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Literaturdidaktik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache

2021
978-3-8233-9371-9
Gunter Narr Verlag 
Almut Hille
Simone Schiedermair

Die Einführung gibt einen Überblick über die Literaturdidaktik aus der Perspektive des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Sie kann für die universitäre und außeruniversitäre Aus- und Fortbildung sowie zum Selbststudium verwendet werden. Ziel ist es, unterschiedliche Ansätze für die Arbeit mit literarischen Texten auf den Sprachniveaus A1-C2 vorzustellen. Dabei stehen theoretische Grundlagen wie praktische Unterrichtsvorschläge gleichermaßen im Fokus.

Literaturdidaktik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Almut Hille / Simone Schiedermair Eine Einführung für Studium und Unterricht Prof. Dr. Almut Hille lehrt Deutsch als Fremdsprache an der Freien Universität Berlin. Jun.-Prof. Dr. Simone Schiedermair lehrt Deutsch als Fremdsprache an der Friedrich-Schiller- Universität Jena. Literaturdidaktik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache LITERATURWISSENSCHAFT Zugänge - Reflexionen - Transfer Almut Hille / Simone Schiedermair Literaturdidaktik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Eine Einführung für Studium und Unterricht © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 2627-0323 ISBN 978-3-8233-8371-0 (Print) ISBN 978-3-8233-9371-9 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0219-3 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 7 I 13 1 15 2 25 3 37 4 47 II 57 5 59 6 73 7 91 8 105 III 121 9 123 10 131 11 143 12 157 13 167 Inhalt Literaturdidaktik in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Konzepte und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theoretische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was ist Literatur? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturdidaktik - Literaturwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gibt es einen Kanon? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturdidaktik - Lesedidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Etablierte Perspektiven in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache . . Fertigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachliches Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Landeskundliches Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interkulturelles Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Perspektiven in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache . . . . . . Literarizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskursivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Performativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrsprachigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 185 15 197 16 209 IV 219 17 221 18 233 19 245 20 257 21 275 295 299 301 Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Postkolonialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Didaktische und methodische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phasen der Textlektüren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodische Prinzipien und Aufgabenformate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreative, performative und analytische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Projektarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fachbezogene Handbücher, Lexika, Schriftenreihen, Bibliografien und Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt Literaturdidaktik in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Konzepte und Perspektiven „Insofern hat das Poetische den Charakter einer Baustelle. Nicht die geordnete Struktur einer Anstalt, sondern Material, Baugrund, Arbeitskraft in freier Bewegung.“ Alexander Kluge (2020: 44) In jüngeren Forschungsdebatten zum Fremdsprachenunterricht kommt der Literatur eine zunehmend wichtiger werdende Rolle zu. Nicht zuletzt im neuen Begleitband zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (2020) wird sie als Bereich verstanden, den es in den komplexen Zusammenhängen fremdsprachlichen Lehrens und Lernens zu berücksichtigen gilt. In den aktuellen Forschungsdebatten von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache sind es die literarischen Texte an sich und nicht ihre möglichen Funktionalisierungen für das sprachliche oder kulturelle Lernen, die als Ausgangspunkt dienen. Insofern möchten wir die literarischen Texte - in ihren weiten Fassungen über gedruckte, auditive und audiovisuelle Texte bis hin zu digitalen Texten - in das Zentrum dieses Bandes stellen. Ziel ist es - auf der Grundlage eines weiten Textbegriffs und kulturwissenschaftlich orientierter Forschungen, die Texte in ihrer Verwobenheit in Diskurse lesen, - die Texte in ihrer Spezifik und unterschiedlichen Medialität in das komplexe Bedingungsgefüge unterrichtlichen Geschehens zu integrieren. Es kristallisiert sich eine Reihe von Aspekten für die Lektüren literarischer Texte in unterrichtlichen Kontexten von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache heraus: ■ Im Fokus steht die Berücksichtigung von Einzeltexten bei dem gleichzeitigen Bemühen, wo immer möglich, mehrere Texte einzubeziehen, etwa indem man mit Textnetzen arbeitet. ■ Texte werden verstanden als rezeptiv und produktiv auf gesellschaftliche Dis‐ kurse bezogen, und so wären Einblicke in Konstruktionsprozesse und -muster gesellschaftlicher Zusammenhänge und eine fremdsprachliche Diskursfähigkeit als übergreifende Zielsetzungen des Unterrichts zu verstehen. ■ Es gilt, für (Be-)Deutungsbildungsprozesse und die dazugehörigen Strategien zu sensibilisieren, sprachliche Verfahren wahrzunehmen und in ihren möglichen Wirkungen zu betrachten. Ein solches Vorgehen berücksichtigt die Form literari‐ scher Texte als (be-)deutungsgenerierenden Faktor und macht ihre Literarizität für Verstehensprozesse produktiv. Die skizzierten Forschungsdiskussionen sind bisher nur in Einzelpublikationen, vor allem in Form von Artikeln in Fachzeitschriften und Sammelbänden nachzuvollziehen. Daneben gibt es Beiträge in allgemeinen Einführungen für Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache wie die von Hans-Werner Huneke und Wolfgang Steinig (2013/ 1997), Heidi Rösch (2011) und Dietmar Rösler (2012) bzw. in Handbüchern und Fachlexika wie den Bänden des Internationalen Handbuchs für Deutsch als Fremdsprache (2001) und Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (2010) und dem von Hans Barkowski und Hans-Jürgen Krumm herausgegebenen Fachlexikon Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (2010). Als Handbucheinträge sind sie weniger an der Diskussion beteiligt als vielmehr auf die Präsentation von Diskussionspositionen und einzelnen Argumenten gerichtet. Die einzige umfangreichere Einführung zur Lektüre von literarischen Texten in Kontexten von Deutsch als Fremdsprache hat Jürgen Koppensteiner 2001 mit einem Fokus auf kreativen Verfahren vorgelegt; komplett überarbeitet und aktualisiert von Eveline Schwarz ist sie 2012 in einer erweiterten Version erschienen und bietet folglich keinen Einblick in die Diskussionen und das breite Spektrum an literaturdidaktischen Fragestellungen der jüngeren Zeit. Hinweise auf Optionen für das Lesen literarischer Texte in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache finden sich natürlich auch in Lehrwerken und Zusatzmaterialien, die - je nach Ausrichtung an fachwissenschaftlichen Positionen - mehr oder weniger Raum in den Publikationen einnehmen. Es fehlt jedoch eine konsistente Darstellung literaturdidaktischer Konzeptualisie‐ rungen auf der Grundlage neuerer wissenschaftlicher Orientierungen. Diese möchten wir mit diesem Band zur Verfügung stellen und damit auch - durchaus mit einem Blick ‚zurück‘ in Entwicklungen des Faches seit den 1980er Jahren - verschiedene Vorschläge und Ansätze gebündelt präsentieren. Wir verstehen den Band als Handbuch und Studienbuch für die Aus- und Fortbildung von Studierenden und (zukünftigen) Lehrkräften des Fachs. Bieten möchten wir einen breiten Überblick über ■ Entwicklungen im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, ■ theoretische Ansätze sowie didaktische und methodische Vorgehensweisen, ■ die Fachgeschichte und die gegenwärtige Forschungsdiskussion. Daneben werden zahlreiche für den Unterricht geeignete literarische Texte sowie Ideen für ihre Lektüren präsentiert und ausführliche Literaturhinweise gegeben. Textbeispiele sind durch einen grauen Balken am linken Seitenrand hervorgehoben, Unterrichtsideen in graue Kästen eingefasst. Mit dem Begriff „Literaturdidaktik“ soll keine kanonorientierte Konnotation verbunden sein, die sich auf das Medium des gedruckten belletristischen Buches konzentriert. Wie auch im neuen Begleitband zum Gemeinsamen Europäischen Refe‐ renzrahmen (2020: 71 f.) empfohlen, spielen neben Romanen - zeitgenössischen und klassischen - auch kurze illustrierte Geschichten, Fotostorys, Comics, Liedtexte und 8 Konzepte und Perspektiven Gedichte, sowohl in analogen wie in digitalen Formaten, in unseren Überlegungen eine Rolle. Diskutiert werden verschiedene Zugänge zur Literaturdidaktik, die sich jedoch nicht gegenseitig ausschließen, sondern ergänzen: ■ Man kann sich der Literaturdidaktik von ihrem Gegenstand her nähern und anhand von literarischen Texten, die im besten Fall begeistern, überlegen, welche Lehr-Lernprozesse sich mit ihnen initiieren lassen. ■ Man kann Positionen der literaturwissenschaftlichen Diskussion zum Aus‐ gangspunkt nehmen und von dort aus lohnende Texte auswählen und Optionen für Lehr-Lern-Arrangements entwickeln. ■ Man kann sich von Unterrichtsbeispielen und -modellen inspirieren lassen zu vielfältigen Lektüreoptionen und Vorgehensweisen in unterrichtlichen Kontexten. ■ Man kann didaktische und methodische Zugänge wählen und an Lehr- und Lernzielen orientiert Texte auswählen, Lektüreprozesse gestalten und auf der Basis von methodischen Prinzipien und Aufgabenformaten literarische Texte in verschiedenen unterrichtlichen Zusammenhängen lesen. Mit dem Band verbinden wir die folgenden Anliegen: ■ Wir möchten eine Auseinandersetzung anregen mit grundlegenden Kategorien wie Literatur, Literaturwissenschaft, Literaturdidaktik, Lesedidaktik und Kanon: Teil I mit den Kapiteln 1 bis 4. ■ Wir möchten einen Überblick geben über die Fachdiskussion zur Literaturdi‐ daktik in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache: Teil II und III mit den Kapiteln 5 bis 16. ■ Wir möchten Vorschläge entwickeln zu didaktischen und methodischen Fragen der Unterrichtspraxis, zu Textauswahl, Unterrichtsorganisation, Metho‐ den und Verfahren: Teil IV mit den Kapiteln 17 bis 21. ■ Wir möchten Literaturhinweise zusammenstellen zu literarischen Texten und einschlägigen wissenschaftlichen Publikationen für die eigene vertiefte Aus‐ einandersetzung. An diesen Anliegen haben wir uns bei dem Aufbau des Bandes orientiert, sie strukturieren gleichzeitig den Aufbau der einzelnen Kapitel. Den Einstieg in die Kapitel bilden Darstellungen zu jeweils einschlägigen Theorien und Ausführungen dazu, wie diese Theorien im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache rezipiert und für die spezifischen Kontexte des Faches adaptiert wurden. Darüber hinaus geben wir Einschätzungen zu ihren Positionen im Fach, zitieren, paraphrasieren oder nennen sowohl affirmative, als auch kritische Stimmen. Es werden Hinweise auf einschlägige Fachliteratur für die weitere Lektüre gegeben; mitunter weisen wir auch in Fußnoten auf zusätzliche Aspekte und Publikationen hin. Im Anschluss werden - in jedem Kapitel mit einem grauen Kasten hevorgehoben bzw. in einen grauen Kasten eingefasst - Beispiele von literarischen Texten und Skizzen möglicher Lektüren gegeben. 9 Konzepte und Perspektiven Digitalität zieht sich als Querschnittsthema durch die verschiedenen Kapitel des Bandes. Sie ist für veränderte Textformate und sich verändernde Vorstellungen von Medien, von Wissen und Wissensgenerierung wie -speicherung sowie für Lehr- und Lernprozesse in der Gegenwart konstitutiv und wird es in den nächsten Jahren verstärkt sein. Ausführungen zur Digitalität finden sich nicht in einem eigenen Kapitel und auch nicht nur im Kapitel 11 zur Medialität, sondern z. B. mit Blick auf die Vorstellungen von Literatur als solcher (Kap. 1) und auf einen literarischen ‚Kanon‘ (Kap. 3), mit Blick auf die Lesedidaktik (Kap. 4), auf Aspekte von Diskursivität (Kap. 10), auf Unterrichtsgegenstände (Kap. 17), Unterrichtsmethoden (Kap. 19) und Unterrichtsverfahren (Kap. 18, 20, 21). Konzepte wie Diskursivität (Kap. 10), Medialität und Digitalität (Kap. 11), aber auch Literarizität (Kap. 9) und Performativität (Kap. 12) sind im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in den letzten Jahren zu neuen Leitbegriffen wissenschaftlicher Dis‐ kussionen und didaktisch-methodischer Entwicklungen geworden. Sie haben Eingang in erste Unterrichtskonzepte, -modelle und -materialien gefunden. Es gibt aber auch weitere Konzepte und Perspektiven wie Mehrsprachigkeit (Kap. 13), Wissen (Kap. 14), Postkolonialität (Kap. 15) und Gender (Kap. 16), deren Diskussion im Fach erst am Anfang steht. In aller Vorläufigkeit werden sie im vorliegenden Band in einzelnen Kapiteln präsentiert, ergänzt um erste Unterrichtsideen und -materialien. Wir verstehen die Einführung als einen Zugang zu einem breit gefächerten themati‐ schen Spektrum, die auch darauf ausgerichtet ist, Hinweise zu geben, wie man an verschiedenen Inhalten weiterarbeiten kann. Insofern haben wir uns entschieden, einen ‚mehrdimensionalen‘ Text zu schreiben, wie er in der Wissenschaft üblich ist, in Einführungen jedoch eher nicht. Er bietet Darstellungen, Kommentare, Originalzitate und Hinweise auf die Fachdiskussion mit bibliografischen Angaben im Fließtext und weiterführenden Informationen in den Fußnoten. So können wir Hinweise geben, woher Argumentationen kommen und wo man Ausführlicheres lesen kann, wenn man über die kurzen Darstellungen hinaus an einem Thema arbeiten möchte. Wir verfolgen mit der Entscheidung für einen ‚mehrdimensionalen‘ Text auch das Anliegen, gerade Studierende von Anfang an mit einer Art von Text vertraut zu machen, die sie in ihrem Studium kennenlernen, verstehen lernen und selbst schreiben lernen sollen. Gleichzeitig ist der Band so ge‐ staltet, dass er auch produktiv zu verwenden ist, wenn man an den wissenschaftlichen Diskussionen weniger interessiert ist und vorrangig Vorschläge zu möglichen Texten und Unterrichtsszenarien sucht. Theoretische Grundlagen und Konzepte, unterrichtspraktische Vorschläge und literarische Texte sollen Inspirationen geben für die eigenen Arbeitszusammen‐ hänge, seien es Forschungsaktivitäten, akademische Lehre oder Literatur- und Sprachunterricht in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Sicher noch zu klären ist die Verwendung der Bezeichnung Deutsch als Fremd- und Zweitsprache im Band. Die Diskussion zu Literatur im Unterricht beginnt Ende der 10 Konzepte und Perspektiven 1970er/ Anfang der 1980er Jahre in Deutsch als Fremdsprache und ist seit Begründung des Hochschulfaches einer seiner wichtigen Bestandteile mit entsprechenden Publika‐ tionen und Lehrangeboten. Wenn wir - besonders in Teil II des Bandes - Konzepte und Publikationen vorstellen, die in diesem Kontext verortet sind, sprechen wir von Deutsch als Fremdsprache. Möchte man aktuell auf diese Konzepte und Vorschläge zurückgreifen, heißt das nicht, dass sie ausschließlich für Deutsch als Fremdsprache geeignet sind. Es ist nur der wissenschaftlichen Präzision geschuldet, frühere Konzepte hier nicht ungenau darzustellen. Im überwiegend schulischen Kontext von Deutsch als Zweitsprache standen seit den 1990er Jahren vor allem Texte der sogenannten ‚Migrationsliteratur‘ und deren Potenzial für Lehr- und Lernprozesse im Fokus. Die in diesem Forschungs- und Lehr‐ zusammenhang entstandenen Publikationen wurden zunehmend auch in Deutsch als Fremdsprache rezipiert und so lässt sich in der Publikations- und Rezeptionsgeschichte auch der Weg zur inzwischen unstrittigen Fachkonzeption und Fachbezeichnung Deutsch als Fremd- und Zweitsprache nachvollziehen. Wenn es also um Publikationen geht, die sich explizit in einem der beiden Bereiche Deutsch als Fremdsprache oder Deutsch als Zweitsprache verorten, benutzen wir die jeweilige Bezeichnung Deutsch als Fremdsprache oder Deutsch als Zweitsprache. Wenn wir ansonsten über Konzepte sprechen, nutzen wir immer die inzwischen etablierte Fachbezeichnung Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Spezifisch für Konzepte und Perspektiven im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitspra‐ che ist, dass sehr unterschiedliche unterrichtliche Kontexte aufgerufen werden. Der Fokus kann auf dem Literaturunterricht bzw. literaturwissenschaftlichen Seminaren in Studiengängen der internationalen Germanistiken liegen ebenso wie auf dem Lesen von literarischen Texten im Sprachunterricht. Auch im Hinblick auf die institutionellen Kontexte wäre eine große Bandbreite im Blick zu behalten - von vorschulischen Zusammenhängen über Schulen und Universitäten bis hin zur außeruniversitären Erwachsenenbildung in Goethe-Instituten, Sprachschulen und Integrationskursen. Außerdem kann die Zusammensetzung der Lerngruppen sehr unterschiedlich sein. Es können homogene oder heterogene Gruppen von Lernenden sein im Hinblick auf deren L1, auf das Sprachniveau der Einzelnen, deren potenzielle Mehrsprachigkeit sowie deren schulische und ggf. auch universitäre (Lern-)Sozialisation. Wir danken dem Verlag Narr Francke Attempto für die Initiative zu diesem Band. Wir danken den vielen Kolleg*innen, mit denen wir seit vielen Jahren über Literatur im Unterricht diskutieren, und die den Bereich der Literaturdidaktik in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache mit ihrer Kenntnis theoretischer Positionen und ihrer Krea‐ tivität in der Entwicklung von Lektürevorschlägen und Lehr- und Lernarrangements zu einem - wie wir meinen - überaus faszinierenden und vielfältigen Lehr- und Forschungsbereich entwickelt haben. Wir haben versucht, möglichst viele von ihnen in diesem Band wenigstens zu erwähnen. Vollständigkeit gelingt leider nur selten. 11 Konzepte und Perspektiven Wichtig ist uns, dass der vorgestellte Lehr- und Forschungsbereich in der Dimension seiner wissenschaftlichen Diskussion wahrgenommen wird, die die eristische Verfasst‐ heit von Wissenschaft, deren diskursive Struktur, Dynamik und Prozesshaftigkeit berücksichtigt. Deshalb kommen verschiedene Positionen zu Wort, ergänzen einander, zustimmend, modifizierend oder durchaus auch kritisch widersprechend. Wir hoffen, dass wir Wege durch ein weites Terrain vorschlagen können, die es ermög‐ lichen, Konzepte und Perspektiven näher kennenzulernen und für den Unterricht eine begründete Wahl von Texten und Vorgehensweisen zu treffen. Wir möchten zur Arbeit mit literarischen Texten inspirieren, nicht nur in der unterrichtlichen Praxis, sondern auch in Lehre und Forschung. Wir hoffen, dass damit die Literaturdidaktik in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache als facettenreiches und produktives Feld sichtbar wird - wie wir es in unserer eigenen Arbeit mit Studierenden unserer Bachelor-, Master- und Lehramtsstudiengänge in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, im Rahmen von Fortbildungen, Vorträgen und Gastdozenturen in verschiedenen Ländern mit Lernenden, Studierenden, Lehrenden und Forschenden seit vielen Jahren erleben. Berlin und Jena, im August 2021 Almut Hille und Simone Schiedermair 12 Konzepte und Perspektiven I Theoretische Perspektiven 1 Was ist Literatur? „Die geschriebene Literatur hat, historisch gesehen, nur wenige Jahrhunderte lang eine dominierende Rolle gespielt. Die Vorherrschaft des Buches wirkt heute bereits wie eine Episode. Ein unvergleichlich längerer Zeitraum ging ihr voraus, in dem die Literatur mündlich war; nunmehr wird sie vom Zeitalter der elektroni‐ schen Medien abgelöst, die ihrer Tendenz nach wiederum einen jeden zum Sprechen bringen.“ Hans Magnus Enzensberger (1970: 125) Angesichts dieser Einschätzung von geschriebener Literatur als einer „Episode“ der literarischen Kommunikation wäre eingangs zu fragen: Was ist eigentlich Literatur? Abgeleitet wird der Begriff „Literatur“ von den lateinischen Termini „littera“ (Buch‐ stabe) bzw. „litteratura“ (Buchstabenschrift). Er umfasst zunächst alles, was in geschrie‐ bener oder gedruckter Form vorliegt. Man kann dafür auch den Begriff „Text“ verwenden. Texte - auch literarische Texte - können aber nicht nur in geschriebener oder gedruckter, sondern auch in bildlicher oder in mündlicher Form vorliegen bzw. vorgetragen werden. Mit der Digitalisierung haben sich zudem neue Möglichkeiten der Speicherung von geschriebenen, bildlichen wie auch mündlich präsentierten Texten entwickelt. Im Unterschied zu dieser sehr allgemeinen Bestimmung von „Literatur“ assoziiert man mit dem alltagssprachlichen Begriff der Literatur in der Regel eine Subkategorie von Texten, die sogenannte „schöne Literatur“ oder „Belletristik“. Wie Ralf Klausnitzer in seinem Studienbuch Literaturwissenschaft (2012) darlegt, wird sie besonders in ihrer Differenz zu anderen Texten, etwa Sach- und Informationstexten, fassbar: Literarische Texte ■ wollen nicht (primär) informieren, sondern „unterhalten und faszinieren“, indem sie „intensiv und dauerhaft“ die „Einbildungskraft“ ihrer Leser*innen „mobilisieren“. ■ vermitteln keine „kodifizierten oder formalisierbaren Erkenntnisse“, sondern Einsichten in individuelle oder kollektive Problemlagen und -verarbeitungen. ■ „geben keine Handlungsanweisungen für reale Situationen“, sondern ermöglichen ihren Leser*innen ein „symbolisches Probehandeln in imaginierten Welten“; gleich‐ zeitig gibt es auch literarische Texte, die keine fiktiven Welten imaginieren, sondern Darstellungen von ‚Wirklichkeit‘ erproben wie etwa Autobiografien, Memoiren, Reiseberichte und Reportagen. ■ „befreien durch eine irritierende Sprache die Wahrnehmung ihrer Leser*innen von Automatismen“ (vgl. Klausnitzer 2012: 15, Hervorh. i. O.). 1 Vgl. etwa Weinrich (1985a). 2 Vgl. etwa Dobstadt/ Riedner (2011a, b) und Schiedermair (2011b). 3 Jakobson unterscheidet in Kommunikationsprozessen verschiedene Funktionen von Sprache: die emotive, die referentielle, die phatische, die metasprachliche, die konative und die poetische Funktion; zu ihrer Erläuterung vgl. Jakobson (2005: 88-95). In dieser Differenzierung sind Dimensionen eines möglichen Begriffs von Literatur angedeutet, die für die Literaturdidaktik fruchtbar zu machen sind. Sie beziehen sich - bei aller Schwierigkeit, diese tatsächlich klar zu bestimmen - erstens auf Charakteristika und zweitens auf Funktionen als mögliche Kriterien der Bestim‐ mung eines Begriffs von Literatur. Einer möglichen Bestimmung dieses Begriffs kann man sich drittens auch von der Kommunikationssituation und viertens von dem umfassenderen Begriff des Erzählens aus nähern. Zunächst zu den möglichen Charakteristika von Literatur: Poetizität und Verfrem‐ dung, Mehrdeutigkeiten und Unbestimmtheiten, Fiktionalität sowie Diskursi‐ vität. Frühe Bestimmungen der Poetizität stammen von Viktor Šklovskij und Roman Jakobson, die ihre Überlegungen im Kontext des russischen Formalismus bzw. des Prager Strukturalismus entwickelt haben. In ihren grundlegenden Aufsätzen Die Kunst als Verfahren (Šklovskij 1994/ 1969/ russ. 1916) und Linguistik und Poetik ( Jakobson 2005/ 1971/ engl. 1960) untersuchen sie die Darstellungsstrategien literarischer Texte. Die fachwissenschaftliche Diskussion zur Rolle von literarischen Texten in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache hat von Anfang an auf diese beiden Konzepte Bezug genommen 1 und lässt sich bis heute von ihnen inspirieren. 2 Die besondere sprachliche Gestaltung von literarischen Texten wäre nach Roman Ja‐ kobson mit dem Begriff der „Poetizität“ zu fassen und steht in engem Zusammenhang mit der poetischen Funktion von Sprache. 3 Diese realisiert sich in der besonderen und dadurch auffallenden Verwendung von sprachlichen Zeichen, durch die eine Differenz zur Alltagssprache mit ihren Gewohnheiten und Automatismen des Lesens, Hörens, Schreibens, Sprechens und Sehens entsteht. Ein wichtiges Prinzip der Realisierung der poetischen Funktion von Sprache ist die Abweichung von sprachlichen Regeln oder Normen. So werden z. B. ungewöhnliche, überraschende Klang- oder Wortfiguren und Tropen in (literarischen) Texten verwen‐ det: Alliterationen, Metaphern oder ironische Rede (→ Kap. 9). Durch ein sprachliches Experimentieren bei der Produktion von Texten können grammatische Regeln verletzt werden oder auch typografische Regeln beim Druck von Texten; man denke etwa an die Visuelle oder Konkrete Poesie. Mit diesen Strategien wird die Aufmerksamkeit der Lesenden auf die konkrete sprachliche Verfasstheit der Texte gelenkt; das Wie, d. h. die Form der Texte und deren Beitrag zur Bedeutungsbildung gerät so in den Fokus. Jakobson spricht davon, dass die poetische Funktion die „Einstellung auf die BOTSCHAFT als solche“ ( Jakobson 2005: 92, Hervorh. i. O.) bewirkt. So stellen etwa Äquivalenzen auf der Klangebene wie Reime und Alliterationen sowie Wiederholun‐ gen Strategien dar, um Aufmerksamkeit zu erreichen (vgl. ebd.: 93). Aber auch die „grammatische Architektonik“ ( Jakobson 2007: 691), die Häufigkeit und Verteilung von 16 1 Was ist Literatur? Satzarten und Wortarten sowie lexikalische und syntaktische Auffälligkeiten können solche Strategien sein, wie Jakobson an dem Gedicht Wir sind sie (1931) von Bertolt Brecht zeigt. So analysiert er beispielsweise, wie über die Verwendung einer „Kette identischer Diphthonge“ ( Jakobson 2007: 707) verschiedene Ausdrücke in dem Gedicht „verbunden“ sind - „ei“ etwa in „Partei“, „in einem“, „geheim“ (ebd., Hervorh. i. O.) u. a. - und so über klangliche Wiederholung eine semantische Netzstruktur geschaffen wird, mit der Entfremdung und Verbindung des Einzelnen zur Partei kommentiert werden. Mit der poetischen Funktion meint Jakobson die Möglichkeiten der Sprache, auf sich selbst hinzuweisen, bzw. die Möglichkeiten von Texten - und insbesondere literarischen Texten -, ihre eigene sprachliche Verfasstheit auszustellen. Sie fasst den Selbstbezug der Sprache, eine Dominanz der Form über den Inhalt. Mit der poetischen Gestaltung von Sprache wird die Aufmerksamkeit auf die Form, auf die Beschaffenheit der Sprache selbst gelenkt - „und zwar so weit, dass der ‚Inhalt‘ der Mitteilung selbst in den Hintergrund gedrängt wird und wir der Sprache bei der Arbeit der Erzeugung von ‚Wirklichkeit‘ (die ja stets sprachlich vermittelt ist) förmlich zusehen können“ (Klausnitzer 2012: 45 f.). Der Selbstbezug der poetischen Sprache stellt eine Differenz zur situations- und zweckgebundenen, zielgerichteten Sprache von Informations- und Sachtexten (z. B. Berichte, Gebrauchsanweisungen u. ä.) her. Alltagssprache, aber auch eine bereits etablierte literarische Formensprache können auf diese Weise verfremdet werden. Durch die Verfremdung werden die Leser*innen irritiert und ihre Aufmerksamkeit auf gewohnte Wahrnehmungsmuster sowie deren Veränderungen gelenkt. Mit Viktor Šklovskij wäre auch von einer Deautomatisie‐ rung der Wahrnehmung zu sprechen. Die Begriffe „Verfremdung“ und „Deautomati‐ sierung“ entwickelt Šklovskij in seinem bereits oben genannten Aufsatz Die Kunst als Verfahren. Er argumentiert, dass Automatisierung Wahrnehmung verhindere: „Automatisierung frißt die Dinge“, das können „die Kleidung, die Möbel“ sein, aber auch der „Schrecken des Krieges“ (Šklovskij 1994: 15). Aufgabe der Kunst sei es, dies zu verhindern und durch Verfremdung die Dinge wieder sichtbar zu machen - „den Stein steinern zu machen“ (Šklovskij 1994: 15). Sowohl das Wahrnehmbare als auch der Akt des Wahrnehmens sollen in den Fokus gerückt werden: Ziel der Kunst ist es, ein Empfinden des Gegenstandes zu vermitteln, als Sehen und nicht als Wiedererkennen; das Verfahren der Kunst ist das Verfahren der ‚Verfremdung‘ der Dinge und das Verfahren der erschwerten Form, ein Verfahren, das die Schwierigkeit und Länge der Wahrnehmung steigert, denn der Wahrnehmungsprozeß ist in der Kunst Selbstzweck und muß verlängert werden; die Kunst ist ein Mittel, das Machen einer Sache zu erleben […]. (Šklovskij 1994: 15) Zu betonen wäre, dass Elemente einer Poetizität (wie es bei Jakobson heißt) oder Literarizität (wie es in der gegenwärtigen fachwissenschaftlichen Diskussion heißt) von Sprache grundsätzlich in allen Texten und allen Formen der Rede auftreten können. Von geradezu konstitutiver Bedeutung sind sie aber für die meisten literarischen Texte. 17 1 Was ist Literatur? 4 Im Begriff Leser*innen sind im Folgenden auch immer Hörer*innen, Rezipient*innen von Bildern, Filmen usw. eingeschlossen. Die Aufmerksamkeit für die Form bzw. für die Beschaffenheit von Sprache rückt auch die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Zeichen und Bedeutungen in den Blick. In der Terminologie von Ferdinand de Saussure (1967: 76 ff., 135-143) ist die materiale Gestalt eines Zeichens als Signifikant zu bezeichnen, dessen Wahrnehmung ein kom‐ plexer Prozess ist: Leser*innen (Betrachter*innen oder Hörer*innen) 4 identifizieren ein Zeichen - einen Buchstaben, eine Buchstabenfolge, ein grafisches Symbol oder einen Wortklang - und ordnen ihm (mögliche) Bedeutungen zu. Diese Bedeutungen bilden den ideellen Gehalt eines Zeichens, der als Signifikat bezeichnet wird. Prozesse der Zuordnung von Signifikat(en) zu Signifikant(en) erfolgen mental, d. h. im Bewusst‐ sein der Leser*innen und beruhen auf Zuordnungsregeln, die gesellschaftlichen oder kulturellen Konventionen, auch den Konventionen gesellschaftlicher Subsysteme wie verschiedenen Wissenskulturen oder Gruppierungen z. B. von Jugendlichen entspre‐ chen können. Die vielfältigen möglichen Bedeutungen von Signifikanten sind als Konnotationen zu bezeichnen. Das Spiel mit möglichen Konnotationen erzeugt in (literarischen) Texten Unbestimmtheiten und Mehrdeutigkeiten (vgl. Klausnitzer 2012: 20 f., 46 f.), während Sach- und Informationstexte gerade Eindeutigkeit herzu‐ stellen suchen. Mehrdeutigkeiten und Unbestimmtheiten gelten neben Verfremdung und Poetizität als weitere mögliche Charakteristika von literarischen Texten. In der fachwissenschaftlichen Diskussion in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache werden Unbestimmtheiten und Mehrdeutigkeiten auch auf der Ebene der Semantik einzelner sprachlicher Ausdrücke berücksichtigt, wie soeben mit Rückgriff auf die Saussure’sche Unterscheidung von Signifikant und Signifikat dargestellt. Darüber hinaus werden sie auf der Basis rezeptions- und wirkungsästhetischer Theoriebildung (→ Kap. 8, 20) verstanden. Diese geht von der Grundannahme aus, dass das literarische Werk im jeweils individuellen Lektüreprozess als Zusammenspiel zwischen dem Text und seinen Lesenden entsteht. Dabei ist die Beobachtung von zentraler Bedeutung, dass literari‐ sche Texte - im Gegensatz zu nicht-literarischen Texten - Unbestimmtheitsstellen aufweisen. Je nach „Füllung“ oder „Normalisierung“ dieser Unbestimmtheitsstellen oder Leerstellen kommt es zu unterschiedlichen Lesarten. So sind „Leerstellen eines literarischen Textes“ nicht als „Manko“ zu verstehen, denn sie „bilden einen elementaren Ansatzpunkt für seine Wirkung“ (Iser 1974/ 1970: 15). Damit sind die Unbestimmtheitsstellen Beteiligungsangebote für die Lesenden und zugleich Angebote für individuelle Lesarten. Diese Bestimmung wurde und wird in der Literaturdidaktik als Grundlage für verschiedene Konzepte genutzt, etwa für das Konzept eines hand‐ lungs- und produktionsorientierten Unterrichts, das allerdings in den letzten Jahren zunehmend in die Kritik geraten ist (→ Kap. 20). Ein weiteres mögliches Charakteristikum von Literatur ist das der Fiktionalität. In der Alltagsauffassung gelten fiktionale Texte „als solche Texte, die Erfundenes darstellen oder erzählen“ ( Jannidis/ Lauer/ Winko 2009: 19); als eine Variante gilt die 18 1 Was ist Literatur? 