; Hallet 2015b: 206 f.). Königs stellt die affektive-emotionale Dimension in den Fokus und bemän‐ gelt, dass auch im aufgabenorientierten Unterricht weder emotionale Aspekte noch die des Lernverhaltens berücksichtigt werden. Aspekte wie Sprach(lern)bewusstsein werden erst gar nicht angesprochen (Königs 2005: 73). Mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze könnten hier laut Königs Abhilfe schaffen, wenn sie beides integrieren, Sprachaneignungsprozesse reflektiert werden und Sprachbiographien Teil der Unterrichtsgestaltung sind. Königs stellt im Folgenden eine mehrsprachige Unterrichtseinheit mit Modellcharakter vor, verweist aber ausdrücklich darauf, dass Outputs und Aushandlungsprozesse einsprachig ablaufen sollen. Hu Adelheid stellt die Thematik Mehrsprachigkeit, Mehrkulturalität und Identität in den Mittelpunkt des mehrsprachigen aufgabenorientierten Unter‐ richtes, sie versteht dies im Sinne einer Grenzüberschreitung, indem mit litera‐ rischen Texten gearbeitet wird, deren Mehrkulturalität sich in den Individuali‐ täten der Schreibenden niederschlägt. Dafür werden eine Reihe von Projekten vorgestellt und erklärt. Aber auch in diesem Falle bleiben konkrete Phänomene der Mehrsprachigkeit wie das mehrsprachige Schreiben und der mehrsprachige Dialog außen vor (Hu 2005: 249). Prokopowiczs Forschung im Bereich der Entwicklung mehrsprachiger kom‐ munikativer Kompetenz im aufgabenorientierten Unterricht stellt einen ersten konkreten Schritt in diese Richtung dar. Das mit Studenten durchgeführte Pro‐ jekt erforscht die Entwicklung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz im Bereich der romanischen Sprachen durch interkomprehensive aufgabenorien‐ tierte Tasks auf der Internetplattform GALANET (Prokopowicz 2017: 55). Dabei handelt es sich allerdings um eine mediengestützte und ausschließlich schrift‐ liche Form von mehrsprachiger Kommunikation. Es werden zunächst FREPA-Indikatoren im Bereich mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz ermittelt und anhand von acht Fallbeispielen Lernprozesse erhoben. Die vorliegende Arbeit verfolgt den umgekehrten Weg, sie setzt sich zum Ziel, eine Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz durch aufga‐ beninitiiertes Lernen im Unterricht anhand von Beobachtung und der Auswer‐ tung der Audio- und Videoaufzeichnungen, Stimulated Recalls und Leitfadenin‐ terviews auszuarbeiten und anschließend einen Vergleich mit dem FREPA vorzunehmen. Dabei spielen folgende Aspekte eine zentrale Rolle. - Thematische Einbettung - Soziales Lernen - Gelegenheit zum mehrsprachigen Dialog 140 6 Forschungsdesign - Berücksichtigung emotionaler Faktoren - Problemlösungsorientierter Ansatz - Bezug zur lebensweltlichen Mehrsprachigkeit durch Themenwahl - Mehrsprachige Diskursfähigkeit Für den mehrsprachigen aufgabenorientierten Unterricht wurde das ursprüng‐ lich für den Fremdsprachenunterricht ausgearbeitete didaktische Prozessmodell von Hallet/ Krämer herangezogen. Es stellt ein Konzept dar, bei dem lebens‐ weltliche Problemsituationen und kulturelle Handlungsanforderungen konsti‐ tuierender Teil des Unterrichtsdesigns sind. Als didaktisches Prozessmodell soll es veranschaulichen, welche Prozesse die Lernenden durchlaufen und welche Tätigkeiten und Sprachhandlungen von ihnen zur Problembewältigung abver‐ langt werden. Für die Lehrenden versteht sich das Modell als Planungsinstru‐ ment, das die Implementierung von aufgabenorientiertem Unterricht begleiten und erleichtern soll (vgl. Hallet & Legutke 2013: 14). So können bei der Unter‐ richtsplanung alle Aspekte in der Vorbereitungsphase berücksichtigt werden, und im Zuge der Nachbereitung gibt das Modell Anlass zur kritischen Reflexion bezüglich der Inhalte und der Struktur. Abb. 6.1. 141 6.1 Aufgabenorientierung und Task-Approach Die einzelnen Elemente des Modells sollen hier nicht erläutert werden (siehe dazu Hallet & Legutke 2013: 15 f.). Es genügt zu sagen, dass ausgehend von der Ausformulierung der Kompetenzziele alle für die Unterrichtplanung rele‐ vanten Aspekte berücksichtigt werden. Die durch dieses Format initiierten Prozesse lassen sich auf drei Ebenen erkennen: einer kognitiven, einer sprach‐ lich diskursiven und einer interaktionalen. Das bedeutet, dass neben kogni‐ tiven Prozessen bewusst der Schwerpunkt auf sprachliche und soziale Inter‐ aktion gelegt wird. Dies erfolgt in dem Bewusstsein, dass die Aktivierung bereits vorhandener Wissensbestände und die Entwicklung kognitiver und sprachlicher Kompetenzen am besten über soziale und interaktionale Lern‐ prozesse erfolgen können (vgl. ibid.: 15). 6.1.3 Die mehrsprachige Kompetenzaufgabe Dieses Modell wurde für den mehrsprachigen Unterricht herangezogen und den neuen Anforderungen angepasst insofern als es neben den in Hallets be‐ reits erwähnten Bereichen neue Aspekte des Lernens, der Kompetenzent‐ wicklung und der Unterrichtsplanung berücksichtigen musste. In erster Linie ging es darum, bereits vorhandene Aspekte im Sinne eines mehrsprachigen Unterrichts zu überdenken, in ihrer neuen Dimension zu erfassen und neu zu formulieren. Es mussten die Aspekte der theoretischen Modellierung der MKK in das Modell integriert werden, um ein ganzheitliches Bild des möglichen Kompetenzerwerbs in den Aushandlungsprozessen zu schaffen. Es ergab sich folgendes Aufgabenmodell: 142 6 Forschungsdesign Abb. 6.2. Mehrsprachiges Kompetenzmodell adaptiert nach Hallet 2013 Für die Ausformulierung mehrsprachiger Kompetenzziele wurden, wo möglich, die Deskriptoren des MSCS herangezogen. So konnte der Rahmen des Kompe‐ tenzfeldes grob abgesteckt werden. Der tatsächliche Kompetenzzuwachs wurde erst aus der Datenerhebung und Analyse ersichtlich. Die im mehrsprachigen Pro‐ zessmodell angegebenen Kompetenzziele und der tatsächliche Kompetenzzu‐ wachs wurden allerdings nicht abgeglichen, das Modell soll lediglich den Kom‐ plexitätszuwachs des Kompetenzerwerbes in einem mehrsprachigen Lernsetting veranschaulichen, denn es war aufgrund der Komplexität der Studie weder mög‐ lich, das Aufgabenmodell selbst zu erforschen, noch war es möglich, den anhand der Datenerhebung gewonnenen Einblick in den Kompetenzerwerb der Lern‐ enden mit dem mehrsprachigen Prozessmodell abzugleichen. Explizites Ziel war hingegen der Abgleich der Daten mit der im Vorfeld ausgearbeiteten theoreti‐ schen Modellbildung von MKK und die Modellbildung mehrsprachiger kommu‐ nikativer Kompetenz. Es geht also nicht, die Tauglichkeit der mehrsprachigen Kompetenzaufgabe in ihrer Effektivität für den mehrsprachigen Unterricht zu eruieren. Anlass zur Verwendung dieses Aufgabenformates waren vielmehr eine 143 6.1 Aufgabenorientierung und Task-Approach Reihe von Eigenschaften desselben (vgl. 6.2.1.), die sich in besonderem Maße für mehrsprachigen Unterricht eignen und für den Lernprozess dienlich sind. 6.1.4 Aktuelle und relevante Themen und Inhalte Themen und Inhalte wurden so gewählt, dass ein sinnvolles Unterrichtsdesign möglich wurde. Themen zu Aktualität und Zeitgeschichte erwiesen sich als be‐ sonders ansprechend für die Lernenden und geeignet für die Durchführung. So konnte z. B. mit Zeitungsausschnitten zu ähnlichen Themenschwerpunkten in verschiedenen Sprachen gearbeitet werden, wobei die Lernenden dazu motiviert wurden, selbstständig im Internet mehrsprachig zu arbeiten und themenimma‐ nente Recherchen durchzuführen. Das mehrsprachige Input erfolgte in multi‐ modaler Form. Da nicht nur Mehrsprachigkeit, sondern auch Multimodalität besonders kennzeichnend für die Gegenwartsgesellschaft sind, wurden die Lernenden im Umgang mit der Pluralität neuer Kommunikationsformen unter‐ stützt. So konnten diskursive Formen sprachübergreifend behandelt werden. Es wurden Modelle zu gleichen Genres in unterschiedlichen Sprachen vorgestellt und behandelt und als Vorbild zur Verfügung gestellt. Das ermöglichte es den Lernenden, Text- und Interaktionsmodelle in mehreren Sprachen zu erlernen und zu vergleichen. Durch den Sprachvergleich wurden abstrakte Strukturre‐ geln bewusst gemacht. Diese dienten als Muster für die mehrsprachige Sprach‐ produktion. Die Notwendigkeit bestimmter sprachlicher Mittel wurde durch die In‐ halte und Themen vorgegeben. Sie war demzufolge funktional zum Unter‐ richt und wurde, wo nötig, in mehreren oder in einer bestimmten Sprache durch eine Focus-On-Form-Phase eingeleitet. Bei besonders schwierigen sprachlichen Formen oder in Sprachen, bei denen sich die Lernenden nicht so sicher fühlten, wurde dies durch zusätzliche Aufgaben geübt, um dann nach Wiederaufnahme der inhaltlich-thematischen Arbeit Anwendung finden zu können. Oft wurden Themen von besonderer sprachlicher Relevanz im Vo‐ raus beim Entwurf des Unterrichtsmoduls identifiziert und zusätzliche Übungsmöglichkeiten in den Unterricht eingebaut. Im Unterschied zum ein‐ sprachigen Fremdsprachenunterricht ist in diesem Fall darauf zu achten, dass auf der sprachlichen und der Strukturebene alle im Modul vorhandenen Spra‐ chen berücksichtigt werden. Es hat sich als nicht praktikabel erwiesen, in allen Sprachen gleichzeitig dieselben Themen zu behandeln, da dies den Zeit‐ rahmen sprengt. Jedoch haben sich punktuelle Vergleiche zwischen den Spra‐ chen als sehr förderlich erwiesen, wobei interkomprehensive Ansätze hier durchwegs zur Anwendung kamen. 144 6 Forschungsdesign Das mehrsprachige Scaffolding erfolgte in Form von mehrsprachigen Lü‐ ckentexten oder Textverständnissen, Textvergleichen, mehrsprachigen Wort‐ geländern, mehrsprachigen Kugellagern oder Hot Seats. Im Prinzip können alle Formen des Scaffolding an die Bedürfnisse der Lernenden im mehrsprachigen Unterricht adaptiert werden. Die Aufgabenstellungen wurden je nach Anfor‐ derungsniveau in der Zielsprache oder mehrsprachig ausformuliert. Mehrspra‐ chige Aufgabenstellungen wurden jedoch vorgezogen, denn sie veranlassen die Lernenden, unmittelbar auf Ressourcen wie Translanguaging, Code-mixing und Code-switching zurückzugreifen. 6.1.5 Fazit für die Modellierung MKK: Es gibt in den beschriebenen Unterrichtsformen eine Reihe von Erkenntnissen zu Lernprozess und Kompetenzerwerb, die für die Modellierung einer mehr‐ sprachigen kommunikativen Kompetenz herangezogen werden können. Sie geben Aufschluss über die Komplexität an Prozessen und Vorgängen, die im mehrsprachigen Unterricht auf psycholinguistischer und soziolinguistischer Ebene stattfinden. Ebenso werden die hohen kognitiven und emotionalen An‐ forderungen eines mehrsprachigen kompetenzorientierten Unterrichts an die Lernenden klar ersichtlich. Folgende Lernprozesse sind für den Erwerb einer MKK von besonderer Relevanz: - Erhöhte Bewusstwerdung des Lernprozesses und die Fähigkeit der Lern‐ steuerung - Entwicklung translingualer rezeptiver Texterschließungskompetenzen - Lernautonomie durch höhere kognitive Anforderung - Nutzung des hetero- und translingualen Transfers auf allen Ebenen: Grammatik, Syntax, Wortschatz, aber auch Gefühle, Haltungen, Welt‐ wissen, Kultur, Lernstrategien und Lernerfahrungen - Hypothesenbildung und Plausibilitätsprüfungen - Korrekturfähigkeit und Rekonstruktionsfähigkeit - Dekodierung phonemischer Einheiten im mehrsprachigen Diskurs - Zurückgreifen auf heterolinguale Vorwissensbestände - Aktivierung des Language Monitoring auch bei einsprachigen Lernenden - Funktionaler Erwerb von Teilkompetenzen durch thematische Einbet‐ tung Die Form des mehrsprachigen kompetenzorientierten Unterrichts ermöglicht es, all diese Lernprozesse in den Unterricht einzubauen, um die nötigen mehr‐ sprachigen kommunikativen Kompetenzen zu erwerben. Dies wird dadurch er‐ 145 6.1 Aufgabenorientierung und Task-Approach zielt, dass in dieser besonderen Form der aufgabenorientierten Mehrsprachig‐ keitsdidaktik erstmals mehrsprachig mit anspruchsvollen literarischen und Sachtexten, in weniger bekannten Fremdsprachen wie das Französische - wo die SchülerInnen ein A2-Niveau nicht überschreiten - gearbeitet wird. Durch die thematische Einbettung in den Rahmen einer komplexen Aufgabenstellung werden die mehrsprachigen Verarbeitungsprozesse unterstützt. Da die Texte in den unterschiedlichen Sprachen denselben oder ähnlichen Themenbereichen und Genres entnommen sind, werden die Lernenden dazu veranlasst, beim Textverständnis zu den verschiedensprachigen Texten Hy‐ pothesen zu bilden und auf andere Texte zu übertragen. Das führt zu einer sprachübergreifenden Vernetzung der Lernprozesse, die wiederum zu neuen Erkenntnissen führen kann. Je nach Verlagerung der Sprachkompetenz in den verschiedenen Sprachen können im mehrsprachigen Gespräch Hypothesen aufgestellt und im Austausch auf ihre Richtigkeit überprüft werden. In der mehrsprachigen mündlichen Dekodierung spielt ein Netzwerk von Faktoren eine Rolle, die durch das soziale Lernen unterstützt werden. Der mehrspra‐ chige Austausch, das informelle Übersetzen (vgl. Ungerer-Leitzke 2008) und die Notwendigkeit, sich gegenseitig in mehreren Sprachen verständlich zu machen, führt zu Formen informellen Lernens (vgl. Rohs 2015: V), die das Language Monitoring - den Prozess der Hypothesenbildung und Verifizierung - unterstützen. Es hat sich im Laufe der Datenerhebung gezeigt, dass diese Form des mehr‐ sprachigen sozialen Lernens in der Gruppe für die Lernenden aufgrund der besonderen sprachlichen und interaktionalen und Dynamiken als sehr ange‐ nehm und hilfreich empfunden wurde, da sich die Lernenden frei fühlen, je nach Bedarf und Befindlichkeit die geeignete Sprache zu wählen und sich ge‐ genseitig bei der Ausformulierung behilflich sein können, indem kollektiv auf translinguale Ressourcen zurückgegriffen werden kann. In dieser Form des Unterrichts finden auch Herkunftssprachen, Varietäten und Minderheiten‐ sprachen einen Platz, die im traditionellen Unterricht nicht berücksichtigt werden. Psycholinguistische Einflussfaktoren beim Transfer wie der L2-Faktor und die Psychotypologie dürfen aufgrund der besonderen Südtiroler Sprachkons‐ tellation und Geschichte beim Transfer nicht unberücksichtigt bleiben, denn sie spielen eine durchaus relevante Rolle, da sie auf Haltungen und Gefühle Einfluss nehmen können. Durch die DLC Deutsch L1, Italienisch L2 und Englisch L3 bestimmt Italienisch den L2-Faktor und ist daher Bezugssprache für den mehr‐ sprachigen Spracherwerb. Leider sind Haltungen und Gefühle gegenüber dieser Sprachen nicht immer positiv, da aufgrund der politischen und geschichtlichen 146 6 Forschungsdesign Ereignisse in diesem Land das Italienische für viele auch heute noch negativ besetzt ist und daher psychotypologisch als fern empfunden wird. Daher wird in der Studie u. a. auch überprüft, ob und inwiefern durch soziales Lernen im kompetenzorientierten Unterricht sich Haltungen und Emotionen von zwei bzw. mehrsprachigen Lernenden (Cenoz et al. 2013) auf einsprachige übertragen können, wie also einsprachige Lernende auf den Umgang mit Mehr‐ sprachigkeit vonseiten mehrsprachiger Lernender reagieren und ob diese in der Lage sind, ihre Haltungen und Emotionen zu modifizieren. 6.2 Datenerhebungskontext: Das schulische Umfeld Wie schwierig es ist, von der klaren Sprachtrennung im schulischen Alltag ab‐ zukommen, zeigt allein die Tatsache, dass das Projekt „Modellierung mehrspra‐ chiger kommunikativer Kompetenz“ noch vor zehn Jahren nicht denkbar ge‐ wesen wäre. Die strenge Trennung des schulischen Sprachenunterrichts aufzubrechen und gar die deutsche mit der italienischen Sprache im Unterricht parallel zu verwenden, war schlichtweg verboten. Angesichts der geschichtli‐ chen Ereignisse und der gesetzlichen Rahmenbedingungen hätte das sogar zu Disziplinarmaßnahmen geführt. Dank der veränderten politischen und sozialen Umstände und nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass Mehrsprachigkeit in immer größerem Maße vonseiten der Eltern gefordert wird, konnte ich den Zu‐ spruch der Schulführungskraft, der Eltern, der SchülerInnen sowie des Klas‐ senrates und der betroffenen Lehrpersonen gewinnen und damit auch die all‐ gemeine Einwilligung in das Projekt. Da ich seit 2001 als Lehrkraft für Englisch am Gymnasium „Walther v. d. Vo‐ gelweide“ in Bozen tätig bin, hatte ich die Möglichkeit, mich bei der Wahl der ProbandInnen auf meine Kenntnisse der Schule, des Schultyps und der einzelnen Klassen zu stützen. In den Jahren 2014 bis 2015 erfolgten zunächst zwei Projekt‐ pilotierungen. Diese wurden innerhalb des fächerübergreifenden Stundenkontin‐ gents (ca. 12-24 Stunden pro Schuljahr, geblockt auf zwei Tage) abgewickelt: Mehrsprachige Unterrichtsmodule nach der komplexen Kompetenzaufgabe wurden in der späteren Projektklasse ausprobiert und evaluiert. Die Klasse wurde aufgrund der folgenden Kriterien ausgewählt: 1. Unterrichtete Sprachen - in diesem Fall: Deutsch, Italienisch, Englisch, Französisch, Latein 2. Zusammensetzung der Klasse: einsprachig bzw. zwei- oder mehrsprachig aufgewachsene SchülerInnen; unterschiedliche Leistungsniveaus 147 6.2 Datenerhebungskontext: Das schulische Umfeld 3. Jahrgangsstufe: Die zweite Klasse schien am geeignetsten, da die sprach‐ lichen Kenntnisse ausreichend und die Belastung durch andere Fächer in diesem Jahrgang am geringsten ist. 4. Vertrauensverhältnis: Aufgrund der Form der Datenerhebung (Audio- und Videoaufzeichnungen, Stimulated Recall und Leitfadeninterview) war es wichtig, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen ProbandInnen und Forscherin besteht. 6.2.1 Die Wahl der Klasse So fiel die Wahl auf eine 2A-Klasse der sprachlichen Fachrichtung, denn diese Klasse hatte ich im Schuljahr 2014/ 15 als Lehrperson für Englisch unterrichtet und zu ihr ein sehr gutes Vertrauensverhältnis aufgebaut. Das ermöglichte es, die Aufzeichnungen im Unterricht durchzuführen, ohne dass diese als störend oder einschüchternd empfunden worden wären. Die Klasse bestand aus 23 SchülerInnen zwischen 15 und 16 Jahren, davon waren 3 männlich und 20 weib‐ lich, was für die Datenerhebung bedeutete, dass die männlichen Vertreter un‐ terbesetzt waren. Aus diesem Grunde wurden genderspezifische Thematiken in Bezug auf Mehrsprachigkeit bewusst nicht berücksichtigt, denn es war aufgrund der Situation nicht möglich, genügend Daten zu erheben. Es benötigte eine Anlaufphase, in der sich die Lernenden an die Aufnahme‐ geräte in der Klasse gewöhnen konnten. Die Outputs (Vorträge, Poetry Slams, Rezitationen, Sketche usw.) wurden per Videogerät aufgezeichnet. Die mehr‐ sprachigen Aushandlungsprozesse in der Recherchegruppe wurden mittels eines Aufnahmegeräts aufgenommen, das während der Aushandlungsprozesse auf den Tisch gelegt wurde. Diese Geräte ermöglichen eine sehr hohe Audio‐ qualität, außerdem war den Schülerinnen das Aufnahmegerät bald ein ver‐ trauter Gegenstand und wurde kaum mehr bemerkt. Dadurch war es möglich, die Aufzeichnungen relativ unbemerkt zu machen. Die Aufzeichnungen mittels einer Videokamera, die außerhalb der Recherchegruppe hätte aufgestellt werden müssen, hätte lange nicht so gut Ergebnisse erzielt, da die Qualität des Audios, wie sich nach einem Versuch herausgestellt hatte, aufgrund der Hin‐ tergrundgeräusche nicht ausreichend gewesen wäre. 6.2.2 Die Datenerhebung Die Validität der Daten wurde durch die Triangulation garantiert: Die Audio- und Videoerhebungen wurden mit den einzelnen Schülerinnen in Form von retrospektiven Leitfadeninterviews und Stimulated Recalls nachbearbeitet, 148 6 Forschungsdesign außerdem halfen die Aufzeichnungen in einem Forschertagebuch, das wäh‐ rend der Unterrichtseinheiten geführt wurde, die Erhebungen zu überprüfen und zu ergänzen. Die Aufzeichnungen wurden im Anschluss an die Datener‐ hebung mit diskursanalytischen Instrumenten untersucht und relevante Stellen bei der Auswertung der einzelnen Schülerinnen sowie der Gruppen‐ diskussionen analysiert. 6.2.3 Aufbau und Abfolge der Unterrichtsmodule Es wurden im Laufe des Schuljahres 2015/ 16 insgesamt 5 Unterrichtsmodule in den Sprachenunterricht eingebaut, mit einer durchschnittlichen Dauer von 10/ 20 Stunden. Folgende Themenbereiche wurden behandelt: - MODUL 1: EXPO - Die Weltausstellung in Mailand - MODUL 2: Rotkäppchen: ein Märchen - viele Geschichten - MODUL 3: George Orwell „Animal Farm“ und die politische Rede in der Gegenwart und Geschichte. - MODUL 4: Umberto Eco „Der Name der Rose“ - Die Rose in der abend‐ ländischen Kultur - MODUL 5: Multilingual Poetry Slam Bei der Wahl der Themen wurden aktuelle Ereignisse berücksichtigt und die Interessen der Schülerinnen mit einbezogen, sie durften sich bei der Themen‐ wahl aktiv mit einbringen. Auf den Aufbau der Module wird exemplarisch anhand von zwei Beispielen in Kapitel 10 eingegangen. Hier sei nur festgehalten, dass sich zwei Modelle herauskristallisierten: rein mehrsprachige Module und alternierend ein- und mehrsprachige Module. So wurden Modul 1, 2 und 5 ausschließlich mehrspra‐ chig abgewickelt. Modul 2 und 4 hingegen gingen von bestimmten literarischen Texten und Autoren aus, die einsprachig behandelt wurden, im Anschluss daran wurde zum Thema mehrsprachig weiter gearbeitet. Zum besseren Verständnis des Aufbaues der Module und deren Verteilung im Schuljahr sei der Stundenplan für den Sprachunterricht in den 2. Klassen Spra‐ chenfachrichtung erläutert, dieser ist wie folgt gegliedert: Deutsch 4 Wochenstunden Italienisch 4 Wochenstunden Englisch 4 Wochenstunden 149 6.2 Datenerhebungskontext: Das schulische Umfeld Französisch 4 Wochenstunden Latein 3 Wochenstunden Tab. 6.3. Aufteilung Wochenstunden Das bedeutet, dass insgesamt 19 Wochenstunden Sprachunterricht stattfinden. Von diesen wurden pro Woche je 4 Stunden für das Projekt „Modellierung mehrsprachiger Kompetenzen“ von den Lehrkräften zur Verfügung gestellt, was eine Gesamtdauer der einzelnen Module von 3-5 Wochen bedeutete, da die Mehrsprachigkeitsmodule im Laufe des Schuljahres in den Sprachenunterricht als Blockveranstaltung integriert wurden. Damit wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass sprachliche und somit auch mehrsprachige Lernprozesse sich über einen längeren Zeitraum erstrecken und genügend Zeit gegeben sein muss, um diesen Lernprozess zu ermöglichen. Daher erstreckte sich die Datenerhe‐ bung über einen Zeitraum von neun Monaten. Abb. 6.4. Mehrsprachige Module im Schuljahr Der Unterricht wurde von der jeweiligen Sprachlehrperson abgehalten. Die ein‐ zelnen Module wurden in Zusammenarbeit der Forscherin mit den Lehrper‐ sonen ausgearbeitet. Die Verwendung plurilingualer Unterlagen erforderte zu‐ mindest grundlegende Kenntnisse der jeweiligen Sprachen von Seiten der einzelnen Lehrkräfte. Daher wurden diese so ausgewählt, dass sie der fünf ver‐ 150 6 Forschungsdesign wendeten Sprachen, wenn auch nicht auf höchstem Kompetenzniveau, mächtig waren. Diesem Aspekt wurde besondere Wichtigkeit beigemessen, da zur Ge‐ währung der Validität der Daten die Forscherrolle von der Lehrerrolle klar ge‐ trennt zu halten war und ich, trotz meiner ständigen Anwesenheit im Klassen‐ zimmer, nicht in den Unterricht eingreifen durfte. In Kapitel 5 wird eingehender auf diese Problematik eingegangen. Jedes Modul war thematisch festgelegt. Es handelte sich dabei um inhaltsorientierte und themenbezogene Kleinprojekte, die die Lernenden vor Aufgaben und Problemlösungsprozesse stellen, die im Sinne der komplexen Kompetenzaufgabe formuliert werden (Hallet 2012a: 11). Um diese Realitätsnähe zu gewährleisten, wurden Themen gewählt, die ak‐ tuell waren, oder die besonderes Interesse bei den Lernenden weckten. Die Ar‐ beitsunterlagen waren multimodal und plurilingual, d. h. in den Unterrichts‐ sprachen Deutsch/ Italienisch/ Englisch/ Französisch und wo möglich auch Latein. Diese multimodalen und plurilingualen Inputs hatten den Zweck, mehr‐ sprachige Texterschließungskompetenzen zu fördern und mehrsprachige Aus‐ handlungsprozesse in Gang zu setzen. Den Lernenden war es erlaubt, alle ihnen bekannten Sprachen zu verwenden, um sich in den Aushandlungsprozessen mitzuteilen. Auf diese Weise konnten sich mehrsprachige Gruppengespräche entwickeln, in denen sich neue kommunikative Möglichkeiten eröffneten und Strategien verwirklichen ließen. Die simultane Nutzung mehrerer Sprachen stellte die Lernenden vor neue und unerwartete Herausforderungen und wurde anfangs als sehr ermüdend empfunden. Bald aber kristallisierten sich bei den einzelnen ProbandInnen ganz individuell gestaltete Lernprozesse heraus, die in der Einzelanalyse im Detail erläutert werden. In diesem Rahmen, in dem Selbst- und Fremderfahrung im Unterricht eine zentrale Rolle spielen und interkultu‐ relles Lernen anhand von multimodalen und plurilingualen Inputs unterstützt wird, nehmen literarische Texte einen besonderen Stellenwert ein. Denn aus didaktischer Sicht ermöglichen diese auf der Ebene der Texterschließungskom‐ petenz, der narrativen Kompetenz aber auch der Textproduktion, das Ausleben von Emotionen, Selbstreflexion, Kreativität und Identifikationsprozesse. Mehrsprachige literarische Texte ermöglichen zusätzlich den Einblick in un‐ terschiedliche narrative Räume, die wie parallele Welten und Vorstellungen ge‐ trennt voneinander existieren, aber doch in Verbindung zueinander stehen (vgl. Spinner 2006 für den deutschsprachigen Literaturunterricht). Dadurch wird der Sinnstiftungsprozess erweitert, indem die Komplexität der mehrsprachigen nar‐ rativen Texte die Wahrnehmung von Realität und Fiktionalität in ein Netzwerk von Verbindungen zwischen Kulturen und Sprachen einbettet. Über diese er‐ weiterte individuelle Sinnstiftung hinaus verändert das Arbeiten mit plurilin‐ gualen literarischen Texten auch die Formen der Gemeinschaftsbildung (Nün‐ 151 6.2 Datenerhebungskontext: Das schulische Umfeld ning 2000: 102). Lernende entdecken auf diese Weise neue Aspekte ihrer Persönlichkeit und der anderer und werden in dieser Veränderung auch von den anderen wahrgenommen. So übernimmt Mehrsprachigkeit auch eine verän‐ dernde gemeinschaftsbildende Funktion. 6.2.4 Von der Lehrperson zur Forscherin Da die Klasse der Forscherin wohl bekannt war und es ein tiefes Vertrauens‐ verhältnis sowohl zwischen Forscherin und Lernenden als auch zwischen For‐ scherin und Lehrpersonen gab, scheint zunächst kein Anlass gegeben zu sein, um die Rolle der Forscherin kritisch zu reflektieren. Trotzdem ergaben sich aus diesem Umstand Folgen, die die Durchführung des Projektes beeinflussten, so‐ dass es in diesem Zusammenhang nötig erscheint, den Wechsel von der Rolle der Lehrperson in die Rolle der Forscherin eingehend zu betrachten, um ein besseres Verständnis der Implikationen und Auswirkungen zu erzielen. Die Klasse, in der die Datenerhebungen durchgeführt wurden, war der Forscherin vertraut: In Form einer Pilotierung waren bereits Projekte zur mehrsprachigen Kompetenzaufgabe durchgeführt worden. Die während der Durchführung dieser Projekte gesammelten Erfahrungen konnten sowohl bei der Ausarbeitung als auch bei der Durchführung der Unterrichtsmodule konstruktiv eingebracht werden. Auch den Lernenden war der Umgang mit plurilingualen Unterrichts‐ formen nicht unbekannt; im Verlauf der Durchführung des Projektes kam es deshalb auch nicht zu Formen der Unterrichtsverweigerung. Ein anderer Vorteil, der sich aus dieser besonderen Situation ergab, war, dass Persönlichkeit und Leistungsniveau der einzelnen Lernenden bekannt waren. Dies spielte beim Sampling eine ausschlaggebende Rolle. Laut der Grounded Theory (GTM) entscheiden der Forscher die Art der Datenerhebung und iden‐ tifiziert eine geeignete Recherchegruppe (Strauss & Corbin 1996; Glaser & Strauss 1967). Dieser Maximalanforderung konnte dank dieser besonderen Um‐ stände nachgekommen werden. Die Wahl der Schule wurde außerdem auch da‐ durch bestärkt, dass an derselben bereits seit Jahren Projekte zur Mehrspra‐ chigkeit liefen und sie zu den CLIL-Pilotschulen in Südtirol zählte. Die gesamte Schulgemeinschaft ist Mehrsprachigkeit und innovativen Unterrichtsformen gegenüber offen eingestellt und fördert diese. Bei der Durchführung des Forschungsprojektes fand zwar ein Wechsel von der Rolle der Lehrenden in die Rolle der Forscherin statt, indem der Unterricht an die einzelnen Fachlehrpersonen übertragen wurde. Es konnte jedoch auf ein Vertrauensverhältnis mit den Lernenden aufgebaut werden, das sich im Laufe der vorhergehenden Jahres herausgebildet hatte und wodurch die neue Rolle 152 6 Forschungsdesign und die Anwesenheit in der Klasse während der Datenerhebung widerstandslos und sogar mit Freude akzeptiert wurde. Durch diese Sonderstellung der For‐ schenden ergaben sich eine Reihe von Aspekten, die sich auf die Durchführung des Projektes auswirkten und daher einer ausführlichen Darstellung bedürfen: 1. Bei der Auswahl der beiden Recherchegruppen, die für die Audioaufzeich‐ nungen der Aushandlungsprozesse herangezogen wurden, konnte das Prinzip der maximalen Kontrastierung (Bohnsack 2013) angewandt werden. Es wurden Lernende ausgewählt, die sich in ihrer Persönlichkeit, Haltung und im sprach‐ lichen Kompetenzniveau möglichst stark unterschieden, sie wurden zwei un‐ terschiedlichen Gruppen zugeteilt. Die Kriterien zu Auswahl waren: - Einsprachigkeit/ Zwei- oder Mehrsprachigkeit: Neben vorwiegend ein‐ sprachig aufgewachsenen deutschsprachigen Lernenden wurden lebens‐ weltlich zweisprachig Deutsch/ Italienisch- und dreisprachig Deutsch/ Italienisch/ Ladinisch-Lernende ausgewählt. - Urbane oder extraurbane Herkunft: Die urbane Herkunft setzt mehr Kon‐ takt zur italienischen Sprache voraus, währenddessen es in bestimmten extraurbanen Regionen noch kaum zu Kontakten zwischen der deutschen und der italienischen Sprache kommt. - Aktives/ passives Verhalten im Unterricht: Da sich das Verhalten im Un‐ terricht großteils auch in der Arbeitsgruppe spiegelt, wurden Lernende in die Recherchegruppe aufgenommen, die sich sehr aktiv am Unterricht beteiligen und solche, die eher zurückhaltend sind. - Kompetenzniveau in den einzelnen Sprachen: Es wurde ein möglichst weites Spektrum an Kompetenzen angestrebt, um die Beobachtung der Kompetenzentwicklung unter verschiedenen Ausgangsvoraussetzungen zu ermöglichen. - Regelmäßigkeit des Schulbesuches: Diese war Grundvoraussetzung, da Schülerbefragungen insbesondere die Stimulated Recalls unmittelbar an den Unterricht angeschlossen wurden und daher eine regelmäßige An‐ wesenheit unbedingt nötig war. - Unterschiedliche Einstellungen und Haltungen zu L2 Italienisch: Da L2 Italienisch aufgrund der geschichtlichen und sozialen Entwicklung Süd‐ tirols eine Sonderstellung einnimmt, waren die unterschiedlichen Ein‐ stellungen zu dieser Sprache ausschlaggebend für die Entwicklung des Kompetenzzuwachses. 2. Durch das Vertrauensverhältnis zwischen Forscherin und Lernenden konnten die Leitfadeninterviews und Stimulated Recalls in einer gelassenen Atmosphäre stattfinden und es bedurfte nur einer kurzen Gewöhnungsphase. Die Aufnah‐ 153 6.2 Datenerhebungskontext: Das schulische Umfeld megeräte wurden während der Sitzungen nur geringfügig als störend emp‐ funden, und es konnte im Dialekt gesprochen werden, mit dem Vorteil, dass es dadurch zu noch mehr Offenheit in der Interaktion kam. So konnte die Pers‐ pektive der Lernenden durch enge Zusammenarbeit ausreichend beleuchtet werden. 3. Die noch minderjährigen Lernenden waren im Sinne des forschungsethischen Prinzips (Legutke & Schramm 2016: 108-109) über die Zielsetzungen des Pro‐ jektes informiert und eine Einwilligung sowohl ihrerseits als auch von den El‐ tern und Erziehungsberechtigten eingeholt worden. Da die italienische Gesetz‐ gebung den Umgang mit Daten Minderjähriger sehr streng regelt und diese nicht veröffentlicht werden dürfen, hätte ein einziges Veto das gesamte Projekt zu Fall gebracht. Im Umgang mit den erhobenen Daten ist höchste Vorsicht geboten, das Gesetz schreibt Anonymisierung vor und die Verwendung der Daten ist nur zu streng wissenschaftlichen Zwecken erlaubt, die Vorführung von Videodateien hingegen auch vor einem kleinen Publikum untersagt. Das einstimmige Vertrauen der Schulführungskraft, der Eltern und Lern‐ enden waren Voraussetzung für die Durchführung des Projektes. Dass es von keiner Seite Einwände und auch kein Veto gab, ist sicherlich auch darauf zu‐ rückzuführen, dass die Forscherin schon als Lehrperson bekannt war und als vertrauenswürdig eingestuft wurde. So konnte auch die Schwelle der Gatekee‐ pers problemlos überwunden werden, jener Personen und Institutionen also, die die Zugänglichkeit regeln (Merkens 2000: 288). Auch der langjährige persönliche Kontakt zu den am Projekt beteiligten Lehrpersonen und das Freundschafts‐ verhältnis zu ihnen, waren für die gemeinsame Planung der Module von großem Vorteil und ermöglichten einen reibungslosen Ablauf im Unterricht. Dazu waren mit der Schulführungskraft bereits im Vorjahr bei der Zusammenstellung des Klassenrates geeignete flexible, für neue Unterrichtsmethoden und für Mehr‐ sprachigkeit offene Lehrpersonen identifiziert worden, die auch die nötigen sprachlichen Voraussetzungen mitbrachten. Allerdings hatte es aus organisa‐ torischen Gründen einen Wechsel gegeben und eine Lehrperson musste ersetzt werden, sie war neu an der Schule und beteiligte sich nur ungern am Projekt, weshalb in diesem Falle die Durchführung des Unterrichtsmoduls sehr schwierig und mühsam war und sehr kurz gehalten wurde. 4. Das Führen eines Forschungstagebuches und die daran gebundene teilneh‐ mende Beobachtung wurden erheblich durch das umfassende und detaillierte Kontextwissen der Forschenden erleichtert. Das Konzept der teilnehmenden Beobachtung stammt aus der Sozialforschung, insbesondere der Feldforschung, und geht davon aus, dass bei der Erforschung des Verhaltens sozialer Gruppen 154 6 Forschungsdesign die persönliche Teilnahme des/ der Forscher/ in Voraussetzung ist, da die Inter‐ aktionen innerhalb der Gruppe der Forschungsgegenstand sind (vgl. Girtler 2002). Der hohe Grad an Vertraut-/ Bekanntheit unter Lernenden, Forscherin und Lehrpersonen war in diesem Sinne prozessbegleitend und unterstützend und ermöglichte so eine dichte Beschreibung (Geertz 1987). Die TeilnehmerInnen empfanden sich nicht als Beforschte, sondern nahmen eine zentrale Rolle ein und waren ausschlaggebend für den gesamten Forschungsprozess (Schart 2003: 15). Auf diese Weise konnten Haltungen, Strategien und Lernprozesse ge‐ meinsam mit den Lernenden eruiert werden. 5. Nachteilig wirkte sich der hohe Vertrautheitsgrad zwischen Forscherin, Lern‐ enden und Lehrperson hingegen in Bezug auf den Rollentausch der Forschenden aus. Es gelang nie, die Lehrerrolle zur Gänze zu verlassen. Ich wurde immer wieder durch Fragen der Lernenden vor allem sprachlicher Natur in die ur‐ sprüngliche und für die Lernenden gewohnte Lehrerrolle zurückgeholt. Das gute Verhältnis zu den Lernenden ließ es nur schrittweise und sehr langsam zu, dass ich mich aus meiner Lehrerrolle verabschiedete, aber es gelang mir nie, wie bereits erwähnt, sie ganz zu verlassen. Dies führte immer wieder zu unvorher‐ gesehenen Unterbrechungen beim Führen des Forschungstagebuches. Ich zog es jedoch vor, diesen Prozess nicht durch irgendwelche Maßnahmen zu be‐ schleunigen oder gar zu forcieren. Eine längere Gewöhnungsphase sollte es verhindern, die Lernenden in eine Abwehrhaltung zu drängen und somit die positive Grundhaltung gegenüber dem Projekt zu beeinträchtigen. Daher wurden nach den ersten Versuchen die Aufzeichnungen nicht mehr während, sondern unmittelbar anschließend an den Unterricht vorgenommen. Auf diese Weise konnte ein sanfter Übergang ermöglicht werden. 6.2.5 Gütekriterien Kritisch zu reflektieren ist außerdem die Rolle der Forschenden in Zusammen‐ hang mit dem gewählten qualitativen Ansatz, der im Gegensatz zu einem quan‐ titativen immer vor einem biographischen eingefärbten Hintergrund stattfindet, weshalb die für quantitative Ansätze gültigen Gütekriterien nur in abge‐ schwächter Form zu Anwendung kommen können (vgl. Steinke 2000). Es ist nicht zu verhindern, dass sich Anforderungen der Legitimation und Reflexion über die Daten auf den Entstehungskontext auswirken können. Als beteiligtes Subjekt ist die Forscherin konstitutiv in das Forschungsdesign eingebunden, trifft Entscheidungen über die Zeit und Art der Datenerhebungen und den Er‐ hebungskontext. Das Gütekriterium der Objektivität erfährt so Einschrän‐ kungen, da die Forschenden zwangsläufig eine subjektive Perspektive beim Er‐ 155 6.2 Datenerhebungskontext: Das schulische Umfeld stellen des Forschungsdesigns einnehmen, wodurch die Gültigkeit der Datenanalyse und Interpretation notgedrungen Einschränkungen in ihrer Aus‐ sagekraft erfahren (vgl. Merriam 2002; Schart 2003; Aguado 2000b) Das Güte‐ kriterium der Objektivität kann daher nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben, es beschränkt sich darauf, dass die theoretischen Prämissen für die Modellierung intersubjektiv nachvollziehbar sind (Aguado 2000b: 122). Das Gütekriterium der Reliabilität kann auch nicht wie in der quantitativen Forschung durch die Anwendung standardisierter Messverfahren zur Erpro‐ bung von postulierten Hypothesen erlangt werden. Die empirisch induktive Vorgangsweise qualitativer Forschung begründet sich auf einer stichfesten, in sich schlüssigen Theoriebildung und ihrer Konsolidierung bzw. Widerlegung durch empirische Daten. So kann das qualitative Verfahren einem spiralför‐ migen Prozess gleichgestellt werden, der durch Verifizierungs- und Falsifizie‐ rungsmechanismen induktiv den Forschungsgegenstand umreißt. Dabei kann auch in diesem Fall nicht der Anspruch erhoben werden, die objektive Wahrheit wiederzugeben, sondern lediglich ein möglichst facettenreiches Bild dessen, was erforscht wird (Schründer-Lenzen 2010: 150 f.). Das Gütekriterium der internen Validität ist durch die Triangulation der Da‐ tenerhebungen gewährleistet (Henrici 2001; Riemer 2000). Nachvollziehbarkeit und Transparenz des gesamten Forschungsprozesses werden auf diese Weise ermöglicht. Die durch die unterschiedlichen Methoden gewonnene Perspekti‐ venvielfalt erfolgt durch deren Ineinanderwirken. Sie zeigt auf, wie Lernende in den ausgewählten Lernsettings agieren und reagieren und welche Ressourcen sowohl im sprachlichen als auch im sozialen Bereich aktiviert werden. Die Ver‐ wendung unterschiedlicher Datenerhebungsmethoden dient also einerseits dazu, den Blickwinkel der einzelnen Methoden durch deren Zusammenschau zu erweitern und zu ergänzen, um eine umfassendere und tiefgreifende Dar‐ stellung des Forschungsgegenstandes zu ermöglichen. Flick spricht aber auch von „divergenten Perspektiven“ (Flick 2000: 318), Perspektiven also, die sich gegebenenfalls widersprechen können. Dieser Mechanismus der Korrelation und Divergenz trägt ebenfalls zu einer umfassenden Beschreibung des Unter‐ suchungsgegenstands bei. Die externe Validität wird gewährleistet, indem alle Entscheidungen und die gesamte Dokumentation des Forschungsprozesses nachprüfbar und kontrollierbar ist (Hülst 2010: 295). Des Weiteren erlaubt die diachrone Datenerhebung, die Entwicklung des Kompetenzzuwachses über einen längeren Zeitraum hinweg zu beobachten. Da es sich bei Kompetenz- und Spracherwerbsprozessen um sog. Langzeitlernpro‐ zesse handelt, kann eine sinnvolle Beobachtung nur über einen längeren Zeit‐ raum erfolgen. Sie ermöglicht es, den Entwicklungsstand des Kompetenzzu‐ 156 6 Forschungsdesign wachses zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufzuzeigen und durch den Vergleich mit vorhergehenden Entwicklungsmomenten eine Entwicklungs‐ kurve auszuarbeiten, mit dem Ziel aufzuzeigen, wie sich der Kompetenzzuwachs der MKK unter unterschiedlichen Voraussetzungen gestalten. Zudem kann daran erkannt werden, wie sich unterschiedliche didaktische Designs und Auf‐ gabenstellungen auf diese Entwicklung auswirken, welcher Zusammenhang also zwischen konkreter Aufgabenstellung in der komplexen Kompetenzauf‐ gabe und Entwicklung der MKK besteht. Da mehrsprachiger Kompetenzzuwachs im Unterricht ein derzeit noch kaum beforschtes Gebiet sondiert, eignet sich die Fallstudie aufgrund ihrer Eigen‐ schaften besonders für dieses Vorhaben. Sie erlaubt eine tiefe und eingehende Analyse des Phänomens MKK und seiner Entwicklung. Die diesem Forschungs‐ design zugrundeliegende mehrmethodische Herangehensweise (Aguado 2016: 250) der Datenerhebung (Datentriangulation einerseits und diachrone Daten‐ erhebung andererseits) führen zu einer dichten Beschreibung des Phänomens MKK im Sinne Dörnyeis (Dörnyei 2007: 155). 6.3 Dokumentation und Analyse der Datensätze Da die Datensätze mit unterschiedlichen Methoden ausgewertet wurden und in unterschiedlichen Kontexten entstanden sind, ist es nötig, die Kontexte zu er‐ läutern und angewandte Methoden und ihre Zielsetzungen darzulegen mit dem Ziel, die inhaltlichen Eigenschaften und die einzelnen Schritte der Datenaus‐ wertung transparent und nachvollziehbar zu machen. Die Entscheidung für eine mehrmethodische Herangehensweise, die die Dokumentarische Methode (DM) und die Grounded Theory (GTM) als Forschungsansätze vereint, rührt daher, eine möglichst breitgefächerte und tiefgreifende Kenntnis der Prozesse der Entwick‐ lung einer MKK im mehrsprachigen aufgabenorientierten Unterricht auf allen Ebenen zu gewinnen. Beide Methoden haben die Rekonstruktion von sozialen Prozessen und sozialer Sinnkonstruktion zum Inhalt. Diese sollen intersubjektiv nachvollziehbar gemacht werden. Die mehrmethodische Herangehensweise schafft Synergien zwischen den verschiedenen Methoden und kann Unzulänglichkeiten auf beiden Seiten be‐ heben. Die DM gilt als besonders geeignet für die Analyse von Gruppendiskus‐ sionen und Interviews, da sie Sinnkonstruktionen erfasst und auslegt und daher auch auf „Haltungen, Wissensbestände, Gefühle und Überzeugungen“ (Bonnet 2012: 292) verweist. Dabei handelt es sich um Tiefenstrukturen, die für die Re‐ konstruktion des Erwerbes von MKK auf den verschiedenen Ebenen von größter 157 6.3 Dokumentation und Analyse der Datensätze Bedeutung sind. Aguado merkt bezüglich der DM allerdings kritisch an, dass diese nur zur Datenerhebung von Personen mit gleichem Erfahrungsraum ge‐ eignet ist und entdeckt einen „unreflektierten Umgang mit der Paraphrasierung von Originalaussagen“ (Aguado 2016: 252), räumt jedoch gleichzeitig ein, dass jegliche Auswertung von Daten bereits eine Interpretation darstellt und selbst das Transkribieren interpretierend vorgeht (ibid.: 254). Dieser Blind Spot, den die DM mit anderen Datenerhebungsmethoden teilt, soll so weit wie möglich behoben werden. Dazu wird die GTM herangezogen, deren Methode der Datengewinnung - das Theoretical Sampling - eine fortwährende Datenerhebung und Überprüfung im Rahmen der Theorieentwicklung vorsieht. Das bedeutet, von dem Verfahren der repräsentativen Stichproben wegzukommen hin zu einem Prozess, in dem durch sukzessive Datengewinnung und Analyse eine Ausdifferenzierung und Verbesserung der Daten gewonnen werden kann, wobei alle Daten als vorläufig zu betrachten sind (zur Vereinbarkeit der beiden Methoden vgl. Aguado 2016: 253). Im Verlauf des Datenerhebungsprozesses werden die Daten aufgrund ihrer Relevanz für den Forschungsgegenstand nach dem Prinzip der maximalen Di‐ vergenz und des maximalen Kontrastes selektiert. Der andauernde Vergleich und die Kodierung erfolgen innerhalb eines zyklisch angelegten Forschungs‐ prozesses, der als vorläufig abgeschlossen gelten kann, sobald die Forscher einen Punkt der theoretischen Sättigung erreichen (Glaser/ Strauss 1967). Wenn dieser Punkt, an welchem neue Daten keine relevanten wissenschaftlichen Erkennt‐ nisse mehr liefern, erreicht ist, kann dieses Kreisverfahren eingestellt werden. Das sukzessive Verifizieren und Vergleichen der Datensätze der GTM erlaubt es, die textimmanente Datenanalyse der DM auf einer diachronen Achse se‐ quentiell beobachtbar zu machen. Es kann also insbesondere in den Einzelfall‐ analysen nachvollzogen werden, wie sich der Kompetenzzuwachs der MKK in‐ dividuell und in der Gruppe gestaltet und wie dieser sich mit der Zeit entwickelt. Außerdem können die so gewonnenen Erkenntnisse im Vergleich aufeinander abgestimmt werden und im Rahmen der Codierung relevante Codes von nicht relevanten abgetrennt werden. Die Wahl der Fallstudie und die damit einher‐ gehende Beschränkung der Datenerhebung auf eine kleine Anzahl von Lern‐ enden erlaubte die dichte Beschreibung (Geertz 1987) und das im Sampling berücksichtigte Kriterium der maximalen Unterschiedlichkeit der beiden Re‐ cherchegruppen und der einzelnen Probandinnen die interne Vergleichbarkeit - eine für beide Forschungsmethoden unumgängliche Voraussetzung. 158 6 Forschungsdesign 6.3.1 Fragebögen zur Sprachbiographie Die Feststellung des Zuwachses von MKK setzt voraus, dass sprachbiographi‐ sche Daten vor der Durchführung des Forschungsprojektes erhoben werden, da der Kompetenzzuwachs sich individuell vor dem Hintergrund dieser biographi‐ schen Daten vollzieht. Es wurde daher vor Beginn der Durchführung der Un‐ terrichtsmodule ein Fragebogen an die Lernenden ausgeteilt. Die Fragebögen wurden von der gesamten Klasse ausgefüllt, da zu Beginn des Forschungspro‐ jektes nicht klar war, welche Lernende Teil der Recherchegruppen sein würden. Ziel des Fragebogen war es, das Bewusstsein der Lernenden über die ihnen be‐ kannten Sprachen zu stärken und gleichzeitig relevante Informationen über den schulischen und lebensweltlichen Sprachgebrauch der Lernenden zu gewinnen, um anschließend die Auswahl der ProbandInnen vorzunehmen. Die Lernenden sollten reflektieren, welche Sprachen sie im schulischen und außerschulischen Umfeld und mit wem benutzen und schließlich, welche Haltungen die Lern‐ enden gegenüber den einzelnen Sprachen einnehmen. Gleichzeitig wurde er‐ hoben, wann und zu welchem Zeitpunkt im Leben die verschiedenen Sprachen gelernt wurden und welche Form der lebensweltlichen Einbzw. Mehrspra‐ chigkeit die einzelnen Lernenden leben. Diese Fragebögen waren zudem als Bestandsaufnahme der Ausgangslage vor Beginn der Durchführung der mehrsprachigen aufgabenorientierten Module gedacht und hatten die Aufgabe, die unterschiedlichen biographischen Voraus‐ setzungen für die Entwicklung von MKK festzulegen. Dazu gehören die Sprach‐ lernbiographie, Ein-, Zweibzw. Mehrsprachigkeit der Lernenden, Haltungen und Einstellungen zu den einzelnen Sprachen in der Schule und außerhalb. So konnten unter Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen Entwick‐ lungen in den einzelnen Bereichen im Verlauf des Projektes besser erkannt und aufgezeichnet werden. Die erste Frage fokussierte auf die Sprachbiographie der einzelnen Lern‐ enden. Dabei wurden folgende Bereiche berücksichtigt: Frage I 1. Anzahl der Erstsprachen: Verwendungsumfeld, Personen 2. L2/ L3: Verwendungsfeld, Personen 3. Sprachverwendung in der Familie: Häufigkeit im Vorkommen; Personen, wann wurde welche Sprache gelernt 4. Dialekte im familiären Umfeld: Verwendungsumfeld, Personen 5. Freizeitsprachen: Verwendungsbereiche, Personen 159 6.3 Dokumentation und Analyse der Datensätze 6. Italienisch/ Englisch (nicht L1): Verwendungsbereiche, Personen 7. Weitere Sprachen (z. B. Ladinisch): Verwendungsbereiche, Personen 8. Schulsprache Deutsch: Verwendungsbereiche, Personen Tab. 6.5. Die zweite Frage versuchte festzustellen, wie die Lernenden die eigenen Sprach‐ kenntnisse einschätzten. Frage 2 Weiß nicht schlecht mittel gut Sehr gut 1. Wie schätzt du deine Deutschkenntnisse ein? 2. Wie schätzt du deine Italienischkennt‐ nisse ein? 3. Wie schätzt du deine Englischkennt‐ nisse ein? 4. Wie schätzt du deine Französischkennt‐ nisse ein? 5. Andere Sprachen? 6. Versuche deine Antworten zu begründen: Tab. 6.6. Die dritte Frage war eine geschlossene Frage und ermittelte die Lernerfahrungen der Lernenden zu den gelernten Sprachen. Die Antworten konnten durch einen persönlichen Kommentar ergänzt werden. Frage 3 Wie bewertest du deine Lernerfahrungen in den folgenden Fächern Fach Genü‐ gend Gut sehr gut Ausge‐ zeichnet Meinung/ Veränderungs‐ vorschläge/ Kommentare Deutsch Italienisch Englisch 160 6 Forschungsdesign Französisch Latein Andere Sprachen Tab. 6.7. Die vierte Frage, zunächst als geschlossene Frage formuliert, ging genauer auf die Einstellungen und Emotionen zu den unterschiedlichen Sprachen und Schul‐ sprachen ein. Hier gab es auch zwei offene Vertiefungsfragen, die es den Lern‐ enden ermöglichten, sich persönlich zu ihren Angaben zu äußern, um diese ge‐ nauer beschreiben zu können und Verbesserungsvorschläge für den Unterricht einzubringen. Aufgrund ihrer sehr persönlichen biographischen Eigenschaften konnten diese Daten bei der Auswahl der ProbandInnen für die Einzelfallanalyse herangezogen werden. Dabei wurde darauf geachtet, eine möglichst große bio‐ graphische Vielfalt zu erzielen, wodurch der Auswahl der KandidatInnen den Anforderungen des maximalen Unterschiedes mehr als ausreichend Rechnung getragen werden konnte (vgl. Bohnsack 2013). Frage 4 Wie fühlst du dich, wenn du diese Sprachen im Unterricht sprichst: Nicht so gut Es geht Gut Sehr gut Deutsch Italienisch Englisch Französisch Latein Andere Sprachen Tab. 6.8. Warum fühlst du dich so? Welche Erfahrungen haben dazu geführt? Welche Veränderungen für den Unterricht würdest du vorschlagen? 161 6.3 Dokumentation und Analyse der Datensätze Die verschiedenen Fragen dienten u. a. auch dem Zweck, die Lernenden anzu‐ regen, sich über die eigene Sprachbiographie Gedanken zu machen und Hal‐ tungen, Wahrnehmungen und Gefühle bezüglich derselben erstmals zu reflek‐ tieren. 6.3.2 Audio- und Videodateien Nach einer ersten Phase der Beobachtung des Unterrichtsverlaufs wurden nach dem Prinzip des maximalen Unterschieds zwei Gruppen zu je 4-5 Lernenden identifiziert, deren Gespräche parallel aufgezeichnet wurden, indem ein Auf‐ zeichnungsgerät auf den Tisch gelegt wurde. Das ermöglichte die Beobachtung von 8-10 Beteiligten pro Unterrichtseinheit. Die Zahl der Gruppenmitglieder war nicht immer konstant, da bei einem längeren Projekt in derselben Klasse auch mit Abwesenheiten gerechnet werden muss. Es wurden so 35 Audiodateien und 25 Videodateien erstellt, deren Dauer sich zwischen zehn Minuten und 1 1/ 2 Stunden belaufen. Diese Dateien wurde mit dem Transkriptionsprogramm F5 transkribiert und als Textdateien für das offene Codieren herangezogen. Dabei konnte auf keine automatische Transkription zurückgegriffen werden, da die Aufzeichnungen mehrsprachig waren und auch Dialekte und Varietäten vorkamen. Die Transkripte ermöglichen es, für das Ohr nicht wahrnehmbare Aspekte des Diskurses zu erkennen. Parallelgespräche, Unterbrechungen und mehrsprachige Phänomene wie Code-switching und Translanguaging können viel genauer analysiert werden. Es kann so besser erkannt werden, welche Re‐ aktionen Äußerungen hervorrufen und welche mentalen Prozesse ausgelöst werden (Kindt 1999: 85). Die Sprachsituation kann als authentische, jedoch durch das schulische Um‐ feld gekennzeichnete bezeichnet werden. Die Gruppenarbeiten waren nicht lehrergeleitet, da die Lernenden aufgefordert wurden, selbstständig anhand plu‐ rilingualer Unterlagen mehrsprachige Lernprodukte auszuarbeiten. Die Sprach‐ abfolge wurde dadurch nicht durch eine externe Autorität geregelt und es kam oft zu Überlappungen, Unterbrechungen und simultanen Gesprächssituationen, was einerseits den Vorteil mit sich brachte, dass authentisches Material zur Analyse herangezogen werden konnte, andererseits erschwerte das, zusammen mit den durch die anderen Gruppen verursachten Hintergrundgeräuschen, die Transkription. Dies führte dazu, dass manchmal Äußerungen unverständlich blieben. Die Lernenden brauchten einige Zeit, um sich an die Aufnahmegeräte auf dem Tisch zu gewöhnen. Daher sind die ersten Aufzeichnungen sehr zähflüssig und von langen Pausen gekennzeichnet. Nach einer Eingewöhnungsphase und 162 6 Forschungsdesign dank auch des Vertrauensverhältnisses zu der Forscherin und den Lehrpersonen wurden diese anfänglichen Schwierigkeiten überwunden und die Lernenden gewöhnten sich an die Aufzeichnungsgeräte, so kam es zur Aufzeichnung au‐ thentischer mehrsprachiger Gesprächssituationen. Der Versuch, eine möglichst realistische und natürliche Atmosphäre für die Aufzeichnung alltagsweltlicher Gespräche zu schaffen, wird von Lalouschek/ Menk als „Beobachtungspara‐ doxon“ bezeichnet (Lalouschek/ Menz 1999: 49). Allerdings unterstreichen sie, dass Sprechende ihre Gespräche nicht über einen langen Zeitraum kontrollieren können und sich bald nicht mehr beobachtet fühlen, wodurch ein spontaner Diskurs entstehen kann (ibid.: 49). Die Inhalte beziehen sich größtenteils auf die Aufgabenstellung und Maßnahmen zu deren Bewältigung und zur Lösung von aufgabenbezogenen Probleme (Kindt 1999: 85). Es kommen aber im Laufe der Zeit immer öfters Einschübe privater Natur vor, die Aufschluss geben über le‐ bensweltliche mehrsprachige Praktiken der Lernenden. Aufgrund der Komplexität der Daten fiel bei der diskursanalytischen Auswer‐ tung der Audiodateien die Wahl auf die dokumentarische Methode. Diese Me‐ thode ist besonders geeignet, da sie aus der qualitativen Sozialforschung stammt und sich laut Bohnsack insbesondere nicht nur um die Art und Weise kümmert, wie das Individuum sich im Gespräch darstellt, sondern wie sich das Gespräch kollektiv entfaltet. Dabei geht es nicht primär um die Selbstdarstellung des Ein‐ zelnen, sondern um die kollektive Entfaltung des Gespräches (Przyborski 2004), die gemeinsame Orientierung einer Gruppe, den „Orientierungsrahmen“ (Bohn‐ sack 2013: 241), der zur Entfaltung des Gespräches beiträgt und wie unbewusste Wissenselemente, das sog. „atheoretische Wissen“, dadurch zum Vorschein kommen (Nohl 2012: 5). Diese Methode dient daher nicht nur der formellen Be‐ schreibung kommunikativer Phänomene sowie der Kommunikationsabsichten als Selbstdarstellung des Einzelnen, sondern ist durch ihre Verortung in der qualita‐ tiven Sozialforschung und der Wissenssoziologie Mannheims bestrebt, darüber hinaus die Sinnkonstruktion als solche im Bedeutungsaushandlungsprozess zu beschreiben. Diese Sinnkonstruktion setzt ein gemeinsames und geteiltes Wissen voraus, die sog. „kollektive Orientierung“, die das Gespräch in der gegenseitigen Interaktion in seiner Entfaltung prägt. Das Orientierungshandeln im Rahmen der kollektiven Orientierung hängt nicht von der Sinngebung des einzelnen ab, son‐ dern verweist auf habituelle Handlungspraxen und das zugrundeliegende auto‐ matisierte Orientierungswissen (Bohnsack 2013: 9). Dies verschafft Zugang zum gruppenspezifischen Erfahrungsraum, der von Bohnsack als konjunktives Wissen, „milieuspezifisches Orientierungswissen“ bezeichnet wird (ibid.: 15). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die einzelnen Individuen Erfahrungsräume aus anderen Milieus mitbringen und es zu Überlappungen kommt, die auf das ge‐ 163 6.3 Dokumentation und Analyse der Datensätze samte Gespräch Einfluss nehmen. Die Gesamtheit der Orientierungsmuster ma‐ chen den Orientierungsrahmen aus (ibid.: 241). Die Konstitution des Orientie‐ rungsrahmens ist laut Mannheim an vorreflexive Wissensbestände, das sog. atheoretische Wissen geknüpft und formt das kollektive Gedächtnis. Sie bilden generative Muster und sind streng situationsgebunden. So erwähnt Bohnsack z. B. den Begriff „Familie“, der fallspezifisch und millieuspezifisch Bedeutung trägt und als konjunktive Bedeutung zum konjunktiven Erfahrungsraum gehört (ibid.: 242). Bohnsack (Nohl 2012: 3) unterscheidet vier Analyseschritte: Zunächst erfolgt die Auswahl der zu untersuchenden Diskursabschnitte nach dem Kriterium der metaphorischen und interaktiven Dichte, diese werden Fokussierungsmeta‐ phern genannt (ibid.: 245). Die Kriterien werden gemäß deren Relevanz für das Forschungsinteresse der einzelnen Forscher und der behandelten Themen fest‐ gelegt. Daraufhin erfolgt die formulierende Interpretation, in ihr wird der im‐ manente Sinngehalt des Diskurses reformuliert. Dadurch wird das Datenmate‐ rial entfremdet und erste thematische Inhalte ausdifferenziert. Der zweite Schritt - die reflektierende Interpretation - stellt das Kernstück dieser Methode dar. Als Abstraktionsprozess ist sie darauf fokussiert, wie bestimmte Themen oder Probleme behandelt werden. Sie legt also den Orientierungsrahmen fest und dessen vorreflexive Wissensbestände. Sie „erklärt hinsichtlich der Akteur‐ perspektive komplexe Bedingungsgefüge sowie subjektive Sinnsysteme und deren milieubzw. subkulturelle Herkunft“ (Bonet 2011: 288). Der Fallvergleich und die sinngenetische Typenbildung stellen die abschließenden Analyse‐ schritte dar. Der Maximalanforderung des Fallvergleichs (Bohnsack 2013: 137) kann das Forschungsdesign in Form einer internen Differenzierung nach‐ kommen, indem die Vergleichbarkeit durch die Beobachtung zweier Gruppen und die Auswahl von vier Lernenden für die Durchführung von Interviews und SRs gewährleistet wird. Dadurch soll der interpretatorische Zugriff erleichtert und die Ergebnisse im Sinne einer intersubjektiven Nachvollziehbarkeit vali‐ diert werden (vgl. Nohl 2012: 49). In der empirischen Lehr- und Lernforschung wird die dokumentarische Me‐ thode zum Zweck der Unterrichtsanalyse und für die Kompetenzforschung he‐ rangezogen (ibid.: 286), da sie unterschiedliche Prozesse und komplexe Zusam‐ menhänge aufzeigen kann. Als besonders geeignet erachtet sie Bonnet für die Untersuchung von Aspekten der Transkulturalität und Hybridität. Hier liegt der Fokus nicht mehr im Bereich des deklarativen Wissens, sondern im Kompe‐ tenzzuwachs im Umgang mit komplexen plurikulturellen Situationen, die neue Strategien im Bereich der Bedeutungsaushandlung und Toleranz für Ambigu‐ ität, einhergehend mit der Reflexion über die Positionierung des eigenen Selbst 164 6 Forschungsdesign und die Überwindung ethnozentrischer und egozentrischer Perspektiven for‐ dert. In diesem Zusammenhang werden auch Phänomene wie die Auswir‐ kungen von Mehrsprachigkeit auf den Spracherwerbsprozess und Formen der sozio-ökonomischen Diskriminierung und Machtausübung erwähnt (ibid.: 288). Allgemein lassen sich laut Bonnet Spracherwerbsprozesse in ihrer Komplexität durch die dokumentarische Methode erfassen und die großen individuellen, persönlich-biographisch bedingten Unterschiede in der Entwicklung von Kom‐ petenzen und Strategien nachvollziehen und reflektieren. Es kann so aufgezeigt werden, wie durch die sprachlichen Bildungsprozesse die Orientierungsrahmen der Lernenden verändert werde, denn die Interaktion wird auf dem Hintergrund ihrer symbolischen Bedeutung betrachtet und die Sinnkonstruktion dieses atheoretischen symbolischen Wissens offengelegt: […] the human beings act towards things on the basis of the meaning the things have for them […] . The second premise is that the meaning of such things is derived from, or arises out of, the social interaction one has with one's fellow. The third premise is that these meanings are handled in, and modified through, an interpretative process used by the person in dealing with the things he encounters. (Blumer 1969, 2 zitiert nach Bonnet 2012: 209) Aus den oben angeführten Gründen wurde die DM aus einer Vielzahl verschie‐ dener diskursanalytischer Forschungsmethoden ausgewählt, da sie für die Be‐ obachtung des Kompetenzzuwachses der MKK angemessene Eigenschaften auf‐ weist. Da DM Sprache nicht als reines Kommunikationswerkzeug sieht, können mehrsprachige Sprachhandlungen sowohl auf kognitiver Ebene untersucht als auch auf ihre symbolischen und emotionalen Inhalte hin hinterfragt werden. Haltungen und Einstellungen werden offengelegt und ihre diachrone Verände‐ rung durch den Bildungsprozess aufgezeigt. Dabei folgt sie je nach Diskurstyp genauen Regeln bezüglich der Sprachhandlungssequenzen (z. B. Rederecht, Frage-Antwort, Vorwurf, Erklärung, Rechtfertigung, Erzählen). Bei der Analyse werden wiederkehrende Details und Muster zunächst identifiziert und der Ent‐ stehungsprozess dieser Regelmäßigkeiten nachvollzogen. Daraufhin sollen die kognitiven und mentalen Muster rekonstruiert werden und die emotionale Dis‐ position abgeleitet werden (vgl. Becker-Mrotzek & Meier 1999). Bohnsacks Konzeption der Sinnkonstruktion und der Bedeutungsaushand‐ lung stimmen mit Kramschs Prämissen zur symbolischen Kompetenz überein, da sich die DM mit Sinnkonstruktionen und deren atheoretischen, auf der bio‐ graphischen Entwicklung des Individuums fußenden Wissen beschäftigt. Kramsch betont, dass mehrsprachiger Unterricht es den Lernenden ermöglicht, Sprache als eine lebendige Form zu erleben und diese Erfahrung körperlich zu 165 6.3 Dokumentation und Analyse der Datensätze verankern. Der Kontakt zum Fremden bedarf der Vermittlung der symbolischen Formen und soll sich nicht durch die Illusion effizienter Kommunikation beirren lassen. Dazu braucht es laut Kramsch: Sprach(en)bewusstheit, Interpretations‐ fähigkeit, Übersetzungskompetenzen, politisches Bewusstsein, soziale Sensibi‐ lität und ästhetisches Verständnis (Kramsch 2009: 190 f.). Auch Nohl betont, dass gerade die Prozessstruktur ein bildungstheoretisches Potenzial darstellt, und definiert Bildung als einen qualitativen Sprung, indem sie die Selbst- und Welt‐ referenz ändert. Schütze spricht in diesem Zusammenhang von „Kreativitäts‐ entfaltung des Bildungsprozesses“ (Schütze 2000: 63). 6.3.3 Stimulated Recalls (SR) Die Analyse der Sprachaufzeichnungen des Datensatzes 1 erlaubt durch die spezifische Auswertung durch die DM bereits einen tiefen Einblick in die zu‐ grundeliegenden Prozesse und den möglichen Kompetenzzuwachs. Die Ergän‐ zung durch selbstreflexive Verfahren wie der SR ermöglicht den Vergleich der gewonnenen Erkenntnisse aus der subjektiven Perspektive der einzelnen Lern‐ enden. Dadurch können Analyseergebnisse zum ersten Datensatz ergänzt, rich‐ tiggestellt oder widerlegt werden. Das verhindert eine perspektivische Veren‐ gung und trägt zur Vielfältigkeit der Daten bei. Die SR-Methode versucht, kognitive Prozesse, die sich in den Lernenden vollziehen, nachzuzeichnen, indem durch audio-visuelle Inputs Erinnerungen an bestimmte kritische Momente wachgerufen werden. Es wird angenommen, dass auf diese Weise durch die Erinnerung auf mentale Prozesse während eines bestimmten Ereignisses zurückgegriffen werden kann (Gass & Mackey 2017: 16). Allgemein wird davon ausgegangen, dass Methoden der Introspektion de‐ klaratives Wissen direkt zugänglich machen können. Prozedurales Wissen gilt hingegen als nicht abrufbar, da es automatisch und unbewusst und daher für die Introspektion nicht zugänglich ist. Die SR-Methode versucht aufzuzeichnen, wie prozedurales und deklaratives Wissen organisiert sind. Es kann also niemand zur Gänze auf Erfahrungen zurückgreifen, daher beschränkt sich die SR auf mentale Entscheidungsprozesse im gegenwärtigen Kontext. Lyle postuliert, dass durch die Reaktion auf Video-/ Audiosequenzen die Antworten der Interviewten umfangreicher und besser strukturiert waren als z. B. bei freier Erinnerung (Lyle 2003: 863 f. mit Verweis auf Omodei & McLennan 1994). Im Fremdsprachener‐ werb lassen sich laut Gass/ Mackey durch SR vor allem Sprachlern- und An‐ wendungsstrategien, Art und Struktur sprachlichen Wissens, Erschließungs‐ strategien und Speicherungsmechanismen erkennen (ibid.: 21 f.). Um die Erinnerung nicht durch Erwartungshaltungen und Interpretationen zu verfäl‐ 166 6 Forschungsdesign schen, empfiehlt es sich, die SRs nicht später als 24 Stunden nach den Aufzeich‐ nungen durchzuführen. Das stellte die Forscherin vor große organisatorische Herausforderungen, da die SR noch am selben Tag der Aufzeichnungen stattfinden mussten. Dazu war es nötig, unmittelbar anschließend an den Unterricht die Aufzeichnungen durchzuschauen und dann die ausgewählten Lernenden aus dem Unterricht zu holen und die SRs durchzuführen. Dieses für den Schulalltag sehr einschnei‐ dende Verfahren wurde dank der positiven Stimmung gelassen hingenommen. Es wurden insgesamt 15 SR durchgeführt. Dazu wurden aus den 2 Gruppen 4 Lernende ausgewählt und dreimal befragt. Es wurden ihnen Audiodateien der Aushandlungsprozesse und Videodateien der mehrsprachigen Outputs vorge‐ führt. Die Lernenden konnten die Aufzeichnungen anhalten, sobald sie sich an etwas erinnerten, das sie mitteilen wollten. Im Gegensatz zu dem, was Gass/ Mackey feststellen, ergaben sich aus den Erinnerungen narrative Erzählungen, die auch Aufschluss über gemeinschaftliche Formen des Lernens und die Be‐ findlichkeit innerhalb der Gruppe gaben und auch über Gefühle, Einstellungen und Motivation. Die Erinnerung setzte einen Gedankenfluss in Gang, der es den Lernenden ermöglichte, sich frei über das, was sie als mitteilenswert erachteten, zu äußern. Es kam zu Erzählungen und Beschreibungen mit Bezug auf die ge‐ machten Lernerfahrungen, diese wurden mit den Lernerfahrungen in anderen Unterrichtsformen verglichen und auch an außerschulische und biographische Erfahrungen geknüpft. Diese für Jugendliche typische implizite asystematische Darstellungsweise (vgl. Bohnsack 2013: 245) legte es nahe, auch in diesem Fall bei der Auswertung die DM heranzuziehen. Diese Form der Datenerhebung stellt die Interviewten in den Vordergrund. Die Interviewerin nimmt eine passive, zuhörende Rolle ein. Es wird hier von Fragestellungen abgesehen, wodurch auch die Schwierigkeiten und Fallstricke einer fragegeleiteten Methode vermieden wurden. Dieser Aspekt wird später einleitend zu den retrospektiven Interviews eingehender thematisiert. 6.3.4 Das Forschungstagebuch Das Forschungstagebuch wurde zum Zweck der Ergänzung der anderen Daten‐ sätze geführt, da es nur auszugsweise Aufzeichnungen der Lernprozesse wäh‐ rend des Unterrichts in Form von Video- und Audioaufzeichnungen gab. Das ist darauf zurückzuführen, dass im Zentrum des aufgabenorientierten Unterrichts das Arbeiten in Gruppen und Kleingruppen steht und durchgehende Klassen‐ aufnahmen des Unterrichts wenig zielführend gewesen wären. Daher wurde die Datenerhebung auf zwei Gruppen beschränkt. Im Forschungstagebuch wurden 167 6.3 Dokumentation und Analyse der Datensätze alle Beobachtungen während und außerhalb der Aufnahmezeiten annotiert. So konnte im Sinne der Datentriangulation der Lernprozess von einer anderen Perspektive aus beobachtet werden. Vor allem konnten jedoch jene Aspekte des sozialen Verhaltens und Lernens erhoben werden, die in den non-verbalen Be‐ reich fallen und aus den Aufzeichnungen nicht hervorgehen. Schwierigkeiten ergaben sich aus der Tatsache, dass das Beobachten und Verfassen von Aufzeichnungen vonseiten der Lernenden als störend empfunden und dadurch der Redefluss ins Stocken kam oder sogar unterbrochen wurde. Daher zog ich es nach ersten Versuchen vor, die Aufzeichnungen unmittelbar anschließend an den Unterricht zu verschriftlichen und mich im Klassenzimmer so viel wie möglich zurückzuziehen, da, wie bereits erwähnt, der Wechsel von der Lehrerin die Forscherrolle nicht ganz problemlos erfolgen konnte. Die Aufzeichnungen werden im Folgenden keiner detaillierten Einzeluntersuchung unterzogen. Sie werden herangezogen, um spezifische Unterrichts- und Lern‐ situationen zu beschreiben mit dem Ziel, den Kontext zu den Schüleräußerungen in den Interviews und Stimulated Recalls rückwirkend festzulegen. Diese Kon‐ textualisierung soll ein besseres Verständnis der einzelnen Aussagen ermögli‐ chen und diese durch zusätzliche Informationen ergänzen bzw. aus einer kriti‐ schen Perspektive beleuchten. 6.3.5 Die retrospektiven Interviews Am Ende des Projektes wurde mit den 4 Probandinnen ein abschließendes In‐ terview geführt. In diesem wurde durch strukturierte Fragen der individuelle Lernprozess im Verlauf des Projektes nochmals nachvollzogen und reflektiert. Dieser Moment des Austauschs diente auch dazu, die mehrsprachigen Textpro‐ duktionen der einzelnen Lernenden, die Teil der Outputs waren, zu begutachten und zu analysieren. Interviews zählen in der qualitativen Forschung als wich‐ tigste Quelle für die Datenerhebung, da der persönliche Austausch eine beson‐ dere Form des Gesprächs darstellt (Dörnyei 2007: 234; vgl. auch Mead 1978: 155) Durch diese abschließenden Interviews wurden die vorhergehenden Datensätze und Unterrichtseinheiten nochmals aus der Perspektive der Lernenden be‐ leuchtet und durch deren abschließende Erkenntnisse ergänzt. Es konnten für den Lernprozess relevante Aussagen in den einzelnen Stimulated Recalls retro‐ spektiv betrachtet und der gesamte Lernprozess, der sich über insgesamt 9 Mo‐ nate erstreckte, in seiner diachronen Entwicklung nachvollzogen und kommen‐ tiert werden. Das war allein durch die wiederholte Hereinnahme der Lernerperspektive möglich, indem die Lernenden zunächst in den Stimulated Recalls punktuell streng situationsgebunden und spontan Lernsituationen ihrer 168 6 Forschungsdesign 1 Knorr & Schramm geben zu bedenken, dass aus konstruktivistischer Sicht „ein metho‐ discher Zugang nicht durch einen anderen korrigiert oder validiert werden kann, denn jede Methode, jede Forschungsperson oder jede Theorie wirkt sich auf das aus, was als Ergebnis ermittelt wird. Der Forschungsgegenstand wird durch die verwendete Me‐ thode konstituiert“ (Knorr & Schramm 2016: 90). Wahl reflektierten und analysierten und anschließend in einem retrospektiven Interview zusammenfassend kommentieren konnten. Dabei sollten auch mehr‐ sprachige schriftliche Schülerproduktionen kommentiert werden und auf die Besonderheiten dieser Texte eingegangen werden. Durch offene Fragestellungen wurden für den Forschungsgegenstand rele‐ vante Aspekte in den Vordergrund gerückt. Es liegen den Gesprächen offene Leitfäden zugrunde, um den Interviewten die Möglichkeit zu geben, auch nicht vorgesehene Aspekte oder Gesichtspunkte einzubringen, wodurch die Reich‐ weite des Gespräches nicht durch eine zu engmaschig gestaltete Fragestellungs‐ sequenz eingeengt wird. Die Leitfragen hatten daher für den Gesprächsverlauf eine rein unterstützende Funktion (Kromrey & Strübing 2009: 387). Kritisch zu hinterfragen ist hier sicherlich die Rolle der Interviewerin, da diese Gefahr läuft, sich in einer „Häufung suggestiver Fragen“ (Hopf 2000b: 359) zu verfangen und vielleicht nicht in der Lage ist, plausible Anhaltspunkte für Ver‐ tiefungsfragen zu finden. Wie bereits in der Einleitung dargestellt, ist in der qualitativen Forschung immer auch die Subjektivität des Forschenden mit ein‐ bezogen. Trotzdem ist es für das Gelingen des Interviews ein zentrales Anliegen, dass die Forschende die Forschungsfragen immer vor Augen hat und nicht das Ziel verfolgt, theoretische Hypothesen zu verifizieren oder zu falsifizieren, son‐ dern sich von den Interviewten Informationen bezüglich Lernsituationen, Ge‐ fühle, Gesichtspunkten und Selbstwahrnehmung geben zu lassen (Hermanns 2000: 368). Die Erfahrungen der dem Interview vorhergehenden Datenerhebungen wurden für die Formulierung der Fragen für die retrospektiven Interviews he‐ rangezogen. So konnten bereits vorhandene Codes bestätigt werden und durch weitere Informationen im Sinne der Transparenz verglichen, erweitert und durch neue Erfahrungen und Erkenntnisse ergänzt werden (Reinders 2005: 156). 6.3.6 Triangulation der Daten Triangulation ist die Betrachtung des Forschungsgegenstandes aus verschie‐ denen Perspektiven. Denzin (Denzin 1970: 301 und 303) unterscheidet vier Typen von Triangulation: Daten-, Methoden-, Forscher(innen)- und Theorien‐ triangulation. Sie dienen zur Validierung des Forschungsprozesses 1 und führen 169 6.3 Dokumentation und Analyse der Datensätze zu umfassenderen und tiefgreifenden Erkenntnissen im Forschungsprozess (vgl. Flick 2011; Aguado 2015; Knorr & Schramm 2016). In der vorliegenden Studie können dank der Datentriangulation Daten ver‐ schiedener Zeitpunkte und von verschiedenen Personen untersucht und die Prozesshaftigkeit des Erwerbs von MKK nachgewiesen werden. Die Metho‐ dentriangulation kann laut Denzin (Denzin 1970: 308-9) auf zweierlei Art er‐ folgen: innerhalb einer Methode (Within-Methods) und durch Verwendung ver‐ schiedener Methoden (Between-Method). Durch die freie Gestaltung der Fragebögen, in denen offene und geschlossene Fragen vorkamen, der Verwen‐ dung von SR und Interviews, lässt sich diese Studie als Within-Methods charak‐ terisieren. Da sowohl GTM als auch DM als Forschungsansätze verwendet werden, kann ebenso von einer Between-Method gesprochen werden. 6.3.7 Kodierung und Modellbildung Die im Rahmen dieses Forschungsvorhabens anvisierte Modellbildung orien‐ tiert sich in ihrer Struktur am FREPA und insbesondere dem MSCS. Der Südti‐ roler Referenzrahmen für Mehrsprachigkeit stellt bereits eine Reduzierung des FREPA dar, da stufenübergreifend Deskriptoren aus dem FREPA ausgewählt und anhand gezielter Unterrichtseinheiten im Unterricht erprobt wurden. Zielset‐ zung dieser Reduzierung war die Identifizierung jener Deskriptoren, die tat‐ sächlich für den Unterricht nutzbar gemacht werden konnten, die also tatsäch‐ lich beobachtbar waren. Dazu werden innerhalb der Savoirs (Savoir, Savoir faire, Savoir être, Savoir apprendre, Savoir s‘engager) unterschiedliche Kompetenzbe‐ reiche ausgemacht und die entsprechenden Deskriptoren zugeordnet. In der vorliegenden Modellierung werden diese Savoirs durch das Savoir s’engager erweitert, da die symbolische Kompetenz Anspruch auf einen eigenen Kompe‐ tenzrahmen beansprucht. Durch die Kodierung werden zunächst Kompetenz‐ bereiche der einzelnen Savoirs identifiziert und anschließend die gewonnenen Deskriptoren zugeordnet. Datenerhebung und Datenanalyse erfolgen größten‐ teils synchron. Denn aus den bereits gewonnenen Daten werden Codes ent‐ nommen und für die Planung und Durchführung weiterer Datenerhebungen nutzbar gemacht. Dieser Prozess wird bis zur Datensättigung weitergeführt, d. h. der Punkt erreicht ist, an dem aus den Daten keine neuen Erkenntnisse mehr gewonnen werden können (Glaser & Strauss 2005: 69). Nach dem gleichen Prinzip werden auch die verschiedenen Hypothesen aufgestellt. Sie werden da‐ tengestützt hergestellt und sind veränderbar, da sie im empirischen Material verankert und daher prozessgesteuert sind (Steininger 2014: 111). 170 6 Forschungsdesign Während der Kodierung der einzelnen Datensätze wird die Menge an Daten durch die dichte Beschreibung erheblich erweitert. Die GTM sieht drei Stufen im Kodierungsprozess vor, die nicht unbedingt streng chronologisch aufeinander folgen müssen. Der erste Schritt - das offene Kodieren - stellt das detaillierte Lesen der Daten in den Mittelpunkt. Es wird aufgezeichnet, was unmittelbar beobachtet werden kann, und Ideen, Erklärungen bzw. Assoziationen dazu an‐ notiert. Damit soll die Frage beantwortet werden, worum es eigentlich geht (vgl. Aguado 2016: 247). Während dieser Arbeit werden Annotationen angefertigt. Es werden für den Forschungsgegenstand relevante Aspekte aus dem Daten‐ material herausgearbeitet und wo möglich mit einem Kode versehen, um den darauffolgenden Vorgang zu erleichtern. Das Datenmaterial kann hier bereits durch erste Codesequenzen abgebildet werden. In der Analyse rekurrierende Daten können in diesen Codesequenzen bereits zugeordnet und systematisiert werden, sodass sich erste Themenschwerpunkte ergeben. Die GTM, so wie sie Strauss und Corbin verstehen (vgl. Strauss & Corbin 1996), entfaltet sich in einem Wechselspiel zwischen Empirie und Theorie. Das theoretische Vorwissen muss nicht, wie ursprünglich von Glaser/ Strauss ( vgl. auch Strübing 2011) vorgesehen, ausgeblendet werden, sondern dient als Leit‐ faden und Orientierungsraster bei der Kodierung und Zuordnung der Daten. Es handelt sich um sog. „sensibilisierende Konzepte“ (Miethe 2012: 165), die eine Interpretation der Daten im Licht eines bestimmten theoretischen Rahmens er‐ möglichen. Solche sensibilisierenden Konzepte standen dank der in Kapitel 4 auf theoretischer Ebene ausgearbeitete MKK zur Verfügung, deren Postulate durch die empirisch geleitete Untersuchung verifiziert bzw. falsifiziert werden konnten. Insbesondere ging es darum aufzuzeigen, welche Bereiche der MKK sich durch die mehrsprachige komplexe Kompetenzaufgabe entfalten können, wobei auch Leerstellen, Widersprüche sowie neue Erkenntnisse zu berücksich‐ tigen und aufzuzeigen sind. Das axiale Kodieren stellt eine erste Abstraktion im Analyseprozess dar, es wird nach den Bedeutungsstrukturen innerhalb der Daten gesucht. Dazu werden die ermittelten Codes anhand des von Strauss/ Corbin entwickelten Ko‐ dierparadigmas (Strauss & Corbin 1996: 78) systematisch auf Verbindungen und Korrelationen untersucht. Das heißt, dass die einzelnen Kategorien in Relation zueinander gebracht und miteinander verglichen werden (Aguado: 2016: 247). Dazu werden innerhalb dieses Paradigmas Memos verwendet (ibid.). 171 6.3 Dokumentation und Analyse der Datensätze Abb. 6.9. Auf diese Weise wird durch die Wechselwirkung zwischen Betrachtung, Analyse und Interpretation das unterrichtliche Geschehen auf implizite und explizite Er‐ kenntnis- und Produktionsprozesse hin untersucht, indem Strukturen erkennbar gemacht werden, die zur Entwicklung von Kompetenzen und Teilkompetenzen im Bereich der MKK führen. Der Erkenntniswert der Erfahrung, sei es vonseiten der Forschenden als auch der Lernenden, steht hier im Mittelpunkt, denn es geht nicht nur um das Erfassen von Lern- und Transferstrategien, sondern auch von Erfahrungen und ihrer Relation zu Emotionen und Haltungen und ihren Ver‐ änderungen im Verlauf des mehrsprachigen Bildungsprozesses. Die Beschrei‐ bung erfolgt zunächst durch eine objektive und möglichst erfahrungsfremde Un‐ terrichtsbeobachtung, dazu werden die Aufzeichnungen anhand der dokumentarischen Methode ausgewertet. Beim Sammeln und Auswerten hin‐ gegen gilt es, erfahrungsnahe Beschreibungen der Schüleräußerungen anzu‐ wenden (Geertz 1987: 291). Dabei kommt die dichte Beschreibung immer dann zur Anwendung, wenn Aussagen dem Bereich der MKK zugeordnet werden können. Die beobachteten Phänomene selbst stehen noch in keinem Bezug zum theoreti‐ schen Konzept und können auch nicht auf dieses verweisen. Erst durch die kom‐ parative Analyse können Phänomene zu Indikatoren werden. Durch sie können die Leistungen in allen fünf Bereichen der Savoirs erfasst werden. Die Datenanalyse erfolgt anfangs getrennt in zwei unterschiedlichen Berei‐ chen: 172 6 Forschungsdesign Zunächst werden alle Aushandlungsprozesse analysiert und repräsentative Auszüge daraus anhand der DM untersucht, davon werden vier Auszüge aus unterschiedlichen Modulen exemplarisch als Ankerbeispiele vorgestellt. Das zweite Analysefeld stellt die Einzelfallanalysen dar. Dazu werden die aus den Aushandlungsprozessen, SR, retrospektiven Interviews und dem Forschertage‐ buch gewonnenen Daten von 4 Lernenden analysiert. Die in den einzelnen Analysefeldern erhaltenen Codes und Kategorien werden anschließend zusam‐ mengeführt und verglichen, wodurch neue Codes, Kategorien und Überkatego‐ rien entstehen. Aus den Kategorien werden die Kompetenzbereiche gewonnen, indem diese auf ihre Relevanz für die theoretischen Zusammenhänge MKK ge‐ prüft und anschließend den unterschiedlichen Savoirs zugeschrieben werden. Die Ausformulierung der Deskriptoren erfolgt, indem die beobachteten Phäno‐ mene verglichen und, wie bereits erwähnt, durch einen zunehmenden Abstrak‐ tionsprozess auf ihre Relevanz für die Kernkategorie „dem zentralen Phänomen“ hin selektiert (Böhm 2000: 482) und daraufhin geprüft werden, ob sie ausrei‐ chend signifikant für die Schlüsselcodes sind. Ist dies der Fall, werden sie zu Indikatoren, um anschließend zusammengefasst und umformuliert als Deskrip‐ toren der verschiedenen Kompetenzbereiche in das Modell aufgenommen zu werden. Der Begriff „Deskriptor“ wird in seiner Bedeutung vom GER abgeleitet und bedeutet, dass Deskriptoren kontext-relevant sind. Es handelt sich um Be‐ schreibungskategorien dafür, was Lernende in unterschiedlichen Verwendungs‐ kontexten tun (GER: 329). Auf diese Modellierung bezogen beschreiben sie ver‐ schiedene Teilaspekte eines Kompetenzbereichs und haben die Aufgabe, dessen Komplexität aufzuschlüsseln und dessen Aufbau aufzuzeigen (Schwienbacher 2017: 97). Die Schüleräußerungen zu ihren Beobachtungen, Erfahrungen und Gefühlen im Unterricht werden in den Stimulated Recalls ohne Nachfragen der Intervie‐ werin von den Lernenden selbst spezifischen von ihnen ausgewählten Unter‐ richtsituationen zugeordnet. Das ermöglicht eine rein schülergeleitete Betrach‐ tung und Erforschung des Lernprozesses und des Unterrichtes und hat den Vorteil, dass dieser Beitrag zur Theoriebildung schülergesteuert und bis auf die Auswahl der Aufzeichnungen unabhängig von der Forscherin ist. Dabei wird dicht beschrieben, welche Themenbereiche und Motive im SR Sprechanlass waren, wie diese sich auf die Aufzeichnungen, auf das Unterrichtsgeschehen und auf die Entwicklung des daraus resultierenden Diskurses beziehen. Durch dieses Vorgehen können einerseits sog. Blind Spots entstehen, das heißt, dass Aspekte der theoretisierten MKK in den Schüleräußerungen nicht vorkommen. Andererseits kann das Konstrukt der MKK durch die Stimulated Recalls dank der Schüleraussagen mit neuen Elementen ergänzt werden. In den Schülerin‐ 173 6.3 Dokumentation und Analyse der Datensätze terviews kann hingegen durch gezielte Fragen das Unterrichtsgeschehen und die Befindlichkeit der Lernenden nochmals hinterfragt werden. Auch in diesem Fall ist eine erfahrungsnahe Beschreibung vorzuziehen. Die aus dem SR resul‐ tierenden Blindspots werden aufgegriffen und es wird sichergestellt, ob sie auch im retrospektiven Interview bestehen bleiben oder eine Änderung eingetreten ist. Dabei dient die Besprechung der von den Lernenden verfassten mehrspra‐ chigen Texte der vertieften Analyse des mehrsprachigen Bildungsprozesses und seines Niederschlags auf die Schriftlichkeit. Das selektive Kodieren stellt wie bereits erwähnt den letzten Schritt dar und hilft beim Ermitteln der Kernkategorien. Dazu werden in einem im Prinzip dem axialen Kodieren ähnlichen Verfahren die gewonnenen Kategorien durch einen weiteren Abstraktionsschritt zur Bildung von Oberkategorien herangezogen. In der Studie werden die Daten innerhalb dieser verschiedenen Bezugspunkte theoriegeleitet ausgewertet. Dabei wird der Modellierung der MKK Priorität eingeräumt und die ethnographische dichte Beschreibung in Funktion derselben vorgenommen. Dafür wurden alle Audio- und Videodateien transkribiert und miteinander verglichen, um die Entwicklung mehrsprachiger Gesprächsprak‐ tiken zu beobachten. Die Auswertung mit der DM beschränkt sich auf jene Aus‐ züge, die für die Modellierung relevant sind und zur theoretischen Konstituie‐ rung der MKK führen (Flick 2000: 263). Diese Abkürzung ist möglich, da es hier nicht primär um das Erforschen empirischer Daten geht, sondern vielmehr kon‐ zeptionelle Daten aufgrund empirischer Belege validiert werden sollen. Das Konzept-Indikator-Modell (Glaser & Strauss 1994: 54) sieht in diesem Fall als Indikatoren aus Daten gewonnene und gleichzeitig theoretisch verankerte In‐ dikatoren, die bereits eine Abstraktion des Phänomens darstellen und auf eine theoretische Ebene verweisen und dank dieser Sinn gewinnen (Strübing 2008: 53). Anschließend werden jedem der fünf Savoirs die entsprechenden Kompe‐ tenzbereiche zugeordnet und die aus der Datenanalyse gewonnenen Indikatoren in Form von Deskriptoren der einzelnen Kompetenzbereiche ausformuliert. 174 6 Forschungsdesign Abb. 6.10. Der Kodierprozess erfolgt in ständiger Rückkopplung an den FREPA und ins‐ besondere den MSCS. Eigenschaften, Kategorien und die Ausformulierung von Kompetenzbereichen und Deskriptoren können so verglichen und gegebenen‐ falls abgeändert, erweitert oder integriert werden. Es ist außerdem zu sehen, welche Kategorien übernommen werden können und welche sich für die mehr‐ sprachige Kompetenzaufgabe nicht eignen. Da das MSCS bereits eine Reduzie‐ rung des FREPA und somit einen Schritt in Richtung Operationalisierbarkeit mehrsprachiger Kompetenzen darstellt, wird insbesondere auf dieses Bezug ge‐ nommen. 6.4 Die Module Die Auswertung der mehrsprachigen Aushandlungsprozesse erfordert eine streng kontextgebundene Vorgehensweise, denn Inhalt und Aufbau derselben und die darin initiierten Lernprozesse können nur eingebettet in das Unter‐ 175 6.4 Die Module richtsdesign und den Lernkontext vollständig nachvollzogen und verstanden werden. Dazu ist es zunächst nötig, dass Aufbau und Inhalte der Lernein‐ heiten im Einzelnen vorgestellt werden. Anschließend werden Auszüge der Transkriptionen aus den in der Einheit entstandenen mehrsprachigen Aus‐ handlungsprozessen analysiert und Codes daraus entnommen. Auf diese Weise kann ein vollständiges und für die Leser nachvollziehbares Bild der Lernprozesse im Bereich der MKK gewonnen werden. Es ist hier festzu‐ halten, dass es sich bei der nachstehenden Erläuterung nicht um ein Stunden‐ bild handelt, in welchem die kommunikativen Abläufe genau beschrieben und Anweisungen didaktischer Natur gegeben werden (für ein detailiertes Stun‐ denbild siehe Mayr 2017). Stellvertretend für die einsprachig/ mehrsprachig alternierenden Module wird auf eines genauer eingegangen. Dieses sehr umfangreiche Modul (Political Speeches) war das dritte, das im Verlauf des Schuljahres in den Unterricht ein‐ gebaut wurde. Daher konnten die Lernenden bereits auf eine längere Einarbei‐ tungs- und Erfahrungsphase aufbauen. Sie waren mit der Methode vertraut und hatten bereits öfters mit plurilingualen Unterlagen gearbeitet. Neu war in diesem Modul allerdings, dass eine größere Komplexität der Genres und Inhalte sowie deren politische, wirtschaftliche, sozialen und kulturellen Zusammen‐ hänge notgedrungen auch zu einem höheren Anforderungsniveau für die Lern‐ enden sowohl auf sprachlicher als auch auf inhaltlicher Ebene beitrug. 6.4.1 Alternierend einsprachig/ mehrsprachiges Modul: Political Speeches Die politische Rede wurde ausgewählt, da es sich in einer Umfrage herausstellte, dass es Wunsch der Klasse war, in größerem Umfang Themen zur politischen Aktualität im Unterricht zu behandeln. Aufgrund ihrer Eigenschaften schien die politische Rede - ein Genre, das brennende politische und gesellschaftliche Ak‐ tualitäten behandelt - geeignet, diesem Wunsch nachzukommen und gleich‐ zeitig die Förderung einsprachiger und mehrsprachiger Kommunikationskom‐ petenz und Meinungsbildung zu voranzutreiben. In kaum einem anderen Genre wird die polysemische Anlage des politischen Sprachgebrauchs so deutlich, indem zum Ausdruck kommt, dass Wortwahl immer vor dem Hintergrund einer bestimmten Geisteshaltung erfolgt. Darüber hinaus wird ersichtlich, dass nicht nur die Sprechenden eine ideologische Wahl treffen, sondern auch die Zuhörer je nach Erfahrung, Vorwissen und Einstellung eine Nachricht jeweils anders auslegen und es wird ersichtlich, dass Sprache keine eindeutigen Sachverhalte 176 6 Forschungsdesign wiedergeben kann, denn Objektivität bleibt in der Diskussion reine Wunsch‐ vorstellung. Sprachübergreifendes Arbeiten an und mit dieser Textsorte und im kritischen Vergleich zwischen verschiedenen Reden aus unterschiedlichen Sprach- und Kulturkreisen erleichtert die Sicht von außen, kritisches und distanziertes Be‐ trachten dessen, was gesagt wird. Dadurch wird es für die Lernenden leichter, Aussagen und Haltungen in Frage zu stellen und Sachverhalte in ihrer Vieldeu‐ tigkeit zu erkennen, indem sie die ideologische Begründung des Gesagten he‐ rauszulesen lernen. Es handelt sich dabei aber nicht um das durch Wiederholung bezweckte Ein‐ lernen von Strukturelementen der typischen Textstruktur dieses Genres, son‐ dern es sollen diese vielmehr sprachübergreifend erprobt und aktiv angewendet werden unter Berücksichtigung des Adressatenbezugs und des jeweiligen kultu‐ rellen Kontextes (vgl. Hallet 2016: 50). Hinter diesem Prozess verbirgt sich eine hoch komplexe kognitive Herausforderung, denn Genres sind laut Nelson Good‐ mann (Goodmann 1978: 7) ways of worldmaking, durch sie werden Welten er‐ schaffen (vgl. auch Bruner 1968: 135). Sowohl der Inhalt als auch die Art und Weise, wie etwas erzählt wird, verleihen Wahrnehmungen und Erfahrungen eine bestimmte textuelle Gestalt und organisieren sie. Insbesondere die politi‐ sche Rede gibt unzusammenhängenden Ereignissen und Umständen eine nar‐ rative Struktur und macht diese als Erzählung nicht nur logisch, sondern auch emotional nachvollziehbar. Durch das Erzählen wird der komplexe symbolische Gehalt von Ereignissen freigelegt und zugänglich gemacht. Das Genre als sym‐ bolische Form strukturiert und organisiert Wahrnehmungen, Erfahrungen, Er‐ kenntnisse und Wissen, und macht Realität in ihrer symbolischen Form erst zugänglich. So erachtet sie auch Hallet als „Formen, die geeignet sind, junge Menschen mit symbolic power auszustatten, die Klaire Kramsch als spezifisches Persönlichkeitsmerkmal von multilingual subjects betrachtet“ (Hallet 2016: 51), denn „es wird strukturiert in Formen, die im individuellen und kulturellen Re‐ pertoire bereitstehen“ (ibid.: 51). Den Lernenden wird im mehrsprachigen Unterricht die Möglichkeit geboten, zwischen diesen symbolischen Welten zu wandeln und zu vermitteln. Der Um‐ gang mit demselben Genre in mehreren Sprachen ermöglicht den Zugriff auf die unter der Oberfläche sich befindenden symbolischen Gehalte, die je nach Individuum und Kulturkreis unterschiedliche Wege der symbolischen Weltin‐ terpretation und Strukturierung verkörpern. 