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Kundenbeschwerden im Web 2.0

2020
978-3-8233-9364-1
Gunter Narr Verlag 
Melanie Kunkel

Die Kommunikation in sozialen Netzwerken ist in den letzten Jahren zunehmend ins Interesse der (Im)politeness-Forschung gerückt. Die Arbeit untersucht einen Korpus aus jeweils 400 Kundenbeschwerden auf deutschen und italienischen Facebook-Seiten, insbesondere hinsichtlich inhaltlicher Strukturen, Modifikation sowie Selbstdarstellung und Referenzen. Die Ergebnisse werden vor zentralen (Im)politenessTheorien diskutiert und mögliche Ursachen für die Unterschiede zwischen deutsch- und italienischsprachigen Beschwerden aufgezeigt.

Kundenbeschwerden im Web 2.0 Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 571 Melanie Kunkel Kundenbeschwerden im Web 2.0 Eine korpusbasierte Untersuchung zur Pragmatik von Beschwerden im Deutschen und Italienischen © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-8233-8364-2 (Print) ISBN 978-3-8233-9364-1 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0197-4 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 9 1 11 1.1 11 1.2 14 2 17 2.1 17 2.2 20 2.3 21 2.3.1 22 2.3.2 24 2.3.3 28 2.4 31 2.4.1 33 2.4.2 35 2.5 36 2.6 39 2.7 43 3 45 3.1 45 3.1.1 45 3.1.2 47 3.2 48 3.2.1 48 3.2.2 49 3.2.3 52 Inhalt Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thema der Arbeit und Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsfragen und Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsüberblick I: (Im)politeness-Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Politeness als Face-saving-Strategie: Kritik und Grenzen . . . . . (Im)politeness 1 und (im)politeness 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Postmoderne Ansätze: relational work, rapport management, genre approach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relational work (L O CHE R / W ATT S ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rapport management (S P E NC E R -O AT E Y ) . . . . . . . . . . . . . Genre approach (G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH ) . . . . . . . . . Impoliteness: Intention und (Un-)Angemessenheit . . . . . . . . . . Impoliteness und Intention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Impoliteness und (Un-)Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . (Im)politeness in computervermittelter Kommunikation . . . . . Kulturabhängigkeit von (im)politeness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit: Positionierung dieser Studie . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsüberblick II: Sprachwissenschaftliche Beschwerdeforschung . Ansätze der sprachwissenschaftlichen Beschwerdeforschung Die wichtigsten Perspektiven: Sprechakt-, Konversations- und Textsorten-(Genre-)Analyse . . . . . Kontrastive Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwerden: Versuch(e) einer Definition und Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klassifikation als expressive, face-threatening acts . . . . Schwierigkeit der Definition von Beschwerden . . . . . . Unterscheidung in direkte/ indirekte Beschwerden . . . 3.3 53 3.3.1 53 3.3.2 62 3.3.3 64 3.3.4 68 3.4 72 4 75 4.1 75 4.2 77 4.3 78 4.4 81 4.5 84 4.6 92 4.7 96 4.8 99 4.9 101 5 103 5.1 103 5.1.1 103 5.1.2 106 5.1.3 109 5.1.4 111 5.1.5 112 5.1.6 115 5.2 118 5.3 119 6 123 6.1 123 6.2 125 Sprachwissenschaftliche Studien zu Beschwerden . . . . . . . . . . Elizitierte Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Authentische mündliche Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Authentische schriftliche Daten: Beschwerdebriefe . . . Authentische Daten in CvK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit: Desiderate und Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . Facebook-Beschwerden: Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Institutionelle Kommunikation und kontrastive Pragmatik . . Unternehmenskommunikation im Zeitalter des Electronic Word-of-Mouth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau der untersuchten Facebook-Seiten . . . . . . . . . . . . . . . . Technologische Einflussfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziale Einflussfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommunikationstheoretische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . Der Kontext: Aufbau der Threads . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Facebook-Beschwerden als Textsorte (genre)? . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit und Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Korpus und Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Korpuserstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswahl der Facebook-Seiten und Fokussierung auf die initiale Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswahl der Beschwerdeposts: Arbeitsdefinition . . . . . Erhebung und Auswertung des Probekorpus: Implikationen für die Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Technische Aufbereitung und Taggen des endgültigen Datenkorpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor- und Nachteile des gewählten Korpus . . . . . . . . . . . Ethische Fragen der Korpuszusammenstellung . . . . . . . Korpusaufbau: statistische Eckdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsfragen der korpusbasierten Untersuchung . . . . . . Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung und methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erläuterung der moves . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 6.3 133 6.3.1 133 6.3.2 135 6.3.3 136 6.4 139 6.4.1 139 6.4.2 144 6.4.3 146 6.4.4 148 6.5 158 6.6 160 6.7 161 7 165 7.1 165 7.2 166 7.2.1 167 7.2.2 170 7.2.3 172 7.2.4 174 7.2.5 174 7.2.6 175 7.2.7 176 7.3 178 7.4 181 7.5 188 7.6 192 7.7 200 7.8 205 Überblick: Aufbau der Beschwerdeposts . . . . . . . . . . . . . . . . . . Häufigkeit der einzelnen moves in den Beschwerdeposts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zahl der Move-Typen in den Beschwerdeposts . . . . . . Reihenfolge der einzelnen moves in den Beschwerdeposts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorkommen und sprachliche Realisierung einzelner moves . . Briefrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buffer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwerdegrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele: Zusammenwirken der moves . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Direktheitsgrad der Beschwerde als Ganzes . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strategien des Verstärkens - externe Modifikation: supportive moves . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolle als Kunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönliche negative Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . Unterstellung von Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wiederholung des Beschwerdegrunds oder der Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitangabe zum Auftreten des Beschwerdegrunds . . . . Solidaritätsbekundungen unter Kunden . . . . . . . . . . . . . Strategien des Verstärkens - interne Modifikation: upgraders CvK-spezifische typografische Hervorhebungsverfahren . . . . Strategien des Abschwächens: downgraders . . . . . . . . . . . . . . . Ironie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Metakommunikative Äußerungen von Kunden I: (Im)politeness-Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt 8 207 8.1 207 8.2 212 8.2.1 212 8.2.2 219 8.3 229 8.3.1 229 8.3.2 241 8.3.3 244 8.4 249 8.5 250 9 253 9.1 253 9.2 256 9.3 267 9.4 276 281 301 303 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstdarstellung und self-reference . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strategien der Selbstdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formen der self-reference . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Other-reference . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formen der Referenz auf das Unternehmen . . . . . . . . . Formen der Referenz auf andere Kunden, Bekannte etc. Direkte und indirekte Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . Metakommunikative Äußerungen von Kunden II: Kommunikationssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Facework in Facebook-Beschwerden: Diskussion vor (Im)politeness-Modellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschwerden im deutsch-italienischen Vergleich . . . . . . . . . . . Desiderate und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt Danksagung Bedanken möchte ich mich bei allen, die mich während der Entstehung der vorliegenden Arbeit und bei ihrer Publikation unterstützt haben. Mein besonderer Dank gilt meiner Doktormutter, Prof. Dr. Christiane Maaß, die die Arbeit durch zahlreiche Hinweise, kritische Fragen und schnelle Rückmel‐ dungen überaus konstruktiv und engagiert begleitet hat. Ebenso herzlich ge‐ dankt sei Prof. Dr. Sabine Koesters Gensini für wichtige Impulse und Anre‐ gungen, ganz besonders in der Anfangszeit, und die Übernahme des Zweitgutachtens. Außerdem danke ich allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des sprach- und kulturwissenschaftlichen Forschungskolloquiums an der Universität Hannover, geleitet von Prof. Dr. Lidia Becker, Prof. Dr. Bettina Kluge und Prof. Dr. Chris‐ tiane Maaß, für inspirierende und fruchtbare Diskussionen, von denen die Ar‐ beit in ihren verschiedenen Phasen sehr profitiert hat. Prof. Dr. Gudrun Held danke ich für den anregenden Austausch und die Möglichkeit, das Projekt in ihrem Salzburger Kolloquium vorzustellen. Für wertvolle Hinweise, ihre Hilfe und Unterstützung gebührt mein Dank Dr. Stefania De Lucia, Dr. Till Keyling, Pierre Krügel, Dr. Gregorio Moppi, Prof. Dr. Nadine Rentel, Dr. Goranka Rocco und Dr. Jonas Rumpf. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) hat es mir durch ein neunmonatiges Stipendium ermöglicht, die Arbeit entscheidend voranzu‐ bringen. Corina Popp und Dr. Valeska Lembke vom Narr Franck Attempto Verlag GmbH + Co. KG danke ich für die freundliche Zusammenarbeit und en‐ gagierte redaktionelle Betreuung. Für den großzügigen Druckkostenzuschuss bin ich dem Promotionsausschuss des Fachbereichs 3 der Universität Hildesheim zu besonderem Dank verpflichtet. Herzlich danken möchte ich auch meinen Eltern, meiner Familie und meinen Freundinnen und Freunden für ihre vielfältige Unterstützung und ihr Interesse an meinem Projekt. 1 Aus Gründen der Lesbarkeit wird hier und im Folgenden - ungeachtet der Genderdis‐ kussion - bei Personenbezeichnungen nur die männliche Form verwendet. Ich bitte darum, die jeweils weibliche Form mitzudenken. 1 Einleitung 1.1 Thema der Arbeit und Begründung Beschwerden werden alltäglich in vielerlei Zusammenhängen und Konstellati‐ onen geäußert: mündlich, schriftlich, postalisch oder in elektronischer Form, an Adressaten wie Unternehmen, Behörden, Organisationen, Vorgesetzte, die Fa‐ milie oder Freunde 1 . Wir beschweren uns direkt beim Verursacher der Be‐ schwerde oder dem Verantwortlichen, aber auch bei Menschen, die nichts damit zu tun haben. Wir wollen mit unseren Beschwerden Wiedergutmachung errei‐ chen - vielleicht aber auch nur unserem Ärger Luft verschaffen. Die vorliegende Studie befasst sich mit Kundenbeschwerden an Unter‐ nehmen. Während sich zahlreiche kommunikations- und wirtschaftswissen‐ schaftliche Studien, Lehrbücher und Leitfäden mit der Analyse von Kundenbe‐ schwerden und der Ausgestaltung des Complaint-Handlings seitens des Unternehmens beschäftigen (S TAU S S / S EID E L 2014), gibt es aus sprachwissen‐ schaftlicher Sicht bislang vergleichsweise wenige Arbeiten zu diesem Untersu‐ chungsgegenstand, beispielsweise zur Beschwerdekommunikation in Telefon‐ hotlines (u. a. M ÁR QU E Z R E IT E R 2005; O R THAB E R / M ÁR Q U EZ R E IT E R 2011) oder zu Reklamationsgesprächen (S CHNI ED E R S 2005). In einer Online-Kultur, die Konsumenten zum Teilen ihrer Erfahrungen über Bewertungen und Rezensionen sowie zur Weitergabe ihres Feedbacks an die Unternehmen selbst ermutigt, spielt aber auch das Internet als Plattform für Kundenbeschwerden eine immer größere Rolle (H E NNIG -T HU RAU E T AL . 2010). Das gilt auch für Social Media wie Facebook oder Twitter. Damit gerät eine Kommunikation in die Öffentlichkeit, die bislang weitgehend in geschlossenen Kanälen zwischen Unternehmen und Kunden stattfand. Die vorliegende Studie nimmt diese Entwicklung zum Anlass, einen Ausschnitt aus dieser Kommuni‐ kation aus linguistischer Sicht zu beschreiben: Kundenbeschwerden auf dem sozialen Netzwerk Facebook. Hierfür wurden Facebook-Seiten von Telekommunikationsunternehmen ausgewählt, weil sich Kundenbeschwerden dort in außergewöhnlich großer Dichte finden (E INWILL E R / S T E IL EN 2015: 199). Häufige Themen sind beispiels‐ 2 Alle Texte wurden ohne Änderungen so übernommen, wie sie auf Facebook erschienen sind. Das Korpus der Arbeit bilden jeweils 400 deutsch- und italienischsprachige Be‐ schwerden. Die Zahl hinter dem Kürzel DE bzw. IT gibt die Nummer der jeweiligen Beschwerde an. weise mangelnde Netzabdeckung, überhöhte Rechnungen, unerwünschte Leis‐ tungen oder das lange Warten auf einen Techniker. Das folgende Beispiel illustriert eine Kundenbeschwerde, wie sie Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind. (DE124) 2 Was ist bei Vodafone los? Bin bzw. war jahrelang zufriedener Kunde. Bei meiner jetzigen Vertragsverlängerung klappt absolut nichts mehr! ! ! Mein neues Handy sollte mir 3-4 Tage später geliefert werden. Nach einer Woche mal höflich nachgefragt, bekam ich die Antwort, das gibt es nicht mehr. Ich sollte mir ein anderes aussuchen. Gesagt, getan. Falls es bis zum 22.09. nicht geliefert werden kann, würde man sich um mich kümmern. Passiert ist nichts! ! Heute wieder angerufen. Erfolg? Ich müsste noch mal mindestens eine Woche warten! ! ! Sind nur Neukunden mit großen Verträgen wichtig? ? ? Scheint fast so. Wirklich schade. Da bleibt mir ja nur, den Anbieter zu wechseln. Der Kunde schildert den Kontext der Beschwerde und den eigentlichen Be‐ schwerdegrund: Er hat das ihm aufgrund seiner Vertragsverlängerung zuste‐ hende Handy auch bei der zweiten Bestellung nicht erhalten, muss weiterhin warten. Mit Fragen wie „Sind nur Neukunden mit großen Verträgen wichtig? ? “ und Formulierungen wie „Wirklich schade“ verleiht er seinem Ärger und seiner Enttäuschung Ausdruck; wiederholte Satzzeichen dienen der Verstärkung, ge‐ naue Zeitangaben („3-4 Tage später“, „bis zum 22.09.“) verdeutlichen die wie‐ derholten Versäumnisse des Unternehmens. Abschließend droht der Kunde damit, den Anbieter zu wechseln. Sich selbst stellt er in der Beschwerde als jahrelangen, bislang immer zufriedenen Kunden dar - der zudem „höflich“ nachfragt. Das Unternehmen selbst wird im Post zwar genannt, die Unterneh‐ mensmitarbeiter werden aber an keiner Stelle direkt angesprochen, auch eine einleitende Anrede fehlt - mit der gleichen Formulierung könnte der Schreiber seinen Unmut auch gegenüber einem Bekannten äußern. In welchem Teil des Textes wird nun die eigentliche Beschwerde vollzogen? Es wird schnell deutlich, dass sich diese Frage kaum sinnvoll beantworten lässt, denn auch einzelne Abschnitte für sich genommen könnten bereits als Be‐ schwerde klassifiziert werden. Beschwerden stellen mithin ein komplexes Zu‐ sammenspiel verschiedener moves wie Beschwerdegrund, Kontext, Verärgerung 12 1 Einleitung oder Drohung dar (M U R PHY / N E U 1996) - und können auch gänzlich anders als das gerade zitierte Beispiel aussehen. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es zum einen, einen Beitrag zur sprachwis‐ senschaftlichen Beschwerdeforschung zu leisten. Die moves, die die Kunden bei der sprachlichen Formulierung ihrer Beschwerden wählen, werden im Detail beschrieben. Welche inhaltlichen Bestandteile und welche Verfahren der Ver‐ stärkung und Abmilderung lassen sich ausmachen? Wer wird in der Beschwerde wie angesprochen? Dabei knüpft die Arbeit zum einen an sprachwissenschaft‐ liche, insbesondere Sprechakt- und Textsorten-(Genre-)analytische, daneben auch konversationsanalytische Forschungen zu Beschwerden an. Die meisten dieser Arbeiten basieren auf z. B. über discourse completion tests elizitierten Daten (u. a. B LUM -K ULKA E T AL . 1989) oder auf mündlicher Kommunikation (u. a. M ÁR Q U EZ R E IT E R 2005, 2013). Dagegen liegen erst wenige Arbeiten zu Be‐ schwerden in authentischer schriftlicher - und im Speziellen in computerver‐ mittelter Kommunikation (CvK) - vor (u. a. M E INL 2010; D AYT E R / R ÜDIG E R 2014). In den Forschungsbericht beziehe ich auch Ansätze und Erkenntnisse aus Stu‐ dien ein, die sich mit online veröffentlichten Kundenrezensionen beschäftigt haben (u. a. V ÁS QU E Z 2011, 2013, 2014a, b). Zum anderen leistet die Arbeit einen Beitrag zur (Im)politeness-Forschung: Verschiedene theoretische Ansätze der (Im)politeness-Forschung sollen in ihrem Erklärungsgehalt für die Gestaltung der Beschwerden diskutiert und hinterfragt werden. Oft werden Respektlosigkeit und Aggressivität in der Internetkommu‐ nikation beklagt; die Kunden selbst verteidigen ihren Stil aber häufig - ebenso wie den anderer Kunden. Die für die Studie ausgewählten Unternehmen gehen auf die Posts ein und beantworten sie; von der Seite entfernt werden nur wenige. Wie lässt sich diese Art von Kommunikation in die postmodernen (Im)polite‐ ness-Theorien einordnen? Während sich sprachwissenschaftliche Untersuchungen zu CvK angesichts der Dominanz der englischen Sprache im Internet lange vor allem auf englisch‐ sprachige Texte gestützt hatten und die Forschungslage hier mittlerweile ver‐ gleichsweise gut ist, sind erst nach und nach Arbeiten auch für Sprachen wie das Deutsche und Französische sowie - in geringerem Maße - für weitere Spra‐ chen entstanden (vgl. H E R R ING ET AL . 2013: 4), sodass hier gegenüber dem Eng‐ lischen noch größerer Nachholbedarf besteht. Nach wie vor gilt: „There is a pressing need for systematic cross-linguistic studies that make use of similar methods in similar contexts involving different languages“ (D AN E T / H E R R ING 2007: 28). Für einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn zu möglichen sprach-/ kulturspezifischen Ausprägungen soll die Studie anhand des Sprachenpaars Deutsch/ Italienisch durchgeführt werden. 13 1.1 Thema der Arbeit und Begründung Die Wahl der Sprachkombination beruht dabei auf mehreren Erwägungen: Es soll ein deutschsprachiges Korpus erstellt und neben der umfangreichen englischsprachigen Forschungsliteratur auch speziell die zum Deutschen aus‐ geprägt gute Forschungslage für CvK genutzt werden. Da für Beschwerden in diesen beiden Sprachen zwar einige Einzelstudien, aber bislang keine vergleichenden linguistischen Untersuchungen vorliegen, geht diese Arbeit nur von einzelnen zu überprüfenden Hypothesen aus, verfolgt aber im Wesentlichen einen Bottom-up-Ansatz. Unterschiedliche Kulturstandards im deutsch-italieni‐ schen Vergleich - wie ein höherer Direktheitsgrad im Deutschen, stärker aus‐ geprägte Emotionalität im Italienischen -, die in der Literatur auch im Hinblick auf potenzielle interkulturelle Missverständnisse beschrieben wurden (u. a. K AUNZN E R 2009), sowie die verbreitete Einordnung des Italienischen als ten‐ denziell stärker auf positive politeness hin orientiert führen zu der Frage, ob sich Unterschiede auch im Beschwerdeverhalten in beiden Korpora zeigen. Erkennt‐ nisse zum kulturell determinierten Beschwerdeverhalten von Kunden sind be‐ reits Teil von Handbüchern zum Beschwerdemanagement (S TAU S S / S E ID E L 2014: 565 ff.) und von Einzelstudien. Ein Ziel dieser exemplarischen Studie wird es also sein, mögliche einzelsprachliche Konventionen herauszuarbeiten, die sich für das Deutsche und das Italienische ausgebildet haben. Mit ihrem Untersuchungsgegenstand ordnet sich die vorliegende Studie in den Bereich der Sprachverwendung im Internet bzw. in CvK ein, in dem prag‐ matische Forschungen erst in jüngerer Zeit an Raum gewonnen haben. Eine erhebliche Forschungslücke lässt sich weiterhin für Web-2.0-Phänomene wie Wikis, Microblogging und soziale Netzwerke konstatieren (H E R R ING E T AL . 2013: 5): Angesichts der schnellen Entwicklungen in der Online-Kommunika‐ tion - und gerade im Web 2.0 - sind zahlreiche Textsorten, Sprechakte und Diskurse aus sprachwissenschaftlicher Sicht noch nicht hinreichend untersucht worden. Darunter fallen auch Beschwerden, deren exemplarische Analyse Ge‐ genstand der vorliegenden Studie ist. 1.2 Forschungsfragen und Aufbau der Arbeit Das oben stehende Beispiel hat die wesentlichen Untersuchungsgegenstände dieser Arbeit bereits illustriert: • inhaltliche Strukturen (moves) der untersuchten Online-Beschwerden • Mittel interner und externer Modifikation 14 1 Einleitung 3 Um die Schreiber, die einen initialen Beschwerdepost veröffentlichen, terminologisch von anderen Schreibern wie den Kommentatoren abzugrenzen, soll im Folgenden häu‐ figer von Beschwerdeführern die Rede sein. Der eigentlich in anderen Zusammenhängen verwendete juristische Terminus entspricht im Rahmen dieser Arbeit also dem engli‐ schen complainant (im Gegensatz zum beschuldigten Unternehmen, dem complainee). • Referenzen der Beschwerdeführer 3 auf das Unternehmen, andere und sich selbst • Strategien der Selbstdarstellung Die theoretischen Grundlagen der Arbeit werden in einem Forschungsüberblick gelegt: zunächst zu (Im)politeness-Theorien, anschließend zur sprachwissen‐ schaftlichen Beschwerdeforschung. Diese Reihenfolge ist darin begründet, dass die Beschwerdeforschung immer wieder Bezug auf (Im)politeness-Modelle ge‐ nommen hat; die vorangehende Verortung dieser Modelle bietet daher eine gute Basis für das Verständnis der Beschwerdeforschung. In Abschnitt 2 werden also (Im)politeness-Theorien vorgestellt, zu deren Dis‐ kussion die Ergebnisse dieser Arbeit einen Beitrag leisten sollen, neben der klassischen von B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) insbesondere drei postmoderne: relational work (u. a. L O CHE R / W ATT S 2005), rapport management (u. a. S P E NC E R - O AT E Y 2000a, b) und der genre approach (u. a. G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH 2012). Abschnitt 3 enthält einen Überblick über die sprachwissenschaftliche Beschwer‐ deforschung. Er zeigt die Vielfalt an existierenden Studien und welchen Einfluss Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation auf die Ausgestaltung der Beschwerden haben können. Diese Studien bilden die Basis für die Analy‐ sekategorien, die ich für den empirischen Teil entwickelt habe; gleichzeitig werden die Ergebnisse dieser Arbeit vor ihrem Hintergrund diskutiert werden. In Abschnitt 4 werden Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation der hier untersuchten Beschwerden im Detail erörtert. Dazu gehören auch die Besonderheiten von CvK: technologische Einflussfaktoren, z. B. der Post als Nach‐ richtenformat, Asynchronizität, die Möglichkeit zur Veröffentlichung von Links oder Bildern, ebenso wie soziale Einflussfaktoren, z. B. die öffentliche Zugäng‐ lichkeit der Posts, ihr Thema und in der Netiquette verankerte Normen (H E R‐ R ING 2007). Abschnitt 5 leitet zum empirischen Teil der Arbeit über: Er beschreibt zum einen die Erstellung des Korpus aus Kundenbeschwerden, das der quantitativen Auswertung zugrunde liegt; zum anderen werden Forschungsfragen und Me‐ thoden vorgestellt, wie sie sich aus dem zuvor geschilderten Forschungsdefizit und dem Untersuchungsgegenstand selbst heraus ergeben. 15 1.2 Forschungsfragen und Aufbau der Arbeit Die Abschnitte 6 bis 8 enthalten die Ergebnisse der empirischen Studie und leisten einen Beitrag zur Beschwerdeforschung. Die Analyse ist dabei sowohl qualitativer wie auch quantitativer Natur. Abschnitt 6 befasst sich mit dem in‐ haltlichen Aufbau der Beschwerdeposts, den moves. Dazu gehören auch Be‐ trachtungen zur Reihenfolge der einzelnen moves sowie zum Direktheitsgrad der Beschwerde als Ganzes. Abschnitt 7 analysiert Mittel zur internen und ex‐ ternen Modifikation der Beschwerden. Studien haben gezeigt, dass Sprecher - abhängig von Faktoren wie dem Gewicht des Beschwerdegrunds, der Macht‐ verteilung zwischen den Interaktionspartnern, aber auch ihrem sprach‐ lich-kulturellen Hintergrund - verschiedene Verfahren der internen und ex‐ ternen Modifikation ihrer Beschwerden heranziehen. Auch CvK-spezifische Hervorhebungsverfahren werden hier berücksichtigt. In Abschnitt 8 werden Er‐ kenntnisse aus den vorangegangenen Abschnitten sowie weitere Strategien im Hinblick auf die Selbstdarstellung des Beschwerdeführers ausgewertet. Außerdem werden die Referenzen auf Schreiber, Unternehmen und andere Kunden untersucht, um dem Untersuchungskontext Rechnung zu tragen: Denn die Beschwerden werden im öffentlichen Raum geäußert und können auch von Dritten rezipiert werden. Die Ergebnisse aus den Abschnitten 6 bis 8 werden am Ende jedes Abschnitts zusammengetragen und vor dem Hintergrund anderer sprachwissenschaftlicher Studien zu Beschwerden diskutiert. In Abschnitt 9 schließlich fasse ich die wichtigsten Ergebnisse aus dem empirischen Teil zu‐ sammen. Erst an dieser Stelle sollen sie vor dem Hintergrund der verschiedenen (Im)politeness-Modelle diskutiert werden. Während bei den theoretischen Grundlagen (Abschnitt 2 und 3) also zunächst die (Im)politeness-Modelle und anschließend die Beschwerdeforschung dargestellt wurden, ist die Reihenfolge im hinteren Teil der Arbeit naturgemäß umgekehrt: In den Abschnitten 6 bis 8 wird die sprachliche Gestaltung der Beschwerden im Detail dargestellt und dis‐ kutiert; welchen Beitrag diese empirischen Ergebnisse zu bestehenden (Im)po‐ liteness-Modellen leisten, kann erst abschließend hinterfragt werden. Es folgen eine Zusammenschau der Ergebnisse des deutsch-italienischen Ver‐ gleichs sowie Desiderate. 16 1 Einleitung 2 Forschungsüberblick I: (Im)politeness-Theorien Die sprachliche Gestaltung von Beschwerden soll vor dem Hintergrund ausge‐ wählter Politeness-Theorien erörtert werden. Aus der Zeit vor den postmodernen Theorien wird nur das einflussreiche Modell von B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) diskutiert (vgl. 2.1), wichtige Ansätze wie den von L E E CH (1983) muss ich aus Platzgründen übergehen. Nachdem die prinzipiellen Unterschiede zwischen (im)politeness 1 und (im)politeness 2 erläutert wurden (vgl. 2.2), stelle ich verschie‐ dene postmoderne Ansätze vor (vgl. 2.3). Im Speziellen wird dann die Bedeutung diskutiert, die Intention und (Un-)Angemessenheit (vgl. 2.4), computervermit‐ telte Kommunikation (vgl. 2.5) sowie kulturelle Einflüsse (vgl. 2.6) für (im)poli‐ teness haben. In 2.7 arbeite ich die Positionierung der vorliegenden Studie he‐ raus. In dieser Arbeit ziehe ich in weiten Teilen englischsprachige Terminologie wie (im)politeness und face heran, wie sie auch in anderen Philologien aufge‐ griffen wurde. 2.1 Politeness als Face-saving-Strategie: Kritik und Grenzen Das bis heute sicher einflussreichste und bekannteste Höflichkeitsmodell ist das von B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987). Eine zentrale Rolle spielen darin das Kon‐ zept des face in Anlehnung an G O F FMAN (1967), face-threatening acts (FTAs) und Höflichkeitsstrategien zu ihrer Abmilderung (mitigation). G O F FMAN (1967: 5) prägte das Konzept des face als „image of self “, „delineated in terms of approved social attributes“. Er definiert face als „[t]he positive social value a person ef‐ fectively claims for himself by the line others assume he has taken during a particular contact“. Das Face-Konstrukt wird nach Goffman von anderen zuge‐ wiesen, in Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Regeln und Normen auf der einen oder den spezifischen Kommunikationsbedingungen auf der anderen Seite. B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987: 61) erweitern G O F FMAN S (1967) Face-Begriff, indem sie ihn in die zwei Kategorien negative face und positive face spalten. Unter negative face verstehen B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987: 61) dabei „the basic claim to territories, personal preserves, rights to non-distraction - i. e. the freedom of action and freedom from imposition“, unter positive face „the positive consistent self-image or ‚personality‘ (crucially including the desire that this self-image be appreciated and approved of) claimed by interactants“. Diese beiden Aspekte stellen für sie die basic wants jedes Mitglieds einer Gemeinschaft dar (B R OWN / L E VIN S ON [1978]1987: 62). Das Wissen jedes - rational und strategisch agierenden - Sprechers um ihre Universalität führt in ihrem Modell dazu, dass er ein Interesse daran hat, auch die face wants seines Gesprächspartners zumindest teilweise zu respektieren (B R OWN / L E VIN S ON [1978]1987: 58). Durch die Realisierung von Sprechakten aber laufen Sprecher Gefahr, das (positive oder negative) face des Hörers sowie ihr eigenes face zu beeinträch‐ tigen, denn bestimmte Sprechakte wie Bitten und Vorschläge stellen zwangs‐ läufig FTAs dar. Eine rational handelnde Person wird FTAs zu vermeiden oder wenigstens abzumildern suchen, indem sie zwischen der Notwendigkeit, (1) den Inhalt des FTA zu übermitteln, (2) effizient zu kommunizieren und (3) das face des Hörers zu wahren, abwägt (B R OWN / L E VIN S ON [1978]1987: 68). Daraus er‐ geben sich für den Sprecher fünf Handlungsoptionen, von Strategie 1, der un‐ missverständlichen, direkten Äußerung (without redressive action, baldly), über Strategie 2 (with redressive action - positive), Strategie 3 (with redressive action - negative) und Strategie 4 (off record) bis hin zu Strategie 5, der gänzlichen Ver‐ meidung des FTA (don’t do the FTA) (B R OWN / L E VIN S ON [1978]1987: 68-71). Die Entscheidung des Sprechers für eine bestimmte Strategie ist nach B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987: 71) von a priori angestellten Überlegungen abhängig. In die Einschätzung des Risikos eines vermuteten Face-Verlusts fließen drei Varia‐ blen ein (B R OWN / L E VIN S ON [1978]1987: 74): (1) die vom Sprecher wahrgenom‐ mene soziale Distanz (D) zwischen Sprecher (S) und Hörer (H), (2) die wahrge‐ nommene relative Machtverteilung (P) zwischen S und H und (3) das wahrgenommene Ranking (R x ) des Gewichts, das der Beschwerdegrund inner‐ halb der jeweiligen Kultur hat (imposition) (B R OWN / L E VIN S ON [1978]1987: 76). Je höher der Sprecher das Risiko für einen Face-Verlust einschätzt, eine desto weniger direkte und damit „höflichere“ der fünf Strategien wird er tendenziell wählen. Kritisiert wurde B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) Modell insbesondere dafür, dass seine Autoren den Zweck von politeness ausschließlich in der Vermeidung von Konflikten sehen, indem sie von der oben genannten Idee ausgehen, dass Kommunikation aus rationalen Erwägungen heraus immer auf die Verbesserung und Stärkung zwischenmenschlicher Beziehungen abzielt. Problematisch scheint auch, dass B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) den Grad an Indirektheit einer Äußerung als positiv korreliert mit dem Grad an politeness sehen (H E LD 1995: 78; L O CHE R 2004: 68-69). 18 2 Forschungsüberblick I: (Im)politeness-Theorien Die von B R OWN / L E VIN S ON definierten Variablen P, D und R x wurden zur Be‐ schreibung von Kontext und herrschenden Normen als unzureichend angesehen (L O CHE R 2004: 69). Schließlich ist auch die gänzliche Ausblendung des kommu‐ nikativen Kontextes, der interaktionalen und dynamischen Aspekte von Kom‐ munikation Gegenstand der Kritik gewesen. Postmoderne oder „diskursive“ Höflichkeitstheorien stellen dagegen darauf ab, dass politeness nicht auf Satz‐ ebene definiert werden kann, sprachliche Formen also nicht inhärent (im)polite sein können. Der Komplexität des Kontextes und Aushandlungsprozessen zwi‐ schen den Teilnehmern tragen sie so stärker Rechnung. Kritisiert wurde auch, dass B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) Kommunikation als prinzipiell rational und objektivierbar beschreiben, sich auf (vom Hörer re‐ konstruierte) Sprecherintentionen konzentrieren, Äußerungen als monofunk‐ tional und von einem einzelnen Sprecher an einen einzelnen Adressaten ge‐ richtet ansehen und sich auf die Untersuchung von Lexik und Grammatik beschränken. Damit kommt dem face des Sprechers in der Theorie B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) - in Anbetracht seiner zentralen Bedeutung - generell eine zu geringe Rolle zu (u. a. H E LD 1995: 78). S CHRADE R -K NI F F KI (2014: 377-378) kritisiert eine daraus resultierende Konzentration auch von Folgestudien auf das face des Adressaten: politeness werde dort vielfach, insbesondere in der spa‐ nischsprachigen Tradition, nicht als „self-directed behaviour“, sondern insbe‐ sondere als „benefit of face work for ALTER“ definiert. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund wurde der Face-Begriff in der For‐ schung vielfach weiterentwickelt. Für den Kontext dieser Studie besonders in‐ teressant ist C HEN (2001), der die Konzepte des self-face und der self-politeness vorschlägt - und diese der other-politeness gegenüberstellt, denn: „the face of the speaker […] is as vulnerable as the face of the hearer […]“ (C HE N 2001: 89). Ausgehend von B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) entwickelt C HEN (2001) ergän‐ zende Superstrategien, die ein Sprecher zum Schutz seines self-face einsetzt. Dabei bezieht sich das self-face nicht nur auf das face des Individuums, sondern auch auf dieses umgebende Menschen und/ oder auf Merkmale wie die eigene Zugehörigkeit zu einem bestimmten Beruf oder die eigene Expertise in einem Fachgebiet; das Gleiche gilt für other-face. Die wenigsten Sprechakte lassen sich allerdings ausschließlich dem Schutz des self-face oder dem Schutz des other-face zuordnen; für eine korrekte Verortung und Gewichtung des Ziels, das der Spre‐ cher mit ihnen verfolgt, ist insbesondere die Berücksichtigung ihres Kontexts entscheidend. 19 2.1 Politeness als Face-saving-Strategie: Kritik und Grenzen 2.2 (Im)politeness 1 und (im)politeness 2 Aus der Kritik an dem soeben skizzierten Höflichkeitsmodell von B R OWN / L E‐ VIN S ON ([1978]1987) heraus prägte E E L E N (2001: 30 ff.) die Unterscheidung zwi‐ schen (im)politeness 1 und (im)politeness 2 . Die beiden Konzepte unterscheiden sich hinsichtlich des eingenommenen Standpunktes: Während Se‐ cond-Order-Ansätze (politeness 2 ) Theorien entwickeln, um (im)politeness an for‐ malen, möglichst objektivierbaren Merkmalen/ Kriterien festzumachen, und damit zu wissenschaftlichen Konzepten von (im)politeness führen, basieren First-Order-Ansätze (politeness 1 ), wie E E L E N (2001) sie vorschlägt, auf dem Urteil der Beteiligten - und damit sprachwissenschaftlicher Laien - selbst. Während Politeness 2 -Ansätze in erster Linie versuchen, aus einer Äußerung Rückschlüsse auf die Intention des Sprechers abzuleiten, legen Politeness 1 -Ansätze das Haupt‐ gewicht auf die Beurteilung einer Äußerung durch den Adressaten und messen der Intention des Sprechers eine untergeordnete Rolle bei. Dabei wird die Wahr‐ nehmung des Adressaten als prinzipiell unabhängig von der Intention des Spre‐ chers betrachtet (L O CHE R / W ATT S 2008: 80): Sprecher und Hörer können ein und dieselbe Äußerung unterschiedlich interpretieren. Mit der Abkehr von einer Sicht, die Äußerungen als inhärent (im)polite be‐ greift, verändert sich allerdings das Selbstverständnis des Forschers deutlich: Wenn den Urteilen der Interaktanten die größte Bedeutung beigemessen wird, erfährt die Rolle des Forschers in gewisser Weise eine Abwertung (M ILL S 2011: 45) oder wird gar überflüssig (H OLME S 2005: 115). Von anderen Forschern wird der Politeness 1 -Ansatz aus diesem Grunde kritisiert: So hält T E R KO U RAF I (2005: 245) es für bedauerlich, dass es Forschern unmöglich werde, Verallge‐ meinerungen über (im)politeness zu treffen: „But an a priori denial of the pos‐ sibility of prediction amounts to denying the possibility of theorizing about po‐ liteness at any level (even at the level of participants’ folk theories about politeness)“ - auf diese Weise aber verharrten die Forscher in der Beschreibung, ohne Erklärungen geben zu können. Während Politeness 2 -Ansätze dafür kritisiert werden, Äußerungen losgelöst von ihrem Kontext als inhärent polite oder impolite zu beurteilen, sehen sich Vertreter des Politeness 1 -Ansatzes vor die Schwierigkeit gestellt, dass Urteile der Interaktionspartner oft nur schwer zugänglich sind. Analysen, die einen first order approach sensu stricto verfolgen, laufen damit Gefahr, dass sich umfassen‐ dere Muster und Dynamiken nicht abzeichnen (S I F IANO U / T ZANN E 2010: 664). Beispielsweise weichen L O CHE R / W ATT S (2008: 95) mangels expliziter Wer‐ tungen wie impolite oder aggressive in der Analyse eines Fernsehinterviews auf affektive Reaktionen wie „for God’s sake let me answer“ oder Anschuldigungen 20 2 Forschungsüberblick I: (Im)politeness-Theorien wie „you interrupted me once“ aus; auch nonverbale Äußerungen der Interak‐ tionsteilnehmer wie Gestik, Mimik und Körperhaltung können ihrer Auffassung nach in die Analyse einbezogen werden. Eine andere Möglichkeit sehen sie darin, das Fernsehpublikum nach seinen Beobachtungen zu fragen; die nachträgliche Erhebung von Einschätzungen Außenstehender sei allerdings proble‐ matisch, da es zu Diskrepanzen zwischen den Einschätzungen während und nach der Sendung kommen könne. In Studien, die dem Politeness 1 -Ansatz folgen, wird heute häufiger auf eigens zu diesem Zweck erhobene Daten, beispielsweise aus Tagebüchern, Fragebögen oder Fokusgruppen, zurückgegriffen als auf na‐ türlich auftretende (Beispiele bei G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH 2012: 65). Die meist zu geringe Verfügbarkeit von Politeness 1 -Daten hat zu einer Reihe neuerer Ansätze geführt, die den Politeness 2 mit einer dem Politeness 1 -Ansatz entstammenden diskursiven Perspektive zu kombinieren versuchen. Eine Reihe postmoderner Politeness 2 -Ansätze zieht also zusätzlich, soweit verfügbar, auch Einschätzungen der Interaktanten selbst oder andere Kontextinformationen heran, die zu einer Interpretation der Daten beitragen können. Bei aller wechselseitiger Kritik konstatiert C UL P E P E R (2010: 3234-3235), dass Vertreter des (Im)politeness 1 wie auch Vertreter des (Im)politeness 2 -Ansatzes dazu tendierten, die Positionen der jeweils anderen Seite - zu Unrecht - zu verabsolutieren. Auch E E L E N (2001: 30) merkt an, dass die Unterscheidung zwi‐ schen beiden Ausrichtungen in keinem Fall leicht zu treffen sei. 2.3 Postmoderne Ansätze: relational work, rapport management, genre approach Als postmoderne Ansätze sollen im Folgenden relational work (u. a. L O CHE R / W ATT S 2005), rapport management (u. a. S P E NC E R -O AT E Y 2000a, b) und genre approach (u. a. G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH 2012) in ihren Grundzügen bespro‐ chen werden. Relational work und rapport management lassen sich als Polite‐ ness 1 -Ansätze verorten, während G AR CÉ S -C ONE J O S B LITVICH S genre approach eine Annäherung der beiden Perspektiven anstrebt. Dabei sollen im Mittelpunkt der Vorstellung insbesondere die Bedeutung von face und Beziehungsorientie‐ rung (relational work/ facework/ rapport management) stehen; im darauf fol‐ genden Abschnitt 2.4 wird es um die Frage von Intention und (Un-)Angemes‐ senheit (appropriateness) gehen, die gleichfalls vor dem Hintergrund aller drei Modelle diskutiert wird. 21 2.3 Postmoderne Ansätze: relational work, rapport management, genre approach 2.3.1 Relational work (L O CHE R / W ATTS ) Mit dem Ansatz der relational work tragen Locher und Watts (L O CHE R / W ATT S 2005, 2008; W ATT S 2005; L O CHE R 2006) der Politeness 1 -Perspektive Rechnung: Äußerungen werden nicht mehr in Isolation analysiert, sondern in ihrem Kon‐ text verortet; die Interpretation von Äußerungen durch die Teilnehmer selbst rückt in den Fokus. Gleichzeitig wird Äußerungen jeder Art neben ihrem ei‐ gentlichen Informationsgehalt auch ein Beitrag zur Gestaltung sozialer Bezie‐ hungen zugeschrieben (L O CHE R / W ATT S 2008: 78). Unter relational work verstehen die Autoren „the ,work‘ individuals invest in negotiating relationships with others“ (L O CHE R / W ATT S 2005: 10). Damit setzen sie sich begrifflich bewusst von B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) Konzept von face und facework ab, indem sie sich dem oben dargestellten Face-Begriff G O F F‐ MAN S (1967) wieder annähern. Während sie bei G O F FMAN (1967) die soziale Seite und bei B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) die kognitive Seite von face im Vorder‐ grund sehen, suchen L O CHE R / W ATT S (2008: 96) die beiden Perspektiven zu in‐ tegrieren: Relational work understands face as combining the two, in that what an individual develops as his/ her continual construction of self depends on social interaction, and social interaction takes place between individuals. Gleichzeitig wollen L O CHE R / W ATT S (2005: 11) mit der Prägung des Begriffs der relational work die Abkehr von B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) facework ver‐ deutlichen, die insbesondere mit der Abmilderung von FTAs assoziiert werde: Following Goffman we argue that any interpersonal interaction involves the partici‐ pants in the negotiation of face. The term „facework“, therefore, should also span the entire breadth of interpersonal meaning. This, however, is rarely the case in the lite‐ rature. Especially in accordance with Brown and Levinson’s Politeness Theory, „fa‐ cework“ has been largely reserved to describe only appropriate and polite behavior with a focus on face-threat mitigation, at the exclusion of rude, impolite and inap‐ propriate behavior. To avoid confusion and in favor of clarity we adopt „relational work“ as our preferred terminology […]. Damit umfasst relational work nicht nur Äußerungen, die als polite aufzufassen sind, sondern ein kontinuierliches Spektrum an Verhaltensweisen, die zwischen den Polen polite, appropriate, inappropriate und impolite angesiedelt sind. 22 2 Forschungsüberblick I: (Im)politeness-Theorien Abbildung 1: Relational work (W A T T S 2005: xliii) Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, fragt der Ansatz der relational work danach, ob Verhalten markiert ist oder nicht. Als markiert gilt unangemessenes (inap‐ propriate) Verhalten. Unmarkiertes Verhalten dagegen ist in einer spezifischen Kommunikationssituation als politic/ appropriate zu beurteilen. Als polite oder impolite beschriebenes Verhalten ist solches, das im Gegensatz hierzu nicht den Erwartungen entspricht. Als appropriate behavior kann aber nicht nur unmar‐ kiertes, sondern auch positiv markiertes Verhalten gelten, das wahrscheinlich als polite wahrgenommen wird. Dass die Unterscheidung zwischen unmarked behavior auf der einen und positively/ negatively marked behavior auf der anderen Seite nicht trennscharf sein kann, wird in Abbildung 1 mittels einer gestrichelten Linie verdeutlicht. In der unteren Hälfte von Abbildung 1 finden sich die verschiedenen Aus‐ prägungen von negatively marked behavior. Hierzu zählen impolite, rude und over-polite behavior. Die Darstellung mit den beiden einander in Pfeilform be‐ rührenden Enden des Spektrums verdeutlicht, dass die Wahrnehmung von rude und over-polite behavior als sehr ähnlich gesehen wird (W ATT S 2005: xliv). Dabei wird von over-politeness ausgegangen, wenn der Grad an politeness die Grenze der appropriateness überschreitet. Wie in allen anderen Fällen obliegt die Ent‐ scheidung hierüber dem Hörer. 23 2.3 Postmoderne Ansätze: relational work, rapport management, genre approach 4 L O C H E R S (2006) Ansatz greifen auch B O L A N D E R (2013) und F R ÖH L I C H (2015) auf. Das Kriterium der Angemessenheit (appropriateness) einer Äußerung in Bezug auf Normen, die in einer bestimmten Situation gültig sind, spielt damit eine wichtige Rolle im Konzept der relational work. L O CHE R / W ATT S (2008: 81) fassen diese Normen als „expectation frames“ auf. Besonderes Augenmerk richtet der Ansatz der relational work auch auf die Machtverhältnisse zwischen Interaktionspartnern und die Ausübung von Macht in Interaktionen. Macht wird dabei als eng verbunden mit der Wahrnehmung von impoliteness gesehen (L O CHE R / W ATT S 2008: 86). Während die Machtver‐ hältnisse bei B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987: 77) als Variable P in die Formel zur Berechnung des Gewichts eines FTA einfließen und damit als statisch und ge‐ geben angenommene Wahrnehmungen beschreiben, begreifen postmoderne Theorien Machtverhältnisse als dynamisch. In ihrer Studie zu einer Online-Ratgeberkolumne operationalisiert L O CHE R (2006: 115 ff.) den Ansatz der relational work, indem sie auf der einen Seite discursive moves (wie explanation, problem statement, question, thanks), auf der anderen Seite parallel hierzu Strategien von relational work ansetzt. 4 Die kom‐ munikativen Strategien der relational work ordnet L O CHE R (2006: 116) dabei in die drei Oberkategorien face-threatening, face-saving und involvement strategies ein und grenzt sich so von „bewertenden“ Kategorien wie over-polite, polite, impolite, rude oder politic (W ATT S 2005) ab. Bonding sieht sie als involvement strategy, hedging als face-saving strategy, boosting und criticizing als face-threa‐ tening strategies. Dabei sind die beiden Kategorien - discursive moves und rela‐ tional work - selbstverständlich nicht als trennscharf zu betrachten. So stellt L O CHE R (2006: 214) in Bezug auf ihre Unterteilung fest, dass beispielsweise die discursive moves apologies und thanks als hedging devices zu werten sind; der move complimenting dagegen als bonding. 2.3.2 Rapport management (S P ENC E R -O ATE Y ) Auch S P ENC E R -O AT E Y (u. a. 2000a, b, 2005, 2007, 2009, 2011) geht von einer Politeness 1 -Perspektive aus, indem sie (im)politeness definiert als „an evaluative label that people attach to behavior, as a result of their subjective judgments about social appropriateness“ (S P ENC E R -O AT E Y 2005: 97). Sie betont die doppelte Funktion sprachlicher Äußerungen: zum einen zur Informationsübermittlung, zum anderen zum Management sozialer Beziehungen (S P E NC E R -O AT E Y 2008: 12); es ist letzterer Aspekt, den sie in ihrem Modell abzubilden versucht. 24 2 Forschungsüberblick I: (Im)politeness-Theorien Dabei definiert S P E NC E R -O AT E Y (2002: 540) als ihren Untersuchungsgegen‐ stand nicht, wie andere Höflichkeitstheorien, nur (un)höflichen Sprachge‐ brauch, sondern Beziehungsmanagement - rapport management - im Allge‐ meinen. Ihr gleichnamiger Ansatz trägt den Ergebnissen einer von ihr durchgeführten Studie Rechnung, in der sie Probanden nach rapport sensitive incidents befragt hatte, nach Vorkommnissen aus sozialen Interaktionen also, die ihnen im Hinblick auf die Beziehung zum Interaktionspartner positiv oder negativ in Erinnerung geblieben sind (S P E NC E R -O AT E Y 2002). Die Probanden schilderten dort nicht nur Beispiele aus Gesprächen, sondern für Verhalten im Allgemeinen. S P E NC E R -O AT E Y (2005: 530) untersucht rapport management ins‐ besondere aus sozialpsychologischer Perspektive und fragt daher nach den zu‐ grunde liegenden Motiven der Interaktanten. Der Begriff des rapport manage‐ ment ist umfassender als der der facework: Neben dem management of face spielen in S P ENC E R -O AT E Y S Modell auch das management of sociality rights and obligations und das - erstmals in S P ENC E R -O AT E Y (2005) zusätzlich eingeführte - management of interactional goals eine entscheidende Rolle. Die drei Kategorien sind in ihrem Modell durch drei Kreise symbolisiert (vgl. Abbildung 2). Abbildung 2: Rapport management (S P E N C E R -O AT E Y 2008: 14) (Grafik außen ergänzt um zugehörige Kategorien) S P E NC E R -O AT E Y (2008: 13) greift für die erste ihrer drei Kategorien auf G O F F‐ MAN S Definition von face zurück: „[t]he positive social value a person effectively claims for himself by the line others assume he has taken during a particular contact“ (G O F FMAN 1967: 5, vgl. 2.1; Hervorhebung M. K.). Damit überwindet sie 25 2.3 Postmoderne Ansätze: relational work, rapport management, genre approach B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) vielfach kritisierte Fokussierung auf das per‐ sönliche oder individuelle face (S P ENC E R -O AT E Y 2000b: 15, 2007: 646), indem sie auch seinen sozialen Aspekt, also die Identität der Interaktanten innerhalb einer Gruppe, berücksichtigt. Hierzu unterscheidet sie drei Aspekte von face: quality face entspricht dem Wunsch, dass die eigenen Eigenschaften wie Fähigkeiten und Erscheinungsbild von anderen positiv bewertet werden, und kommt damit dem Konzept des positive face bei B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) nahe (S P E NC E R -O AT E Y 2002: 541). Das (social) identity face dagegen bezieht sich auf eine Gruppe und bezeichnet den Wunsch, in einer sozialen Rolle (z. B. als enger Freund oder geschätzter Kunde) respektiert zu werden (S P E NC E R -O AT E Y 2000b: 14, 2002: 541). Später fügt S P E NC E R -O AT E Y (2007, 2008) noch das relational face hinzu; unter relational versteht sie „the relationship between the partici‐ pants (e. g., distance-closeness, equality-inequality, perceptions of role rights, and obligations), and the ways in which this relationship is managed or negotiated“ (S P ENC E R -O AT E Y 2007: 647; Hervorhebung M. K.). Das relational face habe ich in Abbildung 2 eingeklammert: Wie C UL P E P E R E T AL . (2010: 610) halte ich die Ka‐ tegorie in dieser Definition für nicht zielführend, da sie den Verweis auf Rechte und Pflichten beinhaltet, die bereits in der - nachfolgend beschriebenen - Ka‐ tegorie der sociality rights einzuordnen sind. Sociality rights - als zweite Kategorie - lassen sich in equity rights und asso‐ ciation rights unterteilen. Erstere beschreiben den Wunsch von Interaktanten, fair behandelt zu werden: „in other words, that we are not unduly imposed upon, that we are not unfairly ordered about, and that we are not taken advantage of or exploited“ (S P ENC E R -O AT E Y 2000b: 14; ähnlich auch bei S P E NC E R -O AT E Y 2005: 100). Als entscheidend hierfür sieht S P E NC E R -O AT E Y (u. a. 2005: 100) Kosten-Nutzen-Kalküle, Gerechtigkeit und Reziprozität sowie Autonomiekon‐ trolle an. Damit entspricht S P E NC E R -O AT E Y S (2005) Definition der equity rights teils B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) Definition des negative face, geht aber - beispielsweise mit den Kosten-Nutzen-Kalkülen - darüber hinaus (S P E NC E R -O AT E Y 2002: 541). Die association rights stehen den equity rights ge‐ genüber, die dem jeweiligen Verhältnis zueinander angemessene Beziehungen mit anderen Menschen betreffen. Hierzu zählen, auf andere Menschen gerichtet: (1) involvement, also eine angemessene Menge und Art von Aktivitäten, (2) empathy, also Gefühle und Interessen, sowie (3) respect (S P E NC E R -O AT E Y 2005: 100). Sowohl face management wie auch management of sociality rights beinhalten damit auf der einen Seite eine persönliche Komponente (quality face bzw. equity rights) und auf der anderen Seite eine soziale Komponente (identity face bzw. association rights) (S P E NC E R -O AT E Y 2000b: 15, 2002: 541). 26 2 Forschungsüberblick I: (Im)politeness-Theorien Mit der dritten Kategorie, interactional goals, bezeichnet S P E NC E R -O AT E Y (2005: 107) Ziele, die Sprecher in ihrer Interaktion vor Augen haben. Dabei lasse sich prinzipiell unterscheiden zwischen transactional goals, die auf die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe abzielen, und relational goals, die auf der Bezie‐ hungsebene angesiedelt sind. Verknüpfungen zwischen beiden Arten von Zielen seien möglich: So könne ein transactional goal vom Erreichen eines relational goal abhängen und das rapport management dahingehend strategisch angelegt sein. Umgekehrt könne ein transactional goal aufgrund seiner Dringlichkeit aber auch die Oberhand über potenzielle relational goals gewinnen (S P E NC E R -O AT E Y 2005: 107-108). Unter Berücksichtigung aller drei Kategorien könne eine Bedrohung für eine harmonische Beziehung zwischen zwei Personen daher nicht nur in face-threa‐ tening behaviour, sondern auch in rights-threatening/ obligation-omission beha‐ viour und goal-threatening behaviour begründet sein (S P ENC E R -O AT E Y 2008: 17). Für den Kontext der vorliegenden Daten ist S P E NC E R -O AT E Y S Ansatz des rap‐ port management auch deshalb von großem Interesse, weil er (wie oben illust‐ riert) den möglichen Einfluss berücksichtigt, den andere Teilnehmer an der Kom‐ munikationssituation auf die Kundenbeschwerden haben können. Dieser wird zudem gewichtet: Die zugrunde liegenden Normen seien „number-sensitive“ (S P ENC E R -O AT E Y 2000b: 35, 2008: 36), würden also von der Zahl der anwesenden/ zuhörenden/ mitlesenden Personen beeinflusst; eine vor einem größeren Pub‐ likum geäußerte Kritik sei in vielen Kulturen in höherem Maße face-threatening. Daneben erkennt S P E NC E R -O AT E Y (2009: 137) auch dem Sprecher-face eine entscheidende Rolle zu, dessen Vernachlässigung in B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) Höflichkeitstheorie kritisiert worden war: I argue that a speaker’s own face concerns may emerge as crucially important in authentic interaction, and that a speaker’s self-presentational concerns thus need to be incorporated into the study of face and given equal weighting to those of the hearer. Wie L O CHE R S / W ATT S ’ (2005: 11) Konzept der relational work „the entire breadth of interpersonal meaning“ umfasst, so berücksichtigt auch S P E NC E R -O AT E Y S (2005: 96) Konzept des rapport management nicht nur „behavior that enhances or maintains smooth relations, but any kind of behavior that has an impact on rapport, whether positive, negative, or neutral“. S P ENC E R -O AT E Y (2000b: 29-32, 2008: 31-33) beschreibt vier Typen möglicher Beziehungsorientierung: 1. Rapport enhancement orientation: a desire to strengthen or enhance har‐ monious relations between interlocutors; 2. Rapport maintenance orientation: a desire to maintain or protect harmo‐ nious relations between interlocutors; 27 2.3 Postmoderne Ansätze: relational work, rapport management, genre approach 3. Rapport neglect orientation: a lack of concern or interest in the quality of relations between the interlocutors (perhaps because of a focus on self); 4. Rapport challenge orientation: a desire to challenge or impair harmonious relations between the interlocutors. FTAs und impoliteness verbindet S P E NC E R -O AT E Y (2008: 33) mit den beiden letzt‐ genannten Ausrichtungen: Wenn Interaktanten keinen großen Wert auf eine harmonische Beziehung legten, könne es leicht zu FTAs und impoliteness kommen. Dabei sei es möglich, dass sich die Orientierung eines Sprechers in‐ nerhalb einer Interaktion oder von einer Interaktion zur anderen verändere; ihr könnten jeweils verschiedene Motive zugrunde liegen (u. a. S P E NC E R -O AT E Y 2005: 96). Zudem beeinflusse die spezifische Art der Kommunikation die Strategien des rapport management: S P E NC E R -O AT E Y (2000b: 37) spricht in diesem Zusammen‐ hang von communicative genres wie beispielsweise Vorlesungen, Vorstellungs‐ gesprächen oder Gerichtsverhandlungen, die - in Abhängigkeit von kulturell spezifischen Konventionen - zu charakteristischen Ausprägungen in allen Be‐ reichen des rapport management führen könnten. Der Begriff des genre spielt auch in G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH S genre approach eine entscheidende Rolle, um den es im folgenden Abschnitt geht. 2.3.3 Genre approach (G AR CÉS -C ONE J OS B LITVICH ) Ein Versuch, die Trennung zwischen Politeness 1 - und Politeness 2 -Ansätzen auf‐ zuheben, ist der genre approach von G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH (2010a, b, 2012). G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH sucht dabei Beschränkungen früherer Ansätze zu überwinden, die sie insbesondere in deren ausgeprägter „dyadic, face-to-face, interpersonal orientation“ ausmacht. In dem von ihr entwickelten Genre-Ansatz sieht sie deutliche Vorteile für die Beschreibung hiervon abweichender Arten von Interaktion: „Genres can account easily for polylogal, mediated, intergroup communication“ (G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH 2012: 68). In ihrer Auffassung von genre lehnt sich G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH (2010a: 57) an S WAL E S ’ (1990: 58) weiter unten (3.1.1) zu besprechende Definition „a class of communicative events, the members of which share some set of com‐ municative purposes“ an. Außerdem baut sie auf F AI R CLO U GH (2003: 69) auf, der beschreibt, wie Interaktionen sich Ressourcen bedienen, die ein bestimmtes genre einer community zur Verfügung stellt. Grundlegend für ihre Überlegungen ist die Unterscheidung zwischen „interpersonal“ und „intergroup communica‐ tion“ (G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH 2010a: 54): 28 2 Forschungsüberblick I: (Im)politeness-Theorien If I engage in conversation with a friend, I am engaging in interpersonal communi‐ cation. When one of my students comes to see me as the instructor of one of her courses, intergroup communication ensues. Belonging to certain groups, performing certain roles is part of social identity. Damit eignet sich ihr Ansatz auch für das vorliegende Korpus. Die Unterscheidung nach genres (die sich in ihrem Grad an Stabilität bzw. Va‐ riabilität unterscheiden können) hält G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH (2010a: 61) für zentral. Dies gilt auch im Hinblick auf die Analyse von (im)politeness, die sie dabei jeweils als Abweichung von dem für ein spezifisches genre üblichen Ver‐ halten sieht - ähnlich wie L O CHE R / W ATT S (2008: 81) sie als Abweichung von einem „expectation frame“ beschreiben (vgl. 2.3.1). Impoliteness liegt danach vor, „when face-threatening behaviour goes beyond the genre-established limits of what is acceptable as the normal course of events“ (G AR CÉ S -C ONE J O S B LITVICH 2010a: 63). Der Bezug auf F AI R CLO U GH S (2003) Modell erlaubt es, Top-down-(Politeness 2 -) und Bottom-up-(Politeness 1 -)Ansätze miteinander zu kombinieren. Als Top-down-Prozesse können Erwartungen und Normen angesehen werden, die in der tatsächlichen Interaktion angenommen oder zurückgewiesen und verän‐ dert werden können; sie lassen sich durch Analysen herausarbeiten. Dabei wird eine Top-down-Perspektive umso eher möglich sein, je höher der Grad an Ins‐ titutionalisierung des jeweiligen genre ist; im anderen Fall gewinne die Bottom-up-Perspektive an Bedeutung, z. B. bei „nicht institutionellen“, gewöhn‐ lichen Unterhaltungen (G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH 2010a: 60). G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH (2010a, 2013) bezieht in die Analyse einer gleich zu besprechenden Fallstudie beispielsweise (als Bottom-up-Ansatz zu verste‐ hende) Impoliteness 1 -Bewertungen in Form von YouTube-Kommentaren ein. Sie ist zudem der Auffassung, im Falle von Rundfunk- und Fernsehsendungen sei aus genre-theoretischer Perspektive der Forscher, verstanden als Teil des over‐ hearing audience, den Teilnehmern an der Kommunikationssituation zuzu‐ rechnen; unter dieser Prämisse könnten auch seine Wahrnehmungen als poli‐ teness 1 verstanden werden (G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH 2010a: 60). Wie schon von F AI R CLOU GH (2003) betont, kann ein genre die Kommunikation zwischen Individuen, zwischen Individuen und Institutionen oder von Institu‐ tionen untereinander bezeichnen. G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH (2012) verdeut‐ licht ihren Genre-Ansatz am Beispiel der Kommentare zu einem YouTube-Video, das zeigt, wie der US-amerikanische Präsident Obama von einem politischen Gegner, dem Kongressabgeordneten Joe Wilson, der Lügerei bezichtigt wird. Sie zeigt auf, dass Obama in diesem Kontext nicht als Persönlichkeit mit individu‐ 29 2.3 Postmoderne Ansätze: relational work, rapport management, genre approach ellen Face-Bedürfnissen, sondern als Präsident der Vereinigten Staaten wahr‐ genommen wird, dessen Face-Bedürfnisse sich aus seinem Amt ableiten. In glei‐ cher Weise reagieren die Verfasser der Kommentare aus ihrer jeweiligen gesellschaftlichen oder institutionellen Rolle heraus - als Bürger, Wähler, Re‐ publikaner, Demokraten etc. (G AR CÉ S -C ONE J O S B LITVICH 2012: 72). Wie auch S P ENC E R -O AT E Y (2002) unterscheidet G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH (2012: 67) hier zwischen individual und social face. In polylogischen Kommunikationssituationen kann (im)politeness auch zur Bildung von Koalitionen dienen. So zeigt G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH (2010a: 62) auf, dass ein und dieselbe sprachliche Äußerung unterschiedliche Auswir‐ kungen auf zwei verschiedene Teilnehmergruppen an einer Interaktion haben kann; diese Auswirkungen können von einem Sprecher auch absichtlich her‐ beigeführt werden: This face-maintaining/ enhancing behavior towards some participants, in the case of polylogues, can be the result of face-attack towards other participants involved, in an attempt by the speaker to create a coalition, an us versus them type of situation […]. Damit knüpft G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH (2010a: 62) an Überlegungen K I E N - P OINTN E R S (1997) an, wonach Teilnehmer an einer Interaktion diese in unter‐ schiedlicher Weise - als polite oder impolite - bewerten können. G AR CÉ S -C O‐ NE J O S B LITVICH (2012: 72) illustriert ihre Theorie anhand des bereits genannten YouTube-Videos: Die Diskussionen zeigen, dass eine Mehrheit der Teilnehmer den Vorwurf unterstützt - offenbar rechtfertigt Obamas „Vertragsbruch“ mit den Bürgern des Landes den Vorwurf der Lüge: „Even if JW’s [= Joe Wilson’s, M. K.] outburst was not appropriate, it was not comparable to lying to the American people“ (G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH 2012: 76). Der Hinweis auf die Lüge könne als höflich gegenüber den Bürgern, wenn auch unhöflich gegenüber dem Präsi‐ denten und seiner Institution bewertet werden. Auf Basis dieser Überlegungen kommt G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH (2012: 84) zu dem Schluss, dass impoliteness neu zu bewerten ist: […] impoliteness needs to be reevaluated, and not seen necessarily as a negatively marked behaviour (cf. Locher and Watts 2005) but as positively marked when its ul‐ timate goal is the amendment of social wrongs, the unveiling of the truth, etc. Im Zuge einer solchen Neubewertung sieht G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH (2009: 276) impoliteness daher als „constitutive rather than disruptive of social life“. G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH S Genre-Ansatz scheint für das vorliegende Korpus aus Kundenbeschwerden von großem Interesse: Kundenbeschwerden erfüllen 30 2 Forschungsüberblick I: (Im)politeness-Theorien ihre Kriterien für ein genre und stehen so neben anderen genres wie Lob oder Fragen, für die mit G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH in Bezug auf (im)politeness andere Maßstäbe angenommen werden können. Es handelt sich um eine Form institu‐ tioneller Kommunikation, sodass eine hohe Dichte gleichförmiger Texte zu er‐ warten ist, aus denen sich Muster ablesen lassen. Schließlich ist die Teilneh‐ merkonstellation auf Facebook als „polylogisch“ zu beschreiben: Neben den Unternehmensmitarbeitern sind auch andere Personen Rezipienten der Be‐ schwerde. 2.4 Impoliteness: Intention und (Un-)Angemessenheit Aus dem Blickwinkel der bereits genannten Ansätze, die im Hinblick sowohl auf politeness wie impoliteness vorgestellt wurden, sollen im Folgenden noch einmal einige spezielle Betrachtungen zum Thema impoliteness zusammenge‐ tragen und diskutiert werden. Im Vergleich zu sprachwissenschaftlichen Studien zu politeness sind Studien, die sich speziell mit impoliteness beschäftigen, bis heute vergleichsweise selten. Erst in jüngerer Zeit ist eine nennenswerte Zahl von Veröffentlichungen zu verzeichnen; ein Überblick über die impoliteness-Forschung findet sich bei G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH (2010b) und D YN E L (2015). Diese lange Forschungs‐ lücke ist umso erstaunlicher, als dass - in Abhängigkeit vom jeweiligen Kon‐ text - konfliktäre Kommunikation durchaus kein randständiges Phänomen sein muss, auch wenn politeness formulae wie bitte und danke im Vergleich noch wesentlich häufiger eingesetzt werden (C UL P E P E R 2010: 3238). Von der For‐ schung wurden als Kontexte, in denen impoliteness eine große Rolle spielt, bei‐ spielsweise Situationen wie die Ausbildung beim Militär, Interaktionen zwi‐ schen Autobesitzern und Verkehrspolizisten, bestimmte Fernsehsendungen oder Arzt-Patienten-Gespräche angeführt (cf. C UL P E P E R 1996, 2010: 3238; C UL‐ P E P E R E T AL . 2003: 1545-1546; B O U S F I E LD 2008a). Während in klassischen Politeness-Theorien wie B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987), L AKO F F (1973) und L E E CH (1983) impoliteness als ein Unterlassen (beispielsweise der Abmilderung von FTAs) erscheint, sehen neuere Studien sie als zielgerichtete sprachliche Handlung (B E E B E 1995; E E L EN 2001: 98-100). Erste einschlägige Studien stammen z. B. von L ACHE NICHT (1980) und C UL‐ P E P E R (1996). Sie sind noch stark dem klassischen Ansatz von B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) verpflichtet und damit dem (Im)politeness 2 -Ansatz zuzurechnen. So schlägt C UL P E P E R (1996, erweitert 2005) ein fünf Punkte umfassendes Modell vor, das als „offensive superstrategies“ bald-on-record impoliteness, positive impoli‐ 31 2.4 Impoliteness: Intention und (Un-)Angemessenheit 5 C U L P E P E R (2005) ersetzt sarcasm/ mock politeness durch den Oberbegriff off-record im‐ politeness. teness, negative impoliteness, sarcasm/ mock politeness  5 und withhold politeness umfasst. Die Parallelen zu B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) Politeness-Strategien sind schon in der Terminologie offensichtlich. Zu den positive impoliteness output strategies zählt C UL P E P E R (1996: 357-358) beispielsweise „seek disagree‐ ment“ und „use taboo words“, zu den negative impoliteness output strategies „personalise, use the pronoun ‚I‘ and ,you‘“. Basierend auf den Überlegungen B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) sieht C UL P E P E R (1996: 354) ungleiche Macht‐ verhältnisse zwischen Sprecher und Hörer als Rahmenbedingung, die unhöfli‐ ches und damit unkooperatives Verhalten begünstigt. Demzufolge legt in diesen Fällen der in der höheren Machtposition befindliche Gesprächspartner unhöf‐ liches Verhalten an den Tag, während sich der Gesprächspartner in der schwä‐ cheren Position zu höflichem Handeln gezwungen sieht, um möglichen Sank‐ tionen vorzubeugen (C UL P E P E R 1996: 354-345). Die einschlägigen Kritikpunkte an B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) gelten im Wesentlichen auch für C UL P E P E R S (1996) Modell, das von B OU S F I E LD (2008a, b) weiterentwickelt wurde. Aber auch C UL P E P E R E T AL . (2003: 1546-1548) halten die Klassifikation später für unzureichend: „One limitation of Culpeper (1996) is that it is focussed rather too narrowly on single impoliteness strategies, usually made up of particular grammatical or lexical items.“ In seiner Überar‐ beitung des Modells zieht C UL P E P E R (2011) auch das Modell des rapport ma‐ nagement von S P E NC E R -O AT E Y (u. a. 2000a, b) heran. Exemplarisch für viele weitere sei im Folgenden seine Arbeitsdefinition von impoliteness wiederge‐ geben (C UL P E P E R 2011: 23; Hervorhebung M. K.): Impoliteness is a negative attitude towards specific behaviours occurring in specific contexts. It is sustained by expectations, desires and/ or beliefs about social organisa‐ tion, including, in particular, how one person’s or a group’s identities are mediated by others in interaction. Situated behaviours are viewed negatively - considered ,impo‐ lite‘ - when they conflict with how one expects them to be, how one wants them to be and/ or how one thinks they ought to be. Such behaviours always have or are pre‐ sumed to have emotional consequences for at least one participant, that is, they cause or are presumed to cause offence. Various factors can exacerbate how offensive an impolite behaviour is taken to be, including for example whether one understands a behaviour to be strongly intentional or not. Statt von face spricht C UL P E P E R (2011: 23) hier von identity; dabei spiegelt sich in seiner Unterscheidung zwischen „one person’s or a group’s identities“ deut‐ 32 2 Forschungsüberblick I: (Im)politeness-Theorien lich der Einfluss von S P E NC E R -O AT E Y (u. a. 2000a, b) mit ihrer Einteilung in quality face und social identity face (vgl. 2.3.2). Zentrale Aspekte seiner Defini‐ tion sind außerdem Überlegungen zu Intention und (Un-)Angemessenheit, wie ich sie im Zitat hervorgehoben habe. Postmoderne Ansätze wie die im vorigen Abschnitt diskutierten - relational work, rapport management und genre ap‐ proach - haben in vielerlei Hinsicht neues Licht auf die Erforschung von impo‐ liteness geworfen. In den folgenden beiden Abschnitten gehe ich insbesondere vor dem Hintergrund dieser Ansätze auf die Rolle von Intention und (Un-)An‐ gemessenheit für impoliteness ein. 2.4.1 Impoliteness und Intention Wie in C UL P E P E R S (2011: 23) oben stehender Definition, so findet die Frage nach der Intention des Sprechers in den meisten Studien ihren Niederschlag. Noch C UL P E P E R (2005) beschreibt in seiner Definition beide Seiten: die Intention des Sprechers und die Wahrnehmung des Hörers; auch eine Seite allein könne be‐ reits als ausschlaggebend für das Vorliegen von impoliteness angenommen werden. In Politeness 1 -Ansätzen wie dem von L O CHE R / W ATT S (2008: 80) steht dagegen gerade nicht die Intention des Sprechers, sondern die Wahrnehmung der Gesprächspartner im Vordergrund. C UL P E P E R (2008: 32) wendet allerdings ein, Urteile der Rezipienten bezögen sich oft gerade auf die (vermeintlichen) Intentionen der Sprecher: Thus, I would argue that „interactants’ judgements“ are not mutually exclusive with intentions: people make use of understandings of intentions in their judgements. Mo‐ reover, the perception of intention is a crucial factor in an evaluation of potentially face-attacking behaviour. Darin sieht er einen weiteren Beweis dafür, dass die Unterscheidung zwischen Politeness 1 - und Politeness 2 -Ansätzen nie trennscharf sein kann (vgl. 2.2). C UL‐ P E P E R (2008: 32) verweist in diesem Zusammenhang auch auf sozialpsychologi‐ sche Studien, nach denen aggressives Verhalten als umso schwerwiegender be‐ urteilt wird, wenn Rezipienten darin eine Absicht zu erkennen glauben. In seiner oben genannten Definition von 2011 steht die Hörerperspektive allerdings auch bei ihm deutlich im Vordergrund. L O CHE R / W ATT S (2005, 2008) betonen, dass impoliteness letztlich durch Sprecher und Hörer gemeinsam hervorgebracht werde. Während die Unterscheidung zwischen rudeness und impoliteness (vgl. Ab‐ bildung 1) bei L O CHE R / W ATT S (2005) und W ATT S (2005) nicht inhaltlich erläutert wird, schlägt C UL P E P E R (2005: 63) vor, rudeness als unabsichtliches Verhalten, 33 2.4 Impoliteness: Intention und (Un-)Angemessenheit 6 T E R K O U R A F I (2008) belegt die Begriffe dagegen hinsichtlich der Intentionalität umge‐ kehrt. impoliteness dagegen als zielgerichtetes, absichtliches Verhalten zu interpre‐ tieren - unabhängig von der Belegung der beiden Termini im Sprachgebrauch von Laien. 6 Auch für die in L O CHE R S / W ATT S ’ Modell (2005, vgl. 2.3.1) gleichfalls als non-politic/ inappropriate behaviour klassifizierte over-politeness schlägt C UL‐ P E P E R (2008: 24-28) vor, nach dem Vorhandensein von Absicht zu unterscheiden. Hervorzuheben ist zudem die Schwierigkeit der Datenerhebung und Analyse, denn Intentionen müssen in der Regel rekonstruiert werden (C UL P E P E R E T AL . 2003: 1552). Abbildung 3 veranschaulicht die Ziele intentionaler impoliteness nach B E E B E (1995: 159). Die Bezeichnung instrumental rudeness - verstanden als zielgerich‐ tete Strategie - entspricht in ihrer Terminologie C UL P E P E R S Impoliteness-Begriff. Abbildung 3: Funktionen und Ziele von rudeness (nach B E E B E 1995: 159) Mit der Anwendung von rudeness kann der Sprecher gemäß Abbildung 3 zum einen auf eine Erhöhung seiner Macht abzielen, zum anderen kommt ihr eine „Ventilfunktion“ zu. Von den drei Zielen, die B E E B E (1995: 159) der Funktion der Machterhöhung zuordnet, sind für den Kontext dieser Arbeit insbesondere die Verdeutlichung der eigenen Überlegenheit (to appear superior) sowie das Ver‐ anlassen bzw. Verhindern von Handlungen (to get power over actions) von Inte‐ resse. Daneben steht das Ziel, in Konversationen die Oberhand zu behalten (to get power in conversation). 34 2 Forschungsüberblick I: (Im)politeness-Theorien Meines Erachtens ist die Frage der Wahrnehmung durch den Hörer insgesamt entscheidender für das Vorliegen von (im)politeness als die tatsächliche Intention des Sprechers, auch wenn beides nicht voneinander zu trennen ist. Von inten‐ tionalem Verhalten aufseiten der Kunden ist im Korpus dieser Arbeit allerdings auszugehen, dennoch soll auch nach Belegen hierfür aus Impoliteness 1 -Perspek‐ tive gesucht werden. Im Kontext der vorliegenden Arbeit - institutioneller Kommunikation - ist diese Frage aber aufs Engste mit den Normen verknüpft, die für angemessenes Verhalten gelten. Auf den durch sie gesetzten Rahmen gehe ich im nächsten Abschnitt ein. 2.4.2 Impoliteness und (Un-)Angemessenheit Postmoderne Arbeiten zu (im)politeness haben, wie oben dargelegt, insbeson‐ dere die Frage nach Abweichungen von geltenden Normen bzw. Erwartungen aufgeworfen. Eine zentrale Rolle in M ILL S ’ (2003) Ansatz spielt das Konzept der Community of Practice (L AV E / W E NG E R 1991; vgl. 4.5, S1). M ILL S (2003) definiert impoliteness als Abweichung von den (soziokulturellen) Normen der entsprechenden Com‐ munity. Impoliteness liegt nach diesem Ansatz also nur dann vor, wenn die In‐ teraktanten selbst sie als Normabweichung empfinden. Die Schwäche von Ar‐ beiten, die auf Impoliteness 2 -Ansätzen beruhen, wie C UL P E P E R (1996) und C UL P E P E R ET AL . (2003), sieht M ILL S (2003) darin, dass diese häufig auf Inter‐ aktionen basieren, in denen FTAs zentraler Bestandteil sind, also in gewisser Weise sanctioned linguistic behaviour darstellen. Von G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH S (2012: 69) Bezug auf verschiedene genres war schon die Rede; sie kritisiert an M ILL S ’ Ansatz der Communities of Practice, dass er zwar deren Mitglieder in den Blick nehme; diese aber gebrauchten verschie‐ dene genres, die wiederum nach verschiedenen Normen verlangten. W ATT S (2003: 260) spricht - beispielsweise für die Kommunikation innerhalb der Familie oder unter Freunden, aber auch beim Militär mit seinen ausge‐ prägten Unterschieden in der Hierarchie der Interaktanten - von „sanctioned aggressive facework“. L O CHE R (2004) und L O CHE R / W ATT S (2005) nehmen, wie erwähnt, im Rahmen ihres Modells der relational work „expectation frames“ an, die den Einschätzungen von situationsabhängigen Normen zugrunde liegen. C UL P E P E R (2005, 2011) und B OU S F I E LD (2008a) greifen in ihren Impoliteness-Stu‐ dien statt auf das Konzept der Community of Practice auf L E VIN S ON S (1979: 368) Konzept des activity type zurück, für das dieser Beispiele wie ein Bewerbungs‐ gespräch, ein Fußballspiel oder ein Verhör nennt. 35 2.4 Impoliteness: Intention und (Un-)Angemessenheit 7 Umgekehrt scheint Einigkeit darüber zu herrschen, dass unangemessenes Verhalten nicht zwangsläufig impolite ist; C U L P E P E R (2011: 99) nennt als Beispiele das Tragen eines dicken Mantels bei großer Hitze oder den Gruß „Guten Morgen“ am Nachmittag. C UL P E P E R (2011: 206) geht zwar davon aus, dass impolite behaviour nicht in jedem Fall unangemessen ist. 7 Er veranschaulicht dies am Beispiel der reactive impoliteness als legitimer Form der Verteidigung: Wer auf einen vorausgegan‐ genen FTA reagiere - wie in S P E NC E R -O AT E Y S (u. a. 2000a, b) Modell der relational work gut zu beschreiben -, befinde sich in einer anderen Situation als derjenige, der den Konflikt beginne. C UL P E P E R (2008: 40) hält M ILL S ’ Überlegungen allerdings entgegen, dass die Legitimierung eines bestimmten sprachlichen Verhaltens nicht zwangsläufig mit dessen Neutralisierung für alle Teilnehmer an der Interaktion einhergehe. Dabei verweist er auf in der Literatur diskutierte Kontexte, in denen unhöfliches Verhalten einzelnen Teilnehmern als legitim erscheine, beispielsweise in der mi‐ litärischen Ausbildung, anderen aber nicht. Zu unterscheiden sei zwischen den individuellen Normen oder „expectation frames“ (L O CHE R / W ATT S 2008: 81) der Teilnehmer (z. B. Rekrut und Ausbilder) auf der einen und abstrakteren, allge‐ meingültigen Normen auf der anderen Seite (C UL P E P E R 2008: 30): [I]f some individuals apply local norms to the understanding of face-attack whilst others apply general norms, we are likely to end up with very different perceptions as to whether it counts as ‚real‘ impoliteness. G AR CÉ S -C ONE J O S B LITVICH (2010a: 62) beschäftigt sich im Rahmen ihres Genre-Ansatzes ebenfalls mit der Frage, ob in genres, die ein gewisses Maß an face-attacks zulassen, z. B. Nachrichteninterviews, impoliteness auftreten könne. Auch sie geht von der Wahrnehmung durch die einzelnen Teilnehmer/ Zuschauer aus und kommt zu dem Schluss, eine Balance zwischen konfrontativer Haltung und Objektivität sei notwendig: „If the balance is not upheld, the interaction can be deemed impolite, both by the interviewees and the overhearing audience.