5 Folge Nussmischung mit Sasha Marianna Salzmann (2020: 29: 50 min) des Podcasts Auf eine Tüte von Hengameh Yaghoobifarah: https: / / open.spotify.com/ episode/ 3ateuN7In2mgb5wGQL9H0c [14.11.2020] Autofiktion, die Autobiografisches und fiktionale Handlungsebenen verbindet und insbesondere in Texten der Gegenwartsliteratur eine wichtige Rolle spielt. In der Literaturwissenschaft wird der fiktionale Status literarischer Texte umfassend und heterogen diskutiert. Im Fokus der Debatten stehen die Fragen nach dem ‚Wesen‘ oder Status von Fiktionalität, nach Fiktionalitätssignalen in Texten sowie nach dem Verhält‐ nis von Fiktionalität und Realität und/ oder Wahrheit (vgl. Jannidis/ Lauer/ Winko 2009: 17). Weiterhin wird Diskursivität (→ Kap. 10) als ein mögliches Charakteristikum von Literatur verstanden. In aktuellen Diskussionen in der Literaturwissenschaft und im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache wird das Verhältnis von literarischen Texten zu gesellschaftlichen Zusammenhängen und kulturellen Mustern im Modus der Diskursivität gedacht. Damit verbindet sich die Vorstellung, dass Literatur Diskurse nicht nur aufnimmt, sondern an ihnen partizipiert, sie mitgestaltet. Literatur ist ge‐ kennzeichnet durch „diskursive Mehrfachzugehörigkeiten“ (Hille 2017: 17), nimmt an verschiedenen Diskursen teil, in flexibler und dynamischer, rezeptiver und produktiver Bezogenheit auf diese. Sie nimmt in komplexer Weise Bezug auf vielfältige Diskurszu‐ sammenhänge. Aus dieser spezifischen Relation ergibt sich ein kritisches Potenzial für literarische Texte als Orte der Aushandlung und Reflexion von gesellschaftlichen Diskursen. Als weitere Gruppe von Kriterien zur Bestimmung eines Begriffs von Literatur gelten deren mögliche Funktionen im Kontext literarischer Kommunikation: die Beobachtungsfunktion, Orientierungsfunktion, Simulationsfunktion, Utopie‐ funktion, Speicherfunktion, Bildungsfunktion und Unterhaltungsfunktion. Funktionen werden hier mit Jannidis/ Lauer/ Winko (2009: 22) als Relationen zwischen „Gegenständen (mit potenziellen Eigenschaften), ihren Wirkungen (im Falle einer Rea‐ lisierung dieser Eigenschaften) und einer Bezugsgröße (Individuum, Kollektiv, u. a.)“ aufgefasst. Funktionen sind als Potenziale vorstellbar, in jeweils unterschiedlichen Bedingungszusammenhängen mögliche Wirkungen hervorzubringen (vgl. ebd.). Als literaturdidaktisch bedeutsam wären die folgenden möglichen Funktionen literarischer Texte zu betrachten: ■ Beobachtungsfunktion Sasha Marianna Salzmann verweist darauf, dass in der Literatur, in der Kunst allgemein „sehr wichtige Beobachtungen gemacht werden für eine Welt, die nach uns kommt“. 5 Literarische Texte, die seit jeher als „ausgezeichnete Form der Selbstbeobachtung von Gesellschaften“ (Böhme 1998: 482) gelten, speichern Beobachtungen von gesellschaftlicher Komplexität sowie von kollektiven und individuellen Problemlagen und -verarbeitungen. Dabei eröffnen sie auch „abwei‐ 19 1 Was ist Literatur? chende Beobachtungen vertrauter und eingespielter Sachverhalte“, erzeugen auf diese Weise „Dissidenz“ (Hörisch/ Klinkert 2006: 10). ■ Orientierungsfunktion Durch die poetische Gestaltung können literarische Texte das (gesellschaftlich) Be‐ obachtete in fassbare Symbole, Bilder und Narrationen überführen und es in diesen verdichten. Gerade in unseren heutigen Gesellschaften scheint das Verdeutlichen bzw. das kommentierende und differenzierende Reflektieren von Komplexität, Pluralität und Mehrdeutigkeit zunehmend eine Funktion von Literatur, von Kunst überhaupt zu sein. Sie kann Orientierung bieten und das gerade nicht, indem sie - wie einige Formen der Alltags- und Mediensprache - einfache, die Komplexität der Welt reduzierende ‚Wahrheiten‘ zu propagieren versucht. ■ Simulationsfunktion Gerade in der Abweichung und Dissidenz ermöglichen literarische Texte ihren Leser*innen Simulationen anderer möglicher Welten und des Handelns in ihnen. Bei der Lektüre literarischer Texte sind Leser*innen von den pragmatischen Regeln der Wirklichkeit und den Grenzen ihrer eigenen Existenz befreit. Sie können das Mögliche über das Reale hinaus denken und es von literarischen Figuren erproben lassen. Man spricht auch von einem für die Leser*innen möglichen „symbolische[n] Probehandeln in imaginierten Welten“ (Klausnitzer 2012: 15, Hervorh. i. O.). ■ Utopiefunktion Zukünftige andere Welten können literarische Texte als Utopien (und natürlich auch Dystopien) inszenieren. Sie können Zukunftsnarrative und -bilder entwer‐ fen, die neben der Zukunft auch die Gegenwart und die Vergangenheit erfahrbar, verständlich und gestaltbar oder auch verstörend und zerstörerisch erscheinen lassen. ■ Speicherfunktion Literarische Texte entstehen in gesellschaftlichen Zusammenhängen und beziehen sich in je spezifischen Bedingungsgefügen auf das kollektive Wissen ihrer Zeit, das individuelle Wissen der Autor*innen und der Leser*innen. Sie speichern gesellschaftliche Positionen, verdichten sie und spitzen sie zu. Dieses Wissen findet sich - wenn auch nicht in Form von Abbildung, sondern von „Verhandlun‐ gen“ (Heitmann 1999: 10) bzw. „negotiations“ (Greenblatt 1988) - in Texten. Im literaturdidaktischen Kontext ermöglicht es die Perspektive der Speicherfunktion, „sozusagen das Mikroskop auf das aus Diskursfäden gesponnene dichte Gewebe der Kultur bzw. Geschichte zu richten und einzelne Fäden daraus zu verfolgen, um jeweils ein Stück Komplexität, Unordnung, Polyphonie, Alogik und Vitalität der Geschichte zu rekonstruieren“ (Baßler 1995: 15). Jochen Hörisch (2007: 13 f.) vertraut darauf, „daß sich das im Medium der schönen Literatur angesiedelte Wissen mit argumentativem Gewinn rekonstruieren lässt.“ Astrid Erll (2011: 2) verweist im Kontext einer kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung u. a. auf literarische Texte als Orte „kultureller Erinnerung“. Auch in dieser Hinsicht ist ihre Speicherbzw. Archivierungsfunktion von Relevanz. 20 1 Was ist Literatur? ■ Bildungsfunktion Literarische Texte beobachten - das ist bereits ausgeführt worden - gesellschaft‐ liche Komplexität sowie kollektive und individuelle Problemlagen, sie speichern und verdichten gesellschaftliche und individuelle Positionen, sie inszenieren Werte und Normen von Gesellschaften bzw. Gruppen und deren Wirkungen auf Individuen. Die Lektüren literarischer Texte initiieren „Prozesse des Verstehens von Selbst und Welt“, sie gelten als „Sinn-/ Bildungsprozesse“ (Decke-Cornill/ Geb‐ hard 2007: 10). In den „bildende[n] Begegnungen mit der Welt“ (ebd.: 11) können Lesende Impulse für die eigene Persönlichkeits- und Identitätsbzw. Zugehörig‐ keitsentwicklung finden. ■ Unterhaltungsfunktion Nicht zu vergessen: Literarische Texte wollen nicht (primär) orientieren oder bilden, sondern unterhalten und unsere Einbildungskraft mobilisieren. Gerade deshalb werden sie - egal in welcher medialen Form - von vielen gelesen, gesehen oder gehört. Literarische Texte können dabei emotionale Wirkungen, spontane Reaktionen, (ästhetische) Urteile und weite Imaginationen der Leser*innen her‐ vorrufen. Zu betonen wäre hier aber noch einmal, dass Literatur wie auch Kunst an sich keine Funktion(en) hat. Das Konzept der Autonomie der Literatur bzw. Kunst, ihrer Selbstbe‐ deutsamkeit und Selbstwirksamkeit, spricht gegen diese Annahme. Mögliche Funktionen gewinnen Literatur und Kunst erst in der literarischen bzw. ästhetischen Kommunikation. Rückt man die Pragmatik bzw. Kommunikationssituation in den Fokus, wird eine weitere Annäherung an eine Bestimmung des Begriffs „Literatur“ möglich. So wird auch das Verhältnis von Text und Kontext bedeutsam. Jannidis/ Lauer/ Winko verwei‐ sen in ihrem Band Grenzen der Literatur. Zu Begriff und Phänomen des Literarischen (2009) darauf, dass gerade in der Diskussion um moderne Kunst der Kontext hohe Relevanz erlangt, „wenn etwa beim ready-made Alltagsobjekte in einen Kontext gestellt werden, der diese - ohne Veränderung an den Gegenständen selbst - zu Kunstobjekten macht“ (ebd.: 30, Herv. i. O.). Hier wird deutlich, dass der Begriff der Kunst bzw. der Literatur nicht aus den materialen Eigenschaften von Objekten abgeleitet werden kann. Texte können nur in Kontexten ‚verstanden‘ werden, wobei der Text einerseits als Zeichenkörper, andererseits als das Verstandene - „das mentale Gebilde, das das Ergebnis eines komplexen Verstehensvorgangs ist“ - gefasst wird: Der Vorgang des Verstehens ist nicht nur von material vorgegebenen Zeichen und etwaigen generellen Codes abhängig […], sondern ebenso vom […] Kontext, zu dem allgemein Weltwis‐ sen und […] Wissen über die Textsorte, das Vorwissen über die spezifischen Gebrauchsregeln in diesem Zeichensystem, denen alle an der Kommunikation Beteiligten unterliegen, und allgemeinere Annahmen über die Funktion eines Textes in dem jeweiligen Kontext gehören. ( Jannidis/ Lauer/ Winko 2009: 30) 21 1 Was ist Literatur? 6 Zu einer Lektüre des Gedichts im Rahmen von Deutsch als Fremdsprache vgl. auch Jentges (2009). Textbeispiel Ein oft zitiertes Beispiel ist das 1969 in dem Band Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt erschienene Gedicht von Peter Handke: Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968 WABRA LEUPOLD POPP LUDWIG MÜLLER WENAUER BLANKENBURG STAREK STREHL BRUNGS HEINZ MÜLLER VOLKERT Spielbeginn: 15 Uhr Handke arbeitet hier mit einem ready-made. Er übernimmt die Namen der Fußballspieler in der Form, wie sie in Sportzeitschriften abgedruckt werden, in seinen Band, kontextualisiert sie damit neu und weist in dieser Weise darauf hin, dass Texte auch durch Kommunikationszusammenhänge, in denen sie erscheinen, zu literarischen Texten werden. 6 Ähnlich funktionieren die Kassenbongedichte von Susann Körner (→ Kap. 6), bei denen ebenfalls die alltagspragmatische Form unverändert in einen Band mit literarischen Texten - hier in einen Gedichtband - aufgenommen wird. Einer möglichen Bestimmung des Literaturbegriffs kann man sich auch von dem umfassenderen Begriff des Erzählens her nähern. Die Narratologie, die sich mit dem (literarischen) Erzählen beschäftigt, hat in der literaturwissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahre sehr an Bedeutung gewonnen. Albrecht Koschorke spricht in seinem Band Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer allgemeinen Erzähltheorie (2012) vom Menschen als „homo narrans“ und damit vom Erzählen als anthropologischer Grund‐ ausstattung (ebd.: 10, Hervorh. i. O.). Was er damit meint, verdeutlicht er mit einem Zitat aus Roland Barthes’ Einführung in die strukturale Analyse von Erzählungen (1988/ frz. 1966): Die Menge der Erzählungen ist unüberschaubar. Da ist zunächst eine erstaunliche Vielfalt von Gattungen, die wieder auf verschiedene Substanzen verteilt sind, als ob dem Menschen jedes Material geeignet erschiene, ihm seine Erzählungen anzuvertrauen: Träger der Erzählung kann die gegliederte, mündliche oder geschriebene Sprache sein, das stehende oder bewegte Bild, die Geste oder das geordnete Zusammenspiel all dieser Substanzen; man findet sie im Mythos, in der Legende, der Fabel, dem Märchen, der Novelle, dem Epos, der Geschichte, der Tragödie, dem Drama, der Komödie, der Pantomime, dem gemalten Bild (man denke an die Heilige Ursula von Carpaccio), der Glasmalerei, dem Film, den Comics, im Lokalteil der Zeitungen und im Gespräch. Außerdem findet man die Erzählung in diesen nahezu 22 1 Was ist Literatur? unendlichen Formen zu allen Zeiten, an allen Orten und in allen Gesellschaften; die Erzählung beginnt mit der Geschichte der Menschheit; nirgends gibt und gab es jemals ein Volk ohne Erzählung; alle Klassen, alle menschlichen Gruppen besitzen ihre Erzählungen, und häufig werden diese Erzählungen von Menschen unterschiedlicher, ja sogar entgegengesetzter Kultur gemeinsam geschätzt: Die Erzählung schert sich nicht um gute oder schlechte Literatur: sie ist international, transhistorisch, transkulturell, und damit einfach da, so wie das Leben. (Barthes 1988: 102, Hervorh. i. O.) Hier wird die anthropologische Bedeutung des Erzählens deutlich: Es dient als Medium individueller wie kollektiver Selbstverständigungsprozesse. Vorstellungen von indivi‐ duellem Leben und sozialem Zusammenleben, Problemlagen und Problembehandlun‐ gen, Denkmodelle und Konzeptualisierungen von Welt finden im Erzählen ihre sprach‐ liche Form, werden damit zugänglich und verhandelbar. Auf dieser erzähltheoretischen bzw. narratologischen Basis kann man den literarischen Text als prominentes Medium des Erzählens verstehen. Literarische Texte erhalten einen spezifischen Stellenwert und sind nicht eine Textart unter vielen. Für das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ermöglicht die Arbeit mit literarischen Texten aus der Perspektive des Erzählens eine Auseinandersetzung mit individuellen wie kollektiven Reflexionsprozessen (vgl. Schiedermair 2014b, Riedner 2017). Wie sich in dem obigen Zitat schon andeutet, wird dabei ein weiter Textbegriff zugrunde gelegt, der z. B. auch Hörspiele, Filme, Video- und Werbeclips umfasst (→ Kap. 11). Der so entwickelte Begriff von Literatur ermöglicht es, eine große Vielfalt an medialen Formaten zu berücksichtigen. In der Gegenwart sind es weitere, neue Textformate, die unsere Vorstellungen von Literatur herausfordern. Diese besteht schon lange nicht (mehr) nur aus gedruckten und gebundenen Werken einzelner Autor*innen, die von einzelnen Leser*innen still rezipiert werden. Poetry Slams etwa können an einem Abend ein großes Publikum erreichen; die Texte werden nicht nur von Einzelnen, sondern auch von Teams verfasst und performt. Mit dem Erfolg von Poetry Slams sind die Mündlichkeit der Literatur, ihr Ereignischarakter und ihre Offenheit für alle Akteur*innen (wieder) in das Blickfeld gerückt. Die digitale Literatur steht dafür, dass die Grenzen zwischen Autor- und Leser‐ schaft wie auch zwischen „Fiktion und inszenierter Wirklichkeit“ verschwimmen (Winko 2016: 6). Der Begriff der digitalen Literatur bzw. Netzliteratur, Internetliteratur, New Media Literature oder Hyperfiction ist jedoch zu schärfen. Sie ist zunächst von einer digitalisierten Literatur (E-Books, Bibliotheken wie das Projekt Gutenberg) zu unterscheiden. Deren Lektüre erfolgt am Computer oder einem anderen (mobilen) Endgerät; verändert ist so vor allen Dingen die Rezeption von Texten (→ Kap. 4, 5). Als digitale Literatur hingegen werden Texte bezeichnet, deren Produktion und Rezeption am Computer erfolgt und die im digitalen Format, als zweifacher Text entstehen: dem auf dem Bildschirm sicht- und lesbaren Text und dem ihn bedingenden digitalen Code 23 1 Was ist Literatur? hinter der Oberfläche (vgl. Winko 2016: 4). Diese Texte sind oder erscheinen in einem weiten Sinn interaktiv: Die Lesenden wählen individuelle Lektürepfade, können z. B. Hyperlinks folgen oder eigene Texte eingeben (vgl. ebd.: 4). Insofern werden z. B. Texte im Hypertextformat (→ Kap. 11) auch als nichtlinear bezeichnet. Auch Netzliteratur ist digitale Literatur, spezifisch aber noch einmal dadurch charakterisiert, dass sie „des Internets bedarf, um produziert und rezipiert zu werden“ (ebd.: 5). Sie wird im Internet publiziert und kann, etwa in Form von Schreibforen, Mitschreibprojekten oder literarischen Blogs konzipiert, nicht nur zur Rezeption, sondern auch zur Produktion von Texten durch die Leser*innen anregen (→ Kap. 5). So entstehen beispielsweise Blogromane, aber auch Texte einer sogenannten Fanfiction. Fragt man also, was Literatur heute - bei aller Schwierigkeit der Definition - sein kann, so stellt sie sich als „ein extrem vielfältiges, dynamisches Ensemble unter‐ schiedlicher medialer Formate und Kommunikationsformen, eine lebendige Praktik, die weit über gedruckte Einzelwerke und vom Feuilleton wahrgenommene Autoren hinausgeht“, und als Teil wie auch Instrument gesellschaftlicher und kultureller Partizipation (ebd.: 2) dar. Diese Überlegungen führen zu dem zurück, was schon Friedrich Schlegel 1798 in der Zeitschrift Athenäum über Literatur formulierte: Eine Definition der Poesie kann nur bestimmen, was sie seyn soll, nicht was sie in der Wirklichkeit war und ist; sonst würde sie am kürzesten so lauten: Poesie ist, was man zu irgend einer Zeit, an irgend einem Orte so genannt hat. (Schlegel 1983: 204) 24 1 Was ist Literatur? 2 Literaturdidaktik - Literaturwissenschaft Blickt man auf die Publikationen im Bereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, fällt auf, dass sich der Begriff „Literaturdidaktik“ überraschend selten findet. Meist wer‐ den andere Formulierungen gewählt. So haben die thematisch einschlägigen Bände, die seit dem Jahr 2000 erschienen sind, Titel wie Literatur im DaF-Unterricht (Koppenstei‐ ner 2001), Literatur im DaF/ DaZ-Unterricht (Koppensteiner/ Schwarz 2012), Deutsch als Fremdsprache und Literaturwissenschaft (Ewert/ Riedner/ Schiedermair 2011a), Literatur in Deutsch als Fremdsprache und internationaler Germanistik (Altmayer/ Dobstadt/ Ried‐ ner/ Schier 2014), Ästhetisches Lernen im DaF/ DaZ-Unterricht. Literatur - Theater - Bildende Kunst - Musik - Film (Bernstein/ Lerchner 2014), Aktuelle deutschsprachige Li‐ teratur für die Internationale Germanistik und das Fach Deutsch als Fremdsprache (Hille/ Jambon/ Meyer 2015) und Literaturvermittlung (Schiedermair 2017a). Ähnliche Titel wurden für die Themenhefte der Fachzeitschriften zu diesem Schwerpunkt gewählt, etwa Literatur im Anfängerunterricht (Fremdsprache Deutsch 2/ 1994), Fremdsprache Literatur (Fremdsprache Deutsch 44/ 2011), Literatur in sprach- und kulturbezogenen Lehr- und Lernprozessen im Kontext von DaF/ DaZ (Deutsch als Fremdsprache 2014/ Heft 1-4, 2015/ Heft 1-3). Auch die zentralen Artikel im internationalen Handbuch Deutsch als Fremdsprache (2001) bzw. Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (2010) formulieren ihre Titel, ohne den Begriff „Literaturdidaktik“ zu verwenden: Literarische Texte im Deutschunterricht (Ehlers 2001), Literatur, Kultur, Leser und Fremde - Theoriebildung und Literaturvermittlung im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (Riedner 2010a). In den Fachdidaktiken der Germanistik - Deutsch als L1 in Schulen der D-A-CH-L-Länder - und der Fremdsprachenphilologien wie Anglistik und Romanistik ist dagegen selbstverständlich von „Literaturdidaktik“ die Rede. So scheint der Begriff den schulischen Kontext zu implizieren, was auch die Definitionen der „Literaturdidak‐ tik“, die sich in den einschlägigen fachdidaktischen Einführungen finden, nahelegen. So heißt es etwa bei Ehlers (2016: 13): „Literaturdidaktik ist die Wissenschaft vom Lehren und Lernen von Literatur und literarischen Erzählmedien im institutionellen Rahmen von Schule, die Literatur und Erzählmedien unter dem Aspekt ihres Bildungswertes für Schüler und ihrer Lehr- und Lesbarkeit betrachtet.“ Leubner/ Saupe/ Richter (2016: 13) fassen den Begriff zunächst weiter als „Wissenschaft vom Lehren und Lernen der Literatur“, weisen in einem zweiten Schritt dann aber ebenfalls darauf hin, dass die „entsprechenden Prozesse […] vor allem im Literaturunterricht im Rahmen des Deutsch- und Fremdsprachenunterrichts“ stattfinden. Diese Implikationen werden jedoch zunehmend durchbrochen und der Begriff „Literaturdidaktik“ erhält ein über den schulischen Kontext hinausgehendes Verwen‐ dungspotenzial, was sich etwa an Buchtiteln wie Öffentliche Literaturdidaktik zeigt. In der Einleitung zu diesem 2018 von ihnen herausgegebenen Band argumentieren Christine Ott und Dieter Wrobel gegen die „Engführung des Begriffs und Konzepts“ 1 In der spezifischen Skala „Texte verarbeiten“ (GER 2001: 98) ist unter B2 aufgeführt, dass Lernende „fiktive Texte“ zusammenfassen und diskutieren können. auf den schulischen Kontext und für ein Aufsuchen „applikationsfähige[r] Schnitt‐ stellen zu einer öffentlichen Literaturdidaktik“ (Ott/ Wrobel 2018: 7). Ihr Ziel ist es, Literaturdidaktik als wissenschaftlichen Diskussionszusammenhang nicht auf Fragen des schulischen Lernens zu begrenzen, sondern auch auf die Arbeit mit Literatur in unterschiedlichen außerschulischen Bereichen auszuweiten. Bei der Wahl des Titels für diesen Einführungsband haben wir uns entschieden, den Begriff der „Literaturdidaktik“ zu verwenden. Dabei ist uns bewusst, dass wir damit eine Formulierung wählen, die man in der Fachdiskussion von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache bisher wenig genutzt hat. Mit anderen Formulierungen (s. o.) konnte man die spezifische Situation des Faches, das sich nur zum Teil als Fachdidaktik im schulischen Kontext verortet, berücksichtigen (siehe zu DaZ in der Schule Rösch 1992, 2001, 2017 und Ehlers 2008, 2014, 2016: 56-63). Anders als in den Fachdidaktiken sind die Fachdiskussionen in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache weniger auf vorgegebene, in den Anforderungen an Curricula und Testformate bis zu einem gewis‐ sen Grad homogene und miteinander vergleichbare institutionelle Zusammenhänge ausgerichtet und auch weniger an standardisierten Vorgaben orientiert wie etwa den Bildungsstandards, die in der Folge des sogenannten PISA-Schocks (→ Kap. 4) für die Fachdidaktiken ausgearbeitet wurden. Einen mit den Bildungsstandards vergleich‐ baren Rahmen stellt für den fremd- und zweitsprachlichen Deutschunterricht zwar der vom Europarat herausgegebene Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (GER) dar. Dieser berücksichtigt jedoch in seiner ersten Version (2001, engl./ frz. 2000) kaum die Arbeit mit literarischen Texten. Lediglich in der Globalskala (2001: 36) auf dem Niveau B2 unter der Fertigkeit „Lesen“ wird auf sie hingewiesen - „Ich kann zeitgenössische literarische Prosatexte verstehen“ -, was für das Niveau C2 auf alle „literarische[n] Werke“ ausgeweitet und für die Fertigkeit „Schreiben“ durch das Item ergänzt wird, dass Lernende „literarische Werke schriftlich zusammenfassen und besprechen können“ (→ Kap. 5). 1 Im neuen Begleitband zum GER (2020, engl./ frz. 2018: 6 f.), dessen ‚zweiter Version‘, findet die Arbeit mit literarischen Texten weitaus stärkere Berücksichtigung (→ Kap. 5). Die Umsetzung der Empfehlungen zur Förderung des „Lesen[s] als Freizeitbeschäftigung“, der „Analyse und Kritik kreativer Texte“ und der „Persönliche[n] Reaktion auf kreative Texte“ in Curricula, Lehr- und Lernmaterialien und Unterricht wird in den nächsten Jahren fachwissenschaftlich zu begleiten und zu reflektieren sein. Während es in den Fachdidaktiken um Lehr- und Lernprozesse in dem in hohem Maß vorstrukturierten schulischen Kontext geht, werden im Hinblick auf den Unterricht von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache sehr unterschiedliche Lehr- und Lernkon‐ texte apostrophiert. So ist zu differenzieren, ob die Arbeit mit literarischen Texten im Kontext von Sprachunterricht oder Literaturunterricht stattfindet; mit Kindern, Ju‐ gendlichen oder in der Erwachsenenbildung; im universitären oder nicht-universitären 26 2 Literaturdidaktik - Literaturwissenschaft Zusammenhang; mit Gruppen mit einer gemeinsamen oder mehreren unterschiedli‐ chen L1; mit Lernenden, die in unterschiedlichen Lehr- und Lerntraditionen sozialisiert sind. Dieses weite Spektrum scheint in den offeneren Formulierungen wie etwa Lite‐ ratur im DaF/ DaZ-Unterricht (Koppensteiner/ Schwarz 2012) auf. Mit der Entscheidung für den Begriff „Literaturdidaktik“ möchten wir diesen weiten Horizont des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache beibehalten und gleichzeitig ausdrücken, dass sich dessen Grundlagen als „Didaktik“ bezeichnen lassen, als „Wissenschaft vom Leh‐ ren und Lernen von Literatur“ (vgl. nochmals Ehlers 2016: 13, Leubner/ Saupe/ Richter 2016: 13). Wir möchten damit auch an den Sprachgebrauch in den Nachbardisziplinen anschließen, auf deren Reflexionspotenzial wir in unserem Band an verschiedenen Stellen zurückgreifen. Wir schließen außerdem an eine Bestimmung des Begriffs „Literaturdidaktik“ an, wie sie in der fünften, aktualisierten und erweiterten Auflage des Metzler Lexikons Literatur- und Kulturtheorie (2013) gegeben wird. Hier wird der Begriff recht weit gefasst im Hinblick auf institutionalisierte Lernprozesse. In dem entsprechenden Lemma heißt es: Literaturdidaktik bezeichnet den Komplex von Entscheidungen, Konzeptionen und Theorien über Literatur als Gegenstand institutionalisierter Lernprozesse. […] Die Bestimmung von Lernzielen bzw. -inhalten ist von gesellschaftlichen Wertregistern wie ästhetische und religiöse Bildung, National- oder Klassenbewusstsein, Emanzipation und Toleranz abhängig, die in Formen wie bildungs-, lernziel-, handlungsorientierter, erfahrungsbezogener und inte‐ grativer Unterricht umgesetzt werden. […] Literaturdidaktik umfasst die Organisation rezep‐ tiver, produktiver, darstellender, analytischer, kommunikativer, rhetorisch-argumentativer, wissensentnehmender und -speichernder Handlungsformen und Erkenntnismöglichkeiten. (ebd.: 456) Diese Definition umfasst einiges, was zur Vermittlung literarischer Texte auch im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in jüngerer Zeit diskutiert wird. Entscheidend sind die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand Literatur, die Bestimmung von Lehr- und Lernzielen und die Modellierung von Unter‐ richtssettings. In dem Lemma „Literaturdidaktik“ im Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie (2013) werden weiter Literaturwissenschaft und Literaturgeschichte als Bezugs‐ wissenschaft(en) der Literaturdidaktik bezeichnet. Es wird darauf verwiesen, dass es gerade eine stärkere Orientierung an fachwissenschaftlichen Entwicklungen in der Literaturwissenschaft sei, die in jüngerer Zeit zu produktiven neuen Ansätzen und Konzepten in der Literaturdidaktik führe (vgl. ebd.). Allerdings ist das Verhältnis zwischen Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik keineswegs so unumstritten, wie es diese Formulierung vermuten lässt. Insbesondere in der Forschungsdiskussion der Fachdidaktik Deutsch finden sich zunehmend kontroverse Positionen. In ihrer 27 2 Literaturdidaktik - Literaturwissenschaft 2 Der Band von Elisabeth Paefgen ist die erste Einführung in die Literaturdidaktik Deutsch. Wie die Verfasserin selbst erläutert (2006: VII-X), bezogen sich frühere Einführungen in die Deutschdidaktik sowohl auf die Sprachdidaktik als auch auf die Literaturdidaktik. Erst in den 1980er Jahren kam es zu einer Differenzierung dieser Teilbereiche, die auch in veränderten Denominationen von Professuren und in entsprechenden Publikationen sichtbar wird. erstmals 1998 2 und in zweiter Auflage 2006 erschienenen Einführung in die Litera‐ turdidaktik bezeichnet Elisabeth Paefgen die Literaturdidaktik noch als „Teilgebiet der Literaturwissenschaft“ (Paefgen 2006: VIII). Während ihrer Einschätzung nach der „literaturwissenschaftliche Anteil für alle Literaturlehrenden gleichermaßen ver‐ pflichtend und grundlegend ist“ (ebd.), seien andere Aspekte wie „pädagogische, soziologische, kulturelle und politische Bezüge“ (ebd.) zwar auch von Relevanz, jedoch nicht in gleicher Weise verbindlich. Diese Position stärkt Klaus-Michael Bogdal in seinem Beitrag in dem von ihm und Hermann Korte herausgegebenen Band Grundzüge der Literaturdidaktik, erstmals 2002 erschienen und seit 2012 in sechster Auflage vorliegend: „Literaturdidaktik und Literaturwissenschaft unterscheiden sich nicht in ihren Grundlagen, Methoden und Gegenständen, Ansprüchen, Problemen und Krisen“ (Bogdal 2012: 13). Er bezeichnet die Literaturwissenschaft als grundlegende Bezugs‐ disziplin, deren Forschungsergebnisse es in der Literaturdidaktik zu berücksichtigen gelte, und grenzt sich deutlich von Positionen ab, die Literaturdidaktik als Erforschung von Lese- und Vermittlungsprozessen verstehen: Die literaturwissenschaftlich fundierte Vermittlungstätigkeit bildet das Zentrum der Litera‐ turdidaktik. Ohne den ‚Gegenstand‘ Literatur und die systematische Erforschung seiner his‐ torischen, ästhetischen, kulturellen und kommunikativen Dimensionen wird wissenschaftli‐ ches Bemühen in diesem Bereich belanglos. (ebd.: 15 f.) Gegen die benannten Positionen gibt es Vorbehalte. In kritischer Bezogenheit auf die Überlegungen von Bogdal (2012) formuliert Volker Frederking (2014), dass die „Deutschdidaktik kein Appendix der Fachwissenschaft, keine Germanistik ‚light‘“ (ebd.: 110) sei. Vielmehr habe die Deutschdidaktik ihre eigenen Forschungsinteressen und müsse dafür auch eigene Methoden entwickeln. Insbesondere muss die Perspektive auf den Lerngegenstand „Literatur“ durch die Perspektive auf die „Lernenden“ ergänzt werden. Er formuliert als grundlegende These: Deutschdidaktische Forschung setzt die stetige Oszillation zwischen fachlichem Lerngegen‐ stand und fachspezifischen Lehr-Lern-Prozessen voraus. Deutschdidaktik ist in diesem Sinne die Wissenschaft vom fachspezifischen Lehren und Lernen im Zusammenhang mit deutscher Sprache, Literatur und anderen Medien. (ebd.) Nach Frederking wäre die Deutschdidaktik als transdisziplinäre Wissenschaft zu verstehen, die zwischen der Germanistik und anderen Fachwissenschaften angesiedelt ist. Sie fokussiert fachliche Lerninhalte, fachspezifische Lehr-Lern-Prozesse, Lehrende und Lernende (ebd.: 111). Dabei ist vor allem der empirische Zugang zur Erforschung von Lehr- und Lernprozessen entscheidend: 28 2 Literaturdidaktik - Literaturwissenschaft 3 Die Kritik findet sich in der dritten Ausgabe von Abraham/ Kepser (2009); sie nennen hier die erste Auflage von Bogdal aus dem Jahr 2002. 