177 6.4 Die Module 6.4.2 Aufbau der Unterrichtseinheit: Political Speeches Im Folgenden soll das Modul Political Speeches als Ankerbeispiel für ein alter‐ nierend einsprachiges und mehrsprachiges Modul vorgestellt werden. Es er‐ streckt sich über insgesamt vierundzwanzig Unterrichtsstunden, die in den Englischunterricht eingebaut wurden und besteht aus fünf Einheiten, die im Folgenden vorgestellt werden. In diesem Modul wird das Genre „Politische Rede“ und deren Sonderform, die Fernsehansprache, in den Fokus des Unterrichtsgeschehens gerückt. Die Fern‐ sehansprache ist im Unterschied zu anderen Formen der politischen Rede wie z. B. der Parteirede oder der Wahlkampfrede durch ihren besonderen emotio‐ nalen Ton geprägt. Zugunsten einer einfacheren allgemeinverständlichen Sprache wird auf Fachsprache verzichtet, dennoch ist der Stil gehoben und der Ton anspruchsvoll. Durch den gezielten Einsatz von positivem Stimmungs- und Emotionsvokabular soll ein Gemeinschaftsgefühl, ein Gefühl der Zusammen‐ gehörigkeit geweckt werden (vgl. Wittau 2016). Diese Eigenschaften machen die Fernsehansprachen besonders geeignet für den Gebrauch im Unterricht: Sie sind leicht verständlich, behandeln Themen, die allgemein bekannt und im Sinne der Topicality and Relevance (vgl. Hallet 2012) aktuell sind. Sämtliche Reden, die im Unterricht behandelt wurden, sind als historische Videoaufzeichnungen auf Youtube abrufbar. Das Modul gliedert sich in drei Phasen: Warming up: 1. Einführung in Aufbau und Funktion politischer Reden. Rhetorische Mittel und ihre Anwendung im Text anhand von Auszügen bekannter politi‐ scher Reden amerikanischer Präsidenten (Auszüge aus: J.F. Kennedy „Ich bin ein Berliner“; R. Nixon „Watergate“; R. Reagan „Tear Down This Wall“; B. Clinton: „2000 State of The Union Adress“; G.W. Bush: 9.11; B. Obama „Yes we can“). Einzelanalyse der Texte: M.L. King „I have a Dream“ und M. Obama „Empowering Women Speech“. Frontalunterricht / Gruppen‐ arbeit / Klassendiskussion (Sprachen: Englisch, Latein). Hauptteil: 2. Analyse politischer Reden der Gegenwart anhand der Neujahrsanspra‐ chen der Vertreter Deutschlands, Frankreichs, Englands und Italiens. Be‐ sonderheiten, kulturell-geschichtlicher Hintergrund, sprachlicher Aufbau, Gemeinsamkeiten. Adressatenbezug, Zielsetzung, rhetorische Mittel. Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen Reden. Arbeitsaufträge. Einzelarbeit/ Gruppenarbeit/ Klassendiskussion. (Mehr‐ sprachig: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Dialekt). 178 6 Forschungsdesign 3. George Orwell: „Animal Farm“. Politische Reden als Instrument zur Ma‐ nipulation der Massen. Einzellektüre des Textes und Arbeitsaufträge für jedes Kapitel, Vorstellung der Ergebnisse der Einzelaufträge. Geschicht‐ liche Kollokation und Detailanalyse der im Text vorhandenen Reden. Ar‐ beitsaufträge Frontalunterricht/ Einzelarbeit/ Gruppenarbeit/ Klassendis‐ kussion. (Sprache: Englisch). 4. Analyse von Videos politischer Reden im Zweiten Weltkrieg. Es wurden Auszüge aus folgenden Reden behandelt: A. Hitler: „Rede im Berliner Sportpalast am 10. Februar 1933“; B. Mussolini „Sulla superiorità della razza“; Ch. De Gaulle „Paris libérée“; W. Churchill „We shall fight on the beaches“. Unterrichtsformen: Arbeitsaufträge/ Gruppenarbeit/ Klassen‐ diskussion. (Mehrsprachig: Deutsch, Italienisch, Englisch, Französisch, Dialekt). Charlie Chaplins Rede „The Great Dictator“ und die Funktion der Parodie. Klas‐ sendiskussion. (Englisch). Output: 5. Anfertigung und Vortrag einer mehrsprachigen politischen Rede für das Europäische Parlament. Die Videoaufzeichnungen werden gemeinsam angeschaut und analysiert. Gruppenarbeit/ Anschlussdiskussion in der Klasse (mehrsprachig). Das Modul wurde in den Englischunterricht eingebaut und erstreckte sich über den Zeitraum von zwei Monaten ( Januar-Februar 2016). Die Inhalte und der Aufbau des Moduls wurden mit der Lehrperson für Englisch gemeinsam geplant und erarbeitet. Es wurden darin Themenbereiche behandelt, die den Alltag der Lernenden prägen und beeinflussen. Diese überschneiden sich weitgehend in den vier Neujahresansprachen und werden aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Dabei dominieren Themen wie: Umweltschutz, Flüchtlingskrise, Ar‐ beitslosigkeit und Sozialstaat. Die Ähnlichkeit dieser Inhalte ermöglicht es den Lernenden, Verständnisschwierigkeiten durch Verstehenstransfer zwischen den Sprachen zu beheben. Aus dieser Tatsache ergab sich die Möglichkeit, diesen Prozess durch ein scaffolding zu erleichtern, indem die Abfolge der Reden genau überdacht wurde. Es erwies sich z. B. als hilfreich, in Teil 2 als erstes Merkels Ansprache zu behandeln, denn sie stellte die Lernenden vor keine sprachlichen Herausforderungen. Durch das Anhören und die Besprechung der dort behan‐ delten Themen wurden die Lernenden auf die Inhalte der darauf folgenden Reden vorbereitet: sie konnten z. B. Internationalismen besser erkennen und auf die anderen Reden übertragen, dies erleichterte insgesamt das fremdsprachliche Verständnis. Auf die deutsche Rede folgten die englische oder die italienische. 179 6.4 Die Module Die französische Rede wurde als letzte vorgestellt, so konnten die Lernenden alle bereits erworbenen Kenntnisse über Themenbereiche und Wortschatz für das Verständnis dieser für sie am schwierigsten Rede heranziehen. In der ersten Einheit (Warming Up), die auf Englisch abgewickelt wurde, wurde einleitend auf die Besonderheiten des Genres „Politische Rede“ einge‐ gangen. Diese Einheit diente zur Vorbereitung für die darauf folgenden Ein‐ heiten, in welchen politische Reden in mehreren Sprachen aus unterschiedlichen Epochen, Sprachen und Kulturen behandelt wurden. Die Lernenden sollten dazu befähigt werden, wichtige Merkmale politischer Reden zu erkennen und die gezielte Verwendung rhetorischer Mittel auf ihre Wirksamkeit hin zu hinter‐ fragen. Es wurden Youtube-Aufzeichnungen im Sinne eines Scaffoldings heran‐ gezogen, damit den Lernenden auch visuelle Erkennungselemente zur Verfü‐ gung standen und so das Verständnis dieser höchst komplexen Form der Rede durch die Interpretation nonverbaler Aspekte der Kommunikation wie Körper‐ haltung, Gestik und Mimik erleichtert wurde. Ein weiteres Ziel dieser ersten Übung war es, die Lernenden für die Relevanz der politischen Rede und ihrer langen Tradition für den politischen Werdegang der USA zu sensibilisieren, daher wurden bewusst Reden verschiedener Präsidenten zu besonders wich‐ tigen geschichtlichen Ereignissen ausgewählt. Da es sich dabei um entschei‐ dende Momente in der Geschichte Amerikas handelte, wurde entlang dieser Reden auch kurz und schwerpunktmäßig die Geschichte, insbesondere die jün‐ gere und Gegenwartsgeschichte Amerikas aufgerollt, was bei den Lernenden auf reges Interesse stieß und zu wiederholten Zwischenfragen und Diskussionen führte. In der zweiten Einheit erhielten die Lernenden anhand eines Arbeitsblattes den Auftrag, Struktur und Inhalt eines Auszuges der Rede M-L. Kings „I have a dream“ und M. Obamas Rede „Empowering Women Speech“ zu analysieren. Diese Reden wurden mit Absicht gewählt, da sie in schriftlicher Form vorlagen und allgemein als bekannt vorausgesetzt werden konnten. Weder der geschichtliche Hintergrund noch der sprachliche Aufbau stellte die Lernenden vor besondere Herausforderungen. Die Frage, was diese Reden so effektvoll macht, sollte die Lernenden dazu veranlassen, sich erste Gedanken über die Funktionsweise und Verwendung rhetorischer Mittel, Körperhaltung der Redner, Betonung und Pausen zu machen und wichtige Stellen induktiv im Text zu identifizieren. In der Gruppe tauschten sich die Lernenden gemeinsam in einem Anschlussge‐ spräch darüber aus, welche Wirkung diese Mittel auf den Zuhörer haben. Die Ergebnisse wurden zusammengefasst und in der Klasse vorgestellt. Dieser erste Interpretations- und Analyseschritt erfolgte ohne Hilfestel‐ lungen. In einem zweiten Moment wurde den Lernenden eine lateinische Liste 180 6 Forschungsdesign zur Seite gestellt, in der wichtige rhetorische Figuren aufgelistet und erläutert wurden. Dieses sollte nach einer Phase der Einarbeitung eine vertiefte Ausein‐ andersetzung mit den Texten ermöglichen. Dazu wurden zunächst von der Lehrperson die lateinischen Namen der rhetorischen Figuren auf der Liste vor‐ gelesen und anhand von Beispielen deren Funktionsweise erklärt. Daraufhin konnten die Lernenden in Gruppen weitere rhetorische Mittel im Text identifi‐ zieren und ihre Wirkungsweise hinterfragen. Die Ergebnisse der Gruppenar‐ beiten wurden vorgestellt und gemeinsam besprochen. Auf diese einsprachige Einheit folgte nun eine mehrsprachige, in der die Neujahrsansprachen der Ministerpräsidenten vier europäischer Staaten (Italien, Deutschland, Großbritannien und Frankreich) behandelt wurden. Dem Ab‐ spielen der Reden ging eine allgemeine Einführung durch die Lehrperson vo‐ raus, in welcher sichergestellt wurde, dass die Lernenden die politischen Ver‐ treter dieser Länder kennen und die Funktion einer Neujahrsansprache verstehen. Anschließend wurden die Neujahresansprachen abgespielt, wobei wiederum Youtube-Videos herangezogen wurden. Dabei wurde besonders bei Französisch darauf geachtet, dass im Voraus schwierige Wörter erläutert worden waren. Zu diesem Zweck wurde eine Wortliste mit Übersetzung verteilt und gemeinsam in der Klasse besprochen. Die Reden wurden nach einem ge‐ nauen Plan nacheinander in den verschiedenen Sprachen abgespielt. Nach jeder Rede wurde eine Diskussionsrunde eingebaut, in der die Lernenden sich in der jeweiligen Sprache kurz über Inhalt und Besonderheiten der Reden austauschen konnten. Ein Fragebogen, der in Folge an die Lernenden verteilt wurde, sollte durch gezielte Fragen erstmals die Aufmerksamkeit auf intertextuelle Bezüge zwischen den Texten lenken und die Lernenden für diesen Aspekt sensibili‐ sieren. Der Fragebogen wurde einzeln ausgefüllt, es wurde den Lernenden viel Zeit eingeräumt, um diese Aufgabe zu erledigen, denn es setzte eine vertiefte Auseinandersetzung mit plurilingualen Unterlagen voraus und stellte erhöhte sprachliche und kognitive Anforderungen an die Lernenden. Die Fragestellungen lauteten: 1. Was ist dir bei den verschiedenen Reden aufgefallen? 2. Welche sprachlichen Unterschiede/ Ähnlichkeiten hast du beim Anhören der Reden sofort bemerkt? 3. Welche inhaltlichen Unterschiede/ Ähnlichkeiten hast du beim Anhören der Reden sofort bemerkt? 4. Welche kulturell/ geschichtlichen Unterschiede/ Ähnlichkeiten hast du beim Anhören der Reden sofort bemerkt? 5. Wie ist der Adressatenbezug in den einzelnen Reden? 6. Was ist dir später beim genaueren Hinsehen/ Anhören aufgefallen: 181 6.4 Die Module 7. Geschichtlich: 8. Kulturell: 9. Sprachlich: 10. Inhaltlich: 11. Kannst du kulturelle Unterschiede auf sprachlicher Ebene erkennen bzw. nachvollziehen? Wenn ja, welche? 12. Was sind deiner Meinung nach die Ursachen für die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der einzelnen Reden? Was hat sie verursacht? Die Fragebögen wurden zunächst in Einzelarbeit und dann in Gruppenarbeit bearbeitet und die Ergebnisse in der darauf folgenden Stunde gemeinsam in einem Anschlussgespräch besprochen. Daraufhin wurden neue Gruppen gebildet und Arbeitsaufträge ausgeteilt, welche die Detailanalyse der einzelnen Reden zum Ziel hatte. Jede Gruppe bekam vier verschiedene Arbeitsaufträge zu je einer Rede, mit dem Hinweis, dass jedes Gruppenmitglied zunächst einen Arbeitsauftrag mithilfe sowohl der Transkription der Rede als auch der Videoaufzeichnung für sich alleine erle‐ digen sollte. Die Fragen der Arbeitsaufträge wurden in überarbeiteter Form von Gora (Gora 2010) übernommen und berücksichtigten fünf Bereiche: Inhalt, Red‐ nerIn, Kontext, Adressaten, sprachliche Mittel: 1. Inhalt: Was ist der Inhalt der Rede? Was sind die zentralen Themen der Rede? Gibt es Thesen? Durch welche Argumente werden die Thesen be‐ kräftigt? Werden auch Gegenargumente aufgegriffen? Gibt es Schüssel‐ wörter, Schlagworte, oder sprachliche Bilder, die besonders wirkungsvoll sind? 2. Redner: Wer ist der/ die RednerIn? Welche Funktion hat er/ sie? Welche Sprachakte werden vollzogen (kritisieren, leugnen, zugeben, rechtfer‐ tigen usw.)? Welche Absicht kann man daran erkennen? Was kann daraus über die ideologische und weltanschauliche Haltung der/ des Redners/ in geschlossen werden? 3. Adressaten: Wer ist das Publikum? Beschreibe es genauer. Bezieht der/ die RednerIn sich auf die Gruppe? In welcher Form? Was bewirkt das? Welche Haltungen sind bei den Zuhörern zu erwarten? Wie will die Anrede auf diese einwirken? 4. Kontext: Wann und wo wird die Rede gehalten? Welche politische/ ökono‐ mische/ gesellschaftliche Situation liegt vor? Wird implizit oder explizit auf gesellschaftliche oder geschichtliche Ereignisse Bezug genommen? In welcher Form? Ist die Rede spontan oder vorbereitet? Will sie politische 182 6 Forschungsdesign Geschehnisse beeinflussen? Ist sie meinungsbildend oder bewirkt sie Kontroversen und Diskussionen? 5. Sprachliche und rhetorische Aspekte: Welchem Redetyp kann die Rede zugeordnet werden? Ist der Aufbau kohärent und gibt es einen roten Faden? Welche besonderen sprachlichen und rhetorischen Mittel werden eingesetzt? Welche Wirkung bezwecken sie? Was ist das Ziel des/ der Redners/ In? Die Arbeitsaufträge sind nicht in der Sprache der Rede verfasst und die Lern‐ enden wurden aufgefordert, sich selbst eine Sprache für die Abwicklung des Arbeitsauftrages auszusuchen. Das bedeutete, dass die Arbeitsaufträge in drei Sprachen erledigt wurden: die Sprache der Rede, die Sprache der Arbeitsaufträge und die von den Lernenden gewählte Sprache. Diese mehrsprachige Anlage der Arbeitsaufträge war Auslöser für spontanen, mehrsprachigen Austausch und Gespräche unter den Lernenden, die, wie sich bald herausstellte, durch Code-switching und Translanguaging gekennzeichnet waren. Sie diente als Vor‐ bereitung für den anschließenden Aushandlungsprozess, in dem die Ergebnisse der einzelnen Lernenden innerhalb der Gruppe vorgestellt und verglichen wurden. Die Ergebnisse dieses Aushandlungsprozesses wurden der Klasse in Form kurzer Vorträge in einer Sprache nach Wahl oder auch mehrsprachig vor‐ gestellt. In einer Anschlussdiskussion wurden die Ergebnisse aller Gruppen ge‐ meinsam zusammengefasst und besprochen. Das folgende Modell soll vereinfacht darstellen, wie die komplexe Kompe‐ tenzaufgabe in dieser Einheit für den mehrsprachigen Unterricht adaptiert wurde 183 6.4 Die Module Abb. 6.11. Kompetenzmodell Unterrichtseinheit: Political Speeches 184 6 Forschungsdesign Auf diese mehrsprachige Einheit folgte eine einsprachige auf Englisch, die hier nicht näher beschrieben werden soll, da der Fokus dieser Arbeit auf mehrspra‐ chige Lernprozesse und insbesondere den MKK-Erwerb gelegt ist. Sie ist daher für das Erkenntnisinteresse der Arbeit nicht direkt relevant, wirkt sich jedoch auf den daruffolglenden Lernprozess sehr wohl aus. Es soll hier lediglich fest‐ gehalten werden, dass anhand George Orwells „Animal Farm“ exemplarisch die Entwicklung von einer Volksdemokratie hin zu einer Diktatur aufgezeigt wurde. Projektrelevant war, dass der Verlauf dieser Entwicklung eine Veränderung der Struktur und auch der Zweckbestimmung der im Text enthaltenen politischen Reden mit sich bringt. Dies lässt sich anhand der in dieser Parabel vorhandenen Reden sehr gut aufzeigen (Snowballs Reden im Gegensatz zu Napoleons Reden). Diese Einheit hatte einleitende Funktion für die darauf folgende, in der Reden des Nationalsozialismus, des Faschismus und der Kriegs- und Nachkriegszeit behandelt wurden. Dazu wurden in der vierten Einheit die oben genannten Auszüge aus be‐ rühmten historischen Reden ausgewählt. Auch in diesem Fall wurden mithilfe von Arbeitsaufträgen die Reden in Einzelarbeit analysiert und sowohl unterei‐ nander als auch mit den Neujahrsansprachen verglichen, d. h. sowohl synchron als auch diachron das Genre Politische Rede mehrsprachig bearbeitet. Politische und geschichtliche Zusammenhänge wurden so besser erarbeitet und begriffen. Auch in diesem Fall waren die Arbeitsblätter nicht in der Sprache der Rede ver‐ fasst und die Sprache zur Ausführung des Arbeitsauftrages konnte frei gewählt werden. Es wurden folgende Fragen behandelt: 1. Umreiße kurz den geschichtlichen und örtlichen Kontext der Rede. 2. Fasse den Inhalt des Auszuges zusammen. 3. Beschreibe Körperhaltung und Ausdruck des Redners. Was fällt dir Be‐ sonderes auf ? 4. Welche rhetorischen Instrumente werden eingesetzt und zu welchem Zweck? 5. Warum glaubst du, war dieser Redner so einflussreich? 6. Wie bezieht der Redner sich auf die Adressaten? 7. Stellt er eine These auf ? 8. Wenn ja, wie wird diese These untermauert? 9. Was ist die Zielsetzung der Rede? Wie versucht der Redner sein Publikum zu beeinflussen? 10. Vergleiche die Rede mit der entsprechenden Neujahrsansprache. Was ist gleich geblieben? Was hat sich verändert? 11. Wie können diese Ähnlichkeiten/ Unterschiede geschichtlich oder sozial erklärt werden? 185 6.4 Die Module Die Ergebnisse der Arbeitsaufträge wurden in der Gruppe vorgestellt und ver‐ glichen, die Ergebnisse zusammengefasst und anschließend im Plenum mehr‐ sprachig vorgetragen. Die Diskussion über politische Reden wurde durch Chap‐ lins „The Dictators Speech“ abgerundet. Es wurde die Funktion der Parodie erarbeitet sowie ihre Wirksamkeit durch die überzeichnete Darstellung von Eigenschaften einer Person, die durch Verzerrung komisch wirkt, analysiert. Die Lernenden erhielten den Auftrag, Beispiele von Parodien aus verschiedenen Kulturkreisen und in unterschiedlichen Sprachen zu suchen und diese in der Klasse vorzustellen. In der fünften Einheit wurden die Lernenden aufgefordert, ein gemeinsames mehrsprachiges Output auszuarbeiten. Dieses Output bestand in einer an den Europarat adressierten Rede, in der die Lernenden ihre Vorstellungen über die Zukunft Europas sowie Probleme und Wünsche für das neue Jahr vorbringen konnten. Sie sollte im Sinne der Sprachenpolitik der EU mehrsprachig sein. Die Rede wurde gemeinsam in der Gruppe entworfen und als Abschluss in der Klasse vorgetragen, wobei Videoaufzeichnungen der Outputs angefertigt wurden. Diese Aufzeichnungen wurden als Rückblick gemeinsam in der Klasse ange‐ schaut und jeder, der wollte, durfte seinen Teil des Vortrages kommentieren und über seine Erfahrungen mit mehrsprachigem Arbeiten in dieser Einheit be‐ richten. Diese Anschlussdiskussion wurde aufgezeichnet, sie gab den Lernenden die Möglichkeit, sich über ihre Eindrücke und Erfahrungen auszutauschen und war, da sie unmittelbar anschließend an das Modul stattfand, gleichzeitig für die Datenerhebung von großem Interesse, weshalb sie auch in die Schülerauswer‐ tung aufgenommen wurde. Sprachliche Hilfestellung wurde in diesem Modul immer dann angeboten, wenn die Lernenden in der Gruppe auf Probleme stießen und sie nicht in der Lage waren, diese selbst zu lösen. Das heißt, sprachliche Elemente wurden immer dann von der Lehrperson aufgegriffen und gemeinsam in der Klasse be‐ sprochen, wenn für die Abwicklung der Arbeitsaufträge nötige Strukturen und Wortschatz in den verschiedenen Sprachen nicht bekannt waren und nicht ge‐ meinsam in der Gruppe erarbeitet werden konnten. Es zeigte sich, dass diese Form des aufgabenorientierten mehrsprachigen Unterrichts Formen sozialen Lernens fördert, dass Lernende, wie auch aus den Transkriptionen hervorgeht (cf. folgende), sich gegenseitig Hilfestellung leisten und mithilfe des Recher‐ chierens im Internet die meisten sprachlichen Probleme selbst lösen können. Der Lehrperson kommt in den meisten Fällen eine coachende und ratifizierende Funktion zu: Sie soll bestätigen, dass das, was man gefunden hat, auch stimmt. 186 6 Forschungsdesign 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse Im Folgenden wird in einem ersten Ordnungsprozess die Transkription des zu analysierenden Gesprächsabschnitts dargestellt. Eine formulierende Interpre‐ tation (cf. Bohnsack) gibt Aufschluss über das Was. Hier wird die thematische Gliederung, die Struktur des Textes offengelegt. Die reflektierende Interpreta‐ tion ist der dritte Schritt im Ordnungsprozess und stellt den Übergang vom Was zum Wie dar. Hier wird der Orientierungsrahmen festgelegt und die subjektive Sinngebung der einzelnen Sprechenden dargestellt. Empirisch beobachtete Äu‐ ßerungen und Reaktionen werden miteinander in Beziehung gesetzt und der Versuch unternommen, deren Regelhaftigkeit herauszudestillieren. Aus diesen Sprachhandlungen werden erste Codes entnommen, die anschließend nach Sa‐ voirs aufgeschlüsselt angeführt werden. Im Kontext dieses Forschungsdesigns ist es zielführend, bereits während der Kodierung Bereiche abzustecken, die im letzten Schritt - dem der Modellbildung - für die Formulierung der Kompetenzbereiche herangezogen werden können. Daher werden zur besseren Übersicht über die Abläufe im Aushandlungsprozess in der reflektierenden Interpretation die verschiedenen Aspekte, in denen un‐ terschiedliche kommunikative Phänomene und Sprachhandlungen beobachtet wurden, nach Themenbereichen gegliedert, aus denen anschließend die Kern‐ kategorien entnommen werden. Es wird dabei auf die von Bohnsack vorgese‐ hene sukzessive Interpretation der Daten verzichtet, um auf einzelne Aspekte fokussieren zu können und so eine bessere Übersicht zu gewährleisten (Bohn‐ sack 2013). Im Akt des mehrsprachigen Kommunizierens werden in vielen Fällen unterschiedliche Strategien gleichzeitig eingesetzt, wodurch ein sehr komplexes Gefüge kommunikativer Absichten entsteht, das in seiner Wirksamkeit nur als ein Ganzes durchschaut werden kann. Auf besonders interessante und komplexe Auszüge, die Aufschluss über die Abläufe im Prozess des sozialen und koope‐ rativen Lernens geben, wird kontextuell eingegangen. 7.1 Aufzeichnung 1: Mehrsprachigkeit als Kommunikationsinstrument Die Lernenden bearbeiten in diesem Auszug Neujahrsansprachen auf der Grundlage plurilingualer Unterlagen und versuchen, die Arbeitsaufträge mehr‐ sprachig zu bewältigen. Bei Schwierigkeiten können alle auf die gemeinsame Muttersprache zurückgreifen. Im Unterschied zu einem mehrsprachigen Ge‐ spräch ohne gemeinsame Sprache kann mittels CM und CS (als eine Form zur Förderung von MKK) auf einer für alle verständlichen Sprachebene kommuni‐ ziert werden (cf. 4.5.4.). Der Auszug gibt Einblick in die typische Arbeitsweise der Recherchegruppe. Es werden im Rahmen des Moduls „Politische Reden“ die Neujahrsansprachen verschiedener Staatsoberhäupter besprochen, in diesem Fall insbesondere die französische. Es wird daher vom Französischen ins Italienische übertragen, also von einer romanischen in eine andere romanische Sprache. Diese Besonderheit erleichtert den Lernenden die schwierige Aufgabe, einen sprachlich sehr kom‐ plexen Text mitsamt des kulturellen Hintergrundes zu übertragen. Es kommt zu einer Reihe von Transfers zwischen den beiden Sprachen. 1 S3 gli aspetti importanti per lui sono disoccupazione e cambiamento il climatico #00: 00: 11-4# 2 S6 aspetti importanti? #00: 00: 11-4# 3 S3 importanti #00: 00: 17-8# 4 S4 e il valore (..) il cambiamento climatico #00: 00: 34-8# 5 S3 ehm #00: 00: 34-8# 6 S4 proteggere? #00: 00: 43-6# 7 S3 il valore che unisce tutti i Francesi è l’amore per la propria patria #00: 00: 50-9# 8 S3 Il valore che unisce i Francesi è l’amore #00: 01: 00-4# 9 S5 unisce? #00: 01: 00-4# 10 S3 I Francesi #00: 01: 42-5# Transkript 7.1: 13.01.2016 Schritt 1: Formulierende Interpretation Die Schülerin S1 spricht über die Neujahrsansprache Macrons auf Italienisch und stellt fest, dass der Klimawandel sowie der Schutz der Umwelt und die Ar‐ beitslosigkeit wichtige Aspekte der Rede sind (1). S6 stellt eine Verständnisfrage, indem sie „aspetti importanti“ wiederholt (2). S1 bestätigt die Frage durch Wie‐ derholung des letzten Wortes „importanti“ (3). S4 spricht von der Wichtigkeit des Klimaschutzes und schlägt das Wort „proteggere“ für „schützen“ vor (6). 188 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse Darauf geht S3 nicht ein, sondern sagt, dass der Wert, der alle Franzosen vereint, die Liebe zum eigenen Vaterland sei (7). Sie wiederholt zur Bekräftigung den Satz in elliptischer Form (8). S5 stellt eine Verständnisfrage, indem sie das Wort „unisce“ wiederholt (9). S3 bestätigt, indem sie mit „i Francesi“ antwortet. 7.1.1 Geschichtliche und kulturelle Verortung von Sprache(n) Reflektierende Interpretation: Die Lernenden befinden sich in einem schuli‐ schen Kontext. Sie wurden aufgefordert, eine Aufgabenstellung mehrsprachig zu lösen. Diese Aufgabe erledigen sie gründlich, blenden dabei persönliche Kommentare und Reaktionen so weit wie möglich aus. Die SchülerInnen teilen denselben Referenzrahmen, sie kommen alle aus einem gehobenen sozialen Umfeld und sind sehr bemüht um gute schulische Leistung. Die Wichtigkeit von Schule und schulischer Leistung wird nicht in Frage gestellt. Weder gibt es unter ihnen SchülerInnen, die eine negative Grundhaltung gegenüber der Schule haben, noch solche, die Leistung verweigern oder leistungsschwach sind (cf. 6.3.7). Die Lernenden übertragen hier Bedeutung von einer romanischen Sprache in eine andere und bedienen sich verschiedener Strategien wie z. B. der Wie‐ derholung, um die Kommunikation zu erleichtern. Sie beschäftigen sich insbe‐ sondere mit einer Aussage Macrons, in welcher der stark ausgeprägte und selbstverständliche Patriotismus der Franzosen zum Ausdruck kommt. Im Ver‐ lauf dieser Übertagung bemerken die Lernenden, dass die französische Kultur von einer Form des Patriotismus gekennzeichnet ist, die es so in der italienischen Kultur nicht gibt. Dabei entsteht das Bewusstsein, dass die Wahrnehmung von Staat und Staatszugehörigkeit sich von Kultur zu Kultur sehr stark unter‐ scheiden kann und geschichtlich bedingt ist. Durch TL werden zusammen mit der Übersetzungsarbeit also auch zwei Wertesysteme gegenübergestellt. Da durch die Verfremdung des ursprünglich französischen Textes aufgrund der Übersetzung ins Italienische Elemente der italienischen Kultur durchschim‐ mern, die wegen unterschiedlicher geschichtlicher Ereignisse nicht so patrio‐ tisch ausgeprägt ist wie die französische, setzen die Lernenden den Begriff Pa‐ triotismus in Relation zu den jeweiligen nationalen Eigenheiten. Sie analysieren die unterschiedlichen Ausprägungen von Patriotismus vor dem Hintergrund verschiedener Referenzsysteme und entwickeln somit einen kritischen Blick auf Patriotismus im Allgemeinen (cf. 4.2.2.). 189 7.1 Aufzeichnung 1: Mehrsprachigkeit als Kommunikationsinstrument 7.1.2 Codes Savoirs Codes Savoir - mehrsprachiges Arbeiten stellt vor besondere sprachliche Heraus‐ forderungen diese annehmen (2, 9) - jede Sprache ist kulturell und geschichtlich verortet (1, 8) Savoir être - zwischen Welten und Kulturen mitteln und sich als Individuum unabhängig positionieren (7) Savoir faire - aus plurilingualen Unterlagen Informationen entnehmen und dar‐ über in einer Fremdsprache referieren (1-10) - sich in ein mehrsprachiges Gespräch mit den zur Verfügung ste‐ henden Mitteln konstruktiv einbringen, ohne sofort auf die Mut‐ tersprache zurückzugreifen (15, 19) - einem Text in einer fremden Sprache spezifische Informationen entnehmen (1, 7) Savoir ap‐ prendre - bei sprachlichen Unklarheiten Verständnisfragen stellen (2, 9) - im mehrsprachigen Gespräch bei Verständnisschwierigkeiten sich gegenseitig behilflich sein (3) - sich während eines Gespräches durch Nachfragen neues Wissen im Bereich Wortschatz aneignen (2, 9) - Gelegenheiten nutzen, um Sprachen zu lernen (1-10) Savoir s’engager - Texte kritisch hinterfragen - die Bedeutung von Wörtern in ihrer geschichtlichen und sozialen Verortung begreifen - durch mehrsprachige Betrachtungsweise die Bedeutung von Wör‐ tern relativieren Tab. 7.2 7.2 Aufzeichnung 2: TL als Unterrichtspraxis und MKK als diskursstrategisches Mittel Die nachstehende Aufzeichnung stellt einen Auszug aus demselben Aushand‐ lungsprozess wie dem vorhergehenden dar. Hier allerdings wird vor allem Fran‐ zösisch gesprochen, weil die Lernenden beschlossen haben, den italienischen Text auf Französisch zu bearbeiten. Die Formulierung des Arbeitsauftrags for‐ dert von den Lernenden, TL als kommunikatives Mittel einzusetzen. Für die Klasse ist dies, bezogen auf ihre Sprachkenntnisse, eine weit größere Heraus‐ forderung als im vorhergehenden Auszug, denn Französisch ist die Sprache, bei der die Klasse allgemein ein niedriges Niveau aufweist. Entgegen der Voran‐ nahme, dass die Lernenden eine Sprache wählen würden, mit der sie leichter arbeiten, entscheiden sie sich für die schwierigere Option und übertragen vom 190 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse Italienischen ins Französische. Eine entscheidende Rolle als Facilitator spielt wie im vorhergehenden Auszug auch hier die Tatsache, dass es sich um zwei roma‐ nische Sprachen handelt und so leichter ein Transfer möglich ist (cf. 4.3.1.). Das Lernsetting gibt den Lernenden die Möglichkeit, sich unbeobachtet in unterschiedlichen Sprachen auszuprobieren, die sie ansonsten kaum Gelegen‐ heit haben zu sprechen. Durch diesen Umstand ändert sich auch ihre Haltung und Beziehung zu den einzelnen Sprachen. Da das Arbeitsklima ein positives ist, sich die Lernenden gegenseitig unterstützen und durch unterschiedliche Scaffoldings sich gegenseitig den Lernprozess erleichtern, werden sie experi‐ mentierfreudiger und gewinnen Mut. Das selbstgesteuerte und unbeobachtete Lernen setzt Prozesse in Gang, die sich positiv auf das Selbstbild der Lernenden auswirken und die Haltung der Lernenden zu den Sprachen positiv verändern (cf. 6.1.). 11 S1 comment commence son discurs le président ehm nous avons notè que il salut tous les les Italienne et les Italiens et commence avec les choses positives #00: 01: 58-3# 12 S4 commence? #00: 01: 58-3# 13 S1 commence avec les choses positives #00: 02: 03-9# 14 S4 avec? a so? #00: 02: 09-2# 15 S5 salutè #00: 02: 11-0# 16 S1 saluta, salutando #00: 02: 12-8# 17 S1 ist das Gerundium von sa sa- #00: 02: 41-4# 18 sal- #00: 02: 15-3# 19 S4 salut #00: 02: 18-2# 20 S3 en salut en salut #00: 02-18-3# 21 S4 avec un salut a toutes les Italiennes e tous les Italiens #00: 02: 25-5# 22 S2 il commence #00: 02: 25-5# #00: 02: 41-4# 23 S1 et il aussi commence avec les choses positives #00: 02: 41-4# 24 S5 ehm Italien? Italiens oder Italien #00: 02: 38-7# 25 S1 also Italiennes et Italiens #00: 02: 42-4# 26 S4 et tous les italiens #00: 02: 50-4# 191 7.2 Aufzeichnung 2: TL als Unterrichtspraxis und MKK als diskursstrategisches Mittel 27 S1 de quoi est ce que il désire parler? ehm il parle de choses qui se passent tous les jours. Et il parle des difficultés des solus de solutions et comme on a déjà-vu les choses positives en Italie. #00: 03: 56-3# 28 S5 wie des choses positives? #00: 03: 56-3# 29 S1 des choses positives en Italie #00: 04: 03-1# 30 S3 des difficultés e? #00: 04: 05-1# 31 S1 des solutions? #00: 04: 32-3# 32 S1 et il parle aussi des choses (..) des choses dans toute l’Europe ne pas seulement d’Italie. #00: 04: 49-8# 33 S4 l’Europe est feminine? ou masculine #00: 04: 53-7# 34 S2 la Europe ehm oui #00: 04: 56-4# 35 S1 L’Europa #00: 04: 57-8# 36 S4 du toute l’Europe #00: 05: 09-3# 37 S1 quels sont les problèmes les plus importantes en Italie? #00: 05: 13-0# 38 S4 ok #00: 05: 14-8# 39 S1 nous avons écrit em le chômage #00: 05: 21-7# 40 S4 was ist denn chômage? #00: 05: 21-7# 41 Sus Arbeitslosigkeit #00: 05: 41-5# 42 S2 le chômage est en première lieux isch an erster Stelle donc schreibsch a la première #00: 05: 46-4# 43 S1 ah oui #00: 05: 49-9# 44 S4 le chômage avec #00: 05: 49-9# 45 S1 et vous avez, vous avez, qu’est-ce que peut être votre problème #00: 06: 03-4# 46 S2 le chômage et votre chose #00: 06: 03-4# 47 S1 oui #00: 06: 12-9# 48 S3 il n’ha a parlé de (..) de la Mafia (südital. Aussprache) #00: 06: 15-7# 49 S1 oui #00: 06: 20-0# 50 S2 yes hat halt gefragt #00: 06: 24-4# 51 S3 e de la gas which are in the atmospheres #00: 06: 28-8# 52 S2 oui #00: 06: 28-5# 192 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse 53 S3 change climatique (..) le change climatique #00: 06: 33-9# 54 S4 oui #00: 06: 33-9# 55 S3 gibt es das überhaupt? #00: 06: 40-4# 56 S1 de réchauffement global #00: 06: 49-3# (schaut im Internet nach) 57 S1 (wiederholt) réchauffement global #00: 06: 54-8# 58 S4 buchstabiert r-é-c-h-a-u-f-f-e-m-e-n-t? #00: 06: 54-8# 59 S1 ja mit zwei é #00: 07: 03-6# 60 S4 le réchauffement c’est le Erwärmung? #00: 07: 06-1# 61 Sus oui #00: 07: 09-3# 62 S1 die globale Erderwärmung #00: 07: 32-2# 63 S1 qu’est ce qu il dit du travail et du chômage dans le sud. Il dit que il y ha beaucoup de chômage en Italie le (unverständlich) fiscale est un grand problème en Italie quel sont and oui fraude fiscale? #00: 08: 12-0# 64 S4 fraude fiscale? Ist das Steuerhinterziehung? #00: 08: 18-4# 65 S2 (buchstabiert) f-r-a-u-d-e #00: 08: 32-1# 66 S1 oui em ou la fraude serrait (Lachen) demi (..) demi -er ça veut dire also halbiert. Si la fraude serrait #00: 08: 51-8# 67 S1 le fraude fiscal le? #00: 08: 56-4# 68 S4 si le fraude serait #00: 09: 00-9# 69 S1 demie avec (unverständlich) avec deux e #00: 09: 12-4# 70 S3 demie er deux e #00: 09: 12-4# 71 S1 ja genau er #00: 09: 19-2# 72 S4 oui #00: 09: 20-2# 73 S1 oui trios cent mille je ne sais pas comment on dit posti di lavoro #00: 09: 36-5# 74 S4 Posti platz #00: 09: 40-3# 75 S2 lieu de travail #00: 09: 42-0# (schlagt im Internet nach) 76 S4 lieux de travail? #00: 09: 47-5# 77 S1 on hem on pourrait créer #00: 09: 45-9# 78 S2 was? #00: 09: 45-9# 193 7.2 Aufzeichnung 2: TL als Unterrichtspraxis und MKK als diskursstrategisches Mittel 79 S1 si potrebbero creare #00: 09: 52-2# 80 S4 on pourrait créer #00: 09: 56-3# 81 S2 p-o-u-r-r-a-i-t #00: 09: 56-5# (buchstabiert) 82 S4 p-o-u-r-r-a-i-t #00: 09: 54-5# (wiederholt Buchstabierung) 83 S4 est-ce que c‘est le plural pourraient? #00: 10: 09-3# 84 S2 on pourrait was? #00: 10: 09-3# 85 S4 de lieux de travail - créer #00: 10: 12-1# 86 S1 mit zwei e #00: 10: 13-4# 87 S4 des lieux #00: 10: 13-4# 88 S2 des lieux de quoi #00: 10: 16-1# 89 S1 also wart ich schreib es dir mal auf #00: 10: 17-8# 90 S4 trois cent mil lieux de travail #00: 10: 19-7# 100 S3 avec la fraude fiscale demie on pourrait créer trois mille trois cent mille #00: 10: 23-1# 101 S2 pourraient être crees #00: 10: 28-3# 102 S4 adesso je vais a #00: 10: 31-4# 103 S4 je vais a contrôler comment s’appelle le Arbeitsplatz #00: 10: 40-4# 104 S1 em mit zwei e- #00: 11: 00-0# 105 S4 post de travail #00: 11: 24-3# 106 S1 oui le président parle longuement du réchauffement global qu’est-ce qu’il dit? les (unverständlich) ou tous les autres personnes pouvant aider ehm (kurze Pause) #00: 12: 05-3# 107 S3 pouvant aider #00: 12: 05-3# 108 S4 peuvent aider à diminuer #00: 12: 10-1# 109 S1 les émissions #00: 12: 19-9# 110 S4 le réchauffement global #00: 12: 43-5# 111 S3 diminuier oder diminuer? #00: 12: 44-8# 112 S4 diminuir #00: 12: 49-5# 113 S4 diminuer #00: 12: 49-5# 114 S3 les émissions #00: 12: 54-0# 194 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse 115 S4 le réchauffage #00: 13: 15-7# Transkript 7.3. : 14.01.2016 Formulierende Interpretation: S1 beschließt, auf Französisch über die italienische Rede zu referieren. Sie stellt fest, dass der italienische Staatspräsident, nachdem alle Italiener und Ita‐ lienerinnen begrüßt worden sind, seine Rede mit einer Aufzählung positiver Aspekte beginnt. Es folgt eine kurze Sequenz zwischen S1 und S4, in der das Verständnis der Wörter „commence“ und „salut“ sichergestellt wird (13-15). S5 ist sich bei „salut“ nicht sicher, S1 wiederholt deshalb das Wort auf Italienisch: „saluta“, „salutando“ (16), um das französische Gerundium zu finden und dessen Bedeutung zu klären. S3 fügt auf Deutsch an, dass es sich um ein Gerundium handelt (CS), kann dann aber, im Gegensatz zu S4, das französische Wort nicht aussprechen (17). S3 versucht nochmals, das französische Gerundium zu bilden, es gelingt ihr aber nicht (20). S4 reformuliert deshalb den Satz, indem sie das Gerundium umgeht. Sie wählt die Form „avec un salut“ (21) und erklärt, dass der Präsident zunächst alle Italiener und Italienerinnen grüßt. S5 fragt nach, wie man „Italiens“ schreibt (24). S1 buchstabiert auf Französisch die Form des Fe‐ mininums und Maskulinums. S1 stellt die rhetorische Frage, worüber der Staats‐ präsident sprechen möchte und beantwortet sie selbst mit der Bemerkung, dass in der Rede zunächst über Dinge gesprochen werden, die jeden Tag passieren, über Schwierigkeiten und Lösungen und darüber, dass Italien bereits Positives geleistet habe (27). S5 fragt auf Deutsch (intrasententielles CS) nach: „Wie - des choses posi‐ tives? “ (28). S1 wiederholt den letzten Teil ihres Satzes und meint, dass es sich um Positives handele. S3 interpretiert dies als die Schwierigkeiten (30), worauf S1 antwortet, dass es sich um die Lösungen handle und dass der Präsident auch über die Geschehnisse in ganz Europa berichtet. S4 stellt eine Zwischenfrage zur Grammatik und will wissen, ob Europa feminin sei. CS leitet hier, wie sonst bei grammatikalischen Zwischenfragen üblich, keinen Themenwechsel ein. S2 antwortet mit „la Europe“, sie spricht den Artikel vollständig aus, um ihre Er‐ klärung möglichst kurz zu halten (34). S1 wiederholt auf Italienisch „l’Europa“ und referiert damit auf das weibliche Genus (35). S4 wiederholt die weibliche Schreibweise „toute l’Europe“ (36). S1 antwortet, dass sie Arbeitslosigkeit ge‐ schrieben hätten (39). S4 fragt auf Deutsch (CS), was denn „chômage“ sei (40). Alle gemeinsam antworten „Arbeitslosigkeit“ (41). S2 stellt zunächst auf Fran‐ zösisch fest, dass die Arbeitslosigkeit an erster Stelle stehe, und wiederholt auf Deutsch: „an erster Stelle“. Damit es richtig niedergeschrieben werden kann, 195 7.2 Aufzeichnung 2: TL als Unterrichtspraxis und MKK als diskursstrategisches Mittel gibt sie die entsprechende Anweisung im Dialekt (intrasentenielles CS) (42). S4 fragt, ob „chômage“ mit Akzent geschrieben werde, erhält aber keine Antwort. Stattdessen beginnt ein Seitengespräch, in dem S1 S2 fragt, was ihr Problem sei (45). S2 antwortet, dass S2’ Problem das Wort Arbeitslosigkeit sei. S1 bestätigt dies. Diese Sequenz wird unterbrochen, denn S3 will wissen, ob der Präsident über die Mafia gesprochen habe, wobei sie Mafia italienisch ausspricht. S1 be‐ jaht, kann dann aber keine Belege dafür bringen. S2 meint daraufhin im Dialekt (extrasententielles CS), dass S3 einfach nur habe fragen wollen (50). S3 stellt eine weitere Frage auf Italienisch und Englisch (extrasententielles und intrasenten‐ tielles CS) zum Inhalt des Textes und möchte erfahren, ob der Präsident etwas über die Treibhausgase in der Atmosphäre gesagt habe (51). S2 bejaht. S3 ver‐ sucht, das französische Wort für Klimawandel zu finden, formuliert „change climatique“, „le change climatique“ und fragt sich selbst und in die Gruppe hinein auf Deutsch (CS), ob es diesen Ausdruck überhaupt gebe (55). S1 nennt das kor‐ rekte französische Wort „réchauffement global“. S4 buchstabiert es. S1 bestätigt auf Deutsch, dass man es mit zwei „e“ schreibt (59). Alle bejahen. S4 will wissen, ob “réchauffement“ Erwärmung bedeutet, indem sie das Wort ins Deutsche übersetzt (60). S1 übersetzt den ganzen Ausdruck Wort für Wort ins Deutsche mit „globale Erderwärmung“ (62). S1 spricht erneut über die Arbeitslosigkeit besonders im Süden Italiens und über Steuerhinterziehung, die in Italien ein großes Problem darstelle (63). S4 fragt nach, ob „fraude fiscale“ Steuerhinterziehung bedeute (CS Franzö‐ sisch/ Deutsch, extrasententiell) (64). S2 buchstabiert „fraude“. S1 fasst weiter zusammen, dass die Steuerhinterziehung halbiert werden solle, kennt aber kein französisches Wort für „halbieren“, sie lacht, da sie sich nicht sicher ist und erfindet ein neues Wort, indem sie das Nomen „demi“ als Verb verwendet und daraus durch das Verb „demier“ einen Neologismus bildet. Sie erklärt das Wort „demie“, indem sie es ins Deutsche übersetzt (66). Anschließend wendet sie sich an die Gruppe, indem sie die Wendung „le fraude fiscale“ fragend ausspricht, ob es sich hierbei um ein Maskulinum handele (67). S4 bestätigt dies, indem sie „le fraude fiscale“ wiederholt. S1 erklärt, dass man es mit zwei „e“ schreibe (69), und S3 wiederholt „demier mit zwei e“ (70). S1 ruft auf Deutsch bestätigend „Ja genau“ aus (71). Auch S4 bejaht auf Französisch. S1 fährt zunächst auf Französisch fort und meint, dass dreihunderttausend Arbeitsplätze verloren gehen könnten und sagt dann, dass sie nicht wisse, wie man „posti di lavoro“ auf Französisch sagt (int‐ rasententielles CS Französisch Italienisch). S4 übersetzt „posti“ mit „Platz“. S2 schlägt auf Französisch „lieux de travaille“ vor (75), sie hat im Internet nachge‐ schlagen (75). S1 fährt auf Französisch fort, dass man Arbeitsplätze schaffen 196 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse könne. Sie wird von S2 durch die Verständnisfrage „Was? “ (CS extrasententiell) unterbrochen (78). S1 übersetzt als Erklärung ins Italienische: „si potrebbero creare“ (79). S4 wiederholt denselben Satz auf Französisch. S2 buchstabiert „pourrait“, S4 wiederholt die Buchstabierung während sie schreibt (81-82) und fragt, ob der Plural „pourraient“ sei (83). S2 stellt wieder eine elliptische Ver‐ ständnisfrage auf Französisch, indem sie „on pourrait“ übernimmt und den Satz mit „Was“ (CS intrasententiell) beendet (84). S4 antwortet auf Französisch, dass es Arbeitsplätze seien, und hebt am Ende des Satzes das Wort „creer“ hervor (85). S1 fragt auf Deutsch, ob man es mit zwei „e“ schreibe. S4 wiederholt für S2 „des lieux“. S2 hat noch immer nicht verstanden und will wissen, was diese „lieux“ seien, verzichtet hier aber auf ein CS und formuliert den Satz auf Fran‐ zösisch (88). S2 sagt in umgangssprachlichem Deutsch, dass sie es für S2 auf‐ schreiben wolle (89). S4 fährt fort und vervollständigt den Satz, indem sie auf Französisch „dreihunderttausend Arbeitsplätze“ sagt (90). S3 formuliert nun den vollständigen Satz auf Französisch (100). S2 wiederholt das Verb des Satzes im Passiv (101). S4 beginnt einen Satz auf Italienisch und fährt dann auf Englisch fort, sie wolle den Ausdruck „lieu de travaille“ im Internet kontrollieren (drei‐ sprachig intrasententielles CS) (103). Sie findet die Übersetzung „post de tra‐ vaille“. S1 geht darauf nicht ein und fährt mit ihrem Vortrag fort. Sie sagt, dass der Präsident lange über die Erderwärmung spreche und leitet ihre Antwort durch eine rhetorische Frage ein, die sie in der Folge selbst beantwortet: „Was sagt er? Er sagt, dass alle mithelfen können, dieses Problem zu lösen“ (106). S3 wiederholt „peuvent aider“, um sicherzustellen, dass sie richtig verstanden hat. S4 wiederholt und fügt „a diminuer“ hinzu“. S1 vervollständigt den Satz dann mit „les emissions“ (107-109). S4 wiederholt für sich das französische Wort für „Erderwärmung“, das man anstelle von „emissions“ verwenden könne (110). S3 fragt nach, wie man diminuir/ diminuer schreibt, dabei verwendet sie die deut‐ sche Konjunktion „oder“ (CS intrasententiell). S4 optiert für die erste Schreib‐ weise, S3 für die zweite (111-113). 7.2.1 Mehrsprachiges Sprechen - eine Herausforderung Reflektierende Interpretation: Es geht in diesem Auszug darum, die wichtigen Inhalte der Neujahrsansprache Macrons zusammenzufassen und verständlich für die Gruppe darzustellen. Das häufige CS und CM lassen darauf schließen, dass die Lernenden sich sehr schwer tun, den Arbeitsauftrag zu erledigen, da die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichen. Sie nehmen den‐ noch die Aufgabe sehr ernst und arbeiten kollegial zusammen, um die Situation bestmöglich zu bewältigen. CM erfolgt nicht nur durch Übersetzen in die L1, 197 7.2 Aufzeichnung 2: TL als Unterrichtspraxis und MKK als diskursstrategisches Mittel sondern es wird auch L2 Italienisch für Erklärungen herangezogen. Die Lern‐ enden arbeiten in zunehmendem Maße sprachübergreifend, und im Verlauf des Gespräches häufen sich intrasententielles CM und CS. Bei Schwierigkeiten wird nicht, wie man erwarten würde, ins Deutsche gewechselt. Die Lernenden sind sehr motiviert und versuchen, den französischen Diskurs trotz erheblicher Schwierigkeiten aufrecht zu erhalten. Sie arbeiten mit allen ihnen zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln: Buchstabieren, Aufschreiben, Wiederholung. CM und CS haben hauptsächlich die Funktion, Diskurse über Grammatik, Rechtschreibung oder Wortschatz einzuleiten. CM wird außerdem häufig für ironische Randbemerkungen eingesetzt oder um schnell und ohne großen Auf‐ wand eine Verständnisfrage zu stellen. In diesen Fällen wird häufig der Dialekt herangezogen. Die dialektalen Einschübe bringen das gesamte Gespräch auf eine andere, nämlich persönlichere Ebene. Die Lernenden schlüpfen aus ihrer SchülerInnenrolle und bringen andere Aspekte ihrer Persönlichkeit zum Aus‐ druck, bleiben aber dennoch ganz auf die Aufgabenstellung und auf die damit verbundenen sprachlichen Schwierigkeiten, die es zu lösen gilt, konzentriert. Das CS ermöglicht es auch, zwischen unterschiedlichen Sprachregistern zu wechseln, wodurch die Beziehungen zwischen den Lernenden auf diesen un‐ terschiedlichen Ebenen offengelegt werden. Sie wechseln von der informellen Ebene der gegenseitigen Sympathie, die auch Kritik und humorvolles Sich-gegenseitig-Aufziehen einschließt, auf die formellere der Arbeitsgruppe, bei der das CS eingesetzt wird, um grammatikalische und inhaltliche Fragestel‐ lungen zu lösen. Es können eine Reihe von MKK-Phänomenen beobachtet werden, die, wie bereits erklärt, zur besseren Übersicht von nun an thematisch geordnet vorgestellt werden: Sicherung der gegenseitigen Verständigung Die Lernenden setzen eine Reihe von Strategien ein, um sich besser ver‐ ständlich zu machen bzw. den anderen das Verständnis zu erleichtern. Dazu nutzen sie alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel, darunter: Wiederholung, unterschiedliche Formen des Übersetzens, Buchstabieren, Aufschreiben und non-verbale Formen der Kommunikation. Die Lernenden können in einem freien Aktionsrahmen alle Möglichkeiten ausprobieren, die ihnen die Mehr‐ sprachigkeit zur Verfügung stellt, um einander die Verständigung zu erleichtern (cf. 4.3.1.). Am häufigsten wird hierfür die Wiederholung eingesetzt, d. h. konkret die Wiederholung eines Wortes oder einer längeren Lokution in Form einer Frage‐ stellung, um zu signalisieren, dass es Verständnisprobleme gibt und/ oder mit dem Ziel, von einem oder mehreren Gesprächspartnern eine Erklärung zu er‐ halten bzw. zu liefern. Die Häufigkeit der Verwendung von Wiederholungen als 198 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse verständigungserleichternde Strategie erklärt sich dadurch, dass sie die Mög‐ lichkeit bietet, zeitsparend im Sinne der Sprachökonomie auf etwas aufmerksam zu machen, ohne den Gesprächsfluss zu sehr durch Unterbrechungen zu stören (cf. 4.5.). So stellt S4 beispielsweise drei Verständnisfragen, indem sie bestimmte Wörter auf Französisch wiederholt (12, 14, 19), und signalisiert damit, nicht gänzlich verstanden zu haben, um was es geht (106). Auch Unklarheiten über die korrekte Rechtschreibung eines Wortes werden so behoben: Nachdem S3 gefragt hat, ob man das Wort „diminuer“ mit „e“ oder mit „i“ schreibt, antwortet S4 mit der Wiederholung des richtigen Wortes (108). Auch grammatikalische Probleme werden auf diese Weise identifiziert und Problemlösungswege ge‐ sucht. So fragt S5 nach der Bedeutung von „salut“, indem sie das Wort wiederholt (15). Sie wendet sich an die gesamte Gruppe, um das Gerundium des Wortes von ihren MitschülerInnen zu erfragen. Ein anderes Beispiel findet sich in Zeile 34: S2 beantwortet die Frage nach dem grammatikalischen Genus des französischen Wortes „Europe“, indem sie „la Europe“ wiederholt und den Artikel vollständig ausspricht sowie zusätzlich betont (34). Ähnlich verhält es sich bei dem Begriff „la fraude“: S1 will durch eine Einwortfrage in Erfahrung bringen, ob „fraude“ männlich sei (67). Ein weiteres Instrument, das dazu dient, die Kommunikation zu erleichtern bzw. Probleme zu bewältigen, ist das Übersetzen. Hier kann zwischen dem Übersetzen in die eigene Erstsprache bzw. den eigenen Dialekt und dem Über‐ setzen von einer Fremdsprache oder L2 in die andere unterschieden werden. Das Übersetzen wird in den meisten Fällen dann eingesetzt, wenn das Wiederholen sich als nicht wirksam erweist oder aber die Situation als zu komplex erscheint und es deshalb nicht möglich ist, in der gleichen Sprache zu verweilen. Dies geschieht bei schwierigen Wörtern, bei solchen, deren Ableitung über Ähnlich‐ keiten in anderen Sprachen nicht möglich ist. In diesem Fall wird meist ein CS in die Erstsprache oder der Dialekt vorgezogen. So fragt z. B. S4 auf Deutsch (CS Deutsch/ Französisch), was „chômage“ sei, und erhält von mehreren Mitschü‐ lerInnen gleichzeitig die deutsche Antwort „Arbeitslosigkeit“ (40-41). Die Lern‐ enden greifen auf das deutsche Wort zurück, da offensichtlich das italienische Wort „disoccupazione“ in diesem Moment nicht abrufbar ist, obwohl es sich in der italienischen Rede befindet und daher bekannt sein sollte. Da das italienische Wort aber keine Ähnlichkeit mit dem französischen Wort aufweist, ist es weder leicht zu merken noch leicht ableitbar. Die Wörter „chômage“, „Arbeitslosigkeit“ und „disoccupazione“ weisen untereinander keine Ähnlichkeiten auf, die bei der Identifizierung behilflich sein könnten. Deshalb kann kein Transfer vollzogen 199 7.2 Aufzeichnung 2: TL als Unterrichtspraxis und MKK als diskursstrategisches Mittel werden, was zur Folge hat, dass als letzte Ressource auf L1 zurückgegriffen werden muss (cf. 3.2.2.). Ähnliches geschieht, wenn S2 zum leichteren Verständnis intrasententiell „est en premier lieux“ mit dem dialektalen „isch an erschter Stelle“ übersetzt (42). Es handelt sich hier nicht um ein einzelnes Wort, das übersetzt werden muss, sondern um eine Wendung. Hier wird das Verständnis durch die Über‐ setzung gesichert und gleichzeitig auf der emotionalen Ebene eine besondere Wirkung erzielt, denn wäre die Übersetzung ins Standarddeutsche erfolgt, hätte sie auf die ZuhörerInnen ganz anders gewirkt. Durch diese Sprachhandlung wird der Dialekt als vollwertige Sprache und Ressource in das mehrsprachige Repertoire der Gruppe aufgenommen und in seiner Wichtigkeit für das Erzielen besonderer kommunikativer Effekte erkannt; gleichzeitig hat die Verwendung des Dialektes hier die Funktion, innerhalb der Gruppe auf ein Gemeinschafts‐ gefühl zu rekurrieren oder es zu etablieren (cf. 4.6.1.). Ein weiteres Beispiel für Übersetzung ist der Versuch von S1, „le réchauffe‐ ment globale“ aus dem Französischen mit „die globale Erderwärmung“ zu über‐ setzen (62). In diesem Fall handelt es sich um eine Lehnübersetzung, es wird also eine Wendung aus einer anderen Sprache fast wortwörtlich übernommen, die es in dieser Form nicht gibt. Diese wörtliche Form der Übersetzung gilt bei ju‐ ridischen Dokumenten als die angemessenste Form des Übersetzens, da dadurch ein Teil der ursprünglichen Bedeutungsfacetten in die Zielsprache hineinschim‐ mert. So kann auch in diesem Fall eine Bedeutungsergänzung beobachtet werden, denn durch die Wiederholung von „global“ und „Erd“ wird die Tatsache emphatisiert, dass die Erwärmung die gesamte Erde betrifft und von höchster Dringlichkeit ist (cf. 4.2.3.) Etwas Ähnliches geschieht in Zeile 42: S2 gibt auf Deutsch Anweisungen, wie man den Satz „le chômage est in première lieux“ schreibt, indem sie innerhalb desselben Satzes eine Übersetzung in den Dialekt vornimmt. Anschließend spricht sie auf Französisch weiter (intrasententielles CS), unterbricht sich erneut im Dialekt („schreibsch“), um Anweisungen zur Rechtschreibung zu geben. Dieses Beispiel des Dialekt-Gebrauches zeigt, dass er nicht nur sprachökono‐ mische Funktion übernimmt (es wird etwas schnell erklärt, indem es übersetzt wird), sondern auch die des Wechsels von einer formellen Ebene auf eine in‐ formelle. Durch diesen Wechsel bereichert S2 das Gespräch durch einen ver‐ trauensvollen Grundton, wodurch ein Zusammengehörigkeitsgefühl und ein positives Lernklima entsteht (cf. 4.6.3.). Ein besonderer Fall non-verbaler Ver‐ ständigung mit dem Ziel der Kommunikationserleichterung liegt vor, wenn S4 wissen will, ob „chômage“ mit Akzent geschrieben wird, und dazu die Zeichen‐ sprache verwendet (44). Non-verbale Kommunikation findet immer dann Ein‐ 200 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse gang in den Lernprozess, wenn ein Wort benötigt wird, das nicht übersetzbar ist (wie in diesem Fall: Accent circonflexe) und Umschreibungen umgangen werden sollen. Auch in diesem Fall ist das Prinzip der Sprachökonomie ein vor‐ rangiges Kriterium für die Wahl und Form der Kommunikation. Einen weiteren Aspekt mehrsprachiger Kommunikationsstrategie stellt das Übersetzen von einer Fremdsprache in die andere dar, das bei weitem nicht so oft als verständigungserleichternde Strategie eingesetzt wird wie das Über‐ setzen von einer Fremdsprache in L1. Es bleibt aber dennoch ein immer wieder‐ kehrendes Mittel, das eingesetzt wird, wenn zwei Wörter Ähnlichkeiten auf‐ weisen und deshalb ein Transfer möglich ist oder wenn die Lernenden ein Wort bzw. einen Ausdruck umstandsbedingt oder aufgrund der Anordnung des Lang‐ uage Mode im Augenblick des Sprechens schneller von L2/ Lx als von L1 ableiten können (cf. 4.5.2.). Das Übersetzen von L2/ x nach Lx kann als ein Hinweis darauf gelten, dass die Sprechenden das Transferpotential bereits in einem größeren Umfang nutzen, da die sprachlichen Vernetzungen im mehrsprachigen Reper‐ toire ausgebaut, schrittweise aktiviert werden und sich in der Sprachproduktion durch unmittelbares Switchen bemerkbar machen. Das Übersetzen von Lx zu Lx wird üblicherweise von Lernenden mit zweibzw. mehrsprachigem Hinter‐ grund mit größerer Selbstverständlichkeit gehandhabt als von Lernenden, die nur eine L1 haben. Letztere erwerben diese Fähigkeit aber sehr wohl im Verlauf des Lernprozesse im mehrsprachigen aufgabenorientierten Format: Wie aus den Fallbeispielen hervorgeht, vernetzen sie ihr mehrsprachiges Repertoire in zu‐ nehmendem Maße und lernen es zu nutzen (cf. 4.4.2.). Dies geschieht beispielsweise, wenn der nicht mehrsprachigen S1 im Zusam‐ menhang mit dem Problem der Arbeitslosigkeit in Italien das französische Wort für „Arbeitsplätze“ fehlt. Sie fragt zunächst auf Französisch nach, benutzt dann aber für die Frage das italienische „posti di lavoro“ (73). S1 greift auf den italie‐ nischen Ausdruck entweder deshalb zurück, weil sie ihn aus der italienischen Rede kennt oder weil er dem deutschen „Arbeitsplatz“ sehr ähnlich ist. Sie kann also bei L2 und Lx bleiben, ohne den Umweg über das Deutsche gehen zu müssen. Anders verhält es sich hingegen bei S4: Sie muss „posti“ mit „Platz“ ins Deutsche zurückübersetzen, um einen Transfer vollziehen zu können und dann den französischen Ausdruck für das Wort zu finden (74). Für sie ist Italienisch in diesem Moment nicht als Brückensprache geeignet, ein Transfer Italienisch/ Französisch ist dadurch nicht möglich. Sie ist offensichtlich in diesem Fall nicht in der Lage, von einer Fremdsprache in eine andere zu wechseln und muss den Umweg über L1 gehen. Ebenso antwortet S1 auf die Frage, welches grammati‐ kalische Genus das Wort „Europe“ habe, mit der Übersetzung des Wortes ins Italienische, indem sie den Artikel vollständig ausspricht „La Europa“ (35) und 201 7.2 Aufzeichnung 2: TL als Unterrichtspraxis und MKK als diskursstrategisches Mittel zusätzlich stark betont. Sie versucht hier eine Hilfestellung zu geben, indem sie auf die Sprache zurückgreift, die dem Französischen am ähnlichsten ist. Außerdem geht sie davon aus, dass alle dieses Wort auf Italienisch kennen. Ita‐ lienisch dient als Brückensprache zu Französisch, und zwar nicht nur auf lexi‐ kalischer, sondern auch auf grammatikalischer Ebene (cf. 4.3.1.). Weitere Beispiele sind die Reformulierung und CS Französisch/ Italienisch. Die Lernenden versuchen gemeinsam, ein grammatikalisch lexikalisches Pro‐ blem zu lösen, indem sie das Gerundium für „salut“ aus dem Italienischen ab‐ leiten „saluta, salutando“ (16). Es gelingt aber in diesem Fall allerdings weder S1 noch S5, das Gerundium von „salut“ auf Französisch zurückzuschließen. Unge‐ achtet der Tatsache, dass der Versuch misslingt, zeigt dieses Beispiel dennoch, dass die Lernenden sich in zunehmenden Maße Transferstrategien zwischen L2/ x und Lx bedienen, um sprachliche Fragestellungen, die sich während des Ge‐ spräches ergeben, zu lösen und gleichzeitig die Verständigung zu sichern (cf. 3.2.2.). Für die Strategie des Buchstabierens sind zwei Formen zu nennen: Es wird entweder jeder Buchstabe eines Wortes einzeln und getrennt vom anderen aus‐ gesprochen oder Wörter werden ohne Pausen zwischen den einzelnen Buch‐ staben so ausgesprochen, wie sie geschrieben werden. Letztere Form des Buch‐ stabierens wird am häufigsten verwendet, denn auch hier gilt das Prinzip der Sprachökonomie, wenn es darum geht, komplexe Rechtschreibfragen möglichst einfach und kurz darzustellen. Aus diesem Grund wird es sehr häufig für die französische Rechtschreibung eingesetzt, da diese die Lernenden vor die größten Herausforderungen stellt. So versucht beispielsweise S2, zur Klarstellung der Rechtschreibung das Wort „pourraient“ zu buchstabieren (82) und wird dabei von S4 unterstützt, die die Buchstabierung wiederholt und gleichzeitig richtig‐ stellt. Meist wird letztere Form des Buchstabierens von den Lernenden bevorzugt, da sie zeitsparender ist. Auf das Buchstabieren mit Pausen wird erst zurückge‐ griffen, wenn der erste Versuch erfolglos bleibt. So wird zum Beispiel das Wort „fraude fiscale“ buchstabiert, da es einem fachsprachlichen Register angehört und erstmals Erwähnung findet. Offensichtlich ist erstens dieses Wort allen Be‐ teiligten unbekannt und zweitens ist der italienische Ausdruck „frode fiscale“, der eine Ableitung leicht ermöglichen würde, in diesem Moment nicht abrufbar. Daher fragt S4 auf Deutsch zunächst, ob es sich um „Steuerhinterziehung“ handle und versucht dadurch das Verständnis zu sichern. S2 sichert die Recht‐ schreibung, indem sie das Wort für alle nochmals buchstabiert (65). Auch in einem anderen Falle wird das bis dahin noch unbekannte Wort „réchauffement global“, bei dem kein Transfer möglich ist, zunächst buchstabiert, anschließend 202 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse leistet S1 nochmals eine zusätzliche Hilfestellung, indem sie auf Deutsch erklärt, dass man das französische Wort mit zwei f schreibt (59). Beide Formen des Buchstabierens werden als Strategie eingesetzt, um auf mehreren Ebenen aktiv zu werden: Einerseits geben sie Aufschluss über die Rechtschreibung eines Wortes, andererseits geben sie Orientierungshilfe bei neuen Themenbereichen und im Falle des zusammenhängenden Buchstabierens auch über die Aussprache. Zudem ermöglicht das Buchstabieren, Ähnlichkeiten zwischen Wörtern unterschiedlicher Sprachen zu entdecken. Das trifft in diesem Auszug vor allem auf Französisch zu, eine Sprache, bei der sich Aussprache und Rechtschreibung sehr stark voneinander unterscheiden. Durch Buchstabieren kann der lateinische Ursprung des Wortes eher herausgelesen und so ein Transfer vollzogen werden, wodurch unter Umständen auch das Verständnis eines noch unbekannten Wortes abgeleitet werden kann. Das Buchstabieren wird aber auch dazu genutzt, um grammatikalische Unterschiede zwischen Wörtern aufzuzeigen. Dies ist der Fall, wenn S1 „Italiennes et Italiens“ buchsta‐ biert, um die weibliche Form von der männlichen zu unterscheiden (25) (cf. 4.5.). Eine letzte Strategie, die angewandt wird, ist das Aufschreiben. Hier kommen genauso wie bei der non-verbalen Kommunikation andere Kommunikations‐ kanäle als die ausschließlich mündlichen zum Einsatz und es wird das mehr‐ sprachige mündliche Kommunikationsspektrum um neue Ausdrucksmöglich‐ keiten erweitert. Im vorliegenden Ausschnitt gibt es hierfür nur ein Beispiel: S2 hat Verständnisschwierigkeiten, woraufhin S4 den französischen Satz „des lieux de travaille - créer“ langsam wiederholt (85). S1 erklärt gleichzeitig auf Deutsch, dass man „créer“ mit zwei „e“ schreibt (86). S2 meldet sich wieder mit einer Verständnisfrage, sie versteht das Wort „lieux de travail“ nicht. S4 bietet ihr schließlich an, diesen Satz aufzuschreiben. Sie verwendet dazu den Dialekt, eine für S2 vertraute Sprache, um die müde und aufgebrachte Schülerin zu beruhigen (89). Nachdem S4 den Satz aufgeschrieben hat, wiederholt sie einen Teil des schwierigen Satzes nochmals und so kann ihn S2 schließlich vollständig auf‐ sagen. An diesem Beispiel wird deutlich, dass das Aufschreiben als letzte Res‐ source zur Verständigungserleichterung herangezogen wird und eine weitere Form sozialen Lernens darstellt (cf. 6.1.2.). Mehrsprachiges soziales Lernen Im Verlauf des Projektes hat sich immer wieder gezeigt, dass sich in mehr‐ sprachigen Aushandlungsprozessen die unterschiedlichsten Formen von so‐ zialem Lernen entwickeln, die durch das mehrsprachige Format erst ermöglicht wurden. Durch die Mehrsprachigkeit und die Freiräume, die durch aufgaben‐ orientiertes Design geschaffen werden, können die Lernenden neue Formen sozialen Lernens entdecken, auf ihre Tauglichkeit überprüfen und, wo immer 203 7.2 Aufzeichnung 2: TL als Unterrichtspraxis und MKK als diskursstrategisches Mittel nötig, im Diskurs anwenden. Dazu gehört auch, dass die Lernenden sich ab‐ sichtlich herausfordernden sprachlichen Situationen aussetzen, um ihren Spracherwerbsprozess zu beschleunigen, und dass sie Strategien dafür entwi‐ ckeln müssen, dass die Gruppe diese Form der Sprachübung akzeptiert, damit sie ungestört an ihren sprachlichen Grenzen arbeiten können. Auf diese Weise schafft die Gruppe die nötigen Freiräume für ein solches Experimentieren mit Sprache(n) (cf. 6.1.3.). Ein besonderer Fall von sozialem Lernen zeigt sich z. B. in den Zeilen 77-79: Hier versteht S2 nicht recht, was mit dem Ausdruck „on pourrait créer“ gemeint ist. S1 ist ihr beim Verständnis behilflich, indem sie zunächst die französische Wendung ins Italienische übersetzt. S1, die einsprachig deutsch aufgewachsen ist, wechselt hier in die Sprache, die S2 vertraut ist (S2 hat Italienisch und La‐ dinisch als L1). Sie ist dazu fähig, da sie sich mit dem italienischen Text ausei‐ nandergesetzt und durch die vorangegangene Übung Vertrauen und Sicherheit im Umgang mit dieser Sprache gewonnen hat - ein wichtiges Erlebnis in ihrem Lernprozess, den sie selbst durch freie Wahl initiiert hat. Sie verwendet Italie‐ nisch auf der persönlicheren, informellen Ebene des freien Sprechens, ohne Vorlage, auf die sie sich stützen könnte. Sie tut dies trotz der Tatsache, dass ihre Gesprächspartnerin in Italienisch um ein Vielfaches versierter ist, da sie durch das Experimentieren mit Sprache(n) offensichtlich Hemmungen abgebaut hat (cf. 3.3.2.). Als S2 immer noch nicht versteht, geht S1 einen Schritt weiter und übersetzt Wort für Wort ins Französische zurück und buchstabiert dabei, um S2 auf diesem Wege weitere Hilfe anzubieten. Als sich selbst das als nicht erfolg‐ reich herausstellt, wird zunächst im Dialekt weitergesprochen und anschließend der ganze Satz für S2 aufgeschrieben. Diese Sequenz macht deutlich, auf welche Weise sich Formen sozialen Lernens in den Aushandlungsprozessen sehr häufig gestalten: Die Erklärung oder Erläuterung wird nach Schwierigkeitsstufen ge‐ staltet. Zunächst wird auf einer Ebene höherer Komplexität argumentiert und dann je nach Bedarf und Reaktion der Zuhörer graduell der Schwierigkeitsgrad abgebaut, wobei die einfachste Ebene, nämlich die Übersetzung in den Dialekt oder, wo nicht anders möglich, das Aufschreiben, als letzte Ressource herange‐ zogen werden. Indem der Verständnisprozess von der Gruppe unterstützend begleitet wird, wobei sich die Lernenden ihren jeweiligen Bedürfnissen ent‐ sprechend entgegenkommen, wird gewährleistet, dass jeder/ jede Einzelne sich seinen/ ihren Fähigkeiten entsprechend aktiv am Gespräch beteiligen kann (cf. 6.1.2.). Ein weiterer Aspekt mehrsprachigen sozialen Lernens lässt sich sehr gut an‐ hand des Sprachverhaltens von S1 im oben angeführten Auszug demonstrieren. S1 wählt, obwohl die Wahl des Textes als auch die Wahl der Arbeitssprache 204 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse freiwillig war, erstaunlicherweise eine Sprache, die sie nicht so gut beherrscht, nämlich Französisch (Französisch wird als Unterrichtsfach an der Schule erst in der neunten Klasse eingeführt, sie hatte keine Vorkenntnisse, lernt die Sprache also erst seit zwei Jahren). Sie lässt sich auf TL ein, übernimmt die schwierige Aufgabe, vom Italienischen ins Französische zu übersetzen, also von einer Fremdsprache in eine andere, und anschließend auf Französisch vorzutragen. Die Schülerin stammt aus einem einsprachigen Familienumfeld und hat Italie‐ nisch bislang hauptsächlich im schulischen Umfeld gelernt. Dennoch wählt sie nicht nur den inhaltlich und strukturell komplexen italienischen Text, sondern beschließt darüber hinaus, diesen ins Französische zu übersetzen. Das ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Schülerin frei und unbeobachtet ar‐ beiten kann und sich dabei von ihrem Umfeld getragen fühlt. So ist sie in der Lage, sich an einer Aufgabe zu messen, der sie eigentlich von ihren Kenntnissen her nicht ganz gewachsen ist. Sie hat ihren französischen Vortrag gut vorbereitet und ist von nun an bemüht, korrekte französische Sätze zu formulieren. Dies zeigt, dass der mehrsprachige aufgabenorientierte Unterricht und vor allem das Arbeiten in Kleingruppen Spielraum für freies Experimentieren mit Sprache(n) schafft und die Lernenden dazu ermutigt, sich im Sinne Vygotskys (1978) mit den richtigen Hilfestellungen vonseiten der Gruppe einer Zone of Proximal De‐ velopement zu nähern (11). Die Gruppe übernimmt hier die Aufgabe, S1 durch unterschiedliche Scaffoldings die Bewältigung ihrer Aufgabe zu ermöglichen. Der erste Schritt in diese Richtung besteht darin, dass sich die gesamte Gruppe auf das veränderte sprachliche Anforderungsniveau einstellt und die Heraus‐ forderung annimmt, indem sie ins Französische wechselt, in die Sprache, die alle Lernenden am wenigsten beherrschen und in der keiner Vorkenntnisse mit‐ bringt. Der Aushandlungsprozess wird so auch zu einem sprachlichen Übungs- und Experimentierfeld, in dem die Lernenden eine Sprache verwenden, die sie bislang nur in einem streng strukturierten und auf Grammatik fokussierten Kontext kennengelernt haben (cf. 2.4.1.). Dieser Kontext ermöglicht es S1, für die gesamte Dauer ihres Vortrages in der französischen Sprache zu verweilen, obwohl der Wechsel in die Muttersprache ihr an einigen Stellen die Aufgabe erleichtern würde. Sie tut dies sogar in Situ‐ ationen, in denen es für sie schwierig wird, ihre Arbeit vor den anderen zu verteidigen. So lässt sie sich von kritischen Zwischenfragen nicht beirren und wiederholt den bereits gesagten französischen Satz (29, 30). S1 bleibt bei ihrem Standpunkt, spricht die im Text vorgeschlagenen Lösungen an (31) und fährt anschließend fort, indem sie die rhetorische Frage nach den wichtigsten Prob‐ lemen in Italien selbst beantwortet. Obwohl S1 hier durch die vorhergehenden Einwände vonseiten einzelner Gruppenmitglieder verunsichert wirkt, wechselt 205 7.2 Aufzeichnung 2: TL als Unterrichtspraxis und MKK als diskursstrategisches Mittel sie nicht Sprache, auch dann nicht, wenn sie desorientiert ist und lediglich mit einem „Oui“ antwortet (43, 49). S1 fährt in ihrem französischen Vortrag trotz der durch die Gruppe verursachten Verunsicherung fort und führt ihn zu Ende. In diesem Fall übernimmt die Gruppe die Funktion, die Lernende auf fremdsprach‐ liche Situationen vorzubereiten, in denen sie nicht auf uneingeschränkte Zu‐ stimmung stößt und trotzdem ihren Standpunkt verteidigen muss (cf. 6.1.4.). Die Lernende geht also mit Ausdauer und Überzeugung an die Aufgabe heran und erlangt einen vertrauteren Umgang mit der Sprache. Meistens wird sie durch die Gruppe unterstützt, aber auch dann wenn die Anerkennung fehlt, lässt sie sich durch die kritischen Einwände der Partnerinnen nicht beirren oder ver‐ unsichern und kommt selbst in schwierigen Situationen nicht vom Französi‐ schen ab. Dieses Beispiel zeigt, dass diese Form des Arbeitens und Lernens nicht, wie vielleicht vermutet werden könnte, dazu führt, dass sich die Lernenden als Arbeitssprache jene Sprache(n) aussuchen, die für sie am leichtesten zu bewäl‐ tigen ist/ sind und durch die sie den Arbeitsaufwand möglichst gering halten könnten. In der Regel geschieht das Gegenteil: Die Lernenden wählen Sprachen aus, die sie weniger oft benutzen und die sie üben wollen, da mehrsprachige Kompetenzaufgaben die Möglichkeit selbstgesteuerten und unbeobachteten Lernens schaffen in einer Atmosphäre des Unter-sich-Seins, in einem Umfeld also, in dem Fehler keine große Rolle spielen und in ihrer Wichtigkeit zugunsten der Kommunikation und des Experimentierens vorübergehend in den Hinter‐ grund treten. Ein ähnliches Beispiel sozialen Lernens findet sich in Zeile 86, wo die Lernenden ein Seitengespräch einleiten, in dem ein grammatikalisches Pro‐ blem behandelt wird. Diese Seitengespräche verlaufen in der Regel in L1. In diesem Fall hingegen wird auf L4 beharrt und nur für die Rechtschreibung nach L1 geswitcht (86, 89). Man kann hier erkennen, dass die Arbeitsgruppe als Lern‐ gemeinschaft es den einzelnen erlaubt, die eigenen Sprachkompetenzen auf spezifische fachbereichliche Themenkreise auszuweiten (cf. 2.1.2. und 6.1.1.). Es gibt aber auch Situationen, in denen selbstgesteuertes Lernen an seine Grenzen gelangt, so z. B. wenn S1 durch vorhergehende Einwände verunsichert ist (64, 68) und das von ihr zunächst richtig gewählte Genus von „fraude“ durch ein falsches ersetzt wird. Sie vertraut hier mehr auf die anderen Lernenden, die sie als kompetenter einstuft als sich selbst. In diesem Fall bleibt der Fehler er‐ halten, denn „fraude“ ist im Französischen wie im Italienischen weiblich und nicht männlich. In diesem Fall gelingt es den Lernenden nicht, das Italienische als Brückensprache zu nutzen. Durch vorschnelles Urteilen und wahrscheinlich durch eine subtile Form von Diskriminierung wurde die von S1 gebildete an‐ fänglich richtige Form nicht aufgenommen. 206 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse Kommunikative (Bewältigungs)strategien Als Gesprächsstrategien werden rhetorische Fragen eingesetzt mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit der Gruppe auf sich zu lenken. Oft wird eine solche Frage durch eine Interjektion eingeleitet, die aus einer anderen Sprache stammt. Solche mehrsprachigen Einleitungen signalisieren den Beginn eines neuen Dis‐ kursabschnittes, das Anschneiden eines neuen Themenbereiches oder die Ein‐ leitung eines Sprachwechsel der gesamten Gruppe. Die Gruppe leistet einer sol‐ chen impliziten Aufforderung zum Sprachwechsel interessanterweise immer Folge (es gibt im gesamten Datenkorpus keinen Fall, bei dem die Gruppe einem CS zu Beginn eines neuen Diskursabschnittes nicht gefolgt wäre). In Zeile 11 beispielsweise signalisiert S1 durch CS vom Italienischen ins Französische einen Themenwechsel und leitet gleichzeitig einen neuen Gesprächsabschnitt ein. Sie hat beschlossen, den italienischen Text auf Französisch zu bearbeiten und tut dies, indem sie zunächst die Fragestellungen durch rhetorische Fragen auf Fran‐ zösisch wiederholt, bevor sie ihre Antworten vorträgt, mit der Absicht, sich besser verständlich zu machen und die Gruppe darauf vorzubereiten, dass nun ein Sprachwechsel stattfindet (11, 37) (cf. 4.5.1.). Daneben gibt es viele Fälle, in denen CS für gesprächsstrategische Zielset‐ zungen zum Einsatz kommt, um die Aufmerksamkeit der ZuhörerInnen auf einen bestimmten Umstand oder ein bestimmtes Thema zu lenken, wie z. B. wenn S4 zunächst auf Italienisch mit „Sì“ auf eine Frage antwortet, um dann auf Französisch bestätigend fortzufahren (68). CS bedeutet in vielen Fällen einen unerwarteten Wechsel im Gespräch und erhöht daher in besonderem Maße die Aufmerksamkeit der ZuhörerInnen. In diesen Fällen hat CS jenseits der Bedeu‐ tung des Gesagten auf rein sprachlicher Ebene die Funktion eines neutralen Signals und gewinnt dadurch gleich einem Warnsignal die Wirkung einer ab‐ rupten Unterbrechung des gewohnten Redeflusses, wodurch in den Zuhöre‐ rInnen automatisch die Wachsamkeit erhöht wird, denn es signalisiert, dass man etwas Wichtiges mitzuteilen hat (cf. 4.5.1.). Eine ähnliche Funktion des CS findet sich, wenn S4 den Satz auf Italienisch (CS Italienisch/ Französisch intrasententiell) beginnt (102-103), um anschließend auf Französisch fortzufahren. Sie verwendet italienische Wörter als Interjekti‐ onen und wechselt im gleichen Satz ins Deutsche CS („Arbeitsplatz“). Sie wech‐ selt innerhalb eines Satzes also zweimal in zwei unterschiedliche Sprachen und erzielt damit den besonderen kommunikativen Effekt der Lässigkeit. Durch diese Mehrsprachigkeit kann die Lernende durch TL von einer Bedeutungswelt in die andere wechseln und verleiht dabei dem Gesagten eine höhere Bedeu‐ tungskomplexität als das mit einem einsprachigen Satz möglich wäre. Durch den scherzhaften Satzanfang mit dem Wort „Adesso“ schwächt sie ihr Miss‐ 207 7.2 Aufzeichnung 2: TL als Unterrichtspraxis und MKK als diskursstrategisches Mittel trauen gegen den von der Gruppe akzeptierten Ausdruck „lieux de travaille“ ab. S4 geht, im Gegensatz zu S1 (68), mit Mehrsprachigkeit recht gelassen um und vertraut derart auf ihre sprachlichen Vorkenntnisse, dass sie allgemein als richtig geltende Annahmen in Frage stellt. In diesem Sinne ist auch der Versuch von S1 zu verstehen, sich Autorität zu verschaffen: Als S5 wissen möchte, wie man „Italiens“ auf Französisch schreibt, beginnt S1 ihre Antwort mit einem deutschen „Also“ (CS intrasententiell), um ihre Autorität zu signalisieren, und buchstabiert „Italiennes et Italiens“ weiblich und männlich (25) (cf. 4.5.1.). Eine gesprächsstrategisch sehr wichtige Funktion haben das Paraphrasieren und das Ersetzen nicht bekannter Strukturen oder Wörter durch leichtere. Oft impliziert dies auch einen Registerwechsel. Die Lernenden weichen auf ein um‐ gangssprachliches Register aus, wenn sie sich außerstande sehen, ein gehobenes Register beizubehalten, wie z. B. im oben erwähnten Fall der Suche nach einem Gerundium. Die Lernenden versuchen zunächst, aus dem Italienischen abzu‐ leiten („salutando“) und entscheiden sich dann für eine andere Option, sie ei‐ nigen sich auf „avec un salut“ und umgehen somit das Gerundium (21). Sie re‐ formulieren also in einer anderen, für sie leichteren grammatikalischen Form (cf. 4.5.). Ironie und mehrsprachige Rollen CS wird häufig eingesetzt, um ironische Seitengespräche einzuleiten bzw. Kommentare abzugeben. Dieses CS wirkt in der Kommunikation auf mehreren Ebenen: Auf der emotionalen Ebene schafft es ein Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gruppe und trägt dazu bei, die positive Einstellung zueinander nicht durch zu direkte Kritik zu gefährden. Die Gruppe ist durch das schulische Umfeld da‐ rauf eingestellt, einen möglichst freundschaftlichen und harmonischen Umgang miteinander zu pflegen. CS, vor allem der Einschub von belustigten CS-Dia‐ lektausdrücken, schwächt die unterschwelligen Konflikte ab. Hierdurch können Konflikte ausgetragen werden, ohne dass Verletzungen entstehen. Es kann hier also von einer mehrsprachigen Konfliktbewältigungsstrategie gesprochen werden (cf. 4.6.1.). Ein Beispiel hierfür findet sich in Zeile 28: S5 ist mit dem Ausdruck „choses positives“ nicht ganz zufrieden, beginnt ihre Frage mit einem „Wie? “ auf Deutsch und spricht dann auf Französisch weiter. Sie signalisiert damit, dass sie irritiert ist: S1 zu positive Darstellung der Dinge überzeugt sie nicht (28), sie verleiht aber der gesamten Aussage durch den deutschen Auftakt einen weniger scharfen Ton. Auf die gleiche Weise übernimmt S2 scherzhaft die Verteidigung von S5 und meint, sie (S3) habe ja nur gefragt (intrasententielles CS Englisch Deutsch) (50). Hier wird erstmals in diesem Kontext die englische Sprache verwendet, um einen scherzhaften Effekt zu erzielen: Das „Yes“ als Satzanfang und das Fort‐ 208 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse fahren im Dialekt erfüllen die Aufgabe, das dann Folgende als scherzhafte Ein‐ fügung zu kennzeichnen. S3 nimmt diesen Ton auf und bleibt beim Englischen, indem sie scherzhaft Englisch und Französisch mischt und versucht, das Wort Klimawandel zu umschreiben: „la gas which are in the atmosphere“ (51). Hier wird einerseits S1 wieder gefordert (man ist mit ihrer Darstellung nicht ganz zufrieden), andererseits zeigt sich innerhalb der Gruppe auch eine negative Ein‐ stellung dem italienischen Staat gegenüber. Dem Staatspräsidenten wird unter‐ stellt, er unterschlage in seiner Ansprache die wirklichen Probleme Italiens und betreibe Schönfärberei. Diese Aussagen werden allerdings durch das CS abge‐ schwächt, wodurch erst die Kritik an den Aussagen von S1 ermöglicht wird, ohne das Gleichgewicht innerhalb der Gruppe zu gefährden (cf. 4.5.1.). Auch S3 nimmt die Leichtigkeit des Tons auf und fragt scherzhaft auf Fran‐ zösisch, ob der Präsident nicht über die Mafia gesprochen habe, wobei sie Mafia mit süditalienischem Akzent ausspricht (CS intrasententiell) (48). Auch in diesem Fall wird S1’ Darstellung der Fakten infrage gestellt, weil ein so wichtiges Phänomen wie die Mafia einfach übergangen wird. Dadurch allerdings, dass das Wort Mafia mit einem stark südländischen Akzent ausgesprochen wird, erhält die gesamte Aussage einen leichten und scherzhaften Charakter, obwohl das Gesagte schwerwiegende Anschuldigungen gegen den italienischen Staatsprä‐ sidenten enthält. Einen ähnlich ironischen Unterton hat der Versuch, eine Über‐ setzung für „Klimawandel“ zu finden. S3 fragt sich selbst auf Deutsch, ob es dieses Wort überhaupt gibt (55). Hier mischt sich intrasententielles CS mit ext‐ rasententiellem CS Deutsch/ Französisch. Dadurch dass die Überlegung auf Deutsch formuliert wird, erhält sie eine ironische Färbung. S3 fällt es als zwei‐ sprachig deutsch-italienisch aufgewachsener Lernenden leicht, in mehreren Sprachen gleichzeitig Überlegungen anzustellen und Strategien und Lösungen für kommunikative Probleme zu finden, sie kann darüber selbst lachen. Die wiederholten Nachfragen von S2 mit dem Fragepronomen „Was? “ weisen darauf hin, dass sie irritiert und müde ist (84, 78) und dass sie sich, wenn sie keine Hilfestellung bekommt, sehr bald aus dem Gespräch verabschieden wird. „Was? “ ist eine elliptische Frage und wird in diesem Fall dialektal ausgesprochen („Wos? “). Dies verstößt gegen die Konvention höflicher Umgangsform und be‐ deutet ebenso einen Bruch im gewohnten Redefluss. Die MitschülerInnen re‐ agieren sofort, indem sie S2 intensive Hilfestellungen (Übersetzen, Buchsta‐ bieren, Aufschreiben) anbieten (80-101). Dies scheint S2 zu beruhigen, weshalb sie ihre dritte Verständnisfrage auf Französisch formuliert (88) und damit den Teilnehmern signalisiert, dass ihre Bedürfnisse fürs erste befriedigt sind und sie weiterhin am Gespräch teilnehmen wird. Gestützt durch diese Hilfestellungen wird S2 zudem in ihrer Selbstwahrnehmung gestärkt und ist dann in der Lage, 209 7.2 Aufzeichnung 2: TL als Unterrichtspraxis und MKK als diskursstrategisches Mittel eine Passivkonstruktion („pourraient être crées“) wahrscheinlich aus dem Ita‐ lienischen („possono essere creati“) abzuleiten, obwohl es sich um eine gram‐ matikalische Form handelt, die sie im Französischunterricht noch nicht gelernt hatte. In diesem Fall wird CS verwendet, um die eigene Befindlichkeit zum Aus‐ druck zu bringen, die Schülerin signalisiert durch CS ihr emotionales Unbehagen und fordert gleichzeitig die anderen auf, ihr behilflich zu sein. Der Dialekt über‐ nimmt die Funktion, den emotionalen Ausdruck zu verstärken und die Gruppe dazu zu veranlassen, umgehend entsprechende Maßnahmen zu ergreifen (cf. 4.6.3.). Mehrsprachiges Recherchieren Ein weiteres Phänomen, das sich bei der Durchführung der Unterrichtsein‐ heiten herauskristallisierte, ist der Umstand, dass die Lernenden, denen zum Nachschlagen ihr Handtelefon mit Internetanschluss auch im Unterricht zeit‐ weise zur Verfügung steht, sich ständig im Internet die nötigen Informationen in sämtlichen Sprachen besorgen. Diese Art des Recherchierens unterscheidet sich von der traditionellen einsprachigen dadurch, dass die Lernenden gleich‐ zeitig in mehreren Sprachen aktiv sind und dadurch zum ständigen Sprachver‐ gleich veranlasst werden. Das mehrsprachige Arbeiten setzt nämlich voraus, dass gleichzeitig mehrere Fenster im Internet geöffnet sind und sprachüber‐ greifend recherchiert wird. Das bedeutet, dass abwechselnd deutsche, italieni‐ sche, englische und französische Wörter in Online-Nachschlagewerken kon‐ sultiert werden. Diese Form des Nachschlagens stellt die Lernenden vor ganz andere kognitive Herausforderungen als einsprachiges Nachschlagen. Das stän‐ dige Vergleichen auf semantischer Ebene erhöht die Aufmerksamkeit für Un‐ terschiede und Ähnlichkeiten zwischen den Sprachen und führt letztendlich zu einer engeren Vernetzung derselben, wodurch das mehrsprachige Repertoire aktiviert und erweitert wird. Einzelne Wörter und Wendungen sind dadurch schneller abrufbar, wodurch wiederum die Transferleistung des gesamten mehr‐ sprachigen Systems gesteigert wird (cf. 3.2.1.). In diesem Abschnitt gibt es zwei Beispiele für mehrsprachiges Nachschlagen im Internet, wobei es sich immer um das gleiche französische Wort für Arbeits‐ platz handelt. Es ist hier offensichtlich nicht möglich, direkt aus dem Italieni‐ schen eine Übersetzung ins Französische zu versuchen. S2 schlägt im Internet nach und findet die Antwort „lieu de travail“. S4 versichert sich, dass der Plural dieses Wortes mit „x“ geschrieben wird. Ähnlich verfährt S1, wenn sie „rechauf‐ fement globale“ nachschlägt (56). S4 ist mit dem Ausdruck „lieux de travaille“ nicht einverstanden und beschließt, nochmals im Internet nachzuschlagen (102-103). Dort findet sie „post de travaille“, das ihr angemessener erscheint. Von da an wird dieser Ausdruck den vorhergehenden ersetzen. An diesen beiden 210 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse Beispielen wird die Intensität ersichtlich, mit der sich die Lernenden sprach‐ übergreifend mit Bedeutung und Form einzelner Wörter auseinandersetzen. Kreativität und Wortkreation / Symbolische Kompetenz Es gibt einige Beispiele in diesem Gesprächsauszug dafür, dass die Lernenden versuchen, sich sogar im Bereich der Wortkreation auszuprobieren. Das ge‐ schieht meist, indem mit Lehnübersetzungen oder wörtlichen Übersetzungen gearbeitet wird und vor allem auf der Wort- und Bedeutungsebene. Auf seman‐ tischer Ebene kann es durch Transfer zu neuen Wortkreationen kommen, so in Zeile 53, wo eine Übersetzung ins Französische für „Klimawandel“ gesucht wird. S3 kreiert das Wort „changer climatique“, das Klimawandel bedeuten könnte, indem sie es aus dem Italienischen „cambiamento climatico“ ableitet (53). Auch S1 formuliert einen Neologismus, wenn sie erklärt, dass die Steuerhin‐ terziehung halbiert werden müsse und das deutsche Wort „halbieren“ mit „demie“ übersetzt, einem Verb, das es im Französischen nicht gibt (66). Ihr ist das Nomen „demi“ bekannt und sie leitet daraus das Verb „demie“ ab. Sie trans‐ feriert eine Wortbildungsmöglichkeit, die es in diesem spezifischen Fall im Deutschen (Hälfte - halbieren), im Italienischen (metà - dimezzare) und im Englischen (half - to halve) gibt, auch auf das Französische. Hier unterläuft ihr allerdings ein Fehler: Die Generalisierung verleitet sie dazu, ein Verb zu bilden, das es im Französischen im Gegensatz zu den anderen Sprachen nicht gibt (cf. 3.5.3.). Alle Lernenden entwickeln während ihrer Analyse und dem Vergleich der stark ideologisch gefärbten politischen Texte symbolische Kompetenz (cf. 4.2.3.). Diese zeigt sich darin, dass sie Vorerfahrungen im sprachlichen und inhaltlichen Bereich, die ihnen (im vorliegenden Fall) durch die Bearbeitung der Rede zur Verfügung stehen, nutzen, um besondere kulturelle Aspekte aus dem Text he‐ rauszulesen und im Vergleich miteinander kritisch zu reflektieren. Die Lern‐ enden werden durch diese Arbeitsweise dazu veranlasst, auf der Ebene des Textverständnisses, der Sprache und der kritischen Reflexion Vergleiche anzu‐ stellen und so neue Erkenntnisse hinsichtlich der Bedeutung der einzelnen Aus‐ sagen zu gewinnen. Durch Vergleichsmöglichkeiten, die ein mehrsprachiges Bearbeiten politisch und sozial aktueller Texten mit sich bringt, werden die Lernenden auch dazu befähigt, Leerstellen in den Texten zu erkennen und sie ihrer Funktion zu hinterfragen. Machtstrukturen oder Manipulationsversuche werden so offengelegt. Dies geschieht z. B., wenn den Lernenden der Umstand Schwierigkeiten bereitet, dass die italienische Rede weniger problemorientiert ist als die französische. Es scheint ihnen unangebracht, angesichts der großen Probleme, die den italienischen Staat plagen, ausschließlich positive Aspekte in den Vordergrund zu rücken. In diesem Fall ermöglicht der Vergleich zwischen 211 7.2 Aufzeichnung 2: TL als Unterrichtspraxis und MKK als diskursstrategisches Mittel unterschiedlichen Texten und ihrer kulturellen und politischen Verortung, diese einer kritischen Reflexion zu unterziehen und die Aufmerksamkeit der Lern‐ enden dafür zu wecken, dass ein solcher Text auch manipulative Zielsetzungen verfolgt. Transferleistungen Durch mehrsprachiges Arbeiten können die Lernenden vermehrt dazu an‐ geleitet werden, im Sinne interkomprehensiven Lernens Unbekanntes aus Be‐ kanntem abzuleiten (cf. 3.2.). Dies geschieht auf den verschiedensten Ebenen: Bei der Texterschließung durch Übertragung von Bedeutung von einem Text auf den anderen, wodurch das Textverständnis erleichtert wird, und beim Schreibprozess durch Transfer des Wissens über Struktur und Inhalt von einer Sprache in die andere, ebenfalls zur Erleichterung, in diesem Fall des Schreib‐ prozesses. Das in den anderen Sprachen erworbene Vorwissen kann meist er‐ folgreich auf die Aufgabenlösung der nachfolgenden Sprachen übertragen werden. Es entsteht auf diese Weise eine positive Wirkungskette, die sich im Verlauf des Projektes in ihrem Potential sogar intensivierte, da das zeitlich be‐ schränkte intensive Arbeiten an plurilingualen Unterlagen die Abrufbarkeit aller in den Lernprozess involvierten Sprachen steigert und dadurch den Lang‐ uage Mode der einzelnen Lernenden verändert. Ebenso kann es auf sozialer und emotionaler Ebene zu einem Transfer kommen, wie das folgende Beispiel zeigt: S1 wählt für ihren Vortrag eine Sprache, die ihr anfangs nicht vertraut ist, was auf ihre Selbstwahrnehmung Einfluss nimmt. Diese Form des Transfers kann, wie aus den Einzelfallanalysen hervorgeht, die Einstellung zu Sprachen und die psychotypologische Wahrnehmung derselben positiv verändern, weil innere Sprachhemmungen und Barrieren überwunden und die subjektive Sprachland‐ schaft in ihrer Beschaffenheit selbstwirksam von den Lernenden verändert wird (cf. 4.6.3.). Besonders geeignet für einen solchen Transfer sind die Bereiche Se‐ mantik und Grammatik. Latinismen und Internationalismen, aber auch ähnliche grammatikalische Strukturen werden von einer Sprache auf die andere über‐ tragen, wie im Falle der Schülerin S2, die eine französische Passivkonstruktion pourraient être crées aus dem italienischen possono essere creati ableitet (ebenso 15-16). Bei dieser Form des Transfers werden die Sprachen nicht streng nach Sprachfamilien ausgewählt. Die Auswahl der Brückensprache erfolgt eher nach dem Kriterium der Relevanz: Welche Sprache ist beim Lösen eines bestimmten grammatikalischen oder lexikalischen Problems hilfreicher? Das kann auch eine Sprache aus einer anderen Sprachfamilie sein, wie aus den folgenden Auszügen hervorgeht (cf. 3.2.2.). 