“ 2.5 (Im)politeness in computervermittelter Kommunikation Dem Phänomen der (im)politeness speziell in CvK ist lange nur wenig Aufmerk‐ samkeit zuteil geworden. Das Themenheft zu „Politeness and impoliteness in computer-mediated communication“ (Journal of Politeness Research 6/ 2010) hat hier zahlreiche Denkanstöße gegeben. L O CHE R (2010: 3-4) hebt in ihrer Einlei‐ tung insbesondere drei Themenkreise als relevant hervor: (1) online geführte Diskussionen um gültige Normen und die Frage, was Angemessenheit eigentlich 36 2 Forschungsüberblick I: (Im)politeness-Theorien ausmacht, (2) Fragen der Identitätskonstruktion und der Aushandlung von face sowie (3) Auswirkungen der sozialen und technologischen Rahmenbedin‐ gungen nach H E R R ING (2007). Alle drei Aspekte sollen auch in der vorliegenden Arbeit eine Rolle spielen. Als erster Sammelband speziell zu Fragen der (im)po‐ liteness in sozialen Netzwerken ist B E DI J S E T AL . (H G G .) (2014) hervorzuheben. Die Kommunikation in Social Media stellt die Sprachwissenschaft vor be‐ sondere Herausforderungen, denn Begrifflichkeiten aus Forschungsfeldern wie Textlinguistik, Gesprächsforschung, aber auch der (Im)politeness-Forschung verlieren bei der Anwendung auf Texte aus Social Media an Schärfe (H E LD 2014a: 157-158): Aufgrund ihrer zeitlosen Omnipräsenz und grenzenlosen Breitenwirkung, ihrer tech‐ nologischen Vermittlungskapazitäten und der ständig in Veränderung befindlichen Kommunikationskanäle, Diskursformen, Textpraktiken und Code-Repertoires setzen sie [= Social Media, M. K.] herkömmliche analytische Begriffe wie Text, Textsorten, Sprache, Stil oder Konzepte wie Gesprächssequenzen, Kommunikationsbedingungen und Interaktions-Regelungen und vieles andere mehr genauso außer Kraft wie die daran geknüpften epistemischen Konstrukte politeness bzw. ,Höflichkeit‘, relational work, recipient design, cooperation-principle, conversational maximes und ähnliche; kurz: wiewohl Facebook den Begriff des face in den Fokus der weltumspannenden Bildschirm-Kommunikation stellt, kommen zwar face und demnach facework buch‐ stäblich ins Spiel - sie nehmen aber weit über das etablierte Grice-Goffman-Paradigma hinaus ganz neue Facetten an, die nicht zuletzt auch die linguistische Pragmatik auf neue Wege zwingen. Diesen völlig veränderten Rahmenbedingungen ist in der Diskussion um die Anwendbarkeit der verschiedenen (Im)politeness-Theorien, wie sie gerade vor‐ gestellt wurden, Rechnung zu tragen. Gerade für die Erforschung von impoliteness werden in CvK-Daten große Vorteile gesehen, da die häufig anonyme Kommunikation das Auftreten von impoliteness fördere (D YN E L 2015: 338; H E R R ING 2007: 16). Außerdem sei CvK leichter zugänglich als alltägliche zwischenmenschliche Interaktionen außer‐ halb des Internets, für deren Aufnahme eine Reihe moralischer Fragestellungen zu beachten sei. (Forschungsethische Fragen spielen allerdings auch für CvK eine wichtige Rolle, vgl. 5.1.6.) Erschwert wird die Analyse (fast) ausschließlich textbasierter Medien wie bestimmter Formen von CvK allerdings durch den Wegfall nonverbaler oder prosodischer Merkmale, wie sie für Face-to-Face-Kommunikation typisch sind und gerade für den Ausdruck von Emotionen eine grundlegende Rolle spielen (S CHWAR Z -F R I E S E L 2013). Teilweise können in CvK typografische Hervorhe‐ 37 2.5 (Im)politeness in computervermittelter Kommunikation 8 Im vorliegenden Fall wäre es technisch gesehen prinzipiell möglich, allerdings sehr aufwendig, die Schreiber der 800 Beschwerden über einen Facebook-Account zu kon‐ taktieren. bungsverfahren deren Funktion übernehmen (vgl. 7.4): Sprachliche Merkmale von CvK haben schon seit den 80er-Jahren die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen; B I E S WANG E R (2013) unterteilt verbreitete Konventionen in einem Forschungsüberblick in (1) emoticons, (2) non-standard spelling and crea‐ tive use of writing systems, (3) abbreviation und (4) non-standard punctuation. Auch wenn die Annahme eines allzu deterministischen Einflusses des Mediums auf den Sprachgebrauch heute zu Recht als überholt gilt (vgl. 4.4), findet die Kompensation fehlender nonverbaler Ausdrucksmittel der gesprochenen Sprache hier unbestritten ihren Niederschlag: „[t]here is no doubt that the ab‐ sence of several communication channels, such as the auditory and the gestural, in text-based CMC [= computer-mediated communication, M. K.] is a force that has shaped certain of its linguistic features“ (B I E S WANG E R 2013: 463). Auf diese Merkmale ist in der Analyse daher besonderes Augenmerk zu richten. Oben wurden bereits Vor- und Nachteile von Politeness 1 - und Politeness 2 -An‐ sätzen diskutiert. Die erheblichen Schwierigkeiten bei der Datenerhebung für Politeness 1 -Studien stellen sich auch in der Forschung zu CvK: Studien zeigen, dass auch hier Metakommentare, die eine Äußerung explizit als (un)höflich klassifizieren, nicht regelmäßig auftreten (E HRHAR DT 2009: 185-186). Auch G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH (2012: 85) konstatiert: Using labels such as im/ politeness/ rudeness may be a very inadequate and highly restrictive way try to account for the multiplicity of names that are assigned to rela‐ tional phenomena. In N E U RAUT E R -K E S S E L S ’ (2013) 1 750 Kommentare umfassendem Korpus aus Online-Leserbriefen ist der Ausdruck impolite beispielsweise kein einziges Mal, der Ausdruck rude nur einmal enthalten, um das Verhalten eines anderen Nutzers zu charakterisieren. Dennoch lässt sich eine Reihe metakommunika‐ tiver Kommentare ausmachen, die bei der Einschätzung der Wahrnehmung durch die beteiligten Nutzer helfen. Die nachträgliche Erhebung von Daten zur Wahrnehmung von Interaktionen seitens der Teilnehmer über Fragebögen, Fo‐ kusgruppen und Interviews, wie sie in anderen Studien praktiziert wird (u. a. S P E NC E R -O AT E Y 2009), wäre für Daten aus dem Internet je nach Kontext auf‐ wendig oder unmöglich (N E U RAUT E R -K E S S E L S 2013: 104). 8 In jedem Fall wäre die zeitverzögerte Erhebung von Nachteil; der Vorteil metakommunikativer Äuße‐ rungen im Text selbst liegt in ihrer Unmittelbarkeit. 38 2 Forschungsüberblick I: (Im)politeness-Theorien Angesichts der geringen Zahl metakommunikativer Äußerungen wird viel‐ fach vorgeschlagen, die zu analysierenden Äußerungen in ihrem Kontext zu situieren (B O U S F I E LD 2008a: 74; N E U R AUT E R -K E S S E L S 2013: 105). Die detaillierte Beschreibung dieser Rahmenbedingungen soll es ermöglichen, die Beurteilung sprachlicher Äußerungen seitens des Forschers an das Vorliegen eines spezifi‐ schen Kontexts zu binden, während dieselbe Äußerung in einem anders gela‐ gerten Kontext eine andere Interpretation erfahren kann (N E U RAUT E R -K E S S E L S 2013: 107). Eine solche exakte Beschreibung der Kommunikationsbedingungen wird in Abschnitt 4 dieser Arbeit erfolgen. 2.6 Kulturabhängigkeit von (im)politeness Zu unterscheiden ist im Rahmen der kontrastiven Pragmatik zwischen Daten aus cross-cultural und intercultural communication: Während erstere in unter‐ schiedlichen Sprach-/ Kulturkreisen unabhängig voneinander erhoben werden, bezieht sich der zweite Terminus auf Situationen, in denen Angehörige unter‐ schiedlicher Sprach-/ Kulturkreise miteinander interagieren. Die vorliegende Studie verortet sich damit in der cross-cultural communication. B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987: 242-255) und weitere Forscher, die sich an ihrem Theoriemodell orientieren, haben die Prägung bestimmter Sprach-/ Kulturräume als negative politeness cultures oder positive politeness cultures he‐ rausgearbeitet - als Sprachen/ Kulturen also, in denen eine Tendenz zur Ver‐ wendung von Negativebzw. Positive-Politeness-Strategien besteht. Auch wenn die Möglichkeit zur pauschalen Einordnung eines Sprach-/ Kulturraums als ne‐ gative oder positive politeness culture vielfach bestritten worden ist (u. a. O GI E R‐ MANN 2009: 35 ff.), herrscht Einigkeit darüber, dass dieser einen deutlichen Ein‐ fluss auf geltende Politeness-Normen haben kann. G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH (2012: 68) spricht hier von cultural scripts, die den genres zugrunde liegen, „i. e. tacit culture-specific rules or guidelines for speaking/ understanding“. Auch S P E NC E R -O AT E Y (2000b: 41-43) weist darauf hin, dass nationale/ kulturelle Identitäten unter anderem beeinflussen, welche Art und welches Maß von politeness für einen bestimmten Kontext angemessen ist. So könnten Kontext‐ faktoren (wie Rollenverhältnisse) je nach sprachlich-kulturellem Hintergrund unterschiedlich bewertet werden, soziopragmatische und pragmalinguistische Normen, kulturelle Werte sowie das Inventar an Rapport-Management-Strate‐ gien können variieren. Dabei verweist S P E NC E R -O AT E Y auf die Studie zu Cross-Cultural Speech Act Realization Patterns (CCSARP), von der später noch die Rede sein wird (B LUM -K ULKA E T AL . 1989, vgl. 3.3.1). 39 2.6 Kulturabhängigkeit von (im)politeness Exemplarisch seien im Folgenden einige wenige Studien genannt, die Ten‐ denzen in Politeness-Strategien des Deutschen und des Italienischen im Ver‐ gleich zu anderen Sprach-/ Kulturräumen analysieren; da hier immer zwei (oder mehr) Sprach-/ Kulturräume miteinander in Vergleich gesetzt werden, sind die Ergebnisse natürlich immer auch relativ. So stellt P AYN E (2013) in ihrer Studie zu Komplimenterwiderungen im di‐ rekten Vergleich zwischen dem Deutschen und dem Italienischen eine Tendenz der Italienischsprecher zu positive politeness, der Deutschsprecher zu negative politeness fest. Einen deutsch-italienischen Vergleich zur Kommunikation in In‐ ternetforen legt E HRHAR DT (2009) vor. Er konstatiert bei der Untersuchung von Strategien der Abmilderung von Äußerungen, mit denen einer vorangegan‐ genen Aussage widersprochen wird, dass Abschwächungsmittel in den italie‐ nischen Foren zur Abmilderung potenzieller FTAs häufiger zum Einsatz kommen (E HRHAR DT 2009: 185). B O UCHARA (2002: 234) schreibt in seiner Analyse von Konversationen zwi‐ schen deutschen und arabischen Akademikern den deutschen eine Tendenz zur negativen Höflichkeitsorientierung zu. „Während die Deutschen mehr Wert auf ihre Privatsphäre, Individualität und Autonomie zu legen scheinen […], ten‐ dieren die Araber zu in-group-Beziehungen.“ Für die bundesdeutsche Varietät des Deutschen im Vergleich zum österreichischen Deutsch stellen C L YN E E T AL . (2003) eine stärkere Tendenz zu positive politeness strategies fest. H E LD (2009, 2014b) weist auf einen grundlegenden Widerspruch in der itali‐ enischen Höflichkeitskultur hin: Auf der einen Seite werde das Italienische in der pragmatischen Forschung als positive politeness culture im Sinne B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) beschrieben. Die mündliche Nähesprache sei geradezu geprägt von Affekt und Emotionalität (H E LD 2009: 56). Die ausgeprägte Neigung, Anerkennung und Schmeicheleien sprachlich zum Ausdruck zu bringen, lässt sich nach H E LD (2009, 2014b) allerdings nicht mit rein altruistischen Zielen, sondern vielmehr mit dem Ideal des fare bella figura und damit der Wahrung einer positiven apparenza in Verbindung bringen. Auf der anderen Seite sieht H E LD (2009: 50-51) in heutigen Höflichkeitsformen der italienischen Schrift‐ sprache „höchste Distanzwahrung“, einen deutlichen Reflex der questione della lingua und damit einer klaren Trennung zwischen Mündlichkeit und Schrift‐ lichkeit bzw. von Volk und Gebildeten. Weiter merkt H E LD (2009: 56) an: Sie äußert sich stilistisch sowohl auf der Ebene der entpersönlichten Textstruktur und latinisierenden, verschachtelten Syntax als auch auf der Ebene eines im Mündlichen kaum bekannten Schrift-Vokabulars (gleichsam in Form von diamesischen Dubletten) sowie in einer formelhaft klaren Direktheit und Unverblümtheit […]. 40 2 Forschungsüberblick I: (Im)politeness-Theorien Diese unterschiedliche Manifestation von face-work oder Höflichkeit im münd‐ lichen und im schriftlichen Sprachgebrauch führt damit zu einem „komplexe[n], kaum dichotomisierbare[n] face-work, das wir - aus der Außensicht - als (ita‐ lienische) Höflichkeit zu identifizieren glauben“ (H E LD 2009: 56). B AR R ON (2012: 274) stellt in der Untersuchung öffentlicher Informationskam‐ pagnen in Irland und Deutschland heraus, dass die in der Literatur beschriebene Präferenz (bundes-)deutscher Sprecher für positive politeness und die irischer Englischsprecher für negative politeness auf Basis ihrer Ergebnisse nicht auf‐ rechtzuerhalten sei, und hebt hervor: „the effect of genre and situational con‐ stellations must be taken into account and language use viewed in a differenti‐ ated manner“ (B AR R ON 2012: 275). Auch H E LD (2009: 56-57) fordert zur Klärung „des Spannungsverhältnisses zwischen Universalität und Kulturspezifik” unter anderem die Berücksichtigung der „forcierte[n] Bindung an Diskurstraditionen zum einen und Kommunikationsbereiche zum anderen, wodurch auch Text‐ sorten, Vermittlungskanäle und Medien ins Blickfeld geraten, die alle bestimmte Umgangsformen und -stile begründen“. In jedem Fall wäre der Schluss, dass Angehörige einer bestimmten Sprache/ Kultur „höflicher“ wären als Sprecher aus einem anderen Sprach-/ Kulturkreis, verfehlt. Hierauf wird auch in Studien zur Realisierung von Beschwerden in verschiedenen Sprachen hingewiesen, wie sie in 3.3 vorgestellt werden. So ziehen H O U S E / K A S P E R (1981: 184) die Unterscheidung zwischen emischen und etischen Standpunkten heran (vgl. P IK E 1967; ähnlich auch M EINL 2010: 239; R HU RAKVIT 2011: 42-43; F R ANKLIN / H AR DIN 2012: 39; unabhängig hiervon K AUNZNE R 2009: 235). Wenn ein bestimmtes Verhalten innerhalb seines Kon‐ textes, also aus Sicht eines Mitglieds der jeweiligen Sprach-/ Kulturgemein‐ schaft, und relativ zu den dort gültigen Normen bewertet wird, liegt eine emische Perspektive vor. Eine etische Beschreibung dagegen spiegelt den Blick von außen wider. Während nun also ein Engländer deutsches Beschwerdeverhalten aus etischer Perspektive als unhöflich empfinden könnte, wäre es aus Sicht des deutschen Sprechers relativ zu den für das Deutsche gültigen Normen angemessen (emische Perspektive), und es bliebe festzustellen, dass die Bezugssysteme jeweils unterschiedlich sind. Abschließend sei noch auf das aus der Psychologie stammende Konzept der „Kulturstandards“ eingegangen. Unter „Kulturstandards“ versteht T HOMA S (u. a. 2003: 25) „Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich und andere als normal, typisch und verbindlich angesehen werden“. Gedacht ist die Beschäfti‐ gung mit „Kulturstandards“ insbesondere zum Erwerb einer interkulturellen Handlungskompetenz. K AUNZN E R (2009: 243) führt unter Verweis auf N E UDE‐ 41 2.6 Kulturabhängigkeit von (im)politeness CK E R E T AL . (2006) - mit eigenen Ergänzungen - die in Tabelle 1 zusammenge‐ stellten deutschen und italienischen Ausprägungen im Vergleich an. „Deutsche“ Kulturstandards „Italienische“ Kulturstandards Sachorientierung Personen- und Beziehungsorientierung Individualismus Familienorientierung Wertschätzung von Strukturen und Regeln Flexibler Umgang mit Regeln Internalisierte Kontrolle Emotionalität Low-context, direkte Kommunikation High-context, indirekte Kommunikation Trennung von Arbeits- und Privatbereich Vermischung von Arbeits- und Privatbereich Zeitplanung Identitätsbewusstsein, la bella figura Tabelle 1: „Deutsche“ und „italienische“ Kulturstandards im Vergleich (K A U N Z N E R 2009: 243) Gegenüberstellungen dieser Art sind immer wieder kritisiert worden. So hält K R EWE R (1996) T HOMA S ’ Ansatz für prinzipiell annehmbar, allerdings fordert er, den Prozess (anstelle des Ergebnisses) stärker in den Mittelpunkt der Betrach‐ tungen zu rücken. Zudem macht K R EWE R drei Fehlschlüsse aus: Der kausale Fehlschluss bestehe darin, dass die Kulturstandards das Verhalten determi‐ nierten (denn sie könnten sehr wohl auch nicht befolgt werden). Den ökologi‐ schen Fehlschluss sieht er darin, dass von den Merkmalen einer Gesellschaft ausgehend das Verhalten einzelner Menschen erklärt werde. Für einen dia‐ chronen Fehlschluss schließlich hält er die Formulierung allgemeingültiger Re‐ geln; schließlich könnten sich gesellschaftliche Werte mit der Zeit wandeln. Auch in der Linguistik werden solche Gegenüberstellungen kritisch disku‐ tiert, wenn es um ihren Beitrag zur Erklärung von Unterschieden im Sprachge‐ brauch geht. Vor Verallgemeinerungen wird gewarnt: Das jeweilige genre und die spezifische Kommunikationssituation müssten in Rechnung gestellt werden (z. B. B AR R ON 2012: 38-45, 275). Für die vorliegende Studie soll die Gegenüberstellung in Tabelle 1 vor dem Hintergrund der Ergebnisse in 9.3 auf einen möglichen Erklärungsbeitrag hin geprüft werden. 42 2 Forschungsüberblick I: (Im)politeness-Theorien 2.7 Zwischenfazit: Positionierung dieser Studie Es hat sich gezeigt, dass postmoderne Höflichkeitstheorien eine Reihe von Er‐ klärungsansätzen bieten, die sich für die Interpretation von (im)politeness im vorliegenden Korpus anbieten, beispielsweise L O CHE R S / W ATT S ’ (u. a. 2005) brei‐ teres Verständnis von relational work gegenüber B R OWN S / L EVIN S ON S ([1978]1987) Definition von facework, S P E NC E R -O AT E Y S (u. a. 2000a, b) Unter‐ teilung in individual und social face oder auch G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH S (u. a. 2012) genre approach, der polylogische Kommunikationssituationen berück‐ sichtigt und speziell auf das jeweilige genre abstellt. Insbesondere aber wird im Rahmen dieser Arbeit die Frage nach der Ange‐ messenheit (appropriateness) von Äußerungen eine entscheidende Rolle spielen. Vor dem Hintergrund der verschiedenen theoretischen Konzepte - wie L O‐ CHE R S / W ATT S ’ (2008: 81) expectation frames oder eben G AR C E S -C ON E J O S B LIT‐ VICH S genres - soll die hier vorliegende Kommunikationssituation daher cha‐ rakterisiert werden. Dabei ist der doppelte Rezipientenkreis aus Unternehmensmitarbeitern und anderen Lesern zu berücksichtigen. Trotz des prinzipiellen Paradigmenwechsels von „modernen“ Politeness 2 hin zu „postmodernen“ Politeness 1 - (oder kombinierten) Ansätzen und der kurz skiz‐ zierten kritischen Diskussion ersterer (vgl. 2.2) ist festzustellen, dass eine Reihe neuerer Studien weiterhin auch Politeness 2 -Ansätze, insbesondere das Modell von B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987), heranzieht. Nicht zuletzt liegt eine - ganz praktische - Schwierigkeit von Politeness 1 -Ansätzen darin, ein ausreichendes Ausmaß an Wertungen der Rezipienten zum Höflichkeitsgrad einer Äußerung zu erhalten; dies gilt auch für CvK (vgl. 2.5). Auch die vorliegende Studie versteht sich daher in ihrer Grundausrichtung als dem Politeness 2 -Ansatz verpflichtet, weil sie aus der sprachlichen Formulie‐ rung der Beschwerden auf ihren Grad an (im)politeness schließt. In die Analyse einzubeziehen sind auch CvK-spezifische Hervorhebungsmöglichkeiten wie Großschreibung ganzer Wörter, Wortgruppen oder Texte oder die Verwendung von Emoticons/ Emojis. Zusätzlich sollen aber in die Auswertung auch Hinweise auf die Wahrnehmung der Interaktanten selbst - und somit Elemente eines Politeness 1 -Ansatzes - einfließen. Hierzu werden exemplarisch metakommuni‐ kative Äußerungen innerhalb der Beschwerdeposts, aber auch der Follow-up-Posts im Thread herangezogen. Anders als B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) setzt sich die vorliegende Studie außerdem zum Ziel, sich mit dem Face-Begriff konsequent in beiden Blickrich‐ tungen auseinanderzusetzen: sowohl in Bezug auf den Interaktionspartner 43 2.7 Zwischenfazit: Positionierung dieser Studie (other/ alter-face) wie auch auf das self-face. Dies soll u. a. über die Analyse von Selbstdarstellung und Referenzen geschehen (vgl. 8.2 und 8.3). Ob die in der Forschungsliteratur herausgestellten unterschiedlichen Polite‐ ness-Ausrichtungen und „Kulturstandards“ (T HOMA S 2003) für das Deutsche und das Italienische (vgl. 2.6) sich in den Posts des vorliegenden Korpus nieder‐ schlagen, gilt es zu überprüfen. 44 2 Forschungsüberblick I: (Im)politeness-Theorien 3 Forschungsüberblick II: Sprachwissenschaftliche Beschwerdeforschung Die Definition, was eine Beschwerde ist, wirft eine Reihe von Fragen und Prob‐ lemen auf. Nach einem kurzen Überblick über die Forschungsrichtungen, die sich mit Beschwerden beschäftigt haben (vgl. 3.1), sollen im Folgenden zunächst Definitionen und Charakterisierungen aus sprachwissenschaftlichen Arbeiten diskutiert und die Arbeitsdefinition genannt werden, die der Zusammenstellung des Korpus zugrunde gelegt wurde (vgl. 3.2). Es folgt ein Forschungsüberblick zu sprachwissenschaftlichen Studien, die Beschwerden aus verschiedenen Per‐ spektiven und auf Basis unterschiedlicher Datengrundlagen untersucht haben (vgl. 3.3). Im Mittelpunkt steht dabei die Methodik der vorgestellten Arbeiten; die eigentlichen Ergebnisse werden nur dort referiert, wo sie für die vorliegende Arbeit von Interesse sind. In 3.4 folgt ein Zwischenfazit. 3.1 Ansätze der sprachwissenschaftlichen Beschwerdeforschung 3.1.1 Die wichtigsten Perspektiven: Sprechakt-, Konversations- und Textsorten-(Genre-)Analyse Bislang existieren nur wenige Studien speziell zu Beschwerden in CvK; für die Herleitung der Untersuchungsfragen und -methoden sollen daher auch Studien herangezogen werden, die auf anderen Daten basieren. Der größte Teil der sprachwissenschaftlichen Studien zu Beschwerden beruht auf elizitierten (schriftlichen oder mündlichen) Daten und nimmt eine sprech‐ aktanalytische Perspektive ein (vgl. 3.3.1). Der Ansatz der Sprechaktanalyse, dessen erste Grundlagen A U S TIN (1962) und S EAR L E (1969) gelegt haben, basiert auf der Vorstellung, dass mit Sprechakten in der Alltagskommunikation Hand‐ lungen ausgeführt werden. Dabei waren Beschwerden - trotz ihres häufigen Auftretens - allerdings weniger häufig Untersuchungsgegenstand als andere Sprechakte wie Bitten, Komplimente und Entschuldigungen. Daneben existiert eine Reihe von Studien, die authentische Beschwerden in gesprochener Sprache zum Gegenstand haben und ihre diskursive Konstruktion in Interaktionen mit konversationsanalytischen Methoden untersuchen (vgl. 3.3.2). Deutlich seltener sind Untersuchungen, die auf authentischen schriftlichen Beschwerden basieren, z. B. Leserbriefen (vgl. 3.3.3). Diese verorten sich teils in der Sprechaktanalyse, teils in der Text(sorten)linguistik. Die deutsche Textlinguistik und Textsortenanalyse geht bereits auf die 70er-Jahre zurück; allerdings wurde der Ansatz außerhalb Deutschlands kaum rezipiert; S P ILLN E R (2002: 102-103) merkt an, es habe offenbar erst „englisch‐ sprachige[r] Ansätze, z. B. im fachsprachlichen Bereich unter dem Stich‐ wort ,Genre Analysis‘ (vgl. u. a. S WAL E S 1990, B HATIA 1993)“ bedurft, „um die deutschen Ansätze der siebziger Jahre hoffähig zu machen“, die bis dahin - ebenso wie entsprechende französische Arbeiten - international isoliert ge‐ wesen seien. Der Ansatz der genre analysis wurde in seiner Ausrichtung im fachsprachlichen Bereich - English for Specific Purposes - mit S WAL E S ’ (1990) gleichnamiger Arbeit begründet. In seiner viel zitierten Definition beschreibt S WAL E S (1990: 58) das nicht literarische genre als „a class of communicative events, the members of which share some set of communicative purposes“. Die Forschung hat sich traditionell vor allem mit genres aus dem akademischen Umfeld, wie Abstracts, wissenschaftlichen Aufsätzen oder Dissertationen, sowie genres aus der beruflichen Praxis, wie Geschäftsbriefen, beschäftigt. In den letzten zwei Jahrzehnten haben sich Pragmatik und genre analysis allerdings angenähert, wie T AR DY / S WAL E S (2014: 165) in ihrem Forschungsüberblick deut‐ lich machen: Während die anfänglichen Schwerpunkte auf kurzen, mündlichen Dialogen einerseits und längeren, schriftlichen Texten wie den oben genannten andererseits lagen, würden heute in der genre analysis teils kürzere, auch münd‐ liche Texte analysiert. Diese Annäherung spiegelt sich auch in der Abkehr S WAL E S ’ von seiner oben zitierten frühen Definition (S WAL E S 1990: 58). Statt‐ dessen beschreibt S WAL E S (2004: 61) das Konzept des genre in verschiedenen Metaphern u. a. als „frame for social action rather than as social action itself “. Studien schließlich, die wie die vorliegende Arbeit Beschwerden in CvK un‐ tersuchen, stehen erst in ihren Anfängen (vgl. 3.3.4). Wie bei der Betrachtung der Besonderheiten der (Im)politeness-Forschung in CvK schon deutlich wurde, verlieren etablierte linguistische Konzepte bei der Analyse von CvK vielfach ihre Gültigkeit; das gilt auch für Begriffe wie Text oder Textsorten (vgl. das Zitat von H E LD 2014a: 157-158 in 2.5). Gerade in der Diskussion über die Anwend‐ barkeit des Genre-Begriffs auf CvK zeigt sich seine Unschärfe. So wirft H E R R ING (2007: 3) die Frage danach auf, wie allgemein oder speziell ein Kommunikati‐ onsbereich definiert sein muss, auf den er angewandt wird: Ist eine „email dis‐ cussion list“ ein genre? Oder erst eine „academic discussion list“, wie sie G RÜB E R 46 3 Forschungsüberblick II: Sprachwissenschaftliche Beschwerdeforschung (2000) analysiert, oder aber, als Untergruppe hiervon, „academic discussion lists on masculine/ feminine topics“, wie H E R R ING (1996a) sie untersucht? V I R TAN E N / M AR ICIC (2000) bejahen die Frage danach, ob Anfragen über die Linguist List ein genre darstellen. Nach einer detaillierten Betrachtung der Facebook-Beschwerden, die Unter‐ suchungsgegenstand dieser Arbeit sind, soll am Ende von Abschnitt 4 die Gül‐ tigkeit der Kriterien überprüft werden, die an Textsorten (genres) angelegt werden. Um es vorwegzunehmen: In den Beschwerdeposts, wie sie Untersu‐ chungsgegenstand dieser Arbeit sind, ist keine eigene Textsorte (genre) zu sehen. Die Methoden der genre analysis bieten aber wertvolle Erkenntnisse für das vorliegende Korpus, weshalb sie hier herangezogen werden. Textsorte und genre werden im Rahmen dieser Arbeit synonym gebraucht. 3.1.2 Kontrastive Ansätze Der folgende Forschungsüberblick umfasst auch kontrastive Studien, wie sie gerade in sprechaktanalytischen Arbeiten eine große Rolle spielen. Aus der Per‐ spektive der Sprechaktanalyse vergleichen B LUM -K ULKA E T AL . (1989) in ihrer wegweisenden Pionierstudie zu Cross-Cultural Speech Act Realization Patterns (CCSARP) die Realisierung von Bitten und Entschuldigungen in fünf verschie‐ denen Sprachen. Dabei greifen sie auf die Methode der discourse completion tests zurück, schriftliche Fragebögen mit Situationsschilderungen, aus denen auch die soziale Distanz und das Verhältnis der Interaktionsteilnehmer zueinander hervorgeht, gefolgt von einem zu vervollständigenden Dialog. Ihr kontrastiver Ansatz wurde in einer Reihe von Studien aufgegriffen, die weiter unten disku‐ tiert werden sollen. Auch im Rahmen der genre analysis wurden zahlreiche kontrastive Untersu‐ chungen durchgeführt, wenn auch bislang nicht zu Beschwerden. So lassen sich auf Basis der text analysis und move analysis Vergleiche zwischen Texten aus unterschiedlichen Communities of Practice durchführen, die sich beispielsweise hinsichtlich ihres Fachgebiets, ihres Berufs, ihrer Nationalität oder Sprache un‐ terscheiden können (vgl. S AMRA J 2014: 389 ff.; T AR DY / S WAL E S 2014: 169). So vergleichen VAN M ULK EN / VAN DE R M E E R (2005) die moves in Antworten auf Kundenanfragen seitens holländischer und US-amerikanischer Unternehmen. Dabei beziehen sie sich auf die moves, ihre Reihenfolge sowie ihre sprachliche Realisierung. Eine Schwierigkeit, die sich bei Vergleichen stellt, ist die Frage nach der Ursache der Variation: Unterschiede können aus kulturellen Differenzen, aber auch aus sprachstrukturellen Gründen resultieren (vgl. A DAMZIK 2001: 24-26). 47 3.1 Ansätze der sprachwissenschaftlichen Beschwerdeforschung Für genres im Internet, will man solche ansetzen, ist an dieser Stelle zudem auf G ILT R OW S / S TE IN S These (2009: 11) von einer Konvergenz von Internet genres über Sprach- und Kulturräume hinweg hinzuweisen: Another facet of this shortfall in formal regularity is a higher degree of technical determination and cross-cultural convergence of Internet genres, where traditional genres, especially spoken genres but also written ones, have tended to be more cul‐ ture-specific. Daraus lässt sich die These ableiten, dass zu erwartende Unterschiede in der Realisierung deutsch- und italienischsprachiger Beschwerden in Social Media weniger ausgeprägt sind als außerhalb von CvK. Die Überprüfung dieser These würde allerdings einen anderen Untersuchungsansatz erfolgen, als er für diese Arbeit gewählt wurde. 3.2 Beschwerden: Versuch(e) einer Definition und Charakterisierung 3.2.1 Klassifikation als expressive, face-threatening acts Zu den in sprachwissenschaftlichen Forschungsarbeiten am häufigsten zitierten Charakterisierungen des Sprechakts der Beschwerde zählt zum einen ihre Ein‐ ordnung als expressive acts: Darunter versteht S EAR L E (1969) moralische Urteile, mit denen ein Sprecher seine Zustimmung oder (wie im Fall von Beschwerden) Ablehnung gegenüber einem bestimmten Verhalten zum Ausdruck bringt. Zum anderen klassifizieren B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987: 65-67) Be‐ schwerden als face-threatening acts (FTAs). Sie bedrohten zum einen die Hand‐ lungsfreiheit und damit das negative face des Beschuldigten. Dies könne sich z. B. in Aufforderungen oder Drohungen ausdrücken: „S [= the speaker, M. K.] indicates that he - or someone, or something - will instigate sanctions against H [= the hearer, M. K.] unless he does A [= some act, M. K.]“ (B R OWN / L E VIN S ON [1978]1987: 66). Zum anderen bringe der Sprecher mit einer Beschwerde zum Ausdruck, dass er die Gefühle und Wünsche des Hörers nach Akzeptanz nicht berücksichtige und bedrohe damit auch das positive face des Gesprächspartners: „S indicates that he doesn’t like/ want one or more of H’s wants, acts, personal characteristics, goods, beliefs or values“ (B R OWN / L E VIN S ON [1978]1987: 66). Daneben kann die Beschwerde aber auch einen FTA in Bezug auf den Sprecher darstellen - eine Perspektive, die in B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) Modell insgesamt eine untergeordnete Rolle spielt (vgl. 2.1). Zwar beschreiben B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) den Sprechakt der Beschwerde nicht direkt unter denje‐ 48 3 Forschungsüberblick II: Sprachwissenschaftliche Beschwerdeforschung nigen, die in erster Linie das face des Sprechers bedrohen (wie Entschuldigungen oder Dank), führen aber als einen Vorteil von Off-Record-Strategien an: „he [= the speaker, M. K.] can run less risk of his act entering the ‚gossip biography‘ that others keep of him“ (B R OWN / L EVIN S ON [1978]1987: 71). Eine Beschwerde kann also das positive face des Sprechers beeinträchtigen, indem sie das Ansehen ver‐ schlechtert, das er bei anderen genießt (vgl. auch M ÁR Q U E Z R E IT E R 2005: 484 und T R O S B O R G 1995: 324). Das negative face des Sprechers wiederum ist in Gefahr, wenn er im Rahmen seiner Beschwerde Details preisgeben muss, die er lieber für sich behalten hätte, und damit sein Streben nach selbstbestimmtem Handeln beeinträchtigt wird (O R THAB E R / M ÁR QU E Z R E IT E R 2011: 3863). Mit der Charakterisierung von Beschwerden als FTAs geht die oben bereits angeführte konfliktuelle Situation einher, wie sie B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987: 71-74) im Abschnitt The payoffs: a priori considerations beschreiben und wie sie treffend auch bei E DMOND S ON / H O U S E (1981: 144-145) oder O L S H‐ TAIN / W E INBACH (1993: 108-110) wiedergegeben ist: Das Bedürfnis des Spre‐ chers, seine negativen Gefühle zum Ausdruck zu bringen, muss er gegen das Risiko, soziale Nachteile wie das Ende einer Freundschaft in Kauf zu nehmen, abwägen, was zu den von B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) geschilderten Strate‐ gien zur Abmilderung (mitigation) führen kann (vgl. 2.1). 3.2.2 Schwierigkeit der Definition von Beschwerden Die Definition von Beschwerden anhand formaler Merkmale ist schwierig. Be‐ reits S ACK S (1992: 359) verweist auf die vielfältigen Realisierungsmöglichkeiten für Beschwerden und auf den Einfluss des Kontextes: Identifying something as a complaint may depend on contextual features of the talk: routinely a piece of praise plus „but“ plus something else, tells you that the something else is a „complaint“, where it isn’t obvious, often, that it is a complaint. That is to say, isolated, it wouldn’t be a complaint. Eine Beschwerde ist nach S ACK S also losgelöst von ihrem Kontext nicht unbe‐ dingt als Beschwerde zu erkennen. Eine frühe, viel zitierte Definition des Sprechakts der Beschwerde stammt von E DMOND S ON / H OU S E (1981: 144): A Complain [sic] is analysed for our purposes as a verbal communication whereby a speaker expresses his negative view of a past action by the hearer (i. e. for which he holds the hearer responsible), in view of the negative effects or consequences vis à vis himself. 49 3.2 Beschwerden: Versuch(e) einer Definition und Charakterisierung 9 R H U R A K V I T (2011: 22-23) dagegen klassifiziert Beschwerden generell als „response moves“: „Based on the fact the speech act of complaining is used when the speaker wants to express his/ her displeasure towards the offensive act (Olshtain and Weinbach 1993), this, accordingly, means that the speech act of complaint is a response move, not an initial move like other speech acts, such as a greeting, or an invitation.” Dabei über‐ sieht R H U R A K V I T , dass der „offensive act“, wie oben erläutert, auch nonverbaler Natur sein kann (vgl. auch S P E N C E R -O A T E Y S [u. a. 2000a, b] Modell des rapport management in 2.3.2). Eine andere bekannte Definition ist die von O L S HTAIN / W E INBACH (1993: 108, ähnlich bereits 1987: 195): In the speech act of complaining, the speaker (S) expresses displeasure or annoyance - censure - as a reaction to a past or ongoing action, the consequences of which are perceived by S as affecting her unfavorably. This complaint is usually addressed to the hearer (H) whom the S holds, at least partially, responsible for the offensive action. For the purpose of this study, censure will be assumed to have been expressed whenever S chooses to verbalize her disapproval of the violation. Nach diesen Definitionen geht der Beschwerde ein Vorfall voraus, dessen Kon‐ sequenzen der Sprecher als negativ beurteilt und der die Ursache für die Be‐ schwerde darstellt, die anschließend vom betroffenen Sprecher artikuliert wird. In der Klassifikation von E DMOND S ON / H OU S E (1981: 147-151) gelten Be‐ schwerden damit in Bezug auf ihre interaktive Struktur als in den meisten Fällen „initiating speech acts“ (147), von einem vorherigen Ereignis als Beschwerde‐ grund hervorgerufen. In anderen Fällen, so E DMOND S ON / H O U S E (1981: 147) können sie aber auch „contras“ sein: 9 We distinguish here the case in which the Complainable is a non-verbal act on the part of the addressee (the unmarked case), or, in fact, something the addressee has just said in the course of the ongoing conversation. Wie genau dies geschieht, war Gegenstand einer Reihe von - insbesondere sprechaktanalytischen - Arbeiten (vgl. 3.3.1). Sie zeigen, dass sich Beschwerden kaum von anderen, verwandten Sprechakten abgrenzen lassen. So merken be‐ reits H O U S E / K A S P E R (1981: 159) an, dass sie den Sprechakt der Beschwerde (wie auch den der Bitte) in einem breiten Sinne verstehen: complaints embrace other expressives sharing the features „post-event/ anti-X“ which may be referred to in English by such verbs as „criticize“, „accuse“ or „reproach“. In ähnlicher Weise stellt E DWAR D S (2005: 7) fest, dass es nicht möglich sei, den Sprechakt der Beschwerde anhand rein formaler Kriterien zu erkennen, weil er nicht mit bestimmten Sprechaktverben verbunden sei. So werde das Wort com‐ 50 3 Forschungsüberblick II: Sprachwissenschaftliche Beschwerdeforschung 10 Es sei vorweggenommen, dass auch in dem Korpus dieser Arbeit für Beschwerden ty‐ pische Sprechaktverben und die dazugehörigen Substantive nur selten belegt sind (vgl. die Ausführungen zum move Metakommentar, 6.2). So kommen das Verb sich beschweren oder das Substantiv Beschwerde im gesamten deutschsprachigen Teilkorpus nur in 10 Posts vor; für das Italienische finden wir reclamare/ reclamo (10 Posts), lamentarsi/ lamentela (7 Posts), protestare (1 Post). Daneben verweisen die Kunden in einleitenden Sätzen z. B. auf ihre Frage (domanda) oder ihr Problem (problema). (Gezählt wurden diese Vorkommen auch dann, wenn sich die Beschwerdeführer damit nicht auf ihre aktuelle, sondern auf frühere Beschwerden bezogen.) 11 In ihrer Studie zu Unternehmensentschuldigungen auf Twitter stellt P A G E (2014) ihr Korpus über die Suche nach Lexemen wie apologize und sorry zusammen. Entschuldi‐ gungen lassen sich damit viel eher anhand bestimmter lexikalischer Elemente identi‐ fizieren als beispielsweise Beschwerden. plain selbst nur selten verwendet, auch Bezeichnungen wie criticize, (be)moan, accuse oder denigrate seien denkbar, wenn der Sprecher denn überhaupt seine Aktivität charakterisiere. 10 Situationsabhängig lasse sich sogar beobachten, dass Sprecher zuweilen bewusst dem Eindruck entgegenwirken wollten, sie würden sich beschweren (E DWAR D S 2005: 7). Aufgrund der Vielgestaltigkeit von Beschwerden ist auch die Unterscheidung in einen head act und supportive moves im Rahmen eines sogenannten „Sprech‐ aktsets“ (z. B. B LUM -K ULKA et al. 1989) schwierig. Die als head act identifizierte Äußerung ist diejenige, die den illokutionären Gehalt trägt; S EAR L E (1969) spricht in diesem Zusammenhang von illocutionary force indicating device. Wäh‐ rend beispielsweise ein move wie „I’m sorry“ 11 in dieser Terminologie den head act einer Entschuldigung darstellt, können Erklärungen oder Angebote zur Wiedergutmachung supportive moves sein, über die sich der gesichtsbedrohende Charakter des head act regulieren lässt. G E LU Y K E N S / K RAF T (2007: 147-148) ver‐ deutlichen anhand eines Beispiels aus ihrem Korpus, dass der head act nicht zweifelsfrei bestimmt werden kann: Excuse me, U1: Apology can I speak to the management U2: Request I’m not at all happy U3: Head Act? So lasse sich in der routineartigen Entschuldigung U1 deutlich ein supportive move erkennen; U2 als Forderung könne nicht head act einer Beschwerde sein - aber U3 weise auch keinen klaren illocutionary force indicating device auf, son‐ dern könne eher als evaluation oder assessment bezeichnet werden. Aufgrund der geschilderten Schwierigkeiten einer genauen Definition fassen einige neuere Arbeiten den Sprechakt der Beschwerde sehr breit. So sehen bei‐ 51 3.2 Beschwerden: Versuch(e) einer Definition und Charakterisierung 12 Die Präzisierung, dass für die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Be‐ schwerden nicht nur die (ursächliche) Verantwortlichkeit, sondern unabhängig davon auch die Zuständigkeit des Adressaten für eine Beschwerde relevant ist, wird leider in anderen Definitionen häufig übergangen. Im Kontext des Korpus der vorliegenden Ar‐ beit - Kundenbeschwerden an hierfür zuständige Mitarbeiter eines Unternehmens, die aber i. d. R. nicht selbst zum Beschwerdegrund beigetragen haben - ist sie zentral. spielsweise H EIN EMANN / T RAV E R S O (2009: 2383) - und im Anschluss daran V ÁS‐ Q U EZ (2011: 1708) - eine Beschwerde in einer funktionalen Perspektive schon in einem Kommentar „with even the slightest negative valence“. In der vorliegenden Studie geht es speziell um Beschwerden von Kunden an Unternehmen; daher wurde zur Entwicklung einer Arbeitsdefinition zusätzlich wirtschaftswissenschaftliche Literatur herangezogen. Der Zusammenstellung des Korpus wurde schließlich die folgende Definition von Kundenbeschwerde zugrunde gelegt: verbal und/ oder bildlich formulierte Äußerung, mit der ein Schreiber seine Unzufrie‐ denheit mit einer vergangenen oder laufenden Problematik oder Handlung zum Aus‐ druck bringt, für die er das Unternehmen in der Verantwortung sieht. Die Herleitung dieser Arbeitsdefinition erläutere ich in 5.1.2. 3.2.3 Unterscheidung in direkte/ indirekte Beschwerden O L S HTAIN S / W E INBACH S (1993: 108) in der oben genannten Definition enthaltene Feststellung, dass sich die Beschwerde normalerweise an einen Hörer richte, den der Sprecher für verantwortlich für die Beschwerde halte, hat in einer Reihe von Studien eine weitere Differenzierung erfahren: Unterschieden wird zwi‐ schen direkten und indirekten Beschwerden. Nach B OXE R (1993 a, b, 2010) richtet sich der Sprecher in einer direkten Beschwerde (complaint) an den für den Grund der Beschwerde (ursächlich) Verantwortlichen oder denjenigen, dem die Rolle zufällt, die entstandenen negativen Konsequenzen zu beheben. 12 In einer indi‐ rekten Beschwerde - nach B OXE R (2010: 165) alltagssprachlich auch als griping, grumbling oder gar bitching oder bellyaching bezeichnet - dagegen richtet sich die Kritik an eine dritte Person, die hierfür weder verantwortlich noch zuständig ist. B OXE R (2010: 164) stellt die prinzipiellen Unterschiede zwischen direkten und indirekten Beschwerden wie folgt heraus: DC [= direct complaint, M. K.] is typically a face-threatening act in terms of Brown and Levinson’s (1987) politeness theory because it asks the addressee to remedy a complaint. IC [= indirect complaint, M. K.] is done for venting or seeking agreement; therefore, depending on the response, it has great potential to be a rapport-inspiring 52 3 Forschungsüberblick II: Sprachwissenschaftliche Beschwerdeforschung 13 Für Auflistungen weiterer sprechaktanalytischer Arbeiten zu Beschwerden - in ver‐ schiedenen Sprachen/ Sprachkombinationen - vgl. B O X E R (2010: 163), M E I N L (2010: 13) und V Á S Q U E Z (2011: 1707). speech act. Of course, the IC is not necessarily a source of solidarity-building, but more of a hidden request for it. Damit geht die verschiedene Adressatenwahl also insbesondere mit einem Un‐ terschied in der Funktion der Beschwerden einher: Während im Falle direkter Beschwerden die Forderung nach Wiedergutmachung im Vordergrund steht, ist vorrangiges Ziel im Falle indirekter Beschwerden, dem eigenen Ärger Luft zu machen oder Solidaritätsbekundungen seitens Dritter zu erlangen. Allerdings lässt sich die Dichotomie zwischen direkten und indirekten Be‐ schwerden nicht immer aufrechterhalten, wie zu zeigen sein wird (vgl. u. a. 3.3.3, 8.3.3). 3.3 Sprachwissenschaftliche Studien zu Beschwerden 3.3.1 Elizitierte Daten Im Anschluss an die bereits genannte Studie zu Cross-Cultural Speech Act Rea‐ lization Patterns (CCSARP) (B LUM -K ULKA E T AL . 1989) ist eine Reihe von Ar‐ beiten zur Realisierung von Beschwerden entstanden, die auf elizitierten Daten basieren. Zum einen werden Beschwerden in einer oder mehreren Einzelspra‐ chen (cross-cultural studies) untersucht, zum anderen in muttersprachlichen und Lernervarietäten ein und derselben Sprache (interlanguage studies); oft werden beide Ansätze auch kombiniert, um „pragmatische Interferenzen“ (C O ULMA S 1978) aus der jeweiligen Muttersprache bei Lernern aufzudecken. Untersu‐ chungen dieser Art verfolgen in der Regel eine didaktische Perspektive (B OXE R 2010). Studien liegen unter anderem - teils mit Sprechern anderer Mutterspra‐ chen - für Beschwerden auf Englisch (M U R PHY / N E U 1996), Englisch/ Deutsch (H O U S E / K A S P E R 1981, G E LU Y K E N S / K RAF T 2003), Hebräisch (O L S THAIN / W E INBACH 1987, 1993), Dänisch/ Englisch (T R O S B O R G 1995), Italienisch/ Französisch/ Deutsch (H E LD 2001), Französisch (K RAF T / G E LU YK E N S 2002), Französisch/ Deutsch (K RAF T / G E LU YK E N S 2004), Englisch/ Italienisch (R U BINO / B ETTONI 2006), Deutsch (N E ULAND 2009) und Thai/ Englisch (R HU RAKVIT 2011) vor. 13 Die Daten stammen meist aus discourse completion tests oder Rollenspielen; dabei wird die Beschwerdesituation möglichst exakt beschrieben; ferner wird nach Variablen wie Geschlecht, sozialem Status der Interaktionspartner und dem Gewicht des FTA variiert, indem beispielsweise das Verhältnis des Spre‐ 53 3.3 Sprachwissenschaftliche Studien zu Beschwerden chers zum Interaktionspartner oder eine Wiederholung des Beschwerdegrunds genau beschrieben werden. So ist der Interaktionspartner in der folgenden Be‐ schreibung (O L S HTAIN / W E INBACH 1987: 198) der eigene Nachbar; es wird deut‐ lich, dass der Beschwerdegrund zum wiederholten Male eingetreten ist, die Musik sehr laut ist und der Zeitpunkt der Ruhestörung, nachts, eine Beschwerde recht‐ fertigt: It is not the first time that you hear very loud rock music coming from you [sic] neighbor’s apartment late at night. You call him/ her up on the phone and say: […] Der Schwerpunkt der Arbeiten liegt zum einen auf Diskursstrategien (discourse strategies) zur Realisierung der Beschwerden, die je nach spezifischem Kontext der Studie variieren. Ausgehend von der Auffassung von Beschwerden als FTAs im Sinne B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) untersuchen sie außerdem sprach‐ liche Mittel zu ihrer Verstärkung oder Abmilderung. Exemplarisch sollen im Hinblick auf ihre Methodik als frühe und wegweisende Studien dieser Art H O U S E / K A S P E R (1981), O L S HTAIN / W EINBACH (1987) und T R O S B O R G (1995) näher vorgestellt werden. H OU S E / K A S P E R (1981) untersuchen zum einen Beschwerden, zum anderen Aufforderungen deutscher und englischer Muttersprachler in einem Rollenspiel. Im Mittelpunkt ihrer Untersuchung stehen der sogenannte „Direktheitsgrad“ der Beschwerden bzw. Aufforderungen und der Gebrauch von Modalitätsmar‐ kern, verstärkenden und abmildernden sprachlichen Mitteln (downgraders/ upgraders). Ihre in späteren Studien (u. a. O L S HTAIN / W EINBACH 1987, 1993; T R O S B O R G 1995; H AR T F O R D / M AHB O O B 2004; H E N R Y / H O 2010; M EINL 2010) vielfach - teils adaptiert - übernommene Skala für die Realisierung von Beschwerden stellt darauf ab, ob und wie implizit oder explizit der eigentliche Beschwerdegrund, die Schuld des Gesprächspartners sowie negative Bewertungen zum Ausdruck gebracht werden. Auf diese Weise ordnen H O U S E / K A S P E R (1981: 163-164) jeder Beschwerde einen von acht Direktheitsgraden zu, wobei Grad 8 potenziell das höchste Konfliktpotenzial im Sinne eines FTA beinhaltet. Tabelle 2 zeigt ihre Kategorien und Beispiele für die Situation, Sprecher X beschuldige den Hörer Y, er habe X’ Bluse getragen und verschmutzt (= Beschwerdegrund P). Der zugeordnete Direktheitsgrad bezieht sich auf die Höhe des Konfliktpo‐ tenzials einer Äußerung als FTA: Im Falle indirekterer Formulierungen muss der Beschuldigte über einen Inferenzprozess die wahre Bedeutung des Gesagten erst erschließen (H O U S E / K A S P E R 1981: 159). Hinter den 8 Direktheitsgraden steht letztlich die Frage, was in der jeweiligen Beschwerde - implizit oder explizit - zum Ausdruck kommt: (1) die Beschreibung der Handlung (des Beschuldigten), 54 3 Forschungsüberblick II: Sprachwissenschaftliche Beschwerdeforschung (2) die negative Bewertung dieser Handlung, (3) die Beteiligung des Beschul‐ digten an der Handlung und (4) die negative Bewertung sowohl der Handlung wie auch des Beschuldigten. 1 By performing the utterance U in the presence of Y, X implies that he knows that P has happened and he implies that Y did P […] Seltsam, gestern war meine Bluse doch noch ganz sauber. 2 By explicitly asserting that P, X implies that Y did P […] Da ist ein Fleck auf meiner Bluse. 3 By explicitly asserting that P is bad for him, X implies that Y did P […] Schrecklich, dieser Fleck wird wohl nie wieder rausgehn. 4 By explicitly asking Y about conditions for the execution of P or stating that Y was in some way connected with the conditions for the doing of P, X implies that Y did P […] Hast du etwa meine Bluse angehabt? 5 X explicitly asserts that Y did P […] Du hast den Fleck draufgemacht. 6 By explicitly asserting that the action P for which Y is agentively responsible is bad, or explicitly stating a preference for an alternative action not chosen by Y, X implies that Y is bad / or X asserts explicitly that Y did P and that P is bad for X, thus also implying that Y is bad […] Du hättest die Bluse nicht ohne meine Erlaubnis nehmen sollen / Du hast meine ganze Bluse ruiniert. 7 X asserts explicitly that Y’s doing of P is bad […] Ich finde es gemein von dir, daß du einfach mein [sic] Sachen nimmst. 8 X asserts explicitly that Y is bad […] Du bist wirklich unverschämt. Tabelle 2: Direktheitsgrade für Beschwerden (H O U S E / K A S P E R 1981: 160-161) H OU S E ’/ K A S P E R S Skala für Aufforderungstypen ist in Tabelle 3 am Beispiel der Aufforderung, das Fenster zu schließen, zusammengefasst. Geordnet sind die verschiedenen Typen wiederum nach dem Grad an Direktheit, den H O U S E / K A S P E R (1981) ihnen zuordnen: Die Feststellung „Es ist sehr kalt hier drin“ sehen sie damit als den indirektesten, den Imperativ „Mach das Fenster zu! “ als den direktesten Ausdruck der Aufforderung. Auch in späteren Studien zu Bitten/ Aufforderungen findet sich ein solches - teils adaptiertes - Schema wieder (vgl. B LUM -K ULKA E T AL . 1989: 275-289; H E LD 1995; T R O S B O R G 1995; W AR GA 2004). 55 3.3 Sprachwissenschaftliche Studien zu Beschwerden 1 Mild Hint Es ist sehr kalt hier drin. 2 Strong Hint Warum ist das Fenster offen? 3 Query-Preparatory Kannst du das Fenster zumachen? 4 State-Preparatory Du kannst das Fenster zumachen. 5 Scope-Stating Mir wärs lieber, wenn du das Fenster zumachen wür‐ dest. 6 Locution-derivable Du solltest das Fenster zumachen. 7a Hedged-Performative Ich muss dich bitten, das Fenster zuzumachen. 7b Explicite-Performa‐ tive Ich bitte dich, das Fenster zuzumachen. 8 Mood-derivable Mach das Fenster zu! Tabelle 3: Direktheitsgrade für Aufforderungen (H O U S E / K A S P E R 1981: 163-164) Im Kontext dieser Arbeit werden Aufforderungen - wie auch in späteren Stu‐ dien, die im Folgenden vorgestellt werden - als Teil von Beschwerden interpre‐ tiert; zur Beschreibung des move Forderung werde ich in 6.4.4 auch auf dieses Schema zurückgreifen. Zunächst aber sollen an dieser Stelle H OU S E ’/ K A S P E R S (1981) Überlegungen zur Klassifikation von Beschwerden weiterverfolgt werden. Terminologisch abzugrenzen ist der an dieser Stelle untersuchte Direktheits‐ grad - mit dem das Kontinuum zwischen impliziten und expliziten Beschwerden zum Ausdruck gebracht wird - von der oben bereits erläuterten Kategorisierung von Beschwerden als direkt oder indirekt (vgl. 3.2.3). Letztere basiert darauf, ob der Adressat der Beschwerde der für sie Verantwortliche/ Zuständige (direkte Beschwerde) oder eine dritte Person/ Instanz (indirekte Beschwerde) ist (vgl. B OXE R 1993a, b; zur terminologischen Differenzierung vgl. auch V ÁS QU E Z 2011: 1709 und M ÁR Q U EZ R EIT E R 2013: 232). Die verschiedenen von H O U S E / K A S P E R (1981) identifizierten Modalitäts‐ marker dienen dazu, in Äußerungen mit unterschiedlichem Direktheitsgrad ver‐ schiedene „Höflichkeitseffekte“ hervorzurufen. Unter den downgraders - mit ab‐ mildernder Wirkung - unterscheiden H OU S E / K A S P E R (1981: 167-168) 11 Typen, u. a. politeness markers (z. B. bitte), hedges (z. B. irgendwie, ziemlich) und under‐ staters (z. B. ein wenig, eine Sekunde). Unter den upgraders, die face threatening acts verstärken können, unterscheiden H O U S E / K A S P E R (1981: 169-170) 6 Typen, u. a. overstaters (z. B. absolut [widerwärtig]), intensifiers (z. B. so, solch, wirklich), aggressive interrogatives (z. B. Warum hast du mir das nicht vorher gesagt? ). 56 3 Forschungsüberblick II: Sprachwissenschaftliche Beschwerdeforschung H O U S E / K A S P E R (1981: 161-162) stellen in ihrem Vergleich fest, dass die deut‐ schen Sprecher Beschwerden mit einem durchschnittlich höheren Direktheits‐ grad äußern und doppelt so viele upgraders wie die englischen Teilnehmer ver‐ wenden. Während noch B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987: 66) Beschwerden neben an‐ deren Sprechakten mit ähnlichen Auswirkungen auf das negative oder positive face des Hörers aufführen, wie warnings, dares, expressions of disapproval, criti‐ cism, contempt or ridicule, reprimands, accusations, insults, ohne deren Verhältnis zueinander zu problematisieren, widmen sich spätere Studien ausführlich der Frage nach der Möglichkeit einer Abgrenzung von Beschwerden gegenüber an‐ deren Sprechakten bzw. ihrem komplexen Aufbau. Dabei bauen viele Studien (wie T R O S B O R G 1995) auf einer von O L S HTAIN / W E INBACH (1987: 199-201) ent‐ wickelten Taxonomie auf. Die mittels eines discourse completion questionnaire bei Muttersprachlern und Lernern des Hebräischen erhobenen schriftlichen Be‐ schwerden teilen O L S HTAIN / W E INBACH (1987) nach ihrem level of severity in die folgenden fünf „semantic formulas“ oder „strategies“ (O L S HTAIN / W E INBACH 1987: 196) ein (vgl. Tabelle 4): 1 below the level of reproach Never mind, nothing serious happened. Such things happen all the time. 2 expression of annoyance or disapproval Such lack of consideration. Is this acceptable behavior? 3 explicit complaint You’re inconsiderate! One should not postpone this type of operation. 4 accusation and warning I’ll speak to your supervisor. Next time I’ll let you wait for hours. 5 immediate threat This is the last time I’m letting you touch my car. Pay the money right now. Tabelle 4: Realisierungsmuster für das Sprechaktset der Beschwerde (O L S H TAI N / W E I N‐ B A C H 1987: 199-201) Anhand einer solchen Unterteilung wird deutlich, dass eine Beschwerde sich nicht von anderen, verwandten Sprechakten wie den aufgeführten abgrenzen lässt, sondern mit ihnen als Sprechaktset verbunden sein kann. O L S HTAIN / W EIN‐ BACH (1987) stellen in ihrer Untersuchung unter anderem fest, dass meist die drei zentralen Strategien - disapproval, complaint und warning - realisiert werden; abhängig sei dies vom Statusunterschied zwischen Sprecher und Hörer. 57 3.3 Sprachwissenschaftliche Studien zu Beschwerden 14 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Beitrag von T R O S B O R G / S H A W (1998), die eine Lehreinheit entwickeln, um Studierenden erfolgreiches Complaint-Handling zu vermitteln. 15 T R O S B O R G (1995) zitiert alle Beispiele (auch die der nicht muttersprachlichen Teil‐ nehmer) im Original. Weiterentwickelt werden H O U S E ’/ K A S P E R S (1981) und O L S HTAIN S / W E IN‐ BACH S (1987) Kategorisierungen von T R O S B O R G (1995), die über ein Rollenspiel elizitierte Daten von dänischen Englischlernern und englischen sowie däni‐ schen Muttersprachlern miteinander vergleicht. 14 Im Gegensatz zu O L S HTAIN / W E INBACH (1987) grenzt T R O S B O R G (1995: 322) complaint strategies und directive (additional) acts voneinander ab. Am Beispiel der Situation „damaged car“, in der der Hörer das Auto des Sprechers geliehen und dabei beschädigt hat, nimmt T R O S B O R G (1995: 319) mit aufsteigendem Direktheitsgrad für die complaint stra‐ tegies die in Tabelle 5 dargestellte Unterteilung vor. Cat. I: No explicit reproach Str. 1 Hints My car was in perfect order when I last drow 15 it. There was nothing wrong with my car yesterday. Cat. II: Expression of disapproaval [sic] Str. 2 Annoyance There’s a horrible dent in my car. Oh dear, I’ve just bought it. Str. 3 Ill conse‐ quences How terrible! Now I won’t be able to get to work tomorrow. Oh, damn it, I’ll lose my insurance bonus now. Cat. III: Accusation Str. 4 Indirect You borrowed my car last night, didn’t you? Str. 5 Direct Did you happen to bump into my car. Cat. IV: Blame Str. 6 Modified blame Honestly, couldn’t you have ben more careful. You should take more care with other people’s cars. Str. 7 Explicit blame (behaviour) It’s really too bad, you know, going round wrecking other people’s cars. How on earth did you manage to be so stupid. Str. 8 Explicit blame (person) Oh no, not again! You really are thoughtless. Bloody fool! you’ve done it again. Tabelle 5: Beschwerdestrategien (T R O S B O R G 1995: 319) 58 3 Forschungsüberblick II: Sprachwissenschaftliche Beschwerdeforschung 16 Ganz ähnlich wie T R O S B O R G versteht z. B. M Á R Q U E Z R E I T E R (2005) Beschwerden als prospektiv und retrospektiv, trennt allerdings die directives nicht als eigenen Bestandteil ab. Wenn M Á R Q U E Z R E I T E R (2005: 483) schreibt, „complaints are mainly seen as retro‐ spective acts (Trosborg 1995)“, verkürzt sie T R O S B O R G S oben stehende Ausführungen auf die complaints i. e. S., die T R O S B O R G von den directives abtrennt. Damit nimmt sie in ihrer Studie also nur scheinbar eine andere Perspektive ein („In this study, complaints are understood as both prospective and retrospective“; M Á R Q U E Z R E I T E R 2005: 484). 17 B L U M -K U L K A (1987: 135) beschreibt die Unterscheidung zwischen externen und internen Modifikationen am Beispiel des Sprechakts der Aufforderung wie folgt: „For every se‐ quence that realizes a request, the minimal part that can potentially serve to realize the act is considered the HEAD ACT. Other linguistic elements present are analyzed in terms of their relation to the HEAD ACT as either external or internal modifications. External modifications are elements added to the syntactic unit realizing the HEAD ACT, (,I have run out of cash. Could you lend me …‘) and internal modifications are elements added within that unit (,Could you by any chance lend me … ‘).“ Als directive acts, die zusammen mit den Beschwerdestrategien auftauchen, identifiziert T R O S B O R G (1995: 320-322) request for repair, threat und request for forbearance (die Bitte, das kritisierte Verhalten möge künftig unterbleiben). Sie sieht in ihnen insbesondere „an attempt to make the complainee repair the da‐ mages he/ she has caused, and/ or an attempt to prevent a repetition of the de‐ plorable act“ (320). Während O L S HTAIN / W EINBACH (1987) die ersteren beiden als im Sprechaktset der Beschwerde enthalten sehen, fügt T R O S B O R G die dritte Ka‐ tegorie neu hinzu. Anhand von T R O S B O R G S Unterteilung wird auch die doppelte Ausrichtung von Beschwerden als sowohl retrospektiv wie auch prospektiv deutlich. Während der Beschwerdegrund (und/ oder sein Beginn) in der Vergangenheit liegt (retro‐ spektiv), sind beispielsweise Forderungen nach Wiedergutmachung auf künf‐ tiges Verhalten hin ausgerichtet (prospektiv). Als additional acts trennt T R O S‐ B O R G (1995: 311) also nur die prospektiven Bestandteile, die directives, von der eigentlichen Beschwerde ab. Aber auch wo keine Trennung in retrospektive und prospektive Bestandteile erfolgt, ist diese doppelte Ausrichtung von Be‐ schwerden erkannt worden (z. B. M ÁR Q U E Z R E IT E R 2005: 484; O R THAB E R / M ÁR‐ Q U E Z R E IT E R 2011: 3861). 16 C O R TÉ S D E LO S R Í O S (2010: 18) sieht in den eigentlichen Beschwerden einen direktiven Sprechakt, in der häufig folgenden Drohung einen kommissiven. Bei den mitigating strategies unterscheidet T R O S B O R G (1995: 327-329) zwi‐ schen interner und externer Modifikation. Dabei bezieht sich interne Modifika‐ tion auf die Satzebene und wird mittels Modalitätsmarkern (modality markers) erreicht, die die Beschwerde verstärken oder abmildern. 17 Bei externer Modifi‐ kation werden zusätzlich supportive moves herangezogen, die die Beschwerde rechtfertigen und so der Gefahr eines Face-Verlusts des Sprechers vorbeugen. 59 3.3 Sprachwissenschaftliche Studien zu Beschwerden 18 H E L D (2001) und N E U L A N D (2009) beziehen sich auf den Sprechakt der Kritik; wie oben bereits ausgeführt, lässt sich zwischen dem Sprechakt der Kritik und dem der Be‐ schwerde aber nur schwer unterscheiden (H O U S E / K A S P E R 1981: 159). So kann der Sprecher beispielsweise sein Recht, sich zu beschweren, mit sup‐ portives moves zusätzlich untermauern. Hierzu zählt T R O S B O R G u. a. Äuße‐ rungen, mit denen der Sprecher eine anstehende Beschwerde einleitet (prepa‐ rators), den Hörer zu „entwaffnen“ sucht (disarmers) oder Beweise nennt (providing evidence). Auch R HU RAKVIT (2011) legt mittels discourse completion tests einen Vergleich zwischen Ausprägungen von Beschwerden in zwei Sprachen vor, nämlich Thai und Englisch - und berücksichtigt für das Englische auch die Lernervarietät. Interessant ist ihre Diskussion der Ergebnisse vor verschiedenen Höflichkeits‐ modellen, insbesondere B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) und S P ENC E R -O AT E Y (2008). R HU RAKVIT (2011: 237-247) kommt dabei zu dem Schluss, dass nach B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) Modell mehr downgraders zur Abmilderung des FTAs zu erwarten wären. S P E NC E R -O AT E Y (2008) dagegen erweitere mit ihrem Modell den Blick auf andere Aspekte als face und liefere damit plausiblere Erklärungsansätze. Vergleichsweise selten sind Studien zum Sprechakt der Beschwerde, in denen (auch) deutschund/ oder italienischsprachige Beschwerden untersucht werden. Im Hinblick auf den in dieser Arbeit vorgenommenen deutsch-italienischen Vergleich sollen im Folgenden die Ergebnisse der Studien von H E LD (2001), R U BINO / B ETTONI (2006) und N E ULAND (2009) kurz vorgestellt werden. 18 H E LD (2001) erhebt mittels discourse completion tests den Sprechakt der Kritik bei italienischen, französischen und österreichischen Studierenden. Insgesamt zeigt sich eine deutlich situationsabhängige Variation der Beschwerdeformu‐ lierungen, ohne dass sich signifikante Unterschiede zwischen den drei Sprach‐ gemeinschaften nachweisen ließen. Als überprüfenswerte Hypothese stellt H E LD (2001: 127) allerdings heraus: „Die Romanen tendieren überhaupt etwas mehr zur Verwendung expliziter Beziehungssignale wie Gesprächswörter und kommunikativem Vorspann und zeigen etwas mehr spontane Kreativität als die Österreicher.“ N E ULAND (2009) untersucht auf Basis eines Tests mit offenen und geschlossenen Fragen die Sprechakte des Kritisierens (und Komplimentierens) bei insgesamt 200 deutschen Muttersprachlern und italienischen (sowie finni‐ schen) Deutschlernern. Insgesamt zeigt sich, dass die (italienischen wie finni‐ schen) Deutsch-als-Fremdsprache-Lerner beim Sprechakt des Kritisierens stärker um Höflichkeitsstrategien bemüht sind als die Muttersprachler. R U‐ BINO / B E TTONI (2006) erheben mittels Rollenspielen Daten zu Beschwerdestra‐ tegien und ihrer Formulierung bei 20 Australiern und 20 Italienern. Dabei legen 60 3 Forschungsüberblick II: Sprachwissenschaftliche Beschwerdeforschung die Italienischsprecher insgesamt ein gleichförmigeres Beschwerdeverhalten an den Tag als die jeweilige Vergleichsgruppe. Außerdem führten sie - verglichen mit den Australiern - den Beschwerdedialog ungeachtet mangelnder Lösungs‐ perspektiven tendenziell länger weiter. Wie der Forschungsüberblick zu sprechaktanalytischen Arbeiten gezeigt hat, kommt elizitierten Daten gerade für vergleichende Studien weiterhin große Be‐ deutung zu. Allerdings sind ihre Vor- und Nachteile gegenüber authentischen Daten seit Beginn der 80er-Jahre immer wieder kontrovers diskutiert worden (u. a. B E E B E / C LAR K C UMMING S 1985, 1996; K A S P E R / D AHL 1991; M U R PHY / N E U 1996; G OLATO 2003; H E LD 2009). Ein großer Vorteil der Verwendung elizitierter Daten liegt unbestritten in der Möglichkeit, in einem begrenzten Zeitraum eine für Analysen ausreichende Anzahl auch seltener Sprechakte zu erheben. Insbesondere aber erlauben expe‐ rimentelle Settings es, tatsächlich vergleichbares Datenmaterial zu gewinnen, um den Einfluss bestimmter, zu definierender Faktoren (wie sprachlich-kultureller Zugehörigkeit, sozialer Distanz, Alter, Geschlecht) zu bestimmen. Immer wieder wurde allerdings darauf hingewiesen, dass mittels elizitierter Daten statt tatsächlicher sprachlicher Handlungen vielmehr das Wissen und die Einschät‐ zung der Teilnehmer erhoben würden. So stellt F ÉLIX -B R A S D E F E R (2010: 45) fest: WDCTs [= written discourse completion tests, M. K.] measure what the participants know, rather than how they use their ability to interact with an interlocutor. H OU S E / K A S P E R (1981: 183) verteidigen die Aussagekraft elizitierter Daten den‐ noch: Selbst wenn Sprecher sich in künstlichen Kommunikationssituationen noch bewusster an sozialen Normen orientierten als in natürlichen, sei das Er‐ gebnis unterschiedlicher Direktheitsgrade im Vergleich zwischen zwei Sprach‐ gemeinschaften doch insgesamt aussagekräftig. Studien allerdings, die elizitierte direkt mit entsprechenden authentischen Daten vergleichen, machen große Unterschiede fest (u. a. B E E B E / C LAR K C UM‐ MING S 1996; G OLATO 2003). So kommen B E E B E / C LAR K C UMMING S (1996: 80-81) in ihrem Vergleich zwischen Daten aus discourse completion tests und natürli‐ chen, mündlichen Daten aus Telefongesprächen zu dem Schluss, dass mit dis‐ course completion tests arbeitende Studien es ermöglichten, die Vorstellung der Sprecher von einer angemessenen Realisierung des Sprechakts abzubilden und so eine erste Klassifikation von semantischen Formeln und Strategien zu er‐ stellen, wie sie in natürlicher Sprache wahrscheinlich realisiert würden. Elizi‐ tierte Daten seien aber ungeeignet dazu, den tatsächlichen Wortgebrauch, die Spanne an Formeln und Strategien, die Länge und die Zahl der turns, emotionale Tiefe oder Wiederholungen in authentischer Kommunikation vorherzusagen. 61 3.3 Sprachwissenschaftliche Studien zu Beschwerden Auch ob ein Teilnehmer den Sprechakt überhaupt realisieren würde, bleibe un‐ klar. Eng verbunden damit sind verschiedenartige Schwierigkeiten in der Durch‐ führung der Tests: So sind Probanden in einem experimentellen Setting mit der geschilderten Situation möglicherweise nicht vertraut, nehmen die Situations‐ schilderung nicht so wie vom Versuchsleiter intendiert wahr (B AR DOVI -H AR LIG / H AR T F O R D 2005: 21), empfinden die Beschreibung des Kontexts nicht als hinrei‐ chend exakt (G OLATO 2003: 110) oder sollen - im Falle von written discourse completion tests - in einem schriftlich konzipierten Testsetting mündliche Re‐ aktionen wiedergeben (V ÁS Q U E Z 2011: 1708). G E LU Y K E N S / K RAF T (2008: 111) weisen außerdem auf die Gefahr der Schilderung wenig authentischer Situ‐ ationen hin: „We suggest using DCTs [= discourse completion tests, M. K.] only on the basis of previously observed, realistic scenarios, and to avoid constructed or invented situations.“ In diesem Licht betrachtet können Studien auf Basis elizitierter Daten helfen, die Auffassungen zu beschreiben, die Sprecher von der Situationsangemessen‐ heit ihres sprachlichen Handelns haben, und Hypothesen zu sprach- und kul‐ turspezifischen Unterschieden in der Realisierung von Sprechakten liefern. Au‐ thentischen Sprachgebrauch spiegeln elizitierte Daten dagegen eindeutig nicht wider. G OLATO (2003: 91) sieht in ihnen daher „a valid instrument for measuring not pragmatic action but symbolic action“ und ruft zur Vorsicht im Umgang mit so gewonnenen Ergebnissen auf. Im Folgenden sollen Studien zu Beschwerden vorgestellt werden, die stattdessen auf natürlich auftretenden schriftlichen und mündlichen Daten basieren. 3.3.2 Authentische mündliche Daten Eine Reihe von Studien untersucht authentische mündliche Daten. Vorgestellt werden sollen wegen der Nähe zum Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit hier lediglich vier Studien, die Kundenbeschwerden in Telefonhotlines von Un‐ ternehmen zum Gegenstand haben: M ÁR QU E Z R E IT E R (2005, 2013), O R THAB E R / M ÁR Q U E Z R E IT E R (2011) sowie A R CHE R / J AG ODZ Í N S KI (2015). M ÁR QU E Z R EIT E R (2005) untersucht aus einer in erster Linie sprechaktanaly‐ tischen Perspektive heraus die Strategien, mittels deren fünfzehn spanischspra‐ chige Anrufer bei einem Dienstleister für häusliche Pflege in Uruguay Be‐ schwerden formulieren. Als häufigste Strategien der Anrufer identifiziert M ÁR Q U E Z R E IT E R mention urgency/ immediacy of needs; reiterate claim; express ridicule; express disagreement; accuse company of fault; issue threats und seek solidarity. Dabei unterscheidet M ÁR QU E Z R E IT E R (2005: 491-492) zwischen sach‐ bezogenen Darstellungen (factual accounts), oft in Form einer Erzählung, in denen 62 3 Forschungsüberblick II: Sprachwissenschaftliche Beschwerdeforschung das Vorgefallene neutral beschrieben wird, und sozio-emotionalen Darstellungen (socio-emotional accounts), in denen die Sprecher Gefühle vorbringen, teils per‐ sönliche Informationen offenbaren und so auf die Solidarität des Mitarbeiters abzielen - auch wenn die beiden Darstellungsarten in der Praxis nicht trenn‐ scharf seien. Stilistisch sei die Sprache der Anrufer häufig durch Informalität, Diskursmarker oder familiäre Anredeformen geprägt und stehe damit in deut‐ lichem Gegensatz zu den formalen/ neutralen Antworten der Unternehmens‐ mitarbeiter. Im Besonderen arbeitet M ÁR Q U EZ R E IT E R den Ausdruck von desa‐ hogo (etwa: „Druck-Ablassen“, „Ausflippen“) heraus, Frustration und Enttäuschung, verbunden mit der Preisgabe sehr persönlicher Informationen. Etwa die Hälfte der Anrufer in ihrem Korpus legt desahogo an den Tag, wenn sich abzeichnet, dass das Ziel nicht zu erreichen ist. M ÁR QU E Z R E IT E R (2005: 510) sieht in dieser „clear orientation toward closeness even in neutral/ formal con‐ texts“ einen Reflex der soziokulturellen Realität des Landes, in dem Verbrau‐ cherrechte noch keinen angemessenen Stellenwert haben. O R THAB E R / M ÁR Q U E Z R E IT E R (2011) untersuchen unter Rückgriff auf kon‐ versationsanalytische Ansätze die diskursive Konstruktion von Kundenbe‐ schwerden und Antworten der Unternehmensmitarbeiter anhand zweier An‐ rufe in der Hotline eines öffentlichen slowenischen Verkehrsbetriebs. Dabei manifestiere sich facework aufseiten der Anrufer insbesondere „in the use of elements and structures such as extreme case formulations, negative observa‐ tions, expressions of disapproval, criticism, insults, and verbal threats“ (3874). Sprachliche Gestaltung und face work untersuchen die Autorinnen aber auch aufseiten der Unternehmensmitarbeiter, denen aufgrund mangelnden Hand‐ lungsspielraums keine Möglichkeit bleibe, den Kunden zufriedenzustellen. In dem durchgängig unkooperativen Verhalten der Mitarbeiter manifestiere sich ihre institutionelle Rolle, in der sie das positive face des Unternehmens wahren müssten. M ÁR QU E Z R E IT E R (2013) analysiert die Aushandlung einer Kundenbeschwerde bei einem Anruf in dem Callcenter eines lateinamerikanischen Unternehmens für Ferienwohnrechte (Time-Sharing). Im Verlauf des Gesprächs legen die In‐ teraktionspartner wie bereits in den beiden vorangegangenen Studien eine stark konfrontative Haltung an den Tag. Im Mittelpunkt des Interesses stehen in dieser Studie u. a. Formen der Anrede. So stellt M ÁR Q U E Z R E IT E R (2013: 242) in einer Analysesequenz heraus, wie die Kundin den Mitarbeiter zunächst in der informellen 2. Ps. Sg. („me das“) adressiert. Wenn sie ihm kurz darauf wider‐ spricht, wechselt sie hingegen zur formalen Anrede („cómo dice“), um ihn schließlich kurz darauf im Kollektiv aller Mitarbeiter in der formalen Pluralform ustedes anzusprechen. Daneben untersucht M ÁR Q U E Z R E IT E R (2013) pragmati‐ 63 3.3 Sprachwissenschaftliche Studien zu Beschwerden sche Kategorien wie Explizitheit, Implizitheit und (In-)Direktheit und zieht In‐ strumente aus der Konversationsanalyse heran. A R CHE R / J AG ODZ Í N S KI (2015) untersuchen Callcenter-Interaktionen. Ihr Un‐ tersuchungsgegenstand knüpft an die Impoliteness-Forschung an, und zwar an die Diskussion um die Legitimation bzw. die Neutralisierung bestimmter sprach‐ licher Äußerungen, zu der insbesondere M ILL S (2003), B OU S F I E LD (2010) und C UL P E P E R (2005) beigetragen haben (vgl. 2.4.2). A R CHE R / J AG ODZ Í N S KI (2015) zeigen, dass einige Formen von impoliteness von Kunden nicht nur zum „Luft‐ ablassen“, sondern zu strategischen Zwecken eingesetzt werden. Die Mitarbeiter akzeptieren die impoliteness teils stillschweigend und scheinen sie damit zu le‐ gitimieren. Während einige Mitarbeiter unter den FTAs persönlich leiden, ordnen andere sie als Angriffe auf das Unternehmens-Face ein und schützen sich auf diese Weise. Als grundsätzlich „neutralisiert“ erscheint impoliteness in diesem Zusammenhang daher nicht. 3.3.3 Authentische schriftliche Daten: Beschwerdebriefe Studien zu natürlich auftretenden Beschwerden in schriftlicher (Offline-)Kom‐ munikation sind seltener als die auf experimentellen Settings beruhenden. Kurz vorgestellt werden sollen hier Arbeiten, die sich mit Beschwerdebriefen be‐ schäftigen, und zwar mit Leserbriefen (H AR T F O R D / M AHB O O B 2004; R A‐ ÑO S A -M AD R UNIO 2004; H E N R Y / H O 2010), Briefen Studierender an Lehrende und die Verwaltung (N K EML E K E 2004) bzw. den Dekan der Fakultät (A L -M OMANI 2014), Privatbriefen (F R ANKLIN / H AR DIN 2012), Geschäftsbriefen (P AR K E T AL . 1998; S AO R Í N I B O R RA 2004; C O R TÉ S DE LO S R Í O S 2010) sowie Kundenbeschwerden an einen Versandhandel (H ÄCKI -B UHO F E R 1993a, b) und an einen Netzanbieter (B O CHE N E K -B O R OW S KA / S CHRAMM 2011). Eine Reihe dieser Studien greift auf die bereits besprochenen Ansätze aus der Sprechaktanalyse zurück - und in höf‐ lichkeitstheoretischer Perspektive insbesondere auf B R OWN / L EVIN S ON ([1978]1987) -, andere verorten sich in der genre analysis. In der Tradition der World Englishes studies und unter Rückgriff auf die Sprechaktanalyse untersuchen H AR T F O R D / M AHB O O B (2004) Leserbriefe, die Be‐ schwerden enthalten, und zwar englisch- (und urdu-)sprachige Modell-Leser‐ briefe auf der einen und authentische Leserbriefe an englischsprachige Zeitungen in Pakistan und Nepal auf der anderen Seite. Dabei stellen sie große Überein‐ stimmungen fest. Als Strategien identifizieren H AR T F O R D / M AHB O O B (2004: 586- 587) „introduction, praise, attention-getter, background, complaint, appeal to the editor, request for redress, suggestion, justification for request or sugges‐ tion“. Für die eigentliche Beschwerde und die Forderung nach Wiedergutma‐ 64 3 Forschungsüberblick II: Sprachwissenschaftliche Beschwerdeforschung chung (request for redress) machen sie einen hohen Direktheitsgrad nach H O U S E ’/ K A S P E R S (1981) Klassifikationsschema aus. Dabei beziehen H AR T F O R D / M AHB O O B (2004: 593) in ihre Analyse zu Höflichkeitsmarkern u. a. auch syn‐ taktische Merkmale wie den Gebrauch von Fragesätzen sowie Passiv- und un‐ persönlichen Konstruktionen ein. Außerdem analysieren sie, wie der Personen‐ kreis, von dem die Schreiber sich Hilfe erhoffen, angesprochen wird. Daneben weisen H AR T F O R D / M AHB O O B (2004: 585-586) darauf hin, dass die von ihnen un‐ tersuchten Beschwerden sich nicht eindeutig als direkt oder indirekt im Sinne B OXE R S (1993a, b, 2010) klassifizieren lassen (vgl. 3.2.3). Zum einen richteten sie sich an die Verursacher des Missstands (direkte Beschwerde), zum anderen an andere Betroffene oder Interessierte (indirekte Beschwerde). Da diese Briefe zu‐ meist öffentliche Missstände anprangern, identifizieren H AR T F O R D / M AHB O O B (2004) daneben als dritten potenziellen Adressatenkreis Behörden oder Per‐ sonen, die dafür verantwortlich sind, Maßnahmen gegenüber den Schuldigen zu ergreifen. In enger Anlehnung an H AR T F O R D S / M AHB O O B S (2004) Studie unter‐ sucht R AÑO S A -M AD R UNIO (2004) englischsprachige Beschwerde-Leserbriefe auf den Philippinen und in Singapur und stellt auch hier, außer in der Länge und dem Vorhandensein einer Einleitung, keine signifikanten Unterschiede im Aufbau fest. Als obligatorische moves identifiziert sie background und com‐ plaint. H EN R Y / H O (2010) untersuchen englischsprachige Beschwerdebriefe an eine englischsprachige Zeitung im Sultanat Brunei aus drei verschiedenen Jahren - 1988, 1995 und 2005 - im Hinblick auf die move structure, den degree of politeness und seine Veränderung im Laufe der Zeit. Zur Bestimmung des Direktheitsgrads und der modification greifen sie auf die im Rahmen der (sprechaktanalytischen) Studie von H O U S E / K A S P E R (1981) entwickelten Kategorien zurück. H EN R Y / H O (2010) stellen fest, dass sich die Beschwerden hinsichtlich ihrer Struktur und der in ihnen realisierten politeness wandeln: So wird der move request for corrective action [RCA] obligatorisch und die Beschwerden entwickeln sich von eher ag‐ gressiven hin zu diplomatisch-höflichen, aber dabei immer noch direkten Be‐ schwerden. Einen Beitrag zur Erforschung der World Englishes stellt auch N K EML E K E S (2004) Arbeit zu englischsprachigen Beschwerdebriefen und Bewerbungs‐ schreiben von Studierenden einer Kameruner Hochschule dar; im Mittelpunkt seiner Analyse stehen Eröffnung und Abschluss der Briefe auf der einen sowie interne Diskursstrategien auf der anderen Seite. A L -M OMANI (2014) untersucht Beschwerdebriefe jordanischer Studierender an den Dekan der Fakultät. Zum einen identifiziert sie als obligatorische moves der Briefe heading, backgroun‐ ding, explanation und request, als optionale moves opening, prayer und greetings 65 3.3 Sprachwissenschaftliche Studien zu Beschwerden (711). Zum anderen kommt sie zu dem Schluss, dass - ausgehend von Aristote‐ les’ Klassifikation in ethos, logos und pathos - das von den Studierenden am häufigsten herangezogene Überzeugungsmittel pathos ist. F RANKLIN / H AR DIN (2012) untersuchen 63 in einer Papua-Sprache verfasste Briefe eines Mannes aus Papua-Neuguinea an einen der Autoren der Studie über einen Zeitraum von 15 Jahren. Auf Grundlage der Arbeiten von T R O S B O R G (1995) und H OU S E / K A S P E R (1981) analysieren sie aus sprechaktanalytischer Perspektive einzelne Textstellen, in denen sich Beschwerden erkennen lassen, und disku‐ tieren Strategien zu ihrer Abmilderung. S AO R Í N I B O R RA (2004) und C O R TÉ S D E LO S R Í O S (2010) analysieren authenti‐ sche Geschäftsbriefe, in denen Beschwerden formuliert werden, mit dem Ziel, zur Weiterentwicklung von didaktischem Material für Wirtschaftsenglisch bei‐ zutragen. Dabei unterscheidet S AO R Í N I B O R RA (2004: 115) zwischen primärer Struktur (Absender- und Empfängeradressen, Datum, Anrede und Abschieds‐ gruß) und sekundärer Struktur („introduction of the main purpose of the letter, registering a complaint; detailed explanation of the problem; and request for some action to solve or compensate the problem“). Unter Rückgriff auf B R OWN S / L EVIN S ON S ([1978]1987) Theoriemodell analysiert sie als Höflichkeitsstrategien unpersönliche Formulierungen, Nominalisierungen, hedges und konventionelle Indirektheit. C O R TÉ S D E LO S R Í O S (2010) identifiziert als Makrostruktur „Formu‐ lating the complaint / Giving a detailed explanation of the reasons behind the complaint / Requesting that the problem be solved using pressure tactics“. B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) Politeness-Ansatz folgend, identifiziert C O R TÉ S D E LO S R IÓS (2010) in den Briefen insbesondere negative politeness zur Abmil‐ derung des FTA. Auf syntaktischer Ebene stellt sie eine häufige Verwendung des Passivs, von Modalverben, Konditional-, Konzessiv- und Konsekutivsätzen fest, auf lexikalischer Ebene u. a. eine hohe Zahl zusammengesetzter Substantive und Akronyme. Einen Vorschlag für die didaktische Anwendung einer solchen Ana‐ lyse machen C O R TÉ S DE LO S R Í O S / C R UZ M AR T Í N E Z (2001). P AR K E T AL . (1998) analysieren Beschwerden in englischsprachiger Geschäfts‐ kommunikation. Anhand ihres Korpus, bestehend aus sieben Briefen US-ame‐ rikanischer Manager (mit Englisch als L1) und vierzehn Briefen koreanischer Manager (mit Englisch als L2), untersuchen sie zum einen organizational pat‐ terns und unterscheiden hier fünf meaning components (P AR K E T AL . 1998: 332): (I) identification of the problem, (II) discussion of relevant information, (III) a request for action, (IV) a topic shift - that is, information that does not relate to the problem, and (V) buffer. 66 3 Forschungsüberblick II: Sprachwissenschaftliche Beschwerdeforschung In ihrer Analyse stellen sie fest, dass die US-amerikanischen Manager tenden‐ ziell einem direct organizational pattern folgen, indem sie zunächst das Problem benennen und dann Hintergrunderläuterungen anschließen, während die Briefe der koreanischen Manager sich eher einem indirect organizational pattern zu‐ ordnen lassen, in dem die Schilderung des eigentlichen Anliegens hinausgezö‐ gert wird. Zum anderen arbeiten P AR K E T AL . (1998: 334) anhand von vier Faktoren - „lexical hedges, impersonalization of complaint sources, use of ‚in‐ tense‘ adjectives or adverbs, and type of action request“ - Unterschiede im Stil der Briefe heraus. H ÄCKI -B UHO F E R (1993a, b) und B O CHE N E K -B O R OW S KA / S CHRAMM (2011) sind in ihrem Untersuchungsgegenstand und in der Konstellation der Interaktions‐ partner der hier vorliegenden Arbeit am ähnlichsten: Sie beschäftigen sich mit Kundenbeschwerden an einen Versandhandel bzw. einen Netzanbieter. Aller‐ dings verorten sich diese Arbeiten weder in der Sprechaktanalyse noch in der genre analysis, sondern konzentrieren sich auf einzelne Merkmale der Briefe. H ÄCKI -B UHO F E R (1993a, b) untersucht 600 Beschwerden („Korrespondenzereignisse“ mit teilweise mehreren Briefen, Telefonaten, Notizen) von Privat‐ kunden an ein Schweizer Versandhandelsunternehmen, die sie mit Formen pro‐ fessioneller Handelskorrespondenz vergleicht. Dabei analysiert sie einzelne for‐ male, inhaltliche oder stilistische Eigenschaften der Briefe, darunter die Formalität der Briefstruktur, die Schilderung von persönlichen Lebensum‐ ständen oder Emotionen, die Art der realisierten Sprechakte, das Vorkommen von Elementen gesprochener Sprache sowie handelssprachlicher Fremdwörter und Formeln sowie die hand- oder maschinenschriftliche Form des Schreibens. So schildert H ÄCKI B UHO F E R , dass die Beschwerden häufig persönliche Infor‐ mationen des Schreibenden enthalten. Dabei trifft sie eine Unterscheidung: Ei‐ nige Informationen stützten lediglich die Argumentation, z. B. aufgrund der Lieferverzögerung seien andere Einkaufsmöglichkeiten versäumt worden und man bitte um gleichwertigen Ersatz; andere Informationen stellten dagegen eine „mangelnde Entpersönlichung“ dar, z. B. „[w]enn […] von der Rötung am Knie die Rede ist, die sich jemand geholt hat, als er oder sie einen ungeeigneten Trainer trug, oder von der Hochzeit der Lieblingsnichte, an der die Schreiberin ein bestimmtes Kleid hätte tragen wollen“ (H ÄCKI B UHO F E R 1993a: 224). Nur etwa die Hälfte der Briefe sei in diesem Sinne nicht persönlich gehalten. Merk‐ male gesprochener Sprache finden sich nur in einem Drittel der Briefe, han‐ delssprachliche Fremdwörter und Formeln dagegen in der Mehrzahl. Zusam‐ menfassend spricht H ÄCKI B UHO F E R (1993a: 231) von „oft wenig homogene[n] charakteristische[n] Mischtexte[n], die aber ihren kommunikativen Zweck er‐ füllen“. 