4 Abraham/ Kepser nennen eine ganze Reihe von Bezugsbzw. Nachbardisziplinen der Literatur‐ didaktik. Als relevante Nachbardisziplinen werden kommentiert: Psychologie, Psychoanalyse, Lesealtertheorie, Soziologie, Erziehungswissenschaft und empirische Bildungswissenschaft. Als Bezugswissenschaften gelten auch solche, die „Literatur als Gegenstand“ im weiten Sinne im Blick haben: Theaterwissenschaft, Komparatistik, Übersetzungswissenschaft, Buchwissenschaft, Filmwissenschaft, Medienwissenschaft und Kulturwissenschaft (Abraham/ Kepser 2009: 48 ff., 2016: 15 f.). Eine Deutschdidaktik, die sich als Wissenschaft versteht und als Wissenschaft ernst genom‐ men werden will, muss überprüfte Theorien und abgesichertes Wissen generieren. Als Wissenschaftler müssen wir schlicht wissen, ob das, was wir theoretisch modellieren und als praxistauglich empfehlen, tatsächlich die erhofften Wirkungen zeitigt. Diesem Erfordernis kann nur auf empirischer Basis entsprochen werden. (ebd.: 115) Von einer anderen Seite als Frederking kritisieren auch Ulf Abraham und Matthis Kepser in ihrer 2005 erstmals erschienenen und seit 2016 in vierter Auflage vorliegen‐ den Einführung Literaturdidaktik Deutsch die Gegenstandsorientierung von Paefgen (2006) und Bogdal (2012). Sie nehmen Literatur als „Handlungsfeld“ (Abraham/ Kepser 2016: 20) zum Ausgangspunkt ihrer Argumentation für eine sinnvolle Perspektive einer Literaturdidaktik: „Ihr kann es nicht in erster Linie darum gehen, wie Literatur beschaffen ist. Sie muss sich vor allem dafür interessieren, was Menschen damit machen und warum.“ (ebd.) Explizit setzen sie sich von den Positionen von Paefgen (2006) und Bogdal (2002) 3 ab: Sie verstehen „Literaturdidaktik als eigenständige kulturwis‐ senschaftliche Disziplin […]. Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik sind einander benachbarte, aber nicht auseinander ableitbare Disziplinen.“ (Abraham/ Kepser 2009: 47 f.) 4 In der fremdsprachendidaktischen Forschung, besonders in der Fachdidaktik Englisch und auch Romanistik werden in jüngerer Zeit gerade die Transdisziplina‐ rität und die kulturwissenschaftliche Orientierung einer Literaturdidaktik betont. Die Literaturwissenschaft wird als enge Bezugswissenschaft einer Literaturdidaktik angenommen, die sich in steter Auseinandersetzung mit neuen literatur- und kultur‐ wissenschaftlichen Positionen und vielfältigen Lehr- und Lernprozessen dynamisch weiterentwickelt (siehe etwa Bredella/ Delanoy/ Surkamp 2004: 8, Freitag-Hild 2010: 9 ff., Küster 2003). In dem von ihnen herausgegebenen Band Literaturdidaktik im Dialog bezeichnen Lothar Bredella, Werner Delanoy und Carola Surkamp (2004: 9) als wichtige Entwicklungsfelder der Literaturdidaktik beispielhaft eine gender-bezogene Fundierung der Vermittlung von Literatur, einen weiten Literaturbegriff und eine Aufgabenorientierung. Eine Literaturdidaktik des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache wie sie diesem Band zugrunde gelegt wird, knüpft an die dargestellten Forschungsdiskus‐ sionen an. Sie 29 2 Literaturdidaktik - Literaturwissenschaft ■ betrachtet Literatur als Gegenstand institutionalisierter Lehr- und Lernprozesse, auf den mit den Grundlagen und Methoden einer (kulturwissenschaftlich orien‐ tierten) Literaturwissenschaft zugegriffen wird; ■ modelliert und erforscht (empirisch) fachspezifische Lehr- und Lernprozesse in ihren vielfältigen Komponenten wie Lernziele, Handlungsformen, Lehrende und Lernende. Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik werden so als zwei eng miteinander verbundene Wissenschaften verstanden, die Fragestellungen und Analysekategorien zum Gegenstand Literatur teilen. Diese Einführung verfolgt nicht das Anliegen, eine ‚eigenständige‘ Literaturwissen‐ schaft für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, wohl aber eine fachspezifische Literaturdidaktik zu etablieren. Die Formung einer ‚eigenständigen‘ Literaturwissenschaft für das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache wurde in Forschungsbeiträgen immer wieder gefordert (vgl. Dobstadt 2009: 21 ff., Altmayer 2014: 34). Aber worin soll sie bestehen? Unserem Verständnis nach ist es - wie in den oben dargestellten Positionen einer Fachdidaktik Deutsch wie Fachdidaktik Englisch ebenfalls deutlich wird - die Literaturwissenschaft an sich, deren Grundlagen und Methoden für einen didaktischen Umgang mit Literatur auch im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache relevant sind. Literatur müsse als Literatur ernst genommen und vermittelt werden - diese Forderung wird in der fachwissenschaftlichen Diskussion seit 2010 immer deutlicher formuliert. Verschiedene (neue) Konzepte nehmen die literarischen Texte als solche verstärkt in den Blick. Sie legen den Fokus auf ■ die Rolle der Form für deren (Be-)Deutung (form as meaning), ■ Medialität, ■ Deautomatisierung, ■ diskursive Vernetzung und ■ die Partizipation an fremdsprachigen Diskursen als übergreifender Zielsetzung des Fremd- und Zweitsprachenunterrichts. Im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache wird dieser Entwicklung in hohem Maße Rechnung getragen; sie ist forschungsleitend in den letzten Jahren. Das betont aus anglistischer Sicht auch Laurenz Volkmann (2015) und hebt die jüngeren Beiträge der fachwissenschaftlichen Diskussion in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache diesbezüglich als vorbildlich hervor: Sie drehen ein oft vernommenes Hauptargument gegen den Einsatz von Literatur im Fremdsprachenunterricht bzw. für eine Reduktion von literarisch-ästhetischen Elementen gewissermaßen um. Nicht allein als fiktionaler Steinbruch für landeskundliche Phänomene 30 2 Literaturdidaktik - Literaturwissenschaft 5 Volkmann ergänzt: „Bedauerlicherweise scheint, aus meiner Sicht, in der Englischdidaktik eine nahezu allseits vollzogene Anbiederung an das gegenwärtige pragmatisch-utilitaristische und mithin ‚ökonomisierte‘ Paradigma der Kompetenzorientierung vorzuherrschen - keine Publikation ohne ausführliches Zitieren des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens und nationaler wie länderspezifischer Richtlinien, Standardisierungs- und Messbarkeitsempfehlungen (die bekanntlich allesamt das Thema Literatur eher am Rande beachten). Die hier vorgestellten Beiträge hingegen weisen eine ganz andere Stoßrichtung auf.“ (Volkmann 2015: 367) oder interkulturelle Fremderfahrung habe Literatur zu wirken, sondern - im Gegenteil - Literatur solle im Mittelpunkt eines […] Unterrichts stehen. (Volkmann 2015: 367) 5 Mit dieser Betrachtung rücken andere, im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ebenfalls vertretene Positionen in den Hintergrund, die literarische Texte zunächst als Medien für sprachliches und kulturelles Lernen auffassen. In dieser Perspektive werden literarische Texte hauptsächlich in entsprechenden Bedingungsgefügen gesehen. Für das sprachliche Lernen (→ Kap. 6) wird etwa hervorgehoben, dass literarische Texte für die Präsentation und Übung eines grammatischen Phänomens von Bedeutung sein können; eine Position, die sich auch in vielen Lehrwerken findet. Auch die Beschäf‐ tigung mit einem Aspekt wie der Literarizität von Texten generell, den literarische Texte jedoch in besonders auffälliger Weise ausstellen, kann in dieser Perspektive sprachliches Lernen fördern. Mit dem Fokus auf dem kulturellen (bzw. landeskundlichen) Lernen werden die Lektüren literarischer Texte mitunter den Kulturstudien, der Kulturvermittlung bzw. Landeskunde im Fach subsumiert (→ Kap. 7), in besonderem Maße werden literarische Texte im Fokus des interkulturellen Lernens betrachtet (→ Kap. 8). Eine andere Position betrifft das philologische Handlungswissen von Lernenden. Argumentiert wird, dass von DaF-Lernenden wenig literaturwissenschaftliche Kennt‐ nisse bzw. philologisches Handlungswissen erwartet und gefordert werden können, die für einen adäquaten Umgang mit literarischen Texten erforderlich wären (vgl. Dobstadt 2009: 27). Das ist in Teilen sicher richtig, wobei - wie nachfolgend noch gezeigt wird - unterschiedliche Lehr- und Lernkontexte zu berücksichtigen wären. Auch richtig sind aber Positionen wie beispielsweise von Andrea Leskovec (2011b) und mit Blick auf die Arbeit mit Spielfilmen Renate Bürner-Kotzam (2011a), dass entspre‐ chendes deklaratives Wissen im Unterricht etwa in Form von Glossaren oder kurzen Erklärungen bereitgestellt und von den Lernenden verwendet, günstigenfalls also zu prozeduralem Wissen werden kann. Eine solche Vorgehensweise setzt allerdings voraus, dass die Lehrenden über entsprechende Kenntnisse verfügen und sie schon in der Unterrichtsvorbereitung einsetzen können. Eine Fallstudie von Almut Hille (2017) in Anknüpfung an Überlegungen von Claire Kramsch (2011) zeigt, dass Studierende als künftige Lehrkräfte nicht in ausreichendem Maße über literaturwissenschaftliche Kenntnisse bzw. philologisches Handlungswissen verfügen. In der Aus- und Fortbil‐ dung von Lehrkräften müssten sie also stärker vermittelt werden. 31 2 Literaturdidaktik - Literaturwissenschaft 6 Auch im Bereich der Kulturvermittlung gibt es bisher nur wenige empirische Arbeiten. So gab es auf den Call for Papers für das Themenheft „Kulturstudien/ Landeskunde“ der Zeitschrift Info DaF (= Heft 4/ 2017) zwar eine Reihe von Einsendungen, jedoch hatten nur drei von ihnen einen empirischen Forschungsansatz (vgl. Fornoff/ Altmayer/ Koreik 2017: 446 f.). Umfangreichere empirische Studien zum kulturellen Lernen in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache haben in jüngster Zeit Roger Fornoff (2016) und Christine Becker (2018) vorgelegt. Fallstudien, wie die genannte, oder größere empirische Studien werden auch in der Literaturdidaktik des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in den nächsten Jahren eine größere Rolle spielen (müssen). Bislang werden empirische Forschungen insbesondere im Hinblick auf sprachliche Lehr- und Lernprozesse durchgeführt (siehe etwa Riemer/ Settinieri 2010, Settinieri et al. 2014 und Riemer 2019). Im Bereich der Literatur- und Kulturvermittlung sind sie noch selten. 6 In einem Überblicksartikel zu literaturwissenschaftlich orientierten Lehr- und Forschungsperspektiven im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache entwickeln Dobstadt/ Riedner (2014a: 157 f.) erste Überlegungen dazu; außerdem stellen sie in einem Beitrag von 2016 eine Pilotstudie zur Arbeit mit einer Lehrbuchlektion vor, die im Hinblick auf eine Literarizitätsdidaktik modifiziert und mit einer Gruppe von Lernenden evaluiert wurde. Potenzial für empirische Forschungen sehen sie vor allem in rezeptions- und leserbezogenen sowie methodisch-didaktischen Fragen, bei denen es um die Evaluierung von Aufgabenstel‐ lungen und Unterrichtskonzepten für das Erreichen von literaturbezogenen Lehr- und Lernzielen geht. Neben diesen generellen Überlegungen finden sich erste empiri‐ sche Forschungen zu Unterrichtskonzepten, die auf der Basis literaturtheoretischer Diskussionen zur diskursiven Verfasstheit literarischer Texte (→ Kap. 10) modelliert wurden. In zwei Beiträgen zur Arbeit mit Texten der Gegenwartsliteratur im Rahmen von internationalen Masterstudiengängen für Deutsch als Fremdsprache bzw. von Fortbildungen für Deutschlehrer*innen in der internationalen Germanistik wurden Daten zu den Lektüren von Studierenden und Lehrenden erhoben und ausgewertet (Hille/ Schiedermair 2018, Schiedermair 2020). Wie diese (ersten) Überlegungen und Publikationen zeigen, steht die Forschung hier noch am Anfang. Es gilt, weiter auszuar‐ beiten, welche Fragestellungen sich mit empirischen Forschungsmethoden bearbeiten lassen und welche Forschungsdesigns geeignet sind. Dabei sind insbesondere die (sehr) heterogenen Kontexte von Lehr- und Lernprozessen in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache zu berücksichtigen. Anders als in den philologischen Fachdidaktiken, die auf erstsprachliche oder fremdsprachliche Literaturvermittlung in der Schule ausge‐ richtet sind und die institutionellen Gegebenheiten wie Schulformen, Jahrgangsstufen, Curricula, Prüfungsordnungen und Bildungsstandards teilen, unterscheiden sich diese erheblich. Wie oben bereits skizziert, stellt Literaturdidaktik im Bereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache einen komplexen Zusammenhang dar, bei dem es auch gilt, zwischen unterschiedlichen ■ Lernsozialisierungen, ■ Ausgangssprachen, 32 2 Literaturdidaktik - Literaturwissenschaft 7 Eine Diskussion des Begriffs Gegenwartsliteratur wird an dieser Stelle nicht geführt; vgl. dazu etwa Braun (2010), Hermann/ Horstkotte (2016) und Scharnowski (2020). ■ Sprachniveaus ■ und Kursformaten zu differenzieren (vgl. Rösler 2012: 227-237, Schiedermair 2020: 95). Kommen wir auf das Lemma „Literaturdidaktik“ im Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie (2013) zurück. In ihm wird neben oder als Teil der Literaturwissenschaft auch die Literaturgeschichte als Bezugswissenschaft der Literaturdidaktik genannt. Wir möchten ihr einen Stellenwert einräumen, obwohl oder gerade weil im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache so oft, wenn (überhaupt) von der Arbeit mit Literatur im Unterricht die Rede ist, die Gegenwartsliteratur im Vordergrund steht. 7 Unberücksichtigt bleiben dann die Bezüge zum Vergangenen im Gegenwärtigen, „the echoes of past narratives“ in der Gegenwart wie Piera Carroli (2008: 186) sie in ihrer Studie Literature in Second Language Education nennt. Vor diesem Hintergrund plädiert auch Neva Šlibar (2011) für die Beachtung literaturhistorischer Dimensionen im Unterricht Deutsch als Fremdsprache. Sie schlägt ‚Spaziergänge‘ durch die Literaturge‐ schichte vor, die Lernende z. B. in eigenständigen Recherchen und nachfolgenden Prä‐ sentationen oder Inszenierungen unternehmen können - in Gruppenarbeit und ohne Schwellenängste gegenüber Nachschlagewerken. Literaturgeschichte(n) würde(n) so erlebbar und Text-Kontext-Dimensionen ohne Reduktion auf einen ‚Biografismus‘ der Autor*innen nachvollziehbar (vgl. Šlibar 2011: 85). Ein Nachschlagewerk, prädestiniert für ein solches Vorgehen, wäre z. B. die von David E. Wellbery u. a. herausgegebene Neue Geschichte der deutschen Literatur (2007). Sie steht für methodische Neuausrichtungen auch der Literaturgeschichtsschreibung. Ziel der gewählten Art der Darstellung von Literaturgeschichte ist es, einzelne Texte als „einzigartige Ereignisse“ (ebd.: 15) wahrzunehmen. Sie sollen nicht als „Veranschauli‐ chungen einer Macht, einer Neigung oder Norm - als Geist eines Zeitalters oder einer Nation, als Klassenvorliebe oder ästhetisches Ideal“, als „typisch für etwas“ betrachtet werden (ebd.). Vielmehr sollen „wirkliche Begegnungen“ mit Texten ermöglicht wer‐ den, da es diese Begegnungen sind, die letztendlich das „Erregende der Leseerfahrung“ ausmachen (ebd.). Literaturgeschichte wird als Netz von Ereignissen erzählt, in dem Lesende sich nach Belieben bewegen können. So verweist das Inhaltsverzeichnis nicht auf einzelne Epochen, Dekaden oder Autor*innen sondern formuliert (im besten Fall Neugier erzeugende) Stichworte wie 1647. Dramaturgie des Reisens, 1804. Die Nacht der Phantasie oder Januar 1931. Irmgard Keun und die ‚Neue Frau‘. Jeder Eintrag beginnt mit einem Datum und einer historischen Schlagzeile; er endet mit Vorschlägen, welche weiteren Einträge im Kontext gelesen werden könnten. 33 2 Literaturdidaktik - Literaturwissenschaft Textbeispiel Unter dem Eintrag Januar 1931 zum Beispiel begegnen Lesende nach der Schlag‐ zeile Reichskanzler Brüning beruft eine Expertenkommission ein, um über die sich verschärfende Wirtschaftskrise zu beraten der Hauptfigur Gilgi aus Irmgard Keuns gleichnamigem, in jenem Jahr veröffentlichten Erfolgsroman Gilgi - eine von uns. Der Eintrag stellt ihr Verlangen nach Emanzipation und Geborgenheit, ihre alltäglichen (Überlebens-)Kämpfe in der Großstadt in den sogenannten Goldenen Zwanzigern, aber auch die desaströse wirtschaftliche Situation sowie den Medien- und Kulturbetrieb der Zeit vor; gleichzeitig werden Merkmale eines neusachlichen Schreibens expliziert. Vom Januar 1931 aus können Lesende zurückblättern zu 1670 Hermaphroditismus und Geschlechterkampf, 8. Februar 1765 „Papierene Mädchen erziehen“ und das private Leben meistern, Februar 1848 Die Neuerfindung eines Genres und Oktober 1924 Modernismus und Hysterie, aber auch nach vorn zu 30. Juni 1937 Schauspiel der Verunglimpfung und 1963 Liebe als Faschismus. So können abhängig von den individuellen Lektüren verschiedene Literaturge‐ schichtserzählungen entstehen, deren Grundlagen auch Zufälle, Anekdotisches und exemplarische Bezugnahmen bilden. Ein solches Umgehen mit literarischen Texten möchten wir mit dem Konzept des Arbeitens mit Textnetzen auch für das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache empfehlen (→ Kap. 10, 18). Einen anderen Zugang zu literarischen Texten über neuere Konzeptionen von Literaturgeschichte bietet die 2017 von Sandra Richter publizierte Weltgeschichte der deutschsprachigen Literatur. Ihr Ziel sind Aufschlüsse darüber, „wie deutschspra‐ chige Literatur in der Welt wahrgenommen wird“ (Richter 2017: 18). Anhand von „Fallbeispielen und ausgewählten Erzählungen“ mustert die Autorin „Verbreitungsfor‐ men und Verbreitungswege“ von Literatur sowie ästhetische und ethische Wertungen als Momente der Wahrnehmung und Deutung (ebd.). Textbeispiel Rainer Maria Rilke zum Beispiel erscheint in dieser Perspektive als „Vierländer‐ dichter“ und „poeta touristicus“, der durch die Alpen und Italien, nach Ägypten, Schweden und mehrmals nach Russland reiste (vgl. ebd.: 275). Er schrieb auf Deutsch und Französisch, äußerte sich auch auf Russisch (vgl. ebd.). Weltweit rezipiert wurde besonders sein Spätwerk: Die Duineser Elegien (1923) zum Beispiel wurden ab 1927 zunächst ins Japanische, Polnische, Tschechische und Englische übersetzt; heute sind sie in allen Ländern Nord- und Südamerikas, Europas sowie in vielen asiatischen Ländern in entsprechenden Übersetzungen verbreitet (vgl. ebd.: 277 ff.). Zu Intertexten wurden die Elegien etwa für das literarische Bekennt‐ nis Einsiedler [Otšelnik] (1929) des bulgarischen Symbolisten Teodor Trajanov und für die Erzählung The Hungry Tide (2004) von Amitav Ghosh aus Indien. 34 2 Literaturdidaktik - Literaturwissenschaft Mit einer solchen Betrachtungsweise wird deutschsprachige Literatur als Hybrid gekennzeichnet, das sich (inter-)regional, europäisch und global entfaltet und mehrsprachig ist (vgl. Richter 2017: 19 f.). Gleichzeitig rücken die Lesenden in den Fokus. Denn es liegt weniger an einem „Text selbst, wie er wahrgenommen und gedeutet wird, als an seinen Lesern, ihren Interessen und Deutungsgewohnheiten“ (ebd.: 21). Ein solches Konzept ist einerseits in seiner Fokussierung auf die Lesenden anschluss‐ fähig an Diskussionen im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (→ Kap. 20), andererseits eröffnet es neue Dimensionen einer Literaturbetrachtung, die für das Fach von Bedeutung sind. In den Fokus rücken Phänomene wie die Vernetzung von Texten (→ Kap. 10), Intertextualität und Intermedialität (→ Kap. 11), Mehrsprachigkeit (→ Kap. 13), aber auch Übersetzungen als Aneignungen, verschiedene Kultur- und Wissenschaftsbetriebe, Zeitenwenden, zivilisatorische (Auf-)Brüche sowie globale Literaturentwicklungen und ein Global Mainstream oder Western Canon (vgl. ebd.: 467-480). 35 2 Literaturdidaktik - Literaturwissenschaft 3 Gibt es einen Kanon? Braucht man einen eigenständigen Kanon für „Deutsch als Fremdsprache“? fragte Hart‐ mut Eggert in einem so betitelten Aufsatz 1995, um diese Frage anschließend vorrangig mit Blick auf das Fach Deutsch als Fremdsprache und die internationale Germanistik zu diskutieren und letztendlich zu verneinen. Entscheidend ist dabei das Wörtchen „einen“: Den einen, starren, über längere Zeit gültigen Kanon für ‚das‘ Fach Deutsch als Fremdsprache oder ‚die‘ internationale Germanistik kann es nicht geben. Von Lehr‐ kräften wird immer unter regional-, institutionen- und gruppenspezifischen Aspekten sowie curriculum- und prüfungsbezogen erwogen werden, welche literarischen Texte für Lehre und Unterricht geeignet erscheinen. In den frühen Debatten um die Auswahl literarischer Texte für den Unterricht Deutsch als Fremdsprache waren einige Diskussionsfelder der 1970er Jahre um einen Kanon für den schulischen (Deutsch-)Unterricht in der Bundesrepublik wiederzuer‐ kennen. Sie scheinen weiterhin relevant zu sein. Es ging und geht um Fragen wie ■ moderne vs. ältere Texte ■ Weltliteratur vs. Nationalliteratur ■ Trivialliteratur vs. hohe Literatur ■ Gebrauchsliteratur vs. Dichtung ■ verschüttete und unterdrückte Literatur vs. etablierte Literatur (vgl. Eggert 1995: 199 f.). Von ‚einem‘ Kanon wird dabei kaum gesprochen, haben die literaturwissenschaftlichen und -didaktischen Debatten seit den 1970er Jahren doch einerseits zu verschiedenen Erweiterungen eines traditionellen (Bildungs-)Kanons und andererseits zu einer äu‐ ßerst kritischen Reflexion des Kanon-Begriffs an sich geführt. Erst in jüngerer Zeit scheinen Kanon-Debatten wieder eine Konjunktur zu erleben. In ihrem Mittelpunkt steht die Frage, was Literatur im digitalen Zeitalter eigentlich sei und welche Bedeutung sie haben könne (→ Kap. 1). Einem literarischen Kanon wird dabei eine mögliche Ori‐ entierungs-, Ordnungs- und (Be-)Wertungsfunktion in der Menge der in verschiedenen medialen Formaten edierten Texte zugeschrieben. Was sich hier in aller Kürze zusammengefasst findet, ist das Ergebnis eines langen Prozesses (vgl. zur folgenden Skizze Ackermann 2001: 1346-1350, Ewert 2010: 1555- 1560, Winko 2013: 363): ■ Anfänge Der Begriff „Kanon“ selbst (griech.: Regel, Maßstab, Richtschnur; urspr. Schilf‐ rohr, Messrute) ist bereits in der Antike bekannt, auch die damit bezeichnete Vorstellung eines Gemeinsamen und Verbindlichen. So wurde er verwendet, um eine Sammlung von Regeln eines Fachgebiets, eine Sammlung von Texten oder auch bestimmte Ziel- und Idealvorstellungen zu bezeichnen und implizierte von Anfang an die Dimension des Normativen (vgl. Ackermann 2001: 1346, Ewert 2010: 1555). Im 2. Jahrhundert vor Chr. fanden sich im griechisch-römischen Bereich auch bereits Listen mit Namen von wichtigen Autoren - Dichtern, Rednern, Philosophen, Historikern -, die als Vorbilder galten. ■ Theologie als Vorbild War das Kanonkonzept später zunächst vor allem in der Theologie produktiv aufgenommen worden - als Zusammenstellung der Texte, die für den christlichen Glauben als verbindlich galten - legte in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Pierre-Daniel Huet (1630-1721), Bischof von Avranches, eine Sammlung von Weltliteratur vor, die als der erste moderne Kanon gelten kann. Zunächst unter dem Titel Traité de l’origine des romans erschienen, wurde sie zwar ins Deutsche übersetzt, fand aber wenig Aufmerksamkeit. Eine Zusammenstellung von klas‐ sischen griechischen und lateinischen Texten, die der Göttinger Altphilologe und Pädagoge David Ruhnken (1723-1798) im 18. Jahrhundert als Schulkanon zusammenstellte, war dagegen erfolgreich. ■ Materialer Kanon und Deutungskanon Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts spricht man von einem literarischen Kanon, als der „gewöhnlich ein Korpus literarischer Texte bezeichnet [wird], die eine Trägergruppe, z. B. eine ganze Kultur oder eine subkulturelle Gruppierung, für wertvoll hält, autorisiert und an dessen Überlieferung sie interessiert ist“ (Winko 2013: 363). Dabei stehen ein materialer Kanon, eben dieses Korpus literarischer Texte, und ein Deutungskanon, ein Korpus von Interpretationen, in dem aufge‐ hoben ist, welche Deutungen und Wertvorstellungen mit den kanonisierten Texten verbunden werden können, nebeneinander (ebd.). Beide sind z. B. für den Prozess der Nationenbildung im 19. Jahrhundert, für die Implikation einer Identifikation mit der Nation bzw. mit dem (neuen) Nationalstaat relevant. ■ Nationale Literaturgeschichtsschreibung und bildungsbürgerliche Vor‐ stellungen Im 19. Jahrhundert entwickelten sich mit der nationalen Literaturgeschichtsschrei‐ bung und der Herausbildung des Bildungsbürgertums die Vorstellungen und Praxen des Kanonkonzepts, die dann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die Kritik gerieten wegen der Ausschlussmechanismen und hierarchischen Strukturen, die sie beförderten. Insbesondere die herausragende Stellung, die den Texten der Weimarer Klassik zugeschrieben wurde, führte einerseits dazu, dass andere Texte automatisch zu Vorläufern oder Nachahmern degradiert wurden, und andererseits dazu, dass Autor*innen ausgeschlossen wurden, auch solche, deren Texte heute selbstverständlich als lohnende Lektüren gelten (vgl. Ewert 2010: 1555, 1558). ■ Kritik am Kanon In den 1960er Jahren werden der „Allgemeinverbindlichkeitsanspruch“ und die damit verbundenen Implikationen von „Hierarchie, Ausschließlichkeit und 38 3 Gibt es einen Kanon? Nicht-Zugehörigkeit“ (Ewert 2010: 1556) des bildungsbürgerlichen und akademi‐ schen Kanons kritisiert als „Machtinstrument“, das „bloß gesellschaftliche Partialinteressen verkörpere“ statt „alle Teile der Gesellschaft demokratisch zu repräsentieren“ sowie als „eine Form von Zensur“, die „der implizierte Ausschluss von Werken aus der literarischen Tradition einer Gesellschaft“ darstelle (ebd.: 1557). Die Diskussionsfelder, die sich entwickelten - etwa die oben bereits genannten Felder: Schwerpunkt auf der Gegenwartsliteratur, Abwertung der soge‐ nannten Nationalliteratur, Einbeziehung von Trivial- und Unterhaltungsliteratur, Berücksichtigung verschiedener Textarten und Genres, Verwendung verschiede‐ ner medialer Formen - lassen sich mit Ackermann (2001) unter dem Stichwort „Entkanonisierung ‚klassischer‘ Literatur“ (ebd.: 1349) fassen. ■ Ideologiekritische Ansätze Daneben finden sich zwei weitere Diskussionszusammenhänge, die den Kanon in Frage stellen: ab den 1970er Jahren „[i]deologiekritische Ansätze“ (ebd.) sowie ab den 1980er Jahren „[f]eministische Positionen“ (ebd.). Dabei geht es insbesondere in der US-amerikanischen Diskussion ausgehend von der Kategorientrias race, class, gender (vgl. ebd., Ewert 2010: 1559) um die Ausarbeitung und Etablierung eines Gegenkanons. Darüber hinaus steht das Konzept Kanon grundsätzlich in der Kritik im Rahmen von Positionen, die auf eine „Entkolonialisierung des Kanons“ und eine „Entkanonisierung“ überhaupt zielen (Ackermann 2001: 1349, kursiv i. O.). Der literarische Kanon wird kritisiert als „Aushängeschild kul‐ tureller Hegemonieansprüche einer europäisch geprägten weißen Bürgerschicht“, als einer eurozentrischen Perspektive verpflichtet, die eine Einschränkung auf bestimmte Autoren - zugespitzt in der Formulierung von den „DEAD WHITE MALES“ (Volkmann 2017: 214, Hervorh. i. O.) - zur Folge hat. ■ Feministische Ansätze Die feministische Literaturwissenschaft hat die Aufnahme von Autorinnen in die Literaturgeschichten, Leselisten an Universitäten und Schulcurricula einge‐ fordert und die „Rekonstruktion weiblicher literarischer Traditionen“ (Ewert 2010: 1558). Dabei ging es nicht darum, den Kanon zu ergänzen, sondern die Prozesse, die zu Kanonisierung führen, zu hinterfragen und zu verändern, also auch um eine „Neuformulierung literaturhistorischer Prinzipien“ (ebd.). Auch die kritische Analyse von „Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionen und -entwürfen“ zielte darauf, Schreib- und Lesegewohnheiten in ihren problematischen Verstri‐ ckungen sichtbar zu machen (vgl. ebd.). Diese Diskussionen desavouierten aus verschiedenen Perspektiven den vorhandenen Kanon und zeigten die komplexen Kanonisierungsprozesse und ihre Ausschlussverfahren gesellschaftlich „nicht-do‐ minanter Kulturen und Gruppierungen“ (ebd.). Angesichts dieser vehementen Kritik stellt sich die eingangs zitierte Frage, die auch Ackermann an den Anfang ihres Artikels stellt „Brauchen wir noch einen Kanon? “ (2001: 1346). Die pragmatische Antwort darauf, die sich nach der grundlegenden Kritik und Abwendung von Begriff und Konzept ab den 1960er Jahren als Praxis in 39 3 Gibt es einen Kanon? den verschiedenen Bildungsinstitutionen und im Literaturbetrieb entwickelt hat, ist die Arbeit mit einer Pluralität von heterogenen, offenen und dynamisierten Formen von Leselisten und Kanones. Wie Ewert (2010: 1599) schreibt, bietet sich „im Nebeneinander von Sub-, Gegen- und Alternativkanones“ ein „kreatives Potential“ für Forschung, akademische Lehre und (Schul-)Unterricht an. Aus der Perspektive des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache konturieren sowohl Ackermann in ihrem Beitrag im Handbuch Deutsch als Fremdsprache (2001: 1351 f.) als auch Ewert in seinem Beitrag in der zweiten Ausgabe des Handbuchs (2010: 1560 ff.) die Rolle der sogenannte. „Gastarbeiter-“, „Ausländer-“, „Migranten-“ und „Migrationsliteratur“ bzw. der interkulturellen Literatur (→ Kap. 8, 13) für Fragen des literarischen Kanons. Denn auch die zunehmende und zunehmend selbstverständ‐ lichere Aufmerksamkeit für Texte, die lange Zeit diese Zuschreibungen erfahren haben und z.T. immer noch erfahren, führte und führt zu Textzusammenstellungen jenseits des oben skizzierten traditionellen Kanonverständnisses und stellt so das Konzept an sich in Frage. Immer wieder wird darauf verwiesen, dass die Arbeit mit entsprechenden Texten unter Rückgriff auf einen „offenen, prozessualen und dialogischen Kulturbegriff “ (Ewert 2010: 1560) die Auseinandersetzung mit zentralen Aspekten der Gegenwart wie u. a. Alterität, Hybridität, postkolonialer Kritik und Globalisierungsprozessen ermöglicht. Nach diesem kurzen Blick auf die Entwicklung von Begriff und Konzept sowie auf die verschiedenen kritischen Positionen der intensiven Diskussionen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wäre für unseren Zusammenhang festzuhalten: Ein Kanon entsteht nicht, indem Texte aufgrund gewisser zeitloser literarischer Qualitäten in ihm positioniert werden; er ist vielmehr ein variables Ergebnis vielfältiger Deutungs-, Identifikations- und Auswahlprozesse, in denen inner- und außerliterarische Faktoren eine Rolle spielen (vgl. Winko 2013: 363). Literaturwissenschaft, Literaturgeschichts‐ schreibung und -kritik spielen in Prozessen der Kanonisierung ebenso eine Rolle wie verschiedene öffentliche und private Institutionen und Unternehmen: Schulen, Schul‐ ämter und Kultusministerien, Universitäten, Hoch- und Fachschulen, Archive, unter entsprechenden politischen Umständen Zensurbehörden (die von ihnen indizierten Texte können auch einen Negativ- oder Gegen-Kanon bilden), Verlage, Buchhandel und Bibliotheken, Theater, Filmproduktions- und -verleihfirmen, Presse, Rundfunk und Fernsehen sowie literarische Gesellschaften, Literaturhäuser, Literaturagent*innen, Übersetzer*innen und Mittlerorganisationen, auch der Auswärtigen Kultur- und Bil‐ dungspolitik. Die Kanonisierung literarischer Texte ist immer als dynamischer Prozess zu betrachten. Als solcher unterliegt er andauernden und immer neuen gesellschaftlichen Debatten um Traditionsbegriffe, Geschichtserzählungen und Gedächtnisinhalte, um Generationenverständnisse und -identifikationen, um geschlechtliche, ethnische und sprachliche Identifikationen, um Literaturbegriffe und literaturwie kulturwissen‐ schaftliche Innovationen. Er ist geprägt von steten Infragestellungen, Erweiterun‐ gen und Revisionen. Erst die Wirkungsgeschichte von literarischen Texten, oft bei 40 3 Gibt es einen Kanon? ihrem Erscheinen nicht absehbar und auch nicht nur von ihrer literarischen Qualität abhängig, entscheidet über deren mögliche (temporäre) Kanonisierung. Auch der Kanon selbst zeigt in diesem dynamischen Prozess Wirkungen, repräsentiert er doch grundlegende Begriffe von Traditionen, Geschichte, Wissenschaft und gesellschaftli‐ chen Identifikationen, die ggf. in Frage gestellt werden (müssen). Einen verbindlichen, feststehenden Kanon literarischer Texte gibt es also weder für den (schulischen) Un‐ terricht von Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremdsprache noch für die (inter-)nationale Germanistik und die Ausbildung von Lehrkräften. Gleichzeitig haben Kanon-Debatten immer eine Bedeutung für das Selbstverständ‐ nis und die Entwicklung von (akademischen) Fächern, für (Selbst-)Vergewisserungen und Innovationen. In der Auseinandersetzung mit Begriffen von Literatur, (nationaler) Tradition, Geschichte und Gedächtnis, Bildung, Wissen und Wissenschaft werden gesellschaftliche und ästhetische Positionen verhandelt. Welche Auswirkungen auf den Kanon, also auf eine Zusammenstellung von Texten, unterschiedliche Fassungen von Literatur- und Genrebegriffen haben, sei hier an einem Beispiel skizziert: In ihrer Einführung Literaturdidaktik (2016) verstehen Leub‐ ner/ Saupe/ Richter Textarten wie Briefe, Essays, Reiseberichte oder Autobiografien als „literaturnahe Sach- und Gebrauchstexte“, die auch „als eine vierte Gattung der Literatur neben der Dramatik, Lyrik und Epik aufgefasst werden“ können (vgl. ebd.: 265). In anderen Grundlagenwerken dagegen - wie z. B. Klausnitzers Einführung Literaturwissenschaft (2012) - werden diese Textarten nicht nur als ‚literaturnah‘ bezeichnet, sondern der Literatur zugerechnet (→ Kap. 1), eine Position, die auch in weiten Teilen der Diskussion in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (vgl. Ewert/ Ried‐ ner/ Schiedermair 2011b: 8, Grimstein/ Hille 2018: 209) und in diesem Band vertreten wird (→ Kap. 10, 20). Neue Kanonisierungstendenzen sind in der gegenwärtigen Informations- und Wissensgesellschaft vielfach zu beobachten, wird von Leser*innen angesichts der großen Menge der in verschiedenen medialen Formaten ständig edierten Texte doch oft ein Kanon gewünscht - als ein Kompass zur Orientierung. Sie stellen (sich) Fragen wie diese: ■ Welche Texte lohnt es sich zu lesen? ■ Welche Autor*innen haben (mir) etwas zu sagen? ■ Welche Texte werden gelesen und diskutiert? Wo und wie werden sie rezipiert? Möglichkeiten zur Orientierung, auch für Lehrkräfte, bieten beispielsweise Nomi‐ nierungen für Literaturpreise, etwa die Long- und Shortlist für den Deutschen Buchpreis, mit dem jeweils der deutschsprachige „Roman des Jahres“ ausgezeichnet wird, oder die Nominierungsliste für den Deutschen Jugendliteraturpreis, mit dem jährlich in den Sparten Bilderbuch, Kinderbuch, Jugendbuch und Sachbuch deutsch‐ sprachige oder aus einer Fremdsprache ins Deutsche übersetzte Titel geehrt werden. Auch die Nominierungen für den Ingeborg-Bachmann-Preis und die Schweizer Literaturpreise können als Anregung dienen. Leicht zugänglich sind die Informa‐ 41 3 Gibt es einen Kanon? tionen auf den jeweiligen Webseiten der Preise (http: / / www.deutscher-buchpreis.de, https: / / www.jugendliteratur.de, https: / / bachmannpreis.orf.at, https: / / www.schweizer kulturpreise.ch). Auch Publikationsprojekte sollen Auswahl und Orientierung für Leser*innen bieten: etwa die Berlin-Bibliothek der Berliner Zeitung (2007), in der 25 der ‚besten‘ Berlin-Romane des 20. Jahrhunderts herausgegeben wurden, auch in Übersetzungen; die Bibliothek der Süddeutschen Zeitung, in der ‚große‘ Romane des 20. Jahrhunderts erschienen sind, nicht nur aus dem deutschsprachigen Raum; oder das Publikations‐ projekt des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki Der Kanon. Die deutsche Literatur, in dem in verschiedenen Bänden (2002-2006) ausgewählte Romane, Erzählungen, Dra‐ men, Gedichte und Essays erschienen. Herausgaben wie die von Marcel Reich-Ranicki sind, schon im Titel erkennbar, explizite Kanonisierungsversuche. Sie entstehen auch mit dem Anliegen, Studierenden, Bibliothekar*innen, Lehrer*innen und anderen Personen, die sich professionell mit Literatur beschäftigen, Orientierung und einen schnellen und unkomplizierten Zugang zu den Texten zu bieten. Entsprechend ist auch der Filmkanon zu bewerten, der 2003 von der Bundeszentrale für politische Bildung mit dem Ziel erstellt wurde, die schulische Förderung von Filmkompetenz zu intensivieren. In ihm sind 33 Spielfilme und zwei Dokumentarfilme verzeichnet, die einen repräsentativen Einblick in die internationale Filmgeschichte des 20. Jahr‐ hunderts ermöglichen sollen (http: / / www.bpb.de/ lernen/ projekte/ filmkanon). Nicht mit dem gleichen Anspruch auf Kompetenzentwicklung, aber auch mit einem Bil‐ dungsanspruch versammelt die Cinemathek der Süddeutschen Zeitung die ‚Klassiker‘ der Filmgeschichte. Der Berliner Tagesspiegel gab zum 30-jährigen Jubiläum der Deutschen Einheit eine Liste der zwölf wichtigsten Filme über die DDR, den Mauerfall und die Einheit heraus. Für die eigene Lektüre wie für die Arbeit mit literarischen Texten kann man sich auch im Internet auf Seiten wie lyrikline.org und zehnseiten.de inspirieren lassen oder beim Blick auf die Spielpläne der Theater und die Programmübersichten der Literaturhäuser; etwa in Leipzig (www.literaturhaus-leipzig.de), Hamburg (www. literaturhaus-hamburg.de), Wien (www.literaturhaus.at) oder Zürich (www.literatur haus.ch). Orientierung bieten auch die Feuilletons der großen Zeitungen mit ihren literarischen Rezensionen, Theater- und Filmkritiken, die man z.T. auch digital im Netz finden kann. Neben den verschiedenen Akteuren des Literaturbetriebs bieten auch die philologi‐ schen Wissenschaften Orientierung mit ihren Nachschlagewerken, Fachzeitschrif‐ ten und anderen Publikationen: Zu nennen wären etwa das Kritische Lexikon der Gegenwartsliteratur (KLG) und der fremdsprachigen Gegenwartsliteratur (KLfG), die als lose Blattsammlungen kontinuierlich erweitert und aktualisiert werden und auch online einsehbar sind. Lektürevorschläge bietet auch die Rubrik Lektürespuren in der Zeitschrift Zielsprache Deutsch, die damit als einzige der Fachzeitschriften für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Gegenwartsliteratur explizit als einen ihrer Gegenstandsbereiche wählt. Seit Heft 1/ 2011 wird in jeder Ausgabe eine literarische 42 3 Gibt es einen Kanon? 1 Bei Klausnitzer steht 2007, der Roman ist aber 2008 erschienen. 2 Vgl. auch den Band von Griese/ Kerscher/ Meier et al. (2002): Die Leseliste. Kommentierte Empfehlun‐ gen. 3 Hallet verweist hier auf J. Assmann (1988: bes. 14) und Baßler (2002: 21 ff.). Neuerscheinung auf zwei bis drei Seiten kommentiert; so ist inzwischen ein Fundus von über dreißig Texten entstanden. Auch in Publikationen im Bereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, in den Fernstudieneinheiten sowie in Lehrwerken und Materialsammlungen finden sich literarische Texte und Hinweise auf literarische Texte. Es fragt sich, ob solche Sammlungen in ihrer Heterogenität kanonisierende Funktion haben. Hier sollen sie allenfalls als unverbindliche Lektüreempfehlungen verstanden werden, keinesfalls als Literatur- oder Lektürekanon, die Ackermann (2001) wie folgt bestimmt: Zu unterscheiden ist […] einerseits der Typ des Literaturkanons als ‚heimlicher Kanon‘, der, obwohl nicht greifbar vorliegend, das wissenschaftliche und gesellschaftliche Bewusstsein von Literarizität bestimmt und kulturelle Identität prägt, andererseits der Typ des Lektü‐ rekanons, in dem für die jeweiligen Adressaten und für bestimmte Ziele (Studiengänge und Lehrpläne, Prüfungsanforderungen, Bildungsansprüche) Literaturlisten als verbindliche Lektürelisten oder Lektüreempfehlungen (z. B. ‚Die hundert besten Bücher‘) aufgestellt werden. (ebd.: 1347, Hervorh. i. O.) Auch Ralf Klausnitzer präsentiert in seiner Einführung Literaturwissenschaft (2012), die sich vorrangig an Studierende richtet, auf zwölf Seiten Lektüreempfehlungen für das Studium der germanistischen Literaturwissenschaft; die Liste „impliziert“ jedoch „keinen Kanon, sondern soll Anhaltspunkte für die Auswahl eigener Lektüren bieten“ (ebd.: 438). Chronologisch und nach Jahrhunderten geordnet bietet er eine Liste mit Titeln zur älteren deutschen und zur neueren deutschen Literatur, die für das 21. Jahrhundert u. a. Lutz Seilers Gedichtband Pech und Blende (2000) und Terézia Moras Roman Alle Tage (2004) enthält und mit den Romanen Die Vermessung der Welt (2006) von Daniel Kehlmann (→ Kap. 6) und Der Turm (2008) 1 von Uwe Tellkamp endet. 2 Will man Fragen des Kanons und der Kanonisierung mit Lernenden reflektieren, kann man auch auf literarische Texte zurückgreifen, die selbst - explizit oder implizit - Kanonisierungsprozesse beobachten. So schlägt Wolfgang Hallet (2004: 227) für den fremdsprachlichen Englischunterricht die Arbeit mit Nick Hornbys Roman High Fidelity (1995) vor, dessen Protagonist Rob Fleming fortlaufend ‚bedeutsame‘ Texte, d. h. Popsongs für seine top five lists zusammenstellt. Damit tritt er auch „in einen Diskurs darüber ein, ob und warum ein bestimmter Text in einer bestimmten Weise kanonisiert werden, also Aufnahme in das kulturelle Archiv einer Gesellschaft finden soll“ (Hallet 2004: 226 f.). 3 43 3 Gibt es einen Kanon? 4 Zur germanistischen Diskussion zum Kanon vgl. auch den Band von Beilein/ Stockinger/ Winko (Hrsg.): Kanon, Wertung und Vermittlung. Literatur in der Wissensgesellschaft (2012). Textbeispiel Der Protagonist Christian Hoffmann in Uwe Tellkamps Bildungsroman Der Turm (2008) dagegen erspart sich den Umweg der Reflexion und des selbstbestimmten Auswählens. Auf dem Bildungsweg bzw. dem ‚Weg des Paukens‘, den er sich selbst als 17-jähriger Gymnasiast im Internat Waldbrunn im Erzgebirge verordnet hat, zählt er eine ganze Reihe an literarischen Texten von Mark Twain und Jules Verne über Goethe und Thomas Mann zu Tolstoi und Dostojewski auf, die es zu lesen gelte für das Ziel, ein „großer Mensch“ zu werden (Tellkamp 2008: 152 ff.), vor allem aber fokussiert er auf die Quantität, nimmt sich die tägliche „Lektüre von mindestens einem Kapitel Weltliteratur“ (ebd.: 153) vor, „500 Seiten mußten es an freien Tagen sein“ (ebd.: 155). Selbstverständlich und unhinterfragt erscheint ihm, welche Bücher man gelesen haben müsse, sein Lesen ist eine unreflektierte Fortführung des Kanonisierungsprozesses, kein selbstbestimmtes Reflektieren über die persönliche Lektüre bereits kanonisierter oder nicht-kanonisierter Texte. Weit entfernt von solchen quantitativen Eskapaden ist der Internatsschüler in Rosenheim im Alpenvorland, der 16-jährige Benjamin, der in dem Roman Crazy (1999) von Benjamin Lebert mit seinen Freunden eines Abends unerlaubt das Internat verlässt. Auf der gemeinsamen Zugfahrt nach München liest er ihnen aus Ernest Hemingways Der alte Mann und das Meer (1952) vor. Die Schüler sind begeistert, räsonieren über ihr eigenes Leseerlebnis und darüber, was gute Literatur ausmache. Dabei wird klar, dass sie selbst bisher überhaupt nur ein oder zwei Bücher gelesen haben. Beide - Christian und Benjamin - sind nicht innovativ, sie orientieren sich am Kanon und schreiben ihn fort, ohne sich der Prozesse bewusst zu werden, in die sie mit ihrem Lesen involviert sind. Und - so könnte man fortfahren - indem wir diese Texte lesen, werden auch wir als Lesende in die weitere Kanonisierung der in den Romanen genannten Texte involviert. Ein solcher Prozess lässt sich als invisible hand-Phänomen verstehen, wie es von Simone Winko für die Bildung eines Literatur-Kanons beschrieben wird (Winko 2002: 11): Niemand hat ihn absichtlich so und nicht anders zusammengesetzt, dennoch haben viele ‚intentional‘ an ihm mitgewirkt. […] Er resultiert aus zahlreichen einzelnen Handlungen (Mikroebene), die jede für sich einen anderen Zweck haben als den, einen Kanon zu bilden, und die unter Ausnutzung allgemeiner Prämissen einen Prozess in Gang gesetzt haben, der ihn (auf der Makroebene) dennoch entstehen lässt. 4 Man könnte das auch kritisch (oder affirmativ) auf den vorliegenden Band beziehen - auch er kann sich diesem Prozess nicht ganz entziehen. Bei einer ‚kanonsensiblen‘ 44 3 Gibt es einen Kanon? 5 Vgl. Kramsch/ Huffmaster (2008), Dobstadt (2009), Neidlinger/ Pasewalck (2011). 6 Vgl. Krusche (1982, hier 1993c), Rug/ Tomaszewski (2009), Schiedermair (2010a), Bürner-Kotzam (2011a). 7 Vgl. Dobstadt/ Riedner (2011a). 8 Vgl. Krusche (1982 und 2001), Riedner (2010b), Kramsch (2015), Wittmann/ dos Santos/ Weber et al. (2017) (→Kap. 19, 20). 9 Vgl. Schmidt/ Schmidt (2007), Kramsch (2011), Hille (2017). 10 Vgl. Rösch (2015), Euba/ Warner (2017). 11 Vgl. etwa Krusche (1987), Deutsch aktiv Neu 1C (1989), Mummert (2006: 266), Euba/ Warner (2017). Lektüre wird außerdem sichtbar, dass sich im Kontext Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in der fachwissenschaftlichen Diskussion wie in der unterrichtlichen Praxis eine Art ‚heimlicher Kanon‘ gebildet hat. So werden in den verschiedenen Ka‐ piteln dieser Einführung einige Texte immer wieder auftauchen, weil sie im Fach häufig für konzeptionelle Überlegungen sowie didaktische und methodische Vorschläge herangezogen werden. Das ist zunächst Goethes Wandrers Nachtlied (→ Kap. 6), 5 ebenso Franz Kafkas Gibs auf! (→ Kap. 6, 8, 20), 6 und Yoko Tawadas Von der Muttersprache zur Sprachmutter (→ Kap. 18). 7 Ähnliche Texte sind Günter Eichs Inventur (→ Kap. 6) 8 und Erich Kästners Als ich ein kleiner Junge war (→ Kap. 10). 9 Zunehmende Aufmerksamkeit erhält auch Wolfgang Herrndorfs Tschick (→ Kap. 18, 13). 10 Peter Bichsels Die Tochter  11 gehört ebenso wie Texte der Konkreten Poesie seit über dreißig Jahren zum Repertoire von Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache, ebenso häufig sind Texte wie Erich Kästners Sachliche Romanze, Wolfgang Borcherts Das Brot, Bertolt Brechts Die unwürdige Greisin, Heinrich Bölls Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral, Federica de Cescos Spaghetti für zwei oder Märchen wie Rotkäppchen zu finden. Insbesondere in den Kapiteln 6, 7 und 8 unserer Einführung, die eine auch historische Perspektive auf das Fach werfen, und in Kapitel 20 wird deutlich, wie in verschiedenen Materialsammlungen, Lehrwerken und Fernstudieneinheiten immer wieder ähnliche Texte verwendet werden. Wie Irena Samide (2020) zugespitzt formuliert, „werden über Jahrzehnte meist die gleichen Texte herangezogen, so scheint sich in der Praxis ein Kanon für den DaF-Unterricht herausgebildet zu haben“ (ebd.: 167). Samide weist insbesondere auf lyrische Texte hin, allen voran Gedichte der Konkreten Poesie wie von Ernst Jandl (→ Kap. 6, 7), aber auch Liebesgedichte von Erich Fried und „Unterrichtsklassiker wie Goethes Erlkönig oder Heinrich Heines Lorelei“ (ebd., Hervorh. i. O.). Auch Gedichte von Robert Gernhardt sind häufig zu finden. In ähnlicher Weise wird ein ‚Filmkanon‘ sichtbar - zu ihm gehören Filme wie Schwarzfahrer (1992, R: Pepe Danquart), Sonnenallee (1999, R: Leander Haußmann), Good Bye, Lenin! (2003, R: Wolfgang Becker) und Das Leben der Anderen (2006, R: Florian Henckel von Donnersmarck). Wichtig bleibt an dieser Stelle sicher noch festzuhalten, was Hartmut Eggert unter der Fragestellung Braucht man einen eigenständigen Kanon für „Deutsch als Fremdsprache“? schon 1995 formulierte: 45 3 Gibt es einen Kanon? „Was wir brauchen für den Literaturunterricht im Bereich ‚Deutsch als Fremdsprache‘, sind Kenner der deutschen Literatur und ihrer Geschichte, auch ihrer kanonischen Werke, damit sie gesprächsfähig und kooperationsbereit sind für Partner“ in aller Welt - „Was wir brauchen, sind aber auch Literaturvermittler, die über ein Bewußtsein von Kanonisierungsprozessen und der Wirkung von Kanones verfügen. Durch einen Kanon ist kein Bildungserlebnis dekretierbar […]. Ein Kanon ist ein Angebot zur kulturellen Auseinandersetzung […].“ (Eggert 1995: 207) 46 3 Gibt es einen Kanon? 1 Die Debatte in Österreich war erst drei Jahre später ähnlich intensiv, als das Land in der PISA-Studie nur auf Platz 19 gelangte. 2 Zur Entwicklung der Deutschdidaktik seit der PISA-Studie im Jahr 2000 vgl. Heft 1/ 2019 der Mittei‐ lungen des Deutschen Germanistenverbandes; darin auch der zitierte Beitrag von Becker-Mrotzek. Umfassende Informationen zu den PISA-Studien finden sich auf der Website www.pisa.tum.de [17.06.2021]; vgl. dort zur aktuellsten Studie von 2018 in digitalem Format den Band von Reiss et al. (2019). 4 Literaturdidaktik - Lesedidaktik Von der Literaturdidaktik zu unterscheiden ist, wenn auch natürlich nicht trennscharf, die Lesedidaktik (vgl. auch Würffel 2013). In ihrem Mittelpunkt stehen die produktive Gestaltung von (individuellen) Leseprozessen und die Förderung von Lesekompetenz, bezogen auf Sach- und Informationstexte wie auf literarische Texte. Die Lesedidaktik beruht auf Ergebnissen der (empirischen) L1-Leseforschung. Diese wurde ab den 1970er/ 1980er Jahren sowie nach der ersten Studie des Programme for International Student Assessment (kurz: PISA-Test) der Organisation for Economical Cooperation and Development (OECD) im Jahr 2000 noch einmal intensiviert. Die Studie im Jahr 2000 hatte vertieft die Lesefähigkeit getestet. Österreich erreichte Platz 10, die Schweiz Platz 17 und Deutschland lediglich Platz 21 bei insgesamt 32 teilnehmenden Ländern. Dieses Ergebnis wurde besonders in Deutschland in den Medien intensiv diskutiert und als Indikator für die Probleme des Bildungswesens verstanden. 1 Vom sogenannten „PISA-Schock“ war und ist bis heute die Rede. Er führte in der Deutschdidaktik zu inten‐ sivierten und modifizierten Forschungsaktivitäten und insgesamt zur Einführung von „Bildungsstandards“ und „zentralen Lernstandserhebungen“ sowie zur Orientierung an „Kompetenzzielen“ statt „Stoffzielen“ (vgl. Becker-Mrotzek 2019: 7). 2 Die Maßnahmen hatten zwar Erfolg. So erreichte Deutschland in den Studien von 2009 und 2018, bei denen ebenfalls die Lesekompetenz schwerpunktmäßig getestet wurde, deutlich bessere Ergebnisse. Dennoch sind weitere Förderungen in allen Altersstufen nötig. So ergaben Studien des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) für das Jahr 2016, dass „12 % der Schülerinnen und Schüler am Ende der Grundschule die Regelstandards im Lesen“ (Becker-Mrotzek 2019: 9) nicht erreichen. Das Lesen in der L1 und in der L2 stehen - das wird in bisherigen Studien deutlich - in engem Zusammenhang zueinander. Was ist Lesen? Lesen ist zunächst das Verstehen schriftsprachlicher Texte. Diese sind in der Regel linear; durch Medienentwicklungen in der Gegenwart gewinnt aber auch das Verstehen nichtlinearer Texte (→ Kap. 11) zunehmend an Bedeutung. 3 Vgl. dazu auch das Modell der Leseprozesse, das der PISA-Studie von 2018 zugrunde lag und das auf dem aktuellen Stand der Leseforschung entwickelt wurde, in Reiss et al. (2019: 29). Beim Lesen greifen zwei Vorgänge ineinander: der motorische Vorgang der Augen‐ bewegung, wobei sich die Augen in ständigen Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen befinden, und der kognitive Vorgang der Sinn- und Bedeutungsbildung. Wie verläuft der Leseprozess? Detaillierter betrachtet ist das Lesen ein komplexer interaktiver und konstruktiver Prozess, der auf zwei Teilprozessen beruht: dem Dekodieren und Wiedererkennen von grafischen Zeichen und Wörtern sowie der Bedeutungskonstruktion durch die Lesen‐ den. Im Verlauf des Prozesses kommt es, wie in der aktuellen Leseforschung voraus‐ gesetzt wird, zu interaktiven Wechselwirkungen zwischen beiden Teilprozessen. Von den Lesenden werden nicht nur grafische Zeichen (z. B. Buchstaben) identifiziert und zu Wörtern kombiniert, sondern auch semantische und referenzielle Zusammenhänge zwischen Wörtern, Sätzen und satzübergreifenden Bedeutungseinheiten hergestellt und damit mögliche Bedeutungen eines Textes konstruiert (vgl. Westhoff 1997: 46 ff., Bimmel 2002: 115). Für die Bedeutungskonstruktion und damit das Verstehen eines Textes sind nicht nur das Sprachwissen der Lesenden, sondern auch ihr Weltwissen und ihr Wissen um Textfunktionen von Bedeutung (Lindauer/ Schneider 2007: 110 f.). Es gibt verschiedene Modelle des Leseprozesses, in denen die zwei Teilprozesse - das Dekodieren und Wiedererkennen von grafischen Zeichen und Wörtern sowie die Bedeutungskonstruktion durch die Lesenden - unterschiedlich gewichtet werden. Außer Frage steht inzwischen jedoch, dass beide in interaktiven Wechselwirkungen zueinander stehen und in der Bedeutungskonstruktion durch die Lesenden Beziehun‐ gen zwischen Textsignalen, neuen Informationen und bereits vorhandenem Wissen hergestellt werden. 3 Der Leseprozess verläuft auf drei Ebenen, die nicht vollständig voneinander zu trennen sind. Während auf der Wortebene die Phonem-Grafem-Zuordnung und die Worterkennung erfolgen, werden auf der Satzebene sogenannte Propositionen, d. h. kleinere semantische Einheiten analysiert; es kommt zu lokalen Kohärenzbildungen. Auf der Textebene erfolgen globale Kohärenzbildungen; unter Rückgriff auf Textar‐ tenkenntnisse können Makrostrukturen gebildet und auch Darstellungsstrategien und mögliche Textintentionen erkannt werden. In der kognitionspsychologisch orientierten Leseforschung werden im Anschluss an grundlegende Studien seit den 1970er Jahren hierarchie-niedrige bzw. hierar‐ chie-höhere Teilprozesse des Lesens unterschieden. Als hierarchie-niedrig gelten Prozesse wie die Worterkennung sowie die syntaktische und semantische Analyse von Wortfolgen; als hierarchie-höher gelten Prozesse wie die satzübergreifende Analyse von Textstrukturen und die Herstellung globaler Kohärenz unter Rückgriff auf bereits 48 4 Literaturdidaktik - Lesedidaktik vorhandenes Weltwissen. Den PISA-Tests und dem in ihnen modellierten Begriff von Lesekompetenz liegt die Unterscheidung von textimmanenten und wissensbasierten Verstehensleistungen zugrunde (Hurrelmann 2007: 23). Fasst man das Lesen nicht vorrangig kognitionstheoretisch, sondern in der weiteren kulturwissenschaftlichen und bildungstheoretischen Perspektive etwa der Lesesozia‐ lisationsforschung als „konstruktiven Akt der Bedeutungszuweisung zu einem Text“ (Hurrelmann 2007: 24) auf, wird deutlich, dass neben den genannten Prozessen auch motivational-emotionale und kommunikativ-interaktive Dimensionen zu berück‐ sichtigen sind. Die motivational-emotionale Dimension umfasst die Mobilisierung positiver Erwartungen gegenüber dem Lesen an sich oder den ausgewählten Texten, die erfolgreiche Überwindung von Schwierigkeiten beim Lesen, das Involviertsein beim Lesen (Neugier, Spannung, Genuss) und die Ausbalancierung der entstehenden Gefühle. In der kommunikativ-interaktiven Dimension ist der Austausch mit anderen über das Gelesene, oft auch als Anschlusskommunikation bezeichnet, aufgehoben (Hurrelmann 2007: 24). Motivierend können hier Lektüregespräche sein, die alle Beteiligten als gleichwertige Gesprächsteilnehmer*innen verstehen, wie es etwa im Heidelberger Modell des literarischen Unterrichtsgesprächs vorgesehen ist (vgl. dazu Steinbrenner et al. 2014, Mayer 2017, Heizmann 2018). Die Lesesozialisation (in der Familie, im Freundeskreis, in Schule, Ausbildung und Studium) ist natürlich auch ein Aspekt, der das Lesen beeinflusst. Zur fremd- und zweitsprachlichen Lesesozialisation liegen bislang kaum Forschungsergebnisse vor. Angenommen wird jedoch, dass die muttersprachliche Lesesozialisation auch Einfluss auf das fremd- und zweitsprachliche Lesen hat: Einstellungen zum Lesen, Erfahrungen und Wertschätzungen werden übernommen (Biebricher 2008: 14). Was unterscheidet das Lesen in der L2 vom Lesen in der L1? Prozesse wie die Worterkennung und die syntaktische wie semantische Analyse von Wortfolgen verlaufen bei kompetenten Leser*innen in der L1 weitgehend automati‐ siert. Sie erreichen so eine hohe Lesegeschwindigkeit, auch „Leseflüssigkeit“ genannt. Prozesse wie die satzübergreifende Analyse von Textstrukturen und die Herstellung globaler Kohärenz verlaufen weniger automatisiert. Auch kompetente Leser*innen (in der L1) stehen hier vor immer neuen Herausforderungen, bedingt etwa durch die Komplexität eines Textes, durch semantische Leerstellen oder Textinformationen, die kaum mit dem vorhandenen Weltwissen verknüpft werden können. Beim Lesen in der L2 sind bereits Prozesse wie die Worterkennung und die syntak‐ tische wie semantische Analyse von Wortfolgen als weitgehend nicht automatisiert zu betrachten. Grafologische Zeichen und Wörter müssen, besonders von weniger kompetenten Leser*innen, mitunter mühsam entziffert werden. Sie lesen Wort für Wort. Die syntaktische Analyse von Wortfolgen, auch eine Voraussetzung für seman‐ tische Analysen, kann etwa durch wenig ausgeprägte Kenntnisse der Syntax und des Kasussystems in der L2 Deutsch erschwert sein. Semantische Analysen können 49 4 Literaturdidaktik - Lesedidaktik 4 Im Bericht zur PISA-Studie 2018 finden sich auch Daten zur Lesekompetenz von Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund, vgl. dazu Reiss et al. (2019: 123 ff., 149-157). Schwierigkeiten bereiten, wenn etwa Wörter nicht in ihren verschiedenen Bedeutungs‐ möglichkeiten bekannt sind und auch der Kontext nicht für die (korrekte) Erschließung der Bedeutung eines Wortes oder einer Wortfolge genutzt werden kann. Das Erkennen des Kontextes stützt sich auf das verfügbare Weltwissen der Lesenden. Es muss akti‐ viert und in der Bedeutungskonstruktion auf der Satz- und Textebene mit Textsignalen und (neuen) Informationen aus dem Text verknüpft werden. Beim Lesen in der L2 steckt darin die möglicherweise besondere Herausforderung, bislang erworbenes eigenes Wissen, das - wie in der L1 - auch vom sozio-kulturellen Hintergrund der einzelnen Leser*innen abhängig ist, in Frage zu stellen, zu modifizieren und zu ergänzen. Es müssen neue Zusammenhänge abgeleitet und neue, unbekannte, vielleicht fremd erscheinende Gegenstände in ihren möglichen Bedeutungen erschlossen werden (vgl. zusammenfassend zum Lesen in der L2 Ehlers 1998: 179-186). Unbestritten ist: Auch kompetentere Leser*innen lesen in der L2 langsamer als in der L1. Auffälligstes Merkmal des Lesens in der L2 ist eine geringere Lesegeschwindig‐ keit. Empirische Studien zeigen insgesamt eine um ca. 30 % verringerte Lesegeschwin‐ digkeit (Ehlers 1998: 167). 