212 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse 7.2.2 Codes Savoirs Codes Savoir - CS kann unterschiedliche Funktionen im Gespräch einnehmen - Es gibt unterschiedliche Gesprächsrollen, die an verschiedene Spra‐ chen gebunden sind - Sprachliche Hierarchien sind emotional bedingt Savoir être - Beim CS darauf achten, welche Sprache dem/ der Gesprächspart‐ nerIn besser verständlich ist (16, 62, 79) - Durch mehrsprachiges Handeln neue Wahrnehmung von Realität gewinnen (48,11) - CS schneller Wechsel von einer Bedeutungswelt in die andere (55, 60, 102) - CS signalisieren, dass man unterschiedliche Rollen im Gespräch einnimmt und damit zurechtkommt (78, 84, 88, 101) - CS als Ausdruck unterschiedlicher Aspekte der eigenen Persön‐ lichkeit (55, 70, 111) - Zwischen Sprachen und Kulturen mitteln (alle) - Durch Translanguaging das gesamte mehrsprachige Repertoire nutzen (alle) Savoir faire - CS, um sich in einer Fremdsprache schnell verständlich zu machen (16, 35, 48, 73, 79,) - CM, um nach der Bedeutung unbekannter Wörter zu fragen (14, 40, 42, 60, 44, 66, 74, 73) - CM/ CS, um einen neuen Diskurs einzuleiten und Aufmerksamkeit zu wecken (1, 63, 51, 28) - CS für Themenwechsel im Gespräch nutzen (102, 55, 40, 511, 55, 71) - CS für ein Seitengespräch über Rechtschreibung, Grammatik und Lexis (16, 17, 23, 25, 60, 71, 85, 102) - Einen Text von einer Fremdsprache in eine andere, die er/ sei nicht so gut beherrscht, übertragen und in dieser Sprache vortragen (11, 27, 37, 63, 106) - Auf Vorkenntnisse in mehreren Sprachen zurückgreifen, um Ver‐ ständnisfragen zu lösen (16, 74, 79) - CS als Gesprächsstrategie einsetzen, um das Gespräch zu lenken bzw. einen Themenwechsel zu signalisieren (1, 27, 37, 45, 63, 73) - CS als Gesprächsstrategie einsetzen, um Meinungsverschieden‐ heiten oder Kritik so auszudrücken, dass sie nicht verletzend sind (48, 51) - Dialektale Wendungen als kritisch/ ironische Einschübe ins Ge‐ spräch verwenden, um etwas zu signalisieren, ohne auf die anderen beleidigend zu wirken (42, 50, 51, 89) - In mehreren Sprachen gleichzeitig im Internet bzw. in Wörterbü‐ chern nachschlagen (75, 103) - Sich in einer Fremdsprache, die man nicht so gut beherrscht, aus‐ drücken und die Rolle der Gesprächsleitung zu übernehmen (1, 27, 63) - Sich in einer Sprache, die man nicht so gut kennt, zurechtzufinden und in der Lage sein, sich mit den zur Verfügung stehenden Mitteln auszudrücken (alle) 213 7.2 Aufzeichnung 2: TL als Unterrichtspraxis und MKK als diskursstrategisches Mittel Savoir ap‐ prendre - Sich gegenseitig Hilfestellung beim Erarbeiten von Bedeutung, Grammatik und Wortschatz - Sich gegenseitig Hilfestellung leisten bei Rechtschreibung fremder Wörter durch Buchstabieren und Aufschreiben (6, 5, 14, 58, 81, 85) - Sprachübergreifend nach geeigneten Übersetzungen für bestimmte Wörter und Wendungen suchen (35) Savoir s’engager - Mit sprachlichen Formen kreativ umgehen und dadurch neue Aus‐ drucksmöglichkeiten finden (62, 85) - Texte aus anderen Sprachen und Kulturkreisen auf ihren Inhalt hin kritisch hinterfragen (51,48) - Bei der Erschließung von Texten in einer fremden Sprache achten auf das, was im Text nicht gesagt wird (51, 48) Tab. 7.4 7.3 Aufzeichnung 3: Mehrsprachige Texterschließung und symbolische Kompetenz In den folgenden Auszügen bearbeiten die Lernenden in der Gruppe einen an‐ deren Text: die Neujahrsansprache von Angela Merkel. Es ist auch in diesem Fall klar erkennbar, dass die Lernenden sich als eine geschlossene Gruppe fühlen, sie teilen gleiche oder ähnliche Erfahrungswelten innerhalb der Schule und auch außerhalb. Die Arbeit mit mehrsprachigen Texten finden sie interes‐ sant, es gibt niemanden, der sich aus dem Gespräch ausklammert, alle arbeiten kooperativ zusammen und versuchen, ein gutes Output auszuarbeiten. Auch hier wird klar, das alle der gehobenen Mittelschicht angehören und an ihrem schulischen Weiterkommen und guten Leistungen sehr interessiert sind. Sie sind höflich und hilfsbereit im Umgang miteinander und wissen, dass sie in dieser Gruppenarbeit viel Nützliches für sich mitnehmen können. Durch das mehr‐ sprachige Arbeiten setzen sie sich innerhalb kurzer Zeit intensiv und auf einem anspruchsvollen sprachlichen Niveau mit vier verschiedenen Sprachen ausein‐ ander - eine Herausforderung, die sie annehmen und an der sie sehr konzen‐ triert und zielstrebig arbeiten. 116 S2 I have Angela Merkel’s speech #00: 13: 17-1# 117 S3 in English #00: 13: 17-1# 118 S2 yes #00: 13: 26-2# 119 S3 and you in German? #00: 13: 30-0# 214 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse 120 S4 yea but we did it in English #00: 13: 40-2# 121 S3 was hast du? Das haben wir ja schon besprochen. #00: 13: 54-9# 122 S2 Angela Merkel talks mainly about. First of all she talks about the war in Syria and the organization IS and the refugees. #00: 14: 13-0# 123 S3 how do you write sie wählte #00: 14: 26-1# 124 S1 une organisation #00: 14: 26-1 125 S2 and organization has and about the refugees then there was such a huge stream of refugees seen that was the Second World War. And this year 2015 the ehm Germany had to face this problem again #00: 15: 08-1# 126 S4 this list of refugees was last seen #00: 15: 09-5# 127 S1 in the Second World War #00: 15: 13-1# 128 S4 after Second World War #00: 15: 20-0# 129 S3 such a huge refugee storm? #00: 15: 25-3# 130 S2 Stream of refugees #00: 15: 50-6# 131 S4 ok and German has tackled that #00: 15: 50-6# 132 S2 yes Germany is facing that problem again (kurze Pause) last year #00: 16: 07-8# 133 S2 teacher but are the refugees still coming or #00: 16: 14-7# 134 T to Germany #00: 16: 14-7# 135 S2 no to Italy #00: 16: 14-7# 136 T if you listen to the news they are dying in the Mediterranean trying to cross the Mediterranean #00: 16: 19-8# 137 S2 immer noch? #00: 16: 22-8# 138 S3 still? #00: 16: 25-7# 139 T they rescue a lot every day#00: 16: 25-7# #00: 16: 27-6# 140 S4 yes, because I just saw pictures of people in Syria and the IS has um‐ kreisen oder umzingeln has surrounded them and they don’t have ac‐ cess to the food or whatever and they starve they are really straving #00: 16: 44-4# 141 T yes there are these cities and they are besieged you say besieged #00: 16: 49-2# 142 S4 yes and the Is lets them starve #00: 16: 51-1# 143 T they are starving them to death #00: 17: 00-4# 215 7.3 Aufzeichnung 3: Mehrsprachige Texterschließung und symbolische Kompetenz 144 S2 what does Angela Merkel thank the Germans for? She thanks that people are very helpful and many voluntaries that help her and other people who help her to tackle this to help refugees. Then the police a lot of employees and she thanks for their good performance the duties and for their work and she said that we can see the results. You can see the results they the good #00: 18: 08-1# 145 S2 Neujahrsansprache oder Neujahrsrede? #00: 18: 08-1# #00: 18: 11-8# 146 S2 an ja lei die Sprache (Lachen) #00: 18: 16-1# 147 S2 what does Angela Merkel mean when she said Germans need to learn from the past? Germany hasn’t really got past she said that we are now better and so Germany hasn’t a good past and they (kurze Pause) and they have grown together , can we say grown grow to and ehm they try to be bettered they were able to fix the financial #00: 19: 13-3# #00: 20: 04-6# 148 S4 fix the financial? #00: 20: 04-6# 149 S2 wie kann man da sagen? #00: 20: 07-8# 150 T financial crisis? #00: 20: 07-8# 151 S2 financial crisis and in the last years had no depts keine Schulden in the last two years no depts #00: 20: 31-0# 152 T Schulden #00: 20: 31-5# 153 S4 no depts #00: 20: 43-8# 154 S1 they turned down the financial crisis #00: 20: 44-8# 155 S3 they tackled #00: 20: 44-8# 156 S2 na net des #00: 20: 47-9# 157 S4 yea they were able to fix the financial crisis or to set back the financial crisis #00: 20: 56-2# 158 T fix is too much #00: 20: 56-2# 159 S4 they didn’t fix it they are quite #00: 20: 57-2# 160 T they overcame #00: 21: 02-8# 161 T you fix a problem and you overcome a crisis manage it #00: 21: 37-5# 162 S2 what does the frequent use of our and the repeated. The frequent use of our and we and the repeated rhetorical questions #00: 21: 59-1# 163 S4 rhetorical questions? #00: 22: 02-6# 164 S2 rhetorical questions seits es? #00: 22: 13-8# 165 S3 gib mir de komische do #00: 22: 13-8# 216 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse 166 S4 questions? and #00: 22: 13-8# 167 S2 the frequent use of ours an we Tab. 7.5. : Aufzeichnung 3/ 24.01.2016 Formulierende Interpretation: S2 signalisiert einen Sprachwechsel, indem sie auf Englisch beginnt und sagt, sie habe Merkels Rede analysiert (116). S3 fragt, ob ihre Gruppe die Rede auf Deutsch bearbeitet habe (was auch möglich gewesen wäre). S4 antwortet, dass der Text auf Deutsch sei, sie aber beschlossen hätten, ihn auf Englisch zu bear‐ beiten (120). S3 meint, das sei schon besprochen worden. S2 fährt auf Englisch fort und erklärt, Merkel habe vor allem über den Krieg in Syrien gesprochen, über den IS-Staat und über die Geflüchteten (125). S3 fragt, wie man „sie wählte“ auf Englisch sagt. S1 wiederholt das englische Wort „organization“ auf Franzö‐ sisch „une organisation“ (124). S2 fährt fort und sagt, dass es das letzte Mal in Deutschland so einen großen Flüchtlingsstrom nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben habe (125) und in diesem Jahr habe Deutschland wieder dieses Problem zu bewältigen gehabt. S4 spricht weiter, indem sie fälschlicherweise das Wort „list of refugees“ für „Strom von Geflüchteten“ verwendet (126). Sie schreibt das, was gesagt wird, auf, S1 gibt ihr die richtigen Worte auf Englisch (127), wird aber von S4 verbessert, die „in the Second World War“ mit „after the Second World War“ ersetzt (128). S3 fragt, ob „refugee storm“ gut gehe (129). S2 meint, „stream of refugees“ sei besser. S4 fasst zusammen, dass Deutschland laut Merkel dieses Problem angegangen sei. S2 wiederholt, dass Deutschland dieses Problem erneut (nach dem Zweiten Weltkrieg) habe bewältigen müssen. Sie fragt die Lehrperson, ob die Geflüchteten noch immer kämen. Die Lehrperson fragt nach, ob sie Deutschland meine. Darauf antwortet S2, sie meine Italien (135). Die Lehrperson sagt, dass sie, wenn sie die Nachrichten verfolge, wissen müsse, dass jeden Tag Flüchtlinge im Mittelmeer sterben. S2 fragt auf Deutsch nach, ob das immer noch so sei (137). S3 wiederholt die Frage auf Englisch. Die Lehrperson unterstreicht, dass jeden Tag viele Menschen aus dem Mittelmeer gerettet würden. S4 meint auf Deutsch, sie habe Bilder gesehen, auf denen IS-Truppen Städte umzingeln und die Einwohner dieser Städte kein Wasser und Nahrungs‐ mittel mehr hätten (140). Die Lehrperson wiederholt den Satz und fügt das eng‐ lische Wort „besieged“ hinzu als Übersetzung für „Belagerung“. S4 bekräftigt, dass der IS die Menschen verhungern lässt (142). S2 fährt mit der Vorstellung ihres Textes fort. Sie stellt die rhetorische Frage, wofür sich Merkel bei den Deutschen bedanke. Die Bundeskanzlerin sage, dass die Menschen sehr hilfsbereit seien und es viele freiwillige Helfer gebe, die sie 217 7.3 Aufzeichnung 3: Mehrsprachige Texterschließung und symbolische Kompetenz dabei unterstützen, dieses Problem zu lösen (144). Außerdem danke sie der Po‐ lizei und allen Angestellten für ihre Leistungen sowie für die Erfüllung ihrer Pflicht und füge hinzu, dass man Ergebnisse bereits erkennen könne (144). S2 fragt die Gruppe, ob man Neujahrsansprache oder Neujahrsrede sagt. Sie fragt auf Deutsch, wie es wäre, wenn man das „an“ von Neujahrsansprache weglassen würde (146), alle lachen. S2 stellt der Gruppe auf Englisch die Frage, was Merkel meine, wenn sie sagt, dass die Deutschen von der Vergangenheit lernen müssen (147). Sie sagt, dass die Vergangenheit der Deutschen nicht gut sei, meint aber gleichzeitig, dass ihnen das geholfen habe, besser zu werden, sie seien zusam‐ mengewachsen. Bei dieser Gelegenheit fragt sie, ob man „grow together“ sagen könne, und dass die Deutschen versuchen, sich zu bessern, wobei sie das nicht existierende Verb „to be bettered“ verwendet (147). Die Deutschen hätten es geschafft, die finanziellen Probleme des Landes zu lösen, wobei sie für „lösen“ das Englische „fix“ verwendet (147). S4 wiederholt fragend: „fix the financial? “ und will wissen, ob man das so sagen könne. S2 sucht in der Gruppe auf Deutsch nach Antworten (149). Die Lehrperson greift helfend ein, indem sie „financial crisis“ einwirft. S2 wiederholt den Ausdruck und sagt, dass Deutschland in den letzten beiden Jahren keine Schulden gehabt habe, wobei sie „Schulden“ als Hilfestellung für die Anderen auch auf Deutsch wiederholt (151). S1 meint, dass Deutschland die Finanzkrise überwunden habe und verwendet dabei den neuen Begriff „turn down the fi‐ nancial crisis“ (154). S3 schlägt den Begriff „tackle“ vor (155). S2 sagt im Dialekt, dass ihr dieser Begriff nicht gefalle (156). S4 bringt weitere Verbesserungsvor‐ schläge vor: „fix“ oder „set back the financial crisis“ (157). Die Lehrperson meint, dass „fix“ zu positiv sei (158). Auch S4 meint, sie hätten sie ja nicht gelöst (159). Die Lehrperson sagt, sie hätten sie überwunden („overcome“) und erklärt die Kollokation „to fix a problem“ und „to overcome a crisis“. S2 liest eine Frage des Aufgabenblattes („Was bezweckt die wiederholte Ver‐ wendung rhetorischer Fragen? “), beendet aber den Satz nicht (162). S4 fragt: „rhetorical questions? “ S2 bestätigt, indem sie „rhetorical questions“ wiederholt, und will im Dialekt wissen, ob alle bei der Sache sind (164). S3 nimmt die dia‐ lektale Form auf und bittet um ein Blatt, vermutlich das Aufgabenblatt. S3 fragt, was nach „questions“ komme, indem sie „questions“ fragend wiederholt und „and? “ anhängt. S2 antwortet auf diese indirekte Frage und meint, es ginge um die häufige Verwendung von „wir“ und „unser“ in der Rede. 218 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse 7.3.1 Mehrsprachigkeit und Bildungssprache Reflektierende Interpretation: Hier findet ein Gruppen-CS vom Französischen ins Englische statt. Die Vortragenden haben beschlossen, die deutsche Neu‐ jahrsansprache auf Englisch zu bearbeiten. Das bedeutet, dass die gesamte Gruppe sich nun in einer Situation befindet, in der sie nicht mehr vor derart große sprachliche Schwierigkeiten gestellt ist wie zuvor, da Englisch bereits in der zweiten Grundschule gelernt wird. Die Lernenden befinden sich also zwi‐ schen Niveau B1 und B2 des GER. Dies wirkt sich auf den Aushandlungsprozess dergestalt aus, dass jetzt auch komplexere Themen behandelt werden, da die sprachlichen Voraussetzungen dafür vorhanden sind. Die in Aufzeichnung 2 ausgemachten Themenbereiche wiederholen sich zwar weitgehend, die ein‐ zelnen Sprachhandlungen erfolgen aber auf einer anderen Ebene, die mehr den Inhalt und die thematischen Problematiken des Textes berücksichtigt. Während es in Aufzeichnung 2 also in erster Linie um die Bewältigung sprachlicher und grammatikalischer Fragestellungen geht, wird hier mehr auf Inhalt und Bedeu‐ tung des Gesagten eingegangen. Dies wird nicht zuletzt dadurch erleichtert, dass es sich um ähnliche Themenbereiche wie im vorhergehenden Abschnitt handelt und die Lernenden sich deshalb auf bereits erworbenes Vorwissen stützen können (cf. 6.4.1.) Der hohe Beliebtheitsgrad des Englischen lässt sich daran erkennen, dass mit einer Ausnahme und einigen wenigen CS (Englisch/ Deutsch) fast ausschließlich Englisch gesprochen wird. Englisch nimmt in der sozialen Schicht, aus der die Lernenden kommen, eine Vorrangstellung ein. Es ist die Sprache der Wirtschaft und des Erfolgs und wird daher auch im familiären Umfeld besonders geschätzt und gepflegt. Das mehrsprachige Arbeiten verfolgt hier unter anderem auch den Zweck, die Wahrnehmung und Wertschätzung für Vielfalt zu schärfen und die Lernenden zu veranlassen, ihre persönliche Haltung zum Englischen zu reflek‐ tieren und sich Gedanken über Entstehung und Wirkung von sprachlichen Hie‐ rarchien und Machtgefügen zu machen (dies geschieht im folgenden Auszug nur ansatzweise und dient als Vorbereitung für die Einzelanalysen) (cf. 2.4.1.). Kollokation und Wortwahl Die Sicherung des Verständnisses ist in diesem Auszug kein so häufiges An‐ liegen wie noch im vorhergehenden. Es gibt lediglich ein Beispiel, in dem das Verständnis eines Wortes nicht als gegeben vorausgesetzt und der Gruppe als Hilfestellung eine Übersetzung angeboten wird. S2 übersetzt „no depts“ durch intrasententielles CS mit „keine Schulden“ für die Zuhörenden ins Deutsche (152). Diese Übersetzung wird in den englischen Satz eingefügt, der Redefluss wird dadurch also nicht unterbrochen. S4 wiederholt das Wort und signalisiert 219 7.3 Aufzeichnung 3: Mehrsprachige Texterschließung und symbolische Kompetenz damit, dass sie verstanden hat. An diesem Beispiel wird ersichtlich, dass sich ein Modus Operandi eingebürgert hat, der sich im vorhergehenden Auszug heraus‐ gebildet hat, und es bereits gewohnte Verhaltensmuster in der Bedeutungsaus‐ handlung gibt, die, da sie sich bewährt haben, regelmäßig Anwendung finden. In den anderen Fällen, in denen es um Verständigungsprobleme geht, geht es auch immer um Wortwahl und Kollokation. Das geschieht beispielsweise, als S4 nach dem richtigen Ausdruck für „Strom von Flüchtlingen“ sucht. Sie um‐ schreibt ihn mit „list of refugees“ (126). S1 meint hier fälschlicherweise, die Flüchtlinge seien während des Krieges nach Deutschland gekommen (127), wo‐ raufhin S4 anmerkt, das sei nach dem Weltkrieg geschehen. Sie verbessert S1 also (128), wird dann sofort aber ihrerseits von S3 verbessert, indem diese das falsche Wort „list“ durch „storm“ fragend zu ersetzen versucht (129). Auch sie wird von S2 eines Besseren belehrt, die das richtige Wort „stream of refugees“ nennt (130). Da die Sprachkompetenzen der Lernenden im Englischen sichtlich viel höher sind, brauchen sie CS nicht zur Lösung von Kommunikationspro‐ blemen. Denn es geht hier nicht mehr um Verständigungsprobleme alleine, son‐ dern eher um Fragen des Stils und nicht zuletzt auch um inhaltliche Fragen. Die Lernenden zeigen hier, dass sie sich nicht mit der ersten Wahl zufriedengeben, sondern in jeder Situation gewillt sind, ihre Kenntnisse über Sprache und Sach‐ verhalte zu verbessern. Sie nutzen jede Gelegenheit, verschiedene Möglich‐ keiten auszuprobieren, bis sie zu der geeignetsten gelangen. Dabei entstehen neue Wortbildungen und Kombinationen wie „storm of refugees“, welche die Empfindungen und Empfindlichkeiten der Lernenden sehr bildhaft wieder‐ geben. Durch das gegenseitige Sich-Ausbessern wird ein Lernprozess in Gang gesetzt, der am Ende zur richtigen Antwort führt und unter dem Sammelbegriff „soziales mehrsprachiges Lernen“ fällt (cf. 6.1.3.). Ein ähnlicher Fall findet sich im nächsten Abschnitt, in dem es darum geht, das englische Wort für „überwinden“ zu finden. S1 meldet sich erstmals wieder nach einer langen Pause mit dem Vorschlag „turned down“ (154). S3 meint, „tackle“ (155) sei gut, woraufhin S2 mit einem CS Dialekt höflich darauf hin‐ weist, dass dieses Wort nicht geeignet sei, da das Problem ja nicht nur ange‐ gangen, sondern auch größtenteils überwunden worden sei. S4 schlägt „set back“ vor (157). Schließlich macht die Lehrperson den Vorschlag „overcome“ und erklärt den Unterschied zwischen „fix“ und „overcome“. Man kann hier klar erkennen, dass auf einer viel feineren sprachlichen Ebene gearbeitet wird als zuvor und es nicht mehr so sehr um wörtliches Übersetzen und Paraphrasieren geht als vielmehr um Kollokation und Synonymie. Die Lernenden erforschen auf diese Weise Bereiche der Sprachmediation, also die Übertragung von Be‐ deutung und Kollokation von einer Sprache in eine andere. Dabei merken sie, 220 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse dass Übersetzen immer auch das Arbeiten mit unterschiedlichen Bedeutungs‐ entsprechungen ist und dass die Übersetzung eines Wortes in eine andere Sprache immer eine, wenn auch noch so geringe Veränderung oder Bedeu‐ tungserweiterung mit sich bringt. Es handelt sich nämlich auch darum, Bedeu‐ tung von einem Referenzsystem in ein anderes zu übertragen. Dabei merken die Lernenden, dass Kollokation und Register, aber auch Konnotation an spezifische Referenzsysteme gebunden sind und beim Übersetzen berücksichtigt werden müssen und dass das Bewusstsein darüber und der angemessene Umgang damit ausschlaggebend für das Gelingen einer Übersetzung sein kann (cf. 4.2.2. und 4.2.3.). Kommunikative Strategien Auch in diesem Auszug werden eine Reihe kommunikativer Strategien ein‐ gesetzt, um die Kommunikation zu erleichtern bzw. um sie zu beschleunigen, wobei auch hier, wie im vorhergehenden Auszug, nicht von einer völlig unter‐ schiedlichen Phänomenbeobachtung die Rede sein kann. Es erfolgt im Vergleich zum vorhergehenden Auszug vielmehr eine qualitative Veränderung in den Er‐ hebungen, da die Lernenden sich insgesamt durch die verwendeten Sprachen (Englisch und Deutsch) auch hier dazu befähigt sehen, auf einem gehobeneren Spracheniveau zu kommunizieren und dadurch die eingesetzten Strategien an Komplexität zunehmen. So sendet S3 mit der Lokution „How do you write sie wählte“ (123) einen Appell an die Gruppe, der dazu dient, sich direkt Hilfe bei der Gruppe zu suchen. Sie leistet also keine Hilfestellung, wie dies in den vorhergehenden Beispielen der Fall war, sondern versucht vielmehr, selbst Hilfe durch die Gruppe zu er‐ halten. Vorhergehende Erfahrungen sozialen Lernens werden hier fruchtbar gemacht und ergänzt, indem nicht nur Hilfestellung geleistet, sondern durch CS auch die Bitte um Hilfe explizit gemacht wird. Die Verwendung des Englischen für diese Sprachhandlung verdeutlicht, dass die Gruppe sich einhellig für Eng‐ lisch als Sprache auf allen Ebenen der Kommunikation entschieden hat und sich immer mehr vom Deutschen als Metasprache abwendet. Ähnlich verhält es sich, wenn S4 etwas erzählt, das ihrer Meinung nach für alle relevant und interessant ist. Obwohl hier authentische Kommunikation stattfindet, ist die Lernende be‐ müht, im Englischen zu bleiben. Bei schwierigen Wörtern behilft sie sich, indem sie durch CM während des Erzählens die Wörter, die ihr in Englisch fehlen, durch deutsche („umkreisen/ umzingeln“) ersetzt (140), und erst, als es ihr ein‐ fällt, das englische Wort „surround“ verwendet. In diesem Fall kann CM als eine Verzögerungsstrategie bezeichnet werden, die es der Lernenden ermöglicht, vo‐ rübergehende Sprachlücken durch deutsche Synonyme zu füllen und so den Redefluss nicht zu behindern. Da sie sich in einem Augenblick authentischer 221 7.3 Aufzeichnung 3: Mehrsprachige Texterschließung und symbolische Kompetenz Kommunikation befindet (sie will etwas ihres Erachtens sehr Wichtiges mit‐ teilen), wählt sie jene Sprachstrategien, die es ihr ermöglichen, den Inhalt des Gesagten im Mittelpunkt zu halten (cf. 6.1.4.). In diesem Fall handelt es sich beim CM um eine Ausweichstrategie, die sie nutzt, um einen komplexen Sachverhalt in L2 darlegen zu können, ohne über längere Abschnitte auf L1 zurückgreifen zu müssen bzw. durch umständliche Erklärungen dem Gesagten die Spannung zu nehmen. CM übernimmt hier eine stützende Funktion, es befähigt die Ler‐ nende zu Sprachhandlungen, die für sie schwer zu bewältigen sind und erst durch CM ermöglicht werden. Dadurch wird der Sprachlernprozess vorange‐ trieben und die Selbstwahrnehmung der Lernenden und ihre Selbsteinschätzung positiv beeinflusst (cf. 4.5.4.). Ein weiteres Beispiel mehrsprachiger Sprachstrategien, allerdings mit einer ganz anderen Zielsetzung, findet sich am Anfang des Auszugs. Hier wird ein Seitengespräch eingefügt: Indem S2 ins Englische wechselt (CS Französisch/ Englisch), signalisiert sie, dass sie nun einen Themenwechsel einleiten wird (116). Auch in diesem Fall (cf. 11) wechselt die gesamte Gruppe die Sprache und spricht auf Englisch weiter. Allerdings geschieht dies hier nicht so reibungslos wie im vorhergehenden Beispiel. S3 will wissen, ob S4 den Arbeitsauftrag auf Englisch erledigt habe. Es herrscht offensichtlich Verwirrung, weil S3 annimmt, dass S4 den Arbeitsauftrag auf Deutsch erledigt hat. S4 erklärt, dass der Text zwar auf Deutsch sei, ihre Gruppe aber als Arbeitssprache Englisch gewählt habe (120). S3 leitet zur Klärung ein Seitengespräch auf Deutsch ein (121). Ihr deut‐ scher Satz „Das haben wir ja schon besprochen“ (121) wirkt sehr direkt und droht, den gesamten Vortrag zum Scheitern zu bringen. S3 ist der Meinung, es liege eine Wiederholung vor (CS Englisch/ Deutsch). S2 geht auf diesen Einwand nicht ein und signalisiert dies, indem sie auf Englisch weiterspricht (122). Das Seitengespräch wird somit unterbrochen und nicht mehr aufgenommen. In diesem Abschnitt wird deutlich, dass CS auch strategisch zum Einsatz kommt, um die eigene Meinung gegenüber anderen durchzusetzen und sich in der Gruppe Autorität zu verschaffen bzw. die eigene Autorität zu bestärken. S3 begibt sich dazu auf die Metaebene, indem sie ins Deutsche wechselt und legt dadurch ungewollt versteckte Sprachhierarchien offen. An oberster Stelle der Sprachhierarchie befindet sich für S3 innerhalb dieser Gruppe nach wie vor das Deutsche (cf. 2.4.1.). Durch die Wiederaufnahme des Englischen und die Fort‐ führung des Vortrags durch S2 wird dieses Seitengespräch allerdings abgebro‐ chen und nicht wieder aufgenommen. Der Versuch von S3 sich zu behaupten, ist gescheitert, die Tatsache, dass das deutsche Gespräch nicht fortgeführt wird, lässt darauf schließen, dass in der Gruppe Deutsch und Englisch in Ansätzen bereits miteinander konkurrieren, genauso wie S3 und S2 nicht vereinbare Posi‐ 222 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse tionen darstellen. Die Meinungsverschiedenheiten werden also nicht nur auf inhaltlicher Ebenen ausgetragen, sondern auch durch die Wahl der Sprachen bekräftigt. Inwiefern dieses Sprachverhalten bereits auf eine veränderte Wahr‐ nehmung von Sprachhierarchien zurückzuführen ist, die mit dem mehrspra‐ chigen Lernprozess in Zusammenhang gebracht werden kann, lässt sich in diesem Fall nicht sicher sagen. Allerdings werden durch die aufgezeigten Kom‐ munikationsdynamiken Einstellungen und Haltungen der Lernenden an die Oberfläche gebracht, die für gewöhnlich als selbstverständlich gelten und in der Regel nicht reflektiert werden. Durch das mehrsprachige Arbeiten werden sie für die Lernenden zugänglich gemacht, wodurch diesen die Möglichkeit gegeben wird, ihre eigenen Haltungen und das Vorhandensein individueller Sprachhie‐ rarchien kritisch zu reflektieren (cf. 4.2.1.). Ein ähnliches Beispiel findet sich, wenn S1 einen Versuch unternimmt, die Mehrsprachigkeit beizubehalten und die Dominanz des Englischen zu unter‐ brechen. Sie wiederholt das von S2 zuvor verwendete englische Wort „organi‐ zation“ (122) auf Französisch „une organisation“ (124). Damit signalisiert sie, dass sie noch in ihrer französischen Rolle verweilt und nicht bereit ist, das Fran‐ zösische zugunsten des Englischen ganz aufzugeben. Auch in diesem Fall wird der Versuch unternommen, die bestehende Sprachhierarchie in Frage zu stellen. Für S2 wäre in diesem Moment Französisch eine mögliche Wahl, sie folgt nicht dem unreflektierten Übergang ins Englische. Das französische Wort gibt S2 die Möglichkeit, ihre Fähigkeit zum Transfer ähnlicher Wörter aus unterschiedli‐ chen Sprachen zu nutzen und zu üben. Dass sie das tut, zeugt davon, dass in S2 ein Bewusstwerdungsprozess stattgefunden hat, mit der Folge, dass das Engli‐ sche in seiner Dominanz abgeschwächt wurde. Die psychotypologische Wahr‐ nehmung der verschiedenen Sprachen hat die Lernenden dahingehend beein‐ flusst, dass sie Französisch nun als näher und vertrauter wahrnehmen als vor dem Projekt. Durch die Erfahrung im vorhergehenden Aushandlungsprozess hat sich also die Einstellung zu dieser Sprache geändert (cf. 3.3.2.). Ganz anders verhält es sich hingegen bei S3, die sich mit Nachdruck dafür einsetzt, Englisch beizubehalten. Die Diskussion ist in diesem Abschnitt emo‐ tionsgeladen und es besteht deshalb die große Wahrscheinlichkeit, dass das Ge‐ spräch durch CS auf Deutsch weitergeführt wird (135 ff.). S3 bringt ihre Über‐ raschung durch einen Einwortsatz zum Ausdruck, indem sie durch das Wort „still“ (138) klarmacht, dass sie nicht bereit ist, ins Deutsche zu wechseln. Ihre englische Interjektion ist gleichzeitig eine Übersetzung des von S2 verwendeten deutschen „immer noch“ und dient dazu, CS ins Deutsche zu verhindern. Eng‐ lisch soll also auf allen Ebenen der Kommunikation beibehalten werden, auch wenn dies zu erheblichen Schwierigkeiten in der Kommunikation führen 223 7.3 Aufzeichnung 3: Mehrsprachige Texterschließung und symbolische Kompetenz könnte, da die behandelten Themenbereiche ein sprachlich sehr hohes Anfor‐ derungsniveau im Bereich Freies Sprechen abverlangen. In diesem Fall wirken zwei wichtige psychosoziale Faktoren: Auf der einen Seite wird dem Englischen eine dominante soziale Rolle innerhalb der Sprachhierarchie zugeschrieben, gleichzeitig aber zeigt die Lernende, dass sie sich in dieser Sprache mit kom‐ plexen Themenbereichen auseinandersetzen will, die für sie eine sprachliche Herausforderung darstellen, denn sie scheut nicht davor zurück, frei über Themen wie Flüchtlingskrise, Flüchtlingspolitik und Krieg zu sprechen (cf. 3.4.2.). Kritische Texterschließung und symbolische Kompetenz Die Lernenden arbeiten bereits seit mehreren Unterrichtseinheiten an poli‐ tischen Reden und haben diese in verschiedenen Sprachen zusammengefasst, analysiert und ihre Ergebnisse vorgetragen. Dabei sammelten sie Erfahrungen, die es ihnen ermöglichen, durch kontrastive und vergleichende Maßnahmen intertextuelle Verbindungen herzustellen und sich bei der kritischen Texter‐ schließung einer facettenreicheren Herangehensweise zu bedienen, da unter‐ schiedliche Kultursysteme, Sprachsysteme und Genres analysiert werden müssen. In diesem Prozess treffen verschiedene, oft auch divergierende Hal‐ tungen, welche die Lernenden diesen Systemen gegenüber haben, aufeinander und werden so ins Bewusstsein gerufen. Dies ermöglicht neue Wege bei der Texterschließung und kritisches Hinterfragen von Aspekten, die ein einspra‐ chiges Arbeiten nicht offenlegen würde. Erst im sprach- und kulturübergreif‐ enden Vergleich können Bedeutung und Intention und deren konnotative Fär‐ bung in ihrer vollen Wirkung erkannt und hinterfragt, sowie Machtstrukturen und Instrumente, die zum Einsatz kommen, um die Meinungsbildung der Zu‐ hörer zu beeinflussen und eigene oder parteiinterne Zielsetzungen zu verfolgen, im Diskurs erkennbar gemacht werden (cf. 4.2.2.). So beginnt die deutsche Bundeskanzlerin ihre Rede, indem sie sich bei allen bedankt, die bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise behilflich waren, wobei sie unterschiedliche Berufskategorien nennt und mit Sorgfalt darauf bedacht ist, niemanden zu vergessen. Sie spricht Deutschlands Vergangenheit an und drängt die Zuhörer dadurch, das Problem aus einer anderen Perspektive zu sehen. Die Lernenden erkennen, dass sich der Grundton hier von den anderen Reden un‐ terscheidet: Merkel spricht aus einem anderen geschichtlichen Bewusstsein (147): Ihre gesamte Rede ist darauf ausgerichtet, den Zusammenhalt Deutsch‐ lands und die soziale Gerechtigkeit zu sichern. Die Lernenden übernehmen diese Perspektive. S2 spricht über die Flücht‐ lingsströme und darüber, dass Deutschland seit der Nachkriegszeit keine so massive Zuwanderung bzw. Abwanderung gesehen habe (125). S2 betrachtet 224 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse hier die Flüchtlingsproblematik aus einer geschichtlichen Perspektive, sie ver‐ gleicht eine ähnliche Situation aus der Vergangenheit mit dem, was in der Ge‐ genwart geschieht. Dadurch kann sie auch die Geschehnisse der Gegenwart aus einem anderen Blickwinkel betrachten; auch in Deutschland und anderen euro‐ päischen Ländern hat es während und nach dem Krieg das Problem der Flucht ins Ausland gegeben. Die Flucht vor Armut und Krieg, von der in unterschied‐ lichen Epochen auch viele Länder Europas betroffen waren, wird durch den Vergleich als ein rekurrierendes grenz- und kulturübergreifendes Phänomen begriffen, das sich in periodischen Abständen immer wieder ereignet und derzeit in Italien durch die hohe Zahl junger Wirtschaftsflüchtlinge sehr aktuell ist. Durch die diachrone Perspektive wird das Geschehen in Relation zu Phäno‐ menen der Vergangenheit und Gegenwart gesetzt durch den Verweis darauf, dass Migration nichts Neues ist, es sie im Verlauf der Geschichte schon immer gegeben hat und nicht nur Deutschland von der aktuellen Flüchtlingsproble‐ matik betroffen ist. Auch in diesem Fall leitet das mehrsprachige Arbeiten also einen Bewusstwerdungsprozess ein, der nicht zuletzt durch Vergleich zu neuen Erkenntnissen über die eigene Sprache und Kultur führt (cf. 4.3.1.). S2 fährt auf Englisch fort und versucht, Merkels Rede aus historischer Sicht zu beleuchten. Sie spricht darüber, dass die Deutschen in der Vergangenheit Fehler gemacht hätten und Deutschland es jetzt besser machen wolle (147). Die Kanzlerin geht aus einer ganz anderen Perspektive und mit einer anderen Hal‐ tung an historische Ereignisse heran als das in Frankreich oder Italien der Fall ist: Der Blick zurück in die Vergangenheit und der Bezug zu ihr ist die grund‐ legende Voraussetzung für jedes politische Handeln. Deshalb verzichtet die deutsche Bundeskanzlerin im Gegensatz zu Macron zur Gänze auf patriotische Appelle und ersetzt diese durch Wendungen wie „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger“, die zwar ein Zusammengehörigkeitsgefühl vermitteln sollen, aber jeglicher geschichtlicher Konnotation entleert sind. Die Lernenden nehmen dies zur Kenntnis und können diese Tatsache durch das Vorgelernte besser in ihrer Wichtigkeit erkennen und zuordnen. Denn erst durch den Vergleich mit anderen Reden wird ersichtlich, worin die Besonderheit der deutschen Rede liegt und inwiefern die Einbettung in bestimmte geschichtliche Ereignisse diese prägt und für deren Verständnis unerlässlich ist. S4 ist am Thema der Flucht sehr interessiert und erzählt, was sie in den Me‐ dien gesehen hat. Sie verurteilt, dass der IS Städte umzingelt und Menschen verhungern lässt (140) und positioniert sich dadurch kritisch dem Zeitgeschehen gegenüber, indem sie klar ihre eigene Meinung äußert. Sie bringt Gelesenes mit dem Zeitgeschehen in Verbindung, reflektiert dieses kritisch und tut ihre Mei‐ nung mit Nachdruck kund, ausgelöst durch die lebensweltliche Aktualität und 225 7.3 Aufzeichnung 3: Mehrsprachige Texterschließung und symbolische Kompetenz Relevanz des Textes (cf. 6.1.4.). Die Aufgabenstellung führt also nicht nur zu einem intertextuellen Vergleich, sondern provoziert zu einer Verbindung des Gelesenen mit aktuellen Geschehnissen, die sich sowohl innerhalb als auch au‐ ßerhalb des europäischen Kulturkreises zutragen. Die Lernenden bewegen sich dabei zwischen den sprachlichen Welten hin und her und können sich so selbst als unabhängiges Subjekt positionieren. Dadurch dass die ausschließliche Bin‐ dung an eine Sprache aufgelöst ist, können unterschiedliche Perspektiven ein‐ genommen und beurteilt werden (cf. 4.2.1.). Das Wissen über dieses Thema ist innerhalb der Gruppe unterschiedlich aus‐ geprägt. Dies wird an einem Seitengespräch deutlich, in dem die Lernenden sich an die Lehrperson wenden, ohne dabei, wie sonst üblich, durch CS ins Deutsche zu wechseln (133). Den Lernenden fehlen relevante Informationen zur Flücht‐ lingsproblematik und sie fragen die Lehrperson, ob noch immer Flüchtlinge nach Italien kämen (133). Diese antwortet auf Englisch und erklärt, dass jeden Tag Flüchtlinge im Mittelmeer sterben. Es stellt sich heraus, dass die Lernenden trotz der Bearbeitung der anderen Reden, in denen die Flüchtlingsproblematik auch thematisiert wurde, sich nicht mit dem Thema auseinandergesetzt haben und dass ihnen grundlegende Informationen fehlen. Jetzt aber ist ihr Interesse so weit geweckt, dass sie bereit sind, sich eingehender mit dem Thema zu be‐ schäftigen, was dazu führt, dass sie sich Informationen bei der Lehrperson holen (132-139). Die typische Dynamik des Teacher Talk ist in dieser Situation aufge‐ hoben, es findet authentische Kommunikation in einer Fremdsprache statt, da die Lernenden etwas erfragen, was für sie auch jenseits der Unterrichtssituation relevant ist. Auf diese Weise wird ihr Interesse für lebensweltlich aktuelle Themen geweckt und die kritische Reflexion darüber angeregt. Ironie und mehrsprachige Rollen Auch in diesem Auszug kommt es immer wieder zum Einsatz des Dialekts, mit dem durch ironische Einschübe die eigene Meinung geäußert oder etwas signalisiert wird. Diese Form des CS wird zu einer sprachlichen Routine im Aushandlungsprozess und führt so zu einer zunehmenden Komplexität, in dem CS immer öfter durch TL ersetzt wird (cf. 4.5.3.). Durch Übung gewinnen die Lernenden mehr Vertrautheit und Gewandtheit im Umgang mit mehrsprachigen Gesprächspraktiken und können so in zunehmendem Maße auf das individuelle mehrsprachige Repertoire zurückgreifen, um, wie in den drei folgenden Fällen exemplarisch gezeigt wird, gesprächsstrategisch durch Ironie und Rollen‐ wechsel kommunikativ einzugreifen. In allen drei Beispielen eröffnen sich den Sprechenden neue Möglichkeiten der mehrsprachigen kommunikativen und sozialen Interaktion. 226 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse Im ersten Fall liest S2 während ihres Vortrag ein Frage vor, dabei wiederholt sie „rhetorical questions“ und fährt anschließend mit der dialektalen Wendung „Seid’s es“ fort, die so viel bedeutet wie „Seid ihr (endlich) bereit/ fertig“, womit sie durch das CS Englisch/ Dialekt auf eine persönlichere und kollegialere Ebene wechselt (164) und damit gleichzeitig signalisiert, dass sie ungeduldig wird. S3 fährt in dieser Art fort: Sie signalisiert durch CS Dialekt und einen ironischen Einschub (165), in dem sie scheinbar fragt, ob sie etwas bekomme, dass sie in Wirklichkeit müde ist und keine Lust mehr hat. Auch sie wechselt damit auf eine persönlichere Ebene und schlüpft aus der Rolle der Lernenden. Sie agiert authentisch und lässt dadurch einen Aspekt ihres lebensweltlichen dialektal geprägten Sprachgebrauchs, einen anderen Aspekt ihrer Persönlichkeit durch‐ schimmern. Sie verlässt dadurch den rein schulischen Kommunikationsrahmen und begibt sich in die parallele Welt ihrer ganz persönlichen Gefühle und Emp‐ findungen und bringt das durch CS auch für die anderen verständlich zum Aus‐ druck. Es kann hier also von TL gesprochen werden, die Lernende bewegt sich zwischen unterschiedlichen Welten hin und her und schafft so neue Bedeu‐ tungsräume. Im Anschluss an dieses Seitengespräch übernimmt S2 wieder die Rolle der Vortragenden (144). Für ein ironisches Seitengespräch wechselt sie dann ins Deutsche (145). Zunächst fragt sie, ob man „Neujahrsrede“ oder „Neujahrsan‐ sprache“ sagt und kreiert dann das Wort „Neujahrssprache“, eine neue Sprache also. Alle lachen (145). Es kommen auch weitere Formen ironischer Wortkrea‐ tionen vor. So merkt beispielsweise S2 an, Merkel habe sich verbessert und ver‐ wendet dafür das von ihr im vorhergehenden Modul selbst erfundene Verb „bet‐ tered“ (147). Der Neologismus „to betterise“ wurde von ihr durch Zufall entdeckt und ist nun Teil ihres Repertoires geworden. Sie fügt ihn als Running Gag immer wieder ins Gespräch ein, wenn sich die Möglichkeit ergibt und es passend scheint. Aus diesen Beispielen wird ersichtlich, dass mehrsprachiges Lernen sich in besonderem Maße dazu eignet, kreative Sprachproduktivität zu fördern (cf. 3.5.3.). 7.3.2 Codes Savoirs Codes Savoir - CS kann unterschiedliche Funktionen im Gespräch einnehmen - Es gibt unterschiedliche, an die Sprache gebundene Gesprächs‐ rollen Savoir être - Kreativer Umgang mit Mehrsprachigkeit und Formung von Neo‐ logismen (147) 227 7.3 Aufzeichnung 3: Mehrsprachige Texterschließung und symbolische Kompetenz - Durch Translanguaging die eigenen mehrsprachigen Erfahrungs‐ welten in die Gruppe mit einbringen (147, 145) - Empathie mit geschichtlichen Ereignissen in Ländern, die nicht dem europäischen Kulturkreis angehören (143, 144, 140) - Erkennen komplexer politischer Zusammenhänge zwischen euro‐ päischen und nicht europäischen Kulturkreisen (133) Savoir faire - Sich in verschiedenen Sprachen über spezifische und komplexere Themen unterhalten können (funktionale Mehrsprachigkeit) (122, 144, 147) - Sich auf die mehrsprachige sprachliche Situation einstellen und am mehrsprachigen Gespräch teilnehmen, indem die eigene Sprache beibehalten wird (138, 140) - CS für mehrsprachige Situationen, um Aussagen abzuschwächen (156, 165) - Sich durch CS in L1 oder eine andere Sprache beim Vortragen den Zuhörern schnell verständlich machen (123, 140, 151) - Dieselbe Sprache im Gespräch beibehalten, auch wenn dies eine Herausforderung darstellt (138, 147) - Verhindern, dass durch CS L1 die Überhand gewinnt (138, 140) - Eine komplexe sprachliche Situation nutzen, um die eigenen Sprachkenntnisse zu verbessern (148-153) - Aus dem mehrsprachigen Vorwissen auf die Bedeutung und Form unbekannter Wörter schließen (124) - In der Gruppe gemeinsam die Bedeutung von Wörtern durch das Suchen von Synonymen in anderen Sprache erarbeiten (152-160) - CM verwenden, um nach der Bedeutung von unbekannten Wör‐ tern in einer Fremdsprache zu fragen (123) - Reflektieren über Wörter in der eigenen L1 (145) - Bei Schwierigkeiten im sprachlichen Ausdruck die anderen um Hilfe bitten, indem man durch CS das Problem signalisiert (149) Savoir s’engager - Die Bedeutung von Texten kritisch hinterfragen und Zusammen‐ hänge und unausgesprochene Nachrichten im Text entschlüsseln (147) - Die Absichten des Redners/ der Rednerin erkennen und kritisch und hinterfragen (147, 157) - Den geschichtlichen und kulturellen Kontext der Rede berücksich‐ tigen und dadurch ein tieferes und kritisches Verständnis des Ge‐ sagten erlangen (133, 138, 140, 142) - Anhand der stilistischen und rhetorischen Merkmale von Texten in unterschiedlichen Sprachen die kommunikativen Absichten des Sprechers/ in erkennen (167, 162) Tab. 7.6 228 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse Savoir apprendre 7.4 Aufzeichnung 4: Intertextualität und Mehrsprachigkeit In diesem Auszug werden die verschiedenen Neujahrsansprachen miteinander verglichen, um eine für den Vortrag vor der Klasse auszuwählen. Es ist bemer‐ kenswert, wie sehr die Lernenden darum bemüht sind, ihre Position zu vertei‐ digen, ohne dadurch die Standpunkte der anderen zu übergehen. Es werden hauptsächlich zwei Sprachen verwendet: Italienisch und Englisch. Während sich in den vorhergehenden Auszügen das Gespräch auf eine bestimmte pluri‐ linguale Unterlage bezog, geht es hier mehr um eine Zusammenschau dessen, was an Wissen vorhanden ist. Dieses wird eingesetzt, um die eigene Position darzustellen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Daher wird in diesem Auszug in einem höheren Maße als in den vorhergehenden frei gesprochen, diskutiert und argumentiert. 168 S4 manca la #00: 00: 07-8# 169 S3 noi siamo per Merkel lei è per Hollande #00: 00: 11-4 170 S4 perchè mi piace il cos il modo in cui ha parlato perchè è molto con‐ vincente convincente. Si può dire? #00: 00: 16-7# 171 S3 perchè dice che (unverständlich) 172 S2 jo #00: 00: 16-7# 173 S4 convincente e passionale di quello che è suo. #00: 00: 21-4# 174 S3 Possiamo scrivere due se volete? #00: 00: 23-0# 175 S1 ma era solo per noi #00: 00: 23-0# 176 S2 na #00: 00: 23-0# 177 S3 ma tu perchè sei contraria #00: 00: 26-3# 178 S2 ma perchè una cose è perchè Hollande ha parlato è molto convincente ha parlato #00: 00: 31-6# 179 S4 molto bene molto bene #00: 00: 31-6# 180 S2 ha parlato del suo cuore e tutto quello e tutto quello che lui pensa e che ognuno ha pensato di lui non è non è una cosa finta ha detto tutto diretto che viene dal suo cuore mi sembra. #00: 00: 47-3# 181 S2 poi Merkel è una maestra eh la Germania tutti e due stanno vivendo una situazione un po‘ difficile con questi attentati con quello che è successo le vittime e vivono anche un po‘ in paura ma è sempre bene guardare in avanti e Mekel guarda anche in avanti il futuro #00: 01: 08-0# 182 S3 sie isch vorsichtiger #00: 01: 10-8# 229 7.4 Aufzeichnung 4: Intertextualität und Mehrsprachigkeit 183 S2 e #00: 01: 10-8# 184 S4 jo #00: 01: 10-8# 185 S2 boh #00: 01: 10-8# 186 S4 sie übernimmt sich net #00: 01: 14-7# 187 S3 parla parla du cœur et il ne dit pas bon soir à toutes les Françaises et les Français #00: 01: 22-5# 188 S4 Hollande est vraiment personnel Merkel est plus objective vraiment objective#00: 01: 26-4# 189 S3 elle est plus attente #00: 01: 29-6# 190 S2 mais Hollande est aussi on peut dire de Hollande violent? #00: 01: 29-2# 191 S1 elle est gentile #00: 01: 32-2# 192 S4 agressif #00: 01: 32-2# (sich auf Hollande beziehend) 193 Sus oui #00: 01: 34-7# 194 S1 oui mais sont #00: 01: 34-7# 195 S3 net direkt #00: 01: 35-1# 196 S2 oui #00: 01: 37-9# 197 S3 Sie isch net so direkt. Il dit tout directement #00: 01: 39-8# 198 S2 et Angela Merkel est un peu plus contente? ? #00: 01: 47-6# 199 S2 no #00: 01: 50-0# 200 S3 everybody (unverständlich) having #00: 01: 49-6# 201 S1 boh ouvert? Cèst #00: 01: 52-6# 202 S3 everybody having sa bouche and I think like Sarah said that’s really important because you have to ehm thank the people not just worrying them they are worrierd already but you have #00: 02: 02-6# 203 S1 yes I think first you have to thank the people and then you can go on #00: 02: 05-5# 204 S3 yea #00: 02: 05-5# 205 S1 yes you have always to make it instead #00: 02: 07-2# 206 S4 you have to show them that you are happy and that you’re #00: 02: 12-1# 207 S1 and that together we can bring it #00: 02: 16-0# 230 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse 208 S4 that you are watching God and that you appreciate the later thing that happen but now you have to #00: 02: 20-3# 209 S1 yea to move on #00: 02: 21-1# 210 S4 a new chapter #00: 02: 22-3# 211 S3 that’s the difficult #00: 02: 23-4# 212 S4 when you confront it Cameon he doesn’t thank at all he only said you must do that and that that that that that #00: 02: 27-8 213 S1 yes yes yes yes and it’s too much too much for the people#00: 02: 31-4# 214 S4 he names a lot a whole lot of things #00: 02: 34-0# 215 S2 but maybe Cameron #00: 02: 36-2# 216 S4 being at all interested #00: 02: 36-2# 217 S3 I would’t say this Ithink the big difference between Germany and Freen hem France is that the Germans hem Germans have headmistress just how sees #00: 02: 49-4# 218 S4 Headmistres? die Reaktion ehm die Direktion? #00: 02: 49-4# 219 S2 president #00: 02: 51-0# 220 S4 Kanzlerin? #00: 02: 51-0# 221 S2 president #00: 02: 53-4# 222 S3 president Kanzlerin sees Germany as the whole and she isn’t a sup‐ porter she Holle ehm Hollande is important she is as important as the inhabitants and François Hollande sees himself as #00: 03: 05-9# 223 S2 François (lachen) as a high #00: 03: 07-2# 224 S3 as the head of everybody #00: 03: 06-4# 225 S2 yes #00: 03: 07-9# 226 S3 that’s what I think #00: 03: 07-9# 227 S4 yes but he is like the president there are other functions in in France and our president here in Italy, he is really important influential (spricht da Wort langsam und fragend aus, ist sich nicht sicher, ob das stimmt)#00: 03: 21-1# 228 S3 so for us who are #00: 03: 21-1# 229 S1 has a big influence #00: 03: 24-2# 230 S3 who do you want to take? German and#00: 03: 28-7# 231 S1 yes ehm #00: 03: 30-8# 231 7.4 Aufzeichnung 4: Intertextualität und Mehrsprachigkeit 232 S3 we can say why we have chosen two of them because there are big differences really big differences #00: 03: 35-6# 233 S4 so the two we chose are Merkel and Hollande? #00: 03: 37-7# 234 S3 are you do you agree #00: 03: 37-7# 235 S4 yea because I I think it’s a bigin days like these with the IS and every‐ thing it’s a good thing for us to be patriotic -even before. Because to be patriotic just means that you are in connection with your with your land#00: 03: 57-4# 236 S1 that you take care that you are not too patriotic#00: 03: 58-5# 237 S4 yea that’s the thing because the Europeans especially Germans don’t allow themselves to be patriotic because of the history pause every‐ body would like say yeah racist and nazi and so on#00: 04: 07-6# 238 S1 yea but you have too patriotism in the past# #00: 04: 12-4# 239 S4 but patriotism isn’t a bad thing in just #00: 04: 16-2# 240 S2 let’s write the lesson is about #00: 04: 20-4# 241 S4 just that patriotism makes things out of people that weren’t at the beginning that‘s a problem #00: 04: 22-2# 242 S2 Yes #00: 04: 24-3# 243 S7 a problem (unverständlich) it was always like this ok you were like patriotic an not quite political correct you get called nuts really fast and that’s a problem #00: 04: 39-6# 244 S3 Holland is convinced he sees himself als omnipotent 245 S4 the one I liked less or the least was either Cameron or Mattarella but Ithink I (kurze Pause) Cameron was worse cause just his jeah his way to talk was like very was very how do you say (kurze Pause) how do you say prepotent ? to be #00: 05: 16-7# 246 T he is very bossy #00: 05: 16-7# 247 S4 yea bossy and he is a bit too full of himself #00: 05: 25-6# 248 S7 he had real solutions #00: 05: 25-6# 249 S2 who? #00: 05: 25-6# 250 S7 Hollande he had really solutions what he wanted to do. #00: 05: 29-9# 251 S2 wie sagt man ehrlich ehrlich #00: 05: 33-6# 232 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse 252 S4 because the other heads the other heads of the state for the other people talk like #00: 05: 37-0# 253 S2 how do you say ehrlich #00: 05: 37-8# 254 S4 honest ehm #00: 05: 42-6# 255 S3 he sees himself as very important but also talks to the inhabitants or to people because they have are part of France #00: 05: 47-0# 256 S4 yes because yea that’s what I - can no Hollande all everything he wants to do he says exactly what he wants to do volunteer (unverständlich) Ithink that other people Tab 7.7. Aufzeichnung 4/ 14.01.2016 Formulierende Interpretation: In diesem Gespräch soll darüber verhandelt werden, über welche Reden im Vortrag berichtet werden soll und welche Eigenschaften diese charakterisieren. S4 stellt fest, dass etwas fehlt und führt so ein Gespräch weiter, das auf Italienisch begann (168). S3 spricht sich für Merkel aus. S4 pflichtet ihr bei und sagt, dass ihr die Art, in der Merkel sprach, gefallen habe. Sie war ihrer Meinung nach überzeugend. Am Ende ihrer Aussage fügt sie ein Seitengespräch ein und fragt, ob man das italienische Wort „convincente“ auch wirklich sagen könne (170). S2 bejaht im Dialekt mit „Jo“ (173). S4 präzisiert daraufhin, dass Merkel nicht nur überzeugend sei, sondern auch leidenschaftlich für ihre Anliegen einstehe (173). S3 schlägt einen Kompromiss vor und meint, sie könnten auch über zwei Persönlichkeiten ein Referat ausarbeiten (174). S1 entgegnet das sei doch nur für das Vortragen in der Gruppe. S2 verneint im Dialekt mit einem „Na“, wor‐ aufhin S3 S2 fragt, warum sie dagegen sei, über Merkel zu referieren (178). S2 antwortet, auch Hollande habe eine sehr überzeugende Rede gehalten (179). S4 pflichtet ihr bei. S2 formuliert ihren Eindruck, dass Hollande niemandem etwas vormache, dass er aus seinem Herzen spreche. Er sagt das, was die anderen denken und ist direkt. Merkel wirke hingegen wie eine Lehrerin. Beide Länder würden eine schwierige Situation erleben, Merkel spreche von den Attentaten und den Opfern. Die Menschen hätten Angst, aber Merkel sei zuversichtlich und sehe nach vorne. S2 meint, es sei wichtig, immer nach vorne zu schauen (181-182). S3 führt an, dass Merkel vorsichtiger sei (183). S4 bestätigt durch ein „Ja“ diese Aussage. S2 hingegen drückt durch ein „Boh“ ihre Unzufriedenheit aus (186). Sie ist nicht ganz einverstanden. S4 erklärt, dass Merkel sich nicht übernehmen wolle (187). S3 fährt auf Französisch fort und meint, Merkel spreche zwar aus dem Herzen, aber sie würde nie die Deutschen mit „liebe Franzosen und Französinnen“ ansprechen wie Hollande (188). S4 spricht auf Französisch 233 7.4 Aufzeichnung 4: Intertextualität und Mehrsprachigkeit weiter und meint, Hollande sei persönlicher, Merkel hingegen objektiver (189). S2 meint, sie sei vorsichtiger. S3 wiederholt auf Französisch, dass Merkel vor‐ sichtiger sei (190). S2 fügt hinzu, dass Holland etwas aggressiver sei, dann fällt ihr das Wort für „aggressiv“ auf Französisch nicht ein. S4 ergänzt mit „aggressiv“, worauf ihr alle beipflichten. S1 meint, Merkel sei höflich (191). S3 ergänzt prä‐ zisierend, Merkel sei nicht so direkt (CS Französisch/ Deutsch intrasententiell) (195). S2 ist einverstanden. S3 meint daraufhin, Merkel sei nicht so direkt, Hol‐ lande hingegen sehr (CS Dialekt/ Französisch extrasententiell). S2 meint, Merkel sei etwas zufriedener, ist sich aber der Wortwahl nicht sicher, daher intoniert sie ihre Wahl („contente? “) fragend (198). S3 sagt etwas Unverständliches auf Englisch (200). S1 versucht ein anderes Wort für „contente“ zu finden, um Merkels Haltung besser zu umschreiben und meint, sie sei offener: „ouverte“ (34). S3 meint, S1 habe Recht, dass jeder nach seiner Art reden solle und dass es wichtig sei, wie S1 in ihrem Vortrag bereits erwähnt habe, sich bei den Menschen zunächst zu bedanken, man dürfe ihnen keine zusätzlichen Sorgen bereiten, sie seien bereits verängstigt genug. Sie wechselt ins Englische, fügt allerdings „sa bouche“ auf Französisch ein (intrasententielles CS Englisch/ Französisch) (202). Ab hier erfolgt das Gespräch auf Englisch. S1 gibt S3 Recht und meint, dass man sich zunächst bedanken solle, um dann weiter zu machen (203). S1 verallgemeinert, dass man es immer so machen solle (205). S4 ist mit S1 einverstanden und vertieft ihren Gedanken, indem sie sagt, dass es wichtig sei, den anderen immer zu zeigen, dass man selbst glücklich ist (206). S1 übernimmt diese Meinung, geht über die Ich/ Du-Perspektive hinaus und spricht davon, dass „wir“ es gemeinsam schaffen können. Sie lenkt also auf eine andere Perspektive über, dem „Wir“ als gemeinschaftsbildendes Element in den Reden (207). S4 geht darauf nicht ein und wählt wieder die dritte Person: Der/ die RednerIn müsse zeigen, dass sie gottesfürchtig ist, dass man alles, was passiert, zu schätzen wissen solle, und bricht hier den unvollständigen Satz ab (208). S1 übernimmt und meint, man müsse weiter machen (209). S4 wiederholt, was S1 sagt, durch die Metapher „ein neues Kapitel beginnen“ (210). S3 erklärt, dass dies eine große Herausforderung für die RednerInnen sei (211). Im Vergleich dazu, so meint S4, habe Cameron niemandem gedankt, er sage den Leuten nur, was sie zu tun haben. Wobei sie, um ihre Aussage zu unterstreichen, „that“ mehrmals wiederholt (212). S1 signalisiert, dass sie einverstanden ist, indem sie mehrmals „Yes“ sagt und meint, dass die Leute überfordert seien (213). Bekräftigt durch diese Äußerung meint S4 weiter, dass Cameron über sehr viele Dinge spreche, die die Leute vielleicht gar nicht interessieren (214, 216). S3 vergleicht indes Merkel und Hollande weiter. Der große Unterschied zwischen ihnen be‐ stehe darin, dass Merkel eine „Schuldirektorin“ sei und verwendet damit einen 234 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse metaphorischen Ausdruck (217). S4 bringt fragend auf Deutsch den Gegenvor‐ schlag „Direktorin? “ ein (218). S2 bessert aus und schlägt zweimal den Begriff „Präsident“ vor (219, 221), woraufhin S4 fragend den Begriff „Kanzlerin“ einwirft (220). S3 übernimmt durch Wiederholung beide Varianten und meint, Merkel sehe Deutschland als ein Ganzes und sich selbst nicht als überlegen, sondern als gleich wichtig wie die anderen (222). Dann beginnt sie einen elliptischen Satz: Hollande sehe sich hingegen als (…). S2 beendet den Satz: Er sehe sich als hoch, im Sinn von überlegen. S3 erklärt S2 die Aussage und präzisiert, dass Hollande meine, er sei der Boss von allen (224). S2 pflichtet mit einem „Yes“ bei und S3 nimmt ihrer Aussage die Stärke, indem sie sagt, das sei ihre persönliche Meinung (226). S4 ist damit nicht einverstanden, denn der Präsident in Frankreich habe ganz andere Kompetenzen als der italienische und sei viel einflussreicher, er habe einen wirklich großen Einfluss (227). S3 unterbricht dieses Gespräch, sie will zu einer Entscheidung kommen und fragt in die Runde, welcher Redner denn nun für den Vortrag geeignet sei (228). S3 schlägt vor, dass zwei Reden ausgewählt werden könnten, da es offensichtlich zu keiner Entscheidung gekommen sei (232). S4 schlägt daraufhin vor, Merkel und Hollande zu nehmen (233). S3 fragt in die Gruppe, ob alle einverstanden seien. S4 rechtfertigt ihre Entscheidung damit, dass es heute auch wegen des ISIS-Terrorismus gut sei, patriotisch zu sein. Patriotisch bedeute für sie nämlich nur, dass man in Verbindung zum eigenen Land stehe (235). S1 signalisiert, dass sie einverstanden ist, indem sie umformuliert, dass man sich um das eigene Land kümmern solle, ohne zu patriotisch zu sein (236). S4 meint, dass dies eine wich‐ tige Angelegenheit sei, da die Europäer und insbesondere die Deutschen es sich nicht erlauben würden, patriotisch zu sein. Sie führt diese Tatsache auf die ge‐ schichtlichen Ereignisse der Vergangenheit zurück und meint damit den Nati‐ onalsozialismus. Wer sich als patriotisch bezeichnet, werde in Deutschland gleich mit Worten wie „Rassist“ und „Nazi“ beschimpft (237). S1 meint, Patrio‐ tismus beziehe sich immer auch auf die Vergangenheit und dass es in der Ver‐ gangenheit bereits Patriotismus gegeben habe (238). S4 wiederholt ihre Mei‐ nung, indem sie betont, dass Patriotismus an sich nichts Negatives sei (239). S2 unterbricht das Gespräch, sie ist offensichtlich nicht interessiert und will mit der Arbeit fortfahren, indem sie vorschlägt, mit dem Aufschreiben zu be‐ ginnen (240). S4 geht nicht darauf ein und führt ihren Gedanken zu Ende: Pat‐ riotismus mache aus den Menschen etwas, das zu Beginn nicht da war und das sei das Problem (241). S2 gibt ihr mit einem einfachen „Yes“ Recht. S7, der erst jetzt zur Runde gestoßen ist, äußert seine Meinung und meint, wenn man pat‐ riotisch sei und nicht immer politisch korrekt, dann werde man gleich als ver‐ rückt bezeichnet und das sei für ihn ein Problem (243). S3 kommt in diesem 235 7.4 Aufzeichnung 4: Intertextualität und Mehrsprachigkeit Zusammenhang wieder auf Hollande zurück, der ihrer Meinung nach zu selbst‐ sicher sei und sich für unfehlbar halte, sie verwendet dafür das Wort „omnipo‐ tent“ (244). S4 meint, sie möge Cameron am wenigsten, Cameron allerdings sei für sie schlimmer gewesen. Sie findet ihn präpotent und eingebildet (245). Dabei ist sie sich nicht sicher, ob man „prepotent“ auf Englisch sagen kann und fragt in die Gruppe „how do you say prepotent“ (245). Er sei nicht nur präpotent, sondern auch eingebildet (247). S7 widerspricht ihr und meint, Cameron habe aber wirkliche Lösungen vorgetragen (248). S2 versteht nicht recht und fragt nach, wen er denn meine. S7 wiederholt, Hollande habe wirklich Lösungen vor‐ gebracht und gewusst, was er tun wolle (250). S2 unterbricht ihn durch ein Sei‐ tengespräch, sie will wissen, wie man „ehrlich“ auf Englisch sagt (CS Englisch/ Deutsch extrasententiell) (251). Zunächst wird auf ihre Frage nicht eingegangen. S4 diskutiert mit S5 weiter. Sie beginnt einen Satz, wird aber von S2 unterbro‐ chen, die sich diesmal lauter und auf Englisch an die Lehrperson wendet, um zu erfahren, was „ehrlich“ heißt. S4 antwortet und gibt ihr die richtige Übersetzung: „honest“ (254). S2 meint, Hollande sehe sich als sehr wichtig an, gleichzeitig spreche er aus dem Verständnis heraus, dass alle ein Teil Frankreichs seien, auch er selbst (255). S4 bestätigt diese Aussage, indem sie ihren Satz mit „Yes“ beginnt und fortfährt, dass er alles sage, was er zu tun gedenke und verlange, dass die anderen freiwillig für ihr Land arbeiten (256). 7.4.1 Mehrsprachige Identitätsbildung Reflektierende Interpretation: Die Gruppe steht vor der Aufgabe, einen Konsens darüber zu finden, welche Rede sie vorstellen möchte. S3 und S4 entscheiden sich für die Merkel-Rede, S2 hingegen ist für Hollande (169), S1 enthält sich. Die Diskussion beginnt auf Italienisch. S4 und S3 sind sehr engagiert und interessiert daran, den Inhalt der Reden zu vergleichen, um Ähnlichkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Dabei kristallisieren sich folgende Bereiche der MKK heraus: Mehrsprachige Darstellung der Persönlichkeit Der Sprachwechsel bringt unterschiedliche Aspekte der Persönlichkeit der Lernenden an die Oberfläche. Er wird als kommunikative Strategie eingesetzt, um ein Gespräch zu lenken. Durch den Wechsel (CS Dialekt zu Italienisch) bei‐ spielsweise werden zwei unterschiedliche Aspekte der Persönlichkeit von S2 offengelegt: der durch eine rauere dialektale Umgangsform gekennzeichnete, durch den sie ihre Verweigerungshaltung ausdrückt, und der höflichere und umständlichere in der italienischen Standardsprache, der sie zwingt, auf eine komplexere Sprachebene zu wechseln (4.5.1.). Das folgende Beispiel zeigt eben‐ falls, wie die Lernenden durch CS in unterschiedliche Sprachrollen schlüpfen 236 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse können und sich so mit ihrer Meinung innerhalb des Gespräches positionieren. Es zeigt außerdem, wie sich Sprachverhalten innerhalb der Gruppe spiegelt und wie durch CS auf einer rein sprachlichen Metaebene Kommunikation stattfindet (cf. 4.2.1.). S2 ist wenig am Geschehen in der Gruppe interessiert und zeigt das durch einsilbige Bemerkungen im Dialekt (172, 176). Der Dialekt stellt einen unmit‐ telbaren, durch soziale Konventionen nicht gemittelten Aspekt ihrer Persön‐ lichkeit dar. Außer Desinteresse teilt sie dadurch auch mit, dass sie die Meinung der anderen nicht teilt. S3 bemerkt, dass sich die Positionen verhärten und dass es schwer sein wird, einen Konsens bezüglich der auszuwählenden Rede zu finden. Daher schlägt sie als Kompromiss vor, über zwei Reden zu referieren. Ein Teil der Gruppe möchte Merkels Rede bearbeiten, ein anderer Teil lieber Hollandes Rede (174). S3 stellt S2 auf Italienisch die Frage, warum sie gegen Merkel sei, wobei ihr einleitendes „Ma“ eine Interjektion ist, die auch alleine stehen könnte und an sich bereits eine vollständige, einen Gemütszustand ab‐ bildende Proposition enthält. In diesem Fall drückt sie vor allem Höflichkeit aus, den Versuch zu beschwichtigen und Streit zu vermeiden (177). S2 wechselt da‐ raufhin nicht nur die Sprache (Italienisch) sondern auch das Sprachregister. Sie übernimmt den von S3 eingeführten höflichen Ton und gibt in einer längeren Erklärung ihre Gründe an, weshalb sie Hollande Rede vorzieht. Hier verändert sich ihre Haltung, sie spricht nicht mehr im Dialekt, um ihren Dissens auszu‐ drücken, sondern wechselt ins Italienische und versucht, ihre Wahl (Hollande) zu verteidigen. Dadurch passt sie sich dem von S3 vorgegebenen höflicheren Ton an und spiegelt das „Ma“ von S3 durch Wiederholung (178). Sie wechselt dadurch nicht nur auf eine höflichere Ebene als vorher, sie signalisiert damit auch, dass sie bereit ist, einen Kompromiss zu finden (172, 176). Daraufhin ver‐ fasst sie eine kurze Eloge über Hollande: Hollande sei überzeugend und habe aus seinem Herzen gesprochen, er sage, was er denke, sei authentisch, seine Sprache sei direkt. Sie will aber ihre Position nicht einseitig darstellen und geht auch auf Merkels Ansprache ein, indem sie versucht, positive Aspekte hervor‐ zuheben, was ihr allerdings nicht ganz gelingt. Auf Italienisch ist ihre Aus‐ drucksweise artikulierter als im Dialekt. Hier findet TL statt, das regulierend auf das Gespräch wirkt (cf. 4.5.3). Einen weiteren Aspekt ihrer Persönlichkeit gibt S2 preis, als sie zum Ausdruck bringt, dass sie von dem, was S3 über Merkel behauptet, nicht überzeugt ist. Dies drückt sie durch die dialektale/ italienische Interjektion „Boh“ aus, die salopp und einfältig wirkt und so viel bedeutet wie „Ich weiß es nicht, ich bin nicht überzeugt“ und gleichzeitig signalisiert, dass es ihr im Grunde gleichgültig ist (185). Sie gibt so einen weiteren Aspekt ihrer Persönlichkeit preis, der nur in 237 7.4 Aufzeichnung 4: Intertextualität und Mehrsprachigkeit diesem „Boh“ so klar und einfach hervortreten kann: Sie kann mit diesen ab‐ strakten Diskussionen nicht viel anfangen und hält von S3’s Meinung nicht viel. In diesen mehrsprachigen Repliken schimmern mehrere Aspekte der Per‐ sönlichkeit von S2 durch, die an unterschiedliche Sprachen gebunden sind: ein dialektaler, der in diesem Fall sprachlich nicht sehr ausdifferenziert erscheint und durch den die Lernende ihren Widerstand kundtut, ein italienischer, in dem sie zeigt, dass sie sehr wohl auch sprachlich versiert und fähig ist, auf einer komplexeren sprachlichen Ebene zu kommunizieren und sich den Konventi‐ onen der Höflichkeit anpassen kann, aber ihre Meinung und Haltung auch durch ausdruckstarke, einprägsame Interjektionen zum Ausdruck bringen kann. Die Schülerin mittelt hier zwischen verschiedenen Aspekten ihrer Persönlichkeit und lässt deren Facettenreichtum dadurch erkennen (cf. 4.2.1.) Mehrsprachigkeit und Bedeutungserweiterung In einem plurilingualen Kontext können Lernende Phänomene der Bedeu‐ tungserweiterung und Polysemie bei Synonymen besonders gut beobachten und aktiv unter Einbezug aller ihnen bekannten Sprachen ihre kommunikativen Absichten differenziert darstellen. Dieser besondere Aspekt des TL wird vor allem von zweibzw. mehrsprachigen SprecherInnen eingesetzt, da sie eher Sy‐ nonyme in mehreren Sprachen gleichzeitig abrufen können und die Vorausset‐ zung differenzierter mehrsprachiger Sensibilität für sprachliche Feinheiten und Bedeutungsnuancen dafür mitbringen (cf. 3.5.3.) Bei jenen Lernenden, die nicht aus einem mehrsprachigen sozialen Kontext stammen, ist hier die Möglichkeit gegeben, ihre Wahrnehmung für Bedeutungsunterschiede in den unterschied‐ lichen Sprachen auszudifferenzieren (cf. 4.2.2.). Ein erstes Beispiel hierfür findet sich, wenn S3 (CS Italienisch/ Deutsch ext‐ rasententiell) den Satz „Sie ist vorsichtiger“ (182) einfügt. Durch die Wahl des Wortes „vorsichtig“ anstelle des italienischen Wortes „prudente“ oder „attenta“ erweitert S3 die ursprüngliche Bedeutung durch die Konnotation „mit Zuver‐ sicht in die Zukunft gewendet sein“. Sie geht dadurch einerseits auf die Bedürf‐ nisse der Gruppe ein, die ihrer Einschätzung nach mit den italienischen Wörtern nicht vertraut sind, und wählt mit „vorsichtig“ ein bekanntes und vertrautes Wort, das kein Latinismus ist wie „prudente“, das aber gleichzeitig einen Be‐ deutungsaspekt hat, der den italienischen Wörtern „prudente“ und „attenta“ fehlt. Somit erzielt sie durch CS eine besondere Wirkung auf die ZuhörerInnen: Durch das CS Italienisch/ Deutsch passt sie sich dem Sprachniveau der anderen an und kann gleichzeitig durch die Wortwahl eine in ihren Augen typische Ei‐ genschaft Merkels zum Ausdruck bringen. Ebenso lässt sich die darauf folgende Aussage „Sie übernimmt sich net“ (186) in Bezug auf Merkel interpretieren. Sie impliziert, dass Hollande sich übernimmt 238 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse und zu viel verspricht. Durch das CS (Italienisch/ Deutsch extrasententiell) wird auch in diesem Fall die Kritik durch eine Wendung, die es in dieser Form nur auf Deutsch gibt, abgeschwächt. Das italienische bzw. französische Äquivalent wäre in diesem Fall „esagerare“ bzw. „exagérer“ und würde eine viel stärkere Kritik implizieren. Die Aussage über Merkel ist also auch eine implizite Kritik an Hollande. Dass Merkel hingegen „sich nicht übernimmt“ bedeutet, dass sie nichts verspricht, was sie nicht halten kann, sie ist also für S4 im Vergleich weiser und besonnener. Sowohl S3 als auch S4 wählen L1, um S2 zu überzeugen. Sie verschieben dadurch das Gespräch auf eine vertrautere Ebene. Dadurch dass die Wortwahl nicht einem gehobenen Register entstammt, wird signalisiert, dass man sich auf die gleiche Ebene stellt und kein Gefühl der Unterlegenheit ent‐ stehen soll. Gleichzeitig werden durch gezielte Bedeutungsnuancen die eigenen Aussagen den Umständen entsprechend angepasst (cf. 4.2.3.). S4 verteidigt ihre Wahl der vorzutragenden Rede mit dem Argument, dass Hollande sehr persönlich wirke und Merkel objektiver sei (188). S3 wiederholt auf Französisch ihre vorhergehende Aussage (189) und übersetzt „vorsichtig“ ins Französische mit „attente“. Durch diese Übersetzung kommt es zu einer Be‐ deutungserweiterung des ursprünglichen Wortes. S2 führt das Gespräch auf Französisch fort. Sie signalisiert damit auf sprachlicher Ebene, dass sie einlenkt (190). Sie sagt, dass man von Hollande sagen könne, dass er „violent“ (ge‐ waltsam) sei. Das Französische „violent“ ist von seiner Aussagekraft her viel schwächer als das Deutsche „gewaltsam“. Die französische Form gibt S2 das richtige sprachliche Mittel, um dies auszudrücken. Sie wird von S1 unterbro‐ chen, die wiederum anmerkt, dass Merkel höflich, „gentile“ sei (191), ein Wort, das in diesem Kontext eine nicht unbedingt passende Färbung aufweist. S4 fällt ihr auf Deutsch ins Wort und meint, sich auf Hollande beziehend, er sei „ag‐ gressiv“. Damit vervollständigt sie den elliptischen Satz von S3 durch ein CS (192), indem sie ein sehr ausdruckstarkes Wort wählt, das keinen Zweifel über ihre Meinung mehr zulässt, dennoch im Vergleich zu „violent“ eine Abschwä‐ chung darstellt. Dadurch positioniert sie sich als Meinungsführerin in der Gruppe. Alle pflichten ihr durch ein „Oui“ bei, auch S2 ist jetzt überzeugt und bestätigt dies durch ein „Oui“ (193). Der Konflikt ist vorerst gelöst. S3 formuliert in einer Ellipse nochmals, Merkel sei nicht so direkt (195). In Zeile 197 nimmt sie diesen Satz wieder auf und bildet einen zweisprachigen Satz (TL intrasen‐ tentiell Deutsch/ Französisch). Wortwahl und Konnotation Durch die Übersetzung einzelner Wörter oder ganzer Ausdrücke und durch den sprachübergreifenden Vergleich erkennen die Lernenden, dass Wörter in unter‐ schiedlichen Sprachen verschiedene Bedeutungsspektren und -nuancen auf‐ 239 7.4 Aufzeichnung 4: Intertextualität und Mehrsprachigkeit weisen, und sie können solche dann strategisch in der Kommunikation ein‐ setzen. Die Lernenden stellen fest, dass Konnotationen in den verschiedenen Sprachen differieren und dass dabei der jeweilige geschichtliche und soziale Hin‐ tergrund eine entscheidende Rolle spielt. Da es bei der Analyse der Reden vor allem darum geht, konnotative Unterschiede zwischen den Wörtern aufzu‐ zeigen, um die Besonderheiten der Reden und deren Wirkung auf die Rezipienten herauszuarbeiten, versuchen die Lernenden, sich in ihrer Wortwahl überlegter und präziser auszudrücken, um den eigenen Standpunkt deutlich zu machen, die subtilen Bedeutungsebenen herauszuarbeiten und die Bedeutung einzelner Wörter in Bezug auf ihren sprachlichen und geschichtlichen Hintergrund kri‐ tisch zu hinterfragen. Dies zeigt sich in den folgenden Auszügen (cf. 4.2.3.): S3 nimmt das Gespräch auf Französisch wieder auf (187). Sie beginnt auf Italienisch mit „parla“ und wählt dann das Französische „du cœur“, statt beim italienischen „con il cuore“ zu bleiben (TL Italienisch/ Deutsch). Sie wählt damit die Konnota‐ tion und emotionale Bedeutung des französischen Wortes, um zu sagen, dass auch Merkel aus dem Herzen spricht, ihre Ansprache aber niemals wie Hollande mit „Liebe Franzosen“ bzw. „Liebe Deutsche“ beginnen bzw. beenden würde, wie das Hollande wiederholt tut (187). Dabei bezieht sie sich auf die negative Konnota‐ tion des Ausdrucks „Deutsche“, der im Nationalsozialismus missbraucht wurde und daher nicht mehr verwendet werden kann. Hollande hingegen spricht auf der Grundlage eines ganz anderen geschichtlichen Kontextes, nämlich dem der Fran‐ zösischen Revolution, wodurch sein Aufruf „Chère Françaises et Français“ eine andere Bedeutung gewinnt, die der Einheit des Staates und eines Zusammenge‐ hörigkeitsgefühls, das alle Franzosen vereinen soll. S4 dominiert nunmehr das Gespräch, was dazu führt, dass S2, die mit der Wahl der Rede nicht einverstanden war, sich kaum noch daran beteiligt. S4 spricht über die Vor- und Nachteile von Patriotismus und meint, Patriotismus an sich sei nichts Negatives, es bezeuge die Verbundenheit zum eigenen Land. Diese Aussage wird unmittelbar mit der geschichtlichen Tatsache verknüpft, dass in Deutschland das Wort „Patriotismus“ aufgrund der geschichtlichen Ereignisse im Nationalsozialismus äußerst negativ konnotiert ist. Patriotismus wird mit Rassismus und Nazismus gleichgesetzt (235). S4 verknüpft hier geschichtliche Aspekte mit der Entwicklung von Bedeutung in einer Sprache. S1 fügt ein, man dürfe nicht zu patriotisch sein. Damit will sie zwar S4’ Aussage nicht grund‐ sätzlich widerlegen, lässt aber durchschimmern, dass das Wort „Patriotismus“ auch für sie negativ behaftet ist. Der Satz bleibt unvollständig, sie wird von S4 unterbrochen, die wiederholt, dass Patriotismus an sich nichts Negatives sei, leider könnten es sich aber die Deutschen nicht mehr leisten, patriotisch zu sein (237). S2 besteht auf ihrer vorsichtigen Haltung gegenüber diesem Wort, wenn 240 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse sie behauptet, dass es bereits in der Vergangenheit Patriotismus gegeben habe. Damit verweist sie auf die verheerenden Auswirkungen des Patriotismus im Zweiten Weltkrieg in Deutschland. Sie ist im Grunde mit S4 nicht einverstanden, will aber keine Diskussion vom Zaun brechen. S4 betont nochmals, dass Patrio‐ tismus an sich nichts Schlechtes sei. Damit legt sie ihre Position fest. Für sie hat der Begriff an sich eine Bedeutung, die nichts mit der geschichtlichen Entwick‐ lung zu tun hat, und diese Bedeutung sei nicht negativ. S2 unterbricht S4 (240) und geht zu organisatorischen Details des Vortrags über. S4 lässt sich aber nicht abbringen, sie geht darauf nicht ein, formuliert ihren Gedanken weiter aus, indem sie sagt, dass der Patriotismus in Menschen etwas sehr Negatives bewirken kann, das sei das wahre Problem (241). S4 verbindet hier das abstrakte Konzept des Patriotismus als positiv geladenes Gefühl gegenüber dem eigenen Herkunftsland mit dessen geschichtlich-politischer Entwicklung, die zu einer stark negativ geprägten Konnotation des Wortes geführt hat. Diese Zweideutigkeit des Begriffes überträgt sie schließlich auf das Individuum, indem sie auf den möglichen negativen Einfluss dieses Wortes auf den Einzelnen und die dahinter stehende Haltung gegenüber Fremdem und Anderem eingeht. S2 bestä‐ tigt lediglich durch ein „Ja“, sagt aber nichts Weiteres dazu. Mehrsprachige Gesprächsstrategien: Kompensation und Translanguaging Im mehrsprachigen Gespräch zeichnen sich zwei grundlegende sprachliche Verhaltensformen ab: Einerseits gibt es Lernende, die, weil sie mit beschränk‐ teren sprachlichen Mitteln auskommen müssen, eine Reihe von Kompensati‐ onsstrategien einsetzen, um das Gespräch aufrechtzuerhalten und auf der an‐ deren Seite gibt es Lernende, die, weil aus einem mehrsprachigen lebensweltlichen Umfeld kommend, im mehrsprachigen Diskurs kommunikationsstrategisch TL einsetzen. Im Folgenden wird zunächst auf die Kompensationsstrategien der le‐ bensweltlich vorwiegend einsprachigen Lernenden eingegangen. Es zeichnen sich unterschiedliche Strategien ab, die von den Lernenden eingesetzt werden, um kommunikative Engpässe zu überwinden. Ein erstes Beispiel zeigt den Umgang mit Kollokation. Lernende, deren sprachliche Mittel nicht ausreichend sind, ver‐ wenden Termini, die zwar korrekt sind, deren Kollokation aber nicht stimmt. Sie sind sich dessen z.T. bewusst, nutzen diese Strategie aber, um sich trotz allem mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln verständlich zu machen, indem sie von der Bedeutung her ähnliche Wörter einsetzen. So bekräftigt S2 ihre Meinung dadurch, dass sie behauptet, Merkel sei etwas zufriedener („contente“), wobei die Intonation dieses Wortes eine Frage impli‐ ziert (198). Sie ist sich nicht sicher, ob es das richtige französische Wort ist, und fügt einen Widerspruch gegen ihre eigene Wahl ein („no“). S1 hingegen ver‐ sucht, ein anderes geeignetes französisches Wort für „contente“ zu finden. „Ou‐ 241 7.4 Aufzeichnung 4: Intertextualität und Mehrsprachigkeit verte“ scheint ihr geeignet, sie leitet es aber durch ein „Boh“ ein und drückt dadurch ihre Unsicherheit aus. S4 meint, dass man zeigen solle, dass man glück‐ lich („happy“) ist (206). Die Wahl des Wortes „glücklich“ ist in diesem Kontext zwar nicht treffend, zeigt aber, dass die Lernenden versuchen, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Englisch zu sprechen und nicht ins Deutsche überzugehen. Es handelt sich um den Versuch, in einer Fremdsprache über komplexe Sachverhalte zu diskutieren und auf CS als scaffolding zu verzichten. Ähnlich verhält es sich mit dem Ausdruck „watching God“ (208). Auch hier zeugt die Verwendung von „watching“ davon, dass der Wortschatz nicht ausreicht, um dieses Thema zu behandeln, die Lernende jedoch alle Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung stehen, nutzt, um den englischen Diskurs beizubehalten. Ein ähnlicher Fall liegt vor, als S1 die Aussage von S4 reformuliert, indem sie die saloppe Wendung „We can bring it“ vorschlägt. Hier wird ein abrupter Re‐ gisterwechsel dem CS vorgezogen. Die umgangssprachliche Form stellt der Schülerin Ausdrucksmöglichkeiten zu Verfügung, die zwar sprachlich einen Stilbruch darstellen, die Kommunikation in der Fremdsprache aber aufrecht er‐ halten. Dabei ersetzt sie das „They“ und „He/ She“ durch das auch von Merkel in ihrer Rede verwendete „Wir“. Sie übernimmt die rhetorische Funktion des Wortes in der Rede und überträgt sie auf die Gruppe, um ein Gemeinschaftsge‐ fühl heraufzubeschwören, das die Rede spiegelt, und ergänzt dadurch die Be‐ deutung ihrer Aussage durch ein weiteres Element (207). S1 wechselt erneut durch eine saloppe Wendung „to move on“ (209) das Register, um so die Kom‐ munikation zu erleichtern, indem sie einen für alle verständlichen und gängigen Begriff verwendet. Auch S4 wechselt jetzt das Register und reformuliert S1’ Wendung durch „a new chapter“ (210). Laut S3 bestehe nämlich die Schwierig‐ keit darin, in einem Staat gemeinsam ein neues Kapitel zu schreiben. Ebenso verhält es sich mit der Aussage „He names a whole lot of things“ (214), die ebenso den Versuch darstellt, komplexe Gedankengänge zu vereinfachen. Neben salopper Ausdrucksweise finden sich viele Ausweichstrategien, die von kreativem und einfallsreichem Umgang Sprache zeugen. So geht S4 zu einem Vergleich mit dem englischen Ministerpräsidenten Cameron über (212), um nochmals darzulegen, dass „Sich bedanken“ ein wichtiger Aspekt einer Rede sei. Sie merkt an, dass Cameron sich nicht bedanke und sehr viel fordere (212). S4 verwendet das Wort „confront“ für „vergleichen“ (das englische Synonym wäre „compare“), bedient sich dabei einer Lehnübersetzung aus dem Italieni‐ schen („confrontare“) und versucht so, einem CM für das Wort, das ihr gerade nicht einfällt, auszuweichen. Auch die Wiederholung ist eine wichtige Ausweichstrategie, sie dient der Emphatisierung des Gesagten. So z. B. die Wiederholung von „That“ die hier 242 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse betonen soll, dass Cameron viel verlangt und gibt dem eine negative Konnota‐ tion. Auch hier werden durch den strategischen Einsatz von Sprachmitteln wie der Wiederholung sprachliche Schwierigkeiten überbrückt und die Kommuni‐ kation nicht durch CS oder CM unterbrochen (212). S1 übernimmt diese Wie‐ derholungsstrategie („yes, too much“) und bekräftigt damit ihre Aussage, dass es für die Leute zu viel sei (215, 214). Ein Fall von Ausweichstrategie auf bil‐ dungsprachlichem Niveau findet sich, als die Lernenden das englische Wort für „Bundeskanzlerin“ suchen. S2 schlägt „president“ vor. S4 stellt diesen Vorschlag in Frage, indem sie „Kanzler“ als mögliche Option fragend in den Raum stellt. Sie ist nicht überzeugt, dass „president“ der deutschen Bezeichnung „Kanzler“ entspricht (220) und verwendet beide Termini in demselben Satz, um durch die deutsche Übersetzung das fehlende englische Wort zu ersetzen, das nur ungenau mit „president“ übersetzt worden war. Das richtige Wort „prime minister“ wird in diesem Fall nicht erarbeitet. TL hingegen findet sich im ganzen Auszug, denn die Lernenden übertragen hier Wissen von einem Referenzsystem in das andere. Sie mitteln zwischen Texten unterschiedlicher Sprachen und Referenzsysteme und versuchen durch diesen Vergleich eine für alle begehbare Lösung zu finden. Besonders S4 und S3 mitteln zwischen deutschen, italienischen und englischen Diskurswelten und sind so in der Lage, Bedeutung in Bezug auf unterschiedliche diskursive Welten zu erkennen und neue definitorische Feinheiten herauszuarbeiten, die am tref‐ fendsten einen Umstand beschreiben. Es ist diesen Lernenden außerdem mög‐ lich, strategisch mit Bedeutung im Diskurs zu spielen, wodurch auch mehrspra‐ chige Metaphern entstehen, die, wie im Folgenden genauer gezeigt wird, komplexe Bedeutungsgefüge bildlich veranschaulichen. Kreative Bedeutungsfindung Einzelne mehrsprachig aufgewachsene Lernende verfügen über ein sehr ar‐ tikuliertes mehrsprachiges Repertoire, weshalb sie ihre Mehrsprachigkeit stra‐ tegisch mittels Spiel mit Bedeutung ins Gespräch einbauen können. Der mehr‐ sprachige Diskurs dient hier als Trainingsplatz, um in spielerischer Form Bedeutungen neu zusammenzufügen und dadurch eine überraschende und ef‐ fektvolle Wirkung zu erzielen. Das TL gibt den Lernenden die Möglichkeit, über mehrere Sprachen gleichzeitig zu verfügen und in kürzester Zeit die für sie pas‐ sendsten Sprachkombinationen abzurufen. Durch das TL (202) festigt S3 ihre Rolle als Sprachexpertin. Sie kann durch ihre Zweisprachigkeit jederzeit mit mehr Gewandtheit auf ein mehrsprachiges Repertoire zurückgreifen als die an‐ deren. Das ermöglicht es ihr, durch die simultane Verwendung mehrerer Spra‐ chen die Bedeutung einer Aussage bewusst zu beeinflussen. Durch das TL „Everybody having sa bouche“ will sie ausdrücken, dass jeder seine eigene Mei‐ 243 7.4 Aufzeichnung 4: Intertextualität und Mehrsprachigkeit 1 Der italienische Ausdruck maestra bezieht sich im Gegensatz zum deutschen Wort „Leh‐ rerin“ nur auf Lehrpersonen der Grundschule. Die Bezeichnung maestra oder die Ver‐ niedlichung maestrina werden auch abwertend verwendet, um jemanden als Besser‐ wisser zu bezeichnen. nung hat und diese mit Nachdruck vertritt. Indem sie nochmals Französisch aufnimmt, bildet sie eine idiomatische Wendung, die es weder auf Englisch noch auf Französisch gibt und die am ehesten mit dem Englischen Ausdruck „having ones foot in his/ her mouth“ zu vergleichen ist, eine Formulierung, die sich als Anglizismus auch im Französischen findet: „mettre le pied dans sa bouche“. Diese idiomatische Wendung bedeutet allerdings etwas anderes, nämlich: „etwas Unangebrachtes und Peinliches sagen“. Die Schülerin kreiert hier durch TL eine neue mehrsprachige idiomatische Wendung, mittels derer sie ihre Mei‐ nung am besten ausdrücken kann. Auf die gleiche spielerische Weise gelingt ihr durch intrasententielles CS mit dem Satz „Sie isch net so direkt. Il dit tout di‐ rectement“ eine wirkungsvolle Sprachkombination, indem sie im selben Satz Deutsch wählt, um über Merkel zu sprechen, und Französisch für Hollande. Dadurch ordnet sie die beiden Staatsoberhäupter durch eine einfache sprach‐ liche Vorkehrung sprachlich und kulturell zu (197) und schwächt gleichzeitig ihre kritische Aussage über den französischen Ministerpräsidenten durch CS ab. Metapher Der Ausdruck, Merkel sei eine Lehrerin („una maestra“) 1 und habe immer den Blick auf die Zukunft gerichtet, kann sowohl positiv als auch negativ verstanden werden (181). Hier wird erstmals eine schulische Metapher verwendet, und sie wird aus der Sprache entnommen, in welcher das Wort „Lehrerin“ eine negative Konnotation aufweist, die in den anderen Sprachen nicht so ausgeprägt ist wie im Italienischen. Auch in diesem Fall ist die Sprachwahl nicht zufällig, sondern verfolgt bestimmte Zielsetzungen und hat die Funktion, die Kommunikation zu optimieren. Unter Optimierung ist eine im Sinne der Sprachökonomie möglichst schnelle und ungestörte Sprachhandlung bei größtmöglicher Bedeutungsdichte zu verstehen. Indem Merkel mit einer Lehrerin verglichen wird, wird ihr beson‐ nener belehrender Stil in dieser Rede kurz und prägnant hervorgehoben und im‐ plizit auch Kritik daran geübt, dieser aber gleichzeitig auch durch CS die Schärfe entzogen. Diese Möglichkeit der freien Wortwahl und Erweiterung des Aus‐ drucks- und Bedeutungsspektrums ist nur innerhalb eines mehrsprachigen kom‐ munikativen Kontextes möglich. Die Lehrerin-Metapher ist so erfolgreich, dass sie später im Dialog wieder aufgenommen und verschärft wird, beispielsweise, wenn S3, den Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich wieder aufneh‐ mend, meint, dass der große Unterschied zwischen den beiden Ländern darin be‐ 244 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse stehe, dass Deutschland von einer „headmistress“, einer Schuldirektorin, ange‐ führt werde (217). Das Bedeutungsfeld Politik wird erneut mit dem der Schule überlagert, wodurch die Realitätswahrnehmung durch Bedeutungskombination erweitert wird. Merkel werden Eigenschaften zugesprochen, die aus herkömmli‐ cher Perspektive unüblich sind. Die Verwendung des englischen Ausdrucks „headmistress“ anstelle des deutschen „Schuldirektorin“ bringt auch in diesem Fall eine Abschwächung der Aussagekraft mit sich, da das englische Kompositum nicht so autoritär wirkt wie das deutsche. Die Mehrsprachigkeit und die gezielte Sprachwahl ermöglichen es den Lernenden, sich bei der Formulierung der Meta‐ pher anhand der unterschiedlichen konnotativen Aspekte der einzelnen Wörter das für ihre Zwecke dienliche auszusuchen. Durch das Spiel mit unterschiedli‐ chen Konnotationen gewinnt die Metapher in der Mehrsprachigkeit einen Be‐ deutungsreichtum, wie er in der Einsprachigkeit nicht gegeben ist. Kontrastiver Vergleich politischer Institutionen und Ämter Die Lernenden setzen sich in diesem Auszug mit den Aussagen prominenter politischer Vertreter einzelner Staaten auseinander und vergleichen sie mitein‐ ander. Dabei stellt sich heraus, dass es bezüglich der Staatsformen, der Aufga‐ benbereiche und Zuständigkeiten von deren Vertretern von Staat zu Staat z.T. sehr große Unterschiede gibt. S3 beginnt einen Satz, mit dem sie versucht dar‐ zustellen, wie Hollande sich sieht. S2 fällt ihr ins Wort und sagt, er sei hoch („high“) und meint damit, er halte sich für überlegen (223). S3 sucht nach einer besseren Formulierung und meint, er sähe sich als der Kopf von allen („the head of everybody“). S2 ist einverstanden. S4 wendet ein, dass der französische Prä‐ sident sehr einflussreich und wichtig sei. Der italienische Präsident hingegen nicht. Weiterhin wird nicht zwischen der institutionellen Funktion des Präsi‐ denten und Premierministers unterschieden, sondern ein Vergleich zwischen der institutionellen Funktion und der Machtausübung unterschiedlicher Staats‐ ämter der europäischen Länder vor dem Hintergrund der geschichtlichen Ent‐ wicklung der verschiedenen politischen Systeme versucht (227). Inklusion In diesem Auszug lässt sich ein Beispiel von gescheiterter sprachlicher und kultureller Inklusion beobachten. Wie in MKK bereits erwähnt, erfahren die Lernenden Inklusion auf der Ebene des alltäglichen sprachlichen Verhaltens und es genügen kleine Sprachgesten, um zu signalisieren, wer zur Gruppe dazuge‐ hört und wer nicht, was im folgenden Beispiel besonders deutlich wird, bei dem sich sprachliche Dynamiken abzeichnen, die in letzter Instanz zur Ausgrenzung eines Schülers führen. 245 7.4 Aufzeichnung 4: Intertextualität und Mehrsprachigkeit S7 ist ein Schüler, der aus Deutschland kommt, neu in der Klasse ist und sich noch nicht richtig integriert hat. Er wandert von einer Arbeitsgruppe zur an‐ deren in dem Versuch, seine Rolle innerhalb dieser Gemeinschaft zu finden. Dabei stößt er auf die oben erwähnte Gruppe und macht eine Bemerkung zum Thema „Patriotismus“, indem er die Aussage von S4 aufnimmt und verstärkt (234). Er sucht Anerkennung und verwendet daher sehr ausdrucksstarke Wendungen wie „not politically correct“ und „nuts“, stößt damit aber nicht auf Zustimmung, seine Bemerkung wird von der Gruppe einfach übergangen. S3 kommt wieder auf Hol‐ lande zu sprechen und meint, er sehe sich als allmächtig. S4 entgegnet, dass ihrer Meinung nach der italienische Staatspräsident Mattarella und der englische Mi‐ nisterpräsident Cameron ihr noch weniger gefallen hätten. Cameron sei „prepo‐ tent“. Die Lehrperson schlägt das Wort „bossy“ vor, das S4 dankbar aufnimmt mit der Bemerkung, auch Cameron sei eingebildet. S7 versucht sich wieder zu Wort zu melden und widerspricht ihr, indem er meint, Cameron habe reelle Lösungen für die Probleme seines Landes vorgebracht (250), allerdings stellt sich bald he‐ raus, dass er gar nicht Cameron, sondern Hollande meinte. S2’ Frage „Who? “ (249) zeigt einerseits, dass sie nicht versteht, wen S7 meint, bringt ihn damit an‐ dererseits auch in eine schwächere Position, indem sie ihm mitteilt, dass das, was er sagt, nicht verständlich sei. In Folge des CS ins Deutsche durch S2 mit der Frage an die Gruppe, wie man „ehrlich“ auf Englisch sagt, ist die aktive Teilnahme von S7 am Gespräch beendet, er meldet sich nicht mehr (251). Dass sich S7 in die Klasse noch nicht integriert und er seine Rolle noch nicht gefunden hat, wird ihm durch die Gruppe ganz klar durch sprachliches Verhalten signalisiert. Die Gruppe ist ansonsten untereinander höflich, kooperativ und kompromissbereit, hier je‐ doch zeigt sie sich ausgrenzend. S7 hat nicht den gleichen Referenzrahmen, er ist noch fremd und sein Versuch, sich zu integrieren, scheitert zunächst auch an seinem Verhalten. Er ist nicht fähig, sich der Gruppe anzupassen und wird dafür von der Gruppe ausgeschlossen. 