67 3.3 Sprachwissenschaftliche Studien zu Beschwerden B O CHE NE K -B O R OW S KA / S CHRAMM (2011) untersuchen 53 an einen deutschen Netzanbieter gerichtete postalische Beschwerdebriefe. Der Schwerpunkt des Beitrags liegt auf sprachlichen Formulierungen, in denen die Schreibenden (Pri‐ vatpersonen, aber vereinzelt auch Sachbearbeiter) Emotionen ausdrücken, wie sie in insgesamt 43 der Briefe zu finden sind. Die Autoren stellen Einzelbeobachtungen zu Anredeformen und abschließenden Grußformeln sowie zur Be‐ schreibung des Mangels, des Verhaltens des Unternehmens, der Verfassung des Kunden sowie von Forderung/ Drohung/ Folgen zusammen. Abschließend kon‐ statiert die auf einer Magisterarbeit beruhende Analyse den Rückgriff auf vari‐ able Stilschichten und „im einzelnen zwar differenzierte, aber generell unüber‐ sehbare emotionsgeladene Ausdrücke“ (183). 3.3.4 Authentische Daten in CvK Auch zu schriftlich formulierten Beschwerden in CvK gibt es bislang nur wenige sprachwissenschaftliche Untersuchungen. Vorgestellt werden im Folgenden M EINL (2010), S CHRÖD E R (2015), M A S S UD (2016), V ÁS Q U EZ (2011, 2014a, b) sowie D AYT E R / R ÜDIG E R (2014). M E INL (2010) untersucht ein Korpus aus jeweils 400 Beschwerden von der deutschen und der britischen Seite des Online-Auktionshauses eBay. Im An‐ schluss insbesondere an sprechaktanalytische Arbeiten wie T R O S B O R G (1995) analysiert M E INL ihr Korpus in Hinblick auf Beschwerdestrategien, Direktheits‐ grad, Modifikationen sowie den Gebrauch von Pronomen. Zusätzlich erhebt sie den Gebrauch CvK-spezifischer sprachlicher Mittel wie Schreibung in Versalien, Emoticons, Ausrufezeichen und Wiederholung von Satzzeichen. In ihrer Un‐ tersuchung differenziert M E INL in die vier am häufigsten vorkommenden Be‐ schwerdegründe: Ware nicht erhalten und Ware anders als erwartet, jeweils ein‐ zeln oder in Kombination mit einem weiteren (inhaltlich unbestimmten) Grund. In kontrastiver Hinsicht zeigen M E INL S statistische Analysen zunächst eine Reihe von Gemeinsamkeiten: Die britischen und deutschen eBay-Nutzer greifen prinzipiell auf die gleichen Beschwerdestrategien zurück, wobei die der expli‐ ziten Beschwerde die am häufigsten vorkommende ist; erwartungsgemäß werden bei den Beschwerden allgemein mehr sprachliche Mittel zur Intensivie‐ rung als zur Abmilderung eingesetzt. Daneben zeigt M E INL je nach spezifischem Beschwerdegrund Unterschiede in der Beschwerdeformulierung deutscher und britischer eBay-Nutzer auf. Zur Intensivierung gebrauchen Deutsche häufiger Ausrufezeichen, die Briten (in den meisten Beschwerdegründen) häufiger Pro‐ nomen, die sich auf den beschuldigten Verkäufer beziehen, und Pronomen der ersten Person. Als leichte, nicht statistisch signifikante Unterschiede zeichnet 68 3 Forschungsüberblick II: Sprachwissenschaftliche Beschwerdeforschung 19 Allerdings lädt S C H R ÖD E R (2015) Posts herunter, die in der Chronik (auf der „Pinnwand“) des Unternehmens erscheinen; die Posts im Korpus dieser Arbeit stammen dagegen aus einem gesonderten Feld (vgl. Abbildung 4). sich für eine Reihe von Beschwerdegründen ab, dass die Briten zur Intensivie‐ rung häufiger Versalsetzung einsetzen und die Deutschen häufiger ihr Bedauern zum Ausdruck bringen. In ihrer Diskussion aus (Im)politeness-theoretischer Perspektive stellt M EINL (2010: 215) fest, dass die eBay-Beschwerden generell einen höheren Direktheits‐ grad aufweisen als in den auf elizitierten Daten beruhenden sprechaktanalyti‐ schen Studien wie H O U S E / K A S P E R (1981) und G E LU Y K E N S / K RAF T (2003). Wie R HU RAKVIT (2011) stellt sie in diesem Zusammenhang den Erklärungsgehalt von S P E NC E R -O AT E Y S (u. a. 2000a, b) Politeness-Modell heraus und greift auch auf L O CHE R S / W ATT S ’ (u. a. 2005) relational work und verschiedene Aspekte der Im‐ politeness-Forschung zurück. Als Unterschied zu vorangegangenen Studien stellt sie zudem heraus, dass sich durchaus prototypische Beschwerden identifi‐ zieren ließen. Als begünstigend für die Entwicklung einer solchen Norm sieht sie zum einen die Community of Practice der eBay-Mitglieder, zum anderen aber auch die starken formalen Restriktionen der Beschwerdeformulierung, nämlich auf einen einzigen Turn von maximal 80 Zeichen. M E INL S (2010) Analyseschema überträgt S CHRÖD E R (2015) - angepasst - auf ein Korpus aus Beschwerden auf Facebook-Seiten deutscher und spanischer Te‐ lekommunikationsanbieter; sein Korpus ist damit dem der vorliegenden Arbeit sehr ähnlich. 19 S CHRÖD E R stellt u. a. fest, dass die deutschen gegenüber den spa‐ nischen Beschwerden weit länger sind (101,6 vs. 75 Wörter); in der Anrede überwiegen unpersönliche Formulierungen, bei persönlichen Formulierungen die vertrauliche Anrede mit du/ tu. Unter den sprachlichen Mitteln zur Verstär‐ kung ist Ironie in deutschsprachigen, das Schreiben in Großbuchstaben dagegen eher in spanischsprachigen Beschwerden verbreitet. Über M E INL S Ansatz hin‐ ausgehend, kategorisiert S CHRÖD E R (2015: 60 ff.) die dem Beschwerdepost fol‐ genden Kommentare des Unternehmens, des Schreibers und anderer Nutzer quantitativ und inhaltlich. Als veröffentlichte studentische Abschlussarbeiten sind A LB E R T (2016) und M AR CHAND (2016) zu erwähnen, die M E INL S (2010) Schema auf ein Korpus aus Beschwerde-Tweets übertragen, und zwar an die französische Eisenbahngesellschaft SNCF und die belgische Eisenbahngesell‐ schaft SNCB/ NMBS bzw. an Deutsche Bahn und SNCF. M A S S UD (2016) vergleicht 50 deutschsprachige und 50 arabischsprachige On‐ line-Beschwerden aus sprechaktanalytischer Perspektive und zieht zur Aus‐ wertung aus (Im)politeness-Sicht B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) heran, außerdem die Sprechakttheorie nach A U S TIN (1962) und S EAR L E (1969), die 69 3.3 Sprachwissenschaftliche Studien zu Beschwerden Theorie der interactional justice und die Kooperationsmaximen von G R IC E (1975). Dabei stellt er dar, wie sowohl Höflichkeit als auch Unhöflichkeit als Persuasionsstrategien für diskursive Ziele fungieren. Als Unterschiede zwi‐ schen dem arabischen und dem deutschen Teilkorpus arbeitet er u. a. heraus, dass sich die arabischsprachigen Beschwerdeführer häufiger als die deutsch‐ sprachigen an eine dem Beschwerdeverursacher übergeordnete Instanz wenden, woraus für diesen häufiger eine Bedrohung des positive face resultiert. Von großem Interesse für die vorliegende Arbeit sind auch Studien zu On‐ line-Kundenrezensionen. Im Vorgriff auf ihre umfassende Monografie zu diesem Thema (2014) analysiert V ÁS Q U E Z (2011) in ihrem Beitrag „Complaints online: The case of TripAdvisor“ 100 negative Online-Hotelrezensionen aus diskurspragmatischer Perspektive. Indem sie Ergebnisse aus sprechakt- und konversa‐ tionsanalytischen Arbeiten wie O L S HTAIN / W E INBACH (1987), G E LU Y K E N S / K RAF T (2007) und E DWAR D S (2005) heranzieht, untersucht sie ihr Korpus auf dort be‐ schriebene Charakteristika von Beschwerden hin. Dass die Schreiber in mehr als einem Drittel der Beschwerden neben der ne‐ gativen Wertung auch positive Beurteilungen zum Ausdruck bringen, führt V ÁS‐ Q U E Z (2011: 1710-1711) auf ihr Bestreben zurück, die Darstellung als ausge‐ wogen, objektiv und sachlich zu kennzeichnen. In etwa ebenso vielen Beschwerden nehmen die Schreiber Bezug auf ihre eigene Erwartungshaltung. Bei der Betrachtung der negativen TripAdvisor-Rezensionen als Sprechaktset stellt V ÁS Q U EZ (2011: 1712) fest, dass diese im Gegensatz zu Ergebnissen früherer Studien wie O L S HTAIN / W E INBACH (1987) zusätzlich zur eigentlichen Beschwerde nicht in erster Linie Warnungen oder Drohungen, sondern häufiger Ratschläge und Empfehlungen (seltener auch Warnungen) enthalten. Damit seien sie den Studien zu Leserbriefen von H AR T F O R D / M AHB O O B (2004) und R AÑO S A - M AD R UNIO (2004) ähnlicher, die häufig Vorschläge und Forderungen umfassten. V ÁS QU E Z (2011: 1715) sieht darin einen deutlichen Hinweis auf den Einfluss, den das genre auf die Ausgestaltung des Sprechaktsets hat: „For instance, complaints made in face-to-face service encounters may co-occur with quite different speech acts than those made in letters to the editor.“ Im Hinblick auf ihre Adressierung findet V ÁS Q U E Z (2011: 1713) heraus, dass die Beschwerden mehrheitlich indirekter Natur sind, also andere (potenzielle) Hotelgäste ansprechen, beispielsweise in Form eines Ratschlags oder einer War‐ nung. Nur 11 der 100 Beschwerden sind an das Hotel gerichtet, davon adres‐ sieren nur 3 das Hotel über entsprechenden Pronominalgebrauch oder einen Imperativ unmittelbar. 5 Beschwerden enthalten gleichzeitig eine Referenz auf andere Kunden, sind also explizit mehrfachadressiert. Wie bereits H AR T F O R D / 70 3 Forschungsüberblick II: Sprachwissenschaftliche Beschwerdeforschung M AHB O O B (2004: 585-586) für ihr Korpus aus Leserbriefen an eine Zeitung weist V ÁS QU E Z (2011: 1715) allerdings darauf hin, dass aufgrund der Teilnehmerkonstellation Grenzen zwischen direkten und indirekten Beschwerden prinzipiell verschwimmen könnten: „As public texts that can be accessed by anyone, online complaints may be designed for a particular addressee, for a general undefined audience, or for both.“ V ÁS Q U E Z ’ (2014a) Monografie „The Discourse of Online Consumer Reviews“ hat nicht nur negative, sondern auch positive Online-Rezensionen zum Gegen‐ stand. Anhand von 1000 englischsprachigen Kundenrezensionen stellt V ÁS Q U E Z diskursive, pragmatische und rhetorische Eigenheiten dieser Textsorte heraus. V ÁS Q U E Z (2014b) legt in ihrer Analyse einen Schwerpunkt auf die diskursive Konstruktion von Identität in Online-Rezensionen. Besonderes Augenmerk legt V ÁS QU E Z (2014a, b) u. a. auf häufig vorkommende Kategorien der Selbstdarstellung in Online-Rezensionen, die gleichfalls negative Beurteilungen und Beschwerden enthalten können. Diese reichen von traditio‐ nellen demografischen Angaben wie Familienstand/ Beziehungsstatus und na‐ tionaler/ regionaler Herkunft über neuere „Lifestyle“-Kategorien wie Hobbys, eigenes Erscheinungsbild und Persönlichkeit bis hin zu situationsabhängigen Identitätskategorien wie Experte oder Nichtexperte (V ÁS Q U E Z 2014a: 71-79, 2014b: 73-77). Erwartungsgemäß erweisen sich die realisierten Kategorien als stark abhängig vom jeweils besprochenen Gegenstand. Anschließend zeigt V ÁS Q U E Z (2014a: 97-136) die enge Verbindung von reader-involvement strategies auf der einen und Formen von Intertextualität auf der anderen Seite auf: Mit sprachlichen Mitteln wie Diskursmarkern, Interjek‐ tionen und Pronominalgebrauch werden als (potenzielle) Leser Kunden, andere Rezensenten oder auch Hersteller, Anbieter, andere Unternehmen angespro‐ chen. Intertextualität tritt in Form von Verweisen auf andere (Online- und Off‐ line-)Texte, insbesondere aber auf vorausgegangene Rezensionen auf und kann so auch als Beitrag zum community building fungieren. Online-Hotelrezensionen in sechs Sprachen - auf Online-Buchungsseiten, sozialen Netzwerken wie Facebook und Videokanälen wie YouTube - unter‐ sucht S ÁNCHE Z P R I ETO (2017) in seiner textlinguistisch ausgerichteten Mono‐ grafie. Im Fokus seiner Studie stehen dabei niederländische, französische, deut‐ sche und spanische Beschwerden. Für den Kontext der vorliegenden Arbeit interessant sind seine Analysen textgrammatischer Strukturen, insbesondere des Gebrauchs persönlicher und unpersönlicher Pronomen. So stellt er als sprachspezifische Besonderheiten beispielsweise den verbreiteten Gebrauch unpersönlicher Formen im Spanischen und der Höflichkeitsanrede (vous) im Französischen heraus. 71 3.3 Sprachwissenschaftliche Studien zu Beschwerden Während M E INL (2010) und V ÁS QU E Z (2011, 2014a, b) Kontexte untersuchen, in denen relativ wenig Anlass zur Abmilderung einer Beschwerde besteht, be‐ schreiben D AYT E R / R ÜDIG E R (2014) im Gegensatz hierzu ein Online-Setting, in dem face-saving eine bedeutende Rolle spielt: Beschwerden auf dem Internet‐ portal CouchSurfing, über das Mitglieder kostenlose Übernachtungsmöglich‐ keiten bereitstellen und in Anspruch nehmen können. Wer sich selbst im Rahmen seiner Beschwerde als übermäßig kritischen Gast darstellt, läuft Gefahr, seine Chance auf weitere Übernachtungsangebote zu verringern. Objektivie‐ rungsstrategien zur Legitimation der Beschwerde stehen daher im Mittelpunkt ihrer Untersuchung, z. B. das Zitieren von Äußerungen, die Bezugnahme auf ähnliche Bewertungen und detaillierte complaint stories. Hinzuweisen ist abschließend auf die Verbreitung von Softwareprogrammen, die Unternehmen heute einsetzen, um ihr Complaint-Handling zu optimieren. So werden mittels Data- und Textmining gefälschte Beschwerden identifiziert oder negative und positive Bewertungen innerhalb von Online-Rezensionen und die inhaltlich dazugehörigen Textpassagen automatisch ausgewertet. Stell‐ vertretend genannt sei hier eine Auflistung sprachlicher Eigenheiten, mittels deren Beschwerde-E-Mails automatisch von anderen unterschieden werden können: Wie bereits C OU S S EME NT / V AN D EN P O E L (2008: 877) herausstellen, han‐ delt es sich bei einer E-Mail umso wahrscheinlicher um eine Beschwerde, je mehr Wörter, je mehr Artikel, je weniger Präpositionen, je mehr Zeitangaben, je mehr Verbformen in present tense und past tense, je mehr Negationen und Zahlen sie enthält. Außerdem beschuldigten Schreiber das Unternehmen oft di‐ rekt für das Problem und gebrauchten dabei Pronomen wie I, Other, You. 3.4 Zwischenfazit: Desiderate und Hypothesen Wie die Ausführungen in 3.2 gezeigt haben, sind Beschwerden nur schwer von anderen Sprechakten/ Textsorten abzugrenzen. Der Zusammenstellung des Korpus dieser Studie soll daher eine weite Definition von Beschwerden zugrunde liegen; dies wird in den Erläuterungen zur Korpuserstellung anhand konkreter Beispiele zu illustrieren sein (vgl. 5.1.2). Angesichts der Tatsache, dass bisherige sprachwissenschaftliche Arbeiten zu Beschwerden - auch im Vergleich zwischen zwei Sprachgemeinschaften - größ‐ tenteils auf Offline-Daten, und hier insbesondere auf elizitierten Daten basieren, stellt die Erforschung von Beschwerden in CvK, und hier insbesondere im Web 2.0, ein Desiderat dar. Die vorliegende Studie will dazu beitragen, diese hin‐ sichtlich authentischer, insbesondere schriftlicher CvK bestehende Forschungs‐ 72 3 Forschungsüberblick II: Sprachwissenschaftliche Beschwerdeforschung lücke zu schließen und auf diese Weise auch die Nachteile auf Basis elizitierter Daten arbeitender Studien zu überwinden (vgl. 3.3.1). Nachteilig ist dabei aller‐ dings, dass - anders als für Korpora aus elizitierten Daten - eine systematische Variation von Parametern wie Gender, sozialem Hintergrund, sozialer Distanz/ Machtverhältnissen und Gewicht des Beschwerdegrunds, wie sie sich in anderen Studien als relevant für die Gestaltung von Beschwerden erwiesen haben, aus‐ geschlossen ist. Wichtig wird es daher sein, die Ausprägung der genannten Pa‐ rameter in der vorliegenden Kommunikationssituation zunächst exakt zu be‐ schreiben. Dies soll im folgenden Abschnitt 4 geschehen. Von besonderem Interesse für die vorliegende Studie sind die (wenigen) vor‐ handenen Arbeiten zu Beschwerden in CvK-Umgebungen. Wie sich gezeigt hat, ist die sprachliche Gestaltung von Beschwerden dort erwartungsgemäß in hohem Maße kontextabhängig, sodass kein einheitliches Muster ermittelt werden kann. Als besonderes Kennzeichen von Beschwerden in CvK - das al‐ lerdings mit Beschwerden beispielsweise in Printmedien geteilt wird - stellen alle genannten Studien aufgrund der Öffentlichkeit der Texte in Online-Umge‐ bungen das Verschwimmen zwischen direkten Beschwerden (an den Verant‐ wortlichen/ Zuständigen gerichtet) und indirekten Beschwerden (an Dritte ge‐ richtet) heraus, das sich nicht zwangsläufig in expliziten Adressierungen spiegeln muss. Die exakte Beschreibung der Kommunikationsbedingungen im vorliegenden Korpus wird die Grundlage auch für diese Analyse sein. Eng damit verbunden ist auch die Frage nach den weiteren in der Beschwerde vorhandenen moves: Sind beispielsweise mehr Forderungen/ Drohungen (die sich an den Ver‐ antwortlichen richten) oder mehr Warnungen (die sich an Dritte richten) ent‐ halten? Im Hinblick auf den Direktheitsgrad (nicht zu verwechseln mit der direkten/ indirekten Formulierung der Beschwerde, vgl. 3.2.3) legen die Ergebnisse der oben vorgestellten Studien aufgrund der Konstellation der Interaktanten - Ver‐ braucher und Unternehmensvertreter / mitlesendes Publikum - die Hypothese nahe, dass die Beschwerden der vorliegenden Arbeit tendenziell direkt formu‐ liert werden. Eine ähnliche Konstellation liegt bereits in den Untersuchungen von M EINL (2010) zu eBay-Beschwerden und V ÁS Q U EZ (2011) zu Online-Rezen‐ sionen vor, in denen gleichfalls ein hoher Direktheitsgrad zu konstatieren ist. Allerdings sehen beide als einen entscheidenden Faktor hierfür auch die Ano‐ nymität der Online-Umgebung, wie sie im vorliegenden Korpus gerade nicht vorliegt (vgl. 4.5, S1). Während in Face-to-Face-Situationen die sich beschwerenden Teilnehmer zu Implizitheit tendieren, um weniger verletzbar zu sein, so V ÁS Q U E Z (2011: 1716), sei dies in Online-Situationen nicht der Fall - „the com‐ plaint does not need to be delicate/ implicit; and explicit complaint devices 73 3.4 Zwischenfazit: Desiderate und Hypothesen abound“. Dies spiegele sich eben darin wider, dass zwei Drittel aller Be‐ schwerden in ihrem Korpus keine positiven Wertungen enthielten. In enger Verbindung mit dem Direktheitsgrad sind die Rolle interner und externer Mo‐ difikation und damit verbundener (Im)politeness-Strategien, aber auch Strate‐ gien der Selbstdarstellung im vorliegenden Korpus zu untersuchen. So treten in V ÁS Q U E Z ’ (2011, 2014a, b) Online-Rezensionen und besonders bei D AYT E R S / R Ü‐ DIG E R S (2014) Beschwerden auf Couchsurfing auch abschwächende Modifika‐ tion und Strategien zur positiven Selbstdarstellung und Erhöhung der eigenen Glaubwürdigkeit auf. Es ist zu vermuten, dass sie im vorliegenden Korpus eine untergeordnete Rolle spielen. Anzumerken ist, dass ein abschließender Vergleich mit bisherigen Untersu‐ chungen zu Beschwerden aufgrund der unterschiedlichen Anlage dieser Studien nur sehr begrenzt möglich sein wird. Querverweise sollen in den Diskussionen der Ergebnisse (6.7, 7.8, 8.5, 9.1-9.3) selbstverständlich trotzdem gezogen werden. Hinzu kommt, dass - bis auf die besprochene Studie von H E LD (2001), allerdings mit österreichischen Probanden - noch keine vergleichenden Studien zu Beschwerden in dem untersuchten Sprachenpaar vorliegen und somit auch in dieser Hinsicht Neuland betreten wird. 74 3 Forschungsüberblick II: Sprachwissenschaftliche Beschwerdeforschung 4 Facebook-Beschwerden: Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation Für die Analyse von CvK ist eine detaillierte Beschreibung ihrer Rahmenbedin‐ gungen unerlässlich: „language use on the Internet can only be characterized by a broader perspective that takes into account the complex interweaving between language use and its technologically-mediated forms“ (H E R R ING E T AL . 2013: 5- 6; vgl. auch A ND R O UT S O P O ULO S 2008: 5; H E IN EMANN / T RAV E R S O 2009: 2382). Daher wird im Folgenden der Kontext dargestellt, in dem die in dieser Studie zu un‐ tersuchenden Beschwerdeposts stehen, und insbesondere sein vermuteter Ein‐ fluss auf ihre sprachliche Gestaltung diskutiert. Zunächst wird die Beschwer‐ dekommunikation auf den untersuchten Facebook-Seiten als institutionelle Kommunikation beschrieben und ihre Eignung für kontrastive Studien hervor‐ gehoben (vgl. 4.1). Anschließend werden Besonderheiten der Unternehmens‐ kommunikation im Zeitalter des Electronic Word-of-Mouth dargestellt (vgl. 4.2), und der Aufbau der untersuchten Facebook-Seiten wird schematisch skizziert (vgl. 4.3). Zur detaillierten Beschreibung der kommunikativen Rahmenbedin‐ gungen ziehe ich das Klassifikationsschema von H E R R ING (2007) heran. Als die zwei Einflussfaktoren auf computer-mediated discourse unterscheidet Herring dort Medium (technologische Einflussfaktoren) und Situation (soziale Einfluss‐ faktoren). Für beide stellt sie auf Basis empirischer Studien eine Liste von Ka‐ tegorien (facets) und ihren möglichen Ausprägungen (terms) zusammen, die im Hinblick auf das vorliegende Korpus diskutiert werden (vgl. 4.4 und 4.5). In 4.6 erfolgt eine kommunikationstheoretische Einordnung nach dem Modell von B U R G E R / L U GINBÜHL (2014). In 4.7 stelle ich den Aufbau der Threads exemplarisch vor und diskutiere anschließend in 4.8, ob es sich bei Facebook-Beschwerden um ein genre handelt. In 4.9 folgt ein Zwischenfazit. 4.1 Institutionelle Kommunikation und kontrastive Pragmatik Interaktionen zwischen Unternehmen und ihren Kunden (ebenso wie Inter‐ aktionen von Angehörigen eines Unternehmens untereinander) zählen zur in‐ stitutionellen Kommunikation (B AR DOVI -H AR LIG / H AR T F O R D 2005: 8). D R EW / H E‐ R ITAG E (1992: 3) sehen in Interaktionen dieser Art „the principal means through which lay persons pursue various practical goals and the central medium through which the daily working activities of many professionals and organi‐ zational representatives are conducted“. Ausschlaggebend für die Einordnung als institutionelle Kommunikation seien die in die Interaktion eingebrachten institutionellen oder professionellen Identitäten der Gesprächsteilnehmer, nicht etwa ein spezifisches Setting (D R EW / H E R ITAG E 1992: 3-4). Von privater hebt sich institutionelle Kommunikation durch eine Reihe von Merkmalen ab (D R EW / H E R ITAG E 1992: 21-25). Insbesondere nehmen die Teil‐ nehmer bestimmte Rollen ein, mit denen Zielsetzungen verbunden sind, die von den im Gespräch erreichten Ergebnissen abweichen können (B AR DOVI -H AR LIG / H AR T F O R D 2005: 24/ 28). Dabei können die Ziele des institutionell gebundenen Interaktionspartners seinem Gegenüber teils oder gänzlich unbekannt sein (D R EW / H E R ITAG E 1992: 23). Für mindestens eine der beiden Seiten ist die Kom‐ munikation zudem durch spezifische Verpflichtungen beeinflusst, die durch die Institution geprägt sind, der sie angehören. Diese gehen mit Einschränkungen möglicher Beiträge einher (D R EW / H E R ITAG E 1992: 23-24), z. B. hinsichtlich der Themenbereiche, Gesprächsstrukturen und zeitlichen Vorgaben (B AR DOVI - H AR LIG / H AR T F O R D 2005: 13). Diese Einschränkungen sind nicht nur für die Ge‐ staltung eines Beitrags entscheidend, sondern auch für seine Rezeption: „on the one hand, [types of activity] constrain what will count as an allowable contri‐ bution to each activity; and on the other hand, they help to determine how what one says will be ‚taken‘ - that is, what kinds of inferences will be made from what is said“ (L EVIN S ON 1979: 97). Die Fixierung auf bestimmte Themen begrenzt zudem die Zahl erwartbarer Sprechakte (B AR DOVI -H AR LIG / H AR T F O R D 2005: 15). Die geschilderten Eigenheiten institutionellen Diskurses bieten gute Voraus‐ setzungen für die Vergleichbarkeit von Datensätzen im Rahmen sprachwissen‐ schaftlicher Untersuchungen im Bereich der interlanguage und cross-cultural pragmatics (vgl. 3.3.1). Das häufige Auftreten einzelner Sprechakte im Daten‐ material ermöglicht es außerdem, ein ausreichend großes Korpus auch für quantitative Untersuchungen zusammenzustellen (B AR DOVI -H AR LIG / H AR T F O R D 2005: 18) und dadurch den hohen Aufwand zu reduzieren, der ansonsten für die Erhebung authentischer Daten mit einer ausreichenden Zahl an zu untersuchenden Sprechakten verbunden wäre (M U R PHY / N E U 1996: 210). In den beiden folgenden Abschnitten sollen Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation in den Facebook-Beschwerden des vorliegenden Korpus näher beschrieben werden. 76 4 Facebook-Beschwerden: Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation 20 Eine Reihe einschlägiger Studien findet sich beispielsweise im Journal of Consumer Sa‐ tisfaction, Dissatisfaction, and Complaining Behavior. 4.2 Unternehmenskommunikation im Zeitalter des Electronic Word-of-Mouth Während das Internet in seiner Anfangszeit ein relativ statisches Informations‐ medium war, dessen Inhalte einseitig von Betreibern einzelner Seiten gestaltet wurden, hat mittlerweile eine Öffnung hin zum Social Web / Web 2.0 stattge‐ funden, in dem nun auch Nutzer ohne spezifische EDV-Kenntnisse und spezi‐ fisches Fachwissen selbst Inhalte in Online-Medien veröffentlichen können. Noch heute ist eine Reihe von Fragen zur optimalen Nutzung von Social Media in der Unternehmenskommunikation ungeklärt (vgl. H E NNIG -T HU RAU E T AL . 2010). Zurückzuführen ist die verbreitete Unsicherheit insbesondere darauf, dass das Web 2.0 die Macht der Verbraucher gestärkt hat; für die Unternehmen ist diese Entwicklung mit einem erheblichen Kontrollverlust verbunden (vgl. F O U R‐ NI E R / A V E R Y 2011: 193-194; K AP LAN / H AE NL E IN 2011: 60). Insbesondere stellt sich die Frage nach dem richtigen Umgang mit Electronic Word-of-Mouth, „any po‐ sitive or negative statement made by potential, actual, or former customers about a product or company, which is made available to a multitude of people and institutions via the Internet“ (H ENNIG -T HU RAU E T AL . 2004: 39). Da „[n]icht nur Reklamationen, sondern auch Unzufriedenheitsäußerungen von Kunden generell […] - z. B. über Produktbewertungen, Foren und Verbrau‐ cherblogs - im Internet sichtbarer“ werden (E I S EWICHT 2014: 77-78), hat die Zahl der Studien zu Online-Beschwerden in den letzten Jahren stark zugenommen. Dabei gibt es zum einen Studien, die das Beschwerdeverhalten von Kunden (consumer complaint behaviour) in den Blick nehmen, zum anderen solche, die eine Optimierung des im Rahmen des customer relationship management zu ver‐ ortenden consumer complaint management (Beschwerdemanagement) zum Ge‐ genstand haben, zu Antworten auf negative Online-Hotelrezensionen vgl. bei‐ spielweise S PAR K S / B RADL E Y ([2014]2017). 20 Aus soziologischer Sicht ist die Arbeit von E I S EWICHT (2015) zur „Kunst des Reklamierens“ von großem Inter‐ esse. Bei der Beantwortung von online veröffentlichten Beschwerden befinden sich die Unternehmen in einem Dilemma: Auf der einen Seite kann eine Ent‐ schuldigung und damit ein Eingestehen der Schuld den eigenen Ruf nachhaltig schädigen und damit zu Umsatzeinbußen führen. Auf der anderen Seite können Verbraucher, die mit einer Antwort auf ihre Beschwerde nicht zufrieden sind, sich vom Unternehmen abwenden. Eine Unterscheidung in drei Typen von Ver‐ 77 4.2 Unternehmenskommunikation im Zeitalter des Electronic Word-of-Mouth braucherbeschwerden, wie noch S INGH (1988) sie vornimmt - Beschwerden di‐ rekt an den Verkäufer oder Hersteller (voice), Beschwerden im eigenen Freundes- oder Familienkreis (private actions) und Beschwerden bei dritten In‐ stanzen wie einer Verbraucherschutzorganisation, einer Zeitung oder einem Rechtsanwalt (third party actions) - ist im Zeitalter des Electronic Word-of-Mouth nicht mehr möglich: Zwar wendet sich der Verbraucher direkt an das Unternehmen, indem er beispielsweise auf dessen Facebook-Auftritt schreibt (voice). Gleichzeitig aber können der mit ihm auf Facebook befreundete Personenkreis (private actions) sowie andere, unbeteiligte Dritte die Nachricht mitlesen. Auch Verbraucherorganisationen oder die Medien haben prinzipiell Zugriff auf diese Daten (third party actions); unabhängig hiervon kann der Ver‐ braucher weiterhin gezielt Verbraucherschutzverbände, Rechtsanwälte oder die Presse einschalten. Während die meisten Studien zu Online-Beschwerden Online-Foren und Bu‐ chungsseiten zum Untersuchungsgegenstand haben, existieren bislang erst we‐ nige Arbeiten speziell zum Beschwerdemanagement in Social Media wie Face‐ book. So raten B AU E R E T AL . (2012) auf der Basis von Experteninterviews und einer Online-Kundenbefragung Unternehmen im Hinblick auf ihre Face‐ book-Kundenkommunikation dazu, „sich offen und ehrlich, d. h. mit ihren Stärken und Schwächen, zu präsentieren. Letzteres impliziert, dass sie auch kri‐ tische Nutzerkommentare zulassen und zu Fehlern stehen“ (38). E INWILL E R / S T E IL E N (2015) stellen in einer Untersuchung speziell zu Kundenbeschwerden und Unternehmensantworten auf Facebook- und Twitterseiten großer US-ame‐ rikanischer Unternehmen fest, dass diese die Kommunikation oft von der Platt‐ form auf nicht öffentliche Kommunikationsarten umzulenken suchen. Als die am häufigsten herangezogenen Strategien seitens des Unternehmens identifi‐ zieren sie die folgenden: inquiring further information, gratitude, regret, correc‐ tive action, explanation, active transfer, passive transfer, apology und understanding. 4.3 Aufbau der untersuchten Facebook-Seiten Das soziale Netzwerk Facebook wurde in seiner jetzigen Form als Angebot der Facebook Inc. 2004 gegründet und zählt heute zu den meistbesuchten Internet‐ seiten weltweit. Einige Zahlen aus der Zeit der Durchführung dieser Studie (2014/ 15): Die Gesamtzahl seiner Mitglieder veröffentlicht Facebook nicht, gibt aber die Zahl der aktiven Nutzer an, beispielsweise für September 2014 mit 78 4 Facebook-Beschwerden: Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation 21 http: / / newsroom.fb.com/ company-info/ (abgerufen am 03.01.2015). 22 Vgl. http: / / www.statista.com/ statistics/ 268136/ top-15-countries-based-on-number-offacebook-users/ (abgerufen am 02.01.2015). 864 Mill. täglich (und 1,35 Mrd. monatlich). 21 Nach Schätzungen des Statistik‐ portals statista vom Mai 2014 liegen Deutschland und Italien bezüglich der Zahl aktiver Facebook-Nutzer weltweit im Ländervergleich auf Rang 9 bzw. 10. 22 Wie jedes Mitglied von Facebook eine eigene Profilseite anlegt, so können auch für Unternehmen, Organisationen, Institutionen, Orte, Marken, Produkte, Künstler, öffentliche Personen, Gemeinschaften o. Ä. Facebook-Profile eingerichtet werden. Seiten dieser Art setzen auch Unternehmen in ihrem Social-Media-Mar‐ keting ein, und Seiten dieser Art bilden die Grundlage für das Korpus dieser Arbeit. Die Beschwerdekommunikation auf Facebook ist für die im Rahmen dieser Untersuchung ausgewählten Unternehmen nur einer von mehreren möglichen Kanälen. So können die Kunden - je nach Unternehmen - Kommentare, Fragen oder Beschwerden telefonisch, postalisch, per Fax, über eine private Nachricht auf Facebook (also in einer One-to-one-Kommunikation) oder über Twitter, in der Facebook-Chronik oder im Online-Forum (also öffentlich einsehbar) vor‐ bringen. Teilweise unterhalten die Unternehmen neben ihrem eigentlichen Facebook-Auftritt auch eine gesonderte, nur auf den Kundenservice ausgerich‐ tete Facebook-Seite. Abbildung 4 zeigt, leicht vereinfacht, den Aufbau der Face‐ book-Seiten, der von Unternehmen zu Unternehmen etwas variieren kann. An ihrem oberen Rand stehen die regelmäßig wechselnde Titelgrafik (1), die beispielsweise Bilder und Slogans aus aktuellen Werbekampagnen aufnimmt, mit dem Namen des Unternehmens und seiner Kategorisierung - Produkt/ Dienstleistung - sowie, davor liegend, das Unternehmenslogo (2). Nutzer können dem Unternehmen eine (nicht öffentliche) Nachricht senden (3). In der Chronik (auch „Pinnwand“ genannt) (4), die das Zentrum der Facebook-Seite bildet, ver‐ öffentlicht der Mobilfunkanbieter eigene Beiträge wie Informationen über neue Produkte, Rabattaktionen, Apps oder Preisausschreiben. Nutzer haben die Mög‐ lichkeit, diese Nachrichten mit dem „Gefällt mir“-Button zu bewerten und selbst Posts abzufassen, die direkt darunter erscheinen und auf die das Unternehmen und andere Nutzer wiederum mit weiteren Beiträgen reagieren können. Sie können dabei Bezug auf die vorangegangene Nachricht des Unternehmens, aber auch auf andere Beiträge nehmen; daneben finden sich thematisch unabhängige Posts. Auch Beschwerden werden hier veröffentlicht, die allerdings im Korpus dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden. 79 4.3 Aufbau der untersuchten Facebook-Seiten (1) Titelgrafik, Unternehmensname, Kategorie [Zeitstrahl] (2) Unternehmenslogo Gefällt mir (3) Nachricht senden Chronik Info Service Videos Mehr (5) Beitrag ● Foto/ Video Schreib etwas auf seine Seite … Personen (4) [Hauptfeld: Chronik - „Pinnwand“] Info Apps Fotos Videos (6) Beiträge auf der Seite Wurde mit „Gefällt mir“ markiert Abbildung 4: Aufbau der Facebook-Seiten (vereinfachtes Schema) Grau hervorgehoben sind in Abbildung 4 die für die Erstellung des Korpus der vorliegenden Studie relevanten Felder: (5) und (6). In dem Feld Beitrag: Schreib etwas auf seine Seite … (5), oberhalb der Chronik, haben Nutzer die Möglichkeit, einen eigenen Post auf der Seite zu veröffentlichen. Es sind diese Beiträge, die das Korpus der vorliegenden Untersuchung bilden. Sie erscheinen nicht in der Chronik selbst, sondern in dem Feld Beiträge auf der Seite (6) in der linken Spalte, das sich auf Mausklick mittig öffnet - eine von Unternehmen häufig genutzte Funktion (T HUMME S / M ALIK 2015: 117). Damit ähnelt die Erstellung des Be‐ schwerdekorpus dieser Arbeit dem von E INWILL E R / S T E IL E N (2015: 199): „Col‐ lected were only complaint posts or tweets that were submitted independently by a user, i. e. not as a reply to a corporate or other post/ tweet.“ Die technologischen und sozialen Rahmenbedingungen von Posts in diesem Feld werden in den folgenden beiden Abschnitten im Detail beschrieben. 80 4 Facebook-Beschwerden: Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation 4.4 Technologische Einflussfaktoren Angelehnt an das Schema von H E R R ING (2007) lassen sich die folgenden tech‐ nologischen Rahmenbedingungen identifizieren: Synchronizität (M1), Nach‐ richtenübertragung (M2), Speicherung (M3), maximale Länge der Posts (M4), Kommunikationskanäle (M5), anonymes Posten (M6), privates Posten (M7), Fil‐ tern (M8), Zitieren vorangegangener Posts (M9), Nachrichtenformat (M10) und Eingabegerät (M11). H E R R ING ET AL . (2013: 7) heben die Bedeutung des medialen Einflusses auf den Sprachgebrauch wie folgt hervor: The effects of the medium on, for example, the management of grounding, on uptake, and on the notion of context are important in identifying differences between the traditional media and CMC, and it is an empirical question to what extent - and in what ways - medium effects shape online language use. Thus we assume that medium effects are a priori an eligible subject of study within the pragmatics of CMC. Die detaillierte Beschreibung des medialen Einflusses sollte allerdings nicht dazu verleiten, ihn zu überschätzen; die These eines technologischen Determi‐ nismus muss als überholt gelten (H E R R ING 2007: 11). Abbildung 5 stellt, leicht vereinfacht, das Nachrichtenformat (M10) der Posts dar. Wie in der Forenkommunikation üblich, soll der erste Post hier als initialer Post (initial-posting) und ein im weiteren Verlauf der Konversation ver‐ öffentlichter Post eines Unternehmensmitarbeiters oder eines Nutzers als Follow-up-Post bezeichnet werden. Die initialen Beiträge der Nutzer sind in chronologischer Reihenfolge angeordnet. Wie aus Abbildung 5 hervorgeht, er‐ scheinen neben dem eigentlichen Beitrag eines Nutzers (6) immer auch sein Profilbild (1) sowie sein Nutzername (2) als Absender und der Name des Unter‐ nehmens (3) als Empfänger der Nachricht. Neben dem Zeitpunkt der Veröffent‐ lichung (4) kennzeichnet das Symbol einer Weltkugel (5) den Beitrag als öffent‐ lich. Es folgen der „Gefällt-mir“-Button (7), die Möglichkeit, den Beitrag zu kommentieren (8), zu teilen (9) sowie die Zahl der Likes (10) und der Antworten auf ihren Beitrag (11). 81 4.4 Technologische Einflussfaktoren (1) Profilbild des Nutzers (2) [Profilname] ► (3) [Name des Unternehmens] (4) [Zeitangabe] (5) [Symbol Weltkugel] (6) [Nachricht] (7) Gefällt mir (8) Kommen‐ tieren (9) Teilen (10) [Zahl der Likes] (11) [Zahl der Antworten] Top-Kommentare / Letzte Aktivitäten Abbildung 5: Aufbau des initialen Posts (vereinfachte Darstellung) Sämtliche zu einem initialen Beitrag veröffentlichten Follow-ups - des Unter‐ nehmens wie auch anderer Nutzer - folgen darunter, stets mit Logo bzw. Pro‐ filbild und Unternehmensbzw. Profilname gekennzeichnet. Ihre Struktur lässt sich als threaded comment (im Folgenden kurz: Thread) beschreiben. Innerhalb eines Threads können die Nutzer auf einzelne Kommentare antworten; ihre Nachrichten erscheinen dann eingerückt unter dem Kommentar, auf den sie sich beziehen. Die Kommunikation im vorliegenden Korpus verläuft asynchron (M1). Der die initiale Beschwerde postende Kunde, Unternehmensmitarbeiter und weitere Kommentatoren müssen nicht gleichzeitig online sein; Nutzer können prinzi‐ piell zu jeder Tageszeit, die Mitarbeiter während ihrer Arbeitszeiten Beiträge veröffentlichen. Anhand der Zeitangabe hinter den Posts ist der zeitliche Ab‐ stand zwischen den einzelnen Beiträgen erkennbar. Die Beiträge werden chro‐ nologisch veröffentlicht; das turn-taking verläuft daher nicht zwangsläufig, aber trotzdem meist linear: Ein Beitrag erscheint unmittelbar unterhalb des Beitrags, auf den er sich bezieht. Einher geht die Asynchronizität mit einer einseitigen Nachrichtenüber‐ tragung (M2). Nachrichten werden als Ganzes verschickt, Unterbrechungen sind nicht möglich (H E R R ING 2007: 14). Angesichts der Tatsache, dass Schreibern in asynchroner Kommunikation prinzipiell mehr Zeit für die Konzeption und Formulierung ihrer Nachrichten zur Verfügung steht, verweist H E R R ING (2007: 14) darauf, dass Asynchronizität zu höherer struktureller Komplexität von Beiträgen führt, aber auch Einfluss auf deren pragmatische Gestaltung haben kann. Auch E HR HAR DT (2009: 176) merkt an: Von [den Schreibern] kann daher auch erwartet werden, dass sie sich an die wesent‐ lichen Höflichkeitskonventionen halten, dass sprachliche Mittel im Dienste der Be‐ 82 4 Facebook-Beschwerden: Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation 23 Vgl. Journalists on Facebook, Facebook-Meldung vom 30.11.2011. ziehungsgestaltung also nicht - wie das in Chats oder in der SMS-Sprache zu beob‐ achten ist - weitgehend der Kommunikationsgeschwindigkeit zum Opfer fallen. Auf die Situation im vorliegenden Korpus übertragen ist zu erwarten, dass die „sprachliche[n] Mittel im Dienste der Beziehungsgestaltung“ im Sinne von re‐ lational work - also der gesamten Bandbreite an Verhaltensweisen - zu ver‐ stehen sind: Der Schreiber kann also prinzipiell auch ganz bewusst eine Rich‐ tung einschlagen, die nicht als polite einzuordnen wäre. Die Speicherung der Interaktionen (M3) auf Facebook erfolgt auf unbe‐ stimmte Zeit. Dabei schafft die Speicherung sprachlicher Daten nach H E R R ING (2007: 15) bei ihren Verfassern die Voraussetzungen für eine Erhöhung des me‐ tasprachlichen Bewusstseins: „It allows users to reflect on their communica‐ tion - and play with language - in ways that would be difficult in speech.“ Allerdings existiert im vorliegenden Fall kein leicht zu durchsuchendes oder gar thematisch geordnetes Archiv, wie dies beispielsweise für Forenbeiträge (vgl. E H RHAR DT 2009), Ratgeberkolumnen (vgl. L O CHE R 2006, 2013) oder Online-Re‐ zensionen (vgl. V ÁS Q U E Z 2011, 2014a, b) der Fall sein kann. Um ältere Beiträge zu lesen, müssen Nutzer in der Tickeransicht die Fortsetzung anklicken. Auf‐ grund der Vielzahl täglich veröffentlichter Nachrichten ist nicht davon auszu‐ gehen, dass mehrere Tage oder gar Wochen zurückliegende Posts auf diese Weise de facto häufig gelesen werden. Sie können aber beispielsweise mittels spezieller Softwareprogramme (vgl. 5.1.4) oder über direkte Links abgerufen oder auch in der Chronik der Schreiber noch lange gefunden werden. Auch die maximale Länge (M4) von Nachrichten kann einen Einfluss auf ihre sprachliche Gestaltung haben (H E R R ING 2007: 15). Nachdem Facebook diese im September 2011 auf 5000 Zeichen hochgesetzt hatte, erfolgte im November 2011 eine weitere Erhöhung auf nunmehr 63 206 Zeichen. 23 Damit kann der zur Verfügung stehende Raum als praktisch unbegrenzt angesehen werden, da selbst extrem lange Posts weit unter der maximal möglichen Länge bleiben (vgl. 5.2). Für Posts auf der Facebook-Fanpage können verschiedene Kommunikati‐ onskanäle (M5) genutzt werden. Ganz überwiegend erfolgt die Kommunika‐ tion rein textbasiert; gelegentlich beziehen die Verfasser der Posts in ihre Bei‐ träge auch eigene Fotos, Screenshots oder Internetlinks ein (vgl. beispielsweise 7.2.1). Ein Zitieren (M9) vorausgegangenener Nachrichten ist nicht automatisch möglich. Den Nutzern steht es aber frei, mittels Copy-and-Paste-Verfahren in ihren Nachrichten manuell Posts (oder Auszüge daraus) sowie andere Texte zu zitieren. 83 4.4 Technologische Einflussfaktoren 24 Die Möglichkeit der Anpassung, Erweiterung oder selektiven Anwendung ihres Schemas ist von H E R R I N G (2007: 11-12) selbst vorgesehen, die ihre Auflistung als offen und in sich ohne feste Reihenfolge definiert. Aus technologischer Sicht besteht die Möglichkeit, sich einen Facebook- Account unter einem anderen als dem eigenen (Klar-)Namen einzurichten, auch wenn die offiziellen Regelungen dies untersagen; anonymes Posten (M6) ist aber auf Facebook nur sehr eingeschränkt möglich (vgl. 4.5, S1). Sämtliche auf der Facebook-Seite geposteten Beiträge sind zudem vollständig öffentlich; für privates Posten (M7) muss der Kunde eine andere Kommunikationsart wählen. Auch ein Filtern (M8) von Nachrichten ist nicht möglich. 4.5 Soziale Einflussfaktoren Im Folgenden werden die sozialen Einflussfaktoren nach H E R R ING (2007) be‐ sprochen: Teilnehmerstruktur (S1), Eigenschaften der Teilnehmer (S2), Ziele (S3), Thema (S4), Ton (S5), Aktivitäten (S6), Normen (S7) und Code (S8). Zu‐ sätzlich einbezogen werden die soziopragmatische Konstellation, diskursive Rollen und Machtverhältnisse (S9), also das „sociopragmatic set“, wie es O L S H‐ TAIN / W E INBACH (1987), basierend auf B R OWN / L EVIN S ON ([1978]1987) und B LUM -K ULKA E T AL . (1989), beschreiben. 24 Die dort genannten Einflussfaktoren stellen insbesondere auf das Verhältnis der Interaktionspartner zueinander ab und sind so eine sinnvolle Ergänzung zu H E R R ING S Kategorien. Zur Teilnehmerstruktur (S1): Die Interaktion ist insgesamt als polylogisch zu beschreiben: Auch wenn im Vordergrund die Kommunikation zwischen einem Kunden und einem Mitarbeiter als Vertreter des Unternehmens steht (institution-to-one, one-to-institution), sind aufgrund der öffentlichen Zugäng‐ lichkeit der Facebook-Seite des Unternehmens sämtliche Nachrichten auch für Internetnutzer ohne eigenen Facebook-Account lesbar (institution-to-many, one-to-many). Die einzige Zugangsvoraussetzung für die aktive Teilnahme, also das Verfassen eines Posts, ist aufseiten der Nutzer ein Facebook-Account. Auf‐ seiten des Unternehmens handelt es sich bei den Akteuren um die eigenen Mit‐ arbeiter (oder Mitarbeiter eines damit beauftragten anderen Unternehmens). Im Gegensatz zu anderen Formen von CvK, in denen die Teilnehmer anonym miteinander kommunizieren, lassen sich die Interaktionen auf Facebook prin‐ zipiell als nicht anonym (nonymous) beschreiben. Zwar ermöglichen es die tech‐ nologischen Rahmenbedingungen de facto, dass viele Teilnehmer entgegen der offiziellen Vorschrift ein Pseudonym statt des Klarnamens verwenden. Voll‐ ständige Anonymität ist aber auch hierdurch nicht zu erreichen, da den Face‐ 84 4 Facebook-Beschwerden: Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation 25 Ob es sich bei den Kommentatoren um Facebook-Freunde des Beschwerdeführers han‐ delt, die die Beschwerde an das Unternehmen mit verfolgt haben, ist gelegentlich zu erkennen. Hinweise bieten beispielsweise der Wechsel in eine andere Sprache, gleiche Nachnamen, der Gebrauch von Kosenamen oder von Informationen, die auf eine per‐ sönliche Bekanntschaft hindeuten. Zwei Beispiele: „Vodafone: Hallo [Kommentator], Wenn Du ein konkretes Anliegen hast, wende Dich gerne einmal per PN an unsere Service Seite. [Kommentator: ] Ich wohne im gleichen Haushalt wie [Beschwerde‐ führer], wozu? Oder sollen wir euch die Geschichte zwei mal erzählen? “. (Thread zu DE116) - „[Kommentator: ] Hai sempre un amico che lavora x la concorrenza…..mi sembra pure ora di cambiare….. […]. [Beschwerdeführer: ] Ciao Leuzzoooo“ (PK-I). book-Freunden des Nutzers meist seine wahre Identität bekannt ist. Derartige offline-basierte Online-Beziehungen werden auch als „anchored relationships“ bezeichnet (Z HAO ET AL . 2008). Die Unternehmensmitarbeiter schreiben - je nach Unternehmen - oft unter einem Vornamen und/ oder einem Namenskürzel. Die Beiträge selbst legen nahe, dass die Internetnutzer, die auf den in diese Studie einbezogenen Facebook-Seiten schreiben, zum größten Teil zur Gruppe der aktuellen oder ehemaligen Kunden des jeweiligen Telekommunikationsun‐ ternehmens zählen. Daneben sind aber auch andere Internetnutzer vertreten, die beispielsweise auf der Suche nach einem neuen Mobilfunkanbieter und damit potenzielle künftige Kunden sind. Auch Facebook-Freunde der Verfasser der Beschwerden lesen deren Beschwerden mit, wenn sie in ihrer Chronik ein‐ geblendet werden, und äußern sich in den Kommentaren hierzu. 25 Die Nutzer haben die Möglichkeit, zunächst zurückliegende Beiträge anderer Nutzer zu lesen (engl. „to lurk“), bevor sie selbst einen Post veröffentlichen. Dieses Ver‐ halten kann einen Einfluss auf die Gestaltung des eigenen Beitrags haben, wie L O CHE R (2013: 354) es für Leserbriefe an eine Online-Ratgeberkolumne be‐ schreibt: It is also possible to argue that the archive influences the creation of the problem letters, on the assumption that advice-seekers first „lurk“ […] before they actively submit a question themselves. In this way, they may be influenced by the way in which the problem letters are structured, both with respect to the adherence to the general notions of letter writing (address terms, body, signature) and with respect to particular styles of writing (e. g., problem statements and narratives to describe problems). Solche wechselseitigen Einflüsse legen es nahe, von einer Community of Practice (u. a. L AV E / W E NG E R 1991) zu sprechen, wie sie beispielsweise in M ILL S ’ (2003) oben erwähntem Ansatz zur Erforschung von impoliteness ein zentrales Konzept ist (vgl. 2.4.2). W E NG E R ET AL . (2002: 4) definieren Communities of Practice als 85 4.5 Soziale Einflussfaktoren groups of people who share a concern, a set of problems, or a passion about a topic, and who deepen their knowledge and expertise in this area by interacting on an on‐ going basis. Als ihre drei wesentlichen Charakteristika sieht W E NG E R (2002: 2339 ff.) domain, community und practice. Ihre Teilnehmer sind im Rahmen einer thematischen Domäne (domain) an einem gemeinsamen Unterfangen beteiligt: Hier sind es die Unternehmensmitarbeiter, Kunden und Dritte, die Fragen, Beschwerden, Lob und Anmerkungen rund um Produkte, Dienstleistungen und das Unternehmen diskutieren. Ihre gemeinsame Praxis (practice) besteht im Bereitstellen bzw. Nutzen der entsprechenden Produkte und Dienstleistungen. Als Gemeinschaft (community) tauschen sie Informationen aus und verhandeln Normen, z. B. zum Umgang des Unternehmens mit seinen Kunden, zum sprachlichen Ausdruck in den Posts oder zu Netiquette-Regelungen. Sie arbeiten an der Lösung von Auf‐ gaben: die Beschwerdeführer beispielsweise über das Äußern von Kritik, Un‐ ternehmensmitarbeiter über das Versprechen, das Anliegen zu bearbeiten, Dritte über Hilfestellung bei bestimmten Fragen oder Solidaritätsbekundungen. Dabei kann auch auf andere Posts Bezug genommen und beispielsweise die Beant‐ wortung vorangegangener Beschwerden kritisiert werden. Auch an derartigen Beispielen wird deutlich, dass Beschwerden hier in ihrem Kontext gesehen werden müssen, wie dies auch L O CHE R (2006: 213) (wiederum für Leserbriefe an die Online-Ratgeberseite „Lucy Answers“) zeigt: Readers also criticize Lucy and in doing so they may refer to the contributions in the entire ‚Lucy Answers‘ archive. This shows that the discursive practice of ‚Lucy Answers‘ cannot be understood just by looking at the most recent problem and response letters. ‚Lucy Answers‘ must be seen as a site with a history that influences the com‐ position of new problem and response letters […]. Dennoch: Die Situation ist für das vorliegende Korpus eine andere als die auf einer solchen Online-Ratgeberseite oder auf eBay (M E INL 2010). Die Unterneh‐ mensmitarbeiter nehmen regelmäßig an den Interaktionen teil; auch einige Schreiber treten auf den Seiten der Telekommunikationsunternehmen häufiger aktiv schreibend in Erscheinung - die überwiegende Mehrheit allerdings nur einmal. Da aber Beschwerden, die Facebook-Nutzer an Unternehmensseiten schicken, mitsamt zugehöriger Interaktionen auf den Seiten ihrer Face‐ book-Freunde erscheinen können, müssen diese die Seite des entsprechenden Telekommunikationsunternehmens überhaupt nicht aufsuchen, um die Ausei‐ nandersetzung mitzulesen - und können trotzdem kommentierend dort er‐ scheinen. Auf diese Weise ist ein großer Kreis an Facebook-Nutzern schon einmal mit Beschwerden dieser Art - und zwar an ganz verschiedene Unter‐ 86 4 Facebook-Beschwerden: Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation nehmen - in Kontakt gekommen. Eine Community of Practice könnte hier also nicht nur in Bezug auf ein spezifisches (Telekommunikations-)Unternehmen und seine Facebook-Seite gesehen werden, sondern in einem weiteren Sinne auf die online und öffentlich einsehbar geführten Auseinandersetzungen von Un‐ ternehmen, ihren Kunden und Dritten. Über die Eigenschaften der Teilnehmer (S2) ist vergleichsweise wenig bekannt: Die von Facebook-Nutzern auf ihrem Profil öffentlich preisgegebenen Informationen sind nur nach Einloggen in die Plattform zugänglich und werden daher nicht in diese Studie einbezogen. Angesichts des hohen Prozentsatzes von Facebook-Nutzern an der Gesamtbevölkerung (vgl. 4.3) und der Tatsache, dass die in die Studie einbezogenen Telekommunikationsunternehmen Dienste an‐ bieten, die gleichfalls fast flächendeckend in Anspruch genommen werden, ist davon auszugehen, dass der soziodemografische Hintergrund der Teilnehmer stark variiert. Der Nutzername und das Profilfoto des Teilnehmers lassen teil‐ weise einen Schluss auf das Alter und die jeweilige Ausprägung der Kategorie Gender zu, sind aber als Quelle unzuverlässig und sollen im Rahmen dieser Ar‐ beit nicht herangezogen werden; die Einrichtung eines Facebook-Accounts ist derzeit ab einem Alter von 13 Jahren zulässig. Auch hinsichtlich der Erfahrung im Schreiben von Posts oder im Speziellen mit dem Veröffentlichen von Bei‐ trägen auf Unternehmensseiten ist - bis auf Kenntnisse im Umgang mit Face‐ book - von größeren Unterschieden zwischen den Teilnehmern auszugehen. Angesichts des kontrastiven Ansatzes der vorliegenden Untersuchung ist die Kenntnis soziokultureller und interaktionsbezogener Normen in der jeweiligen Sprachgemeinschaft von großem Interesse. Ihren möglichen Einfluss auf die Realisierung der Beschwerdekommunikation gilt es anhand des Korpus heraus‐ zuarbeiten. Die Ziele (S3) der Kommunikation müssen auf zwei Ebenen gesehen werden (H E R R ING 2007: 20): Zum einen geht es um das übergeordnete Ziel des Face‐ book-Auftritts im Hinblick auf die Möglichkeit für Kunden, eigene Beiträge zu veröffentlichen: eine Verbesserung der Kundenbindung und des Beschwerde‐ managements (vgl. 4.2). Die Ziele der Kunden sind variabel je nach Thema; im Falle einer Beschwerde unterscheiden E INWILL E R / S T E IL E N (2015: 197) persönliche und kollektive Ziele: „Overall, the motives that drive negative WOM [= Word-of-Mouth, M. K.] and complaining can be divided into personal goals like anxiety reduction, vengeance, advice seeking, self-enhancement and col‐ lective goals like helping others and helping the organization.“ Damit lassen sich die von den Kunden an das Unternehmen gerichteten Beschwerden (wie auch die Antworten des Unternehmens) als eher sach- oder transaktionsdenn bezie‐ hungsorientiert einordnen (M ÁR Q U E Z R E IT E R 2005: 482). Im Rahmen der interac‐ 87 4.5 Soziale Einflussfaktoren 26 https: / / de-de.facebook.com/ vodafoneDE/ app/ 391586377622921/ ? ref=page_internal (abgerufen am 03.01.2015). tional goals überwiegen also - in S P E NC E R -O AT E Y S (2005: 107-108, vgl. 2.3.2) Terminologie - deutlich transactional goals gegenüber relational goals. In ähn‐ licher Weise charakterisiert H ÄCKI B UHO F E R (1993a: 213-214) die von ihr un‐ tersuchten Reklamationsbriefe als „instrumentelles Schreiben“, „instrumentelle Texte“. Auch die Kategorie Thema (S4) versteht H E R R ING (2007: 20-21) zum einen auf Gruppenebene, zum anderen auf der Ebene der einzelnen Beiträge. Das ge‐ nerelle Thema der Seite wird in den Netiquetten der in die Analysen einbezo‐ genen Unternehmensseiten beispielsweise wie folgt definiert: Hier findest Du nützliche Hinweise und Informationen rund um unsere Produkte, Ta‐ rife, Dienste und Aktionen. Auf unserer Seite kannst Du Dich mit uns und den anderen Fans zu diesen Themen austauschen und Deine Fragen stellen. (Hervorhebung M. K.) 26 Das Thema der einzelnen Posts betrifft die oben genannten Bereiche. Nutzer verfolgen mit ihren mittels der Posts realisierten Aktivitäten (S6) entsprechend unterschiedliche Ziele, insbesondere äußern sie Beschwerden, Fragen, Solida‐ ritätsbekundungen, Lob oder Kommentare. Den Ton (S5) einer Nachricht definiert H E R R ING (2007: 21) als „the manner or spirit in which discursive acts are performed“. Sie macht ihn fest an den Dimensionen serious/ playful, formal/ casual, contentious/ friendly, cooperative/ sarcastic. Während er bei einer Frage zu einem Produkt kooperativ gehalten sein kann, ist er in Beschwerden oft ironisch oder aggressiv - die Spannbreite ist aber auch im vorliegenden Korpus groß. H E R R ING (2007: 21) unterscheidet drei Arten von Normen (S7): organisatori‐ sche Normen, Normen sozialer Angemessenheit und sprachliche Normen. Unter organisatorischen Normen versteht sie Regelungen zum Zugang zur Gruppe, ihrer Leitung/ Moderation oder der „Bestrafung“ von Mitgliedern. Im vorliegenden Facebook-Auftritt gibt es außer der notwendigen Registrierung auf Facebook keine Zugangsbeschränkungen für potenzielle Schreiber. Aller‐ dings fungieren die Mitarbeiter gleichzeitig als Moderatoren und haben das Recht, unangemessene Posts zu verbergen. Im institutionellen Setting einer Facebook-Fanpage definiert das Unter‐ nehmen Normen sozialer Angemessenheit, also Rahmenbedingungen für die Kommunikation, anhand deren sich die Angemessenheit von Nutzerposts be‐ urteilen lässt. Diese sogenannte Netiquette kann damit nicht nur die Ausgestal‐ 88 4 Facebook-Beschwerden: Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation tung von Nachrichten beeinflussen oder - im Falle der Nichtbeachtung - dazu führen, dass sie verborgen werden. Sie kann auch von den Nutzern selbst kom‐ mentiert (vgl. 7.7) und so gegebenenfalls langfristig neu ausgehandelt werden (G RAHAM 2008; H AU GH 2010). Es ist davon auszugehen, dass ein Großteil der Nutzer sie zwar nicht eigens konsultiert hat, aber auf entsprechenden Seiten übliche Regelungen kennt. Denn in ihren konkreten Regelungen sind die in die vorliegende Studie einbezogenen Seiten einander und auch anderen Seiten durchaus ähnlich (vgl. die Ausführungen zu Netiquette-Regelungen ausge‐ wählter Online-Zeitungen bei N E U RAUT E R -K E S S E L S 2013: 111-116). Dies rührt auch daher, dass die Netiquette teilweise öffentliche Normen widerspiegelt (L O R E NZO -D U S E T AL . 2011: 2590). So werden die Teilnehmer beispielsweise angehalten, keine rechts- oder sit‐ tenwidrigen Beiträge zu veröffentlichen oder zu verlinken. Zu ihrem eigenen Schutz warnt das Unternehmen die Nutzer angesichts der Öffentlichkeit ihrer Posts davor, persönliche Daten oder Inhalte, für die sie keine Nutzungsrechte haben, zu posten. Schließlich behalten sich die Unternehmen vor, nicht dem Zweck der Seite entsprechende Posts wie Spam oder Werbung - oder auch mehrfach gepostete Nachrichten - zu löschen. Damit stellen die beschriebenen Netiquette-Regelungen vor allem auf die appropriateness von Äußerungen ab. Im engeren Sinne relevant für Fragen der (im)politeness ist das Verbot von Be‐ schimpfungen und Beleidigungen, wie es sich ebenfalls häufig findet. Natürlich verhindern die genannten Regelungen nicht in jedem Fall die Ver‐ öffentlichung gegen die Netiquette verstoßender Posts. Die auf der Netiquette basierenden Eingriffe - ein automatisches Filtern oder nachträgliches, manu‐ elles Unterdrücken eines Posts - lassen sich über Hinweise der Mitarbeiter, Be‐ schwerden der Verfasser oder Kommentare anderer Nutzer teils nachverfolgen: (DE211) Wo ist denn mein Beitrag von vor 1 Stunde hin? (IT29) Buonasera! Provo a riscrivere, in quanto il mio post è stato rimosso! […] Da sie nach dem Verbergen nicht mehr auf der Unternehmensseite erscheinen, lassen sich nur Spekulationen über die Zahl und Beschaffenheit der betroffenen Beschwerden anstellen. (Leichtere) Verstöße gegen die Netiquette, die nicht zum Entfernen der Nachricht führen, bestehen z. B. in einem aggressiven Ton oder einer aggressiven Lexik: 89 4.5 Soziale Einflussfaktoren 27 Mit „PK-D“ bzw. „PK-I“ werden zum einen Posts abgekürzt, die dem deutschen bzw. italienischen Probekorpus entnommen sind (vgl. 5.1.3). Zum anderen finden sich dar‐ unter auch andere auf den genannten Seiten erhobene Posts, die keinen Eingang in das Korpus gefunden haben - aus Platzgründen oder weil es sich nicht um Beschwerden handelt. (PK-D) 27 [Beschwerdeführer] an Vodafone Deutschland Danke Vodafone das ihr mir für eine Superflat, also nur telefonieren in Euer angeblich bestes Netz (wenn man mal Empfang hat) und ein bisschen surfen und so 60,82 € berechnet! Ihr seid so genial mit Eurer Masche, Chapeau meine Damen und Herren! Der Preis für die beste Abzockidee geht an: Genau… Vodafone Deutschland Hallo [Beschwerdeführer], wir verstehen, dass es manchmal schwierig ist, sachlich zu bleiben, wenn man sich ärgert. Das ist jedoch nicht zielführend. Wir nehmen Kritik auch ohne Beleidigungen ernst. Schau Dir dazu auch bitte mal unsere Netiquette an http: / / bit.ly/ Netiquette_VF […] In dem hier als Antwort geposteten Textbaustein zeigt sich beispielsweise, dass nicht die Posts als „unhöflich“, „aggressiv“ o. Ä. bewertet werden, sondern - ins Positive gewendet - der Kunde darum gebeten wird, „sachlich zu bleiben“ und einen „konstruktiven Umgang“ zu pflegen. Zusätzlich wird die Kritik über den Verweis auf die schriftlich fixierten Regelungen der Netiquette legitimiert. Reflexe der Netiquette sind außerdem in Auslassungspunkten (und anderen Zeichen) zu sehen, die Schreiber setzen, um Vulgarismen zu vermeiden (vgl. M EINL 2010: 237; F RANZ 2011: 275). So wird in DE94 der Ausdruck Arsch‐ kriecher, in IT294 troia/ miseria, in IT358 vermutlich eine wüste Beschimpfung an der Telefonhotline im Gespräch mit einem Mitarbeiter angedeutet: (DE94) […] im wahrsten Sinne des Wortes richtige „A….kriecher“ […] (IT294) […] ripeto era 12 mega in download non 3mega schifosi come mi date ora porca ***** (IT358) […] „Eh mi dispiace, i 45 giorni scattano da oggi…“ Io: …. #$£&§$#.. […] Als dritte Kategorie von Normen identifiziert H E R R ING (2007: 21) spezifische sprachliche Normen, die sich in der Interaktion unter den Nutzern der Seite he‐ rausbilden können, wie z. B. Abkürzungen, Akronyme oder Insiderwitze. Kon‐ ventionen dieser Art sind im vorliegenden Korpus nicht festzustellen. 90 4 Facebook-Beschwerden: Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation Mit der Kategorie Code (S8) schließlich bezeichnet H E R R ING (2007: 21-22) die Sprache oder sprachliche Varietät der Posts sowie den Gebrauch eines spezifi‐ schen Zeichenfonts. Die für die vorliegende Untersuchung ausgewählten Posts sind in deutscher und italienischer Sprache abgefasst. Bezüglich der sprachli‐ chen Varietät und des Registers der Kundenposts ist eine hohe Variabilität fest‐ zustellen, während die Posts der Unternehmensmitarbeiter sprachlich weit homogener sind (vgl. 4.7). Der verwendete ASCII-Zeichenfont basiert auf dem lateinischen Alphabet und beinhaltet auch Emojis (vgl. 7.4). Darauf hinzuweisen ist auch, dass Hervorhebung durch Kursiv- oder Fettdruck, durch unterschied‐ liche Zeichengrößen oder Farben nicht möglich ist, sodass die Teilnehmer auf andere CvK-spezifische Mittel ausweichen müssen (vgl. 7.4). Zur soziopragmatischen Konstellation (S9): In der Beschreibung der sozialen Distanz zwischen den Gesprächspartnern (social distance of interlocu‐ tors, O L S HTAIN / W E INBACH 1987: 197) sind die hier Beteiligten als einander fremd einzuordnen: Unternehmensmitarbeiter und Kunden treten nur aufgrund der Beschwerde überhaupt miteinander in Kontakt. Zwar tritt der Fall auf, dass ei‐ nige Kunden zum wiederholten Male mit Mitarbeitern des Unternehmens kor‐ respondieren, allerdings ist auch hier nicht der Aufbau einer persönlichen Be‐ ziehung intendiert, sondern der Mitarbeiter handelt nur als Repräsentant seines Unternehmens. Für die sprachliche Realisierung von Beschwerden messen O L S HTAIN / W E IN‐ BACH (1987: 206) außerdem der Frage nach dem zugrunde liegenden Vertrag (contract between interlocutors) - explizit, implizit, kein Vertrag - und damit ver‐ bunden der gegenseitigen Verpflichtung (mutual commitment) zwischen zwei Personen einen deutlichen Einfluss bei: Bei implizitem Vertrag kämen „softer strategies“ zum Tragen, bei explizitem Vertrag „more severe realizations of the complaint“. Im vorliegenden Korpus ist der Vertrag eindeutig als explizit zu werten, da die sich beschwerenden Kunden meist einen Vertrag mit dem Un‐ ternehmen geschlossen haben, aus dem bestimmte gegenseitige Rechte und Pflichten resultieren. Einher geht dieses vertraglich geregelte Verhältnis (O L S H‐ TAIN / W E INBACH 1987: 198) mit einer hohen Erwartungshaltung des sich be‐ schwerenden Kunden. Auch H E LD (2001: 118) weist darauf hin, dass sich in in‐ stitutioneller Kommunikation die Legitimität von Kritik/ Beschwerden erhöhen kann: In institutionellen, öffentlichen Situationen legitimieren sich Kritiken […] mehr als in spontanen, privaten; hier darf man korrektes, der gesellschaftlichen Rolle entspre‐ chendes Verhalten einmahnen, dort ist eher eine situative Notwendigkeit Anlaß […]. 91 4.5 Soziale Einflussfaktoren Hinzu kommt, dass auf der Mitarbeiterseite zwischen institutional und private face zu trennen ist, wie O R THAB E R / M ÁR Q U E Z R EIT E R (2011: 3863) ausführen. Auch sie verweisen auf das Recht des Verbrauchers auf Beschwerde, die aber nur das institutional/ professional face des Mitarbeiters bedrohen könne: The institutional face here is the professional persona through which the company presents itself to the public. This face is on loan to the agent from the company and may be withdrawn, should the agent not conduct herself „in a way that is worthy of it“ (G O F F MA N 1967: 10). O R THAB E R / M ÁR QU E Z R E IT E R (2011: 3863) fahren fort, Aufgabe des Mitarbeiters sei es nicht nur, sein eigenes institutional/ professional face, sondern auch das seiner Arbeitskollegen zu schützen, um so das face der Institution als Ganzes zu wahren. Die hier vorliegende Teilnehmerkonstellation lässt sich auch hinsichtlich der in ihr herrschenden Machtverhältnisse charakterisieren: Die Mitarbeiter des So‐ cial-Media-Teams sind verantwortlich für die Entgegennahme der Beschwerde an das Unternehmen, das diese verursacht hat. Die sich beschwerenden Kunden wissen, dass sie durch ihre Beschwerde Macht über das Unternehmen ausüben. So sieht auch C UL P E P E R (2011: 209) den Kunden in der gegenüber dem Unter‐ nehmen mächtigeren Position: One may suppose that the prototypical customer is both socially distant from the retailer and more powerful (in so far as the customer has the power to determine the success or otherwise of the retailer’s goals). F R E NCH / R AV EN (1959) unterscheiden zwischen reward power, coercive power und legitimate power. Reward power üben die Kunden aus, wenn der Service oder das Produkt sie zufriedengestellt hat; coercive power wenden sie an, wenn ihre Er‐ wartungen nicht erfüllt werden. Legitimate power dagegen können Unter‐ nehmen ausüben, wenn sie entscheiden, ob sie die Forderung des Kunden er‐ füllen oder nicht. Coercive power ist allerdings in der Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden (service encounter situations) am häufigsten zu be‐ obachten. 4.6 Kommunikationstheoretische Einordnung Ausgehend von der soeben skizzierten Teilnehmerstruktur (S1 in 4.5) soll nun die Teilnehmerkonstellation und Kommunikationssituation der dieser Untersu‐ chung zugrunde liegenden Facebook-Seite beschrieben werden, und zwar vor 92 4 Facebook-Beschwerden: Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation dem Hintergrund der „kommunikationstheoretischen Merkmale“ von B U R G E R / L U GINBÜHL (2014). Allgemein unterscheiden B U R G E R / L U GINBÜHL (2014: 5 ff.) zwischen Kommu‐ nikatoren als den „Sendern“ und Rezipienten als den „Empfängern“ einer Bot‐ schaft. Dabei ist es für das Web 2.0 bezeichnend, dass die klassische Rollenver‐ teilung zwischen Kommunikatoren auf der einen und Rezipienten auf der anderen Seite nicht mehr aufrechterhalten wird, sondern Rezipienten jederzeit auch zu Kommunikatoren werden können. Aufseiten der Kommunikatoren lassen sich für das vorliegende Korpus drei Gruppen unterscheiden: der Beschwerdeführer, der einen initialen Post und im weiteren Verlauf der Interaktion eventuell weitere Nachrichten veröffentlicht, die antwortenden Social-Media-Mitarbeiter, die gleichzeitig als Moderatoren fungieren, sowie weitere Kommentatoren dieser Nachricht. Dass der Kommu‐ nikator nicht immer gleichzeitig als „Autor“ eines Textes gelten kann, machen B U R G E R / L U GINBÜHL (2014: 5-6) am Beispiel journalistischer Texte deutlich: Wegen teils rigider redaktioneller Vorgaben bleibe unklar, in welchem Ausmaß noch ein Individualstil zu erkennen sei oder inwiefern es sich bei den Unter‐ zeichneten vielmehr um „austauschbare Texter“ handele. Dies gilt auch für die Unternehmensantworten im vorliegenden Korpus, die oft aus vorgefertigten Textbausteinen zusammengesetzt sind (vgl. 4.7, 6.4.4). Die Gruppe möglicher Rezipienten stellt sich als noch komplexer dar. Zu‐ nächst gilt es zu differenzieren zwischen „effektiven“ und „intendierten“ Rezi‐ pienten (B U R G E R / L U GINBÜHL 2014: 11): Effektive Rezipienten sind diejenigen, die ein Medium wahrnehmen, gleich ob Intention oder Zufall dahintersteht. Inten‐ dierte Rezipienten dagegen sind die Personen, an die sich der Kommunikator richtet; B U R G E R / L U GINBÜHL (2014: 11) setzen sie mit den in der Sprachwissen‐ schaft als „Adressaten“ bezeichneten Empfängern gleich. Angesichts der For‐ schungsfragen der vorliegenden Untersuchung sind im Folgenden daher insbe‐ sondere die intendierten Rezipienten von Interesse. Ohnehin liegen uns über die effektiven Rezipienten kaum Informationen vor. Die Kenntnisnahme einer Nachricht lässt sich für außenstehende Leser nur dann nachweisen, wenn ein Nutzer mit einem „Like“ oder in einem Post darauf explizit Bezug nimmt. Während prinzipiell sämtliche Internetnutzer zu effektiven Rezi‐ pienten werden können, dürften es de facto die beiden bereits genannten Gruppen sein (vgl. 4.5, S1): solche, die bereits aus anderen Gründen den Face‐ book-Auftritt des Unternehmens aufsuchen, oder mit den Schreibern auf Face‐ book befreundete Nutzer. Es ist außerdem davon auszugehen, dass die Zahl an effektiven Rezipienten immer höher als die Zahl an Kommunikatoren ist. 93 4.6 Kommunikationstheoretische Einordnung Das Wissen um die intendierten Rezipienten ist von großer Bedeutung für das Verständnis einer Äußerung. Im hier vorliegenden Fall können alle genannten Kommunikatoren auch intendierte Rezipienten sein: der Beschwerdeführer, Mitarbeiter/ Moderatoren und Kommentator(en). Daneben können möglicher‐ weise intendierte Rezipienten auch die Facebook-Freunde des Schreibers und andere mitlesende Nutzer sein. Zur Beschreibung der Kommunikationssituation in Massenmedien unter‐ nimmt B E LL (1991: 91-92) den Versuch, vier Gruppen von Rezipienten zu un‐ terscheiden, über die dem Kommunikator gleichwohl nur relativ wenig bekannt sei: (1) das „target audience“, das der Kommunikator im Auge habe, (2) die „au‐ ditors“, die er zwar nicht anspreche, aber mit denen er rechne, (3) die „overhea‐ rers“, die er weder anspreche noch erwarte, und (4) die „eavesdroppers“, die nach seinem Dafürhalten nicht zum Rezipientenkreis zählen sollten. Dabei sieht er diese Unterscheidung selbst als schwierig an; und erst recht für die Kommuni‐ kation im Web 2.0 scheint B E LL S (1991) Differenzierung kaum aufrechtzuer‐ halten (G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH 2012: 71). So stellt auch B OLAND E R (2013: 25) für die von ihr untersuchten Blogs fest, dass alle Leser als ratifiziert zu betrachten sind; sie verweist in diesem Zusammenhang auf M AR C O C CIA S (2004: 140) Fest‐ stellung, die auch auf das vorliegende Korpus zutrifft: Indeed, the category of ratified participants does not seem to be very relevant, because newsgroups […] are asynchronous and the messages sent to them can be read at any moment by anyone who is connected to the internet. In other words, it is impossible to know who belongs to the conversational group at any moment. In fact, the discus‐ sion group is continously under construction. B U R G E R / L U GINBÜHL (2014: 23) unterscheiden für die durch Massenmedien ver‐ mittelte Kommunikation zwei „Kommunikationskreise“: Während im „inneren Kreis“ die dialogische Interaktion zwischen den Kommunikatoren abläuft, ist im „äußeren Kreis“ das Publikum verortet. Die Kommunikation im inneren Kreis ist im Hinblick auf die Rezipienten im äußeren Kreis von einer Doppel- (oder Mehrfach-)Adressierung geprägt. Abbildung 6 wendet das Kreismodell auf das vorliegende Korpus an. Im inneren Rahmen können der Verfasser des initialen Posts, die Mitarbeiter des Unternehmens und andere Kommentatoren unter Wahrung der Netiquette frei miteinander kommunizieren. Im äußeren Rahmen ist ein offener Nutzerkreis angesiedelt, der die Beiträge nur rezipiert. Darunter fallen auch Facebook-Freunde des Verfassers des initialen Posts oder weiterer Kommentatoren. Diese Nutzer können aber jederzeit auch selbst zu Kommuni‐ katoren werden, wie in Anlehnung an N E U RAUT E R -K E S S E L S (2013: 189), die das Modell ebenfalls für die Kommunikation im Web 2.0 heranzieht, die gestrichelte 94 4 Facebook-Beschwerden: Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation Linie grafisch verdeutlicht. Dies unterscheidet die Kommunikation im Web 2.0 von der in Medien wie dem Fernsehen (vgl. G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH 2012: 71 am Beispiel von YouTube). Abbildung 6: Innerer und äußerer Kommunikationsrahmen bei Online-Beschwerden (nach B U R G E R / L U G I N BÜH L 2014: 23 und N E U R A U T E R -K E S S E L S 2013: 189) Angesichts der Komplexität der geschilderten Teilnehmerkonstellation sind Re‐ ferenzen in den initialen Beschwerdeposts im vorliegenden Korpus von beson‐ derem Interesse. Ihnen soll in Abschnitt 8 nachgegangen werden. 95 4.6 Kommunikationstheoretische Einordnung 4.7 Der Kontext: Aufbau der Threads Im Anschluss an die Darstellung des Kommunikationsmodells soll der Aufbau eines Threads anhand zweier Beispiele dargestellt werden. Viele Threads be‐ stehen aus dem Kundenpost und der Antwort des Unternehmens, wie in DE106: (DE106) [Beschwerdeführer] an Vodafone Deutschland 22. September um 19: 22 · Ich bin stink sauer ! ! ! Seit 1.April diesen Jahres umgezogen und seit Jahren Vodafone Künden. Es gab nur ärger, und bis zum heutigen Tage wurde unser Auftrag nicht erfüllt. Die Krönung ist, das unser vertag gekündigt wurde ohne uns darüber in Kenntnis zu setzen. Ich habe es erst erfahren als ich eine ihrer absolut unfreundlichen und dreisten Mitarbeiterinnen an Handy hatte. Wir haben monatelang fast 50€ für Leistungen bezahlt die wir nie er‐ hielten und uns wurde gesagt, das uns das Geld gut geschrieben wird. War das auch eine Lüge ! ? Ich bin absolut enttäuscht ! ! ! Und sie sollten ihren Kundenservice besser ausbilden, manche ihrer Leute sind das aller letzte ! ! 1 Kommentar Gefällt mir Kommentieren Teilen Vodafone Deutschland Hallo [Beschwerdeführer], es tut mir leid, dass es zu Unstimmigkeiten gekommen ist. Gerne widme ich mich Deinem Anliegen im Detail. Dafür bitte ich Dich, mir eine PN zukommen zu lassen. So können wir alles im Detail besprechen und zu einer zufrie‐ denstellenden Lösung kommen.Viele Grüße, [Name Mitarbeiter] * [Namenskürzel Mitarbeiter] Gefällt mir · Antworten · 22. September um 22: 59 Deutlich wird an diesem Beispiel der Wechsel von spontaner hin zu professio‐ neller Kommunikation. Während die Kundenbeschwerde zahlreiche Emotions‐ darstellungen (stink sauer, ärger, enttäuscht …), Negativwertungen (unfreundlich, dreist …), wiederholte Satzzeichen und keinen Briefrahmen enthält, weist die Unternehmensantwort Anrede, Abschiedsgruß und Unterschrift auf und ist standardsprachlich formuliert. Es findet sich eine Reihe der von E INWILL E R / S T E IL E N (2015) genannten, für Unternehmensantworten auf Beschwerden typi‐ schen moves (vgl. 4.2); die gewählten Formulierungen wiederholen sich in Ant‐ worten auf andere Posts - die Verwendung von Textbausteinen ist deutlich er‐ kennbar (vgl. auch K UNK E L 2016). Eine erneute Antwort des Kunden bleibt aus; möglicherweise erfolgt sie in einer privaten Nachricht an das Unternehmen. Wie im Thread zu DE328 ersichtlich, können aber auch andere Nutzer Follow-up-Posts beitragen: 96 4 Facebook-Beschwerden: Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation 28 Sämtliche (zur besseren Lesbarkeit) verbliebenen Namen wurden in diesem Thread ausgetauscht. (DE 328) [Beschwerdeführer] an o2 Hilfe 10. Oktober um 19: 26 · Berlin · UND WIEDER: NICHTS PASSIERT. Meine Nachricht von gestern: EURE HILFE IST EIN WITZ! Vor ZWEI Monaten habe ich ein DSL Paket bei euch abgeschlossen, bin extra Neukunde bei O2 geworden. Seither warte ich auf mein Internet. ZWEI MONATE! Unzählige Minuten, mittler‐ weile Stunden, in eurer nervtötenden Warteschleife. 4 TECHNIKERTER‐ MINE! 4 TECHNIKERTERMINE! ! ! Nur leider kein Techniker. 4 Mal zu Hause sitzen, von 8-14 Uhr, oder 14-20 Uhr - eure Zeitfenster sind un‐ glaublich. 4 Mal URLAUB GENOMMEN und kein Mal ist ein Techniker gekommen. Heute wurde nicht mal mehr abgesagt! Eure Hotline ist der Horror. Die Mitarbeiter inkompetent, ohne irgendeine Möglichkeit zu helfen. Immer wird man nur vertröstet, Lösungen werden keine angeboten. Ich werde heute KÜNDIGEN und O2 sicherlich nicht weiterempfehlen. Mag sein, dass es alles an der Telekom liegt, aber die Mittel und Wege, mit denen O2 seinen Kunden ein Recht auf Produkt und Beschwerde ermöglicht sind absolut UNMÖGLICH. Bislang hat sich O2 nicht mal gemeldet, um einen neuen Termin auszuma‐ chen. Ihr seid echt das letzte. 8 „Gefällt mir“-Angaben 10 Kommentare o2 Hilfe Hallo [Beschwerdeführer]. Wir haben deine PN bekommen und werden uns diese so bald wie möglich ansehen. Da wir über’s Wochenende Wartungsarbeiten durchführen, kann es aktuell leider etwas dauern. Bitte hab etwas Geduld LG Susi 28 Gefällt mir · Antworten · 10. Oktober um 19: 35 [Kommentator 1] Dann Versuchs mit einer Sammelklage Gefällt mir · Antworten · 10. Oktober um 23: 09 [Kommentator 2] Hey [Beschwerdeführer] … selbes Theater bei mir. Es gibt die BUNDESNETZAGENTUR, bei der Du eine Beschwerde einreichen kannst die bearbeitet werden MUSS! Gefällt mir · Antworten · 11. Oktober um 00: 50 [Kommentator 3] Witzig ist dass erst gesagt wird, wir kümmern uns und im nächsten Moment ups sorry wir können dir nicht helfen, wir haben Wartungsarbeiten und nach den Wartungsarbeiten stellen sie fest, dass sie dringend Urlaub brauchen Gefällt mir · Antworten · 11. Oktober um 09: 48 [Beschwerdeführer] Das ist wirklich unfassbar. Gefällt mir · Antworten · 11. Oktober um 11: 26 [Beschwerdeführer] Und bei der Hotline hat man nicht mal mehr die Möglichkeit, jemanden zu erreichen Gefällt mir · Antworten · 11. Oktober um 11: 30 · Bearbeitet 97 4.7 Der Kontext: Aufbau der Threads [Kommentator 3] Wir haben uns heute auch bei der Bundesnetzagentur gemeldet, vielleicht hilft das ja wirklich… Gefällt mir · Antworten · 1 · 11. Oktober um 22: 44 [Kommentator 4] Susi! ! ! ! Gefällt mir · Antworten · 12. Oktober um 14: 33 [Beschwerdeführer] Ein Name der NICHTS verspricht. Alternativ gäbe es auch noch „Jessica“. Gefällt mir · Antworten · 1 · 12. Oktober um 14: 36 [Kommentator 4] Haha. Mann das klingt echt ultra nervig. Du Arme! ! Gefällt mir · Antworten · 12. Oktober um 14: 39 o2 Hilfe Hi [Beschwerdeführer]. Du erhältst spätestens morgen eine Ant‐ wort von uns. Hab bitte noch etwas Geduld. Danke dir. Grüße, Max Gefällt mir · Antworten · 12. Oktober um 14: 50 [Kommentator 5] Inkompetenz hat einen Namen: O2 Einfach zu wenig! Gefällt mir · Antworten · 12. Oktober um 14: 48 · Bearbeitet [Beschwerdeführer] Jetzt wo „Max“ im Spiel ist wird alles besser. Wo Susi und Jessica versagen, greift er endlich durch. Gefällt mir · Antworten · 12. Oktober um 14: 51 [Kommentator 6] Same here… Haben gekündigt. Dann wurde mehrfach angerufen, um uns doch noch umzustimmen… Joa nee Gefällt mir · Antworten · 12. Oktober um 15: 05 Der Beschwerdepost erhält 8 „Likes“. Das Unternehmen reagiert mit einem Textbaustein und bittet um Geduld. Die Kommentatoren geben dem Schreiber - ernst oder lustig gemeinte - Tipps, bestätigen ihn in seinem Ärger, berichten von ihren eigenen Erfahrungen und machen sich zusammen mit ihm über die Mitarbeiter des Unternehmens lustig. Ihre Posts lassen sich gut in eine Katego‐ risierung einordnen, die B OXE R (1993a) in ihrer Studie zu Reaktionen auf indi‐ rekte Beschwerden entwickelt hat: (1) no response or topic switch, (2) question, (3) contradiction, (4) joking, (5) advice/ lecture, (6) agreement, reassurance, or com‐ miseration. Fast die Hälfte der Reaktionen auf die 533 indirekten Beschwerden entfiel in B OXE R S Studie auf die letzte Kategorie: „This is the type of reply that offers a rapport-inspiring or solidarity-establishing basis for asserting that ICs [= indirect complaints, M. K.] have a great potential for the building of social relationships“ (B OXE R 2010: 166). Im vorliegenden Beispiel finden sich Belege für die Kategorien (4), (5) und (6); eine Tendenz zu Solidaritätsbekundungen lässt sich auch im vorliegenden Korpus feststellen, müsste aber in einer eigenen Studie im Detail überprüft werden (vgl. für Diskussionsverläufe in Blogs B O‐ LAND E R 2013: 106). 