4 Eine Grundannahme der fremd- und zweitsprachlichen Leseforschung ist, dass neben der allgemeinen sprachlichen Kompetenz in der L2 und der Verfügbarkeit von (angemessenem) Weltwissen auch die Lesefertigkeit in der L1 einen Einfluss auf die Lesekompetenz in der L2 besitzt. Intensiv wird die Frage diskutiert und in empirischen Studien zu gewichten versucht, welche der Variablen - die allgemeine sprachliche Kompetenz in der L2 oder die Lesefertigkeit in der L1 - größeren Einfluss auf die Lesekompetenz in der Fremdbzw. Zweitsprache hat. Unterschieden werden die sogenannte Schwellenhypothese und die Interdependenzhypothese (vgl. etwa Ehlers 1998: 111-117). ■ Die Schwellenhypothese geht davon aus, dass eine bestimmte Schwelle an fremdbzw. zweitsprachlicher Kompetenz erreicht oder überschritten sein muss, um in der L1 ausgeprägte Lesefertigkeiten und möglicherweise -strategien auf die L2 übertragen zu können. Eine genaue Bestimmung dieser Schwelle ist jedoch kaum möglich, da sie sich unter verschiedenen Bedingungen verändert. ■ Die Interdependenzhypothese verweist darauf, dass fehlende fremdbzw. zweitsprachliche Kompetenz durch eine hohe Lesekompetenz in der L1 ausge‐ glichen werden kann, wenn ein Transfer von Lesefertigkeiten und -strategien von der L1 auf die L2 stattfindet. Eine Studie wie von Christine Biebricher zum Lesen in der Fremdsprache Englisch (2008) zeigt jedoch, dass auch kompetentere Leser*innen in der L2 nicht dieselbe Lesekompetenz wie in der L1 aufweisen. Dies wird auf geringer ausgeprägte Sprachkompetenzen, geringer ausgeprägte 50 4 Literaturdidaktik - Lesedidaktik Diskurskenntnisse und ein geringeres Ausmaß an Kontakt mit der Schriftsprache in der L2 zurückgeführt (vgl. auch Ehlers 1998: 179-186). Was ist Lesekompetenz? Lesekompetenz ist - einmal mehr in der heutigen Informations- und Wissensgesell‐ schaft - eine Schlüsselkompetenz, die als Voraussetzung der Teilhabe am öffentlichen Leben gilt. In den PISA-Richtlinien zur Testkonzeption beispielsweise, denen ein kognitives Modell von Lesekompetenz zugrunde liegt, wird diese als Fähigkeit be‐ schrieben, „geschriebene Texte verstehen, nutzen und über sie reflektieren zu können, um eigene Ziele zu erreichen […] und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“ (Artelt et al. 2001: 80). Lesekompetenz geht jedoch über die Entnahme und Reflexion von Informationen aus Texten hinaus. Sie besitzt auch motivational-emotionale und kommunikativ-interaktive Dimensionen. Lesen zu können eröffnet vielfältige Mög‐ lichkeiten der Kommunikation und auch der ästhetischen Erfahrung im Umgang mit Schrift und poetischen Formen des Erzählens. Auf Seiten der Lernenden bedarf es für das Lesen grafo-phonologischen, syntaktischen, semantischen und kontextuellen Wissens. Kognitionspsychologisch orientierte Mo‐ dellierungen von Lesekompetenz unterscheiden sich darin, ob für den Leseprozess stärker textgeleitete (bottom up) oder stärker wissensgeleitete Verarbeitungsrichtungen (top down) angenommen werden. Zu favorisieren ist aber ein interaktives Modell, in dem das Dekodieren und Wiedererkennen von grafischen Zeichen und Wörtern in Wechselwirkung zur Bedeutungskonstruktion durch die Lesenden gesehen wird; auch motivationale und emotionale Aspekte sowie die Kommunikation über Gelesenes finden in ihm Beachtung (vgl. Hurrelmann 2007: 25 ff.). Was bedeutet Lesedidaktik? Zielsetzung auch der fremd- und zweitsprachlichen Lesedidaktik ist die Förderung von Lesekompetenz. Diese richtet sich einerseits auf die Förderung von grundlegenden Fertigkeiten wie z. B. das Erkennen von (längeren) Wörtern oder Sätzen, andererseits auf die Förderung von Strategien, die die Bedeutungskonstruktion auf der Textebene und die bewusste Gestaltung von Leseprozessen unterstützen. An das interaktive Modell von Lesekompetenz schließt das Modell ihrer integrierten Förderung an (Kruse 2007: 177 f.). In ihm werden folgende Konzepte einer Förderung von Lesekompetenz miteinander verbunden: ■ Leseförderung Das in den 1980er und 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum populär gewor‐ dene Konzept ist besonders auf motivationale Aspekte ausgerichtet. Es will die Lust zu Lesen fördern, positive Leseerfahrungen in vielfältig anregenden Lesesi‐ tuationen und -umgebungen vermitteln und eine stabile Lesehaltung aufbauen. So 51 4 Literaturdidaktik - Lesedidaktik werden Lesenächte, Lesewettbewerbe und Autor*innenlesungen veranstaltet; im (Lese-)Unterricht können von den Lernenden Lieblingsbücher vorgestellt werden; in Leseecken in Unterrichtsräumen kann frei gelesen werden, eventuell begleitet von Notizen in Lesetagebüchern. Unterrichtsidee Auch mit größeren Projekten kann die Lesemotivation gefördert werden - etwa unter der Zielsetzung, dass Schüler*innen einer Stadt so viele Bücher lesen, dass diese aufeinandergestapelt eine Höhe erreichen würden wie das Rathaus, ein Kirchturm oder ein anderes hohes Gebäude einer Stadt. Swantje Ehlers (2010: 1541) ergänzt mit Blick auf den Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in diesem Zusammenhang Besuche von Bibliotheken und Buchhandlungen (mit Arbeitsaufträgen), das Angebot von Lesekisten, das Erstellen einer Schü‐ ler*innenzeitung, das Vorbereiten einer Buchausstellung, das Anfertigen eines Literaturkalenders oder das Veranstalten einer Jugendbuchwoche. ■ Lesetraining Das Konzept steht in der Tradition der angloamerikanischen Leseforschung der 1980er und 1990er Jahre, in der große empirische, vergleichende Lesestudien durchgeführt und Trainingsprogramme aufgelegt und evaluiert wurden. Es wird erst in jüngerer Zeit - besonders nach den PISA-Tests - auch im deutschsprachigen Raum verstärkt rezipiert. In seinem Mittelpunkt steht das Trainieren des Lesens, orientiert am Modell einer reading literacy: Basale Lesefertigkeiten sollen anhand spezifisch erstellter Materialien auf- und ausgebaut, Lesegeläufigkeit und strate‐ gische Lesefähigkeiten entwickelt werden. ■ Literarische Bildung Das Konzept begann im deutschsprachigen Raum am Ende des 19. Jahrhunderts Wirkung zu entfalten und prägt(e) die Diskussion um den schulischen Deutsch‐ unterricht mindestens bis in die 1970er Jahre hinein. Es fokussiert das Lesen, Analysieren und Vergleichen (‚kanonischer‘) literarischer Texte und zielt neben der literarischen auf die persönliche Bildung der Lernenden: In der diskursiven Auseinandersetzung mit dem Gelesenen sollen auch Wertebildung und Persön‐ lichkeitsentwicklung gefördert werden. Unterrichtsidee Ein gelungenes Beispiel für eine integrierte Förderung vorrangig der Lesekompe‐ tenz von Grundschulkindern im Bereich Deutsch als Zweitsprache ist das Ham‐ burger Projekt eines TheaterSprachCamps und nachfolgenden TheaterSprach‐ Kurses (→ Kap. 21). Es wird seit 2007 wiederholt durchgeführt. Im Mittelpunkt des SprachCamps in den Sommerferien steht die Sprach- und Theaterarbeit 52 4 Literaturdidaktik - Lesedidaktik anhand eines Kinderbuchs wie z. B. Michael Morpurgos Die schwarze Hexe (dt. 2001) in fast täglichen Werkstätten mit kleinen Gruppen von Kindern. Das Buch wird in den Werkstätten in einzelnen Teilen szenisch interpretiert (→ Kap. 20), begleitet von sprachlichen Entdeckungen und Übungen. Es werden kleine Inszenierungen von ca. drei Minuten Länge vorbereitet, die in einer großen Abschlussveranstaltung Eltern und anderen Gästen gezeigt werden. In abendlichen Vorlesestunden wird das Buch nach und nach im Ganzen vorgele‐ sen, gefolgt von anderen Büchern. Ziel der Vorlesestunden ist es besonders, die Fähigkeit der Kinder zum Zuhören und gespannten Genießen sowie ihre Lesemotivation und Bereitschaft zum selbstständigen Lesen zu fördern. Jedes Kind führt ein Camp-Buch als Portfolio, in dem es Arbeitsprodukte sammeln und selbst reflektieren kann; für die Erstellung des Camp-Buchs werden eingangs orientierende gemeinsame Ziele und Kriterien formuliert. In nachfolgenden schuljahresbegleitenden TheaterSprachKursen wird mit den geförderten Kindern unter ähnlichen Zielsetzungen anhand der bereits im The‐ aterSprachCamp erprobten Methoden weitergearbeitet. Sie nehmen wöchentlich an 90minütigen Theater-AGs teil, die sich wiederum aus integrierter Sprach- und Theaterarbeit, einer Vorlesezeit und der Arbeit am Kursbuch, einer Fort‐ setzung des Camp-Buchs, zusammensetzen. Arbeitsgrundlage ist ein weiteres Kinderbuch wie z. B. Brigitte Schärs Dinosaurier im Mond (2009). Stärkere Aufmerksamkeit gegenüber dem Camp erfährt die Förderung von Schreibkom‐ petenz sowohl in der Sprach- und Theaterarbeit wie auch in der Arbeit am Kursbuch. Mit der Methode des generativen Schreibens (→ Kap. 6, 20) werden Gedichte und Geschichten entwickelt, die neben eigenen Gedanken, Notizen zu Leseinhalten und zum persönlichen Verhältnis zu Mehrsprachigkeit auch in das Kursbuch aufgenommen werden können. Aufführungen für die Eltern und die Schulgemeinschaft finden jeweils am Ende eines Schulhalbjahres statt. (vgl. Neumann et. al 2011) Besondere Bedeutung in der aktuellen Lesedidaktik gewinnt das Lesetraining und hier besonders das Training von Lesestrategien. Strategien allgemein werden als optionale Prozesse bei der Bearbeitung von Auf‐ gaben bzw. Verfahren zum Erreichen eines Zieles oder zur Lösung eines Problems verstanden (vgl. Grotjahn 1997: 51, Bimmel 2002: 117). In der Regel gelten Strategien als bewusste Prozesse bzw. bewusst eingesetzte Verfahren; in einem sehr weit gefassten Strategiebegriff werden mitunter aber auch hochautomatisierte, nicht bewusst ablau‐ fende Prozesse als Strategien bezeichnet. Lesestrategien betreffen einerseits die kognitive Fähigkeit, strategische Lesehand‐ lungen (z. B. Textinhalte vorhersagen, Wortbedeutungen ableiten, Wichtiges unter‐ streichen) adäquat auszuführen und andererseits die metakognitive Fähigkeit, Lese‐ prozesse selbst zu steuern und zu reflektieren (z. B. Leseaufgaben analysieren, Leseziele 53 4 Literaturdidaktik - Lesedidaktik 5 Im Kontext von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache kann - vor allem auf niedrigen Sprachniveaus - eine Schwierigkeit beim Training von Lesestrategien darin bestehen, dass Lehrende und Lernende keine gemeinsame Sprache haben, in der sie kommunizieren können. Insbesondere beim Erwerb metakognitiver Fähigkeiten, bei denen es darum geht, die eigenen Leseprozesse zu reflektieren, ist ein gewisses Maß an sprachlichen Verständigungsmöglichkeiten nötig. bestimmen und Lesestrategien entwickeln, mit denen sich diese Ziele erreichen lassen) (vgl. Bimmel 2002: 122). 5 Beim Training von Lesestrategien sind beide Ebenen zu berücksichtigen. So ergeben sich folgende Komponenten: ■ Orientierung auf die Anwendung von Lesestrategien Lernenden sollten vielfältige Informationen darüber zur Verfügung gestellt wer‐ den, welche Funktionen Lesestrategien haben, wann und warum ihre jeweilige Anwendung sinnvoll sein kann, wie sie ausgeführt werden können und wie ihre Effektivität zu überprüfen und zu bewerten ist. Ziel ist dabei, ihr metakognitives Wissen über Leseziele, Leseprozesse und strategische Lesehandlungen zu entwi‐ ckeln. ■ Übung in der Anwendung strategischer Lesehandlungen Lernende sollten eine breite Palette unterschiedlicher strategischer Lesehandlun‐ gen kennenlernen und sie gemeinsam mit der Lehrkraft erproben. Die Lesehand‐ lungen gehören zu den drei Hauptgruppen „Sprachliches und nichtsprachliches Vorwissen verwenden“, „Textelemente mit einem hohen Informationswert ver‐ wenden“ und „Strukturmarkierende Textelemente verwenden“. ■ Bewusstmachung des strategischen Vorgehens Lernende sollten zur Entwicklung der Fähigkeit, die eigenen Leseprozesse zu steuern, vielfältige auch interaktive Aktivitäten kennenlernen, die zur Bewusst‐ machung des Einsatzes von (effektiven) Lesestrategien beitragen. (vgl. Bimmel 2002: 123 ff.) Um diese Komponenten als Lehrkraft im Blick behalten zu können, haben Duke/ Pearson (2002) eine Checkliste für den Leseunterricht erstellt, die in der aktuellen Lesedidaktik häufig Verwendung findet (hier zitiert in Anlehnung an Badel/ Valtin 2005: 68 f.). Die Empfehlungen für den Unterricht allgemein zielen auf das extensive Lesen, das für die einzelnen Lernenden bedeutet, möglichst oft (längere) Texte individuell zu lesen und diese aus einer Fülle von Textmaterial auswählen zu können, das in verschiedenen sprachlichen Schwierigkeitsgraden zur Verfügung steht. Zum Unterricht allgemein ■ Wie viel Zeit verbringen die Lernenden mit Lesen? ■ Wie häufig lesen sie Texte, die nicht ausschließlich dem Lesenlernen dienen? ■ Haben sie beim Lesen klare Leseziele? 54 4 Literaturdidaktik - Lesedidaktik ■ Wie viele Textgattungen stehen im Unterrichtsraum zur Verfügung? Wie viele Lernende lesen unterschiedliche Textarten? ■ Erhalten sie ausreichend Gelegenheit, neue Wörter und Begriffe zu lernen durch Textlektüren, Gespräche über das Gelesene und das Erklären von Wörtern oder Begriffen? ■ Erhalten sie Anleitungen zum (schnellen und exakten) Erlesen von Wörtern? ■ Wie häufig schreiben sie Texte mit dem Ziel, sich anderen mitzuteilen? Wird der Zusammenhang zwischen Lesen und Schreiben verdeutlicht? ■ Werden sie zu qualifizierten Gesprächen über Texte angeregt? Zum Training von Lesestrategien Lernen die Lernenden ■ ihre Leseziele zu erkennen? ■ den Text vor dem Lesen zu überfliegen? ■ vor dem Lesen und während des Lesens Vorhersagen zu treffen? ■ beim Lesen relevantes Wissen heranzuziehen? ■ während des Lesens laut zu denken? ■ die Textstruktur zur Unterstützung des Textverständnisses zu nutzen? ■ visuelle Darstellungen für das Verstehen und Wiedergeben zu verwenden? ■ die Hauptgedanken des Gelesenen zu erkennen? ■ das Gelesene zusammenzufassen? ■ beim Lesen mit unbekannten Wörtern umzugehen? ■ ihr Verständnis während des Lesens zu überprüfen? Beinhaltet das Training dieser Strategien ■ die explizite Beschreibung der jeweiligen Strategie und ihrer Anwendung? ■ das Vorführen der Strategie? ■ das gemeinsame Anwenden der Strategie? ■ das angeleitete Anwenden der Strategie mit schrittweiser Hinführung zur Selbst‐ ständigkeit? ■ das selbstständige Anwenden der Strategie? Waren die Texte für das Strategietraining so ausgewählt, dass den Lernenden Sinn und Anwendung der Strategie deutlich wurden? Haben die Lernenden Gelegenheit zur Überprüfung ihres Textverständnisses erhal‐ ten? Die empfohlenen, im Unterricht immer wieder anzuwendenden Lesestrategien bezie‐ hen sich grundsätzlich auf das Lesen von Sach- und Informationstexten wie von literarischen Texten. Beim Lesen literarischer Texte sind jedoch Strategien in den Vordergrund zu rücken, die deren besonderen Merkmalen gerecht werden - etwa der Autofunktionalität, der Konnotation (Andeutung und Mehrdeutigkeit), der Ver‐ 55 4 Literaturdidaktik - Lesedidaktik 6 Vgl. etwa Lindauer/ Schneider (2007: 115). fremdung (von Alltagssprache bzw. etablierter literarischer Formensprache) und der Symbolik (auch literarischer Formen) (→ Kap. 1). Für eine „Literaturdidaktik, die vom Lesen ausgeht,“ formuliert Ehlers (2010) verschie‐ dene „selektive Mechanismen“ (ebd.: 1538), die für das Leseverstehen von grundlegen‐ der Bedeutung sind: etwa die Unterscheidung von Wichtigem und Unwichtigem; die Frage, ob Texte thematisch zugänglich sind, die sich jeweils vom Text her (objektiv) und von den Lesenden her (subjektiv) diskutieren lässt; die Vertrautheit mit Konventionen sowie die Dimensionen von je individuell differierender Emotion und Motivation der Lesenden. Für den fremdsprachlichen Leseprozess kommen zu dieser allgemeinen Basis noch verschiedene Variablen hinzu wie das Verhältnis zwischen der L1 und der L2, die Fremdsprachenkenntnisse der Lernenden, die Leseflüssigkeit in der Fremdsprache sowie die Ressourcen an kulturellem Wissen (ebd.: 1539). Ehlers formuliert ihre Ausführungen zum fremdsprachlichen Lernen vor allem im schulischen Kontext von Deutsch als Zweitsprache und nennt auch das soziale Bedingungsgefüge als Faktor für das Lesen in der L2; dazu gehören das „Bildungsmilieu (Bildungsabschluss der Eltern, Einkommen, Beruf), das Prestige der Herkunftssprache innerhalb einer Gesellschaft und die demografische Verteilung von Minderheitengruppen“, oftmals nur „[r]eduzierte kulturelle Ressourcen (Bücher, Zeitungen), die Kommunikationssprache in der Familie (L1 vs. L2), die Medienpraxis (Nutzung von Medien in der L1 oder L2) und die Sprachfertigkeit der Eltern in der Zweitsprache“ sowie die „literalen Ressourcen (Zugang zu Gedrucktem) und Praktiken im Elternhaus mit Vorlesen, Geschichten erzählen und über diese kommunizieren.“ (Ehlers 2016: 58) Als Maßnahmen zur Förderung von L2-Lesekompetenzen schlägt sie vor, „zweitsprachendidaktische Elemente“ auch für die Lesedidaktik zu nutzen: „Wortschatzarbeit zur Entlastung des Textverständnisses und Verbesserung der Leseflüssigkeit, Schlüsselwortmethode, bei der Träger von Kerninformationen identifiziert werden […] Nutzen von Kontextin‐ formationen (Titel, Bilder), Einsatz von Bildern als Semantisierungshilfe; zusätzliche Erläuterungen, Explizitmachen von Lesestrategien; für schriftliche Aufgaben Stützge‐ rüste mit Satzbauplänen und Hilfen wie Wörter, Artikel, Nummerierungen; Aktivitäten vor der Lektüre (pre-reading-activities), z. B. Bereitstellen von kulturellem Wissen und Aktivieren von vorhandenen Kenntnissen zu einem Gegenstandsbereich.“ (Ehlers 2016: 59) Für das Lesen von literarischen Texten verweist sie auf die Interkulturelle Literaturdidaktik und deren Ansätze des Fremdverstehens (→ Kap. 8). Wichtig für die Verbesserung der Lesekompetenz - sowohl in der L2 wie in der L1 - ist es, regelmäßig und möglichst viel zu lesen. In diesem Punkt sind sich alle Leseforscher*innen einig: Lesen lernt man am besten durch Lesen. 6 56 4 Literaturdidaktik - Lesedidaktik II Etablierte Perspektiven in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 1 Zu Aktivitäten des Sprachmittelns, die in diesem Kapitel kaum eine Rolle spielen, vgl. etwa Königs (2016), Blell (2016) und Dobstadt/ Riedner (2014b); unter dem Stichwort „Übersetzung“ vgl. in diesem Band (→ Kap. 17). 5 Fertigkeiten „Grundlegend für den Fremdsprachenunterricht sind […] die vier Fertigkeiten Spre‐ chen, Hören, Schreiben und Lesen: An ihnen zeigt sich die wahre Sprachkompetenz.“ (Brinitzer et al. 2016: 9) Einer solchen Aussage, hier der Handreichung DaF unterrichten. Basiswissen Didaktik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache entnommen, liegt ein handlungsorientiertes Verständnis von Fremdsprachenunterricht zugrunde: Lernende sollen zum ‚Sprachhandeln‘ befähigt werden (vgl. ebd.). Die Arbeit mit literarischen Texten spielt in einem solchen, auch im GER (2001) vertretenen Verständnis von Unterricht kaum eine Rolle. In kritischer Auseinandersetzung mit ihm wird jedoch in jüngeren Forschungsdiskussionen und auch im neuen Begleitband zum GER (2020) die Auffassung vertreten, dass literarische Texte durchaus einen Platz im Fremdsprachen‐ unterricht haben. Insgesamt ersetzt der GER nun „das traditionelle Modell der vier Fertigkeiten (Hören, Sprechen, Lesen, Schreiben), das sich als zunehmend unzureichend für die Erfassung der komplexen Wirklichkeit von Kommunikation erwiesen hat, durch kommunikative Sprachaktivitäten und Strategien“ (GER 2020: 38). Diese werden in Form von vier Modi dargestellt: Rezeption, Produktion, Interaktion und Mediation, die „die Art, wie Menschen Sprache tatsächlich benutzen, eher wider[spiegeln] als die vier Fertigkeiten“ (ebd.: 39). Gleichzeitig ergeben die Modi Rezeption und Produktion, „jeweils mündlich und schriftlich, […] die vier traditionellen Fertigkeiten“; umfasst In‐ teraktion sowohl Rezeption als auch Produktion, umfasst Mediation sowohl Rezeption als auch Produktion und oft auch Interaktion (ebd.: 40). Die Arbeit mit literarischen Texten im weiten Sinne ist in den Modi Rezeption („Lesen als Freizeitbeschäftigung“, „Fernsehsendungen, Filme und Videos verstehen“, GER 2020: 71 f., 64), Produktion („Kreatives Schreiben“, GER 2020: 81 ff.) und Mediation („Persönliche Reaktion auf kreative Texte“, „Analyse und Kritik kreativer Texte“, GER 2020: 127 ff.) aufgehoben. Die einzelnen Deskriptoren umfassen Aktivitäten und Strategien des Lesens, Schreibens, Hörens, Sprechens, (Hör-)Sehens und Sprachmittelns. 1 Wie sie in der Forschung bislang diskutiert wurden und sicher auch weiterhin noch werden, wird im Folgenden dargestellt. Im Fokus steht zunächst die Fertigkeit Lesen, auch im Begriff der Lesekompetenz (→ Kap. 4) aufgehoben. Sie umfasst einerseits so grundlegende Prozesse wie das Erkennen von (längeren) Wörtern oder Sätzen, andererseits aber auch die Förderung von Strategien, welche die Bedeutungskonstruktionen auf der Textebene oder die bewusste Gestaltung von Leseprozessen durch die Lernenden unterstützen. Literarische Texte gelten als besonders geeignet zur Förderung von Lesekompetenz, da sie - anders als Sach- und Informationstexte - „eine Stärkung der emotionalen und damit auch motivationalen Lesebereitschaft“ (Burwitz-Melzer 2006: 109) bewirken können. Die emotionale Lesebereitschaft kann durch Unterhaltung und empfundene Spannung, durch Interesse an der beobachteten (neuen) Welt oder durch Identifikatio‐ nen mit einzelnen Figuren und deren Wegen über das ‚Reale‘ hinaus aufgebaut werden. Die Vorstellungskraft und Phantasie der Lernenden, die Bilder zum Geschehen in ihren Köpfen entwickeln, werden angeregt; die Rede ist in diesem Zusammenhang auch vom „Lesen als Kino im Kopf “ (Spinner 2004: 199). Es sind ganz unterschiedliche Bilder, die beim Lesen in den Köpfen einzelner Menschen entstehen. Durch ihre Unbestimmtheiten und Mehrdeutigkeiten fordern literarische Texte diese heraus. Sie fördern die kreative Mitwirkung an der Bedeutungskonstruktion, die durch bestimmte Strategien bzw. Verfahren (→ Kap. 20) unterstützt werden kann. Zur bewussten Gestaltung von Leseprozessen gehört auch die Anwendung verschiedener Lesestile durch die Lernenden - abhängig von Zielsetzungen und Aufgabenstellungen (→ Kap. 19) für das Lesen. Zu unterscheiden sind, in etwas anderer Formulierung auch im GER dargestellt, grundlegend folgende Stile des Lesens (wie auch des Hörens und des Hör-Sehens): ■ global (bzw. kursorisch): Die Leser*innen erkennen Thema, Zeit, Raum und Handlung des Textes, zentrale Figuren bzw. Figurenkonstellationen sowie zentrale Textverfahren (bspw. Ironie) und Textsymboliken. ■ selektiv (bzw. selegierend): Die Leser*innen erfassen bestimmte Informationen des Textes. ■ detailliert: Die Leser*innen erfassen den Text und seine ‚Machart‘, seine Struktur‐ merkmale und deren mögliche Funktionen wie Wirkungen möglichst vollständig (vgl. auch Schramm 2008: 160). Neben dem hier intendierten intensiven Lesen einzelner Texte in der Regel im Unter‐ richt ist auch das extensive Lesen, d. h. die regelmäßige freie Lektüre selbst gewählter Texte in der Fremdsprache, zu fördern (vgl. auch Surkamp 2007: 178, 183); dies nimmt auch der neue Begleitband zum GER in der Skala „Lesen als Freizeitbeschäftigung“ auf. Es kann durch das Bereitstellen einer stets verfügbaren Bücher-, Film- und Hörspiel‐ kiste (oder -liste für das digitale Lesen, Hör-Sehen und Hören) unterstützt werden. Auf diese Weise kann eine Motivation zum Mehr-Lesen, zum Noch-einmal-neu- und Wieder-Lesen entstehen, welche eine entscheidende Voraussetzung für den Aufbau und die Entwicklung von Lesekompetenz bzw. Leseverstehen ist (vgl. auch Lutjeharms 2016: 97). In besondere Nähe zur Fertigkeit Lesen wird in einem handlungsorientierten Verständ‐ nis von Fremdsprachenunterricht in der Regel die Fertigkeit Schreiben gerückt. Bis heute werden die sprachlichen Fertigkeiten oft in rezeptive (Lesen, Hören, auch Sehen) und produktive (Sprechen, Schreiben), mitunter auch in schriftliche (Lesen, Schreiben) und mündliche (Hören, Sprechen) Fertigkeiten unterteilt. Es ist 60 5 Fertigkeiten aber deutlich geworden, dass das Lesen (wie das Hören und Sehen) kein passiver, rezeptiver Vorgang, sondern ein produktiver, aktiver Prozess ist. Gleichzeitig weisen Prozesse des Lesens und des Hörens in kognitionswissenschaftlicher Perspektive starke Ähnlichkeiten zueinander auf, obwohl sie dem ‚schriftlichen‘ bzw. ‚mündlichen‘ Bereich zugehören. In der Fremdsprachendidaktik hat sich insofern ein Konsens darüber herausgebildet, dass die einzelnen Fertigkeiten nicht separiert voneinander, sondern integriert zu fördern sind. Mitunter ist auch von ‚Fertigkeitenbündeln‘ die Rede, deren integrierte Förderung den Unterricht bestimmen sollte. Die Arbeit mit literarischen Texten umfasst in der Regel die integrierte Förderung verschiedener Fertigkeiten. Texte werden gelesen, wobei das Lesen auch das Dekodieren von Symbolen oder (Film-)Bildern, also das Sehen umfasst (vgl. auch Burwitz-Melzer 2007b: 146); Texte werden gehört oder von den Lernenden hörbar gemacht; Texte werden gesprochen oder geschrieben, und es wird über Texte gesprochen oder geschrieben. Mit Blick auf das Schreiben wird literarischen Texten nachgesagt, dass sie zum bedeutungsvollen, motivierenden Schreibanlass (aber auch Sprechanlass) werden und in besonderer Weise zur Ausprägung der zum Schreiben notwendigen Teilfertigkeiten beitragen können (vgl. auch Surkamp 2007: 185). Eine Motivation zum Schreiben - als Voraussetzung für Aufbau und Entwicklung einer Schreibkompetenz - entstehe wie beim Lesen besonders dadurch, dass die Lernenden beim Schreiben von oder über literarische(n) Texte(n) ihre eigenen Erfahrungen und Persönlichkeiten ins Spiel bringen (→ Kap. 8, 20) und ins Verhältnis zu literarisch beobachteten (neuen) Welten setzen oder sich mit Figuren identifizieren können; sie erleben Spannung, Faszination, Neugier und können Vorstellungskraft wie Kreativität entwickeln (vgl. auch ebd.: 185, 187). Sie experimentieren mit Wörtern, Synonymen, sprachlichen Strukturen und spezifischen Formen der Sprachverwendung (z. B. Metaphern); sie erfahren die Bedeutungsdimensionen formaler Elemente sowie deren mögliche Funktions- und Wirkungsweisen (vgl. ebd.: 188). Der Schreibprozess - in erster Differenzierung oft als gelenkt oder frei gekenn‐ zeichnet - ist an der jeweiligen kommunikativen Funktion des Schreibens orientiert. Unterschieden werden beispielsweise das pragmatische, informative, argumentative, emotive und kreative Schreiben wie auch das Schreiben zum Aufrechterhalten persön‐ licher Kontakte (vgl. Königs 2017: 300). An die kommunikative Funktion ist die Wahl der Textart gebunden, wobei gerade beim kreativen Schreiben (→ Kap. 20) auch Texte verschiedener Genres entstehen können. Das Schreiben ist ein zyklisch-rekursiver Prozess, der sich nicht linear, sondern in planerischen und korrektiven ‚Schleifen‘ vollzieht (vgl. ebd.). Unterschieden werden die ineinandergreifenden, nicht nur nacheinander ablaufenden Phasen: ■ Sammeln und Organisieren von Ideen und Material ■ Anfertigen eines Konzepts bzw. einer Gliederung ■ Schreiben und kontinuierliches Überarbeiten ■ Präsentieren bzw. Veröffentlichen des Textes (vgl. auch Surkamp 2007: 184) 61 5 Fertigkeiten Im Laufe des Schreibprozesses sollen die Lernenden Planungs-, Schreib- und Über‐ arbeitungsstrategien wie auch Präsentationstechniken kennen lernen, sie anwenden und reflektieren. Für ein erfolgreiches Schreiben ist es wichtig, dass Lernende am Beginn eines Schreibprozesses Zweck und Adressat*innen ihres Textes festlegen und realisieren, dass Inhalt, Organisation und Sprachstil des entstehenden Textes von bei‐ den Größen abhängen. Sie sollten das Genre ihres Textes festlegen, um beim Schreiben formale und stilistische Elemente dem jeweiligen Zweck ihres Schreibens entsprechend einsetzen zu können (vgl. auch ebd.). Dafür ist zunächst oft ein textartenspezifischer Input nötig, um Lernenden die typischen Strukturen von Texten bewusst zu machen (vgl. Krings 2016: 110). Zu bedenken ist seitens der Lehrkraft auch, dass Lernende in der Planungsphase dem Sammeln von Ideen und Material oft größere Aufmerksamkeit als der Auswahl und dem Organisieren oder Gliedern von Material schenken bzw. mit diesem Schwie‐ rigkeiten haben. So können Konzepte oder Textgliederungen entstehen, die nicht ausreichend strukturiert sind, was zu Schwierigkeiten in der Schreibphase führen kann. In dieser konzentrieren sich L2-Schreibende zudem stark auf lexikosemantische Fragen, orientiert an der L1 (vgl. ebd.: 109), und auf sprachliche Korrektheit. In der Überarbeitungsphase setzt sich diese Fokussierung fort, inhaltliche oder struktu‐ relle Überarbeitungen finden weniger statt (vgl. auch Abraham/ Bräuer 2005: 91). Die Lernenden benötigen hier gezielte Unterstützung für die Formulierungsarbeit, z. B. auch in der Nutzung von Hilfsmitteln wie (elektronische) Wörterbücher und (grammatische) Nachschlagewerke. Die Lehrkraft kann den gesamten Schreibprozess durch die Formulierung strukturierender, differenzierender Aufgaben zum Sammeln von Ideen und Material, zum Schreiben und (gemeinsamen) Überarbeiten steuern. In der Arbeit mit literarischen Texten sind ■ das emotive und kreative Schreiben (Briefe, Tagebucheinträge, eigene literari‐ sche Texte, die in der Regel anhand eines Impulses oder einer ‚Vorlage‘ entstehen), ■ das wertende bzw. argumentative Schreiben (Literatur- oder Filmkritik) und ■ das Schreiben als Lernhilfe (Lesetagebücher und -protokolle) besonders wichtig. Dabei ist es möglich, dem Kriterium sprachlicher Korrektheit zunächst vergleichsweise geringe Bedeutung beizumessen, was die Schreibmotivation und den Schreibfluss fördern kann. In Einführungen in die Fremdsprachendidaktik werden die Anteile von geschriebener und gesprochener Sprache in der Alltagskommunikation etwa mit 5 % und 95 % angegeben oder - verteilt auf die vier ‚wichtigsten‘ Fertigkeiten - mit 45 % Hören, 30 % Sprechen, 16 % Lesen und 9 % Schreiben (vgl. Decke-Cornill/ Küster 2015: 179). Mit der wachsenden Bedeutung der digitalen Medien im Alltag verschiebt sich das Verhältnis zugunsten des Lesens, Schreibens und auch Sehens im Sinne des Dekodierens von Symbolen und Bildern. Dennoch bleibt gerade das Hören eine wichtige Fertigkeit in der Fremd- und Zweitsprache, die im Unterricht jedoch oft zu kurz kommt. Es findet 62 5 Fertigkeiten grundsätzlich in zwei situativen Kontexten statt: in der interpersonalen Begegnung und in der medialen Rezeption (vgl. Decke-Cornill/ Küster 2015: 179). In der Arbeit mit literarischen Texten sind beide Kontexte relevant und können einen Rahmen bilden. Kognitionswissenschaftlich wird die Fertigkeit Hören in der Nähe der Fertigkeit Lesen gesehen, da die Prozesse des Leseverstehens und des Hörverstehens sehr ähnlich sind. Auch das Hören umfasst das Erkennen von Wörtern oder Sätzen und die Bedeutungskonstruktion auf der Ebene von (längeren) Äußerungen oder Texten. Bottom-up- und top-down-Prozesse (→ Kap. 4) greifen auch beim Hören ineinander. Die Hörer*innen sind, wie die Leser*innen, Ko-Produzent*innen von Texten, jedoch unter spezifischen auditiven Bedingungen. Diese sind durch Flüchtigkeit, durch den - bis auf einzelne Pausen oder Momente der Stille - kontinuierlichen Lautstrom und das vorgegebene Tempo des zu Hörenden charakterisiert (vgl. Müller 2004: 7). Hörer*innen können kaum bei Problemen im Text zurückgehen, Textteile überspringen und das Dekodiertempo selbst bestimmen (vgl. Lutjeharms 2016: 98). Anders als der Leseprozess kann der Hörprozess nicht verlangsamt oder durch Zurückblättern und wiederholtes Lesen individuell gestaltet werden. Insofern können Lernende - wenn sie etwa den Lautstrom nicht ‚schnell genug‘ segmentieren und lexikalische Einheiten erfassen können - rasch ‚den Faden verlieren‘ und den Eindruck gewinnen, sie könnten von einem Hörtext ‚gar nichts‘ verstehen. Ein regelmäßiges Hörtraining oder auch eine Hörerziehung (vgl. Wermke 1995) ist hier von Wichtigkeit. Im Kontext der medialen Rezeption von Texten können Lernende es trainieren, ■ aus Hintergrundgeräuschen (z. B. Bahnhof, Restaurant) auf die Kommunikations‐ situation zu schließen; ■ Stimmen und damit Personen/ Figuren zu unterscheiden; ■ aus Stimmen Rückschlüsse auf Alter und Geschlecht von Personen/ Figuren zu konstruieren; ■ prosodische Elemente wie Intonation und Rhythmus sowie die emotionale Fär‐ bung einer Stimme, Stimmhöhe, Lautstärke und Sprechgeschwindigkeit zu inter‐ pretieren und daraus Rückschlüsse auf das Gesprochene zu ziehen (vgl. Lütge 2017: 128). Dafür muss das Hören im Unterricht - wie auch das Lesen eines Textes oder das (Hör-)Sehen eines Films - in Phasen erfolgen, die verschiedene Möglichkeiten der Begegnung mit einem Text oder verschiedenen Texten (→ Kap. 18) bieten. Die Hördauer muss angemessen gewählt und auch wiederholtes Hören möglich sein. Dies ist zwar - anders als beim Lesen, bei dem man individuell etwa rasch zurückblättern oder die Augen noch einmal auf den oberen Teil der Seite lenken kann - mit techni‐ schem Aufwand verbunden, er ist jedoch nicht zu groß. Auch die Anwendung von (metakognitiven) Strategien, welche die bewusste Gestaltung von Hörprozessen unterstützen, müssen die Lernenden trainieren. 63 5 Fertigkeiten 2 Das Gedicht wird in Kap. 6 unter dem Aspekt „Sprachliches Lernen“ besprochen und ist dort auch abgedruckt. 3 Vgl. hier auch den Vorschlag von Šlibar (2011), mit dem Hören in einen Text ‚einzusteigen‘ (→ Kap. 18) sowie die Unterrichtsvorschläge von Samide (2020) und Neidlinger/ Pasewalck (2011) (→ Kap. 20). Unterrichtsidee Wie eine solche Phase des Trainings von Hörprozessen mit literarischen Texten aussehen kann, zeigen Kramsch/ Huffmaster (2008) am Beispiel von Goethes Gedicht Wandrers Nachtlied.  2 In dem von ihnen skizzierten Unterrichtssetting wurde es den Lernenden zunächst nur mündlich präsentiert. Der Dozent las das Gedicht mehrere Male vor, während die Lernenden versuchen sollten, es aufzuschreiben. Kramsch/ Huffmaster zeigen, wie eine solche Aktivität nicht nur als Hörverstehensübung verstanden werden kann - wie von den Lernenden in der geschilderten Unterrichtssituation eingeschätzt -, sondern darüber hinaus als erster Einstieg in einen komplexen Text dienen kann, der sich zunächst als überschaubar präsentiert, im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung jedoch als vieldeutig und in seiner Bedeutungsbildung offen erweist. Die ästhetische Dimension des Hörens wird in didaktischen Diskussionen zuneh‐ mend hervorgehoben. 