7.4.2 Codes Savoirs Indikatoren Savoir - Durch sprachliches Verhalten innerhalb einer Gruppe werden Menschen eingeschlossen oder ausgegrenzt (244, 249) - Der gezielte Einsatz mehrsprachiger Kommunikationsstrategien kann Machtpositionen innerhalb einer Gruppe determinieren (200, 202) - Durch gezielten Einsatz von Sprachhandlungen, Sprachwahl, Kör‐ perhaltung und Ausdruck kann die Meinung der ZuhörerInnen be‐ einflusst werden (197,232, 182, 186) 246 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse - Jedes Genre (in diesem Fall die politische Rede) ist ideologisch fun‐ diert (181, 208, 206, 203) - Gleiche Wörter haben in verschiedenen Sprachen unterschiedliche Konnotationen (181, 218, 187, 239, 241) - Konnotationen sind oft geschichtlich und gesellschaftlich bedingt (237, 238) - Konnotationen können sich stark auf das Sprechverhalten in den verschiedenen Sprachen auswirken (241, 236) - Konnotationen sind geschichtlich und gesellschaftlich bedingt - Gleiche Wörter sind in verschiedenen Sprachen unterschiedlich konnotiert und können in den ZuhörerInnen starke Emotionen und andere Reaktionen hervorrufen (237, 243, 187) - Es gibt in Europa unterschiedliche politische und rechtliche Sys‐ teme; gleiche Ämter sind mit unterschiedlichen Kompetenzen aus‐ gestattet (217, 222, 277) - Sprache(n) sind geschichtlich und kulturell verortet und der Sprachgebrauch wird davon beeinflusst (186, 182) - Sprache(n) sind geschichtlich und kulturell verortet und Bedeutung ist kontextgebunden und pluralistisch (237) - Jeder RednerIn übernimmt eine bestimmte Rolle, um effizienter kommunizieren zu können (170, 180, 181) - Jede/ r RednerIn übernimmt eine bestimmte Rolle und drückt dies auch durch Gestik, Mimik und Körperhaltung aus. Gestik, Mimik und Körperhaltung haben nicht in allen Kulturen die gleiche Be‐ deutung (245) - Unterschiedliche Sprachen bringen unterschiedliche Umgangs‐ formen mit sich; rhetorische Mittel können in allen Sprachen zum Einsatz kommen (217, 177, 178) - Genres weisen in verschiedenen Sprachen Ähnlichkeiten auf (alle) Genres sind Ausdruck verschiedener Denkmuster (191, 192) - Durch Genres kann die Realität unterschiedlich modelliert werden (222, 223) Savoir être - Unterschiedliche Aspekte der eigenen Persönlichkeit durch ge‐ zielten Einsatz von Sprachen und Sprachwechsel zum Ausdruck bringen (172, 176, 178, 180,181, 182, 187) - Durch CS Unzufriedenheit mit dem Verlauf des Gespräches signa‐ lisieren (176, 172, 184) - CS nutzen, um die eigene emotionale Befindlichkeit auszudrücken (185, 188) - Emotionen in mehreren Sprachen ausdrücken können Savoir faire - CM, um über die Bedeutung eines Wortes in einer anderen Sprache etwas zu erfahren (245, 253) - CS strategisch einsetzen, um durch gezielte Wortwahl die Aussa‐ gekraft von Aussagen abzuschwächen (186, 182) - CS strategisch einsetzen, um bestimmte Bedeutungen hervorzu‐ heben, die es nur in einer Sprache gibt (182, 186) - Durch Einsatz von Lehnübersetzungen versuchen, Wörter in der Fremdsprache zu bilden (217, 208, 56, 173, 212) - Die eigene Meinung in einer Fremdsprache über einen in einer an‐ deren Fremdsprache gelesenen Text äußern können (170, 178, 180-81) 247 7.4 Aufzeichnung 4: Intertextualität und Mehrsprachigkeit - Die eigene Meinung in einer Fremdsprache oder in L2 über mehrere in unterschiedlichen Fremdsprachen gelesene Texte zu äußern (217, 222) - Bei sprachlichen Schwierigkeiten im Gespräch sich gegenseitig be‐ hilflich sein (172, 254) - In mehreren Fremdsprachen oder in L2 spezifische Gesprächsre‐ geln und Umgangsformen beherrschen (217, 177, 178) - Als Ausweichstrategie bei Problemen der Wortfindung unter‐ schiedliche Register wählen (209, 210, 205) - Das gesamte sprachliche Repertoire nutzen, um durch TL ge‐ wünschte Bedeutungsaspekte zu wählen (197, 187, 182, 202, 181, 189) - Genres in unterschiedlichen Sprachen vergleichen und Ähnlich‐ keiten oder Unterschiede herausfinden (176, 169) - Metaphern in einer Fremdsprache verwenden (181, 217) Savoir ap‐ prendre - Sich in einer Fremdsprache ausrücken, ohne durch CS auf Aus‐ weichstrategien zurückzugreifen ( 207, 180, 170, 227) - Sich bei der Suche nach Wörtern durch Fragen Hilfe bei den an‐ deren GesprächspartnerInnen holen (170, 251, 253) - Sich gegenseitig bei sprachlichen und inhaltlichen Problemen be‐ hilflich sein und das gesamte sprachliche Repertoire dazu nutzen (192, 201) Savoir s’engager - Die eigene Stellung in der Gruppe durch bewussten Einsatz sprach‐ licher Mittel zum Ausdruck bringen (227, 187) Tab. 7.8. 248 7 Auswertung der Aushandlungsprozesse 8 SchülerInnenauswertung Die Einzelfallanalysen der vier Schülerinnen wird nach folgenden Aspekten durchgeführt: - Verhalten während der Aushandlungsprozesse: Die im Verlauf des Pro‐ jektes gemachten Aufzeichnungen werden diachron analysiert und Stellen, die besonders kennzeichnend für die Kompetenzentwicklung der Lernenden im Bereich der MKK sind, anhand der DM eingehend unter‐ sucht. Diese werden mit den Aufzeichnungen des Forschungstagebuchs abgeglichen, um ein umfassenderes Bild der Entwicklung zu gewinnen. Aus Gründen der Überschaubarkeit der diskursanalytischen Untersu‐ chung wird so weit wie möglich darauf verzichtet, den gesamten Analy‐ seprozess (bestehend aus Transkription, reformulierender Interpretation und reflektierender Interpretation) darzustellen, zumal er bei der Aus‐ wertung der Aushandlungsprozesse exemplarisch vorgestellt wird. Zu‐ nächst wird die Transkription der Gespräche präsentiert und im An‐ schluss daran die reflektierende Interpretation (cf. Bohnsack) vorgenommen. - Stimulated Recalls. Diese wurden diachron im Verlauf des Projektes auf‐ gezeichnet: SR 1 im Dezember SR 2 im Januar SR 3 im März Die Analyse erfolgt dieser Reihenfolge gemäß, um sichtbar zu machen, ob und in welchen Bereichen sich eine Entwicklung der MKK abge‐ zeichnet hat. Die Ergebnisse werden mit denen des ersten Analyse‐ schrittes zum Verhalten der Lernenden im Aushandlungsprozess gekreuzt und verglichen, wodurch die dort entstandenen Codes validiert werden können, indem diese bestätigt bzw. widerlegt werden. - Retrospektives Interview. Dieses wurde im Mai nach Beendigung des Projektes durchgeführt. Für die Untersuchung relevante Abschnitte werden in Form von Transkriptionen dargestellt und anhand der DM (Dokumentarischen Methode) analysiert. Auch in diesem Fall wird nicht der gesamte Analyseprozess dargestellt, sondern nur die Interpretation signifikanter Auszüge. Auch die Ergebnisse dieser Teilanalyse werden mit den vorhergehenden gekreuzt und verglichen. So können Codes, die sich 1 Dialekt, der in der südlichen Region Südtirols in der Gegend zwischen Eppan und Kal‐ tern gesprochen wird, die als Überetsch bekannt ist. durch Wiederholung bestätigen, beibehalten und andere verworfen werden. Durch die Gegenüberstellung des Verhaltens der SchülerInnen in den Aushand‐ lungsprozessen und ihren Aussagen in den SR und dem RI entsteht ein ganz‐ heitliches Bild des sprachlichen Verhaltens und der persönlichen Implikationen, da sowohl die Außenals auch die Innenperspektive gezeigt wird. Diese mehr‐ perspektivische Betrachtungsweise gibt, indem sie durch die persönliche Refle‐ xion der Schülerin erläutert und ergänzt wird, ein vollständigeres Bild dessen, was im Aushandlungsprozess geschieht. Die intrinsische Motivation für ein be‐ stimmtes Sprechverhalten wird so deutlicher und nachvollziehbar. 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung Aus dem Fragebogen geht hervor, dass die Schülerin deutschsprachig aufge‐ wachsen ist, sie verfügt nicht über zwei L1 wie andere SchülerInnen in der Klasse. Deutsch bedeutet hier der lokale Dialekt in seiner Überetscher Varietät 1 . Die Schülerin kann zwischen Standarddeutsch und Dialekt je nach Situation und Umfeld wechseln (Diglossie) und hat ein Gefühl dafür entwickelt, wie sie sich am besten situationsangemessen ausdrückt. Dialekt spricht sie im Bereich der Familie, im Freundeskreis und mit Bekannten. Eine Form der deutschen Stan‐ dardsprache spricht sie an der Schule im Unterricht und im Gespräch mit den Lehrpersonen, während informelle Gespräche mit KollegInnen in der Schule im Dialekt erfolgen. Sie gibt an, dass sie auch in der Schule mehr Dialekt als Stan‐ darddeutsch spricht. Amelie kommt aus einem ländlichen Gebiet und hat daher nur sehr selten Gelegenheit, Italienisch zu sprechen. Sie gibt an, dass sie in ihrer Freizeit manchmal mit ihrer Mutter Italienisch spricht, um Hausaufgaben zu erledigen, Italienisch gehört aber nicht zu ihren Erstsprachen. Sie hat Italienisch seit ihrer Einschulung mit sechs Jahren als Unterrichtsfach und spricht diese Sprache laut ihren Angaben ausschließlich mit Lehrpersonen. Italienisch lernte sie nur an der Schule (seit elf Jahren im Ausmaß von vier Wochenstunden). Sie gibt an, au‐ ßerschulisch keine Gelegenheiten gehabt zu haben, diese Sprache in einem in‐ formellen Kontext zu üben. Englisch wird erst in der vierten Klasse Grundschule eingeführt, sie lernt diese Sprache also seit elf Jahren (in der Grund- und Mit‐ telschule mit drei Wochenstunden und in der Sekundarstufe mit vier Wochen‐ 250 8 SchülerInnenauswertung stunden). Französisch und Latein lernt Amelie erst das dritte Jahr (Latein im Ausmaß von drei Wochenstunden und Französisch im Ausmaß von vier Wo‐ chenstunden). Sie schätzt ihre Sprachkenntnisse in Deutsch als sehr gut ein. In Englisch und Französisch hingegen bewertet sie sich als befriedigend. Die italienische Sprache beherrscht sie laut ihren Angaben lediglich auf einem genügenden Niveau, ob‐ wohl es die Sprache ist, die sie am längsten im schulischen Kontext gelernt hat. Ihre Lateinkenntnisse bezeichnet sie als ungenügend. Ihre Befindlichkeit bei der Verwendung der Sprachen im Unterricht spiegelt ihre Einschätzung ihrer Sprachkenntnisse wider: In Deutsch fühlt sie sich sehr wohl, in Französisch und Englisch fühlt sie sich wohl, Italienisch ist ihr gleichgültig und in Latein fühlt sie sich gar nicht wohl. Die Lernerfahrungen in den Sprachenfächern sind bis auf Italienisch recht positiv. Sie mag Italienisch nicht besonders gern, ihrer Meinung nach werde dem Grammatikunterricht zu viel Wichtigkeit beigemessen und es werde zu wenig gesprochen. Der mündliche Ausdruck kommt ihrer Meinung nach zu kurz. Deutsch, Englisch und Französisch gefallen ihr hingegen sehr, weil in diesen Fächern viel gesprochen, diskutiert und ein hohes Maß an Allgemeinwissen vermittelt werde. Latein mag sie mittelmäßig, findet es in diesem Fach jedoch hilfreich, dass Neues anhand von Beispielen gut erklärt werde. 8.1.1 Verhalten in den Aushandlungsprozessen Die Schülerin ist in den Aushandlungsprozessen sehr zurückhaltend, wie die unten angeführten Auszüge zeigen (Aufnahme 1, 2, 3). Sie wird immer wieder direkt angesprochen und aufgefordert, ihre Meinung zu einem bestimmten Thema zu äußern, nimmt diese Aufforderung aber nicht an und reagiert mit Schweigen. Auch im traditionellen Unterricht meldet sie sich nur zu Wort, wenn sie von der Lehrperson direkt aufgerufen wird. Der Umstand, dass sie sich nicht oft zu Wort meldet, verleitet die anderen Gruppenmitglieder dazu, sie immer wieder direkt anzusprechen und aufzufor‐ dern, sich in irgendeiner Form am Gespräch zu beteiligen (2, 4). Sie bleibt aber häufig eine Antwort schuldig. Amelie ist zu Beginn des Projektes sehr zurück‐ haltend, aber nicht desinteressiert. Sie verfolgt den Unterricht aufmerksam und ist auch während der Aushandlungsprozesse mit Interesse bei der Sache. Die folgenden Auszüge (1, 2) zeigen, dass es Amelie nur sehr schwer gelingt, sich ins Gespräch einzubringen. Sie hat ihren Platz in der Gruppe noch nicht ge‐ funden, es fällt ihr nicht leicht, sich zu äußern, und zu Beginn des Projektes 251 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung findet sie keinen Zugang zu dieser Form des Lernens. Dies wird sich im Verlauf des Projektes ändern. 8.1.2 Kommunikationsverweigerung Aufnahmen 1 und 2: In den beiden nachstehenden Aufzeichnungen wird Ame‐ lies Verhalten im Aushandlungsprozess verdeutlicht. Vor allem zu Beginn des Projekts ist sie nicht in der Lage, sich aktiv und verständlich in das Gespräch einzubringen. Sie bleibt ihren MitschülerInnen meistens eine Antwort schuldig oder antwortet mit Einwortsätzen, die kaum verständlich sind. Dies zeigt, dass die Schülerin nicht in der Lage ist, sich in ein mehrsprachiges Gespräch einzu‐ bringen. Der FLA-Faktor spielt hier eine große Rolle, denn durch Ängste werden Hemmungen erzeugt, die der Schülerin die aktive Teilhabe am Diskurs unmög‐ lich machen. 1 S1 Amelie tu hai un’idea? #00: 10: 02-1# 2 Amelie: schweigt #00: 10: 08-3# Tab. 8.Aufnahme 1/ 21.12.15 3 S8 I woas net (Lachen) wie man do sogn konn. Anna? 1# #00: 07: 47-3# 4 Amelie schweigt #00: 07: 52-3# 5 S8 what is we cannot say #00: 07: 52-3# Tab. 8.1. Aufnahme 2/ 21.12.15 8.1.3 Sprachrollen als mehrsprachige Lernstrategie Aufnahmen 3/ 4/ 5: In der Folge übernimmt Amelie innerhalb der Gruppe subsi‐ diäre Funktion. Sie unterstützt die anderen bei der Arbeit, ohne von ihnen aktiv dazu aufgefordert zu sein, wie z. B. wenn sie im Internet Wörter in mehreren Sprachen nachschlägt (6, 9, 11), um die anderen mit Informationen über die Rechtschreibung in den verschiedenen Sprachen zu versorgen. Dies kann als ein erster Schritt angesehen werden, durch den die Schülerin versucht, Strategien zu entwickeln, die es ihr ermöglichen, mit ihren Ängsten umzugehen (cf. 4.3.1.). Ihre Äußerungen bestehen in den meisten Fällen aus Einwortsätzen oder El‐ lipsen (9, 11) und sind häufig nicht zur Gänze verständlich (1), immer aber kon‐ sequent auf Französisch. Ihre Vorliebe für diese Sprache bleibt während des ge‐ 252 8 SchülerInnenauswertung samten Projektes bestehen. Sie spricht und beschäftigt sich auffallend intensiv mit Französisch, wird bald von den anderen Gruppenmitgliedern immer wieder nach Aussprache, Grammatik und Rechtschreibung gefragt und scheint von ihnen als Expertin für diese Sprache wahrgenommen zu werden. Sie beant‐ wortet solche Fragen, indem sie im Internet nachschlägt (6, 8, 11, 15, 17). Auf‐ fallend ist, dass sie bei der Beantwortung von Fragen nicht die Sprache der Fra‐ gestellung übernimmt, sondern immer bei Französisch bleibt. Sie verwendet den Dialekt nur, um das Verständnis zu sichern (15, 17, 19). In den folgenden Aufnahmen versucht Amelie immer wieder, sich auf Fran‐ zösisch auszudrücken und komplexere Satzgefüge auszuformulieren (20). Im Verhältnis zu den anderen Gruppenmitgliedern jedoch bleibt die Quantität ihrer Gesprächsbeiträge gering. Auf dem Aufnahmegerät ist zwar erkennbar, dass es sich bei ihren Beiträgen um französische Äußerungen handelt, deren Bedeutung kann aber nicht abgeleitet werden, da die Schülerin zu undeutlich und leise spricht. Durch die Wahl des Französischen legt sich die Schülerin eine Sprach‐ rolle zu mit dem Ziel, einen unbeobachteten Übungsraum zu schaffen, innerhalb dessen sie, gestützt durch ihre Aufgabe, eine Sprache verwenden kann, die sie sonst kaum Gelegenheit hat zu sprechen. Sie nutzt also das mehrsprachige Um‐ feld, um ihren Lernprozess selbst in die Hand zu nehmen; sie identifiziert ihre Bedürfnisse im Bereich des Sprachenlernens und ergreift entsprechende Maß‐ nahmen. Dadurch gelingt es ihr, sich graduell besonders der französischen Aus‐ sprache zu bemächtigen. Gleichzeitig ist dieses Übungsfeld für die Schülerin auch eine Möglichkeit, die eigenen Sprechhemmungen zu überwinden und Ängste abzubauen. Die Besonderheit ihrer Rolle besteht darin, dass sie sich Aufgabenbereiche aussucht, in denen sie immer auf Referenztexte zurückgreifen kann und Formen des freien Sprechens kaum vorgesehen sind. Die Schülerin baut sich also ein eigenes Scaffolding, indem sie ihre Kommunikation nur auf bestimmte Teilbereiche beschränkt und es vermeidet, dadurch in eine Überfor‐ derungssituation zu gelangen. Dies zeigt, dass auf der einen Seite das Aufga‐ benformat der komplexen Kompetenzaufgabe und auf der anderen Seite das mehrsprachige Arbeitsumfeld Formen selbstgesteuerten Lernens ermöglichen, in denen die Wahl der Sprache und der Sprachrolle innerhalb der Gruppe Teil des Lernprozesses ist, und dass diese von den Lernenden wahrgenommen und genutzt werden. 6. Amelie (schaut im Internet nach) un giorno en Français on dit idéal de beauté #00: 01: 57-4# 7. S9 Hm - which language do you search #00: 02: 30-7# 253 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung 8 Amelie idéal de beautè #00: 02: 30-7# 9. Amelie Oui #00: 02: 40-3# 10. S9 how do you write ideal #00: 02: 42-8# 11. Amelie idéal avec l’accent #00: 02: 46-8# Tab. 8.2. Aufnahme 3/ 15.12.2015 12 S8 salut #00: 01: 55-3# 13 Amelie na net salut santee #00: 01: 58-2# 14 S8 jo c’est le botox #00: 01: 59-5# (lachen) Tab. 8.3. Aufnahme 4/ 5.12.2015 15 Amelie Oder vous vous #00: 22: 44-7# 16 S1 Est ce que vous jouez. -est ce que oder es que #00: 22: 49-0# 17 Amelie I glab est ce que jo sel schreib man nor connait co nn ait #00: 01: 24-1# 18 S1 come è che si scrive simboli #00: 03: 53-7# 19 Amelie comme ça #00: 03: 54-6# Tab. 8.4. Aufnahme 5/ 15.12.2015 8.1.4 Erweiterung des sprachlichen Repertoires und Überwindung von Sprachbarrieren Aufnahme 6: Erst im letzten Modul im März beginnt die Schülerin, vermehrt andere Sprachen in ihr Repertoire einzubauen und schließlich auch Italienisch zu verwenden. Bis zum 15. März ist auf keiner Aufnahme verzeichnet, dass Amelie Italienisch spricht. Erst die Aufnahme 1.-15.03. 22 verzeichnet die erste Äußerung der Schülerin auf Italienisch im gesamten Projekt. Sie spricht aller‐ dings nur einen Satz auf Italienisch, um dann auf Französisch fortzufahren, dass es für sie schwierig sei, S5 zu verstehen, wenn diese Italienisch spricht (24). Mit dieser Äußerung signalisiert sie, dass sie doch lieber bei Französisch bleiben möchte und ihr dieser Übergang nicht leicht fällt. Hier zeichnet sich ein Wen‐ depunkt im Lernprozess der Schülerin ab, eine Veränderung ihrer kognitiven und emotionalen Einstellung zu Sprachen, die bis dahin inaktiv waren, die sie 254 8 SchülerInnenauswertung jetzt jedoch, wenn auch zaghaft, in ihr aktives sprachliches Repertoire aufzu‐ nehmen und zu vertiefen bereit ist. Durch das mehrsprachige Lernen beginnt sich die psychotypologische Wahrnehmung des Italienischen zu verändern. Die Sprache wird als näher und vertrauter empfunden und so im Verlauf des Pro‐ jektes schrittweise in das aktive Repertoire eingegliedert. Diese veränderte Wahrnehmung kann darauf zurückgeführt werden, dass die Lernende Italie‐ nisch in einem informellen Umfeld verwenden kann, das abweicht von der ty‐ pischen Lehrer-SchülerInnnen-Interaktion, die in ihr Unbehagen hervorruft. Gleichzeitig ermöglicht die sprachlich heterogene Gruppe Formen des sozialen und Imitationslernens, das zunächst zur Aktivierung und schließlich zu einer veränderten Wahrnehmung des Italienischen führt (cf. 3.3.2.). Diese Bereit‐ schaft, sich für Mehrsprachigkeit zu öffnen, wird in den folgenden Modulen zunehmen. 20 Amelie c’est trop difficile pour nous trouverons arguments Martina ok #00: 13: 19-9# 21 S1 it is supposed to be an opinion essay #00: 13: 23-4# 22 Amelie è molto più facile #00: 13: 28-5# 23 S4 it only bothers me that you have to write it all positive or all negative you can’t write both sides and that’s #00: 13: 33-3 24 Amelie il est très difficile si vous parlez Italien répondre #00: 13: 45-4# Tab. 8.5. Aufnahme 6/ 16.03.16 8.1.5 Dialekt und literarisches Worldmaking Aufnahme 7 zeigt, dass sich das Verhalten der Schülerin im Vergleich zum Be‐ ginn des Projektes stark verändert hat. Sie ist mitteilsamer geworden, ihre Äu‐ ßerungen sind verständlich und sie ist in der Lage, komplexe Strukturen auf Französisch zu formulieren (25). Ihre Sprachlernstrategie hat sich also als er‐ folgreich erwiesen und es ihr ermöglicht, ihr sprachliches Repertoire zu akti‐ vieren und besser zu vernetzen. Die nunmehr klare Aussprache und die längeren komplexen syntaktischen Strukturen lassen erkennen, dass die Lernende ihren eigenen Lernprozess richtig und erfolgreich gesteuert hat. Zunächst wechselt die Lernende in diesem Auszug ins Deutsche und anschließend in den Dialekt, wodurch sie zu einem Teil des Gespräches überleitet, der unabhängig von der Lernumgebung und Aufgabenstellung auf ihr Interesse stößt. Hier findet ein Teil authentischer Kommunikation statt, in der die Lernenden einen Bedeutungs‐ 255 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung aushandlungsprozess initiieren, indem sie über Bedeutung in einem literari‐ schen Text sprechen. Amelie will wissen, warum die Zeit in „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint Exupéry eine so wichtige Rolle spielt. Sie stellt diese Frage der ganzen Gruppe in der Hoffnung, jemand könne ihr eine zufriedenstellende Antwort geben (27). Das Gespräch wird im Dialekt fortgeführt. Es werden ver‐ schiedene Hypothesen über die Bedeutung von Zeit im Text aufgestellt (29, 31, 33). Amelie ist mit S1 nicht einverstanden, die meint, die Zeit, die der Prinz auf der Erde verbringe, versetze ihn in die Lage, der Rose, die immer auf dem Pla‐ neten verweile, vieles zu erklären (4.5.1.). Sie wendet ein, dass erst durch Zeit Beziehung entstehe, weil es Zeit brauche, um Vertrauen aufzubauen. Erst mit der Zeit werde die Rose für den Prinzen immer wichtiger und es könne eine Beziehung entstehen. Amelie vollzieht hier einen Abstraktionsprozess, sie versucht, dem Text eine ihr einleuchtende, schlüssige Bedeutung zu entnehmen. Ihre Begeisterung für den Text verleitet sie nicht nur zu einem Dialog, sondern das tiefere Verständnis des Textes ver‐ ändert auch ihre Wahrnehmung der Welt und von sich selbst und befähigt sie, durch ihre Interpretation dem Text selbstständig neue Bedeutung zu entnehmen und Bedeutungszusammenhänge auch mit Texten aus anderen Kulturkreisen und Sprachen zu schaffen. Sie entwickelt ihre literarische Lesefähigkeit und ak‐ tiviert dafür ihr Weltwissen. Innerhalb der Gruppe wird der Text vor dem Hin‐ tergrund verschiedener Referenzsysteme interpretiert und ausgelegt, was der Schülerin ermöglicht, ihre Hypothesen mit denen anderer zu vergleichen und zu verifizieren und daraus die für sie am stimmigste zu wählen. Im Umgang mit der Vielfalt an Interpretationsmöglichkeiten lernt die Schülerin, dass die Be‐ deutung eines literarischen Textes von jedem Rezipienten vor dem Hintergrund des eigenen sprachlichen und kulturellen Referenzsystems, der eigenen Biogra‐ phie und Erfahrung im Umgang mit literarischen Texten unterschiedlich aus‐ gelegt werden kann. Die Lernende wird durch eine auf plurilingualen und mehrkulturellen Prämissen basierende hermeneutische Herangehensweise be‐ fähigt, Bedeutung im literarischen Text zu finden (vgl. Gadamer 1960). Die Sprache, die sie in diesem Prozess verwendet, ist diejenige, die sie als erste gelernt hat, die Sprache ihrer Emotionen: ihr Dialekt. Die Schülerin erschließt sich die narrative Aussage des literarischen Textes über die subjektive Ebene des Dialekts, wodurch dieser eine starke emotionale Färbung erhält. Dies gibt Einblick in das mehrsprachige World Making der Schülerin: Über die Vermitt‐ lung und Auslegung des Textinhaltes im Dialekt eignet sie sich den Text auf emotionaler Ebene an (4.6.3.). Es erfolgen also parallel ein Mittlungs- und ein Verstehensprozess, denn durch das Übertragen erst wird der Text für die Schü‐ lerin in seinem ganzen Umfang nachvollziehbar. Die Schülerin benötigt dazu 256 8 SchülerInnenauswertung also mindestens zwei Referenzsysteme, eines, in dem sie noch keine emotionale Sozialisation erfahren hat, und eines, in dem die emotionale Erstsozialisation stattgefunden hat (4.2.2.). 25 Amelie no die Zeit. Est le temp que determine (Lachen) la relation entre les personnes ou et si on ne passe pas du temp con la rose. Ja wenn er nicht so viel Zeit mit ihr verbringen würde, dann wäre es nur eine normale Rose. Nochor gabets die Beziehung net #00: 27: 46-5# 26 S1 ah ah so hast du das interpretiert. Also praktisch… #00: 27: 51-4# 27 Amlie je ai seulement une question: pourquoi est ce que le temp est si important dans la relation avec la rose. Tu le comprends? #00: 27: 07-1# 28 S1 le temp ? allora es Wetter? #00: 27: 07-1# 29 Amelie I glab dass die Zeit oanfoch wichtig isch, weil durch die Zeit Bezie‐ hung entsteht. #00: 27: 55-5# 30 S1 I tat song dass er sie durch die Zeit besser kennt und die Rose kann ihm a die Welt erklären. #00: 28: 04-5# 31 Amelie sie isch olm aufn Planet. #00: 28: 14-0# 32 S1 praktisch praktisch in der Zeit in der sie oben wortet sig er so viel und lernt ehm praktisch die Welt kennen net? #00: 28: 17-7# 33 Amelie (unverständlich) warum die Zeit ihnen so wichtig ist, weil sie hobn net viel Zeit und nor sein sie zusammen und geniaßen sie. Und er kümmert sich um sie und die Zeit praktisch in der Zeit entwickelt sich diese Beziehung zwischen ihnen, sie wert ihm halt olm wich‐ tigere so #00: 29: 10-7# 34 S1 uhm sollsch du mir mol genauer erklären so die Geschichte, weil ich woaß sie nimmer gonz genau #00: 29: 14-7# 35 Amelie I woas sie auch nimer gonz genau. Ich weiß Tab. 8.6. Aufnahme 7/ 15.03.16 8.1.6 Polysemie und Unübersetzbarkeit Aufnahme 8: In dieser Aufnahme besprechen die Lernenden Goethes Gedicht „Dornenröslein“ und versuchen sprachübergreifend die Bedeutung einzelner Wörter und Wendungen im Gedicht auf ihre Bedeutung hin zu analysieren. Dabei stellen sie fest, dass der Dialekt manchmal besondere Bedeutungsfacetten aufweist, die in anderen Sprachen fehlen. Dabei bedient sich Amelie viel mehr 257 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung des Sprachwechsels als in vorhergehenden Aufzeichnungen, was bezeugt, dass sich das mehrsprachige Repertoire durch die Übung und die Gewöhnung ver‐ ändert und erweitert hat. Amelie betont in den Stimulated Recalls immer wieder, dass die Fähigkeit, innerhalb eines Gespräches Sprache zu wechseln, für sie ein langer und beschwerlicher Lernprozess gewesen sei, der erst durch die bessere Vernetzung ihres mehrsprachigen Repertoires ermöglicht wurde. Amelie greift erstmals in Aufzeichnung 8: 36 in einem längeren Satzgefüge auf intrasenten‐ tielles Code-switching zurück. Sie beginnt den Satz auf Deutsch, indem sie erneut betont, dass für sie die Aufgabe auf Französisch leichter sei, und erklärt dann, wie sie sich die Organisation der Aufgabe vorstellt. Die Schülerin zeigt durch intrasententielles CS, dass sie ihr mehrsprachiges Repertoire bereits besser ab‐ rufen kann als zu Beginn des Projektes. 36 Amelie na weil Französisch isch oanfocher. Mir kennen es ja a a so mochn that first we compare the full texts and then we put in also our opinion. Was sich liebt das neckt sich praktisch das heißt, dass es nicht gut ist sondern, dass sie sich a bissele tratzen sie herausfordert net lei glücklich sondern auch etwas anderes. #00: 02: 53-0# 37 S1 also fordert es ihn heraus #00: 03: 09-1# 38 Amelie und via sog man denn tratzen auf Deutsch #00: 03: 13-3# 39 S1 hänseln #00: 03: 17-8# 40 Amelie hm vielleicht auch wenig das isch schon lei so a bissl. #00: 03: 26-0# 41 S1 ja es neckt #00: 03: 26-0# 42 Amelie du hast kein Synonym für Necken? #00: 03: 26-0# 43 S1 necken ich weiß es nicht. #00: 03: 41-3# 44 S4 provozieren #00: 03: 45-4# 45 S1 ja es fordert es heraus - ihn heraus #00: 03: 48-9# 46 Amelie ach so #00: 03: 48-9# 47 S1 ja oder provoziert ihn. #00: 03: 48-9# 48 Amelie genau #00: 03: 54-0# 49 S1 und was ist et que est ce que es le caractéristique #00: 03: 57-5# 50 Amelie aber gleichzeitig hat sie mir, ehm ich weiß nicht wie man da sagt, jetzt fehlt mir das Wort #00: 04: 15-4# 51 S1 e cosa allora è il carattere positivo? #00: 04: 24-5# 258 8 SchülerInnenauswertung 52 S4 come il carattere positivo? #00: 04: 24-5# 53 S1 si perchè ehm was sich neckt das liebt sich quindi è un #00: 04: 24-9# 54 S4 probabilmente Hass und Liebe sind sehr nahe beieinander. #00: 04: 40-8# 55 Amelie I glab dass des halt so gemeint ich, dass Liebe auch ein bisschen herausfordernd ist aber trotzdem dass sie ihn dann eigentlich gern hat. #00: 04: 47-5# 56 S1 ja aber, dass es das Glück trotzdem gibt also #00: 04: 55-8# 57 Amlie es gibt es ja. #00: 04: 55-8# 58 S1 also fordert ihn heraus ehm ist jedoch existiert jedoch trotzdem #00: 05: 07-3# 59 Amelie es ist nicht herausfordernd sondern wie sagt man da? Synonym für kannst du da mal nachschauen? #00: 05: 53-2# 60 S4 necken #00: 05: 53-2# 61 Amelie aber es tut es nicht aus Hass oder halt negativen Gründen sondern einfach so. #00: 06: 04-1# 62 S1 meinst du es ist ganz falsch wenn ich.. #00: 06: 04-1# 63 Amelie man muss es ja nicht sagen, aber man kann sagen. #00: 06: 06-3# 64 S4 aufziehen, flaxen. #00: 06: 10-1# 65 S1 I flax di her #00: 06: 10-1# 66 S4 protzeln, hänseln, scherzen, ärgern, #00: 06: 13-2# 67 Amelie scherzen #00: 06: 15-3# 68 S4 zum Schluss haben wir auch spotten, sticheln, veralbern, verlachen. Ja die anderen sind nicht so passend. #00: 06: 26-4# 69 S1 es flaxt di her. #00: 06: 26-4# 70 Amelie also die Charaktereigenschaft ist des jetzt net glei das ist ein Glück also das Glück selber also Glück gibt Glück#00: 06: 40-5# 71 S1 also das Glück gibt dem Glück #00: 06: 48-2# 72 Amelie es tuat es obr olm a bist herausfordern, aber es gibt es gibt’s schon lei a bissl herausfordern. #00: 06: 53-1# 73 S1 ok es fordert ein wenig heraus #00: 07: 00-0# 74 S4 mais il est aussi possible que le texte en almand est le plus difficile? #00: 07: 07-7# 259 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung 2 Das im südtiroler Dialekt häufig und in vielen Kontexten verwendete Verb „tratzen“ kann nur unzureichend mit „hänseln, necken“ ins Deutsche übersetzt werden (im bay‐ rischen Wörterbuch wird es mit „vorsätzlich ärgern, aufziehen und schikanieren“ über‐ setzt (http: / / www.bayrisches-woerterbuch.de/ tratzen-tratzn-dratzen/ zuletzt geprüft am 12.02.18). Im Wort „tratzen“ vereinen sich die semantischen Felder von „necken“ und „schikanieren“, wobei die Absichtlichkeit und Böswilligkeit von „schikanieren“ noch die Lieblichkeit von „necken, hänseln“ gewichtiger ist. Etymologisch wird es mit „Trotz“, „Trotz bieten“ und Eigensinn in Verbindung gebracht (https: / / www.dwds.de/ w b/ tratzen zuletzt geprüft am 12.02.18). Die Komponenten des Trotzes und des Eigen‐ sinnes sind im südtirolerischen Gebrauch des Wortes „tratzen“ stark vorhanden. 75 S1 oui #00: 07: 07-7# 76 S4 possible #00: 07: 07-2# 77 Amelie I schau danach, ob i die Stelle find #00: 07: 15-0# 78 S1 maintenant j’ai… #00: 07: 15-0# 79 Amelie kann ich es von dir haben? #00: 07: 15-0# 80 S1 oui hem, was meint der Autor mit oft die Fingerchen euch lecken? Wenn sie von den Dornenhecken blutig sind, weil man sich prak‐ tisch sticht und blutet #00: 08: 08-4# 81 S4 weil praktisch wenn des passiert muss man es kurieren. #00: 08: 15-8# 82 Amelie ja vielleicht nicht kurieren sondern ehm (kurze Pause) #00: 08: 15-8# #00: 08: 15-8# 83 S1 wenn sich schon Schwierigkeiten ergeben #00: 08: 18-0# 84 Amelie wenn man hinfallt, muss man wieder aufstehen und weiter machen. Man soll man soll, ja man soll weiter machen. #00: 08: 29-2# 85 Amelie aufstehen und weiter machen #00: 08: 30-9# 86 Amelie ich find des so zach, dass man in des so viel reininterpretieren kann. #00: 08: 38-1# Tab. 8.7. Aufnahme 8/ 16.03.16 Amelie versucht zu Beginn des Auszuges auf Deutsch das Sprichwort „Was sich liebt, das neckt sich“ zu erklären. Dabei stößt sie auf die Schwierigkeit, dass das dialektale Wort „tratzen“ 2 für sie schwer ins Standarddeutsch zu übersetzen ist. Mit ihrer eigenen Übersetzung „herausfordern“ scheint sie nicht zufrieden zu sein und fragt in die Gruppe, wie man „tratzen“ auf Deutsch sagt (39). Die Ant‐ wort „hänseln“ (40) scheint ihr zu wenig aussagekräftig (40). Im Folgenden werden die Synonyme „necken“ und „provozieren“ vorgeschlagen (41, 44). 260 8 SchülerInnenauswertung Amelie reagiert auf das Wort „provozieren“, denn sie merkt sofort, dass darin auch die Semantik des Wortes „tratzen“ enthalten ist (48). Der Vorschlag, dass Hass und Liebe sehr nahe beieinander liegen (54), überzeugt sie nicht: „tratzen“ habe nichts mit Hass zu tun (55, 61). Amelie ist mit der Übersetzung „fordern“ nicht zufrieden und fragt, ob jemand nachschlagen könne, woraufhin ihr eine Reihe von Synonymen angegeben wird (64, 66, 67, 68). Die Lernenden kommen zu dem Schluss, dass Glück zwar Glück bleibe, dass es aber auch immer eine herausfordernde Komponente gebe (70, 72). Die intensive Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Wortes “tratzen“ führt letztendlich zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis. Obwohl eine Viel‐ zahl an Synonymen möglich ist, scheint doch keines die Bedeutungsprägnanz des dialektalen Wortes zu besitzen. Sie erkennt gleichzeitig, dass gerade der Dialekt, jene Sprache also, die ein geringes Ansehen genießt, in manchen Fällen eine größere Bandbreite an Bedeutungsmöglichkeiten bietet als die Standard‐ sprache. Vor allem im Bereich des Ausdrucks von Emotionen bietet der Dialekt Möglichkeiten, die in dieser Form in der Standardsprache nicht gegeben sind. Der Dialekt wird hier in seiner sozialen Stellung aufgewertet und so bestehende sprachliche Hierarchien in Frage gestellt. Amelie lernt in dieser Lerneinheit, dass Bedeutung in vielerlei Hinsicht facettenreicher ist, als sie es bislang geahnt hatte. Sie versteht, dass dialektale Wendungen bezüglich Empfindung und Wahrnehmung Bedeutungsnuancen aufweisen, treffender sein können als stan‐ dardsprachliche Ausdrücke, und dass der Dialekt einen Mehrwert darstellt, mit dem eine Erfahrungserweiterung einhergeht. Sie erfährt, dass ein dialektales Wort zwar durch sehr viele Synonyme ins Deutsche übersetzt werden kann, dennoch aber keine der Übersetzungen restlos treffend ist, dass oft keine genaue Übersetzung möglich ist. Der Dialekt erweist sich als dem Standarddeutschen gegenüber gleichwertiges, zum Teil überlegenes Kommunikationsmittel, inso‐ fern als er in manchen Fällen sogar ein größeres Bedeutungsspektrum aufweist. Hier kommt Amelie auch erstmals mit den Grenzen der Übersetzbarkeit in Kontakt, sie lernt, dass Sprachen Bedeutung unterschiedlich auslegen und dass diese nicht immer auf andere Sprachen übertragbar ist. Es gibt folglich keine A-B-Entsprechung beim Übersetzen. Die Lernende muss mit Ambiguität, Poly‐ semie und Unübersetzbarkeit umgehen lernen, um der Bedeutungsvielfalt der Mehrsprachigkeit gerecht zu werden. Das Phänomen der Ambiguität verlangt nach der Fähigkeit, sich dieser auszusetzen und die Grenzen der Sprachmittlung anzuerkennen (cf. 4.2.3.). Gleichzeitig ergibt sich daraus die Möglichkeit, durch kreativen Umgang mit derselben neue Formen der Bedeutungsgebung zu finden. Amelie stellt abschließend fest, dass es erstaunlich sei, wie viel in diesen Text hineininterpretiert werden könne (86). Sie hat erkannt, dass literarische Texte 261 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung oft Leerstellen in sich bergen, Stellen also, an denen Bedeutung undefiniert bleibt, und dass sich deshalb besonders in einem mehrsprachigen Kontext eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten eröffnen und die Rezipienten ganz individuelle Bedeutungskonstruktionen bei der Lektüre eines Textes vor‐ nehmen können. Im Umgang mit Texten, in denen Bedeutung nicht klar defi‐ niert und definierbar ist, ist die Schülerin in ihrer Ambiguitätstoleranz gefordert und gleichzeitig in die Lage versetzt, neue Erfahrungswelten zu erkunden im Wechselspiel zwischen Bedeutung und den unterschiedlichen bedeutungskonst‐ ruierenden Referenzsystemen der einzelnen Sprachen. In diesem Spiel der Wechselwirkungen zwischen Text und Selbst spielt die Übersetzung durch die Leser/ Interpreten eine zentrale Rolle. Durch sie kann vor dem Hintergrund unterschiedlicher Referenzsysteme und Sprachen Bedeutung im Dialog mit dem Text neu ausgehandelt werden. Dies führt letztendlich zu kultureller Hybridisierung, die es der Lernenden erlaubt, Abstand zu gewinnen von althergebrachten und vererbten kulturellen Annahmen. Die Bedeutungs‐ aushandlung eröffnet Wahlmöglichkeiten bezüglich kultureller Eigenheiten und macht deutlich, dass sich Kulturen nicht klar voneinander unterscheiden, sondern gegenseitig durchdringen. Dies ermöglicht eine neue transkulturelle Identitätsbildung. Dieses transkulturelle Verstehen (Transcultural Awareness) trägt zur „Sensibilisierung für die Pluralität, Heterogenität, und Hybridität von Kulturen und Identitäten“ bei (Freitag - Hild 2010: 199). Dies geschieht hier dank CS, des Übersetzens und des TL, und zwar nicht ausschließlich auf inhaltlicher Ebene, sondern auch und in besonderem Maße auf sprachlicher Ebene (cf. 4.2.1. und 3.5.2.). 8.1.7 Eine neue Mehrsprachigkeit entdecken Aufnahme 9: Der Umgang mit Mehrsprachigkeit hat, wie der obige Auszug be‐ weist, die individuelle Persönlichkeitstheorie der Lernenden in Frage gestellt, bereits vorhandene Weltwahrnehmungs- und Deutungsschemata aufgebrochen und durch neue Wahrnehmungen und Deutungsmöglichkeiten erweitert (cf. 4.2.1.). Das eigene sprachliche und kulturelle Referenzsystem wurde durch ver‐ schiedene Formen der Sprachmittlung zum Anlass für einen Akt kreativer Be‐ deutungsbildung. Die Lernende wird dadurch gezwungen, ihre eigenen, aus Er‐ fahrungen resultierenden oder durch das familiäre und gesellschaftliche Umfeld geprägten Erklärungs- und Erfahrungsmuster neu zu überdenken. Dieser neue Umstand ermöglicht es Amelie unter anderem, sich einer für sie bis dahin schwer zugänglichen Sprache zu nähern. Es verändert sich also im mehrspra‐ chigen Unterricht schrittweise ihre Haltung gegenüber dem Italienischen und 262 8 SchülerInnenauswertung die psychotypologische Wahrnehmung gegenüber dieser Sprache. Das ist daran zu erkennen, dass sie in diesem Modul erstmals nach sieben Monaten beginnt über eine längere Zeit hinweg Italienisch zu sprechen. Das Gespräch beginnt auf Französisch, die Sprache, die sich im Verlauf des Projektes als die von ihr bevorzugte herauskristallisiert hat. Amelie spricht zunächst in einem Seitenge‐ spräch, das eigentlich mit dem Aushandlungsthema nichts zu tun hat, auf Fran‐ zösisch über ihre Schwierigkeiten bei der Vorbereitung des Referats (87-91). Das informelle Gespräch der beiden Lernenden müsste der Theorie nach auf Deutsch stattfinden, sie bleiben aber im Französischen, was bedeutet, dass sie sich in dieser Sprache nun sicher fühlen und ausprobieren wollen, wie gut sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln auch in sprachlich komplexeren Situ‐ ationen kommunizieren können. S5 spricht das Wort „probablement“ auf Fran‐ zösisch falsch aus (92), Amelie verbessert sie, indem sie es richtig ausspricht (93). S5 wiederholt das richtige Wort und spricht dann durch intersententielles CS auf Italienisch weiter. Da alle in der Gruppe wissen, dass Amelie nicht gerne Italienisch spricht und sie der Meinung ist, diese Sprache nur unzulänglich zu beherrschen, könnte sich Amelie durch ein CS von S8 provoziert fühlen. Sie nimmt jedoch die Heraus‐ forderung an und spricht auf Italienisch weiter. Es entsteht ein kurzes Seiten‐ gespräch in Form eines Verhandlungsgesprächs, das weder auf Französisch noch auf Deutsch stattfindet, sondern auf Italienisch. Ein italienisches Seitengespräch kommt in den gesamten Aufzeichnungen nur noch zweimal vor, ist also eine Ausnahme, was davon zeugt, dass Italienisch sich unter den Lernenden keiner besonderen Beliebtheit erfreut. Dieser Umstand macht diesen Ausnahmefall bedeutsam, da er zeigt, dass durch mehrsprachiges Arbeiten an Formen der Sprachverweigerung gearbeitet werden kann, wie auch aus Amelies SR hervorgeht. Dank des mehrsprachigen aufgabenorientierten Arbeitens kann Amelie sich unbeobachtet einer Sprache nähern, die sie sonst nur aus unangenehmen Situationen kennt. Sie hat nun die Möglichkeit, die Sprache in einem informellen Kontext ohne Reglementierung (Fehler spielen keine Rolle, sie werden nicht durch eine höhere Instanz verbes‐ sert) auszuprobieren. Ihre Wahrnehmung der Sprache veränderte sich im Ver‐ lauf des Projekts, falsche Bilder und Vorstellungen wurden abgetragen und neue emotionale Skripts gebildet, die die psychotypologische Wahrnehmung ins Po‐ sitive veränderten. Von hier an spricht Amelie in einem größeren Umfang Ita‐ lienisch (cf. 5.1.3.). 87 Amelie hem je ne sais pas parce que je dois le presenter et je ne sais pas ce que je dois dire #00: 11: 09-1# 263 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung 88 S8 tu dois lire le texte. #00: 11: 09-1# 89 Amelie lire le texte comme ça. #00: 11: 11-5# 90 S8 est ce que il a écrit quelque chose après parce que demain. #00: 11: 18-8# 91 Amelie Il y a seulement de questions #00: 11: 19-9# 92 S8 Probabilemt (spricht falsch probabilment aus ) ehm probablement, #00: 11: 21-3# 93 Amelie probablement. #00: 11: 23-0# (spricht es richtig aus) 94 S8 wiederholt probablement (richtig ausgesprochen) devi fare una ehm riassunto. #00: 11: 29-7# 95 Amelie riassunto #00: 11: 29-7# 96 S8 ti farò delle domande #00: 11: 31-1# 97 Amelie si fare subito e spiegare #00: 11: 33-2# 98 S8 si #00: 11: 35-4# 99 Amelie e spiegare che significato ha la rosa #00: 11: 35-4# 100 S8 si io farei cosi #00: 11: 40-6# 101 Amelie e basta #00: 11: 40-6# 102 S1 ma io lo leggo solo e dopo lo so a memoria #00: 11: 43-6# 103 Amelie allora adesso cerco a trovare questo libro o anche magari altre parti. #00: 11: 53-1# Tab. 8.8. Aufnahme 9/ 13.03,16 8.1.8 Inklusion durch sprachliches Verhalten in heterogenen Gruppen Aufnahme 10: Der nachstehende Auszug ist ein interessantes Beispiel dafür, wie Inklusion bzw. Ausgrenzung in der Gruppe durch sprachliches Verhalten voll‐ zogen werden kann (cf. 2.4.1.). S7 ist ein Schüler, der neu in der Klasse ist und seinen Platz in der Gruppe noch nicht gefunden hat. Da er Ausländer ist, kann er kein Italienisch. Er hat bereits Formen der Ausgrenzung erlebt. In diesem Fall geschieht allerdings das Gegenteil: Über sprachliches Verhalten findet Inklusion statt. Das Sprechverhalten der Gruppe verändert sich nach dem Hinzukommen des neuen Schülers und die Gruppe verzichtet weitgehend auf die Verwendung 264 8 SchülerInnenauswertung des Italienischen, jener Sprache, die S7 noch nicht beherrscht. Diese Entschei‐ dung wird nach einem im Folgendem beschriebenen Zwischenfall getroffen, ohne dass sich die Lernenden ausdrücklich darüber einigen: S7 beginnt auf Französisch und fragt, was jetzt zu tun sei. S1 antwortet auf Französisch (105), wird dann aber von S8 unterbrochen, die auf Italienisch weiterspricht (106). Amelie unterbricht sie sofort und meint, S7 würde das ja gar nicht verstehen (107). Obwohl S7, um seine Schwäche nicht einzugestehen, beteuert, er habe verstanden, wird von nun an das Italienische vermieden und auf ihn Rücksicht genommen. So kommt es, dass S8 Englisch wählt, eine Sprache, die allen glei‐ chermaßen bekannt ist, um mit dem Gespräch fortzufahren (110). Durch eine scheinbar unbedeutende sprachliche Geste wird hier Hilfestellung geleistet und so Inklusion ermöglicht. Diese gibt S7 die Möglichkeit, sich wie alle anderen am Gespräch zu beteiligen. 104 S7 que est ce que nous devons faire? #00: 12: 36-3# 105 S1 nous devons finir #00: 12: 37-5# 106 S8 io io farei una introduzione che S7 dopo può presentare. #00: 12: 42-5# 107 Amelie er versteat des net. #00: 12: 42-5# 108 S8 ah stimmt ich #00: 12: 50-9# 109 S7 ich hab dich schon verstanden. #00: 12: 50-9# 110 S8 I would make an introduction that you can do because we have to#00: 08: 52-1# Tab. 8.9. Aufnahme 10/ 16.04.16 8.1.9 Stimulated Recall 1: Mehrsprachigkeit - Eine kognitive und emotionale Herausforderung Die SR werden in chronologischer Reihenfolge vorgestellt und erstrecken sich über einen Zeitraum von fünf Monaten. Der diachrone Blick bietet die Mög‐ lichkeit, die Entwicklung der durch die mehrsprachige Kompetenzaufgabe ini‐ tiierten Lernprozesse zu verfolgen und eine Vergleichbarkeit im Sinne der Tri‐ angulation zu ermöglichen und gleichzeitig ihre Wirkung besser zu verstehen. Jedes SR wurde unmittelbar anschließend an den Unterricht durchgeführt. Den SchülerInnen wurden entweder Auszüge aus den Aufzeichnungen oder Video‐ aufzeichnungen der Outputs vorgeführt. Die Aufzeichnungen durften ange‐ halten werden, wenn den jeweiligen Interviewten etwas einfiel, das er/ sie sagen 265 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung wollte. Bei der graphischen Darstellung der Aufzeichnungen wurde auf die Ge‐ genüberstellung der Texte der Aufzeichnungen und der Kommentare in den SR verzichtet, da die Kommentare narrative Elemente enthalten, die nicht unmit‐ telbar mit den Aufzeichnungen zusammenhingen, die Aufzeichnungen des Un‐ terrichts jedoch ausschließlich die Funktion hatten, die Interviewten auf be‐ stimmte für sie relevante Themen zu fokussieren. Das im Mai durchgeführte retrospektive Interview diente dazu, die Lernenden nochmals abschließend zu dem gesamten, sich über neun Monate erstreckenden Prozess zu befragen, um einen abschließenden retrospektiven Eindruck fest‐ halten zu können. Der in der Retrospektion kritische, distanzierte Blick war insofern wichtig, als dadurch die Nachhaltigkeit der Lernprozesse überprüft werden konnte. Die Interviews ergänzen die Momentaufnahmen der unmit‐ telbar nach dem Unterricht durchgeführten SR. Sie wurden auch dazu genutzt, die mehrsprachig verfassten Texte zu analysieren und gemeinsam zu bespre‐ chen. Dafür wurden den Lernenden die von ihnen im Verlauf des Projektes ver‐ fassten Texte und Gedichte vorgelegt. Sie hatten die Möglichkeit, diese nochmals durchzulesen. Im Anschluss daran wurden sie in Form eines offenen Leitfaden‐ interviews zu den Texten befragt. Ein erster Aspekt, der hier angesprochen wird, betrifft das CS. Das Wechseln von einer Sprache in die andere stellt die Schülerin vor große Herausforderungen. Da ihr lebensweltlicher Sprachgebrauch vorwie‐ gend einsprachig ist, kennt sie diese Praxis nicht und demzufolge ist ihr sprach‐ liches Repertoire zu Beginn des Projektes noch nicht darauf eingestellt. Sie teilt mit, dass ihr das ständige „Springen“ von einer Sprache in die andere zu schnell gehe und ihr keine Zeit zum Nachdenken lasse. Diese Aussage zeugt davon, dass ihre Fähigkeit, Sprachen zu vernetzen, noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass die Sprachen unmittelbar aufeinanderfolgend abrufbar wären. Die Sprach‐ aktivierung entlang des Language Mode (cf. 4.5.2.) befindet sich noch in einem einsprachigen Modus und wird erst im Verlauf des Projektes durch einen mehr‐ sprachigen ersetzt. Auch die Schülerin bemerkt, dass sich das durch die Übung während der Aushandlungsprozesse ändert und sie immer schneller von einer Sprache in die andere wechseln kann. Amelie führt das auch darauf zurück, dass sie im Verlauf des Projektes viel Neues in allen Sprachen gelernt hat. Die Schülerin äußert in Übereinstimmung mit dem in den Aushandlungs‐ prozessen beobachteten Verhalten, dass die Aushandlungsprozesse ihr die Mög‐ lichkeit gäben, Französisch zu sprechen, da diese für sie eine gute Gelegenheit darstellen, besonders die Aussprache zu üben, denn die sei fast das Schwierigste. Im Französischunterricht habe sie kaum Gelegenheit, das zu üben. Deshalb sei es für sie wichtig, jede Möglichkeit, die sich ihr bietet, zu nutzen. Das sei der 266 8 SchülerInnenauswertung Grund, weshalb sie sich bei den Modulen dafür entschieden habe, fast aus‐ schließlich Französisch zu sprechen. Amelie: Vor allem auch, weil auf Französisch ist die Aussprache fast am schwierigsten so zu lernen und durch die Übung wird das halt immer besser. Man tut sich leichter, weil Vorträge und Französisch, das haben wir bis jetzt noch nie gemacht. Das Einzige, was mündlich geprüft wird (…) muss man Texte lesen oder beim Prüfen mündlich, aber ich bin auch noch nicht geprüft worden und ich denke mir halt, es ist immer eine gute Übung, weil zu Hause Französisch sprechen kann ich mit keinem (…) dann in der Schule, wenn ich schon die Möglichkeit habe, dann mach ich es dort. #00: 06: 45-8# Aufgefallen ist in der Auswertung der Aushandlungsprozesse, dass die Schülerin mit Ausnahme der letzten beiden Module kein Italienisch verwendet. Sie gibt selbst an, Italienisch nur ungern zu sprechen. Es gebe dazu weder in ihrem fa‐ miliären Umkreis noch in einem anderen sozialen Rahmen Gelegenheit. Sie kommt aus einem Dorf im Süden des Landes und wohnt in einem dominant deutschsprachigen Umfeld. Sie gehört zu jener Gruppe Südtiroler, die in einer Situation der Diglossie leben (Deutsch/ Dialekt) und nur sehr selten Gelegenheit haben, mit der zweiten Landessprache in Kontakt zu kommen bzw. sie aktiv zu verwenden. Diese Gruppe nutzt hauptsächlich deutsche Medien und hat kaum Kontakt zur italienischen Umgebung. Selbst in der Schule beschränkt sich die Verwendung dieser Sprache auf den Unterricht, mit dem die Schülerin laut ihren Aussagen im Fragebogen nicht besonders zufrieden ist. Sie gibt ausdrücklich an, diese Sprache nicht zu mögen, und sie nur dann zu verwenden, wenn das un‐ bedingt nötig sei, so z. B. beim Einkaufen. Ihre Kontakte mit der italienischen Sprache und Kultur beschränken sich ihren Aussagen zufolge auf Situationen, in denen sie gezwungen ist, Italienisch zu sprechen. Amelies Aussagen bezeugen nochmals und bestätigen hiermit die Annahme, dass die psychotypologische Wahrnehmung dieser Sprache emotional negativ behaftet ist, was möglicher‐ weise durch ihr soziales Umfeld bedingt ist. Das Phänomen der Sprachverwei‐ gerung gegenüber Italienisch ist, wie im geschichtlichen Abschnitt dargestellt (cf. 5.1.3.), vor allem in ländlichen Gebieten Südtirols aus geschichtlichen Gründen noch weit verbreitet. Dieser Umstand wirkt sich auf den Spracherwerb der SchülerInnen (in diesem Fall Amelies) aus, da er keinen ausgewogenen Lernprozess zulässt bzw. diesen sogar hemmt. 267 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung Amelie: Ganz wenig Italienisch, ich bin es überhaupt nicht gewohnt, Italie‐ nisch zu reden mit jemanden, weil ich einfach 8 (…) gut, ich habe meinen Onkel, der Italiener ist, aber der redet immer nur Deutsch mit mir, weil er Deutsch lernen will. Dann antwortest du auf Italienisch, er redet wieder Deutsch, aber sonst habe ich eigentlich keinen, mit dem ich Italienisch reden könnte und deswegen bin ich auch nicht so in der Übung und deswegen oft denke also ich (…) nicht dass ich mich nicht traue, aber ich habe es einfach nicht so gern, weil ich mit dem noch nicht konfrontiert worden bin und das nie viel gemacht habe, aber sagen wir, wenn dann Situationen sind, dass ich mit einem Italiener reden muss, wie z. B. beim Einkauf, dann rede ich schon Italienisch, aber es ist halt nicht so gerne, außer ich bin gezwungen. Der Vergleich von Amelies Haltung dem Französischen und dem Italienischen gegenüber zeigt ganz klar, dass die Schülerin sehr unterschiedliche Einstel‐ lungen zu den beiden Sprachen entwickelt hat trotz annähernd gleichen Vo‐ raussetzungen: In beiden Sprachen habe sie keine Gelegenheit, diese im Alltag zu üben. Die französische Sprache habe sie bis jetzt nur in der schulischen Um‐ gebung kennen gelernt und es fehlen ihr praktische Anwendungsbereiche. Der Unterricht sei sehr theoretisch und gewähre dem aktiven und freien Sprachge‐ brauch keinen Raum. Erfahrungen im Umgang mit realen kommunikativen Situationen fehlen sowohl im Unterricht als auch im Alltag. Das bedauert die Schülerin, denn sie möchte gerne mehr Gelegenheit haben, diese Sprache zu üben. Einen solchen Freiraum fand sie nun im mehrsprachigen Modul und nutzt dies für Französisch, nicht aber für Italienisch. Bald wird sie in den in den Augen der anderen zu einer Expertin für Französisch. Dies hat zur Folge, dass sie fast ausschließlich diese Sprache verwendet und sich für das Nachschlagen im In‐ ternet verantwortlich fühlt. Vor allem das Üben innerhalb eines freien und gleichzeitig geschützten Raumes ermöglicht es ihr, an jenen Aspekten des mehr‐ sprachigen Handelns (wie z. B. dem Sprachwechsel) zu arbeiten, die ihr als ein‐ sprachig Aufgewachsener besondere Schwierigkeiten bereiten. Amelie sucht sich im Aushandlungsprozess also nicht den leichtesten Weg, sondern den schwierigeren: Obwohl das Niveau, gemessen an ihren Sprach‐ kenntnissen, sehr anspruchsvoll ist, beschließt sie, mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, auszukommen. Wie auch aus der Auswertung der Aushand‐ lungsprozesse hervorgeht, gestaltet sie damit ihren Lernprozess selbst aktiv. Durch diese Form des selbstgesteuerten Lernens gelingt es der Schülerin, die Problembereiche ihres Fremdsprachenlernens selbst zu identifizieren und ge‐ 268 8 SchülerInnenauswertung eignete Maßnahmen zu ergreifen, um ihren eigenen Lernprozess so zu regu‐ lieren, dass jene Aspekte des Lernens, die im Unterricht keine Berücksichtigung finden, ihr aber wichtig erscheinen, in den Vordergrund treten. Dazu ist es nötig, dass sie ihren gesamten mehrsprachigen Lernprozess kritisch reflektiert, um Schwierigkeiten zu identifizieren und angemessene Maßnahmen zu ergreifen. Es kommt zu einem Bewusstwerdungsprozess, in dem der traditionelle Fremd‐ sprachenunterricht auf seine Schwachstellen hin analysiert wird, um heraus‐ zufinden, welche Aspekte des Fremdsprachenlernens nicht genügend gefördert werden. In diesem Fall identifiziert sie Französisch, insbesondere die französi‐ sche Aussprache und monologisches und dialogisches Sprechen, und erkennt ganz richtig, dass sie in diesem Unterrichtsdesign die Möglichkeit hat, eine Sprachrolle zu übernehmen, die es ihr erlaubt, besonders an diesen beiden As‐ pekten zu arbeiten, ohne dem Urteil einer Lehrperson ausgesetzt zu sein. Im Zuge der auch in den vorangegangenen Modulen gemachten Erfahrungen spielt für sie der Wechsel von einer Sprache in die andere eine zentrale Rolle, denn genau daran kann sie erkennen, wie weit ihr Lernprozess fortgeschritten ist und wie sie ihr sprachübergreifendes Wissen und ihre kommunikativen Kompetenzen durch Vorwissen und Vorerfahrung nach jedem Modul erweitern kann. Die Module initiieren einen Lernprozess, durch den die Kompetenzen in allen Bereichen gesteigert werden. Die Schülerin lernt dabei, dass es gewinn‐ bringend ist, sich einer schwierigen Sprachsituation auszusetzen, und dass kom‐ plexe authentische Kommunikationssituationen sich besonders für ihren Lern‐ prozess eignen (cf. 3.4.2.). Ganz anders gestaltet sich hingegen ihre Erfahrung im Umgang mit Italie‐ nisch. Hier bezieht sich Amelie lediglich auf die im Alltag gemachten negativen Erfahrungen. Das schulische Sprachenlernen spricht sie nicht an, obwohl sie seit der ersten Klasse Grundschule, also seit elf Jahren, vier Wochenstunden Italienischunterricht genießt. Der Auszug macht deutlich, dass der Unterricht der Vergangenheit ihr Sprachverhalten und ihre Einstellung zu der Sprache nicht verändert hat, ihre psychotypologische Wahrnehmung der Sprache scheint sich unverändert über die Jahre hinweg erhalten zu haben. Es kann ver‐ mutet werden, dass Formen der Sprachverweigerung auch in ihrem familiären Milieu vorhanden sind. Auch der schulische Unterricht war in ihrem Fall nicht effektiv, da er die emotionale Ebene vernachlässigte und keine gezielte Sprach- und Kulturförderung durch geeignete Unterrichtsdesigns leistete. Erst durch das mehrsprachige aufgabenorientierte Arbeiten hat sich hier, wie auch der SR zeigt, etwas geändert. 269 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung 3 Im Verlauf der Datenauswertung kristallisierten sich zwei Formen von Mehrsprachig‐ keit heraus, die von nun an als synchrone und diachrone Formen der Mehrsprachigkeit bezeichnet werden. In der synchronen Form von Mehrsprachigkeit werden verschie‐ dene Sprachen gleichzeitig, d. h. auf Satzebene verwendet. Diachrone Mehrsprachigkeit bezeichnet einen mehrsprachigen Diskurs, in dem der Sprachenwechsel nicht auf Satz‐ ebene erfolgt, sondern bei Themenwechsel bzw. nach Absätzen. 8.1.10 Stimulated Recall 2: Modifikation des Language Mode und Beschleunigung der Sprachaktivierung Das Arbeiten in der Gruppe bietet Amelie im Gegensatz zum traditionellen Un‐ terricht mehr Möglichkeiten, sich mündlich auszudrücken. Im Laufe der Zeit wurde es in der Gruppe zur Gewohnheit, dass sich alle gegenseitig mit den ihnen zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln behilflich sind. Der Wechsel von einer Sprache in die andere bereitet Amelie keine so großen Schwierigkeiten mehr, da ein Gewöhnungsprozess einsetzte, der die Abrufbarkeit der einzelnen Sprachen beschleunigte. Hilfreich beim Sprachwechsel ist die Möglichkeit, je nach Gelegenheit wählen zu können, ob man in einer Sprache bleibt oder CS vorzieht. Für Amelie ist ein synchron mehrsprachiges Gespräch jedoch noch nicht möglich, da der Sprachwechsel auf Satzebene für sie eine noch zu große Herausforderung darstellt. 3 So gerät sie in Schwierigkeiten, wenn sie jemanden auf Englisch anspricht und dann eine italienische Antwort erhält. Eine solche synchrone mehrsprachige Situation überfordert sie, weil das synchron mehr‐ sprachige Gespräch im Moment des Sprechens den Akteuren die Fähigkeit ab‐ fordert, das Gesagte simultan auszulegen, zu übersetzen und anschließend eine angemessene Antwort in einer anderen Sprache zu finden - ein höchst kom‐ plexer Prozess, der in der mündlichen Kommunikation innerhalb weniger Se‐ kunden erfolgen muss. Amelie befindet sich in einer Phase der Sprachaktivie‐ rung entlang des Language Mode, die ihr diesen Vorgang, wie sie selbst bestätigt, noch nicht ermöglicht. Ganz im Gegenteil sucht sie zu diesem Zeitpunkt des Projektes noch immer nach Strategien, bestimmte Sprachen zu vermeiden, die ihr, wie sie selbst behauptet, nicht liegen. An einer anderen Stelle des SR spricht sie dieses Thema wieder an, wenn sie ihren Denkprozess mit Sprache in Ver‐ bindung bringt und auf die Schwierigkeiten des Übersetzens verweist. Das Spre‐ chen in einer Sprache ist ihr nur möglich, wenn auch der dahinterstehende Denkprozess in dieser Sprache erfolgt. Amelie meint, dass sie nicht Italienisch reden könne, wenn sie nicht auf Italienisch denke. Beim Übersetzen von einer Sprache in die andere in einem synchron mehrsprachigen Gespräch zieht sie es vor, ein Wort, das ihr nicht einfällt, zu umschreiben. Sie meint, es sei viel leichter, 270 8 SchülerInnenauswertung 4 Das wirft die Frage auf, ab welchem Sprachniveau sich das Denken umschaltet auf die verwendete Sprache und inwiefern Sprache und Denken miteinander verbunden sind. Dies ist allerdings ein so umfassender Themenbereich, dass er hier nur in Form dieser Frage angeschnitten werden kann. Die Aussage der Schülerin weist darauf hin, dass es offensichtlich zwei Stufen der Sprachkompetenz gibt: eine, bei der vor der Sprachpro‐ duktion von einer Sprache (L1) in die andere übersetzt werden muss, und eine zweite, bei der direkt in L2/ Lx gedacht werden kann und eine Übersetzung aus L1 nicht mehr nötig ist bzw. so schnell erfolgt, dass sie nicht mehr als solche wahrgenommen wird. Interessanterweise scheint die Schülerin hier ganz genau zu unterscheiden. in nur einer Sprache zu denken, als von einer Sprache in die andere zu über‐ setzen 4 (cf. 3.2.1). Erst relativ spät im Verlauf des Projektes gelingt es der Schülerin, ihr Spra‐ chenspektrum in der Kommunikation zu erweitern und nicht ausschließlich Französisch zu verwenden. Auch Italienisch aktiviert sie immer mehr. Die Schü‐ lerin führt dies auf einen Gewöhnungsprozess zurück, der nach anfänglichen Schwierigkeiten einsetzte und den Sprachwechsel zu einer Selbstverständlich‐ keit machte. Im Verlauf des Projektes veränderte sich also ihre Sprachproduk‐ tion von einer einsprachigen, in der Denken ausschließlich an eine Sprache ge‐ bunden war, zu einer mehrsprachigen, in der von einer Sprache in die andere gewechselt werden kann. Außerdem änderte sich in ihrem Language Mode etwas Grundlegendes, das dazu führte, dass sie Sprachen besser abrufen konnte und sich im Zuge dieses Prozesses auch ihre Wahrnehmung der Sprachen änderte. Ihre Aussage „Alle Sprachen kommen mir jetzt gleich vor“ zeugt davon, dass sich die Psychotypologie dahingehend verändert hat, dass ihr alle Sprachen ihres Repertoires, insbesondere das Italienische, vertrauter wurden. Außerdem gibt sie an, in Zukunft sowohl in der Schule bzw. im Rahmen des Projektes als auch außerschulisch versuchen werde, mehr Italienisch zu sprechen (cf. 3.3.2.). Amelie: Ja also von mir aus gesehen schon, weil ich rede auch viel mehr in den anderen Sprachen. Nicht dass ich nur auf die eine Sprache fixiert bin, sondern dass ich auch in den anderen Sprachen viel rede. Besonders auch in Italienisch, wie ich das am Anfang eigentlich fast gar nicht getan habe. #00: 01: 27-0# Amelie: Es ist ungewohnt gewesen am Anfang, aber desto mehr man redet desto mehr gewöhnt man sich und das ist eigentlich in jeder Sprache so. Und das ist mittlerweile normal. #00: 01: 43-1# 271 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung Durch Übung und die besondere Form des Arbeitens konnten sich mit der Zeit die Sprachen besser vernetzen, wofür Amelie ein Beispiel anführt: Wenn man ein Fremdwort auf Italienisch schon wisse, weil es fast wie das französische klingt, könne man es sich leichter merken. Sie geht also interkomprehensiv vor und leitet unbekannte Wörter von anderen Sprachen ab (cf. 3.2.2.). Sie stellt allerdings auch fest, dass dies nicht immer möglich sei. Es gebe auch Wörter, die schwer zu memorisieren seien, da sie ganz anders klingen und daher nicht ab‐ geleitet werden können. Allgemein meint sie, ihr Wortschatz in Italienisch sei größer, wodurch sich auch ihr französischer Wortschatz leichter erweitern lasse. Amelie unterscheidet hier genau zwischen der Transferierbarkeit von Sprachen derselben Sprachfamilie und unterschiedlicher Sprachfamilien. Transfer ist im ersteren Fall meist leichter, da die Brückensprache den Spracherwerb in der jeweiligen Zielsprache unterstützt. Diese Transferierbarkeit stoße dann an ihre Grenzen, wenn Wörter so anders klingen, dass man sie von nirgendwo ableiten kann (cf. 3.2.2.). In Bezug auf TL und die Bearbeitung eines fremdsprachigen Textes in einer anderen Fremdsprache bleiben für Amelie nach wie vor sehr große Hürden be‐ stehen, da sie Schwierigkeiten hat, angemessene Fachausdrücke und Strukturen abwechselnd in beiden Sprachen zu verwenden. Die Schülerin besitzt noch nicht genügend fachsprachliche Kompetenzen und Sprachmittlungskompetenzen in den Unterrichtssprachen des Projektes, um diese sprachübergreifend anwenden zu können. Durch Üben auf der Basis der Aufgabenformate und der auf TL an‐ gelegten Aufgaben auf einem hohen fachsprachlichen Niveau mithilfe der nö‐ tigen Nachschlage-Instrumente eignet sie sich diese jedoch schrittweise zumin‐ dest in Teilbereichen an (cf. 4.5.3.). Amelie: Den englischen Text habe ich auf Französisch gehabt. Es war ziem‐ lich schwierig, auf Französisch zu schreiben, weil ich die meisten Wörter, also Fachausdrücke, nicht kannte, zu erklären, warum ist dann das Problem mit meinem Wortschatz, aber eben es sind eben die Fachbegriffe, die, und eben das war etwas schwierig, weil ich dann hab schauen müssen, wie ich das sage, so oder so, aber es war eigentlich relativ ok sonst. #00.03: 40-1# Ein ungeahnter Effekt des mehrsprachigen Arbeitens ist, dass die Lernende den Eindruck hat, sich nun nicht nur Vokabeln, sondern allgemein Dinge besser merken zu können. Dies wurde insbesondere durch die informellen Gesprächs‐ situationen ermöglicht, die den Rahmen dafür schaffen, in der Gruppe aktiv zu werden und Neues auszuprobieren. Besonders die Outputs spielten in diesem 272 8 SchülerInnenauswertung Zusammenhang eine relevante Rolle: Das Vortragen habe ihr zwar häufiges Üben und Wiederholen abverlangt und sei am Anfang für sie auch wegen ihrer charakterlichen Disposition sehr schwierig gewesen, allerdings konnte sie da‐ durch vor allem in Französisch Strukturen und Wortschatz festigen. Die aktive kontextualisierte Verwendung und das Experimentieren mit Sprache wirken in diesem Fall verstärkend auf die Gedächtnisleistung, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass sich durch Verschränkung der Sprachen Transfer- oder Generalisierungsprozesse effektiver ins Gedächtnis eingraben. Außerdem trägt die auf unterschiedliche Sprachen aufgeteilte Wiederholung zur Festigung des Gelernten bei (cf. 3.3.1.). Die in einen narrativen Kontext eingebetteten Inhalte ermöglichen Formen des impliziten und des Beobachtungslernens (Bandura 1990). Durch die in diesem Aufgabenformat mögliche Rekontextualisierung werden alte Erfahrungen durch neue positiv überlagert und haben heilende Wirkung auf den Sprachlernprozess, wie dies hier im Falle des Italienischen geschah. Gleichzeitig wirkt sich selbstgesteuertes Lernen positiv auf die intrin‐ sische Motivation aus und erleichtert so den Memorisierungsprozess, da Lernen und Identitätsbildung in diesem Aufgabenformat parallel laufen. 8.1.11 Stimulated Recall 3: CS - Mehrsprachiges Scaffolding Auch im dritten SR sind die Schwierigkeiten beim Sprachenwechsel noch nicht zur Gänze überwunden. Die Praxis des TL und die Fähigkeit, mehrsprachige Aufgabenstellungen zu lösen, stellen für diese Lernende auch in dieser fortge‐ schrittenen Phase des Projektes noch immer eine zu große Herausforderung dar. Sie kann zwar die einzelnen Sprachen schneller abrufen und miteinander ver‐ netzen, wodurch sie in der Lage ist, mehrere Sprachen im Diskurs anzuwenden und sich der Sprachmittlung von Lx nach Lx zu bedienen, ohne über L1 aus‐ weichen zu müssen. Sie aktivierte auch das Französische und vor allem das Ita‐ lienische. Das Sprechen über einen fremdsprachigen Text in einer weiteren Fremdsprache und das Vortragen ist der Schülerin allerdings noch nicht mög‐ lich, weshalb sie gezwungen ist, in der Sprache des Textes zu bleiben, d. h. sie kann TL als Praxis noch nicht in ihr sprachliches Repertoire einbauen. Bedingt durch ihre einsprachige lebensweltliche Sprachbiographie konnte sich trotz Übung und Gewöhnung, von denen die Schülerin selbst häufig spricht, ein mehrsprachiges Repertoire, das als ein je nach Bedarf gesprächsstrategisch einsetzbares Ganzes funktioniert, nicht herausbilden. Amelie: Also, dieses Mal haben wir ja in vier verschiedenen Sprachen vier verschiedene Texte gehabt und wir haben die analysiert und es war da für 273 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung mich richtig schwierig, wenn wir einen Text in einer Sprache analysiert haben, in einer anderen dann zu reden und ehm … das was ich … also meine Interpretation dann den anderen zu sagen und so zu reden, das habe ich eigentlich nur in der Sprache gekonnt, in der auch der Text war (kurze Pause) also ich konnte nicht zum Beispiel, wenn es ein deutscher Text war (kurze Pause) also ich konnte nicht zum Beispiel, wenn es ein deutscher Text war, in Englisch reden oder so, ich musste es in Deutsch sagen #00: 00: 35-1# Ein großer Fortschritt lässt sich in diesem SR allerdings im Bereich des CS er‐ kennen: Im Verhältnis zum ersten SR ist bei der Schülerin eine Häufung von CS festzustellen, auf die auch sie selbst aufmerksam macht. Im SR 1 wird das CS noch als etwas Schwieriges und Ungewohntes dargestellt, aber im Verlauf des Projektes änderte sich dies und es kann nun als Ausweichstrategie zum Einsatz kommen. Wenn im fremdsprachigen Diskurs CS vermieden werden soll, wie das oft im traditionellen Fremdsprachenunterricht gefordert wird, sind die Lern‐ enden gezwungen, diesen Diskurs in dem Moment zu unterbrechen, in dem ihnen angemessene sprachliche Mittel oder aber auch einzelne Wörter fehlen. CS hingegen erlaubt es der Schülerin, im fremdsprachigen Diskurs zu verweilen und ihn zu Ende zu führen, obwohl ihre Kenntnisse in dieser Sprache nicht ausreichen. Amelie hat hier die Scaffolding-Funktion von CS erkannt und ge‐ lernt, sie zu nutzen. CS ermöglicht es ihr, den Redefluss in Lx nicht unterbrechen zu müssen. Sie kann so die Konzentration beibehalten und die mündliche Kom‐ munikation und Aussprache üben - ein Ziel, das sie sich selbst gesetzt hat (cf. 4.5.1.). Amelie bemerkt, dass die Sprache, die für CS eingesetzt wurde, nur sehr selten Deutsch war. Auf L1 würde nur ausgewichen, wenn es sonst wirklich keine Alternativen mehr gebe. Die Gruppe wechsele viel eher ins Englische oder ins Italienische, das sei der einfachste Weg (L2-Faktor / Second Language Factor) (cf. 4.4.2.). CS ist für Amelie nun also, im Gegensatz zum Paraphrasieren oder Über‐ setzen, der schnellste Weg, um Verständnisbzw. Ausdrucksschwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Laut Amelie wird die Sprachwahl also nach sprachöko‐ nomischen Kriterien getroffen. CM (Lx/ Deutsch) wird als Strategie nicht mehr so oft eingesetzt, da die Lernenden sich daran gewöhnt haben, ihr gesamtes sprachliches Repertoire auszuschöpfen, ohne bei Schwierigkeiten unmittelbar auf CM zurückgreifen zu müssen. Dadurch sei das viele Diskutieren und Reden erst möglich geworden, denn die Sprachen ergänzten und unterstützten sich gegenseitig: „Wenn man nicht weitergewusst hat, dann hat eine andere Sprache geholfen“. Besonders bei der Verwendung des Französischen sei ihr das CS also zugute gekommen. Sie hätte es nie gewagt, sich so intensiv mit dieser Sprache 274 8 SchülerInnenauswertung zu beschäftigen, hätten ihr nicht Ausweichstrategien wie CS und CM zur Ver‐ fügung gestanden (cf. 3.3.1.). Amelie: Ja, auf alle Fälle; wenn man die Möglichkeit hat, sich das auszusu‐ chen, dann nimmt man immer das, von mir ausgesehen, wo man sich am wohlsten fühlt und in der Situation halt ehm … wenn man nicht weiter ge‐ wusst hat, hat dann eine andere Sprache halt geholfen #00: 02: 41-6# Laut dieser Aussage fällt die Wahl der Sprache für das CS immer auf jene, in der man sich am wohlsten fühlt, d. h. sie erfolgt bei CS nicht nach rein kognitiven und praktischen Kriterien, sondern es fallen auch emotionale Aspekte ins Ge‐ wicht. Die Schülerin beteuert in dem SR, dass sie durch den situativen Kontext den Mut fand, sich trotz ihrer in ihren Augen nicht ausreichenden Sprachkennt‐ nisse dieser Sprache zu bedienen, was zu einer positiven Wechselwirkung führte und bestätigt dadurch die Beobachtungen in den Aushandlungsprozessen. In einem informellen Kontext und durch unbeobachteten Austausch konnte die Schülerin von den Gruppenmitgliedern lernen und mit ihnen interagieren. Erstmals waren die Gesprächspartner nicht Lehrpersonen oder Unbekannte ita‐ lienischer Muttersprache, die in ihr das Gefühl provozieren, dass ihre sprachli‐ chen Kompetenzen defizitär sind, sondern Gruppenmitglieder, die sie bereits seit mehreren Jahren kennt, mit denen sie gewöhnlich auf Deutsch kommuniziert, die Italienisch ebenfalls nicht als L1 verwenden und ähnliche Schwierigkeiten überwinden müssen wie sie. Gleichzeitig konnte sie an den Beispielen der Lern‐ enden mit einem mehrsprachigen lebensweltlichen Hintergrund für sich sprach‐ liches Wissen sammeln und, ohne einer Wertung ausgesetzt zu sein, Italienisch als Kommunikationsinstrument einsetzen. Das und die positiven Erinnerungen daran führten bei ihr zu einer Veränderung ihrer Einstellung gegenüber der Sprache. Dadurch dass das aufgabenorientierte mehrsprachige Arbeiten offen angelegt war, konnte die Schülerin individuelle und nicht vorgeplante Lernwege gehen und selbstgesteuert über eine längere Zeitspanne hinweg ihre Lernwi‐ derstände im Bereich Italienisch L2 erfolgreich überwinden. Im SR 3 kommt Amelie nochmals auf Italienisch L2 zu sprechen. Zunächst geht sie erneut darauf ein, dass das Italienischsprechen der gesamten Gruppe schwer gefallen sei. Dann erklärt sie, dass man in einer solchen Situation dazu neige, eine leichtere Sprache zu wählen. Erstmals spricht sie hier von der ge‐ sprächsstrategischen Möglichkeit, auf die leichtere Sprache auszuweichen, wobei sie Sprachen hier im Plural verwendet, also nicht ausschließlich Deutsch meint. Sie beschreibt eine konkrete Situation: Die Gruppe habe unter sich Ita‐ 275 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung lienisch gesprochen, dann sei aber ein Schüler (S6) dazu gekommen, der sprach‐ lich noch sehr unsicher sei, da er erst seit wenigen Monaten Italienisch lerne. Die Gruppe habe in diesem Fall nicht recht gewusst, wie sie sich verhalten soll. Die Lösung des Problems habe schließlich darin bestanden, in der Gruppe we‐ niger Italienisch zu sprechen und besonders darauf zu achten, im Gespräch mit S6 eine andere Sprache als Italienisch zu verwenden (cf. 2.4.1.). Amelie: … und deswegen haben wir auch ehm … also wenn wir mit ihm geredet haben immer in anderen Sprachen geredet #00: 03: 03-2# Amelie: In der Situation zum Beispiel habe ich nicht genau gewusst, ob er uns versteht oder nicht und danach haben wir halt … er hat gesagt, er hat es verstanden, weil das ist immer ein bisschen schwierig einzuschätzen und ehm (kurze Pause) ich glaube auch, dass wenn er eben in der Gruppe ist und mit uns ist, dann reden wir weniger Italienisch, weil wir einfach … nicht Angst haben, aber einfach nicht wissen, ob er es versteht oder nicht #00: 03: 23-4# Hier zeigt Amelie, dass sie besonders viel Verständnis für die Probleme von S6 hat. Sie kann sich in seine Situation hineinversetzen und muss in der Folge für ihr weiteres Handeln die Sprachkenntnisse von S6 richtig einschätzen (S6 wird während des Italienischunterrichts aus der Klasse genommen und genießt in einem anderen Raum Einzelunterricht bzw. ist mit einer eigenen Lehrperson im Klassenzimmer. Zu diesem Zeitpunkt nimmt er nicht am Italienischunterricht teil). Amelie sieht sich mit einer für sie ungewohnten Situation konfrontiert, da sie diesbezüglich noch keine Vorerfahrungen gemacht hat und keine bereits erprobten Strategien zur Hand hat. Sie muss sehr schnell eine Entscheidung bezüglich ihres sozialen und sprachlichen Verhaltens treffen (cf. 4.3.1.). Der Wahl der Sprache geht also offensichtlich die Einschätzung des sprachlichen Niveaus der Gesprächspartner voraus, was die Grundvoraussetzung dafür ist, dass Kommunikation so gestaltet werden kann, dass sie für beide Gesprächs‐ partner sowohl auf emotionaler als auch auf sachlicher Eben stimmig und nach‐ vollziehbar ist. Werden die sprachlichen Voraussetzungen des Gesprächspart‐ ners nicht richtig eingeschätzt, kann es zu Verständnisschwierigkeiten, Missverständnissen und Fehlinterpretationen kommen mit der Folge, dass das gesamte Gespräch negativ bewertet wird. Amelie ist sich dieses Umstandes an‐ fangs nicht recht bewusst, sie wird zunächst mit einer Situation konfrontiert, die sie mit den gewohnten Gesprächssituationen nicht vergleichen kann. Das stellt sie vor die für sie neue Herausforderung, mit den sprachlichen Problemen 276 8 SchülerInnenauswertung von S6 richtig umzugehen. Amelie beschließt, S6 entgegenzukommen, indem sie Sprachen wählt, die ihm bekannt sind. Gleichzeitig signalisiert sie durch die wiederholte Verwendung der Prono‐ mina „wir“ und „uns“, dass sie sich der Gruppe, die Italienisch L2 beherrscht, zugehörig fühlt. Von ihrer anfänglichen Verweigerungshaltung dem Italieni‐ schen gegenüber hat sie also Abstand genommen, sie fühlt sich nun als ein Teil der Gruppe, die Italienisch gewohnheitsmäßig spricht. Diese Gruppe beschließt, S6 nicht auszuschließen (wie das noch im vorhergehenden SR der Fall war). Sie versucht vielmehr, S6 Hilfestellung zu geben, indem sie sich in einer Sprache an ihn wendet, von der sich alle sicher sind, dass sie für ihn verständlich ist. Un‐ tereinander wird dennoch weiter Italienisch gesprochen. An diesem Beispiel wird ersichtlich, dass durch Mehrsprachigkeit und sprachliche Abstimmung der Sprachwahl Inklusion entstehen kann: Alle in der Gruppe verändern ihr sprach‐ liches Verhalten, damit S6 sich in die Arbeitsgruppe integrieren kann. Das Ver‐ halten Amelies und ihre Entscheidung zeigen, wie sehr Inklusion vom sprach‐ lichen Verhalten der Gemeinschaft abhängt. Es bedarf also zur Inklusion keiner großen Projekte, kleine und alltägliche Sprachgesten reichen oft aus, dass die Gesprächspartner sich in ihrer Einzigartigkeit wahrnehmen, respektieren und bestenfalls Hilfe leisten. Den Aspekt des in diesem Modul enthaltenen literarischen Lernens kom‐ mentiert Amelie dahingehend, dass es ihr nicht schwer gefallen sei, sich mit den Texten auseinanderzusetzen. Sie habe nur mit den deutschen und französischen Texten gearbeitet, sie sei es vom Deutschunterricht her gewohnt, mit literari‐ schen Texten zu arbeiten. Sie hätten in diesem Jahr sehr viele literarische Texte interpretiert, vor allem Gedichte und Kurzgeschichten, die Technik der Inter‐ pretation sei ihr deshalb geläufig. Die erlernten Fähigkeiten und Fertigkeiten habe sie ohne Schwierigkeiten auf die Interpretation mehrsprachiger Texte übertragen können, da es keinen Unterschied zwischen einsprachiger Interpre‐ tation und der Interpretation mehrsprachiger Texte gebe. Dies macht deutlich, dass die Schülerin zu diesem Zeitpunkt die Besonderheit der Intertextualität mehrsprachigen literarischen Lernens trotz der vielen Übungen noch nicht er‐ kannt hat, weswegen sie Texte noch nicht text- und sprachenübergreifend kri‐ tisch erschließen und auf diese Weise neue Bedeutung konstruieren kann (cf. 3.5.3.). 277 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung 8.1.12 Retrospektives Interview: Mehrsprachiges literarisches Lernen als Third Space im Spiel unterschiedlicher Referenzsysteme Das retrospektive Interview (18.05.2016) wurde, wie bereits erwähnt, auch für die Analyse der mehrsprachig verfassten Texte genutzt. Die Produktion der mehrsprachigen Texte war für Amelie eine große Herausforderung. Die Krite‐ rien für die Wahl der Sprachen unterschieden sich von Mal zu Mal nur in ge‐ ringem Ausmaß. Das erste Gedicht „The Longest Ride“ (Apppendix I) verfasste Amelie zusammen mit einer Kollegin im Zug, sie hält es für ein gelungenes und kreatives Gedicht. Da sie es im Zug geschrieben habe, hätten sie keine Medien und keine Nachschlagewerke dabei gehabt. Es sei ihnen viel eingefallen, inter‐ essanterweise sei aber davon jetzt beim Nachlesen gar nichts mehr zu erkennen. Amelie findet es gut, dass sie beim Ausarbeiten das Gedichtes keine Nachschla‐ gewerke zur Verfügung gehabt hätten, denn so hätten sie nur mit dem gearbeitet, was ihnen an Wortschatz zur Verfügung stand. Auf diese Weise habe sie viel intensiver mit dem arbeiten müssen, was sie bereits wisse, ohne bei jeder kleinen Schwierigkeit auf Hilfe zurückzugreifen. Sie findet, das andauernde Nach‐ schlagen sei dem Aufbau ihres aktiven Wortschatzes nicht förderlich. Auf die Frage, nach welchen Kriterien sie die Sprachen für die unterschied‐ lichen Strophen ausgewählt hätten, antwortet sie, dass sie sich zunächst Ge‐ danken gemacht hätten, was sie sagen wollten und anschließend überlegt hätten, in welcher Sprache sie das am leichtesten ausdrücken könnten. Sie hätten nicht im Voraus beschlossen, dass sie eine bestimmte Strophe in einer bestimmten Sprache verfassen wollten, sie hätten es ausprobiert und dann die Sprache gewählt, in der es ihnen am leichtesten fiel, ihre Gedanken auszufor‐ mulieren. Die Schülerin kann keine andere Begründung dafür angeben, weshalb sie das Gedicht auf Englisch begonnen hat. Auch bei den weiteren Texten bleibt Amelie dabei, sich bei der Wahl der Sprachen ausschließlich auf praktische Kri‐ terien (einfachere Sprache für schwierige Inhalte) und nicht auf inhaltliche ge‐ stützt zu haben. In anderen Zusammenhängen sagt sie, sie wisse nicht, warum sie eine bestimmte Sprache gewählt habe. Ein Kriterium für die Sprachwahl war für sie die Tatsache, dass sie sich mit einem bestimmten Thema in dieser Sprache vorher schon eingehender beschäf‐ tigt hatte und somit in dieser Sprache die nötigen Strukturen und den Wort‐ schatz besitze. Amelie nutzt also ihre funktionale Mehrsprachigkeit, um sich beim mehrsprachigen Schreiben selbst zu behelfen. Sie wählt Italienisch für ak‐ tuelle Themen, da es sich ihrer Meinung nach dafür besonders eigne. Der Grund, den sie dafür nennt, ist, dass sie vom gelegentlichem Schauen italienischer Nachrichten italienische Fachausdrücke besser als zum Beispiel englische kennt. 278 8 SchülerInnenauswertung Amelie erwarb durch den Einfluss des Mediums Fernsehen eine funktionale Mehrsprachigkeit im Bereich Aktualität, die zu einem wichtigen Kriterium für die Wahl der Sprachen beim Verfassen der Texte wurde. Bezeichnenderweise wählt die Schülerin auch in diesem Fall jene Sprache, in der es ihr am leichtesten fällt sich auszudrücken. Die einzige Ausnahme, in der das Kriterium der Sprachwahl nicht die Ein‐ fachheit ist, bildet die Wiederholung des Wortes „Ich“ im Refrain des Gedichtes „The Longest Ride“. Amelie meint, dass sich in diesem Fall das deutsche Wort „Ich“ im Gegensatz zum englischen und italienischen wegen seines Klanges besser dazu eigne, an den Anfang des Gedichtes gestellt zu werden. Amelie: Ich glaube, das war, weil uns vorgekommen ist, dass man schon Deutsch am besten so ehm ausdrücken kann, dass man immer sagt ich (be‐ tont), weil das einfach im Gegensatz zu Englisch zum Beispiel ehm, ein län‐ geres Wort ist, ein Wort, das man richtig so sagen kann, also ich (betont). Sicher kann man das in Italienisch auch, aber wir haben da das Deutsche passender gefunden. #00: 03: 01-5# Diese Aussage zeigt, dass Amelie in Ansätzen ein Bewusstsein für die unter‐ schiedliche Aussagekraft von Wörtern in verschiedenen Sprachen entwickelt hat. Denn in diesem Fall beruht die Wahl eines Wortes nicht auf rein praktischen Kriterien wie Einfachheit, vielmehr geht es hier um Bedeutungsunterschiede auf mehreren Ebenen. Zunächst erwähnt Amelie in diesem Zusammenhang den Klang und die Betonung des Wortes in den verschiedenen Sprachen und die Tatsache, dass das englische Wort anders betont wird als das deutsche und kürzer wirkt. Mit dem deutschen Wort geht für sie auch ein Bedeutungsunter‐ schied einher, weil das deutsche Wort viel bestimmter wirke als die Entspre‐ chungen in den anderen Sprachen. Das Kriterium für die Wortwahl ist hier also ein literarisch-ästhetisches. Das deutsche Wort „Ich“ ist für Amelie an dieser Stelle des Gedichtes am besten geeignet, den gewünschten Effekt auf den Leser zu erzielen, weil es eine be‐ stimmte Bedeutungsfärbung hat. Amelie hat erkannt, dass Mehrsprachigkeit ihr die Möglichkeit gibt, mit einem breitgefächerten Bedeutungsspektrum in den verschiedenen Sprachen zu arbeiten und frei Bedeutungsaspekte nach unter‐ schiedlichen Kriterien auszuwählen bzw. sie sprachübergreifend zu kombi‐ nieren. Diese mehrsprachige ästhetische Kompetenz entfaltet sich besonders im mehrsprachigen literarischen Unterricht, denn hier kann Bedeutung durch das Zusammenspiel von Texten aus unterschiedlichen Kulturen und Sprachen neue 279 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung Formen des Lernens schaffen, indem Bedeutung transkulturell und sprachüber‐ greifend dialogisch ausgearbeitet wird. Dies ermöglicht es den Lernenden, ei‐ gene Sichtweisen und kulturelle Muster nachhaltig zu hinterfragen, indem sie einen Raum erforschen, in dem Bedeutung hybridisiert bzw. in Bezug zu neuen Referenzsystemen gebracht wird, sich also verändert. Durch die Teilhabe am mehrsprachigen Diskurs werden in diesem Third Space Orientierungen neu ge‐ staltet, indem Bedeutungen neu vernetzt, überlappt, Grenzen überschritten und neue Bedeutungshorizonte erkundet werden (cf. 4.2.2.). Der Schreibprozess gestaltet sich in diesem Zusammenhang für Amelie als eine große Herausforderung. Sie stellt fest, dass sie die Satzkonstruktion in ver‐ schiedenen Sprachen ganz unterschiedlich angeht und dass sie deshalb nicht schnell von einer Sprache in die andere wechseln kann. Sie muss, wie bereits bezüglich des Sprechens erwähnt, zuerst in einer Sprache denken und sich überlegen, wie man etwas am besten ausdrückt, bevor sie es aufschreiben kann. Daher sind ihre Texte sprachlich so konstruiert, dass der Sprachwechsel nach Absätzen bzw. Strophen stattfindet und es kein intrasententielles CS gibt. Amelie: Mal zuerst die Gedanken zu machen, was man schreiben will und das dann umzudenken in die Sprache und das dann umzusetzen, ist dann das, was etwas schwierig ist. Vor allem, weil man dann von einer Sprache in die andere springt und dann vielleicht auch gleiche Wörter benutzen will und dann muss man schauen, dass man die umdenkt und nicht einfach nur über‐ setzen, sondern eben das passende Wort dafür findet. Allgemein ist es ei‐ gentlich nicht mehr so schwierig. Am Anfang war es etwas schwierig, einen Text in verschiedenen Sprachen zu schreiben. Es ist leichter geworden, ge‐ nerell auch von einer Sprache in die andere Sprache zu springen, weil man das auch übt und auch eben zu schauen, welcher Teil jetzt am besten für welche Sprache ist, ist auch etwas schwierig, kommt man oft erst drauf, wenn man mitten im Schreiben ist. Man sieht, das wäre viel einfacher in einer anderen Sprache. #00: 39: 02-3# Genauso wie in der mündlichen Kommunikation muss Amelie sich zunächst auf Deutsch Gedanken darüber machen, was sie schreiben will. Anschließend re‐ formuliert sie ihre Gedanken in der Sprache, die sie gewählt hat. Diesen Prozess findet sie schwierig, da es sich hier nicht um reines Übersetzen handelt, sondern es vielmehr darum gehe umzudenken und das passende Wort zu finden. Das heißt, Amelie ist sich durchaus bewusst, dass sie beim Sprachwechsel von einem Referenzsystem in ein anderes wechselt und dass es zwischen diesen Systemen 280 8 SchülerInnenauswertung keine Eins-zu-Eins-Entsprechungen gibt. Sie stellt auch fest, dass der Wechsel zwischen den Sprachen durch Übung leichter geworden sei und dass sie manchmal mitten im Schreibprozess merkt, dass sie bestimmte Dinge doch leichter oder besser in einer anderen Sprache hätte ausdrücken können (Ap‐ pendix I). Beim Schreibprozess besteht die Herausforderung eben darin, trotz der Schwierigkeiten in der gleichen Sprache zu verweilen und nicht CS als Hil‐ festellung heranzuziehen, wie das vielfach in der gesprochenen Kommunikation der Fall ist (cf.4.5.1.). Der Grund, weshalb Amelie auf intrasententielles CS ver‐ zichtet, ist, dass sie diese Form des Schreiben als verwirrend empfindet und glaubt, dass es auch für den Leser verwirrend sein muss. Dies spiegelt sich auch in ihrem Verhalten in der mündlichen Kommunikation wider, wo sie diachron mehrsprachige Kommunikation einer synchronen vorzieht (cf. 4.6.1.). Das gesamte Projekt betreffend merkt Amelie zusammenfassend an, dass sie es sehr gut gefunden habe, vor allem das Vorstellen der Ergebnisse, das viele Reden und Aushandeln in der Klasse, weil sie das immer wieder brauchen werde. Sie weist auch nochmals darauf hin, dass das CS ihr geholfen habe, sich in Spra‐ chen auszuprobieren, in denen sie sich nicht so sicher fühle. Dabei sei ihr auch aufgefallen, dass die Gruppe im Laufe der Zeit immer weniger Deutsch gespro‐ chen habe. Im ersten Modul zu Italienisch sei es für alle noch selbstverständlich gewesen, im Aushandlungsprozess Deutsch zu sprechen, denn das seien sie vom Unterricht so gewohnt. Mit der Zeit hingegen sei das Deutsche zugunsten an‐ derer Sprachen immer mehr in den Hintergrund gerückt (cf. 4.4.2.). Laut ihrer Aussage ist das Sprechverhalten an das Unterrichtsfach gebunden, es gibt demzufolge Fremdsprachenfächer, in denen mehr oder weniger Deutsch gesprochen wird und andere, wo hingegen Deutsch überwiegt. Italienisch zählt offensichtlich zu jenen Fächern, in denen mehr Deutsch als mündliches Kom‐ munikationsinstrument unter den Lernenden genutzt wird. Obwohl zu Beginn des Projektes noch fast ausschließlich Deutsch gesprochen wurde, hat sich laut Aussage der Schülerin im Verlauf des Projektes ein vermehrt mehrsprachiges Sprachhandeln in den Aushandlungsprozessen eingestellt, weil einerseits die Übung die verschiedenen Sprachen aktiviert und die Kenntnisse erweitert habe und sich dadurch der Language Mode verändern konnte. Dies wiederum hat die psychotypologische Wahrnehmung der einzelnen Sprachen bei der Schülerin positiv beeinflusst und innere Sprachbarrieren abgebaut. Gleichzeitig konnte sich dadurch auch das Verhalten der Lernenden im fremdsprachigen Unterricht verändern: Nach dieser Erfahrung verfolgt sie den Unterricht mit einer verän‐ derten Einstellung und Haltung und reguliert ihr Sprachverhalten anders als zuvor (cf. 4.6.3.). 