98 4 Facebook-Beschwerden: Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation 4.8 Facebook-Beschwerden als Textsorte (genre)? Im Anschluss an die eingangs aufgeworfenen Überlegungen zu den verschie‐ denen Ansätzen sprachwissenschaftlicher Beschwerdeforschung (vgl. 3.1) soll abschließend der Frage nachgegangen werden, ob es sich bei den hier unter‐ suchten Facebook-Beschwerden um eine Textsorte (genre) handelt. Fruchtbar hierfür scheinen die Überlegungen von O V E R B E CK (2014: 221-222), die Formen digitaler Kommunikation wie Tweets, E-Mails oder SMS die Eigenschaft als „Textsorten“ grundsätzlich abspricht. Dies führt sie auf fünf Charakteristika di‐ gitaler Kommunikationsformen zurück (2014: 209): • Polyfunktionalität: Tweets oder E-Mails sind weder pragmatisch-funkti‐ onal noch inhaltlich festgelegt. • Nichtabgeschlossenheit: Je nach der spezifischen Kommunikationsform können Texte rückwirkend verändert oder mindestens fortgesetzt werden. • Rezeptionsoffenheit: Der Empfänger einer Nachricht kann, beispielsweise durch eine Antwort, selbst zum Sender werden. • Zersplitterung: Kommunikationsformen können ineinander übergehen, Grenzen fließend sein. • Autorenvielfalt: In einer Reihe von digitalen Kommunikationsformen, wie z. B. Wikis, hat ein Text keinen einzelnen, identifizierbaren Autor mehr. Stattdessen schlägt O V E R B E CK (2014: 224) vor, das Konzept der „Teiltextsorten“ aufzugreifen, das u. a. von R EHM ([2006]2007) auf digitale Kommunikations‐ formen übertragen wurde. Am Beispiel von Kochforen plädiert sie dafür, das Rezept - und somit eine „recht gut klassifizierbare Textsorte“ - als einen we‐ sentlichen Bestandteil der Kommunikation in diesen Foren anzunehmen. Damit aber müsse das Forum „mindestens und obligatorisch die Teiltextsorte Rezept enthalten“. Auf diese Weise unterscheidbare „obligatorische“ und „fakultative Teiltextsorten“, so O V E R B E CK (2014: 224), könnten als „Zentrum und Peripherie“ bezeichnet werden; alternativ lasse sich ein „Nukleus“ ansetzen: Für das Koch‐ forum wäre der Nukleus somit das Rezept, für Online-Partnerbörsen beispiels‐ weise das persönliche Profil. Dabei schlägt O V E R B E CK (2014: 224-225) vor, zwi‐ schen inhaltlichen und strukturellen Nuklei zu unterscheiden. In ihrem Beispiel des Kochforums setzt sie als strukturellen Nukleus Post oder Thread an, als inhaltlichen das Rezept. Für andere Kommunikationsformen wie SMS oder Twitter erkennt sie dagegen lediglich einen strukturellen Nukleus. Gegen diese Überlegungen lässt sich einwenden, dass die Möglichkeit, in Re‐ zeptforen inhaltliche Nuklei anzusetzen, natürlich nur darauf zurückzuführen 99 4.8 Facebook-Beschwerden als Textsorte (genre)? ist, dass das Kochforum bereits eine inhaltlich definierte Untergruppe der (all‐ gemeinen) Kommunikationsform Forum darstellt. Für Foren im Allgemeinen ließen sich gleichfalls nur strukturelle Nuklei definieren. Ist in den initialen Kundenbeschwerden, wie sie das Korpus der vorliegenden Untersuchung bilden, also eine Textsorte (genre) zu sehen? Für Facebook-Posts ganz allgemein muss die Frage anknüpfend an die gerade angestellten Überle‐ gungen sicher verneint werden. Sieht man sich aber - analog zu O V E R B E CK S (2014) Beispiel der Rezepte in Kochforen - Kundenbeschwerden auf Face‐ book-Seiten von Telekommunikationsunternehmen an, dann ließen diese sich in der von R EHM ([2006]2007) herangezogenen Terminologie als Teiltextsorten, bei O V E R B E CK (2014) aufgrund ihrer erheblichen Verbreitung auf diesen Seiten als ein inhaltlicher Nukleus ausmachen. In Bezug auf die oben genannten Kriterien lässt sich feststellen: Während Online-Kundenbeschwerden dieser Art nicht mehr polyfunktional sind, ist das Charakteristikum der Nichtabgeschlossenheit weiterhin gültig: Sie können im Nachhinein von ihrem Verfasser bearbeitet oder (von ihm oder anderen) durch weitere Posts fortgesetzt werden. Die Posts für das vorliegende Korpus wurden allerdings so lange nach ihrem Erscheinen heruntergeladen, dass die zugehö‐ rigen Threads in aller Regel bereits abgeschlossen waren (vgl. 5.1.4). Auch die Rezeptionsoffenheit ist weiterhin gegeben, wird aber aufgrund der Beschränkung auf den initialen Post in dieser Studie ausgeblendet. Das Phänomen der Zer‐ splitterung wird im vorliegenden Korpus dann manifest, wenn Fotos oder andere Grafiken angehängt oder Links gesetzt werden (vgl. 7.2.1). Autorenvielfalt liegt dagegen nicht vor: Die technische Oberfläche lässt es zu, den Autor eindeutig zu identifizieren. Insgesamt gesehen muss den Beschwerdeposts, die in der vorliegenden Arbeit untersucht werden, ihr Status als ein genre im klassischen Sinne abgesprochen werden. Zum einen aber machen R EHM S ([2006]2007) und O V E R B E CK S (2014) Überlegungen im Hinblick auf Teiltextsorten / inhaltliche Nuklei die Nähe der Facebook-Beschwerden zu den Untersuchungsgegenständen der Textlinguistik (genre analysis) deutlich. Zum anderen ist auch auf die Wandlung (und Öffnung) des Genre-Begriffs von S WAL E S (2004) hinzuweisen (vgl. 3.1.1). Daher sollen Aspekte der genre analysis in die Arbeit einfließen, insbesondere methodische Überlegungen zur Analyse der moves (vgl. 6.1). Auch die Untersu‐ chung der internen und externen Modifikation (vgl. 7.1 bis 7.6) sowie des Pro‐ nominalgebrauchs (vgl. 8.1 bis 8.3) spielt im Rahmen der genre analysis regel‐ mäßig eine Rolle. 100 4 Facebook-Beschwerden: Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation 4.9 Zwischenfazit und Hypothesen Die Kommunikation im Web 2.0 ist für Unternehmen weiterhin eine große He‐ rausforderung (F O U R NI E R / A V E R Y 2011). Die einschlägige Literatur rät ihnen prinzipiell dazu, Kritik auf Plattformen wie Facebook zuzulassen, auch wenn gerade deren Öffentlichkeit zu einer Schädigung der Reputation führen kann und somit immer ein Risiko birgt (B AU E R E T AL . 2012). Als wichtige technologische Rahmenbedingungen (H E R R ING 2007) sind eine nahezu unbegrenzte Zeichenanzahl, die dauerhafte Speicherung der Inter‐ aktionen und ihre Öffentlichkeit hervorzuheben. Wichtige soziale Einflussfak‐ toren (H E R R ING 2007) sind die thematische Einschränkung der Seiten, die Teil‐ nehmerstruktur mit ihrer soziopragmatischen Konstellation sowie die in der Netiquette hinterlegten Normen (L O R E NZO -D U S E T AL . 2011): Generell ist wegen der geringen Beziehungsorientierung im Rahmen der In‐ teraktion, wegen des zugrunde liegenden expliziten Vertrags zwischen Unter‐ nehmen und Kunden und der daraus resultierenden hohen Erwartungshaltung seitens der Kunden (O L S HTAIN / W E INBACH 1987) von einem direkten Beschwer‐ delevel und einer minimalen Tendenz zu Abmilderungsstrategien auszugehen. Die Kunden können über ihre Beschwerden Macht (exercive power, F R E NCH / R AV E N 1959) über das Unternehmen ausüben, die durch die Öffentlichkeit der Beschwerde weiter verstärkt werden dürfte. Gleichzeitig unterliegen sie aber beim Schreiben ihrer Posts den Netiquette-Regelungen des Unternehmens, deren Nichtbeachtung zum Verbergen ihres Beitrags führt. Wie am Kommunikationsmodell von B U R G E R / L U GINBÜHL (2014) gezeigt werden konnte, ist die Teilnehmerkonstellation komplex und eine klassische Einteilung in target audience, auditors, overhearers und eavesdroppers wie bei B E LL (1991) nicht mehr möglich. Potenzielle Rezipienten sind neben den Mitar‐ beitern des Unternehmens alle mitlesenden Nutzer, darunter auch die Face‐ book-Freunde der Schreiber, wenn die Nachricht in ihrer Chronik angezeigt wird. Es ist zu vermuten, dass die Verfasser bei der Formulierung ihrer Be‐ schwerden beide Rezipientengruppen im Sinn haben. Ein Blick auf die Threads als Ganzes bestätigt, dass alle potenziellen Rezipienten jederzeit auch zu Kom‐ munikatoren werden können. 101 4.9 Zwischenfazit und Hypothesen 5 Korpus und Forschungsfragen Eine korpusbasierte Untersuchung bietet im Rahmen textanalytischer Studien die Möglichkeit, Muster zu identifizieren, die ein bestimmtes genre charakteri‐ sieren, ohne dass einzelne Texte das Ergebnis zu sehr beeinflussen würden. So nennen B IB E R ET AL . (2007: 40-41) als Vorteile korpusbasierter Untersuchungen „the ease of identifying the linguistic characteristics of the moves, their fre‐ quencies and lengths, and the mapping of their use and location in the overall discourse structure of texts“. Die hier vorliegende Studie ist daher korpusbasiert. Im Folgenden sollen Korpuserstellung (vgl. 5.1), Korpusaufbau (vgl. 5.2) sowie die Forschungsfragen (vgl. 5.3) der empirischen Untersuchung näher vorgestellt werden. 5.1 Korpuserstellung Die vorliegende Studie ordnet sich in den Bereich der Web linguistics (B E R GH 2005; B E R GH / Z ANCHE TTA 2008) ein. Im Unterschied zu einer direkten Nutzung des Internets als Korpus (Web as Corpus), beispielsweise durch Abfragen über Suchmaschinen, liegt ihr ein aus dem Internet gewonnenes, aber geschlossenes, offline zugängliches Korpus zugrunde (Web for Corpus). Ziel war es, ein - hier: auf Kundenbeschwerden an Telekommunikationsunternehmen - spezialisiertes Korpus zusammenzustellen (H UN S TON 2002: 14). Da Texte aus einem eng be‐ grenzten (zweimonatigen) Zeitraum erhoben wurden, lässt es sich zudem als synchrones Korpus beschreiben. Mit dem genannten Zuschnitt ähnelt sich der Aufbau des deutschen und des italienischen Teilkorpus hinsichtlich Parametern wie Kommunikationssituation, Teilnehmerkonstellation und Kommunikations‐ absicht, sodass ein gut vergleichbares Gesamtkorpus resultiert - „designed along the same lines“ (H UN S TON 2002: 15). Im Folgenden sollen die Kriterien erläutert werden, nach denen es zusammengestellt wurde. 5.1.1 Auswahl der Facebook-Seiten und Fokussierung auf die initiale Beschwerde Kriterium zur Auswahl für die Korpuserstellung geeigneter Facebook-Seiten sollte in erster Linie ein hohes Vorkommen des Sprechakts / der Textsorte sein, 29 Allerdings sind in den Statistiken von Socialbakers nur diejenigen Fanseiten enthalten, die von den sie betreibenden Unternehmen und Organisationen bei der Agentur re‐ gistriert wurden (vgl. T H U M M E S / M A L I K 2015: 116). 30 So stellen auch E I N W I L L E R / S T E I L E N (2015: 199) für ihr Korpus fest: „SNSs [= social net‐ work sites, M. K.] of telecommunication companies like Comcast or AT&T received most of the complaints, followed by financial service companies and retailers.“ die den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit bildet, wie auch in anderen Studien zu CvK üblich (vgl. H AR T F O R D / M AHB O O B 2004: 597 zu Beschwerden in Leserbriefen; N E U RAUTE R -K E S S E L S 2013 zu Online-Leserkommentaren). Die Un‐ ternehmen sollten bereits länger und ununterbrochen auf Facebook aktiv sein, eine hohe Zahl von Fans haben und regelmäßig Posts veröffentlichen. Da die vorliegende Studie Beschwerden und damit von Kunden verfasste Posts analy‐ siert, war eine weitere Voraussetzung die Möglichkeit für Kunden, Posts auf der Seite zu veröffentlichen. Auch eine ähnliche thematische Ausrichtung ist für die Erstellung vergleichbarer Korpora von Vorteil (H AR T F O R D / M AHB O O B 2004: 597); um diese - sowie ein ähnliches involvement der Kunden - zu gewährleisten, sollten die deutschen und die italienischen Unternehmen in derselben Branche tätig sein. Zur Auswahl von geeigneten Facebook-Seiten für die Erstellung des Korpus dieser Arbeit wurden Statistiken auf Socialbakers.com, dem weltweit führenden Portal für die Messung von Social-Marketing-Aktivitäten, herangezogen. Die Agentur veröffentlicht unter anderem monatliche Regional Social Marketing Reports für eine Reihe von Ländern, in denen die für das jeweilige Land hin‐ sichtlich ihrer Social-Marketing-Aktivitäten wichtigsten Unternehmen aufge‐ führt werden. 29 Neben der Gesamtzahl der Fans (total fan count) geht es dabei insbesondere um deren Facebook-basierte Interaktion mit dem Unternehmen. Mit dem Prädikat socially devoted werden Unternehmensseiten ausgezeichnet, die in einem Quartal auf mindestens 65 % aller Kundenanfragen geantwortet haben. Dem monatlich veröffentlichten Ranking der Top 5 Socially Devoted Brands on Facebook liegt die Gesamtzahl der beantworteten Anfragen innerhalb eines Monats (answered minus unanswered questions = AMUQ) zugrunde. Tele‐ kommunikationsunternehmen sind in dieser Statistik - für Italien wie für Deutschland - überdurchschnittlich häufig vertreten. So sind es im September 2015 in Deutschland zwei von fünf, in Italien fünf von fünf Unternehmen. Die Wahl der Branche für das Korpus der vorliegenden Arbeit fiel daher auf den Telekommunikationssektor. Ein weiterer Grund hierfür ist der hohe Anteil von Beschwerden an den veröffentlichten Posts. 30 Beschwerdeanlässe sind beispiels‐ weise mangelnder Internet-/ Telefonempfang oder andere technische Probleme, Kosten durch nicht erwünschte/ erbrachte Dienstleistungen, fehlerhafte Rech‐ 104 5 Korpus und Forschungsfragen 31 Dabei wurden Anbieter, die Kundenposts sowohl auf ihrer allgemeinen Fanseite wie auch auf einer speziell eingerichteten „Serviceseite“ (Telekom/ Telekom hilft; 3 Italia/ 3 Assistenza Clienti) beantworten, nur jeweils einmal berücksichtigt. nungen und mangelhafter Kundenservice. Das involvement der Kunden bezüg‐ lich der angebotenen Produkte und Dienstleistungen ist als mittel bis hoch ein‐ zuschätzen. Für die Studie ausgewählt wurden schließlich fünf deutsche und fünf italie‐ nische Facebook-Seiten von Telekommunikationsanbietern, die mit ähnlichen Produkten und Dienstleistungen - mit einem Schwerpunkt in den Bereichen Mobilfunk, Festnetztelefonie, Internet, Breitbanddatendienste für Geschäfts- und Privatkunden - vertreten sind und zu den führenden Anbietern auf dem Telekommunikationsmarkt und bei den Social-Media-Aktivitäten auf Facebook gehören. Hierzu wurden zunächst alle in den oben genannten Rankings in ver‐ schiedenen Monaten der Jahre 2014 und 2015 vertretenen Anbieter ausge‐ wählt. 31 Nach manueller Durchsicht der nach Fanzahlen geordneten Listen von Facebook-Seiten aus dem Telekommunikationssektor wurden zudem weitere Fanseiten berücksichtigt, auf denen gleichfalls in hohem Maß Kommunikation zwischen Kunden und Unternehmen stattfindet. In das Korpus dieser Arbeit wurden schließlich die deutschen Facebook-Auftritte von Telekom hilft, Voda‐ fone, o2 Hilfe, 1&1 und BASE 3 sowie die italienischen Facebook-Auftritte von 3 Italia, TIM, Vodafone, Wind und Fastweb einbezogen. Zudem wurde die Entscheidung getroffen, im Rahmen dieser Arbeit nur die initiale Beschwerde zu analysieren. Auch die in 3.3 skizzierten sprachwissen‐ schaftlichen Forschungsarbeiten fokussieren auf Beschwerden, ohne die Re‐ aktionen des Hörers - wie beispielsweise eine Entschuldigung - in die Analyse mit einzubeziehen. In den auf discourse completion tests basierenden Studien sind ohnehin keine interaktiven Strukturen enthalten. In der Auswertung von mittels Rollenspielen elizitierten Daten beschränken sich T R O S B O R G (1995: 353) und H O U S E / K A S P E R (1981) auf den Sprecher, der die Beschwerde äußert. V ÁS Q U E Z (2011: 1715) merkt an, dass in ihrem Korpus aus Beschwerden in einhundert Online-Rezensionen nur in einem einzigen Fall eine Rückmeldung seitens des Hotels erfolge, die Tendenz zu dieser Art von Reaktionen allerdings steigend sei. M E INL (2010: 70) dagegen wählt für ihre Untersuchung gezielt diejenigen Be‐ schwerden auf eBay aus, die unbeantwortet bleiben, „that were complete in themselves“. D AYT E R / R ÜDIG E R (2014) blenden in ihrer Analyse gleichfalls dia‐ logische Strukturen aus. Die Beschränkung der Arbeit auf die initiale Beschwerde soll es ermöglichen, die Realisierungen der Kundenbeschwerden im Detail für zwei Sprachen zu be‐ schreiben, und zwar unabhängig davon, wie das Unternehmen im Anschluss 105 5.1 Korpuserstellung sein Complaint-Handling gestaltet. Damit unterscheidet sich die Untersuchung von den in 4.2 vorgestellten Arbeiten, die eine Optimierung der Beschwerde‐ kommunikation zum Gegenstand haben. 5.1.2 Auswahl der Beschwerdeposts: Arbeitsdefinition Der spezifische Kontext der hier untersuchten Beschwerden macht es erforder‐ lich, zunächst diejenigen Posts zu identifizieren, die als Beschwerden zu klassi‐ fizieren sind. Denn während Feedbackforen auf Seiten wie eBay (M E INL 2010: 228) oder Tripadvisor (V ÁS Q U E Z 2011, 2013, 2014a, b) dem Verfasser einer frei formulierten/ gestalteten Beschwerde zusätzlich die Möglichkeit geben, mit Hilfe eines Symbols oder einer numerischen Bewertung eine Beschwerde bzw. negative Beurteilung eindeutig als solche zu kennzeichnen, ist im Falle von On‐ line-Beschwerden auf Facebook-Seiten die Intention des Kunden nur anhand seines Textes zu erkennen. Beschwerden sind also von Lob, Fragen oder Anre‐ gungen, die Nutzer an das Unternehmen richten, abzugrenzen; hierbei muss auch die Möglichkeit ironischen Sprachgebrauchs in Rechnung gestellt werden (vgl. 7.6). Ungeeignet scheinen Ansätze, die das Vorhandensein bestimmter for‐ maler Elemente voraussetzen; wie S ACK S (1992: 359) ausgeführt hat, sind Be‐ schwerden zudem nur in ihrem Kontext als solche zu erkennen (vgl. 3.2.2). Zusätzlich zu den in 3.2 vorgestellten Definitionen aus sprachwissenschaft‐ lichen Arbeiten ist es sinnvoll, Definitionen aus wirtschafts- oder kommunika‐ tionswissenschaftlichen Studien heranzuziehen, die speziell Kundenbe‐ schwerden in den Blick nehmen und diese von anderen Formen des Kundenfeedbacks abgrenzen. Zunächst ist hier der Begriff der Reklamation von dem der Beschwerde abzugrenzen. S TAU S S / S E ID E L (2014: 29) definieren Rekla‐ mationen als „die Teilmenge von Beschwerden, in denen Kunden in der Nach‐ kaufphase Beanstandungen an Produkt oder Dienstleistung explizit oder im‐ plizit mit einer rechtlichen Forderung verbinden, weil zugesicherte Eigenschaften nicht vorliegen“. Forderungen dieser Art zielen meist auf Um‐ tausch, Rückgabe oder Nachbesserung ab. Der Begriff der Beschwerde ist weiter gefasst; er kann sich nicht nur auf ein Produkt oder eine Dienstleistung beziehen, sondern auch auf das gesellschaftspolitische Verhalten eines Unternehmens (S TAU S S / S EID E L 2014: 28). N ANDA (2005: 149) unterscheidet in seinem Handbuch zum Qualitätsmanage‐ ment vier verschiedene Arten von Kundenanliegen. Als Besonderheit von Be‐ schwerden wird hier der Ausdruck von „unpleasant customer experience“ he‐ rausgestellt, der mit einer Wahrnehmung von Fehlern des Unternehmens 106 5 Korpus und Forschungsfragen 32 Das customer-reported problem entspricht damit im Deutschen der Reklamation. einhergeht. Dem gegenüberstellt werden Problemschilderungen, Informations‐ fragen und Vorschläge. 1. Customer-reported problem - this includes requests for product replace‐ ment, repairs, parts, or service under product warranty or service con‐ tract. 32 2. Customer complaint - this is a report of an unpleasant customer experi‐ ence, request for process change due to customer perceived deficiency, and so on. 3. Request for information - this includes requests for additional information on how to set up a product, how to operate it, clarification on information provided in product documentation, information on future enhance‐ ments, and so on. 4. Customer suggestion - this includes requests for product enhancements or process improvement. Unter Verweis auf Studien aus dem Marketing und der Psychologie definieren E INWILL E R / S TE IL E N (2015: 196) (Kunden-)Beschwerden als an expression of dissatisfaction for the purpose of drawing attention to a perceived misconduct by an organization and for achieving personal or collective goals. In Anlehnung an diese Abgrenzungen sowie an die in 3.2 ausgeführten Defini‐ tionen von Beschwerden, insbesondere von E DMOND S ON / H O U S E (1981: 144), verstehe ich im Rahmen der Zusammenstellung meines Korpus eine Be‐ schwerde als verbal und/ oder bildlich formulierte Äußerung, mit der ein Schreiber seine Unzufrie‐ denheit mit einer vergangenen oder laufenden Problematik oder Handlung zum Aus‐ druck bringt, für die er das Unternehmen in der Verantwortung sieht. Dabei wird kein - um die Terminologie der Sprechakttheorie heranzuziehen - head act angesetzt, der im Post enthalten sein müsste (vgl. 3.2.2). So zeigen die folgenden Beispiele, dass ein Beschwerdepost auch aus einem einzigen move bestehen kann: beispielsweise der einfachen Mitteilung des Beschwerdegrunds (DE76), dem Ausdruck einer negativen Bewertung (DE65), der eigenen Konse‐ quenz (IT30) oder einer Forderung (IT71) (vgl. auch 6.3.3). (DE76) fssecure.t-online.de verwendet ein ungültiges Sicherheitszertifikat. 107 5.1 Korpuserstellung (DE65) schei telekom scheis teeeelekoopm (IT30) Addio 3 (IT71) Quando eliminerete la tassa di rimborso sul credito residuo? Soweit auf der entsprechenden Facebook-Fanseite das Posten von Bildern zu‐ gelassen ist, können in den Beschwerden auch bildliche Elemente enthalten sein (vgl. 7.2.1). Dagegen treten in anderen Fällen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zu‐ tage, die das Festlegen weiterer Kriterien erfordern. Auf die Ambiguität indi‐ rekt - als Information oder Informationsfragen - und damit uninvasiv formu‐ lierter Beschwerden weist u. a. T R O S B O R G (1995: 313-314) hin. Im Falle von Informationsfragen laufe der Sprecher gar Gefahr, dass seine Äußerung nicht als Beschwerde verstanden werde und er sein Ziel nicht erreiche: Another possibility is to replace conflicting functions by other types of communica‐ tion. By formulating a complaint indirectly as a piece of information or a request for information, it is often possible to avoid that a direct confrontation arises from a direct accusation. However, in the latter case (a request instead of a complaint), the speaker runs the risk of losing face him/ herself, as there is no guarantee that his/ her request will be granted. (Hervorhebung M. K.) Eine solche Ambiguität findet sich in vielen Fällen auch in auf Facebook veröf‐ fentlichten Kundenposts. Der von Trosborg angesprochene Fall einer „request for information“ bleibt insbesondere dann zweideutig, wenn Ja/ Nein-Fragen nach dem Vorliegen eines in der Verantwortung des Unternehmens liegenden potenziellen Beschwerdegrunds gestellt werden: (PK-D) gibt es netzstörungen im Raum Trier ? (PK-I) Buongiorno. Sapete dirmi se per caso c’è qualche guasto sulla rete 3 nella zona Cavazzo Carnico? Grazie In das Korpus dieser Arbeit wurden derartige Posts, die keine eindeutige Ent‐ scheidung darüber erlauben, ob die darin enthaltene Frage als reine Informati‐ onsfrage oder als Beschwerde aufzufassen ist, aufgrund ihrer Ambiguität grund‐ sätzlich nicht aufgenommen. Gleichfalls ausgeschlossen wurden Problemschilderungen, bei denen - mangels expliziter Hinweise - unklar bleibt, ob der Schreiber damit dem Unternehmen ein Fehlverhalten anlastet, die Ver‐ 108 5 Korpus und Forschungsfragen antwortung also beim Unternehmen sieht und daher verärgert ist oder aber nur seine eigenen Schwierigkeiten zum Ausdruck bringt und um Hilfe bittet: (PK-D) Ich hab da mal eine Frage vielleicht kann mir jemand helfen. Konnte bis jetzt immer bei Google play über die 02 Rechnung apps oder in apps Spiel‐ geld kaufen. Seit gestern bekomme ich das nicht mehr hin. Mir wird die Option gar nicht erst angezeigt (PK-I) scusate ma per eliminare i costi di „ti ho cercato“ dice di andare sul sito della tre ma non riesco! come devo fare? Auch Posts, in denen die eigentliche Beschwerde nicht ausformuliert wird, son‐ dern nur (oder hauptsächlich) nach dem richtigen Ansprechpartner gefragt wird, finden keinen Eingang in das Korpus. Zudem wurden kurze Beschwerden innerhalb der Posts, z. B. über mangelnde Erreichbarkeit der Hotline, nicht in das Korpus aufgenommen, wenn eigentliches, hauptsächliches Anliegen des Kunden keine Beschwerde, sondern beispielsweise eine Informationsfrage ist. Auf Englisch verfasste Beschwerden sowie Beschwerden, die eindeutig in einer nicht herkunftssprachlichen Varietät des Deutschen oder Italienischen ge‐ schrieben waren, wurden gleichfalls aussortiert - ebenso wie Posts, deren Sinn unklar bleibt bzw. die vom Schreiber unvollständig veröffentlicht wurden. Sämtliche Schreibweisen wurden, wie in der CvK-Forschung üblich, für die Analyse im Original übernommen. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine Aus‐ wertung auch nach CvK-spezifischen Merkmalen wie mehrfachen Satzzeichen oder Buchstabenverdoppelungen (vgl. 7.4). Teilweise werden für den Kontext der Arbeit relevante Passagen in den Beispielen durch Unterstreichung hervor‐ gehoben. Auslassungen werden durch drei Punkte in eckigen Klammern ge‐ kennzeichnet ([…]). Wie bereits erwähnt, sind sämtliche im Korpus enthaltenen Beispiele durchnummeriert, im deutschen Korpus von DE1 bis DE400, im itali‐ enischen Korpus von IT1 bis IT400. Gesondert gekennzeichnet - mit PK-D bzw. PK-I - sind alle anderen Beispiele, insbesondere solche aus dem Probekorpus, das im Folgenden beschrieben werden soll. 5.1.3 Erhebung und Auswertung des Probekorpus: Implikationen für die Studie Ein Probekorpus wurde im Juli 2014 von der deutschen und der italienischen Internetpräsenz eines Telekommunikationsunternehmens heruntergeladen; es umfasste jeweils 100 Beschwerden. Anhand des Probekorpus wurde das Ana‐ lyseraster, wie es in den Abschnitten 6, 7 und 8 Anwendung findet, basierend auf vorhandenen Rastern aus der Forschungsliteratur ausgearbeitet und erprobt. 109 5.1 Korpuserstellung Besonders fruchtbar war das Vorgehen für die in iterativen Prozessen zu ermit‐ telnden moves (vgl. 6.1 bis 6.5), für die auf diese Weise erhebliche Vorarbeit zur Erstellung des finalen Rasters geleistet werden konnte. Deutlich wurde bei der Arbeit am Probekorpus zudem, dass eine detaillierte Bestimmung der Reihen‐ folge der moves (sequential analysis) aufgrund ihrer hohen Varianz innerhalb des Korpus nicht sinnvoll ist (vgl. 6.3.3). Außerdem wurde die Entscheidung getroffen, von jedem Nutzer maximal fünf Beiträge in das Korpus einzubeziehen, um den Einfluss (nur vereinzelt anzutreffender) mehrfach postender Nutzer ge‐ ring zu halten (vgl. M EINL 2010: 70). Auch wenn also vereinzelt von ein und demselben Schreiber innerhalb kurzer Zeit mehr als ein Post veröffentlicht wird und es sich dann strenggenommen nicht mehr um „initiale Posts“ handelt, wurde diese Vorgehensweise gewählt, um ein möglichst authentisches Korpus zusammenzustellen. Da das Probekorpus im Juli erhoben wurde, war das Postaufkommen insbe‐ sondere auf der italienischen Seite den statistischen Angaben von Socialba‐ kers.com zufolge (urlaubsbedingt) geringer als in den anderen Monaten. Auch um - damit einhergehend - mögliche Verzerrungen (Privat-/ Geschäftskunden) aufgrund der Urlaubszeit auszuschließen, wurde das endgültige Korpus außer‐ halb der Sommermonate erhoben. Außerdem zeigte sich, dass spezifische Themen - wie im Juli 2014 die Fußball-WM, anlässlich deren das Unternehmen Rabatte für jedes gefallene Tor versprochen hatte - eine Vielzahl von Posts in‐ haltlich prägen können. Eine Streuung des Korpus auf mehrere Unternehmen erschien daher als die richtige Entscheidung, um kurzfristige thematische Be‐ einflussungen auszuschließen, wie sie auch beispielsweise durch massive Kritik an einem aktuellen Werbespot oder durch einen Massenausfall von Internet- und Telefonnetz bei einem Unternehmen bedingt sein können. Für das Probekorpus wurden die Posts am Tag ihres Erscheinens herunter‐ geladen. Bei kursorischer Durchsicht der heruntergeladenen Posts und der Facebook-Seite am nächsten Tag fiel auf, dass in Einzelfällen Posts des Unter‐ nehmens - wohl aufgrund der Missachtung der Netiquette - manuell wieder gelöscht worden waren. Außerdem waren zahlreiche Threads - die in der vor‐ liegenden Studie eine (Im)politeness 1 -Perspektive ermöglichen sollen - zum Zeitpunkt des Herunterladens noch nicht abgeschlossen. Im endgültigen Korpus sollte daher sichergestellt werden, zum einen nur vom Unternehmen nicht ge‐ löschte Posts einzubeziehen, zum anderen die Threads vollständig herunterzu‐ laden. Eine Durchsicht der Posts und der (nur teilweise) heruntergeladenen Threads bestätigte allerdings schon die Vermutung, dass für einen Polite‐ ness 1 -Ansatz nicht ausreichend metakommunikative Äußerungen zu (im)poli‐ teness vorliegen. Es wurde daher beschlossen, den Schwerpunkt der Studie auf 110 5 Korpus und Forschungsfragen 33 Eine Ausnahme bildet die Fanseite des italienischen Anbieters TIM, wo das manuelle Herunterladen aufgrund des hohen Post-Aufkommens bereits 24 Stunden nach Veröf‐ fentlichung erfolgen musste. 34 Die von Dr. Till Keyling und Jakob Jünger entwickelte Open-Source-Software wurde in Version 3.6 verwendet. einen Politeness 2 -Ansatz zu legen. Nur am Rande wird auch eine Politeness 1 -Per‐ spektive eine Rolle spielen. 5.1.4 Technische Aufbereitung und Taggen des endgültigen Datenkorpus Im September und Oktober 2015 wurden von den genannten Facebook-Fan‐ seiten - je nach der Höhe des Postaufkommens - über 1 bis 14 Tage hinweg sämtliche von Kunden veröffentlichten Posts gesammelt und in chronologischer Reihenfolge abgespeichert, bis jeweils eine Zahl von 250 Posts erreicht war. Auf diese Weise wurden aus jeweils 1250 deutschen und italienischen initialen Kun‐ denposts 850 deutsche und 750 italienische Kundenbeschwerden identifiziert. Im Schnitt konnten von den insgesamt heruntergeladenen Posts 65,52 % der deutschen und 59,2 % der italienischen Posts als Beschwerden identifiziert werden. In das ausgewertete Korpus fanden die ersten 80 Beschwerden auf jeder der Unterseiten Eingang. Sämtliche Threads wurden frühestens 48 Stunden nach Veröffentlichung der initialen Beschwerde 33 von der Facebook-Seite im Copy-and-Paste-Verfahren im Rich-Text-Format in ein Word-Dokument übertragen. Da Emojis bei diesem Verfahren in unterschiedlicher Weise übertragen werden, wurde von allen be‐ troffenen Beschwerdeposts zusätzlich ein Screenshot angefertigt. 48 Stunden nach der Veröffentlichung der Posts lagen auf allen untersuchten Seiten Ant‐ worten des Unternehmens vor, sodass davon auszugehen ist, dass die Unter‐ nehmen die dann noch sichtbaren Posts als kompatibel mit der geltenden Neti‐ quette ansehen, auch wenn ausnahmsweise keine Antwort auf sie erfolgte. Sämtliche Threads zu initialen Beschwerden wurden zusätzlich mittels der Soft‐ ware Facepager (K E Y LING / J ÜNG E R 2017) frühestens vier Wochen nach der Da‐ tenerfassung automatisiert heruntergeladen. 34 Die so generierten Excel-Dateien umfassen das initiale Post, sämtliche weiteren Kommentare, die Zahl an Likes sowie die Facebook-Namen der Schreiber, die Posts oder Likes veröffentlichen. Für die empirische Analyse wurde die Software MAXQDA herangezogen. Jede der in das Korpus einzubeziehenden Beschwerden wurde als eigenes Do‐ kument eingefügt. Die dort zugeordnete Nummer erscheint im Folgenden zur 111 5.1 Korpuserstellung 35 Angesichts des hier vorliegenden 2x2-Felder-Modells hätte auch der Exakte Fisher-Test (Fisher-Yates-Test) herangezogen werden können (G R I E S 2013: 327). Eine stichproben‐ artige Überprüfung hat ergeben, dass die Ergebnisse für die vorliegende Auswertung im Wesentlichen dieselben wären. Identifikation der Beschwerde hinter dem Länderkürzel DE bzw. IT. Nach Er‐ stellung des Codesystems wurden alle Dokumente getaggt. Statt eines intercoder check (M AC Q U E EN ET AL . 2008: 129 ff.), bei dem eine oder mehrere weitere Personen das Korpus neu taggen und die Ergebnisse mit dem ersten Tagging verglichen werden, habe ich selbst nach Abschluss des Taggings zunächst eine Kontrolle und einen Abgleich über die systematische Durchsicht aller getaggten Informationen einer Kategorie vorgenommen, also beispiels‐ weise aller Beispiele für den move Forderung. Vier Wochen später habe ich alle Codierungen erneut durchgesehen. In beiden Fällen zusammen habe ich rund 15 % aller Codierungen neu vergeben. Um in bestimmten Fällen die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem italienischen Korpus auf ihre statistische Signifikanz hin zu untersuchen, wurde ein Chi-Quadrat-Test durchgeführt (G R I E S 2013: 325-327). Dabei wurde wie üb‐ lich ein p-Wert ≤ 0,05 für Signifikanz und ein p-Wert ≤ 0,01 für hohe Signifikanz zugrunde gelegt. Wo in den Tabellen die Signifikanz überprüft wurde, ist dies unterhalb der Tabelle vermerkt; signifikante Unterschiede sind in der Tabelle mit einem Asterisk, hoch signifikante Unterschiede mit zwei Asterisken ge‐ kennzeichnet. 35 5.1.5 Vor- und Nachteile des gewählten Korpus Gegenüber den zahlreichen auf elizitierten Daten beruhenden Forschungsar‐ beiten zur Beschwerdekommunikation (vgl. 3.3.1) liegt ein großer Vorteil des vorliegenden Korpus gerade in der Authentizität der Daten. Hinzu kommt, dass im Gegensatz beispielsweise zu Beschwerden in Leserbriefen an Zeitungen (vgl. H E N R Y / H O 2010: 843) die hier vorliegenden Online-Beschwerden vor ihrer Ver‐ öffentlichung nicht redigiert werden, z. B. hinsichtlich grammatischer oder or‐ thografischer Fehler. Daneben ist als Vorteil der Erforschung im Internet abruf‐ barer Texte allgemein der sehr einfache und schnelle Zugang zu großen Mengen natürlich auftretender, maschinenlesbarer Daten zu sehen, mit denen auch quantitative Untersuchungen durchgeführt werden können. Eine arbeitsauf‐ wendige - und bereits interpretierende - Transkription ist nicht erforderlich. Zudem wird durch die Sammlung der Daten im Internet das Beobachterpara‐ doxon umgangen: Der Forscher beeinflusst mit seiner Beobachtung nicht die Entstehung der Daten (H E R R ING 1996c: 5; B E NWE LL / S TOKO E 2006). Zudem stellen 112 5 Korpus und Forschungsfragen 36 F R A N Z (2011: 243) weist für ihr Korpus aus Online-Leserbriefen an in Spanien erschei‐ nende Zeitungen darauf hin, dass „es bei Leserbriefen, die im Internet veröffentlich [sic] werden, durchaus möglich [ist], dass einzelne Verfasser aus anderen spanischspra‐ chigen Ländern stammen“. 37 Seit Juni 2013 können auf Facebook auch Hashtags gesetzt werden. Diese können das Suchen nach bestimmten Inhalten erleichtern. So beschreibt Z A P P A V I G N A (2011: 803) für englischsprachige Posts den Tag #fail für Beschwerden über Probleme - in der Regel technischer Natur. Im vorliegenden Korpus sind Hashtags sehr selten; auf einer Unter‐ nehmensseite verwenden die Schreiber sie, um deutlich zu machen, ob sich das eigene Anliegen auf die Mobilfunk- oder die Festnetzsparte bezieht (#TIMMobile, #TIMFisso). B O CHE N E K -B O R OW S KA / S CHRAMM (2011: 174) für die von ihnen untersuchten (postalischen) Beschwerdebriefe fest, dass „die Unternehmen, an die sie ge‐ richtet sind, das Material aus Gründen des Datenschutzes und der Betriebssi‐ cherheit verständlicherweise kaum zur Verfügung stellen“. Auf die Vorteile institutioneller Kommunikation für den Untersuchungsge‐ genstand und auf die gute Vergleichbarkeit der beiden Korpora hinsichtlich Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstellation, technischer Gestal‐ tung, Netiquette-Regelungen, Themen u. a. wurde bereits in Abschnitt 4 einge‐ gangen. In Anbetracht der Tatsache, „dass Höflichkeit nicht an Sprachen, sondern an Kulturgemeinschaften gebunden ist“ (H E LD 2009: 55), beschränkt sich die vor‐ liegende Arbeit zudem weitgehend auf die bundesdeutsche Varietät des Deut‐ schen: Das Vorkommen von Posts auch von Schweizern, Österreichern oder Nichtmuttersprachlern des Deutschen kann selbstverständlich nicht ausge‐ schlossen werden, 36 die untersuchten Facebook-Seiten sind aber ausschließlich auf den bundesdeutschen Markt ausgerichtet. Dies erlaubt es, auf Basis des vor‐ liegenden Korpus Hypothesen speziell zur bundesdeutschen Varietät des Deut‐ schen zu formulieren, für die die sprachwissenschaftliche Forschung gerade im Hinblick auf Politeness-Phänomene Unterschiede zur österreichischen Varietät formuliert hat (vgl. 2.6). Das gewählte Korpus bietet damit zur Erforschung einer plurizentrischen Sprache wie des Deutschen einen großen Vorteil beispielsweise gegenüber Internet-Diskussionsforen, die die Zuordnung eines Schreibers zu einem Herkunftsland oft in weit geringerem Maße ermöglichen. Die Streuung des Korpus über mehrere Unternehmen bietet den Vorteil, dass einzelne unternehmensbezogene Ereignisse oder Themen das Korpus nicht in nennenswertem Umfang beeinflussen können (vgl. 5.1.3). Zwischen den Posts an einzelne Unternehmen sind nur wenige Unterschiede festzustellen, die auf das jeweilige Unternehmen zurückzuführen sind. Dazu gehören der Gebrauch von Hashtags 37 , die Angabe der Kundennummer sowie intertextuelle Elemente, die sich auf den Namen des Unternehmens, häufig genutzte Textbausteine oder 113 5.1 Korpuserstellung 38 Zu forschungsethischen Fragen und der Entscheidung, im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur ohne eigene Anmeldung zum Netzwerk frei zugängliche Daten heranzu‐ ziehen, vgl. 5.1.6. Werbesprüche beziehen (vgl. 8.2.1.3). Eine Auswertung nach einzelnen Unter‐ nehmen wird daher nicht vorgenommen. Ein Nachteil des vorliegenden Korpus gegenüber elizitierten Daten besteht darin, dass sich Faktoren wie Alter / sozialer Hintergrund der Kunden bei der Datensammlung nicht gezielt kontrollieren lassen. Überhaupt liegen - wie bei im Internet zusammengestellten Korpora häufig der Fall - über die Teilnehmer kaum soziodemografische Daten vor (vgl. M E INL 2010: 73; V ÁS Q U E Z 2011: 1714). 38 Auch lässt sich in der Auswertung nicht nach dem jeweiligen Beschwerde‐ grund differenzieren. Vergleichende Studien, die mit elizitierten Daten arbeiten (vgl. 3.3.1), schildern den Beschwerdegrund in der Datenerhebung möglichst detailliert, um auf diese Weise unterschiedliche Reaktionen von Probanden aus verschiedenen Sprach-/ Kulturgemeinschaften in Abhängigkeit von dem Ge‐ wicht des vorgelegten Beschwerdegrunds herauszuarbeiten. Wie bereits in der Kritik an der Arbeit mit elizitierten Daten dargelegt, stellen aber Situationsbe‐ schreibungen in discourse completion tests zwangsläufig weniger Kontext bereit, als er natürlich auftretenden Daten zugrunde liegt, und bleiben damit bis zu einem gewissen Grad unbestimmt oder können von den Teilnehmern missver‐ standen werden. Noch schwieriger scheinen Beschwerdegründe in authenti‐ schen Daten zu standardisieren. So lässt sich die Hypothese aufstellen, dass bei‐ spielsweise ein Beschwerdegrund wie der Ausfall des Internets dahingehend unterschiedlich zu bewerten ist, wie lange oder häufig er auftritt und welche Bedeutung die Internetverfügbarkeit für den Kunden hat. In Anlehnung an an‐ dere Studien zu authentischen schriftlichen Beschwerden (vgl. 3.3.3), auch in CvK (vgl. 3.3.4), soll in der vorliegenden Studie - anders als bei M E INL 2010 - daher nicht nach einzelnen Beschwerdegründen differenziert werden. Da gegen die Netiquette verstoßende Posts verborgen werden können (vgl. 4.5, S7), bildet die Facebook-Seite nicht das gesamte sprachliche Spektrum abgesandter Kundenbeschwerden ab. Auch wenn hierdurch für die (Im)polite‐ ness-Forschung potenziell interessante Fälle nicht zugänglich sind, stellt dieser Umstand im Rahmen dieser Studie keinen „Nachteil“ dar, sondern ist wesentli‐ cher Teil der Kommunikationsbedingungen. Leider war das Posten von Emojis, Links und Anhängen im Erhebungszeit‐ raum dieser Studie technisch nicht auf allen deutschen und italienischen Seiten möglich, weshalb in Bezug auf diese Merkmale keine quantitativen Aussagen getroffen werden können (vgl. 7.2.1 und 7.4). 114 5 Korpus und Forschungsfragen Selbstverständlich können die im Rahmen dieser Arbeit zu gewinnenden Er‐ kenntnisse keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder Repräsentativität er‐ heben. Anhand des Korpus lässt sich gleichwohl ein detaillierter Einblick in die Praxis von Kundenbeschwerden in zwei Sprach- und Kulturräumen in einem definierten Zeitraum gewinnen. 5.1.6 Ethische Fragen der Korpuszusammenstellung Das Sammeln von Daten im Internet wirft eine Reihe forschungsethischer Fragen auf, die in den letzten Jahren - auch vor dem Hintergrund eines sich rapide wandelnden Forschungsfelds - breit diskutiert wurden (B OLAND E R / L O‐ CHE R 2014: 16-18; für eine ausführliche Darstellung vgl. W HIT EMAN 2012). Im Kern geht es darum, ob im Internet zugängliche Daten im Rahmen wissen‐ schaftlicher Arbeiten analysiert und veröffentlicht werden dürfen und ob bei ihren Verfassern eine Genehmigung hierfür einzuholen ist. Dabei geben Emp‐ fehlungen wie diejenigen des Ethic Working Committee der Association of In‐ ternet Researchers (AoIR) angesichts der heutigen Vielfalt an (nach Fachgebieten, Kontexten und geografischer Verortung variierenden) Forschungsprojekten einem einzelfallbasierten Bottom-up-Ansatz gegenüber allgemeingültigen, also top-down aufgestellten Regelungen den Vorzug und verstehen sich damit als flexibel und adaptierbar (M AR KHAM / B U CHANAN 2012: 2-5). Als zwei der am häufigsten herangezogenen Kriterien sollen im Folgenden der öffentliche/ private Charakter von Internetdaten und der für den Autor der Daten potenziell entstehende Schaden diskutiert werden. Daten aus CvK können für alle Internetnutzer oder nur für einen einge‐ schränkten Teilnehmerkreis zugänglich sein. Es ist naheliegend, auf Basis des technischen Zugangs bei uneingeschränkter Zugänglichkeit die Daten als öf‐ fentlich, bei beschränkter Zugänglichkeit als privat zu bewerten. Hierauf basieren Empfehlungen, nach denen öffentlich zugängliche Internetdaten ohne vorhe‐ riges Einholen einer Genehmigung verwendet werden dürfen. Unter „group ac‐ cessibility“ versteht K ING (1996: 126) dabei „the degree with which the existence of and access to a particular Internet forum or community is publicly available information“ (vgl. auch H E R R ING 1996b). Zum einen allerdings ist der technische Zugang zu Internetseiten oft nicht eindeutig als öffentlich oder privat zu bestimmen. So unterscheidet S V E‐ NING S S ON E LM (2009: 75) zwischen public sites, auf denen alle Informationen offen zugänglich sind; semi-public settings wie sozialen Netzwerken, die eine vorherige Registrierung erfordern, die aber jeder Internetnutzer mit einem E-Mail-Account vornehmen kann; semi-private sites, für die gleichfalls eine Re‐ 115 5.1 Korpuserstellung 39 Zu Recht verweisen M A R X / W E I D A C H E R (2014: 21) in diesem Zusammenhang sehr kri‐ tisch auf die von Facebook praktizierte umfassende Übertragung von Autorenrechten auf den Betreiber. gistrierung erforderlich ist, die aber weiteren Restriktionen unterliegt, sowie completely private sites, die nur auf Einladung zugänglich sind. Zum anderen können binäre Abgrenzungen als öffentlich oder privat, die al‐ lein auf dem technischen Zugang beruhen, aus forschungsethischer Sicht problematisch sein. So kommen beispielsweise E Y S E NBACH / T ILL (2001: 1104) für (Gesundheitsthemen betreffende) Online-Foren zu der Feststellung: „an online discussion group cannot always be assumed to be ‚seeking public visibility‘.“ Dass sich in der Wahrnehmung oder Erwartungshaltung der Nutzer die tat‐ sächliche öffentliche Zugänglichkeit ihrer Daten nicht vollständig widerspiegelt, wurde in zahlreichen Fallstudien festgestellt und fand auch in die oben ge‐ nannten Richtlinien der AoIR Eingang (M AR KHAM / B U CHANAN 2012: 6-7). Zu unterscheiden ist also zwischen der von den Nutzern intendierten Öffentlichkeit und dem breiteren Publikum, dem die Daten in anderen Verwendungszusam‐ menhängen wie Forschungsarbeiten zugänglich gemacht werden (sollen). Auch das Kriterium des potenziellen Schadens, den eine nicht autorisierte Verwendung von Daten hervorrufen kann, wird in der Literatur häufig disku‐ tiert. E Y S ENBACH / T ILL (2001: 1105) gehen davon aus, dass dieser in engem Zu‐ sammenhang mit der thematischen Ausrichtung von Communities steht: „Dis‐ cuss how vulnerable the community is: for example, a mailing list for victims of sexual abuse or AIDS patients will be a highly vulnerable community.“ Je größer die vermutete vulnerability, umso eher sollte auch nach den aktuellen Leitlinien der AoIR eine Einwilligung der Teilnehmer für das Verwenden der Daten in Forschungskontexten eingeholt werden (M AR KHAM / B U CHANAN 2012: 4). Für das vorliegende Korpus lassen sich folgende Schlüsse ziehen: Nach dem oben genannten Klassifikationsschema von S V E NING S S ON E LM (2009: 75) gehört Facebook prinzipiell zur zweitgenannten Gruppe, den semi-pu‐ blic settings. Innerhalb des sozialen Netzwerks ist der Zugang zu Informationen wiederum abhängig von den privacy settings der einzelnen Nutzer, die ent‐ scheiden können, für welchen Teilnehmerkreis welche der von ihnen geposteten Informationen zugänglich sein sollen (vgl. W HIT EMAN 2012: 59-60). 39 Ein Teil der Facebook-Seiten - mit den auf ihnen veröffentlichten Posts - steht allerdings auch ohne vorherige Anmeldung bei Facebook jedem Internetnutzer offen; diese ordne ich daher in S V ENING S S ON E LM S Klassifikation als public sites ein. Hierzu gehören auch die das Korpus dieser Arbeit bildenden Online-Auftritte von Te‐ lekommunikationsunternehmen. Damit unterscheiden sich die im Rahmen 116 5 Korpus und Forschungsfragen 40 www.facebook.com/ vodafoneDE/ app_391586377622921 (abgerufen am 04.08.2014). dieser Arbeit ausgewerteten Daten beispielsweise von denen, deren Sammlung Z IMME R (2010) kritisiert: In dem US-amerikanischen Projekt „Tastes, Ties, and Time“ waren Facebook-Daten einer Kohorte von rund 1700 College-Studie‐ renden über vier Jahre hinweg gesammelt worden; die Daten sammelnden For‐ schungsassistenten loggten sich hierzu nicht nur in Facebook ein, sondern hatten teils als Mitglieder desselben Colleges Zugang zu umfangreicheren Daten als die allgemeine Facebook-Öffentlichkeit. Daten dieser Art werden im Rahmen dieser Studie nicht verwendet; die einbezogenen Beschwerden sind durch die Veröffentlichung auf der Unternehmensseite für sämtliche Internetnutzer frei zugänglich. Zudem stellen die Unternehmen, gegen die sich die Beschwerden aus dem vorliegenden Korpus richten, in ihren Leitlinien die Öffentlichkeit der Posts teilweise eigens heraus, vgl. das folgende Beispiel: Deine Posts sind öffentlich und können noch lange Zeit im Netz gefunden werden. Achte also darauf, dass Du keine persönlichen Daten preisgibst und nur Inhalte (Texte, Fotos, Videos) postest, für die Du die erforderlichen Nutzungsrechte besitzt und die keine Urheberrechte oder Markenrechte verletzen. Schreibe grundsätzlich nichts, was negativ auf Dich zurückfallen könnte. 40 In metakommunikativen Äußerungen diskutieren die Nutzer außerdem selbst, wie sie über eine Beschwerde auf Facebook dem Unternehmen gezielt schaden können, indem auch andere Nutzer den öffentlichen Post lesen (vgl. 7.7). Damit intendieren die Schreiber die öffentliche Zugänglichkeit ihrer Beschwerde also deutlich, was ein Zitieren ohne das vorherige Einholen einzelner Genehmi‐ gungen aus forschungsethischer Perspektive als legitim erscheinen lässt. In ihrer Botschaft für andere Kunden erinnern die Beschwerden damit auch an Online-Kundenrezensionen (vgl. 3.3.4). Da Beschwerden über Service und Produkte eines Telekommunikationsun‐ ternehmens zudem in aller Regel keine als intim/ sensibel zu erachtenden Themen berühren, ist das Risiko, dass mit der Verwendung dieser Daten für Forschungszwecke ein Schaden für die Betroffenen einhergeht, als gering ein‐ zuschätzen. Abschließend stellt sich die Frage, wie Internetdaten in formaler Hinsicht in wissenschaftliche Arbeiten einzubeziehen sind. Unstrittig ist, dass im Internet veröffentlichte Daten wie auch gedruckte Bücher unter das Urheberrecht fallen und daher als Zitate zu kennzeichnen sind (vgl. M AR X / W EIDACHE R 2014: 16). Uneinigkeit herrscht dagegen in Bezug auf die Frage, ob auch mögliche Pseu‐ 117 5.1 Korpuserstellung 41 Auch S C H R ÖD E R (2015: 53-54) stellt in seiner Untersuchung deutsch- und spanisch‐ sprachiger Facebook-Beschwerden an Telekommunikationsanbieter fest, dass deutsch‐ sprachige Beschwerden - bei ihm: im Vergleich zu spanischsprachigen Beschwerden - besonders lang sind: durchschnittlich 101,6 Wörter vs. 75 Wörter. donyme oder Klarnamen von Teilnehmern in wissenschaftlichen Arbeiten zu übernehmen sind. Bereits H E R R ING (1996c: 5) diskutiert die beiden Extremfor‐ derungen einer absoluten Anonymisierung aller übernommenen Quellen auf der einen und der Nennung aller Quellen im Sinne eines Schutzes des geistigen Eigentums auf der anderen Seite. Sie selbst schlägt eine kritische Berücksichti‐ gung des jeweiligen Kontextes vor und entscheidet sich im Fall ihres eigenen Projekts für eine weitgehende Anonymisierung der Daten. Im Falle von Facebook ist zusätzlich zu beachten, dass viele Nutzer nicht unter einem Pseudonym, sondern unter ihrem Klarnamen schreiben. Bei einer öffent‐ lichen Zugänglichkeit dieser Facebook-Daten plädieren M AR X / W EIDACHE R (2014: 20) dafür, auch die Klarnamen zu zitieren. Gegeben sei dies insbesondere bei Seiten von Prominenten wie Politikern, Schauspielern und Musikern sowie von Unternehmen; es gelte aber auch für Privatpersonen, die den Besuchern ihres Profils die Möglichkeit zum Abonnieren ihrer Seite geben. Für die vorliegende Studie wurde die Entscheidung getroffen, alle Be‐ schwerden als Zitat zu kennzeichnen, und - in Anlehnung an H E R R ING S (1996c: 5) Argumentation und im Sinne des Datenschutzes gegenüber den zi‐ tierten Nutzern - sämtliche Nutzernamen zu anonymisieren. Auch auf gepos‐ teten Screenshots, die im Rahmen dieser Arbeit gezeigt werden, habe ich Namen und Telefonnummern unkenntlich gemacht. Die Namen der Unternehmen da‐ gegen wurden belassen (ähnlich z. B. M ARWICK / B O YD 2011: 118 für „highly fol‐ lowed users“, P AG E 2014: 31 für Unternehmensaccounts auf Twitter). 5.2 Korpusaufbau: statistische Eckdaten Für die Analyse des deutsch- und des italienischsprachigen Teilkorpus ausge‐ wählt wurden 400 deutschsprachige und 400 italienischsprachige Beschwerden. Tabelle 6 gibt einen Überblick über Umfang und Zusammensetzung des so ge‐ nerierten Korpus. Es zeigt sich, dass die deutschsprachigen Posts im Durchschnitt 81,75 Wörter lang und damit 23,32 Wörter, also rund 40 %, länger sind als der Durchschnitt der italienischsprachigen Posts (58,43 Wörter). 41 Abbildung 7 visualisiert die Zahl der Posts mit einer bestimmten Wortanzahl: Während im deutschen Korpus 181 Posts (45,25 %) bis zu 50 Wörter Umfang haben, sind es im italienischen 118 5 Korpus und Forschungsfragen Korpus bereits 244 (61 %). Am anderen Ende der Skala finden sich 14 deutsche, aber nur 7 italienische Posts mit über 250 Wörtern. Dt. Korpus Ital. Korpus Zahl an Beschwerden 400 400 Minimale Länge einer Beschwerde 1 Wort 1 Wort Maximale Länge einer Beschwerde 1116 Wörter 513 Wörter Gesamtlänge für 400 Beschwerden 32 698 Wörter 23 371 Wörter Mittelwert der Länge einer Beschwerde 81,75 Wörter 58,43 Wörter Standardabweichung der Länge einer Beschwerde 97,47 Wörter 62,3 Wörter Tabelle 6: Statistische Eckdaten des Korpus Abbildung 7: Länge der Posts im Korpus 5.3 Forschungsfragen der korpusbasierten Untersuchung Die in den vorangegangenen Abschnitten beschriebene Kommunikationssitua‐ tion und Teilnehmerkonstellation lassen erwarten, dass die im Korpus zu un‐ tersuchenden Beschwerden tendenziell nur wenige als genuin „höflich“ be‐ schriebene Merkmale enthalten. Die Interaktionspartner stellen nicht 119 5.3 Forschungsfragen der korpusbasierten Untersuchung face-saving behaviour in den Vordergrund, sondern es geht ihnen darum, ihrem Ärger Luft zu machen bzw. eine bislang nicht beachtete Forderung durchzu‐ setzen, Macht auszuüben (B E E B E 1995). Damit steht die Untersuchung in klarem Gegensatz zu Untersuchungsdesigns, wie sie sich oft in den mit elizitierten Daten arbeitenden Studien finden (H O U S E / K A S P E R 1981; T R O S B O R G 1995), wo die Sprecher teilweise sehr große Anstrengungen zur Abmilderung ihrer Be‐ schwerden unternehmen (müssen). Anhand der inhaltlichen Struktur der Posts (moves, B IB E R E T AL . 2007) und der eingesetzten Mittel zur Modifikation (T R O S‐ B O R G 1995) soll die Gestaltung der vorliegenden Beschwerden beschrieben werden. Der Aufbau der Beschwerdeposts (Abschnitt 6) • Welche (obligatorischen und optionalen) moves machen die Struktur von Online-Beschwerden im vorliegenden Korpus aus? • In welcher Weise werden die Beschwerden sprachlich realisiert? • Wie lässt sich das Zusammenwirken der moves beschreiben? • Wie direkt oder indirekt sind die Beschwerden als Ganzes? Interne und externe Modifikation (Abschnitt 7) • Welche Arten von Modifikation - Strategien des Verstärkens, CvK-spe‐ zifische typografische Hervorhebungsverfahren, Strategien des Ab‐ schwächens und Ironie - treten in den Posts auf ? • Wie äußern sich die Kunden selbst, auf metakommunikativer Ebene, zu (Im)politeness-Strategien? Anschließend soll es um die Formen der Referenz des Schreibers auf sich selbst und um die Adressierung der Leser gehen (H AVE R KAT E 1984; B OXE R 1993a, b; T R O S B O R G 1995; V ÁS QU E Z 2014a, b). Es lässt sich die Hypothese aufstellen, dass die meisten der hier vorliegenden Beschwerden direkter Natur sind, da die Kunden in einem Kanal des jeweiligen Unternehmens schreiben und die Um‐ gebung ihre Beschwerde als an das Unternehmen gerichtet kennzeichnet. Indi‐ rekte Beschwerdeformen könnten dagegen dazu dienen, ein mitlesendes Pub‐ likum vor dem Unternehmen zu warnen; auch Kombinationen aus direkten und indirekten Beschwerden sind denkbar (vgl. B OXE R 1993a, b; V ÁS Q U E Z 2011: 1714). 120 5 Korpus und Forschungsfragen Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation (Abschnitt 8) • In welcher Weise stellen sich die Schreiber in den Beschwerden selbst dar? • Wie referieren die Schreiber auf sich selbst, auf das Unternehmen und auf andere Kunden? • Welchen Anteil machen direkte (= an den Verantwortlichen gerichtete), welchen Anteil indirekte (= an Dritte gerichtete) Beschwerden aus? • Welche metakommunikativen Bewertungen der Kommunikationssitua‐ tion finden sich in den Threads? Qualitative/ quantitative Natur meines Ansatzes Wie die Zusammenstellung dieser Fragen zeigt, ist mein Ansatz insgesamt so‐ wohl qualitativer wie auch quantitativer Natur. Die in den Beschwerden vor‐ handenen moves, downgraders und upgraders sowie Realisierungsmöglichkeiten von Referenzen ermittele ich induktiv, aus dem Korpus heraus; ihre Auszählung ermöglicht im Anschluss auch einen quantitativen Vergleich. Wo immer mög‐ lich, ergänze ich Auszählungen von Merkmalen, die bestimmte Muster verdeut‐ lichen sollen, um qualitative Darstellungen und Interpretationen, die einen bes‐ seren Eindruck von der Gestaltung des Textes geben. Aus Platzgründen können meist nur Auszüge aus einzelnen Posts gezeigt werden; an mehreren Stellen der Arbeit (u. a. 6.5) zeige und interpretiere ich aber auch vollständige längere Posts. Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse (Abschnitt 9) Die wichtigsten Ergebnisse werden am Schluss dieser Arbeit zusammengefasst; ihre Interpretation erfolgt auch vor dem Hintergrund der vorgestellten sprach‐ wissenschaftlichen Studien zu Beschwerden sowie der Politeness-Modelle. Auch die Ergebnisse des deutsch-italienischen Vergleichs werden gesondert analy‐ siert. 121 5.3 Forschungsfragen der korpusbasierten Untersuchung 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves 6.1 Einleitung und methodisches Vorgehen Bei der Analyse des Aufbaus der Beschwerdeposts sollen zunächst die moves als funktionale Einheiten der Beschwerde bestimmt werden. Auch wenn die hier folgende Analyse nicht im engeren Sinne innerhalb der Textsortenanalyse (genre analysis) verortet ist (vgl. 3.1.1), wurden ausgewählte methodische Über‐ legungen hieraus für das Untersuchungsdesign herangezogen. Diese werden im Folgenden dargestellt (vgl. S AMRA J 2014: 387-388). Die Bestimmung der moves soll in erster Linie auf funktional-inhaltlichen Kriterien basieren, daneben soll die Analyse aber auch für einzelne moves typi‐ sche sprachliche Muster aufzeigen (vgl. 6.4). Generell können moves von sehr unterschiedlicher Länge sein und sogar nonverbal ausgedrückt werden (T AR DY / S WAL E S 2014: 168). Auch im vorliegenden Korpus greifen einige Schreiber auf nonverbale Ressourcen zurück, indem sie beispielsweise Links zu anderen Web‐ seiten setzen oder eigene Fotos, Screenshots oder andere Grafiken posten (vgl. 7.2.1). Diese tragen zur kommunikativen Funktion der Beschwerden bei, die durch sie zu multicodalen Artefakten werden. Die Entwicklung eines geeigneten Codierschemas verläuft häufig in meh‐ reren Phasen, indem es schrittweise an die empirischen Befunde adaptiert wird, in einem iterativen Prozess also (vgl. S AMRA J 2014; T AR DY / S WAL E S 2014: 168- 169). Für das vorliegende Korpus wurden zunächst existierende Raster aus frü‐ heren Forschungsarbeiten herangezogen (insbesondere O L S HTAIN / W EINBACH 1987, 1993; L AF O R E S T 2002; M ÁR Q U E Z R E IT E R 2005; M E INL 2010; R HU RAKVIT 2011), die dann iterativ - beginnend mit der Auswertung des Probekorpus (5.1.3) - angepasst wurden. Dabei gehen u. a. B IB E R E T AL . (2007: 31-32) davon aus, dass moves grund‐ sätzlich auch als eingebettet in andere beschrieben werden können: [I]t is possible that some move types will recur in a cyclical fashion within a section of text (Swales, 2004). Typically, the cyclical reoccurrence of a move within a section of text has been dealt with by considering each appearance of a particular move as a separate occurrence. For example, if a text starts with, say, Move Type 1, continues with Move Type 2, and then returns to Move Type 1, Move Type 1 would be counted as having occurred twice. […] More rarely, moves can be interrupted by - or have inserted into them - another move type (Upton, 2002). While this is rather unusual, there can be clear instances where one communicative functional unit (move type) of a text interrupts, often as an aside or a tangential comment, another very different communicative functional unit of text. […] [T]hese cyclical and embedded patterns of move types tend to occur mainly in genres that are less constrained and allow more variability than those that are more prescribed. Die Entscheidung, ob ein move in einen anderen „eingebettet“ ist oder ihn „un‐ terbricht“, ist oft kaum eindeutig zu treffen. In meiner Analyse folge ich an dieser Stelle B AR R ON (2006: 887), die von „kombinierten moves“ ausgeht. In ihrer Un‐ tersuchung von Spam-Mails führt sie am Beispiel des Satzes „Get MEDS such for Weight Loss, Sexual Health, Pain Relief “ aus, dass der Imperativ „get“ dem move „solicit response“ zuzuordnen ist, während die anschließend genannten Medikamente zum move „introduce the offer“ gehören. Da in diesem wie in anderen Fällen unklar bleibe, welcher der beiden moves nun den primären dar‐ stelle, in den der sekundäre „eingebettet“ sei, behandelt B AR R ON (2006, auch 2012) diese Fälle als Kombinationen. Besonders häufig ist im vorliegenden Korpus beispielsweise eine Kombination aus „Beschwerdegrund“ auf der einen und „Ausdruck von Enttäuschung“, „Ausdruck von Verärgerung“ oder „Nega‐ tiver Bewertung“ auf der anderen Seite, wie die folgenden beiden Beispiele zeigen: (DE123) […] Ich bin es langsam leid das man hier nicht mit dem Handy im Internet Surfen kann. […] (IT49) È incredibile come l’app sul mio iphone 4s funzioni solo sotto rete wi-fi e non mobile! Die Bedeutung einzelner moves für ein genre lässt sich anhand ihrer jeweiligen Häufigkeiten ermitteln. Teils unterscheiden Forscher hier auf Basis dieser Zahlen zwischen obligatorischen und optionalen moves, wobei die für obliga‐ torische moves genannte Mindesthäufigkeit je nach Studie zwischen 50 und 100 % variiert. Auch in der vorliegenden Auswertung wird der prozentuale An‐ teil an Posts ermittelt, die eine bestimmte Art von move enthalten. Dabei kann es hier allerdings nur um das (ein- oder auch mehrmalige) Vorkommen eines move im Post gehen. Nicht ermittelt wird die absolute Häufigkeit, mit der be‐ stimmte moves innerhalb eines Posts auftreten, da die erhebliche Länge einiger Posts (vgl. 5.2), insbesondere aber das häufige Auftreten kombinierter moves diese Analyse erheblich erschweren würden. In Anlehnung an B AR R ON (2012: 102) verzichte ich daher auf eine solche Auszählung: 124 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves Finally, a particular move may be realised at different points in a text. In the present context, such realisations are counted as a single move. This is not always the case. In sequential analyses of moves, for instance, each occurrence of a particular move in a text is treated as a separate move (cf. B I B E R E T A L . 2007: 31-32). Die in diesem Zitat thematisierte Analyse der Reihenfolge der moves (sequential analysis) beschränkt sich in der vorliegenden Arbeit auf den ersten und den letzten move (vgl. 6.3.3), nachdem sich bereits im Probekorpus gezeigt hatte, dass ihre Reihenfolge vergleichsweise flexibel ist (vgl. 5.1.3). Eine wenig festgelegte Reihenfolge wird in der Literatur als typisch für bestimmte genres, insbesondere mündliche beschrieben (vgl. S AMRA J 2014). Im Folgenden sollen zunächst alle moves erläutert und einzelne Beschwerde‐ posts beispielhaft analysiert werden (vgl. 6.2). Anschließend werden die pro‐ zentuale Verteilung der moves in den Posts, die Zahl der Move-Typen pro Be‐ schwerdepost sowie typische moves an erster und letzter Stelle ermittelt (vgl. 6.3). Im Anschluss an die Ergebnisse dieser Auswertungen werden das Vorkommen und die sprachliche Realisierung einzelner moves illustriert (vgl. 6.4) und zwei Beispiele für ihr Zusammenwirken gezeigt (vgl. 6.5). Ab‐ schließend ermittle ich den Direktheitsgrad der Beschwerden als Ganzes (vgl. 6.6). Es folgen Zusammenfassung und Diskussion (vgl. 6.7). 6.2 Erläuterung der moves Die folgenden moves konnten als typisch für Online-Beschwerden im vorlie‐ genden Korpus bestimmt werden. Briefrahmen. Die Posts können (auch einzelne) Elemente eines Briefrahmens aus Anrede, abschließender Grußformel, Unterschrift und Postskriptum (PS) enthalten. (DE182) Hallo Vodafone Team […] (DE158) […] LG […] (DE226) […] Dennis (DE304) […] PS: Danke für den tollen Premium-Service den Sie bieten… 1 Std tele‐ foniert und davon die meiste Zeit gewartet und hingehalten worden […] (IT385) Buonasera, […] (IT66) […] Saluti 125 6.2 Erläuterung der moves 42 B O L A N D E R (2013) und mit ihr F R ÖH L I C H (2015) sehen den move Metakommentar dagegen in einem erweiterten Sinne als Oberbegriff von Metasprache und Metakommunikation. Zu metakommunikativen Äußerungen im Rahmen dieser Arbeit vgl. 7.7 und 8.4. (IT308) […] Giovanni (IT313) […] (ps vi mando i miei dati in privato) Metakommentar. Der u. a. von L O CHE R (2006: 68) angesetzte move des Meta‐ kommentars (metacomment) bezeichnet Mittel zur Strukturierung eines Textes. 42 Dabei kann es sich beispielsweise um die Überleitung zu bestimmten moves, wie der Schilderung des Kontextes (IT78), handeln. Auch Handlungs‐ kommentare kommen vor - z. B. die Ankündigung, etwas zu erzählen (IT155), sich zu beschweren (IT79) oder eine Frage zu stellen (DE98). Auf diese Weise lenkt der Metakommentar die Aufmerksamkeit des Lesers auf den für den Schreiber wesentlichen Punkt. (DE98) […] Ich hätte da mal ne Frage. […] (DE108) Einfach mal ein kleiner Blick in die Servicewelt von Vodafone: […] (IT78) Mi trovo in questa situazione: […] (IT155) […] Vorrei raccontare la nostra esperienza familiare. […] (IT79) […] aimè mi ritrovo a scrivere nuovamente in questa pagina per lamen‐ tarmi. […] Buffer. Ein Buffer ist eine Aussage, die dazu dient, negative Nachrichten abzu‐ mildern (P AR K E T AL . 1998: 331). Während Adjektive und Adverbien wie bitte oder ein bisschen lexikalische Realisierungen von downgraders darstellen (vgl. 7.5), wird der move Buffer hier als eine syntaktische Modifikation ver‐ standen (vgl. T R O S B O R G 1995: 329-330 zu disarmers). P AR K E T AL . (1998: 338) differenzieren zusätzlich zwischen intentional buffers und conventional buffers: Conventional buffers, such as a „Good day, Mr. X“ greeting, generally reflect custo‐ mary usages and do not necessarily represent the writer’s attempt to introduce content that will shape the reader’s reaction to the message. An intentional buffer, however, represents a rhetorical choice to divert attention away from the negative message. Auch wenn diese Unterteilung nicht immer trennscharf sein kann, folge ich ihr grundsätzlich - und analysiere den Briefrahmen als conventional buffer separat. Als Buffer im engeren Sinne sollen hingegen nur die intentional buffers berück‐ 126 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves 43 Es sei angemerkt, dass in anderen Studien das Verständnis von Buffer deutlich weiter gefasst ist: So kritisieren H E N R Y / H O (2010: 843) in ihrer Arbeit zu Beschwerden in Le‐ serbriefen zu Recht die Definition von O T H M A N / M C L E L L A N (2000), nach der Buffers gleich sieben Strategien umfassen: a compliment or positive statement; identification of the addressee(s); identification of the writer; a general statement; reference to a previous letter or article; narrating one or more incidents; outlining the background to the complaint. Insbesondere die letztgenannte Strategie, die Schilderung des Hintergrundes, ist in der vorliegenden Arbeit (als move Kontext kategorisiert) ausgesprochen häufig und würde den prozentualen Anteil an Buffers stark erhöhen. 44 Wo in einem Beispielblock (teils) nur einzelne Passagen der gezeigten Ausschnitte für die Argumentation relevant sind, habe ich diese - hier und im Folgenden - unterstri‐ chen. sichtigt werden. Wie R HU RAKVIT (2011: 69-70) stelle ich drei als Buffer zu inter‐ pretierende moves als submoves heraus: Kompliment/ Lob, Entschuldigung und Dank. 43 Komplimente oder Lob werden hier als positive Bemerkungen verstanden, die sich in der Regel auf eine von dem Unternehmen in der Vergangenheit korrekt erbrachte Leistung beziehen. Schon in S ACK S (1992: 359) bereits genannter De‐ finition sind wertschätzende Äußerungen dieser Art als charakteristisch für Be‐ schwerden erkannt worden („routinely a piece of praise plus ,but‘“) (vgl. 3.2.2). Die folgenden Beispiele illustrieren nacheinander ein Kompliment/ Lob, eine Entschuldigung für das Vorbringen der Beschwerde und den Dank für ihre Be‐ arbeitung. 44 (DE234) […] Also erst mal, eigentlich bin ich echt zufrieden mit euch, […] (DE7) […] Sorry wenn man das nicht weiß sind dann ruck - zuck Mails weg ohne das man es merkt (DE44) […] Ich bitte um aller schnellste Meldung - irgendwann hört’s einfach auf. Danke, mfG (IT281) Buongiorno. Sono in wind dal 2008 e mi sono sempre trovata bene, […] (IT171) Mi dispiace, ma mi trovo costretto a segnalare la vostra disastrosa in‐ competenza di gestione pratica per l’attivazione di un servizio sulla linea di telefonia fissa […] (IT29) […] Ho URGENTE bisogno di essere contattato. Grazie Nicht immer leicht abzugrenzen sind diese Fälle allerdings von ironischen Ver‐ wendungsweisen, die nicht zur Kategorie Buffer, sondern beispielsweise zum move Verärgerung oder negative Wertung zählen (vgl. 7.6). 127 6.2 Erläuterung der moves Kontext. Der Beschreibung des eigentlichen Beschwerdegrunds geht oft die Schilderung des Kontextes, also zusätzlicher Hintergrundinformationen, vo‐ raus. Gerade in längeren, narrativ gestalteten Posts kann sie immer wieder die Ausführungen zum eigentlichen Beschwerdegrund miteinander verbinden. (DE155) […] Am 12.09 habe ich meinen Vertrag auf mit Mobiltelefon umgestellt und zeitgleich ein Iphone 6s vorbestellt. Bis heute kann ich den Auftrags‐ status online nicht verfolgen. […] (IT324) Buongiorno, ho sottoscritto l’offerta sky e fastweb, il Vostro Call Center, in fase di attivazione, mi aveva garantito i 20 Mb ed ora vedo che la ve‐ locità è fissa a 3,5 Mb… […] Enttäuschung. In diesem move bringt der Schreiber seine Enttäuschung über das Geschehene zum Ausdruck. (DE178) […] Mega Enttäuschung leider. Bitte um Rückmeldung (IT277) […] Che delusione! ! ! ! ! ! ! […] Neben den Lexemen Enttäuschung/ enttäuscht, unzufrieden / nicht zufrieden und schade wurden hierzu auch längere Umschreibungen nicht erfüllter Erwar‐ tungen gezählt: (DE141) […] Als bereits mehrjähriger Vodafone Mobil Kunde hatte ich eine der‐ artige Vorgehensweise mit einem Neukunden im Festnetzbereich nicht erwartet. […] Verärgerung. In diesem move gehen die Schreiber auf ihre Verärgerung ein. Damit konzentrieren sie sich auch hier auf ihre eigenen Gefühle, wobei die ne‐ gative Einstellung stärker deutlich wird als im move Ausdruck von Enttäu‐ schung. Gezählt wurden hier Lexeme zur direkten Bezeichnung von Ärger wie frech, unverschämt, genervt, verärgert, arrabbiato, stufo, indignato sowie ironi‐ sches Danken und Beglückwünschen (vgl. 7.6), daneben Feststellungen auf Satz‐ ebene wie „es kann nicht sein“, „es reicht“, „è possibile che“, „basta“ sowie Emo‐ ticons/ Emojis, die Ärger zum Ausdruck bringen. (DE243) […] Ich finde es eine Frechheit so behandelt zu werden! ! ! ! ! […] (IT56) […] basta con queste rapine […] 128 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves 45 Nicht dazu zählen „aggressive Fragen“ nach dem Vorliegen des Beschwerdegrunds; sie werden zum move Beschwerdegrund gezählt (vgl. 7.3). Auch Emoticons/ Emojis, die zum Ausdruck negativer Gefühle dienen, können diesen move darstellen oder ihn - in Kombination mit einer verbalen Aussage - als upgrader verstärken (vgl. 7.4). Dass das Veröffentlichen von Emojis zum Zeitpunkt der Datenerhebung auf mehr deutschen als italienischen Seiten mög‐ lich war, erhöht die Zahl der moves dieses Typs auf deutscher Seite nur sehr leicht. Strategien zur verstärkenden Modifikation wie lexikalische upgraders, aggressive Fragen oder die Iteration von Satzzeichen werden nicht hier, sondern in Abschnitt 7 behandelt. Insgesamt wird im Rahmen dieser Arbeit eine klar begrenzte Auswahl aus der Vielzahl an Möglichkeiten gewählt, Ärger und damit Emotionen auszudrücken. Beschwerdegrund. In diesem move wird die Ursache für die Beschwerde be‐ schrieben (M E INL 2010: 78; R HU RAKVIT 2011: 73). Dies kann das konkrete Problem sein, aber beispielsweise auch ein Verweis auf eine frühere, noch unbeantwor‐ tete Beschwerde. (DE376) […] Ich habe seit dem 3.8. kein Internet, weil der Techniker nach mehr‐ maligen Terminen nicht kommt! Ihr vertröstet mich immer wieder, aber es kommt nichts bei raus. […] (DE330) […] Hab im Juni eine Beschwerde an euch geschickt und bis heute keine Antwort… […] (IT125) […] Ho caricato,ma il mio credito e’ sempre 10 euro. Come mai ? […] (IT61) Vi ho contattati per un problema ma ancora non ho avuto nessuna ri‐ sposta da parte vostra, […] Frage zu Lösungsmöglichkeiten. Fragen dieser Art wurden hier zu einem - in sich eher heterogenen - move zusammengefasst. 45 Teilweise ist es möglich, sie als Informationsfragen zu interpretieren (DE30 und IT150). Oft fragen die Kunden nach Schritten, die sie selbst unternehmen müssen, um ein erwünschtes Ergebnis zu erzielen; dabei können die Fragen manchmal wörtlich oder - alter‐ nativ - als indirekte Handlungsaufforderung verstanden werden, z. B. in IT198. In anderen Fällen stellen die Fragen dagegen sehr deutlich ausschließlich indi‐ rekte Handlungsaufforderungen dar, z. B. in DE170 oder in IT114, wo die Kunden sich beklagen, an der Hotline (oder im Chat) niemanden zu erreichen: Es dürfte klar sein, dass nur das Unternehmen für eine bessere Erreichbarkeit der Hot- 129 6.2 Erläuterung der moves 46 Aus ihrem Korpus nennt H E L D (1995: 480) als Beispiel: „Mi dice Lei come devo fare? “ linemitarbeiter sorgen kann. Unter Politeness-Gesichtspunkten scheint hier die Maxime „leave options“ durch, wie L AKO F F (1973) sie formuliert: Indem der Be‐ schwerdeführer aus der Ich-Perspektive die Frage nach notwendigen Hand‐ lungsschritten seinerseits formuliert, lässt er dem Unternehmen in seiner Ant‐ wort maximale Freiheit. Dass dem Kunden allerdings bewusst ist, dass die Lösung nicht in seiner Hand liegt, wird beispielsweise durch die ironische Wen‐ dung in IT3 deutlich. H E LD (1995: 479-480) zählt solche Fragen, die indirekte Aufforderungen darstellen, daher zum Fokus der Bitthandlungen, und zwar als mild hint, die - ebenso wie die einfache Nennung des Beschwerdegrunds - in ihrer Terminologie mit den von ihr angesetzten Stützphasen (SUPPs) zusam‐ menfallen (siehe unten, Fußnote 63). 46 (DE30) […] an welche Postadresse muss ich eine Kündigung richten? […] (DE170) Was kann ich tun, um einen Kundenberater ans Telefon oder in den Chat zu bekommen? […] (IT150) […] Se mi reco in un centro Tim la sostituzione della sim e’ possibile e sopratutto gratuita? (IT198) […] cosa posso fare per riavere indietro i miei soldi presi senza alcun consenso? […] (IT114) […] Per parlare con un operatore COME BISOGNA FARE? ? ? ? (IT3) […] Che faccio? Chiamo un esorcista? Forderung. Die Beschwerde ist in vielen Fällen damit verbunden, eine Behe‐ bung des entstandenen Schadens zu fordern („request for repair“, T R O S B O R G 1995: 320-321). (DE15) […] TV-Programm ist somit eine Zumutung. Bitte dringend entstören. Danke. (IT227) […] Almeno assicuratevi che parlino un po’ di italiano prima di metterli a rispondere al telefono! Dabei ist auch in anderen moves eine indirekte Forderung zu sehen, wie in 6.4.4 ausführlich zu diskutieren sein wird. Negative Bewertung. In diesem move bewerten die Kunden das Verhalten des Anbieters oder den Anbieter / die Mitarbeiter selbst als negativ. 130 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves 47 Wenn die Kündigung dagegen nur in Aussicht gestellt, aber noch nicht vollzogen wurde, habe ich dies als move Drohung gewertet. (DE149) […] und dann soll man mit 10€ abgespeist werden traurig (IT237) […] Che pubblicitá idiota! ! ! ! Auch Beschimpfungen und Verwünschungen zähle ich zu diesem Move-Typ, sie sind allerdings aufgrund der Netiquette-Regelungen in beiden Korpora äußerst selten: (DE370) […] Seid ihr alle auf Drogen? ! Ich habe es wirklich satt mit eurem Verein, ihr seid die schlimmsten und kundenunfreundlichsten Verbrecher, mit denen ich es je zu tun hatte! […] (IT148) […] Azienda patetica disdetta sicura …che dio ve furmini! ! ! Drohung. Auch über eine Drohung kann der Schreiber das face des Lesers an‐ greifen, beispielsweise ein Ultimatum setzen und mögliche Folgen nennen (T R O S B O R G 1995: 321-322). Am häufigsten drohen die Schreiber im vorliegenden Korpus damit, den Anbieter zu wechseln, ihre Rechnung nicht zu zahlen, einen Anwalt oder eine Verbraucherschutzorganisation einzuschalten, Freunde/ Fami‐ lienangehörige zur Kündigung zu bewegen oder die Kritik im Internet zu ver‐ breiten. (DE145) […] Sollte das erfolglos ein, werden bei nächst bester Gelegenheit beide Verträge gekündigt und dann will ich mit Vodafone nichts mehr zu tun haben. […] (IT343) […] altrimenti domai provvedero’ subito alla disdetta contrattuale chie‐ dendovi altresi il rimborso per gli ultimi dieci giorni di servizio. […] (IT84) […] Cercate di ridarci i nostri soldi perchè vi intaso la bacheca. Vi faccio perdere più clienti che posso Eigene Konsequenzen. Hierbei handelt es sich um Konsequenzen, die Kunden aufgrund der negativen Erfahrung mit dem Unternehmen abschließend gezogen haben. Meist ist dies eine vollzogene Kündigung und/ oder - nach vollzogener Kündigung - der Vorsatz, nie wieder den entsprechenden Anbieter zu wählen. 47 131 6.2 Erläuterung der moves 48 Nur in drei Fällen stellen die Beschwerdeführer in ihrem initialen Post anderen Kunden eine Frage. Diese Fälle wurden nicht zu dieser Kategorie gezählt, sondern den „sonstigen moves“ zugeschlagen, sind aber funktional durchaus ähnlich, z. B.: „Qualcuno ha avuto questi problemi? come li ha risolti ? […]“ (IT359) (DE160) […] ich habe das 100 Paket habe dies auch jetzt nach 2 Katastrophen Jahre gekündigt da ich nie die versprochene Leistung bekommen habe. […] (IT138) […] Ho chiesto passaggio ad altro operatore, vado via prima della fine del periodo dei 24 mesi, preferisco pagare penale ma non avervi più fra i piedi. Vi conosco da 20 anni almento ma sono MOLTO MA MOLTO DELUSO: TIM/ TELECOM MAI PIU! ! Warnung anderer. Mit moves dieser Art richten sich die Kunden an der sprach‐ lichen Oberfläche an andere Kunden (und damit nur indirekt an das Unter‐ nehmen, vgl. 8.3.3). So warnen sie andere Kunden davor, den Telekommunika‐ tionsanbieter ebenfalls zu wählen, oder legen ihnen die Kündigung nahe. Ebenfalls zu diesem move zählen beispielsweise Aufrufe, eine Petition gegen das Unternehmen zu unterschreiben (IT310) oder mit einem Speedtest die Ge‐ schwindigkeit zu überprüfen (IT348). 48 (DE230) […] Typisch wohl für Vodafon… kann man nur jeden vor warnen……. (DE336) […] und ich kann jedem nur abraten zu diesem Anbieter zu wechseln! […] (DE322) Kundenfreundlichkeit und Service sind gleich null bei o2. Hier sollte nie‐ mand einen Vertrag abschliessen und wer einen Vertrag hat sollte Ihn so schnell wie möglich kündigen. (IT229) […] Datemi ascolto non vi fidate.Cambiate opewratore. E' un consiglio fra‐ terno. […] (IT89) Scappate da tim ve lo consiglio… […] (IT310) FIRMATE LA PETIZIONE https: / / www.change.org/ p/ no-allatredicesima-sulle-tariffe-… (IT348) https: / / www.misurainternet.it/ offerte_adsl.php Per tutti gli utenti insoddisfatti come me! ! Sonstige moves. Solche moves, die den oben aufgeführten Kategorien nicht zu‐ geordnet werden können, fallen quantitativ kaum ins Gewicht. 132 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves 49 Eine solche Unterscheidung in primäre und sekundäre Struktur nimmt auch S A O R Í N I B O R R A (2004) bei den von ihr untersuchten Geschäftsbriefen vor. Bei L O C H E R (2006: 60- 61) erscheint die Kategorie „Frage“ bzw. „Antwort“ auf Level 1, der Briefrahmen auf Level 2, die einzelnen discursive moves stehen auf Level 3. 50 Dabei ließen sich Forderung und Fragen zur Lösung mit T R O S B O R G (1995: 320-322) noch als directive acts absetzen und damit die retrospektiven von den prospektiven Bestand‐ teilen der Beschwerde trennen (3.3.1) - eine Einteilung, der ich hier nicht folge. 6.3 Überblick: Aufbau der Beschwerdeposts 6.3.1 Häufigkeit der einzelnen moves in den Beschwerdeposts In Tabelle 7 werden die vorgestellten moves zusammengefasst. Dabei ist der Briefrahmen auf der „ersten Ebene“ angesiedelt. Alle anderen moves verorte ich auf der „zweiten Ebene“; 49 hier differenziere ich zwischen moves zur Struktu‐ rierung (Metakommentaren), Buffers und den Beschwerde-Moves „im engeren Sinne“ (i. e. S.). 50 Für letztere Kategorie lässt sich auch eine gute Übereinstim‐ mung mit den Bestandteilen von Beschwerden feststellen, wie beispielsweise S TAU S S / S E ID E L (2014: 31) sie in ihrem Handbuch zum Beschwerdemanagement beschreiben. Wie auch bei O L S HTAIN / W E INBACH (1987, 1993), T R O S B O R G (1995: 315-322) und M E INL (2010) werden die Beschwerde-Moves i. e. S. hier in aufsteigender Reihenfolge nach dem Grad ihrer Direktheit geordnet (vgl. 6.6). In den vier Spalten ganz rechts ist aufgeführt, in wie viel Beschwerdeposts im deutschen und im italienischen Korpus der jeweilige move - erst in absoluten Zahlen, dann prozentual betrachtet - mindestens einmal vorkommt. move Beschreibung Posts mit mind. 1 Fall Dt. Korpus Ital. Korpus abs. Anzahl Anteil abs. Anzahl Anteil 1. EBENE Briefrahmen Anrede Anrede des Adressaten zu Beginn des Posts 166** 41,5 % 101** 25,25 % Abschließende Grußformel Grußformel am Ende des Posts 58** 14,5 % 23** 5,75 % Unterschrift Unterschrift 34** 8,5 % 12** 3 % PS PS 2 0,5 % 3 0,75 % 133 6.3 Überblick: Aufbau der Beschwerdeposts 51 Zum Errechnen der Signifikanzen (hier und in den folgenden Tabellen) vgl. 5.1.4. 2. EBENE Metakom‐ mentar Sprachliche Mittel zur Strukturierung des Textes 43 10,75 % 42 10,5 % Buffer 49 12,25 % 66 16,5 % Entschuldi‐ gung Entschuldigung für das Vor‐ bringen der Beschwerde 10 2,5 % 4 1 % Dank (Ernst gemeinter) Dank 15** 3,75 % 49** 12,25 % Kompliment/ Positives Positive Aussagen über das Unternehmen, seine Mitar‐ beiter und/ oder seinen Service 23* 5,75 % 10* 2,5 % Kontext Kontext/ Hintergrundinfor‐ mationen zur Beschwerde 179 44,75 % 166 41,5 % Enttäu‐ schung Ausdruck von Enttäuschung 40** 10 % 18** 4,5 % Verärgerung Ausdruck von Verärgerung 170** 42,5 % 112** 28 % Beschwerde‐ grund Direkte Beschreibung des Beschwerdegrunds 392 98 % 383 95,75 % Frage zur Lösung Frage nach Lösungsmög‐ lichkeiten 27* 6,75 % 47* 11,75 % Forderung Forderung nach einer Behe‐ bung oder Kompensation des Vorfalls/ Schadens sei‐ tens des Unternehmens 123 30,75 % 138 34,5 % Negative Be‐ wertung Negative Bewertung von Vorfall, Verursacher oder Unternehmen 176 44 % 166 41,5 % Drohung Drohung an das Unter‐ nehmen 83 20,75 % 81 20,25 % Eigene Kon‐ sequenz Bereits gezogene eigene Konsequenz aus dem Vor‐ fall 26** 6,5 % 9** 2,25 % Warnung anderer Warnung an andere Kunden 13 3,25 % 20 5 % Tabelle 7: Move-Typen: Zahl von Beschwerden mit mindestens einem Vorkommen (Signifikanz: **p<0,01, *p<0,05) 51 134 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves Diskutiert werden soll die in Tabelle 7 enthaltene Auszählung in den folgenden Abschnitten. 6.3.2 Zahl der Move-Typen in den Beschwerdeposts Tabelle 8 zeigt die Zahl unterschiedlicher Move-Typen pro Beschwerde-Post im deutschen und im italienischen Teilkorpus. In die Analyse einbezogen wurden hier nur Buffers und die Beschwerde-Moves i. e. S., nicht also Briefrahmen und Metakommentare. Verschiedene Move-Typen Dt. Korpus Ital. Korpus 1 46 11,5 % 45 11,25 % 2 88 22 % 109 27,25 % 3 103 25,75 % 117 29,25 % 4 101 25,25 % 84 21 % 5 46 11,5 % 32 8 % 6 13 3,25 % 11 2,75 % 7 3 0,75 % 2 0,5 % SUMME 400 400 Tabelle 8: Zahl unterschiedlicher Move-Typen pro Beschwerdepost (ohne Briefrahmen und Metakommentare) Durchschnittlich enthalten die deutschsprachigen Beschwerden - gezählt ohne Briefrahmen und Metakommentare - 3,16 Move-Typen, die italienischspra‐ chigen 2,98 Move-Typen. Dabei ist die Verteilung etwas unterschiedlich, wie auch Abbildung 8 visualisiert. 