3 Es war zunächst Jutta Wermke in der Fachdidaktik Deutsch, die ein Konzept zur Hörerziehung als Wahrnehmungsschulung, die sie als Teil einer ästhetischen Bildung versteht, entwickelte. Das Hören wird in dem Konzept „als Hören auf den Klang der Welt und nicht als nachgeordnete Funktion in Kommuni‐ kationsprozessen“ (Wermke 1995: 18) aufgefasst. Die Lernenden sollen zum Hören, Horchen und Lauschen als Formen auditiver Wahrnehmung bzw. Aufmerksamkeit angeregt werden, wobei gerade das Horchen und Lauschen außerhalb von Kommuni‐ kationssituationen situiert sind (vgl. Wermke 1995: 21 und 2013: 184). Die einzelnen Tätigkeiten unterscheiden sich insofern als das Hören eine „aktive […] selektive und sinnkonstituierende Wahrnehmungsleistung [ist]. Unwichtiges wird ausgeblendet“ (Wermke 2013: 183), um beispielsweise an einem Gespräch teilnehmen zu können. Das Horchen ist „ein kurzfristig aktualisiertes, konzentriertes und forciertes Hören“ (ebd.: 184), etwa auf ein leises Geräusch oder ein Gespräch hinter einer Tür. Das Lauschen ist ebenfalls „ein hochkonzentriertes, aber zugleich selbstvergessenes Hören, das sich entspannt den Eindrücken hingibt“ (ebd.: 185), etwa beim Genuss von instrumentaler Musik. Literarische Texte forcieren die auditive Wahrnehmung in verschiedenen Formen, auch beim Hören ein und desselben Textes. So kann ein Hörspiel bzw. der erste Teil eines Hörspiels (zunächst) global gehört werden mit dem Ziel, Thema, Zeit, Raum und Handlung sowie zentrale Figuren bzw. Figurenkonstellationen zu erkennen. Beim detaillierten (nochmaligen) Hören des Hörspiels bzw. weiterer seiner Teile kann 64 5 Fertigkeiten 4 Für einen unterrichtspraktischen Vorschlag vgl. auch Wardetzky (2020). die Aufmerksamkeit auf Geräusche und leise, vielleicht heimliche Gespräche oder auf die Musik und ihre möglichen Funktionen wie Wirkungen gelenkt werden. Es kann gehorcht und gelauscht werden. So werden Vorstellungskraft und Phantasie der Lernenden angeregt, denn wie auch beim Lesen entstehen Bilder in den Köpfen. Die Lernenden sind im besten Fall emotional beteiligt, was die Motivation zum Hören steigern kann. Unterrichtsidee Wie ein solches Hören mit Hörspielen im Unterricht erfolgen kann, führt Ingvild Folkvord in ihrem Beitrag Gehörte Geschichten im Literaturunterricht (2011) aus. Sie zeigt exemplarisch, wie sie mit Germanistikstudierenden in Norwegen mit dem kurzen Hörspiel Die Verabredung (Zeiner/ Betz 2006) arbeitet, das nur zehn Minuten dauert und montageartig kurze Telefongespräche, den inneren Monolog der Protagonistin Angelika und kürzere Musik-Sequenzen zusammensetzt. Die Protagonistin hat Michael kennengelernt und nach einigen Telefonaten zum Essen eingeladen. Nun ist sie unsicher, ob er kommt. Folkvord (2011: 119) führt dazu aus: „[B]eim Hören dieses Hörspiels versteht man eben auch über Prosodie, Tonfall, Pausen und einfache Klangrequisiten wie Tastendruck- und Klingelge‐ räusche. Hier geht es nicht darum, isolierte sprachliche Strukturen zu erfassen. Vielmehr ist die Fremdsprache eingebettet in einen Handlungszusammenhang.“ Neben dem Hören, Horchen und Lauschen kann auch das Zuhören, „ein aufmerksa‐ mes konzentriertes Hören auf die Äußerungen eines anderen“ und damit innerhalb von Kommunikationssituationen verortet (vgl. Wermke 2013: 185), anhand literarischer Texte geschult werden. In der Kommunikation über Texte, im Austausch über deren mögliche (Be-)Deutungen und Wirkungen spielt es eine Rolle. Auch beim (künstleri‐ schen) Erzählen im Deutsch als Fremd- und Zweitsprachunterricht (→ Kap. 12, 20) kommt dem Zuhören, auch als eine soziale Fähigkeit aufgefasst, eine starke Bedeutung zu. Es wird von den Erzähler*innen explizit als eine bei den Zuhörer*innen, die auch selbst im Unterricht zu Erzähler*innen werden, zu fördernde Fertigkeit reflektiert und gefördert (vgl. Wardetzky 2010: 45). 4 Im Anschluss an Wardetzky hat Narges Roshan (2020) kürzlich einen Vorschlag zum (künstlerischen) Erzählen von Märchen im Kontext von Deutsch als Zweitsprache dargestellt (→ Kap. 12). Alle (Zu-)Hörer*innen sind auch selbst Sprecher*innen - sei es beim Präsentieren von (eigenen) Texten oder im differenzierten Austausch über Höreindrücke (vgl. Wermke 2013: 186 f.). Die Förderung der Fertigkeit Sprechen ist ein großes Bedürfnis der Lernenden und gleichzeitig eine der großen Herausforderungen im Fremd- und Zweitsprachunterricht. 65 5 Fertigkeiten Viele Lernende - etwa (junge) Erwachsene in fakultativen Sprachkursen - stellen es als ihr persönliches Lernziel dar, besser sprechen zu können. Daraus ergibt sich der unterrichtliche Anspruch, einerseits die Sprechbereitschaft von Lernenden zu nutzen, auszubauen oder überhaupt erst anzuregen; angemessene individuelle Zeiten zum Sprechen einzuplanen und eventuelle Sprechhemmungen abzubauen. Anderer‐ seits muss die Sprechfähigkeit der Lernenden gefördert werden: Sie umfasst etwa die Aussprache, die Sprachflüssigkeit und die nonverbale Kommunikation (vgl. auch Elis 2015: 93). Zentral ist der Begriff der Sprechkompetenz: Er umfasst ebenfalls die Dimension der Flüssigkeit (fluency), meint darüber hinaus jedoch vor allem die Korrektheit des Gebrauchs sprachlicher Regeln (accuracy), die lexikalische und gram‐ matische Breite (complexity) und die pragmatische Angemessenheit (appropriacy) (vgl. Schmidt 2016: 102). In kognitionswissenschaftlicher Perspektive bestehen zwischen dem Sprechen und dem Schreiben gewisse Ähnlichkeiten. Anders als das in der Regel beim Schreiben der Fall ist, findet das freie mündliche Sprechen jedoch unter Zeitdruck statt. Es ist kein zyklischer Prozess, der Raum für längere und wiederkehrende Phasen des Planens, Verfassens und Überarbeitens eines Textes vor dessen Präsentation bietet. In der Arbeit mit literarischen Texten kann man eine Verlangsamung und ein wiederholtes ‚Üben‘ des Sprechens erreichen. Zu unterscheiden sind das Sprechen von literarischen Texten und das Sprechen über literarische Texte. Beide gehen in der Regel jedoch Hand in Hand. Das Sprechen von literarischen Texten wird auch unter dem Begriff der Ästhetischen Kommunikation gefasst. Mit ihm wird das Textsprechen in einem dialogischen Modell, d. h. das Senden und Empfangen des gesprochenen Textes als kommunikativer Prozess aufgefasst, in dessen Verlauf auf beiden Seiten eine Vielstimmigkeit entsteht (vgl. Brunner 2006: 91). Eine solche Auffassung liegt auch dem künstlerischen Erzählen zugrunde (vgl. Roshan 2020: 43 ff.). Die sprecherische Gestaltung von Texten enthält immer performative Elemente. Sie lässt viele Freiräume, ist stets subjektiv und ‚weiß‘ im besten Falle um die vielfältigen Möglichkeiten der Bedeutung und Wahrnehmung von Texten. Geprägt wird die Textgestaltung (oder Performance, von der z. B. beim Poetry Slam die Rede ist) von hörbaren und sichtbaren Komponenten. Die hörbaren Komponenten sind u. a. Aussprache, Stimmqualität, Sprechtempo, Rhythmus, Pausen und Intonation; die sichtbaren Komponenten sind u. a. Haltung, Gestik, Mimik und Blickkontakt (vgl. Brunner 2006: 92 f.). Individuell gestaltet werden können lyrische Texte, auch Slam Poetry, kleine Textformen wie Anekdoten oder Fabeln, Kurzgeschichten sowie Auszüge aus erzählenden oder dramatischen Texten. Diese enthalten oft Figurenmonologe oder bieten Gelegenheit, solche in Anlehnung an die Textvorlage zu schreiben und anschließend zu performen. Für die sprecherische Gestaltung von Texten im Unterricht werden folgende Emp‐ fehlungen gegeben (wobei die letzten drei Punkte auch für das Schreiben und die Präsentation geschriebener bzw. audiovisueller Texte gelten): 66 5 Fertigkeiten 5 Das Gedicht ist in Kap. 6 abgedruckt. ■ professionelle ‚Muster‘sprechfassungen von Schauspieler*innen, Autor*innen (etwa auf lyrikline.org oder zehnseiten.de) oder Erzähler*innen einsetzen (weniger von Lehrkräften) (→ Kap. 18), ■ lautes Ein- und Erlesen der Texte durch die Lernenden fördern, ■ jede Fassung würdigen, ■ den Prozess, nicht das Produkt in den Vordergrund stellen, ■ Feedbackregeln möglichst gemeinsam festlegen und beachten (Brunner 2006: 95). Unterrichtsidee Ein Unterrichtvorschlag wäre z. B. die sprecherische Gestaltung des Gedichts Ein Gleiches, auch als Wanderers Nachtlied bekannt, von Johann Wolfgang von Goethe. 5 Es wird zunächst mit der Aufgabe ausgegeben, es sich selbst einmal laut vorzulesen. Im nächsten Schritt können einzelne Lernende Zettel ziehen, auf denen jeweils eine bestimmte Sprechhaltung vermerkt ist: Märchenerzäh‐ ler*in, Trauerredner*in, Sportreporter*in, Pfarrer*in, Nachrichtensprecher*in, Politiker*in u. ä. Sie setzen ihre ‚Regieanweisung‘ vor der Gruppe um, und die Gruppe errät bzw. ermittelt die jeweilige ‚Rolle‘. Es entstehen verschiedene Deutungen und auch Wahrnehmungen des Textes, über die sich die Gruppe im Anschluss austauschen kann (vgl. ebd.: 95 f.). Die letztgenannte Phase ist bereits ein Sprechen über den Text. Es gehört in den Bereich der in der Fremdsprachendidaktik wie auch in der Fachdidaktik Deutsch oft so bezeichneten Anschlusskommunikation. In ihr sind die Fertigkeiten des Sprechens und des (Zu-)Hörens ebenso aufgehoben wie soziale Komponenten des Aushandelns von Bedeutungen und des Tolerierens von divergierenden Wahrnehmungen oder Mei‐ nungen. In Lektüregesprächen (→ Kap. 8) als einer Form der Anschlusskommunika‐ tion etwa muss man zuhören, vergleichen, andere Meinungen und Lösungsvorschläge respektieren und die eigene Meinung anhand des Textes begründen und verteidigen (vgl. Burwitz-Melzer 2006: 110). So können auch ausgewogene Beziehungen zwischen den Lernenden und eine tragfähige Gesprächskultur entstehen (vgl. Burwitz-Melzer 2007a: 224). Das Sprechen über literarische Texte kann besonders anregend sein, da Lernende bestenfalls ‚involviert‘ sind, aus einem emotionalen Bedürfnis und Interesse heraus zu bedeutungsvollen und sie interessierenden Themen bzw. Problemlagen sprechen. Die (sprecherisch gestaltete) Textvorlage kann dabei besonders zum Austausch motivieren. Sie kann die Lernenden durch ein Lektüregespräch leiten und ihnen sprachliche Unterstützung etwa durch das Bereitstellen von (gesprochenen) Phrasen oder Chunks bieten, die sie auch in außerunterrichtlichen Kommunikationssituationen nutzen können (vgl. auch Elis 2015: 95). 67 5 Fertigkeiten Mit Blick auf junge Sprecher*innen von Fremd- und Zweitsprachen, etwa in der Primarstufe, kann anhand erster empirischer Studien festgehalten werden, dass sie in der Arbeit mit literarischen Texten zunächst Erfolge im Hören und Sprechen, erst später im Lesen und Schreiben erzielen (vgl. Burwitz-Melzer 2007a: 220). Angestrebt werden sollten allmähliche Übergänge vom Zuhören zum Selbstlesen sowie vom Nachsprechen ausgewählter Textteile und Formulieren erster Meinungen zu Texten hin zum Erzählen selbst erfundener Texte und zu ersten kurzen Lektüregesprächen (vgl. ebd.). Überlegungen zur Förderung der Motivation zum Sprechen waren es, die Inge C. Schwerdtfeger - bereits 1989, als Filme noch nicht so leicht zugänglich waren wie heute - für den Einbezug von Filmen in den Unterricht Deutsch als Fremdsprache plädieren ließen. Das Sprechen über Filme sollte Lernende unterstützen, ihre „Rede‐ scheu“ und ihre „Langeweile“ im üblicherweise lehrbuchgeprägten Sprachunterricht zu überwinden (vgl. Schwerdtfeger 1989: 19). Schwerdtfeger etablierte das Sehen als bislang ‚übersehene‘ fünfte Fertigkeit im Fremdsprachenunterricht (vgl. ebd.: 24). Zu unterscheiden sind das Sehen von unbewegten Bildern (Fotografien, Zeich‐ nungen, Gemälde) und bewegten Bildern (Filme, Videos), auch als ‚Bilder-Lesen‘ und ‚Film-Lesen‘ bezeichnet. Unbewegte Bilder werden mit ungeteilter Aufmerksam‐ keit als Ganzes wahrgenommen; die Wahrnehmung kann ausgedehnt und wiederholt werden. Die Schulung des ‚Bilder-Lesens‘ gilt Fragen von Ikonografie und Symbolik wie: ■ Wofür steht eine Fotografie von Menschen auf der Berliner Mauer im November 1989? ■ Was symbolisieren hochgereckte Arme von Menschen? ■ Was symbolisieren bestimmte Farben wie schwarz oder rot? ■ Wie wirken die Bilder auf uns - was empfinden wir als schön oder hässlich und warum ist dies so? Bewegte Bilder hingegen sind flüchtig. Sie müssen schnell, mit geteilter Aufmerk‐ samkeit und in der Regel über verschiedene Kanäle (Sehen und Hören/ Augen und Ohren) wahrgenommen werden. Insofern sprechen wir auch vom Hör-Sehen bzw. Hör-Seh-Verstehen (vgl. ebd.: 143) und auch hier von den oben genannten verschie‐ denen Stilen (des Hörens) wie global, selektiv und detailliert. Das Hör-Sehen ist ein bild- und zeichengestütztes Hören, das nicht nur im Kontext des Film-Sehens bzw. ‚Film-Lesens‘ von Bedeutung ist, sondern auch in der alltäglichen Kommunikation. Denn das Hören ist häufig visuell unterstützt - durch Symbole und Piktogramme, durch non-verbale Zeichen wie Gestik und Mimik von Kommunikationspartner*innen (vgl. ebd.: 60) und durch die bildlich-räumliche Umgebung einer Kommunikationssituation. Hinsichtlich der räumlichen Umgebung und Wahrnehmung muss aber auch zwischen Hören und Sehen unterschieden werden, denn „die akustische Wahrnehmung [vermit‐ telt uns] ein anderes Raumgefühl als die visuelle: Der Raum, den wir hören, umgibt uns; der Raum, den wir sehen, ist uns gegenüber.“ (Wermke 1995: 20) 68 5 Fertigkeiten 6 Zur Arbeit mit Film im Bereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache vgl. etwa Bürner-Kotzam (2011a, 2011b), Arendt (2019), Welke (2019) und Schmitz (2019). Die Förderung einer visual literacy bzw. audiovisual literacy (→ Kap. 11) umfasst die Sensibilisierung für vielfältige Kontexte und Bedingungen des Hörens und Sehens bzw. Hör-Sehens. Sie finden auch im Konzept einer multiliteracy (→ Kap. 11) Berück‐ sichtigung. 6 Die genannten Fertigkeiten gelten als Ziel wie als Mittel des Fremdsprachenunterrichts (vgl. Faistauer 2001: 869). Entsprechend wird ihre Förderung als Mittel und als Effekt auch des literarisch-ästhetischen Lernens betrachtet (vgl. etwa Kräling/ Martín Fraile/ Caspari 2015: 96, Šlibar 2011: 57). Die handlungsorientierten sprachdidaktischen Lernziele, die Förderung der Fertigkeiten, überschneiden sich mit (Teil-)Zielsetzungen einer multiliteracy und eines fremdsprachlichen literarisch-ästhetischen Lernens (vgl. Burwitz-Melzer 2007a: 222). Die Förderung der verschiedenen Fertigkeiten bzw. einer multiliteracy in medialen Kontexten des Fremdsprachenunterrichts ist in den letzten Jahren nicht nur von Printmedien, auditiven und audiovisuellen Medien, sondern zunehmend von digitalen Medien (→ Kap. 11) geprägt. Dies führt zu einer wachsenden Bedeutung des Lesens und Schreibens, aber auch des Hör-Sehens. Die ‚alten‘ Kulturtechniken des Lesens und Schreibens sind damit weiterhin un‐ abdingbare Voraussetzungen für die Teilhabe an Diskursen, an Wissen und Kommu‐ nikation, am gesellschaftlichen und beruflichen Leben sowie für die persönliche Entwicklung. Sie sind in den ‚neuen‘ Kulturtechniken des digitalen Kommunizierens, Lernens, Arbeitens, Sich-Unterhaltens und Sich-selbst-Ausdrückens aufgehoben. Für den Umgang mit Abruf- und Kommunikationsmedien wie Computer und Internet (→ Kap. 11) sind sie zentral, allerdings unter neuen Vorzeichen. Gelesen wird nicht nur im Buch oder in der Zeitschrift, sondern auch am Tablet, E-Book-Reader oder Smartphone; neben das Schreiben mit der Hand tritt das Tippen auf einer Tastatur (vgl. auch Beste/ Plien/ Anselm 2018: 219). Das persönliche Gespräch kann durch den Austausch von Sprachnachrichten ersetzt werden (vgl. ebd.); Audio-Podcasts forcieren eine Renaissance des Hörens; Video-Podcasts, Games und Serien eine Verstärkung des Sehens bzw. Hör-Sehens. Das Internet ist zu einem Informations-, Kommunikations-, Produktions- und Publikationsmedium geworden, das auch aus dem Fremdsprachen‐ unterricht kaum noch wegzudenken ist (vgl. auch Rösler/ Würffel 2017: 129). Im Internet publizierte Texte sind häufig multikodal verfasst und werden multi‐ modal rezipiert, also in Schrift-, Bild-/ Symbol-/ Grafik- und Tonkombinationen (vgl. auch Kepser 2018: 259). Sie sprechen verschiedene Wahrnehmungsbzw. Erkenntnis‐ dimensionen an: „das Lesen von Texten, das Sehen von Bildern, das Hören von auditiven Texten, das Hören, Sehen und Lesen von audiovisuellen Filmtexten etc.“ (Frederking/ Kromer/ Maiwald 2018: 241). Die Mehrfachkodierung digitaler Texte sowie die Aktivierung verschiedener Wahrnehmungskanäle in Prozessen ihrer Rezeption 69 5 Fertigkeiten werden auch als Synästhetik bezeichnet (vgl. ebd.: 239). Das Einhergehen der Re‐ zeption digitaler Texte mit ihrer möglichen Modifikation oder Neugestaltung, also eigener Produktion, ist im Begriff der Interaktivität aufgehoben (→ Kap. 11). Zu den grundlegenden Veränderungen, besonders von Lese- und Schreibprozessen, gehören somit ihr (neuer) synästhetischer und interaktiver Charakter (vgl. ebd.: 238) sowie ihre Gebundenheit an Bildschirme. Betrachtet man das digitale Lesen mit Blick auf literarische Texte näher, ist zunächst zwischen dem Lesen digitalisierter Literatur und digitaler Literatur (→ Kap. 1) zu unterscheiden. Digitalisierte Literatur steht in kostenpflichtigen Exemplaren (z. B. E-Books) oder zum kostenlosen Herunterladen von Plattformen wie z. B. Deutsches Textarchiv und Projekt Gutenberg zur Verfügung. Als Vorteile der digitalisierten Lite‐ ratur benennt Ruth Klüger in ihrem Aufsatz Anders lesen (2016) deren am Lesegerät flexibel handhabbares Schriftbild (Schriftgröße, -type und -stärke sowie der Zeilenab‐ stand sind veränderbar), das geringe Gewicht und die einfache Transportmöglichkeit des Lesegeräts sowie die so ermöglichte Ortsungebundenheit des Lesens, verbunden mit der steten Verfügbarkeit einer Vielzahl von Texten (vgl. Klüger 2016: 82 f.). Hinzu kommen am Lesegerät Funktionen wie beispielsweise das Markieren im Text, das Erstellen von Notizen und das Konvertieren von Daten (vgl. Radvan 2016: 73). Einige digitale Editionen stellen über Hyperlinks (→ Kap. 11) auch Paratexte wie Wort- und Sacherläuterungen, Wörterbücher und Nachschlagewerke oder Autor*inneninfor‐ mationen zur Verfügung. Diese Funktionen und Angebote verändern Leseprozesse - und das nicht nur zum Vorteil. Empirische Studien zeigen, dass gedruckte Texte in größeren Ausschnitten wahrgenommen und dreidimensional in einem Buch oder einer Zeitschrift verortet werden; dieser Überblick fehlt bei digitalisiert zur Verfügung stehenden bzw. digitalen Texten, „welche sich zwar an Seiten orientieren, aber durch ihre Zoombarkeit und Zweidimensionalität Orientierungsmerkmale für ein globales Verständnis ausblenden“ (Wampfler 2017a: 64). Als Grundlagen des digitalen Lesens im Unterricht gelten: ■ Methoden zur Lesestrukturierung digitalisiert zur Verfügung stehender bzw. digitaler Texte kennen und anwenden lernen, ■ aktiv zwischen analogem und digitalem Arbeiten switchen, da so Metakognition gefördert wird, ■ Aufmerksamkeitskontrolle einüben und Ablenkungen bewusst wahrnehmen, ■ Angebote des scaffoldings (des Bereitstellens von Orientierungshilfen und Denk‐ anstößen durch die Lehrkraft) nutzen, ■ eigene Ziele beim Lesen setzen und deren Erreichen überprüfen (vgl. ebd.: 65). Lernende müssen (neue) Lesestile und -strategien wie z. B. Hypertext-Strategien entwickeln und ihre Leseprozesse möglichst genau reflektieren, auch in der Arbeit mit digitalen literarischen Texten. In diesen sind Interaktivität und Nichtlinearität bzw. Hypertextualität von vornherein als Textprinzipien angelegt. Die Textstrukturen sind gegenüber analog verfassten und gedruckten Texten verändert, was besonders bei 70 5 Fertigkeiten 7 Zur Definition kollaborativen Schreibens vgl. Abraham (2016: 276). der sogenannten Netzliteratur deutlich wird (→ Kap. 1, 11). Sie fordert nicht-lineare Lektüren und legt unterschiedliche Pfade der Lektüren wie Bedeutungskonstruktionen nahe. Sie wird häufig in interaktiven Tools publiziert, die als Schreibforen, Mitschrei‐ beprojekte oder literarische Blogs konzipiert sind und die Leser*innen zur Mitwirkung anregen. Sogenannte Blogromane wie z. B. Wrangelstraße. Ein Blogroman aus Berlin Kreuzberg von Sebastian Kraus sind seriell angelegt und können von den Leser*innen mitgestaltet werden. Die Lektüren digitaler Texte im Unterricht können je nach Unterrichtsphase indivi‐ duell und gemeinschaftlich erfolgen. Adaptiert werden können Praktiken des social reading - ein Begriff, in dem das öffentliche Lesen, Bewerten, Kommentieren und Diskutieren von Texten im Internet gefasst wird (vgl. Pleimling 2012: 1). Das Bewerten und Kommentieren findet in deutscher Sprache auf Plattformen wie z. B. LovelyBooks statt. Für den Unterricht ist es aber oft günstiger, (zunächst) nur lerngruppenintern zugängliche Plattformen oder Foren zu nutzen. Auf ihnen kann auch das Lesen als solches öffentlich werden: Markierungen, Anmerkungen und Notizen von (individuell) Lesenden werden in der Lerngruppe sichtbar und können kommentiert werden. Auf diese Weise verschmelzen (individuelle) Lesevorgänge und Diskussionen über Texte miteinander. Ebenso verschmelzen das Lesen und das Schreiben: Durch das Schreiben und Veröffentlichen etwa von Anmerkungen und Kommentaren entsteht ein zum jeweiligen Text gehörender und diesen erweiternder Text-Content als kolla‐ boratives Produkt (vgl. Brendel-Perpina 2016: 159). Man spricht insofern auch von „Lese-Schreib-Prozessen“ (vgl. Abraham 2016: 275). Das digitale Schreiben unterscheidet sich in kognitionswissenschaftlicher Perspektive wesentlich vom handschriftlichen Schreiben. Es ist kein grafomotorischer Prozess, bei dem Buchstaben mit Hilfe eines Schreibgeräts auf einer physischen Oberfläche wie z. B. Papier fixiert werden, sondern ein Auswahlprozess, bei dem Buchstaben am Computer auf einer Tastatur oder einem Display ausgewählt und durch Tippen (vorläufig) auf dem Bildschirm fixiert werden (vgl. Krelle 2016: 51). Die entstehenden Wörter, Sätze und Texte können durch Textverarbeitungsprogramme permanent korrigiert, revidiert und umgestellt werden, wobei auch mit - nicht unproblematischen - Autokorrekturangeboten der Programme (Rechtschreibkorrektur, Syntaxprüfung, Wortvervollständigung) sinnvoll umzugehen ist. Digitales Schreiben ist immaterielles Schreiben (vgl. ebd.: 51). Es bietet vielfältige neue Möglichkeiten der (eigenen) Produktion und Gestaltung von Texten. Wichtig ist es für das private wie berufliche und gesellschaftliche Leben, digitale Schreibumge‐ bungen sinnvoll nutzen zu können (vgl. Kepser 2018: 258). Schreibprozesse können auch im Fremdsprachenunterricht digital viel einfacher und stärker als bisher gemeinsam, d. h. kooperativ bzw. kollaborativ gestaltet werden. 7 Dabei bietet es sich an, einige Phasen von Schreibprozessen kollaborativ, andere individuell zu gestalten. So kann das Sammeln und Organisieren von Ideen 71 5 Fertigkeiten und Material sowie das Anfertigen eines Konzepts bzw. einer Gliederung kollaborativ, das eigentliche Schreiben eines Textes oder Textteils individuell, das Überarbeiten des Textes und seine Präsentation wiederum kollaborativ erfolgen. Lernende werden so von Allein-Autor*innen zu vernetzten (Mit-)Schreiber*innen bzw. (Mit-)Verfasser*innen (vgl. Abraham 2016: 273, 277; Krelle 2016: 53). Zu berück‐ sichtigen ist, dass gemeinsame Schreib-(und Lese-)prozesse äußerst anspruchsvoll sind, in deren Verlauf vielfältige Aushandlungsprozesse und (technische) Erprobungen stattfinden. Das Ziel der Textproduktion, die Regeln der gemeinsamen Arbeit, die gemeinsame Verantwortung für das Produkt und die Kriterien der Textqualität, die auch Korrekturen und Überarbeitungen leiten, müssen klar festgelegt sein und von allen Verfasser*innen (immer wieder) reflektiert werden. Entstehende Texte können analog, d. h. linear, und digital, d. h. multikodal, hypertex‐ tuell und interaktiv strukturiert sein. Sie können offline (z. B. PowerPoint) und online in interaktiven Tools, öffentlich oder nur lerngruppenintern zugänglichen Plattformen, Foren oder Blogs präsentiert werden. Digitale Schreibumgebungen, als die z. B. Wikis genutzt werden können, un‐ terstützen alle ineinandergreifenden Phasen kollaborativer Schreibprozesse bis hin zur Präsentation. Sie können auf Lernplattformen angelegt und bei Bedarf durch ein Passwort geschützt werden. Lernende können in ihnen sowohl schreiben als auch kommentieren, korrigieren, verändern und erweitern. Textfassungen sind sofort sichtbar, es kann also synchron gearbeitet werden. Wikis eignen sich insofern auch für gemeinsame Schreibprojekte und virtuelle Schreibkonferenzen von Lernenden bzw. Lerngruppen an verschiedenen Einrichtungen und Orten (vgl. auch Rösler/ Würffel 2017: 131). 72 5 Fertigkeiten 6 Sprachliches Lernen Bereits am Anfang der fachwissenschaftlichen Diskussion zu den Möglichkeiten des Arbeitens mit literarischen Texten kommt dem sprachlichen Lernen eine prominente Stellung zu. In seinem vielzitierten Beitrag Von der Langeweile des Sprachunterrichts (1985a/ 1981) spricht Harald Weinrich - mit Rückgriff auf Viktor Šklovskij und Roman Jakobson (→ Kap. 1) - von einer „Literarisierung oder Reliterarisierung“ des Sprachunterrichts (Weinrich 1985a: 241, Hervorh. d. Verf.). Er weist darauf hin, dass die Arbeit mit literarischen Texten der Grammatikvermittlung dienen könne und gleichzeitig eine Beschäftigung mit Inhalten ermögliche. Die Herausforderung liege darin, dass man „das Interesse zwischen den Wörtern und den Sachen […] in die Schwebe bringen und auf diese Weise in eine ‚spielende‘ Bewegung versetzen kann“ (ebd.: 233). Dafür schlägt Weinrich die Arbeit mit Texten der Konkreten Poesie vor, etwa mit dem Gedicht empfindungswörter von Rudolf Otto Wiemer. Mit dem „grammatische[n] Paradigma […] der Interjektionen“ stelle es „den Lesern dicht und auffällig und natürlich nicht ohne irritative Absichten vor Augen, was sicherlich auch der deutschen Landeskunde zugutekommt“ (ebd.: 238). Man müsse nur die einzelnen Verse mit Jahreszahlen versehen, so hätte man eine Interpretation, die die Grammatik übersteige, so Weinrich. Textbeispiel aha die deutschen ei die deutschen hurra die deutschen pfui die deutschen ach die deutschen nanu die deutschen oho die deutschen hm die deutschen nein die deutschen jaja die deutschen (Wiemer 1971: 21) Eine Materialsammlung, in der sich dieses Gedicht ebenfalls befindet, haben Anfang der 1980er Jahre Dietrich Krusche und Rudolf Krechel herausgegeben. In ihrer Samm‐ lung Anspiel. Konkrete Poesie im Unterricht Deutsch als Fremdsprache (1992/ 1984) argumentieren sie für einen Umgang mit literarischen Texten, der den Lesenden die Teilnahme am ästhetischen Spiel der Texte ermöglicht. Texte der Konkreten Poesie erzielen bestimmte Wirkungen, indem sie grammatische Strukturen und Wortschatz in spezifischer Weise verwenden. Sie bieten eine „überraschende Sinn‐ erfahrung“ (Krusche/ Krechel 1992: 81), womit sie auch das sprachliche Lernen 1 Hier finden sich weitere Texte der Konkreten Poesie und Arbeitsanweisungen dazu. Leider ist die Sammlung heute nur noch in Bibliotheken, ggf. auch antiquarisch zu finden. unterstützen: „Da sie aus Sprache bestehen, prägen sich auch die dabei ins Spiel gekommenen Sprachelemente mit ein“ (Krusche/ Krechel 1992: 81), grammatische Phänomene werden spielerisch in die Aufmerksamkeit der Lesenden und Lernenden gerückt, wie etwa in dem Gedicht Konjugation von Rudolf Steinmetz: Textbeispiel Ich gehe du gehst er geht sie geht es geht. Geht es? Danke - es geht. (Steinmetz 1974: 72) Wie an diesem Gedicht sichtbar wird, nehmen die Texte in der Sammlung Anspiel z.T. gezielt auf grammatische Phänomene Bezug. Eine Übersicht am Ende der Zusammen‐ stellung zeigt, welche Gedichte welche grammatischen Phänomene aufgreifen: etwa Deklination, Fragewörter, Genus, Imperative, Interjektionen, Possessivpronomina, Tempus, zweiteilige Verben. Rudolf Otto Wiemer hat solche Gedichte in den 1970er Jahren für den Fremdsprachenunterricht geschrieben und gesammelt; sie finden sich u. a. in seinen Publikationen beispiele zur deutschen grammatik. gedichte (1971) und bundesdeutsch. lyrik zur sache grammatik (1974). Von dort sind sie in die Sammlung Anspiel (Krusche/ Krechel 1992) 1 und in die DaF-Lehrwerke ‚gewandert‘, etwa in das Lehrwerk Deutsch aktiv 1A (Neuner et al. 1996/ 1986). Dort finden sich die Gedichte empfindungswörter (ebd.: 56), LEHRREICH (ebd.: 70), unbestimmte zahlwörter (ebd.: 85) und possessivpronomen (ebd.: 115). Im dazugehörigen Lehrer*innenhandbuch werden sie durch konkrete Hinweise dazu ergänzt, wie man sie im Unterricht einsetzen kann. Krusche/ Krechel (1992: 82) geben dagegen nur sehr allgemeine Hinweise zur Arbeit mit den Texten in ihrer Sammlung, etwa, dass sie sich für die Einstiegsphase im Unterricht eignen, dass die Lernenden die Texte selbst „entschlüsseln“ und die Lehrenden deshalb sehr vorsichtig und nur unterstützend tätig werden sollten. Als Anschlussaktivitäten schlagen sie Tätigkeiten vor, die den handlungs- und produktionsorientierten Unterricht (→ Kap. 20) bis heute prägen, auch wenn sie diese Bezeichnung noch nicht verwenden; so regen sie etwa an, Texte weiterzuschreiben (ebd.: 86 f.). Bekannte Beispiele der Konkreten Poesie, die sich bereits für den Anfängerun‐ terricht auf A1- und A2-Niveau eignen, sind Apfel von Reinhard Döhl (Krusche/ Krechel 1992: Text 1, auch in Gomringer 2018: 68), Ordnung von Timm Ulrichs (Krusche/ Krechel 74 6 Sprachliches Lernen 2 Die Sammlung von Krusche/ Krechel enthält über 60 Texte. Zum Teil finden sie sich auch in Eugen Gomringer: Konkrete Poesie. Deutschsprachige Autoren. Anthologie (2018) und Eugen Gomringer: Visuelle Poesie. Anthologie (1996). Dort sind auch weitere einschlägige Texte zu finden. 1992: Text 3, auch in Gomringer 2018: 233) und Worte von einem unbekannten Verfasser (Krusche/ Krechel 1992: Text 4). 2 Textbeispiele 3 Anschlussaktivitäten schlagen sie Tätigkeiten vor, die den handlungs- und produktionsorientierten Unterricht (  Kap. 20) bis heute prägen, auch wenn sie diese Bezeichnung noch nicht verwenden; so regen sie etwa an, Texte weiterzuschreiben (ebd.: 86f.). Bekannte Beispiele der Konkreten Poesie, die sich bereits für den Anfängerunterricht auf A1- und A2-Niveau eignen, sind Apfel von Reinhard Döhl (Krusche/ Krechel 1992: Text 1, auch in Gomringer 2018: 68), Ordnung von Timm Ulrichs (Krusche/ Krechel 1992: Text 3, auch in Gomringer 2018: 233) und Worte von einem unbekannten Verfasser (Krusche/ Krechel 1992: Text 4). 