281 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung 8.1.13 Zusammenschau der Ergebnisse Amelie durchlief während des mehrsprachigen Unterrichts eine Reihe von Lern‐ prozessen, die ihre MKK formten und ausbauten. Diese sollen im Folgenden nach Bereichen zusammengefasst werden. In Bezug auf den strategischen Einsatz von Sprachen hat Amelie gelernt, dass Sprachwechsel ein wichtiges kommunika‐ tives Instrument darstellt und zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt werden kann. Es fiel ihr im Verlauf des Projektes immer leichter, von einer Sprache in die andere zu wechseln, was bedeutet, dass sich ihr jeweiliges sprachliches Re‐ pertoire besser vernetzt hat und die einzelnen Sprachen für sie leichter und schneller abrufbar waren. Möglich wurde das dadurch, dass Amelie in der ge‐ gebenen Lernumgebung ihren Lernprozess selbst steuern konnte, wodurch sie sich auf Aspekte konzentrieren konnte, die in diesem Moment für sie relevant waren. Durch das selbstgesteuerte Lernen war es Amelie möglich, ihren Lern‐ prozess zu reflektieren und zu regulieren, indem sie selbst die Bereiche identi‐ fizierte, an denen sie arbeiten wollte. Dafür übernahm sie unterschiedliche Sprachrollen: Zunächst konzentrierte sie sich auf Französisch, insbesondere auf die französische Aussprache und den Wortschatz, um dann anschließend mehr‐ sprachig, inklusive italienisch, zu kommunizieren. Sie stimmte also ihre Sprach‐ rolle in der Gruppe mit den Anforderungen des eigenen Lernprozesses ab. Der gegebene Freiraum gab der Schülerin die Gelegenheit, Neues auszuprobieren und mit Sprache zu experimentieren. Dabei merkte sie, dass Sprachenlernen auch das Ergebnis eines Automatisierungsprozesses und von Gewohnheit ist (cf. 3.4.1.). Sie nutzte die gemachten Vorerfahrungen und ihr neues Wissen, indem sie es konstruktiv in ihren Lernprozess einbaute, und verstand das mehrsprachige Lernsetting als Möglichkeit, Sprechgelegenheiten zu nutzen, die in dieser Form im Regelunterricht kaum geboten werden. Dabei erkannte sie, dass herausfor‐ dernde sprachliche Situationen lernfördernd sind und sie Strategien entwickeln kann, sich in diesen zurechtzufinden. Dazu gehört in erster Linie die Fähigkeit des Transfers zwischen den Sprachen auf unterschiedlichen Ebenen, die auch z. B. beim Vokabellernen angewandt werden kann. Außerdem muss das eigene Sprachniveau richtig eingeschätzt und gegebenenfalls die Sprache gewechselt werden. In diesem Zusammenhang erkannte die Lernende, dass sie sich in be‐ stimmten Sprachen einer funktionalen Mehrsprachigkeit bedienen und in kom‐ plexen Situationen auf diese zurückgreifen kann. Gleichermaßen lernte sie, sprachübergreifend bildungssprachliche Charakteristika zu erkennen (cf. 3.2.2.). Es fiel ihr auf, dass Mehrsprachigkeit in diesem Bereich schwieriger ist. Im Be‐ reich des sozialen Lernens erfuhr Amelie, dass es wichtig ist, die Sprachkennt‐ nisse ihrer Gesprächspartners richtig einzuschätzen, angemessen darauf zu re‐ 282 8 SchülerInnenauswertung agieren und inklusiv zu handeln. Voraussetzung dafür ist, die eigenen Haltungen zu erkennen und kritisch zu reflektieren. Ambiguität im mehrsprachigen Dis‐ kurs und der Umgang mit ungewohnten sprachlichen Situationen sind Voraus‐ setzung für erfolgreiche mehrsprachige Kommunikation. Durch diese Er‐ kenntnis konnte Amelie sprachlich Schwächeren Hilfe leisten und sich selbst bei Bedarf Hilfe von den MitschülerInnen holen. Im Bereich des literarischen mehrsprachigen Lernens erkannte Amelie, dass Bedeutung im mehrsprachigen Kontext hybride ist. Bedeutung wird im Sprach‐ gebrauch auf unterschiedlichen Ebenen vermittelt (Aussprache, Konnotation, Denotation, Rhythmus, Kontext, Referenzsystem) und auf spezifische Referenz‐ systeme bezogen. Die Schülerin lernte, den mehrsprachigen literarischen Dis‐ kurs vor dem Hintergrund unterschiedlicher Referenzsysteme zu lesen und die daraus resultierende Ausformung der Genres zu erkennen. Mehrsprachigkeit bringt die Referenzsysteme miteinander in Kontakt und ermöglicht dadurch die Vernetzung und Verschmelzung von Bedeutungen, wodurch ein neues Bedeu‐ tungsspektrum und ein mehrsprachiges World Making entstehen kann (cf. 4.2.2.). Die Lernende beginnt ihr eigenes Referenzsystem kritisch zu reflektieren und dank der Mehrsprachigkeit neue Bedeutungswelten zu erschaffen. Dadurch wird die Theorie über die eigene Persönlichkeit in Frage gestellt und die Pluralität der eigenen Persönlichkeit wahrgenommen und gelebt. Dies ge‐ schieht in erster Linie durch Übersetzen, das Übertragen von Bedeutung von einem Referenzsystem in ein anderes. Hier spielt das Übertragen in den Dialekt eine gewichtige Rolle, denn dadurch wird literarisches Lernen für die Schülerin emotional nachvollziehbarer. Amelie wurde bewusst, dass der Dialekt die Sprache ihrer Emotionen ist, dass sie emotionale Zustände am besten dialektal ausdrücken kann, die Standardsprache also dem Dialekt bezüglich der Bedeu‐ tungsbandbreite unterlegen ist (cf. 4.2.1.). Im Bereich der Textproduktion lernte Amelie einen mehrsprachigen Text ko‐ härent zu strukturieren und adressatengerecht zu verfassen. Behilflich waren ihr dabei die aus den plurilingualen Unterlagen erworbenen Informationen. Bei der Planung ihrer Arbeit zog sie es vor, den Sprachwechsel nach Absätzen oder Strophen zu regeln. Dabei stellte sie fest, dass es manchmal nicht leicht ist, in‐ nerhalb eines Absatzes bei der gleichen Sprache zu bleiben. Dennoch ging sie nicht auf intrasententielles CS über, da dies ihrer Ansicht nach für sie und die Leser verwirrend sei. In den meisten Fällen führte sie für CS praktische Gründe wie Einfachheit, Zufall u. a. an, nur in einzelnen Fällen literarisch-ästhetische (cf. 4.5.1.). Besonders hervorzuheben ist, dass Amelie ihre Sprachverweigerung im Laufe des Prozesses aufgab. Sie begann das Projekt mit einer wahrscheinlich aus bio‐ 283 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung graphischen Gründen resultierenden negativen Haltung der italienischen Sprache gegenüber. Das zeigt sich darin, dass sie Italienisch in den Aushand‐ lungsprozessen nicht verwendet. Im Verlauf des Projektes stellte sich hier jedoch eine Änderung ein: Sie findet einen Zugang zum Italienischen, da das Lernset‐ ting es ihr ermöglicht, sich der Sprache über andere als die gewohnten Kanäle zu nähern. Die Schülerin überwindet ihre Hemmungen und fühlt sich am Ende das Projektes sogar als Teil der Gruppe, die Italienisch spricht: Für sie ist es nach eigener Aussage selbstverständlich geworden, sich dieser Sprache regelmäßig zu bedienen (4.6.3.). 8.1.14 Codes Savoirs Codes Savoir - Mehrsprachigkeit bringt Hybridisierung von Bedeutung mit sich - Mehrsprachigkeit stellt die eigene Persönlichkeitstheorie in Frage - Transfer ist auf vielen Ebenen möglich - Transfer ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich - Sprachenlernen ist auch ein Gewöhnungs- und Automatisierungs‐ prozess - Bedeutung wird auf unterschiedlichen Ebenen vermittelt wird und es gibt - Unterschiede zwischen den Sprachen - Wichtigkeit des Dialekts für den emotionalen Ausdruck - Bedeutung ist in einer transkulturellen Welt hybride und relativ Savoir faire - Wechsel von einer Fremdsprache in die andere im Gespräch - Entwicklung von Strategien, um mit den zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln im mehrsprachigen Diskurs zurechtzu‐ kommen - Übernahme einer bestimmten Sprachrolle in der Gruppe - Rückgriff auf ein mehrsprachiges Repertoire - Vergleich und Einschätzung des eigenen Sprachniveaus in den ein‐ zelnen Sprachen - Sprachübergreifende Identifikation von Aspekten der Bildungs‐ sprache - Nutzen mehrsprachiger Situationen, um mit Sprache kreativ um‐ zugehen - Verwendung von CS als Ausweichstrategie, um sich in weniger gut beherrschten Sprachen zu üben - Nutzen des gesamten sprachlichen Repertoires beim Kommuni‐ zieren - Erkennen und kritisches Hinterfragen des eigenen sprachlichen und kulturellen Referenzsystems - Fähigkeit, einen mehrsprachigen Text kohärent zu strukturieren - Fähigkeit, einen mehrsprachigen Text adressatengerecht zu ver‐ fassen - Verwendung von CS, um Absätze bzw. Strophen zu markieren 284 8 SchülerInnenauswertung - Fähigkeit, ein mehrsprachiges, aus plurilingualen Unterlagen an‐ gefertigtes Referat vorzutragen - Einschätzen der Sprachkenntnisse des Gesprächspartners und an‐ gemessene - Reaktion darauf im Sinne der Inklusion - Fähigkeit, mit Ambiguität im mehrsprachigen Diskurs umzugehen - Fähigkeit, auf unvorhergesehene sprachliche Situationen ange‐ messen zu reagieren - Nutzen der eigenen funktionellen Mehrsprachigkeit beim Sprach‐ wechsel - CS, um gesprächsstrategisch Aufmerksamkeit auf sich zu lenken Savoir ap‐ prendre - Nutzen des mehrsprachigen Lernumfelds für im Regelunterricht wenig verwendete Sprachen - Erkennen, dass die Herausforderung mehrsprachiger kommunika‐ tiver Situationen lernfördernd ist - Übernahme von Sprachrollen innerhalb der Gruppe, die es ermög‐ lichen, eine Sprache zu üben - Fähigkeit, selbstgesteuert an ihrem mehrsprachigen Lernprozess zu arbeiten und Problembereiche des Fremdsprachenlernens zu identifizieren - Aufbauen auf vorhergehendes sprachliches Wissen und Vernet‐ zung dieses Wissens - Anpassen der Sprachrolle an neue Anforderungen im Lernprozess - Verwendung von Transferstrategien beim Vokabellernen Savoir être - In der Mehrsprachigkeit die Pluralität der eigenen Identität aus‐ drücken - In einem mehrsprachigen Gespräch die eigene Haltung gegenüber einer Sprache erkennen und kritisch reflektieren - Erkennen, dass es emotionale Hürden beim Sprachenlernen geben kann, und versuchen, sie zu überwinden - Bei sprachlichen Schwierigkeiten den anderen Hilfe leisten - Die eigene Identität durch Mehrsprachigkeit neu wahrnehmen - Sprachgewohnheiten in Frage stellen Savoir s’engager - Übertragen eines literarischen Textes von einem Referenzsystem auf ein anderes - In der Mehrsprachigkeit durch den Dialekt emotional Bedeutung mitteln - Die Bedeutung literarischer Texte vor dem Hintergrund verschie‐ dener Referenzsysteme lesen - Bedeutungen literarischer Texte neu vernetzen und hybride Formen kreieren - Mehrsprachige Texte kritisch vergleichen - Mit der Bedeutungsunbestimmtheit literarischer Texte umgehen und Leerstellen im Text selbst füllen Tab. 8.10. 285 8.1. Amelie - Diglossie und Sprachverweigerung 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung Aus dem Fragebogen geht hervor, dass die Schülerin aus dem Grödner Tal kommt und zur ladinischsprachigen Minderheit in Südtirol gehört. Laut ihren Angaben ist sie mit zwei L1 aufgewachsen: Ladinisch und Dialekt (womit sie den deutschen Dialekt meint). Sie meint aber gleichzeitig, sie sei dreisprachig mit den Sprachen Dialekt, Italienisch und Ladinisch groß geworden. Der Stel‐ lenwert des Italienischen ist aus dieser Aussage nicht klar herauszulesen. Alle in der Familie sprechen alle drei Sprachen, allerdings gibt es innerhalb der Fa‐ milie für sie unterschiedliche Sprachrollen, die je nach Ansprechpartner und Situation variieren können: Sarah spricht mit ihren Eltern Ladinisch und mit ihrem Bruder Dialekt. In ihrer Freizeit spricht sie hauptsächlich Ladinisch oder Dialekt. Manchmal verwendet sie in ihrer Freizeit auch Standarddeutsch, an‐ sonsten ist der Gebrauch dieser Varietät ausschließlich auf die Schule be‐ schränkt, wo sie mit den Lehrpersonen, nicht aber mit den MitschülerInnen auf Standarddeutsch kommuniziert. Italienisch lernte sie ab dem ersten Kindergartenjahr mit drei Jahren. Von da an eignete sie sich die Grammatik der Sprache zu 60 % in der Schule an und zu 40 % außerhalb durch Reden und praktisches Üben. In ihrer Freizeit und mit Verwandten aus dem Süden Italiens spricht sie bei Gelegenheit Italienisch. Wel‐ chen Rang genau Italienisch einnimmt, ist aus diesem biographischen Überblick nicht klar herauszulesen, denn zu Beginn zählt sie diese Sprache zu ihren Erst‐ sprachen, später hingegen sagt sie aus, Italienisch erst im Kindergarten gelernt zu haben. Sie nimmt diese Sprache also einerseits als sehr vertraut wahr und stellt sie auf eine Stufe mit den L1, gleichzeitig behauptet sie aber, erst im Kin‐ dergarten damit in Kontakt gekommen zu sein. Laut ihren Aussagen ist Ladinisch die Sprache, die sie am besten (ausge‐ zeichnet) beherrscht. Darauf folgt Deutsch (sehr gut), Italienisch und Englisch (gut) und anschließend Französisch und Latein (befriedigend). Auf emotionaler Ebene sind die Sprachen, in denen sie sich am wohlsten fühlt, Ladinisch und Deutsch gefolgt von Italienisch und Englisch. Französisch gegenüber ist ihre Hal‐ tung neutral, wohingegen Latein eine Sprache ist, in der sie sich nicht so wohl fühlt. Sarah stellt Italienisch und Englisch auf die gleiche Ebene, beide Sprachen mag sie sehr gerne. Im Unterschied zu Amelie hat sie eine positive Einstellung zum Italienischen, wohl weil sie viele Verwendungsmöglichkeiten dafür hat. Sie findet den Unterricht in Deutsch, Englisch und Französisch sehr gut, sie lerne da viel Neues und der Unterricht sei interessant gestaltet. Latein und Ita‐ lienisch hingegen findet sie nicht so gut. In Italienisch lerne sie im Unterricht 286 8 SchülerInnenauswertung nicht viel, Latein interessiere sie weniger, weil es sich um eine tote Sprache handele, der Unterricht sei aber gut und interessant gestaltet. 8.2.1 Verhalten der Schülerin in den Aushandlungsprozessen Sarahs Verhalten in den Aushandlungsprozessen ist allgemein sehr aktiv und interessiert. Die Schülerin greift von Anfang an auf ihr mehrsprachiges Reper‐ toire zurück und zeigt keinerlei Hemmungen beim CS. Es gehört zu ihrem all‐ täglichen Erfahrungsraum, sich simultan mehrerer Sprachen zu bedienen und TL-Strategien im Gespräch einzusetzen. Dazu aktiviert die Schülerin ihr ge‐ samtes mehrsprachiges Repertoire, bestehend aus insgesamt sechs Sprachen: Deutsch, Ladinisch, Italienisch, Englisch, Französisch und Latein: Auffallend ist allerdings, dass sie Ladinisch nie aktiv im schulischen Rahmen verwendet, wo‐ rauf sie in den Interviews und SR näher eingeht. Sie bedient sich hingegen recht häufig der italienischen Sprache, die sie gut beherrscht und mit der sie in Grup‐ pengesprächen die Sprachwahl lenkt. 8.2.2 Mehrsprachigkeit, Sprachregulierung und Language Monitoring Diese Aufzeichnung beinhaltet ein informelles Gespräch, in dem die Lernenden nicht so sehr über inhaltliche Aspekte der zu behandelnden Texte diskutieren, sondern eine Präsentation ausarbeiten und untereinander darüber verhandeln, wie sie die Texte des Vortrages und die Power-Point-Präsentation gestalten wollen. Das Gespräch ist durch kurze elliptische Sätze gekennzeichnet, die für Außenstehende nicht leicht verständlich sind. Die Lernenden haben einen fran‐ zösischen Text als Vorlage und bereiten einen italienischen Vortrag vor. In diesem zweiten Modul werden durch die Aufgabenstellungen keine Vorgaben bezüglich der Arbeitssprachen gemacht. Es stellte sich im Verlauf des Moduls heraus, dass die Lernenden in der Gruppenarbeit und in den Aushandlungsprozessen für ge‐ wöhnlich die Sprache der Texte übernehmen und mit Dialekt und Einfügungen anderer Sprachen mischen. Dadurch entwickelt sich ein mehrsprachiges Insider‐ gespräch, in dem ironische Bemerkungen und Vorschläge zur Gestaltung der Ar‐ beit auf einer informellen Jargon-Ebene oft durch CS erfolgen. Diese saloppe Ge‐ sprächsform weist Elemente der Jugendsprache auf (vgl. Neuland 2008). 1 Sarah and if you write la religion musulmane #00: 01: 38-4# 2 S1 how do you write that? #00: 01: 45-4# 287 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung 3 Sarah schreibt oui oui (Lachen) #00: 01: 53-7# 4 S1 ok #00: 01: 53-7# 5 Sarah ok #00: 01: 53-7# 6 S4 so here you can write the names #00: 02: 00-2# 7 Sarah yea #00: 02: 25-3# 8 S4 so so the first one is Islam and the god #00: 02: 25-9# 9 Sarah whats the first one #00: 02: 43-5# 10 Sarah have you brought hem hem to write #00: 02: 45-7# 11 Sarah the woman #00: 02: 53-3# 12 S4 no #00: 02: 50-5# 13 S1 the information desk (Lachen) #00: 02: 59-2# Bibliotheksleben (ironisch da es in der Bibliothek zu laut ist) #00: 03: 02-2# 14 S1 but I is this wrong? #00: 03: 08-4# 15 where are the sheets #00: 03: 12-5# 16 S2 just wait #00: 03: 16-5# 17 S2 so let’s start A. are you writing #00: 03: 17-4# 18 S1 is is this wrong? so it was #00: 03: 22-7# 19 Sarah it’s German here #00: 03: 27-0# 20 S1 yea but aps in German means nothing #00: 03: 39-6# 21 Sarah concentriamoci su questa cosa qui e non se una parola è sbagliata #00: 03: 49-6# 22 S1 ma #00: 03: 53-3# 23 cosa cosa cosa stai cercando #00: 04: 01-0# 24 S4 Islam #00: 04: 02-9# 25 Sarah la freccia #00: 04: 02-8# 26 S4 con le virgolette #00: 04: 04-4# 27 Sarah eh sono qui #00: 04: 06-7# 28 S1 jo orb in English you make this one or this one #00: 04: 12-3# 29 S4 it’s ok like that #00: 04: 23-7# 288 8 SchülerInnenauswertung 30 S4 could I have the pencil please? #00: 04: 35-0# 31 S1 what is wrong with this one #00: 04: 39-6# 32 S2 capital letters #00: 04: 42-4# 33 S1 so? #00: 04: 43-1# 34 S2 so #00: 04: 58-5# 35 S4 so what are you doing search do #00: 04: 58-1# 36 Sarah I’m looking for some keywords #00: 05: 08-7# 37 S4 je ne comprend pas que est ce que je dois faire #00: 05: 13-7# 38 S2 si parce que c’est #00: 05: 18-9# 39 S4 très compliquée #00: 05: 18-9# 40 Sarah tu dois (unverständlich) aider mon cle #00: 05: 24-6# 41 S1 mhm (bejahend) #00: 05: 33-1# #00: 05: 33-7# 42 Sarah C’est très important #00: 05: 38-4# 43 S2 la clé (Lachen) 44 S1 can you please so I’m writing all the #00: 05: 39-1# 45 S4 keywords #00: 05: 39-1# 46 S1 on the on the powerpoint and so can you prepare them #00: 05: 41-5# 47 Sarah oui #00: 05: 43-6# 48 S1 to make sure that you just have to write them #00: 05: 46-6# 49 S2 yea #00: 05: 46-6# 50 S1 and not just to find them #00: 05: 49-4# 51 Sarah I’m doing that now #00: 0549-4# 52 S1 parce que #00: 05: 57-0# 53 S4 S1 do you have a pencil? #00: 07: 00-3# 54 Sarah eh prossima riga scriviamo qui la moschea #00: 00: 05-1# 55 S1 ma non scriviamo am quanti simboli sono #00: 00: 09-4# 56 Sarah uno due tre quattro cinque sei #00: 00: 13-6# 57 S1 si allora facciamo quì uno due tre quattro cinque sei #00: 00: 17-3# 289 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung 58 Sarah perchè così poco’c`e tanto da dire #00: 00: 21-8# 59 Sus (Lachen) #00: 00: 21-8# 60 S2 Schicht mochsch holt fünf Folien #00: 00: 24-7# 61 S1 allora facciamo #00: 00: 24-7# 62 Sarah no allora facciamo quì fai doppio punto #00: 00: 28-2# allora qui fai doppio punto poi scriviamo quì la moschea qui vedi qui, S4 e quì e poi e poi facciamo perché 63 S1 allora I hon oane Idee facciamo tre isch egal #00: 00: 38-2# 64 S4 loss amol fertig reden #00: 00: 28-2# 65 S1 allora perchè non facciamo tre pagine con uno #00: 00: 43-6# 66 Sus si #00: 00: 44-6# 67 S4 loss dir lei einiredn #00: 00: 45-1# 68 Sarah secondo #00: 00: 46-9# 69 S1 si facciamo una nuova pagina si allora si va avanti un punto moschea e non quì perchè dappertutto dappertutto per tutta la pa‐ gina#00: 00: 55-4# 70 Sarah no così ehm #00: 01: 00-5# 71 S4 wos mochsch du do #00: 01: 02-9# 72 S4 jaa #00: 01: 02-9# 73 S4 Sarah loss es a mol #00: 01: 04-6# 74 Sarah des isch die Überschrift #00: 01: 06-9# #00: 01: 07-1# 75 S2 des isch simboli simboli 76 S4 jo jetzt tian mir jo Doppelpunkt mochn #00: 01: 08-6# 77 Sarah jo #00: 01: 08-6# 78 Sarah moch mr no an Doppelpunkt und tian do niue Zeile la moschea #00: 01: 12-3# 79 S2 des isch jo nuie Zeile #00: 01: 14-5# 80 S1 ichs es Format so gmoant dass es zugleich #00: 01: 19-2# 81 S2 jo Sarah muasch schon selber über dir lochn, Entschuldigung #00: 01: 21-6# also mir machen des als große Überschrift und des #00: 01: 23-5# 82 Sarah wieso kennen mir des net a als Überschrift mochn #00: 01: 25-5# 290 8 SchülerInnenauswertung 83 S1 des isch Unterüberschrift, des donn do do do do #00: 01: 27-2# 84 Sarah wieso na I muas dir do sogn wo richtig isch #00: 01: 29-3# 85 S1 dopo schreibst do luogo #00: 01: 31-7# 85 Sarah ich scheiße isch des klein #00: 01: 33-9# 86 S2 des mias mor a wian gressr mochen #00: 01: 35-0# 87 S1 I kons gressr mochn #00: 01: 36-5# 88 Sarah jo mochmr dopo ok. luogo di culto #00: 01: 39-5# 89 S1 des moch mor luogo di culto #00: 01: 39-6# 90 Sarah luogo di culto #00: 01: 43-9# 91 T: welchen Text habt ihr denn davor behandelt, vor dem italienischen Text, den französischen? #00: 01: 47-0# 92 Sarah englischen #00: 01: 51-6# 93 S2 Mina? #00: 01: 51-6# 94 Sarah Minaretto (mit einem T ausgesprochen) #00: 01: 56-6# 95 Sarah punto si prossimo ehm minaretto ok. ehm fai una freccia puoi anche metterla qui symbol al (kurze Pause) simboleggia l’unità di dio #00: 02: 19-6# 96 S2 simboleggia unità di dio? ! #00: 02: 29-5# 97 Sarah metti ancora un elle apprstrofa #00: 02: 29-6# 98 Sarah è la cità non un’cìta #00: 02: 31-9# 99 Sarah un un unicità e elle appostrofo #00: 02: 37-6# 100 S2 unicìta (falsch betont) #00: 02: 42-0# 101 S1 el unicità oder #00: 02: 42-0# 102 Sarah elle appostrofo #00: 02: 45-3# 103 S1 va bene cosÌ #00: 02: 50-5# 104 Sarah Ok ehm prossima riga poi fai le virgolette il luo luogo della luce fai questo dopo lo facciamo po’ più grande è solo poco#00: 03: 06-9# 105 S1 si perchè possiamo fare anche così #00: 03: 11-4# 106 S1 si allora potrà hom mir gsog wenn mor so viel hom extra viel gmocht woasch #00: 03: 18-3# 107 Sarah si #00: 03: 18-3# 291 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung 108 Sarah lo lasciamo quÌ o mettiamo tutto po’ spostiamo un po’ in lá perchè questo è come questo #00: 04: 37-6# 109 S1 senò così #00: 04: 37-6# 110 Sarah po’ più grande oh boh #00: 04: 44-4# 110 tipo venti #00: 04: 46-6# 111 Sarah venti va bene allora prendiamo venti anche quÌ venti poi #00: 04: 52-5# 112 S1 siamo sempre #00: 04: 54-9# 113 Sarah possiamo anche farlo alla fine #00: 04: 57-0# 114 S1 jo #00: 05: 05-6# 115 Sarah ok simbolo per la fede islamica origine molto antecedente #00: 05: 26-1# 116 S1 a-n-t-e-c-d-e-n-t dente? #00: 05: 34-8# 117 Sarah impero ottomano doppio punto #00: 05: 42-8# 118 S1 no virgole #00: 05: 42-8# 119 Sarah no doppio punto meglio #00: 05: 48-7# 120 SarahS1 simbolo dell cultura #00: 05: 50-5# #00: 05: 50-5# 121 simbolo della cultura islamica #00: 06: 03-1# 122 S2 ok we have to #00: 06: 06-1# 123 S1 Sarah sog mir die Fehler pol sein mir do #00: 06: 16-9# poi (kurze Pause) la mano di fatima no no tu devi devi metterla quì#00: 06: 28-4# sorry #00: 06: 33-6# 124 S1 schreib man mit zwoa t #00: 06: 33-6# 125 Sarah no un moleto (amuleto gemeint) diffuso nel vicino e medio oriente #00: 06: 55-4# 126 S1 vicino was? #00: 06: 55-4# 127 Sarah oui #00: 06: 57-3# Tab. 8.11. Aufzeichnung 1: 30.11.15 Die Atmosphäre ist in diesem Auszug gelassen, die Lernenden befinden sich in der Bibliothek vor dem Computer und arbeiten an ihrer Präsentation. Sarah nimmt in diesem Abschnitt am Gespräch teil und übernimmt die saloppe und 292 8 SchülerInnenauswertung ungezwungene Art der Gruppe. Sie wechselt in einer Antwort kurz ins Franzö‐ sische, indem sie einen Witz über die mehrsprachige Unterrichtsform macht, der alle zum Lachen bringt (3), und zeigt hier bereits ihren ungehemmten Um‐ gang mit Mehrsprachigkeit und TL. Als das Gespräch droht, ins Zusammen‐ hanglose abzudriften, wechselt Sarah ins Italienische und versucht dadurch, die Gruppe wieder auf die Aufgabe zu fokussieren (21). Die Schülerin verfolgt also auf einer Metaebene das Gespräch mit einem mehrsprachigen Blick und moni‐ torisiert das Geschehen, um bei Bedarf regulierend einzugreifen (cf. 3.2.1.). Da Sarah in dieser Gruppe diejenige mit den besten Italienischkenntnissen ist, lenkt sie durch CS Italienisch den Fokus des Gesprächs wieder auf den Text und den Inhalt. Das geschieht, da durch den Sprachwechsel ins Italienische der um‐ gangsprachliche, saloppe Umgang, der letztendlich zum Abschweifen vom Thema verleitet, für die Lernenden nicht mehr möglich ist, da sie dieses Register nur im deutschen Dialekt beherrschen. Daher werden sie durch den Sprach‐ wechsel veranlasst, in ein gehobeneres Register zu wechseln, wodurch die Kon‐ zentration und die Fokussierung auf die Aufgabenstellung wieder hergestellt wird. Sarahs CS hat hier also mehrere gesprächsstrategische Funktionen: Es stellt zum einen den Versuch dar, von der unorganisierten und informellen Ebene auf ein anspruchsvolleres Niveau zu wechseln, damit die Vorbereitungsarbeiten für die Vorstellung zügiger vorangehen können. In ihrer Funktion als Expertin für Italienisch kann sie sowohl sprachliche als auch inhaltliche Probleme aufgrund ihrer fundierten Kenntnisse schneller bewältigen. Gleichzeitig möchte Sarah durch das CS Italienisch bewirken, dass das Gespräch auf Italienisch fortgeführt wird. Sie bietet durch ihr CS allen in der Gruppe die Gelegenheit, durch Be‐ obachtungslernen ihr Sprachenrepertoire auf das Italienische auszudehnen. Dieser Versuch gelingt ihr allerdings nicht gleich, er trifft auf Widerstände, da die Gruppe in der letzten Unterrichtsstunde etwas ermüdet ist. Sarahs CS hat immer wieder eine Trigger-Funktion, durch die das Italienische wieder in den Diskurs zurückgebracht wird, um so Konzentration und Themenorientierung zu garantieren (cf. 3.4.2.). Zunächst signalisiert sie durch einen ironischen Einschub, in dem sie „cosa“ wiederholt (23), dass ihre Rolle als Anführerin der Gruppe unbestritten bleibt. Es wird daraufhin für kurze Zeit Italienisch gesprochen. Dieser Abschnitt ist gekennzeichnet von Einwortsätzen (24-28), was darauf hindeutet, dass die Schü‐ lerInnen nicht gewohnheitsmäßig untereinander Italienisch sprechen und dass die Übung fehlt. Die Lernenden befinden sich in einer für sie ungewohnten Ge‐ sprächssituation. Durch Sarah dazu veranlasst sollen sie jetzt eine Sprache ver‐ wenden, die sie dem Englischen als nicht gleichwertig erachten und die deshalb 293 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung untereinander auch in außerschulischen Situationen kaum Verwendung findet. Sarahs Sprechverhalten stellt demnach auch Sprachhierarchien und Gewohn‐ heiten in Frage und hat die Funktion, die anderen Lernenden mit neuen Mög‐ lichkeiten sprachlicher Interaktion vertraut zu machen. Ab Zeile 28 wird trotz Sarahs Versuch wieder ins Englische gewechselt. Dieser Abschnitt dauert bis Zeile 58 und wird durch einen kleinen französischen Ein‐ schub unterbrochen (37-43). In diesem Seitengespräch beklagen sich die Lern‐ enden darüber, dass die Aufgabe sehr schwierig sei und sie nicht recht wüssten, was sie tun sollen. Sarah macht, ins Französische wechselnd, eine witzige Be‐ merkung und lockert damit die Atmosphäre auf bzw. schwächt die Kritik an der Aufgabenvorgabe ab. Sie übersetzt das englische Wort „keyword“ ins Französi‐ sche mit „la clè“ (43), woraufhin alle lachen. Es handelt sich hier um eine Lehn‐ übersetzung, die durch Übertreibung einen humorvollen Effekt bei den Zuhö‐ rern erzielt. Ihr unbekümmerter Umgang mit Bedeutung und Übersetzung ist ein Indiz dafür, dass die in einem mehrsprachigen Kontext aufgewachsene Schülerin explorativ und offen in ihrem Sprachgebrauch ist und dass sie die Trial-and-Error-Vorgangsweise gewohnheitsmäßig in ihrem mehrsprachigen lebensweltlichen sozialen Umfeld für Transfers verwendet. Ihr mehrsprachiges Repertoire ist bereits so gut ausgebildet, dass es ein sprachübergreifendes TL-Potential ermöglicht (cf. 3.2.1. und 3.2.2.). In Zeile 54 wechselt Sarah wieder ins Italienische und startet erneut einen Versuch, die Gruppe anzuregen, ihr zu folgen. In der Folge wird Dialekt mit Italienisch gemischt, der umgangssprachliche Ton bleibt im gesamten Abschnitt salopp, der Sprachwechsel erfolgt nicht auf Absatzebene, sondern auf Satzbzw. Wortebene. Bei dieser synchronen mehrsprachigen Kommunikation neigt die Gruppe dazu, in den Dialekt zu wechseln (64, 67), während Sarah versucht, Ita‐ lienisch beizubehalten (68, 70, 88, 90). Sarah versucht durch CS Italienisch auch hier wieder, die anderen Lernenden vom Dialekt abzubringen, um die Gruppe zu mehr Konzentration zu animieren (cf. 4.5.1.). Das führt schließlich zu einem Streitgespräch (70-89). Sarah wird von ein‐ zelnen Gruppenmitgliedern direkt verbal angegriffen. Wortwahl und Dialekt zeigen, dass dieser Wortwechsel emotional aufgeladen ist, es werden keine Höf‐ lichkeiten mehr ausgetauscht, sondern auf eine umgangssprachlich als ag‐ gressiv einzustufende Ebene gewechselt, inklusive Schimpfwörter. Dies gibt Einblick in den lebensweltlichen sprachlichen Umgang der Lernenden, der durch groben und direkten Ton gekennzeichnet ist, und in die veränderte Grup‐ pendynamik, wenn die Lernenden in ihre dialektale Rolle schlüpfen und so an‐ dere Aspekte ihrer Persönlichkeit zeigen können. Auch Sarah wechselt vom Italienischen in den Dialekt und schlüpft somit in eine andere, rauere Sprach‐ 294 8 SchülerInnenauswertung 5 Das Grödnerdeutsche ist u. a. durch zwei wichtige Merkmale gekennzeichnet: das rol‐ lende „r“ und die fehlenden Geminate. Beide Merkmale finden sich bei dieser Schülerin. rolle, die einen neuen Aspekt ihrer Persönlichkeit preisgibt. Es kann in diesem Absatz beobachtet werden, wie unterschiedliche Sprachrollen an Charakterei‐ genschaften gebunden sind und sich diese durch den Sprachwechsel zeigen bzw. gesprächsstrategisch wirksam werden können (cf. 4.6.2.). Um das Streitgespräch zu beenden, wechselt Sarah erneut ins Italienische und somit auf eine formellere Ebene (88). Die Überleitung erfolgt durch intrasen‐ tentielles CS, das den Wechsel signalisieren soll. Es dauert allerdings etwas, bis für das verbleibende Gespräch ins Italienische gewechselt wird (97). Während dieses Gesprächs spricht Sarah das Wort „minaretto“ ohne Doppelkonsonant aus (94), was verrät, dass ihre L1 Ladinisch ist, eine Tatsache, die später noch eine wichtige Rolle spielen wird. 5 Ab nun ist das Gespräch zielführend und durch höhere Konzentration von‐ seiten der Lernenden gekennzeichnet, der Wechsel Dialekt/ Italienisch hat also eine Änderung in ihrer Haltung dem Arbeitsauftrag gegenüber mit sich ge‐ bracht. Da Italienisch eine höhere Konzentration fordert und umgangssprach‐ liche saloppe Formen wegen des seltenen lebensweltlichen Gebrauchs dieser Sprache nicht bekannt sind, ändert sich der Sprachgebrauch und somit auch die Arbeitsweise abermals. Versuche, in den Dialekt zu wechseln (106-107, 121-122) und somit den Ton zu ändern und die Konzentration zu senken, fruchten bei Sarah nicht, sie signalisiert das, indem sie auf den Sprachenwechsel nicht rea‐ giert und auf Italienisch antwortet. Die Schülerin ist in der Gruppe die Referenzperson für Italienisch, alle Fragen bezüglich Aussprache und Rechtschreibung werden an sie gestellt. Sie stellt sich dieser Aufgabe mit Selbstsicherheit. Durch sie lernen die Gruppenmitglieder neue Wörter wie „antecedente“ (115) „amuleto“ (125) und „medio oriente“ (125) kennen, können also ihren Wortschatz erweitern. Im Falle von „unicità“ kommt es zunächst zu Verständnisschwierigkeiten bezüglich der Unterscheidung zwi‐ schen „unità“ und „unicità“, außerdem zur falschen Setzung des Akzentes („uni‐ cìta“) und schließlich zu der Frage, wie der weibliche Artikel des Wortes „unicità“ zu schreiben sei (96-103). Anhand eines Wortes treten hier zwei wichtige As‐ pekte zutage, bei denen Deutschsprachige bezüglich Italienisch oft Schwierig‐ keiten haben: Akzentsetzung und Rechtschreibregeln für die Artikel. Beide Male gibt Sarah den MitschülerInnen punktuelle und korrekte Anweisungen und macht ihr Wissen für die anderen nutzbar. Hier ist anzumerken, dass auch bei Sarah durch diese Form des Arbeitens ein Lernprozess initiiert wird, der ihre 295 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung Italienischkenntnisse erweitert, so wird von ihr z. B. das Wort „amuleto“ zu‐ nächst falsch ausgesprochen („muleto“) und dann korrigiert (cf. 4.3.1.). Sarah übernimmt in diesem Absatz mehrere Funktionen. Sie fungiert als Ex‐ pertin für Italienisch, obwohl es nicht ihre L1 ist. Dadurch haben die anderen Gruppenmitglieder die Möglichkeit, durch neue Vergleichsmomente bei der Verwendung dieser Sprache ihre mentalen Muster zu verändern und sich an neue Kommunikationsformen zu gewöhnen. Sie monitorisiert und lenkt das gesamte Gespräch, reguliert die Kommunikation durch CS entsprechend ihren Bedürfnissen bzw. Zielsetzungen und schlüpft im Zuge des Gespräches in un‐ terschiedliche gesprächsstrategische und emotionale Sprachrollen, wodurch u. a. auch verschiedene Aspekte ihrer Persönlichkeit zutage treten. Die Lernende ist sich ihrer unterstützenden Rolle bewusst und ermöglicht durch ihr offenes und konsequentes Sprechverhalten Formen des sozialen und Imitationslernens. Sie lenkt das Gespräch, indem sie durch CS die Sprachwahl vorgibt und so auch das Verhalten der Gruppe steuert. Gleichzeitig initiiert sie in der Gruppe einen Lernprozess, der die Lernenden davon abbringen soll, wie üblich als Arbeits‐ sprache Englisch zu wählen und Italienisch als eine gleichwertige Möglichkeit anzuerkennen. Auf diese Weise werden unbewusste Sprachhierarchien durch ihr Sprechverhalten in Frage gestellt und dadurch in ihrer Wirksamkeit abge‐ schwächt (cf. 3.3.2.). 8.2.3 Empowerment durch Mehrsprachigkeit In dieser Aufzeichnung eines Gespräches, das einige Monate nach der oben dar‐ gestellten Aufzeichnung stattfand, zeigt Sarah, dass sie sich intensiv mit einer Sprache auseinandersetzt, die sie laut ihren Aussagen im Fragebogen nicht gut beherrscht und der sie gleichgültig gegenübersteht. Das Thema dieses Moduls war die Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten und die damit einher‐ gehenden Wahlkampagnen. Zunächst wurde auf das politische System und das Wahlrecht in den USA eingegangen, anschließend setzten sich die Lernenden mit den Programmen der einzelnen Präsidentschaftskandidaten auseinander und arbeiteten deren Schwerpunkte, wie sie in der Tageszeitung The Guardian veröffentlicht worden waren, heraus. Die Aufgabenstellung verlangte, dass die englischen Texte in einer Sprache nach Wahl, nicht aber auf Englisch bearbeitet werden sollten. Sarah wählt Französisch, jene Sprache also, die sie laut eigenen Aussagen am schlechtesten beherrscht. Das Bearbeiten und Vortragen ver‐ langen von ihr, dass sie ständig von einer Fremdsprache in die andere übersetzt und zwischen den beiden Welten hin und her wechselt, d. h. der englische Text wird sprachlich wie inhaltlich über die französische Sprache gemittelt (cf. 3.3.1.). 296 8 SchülerInnenauswertung Sarahs Verhalten ist insofern mit dem von Amelie vergleichbar, was besonders in den Aushandlungsprozessen deutlich wird. 1 Sarah and maintenant je vous parle de Hillary Clinton elle a 68 ans et ou jour d’hui elle aide Barrack Obama dans son travaille elle est femme de un président dans le annee 2008 elle a perdu l’élection de prési‐ dent. Le IS le ISIS excusez moi elle voudrait combattre (combatter ausgesprochen) l’ISIS et aider les Syrians avec des armes et aussi protéger le la no fly zone après le climat change on point très im‐ portan pour l’America est l’évolution du climat #00: 11: 47-3# 2 S3 L’Amerique #00: 11: 48-4# 3 Sarah ah oui l’Amérique c’est l’evolution du climat c’est très important de trouver solutions et de de protéger le toute la terre le contrôl du armes. C’est tré important de contrôler les armes (kurze Pause) hem oui après avec (Lachen) ehm le ref refugees les personnes qui vont en Amérique il ris dit que ils peuvent prendre 65.000 personne et c’est trè bien #00: 12: 52-0# 4 S3 et comment combien de personne? #00: 12: 52-0# #00: 12: 55-4# 5 Sarah soissant cen soixante cinqe milles #00: 13: 00-9# 6 S4 pou? #00: 13: 00-9# #00: 13: 02-4# 7 S3 ça n’est pas beaucoup 8 S4 pour tous les Etats Unis? #00: 13: 00-9# 9 Sarah oui pour tous les Etats Unis#00: 13: 03-5# 10 S4 c’est vraiment peu #00: 13: 06-5# 11 S3 oui#00: 13: 06-5# 12 S4 les Etats Unis ont je ne sais pas #00: 13: 17-1# 13 Sarah oui mais cettes sont (kurze Pause) après pour immigration pour ré‐ duire que les personnes vent (kurze Pause) pour réduire que les per‐ sonnes ehm gehen aus Amerika weg #00: 13: 37-5# 14 S3 quittent l’Amerique #00: 13: 40-2# 15 Sarah quittent oui quittent L’am (Lachen) #00: 13: 42-6# 16 AS3 les Etats Unis #00: 13: 42-6# 17 Sarah oui les Etats Unis il dit que elle voudrais aider les familles leur en‐ fants fixée système en Etats unis que regard que concerne le tra‐ vaille, la maison et beaucoup d’autre il faut que les Etats unis gardent 297 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung les personnes que ils ne quittent pas les Etats Unis et restent en Etats Unis. (kurze Pause) ehm après il est aussi important de garder le la transparence de agencie et soutenir la législation #00: 14: 41-9# 18 S3 que est ce que veut dir ça #00: 14: 56-0# 19 Sarah transparency from the agency #00: 14: 56-9# 20 S3 was ist denn agency #00: 15: 01-6# 21 Sarah isch sel net der Transport? #00: 15: 04-4# 22 S3 agency transport? #00: 15: 10-7# 23 S4 national intelligence agency? #00: 15: 11-8# 24 Sarah ah je pense que c’est weist du vom Anrufen vom Telefon #00: 15: 20-7# 25 S3 ah transparent sein ok entschuldige #00: 15: 25-6# 26 Sarah ah ja da stehts restreindre la collection de téléphone et de protéger la transparence ehm the transatlantic partnership elle dit que c’est emportant de contrôler la manipulation de l’argent ehm du com‐ merce et enfin la peine de mort elle dit que c’est très important de ehm de ehm réduirà la peine de mort e ehm de la (unverständlich) utiliser pour des causes spéciales seulement. C’est important de ne par abroger la peine de mort ça veut dire que elle doit exister #00: 16: 41-4# 27 S4 oui #00: 16: 42-8# 28 Sarah mais seulement pour des causes spéciales ehm oui #00: 16: 57-1# 29 S4 je voudrais que (unverständlich) #00: 16: 57-1# 30 S3 secondo me sicuramente è #00: 17: 01-4# 31 Sarah je pense que que ce ne hem ne très pas ne pas très ehm einfach #00: 17: 03-2# #00: 17: 14-0# 32 S3 simple? #00: 17: 15-7# 33 Sarah très simple parce que elle est une femme et pour une femme c’est toujours très difficile #00: 17: 25-0# 34 S4 mais cette (unverständlich) #00: 17: 30-7# 35 Sarah mais elle aussi mais au jour d’hui elle est avec Barack Obama #00: 17: 33-4# 36 S4 oui oui mais #00: 17: 33-4# 37 S3 ça veut dire beaucoup ça veut dire très ça veut dire beaucoup #00: 17: 43-7# 298 8 SchülerInnenauswertung 38 S4 Obama a été le premier président des Etats Unis qui a été #00: 17: 43-7# 39 Sarah noir oui #00: 17: 43-7# 40 S4 qui a été oui noir c’est vraiment important pour l’histoire mais li est pour les Etats Unis aussi très important de avoir un président femme parce que la Clinton serrait la première présidente. Merkel des Etats Unis et si elle ne gagne pas c’est vraiment oui c’est vraiment triste je pense pour les Etats unis en général qui a dit que selon le candidat ou président elle est vraiment (unverständlich) #00: 18: 31-8# 41 S3 la seul chose a ehm elle et très âgé soixante sis ans? #00: 18: 33-8# 42 S4 oui mais l’autre candidat populair #00: 18: 36-7# 43 Sarah mais la population voudrait avoir un président un peu plus jeune #00: 18: 48-6# 44 S4 oui mais Bernie Sanders l’autre candidat démocratique ehm popu‐ laire c’est tous jeune c’est vraiment âgee et les otre candidats son seulement Donald Trump ehm Ted Cruz Marco Rubio ils sont ahm (kurze Pause) #00: 18: 57-1# 45 S3 ich verstehe wirklich nicht, ich muss nur schnell aufs Klo mocht es lei weiter #00: 19: 20-4# 46 Sarah mais c’est toujours très difficile #00: 19: 23-7# 47 S4 oui mais ils sont radicales et aussi #00: 19: 26-2# 48 S5 loss mol en Marco ou les autres #00: 19: 30-0# 49 S4 je voudrais (unverständlich) #00: 19: 39-2# 50 VS4 ou il a écrit #00: 19: 38-6# 51 Sarah Sanders du a #00: 19: 38-8# 52 S4 Bernie Sanders #00: 19: 40-5# 53 Sarah pas Donald Trump or Cruz boh #00: 19: 48-6# 54 S5 sol mor sel mochn ehm #00: 19: 55-2# 55 S6 allora io vi presento Marco Rubio lui è un senatore repubblicano dell’America e viene da fuori da e lui ehm ehm era ehm la persona più giovane ehm ehm a a quaranta quattro ann ehm quaranta qua‐ ranta quaranta quattro anni ehm per ehm ehm (kurze Pause) ehm teacher how do you say „running for president in Italian“ in Italian? #00: 20: 36-1# 299 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung 56 Sarah si candida a presidente #00: 20: 38-4# Tab. 8.12. Aufzeichnung 2/ 04.02.2016 In diesem Auszug trägt Sarah der Gruppe die Zusammenfassung des Wahlpro‐ gramms von Hillary Clinton auf Französisch vor. Die Programme von Ted Cruz, Donald Trump, Bernie Sanders und Marco Rubio wurden bereits behandelt, d. h. die Lernenden konnten die unterschiedlichen Aussagen der Programme zu zentralen Themen wie Flüchtlingskrise, Klimawandel, Terrorismus, Transatlan‐ tisches Handelsabkommen, Telefonüberwachung und Todesstrafe miteinander vergleichen. Das Vortragen auf Französisch ist für Sarah sehr mühsam, da sehr spezifische Themenbereiche in den Programmen angeschnitten werden, die ein anspruchsvolles bildungssprachliches Register verlangen (cf. 3.4.2.). Der the‐ matische Zusammenhang zwischen den in den Wahlprogrammen enthaltenen Themenbereichen und jenen, die im vorhergehenden Modul Politische Reden thematisiert wurden, ermöglicht es der Lernenden, die dort erworbenen Kennt‐ nisse hier anzuwenden. Sie steht also nicht vor einer völlig neuen Aufgaben‐ stellung, sie hat sich mit politischen Thematiken bereits in mehreren Sprachen angefreundet und sich ein strategisches, inhaltliches und sprachliches Know-how angeeignet, das sie auf diese Lernsituation transferieren und an‐ wenden kann. Sie ist in der Lage, in anderen Sprachen vorgelerntes Wissen und erworbene Strategien auf unterschiedlichen Ebenen auf diese Situation zu über‐ tragen, um so ihre Aufgabe leichter bewältigen zu können (cf. 4.4.1.). Obwohl sie sich alles andere als fließend ausdrückt (sie lernt erst seit drei Jahren Französisch), gelingt es der Schülerin, die Kernthemen des Wahlpro‐ gramms in eigene Worte zu fassen und auf Französisch vorzutragen. Die Schü‐ lerin kann sich hier auf keine französische Vorlage stützen, sondern muss frei aus dem Englischen übertragen, was angesichts der Komplexität des Textinhalts eine kognitiv sehr anspruchsvolle Aufgabe darstellt. Sie übersetzt nicht von L2 nach L1 mit anschließender Rückübersetzung in L3, die Übertragung erfolgt direkt von L2 nach L3 durch unmittelbares informelles Übersetzen. Sie ist dazu imstande, weil sie als mehrsprachig aufgewachsene Schülerin bereits lebens‐ weltliche Erfahrung bezüglich TL mitbringt. Sarah lernt durch diese Aufgabe, ihre lebensweltliche TL-Praxis auf einer sprachlich und kulturell komplexeren Ebene, auf komplexere bildungssprachliche Themenbereiche wie Politik und Wirtschaft anzuwenden. Die Komplexitätssteigerung ihres TL betrifft Aspekte der Bildungssprache wie Komplexität der Syntax, Fachwortschatz und Ver‐ schriftlichung. Sie entwickelt eine Reihe von Strategien, die ihr dabei behilflich sind, diese komplexe Situation zu meistern: 300 8 SchülerInnenauswertung Sarah beginnt, indem sie anfangs kurze, einfache und leicht verständliche Sätze bildet, die es ihr erlauben, kurz und prägnant Kernaussagen der Texte wiederzugeben, ohne sich dabei sprachlich zu überfordern (1, 3, 13). Sie bedient sich hier vielfach der Wiederholung, um Umschreibungen zu umgehen. Im Ver‐ lauf des Gespräches werden die Satzstrukturen komplexer und länger (17, 26), was darauf hindeutet, dass die Schülerin nun besser mit dieser Situation zu‐ rechtkommt. Die italienische Aussprache von „combatter“ und „l’America“ (1), lassen vermuten, dass Italienisch als stärkere romanische Sprache im Hinter‐ grund präsent ist und als Stütze dient. Sie bedient sich des CS ins Deutsche für den Ausdruck „verlassen“ bzw. „einfach“, um von der Gruppe zusätzliche Un‐ terstützung für ihre schwere Aufgabe zu erhalten (13, 23). Die Gruppe, die diese Form des Lernens durch die anderen Module gewohnt ist, reagiert unmittelbar mit der richtigen Antwort „quiter“ bzw. „simple“. Glei‐ chermaßen verwendet die Schülerin englische Ausdrücke für Schlüsselbegriffe, die sie auf Französisch nicht weiß und bei denen sie voraussetzt, dass sie auf Englisch aufgrund ihrer weiten Verbreitung in den Medien und der in den vor‐ hergehenden Stunden behandelten Themenbereichen allen bekannt sind, wie „transatlantic partnership“ (26) und „no fly zone“ (1). Es bedarf also für diese vom Aufgabenformat geforderte Form des TL von L2 nach L3 nicht nur dieser beiden Sprachen, sondern des gesamten sprachlichen Repertoires, das im Hin‐ tergrund stets wirksam ist und der Schülerin stützend zur Verfügung steht. In diesem Fall hat die Schülerin im Gegensatz zu Amelie die Fähigkeit, dieses Re‐ pertoire abzurufen und zu nutzen. Der Language Mode ist bei Sarah durch hohe Aktivität der Sprachen geprägt, wie sie bei Amelie noch nicht in dieser Form festzustellen war (cf. 4.5.2.). In diesem Auszug wird eine lebensweltlich durchaus realistische Situation nachgeahmt und geübt, in der besondere soziale und strategische Kompetenzen vonnöten sind, um diese sprachliche Herausforderung zu meistern. Die Schü‐ lerin muss zunächst bereit sein, sich dieser Situation zu stellen und sich, ohne Angst ihr Gesicht zu verlieren, in einer Sprache ausprobieren, die sie nicht aus‐ reichend beherrscht. Das setzt einen hohen Reifegrad sowohl vonseiten der Schülerin als auch der Gruppe voraus. Gleichzeitig muss sie die kommunikative Situation und die Fähigkeit der Gesprächspartner, an einem TL-Prozess teilzu‐ nehmen, sowie deren Einstellung dazu, aber auch die eigenen sprachlichen Kompetenzen richtig einschätzen. Die Schülerin hat ohne jeglichen Druck und mit Absicht entschieden, die französische Sprache als ihre schwächste zu wählen, da sie in dieser Herausforderung eine Möglichkeit sah, ihre Sprach‐ kenntnisse zu verbessern. Das mehrsprachige Umfeld bietet hier einen unter‐ stützenden Rahmen, in dem Lernende auf unterschiedlichen sprachlichen Ni‐ 301 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung veaus miteinander interagieren können und voneinander lernen. In diesem Sinne versteht sich Mehrsprachigkeit als Empowerment, d. h. als Befähigung, selbständig Maßnahmen und Strategien zu ergreifen, um komplexe kommuni‐ kative Situationen zu meistern (cf. 3.5.2.). Gleichermaßen setzt diese Form des Lernens und des TL einen veränderten Denkprozess voraus, in dem Sprachenlernen nicht über den Erwerb von Struk‐ turen und Wortschatz erfolgt. Es kann kaum überschätzt werden, dass hier Sprachenlernen über Sprachmittlung erfolgt, sich also ein anderes Lernpara‐ digma auftut, das alle Sprachen und kommunikative Strategien in den Lernpro‐ zess mit einbezieht. Im Mittelpunkt steht hier das Verständnis der Inhalte eines Textes, die durch die Übersetzung gemittelt wiedergegeben werden müssen. Die Wiedergabe allerdings setzt ein profundes Verständnis in L2 voraus. Das be‐ deutet, dass sich die Schülerin alle ihre Texterschließungsstrategien in L2 zu‐ nutze machen muss, um die relevanten Inhalte in L3 wiederzugeben (cf. 3.4.2). Wie schnell Verständnisschwierigkeiten in einem Prozess wie diesem offen‐ liegen, zeigt folgendes Beispiel: Sarah verwechselt das Wort „transparence“ mit „Transport“, weshalb sie diesen Absatz nicht zur Gänze verstanden hat. Die Gruppenmitglieder kommen ihr zu Hilfe und geben ihr die richtigen Hinweise (17, 21). Sie hat nun verstanden, worum es geht, nämlich nicht um den Transport von Telefongesprächen, sondern um das Abhören von Telefongesprächen von‐ seiten der Geheimdienste. Sie erklärt dies in sehr einfachem Deutsch denjenigen in der Gruppe, die nicht verstanden haben (24). Es wird hier also Bedeutung über mehrere Sprachen hinweg und über plurilinguistische und transkulturelle Be‐ züge ermittelt. Unterschiedliche Erfahrungs- und Bedeutungsebenen werden durch TL miteinander vernetzt; die Lernende nimmt ihre Mehrsprachigkeit als ein Netzwerk von Verbindungen und Überschneidungen wahr, das als Ganzes die eigene Sprachproduktion ständig überwacht und vergleicht. Dieses Phä‐ nomen des Language Monitoring (cf. 4.4.3.) erfüllt seine Aufgabe am besten in einem mehrsprachigen Lernumfeld. Die im Text behandelten Themenbereiche sind von brennender Aktualität; die Lernende hinterfragt die von den Kandidaten vorgeschlagenen Problemlö‐ sungswege kritisch bzw. äußert ihre eigene Meinung dazu. Das stellt sie vor neue sprachliche Herausforderungen. Denn nun ist mehr als nur die Übertra‐ gung von Bedeutung von einer Sprache in die andere gefragt, sondern freies Sprechen, einhergehend mit Evaluierung und Begründung der eigenen Meinung in Lx über Informationen, die in L3 bereitgestellt wurden, was, der Bloomschen Taxonomie entsprechend, eine sehr hohe kognitive Anforderung darstellt. Im Unterschied zum traditionellen Sprachenunterricht kann sich die Lernende an authentischen Fragestellungen messen, wodurch umgekehrt auch authentische 302 8 SchülerInnenauswertung Kommunikationsmomente entstehen. Dafür nimmt sie es auf sich, mit den be‐ grenzten sprachlichen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, über komplexe Sachverhalte zu kommunizieren. Über die Maßnahmen und Strategien kann die Lernende selbstbestimmt und autonom entscheiden (cf. 6.1.4.). 8.2.4 Stimulated Recall 1: Sprachrollen und Identität Datum 30.11.2015: Sarah hat in den Aushandlungsprozessen bemerkt, dass die einzelnen SprecherInnen dazu neigen, häufig die gleichen Sprachen zu ver‐ wenden. Anhand unterschiedlicher Kriterien kristallisieren sich Sprachrollen heraus (wie Sich-wohl-fühlen, Gefallen-finden an der Sprache, Sich-si‐ cher-fühlen). Diese Sprachrollen entstehen laut Sarah durch Faktoren, die nicht ausschließlich rational/ kognitiv gelenkt sind, sondern auch emotional. Durch die Wahl der Sprachen kann die Lernende in eigenständig gewählte Sprachrollen schlüpfen, in denen sie sich wohl fühlt und unbeobachtet über einen von ihnen festgelegten Zeitraum ausprobieren kann. Das ermöglicht es ihr einerseits, ihren Beiträgen unterschiedliche kommunikative Funktionen im Gespräch zu unter‐ legen und andererseits mit unterschiedlichen Aspekten der eigenen Persönlich‐ keit zu spielen, die an die verschiedenen Sprachen gebunden sind (cf. 4.6.3.). Sarah: Ja, mir ist es ganz interessant vorgekommen, dass eben jeder die Sprache gehabt hat oder halt der, was sie dann immer gesprochen hat, und mir ist auch aufgefallen, dass vielleicht eine Person immer die gleiche Sprache ausgewählt hat, dass sich vielleicht eine Person mehr der Sprache, welche ihm mehr gefällt oder vielleicht hat er sich sicherer gefühlt, wenn er diese Sprache spricht #00: 02: 32-3# Es spielt für Sarah, wie das bereits bei Amelie der Fall war, eine zentrale Rolle, dass die Lernenden untereinander und ohne direkte Aufsicht der Lehrperson kommunizieren können, da es wichtig sei, jemanden sprechen zu hören, der eben nicht die Lehrperson ist. Hier verweist Sarah auf die Tatsache, dass im Unterricht fast ausschließlich die Lehrperson als sprachliches Vorbild dient. Die Lernenden werden in eine passive Rolle gedrängt, in der sich ihre Teilnahme bis auf einzelne Zwischenfragen ausschließlich auf Zuhören und mechanische Aus‐ führung von Übungen beschränkt. Durch den Austausch in der Gruppe können die Lernenden hingegen selbstgesteuert sprachlich aktiv werden und sich un‐ tereinander in einer Sprache ihrer Wahl austauschen. Auf diese Weise können die einzelnen Akteure an einem spontanen, nicht gelenkten Gespräch teil‐ 303 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung nehmen und so ihre sprachlichen Kenntnisse verbessern und sprachliche Vor‐ bildfunktion übernehmen, an der sich andere je nach Bedarf und kommunika‐ tiver Absicht orientieren können. Die Gruppenmitglieder lernen also so nicht nur selbstgesteuert, sondern auch voneinander in einem Kontext authentischer mehrsprachiger Kommunikation (cf. 4.4.1). Die Diskursivität schulischen Lernens wird damit in den Mittelpunkt gerückt. Die Lernenden lernen im gegenseitigen mehrsprachigen Austausch lexikalische und syntaktische Muster sowie generische Formen von Diskursfunktionen von‐ einander (Hallet 2016: 76). Erweiterung des Repertoires generischer Formen be‐ deutet, dass sich sprachvernetzende und sprachübergreifende Makrogenres bilden, die wiederum eine multigenerische Dimension in sich bergen. Im mehr‐ sprachigen Lernen vermischen sich demnach Genres unterschiedlicher Spra‐ chen und werden zu komplexen Strukturen, aus denen sich ein mehrsprachiges generisches Repertoire bildet, das die Lernenden je nach Bedarf abrufen, an‐ passen und kreativ verändern können (vgl. ibid.: 77). Aus diesem mehrspra‐ chigen generischen Repertoire ergeben sich vielfältige Muster kognitiver Ope‐ rationen und Möglichkeiten der Welterkenntnis und Weltwahrnehmung, die sich wiederum auf die kritische Meinungsbildung auswirken. Der Meinungs‐ bildungsprozess wird durch einen Perspektivenreichtum gefiltert, der so nur im mehrsprachigen Diskurs möglich ist (cf. 4.2.2.). Sarah: Ich finde es gut, wenn man jemanden anderes hört und mit jemand spricht, der eben nicht die Lehrperson ist. Was mir in letzter Zeit aufgefallen ist, ist, dass z. B. auch Latein (Pause) wenn ich ein Buch lese und ein Wort nicht verstehe, dann tu ich es ableiten oder auch von einer anderen Sprache und dann weiß ich es, ohne das Wörterbücher herzunehmen und da zu über‐ setzen und das hilft auch also meiner Meinung nach, dass wenn wir mit ver‐ schiedenen Sprachen in Kontakt treten und auch diese Projekte machen, dann hilft das schon auch, dass wir von einer Sprache und die andere wech‐ seln können ohne Probleme oder auch schneller #00: 04: 15-5# Die Bildung eines solchen mehrsprachigen generischen Repertoires ist Be‐ standteil eines umfassenderen mehrsprachigen transienten und individuellen Repertoires, das sich schrittweise auch bei der Schülerin herausbildet. Ihre mehrsprachige Identität formt und erweitert sich dabei, denn ihr Kommuni‐ kationsrepertoire wird von der eigenen (Sprach)Biographie und den im Un‐ terricht gebotenen mehrsprachigen diskursiven Räumen geformt. Auch laut den Aussagen der Schülerin setzt diese autonome Form des Lernens in einer 304 8 SchülerInnenauswertung mehrsprachigen Lernumgebung einen Lernprozess in Gang, der durch die Ausgangssituation der individuellen Sprachbiographie geprägt ist. Die Schülerin baut in zunehmendem Maße ihre Fähigkeit aus, interkompre‐ hensive Lernmethoden anzuwenden und unbekannte Wörter aus anderen Spra‐ chen abzuleiten. Das ermöglicht es ihr z. B. beim Lesen eines fremdsprachigen Textes, auf diese Strategie zurückzugreifen, ohne so häufig wie zuvor das Wör‐ terbuch zur Hand nehmen zu müssen. Eine Hilfe bei der Ableitung von Wörtern ist für die Schülerin auch das Lateinische, das so auch in seiner Wichtigkeit anerkannt und bewusst als Teil des sprachlichen Repertoires angenommen wird (cf. 3.5.1.). Interkomprehensives Lernen kommt hier als Lernstrategie zum Ein‐ satz, indem das gesamte mehrsprachige Repertoire als Ressource genutzt wird, um sowohl einzelne Wörter und deren Bedeutung als auch Strukturen in einer Sprache zu inferieren (cf. 3.2.2.). 8.2.5 Stimulated Recall 2: Neue Lernwege entdecken und Inklusion Datum 15.01.2016: Im zweiten SR geht Sarah hauptsächlich nochmals darauf ein, dass es ihr im Verlauf des Projektes immer leichter gefallen sei, von einer Sprache in die andere zu wechseln und die Wahrnehmung ihrer Fähigkeiten und Fer‐ tigkeiten in den einzelnen Sprachen zu schärfen. Es wurde bei ihr genauso wie bei Amelie ihr mehrsprachiges Repertoire soweit aktiviert, dass die einzelnen Sprachen besser und schneller abrufbar waren, gleichzeitig wurde ihre Sprach(en)bewusstheit geschult und sie erlangte dank des Sprachvergleichs eine bessere Einschätzung der eigenen Sprachkenntnisse in den einzelnen Sprachen (cf. 4.3.1.). Sie stellt fest, dass es ihr in manchen Sprachen wie z. B. Französisch schwerer fällt, auf die Möglichkeit des CM zu verzichten und dass die Versuchung, durch die Übersetzung ins Deutsche sprachliche Probleme zu umgehen, größer ist als bei anderen Sprachen. Sie meint, das gelte im Rahmen dieses Projektes als un‐ erwünscht. Ihrer Darstellung nach würden die Lernenden im Projekt dazu an‐ gehalten, nicht in die deutsche Sprache zu wechseln. Dabei handelt es sich al‐ lerdings um ihre subjektive Interpretation, denn explizite Anweisungen diesbezüglich gab es keine. Ganz im Gegenteil waren sich die Lehrpersonen bewusst, dass CM zum mehrsprachigen Lernprozess gehört und als eine Form von Scaffolding dienen kann, die das Sprechen in einer Sprache, die noch als schwierig erscheint, einleitet und erleichtert. Es bedarf eines Umdenkens bei der Lernenden, das sich erst im Verlauf des Projekts vollzieht und ihr ermöglicht 305 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung anzuerkennen, dass es jenseits der traditionellen Lernformen auch andere Mög‐ lichkeiten gibt, die sich über die Mehrsprachigkeit erschließen (cf. 3.3.1.). Die Aussage der Schülerin zeugt von leistungsorientiertem Verhalten, das im einsprachigen Sprachunterricht gefördert wird und für diese Klasse typisch ist. Sie spiegelt auch die unter Lehrpersonen noch immer weit verbreitete Meinung wider, dass es laut den gängigen Gütekriterien eines guten einsprachigen Fremdsprachenunterrichts keine Übersetzungen und Erklärungen in L1 geben darf - ein Urteil, das auf der falschen Annahme beruht, dass Lehrpersonen, die sich des CS bedienen, weder ausreichende Sprachenkenntnisse in der einen noch in der anderen Sprache haben. In dieser Form des Unterrichts wird nicht be‐ rücksichtigt, dass mehrsprachige Sprecher sich jener Sprache bedienen sollten, die in einem bestimmten Kontext am besten passt oder am schnellsten abrufbar ist (cf. 4.5.1). Dank des mehrsprachigen Aufgabenformats erkennt die Schülerin, dass es andere Lernformen gibt und dass CM beim Spracherwerb durchaus hilf‐ reich sein kann, wenn es als Bewältigungsstrategie in besonders anspruchs‐ vollen Situationen herangezogen werden kann. Im nachstehenden Auszug erklärt die Schülerin außerdem, wie sich das Sprachverhalten der Gruppe entwickelt und wie schnell ein Sprachwechsel stattfindet: Die Gruppe übernimmt die Entscheidungen Einzelner auf sprachli‐ cher Ebene und passt sich an. Dann stellt sich in der Gruppe eine Routine ein, d. h. bestimmte Sprachrollen festigen sich innerhalb der Gruppe und der mehr‐ sprachige Gesprächsablauf wird durch diese implizit geregelt. Dabei zeichnet sich folgendes Schema ab: Der Sprachwechsel wird durch eine Person initiiert und von der Gruppe übernommen. Die Schülerin weiß, dass es innerhalb einer sprachlich heterogenen Gruppe unterschiedliche Sprachrollen gibt und der Sprachwechsel Regeln folgt, die von der Gruppe unbewusst vereinbart werden. Außerdem erkennt sie, dass das Sprachverhalten der Gruppe maßgeblich von den Entscheidungen einzelner beeinflusst wird (cf. 4.3.1). Sarah geht von einer sukzessiven Mehrsprachigkeit aus, einer Form des mehrsprachigen Diskurses also, in dem die verschiedenen Sprachen nicht gleichzeitig verwendet werden, sondern aufeinanderfolgen. Genauer gesagt handelt es sich um einen mehrsprachigen Diskurs, in dem zunächst ein Ab‐ schnitt in einer Sprache erfolgt und dann, meist durch einen Themenwechsel bedingt, auf eine andere Sprache umgeschaltet wird. Es wird aus diesen Aus‐ sagen ersichtlich, dass für Sarah, genauso wie für Amelie, ein simultan mehr‐ sprachiges Gespräch nicht vorstellbar ist. Von der sukzessiven Form des mehr‐ sprachigen Gesprächs weicht sie nur in Auszug 1 ab, um ein bestimmtes sprachstrategisches Ziel zu verfolgen: die Beibehaltung des Italienischen im Diskurs. Ein simultan mehrsprachiges Gespräch übersteigt zu diesem Zeitpunkt 306 8 SchülerInnenauswertung noch ihre Vorstellung und ihre sprachlichen Fähigkeiten. Sarahs Language Mode und ihr mehrsprachiges Repertoire ist zwar besser ausgebildet als bei Amelie, es ist ihr allerdings noch nicht möglich, die Sprachen simultan abzurufen. Sarah: Also, was mir aufgefallen ist, dass wir haben also, wenn eine Person angefangen hat, Englisch zu reden, dann haben wir gleich Englisch, auch wenn das jetzt nicht der Arbeitsauftrag war, aber du versuchst immer in der Sprache zu antworten und dann Französisch, Deutsch, Italienisch und dann habe ich persönlich auch gemerkt, was mir z. B. schwerer fällt, z. B. Franzö‐ sisch oder wenn mir ein Wort nicht einfällt oder und dann versucht man es gleich, dann tut man gleich wieder auf Deutsch das erklären, aber das Projekt sagt immer, dass halt bringt ringt uns dazu, dass wir die Sprachen benutzen und Wege finden, es also nicht ins Deutsche hinüber zu wechseln und den Satz dann zu erklären #00: 00: 55-5# In dieser Form des mehrsprachigen Austauschs ist es den Lernenden möglich, einen längeren zusammenhängenden Diskurs in einer Sprache L2/ Lx zu formu‐ lieren und sich so den Herausforderungen, die ein solcher darstellt, zu stellen, indem sie eine sinnvoll strukturierte und kohärente Aussage in einer Fremd‐ sprache formulieren und sich lexikalisch angemessen ausdrücken. Dabei unter‐ stützt sich die Gruppe bei sprachlichen Schwierigkeiten gegenseitig. Sarah er‐ kennt, dass diese Unterrichtsform und das mehrsprachig angelegte Aufgabenformat es ihr nicht nur erlaubt, ihren Lernprozess selbstgesteuert zu regulieren, sondern dass er die verschiedensten Formen des kooperativen und sozialen Lernens zulässt, die sie in ihrem Lernprozess fördern und unterstützen können. Wie Amelie merkt sie, dass die Gruppe eine ganz entscheidende Funk‐ tion als Facilitator übernehmen kann und Schwierigkeiten oder Probleme am besten gemeinsam gelöst werden können. Die Gruppe arbeitet gemeinsam an einem Ziel und übernimmt die Verantwortung für die Erreichung dieses Zieles. Dadurch wird im Sinne Deweys (2000) eine demokratische Lernkultur einge‐ führt. Sarah: die Lernenden, sie helfen einem, in der Sprache, wo dir das Wort ge‐ fehlt hat #00: 01: 14-9#. Aus diesem Bewusstsein heraus ist es für die Schülerin leichter, sich der Aufgabe zu stellen. Für Sarah stellt die Möglichkeit, sich ausgiebig ins Gespräch einzu‐ 307 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung bringen, eine Chance dar. Sie meint, sie könne besser schreiben als sprechen, denn im Unterricht komme das Sprechen leider zu kurz. In der Klasse komme kaum jemand zu Wort, wohingegen in der Gruppe jeder/ e frei sei, sich ins Ge‐ spräch einzubringen. Dies bringe auch einen höheren Grad an Konzentration mit sich, denn in der Klasse fühle man sich dadurch geschützt, dass jemand die Hand aufhält und sich meldet, wohingegen in der Gruppe Konzentration ge‐ fordert ist, gleichzeitig aber auch der Raum zur Verfügung steht, sich in den verschiedenen Sprachen auszuprobieren, selbst in jenen, in denen man sich noch schwer tue (cf. 6.1.3.). Auch in diesem Fall schreibt die Lernende der Gruppe eine unterstützende Funktion zu, denn durch das gemeinsame Arbeiten an einem Ziel werden alle in der Ausarbeitungsphase aktiv und es werden Arbeitsbeziehungen zueinander eingegangen, die je nach Bedarf beibehalten oder abgeändert werden können. Das aktive Handeln und gemeinsame Planen innerhalb der Gruppe fordert von ihr eine erhöhte Aufmerksamkeit und unterstützt daher den Lernprozess. Das mehrsprachige Arbeiten war für sie nicht von Anfang an selbstverständlich, es bedurfte eines Gewöhnungsprozesses. Als dieser sich einstellte, konnte sich die Lernende immer mehr auf Formen der mehrsprachigen Kommunikation ein‐ lassen. Dabei ergab sich eine für Sarah neue und ungewohnte Situation. Diese Situation entspricht realen lebensweltlichen Situationen, die im Klassenzimmer simuliert werden, um die Lernenden auf unerwartete Schwierigkeiten im Alltag vorzubereiten. Dazu gehören das Sich-Einstellen auf die sprachlichen Bedürf‐ nisse anderer, das Entwickeln von Ausweichstrategien, der schnelle Sprach‐ wechsel und das informelle Übersetzen von Lx nach Lx2 (cf. 4.4.2.). Bezeichnend ist hier, dass die Schülerin das Projekt außerhalb des alltäglichen schulischen Ablaufs sieht. In ihrer Vorstellung ist es eine getrennte Einheit, die von den schulischen Maßstäben (Leistung und Leistungsmessung) abweicht und so den Lernenden neue freie Lernräume zur Verfügung stellt, die sie selbst ge‐ stalten können und in denen andere, neue Formen des Lernens ermöglicht werden. Durch aufgabenorientiertes mehrsprachiges Lernen werden also Me‐ chanismen der Selbststeuerung und Autoregulierung im Lernprozess aktiviert, die es der Lernenden erlauben, sich individuelle Lernziele zu setzen und eigene Lernwege zu identifizieren. Die Möglichkeit, sich frei und unbeschränkt aus‐ drücken zu können, spielt für die Schülerin eine zentrale Rolle, was sie im Ver‐ lauf des SR mehrmals wiederholt und betont. Mehrsprachigkeit wird von der Lernenden als Lernstrategie eingesetzt, die den Lernprozess in den einzelnen Sprachen erleichtert. Insbesondere CS wird als Instrument herangezogen, das, wenn genügend geübt, die Abrufbarkeit und Vernetzung der einzelnen Sprachen verbessert und beschleunigt (cf. 6.1.3.). 308 8 SchülerInnenauswertung Sarah: Weil es ist einfach z. B. wenn ich einen Text in Englisch schreibe, ich ihn vielleicht besser, als wenn ich rede, weil wir so wenig reden, weil wir viele Schüler sind, weil wir wenig zu Wort kommen. Aber in der Gruppe kann jeder seinen Beitrag leisten und ja und man kann einfach, der Kopf muss sich anstrengen und muss auch denken, weil sonst in der Klasse hebt jemand die Hand und ja. Aber in der Gruppe wie die anderen sind, auch wenn ich viel‐ leicht ein bisschen in viel … dann probiere ich mich auch und ich finde, dass das Projekt einigen von uns in den Sprachfächern, wo wir uns vielleicht etwas schwerer tun oder die neu für uns sind, nicht wie Deutsch, dass das wirklich hilft, weil da tun wir wirklich uns mit den Sprachen auseinandersetzen und uns auch probieren und die logisch ist überall ist eine Präsentation zu ma‐ chen, vielleicht eine PPt und ein handout, was vielleicht prüfungsrelevanter Stoff ist. Aber das ist jetzt Schule, das ist a parte, aber finde wirklich, dass wir das, dass wir auch lernen und dass wir auch reden können #00: 03: 39-7# CS setzt einen kontinuierlichen Sprachvergleich in der vorproduktiven Phase voraus. Sarah meint, dass sie dank dieses Prozesses jetzt Wörter immer schneller versteht. Hier spricht sie nicht mehr nur davon, dass sie Wörter besser aus an‐ deren Sprachen ableiten kann, sondern auch, dass es ihr leichter fällt, unbe‐ kannte Wörter zu verstehen. Das bedeutet, dass sich der lexikalische Transfer von einer Sprache in die andere beschleunigt und automatisiert hat und von der Schülerin nicht mehr als solcher wahrgenommen wird. Die Schülerin lernt, dass es an den Schnittstellen zwischen den Sprachsystemen schnell zu einem Aus‐ tausch und zu Überlappungen kommt und dass diese, wenn richtig genutzt, Ressourcen aktivieren, die das Lernen beschleunigen können (cf. 3.2.2.). Eine Folge dieses Vorgangs ist, dass sowohl beim aktiven als auch beim pas‐ siven Sprachgebrauch viel mehr reflektiert wird. Reflexion spielt demnach in ihrem Lernprozess eine immer größere Rolle und beeinflusst und verändert daher auch das Lernverhalten. Die Abläufe und Transfermöglichkeiten in der mehrsprachigen Sprachproduktion geraten ins Bewusstsein, was die Voraus‐ setzung für die Bildung eines „Sprachenmonitors“ ist (cf. 4.4.2.). Es handelt sich dabei um die gewohnheitsmäßige und ständige Kontrolle bzw. Überwachung der eigenen Sprachproduktion zur Fehlervermeidung und zur Inanspruchnahme von Transfermöglichkeiten auf allen Ebenen. Eine erhöhte Sprach(en)bewusst‐ heit, wie sie sich bei Sarah feststellen lässt, ist die wichtigste Folge dieses Mehr‐ sprachenmonitors (cf. 4.3.1.). Sarah thematisiert in diesem SR erstmals ihre ladinische Herkunft, nachdem es einen Zwischenfall im Unterricht gegeben hatte: Aufgrund ihres rollenden 309 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung „r“, das für Personen ladinischsprachiger Herkunft typisch ist, wurde der Schü‐ lerin bei einem Vortrag eine Note abgezogen, mit der Begründung, sie müsse versuchen, die Aussprache des „r“ zu korrigieren, da es im Französischen falsch klinge. Die Schülerin reagierte darauf im Unterricht nicht, ging dann allerdings im SR auf diesen Vorfall ein. Sie verwendet das Ladinische in der Schule nicht und ist durch ihre besondere Aussprache auch in den anderen Sprachen sehr verunsichert. Auch während der Datenerhebung war es auffallend, dass sie weder in den Aushandlungsprozessen noch in ihrer Kommunikation außerhalb des Unterrichts Ladinisch spricht. Sie gibt an, dass sie oft auf Ladinisch denkt, um dann in eine andere Sprache wie z. B. das Französische zu übersetzen („Ich denke in Deutsch oder Ladinisch und dann muss ich es in meinem Kopf in Fran‐ zösisch umwandeln oder in Englisch und dann muss ich es sagen und der Prozess wird immer schneller.“) (cf. 2.4.1). Diese Haltung ist ein Hinweis darauf, dass auch in diskursiven Interaktionen im mehrsprachigen Unterricht sprachliche Hierarchien wohl präsent sind und Machverhältnisse spiegeln. Sarah ist durch ihre ladinische Herkunft und die sprachlichen Charakteristika, die damit verbunden sind, innerhalb der Schul‐ gemeinschaft leicht zu erkennen. Weil Ladinisch einen niedrigen sozialen Status hat, ist diese Sprache im schulischen Alltag marginalisiert. Sarah wird daher keine Möglichkeit gegeben, sich in ihrer L1 auszudrücken. Dadurch kann sie einen Teil ihrer Persönlichkeit, der mit dieser Sprache verbunden ist, innerhalb der Schule nicht ausleben: Erfahrungen und Emotionen, die das schulische Lernen unterstützen könnten, bleiben ausgeblendet (cf. 4.6.3.), was bedeutet, dass das Inklusionsprinzip bei sprachlicher Bildung verletzt wird. Dadurch dass der schulische Alltag im Namen einer unausgesprochenen Sprachideologie eines Teils seines Sprachen- und Kulturreichtums beraubt wird, geht Lernenden eine seltene Gelegenheit verloren, durch mehrsprachiges Handeln Selbstwirk‐ samkeit und Empowerment zu erfahren. Die für die Schülerin sehr wichtige Sprache ihrer Sozialisation wird durch das schulische Umfeld abgewertet und als für die schulische Kommunikation nicht geeignet erachtet. Sarah hält sich unbewusst an diese ungeschriebene Regel und fühlt sich, bedingt durch ihre besondere Sprachbiographie, in ihrer gesamten sprachlichen Produktion unzu‐ länglich. Sarah: Ja, ich merke z. B., dass ich in anderen Sprachen etwas zurückhaltender bin. Z. B. Französisch, weil man weil wir das nicht so gut können oder weil ich vielleicht noch Fehler mache und mich da nicht so viel getraue zu reden 310 8 SchülerInnenauswertung oder so Italienisch dann habe ich eben das „r“, das den anderen, den Lehrern vielleicht auf die Nerven geht. #00: 04: 34-3# In Sarah findet jedoch ein Bewusstwerdungsprozess statt, der dazu führt, dass sie ihr Sprachverhalten kritisch reflektiert. Es wird ihr klar, dass ihr sprachliches Repertoire einen Reichtum darstellt, was ihre persönliche Haltung dem Ladini‐ schen gegenüber verändert. Das ist ein erster wichtiger Schritt und Vorausset‐ zung für weitere Maßnahmen, die nötig sind, damit durch Inklusion Formen des sprachlichen Handelns gefördert werden können, durch die das Ladinische, aber auch andere Rand- und Minderheitensprachen sowie Migrationssprachen und deren Kulturen integraler Bestandteil des schulischen Alltages werden. Um althergebrachte und weitgehend unbewusste Sprachverhaltensmuster aufzubrechen, bedarf es laut Aussage der Schülerin einer Modifikation der Rolle der Lehrperson im Unterricht. Hier leistet der mehrsprachige aufgabenorien‐ tierte Unterricht einen wichtigen Beitrag, denn durch das mehrsprachige Lern‐ setting nehmen die Lernenden die Lehrpersonen anders wahr. So meint Sarah, dass es für sie zwar ungewohnt sei, dass Lehrpersonen mehrere Sprachen gleichzeitig sprechen, sie das aber gut finde, da man so merke, dass auch Lehr‐ personen nicht perfekt seien. Die Aktualität der Themen und die offenen Frage‐ stellungen bewirken, dass die Lehrpersonen aktiv in das Geschehen in der Klasse einbezogen werden, weil sie sich mit Fragen anders als in der gewohnten Art auseinandersetzen müssen. Das Arbeiten mit mehreren Sprachen stellt auch die Lehrperson vor neue Herausforderungen, denn es kann nicht vorausgesetzt werden, dass Lehrkräfte alle Sprachen auf gleichermaßen hohem Niveau be‐ herrschen (cf. 6.1.3.). So kann es vorkommen, dass auch Lehrkräfte in die Rolle der Lernenden schlüpfen und Neues dazulernen. Die Lernende steht dieser Tatsache mit Of‐ fenheit gegenüber und nimmt wahr, dass dadurch ein anderes Lernklima in der Klasse entsteht, in dem man auf einer anderen als der gewohnten Ebene mit den Lehrpersonen interagieren kann. Sie sieht dies als sehr lernfördernd und positiv an, denn auf diese Weise werde mehr verhandelt und diskutiert, wobei alle Be‐ teiligten einen Lernprozess durchlaufen. Es sei gut zu sehen, dass auch Lehr‐ personen vor sprachlichen Problemen stehen, bei denen auch sie Hilfe benö‐ tigen. Lehrpersonen gelten nicht mehr als unfehlbar, was Vertrauen schafft und den Lernenden die Angst nimmt. Die Lernende kann so mit ihren Ängsten und Unsicherheiten besser umgehen, da sie die Lehrpersonen nicht mehr als urtei‐ lende Instanz wahrnimmt (cf. 4.4.1.). 311 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung Sarah: Ungewohnt, auch da merkt man, dass die Lehrer auch nicht perfekt sind, weil die (Namen der Lehrperson) muss ich sagen, sie ist halt, was ich mitbekommen habe, sie kann ja alle Sprachen super, aber ja und im Unterricht nimmt sie es auch vom Italienischen und so oder auch wenn sie mal etwas nicht kann ah dann merkt man, sie ist wie wir und wir lernen ja jede Stunde etwas Neues und auch in dem Projekt und das Schönste, was ich am Projekt finde, ist, wenn wir in der Gruppe sind, etwas die Lehrer fragen können oder auch wenn wir sie etwas auf Deutsch oder auf Italienisch ansprechen können und sie uns das dann sagen und ich glaube, dass auch für die Englischlehrerin, sie kann kein Französisch, sie lernt, glaube ich, jede Stunde auch etwas Neues dazu, auch bei Italienisch oder so, ich finde, dass da jeder etwas mitlernt und dass sie auch von uns Schülern lernen auch durch das Projekt. #00: 08: 18-1# 8.2.6 Stimulated Recall 3: Neue mehrsprachige Kommunikationsformen entdecken Datum 18.03.2016: Aus diesem Interview geht hervor, dass die Schülerin nun‐ mehr im Gegensatz zu den vorhergehenden SR in der Lage ist, in allen Sprachen gleichzeitig zu kommunizieren. Es macht ihr nichts mehr aus, in welcher Sprache sie eine Antwort erhält. Im SR 2 bediente sie sich noch einer sukzessiven mehrsprachigen Kommunikationsform, jetzt kann sie ihre Repertoires unmit‐ telbar wechseln, also simultan mehrsprachig durch intrasententielles CS kom‐ munizieren. Sarah erkennt, dass sich in ihrer Art, Sprachen abzurufen, etwas geändert hat. Da sie alle ihr bekannten Sprachen über einen längeren Zeitraum gleichzeitig aktivierte, veränderte sich sowohl das mehrsprachige Repertoire als auch der Language Mode dadurch, dass die Erkennungs- und Abrufmecha‐ nismen nochmals potenziert und beschleunigt wurden. Sarah: Also, ich habe jetzt gemerkt, dass ich jetzt so vom Kopf Ausgleich von einer Sprache auf die andere wechseln kann, das ist jetzt mir… mir ist es jetzt egal, ob sie mir jetzt auf Deutsch oder Italienisch antwortet oder ich ihr auf Englisch oder so antworten tu. (…) Zum Beispiel benutze ich das Englische vor dem Französischen in gewissen Situationen, aber mir ist es… mir ist auf‐ gefallen, dass es wenig abhängt oder auch mir ist es sozusagen egal, in wel‐ cher Sprache sie mir antwortet, weil ich alle verstehe oder schon gleich im Kopf wechseln kann und nicht danach noch eine Minute übersetzen muss und so, ich finde, dass das (kurze Pause) ja, dass das jetzt… weil wir haben ja 312 8 SchülerInnenauswertung einmal ehmm… das Projekt in Englisch gehabt und dann, glaube ich, war eine Woche Pause und dann jetzt in Französisch und in der Woche Pause… boh, jetzt merkt man viel mehr, dass man… (kurze Pause), dass ich (kurze Pause), dass ich Fortschritte mache, von einer Sprache in die andere zu wechseln und das ich beide… alle Sprachen verstehe und ich auch in allen Sprachen reden kann #00: 01: 27-7# Selbst in dieser fortgeschrittenen Aktivierungsphase des mehrsprachigen Re‐ pertoires bleibt das Ladinische ausgenommen. Laut der Aussagen der Schülerin ist es latent immer vorhanden und ihr besonders für romanische Sprachen als Brückensprache dienlich (cf. 3.2.2.). Es bleibt von der aktiven Sprachproduktion nicht nur im Unterricht, sondern im gesamten schulischen Alltag, auch nach Abschluss des Projektes, ausgeschlossen. Die Hemmschwelle bleibt für die Schülerin zu hoch und das Gefühl der Unangemessenheit ist zu stark, um diese sprachliche Barriere zu durchbrechen. Dies zeugt von der Unfähigkeit des Sys‐ tems, die Lernende in ihrer gesamten Persönlichkeit aufzunehmen und zu för‐ dern. Das Individuum wird dadurch gezwungen, die eigene Wahrnehmung und Interpretation der Welt und deren möglichen narrativen Räume auf die vom System vorgegebenen Kanäle zu beschränken. Dies wirkt sich besonders negativ auf den literarischen Unterricht aus, denn auch hier bleibt die ladinische Kultur mit ihrem Reichtum an Sagen und Legenden unberücksichtigt (cf. 3.5.3.). Im Laufe des Gesprächs geht Sarah auf das Modul Die Rose in der abendländ‐ ischen Kultur ein: Beides, die Rose und die Liebe, würden in den unterschiedli‐ chen Sprachen ganz verschieden behandelt. Die Rose gelte kulturübergreifend als Symbol für Liebe, dennoch seien die jeweiligen Bedeutungen je nach Sprache different. Interessant fand sie darüber hinaus, dass es in den verschiedenen Epochen unterschiedliche Liebeskonzepte gegeben habe, dass Liebe in jeder Sprache anders dargestellt werde und dass in früheren Epochen der soziale Status einer Person eine größere Rolle gespielt hätte. Auch das Ladinische habe hier einen wertvollen Beitrag leisten können. Die in diesem Modul behandelten narrativen Texte und Gedichte stellen li‐ terarische Genres unterschiedlicher Epochen und Kulturkreise vor; durch ihre Mehrsprachigkeit stehen sie in Beziehung mit unterschiedlichen kulturellen und sozialen Referenzsystemen. Im Zusammenspiel mit diversen kulturhistorischen Hintergrundinformationen kann sich die Schülerin mit dem Phänomen der Be‐ deutungshybridität auseinandersetzen. Narrative Formen sind auch Konglome‐ rate von Geschichte und Geschichten, die sowohl die individuelle als auch die kollektive Identität prägen. Beim mehrsprachigen Schreiben, das die Schüle‐ rInnen absolvieren, geht es also nicht nur um Schreiben in verschiedenen Spra‐ 313 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung chen, sondern vielmehr auch darum, verschiedene Diskurswelten miteinander in Verbindung zu bringen, zu vergleichen und die eigene Identität in dieser Vielfalt zu positionieren (cf. 4.2.1.). Sarah: Ehmm… ja zum Beispiel, das ist, wenn wir jetzt über die Rose sprechen oder über die Liebe, sie wird in jeder Sprache anders dargestellt, zum Beispiel im deutschen Text, der war bei uns viel länger als andere Texte (kurze Pause) beim Englischen war nur ein kleiner Satz, was wirklich schon zum Interpre‐ tieren gebracht hat und jeder hat seine äh… Meinung dazu entwickelt oder auch selber nachgedacht, beim Italienischen, da war es ein bisschen schwie‐ riger, weil (kurze Pause) du doch (kurze Pause) schauen gemusst hast, was er wirklich meint oder ob es eher positiv oder weniger oder ob es wirklich mit der Liebe oder ob es eher auf die allgemeinen sachlichen Dingen sind… materielle Sachen und im Französischen, da haben wir so ein Textausschnitt gehabt von (kurze Pause) dem kleinen Prinzen… ja ich finde einfach, in jeder Sprache übermittelt es anders oder zum Beispiel (kurze Pause) ehmm… ja, mir hat das Englisch… Englische wirklich sehr gut gefallen, weil (kurze Pause) äh, weil da wirklich auch (kurze Pause) selber daran nachgedacht hast, aber wirklich auch: Boa was hat das jetzt geheißen? 8.2.7 Retrospektives Interview: Jede Sprache ist an ein Gefühl gebunden Datum 5.05.2016: Der erste Text von Sarah ist ein Gedicht, in dem sie eigene dialektale Wendungen und solche aus einem ihr bekannten Dialekt-Lied ein‐ fügte (Appendix II). Sie wählte den Dialekt, weil sie ihn im Alltag verwendet, wenn sie sich über etwas freut. Der Dialekt ist ihrer Meinung nach gefühlvoller und er eigne sich deshalb besser, um Emotionen auszudrücken, der Empfänger werde durch den Dialekt unmittelbarer angesprochen (cf. 4.6.1.). Die Schülerin zeigt sich experimentierfreudig, sie integriert eigene Erfahrungen, die sie mit lebensweltlicher Mehrsprachigkeit gemacht hat, in den schulischen Alltag und erkennt dabei, dass Sprachen emotional ganz unterschiedlich auf die Zuhörer wirken. Durch Mehrsprachigkeit, in diesem Fall vor allem durch den Dialekt, findet die Schülerin diejenige Kommunikationsform, die am geeignetsten ist, bestimmte emotionale Aspekte mitzuteilen. Sie kann das zwar nicht klar in Worte fassen („es ist irgendwie anders“), entwickelt aber ein Bewusstsein dafür, dass Gefühle in verschiedenen Sprachen unterschiedlich ausgedrückt werden und dass TL die Möglichkeit bietet, zwischen diesen unterschiedlichen Formen 314 8 SchülerInnenauswertung der Darstellung von Realitätswahrnehmungen zu vermitteln. In den dialektalen Abschnitten werden deshalb Erinnerungen dargestellt und die damit einher‐ gehenden Gefühle. Das lyrische Ich blickt in die Vergangenheit, wodurch frühere Erfahrungen mit der gegenwärtigen Situation verglichen werden. Ein weiterer Grund für die Wahl des Dialekts ist Sarahs Wunsch, etwas zu machen, was die anderen nicht tun, und einen besonderen sprachlichen Überraschungs‐ effekt zu erzielen. Die Schülerin begeistert sich für die Freiheit, die es ihr erlaubt, kreativ zu schreiben (cf. 3.5.3.). Sarah: Und dann boh (Pause) das hat mir schon relativ gut gefallen, weil da konnten wir kreativ sein oder auch in Bezug auf Liebe einführen oder halt, ja, das hat mir eigentlich ganz gut gefallen. #00: 01: 23-3# Es lassen sich also drei Gründe ausmachen, weshalb Sarah sich dazu entschloss, den Dialekt in ihr Gedicht einzubauen: das bereits vorhandene dialektale Lied, die besonderen Eigenschaften des Dialekts und der Innovationsimpuls. In allen drei Fällen geht der Wahl ein Entscheidungsprozess voraus, der ein komplexes Zusammenspiel von unterschiedlichen Variablen beinhaltet. Die Sprachwahl erfolgte frei und nach von ihr selbst bestimmten Kriterien, war also nicht zu‐ fällig. Jedem CS geht hier ein bewusster Entscheidungsprozess voraus, der, wie die Interviews zeigen, auf einer zwar vorbewussten Ebene getroffen wird, hinter der sich aber immer eine Absicht verbirgt. Im SR kommt dies ansatzweise zum Vorschein. Es ist hier anzumerken, dass nicht alle Entscheidungsprozesse im SR abrufbar sind und die Texte viel komplexere Zusammenhänge aufweisen, als von den Lernenden unmittelbar im SR erkannt werden. Sarah: Ja weil wenn ich mit Freunden rede, dann rede ich ja auch Dialekt und dann habe ich mir gedacht, das ist etwas mehr sentimental oder dass es besser rüber kommt und dann habe ich mir einfach gedacht, warum nicht immer das, weil wir können ja auch Dialekt, wir können schon auch Hochdeutsch, aber wir können ja auch Dialekt, dann nehme ich mal das, vielleicht nehmen die anderen was anderes und es hat eigentlich ganz gut hineingepasst. #00: 01: 55-7# Als nächste Sprache wählt Sarah Englisch, da sie viele englische Lieder kennt und mit den in diesem Bereich üblichen Ausdrucksformen vertraut ist, ebenso wie mit denen des Dialekts. Beide Sprachen konnte sie kombinieren, da ihr in 315 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung beiden die gängigen Ausdrucksformen bekannt sind. Auch hier fällt, wie fol‐ gende Aussage bezeugt, die Entscheidung zugunsten des Englischen und gegen das Ladinische, das folglich auch vom Schreibprozess ausgeschlossen wird. Sarah: Neben Ladinisch auch und Englisch ich gerne weil einfach die klassi‐ schen Liebeslieder auf Englisch sind oder einfach mehrere Sänger auf Eng‐ lisch singen oder auch die Liebe durch singen also ja #00: 02: 51-6# Italienisch ist für sie wenig geeignet, Liebe zu thematisieren, allerdings könne sie auf Italienisch gut Trauer ausdrücken. Sie nutzt die italienische Sprache je‐ doch für den Refrain des Liedes, wodurch sie eine prominente und strukturie‐ rende Funktion innerhalb des Gedichtes erhält. Refrains bündeln und intensi‐ vieren die Strophen, wodurch die Aussage des gesamten Gedichtes verstärkt wird. Besonders in der Popmusik spielt der Refrain eine zentrale Rolle, häufig ist um ihn herum das gesamte Lied komponiert. Sarah begründet ihre Sprach‐ wahl mit der Tatsache, dass sie im Chor singt und immer wieder italienische Refrains lernt, die ihr besonders gefallen, weil sie eine besondere Wirkung haben (Knörrich, 2005: 113 ff.). Die Wahl dieser Sprache gründet demnach auf biogra‐ phischen Prämissen. Sarahs Aussagen beinhalten einen Widerspruch: Einerseits behauptet sie, dass Italienisch nicht geeignet sei, um im Gedicht Gefühle auszudrücken. Sie begründet dies damit, wenig Übung im Umgang mit emotionalen Themenbe‐ reichen auf Italienisch zu haben. Auf der anderen Seite gibt sie dem Italienischen im Refrain eine prominente Rolle. Dieser Widerspruch zeigt, dass die Wahl der Sprachen nicht zur Gänze rational kontrolliert wird und aufgrund von Kriterien erfolgt, die für die Schülerin im Nachhinein nicht mehr nachvollziehbar und häufig biographisch bedingt sind. Erst durch die Reflexion darüber im Interview erkennt die Schülerin, dass sie ihr Lied durch die Wahl der Sprachen auf unter‐ schiedlichen Ebenen wie Gefühlsausdruck, Erinnerung, Überlegung, Gegenwart und Struktur des Gedichtes konzipiert hat (cf. 4.6.1. und 4.6.2.). Folgende Aus‐ sage bestätigt diese Annahme: Sarah: Es wäre vielleicht wieder nur die Trauer, weil da ist schon mehr finde ich den Bezug, den ich zum Italienischen habe, dass das ok ist oder dass da ja jetzt schaue ich weiterzugehen, aber jetzt komme ich wieder zum Engli‐ schen, weil ich trotzdem wieder zurückdenke. Boh, das habe ich nicht so, das habe ich eigentlich alles eher unbewusst gemacht. Oder auch z. B. Deutsch ist das, was ich ausspreche, Italienisch ist das, was ich sage, weil ich es sagen 316 8 SchülerInnenauswertung muss, und das Englische ist das, was zurückschaut, das, was ah trotzdem vielleicht dann kommt wieder Deutsch, das was ich denke und dann schaut man wieder ganz zurück (…) ja, da einfach ja Trauer aber auch Freude, weil ich zurückdenke und da ist einfach, dass ich lebe mit der Tatsache weiter oder ich versuche einfach trotzdem weiter meinen Weg zu gehen. #00: 04: 22-1# Für Sarah besteht zwischen Englisch und Deutsch eine Verbindung, weil sie mit beiden Sprachen ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Italienisch empfindet sie hingegen anders, allerdings ist die Schülerin nicht in der Lage zu erklären, worin diese Andersartigkeit besteht. Ladinisch klammerte sie auch beim Schreiben aus mit der Begründung, dass keiner sie verstanden hätte. Gleichzeitig meint sie hier, dass Ladinisch die Sprache sei, in der sie sich daheim fühle, sie spreche es mit ihren Eltern und Kollegen. Der Dialekt verbinde sie mit Südtirol und identifiziere sie als Südti‐ rolerin, wohingegen Italienisch sie mit Italien verbinde und das Englische mit Europa und der ganzen Welt. Das Standarddeutsche hingegen ordnet sie ihrer lebensweltlichen Mehrsprachigkeit nicht zu, was daher rührt, dass sie diese Sprache im Alltag nur im Unterricht verwendet. Sarah: Boh, wenn ich Ladinisch spreche, dann ist das für mich ganz halt fühle ich mich daheim, weil zum Beispiel im Heim habe ich meine Kollegen und wir reden Ladinisch und dann ist es wie als wäre ich auch daheim oder so und in Dialekt ist einfach, dass ich da in Südtirol bin und Italienisch einfach Italien und dann ist Englisch oder so ist Europa bzw. auf der Welt. #00: 07: 21-9# Sarah verortet ihre Sprachen geographisch anhand der Verwendungsbereiche. Sie haben für die Schülerin unterschiedliche emotionale Färbungen, anhand derer sie die Sprachen beim Schreiben auswählt (cf. 4.6.3.). Das Ladinische ge‐ hört dorthin, wo sie zuhause ist, nicht nur geographisch, sondern auch emoti‐ onal, nämlich nach Gröden und in das Studentenheim, wo sie mit einigen Grödner FreundInnen Ladinisch spricht. Deshalb sei, wie die Schülerin meint, kein Platz für diese Sprache an der Schule. Die Sprachen sind in Sarahs Vorstel‐ lung an mentale und emotionale Landschaften (LL) gebunden und gemäß dieser Landschaften wird die Sprachverwendung gesteuert. Dies ist eine weitere Be‐ stätigung dafür, dass die Sprachwahl nicht nach dem Zufallsprinzip erfolgt oder nur situationsgebunden ist, sie wird vielmehr von einem Sprachverwendungs‐ 317 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung schema gelenkt, das sich sowohl aus biographischen, gewohnheitsgemäßen Prämissen als auch aus emotionalen Zuordnungen ergibt. Diese inneren Sprachlandschaften zeigen einerseits ihre emotionale Bindung zu den einzelnen Sprachen, sie reflektieren aber auch Sprachhierarchien, die unbewusst von der Außenwelt übernommen werden und unreflektiert wieder‐ gegeben werden. Durch das mehrsprachige Schreiben nimmt die Schülerin diese innere Sprachlandschaft erst wahr. Sie sieht, dass ihr Sprachgebrauch von einer Reihe von Faktoren beeinflusst wird, die nicht von ihr abhängen und sie dennoch stark prägen. Sie erkennt das Ausmaß ihrer Wirkung auf ihr Sprechverhalten und wie die Aktivierung ihres mehrsprachigen Repertoires dadurch einge‐ schränkt wird. Durch diesen Bewusstwerdungsprozess eröffnen sich für Sarah neue Möglichkeiten im Umgang mit der eigenen Mehrsprachigkeit, die auch dem Ladinischen einen gleichwertigen Platz einräumt. Nur so kann die Diskre‐ panz zwischen emotionaler Zugehörigkeit zu einer Sprache und deren gleich‐ zeitige Verweigerung im schulischen Kontext, die dazu führt, dass die Schülerin Aspekte ihrer Persönlichkeit und ihre emotionalen Skripts aus dem schulischen Alltag ausklammert, aufgehoben werden (cf. 2.4.1). In den Gedichten erfolgt der Sprachenwechsel auf Satzebene, wohingegen die Reden von einem Sprachenwechsel auf Absatzebene gekennzeichnet sind, die der Rede Struktur verleihen. Die Rede „My speech“ gliedert Sarah sprachlich nach Einleitung/ Italienisch, Wendepunkt/ Französisch, Höhepunkt/ Englisch und Abschluss/ Deutsch (Appendix II). Italienisch wählte sie für die Einleitung aus, da ihr dies gut gefallen habe. Sie habe außerdem einen großen Wortschatz auf diesem Gebiet, da sie Redesituationen aus ihrem Alltag kenne, sie habe ihrem Vater oft dabei zugehört, wie er auf Italienisch Reden beginnt. Der Übergang in Französisch erfolgte spontan, weil ihr in diesem Moment ein Satz in dieser Sprache eingefallen war, der passen könnte. Englisch wählte sie für den längsten Absatz, obwohl ihr das Schreiben in dieser Sprache in diesem Zusammenhang am schwersten gefallen sei. Das kommt ihrer Meinung nach daher, dass sie in den anderen Sprachen viel über die Flüchtlingsproblematik gehört hat, nicht aber in Englisch, da sie keine englischen Nachrichten schaut. Sie wählte diese Sprache dennoch, weil das Gesagte so besser ankomme. Im musikalischen Be‐ reich wirke Englisch auf sie gefühlvoll, im Rhetorischen findet sie es trocken und strukturiert. Sie habe deshalb Deutsch für das Ende aufbewahrt, um spie‐ lerischer zum Ende zu kommen (cf. 9.7.2.). Diese Aussagen zeigen, dass sie auch hier den Sprachenwechsel als Struk‐ turelement einsetzt und so dem Text Kohäsion verleiht. Mehrsprachigkeit be‐ wirkt nicht Chaos, sondern Ordnung im Text, sie hilft der Schülerin, ihre Ge‐ danken klar zu strukturieren und darzustellen. Es wird außerdem ersichtlich, 318 8 SchülerInnenauswertung dass sich hinter der Wahl der Sprachen komplexe Überlegungen verbergen. Ei‐ nerseits sind, wie schon gesagt, biographische Gründe ausschlaggebend, ande‐ rerseits spielt wie in diesem Fall ihre funktionale Mehrsprachigkeit eine nicht unwichtige Rolle, denn sie erlaubt es ihr, sich in Teilbereichen in einer Sprache besser und leichter auszudrücken. Die Wahl des Englischen kann hier auch als eine literarisch-ästhetische bezeichnet werden, denn die Schülerin orientiert sich an Kriterien wie Musikalität und Rhythmus. Die Aussage der Schülerin zeigt abermals, dass sich hinter der Sprachwahl komplexe Sprachlandschaften und Entscheidungen verbergen, die auf unterschiedlichsten Ebenen wirksam werden und im Schreibprozess zu Bewusstsein kommen. Sarah: Ja, da habe ich mir gedacht, da soll es jetzt ein bisschen ernster werden, weil ich weiß ja auch nicht, weil jetzt kommt ja der Höhepunkt und dann zum Schluss #00: 12: 24-3# Zu Beginn fand Sarah mehrsprachiges Schreiben recht schwierig, mit der Zeit fiel ihr jedoch auf, dass es Raum für Experimentieren bietet. Sie stellte fest, dass in bestimmten Sprachen die Ideen schneller kommen und dass sie sich in an‐ deren Sprachen schwerer tut. Mehrsprachiges Schreiben sei nicht so monoton wie einsprachiges. Der mehrsprachige Text wirke auf die Zuhörer anders, da Sprachenwechsel Signalwirkung hat, die Zuhörer das merken und aufmerksam werden. Bedeutung wird also auch jenseits der traditionell einsprachigen Kanäle vermittelt. Mehrsprachigkeit, Klang und Rhythmus der einzelnen Sprachen werden hier zu poetischen Bedeutungsträgern. Sarah: Ich glaube, dann bleibt es halt so monoton, dann bleibt immer der Gedanke, dass was passiert ist und wenn ich auf Italienisch denke oder der Zuhörer denkt sich hoppla, jetzt ist etwas anderes #00: 19: 31-7# Mehrsprachiges Schreiben verlangt folglich von der Schülerin, sich Gedanken darüber zu machen, was besser und effektiver in einer Sprache ausgedrückt werden kann und wie es auf die ZuhörerInnen wirkt, wodurch ein neuer Ad‐ ressatenbezug entsteht. Der Sprachwechsel wird zum strukturierenden Element des poetischen Textes und verleiht ihm neben einer aussagebestärkenden oder -abschwächenden Funktion auch Kohärenz und Kohäsion. Die unterschiedliche Wirkung der Sprachen, die Konnotation der einzelnen Wörter sowie an Erfah‐ rungen gebundene Emotionen werden zu neuen, von der Subjektivität des Ein‐ 319 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung zelnen geprägten Kriterien für den poetischen Sprachwechsel. So ist z. B. der Ausdruck „un cordiale saluto da parte mia“ nicht mit derselben klanglichen und inhaltlichen Wirkung in andere Sprachen übersetzbar. Aus diesem Zusammen‐ spiel der Sprachen entstehen neue Bedeutungswelten, die den Facettenreichtum und die Komplexität der mehrsprachigen Identität der Lernenden zum Vor‐ schein bringen und in unterschiedlicher Form auf die Adressaten wirken. Es wird eine Welt in der Bedeutung zwischen Sprachen und Kulturen gemittelt und fügt sich neu zusammen. 