135 6.3 Überblick: Aufbau der Beschwerdeposts Abbildung 8: Zahl unterschiedlicher Move-Typen pro Beschwerdepost (ohne Brief‐ rahmen und Metakommentare) Die meisten deutschsprachigen Beiträge enthalten drei bis vier Move-Typen; die meisten italienischsprachigen zwei bis drei Move-Typen. Auch Posts mit fünf, sechs oder sieben Move-Typen sind im deutschsprachigen Korpus häufiger. Der Befund steht in engem Zusammenhang mit dem bereits konstatierten Unter‐ schied in der Länge der Posts (vgl. 5.2). 6.3.3 Reihenfolge der einzelnen moves in den Beschwerdeposts Insgesamt ist die Reihenfolge der moves im vorliegenden Korpus weit weniger einheitlich als in stärker standardisierten Texten wie beispielsweise den Unter‐ nehmensantworten auf Facebook-Seiten dieser Art (K UNK E L 2016). Außerdem ist es möglich, dass moves innerhalb eines Beschwerdeposts mehrfach auftreten und kombiniert werden (vgl. 6.1). Tabelle 9 zeigt zunächst, welche moves in den 46 bzw. 45 Beschwerden mit nur einem Move-Typ vorkommen. move Dt. Korpus Ital. Korpus Enttäuschung 0 0 % 1 2,22 % Verärgerung 0 0 % 3 6,66 % Beschwerdegrund 42 91,3 % 31 68,89 % 136 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves 52 Aus Sicht der Beschwerdeführer, die den Grund für ihre Beschwerde im initialen Post überhaupt nicht nennen, mag eine Rolle spielen, dass die Mitarbeiter den Beschwerde‐ grund im sich anschließenden Dialog erfragen können. Forderung 1 2,17 % 4 8,88 % Negative Bewertung 2 4,34 % 2 4,44 % Drohung 1 2,17 % 2 4,44 % Eigene Konsequenz 0 0 % 1 2,22 % Warnung anderer 0 0 % 1 2,22 % SUMME 46 45 Tabelle 9: Häufigste moves in Beschwerdeposts mit nur einem Move-Typ Am stärksten vertreten ist erwartungsgemäß der Beschwerdegrund: (DE326) Hallo o2 Team irgendwie scheint es ein Problem zu geben habe kein NETZ! ! Und das schon seit heute morgen! Kann nur über WLAN ins In‐ ternet. LG Maureen (IT37) Aspetto da mesi un accredito da parte vostra nei miei confronti, che non ho ancora avuto, nonostante tutto sia stata già aperta una pratica IR Im italienischen Korpus ist die Vielfalt etwas größer; Posts, die - ohne Angabe von Gründen - beispielsweise nur eine Konsequenz (IT30), Enttäuschung (IT23) oder Ärger (IT297) ausdrücken, sind aber auch hier selten: 52 (IT30) Addio 3 (IT23) Tanta delusione (IT297) L’odio che provo verso di voi è uguale a quello che prova Shizuo verso Izaya In Tabelle 10 werden - unter Ausschluss des Briefrahmens - die am häufigsten an erster und letzter Stelle des Posts vertretenen moves aufgeführt. Da die Posts durchschnittlich nur etwa drei verschiedene Move-Typen enthalten, kann diese Analyse bereits einen guten Eindruck vom Aufbau der Posts vermitteln. 137 6.3 Überblick: Aufbau der Beschwerdeposts 53 In Posts mit nur einem move wurde dieser als erster move gezählt; einen letzten move gibt es in diesem Fall also nicht. Dt. Korpus Ital. Korpus als erster move als letzter move als erster move als letzter move Buffer 10 2,5 % 14 3,95 % 7 1,75 % 46 12,96 % Kontext 85 21,25 % 21 5,93 % 105 26,25 % 23 6,48 % Enttäuschung 12 3 % 13 3,67 % 5 1,25 % 6 1,69 % Verärgerung 46 11,5 % 73 20,62 % 24 6 % 38 10,7 % Beschwerdegrund 165 41,25 % 85 24,01 % 173 43,25 % 70 19,71 % Frage zur Lösung 7 1,75 % 13 3,67 % 11 2,75 % 15 4,23 % Forderung 26 6,5 % 44 12,43 % 22 5,5 % 40 11,27 % Negative Bewer‐ tung 38 9,5 % 38 10,73 % 32 8 % 63 17,75 % Drohung 5 1,25 % 41 11,58 % 8 2 % 45 12,68 % Eigene Konsequenz 4 1 % 6 1,69 % 3 0,75 % 2 0,56 % Warnung anderer 2 0,5 % 6 1,69 % 10 2,5 % 7 1,97 % SUMME 400 354 400 355 Tabelle 10: Häufigste an erster und letzter Stelle vertretene moves  53 Tendenzen im Aufbau lassen sich beispielsweise über die Unterscheidung be‐ schreiben, die P AR K E T AL . (1998: 330) bei ihrer Analyse von Geschäftsbriefen treffen: zwischen direct organizational pattern und indirect organizational pat‐ tern. Ersteres beginnt mit der Erläuterung des eigentlichen Problems, an das sich weitere Informationen anschließen; bei Letzerem folgt die Erläuterung des ei‐ gentlichen Problems erst nach einem einleitenden Buffer und relevanten Zu‐ satzinformationen (vgl. 3.3.3). Die folgenden Tendenzen sind erkennbar: • Erwartungsgemäß dominiert der insgesamt am häufigsten im Korpus vertretene move, der Beschwerdegrund, beide Rankings. Er steht aber deutlich häufiger zu Beginn als am Ende des Posts: 41,25 % (DE) bzw. 43,25 % (IT) der Posts beginnen mit dem Beschwerdegrund; 24,01 % (DE) 138 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves bzw. 19,71 % (IT) der Posts enden damit. Mit Hintergrundinformationen (Kontext) beginnen 21,25 % aller deutschen bzw. 26,25 % aller italienischen Beschwerden. • Die Beschwerden neigen damit eher dem direct organizational pattern zu, in dem zunächst das Problem benannt wird und sich dann Hintergrunderläuterungen und weitere moves anschließen (P AR K E T AL . 1998). • Allerdings stehen mit diesen Zahlen die Hintergrundinformationen - wo sie vorhanden sind - immer noch deutlich häufiger zu Beginn (DE: 21,25 %, IT: 26,25 %) als ganz am Ende (DE: 5,93 %, IT: 6,48 %). • Der Ausdruck von Verärgerung, Drohungen, Forderungen und negative Bewertungen stehen in beiden Korpora häufiger am Ende als am Anfang. • Die hohe Zahl an Buffers als letzter move liegt in dem im italienischen Teilkorpus besonders häufig ausgedrückten Dank begründet (vgl. 6.4.2). 6.4 Vorkommen und sprachliche Realisierung einzelner moves 6.4.1 Briefrahmen Im Folgenden soll diskutiert werden, zu welchem Grad sich in den Beschwer‐ deposts noch „Überreste der Briefkultur“ (G ÜNTHE R / W Y S S 1996: 67) wie Anrede, Gruß, Unterschrift oder ein Postskriptum (PS) zeigen. Insgesamt ist festzustellen, dass die initialen Beschwerden im Gegensatz zu den Unternehmensantworten (oder Geschäftsbriefen, die eine Beschwerde enthalten, vgl. S AO R Í N I B O R R A 2004; C O R TÉ S D E LO S R Í O S 2010) in den meisten Fällen keinen solchen Briefrahmen aufweisen. Unterschiede zwischen dem deutschen und dem italienischen Korpus sind allerdings erkennbar (vgl. Tabelle 7). Anrede. Während immerhin 41,5 % aller deutschen Posts eine Anrede zu Beginn enthalten, ist dieser Anteil im italienischen Korpus mit 25,25 % signifikant ge‐ ringer. Tabelle 11 zeigt die häufigsten Anredeformen im deutschen und italie‐ nischen Korpus. Dt. Korpus N Ital. Korpus N Hallo (darunter 8 x Hallo liebes) 84 Buongiorno / Buonasera 43 Lieber/ Liebe/ Liebes … 39 Salve 36 Guten Morgen/ Tag/ Abend 13 Caro/ Cara/ Cari … 9 139 6.4 Vorkommen und sprachliche Realisierung einzelner moves 54 Unter den sonstigen Anredeformen finden sich unter anderem: der bloße Unterneh‐ mensname, „So liebe Leute“, „Wertes 1&1-Team“, „Amici della Vodafone“. (Sehr) geehrte … 9 Ciao 4 Hi/ Hey 5 Gentili … 3 Moin 4 Sonstige 12 Sonstige / Kombinationen daraus 6 SUMME 166 SUMME 101 Tabelle 11: Am häufigsten verwendete Anredeformen zu Beginn Dabei werden die Anreden teilweise mit dem Unternehmensnamen, mit einer Kombination aus Unternehmensnamen und Team (Telekom-Team) oder (selten) mit dem Namen eines Mitarbeiters, Leute, signori, ragazzi etc. verbunden. Auf deutscher Seite ist die häufigste Anrede „Hallo“ und „Lieber/ Liebe/ Liebes“. Es folgen „Guten Morgen/ Tag/ Abend“ und „Sehr geehrte …“. Auf italienischer Seite dominieren Buongiorno / Buonasera und das nähesprachlichere Salve. Die stark formale Anrede Gentili signori ist nur selten vertreten. Damit weist die Anrede insgesamt eher auf nähesprachliche Tendenzen hin, ohne dass schriftsprach‐ liche, formale Realisierungen gänzlich fehlten; auch regionale Formen wie moin, moin sind vereinzelt vertreten (vgl. K L EINB E R G E R G ÜNTHE R 2001: 153). 54 Selten - und in der Auswertung in Tabelle 11 nicht einberechnet - ist die Anrede des Unternehmens oder der Unternehmensmitarbeiter nicht zu Beginn, sondern innerhalb des Textes: (DE310) […] Komisch, dass alle anderen Anbieter ihre Liefertermine für Oktober halten! ! ! ! Liebes 1&1 Team, das kann nicht euer ernst sein? ? ! ! ! ! (IT31) […] dopo essermi lamentato del problema con il negozio 3 che me lo ha venduto non riesco a navigare 3 siete una delusione, sia come servizio che come assistenza. […] An dieser Stelle dient die Anrede meist dazu, dem Gesagten besonderen Nach‐ druck zu verleihen (L O CHE R 2006: 230-231) - im vorliegenden Korpus beispiels‐ weise einer negativen Wertung oder einem Ausdruck der Verärgerung, der auf eine längere Beschreibung des Beschwerdegrunds folgt. 140 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves 55 B O C H E N E K -B O R O W S K A / S C H R A M M (2011: 179) bemerken hierzu: „Ob man das Kürzel MfG als unbeabsichtigte Unhöflichkeit oder nur als modische Variante betrachtet, lassen wir dahingestellt. Emotionen werden dadurch wohl nicht ausgedrückt.“ Aufgrund ihrer hohen Verbreitung in informeller Kommunikation sehe ich die Kurzformen MfG, LG und VG als nähesprachlich, in höflichkeitstheoretischer Hinsicht aber als nicht markiert an. 56 Wie bei der Anrede, so finden sich auch bei den (Abschieds-)Grußformeln nähewie distanzsprachliche Wendungen. Wo Anreden zusammen mit einer abschließenden Gruß‐ formel verwendet werden, zeigen sich kaum kohärente Muster (vgl. N K E M L E K E 2004), was allerdings auch auf die geringe Fallzahl zurückzuführen sein mag. Abschließende Grußformel. Eine abschließende Grußformel findet sich in 14,5 % aller deutschen und in nur 5,75 % aller italienischen Beschwerdeposts und ist damit weit seltener als die Anrede. Dt. Korpus N Ital. Korpus N LG / Liebe Grüße 21 Saluti 10 Mit freundlichen Grüßen / MfG 22 Cordiali saluti 5 Gruß 6 Cordialità 2 VG / Viele Grüße 4 Buona giornata 2 Beste Grüße 2 Sonstige 4 Sonstige 3 SUMME 58 SUMME 23 Tabelle 12: Am häufigsten verwendete abschließende Grußformeln Wie Tabelle 12 zeigt, dominieren auf deutscher Seite das vertraute LG  55 (15-mal) / Liebe Grüße (6-mal) und Variationen des formalen Mit freundlichen Grüßen (12-mal) / MfG (10-mal). Es folgen Gruß, VG / Viele Grüße und Beste Grüße. Auf italienischer Seite dominieren Saluti und Cordiali saluti. Allerdings sei an dieser Stelle vorweggenommen, dass sich in 12,25 % aller italienischen Posts ein Dank zum Abschluss findet, der im move Dank statistisch erfasst wurde, hier aber offensichtlich auch die Funktion einer Abschiedsformel über‐ nimmt. 56 Unterschrift. Eine Unterschrift findet sich in nur 8,5 % aller deutschen und 3 % aller italienischen Posts. Am häufigsten ist hier der Name des Schreibers, der in den meisten Fällen seinem Klarnamen zu entsprechen scheint (vgl. Tabelle 13). 141 6.4 Vorkommen und sprachliche Realisierung einzelner moves 57 Eine Anspielung auf die Briefform ist auch beispielsweise die Selbstreferenz „il sot‐ toscritto“, die sich im Probekorpus einmal findet (trotz fehlender Unterschrift in diesem Post). Dt. Korpus N Ital. Korpus N [Vorname] 14 [Vor- und Nachname] 7 [Vor- und Nachname] 13 [Vorname] 2 Phrasen 4 Phrasen 3 Sonstiges 3 SUMME 34 SUMME 12 Tabelle 13: Am häufigsten verwendete Unterschriften Seltener treten auch Phrasen auf, zum Beispiel: (DE140) […] Eine mal wieder enttäuschte Kundin (DE116) […] Gez. Langjähriger Ex-Kunde in Spe (IT358) […] Un cliente (due passi indietro) (IT381) […] Uno che sta perdendo la PAZIENZA ! ! ! ! ! Postskriptum. In sehr seltenen Fällen - zweimal im deutschen, dreimal im ita‐ lienischen Korpus - findet sich auch ein Postskriptum (PS) am Ende des Be‐ schwerdeposts. Interpretation Wie nun lässt sich diese Gestaltung des Briefrahmens - auch im Lichte von Politeness-Theorien - erklären? Dass ein Briefrahmen im deutschen wie im ita‐ lienischen Korpus in den meisten Fällen fehlt, kann im Zusammenhang damit gesehen werden, dass im Kopf der Nachricht der Schreiber als Absender und das Unternehmen als Empfänger bereits erscheinen (vgl. 4.4). In ähnlicher Weise erklärt schon H E R R ING (1996a: 87) das Fehlen von „epistolary conventions“ (An‐ rede und abschließender Grußformel) in Listserve-Diskussionsgruppen. V ÁS‐ Q U E Z (2014a: 110) spricht hier von „anachronisms in an online environment“; dazu zählt sie auch Postskripta, weil in einem elektronischen Dokument keine Notwendigkeit bestehe, eine Ergänzung ans Ende zu setzen - schließlich könnte sie auch nachträglich an der gewünschten Stelle eingefügt werden. 57 142 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves Dass prozentual weit mehr Anreden als abschließende Grußformeln in den Beschwerdeposts enthalten sind, lässt sich dagegen damit erklären, dass nur die initialen Beschwerdeposts innerhalb eines Threads in das Korpus einbezogen wurden. In S P ILIOTI S (2011) Studie zu SMS-Nachrichten unter Jugendlichen zeigt sich, dass abschließende Grußformeln vor allem in initialen Nachrichten selten sind. Wo sie fehlen, führt S P ILIOTI (2011: 74) dies u. a. darauf zurück, dass die Schreiber eine Antwort erwarten: „[they] appear to incite a response from the other party or give the same participant an opportunity to recontribute to the sequence.“ Wo dagegen auch in initialen SMS abschließende Grußformeln be‐ nutzt werden, scheint es S P ILIOTI (2011: 76), dass die Teilnehmer zu einer eher asynchronen Form der Kommunikation tendieren: Es zeigt sich, dass es Be‐ kannte sind, die eher nicht täglich miteinander kommunizieren; im Sinne der relational work deutet der Gebrauch der Grußformel damit tendenziell auf Dis‐ tanz hin. Überhaupt ist hier wiederum darauf hinzuweisen, dass (im)politeness immer vor dem Hintergrund der für die Situation gültigen Interaktionsnormen inter‐ pretiert werden muss: „interactional accomplishments […] may be […] realized as marked behavior, either positively evaluated (and, thus, polite) or negatively judged (and, thus, impolite or over-polite)“ (S P ILIOTI 2011: 80; vgl. auch L O‐ CHE R / W ATT S 2005: 29; E HRHAR T 2009: 183). Form und Stil der Anrede geben Auskunft über den Grad an Formalität oder Informalität der Beziehung, die die Schreiber zu ihren Lesern haben, und können je nach Kultur variieren (H ATI‐ P O G LU 2007: 767). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass in den Antworten von Unternehmen auf Beschwerden (im Vergleich zu den Be‐ schwerden selbst) weit häufiger Briefrahmen zu finden sind (vgl. K UNK E L 2016). Wie P AG E (2014: 41) anhand ihres Korpus aus Unternehmensentschuldigungen auf Twitter deutlich macht, wird der Gebrauch von Anreden, abschließenden Grußformeln und persönlichen Namen in der Forschungsliteratur zwar auch als Strategie des rapport-building und des Individualisierens von Nachrichten be‐ schrieben, im Kontext der Unternehmensnachrichten mit ihrem stark formel‐ haften Rahmen komme darin aber eher soziale Distanz zum Ausdruck. Auch Z HANG / V ÁS QU E Z (2014: 58) interpretieren den Briefrahmen (hier: in Antworten auf Hotelrezensionen) als ein Zeichen für den formalen Charakter einer Nach‐ richt. Vor diesem Hintergrund greift die pauschale Interpretation von Grüßen als Buffer etwas zu kurz: „Instead of giving a straightforward complaint, a com‐ plainant firstly greets an offender by saying hi, hello […] in order to delay a negative message of a complaint“ (R HU RAKVIT 2011: 70; ähnlich auch P AR K 143 6.4 Vorkommen und sprachliche Realisierung einzelner moves 58 Schon B R O W N / L E V I N S O N ([1978]1987: 235-236) beschreiben, wie Abschiedsgrüße die potenziell gesichtsbedrohende Situation bei Abschieden abmildern können. ET AL . 1998: 331). 58 Zudem ist für das vorliegende Korpus schwer abzugrenzen, wann im Gebrauch eines Briefrahmens over-politeness gesehen werden muss. Beim Gebrauch der Anrede „Wertes“ liegt dies beispielsweise nahe. Aber auch in der Anrede „Guten Tag liebes […] Team“, die in ihrem Korpus aus Beschwer‐ debriefen an ein Telekommunikationsunternehmen auftritt, halten B O‐ CHE NE K -B O R OW S KA / S CHRAMM (2011: 178) bereits ironischen Sprachgebrauch für möglich, „denn dem lieben Team wird in der Folge wegen vermuteten Betruges mit gerichtlicher Klage gedroht“. Eine metakommunikative Äußerung zur An‐ redeform „Liebes“ wird in 7.7 kommentiert. 6.4.2 Buffer Wie Tabelle 7 zeigt, sind Buffers im vorliegenden Korpus relativ selten: Die deutschsprachigen bzw. italienischsprachigen Posts enthalten zu 2,5 % (DE) bzw. 1 % (IT) eine Entschuldigung, zu 3,75 % (DE) bzw 12,25 % (IT) einen (ernst ge‐ meinten und in der Regel im Voraus ausgesprochenen) Dank und zu 5,75 % (DE) bzw. 2,5 % (IT) ein Kompliment / etwas Positives. Damit liegt ihr Anteil unter dem in anderen Studien festgestellten; er scheint sehr kontextabhängig zu sein. V ÁS‐ QU E Z (2011: 1710) beispielsweise findet in den von ihr analysierten negativen Hotelbewertungen auf TripAdvisor etwa ein Drittel, die neben den negativen auch positive Aussagen machen. Vergleichbar ist die in diesem Korpus vorlie‐ gende Situation von Kundenbeschwerden an Telekommunikationsunter‐ nehmen dagegen eher mit den von H E N R Y / H O (2010: 847) untersuchten Leser‐ briefen an eine Zeitung: In this study, it appears that when it comes to a grievance suffered personally by the complainant as a result of an unacceptable act or situation which a public authority or body is responsible for, the BuC [= Buffering the Complaint, M. K.] move may not feature prominently. The main purpose is to lodge the complaint and request for a corrective action to alleviate the inconvenience or suffering of the complainant. Wo sich Buffers dennoch finden, sehen H EN R Y / H O (2010: 847) ihre Funktion darin, die Chancen auf eine schnelle und effiziente Abwicklung der Beschwerde zu erhöhen. Dabei können Komplimente, Entschuldigungen oder Dank prinzi‐ piell an jeder Stelle innerhalb der Beschwerde positioniert sein: „In terms of organization, an opening buffer delays the introduction of the writer’s point, and a closing buffer de-emphasizes the negative message or request for action“ 144 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves 59 Zur Interpretation von Dank als (leicht) face-threatening vgl. G E L U Y K E N S (2011: 153) unter Verweis auf B R O W N / L E V I N S O N ([1978]1987: 67). (P AR K E T AL . 1998: 333). Allerdings zeichnen sich für Komplimente/ Positives und Dank im vorliegenden Korpus - wie oben dargestellt - Tendenzen ab: Dank. Der Dank (im Voraus) steht erwartungsgemäß in der Regel am Ende eines Posts. In einer (aufrichtigen) Dankesformel ist in erster Linie positive politeness zu sehen. 59 Der Dank ist meistens allgemein gehalten und bezieht sich auf das erhoffte Befolgen der konkreten Handlungsaufforderung, sodass er de facto eher die Funktion eines Wunschs erfüllt (G E LU Y K E N S 2011: 154). In seltenen Fällen wird auch Dank für Verständnis, Geduld oder Aufmerksamkeit zum Ausdruck gebracht. Mit der oben genannten Verteilung ist der Ausdruck von Dank im italienischen Teilkorpus deutlich häufiger als im deutschen. Komplimente/ Positives. Im deutschen Korpus stehen Komplimente/ Positives (vgl. V ÁS Q U E Z 2011: 1714), wo vorhanden, in rund der Hälfte der Fälle zu Beginn; im italienischen Korpus sind sie seltener (vgl. Tabelle 7): (DE354) Hi, ich bin gerne bei O2 DSL Kunde! ABER… Ich habe nun umgestellt auf: "Die Zukunft, V-DSL“. […] (DE224) ich bin seit über 10 jahren zufriedener base kunde gewesen, jedoch nun als es um die verlängerung meines vertrags ging wird man schlecht be‐ handelt […] Entschuldigungen (sorry, mi dispiace …) finden sich im Korpus sehr selten. Bereits H E LD (2001: 121) beschreibt sie als „eingelerntes Formelrepertoire“: „[S]ie werden hier zwar erziehungsgemäß, nicht aber gefühlsmäßig eingesetzt: Senta mi scusi del reclamo, ma … / Mi dispiace di doverlo dire ma …“ (DE343) Hey o2 sorry das ich jetzt vllt. etwas stürmich wirke: Aber ich finde es ist eine absolute Frechheit […] (IT130) Scusate per comunicare con voi ci vuole tanto tempo Auf der Mikroebene erfüllen die in 7.5 diskutierten - im Korpus kaum vorhan‐ denen - downgraders die Funktion von Buffers. Die Rolle von Buffers ist auch für die Selbstdarstellung der Schreiber von Interesse und soll in Abschnitt 8.2.1 erneut diskutiert werden. 145 6.4 Vorkommen und sprachliche Realisierung einzelner moves 6.4.3 Beschwerdegrund Der Beschwerdegrund ist mit 98 % im deutschen und 95,75 % im italienischen Korpus der mit Abstand häufigste im Korpus vertretene move. Das verwundert zunächst nicht, denn wenn Ziel des Kunden eine Lösung seines Problems ist, ist es für ihn sinnvoll, den eigentlichen Beschwerdegrund zu artikulieren. Wie oben ausgeführt, ist er einer der moves, die am häufigsten zu Beginn des Posts auf‐ treten (vgl. 6.3.3). Seine sprachliche Formulierung ist sehr heterogen, und in vielen Posts vermischen sich die unterschiedlichen Formen. Am häufigsten wird der Beschwerdegrund mittels Aussage- oder Ausrufesätzen formuliert; in der Regel beklagt der Kunde hier die negative(n) Folge(n), die eine Fehlleistung des Unternehmens für ihn hat. (DE376) […] Ich habe seit dem 3.8. kein Internet, weil der Techniker nach mehr‐ maligen Terminen nicht kommt! Ihr vertröstet mich immer wieder, aber es kommt nichts bei raus. […] (IT142) […] Sono appena passata alla tim e già ho avuto il primo disservizio! […] (IT205) 15 giorni per ricevere il modem, oggi arriva, lo collego e l’ADSL non ri‐ sulta attiva. […] Auch Fragen nach dem Grund werden hier zum move Beschwerdegrund gezählt - und die Form der aggressive interrogative/ challenging als sprachliches Mittel zur Intensivierung (upgrader) gewertet (vgl. 7.3). In DE320 und IT14 legen schon die vom Schreiber gewählten Satzzeichen nahe, dass die scheinbare Frage nach dem Grund nicht als echte Frage zu interpretieren ist. (DE176) Wieso zahle ich zwei mal miethandy? ? (DE320) […] Also jeder Mobielfunkanbieter kann sofort das IPhone ausgeben warum nicht 1&1. […] (IT375) […] come mai le tacchette del wifi indicate sul PC variano continuamente tra quasi zero e il max da circa 2 gg con conseguente cambio di PING/ velocità ? ? ? ? ? […] (IT14) […] Perche internet e lento! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! […] Obgleich all diese Fälle hier als move Beschwerdegrund eingeordnet sind, liegt es natürlich nahe, sowohl die Feststellung negativer Folgen in Aussage- oder Aus‐ rufesätzen wie auch die Fragen nach dem Grund als indirekte Forderung zu 146 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves 60 Auf die Ambiguität von Fragen bin ich bereits im Zusammenhang mit der Auswahl von Posts für das Korpus eingegangen (vgl. 5.1.2). verstehen, wie es beispielsweise F RANK (2011: 298-299) anhand letzterer treffend beschreibt: 60 Primär verbalisieren interrogative Elemente natürlich den Sprechakt der Frage, der, wie bereits besprochen, als Aufforderung zu sprachlichen Handlungen verstanden werden kann. Daneben kommen sie aber auch in anderen Aufforderungstypen vor. Ihr Gebrauch ist hier indirekt, da die Formulierung vorgaukelt, es handle sich um eine Informations-, bisweilen auch um eine rhetorische Frage, während in Wirklichkeit z. B. eine Aufforderung zu einer physischen Handlung vorliegt. […] Die Frage nach dem Warum eines Verhaltens ist hier nicht wörtlich zu verstehen, sondern impliziert gerade, dass es keinen guten Grund gibt, die angesprochene Hand‐ lung zu tun bzw. zu unterlassen. Per konversationeller Implikatur werden solche Äu‐ ßerungen in der Regel als Aufforderungen interpretiert. Eigentlich ähnelt die Formu‐ lierungsweise der von Brown und Levinson vorgestellten Strategie Give/ ask for reasons, welche die beiden Autoren der positive politeness zurechnen. Dennoch wirken die betreffenden Passagen meist keineswegs höflich, sondern aufgrund des mit‐ schwingenden vorwurfsvollen Untertons und der intensiven Aufforderungswirkung bestenfalls neutral oder sogar unhöflich. An dieser Diskussion wird einmal mehr deutlich, dass die Zuordnung einer einzigen Funktion zu jedem move problematisch ist. Auch H Y LAND (2011: 175) sieht in der Vereinfachung eine Gefahr: „[A]nalysts are increasingly aware of the dangers of oversimplifying by assuming blocks of texts to be mono-func‐ tional […].“ Das Ausblenden ihrer möglichen Multifunktionalität beschreibt B AR R ON (2012: 102) als „consequence of the trend in genre analysis to concentrate on relatively conventionalised genres“. Die hier vorgenommene Aufteilung stellt in dieser Hinsicht also eine bewusste Vereinfachung dar. Teilweise nimmt die Schilderung des Beschwerdegrunds auch narrative Züge an: (PK-D) […] Aber den denkwürdigen und einsamsten Tag erlebte ich am 28.10.12 , niemand rief zu meinem Geburtstag an, niemanden war ich einen Anruf wert, bis jemand vor der Tür stand und fragte ob ich total übergeschnappt sei, Telefonstecker zu ziehen und Handy auszuschalten um mit dem Rest der Welt nix zu tun haben wollte, ich einen Rückfall in Depressionen hätte. Kurz um, ich war überhaupt für niemanden zu erreichen, Dank des Total‐ ausfalls bei Vodafone für Tage. Seit dem immer Störungen, Festnetzqualität und DSl kaum noch zu gebrauchen, lahm ist noch milde ausgedrückt, .. Wie gut , das dieser Vertrag nun ausgelaufen ist. Und jetzt schon wieder seit 147 6.4 Vorkommen und sprachliche Realisierung einzelner moves Donnerstag überhaupt nicht mehr zu erreichen im Mobilen Netz. Früher ging, wenn UMTS, HDSPA nicht zur Verfügung stand, wenigstens noch GPRS, aber auch das funktioniert nicht mehr..Ganz davon abgesehen, das ich einen RED L Tarif habe, habe ich noch nie das LTE vor Ort orten können, worauf sich dieser Tarif ja bezieht, mehr als EDGE mit 8kb ist nicht drin […] Schilderungen dieser Art erinnern an Erzählpassagen, wie sie V ÁS QU E Z (2013) in Online-Hotelrezensionen ausmacht, und wären ein interessanter Untersu‐ chungsgegenstand für weitere Studien. Insgesamt lässt sich feststellen, dass der move Beschwerdegrund - ebenso wie der move Kontext - im deutschsprachigen Korpus durchschnittlich ausführlicher dargestellt ist als im italienischen. 6.4.4 Forderung Wie auch in anderen Studien (H AR T F O R D / M AHB OO B 2004; R AÑO S A -M AD R UNIO 2004; V ÁS Q U E Z 2011) nehmen an das Unternehmen gerichtete Forderungen in den Beschwerden des vorliegenden Korpus einen wichtigen Stellenwert ein: 30,75 % aller deutschen und 34,5 % aller italienischen Posts enthalten mindestens einmal den move Forderung, der damit zu den häufigsten im Korpus vertretenen moves zählt. In der Höflichkeitstheorie B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) stellen Forderungen immer einen FTA dar, da der Sprecher dem Hörer eine Handlung auferlegen will; zudem könnte auch das face des Sprechers bedroht sein, wenn der Hörer eine Kooperation ablehnt (T R O S B O R G 1995: 314). Im Korpus lässt sich eine Reihe verschiedener Realisierungsformen von For‐ derungen finden. Sie wurden in Anlehnung an bereits bestehende Klassifikati‐ onsschemata kategorisiert, insbesondere an H O U S E / K A S P E R (1981: 163-164, vgl. 3.3.1), an B LUM -K ULKA E T AL . (1989: 275-289, CCSARP-Projekt, vgl. 3.3.1), aufgegriffen u. a. von T R O S B O R G (1995), H E LD (1995) und W AR GA (2004). Die für die vorliegende Studie übernommenen Kategorien sind in Tabelle 14 aufgeführt, und zwar mit aufsteigendem Direktheitsgrad. Forderungs-Move Beispiel Dt. Korpus Ital. Korpus Mild hint Es ist sehr kalt hier drin. ► in move Beschwerdegrund Strong hint Warum ist das Fenster offen? Query preparatory Kannst du das Fenster zu‐ machen? 11 6,9 % 20 13,1 % 148 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves 61 Die deutschsprachigen Bezeichnungen explizites/ verdecktes Performativ (für „hedged/ explicit performative“) und Lokutionsderivativ („locution derivable“) wurden von W A R G A (2004: 137/ 143) übernommen. State preparatory Du kannst das Fenster zu‐ machen. 4 2,5 % 1 0,7 % Befolgungsbewer‐ tung a) positiv b) negativ c) suggestiv Ich wäre dir dankbar, wenn du das Fenster zumachst. 24** a) 16** b) 3 c) 5* 15,1 % a) 10,1 % b) 1,9 % c) 3,1 % 5** a) 2** b) 3 c) 0* 3,3 % a) 1,3 % b) 2 % c) 0 % Willensausdruck (Scope- Stating) Mir wärs lieber, wenn du das Fenster zumachen würdest. Ich erwarte, dass du das Fenster zumachst. 23** 14,5 % 50** 32,7 % Erfragen/ Fest‐ stellen der ge‐ wünschten Hand‐ lung (Lokutionsderi‐ vativ I) Du machst das Fenster zu. Machst du das Fenster zu? Wann machst du das Fenster zu? 18 11,3 % 15 9,8 % Notwendigkeitsas‐ pekt (Lokutions‐ derivativ II) Du solltest/ musst das Fenster zumachen. 10 6,3 % 6 3,9 % Explizites Perfor‐ mativ Ich bitte dich, das Fenster zuzumachen. 20 12,6 % 19 12,4 % Mood derivable Mach das Fenster zu! Bitte Fenster zu machen. Fenster zu! 45 28,3 % 36 23,5 % Sonstige 4 2,5 % 1 0,7 % SUMME 159 153 Tabelle 14: Realisierungen des move Forderung (in Anlehnung an B L U M -K U L K A E T A L . 1989: 275-289; H O U S E / K A S P E R 1981: 163-164) (Signifikanz: **p<0,01, *p<0,05) Dabei wurde das Schema in einigen Punkten an die vorliegenden Daten adap‐ tiert: Aufgenommen wurden in die Tabelle nur solche Formen, die im Korpus mindestens einmal belegt sind, nicht beispielsweise verdeckte Performative (s. u.). Die Kategorie Lokutionsderivative  61 wurden in zwei Unterkategorien auf‐ geteilt; von H E LD (1995: 478-479) wurde die Kategorie der Befolgungsbewertung 149 6.4 Vorkommen und sprachliche Realisierung einzelner moves 62 H E L D (1995: 245 und 476-480) ordnet ihre Kategorisierung zwar gleichfalls nach dem Direktheitsgrad an, orientiert sich dabei jedoch auch an „inhaltlich-semantischen Kri‐ terien“, wie sie bei H O U S E / K A S P E R (1981) teils nicht enthalten sind. Die Kategorie der Befolgungsbewertung ist von H I N D E L A N G (1978) inspiriert. 63 Ähnlich stellt auch H E L D (1995: 479) für Sätze wie „I suoi zoccoli fanno un terribile rumore“ als Ausdruck der zentralen Bitt-Illokution fest, dass diese aufgrund ihrer to‐ talen Indirektheit mit den als Stützphasen (SUPPs) kategorisierten Äußerungen zusam‐ menfallen, z. B. Begründungen für die Bitte. übernommen. 62 In der zweiten Spalte findet sich ein Beispiel (teils in Anlehnung an H O U S E / K A S P E R 1981: 163-164). Gezählt und ausgewertet wurden hier nicht die Posts mit mindestens einem Vorkommen des move, sondern jedes einzelne Vorkommen einer Forderung an das Unternehmen (DE: 159, IT: 153 moves); in den vier rechten Spalten steht ihr jeweiliger Anteil an allen Forderungen im deutschen (DE) bzw. italienischen (IT) Korpus, absolut und prozentual. Wie aus Tabelle 14 hervorgeht, werden Hinweise (mild/ strong hints), die Be‐ dingungen oder Folgen der Forderung zum Ausdruck bringen, in der Klassifi‐ kation H O U S E ’/ K A S P E R S (1981: 163) zu den indirekten Formen der Forderung gerechnet, z. B. „Es ist sehr kalt hier drin“ oder (in modifizierter Form: als Frage nach dem Grund) „Warum ist das Fenster offen? “. In der vorliegenden Analyse fallen sie allerdings, wie gerade in 6.4.3 erläutert, mit dem move Beschwerdegrund zusammen; 63 das muss bei der Interpretation dieser Tabelle bedacht werden. Insgesamt tritt der move Forderung wie gerade erwähnt in 30,75 % (DE) bzw. 34,5 % (IT) aller Beschwerden auf; aber in fast allen Fällen, in denen er nicht in der Beschwerde enthalten ist, wird immerhin noch der Beschwerdegrund selbst verbalisiert. Zu verweisen ist hier auf H E LD (1995), die anhand eines Korpus aus elizitierten Daten untersucht, in welchen Situationen Bitthandlungen tendenziell direkt oder indirekt realisiert werden. Am ehesten mit der vorliegenden Teilnehmer‐ konstellation Kunde/ Unternehmen vergleichbar ist bei ihr die Beschwerde über eine verbrannte Pizza in einem Restaurant - die mit 29,5 % im italienischen und 31,1 % im französischen Korpus mit die höchsten Anteile nur indirekt formu‐ lierter Forderungen (hints) an allen Situationen hat. H E LD (1995: 324) stellt hier in Bezug auf die Nennung des Fokus, also der Forderung, fest: „Fokusvermei‐ dungen sind […] häufig, wenn sich der Schluß auf den Fokus aus der situativen Unmittelbarkeit gleichsam automatisch ergibt […]“ - und: „Je mehr Bedin‐ gungen und Folgen verbalisiert werden, umso eher kann auf die explizite Nen‐ nung des Fokus verzichtet werden.“ Übertragen auf die vorliegende Situation bedeutet das: Kunden veröffentli‐ chen hier einen Beschwerdegrund, für den das Unternehmen als verantwortlich zu betrachten ist, auf dessen Facebook-Seite. In diesem Kontext, der zudem 150 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves 64 Einen ähnlichen Fall beschreibt L O C H E R (2006) für die von ihr untersuchte Online-Rat‐ geberkolumne (vgl. 2.3.1). Dort kommt es - wenn auch selten - vor, dass die Bitte um einen Rat nicht explizit, sondern nur mittels der Problemschilderung ausgedrückt wird. L O C H E R (2006: 233) führt dies gleichfalls auf die kommunikative Rahmensituation zu‐ rück: „In rare cases problem statements can take over the function of a question or a request for advice. […] In these cases the mere mention of the problem at hand is in‐ terpreted by Lucy as a request for advice, which can, of course, be explained by the orientation of both the advice-seeker as well as the advisor to the contextual frame of the advice column.“ maßgeblich von Beschwerden geprägt ist, tritt die implizite Forderung bereits so deutlich hervor, dass sie nicht mehr explizit verbalisiert werden muss. 64 Dies gilt umso mehr, je detaillierter der Beschwerdegrund - über seine Folgen und Bedingungen - formuliert ist. Die Erhebungsmethode, Kommunikationssituation und Teilnehmerkonstel‐ lation sind zu unterschiedlich, als dass sich die Zahlenwerte bei H E LD (1995) unmittelbar mit denen in Tabelle 14 vergleichen ließen. Trotzdem erscheint der Anteil an Beschwerden, in denen bei H E LD (1995) im Fall der verbrannten Pizza die Forderung explizit formuliert wird (d. h. nicht nur über die Folgen/ Bedin‐ gungen), mit rund zwei Dritteln verhältnismäßig hoch. Vermutlich ist dies (auch) auf die Erhebungsmethode zurückzuführen. So stellt W AR GA (2004: 162) fest, dass bei der Datenerhebung durch discourse completion tests aufgrund des rein verbal beschriebenen Kontexts ein größerer Bedarf zur expliziten Formulie‐ rung von Aufforderungen bestehe: Sind nun die situativen Bedingungen nur mäßig klar - wie das bei der Datenerhebung durch DCT [= discourse completion tests, M. K.] zweifellos der Fall ist -, erscheint es den Sprechern offenbar notwendig, die Fokushandlung [= Aufforderung, M. K.] explizit zu machen, um nicht Gefahr zu laufen, dass die illokutiven Absichten des Sprechers vom Gesprächspartner missverstanden werden. In Tabelle 14 ist weiterhin zu erkennen, dass die beiden Teilkorpora nicht nur in der absoluten Zahl der in ihnen enthaltenen Forderungen, sondern auch in deren Realisationsform große Ähnlichkeiten aufweisen: In beiden Sprachen ge‐ hören mood derivables, also Imperative (inklusive imperativisch gebrauchter In‐ finitive und elliptischer Forderungen) - und damit der direkteste move über‐ haupt - zu den am häufigsten vertretenen Formen. Allerdings wird ein gewisser Unterschied in der sonstigen Verteilung deutlich: Im italienischen Teilkorpus signifikant häufiger als im deutschen ist der Willensausdruck (Scope-Stating). Im Gegenzug sind im deutschen Teilkorpus Befolgungsbewertungen signifikant häufiger vertreten. Im Folgenden sollen die einzelnen Realisierungsformen vor‐ gestellt und diskutiert werden. 151 6.4 Vorkommen und sprachliche Realisierung einzelner moves Für eine adäquate Einschätzung der höflichen oder unhöflichen Wirkung von Aufforderungen sind auch interne und externe Modifikation entscheidend (H E LD 1995; H AR T F O R D / M AHB O O B 2004: 593-594; W AR GA 2004; G E LU YK E N S 2011: 66). Im Rahmen dieser Arbeit werden supportive moves, upgraders und downgraders allerdings nicht gesondert für den move der Forderung ermittelt, sondern für die Beschwerden in ihrer Gesamtheit (vgl. 7.5) - nicht zuletzt weil sich eben auch in anderen moves indirekte Formen von Aufforderung erkennen lassen. In einigen Fällen wurden sie aber auch für einzelne Kategorien (wie Im‐ perative, siehe unten) ausgezählt. Bevor ich auf die einzelnen Realisierungsformen von Forderungen im Detail eingehe, sei noch eine Beobachtung zur inhaltlichen Gestaltung angebracht: Es ist auffällig, dass die Schreiber gelegentlich (DE: 7,6 %, IT: 5,9 % aller Forde‐ rungen) auch formulieren, welche Antwort ihnen das Unternehmen gerade nicht geben soll: (DE290) […] Und die Antwort „Ich schaue gern für dich nach“ usw könnt Ihr euch sparren. […] (DE353) […] jetzt nicht wieder die Frage ob die Einstellungen stimmen. ICH HABE NICHTS VERÄNDERT ! ! ! ! ! (DE116) […] Und bitte nicht mit Servicefloskeln: die Unannehmlichkeiten tun uns leid o. Ä. antworten. Das zeigt noch mehr die Service-Ohnmacht. […] (IT352) […] VORREI AVERE NOTIZIE CERTE SULLA DATA DI PASSAGGIO EF‐ FETTIVO A FIBRA e non risposte VAGHE come avete gia’ fatto! ! ! […] Äußerungen wie diese zeigen, dass die Kunden mit den Antworten des Unter‐ nehmens bereits vertraut sind, beispielsweise durch eigene frühere Posts oder Anrufe - oder auch durch das Lesen von Threads auf der Facebook-Seite (vgl. 4.5, S1). Damit lässt sich in Äußerungen und Anspielungen dieser Art eine Form von Intertextualität sehen (vgl. auch 8.2.1.3). In DE290 und DE116 beispielsweise kritisieren die Kunden, dass die Antworten häufig aus Textbausteinen bestehen, statt konkret und individuell auf das von ihnen geschilderte Problem einzu‐ gehen. Gleichzeitig stellt eine Äußerung dieser Art einen starken FTA für das negative face des Unternehmens dar, da es die Handlungsmöglichkeiten der Mitarbeiter einschränkt: L AKO F F S (1973) Politeness-Maxime leave options wird mit einer solchen negativ formulierten Forderung unterlaufen. In einem Follow-up-Post eines Kommentators zu DE335 erscheint ein Bild (vgl. Abbildung 9), das einen typischen Textbaustein enthält („… unsere Tech‐ niker arbeiten bereits mit Hochdruck an der Lösung des Problems“). Statt Tech‐ nikern ist es auf dem Bild aber eine Ziege, die die korrekte Ausrichtung von 152 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves 65 http: / / debeste.de/ 65940/ unsere-Techniker-arbeiten-bereits-mit-Hochdruck-an-der- L-sung-des-Problems (abgerufen am 03.05.2017). 66 Zu dieser Kategorie zähle ich auch eine im italienischen Korpus auftretende Konditio‐ nalellipse (H E L D 1995: 477): „Se potete non mandarmi più sms alle 3 del mattino grazie“ (IT477). Hebeln in einem Schaltkasten zu prüfen scheint. Die negative Erwartungshal‐ tung des postenden Kommentators wird damit verdeutlicht. Eine Google-Suche zeigt, dass sich im Internet noch weitere Bilder dieser Art finden. Abbildung 9: Bild mit typischem Textbaustein in einem Follow-up-Post 65 Im Folgenden sollen die einzelnen in Tabelle 14 aufgeführten Kategorien und ihre Realisierung im Korpus vorgestellt und diskutiert werden. Query preparatory. Interrogativsätze dieser Art sind im vorliegenden Korpus eher selten; es wird nach der Möglichkeit der Ausübung einer er‐ wünschten Handlung gefragt: 66 „The locution queries a preparatory condition holding for the execution of the action denoted in the preposition“ (H OU S E / K A S P E R 1981: 163). Im deutschen Korpus werden 36 %, im italienischen Korpus 25 % aller Fälle durch eine Konjunktiv-II-Form und/ oder Höflichkeitsmarker wie bitte / per favore modifiziert (DE218). (DE188) […] Kann sich mal jemand darum kümmern, damit ich wieder in „Mein Konto“ komme? 153 6.4 Vorkommen und sprachliche Realisierung einzelner moves (DE218) […] Guten Tag liebes Base Team, könnte sich bitte jemand aus Ihrem Hause meinen Fall anschauen? […] (IT393) […] Avete detto 3 giorni fa che c’era un problema ma ora POTETE RI‐ SOLVERLO? ? ? […] Äußerungen dieser Art, die zwar indirekt, aber aufgrund sprachlicher Konven‐ tionen unmissverständlich sind (z. B. „Kannst du mir das Salz reichen? “), stellen eine Form von conventionalized indirectness dar; sie werden in B R OWN S / L E VIN‐ S ON S ([1978]1987: 70) Modell zu Negative-Politeness-Strategien gezählt (vgl. L O‐ CHE R 2004: 68). State preparatory. In Forderungen dieser Art wird lediglich die Möglichkeit der Ausübung einer erwünschten Handlung beschrieben. (DE75) […] Vielleicht könnt Ihr ja helfen. […] (IT325) […] POTETE ANCHE RISPONDERE […] Befolgungsbewertung. Unter einer Befolgungsbewertung versteht H E LD (1995: 478-479) eine „antizipierende Bewertung der gewünschten Handlung in bezug auf EGO oder ALTER, häufig in festen Formeln enthalten, deren Gebrauchwert [sic] diachron und kontrastiv unterschiedlich ist“. Ich unterteile diese Kategorie zusätzlich in positive (DE99, IT119) und negative (IT309) Bewertungen sowie Suggestivformeln (H E LD 1995: 479, DE315). (DE99) […] P.s wenn ihr diese Probleme wieder in den griff bekommt werde ich gerne wieder Kunde (DE315) Wie wäre es mal mit einer Entschädigung für alle, die auf ihr iPhone warten? ! ! ! […] (IT119) Se doveste far funzionare il 187 sarebbe una favola! (IT309) […] se non mi fatte arrivarre almeno a 15mega non pago la bolletta come diritto di consumatore Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch wieder auf die Schwierigkeit hinzuweisen, over-politeness zu erkennen (F RANK 2011: 116 ff.). So lässt sich in Fällen wie DE195 sicherlich ironische Übertreibung sehen: (DE195) […] wäre es möglich das ihr mich bitte nicht mehr terrorisiert mit euren anrufen? Wäre super nett […] 154 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves Willensausdruck (Scope-Stating). „The locution expresses X’s intention, de‐ sires, or feelings vis-à-vis the proposition he expresses“ (H OU S E / K A S P E R 1981: 1963). Wie W AR GA (2004: 146) anmerkt, zählen B LUM -K ULKA E T AL . (1989) - denen sie sich anschließt - diese Strategie zu den direkten, T R O S B O R G (1995) dagegen zu den konventionell indirekten Forderungen. Auch im Kontext der vorliegenden Arbeit werden sie als direkt interpretiert. Zu den typischen Verben zählen auf deutscher Seite wollen, hoffen, erwarten, brauchen sowie der Kon‐ junktiv II von Vollverben mit würde (ich würde gern …), auf italienischer Seite volere, sperare, attendere, aspettare, pretendere, aver bisogno di. (DE105) […] Ich will mein Geld zurück! ! ! […] (IT188) […] pretendo rimborso dalla vostra compagnia […] Erfragen/ Feststellen der gewünschten Handlung (= Lokutionsderivativ I). Forderungen, die als Feststellungen oder Fragen formuliert sind, zählen B LUM -K ULKA E T AL . (1989: 279) (wieder aufgenommen von W AR GA 2004: 143) zur Kategorie der Lokutionsderivative, einer ausgesprochen heterogenen Gruppe von Äußerungen, deren illokutionäre Absicht aus der Bedeutung der Äußerung abzuleiten ist: Du räumst jetzt mal ganz schnell die Küche auf. Nehmen Sie mich mit nach Hause? Ähnlich wie bei W AR GA (2004: 143) lässt sich auch für das vorliegende Korpus konstatieren: „Feststellungen [treten] aber kaum jemals ungetönt auf. Sie werden zumeist durch eine Frage modalisiert (Räumst du die Küche bitte schnell auf ? ), sodass sie letztendlich eher ein Erfragen der gewünschten Handlung als eine Feststellung darstellen.“ Auch die häufige Frage nach dem zu erwartenden Zeitpunkt der Behebung des Beschwerdegrunds zähle ich zu dieser Kategorie. (DE313) […] wann werden die Geräte endlich ausgeliefert? (IT139) […] Me li disattivate? ? ? (IT71) Quando eliminerete la tassa di rimborso sul credito residuo? Notwendigkeitsaspekt (= Lokutionsderivativ II). Die Kategorie Notwendig‐ keitsaspekt umfasst „deontische Hinweise“ (H E LD 1995: 479). B LUM -K ULKA E T AL . (1989: 279) (wieder aufgenommen von W AR GA 2004: 143) zählen sie gleich‐ falls zur Kategorie der Lokutionsderivative. 155 6.4 Vorkommen und sprachliche Realisierung einzelner moves (DE171) Base sollte dringend seine Chat-Mitarbeiter nachschulen…. […] (DE60) […] Da die Telekom keine Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen hat ist es eure Aufgabe den Mast zu beseitigen. […] (IT52) […] dovreste alzare un po’ il limite di megabyte giornalieri, […] Performativ. Forderungen mit performativem Verb (B LUM -K ULKA ET AL . 1989; H E LD 1995: 476-477; T R O S B O R G 1995; W AR GA 2004: 137-143) lassen sich in ex‐ plizite Performative („Ich bitte Sie, mir eine Nachricht zu schicken“) und in durch ein Modalverb abgetönte, sogenannte verdeckte Performative („Ich wollte/ möchte/ würde Sie bitten, mir eine Nachricht zu schicken“) unterteilen. Dabei werden verdeckte Performative in der Regel als höflicher klassifiziert, insbe‐ sondere bei einer zusätzlichen Abtönung durch den Gebrauch des Konjunktivs (W AR GA 2004: 142). Im hier vorliegenden Korpus sind aber ausschließlich ex‐ plizite Performative vertreten, im Deutschen ganz überwiegend mit bitten (auch: erwarten, auffordern), im Italienischen mit chiedere und pregare gebildet. (DE376) […] Ich bitte euch mir endlich Internet zu geben, es geht langsam nicht mehr! […] (DE398) […] Ich fordere Sie hiermit auf das vorhandene Problem zu lösen und den SMS Versand und Empfang im Ausland zu aktivieren. […] (IT83) […] vi chiedo di risolvere questo problema , […] Mood derivable. Zu den mood derivables gehören insbesondere Imperative und damit die direkteste aller Realisierungsmöglichkeiten. Sie sind im deutschen Korpus in 28,3 % aller Forderungen und im italienischen Korpus in 23,5 % aller Forderungen verbreitet - und damit im Deutschen die häufigste, im Italieni‐ schen die zweithäufigste Realisierungsform. (DE385) […] Bitte schult doch mal euer Personal besser! […] (IT227) […] Almeno assicuratevi che parlino un po’ di italiano prima di metterli a rispondere al telefono! B LUM -K ULKA E T AL . (1989: 279) zählen hierzu als funktionale Äquivalente zu Imperativen auch imperativisch gebrauchte Infinitive und elliptische Satzstruk‐ turen. Auch H E LD (1995: 476) beschreibt Fälle dieser Art („Un’altra birra! Via questo schifo! [Pour aller à] la gare svp“). Im vorliegenden Korpus finden sich u. a. die folgenden Beispiele: 156 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves (DE98) […] Bitte einmal genau erkundigen und mit Antwort melden. […] (DE92) […] Um 20 uhr geht das Internet wieder da ist Bundesliga ! ! ! Also hop. […] (IT91) […] perciò soluzioni concrete grazie B AR R ON (2012: 194) sieht in Fällen wie DE98 bitte als illocutionary force indicating device; jegliche Ambiguität hinsichtlich einer Interpretation als Forderung sei damit ausgeschlossen. Für IT91 lässt sich feststellen, dass grazie eine ganz ähn‐ liche Funktion erfüllt, denn - wie oben bereits dargelegt - der Dank bezieht sich hier auf das erhoffte Befolgen der konkreten Handlungsaufforderung. Auch in DE92 besteht kein Zweifel, dass der Mitarbeiter mit „Also hop“ dazu aufgefordert werden soll, den gewünschten Zustand bis 20 Uhr wiederherzustellen. B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987: 69, 95-98) fassen den Imperativ als „bald on record“-Strategie auf. Als angemessen wird er in Situationen beschrieben, in denen effizient zu handeln ist, wie beispielsweise in Notfällen, außerdem in Situationen, in denen die Handlung in erster Linie dem Adressaten zugute‐ kommt, der Sprecher über wesentlich mehr Macht verfügt als der Hörer oder in denen „channel noise“ vorhanden ist. Aufgrund ihrer Kürze und Direktheit er‐ scheinen Imperative auch im Kontext der vorliegenden Beschwerdeposts als passende Strategie. In rund 44 % (DE) bzw. 17 % (IT) aller Fälle wird der Imperativ durch Höflich‐ keitsmarker wie bitte bzw. per favore abgemildert, im Deutschen in 27 % der Fälle durch die Partikeln doch und/ oder mal. Daneben finden sich vereinzelt weitere Arten der Abmilderung, beispielsweise über das Verb versuchen (verbal internal mitigation, B AR R ON 2012: 205): (DE109) versucht mal dran zuarbeiten das die download-geschwindigkeit ab 20 uhr nicht immer in den keller geht. hatte das gestern auch und es dauert ca 3std. bis sie wieder aus dem keller kommt. was macht sie da solange und warum. Gerade angesichts der ansonsten sehr bildhaft-humorvoll gehaltenen Be‐ schwerde ist sehr fraglich, ob es sich hier tatsächlich um eine Abmilderung handelt - oder vielmehr um eine ironische Verstärkung. Eng verbunden ist diese Frage mit der Mehrfachadressierung der Facebook-Beschwerden (vgl. 7.6 und 8.2.1). 157 6.4 Vorkommen und sprachliche Realisierung einzelner moves Fazit Wie aus Tabelle 14 hervorgeht, ergibt sich bei der Verteilung der verschiedenen Realisierungsformen von Forderungen in Bezug auf den Grad an Direktheit/ Indirektheit kein einheitliches Bild für das deutsche und das italienische Teil‐ korpus. Der häufige Gebrauch des Imperativs als der direktesten Strategie ist angesichts des Kontextes der Beschwerden nicht überraschend. Im deutschen Teilkorpus sind Befolgungsbewertungen, insbesondere positive, aber auch sug‐ gestive, signifikant häufiger als im Italienischen. Möglicherweise lassen sie sich als Entsprechung zu dem signifikant höheren Vorkommen des (ernst gemeinten) Dank-Move am Ende der Beschwerdeposts im italienischen Teilkorpus (vgl. 6.4.2) sehen. Im Italienischen sind auch Willensausdrücke weit verbreitet, die ich zwar als direkt interpretiere, die aber aufgrund der großen Spannbreite möglicher lexikalischer Realisierungen stilistisch sehr uneinheitlich sind (vgl. ich hoffe vs. ich erwarte). 6.5 Beispiele: Zusammenwirken der moves Wie L O CHE R (2006: 69/ 215) zu Recht anmerkt, kann nur das Zusammenspiel der einzelnen moves innerhalb eines Textes zum Verständnis jedes einzelnen move beitragen. Hierzu sollen zwei Beispiele dienen. DE180 enthält auf der ersten Ebene eine Anrede. Auf der zweiten Ebene ist gut zu erkennen, wie Kontext und Beschwerdegrund zusammenspielen. Im ersten Kontext-Move verortet der Schreiber seine Beschwerde, indem er die Art seines Vertrags und seinen Auslandsaufenthalt als spezielle Umstände nennt. Die Überleitung zum eigentlichen Beschwerdegrund bildet der Hinweis, er habe sich auf das Unternehmen verlassen. Es folgt der eigentliche Beschwerdegrund: Er könne weder im Internet surfen noch telefonieren. Darauf folgt wiederum eine Präzisierung des Kontextes: In dieser macht der Beschwerdeführer deutlich, welche möglichen Ursachen für das Problem auszuschließen sind - und weist den Mitarbeiter damit bereits darauf hin, welche möglichen Antworten nicht zielführend wären. Den Abschluss bildet die eigentliche Forderung. 158 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves Anrede Hallo Base Team, Kontext Ich habe letzten Monat bei Ihnen meine EU-Flat aktiviert und auch die Auslandssperre entfernen lassen, da ich jetzt für 3 Monate im Ausland bin. Also habe ich mich auf Sie verlassen Beschwerde‐ grund und nun sitze ich seit einer Woche in Polen hab kein Internet und telefonieren kann ich auch nicht da kommt immer die Meldung „Nicht im Netz registriert“ Kontext Ich habe Empfang, mein Datenroaming ist aktiviert und die APN Einstellungen habe ich auch nach Ihre Anleitung durchgeführt. Forderung Deshalb bräuchte ich bitte dringends Hilfe was ich machen muss! ! ! ! (DE180) Anrede Cari amici di wind, Buffer da cliente affezionato Enttäuschung devo esprimere la mia insoddisfazione Beschwerde‐ grund x il trattamento ricevuto. È mai possibile che per un reclamo su una fattura è passato quasi un mese e non sapete dirmi ancora nulla? Ho il sospetto che tutte le volte fate scadere il rid incassate e poi…semmai… con calma rimborserete. Negativwer‐ tung Trovo questo veramente inaccettabile Drohung e sto seriamente pensando di cambiare compagnia. Enttäuschung — enttäuscht. (IT276) IT276 beginnt mit der Anrede und einem Buffer, nämlich einem Kompliment: Der Beschwerdeführer bezeichnet sich als „cliente affezionato“. Im nächsten move bringt er seine Enttäuschung zum Ausdruck. Anschließend folgt der ei‐ gentliche Beschwerdegrund; eine weitere Steigerung stellt die Negativwertung des Geschilderten dar („inaccettabile“); schließlich folgt die Drohung, den An‐ bieter zu wechseln und abschließend der mit einem Emoji symbolisierte Aus‐ druck der eigenen Enttäuschung. 159 6.5 Beispiele: Zusammenwirken der moves 67 M E I N L (2010: 83) bringt die in ihrem Korpus enthaltenen moves in die folgende Reihen‐ folge: 1. Expression of disappointment, 2. Expression of anger or annoyance, 3. Explicit complaint, 4. Negative judgement, 5. Drawing one’s own conclusion, 6. Warning others, 7. Threat, 8. Insult. 6.6 Direktheitsgrad der Beschwerde als Ganzes Abschließend soll jeder Beschwerde ein Direktheitsgrad zugeordnet werden, ba‐ sierend auf dem Modell von H O U S E / K A S P E R (1981), das u. a. auch von O L S H‐ TAIN / W EINBACH (1987, 1993), T R O S B O R G (1995), H AR T F O R D / M AHB OO B (2004), H E N R Y / H O (2010) und M EINL (2010) herangezogen und teils adaptiert wurde (vgl. 3.3). Der Direktheitsgrad einer einzelnen Beschwerde wird im Folgenden an dem in ihr enthaltenen move festgemacht, der den höchsten Wert auf dieser Skala erreicht. Direkt‐ heitsgrad move Dt. Korpus Ital. Korpus Anzahl Posts Anteil Anzahl Posts Anteil 1 Enttäuschung 0 0 % 1 0,3 % 2 Verärgerung 0 0 % 3 0,75 % 3 Beschwerdegrund 107 26,75 % 88 22 % 4 Frage zur Lösung 14 3,5 % 21 5,25 % 5 Forderung 68 17 % 75 18,75 % 6 Negative Bewer‐ tung 101 25,25 % 112 28 % 7 Drohung 74 18,5 % 73 18,25 % 8 Eigene Konse‐ quenz 23 5,75 % 7 1,8 % 9 Warnung anderer 13 3,3 % 20 5 % SUMME 400 400 Tabelle 15: In den Posts enthaltene moves mit dem höchsten Direktheitsgrad Ähnlich wie auch M E INL (2010: 83) ordne ich zur Bestimmung des Direktheits‐ grads die moves, die die Beschwerde i. e. S. bilden, nach aufsteigendem Direkt‐ heitsgrad an, 67 wie in Tabelle 15 aufgeführt: Mit den Strategien 1 und 2 bringen die Beschwerdeführer ihre eigenen negativen Gefühle - Enttäuschung bzw. Ver‐ 160 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves ärgerung - zum Ausdruck. In Strategie 3 wird der Beschwerdegrund explizit ge‐ nannt, in Strategie 4 die daraus resultierende Frage zur Lösung bzw. in Strategie 5 eine explizit ausformulierte Forderung. Als Strategie 6 schließt sich eine ne‐ gative Bewertung an. In Strategie 7 droht der Kunde mit weiteren Schritten - z. B. mit der Kündigung des Vertrags oder dem Einschalten eines Anwalts. Damit erhöht er den Druck und somit den face-threat gegenüber dem Unternehmen. In Strategie 8 hat der Kunde seine Konsequenzen dagegen bereits gezogen - in den meisten Fällen die Kündigung des Vertrags. Das Unternehmen hat keine Chance mehr, den Schaden wiedergutzumachen; es erleidet unabwendbar einen finanziellen Verlust, und andere Kunden schreckt das negative Beispiel ab. In Strategie 9 schließlich warnt der Kunde zusätzlich andere Kunden direkt vor dem Unternehmen oder nimmt auf andere Weise Kontakt zu ihnen auf; so droht dem Unternehmen ein weiterer finanzieller Schaden und eine Imageeinbuße - mithin ein deutlicher Face-Verlust. Die letzten vier Spalten zeigen die jeweilige Anzahl bzw. den prozentualen Anteil an Beschwerden, die einen bestimmten move als move mit dem höchsten Direktheitsgrad enthalten. Für das vorliegende Korpus lässt sich feststellen, dass der größte Teil der Beschwerden einen hohen Direktheitsgrad aufweist, indem der Beschwerdegrund, aber auch eine Forderung, eine negative Bewertung oder Drohung zum Ausdruck gebracht wird. Dagegen finden sich nur wenige Be‐ schwerden mit einem geringeren Direktheitsgrad, wenn beispielsweise als move mit dem höchsten Direktheitsgrad nur Enttäuschung oder Verärgerung ausge‐ sprochen wird (vgl. 6.3.3). Im Durchschnitt ist der Direktheitsgrad deutschspra‐ chiger und italienischsprachiger Beschwerden nahezu identisch: Er liegt bei 5,36 bzw. 5,37. Die Frage des Zusammenhangs zwischen Direktheit und (im)polite‐ ness soll in der abschließenden Diskussion vor den Höflichkeitsmodellen auf‐ gegriffen werden (vgl. 9.2). 6.7 Zusammenfassung und Diskussion Wie bereits in den statistischen Eckdaten des Korpus gezeigt wurde (vgl. 5.2), umfassen die deutschsprachigen Beschwerden durchschnittlich 81,75 Wörter, die italienischsprachigen durchschnittlich 58,43 Wörter. Dieser Unterschied ist insbesondere auf die ausführlichere Schilderung von Kontext und Beschwerde‐ grund im deutschen Korpus zurückzuführen. Wie die Analyse der Move-Struktur gezeigt hat, lassen sich insgesamt 13 moves als typisch für das genre der Facebook-Kundenbeschwerde identifi‐ zieren: Briefrahmen (Anrede, abschließende Grußformel, Unterschrift, PS), Meta‐ 161 6.7 Zusammenfassung und Diskussion 68 T A R D Y / S W A L E S (2014: 175-183) nennen beispielsweise auch biografische Angaben in wissenschaftlichen Zeitschriften als Beispiel für ein relativ homogenes genre; auch hier scheint die deutlich beschränkte Zeichenlänge eine große Rolle zu spielen. kommentar, Buffer (Entschuldigung, Dank, Kompliment/ Positives), Kontext, Ent‐ täuschung, Verärgerung, Beschwerdegrund, Frage zur Lösung, Forderung, negative Bewertung, Drohung, eigene Konsequenz, Warnung anderer. Als obligatorischer, also in (weit) über 50 % aller Posts vertretener move kann dabei allerdings nur der Beschwerdegrund angesehen werden. Durchschnittlich enthalten die Posts - abzüglich des möglichen Briefrahmens und möglicher Metakommentare - etwas mehr (DE) bzw. etwas weniger (IT) als drei verschiedenes moves. Die Rei‐ henfolge der einzelnen moves in den Beschwerdeposts variiert stark, tendenziell neigen die Beschwerden aber dem direct organizational pattern (P AR K E T AL . 1998) zu, bei dem zunächst das Problem benannt wird und sich Hintergrunderläuterungen anschließen. Ansonsten ist die Variation hoch: Während Unter‐ nehmensantworten auf Kundenbeschwerden an den Skripten und Vorgaben des Unternehmens ausgerichtet sind (vgl. 4.7), folgen die Kundenbeschwerden in weit geringerem Maße einem allgemeingültigen Muster. Ihr Direktheitsgrad ist als durchgängig hoch einzustufen. Wie bereits M E INL (2010: 214) feststellt, sind Ergebnisse verschiedener Stu‐ dien zu Beschwerdekommunikation nur schwer miteinander vergleichbar. So weichen die auf elizitierten Daten basierenden Arbeiten (vgl. 3.3.1) in ihrer Me‐ thodik (einbezogene Personengruppen, Art der Datenerhebung, Situationsbe‐ schreibungen zum Elizitieren der Daten und ihr jeweiliger Kontext etc.) stark von Arbeiten ab, die sich mit authentischen Kundenbeschwerden beschäftigen. Authentische Kundenbeschwerden wiederum sind stark von dem jeweiligen Kontext geprägt, in dem sie sich verorten. So weist die Move-Struktur der vor‐ liegenden Beschwerden viele Ähnlichkeiten zu M E INL S (2010) Korpus aus eBay-Beschwerden auf. Allerdings erwarten die eBay-Nutzer auf ihre Be‐ schwerden in der Regel keine Antwort des Verkäufers mehr; sie enthalten weit weniger Forderungen als im vorliegenden Korpus, dagegen in weit höherem Maße den move Warnung anderer. Während M E INL (2010: 216-217) deutlich prototypische Formulierungen so‐ wohl im deutschwie auch im englischsprachigen eBay-Feedbackforum aus‐ machen kann, sind die Beschwerden im vorliegenden Korpus sprachlich hete‐ rogener: Der Länge des Posts (vgl. 5.2) und der Zahl der dialogischen Turns sind praktisch keine Grenzen gesetzt; dies führt dazu, dass die Länge der Posts stark variiert. 68 In selteneren Fällen kommt es im vorliegenden Korpus auch vor, dass die Teilnehmer nicht in ihrem ersten Post „sofort zum Punkt kommen“, wie M E INL (2010: 217) es für eBay-Beschwerden konstatiert, sondern zunächst bei‐ 162 6 Der Aufbau der Beschwerdeposts: moves spielsweise nur ihre negativen Gefühle zum Ausdruck bringen. In ihrer Kom‐ plexität sind die Beschwerden daher eher mit denen bei D AYT E R / R ÜDIG E R (2014) und V ÁS Q U EZ (2011, 2013, 2014a, b) vergleichbar als mit M E INL (2010) und lassen entsprechend auch mehr moves als die von Meinl erkennen. Im Vergleich zu den von N K EML E K E (2004) oder A L -M OMANI (2014) untersuchten studentischen Be‐ schwerdebriefen und erst recht den von S AO R Í N I B O R RA (2004) und C O R TÉ S D E LO S R Í O S (2010) analysierten Beschwerden in Geschäftsbriefen handelt es sich bei der für die vorliegende Studie gewählten Art von Beschwerden - bis auf wenige Ausnahmen - um weit weniger formale Schreiben. Einige metakommunikative Äußerungen der Kunden, die sich auf die in den Abschnitten 6 und 7 untersuchten Merkmale beziehen, werden in 7.7 vorgestellt. 163 6.7 Zusammenfassung und Diskussion 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders 7.1 Einleitung Als ein zentraler Untersuchungsgegenstand bisheriger Studien zur (im)polite‐ ness von Beschwerden und anderen Sprechakten sollen im Folgenden der Mo‐ difikation dienende sprachliche Mittel analysiert werden. Über Modifikatoren kann bei einem gleichbleibenden Grad an Direktheit ein unterschiedlicher Grad an (im)politeness realisiert werden (T R O S B O R G 1995: 327-329). F R ANK (2011: 49) trägt die in verschiedenen Arbeiten verbreiteten Bezeichnungen zusammen, wie beispielsweise softeners/ hardeners, mitigators/ aggravators, downgraders/ upgra‐ ders, Minimalisierung/ Maximalisierung. Im Rahmen dieser Arbeit soll in Anleh‐ nung an H O U S E / K A S P E R (1981), B LUM -K ULKA E T AL . (1989) und T R O S B O R G (1995) von upgraders und downgraders die Rede sein. Außerdem folge ich der Unter‐ scheidung B LUM -K ULKA S E T AL . (1989) in interne und externe Modifikation, wie sie in 3.3.1 (Fußnote 17) erläutert wurde. Unter Rückgriff auf die Kategorisierungen in den in 3.3 genannten For‐ schungsarbeiten und aus dem Datenmaterial heraus haben sich die in den fol‐ genden Abschnitten genannten Modifikatoren als relevant erwiesen. Aufgrund der stark divergierenden Länge der Beschwerden im vorliegenden Korpus werden für eine Reihe von Modifikatoren jeweils zwei Arten von Zahlen ange‐ führt (vgl. Tabelle 18-21): • das absolute Vorkommen an Fällen • das absolute Vorkommen an Fällen, auf 1000 Wörter berechnet • die absolute Zahl an Posts mit mindestens einmaligem Auftreten • der prozentuale Anteil von Posts mit mindestens einmaligem Auftreten an allen (400) Posts Vorweggenommen sei, dass die Auswahl und Häufigkeit von Intensivierungs‐ mitteln dabei zwar einen Hinweis auf den vom Beschwerdeführer empfundenen Grad an Emotionalität geben kann. Ihre Wirkung auf den Leser lässt sich aber nur bedingt antizipieren, weil diese auch von anderen Faktoren abhängt, „wie z. B. der Semantik des intensivierten sprachlichen Zeichens, dem Grad der Le‐ xikalisierung bzw. der Häufigkeit des Gebrauchs oder bei Wiederholungsver‐ fahren und Satzzeichen von der Häufigkeit der Wiederholung“ (F RANZ 2011: 334). 7.2 Strategien des Verstärkens - externe Modifikation: supportive moves Im Rahmen dieser Arbeit werden unter supportive moves Mittel der externen Modifikation verstanden, mit denen der Sprecher seine Beschwerde zusätzlich legitimiert. T R O S B O R G (1995: 329-330) unterscheidet in ihrer Studie zu Be‐ schwerden dabei drei Kategorien: The categories of supportive moves obtained in the data function at the structural level of discourse (preparators), at the interpersonal level (disarmers), as well as at the content level. They are to be seen, either in relation to the complainee, who must be proved guilty, or in relation to the complainable, which must be substantiated. (Hervorhe‐ bungen M. K.) Die Kategorie der preparators („Listen, Lene, there is something I want to talk to you about, you remember our agreement, don’t you? “, T R O S B O R G 1995: 330) spielt im hier vorliegenden Korpus keine Rolle. Die Kategorie der disarmers („Look, I don’t want to be horrible about it“, T R O S B O R G 1995: 330) lässt sich am ehesten mit dem - ebenfalls vergleichsweise wenig repräsentierten - move Buffer identifizieren (vgl. 6.4.2). Eine große Rolle spielen dagegen im vorlie‐ genden Korpus supportive moves auf inhaltlicher Ebene. Trosborg unterscheidet in ihrem Datenmaterial insgesamt neun Arten: zum einen Providing evidence und zum anderen Substantiation mit den Unterkategorien 1. Aggravating the offence, 2. Repeated action, 3. Lack of consideration, 4. No excuse, 5. A general nuisance, 6. A breach of contract or promise, 7. Deceived expectations, 8. Appeal to the complainee’s moral consciousness. Für das vorliegende Korpus lassen sich sieben verschiedene supportive moves identifizieren, mit denen die Schreiber ihre Beschwerde argumentativ unter‐ mauern; sie finden sich in den moves Beschwerdegrund und Kontext. Tabelle 16 zeigt die Häufigkeit ihres Auftretens im Korpus. 166 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders Posts mit mind. 1 Fall Dt. Korpus Ital. Korpus abs. Anzahl Anteil abs. Anzahl Anteil Beweis 26 6,5 % 32 8 % Rolle als Kunde 82** 21,5 % 50** 12,5 % Negative Konsequenzen 27 6,75 % 22 5,5 % Unterstellung von Vorsatz 39 9,75 % 57 14,25 % Wiederholung 141 35,25 % 152 38 % Zeitangabe 214 53,5 % 194 48,5 % Solidaritätsbekundungen 20* 7,25 % 9* 2,5 % SUMME 307 76,75 % 304 76 % Tabelle 16: Supportive moves (Signifikanz: **p<0,01, *p<0,05) 307 Posts im deutschen Korpus (= 76,75 %) bzw. 304 Posts im italienischen Korpus (= 76 %) enthalten mindestens einen supportive move. 7.2.1 Beweise T R O S B O R G (1995: 330-331) beschreibt und illustriert den von ihr identifizierten supportive move „providing evidence“ wie folgt: A complainer must prove that A did P (P is bad). He/ she must be able to show that the complainee has in fact performed (or failed to perform) the deplorable action. A claims to have kept his promise of handing in C’s term paper and persists that the paper he still has in his bag is only a copy. C provides evidence to the contrary: […] It’s not a copy. Look, I signed it, the signature is in ink, see. If a complainee cannot be proven guilty, the complainee him/ herself is guilty of having accused someone unjustly. Unter „Beweismitteln“ werden im Kontext der vorliegenden Studie v. a. Fotos, Links, Screenshots oder vorangegangene Antworten des Unternehmens ver‐ standen, die ein Beschwerdeführer zusätzlich zur verbalen Schilderung seines 167 7.2 Strategien des Verstärkens - externe Modifikation: supportive moves 69 Sehr selten kommt es vor, dass Nutzer lediglich das „Beweismittel“ posten, ohne eine eigene Nachricht hierzu zu verfassen; auch solche Fälle wurden berücksichtigt. So postet der Schreiber in DE263 lediglich den Link zu einem Beschwerdebericht, den ein anderer Schreiber auf der Plattform www.medium.com gepostet hatte - und erklärt sich auf diese Weise solidarisch mit diesem. Beschwerdegrunds postet, um seine Beschwerde zu untermauern. 69 Einige Bei‐ spiele hierfür: (DE114) […] Anschluss soll angeblich wieder funktionieren. Aber seht selbst… (DE212) […] Warteschleife Läuft bei euch! (IT121) Cara Tim ma un po’ di vergogna c’è l’a‐ vete? Io pago 7 MB e guarda qua, il risul‐ tato si commenta da solo! (IT245) perché si attiva sempre qualcosa? e m ritrovo con soldi in meno? 168 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders 70 Dies habe ich zum einen selbst überprüft. Zum anderen finden sich - selten - Reflexe auch in den Posts selbst, z. B. in dem folgenden Beispiel DE34. Der Kunde in DE114 veröffentlicht als Beweis für das Nichtfunktionieren seines Anschlusses einen Screenshot, auf dem die unterbrochene Verbindung ange‐ zeigt wird. Das Telefondisplay in DE212 illustriert mit seiner Anzeige „56 [Mi‐ nuten] 15 [Sekunden]“ im Zusammenspiel mit dem Text „Warteschleife Läuft bei euch! “ die langen Wartezeiten an der Kundenhotline. Mit einer SMS des Telekommunikationsanbieters („ProntoATavola abonnamento attivato. […] Costo 5.08 E i. i./ sett. […]“) veranschaulicht das Display in IT245, wie sich eine unerwünschte App kostenpflichtig installiert hat. In anderen Posts finden sich Bilder von Telefondisplays beispielsweise zur Illustration von fehlendem Tele‐ fonempfang oder häufigen Werbeanrufen. Ein beliebtes „Beweismittel“ ist auch der sogenannte „Speedtest“, mit dem online die Internetgeschwindigkeit ge‐ messen werden kann; in IT121 vergleicht der Schreiber das Ergebnis des Speed‐ tests mit der Geschwindigkeit, auf die er eigentlich Anspruch hätte, nämlich 7 MB/ Sekunde. Auf den Beweis verweist er in seinem Text ganz explizit („e guarda qua“), ebenso wie der Schreiber in DE114 („Aber seht selbst…“). Allerdings ließen zum Zeitpunkt der Datenerhebung nur drei der deutschen und zwei der italienischen Facebook-Fanseiten das Posten von Anhängen wie Fotos, Screenshots oder Links überhaupt zu. 70 Gezählt wurden aber auch verbale Hinweise darauf, dass Beweise vorliegen, z. B. Mitschnitte von Telefonaten (DE384), Links (DE34) oder Nachrichten (IT248). (DE384) […] Doch 10 Minuten später bekam ich eine e-Mail in der mir zu meinen neuen Vertrag von 24 Monaten gratuliert wurde. Im Gespräch ging es nur um den Router ! ! ! ! ! ! Ich habe es mitgeschnitten ! ! ! Um nichts anderes. Was für eine Masche fahrt Ihr denn? (DE34) […] Wozu vergibt Man Termine die nicht gehalten werden? Da ich hier leider kein Link posten kann, nochmals die info das dieser von Samstag gegen 8: 00 war. […] (IT248) […] P.S HO TUTTI I MESSAGGI CON GLI SBAGLI DEGLI OPERATORI ! Im weiteren Sinne sind auch Solidaritätsbekundungen gegenüber anderen Kunden, die ein ähnliches Problem haben, zu dieser Art von „Beweismitteln“ zu zählen. Diese werden hier aber in einer gesonderten Kategorie zusammengefasst und besprochen (vgl. 7.2.7). 169 7.2 Strategien des Verstärkens - externe Modifikation: supportive moves 7.2.2 Rolle als Kunde Einer Kundenbeschwerde liegt in den meisten Fällen eine vom Kunden als un‐ zureichend empfundene Leistung des Unternehmens zugrunde. Basis für die zu erwartende Leistung ist der Vertrag, den der Kunde mit dem Unternehmen ge‐ schlossen hat. Zu den häufigsten supportive moves zählt der explizite Hinweis auf dieses Vertragsverhältnis. Dabei heben die Schreiber drei Aspekte besonders hervor, deren Vorkommen in Tabelle 17 zusammenfassend dargestellt wird. Posts mit mind. 1 Fall Dt. Korpus Ital. Korpus abs. Anzahl Anteil abs. Anzahl Anteil a) lange Vertragsdauer 52** 13 % 27** 6,75 % b) hohe, regelmäßige Geldzahlungen 28 7 % 23 5,75 % c) Art/ Zahl der Verträge 15* 3,75 % 5* 1,25 % SUMME 82** 20,5 % 50** 12,5 % Tabelle 17: Illustration der Kundenrolle in den Posts (Signifikanz: **p<0,01, *p<0,05) a) lange Laufzeit des eigenen Vertrags Die Kunden verweisen in ihren Posts häufig auf ihre Rolle als langjährige, treue Kunden des Unternehmens. Dabei geben sie teils die exakte Dauer ihres Ver‐ tragsverhältnisses an (DE145, IT316), teilweise bleiben sie vager (DE227, IT214). (DE145) […] ich habe seit fast 10 Jahren einen Handy-Vertrag bei Euch laufen. Bin also ein treuer Kunde. […] (DE227) […] Als langjährige Kundin bin ich wirklich schwer enttäuscht, […] (IT214) ho un altro numero vodafone e sono cliente da tanti anni. (IT316) oggi dopo 10 anni cambierò operatore di telefonia! Im deutschen Korpus geht die Positionierung als langjähriger Kunde in einer Reihe von Fällen auch mit Buffering (vgl. 6.4.2) einher, wenn Kunden schreiben, sie seien seit vielen Jahren zufriedene Kunden des Unternehmens. 170 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders (DE20) […] wir sind schon viele Jahre Kunde bei Ihnen und waren immer zu‐ frieden. […] (DE386) […] Ich bin seit über 10 Jahren Kunde bei E-Plus bzw. Base und bisher trotz des sehr hohen Tarifs Kunde geblieben, da ich mit Ihrer Leitung zufrieden war. […] b) pünktliche, regelmäßige, hohe Geldzahlungen Zum anderen heben die Nutzer ihre pünktlichen, regelmäßigen und hohen Geldzahlungen als Kunden hervor: (DE81) […] Zahle jeden Monat 100 Euro , ich frag mich wofür . ! ! (DE167) […] und habe immer alle Rechnungen bezahlt und nie Stress gemacht (und es waren teilweise berufsbedingt echt sehr hohe Rechnungen), […] (IT322) […] come non mi sembra giusto pagare quasi 40€ al mese per una con‐ nessione del genere. […] In IT307 hebt der Schreiber zusätzlich hervor, dass das eigene Geld hart erar‐ beitet wurde: (IT307) […] io lo stipendio lo sudo non mi regala niente nessuno e soprattutto a mia insaputa! c) Art/ Zahl der Verträge Eng damit verbunden ist auch die Nennung der spezifischen Eigenschaften des jeweiligen Vertrags - z. B. als Geschäftskunde - oder der Zahl der Verträge/ Anschlüsse. Gezählt wurde dieses Vorkommen nur, wenn durch die Nennung tatsächlich der eigene Status als besonders wichtiger Kunde betont werden sollte, nicht wenn Informationen zu Verträgen gegeben wurden, weil für das Ver‐ ständnis der Beschwerde unabdingbar. (DE47) […] Seit über einer Woche(27.09.2015) als Geschäftskunde in einer Dauer‐ schleife gefangen! […] (DE112) Liebes Vodafone-Team: ich werde mit 3 -monatiger Frist zu den entsprech‐ enden Terminen alle meine Verträge bei Ihnen kündigen - 1 Festnetz- und 2 Mobilfunkverträge, auch wenn sie als Unternehmen diese Summe nicht treffen wird. (IT191) […] fra telefono fisso,adsl e 2 cellulari vi pago la bellazza di 70 euro al mese 171 7.2 Strategien des Verstärkens - externe Modifikation: supportive moves (IT232) […] Questo il motivo per cui dopo anni in Vodafone, con ricariche costanti su più di una sim della vostra compagnia, vi saluto, con rammarico e rabbia. Indem sie ihre Rolle als langjährige, pünktlich zahlende Kunden hervorheben, nehmen die Beschwerdeführer auf den zugrunde liegenden Vertrag Bezug (vgl. 4.5, S9) und verweisen so auf die Verpflichtung des Unternehmens, die bezahlte Serviceleistung zu erbringen. 7.2.3 Persönliche negative Konsequenzen Des Weiteren schildern die Beschwerdeführer im vorliegenden Korpus, aus welchen Gründen sie auf die funktionierende Dienstleistung angewiesen sind, oder beschreiben die (möglichen) negativen Konsequenzen aus dem mangel‐ haften Service. T R O S B O R G (1995: 317) ordnet Äußerungen dieser Art in die Ka‐ tegorie „ill consequences“ ein: „The utterance may also express the ill conse‐ quences resulting from an offence for which the complainee is held implicitly responsible“ (T R O S B O R G 1995: 316). Als supportive move habe ich diese Passagen dann gewertet, wenn sie über die reine Feststellung des Beschwerdegrunds (z. B. der Internet- oder Telefon‐ anschluss funktioniere nicht) hinausgehend persönliche Konsequenzen be‐ nennen. Am häufigsten betreffen diese die Berufstätigkeit des Schreibers: (DE61) […] Mittlerweile ist es schon geschäftsschädigend, da weder Anrufe noch Faxe oder Emails empfangen werden können. Wir erhalten Bestellungen, die auch ausgedruckt werden müssen, was zur Zeit nicht möglich ist, da wir sie weder empfangen noch ausdrucken können. […] (DE78) […] Störung wurde gemeldet, Dringlichkeit wurde auch mitgeteilt da viele dienstliche Gespräche über den Anschluss laufen. […] (IT233) […] 3 giorni di disagi internet telefono e pos… ( danni economici) […] (IT166) […] Ieri mattina ho fatto la ricarica di 10 euro, come tutti gli altri mesi, e ieri sera dovevo fare delle telefonate inerenti al mio lavoro. Non è stato possibile perché il mio credito era insufficiente per una manciata di cen‐ tesimi. […] Dabei wird der berufliche Kontext teils explizit genannt („geschäftsschädigend“, „fare delle telefonate inerenti al mio lavoro“). Teils bleibt er implizit, beispiels‐ 172 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders 71 Die Unterscheidung in explizite/ implizite bzw. bewusst/ unbewusst zum Ausdruck ge‐ brachte Kategorien findet sich auch in anderen Studien, insbesondere im Zusammen‐ hang mit Fragen der Identitätskonstruktion: V Á S Q U E Z (2014a: 66) nennt das Beispiel, dass ein Rezensent über koscheres Essen schreibt und sich damit implizit als Jude zu erkennen gibt. B O L A N D E R / L O C H E R (2010: 167) führen Beispiele aus Status-Updates auf Facebook auf, in denen Schreiber über Schlüsselwörter wie „boss“ oder „university“ zu erkennen geben, dass sie Angestellte bzw. Studierende sind. weise wenn ein Beschwerdeführer schildert, dass er finanzielle Verluste erlitten hat („danni economici“). 71 Außerhalb der eigenen Berufstätigkeit sind negative Konsequenzen mit den verschiedensten persönlichen Lebensumständen verbunden. So illustrieren die folgenden Auszüge beispielsweise, dass die Kunden (und/ oder andere Nutzer des Anschlusses) ein Fußballspiel sehen wollen, für eine Hausarbeit recher‐ chieren müssen oder aus gesundheitlichen Gründen auf den Telefonanschluss angewiesen sind. Gleichzeitig präsentieren sie sich (oder andere Nutzer des An‐ schlusses) auf diese Weise, wiederum explizit oder implizit, als Fußballfan, Stu‐ denten, fürsorgliche Verwandte etc. (DE153) […] Um 20 uhr geht das Internet wieder da ist Bundesliga ! ! ! Also hop. […] (DE21) […] Am WE steht eine wichtige Hausarbeit bei meinem Freund an und ohne Internet geht das alles schlecht… (DE99) […] Mein Schwiegervater (85 Jahre und 100 % Schwerbehindert) […] ist auf das Telefon angewiesen, da er sehr oft Arzttermine vereinbaren muss… Nicht auszudenken, was passiert, wenn er mal schnell Hilfe be‐ nötigt und niemanden rufen kann… […] (DE293) […] Ist ja ja nicht so das man heut zutage das Inet und Telefon nicht brauch aber ich habe 7 Kinder im Teeni alter die mir aufs Dach steigen wenn das Wlan nicht funzt und man jeden Monat nicht gerade wenig Geld bezahlt ! Also macht was dran ! ! (IT132) […] Sono una disabile senza la possibilità di poter utilizzare, per tutta la vita, tra le altre cose, gli arti, sia inferiori che superiori. Vivo con una pensione di poco più di 270 euro. Mi serve internet per comunicare con mia mamma… e sono indignata Interessant sind viele Beispiele dieser Art auch im Hinblick auf die Strategien der Selbstdarstellung, die sich darin ausdrücken (vgl. 8.2.1). 173 7.2 Strategien des Verstärkens - externe Modifikation: supportive moves 7.2.4 Unterstellung von Vorsatz Ein wiederkehrender supportive move ist zudem, nicht nur die Verantwortung für den Beschwerdegrund beim Unternehmen zu sehen, sondern dem Unter‐ nehmen zusätzlich Vorsatz, Absicht, eine Lüge o. Ä. zu unterstellen. Formal wird die Unterstellung sehr unterschiedlich realisiert, beispielsweise über Lexeme wie Betrug, lügen, für dumm verkaufen, truffo, truffatore, furto, rubare, prendere in giro oder fraudolento. (DE143) […] Es wurde ausgenutzt, dass mein Freund noch nicht gut deutsch spricht und sich der Shop daraus einen Vorteil verschafft hat. […] (DE67) […] Also, mit „Treue-“Kundenservice bzw. langfristiger Kundenbindung über Vertragsende hinaus hat das nichts mehr zu tun, wenn man seine Bestandskunden so veräppeln will. Das Verhalten stimmt mich schon etwas enttäuscht… (IT68) […] vi ho chiesto cortesemente di essere rimborsato in qualche modo perché voi ben sapete di queste truffe, […] (IT154) […] Io temo non sia un caso…. […] (IT241) […] Il messaggio che scrivete (e mandate anche per email dopol’attiva‐ zione) è falso! […] 7.2.5 Wiederholung des Beschwerdegrunds oder der Beschwerde T R O S B O R G (1995: 331) setzt in ihrer Untersuchung zudem einen supportive move „Repeated action“ an: If an offence is committed over and over again, the severity is thereby increased. Consider the following examples: […] I mean, it is not the first time, is it? […] I mean, this is the fourth time In der Argumentation der Beschwerdeführer im vorliegenden Korpus spielen Wiederholungen dieser Art eine große Rolle. Dabei kann es um den wiederholt auftretenden Beschwerdegrund gehen: (DE203) Och nöö jetzt funktioniert euer Netz schon wieder nicht in 74889. […] (DE102) […] Ist leider schon das zweite mal in 3 Monaten. […] (IT291) […] Di nuovo senza linea ultimamente succede spesso […] 174 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders Aber auch die Beschwerde selbst kann zum wiederholten Male an das Unter‐ nehmen herangetragen worden sein: (DE398) […] Diese Geschichte habe ich jetzt zum gefühlten 100 Mal an Sie wei‐ tergegeben doch wie immer passiert nichts. […] (IT138) […] mi avete creato una marea di problemi fin dall’inizio e non mi avete MAI risposto a tutti fax inviati e non vi siete mai scusati. […] Da beide Fälle eng zusammenhängen (schließlich sind auch Beschwerden, auf die nicht reagiert wurde, erneut ein Beschwerdegrund), fließen sie in dieser Kategorie zusammen. Verbunden damit ist oft auch der explizite Hinweis der Schreiber, dass sie für ihre Beschwerde bereits mehrere Kommunikationsarten gewählt/ erprobt haben, z. B. Anrufe, eine private Nachricht auf Facebook, einen Post im Forum, ein Fax oder eine postalische Nachricht: (DE329) […] Ich kann euch nicht anrufen, nicht mit euch Chatten, ein O2 Shop kann mir auch nicht helfen, die Nachricht hier bei Facebook wird auch nicht beantwortet. […] (DE77) Rückruf zur Störung versprochen und nicht erhalten. Kontaktformular ausgefüllt und auch keine Reaktion. Techniker Termin vereinbart, wer nicht kam war der Techniker. […] (IT331) Sono due giorni che cerco di contattarvi ma senza riuscirvi. Chiamo il Vs. Numero Verde e mi dice che è inattivo, chiamo il servizio clienti e mi dice che non riconosce il mio codice cliente. […] (IT363) Risultate online ma mica rispondete. Né ai post in bacheca né ai messaggi privati. Social care? Ma per favore. 