2 Apfel ordnung ordnung ApfelApfelApfelApfel ordnung ordnung ApfelApfelApfelApfelApfelApfel ordnung ordnung ApfelApfelApfelApfelApfel Apfel ordnung ordnung ApfelApfelApfelApfelApfelApf ordnung ordnung ApfelApfelApfelApfelWurmA ordnung unordn g ApfelApfelApfelApfelApfel ordnung ordnung ApfelApfelApfelApfelAp ordnung ordnung ApfelApfelApfelApfelA ordnung ordnung ApfelApfelApfelAp ordnung ordnung ordnung ordnung (Döhl, Postkarte v. 1965, zit. n. Gomringer 2018: 68) (Ulrichs, zit. n. Gomringer 2018: 233) Worte Worte Worte Worte Worte Worte Worte Worte Worte Worte Worte Worte Worte Worte Worte Worte Worte Worte Worte Worte Worte Worte Worte Du Worte Ich Du Worte Worte Ich (Unbekannte Verfasser*in zit. nach Krusche/ Krechel 1992: Text 4, o.S.) Weitere Vorschläge, wie man sprachliches Lernen im Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache mit Lyrik und lyrikähnlichen Formen unterstützen kann, hat Gerlind Belke ausgearbeitet, der es in ihren Veröffentlichungen aus den Jahren 2007 und 2011 ebenfalls darum geht, zu zeigen, wie solche Texte einen neuen und spielerischen, die ästhetische 2 Die Sammlung von Krusche/ Krechel enthält über 60 Texte. Zum Teil finden sie sich auch in Eugen Gomringer: Konkrete Poesie. Deutschsprachige Autoren. Anthologie (2018) und Eugen Gomringer: Visuelle Poesie. Anthologie (1996). Dort sind auch weitere einschlägige Texte zu finden. (Döhl, Postkarte v. 1965, zit. n. Gomringer 2018: 68) (Ulrichs, zit. n. Gomringer 2018: 233) WORTE WORTE WORTE WORTE WORTE WORTE WORTE WORTE WORTE WORTE WORTE WORTE WORTE WORTE WORTE DU WORTE ICH WORTE WORTE WORTE \-'/ ORTE WORTE WORTE WORTE WORTE WORTE WORTE WORTE WORTE WORTE DU WORTE WORTE ICH (Unbekannte Verfasser*in zit. nach Krusche/ Krechel 1992: Text 4, o.S.) Weitere Vorschläge, wie man sprachliches Lernen im Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache mit Lyrik und lyrikähnlichen Formen unterstützen kann, hat Gerlind Belke ausgearbeitet, der es in ihren Veröffentlichungen aus den Jahren 2007 und 2011 ebenfalls darum geht, zu zeigen, wie solche Texte einen neuen und spielerischen, die ästhetische Dimension berücksichtigenden Umgang mit sprachlichen Struk‐ turen ermöglichen. Ihre Vorschläge hat sie für Kinder in Grundschulen in Deutschland 75 6 Sprachliches Lernen entwickelt, die Deutsch nicht als L1 sprechen, also für den schulischen Kontext von Deutsch als Zweitsprache im Primarbereich. Sie sind vergleichsweise detailliert; anschaulich werden sie auch dadurch, dass Belke ihr Vorgehen mit Ergebnissen aus ihrer eigenen Arbeit illustriert (vgl. v. a. Belke 2011, auch der Kommentarband Belke 2009b/ 2007). Unterrichtsidee So schlägt sie zu dem oben zitierten Gedicht Konjugation von Steinmetz, das mit dem Verb „gehen“ arbeitet, vor, dass die Lernenden eigene Texte schreiben, die die Struktur des Gedichts aufnehmen. Dabei geht es um die Orientierung am Konjugationsparadigma der Verben im Präsens und darum, diese Auseinan‐ dersetzung mit einer zentralen sprachlichen Struktur des Deutschen durch eine Pointe am Schluss um eine kreative Dimension zu ergänzen. Für diese Aufgabe gibt Belke (2011: 18 f.) andere es-Verben als Grundlage vor. Die folgenden Texte hat sie von ihren Schüler*innen erhalten: ich laufe ich friere ich klingele du läufst du frierst du klingelst er läuft er friert er klingelt sie läuft sie friert sie klingelt es läuft es friert es klingelt Wie läuft’s? Friert es? Klingelt es? Danke, es läuft zurzeit Letzte Nacht hat es in Ja, schon mehrmals! ganz gut! den Bergen gefroren! Mach endlich die Tür auf! Ihr Verfahren nennt Belke generatives Schreiben. Im Sinne von Roman Jakobson (→ Kap. 1) argumentiert sie, die poetische Funktion der Sprache lenkt „die Aufmerk‐ samkeit des Lernenden auf die Sprache selbst und schärft so das Wahrnehmungsver‐ mögen für die verwendeten sprachlichen Mittel“ (Belke 2011: 16). Sie verortet ihren Ansatz in einer Didaktik der Mehrsprachigkeit, die Mehrsprachigkeit nicht als „Problem“ versteht, sondern als „Ressource“ (Belke 2009b: 1, Hervorh. i. O.) nutzen möchte (→ Kap. 13), sieht den „[k]reative[n] Umgang mit Texten als Grundlage der impliziten Sprachvermittlung“ (ebd.: 11), gleichermaßen für Kinder, die Deutsch als L1, L2 oder eine weitere Sprache sprechen. In ihrem Kapitel Generatives Schreiben als methodisches Zentrum der Sprachvermittlung (ebd.: 12 f.) führt sie aus, dass jedes Kind, das Schreiben lernt, die Sprache, in der es schreibt, zum zweiten Mal lernt, auch wenn es seine L1 ist. Dabei greift sie mit dem folgenden Zitat auf den Psychologen Lew Wygotski zurück, der in den 1920er Jahren in der Sowjetunion - in Gomel im heutigen Belarus und an der Universität in Moskau - seine Theorien zur Sprachentwicklung und allgemeinen Entwicklungspsychologie des Kindes ausgearbeitet hat: „Die geschriebene Sprache zwingt das Kind, intellektueller zu handeln. Sie zwingt es, sich den Prozeß 76 6 Sprachliches Lernen 3 Zu einer Einschätzung dieses Diskussionszusammenhangs, zu dem die Arbeiten von Weinrich (1985a), Krusche/ Krechel (1992) und Belke (2009a, b) gehören, vgl. Ehlich (2020: 216 ff.). Der Beitrag von Harald Weinrich führt an den Anfang der Fachdiskussion zur Rolle der Literatur in Deutsch als Fremdsprache zurück und zeigt, dass es seit Gründung des Faches als Hochschuldis‐ ziplin eine Auseinandersetzung mit der Frage nach der Rolle der Literatur im Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache gibt. Der Artikel ist die schriftliche Version der Antrittsvorlesung, die Weinrich 1979 gehalten hat, als er den Lehrstuhl am 1978 gegründeten Institut für Deutsch als Fremdsprache in München übernahm. Sie wurde zunächst in der Zeitschrift für Pädagogik 17 (1981: 169-185) veröffentlicht, 1985 dann in der Aufsatzsammlung von Weinrich Wege der Sprachkultur. des Sprechens selbst stärker bewusst zu machen.“ (Wygotski 1974 nach Belke 2009b: 12) Belke zufolge sollten das „Schreiben und der Prozess der Textherstellung auch zur systematischen Vermittlung grammatischer und orthografischer Normen und zur Reflexion über sprachliche Richtigkeit genutzt werden“ (Belke 2009b: 12, Hervorh. d. Verf.). Das generative Schreiben nimmt die Textstrukturen von Sprachspielen, Gedichten, kurzen literarischen Texten zum Ausgangspunkt. Die Lernenden orientie‐ ren sich an diesen beim Verfassen eigener Texte. So gelingt es ihnen, sich implizit mit sprachlichen Strukturen auseinanderzusetzen und Texte ohne grammatische und orthografische Fehler zu produzieren, die gleichzeitig individuell gewählte Inhalte formulieren. In ihrer Sammlung Mit Sprache(n) spielen von (2009a/ 2007) bietet Belke Gedichte, Kinderreime und Sprachspiele. Im dazugehörigen Kommentarband finden sich konkrete Vorschläge, wie die unterrichtliche Arbeit mit diesen Texten aussehen kann. In beiden Bänden sind die Texte z.T. nach grammatischen Kategorien geordnet, etwa nach Wortarten wie Verben, Artikel, Pronomen, Adjektive, Präpositionen. Wie in den bisherigen Ausführungen deutlich wurde, wird für den Zugang zu literarischen Texten über ihre Sprachlichkeit und im Hinblick auf ihre Nutzung zum Erlernen sprachlicher bzw. grammatischer Strukturen besonders oft Lyrik verwendet. 3 Daneben spielt auch Kurzprosa - zusammengestellt etwa in dem Band Aufschluss. Kurze deutsche Prosa im Unterricht Deutsch als Fremdsprache von Dietrich Krusche (1992/ 1987) - häufig eine Rolle, so auch in dem von Wolfgang Rug und Andreas Tomaszewski 1993 ursprünglich unter dem Titel Grammatik mit unSinn und Verstand, 2009 unter dem Titel Grammatik mit Sinn und Verstand publizierten Übungsmaterial für die Mittel- und Oberstufe. Gezielt verwenden Rug/ Tomaszewski literarische Texte, um in die grammatischen Themen einzufüh‐ ren, die sie in ihrem Band behandeln. Auf Doppelseiten, die unter der Überschrift „Lesepause“ jeweils den eigentlichen Kapiteln vorangestellt sind, finden sich Lyrik und Kurzprosa, denn die Lektüre literarischer Texte „beflügelt auch für die weitere Arbeit und macht Spaß“ (Rug/ Tomaszewski 2009: 4). Auch in den Kapiteln werden immer wieder literarische Texte zur Illustration verwendet. Wenn es bspw. im Kapitel zum Konjunktiv II darum geht, dass Vergleichssätze mit „als“ oder „als ob“, die „kritisieren“, „übertreiben“, „prophetisch“ oder „poetisch“ klingen, oft in diesem Modus stehen - etwa die kritisierende Formulierung „Spiel dich doch nicht so auf, als wär(e)st du der Chef“ - wird auf eines der berühmtesten Gedichte 77 6 Sprachliches Lernen 4 Mondnacht (1835 bzw. 1837, Hervorh. d. Verf.); die zweite Strophe ist in dem Material von Rug/ Tomaszewski ausgelassen: „Die Luft ging durch die Felder,/ Die Ähren wogten sacht,/ Es rauschten leis’ die Wälder,/ So sternklar war die Nacht“ (Eichendorff 1959: 272 f.). der deutschen Spätromantik hingewiesen, auf Joseph von Eichendorffs Mondnacht (Rug/ Tomaszewski 2009: 56): Textbeispiel Es war, als hättʼ der Himmel Die Erde still geküßt, Daß sie im Blütenschimmer Von ihm nun träumen müßt. Und meine Seele spannte Weit ihre Flügel aus, Flog durch die stillen Lande Als flöge sie nach Haus. 4 Im Kapitel Zeit und Tempus wird unter dem Stichwort „Stil“ die „Wirkung der Ruhelo‐ sigkeit, der Endlosigkeit“, die oft mit der Verwendung des Präteritums verbunden sei, mit dem kurzen Text Gib’s auf von Franz Kafka illustriert (ebd.: 31): Textbeispiel Gib’s auf Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich, dass es schon viel später war, als ich geglaubt hatte, ich musste mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg. Er lächelte und sagte: „Von mir willst du den Weg erfahren? “ „Ja“, sagte ich, „da ich ihn sonst nicht finden kann.“ „Gib’s auf, gib’s auf “, sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen. Nicht nur zu Zwecken der Illustration, auch als Material für Übungen zu gramma‐ tischen Phänomenen werden literarische Texte verwendet - für die Verwendung des Konjunktiv I für die indirekte Rede etwa auch ein Text von Franz Kafka, Kleine Fabel (Rug/ Tomaszewski 2009: 108): 78 6 Sprachliches Lernen 5 Die beiden zitierten Texte von Franz Kafka sind auch in Dietrich Krusches Sammlung Aufschluss enthalten. Textbeispiel „Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird immer enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte. Ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe“ - „Du mußt nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie auf. 5 In den genannten Sammlungen finden sich eine Fülle von Texten und Vermittlungs‐ vorschlägen, die von allgemeinen Hinweisen zur Arbeit mit literarischen Texten bis hin zu Vorschlägen für ihre Verwendung in konkreten unterrichtlichen Zusammenhängen reichen. Sie alle zielen auf ein Lernen grammatischer Strukturen der deutschen Sprache und sind meist vorrangig für den Unterricht auf A1- und A2-Niveau geeignet. Die Konzepte, die wir im Folgenden vorstellen, möchten die Lernenden darüber hinaus anregen, mögliche Funktionen und Wirkungen sprachlicher Strukturen bzw. Mittel wahrzunehmen und zu reflektieren; sie sind entsprechend für alle Sprachniveaus relevant. So legt Nils Bernstein (2015) den Fokus bei seinen Vorschlägen, wie man Lyrik für sprachliches Lernen im Unterricht Deutsch als Fremdsprache lohnend verwenden kann, weniger auf das Einüben und die Reflexion von sprachlicher Korrektheit als auf die Reflexion literarischer Strukturen in der Alltagssprache. Wie Weinrich rekurriert auch er auf Šklovskijs Konzept der Verfremdung (→ Kap. 1) und zitiert aus dessen Text Die Kunst als Verfahren (Šklovskij 1994): Und gerade, um das Empfinden des Lebens wiederherzustellen, um die Dinge zu fühlen, um den Stein steinern zu machen, existiert das, was man Kunst nennt. Ziel der Kunst ist es, ein Empfinden des Gegenstandes zu vermitteln, als Sehen, und nicht nur Wiedererkennen; das Verfahren der Kunst ist das Verfahren der ‚Verfremdung‘ der Dinge und das Verfahren der erschwerten Form, ein Verfahren, das die Schwierigkeit und Länge der Wahrnehmung steigert, denn der Wahrnehmungsprozeß ist in der Kunst Selbstzweck und muß verlängert werden […]. (Šklovskij 1994: 15, Hervorh. i. O.) Bernstein zeigt, wie durch die Auseinandersetzung mit den sogenannten Kassenbon‐ gedichten von Susann Körner „der neue Blick auf Vertrautes gefördert und für literarische Sprache in nicht-literarischem Kontext sensibilisiert“ (Bernstein 2015: 234) wird. Körner selbst beschreibt das Entstehen ihrer Gedichte so: Irgendwann fing es an. Beim Überfliegen von Kassenbons entdeckte ich Worte, die aus einer eigenen Sprache zu kommen schienen. Ich begann, herumliegende Bons zu sammeln. Es entstand die Idee, so einzukaufen, dass ein Gedicht entsteht. (Homepage der Autorin: www.susannkoerner.de [17.16.2021]) 79 6 Sprachliches Lernen 6 Bernstein zitiert hier Engel (2001: 21). Diese Gedichte oszillieren zwischen ihrer auffälligen sprachlichen Verfasstheit und ihrem Ort in der Alltagspragmatik des Einkaufens und fungieren so als Lyrik jenseits von „anthropologische[n] Grundthemen wie ‚Liebe, Tod, Rausch, Wahnsinn, Traum‘“ (Bernstein 2015: 234). 6 Der Kassenbon - eigentlich eine sachliche, lediglich registrie‐ rende und listenartige Form und eine Textart, mit der Lernende im Alltag durchweg konfrontiert werden und die ob ihrer Ubiquität meistens unter dem Radar der eigenen Wahrnehmung bleibt, zumal wenn es sich um Kassenbons in Supermärkten beim Einkauf von Lebensmitteln handelt - wird zum literarischen Text, zum Gedicht. Die „Kassenbonsprache als Alltagsphänomen“ (ebd.) begegnet hier als lyrischer Text, wenn er auch als solcher zuweilen nur dadurch zu erkennen ist, dass er in einer Gedichtsammlung veröffentlicht ist. Oft werden „poetische Merkmale wie Reim oder Wiederholung“ (ebd.) bei diesen Gedichten erst durch lautes Vorlesen - der Produkt‐ namen - wahrnehmbar: 80 6 Sprachliches Lernen Unterrichtsidee Abb. 1: Susann Körner, Felix Kabeljau (2010) Abb. 2: Susann Körner, Est, Est, Est (2001) Wie Bernstein zum zweiten Beispiel ausführt, „lässt sich die Marke ‚Est! Est! Est! ‘ als Imperativ zum Verb essen auffassen, als hemmungslosen Aufruf zum Konsum, der jedoch wieder aufgehoben wird, durch eine implizit im abschließenden Vers enthaltene Aufforderung zu maßvollerem, sparsamem Verhalten“ (ebd.: 236, Hervorh. i. O.). Bleiben diese Texte Gedichte, wenn man sie aus dem Rahmen „Kassenbon“ herausnimmt, Informationen wie Name und Adresse des Ladens sowie das 81 6 Sprachliches Lernen 7 Zur breiten Wirkungsgeschichte des Gedichts vgl. bereits Segebrecht (1978); vgl. auch Vogt (2002), der seine Einführung in die Literaturwissenschaft anhand dieses Gedichts verfasst. Datum des Einkaufs entfernt? Oder werden sie erst dann zum Gedicht? Das diskutiert Bernstein mit seinen Studierenden und damit die Frage danach, wie sich Lyrik bestimmen lässt. Er verweist hier auch auf Peter Handkes Text Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968, dessen Lektüre diese Frage ebenfalls aufwirft (→ Kap. 1). Es ist fraglich, ob die Texte Zugang zu grammatischen Strukturen und Wortschatz ermöglichen. Sicherlich können sie jedoch Prozesse bewusster Wahrnehmung von Sprache in Alltagssituationen initiieren und so zum sprachlichen Lernen im Kontext von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache beitragen. Damit lässt sich etwas von dem einlösen, was Harald Weinrich sehr früh für den Fremdsprachenunterricht eingefordert hat: eine Didaktik, die eine „Ästhetik des Alltags“ (Weinrich 1985a: 241) berücksichtigt und eine Didaktik, die dazu führt, dass „wir nicht nur die Sprachen mit Interesse sprechen, sondern auch unsere Umwelt mit Überraschung sehen lernen“ (ebd.). Zugänge zu literarischen Texten, die auf die Auseinandersetzung mit der Funk‐ tion und mit möglichen Wirkungen der verwendeten sprachlichen Mittel ausgerichtet sind und auf Sensibilisierungen für Bedeutungsbildungsprozesse zielen, die von diesen initiiert werden, können sehr unterschiedlich sein. Dies lässt sich an einem Gedicht zeigen, das im Kontext von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache immer wieder Aufmerksamkeit findet, in der theoretischen Diskussion wie in unterrichtspraktischen Zusammenhängen: Wandrers Nachtlied von Johann Wolfgang von Goethe, im September 1780 entstanden und zunächst auf die Bretter‐ wand einer Schutzhütte auf dem Kickelhahn geschrieben, einem Berg im Thüringer Wald in der Nähe von Ilmenau, wo Goethe als Bergbaubeauftragter unterwegs war. Schon in der Literaturwissenschaft kommt ihm eine zentrale Stellung zu. Unzählige Analysen und Übersetzungen sind zu diesem Gedicht erschienen; es zählt zu den kanonisierten Texten (→ Kap. 3) in der Germanistik im deutschsprachigen Raum wie darüber hinaus. 7 Unterrichtsidee Über allen Gipfeln Ist Ruhʼ, In allen Wipfeln Spürest du Kaum einen Hauch; Die Vögelein schweigen im Walde. 82 6 Sprachliches Lernen Warte nur! Balde Ruhest du auch. (Goethe 1987/ 1780: 65) Zunächst stellen wir einen Lektürevorschlag von Dieter Neidlinger und Silke Pasewalck (2011) vor, die den Fokus auf die Sensibilisierung für die lautliche Ebene der Sprache legen, die sie als einen „genuin literarischen Aspekt der Sprache“ (2011: 49) verstehen (→ auch Šlibar in Kap. 18). Ihr Vorschlag kann ab dem Sprachniveau A2 eingesetzt werden und umfasst verschiedene Aktivitä‐ ten, bei denen es darum geht, sich mit der klanglichen Struktur des Gedichts zu beschäftigen, etwa mit Reimen und mit Lauten, die durch ihr häufiges Vorkommen auffallen (→ Kap. 1). So schlagen sie vor, das Gedicht zunächst nicht vollständig zu präsentieren, sondern etwa die Reimwörter Gipfeln, du, balde und auch im Text zu löschen und neben das Gedicht zu schreiben. Die Lernenden haben nun die Aufgabe, mit Hilfe der Reime die ausgesparten Wörter an den passenden Stellen einzufügen. Als daran anschließende Aktivität schlagen sie vor, das Gedicht abzudecken und nun in einem Tondokument im Internet anzuhören. Auf dieser auditiven Basis gilt es, das folgende Kreuzworträtsel zu lösen: 1. Wie oft kommt der lange [u: ]-Laut im Gedicht vor? 2. Reimwort zu balde. 3. Reimwort zu Wipfeln. 4. Wie oft kommt der Diphtong [au] vor? 5. Reimwort zu du. 6. Welcher Klang wiederholt sich in dem Vers Kaum einen Hauch? 7. Reimwort zu auch. (Neidlinger/ Pasewalck 2011: 50) Außerdem schlagen sie vor, die musikalische Bearbeitung von Schubert als weiteren Zugang zum Gedicht über den Klang zu nutzen, entsprechende Ton‐ dokumente finden sich im Internet, etwa eine Version mit dem Tenor Michael Edwards. Da Neidlinger/ Pasewalck ihren Vorschlag in einem Beitrag zum Thema „Literatur im Netz“ entwickeln, schlagen sie vor allem Aktivitäten vor, für die das Internet genutzt wird. Dieser Vorschlag konzentriert sich auf die Klangstruktur des Gedichts und die auditive Wahrnehmung. Die Spezifik literarischer Texte, auf ihre eigene sprachliche Gemachtheit hinzuweisen (→ Kap. 1) kann mit den Reimwörtern und den genannten Lauten sehr gut nachvollzogen werden. Ein solcher Zugang zum Gedicht kann die Lernenden für spezifische Strategien von literarischen Texten sensibilisieren, indem er auf die Formseite aufmerksam macht. Auf Grundlage der Vorarbeit, die Neidlinger/ Pasewalck hier anregen, lässt sich gut nachvollziehen, wie die auffällige Klangstruktur an der Bedeutungsbildung beteiligt ist. Dies soll im Folgenden zumindest mit einigen Hinweisen ausgeführt werden. Wie sich über die Antworten bei dem Kreuzworträtsel schon andeutet, wird der Diphtong „au“ in dem Gedicht auffällig häufig verwendet (Frage 4, 6 und 83 6 Sprachliches Lernen 7). Er schließt den Satz, der sich über die Verse 1 bis 5 erstreckt und mit einem Semikolon endet. In diesem Vers 5 finden sich zwei der drei Vorkommen. Über den Laut „au“ wird Vers 5 mit dem letzten Wort des Gedichts am Ende von Vers 8 verbunden. „Hauch“ und „auch“ binden über das Reimschema abba die Verse „Kaum einen Hauch“ (Vers 5) und „Ruhest du auch“ (Vers 8) zusammen und heben insbesondere durch die Wiederholung des Lauts „au“, der nur hier im Gedicht vorkommt, die beiden Verse hervor, in denen von der Ruhe die Rede ist - sei es die Ruhe einer Windstille, sei es die Ruhe von Schlaf oder Tod. So intensiviert die lautliche Struktur die Wahrnehmung dieser beiden Verse und öffnet die Option, die Aussagen beider Verse zusammenzunehmen und ihnen eine Sonderposition zukommen zu lassen, sie etwa als zentrale Aussage des Gedichts zu verstehen - eine häufig anzutreffende Lesart. Wie mit dem Gedicht aus poststrukturalistischer Sicht gearbeitet werden kann mit dem Lehr- und Lernziel, den Lernenden die „Unlesbarkeit“ von literarischen Texten vorzuführen, lässt sich aus einem Beitrag von Michael Dobstadt ableiten. Wie Harald Weinrich und Gerlind Belke argumentiert auch er ausgehend von Jakobson (→ Kap. 1) und macht die poetische Funktion der Sprache, die er mit dem Begriff der Literarizität fasst, zum zentralen Punkt seiner Argumentation. Diese ziele darauf, die „vermeintlich enge Verbindung von Ausdruck und Bedeutung bzw. Referenz“ zu lockern (Dobstadt 2009: 24) und so versteht Dobstadt „Literari‐ zität“ mit Rückgriff auf den poststrukturalistischen Denker Jacques Derrida als „suspended relation to meaning and reference“ (Derrida zit. n. Dobstadt 2009: 24, Hervorh. dort). Mit seinem Vorschlag geht es ihm einerseits um eine „Kritik an den überkommenen Deutungskonzepten“ im Fach Deutsch als Fremdsprache - etwa an der Rezeptionsästhetik (→ Kap. 8, 20), an den Arbeiten einer Interkulturellen Germanistik zur Xenologie und an einem Forschungszusammenhang zum Fremd‐ verstehen (→ Kap. 8) - und andererseits darum, einen Vorschlag zu entwickeln, der die „Unausrechenbarkeit des literarischen Textes“ (ebd.: 26) berücksichtigt. Sein Fokus für die Arbeit mit literarischen Texten im Fach Deutsch als Fremdsprache liegt darauf, die Lernenden für die „Literarizität“ zu sensibilisieren, für die Begriffe wie „Unlesbarkeit“, „Unsagbarkeit“ und „Unentscheidbarkeit“ (ebd.) zentral wären. An dem Gedicht Wandrers Nachtlied führt Dobstadt vor, wie ein literarischer Text auf dieser theoretischen Basis gelesen werden kann. Zunächst formuliert er die übliche Deutung des Gedichts, der zufolge von „Gipfel“ über „Wipfel“, „Vögelein“ und „du“ eine Äquivalenzreihe hergestellt wird, die zeigt, wie von der unbelebten Natur über Flora und Fauna hin zum Menschen eine hierarchische Ordnung gedacht wird. Diese Vorstellung sieht er in dem Gedicht konterkariert durch die Anordnung der vier genannten Ausdrücke auf dem Papier. Dort steht an oberster Stelle der Ausdruck „Gipfel“ und an unterster Stelle der Ausdruck „du“, den er als allgemeine Bezeichnung für den Menschen auffasst. Durch diese Anordnung komme das 84 6 Sprachliches Lernen 8 Vgl. eine ähnliche Argumentation zu einem Gedicht von Hilde Domin in Dobstadt/ Riedner (2011a: 9 ff.). Moment des „Un-“ in den Text: die Unausrechenbarkeit, Unlesbarkeit, Unsagbar‐ keit und Unentscheidbarkeit, wie der Text zu lesen sei. Denn die „Pointe des Textes ergibt sich daraus, dass mit dieser Äquivalenzreihe eine zweite kontrastiert“ (Dobstadt 2009: 24). Viele Lesarten sind möglich und die Sprache selbst weist auf ihre „suspended relation to meaning and reference“ hin. Dass bei der Arbeit mit literarischen Texten die Wahrnehmung der ästhetischen Dimension von Literatur und ihres Spielcharakters von zentraler Bedeutung ist - ein Konsens im Fach, der mehr oder weniger deutlich auch die Grundlage der vorgestellten Ansätze von Weinrich, Krusche/ Krechel, Belke, Rug/ Tomaszewski und Bernstein bildet - fasst Dobstadt in seiner Interpretation des Begriffs „Literarizität“: dass nämlich „Bedeutungen durch Literarizität immer auch subvertiert und ins Zwielicht gerückt werden“ (ebd.: 26). Auch wenn Dobstadt keinen konkreten Vorschlag für das unter‐ richtspraktische Vorgehen erarbeitet, lässt sich aus seiner Argumentation ableiten, dass man im Unterricht die Lernenden darauf hinweisen könne, dass auch die räumliche Verteilung des geschriebenen Gedichts auf dem Blatt bedeutungsbildende Prozesse auslöst. In seiner Argumentation ist das Gedicht von Goethe jedoch nur insofern von Belang, als es als Beispiel dafür verwendet wird, wie den Lernenden ein Einblick in ein poststrukturalistisches Sprachverständnis ermöglicht werden kann, das die Arbitrarität sprachlicher Zeichen als zentrale Kategorie wählt und auf dieser Basis das „Spiel der Signifikanten“ als „Unausrechenbarkeit“ von Sprache und also auch von literarischen Texten interpretiert. 8 Unterrichtsidee Ebenfalls mit dem Ziel, mit Lernenden die Arbitrarität sprachlicher Zeichen zu diskutieren, greifen Claire Kramsch und Michael Huffmaster auf Wandrers Nachtlied zurück. In einem Seminar mit Germanistikstudierenden in den USA haben sie mit dem Gedicht in vier Phasen gearbeitet. Zunächst haben sie den Studierenden die folgende Goethe-Zeichnung des Kickelhahn vorgelegt und sie gebeten, das Bild zu beschreiben. 85 6 Sprachliches Lernen Abb. 3: Aussicht vom Kickelhahn bei Ilmenau 1776 von Goethe gezeichnet (Quelle: Goethezeitportal, www.goethezeitportal.de/ wissen/ topo graphische-ansichten/ orte-und-zeiten-in-goethes-leben-kickelhahn.html) In einem zweiten Schritt wurde den Studierenden das Gedicht vorgelesen; sie waren aufgefordert, es in einer Art Diktat zu verschriftlichen und fehlende Teile ggf. in Partnerarbeit zu ergänzen. Im dritten Schritt erhielten die Studierenden eine Druckfassung des Gedichts zur Lektüre mit der Aufforde‐ rung, Denotationen und Konnotationen zu notieren (Tageszeit, Jahreszeit, Geräusche). Der vierte Schritt umfasste für die Lernenden den Auftrag, das Gedicht als Hausaufgabe ins Englische bzw. Amerikanische zu übersetzen, in Gruppenarbeit die verschiedenen Übersetzungen zu besprechen und sich in der Gruppe auf jeweils eine Version zu einigen und diese im Plenum vorzustellen. Wie Kramsch/ Huffmaster (2008) ausführen, wollten sie anhand der verschiedenen Aufgaben die Lernenden auf die Arbitrarität der Zeichen aufmerksam machen: mit der Vielfalt der Assoziationen in der ersten Phase, der auditiven Wahrnehmung in der zweiten Phase, den verschiedenen Deno‐ tationen und Konnotationen in der dritten Phase und mit den Übersetzungen und der Gruppendiskussion dazu, welche Version jeweils gewählt wird, in der vierten Phase. Wie eine im Anschluss daran durchgeführte Befragung der Lernenden ergeben hat, haben die Lernenden die Aufgaben jedoch anders interpretiert, nämlich in den Kategorien des kommunikativen Fremdsprachen‐ unterrichts (→ Kap. 19): Phase I mit dem Sammeln von Assoziationen zu der Zeichnung haben sie als Motivationsphase verstanden, Phase II mit dem Diktat als Hörverstehensübung, Phase III mit dem Fokus auf Denotationen und Konnotationen als Wortschatzarbeit und Phase IV mit der Diskussion der ver‐ 86 6 Sprachliches Lernen schiedenen Übersetzungsvorschläge als Training für die Teamarbeit und für das Finden von Kompromissen. Kramsch/ Huffmaster hatten jedoch als Lehr- und Lernziel verfolgt, den Studierenden Einblicke zu ermöglichen in die breite Semantik von sprachlichen Zeichen, die Aushandlungsprozesse nötig macht. So stellte sich bei der Übersetzung des Gedichts ins Amerikanische durchaus die Frage, welches der passendste Ausdruck für „Gipfel“ sei - „mountaintop“, „summit“ oder „peak“. Ihre Entscheidung haben die Studierenden nicht nur auf Basis der Semantik getroffen, sondern auch Klang und Länge der Ausdrücke, die in Frage kamen, berücksichtigt. So wurden sie dafür sensibilisiert, dass die Entscheidung für bestimmte sprachliche Mittel auch die Wirkung eines Textes verändert. Die Fähigkeit, die Wirkung sprachlicher Mittel reflektieren und abschätzen zu können, nennt Kramsch „symbolic competence“ bzw. „symbolische Kompetenz“ (→ Kap. 9, 10). Wie sie auch in anderen Beiträgen ausführt, möchte sie die Lernenden sensibilisie‐ ren für „the full meaning making potential of language“ (Kramsch 2006: 251). Die Lernenden reflektieren, welche Perspektive und welche sprachlichen Mittel sie wählen, und trainieren so einen souveränen Umgang mit Sprache. Bei der Arbeit mit einem Textausschnitt aus Erich Kästners Als ich ein kleiner Junge war wird deutlich, wie die Lernenden überlegen, „welche Form der Darstellung am besten geeignet“ ist, und wie sie versuchen, „die richtigen Worte zu finden“ (Kramsch 2011: 38). Auch die Auseinandersetzung mit dem Gedicht Inventur von Günter Eich zeigt, wie die Frage des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts nach dem Code und der Information ergänzt wird durch Überlegungen zu Wirkung und Vorstellungsbildung bzw. zu Bedeutungsbildungsprozessen: Having to choose which items to include and which to leave out, how to sequence them and weigh the information they contained, how to configure the patterns they formed across stanzas, how to choose a point of view through the use of demonstratives and pronouns - all these discourse processes transformed an exercise focused on the code and on the informational content into an exercise focused on the role of memory and the imagination. (Kramsch 2015: 131) In der US-amerikanischen Fachdiskussion in den Fremdsprachenphilologien Deutsch und Französisch, in deren Kontext Claire Kramsch publiziert, wird für eine Erweiterung des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts, der vor allem auf Informationsaus‐ tausch in Alltagssituationen ausgerichtet ist, plädiert und es wird dafür argumentiert, den Fokus nicht allein auf „sentence grammar, structure drills, information retrieval“ zu legen, sondern auf „reflection on language and content and specifically on the connections between the details of texts and student’s personal responses to those texts“ (Kern 2003: 47). 