8.2.8 Zusammenschau der Lernprozesse Sarah ist von Beginn des Projektes an in der Lage, auf ein mehrsprachiges Re‐ pertoire zurückzugreifen und baut diese Fähigkeit im Verlauf des Projektes aus. Dieser Prozess beschleunigt sich laut Aussagen der Schülerin, das mehrspra‐ chige Repertoire habe sich den neuen Gegebenheiten angepasst und wurde da‐ durch schneller abrufbar. Sie konnte so im Gespräch TL sprachstrategisch ein‐ setzen und auf bildungssprachliches Niveau erweitern. Sie lernte durch den simultanen Sprachgebrauch ihre Sprachkenntnisse besser einzuschätzen, konnte die Sprachkompetenz der einen mit der einer anderen Sprache verglei‐ chen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse in ihren Lernprozess einbauen. Aufgrund ihrer guten Italienischkenntnisse übernimmt sie im Gruppenge‐ spräch öfters die Rolle derjenigen, die die anderen dazu bringt, Italienisch zu sprechen. Sie monitorisiert das Gespräch kritisch, greift durch CS regulierend in das Geschehen ein, benutzt Lehnübersetzungen und CS, um Kritik abzu‐ schwächen und humorvolle Effekte zu erzielen. Sie kann in unterschiedliche Sprachrollen schlüpfen und dadurch unterschiedlichen Aspekten ihrer Persön‐ lichkeit Ausdruck verleihen. Sie ist sich bewusst, dass ein Sprachenwechsel oft auch einen Wechsel des Kommunikationsniveaus bedeutet und dass das Ar‐ beiten in einer Fremdsprache einen höheren Grad an Konzentration fordert. Eine Fremdsprache setzt sie immer dann ein, wenn das Gespräch ins Belanglose abdriftet (cf. 4.5.1.). Sie kann beim Vortragen von einer Fremdsprache direkt in die andere über‐ tragen, ohne in L1 rückübersetzen zu müssen und verwendet dabei bewusst TL, um zwischen verschiedenen Kulturen und Sprachen zu mitteln. Dabei werden die Inhalte von Texten von einem Kulturkreis in den anderen übertragen, wo‐ durch eine Hybridisierung von Bedeutung sowohl auf sprachlicher als auch auf inhaltlicher Ebene stattfindet. Sarah kann sich mithilfe dessen, was sie in an‐ deren Sprachen bereits gelernt hat, auch auf sprachlich hohem Niveau zurecht‐ finden. Sie kann also erworbenes Wissen sprachübergreifend anwenden. Durch 320 8 SchülerInnenauswertung ihre lebensweltlich mehrsprachige Erfahrung kann Sarah sich auf bildungs‐ sprachlichem Niveau mehrsprachig ausdrücken und erweitert ihr mehrspra‐ chiges Repertoire in allen Sprachen durch bildungssprachliche Elemente. Sie entwickelt eine Reihe von Strategien, die sie befähigen, diese sprachlich kom‐ plexe Situation zu meistern. Sie bedient sich für die Mittlung zwischen den beiden Fremdsprachen ihres gesamten sprachlichen Repertoires und besonderer sprachstrategischer und sozialer Kompetenzen. Sie beschleunigt ihren Lernpro‐ zess, indem sie die Sprache auswählt, die sie am schlechtesten beherrscht, um sich darin zu verbessern. Dabei wählt sie einen anderen als den gewohnten ein‐ sprachigen strukturbezogenen Lernprozess: Sie bezieht alle Sprachen mit ein derart, dass diese sich gegenseitig durch ständiges Übertragen von einer Sprache in die andere gegenseitig stärken. Dadurch lernt die Schülerin mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln komplexe Sachverhalte zu kommunizieren (cf. 3.3.1.). Der Schülerin wird bewusst, dass durch TL Erfahrungs- und Bedeu‐ tungsebenen miteinander vernetzt werden und dass das mehrsprachige Reper‐ toire als ein Ganzes funktioniert. Sie überwacht die eigene Sprachproduktion ständig (Language Monitoring), hinterfragt das Sprechverhalten der Gruppe kri‐ tisch und erkennt, dass sich die Gruppe in der Regel den Sprachentscheidungen Einzelner anpasst. Sarah lernt, dass sie in den verschiedenen Sprachen unterschiedliche Sprach‐ rollen übernehmen und mit Sprachen in unterschiedlichen Situationen experi‐ mentieren kann. Sie entdeckt Formen des mehrsprachigen Lernens, in denen Inhalte und Problemstellungen den Kern des Handelns im Unterricht darstellen. Hier kann die Schülerin sich selbst individuelle Lernziele setzen und die besten Lernwege identifizieren. Die Lehrperson übernimmt im mehrsprachigen auf‐ gabenorientierten Unterricht eine neue, weniger klar umrissene Funktion bei gleichzeitig größerer SchülerInnen-Nähe. Innerhalb des mehrsprachigen Re‐ pertoires bildet sich bei Sarah auch ein generisches mehrsprachiges Repertoire aus und auch hier kommt es zu Formen der Hybridisierung. Das dabei häufig angewendete CM und CS ist für sie nicht mehr negativ konnotiert und wird als Instrument des Sprachenlernens anerkannt. Diese Bewusstwerdung erfolgt in einem Prozess gesteigerten mehrsprachigen Austauschs, die die Lernenden vor unerwartete Herausforderungen stellt, wie z. B. die einer mehrsprachigen Ge‐ räuschkulisse. Sarah bemerkt auch, dass die Sprachen ihres Repertoires inner‐ halb der Schule unterschiedlich gewertet werden, weil es nach wie vor eine sprachliche Hierarchie gibt, in der das Ladinische kein großes Ansehen genießt (cf. 4.6.3.). Das mehrsprachige literarische Lernen brachte die Schülerin zu der Er‐ kenntnis, dass Texte mit unterschiedlichen kulturellen Referenzsystemen ver‐ 321 8.2 Sarah: Minderheitensprache und Sprachverdrängung knüpft sind und dass unterschiedliche Kulturkreise unterschiedliche Codes (z. B. Symbole) verwenden. Innerhalb dieser Diskurswelten kann sich die Lernende selbst positionieren. Sarah vergleicht ihr Sprachenrepertoire mit einer sprach‐ lichen Landschaft, in der jeder Sprache ein spezielles Verwendungsfeld zuge‐ wiesen ist. Zudem wird ihr durch mehrsprachiges Schreiben bewusst, dass die einzelnen Sprachen mit besonderen emotionalen Färbungen versehen sind. Beides stellt jeweils ein wichtiges Kriterium für die Wahl der Sprachen im Dis‐ kurs und im Schreibprozess dar. Mehrsprachiges Schreiben gibt ihr die Mög‐ lichkeit, mit emotionalen Färbungen zu spielen und strategisch gezielt Wirkung auf die Adressaten zu erzeugen. Sie erkennt, dass sie einen mehrsprachigen Text auch auf Satzebene strukturieren kann (cf. 4.2.1.). 8.2.9 Codes Savoirs Codes Savoir - Es gibt im Gespräch unterschiedliche Sprachrollen - Ein Sprachwechsel impliziert oft auch einen Wechsel des sprachli‐ chen Niveaus - Es gibt unterschiedliche Sprachrollen, durch die verschiedene As‐ pekte des eigenen Charakters zum Vorschein kommen - Das Lösen komplexer Aufgabenstellungen in einer Fremdsprache verlangt einen höheren Grad an Konzentration - Im mehrsprachigen Kontext kann Bedeutung hybridisiert werden - Gruppen orientieren sich bei der Wahl der Sprachen an der Ent‐ scheidung Einzelner - CM und CS sind Instrumente des Sprachenlernens - Sprachen werden unterschiedliche gewertet und es gibt sprachliche Hierarchien - Jeder/ jede kann sprachliche Vorbildfunktion übernehmen - Mehrsprachigkeit erfolgt im geschriebenen Text nicht zufällig, son‐ dern kann geschriebene Texte unterschiedlich strukturieren (Ab‐ sätze, Sätze) Savoir faire - Im mehrsprachigen Dialog gesprächsstrategisch auf mehrspra‐ chiges Repertoire zurückgreifen - TL im lebensweltlich mehrsprachigen Gespräch einsetzen - TL im bildungssprachlichen mehrsprachigen Gespräch einsetzen - Durch den simultanen Sprachgebrauch die sprachlichen Kompe‐ tenzen der einzelnen Sprachen vergleichen und richtig einschätzen - Durch den simultanen Sprachgebrauch erworbenes Wissen für den eigenen mehrsprachigen Lernprozess nutzen - Durch die eigenen Sprachkenntnisse regulierend in das Gespräch eingreifen - Wissen direkt von einer Fremdsprache in die andere übertragen - Strategien entwickeln, um komplexe mehrsprachige Situationen zu meistern 322 8 SchülerInnenauswertung - CS, um gesprächsstrategisch Aufmerksamkeit auf sich zu lenken Savoir être - TL verwenden, um zwischen unterschiedlichen Sprachen und Kul‐ turen zu mitteln - Das mehrsprachige Repertoire funktioniert als ein Ganzes und be‐ fähigt, die eigene Sprachproduktion zu regulieren - Mit Mehrsprachigkeit kreativ umgehen und experimentieren - Mehrsprachiges generisches Repertoire - Mehrsprachigkeit formt eine innere sprachliche Landschaft, die sich auf den Sprachgebrauch auswirkt - Sprachen sind aus biographischen Gründen mit Emotionen ver‐ bunden - Emotionen in mehreren Sprachen ausdrücken können Savoir apprender - Komplexes vorgelerntes sprachliches Wissen auf hohem sprachli‐ chen Niveau transferieren und anwenden - Sprachübergreifendes Wissen kontextbezogen anwenden - Mehrsprachliches Repertoire durch bildungssprachliche Elemente erweitern - Den Lernprozess durch mehrsprachiges Sprechen beschleunigen - Versuch, in der Mehrsprachigkeit eigene neue Lernwege suchen und finden - Sich im Sinne des eigenverantwortlichen Lernens selbst Lernziele setzen Savoir s’engager - Das Sprachverhalten von Gruppen kritisch hinterfragen - Literarische Texte beziehen sich auf unterschiedliche kulturelle und sprachliche Referenzsysteme - Das eigene sprachliche Repertoire kritisch hinterfragen und er‐ kennen, dass man aus sozialen Gründen nicht alle Sprachen, die man beherrscht, verwendet - Literarische Texte drücken bestimmte Empfindlichkeiten eines be‐ sonderen Kulturkreises in einer bestimmten Epoche aus - Mehrsprachiges literarisches Lernen bringt unterschiedliche Dis‐ kurswelten miteinander in Verbindung und es können hybride Formen entstehen - Symbole sind in ihrer Bedeutung an unterschiedliche Referenzsys‐ teme gebunden und können in der Mehrsprachigkeit durch Über‐ lappung dieser Systeme neue Bedeutung ergeben Tab. 8.13 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch Aus dem Fragebogen geht hervor, dass die Schülerin in Bozen aufgewachsen ist. Laut ihrer Aussage ist ihre L1 Deutsch, allerdings merkt sie an, dass sie zwei‐ sprachig aufgewachsen sei. Sie spricht mit ihrem Vater Italienisch und mit ihrer Mutter und Familienangehörigen Standarddeutsch. Da zu Hause kein Dialekt 323 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch gesprochen wird, ist dessen Verwendung auf die Freizeit, auf freundschaftliche Beziehungen, auf den Sport und auf die Schule beschränkt. Sie verwendet in der Schule Standarddeutsch regelmäßig nur mit Lehrpersonen, sonst überwiegt hier der Dialekt. Italienisch verwendet sie außer mit ihrem Vater auch mit anderen italienischsprachigen Familienangehörigen, mit Freunden und im Sportverein. Andrea behauptet, keine zwei L1 zu haben. Italienisch ist laut ihren Aussagen im Fragebogen für sie L2, die Schülerin stuft sich trotz des zweisprachigen El‐ ternhauses also nur bedingt und mit Einschränkungen als zweisprachig ein. Nicht den Dialekt habe sie als erstes Instrument der kommunikativen Soziali‐ sierung erworben, sondern Italienisch und Standarddeutsch. Den Dialekt habe sie außerhalb des familiären Umfeldes erst zu einem späteren Zeitpunkt im Kin‐ dergarten oder mit Freunden erworben. Ihre Sprachkenntnisse schätzt sie in Deutsch und Italienisch als sehr gut, in Englisch als gut ein. Ihre Französischkenntnisse bewertet sie als lediglich ge‐ nügend und über Latein will sie keine Aussage machen mit der Begründung, dass es sich um eine tote Sprache handele. Obwohl sie nie eindeutig behauptet, zweisprachig zu sein, schätzt sie ihre Sprachkenntnisse in Deutsch und Italie‐ nisch als gleich gut ein, wobei ihre Einschätzung in beiden Fällen bei „sehr gut“ und nicht bei „ausgezeichnet“ liegt. Ihre Antworten im Fragebogen enthalten bezüglich Italienisch und Deutsch eine Reihe von Unstimmigkeiten, die sich durch ihre emotionale Beziehung zu diesen beiden Sprachen erklären: Auf die Frage, wie wohl sie sich in den einzelnen Sprachen fühle, antwortet sie, dass sie sich in Deutsch sehr wohl fühle, in Italienisch und Englisch wohl und in Französisch nicht wohl. Die Kästchen „Latein“ und „andere Sprachen“ wurden von ihr durchgestrichen. Sie räumt also Deutsch hier eine Vorrangstel‐ lung gegenüber den anderen Sprachen ein und stellt Italienisch L2 auf dieselbe Ebene mit Englisch L3, eine Sprache, die sie im Gegensatz zu Italienisch erst in der Schule begonnen hat zu lernen. In der Wahrnehmung der Schülerin gibt es auf emotionaler Ebene trotz des zweisprachigen Elternhauses einen klaren Un‐ terschied zwischen Italienisch und Deutsch. Den Deutschunterricht mag sie sehr, da interessante Themen behandelt würden und es kaum langweilig sei. Im Italienischunterricht fühlt sie sich nicht genügend gefordert und schlägt vor, dass der Unterricht dahingehend geändert werden solle, dass die zweisprachigen Lernenden besonders gefördert werden. Den Englischunterricht stuft sie seit der Grundschule als sehr modern und effektiv ein. Hingegen bemängelt sie beim Französischunterricht, dass zu wenig die Möglichkeit geboten werde, sich mündlich auszudrücken. 324 8 SchülerInnenauswertung 8.3.1 Verhalten der Schülerin im Aushandlungsprozess Andrea beteiligt sich an den Aushandlungsprozessen aktiv und mit Interesse. Ihr sprachliches Verhalten ist ungezwungen, wohl bedingt durch ihren mehr‐ sprachigen Hintergrund. In der Gruppe hat diese Ungezwungenheit häufig Vor‐ bildfunktion. Sie wechselt ohne Unterschied von einer Sprache in die andere und bedient sich häufig des TL und CS als gesprächsstrategisches Instrument. Ihre mehrsprachigen kommunikativen Kompetenzen sind also, im Gegensatz zu Sarah, bereits zu Beginn des Projektes sehr gut ausgebildet und kommen kon‐ stant zum Einsatz. 8.3.2 Bildungssprache und Mehrsprachigkeit In diesem Auszug arbeiten die Lernenden an einem mehrsprachigen Poetry Slam zum Thema „Weihnachten“. Themenbezogener Austausch der Lernenden wech‐ selt sich im Gespräch mit sehr persönlichen Erfahrungen ab (14, 19, 76). Auf‐ fallend ist, dass insgesamt, auch während der Gespräche über persönliche Er‐ fahrungen, ein negativer Ton herrscht. Weihnachten wird mit (Schul)Stress (23, 25, 60), zu hohen Ausgaben (11-17), unnötigen Geschenken (9, 13, 14), Keksba‐ cken (18, 21, 47), zu vielen Weihnachtsfeiern (57) und Tourismus (67) in Verbin‐ dung gebracht. In einem kurzen Zwischengespräch, wahrscheinlich über eine Whatsup-Benachrichtigung (51-52), bringt Andreas ernsthafte Ermahnung „Leute! “ (54) S4 und S10 dazu, sich wieder dem Thema zu widmen, nachdem S4 in Bezug auf S10 den scherzhaften englischen Ausdruck „shame on you“ ge‐ braucht hatte (51, 53). 1 Andrea Verkehrschaos und irgendwie Übermüdung, weil zum Schluss der Tannenbaum landet auf dem Müll und eigentlich weiß keiner so richtig, wieso es eigentlich den Tannenbaum gibt. #00: 00: 45-5# 2 S8 mhm (bejahend) #00: 00: 47-3# 3 S2 und s Geld isch ausigschmissene Geld #00: 00: 50-0# 4 S8 ausigschmissn net #00: 00: 51-8# 5 S2 s Geld ich net ausigschmissn aber #00: 00: 53-1# 6 S8 jo eigentlich schon wenn nor wegwerfsch #00: 00: 55-9# 7 S2 na na I moan für die Geschenke ober es sich holt du gipsch epes aus für #00: 01: 01-3# 8 Andrea boh secondo me è che tu vuoi boh #00: 01: 05-7# 325 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch 9 S9 oft auf Druck epes kaufen damit man epes holt vielleicht #00: 01: 11-5# 10 S2 yea but jo und zum Schluss ersch isch ewig vorbereiten und nor ich Weihnachten puuuf und danoch ich nix mehr. #00: 01: 17-2# 11 Geld vermischt, Stichwort Geldverlust #00: 01: 19-3# 12 S2 unnötiger Stress #00: 01: 21-6# 13 S8 unnötiger Geschenkstress #00: 01: 25-9# 14 Andrea Geschenkstress Bindestrich Geldverlust oder so in Minus am Ende oder man endet das Jahr eigentlich alm so in Minus weil dann kimp das Geschenk und das Geschenk und dann hat man de Person ver‐ gessen und so weiter und zum Schluss vergisst man so und so je‐ manden #00: 01: 39-5# 15 S2 na na na so in minus ischs net (Lachen) #00: 01: 44-9# in Minus sel hoast dass s du danach überall #00: 01: 46-1# 16 Andrea na in Minus dass du halt dein Konto überziehst, weil du so viele Geschenke kaufen muasch. #00: 01: 54-6# 17 S2 I gib net viel Geld aus (Lachen) #00: 02: 02-1# 18 Andrea allora Plätzchen waren zu songn biscotti troppi biscotti #00: 02: 17-3# 19 S2 ah I hon dazua gschriebn kitschige Lieder. Weil I hon a CD player I hon so a CD dahoam de hoaßt Samira des sein los so kloanen und mein Tata hört de on und heuer hon I meinem Tata amol etwas übermixt (unverständlich) und jeder singt mit, weil de Liadr de kennt jeder weil hert men jedes Jahr zu Weihnachten (Lachen) #00: 02: 44-9# 20 S8 de Lieder sein wunderschön ober do sein olm so Musikeffekte #00: 03: 03-1# 21 S8 nor kann mor jo do mmh we could always write just lei zum Beispiel a Kekse oder so #00: 03: 10-9# 22 S2 biscuit addiction #00: 03: 10-9# 23 Andrea yea a la mia secondo me la soluzione sarebbe di scrivere tipo biscotti coda #00: 03: 17-8# 24 S8 perchè senò diventa troppo #00: 03: 20-1# 25 Andrea coda davanti bottege verifiche interrogazioni l’avete scritto quì vom Stress #00: 03: 26-3# 26 Sus na #00: 03: 26-3# 27 Andrea che davanti prima di Natale tutti I professori vogliono fare interro‐ gazioni compiti in classe eccetera #00: 03: 42-4# 326 8 SchülerInnenauswertung 28 S8 wie sag man Wahnsinn bitte auf Italienisch #00: 03: 46-2# 29 Andrea Wahnisinn? #00: 03: 46-2# 30 S2 casino (Lachen) #00: 03: 53-5# 31 Andrea non lo so #00: 03: 55-2# 32 S8 Wahnsinn wissen Sie wie man Wahnsinn auf Italienisch sagt? #00: 04: 07-9# 33 Andrea Furore? #00: 04: 13-9# 34 S8 nie gehört #00: 04: 13-9# 35 T Latein furore heißt so viel wie Wahnsinn #00: 04: 22-0# 36 S10 Nein in welchem Sinn Wahnsinn #00: 04: 26-8# 37 Andrea Backwahnsinn #00: 04: 29-3# 38 T mania #00: 04: 31-2# 39 Andrea mania dei biscotti #00: 04: 32-1# 40 T oder? #00: 04: 33-8# 41 ma la mania di fare tantissimi biscotti e poi non mangiarli. #00: 04: 35-4# 42 S10 ah ok ossessione #00: 04: 42-7# 43 Andrea ossessione di comperare tantissimi regali #00: 04: 44-8# 44 T Ossessione ist wirklich eine Besessenheit #00: 04: 46-7# 45 S10 Hel macht schon Angst wenn oaner ossessionato isch hem ich er net gonz #00: 04: 49-0# 46 Andrea hel gibs obr wirkich #00: 04: 51-1# 47 S8 meine Nachbarin bockt 20 verschiedene Kekssorten #00: 04: 54-9# 48 S10 nor schreibsch es holt, mania jo mania kon jeder hobn nor also wos woasn I la mania delle mani la mania (unverständlich) #00: 05: 09-9# 49 S8 si anche io #00: 05: 11-5# 50 S8 mania di fare i biscotti #00: 05: 22-1# #00: 05: 22-1# 51 hosch du des umgeleitet shame on you #00: 05: 23-9# 52 S4 jo ober I hon epes bessers gmocht #00: 05: 24-8# 53 S10 shame on you 327 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch 54 Andrea Leute #00: 05: 26-0# 55 S5 was wo es wor #00: 05: 39-0# 56 S2 gibts do lei an Thema meine Güte #00: 06: 00-3# 57 S4 oder Weihnachtsfeiern zu viele #00: 06: 01-7# 58 Andrea traffic decorations #00: 06: 27-8# 59 S2 le bouchon #00: 06: 31-7# 60 Andrea bouchon? #00: 06: 33-4# 61 S2 jo #00: 06: 34-3# 62 S6 wos isch sel #00: 06: 36-9# 63 S2 Verkehrsstau #00: 06: 49-4# 64 Andrea troppi regali Stichwort e io pago #00: 07: 00-5 65 S2 gato na gat na gateau #00: 07: 00-5# 66 Andrea gateau cadeau et gateau #00: 07: 07-3# 67 S6 Turisti oder? #00: 07: 05-1# 68 Sus ja #00: 07: 59-1# 69 S5 Französisch Keksler? #00: 08: 06-1# 70 S9 bisquit #00: 08: 10-7# 71 Andrea na gateau sono sicura gateau #00: 08: 17-3# 72 Cadeau #00: 08: 18-9# 73 S5 Cadeau isch Geschenk #00: 08: 23-2# 74 Andrea Gateau di di biscotti bisquit sono I biscotti secchi e gateau è anche la torta torta e biscotti secondo me però non so se mi ricordo bene. E cadeau sono I regali #00: 08: 37-8# 75 S5 mhm (bejahend) #00: 09: 07-4# 76 S2 jo normalerweise isch auch Schneeschaufeln aber huir isch koan Schnea (Lachen) #00: 09: 19-7# hell ich es Glück, dass I net dahoam bin weil schicht tua i Schneeschaufel genuag. #00: 09: 33-3# 77 S5 ja beim S6 wird’s gefährlich drüben (Lachen) #00: 09: 46-1# 78 Andrea ahm iniziamo? #00: 09: 48-0# 79 S5 no heut no Französisch #00: 09: 47-9# 328 8 SchülerInnenauswertung 80 S2 wo hoschen du geschrieben? #00: 09: 53-5# 81 Andrea come vogliamo fare? il nostro poetry slam iniziamo con la citazione di una canzone ciascuna strofa e poi il ritornello è sempre la stessa frase o una situazione di non so di una canzone vogliamo iniziare con una frase e poi mettere cioè inserire und quotazione. una cita‐ zione come tu . #00: 10: 31-4# 82 S9 mi piace l’idea di un ritornello con una canzone #00: 10: 35-5# 83 Andrea ti piace? Tab. 8.14. Aufzeichnung 1/ 14.12.2015 Andrea beginnt in diesem Auszug zwar auf Standarddeutsch, es unterläuft ihr aber wiederholt CLIN (Cross Linguistic Interaction): In einem deutschen Kausal‐ satz beispielsweise übernimmt sie die italienische Satzkonstruktion mit dem Verb nach dem Nomen („weil der Tannenbaum landet auf dem Müll“: „perchè l’albero finisce nell’immondizia“). Ein ähnlicher Fall findet sich, wenn Andrea bei dem Ausdruck „davanti, prima di Natale“ kurz zögert und nicht weiß, welche Präposition hier die richtige ist (27), da sich diesbezüglich das Italienische stark vom Deutschen unterscheidet: Deutsch verlangt in beiden Fällen die Präposition „vor“ sowohl bei temporaler als auch lokaler Funktion (vor dem Haus/ vor drei Stunden), im Italienischen hingegen muss zwischen lokaler Funktion „davanti alla casa“ und temporaler Funktion „prima di un’ora“ unterschieden werden. Diese Beispiele zeigen, dass bei Andrea zum Zeitpunkt der Aufnahmen L1 und L2 in Form von CLIN interagieren. Hier wird ersichtlich, wie schnell im mehr‐ sprachigen Sprachproduktionsprozess Entscheidungen bezüglich der korrekten Verwendung von Strukturen und Wortschatz fallen. Im zweiten Beispiel wägt die Schülerin in Bruchteilen von Sekunden ab, vergleicht mit dem Deutschen und trifft dann eine Wahl zwischen zwei möglichen Wörtern. Dieser äußerst komplexe Prozess setzt einen hohen Grad an Sprach(en)bewusstheit und einen gut funktionierenden Sprachenmonitor voraus (cf. 4.3.1 und 4.4.2). Ab Zeile 23 wechselt Andrea ins Italienische und bleibt mit wenigen Aus‐ nahmen bis zum Ende des Auszuges dabei. Die Verwendung von unterschied‐ lichen Registern zeigt ihre Sprachgewandtheit und ihre Fähigkeit, das Register sowohl den unterschiedlichen Lernsituationen anzupassen als auch gesprächs‐ strategisch einzusetzen. So suchen die Lernenden beispielsweise nach einer ge‐ eigneten Übersetzung für „Wahnsinn“ ins Italienische (29). Zunächst meldet sich S2 zu Wort mit dem Vorschlag „casino“, einer sehr saloppen und auch etwas groben umgangssprachlichen Wendung (30). Andrea schlägt den Latinismus „furore“ vor (33), den die Lehrperson in dieser Bedeutung bestätigt, jedoch mit 329 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch der Anmerkung, dass er hier nicht in den Kontext passt. Andrea bildet den Neo‐ logismus „Backwahnsinn“ (37) und meint damit den übertriebenen Eifer beim Keksbacken in der Weihnachtszeit. Die Lehrperson macht den lateinischen Ge‐ genvorschlag „mania“ (38), der von Andrea in der Formulierung „mania dei bis‐ cotti“ (39) übernommen und im folgenden Satz „la mania di fare tantissimi bis‐ cotti e poi di non mangiarli“ erweitert wird (41). Beide Wendungen sind korrekt, gehören allerdings einem unterschiedlichen Sprachregister an. Die erste Wen‐ dung ist informell und überlässt es den Zuhörern, die tiefere Bedeutung des Gesagten abzuleiten. Die zweite hingegen gehört einem gehobenen Register an und ist dadurch gekennzeichnet, dass Ambiguität vermieden werden soll, indem der Gedanke genau ausformuliert wird. Darauf schlägt S10 eine weitere mög‐ liche Übersetzung für „Wahnsinn“ durch „ossessione“ vor (42). Andrea findet das Synonym dafür geeignet, es in den Satz „ossessione di comperare i biscotti“ einzubauen. Die Suche nach einer geeigneten Entsprechung für das deutsche Wort „Wahn‐ sinn“ und die vielen Übersetzungsmöglichkeiten zeugen davon, dass dieses Wort nicht eindeutig entsprechend ins Italienische übersetzt werden kann. Seine Be‐ deutung ist in der modernen Medizin verortet (Verrücktheit oder Torheit als psychische Störung, als Verhaltensmuster, das nicht der gesellschaftlichen Norm entsprach (vgl. Foucault 1973). Der Lernenden wird bewusst, dass die italieni‐ schen Wörter casino, furore, mania und ossessione diese semantische Komple‐ xität des deutschen Wortes nicht auszudrücken vermögen (cf. 4.2.3.). Die zahl‐ reichen Synonyme entstammen unterschiedlichen Sprachregistern und belegen den Reichtum und die semantische Vielfalt des italienischen Wortschatzes. Die Lernenden erwerben die neuen Termini und deren verschiedene Bedeutungs‐ feinheiten und können diese in ihren persönlichen Wortschatz aufnehmen. Auch das Problem der Nicht-Entsprechung zwischen Sprachen unterschied‐ licher Sprachfamilien wird in diesem Beispiel aufgeworfen. Aufgrund unter‐ schiedlicher geschichtlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen ist es nicht möglich, beim Übersetzen direkte Entsprechungen zu finden. Sprachmittlung ist immer auch ein Spiel mit Bedeutungen vor dem Hintergrund verschiedener Referenzsysteme. Die Lernenden entscheiden sich in diesem Fall gemeinsam mit der Lehrperson, Latein als Brückensprache heranzuziehen. Andrea hat erkannt, dass Latein als Brückensprache für Sprachen unterschiedlicher Sprachfamilien nützlich sein kann, weil es Elemente aller indoeuropäischen Sprachen in sich trägt und vor allem im bildungssprachlichen Bereich als Quelle für viele Wörter (Latinismen) dienlich ist, wodurch diese tote Sprache eine neue Rolle beim Sprachenlernen gewinnt, die für die Lernende direkt nutzbar ist und sie somit attraktiver erscheinen lässt (cf. 3.5.1.). 330 8 SchülerInnenauswertung Die Suche nach semantischen Entsprechungen, das Überprüfen und Ver‐ werfen von möglichen Ähnlichkeiten kann nur erfolgen, wenn genügend se‐ mantisches und syntaktisches Detailwissen in allen Sprachen vorhanden ist. Die Aktivierung dieser sprachlichen Ressourcen fordert eine Ausbildung metakog‐ nitiver Strategien zur Entschlüsselung von Bedeutung durch den sprachlichen Vergleich. Die Bedeutung eines fremdsprachigen Wortes kann in seiner Kom‐ plexität besser verstanden werden, wenn es mit der Bedeutung der verschie‐ denen möglichen Übersetzungen in andere Sprachen verglichen werden kann, denn erst dadurch werden Unterschiede und Ähnlichkeiten erkannt und kon‐ notative Verzerrungen der Bedeutung sichtbar, die ansonsten verborgen bleiben würden. Dazu bedarf es allerdings vonseiten der Lernenden eines fundierten sprachlichen Wissens nicht nur lebensweltlicher, sondern auch bildungssprach‐ licher Natur (cf. 3.4.2.). Die Bildung des englischen Neologismus’ „traffic decoration“ für „Straßen‐ dekorationen“ (58) ist für Andrea eine ebensolche Selbstverständlichkeit wie „Backwahnsinn“: Für sie gehört das Experimentieren mit unterschiedlichen se‐ mantischen Verbindungen und die kreative Suche nach neuen Ausdrucksmög‐ lichkeiten zur alltäglichen Sprachgewohnheit. Sie besitzt die nötige Sicherheit und die dazu gehörige positive Haltung zur eigenen Mehrsprachigkeit. Sie ist indifferent gegenüber Sprachhierarchien und hält es nicht für zwingend not‐ wendig, den Anforderungen des Systems zu entsprechen. Dadurch dass sie ihre innere und äußere Mehrsprachigkeit angstfrei auslebt, hat sie einen Vorteil beim weiteren Spracherwerb (cf. 3.5.3.9.). Ihre Sicherheit zeigt sich auch, als es darum geht, die Wörter „cadeau“ und „gateau“ phonetisch voneinander zu unterscheiden (66, 71, 74). Hier tritt sie vor der Gruppe als Sprachexpertin auf und erklärt wiederholt den Unterschied zwi‐ schen den beiden Wörtern, indem sie diese stark übertrieben betont. Sie ergänzt dies durch eine ausführliche Beschreibung der Unterscheidung zwischen „bis‐ cuit“, „gateau“ und „cadeau“ auf Italienisch (74), wobei sie auch in diesem Fall ein gehobenes Sprachregister verwendet. Andrea unterscheidet Bedeutungen sehr genau und ist in der Lage, geringfügige Unterschiede sowohl auf semanti‐ scher als auch auf phonetischer Ebene zu erkennen und ausführlich zu erklären. Sie kann im sprachlichen Austausch in mehreren Sprachen angemessen auf diese feinen sprachlichen Nuancen reagieren (cf. 4.3.). Auch sprachökonomisches Verhalten kommt im Falle Andreas zum Tragen, d. h. sie handelt im Akt des Sprechens nach dem Grundsatz des geringsten Auf‐ wandes, ohne den kommunikativen Erfolg zu gefährden (Martinets 1960). Als kompetente mehrsprachige Sprecherin ist sie in der Lage, dies auf einer mehr‐ sprachigen Ebene zu tun. Sie wählt jene Sprachen und Wendungen, mit denen 331 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch 6 Der Begriff quotazione bedeutet ausschließlich Aktiennotierung, das italienische Äqui‐ valent für Zitat ist citazione, wohingegen das englische quotation sowohl in der Bedeu‐ tung von Zitat als auch Aktiennotierung verwendet werden kann. sie unter geringem Aufwand effizient und schnell kommunizieren kann. Das verleiht dem Sprechen Fluidität besonders im Übergang zwischen den Sprachen, z. B. wenn die Schülerin „sono sicura“ (71) und „iniziamo“ (78) und „ti piace“ (83) verwendet, um die Aussagen kurz zu halten (Subjektpronomen können im Ita‐ lienischen weggelassen werden, da sie in der Endung des Verbs enthalten sind, Aussagen sind im Italienischen also meist kürzer als in den anderen Sprachen und sich besser in das Satzgefüge einbauen). Hiermit erzielt sie einen doppelten Effekt, sie weckt durch den Sprachenwechsel die Aufmerksamkeit der Gruppe und kommuniziert gleichzeitig effektiv und zeitsparend (cf. 4.5.3). In Zeile 81 stellt Andrea eine rhetorische Frage, mit der sie die Gruppe auf‐ fordert, Vorschläge zu machen, wie der geplante mehrsprachige Poetry Slam strukturiert werden soll. Auch hier bedient sie sich einer Reihe von Ausdrücken aus einem gehobenen Sprachregister wie „ciascuna“, „vogliamo iniziare“, „inse‐ rire“. Allerdings unterläuft ihr hier ein Versprecher, der darauf hindeutet, dass auch zwischen Englisch und Italienisch CLIN stattfindet: „una quotazione una citazione“. Das Wort „quotazione“ gibt es auf italienisch mit der Bedeutung „Zitat“ nicht 6 , es wird von der Schülerin aus englisch „quotation“ abgeleitet. Sie kennt zwar das italienische Wort „quotazione“, verbindet es aber in diesem Fall mit dem falschen semantischen Feld, das ihr aus dem Englischen bekannt ist, bessert sich dann aber sofort aus, indem sie „citazione“ als Alternative anfügt. Dieses Beispiel zeigt wie das vorhergehende, über welch hohen Grad an Sprach(en)bewusstheit Andrea verfügt, dass sie die eigene Sprachproduktion ständig überwacht und sofort durch Korrekturen eingreift. Diese Sprach(en)be‐ wusstheit umfasst alle im mehrsprachigen Register vorhandenen Sprachen, denn in diesem Fall betrifft das CLIN Englisch/ Italienisch, im vorhergehenden hingegen Italienisch/ Deutsch (es gibt keine Hinweise darauf, dass bei ihr der Sprachenmonitor nur innerhalb bestimmter Sprachkonstellationen wie z. B. bei Sprachen der gleichen Familie aktiv ist, ganz im Gegenteil scheint er sprach‐ übergreifend situationsgebunden zum Einsatz zu kommen) (cf. 4.4.2.). Mehrsprachigkeit TL und CS sind bei Andrea das Ergebnis ihrer Sprachbio‐ graphie und integraler Teil ihrer Persönlichkeit. Wie aus dem Fragebogen her‐ vorgeht, sind ihre Hinweise bezüglich ihrer Mehrsprachigkeit nicht eindeutig, sie ist nicht in der Lage zu entscheiden, ob sie mehrsprachig ist oder nicht. Ihre Aussagen spiegeln ihre innere Verwirrung wider. Die häufige und gewandte Verwendung des Italienischen in den Aushandlungsprozessen steht jedoch im Gegensatz zu ihrer Aussage, dass sie sich im Italienischen nicht so wohl fühle 332 8 SchülerInnenauswertung 7 Es wurden drei Gruppen gebildet, die Gedichte und Textauszüge aus den folgenden Werken bearbeiteten: William Shakespeare „Romeo and Juliet“ (balkony scene); An‐ toine de Saint Exupèry „Le Petit Prince“; J.W. Goethe „Heidenröslein“; W. Blake „The Sick Rose“; Gottfried v. Straßburg „Tristan und Isolde“; Bernard von Morlai „Stat Rosa Pristina Nomine“; Pierre de Ronsard, „Mignone, allons voir si la rose“; H. Domin „Nur eine Rose als Stütze“; Dante, „Canto XXXI Paradiso“; F. W. Nietzsche „Meine Rose mein Glück“; F. De Andrè „La canzone dell’amore perduto“; E. Brontë „Love is like the Wild Rose-Briar; G. Stein „A rose is a rose is a rose“. wie im Deutschen. Das mehrsprachige Arbeiten hat in Andrea einen Prozess in Gang gesetzt, der ihr mehr Klarheit über ihre eigene Mehrsprachigkeit ver‐ schafft. Sie lernt sich nun bewusst als mehrsprachiges Subjekt zu erfahren und den anderen gegenüber als solches auszuweisen. Sie erfährt dadurch ihre Mehr‐ sprachigkeit als einen Mehrwert, als Potenzial, unterschiedlichste Lern- und Lebenssituationen zu meistern. Dadurch kann auch sie in der Gruppe eine Vor‐ bildfunktion übernehmen und Formen von Imitationslernen initiieren (cf. 4.2.1.). 8.3.3 Bedeutungserweiterung und Bedeutungsentleerung im mehrsprachigen World Making Der Aushandlungsprozess, aus dem dieser Auszug entnommen ist, entstand im Rahmen des Moduls Die Rose in der europäischen Literatur. Die Lernenden wurden in diesem Modul mit dem Symbol der Rose und ihrer Bedeutung in verschiedenen Sprach- und Kulturkreisen unterschiedlicher Epochen vertraut gemacht, indem ihnen literarische Texte zu diesem Thema zur Analyse vorgelegt wurden. Nach einer einleitenden Phase, in der Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“ behandelt wurde, bearbeiteten die SchülerInnen Gedichte und Text‐ auszüge zum Thema „Rose“ anhand von Arbeitsaufträgen und eruierten die symbolische Bedeutung des Begriffes „Rose“ in den verschiedenen Texten. 7 Die Lernenden diskutieren und versuchen herauszufinden, welche Bedeutung genau dieser Begriff hat. Dabei entsteht ein mehrsprachiges Gespräch, bei dem es nicht mehr nur darum geht, plurilinguale Unterlagen zu verstehen und deren Inhalt für andere nachvollziehbar und deutlich darzustellen, sondern eines, in dem die persönliche Meinungsäußerungen im Mittelpunkt steht (Kompetenz‐ bereich Dialogisches Sprechen; vgl. GER; Rahmenrichtlinien für den Fremdspra‐ chenunterricht Südtirol). 1 Andrea didn’t you think ehm I think the rose is a metaphor for a woman and he does #00: 05: 09-9# 2 S2 ah yes yes #00: 05: 12-5# 333 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch 3 Andrea and the woman he can’t get and so ehm (kurze Pause) and so you know the kind of man who just wants girls and he can’t never ehm he can’t ever get and the he just loves a thing he could have had but he didn’t #00: 05: 36-5# 4 S2 but yes but he also doesn’t want to get hurt and so he loves her and may be she doesn’t know that that he loves her# #00: 05: 49-3# 5 Andrea vielleicht hat er sich nie in eine Liebe eingelassen aus genau dem‐ selben Grund den du gemeint hast wegen der Dornen und wegen dem Risiko #00: 05: 58-5# 6 S2 or maybe he wants to be free he doesn’t want to to stay to a woman ago be there for her and he just loves the idea that he is that she is here that she is beautiful she lives her life and #00: 06: 18-0# 7 Andrea lei la può vedere da lontano #00: 06: 23-0# 8 S2 or maybe she doesn’t know him boh #00: 06: 06-1# 9 Andrea dass er den Anblick von ihr genießt aber trotzdem Angst hat, von ihr verletzt zu werden. #00: 06: 44-9# 10 S2 kann ja auch ist sicher aus eine große Frage aber „non amo le cose“ spielt da vielleicht mehr die Angst o der mehr die Liebe? #00: 06: 58-5# 11 Andrea non amo che… #00: 06: 58-5# 12 Andrea amo solo vuole dire #00: 07: 00-9# 13 S2 ja i woas schun wos es hoast #00: 07: 02-8# 14 Andrea ah si si va bene #00: 07: 09-7# 15 S2 jo obr will er se net will er seine Liebe hot er Angst vor des vor der Zukunft? Will aller nix von der Zukunft hat er gern no a Zukunft? #00: 07: 19-8# 16 Andrea hel isch Interpretationssache, dass er ist he is one of the men who just wants everything and he loves these things the things he could have he could reach but he never completely does it #00: 07: 34-4# 17 S2 vielleicht vielleicht isch es a so a Herausforderung sie nicht zu haben. Er will es net aber er will den Gedanken #00: 07: 42-8# 18 Andrea So einer von de Personen (kurze Pause) ja die hunderttausend Träume haben hunderttausend Dinge, die man machen möchte und einer der aber sie dann vollbringen sie dann, per realizzare i suoi sogni non ci riesce. #00: 08: 03-3# 19 S8 Boh das könnte heißen non amo che le rose dass er einfach nur gerne schaut (Lachen) #00: 08: 56-1# 334 8 SchülerInnenauswertung 20 Andrea just a second please #00: 09: 11-2# 21 S8 von wem isch des do haben mir net zwoa #00: 09: 11-9# 22 S8 von niemand net von dir? #00: 09: 17-9# 23 es sind ja zwei englische #00: 09: 17-9# 24 S2 Ober i hon gmoant du hosch boade gmocht. #00: 09: 20-6# 25 S8 kon i a mochen holt ich hon holt beade #00: 09: 23-6# 26 S2 a eben a vorstellen na na tua frisch beide #00: 09: 49-8# 27 S8 liest vor a rose is a rose is a rose is a rose there are more than three repetitions #00: 10: 39-4# 28 S2 the Rose is indefinite sie ist undefinierbar#00: 10: 38-8# 29 Andrea le mot rose il y a beaucoup de chose que Française, quand on dit rose tu peut penser oui l’amour ou une femme ou je ne sais pas toutes les choses que tu peut dire avec un mot #00: 10: 56-1# 30 S8 and the (unverständlich) thing is that it is a short a very short poem with always the same words #00: 11: 07-7# 31 Andrea Kumulation oder Alliteration #00: 11: 07-7# 32 S2 I Think that a rose I think of the rose there a lot of things come in mind but if they come in mind to you and ehm there but it’s the big contrast that ehm auf eimal können so viele Worte also so viele Sachen was mit der Rose zu tun haben kommen oder auch gar nix weil weil es so viele Dinge gibt #00: 11: 51-3# 33 Andrea entweder #00: 11: 51-3# 34 S8 jeder verbindet etwas anderes #00: 12: 07-5# 35 Andrea könnte es nicht auch bedeuten, also zum Beispiel du hosch a Wort du hosch an Streit und für di isch es a Streit oder boh keine Ahnung vielleicht Rose für dich Liebe für den einen ist die Liebe des, und für den anderen isch die Liebe des und deswegen isch die Rose eine Rose aber sie kann auch eine Rose und eine Rose und eine Rose so volle viele Sochn in oaner #00: 12: 26-6# 36 S2 and also I think with he repeats rose rose rose he gives us the ability to think about three things that we (kurze Pause) assoziieren? #00: 12: 39-8# 37 Sus associate #00: 12: 39-8# 38 S2 with the rose may be first of all you think about love than about the color and then you think about the rose you have at home. #00: 12: 52-1# 335 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch 39 S8 someone says ok for me it’s nothing nur ein paar Worte and it means to me nothing? And someone can say ehm die paar Wörter #00: 13: 19-2# 40 Andrea he who dares der der wagt to crave is to want something #00: 16: 12-6# Tab. 8.15. Aufzeichnung 2: 06.03.2016 Dialogisches Sprechen bedeutet, sich ohne Vorbereitung über abstrakte Themen, die von kultureller Relevanz sind, zu äußern und die eigene Meinung auszudrücken. Diese Form des mehrsprachigen Sprechens erfordert demzufolge andere mehrsprachige kommunikative Kompetenzen als das monologische. Da jegliche Unterstützung durch einen geschriebenen Text fehlt, bedarf es eines hohen sprachlichen und mehrsprachigen Niveaus. Andrea bewegt sich in diesem komplexen mehrsprachigen Kontext mit Gelassenheit, da sie offensicht‐ lich mit solchen Situationen vertraut ist. Ihr Sprachgebrauch ist von Anfang an durch TL und meist intrasententielles CS gekennzeichnet (16, 18, 40). TL ver‐ wendet sie, um im Gespräch jenen Ausdruck auszuwählen, der ihr am aussage‐ kräftigsten erscheint (16, 18). Sie wechselt die Sprache, um ihre eigene Meinung von jener der anderen abzugrenzen, so z. B. wenn das Gespräch auf Englisch beginnt (1-4) und sie es dann auf Deutsch weiterführt, um ihrer Vermutung, die sie durch „vielleicht“ einleitet, mehr Raum zu geben. Der gesamte Wortwechsel zwischen Andrea und S2 ist dadurch gekennzeichnet, dass S2 zu Beginn auf Englisch spricht, woraufhin Andrea in einer anderen Sprache antwortet. Andrea S2 1 Englisch 2 Englisch 3 Englisch 4 Englisch 5 Deutsch (Standarddeutsch) 6 Englisch 7 Italienisch 8 Englisch 9 Deutsch (Standarddeutsch) 336 8 SchülerInnenauswertung 10 Deutsch (Standarddeutsch) Italienisch Tab. 8.16. Wortwechsel zwischen Andrea und S2 Andrea bedient sich hier einer in diesem Projekt neuen Form des mehrspra‐ chigen Gesprächs, das durch Sprachwechsel bei jeder sprachlichen Äußerung und durch durchgehenden Einsatz von TL gekennzeichnet ist. Während in den vorhergehenden Auszügen der Sprachwechsel fast ausschließlich durch die Sprachwahl Einzelner bei einem Themenwechsel eingeleitet wurde und für die gesamte Dauer des Abschnittes, also bis zum Abschluss des behandelten Themas beibehalten wurde, wird hier innerhalb einer thematischen Einheit auf Satz‐ ebene gewechselt, wodurch schrittweise ein simultan mehrsprachiges Gespräch entsteht. Wie im vorhergehenden Kapitel bereits ausgeführt, gibt es zwei Formen des mehrsprachigen Gesprächs: Zum einen das sukzessiv mehrspra‐ chige Gespräch, in dem die Sprachabfolge blockweise meist nach Themen ge‐ gliedert erfolgt und bei dem der Sprachaustausch innerhalb eines Themenblo‐ ckes fast ausschließlich einsprachig ist, zum anderen das simultan mehrsprachige Gespräch, in dem alle Sprachen gleichzeitig verwendet werden (cf. 4.5.1.). Andrea hat im Gegensatz zu Amelie und Sarah keine Schwierigkeiten, alle Sprachen ihres Repertoires gleichzeitig abzurufen und simultan zu verwenden. Daher ist es ihr möglich, sehr schnell Synonyme für Wendungen in der von ihr als L2 definierten Sprache zu finden, wie z. B. „non amo che“/ „amo solo“ (11). Sie wechselt sprachübergreifend vom umgangssprachlich-idiomatischen Re‐ gister (14, 20) in ein bildungssprachliches (31, 40). Für diesen Wechsel setzt auch sie gezielt die sprachliche Wirkung des Dialekts und des Standarddeutschen ein (16, 35). Durch einen dialektalen Ausdruck leitet sie ihre Gedankengänge ein, und signalisiert damit, dass sie sich dessen, was sie sagt, nicht ganz sicher ist. Dadurch passt sie sich in ihrem Sprachgebrauch der Gruppe an und verhindert somit, als sprachlich andersartig oder fremd empfunden zu werden. Sie ist die einzige, die in diesem Auszug im freien Gespräch Französisch verwendet (29) und die versucht, geeignete sprachliche Ausdrucksmittel zu finden, um einen komplexen Gedankengang kohärent und verständlich darzustellen. Das be‐ deutet einerseits, dass sie in allen Sprachen über ausreichende sprachliche Mittel verfügt und ihr Wortschatz genügt, um komplexe Sachverhalte sprachlich ver‐ ständlich mitzuteilen. Auf der anderen Seite bedeutet es auch, dass sie die mehr‐ sprachige Lernsituation nutzt, um Französisch zu üben. Nur geschieht das hier auf einem komplexeren sprachlichen Niveau als bei Sarah und Amelie, denn sie 337 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch spricht frei und ohne Vorlage. Nach der Bloomschen Taxonomie (Bloom 1976) steht sie damit auf einer der höchsten Stufen kognitiver Prozesse, die nach einer entsprechend komplexen Sprache verlangen. Es kann in ihrem Fall von einer bildungssprachlichen Mehrsprachigkeit gesprochen werden, da sprachüber‐ greifend komplexe Sprachstrukturen und fachsprachlicher Wortschatz zum Ein‐ satz kommen (1, 9, 11, 31, 40) (cf. 3.4.2). Inhaltlich beschäftigt die Lernenden die Bedeutungsvielfalt des Wortes „Rose“ zunächst innerhalb einzelner literarischer Texte und in der Folge auch sprach‐ übergreifend. Sie stellen unterschiedliche Vermutungen an, welche Bedeutung dieses Wort in den diversen Kontexten haben könnte. Andrea beginnt mit der Feststellung, dass es sich bei der Rose im Lied von Fabrizio De Andrè um eine Metapher für eine geliebte Frau handele, dass hier ein Mann spreche, der von der Sehnsucht zu unterschiedlichen Frauen getrieben sei und nur das begehre, was er nicht bekommen könne (3, 5). Anschließend vergleicht sie diese Hypo‐ these mit der Wirkung, die das Gedicht „A rose is a rose is a rose“ von Gertrud Stein auf sie hat, und kommt zu dem Schluss, dass das Wort Rose „so viele Dinge in einem sagen kann“, dass es nicht möglich sei, es zu definieren (35). Die Po‐ lysemie des Wortes veranlasst die Lernende festzustellen, dass das Wort „Rose“ alles und gar nichts heißen könne (35), sie erkennt, dass die Rose ein neutrales Zeichen innerhalb eines semiotischen Systems ist und als Symbol für die Dar‐ stellung von Objekten und Gegebenheiten dient (vgl. Eco 2002). Die LeserInnen tragen aktiv zur Sinnkonstruktion des Textes bei und benötigen dazu adäquate sprachliche und kognitive Instrumente (cf. 4.2.2. und 4.2.3). Durch die mehr‐ sprachige Lektüre literarischer Texte treffen unterschiedliche Diskurswelten aufeinander, jene der Leser und jene der Autoren, die wie ein Kaleidoskop die Polysemie der Bedeutungen so weit vervielfältigt, dass sie sich jeglicher ein‐ deutigen Definition entziehen. Die SchülerInnen gehen sogar so weit infrage zu stellen, dass Wörter Bedeutung übertragen (32, 39). Wörter, verstanden als Zeichen, stellen nur ein vorübergehendes Ergebnis von Kodierungsprozessen dar und bilden nur flüchtige Korrelationen. Kommen Kulturen und Sprachen miteinander in Kontakt, so treffen unterschiedliche dis‐ kursive Welten und generische Formen aufeinander, wodurch das bekannte se‐ mantische Feld umgestoßen wird und ein neues entsteht, was zu einer Um‐ strukturierung des gesamten konnotativen Spektrums führt (vgl. Eco 2002: 89). In diesem Prozess lernen die SchülerInnen, dass Bedeutungsgebung und Kon‐ notation kulturell bedingt sind, dass sie ständiger Veränderungen unterliegen, dass das Wort als Zeichen neutral ist, aber auch eine symbolische Ablichtung der Realität, wie sie in den verschiedenen Kulturen und Epochen wahrge‐ nommen wird (cf. 4.1.). 338 8 SchülerInnenauswertung 8 Die Theorie der Chunks entstammt dem Lexikal-Approach-Ansatz nach Lewis (2005) und besagt, dass Sprachenlernen nicht aus einem grammatikalischen und lexikalischen Aspekt besteht, sondern hauptsächlich anhand von Strukturen erworben wird. Laut diesem Ansatz stehen Chunks (sprachliche Kleinsteinheiten), die je nach Bedarf ver‐ schoben und neu kombiniert werden können, im Mittelpunkt sprachlichen Lernens. 8.3.4 Stimulated Recall 1: Reizüberflutung und Vieldeutigkeit Datum 23.12.2015: Andrea beteuert hier, wie die anderen Probandinnen auch, dass es für sie eine sehr gute Erfahrung war, einmal alle Sprachen gleichzeitig verwenden zu können. Vor allem war es ihr wichtig, Französisch zu sprechen, was ihr die Gelegenheit gab, das in den Büchern Gelernte in der Praxis zu üben. Zwar spricht sie Französisch noch lange nicht so flüssig wie andere Sprachen, sie wurde beim Reden aber sicherer. Ein wichtiger Grund dafür ist ihrer Meinung nach der Umstand, dass sie versuchte, aus dem, was ihr zur Verfügung stand, selbständig Sätze zu konstruieren. Dazu wurden Chunks wie in einem Setzkas‐ tensystem verschoben und neu zusammengestellt. 8 Der gesamte Transfer zwi‐ schen den Sprachen erfolgte nicht ausschließlich auf lexikalischer oder gram‐ matikalischer Ebene, sondern bei dieser Schülerin als Transfer von Chunks, die zu einsprachig sprachinternen und mehrsprachig sprachübergreifenden neuen Kombinationen zusammengefügt werden. Andrea: Und wir haben versucht, irgendwie Sätze zusammen zu konstruieren und richtig gegangen ist es es nicht und ich denke mir, dass durch das Projekt ich viel sicherer geworden, auch ein bisschen Französisch zu reden, sicher nicht so flüssig wie andere Sprachen, sicher es ist gegangen und so wie die S5 gesagt hat, sicher man versucht immer, die Sprache zu nehmen, wo man sich am sichersten fühlt, aber ich glaube, es ist eine Herausforderung, man eine Sprache nimmt, wo man jetzt nicht so, also wo man weiß, dass man sich ein bisschen je auseinandersetzen muss damit, mit dem Text und so weiter. #00: 05: 34-3# Die Sprachwahl im mehrsprachigen Gespräch erfolgt laut Andreas Aussagen nicht notwendigerweise aufgrund guter Sprachkompetenzen. Ganz im Gegen‐ teil meint sie, wie die anderen beiden Probandinnen, dass es eine Herausforde‐ rung sei, sich eine Sprache auszusuchen, in der die Ausdrucksmöglichkeiten beschränkter sind, und alle zur Verfügung stehenden Strategien einsetzen zu müssen, um trotzdem kommunikative Intention, so gut es geht, vermitteln zu können. Dadurch, dass die Lernenden sich sprachlich komplexen Situationen 339 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch stellen und sich an den Grenzen ihrer Möglichkeiten bewegen, wird das Spra‐ chenlernen beschleunigt (cf. 3.2.1. und 3.3.1). Andrea fällt dieses Arbeiten an den eigenen Grenzen leicht, weil ihr bedingt durch ihre Mehrsprachigkeit eine Reihe von unterschiedlichen Lernkanälen zur Verfügung steht, deren sie sich je nach Situation und Bedarf bedienen kann: Sie verfügt über semantische, lexikalische, grammatikalische, aber auch textuelle, soziale und emotionale Transfer-Fähigkeiten, wobei nicht nur Sprachen inner‐ halb gleicher Sprachfamilien die Funktion der Brückensprache übernehmen. Wie die Datenerhebungen zeigen, sind Transfers zwischen unterschiedlichen Sprachfamilien und dem Lateinischen in manchen Fällen sogar zielführender (cf. 3.2.2.). Gleichzeitig bedient sie sich des CS, TL und CM, um die Funktion mehrsprachigen Sprechens zu aktivieren. Schließlich kann sie auch durch den Einsatz von Chunks sprachinterne und zwischensprachliche Verbindungen her‐ stellen und diese für den Lernprozess nutzen. Andrea findet es im Gegensatz zu manchen ihrer Kolleginnen „cool“, mit mehreren Sprachen zu arbeiten. Besonders das Thema „Weihnachten“ eigne sich ihrer Meinung nach dafür, mehrsprachig abgewickelt zu werden, da Weih‐ nachten alle Sprachen betreffe und es durch den Sprachenwechsel sehr gut möglich sei, die Unruhe dieser Zeit abzubilden. Andrea: Ja weil Weihnachten alle Sprachen betrifft, mit denen wir arbeiten #00: 06: 53-1# durch die mehreren Sprachen kommt die Hektik und die Ver‐ wirrung heraus Ihr zufolge lassen sich durch den Sprachenwechsel lautmalerische Effekte er‐ zeugen und Bedeutung vermitteln. Der schnelle Wechsel von einer Sprache in die andere erzeuge in den Zuhörern den Eindruck von Stress, der mit Weih‐ nachten verbunden sei. Der zusätzliche Verweis auf Gepflogenheiten und Tra‐ ditionen in den unterschiedlichen Kulturkreisen lassen diese Verwirrung noch größer erscheinen. Der Sprachenwechsel bildet die Zerrissenheit des Subjektes ab, das kulturübergreifend und gleichzeitig kulturverneinend in einem weih‐ nachtlichen Konsumrausch, in Reizüberflutung und Vieldeutigkeit gefangen ist, wodurch das religiöse Fest letztendlich seiner authentischen Bedeutung beraubt wird (cf. 3.5.3.). Auch bei Andrea gewinnt CS eine literarisch-ästhetische Dimension mit me‐ taphorischem Gehalt. Es wird zu einem literarischen Mittel, um komplexe Be‐ deutungsgefüge direkt auf Gefühlsebene zu vermitteln und die verbal-kognitive Ebene zu umgehen. Die mehrsprachige metaphorische Wirkung unterscheidet 340 8 SchülerInnenauswertung sich von der einsprachigen darin, dass nicht mehr a als b zu sehen ist (vgl. Bedella 2007: 77), vielmehr entsprechen einem a eine Vielzahl von bx. Es entstehen mehrsprachige Gefühle und Gedanken (cf. 4.2.2.) sowie Verknüpfungen und Überlagerungen von Bedeutungswelten. Den Zuhörern wird ein mehrspra‐ chiger Spiegel vorgehalten, in dessen Mittelpunkt das Individuum steht und in dessen Facettenrahmen gleichzeitig die vielen weiteren Möglichkeiten der Iden‐ titätsbildung des Menschen und seine Zerrissenheit in einem Zeitalter der sozialen und kulturellen Hybridität und Fluidität zeigt (cf. 4.2.1.). 8.3.5 Stimulated Recall 2: Innere und äußere Mehrsprachigkeit Datum 15.01.2016: Die Erkenntnis, dass der mehrsprachige Austausch in einer Gruppe besser funktionieren kann als in einer anderen und es unterschiedliche Formen des mehrsprachigen Gespräches gibt, schärft in der Schülerin das Be‐ wusstsein für die Wichtigkeit sprachlicher Fähigkeiten der einzelnen Ge‐ sprächspartnerInnen, damit ein mehrsprachiges Gespräch gelingt. Andrea ist sich bewusst, dass es zwei Formen des mehrsprachigen Gespräches gibt, wie bereits aus dem ersten SR hervorgeht (cf. 4.5.): Einerseits Gespräche, in denen der Sprachwechsel bei einem Themenwechsel erfolgt oder durch eine Person eingeleitet wird und für einen bestimmten Zeitraum einsprachig interagiert wird (sukzessiver mehrsprachiger Austausch); andererseits mehrsprachige Ge‐ spräche, in denen die Sprachen im Gespräch gleichzeitig zum Einsatz kommen (simultan mehrsprachiger Austausch). Beide Formen des Gespräches setzen un‐ terschiedliche MKK voraus. Laut der Schülerin spielt die Gruppenzusammensetzung bei der Wahl der Form des mehrsprachigen Gesprächs eine entscheidende Rolle, ein simultan mehrsprachiges Gespräch sei nicht in allen Gruppen möglich. Die letztere Form des Gespräches sei schwieriger zu bewältigen, da es die Sprechenden vor neue Herausforderungen stellt und voraussetzt, dass im Language Mode alle Sprachen unmittelbar abrufbar sind. Es setzt also ein höheres MKK-Niveau voraus, vor allem in Bezug auf schnelles Abrufen der Sprachen und auf den Grad der Ver‐ netzung des mehrsprachigen Repertoires. Den Aussagen der Schülerin zufolge entsprechen also die beiden unterschiedlichen Formen des mehrsprachigen Ge‐ spräches zwei verschiedenen Schwierigkeitsgraden. Sie hält das simultan mehr‐ sprachige Gespräch für anspruchsvoller als das sukzessiv mehrsprachige (cf. 4.3.2.). Andrea: Und ich habe eben gemerkt, in der Gruppe ist es besser gegangen als in der anderen … #00: 00: 04-7# 341 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch Andrea: Wir haben wirklich versucht ehmm… wenn eine Italienisch redet, die andere in Englisch antwortet und dann redet die andere Französisch weiter und das war eigentlich cool (kurze Pause) es war halt boh irgendwie auch schwieriger, halt Herausforderung #00: 00: 18-2# Zu dieser Aussage im Widerspruch steht allerdings eine andere: Das Verharren in einer Sprache im sukzessiven mehrsprachigen Gespräch oder allgemein im monolingualen Fremdsprachenunterricht stelle sie vor die Herausforderung, auch bei Schwierigkeiten in derselben Sprache zu bleiben und die fehlenden Worte durch Umschreibungen zu ersetzen. Sie könne in diesem Fall nicht auf andere Sprachen zurückgreifen, um den fremdsprachigen Redefluss aufrecht zu erhalten. Andrea: Ehmm… (kurze Pause) Dass du praktisch, du redest Französisch und dann fällt dir auch in Englisch das Wort dazu ein und dann redest du Englisch, aber du darfst ja Englisch reden, hingegen wenn du jetzt nur reines Franzö‐ sisch reden darfst, dann darfst du auch nicht Deutsch reden und auch nicht Englisch und dann musst du halt versuchen, die richtige Definition für ein Wort zu finden, welches dir gerade nicht einfällt oder dass du… #00: 02: 00-5# Das simultan mehrsprachige Gespräch wird als anspruchsvoller empfunden, während das sukzessiv mehrsprachige Gespräch die Schwierigkeit birgt, über einen längeren Zeitraum in derselben Sprache zu bleiben und sprachliche Pro‐ bleme durch Paraphrasierung zu lösen. Beide Gesprächsformen stellen die Lern‐ enden vor unterschiedliche Herausforderungen und verlangen ganz spezifische Kompetenzen und Strategien im Bereich der MKK. Simultan mehrsprachige Gespräche funktionieren nur, wenn die Beteiligten ein entsprechendes sprach‐ liches Kompetenzniveau in den involvierten Sprachen haben und wenn keine Rückübersetzung nach L1 mehr nötig ist. Die vorhergehende fremdsprachige Lokution muss verstanden worden sein, damit eine angemessene und inhaltlich korrekte Antwort in einer anderen Sprache produziert werden kann. Die Wahl der Sprache erfolgt, wie die Analyse von Andreas Aufzeichnungen zeigt, nach unterschiedlichen Kriterien (TL, Stil, Ironie, Sprachökonomie, Adressatenbezug, Rollenwechsel, Persönlichkeitsdarstellung) und bereichert das Gespräch durch ein größeres Ausdrucks- und Bedeutungsspektrum (cf. 4.3.1. und 4.3.2.). Die Schülerin findet es „cool“, simultan mehrsprachig zu reden und wünscht sich, dass es auch im wirklichen Leben so wäre. Sie stellt sich vor, dass sie sich mit Lernenden anderer Kulturen in der Klasse befände (cf. 2.4.1.). 342 8 SchülerInnenauswertung Andrea: Ehmm… (kurze Pause) irgendwie wäre es toll, wenn es das auch im real life geben würde (kurze Pause), also wenn man jetzt mit multikulturellen Schülern in einem Klassenraum sitzen würde… #00: 00: 35-4# Andrea: …und jeder redet vielleicht die Fremdsprache, wäre vielleicht besser, aber halt seine eigene Sprache… #00: 00: 40-8# #00: 00: 40-8# Andrea: …aber man versteht, was sie meinen, antwortet aber doch in der gleichen Sprache (unverständlich) in der eigenen Sprache #00: 00: 46-6# Die Schülerin verwendet hier den englischen Ausdruck „real life“, um klarzu‐ machen, dass sie die Trennlinie zwischen Schulleben und wirklichem Leben aufgehoben sehen möchte. Ihre Idee, dass mehrsprachige und mehrkulturelle Lernende in der Klasse ihre jeweils eigene Sprache verwenden, zeigt ein Ver‐ ständnis von Schule jenseits des von Gogolin (Gogolin 1994) beklagten „mono‐ lingualen Habitus“. In einer Schule ohne sprachliche Barrieren und Sprachhie‐ rarchien gibt es keinen ungeschriebenen Sprachkodex, der dominanten Sprachen einen Vorrang vor allen anderen Sprachen einräumt. Dies schließt Gespräche mit ein, die nicht von allen Gesprächsteilnehme‐ rInnen verstanden werden, mehrsprachige Gespräche also, die gänzlich auf die Verwendung einer Lingua franca wie das Englische verzichtet, die damit ver‐ bundenen Schwierigkeiten zu überwinden versucht und den Fokus auf Authen‐ tizität verschiebt. Diese besteht darin, dass alle Beteiligten mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln kommunizieren, ohne die eigene Kultur und Sprache auszublenden. Dadurch kann eine Form von Kommunikation ent‐ stehen, in der sich die TeilnehmerInnen in echter Empathie zu gegenseitigem Verständnis verhelfen, wie es in den mehrsprachigen Aushandlungsprozessen geschieht. Andrea erkennt, dass mehrsprachige Strategien, unterschiedliche Transferprozesse und unterschiedliche Interkomprehension ebenso gute Er‐ folgschancen haben wie ein einsprachig fremdsprachiges Gespräch und dass sie authentischer sind (cf. 2.3.). Gleichzeitig hat Andrea außerdem erkannt, dass im fremdsprachig einspra‐ chigen Gespräch die Neigung, ins Deutsche zurückzufallen größer ist als im mehrsprachigen Gespräch, da, wenn ein Wort fehlt, nichts anderes übrig bleibt, als auf L1 Deutsch zurückzugreifen. Im mehrsprachigen Gespräch, meint die Schülerin hingegen, könne sie zwischen den Sprachen Brücken schlagen: Andrea: Ich lerne frei zu reden und das ist im Unterricht nicht so leicht, weil es ist doch oft Frontal-Unterricht und wenn man dann Partnerarbeit macht, 343 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch dann… (kurze Pause) ist halt. Ja, du versuchst, Französisch zu reden oder Englisch zu reden, aber dann schweift man vielleicht doch ab und dann redet man wieder Deutsch und andere Sprachen redest du nicht und so kannst du praktisch so über Brücken (kurze Pause) zu dem Ganzen zu kommen und jeder versteht alles (unverständlich) #00: 01: 36-2# Das mehrsprachige Gespräch ermögliche ihr, das Transferpotential zwischen den Sprachen auszuschöpfen und wie über Brücken von einer Sprache in die andere zu wechseln. Andrea stellt wie die anderen Probandinnen fest, dass mehrsprachiges Arbeiten eine Scaffolding-Funktion birgt: Sie kann Wörter, die ihr in einer Sprache nicht einfallen, aus einer anderen Sprache herholen, weil in ihrem Bewusstsein Verbindungen („Brücken“) zwischen den Sprachen be‐ stehen. So könne sie eine Sprache üben und sich bei Schwierigkeiten auf das Vorhandensein anderer Sprachen verlassen, die entweder für einen Transfer genutzt werden können oder mittels CM dafür, sprachliche Lücken zu füllen (cf. 4.5.4.). Wenn sie weiter aussagt, dass sie über die Brücken „zum Ganzen“ kommt, stellt sie nichts anderes fest, als dass ihr mehrsprachiges Repertoire eine Einheit bildet, die aus unterschiedlichen Kanälen (die einzelnen Sprachen) besteht. Diese Äußerungen der Schülerin entsprechen dem von Herdina/ Jessner (Her‐ dina und Jessner 2002) postulierten und in der Chaostheorie verorteten kom‐ plexen Sprachsystem mehrsprachiger Sprecher: Es ist transient, unvorhersehbar in seiner Entwicklung, es verändert sich ständig und passt sich neuen Gege‐ benheiten an (cf. 4.4.2.). Die Schülerin bemerkt auch, dass im mehrsprachigen Aushandlungsprozess Formen sozialen Lernens ermöglicht werden, die ihren Sprachlernprozess un‐ terstützen und im Idealfall beschleunigen. CM z. B. erlaube ihr, sich sehr schnell und, ohne den Gesprächsfluss zu unterbrechen, Hilfe von der Gruppe holen, da die Gruppe empfänglich für diese Art von Appell ist und prompt reagiert, indem sie alle möglichen Hilfestellungen zu Verfügung stellt, wie auch aus den Daten‐ analysen der Aushandlungsprozesse hervorgeht (cf. 3.4.2.). Eine andere Folge gemeinsamen Lernens ist laut ihren Aussagen auch die kooperative Ableitung von Wörtern und deren Bedeutung aus den unterschiedlichen Sprachen. Da‐ durch habe sich die Ausdrucksfähigkeit in Französisch verbessert, trotz der an‐ fänglichen Befürchtung, Fehler zu machen. Am Anfang seien zwar alle Lern‐ enden noch etwas skeptisch gewesen, als es hieß, sie sollten in allen Sprachen sprechen, auch habe die Arbeit mit plurilingualen Unterlagen sie oft vor ein sehr hohes Anforderungsniveau gestellt und man habe es allgemein zu Beginn nicht sehr ernst genommen. Das habe sich aber bald geändert, weil durch diese Form des Arbeitens sehr bald ein Gemeinschaftsgefühl in der Klasse entstanden sei, 344 8 SchülerInnenauswertung in das auch die Lehrpersonen mit einbezogen wurden. Es werde einem bewusst, dass „keiner perfekt ist und keiner die Sprachen perfekt beherrscht.“ Im Regel‐ unterricht gebe es immer eine Person, die die Sprache am besten kann und das sei normalerweise die Lehrperson. Sie habe dieses Fach studiert und beherrsche es deshalb am besten. Im mehrsprachigen Unterricht ändere sich das, auch die Lehrperson müsse probieren und mache daher leichter Fehler, was die Lern‐ enden ermutige, zu ihren Schwächen und Fehlern zu stehen und die Freude am Ausprobieren zu behalten. Für Andrea hat die Lehrperson hier Vorbildfunktion: Durch ihr Handeln und den Umgang mit den eigenen sprachlichen Mängeln in einer Fremdsprache, die sie selbst nicht so gut beherrscht, ermutigt sie die Lern‐ enden, genauso damit umzugehen. Hierdurch entsteht ein Klima der Koopera‐ tion, das Andrea sogar als „familiär“ bezeichnet, in dem alle gemeinsam an den neuen sprachlichen Herausforderungen arbeiten können. Für sie war es beson‐ ders wichtig zu sehen, wie Lehrpersonen mit Fehlern umgehen: Die Angst vor Fehlern hemme sie oft beim Sprechen und zu sehen, dass auch Lehrpersonen nicht perfekt sind und wie sie damit umgehen, habe ihr dabei geholfen, auch weniger streng mit sich selbst zu sein (cf. 6.1.2. und 2.4.1.). Andrea: Ja, ich bin eine Person, die nicht so gerne Fehler macht und dann wenn man sieht, dass die anderen auch Fehler machen (unverständlich) … Mut zum Fehler #00: 06: 37-9# Andrea: oder halt Beziehung. Wie soll ich sagen, es ist halt familiärer ge‐ worden #00: 07: 44-6# Andrea bemerkt anschließend, dass es ist ihr anfangs etwas eigenartig vorge‐ kommen sei, mit ihren deutschsprachigen Kolleginnen Italienisch zu sprechen. Sie sei dies von zu Hause gewohnt, in der Schule jedoch nicht. Wie Sarah und Amelie kann sie nicht alle ihr zur Verfügung stehenden Sprachen im schulischen Alltag einsetzen. Das viele Sprechen auf Italienisch in diesem Umfeld ist für sie eine neue und positive Erfahrung, die dazu beiträgt, dass sie sich selbst als mehr‐ sprachiges Subjekt anders als bisher wahrnimmt. Das Italienischsprechen mit nicht L1-SprecherInnen ermögliche es ihr, sich innerhalb der Gruppe anders zu positionieren: Sie könne den italienischen Aspekt ihrer Persönlichkeit zum Aus‐ druck bringen und durch ihr Sprechverhalten auch die anderen dazu animieren, häufiger diese Sprache zu verwenden mit dem Ergebnis eines flüssigeren Sprach‐ gebrauchs. Sie fungiert als Mittlerin zwischen zwei Welten und kann sich ge‐ wandt und sprachlich elegant zwischen diesen hin und her bewegen. Da ihr die unterschiedlichen kulturellen und sozialen Referenzsysteme beider Sprachen ver‐ 345 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch traut sind, nimmt sie sie synästhetisch wahr und koppelt sie (vgl. Grossenbacher 2001). Synästhesie bedeutet hier, dass sprachliche Formen deshalb unterschied‐ lich wahrgenommen werden, weil sie verschiedene Wahrnehmungswelten ver‐ körpern. Diese überlagern sich im mehrsprachigen Individuum und führen zu einer veränderten und erweiterten sprachlichen Bedeutungsübertragung der durch die Sinneswahrnehmung übermittelten Reize (cf. 4.2.2.). Andrea: Italienisch rede ich zu Hause, aber in der Klasse haben wir wirklich selten geredet und ich merke auch bei den anderen und bei mir, dass alles flüssiger kommt, weil man einfach zusammen Italienisch redet, auch wenn man es nicht gewohnt ist. Ich finde, Italienisch ist auch noch etwas Beson‐ deres, weil wir es da auch reden und dann wenn man mit Deutschsprachigen Italienisch redet, dann ist es ganz anders (kurze Pause) es ist gewöhnungs‐ bedürftig, aber es ist toll, dass wir das machen #00: 03: 38-2# 8.3.6 Stimulated Recall 3: Literarisches Lernen, Sprachwahrnehmung und Symbolik Datum 18.03.2016: In der Auseinandersetzung mit ihrer Körpersprache wird Andrea bewusst, dass auch dies Teil der Kommunikation ist und dass es sich bei nonverbaler Kommunikation um eine Sprache wie jede andere handelt (Mehr‐ abian 1972). Die Videoaufnahme des letzten Vortrages, den sie gemeinsam mit drei weiteren Lernenden hielt und in dem sie das Ergebnis des Moduls Die Rose mehrsprachig präsentierten, zeigt ihr ein ganz anderes Bild von sich als erwartet: Sie vergleicht beim Betrachten dieser Videoaufnahme ihre Körperhaltung mit jener der anderen und es fällt ihr auf, dass sie im Gegensatz zu den anderen Lernenden eher unsicher auftritt. Sie meint, sie sei etwas nervös, wenn sie vor der Klasse stehe, obwohl es keinen Grund dazu gebe, sie habe sich in dem Mo‐ ment aber nicht als so nervös wahrgenommen, erst jetzt beim Betrachten des Videos falle ihr auf, wie wenig selbstbewusst sie dastehe. Sie beschreibt damit die Diskrepanz zwischen ihrer Selbstwahrnehmung in der Situation und der Wahrnehmung ihrer Person von außen. Die Körperhaltung von zweien aus ihrer Gruppe sei sehr aufrecht gewesen, was ihrer Meinung nach einen guten Ein‐ druck mache. Sie meint selbstkritisch, sie müsse das noch ein bisschen üben. Andrea war sich nicht bewusst, welche große Rolle der non-verbale Aspekt in der Kommunikation spielt. Durch das Video betrachtet sie sich wie in einem Spiegel und kann reflektieren, wie ihre non-verbale Kommunikation wirkt (cf. 4.3.1 und 4.3.2). 346 8 SchülerInnenauswertung Was die Sprache anbelangt, so habe sie zu Beginn dieses Moduls Deutsch gewählt, obwohl sie eigentlich grundsätzlich dagegen sei, im mehrsprachigen Unterricht L1 zu verwenden. Hier habe sie aber eine Ausnahme gemacht, weil ihre Wahl auf das Gedicht „Heidenröslein“ von Goethe gefallen sei und das müsse man auf Deutsch behandeln. Sie wollte sich in diesem Fall also nicht so sehr um Mehrsprachigkeit bemühen, es ging ihr vielmehr darum, die vielen Interpretationsmöglichkeiten des Gedichtes auszuschöpfen. Andrea: (Lachen) Weil mir hat das voll gefallen und ich habe alles Mögliche gesehen, das ist eigentlich das einzige, was ich sage, weil ich rede ja nur Deutsch #00: 02: 01-0# Andrea: Ich habe mich voll in die Interpretation reingesteigert (Lachen) #00: 01: 53-6# Mehrsprachiges Sprechen habe sie erst wieder bei dem Versuch aufgenommen, ein simultan mehrsprachiges Gespräch aufrecht zu erhalten; nur sehr selten habe sie auf Deutsch als Ausweichstrategie zurückgegriffen, wie z. B. als Sarah nur Englisch gesprochen und sie immer in einer anderen Sprache geantwortet habe, weil sie Sarah vom Englischen abbringen und sie dazu zu bringen wollte, sich auf ein mehrsprachiges Gespräch einzulassen. Andrea versucht genauso wie Sarah durch ihre flexible Handhabung der Sprachen das Sprechverhalten anderer Lernenden, die ihren Einschätzungen nach die sprachlichen Vorausset‐ zungen dafür mitbringen, zu beeinflussen. Allerdings gelingt ihr das im Fall Sarahs nicht, der Versuch scheitert, da Sarah in diesem Fall nicht bereit ist, zu‐ gunsten einer mehrsprachigen Kommunikation von ihrer Sprachwahl abzu‐ gehen. Anhand dieses Beispieles kann erkannt werden, dass Andrea durch ihre Mehrsprachigkeit den Redefluss beeinflussen und lenken kann. Sie monitori‐ siert das Gespräch auf einer Metaebene und greift, wo ihres Erachtens Bedarf besteht, regulierend ein (cf. 4.4.2). Andrea: (unverständlich) Zuerst hab ich Englisch geredet (kurze Pause) dann habe ich Deutsch geredet und dann habe ich Italienisch geredet und sie hat immer weiter auf Englisch geantwortet (kurze Pause) sie ist konstant auf dieser Sprache geblieben #00: 02: 57-8# Andrea selbst nimmt mehrsprachiges Sprechen nicht mehr so bewusst wahr, wie das zu Beginn des Projektes noch der Fall gewesen war. Zu Beginn wurden 347 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch ihre Bemühungen, Französisch zu sprechen, noch von den anderen bewundert („Andrea: tough, du schaffst das jetzt! “), im Laufe der Zeit setzte aber sowohl bei der Gruppe als auch bei ihr selbst ein Gewöhnungsprozess ein. Ihre Aussage „Alle versuchen, Französisch zu reden und wenn jemand etwas nicht kann, dann ist das auch nicht schlimm, weil man sich ja trotzdem versteht“ impliziert, dass alle in den verschiedenen Sprachen ungefähr auf dem gleichen Niveau seien und niemand sich zu schämen brauche. Durch mehrsprachige Aushandlungspro‐ zesse bauen Lernende also Hemmschwellen in der mündlichen Kommunikation ab. Da sich ein Gewöhnungseffekt einstellt, wird es für die Lernende immer leichter, sich mit eigenen Hemmungen und Ängsten zu konfrontieren. Durch das mehrsprachige Lernsetting ist ihr genügend Freiraum zur Verfügung gestellt worden, um die von ihr identifizierten Schwachstellen zu bearbeiten (cf. 3.2.1.) Andreas Einstellung zu den jeweiligen Sprachen in ihrem Repertoire verän‐ derte sich: Englisch ist nicht mehr die dominante Sprache, sie wird von ihr we‐ niger als zu Beginn des Projektes verwendet, d. h. nicht mehr die Sprache mit dem höchsten sozialen Prestige ist dominant, sondern die anderen Sprachen werden als annähernd gleichwertig und vertraut wahrgenommen. Sie öffnet sich gegenüber dem Italienischen und kann sich als wirklich mehrsprachiges Individuum auch den anderen gegenüber sichtbar machen. Gleichzeitig nähert sie sich dem Französischen, gestützt durch die Gruppe, über Versuch und Ex‐ periment. Das Lernumfeld erlaubt es ihr nicht nur, ihre Scheu vor Fehlern zu überwinden und sich mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln auf ein an‐ spruchsvolles Niveau einzulassen, es macht ihr sogar Spaß, viele Sprachen gleichzeitig sprechen zu können (cf. 4.3.1. und 2.4.1). Nach Ansicht der Schülerin bewirkt der gemeinschaftliche Lernprozess einen Perspektivenwechsel: weg von einem durch Individualismus und Konkurrenz‐ denken geprägten Lernverständnis hin zu einem, das von allen mitgetragen wird und durch welches gemeinsam konstruktiv an einem Ziel gearbeitet werden kann. Alle TeilnehmerInnen können ihren Lernprozess selbst regulieren und schöpfen Mut, weil sie vom Umfeld gefördert und getragen werden (cf. 2.4.1.). Andrea: …dass man gemeinsam weitergeht und gemeinsam aufbaut #00: 04: 54-9# Auf inhaltlicher Ebene sei es möglich gewesen, die Ergebnisse der eigenen In‐ terpretationen mit denen in den anderen Sprachen zu vergleichen. Dabei habe sie bemerkt, dass das Symbol der Rose in allen Sprachen vorkomme, sich die Bedeutungen aber sehr voneinander unterscheiden können. Mit der Erkenntnis, 348 8 SchülerInnenauswertung dass das Rosen-Symbol rein rational nicht interpretierbar ist, weil immer ein undeutbarer Rest bleibt und es unzählige Bedeutungsfacetten in sich birgt, be‐ greifen die Lernende einerseits die universelle Valenz (Liebe) des Symbols, an‐ dererseits seine Vielschichtigkeit und die je andere kulturelle Eigenart, die es in den verschiedenen Sprachen und je nach Bewusstseinsstand der Betrachter haben kann (cf. 4.2.1.). Andrea: Ja dass es einfach ein total übergreifendes Thema ist, weltweit be‐ kannt und alle Dichter wollen mehr oder weniger das gleiche aussagen, für alle symbolisiert die Rose etwas Wichtiges und für alle mehr oder weniger etwas, was in die Richtung Liebe geht und Zuneigung und… (kurze Pause) dass es auch, wenn die Gedichte oft kompliziert gewesen sind, uns möglich gewesen ist, sie zu interpretieren ähmm…#00: 02: 53-9# Auch in diesem Fall hat Mehrsprachigkeit also einen Vervielfältigungseffekt. 8.3.7 Retrospektives Interview: Schreiben in mehreren Sprachen Datum 11.05.2016: Andrea hat in diesem Projekt gelernt, nicht nur ihr mehr‐ sprachiges Repertoire simultan zu nutzen, sondern auch zu übersetzen. Dies fällt ihr leicht, da sie es von ihrem zweisprachigen Alltag gewohnt ist, ständig von einer Sprache in die andere zu wechseln; auch in ihrer Familie wird viel zwischen Standarddeutsch und Italienisch gewechselt, manchmal spricht sie auch Dialekt. Besonders häufig switcht sie in ihrem Freundeskreis und in der Freizeit. Sie sagt, in Englisch und Italienisch sei das relativ umstandslos gegangen, in Französisch habe sie die Angst vor dem Sprechen verloren, beim Übersetzen habe sich durch Übung und ständiges Hin- und Rückübersetzen zur Verständnissicherung auch der Kompetenzbereich Sprachmittlung positiv verändert. Formen des infor‐ mellen Übersetzens kommen im Verlauf mehrsprachiger Sprachhandlungen häufig vor und verändern daher das sprachliche Repertoire, da es vor allem darum geht, Fragen der Übersetzbarkeit und der Übersetzungsäquivalenz zu lösen. Es geht hier um eine besondere Form der transkulturellen Kommunika‐ tion, bei der Intuition, Kreativität und Kognition eine wichtige Rolle spielen (cf. 2.2). Das mehrsprachige Schreiben machte Andrea Spaß, war für sie aber trotz ihres mehrsprachigen Backgrounds eine Herausforderung, weil ihrer Einschät‐ zung nach diese Form des Schreibens viel zeitaufwändiger sei als die einspra‐ chige. Es müsse genau überlegt werden, wie man sich in den verschiedenen 349 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch Sprachen ausdrücke und welche die beste Ausdrucksmöglichkeit in den ein‐ zelnen Sprachen sei. Beim einsprachigen Schreiben könne man die Gedanken im Kopf formulieren und dann direkt zu Papier bringen. Mehrsprachiges Schreiben hingegen fordere, dass man Entscheidungen darüber trifft, was man in welcher Sprache am besten ausdrücken kann. Besonders wenn es darum geht, Gefühle auszudrücken, sei man beim einsprachigen Schreiben schneller. Aus demselben Grund sei es nicht immer leicht, die Themen sinnvoll zu kombinieren. Denn in mehreren Sprachen zu schreiben bedeute, dass unterschiedliche Kul‐ turen gleichzeitig auf den Schreibprozess wirken, weshalb es schwerer sei, ge‐ danklich kohärent zu bleiben, den roten Faden nicht zu verlieren. Mehrspra‐ chigkeit bedeutet zwar mehr Vielfalt an möglichen Diskursen, diese müssen jedoch innerhalb eines Textes koordiniert und aufeinander abgestimmt werden. Der mehrsprachige Schreibprozess fordert von der Lernenden mehr als der ein‐ sprachige, weil sie aus der sprachlichen und gedanklichen Vielfalt einen in sich kohärenten und schlüssigen Diskurs gestalten muss. Dazu ist es zunächst nötig, kulturelle und sprachliche Heterogenität unter dem Gesichtspunkt der Äquiva‐ lenz zu betrachten, um herauszufinden, welche Gemeinsamkeiten bestehen. Als nächstes werden Unterschiede markiert und auf ihre besondere Funktion in‐ nerhalb eines bestimmten Referenzsystems überprüft, um anschließend mit an‐ deren verglichen zu werden. Erst aus diesem tiefen Verständnis der unter‐ schiedlichen Kulturen und deren Entstehungs- und Entwicklungsdynamiken kann ein in sich schlüssiger transkultureller und mehrsprachiger Text ausgear‐ beitet werden (cf. 4.2.2. und 4.2.3.). Er fußt auf einem fundierten Verständnis der kulturellen Prozesse sowie der Unterschiede und Ähnlichkeiten derselben. So hat Andrea etwa im Falle des Poetry Slam zum Thema Weihnachten die kultu‐ relle Vielfalt dieses Festes sehr wohl erkennen können (Appendix III). Sie be‐ trachtete die verschiedenen Kulturen wie aus der Vogelperspektive, entnahm aus dieser Vielfalt einzelne Elemente und kombinierte diese. Daraus gewann sie ihr eigenes Konzept und brachte es zu Papier. Die Schwierigkeit dabei sei ge‐ wesen, sich nicht in dieser Vielfalt zu verlieren. Andrea: Es ist nicht immer leicht, die Themen zu kombinieren hat ja das Ganze zu kombinieren und immer noch den roten Faden zu behalten. Weil jetzt vielleicht bei dem beim Gedicht schreiben ist es eh noch gegangen, aber ich habe gemerkt, vor allem beim poetry slam war es doch eine Herausfor‐ derung, dass es immer noch im gleichen Kontext bleibt, dass alles ehm eben dass der rote Faden bleibt, weil wir eben über Weihnachten gesprochen haben 350 8 SchülerInnenauswertung und dann merkt man schon, dass es verschiedene Kulturen gibt zu jeder Sprache und #00: 00: 5# Im Unterschied zu einem einsprachigen Gedicht fordert ein mehrsprachiges transkulturelles Gedicht vom Rezipienten, sich für die gegebene Vielfalt zu öffnen, das Spiel zwischen den Sprachen und Kulturen aufmerksam zu verfolgen und aus diesem Zusammenspiel selbst Bedeutung zu konstruieren. Die Sprach‐ wahl der Schülerin erfolgt nach unterschiedlichen Kriterien: Sie orientiert sich besonders am Klang der Sprachen und wählt daher oft Italienisch, das sie für sehr harmonisch hält. Sie findet, dass manche Sprachen, besonders Italienisch, plastischer und musikalischer sind als andere (cf. 4.2.3.). Die Mehrsprachigkeit wirkt sich auch auf die Strukturierung des Textes aus. Die Schülerin verwendet z. B. dieselbe Sprache für den Anfang und das Ende eines Textes und gibt diesem dadurch einen Rahmen. Auch der immer in der‐ selben Sprache formulierte Refrain hat diese Funktion. Sie wählt Sprachen für bestimmte Sprechabsichten aus, Italienisch für Beschreibungen, Deutsch für Kommentare und Englisch, um ihre Meinung auszudrücken. Französisch ist für sie die Sprache, in der sie Gefühle ausdrücken könne, sie findet, diese Sprache drücke Geborgenheit aus, was sie nicht zuletzt auf ihren Klang zurückführt. Manchmal wählt sie Wendungen aus, weil sie ihr aus bekannten Texten, insbe‐ sondere Liedern, bekannt sind, weil sie ihr gefallen haben oder für ihre Zwecke geeignet seien. Oft führt sie auch rein praktische Gründe für die jeweilige Sprachwahl an, wie z. B., dass ein Wort besser passe als ein anderes. Für die politische Rede wählt sie Französisch in einem Abschnitt, in dem sie sich direkt an das Europäische Parlament wendet, wodurch sie auf multiplen Ebenen Be‐ deutung kommuniziert: Durch den Sprachwechsel signalisiert sie, dass ein neuer Abschnitt in ihrem Text beginnt, der sich an ein besonderes Publikum wendet, gleichzeitig wählt sie eine der beiden europäischen Amtssprachen und verleiht der Rede auf diese Weise einen festlichen und offiziellen Ton (cf. 4.5.1.). Der Schülerin fällt es leichter, auf Französisch zu schreiben, wenn sie es in einen mehrsprachigen Text einbettet, d. h., wenn sie vorher im gleichen Text eine Reihe anderer Sprachen mit den gleichen oder ähnlichen semantischen Feldern verwendet hat. Auf diese Weise traut sie sich zu, sich auch in der Sprache, die sie am wenigsten beherrscht, auszudrücken. Es kann hier also von einem Scaffolding-Effekt mehrsprachigen Schreibens gesprochen werden. Andrea: Französisch ist dann die Sprache, die man noch nicht so gut kann, vor der man Respekt hat und auch weil es eine recht komplizierte Sprache 351 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch ist und indem man jetzt die Texte angefangen hat in anderen Sprachen, die man schon kann oder beziehungsweise die einem vielleicht liegen von ehm, in denen man schon einmal geschrieben hat, ist es einfach leichter gefallen, auf Französisch weiter zu schreiben, weil man schon angefangen hat zu schreiben und dann denkt man sich, ja und das ist kein Problem und jetzt schreibe ich in Französisch weiter. #00: 14: 44-1# In den meisten Fällen ist die Schülerin jedoch nicht in der Lage, ihre Sprachwahl zu begründen, mit Ausnahme des praktischen Grundes unterschiedlicher Sprachkompetenzen (im Französischen stehen ihr laut ihren Aussagen keine so „raffinierte[n] Stilmittel oder Wortspiele“ zur Verfügung). Allerdings ist ihre Sprachwahl durchaus ästhetisch-literarisch motiviert: Die Schülerin versucht während des Schreibens Ausdrücke und Sprachen zu wählen, die stilistisch am besten passen und dass bestimmte Ausdrücke in einer Sprache besser klingen als in einer anderen und beim Adressaten die gewünschte Wirkung erzielen könnten. Dazu vergleicht sie Begriffe und wählt den geeignetsten aus. Die Schü‐ lerin kreiert so im spielerischen Umgang mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln neue Modelle für mögliche Diskurswelten und schafft die Voraussetzung für alternative kognitive Denkmuster (cf. 4.2.2.). Dieser Vorgang setzt eine sprachübergreifende Gewandtheit voraus, die als mehrsprachige Sprachkunst bezeichnen werden kann, durch die sich eine Welt und Weltinterpretation mit transkulturellen und plurilingualen Bezügen ent‐ faltet. Sie nutzt also unterschiedliche Zeichensysteme, um alternative Realitäten zu kreieren und Bedeutung zu konstruieren (cf. 4.2.), was sich auch auf die äs‐ thetische Vorstellungswelt der Rezipienten auswirkt. Die Schülerin meint, man nehme Sprachen bewusster wahr. Sie lernt feine Unterschiede in der Bedeutung, im Klang, in der Konnotation und Rhythmus verschiedener Sprachen zu er‐ kennen und sie für ihre kommunikativen Absichten zu nutzen. Andrea erkennt, dass sich die Sprachen, die sie lernt, sehr ähnlich sind und es sowohl Entspre‐ chungen als auch feine Unterschiede gibt, die sie für ihr sprachliches Repertoire nutzen kann. Andrea: Handfertigkeit also wenn du wenn jetzt den Text in Deutsch schreibst, fällt es mir leichter, Italienisch vielleicht auch als Französisch und ich bin mir sicher, der französische Text ist jetzt nicht so gelungen wie viel‐ leicht in einer anderen Sprache, weil es einfach noch nicht so leicht ist für uns, auch noch raffinierte Stilmittel hineinzubringen oder so oder halt Wort‐ spiele ist jetzt auch nicht so leicht #00: 04: 55-9# 352 8 SchülerInnenauswertung In Andreas Schreibprozess sind simultane und sukzessive Formen von Mehr‐ sprachigkeit zu erkennen. Auf die Frage, worin für sie der Unterschied zwischen diesen beiden Kommunikationsformen bestehe, antwortet sie, dass simultane Mehrsprachigkeit ihr mehr Spaß mache, sie sei „lustiger und pfiffiger“. Sie könne mit den Sprachen spielen, mit einer Sprache beginnen und dann mit Zitaten aus anderen Sprachen fortfahren, sie dann wiederum in einer weiteren Sprache kommentieren. Dadurch sei es ihr möglich, neu gelernte Wörter durch CS in den Diskurs einzubauen und sie so zu üben. Andrea misst der simultanen schriftlichen Mehrsprachigkeit ein höheres Maß an kreativem Potential bei, das auf unterschiedlichsten Ebenen durch die enge Interaktion der Sprachen frei‐ gesetzt wird (Appendix III). Dazu muss diese simultane Mehrsprachigkeit aber erst in den mentalen Mustern der Lernenden vorhanden sein, was innerhalb der Recherchegruppe nur bei Andrea der Fall ist (4.4.2.). Andrea wendet bei ihrer Wortwahl auch sehr persönliche und individuelle Kriterien an. Sie vergleicht eine Passage in einem ihrer Gedichte („il fiume, der meine Tränen auffängt“) mit der Bedeutung der deutschen Formulierung („der Fels, der meine Tränen auffängt“) und meint, hier bestehe ein großer Unter‐ schied. Mit dem Wort „Felsen“ könne sie nichts verbinden, sie wisse nicht, was das heiße. Die italienische Formulierung klinge für sie besser, denn bereits der Klang zeige ihr, was das Wort bedeute. „La roccia“ sei für sie emotionaler (cf. 4.6.3.). Diese Verwendung und Wahrnehmung von Worten, ihrer Eigenschaften und ihrer emotionalen Dimension sind individueller Natur, jedes Wort und jede Wendung ist mit Bildern behaftet, die sich unbewusst im Laufe der Zeit im In‐ dividuum gebildet haben und unsere Perzeption ausmachen (cf. 4.6.1.). Diese Bilder artikulieren sich in den unterschiedlichen Sprachen jeweils anders und bedingen die Art und Weise, wie wir ein Wort verwenden. Es offenbart sich darin unsere persönliche Bedeutungswelt, die geprägt ist durch unsere Erfah‐ rungen und unsere Lebensgeschichte. Diese subjektiven Bedeutungswelten haben wenig mit der konventionellen Funktion von Sprache als Zeichensystem zu tun. Sie sind zwar daran gebunden, entstammen aber dem Bereich individu‐ eller Bedeutungsschöpfung. Jenseits der symbolischen Kompetenz nach Kramsch gibt es eine weitere Welt subjektiver Bedeutung, die nicht kodifiziert ist, deren Symbolik allerdings weitreichende Folgen für den Sprachgebrauch des Individuums hat und die sich erst in der Mehrsprachigkeit manifestieren kann. 353 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch 8.3.8 Zusammenschau der Lernprozesse Andrea verwendet im mehrsprachigen Gespräch TL und CS ohne Umstände und setzt beides sprachstrategisch ein, sie macht sich die Scaffolding-Funktion mehr‐ sprachigen Arbeitens und grammatikalische Eigenschaften der Sprachen zu‐ nutze, um schneller und flüssiger sprechen zu können. Ihr ist bewusst, dass auch Sprachen unterschiedlicher Sprachfamilien als Brückensprachen dienen können und dass Latein als Brückensprache für alle indogermanischen Sprachen he‐ rangezogen werden kann. Der sprachliche Transfer erfolgt nicht nur auf lexi‐ kalischer und grammatikalischer Ebene, sondern ist dadurch gekennzeichnet, dass sie Sprachchunks sprachintern und -übergreifend wie in einem Setzkas‐ tensystem miteinander neu verbindet und dadurch selber Sprache formt (cf. 4.3.1.). Ihre Mehrsprachigkeit hat Vorbildfunktion für die anderen und beeinflusst dadurch auch deren Spracherwerbsprozess positiv. Durch die Verwendung des Italienischen positioniert sie sich als mehrsprachiges Subjekt neu innerhalb der Gruppe. Auch TL hat persönlichkeitsstiftende Funktion: Sie sieht nun ihre in‐ nere und äußere Mehrsprachigkeit als etwas Positives und verliert ihre Ängste. Diese veränderte Selbstwahrnehmung und das stützende und fördernde Umfeld ermöglichen ihr, sich der französischen Sprache spielerisch zu nähern. Dabei sind ihr Strategien wie CM behilflich, von denen sie weiß, dass sie sofort Hil‐ feleistung vonseiten der Gruppe bewirken. Andrea lernt, dass auch Körper‐ sprache eine wichtige Kommunikationsform ist und dass sie durch non-verbale Kommunikation unbewusst ihre inneren Gefühle preisgibt. Sie nutzt den mehr‐ sprachigen Kontext, um ihren eigenen Lernprozess zu regulieren und zu be‐ schleunigen. Dazu verwendet sie eine Reihe von unterschiedlichen Lernkanälen, die ihr aufgrund der Mehrsprachigkeit zur Verfügung stehen. Sie erlebt ihre Mehrsprachigkeit als Empowerment, das sie befähigt, unterschiedlichste Le‐ benssituationen zu meistern (cf. 2.4.1.). Dieser Umstand führt in letzter Instanz zu der Erkenntnis, dass durch Mehr‐ sprachigkeit sprachliche Barrieren leichter überwunden und Sprachhierarchien abgebaut werden können. Mehrsprachigkeit konfrontiert alle, auch die Lehr‐ personen, mit den eigenen Stärken und Schwächen und lässt dadurch ein Ge‐ meinschaftsgefühl entstehen. Andrea kann sich sogar ein mehrsprachiges Ge‐ spräch vorstellen, in dem auch Sprachen gesprochen werden, die sie nicht versteht, in dem also jeder/ jede seine Sprache spricht und man sich über Brücken und gegenseitig beim Verstehen behilflich ist. Kommunikation gewinnt dadurch an Authentizität. Andrea ist in der Lage, in allen Sprachen ihres Repertoires je nach Sprech‐ anlass unterschiedliche Sprachregister zu verwenden und sprachübergreifend 354 8 SchülerInnenauswertung von einem umgangssprachlichen in ein bildungssprachliches Register zu wech‐ seln. Durch ihr hohes Maß an Sprach(en)bewusstheit verfügt sie über die nö‐ tigen Voraussetzungen, ihre eigene Sprachproduktion kontinuierlich zu über‐ wachen und, wo nötig, korrigierend einzugreifen. Es ist ihr bewusst, dass ihr mehrsprachiges Repertoire eine dynamische, sich ständig verändernde Einheit darstellt. Sie stellt fest, dass sich im mehrsprachigen Produktionsprozess Spra‐ chen schneller abrufen lassen. Bei ihr selbst geht das sogar so weit, dass sie alle ihre Sprachen simultan abrufen kann. Obwohl Andrea das simultan mehrspra‐ chige Gespräch für eine größere Herausforderung und für anstrengend hält, kann sie ein simultan mehrsprachiges Gespräch einleiten und fortführen. So‐ wohl die simultane als auch die sukzessive Kommunikationsform stellt ihrer Meinung nach die Sprecher vor unterschiedliche Herausforderungen im Bereich der MKK: Die simultane Mehrsprachigkeit setze einen höheren Vernetzungs‐ grad des mehrsprachigen Repertoires voraus. Sie stellt außerdem fest, dass die Kommunikation dadurch ein größeres Ausdrucks- und Bedeutungsspektrum erhält (cf. 4.4.2.). Im Bereich des mehrsprachigen literarischen Lernens lebt Andrea ihre Ex‐ perimentierfreudigkeit und Kreativität aus und bildet eine Reihe interessanter Neologismen. Der mehrsprachige Schreibprozess veranlasst sie, ihre Mehrspra‐ chigkeit bewusster wahrzunehmen und birgt ihrer Meinung nach großes krea‐ tives Potential. Ihr wird zwar bewusst, dass es aufgrund der unterschiedlichen, vielfältigen Wirkung von Kulturen schwierig ist, die Kohärenz des Diskurses aufrechtzuerhalten, andererseits kann sie dadurch aber auch ihre Mehrspra‐ chigkeit im Überblick betrachten, geeignete Elemente auswählen und je nach Bedarf kombinieren. Andrea findet mehrsprachiges Schreiben interessanter und abwechslungsreicher als einsprachiges: Sie ist ein Instrument, mit dem ein mehrsprachiger Text nach Inhalt und Form strukturiert werden kann (cf. 4.2.3.). Die Schülerin lernt die Bedeutung von Wörtern durch sprachlichen Vergleich besser zu entschlüsseln, Konnotationen klarer zu erkennen und sprachliche Feinheiten in den verschiedenen Sprachen klarer wahrzunehmen, zu nutzen und für andere zu veranschaulichen. Sie erkennt, dass es unterschiedliche Kolloka‐ tionen und Sprachregister gibt, und dies beim Übersetzen eine wichtige Rolle spielt, es häufig keine Eins-zu-Eins-Entsprechungen gibt, Wörter in den unter‐ schiedlichen Sprachen eine Vielzahl von Bedeutungen und Konnotationen haben können und sich diese im Verlauf kultureller Prozesse verändern. Sie er‐ kennt außerdem, dass es unübersetzbare Wörter gibt, da Bedeutung an spezielle geschichtliche Ereignisse oder kulturelle Umstände gebunden ist. Im mehrspra‐ chigen literarischen Lernen treffen Diskurswelten aufeinander, wodurch Poly‐ semie verstärkt und so das gesamte konnotative Spektrum verändert wird (cf. 355 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch 4.2.3.). Der Sprachwechsel beim Verfassen mehrsprachiger literarischer Texte nach ästhetisch-literarischen Kriterien setzt hohe sprachübergreifende Ge‐ wandtheit voraus, weshalb sie als mehrsprachige Sprachkunst bezeichnet werden kann. Der spielerische Umgang mit literarischer Mehrsprachigkeit ver‐ setzt die Schülerin in die Lage, neue Modelle für Diskurswelten zu erschaffen. Sie wird zur Mittlerin zwischen diesen Welten und entwickelt eine synästheti‐ sche Wahrnehmung derselben. 