7.2.6 Zeitangabe zum Auftreten des Beschwerdegrunds Besonders häufig tritt in den untersuchten Beschwerdeposts eine Zeitangabe auf, wie sie beispielsweise auch bei der automatischen Klassifizierung von E-Mails als Beschwerden bereits als relevantes Merkmal identifiziert wurden (vgl. die Ausführungen zu C OU S S EME NT / V AN D EN P O E L 2008 in 3.3.4). Zeitan‐ gaben wurden auch in anderen Genre-analytischen Arbeiten als Mittel zur Her‐ vorhebung bestimmter Informationen herausgearbeitet (vgl. T AR DY / S WAL E S 2014: 177 zu biografischen Angaben). Für Beschwerden untersucht M EINL (2010: 87) in ihrem Korpus den Zeitbezug (time reference) als ein Mittel der In‐ tensivierung, das sie wie folgt beschreibt: 175 7.2 Strategien des Verstärkens - externe Modifikation: supportive moves 72 Die Wahrscheinlichkeit einer Intensivierung über einen Zeitbezug oder den Hinweis auf eine Wiederholung (vgl. 7.2.5) hängt natürlich auch von der Art der Beschwerde ab: So tritt in M E I N L S (2010: 219) Studie ein Zeitbezug beim Beschwerdegrund „Ware nicht angekommen“ erwartungsgemäß häufiger auf als beim Beschwerdegrund „Ware an‐ ders“. A ,time reference‘ is employed to stress the length of time a complainer has been waiting for the addressee to abolish the complainable or provide some sort of repair, and thus to emphasise the negative consequences of the state of affairs a complainer has had to bear. Specifically, the complainer either states the exact date s/ he ordered or paid for the item, or s/ he makes the period of time s/ he has been waiting explicit. In der Regel handelt es sich um Zeitangaben, die das lange Andauern eines Be‐ schwerdegrunds thematisieren. 72 Dabei tritt in längeren Beiträgen teilweise eine hohe Dichte an Zeitbezügen auf. (DE40) Wir haben seit Donnerstag letzter Woche in 47228 kein Telefon und kein Internet. […] (IT213) […] vi faccio una segnalazione alle 10, mi rispondente alle 12.48 che mi ricontattate al più breve e mi chiamate al cellulare dopo 4 ore per sentirmi solamente dire che sarò contattato da un tecnico entro 2 giorni. 7.2.7 Solidaritätsbekundungen unter Kunden Als weitere Kategorie von supportive moves lassen sich „Solidaritätsbekun‐ dungen“ unter (potenziellen) Kunden - darunter auch Bekannten, Arbeitskol‐ legen, Familienmitgliedern - interpretieren. V ÁS Q U EZ (2014a: 114-135, 2014b: 83-85) beschreibt für Online-Rezensionen Bezüge auf bereits veröffent‐ lichte Beschwerden anderer Kunden (oder auf andere Texte) als besondere Aus‐ prägung von involvement und gleichzeitig als Phänomen der Intertextualität. Auch B E NWE LL / S TOKO E (2006) weisen darauf hin, dass Schreiber häufig Verbin‐ dungen zwischen Nachrichten herstellen. Es geht hier also beispielsweise um solche Fälle, in denen die Beschwerdeführer auf Beiträge anderer rekurrieren - sei es von derselben Facebook-Seite, sei es von anderen Internetseiten - und damit ihre eigenen Beschwerden verstärken und gleichzeitig Solidarität mit an‐ deren betroffenen Kunden, im Sinne der Schaffung einer community, zum Aus‐ druck bringen: 176 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders (DE119) Totalausfall Kabel Deutschland in Nürnberg und Umgebung? Wann wird es behoben sein? (zu DE119) (DE284) […] Im Internet steht Mitte Oktober ich gucke hier die Beiträge an und lese das die Leute, die bis jetzt angerufen haben weiter enttäuscht wurden und es noch später kommen soll. […] (IT362) […] leggendo i vari post di persone che si lamentano credetemi sono pentito al massimo di essere passato con voi, […] (IT68) […] su vari blog ho letto che non sono il solo ad essere stato truffato […] In DE119 postet der Schreiber einen Screenshot seines Handydisplays mit Kom‐ mentaren anderer Nutzer, die den Totalausfall in seiner Gegend melden - also das gleiche Problem haben wie er in diesem Moment. Insgesamt sind Beispiele dieser Art in den initialen Beschwerdeposts des vorliegenden Korpus allerdings weit seltener als bei V ÁS Q U EZ (2014a, b), die in Bezug auf Online-Rezensionen feststellt, dass in rund 10 % (2014a: 116) bzw. 18 % (2014b: 83-84) aller Rezensi‐ onen Bezug auf andere Rezensenten genommen wird. Dies geschieht mit ver‐ schiedenen sprachlichen Formen: review(s)/ reviewer(s), others, many of you, some of you, the comments, people etc. Es zeige sich darin ein „spirit of collabo‐ ration and therefore of community building“ (V ÁS Q U E Z 2014a: 117). Mit B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) lässt sich hierin ein Akt der Wertschätzung und damit eine Positive-Politeness-Strategie anderen gegenüber sehen. In dieser Kategorie soll aber noch ein zweiter, ganz ähnlicher Fall berück‐ sichtigt werden, den H AR T F O R D / M AHB O O B (2004: 585-586) in ihrer Studie zu Leserbriefen herausgearbeitet haben: wie sich Verfasser von Beschwerden als „Sprecher“ einer Gruppe „Betroffener“ darstellen - die sich offenbar bis jetzt noch nicht zu Wort gemeldet haben. 177 7.2 Strategien des Verstärkens - externe Modifikation: supportive moves 73 Allgemeine Referenzen wie „uns als Verbraucher“ (DE251) oder „wir ZAHLENDEN Kunden“ (DE243) werden nur in 8.2.2.2b und nicht als supportive move Solidaritätsbe‐ kundung erfasst. 74 In selteneren Fällen werden diese Ausdrücke im vorliegenden Korpus auch herange‐ zogen, um downgraders zu intensivieren (vgl. 7.5: Zur Abschwächung eingesetzte upgra‐ ders). (DE339) […] Und bevor ihr es wieder auf mein Handy schiebt: es betrifft sowohl mich, meinen Freund, meine Schwester und diverse andere. Und das BUNDESWEIT. […] (DE138) […] Warum sind andere Anbieter eigentlich günstiger mit angebotenen Verträgen, obwohl man schon jahrelang Kunde bei euch ist? […] Einige meiner Freunde denken genauso und werden wohl auch demnächst kün‐ digen. […] (IT99) Buonasera , il mio problema e’ di abitare a 800 metri circa dall’ armadio Telecom e di conseguenza la fibra viaggia sui 20 mega , circa . […] Adesso chiedo , avete portato la fibra per chilometri , non e’ possibile rivedere anche gli utenti che hanno questi problemi ? Parecchi attendono la banda ultra , ma siamo tutti penalizzati di molto. […] Auch in diesen Fällen wird das Gewicht des Beschwerdegrunds durch die Aus‐ weitung auf mehrere Betroffene erhöht. In DE138 ist es der move der Drohung, der verstärkt wird: Auch die Freunde werden kündigen. Hinter supportive moves dieser Art können damit gleichzeitig Referenzen auf andere Kunden stehen, wie sie in 8.3.2 thematisiert werden. 73 Zudem sind, wie oben bereits erwähnt, Solidaritätsbekundungen unter Kunden auch als „Be‐ weismittel“ zu sehen: Beispielsweise verdeutlicht der Beschwerdeführer in DE339 durch den Verweis auf andere - die gewissermaßen als „Zeugen“ fun‐ gieren -, dass die Ursache für das Problem nicht sein Endgerät sein kann. 7.3 Strategien des Verstärkens - interne Modifikation: upgraders Nach den supportive moves, bei denen es sich um Formen externer Modifikation handelt, sollen nun Strategien interner Modifikation untersucht werden. Über upgraders, also intensivierende Ausdrücke, wird eine Aussage verstärkt. Im Datenset getaggt wurden diese sprachlichen Mittel dann, wenn sie als Teil eines move betrachtet werden können, der als face-threatening zu klassifizieren ist, also als Teil von Beschwerdegrund, negativer Bewertung, eigener Enttäu‐ schung, Verärgerung oder Drohung. 74 178 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders Fälle (absolut) Posts mit mind. 1 Fall Dt. Korpus Ital. Korpus Dt. Korpus Ital. Korpus abs. An‐ zahl pro 1000 Wörter abs. An‐ zahl pro 1000 Wörter abs. An‐ zahl Anteil abs. An‐ zahl Anteil Intensivierer 305** 9,33 151** 6,46 187** 46,75 % 110** 27,5 % „Aggressive Frage“ 163 4,99 107 4,58 130** 32,5 % 88** 22 % hyperbolische Mi‐ nimalanforderung 35 1,07 22 0,94 31 7,75 % 21 5,25 % Superlativ 21** 0,64 33** 1,41 19 4,75 % 30 7,5 % Tabelle 18: Hervorhebungsverfahren: upgraders (Signifikanz: **p<0,01, *p<0,05) Tabelle 18 zeigt die Verteilung der verschiedenen Kategorien im deutschen und italienischen Teilkorpus. Da es sich bei diesen Mitteln nur um eine Auswahl aus einer ganzen Reihe weiterer Möglichkeiten zur Verstärkung der Beschwerde‐ posts handelt (vgl. F RANZ 2011), wird hier keine Summe gebildet. Intensivierer. Intensivierende sprachliche Ausdrücke zur Verstärkung einer Äußerung wurden in der Literatur vielfach beschrieben (H OU S E / K A S P E R 1981: 169; T R O S B O R G 1995: 328; H E LD 2001: 119). Dazu gehören insbesondere die folgenden Fälle. Adjektive oder Adverbien, die eine Proposition verstärken: (DE133) […] aber diese Woche bin ich wirklich enttäuscht von Vodafone. […] (IT295) […] Volevo comunicare un disservizio sulla mia linea telefonica, che ri‐ sulta completamente isolata. […] Herausstellung der gegenteiligen Präsuppositionen, wie sie H E LD (2001: 119) beschreibt („Aber die Pizza ist ja ganz verbrannt! / Die ist aber verbrannt! Elle est brulée, quand même! “ [Hervorhebungen M. K.]): (DE238) Habe vor zwei wochen meine Rechnung bezahlt und habe keine Frist über zogen dennoch bin ich gesperrt und kann keinen Kontakt mit dem Ar‐ beitgeber und Base aufnehmen. […] 179 7.3 Strategien des Verstärkens - interne Modifikation: upgraders 75 Auch M E I N L (2010: 87) übernimmt aggressive interrogatives als upgrader in ihr Analyse‐ raster; dagegen bezeichnet R H U R A K V I T (2011: 75) die Kategorie als challenging und be‐ schreibt sie - wie auch Ironie - als eigenen move. (IT259) […] e non posso più fare chiamate o utilizzare internet, nonostante ho l’offerta attiva! ! […] „Aggressive Frage“. Die Kategorie „Aggressive Interrogative“ wird bei H O U S E / K A S P E R (1981: 170) definiert als „[e]mployment by X of interrogative mood to explicitly involve Y and thus to intensify the impact of his utterance on Y. […] Warum hast du mir das nicht vorher gesagt? “. 75 Im vorliegenden Korpus finden sich darunter besonders häufig Fragen nach dem Grund für das auftretende Problem: (DE206) […] Warum verschickt ihr ungültige Codes an Base Kunden? Warum Ist die Aktion, trotz Aussage auf der Webseite, nicht für Base oder E-Plus Kunden gültig? [..] (IT67) […] come mai ogni volta che chiamo mi scalate soldi dalla tessera? ? ? Auch rhetorische Fragen, wie sie beispielsweise von V ÁS Q U E Z (2014a: 47) und N E U RAUT E R -K E S S E L S (2011: 196 et passim) diskutiert werden, zähle ich zu dieser Kategorie. (DE56) […] Hat heute nicht jeder ein Recht auf gutes Internet ? […] (DE124) […] Sind nur Neukunden mit großen Verträgen wichtig? ? ? Scheint fast so. […] (IT276) […] È mai possibile che per un reclamo su una fattura è passato quasi un mese e non sapete dirmi ancora nulla? […] V ÁS QU E Z (2014a: 47) sieht in diesen eine Wertung des Gegenstands und eine Form von involvement der Leser: […] rhetorical questions provide a form through which reviewers can offer an indirect assessment of some aspect of the product or service being discussed. Like interjections, rhetorical questions also create a sense of involvement for readers of reviews. Hyperbolische Minimalanforderung. Zu den hyperbolischen Verfahren der Intensivierung ist eines zu zählen, das F RANZ (2011: 138) als Unterpunkt von Hyperbolie wie folgt beschreibt: 180 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders Dadurch, dass der Leserbriefschreiber betont, dass nicht einmal das genannte unbe‐ deutende Element zutrifft, suggeriert er, dass die im Verb ausgedrückte Bedeutung überhaupt nicht zutrifft. Die Tatsache, dass der Schreiber auf die nicht einmal geleis‐ tete hyperbolisch formulierte Minmalanforderung hinweist, bringt dessen Ärger stärker zum Ausdruck als eine einfache Negation mit no oder nada. Am häufigsten finden sich im vorliegenden Korpus „nicht (ein)mal“ und „nem‐ meno“. Hinzu zähle ich aber auch Passagen, in denen der Beschwerdeführer - ohne Negation - betont, er erhalte „gerade einmal“, „höchstens“ bestimmte, ge‐ ringe Mengen von etwas. (DE56) […] Es ist einfach traurig das ich nicht mal 1000k empfange und zudem nicht mal drei Geräte gleichzeitig im Internet sein können. […] (DE205) […] mit Ach und Krach gerade mal ein Balken bei 3G ist auch nicht das Wahre… […] (IT246) Vi ho inviato il messaggio con la segnalazione 2 giorni fa e non l’avete nemmeno letto. […] Superlativ. Eine weitere relativ häufige Kategorie ist der Superlativ: (DE35) […] Das ist das frechste was ich jemals gehört habe von einer absolut unfreundlichen und dreisten Telefon-Hotline. […] (IT97) […] .. avete trovato il modo più veloce di perder clienti.. bye bye.. 7.4 CvK-spezifische typografische Hervorhebungsverfahren Im Folgenden sollen CvK-spezifische Hervorhebungsverfahren (vgl. 2.5) analy‐ siert werden, die analog zu den in 7.3 diskutierten Verfahren der Intensivierung eingesetzt werden. Gerade im Hinblick auf den vom Schreiber intendierten bzw. vom Leser wahrgenommenen Höflichkeitsgrad einer Äußerung können CvK-spezifische Merkmale wichtige Hinweise liefern. V AND E R G R I F F (2013: 10) sieht in ihnen - „in combination and interaction with verbal markers“ - einen 181 7.4 CvK-spezifische typografische Hervorhebungsverfahren 76 Daneben finden sich mit geringer Frequenz noch einzelne andere Hervorhebungsver‐ fahren, z. B. gesperrte Schrift oder der Einsatz von Asterisken, Rauten oder anderen Zeichen zur grafischen Hervorhebung: „[…] Und K U N D E werde ich bei Euch nicht bleiben. […]“ (DE384); „[…] Danke für den Servic aus dem >GESTERN<“ (DE239); „******ennesimo messaggio******* […]“ (IT39). 77 Die Häufigkeiten der einzelnen Hervorhebungsverfahren wurden hier nicht addiert, da die Summe ohne Aussagekraft wäre: Beispielsweise zähle ich sowohl einzelne wie auch wiederholte Ausrufezeichen als Mittel der Verstärkung; beide Verfahren schließen sich aus. Beitrag zu „relational work“. Tabelle 19 stellt die Verbreitung der einzelnen Merkmale im Überblick dar. 76 Fälle (absolut) Posts mit mind. 1 Fall Dt. Korpus Ital. Korpus Dt. Korpus Ital. Korpus abs. An‐ zahl pro 1000 Wörter abs. An‐ zahl pro 1000 Wörter abs. An‐ zahl Anteil abs. An‐ zahl Anteil Emoticons/ Emojis (82) (11) (60) (7) Versal (einzeln) 92** 2,81 124** 5,3 54 13,5 % 55 13,75 % Versal (vollständig) 0** 0 % 8** 2 % Iteration von Gra‐ femen 5 0,15 5 0,21 5 1,25 % 5 1,25 % Auslassungspunkte (3+) 246* 7,52 221* 9,46 117 29,25 % 102 25,5 % Ausrufezeichen (einfach) 243** 7,43 86** 3,7 105** 26,25 % 63** 15,75 % Ausrufe- und Frage‐ zeichen (einfach) 26** 0,8 5** 0,21 23** 5,75 % 5** 1,25 % Iteration von Satz‐ zeichen 123** 3,76 174** 7,45 86 21,5 % 108 27 % davon: Ausrufezei‐ chen 76** 2,32 115** 4,92 59 14,75 % 81 20,25 % davon: Fragezeichen 39** 1,19 54** 2,31 32 8 % 45 11,25 % davon: Ausrufe- und Frage‐ zeichen 8 0,24 5 0,21 8 2 % 3 0,75 % Tabelle 19: CvK-spezifische Hervorhebungsverfahren (Signifikanz: **p<0,01, *p<0,05) 77 182 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders Emoticons/ Emojis Emoticons/ Emojis wird in der Kommunikation in CvK eine große Bedeutung zugesprochen (vgl. den Literaturüberblick bei B I E S WANG E R 2013). Die bekann‐ teste Form sind Smileys, also Darstellungen von Gesichtern, die bestimmte Ge‐ fühle ausdrücken. Sie sind im vorliegenden Korpus zum einen als Sequenzen von Satzzeichen vorhanden - also Emoticons, z. B. „: D“ -, zum anderen als gra‐ fische Ikonen - also Emojis, z. B. , in die eingegebene Sequenzen von Satzzei‐ chen teils automatisch umgewandelt werden. Piktogramme dieser Art umfassen beispielsweise auch Darstellungen von Tieren oder Handzeichen (z. B. „ “, „ “),. Daneben sind - weit seltener - auch japanische Emoticons im Korpus vertreten, z. B. „^^“. Alle genannten Formen werden in dieser Arbeit ohne Un‐ terscheidung in einer Kategorie zusammengefasst. Nicht zwangsläufig aber werden über den „Gesichtsausdruck“ von Emojis/ Emoticons direkt Emotionen abgebildet; so sehen D R E S N E R / H E R R ING (2010: 250) Emoticons/ Emojis in einer weiteren Funktion: „as illocutionary force indicators that do not map conventionally onto a facial expression.“ Auch M AA SS (2014a: 252) verweist auf das Bestreben der Schreiber, Ambiguitäten in der mög‐ lichen Interpretation ihrer Nachrichten entgegenzuwirken. Die verschiedenen Funktionen lassen sich auch im vorliegenden Korpus illustrieren: Während in DE127 durch das negative Emoji direkt Ärger - und damit Emotion - zum Aus‐ druck gebracht wird, werden in anderen Fällen Ironie oder Humor kenntlich gemacht (DE283, DE387, IT65): „Clearly, joking is not an emotion - one could joke while being in a variety of distinct affective states. Rather, joking is a type of illocutionary force, something that we do by what we say“ (D R E S N E R / H E R‐ R ING 2010: 256). Teils treten Emoticons/ Emojis auch in größerer Häufung auf, wie in IT65. (DE127) […] Aber meine Wann-Frage wurde nicht beantwortet.. (DE283) […] P.s. Vielleicht ist ein Duden mal was Wert als Anschaffung und dann unter LÖSUNG nachschlagen und unter KUNDE! (DE387) […] Aber Pustekuchen trotz Kontakt mit Hotline und euch Pustekuchen . Von daher Gratuliere ich eurer IT zum einjährigen Bestehen des Mini‐ problems […] (IT65) […] mi stavo chiedendo, in questo allumacato pomeriggio di ottobre, a cosa esattamente vi servano quei venti euro in più che vedo scalati dal conto corrente. Ipotesi a) cinema ? ipotesi b) Pizza + bibita ? ipotesi c) discoteca? : D: D: D (in questo caso parliamone, perché volendo, i dischi li so mettere : D: D: D ).[…] 183 7.4 CvK-spezifische typografische Hervorhebungsverfahren 78 Nicht hinzugezählt werden in Versalien geschriebene Akronyme (z. B. SMS) oder Namen von Produkten, Serviceleistungen etc. (z. B. „ein BASE Kunde“, „nella sezione FAI DA TE“), da hier nicht von einer Intensivierung ausgegangen werden kann (vgl. auch F R A N Z 2011: 272). Das Posten von Emojis war zum Zeitpunkt der Datenerhebung nur auf zwei der fünf italienischen Facebook-Seiten möglich (vgl. 5.1.5), was zu ihrer vergleichs‐ weise geringen Zahl beigetragen haben dürfte. Aus diesem Grund sind Aussagen zur Signifikanz der Häufigkeitsverteilung nicht möglich. Grafische Besonderheiten Versalsetzung (einzeln/ vollständig). Ein in der Literatur häufig beschriebenes Verfahren ist auch die Versalsetzung einzelner oder mehrerer Wörter, Sätze, längerer Textabschnitte oder des gesamten Textes. Diese kann zum einen der Hervorhebung dienen, zum anderen aber auch als „Schreien“, also höhere Laut‐ stärke, interpretiert werden (B I E S WANG E R 2013: 473). (DE141) […] 4 Stunden später ist nun immer noch NICHTS gebucht. […] (IT115) non buttate soldi nelle pubblicità INVESTISTE A ISTRUIRE I VOSTRI CALL CENTER (IT379) OHHH ALLORA UNA RISPOSTA! ! ! ! [Beschwerdeführerin] COD. CLI‐ ENTE 7046675 ATTIVAZIONE 26/ 08/ 2015 DA TALE DATA NON HO ANCORA ATTIVO TELEFONO E SONO DIECI GIORNI CHE NON SI NAVIGAAAAAA……COSTRINGETE I CLIENTI A DISDIRE… POTETE DARMI NOTIZIE CERTE QUANDO RISOLVERETE! ! ! ! ! ! ! ! ! In Tabelle 19 wird in der Auszählung zwischen der Versalsetzung einzelner Wörter/ Sätze 78 und der - seltenen - Versalsetzung des vollständigen Posts un‐ terschieden. Iteration von Grafemen. Als Mittel zur Hervorhebung greifen Schreiber zudem auf die Wiederholung von Buchstaben zurück. Während die Annahme, mittels Wiederholung solle die Längung bestimmter Phoneme zum Ausdruck gebracht werden (M E INL 2010: 98), in einigen Fällen zutreffen mag (DE214, IT152), ist die Intensivierung in anderen Fällen hiervon eindeutig losgelöst (DE280). (DE214) grrrrrrrrrrr […] (DE280) […] Wenn ich viiiiieeeelllll Glück habe […] 184 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders 79 F R A N Z (2011: 275-278) verweist zusätzlich auf die Literatur zur Funktion von Auslas‐ sungspunkten in Offline-Kontexten. (IT152) […] sono cliente tim ma mi sommergete di messaggi e bastaaaaaaaaa […] D AR IC S (2013: 141) weist auf die interaktionalen Funktionen von Buchstaben‐ wiederholungen hin, insbesondere „inscription of socio-emotional information into writing [..], the evoking of auditory cues or […] a display of informality through using a relaxed writing style“. Die nachfolgenden Kategorien betreffen Besonderheiten in der Interpunktion. Auslassungspunkte. Auslassungspunkte kommen im vorliegenden Korpus ausgesprochen häufig vor. Auch andere sprachwissenschaftliche Studien zu verschiedenen Formen von CvK haben bereits einen erheblichen Gebrauch von Auslassungspunkten konstatiert, gehen aber in ihrer Interpretation ausein‐ ander. W E S T (2013: 11) sieht in Auslassungspunkten am Ende eines Posts den Hinweis auf etwas, was eigentlich folgen müsste: „it takes on this flavor of, ,but‘ - ,there’s more.‘“ T HAL E R (2014: 290) hält ihre Funktion - gerade ange‐ sichts ihres teils exzessiven Gebrauchs seitens einzelner Schreiber in On‐ line-Foren - für uneinheitlich; zusätzlich zur Kennzeichnung einer Nachricht als unvollständig könne auch die Trennung zweier Teile einer Information in‐ tendiert sein. Für ihr eigenes Korpus (negativer Kommentare in zwei Rezept‐ foren) beschreibt sie Auslassungspunkte dagegen insbesondere als Mittel zur Abmilderung (mitigation) geäußerter Kritik, „a symbolic means of delaying the dispreferred part of the message“. 79 Auch im vorliegenden Korpus haben die Auslassungspunkte ausgesprochen heterogene Funktionen. So können sie ein retardierendes Moment, eine Span‐ nung erzeugen, die durch eine Fortsetzung der Erzählung, einen Kontrast, eine unerwartete Wendung oder eine negative Bewertung aufgelöst werden kann: (DE304) […] PS: Danke für den tollen Premium-Service den Sie bieten… 1 Std te‐ lefoniert und davon die meiste Zeit gewartet und hingehalten worden […] (IT290) Sono appena rientrato in Infostrada per l’offerta vantaggiosa economi‐ camente… ma sono tornato a riavere gli stessi problemi di linea e segnale che mi portarono a lasciarla! ! ! Auch am Ende des Posts sind Auslassungspunkte häufig. Während sie in DE295 und IT263 offensichtlich für die unausgesprochene Konsequenz stehen, den 185 7.4 CvK-spezifische typografische Hervorhebungsverfahren 80 Vereinzelt auftretende Ausrufezeichen nach Anreden oder Grußformeln wurden in der vorliegenden Auswertung nicht gezählt: „[…] Hoffnungsvoll und mit freundlichen Grüßen! “ (DE285), „Buon Giorno! […]“ (IT350). Anbieter zu wechseln, einen Anwalt einzuschalten etc., lässt sich ihre Rolle in DE2 schwerer fassen. (DE295) […] Seht bloß zu das ihr was geregelt bekommt….. Mfg….. (DE2) …nun warte ich über 1 Stunde auf den angekündigten Anruf… ! ! ! ! Ei‐ gentlich hatte ich Hilfe erwartet….. (IT263) non ci resta che …………. Die von T HAL E R beschriebene Abmilderung von FTAs lässt sich für das vorlie‐ gende Korpus nicht ausschließen; angesichts der auch sonst spärlichen Abmil‐ derungsstrategien sind aber andere Funktionen plausibler. Ich zähle Auslas‐ sungspunkte hier als Mittel zur Verstärkung - zur Betonung einer darauffolgenden negativen Bewertung, Drohung, Forderung etc. Daneben finden sich Auslassungspunkte im vorliegenden Korpus - wie in 4.5, S7, beschrieben - vereinzelt zur Vermeidung von Vulgarismen. Ausrufezeichen (einfach). Auch Ausrufezeichen sind ein gängiges Mittel zur Intensivierung oder zum Ausdruck von Emotionalität. 80 (DE283) […] Ich habe doch die Zusicherung erhalten, dass sie mir erlassen wird. Komplett! […] (IT264) È vergognoso e grottesco! […] Ausrufezeichen und Fragezeichen (einfach). Teils wird das Ausrufezeichen auch mit einem Fragezeichen kombiniert: (DE283) […] öhm, die wurde mir doch beim Abschluß freundlicherweise er‐ lassen? ! […] (IT259) […] ma vi sembra normale ? ! […] Iteration von Satzzeichen. Auch eine nicht standardsprachliche Verwendung anderer Satzzeichen wurde vielfach als Merkmal von CvK beschrieben (B I E S‐ WANG E R 2013). Während einige Schreiber vollständig oder teilweise auf Inter‐ punktion verzichten, verwenden andere sie - nicht normgerecht - in wieder‐ 186 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders holter Form zur Hervorhebung bestimmter Textteile. Nur hierauf soll an dieser Stelle eingegangen werden. In Tabelle 19 werden der wiederholte Gebrauch von Ausrufezeichen, der von Fragezeichen und der von (gemeinsam auftretenden) Frage- und Ausrufezeichen separat ausgewiesen. (D121) […] Mittlerweile ist es bei Vodafone bekannt, aber es passiert nichts! ! ! ! ! ! ! ! (D348) Das ganze Wochenende ist die DSL Abteilung aufgrund eines Software Updates nicht zu erreichen! ! ? ? ? ? […] (IT368) […] DEVO ADIRE LE VIE LEGALI PER 20 EURO? ? ? ? ? ? […] (IT393) Buonasera da 2 giorni non abbiamo la linea telefonica! ! ! ! ! ! Mi serve il te‐ lefono! Pago l’abbonamento! ! ! ! Avete detto 3 giorni fa che c’era un problema ma ora POTETE RISOLVERLO? ? ? COME SI PUÒ FARE? ? ? ? ? ? GRAZIE! ! ! ! ! ! ! ! Quantitative Auswertung Zwischen den deutschen und den italienischen Posts zeigen sich Unterschiede in den CvK-spezifischen Möglichkeiten der Hervorhebung: • Der Anteil an Emoticons/ Emojis ist in den deutschen Posts weit höher als in den italienischen Posts; allerdings war das Posten von Emojis zum Zeitpunkt der Datenerhebung nur auf zwei der fünf italienischen Seiten überhaupt möglich, weshalb diese Zahlen hier nicht interpretiert werden können. • Der Anteil an Posts, in denen sich mindestens einmal eine Versalsetzung einzelner Wörter, Satzteile oder Sätze findet, ist in beiden Korpora nahezu gleich (D: 13,5 %, IT: 13,75 %). Allerdings ist ihre Dichte im deutschen Korpus nur etwa halb so groß wie im italienischen Korpus (DE: 2,81 Fälle, IT: 5,3 Fälle auf 1000 Wörter). Die Versalsetzung vollständiger Posts ist im deutschen Korpus nicht zu finden; im italienischen Korpus in immerhin 8 Fällen. Beide Unterschiede sind statistisch signifikant. • Auslassungspunkte spielen in beiden Korpora - bei nur geringen Unter‐ schieden - eine große Rolle (DE: 29,25 %, IT: 25,5 %; DE: 7,52 Fälle, IT: 9,46 Fälle auf 1000 Wörter). Die Iteration von Grafemen ist dagegen in beiden Korpora sehr selten (DE und IT: 1,25 %, D und IT: rund 0,2 Fälle auf 1000 Wörter). • Bei den Satzzeichen zeigen sich wiederum deutliche quantitative Unter‐ schiede zwischen dem deutschen und dem italienischen Korpus: Während einfache Ausrufezeichen zur Hervorhebung im deutschen Korpus häufiger 187 7.4 CvK-spezifische typografische Hervorhebungsverfahren 81 Nicht in die Analyse einbezogen wurde dagegen (ma) per favore! , wo es nicht eine Bitte modifiziert, sondern als Ausdruck der Entrüstung fungiert. „[…] Social care? Ma per favore.“ (IT363) „[…] e oggi vengo a sapere che una vostra operatrice ha sbagliato a ricopiare i miei dati e quindi devo aspettare ancora un mese ma per favore …! ! ! ! ! ! […]“ (IT212). (Die deutsche Entsprechung ist im Korpus nicht enthalten.) sind als im italienischen (DE: 26,25 %, IT: 15,75 %; DE: 7,43 Fälle, IT: 3,7 Fälle auf 1000 Wörter), ist im italienischen Korpus die Iteration von Satzzeichen deutlich häufiger als im deutschen Korpus (DE: 21,5 %, IT: 27 %; DE: 3,76 Fälle, IT: 7,45 Fälle auf 1000 Wörter). Zusammenfassend zeigt sich also, dass im italienischen Korpus im Schnitt zur Verstärkung des Gesagten mehr Versalsetzung und mehr wiederholte Satzzei‐ chen auftreten als im deutschen Korpus. 7.5 Strategien des Abschwächens: downgraders Umgekehrt kann über sogenannte downgraders eine Abmilderung der Be‐ schwerde erfolgen (u. a. H OU S E / K A S P E R 1981: 166-168, vgl. 3.3.1). Die Funktion der Abmilderung einer Beschwerde erfüllen daneben allerdings auch andere Elemente, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit in anderen Abschnitten be‐ handelt werden, wie der move Buffer mit seinen Elementen Entschuldigung, Kompliment und Dank (vgl. 6.4.2). Zu betonen ist damit, dass den moves ganz ähnliche Funktionen zukommen können wie den hier geschilderten anderen Verfahren der Modifikation (vgl. auch die Beispiele von L O CHE R 2006: 214 zu discursive moves und relational work, 2.3.1). Höflichkeitsmarker. Mit Höflichkeitsmarkern (politeness markers) lässt sich Respekt gegenüber dem Gesprächspartner zum Ausdruck bringen: H O U S E / K A S P E R (1981: 166) definieren sie als „optional elements added to an act to show deference to the interlocutor and to bid for cooperative behaviour“. Der häu‐ figste politeness marker ist bitte/ per favore/ per cortesia  81 . (DE385) Bitte schult doch mal euer Personal besser! […] (IT193) […] Per favore fate qualcosa! ! ! ! ! ! ! ! ! ! ! („Minus“) Committer / = Subjectivizers. Hierunter verstehen H O U S E / K A S P E R (1981: 167) „[s]entence modifiers which are used to lower the degree to which X commits himself to the state of affairs referred to in the proposition. X thus 188 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders explicitly characterizes his utterance as his personal opinion, e. g. […] Ich glaube, ich meine, ich denke, meiner Ansicht nach“ (vgl. auch T R O S B O R G 1995: 328). (DE343) […] Aber ich finde es ist eine absolute Frechheit wenn mir als Kunde der mind. schon 10 Jahre bei euch ist 25! ! ! Euro berechnet werden für eine dumme NANO-SIM-Karte. […] (IT308) […] Che per quanto ne so non giustificano una portante cosi bassa, […] Bedauern. Ein Ausdruck des Bedauerns wurde dann als Mittel der Abschwä‐ chung gewertet, wenn der Beschwerdeführer damit bedauert, dass er Grund hat, sich (auf Facebook) über das Unternehmen zu beschweren, seinen Vertrag zu kündigen etc. In dieser Bedeutung tritt das Bedauern insbesondere im move Be‐ schwerdegrund, aber auch in den moves Drohung oder Konsequenz auf. (DE266) […] Mich habt ihr leider als Kunden verloren, […] (DE36) […] Leider gibt es noch keine Lösung. […] (IT260) […] Purtroppo ad oggi sono ancora senza servizio, ricordo, ininterrotta‐ mente dal 21 settembre. […] Untertreibung (understater). Unter understaters verstehen H OU S E / K A S P E R (1981: 167) „[a]dverbial modifiers by means of which X underrepresents the state of affairs denoted in the proposition“, wie z. B. „eine Sekunde, nicht sehr viel, ein kleines bisschen“ (vgl. auch T R O S B O R G 1995: 328). (DE103) […] Da wird selbst ein geduldiger Kunde langsam etwas sauer […] (IT59) […] Non pensate che possa suonare un pochino come una presa in giro? […] Heckenausdrücke (hedges). H O U S E / K A S P E R (1981: 167; vgl. auch T R O S B O R G 1995: 328) definieren Heckenausdrücke (hedges) als „[a]dverbials […] by means of which X avoids a precise propositional specification thus circumventing the potential provocation such a specification might entail; X leaves the option open for Y to complete his utterance and thereby imposes his own intent less force‐ fully on Y“. (DE326) […] irgendwie scheint es ein Problem zu geben […] 189 7.5 Strategien des Abschwächens: downgraders Downtoners. Unter downtoners verstehen H O U S E / K A S P E R (1981: 167) „[s]en‐ tence modifiers which are used by X in order to modulate the impact his utte‐ rance is likely to have on Y“, wie z. B. „mal, eben, schon, wohl, einfach, denn, vielleicht“. T R O S B O R G (1995: 328) nennt „[a]dverbial sentence modifiers, such as just, simply, etc. and adverbials expressing tentativeness, e. g. perhaps, maybe, possibly“. (DE178) […] Wahrscheinlich muss ich doch erst den Anwalt einschalten! (IT210) […] e magari riavere indietro i soldi? […] Im Korpus lassen sich kaum downtoners finden, die die Beschwerde als solche abmildern. Dagegen treten sie in der Ansprache der anderen Kunden zuweilen auf: (PK-D) […] Hat hier vielleicht ähnliche Erfahrungen, vielleicht mit einem anderen Shop und kann mir helfen? Zur Abschwächung eingesetzte upgraders. Als letzte Kategorie der down‐ graders sollen hier noch upgraders (vgl. 7.3) genannt werden, die nicht zur Ver‐ stärkung der Beschwerde eingesetzt werden, sondern in ihrer Funktion zur Ab‐ milderung der Beschwerde beitragen (vgl. auch M E INL 2010: 89-90, 98-99, Intensifiers/ intensifying features of CMC used to aggravate the softening effect of downgrading modifiers). Sie werden aufgrund ihres geringen Vorkommens im Korpus nicht in die unterschiedlichen Kategorien unterteilt. (DE244) […] Handyempfang ist sehr gut, Internetverbindung katastrophal bzw nur äußerst selten vorhanden. […] (IT236) […] Mi sono trovato molto bene con questo gestore ma comincio a sen‐ tirmi truffato. […] Quantitative Auswertung und Fazit Tabelle 20 macht auf einen Blick deutlich, welch geringe Rolle - quantitativ gesehen - im vorliegenden Korpus downgraders gegenüber upgraders spielen. 190 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders Fälle (absolut) Posts mit mind. 1 Fall Dt. Korpus Ital. Korpus Dt. Korpus Ital. Korpus abs. An‐ zahl pro 1000 Wörter abs. An‐ zahl pro 1000 Wörter abs. An‐ zahl Anteil abs. An‐ zahl Anteil Bedauern 37* 1,13 14* 0,6 33** 8,25 % 14** 3,5 % zur Abschwä‐ chung eingesetzte upgraders 14 0,43 6 0,26 13* 3,25 % 4* 1 % Höflichkeits‐ marker 27* 0,82 8* 0,34 27** 6,75 % 8** 2 % Hecken 2 0,06 0 0 2 0,5 % 0 0 % understaters 28 0,86 11 0,47 23* 5,75 % 11* 2,75 % downtoners 8 0,24 5 0,21 8 2 % 5 1,25 % m-committers 5** 0,15 17** 0,73 5* 1,25 % 16* 4 % Tabelle 20: Abschwächungsverfahren: downgraders (Signifikanz: **p<0,01, *p<0,05) Doch selbst wo downgraders im oben genannten Sinne vorhanden sind, trägt ihr Einsatz nicht zwangsläufig zu einer Abmilderung der Beschwerde bei. H E LD (1995: 293) bemerkt zu Höflichkeitsformeln wie per favore: Die ursprünglich abschwächende Bedeutung dieser Formeln kehrte sich mit zunehmender Desemantisierung ins Gegenteil, sodaß sie heute mehr dazu dienen, den Im‐ perativ konventionell zu markieren und gleichzeitig - zwar unter höflichem Anstrich, aber sehr bestimmt - seine Kraft zu verstärken. Bei anderen Abmilderungsstrategien liegt die Interpretation als Ironie nah. So beschreibt H E LD (2001: 120) in elizitierten Daten zur Reklamation einer ver‐ brannten Pizza bei einem Kellner verschiedene Minimalisierungsstrategien, die sie als Zeichen „guter Erziehung“ wertet - „in der Überzeugung, daß die Trag‐ weite des Sachverhalts ohnehin offensichtlich ist“: z. B. epistemologische He‐ cken („Komisch, die ist irgendwie verbrannt! “), vorsichtige Qualifikationen („Oh, è rimasta qualche minuto di troppo nel forno! “) und Generalisierungen („Ma cosa è questa roba? “). Abschließend stellt H E LD (2001: 120) fest: 191 7.5 Strategien des Abschwächens: downgraders 82 C U L P E P E R (1996: 357) klassifiziert Sarkasmus in seinem an B R O W N / L E V I N S O N ([1978]1987) angelehnten Impoliteness-Modell als „mock politeness for social dishar‐ mony“ und grenzt sich damit von L E E C H S (1983) Begriff der Ironie ab, „since irony can be used for enjoyment and comedy“. Dieser Terminologie folge ich hier nicht. Vgl. auch den Forschungsüberblick von D Y N E L (2015: 342-344). Grundsätzlich schwingt in all diesen Entschärfungsstrategien jedoch gleißende Ironie mit, wodurch sich - im Zusammenhang mit der sichtbaren Wirklichkeit - eigentlich die Wirkung der Aussage verstärkt. Muttersprachliche Informanten bestätigen ihr gleichfalls den ironischen Stel‐ lenwert von Adverbien wie un poco, „der hinter einer MIN [= Minimalisierung, M. K.] eine eher bedrohliche MAX [= Maximalisierung, M. K.] versteckt“ (Held 1995: 294). Im nächsten Abschnitt werden weitere - hier: eindeutige - Fälle von Ironie beschrieben. 7.6 Ironie Ein im vorliegenden Korpus häufig herangezogenes Gestaltungsmittel ist Ironie. Im Folgenden stelle ich zunächst dar, welche Äußerungen als ironisch ausge‐ wertet wurden, analysiere inhaltliche Gemeinsamkeiten der intensivierten Ele‐ mente und diskutiere Ironie anschließend unter dem Aspekt ihrer möglichen Wirkung als upgrader/ downgrader. Auf die Rolle von Ironie für die Selbstdar‐ stellung der Beschwerdeführer gehe ich in 8.2.1 ein. Ironische Äußerungen stehen im Widerspruch zum wörtlich Gesagten, wobei es in der Absicht des Sprechers liegt, dass dies vom Hörer erkannt wird (zu der Diskussion um die Begriffsbestimmung vgl. beispielsweise F RANZ 2011: 193 ff.). G E LU Y K E N S / K RAF T (2007: 149) verdeutlichen anhand von Beispielen, dass ironi‐ sche Kommentare (sie selbst sprechen von „Sarkasmus“ 82 ) in der Regel nur kon‐ textgebunden überhaupt verständlich sind. So sei das Beispiel „Nice to see you around“ als Begrüßung eines Freundes, der zu einer Verabredung zu spät ge‐ kommen ist, nicht anhand formaler Merkmale, sondern nur eingebettet in seinen Kontext als Ironie erkennbar. Im folgenden Dialog missversteht der Unterneh‐ mensmitarbeiter ein Lob des Kunden - wohl aufgrund seiner für Ironie typi‐ schen Struktur - als Kritik: 192 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders (PK-I) [Beschwerdeführer] an Vodafone it Scaricati 19gb in 40 minuti… Siete i numeri 1! Vodafone it Ciao [Beschwerdeführer], abbiamo avviato una qualifica per la tua linea, ti chiediamo di effettuare entro 96 ore (da questo momento) uno speedtest direttamente dalla tua MyFastPage, il quale va eseguito con un solo pc collegato tramite cavo ethernet, disabilitando eventuali firewall e wi-fi. Attendiamo un tuo riscontro a verifica avvenuta. Grazie. [Mitarbeiter] [Beschwerdeführer] Ma avete letto? ? ? Il mio era un complimento! Offensichtlich bildet die Aussage im Kontext betrachtet in den Augen des Mitarbeiters einen Widerspruch - auf der einen Seite die Facebook-Seite, auf der mehrheitlich Beschwerden erscheinen, zudem die möglicherweise als lang er‐ scheinende Zeitangabe von 40 Minuten, auf der anderen Seite das freundliche Lob. Auch C UL P E P E R (2011: 206) diskutiert einen solchen Fall und stellt fest: „This kind of mixing of impolite co-text and polite behaviour is likely to result in an understanding of sarcasm.“ Missverständnisse dieser Art sind im vorliegenden Korpus allerdings ausgesprochen selten, meist ist die Ironie aufgrund des Kon‐ textes zweifelsfrei erkennbar. Teilweise machen auch die Schreiber der hier analysierten Posts die Lesart selbst deutlich, um Missverständnisse auszuschließen. B OLAND E R (2013: 259) klassifiziert dies als Framing und verdeutlicht es an einem Beispiel, in dem ein Kommentar als nicht verletzend verstanden werden soll. Im vorliegenden Korpus werden zur Disambiguierung Anführungszeichen, Emoticons/ Emojis und explizite Kommentare eingesetzt; in mündlicher Kommunikation erleich‐ tern dagegen oft Tonfall oder Mimik das Erkennen von Ironie (ähnlich auch K L E INB E R G E R G ÜNTHE R 2001: 154 für ihr Korpus aus geschäftlichen E-Mails und F RANZ 2011: 292). a) Anführungszeichen (DE223) […] „super“ kundenservice der geld kostet und rein gar nichts bringt. (IT155) […] ed alle nostre rimostranze gli operatori del Call Center „cadevano dalle nubi“ non essendo a conoscenza del fatto che avevamo aderito già due volte […] b) Emoticons/ Emojis Das zerknirscht blickende Emoji in DE282 steht im Gegensatz zu der positiven Aussage und verdeutlicht damit die Ironie. Noch häufiger allerdings stehen nach 193 7.6 Ironie ironischen Äußerungen „positive“ Emoticons/ Emojis, die das Verständnis als ironisch gerade nicht erleichtern. (DE282) Top Service bei 1&1 […] c) Explizite Kommentare (DE289) […] Aber was ich echt ehrlich meine auch wenn der Rest mit sehr viel Ironie geschrieben ist , ist die Ruhe und Freundlichkeit euer Mitarbeiter am Telefon . Aber vielleicht ist das die einzige Art in diesem Job mit dem schlecht organisierten „1&1“ Produkt zu überleben … […] (DE241) […] Dann kann man ja mal fünf Tage auf einen Techniker warten, man ist heute ja absolut nicht aufs Internet angewiesen. *Ironie aus * […] (DE56) […] Das könnte daran liegen das meine Familie so eine gute Internet Lei‐ tung hat. (noch nicht mal ne 1000er) […] Daneben treten ironische Äußerungen vielfach auch in Kombination mit an‐ deren Verfahren des upgrading auf, wie z. B. der Hervorhebung durch Versalien (vgl. F RANZ 2011: 214/ 292). (DE279) […] was bekomme ich von dem TOLLEN Mitarbeiter zu hören […] (IT277) […] 3 mesi di peripezie, ed alla fine: cambio operatore. CHE BELLO! ! ! ! […] Im Anschluss an diese Vorüberlegungen habe ich Äußerungen in der Auswer‐ tung des Korpus als „ironisch“ gezählt, wenn aus dem Kontext heraus (z. B.Kritik am Unternehmen, direkt gefolgt von Dank) oder aber durch eine explizite Kenn‐ zeichnung durch Anführungszeichen, Emoticons/ Emojis oder explizite Kom‐ mentare eindeutig nachweisbar war, dass sie ironisch gemeint sind. Tabelle 21 stellt dar, wie sich das Vorkommen von Ironie auf die einzelnen moves im Korpus verteilt. 194 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders 83 Wie an mehreren Stellen dieser Arbeit deutlich wurde, ist allerdings noch in weiteren Fällen eine ironische Lesart nicht ausgeschlossen, beispielsweise in bestimmten Formen des Briefrahmens (vgl. 6.4.1) oder von downgraders (vgl. 7.5). Fälle (absolut) Posts mit mind. 1 Fall Dt. Korpus Ital. Korpus Dt. Korpus Ital. Korpus abs. An‐ zahl pro 1000 Wörter abs. An‐ zahl pro 1000 Wörter abs. An‐ zahl Anteil abs. An‐ zahl Anteil Negative Wertung 60* 1,83 24* 1,03 49** 12,25 % 22** 5,5 % Verärgerung 40 1,22 39 1,67 33 8,25 % 37 9,25 % Grund 4** 0,12 18** 0,77 4** 1 % 17** 4,25 % Drohung 0 0 1 0,04 0 0 % 1 0,25 % Forderung 1 0,03 1 0,04 1 0,25 % 1 0,25 % Warnung 1 0,03 1 0,04 1 0,25 % 1 0,25 % SUMME 106 3,24 84 3,59 72 18 % 68 17 % Tabelle 21: Ironie in verschiedenen moves (Signifikanz: **p<0,01, *p<0,05) Damit liegt der Anteil an Posts, die mindestens eine ironisch zu verstehende Äußerung enthalten, im deutschen Teilkorpus bei 18 %, im italienischen Teil‐ korpus bei 17 %. Verglichen mit den von F RANZ (2011: 215) untersuchten Leser‐ briefen an spanische Online-Zeitungen bewegt sich der Anteil ironischer Äu‐ ßerungen auf hohem Niveau (in den von ihr untersuchten Zeitungen lag er - je nach Zeitung - zwischen 2 % und 21 %). 83 Am häufigsten finden sich die durch Ironie intensivierten Elemente in den moves Negative Wertung und Verärge‐ rung. Fasst man die intensivierten Elemente hinsichtlich inhaltlicher Gemeinsam‐ keiten und Strategien zur Äußerung von Kritik zusammen, erweisen sich die folgenden Fälle als besonders häufig (vgl. F RANZ 2011: 203-214; ergänzt wurden aus der Analyse des Korpus heraus die Kategorien „Spaß/ Freude“ und „Hoch‐ wertwörter“): 195 7.6 Ironie Bewertung (Adj./ Adv.). Im Rahmen der negativen Wertungen sind es meist Adjektive und Adverbien, die ironisch gebraucht werden: (DE352) […] Aber die Sperrung des Anschlusses hat ja wenigstens noch funktio‐ niert, super Leistung! […] (IT180) […] Bella compagnia,bel servizio clienti. Besonders häufig sind auf deutscher Seite die Lexeme super und toll, auf italie‐ nischer Seite bello. Bewertung (Substantiv). Daneben werden auch ironisch gebrauchte Substan‐ tive zur Bewertung herangezogen: (DE82) […] Übrigens mein Highlight war ja, das im System bei euch steht der Techniker wäre beim 1. Mal da gewesen und hätte das Problem von Draußen behoben und mit MIR gesprochen! […] (IT185) […] Poerterò la vostra „buona fede“ e „professionalità“ in Corecom! […] Hochwertwort. Gelegentlich verwenden Kunden eine eigentlich übliche und positiv konnotierte Bezeichnung wie Supportteam, Hilfe oder Unterstützung in ironischer Weise, um ihre Unangemessenheit zu veranschaulichen. In diesem Fall verdeutlichen die Beschwerdeführer die ironische Lesart durch Anfüh‐ rungszeichen, da sie sonst - aufgrund der Gebräuchlichkeit dieser Wörter - schwer als solche erkennbar wäre: (DE162) […] ich bin gerade etwas verwirrt durch diesen merkwürdigen „Service“ der einem hier geboten wird. […] (DE93) […] und der „Berater“ beendete das Gespräch ohne mich ausreden zu lassen. […] (IT347) Ho chiamato il ‚‚‚‚‚supporto‘‘‘‘‘‘ clienti 6 volte questa mattina […] Der Ausdruck „Hochwertwort“ wird insbesondere für Lexeme verwendet, die in der Werbepsychologie aufgrund ihrer positiven Referenzen oder Konnotati‐ onen hohes Prestige genießen; er geht zurück auf R ÖME R (1968). In den vorlie‐ genden Beschwerden handelt es sich bei ihrem Gebrauch um eine Form von Intertextualität, denn es werden Wörter aufgegriffen, die die Unternehmen zu ihrer Selbstdarstellung bzw. Beschreibung ihrer Dienstleistungen üblicherweise selbst heranziehen. 196 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders Zwei weitere typische Ausdrucksformen von Ironie sind Dank und Beglück‐ wünschen. F RANZ (2011: 209-210) stellt fest, dass „in beiden Fällen eben gerade kein Verdienst vorliegt und die wesentliche Funktion der ironischen Sprech‐ handlung der Ausdruck von Ärger und Kritik ist“ (210). C UL P E P E R (2011: 180) stellt heraus, dass Danken bereits regelmäßig in dieser Funktion verwendet werde; er spricht hier von einem „conventionalised impoliteness (sarcastic) mixed device“ (Hervorhebung M. K.), das dem Leser die ironische Interpretation ermögliche, ohne Inferenzprozesse zu durchlaufen. Dank. Ironischer Dank stellt eine Realisierungsform des move Ausdruck von Verärgerung dar: (DE383) Vielen Dank O2 nach 57min Warteschleife ,ausgeflogen Danke (DE129) […] Tja Vodafone, vielen Dank für 10 monate Horror! Vielen Dank für 10 nix machen! Vielen Dank für den schlechtesten Anbieter den ich jemals erlebt habe! ! ! ! (IT211) […] Ti rispondono con fare arrogante e scostumato che sono in regola perché rispettano l’ Agcom garantendo i 2 mega.GRAZIE TANTO Beglückwünschen. Auch Glückwünsche werden als ironischer Ausdruck von Verärgerung gezählt: (DE369) 5 Tage kein Internet und Telefon in Hamburg, bald macht ihr die Woche voll, Glückwunsch! […] (DE387) Vor einem Jahr hab ich erfahren das O2 Kunden per E-mail und/ oder SMS DSL Kunden vom Eingang der On‐ line Rechnung informiert. Klasse mich nicht ! Kann ja nicht so nen Problem sein das einzustellen . Aber Pustekuchen trotz Kontakt mit Hotline und euch Pustekuchen . Von daher Gratuliere ich eurer IT zum einjährigen Bestehen des Mini‐ problems (zu DE387) (IT233) 1 mese x avere risarcimento x bolletta sbagliata e 3 giorni di disagi in‐ ternet telefono e pos… ( danni economici) complimenti! ! ! 197 7.6 Ironie Spaß/ Freude. Daneben kann der Kunde in ironischer Weise erklären, er habe Spaß, Freude, gute Laune: (DE137) Es ist Abends und das Kabelinternet wie jeden Abend um 1/ 10 langsamer als sonst. So macht (High)speed Spaß ! Forderungen/ Wünsche. Ähnlich wie bei F RANZ (2011: 208) finden sich im Korpus ironisch formulierte Forderungen/ Wünsche, z. B. die Aufforderung zum Weitermachen, die in Wahrheit natürlich der Appell zur Beendigung der bishe‐ rigen Praxis ist: (DE118) […] Weiter so Vodafone (IT187) […] Sono delusa da questo atteggiamento poco….. Professionale.conti‐ nuate cosi….io intanto migro. Beruhigung. Auch scheinbar beruhigende Appelle werden in ironischer Weise verwendet: (DE155) […] Ups, da war mein Post wohl zu unbequem und wurde gelöscht! Keine Sorge, ich hab den Entwurf noch da und poste gern nochmal […] (IT168) se avete una sim Vodafone che non state usando con del credito sopra state tranquilli ci pensa Vodafone a farvi spendere il credito imponendovi promozioni a pagamento non richiesti è un sopruso Zufall und Zauberei. Wo dem Unternehmen in Wahrheit intentionales Ver‐ halten vorgeworfen wird, ist gelegentlich von „Zufall“ oder „Zauberei“ die Rede (vgl. F RANZ 2011: 211-212): (IT210) Alle 23.28 magicamente mi avete scalato 1.90 euro per l’attivazione di Vodafone exclusive.. Non sapevo nemmeno dell’esistenza di questo ser‐ vizio come di altri attivati in passato sempre per magia! Die auf diese Weise erfolgende Unterstellung von Vorsatz zähle ich in meiner Analyse zu den supportive moves (vgl. 7.2.4). Perspektivenübernahme. Daneben finden sich Fälle, in denen ein Schreiber die Äußerung/ Meinung einer anderen Person - in der Regel eines Unterneh‐ mensmitarbeiters - wiedergibt und sich diese in ironischer Weise zu eigen macht. Dabei kann er sie zur Verdeutlichung auch übertreiben. Im folgenden 198 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders Beispiel bestätigt der Beschwerdeführer die Aussage der Hotline zunächst mit „Klar“, verdeutlicht die Ironie dieser Bestätigung aber unmittelbar danach durch den Einwand „Äh doch! “: (DE82) […] Wieso sollte beim 4. Mal Jemand kommen? Das kann doch nicht sein? Klar der Techniker ist von der Telekom da könnt ihr nichts tun… (Aussage Hotline) Äh doch! Das schreit nach Prozessverbesserung! […] Fazit B R OWN / L EVIN S ON ([1978]1987: 221-222) sehen den Gebrauch von Ironie im Eng‐ lischen als face-saving: Mittels Ironie würden Sprechakte indirekt, und diese erschienen Hörern im Allgemeinen höflicher als direkte Sprechakte. Auch H E LD (2001: 119) beschreibt für eine Situation, in der die Kritik „hoch legitimiert“ ist, wie versucht wird, „der Maximalisierung die starke negative Stoßrichtung zu nehmen und zwar durch Verfahren, die die Gefühlsebene ansprechen, wie hy‐ perbolische Metaphern oder Ironie und Scherz“. In anderen Studien wird aber durchaus auch die gegenteilige Ansicht vertreten, die Wirkung von Ironie also als verstärkend beschrieben (vgl. den Forschungsüberblick bei D YN E L 2016). M EINL (2010) oder F RANZ (2011) beispielsweise werten sie als upgrader. Für wichtig bei der Interpretation von Ironie halte ich allerdings auch die Kommunikationssituation, im hier vorliegenden Fall die Veröffentlichung der Beschwerde im Web 2.0. Denn ironische Formulierungen - wie auch Humor - können zur Profilierung des Beschwerdeführers gegenüber mitlesenden Dritten dienen. Vor diesem Hintergrund sehe ich sie insbesondere als Mittel der Selbst‐ darstellung, mit unterschiedlicher Stoßrichtung je nach Rezipienten: Unter‐ nehmen oder Dritten. Näher ausgeführt wird diese Überlegung in Abschnitt 8.2.1.3. Außerdem sehe ich den Gebrauch von Ironie in engem Zusammenhang mit einem anderen Aspekt der Kommunikationsbedingungen: Ein direkter Aus‐ druck des eigenen Ärgers läuft Gefahr, gegen die Netiquetteregelungen zu ver‐ stoßen (vgl. 4.5, S7), während ironische Darstellungen von den Betreibern der Seite offensichtlich als legitim erachtet werden. Ob Öffentlichkeit und Netiquetteregelungen tatsächlich ursächlich für den hohen Anteil ironischer Äußerungen im vorliegenden Korpus sind, muss an dieser Stelle offen bleiben. H ÄCKI B UHO F E R (1993a: 229) stellt - leider ohne kon‐ krete Zahlen - im Hinblick auf die von ihr untersuchten postalischen Briefe an ein Schweizer Versandhandelsunternehmen jedenfalls fest: „Wenige schlagen 199 7.6 Ironie 84 Wie in S P E N C E R -O A T E Y S (u. a. 2000a, b) Modell diskutiert (vgl. 2.3.2), kann (un)höfliches Verhalten beispielsweise auch an der Verletzung von sociality rights and obligations und/ oder interactional goals festgemacht werden. Im Folgenden sollen aber allein Bewer‐ tungen zusammengestellt werden, die sich auf die (im)politeness sprachlicher Äuße‐ rungen beziehen. einen ironischen oder spöttischen Ton an, um ihre Kritik anzubringen“ (H ÄCKI B UHO F E R 1993a: 229). 7.7 Metakommunikative Äußerungen von Kunden I: (Im)politeness-Strategien L E NZ (1997: 79) trifft die unter anderem von M AA SS (2010) und F RÖHLICH (2015) aufgenommene Unterscheidung zwischen Metasprache und Metakommunikation: Die Sprache wird auf zwei Ebenen gebraucht, einerseits auf der Beschreibungsebene wie bei Metasprache (zumindest in ihrem weiteren Verständnis), andererseits auch auf der Objektebene. Metakommunikative Äußerungen drehen sich nicht um Sprache schlechthin, sondern um Sprache in ihrer kommunikativen Verwendung. Metakommunikative Äußerungen - als das Kommentieren der eigenen und fremden Verwendung von Sprache 84 - bieten Forschern die Möglichkeit, Ein‐ blicke in die Innensicht von Sprechern zu erhalten. Solche Äußerungen, zusam‐ mengefasst unter dem Konzept der politeness 1 (vgl. 2.2), können wertvolle Hin‐ weise für die Analyse bieten, treten aber im Rahmen von Internetkorpora oft nicht in ausreichender Menge auf (vgl. 2.5). Die Einschätzung der Angemes‐ senheit bzw. des Grades an (im)politeness eines Beitrags kann zudem bei Sender, Empfänger und Dritten, dem overhearing audience, variieren - wie es unter an‐ derem G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH S (u. a. 2012) Genre-Ansatz (vgl. 2.3.3) verdeut‐ licht. Dies betrifft auch die Einschätzung der Angemessenheit von Netiquette-Regelungen. Es ist davon auszugehen, dass die Öffentlichkeit und die Archivierung der Posts ebenso wie die Asynchronizität und einseitige Nachrichtenübertragung (vgl. 4.4, M2), aufgrund deren den Kunden mehr Zeit zum Verfassen ihres Textes zur Verfügung steht, das metasprachliche Bewusstsein der Schreiber erhöhen (H E R R ING 2007: 15). Metakommunikative Äußerungen, wie sie im Folgenden diskutiert werden, zeugen von der bewussten Wahl bestimmter (Im)polite‐ ness-Strategien. Die hier diskutierten Äußerungen beziehen sich inhaltlich auf die in Abschnitt 6 und 7 untersuchten moves und Modifikationen. 200 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders Wie bereits andere Studien festgestellt haben (vgl. 2.5), werden in der sprach‐ wissenschaftlichen Höflichkeitsforschung übliche Ausdrücke wie - im Engli‐ schen - polite, impolite oder rude nur selten von Interaktanten zur Charakteri‐ sierung des Höflichkeitsgrades einer Konversation verwendet. Das Gleiche gilt für die entsprechenden deutschen Bezeichnungen. Im vorliegenden Korpus führt beispielsweise die Suche nach dem Lexem „höflich“ zu einigen (wenigen) Treffern, in denen die Verfasser sich selbst oder andere (z. B. Unternehmens‐ mitarbeiter) in dieser Weise charakterisieren - insbesondere in der Schilderung des Beschwerdegrunds. Daneben finden sich Adjektive wie (un)freundlich, frech, gentile oder maleducato: (DE124) […] Nach einer Woche mal höflich nachgefragt, bekam ich die Antwort, das gibt es nicht mehr. […] (DE171) Base sollte dringend seine Chat-Mitarbeiter nachschulen….heute 2x ge‐ chattet und bin äußerst unfreundlich behandelt worden (IT388) […] L’operatore col quale ho parlato é stato molto gentile e mi ha inviato immediatamente il documento pdf da compilare e inviare a conferma del nuovo indirizzo. […] Teils wird auch das eigene - höfliche - Verhalten dem unhöflichen Verhalten der Mitarbeiter gegenübergestellt: (PK-D) […] Vodafone ruft an und ich bin sogar so freundlich und höre mir an was ich zu sagen habe! Dann erklärte ich der guten Frau (Nicht das erste mal)FREUNDLICH das ich keine Missverständnisse möchte und deshalb zum Shop meines Vertrauens gehe und diese wird frech und sagt […] (IT380) […] ma a queste richieste molto scortesemente mi è stato risposto se vo‐ levo anche il codice IBAN. […] Con molta maleducazione la signorina si è alterata dicendo che non la facevo parlare e mi ha sbattuto giù il telefono senza fornirmi i dati da me richiesti. Preciso che io non sono stata affatto scortese e non mi sono neanche alterata ho solo chiesto dati che è mio diritto conoscere. […] Wie bereits dargestellt, protestiert eine Reihe von Kunden dagegen, dass ihre ei‐ genen Posts gelöscht wurden (vgl. 4.5, S7) - und damit gegen die einseitig vom Unternehmen festgelegten Netiquetteregelungen. In Follow-up-Posts finden sich zudem Solidaritätsbekundungen anderer Nutzer, in denen sich gleichfalls meta‐ kommunikative Kommentare zur (im)politeness von Äußerungen erkennen lassen. Ein Beispiel ist der folgende Post. Er folgt einer Unternehmensantwort, in der der Verfasser einer Beschwerde mahnend darauf hingewiesen wurde, dass „Kritik auch 201 7.7 Metakommunikative Äußerungen von Kunden I: (Im)politeness-Strategien ohne Beleidigung ernst [genommen]“ werde. Ein anderer Kunde schreibt dar‐ aufhin: (Thread PK-D) hat nichts mit Beleidigung zu tun - es ist eine Feststellung! liest die an‐ deren Kommentare! und es hat auch nichts mit der PLZ zu tun, denn mit verbrauchtem Datenvolumen läuft es schneller! Der Kunde greift hier die Kritik des Unternehmensmitarbeiters auf, der Post ent‐ halte eine Beleidigung, und entkräftet sie: Es handele sich um eine bloße „Fest‐ stellung“ von Tatsachen. In diesem Zusammenhang verweist er auch auf die an‐ deren Posts, die die initiale Beschwerde stützen. Solidaritätsbekundungen dieser Art lassen sich im Lichte von G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH S (u. a. 2012) Genre-An‐ satz interpretieren (vgl. 2.3.3). In ähnlicher Weise kritisiert der Kommentator im folgenden Beispiel die Antwort des Unternehmens als „unverschämt“ - eine of‐ fensichtlich lustig gemeinte Antwort ist aus seiner Sicht nicht adäquat: (DE340) [Beschwerdeführer] an o2 Hilfe 10. Oktober um 04: 35 · Generell stört mich die Zwangstrennung bei Telefongesprächen im O2-Netz. Als Kunde mit Telefonflatrate möchte ich selbst entscheiden, wann die Verbindung mit dem Gesprächspartner beendet wird. 2 „Gefällt mir“-Angaben 1 Kommentar Gefällt mir Kommentieren Teilen 2 Personen gefällt das. o2 Hilfe Hi [Beschwerdeführer]. Das ist eine reine Vorsichtsmaß‐ nahme und gibt es in der Regel auch bei anderen Anbietern. Außerdem: Wer telefoniert denn heutzutage denn noch so lange? Grüße, [Mit‐ arbeiter] Gefällt mir · Antworten · 10. Oktober um 08: 42 [Beschwerdeführer] Ich telefoniere so lange Gefällt mir · Antworten · 1 · 10. Oktober um 11: 35 [Kommentator] Flat ist Flat - diese Frage zu stellen ist mehr als un‐ verschämt ! ! ! ! ! ! Gefällt mir · Antworten · 1 · 10. Oktober um 11: 49 Aber auch unter Kunden wird (im)politeness durchaus kontrovers diskutiert, wie dieser kritische Beitrag aus einem Kundenforum zeigt: Wer sind eigentlich die armen Menschen, die die ,Fragen‘ auf der Pinnwand von Face‐ book beantworten müssen? Hält man das aus? Ist ja wahnsinn in welcher Art und Weise da gepostet wird. 202 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders 85 Beitrag im Kundenforum eines deutschen Telekommunikationsunternehmens (https: / / forum.vodafone.de/ t5/ Forum-Vodafone/ Forum-goes-Facebook/ td-p/ 406456/ page/ 2, abgerufen am 30.06.2014). 86 K L U G E (2016: 515) führt K I T A G A W A / L E H R E R (1990: 743), Beispiel 6, an, die davon be‐ richten, dass L E H R E R als Amerikanerin in den 70er-/ 80er-Jahren von einer Europäerin vorgeworfen wurde: „You’re - I don’t mean you personally - you’re going to destroy us all in a nuclear war.“ Hier wird L E H R E R explizit als Adressatin ausgeschlossen und damit der potenzielle FTA abgewendet: Angesprochen war nicht sie persönlich, sondern in ihrer Zugehörigkeit zur US-amerikanischen Nation. Jeder Hansel postet so als hätte er sein Benehmen im letzten Loch gelernt 85 Auffällig sind in metakommunikativen Äußerungen im Laufe der Threads immer wieder auch Passagen, in denen die Schreiber zwischen dem social face und dem identity face (u. a. S P E NC E R -O AT E Y 2008) des Mitarbeiters differen‐ zieren. 86 Die folgenden beiden Beispiele zeigen Antworten des Kunden im An‐ schluss an eine Unternehmensantwort: (Thread zu DE380) o2 Hilfe Die Adresse findest du hier, ganz unten bitte einmal „Brief “ aufklicken: https: / / www.o2online.de/ kontakt/ kunde/ mobilfunk/ kuendigung/ Können wir etwas tun damit du bei uns bleibst? LG [Mit‐ arbeiterin] [Beschwerdeführer] Hallo [Mitarbeiterin], du bist sicherlich nicht die‐ jenige, die meinen Ärger eigentlich abbekommen sollte, aber bei solchen rechtlich sehr fragwürdigen Machenschaften, dem absolut unzurei‐ chendem Service und den preislich nicht wettbewerbstauglichen Preisen wird mich bei o2 nichts halten können. (Thread zu DE358) o2 Hilfe Guten Morgen [Beschwerdeführer]. Wir arbeiten alle PNs der Reihe nach ab. Hab bitte noch etwas Geduld. Wir haben dich nicht ver‐ gessen. LG [Mitarbeiter] [Beschwerdeführer] Hallo [Mitarbeiter] …. nichts gegen Dich aber diesen Spruch bekomme ich jetzt seit 14 Tagen zu hören. … und auch nur dann, wenn ich versuche an Informationen zu kommen. Indem der jeweilige Schreiber verdeutlicht, dass sein Ärger nicht auf den Un‐ ternehmensmitarbeiter selbst zielt, stellt er dessen professionelle Rolle heraus: Es geht nicht um die Person des Mitarbeiters, sondern um seine Identität als Repräsentant des Unternehmens, um sein social face also. Für das Verständnis der sprachlichen Gestaltung von Beschwerden besonders interessant sind Beiträge, in denen die Beschwerdeführer die von ihnen ver‐ folgte Höflichkeitsstrategie beschreiben, die sich der Persuasion als kommuni‐ kativer Grundausrichtung von Beschwerden (A L -M OMANI 2014) zuordnen lässt. Wie das Ziel der Persuasion zu einer strategischen Ausrichtung von Formulie‐ 203 7.7 Metakommunikative Äußerungen von Kunden I: (Im)politeness-Strategien rungen führen kann, formuliert E HRHAR DT (2009: 178-179) - mit Bezug auf sein Korpus aus Forenthreads - wie folgt: In diesem Zusammenhang wird besonders deutlich, dass Höflichkeit eine Kompo‐ nente einer komplexeren Aktivität ist, ein Teil einer Strategie: Wer bestimmte Hand‐ lungsziele erreichen will, kann dies zum Beispiel versuchen, indem er kommuniziert. Wer kommuniziert wiederum, erhöht seine Erfolgschancen, wenn es ihm gelingt, den Partner davon zu überzeugen, dass er (der Sprecher) ein Mensch ist, der sich im All‐ gemeinen an die gesellschaftlichen Regeln und Konventionen hält, der als vertrau‐ enswürdig angesehen werden kann. Diese Überzeugung kann er bewirken, indem er bestimmte, etwa als höflich angesehene, sprachliche (oder außersprachliche) Mittel verwendet. Höflich-Sein wird so zu einem Gebot der taktischen Klugheit; Höflichkeit ist kein Selbstzweck, sondern so etwas wie ein (meistens) kluger Zug in einer auf andere Ziele ausgerichteten Aktivität. Nutzer können also Beiträge im Hinblick auf erfolgte oder nicht erfolgte (vgl. auch N E U RAUT E R -K E S S E L S 2013: 113) Anpassung an die Netiquette reflektieren und auf diese Weise zum Ausdruck bringen, dass sie - unter diesem äußeren Zwang - bestimmte Höflichkeitsstrategien verfolgen. So impliziert der Autor im folgenden Beispiel, dass er sich eigentlich anders ausdrücken würde, als dies in seiner Nachricht geschehe, davon aber aufgrund der Netiquetteregelungen Abstand nehmen müsse, damit sein Post nicht gelöscht wird. (PK-D) Da ich mich zusammenreissen muss habt ihr nochmal glück gehabt. Wie E HRHAR DT (2009: 187) anhand ähnlicher Beispiele ausführt, verdeutlichen die Schreiber auf diese Weise, dass sie selbst die Regelungen der Netiquette kennen, und unterstellen gleichzeitig deren Kenntnis bei den Unternehmens‐ mitarbeitern und anderen Lesern: Sie konstruieren auf dieser Grundlage eine Art von Kommunikation, die auf Anspie‐ lung und spielerischer Ausbeutung des gemeinsamen Wissens beruht. Die Argumen‐ tation lässt sich etwa so explizieren: Was ich sagen möchte, müsste ich in einer Form sagen, die ich für inakzeptabel halte und von der ich weiß, dass Sie wissen, dass sie hier nicht toleriert werden könnte. Sie können sich also vorstellen, wie diese Äuße‐ rung aussehen würde. Daneben finden sich metakommunikative Reflexionen aber auch, wo Teil‐ nehmer Höflichkeitsstrategien ironisierend einsetzen. So beginnt der nachfol‐ gende Post mit einem Buffer (vgl. 6.4.2), in dem der Beschwerdeführer den Mit‐ arbeitern des Unternehmens zunächst sein Lob ausspricht. In seinem der 204 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders 87 Ein ähnliches Beispiel zitiert N E U R A U T E R -K E S S E L S (2013: 113): „[…] Bet this is not pub‐ lished.“ eigentlichen Beschwerde folgenden Nachsatz dagegen entlarvt der Schreiber den Einsatz des Buffers als pure Strategie zur Erhöhung seiner Erfolgschancen, weshalb er nicht in diese Kategorie eingeordnet werden kann: (PK-D) Liebe Jungs & Mädels des Vodafone-Team… Ersteinmal möchte ich euch Loben.. ihr seid die BESTEN! Aber: Seit ungefähr 1 Stunde geht das In‐ ternet nicht mehr. […] * (Nicht alle Sätze entsprechen der Wahrheit. Einige Sätze dienen nur dazu, um eine möglichst kulantere Problemlösung zu bekommen.) Auch im folgenden Beispiel konterkariert der Beschwerdeführer mit seinem Nachsatz die Politeness-Strategie der Anrede: (PK-D) liebe Vodafone (ich muss ja lieb sagen sonst wird wieder auf der Netti‐ quette herumgeritten anstatt das Problem zu lösen). Dabei handelt es sich hier natürlich um ironische Übertreibung: Der Schreiber zieht die Regelungen ins Lächerliche - auf keiner der Facebook-Seiten schreibt die Netiquette die Anredeformel „Liebe“ vor. In seltenen Fällen veröffentlichen die Beschwerdeführer einen Post, obwohl ihnen bewusst ist, dass sie damit sicher gegen die Netiquette verstoßen. 87 (D155) Ups, da war mein Post wohl zu unbequem und wurde gelöscht! Keine Sorge, ich hab den Entwurf noch da und poste gern nochmal […] 7.8 Zusammenfassung und Diskussion Eingangs wurde bereits festgestellt, dass von den von T R O S B O R G (1995: 329-330) identifizierten supportive moves, nämlich preparators (structural level of dis‐ course), disarmers (interpersonal level of discourse) und inhaltsbezogenen moves (content level), im vorliegenden Korpus fast ausschließlich solche der dritten Kategorie vorliegen, also zur inhaltlichen Untermauerung der Beschwerde. Dies bestätigt die geringe Bedeutung, die eine positive Beziehungsarbeit im vorlie‐ genden Korpus hat; deutlich im Vordergrund steht die Zielorientierung der Be‐ schwerdeführer (task-orientation, vgl. O R THAB E R / M ÁR Q U E Z R E IT E R 2011: 3868). 205 7.8 Zusammenfassung und Diskussion Die einzelnen supportive moves wie Hinweise auf die Wiederholung oder das lange Andauern des Beschwerdegrunds (bzw. die Wiederholung der Be‐ schwerde / das lange Warten auf Antwort) verstärken sein Gewicht (bei B R OWN / L E VIN S ON [1978]1987: 76 weightiness [W x ]) und legitimieren die Beschwerde zu‐ sätzlich. Die Schilderung negativer Konsequenzen für den Beschwerdeführer hebt die Argumentation zudem auf eine persönliche Ebene, indem der ihm ent‐ standene Schaden konkretisiert wird. Häufig handelt es sich hierbei um Ein‐ schränkungen in beruflichen Kontexten, die mit finanziellem Schaden einher‐ gehen. Besonders schwerwiegend scheint das Unterstellen eines Vorsatzes beim Herbeiführen des Beschwerdegrunds: Es schließt nämlich die Interpretation des Fehlverhaltens als rudeness - im Sinne fehlender Intention (vgl. 2.4.1, C UL P E P E R 2005: 63) - aus. Der dem Unternehmen vorgeworfene face-threat ist damit höher als bei versehentlichem Fehlverhalten. Interne upgraders kommen im Korpus weit häufiger als interne downgraders vor, wobei CvK-spezifische Hervorhebungsverfahren im italienischen Korpus, der verbale Ausdruck durch Intensivierer im deutschen Korpus überwiegt. Zur Charakterisierung höflichen und unhöflichen Verhaltens von Unterneh‐ mensmitarbeitern, anderen Kunden und ihrer selbst gebrauchen die Kunden verschiedene Lexeme. Einigen metakommunikativen Überlegungen lassen sich auch Hinweise zur Intention der Beschwerdeführer entnehmen. Sie legen nahe, dass sie Formulierungen, die als face-threatening angesehen werden können, sehr bewusst und strategisch einsetzen, um dem eigenen Ärger Ausdruck zu verleihen und der Reputation des Unternehmens zu schaden. Wenn andere Be‐ schwerdeführer erklären, bewusst auf eigentlich bevorzugte Impoliteness-Stra‐ tegien zu verzichten, damit der eigene Post nicht gelöscht wird, ist dies gleichfalls ein Hinweis darauf, dass ihre eigentliche Intention ist, impoliteness zu reali‐ sieren. Wie im Forschungsüberblick gezeigt, sehen gerade (Im)politeness 2 -An‐ sätze die Intention des Sprechers als konstitutiv für das Vorliegen von impoli‐ teness an (vgl. 2.2 und 2.4.1). 206 7 Interne und externe Modifikation: supportive moves, upgraders und downgraders 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation 8.1 Einleitung Wie eingangs betont (vgl. 2.1), legen B R OWN / L EVIN S ON ([1978]1987) einen deut‐ lichen Schwerpunkt ihrer Politeness-Theorie auf die Abmilderung von face-threatening acts mit dem Ziel, das face des Adressaten zu schützen. Be‐ schwerden wurden in der Folge vor allem als face-threatening für den Adressaten beschrieben. In Abschnitt 6 dieser Arbeit wurden moves, die das face des Ad‐ ressaten stark bedrohen - wie negative Bewertung, Drohung oder Forderung - bereits ausführlich dargestellt. Abschnitt 7 hat zudem gezeigt, dass sie im vor‐ liegenden Korpus tendenziell in weit höherem Maße verstärkt als abgemildert werden. Wie der Beschwerdeführer der Bedrohung seines eigenen face entge‐ genwirkt, ist bisher dagegen nur am Rande beschrieben worden, beispielsweise über den move Buffer oder über supportive moves wie die Beschreibung persön‐ licher negativer Konsequenzen aus dem Vorfall (vgl. 6.4.2 und 7.2). C HE N (2001) plädiert wie bereits aufgezeigt (vgl. 2.1) dafür, der Untersuchung des self-face allgemein größere Bedeutung beizumessen; dabei umfassen seine Konzepte des self-face und des other-face im Falle einer Kommunikation zwi‐ schen zwei Personen über die zwei Personen hinausgehend auch deren persön‐ liches Umfeld und ihre Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen. Dieser Punkt erinnert an S P E NC E R -O AT E Y S Unterscheidung zwischen quality face und identity face (vgl. 2.3.2) und ist gerade im Kontext der Kommunikation zweier Personen in der Rolle als Kunde bzw. Unternehmensmitarbeiter von großem Interesse. Dieser Abschnitt befasst sich daher insbesondere mit der Frage, wie der Be‐ schwerdeführer sein self-face schützt. Zum Ersten soll hierzu anhand von Beispielen analysiert werden, wie sich die Schreiber in ihren Beschwerden selbst darstellen, welche persönlichen Infor‐ mationen in ihren Posts enthalten sind und wie sie sich auf diese Weise in ihren Beschwerdeposts positionieren. Ein Teil der zu besprechenden Aspekte wurde bereits in den vorangegangenen Abschnitten diskutiert, hier aber sollen sie unter dem Aspekt des self-face aufgegriffen werden. Am Beispiel von Online-Rezensionen analysiert vor allem V ÁS Q U E Z (2014a: 57-95, 2014b) sehr ausführlich, wie die Schreiber persönliche Informa‐ tionen wie Alter, Geschlecht oder Familienstand preisgeben, sich über die Nen‐ nung von Hobbys und Vorlieben einem bestimmten „Lifestyle“ zuordnen oder über die Schilderung für die Rezension einschlägiger Erfahrungen Expertentum für sich reklamieren. Dabei greift V ÁS Q U EZ (2014a, b), wie auch andere Arbeiten zur Identitätskonstruktion/ Selbstpositionierung in CvK (B OLAND E R / L O CHE R 2010, 2014), als theoretischen Hintergrund zur Analyse der Selbstdarstellung zum einen diskursive Ansätze der Identitätsforschung (B U CHOLTZ / H ALL 2005; B E NWE LL / S TOKO E 2006), zum anderen die sozialpsychologische Theorie des po‐ sitioning (D AVI E S / H AR RÉ 1990) auf. Diskursive Ansätze der Identitätsforschung begreifen Identität - wie sie durch Faktoren wie Alter, Geschlecht, Persönlich‐ keit, private Interessen, Ausbildung und Beruf geprägt wird - nicht als festge‐ legte Kategorie, sondern als soziales Konstrukt, das permanent ausgehandelt wird: „[identity] is intersubjectively rather than individually produced and in‐ teractionally emergent rather than assigned in an a priori fashion“ (B U CHOLTZ / H ALL 2005: 587). Auf diese Weise kann sie sich nicht nur mit der Zeit, sondern auch situationsabhängig ändern. Zur Selbstdarstellung auf Facebook haben Nutzer die Möglichkeit, in vorge‐ fertigten Rubriken Angaben zu machen und ein Foto hochzuladen. Studien, die sich auf diese Form der Selbstdarstellung fokussieren, lassen allerdings die weit vielfältigeren Möglichkeiten der Identitätskonstruktion außer Betracht, die sich nicht auf diese vom Betreiber des Netzwerks vorgegebenen Kategorien be‐ schränken. Z HAO E T AL . (2008) stellen fest, dass die explizite Nennung persön‐ licher Informationen gegenüber der impliziten Konstruktion von Identität - beispielsweise über das Posten der Lieblingsmusik oder eines Fotos - nur eine untergeordnete Rolle spiele (vgl. Fußnote 71). Auch B OLAND E R / L O CHE R (2010: 185) schlagen in ihrer Untersuchung zu Status-Updates auf Facebook vor, explizite wie implizite Informationen einzubeziehen und auf diese Weise parallel zu Sprechakten auch „acts of identity“ anzusetzen. Diese Überlegungen machen die Grenzen der vorliegenden Studie sehr deut‐ lich. Zum einen beschränkt sich die Analyse aus forschungsethischen Gründen auf spezifische sprachliche Muster der Selbstdarstellung innerhalb der Be‐ schwerdeposts, ohne ihnen die jeweiligen Profilinformationen der Schreiber zuzuordnen (vgl. 5.1.6). Zum anderen sind ausschließlich an Telekommunikati‐ onsunternehmen gerichtete Beschwerden Gegenstand dieser Arbeit; die Kommu‐ nikation mit anderen Personen oder Institutionen bleibt außen vor. Aussagen über das self-face des Schreibers können damit nur sehr eingeschränkt - auf diese spezifische Situation und Teilnehmerkonstellation hin - getroffen 208 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation 88 Neben den in den Beschwerden preisgegebenen Informationen, über die sich die Schreiber positionieren, tun sie dies natürlich auch über Aspekte ihres Schreibstils, die im Rahmen dieser Arbeit nicht im Detail besprochen werden können. Sinnvoll wäre eine solche Auswertung bei Vorliegen zugehöriger Metadaten zum soziodemografi‐ schen Hintergrund des jeweiligen Schreibers. 89 In Analogie zu den Konzepten self-face und other-face (C H E N 2001, vgl. 2.1 und 9.2) wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit für die Ausrichtung von Referenzen die englisch‐ sprachige Terminologie herangezogen: self-reference und other-reference. werden. 88 Die Analyse in 8.2.1 ist qualitativer Natur und kann nur exemplarisch sein. Zum Zweiten geht es in diesem Abschnitt um Referenzen des Beschwerde‐ führers auf sich selbst (self-reference)  89 sowie auf die Mitarbeiter des Unterneh‐ mens und andere Kunden, mitlesende Bekannte etc. (other-reference). Während auf der Benutzeroberfläche der Facebook-Seite als Absender vom System auto‐ matisch der entsprechende Facebook-Nutzer, als Empfänger das Unternehmen angegeben ist (vgl. Abbildung 5), machen die Beschwerdeführer ihren Post de facto sowohl für das Unternehmen wie auch für andere Rezipienten zugänglich, indem sie ihn auf der Facebook-Seite des Unternehmens veröffentlichen. In der folgenden mikrotextuellen Analyse des Korpus sollen alle Beschwerden auf das Vorkommen von Pronomen, Verbformen und anderen Formen der Referenz hin ausgewertet werden (vgl. V ÁS Q U E Z 2011: 1710); eine besondere Rolle kommt dabei den (Personal-, Demonstrativ- und Indefinit-)Pronomen zu (vgl. T R O S‐ B O R G 1995: 322 ff.; M E INL 2010: 91-94). Im Vordergrund steht die sprachliche Konstruktion der Interaktion zwischen Beschwerdeführer, Unternehmen und Dritten: Zum einen geht es um die Referenz der Beschwerdeführer auf sich selbst, zum anderen um das involvement der (potenziellen) Leserschaft als eine Art diskursiver relational work (L O CHE R / W ATT S 2005), also um die Frage, in welcher Weise der Beschwerdeführer auf seine (potenziellen) Leser und andere Akteure referiert. Abbildung 10 fasst die möglichen Referenzen zusammen. 209 8.1 Einleitung 90 Selbstverständlich muss es sich nicht tatsächlich um Mitarbeiter bzw. Abteilungen des Unternehmens handeln. Die Betreuung des Social-Media-Auftritts könnte beispiels‐ weise auch von einem externen Dienstleister übernommen worden sein. Entscheidend für den vorliegenden Kontext ist, dass die Adressaten vom Kunden als die zuständigen oder verantwortlichen Vertreter des Unternehmens wahrgenommen werden. Abbildung 10: Self-reference und other-reference in den Beschwerden (Schema) Mittels self-reference kann der Beschwerdeführer, wie oben erläutert, auf seine eigene Person verweisen, aber auch auf eine Gruppe, der er sich zugehörig fühlt. Referenzen auf die Gruppe sind dabei je nach Ausprägung in einem Spannungs‐ feld zwischen self-reference und other-reference zu verorten, wie zu zeigen sein wird. Die other-reference kann sich auch auf das Unternehmen beziehen; dabei ist zwischen dem Unternehmen als Institution, den Social-Media-Mitarbeitern, die für die Beantwortung der Beschwerden zuständig sind, sowie anderen Ak‐ teuren - Mitarbeitern oder Abteilungen des Unternehmens - zu unter‐ scheiden. 90 Daneben kann der Beschwerdeführer auch auf weitere Akteure referieren, wie z. B. Lieferdienste oder Konkurrenzunternehmen. Diese Referenzen werden in der folgenden Auswertung nicht berücksichtigt. 210 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation 91 S ÁN C H E Z P R I E T O (2017) geht einen anderen Weg: Er wertet in seiner Studie zu Hotel‐ rezensionen auch für das Spanische - als einzige Nullsubjektsprache in seinem Korpus - die Vorkommen eines Pronomens aus und stellt die Seltenheit von Subjektspronomen im spanischen Korpus (in 8,6 % aller 162 Rezensionen) mit Verweis auf diese gramma‐ tische Eigenheit als Besonderheit heraus. Im Mittelpunkt der Analyse steht der Pronominalgebrauch, wie er in der lin‐ guistischen Forschung seit Langem eine bedeutende Rolle spielt (D E F INA 2003: 52): Pronouns have always interested linguists, particularly discourse analysts, because they are indexical elements par excellence in that by pointing to concrete individuals, they establish a relationship between the linguistic and the extra-linguistic world. […] Since reference to the self or to the interlocutor is a reflexive act that can only be interpreted in relation to the immediate and social context of the interaction, pronouns can be seen as central to the establishment of connections between language and contexts. Dabei werden für das Italienische als Nullsubjektsprache bei nicht realisiertem Subjekt die entsprechenden Verbalformen ausgewertet (wie auch N O R D 2002: 156 für das Spanische). 91 Auch in der Analyse der (im)politeness von Texten hat der Pronominalge‐ brauch seit jeher eine große Rolle gespielt. So sehen B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) beispielsweise im Gebrauch eines gleichzeitig den Sprecher wie den Hörer umfassenden wir eine Positive-Politeness-Strategie; das Vermeiden von Personalpronomen dagegen wurde vielfach als Negative-Politeness-Stra‐ tegie interpretiert, da es die Freiheit von Sprecher und Hörer wahre. Postmo‐ dernen Politeness-Theorien wie der von L O CHE R / W ATT S (2005) folgend muss al‐ lerdings hinterfragt werden, ob die verwendeten Formen tatsächlich als markiert - und damit polite oder impolite - gelten können oder möglicherweise im jeweiligen Kontext schlicht angemessenes Verhalten darstellen. Zur Gliederung der Darstellung ziehe ich T R O S B O R G S (1995: 323), auf H AV E R‐ KAT E (1984: 56) zurückgehende Unterscheidung in Fokalisierung und Defokali‐ sierung der Referenz auf Sprecher und Hörer heran. Mittels Fokalisierung wird die Rolle des jeweiligen Referenten hervorgehoben, während sie mittels Defo‐ kalisierung nur minimal oder nicht betont wird. In den Abschnitten 8.2.2, 8.3.1 und 8.3.2 soll nacheinander die (De-)Fokalisierung im Hinblick auf Beschwer‐ deführer, Unternehmen und andere analysiert werden. Ausgehend hiervon stelle ich Überlegungen zur Einteilung in direkte und indirekte Beschwerden an (vgl. 8.3.3); abschließend werden metakommunikative Äußerungen von Kunden zur Charakterisierung der Kommunikationssituation ausgewertet (vgl. 8.4). 211 8.1 Einleitung 92 In der Regel entstammen die in diesem Abschnitt herangezogenen Beispiele den moves Kontext und Beschwerdegrund. 8.2 Selbstdarstellung und self-reference 8.2.1 Strategien der Selbstdarstellung 8.2.1.1 Rolle als Kunde, weitere Rollen, eigene Expertise V ÁS QU E Z (2014a) analysiert Rezensionen zu sehr verschiedenen Produkten/ Dienstleistern wie Filmen, Restaurants, Rezepten oder Wickeltaschen. Es ver‐ wundert nicht, dass die Art der Selbstdarstellung in ihrer Studie in hohem Maße abhängig vom Gegenstand der Rezension ist: So stellt sie fest, dass Rezensenten aus der Angabe ihres beruflichen Hintergrunds oft Legitimation für die Bespre‐ chung eines damit verbundenen Produktes ziehen (z. B. Rezension einer Yoga‐ matte durch einen Yogalehrer), in Bewertungen von Rezepten oder Restaurants dagegen häufig auf ihre nationale oder regionale Herkunft verweisen. Der Themenbereich des vorliegenden Korpus ist dagegen wesentlich einge‐ schränkter. Zu den Selbstdarstellungsstrategien zählen hier zunächst zwei, die bereits als supportive moves gewertet wurden: die Darstellung der eigenen Rolle als Kunde (vgl. 7.2.2) sowie die Illustration persönlicher negativer Konsequenzen (vgl. 7.2.3). Indem sie sich als langjährige, treue, pünktlich zahlende Kunden des Unternehmens darstellen, verweisen die Beschwerdeführer auf ihr Recht auf eine angemessene Dienstleistung. Bei der Schilderung negativer Konsequenzen des Vorfalls können - explizit oder implizit - Identitäten als Computerspieler, Student oder fürsorglicher Verwandter zutage treten, vgl. die Beispiele in 7.2.3. Zuweilen schlagen die Schreiber hier auch einen sehr emotionalen Ton an: 92 (DE70) […] Meine 82-jaehrige Mutter musste innerhalb von einer Woche in ein Heim umziehen und jetzt muss sie 16 Tage warten bis sie einen Anschluss mit der Aussenwelt haben kann. Dies ist sehr, sehr traurig. Ich hoffe die Angestellte die dieses bearbeitet ,muss nicht durch die Angst und Unge‐ wissheit, die meine Mutter jetzt mitmachen muss, gehen. Wie bereits im Forschungsüberblick dargelegt, beschreibt M ÁR Q U E Z R EIT E R (2005: 491-492) solche Passagen in ihrer Analyse von Beschwerdeanrufen bei der Hotline eines Pflegedienstes als sozio-emotional (socio-emotional) - im Ge‐ gensatz zu sachbezogen (factual). Auch H ÄCKI -B UHO F E R (1993a: 224) unter‐ scheidet zwischen Informationen, die der Argumentation dienen, und „man‐ gelnder Entpersönlichung“ - und konstatiert letztere in ihrem Korpus aus Beschwerdebriefen an einen Versandhändler in etwa der Hälfte der Fälle. 212 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation Aber auch die Selbstdarstellung als Experte, die V ÁS QU E Z (2014a: 71-78, 2014b: 73-77; vgl. auch K UNK E L 2014) beschreibt, findet sich im vorliegenden Korpus. Weit gefasst, im Sinne einer Selbstdarstellung als „gut informierter Ver‐ braucher“, fallen darunter beispielsweise Hinweise darauf, man habe Erfahrung mit anderen Anbietern und könne die Angebote deshalb gut vergleichen oder man habe sich in den Medien oder im Internet schon über das eigene Problem informiert - oder auch an das Unternehmen gerichtete Tipps, wie es sich besser aufstellen könnte. In DE131 verweist der Kunde beispielsweise explizit auf seine eigene berufliche Identität; als Experte im Dienstleistungsbereich kritisiert er die fehlende Kundenorientierung des Unternehmens: (DE131) […] Ich seh es ein, dass Dinge alle oder vergriffen sein können ich arbeite selber im Dienstleistungsbereich! Aber ich bin doch gewillt, meinem Kunden bei seinem Problem bestmöglich zu helfen vor allem, wenn es von meiner Seite verschuldet ist! […] Der folgende Beschwerdeführer stellt sich implizit als über seine Rechte infor‐ miert dar: (PK-D) […] An dieser Stelle möchte ich bevor ich mich weiter äußere auf §. 20 in Verbindung mit §. 7 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb ver‐ weisen, da es sich sonst um einen unerlaubten Werbeanruf handelt, einen sogenannten Cold Call, den die Bundesnetzagentur nach dem UWG und dem Ordnungswidrigkeitengesetz verfolgen kann. […] Aber auch die - gerade im deutschen Korpus - häufige Betonung der langjäh‐ rigen Verbundenheit zum Unternehmen (vgl. 7.2.2), oft einhergehend mit dem Hinweis auf den bislang durchaus guten Service, lässt sich in diesen Zusam‐ menhang einordnen, wie IT221 es nahelegt: (IT221) sono (ma non ancora per molto! ! ! ) vostra cliente da 14 anni. Vi ho visti passare dall’essere il top delle comunicazioni con fantastiche promozioni come Christmas Card e Summer card, piani tariffari fenomenali come la vodafone friends (anche se a me ha portato sfiga) a proporre promozioni che di promozionale non hanno nulla ed hanno costi davvero assurdi. Hier positioniert sich der Kunde über den Hinweis auf die lange Dauer seines Vertrags als erfahren mit den Leistungen dieses Unternehmens und ihrer Ent‐ wicklung in den letzten Jahren - und erhöht auf diese Weise seine Berechtigung, sich über unzureichende Serviceleistungen zu beschweren. 213 8.2 Selbstdarstellung und self-reference Auch wenn die Schreiber die Mitarbeiter bitten, bestimmte Arten von Ant‐ worten zu unterlassen (z. B. den Tipp, das Handy aus- und wieder einzuschalten), wie es bei der Beschreibung des move Forderung dargestellt wurde (vgl. 6.4.4), geben sich die Kunden als erfahren in Bezug auf mögliche (und wenig zielfüh‐ rende) Antworten des Unternehmens zu erkennen. 8.2.1.2 Demografische Angaben und „Lifestyle“-Kategorien Laut Netiquette sind Kunden generell aufgefordert, in ihren Posts keine persön‐ lichen Daten preiszugeben (vgl. 4.5, S7, und 5.1.6). Es ist davon auszugehen, dass eine Reihe von Posts, die solche Daten (wie z. B. die eigene Telefonnummer) ent‐ hält, vom Unternehmen direkt gelöscht wird. Ihren Namen geben viele Kunden bereits über ihren Facebook-Account preis (vgl. 4.5, S1), nur selten findet er sich zusätzlich als Unterschrift. Häufiger dagegen ist die Nennung des eigenen Auf‐ enthaltsortes, die insbesondere zur Lokalisierung von Netzstörungen dient. Nur selten wird der eigene Aufenthaltsort betont, um seine Größe, Lage oder Bedeu‐ tung hervorzuheben und damit beispielsweise Unverständnis über die man‐ gelnde Netzabdeckung, den schlechten Service etc. zum Ausdruck zu bringen: (PK-D) […] Wie kann es sein, dass ein Konzern wie die Telekom es nicht schafft im Großraum Berlin einen Techniker zur Verfügung zu stellen, geschweige denn Bescheid zu geben, dass kein Techniker kommt? […] (IT95) […] Ho da sei mesi telefono di casa + mobile e a Lido di Camaiore, nel centro dell’Italia quindi, non in una campagna sperduta, sono senza linea adsl e telefonica da tre giorni. […] Familienstand und/ oder Beziehungsstatus werden zuweilen in den Solidaritäts‐ bekundungen unter Kunden (vgl. 7.2.7) zum Ausdruck gebracht - oder dort, wo die Beschwerdeführer schildern, dass noch andere von dem Beschwerdegrund betroffen sind (vgl. 8.2.2, class-inclusive reference). Auch „Lifestyle“-Kategorien wie Hobbys spielen nur insoweit eine Rolle, wie sie relevant für den Beschwer‐ degrund sind, beispielsweise wenn Kunden schildern, sie sähen sich gern Fuß‐ ballspiele im Fernsehen an, spielten Computer etc. (vgl. 7.2.3). 8.2.1.3 Humor und Ironie Für Überlegungen zur Selbstdarstellung von Beschwerdeführern sind auch Humor und Ironie von Interesse. Ironie wurde bereits in 7.6 als Strategie der Modifikation von Äußerungen ausgewertet, Humor lässt sich die gleiche Funk‐ tion zusprechen. Doch hinter beidem steht noch mehr, wie u. a. E DWAR D S (2005: 26) hervorhebt, der von einer prinzipiellen Abmilderung von Beschwerden durch Ironie ausgeht: 214 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation 93 Bei V Á S Q U E Z (2014a: 124-125) finden sich Beispiele, in denen Verfasser von Online-Re‐ zensionen Werbesprache imitieren: „The resulting texts can be thought of as hybrid dis‐ courses in which prosumers appropriate the discourse of advertising, blending cheery, jingle-like slogans such as ,Try it, you’ll love it! ‘ with accounts of their own personal experiences.“ Die Beschwerdeführer in den Beispielen aus dem Korpus dieser Arbeit, die im Folgenden referiert werden, gehen allerdings mit der humorvollen Umkehrung der Aussage noch einen Schritt weiter. It is not only a matter of softening complaints by playing them down or laughing through them, nor a matter of choosing between irony and seriousness. Rather, it is a matter of how complaining is effectively done, in which speaker-indexical features, and potential recipient uptakes, have to be managed. Es ist also lohnend, sich den Einsatz von Humor und Ironie zur Gestaltung der relational work genauer anzusehen, die Wirkung auf den oder die Rezipienten zu analysieren. L O CHE R (2006: 123) identifiziert für ihr Korpus aus Online-Rat‐ geberkolumnen drei verschiedene Funktionen von Humor als relational work (vgl. 2.3.1): neben humor-hedging, also der Abmilderung eines FTAs, auch humor-bonding, auf eine Verbindung zu den Lesern abzielend, und humor-criti‐ cizing, auf Kritik am Leser abzielend. Auch D YN E L (2015: 343) weist in ihrem Forschungsüberblick auf Arbeiten hin, die impoliteness unter dem Aspekt des mit ihr verbundenen Humors untersuchen - und hier die Bedeutung polylogi‐ scher Kommunikationssituationen in den Blick nehmen: „the topic of the hu‐ morous capacity of impoliteness is related to its workings in multi-party inter‐ actions, which transcends the canonical speaker-hearer dyad.“ Interpretation und Kategorisierung einer Textpassage als humorvoll bleiben dabei - stärker noch als die Kategorisierung als ironisch (vgl. 7.6) - bis zu einem gewissen Grad subjektiv (L O CHE R 2006: 261): People who share similar values and norms may arrive at similar interpretations, but since these concepts are discursive by nature, i. e., since they are continually in flux and shaped by members of a society rather than static and carved in stone, judgments are bound to vary. Im vorliegenden Korpus zeigt sich, dass humorvolle Passagen zunächst in der Regel auf Kritik am Unternehmen abzielen, also in die oben genannte Kategorie des humor-criticizing fallen. In den folgenden Fällen werden Werbesprüche oder andere Texte des Unternehmens selbst karikiert, worin sich eine Form von Inter‐ textualität sehen lässt (vgl. V ÁS Q U EZ 2014a: 114-136). 93 215 8.2 Selbstdarstellung und self-reference (DE116) […] Welcome to schlechter Kundenservice, […] (DE300) Hallo ihr. Wo ist das „beste netz“ in 45149 hin? […] (DE281) […] so sieht also der große TESTSIEGER aus..richtig müsste es heißen: Testsieger in den Kategorien „Unfähigkeit“, „schlechtester Service“, „Hin‐ halte-Taktiken“ & „Kunden anlügen“ […] (IT327) Fastweb….. Immagina… Puoi…. Servizio fantasma, ecco cosa abbiamo con voi! ! ! ! ! ! (IT176) Torna in Vodafone. Ti diamo meno e paghi di piu. […] Die Beispiele DE116 und DE300 greifen Werbeversprechen des jeweiligen Un‐ ternehmens auf („bester Kundenservice“, „das beste Netz“) und verkehren sie in ihr Gegenteil. In ähnlicher Weise bezieht DE281 sich auf eine Auszeichnung, mit der ein Unternehmen wirbt: Die Zeitschrift connect (08/ 2015) hatte es zum Test‐ sieger in den Kategorien „Sprache“, „Internet“, „Web-Services“ und „Web-TV“ gekürt - im Beispiel wird dieser Sieg auf unvorteilhafte Kategorien übertragen. IT327 zeigt die direkte Aufnahme eines Werbeslogans des Unternehmens („Im‐ magina, puoi“). IT176 schließlich parodiert die Versprechen, die Telekommuni‐ kationsunternehmen ehemaligen Kunden machen, um sie zur Rückkehr zu be‐ wegen. Auch mit dem Unternehmens-/ Produktnamen selbst spielen die Schreiber in diesem Zusammenhang: (Kommentar zu PK-D) Leider habe ich anscheinend wieder einen Kollegen erwischt der nicht „1&! “ zusammenzählen kann . (DE25) Moin Telekomiker! […] (DE45) ja ja Telekom-hilft […] (IT358) Episodio 1. Salve, vorrei traslocare la mia linea ADSL? „No Problem! Ci spedisca un fax con la richiesta a uqesto numero ecc.“ Bene! E quanto tempo passa prima del trasloco? Risposta: „Circa 45 giorni“ Io: (…) ma il „fast“ a che si riferisce…? vabbé […] (IT256) Una balla vera e propria: ADSL VERA […] Der als Erstes aufgeführte Kommentar (zu einem nicht im Korpus enthaltenen Post) und die Beschwerde DE25 greifen in ihren Wortspielen den Namen des Unternehmens auf („1&1“, „Telekom“), DE45 den Namen der Facebook-Service‐ seite („Telekom hilft“). IT358 macht sich über den Bestandteil „Fast-“ im Unter‐ 216 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation 94 Die hier besprochenen Beispiele erinnern auch an die ironische Verwendung von „Hochwertwörtern“, die allerdings direkt zitiert und mittels framing als ironisch ge‐ kennzeichnet werden (vgl. 7.6). nehmensnamen „Fastweb“ lustig, IT256 spielt mit dem Produktnamen ADSL VERA. 94 Daneben finden sich andere Wortspiele oder humorvolle Andeutungen: (DE19) […] auch wenn es Bielefeld ja eigentlich gar nicht gibt hätten wir trotzdem wieder einen funktionierenden Hotspot am Hauptbahnhof. […] (DE116) […] Da um 22 Uhr der 24h-Kundenservice Feierabend hat, bleibt es bei kein Internet. […] (IT17) Cosa si deve fare per parlare con un operatore 3 ? Al Cern di Ginevra non mi hanno saputo aiutare. […] (IT337) Quando non esiste più una cabina. come andate avanti.! ! ! Aufgrund der Kommunikationssituation, in der sowohl das Unternehmen wie auch andere (potenzielle) Kunden und eigene Facebook-Freunde als Leser in Erschei‐ nung treten können (vgl. 4.6), ist das Auftreten von Humor aber gleichzeitig immer auch als Strategie des humor-bonding (im gerade genannten Sinne L O CHE R S 2006: 146 ff.) gegenüber den letzteren beiden Rezipientengruppen zu interpre‐ tieren. Gerade in sozialen Netzwerken wie Facebook spielt Humor für die Positio‐ nierung von Beschwerdeführern in der Funktion humor-bonding eine wichtige Rolle. B OLANDE R / L O CHE R (2010: 182-183) stellen für Status-Updates auf Facebook heraus (die Rede ist hier allgemein von der Wirkung auf die Facebook-Freunde des Schreibers): „Individuals construct their identities as ‚amusing, funny people‘ in those moments when they update their status and share this information with others.“ Im Falle von Beschwerden bietet Humor den Schreibern die Möglichkeit, sich als „eminently reasonably people“ (V ÁS Q U E Z 2014b: 83) darzustellen und ge‐ rade nicht als „Nörgler“ wahrgenommen zu werden (E DWAR D S 2005: 24). 8.2.1.4 Buffering und „non complainer identity“ Deutliche Parallelen zeigen sich in der Funktion der als Buffer zusammenge‐ fassten moves Dank, Komplimente oder Lob (vgl. 6.4.2), mit denen die Kunden aufzeigen, dass sie nicht nur kritisieren, sondern auch gute Leistungen wür‐ digen. V ÁS Q U E Z (2011: 1714) hält dieses Vorgehen für die von ihr untersuchten Online-Rezensionen aus Sicht der Schreiber für besonders relevant, um sich selbst als verlässlichen Auskunftgeber darzustellen: including a positive comment in a mostly negative review also serves to position the author of the review as a reasonable person, who is able to acknowledge and appreciate 217 8.2 Selbstdarstellung und self-reference the positive qualities or attributes, and at the same time has the ability to discern what is lacking, substandard, or inappropriate. In ihrem Aufsatz „Usually not to complain, but …“ beschreibt V ÁS Q U EZ (2011) zudem metakommunikative Äußerungen, in denen sich Schreiber explizit als Personen darstellen, die sich normalerweise nicht beschweren - immerhin in 2 % der von ihr untersuchten Online-Rezensionen. Im vorliegenden Korpus lassen sich ähnliche Aussagen finden: (DE53) […] Hallo, normal schreibe ich privat nachrichten aber dies geht nicht anders. Der Schreiber stellt hier dar, dass die Online-Veröffentlichung der Beschwerde für ihn die äußerste Form einer Beschwerde darstellt, die er nur in diesem be‐ sonderen Fall wählt. (Ähnliche Beispiele finden sich in 8.4, z. B. DE398.) 8.2.1.5 Zusammenfassung und Diskussion Im vorliegenden Korpus zeigt sich - erwartungsgemäß - die hohe Kontextab‐ hängigkeit der Angaben zu ihrer Person, die Kunden in ihren Posts machen. Meist führen sie Informationen auf, die ihre Beziehung zu dem Telekommuni‐ kationsunternehmen näher charakterisieren: Sie stellen sich als langjährige, zahlungskräftige Kunden dar, die aus ernst zu nehmenden - beruflichen oder privaten - Gründen nicht auf die vom Unternehmen bereitzustellende Dienst‐ leistung verzichten können, und lassen auf diese Weise Aspekte ihrer Off‐ line-Identitäten auch in ihre Beschwerden einfließen. Sehr persönliche und emotional vorgetragene Informationen (socio-emotional accounts) wie in M ÁR‐ Q U E Z R E IT E R S (2005) Studie zu Anrufen bei einem Pflegedienstleister in Uruguay finden sich dabei relativ selten. Für die socio-emotional accounts macht M ÁR‐ Q U EZ R EIT E R u. a. den geringen Status von Verbraucherrechten in dem latein‐ amerikanischen Land verantwortlich (vgl. 3.3.2). Im vorliegenden Korpus da‐ gegen führen die Schreiber eher „harte Fakten“ an, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, wie das gezahlte Geld oder die ihnen zustehenden Rechte. Ihre rechtliche Situation ist, zumindest nach ihrer Einschätzung, ein‐ deutig - woraus sich auch Drohungen erklären, sich an eine Verbraucher‐ schutzbehörde zu wenden oder einen Anwalt einzuschalten (vgl. 6.2, move Dro‐ hung). Mit ihrer Selbstdarstellung verfolgen die Kunden das Ziel, seriös und kom‐ petent zu wirken und mit ihrem Anliegen ernst genommen zu werden. Eine Reihe von Aussagen lässt sich dabei als Beweis für ihre „Expertise“ im Bereich Telekommunikation interpretieren, beispielsweise die Erfahrung mit anderen 218 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation Anbietern oder über die Medien / das Internet eingeholte Informationen zu Problemen mit dem Unternehmen oder zu Verbraucherrechten. Demografische Angaben oder Angaben zu „Lifestyle“-Kategorien wie Hobbys finden sich da‐ gegen kaum, soweit sie nicht zur Schilderung des Beschwerdegrunds notwendig sind (wie z. B. die Nennung des Wohn-/ Aufenthaltsortes bei mangelnder Netz‐ abdeckung, Computerspielen als Hobby). Die Selbstdarstellung des Beschwerdeführers als humorvoll oder ironisch dürfte nicht nur mit dem Ziel erfolgen, die Beschwerde gegenüber den Unter‐ nehmensmitarbeitern abzumildern, sondern auch im Hinblick auf andere Leser - im Sinne eines humor-bonding (Locher 2006: 146 ff.). Außerdem stellen sich viele Kunden als jemanden dar, der vernünftige und keinesfalls überzogene Erwartungen hat; einige thematisieren explizit, dass sie die Veröffentlichung der Beschwerde im Internet als ganz besonderes Druckmittel sehen, zu dem sie normalerweise nicht greifen würden. Eine positive Selbstdarstellung scheint für die Kunden im Korpus dieser Ar‐ beit insgesamt weit weniger bedeutend als im Fall von Online-Rezensionen, wie sie V ÁS Q U E Z (2014a, b) beschreibt: Aus ihrem Vertrag mit dem Unternehmen leiten sie ihre Legitimation zur Beschwerde bereits ab. 8.2.2 Formen der self-reference Beschwerdeführer haben verschiedene Möglichkeiten, auf sich selbst zu refe‐ rieren, z. B. in der Ich-Form (Verbform und/ oder Personal-/ Possessivpro‐ nomen), durch unpersönliche Konstruktionen mit man/ du oder (generischem) si/ tu oder in der 1. Ps. Pl., mittels deren sie den Bezug zu einer größeren Gruppe herstellen können. Tabelle 22 zeigt, wie oft die jeweilige Referenzform insgesamt in den Posts vorkommt, wie häufig sie auf 1000 Wörter berechnet ist, in wie vielen Posts sie mindestens einmal vertreten ist und welchem prozentualen An‐ teil an allen Posts dies entspricht. Fälle (absolut) Posts mit mind. 1 Fall Dt. Korpus Ital. Korpus Dt. Korpus Ital. Korpus abs. Anzahl pro 1000 Wörter abs. An‐ zahl pro 1000 Wörter abs. An‐ zahl Anteil abs. An‐ zahl Anteil SUMME Fokalisie‐ rende Refe‐ renz 1998** 61,1 1823** 78 333 83,25 % 331 82,75 % 219 8.2 Selbstdarstellung und self-reference 95 Aus Platzgründen enthält die Benennung der Kategorie hier jeweils nur deutsche Bei‐ spiele. a) verbal (ohne Pron.) 1684** ([a]137+ [b]1547) 4,19 1618** 69,23 317 ([92]+ [293]) 23 % 324 81 % b) prono‐ minal: ich  95 47,31 73,25 % c) prono‐ minal: mein 265 8,1 181 7,74 140 35 % 124 31 % d) nominal 48 1,47 24 1,03 45** 11,25 % 24** 6 % SUMME Defokalisie‐ rende Refe‐ renz 299 9,14 178 7,62 134* 33,5 % 106* 26,5 % a) all-inclu‐ sive (man, alle, jeder, du) 146** 4,47 57** 2,44 82** 20,5 % 43** 10,75 % b) class-inclu‐ sive (inklu‐ sives wir) 92 2,81 73 3,12 34 8,5 % 33 8,25 % c) Passiv 16** 0,49 1** 0,04 12** 3 % 1** 0,25 % d) pseudoinclusive (in‐ klusives wir) 7** 0,21 22** 0,94 5** 1,25 % 21** 5,25 % e) nominal 38 1,16 25 1,07 32 8 % 20 5 % keine Refe‐ renz 46 11,5 % 42 10,5 % beide Refe‐ renzen 113** 28,25 % 79** 19,75 % Tabelle 22: Formen der self-reference (Signifikanz: **p<0,01, *p<0,05) 220 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation 96 Die Unterscheidung zwischen Possessivpronomen (pronomi possessivi) und possessiven Artikelwörtern (aggettivi possessivi) wird hier zur Vereinfachung vernachlässigt. Da‐ neben kann sich die Selbstreferenz im Deutschen wie im Italienischen auch in den Reflexivpronomen spiegeln. 97 Nicht hierzu gezählt wurden Fälle, in denen die nominale Referenz prädikativ oder mit wie/ als angeschlossen ist, da diese bereits über die Ich-Referenz erfasst sind: „[…] Ich war immer eine zufriedene Kundin aber diese Woche bin ich wirklich enttäuscht von Vodafone. […]“ (DE133); „[…] Man bekommt leider keinerlei Informationen und wird als Kunde im Regen stehen gelassen. […]“ (DE308); „[…] Ho sono un imbecille io,che continuo ad essere vostro cliente, o siete poco onesti voi! ! ! […]“ (IT7). 8.2.2.1 Fokalisierende Referenz Die in den meisten Posts vertretene Form der Selbstreferenz ist ein Pronomen 96 und/ oder eine Verbform der 1. Ps. Sg.: (DE82) […] Ich muss einen Technikertermin ausmachen! […] (DE319) […] Naja, habe dann direkt bestellt […] (DE360) […] Gestern hat mein I-Phone seinen Geist aufgegeben. […] (IT96) […] Ho aspettato più del dovuto delle vostre promesse […] (IT54) […] Inutile dire il mio sconcerto x questa gestione ridicola. […] T R O S B O R G (1995: 323) weist darauf hin, dass fokalisierende Referenz auch no‐ minal - mittels Eigennamen oder anderer Substantive - ausgedrückt werden kann, z. B. „I/ Daddy/ uncle Sam prefer(s) young children to be well-behaved.“ Als nominale fokalisierende Referenz wurden also die angegebenen Eigennamen der Beschwerdeführer gewertet (wie sie fast ausschließlich in Unterschriften auftreten) sowie Substantive, mit denen der Beschwerdeführer eindeutig und ausschließlich auf sich selbst verweist, wie in DE128 und IT66: 97 (DE128) […] Scheinbar reichen 13 Jahre Stammkundschaft nicht aus, um mal noch einen Versuch zu wagen, den Kunde doch noch zu behalten? ! […] (IT66) […] Come terza cosa, molto probabilmente perderete un cliente. […] Nominale fokalisierende Referenzen treten in 11,25 % (DE) bzw. 6 % (IT) aller Posts auf. Ihr höherer Anteil im deutschsprachigen Teilkorpus ist in erster Linie dem häufigeren Vorkommen einer Unterschrift geschuldet. Nominale Refe‐ renzen, die neben dem Beschwerdeführer auch weitere Personen einschließen, 221 8.2 Selbstdarstellung und self-reference 98 Im vorliegenden Korpus wurden Vorkommen von inklusivem wir nur als class-inclusive reference (wenn der Beschwerdeführer andere Kunden/ Freunde mit einschließt) oder als pseudo-inclusive reference (wenn er das Unternehmen mit einschließt) gezählt, nicht als all-inclusive, wie Trosborg es hier als Möglichkeit darstellt. Der Unterschied zwi‐ schen class-inclusive und all-inclusive reference scheint hier kaum objektivierbar - und die Interpretation als class-inclusive reference liegt näher. 99 Die Seltenheit des generischen du überrascht etwas; D E C O C K (2016: 366) weist auf seine relativ weite Verbreitung gerade in Beschwerden hin, denn: „For the effectiveness of a complaint, it is crucial that the interlocutor adopts the point of view of the speaker and, thus, proves him/ her right […].“ Offensichtlich geschieht dies im vorliegenden Korpus aber vor allem über unpersönliche Formen wie man/ si/ uno. zählen dagegen zu den defokalisierenden Referenzen, die im Folgenden bespro‐ chen werden. 8.2.2.2 Defokalisierende Referenz Unter einer „Defokalisierung“ der Referenz auf den Sprecher versteht T R O S‐ B O R G (1995: 323) den Gebrauch verallgemeinernder Pronomen wie man/ keiner/ wer, insbesondere aber der 1. Ps. Pl. - „when a speaker wants to involve his/ her hearer(s) and/ or other persons as well by making them share the responsibility for issuing a blame“. Die Unterteilung in all-inclusive, class-inclusive und pseudo-inclusive references wird im Folgenden übernommen, inhaltlich aber an das vorliegende Korpus angepasst. a) All-inclusive reference Unter all-inclusive reference versteht T R O S B O R G (1995: 324) den Gebrauch einer sehr allgemeinen Aussage, die weder speziell auf den Sprecher noch eine Gruppe oder Klasse von Personen referiert, z. B. „Noone would approve of such beha‐ viour. We  98 / one shouldn’t tolerate torture of human beings.“ Insgesamt sind Re‐ ferenzen dieser Art im deutschen Korpus mit 20,5 % aller Posts häufiger als im italienischen Korpus (10,75 %). Gerade die unpersönliche Formulierung mit man ist im deutschen Teilkorpus ausgesprochen stark verbreitet: (DE148) […] Bei anderen netzanbietern wartet man eigentlich nicht so lange. […] (DE56) […] Hat heute nicht jeder ein Recht auf gutes Internet ? […] (IT77) […] Come si fa a parlare con un operatore? […] (IT362) […] quindi uno cosa deve fare? ? ? […] Selten tritt dagegen das generische du/ tu auf (DE: 1 Post; IT: 8 Posts). 99 222 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation (DE276) […] Meine persönliche Meinung ist. Solange es keine Probleme gibt ist alles okay aber wenn es dazu kommt lässt dich der Verein hängen. […] (IT211) Come é possibile, che durante la fase precontrattuale ti promettono mare e monti, e dopo l’attivazione ad una tua contestazione che navigare a 4/ 5 mega con un contratto da 20 mega non é consono al tuo profilo. Ti rispondono con fare arrogante e scostumato che sono in regola […] In den vorliegenden Fällen bezieht sich der Beschwerdeführer mit dem generi‐ schen du/ tu auf seine eigene Erfahrung „thus presenting his or her own expe‐ rience as something generalizable, comparable to the experience of others“ (K LU G E 2016: 505). Ambiguitäten bei der Interpretation ergeben sich im vorlie‐ genden Korpus nicht, denn du ist als Anrede für andere Adressaten im initialen Post unüblich (vgl. die Darstellung von Spezialfällen bei der direkten Anrede in 8.3.1.1). Oft ist es der move Beschwerdegrund, in dem diese unpersönlichen Formen Verwendung finden. Indem mit ihrer Hilfe verallgemeinernd formuliert wird, wird das Problem an der sprachlichen Oberfläche von der individuellen Erfah‐ rung des schreibenden Kunden gelöst und zu einem generellen Problem stili‐ siert, von dem potenziell auch andere betroffen sein können. Mit Bezug auf das dem deutschen man entsprechende frz. on führt S CHRAD E R -K NI F F KI (2014: 391) aus: They refer to a type of evidentiality usually determined as expressing intersubjective accessible „hearsay knowledge“: everybody notes, everybody hears. As such, it ap‐ pears like a rule or an unscrutinisable and ,true’ knowledge; the locuteur merely ap‐ pears as the observing instance. Wie in DE91 deutlich wird, kann man dabei seine Referenz auch in ein und demselben Post abhängig vom Kontext wechseln: (DE91) […] Man hängt ständig in der Warteschleife um mit dem Kundenservice zu sprechen. Gestern zum Beispiel rief ich an um umgehend einen Tech‐ niker zu verlangen, wo man mir mitteilte, dass ich diesen bezahlen solle. […] Während der Beschwerdeführer mit man beim ersten Auftreten auf sich selbst referiert (und direkt danach hierzu in die Ich-Perspektive wechselt), bezieht sich man beim zweiten Auftreten auf den Servicemitarbeiter an der Hotline. Diese „remarkable capacity to change its referent from one appearance to the next“ haben u. a. M ÜHLHÄU S L E R / H AR RÉ (1990: 179) - hier mit Bezug auf frz. on - be‐ schrieben. 223 8.2 Selbstdarstellung und self-reference 100 Beispielsweise stellt S ÁN C H E Z -P R I E T O (2017: 115) für diese Textsorte fest, dass das Vor‐ kommen von wir das von ich sogar übersteigt (z. B. 37 % vs. 22,6 % in deutschen und 30,3 % vs. 24,3 % in französischen Hotelrezensionen). b) Class-inclusive reference Von class-inclusive reference spricht T R O S B O R G (1995: 324), wenn ein Sprecher seine Äußerungen in der Wir-Form formuliert und damit auf eine bestimmte Gruppe oder Klasse Bezug nimmt (z. B. der Arzt auf die Berufsgruppe der Ärzte oder ein Angestellter auf die gesamte Belegschaft). T R O S B O R G (1995: 352) sieht darin eine Möglichkeit, die Beschwerde zu verstärken, „by proposing the act of moral censure not as a personal act of blaming, but as an act proposed on behalf of a whole class.“ Auch im vorliegenden Korpus wird manchmal aus der Wir-Per‐ spektive heraus formuliert (DE: 8,5 %, IT: 8,25 %). In den meisten Fällen liegt die Interpretation nahe, dass der Beschwerdeführer darin andere Menschen ein‐ schließt, die seinen privaten Telefon-/ Internetanschluss teilen (DE61, DE106). Es gibt aber auch Beispiele, in denen er (potenziell) gleichfalls Betroffene, bei‐ spielsweise Bewohner eines Dorfes (IT32) oder Mitarbeiter eines Unternehmens (IT334), mit einbezieht: (DE61) Seit über einer Woche ist unser Router defekt (Speedport 921V). […] (DE106) […] Wir haben monatelang fast 50€ für Leistungen bezahlt die wir nie erhielten und uns wurde gesagt, das uns das Geld gut geschrieben wird. […] (IT32) […] Siccome ho sentito molte persone (amici) apprezzare le vostre offerte, vi chiedo se ci sia una possibilità di ampliare il raggio di copertura anche al mio paese, saremmo molto grati di diventare vostri clienti. […] (IT334) […] I danni riportati dalla ns Azienda cominciano ad essere ingenti. […] Inhaltliche Gründe - beispielsweise ein allein oder gemeinsam genutzter Te‐ lefon-/ Internetanschluss - können also eine Rolle für die Wahl von Singular oder Plural spielen. Dies erinnert an die Verwendung von ich und wir in Hotelrezen‐ sionen, die gleichfalls von der Frage abhängen dürfte, ob der Schreiber allein oder in Begleitung reist. 100 In jedem Fall aber ist davon auszugehen, dass es sich im hier vorliegenden Korpus um eine bewusste Entscheidung des Beschwerde‐ führers handelt, in der 1. Ps. Pl. zu schreiben; in allen oben genannten Beispielen wäre auch eine Formulierung in der 1. Ps. Sg. denkbar. Zudem belegt das oben stehende Beispiel IT32, dass die Formulierung im Plural sich durchaus auch auf nicht gemeinsam genutzte Anschlüsse beziehen kann. Auch in Fällen wie IT320 muss nicht unbedingt ein gemeinsamer Anschluss vorliegen - das wir zu Beginn 224 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation könnte sogar zunächst den Anschein erwecken, dass das Unternehmen mit an‐ gesprochen wird (vgl. d: Pseudo-inclusive reference): (IT320) siamo arrivati al punto da denunciarVi per estorsione? In anderen Beispielen wird mit der 1. Ps. Pl. auch das overhearing audience in den Kommunikationsprozess einbezogen, wie in DE251 und IT20, wo ganz ex‐ plizit von großen Gruppen - allen Verbrauchern bzw. allen Italienern - die Rede ist: (DE251) […] Bitte tragt eure Feindschaften nicht in der Werbung aus und belästigt damit uns als Verbraucher. […] (IT20) […] Perchè in tutti (o quasi) gli altri H3G in Europa i gigabyte non con‐ sumati non vanno persi e da noi invece si 3 Italia? […] Gerade solche Fälle sind wiederum vor dem Hintergrund der Mehrfachadres‐ sierung in der vorliegenden Kommunikationssituation zu sehen. V AN D E M I E‐ R O O P (2015: 413-414) hebt die Bedeutung der Deixis für die Analyse kollektiver Identitäten hervor: [M]any researchers have devoted attention to the analysis of person deictics, parti‐ cularly the first person plural pronoun „we“, whose volatile inclusive or exclusive reference often - but not always - invokes group memberships. This is especially the case when the pronominal construction of an ingroup is opposed to that of an out‐ group through the creation of an „us-them“ opposition […]. Schon im initialen Post kann auf diese Weise im Pronominalgebrauch eine Gruppenidentität zum Ausdruck gebracht werden, wie in Abbildung 10 als Form der self-reference dargestellt. c) Passiv Auch das Passiv stellt eine Form der defokalisierenden Referenz dar; die Nen‐ nung des Täters wird hier vollständig vermieden. Mit Referenz auf den Be‐ schwerdeführer tritt es im vorliegenden Korpus nur vereinzelt auf, wenn auch im Deutschen (3 %) - wo es im Allgemeinen stärkere Verwendung findet - er‐ wartungsgemäß etwas häufiger als im Italienischen (0,25 %). (DE84) […] Sollte das erfolglos ein, werden bei nächst bester Gelegenheit beide Ver‐ träge gekündigt und dann will ich mit Vodafone nichts mehr zu tun haben. […] 225 8.2 Selbstdarstellung und self-reference (IT39) […] LA PROSSIMA BOLLETTA VERRA’ RESPINTA […] d) Pseudo-inclusive reference Unter der pseudo-inclusive reference fasst T R O S B O R G (1995: 324) heterogene Ge‐ brauchsweisen zusammen: Gemeint sei hiermit die Verwendung der 1. Ps. Pl. statt Sg., wie sie in akademischen Texten verbreitet sei; in Beschwerden finde sie sich, so T R O S B O R G (1995: 353), bei großen Unterschieden im sozialen Status, beispielsweise in der Äußerung eines Lehrers gegenüber seinem Schüler: „We don’t want your feet on the table, do we? “ In anderen Kontexten, beispielsweise im Umgang von Pflegekräften mit Patienten, könne sich dieses wir allerdings auch allein auf den Hörer beziehen (T R O S B O R G 1995: 325): „Then we are to have a nice warm bath.“ Im vorliegenden Korpus ist ein solches „Pseudo-wir“ - in das also das adres‐ sierte Unternehmen eingeschlossen wird - selten: 1,25 % (DE) bzw. 5,25 % (IT) der Posts enthalten mindestens ein Vorkommen. B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987: 119) interpretieren das inklusive wir, das Sprecher und Hörer ein‐ schließt, als Strategie der Solidarität: Eine gemeinsame Handlung oder Verant‐ wortung stehe im Vordergrund. Tatsächlich könnte in den folgenden Fällen ein wir gesehen werden, mit dem ein partnerschaftliches Vorgehen von Unter‐ nehmen und Beschwerdeführer zum Ausdruck gebracht werden soll: (DE283) […] Also rief ich natürlich erneut bei 1&1 an und fragte was das solle und ob wir da nicht so langsam eine Lösung finden könnten. […] (IT386) […] Ho letto vari forum ed il problema é diffuso. come risolviamo? grazie Genauso lässt sich hierin aber auch eine indirekte Handlungsaufforderung an das Unternehmen sehen, wie es bereits am Beispiel des move Frage zur Lösung (vgl. 6.2) gezeigt wurde. Ganz deutlich kommen das asymmetrische Machtver‐ hältnis und die an den Adressaten gerichtete Forderung in den folgenden Fällen zum Tragen. Dabei wird in IT340 die klare Orientierung auf das Unternehmen durch den Übergang zur 2. Ps. Pl. noch im selben Satz unmittelbar deutlich: (IT208) Con il vostro cattivo funzionamento di oggi come la mettiamo? ! […] (IT340) […] Possiamo finirla con le prese in giro e mi rimborsate il versato […] Diese Verwendungsweisen erinnern an T R O S B O R G S (1995: 325) oben zitiertes Beispiel des Umgangs einer Pflegekraft mit einem Patienten, bei dem in Wahr‐ 226 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation heit der Hörer im Mittelpunkt steht. Der Gebrauch eines solchen wir, so D E C O CK (2016: 370), kann auch humoristische Zwecke erfüllen: „The use of this construction in jokes and humoristic discourse similarly confirms that there is a typical association of this hearer-dominant use with a specific interaction type.“ e) Nominale Referenz Den von T R O S B O R G (1995) beschriebenen Fällen ist eine weitere Kategorie hin‐ zuzufügen, in der sich der Beschwerdeführer mittels nominaler Referenz im Plural in eine Gruppe - zumeist in die Gruppe der Kunden - einschließt: (DE336) […] Wer so mit Menschen umgeht, hat keine Kunden verdient die jahre‐ lang mehrere Verträge besitzen und pünktlich ihre Rechnungen beglei‐ chen! (DE316) 1&1 wieso geht Ihr so dermaßen schlecht mit euren Bestandskunden um? […] (IT208) […] Vi ricordo che venite pagati dai vostri clienti! Im Unterschied zu den im vorangegangenen Abschnitt geschilderten Fällen no‐ minaler Referenz referiert der Beschwerdeführer nicht nur auf sich selbst, son‐ dern - verallgemeinernd - auf eine ganze Gruppe von Betroffenen. Gleichzeitig kann in dieser Form eine defokalisierende Referenz auf die anderen Kunden gesehen werden (vgl. 8.3.2). 8.2.2.3 Keine Referenz In 11,5 % (DE) bzw. 10,5 % (IT) aller Fälle ist dagegen an der sprachlichen Ober‐ fläche keinerlei Referenz auf den Beschwerdeführer erkennbar, z. B. in fol‐ genden (vollständig zitierten) Posts: (DE369) 5 Tage kein Internet und Telefon in Hamburg, bald macht ihr die Woche voll, Glückwunsch! Der Techniker ist wahrscheinlich gerade im Urlaub? (IT91) come fare per parlare con un operatore? ? ? ? il 119 e la chat on line è utopia perciò soluzioni concrete grazie 8.2.2.4 Beide Referenzen Es ist nicht ungewöhnlich, dass fokalisierende und nicht fokalisierende Refe‐ renzen in demselben Post zusammen auftreten: 227 8.2 Selbstdarstellung und self-reference (PK-I) vi prego….potete non farci 4 chiamate al giorno al numero fisso? ? ’tanto i vostri operatori sono quasi tutti albanesi e non si capisce niente ed in più maleducati….per favore siamo esausti……grazie! Das Beispiel zeigt, wie der Beschwerdeführer zunächst nur auf sich selbst refe‐ riert („vi prego“), dann auf die mit ihm zusammenlebenden Personen („farci 4 chiamate“, „siamo esausti“) und zwischendurch in die unpersönliche Formu‐ lierung mit „si“ wechselt, um deutlich zu machen, dass die Servicemitarbeiter mangels guter Italienischkenntnisse unverständlich sprechen, und das nicht nur für ihn („non si capisce niente“). Der Grund für das häufigere Vorkommen beider Referenzen zusammen in den deutschen Posts (DE: 28,25 %, IT: 19,75 %) ist mit dem häufigeren Vorkommen defokalisierender Referenzen im deutschen Korpus und der Länge der deutschsprachigen Posts zu erklären. 8.2.2.5 Zwischenfazit Es zeigt sich insgesamt ein ausgesprochen häufiges Vorkommen fokalisierender self-references (DE: 83,25 %, IT: 82,75 %), insbesondere über Pronomen und Verb‐ formen der 1. Ps. Sg. Dies weist auf eine hohe Involviertheit des Schreibers hin, wie beispielsweise F AND R Y CH / T HU RMAI R (2011: 397) es herausstellen: Je größer die phatische oder die appellativ-werbende Funktion, desto eher wird ich eingesetzt. Das gilt z. B. für Vorstellungstexte auf privaten Homepages und für Vor‐ stellungstexte, mit denen vorrangig auch Vertrauen geschaffen werden soll (Politiker, Anbieter von Dienstleistungen); Vorstellungstexte, die eher den informativen Aspekt fokussieren und mehr Distanz wahren wollen, verwenden eher die 3. Person, wie etwa dienstliche Homepages […]. Dabei ist die Dichte an fokalisierenden Referenzen auf den Beschwerdeführer im italienischen Korpus insgesamt noch etwas höher als im deutschen (DE: 61,1 Fälle, IT: 78 Fälle auf 1000 Wörter). Indem der Sprecher sich selbst in der ersten Person nennt, nimmt er Verantwortung für den (gesichtsbedrohenden) Beschwerdeakt auf sich (T R O S B O R G 1995: 323). Damit bedroht er sein eigenes positives face, weist gleichzeitig aber auch darauf hin, dass er die negativen Auswirkungen des Beschwerdegrundes zu ertragen hatte. C UL P E P E R (1996: 357- 358) zählt die Personalisierung eines Textes über den häufigen Gebrauch der Pronomen „I“ und „you“ - wie sie im hier vorliegenden Korpus im Italienischen (mit der Verwendung der entsprechenden Verbformen, vgl. 8.1) stärker ausge‐ prägt ist - zu den negative impoliteness output strategies: „Explicitly associate the other with a negative aspect - personalise, use the pronoun ‚I‘ and ,you‘.“ 228 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation Die prozentual häufigsten Formen der defokalisierenden Referenz sind in beiden Teilkorpora der Gebrauch von Pronomen wie man, alle, jeder und - sel‐ tener - der Gebrauch eines inklusiven wir. Damit verallgemeinert der Be‐ schwerdeführer die Beschwerde bzw. bezieht gleichfalls betroffene andere Kunden darin ein. T R O S B O R G (1995: 324) unterstreicht, dass der Sprecher mit dieser Formulierung sowohl sein eigenes wie auch das face des Gegenübers schütze. Im Gebrauch eines wir, das Schreiber und Leser einschließt, sehen B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) eine Personalisierung, eine Erhöhung des involvement und der positive politeness von Texten. Wo es vermieden werde, komme der Schreiber dagegen den Negative-Face-Bedürfnissen des Lesers entgegen. Wie die Analyse gezeigt hat, kommt dieser Fall (hier: „pseudo-inclusive reference“ ) aller‐ dings nur selten vor und ist in vielen Fällen zudem negativ konnotiert - seine traditionelle Interpretation greift also im hier vorliegenden Kontext nicht. Im gänzlichen Fehlen von Pronomen schließlich sieht H ATI P O G LU (2007: 770) „an effort by the writer to express a more distant and impersonal perspective, both of which form the backbone of NP [= negative politeness] in PT [= politeness theory].“ In all diesen Fällen ist darauf hinzuweisen, dass Formulierungen, in denen in traditionellen Theorien wie der von B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) Polite‐ ness-Strategien gesehen werden, nicht zwangsläufig dieser Status zukommt. Wenn in ihnen - gemäß der Argumentation von L O CHE R / W ATT S (2005) und W ATT S (2003) - unmarkiertes Verhalten gesehen wird, entfällt ihre Rolle für Fragen von (im)politeness (vgl. 2.3.1). 8.3 Other-reference 8.3.1 Formen der Referenz auf das Unternehmen Auch für die Referenz auf das Unternehmen lässt sich zwischen fokalisierenden und defokalisierenden Strategien unterscheiden, die im Folgenden erläutert werden sollen. Die Komplexität der auf Unternehmensseite vertretenen Parteien hat bereits Abbildung 10 deutlich gemacht: Der schreibende Kunde kann in seiner Beschwerde auf das Unternehmen selbst (z. B. Vodafone, Telekom, 3 Italia) referieren, aber auch auf die Mitarbeiter im Facebook-Team, die die Be‐ schwerden beantworten, oder auf andere Mitarbeiter des Unternehmens (z. B. in einem Geschäft, an der Hotline, im Chat). Daneben kann er die Referenz auf das Unternehmen aber auch gänzlich vermeiden. Tabelle 23 fasst die entspre‐ chenden Formen und ihr Vorkommen im Korpus zusammen. 229 8.3 Other-reference 101 Unter der Bezeichnung „direkte Anrede“ fasse ich hier alle Verbformen der 2. Ps. Sg./ Pl., der Höflichkeitsanrede Sie/ Lei, Imperative sowie die entsprechenden Personal-/ Possessivpronomen zusammen. Fälle (absolut) Posts mit mind. 1 Fall Dt. Korpus Ital. Korpus Dt. Korpus Ital. Korpus abs. An‐ zahl pro 1000 Wörter abs. An‐ zahl pro 1000 Wörter abs. An‐ zahl Anteil abs. An‐ zahl Anteil SUMME Fokalisie‐ rende Refe‐ renz 1008** 30,83 1000** 42,79 302 75,5 % 315 78,75 % a) direkte An‐ rede 101 488** 14,92 571** 24,43 211 52,75 % 234 58,5 % davon: Duzen 157 39,25 % davon: Siezen 53 13,25 % b) nominale Referenz 510* 15,6 424* 18,14 188 47 % 176 44 % davon: Unternehmen 199 6,09 163 6,97 108 27 % 108 27 % davon: Mitarbeiter 311 9,51 261 11,17 125 31,25 % 118 29,5 % c) Passiv mit Täter 10 0,31 5 0,21 10 2,5 % 3 0,75 % SUMME Defokalisie‐ rende Refe‐ renz i. e. S. 336** 10,28 188** 8,04 155** 38,75 % 104** 26 % a) Passiv 234** 7,16 91** 3,89 127** 31,75 % 57** 14,25 % b) man/ du/ si/ tu (generisch) 90** 2,75 37** 1,59 61** 15,25 % 32** 8 % c) 3. Ps. Pl. 7** 0,21 57** 2,44 6** 1,5 % 31** 7,75 % d) Sonstige 5 0,15 3 0,13 5 1,25 % 3 0,75 % 230 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation 102 Nicht einbezogen wurde in diese Zählung der - insbesondere im deutschen Korpus seltene - Gebrauch von du/ tu bzw. der entsprechenden Verbform in seiner generischen Lesart, die als defokalisierende Referenz zu interpretieren ist (vgl. 8.3.1.2). 103 Siehe hierzu die unten stehenden Ausführungen im Text. 104 Wie schon in Fußnote 96 dargelegt, wird die Unterscheidung zwischen Possessivpro‐ nomen (pronomi possessivi) und possessiven Artikelwörtern (aggettivi possessivi) hier vernachlässigt. Daneben kann sich eine direkte Anrede im Deutschen wie im Italieni‐ schen auch in den Reflexivpronomen spiegeln. keine Refe‐ renz (= defokali‐ sierende Re‐ ferenz i. w. S.) 58 14,5 % 58 14,5 % beide Refe‐ renzen 115** 28,75 % 77** 19,25 % Tabelle 23: Formen der other-reference (auf das Unternehmen) (Signifikanz: **p<0,01, *p<0,05) 8.3.1.1 Fokalisierende Referenz Im Falle einer fokalisierenden Referenz wird der Adressat einer Beschwerde als der Beschuldigte (oder im hier vorliegenden Kontext: als der für die Beschwerde Verantwortliche) benannt (T R O S B O R G 1995: 325). a) Direkte Anrede (Pronomen/ Verbformen) Als eine Realisierungsform der fokalisierenden Referenz beschreibt T R O S B O R G (1995: 325) den Gebrauch von you zur Ansprache des Lesers als des Beschul‐ digten. Wie aus Tabelle 23 hervorgeht, ist die fokalisierende Referenz mit di‐ rekter Anrede über eine Verbform der 2. oder 3. Ps. und/ oder entsprechende (Personal- oder Possessiv-)Pronomen in beiden Teilkorpora mit 52,75 % (DE) bzw. 58,5 % (IT) in über der Hälfte aller Posts verbreitet. 102 Mit ihrem Vorkommen stellt sich für das Deutsche wie für das Italienische zunächst die Frage nach der Wahl der vertraulichen oder der Höflichkeitsan‐ rede - in B R OWN S / G ILMAN S (1960) Terminologie: nach dem Gebrauch von inti‐ mate/ simple pronouns (DE: Personalpronomen du/ ihr, Possessivpronomen dein/ euer; IT: Personalpronomen tu/ voi, Possessivpronomen tuo/ vostro) oder polite/ distant pronouns (DE: Personalpronomen Sie/ Sie, Possessivpronomen Ihr/ Ihr; IT: Personalpronomen Lei/ [Loro]/ voi  103 , Possessivpronomen Suo/ Suo/ vostro  104 ). Üb‐ licherweise wird mit dem reziproken Gebrauch des vertraulichen Anredepro‐ 231 8.3 Other-reference 105 Bei einer Durchsicht von 240 Antworten auf deutsche und französische Facebook-Kun‐ denbeschwerden vom März und April 2015 zeigte sich für das deutschsprachige Teil‐ korpus das folgende Ergebnis: Die deutschsprachigen Kunden wählten überwiegend die 2. Ps. Pl. „ihr“, aber auch die 3. Ps. Pl. „Sie“. Von DHL und Deutscher Bahn wurden sie allgemein gesiezt; die Telekom verwendete die vom Kunden gewählte Anredeform (Duzen oder Siezen); auf den Seiten von Vodafone und ASOS wurden die Kunden in der Regel geduzt, wobei die Unternehmen nicht ganz systematisch auch der von den Kunden gewählten Anredeform folgten (K U N K E L 2016: 84). 106 https: / / de-de.facebook.com/ vodafoneDE/ app/ 391586377622921/ ? ref=page_internal (abgerufen am 03.01.2015). 107 Nur vereinzelt thematisieren Kunden das Duzen seitens des Unternehmens: „[Kom‐ mentator: ] mir fällt auch grade mal auf, dass die uns alle hier einfach mir vornamen ansprechen … nicht dass es mich stört, aber wieso? - Vodafone: Hallo [Name], wir duzen auf unserer Facebook Seite. Das erscheint uns direkt und unkompliziert. Auf besonderen Wunsch sagen wir aber auch Sie. Mehr Infos dazu in unserer Netiquette: http: / / vod.af/ Netiquette LG, [Mitarbeiter] *[Namenskürzel Mitarbeiter] - [Kommen‐ tator: ] aha ok … mir solls recht sein … ich bin da nicht pingelig ^^“ (Thread zu DE112). nomens Nähe und Solidarität, mit dem Gebrauch der Höflichkeitsanrede Distanz und Respekt signalisiert. In der Forenkommunikation im Internet ist das reziproke Du in vielen Be‐ reichen mittlerweile üblich. Auch in der deutschsprachigen Facebook-Kommu‐ nikation zwischen Unternehmen und Kunden ist es bereits verbreitet, wenn auch nicht vollständig etabliert. 105 Beispielsweise beschreibt Vodafone das Duzen in der Netiquette seiner deutschsprachigen Seite als „direkt und unkom‐ pliziert“: Noch etwas: Auf unserer Fanpage wird „geduzt“ - das erscheint uns direkt und un‐ kompliziert. Wer lieber gesiezt werden will, teile uns das einfach kurz mit. Dann sagen wir gerne auch „Sie“. 106 Tabelle 23 zeigt, dass im deutschsprachigen Korpus 39,25 % aller Beschwerde‐ führer die direkte Anrede des Unternehmens wählen und es dabei duzen, nur 13,25 % es direkt anreden und dabei siezen. 107 Im italienischen Korpus realisieren die Beschwerdeführer die direkte Anrede dagegen nahezu vollständig über Verbformen der 2. Ps. Pl. Diese sind ambig: Zwar kann die Höflichkeitsform im Plural analog zum Singular gebildet werden, nämlich mit der 3. Ps. Pl. (Loro); diese hat heute aber einen ausgesprochen förmlichen Charakter und wird kaum genutzt. Üblich als Ansprache auch für eine Gruppe von Personen, die im Sin‐ gular gesiezt würden, ist heute die 2. Ps. Pl. (voi). Aufgrund der weiten Verbrei‐ tung der vertraulichen Anredeform im Italienischen ist davon auszugehen, dass die 2. Ps. Pl. im vorliegenden Korpus durchgängig als Duzen zu interpretieren 232 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation 108 Die - auch im Vergleich zu anderen Sprachen wie dem Deutschen - hohe Verbreitung des Duzens im Italienischen ist in der Literatur breit diskutiert worden (vgl. die Fall‐ beispiele bei K A U N Z N E R 2009: 239-240, bei B I R K 2009: 254-255 und 260-261, bei S I M O N 2009: 276) und zeigt sich auch in der mit elizitierten Daten arbeitenden Studie von H E L D (2001: 127) zum Sprechakt der Kritik im Vergleich zwischen Franzosen, Italienern und Österreichern. ist. 108 Auch die Unternehmen auf den italienischsprachigen Seiten duzen ihre Kunden fast ausnahmslos, wie in der meist singularischen Anrede eindeutig zu erkennen. a1) Plural - sprachliche Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen Häufig werden die Mitarbeiter der Facebook-Serviceseite als Repräsentanten des Unternehmens angeschrieben. So haben sie beispielsweise in den folgenden Beispielen nicht selbst den Beschwerdeanlass herbeigeführt, werden aber trotzdem - als hierfür verantwortliche Stelle im Unternehmen - direkt adres‐ siert: (DE261) […] An eurer Stelle würde ich mich in Grund und Boden schämen eine solche Werbung zu schalten! […] (IT385) Buonasera, ieri ho chiamato per sapere dove fosse il modem che mi avete spedito, […] Sprachlich wird in diesen Fällen also keine Unterscheidung zwischen der Ab‐ teilung / dem Mitarbeiter des Unternehmens getroffen, die/ der den Schaden verursacht hat, und dem Mitarbeiter des Social-Media-Teams, der für die Bear‐ beitung der Beschwerden zuständig ist. Ähnlich beschreiben es A R CHE R / J AG ODZ Í N S KI (2015: 57) für eine telefonische Beschwerde an die Mitarbeiterin einer Fluggesellschaft: [W]e would argue that the utterance, what the hell you know that’s your job you fly people from places, in particular […], could be taken to implicate that the agent may not be competent enough to deal with her case - even though the inclusion of you fly people from places is aimed more towards her institutional/ professional face as repre‐ sentative than it is her actual role (of answering calls) […]. Deutlich wird also an Anreden dieser Art, dass das institutional/ professional face (vgl. 4.5, S9) des Mitarbeiters adressiert wird, das ihn als Vertreter des Unter‐ nehmens mit diesem gänzlich gleichsetzt. In den folgenden Fällen wird über einen Anrede- („O2“, „3“) oder Gleichsetzungsnominativ („ein billig Anbieter“, 233 8.3 Other-reference „il Brand“) im Singular klar, dass mit der pluralischen Ansprache das Unter‐ nehmen selbst gemeint ist: (DE347) O2 Ihr seid der Knaller… Eure „Gewinne“ sind ja schon lächerlich […] (DE252) Ihr seid ein billig Anbieter mehr nicht! […] (IT31) […] 3 siete una delusione, sia come servizio che come assistenza. […] (IT207) […] Vi impegnate per essere il Brand più lento d’italia? […] Gleiches gilt, wenn Kunden mittels Possessivpronomen der 2./ 3. Ps. die Zuge‐ hörigkeit des Mitarbeiters zum Unternehmen kennzeichnen: (DE68) […] Ist das so gang und gäbe in Ihrem Unternehmen? (IT343) […] Sono stato ricontattato da un vostro operatore il giorno 16/ 12 alle ore 20,30 circa […] Selten sind Fälle, in denen der Beschwerdeführer selbst spezifiziert, dass er mit der persönlichen Anrede nicht den Mitarbeiter des Social-Media-Teams meint, der ihm voraussichtlich antworten wird. So bringt der Beschwerdeführer in DE363 in einer Parenthese zum Ausdruck, dass er mit der direkten Anrede das Unternehmen selbst adressiert: (DE363) […] Aber dieser Terroranrufer, der mir 50 € beschert hat, waren Sie - O2 - selbst! […] Offensichtlich kann der eigentliche Referent in all diesen Fällen aus dem Kontext heraus so klar identifiziert werden, dass eine Spezifizierung nicht notwendig ist. Dazu mag beitragen, dass beim Verfassen des initialen Posts noch kein persön‐ licher Kontakt zu einem der Mitarbeiter besteht. In Abschnitt 7.7 wurde dagegen bereits ein Beispiel aus einem Thread diskutiert, in dem der Beschwerdeführer klar zwischen der - nun bekannten und daher mit du angesprochenen - Mitar‐ beiterin und dem Unternehmen differenziert. a2) Plural - Ansprache des Mitarbeiters in seinem konkreten Aufgabenbereich Dagegen referieren die Kunden in den folgenden Fällen auf die Mitarbeiter in ihrer konkreten Rolle als Mitglieder des Social-Media-Teams und bitten um Hilfe bei den Schwierigkeiten, die im Kontakt mit dem Unternehmen entstanden sind: 234 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation 109 Das Beispiel erinnert an einen Beschwerdethread auf der Facebook-Seite der Deutschen Bahn, der im Sommer 2013 in den Medien kursierte: Ein Mitarbeiter hatte dort einen als „Abbruch einer Liebesbeziehung“ geschilderten Beschwerdepost von „Franzi Do“ aus der Perspektive des verlassenen Geliebten „rollengerecht“ beantwortet (vgl. www.drei-elemente.com/ fallbeispiel-kundenkommunikation-bei-der-deutschenbahn/ , abgerufen am 08.04.2015). (DE74) […] Könnt ihr sagen, wann das wieder funktioniert? (IT242) […] A questo punto mi chiederete di contattarvi in privato così da poter fornire il mio numero, poi mi risponderete dicendomi che mi aggiornerete al più presto (cosa che non accadrà mai) e poi non verrà risolto nulla. […] Nur einmal findet sich unter diesen Fällen eine explizite „Solidarisierung“ mit den Mitarbeitern des Social-Media-Teams und die Schuldzuweisung an eine dritte (ihnen vorgesetzte) Person: (DE521) […] Ich bin gespannt ob ich diesmal eine korrekte Lieferung erhalte,es bleibt spannend ! Aber was ich echt ehrlich meine auch wenn der Rest mit sehr viel Ironie geschrieben ist , ist die Ruhe und Freundlichkeit euer Mitarbeiter am Telefon . Aber vielleicht ist das die einzige Art in diesem Job mit dem schlecht organisierten „1&1“ Produkt zu überleben … Und bevor ihr mir schreibt, ich soll doch mein Anliegen an online@1und1.de senden, holt euch erstmal einen Kaffee bevor ihr in den Tag startet.Denn auch hier bin ich mir sicher , das es sich um sehr freund‐ liche Menschen handelt . Das PROBLEM sitzt meist woanders und ist vor 10.00 Uhr nicht im Büro … a3) Singular - Sonderfälle Die Ansprache im Singular ist sehr selten: Beispielsweise geht sie in DE391 mit einer durchgängigen Personifizierung des Unternehmens einher; 109 in IT284 er‐ folgt ein Wechsel in der Anrede: (DE391) Liebes O2, wir waren ein gutes Team. Du und ich und ich weiß ich bin unersetzlich für dich geworden, aber nun ist es an der Zeit für mich zu gehen …. […] (DE284) questo mese è l’ultima ricarica che faccio mi spiace x voi ma perderete una buona cliente )perche sei troppo lenta perchè uffa mo basta: ( Sehr selten werden auch Mitarbeiter namentlich angesprochen und im Singular adressiert. 235 8.3 Other-reference b) Nominale Referenz Alternativ kann in der fokalisierenden Referenz auf das Unternehmen auch ausschließlich in der 3. Ps. in Verbindung mit einem den intendierten Adressaten benennenden Substantiv formuliert werden, vgl. T R O S B O R G (1995: 325): I hadn’t expected you (Susan)/ my daughter to behave like this. Auch M EINL (2010: 91) stellt den Fall dar, dass ein Beschuldigter über ein De‐ monstrativpronomen in Verbindung mit einem Substantiv bezeichnet wird („this seller“). Referenzen dieser Art sind im vorliegenden Korpus ausgespro‐ chen häufig. Dabei liegen auf der einen Seite solche vor, die nur den Namen des Unternehmens nennen (DE: 27 %, IT: 27 %): (DE81) […] Den ganzen Abend versuch ich es mit Vodafone zu klären , aber nichts geht. […] (IT293) […] Per Wind adesso in un anno i mesi sono diventati tredici! Auf der anderen Seite referieren die Kunden auf (einzelne oder mehrere) Mit‐ arbeiter oder Abteilungen des Unternehmens (DE: 31,25 %, IT: 29,5 %). Wenn sich die Kunden beispielsweise über schlechten Empfang, störende Werbeanrufe, mangelnde Erreichbarkeit der Hotline, Preiserhöhungen oder schlechte Bera‐ tung in einer Filiale beschweren, können sie die hierfür zuständigen Mitarbeiter oder Abteilungen direkt nennen: (DE241) […] Anscheinend sind alle Techniker zusammen auf Weltreise und da‐ nach in Rente (oder wickeln erst die Telekom Kunden ab). […] (IT122) […] e al call center non vi sono più operatori salvo magari ricevere tele‐ fonate per nuove offerte […] Auch unter den Anreden (vgl. 6.4.1) finden sich viele nominale Anreden, die entweder auf das Unternehmen selbst oder auf das Team an Mitarbeitern rekur‐ rieren (vgl. Tabelle 24). Unternehmen Mitarbeiterteam Liebe Telekom (DE56) Hallo 1&1 (DE302) Cara Vodafone (IT221) Buongiorno 3 Italia (IT7) Liebes Vodafone Team (DE84) Liebe Leute von Vodafone (DE115) cari ragazzi della fastweb (IT365) Gentili signori di 3 (IT59) Tabelle 24: Beispiele für häufige nominale Anreden 236 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation In seltenen Fällen ist auch das Passiv mit Nennung des Täters zu finden. 8.3.1.2 Defokalisierende Referenz Im Falle des Bezugs auf andere versteht T R O S B O R G (1995: 325-326) unter defo‐ kalisierender Referenz, dass durch eine implizite oder unspezifische Referenz die Identität des für den Beschwerdegrund verantwortlichen Agens unklar bleibt. Infrage kommen agenslose Passivkonstruktionen, Konstruktionen mit neut‐ ralen Agenten wie Indefinitpronomen (englisch one, someone, they, people etc.), generisch gebrauchte Pronomen der 2. Ps. Sg. oder die 3. Ps. Pl. (ohne Bezugs‐ substantiv). Sie werden hier zu den folgenden Gruppen zusammengefasst: a) Passiv Das Passiv (ohne Täterangabe) ist in 31,75 % aller deutschen Posts, aber nur in 14,25 % aller italienischen Posts vorhanden. Der seltenere Gebrauch in den ita‐ lienischen Posts dürfte - wie schon bei der defokalisierenden self-reference (8.2.2.2) - in erster Linie auf die allgemein geringere Häufigkeit des Passivs im Italienischen zurückzuführen sein. (DE89) […] Eine sonstige Entschädigung wurde mir nicht angeboten. […] (DE346) […] Mir wurde 100 % zugesagt immer und überall bestes Internet zu haben. […] (IT308) […] All’incirca due settimane dopo mi è stata attivata alla velocità di 8 mega […] (IT29) […] Ho URGENTE bisogno di essere contattato. […] b) Indefinitpronomen Um die Beschuldigung abzumildern, können außerdem Indefinitpronomen ver‐ wendet werden (T R O S B O R G 1995: 326; M EINL 2010: 93). Im Deutschen tritt hier am häufigsten man auf, dem im Italienischen eine Umschreibung mit si ent‐ spricht (B O S C O C OL E T S O S 2006: 63-64). Daneben finden sich in dieser Kategorie auch andere Pronomen wie insbesondere jemand, niemand, keiner, einer, wer, nessuno, qualcuno, chi. Für das Italienische gibt es außerdem einige Beispiele für den generischen Gebrauch des tu, der im vorliegenden deutschen Korpus kaum auftritt. Auch Fälle dieser Art sind im Deutschen mit 15,25 % rund doppelt so häufig wie im Italienischen mit 8 %. (DE84) […] So geht man mit einem langjährigen Kunden um? […] 237 8.3 Other-reference 110 Möglich wäre in wenigen Fällen allerdings auch eine Interpretation als Höflichkeits‐ anrede: „[…] Dort dankte mir 1&1 für das Schreiben und der bitte den Vertrag zu stor‐ nieren. Sie würden es wohl bedauern aber entsprechen natürlich meiner bitte. […]“ (DE283) (DE62) […] Trotz vieler Telefonate und Emails kümmert sich leider keiner um die Freischaltung des Anschlusses. […] (IT157) […] Si potrebbe fare qualcosa per risolvere? […] (IT248) […] HO BISOGNO DI QUALCUNO CHE MI AIUTI A RISOLVERE IL MIO PROBLEMA SULLA SIM WIND DEL MIO CELLULARE . […] c) Die dritte Person Singular Des Weiteren findet sich im italienischen Korpus in 7,75 % aller Posts die 3. Ps. Pl. ohne Bezug auf ein vorher genanntes Agens (B O S C O C OL E T S O S 2006: 63): L’italiano per mezzo della terza persona plurale senza soggetto espresso ha la possi‐ bilità di indicare un’azione con soggetto indeterminato come quella espressa dai casi di passivo considerati sopra, cosa impossibile per il tedesco che nel momento in cui inserisce il pronome personale sie, esplicita un agente che non deve invece essere nominato. Auch wenn die Struktur als solche im Deutschen also nicht existiert, wurden in seltenen Fällen (1,5 %) Stellen identifiziert, in denen das Pronomen der 3. Ps. Pl., „sie“, zumindest nicht einem grammatisch übereinstimmenden Referenten zu‐ zuordnen ist. 110 (DE84) […] Antwort von Vodafone, sie lehnen meinen Widerruf ab, da ich den Vertrag weder am Telefon noch an der Haustüre gemacht hätte. […] (IT350) Buon Giorno! mi numero cliente è 4734048, dal venerdì che non ho in‐ ternet, mi hanno informato il 16-10 via SMS che stavano eseguendo un’attività di potenziamento, […] 8.3.1.3 Keine Referenz Zur Kategorie der „defokalisierenden Referenz“ auf den Verursacher der Be‐ schwerde zählt T R O S B O R G (1995: 313, 354-355) aber auch den Fall, dass die Be‐ schreibung des unerwünschten Zustands (also des Beschwerdegrunds) den Mit‐ telpunkt der Aussage bildet, dass also gar keine explizite Referenz stattfindet. Indem der Sprecher sich hier auf den Beschwerdegrund konzentriert, wird das Unternehmen als Empfänger der Nachricht nur indirekt für verantwortlich er‐ 238 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation klärt. In Tabelle 23 ist letzterer Fall aus der defokalisierenden Referenz auf das Unternehmen i. e. S. ausgegliedert und darunter eigens aufgeführt. Im deutschen wie im italienischen Korpus beträgt der Anteil an Posts ohne Referenz auf das Unternehmen jeweils 14,5 %. (DE55) […] Guten abend wo ist die Leistung hin 50000 komt zu wenig an (IT64) […] E’ mai possibile che l’area servizi sia inaccessibile per manutenzione per una giornata intera ? ! I soliti servizi all’italiana. 8.3.1.4 Beide Referenzen In 28,75 % (DE) bzw. 19,25 % (IT) aller Posts treten sowohl fokalisierende wie auch defokalisierende Referenz in einem einzigen Post auf. Hier werden die Mitarbeiter der Hotline oft als potenzielle Problemlöser angesprochen, während in der Beschwerde auf einen anderen Mitarbeiter oder das Unternehmen als Verursacher des Problems referiert wird. 8.3.1.5 Zwischenfazit Tabelle 23 zeigt die Anteile an fokalisierenden und defokalisierenden Referenzen des Beschwerdeführers auf das Unternehmen sowie Kombinationen hieraus und fehlende Referenz. Die Vielfalt an Referenzen erklärt sich insbesondere aus der spezifischen Kommunikationssituation heraus. Als direkteste - und gleichzeitig am stärksten vertretene - Form der Referenz ist die fokalisierende Referenz gebräuchlich (DE: 75,5 %, IT: 78,75 %). Darunter am häufigsten ist die direkte Anrede über Personal-/ Possessivpronomen/ Verbformen. Diese gilt als in hohem Maße face-threatening, weil der Beschuldigte direkt benannt und angesprochen wird. Oben wurde bereits auf C UL P E P E R S (1996: 357-358) Einordnung eines häu‐ figen Gebrauchs der Pronomen „I“ und „you“ als negative impoliteness strategy hingewiesen. In der nominalen fokalisierenden Referenz - also dem Gebrauch eines den Adressaten benennenden Substantivs (hier: z. B. Vodafone) - sieht T R O S B O R G (1995: 325) einen Ausdruck sozialer Distanz zwischen Sprecher und Hörer. Hierfür benennt sie zwei (sich ausschließende) Interpretationsmöglichkeiten: Auf der einen Seite könne es Zeichen für Höflichkeit sein, auf der anderen Zei‐ chen für Erniedrigung. Mit den beiden folgenden Beispielen illustriert sie ihre These: If the gentleman would like to take a seat, please. (secretary to customer) So the gentleman hasn’t done his homework. (teacher to pupil). 239 8.3 Other-reference Der hier vorliegende Fall ist allerdings anders gelagert: Dass die Unterneh‐ mensmitarbeiter das Unternehmen repräsentieren und somit zuständig für die Beschwerden sind, sie aber nicht persönlich verursacht haben, erklärt die häufige nominale Referenz. Denn indem sowohl direkte wie auch nominale Referenzen zum Tragen kommen, kann die Differenzierung zwischen dem Urheber / den Urhebern des Problems und den Mitarbeitern an der Hotline deutlich werden: (PK-D) Der durchaus freundliche Mitarbeiter am Telefon konnte mir bei beiden Problemen nicht wirklich helfen. Ich hoffe aber, dass Sie das können. Für die defokalisierende Adressierung des Beschuldigten nennt T R O S B O R G (1995: 326, unter Verweis auf H AV E R KAT E 1984: 82-84) mehrere mögliche Er‐ klärungen: Ziel des Sprechers könnte es sein, eine direkte Anschuldigung zu vermeiden, wodurch das face des Sprechers wie des Hörers geschützt würden. In ähnlicher Weise interpretieren auch H ATCH (1992: 142) und H AR T F O R D / M AH‐ B O O B (2004: 593) die Vermeidung einer expliziten Benennung; H OU S E / K A S P E R (1981: 168) zählen sie in der Folge zu den downgraders (vgl. 7.5): Agent Avoider. Syntactic Devices by means of which it is possible for X not to mention either himself or his interlocutor Y as agents, thus, for instance, avoiding direct attack. e.g., passive, impersonal contructions [sic] using people, they, one, you as „neutral agents“ lacking [+ definite] and [+ specific] reference. […] Man tut so etwas einfach nicht, Herr Schmidt. Auch R HU RAKVIT (2011: 242) illustriert diese Interpretation an einem Beispiel: (1) I am not happy with the steaks as they are not what I ordered (Direct Complaint). I would like two fresh steaks and if they are not satisfactory, I will not be paying for them (Warning or Threat), and (2) Mr. Waiter, are you deaf or do you have hearing problem? I did order a well-done steak. Why don’t you do that? (Challenging). Die erste, unpersönlich formulierte Beschwerde scheine sich an das Restaurant selbst, die zweite als persönlicher Angriff direkt an den Kellner zu richten. Der face-threat für den Kellner sei daher im zweiten Fall größer. Möglicherweise, so der Einwand T R O S B O R G S (1995: 326), sei es aber auch nicht von Bedeutung, den genauen Beschuldigten zu nennen, oder das Agens sei dem Sprecher unbekannt. Treffend für den vorliegenden Kontext scheint dagegen eine weitere Erklärung: A further reason for leaving out the agent would be the presupposition that the iden‐ tity of the agent is supposed to be known already by both parties. If this presupposition 240 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation 111 In Abschnitt 4.4 wurde schon darauf hingewiesen, dass in der Umgebung bereits ent‐ haltene Informationen - wie hier Absender- und Empfängerangabe - Einfluss auf Selbstreferenz und Adressierung haben können (H E R R I N G 2007: 17). holds true, the blame is clearly directed at the complainee even though no reference has been made to him/ her. Allein durch den kommunikativen Kontext, die Veröffentlichung der Be‐ schwerden auf der Facebook-Seite des Unternehmens, ist deutlich, dass mit den Beschwerden immer das Unternehmen beschuldigt wird. 111 Gerade die kom‐ plexe Konstellation auf der Seite des Unternehmens als Adressat der Beschwerde (vgl. Abbildung 10) dürfte zu der Häufigkeit defokalisierender Referenzen bei‐ tragen. Überraschend ist der große Unterschied zu den deutsch- und spanischspra‐ chigen Facebook-Beschwerdeposts, die S CHRÖD E R (2015) analysiert: Dort ist die Mehrheit aller Posts unpersönlich formuliert (DE: 63 %, SP: 85 %). Vertreten sind daneben auch die vertraute Anrede mit du/ tu (DE: 30 %, SP: 13 %) und die Höf‐ lichkeitsanrede mit Sie/ Usted (DE: 7 %, SP: 2 %). Möglicherweise ist dies darauf zurückzuführen, dass S CHRÖDE R (2015) die Posts von der Chronik („Pinnwand“) des Unternehmens herunterlädt (vgl. Abbildung 4). 8.3.2 Formen der Referenz auf andere Kunden, Bekannte etc. Wie bereits in 7.2.7 deutlich geworden ist, können Beschwerden, die den Verweis auf andere Betroffene enthalten, als solidaritätsstiftende „rapport-building acts performing an affiliative function“ (M ÁR QU E Z R E IT E R 2013: 232; mit Verweis auf B OXE R 1993b und A C UÑA F E R R E I RA 2004) interpretiert werden. Eingeordnet sind die Referenzen auf andere Kunden hier unter der Überschrift other-face, kaum zu trennen sind sie aber vom self-face des Kunden, wenn er sich dieser Gruppe zugehörig fühlt. Tabelle 25 zeigt, wie die Adressierung der potenziell mitle‐ senden Community versprachlicht wird. 241 8.3 Other-reference 112 Vgl. Fußnote 101. Fälle (absolut) Posts mit mind. 1 Fall Dt. Korpus Ital. Korpus Dt. Korpus Ital. Korpus abs. An‐ zahl pro 1000 Wörter abs. An‐ zahl pro 1000 Wörter abs. An‐ zahl Anteil abs. An‐ zahl Anteil SUMME Fokalisierende Referenz 10 0,31 39 1,67 8 2 % 21 5,25 % a) direkte Anrede 112 5 0,15 28 1,2 3 0,75 % 15 3,75 % b) nominale Referenz 5 0,15 7 0,3 5 1,25 % 6 1,5 % c) 1. Ps. Pl. 0 0 4 0,17 0 0 % 2 0,5 % Defokalisierende Referenz Indefinitpron. 11 0,34 8 0,34 10 2,5 % 8 2 % Tabelle 25: Formen der other-reference (auf andere Kunden, Bekannte etc.) (Signifikanz: **p<0,01, *p<0,05) 8.3.2.1 Fokalisierende Referenz Zum einen können andere Kunden mittels der 2. Ps. Pl. (oder mittels Impera‐ tiven / imperativischen Infinitiven, vgl. 6.4.4, mood derivables) direkt adressiert werden, wie in den folgenden Beispielen: (DE239) Bevor Sie Base nutzen, lesen Sie bitte die Packungsbeilage oder erkundigen sich bei anderen Mobilfunkanbietern. […] (DE221) […] also Leute lieber kündigen ist besser ! ! ! ! ! (IT89) Scappate da tim ve lo consiglio… Vi prelevano i soldi senza nessun motivo (IT106) […] Controllate le mail che arrivano da Telecom Italia. […] In DE221 ist dabei zusätzlich auch die nominale Anrede „Leute“ zu finden. Solche Anreden wertet H ATI P O GLU (2007: 765) (am Beispiel „friends“) als „in-group identity marker“ - ebenso wie das inklusive wir. Ein inklusives wir, das sich auf 242 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation den Beschwerdeführer wie auf andere Kunden bezieht, ist im vorliegenden Korpus allerdings selten: (IT359) […] forse scambiandoci info tra utenti riusciamo a fare qualcosa perché se aspettiamo quelli di Fastweb compriamo la PS5 […] Außer Anreden wie „Leute“ sind auch andere nominale Referenzen möglich; sie wurden in diese Kategorie aufgenommen, wenn der Beschwerdeführer sich selbst damit explizit nicht in die Menge der Kunden einbezieht: (DE304) […] Ich denke dass sich nun auch andere Kunden die Frage stellen weiter bei Ihnen zu bleiben bzw zu kommen.. […] (IT201) ATTENZIONE! ! ATTENZIONE! ! ! Vorrei avvisare i clienti di TeleTu (ora Vodafone) e quelli che stanno valutando di diventare utenti di questo ge‐ store […] 8.3.2.2 Defokalisierende Referenz: Indefinitpronomen Daneben ist der Bezug auf andere Kunden über Pronomen wie anybody else, anyone oder those möglich, wie V ÁS Q U E Z (2011: 1713-1714) es beschreibt. Ge‐ zählt wurden Vorkommen nur dann, wenn sie sich auf andere Kunden als den Schreiber bezogen: (DE322) […] Hier sollte niemand einen Vertrag abschliessen und wer einen Vertrag hat sollte Ihn so schnell wie möglich kündigen. (IT202) […] Sconsiglierò a chiunque di affidarsi alla Vodafone. […] (IT359) […] Qualcuno ha avuto questi problemi? come li ha risolti ? […] Bereits im Abschnitt zur self-reference (8.2.2) in Tabelle 22 wurden solche Fälle defokalisierender Referenz aufgeführt, in denen der Beschwerdeführer mittels eines inklusiven wir auf sich selbst und andere Kunden (Fall b, DE: 8,5 %, IT: 8,25 %) oder mittels nominaler Ausdrücke auf die Kunden allgemein (Fall e, DE: 8 %, IT: 5 %) verweist - eine Gruppe also, in die er selbst einzuschließen ist. Der Beschwerdeführer referiert in beiden Fällen mithin auf eine potenziell mit‐ lesende Gruppe, zu der er selbst gehört. In Abbildung 10 ist die doppelte Funk‐ tion dieser Referenzen mittels zweier Pfeile verdeutlicht: Wo der Beschwerde‐ führer sich bei seiner Referenz in die Gruppe der Kunden einschließt, liegt self-reference vor; wo der Beschwerdeführer andere Kunden adressiert oder sich 243 8.3 Other-reference bewusst aus der spezifischen Gruppe der Kunden ausschließt, über die er gerade spricht (siehe die zuletzt genannten Beispiele), liegt other-reference vor. Die Überschneidung zwischen beiden Bereichen macht die Komplexität der Kom‐ munikationssituation deutlich. Die größte Zahl an Posts enthält dagegen keine explizite Referenz auf andere Nutzer der Seite. Kombinationen aus fokalisierenden und defokalisierenden Re‐ ferenzen auf andere Nutzer treten im Korpus nicht auf. 8.3.2.3 Zwischenfazit Die Referenz auf andere Kunden spielt im vorliegenden Korpus eine marginale Rolle; moves, die sich in der initialen Beschwerde ausdrücklich - an der sprach‐ lichen Oberfläche - an andere Kunden richten, sind selten. Dies dürfte vor allem der Tatsache geschuldet sein, dass nur der initiale Beschwerdepost analysiert wurde. In Follow-up-Posts kommt es dagegen zu stärkeren Interaktionen von Kunden untereinander. In der Ansprache anderer Nutzer, wie sie sich in einer Warnung, einer Frage, einem Aufruf manifestiert (vgl. 6.2), ist ein Ausdruck von positive politeness gegenüber diesen zu sehen. Der Beschwerdeführer spricht die anderen Kunden als Experten an, die ihm möglicherweise von eigenen Erfah‐ rungen berichten können. Auf der anderen Seite können Äußerungen dieser Art vom Unternehmen als FTAs aufgefasst werden. Auch Solidaritätsbekundungen der Kunden untereinander stellen eine Form der Referenz dar; sie wurden bereits als supportive move in Abschnitt 7.2.7 thematisiert. 8.3.3 Direkte und indirekte Beschwerden Auf Basis der vorangegangenen Auswertungen soll nun untersucht werden, in‐ wiefern die Beschwerden im vorliegenden Korpus als direkte oder indirekte Beschwerden klassifiziert werden können. Wie in 3.2.3 dargestellt, adressiert nach B OXE R (1993a, b) der Sprecher in einer direkten Beschwerde den für den Grund der Beschwerde Verantwortlichen (d. h. den ursächlich Verantwortlichen oder Zuständigen), in einer indirekten Beschwerde dagegen einen oder mehrere Dritte. Aufgrund der Kommunikationssituation ließen sich prinzipiell alle Be‐ schwerden als direkte Beschwerden klassifizieren, weil die Kunden sie - mit ihrem Profilbild und ihrem Profilnamen - auf der Seite des jeweiligen Unter‐ nehmens publizieren und sie als an dieses Unternehmen gerichtet erscheinen („[Profilname] ▶ [Name des Unternehmens]“, vgl. Abbildung 5). So klassifiziert M EINL (2010: 15) die eBay-Beschwerden in ihrem Korpus grundsätzlich als Be‐ schwerden direkter Natur, auch wenn teilweise Warnungen an andere Kunden darin vorkommen. Im Folgenden wird dagegen der Versuch unternommen, die 244 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation 113 N E U R A U T E R -K E S S E L S (2013: 179) dagegen stellt einen Online-Kommentar vor, in dem ein Leser einen Fußballtrainer direkt anspricht, der in einem Artikel zuvor erwähnt wird. V Á S Q U E Z (2014a: 113) führt Fälle auf, in denen Rezensenten auf der Internetseite des Video-on-Demand-Anbieters Netflix Künstler, Schauspieler oder Filmemacher ad‐ ressieren. Da davon auszugehen sei, dass diese die Rezensionen nicht lesen, sieht V Á S‐ Q U E Z in ihnen „a rhetorical rather than literal function“. Im vorliegenden Korpus findet sich als Sonderfall ein Post, in dem der Beschwerdeführer auf der italienischen Face‐ book-Seite von Vodafone darum bittet, Mitarbeiter des Konkurrenzunternehmens TIM mögen ihn kontaktieren; er gehe davon aus, dass sie diese Beschwerden mitlesen: „[…] ok pago quest’ultima cosa chiedo agli operatori tim che sono sempre pronti a leggere questi reclami a contattarmi immediatamente che passo da loro. grazie“ (IT192). 114 Zur quantitativen Bestimmung des Anteils an direkten und indirekten Beschwerden wird im Folgenden ausgezählt, in wie viel Prozent der Posts mindestens eine direkte Adressierung des Beschuldigten (direkte Beschwerden) oder mindestens eine direkte Ad‐ ressierung eines Dritten (indirekte Beschwerden) enthalten ist. 115 N O R D (2002: 156) führt an dieser Stelle das Spanische als die zweite in ihrem Korpus vertretene Sprache auf, ebenso wie das Italienische eine Nullsubjektsprache. Beschwerden nach der in ihnen gewählten Adressierung an das Unternehmen oder andere mitlesende Kunden, also aus dem Datenmaterial heraus, zu klassi‐ fizieren. a) Direkte Beschwerden Da die Unternehmensmitarbeiter für die Entgegennahme und Beantwortung von Beschwerden verantwortlich sind, handelt es sich bei Beschwerden, die das Unternehmen bzw. die Unternehmensmitarbeiter adressieren, um direkte Be‐ schwerden. In den Posts können dabei gegebenenfalls auch die unmittelbar Be‐ schuldigten genannt werden, z. B. Angestellte in einer bestimmten Filiale oder ein als unfreundlich empfundener Mitarbeiter im Callcenter. Diese werden aber in dem vorliegenden Korpus aus Beschwerdeposts in keinem Fall direkt adres‐ siert.  113 Für die Bestimmung einer Beschwerde als direkt ziehe ich das von N O R D (2002: 149) anhand von Werbetexten entwickelte Konzept der Adressierungsin‐ dikatoren heran. Als direkt werden Beschwerden im Rahmen der Auswertung dann klassifiziert, wenn mindestens eine der folgenden Formen im Post vor‐ liegt: 114 • eine eindeutig an das Unternehmen gerichtete Anrede • eine eindeutig an das Unternehmen gerichtete „Referenz auf die zweite Person in der vertraulichen oder der Höflichkeitsform (durch das Per‐ sonal- oder ein Possessivpronomen, im [Italienischen] 115 auch nur in der Verb-Endung)“ (N O R D 2002: 156) 245 8.3 Other-reference • „eindeutig an das Unternehmen gerichtete „Imperative […] und impera‐ tivische oder anleitende Infinitive, die bereits als solche eine Adressierung enthalten“ (N O R D 2002: 156) Außerdem nennt N O R D (2002: 156) „Referenzen auf die Zielgruppe in der dritten Person“. Diese werden hier nicht als eindeutiger Hinweis auf direkte Be‐ schwerden gewertet, da sie typischerweise auch in indirekten Beschwerden auftreten können. b) Tendenziell direkte Beschwerden (Fragen) N O R D (2002: 156) führt außerdem „an den Adressaten gerichtete direkte oder rhetorische Fragen“ als Adressierungsindikatoren auf. In der hier vorliegenden Analyse wird dieser Fall gesondert ausgewiesen, da eine Reihe von Fragen dieser Art prinzipiell auch als rhetorische Fragen in indirekten Beschwerden vor‐ kommen könnten. So wäre in den folgenden Beispielen denkbar, dass der Be‐ schwerdeführer mit seiner Frage auch andere Kunden adressiert: (DE274) Also irgendwie bereue ich das schon zu 1&1 gewechselt zu haben. Denn heute sollte ich die freischaltung bekommen, habe den ganzen Tag kein Internet und Telefon. Warum bezahle ich eigentlich für eine Dienst‐ leistung die ich nicht erhalte? Also wenn ich morgen kein Internet und Telefon habe, werde ich mir das aber schnellstens überlegen den Vertrag zu widerrufen ansonsten halt kündigen. (DE88) […] Wie lange dauert die Störung noch Mittler weile den 3 Tag Störung kein Teil kein dsl und dann nur unfreundliche Hotline ganz klasse und dann soll man mit 10€ abgespeist werden traurig (IT224) Buon giorno…. a quanto vedo c’è anche chi pagando 15 euro possiede 1000 minuti e 4 giga… io di giga ne ho soltanto 2 e pago ugualmente 15 euro… cos’è st’imbroglio? Gleichwohl liegt bei den meisten dieser Beschwerden eine Lesart als direkt an das Unternehmen gerichtete Frage nahe (insbesondere in Fällen wie DE88), weshalb sie hier als „tendenziell direkte“ Beschwerden eingeordnet werden. c) Indirekte Beschwerden Als indirekte Beschwerden werden dagegen Posts klassifiziert, die sich an ihrer sprachlichen Oberfläche eindeutig (nur) an das mitlesende Publikum richten. In diesem Fall adressieren die Verfasser also nicht direkt die Unternehmensmitar‐ beiter als die Verantwortlichen, sondern einen oder mehrere Dritte, insbeson‐ dere mittels des unter 6.2 erläuterten moves Warnung: 246 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation (DE235) Servicewüste Deutschland! BASE macht da keine Ausnahme. Also Hände weg von BASE. Zumindest für jene die zufriedener leben möchten. (IT58) Qualcuno che ha pratica con azioni legali contro compagnie telefoniche? d) Mehrfachadressierung Daneben treten auch Mehrfachadressierungen - an die Mitarbeiter und an an‐ dere Kunden - auf, also Formen der Kombination zwischen direkten und indi‐ rekten Beschwerden (vgl. V ÁS Q U E Z 2011: 1714; N E U RAUT E R -K E S S E L S 2013: 183). In DE221 richtet sich der Beschwerdeführer mittels einer direkten Anrede (Hallo base) und des Gebrauchs der 2. Ps. Pl. bei euch zunächst an das Unternehmen, ruft aber am Ende seines Posts andere Kunden mittels einer Anrede (Leute) und eines imperativischen Infinitivs (lieber kündigen) direkt dazu auf, ihren Vertrag mit dem Unternehmen zu kündigen: (DE221) Hallo base , also wenn ich das schon höre zwei Netze sind besser als eins dann Frage ich mich wo sind die zwei Netze es gibt keine zwei Netze bei euch denn von zwei Netze ist eins totaler Schrott aber nur Schrott und zwar dieses e-plus Netz oder noch besser base Netz und dieses Q2 Netz macht was es will das ist auch Schrott also Leute lieber kündigen ist besser ! ! ! ! ! (IT395) […] Osceni e vergognosi. E’ da mesi che va avanti la storia delle continue disconnessioni giornaliere ma ora basta. Appena avrò 24 ore di tempo avvierò il test Ne.Me.Sys. Mi avete davvero stancato. E non usufruirò solo della possibilità di poter recedere il contratto senza nessuna spesa ma farò altro. Per chi ha a che fare con i problemi più disparati e volesse saperne di più sul test ecco il link: https: / / www.misurainternet.it/ E’ un certificato ufficiale. e) offen In eine weitere Kategorie werden all diejenigen Beschwerden eingeordnet, bei denen an der sprachlichen Oberfläche nicht eindeutig erkennbar ist, ob es sich um direkte oder indirekte Beschwerden handelt. Sie enthalten keine der oben genannten sprachlichen Strukturen, anhand deren sich eine Adressierung des Unternehmens oder anderer Kunden festmachen ließe. (DE250) Wie kann man mit dem besten Netz werben, obwohl man gar kein eigenes Netz hat…lächerlich! ! ! (IT299) Vergogna! ! ! Le variazioni ai contratti già pattuiti sono illegali! Dopo quest’ennesima scorrettezza cambio operatore! 