8.3.9 Codes Savoirs Codes Savoir - Kombiniert Sprachchunks unterschiedlicher Sprachen miteinander - Bedeutung und Konnotation sind kulturelle Prozesse, die ständigen Veränderungen unterworfen sind und sich in neuen Relationen zu‐ sammenfügen - Worte spiegeln symbolisch Realität wider wie sie in unterschiedli‐ chen Kulturen und Epochen wahrgenommen wurden - Weiß, dass beim Übersetzen auch das Sprachregister eine wichtige Rolle spielt - Weiß, dass Mehrsprachigkeit als Empowerment genutzt werden kann, um unterschiedliche Lebenssituationen zu meistern - Das mehrsprachige Repertoire ist eine dynamische und sich ständig verändernde Einheit - Weiß, dass es mindestens zwei Formen des mehrsprachigen Ge‐ spräches gibt: eine sukzessive und eine simultane - Die simultane Mehrsprachigkeit setzt einen hohen Grad an Ver‐ netzung des sprachlichen Repertoires voraus - Non-verbale Kommuniktion - Mehrsprachigkeit ändert die psychotypologische Wahrnehmung der Sprachen - Der mehrsprachige Produktionsprozess beschleunigt sich mit der Zeit und verändert das mehrsprachige Repertoire Savoir faire - Kombiniert Sprachchunks unterschiedlicher Sprachen miteinander - Kann Bedeutungsnuancen von Wörtern durch Sprachvergleich entschlüsseln - Kann im Sprachvergleich die Konnotation eines Wortes erfassen - Verwendet CS zum Zweck der Sprachökonomie - Kann die unterschiedlichen Kulturen und Sprachen im Schreibpro‐ zess als ein Ganzes betrachten und aus der Vielfalt einzelne Ele‐ mente entnehmen und neu kombinieren - Verwendet CS und TL als strukturierende Elemente bei der Text‐ konstruktion - Mehrsprachigkeit schult die Wahrnehmung für sprachliche Fein‐ heiten - Kann alle Sprachen ihres mehrsprachigen Repertoires simultan ab‐ rufen 356 8 SchülerInnenauswertung - Kann je nach Bedarf in mehreren Sprachen von einem umgangs‐ sprachlichen - Register in ein bildungssprachliches wechseln - Kann in mehreren Sprachen komplexe Sachverhalte darstellen und eine angemessene Fachsprache verwenden - CS, um gesprächsstrategisch Aufmerksamkeit auf sich zu lenken Savoir ap‐ prendre - Nutzt den mehrsprachigen Aushandlungsprozess, um ihren Spracherwerb zu beschleunigen - Verfügt mehrsprachigkeitsbedingt über unterschiedliche Lernka‐ näle - Nutzt Latein als Brückensprache - Nutzt Sprachen anderer Sprachfamilien als die der Zielsprache als Brückensprache - Mehrsprachiges Schreiben als Scaffolding - Im mehrsprachigen Lernen bildet sich ein Gemeinschaftsgefühl heraus, in dem sich alle gegenseitig unterstützen - Im mehrsprachigen Lernen wird gemeinsam etwas aufgebaut - Im mehrsprachigen Lernen zeigt sich jeder/ jede mit ihren/ seinen sprachlichen Stärken und Schwächen - Kann im mehrsprachigen Schreibprozess Hemmungen und Ängste überwinden - Erfährt das schulische Umfeld als lernfördernd und unterstützend Savoir être - Verwendet den Sprachwechsel für literarisch-ästhetische Zwecke - Verwendet den Sprachwechsel mit metaphorischer Funktion, um komplexe Bedeutungsgefüge direkt auf Gefühlsebene zu vermitteln - Geht kreativ mit Mehrsprachigkeit um, zeigt Experimentierfreude und bildet neue Wortformen - Nutzt TL als persönlichkeitsstiftendes Element - Erfährt sich selbst bewusst als mehrsprachiges Subjekt und weist sich den anderen gegenüber als solches aus - Mehrsprachiges Schreiben ist interessant - Mehrsprachige Gespräche und Texte haben ein höheres Aus‐ drucks- und Bedeutungsspektrum - Sprachliche Barrieren überwinden - Sprachhierarchien abbauen - Mehrsprachiges Gespräch, in dem man nicht alle Sprachen versteht - Mehrsprachigkeit offenbart die Vielfalt subjektiver Bedeutungs‐ welten - Besitzt ein hohes Maß an Sprach(en)bewusstheit - Überwacht den eigenen mehrsprachigen Produktionsprozess und kann korrigierend eingreifen - Emotionen in mehreren Sprachen ausdrücken können Savoir s’engager - Unterschiedliche Kulturen wirken sich auf den mehrsprachigen Schreibprozess aus - Der mehrsprachige Schreibprozess ist auch ein Bewusstwerdungs‐ prozess über die eigene Mehrsprachigkeit - Die Bedeutung von Wörtern spiegelt auf symbolischer Ebene die Realität wider, diese kann von Sprache zu Sprache verschieden sein - Bedeutung wird von jedem Individuum auch selbst aufgrund der eigenen Biographie und Wahrnehmung kreiert - Mehrsprachige Sprachkunst 357 8.3 Andrea: Lebensweltliche Zweisprachigkeit Italienisch-Deutsch - Erfährt in der Mehrsprachigkeit einen Entfremdungseffekt, durch den sie sich als Individuum neu positionieren kann - Ist Mittlerin zwischen Welten und entwickelt eine synästhetische Wahrnehmung derselben - Symbole in den unterschiedlichen Sprachen auf vielfältiger Ebene verstehen und erkennen, dass sie an die menschheitsgeschichtliche Entwicklung in den verschiedenen Kulturen gebunden sind - Die Metapher hat in der Mehrsprachigkeit nicht eine a-b-Entspre‐ chung sondern eine a-, b1-,b2-,bx-Entsprechung - Mehrsprachige Identitätsbildung ist von Hybirdität, Fliudität und auch Zerrissenheit geprägt - Erkennt, dass Wörter semiotische Zeichen innerhalb von konven‐ tionellen Systemen sind - Durch die Lektüre literarischer Werke in mehreren Sprachen treffen unzählige Diskurswelten aufeinander - Polysemie wird durch die Mehrsprachigkeit verstärkt und verän‐ dert das gesamte konnotative Spektrum - Bestimmte Wörter können nicht übersetzt werden, da ihre Bedeu‐ tung an bestimmte geschichtliche und kulturelle Umstände ge‐ bunden sind, die es in den anderen Sprachen nicht gibt - Übersetzen bedeutet nicht a-b-Entsprechung, sondern dass es eine Vielzahl von Bedeutungen gibt - CS verwenden, um unterschiedliche emotionale Konnotationen von Wörtern zu nutzen Tab. 8.16 8.4 Vera: Diglossie und schulische Mehrsprachigkeit Aus dem Fragebogen geht hervor, dass Vera in einer deutschen Familie in Bozen aufgewachsen ist. Sie behauptet, nur eine Muttersprache zu haben. Innerhalb der Familie wird ausschließlich der lokale deutsche Dialekt verwendet, ebenso in der Schule und mit ihren Freunden. Die Verwendung des Standarddeutschen beschränkt sich auf die schulische Interaktion mit den Lehrpersonen, Italienisch spricht sie nur selten in ihrer Freizeit und an der Schule während des Italie‐ nischunterrichts. Als weitere Sprachen, die sie in ihrer Freizeit, wenn auch selten verwendet, nennt sie Italienisch, Englisch und Französisch. Italienischkennt‐ nisse erwarb sie ab der ersten Grundschule, allerdings habe sie diese Sprache nicht nur in der Schule gelernt. Ihre Sprachkenntnisse schätzt sie in Deutsch/ Dialekt, Italienisch, Englisch und Latein lediglich als befriedigend ein, ihre Französischkenntnisse seien sehr gut. Sie fühlt sich in Italienisch und Englisch wohl, in Deutsch sehr wohl, die Sprachen Französisch und Latein seien ihr gleichgültig. In der Schule zieht sie den Deutsch-, den Französisch- und den Lateinunterricht vor, hier könne sie 358 8 SchülerInnenauswertung ihren Wortschatz und ihre Ausdrucksweise verbessern. Im Lateinunterricht ge‐ fällt ihr das Übersetzen. Veras Aussagen sind von einer Reihe von Widersprü‐ chen gekennzeichnet. Ihre Selbsteinschätzung zeigt, dass sie eine eher defizit‐ orientierte Selbstwahrnehmung hat. Obwohl sie Deutsch, Italienisch und Englisch auf dasselbe Niveau stellt und ihre Kenntnisse in allen drei Sprachen als nur befriedigend bewertet, fühlt sie sich in Deutsch sehr wohl. Vera unter‐ scheidet in ihren Aussagen nicht zwischen Dialekt und Standarddeutsch, ob‐ wohl sie aus einem eindeutig dialektalen familiären Umfeld stammt und die Verwendung des Standarddeutschen sich laut ihren Angaben ausschließlich auf die Verwendung im Unterricht beschränkt. Ebenso widersprüchlich erscheinen ihre Aussagen bezüglich Latein und Französisch: Beide Sprachen seien ihr gleichgültig, gehören aber zu ihren Lieb‐ lingssprachen im Unterricht. Sie erklärt, Französisch sehr zu mögen und dass ihr besonders das Übersetzen im Lateinunterricht gefällt. Diese Widersprüche rühren wahrscheinlich daher, dass sie sich wegen ihrer Diglossie und der häu‐ figen Verwendung des Dialektes als eine nicht sehr kompetente Sprecherin sieht. Außerdem geben ihre Aussagen Aufschluss darüber, wie diskrepant zu diesem Zeitpunkt Veras Bild ihrer eigenen Mehrsprachigkeit ist. Ihrer Wahrnehmung nach ist sie zufriedener mit ihrem Lernprozess in Französisch, der bis dahin nur zwei Jahre andauerte, als mit dem in Italienisch. Obwohl sie Italienisch seit elf Jahren in der Schule lernt und in Bozen lebt, einem dominant italienischspra‐ chigen Gebiet, zeigt Vera kaum lebensweltliche und pragmatische Sprachkom‐ petenzen in dieser Sprache. Es war ihr nicht möglich, zur mehrsprachigen le‐ bensweltlichen Realität ihrer Umgebung ein positives Verhältnis aufzubauen und Italienisch als aktive Sprache in ihr Repertoire einzubauen. Ihr Sprachge‐ brauch ist daher während des gesamten Projektes durch häufige Aussprache-, Grammatikfehler und beschränkten Wortschatz gekennzeichnet. Ebenso wie bei Sarah hat Italienisch nicht viel Raum in ihrem Alltag, und das obwohl Vera im Unterschied zu Sarah nicht in einer ruralen, dominant deutschsprachigen Um‐ gebung, sondern in Bozen, einer dominant zweibzw. mehrsprachigen Stadt lebt. 8.4.1 Sprachübergreifende Selbstkorrektur In folgenden Auszug sprechen die Lernenden darüber, wie sie einen Poetry Slam zum Thema „Schönheitswahn in der modernen Gesellschaft“ konzipieren könnten. Verschiedene Teile des Slam sind bereits fertiggestellt und die Lern‐ enden beraten darüber, welche Teile in den Text aufgenommen werden sollen und welche Themen noch zu ergänzen sind. Auch über die Sprachabfolge im 359 8.4 Vera: Diglossie und schulische Mehrsprachigkeit Text wird verhandelt und Einigung erzielt. Vera zeigt sich am Thema interes‐ siert. Ihre Beiträge sind der Versuch, sich konstruktiv an der Gestaltung des Slam zu beteiligen. Sie ist im Gespräch eher zurückhaltend und meldet sich nicht so oft wie andere, allerdings versucht sie sich konstant mehrsprachig auszudrü‐ cken und verwendet in diesem Auszug mehrfach CS, das sie abwechselnd int‐ rasententiell und intersententiell einsetzt. 1 Vera ognuno di voi conosce on vive second un jeu de rôle un rôle que nous conte de vier en masse nous avons découvree notre vrai iden‐ titè wie sog man des #00: 00: 23-9# 2 S9 adentit #00: 00: 23-9# 3 Vera adentitè #00: 00: 29-5# 4 S5 ja id ident ja (Lachen) #00: 00: 31-6# 5 S9 parce que nous ne pouvons pas être nous #00: 00: 33-4# 6 S9 parce que vous aussi jouez cette rôle #00: 00: 39-4# 7 Vera we are like an auster our life is real putting on our masks it’s not how it feels (Lachen) #00: 00: 44-9# 8 S9 poi scriviamo ancora qualcosa o #00: 00: 53-2# 9 S10 no io andrei avanti #00: 00: 55-1# 10 e in quale lingua? #00: 01: 01-0# 11 Vera ehm in tedesco? #00: 01: 05-8# 12 S9 il tedesco va bene ma cosa vogliamo scrivere? #00: 01: 11-2# 13 S10 hm does, na does someone of you have a foglio #00: 01: 18-2# 14 S9 eins for you wer hot des #00: 01: 22-5# #00: 01: 22-5# 15 Vera pap na sheet #00: 01: 22-4# 16 S10 ja sheet yea #00: 01: 27-5# 17 S9 why for what? #00: 01: 38-3# 18 Vera yes she wants to write #00: 01: 49-0# 19 Vera ok noi possiamo intanto continuare #00: 01: 48-6# 20 S9 pirla (Lachen) #00: 01: 54-3# 21 S9 si volevo dormire qua #00: 01: 57-1# 22 S10 no you’re not finished #00: 02: 03-1# 360 8 SchülerInnenauswertung 23 S9 cosa scriviamo adesso (unverständlich) adesso possiamo scrivere dei social media delle boutiques di tutti gli star che si nascondono dietro #00: 02: 33-4# 24 Vera ehm also ehm es ist die reale Welt (Lachen) come ehm #00: 03: 16-0# 25 S9 I tat net zu viel schreiben #00: 03: 16-0# 26 S10 I woas es net #00: 03: 23-0# 27 Vera se noi facciamo questo è meglio #00: 03: 23-0# 28 S10 die Wunder, die wir machen, auf denen wir lachen entscheiden. Die Zeit die wir sehen die brauchen wir nicht lange zu verstehen, dass unsere große weite Welt nichts von natürlicher Schönheit hält. #00: 03: 40-2# 29 S9 meg mir des einbaun kenn mir schon oder erster normal so a Schti‐ ckele nor tat I n Text einfügen #00: 03: 48-0# 30 S10 Auf Englisch #00: 03: 51-4# 31 Vera na #00: 03: 51-4# 32 S9 na es isch des praktisch #00: 03: 52-1# 33 Vera no allora facciamo Italiano #00: 03: 53-1# 34 S10 Italiano. #00: 03: 53-1# 35 S9 si meglio Italiano e che cosa scriviamo adesso? Questo delle Zeit‐ schriften? Perchè qua se scriviamo dopo questo e anche Zeit‐ schriften, Bilder e cose così. #00: 04: 18-2# 36 S10 oder si può dire che l’ideale di bellezza è tanto sbagliato #00: 04: 26-0# 37 S9 l’ideale di bellezza (kurze Pause) è solo un woasch tipo fake Bild oder oder frisch lei a Wunsch dem mir noch oder der net existiert. #00: 04: 44-7# 38 Vera Si ma io volevo dire che qualche volta anche fingere non viene detto Tab. 8.17. Aufzeichnung 1: 5.12.2015 Gleich zu Beginn dieses Auszuges ereignet sich ein Zwischenfall, der die Wirk‐ samkeit ungesteuerter Lernformen in diesem Aufgabenformat aufzeigt. Vera bildet einen Satz, in den sie drei CS einfügt (1). Zunächst beginnt sie mit Italie‐ nisch, um anschließend ins Französische zu wechseln. Sie schließt den Satz damit ab, dass sie ein CS Deutsch einfügt, indem sie die Gruppe fragt, wie „Iden‐ tität“ auf Französisch ausgesprochen wird. Die Gruppe reagiert unmittelbar auf ihre Frage, gibt ihr aber die falsche Antwort (2-3). Dieser Fehler wird nicht durch 361 8.4 Vera: Diglossie und schulische Mehrsprachigkeit eine Lehrperson korrigiert, sondern direkt von den Lernenden selbst (4) und zwar durch ein sprachübergreifendes Korrekturverfahren mittels CLIN auf pho‐ nologischer Ebene (zwischen dem englischen „identity“ / ai/ und dem deutschen „Identität“ / i/ ). Dieser gruppeninterne Umgang mit Fehlern geht einher mit einem veränderten Rollenverständnis der Lehrperson, die ihre zentrale und len‐ kende Position in der Klasse zugunsten einer beobachtenden und beratenden aufgibt und Formen des ungesteuerten Spracherwerbs zulässt, was von Lehr‐ personen zwar eine höhere Fehlertoleranz fordert, sich aber vorteilhaft auf die Experimentierfreudigkeit der Lernenden auswirkt. Dieses positive Backwash ist hier daran zu erkennen, dass eine neue sprachübergreifende und vergleichende Form der Fehlerkorrektur ausprobiert wird, die sich als erfolgreich erweist (cf. 3.5.5.). Wie die anderen Probandinnen versucht auch Vera, sich auf Französisch über komplexe Sachverhalte auszudrücken. Der Wechsel vom Italienischen ins Fran‐ zösische bedeutet für sie, sich einer Sprache zu bedienen, die sie laut ihren Aus‐ sagen im Fragenbogen und im Gegensatz zu den anderen ProbandInnen am besten beherrscht, relativ zu der Zeitspanne, seit der sie diese lernt. Sie hat dieser Sprache gegenüber eine positive Haltung und ist motiviert. Es zeigt sich hier wie in den anderen Einzelanalysen auch, dass die Lernenden es vorziehen, im mehrsprachigen Aushandlungsprozess Sprachen einzusetzen, die sie ihrer An‐ sicht nach noch üben müssen oder ausprobieren wollen. Weder werden sozial angesehene Sprachen wie Englisch gewählt noch L1. Ganz im Gegenteil ist auch in diesem Fall eine Steigerung des Plurilinguismus im Verlauf des Projektes zu bemerken (cf. 4.5.2.). Im Bereich des ästhetisch-literarischen Lernens findet sich ein Beispiel, bei dem sich Vera einer literarischen Wortfigur bedient. Sie wechselt ins Englische (7) und vergleicht das Dasein der Menschen, die im Schönheitswahn gefangen sind, mit dem einer Auster, die fest verschlossen bleibt und nicht in der Lage ist, sich zu öffnen. Um diesen Vergleich sprachlich zu artikulieren, muss sich Vera eines CM Englisch/ Deutsch bedienen, denn ihr fehlt das englische „oister“ für „Auster“. Diese Metapher soll durch verkürzten Vergleich einen Gedanken ver‐ anschaulichen und/ oder die Wirksamkeit des Gesagten erhöhen (Eggs 2006). In diesem Fall handelt es sich um einen heterogenen Vergleich, da zwei Vergleichs‐ größen (Tier/ Mensch) aus unterschiedlichen Bereichen der Wirklichkeit mitei‐ nander verbunden werden. Vera bedient sich hier einer poetischen Ausdrucks‐ form und bettet diese in ein mehrsprachiges Umfeld ein. Dadurch kann sie auch in L3 subtile Bedeutungsunterschiede und Nuancen kommunizieren, ohne auf einsprachige Ausweichstrategien wie Umschreibung und Paraphrase zurück‐ greifen zu müssen. Durch Mehrsprachigkeit kann Vera hier die Intensität ihres 362 8 SchülerInnenauswertung 9 Folgende Fehler konnten festgestellt werden: In Zeile 19 verwendet Vera z. B. eine deut‐ sche Positionierung des Adverbes im Satz anstelle der italienischen: noi possiamo intanto continuare entspricht dem Deutschen „wir können inzwischen fortfahren“. Richtig wäre: noi possiamo continaure intanto/ noi intanto possiamo continuare“. In Zeile 33 ent‐ spricht der Ausdruck no, allora facciamo Italiano dem Deutschen „dann machen wir Deutsch“ (Italiano ohne Artikel ist nicht richtig). In Zeile 38 ist der gesamte Ausdruck anche fingere non viene detto unverständlich. Diskurses beibehalten, indem sie den ZuhörerInnen ein Bild zu Verfügung stellt, das allen sofort verständlich ist und ihnen einen unmittelbar emphatischen Zu‐ gang zum Gesagten ermöglicht. Vera zeigt hier, dass sie die Ressourcen, die ihr das mehrsprachige Gespräch auch auf symbolischer Ebene zu Verfügung stellt, nutzen kann, um ihre sprachlichen Möglichkeiten zu optimieren und ihre kom‐ munikative Absicht zu übermitteln (cf. 4.2.2.). In Zeile 15 zeigt Vera, dass sie auch im Englischen über autokorrektive Fä‐ higkeiten verfügt. Zunächst verwechselt sie das Wort „paper“ (Papier) mit „sheet“ (Blatt) und verbessert sich sofort. Vera verfügt trotz ihres dominant ein‐ sprachigen sozialen Hintergrundes über einen hohen Grad an Sprach(en)be‐ wusstheit und setzt diese Fähigkeit im Gespräch ein (cf. 4.3.1.). Sie ist im Spre‐ chen, vor allem was Italienisch anbelangt, nicht so flüssig wie Andrea, weil sie sich nicht in einem mehrsprachigen sozialen Umfeld bewegt und daher mit Formen des ungesteuerten Spracherwerbs eher nicht vertraut ist. Für Vera ist dies eine verhältnismäßig neue Herausforderung, der sie sich jedoch mit Be‐ geisterung stellt. Sie verwendet im vorliegenden Auszug häufig Italienisch (11, 19, 27, 30, 38) mit kleinen grammatikalischen Unsicherheiten, die sie nicht selbst korrigieren kann, da ihr die sprachlichen Mittel dazu fehlen 9 . Vor allem die Satzkonstruktion ist noch sehr stark von der deutschen beeinflusst. Diese Form von Überlappung kommt in einem mehrsprachigen Sprachproduktionsprozess dann vor, wenn eine der beiden Sprachen aktiver ist als die andere und der Language Monitor (cf. 3.2.1.) noch nicht so weit ausgebildet ist, um diese Formen von CLIN zu erkennen und zu korrigieren. Die Fehler, die Vera unterlaufen, werden dadurch kompensiert, dass sie Italienisch aktiv in einem realistischen kommunikativen Kontext einsetzt und sich gleichzeitig bzw. gerade dadurch der mehrsprachige Sprachmonitor entwickeln kann. Dafür wählt sie Sprachrollen aus, ohne in eine sprachliche Überforderungssituation zu geraten. 363 8.4 Vera: Diglossie und schulische Mehrsprachigkeit 8.4.2 Soziales und ungesteuertes Lernens im MS-Unterricht Dieser Auszug ist ein weiterer Teil des Aushandlungsprozesses, in dem die Lernenden gemeinsam einen mehrsprachigen Text zum Thema “Schönheits‐ wahn“ für einen Poetry Slam verfassen. Die Schülerin arbeitet zwar konzentriert und eifrig mit, ist aber auch hier im Gespräch eher zurückhaltend, ein Verhalten, das sich unverändert über die gesamte Projektphase erstreckt. Vera fühlt sich als Teil der Gruppe, wirkt aber eher verunsichert und meldet sich in der Gruppe nur zögerlich zu Wort. Ihre Beiträge sind kurz, sie wiederholt sich häufig und verwendet Ellipsen, ihre Äußerungen bestehen in diesem Auszug nie aus län‐ geren und komplexen Satzgefügen, mit denen sie ihre Meinung zum Ausdruck bringt oder Vorschläge zur Ausarbeitung des Textes machen könnte. Ganz im Gegenteil nimmt sie am Aushandlungsprozess, in dem über die Gestaltung des Textes diskutiert wird, nicht teil. Sie hält sich eher im Hintergrund und be‐ schränkt ihre Teilnahme darauf, den anderen beizupflichten, wenn sie die Mei‐ nung der anderen teilt. Sie übernimmt also auch hier eine Sprachrolle, die es ihr zwar erlaubt, sich aktiv am Gespräch zu beteiligen, ohne sich jedoch Heraus‐ forderungen stellen zu müssen, komplexe Sachverhalte und Überlegungen in einer L2/ LX ausformulieren zu müssen. Von aktiver Sprachverweigerung in Bezug auf Italienisch kann bei Vera, anders als im Falle von Amelie, also nicht gesprochen werden, es war ihr lediglich aufgrund ihrer biographischen Um‐ stände nicht möglich, diese Sprache in ihrem lebensweltlichen Umfeld aktiv zu benutzen, ihr Spracherwerb beschränkte sich über viele Jahre auf den schuli‐ schen Raum, weshalb ihr praktische Erfahrungen und große Teile des umgangs‐ sprachlichen lebensweltlichen Registers fehlen. Vera ist sich dessen bewusst und versucht im Aushandlungsprozess, neue praktische Erfahrungen zu sammeln. Innerhalb der Gruppe ordnet sie sich unter, die Gruppe zeigt sich verständnisvoll und ist ihr in ihrem Lernprozess behilflich, den sie unbeobachtet durch die Lehrpersonen ausbauen kann (cf. 3.3.). Der mehrsprachige Aushandlungsprozess, wie er sich in dieser Form des Un‐ terrichtes entfaltet, gibt ihr die Möglichkeit, jene Sprachregister zu wählen, die für sie zu diesem Zeitpunkt ihres Spracherwerbsprozesses und mit den ihr zur Verfügung stehenden Kompetenzen im Bereich der MKK zugänglich sind. Gleichzeitig gibt ihr diese Lernsituation die Möglichkeit, sich das sprachliche Wissen der anderen SchülerInnen zunutze zu machen und zu einem späteren Zeitpunkt gegebenenfalls zu aktivieren. Sie setzt also einerseits Kompensati‐ onsstrategien ein, um mit der für sie schwierigen Situation umzugehen und er‐ wirbt gleichzeitig durch Imitationslernen passives Wissen, das sie später akti‐ vieren kann (cf. 3.4.2.). 364 8 SchülerInnenauswertung 1 S10 oder l’ideale di bellezza sbagliato che ci viene #00: 05: 54-2# 2 S4 gezoag #00: 05: 55-2# 3 S9 wia sog mon hel #00: 05: 55-2# 4 S10 che ci viene mostrato con le (..) sulle piattaforme di di social del sociale #00: 06: 10-1# 5 S9 l’ideale di bellezza è solo è solo un simbolo un sogno #00: 06: 18-4# 6 S10 L’ideale di bellezza non è possibile #00: 06: 20-0# 7 S9 unmöglich? #00: 06: 29-5# 8 S9 L’ideale di bellezza assomiglia in tutta la Welt però senza che lo sappiamo solo facciamo scriviamo questo? #00: 06: 53-0# 9 S10 Jo boh I hon jetzt net so gmoant obor jo#00: 06: 53-5# 10 S10 na nor sog du #00: 06: 55-8# 11 S9 I woas net (Lachen) wi man do sogn konn. S4? #00: 07: 01-1# #00: 07: 47-3# 12 S4 schweigt #00: 07: 52-3# 13 S9 what is we cannot say #00: 07: 52-3# 14 S10 wohl eh what is beauty we cannot say #00: 07: 57-3# 15 S9 jo ober donn wars ja #00: 07: 59-7# 16 S10 was es waren schön wenn man konns net sogn, es verändert sich ollm ja #00: 08: 17-2# 17 S9 another (unverständlich) #00: 08: 17-2# #00: 08: 17-2# 18 Vera si ma noi dobbiamo ancora continuare in Italiano quindi #00: 08: 18-2# 19 S9 si si quello si però boh se #00: 04: 58-7# 20 S10 in english #00: 04: 58-7# 21 S9 yes but if we can use it we should use it #00: 05: 00-9# 22 Vera yes yes ok #00: 05: 05-1# 23 S9 I don’t want to write #00: 05: 10-1# 24 S10 vietato #00: 05: 19-8# 25 S9 hosch du etwas in der Nase (kurze Pause) anderes Nasenloch (La‐ chen) #00: 05: 23-5# 365 8.4 Vera: Diglossie und schulische Mehrsprachigkeit 26 Vera si noi facciamo il gioco delle parti e continuiamo con quello? #00: 05: 30-4# 27 S10 was insch cita ehm cos what’s cicatrice? #00: 05: 33-1# 28 S9 Hon I di grod gfrog Narbe#00: 05: 36-1# 29 Vera Narbe si #00: 05: 42-3# 30 S9 allora possiamo continuare che con le foto e che è che tutto #00: 05: 48-4# 31 Vera isch sie kennen ins sogn #00: 08: 22-0# 32 S10 jo was red wos wor isch #00: 08: 27-6# 33 S9 aber, wenn mir do net weiter kommen, nor brigs ins nix #00: 08: 29-0# 34 S10 jo I hon jo jetzt sog mir miasns lei sogn. I konn in Italienisch net schreibn #00: 08: 32-8# 35 S9 jo obr I woas net wos mir jetzt schreibn. #00: 08: 34-1# 36 Vera cosa volevi dire #00: 08: 38-3# 37 S9 auf wos welln mir jetzt ausi #00: 08: 39-8# 38 S10 jo des wos du gsog hosch, dass die Ideale #00: 08: 49-8# 39 S9 boh I woas netta #00: 08: 52-8# 40 Vera du wolltest jo eps sogn (unverständlich) #00: 09: 38-3# 41 posso girare un attimo #00: 09: 50-0# 42 S4 tu hai un’idea? #00: 10: 02-1# 43 S10 do you have a sheet? Can I try something? #00: 10: 21-7# 44 Vera ok allora #00: 10: 26-2# 45 S9 L’ideale di bellezza è solo un desiderio perchè ogni foto e ogni im‐ magine che esiste sulle piattaforme na Mehrzahl piattaforme è solo und (..) non è reale. #00: 10: 52-2# 46 Vera non mi ricordo cosa vuol dire piattaforme #00: 10: 54-9# 47 S9 social network 48 S10 ehm si bellezza #00: 11: 17-4# 49 S9 l’ideale di bellezza è solo un sogno che vivi solo #00: 11: 25-4# 50 S10 un sogno? #00: 11: 25-4# 366 8 SchülerInnenauswertung 51 S9 ein Traum! ? #00: 11: 25-8# 52 un desiderio den jeder erreichen möchte #00: 11: 36-3# 53 S10 poi come hai detto? #00: 12: 05-6# 54 Vera quello della piattaforma #00: 12: 11-6# 55 S9 ogni foto e ogni immagine che facciamo è solo holt ischi lei eps vorgschpielt. #00: 12: 23-2# 56 Vera é solo #00: 12: 40-0# 57 Vera ogni foto ogni immagine e anche ogni sorriso #00: 12: 48-8# 58 S9 manca qualcosa quì. #00: 12: 53-8# 59 Vera ogni foto ogni immagine e ogni sorriso Tab. 8.18. Aufzeichnung 2/ 15.12.2015 Vera wählt hier Italienisch und bleibt bis auf wenige Ausnahmen dabei. Ihr Sprachgebrauch ist auch in diesem Fall durch eine Reihe von Unsicherheiten im Bereich Grammatik und Wortschatz gekennzeichnet. Der Auszug beginnt damit, dass die Lernenden sich Gedanken zum Thema Schönheit machen. Sie disku‐ tieren darüber, was ein Schönheitsideal sei, wie es sich in den unterschiedlichen Epochen verändert habe, wie Schönheit in den modernen Medien dargestellt und zu kommerziellen Zwecken missbraucht wird (1-17). Vera beteiligt sich nicht an diesem Gespräch. Sie wird erst mit einer Unterbrechung der Diskussion aktiv, indem sie auf formale Aspekte der Textstrukturierung übergeht und in Erinnerung ruft, dass der betreffende Teil auf Italienisch verfasst werden müsse (18). Etwas später greift sie auf Italienisch in ein informelles Seitengespräch ein und lenkt die Aufmerksamkeit in Form einer Frage an die Gruppe, ob alle ein‐ verstanden damit seien, wie geplant mit der Ausarbeitung des Textes fortzu‐ fahren, auf Strukturaspekte des Textes (26). Auf diesen Vorschlag wird jedoch nicht eingegangen. Vera versucht mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, sich am Gespräch zu beteiligen und es gelingt ihr, ihre Rolle innerhalb der Gruppe zu finden. Hier identifiziert sie einen Bereich, der es ihr ermöglicht, sich ins Gespräch einzubringen ohne sich sprachlich in eine Situation zu bringen, in der sie überfordert sein könnte (cf. 3.3.). Gleichzeitig beweist ihr Wissen um die Übersetzung des Wortes „ciccatrice“ ins Deutsche aber, dass auch sie durchaus sprachliches Wissen besitzt, das für alle nutzbar gemacht werden kann. (29) Sie nimmt aber keine dominante Rolle in der Gruppe ein, ist nicht Meinungsführerin. Sie neigt ganz im Gegenteil eher 367 8.4 Vera: Diglossie und schulische Mehrsprachigkeit dazu, sich den Meinungen der anderen zu fügen. Obwohl sie beweist, dass ihr Wortschatz größer ist (28), fühlt sie sich, wie ihre Selbsteinschätzung im Frage‐ bogen zeigt, den anderen gegenüber sprachlich nicht ebenbürtig. Diese Selbst‐ einschätzung wirkt sich hemmend auf ihr Sprachverhalten in der Gruppe aus. Aufgrund einer Reihe negativer Faktoren in ihrer Sprachbiographie kann sich in diesem Fall ihr Potential nur unter erschwerten Umständen entfalten. Hinzu kommt, dass einige in der Aushandlungsgruppe zweisprachig aufgewachsen sind und ein höheres Sprachniveau sowohl in Italienisch als in Deutsch auf‐ weisen. Sie stellt sich aber dieser Situation, die für sie eine große Herausforde‐ rung darstellt und versucht mit allen Mitteln, sich zurechtzufinden und für sich das Beste herauszuholen (cf. 2.4.1.). Vera findet unterschiedliche Wege, sich in dieser Situation zurechtzufinden und ihre Rolle innerhalb der Gruppe zu definieren. Sie ist eine begeisterte Schü‐ lerin und entwickelt Strategien, um auch in dieser Gruppenkonstellation ihre sprachlichen Kompetenzen zu verbessern. So entscheidet sie sich in diesem Auszug bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich Italienisch zu sprechen, wobei sie sich zwar nicht an Diskussionen über komplexe Themen beteiligt, aber dort, wo sie mithalten kann, ins Gespräch eingreift. Sie hat den Mut, ihre Defizite zu benennen, beispielsweise, dass sie sich an die Bedeutung des Wortes „piatta‐ forma“ nicht mehr erinnern kann (46). Mit der schnellen Antwort in Form einer Übersetzung ins Englische („social network“) (47) steht ihr die Gruppe unter‐ stützend zur Seite, die MitschülerInnen enthalten sich der Wertung ihrer Sprach‐ kenntnisse und stellen ihr unverzüglich das nötige Wissen zur Verfügung. An‐ gespornt durch das soziale Verhalten der Gruppe kann Vera das Wort „piattaforma“ anschließend in ihren aktiven Wortschatz aufnehmen und ver‐ wenden (51) (cf. 3.4.2.). Ähnlich verhält es sich, wenn S9, eine zweisprachig aufgewachsene Schü‐ lerin, einen Satz formuliert, der in den Slam eingefügt werden soll (55): Sie be‐ dient sich eines gehobenen Sprachregisters („ogni“), das Vera nicht geläufig ist, und signalisiert durch CM Italienisch/ Dialekt, dass sie nicht weiß, wie man auf Italienisch „vorgespielt“ sagt. Vera reagiert, indem sie versucht, den deutschen Ausdruck „vorgespielt“ ins Italienische zu übersetzen, bricht dann aber den Satz ab, da sie dazu nicht in der Lage ist. Allerdings greift Vera den Satz von S9 auf, der das Wort „ogni“ enthält (77) und wiederholt ihn (59), da sie ihn aufschreiben muss („ogni“ ist ein Wort, das die meisten Lernenden wegen dessen nasalen Palatal-Lautes [ɲ] durch das häufigere und einfacher auszusprechende „tutti“ („alle“) ersetzen). Damit hat Vera einen neuen Chunk erworben und die Ver‐ wendung des Wortes „ogni“ („ein jeder“) gelernt. Sie identifiziert Problembe‐ reiche ihres Sprachenlernens im Sinne des selbstgesteuerten Lernens selbst und 368 8 SchülerInnenauswertung nutzt die mehrsprachige Lernsituation, um ihren eigenen Lernprozess voran‐ zutreiben. Die Gruppe unterstützt sie in diesem Versuch, indem ihr immer dann wenn sie Hilfe benötigt, diese angeboten wird (cf. 3.2.2.). 8.4.3 Stimulated Recall 1: Gesprächsstrategischer Einsatz von CS Datum 15.11.2015: Wie Amelie fiel es Vera zu Beginn des Projektes sehr schwer, von einer Sprache in die andere zu wechseln. Auch im außerschulischen Kontext und in der Freizeit bereitet ihr das Schwierigkeiten, weil ihr der Automatismus fehlt und sie überlegen muss, wie vorzugehen ist. Die Schule bietet ihr neben der Freizeit, in der sie mehr Italienisch als Englisch spricht, die Möglichkeit, den Sprachwechsel mit anderen Sprachen zu üben. Im Verlauf des Projektes stellte sich wie bei den anderen Probandinnen ein Gewöhnungsprozess ein, der Sprach‐ wechsel beschleunigte sich, die Vernetzung des sprachlichen Repertoires ver‐ dichtete sich, die Sprachen waren leichter abrufbar. Veras Meinung nach ge‐ schah dies aufgrund der Möglichkeit zu üben und weil es interessant sei, von einer Sprache in die andere zu wechseln (cf. 3.3.1). Sie meint außerdem, dass es für das außerschulische Leben gut sei, wenn man besser mit Sprachen umgehen kann, und verweist darauf, dass die Vernetzung der Sprachenrepertoires nicht nur eine quantitative Verbesserung bedeutet in dem Sinne, dass die Sprachen schneller präsent sind, sondern dass es auch eine qualitative Veränderung mit sich bringe, da besserer Umgang mit Sprachen eine bessere Handhabung ihrer Mehrsprachigkeit einschließt. Sie lernt, die Sprachen abwechselnd zu verwenden, um in bestimmten Situationen kommunikations‐ strategisch mit der dafür geeigneten Sprache einzugreifen, z. B. wenn sie mittels CS mit Schwierigkeiten, denen sie nicht gewachsen ist, umgeht oder sich sprachlicher Effekte bedient, um dem Gesagten besondere Bedeutung zu ver‐ leihen (cf. 4.5.1.). Die Wahl der Sprachen bietet außerdem die Möglichkeit, Kom‐ munikation zu regulieren, Gewandtheit im Umgang mit Sprachen zu lernen und die eigenen Sprachkompetenzen besser einzuschätzen. Vera weiß jetzt, welche Sprache sie am besten wo einsetzt. In diesem Fall kann zwar nicht von funkti‐ oneller Mehrsprachigkeit im engeren Sinne gesprochen werden, da Vera keine speziellen Kenntnisse in einzelnen fachsprachlichen Bereichen besitzt, sie setzt aber themengebunden auch jene Sprachen ein, die ihr ein breiteres Ausdrucks‐ spektrum ermöglichen, ohne auf die Verwendung von L1 zurückgreifen zu müssen (cf. 4.5.1 und 4.5.2.). Vera: Ja, ich glaube schon, weil es ist im Leben schon wichtig, wenn man also also (kurze Pause) besser schon besser mit den Sprache umgehen kann und 369 8.4 Vera: Diglossie und schulische Mehrsprachigkeit auch wirklich also nicht erst danach denken muss, ja jetzt, wie geht das jetzt nochmal so. Weil ich habe früher wirklich immer Schwierigkeiten gehabt, von einer Sprache zur anderen zu wechseln und ich glaube, es hat sich schon ein bisschen gebessert #00: 01: 29-6# #00: 01: 47-9# Ausprobieren spielt für Vera eine zentrale Rolle, weil sie dadurch forschend vorgehen kann, sich das, was sich als brauchbar erweist, besser zu eigen machen, sich etwas einprägen, es memorieren und einüben kann. So bereitete Vera z. B. die mehrsprachigen Vorträge vor, übte sie ein, wiederholte sie und gewann da‐ durch neue Kompetenzen in allen Bereichen des Spracherwerbs. Das Unter‐ richtsdesign ermöglichte es ihr, sich auch in informellen Situationen mündlich auszudrücken, zu experimentieren und ihre Ausdrucksweise zu verfeinern. Erst durch Ausprobieren können neue Wege und Möglichkeiten erkannt werden, die zu einer Erweiterung des mehrsprachigen Repertoires führen. Diese können dann situationsgerecht und angemessen im Aushandlungsprozess eingesetzt werden (cf. 4.3.1.). 8.4.4 Stimulated Recall 2: Veränderte Kompetenzwahrnehmung Datum 25.02.2016: Zu Beginn des Projekts war Vera eher geneigt, Deutsch zu sprechen, selten auch Italienisch. Im Gegensatz zu ihren Aussagen im Frage‐ bogen, in dem sie Deutsch, Italienisch und Englisch gleichstellt, nennt sie jetzt Italienisch als Sprache, die sie am zweitbesten beherrscht, was zeigt, dass sich in der psychotypologischen Wahrnehmung ihrer Sprachen und insbesondere bezüglich Italienisch etwas geändert hat (cf. 3.3.2.). Sie sieht sich jetzt als kom‐ petentere Italienischsprecherin verglichen mit sich zu Beginn des Projektes und nimmt eine Abstufung ihrer Sprachkompetenzen vor (Deutsch an erster Stelle, Italienisch an zweiter und Englisch an dritter). Italienisch ist ihr durch den in‐ formellen Umgang in der Arbeitsgruppe vertrauter geworden, sie hat durch Übung mehr Routine im Sprechen und fühlt sich daher sicherer. Durch das mehrsprachige Arbeiten entwickelte die Schülerin ein Gespür für ihre jeweiligen Sprachkompetenzen. Der simultane Einsatz aller Sprachen ihres Repertoires ermöglichte ihr einen kontrastiven Vergleich, der wiederum zu bes‐ serer Selbsteinschätzung führt. Diese Form der Sprach(en)bewusstheit ist der Schülerin dabei behilflich, die Bereiche auszuwählen, in denen sie einen beson‐ deren Bedarf sieht und angemessene Maßnahmen zu ergreifen (cf. 4.3.1.). Ein‐ hergehend damit entwickelt sich die Fähigkeit, sich sprachlich neuen Gegeben‐ heiten anzupassen. Mehrsprachige Kommunikation erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und Toleranz, man ist gefordert, sich Situationen zu stellen, in denen 370 8 SchülerInnenauswertung 10 Nünning spricht in diesem Zusammenhang auch von narrativer Kompetenz, welche die Vielzahl literarischer Erzählgenres sowie neuer, medial vermittelter narrativer Formen beinhaltet (Nünning/ Nünning 2007: 89). Ein Aspekt, der laut Nünning für den Fremd‐ sprachenunterricht noch nicht berücksichtigt wurde. Ebenso ist der Aspekt des mehr‐ sprachigen Erzählens noch unerschlossen. Bedeutung nicht immer klar definiert ist und oft Aushandlungsgegenstand bleibt. Situationen, in denen nicht nur vor dem Hintergrund eines Referenzsys‐ tems kommuniziert wird, sondern mehrere Referenzsysteme gleichzeitig wirken und die Kommunikation beeinflussen. All das sind Erfahrungen, die die Ambi‐ guitätstoleranz der Schülerin steigern und die Wahrnehmung der einzelnen Sprachen verändern (cf. 4.3.2.). Vera: Also, was mir aufgefallen ist ehm… dass ich am Anfang eher so ja Deutsch reden wollte oder Italienisch, weil die auch eigentlich die zweite Sprache war, die ich gelernt habe, also… ja wo ich… wo mir vorkommt, dass ich also sie am zweitbesten kann, aber jetzt mittlerweile ehmm… rede ich auch gerne also ja Englisch, was mir jetzt auch gar kein Problem mehr macht und… ehmm… auch also Französisch jetzt zum Beispiel, logisch nur, wenn ich ein Französisch-Projekt habe #00: 00: 32-7# Einen wichtigen Beitrag zu diesem Bewusstwerdungsprozess leistet ihrer Mei‐ nung nach das output-orientierte Unterrichtsdesign, insbesondere die Präsen‐ tationen am Ende jedes Moduls, die für die Schülerin zwar zu Beginn eine große Herausforderung darstellten, ihr aber zur Reflexion über ihre mehrsprachigen Kompetenzen verhalfen. Das Vortragen und Vorlesen setzt einen vertieften Ver‐ stehensprozess voraus, vor allem weil sich die Lernende dabei intensiv mit per‐ formativen Aspekten, mit Aussprache, Intonation und Prosodie 10 auseinander‐ setzt und die Inhalte gründlich verstanden haben muss, um sie dann den Rezipienten zugänglich machen zu können. Vera durchlief diesen Lernprozess in unterschiedlichen Sprachen, konnte dadurch ihre MKK ausbauen, ihre neuen Kompetenzen nach außen sichtbar machen und die Einschätzung ihrer selbst mit denen der anderen vergleichen und neu justieren (cf. 6.1.3.). Die anfängliche Befangenheit der Schülerin wich im Verlauf des Projektes einer zunehmenden Selbstverständlichkeit im Umgang mit quasi öffentlichem Sprechen: Sie sei mit jedem Mal lockerer geworden und die anfängliche Aufregung sei mit der Zeit verschwunden. Da die Erfahrung des Vortragens positiv war, änderte sich die Selbstwahrnehmung der Schülerin, auch in Hinblick auf außerschulische, le‐ bensweltliche Mehrsprachigkeit. 371 8.4 Vera: Diglossie und schulische Mehrsprachigkeit In diesem Prozess stellte sich auch für Vera wie bei den anderen Probandinnen heraus, dass sie immer weniger dazu neigt, Sprachen auszuwählen, die ihr leichter von der Zunge gehen, sondern dass sie in zunehmendem Maße Sprachen einsetzt, die sie meint, noch üben zu müssen und dass der mehrsprachige Un‐ terricht ein gutes Übungsfeld darstellt, sich den Ungewissheiten und Zweifeln zu stellen, die entstehen, wenn man eine Sprache wählt, in der man sich nicht sicher fühlt. Eben dies stärkt sprachliche und interaktionale Kompetenzen. Vera: Ehmm… Ja also von meinen Präferenzen her ehmm… also eigentlich gibt es jetzt nicht mehr so eine Sprache, die ich lieber rede, weil ich sie ein‐ facher finde, sondern, also ich versuche einfach ähm die Sprachen zu nehmen, bei denen ich vielleicht noch ein bisschen unsicher bin und ähm sie nochmal besser zu lernen und ehmm… #00: 01: 30-7# Vera bevorzugt jetzt keine Sprache mehr vor einer anderen. Sie vermied es von Anfang an, Deutsch zu sprechen, weil es ihrer Meinung nach wenig Sinn ergebe, die Sprache zu wählen, die sie im Alltag verwendet. Die simultane Verwendung mehrerer Sprachen entschärften sprachliche Hierarchien und öffnete neue Zu‐ gänge zu allen Sprachen ihrer Repertoires, die es ihr ermöglichen, diese zu ak‐ tivieren (cf. 3.3.2.). Das Arbeiten mit plurilingualen Unterlagen erweiterte ihren Wortschatz in allen Sprachen, die Wahl bestimmter Themenbereiche wie Politik konfrontierte sie mit neuen Vokabeln eines gehobenen Registers und durch die intensive Auseinandersetzung mit diesen Themen konnte sie sich bereits wäh‐ rend der Arbeit viele Wörter merken. Außerdem erleichtert die vertiefte Arbeit an und mit plurilingualen Unterlagen zu denselben Themenbereichen einen kontextualisierten Vokabelerwerb in den jeweiligen Sprachen (cf. 3.4.1 und 3.4.2.). Veras mehrsprachige Texterschließungskompetenz befähigt sie, die im L1-sprachigen Unterricht erworbenen Teilkompetenzen auf andere Sprachen und Texte zu übertragen. Diese Kompetenz ist in ihrer Funktionsweise mit dem mehrsprachigen Repertoire vergleichbar bzw. Teil desselben: ein Zusammen‐ spiel von Welterfahrung, Lesestrategie, sprachlicher und Transferkompetenz. Dieses Unterrichtsdesign eignet sich hierfür besonders, da die Texte und Genres ständig verglichen, Bedeutungsschemata von einer Sprache in die andere über‐ tragen werden und die Lernenden sich bei der Bedeutungskonstruktion auf au‐ ßertextuelle, diverse kulturelle Phänomene stützen können. Kontrastive Lektüre stellt ein facettenreiches Weltwissen zur Verfügung, wodurch die Texterschlie‐ 372 8 SchülerInnenauswertung 11 Es ist hier zu berücksichtigen, dass insbesondere in einer durch Diglossie geprägten Region bildungssprachliche Kompetenzen weder in L1 noch in anderen Sprachen vor‐ ausgesetzt werden können, weshalb der Erwerb dieser Kompetenzen in den schulischen Unterricht integriert werden sollte. Wenn, wie in diesem Fall, das Unterrichtsdesign aufgaben- und inhaltsorientiert ist, werden bildungssprachliche Aspekte nicht vor‐ rangig anhand Strukturelemente erworben, sondern entlang einer komplexen Wech‐ selwirkung zwischen inhaltlichen und diskursiven Lernprozessen. ßung und die Sinnkonstruktion um ein Vielfaches komplexer wird als in einem einsprachigen Lernkontext (cf. 3.2.2.). Vera stellt fest, dass sie bei der mehrsprachigen Arbeit mit Texten simultan sprachübergreifend Vokabular erwirbt, dass es in der anderen Sprache nicht immer entsprechende Synonyme gibt und dass dann Ausweichstrategien wie beispielsweise Umschreibung vonnöten sind. Das Wichtigste hierbei sei, sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verständlich zu machen und im‐ stande zu sein, die Kommunikation aufrechtzuerhalten. Diese Fähigkeit, ein mehrsprachiges Gespräch oder einen Aushandlungsprozess durch den strate‐ gischen Einsatz von MKK fortzuführen, ist die Grundvoraussetzung aller au‐ thentischen transkulturellen Verständigung und von eminenter lebensweltli‐ cher Relevanz (cf. 2.3.1.). Der Schülerin fällt darüber hinaus auf, dass es unterschiedliche Sprachre‐ gister gibt und diese unterschiedliche Funktionen haben. Die plurilingualen Unterlagen zu Themen wie Politik, Wirtschaft, Geschichte und Literatur kon‐ frontieren sie mit bildungssprachlichen Aspekten in den unterschiedlichen Sprachen. Bildungs- und Fachsprachen haben sozialsymbolische Funktion, in‐ sofern sie kontext- und situationsunabhängig funktionieren und insofern sie durch Fachtermini und komplexe grammatikalische Struktur keine Mehrdeu‐ tigkeit zulassen. Dass dieser hohe Grad sprachlicher Komplexität höhere kon‐ zeptionelle Anforderungen an Lernende stellt (vgl. Feilke 2012c: 8), erkennt Vera: Dadurch dass sie sich das in den Texten vorhandene Fachvokabular aneig‐ nete, könne sie sich präziser auszudrücken. 11 Vera: Ehm eine also wenn man jetzt zum Beispiel normal ein Vokabular in einer anderen Sprache kennt, dann ist es nicht in einer Sprache genau das Gleiche, dann muss man halt auch einmal ein Synonym oder irgendetwas finden oder oder ein anderes Wort oder einfach umschreiben am besten und beschreiben und ehm aber das sonst ist es eigentlich nur gleich, man muss nur schauen, dass man sich ausdrücken kann und also irgendwie schafft, dass es der andere versteht und eben ja aber ich glaube, dass man jetzt durch diese 373 8.4 Vera: Diglossie und schulische Mehrsprachigkeit neuen Wörter auch schafft, sich etwas besser auszudrücken, nicht mehr mit einfachen Wörtern #00: 01: 38-0# 8.4.5 Stimulated Recall 3: Bildungssprache und Mehrsprachigkeit Datum 21.03.2016: Beim Betrachten der Videoaufzeichnungen bemerkt die Schü‐ lerin Besonderheiten ihrer Körperhaltung. Sie stellt fest, sie habe zu viel gesti‐ kuliert und das Merkblatt ständig von einer Hand in die andere gegeben, ihre Nervosität und ihr Unbehagen, in einer Fremdsprache vorzutragen, seien sichtbar geworden. Indem Vera über ihre Körpersprache reflektiert, erkennt sie in non-verbaler Kommunikation eine zusätzliche Ausdrucksmöglichkeit, eine weitere Sprachform, die parallel zum Akt des verbalen Kommunizierens Be‐ deutung generiert (cf. 4.3.1.). Das Vortragen auf Deutsch sei für sie etwas Normales, weil es relativ häufig vorkomme. Freies Sprechen falle ihr auf Deutsch noch immer am leichtesten. Da sie sich aber nun daran gewöhnt habe, in anderen Sprachen vor der Klasse zu sprechen, sei zu Übungszwecken Französisch als schwierigste Sprache ihre nächste Wahl. Hieran wird ersichtlich, wie weit ihr selbstgesteuerter Lernpro‐ zess sie bereits geführt hat. Sprechen und Vortragen in der Arbeitsgruppe gab ihr die Sicherheit, die sie benötigt, um den nächsten Schritt zu wagen und vor einer größeren Zuhörerschaft zu sprechen. An ihrem Verhalten sieht man, wie sie nach Schwierigkeitsgraden vorgeht und sich Stück für Stück vorarbeitet: Zunächst übt sie in der Gruppe umgangssprachliches Französisch, anschließend probiert sie, innerhalb der Gruppe vorzutragen, indem sie französische Unter‐ lagen liest und vorbereitet, durch die sie bildungssprachliche Aspekte dieser Sprache kennenlernt, die sie später im Gespräch nutzen kann, um sich gezielter auszudrücken. Als nächstes tritt sie mit einem Vortrag vor die Klasse und nutzt so die in der Gruppe erworbenen Kompetenzen für eine reelle Herausforderung. Die Schülerin beweist dadurch, dass sie in der Lage ist, ihren Lernprozess selbst zu organisieren, indem sie selbst jene Lernschritte plant, die es ihr ermöglichen, das anvisierte Ziel zu erreichen (cf. 3.3.1.). Vera: Und… also ja das kommt mir eigentlich normaler vor, weil ich sonst ja eigentlich auch meistens deutsche Vorträge mache ehmm… und ja, da fällt es einem schon doch einfacherer, frei zu reden, auf Deutsch. Ehmm… aber (kurze Pause) ja man hat eigentlich…. ich habe mir so gedacht, wenn ich den deutschen Part bekommen habe: Ja eigentlich ist es mir gleich, also ob ich jetzt Deutsch oder Italienisch oder Englisch oder so rede oder auch Franzö‐ 374 8 SchülerInnenauswertung sisch ehmm… und ich habe mir auch gedacht, weil Französisch habe ich, glaube ich (kurze Pause), erst einmal oder so vorgestellt und dass ich das nächste Mal wahrscheinlich Französisch nehmen werde und auch die an‐ deren aus der Gruppe, weil wir jetzt einmal so geredet haben und uns gedacht haben: Ma, eigentlich könnte man auch mal auf Französisch vorstellen, weil das doch noch die Sprache ist, die wir am wenigsten beherrschen #00: 01: 09-1# Laut der Schülerin konnte sie bildungssprachliche Kompetenzen in allen Spra‐ chen gleichermaßen ausbilden und es sei schön, jetzt mit den anderen auch auf diesem Niveau kommunizieren zu können. Das sei z. B. im letzten Modul der Fall gewesen, wo die ganze Gruppe sich sehr für das Thema interessiert habe und eine sehr intensive Diskussion beinahe ohne Seitengespräche oder The‐ menwechsel entstanden sei. Dadurch dass die SchülerInnen sich gegenseitig Hilfestellung leisteten, kam es zu einem immer schnelleren Sprachwechsel, was letztendlich dazu führte, dass die Sprachen von der Schülerin nicht mehr als getrennt empfunden wurden, sondern als ein Ganzes. Es sei ihr, ganz im Ge‐ gensatz zum Beginn des Projektes, nicht mehr bewusst gewesen, wann sie wechsle und welche Sprache sie gerade spreche. Das mehrsprachige Sprechen sei ein einziger Fluss geworden, in dem sich die Sprachen wie von selbst ab‐ wechselten. Vera: Also, ganz am Anfang hat man so denken müssen: Okay, jetzt rede ich einfach mal auf Englisch weiter. Aber jetzt redet man einfach weiter und also mir kommt vor, es ist jetzt alles, als wär es eine Sprache so #00: 03: 30-3# Sie spreche jetzt alle Sprachen so, als ob sie eine Sprache wären, die Übergänge zwischen den Sprachen seien flüssiger geworden, was ihr sehr gefalle. Mehr‐ sprachigkeit bedeutet nicht mehr nur das Sprechen verschiedener Sprachen und die Beschäftigung mit unterschiedlichen Kulturen, es wird vielmehr selbst zu einer Kultur, zu einer neuen Art, sich dem Leben zu stellen. Mehrsprachigkeit ist ein neues Ganzes, das in der Lernenden ein verändertes Weltbild entstehen lässt. Mehrsprachigkeit als Kultur anzuerkennen setzt voraus, dass Sprachbar‐ rieren innerhalb des Individuums sowie in der Gesellschaft überwunden werden (cf. 4.2.1.). Erst die Anerkennung der Gleichwertigkeit aller Sprachen ermöglicht es, dieses Prinzip in der alltäglichen Redepraxis umzusetzen. Die vollzieht sich nicht als bewusster Akt, es ist vielmehr ein unbewusster Prozess, in dem sich Verhärtungen lösen und sich Einstellungen und Haltungen verändern, wodurch sich ein positiver emotionaler Zugang zu den unterschiedlichen Sprachen über 375 8.4 Vera: Diglossie und schulische Mehrsprachigkeit alte Erfahrungen legt (cf. 4.3.1.). In der Folge kann die Schülerin sich auf die sprachlichen Bedürfnisse der anderen einstellen, indem sie beispielsweise Spra‐ chen vermeidet, die anderen nicht so geläufig sind. Die kognitive Voraussetzung dafür ist die Bewusstmachung der Vernetzung der Sprachen im mehrsprachigen Repertoire sowie Verdichtung und Intensivierung durch ständiges Üben (cf. 3.3.1.). 8.4.6 Retrospektives Interview: Mehrsprachige Texte verfassen als textstrukturierende Strategie Datum 18.05.2016: Mehrsprachige Texte zu verfassen war für Vera genau wie für die anderen Probandinnen mit viel Arbeit verbunden und zu Beginn etwas abschreckend, dann aber einfacher als gedacht. Vera beschreibt den Schreib‐ prozess detailliert und liefert wichtige Informationen zu den kognitiven Ab‐ läufen und Strategien, die sie dabei einsetzt. In den beiden ersten Texten begann sie mit Italienisch, weil ihr diese Sprache leichter falle als Englisch oder Fran‐ zösisch. Deutsch wollte sie nicht für den Anfang des Textes nehmen, kann aber einen spezifischen Grund dafür nicht nennen. Der Textbeginn sei ihr beim Ver‐ fassen am leichtesten gefallen. Der Hauptteil hingegen sei für sie deshalb schwieriger gewesen, weil sie argumentieren und den Text sowohl inhaltlich als auch formell strukturieren musste (Apppendix IV). Es sei ihr so vorgekommen, als schreibe sie den ganzen Text in einer Sprache, wobei ihr aber der französische Teil schwer gefallen sei, da sie viele Wörter habe nachschlagen müssen. In ihrem Text erfolgt der Sprachwechsel bei Themenwechsel nach jedem Absatz und spiegelt so die inhaltliche Struktur des Textes wider. Vera produziert ihren Text also sukzessiv mehrsprachig (cf. 3.5.4.). Sie plant im Gegensatz zu den anderen ProbandInnen den Sprachwechsel bereits zu Beginn des Schreibprozesses. Sie weiß, wie viel Text sie schreiben will und unterteilt ihn anschließend in unter‐ schiedliche sprachliche Abschnitte. In einem strukturierten Prozess fällt ihr der Wechsel von einer Sprache in die andere leichter, da sich während des Schreibens der nächste Absatz in einer anderen Sprache im Kopf bilde und ihr einzelne Wörter in der nächsten Sprache einfallen, die sie für passend hält. Es sei für sie am leichtesten, den Sprachwechsel am Ende eines Absatzes vorzu‐ nehmen, denn das gebe ihr die Möglichkeit, ihre Gedanken zu sammeln und dann in der anderen Sprache fortzufahren. Für Vera ist beim Schreiben des ersten Textes (der politischen Rede) der Wechsel auf Satzebene nicht denkbar. Am leichtesten sei es, das Ende der Absätze zu schreiben, denn da könne sie sich die Wörter schon irgendwie zusammenholen. 376 8 SchülerInnenauswertung Anhand dieser Aussagen ist zu erkennen, wie viele Strategien in ihrem Fall beim Verfassen eines mehrsprachigen Textes zum Einsatz kommen und wie komplex sich solch ein Prozess gestaltet. Die Schülerin entwickelt für sich eine Reihe von Hilfestellungen, um diese Aufgabe erfolgreich zu bewältigen und baut diese als Strukturelemente in den Text ein. Mehrsprachigkeit ist also zur glei‐ chen Zeit Problem und Lösung (cf. 4.3.1.). Vera: Ja weil es mir dann doch leichter vorgekommen ist, dann Absatz zu machen und danach neu zu starten und also die Gedanken zu sammeln und dann in die andere Sprache weiterzuführen und wahrscheinlich auch des‐ halb, weil ich versucht habe, mir einzuteilen, jede Sprache ungefähr gleich viel zu nehmen und dann habe ich das so als leichter gesehen #00: 08: 52-9# Wie Andrea spricht auch Vera das Thema der Sprachmittlung an: Es sei wichtig, darauf zu achten, nicht wörtlich zu übersetzen, da so Fehler entstehen können, weil es beim Mitteln zwischen Sprachen nur sehr selten Entsprechungen gibt, weshalb es angeraten sei, aus einer Reihe von möglichen Übersetzungen dieje‐ nige auszusuchen, die in dem jeweiligen Kontext geeignet ist, um Bedeutung im Text bestmöglich wiederzugeben. Für die Schülerin ist es nicht immer leicht, in diesem Übersetzungsprozess die Grammatik der verschiedenen Sprachen aus‐ einander zu halten, im Gegenteil, oftmals vermischten sie sich im Schreibpro‐ zess, was Fehler generierte. Eine Ausnahme bildete Französisch und Italienisch wegen ihrer Ähnlichkeit. Vera behalf sich hier mit interkomprehensiven Me‐ thoden, um sprachliche Probleme zu lösen. Auch Vera wird mit dem Phänomen der Polysemie und Übersetzbarkeit konfrontiert und erkennt, dass es zwischen den Sprachen keine Eins-zu-Eins-Entsprechungen gibt (cf. 4.2.3.). Beim Verfassen des Gedichtes erfolgte die Wahl der Sprachen nach anderen Kriterien als beim Prosatext (Appendix IV). Sie sind den literarisch-ästhetischen Kriterien Andreas vergleichbar. Sie wählte Französisch, weil das die Sprache sei, die sie nicht so gut könne. Außerdem gab sie den Klang von Wörtern als Grund für ihre Wahl an (“l’amour“ klinge auf Französisch am besten, das Wort „suffe‐ ring“ habe sie gewählt wegen einer Intensität, die sie in den anderen Sprachen nicht finde). Ein weiteres Kriterium für die Wortwahl waren die Hintergrund‐ informationen und die Sprache, in der sie verfasst waren. So wählte die Schülerin z. B. Deutsch, um das Thema Zeit und Vergänglichkeit zu behandeln, da es im Deutschunterricht anhand des Barocks erläutert worden war (cf. 4.5.1.). Die Schülerin gab dem Text Struktur, indem sie den Refrain immer in der‐ selben Sprache schrieb. Sie habe im Unterschied zur Rede innerhalb der Strophen 377 8.4 Vera: Diglossie und schulische Mehrsprachigkeit mehrere Sprachen verwendet. Beim Vergleichen der Texte fällt ihr auf, dass im Prosatext die Sprachen eine thematische Einheit bilden, wohingegen sie im Ge‐ dicht einen Gedanken oder Themenbereich mehrsprachig behandelt. Es gibt im Gedicht also keine rein sprachliche oder nach Absätzen gegliederte Struktur, denn der Adressat des Gedichts, so meint die Schülerin, sei die ganze Welt, wes‐ halb alle Sprachen für sie gleich wichtig gewesen seien. Vera: Ja, dass, was ich hier mit dem Gedicht aussagen will wirklich für die ganze Welt bestimmt ist also betrifft und (kurze Pause) ja also, dass die Spra‐ chen eben für uns hier immer gleich wichtig sind #00: 10: 03-9# Zusammengefasst erfolgt die Wahl der Wörter in den verschiedenen Sprachen nach folgenden Kriterien: - um einen Text nach Absätzen zu strukturieren bzw. ein Gedicht nach Strophen zu strukturieren - um einen Text inhaltlich zu strukturieren - um dem Text durch die Sprachen unterschiedliche Bedeutungen zu geben - um einen Text nach Themenkreisen zu strukturieren - weil es optisch besser wirkt - weil einzelne Wörter und Wendungen mit besonderen Bedeutungen ver‐ bunden werden - weil einzelne Wörter und Wendungen gut klingen - weil einzelne Wörter und Wendungen besser passen und besonders aus‐ sagekräftig erscheinen - weil es einzelne Wörter und Wendungen in den anderen Sprachen nicht gibt - weil kulturhistorische Zusammenhänge innerhalb eines bestimmten Kul‐ turkreises und in einer bestimmten Sprache erworben worden sind - weil bestimmte Wörter und Wendungen mit besonderen Erinnerungen verbunden sind - weil eine Sprache besondere rhythmische Merkmale aufweist, die pas‐ send erscheinen und beim Vortrag zur Geltung kommen (so sei zum Bei‐ spiel im Fall der Formulierung „tell me why tell me why“ die Wahl auf Englisch gefallen, weil es so einen besonderen Rhythmus habe und da‐ durch ein sprachlicher Effekt erzielt werden könne) Diese Art und Weise, Texte zu verfassen, war für die Schülerin eine Gelegenheit, Sprachen einmal anders zu lernen. Sie hat für sich selbst neue Lernkanäle ent‐ 378 8 SchülerInnenauswertung decken können, wobei besonders das Verfassen mehrsprachiger Gedichte für sie eine interessante Alternative zum traditionellen Unterricht darstellt. Sie lernte, dass es nicht wichtig ist, eine Sprache perfekt zu beherrschen, sondern mit den anderen Menschen der Welt zu kommunizieren. Die Schülerin kommt zu der Einsicht, Vorurteile gegenüber bestimmten Sprachen zu haben und diese dank des mehrsprachigen Arbeitens abgebaut zu haben (cf. 3.3.1.) Vera: Ehm also eigentlich, dass ich also wirklich versucht habe, nicht Deutsch zu nehmen und also ich habe versucht, die anderen Sprachen zu nehmen und sie zu benutzen und ich glaube, dass das schon geholfen hat, also auch meine Vorurteile gegen die Sprache also praktisch… Sie hat erfahren, dass alle Sprachen eine Einheit bilden und sie habe gefühlt, dass alle Sprachen gleich sind. Die Veränderung der Haltung und Einstellungen der Schülerin erfolgte also nicht (nur) auf der kognitiven Ebene, sondern auf‐ grund einer veränderten Wahrnehmung der Sprachen auf emotionaler Ebene (cf. 4.6.3. und 4.3.2.). 8.4.7 Zusammenschau der Ergebnisse Die Schülerin entdeckte neue Freiräume, die es ihr ermöglichten, eigenständig und selbstgesteuert ihren Lernprozess zu gestalten sowie selbst ihre Lernziele festzulegen. Sie wählte die Sprachen so aus, dass sie ihr jeweiliges kommuni‐ katives Ziel erreicht. Dieses veränderte Lernverständnis befähigte die Schülerin, ihren eigenen Lernprozess kritisch zu reflektieren und zu regulieren, indem sie in den unterschiedlichen Sprachen nach Schwierigkeitsgraden vorging und Überforderung vermied. Dafür suchte sie sich in der Gruppe Sprachrollen aus, die es ihr ermöglichten, am mehrsprachigen Diskurs teilzunehmen ohne gleich‐ zeitig ihre sprachlichen Kompetenzen zu überschreiten. Sie nutzte dabei die Gruppe als unterstützendes Element, indem sie sich direkt oder indirekt an diese wandte, um Hilfe zu erhalten. Weil der Lernprozess nicht fremdgesteuert war, konnte sie neue Lernkanäle für sich entdecken (cf. 3.3.1.). Eine positive Folge dieser Strategien ist die Aktivierung und Vernetzung ihres mehrsprachigen Repertoires. Vera nahm ihre Kompetenzen in den einzelnen Sprachen differenzierter wahr mit der Folge, dass sie diese gezielter gesprächs‐ strategisch bzw. themengebunden einsetzen kann. Sie konnte sprachliche Re‐ gister bei Bedarf wechseln und erwarb bildungssprachliche Kompetenzen in 379 8.4 Vera: Diglossie und schulische Mehrsprachigkeit allen verwendeten Sprachen, wodurch sie sich differenzierter und komplexer ausdrücken konnte (cf. 4.4.2.). Das mehrsprachige Lernsetting gibt der Lernenden die Möglichkeit, Neues auszuprobieren und mit Sprache zu experimentieren. Durch kontrastives, ver‐ gleichendes Arbeiten auf der Basis plurilingualer Unterlagen aus ähnlichen Themenbereichen mit entsprechend ähnlichen semantischen Feldern erweitert sich ihr Wortschatz in allen Sprachen. Das Bewusstsein der Schülerin für ihre Sprachen resultiert nicht zuletzt daraus, dass sie sich mit Hilfe der Gruppe in noch unbekannte sprachliche Bereiche vorwagen und bei Bedarf sprachliche Defizite durch CS kompensieren konnte. Mehrsprachigkeit übernimmt also eine Scaffolding-Funktion, sie gibt den Lernenden Rückhalt beim Ausprobieren von Neuem. Vera lernt dabei auch, dass Memorieren und Einüben genauso zum Sprachenlernen gehört wie andere Sprachlernstrategien (cf. 4.5.1.). Auch der emotionale Bezug zu Sprachen ändert sich, nicht nur indem sie alte Erfahrungen mit Sprache im Laufe der Zeit durch neue ersetzt, sondern auch indem sie alte innere und äußere Sprachbarrieren überwindet, sich selbst als mehrsprachiges Individuum wahrnimmt, Vorurteile abbaut und allen Sprachen den gleichen Wert beimisst. Diese Toleranz zeigt sich auch in ihrem Sprechver‐ halten, sie ist schwächeren Lernenden gegenüber verständnisvoll und stellt ihre Sprachwahl auf die Bedürfnisse anderer ein. Transkulturalität und Toleranz durch Mehrsprachigkeit wird zu einer Lebenshaltung (cf. 2.3.2.). Das mehrsprachige Vortragen war für Vera eine besondere Herausforderung, der Wechsel von einer Sprache in die andere fiel ihr zunächst sehr schwer, be‐ schleunigte sich aber mit der Zeit derart, dass sie mehrsprachiges Sprechen vor Publikum sogar als einen einzigen mehrsprachigen Redefluss wahrnahm. Dies bedeutet nicht, dass die Sprachen realiter verschmelzen, Struktur und Wort‐ schatz der einzelnen Sprachen werden sehr wohl auseinandergehalten, gleich‐ zeitig aber entsteht in der Schülerin der gegenteilige Eindruck. Sie nimmt wahr, dass die Sprachen bereits in der vorproduktiven Phase keine getrennten Ein‐ heiten, sondern vernetzt sind und eine dynamische Einheit bilden, die ständigen Veränderungsprozessen unterliegt (Herdina/ Jessner 2002). Das erstmalige Vortragen bildet die Aktivierungsphase, es ist ein Übungsfeld, in dem Vera unter anderem auch lernt, mit ihrer Sprechhemmung und ihren Ängsten umzugehen. Das spontane Feedback der Zuhörerschaft verhilft ihr dazu, ihre Performance besser einzuschätzen und sich ein realistischeres Bild von ihren Kompetenzen und ihrer Wirkung zu machen, auch bezüglich ihrer non-verbalen Kommunikation. Vera erkennt, dass Körpersprache und verbale Kommunikation nicht immer in Einklang sind und dass non-verbale Kommu‐ nikation die Wirkung des Gesagten beeinflussen bzw. verändern kann. 380 8 SchülerInnenauswertung Vera setzt CS im mehrsprachigen Schreibprozess für unterschiedliche Zwecke ein: Sie verwendet CS, um den Text sowohl inhaltlich argumentativ als auch formal zu strukturieren. Andere von der Schülerin genannte Gründe sind Rhythmus, Prosodie, Wortklang, graphische Elemente und besondere semanti‐ sche Merkmale (Konnotation, höheres Maß an Aussagekraft oder die Tatsache, dass es ein bestimmtes Wort nur in einer Sprache gibt). Ein weiteres Kriterium für CS hängt mit ihren biographischen Erfahrungen und dem Lernkontext zu‐ sammen. Es handelt sich dabei um Wörter und Wendungen, die sie mit be‐ stimmten Erinnerungen verbindet oder deren Bedeutung sie in einem be‐ stimmten Kontext und in einer bestimmten Sprache erworben hat. In der Textproduktion sind die Gründe für CS ähnlich denen der mündlichen Kom‐ munikation. Hier übernehmen die schreibstrategischen Formen von CS jedoch vermehrt ästhetisch-literarische Funktion und dienen dazu, den Text ausdruck‐ stärker zu gestalten. Bei der Textproduktion ist im Vergleich zur mündlichen Kommunikation der Grad der Reflexion über das Mitzuteilende höher, d. h. CS wird gezielter und bewusster eingesetzt. Bei der mehrsprachigen Texterschlie‐ ßung lernt die Schülerin, ihre L1-Kompetenzen auf andere Sprachen zu über‐ tragen, d. h. Hintergrundwissen, Welterfahrung, sprachliches Wissen und Le‐ sekompetenz in mehreren Sprachen gleichzeitig zu aktivieren. Das Resultat ist ein breitgefächertes semantisches und transkulturelles Bild, in dem sich Kon‐ notationen, Denotationen und diachrone Bedeutungsentwicklung einzelner Be‐ griffe kreuzen. Der mehrsprachige Schreibprozess stellt die Schülerin im Gegensatz zur mündlichen Sprachproduktion vor allem anfangs vor die Schwierigkeit, die ein‐ zelnen Sprachen auseinander zu halten. Im Laufe der Zeit entdeckt sie nicht nur, dass Vergleiche zwischen Sprachen vor allem derselben Sprachfamilie sehr hilf‐ reich sind, sondern auch, dass es sowohl eine synchrone als auch eine diachrone Form mehrsprachigen Schreibens gibt und dass sie je nach Bedarf und Absicht von einer Form in die andere wechseln kann. Während des Schreibprozesses stellt sie fest, dass es beim Übersetzen von einer Sprache in die andere oft keine treffenden Entsprechungen gibt und dass Polysemie die Sprache zu einem kom‐ plexen Gebilde macht - Phänomene, die bei der Übersetzungsarbeit in Betracht gezogen werden müssen. Ähnlich verhält es sich mit der Bedeutung von Symbolen, die auf Archetypen zurückgehen und in der Mehrsprachigkeit eine Bedeutungsdichte erfahren, in die sich die Lernende zunächst hineindenken muss, um sie zu erarbeiten. Dieser Facettenreichtum birgt die Erkenntnis in sich, dass Bedeutung letztendlich nicht fixierbar ist. Das Nachdenken über die symbolische Vielfalt von Sprache eröffnet einen neuen Zugang zur Realität und ihren Diskurswelten. Das Wirkungspo‐ 381 8.4 Vera: Diglossie und schulische Mehrsprachigkeit tential symbolischer Gestaltungsmittel wird im mehrsprachigen Interpretati‐ onsprozess zum Indiz für den symbolischen Gehalt von Sprache als solcher. Das Denken der Lernenden wird so zu einem heuristischen Experimentieren mit Vorstellungen und Gedanken, bei dem auch der Symbolgehalt von Sprache(n) an sich thematisiert wird. 8.4.8 Codes Savoirs Codes Savoir - Bildungssprache erlaubt höhere Ausdifferenziertheit und größere Komplexität im Ausdruck - Mehrsprachigkeit kann in vielen Situationen eine Scaffolfing-Funk‐ tion einnehmen - Die Wahrnehmung von Sprache basiert auf Biographie und Lern‐ erfahrungen - Mehrsprachigkeit als Form authentischer Kommunikation - Sprachen sind im Hirn vernetzt und überlappen sich - Sprachen bilden im Hirn ein dynamisches, sich ständig veränder‐ ndes System - Die non-verbale Kommunikation ist die Sprache des Körpers - Der mehrsprachige Verstehensprozess ist artikulierter und kom‐ plexer als der einsprachige - Sprachübergreifende Begriffsdefinition liefert ein breiteres Bedeu‐ tungssektrum - Mehrsprachige Begriffsdefinition schafft Synergien zwischen den Sprachen und öffnet die Möglichkeit für kreative Bedeutungsfin‐ dungen - Mehrsprachigkeit öffnet eine differenzierte Wahrnehmung der Re‐ alität - Es gibt eine synchrone und eine diachrone Form des mehrspra‐ chigen Schreibens Savoir être - Durch Vergleich eine differenzierte Wahrnehmung des eigenen Kompetenzniveaus in den einzelnen Sprachen gewinnen - Ein positives Bild der eigenen sprachlichen Kompetenzen haben - Die Sprach(en)bewusstheit durch den kontrastiven Vergleich von Sprachen steigern - Sprachen werden unterschiedlich wahrgenommen und diese Wahrnehmung kann sich im Laufe der Zeit verändern - Eine Brücke von der schulischen zur lebensweltlichen Mehrspra‐ chigkeit schlagen - Mit dem Phänomen der Polysemie beim Übersetzen umgehen können - Sich selbst als mehrsprachiges Individuum wahrnehmen - Mehrsprachigkeit als Lebenshaltung Savoir faire - Auf ein mehrsprachiges Repertoire zurückgreifen können - Kompetenzerwerb in den einzelnen Sprachen graduell gestalten ohne in Überforderungssituationen zu geraten - Unterschiedliche Sprachen gezielt strategisch einsetzen 382 8 SchülerInnenauswertung - CS als Hilfestellung verwenden, um sich schwierigen sprachlichen Herausforderungen zu stellen - Schnell von einer Sprache in die andere wechseln - Mit den eigenen Sprechhemmungen und Ängsten umgehen lernen - CS schreibstrategisch einsetzen - CS im Schreibprozess für pragmatische Zwecke einsetzen - CS im Schreibprozess für ästhetisch-literarische Zwecke einsetzen - CS im Schreibprozess für onomatopoetische, rhythmische und pro‐ sodische Zwecke einsetzen - CS im Schreibprozess als bedeutungsverstärkendes Element ein‐ setzen - CS im Schreibprozess, um Bedeutungsbesonderheiten der ein‐ zelnen Sprachen zu nutzen - CS im Schreibprozess nutzen basierend auf biographischen As‐ pekten und besonderen Lernerfahrungen - Den eigenen mehrsprachigen Schreibprozess reflektieren - Diachrone als auch synchrone Formen des mehrsprachigen Schreibens beherrschen - CS, um gesprächsstrategisch Aufmerksamkeit auf sich zu lenken Savoir ap‐ prendre - Lernprozess in mehreren Sprachen kritisch reflektieren - Selbstgesteuertes mehrsprachiges Lernen - Den mehrsprachigen Lernprozess selbst regulieren - Das soziale Umfeld nutzen, um den eigenen mehrsprachigen Lern‐ prozess zu unterstützen - Durch Mehrsprachigkeit neue, besser zugängliche Lernkanäle ent‐ decken - Für den eigenen Lernprozess geeignete Sprachrollen wählen - Auf Teilbereiche beschränkt bildungssprachliche Register in allen Sprachen nutzen - Wortschatz zu bestimmten Themenbereichen in allen Sprachen er‐ werben - Memorieren und Einüben als Sprachlernstrategien einsetzen - Die erworbenen Texterschließungskompetenzen von einer Sprache auf die andere übertragen - Im mehrsprachigen Schreibprozess Sprachen auseinanderhalten können - Transfer besonders bei Sprachen aus derselben Sprachfamilie nutzen Savoir s’engager - Innere und äußere Sprachbarrieren überwinden und sich selbst als mehrsprachiges Individuum wahrnehmen - Vorurteile abbauen und alle Sprachen als gleichwertig erkennen - Im eigenen Sprechverhalten Toleranz zeigen - Durch Mehrsprachigkeit ein verändertes Weltbild gewinnen - Sich im eigenen Sprechverhalten auf die Bedürfnisse anderer ein‐ stellen - Meinungsbildung auf transkulturellen und plurilingualen Prä‐ missen - Entscheidungsprozesse tragen der Pluralität unserer Gesellschaft Rechnung - Mehrsprachigkeit beeinflusst Entscheidungsprozesse dahingehend dass sie für Demagogie und Radikalisierung nicht anfällig sind - In der Mehrsprachigkeit das eigene kreative Potential freisetzen 383 8.4 Vera: Diglossie und schulische Mehrsprachigkeit - Symbole erfahren in der Mehrsprachigkeit eine erhöhte Bedeu‐ tungsdichte - Sprache ist eine symbolische Form - Bedeutung ist relativ, zeitgebunden und veränderbar - Die symbolische Vielfalt der Sprachen verändert den Zugang zur Realität und ihren Diskurswelten - Symbolhaftigkeit der Sprachen führt zu Formen heuristischen Ex‐ perimentierens bei der Gedankenbildung Tab. 8. 19. 384 8 SchülerInnenauswertung 9 Abgleich: MKK theoretische Modellierung und Daten Im Folgenden wird anhand der einzelnen Aspekte der Modellierung der Ab‐ gleich der MKK-Modellierung mit den Ergebnissen der Datenauswertung ta‐ bellarisch aufgezeigt. Dadurch sollen Korrespondenzen aufgezeigt werden. Leerstellen lassen sich dadurch identifizieren, dass in den Tabellen im Bereich „Datenanalyse“ keine Entsprechungen vorhanden sind, die Spalten also leer bleiben. Bei der Gegenüberstellung von MKK auf der einen Seite und den aus der Datenauswertung hervorgegangenen Indikatoren auf der anderen Seite sind nur jene Indikatoren aufgenommen, die sich im Zuge der Datentriangulation als relevant erwiesen. 9.1 Auswertung und Kreuzung der Daten Dazu wurden zunächst aus den Codes mithilfe von MAXQDA, einem Programm zur computergestützten qualitativen Datenauswertung in einem Verfahren axialen Kodierens erste Kategorien gebildet. Diese wurden anschließend in Bezug zu den anderen Kategorien klar definiert und verglichen. Die Codes wurden daraufhin ausgewertet, gekreuzt, sortiert und ersten Kategorien zuge‐ ordnet. Anschließend wurden daraus in einem Prozess des selektiven Kodierens die Kernkategorien gewonnen, die Indikatoren ausformuliert und diesen end‐ gültig zugeordnet. Häufigkeit und Relevanz der selektierten Indikatoren sichern die Validität der Daten. Im Zuge der selektiven Kodierung wurden in allen Aus‐ wertungsbereichen ähnliche oder gleiche Kernkategorien für den Kompetenz‐ zuwachs ausgemacht, die Analogien zu jenen in der theoretischen MKK-Mo‐ dellierung identifizierten aufweisen. Sie werden im Folgenden gemeinsam mit der Anzahl der Codes aufgezeigt und benannt: Identifizie‐ rung Kernkategorien Anzahl der Erwäh‐ nungen (Indikatoren) A Third Space/ zwischen Kulturen und Sprachen mit‐ teln 13 B Realitätswahrnehmung und Bedeutungserweite‐ rung/ Hybridisierung 22 C Transfer/ CLIN 18 D Sprachrollen und ihre Funktion in der Kommuni‐ kation 25 E Mehrsprachige Gesprächspraktiken 28 F Sprache Emotion/ Psychotypologie 18 G Sprach(en)bewusstheit und Sprachenlernen 16 H Formen sozialen Lernens/ Inklusion 17 I Mehrsprachige Persönlichkeitstheorie 20 J Über Mehrsprachigkeit kritisch reflektieren 15 K Mehrsprachiges Repertoire 13 L Kreativität 8 M Mehrsprachigkeit Genres 5 N Geschichtliche und politische Verortung von Sprache/ Konnotation 13 O Mehrsprachiges Lernen 51 Tab. 9.1. 386 9 Abgleich: MKK theoretische Modellierung und Daten Graphische Darstellung der Daten: Tab. 9.2. Herausstechend ist hier die Häufigkeit die Erwähnung des mehrsprachigen Lernens, der Gesprächspraktiken und der mehrsprachigen Sprachrollen, was aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Anlage des Unterrichtsdesigns zurückzu‐ führen ist. Denn die Aushandlungsprozesse und die schriftlichen und mündli‐ chen Outputs sowie selbstgesteuertes und eigenverantwortliches Lernen (die Lernenden erhalten in diesem Aufgabenformat die Möglichkeit, ihren mehr‐ sprachigen Lernprozess selbst zu gestalten, z. B. indem sie sich eigene Lernziele setzen) werden hier bewusst in den Mittelpunkt gestellt (cf. 2.3.). Wie von Mar‐ tinez Schröder Sura postuliert (Martinez & Schröder Sura 2011) nimmt das mehrsprachige Lernen eine kompetenzbereichübergreifende Valenz ein und kann so als transversale Kompetenz verstanden werden. Festzuhalten ist hier, dass sich aus der Datenerhebung weder nennenswerte Widersprüchlichkeiten zwischen den Daten, die auf große Unterschiede in der Kompetenzentwicklung der einzelnen Probandinnen schließen ließen, noch zwischen den Daten der Aushandlungsprozesse und des Forschungstagebuchs entnehmen lassen. Vielmehr wird ersichtlich, dass die Kompetenzentwicklung bei allen Probandinnen sehr ähnlich verläuft, allerdings stark von den jeweils mitgebrachten (sprach)biographischen Voraussetzungen abhängt: Dies lässt sich gut anhand der Kernkategorie Mehrsprachiges Repertoire erläutern. In den 387 9.1 Auswertung und Kreuzung der Daten Aufzeichnungen zeichnet sich im Verlauf der Datenerhebung bei allen Proban‐ dInnen trotz unterschiedlicher Voraussetzungen eine konstante Zunahme von Mehrsprachigkeit ab, was darauf hindeutet, dass die Lernenden sich immer mehr daran gewöhnen, im mündlichen Austausch ihr gesamtes sprachliches Reper‐ toire zu verwenden. Die Einzeluntersuchungen zeigen Folgendes: Die Probandin Amelie erweitert ihr mehrsprachiges Repertoire, indem sie durch Imitationslernen Italienisch in ihr aktives Repertoire aufnimmt, alle ihr zur Verfügung stehenden Sprachen aktiviert und biographisch bedingte innere Sprachbarrieren abbaut (cf. 191). Sara lernt nicht nur, ihr mehrsprachiges Re‐ pertoire zu aktivieren, sondern auch, es intensiv für den Transfer zu nutzen (cf. 219) und ihre Mehrsprachigkeit für den Sprachlernprozess einzusetzen, indem sie sich sprachübergreifend prozedurales und deklaratives Wissen zunutze macht. Andrea, die auf hohem Niveau deutsch-italienisch zweisprachig ist, lernt ihr mehrsprachiges Repertoire simultan zu verwenden, TL also zu einer ge‐ wohnten kommunikativen Praxis zu machen (246). Vera entwickelt durch Ver‐ netzung ihres sprachlichen Repertoires eine differenziertere Wahrnehmung ihrer sprachlichen Kompetenzen (269) und folglich ein differenzierteres Sprach(en)bewusstsein. Diese Beispiele zeigen, dass der Language Mode bei den einzelnen Lernenden aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen zwar ganz individuell ausge‐ prägt ist, eine positive Entwicklung bezüglich der Aktivierung und stärkeren Vernetzung der Sprachen aber bei allen Probandinnen gleichermaßen zu beob‐ achten ist. Ein Grund für dieses Ergebnis ist sicherlich, dass die Lernenden be‐ reits in der Pilotphase eine sehr positive Haltung dieser Form des Lernens ge‐ genüber einnahmen und diese auch während der Durchführung der Datenerhebung beibehielten. Im Laufe des Projektes kamen neue Kernkategorien hinzu, die in der Model‐ lierung ursprünglich nicht vorgesehen waren. Sie betreffen Aspekte, die ein‐ zelne Fertigkeiten im Bereich mehrsprachiges Lernen beschreiben: - Recherchieren in mehreren Sprachen - Mehrsprachiges literarisches Lernen - Mehrsprachiges Schreiben Im folgenden Abgleich mit der MKK-Modellierung werden die nachstehenden Bereiche übernommen, die bereits in der Modellierung aufscheinen. Sie werden mit den Ergebnissen der Datenauswertung abgeglichen (cf. 4.1. - 4.5.) und wo nötig ergänzt. 388 9 Abgleich: MKK theoretische Modellierung und Daten Kompetenzbereich 1 MKK und symbolische Kompetenz Kompetenzbereich 2 MKK und Sprach(en)bewusstheit Kompetenzbereich 3 Psycholinguistische und soziolinguistische Aspekte von MKK Kompetenzbereich 4 MKK und polyglotte Gesprächspraktiken Kompetenzbereich 5 MKK und Emotion Tab. 9.3. Dies erfolgt übersichtlichkeitshalber in Form von Tabellen. Um die Entspre‐ chungen zwischen den Datensätzen und der Modellierung der MKK synthetisch zu veranschaulichen, werden die Schwerpunkte der MKK in Form von Indika‐ toren zusammengefasst und tabellarisch aufgelistet. Stellvertretend für alle Ent‐ sprechungen in den Datensätzen wird ein besonders aussagekräftiger Indikator der Datenauswertung herangezogen, weil es oft eine Anzahl von bis zu mehr als 10 Indikatoren pro MKK Aspekt gibt und sich diese Anzahl graphisch nur sehr schwer darstellen lässt. Die genaue Auflistung der aus der Datenkreuzung als relevant hervorgegangenen Indikatoren erfolgt im anschließenden Kapitel im Kompetenzmodell, in welchem diese, nach Savoirs angeordnet und als Des‐ kriptoren umformuliert, detailliert aufgezeigt werden. 9.2 Symbolische Kompetenz Die Daten dieses Kompetenzbereiches lassen sich anhand folgender Kernkate‐ gorien ordnen: Identifizierung Kernkategorie A Third Space zwischen Kulturen und Sprachen I Mehrsprachige Persönlichkeitstheorie E Mehrsprachige Gesprächspraktiken M Mehrsprachigkeit Genres B Realitätswahrnehmung/ Bedeutungserweiterung/ Hybridisie‐ rung Tab. 9.4. 389 9.2 Symbolische Kompetenz Modellierung MKK Indikatoren Datenerhebung 1B Mehrsprachige symbolische Darstel‐ lung von Realität erkennen Durch mehrsprachiges Handeln eine neue Wahrnehmung von Realität ge‐ winnen 2A Durch Intertextualität Werte und Ide‐ ologien einer Gesellschaft erkennen und hinterfragen Wissen, dass literarische Texte unter‐ schiedlicher Sprachen Besonderheiten eines Kulturkreises in einer be‐ stimmten Epoche ausdrücken 3E Symbolische Interaktionsregeln und deren Wirksamkeit erkennen und hin‐ terfragen 4E Absichten der Sprecher oder Autoren erkennen und kritisch reflektieren Anhand stilistischer und rhetorischer Merkmale von Texten in unterschied‐ lichen Sprachen die kommunikativen Absichten der SprecherInnen er‐ kennen 5I Identitätserweiterung durch Mehr‐ sprachigkeit Sich selbst bewusst als mehrspra‐ chiges Subjekt erfahren und sich den anderen gegenüber als solches aus‐ weisen 6A Bewusstheit für Leerstellen zwischen Sprachen Wissen, dass Sprachen geschichtlich und kulturell verortet sind und dass Bedeutung pluralistisch und kontext‐ gebunden ist 7B Sprache als subjektive Darstellung von Realität Wissen, dass Bedeutung von jedem In‐ dividuum aufgrund der eigenen Bio‐ graphie und Wahrnehmung geformt wird 8B Erkennen von Sprache als semioti‐ sches Zeichensystem Erkennen, dass Wörter semiotische Zeichen innerhalb von konventio‐ nellen Systemen sind 9I Symbolhaftigkeit von Sprache, Positi‐ onierung des Individuums und Ent‐ wicklung einer neuen Sprachwahr‐ nehmung TL verwenden, um zwischen Welten und Kulturen zu mitteln und sich selbst als unabhängiges Individuum zu positionieren 10B Vermittlung von historisch bedingten symbolischen Formen Symbole in den unterschiedlichen Sprachen auf vielfältiger Ebene ver‐ stehen und erkennen, dass sie an die menschheitsgeschichtliche Entwick‐ lung in den verschiedenen Kulturen gebunden sind und sich ständig ver‐ ändern 390 9 Abgleich: MKK theoretische Modellierung und Daten 11E Neue Gesprächsroutinen in multiplen kulturellen und sozialen Kontextuali‐ sierungen finden Wissen, dass durch sprachliches Ver‐ halten Menschen integriert oder aus‐ gegrenzt werden können 12M S Genres im mehrsprachigen Vergleich besser in ihren Eigenschaften als men‐ tale Skripts erkennen Wissen, dass Genres Ausdruck ver‐ schiedener Denkmuster sind 13E Eigenschaften der verschiedenen Sprachen bewusst ins Gespräch ein‐ bauen, neu interpretieren und paro‐ dieren Zwischen verschiedenen Welten mit‐ teln und einen synästhetischen Blick entwickeln 14A Fluktuieren zwischen Sprachen und Kontexten (Third Space) Wissen, dass Mehrsprachigkeit Hybri‐ disierung von Bedeutung mit sich bringt 15E / A Vermitteln zwischen verschiedenen symbolischen Welten, diese mitein‐ ander vernetzen und vermischen Sprachwechsel mit metaphorischer Funktion verwenden, um komplexe Bedeutungsgefüge direkt auf Gefühls‐ ebene zu vermitteln 16B/ I Erfahren, was es bedeutet, wenn sich der symbolische Referenzrahmen für Erfahrungen ändert Wissen, dass mehrsprachiges literari‐ sches Lernen unterschiedliche Dis‐ kurswelten miteinander in Verbin‐ dung bringt und hybride Formen entstehen können 17A Sich auf unterschiedliche Erzähltradi‐ tionen berufen und damit spielerisch umgehen Die unterschiedlichen Kulturen und Sprachen im Schreibprozess als ein Ganzes betrachten können und aus der Vielfalt einzelne Elemente entnehmen und neu kombinieren 18B Durch Blending neue Bedeutung er‐ schaffen oder einzelne Aspekte von Bedeutung hervorheben Wissen, dass Symbole in ihrer Bedeu‐ tung an bestimmte Referenzrahmen gebunden sind und in der Mehrspra‐ chigkeit durch Überlappung dieser Systeme neue Bedeutung ergeben können 19B/ I Erhöhte Ambiguitätstoleranz Wissen, dass es beim Übersetzen keine A-B Entsprechung gibt, sondern eine Vielzahl von Bedeutungen möglich sind 20A/ I Umgang mit den Gegensätzen der mo‐ dernen Gesellschaft lernen und semi‐ otische Zeichen in ihrer Vielfalt er‐ kennen und richtig interpretieren Die Bedeutung von Texten in meh‐ reren Sprachen vergleichen, kritisch hinterfragen und unausgesprochene Nachrichten im Text entschlüsseln 21I/ A / B Durch ästhetisches Lernen Grenzen der Ambiguität überwinden Durch Symbolhaftigkeit der Sprache Formen heuristischen Experimentie‐ rens bei der Gedankenbildung entwi‐ ckeln 391 9.2 Symbolische Kompetenz 22 Erkennen dass Sprache unbewusste ri‐ tuelle und symbolische Akte in sich birgt 23 A/ B I Polysemie von Wörtern und ihre Re‐ ferenzrahmen können zur Umgestal‐ tung der symbolischen Ordnung führen Erkennen dass Polysemie durch die Mehrsprachigkeit verstärkt wird und das gesamte konnotative Spektrum verändert 24 B/ I Symbolische Systeme aufgrund ihrer Fremdheit anders erkennen und auf‐ brechen Durch die mehrsprachige Betrach‐ tungsweise die Bedeutung von Wör‐ tern relativieren können 25 B Spiel mit Rhythmus und Klang in den unterschiedlichen Sprachen CS im Schreibprozess für klangmale‐ rische, rhythmische und prosodische Zwecke einsetzen 26 B/ I Mit unterschiedliche Resonanzen und Emotionen in Sprachen spielen CS verwenden um die eigene emotio‐ nale Befindlichkeit auszudrücken Tab. 9.5. Aus der Tabelle geht hervor, dass bis auf zwei (3, 22) alle Kernbereiche der Mo‐ dellierung eine Entsprechung in der Datenerhebung aufweisen. Dies zeigt, dass mehrsprachiges Arbeiten an komplexen Kompetenzaufgaben aus dem Bereich literarische Textsorten (im Sinne der rezeptionsästhetischen Literaturdidaktik; Burwitz-Melzer 2004b; Steininger 2014) den Kompetenzerwerb im Bereich Sym‐ bolische Kompetenz sehr gut abdeckt. In diesem Bereich kristallisierten sich einige Aspekte heraus, die für den Lernprozess und die differenzierte Bedeutungswahrnehmung von Sprache(n) von Relevanz sind, die aber nicht in die Modellierung aufgenommen wurden. Dabei handelt es sich um das breite konnotative Spektrum, das durch Mehr‐ sprachigkeit entsteht, und um dessen Wichtigkeit bei der Vermittlung von Be‐ deutung. Die Lernenden erfahren, dass die geschichtlichen und kulturellen Ei‐ genarten der einzelnen Sprachen das jeweilige Bedeutungsspektrum von Wörtern um ein Vielfaches erweitern. Der diachrone Blick auf die Bedeutungs‐ entwicklung einzelner Wörter und Ausdrücke schärft den Sinn für Konnotati‐ onen und Bedeutungsnuancen. Im Idealfall können die Lernenden dieses Wissen sogar gesprächsstrategisch einsetzen und sich insgesamt besser artikulieren. Sie erkennen die komplexen politischen und geschichtlichen Zusammenhänge zwi‐ schen europäischen und nicht europäischen Kulturkreisen und entwickeln die Fähigkeit, multimodale und plurilinguistische Inputs auf ihren Inhalt hin kritisch zu hinterfragen, deren geschichtlichen und kulturellen Kontext zu berücksich‐ tigen und dadurch ein tieferes Verständnis des Gesagten zu erlangen. Durch 392 9 Abgleich: MKK theoretische Modellierung und Daten Vergleich können Unterschiede und Ähnlichkeiten ausgemacht werden, wo‐ durch sich die Lernenden ein vollständigeres Bild der aktuellen globalen poli‐ tisch-sozialen Situation verschaffen. Ein durch Mehrsprachigkeit bedingtes ver‐ tieftes Verständnis derselben führt letztendlich zu Empathie mit den geschichtlichen und gesellschaftlichen Ereignissen in Ländern, die nicht un‐ serem Kulturkreis angehören. Die Lernenden erfahren sich selbst als Mittlerfi‐ guren zwischen Welten und Kulturen, die trotz großer Unterschiede doch mit‐ einander in vielfältiger Beziehung stehen ( E1 2 , E4 1, B1 2 , B2 3 , A2 5-7 ). Ein weiterer Aspekt ist die Bedeutung non-verbaler Kommunikation als be‐ deutungsstiftendes kommunikatives Instrument, das je nach Kultur differiert. Das Wissen um diese Unterschiede und ihre Rolle bei Missverständnissen im transkulturellen Diskurs führt bei den Lernenden zu erhöhter Sensibilität und Verständigungsoptimierung. Der Bereich der symbolischen Kompetenz wird dadurch um einen Aspekt erweitert, der in seiner Wichtigkeit nicht zu unter‐ schätzen ist. 9.3 Gesprächsstrategischer Einsatz von MKK Die in der Modellierung angeführten Aspekte im Bereich Gesprächsstrategischer Einsatz von MKK (cf. 4.3) sind in folgende Kernkategorien gegliedert: Identifizierung Kernkategorien A Realitätswahrnehmung, Bedeutungserweiterung, Hybridi‐ sierung E Mehrsprachige Gesprächspraktiken O Mehrsprachiges Lernen H Formen sozialen Lernens/ Inklusion I Mehrsprachige Persönlichkeitstheorie Tab. 9.7. Modell MKK Indikatoren aus Datenauswertung 1A Kommunikationsoptimierung Mittels eigener Sprachkenntnisse re‐ gulierend in das Gespräch eingreifen 2A Vertrautheit mit dem Phänomen der Sprachvermischung Wechseln von einer Fremdsprache in die andere im Gespräch 393 9.3 Gesprächsstrategischer Einsatz von MKK 3 Risikobereitschaft beim Sprechen Mit eigenen Sprechhemmungen und Ängsten umzugehen lernen 4H Strategische Kompetenz, Probleme in der Kommunikation vorherzusehen Einschätzen der Sprachkenntnisse der Gesprächspartner und angemessene Reaktion darauf im Sinne der Inklu‐ sion 5E Mit sprachlichen Mängeln umgehen und Ausweichstrategien bzw. Kom‐ pensationsstrategien nutzen CS als Ausweichstrategie, wenn man in einer Sprache spricht, die man nicht so gut beherrscht 6H Besondere pragmatische Sensibilität Die eigene Stellung in der Gruppe durch den bewussten Einsatz sprach‐ licher Mittel zum Ausdruck bringen 7E Gespräch lenken und eingreifen können CS für einen Themenwechsel im Dis‐ kurs nutzen 8E CS als kommunikative Strategie CS, um einen neuen Diskurs einzu‐ leiten und Aufmerksamkeit zu wecken 9E/ H CS mit pragmatischer metalinguisti‐ scher Funktion CS, um Meinungsverschiedenheiten oder Kritik so auszudrücken, dass sie nicht verletzend ist 10 E CS sprachlicher Natur CS, um ein Seitengespräch über Recht‐ schreibung, Grammatik, Wortschatz einzuleiten 11 E CS für impliziten Adressatenwechsel 12 E CS, um Informationen hervorzuheben Strategische Anwendung von CS, um bestimmte Bedeutungen hervorzu‐ heben, die es nur in einer Sprache gibt 13 E CS für Interjektionen CS für Interjektionen° 14 E CS für Bericht aus zweiter Hand 15 E CS für Heckenausdrücke 16 A CS für parallele Diskurswelten jenseits des Unterrichts CS als schneller Wechsel von einer Be‐ deutungswelt in die andere 17 E/ H CS, um Emotionen freien Lauf zu lassen Durch CS Unzufriedenheit mit dem Verlauf des Gespräches signalisieren 18 E/ O CS zur Selbstkontrolle Durch CS Wechsel des sprachlichen Niveaus ° 394 9 Abgleich: MKK theoretische Modellierung und Daten 19 CS, um sich absichtlich nicht verständ‐ lich zu machen 20 E/ A TL, um neue Bedeutung zu erschaffen Kreativer Umgang mit Mehrsprachig‐ keit und Bildung von Neologismen 21 I E/ A TL Kreativität und persönlicher Um‐ gang mit Sprache Durch TL die eigene mehrsprachige Erfahrungswelt in die Gruppe ein‐ bringen 22 I E/ A TL, um Normen und Regeln zu um‐ gehen Mit sprachlichen Formen kreativ um‐ gehen und dadurch neue Ausdrucks‐ möglichkeiten finden 23 E/ A TL für spezifische kommunikative Wirkung Das gesamte sprachliche Repertoire nutzen, um durch TL gewünschte Be‐ deutungsaspekte zu wählen 24 E/ I TL, um die eigene mehrsprachige Identität zu konstruieren TL als persönlichkeitsstiftendes Ele‐ ment 25I E/ A TL um Stereotypen und Kategorisie‐ rungen in Frage zu stellen Die eigene Haltung in einem mehr‐ sprachigen Gespräch gegenüber einer Sprache erkennen und kritisch reflek‐ tieren 26 E Sich an Angemessenheitsregeln in den verschiedenen Sprachen halten Wissen, dass unterschiedliche Spra‐ chen unterschiedliche Umgangs‐ formen mit sich bringen 27 E Größeres mehrsprachiges Rollenre‐ pertoire nutzen Durch CS signalisieren, dass man un‐ terschiedliche Rollen im Gespräch ein‐ nimmt und damit zurechtkommt 28 E/ A Übersetzen und Polysemie Mit dem Phänomen der Polysemie beim Übersetzen umgehen können 29 E/ O Lehnübersetzung Durch Einsatz von Lehnüberset‐ zungen versuchen, Wörter in der Fremdsprache zu bilden 30 E/ O CM Code-mixing CM, um nach der Bedeutung von un‐ bekannten Wörtern in einer Fremd‐ sprache zu fragen Tab. 9.8 Aus der Tabelle kann abgelesen werden, dass es mit Ausnahme von drei As‐ pekten (14, 15, 19) Entsprechungen in allen Teilbereichen, also einen sehr hohen Grad an Übereinstimmung gibt. Auch hier allerdings kommen neue, in der MKK-Modellierung nicht berücksichtigte Aspekte hinzu. 