247 8.3 Other-reference Auswertung/ Diskussion Tabelle 26 zeigt die Verteilung direkter und indirekter Beschwerden im vorlie‐ genden Korpus. Posts mit mind. 1 Fall Dt. Korpus Ital. Korpus abs. Anzahl Anteil abs. Anzahl Anteil a) Direkte Beschwerden 253 63,25 % 238 59,5 % b) Eher direkte Be‐ schwerden (vermutlich an das Unternehmen gerich‐ tete Fragen/ Forderungen) 57 14,25 % 70 17,5 % c) Indirekte Beschwerden 2** 0,5 % 15** 3,75 % d) Mehrfachadressierung 3 0,75 % 6 1,5 % e) (sicher) offen 85 21,25 % 71 17,75 % SUMME 400 400 Tabelle 26: Verteilung direkter und indirekter Beschwerden Wie aus Tabelle 26 hervorgeht, richten sich die meisten Beschwerden im Korpus an ihrer sprachlichen Oberfläche erwartungsgemäß an das Unternehmen selbst (DE: 63,25 %, IT: 59,5 %). Allerdings haben die Diskussion der vorangegangenen Beispiele und des kommunikativen Rahmens gezeigt (vgl. 4.6), dass die Unter‐ scheidung zwischen direkten und indirekten Beschwerden in der vorliegenden Kommunikationssituation gar nicht trennscharf sein kann: Auch für die Fälle, in denen das Unternehmen nicht direkt adressiert wird, gilt, dass allen an der Konversation beteiligten Kommunikatoren und Rezipienten bewusst ist, dass der eigentlich Beschuldigte/ Verantwortliche sie mitlesen und auch darauf ant‐ worten kann. Derartige Konstellationen können prinzipiell auch in Offline-Kon‐ versationen auftreten: So beschreibt H E IN EMANN (2009) ein Beispiel, in dem sich eine Pflegerin bei einer anderen Pflegerin über eine ältere Dame beschwert, die - wie die Pflegerin weiß - gleichzeitig anwesend ist und so die Beschwerde mithören kann. Auffällig ist der Anteil an Beschwerden (DE: 21,25 %, IT: 17,75 %), die weder eine direkte Adressierung auf das Unternehmen noch auf andere Kunden ent‐ halten - Beschwerden also, in denen beispielsweise nur der Beschwerdegrund 248 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation vorgebracht wird. Es ist aus formaler Sicht nicht eindeutig zu entscheiden, ob es sich bei diesen Beschwerden um direkte oder indirekte handelt. 8.4 Metakommunikative Äußerungen von Kunden II: Kommunikationssituation Metakommunikative Äußerungen über die Kommunikationssituation und Teil‐ nehmerkonstellation (vgl. Abschnitt 4) enthalten im vorliegenden Korpus in erster Linie Hinweise auf das Massenpublikum. In dieser bereits von B OLANDE R (2013: 258) in ihrer Studie zur Kommunikation auf Blogs identifizierten Kate‐ gorie verweisen die Beschwerdeführer beispielsweise darauf, dass sie durch die hergestellte Öffentlichkeit auf sozialen Netzwerken mehr Macht über das Un‐ ternehmen ausüben können. So stellt der Beschwerdeführer gleich im ersten Beispiel private Nachrichten öffentlich geposteten explizit gegenüber: (PK-D) Man Leude, da schreib ich schon eine PN [= private Nachricht, M. K.] und kotz mich nicht öffentlich aus. Ihr schreibt mir eine Frage zurück, die ich 10 Minuten später beantworte. Seit dem: Funkstille. Auch auf Nachfrage (ebenfalls per PN) kommt nix von euch. Manometer: Wie kann man nur so beharrlich das eigene Image kontinuierlich selbst beschädigen? (PK-D) […] Aber anscheind muss man sich öffentlich beschweren. (DE398) […] Da ich weiß, dass sie auf diese Schreiben meist nie reagieren, weil ihre Kunden ihnen am Arsch vorbei gehen, poste ich das ganze gleich wieder öffentlich bei Facebook, damit sie sich bei der Bearbeitung auch ein bisschen beeilen. […] (DE172) […] In der Hoffnung das schlechte Presse über facebook den Fokus der Öffentlichkeit darauf lenkt und ihr dem Druck nachgebt…. […] (DE316) […] Bin sehr gespannt, ob meine Stornierung durch geht… wie auch immer: Zufriedene Kunden schreiben hier wohl nicht… gibt es diese überhaupt! ? […] (IT232) […] Dal momento che per capire come parlare con un operatore ci vuole una laurea e un pomeriggio libero (non per i tempi d’attesa bensì per capire quali siano i numeri da comporre), scrivo qui. […] (IT188) […] finchè non avrò giustizia farò valere la mia voce e diritti su tutti i social esistenti. […] Gerade die Online-Veröffentlichung negativer Beurteilungen ermöglicht es ent‐ täuschten Kunden, ihre Beschwerde effektiv zu platzieren. Auch innerhalb von Kommentaren finden sich Äußerungen dieser Art: 249 8.4 Metakommunikative Äußerungen von Kunden II: Kommunikationssituation (Thread zu DE138) [Kommentator 1] Jetzt will geholfen werden Mir macht Vodafone nur leere Versprechungen und beraten falsch! [Beschwerdeführer] Ja weil es hier mehrere sehen Der Beschwerdeführer in DE230 führt aus, er wolle sich als die hinter einer Nummer versteckte Person zu erkennen geben, sieht also offensichtlich in der Kommunikation über Social Media einen persönlicheren Kontakt als beispiels‐ weise über Mails: (DE230) social 360163 e social 372628 attendono una risposta.Vorrei smascherare questi personaggi che si nascondono dietro numeri […] 8.5 Zusammenfassung und Diskussion Verwiesen sei hier auf die ausführlichen Zusammenfassungen und Diskussionen am Ende der Teilabschnitte 8.2.1 bis 8.3.3. Die Besonderheit der vorliegenden Kommunikationssituation besteht - wie auch beispielsweise in den Leserbriefen an Zeitungen (H AR T F O R D / M AHB O O B 2004) und in Online-Rezensionen (V ÁS‐ Q U EZ 2011, 2013, 2014a, b) - darin, dass sich die Beschwerdeführer im Hinblick auf einen doppelten (potenziellen) Adressatenkreis positionieren: im Hinblick auf das Unternehmen und auf andere Facebook-Nutzer. Dabei gibt es Formen der Referenz, die sich sowohl als self-reference wie auch als other-reference in‐ terpretieren lassen. Sowohl in der self-reference wie auch in der other-reference auf das Unter‐ nehmen sind direkte Referenzen mittels der 1. bzw. 2. Ps. (im Falle der Höflich‐ keitsanrede der 3. Ps.) am stärksten verbreitet; im italienischen Korpus treten sie dabei in noch größerer Dichte als im deutschsprachigen Korpus auf. Den insgesamt - auf allen Ebenen - hohen Gebrauch von direkten Referenzen („I, Other, You“) beschreiben auch C OU S S EME NT / V AN D EN P O E L (2008: 877) als typi‐ sches Merkmal zur automatischen Erkennung von Beschwerde-E-Mails (vgl. 3.3.4). Statistisch signifikant häufiger im deutschen als im italienischen Korpus sind insbesondere defokalisierende Referenzen auf den Beschwerde‐ führer und das Unternehmen mittels Indefinitpronomen und Passiv. Oft sind die Beschwerden nicht eindeutig als direkt oder indirekt (vgl. 3.2.3) klassifizierbar (vgl. H AR T F O R D / M AHB O O B 2004), denn an das Unternehmen ad‐ ressierte Posts lassen sich immer auch als an andere Leser (Kunden) gerichtet verstehen. Was die sprachliche Oberfläche betrifft, stehen die hier untersuchten Beschwerdeposts allerdings im Gegensatz beispielsweise zu Hotelrezensionen, 250 8 Selbstdarstellung und Referenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation wie sie V ÁS Q U E Z (2011: 1713) untersucht: Diese sind mehrheitlich indirekter Natur, adressieren also vor allem andere Hotelgäste. Einige Metakommentare legen nahe, dass die Beschwerdeführer in der vor‐ liegenden Datenbasis prinzipiell bewusst unter den möglichen alternativen Be‐ schwerdekanälen die Facebook-Seite auswählen und sie dazu nutzen, mittels der dortigen Veröffentlichung ihrer Beschwerde der Reputation des Unternehmens zu schaden. 251 8.5 Zusammenfassung und Diskussion 9 Ergebnisse und Ausblick Ziel der vorliegenden Studie war es, Einblicke in die sprachliche Gestaltung von deutsch- und italienischsprachigen Online-Kundenbeschwerden zu geben. De‐ taillierte (Teil-)Zusammenfassungen finden sich bereits am Ende der einzelnen Abschnitte (vgl. 2.7, 3.4, 4.9, 6.7, 7.8 und 8.5). Im Folgenden werden die wich‐ tigsten Erkenntnisse aufgegriffen, um sie zu einem Gesamtbild zusammenzu‐ führen und Antworten auf die in 5.3 aufgeworfenen Forschungsfragen zu for‐ mulieren (vgl. 9.1). Eine besondere Rolle kommt dabei der Interpretation vor dem Hintergrund der in Abschnitt 2 vorgestellten (Im)politeness-Modelle zu (vgl. 9.2). Anschließend werden die deutsch- und italienischsprachigen Be‐ schwerden unter einer vergleichenden Perspektive diskutiert (vgl. 9.3) und For‐ schungsdesiderate aufgezeigt (vgl. 9.4). 9.1 Zusammenfassung der Ergebnisse Für die Studie ausgewählt wurden jeweils 80 Beschwerdeposts von 5 deutschen und 5 italienischen Facebook-Seiten, die Unternehmen aus der Telekommuni‐ kationsbranche unterhalten. Aufgrund des gleichartigen Aufbaus der Seiten, des hohen Aufkommens an Beschwerden sowie ähnlicher Beschwerdegründe bieten die Seiten gute Voraussetzungen für eine vergleichende Untersuchung. Aufbau der Beschwerdeposts • Insgesamt 13 moves konnten als typisch für die untersuchten Face‐ book-Beschwerden identifiziert werden: Briefrahmen (Anrede, abschlie‐ ßende Grußformel, Unterschrift, PS), Metakommentar, Buffer (Entschuldi‐ gung, Dank, Kompliment/ Positives), Kontext, Enttäuschung, Verärgerung, Beschwerdegrund, Frage zur Lösung, Forderung, negative Bewertung, Dro‐ hung, eigene Konsequenz, Warnung anderer. Darunter tritt der move Be‐ schwerdegrund als einziger in über 50 % aller Beschwerden auf und kann damit als „obligatorisch“ klassifiziert werden (vgl. 6.3). • Die Anordnung der moves innerhalb der Posts ist relativ frei; für eine Reihe von moves lassen sich allerdings Tendenzen feststellen (vgl. 6.3.3). • Für die Formulierung der einzelnen moves lassen sich gleichfalls typische Strategien feststellen, insbesondere für den move Forderung (vgl. 6.4.4). Interne und externe Modifikation • Von den die Beschwerde verstärkenden supportive moves, wie sie T R O S‐ B O R G (1995: 330-331) beschreibt, ziehen die Beschwerdeführer fast aus‐ schließlich solche inhaltlicher Natur heran. Aus der Auswertung des vor‐ liegenden Korpus wurden die folgenden Kategorien entwickelt: Beweise für das Vorliegen des Beschwerdegrunds, ihre eigene Rolle als (zahlungs‐ kräftige, langjährige, treue …) Kunden, persönliche (erlittene, aktuelle oder künftige) negative Konsequenzen aus dem Vorfall, die Unterstellung von Vorsatz, Hinweise auf Wiederholung (des Beschwerdegrunds oder der eigenen Beschwerde), Zeitangaben zum Auftreten des Beschwerde‐ grunds und Solidaritätsbekundungen gegenüber anderen Kunden (vgl. 7.2). • Daneben werden intensivierende Ausdrücke, aggressive Fragen, hyper‐ bolische Minimalanforderungen sowie Superlative häufig als interne up‐ graders eingesetzt (vgl. 7.3). • CvK-spezifische upgraders sind Emoticons/ Emojis, die Schreibung in Ver‐ salien, die Iteration von Grafemen und Satzzeichen (vgl. 7.4). • Als Strategien des Abschwächens eingesetzte downgraders - Ausdrücke des Bedauerns, zur Abschwächung eingesetzte upgraders, Höflichkeits‐ marker, Hecken, understaters, downtoners und m-committers - sind da‐ gegen im Korpus weit seltener vertreten (vgl. 7.5). • Häufig greifen die Beschwerdeführer in ihren Posts zu ironischen Formu‐ lierungen, die im Rahmen dieser Arbeit gleichfalls als Mittel zur Verstär‐ kung sowie zur positiven Selbstdarstellung interpretiert werden (vgl. 7.6). • Metakommunikative Äußerungen (L E NZ 1997) in den initialen Posts sind selten. Teils charakterisieren die Kunden ihr eigenes Verhalten oder das Verhalten der Mitarbeiter - unter Verwendung verschiedener Lexeme - als (un)höflich oder reflektieren ihre eigenen Höflichkeitsstrategien. Aus‐ einandersetzungen über angemessene Formulierungen finden manchmal in dem Thread statt, der sich an den initialen Post anschließen kann und in den sich auch andere (an der konkreten Beschwerde unbeteiligte) Kommentatoren einbringen. Außerdem lassen sich Belege dafür finden, dass die Kunden zwischen dem social face und dem identity face (u. a. S P E NC E R -O AT E Y 2008) der Mitarbeiter differenzieren (vgl. 7.7). 254 9 Ergebnisse und Ausblick Selbstdarstellung und Referenzen • In der Selbstdarstellung der Beschwerdeführer sowie ihren Referenzen auf sich selbst und andere wird das Spannungsfeld zwischen privater und öffentlicher Kommunikation deutlich, in dem sie sich bewegen. • Mittel zur Selbstdarstellung lassen sich teils in den in 7.2 dargestellten supportive moves sehen, insbesondere in der Hervorhebung der eigenen Rolle als Kunde oder in der Einordnung in unterschiedliche Gruppen - beispielsweise als Berufstätiger, pflegender Angehöriger oder Computer‐ spieler -, wenn es um den erlittenen Schaden geht. Über die in Ab‐ schnitt 6.4.2 diskutierten, als Buffer kategorisierten moves (insbesondere Dank und Komplimente/ Lob) oder den Hinweis, dass sie die Online-Ver‐ öffentlichung ihrer Beschwerde als äußerstes Mittel sehen, stellen sich die Beschwerdeführer als rational und seriös dar und unterstreichen ihre „non complainer identity“ (V ÁS Q U E Z 2011). Daneben lässt sich aufzeigen, wie die Schreiber auch mit Humor und Ironie auf das mitlesende Pub‐ likum abzielen (vgl. 8.2.1). • Bei der Analyse der Referenzen wird zwischen fokalisierenden und de‐ fokalisierenden (H AV E R KAT E 1984; T R O S B O R G 1995) unterschieden. In der self-reference des Beschwerdeführers überwiegen fokalisierende Formen (DE: in 83,25 %, IT: in 82,75 % aller Posts), zum größten Teil über Verb‐ formen bzw. Pronomen der 1. Ps. Sg. realisiert, seltener auch nominal. Daneben sind auch defokalisierende Referenzen vertreten (DE: in 33,5 %, IT: in 26,5 % aller Posts): Der Beschwerdeführer wählt hier verallgemei‐ nernde oder unpersönliche Formulierungen, ordnet sich in eine Gruppe (von Familienangehörigen, Kunden, Arbeitskollegen, Dorfbewohnern etc.) ein oder referiert in seltenen Fällen mit einem wir auch auf sich und das Unternehmen (vgl. 8.2.2). • Ähnliches gilt für die Referenz des Beschwerdeführers auf das Unter‐ nehmen (other-reference): Auch hier überwiegen fokalisierende Refe‐ renzen (DE: in 75,5 %, IT: in 78,75 % aller Posts) gegenüber defokalisie‐ renden Referenzen (DE: in 38,75 %, IT: in 26 % aller Posts). Eine Besonderheit ist hierbei in der komplexen Konstellation der Adressaten auf Unternehmensseite zu sehen: Die Beschwerdeführer referieren kon‐ kret auf das Unternehmen als Institution (BASE, 3 Italia etc.), die Mitar‐ beiter des Social-Media-Teams, die die Posts beantworten, sowie andere Akteure (Hotlinemitarbeiter, Verkäufer etc.) (vgl. 8.3.1). • Fokalisierende Referenzen des Beschwerdeführers auf andere (insbeson‐ dere Kunden) sind im initialen Beschwerdepost selten (DE: 2 %, IT: 5,25%). 255 9.1 Zusammenfassung der Ergebnisse Defokalisierende Referenzen auf andere können zum einen über Indefi‐ nitpronomen realisiert werden, die sich nur auf andere beziehen (DE: 2,5 %, IT: 2 %), zum anderen über Referenzen, mit denen sich der Beschwerdeführer selbst in eine Gruppe (an potenziellen Adressaten) ein‐ schließt. Letztere Art von Referenzen ist etwas häufiger und lässt sich gleichzeitig als eine Form der self-reference des Schreibers interpretieren (vgl. Tabelle 22), was die Komplexität der Kommunikationssituation ver‐ deutlicht (vgl. 8.3.2). • Die Gestaltung der untersuchten Facebook-Seiten legt nahe, dass alle dort veröffentlichten Beschwerden an das Unternehmen gerichtet sind (vgl. 4.4; M E INL 2010: 15). Gleichzeitig aber sind die Beschwerden öffentlich. Um der komplexen Kommunikationssituation Rechnung zu tragen, wurden im Rahmen dieser Arbeit daher die enthaltenen Adressierungen im Einzelnen analysiert: Tatsächlich überwiegen an der sprachlichen Oberfläche direkte Beschwerden deutlich gegenüber indirekten. Es lässt sich allerdings eine ganze Reihe von Beschwerden ausmachen, die an ihrer sprachlichen Oberfläche als nur „eher direkt“ (beispielsweise über vermutlich an das Unternehmen gerichtete Fragen) bzw. „nicht zuor‐ denbar“ gelten müssen. Die darin liegende Ambiguität wurde als Reflex der Teilnehmerkonstellation interpretiert (vgl. 8.3.3). • In metakommunikativen Äußerungen stellen die Kunden dar, dass sie sehr bewusst in der Öffentlichkeit posten, um der Reputation des Unter‐ nehmens zu schaden (vgl. 8.4). 9.2 Facework in Facebook-Beschwerden: Diskussion vor (Im)politeness-Modellen Vor dem Hintergrund der in Abschnitt 2 vorgestellten (Im)politeness-Theorien soll diskutiert werden, inwiefern die das Korpus dieser Arbeit bildenden Be‐ schwerden als (im)polite wahrgenommen werden können. Diskussion vor B R O W N / L E VIN S O N [1978]1987 Die Theorie von B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) (vgl. 2.1), die facework mit den Bemühungen um politeness gleichsetzt, greift, wie in der Forschung vielfach herausgestellt, allgemein (u. a. E E L E N 2001), insbesondere aber unter den Kom‐ munikationsbedingungen von Social Media deutlich zu kurz (M EINL 2010: 227- 228; H E LD 2014a: 159). In Beschwerden, die naturgemäß einen FTA darstellen (vgl. 3.2.1), müssten sich nach dem Höflichkeitsmodell von B R OWN / L EVIN S ON 256 9 Ergebnisse und Ausblick 116 Dies merkt auch T R O S B O R G (1995: 324) an: „An employee may speak on behalf of the whole staff, a board member on behalf of the whole board, a doctor with the authority of his profession and scientific insight etc. In doing so, the complainer can protect his/ her own face in addition to that of the complainee.“ ([1978]1987) zur Abmilderung regelmäßig Positive- oder Negative-Polite‐ ness-Strategien finden, um den Face-Bedürfnissen des Hörers - der im Mittel‐ punkt ihrer Betrachtungen steht -, aber auch des Sprechers selbst Rechnung zu tragen. Wie in der Analyse des vorliegenden Korpus gezeigt werden konnte, sind allerdings - erwartungsgemäß - nur verhältnismäßig wenige „abmil‐ dernde“ sprachliche Mittel in den Beschwerden enthalten (vgl. 7.5). Hinzu kommt, dass in diesen Fällen vielfach eine ironische Lesart naheliegt. Weitaus häufiger treten im Korpus verstärkende sprachliche Mittel auf (vgl. 7.2 bis 7.4; 7.6). Das positive face des Sprechers ist nach B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987: 71) Modell in Gefahr, wenn er im Falle einer Beschwerde sein Ansehen bei anderen verliert. Strategien dagegen können, wie herausgearbeitet wurde, beispielsweise in Solidaritätsbekundungen unter Kunden (vgl. 7.2.7), im Einsatz von Humor/ Ironie (vgl. 8.2.1.3), aber auch in einer defokalisierenden self-reference des Be‐ schwerdeführers gesehen werden (vgl. 8.2.2) 116 . Das negative face des Sprechers - und damit seine Selbstbestimmung - ist im Fall von Beschwerden insbesondere dann beeinträchtigt, wenn er hierzu Informationen weitergeben muss, die er eigentlich für sich behalten wollte (O R THAB E R / M ÁR Q U E Z R E ITE R 2011: 3863). Dies ist im vorliegenden Korpus allerdings unwahrscheinlich, weil die Beschwerde‐ führer bewusst sogar einen öffentlichen Kanal für ihre Beschwerden wählen. Ein wichtiges Element von B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) Modell ist zudem ihre These eines direkten Zusammenhangs zwischen Indirektheit und politeness einer Äußerung: Ausgehend von dem Politeness 2 -Modell, das die sprachliche Gestaltung der Beschwerde zum Ausgangspunkt nimmt, postulieren sie, dass der Grad an politeness einer Beschwerde umso geringer ist, je direkter sie for‐ muliert wird; zusätzlich berücksichtigt werden hierbei upgraders und downgra‐ ders, mit denen der Sprecher seinen FTA zu verstärken oder abzumildern ver‐ sucht (vgl. B R OWN / L E VIN S ON [1978]1987; H OU S E / K A S P E R 1981). So würden beispielsweise Beschwerden, die den Beschwerdegrund nicht nennen, in B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) Modell zur off record super strategy gezählt (vgl. M E INL 2010: 227). Allerdings haben die Kritiker der Theorie B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) bereits betont, dass Indirektheit nicht zwangsläufig als polite zu interpretieren ist (vgl. 2.1): „Indirectness […] does not simply equal politeness, but can in fact turn out to be impolite if the speaker misjudged the appropriate form called for 257 9.2 Facework in Facebook-Beschwerden: Diskussion vor (Im)politeness-Modellen 117 Auch L O C H E R (2004: 69) greift diese Kritik auf und illustriert sie anhand des Beispiels, eine Einladung zu einer Feier nicht zu beantworten, um den FTA einer Absage gänzlich zu vermeiden: „While the message will definitely get across, its form can hardly be called polite. Again, the context will play a crucial role to decide on appropriateness and the level of politeness.“ by the speech situation“ (L O CHE R 2004: 69). Dies ist deutlich auch für den Kontext der vorliegenden Studie festzustellen: Es erscheint plausibel, dass aus Sicht des Unternehmens eine direkte Benennung des Beschwerdegrunds gegenüber der indirekten Strategie einer alleinigen Unmutsbekundung (Enttäuschung, Ärger) die geeignetere Strategie - im Sinne von appropriateness - darstellt, weil nur so konkrete Maßnahmen zur Steigerung der Kundenzufriedenheit ergriffen werden können. Andernfalls müsste das Unternehmen mit einer Rückfrage den genauen Grund erst herauszufinden versuchen. Auch die von B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987) als höflichste, weil indirekteste Strategie charakterisierte Vermei‐ dung eines FTA („don’t do the FTA“), ist aus Unternehmenssicht gerade nicht erwünscht. 117 So machen S TAU S S / S E ID E L (2014: 33) in ihrem Handbuch zum Be‐ schwerdemanagement deutlich: [Es] ist eine aktive Politik zu betreiben, die dazu führt, dass unzufriedene Kunden nicht schweigen oder abwandern, sondern sich mit Beschwerden an das Unternehmen wenden. Dementsprechend führt der Weg zu einer kundenorientierten Unterneh‐ menskultur meist über ein erhöhtes Beschwerdeaufkommen. Eine langfristige Verringerung von Beschwerdezahlen ist nur zu erreichen, wenn zunächst der Anteil unzufriedener Kunden, der sich beschwert, maximiert wird. Dass Indirektheit keinesfalls mit politeness gleichzusetzen ist, wurde auch an anderen Stellen dieser Arbeit gezeigt. Wenn (nur) in rund einem Drittel aller Posts der move Forderung explizit, also direkt - und nicht nur indirekt, z. B. über den move Beschwerdegrund - genannt wird, kann dies seinen Grund darin haben, dass die Situation zur Interpretation des Beschwerdegrunds als Forderung aus‐ reicht: Der Beschwerdegrund, für den das Unternehmen für verantwortlich ge‐ halten wird, erscheint auf der Facebook-Seite des Unternehmens. Die gleiche Frage wurde auch im Zusammenhang mit unpersönlichen Formulierungen be‐ reits diskutiert: Es ist nicht davon auszugehen, dass das Passiv oder Formulie‐ rungen mit man oder si „höflicher“ als direkte Ansprachen sind - denn der „Täter“ ist in jedem Fall bekannt: das Unternehmen (vgl. 8.3.1.5). Des Weiteren wird in B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) Modell jede Äußerung als nur an einen einzigen Adressaten gerichtet betrachtet. Die Mehrfachadres‐ sierung, die öffentlich zugängliche Kundenbeschwerden auf Facebook ermög‐ lichen und die sich zuweilen auch an der sprachlichen Oberfläche manifestiert 258 9 Ergebnisse und Ausblick (vgl. 8.3.3), findet darin keinen Niederschlag. Die Auswirkung von (Im)polite‐ ness-Strategien auf das overhearing audience bzw. ihre bewusste Ausrichtung auf dieses Publikum kann das Modell B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) daher nicht abbilden. Postmoderne Politeness-Theorien berücksichtigen die Rolle von Intention, Macht und (Un-)Angemessenheit sowie die medialen Rahmenbedingungen und die Teilnehmerkonstellation stärker als B R OWN / L E VIN S ON ([1978]1987), die sich nur auf wenige Parameter beschränken, und können so zum besseren Ver‐ ständnis der sprachlichen Formulierung von Kundenbeschwerden beitragen. Daher sollen nun die in 2.3 dargestellten Theorien diskutiert werden. Diskussion vor L O C H E R / W A T T S (u. a. 2005): relational work Das von L O CHE R / W ATT S (u. a. 2005) geprägte Konzept der relational work um‐ fasst nicht nur politeness zur Abmilderung von FTAs, sondern die gesamte Bandbreite möglicher Verhaltensweisen (vgl. 2.3.1). Außerdem weisen L O CHE R / W ATT S explizit darauf hin, dass ein und dieselbe Äußerung von Sprecher wie Hörer verschieden wahrgenommen und eingeordnet werden kann. Damit ist ihr Modell in höherem Maße als B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) Ansatz geeignet, die vorliegende Situation abzubilden. Dargestellt ist es in Abbildung 1, die hier als Abbildung 11 leicht modifiziert wieder aufgegriffen wird. Abbildung 11: Relational work (W A T T S 2005: xliii) (untere Abbildung abgeändert von M. K.) In Abbildung 11 eingezeichnet wurde ein mit „Netiquette“ beschrifteter Kasten, der die in Abbildung 1 als „rude“ und einen Teil der als „impolite“ gekennzeich‐ neten Bereiche überdeckt: Denn das Unternehmen selbst verbirgt Posts, die 259 9.2 Facework in Facebook-Beschwerden: Diskussion vor (Im)politeness-Modellen 118 Von möglichen Fehlern der Mitarbeiter, die einen aufgrund der Vorgaben ihres Unter‐ nehmens zu entfernenden Post versehentlich nicht verborgen haben, muss hier abge‐ sehen werden, da ein Nachweis nicht möglich ist. nicht seiner Netiquette entsprechen. Diese lassen sich als - vom Unternehmen nicht tolerierbare - Extremform von non-politic/ inappropriate behavior be‐ trachten, die im Korpus folglich nicht enthalten ist. In dieser Weise schließt das Unternehmen einige Impoliteness-Strategien aus; dazu dürfte beispielsweise „use taboo words“ (C UL P E P E R 1996: 357; vgl. 2.4) gehören. Die Untersuchung der Facebook-Beschwerden hat gezeigt, dass andere Beschwerden, die nach der Höflichkeitstheorie B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) gleichfalls als impolite ka‐ tegorisiert würden, im Kontext der untersuchten Facebook-Seiten aus Unter‐ nehmenssicht als Netiquette-konform eingestuft und daher nicht verborgen werden (vgl. 4.5, S7). Ist daher davon auszugehen, dass alle vom Unternehmen nicht verborgenen Posts in L O CHE R S / W ATT S ’ (2005) Terminologie als „un‐ marked/ politic/ appropriate behavior“ zu bezeichnen wären? 118 Beispielsweise wurde in der Analyse aufgezeigt, dass insbesondere over-politeness - obgleich in L O CHE R S / W ATT S ’ (2005) Modell eigentlich als „unangemessen“ einge‐ zeichnet - offensichtlich nicht oder kaum durch ein Verbergen des Posts sank‐ tioniert wird, was sich in dem hohen Anteil ironischer Äußerungen in beiden Teilkorpora spiegelt. Mit anderen Worten: Ist damit ein Verhalten, das in L O‐ CHE R S / W ATT S ’ Modell (2005) eigentlich als negatively marked und inappropriate klassifiziert wird, situationsabhängig doch angemessen? Diese Frage wurde schon im Forschungsüberblick in 2.4.2 aufgeworfen. Wie A R CHE R / J AG ODZ Í N S KI (2015: 52) für Callcenter-Interaktionen feststellen, regelt das Unternehmen über die Schulung der Mitarbeiter und entsprechende Verhaltensvorschriften (im Falle schriftlicher Beschwerden auf Facebook auch einen Filter), welche Kun‐ denäußerungen akzeptiert werden, und legitimiert sie auf diese Weise: We would argue that it is this close monitoring of what an agent can and cannot say, and how they are expected to say it, by call centre companies, which helps to insti‐ tutionally sanction (i. e. tacitly accept) caller’s [sic] face attacks towards agents - by limiting what they can do to prevent themselves from experiencing verbal abuse […]. Dabei ist der Gebrauch von Impoliteness-Strategien seitens Kunden als einseitige Machtausübung gegenüber Callcenter-Mitarbeitern zu sehen (A R CHE R / J AG OD‐ Z Í N S KI 2015: 52); die Mitarbeiter haben nicht die Möglichkeit, impoliteness seitens der Kunden zu spiegeln (vgl. auch M ÁR Q U E Z R E IT E R 2005, andere Konstellationen dieser Art finden sich bei C UL P E P E R E T AL . 2003: 1563). C UL P E P E R (2011: 206) spricht in diesem Zusammenhang von „sanctioned behaviour“; dabei greift er 260 9 Ergebnisse und Ausblick auch auf S P E NC E R -O AT E Y S (u. a. 2000a, b) Modell des rapport management zu‐ rück, das weitere Einblicke bietet: Diskussion vor S P E N C E R -O A T E Y (2000a, b): rapport management Um impoliteness in den hier untersuchten initialen Kundenbeschwerden als Form der reactive impoliteness zu betrachten, wie von C UL P E P E R (2011: 206) vor‐ geschlagen, bedarf es eines Modells, das aus sozialpsychologischer Sicht auch Verstöße gegen die Rechte und Pflichten der Interaktanten und damit außer‐ sprachliche FTAs in die Überlegungen mit einschließt - wie S P E NC E R O AT E Y S Rapport-Management-Konzept. Wie in 2.3.2 beschrieben, unterscheidet S P E NC E R -O AT E Y (2008) in ihrem Ansatz des rapport management zwischen den drei Kategorien face, sociality rights and obligations und interactional goals; eine Bedrohung, die zur Störung einer harmonischen Beziehung führt, könne auf jeder dieser Ebenen erfolgen. Überträgt man S P ENC E R -O AT E Y S Modell auf das vorliegende Korpus, so lassen sich die den Facebook-Beschwerden jeweils vorangegangenen „Vorfälle“, also die Beschwerdegründe, meist als Bedrohung auf allen drei Ebenen interpretieren: Ein Kunde, dessen Internetanschluss trotz regelmäßiger Zahlungen nicht funktioniert, sieht darin (1) einen facethreatening act. Zudem sieht er (2) sein Recht auf einwandfreien Service und die vertragliche Verpflichtung des Unternehmens verletzt (sociality rights and ob‐ ligations) - und schließlich (3) auch das Ziel, Zugang zum Internet zu haben (interactional goal). S P E NC E R -O AT E Y (2008: 32) geht ferner davon aus, dass nicht in allen Situ‐ ationen Interaktanten prinzipiell auf eine harmonische Beziehung abzielen und unterscheidet (1) rapport enhancement, (2) rapport maintenance, (3) rapport ne‐ glect und (4) rapport challenge orientation. Überträgt man diese Kategorien wie‐ derum auf das vorliegende Korpus, so lassen sich die Kundenbeschwerden meist in eine der beiden letztgenannten Kategorien einordnen. Zurückzuführen ist dies auf die deutliche Aufgaben-, nicht Beziehungsorientierung der Interaktion seitens der Kunden: Die rapport neglect orientation stellt zwangsläufig den Nor‐ malfall dar; die Grenzen zur rapport challenge orientation sind dabei fließend. R HU RAKVIT (2011: 243) nimmt eine Zuordnung zu den beiden Kategorien anhand der in der jeweiligen Beschwerde verwendeten moves vor: Im Gebrauch von „direkten“ Strategien wie direct complaint, negative assessment, challenge, warning und threat sieht sie eine rapport challenge orientation mit dem Ziel, eine Schadensbehebung oder Entschädigung zu erlangen. Den Gebrauch „weniger direkter“ Strategien wie provision of context, expression of disappointment, ne‐ gotiation (wie suggestion, request for repair) ordnet sie der rapport neglect orien‐ tation zu. Da im vorliegenden Korpus mehr als 90 % der Beschwerden den move 261 9.2 Facework in Facebook-Beschwerden: Diskussion vor (Im)politeness-Modellen Beschwerdegrund enthalten - bei R HU RAKVIT (2011): direct complaint - läge hier demzufolge fast überall eine rapport challenge orientation vor. Im Falle des hier vorliegenden Korpus ist dem Unternehmen aber zu unterstellen, dass es an Kundenbeschwerden prinzipiell interessiert ist, um unzufriedene Kunden nicht zu verlieren (s. o., S TAU S S / S E ID E L 2014: 33). Daher ist eine solche Grenze - dem in Tabelle 15 dargestellten Direktheitsgrad für die Beschwerde-Moves i. e. S. folgend - eher bei Enttäuschung, Verärgerung, Beschwerdegrund, Frage zur Lö‐ sung, Forderung und negativer Bewertung als rapport neglect orientation einerseits sowie Drohung, eigener Konsequenz und Warnung anderer als rapport challenge orientation andererseits zu ziehen: Denn während die zuerst genannten moves dem Unternehmen helfen, das Anliegen des Kunden einzuordnen, zu verstehen und ggf. zu bearbeiten, sind die letzten drei hierfür nicht zielführend. Allerdings müssten für eine stringente Zuordnung auch die Wortwahl oder besonders ge‐ häufte upgraders, z. B. auf typografischer Ebene, beachtet werden, sodass in be‐ stimmten Fällen auch Verärgerung oder negative Bewertung bereits als rapport challenge orientation eingeordnet werden könnten. Wie oben dargelegt, ist davon auszugehen, dass das in den veröffentlichten Posts realisierte sprachliche Verhalten als „legitimiert“ gelten kann. Bleibt die im Forschungsüberblick bereits diskutierte Frage, ob impoliteness in diesem Fall nicht nur als „legitimiert“, sondern gleichzeitig auch als „neutralisiert“ zu sehen ist (vgl. 2.4.2). Ausgehend von den Netiquette-Regelungen, wie sie die „offizielle“ Sicht des Unternehmens widerspiegeln, ist dies für den Gegenstand dieser Studie zu verneinen (vgl. 4.5, S7). Wie die (wenigen) Politeness 1 -Urteile zeigen, die im Rahmen dieser Arbeit angeführt wurden (vgl. 7.7), gehen die Ansichten der Ak‐ teure hier auseinander - ein Befund, der auf Basis zusätzlicher empirischer Daten zum Thread-Verlauf und insbesondere zur Wahrnehmung der Mitarbeiter weiter untersucht werden müsste. A R CHE R / J AG ODZ Í N S KI (2015: 64) jedenfalls kommen in der Befragung von Mitarbeitern in einer Beschwerdehotline zu dem Schluss, dass trotz der Häufigkeit des Auftretens von face-attacks einige Mitar‐ beiter unter den Konsequenzen litten, andere nicht. Ihre Hypothese: „these agents accept the de-individuation of being a representative, that is, they align with the institution’s face concerns in ways which allow them to field the verbal aggression with detachment“ (A R CHE R / J AG ODZ Í N S KI 2015: 64). Dies bestätigt C UL P E P E R S (2008: 30) im Forschungsüberblick bereits beschriebene Überlegung: dass schon aufgrund der verschiedenen - teils lokalen, teils allgemeinen - Normen, die einzelne Teilnehmer an der Interaktion anwenden, impoliteness in bestimmten Situationen nicht allgemein als neutralisiert begriffen werden kann. Während in Untersuchungen, die B R OWN S / L E VIN S ON S ([1978]1987) Höflich‐ keitsmodell heranziehen, traditionell die Face-Bedürfnisse des Adressaten im 262 9 Ergebnisse und Ausblick Mittelpunkt der Betrachtung stehen, wird in S P E NC E R -O AT E Y S Modell (u. a. 2002: 540) deutlich auch das face des Sprechers berücksichtigt. Zurückzu‐ kommen ist hier auf ihre Unterscheidung zwischen quality face und social iden‐ tity face (vgl. 2.3.2, Abbildung 2), die sich auch in der doppelten Ausrichtung von C HEN S (2001) Begriff des self-face spiegelt (vgl. 2.1). Das quality face ist der Wunsch nach positiver Bewertung des eigenen Erscheinungsbildes und der ei‐ genen Fähigkeiten. Dieser spielt im vorliegenden Korpus eine eher unterge‐ ordnete Rolle: Während in Online-Rezensionen, wie von V ÁS Q U E Z (2014a, b) herausgestellt, häufig die Legitimation der eigenen Expertise, der Aufbau eines positiven Selbstbildes oder eine Beschreibung der eigenen Vorlieben und Ge‐ wohnheiten auszumachen ist, ist dies hier weniger der Fall (vgl. 8.2.1). Vergli‐ chen mit Couchsurfing-Teilnehmern (D AYT E R / R ÜDIG E R 2014) oder Online-Re‐ zensenten (V ÁS Q U E Z 2014a, b), die sich durch häufige Beschwerden ihren eigenen Ruf als Übernachtungsgast bzw. glaubwürdiger, kompetenter Rezensent verschlechtern können, scheinen im vorliegenden Korpus nur wenige Be‐ schwerdeführer diese Sorge zu haben. Dadurch, dass sie sich z. B. aufgrund der Nichterfüllung ihres Vertrags durch das Unternehmen im Recht fühlen, sehen sie ihr quality face auch durch den Ausdruck von massivem Ärger oder Dro‐ hungen nicht in Gefahr, den face-threat als gering. Von größerer Bedeutung ist im Kontext dieser Studie das social identity face, das den Beschwerdeführer in einer sozialen Rolle zeigt. S P E NC E R -O AT E Y (2002: 540) nennt in ihrer Definition von social identity face selbst das - hier relevante - Beispiel der Rolle als Kunde: „We have a fundamental desire for people to acknowledge and uphold our social identities or roles, e. g. as group leader, valued customer, close friend“ (Hervorhebung M. K.). Indem die Kunden beispielsweise betonen, dass sie seit langen Jahren, regelmäßig und immer pünkt‐ lich viel Geld zahlen (vgl. 7.2.2), heben sie ihren Wert für das Unternehmen deutlich hervor - im deutschen Korpus in über 20 % aller Fälle. Der Kunde als Beschwerdeführer betont in seinen Beschwerden nicht nur sein eigenes social identity face, sondern adressiert - wie mehrfach hervorge‐ hoben (vgl. 7.7 und 8.3.1) - umgekehrt gleichfalls das social identity face des Mitarbeiters, das das Unternehmen diesem für die Dauer seiner Tätigkeit über‐ trägt. Eingeführt wurde im Rahmen dieser Arbeit bereits die Bezeichnung in‐ stitutional/ professional face (u. a. O R THAB E R / M ÁR Q U EZ R E IT E R 2011, vgl. 4.5, S9); A R CHE R / J AG ODZ Í N S KI (2015: 55) weisen darauf hin, dass sich diese Kategorie in gewissem Maße mit S P E NC E R -O AT E Y S (u. a. 2002) Kategorie des social identity face überlappe und halten letztere Bezeichnung für ungünstiger. Sie begründen dies mit der besonderen Beziehung zwischen dem Callcenter-Agenten und seinem Unternehmen: 263 9.2 Facework in Facebook-Beschwerden: Diskussion vor (Im)politeness-Modellen 119 Die Komplexität einer solchen face-„Dynamik“ in polylogischen Kommunikationssitu‐ ationen wurde auch von N E U R A U T E R -K E S S E L S (2013: 126) am Beispiel von Online- Leserbriefen illustriert. we want to capture the synechdochical relationship between the agent and the com‐ pany s/ he represents - something which, we would argue, the notion of social identity face fails to capture (cf. Culpeper, 2011: 28-29). Das scheint auf den ersten Blick zwar einleuchtend und legitim. S P E NC E R - O AT E Y S Modell erlaubt es mit der Verwendung der Bezeichnung social identity face auf beiden Seiten allerdings, die Reziprozität auf Kunden- und Mitarbeiter‐ ebene hervorzuheben; im Rahmen höflichkeitstheoretischer Betrachtungen ist es daher zielführend, ihre Terminologie beizubehalten. Schließlich berücksichtigt S P E NC E R -O AT E Y S Modell des rapport management auch den möglichen Einfluss weiterer Zuhörer, der das Gewicht einer Be‐ schwerde noch erhöhen kann. Der Aspekt der Öffentlichkeit der Beschwerde wird aber insbesondere im genre approach abgebildet: Diskussion vor G A R C É S -C O N E J O S B LI T VI C H (u. a. 2012): genre approach Aufgrund ihrer potenziell polylogischen Kommunikationsstruktur liefert zur Interpretation der Beschwerdeposts dieser Arbeit auch G AR CÉ S -C ON E J O S B LIT‐ VICH S (u. a. 2012) Genre-Ansatz (vgl. 2.3.3) interessante Einsichten. Die im Korpus dieser Arbeit vorhandenen, tendenziell direkten Beschwerden stellen FTAs ge‐ genüber dem Unternehmen dar. Im Sinne einer Solidarisierung der Kunden un‐ tereinander (gegenüber dem Unternehmen) sind diese strategisch eingesetzten FTAs bzw. Impoliteness-Strategien gleichzeitig aber auch als rapport-enhancing gegenüber anderen Kunden zu bewerten. Auch in der (seltenen) direkten An‐ sprache anderer Teilnehmer im Falle indirekter Beschwerden (vgl. 8.3.2) ist in diesem Sinne eine Form von relational work gegenüber dem Unternehmen ei‐ nerseits und den übrigen Teilnehmern andererseits zu sehen. Einige Beispiele aus Kommentaren zeigen, dass Kunden sich gegenseitig unterstützen und damit eine Art „Koalition“ gegenüber dem Unternehmen bilden (vgl. 4.7 und 7.7). Kommentatoren suchen so das face des Beschwerdeführers (oder anderer Kom‐ mentatoren) zu verteidigen, wenngleich ihr eigenes face nicht angegriffen wurde: Sie ergreifen Partei für andere Teilnehmer, indem sie den „Angreifer“ selbst mit einem FTA attackieren. 119 Dieser „us versus them type of situation“ (s. o., G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH 2010a: 62) erinnert an die YouTube-Diskussion, vor deren Hintergrund G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH (2012) ihren Ansatz verdeut‐ licht (vgl. 2.3.3) - und wäre weitere Untersuchungen wert (vgl. auch M AA SS 264 9 Ergebnisse und Ausblick 2014b zur Rolle des „anwesenden Dritten“ und des „Verteidigers“ in Internet‐ foren). Auch eine Reihe der in dieser Arbeit bereits aufgezeigten Erkenntnisse fügt sich gut in G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH S Modell ein: Schon B OXE R (2010: 164) weist, wie eingangs zitiert (vgl. 3.2.3), darauf hin, dass direkte Beschwerden FTAs sind, während indirekte dazu dienen, „Luft abzulassen“ oder die Solidarität anderer zu suchen (ähnlich schon B OXE R 1993b: 106-107). Neu in G AR CÉ S - C ON E J O S B LITVICH S Modell ist, dass es explizit Konstellationen berücksichtigt, in denen Beschwerden gleichzeitig direkt und indirekt sind. Im Lichte von G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH S Modell lassen sich schließlich auch die zur Selbstdarstellung der Beschwerdeführer diskutierten verschiedenen Funktionen von Humor betrachten. L O CHE R (2006: 123) unterscheidet humor‐ bonding, humor-hedging und humor-criticizing. Wie in 8.2.1.3 festgestellt, sind diese Funktionen angesichts der vorliegenden Teilnehmerkonstellation und Kommunikationssituation allerdings kaum voneinander zu trennen: Humor‐ volle Äußerungen, mit denen das Unternehmen kritisiert wird, dienen gleich‐ zeitig der Solidarisierung unter den Kunden. Auch der häufige Gebrauch von Ironie lässt sich in diesem Sinne als entertaining impoliteness (nach C UL P E P E R 2011: 233-239) interpretieren, die sich auch an das mitlesende Publikum richtet. G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH bringt in ihrem Modell die Multidimensionalität eingesetzter impoliteness auf den Punkt, denn - wie auch B O U S F I E LD (2010: 106) feststellt - impoliteness ist nie Selbstzweck. In ihren Überlegungen zu einer Neubewertung von impoliteness geht G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH (2012: 84) aber noch einen Schritt weiter: impoliteness könne positiv markiertes Verhalten sein, „when its ultimate goal is the amendment of social wrongs, the unveiling of the truth, etc.“. Wie in ihrem Beispiel das Aufdecken der Lüge Obamas als polite gegenüber den Bürgern zu betrachten ist (vgl. 2.3.3), so ist es im hier vorlie‐ genden Korpus z. B. das Aufdecken von Mängeln in der Vertragserfüllung des jeweiligen Unternehmens. Hierin ist kein Widerspruch zu der gerade aufgestellten These zu sehen, impoliteness werde nicht neutralisiert: Wie auch C UL P E P E R (2008) geht G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH davon aus, dass es Differenzen in der Einschätzung der Situation seitens verschiedener Akteure gibt. Abschließende Reflexion der Rahmenbedingungen Schließlich sollen noch einige der Rahmenbedingungen reflektiert werden, wie sie in der einleitenden Analyse herausgestellt wurden (vgl. Abschnitt 4). Aufschlussreich für die Erklärung des hohen Direktheitsgrads der Be‐ schwerden sind zum einen die Machtverhältnisse zwischen den Interaktanten. 265 9.2 Facework in Facebook-Beschwerden: Diskussion vor (Im)politeness-Modellen In der Terminologie von F R E NCH / R AV E N (1959) üben Kunden im Falle von Be‐ schwerden über unzureichende Dienstleistungen oder Produkte coercive power aus (vgl. 4.5, S9), die im Rahmen von Facebook-Beschwerden durch die Öffent‐ lichkeit noch verstärkt wird. Daneben zeigt sich ihr Machtbewusstsein insbe‐ sondere in moves wie Warnung und Drohung: Mit der Warnung anderer Kunden machen die Schreiber deutlich, dass ihre Beschwerde den finanziellen Erfolg des Unternehmens durch Abschreckung anderer Kunden verringern kann. Mit Dro‐ hungen dagegen verweisen sie direkt auf diejenigen Instanzen, die Druck auf das Unternehmen ausüben könnten (Anwälte, Bundesnetzagentur etc.), oder kündigen das Einstellen ihrer Zahlungen und damit einen finanziellen Verlust für das Unternehmen an. Verschiedene Studien zu Beschwerden, die auf elizitierten Daten basieren, haben bereits gezeigt, dass solche Situationsbeschreibungen, in denen sich der Proband als Kunde über eine mangelhafte Dienstleistung oder ein mangelhaftes Produkt beschweren muss, tendenziell direkte Beschwerdestrategien hervor‐ rufen (R HU RAKVIT 2011: 243-244): With regard to the present findings, they reveal that when the complainant realises that he/ she has power over the offender the direct and weighty complaint strategies tend to be applied. In service encounter situations, like Situation 1 (poor service in a bank), Situation 3 (overpriced phone bill) and Situation 7 (poor service in a restaurant), the complainants opt for rather direct strategies, such as the Direct Complaint, the Challenge and the Warning or Threat. Unternehmensmitarbeiter und Kunde sind und bleiben in ihren Rollen zudem einander fremd; gemäß der bulge theory von W OL F S ON (1989: 125-139) ist das Maß an investiertem facework zwischen Bekannten größer als zwischen Fremden oder Freunden (vgl. auch M E INL 2010: 216). Der Kontakt zwischen den beiden Interaktionspartnern ist transaktions- und nicht beziehungsorientiert; ihm liegt meist ein explizit geschlossener Vertrag zugrunde. Zum anderen wird ein hoher Direktheitsgrad wie im vorliegenden Korpus häufig in Verbindung mit Anonymität im Internet gebracht (H E R R ING 2002: 135 ff.; M E INL 2010: 215). Bei Anonymität bestehe keine Notwendigkeit zu Indirektheit, so V ÁS Q U E Z (2011: 1716): because of the relative anonymity of both author and address [sic], the complainant is not vulnerable; the complaint does not need to be delicate/ implicit; and explicit complaint devices abound. G AR CÉ S -C ON E J O S B LITVICH (2012: 84) merkt an, ein anonymer Verfasser von Be‐ schwerden müsse keine negativen Konsequenzen befürchten: 266 9 Ergebnisse und Ausblick anonymously citizens can really express how they feel without the fear of being os‐ tracized. Allerdings bleiben die Teilnehmer im Falle von Facebook-Beschwerden, wie sie Gegenstand dieser Arbeit sind, in der Regel gerade nicht anonym. Die Kommu‐ nikationssituation ist von nonymity geprägt - ein Großteil der Teilnehmer agiert mit Klarnamen und selbst die Teilnehmer ohne Klarnamen sind zumindest für ihre Facebook-Freunde identifizierbar und ihnen (teils) persönlich bekannt (vgl. 4.5, S1). Zu betonen ist daher: Der Umkehrschluss, nonymity verhindere einen hohen Direktheitsgrad, lässt sich nicht ziehen. 9.3 Beschwerden im deutsch-italienischen Vergleich Die vorangegangenen Abschnitte haben gezeigt, dass die kommunikativen Rah‐ menbedingungen und die Teilnehmerkonstellation einen sehr spezifischen Kon‐ text bilden, der die Gestaltung der Beschwerden prägt. Neben zahlreichen Ge‐ meinsamkeiten sind dabei im Vergleich zwischen dem deutsch- und dem italienischsprachigen Teilkorpus auch Unterschiede zutage getreten. Wesent‐ liche Punkte sollen im vorliegenden Abschnitt zunächst zusammengetragen und anschließend diskutiert werden. Der Reihenfolge des empirischen Teils folgend, geht es dabei zunächst um den Aufbau der Beschwerdeposts und ihre Modifi‐ kation und anschließend um die Frage nach Selbstdarstellung und Referenzen. Abschließend werden Überlegungen zu den Ursachen für diese Unterschiede vorgestellt. Aufbau der Beschwerdeposts Länge der Posts / Zahl der Move-Typen. Ein signifikanter Unterschied zwi‐ schen den deutsch- und den italienischsprachigen Beschwerden liegt zunächst in ihrer Länge. Die Statistik hat gezeigt, dass trotz der gleichartigen Kommuni‐ kationsbedingungen die italienischen Posts rund 40 % kürzer als die deutsch‐ sprachigen Posts sind: durchschnittlich 58,43 Wörter vs. 87,75 Wörter (vgl. 5.2). Diese Differenz spiegelt sich im Wesentlichen in einer ausführlicheren Darstel‐ lung der moves - insbesondere von Beschwerdegrund und Kontext - bei den deutschsprachigen Beschwerdeführern. Weit geringer fällt dagegen der Unter‐ schied in der durchschnittlich in einem Post enthaltenen Zahl verschiedener Move-Typen aus (DE: 3,16; IT: 2,98) (vgl. 6.3.2); diese Durchschnittszahlen sind abzüglich der moves Briefrahmen und Metakommentar zu verstehen, die aber aufgrund ihrer Kürze kaum ins Gewicht fallen. In den deutschsprachigen Be‐ schwerden sind also die gewählten moves länger bzw. treten innerhalb eines 267 9.3 Beschwerden im deutsch-italienischen Vergleich Posts häufiger auf als in den italienischen Beschwerden, wohingegen ihre Viel‐ falt weitgehend identisch bleibt. Move-Struktur. Die Move-Struktur ist in beiden Teilkorpora sehr ähnlich: Alle moves sind in beiden Teilkorpora vertreten; nur die prozentuale Verteilung vari‐ iert. Auffällig ist, dass die deutschen Posts durchschnittlich deutlich häufiger eine Anrede zu Beginn (DE: mindestens einmal in 41,5 % aller Posts; IT: mindes‐ tens einmal in 25,25 % aller Posts), eine Grußformel am Ende (DE: 14,5 %, IT: 5,75 %) und eine Unterschrift enthalten (DE: 8,5 %, IT: 3 %). Von den zur Kategorie Buffer gezählten moves, ohnehin bereits vergleichs‐ weise selten, tritt im italienischen Korpus signifikant häufiger der (ernst, nicht ironisch gemeinte) Dank im Voraus auf (DE: 3,75 %, IT: 12,25 %), während das deutschsprachige Teilkorpus signifikant häufiger positive Aussagen über das Unternehmen, seine Mitarbeiter und/ oder seinen Service enthält (DE: 5,75 %, IT: 2,5 %) sowie - innerhalb des move Forderung - häufiger positive Befolgungsbe‐ wertungen („Es wäre schön, wenn …“; DE: 16 Fälle, IT: 2 Fälle). Die moves Enttäuschung und Verärgerung - ausgedrückt durch entsprechende Gefühle bezeichnende Lexeme, Emoticons/ Emojis oder bestimmte Satzstruk‐ turen (vgl. 6.2) - wiederum sind im deutschen Teilkorpus häufiger (DE: 10 % / 42,5 %, IT: 4,5 % / 28 %). Außerdem bringen die deutschsprachigen Beschwerdeführer die eigene Konsequenz aus dem Vorfall, in der Regel die be‐ reits erfolgte Kündigung, häufiger zum Ausdruck (DE: 6,5 %, IT: 2,25 %). Häufiger im italienischen Teilkorpus ist dagegen der move Frage nach Lö‐ sungsmöglichkeiten (DE: 6,75 %, IT: 11,75 %), in dem oft eine indirekte Forderung zu sehen ist. Der move Forderung schließlich wird in beiden Teilkorpora nahezu gleich häufig realisiert (DE: 30,75 %, IT: 34,5 %). In beiden Sprachen dominieren Imperative; abgesehen davon sind im deutschen Korpus Befolgungsbewer‐ tungen (Es wäre schön, wenn …), im italienischen dagegen Willensausdrücke (Aspetto che …) signifikant häufiger. Reihenfolge der moves. Die Tendenzen in der Reihenfolge der moves ähneln sich in beiden Teilkorpora stark. Die Beschwerden neigen dem direct organiza‐ tional pattern (P AR K E T AL . 1998) zu: Das Problem wird zuerst benannt, Hinter‐ grundinformationen folgen. Der Buffer tritt in den italienischen Posts allerdings signifikant häufiger - in Form eines Danks - am Ende auf. Daneben tendieren die Italiener stärker dazu, die negative Wertung als letzten move zu verwenden. Auf das häufigere Vorkommen des verbalen Ausdrucks von Verärgerung ist zu‐ rückzuführen, dass dieser move sowohl zu Beginn wie auch am Ende der deut‐ schen Posts häufiger als im italienischen Korpus vorkommt. 268 9 Ergebnisse und Ausblick Interne und externe Modifikation Supportive moves. Bei den supportive moves zeigen die beiden Korpora große Ähnlichkeiten. Allerdings heben die deutschen Kunden in ihrer Selbstdarstel‐ lung fast doppelt so oft ihre Rolle als Kunde hervor (DE: 21,5 %, IT: 12,5 %), im Speziellen ihre lange Treue zum Unternehmen. Etwas häufiger finden sich zudem Solidaritätsbekundungen mit anderen Kunden (DE: 7,25 %, IT: 2,5 %). Typografische Verfahren. Bei den CvK-spezifischen typografischen Hervor‐ hebungsverfahren zeigt sich, dass die italienischen Beschwerden im Vergleich zu den deutschsprachigen durchschnittlich eine signifikant höhere Dichte in der Versalsetzung einzelner Wörter (DE: 2,81 Fälle, IT: 5,3 Fälle auf 1000 Wörter), der Versalsetzung ganzer Posts (DE: 0 Posts, IT: 8 Posts) und in der Wiederho‐ lung von Satzzeichen (DE: 3,76 Fälle, IT: 7,45 Fälle auf 1000 Wörter) aufweisen. Andere Verstärkungsverfahren. Die in italienischen Posts stärker ausge‐ prägten typografischen Verfahren stehen (verbalen) intensivierenden Ausdrü‐ cken gegenüber, wie sie in den deutschsprachigen Posts signifikant häufiger auftreten (DE: 9,33 Fälle, IT: 6,46 Fälle auf 1000 Wörter). Dagegen sind Super‐ lative im italienischen Korpus wiederum häufiger (DE: 0,64 Fälle, IT: 1,41 Fälle auf 1000 Wörter) (vgl. 7.3). Bei den Abschwächungsverfahren und Ironie sind dagegen keine nennens‐ werten Unterschiede zwischen dem deutsch- und dem italienischsprachigen Korpus zu erkennen. Selbstdarstellung und Referenzen Dass deutsche Kunden in ihrer Selbstdarstellung doppelt so häufig wie italieni‐ sche Kunden ihre lange Treue zum Unternehmen unterstreichen und etwas häufiger als diese ihre Solidarität mit anderen Kunden zum Ausdruck bringen, wurde bei den supportive moves bereits erwähnt. Eine mikrotextuelle Analyse von Verb- und Pronominalformen sowie nomi‐ naler Referenzen mit Bezug auf den Beschwerdeführer (self-reference) hat ge‐ zeigt, dass in beiden Teilkorpora fokalisierende Referenzen überwiegen; aller‐ dings verwenden die italienischsprachigen Beschwerdeführer sie in noch größerer Dichte (DE: 61,1 Fälle, IT: 78 Fälle auf 1000 Wörter): Die italienisch‐ sprachigen Posts enthalten also mehr direkte Referenzen mittels Verbformen oder Pronomen der 1. Ps. Sg. Bei den deutschsprachigen Beschwerdeführern ist dagegen unter den defokalisierenden Referenzen der Gebrauch von Indefinit‐ pronomen (man, alle, jeder …) signifikant stärker ausgeprägt (DE: 4,47 Fälle, IT: 2,44 Fälle auf 1000 Wörter). 269 9.3 Beschwerden im deutsch-italienischen Vergleich Der gleiche Befund gilt auch für die Referenz auf das Unternehmen: In rund drei Viertel aller Posts im deutschwie im italienischsprachigen Korpus ist eine fokalisierende Referenz auf das Unternehmen enthalten, im italienischen Korpus allerdings in noch größerer Dichte (DE: 30,83 Fälle, IT: 42,79 Fälle auf 1000 Wörter). Die defokalisierenden Referenzen sind dagegen wiederum im deutschen Korpus deutlich stärker ausgeprägt als im italienischen Korpus; im Speziellen ist im Deutschen der Gebrauch von Indefinitpronomen signifikant häufiger (DE: 2,75 Fälle, IT: 1,59 Fälle auf 1000 Wörter), außerdem der Gebrauch des Passivs (DE: 7,16 Fälle, IT: 3,89 Fälle auf 1000 Wörter), im Italienischen da‐ gegen der Gebrauch der 3. Ps. Pl. (DE: 0,21 Fälle, IT: 2,44 Fälle auf 1000 Wörter). Interpretation: Ursachen der Variation Eine zentrale Schwierigkeit, die sich bei Vergleichen stellt, ist die Frage nach der Ursache der Variation: Unterschiede können aus kulturellen Differenzen, aber auch aus sprachstrukturellen Gründen resultieren (vgl. A DAMZIK 2001: 24-26). a) Sprachstrukturelle Ursachen Deutlich sprachstrukturelle Gründe, wie sie sich auch in anderen kontrastiven Untersuchungen deutscher und italienischer Texte zeigen, sind im Fall der ge‐ rade thematisierten Referenzen im Gebrauch des Passivs (häufiger im Deut‐ schen) und der 3. Ps. Pl. (häufiger im Italienischen) in unpersönlichen Formu‐ lierungen zu sehen. B O S C O C OL E T S O S (2006: 63) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in Sätzen mit intransitiven Verben oder mit Verben ohne Akkusativobjekt im Italienischen im Gegensatz zum Deutschen kein Passiv gebildet werden kann („Sonntags wird in Deutschland nicht gearbeitet“ wird im Italienischen zu „La domenica non si lavora“ oder „… non lavorano“; „Hier wird getanzt“ zu „Qui si balla“ oder „Qui ballano“). In den jeweils zweiten Übersetzungsvarianten wird auch der Gebrauch der 3. Ps. Pl. zur unpersönlichen Formulierung im Italieni‐ schen verdeutlicht, der im Deutschen in dieser Weise nicht existiert (vgl. 8.3.1.2). Das häufigere Vorkommen defokalisierender Referenzen im deutschen Korpus und die höhere Dichte fokalisierender Referenzen im italienischen Korpus scheint dagegen spezifisch für die hier vorliegende Kommunikationssi‐ tuation zu sein (siehe unten, c). Dass es sich beim Italienischen im Gegensatz zum Deutschen um eine Null‐ subjektsprache handelt, wurde bei der Auswertung fokalisierender Referenzen bereits berücksichtigt (vgl. 8.1). 270 9 Ergebnisse und Ausblick b) Kulturelle Ursachen Mögliche Erklärungsansätze für eine kulturabhängige Gestaltung der Be‐ schwerdeposts in den beiden Teilkorpora wurden in 2.6 vorgestellt. Die Auswertung hat gezeigt, dass sich die in der Literatur - wenn auch nicht widerspruchsfrei - konstatierte Tendenz deutscher Sprecher zu negative polite‐ ness und italienischer Sprecher zu positive politeness anhand der Korpusdaten kaum stützen lässt. Ohnehin sind Politeness-Strategien aufgrund der (für die deutsche und die italienische Seite identischen) spezifischen Kommunikations‐ situation und Teilnehmerkonstellation nicht wesentliches Ziel der Beschwer‐ deführer, was sich beispielsweise in der nur marginalen Verwendung von down‐ graders manifestiert. Auch die Kulturstandards (vgl. Tabelle 1) erweisen sich für die Interpretation der vorliegenden Ergebnisse im gegebenen Kontext als wenig relevant. So steht bei Facebook-Beschwerden dieser Art kulturunabhängig die Sach- und nicht die Beziehungsebene im Vordergrund, für deutschwie für italienischsprachige Be‐ schwerdeführer. Dies ist in engem Zusammenhang mit der Kommunikations‐ situation zu sehen: Zwischen dem Kunden und dem Bearbeiter seiner Be‐ schwerde besteht keine persönliche Beziehung, sie sind in der Regel einander unbekannt; die Kommunikation erfolgt schriftlich. Die gegebene Kommunikationssituation gilt es beispielsweise auch bei der Interpretation der „bella figura“ als italienischer Kulturstandard im vorlie‐ genden Korpus zu berücksichtigen: Die Bemühung um eine „bella figura“ muss nicht zwangsläufig auf das Unternehmen abzielen. Aus G AR CÉ S -C ON E J O S B LIT‐ VICH S Genre-Ansatz (vgl. 2.3.3) ergibt sich, dass sie ebenso gut auf mitlesende Dritte gerichtet sein kann: Was gegenüber dem Unternehmen Ausdruck von impoliteness ist, kann gegenüber anderen Kunden durchaus „bella figura“ sein. Allerdings ist auch im deutschen Teilkorpus das Bemühen um eine positive Selbstdarstellung deutlich vorhanden, sodass kulturell geprägte Unterschiede in dieser Hinsicht nicht erkennbar sind. Die Kulturstandards legen zudem eine höhere Emotionalität auf italienischer Seite nahe. Eine Quantifizierung der Emotionalität ist mit dem vorliegenden Untersuchungsdesign nicht möglich; feststellen lässt sich lediglich, dass der verbale Ausdruck von Enttäuschung und Verärgerung über entsprechende Le‐ xeme im deutschen Korpus stärker ausgeprägt ist, ebenso wie die Illustration eigener Konsequenzen aus dem Vorfall (vgl. Tabelle 7); außerdem finden sich mehr (verbale) Intensivierer (vgl. Tabelle 18). Im Italienischen überwiegen da‐ gegen typografische Mittel der Hervorhebung, nämlich Versalsetzung und Ite‐ ration von Satzzeichen, signifikant (vgl. Tabelle 19). Letzterer Befund muss im 271 9.3 Beschwerden im deutsch-italienischen Vergleich Zusammenhang mit der knapperen Darstellung in den italienischen Posts ge‐ sehen werden: Versalsetzung und Iteration von Satzzeichen, die für die Länge der Posts nicht bzw. kaum relevant sind, treten in den italienischsprachigen Posts häufiger auf. Dagegen erfolgt in den tendenziell längeren deutschspra‐ chigen Posts die Verstärkung häufiger über intensivierende Ausdrücke, also verbal. Zudem lässt sich die These aufstellen, dass die typografischen Hervor‐ hebungsverfahren auf schriftlicher Ebene eine Art Äquivalent zu Gestik und Mimik in der mündlichen Kommunikation bilden, wie sie im Italienischen ge‐ genüber dem Deutschen von größerer Bedeutung sind. Auch der Unterschied zwischen einer nach dem Modell der Kulturstandards stärker individualistischen (DE) vs. stärker kollektivistischen (IT) Kultur spie‐ gelt sich in den Daten nicht erkennbar wider. Referenzen des Schreibers auf sich selbst in der Ich-Form sind im Italienischen in höherer Dichte vorhanden als im Deutschen. Der Gebrauch eines wir, mit dem sich der Beschwerdeführer in eine größere Gruppe einschließt, ist dagegen in beiden Teilkorpora nahezu gleich häufig. Das Beschwerdeführer und Unternehmen einschließende wir („Pseudo-wir“) kommt zwar im italienischen Korpus etwas öfter vor (vgl. Tabelle 22), allerdings eher in provokanten Formulierungen, nicht als gemeinschafts‐ stiftendes Element. Häufiger, wenn auch nicht signifikant, ist im Italienischen mit 5,25 % aller Posts (gegenüber 2 % im deutschen Korpus) die Ansprache an‐ derer Kunden im initialen Post (vgl. Tabelle 25). Interessanter für die vorliegende Studie ist die Unterscheidung zwischen „low-context, direkte Kommunikation“ als deutschem Kulturstandard und „high-context, indirekte Kommunikation“ als italienischem Kulturstandard. Zwar ist der Direktheitsgrad der Beschwerden in beiden Teilkorpora nahezu identisch (vgl. 6.6), und auch die sprachliche Realisierung der Referenzen be‐ stätigt die postulierten Kulturstandards nicht: Für das Deutsche ist ein häufi‐ gerer Gebrauch unpersönlicher Ausdrücke sowohl in der self-reference wie auch in der Referenz auf das Unternehmen festzustellen, während in den italienisch‐ sprachigen Posts in signifikant höherer Dichte die direkte Referenz über Verb‐ formen und Personalpronomen gewählt wird (vgl. 8.2.2 und 8.3.1). Allerdings bietet die Einordnung Deutschlands in Länder mit Low- Context-Kommunikation, die Einordnung Italiens in Länder mit High-Con‐ text-Kommunikation durchaus ein gewisses Erklärungspotenzial für die vorlie‐ genden Ergebnisse. Eingeführt wurden die beiden Kategorien von dem Anth‐ ropologen und Ethnologen Edward T. H ALL in seiner Studie „Beyond Cultures“ ([ 1 1976]1990): Mit High-Context-Kommunikation ist gemeint, dass Sprecher sich bei ihrer Kommunikation zusätzlich stark auf den Kontext stützen, beispiels‐ weise auf bereits bekannte Hintergrundinformationen, Gestik, Mimik, Anspie‐ 272 9 Ergebnisse und Ausblick lungen oder das Verhältnis zum Gesprächspartner. Umgekehrt setzen Sprecher in durch Low-Context-Kommunikation charakterisierten Kulturen nur wenig Hintergrundwissen voraus; Informationen werden stattdessen verbal und mit großer Präzision zum Ausdruck gebracht. Dies könnte mit Bezug auf die vor‐ liegende Studie zu verstehen helfen, warum sich die deutschsprachigen Be‐ schwerden durch einen höheren Detailliertheitsgrad, insbesondere bei der Schil‐ derung von Beschwerdegrund und Kontext, auszeichnen und damit länger sind als die italienischen. Interessanterweise stellt S CHRÖD E R (2015) in einem ver‐ gleichbaren Untersuchungsdesign fest, dass deutsche gegenüber spanischen Be‐ schwerden erheblich länger sind (101,6 vs. 75 Wörter) (vgl. 3.3.4) - und dass der Beschwerdegrund im deutschen Korpus nicht nur häufiger überhaupt ausge‐ führt wird, sondern die deutschen Schreiber ihn gleichfalls detaillierter schildern als die spanischen. Auch Spanien wird der High-Context-Kommunikation zuge‐ ordnet, sodass dieser Kulturstandard auch hier zur Interpretation beitragen könnte; ein Vergleich, der weitere Sprachen/ Länder einbezieht, wäre aufschluss‐ reich. c) Kommunikationssituation und Rahmenbedingungen als Ursachen Abschließend soll der Blick jedoch auch auf die spezifischen kommunikativen Rahmenbedingungen für die deutschen und die italienischen Beschwerdeposts gelenkt werden, in denen weitere Erklärungsansätze zu sehen sind. H ATCH (1992: 144-145) stellt, wenngleich ihre Datenbasis unklar bleibt, die These auf, für schriftliche Beschwerden sei - verglichen mit mündlichen Be‐ schwerden - die ausführliche Darlegung des Beschwerdegrunds und der Schuld‐ zuweisung an das Unternehmen typisch; in mündlichen Beschwerden dagegen werde mehr Zeit auf die eigentliche Verhandlung verwendet: Complaints are often presented to service agencies and businesses in written form. Writers of complaint letters typically spend a lot of time showing how the agency or business is at fault. In face-to-face communication, however, much less time is spent assigning fault and more time typically is spent negotiating a remedy. Die Facebook-Posts in diesem Korpus neigen in dem Kontinuum zwischen mündlicher und schriftlicher Konzeption (K O CH / O E S T E R R E ICHE R 1985) in der Regel allgemein deutlich dem mündlichen Pol zu. Die ausführlichere Darstel‐ lung der deutschsprachigen Posts im vorliegenden Korpus könnte aber ein Hin‐ weis darauf sein, dass sie durchschnittlich etwas näher in Richtung des kon‐ zeptionell schriftsprachlichen Pols zu verorten sind als die italienischsprachigen, durch einen geringeren Grad an Synchronizität charak‐ terisiert sind (D ÜR S CHE ID 2003, T HAL E R 2007). Nach dieser Hypothese würden 273 9.3 Beschwerden im deutsch-italienischen Vergleich 120 Für den September 2015 sind lediglich folgende Antwortzeiten verfügbar. Auf deutscher Seite: Telekom hilft: 218 Min., Vodafone: 77 Min. Auf italienischer Seite: TIM: 33 Min., Wind: 7 Min., Vodafone: 40 Min., 3 Italia: 19 Min. (www.socialbakers.com, abgerufen am 15.01.2016). Fastweb scheint bei den italienischen Unternehmen die längste Antwortzeit zu haben; verfügbar ist ihre Antwortzeit für folgende Quartale: 3/ 2016: 458 Min., 1/ 2017: 1990 Min., und 2/ 2017: 505 Min. (www.socialbakers.com, abgerufen am 30.09.2017). 121 Nach Quartal: 03/ 2016: 1542 Min. (DE), 1835 Min. (IT); 04/ 2016: 1605 Min. (DE), 1767 Min. (IT); 01/ 2017: 1818 Min. (DE), 2782 Min. (IT); 02/ 2017: 1873 Min. (DE), 2782 Min. (IT). die italienischen Beschwerdeführer dazu tendieren, eine knappe erste Nachricht zu veröffentlichen, weil sie erwarten, das Problem anschließend in kürzeren turns aushandeln zu können. Die erste Nachricht wäre dann nur eine Ankün‐ digung des eigentlichen Problems; die Kommunikation würde von den italieni‐ schen Nutzern als stärker dialogisch wahrgenommen. Um zu überprüfen, ob sich dies in der Realisierung spiegelt, müsste ein Korpus aus vollständigen Threads untersucht werden, und zwar einschließlich der privat verschickten Nachrichten, die nur vom Unternehmen selbst zur Verfügung gestellt werden könnten. Auch die unternehmensspezifischen Regelungen für die Beantwortung (Vorgaben für die durchschnittliche Antwortzeit, die durchschnittliche Zahl öf‐ fentlich geposteter Antworten, schriftliche Rückfragen vs. Angebot eines tele‐ fonischen Rückrufs etc.) müssten bei dieser Analyse eine wesentliche Rolle spielen. Die von der Agentur Socialbakers (vgl. 5.1.1) veröffentlichten Zahlen legen nahe, dass die Antwortzeiten der für diese Studie ausgewählten italieni‐ schen Telekommunikationsunternehmen durchschnittlich kürzer sind als die der deutschen; allerdings sind nicht für alle in diese Studie einbezogenen Un‐ ternehmen Daten verfügbar, sodass eine systematische Auswertung nicht mög‐ lich ist. 120 Auch eine einheitliche, branchenunabhängige Tendenz für die Ant‐ wortzeiten deutscher bzw. italienischer Unternehmen ist nicht zu erkennen: Die von Socialbakers veröffentlichten Industriebenchmarks zur Antwortzeit von Unternehmen sind für Deutschland im Schnitt niedriger als für Italien. 121 Bei genauerem Hinsehen müssen solche Zahlen zudem hinterfragt werden: Wenn beispielsweise zwischen 23 Uhr und 7 Uhr gar keine Posts beantwortet werden, steigen die durchschnittlichen Antwortzeiten bereits stark an. Einige Anbieter schicken nachts automatische Antworten, die bei einer Auszählung die Ant‐ wortzeiten in der Folge als sehr kurz erscheinen lassen. Und schließlich ist die Qualität der Antworten auch unterschiedlich: Einige Anbieter posten tenden‐ ziell wenig personalisierte und damit schnell zu erstellende Textbausteine mit der Bitte, eine private Nachricht zu schreiben oder noch Geduld zu haben - und zeichnen sich damit gleichfalls durch kurze Antwortzeiten aus. Andere Anbieter versuchen, das Problem mittels gezielter Nachfragen direkt abzuhandeln, pas‐ 274 9 Ergebnisse und Ausblick sende Erklärungen zu geben oder Lösungsansätze zu erläutern. Unterschiede gibt es von Anbieter zu Anbieter, auch innerhalb der deutschen bzw. italieni‐ schen Auswahl an Unternehmen, und auch größere Schwankungen innerhalb eines Tages bei ein und demselben Anbieter. Die Beschäftigung mit dem Com‐ plaint-Handling innerhalb vollständiger Threads wäre ein lohnenswerter ei‐ gener Forschungsgegenstand, auch um mögliche Auswirkungen auf die Gestal‐ tung der initialen Beschwerde zu untersuchen (vgl. 9.4). Für eine nähere Verortung der deutschsprachigen Beschwerden in Richtung des schriftsprachlichen bzw. von stärkerer Asynchronizität geprägten Pols spricht auch, dass diese gegenüber den italienischsprachigen Beschwerden - wie oben erwähnt - signifikant häufiger eine Anrede zu Beginn, eine Gruß‐ formel am Ende und eine Unterschrift enthalten: Erinnert sei an S P ILIOTI S (2011: 76) These, dass abschließende Grußformeln in initialen SMS auf eine eher asynchrone Form der Kommunikation hinweisen (vgl. 6.4.1). Das häufigere Vor‐ kommen defokalisierender Referenzen im deutschen Korpus und die höhere Dichte fokalisierender Referenzen im italienischen Korpus könnte gleichfalls in diesem Zusammenhang gesehen werden. Denkbar wäre aber auch, dass in Italien tendenziell mehr Teilnehmer ein Mobiltelefon zum Versenden ihrer Beschwerde nutzen als in Deutschland, so‐ dass kürzere Beschwerden in den weniger komfortablen Eingabemöglichkeiten begründet lägen. Diese Information wurde noch vor einigen Jahren in Face‐ book-Posts angezeigt, heute aber nicht mehr. Die Tatsache, dass deutsche Kunden in ihrer Selbstdarstellung fast doppelt so oft ihre lange Verbundenheit zum Unternehmen hervorheben, könnte (statt mit einem höheren Detailliertheitsgrad aufgrund einer Low-Context-Kommunika‐ tion begründet zu werden) daraufhin hinterfragt werden, ob dieser supportive move nicht etwa reale Verhältnisse widerspiegelt: Über das Wechselverhalten ihrer Kunden halten sich die Telekommunikationsunternehmen bedeckt; es ist nicht auszuschließen, dass italienische Kunden häufiger den Anbieter wechseln. Fazit Zum einen ist festzuhalten, dass die Gemeinsamkeiten zwischen den deutschen und den italienischen Beschwerden gegenüber den Unterschieden bei Weitem überwiegen. Gerade in der großen Ähnlichkeit des (Internet-)Kontextes mag - wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben - ein Grund für die insgesamt wenig spezifisch ausgeprägten Unterschiede liegen: Erinnert sei hier an G ILT‐ R OW S / S TE IN S (2009: 11) These, Internet genres konvergierten über Sprach- und Kulturräume hinweg (vgl. 3.1.2). 275 9.3 Beschwerden im deutsch-italienischen Vergleich Zum anderen hat sich gezeigt, dass die Erklärung von Unterschieden durch Kulturstandards kritisch hinterfragt werden sollte. Im vorliegenden Fall spielt sie nur eine untergeordnete Rolle. Dies zeigt aber gleichzeitig die Grenzen der vorliegenden Studie auf: Für die genauere Interpretation vorhandener Unter‐ schiede sollten weitere Daten untersucht werden. So könnten beispielsweise über Interviews mit Beschwerdeführern Erkenntnisse dazu gewonnen werden, wie sie selbst die Ausführlichkeit ihrer Beschwerden begründen und welche konkreten Erfahrungen sie mit Facebook-Beschwerden dieser Art - auch auf anderen Seiten - gesammelt haben bzw. ob sie vor dem Posten ihres eigenen Beitrags andere Posts und Antworten auf der Seite lesen. Ein solches Vorgehen wäre innerhalb von ethnografischen Ansätzen zu verorten, wie sie Teil der im Folgenden zu diskutierenden Desiderate sind. 9.4 Desiderate und Ausblick Die vorliegende Studie basiert auf einer Analyse von 400 deutschen und 400 ita‐ lienischen Facebook-Beschwerdeposts an Telekommunikationsunternehmen. Der Vorzug des Korpus liegt in der Authentizität der Daten bei gleichzeitig starker Homogenität ihrer Entstehungsbedingungen. Dies hat es ermöglicht, typische Strukturen und Strategien aufzudecken. Gleichwohl gelten die Er‐ kenntnisse zunächst nur für das beschriebene Korpus, für andere Branchen, Kommunikationsarten und Themen müssten weitere Daten erhoben werden. Analyse vollständiger Interaktionen. Das Untersuchungsdesign der vorlie‐ genden Studie sah vor, weder die sich anschließende Unternehmensantwort noch mögliche Follow-up-Posts des Beschwerdeführers oder anderer Kunden, also den vollständigen Thread, in die Analyse einzubeziehen (vgl. 5.1.1 und die Beispiele für vollständige Threads in 4.7). Eine Berücksichtigung dieser polylo‐ gischen Struktur der Interaktion würde die Möglichkeit eröffnen, den perloku‐ tionären Effekt der Beschwerde, die Antwortstrategien des Unternehmens, Re‐ aktionen anderer Nutzer - über den Like-Button oder Kommentare - sowie die weitere Aushandlung zu analysieren. Eine einschlägige Vorarbeit hierzu wäre B OXE R (1993a), die Reaktionen seitens Adressaten indirekter Beschwerden ka‐ tegorisiert hat (vgl. 4.7). Von Interesse wäre auch die Untersuchung von Anre‐ deformen zwischen Unternehmen und Kunden (vgl. die Beobachtung von M ÁR‐ Q U E Z R E IT E R 2013: 242 in 3.3.2 und zum Duzen/ Siezen K UNK E L 2016: 84) sowie der Kunden untereinander. Unabdingbar wäre es, im Rahmen einer solchen Studie die breite wirtschaftswissenschaftliche Forschung zum Complaint-Hand‐ ling zu berücksichtigen. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht - im Rahmen der 276 9 Ergebnisse und Ausblick genre analysis - untersuchen Z HANG / V ÁS QU E Z (2014: 54) Hotelrezensionen und die Antworten des jeweiligen Hotels als „genre chains“ (S WAL E S 2004); im hier vorliegenden Fall müsste eine solche Untersuchung allerdings auch die mit pri‐ vaten Nachrichten fortgeführten Dialoge berücksichtigen, die nicht öffentlich sind und nur vom Unternehmen selbst bereitgestellt werden könnten. Ethnografische Ansätze. Bei einer solchen Analyse vollständiger Inter‐ aktionen müssten, wie von P AG E (2014: 43) gefordert, auch die Unternehmens‐ vorgaben in Form von Schulungsunterlagen, Textbausteinen u. Ä. einbezogen werden. Im Sinne der discourse-centred online ethnography (A ND R OUT S O P O ULO S 2008) sollten Forscher zudem direkt Kontakt mit den Akteuren, sowohl den Un‐ ternehmensmitarbeitern wie auch den Kunden, aufnehmen. Dabei könnte bei‐ spielsweise die Wahrnehmung angemessener Formulierungen aus Sicht der Schreibenden - und somit die emische Perspektive - erörtert werden. Es ließen sich Erkenntnisse dazu gewinnen, auf welchen Erwägungen der Gebrauch von (un)höflichen Formulierungen beruht. Aufschlussreich wären auch Überle‐ gungen der Beschwerdeführer zur Länge ihrer Posts oder zur Verwendung eines Briefrahmens, ähnlich wie S P ILIOTI (2011: 68) dies für Abschiedsformeln in SMS-Nachrichten unter Jugendlichen untersucht, „in light of the texters’ ex‐ pectations and norms of appropriateness“. „Standardisierung“ der Beschwerdegründe. Während in Studien zu Be‐ schwerden, die mit elizitierten Daten arbeiten, die Beschwerdegründe exakt vorgegeben werden und somit über das Datenset hinweg vergleichbar sind (vgl. 3.3.1), ist dies mit authentischen Daten kaum zu realisieren (vgl. 5.1.5). Im vor‐ liegenden Fall sind die Beschwerdegründe einander ähnlich, wenn auch hin‐ sichtlich ihres Gewichts für den jeweils Betroffenen von außen nicht exakt zu bewerten. Zudem lässt sich nicht ausschließen, dass die Anbieter auf italieni‐ scher und deutscher Seite im Durchschnitt bessere oder schlechtere Leistungen erbracht haben als auf der anderen Seite, was die sprachliche Gestaltung der Beschwerden beeinflusst haben könnte. In weiteren Studien ließen sich Fragen dieser Art berücksichtigen, beispielsweise wiederum über ethnografisch erho‐ bene Daten, um Einblicke in die Innensicht der Betroffenen zu erhalten. Einbeziehen soziodemografischer Daten der Kunden. Aufschlussreich für eine weiterführende Analyse wären auch soziodemografische Daten der sich beschwerenden Kunden. So ließen sich in künftigen Studien beispielsweise Informationen über das Geschlecht, das die Nutzer über ihren Facebook-Namen und/ oder das Profilfoto ggf. für sich reklamieren, in die Auswertung einbe‐ ziehen, aber auch zusätzliche Informationen bei den Kunden selbst erheben. Eine Reihe von Studien sowohl zum Beschwerdeverhalten (z. B. G E LU Y K E N S / K RAF T 277 9.4 Desiderate und Ausblick 2003, 2007; K RAF T / G E LU Y K EN S 2004) wie auch zum Kommunikationsverhalten in CvK oder speziell zum Ausdruck emotionaler Beteiligung (F RANZ 2011) zeigt beispielsweise Unterschiede zwischen Männern und Frauen auf. Vor dem Hin‐ tergrund soziodemografischer Daten könnten auch Beobachtungen zum Stil einzelner Beschwerdeführer im Detail ausgewertet werden. Einfluss medialer Rahmenbedingungen auf Beschwerden. Auch den Ein‐ fluss zu analysieren, den verschiedene mediale Realisierungen auf die Gestal‐ tung von Beschwerden haben, ist ein Forschungsdesiderat. Beispielsweise hat das Beschwerdemanagement über Twitter stark zugenommen, das mit der Be‐ grenzung auf zunächst 140 Zeichen, seit Ende 2017 nun 280 Zeichen andere Rahmenbedingungen für die Beschwerdekommunikation bietet (P AG E 2014). Auch in Kundenforen, die explizit auf Peer-to-Peer-Hilfe abzielen, sowie in Kun‐ denfeedback und -rezensionen (M EINL 2010; V ÁS Q U E Z 2014a, b; S ÁNCHE Z P R I E TO 2017) finden sich Beschwerden. Gerade wenn Nutzern mehrere Kanäle zur Ver‐ fügung stehen, um ihr Anliegen zu einem Produkt oder einer Dienstleistung vorzubringen (z. B. Filiale, telefonische Hotline, Facebook, Twitter, Selbsthilfe‐ foren, Kundenrezensionen oder -bewertungsportale; vgl. 4.3), wären diese im Hinblick auf ihre jeweiligen Rahmenbedingungen (Adressaten, Medialität, Grad der Öffentlichkeit etc.) und Realisierungsformen der enthaltenen Beschwerden zu vergleichen; auch ihr Zusammenspiel wäre zu berücksichtigen. Möglicher‐ weise ließen sich durch einen Vergleich zwischen Kundenbeschwerden, die in geschlossenen Kanälen (z. B. per privater Facebook-Nachricht oder E-Mail) ver‐ schickt werden, und solchen, die öffentlich (z. B. per öffentlicher Facebook-Nach‐ richt, wie im Korpus dieser Arbeit) an ein Unternehmen gerichtet werden, auch Schlüsse dahingehend ziehen, welche Auswirkungen die Öffentlichkeit auf die Formulierung von Beschwerden hat (z. B. Gebrauch von Ironie, Humor; Gestal‐ tung der Referenzen). Ein Vergleich mit Beschwerden in einem Kundenforum könnte beispielsweise in Rechnung stellen, dass die Beschwerdeführer dort ver‐ mutlich von einer langen Archivierung ihrer Beschwerde ausgehen. Will man Kundenbeschwerden als Textsorten auffassen (vgl. 4.8), könnten hier Beschwerden im Sinne des noch vergleichsweise jungen Ansatzes der genre system analysis (T AR DY / S WAL E S 2014: 171) in ihrem Verhältnis zueinander ana‐ lysiert werden, als „clusters or networks that work together in order to accom‐ plish users’ goals“ (T AR DY / S WAL E S 2014: 171). Ergänzend zur Untersuchung der Texte könnten auch hier ethnografische Methoden wie Interviews Anwendung finden, um die Innensicht der Beteiligten in die Analyse einzubeziehen. Schließ‐ lich ließe sich auch G ILT R OW S / S TE IN S (2009: 11) These von einer Konvergenz von Internet genres über Sprach- und Kulturräume hinweg überprüfen, wenn 278 9 Ergebnisse und Ausblick Realisierungsformen von Beschwerden in zwei oder mehreren Kulturen/ Spra‐ chen innerhalb wie außerhalb des Internets miteinander verglichen würden. Andere Branchen. Aufschluss über mögliche Einflussfaktoren auf die Formu‐ lierung von Beschwerden könnte außerdem eine Untersuchung geben, die meh‐ rere Branchen und/ oder Unternehmen mit einbezieht - insbesondere wenn sich deren Zielpublikum durch seine demografischen Besonderheiten oder andere spezifische Merkmale auszeichnet, wie es auch P AG E (2014: 43-44) anregt. Diachrone Entwicklungen. Daneben könnten - wie in der diachronic genre analysis (T AR DY / S WAL E S 2014: 170) - in einer ähnlich angelegten Untersuchung im Abstand von einigen Jahren Veränderungen in der sprachlichen Gestaltung von Online-Beschwerden zutage treten. So stellen H E N R Y / H O (2010) Verände‐ rungen bei Beschwerdebriefen von Lesern einer Zeitung in Brunei fest, die sie über einen Zeitraum von 17 Jahren untersuchen (vgl. 3.3.3). Untersuchungen dieser Art können wie die vorliegende zum einen Erkenntnisse zur sprachwissenschaftlichen Erforschung von Internetkommunikation liefern. Zum anderen können sie - im Sinne der angewandten Sprachwissenschaft - Unternehmen Einsichten in das Beschwerdeverhalten ihrer Kunden bieten und so zu einer weiteren Optimierung ihrer Kundenkommunikation beitragen. Ge‐ rade international agierende Unternehmen profitieren von kontrastiven Unter‐ suchungen, die verschiedene Sprachen und Kulturen in den Blick nehmen, auch im Hinblick auf die Globalisierung des Internethandels, mit dem interkulturelle Kommunikation immer wichtiger wird. Besonders zielführend wäre es, die ge‐ nannten Desiderate im Rahmen interdisziplinärer Arbeitsgruppen anzugehen, um auch wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Perspektiven auf den Unter‐ suchungsgegenstand einzubeziehen. 279 9.4 Desiderate und Ausblick Literaturverzeichnis Im Korpus ausgewertete Facebook-Seiten: www.facebook.com/ telekomhilft/ www.facebook.com/ vodafoneit/ www.facebook.com/ vodafoneDE/ www.facebook.com/ 3Italia/ www.facebook.com/ o2Hilfe/ www.facebook.com/ Fastweb/ www.facebook.com/ 1und1/ www.facebook.com/ Wind/ www.facebook.com/ BASE/ www.facebook.com/ TimOfficialPage Alle im Literaturverzeichnis angegebenen Internetlinks wurden zuletzt am 13.08.2019 geprüft. 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