395 9.3 Gesprächsstrategischer Einsatz von MKK Dies betrifft zunächst die Struktur der mehrsprachigen sowohl schriftlichen als auch mündlichen Produktion. Es kristallisierten sich im Verlauf des Projektes zwei Formen des mehrsprachigen Diskurses heraus: sukzessive und simultane Mehrsprachigkeit. Erstere bezeichnet einen mehrsprachigen sowohl mündli‐ chen als auch schriftlichen Diskurs, in dem Mehrsprachigkeit nicht auf Wort- oder Satzebene erfolgt, sondern nach Absätzen gestaltet ist. In dieser mehrspra‐ chigen Form werden Gedankengänge oder Themenbereiche zunächst in einer Sprache behandelt und anschließend wird zur Behandlung neuer Themenbe‐ reiche auf eine andere Sprache übergegangen. Diese Form der Mehrsprachigkeit lässt sich hauptsächlich in der Textproduktion beim Verfassen von Prosatexten beobachten (zu Beginn der Datenerhebung war sie auch in den mündlichen Aushandlungsprozessen üblich). Mehrsprachigkeit auf Wortbzw. Satzebene mit Wechsel zwischen den Sprachen innerhalb des Satzes lässt sich bei der Ge‐ dicht-Produktion beobachten und zu einem späteren Zeitpunkt der Datenerhe‐ bung auch im mündlichen Diskurs. Dies legt die Vermutung nahe, dass eine Beziehung zwischen Entwicklung des mehrsprachigen Repertoires bzw. des Language Mode und den beiden Formen von Mehrsprachigkeit besteht. Zur Be‐ stätigung dieser Annahme bedürfte es weiterer Untersuchungen, die aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden. Ein weiterer Aspekt, der sich herauskristallisierte, ist das Prinzip der Sprach‐ ökonomie, das auf allen Ebenen des mehrsprachigen mündlichen Diskurses greift. Der Sprachwechsel dient in vielen Fällen der möglichst schnellen und einfachen Übermittlung von Bedeutung. Häufig wird im Diskurs nach L1 über‐ setzt, um den Zuhörern zu einem schnelleren Verständnis des Gesagten zu ver‐ helfen. Auch von den ZuhörerInnen wird der Sprachwechsel verwendet, um Verständnisfragen zu stellen oder um etwas über die Bedeutung eines Wortes zu erfahren. Auf diese Weise werden Unklarheiten aus dem Weg geräumt, ohne den Diskurs durch schwerfällige Paraphrasen oder Erklärungen in einer Fremd‐ sprache zu unterbrechen. Daneben ließen sich Gesprächspraktiken feststellen, die in den meisten Fällen in den Kernbereich Selbstgesteuertes mehrsprachiges Lernen fallen. Hier wird Mehrsprachigkeit genutzt, um den eigenen Sprachlernprozess zu unterstützen und zu beschleunigen mittels Strategien, die eingesetzt werden, um den Wechsel nach L1 zu verhindern, um sich mit den zur Verfügung stehenden Mitteln in Lx auszudrücken, um im mehrsprachigen Gespräch die eigene Sprache beizube‐ halten, auch wenn das eine Herausforderung darstellt, um sich im mehrspra‐ chigen Diskurs zurechtzufinden oder um in eine bestimmte Sprachrolle zu schlüpfen, die ein unbeobachtetes Arbeiten an und mit bestimmten Sprachen erlaubt. Mehrsprachigkeit und insbesondere der Sprachwechsel übernimmt hier 396 9 Abgleich: MKK theoretische Modellierung und Daten eine Funktion für Experimentieren und Sich-Ausprobieren in Sprachen. Der Sprachwechsel dient sowohl als Ausweichstrategie als auch im Sinne Wygotskys als Möglichkeit, an den eigenen Grenzen zu arbeiten. 9.4 Sprach(en)bewusstheit Die in der Modellierung angeführten Aspekte im Bereich Sprach(en)bewusstheit von MKK (cf. 4.3) können in folgende Kernkategorien gegliedert werden: Identifizierung Kernkategorie G Sprach(en)bewusstheit und Sprachenlernen K Mehrsprachiges Repertoire C Transfer/ CLIN O Mehrsprachiges Lernen J Über Mehrsprachigkeit kritisch reflektieren H Formen sozialen Lernens/ Inklusion F Sprache Emotion/ Psychotypologie Tab. 9.9. Modellierung MKK Indikatoren aus Datenauswertung 1K Aktivierung des mehrsprachigen Re‐ pertoires Auf ein mehrsprachiges Repertoire zu‐ rückgreifen können Erweiterung des mehrsprachigen Re‐ pertoires Alle Sprachen des mehrsprachigen Re‐ pertoires simultan abrufen können 2K/ O Beschleunigung des mehrsprachigen Aneignungsprozesses Wissen, dass der mehrsprachige Pro‐ duktionsprozess sich mit der Zeit be‐ schleunigt und das mehrsprachige Re‐ pertoire verändert 3C Aktivierung vorgelernter Wissensbe‐ stände Auf Vorkenntnisse in mehreren Spra‐ chen zurückgreifen können, um Ver‐ ständnisfragen zu klären 4C Nutzung der Brückenfunktion zwi‐ schen typologisch verwandten Spra‐ chen Transfer besonders bei Sprachen aus derselben Sprachfamilie nutzen können 397 9.4 Sprach(en)bewusstheit 5C Nutzung der Brückenfunktion zwi‐ schen typologisch nicht verwandten Sprachen Latein als Brückensprache für Deutsch nutzen können 6C Aktivierung des deklarativen Wissens Sprachübergreifend Wissen kontext‐ bezogen anwenden können 7C Aktivierung des prozeduralen Wis‐ sens Transferstrategien beim Vokabel‐ lernen anwenden können 8C/ O Aktivierung persönlicher Ressourcen Mehrsprachigkeit in vielen Situ‐ ationen als Scaffolding nutzen können 9O Transkulturelles Lernen Die eigene Meinung in einer Fremd‐ sprache über einen in einer anderen Fremdsprache gelesenen Text äußern können 10 G/ J Hinterfragen von Sprachhierarchien Wissen, dass Sprachen unterschied‐ lich gewertet werden und es sprach‐ liche Hierarchien gibt 11 G/ J Sprachen sind politisch und sozial ge‐ prägt Wissen, dass Sprachen kulturell und geschichtlich verortet sind und dass der Sprachgebrauch davon beeinflusst wird 12 J/ H Akzeptanz unterschiedlicher Spra‐ chen, Varietäten, Kulturen und Min‐ derheitenkulturen Sprachhierarchien abbauen können 13 G/ J Sprachen sind geschichtlich und sozial verortet Wissen, dass Konnotationen ge‐ schichtlich und gesellschaftlich ge‐ prägt sind und dass diese sich von Sprache zu Sprache unterscheiden können 14 H Probleme in der Kommunikation vor‐ hersehen Auf unvorhergesehene sprachliche Situationen angemessen reagieren können 15 O Fertigkeit, mit sprachlichen bzw. kom‐ munikativen Unzulänglichkeiten um‐ zugehen Bei Problemen der Wortfindung un‐ terschiedliche Register als Ausweich‐ strategie wählen können 16 G/ K Sprachliche Strukturen selektiv analy‐ sieren Die eigene Sprach(en)bewusstheit durch kontrastiven Vergleich zwi‐ schen mehreren Sprachen steigern können 17 G/ K Language Monitoring Monitorisierung des gesamten Sprachproduktionsprozesses: Fehler‐ analyse, Korrektur, Kommunikations‐ optimierung Den eigenen mehrsprachigen Produk‐ tionsprozess überwachen und korri‐ gierend eingreifen können 398 9 Abgleich: MKK theoretische Modellierung und Daten 18 G/ C Transferstrategien auf allen Ebenen Wissen, dass Transfer auf vielen Ebenen möglich ist 19 K/ F L2-Faktor und Auswirkung auf die Psychotypologie von Sprachen Wissen, dass Mehrsprachigkeit die psychotypologische Wahrnehmung von Sprachen ändert 20 J/ O/ H/ G Die eigene Sprachbiographie im Ver‐ gleich mit anderen kritisch reflek‐ tieren Das eigene sprachliche Repertoire kri‐ tisch hinterfragen und erkennen, dass Sprachenverwendung von der eigenen Sprachbiographie abhängt 21 Auswirkung der DLC auf den Sprach‐ erwerb Tab. 9.10. Im Kompetenzbereich Sprach(en)bewusstheit ist bis auf eine Ausnahme (21) ein vollständiger Abgleich möglich, was darauf hindeutet, dass dieser stärker aus‐ geprägt ist als die anderen. Kognitive, sprachbiographische und emotionale As‐ pekte der Sprach(en)bewusstheit sind bei der mehrsprachigen komplexen Kom‐ petenzaufgabe von besonderer Relevanz. Hier lässt sich eine große Dichte an Indikatoren feststellen. Dies wiederum dokumentiert einen besonders ausge‐ prägten und nach Niveaustufen diversifizierten Kompetenzzuwachs, der insbe‐ sondere folgende Kernkategorien betrifft: Sprach(en)bewusstheit, mehrspra‐ chiges Repertoire und Transfer. Diese Kompetenzen sind deshalb hoch relevant, weil im mehrsprachigen Diskurs erhöhte Aufmerksamkeit gefordert ist und die Lernenden im mehrsprachigen Aushandlungsprozess alle ihre Ressourcen mo‐ bilisieren müssen, um den kommunikativen Anforderungen gerecht zu werden. Ein weiterer Aspekt, der sich neu herauskristallisierte, ist die Fähigkeit, mit‐ hilfe des durch das Aufgabenformat veranlassten kontrastiven Sprachvergleichs das eigene Kompetenzniveau in den einzelnen Sprachen besser einschätzen zu können, die eigene Sprachproduktion besser zu regulieren und alte Annahmen und Sprachgewohnheiten wahrzunehmen und abzuändern. Die Lernenden ent‐ decken ihre innere sprachliche Landschaft und erkennen, wie diese sich auf ihren Sprachgebrauch auswirkt. Dadurch kann der eigene mehrsprachige Pro‐ duktionsprozess besser überwacht und gegebenenfalls korrigierend einge‐ griffen werden. Auch bei einsprachigen Lernenden wird das Language Monito‐ ring aktiviert, indem die Sprachen ständig miteinander verglichen, der Produktionsprozess auf seine Richtigkeit überprüft, der Lernprozess in den ein‐ zelnen Sprachen kritisch reflektiert, Problembereiche identifiziert und Maß‐ nahmen getroffen werden, um diese zu beheben. 399 9.4 Sprach(en)bewusstheit Einen großen Beitrag leistet hier auch die Sprachmittlung, durch welche die Lernenden erkennen, dass der mehrsprachige Verstehensprozess artiku‐ lierter und komplexer ist als der einsprachige, einen höheren Grad an Kon‐ zentration verlangt und ohne ständige Praxis des Übersetzens nicht denkbar ist. Durch Sprachmittlung wird außerdem die Wahrnehmung für unterschied‐ liche Sprachregister in den einzelnen Sprachen geschult. Die Lernenden er‐ kennen beim Übertragen, dass sie oft von einem Register ins andere über‐ setzen müssen und dass es eine große Herausforderung ist, einen in einer Fremdsprache gelesenen Text in einer anderen Fremdsprache wiederzu‐ geben, die eigene Meinung dazu zu äußern oder Wissen direkt von Lx1 auf Lx2 in angemessener Fachsprache zu übertragen. Hierbei werden sprachübergrei‐ fend Aspekte der Bildungssprache identifiziert und nutzbar gemacht, das Be‐ wusstsein über die eigene funktionale Mehrsprachigkeit geschult und Ent‐ sprechungen in anderen Sprachen gesucht. Auf diese Weise kann das mehrsprachige bildungssprachliche Repertoire erweitert und der mehrspra‐ chige Lernprozess beschleunigt werden. Mehrsprachiges Lernen bedeutet auch, sich mit dem Phänomen der Unübersetzbarkeit zu konfrontieren und zu erkennen, dass es bestimmte Bedeutungen womöglich nur in einer Sprache oder aber eine Vielzahl von möglichen Entsprechungen gibt, aus denen man auswählen muss. Übersetzen bedeutet deshalb immer auch, von einem Refe‐ renzsystem in ein anderes zu übertragen und neue Bedeutung zu kreieren. Besonders im Bereich des literarischen Lernens müssen Texte und ihre Be‐ deutung neu vernetzt und hybride Bedeutungsformen gefunden werden. 9.5 Identitätstheorie und soziales Lernen Die psycholinguistischen und soziolinguistischen Aspekte der MKK (cf. 4.2) lassen sich in folgende Kernkategorien gliedern: Identifizierung Kernkategorie E Mehrsprachige Gesprächspraktiken H Formen sozialen Lernens/ Inklusion O Mehrsprachiges Lernen D Sprachrollen und ihre Funktion in der Kommunikation 400 9 Abgleich: MKK theoretische Modellierung und Daten I Persönlichkeitstheorie und Mehrsprachigkeit L Kreativität C Transfer/ CLIN Tab. 9.11. Modellierung MKK Indikatoren aus Datenauswertung 1E/ O Im kritischen Austausch komplexe mehrsprachige Situationen bewäl‐ tigen Strategien entwickeln, um komplexe mehrsprachige Situationen zu meis‐ tern 2O Die zur Verfügung stehenden Res‐ sourcen und Kompetenzen aktivieren Wissen, dass Mehrsprachigkeit als Empowerment genutzt werden kann, um unterschiedliche Lebenssituati‐ onen zu meistern 3D/ O Von einer lebensweltlichen Mehrspra‐ chigkeit zu einer bildungssprachlichen Mehrsprachigkeit wechseln In der Bildungssprache eine höhere Ausdifferenziertheit und eine größere Komplexität erkennen und anwenden 4D/ O Problemlösungsstrategien und Hand‐ lungsmöglichkeiten auf lebensweltli‐ cher und bildungssprachlicher Ebene andenken Je nach Bedarf in mehreren Sprachen von einem umgangssprachlichen Re‐ gister in ein bildungssprachliches wechseln 5I/ O Nutzung erweiterter Lebenserfah‐ rungen und Weltwissen Eine Brücke zwischen schulischer und außerschulischer Mehrsprachigkeit schlagen können 6I Nutzung vorhergehender Lernerfah‐ rungen Wissen, dass die Wahrnehmung von Sprache auf der eigenen Biographie und Lernerfahrungen basiert 7O Vertrautheit mit Phänomenen der Sprachmischung Strategien entwickeln, um mit den zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln im mehrsprachigen Diskurs zurechtzukommen 8 Quantität und Qualität des Input 9H Sprachlernprozess und Lernumfeld Das schulische Umfeld als lernför‐ dernd und unterstützend erfahren 10 O Beeinflussung des Sprachlernproz‐ esses durch fremdsprachenspezifische Faktoren Das mehrsprachige Lernumfeld für im Regelunterricht wenig verwendete Sprachen nutzen 11 O Motivation und FLA Die eigenen Hemmungen und Ängste im Schreibprozess überwinden können 401 9.5 Identitätstheorie und soziales Lernen 12 L Normabweichung als Zeichen krea‐ tiven Sprachgebrauchs Die Bedeutung literarischer Texte neu vernetzen und hybride Formen kre‐ ieren können 13 O/ C Sprachübergreifende Hypothesenbil‐ dung Durch den simultanen Sprachge‐ brauch erworbenes Wissen für den ei‐ genen mehrsprachigen Lernprozess nutzen können 14 O/ C Erweiterte vernetzte Wortsuche Sprachübergreifend Aspekte der Bil‐ dungssprache identifizieren können 15 O/ C Größere Risikobereitschaft Komplexes vorgelerntes sprachliches Wissen auf hohem sprachlichen Ni‐ veau transferieren und anwenden 16 O/ C Mehrsprachige Kompensationsstrate‐ gien CS als Hilfestellung verwenden, um sich schwierigen sprachlichen He‐ rausforderungen zu stellen 17 Multicompetence 18 D Ins Gespräch regelnd und korrigierend eingreifen Die unterschiedlichen Sprachen ge‐ zielt gesprächsstrategisch einsetzen 19 C Unterschiedliche Sprachbewusstheits‐ niveaus Durch den Sprachvergleich eine diffe‐ renzierte Wahrnehmung des Kompe‐ tenzniveaus in den einzelnen Spra‐ chen erwerben 20 Ausprägung des M-Faktors 21 O Besonderes Gespür für pragmatische Feinheiten und sprachliche Färbungen Mehrsprachigkeit schult die Wahr‐ nehmung für sprachliche Feinheiten 22 D/ H Vorbildfunktion mehrsprachiger Sprechender innerhalb der Gruppe Wissen, dass die Gruppe sich in der Wahl der Sprache an der Entscheidung einzelner orientiert 23 D/ H Das Gesprächsverhalten anderer po‐ sitiv beeinflussen Sich im Sprechverhalten auf die Be‐ dürfnisse anderer einstellen 24 D/ H Für die Aufrechterhaltung des Gesprä‐ ches sorgen Bei sprachlichen Schwierigkeiten den anderen behilflich sein 25 D/ H Mittlerfunktion zwischen Sprachen, Kulturen und Weltanschauungen TL, um zwischen unterschiedlichen Sprachen und Kulturen zu mitteln 26 I Psychotypologie und metasprachli‐ ches Bewusstsein Wissen, dass Sprachen unterschied‐ lich wahrgenommen werden und sich diese Wahrnehmung im Laufe der Zeit ändern kann 402 9 Abgleich: MKK theoretische Modellierung und Daten 27 D/ H Gesprächsstrategischer Einsatz von Sprachrollen Wissen, dass es in den verschiedenen Sprachen unterschiedliche Gesprächs‐ rollen gibt Tab. 9.12. Der psycholinguistische und soziolinguistische Bereich weist im Abgleich bis auf zwei Ausnahmen (20, 8) Übereinstimmungen aus. Der Aspekt 3 Multicom‐ petence kann als Sammelbegriff betrachtet werden, unter dem sich alle in 8.4 enthaltenen Kernkategorien und Aspekte zusammenfassen lassen und nimmt daher innerhalb des Abgleichs eine Sonderstellung ein. Besonders im Bereich des sozialen Lernens kristallisierte sich eine Dichte an Indikatoren heraus, die auf die Ausrichtung des Unterrichtsdesigns zurückzuführen ist. Die komplexe Kompetenzaufgabe stellt die Aushandlungsprozesse und die soziale Interaktion der Lernenden in den Mittelpunkt. Dieser Umstand führt dazu, dass auch im mehrsprachigen aufgabenorientierten Lernen die Interaktion eine zentrale Rolle im Unterrichtsdesign einnimmt. So konnte sich eine Reihe von Formen des sozialen Lernens entfalten, die durch eine positive Grundhaltung und den Willen, sich gegenseitig behilflich zu sein, gekennzeichnet sind sowie von der Bereitschaft zeugen, sich bei Bedarf Hilfe von den anderen zu holen. Wiederholt betonten die ProbandInnen, dass beim mehrsprachigen Lernen gemeinsam etwas aufgebaut werde und dass ein Gemeinschaftsgefühl entstehe, das sie als unterstützend empfinden, dass die Lernenden alle gleichgestellt seien, sie ge‐ meinsam mit ihren Stärken und Schwächen an einem Ziel arbeiten, besonders aber, dass sie sich mit ihrem gesamten sprachlichen Repertoire gegenseitig beim Verständnis behilflich seien und bei Schwierigkeiten die anderen um Hilfe bitten können. Die Lernenden entdecken durch mehrsprachiges Lernen neue Lernkanäle für sich wie z. B. Transferstrategien auf den unterschiedlichsten Ebenen. Sie lernen, sprachübergreifend nach Lösungen für ihre Verständnisprobleme zu suchen. Sie beschleunigen ihren Sprachlernprozess, indem sie den Sprachwechsel als Scaf‐ folding nutzen. Sie lernen im Schreibprozess, die einzelnen Sprachen besser auseinander zu halten. Sie erkennen, dass herausfordernde sprachliche Situ‐ ationen lernfördernd sind, und sind bereit, sich diesen auszusetzen. Sie über‐ nehmen innerhalb der Gruppe Sprachrollen, die es ihnen ermöglichen, eine Sprache, die sie weniger gut beherrschen, zu üben. Sie identifizieren Problem‐ bereiche ihres Lernens und setzen sich eigenverantwortlich selbst ihre Lernziele. Sie sorgen dafür, dass sie dabei nicht in eine Situation der Überforderung ge‐ raten, reflektieren ihren Lernprozess kritisch und regulieren ihn entsprechend. 403 9.5 Identitätstheorie und soziales Lernen Außerdem erkennen sie, dass auch Memorieren und Einüben wichtige Sprach‐ lernstrategien sind. Mehrsprachigkeit verändert den Meinungsbildungsprozess, weil er auf trans‐ kulturellen und plurilingualen Prämissen beruht, facettenreicher und kom‐ plexer ist als der auf monokulturellen Prämissen fußende. Er trägt der Pluralität unserer Gesellschaft Rechnung, indem er unterschiedliche Perspektiven aner‐ kennt und miteinander vergleicht. Entscheidungsprozesse, die aus derart ge‐ formten Meinungen hervorgehen, sind für Demagogie und Radikalisierung we‐ niger anfällig. 9.6 Sprache und Gefühle Emotionen nehmen im mehrsprachigen Gespräch eine besondere Rolle ein, denn sie liegen dem gesamten mehrsprachigen Sprachgebrauch zugrunde und werden durch den Sprachwechsel offengelegt. Die unterschiedliche emotionale Bindung zu den einzelnen Sprachen kann durch Sprachwechsel ausgedrückt werden und so neue Bedeutungen im Diskurs entstehen lassen (Weinreich 1953). Folgende Kernkategorien können in diesem Bereich identifiziert werden: Identifizierung Kernkategorie F Sprache Emotion/ Psychotypologie E Mehrsprachige Gesprächspraktiken I Persönlichkeitstheorie und Mehrsprachigkeit D Sprachrollen und ihre Funktion in der Kommunikation J Über Mehrsprachigkeit kritisch reflektieren L Kreativität B Realitätswahrnehmung und Bedeutungserweiterung/ Hybri‐ disierung Tab. 9.13. 404 9 Abgleich: MKK theoretische Modellierung und Daten Modellierung MKK Indikatoren aus Datenauswertung 1I/ F Sprachloyalität und Resistenzen beim Transfer Eigene Sprachbarrieren überwinden 2B Sprachen kodifizieren Emotionen sehr unterschiedlich Bedeutungsnuancen von Wörtern durch Sprachvergleich entschlüsseln 3I Vielfalt von Emotionsdefinitionen in mehrsprachigen Menschen In der Mehrsprachigkeit die Pluralität der eigenen Identität ausdrücken 4J Rolle von Emotionen beim Aushan‐ deln von sozialen und Machtverhält‐ nissen Wissen, dass es sprachliche Hierar‐ chien gibt und diese emotional bedingt sind 5D/ F Emotionale Sprachrollen affective per‐ sonae Wissen, dass es unterschiedliche Sprachrollen gibt, durch die verschie‐ dene Aspekte des eigenen Charakters zum Vorschein kommen 6D/ E Transfer auf pragmatischer und kom‐ munikationsstrategischer Ebene zur Mitteilung emotionaler Inhalte Verwendung von CS für kritische/ ironische Einschübe, um etwas zu sig‐ nalisieren, ohne beleidigend zu wirken 7J Ausdruck von Emotionen ist kultur‐ spezifisch und folgt einem kodierten Angemessenheitsprinzip Erkennen und hinterfragen des ei‐ genen sprachlichen und kulturellen Referenzsystems 8 D/ F/ E/ Prinzip des unmittelbaren Ausdrucks von Emotionen und Außerkraftsetzen der Kommunikation CS verwenden, um die eigene emotio‐ nale Befindlichkeit auszudrücken 9I Das Übertragen von Emotionen auf eine andere Sprache ist mit einem So‐ zialisationsprozess verbunden (neue Sprachrolle) In der Mehrsprachigkeit einen Ver‐ fremdungseffekt erfahren, durch den sie/ er sich als Individuum neu positio‐ nieren kann 10 E/ F Strategischer Einsatz des mehrspra‐ chigen affektiven Repertoires Durch TL das gesamte mehrsprachige Repertoire nutzen können 11 E/ F Sprachwechsel und wahrgenommene Emotionalität von Sprachen CS verwenden, um unterschiedliche emotionale Konnotation von Wörtern zu nutzen 12 J Sprachwechsel und wahrgenommene Autorität von Sprachen Wissen, dass der gezielte Einsatz mehrsprachiger Kommunikations‐ strategien Machtpositionen innerhalb der Gruppe determinieren können 13 D/ E Sprachwechsel und Prestige von Spra‐ chen CS, um gesprächsstrategisch Auf‐ merksamkeit auf sich zu lenken 14 E Unausgesprochene Angemessenheits‐ regeln respektieren oder brechen In mehreren Sprachen spezifische Ge‐ sprächsregeln und Umgangsformen beherrschen 405 9.6 Sprache und Gefühle 15 Form der Sozialisation wirkt sich auf das emotionale Repertoire aus 16 E/ F Wichtigkeit von Emotionsausdrücken beim Erzählen CS im Schreibprozess als bedeutungs‐ verstärkendes Element einsetzen 17 E/ F Sprachliche Mittel in mehreren Spra‐ chen für den emotionalen Diskurs CS im Schreibprozess einsetzen, um Bedeutungsbesonderheiten in ein‐ zelnen Sprachen zu nutzen 18 E/ L Emotionale Resonanz beim Zuhörer/ in hervorrufen CS für literarische/ ästhetische Zwecke nutzen können 19 J Sensibilität für die emotionale Befind‐ lichkeit des anderen schulen Wissen, dass Konnotationen ge‐ schichtlich und gesellschaftlich be‐ dingt sind und im Zuhörer/ in starke Emotionen und Reaktionen hervor‐ rufen können 20 F Mehrsprachiges emotionales und af‐ fektives Repertoire Emotionen in mehreren Sprachen aus‐ drücken können 21 B/ J Funktion der Metapher beim Vermit‐ teln von emotionaler Bedeutung Wissen, dass die Metapher in der Mehrsprachigkeit keine a-b-Entspre‐ chung, sondern eine a-b 1 -, b 2 -, b3-Ent‐ sprechung hat 22 B/ J Bewusstsein über die unterschiedliche Kodifizierung von Emotionen in den verschiedenen Sprachen Wissen, dass mehrsprachige Identi‐ tätsbildung durch Hybridität, Fluidität und Zerrissenheit geprägt ist 23 F/ J Vernetzung der Ebenen und Formen des Gefühlsausdruckes Mehrsprachiges literarisch-ästheti‐ sches Lernen 24 F/ J Zusammenhang zwischen Emotion und Sprachtrauma Erkennen, dass es emotionale Hürden beim Sprachenlernen gibt und versu‐ chen, diese zu überwinden 25 F E/ D Emotion und Dialekt Im Dialekt emotionale Bedeutung mit‐ teilen können Tab. 9.14. Auch im Bereich Mehrsprachigkeit und Emotion lässt sich ein vollständiger Abgleich vornehmen. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Dialekt zu, der als primäre Sozialisationssprache aller ProbandInnen pri‐ vilegiertes Ausdrucksinstrument für Emotionen ist. Der Dialekt wird im Ge‐ spräch immer wieder eingesetzt, um Situationen zu entschärfen, Aussagen ab‐ zuschwächen oder ironische Seitengespräche zu führen, die von der typischen institutionellen schulischen Kommunikation abweichen. So finden neue As‐ 406 9 Abgleich: MKK theoretische Modellierung und Daten pekte der Persönlichkeit der einzelnen Lernenden und ihre Spontaneität Ein‐ gang in das Gespräch und machen dieses interessanter für die Zuhörer. Wenn die Lernenden von einer Sprachrolle in die andere schlüpfen und sich so gleich‐ zeitig innerhalb und außerhalb der schulischen Realität positionieren, findet Kommunikation auf einer Metaebene statt. Außerdem verändert sich in der Gruppe die Haltung dem Dialekt gegenüber: Er wird als gleichwertige Sprache in den Diskurs aufgenommen, da er als Mittel dient, sich in parallelen Welten zu bewegen und einen Ausgleich zu finden zwischen den schulischen Anforde‐ rungen und den persönlichen Träumen und Wünschen. 9.7 Neue Kernkategorien Es entwickelten sich aus der Datenauswertung, wie bereits aufgezeigt, eine Reihe von neuen Kernkategorien, die keinem der vorhergehenden Bereichen der MKK zugeordnet werden können. Sie sollen kurz umrissen werden: 9.7.1 Mehrsprachiges Recherchieren im Internet Veranlasst durch die mehrsprachigen Aushandlungsprozesse recherchieren die Lernenden simultan in mehreren Sprachen im Internet oder in Wörterbüchern. Das stellt sie vor ganz neue und bis dahin unbekannte Herausforderungen, denn sie müssen im ständigen Sprachvergleich die beste Lösung in einer oder meh‐ reren Sprachen gleichzeitig suchen. Das führt zu ständigem Vergleich von Strukturen und Bedeutungen, wodurch die Sensibilität für und das Wissen um Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Sprachen anhand praktischer Bei‐ spiele geschult wird, was zu einer vermehrten Vernetzung der Sprachen im Re‐ pertoire sowie zu einer Beschleunigung des mehrsprachigen Produktionspro‐ zesses führt. Die Lernenden stellen Hypothesen auf und schließen von bekannten Sprachen auf Strukturen und Bedeutung in weniger bekannten Spra‐ chen (cf. Interkomprehension). Durch Recherche können diese Hypothesen ve‐ rifiziert oder falsifiziert werden. Bei der Suche nach Synonymen machen sich die Lernenden mit dem Phänomen der Polysemie in mehreren Sprachen vertraut und gehen mit dem Phänomen der Bedeutungsvielfalt um. Weniger fortgeschrittene SprachlernerInnen können mehrsprachiges Re‐ cherchieren als Strategie verwenden, um ihre Rolle innerhalb der Gruppe zu finden, einen konstruktiven Beitrag im Aushandlungsprozess zu leisten, sich intensiv mit einer Sprache auseinanderzusetzen und auf diese Weise einen er‐ folgreichen persönlichen Lernprozess zu initiieren. 407 9.7 Neue Kernkategorien 9.7.2 Mehrsprachiges Schreiben Mehrsprachiges Schreiben wird im schulischen Kontext nicht praktiziert, ist also für die Lernenden eine völlig neue Herausforderung. Im Unterschied zur münd‐ lichen Kommunikation ist der Schreibprozess länger und reflektierter. Das Ver‐ fassen eines Textes entwickelt sich entlang einer Reihe von Phasen: Zunächst wird in der Planungsphase der gesamte Prozess durchdacht, darauf folgt die Ausarbeitung des ersten Entwurfs, die Überarbeitungsphase, die Fertigstellung und die Veröffentlichung. Der Sprachwechsel ist hier nicht spontan wie in der mündlichen Kommunikation, sondern Ergebnis einer längeren Reflexions- und Überarbeitungsphase. Die Lernenden können die Sprache(n) bewusster wählen und wenn nötig je nach ihrer Intention abändern. Der Sprachwechsel wird im Schreibprozess geplant und erfolgt oft aufgrund praktischer Gründe, so z. B. um sprachliche Problembereiche in einer bestimmten Sprache zu umgehen. Er wird aber auch dazu verwendet, um eine bestimmte Wirkung auf die Rezipienten zu erzielen, ist also ein Gestaltungsinstrument des ästhetisch-literarischen Aus‐ drucks (Kramsch 2011). Zunächst werden die Lernenden vor die Aufgabe gestellt, einen mehrspra‐ chigen Text kohärent zu gestalten und zu strukturieren. Sie können zwischen simultaner oder sukzessiver Form der Mehrsprachigkeit wählen. In den meisten Fällen fiel die Wahl auf die sukzessive Form. Der Sprachwechsel wird eingesetzt, um Texte inhaltlich und formal zu strukturieren, dient also pragmatischen Zwe‐ cken. Oft wird er aber auch zur Bedeutungsverstärkung und Hervorhebung von Bedeutungsbesonderheiten in den einzelnen Sprachen verwendet. Die Wahl der Sprache wird von klanglichen, rhythmischen oder prosodischen Aspekten ge‐ lenkt oder aufgrund biographischer Erlebnisse und besonderer Lernerfahrungen gewählt. Gleichzeitig wird er auch für literarisch-ästhetische Zwecke eingesetzt, um besondere Bedeutung oder besondere Empathie im Rezipienten hervorzu‐ rufen, indem metaphorische Bedeutung hybridisiert wird mit der Folge einer Bedeutungserweiterung und Re-Kollokation oder indem komplexe Bedeutungs‐ gefüge direkt auf Gefühlsebene vermittelt werden. Einige Probandinnen lernten im mehrsprachigen Schreibprozess, Sprachen besser auseinanderzuhalten, da sie sich eingehend mit Strukturen und Wortbil‐ dung in allen Sprachen parallel beschäftigen mussten, um den höheren Kor‐ rektheitsanforderungen der schriftlichen Kommunikation gerecht zu werden. Das führte bei allen Probandinnen zu größerer Sicherheit bei der schriftlichen Sprachproduktion in allen verwendeten Sprachen. 408 9 Abgleich: MKK theoretische Modellierung und Daten 9.7.3 Mehrsprachiges literarisches Lernen Über die bereits im Bereich Symbolische Kompetenz behandelten Aspekte hinaus soll es im Folgenden um die spezifischen Kompetenzentwicklungen beim mehr‐ sprachigen literarischen Lernen gehen. Bedeutung ist besonders im literarischen Text durch Unbestimmtheit gekennzeichnet. Es gilt hier also, mit dieser Unbe‐ stimmtheit in mehreren Sprachen umgehen zu lernen und selbst Bedeutung sprachübergreifend und sprachvergleichend zu konstituieren sowie zu er‐ kennen, dass Bedeutung und Konnotation kulturellen und geschichtlichen Pro‐ zessen unterliegen, die sich durch ständige Veränderungen zu neuen Relationen zusammenfügen. Bedeutung ist demzufolge ebenso wie Konnotation relativ und veränderbar. Literarische Texte spiegeln vielfach die symbolische Realität wider wie sie in den verschiedenen Kulturen und Epochen wahrgenommen wurden. Die Lernenden entwickeln in der Auseinandersetzung mit diesen Welten und durch den Vergleich derselben ein tieferes und kritisches Verständnis des Ge‐ sagten, sie lesen literarische Texte vor dem Hintergrund unterschiedlicher Re‐ ferenzsysteme, deren jeweilige Diskurswelten in der Mehrsprachigkeit aufein‐ andertreffen. 409 9.7 Neue Kernkategorien 10 Kompetenzmodell Mehrsprachigkeit: Savoirs Um die jeweiligen Kompetenzbereiche klar voneinander abzugrenzen, werden in den folgenden Tabellen die aus dem Abgleich stammenden Indikatoren und die in den neuen Kompetenzbereichen in Form von Deskriptoren anhand der fünf Savoirs (Savoir, Savoir être, Savoir apprendre, Savoir faire, Savoir s’engager) geordnet. Hieraus ergeben sich nicht in erster Linie Beurteilungskriterien für SchülerInnenleistung hinsichtlich ihrer überfachlichen Kompetenzen. Es soll eher als Raster für die Selbsteinschätzung der Lernenden dienen, und als Inst‐ rument zur Unterrichtsplanung und -beobachtung. Es sollen hier keine Stan‐ dards aufgestellt werden für einen „guten“ mehrsprachigen Unterricht. Es wird vielmehr ein Instrument entworfen, das ergänzend zum MSCS begleitende und unterstützende Funktion bei der Planung, Durchführung und Evaluation von mehrsprachigem Unterricht übernimmt. 10.1 Erkenntnisse zur Zielsetzung und Implementierung des mehrsprachigen Kompetenzmodells Anliegen dieser Arbeit ist es in erster Linie, MKK in den fünf Savoir-Bereichen für den mehrsprachigen Unterricht zur Verfügung zu stellen und darüber hinaus auch aufzuzeigen, dass sich diese Kompetenzen keineswegs auf den schulischen Bereich beschränken, sondern über diesen hinausgehen insofern als Lernende durch sie befähigt werden, Diskurse einer globalisierten, mehrsprachigen und transkulturellen Welt zu verstehen und im Idealfall selbst Teil dieser Diskurse zu werden, denn dies ist die Voraussetzung für eine selbstbestimmte und im Sinne der sozialen Gerechtigkeit erfolgreiche Lebensgestaltung. In diesem Sinne verstehen sich die Deskriptoren auch als fächerübergreifendes Instrument, das nicht nur in der Planung mehrsprachiger Module oder des Fremdsprachenun‐ terrichts aufgenommen werden sollte. Es handelt sich um eine Modellierung, die in allen Fächern zur Anwendung kommen kann, da Mehrsprachigkeit das gesamte schulische Umfeld prägen sollte. In diesem Kompetenzmodell wird bewusst auf Niveaustufen verzichtet, da auf‐ grund der beschränkten Datenmenge keine eindeutige Graduierung möglich ist. Ziel ist es, die Leistungsbewertung transparenter, effizienter und objektiver zu machen, indem den Deskriptoren des FREPA und des MSCS ein Top-Down-Mo‐ dell zur Seite gestellt wird, das sich in einem Bottom-up-Prozess herausgebildet hat und sich empirisch ermittelter Deskriptoren bedient. Bereits im Zuge der Daten‐ erhebung und Auswertung stellte sich wiederholt die Wichtigkeit des Kompetenz‐ bereichs Savoir s’engager besonders im literarisch-ästhetischen Bereich heraus. Dieser Bereich ist nicht Teil des FREPA, weil literarische Kompetenzen bei der Ausarbeitung von Referenzrahmen kaum beachtet werden und trotz ihres Wertes für die psycho-soziale Entwicklung von Lernenden keine Anerkennung finden (Burwitz-Melzer 2004b; Bredella 2004; Steininger 2014; Hallet 2015). Die Tabellen zeigen in der rechten Spalte die zu den jeweiligen Deskriptoren gehörigen Kompetenzbereiche auf. Die mittlere Spalte enthält die zum jewei‐ ligen Kompetenzbereich gehörigen Deskriptoren. Die rechte Spalte zeigt den Abgleich mit dem MSCS (Mehrsprachencurriculum Südtirol). Das hier vorge‐ stellte Modell der Kompetenzbeschreibung geht über das MSCS-Modell hinaus, insofern es auf die besondere und von Region zu Region sehr heterogene Situ‐ ation des Landes und auf die besonderen Bedürfnisse einzelner Lerngruppen eingeht. Das in dieser Untersuchung vorgenommene Bottom-up-Verfahren nimmt eine differenzierte Bedarfanalyse vor und benennt ein vergleichsweise größeres Spektrum an möglichem Kompetenzzuwachs. Insbesondere der im MSCS fehlende Bereich Savoir s’engager ist in Anbetracht der dringenden Notwendigkeit neuer Bildungsschwerpunkte bezüglich Kritik‐ fähigkeit und soziales Engagement ein Mangel des MSCS, der kritiklos vom FREPA übernommen wurde. Das vorliegende Kompetenzmodell nimmt auch Savoir s’engager auf und schlüsselt anhand von Deskriptoren Mehrsprachigkeit und transkulturelles Lernen auf, da beides in seiner Wichtigkeit für die Ent‐ wicklung einer verantwortungsvollen und mündigen Teilhabe am sozialen und politischen Diskurs nicht zu leugnen ist. Die Bewältigung unterschiedlicher sprachhandelnder Situationen auch mittels Mediation auf den unterschied‐ lichsten Ebenen ist an das tiefe Verständnis kommunikativer Phänomene und deren Auswirkung auf Bedeutung gebunden und kann nur erfolgreich sein, wenn diese erkannt und entsprechend interpretiert werden und deren Mecha‐ nismen kritisch hinterfragen. 10.2 Savoir Der Bereich Savoir stellt im Kompetenzbereich „Realitätswahrnehmung“ das Wissen über die erhöhte Komplexität mehrsprachiger Sprachhandlungen in den Mittelpunkt. Das impliziert das Wissen darüber, wie Mehrsprachigkeit die Wahrnehmung der eigenen Persönlichkeit erweitert und ergänzt und dadurch 412 10 Kompetenzmodell Mehrsprachigkeit: Savoirs positiv verändern kann. Dies geschieht einerseits dank der Reflexion über die persönliche Sprachbiographie sowie die daraus resultierende veränderte Wahr‐ nehmung von Sprachen und andererseits durch die erhöhte Perspektivenvielfalt des mehrsprachigen Meinungsbildungsprozesses. Beides kann als stärkendes und unterstützendes Element in der Bewältigung unterschiedlichster lebens‐ weltlicher Herausforderungen dienen. Im Kompetenzbereich Mehrsprachiges Sprechen zeichnet sich ein erhöhtes Bewusstsein über die Dynamiken und Machtverhältnisse im mehrsprachigen Diskurs aus. Diese Dynamiken lassen sich besonders anhand des gesprächstrategischen Einsatzes von CS und TL er‐ kennen und der Nutzung unterschiedlicher Sprachrollen der einzelnen Sprech‐ enden. Dies bedeutet gleichzeitig auch, dass sich ein Wissen über die kulturelle und geschichtliche Verortung von Sprachen im Gespräch und deren Auswir‐ kung auf Umgangsformen und Sprachwahl ausbilden kann. Das Wissen über Formen der Hybridisierung und Bedeutungserweiterung, über Konnotationen und deren geschichtliche und kulturelle Entwicklung steht im Kompetenzbe‐ reich „Geschichtliche und kulturelle Verortung von Sprachen“ im Mittelpunkt. Dies impliziert auch das Wissen, dass literarische Texte in unterschiedlichen Sprachen die Empfindlichkeiten eines bestimmten Kulturkreises zu einem be‐ stimmten Zeitpunkt darstellen und gleichzeitig auch eine universelle Valenz haben. Das Wissen um das Phänomen der verstärkten Polysemie im mehrspra‐ chigen Diskurs und deren Auswirkungen auf die Übersetzbarkeit bzw. Unüber‐ setzbarkeit von einer Sprache in die andere stellt einen weiteren Schwerpunkt in diesem Kompetenzbereich dar. Damit einhergehend entsteht das Bewusstsein darüber, dass Sprachen auch ein konventionelles System von semiotischen Zei‐ chen darstellen. Im Bereich Mehrsprachiges Repertoire zeichnet sich ein erhöhtes Bewusstsein über die Funktionsweise der eigenen Mehrsprachigkeit ab und über die dazu‐ gehörigen Abläufe. Die Erfahrung, dass das eigene mehrsprachige Repertoire kein fixes, unveränderbares System ist, sondern dass es sich durch Übung und dank eines Gewöhnungsprozesses erweitern und bescheunigen kann, führt zur Erkenntnis, dass sich durch mehrsprachiges Lernen die Sprachen besser ver‐ netzen und das mehrsprachige Repertoire für den Sprachlernprozess genutzt werden kann. Dazu gehört auch die Nutzung des Transfers auf den unterschied‐ lichsten Ebenen zwischen Sprachen derselben Sprachfamilie, aber auch unter‐ schiedlicher Sprachfamilien. 413 10.2 Savoir SAVOIR MSCS Realitätswahrnehmung und Bedeutungserwei‐ terung/ Hybridisierung Weiß, dass der mehrsprachige Verstehens- und ar‐ tikulierter und komplexer ist als der einsprachige Weiß, dass Bedeutung von jedem Individuum selbst aufgrund der eigenen Biographie und Wahrneh‐ mung geformt wird X Weiß, dass die mehrsprachige Identitätsbildung von Hybridität, Fluidität und Zerrissenheit geprägt ist Weiß, dass Mehrsprachigkeit als Empowerment ge‐ nutzt werden kann, um unterschiedliche Lebenssi‐ tuationen zu meistern X Weiß, dass die Wahrnehmung von Sprache(n) sub‐ jektiv ist, auf der eigenen (Sprachlern)biographie basiert und sich mit der Zeit verändern kann Weiß, dass der mehrsprachige Meinungsbildungs‐ prozess facettenreicher und komplexer ist als der einsprachige Mehrsprachige Ge‐ sprächspraktiken Weiß, dass durch sprachliches Verhalten innerhalb der Gruppe Menschen inkludiert oder ausgegrenzt werden können Weiß, dass der gezielte Einsatz von (mehrspra‐ chigen) Kommunikationsstrategien Machtpositi‐ onen innerhalb der Gruppe determinieren kann Weiß, dass die Gruppe sich bei der Wahl der Sprache an der Entscheidung Einzelner orientiert Weiß, dass unterschiedliche Sprachen unterschied‐ liche Umgangsformen mit sich bringen Weiß, dass CS gesprächsstrategisch eingesetzt werden kann Weiß, dass Sprachen geschichtlich und kulturell verortet sind und dies den Sprachgebrauch beein‐ flusst Weiß, dass es non-verbale Kommunikation gibt und diese ein bedeutungsstiftendes kommunikatives Mittel ist X Weiß, dass es zwei Formen mehrsprachigen Schreibens gibt: eine sukzessive und eine simultane 414 10 Kompetenzmodell Mehrsprachigkeit: Savoirs Weiß, dass es unterschiedliche Gesprächsrollen gibt, die an verschiedene Sprachen gebunden sind X Geschichtliche und kul‐ turelle Verortung von Sprache/ Konnotation Weiß, dass Bedeutung an bestimmte Referenz‐ rahmen gebunden ist und in der Mehrsprachigkeit eine Bedeutungserweiterung und Hybridisierung stattfinden kann (z. B. Symbole, Metapher) Weiß, dass mehrsprachiges literarisches Lernen un‐ terschiedliche Diskurswelten in Verbindung bringt Weiß, dass Konnotationen geschichtlich und ge‐ sellschaftlich geprägt sind und dass sie sich von Sprache zu Sprache unterscheiden und starke Re‐ aktionen hervorrufen können Weiß, dass Sprachen geschichtlich und kulturell verortet sind und dass Bedeutung pluralistisch und kontextgebunden ist X Weiß, dass literarische Texte unterschiedlicher Sprachen bestimmte Empfindlichkeiten eines be‐ sonderen Kulturkreises und einer bestimmten Epoche ausdrücken X Weiß, dass es beim Übersetzen nicht immer A-B-Entsprechungen gibt, sondern oft eine A-B 1 -, B 2 -,B 3 -,B x -Entsprechung. Erkennt, dass Polysemie durch Mehrsprachigkeit verstärkt wird und das gesamte konnotative Spek‐ trum verändert X Erkennt, dass Wörter semiotische Zeichen inner‐ halb von konventionellen Systemen sind Kritische Reflexion Weiß, dass Sprachen unterschiedlich gewertet werden, es sprachliche Hierarchien gibt und diese emotional begründet sind Weiß, dass sprachliche Hierarchien das Sprechver‐ halten beeinflussen Weiß, dass sprachliche Hierarchien emotional be‐ gründet sind Weiß, dass es mehrere Sprachrollen gibt, die ge‐ sprächsstrategisch eingesetzt werden können Mehrsprachiges Reper‐ toire Weiß, dass Sprachen im Hirn vernetzt sind und ein dynamisches, sich ständig veränderndes System bilden Weiß, dass es ein mehrsprachiges Repertoire gibt 415 10.2 Savoir Weiß, dass der mehrsprachige Produktionsprozess sich mit der Zeit beschleunigt und sich das mehr‐ sprachige Repertoire verändert Weiß, dass sich durch mehrsprachiges Lernen die Sprachen besser vernetzen Weiß, dass sich durch bessere Vernetzung der Spra‐ chen die psychotypologische Wahrnehmung der‐ selben ändern kann Transfer/ CLIN Weiß, dass Transfer auf vielen Ebenen möglich ist X Weiß, dass Transfer zwischen Sprachen der glei‐ chen Sprachfamilie möglich ist Weiß, dass Transfer zwischen Sprachen unter‐ schiedlicher Sprachfamilien möglich ist Weiß, dass es in der Mehrsprachigkeit neue Lern‐ kanäle gibt Tab. 10.1. 10.3 Savoir Être Der Bereich Savoir être zeichnet sich im Kompetenzbereich Über Mehrsprachig‐ keit reflektieren der Versuch vonseiten der Lernenden ab, das neu erwobene Wissen über die eigene Mehrsprachigkeit und jene der anderen in den eigenen Sprachhandlungen umzusetzen. Dazu gehört in erster Linie das Erkennen und kritische Hinterfragen des eigenen kulturellen Referenzsystems und des eigenen sprachlichen Repertoires. Daraus ergibt sich, dass die Lernenden den Versuch unternehmen, die Herausforderungen der Mehrsprachigkeit anzunehmen und dadurch auch die eigenen emotionalen Hürden beim Sprachenlernen über‐ winden. Durch die Anerkennung der eigenen mehrsprachigen Persönlichkeit wird es möglich, durch TL als MediatorInnen zwischen Welten und Kulturen zu fungieren und sich selbst unabhängig als mehrsprachige Individuen zu positi‐ onieren. Dadurch kann die eigene mehrsprachige Erfahrungswelt und der Fa‐ cettenreichtum einer mehrsprachigen Persönlichkeit fruchtbringend einge‐ bracht werden. Die Lernenden können sich als mehrsprachiges Subjekt erstmals bewusst wahrnehmen und das Potential, das dies birgt, erkennen. Das erlaubt es, dies als Ressource zu nutzen und sich als mehrsprachiges Individuum in der Gruppe auszuweisen, ohne Angst vor Ausgrenzung. 416 10 Kompetenzmodell Mehrsprachigkeit: Savoirs In diesem Sinne erfahren die Lernenden das mehrsprachige aufgabenorien‐ tierte Lernsetting als lernfördernd, da sich neue Formen sozialen Lernens darin entfalten können. Dies erleichtert den (Sprach)lernprozess und ermöglicht es den Lernenden, mit den eigenen Ängsten und Hemmungen umzugehen. Gleich‐ zeitig können sie sich besser auf die Sprachkenntnisse und Bedürfnisse der Ge‐ sprächspartner einstellen und diese im Sinne eines inklusiven Handelns durch ihr sprachliches Verhalten in die Gruppe aufnehmen. Es werden alle Sprachen, auch der Dialekt, als gleichwertig anerkannt und wertgeschätzt. Die Lernenden können durch die pluralistische Betrachtungsweise, welche durch die Mehrsprachigkeit ermöglicht wird, die Bedeutung von einzelnen Wörtern und Wendungen relativieren und dadurch eine erweiterte Wahrneh‐ mung von Realität gewinnen. Das kann zu einer Überlagerung der unterschied‐ lichen Bedeutungen führen und letztendlich zu neuen Bedeutungskreationen. Die Lernenden verstehen sich als MittlerInnen zwischen Sprachen und Kulturen und können Bedeutung von einer Welt in die andere übertragen. Das führt in manchen Fällen zu einem erhöhten kreativen Umgang mit Sprache(n) und zu Phänomenen der Sprachproduktivität. Der Kompetenzbereich Emotion und Psychotypologie fokussiert auf die Fä‐ higkeit der Lernenden, Emotionen unterschiedlich in den verschiedenen Spra‐ chen ausdrücken zu können und diese Fähigkeit gesprächstrategisch einzu‐ setzen. Sie können CS einsetzen, um ihre emotionale Befindlichkeit auszudrücken und dadurch Einfluss auf das Gespräch zu nehmen. Es entsteht auch ein Bewusstsein dafür, dass Sprachen aufgrund der eigenen emotionalen Sozialisation sich besser oder weniger gut zum Ausdrücken von Emotionen eignen und dass der Dialekt dabei eine zentrale Rolle spielt, da er allen Lern‐ enden als Sprache der primären emotionalen Sozialisation dient. KB SAVOIR ÊTRE MSCS Über Mehrsprachigkeit kritisch reflektieren Kann das eigene sprachliche und kulturelle Refe‐ renzsystem erkennen und kritisch hinterfragen X Kann das eigene sprachliche Repertoire kritisch hinterfragen und erkennt, dass er/ sie aus sozialen Gründen nicht alle Sprachen verwendet, die er/ sie beherrscht X Erkennt, dass es emotionale Hürden beim Spra‐ chenlernen gibt und versucht, diese zu überwinden X Erkennt, dass Mehrsprachigkeit ihn/ sie vor neue Herausforderungen stellt und nimmt diese an X 417 10.3 Savoir Être Mehrsprachige Persön‐ lichkeit Verwendet TL, um zwischen Welten und Kulturen zu mitteln und sich selbst als unabhängiges Indivi‐ duum zu positionieren Bringt durch TL die eigene mehrsprachige Erfah‐ rungswelt in die Gruppe ein Kann in der Mehrsprachigkeit die Pluralität der ei‐ genen Persönlichkeit ausdrücken Nutzt TL als persönlichkeitsstiftendes Element Erfährt sich selbst bewusst als mehrsprachiges Sub‐ jekt und weist sich den anderen gegenüber als sol‐ ches aus X Soziales Lernen / Inklu‐ sion Erfährt das eigene schulische Umfeld als lernför‐ dernd Kann die Sprachkenntnisse der Gesprächspartner richtig einschätzen und reagiert angemessen im Sinne der Inklusion darauf X Kann dank der Hilfe der anderen eigene Sprach‐ barrieren überwinden Kann mit eigenen Ängsten und Sprechhemmungen umgehen Anerkennt alle Sprachen, auch den Dialekt, als gleichwertig X Realitätswahrnehmung Bedeutungserweite‐ rung Hybridisierung Kann durch die mehrsprachige Betrachtungsweise die Bedeutung von Wörtern relativieren Kann durch mehrsprachiges Handeln eine neue Wahrnehmung von Realität gewinnen Geht kreativ mit Mehrsprachigkeit um und findet neue Ausdrucksmöglichkeiten und Wortformen Versteht sich als MittlerIn zwischen Kulturen und entwickelt einen synästhetischen Blick für Bedeu‐ tung Emotion Psychotypologie Kann Emotionen in mehreren Sprachen ausdrü‐ cken Kann CS verwenden, um die eigene emotionale Be‐ findlichkeit Auszudrücken 418 10 Kompetenzmodell Mehrsprachigkeit: Savoirs Anerkennt den eigenen Dialekt als gleichwertige Sprache und verwendet ihn, um Emotionen und Gefühle auszudrücken Tab. 10.2. 10.4 Savoir Faire In diesem Bereich sind die Formen sozialen Lernens und Inklusion besonders hervorzuheben. Die Lernenden können, durch ihre mehrsprachigen Kompe‐ tenzen befähigt, regulierend in das Gespräch eingreifen und inklusiv handeln. Das ermöglicht es ihnen auch, schnell und angemessen auf unvorhergesehene kommunikative Situationen zu reagieren. Sie entwickeln Strategien, um sich in komplexen mehrsprachigen Situationen zurechtzufinden. Das bedeutet auch, dass sie in mehreren Sprachen spezifische Gesprächsregeln und sprachliche Umgangsformen kennen und anwenden können. Dazu gehört auch die Fähig‐ keit, CS in unterschiedlichen Situationen gesprächsstrategisch einzusetzen. Häufig wird die Fähigkeit entwickelt, CS aus Gründen der Sprachökonomie einzusetzen. Dies setzt voraus, dass neue Strategien, die sich nur in mehrspra‐ chigen Lernsettings entwickeln können, erworben werden. Dazu gehört die Nutzung aller zur Verfügung stehenden Ressourcen und Strategien, um die ak‐ tive Teilhabe am mehrsprachigen Diskurs für sich selbst und die anderen zu ermöglichen. Dazu müssen die Lernenden letztendlich die unterschiedlichen Sprachen ihres Repertoires gesprächsstrategisch einsetzen. Die Lernenden können im Umgang mit plurilingualen Unterlagen nicht nur Wissen aus einem fremdsprachigen Text in eine andere Fremdsprache über‐ tragen und ein einsprachiges bzw. mehrsprachiges Referat dazu gestalten. Sie können auch ihre persönliche Haltung zu ihnen bekannten Texten in einer an‐ deren Sprache äußern, ein kognitiv weit komplexerer Prozess als der erste. In diesem Prozess werden die Lernenden auch dazu befähigt, mit dem Phänomen der Polysemie bei der Sprachmittlung umzugehen, und sie lernen ihr gesamtes sprachliches Repertoire nicht nur zu nutzen, sondern auch einzusetzen, um Be‐ deutung auf unterschiedlichen Ebenen zu vermitteln. Dazu gehört auch, Wörter sprachübergreifend so zu wählen, dass bestimmte konnotative Wirkungen er‐ zielt werden können. In diesen Bereich gehört zunächst die Fähigkeit der Lernenden, im mündli‐ chen Austausch von einer Fremdsprache in die andere zu wechseln. Diese stellt für fast alle TeilnehmerInnen zu Beginn des Projekts und entgegen aller Erwar‐ tungen eine große Herausforderung dar. Im Verlauf des Projekts entwickeln sie 419 10.4 Savoir Faire dann eine Reihe von mehrsprachigen gesprächsstrategischen Kompetenzen, die es den ihnen erlauben, CS dazu einzusetzen, um bestimmte Rollen im Ge‐ spräch einzunehmen und ihre Stellung in der Gruppe zu festigen. KB SAVOIR FAIRE MSCS Formen sozialen Lernens Inklusion Kann das eigene sprachliche Verhalten in der Gruppe im Sinne der Inklusion steuern X Kann durch die eigenen Sprachkenntnisse befähigt regulierend in ein Gespräch eingreifen Kann auf unvorhergesehene sprachliche Situ‐ ationen angemessen reagieren Entwickelt Strategien, um komplexe mehrspra‐ chige Situationen zu meistern Beherrscht in verschiedenen Sprachen spezifische Gesprächsregeln und sprachliche Umgangsformen Mehrsprachige Ge‐ sprächspraktiken Kann CS einsetzen, um einen Themenwechsel im Diskurs zu signalisieren und Aufmerksamkeit zu wecken X Kann CS im mehrsprachigen Diskurs einsetzen, um Meinungsverschiedenheiten oder Kritik so auszu‐ drücken, dass sie nicht verletzend sind Kann CS einsetzen, um ein Seitengespräch über Rechtschreibung, Grammatik und Wortschatz ein‐ zuleiten Kann CS zum Zweck der Sprachökonomie ver‐ wenden Mehrsprachiges Lernen Entwickelt Strategien, um mit den zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln am mehrspra‐ chigen Diskurs teilzunehmen X Kann die unterschiedlichen Sprachen seines/ ihres Repertoires gezielt gesprächsstrategisch einsetzen Kann die eigene Meinung über einen in einer Fremdsprache gelesenen Text in einer anderen Fremdsprache äußern Kann Wissen direkt von einer Fremdsprache oder L 2 in eine andere Fremdsprache übertragen Kann aus plurilingualen Unterlagen eine Vortrag zusammenstellen und vortragen X 420 10 Kompetenzmodell Mehrsprachigkeit: Savoirs Kann einen plurilingualen Text verfassen X Kann einen fremdsprachigen Diskurs (oder L 2 ) auf‐ rechterhalten, auch wenn dies eine große Heraus‐ forderung darstellt Mehrsprachiges Reper‐ toire Kann das gesamte sprachliche Repertoire nutzen, um durch TL gewünschte Bedeutungsaspekte zu wählen Kann mit dem Phänomen der Polysemie beim Über‐ setzen umgehen Kann auf ein mehrsprachiges Repertoire zurück‐ greifen Kann sprachübergreifend Wissen kontextge‐ bunden anwenden Erkennt, dass in der Bildungssprache höhere Aus‐ differenziertheit und Komplexität möglich ist und wendet diese wo möglich an Kann CS verwenden, um unterschiedliche emotio‐ nale Konnotationen von Wörtern hervorzuheben Sprachrollen und ihre Funktion in der Kom‐ munikation Kann in einem Gespräch von einer Fremdsprache in die andere wechseln X Kann in der Mehrsprachigkeit unterschiedliche Rollen im Gespräch einnehmen Kann die eigene Stellung in der Gruppe durch be‐ wussten Einsatz von Mehrsprachigkeit zum Aus‐ druck bringen Kann durch CS signalisieren, dass er/ sie unter‐ schiedliche Rollen im Gespräch einnimmt und damit zurechtkommt Tab. 10.3. 10.5 Savoir Apprendre Es lassen sich hier eine Reihe von Situationen feststellen, in welchen CS einge‐ setzt wird, um den eigenen Lernprozess zu regeln oder zu unterstützen. Dazu gehört die Verwendung von CS als Ausweichstrategie, um Situationen der sprachlichen Überforderung zu vermeiden und gleichzeitig den Versuch zu un‐ ternehmen, sich in komplexen sprachlichen Situationen auszuprobieren. Gleich‐ 421 10.5 Savoir Apprendre zeitig wird in solchen Situationen CS auch sprachökonomisch dazu verwendet, um nötiges Wissen ohne Umwege zu gewinnen. Eine wichtige Lernstrategie ist auch der inner- und außersprachliche Registerwechsel. Er ermöglicht es den Lernenden, alle ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen zu nutzen, um kom‐ plexe Sachverhalte darzustellen. Es kristallisiert sich also eine Reihe von sprach‐ lichen Strategien bzw. Anwendungen von CS heraus, die eine wichtige Rolle in der mehrsprachigen Kommunikation einnehmen. Ein weiterer Bereich, der eine herausragende Funktion im Sprachlernprozess einnimmt, ist die Sprach(en)bewusstheit. Diese artikuliert sich auf unterschied‐ lichen Ebenen. Einerseits wird durch das mehrsprachige Lernsetting die Refle‐ xion über den eigenen Sprachlernprozess angeregt. Diese Reflexion ist wie‐ derum Voraussetzung für die Steuerung des eigenen Lernprozesses und ist deshalb in einem Lernkontext, der autonome Lernformen in den Mittelpunkt stellt, die Voraussetzung, um diesen zu initiieren. Denn nur dank des bewussten Wahrnehmens des eigenen Lernprozesses und des kontrastiven Vergleichs zwi‐ schen den Sprachen können die Lernenden ihre eigenen Sprachkenntnisse besser einschätzen. Das ermöglicht es ihnen, ihre eigenen Bedürfnisse zu er‐ kennen, angemessene Maßnahmen zu ergreifen und geeignete Strategien zu entwickeln. Gleichzeitig wird dank des Sprachvergleichs und der Mediation die Wahr‐ nehmung von Bedeutungsfeinheiten in den unterschiedlichen Sprachen ge‐ schult. Die Lernenden erkennen, dass Bedeutung nicht eins zu eins von einer Sprache in die andere übertragen werden kann und dass ganz im Gegenteil Mehrsprachigkeit auch bedeutet, mit einer Vielzahl von Bedeutungen zurecht‐ zukommen und Polysemie als einen unabdingbaren Aspekt und als eine Beson‐ derheit mehrsprachiger Kommunikation zu erkennen. Eine zentrale Rolle im mehrsprachigen Spracherwerb spielen die unter‐ schiedlichsten Formen des Transfers/ CLIN. Dazu gehört auch ein emotionaler Transfer innerhalb der Arbeitsgruppe, der durch gemeinsames mehrsprachiges Arbeiten ermöglicht wird. Dies ist im Falle der mehrsprachigen Kompetenzauf‐ gabe nicht nur innerhalb derselben Sprachfamilie vorgesehen, sondern auch sprachfamilienübergreifend. Es hat sich im Verlauf der Datenerhebung gezeigt, dass die Sprachwahl für den Transfer in vielen Fällen auch auf praktische und pragmatische Gründe zurückzuführen ist und oft nicht sprachspezifisch, son‐ dern eher situationsgebunden von den Lernenden aktiviert wird. 422 10 Kompetenzmodell Mehrsprachigkeit: Savoirs KB SAVOIR APPRENDRE MSCS Mehrsprachige Ge‐ sprächspraktiken Kann CS als Ausweichstrategie anwenden, wenn er/ sie eine Sprache spricht, die er/ sie nicht so gut beherrscht Kann CS einsetzen, um das sprachliche Niveau zu verändern und dadurch den Lernprozess zu unter‐ stützen Kann CS einsetzen, um nach der Bedeutung von unbekannten Wörtern in einer Fremdsprache zu fragen Kann Mehrsprachigkeit in vielen Bereichen als Scaffolding nutzen Kann als Ausweichstrategie bei Problemen der Wortfindung unterschiedliche Register wählen Über Mehrsprachigkeit kritisch reflektieren Kann die eigene Sprach(en)bewusstheit durch den kontrastiven Vergleich zwischen mehreren Spra‐ chen steigern Kann den eigenen mehrsprachigen Produktions‐ prozess überwachen und wo nötig korrigierend ein‐ greifen Kann in der Mehrsprachigkeit die eigene Wahrneh‐ mung für Bedeutungsfeinheiten schulen Kann den eigenen Lernprozess kritisch reflek‐ tieren, identifiziert Problembereiche selbst und ver‐ sucht, diese zu beheben. Wählt Sprachrollen, um den eigenen Lernprozess zu unterstützen Lernt durch den Sprachvergleich das eigene sprach‐ liche Niveau in den einzelnen Sprachen besser ein‐ zuschätzen Transfer/ CLIN Kann auf verschiedenen Ebenen (emotional, sozial, lernstrategisch usw.) durch Transfer den eigenen Sprachlernprozess unterstützen Kann Transfer bei Sprachen unterschiedlicher Sprachfamilien nutzen Kann Transfer besonders bei Sprachen derselben Sprachfamilie nutzen X Kann durch den Einsatz von Lehnübersetzungen versuchen, Wörter in einer Fremdsprache zu bilden 423 10.5 Savoir Apprendre Kann auf Vorwissen in mehreren Sprachen zurück‐ greifen, um Verständnisfragen zu klären Kann durch simultanen Sprachgebrauch erwor‐ benes Wissen für den eigenen mehrsprachigen Lernprozess nutzbar machen Mehrsprachiges Lernen Kann sich die eigene funktionale Mehrsprachigkeit beim Sprachlernprozess zunutze machen, um sein/ ihr bildungssprachliches Repertoire in allen Spra‐ chen zu erweitern Entdeckt in der Mehrsprachigkeit neue Lernkanäle Erkennt, dass sprachlich komplexe Situationen lernfördernd sein können Greift regulierend in den eigenen Lernprozess ein und achtet darauf, nicht in Überforderungssituati‐ onen zu geraten Gestaltet eigenverantwortlich und selbstgesteuert den eigenen mehrsprachigen Lernprozess Tab. 10.4. 10.6 Savoir s’engager Dieses Savoir stellt das kulturkritische literarische Lernen in den Mittelpunkt. Nach dem in (cf. 4.1) vorgestellten Kompetenzverständnis ist sprachliche Bil‐ dung, die sich nicht auch kritisch mit dem gesellschaftlichen und kulturellen Geschehen auseinandersetzt, nicht denkbar. Dazu gehört in erster Linie zu er‐ kennen, dass Sprache kein rein funktionales Kommunikationsinstrument ist, sondern eine symbolische Form, die kreatives und freies Denken ermöglicht. Es gilt, diese symbolischen Formen in den unterschiedlichen Sprachen als solche zu erkennen und ihren Ursprung zu rekonstruieren. Daraufhin kann die Inter‐ aktion und Überlappung von Symbolen und symbolischen Formen und deren Bedeutungsvielfalt in der Mehrsprachigkeit nicht nur rezeptiv nachvollzogen, sondern aktiv mitgestaltet werden. Das bedeutet, dass z. B. Bedeutungselemente aus den verschiedenen Sprachen identifiziert und neu kombiniert werden. Dabei wird es den Lernenden ermöglicht, schnell von einer Bedeutungswelt in die andere zu wechseln und Elemente von einem Referenzsystem in das andere zu übertragen. 424 10 Kompetenzmodell Mehrsprachigkeit: Savoirs Der Vergleich zwischen Texten und Genres unterschiedlicher Sprachen er‐ möglicht es den Lernenden, sich eine kritische Meinung über das Gelesene zu bilden und die Aussagen eines Textes mit denen eines anderen Textes zum glei‐ chen Thema aus einem anderen Kulturkreis zu vergleichen. Erst so können kultur- und sprachspezifische Formen der Kommunikation erkannt und dadurch Texte in ihren Aussagen kritisch hinterfragt und analysiert werden. Dieser kon‐ trastive Vergleich weckt Verständnis für andere, auch extraeuropäische Kultur‐ kreise, was letztendlich zu erhöhter Empathie führt. Auf der Ebene der Persönlichkeitsentwicklung bedeutet das, dass die Ler‐ nenden in der Lage sind, ihr eigenes sprachliches Verhalten kritisch zu reflek‐ tieren und dadurch die eigenen Sprachbarrieren nicht nur zu erkennen, sondern im Idealfall auch zu überwinden. Dies wird ermöglicht, da der mehrsprachige Entscheidungsprozess einen komplexeren mehrsprachigen Meinungsbildungs‐ prozess voraussetzt. Dies führt letztendlich zu einem Verfremdungsprozess des Individuums, durch welchen es sich neu und unabhängig positionieren kann und für Formen der Radikalisierung nicht mehr so anfällig ist wie vorher. KB SAVOIR S’ENGAGER MSCS Third Space / zwischen Kulturen und Sprachen mitteln Kann die Symbolhaftigkeit der Sprache erkennen und Formen heuristischen Denkens entwickeln Erkennt, dass Polysemie das gesamte konnotative Spektrum verändert Kann Symbole in den unterschiedlichen Sprachen auf vielfältiger Ebene verstehen und erkennen, dass sie an die menschheitsgeschichtliche Entwicklung in den verschiedenen Kulturen gebunden sind und sich ständig verändern Betrachtet die unterschiedlichen Kulturen und Sprachen im Schreibprozess als ein Ganzes und kann aus der Vielfalt einzelne Elemente entnehmen und neu kombinieren Kann CS einsetzen, um schnell von einer Bedeu‐ tungswelt in die andere zu wechseln Kann die Bedeutung literarischer Texte im mehr‐ sprachigen Kontext neu vernetzen und hybride Be‐ deutungsformen kreieren Über Mehrsprachigkeit kritisch reflektieren Kann anhand stilistischer und rhetorischer Merk‐ male von Texten in unterschiedlichen Sprachen die kommunikativen Absichten der SprecherInnen er‐ kennen 425 10.6 Savoir s’engager Kann die Inhalte von Texten in mehreren Sprachen vergleichen, kritisch hinterfragen und unausge‐ sprochene Nachrichten im Text entschlüsseln Erkennt komplexe geschichtliche und soziale Zu‐ sammenhänge zwischen europäischen und nicht europäischen Kulturen und Sprachen Mehrsprachige Persön‐ lichkeitstheorie Entwickelt Empathie mit den geschichtlichen und kulturellen Ereignissen von Ländern, die nicht dem eigenen Kulturkreis angehören Kann die eigene Haltung in einem mehrsprachigen Gespräch erkennen und kritisch reflektieren Kann durch Mehrsprachigkeit die eigenen sprach‐ lichen Hierarchien abbauen Entwickelt seine/ ihre Meinung auf transkulturellen und plurilingualen Prämissen, anerkennt unter‐ schiedliche Perspektiven und ist daher für Dema‐ gogie und Radikalisierung weniger anfällig Ist den anderen bei sprachlichen Schwierigkeiten behilflich Erfährt in der Mehrsprachigkeit einen Verfrem‐ dungseffekt, durch den er/ sie sich als Individuum neu positionieren kann Kreativität Nutzt CS im Schreibprozess für ästhetisch-literari‐ sche Zwecke Kann Neologismen und neue Wortformen bilden Kann CS strategisch einsetzen, um bestimmte Be‐ deutungen hervorzuheben, die es nur in einer Sprache gibt Kann CS im Schreibprozess für onomatopoetische, rhythmische und prosodische Zwecke einsetzen Kann CS mit metaphorischer Funktion verwenden, um komplexe Bedeutungsgefüge direkt auf Ge‐ fühlsebene zu vermitteln Tab. 10.5 426 10 Kompetenzmodell Mehrsprachigkeit: Savoirs 11 Schlussfolgerungen für die Implementierung mehrsprachigen kompetenzorientierten Unterrichts Die vorliegende Modellierung verfolgt die Absicht, den Begriff der mehrspra‐ chigen kommunikativen Kompetenz zu umreißen. Damit soll ein erstes Modell geschaffen werden, in dem die Komplexität sowohl lebensweltlicher als auch bildungspolitischer Relevanz der mehrsprachigen kommunikativen Kompetenz (MKK) erfasst und für die Lehrpersonen veranschaulicht wird. Andererseits soll ein unterrichtspraktisches Instrument geschaffen werden, das es den Lehrper‐ sonen ermöglicht, mehrsprachige aufgabenorientierte Unterrichtdesigns aus‐ zuarbeiten, zu implementieren und nicht zuletzt zu evaluieren. Dabei versteht sich die vorliegende Modellierung als eine Ergänzung zum MSCS (Mehrspra‐ chigkeitscurriculum Südtirol). Dieses Curriculum wurde, wie bereits erläutert (cf. 5.2.), in einem Top-down-Prozess vom FREPA abgeleitet. Ihm kann daher angelastet werden, dass es nicht aus der empirischen Beobachtung und Analyse unterrichtlichen Geschehens abgeleitet wird und deshalb in Teilen der Komple‐ xität mehrsprachigen Handelns im Unterricht nicht zur Gänze gerecht wird, da wichtige Aspekte mehrsprachigen Lernens - wie aus den Vergleichstabellen hervorgeht - nicht erfasst werden. Hier wird daher im Gegensatz dazu der Versuch unternommen, durch kon‐ krete Unterrichtsbeobachtung die Komplexität mehrsprachiger Kommunikati‐ onsformen zu erfassen und in ihrer Eigenschaft durch Deskriptoren zu be‐ schreiben und erkennbar zu machen, um sie dadurch für den Unterricht nutzbar zu machen. Das ermöglicht es, neue Aspekte derselben zu identifizieren und unerwartete Lernprozesse zu erfassen, die in Gang gesetzt werden. So konnte gezeigt werden, wie sich MKK dank des mehrsprachigen kompetenzorientierten Unterrichtsdesigns entfalten konnte und welche Zusammenhänge zwischen selbstgesteuertem und autonomem Lernen und der Entwicklung von MKK be‐ stehen. Das mehrsprachige Unterrichtsdesign hat sich dank seiner Eigen‐ schaften als wertvolles Instrument zur Förderung der mehrsprachigen Kompe‐ tenzentwicklung erwiesen, denn den Lernenden wird viel Freiraum zuerkannt, in dem sie ihren Lernprozess selbst in die Hand nehmen, indem sie selbstge‐ steuert Lernbereiche identifizieren, in denen ein besonderer Bedarf besteht und eigene Strategien und Lernformen entwickeln, um ihren Lernprozess zu opti‐ mieren. Aus diesem Grund soll es durchaus auch möglich sein und ist auch wünschenswert, dieses Aufgabenformat als Grundlage nicht nur für den vor‐ liegenden mehrsprachigen didaktischen Ansatz zu nutzen, sondern auch für sämtliche mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze wie sie in den einleitenden Kapiteln beschrieben wurden (cf. 3). Die vorliegende Modellierung stellt einen ersten und keinesfalls erschöp‐ fenden Versuch dar, auch Aspekte der bildungssprachigen und literarischen mehrsprachigen Kompetenz zu erfassen und für den Unterricht nutzbar zu ma‐ chen. Dahinter steht die Überzeugung, dass literarisches Lernen von unabding‐ barer Wichtigkeit für den schulischen Bildungsprozess ist und Lernende zur kritischen Reflexion über ihr eigenes kulturelles und persönliches Referenz‐ system und das anderer Menschen und Kulturen angeregt werden sollen. Trans‐ kulturalität kann im Sinne dieser Studie ausschließlich über Mehrsprachigkeit erfolgen, da der kontrastive Vergleich von unterschiedlichen kulturellen Refe‐ renzsystemen ohne Mehrsprachigkeit eine Abstraktion der Komplexität der‐ selben bedeutet und daher kein umfassendes Erkennen der dahinterliegenden Perspektivenvielfalt ermöglicht. Literaturhistorisches Bewusstsein kann sich erst entfalten, wenn es sich über die Grenzen des eigensprachlichen hinaus ein zusammenhängendes Bild verschafft über literarische Phänomene in den un‐ terschiedlichen Epochen und diese miteinander in Zusammenhang bringt. Da‐ durch kann ein holistisches Bild der literarischen Entwicklung des europäischen Kulturraumes, und nicht nur dieses, entstehen. Auch die Lesekompetenz kann so zu einem mehrsprachigen kreativen Akt der Bedeutungsbildung werden, in dem emotionale und kognitive Sinnbildungsprozesse vor einem plurilingualen Hintergrund entstehen und wirken können. Transkulturelle Literaturdidaktik führt zur Bildung neuer, durch Bedeutungsvielfalt und Hybridisierung gekenn‐ zeichnete narrative Räume. Diese ermöglichen komplexe, durch Mehrsprachig‐ keit gekennzeichnete Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse, die zu heuristischen Denkformen führen können. Überdies erwerben die Lernenden Kompetenzen in der Gestaltung mehrsprachiger literarischer Texte, in welchen sie transkulturelle Kompetenzen nicht nur auf der inhaltlichen Ebene, sondern auch auf der sprachlichen zum Ausdruck bringen können. So können neue nar‐ rative Formen entstehen, die gekennzeichnet sind von der affektiven und ima‐ ginativen Auseinandersetzung mit sprachlich und kulturell unterschiedlichen literarischen Genres. Dank eines handlungs- und produktionsorientierten An‐ satzes wird der Emotionalität und der Individualität der Lernenden Rechnung getragen. So können sie Formen des mehrsprachigen literarisch-ästhetischen Lernens erfahren. Gleichzeitig ermöglicht der kontrastive Vergleich literarischer Genres in unterschiedlichen Sprachen einen tieferen Einblick in die Wirkungs- 428 11 Schlussfolgerungen und Implementierung und Funktionsweise textueller Strategien und somit auch in die Anwendung derselben (vgl. ibid.: 14). Die Durchführung der vorliegenden mehrsprachigen Module hat gezeigt, dass ein einfaches Unterrichtarrangement herangezogen werden kann, um Mehrsprachigkeit im schulischen Alltag umzusetzen. Mehrsprachigkeit sollte durch diese Praxis zu einer alltäglichen Selbstverständlichkeit schulischen Han‐ delns werden. Es soll sich nicht auf einzelne Großprojekte beschränken oder auf Module mit Einzigartigkeitscharakter. Denn grundsätzlich kann jeglicher Un‐ terricht durch eine kompetenzorientierte mehrsprachige Anlage zur Implemen‐ tierung von MKK herangezogen werden. So hat z. B. der Aufbau des einsprachig/ mehrsprachigen Moduls gezeigt, dass es durchaus möglich ist, den einspra‐ chigen Fremdsprachenunterricht dank Ergänzung durch mehrsprachige Ab‐ schnitte in seinen Inhalten zu bereichern, ohne dabei den Lernprozess einzu‐ schränken, sondern ganz im Gegenteil die Aktivierung des mehrsprachigen Repertoires voranzutreiben und somit den Sprachlernprozess positiv zu beein‐ flussen und zu beschleunigen. Die häufigen Formen sozialen und selbstgesteuerten Lernens haben gezeigt, dass Unterricht, so wie er in der mehrsprachigen komplexen Kompetenzaufgabe verstanden wird, durch die Mehrsprachigkeit eine Vielzahl von sozialen Lern‐ formen ermöglicht, die in dieser Form im zielsprachigen Unterricht nicht mög‐ lich sind. Die Lernenden entwickeln aus der Notwendigkeit, sich im mehrspra‐ chigen Diskurs zurechtzufinden, eine Reihe von Lernformen, in welchen die Zusammenarbeit der Gruppe eine wichtige Rolle spielt. So wird das mehrspra‐ chige Lernsetting zu einem Umfeld, in dem sich ein neues Verständnis von Gruppe und Gruppenarbeit entfalten kann. Es können z. B. dank der gemeinsam zu bewältigenden komplexen Situationen die Lernenden unterschiedliche Sprachrollen übernehmen und so in den Lernprozess der Gruppe regulierend eingreifen. Aus der Notwendigkeit, sich gegenseitig auch in kommunikativ an‐ spruchsvollen Situationen zu verstehen, erwerben die Lernenden die Fähigkeit, durch gegenseitige Hilfestellungen der unterschiedlichsten Art in der mehr‐ sprachigen kommunikativen Situation sich gegenseitiges Verständnis zu si‐ chern. Eben diese Verständigungssicherung erweist sich als Instrument, das den mehrsprachigen Lernprozess vorantreibt und dazu führt, dass die Lernenden ihre pragmatischen und interaktionalen Ressourcen ausbauen. Das geschieht nicht zuletzt dank der in diesem Aufgabenformat häufig be‐ obachteten Formen von Imitationslernen. Imitationslernen erfolgt hier nicht nur auf der Ebene der Lernstrategien, sondern auch auf jener der mehrsprachigen Kommunikationsstrategien wie Code-switching und Translanguaging. So er‐ kennen einsprachige Lernende Strategien und Fertigkeiten mehrsprachiger 429 11 Schlussfolgerungen und Implementierung Lernenden und können diese in einem zweiten Moment in ihr aktives mehr‐ sprachiges Repertoire aufnehmen. Dadurch erweitert sich auch das ihnen zur Verfügung stehende Repertoire an Lernstrategien und Lernkanälen. Gleichzeitig werden auf diese Weise sprachliche Hierarchien abgebaut und Barrieren über‐ wunden, da sich der emotionale Zugang zu den einzelnen Sprachen positiv ver‐ ändert. Dank der veränderten psychotypologischen Wahrnehmung finden Spra‐ chen Eingang in das aktive Sprachenrepertoire von Lernenden, zu denen diese bis dahin keinen Zugang hatten. Auf der anderen Seite erfahren mehrsprachige Lernende sich vielleicht sogar erstmals in einer neuen Rolle während des sprachlichen Austauschs. Sie übernehmen Vorbildfunktion und können sich als mehrsprachige Individuen durch ihre besondere Handhabung der Mehrspra‐ chigkeit als kompetente SprecherInnen ausweisen. Dies erfahren sie als Empo‐ werment und als Bereicherung der eigenen Persönlichkeit, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie in diesem besonderen Unterrichtssetting auch Aspekte ihrer Persönlichkeit aktiv einbringen können, die im traditionellen Sprachenunter‐ richt außen vor bleiben. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass mehrsprachiges aufgabenori‐ entiertes Lernen Ressourcen der Lernenden freisetzt und entwickelt, wie sie sich im einsprachigen Unterricht nicht entfalten können. Daher sollte diese Form ergänzend zu traditionellen Formen Gewohnheit im schulischen Alltag werden. Es ist nicht Absicht dieser Studie, traditionelle zielsprachliche Unterrichts‐ formen durch mehrsprachige zu ersetzen, vielmehr sollte diese Form ergänzend zu den anderen eingeführt werden. Die hier erworbenen Strategien und Kom‐ petenzen könnten in der Folge konstruktiv in den Regelunterricht aufge‐ nommen werden. Auf diese Weise könnte der mehrsprachige aufgabenorien‐ tierte Unterricht auf den unterschiedlichsten Ebenen wie Emotion, Sprachstrategien, Aktivierung des mehrsprachigen Repertoires usw. Unterstüt‐ zungsfunktion für den zielsprachlichen und fachlichen Unterricht übernehmen. 11.1 Ausblick Die vorliegende Studie stellt den Versuch dar, wichtige Aspekte der Entwicklung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz (MKK) zu umreißen. Aus den Er‐ gebnissen ergeben sich folgende weitere Forschungsdesiderate: Bislang fehlen Studien, die mehrsprachiges kompetenzorientiertes Lernen in der Primarstufe untersuchen und eine Kompetenzmodellierung entwickeln und evaluieren. Bereits vorhandene Best-Practice-Beispiele sollten ergänzt werden durch Untersuchungen welche Anforderungen an die Lernenden gestellt 430 11 Schlussfolgerungen und Implementierung werden. Es bedarf einer genauen Untersuchung der Frage, welche Lernprozesse in jungen Lernenden durch mehrsprachiges Lernen initiiert werden, damit diese richtig eingeschätzt und bei der Ausarbeitung von spezifischen Aufgabenfor‐ maten berücksichtigt werden können. Diese Aufgabenformate sollten lebens‐ weltlich relevante Themen und eine entsprechende Lernkultur, die eine per‐ sönliche Meinungsbildung und eigenverantwortliches Arbeiten in den Mittelpunkt stellt, enthalten, damit Lernende dieser Alterskategorie spezifische Handlungskompetenzen, Haltungen und Wertvorstellungen vermittelt werden, die den Grundstein legen für weiterführende mehrsprachige Bildung (Hallet 2011: 91). Auch Formen der sukzessiven und simultanen sowohl mündlichen als auch schriftlichen Mehrsprachigkeit und ihre Relation zur Funktionsweise des mehr‐ sprachigen Repertoires und des Language Mode bedürfen einer eingehenden Untersuchung ebenso wie der Bereich Mehrsprachiges Schreiben, der einen we‐ sentlichen Beitrag zur Entwicklung bildungssprachlicher Kompetenzen fördert. Hier ist die Frage nach der Relation zwischen mehrsprachigem Schreiben und Umgang mit Sprachbarrieren bzw. FLA (Foreign Language Anxiety) von beson‐ derem Interesse ebenso wie der Bereich Mehrsprachigkeit und Hörverständnis. Ein weiteres Desiderat ist die Klärung der Beziehung zwischen generischem Lernen und Mehrsprachigkeit, der Frage, welche Wirkungsmechanismen sich in Aufgabenformaten wie dem der Kompetenzaufgabe entwickeln, wenn Ler‐ nende simultan mit Genres unterschiedlicher Sprachen und Kulturen arbeiten. Anhand von Fallstudien sollte untersucht werden, welche Auswirkungen dies auf Lernformen und Weltwahrnehmung der Lernenden hat, d. h. wie sich diese entwickelt, wie sie die Textproduktion der Lernenden beeinflusst, inwiefern ein Transfer stattfindet und welche Auswirkungen derselbe hat. Anhand von pro‐ zessorientierten Schreibdesigns, Pre-writing- und Post-writing-Phasen könnte das Schreib- und Planungsverhalten der Lernenden untersucht werden. Ein weiterer ausstehender Bereich ist die Beziehung zwischen Mehrspra‐ chigkeit und elektronischer Kommunikation im Unterricht. Denn die Lernenden sind im Netz einer Vielzahl von ihnen teils unbekannten Sprachen und Kulturen ausgesetzt und stehen vor der Aufgabe, mit einer beliebig großen sprachlich und kulturell heterogenen Community zu kommunizieren. Die Nutzer sollten befä‐ higt werden, Linguistic Landscapes (LL) im Netz zu durchschauen und bewusst mit der damit einhergehenden Einflussnahme umzugehen, die Chancen, die diese Kommunikationsform bietet, zu nutzen, aber auch abzuwägen, in welchen Kommunikationsräumen sie sich aufhalten und ob, wie und in welchem Ausmaß sie selbst Informationen ins Netz stellen. 431 11.1 Ausblick Eine weitere offene Frage ist, wie sich die Informationsrecherche im Netz auf den Lernprozess der einzelnen auswirkt, wie Lernende mit Mehrsprachigkeit im Netz umgehen, welche Voraussetzungen nötig sind, simultan in mehreren Spra‐ chen im Netz nach Informationen suchen zu können, und welche Lernprozesse dadurch initiiert werden. Auch bezüglich der Lehrpersonen besteht Bedarf an weiterer Forschung: Mehrsprachiges Lernen stellt auch sie vor ganz neue Herausforderungen. Es bedarf der Entwicklung diagnostischer Instrumente und Kategorien, um die Lehrpersonen zu befähigen, Bedarfsanalysen durchzuführen und lernfördernde Unterrichtsdesigns auszuarbeiten. Da Lehrende besonderer Kompetenzen und Fertigkeiten bedürfen, um mehrsprachige Unterrichtsformen planen und durch‐ führen zu können, sollten ihnen auf mehrsprachigen Unterricht bezogene spe‐ zifische Kompetenzbeschreibungen und valide Erhebungsinstrumente zur Ver‐ fügung gestellt werden. 432 11 Schlussfolgerungen und Implementierung 12 Literaturverzeichnis 12.1 Primärliteratur Reden Bush, George W.: 9.11. Online: [http: / / www.americanrhetoric.com 09-08.18] Churchill, Winston: We shall fight on the beaches. Online: [http: / / www.rhetorik-netz.de08.09.18] Clinton, Bill: 2000 State of The Union Adress. Online: [http: / / www.presidency.ucsb.edu/ ws/ index.php? pid=58708 09.08.18] De Gaulle, Charles: Paris libérée. 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I woas es no wie heint Wo mir zwoa gestondn sein unter’m schwarzen Himmel mitliegst In der Nacht We were sitting on the grass and staring at the sky, the moon, the stars, the lights they were shinig above so bright. Ref: Dopo questo tempo sei ancor’ dentro di me Nel cuore, nella testa, la mia memoria è piena di te. Tanto è accaduto e adesso non sei più qui, but I hope to see you soon again and to never let you go.. Im Wald hinein und auf ’n Berg hinauf Überall sein mir gongen und es wor, als gab es lei mi und di. Tanto è rimasto dentro di me, gli abbracci, le carezze, i baci e i nostri sguardi. Ref: So many hours, so many days that I’ve spent with you Are now gone and what’s left is an empty space. Du bist jetzt weg fa mir und zruck bleib I aloan. I hoff du sigsch es ein und kimsch zu mir zurück. Ref: Dopo questo tempo sei ancor’dentro di me Nel cuore, nella testa, la mia memoria è piena di te. Tanto è accaduto e adesso non sei più qui, but I hope to see you soon again and to never let you go… 464 Appendix II: Texte Sarah Appendix III: Texte Andrea 466 Appendix III: Texte Andrea 467 Appendix III: Texte Andrea 468 Appendix III: Texte Andrea Apendix IV: Texte Vera 470 Apendix IV: Texte Vera Abbildungsverzeichnis Abb. 2.1. Martinez & Schröder Sura 2011, S. 72 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Abb. 2.2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Abb. 6.1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Abb. 6.2. Mehrsprachiges Kompetenzmodell adaptiert nach Hallet 2013 . . . 143 Abb. 6.4. Mehrsprachige Module im Schuljahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Abb. 6.9. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 Abb. 6.10. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Abb. 6.11. Kompetenzmodell Unterrichtseinheit: Political Speeches . . . . . . . 184 Tab. 9.2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Tabellenverzeichnis Tab. 2.3. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Tab. 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Tab. 6.3. Aufteilung Wochenstunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Tab. 6.5. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Tab. 6.6. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Tab. 6.7. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Tab. 6.8. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Transkript 7.1: 13.01.2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Tab. 7.2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Transkript 7.3. : 14.01.2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Tab. 7.4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Tab. 7.5. : Aufzeichnung 3/ 24.01.2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Tab. 7.6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Tab 7.7. Aufzeichnung 4/ 14.01.2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Tab. 7.8. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Tab. 8.Aufnahme 1/ 21.12.15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Tab. 8.1. Aufnahme 2/ 21.12.15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Tab. 8.2. Aufnahme 3/ 15.12.2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Tab. 8.3. Aufnahme 4/ 5.12.2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Tab. 8.4. Aufnahme 5/ 15.12.2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Tab. 8.5. Aufnahme 6/ 16.03.16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Tab. 8.6. Aufnahme 7/ 15.03.16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Tab. 8.7. Aufnahme 8/ 16.03.16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Tab. 8.8. Aufnahme 9/ 13.03,16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Tab. 8.9. Aufnahme 10/ 16.04.16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Tab. 8.10. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Tab. 8.11. Aufzeichnung 1: 30.11.15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Tab. 8.12. Aufzeichnung 2/ 04.02.2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Tab. 8.13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 Tab. 8.14. Aufzeichnung 1/ 14.12.2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Tab. 8.15. Aufzeichnung 2: 06.03.2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Tab. 8.16. Wortwechsel zwischen Andrea und S2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 Tab. 8.16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Tab. 8.17. Aufzeichnung 1: 5.12.2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 Tab. 8.18. Aufzeichnung 2/ 15.12.2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Tab. 8. 19. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 Tab. 9.1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 Tab. 9.3. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Tab. 9.4. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Tab. 9.5. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 Tab. 9.7. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Tab. 9.8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Tab. 9.9. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 Tab. 9.10. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 Tab. 9.11. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Tab. 9.12. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Tab. 9.13. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 Tab. 9.14. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Tab. 10.1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 Tab. 10.2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 Tab. 10.3. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 Tab. 10.4. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Tab. 10.5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 476 Tabellenverzeichnis Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Giessener Beiträge Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Gisela Mayr Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit Gisela Mayr Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit Eine unterrichtsempirische Studie zur Modellierung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz in der Sekundarstufe II Sprachlich heterogene Klassen sind zum Normalfall geworden. Dies bedarf neuer didaktischer Ansätze, die es nicht nur ermöglichen, Lernprozesse in einem mehrsprachigen Kontext durch gezielte und individualisierte Maßnahmen zu fördern und zu unterstützen, sondern die Mehrsprachigkeit auch als Ressource anerkennen und aktiv in den Lernprozess integrieren. Nur so werden die Lernenden dazu befähigt, jene Kompetenzen zu erwerben bzw. zu erweitern, die eine aktive Partizipation in einer durch kulturelle und sprachliche Fluidität und Vielstimmigkeit gekennzeichneten Lebenswelt ermöglichen. Die mehrsprachige komplexe Kompetenzaufgabe stellt einen Versuch dar, diesem Umstand Rechnung zu tragen. ISBN 978-3-8233-8358-1 18358_Mayr_Umschlag.indd 3 22.11.2019 11: 29: 58