87 6 Sprachliches Lernen Unterrichtsidee Die sprachlichen Mittel im Hinblick auf ihre Wirkung zu berücksichtigen, ist auch ein Vorschlag, den Schiedermair anhand von verschiedenen Texten ausgearbeitet hat und der sich auch für das vorliegende Goethe-Gedicht nutzen lässt. Wenn man etwa den Ausdruck „du“ in dem Goethe-Gedicht nicht als Synekdoche für „Mensch“ nimmt, sondern als Personalpronomen versteht, gibt er eine Perspektive vor. Das Gedicht präsentiert sich dann nicht mehr als eine allgemeine Aussage von einer neutralen Position aus, sondern als Anrede an ein „du“, spricht Hörende und Lesende an oder fungiert als Selbstapostrophe. Das Gedicht wird zu einer Warnung, einer Drohung oder einem Versprechen. Verstärkt durch den Imperativ „Warte! “ wird der Modus einer direkten und eindringlichen Aufforderung gewählt. Berücksichtigt man in dieser Weise die sprachlichen Mittel des Gedichts, ist die Perspektive der Adressierung eines „du“ wohl eine Basis, auf die man sich bei der Lektüre des Gedichts einigen kann - die Semantik der Substantive und Verben andererseits lässt verschiedene Deutungen zu: „ruhen“ kann etwa verstanden werden als Ausruhen im Sinne eines motorischen Ruhens, psychisches oder emotionales Empfinden, Schlafen oder Tod (vgl. Matuschek o.J.: 4). Dies kann als ein offenes Angebot des Textes verstanden werden, das einen Einstieg in ein Unterrichtsgespräch bietet. Bei Übersetzungen ist es eine große Herausforderung, Formulierungen zu finden, bei denen solche Angebote erhalten bleiben. Unterrichtsidee Diese Reihe von Zugangsweisen zu dem Gedicht Wandrers Nachtlied im Kontext des sprachlichen Lernens möchten wir mit einem abschließenden Hinweis auf den Roman Die Vermessung der Welt (2018/ 2005) von Daniel Kehlmann illustrieren. An einer Stelle des Romans spielt Kehlmann mit dem Goethe-Gedicht, indem er es in mehrfacher Hinsicht verfremdet. Er ändert das Druckbild, schreibt Prosa, verwendet Ausdrücke im Konjunktiv, lässt den Imperativ weg und wählt Formulierungen, die die Semantik des Gedichts vereindeutigen. In der im Folgenden zitierten Passage wird Alexander von Humboldt von den Begleitern seiner Südamerika-Expedition aufgefordert, eine Geschichte zu erzählen: 88 6 Sprachliches Lernen (Kehlmann 2018: 128) Hier ist die spezifische Zeilenaufteilung im Druckbild des Romans zu sehen. Man könnte diesen Ausschnitt den Lernenden vorlegen mit der einfachen Frage: Wo ist das Gedicht? Dann fällt auf, dass die für viele Gedichte übliche äußere Form von verkürzten Zeilen in diesem Fall zum Prosatext des Romans gehört. Das Gedicht dagegen findet sich in den Zeilen darüber, die wie Prosa wirken. Der Konjunktiv „sei“ und die Verallgemeinerung durch „man“ statt „du“ sowie die Vereindeutigung in „tot sein“ statt „ruhen“ erschweren es zusätzlich, Goethes Gedicht zu erkennen. Wenn man beide Versionen - Goethes Gedicht und Kehlmanns Romanpassage - vergleicht, wird deutlich, dass Kehlmann keinen einzigen sprachlichen Ausdruck aus dem Gedicht ohne Veränderung übernom‐ men hat. Der Textvergleich verdeutlicht, wie die Form an der Bedeutungsbildung beteiligt ist. Kehlmanns Spiel mit der Goethe-Vorlage operiert auf verschiedenen Ebenen. Es nutzt die Wirkungsmöglichkeiten des Druckbilds sowie die Wir‐ kungsmöglichkeiten einzelner sprachlicher Ausdrücke und diskutiert implizit die Frage, ob etwas als Gedicht erkannt werden kann, wenn es in diesen Punkten abweicht. Wenn auf der Erzählebene Alexander von Humboldt nicht darauf hinweisen würde, dass es ein Gedicht ist, wäre es dann ein Gedicht? Bezieht man die Erzählebene mit ein, ergibt sich außerdem die ebenfalls oben angesprochene Frage, ob eine Übersetzung die Wirkung eines literarischen Textes bzw. eines Gedichts verändert, trägt Humboldt es doch auf Spanisch vor. Wie sprachliches Lernen mit literarischen Texten über den Erwerb von grammatischen Strukturen und Lexikon hinaus verstanden werden kann, wird auch in einigen Bei‐ spielen in Kap. 20 Kreative, performative und analytische Verfahren deutlich. In den 89 6 Sprachliches Lernen dort vorgestellten Beiträgen von Suzan Radwan und Irina Samide werden Verfahren vorgeschlagen, die die sprachliche Form von Gedichten analysieren und deren Beitrag zu Bedeutungsbildungsprozessen reflektieren. Sprachliches Lernen kann man so als integriert in Lektüreprozesse verstehen - jenseits von einem Vorgehen, das die Arbeit mit literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht auf die Unterstützung von Spracherwerbsprozessen reduziert. 90 6 Sprachliches Lernen 1 Der Begriff „Landeskunde“, der ab Ende der 1960er Jahre üblich wurde, ist seit den 1990er Jahren zunehmend in die Kritik geraten. Bezeichnungen wie „Interkulturelles Lernen“ (siehe genauer Ko‐ reik/ Pietzuch 2010: 1444, Koreik 2013: 180 f.), „Kulturwissenschaft“ (Altmayer 2003), „Kulturstudien“ (Altmayer 2014, Fornoff/ Altmayer/ Koreik 2017), „Kulturelles Lernen“ (Hägi/ Schweiger 2015) oder „Diskursive Landeskunde“ (Altmayer et al. 2016) wurden gebräuchlich. Für das vorliegende Kapitel verwenden wir dennoch den Titel „Landeskundliches Lernen“, weil die Bezeichnung „Landeskunde“ in der hier vorgestellten Diskussion und den dazugehörigen Konzepten und Vermittlungsvorschlä‐ gen verwendet wird, vgl. etwa die Titel von Bischof/ Kessling/ Krechel (2007/ 1999), Groenewold (2010) und Esselborn (2010). Ein Überblick über die Entwicklungslinien der sogenannten Landeskunde findet sich in Koreik/ Pietzuch (2010). 7 Landeskundliches Lernen Neben dem sprachlichen Lernen (→ Kap. 6) wird auch das landeskundliche Lernen 1 in der Fachdiskussion von Anfang an als genuine Zielsetzung der Lektüre von litera‐ rischen Texten im Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache diskutiert. Wie beides gemeinsam gelingen kann, reflektiert schon Harald Weinrich (1985a) in seinem bekannten Aufsatz Von der Langeweile des Sprachunterrichts, der im vorigen Kapitel bereits genannt wurde und der in der fachwissenschaftlichen Diskussion bis heute immer wieder zitiert wird (siehe etwa Ehlich 2020: 213-219). Weinrich schreibt den „äs‐ thetischen Verfahren der Literatur“ das Potenzial einer „sinnliche[n] Reflexivität [zu], durch die Interesse für die Sprache erzeugt, Interesse für die Sache jedoch nicht ausgeschlossen wird“ (Weinrich 1985a: 236 f., Hervorh. d. Verf.). Wie im vorigen Kapitel schon ausgeführt, zeigt er am Beispiel des Gedichts empfindungswörter von Rudolf Otto Wiemer (1971: 21), wie die Auseinandersetzung mit dem grammatischen Paradigma der Interjektionen durch eine Perspektive der „deutschen Landeskunde“ ergänzt werden kann, indem man, „um das Gedicht minimal zu interpretieren, Jahreszahlen neben die Verse setzen“ könnte (Weinrich 1985a: 238). Wie der ebenfalls im vorigen Kapitel bereits vorgestellte und kommentierte Text Konjugation von Rudolf Steinmetz, so wird auch dieser Text der Konkreten Poesie in Textsammlungen und Lehr- und Lernmaterialien immer wieder aufgenommen und im Hinblick auf Einsatzmöglichkeiten im Unterricht kommentiert. In dem Lehrwerk Deutsch aktiv Neu 1A (Neuner et al. 1996/ 1986: Lehrbuch, 1996/ 1987: Arbeitsbuch, 1994/ 1988: Lehrerhandreichungen), das sich an Erwachsene richtet, wird das Gedicht zunächst als Grundlage genommen, um die Wortart der Empfindungswörter bzw. Interjektionen einzuführen und in den dazugehörigen Hand‐ reichungen wird entsprechend betont, dass deren „Gebrauch von der subjektiven Einstellung des jeweiligen Sprechers abhängt“ (Neuner et al. 1994: 95), was anhand von drei verschiedenen Versionen, die als Hördokumente verfügbar sind - damals noch auf Kassette - deutlich werden soll. Die Arbeit mit diesem Gedicht unter landeskundlichen Aspekten unterstützt das Lehrbuch durch acht Fotografien, die auf einer Lehrbuchseite das Gedicht umgeben (Neuner et al. 1996: 56); sie werden im Lehrer*innenhandbuch beschrieben: Bild 1: ein Offiziersehepaar aus der Kaiserzeit (vor dem ersten Weltkrieg) Bild 2: Der Mercedesstern Bild 3: Boris Becker, Tennisspieler Bild 4: Polizist mit Schäferhund Bild 5: Trümmerfrauen, die nach einem Bombenangriff im zweiten Weltkrieg (bzw. nach Kriegsende) den Schutt aufräumen Bild 6: Paar in bayerischer Tracht Bild 7: BMW-Verwaltungsgebäude in München Bild 8: Marschierende Nazitruppe im Dritten Reich (Neuner et al. 1994: 95). Mit Assoziogrammen zu jedem Bild können die Lernenden das Gedicht und die Bilder reflektieren, was zu einer Auseinandersetzung mit der Komplexität und Problematik eines ‚angemessenen Deutschlandbildes‘ führen kann, die mit diesen Medien angespielt wird: „Insgesamt wird ein ziemlich buntes und gespaltenes Bild von den Deutschen entstehen, das ggf. zu (muttersprachlich zu führenden) Diskussionen in der Klasse Anlaß geben wird.“ (ebd.) Dass gerade die Arbeit mit Wiemers Gedicht empfindungswörter im Kontext des landeskundlichen Lernens immer wieder als sehr lohnend gilt, zeigt sich auch daran, dass es in der Fernstudieneinheit des Goethe Instituts Landeskunde und Literatur‐ didaktik von Monika Bischof, Viola Kessling und Rüdiger Krechel (2007/ 1999) als Beispiel gewählt wird, das ausführlich besprochen und zu dem ein umfangreicher Vermittlungsvorschlag mit Arbeitsblättern ausgearbeitet wird. Dabei geht es u. a. darum, stereotype Vorstellungen zu erkennen und zu reflektieren. So wird die Ausein‐ andersetzung mit dem Gedicht in der Fernstudieneinheit, die ein gutes Jahrzehnt nach dem oben genannten Lehrbuch erschienen ist, um die Dimension des interkulturellen Lernens erweitert, die ab Mitte der 1990er Jahre für das landeskundliche Lernen zunehmend an Bedeutung gewinnt. 92 7 Landeskundliches Lernen Abb. 4: Deutsch aktiv 1 A Neu Lehrbuch, 1996/ 1986 Abb. 5: Deutsch aktiv 1 A Neu Arbeitsbuch, 1996/ 1987 Abb. 6: Landeskunde und Litera‐ turdidaktik Fernstudieneinheit, 2007/ 1999 In den genannten Publikationen werden in vielen Fällen literarische Texte genutzt, um eine Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in den Unterricht einzubringen. Bei Krusche/ Krechel (1992) finden sich mehrere Texte der Konkreten Poesie, die - im Kontext des Lernziels „Bewusstmachung der Leserposition“ (ebd.: 78) - aus einer landeskundlichen Perspektive insbesondere im Hinblick auf geschichtliches Lernen folgendermaßen kommentiert werden: Der Aspekt der Leserposition hat […] noch […] eine historisch-politische Dimension. Eine ganze Reihe der in diese Sammlung aufgenommenen Texte thematisiert deutsche geschicht‐ liche Wirklichkeit, und zwar da, wo sie am problematischsten ist. So beziehen sich eine ganze Reihe von Texten implizit auf die Sprachwirklichkeit des Dritten Reiches. Dem Sprachlerner soll sichtbar werden, daß gerade diese historische Epoche das Verständnis der Deutschen von sich selbst entscheidend problematisiert. (ebd.: 78 f.) Gemeint sind Gedichte wie die folgenden von Garbe und Wiemer: 93 7 Landeskundliches Lernen Textbeispiele LEHR REICH unbestimmte zahlwörter ERSTES REICH alle haben gewußt ZWEITES REICH viele haben gewußt DRITTES REICH manche haben gewußt einige haben gewußt DRITTES REICHT (Garbe 1982: 4) ein paar haben gewußt wenige haben gewußt keiner hat gewußt (Wiemer 1971: 12) Ernst Jandls Markierung einer Wende ( Jandl, zit. nach Kusche/ Krechel 1992: Text 7, o.S.) ist ein ‚Klassiker‘ des DaF-Unterrichts (→ Kap. 3) und als Gegenstand eines 3-phasigen Vermittlungsvorschlags mit Arbeitsblättern und Zusatzmaterial in Form von Texten und Bildern in der oben genannten Fernstudieneinheit zu finden. Auch Rudolf Otto Wiemers Zeitsätze finden sich immer wieder. Textbeispiele Zeitsätze Markierung einer Wende Als wir sechs waren, hatten wir 1944 1945 Masern. krieg krieg Als wir vierzehn waren, hatten wir krieg krieg Krieg. krieg krieg Als wir zwanzig waren, hatten wir krieg krieg Liebeskummer. krieg mai Als wir dreißig waren, hatten wir krieg Kinder. krieg Als wir dreiunddreißig waren, hatten wir krieg Adolf. krieg Als wir vierzig waren, hatten wir krieg Feindeinflüge. krieg Als wir fünfundvierzig waren, hatten wir krieg ( Jandl 1992: Text 7) Schutt. Als wir achtundvierzig waren, hatten wir Kopfgeld. Als wir fünfzig waren, hatten wir Oberwasser. Als wir neunundfünfzig waren, hatten wir Wohlstand. Als wir sechzig waren, hatten wir Gallensteine. Als wir siebzig waren, hatten wir gelebt. (Wiemer 1973: 8) 94 7 Landeskundliches Lernen 2 Vgl. die komplette These 14: „Der Umgang mit literarischen Texten leistet einen wichtigen Beitrag zur Erschließung deutschsprachiger Kultur(en). Mit Hilfe von Literatur können die Unterschiede von eigener und fremder Wirklichkeit und subjektiver Einstellung bewußt gemacht werden, Im Hinblick auf das sogenannte landeskundliche Lernen wird in der aktuellen Forschung insbesondere das lange Zeit als unproblematisch geltende Verhältnis zwischen Literatur und Landeskunde kritisch diskutiert. Wie an den bisherigen Ausführungen in diesem Kapitel zu sehen ist, hat man lange Zeit literarische Texte im Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache genutzt, um eine Möglichkeit zu schaffen, den Lernenden landeskundliche Inhalte zu vermitteln. Sie ermöglichen einen perspektivierten und affektiven, mitunter auch spielerischen Zugang, so die Argumentation. In dieser Konzeption werden Literatur und Landeskunde in doppel‐ ter Bezogenheit aufeinander gedacht, wobei literarische Texte einen affektiven Zugang zur Landeskunde im Sinne einer „fremden Kultur“ schaffen, Landeskunde wie‐ derum nötige Informationen für das Verstehen von literarischen Texten bereitstellt. Exemplarisch für diese Position sei hier die Zusammenfassung in der Fernstudienein‐ heit Landeskunde und Literaturdidaktik zitiert: Literarische Texte bieten Zugänge zu einer fremden Kultur und zu verschiedenen Perspekti‐ ven innerhalb dieser Kultur. Sie beziehen sich nicht nur auf einzelne Sachverhalte, sondern diese Sachverhalte werden immer von einem bestimmten Blickpunkt aus betrachtet - das kann der Blickpunkt einer Figur oder der des Erzählers sein. […] Literarische Texte setzen ein landeskundliches Hintergrundwissen beim Leser voraus, über das aber nicht jeder Leser verfügt, so dass er sich aus anderen Quellen dieses Wissen aneignen muss. Im Unterricht empfiehlt es sich, dieses landeskundliche Wissen im Zusammenhang mit den Fragen, die ein Lernender in Bezug auf die literarischen Figuren und ihre Geschichte hat, zu integrieren. (Bischof/ Kessling/ Krechel 2007: 16) Diese Vorstellung wurde zunehmend kritisiert und auch bei Ansätzen, die diesem Muster grundsätzlich folgen, hat sich im Laufe der Diskussion ein Verständnis dafür entwickelt, dass literarische Texte gesellschaftliche Zusammenhänge nicht unverän‐ dert abbilden, sondern durch Distanzierungen und Abweichungen ein Reflexions‐ potenzial eröffnen, und dass man nicht davon ausgehen kann, dass literarische Texte „authentisches Material zur Vermittlung von landeskundlichen Inhalten“ (Ewert/ Riedner/ Schiedermair 2011b: 8) zur Verfügung stellen. Gleichwohl gab und gibt es Positionen im Fach, die die Arbeit mit literarischen Texten immer auch als landeskundliches Lernen in dem Sinne verstehen, dass sie mit authentischem Material Einblick in die gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhänge der zielsprachli‐ chen Regionen ermöglicht. In den 1990 erschienenen ABCD-Thesen, einem zentralen Dokument zur Rolle der Landeskunde im Unterricht Deutsch als Fremdsprache, heißt es in These 14 noch undifferenziert, dass der „Umgang mit literarischen Texten […] einen wichtigen Beitrag zur Erschließung deutschsprachiger Kultur(en)“ (ABCD-The‐ sen 1990: 17) leistet. 2 Wie an den Ausführungen von Swantje Ehlers, die 2010 im 95 7 Landeskundliches Lernen zumal literarische Texte gerade dadurch motivieren, daß sie ästhetisch und affektiv ansprechen.“ (ABCD-Thesen 1990: 17) internationalen Handbuch Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und damit an einem zentralen Publikationsort der Fachdiskussion erschienen sind, zu sehen ist, besitzt die Einschätzung der ABCD-Thesen weiterhin Überzeugungspotenzial. Ehlers verweist auf die Herausforderung, bei der Arbeit mit literarischen Texten ihrer Erkenntnisfunktion, Wissen über die fremde Wirklichkeit zu erlangen, gerecht zu werden. Da literarische Texte eine Fülle von Weltaspekten und Perspektiven auf die Welt enthalten, bieten sie dem fremdsprachigen Lerner die Möglichkeit, seinen eigenen Wahrnehmungs- und Erkenntnishorizont zu erweitern, den eigenen Blickpunkt zu relativieren und mehr von der Zielsprachenkultur und ihren Angehörigen verstehen zu lernen. (Ehlers 2010: 1531) Dagegen formulieren Bischof/ Kessling/ Krechel bereits in ihrer erstmals 1999 erschie‐ nenen Fernstudieneinheit in der oben schon in Auszügen zitierten Zusammenfassung zum landeskundlichen Lernen mit literarischen Texten: Literarische Texte bilden die Wirklichkeit nicht einfach ab, sondern sie haben ihre eige‐ nen Spielregeln, um Geschichten zu erzählen, Wirklichkeiten zu verfremden, Klischees zu korrigieren, etwas offen zu halten und damit den Leser neugierig zu machen. (Bischof/ Kess‐ ling/ Krechel 2007: 16) Auch Karl Esselborn, der in seinem Band Interkulturelle Literaturvermittlung zwischen didaktischer Theorie und Praxis (2010) das skizzierte Vorgehen für den Bereich Deutsch als Fremdsprache ausführlich vorstellt, stellt einschränkend fest: Landeskundliche Aspekte sind aber aus literarischen Texten nur selten direkt wie objektive Sachinformationen zu entnehmen. […] Entscheidend ist, wie die Literatur jeweils mit den Rea‐ litäten umgeht, wie sie Wirklichkeit verdeutlichend, zuspitzend, übertreibend, verändernd, abstrahierend verdichtet, kommentiert, deutet, kritisiert, ironisch verfremdet, ästhetisiert, was auch von der Perspektive und Intention des Autors und von den literarischen Formen und Genres und den ihnen inhärenten Deutungsschemata abhängt. (Esselborn 2010: 79) Auf dieser Basis bietet Esselborn in seinem Band ein eigenes Kapitel mit dem Titel Literatur und Landeskunde. Dort entwickelt er für Mauerfall und Vereinigung 1989/ 1990 konkrete und recht detaillierte Vorschläge, mit welchen literarischen Texten man im Unterricht Deutsch als Fremdsprache zu den folgenden Themenbereichen arbeiten könnte: „Das geteilte Deutschland“, „Die demokratische Revolution“, „Erste Reaktio‐ nen auf die Vereinigung“, „Vergangenheitsbewältigung (Schriftsteller und Stasi)“, „Literarische Beschreibung der Wende. Späterer kritischer Rückblick“ (ebd.: 88-91). Neben vielen Hinweisen zu geeigneten literarischen Texten ist auch ein ausführliches Verzeichnis einschlägiger Sekundärliteratur zu finden (Esselborn 2010: 83 f.). Möchte man sich mit dem Ansatz Literatur und Landeskunde näher beschäftigen, könnte Essel‐ 96 7 Landeskundliches Lernen borns allgemeine Aufstellung, welche landeskundlichen Aspekte in literarischen Texten lesbar sein können, eine Anregung sein: ■ einzelne Informationen, Daten, Fakten historischer, politischer, sozialer Art, Realitätsdetails, Anspielungen auf Ereignisse, Personen, die allerdings isoliert aufgezeigt wenig Sinn machen und erst in den fremdkulturellen Zusammenhang zu integrieren sind ■ Informationen zur pragmatischen, handlungsorientierten Seite sprachlicher Kom‐ munikation ■ Beschreibungen von Kulturstandards ■ Wiedergabe von Normen, öffentlichen Meinungen, von Ideologien usw. ■ Beschreibung von Einstellungen, Stimmungen, Mentalitäten ■ Beiträge zu allgemeinen Kulturthemen wie Raum, Zeit, Distanz, Arbeit, Freizeit, Essen, Wohnen, Natur, Geschlechter usw. ■ Fremd- und Selbstbilder ■ sozial-politischer Rahmen, zeitgeschichtlicher Hintergrund von Geschichten ■ (indirekte) Beschreibung von Lebensverhältnissen ■ Schilderung von Reaktionen der betroffenen Menschen ■ Kommentare zur Realität, Kritik, literarische Gegenentwürfe ■ Appelle, Erklärungen, Anweisungen eingreifender Literatur (politische Literatur, Theater) ■ kulturelle Verstehens-, Deutungsrahmen des Autors und Lesers ■ (historische) literarische Sprache, literarische Konzepte, Genres, Themen und Formen usw. (Esselborn 2010: 78) Peter O. H. Groenewold bemerkt in seinem Beitrag Literatur im Landeskundeunterricht, der - ebenfalls 2010 - im internationalen Handbuch Deutsch als Fremd- und Zweitsprache erschienen ist, dass bei der Arbeit mit literarischen Texten im Kontext der Landeskunde Themen der Zeitgeschichte seit 1945 im Vordergrund stehen, wobei diese aus der „Erlebnis- und Erinnerungsperspektive der gegenwärtig lebenden Generationen“ (Groenewold 2010: 1567) betrachtet werden. Als „Schwerpunktthemen“ listet er auf: Nationalsozialismus, Krieg und Stunde Null; das wechselvolle Schicksal Berlins (deutsche Teilung, Mauer); Terrorismus der 1970er Jahre; die Wende (deutsche Einheit, das Zusammen‐ wachsen von Ost und West); Rechtsextremismus/ Rassismus; Migration und multikulturelle Gesellschaft; Erinnerung an den Holocaust sowie an die deutschen Opfer von Bombenkrieg, Flucht, Vertreibung und Massenvergewaltigungen. (Groenewold 2010: 1567) Dabei weist er noch einmal gesondert darauf hin, dass sich Wende und Deutsche Einheit als „neues Großthema in Literatur und Landeskunde“ (ebd.) etablieren und nennt das Handbuch ‚Wende‘ und ‚Einheit‘ im Spiegel der deutschsprachigen Literatur von Frank Thomas Grub (2003) als Fundus für literarische Texte und Fachliteratur. Groenewold führt weiter aus, dass man bereits seit den 1990er Jahren im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache mit einem weiten Literaturbegriff 97 7 Landeskundliches Lernen 3 Bei Groenewold sind auch Literaturhinweise zur Arbeit mit Comics/ Graphic Novels zu finden: Cary (2004), Morrison/ Bryan/ Chilcoat (2002), Murnier (2000). Zur Fachdiskussion vgl. auch Magosch (2015), Kovar (2019), Hallet (2012a) und Heft 63 (2020) Graphic Novels der Zeitschrift Fremdsprache Deutsch. 4 In Kap. 11 wird am Beispiel von Thomas Bernhards Prosaband Alte Meister (1988/ 1985) und der gleichnamigen Graphic Novel von Nicolas Mahler (2011) gezeigt, was Adaptionen leisten können. (→ Kap. 11) arbeitet und man somit im Unterricht auf eine große Vielfalt an Textarten zurückgreifen könne. Neben autobiografischen Texten, Zeitzeugenberichten, Reporta‐ gen, Reisebeschreibungen und reflexiv-essayistischen Texten gerät dabei vor allem die sich immer stärker entwickelnde Jugendliteratur in den Blick. Da literarische Texte - auch in diesem weiten Verständnis - jedoch oft als „zu lang, zu kompliziert, zu ungewohnt“ (Groenewold 2010: 1568) erscheinen würden - aus institutionellen Gründen wie Zeitressourcen und Prüfungsanforderungen ebenso wie aus Gründen des sprachlichen Niveaus der Lernenden und deren Vertrautheit mit literarischen Texten -, schlägt Groenewold die Arbeit mit Graphic Novels vor. Den „Mehrwert“ sieht er u. a. in dem „idealen Umstand, dass sich Text und Bild die Aufgabe des Erzählens teilen“ (Groenewold 2010: 1569). So ist „trotz des fremdsprachlichen Textes immer schon ein miterlebendes und mitgestaltendes Verständnis des Geschriebenen durch den betrach‐ tenden Leser gewährleistet“ (ebd.). 3 Auch zeichnerische Adaptionen von Romanen (→ Kap. 11), 4 etwa die Umsetzung von Uwe Timms Roman Entdeckung der Currywurst (1993) in eine Bildergeschichte von Isabel Kreitz (2005) und ins Deutsche übersetzte Graphic Novels wie die drei Ende der 1920er/ Anfang der 1930er Jahre spielenden Bände Berlin von Jason Lutes (2003/ 2008/ 2018, engl. 2001/ 2008/ 2018), die Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Art Spiegelmans Maus (1989 / engl. 1986) und Joe Kuberts Yossel, 19. April 1943: Eine Geschichte des Aufstands im Warschauer Ghetto (2005 / engl. 2003,) sind aus Groenewolds Sicht adäquate Texte für den Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Möchte man den Impuls von Groenewold aufgreifen, kann man zu diesem The‐ menspektrum auch auf die 2018 in den USA unter dem Titel Belonging. A German Reckons With History and Home und auf Deutsch unter dem Titel Heimat. Ein deutsches Familienalbum erschienene Graphic Memoir von Nora Krug zurückgreifen. In ihrer Besprechung des Bandes als Lektürespur in Zielsprache Deutsch umreißt Caroline Nilstad, was dieser Text leisten und warum er für Kontexte von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache interessant sein kann: 98 7 Landeskundliches Lernen Unterrichtsidee Abb. 7: Krug 2018: Buchcover Heimat, so der Titel des Buches, ist we‐ der ein idyllisches Landleben, wie es manche Zeitschriften heute oft sugge‐ rieren, noch Anknüpfung an die rechte Besetzung des Begriffs. Vielmehr deutet sich auf dem Umschlag schon an, was im Laufe des Buches veranschaulicht wird. Heimat, vor allem die deutsche, verlangt einen Blick, der sich offen, neu‐ gierig und kritisch in die Vergangenheit richtet. Denn ‚Heimat‘, so stellt es die Erzählerin abschließend fest, kann ‚nur in der Erinnerung wiedergefunden wer‐ den‘. Indem Krug sich von Anfang an als ‚heim‐ wehkranke Auswanderin‘ einführt, folgt man der reflektierenden und kommentie‐ renden Erzählerin, die sich zwar nach Deutschland sehnt, sich jedoch ‚nicht wirklich [zu dieser Heimat] bekennen kann‘. (Nilstad 2019: 61, Hervorh. i. O.) Abb. 8: Krug 2018: o.S. Durch die […] Schilderung einer Be‐ gegnung mit einer KZ-Überlebenden wird nicht nur der Erzählanlass thema‐ tisiert, sondern auch die Frage danach ins Zentrum gerückt, wie man als Deut‐ sche im Ausland wahrgenommen wird. […] Denn durch das Leben im Ausland kommt, wie Krug auch in Interviews immer wieder erläutert, die deutsche Identität einerseits deutlicher zur Gel‐ tung und wird andererseits stärker her‐ ausgefordert. ‚Wie kann man begreifen, wer man ist, wenn man nicht versteht, woher man kommt? ‘ So lautet die zen‐ trale Frage, die die 42-Jährige stellt, und damit auch zu einer Repräsentantin der‐ jenigen wird, die als dritte Generation weder das NS-Regime und den Krieg selbst erlebt haben noch notwendiger‐ weise mit Augenzeugen sprechen konn‐ ten. (ebd. 2019: 62) 99 7 Landeskundliches Lernen 5 Vgl. die Bände von Erll (2005) und A. Assmann (2012, 2018). Zur Arbeit mit dem Konzept der Erinnerungsorte in Deutsch als Fremdsprache vgl. die Bände Badstübner-Kizik/ Hille (2015, 2016), Schmidt/ Schmidt (2007) und Fornoff (2016). Auf unsentimentale, teilweise humorvolle Weise erzählt Krug so von ihren Wurzeln und ihrer deutschen Identität, die auch immer verknüpft ist mit einer Auseinandersetzung mit kollektiver und individueller Schuld. (Nilstad 2019: 64) Nilstad zeigt in ihrer Besprechung, wie in Krugs Graphic Novel das eigene Erinnern und Erzählen reflektiert wird und wie man beim Lesen durch den gewählten Modus des Schreibens und Zeichnens mit dieser Metaebene konfrontiert wird, die auch als Metaebene zu der Frage fungiert, welche Möglichkeiten des Zugangs zu geschichtlichen, gesellschaftlichen und kultu‐ rellen Zusammenhängen sich bieten. Damit greift sie auf neuere kulturwis‐ senschaftliche Konzepte zurück, die etwa dem Erinnern einen zentralen Stellenwert zuschreiben, 5 und nutzt sie für die Arbeit mit literarischen Texten. Ein Umgang mit Krugs Text, wie er von Nilstad vorgeschlagen wird, skizziert eine Möglichkeit, wie man landeskundliches bzw. kulturelles und literarisches Lernen auf der Grundlage kulturwissenschaftlicher Konzepte denken kann (→ Kap. 10). Für entsprechende Lektüren bieten sich auch an: Kinderland. Eine Kindheit im Schatten der Mauer (2014) des Berliner Comicautors Mawil oder die Adaption des Romans Eine Hand voller Sterne von Rafik Schami (1987), als Graphic Novel (2018) zusammen mit dem Illustrator Markus Köninger. Peter O. H. Groenewold unterscheidet in diesem Rahmen auf methodischer Ebene zwischen der Nutzung literarischer Texte als „didaktische[m] Mittel“ und ihrer Nutzung als „Teil eines erkenntnistheoretischen Konzepts“, wie es in einer „kulturwissenschaftli‐ chen und interkulturellen Landeskunde“ zugrunde gelegt wird (Groenewold 2010: 1566). Mit der Unterscheidung Groenewolds lässt sich die fachwissenschaftliche Diskussion zum landeskundlichen Lernen mit literarischen Texten bis zu einem gewissen Grad fassen. Während Groenewold jedoch nur auf den Wechsel vom Text als Medium aus unterrichtsmethodischer Perspektive zum Text als Medium für erkenntnistheoretische Prozesse hinweist, zeichnet sich in den aktuellen Beiträgen ein weiterer Paradigmen‐ wechsel ab: eine kritische Absetzung von interkulturellen Ansätzen hin zu einer an kulturwissenschaftlichen Prämissen orientierten Landeskunde, die auch neue Perspektiven für die Arbeit mit literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht eröffnet. Der Aspekt der Interkulturalität hatte in den 1990er Jahren in der Landes‐ kundedidaktik und in der Arbeit mit literarischen Texten zunehmend an Bedeutung gewonnen und eine so große Plausibilität erlangt, dass er oft als logische Fortsetzung zum landeskundlichen Lernen verstanden wurde und wird, wie etwa Kapitelbezeichnungen wie Lernziel ‚Interkulturelle Kompetenz‘ und landeskundliches Wissen in dem Band Literatur im DaF/ DaZ-Unterricht von Koppensteiner/ Schwarz (2012) implizieren. Diese 100 7 Landeskundliches Lernen Gleichsetzung führte und führt mitunter so weit, dass das Arbeiten mit literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht per se unter Stichworten verortet wurde bzw. wird wie „interkulturelles Lernen“, „interkulturelle Kompetenz“, „Perspektivenwechsel“, „Empathie“, „Toleranz“, „Fremdverstehen“ - eine Entwicklung, die wir im nächsten Kapitel diskutieren werden (→ Kap. 8). Diese Ausrichtung an der Interkulturalität wird zunehmend kritisiert - insbesondere wird ihr vorgeworfen, einen nicht adäquaten Kulturbegriff zugrunde zu legen, der in unzureichender Weise Nation, Sprache und Kultur zusammenbindet und so homogenisierende, pauschalisierende und damit auch stereotypisierende Vorstellungen tradiert (s.a. Altmayer 2010). In Absetzung davon gehen die neueren Ansätze, die sich an der kulturwissenschaftlichen Theoriebildung orientieren, von einem dynamischen, nicht-essentialistischen Kulturbegriff aus und von Konzepten wie „Kultur als Text“ (Geertz 1997/ dt. 1983/ engl. 1973) (→ Kap. 10). Der Fokus richtet sich auf kulturelle Prozesse in ihrer diskursiven Verfasstheit und Vorläufigkeit (→ Kap. 10), wie es etwa das Stichwort „Doing Culture“ impliziert: „Kultur ist dynamisch, sie ist in action. Immer häufiger richtet sich das Forschungsinteresse nicht auf die Kultur, sondern auf die Vielfalt kulturellen Wandels“ (Hörning/ Reuter 2004: 9, Hervorh. i. O.). Siehe zu einem solchen Kulturbegriff, der von Pauschalisierungen und Stereotypi‐ sierungen absieht und kulturelle Prozesse in ihrer diskursiven Verfasstheit, flexiblen Bezogenheit auf gesellschaftliche Zusammenhänge und der damit gegebenen Dynamik zu verstehen sucht, auch den bedeutungs-, symbol- und wissensorientierten Kulturbegriff von Reckwitz (2006: 64 ff.). Auf dieser Basis wurden in den letzten Jahren Konzepte ausgearbeitet, die im Fach unter den Stichworten „Erinnerungsorte“, „Linguistic Lands‐ capes“, „Symbolische Kompetenz“, „Kultursemiotik“ und „Kulturelle Deutungsmuster“ bekannt sind (vgl. Haase/ Höller 2017, Schiedermair 2018). Diese Ansätze gehen von der Annahme einer diskursiven Verfasstheit sozialer Wirklichkeiten aus. Dabei stellen kulturwissenschaftliche Ansätze kein klar zu erfassendes, methodisch oder inhaltlich defi‐ nierbares Paradigma, sondern vielmehr ein komplexes Konglomerat unterschiedlichster Forschungsschwerpunkte und -gegenstände dar, denen u. a. ‚der Blick auf die Konstruktion kollektiver Sinnstiftung bzw. Orientierungsmuster (und) das Aufbrechen der unglücklichen Verquickung von Kultur, Nation und Sprache‘ gemeinsam ist (vgl. Schmenk 2006: 267). wie Koreik/ Pietzuch (2010: 1449) formulieren. Insbesondere aus der Perspektive der sogenannten „Kulturstudien“ werden Ansätze der interkulturellen Landeskunde und damit auch Ansätze, die literarische Texte im Rahmen interkultureller Landeskunde verwenden, als „unzeitgemäß“ in „Zeiten der globalen Vernetzung“ kritisiert (Altmayer 2009: 126, s.a. Altmayer 2008; kritisch zu dieser Kritik siehe Fornoff/ Koreik 2020). In diesem Argumentationskontext gerät auch die Arbeit mit literarischen Texten insgesamt in die Kritik und wird nur bedingt als sinnvoll erachtet. Bei der Beschäftigung mit gesellschaftlichen Wirklichkeiten stellen - so wird argumentiert - literarische Texte zwar ein denkbares Medium dar, ihnen wird auch eine Funktion „als Medien diskursiver Selbstverständigung und Bedeutungsaushandlung zugestanden“, es wird jedoch betont, dass die „Beschäftigung mit Literatur keineswegs 101 7 Landeskundliches Lernen im Vordergrund“ (Altmayer/ Dobstadt/ Riedner 2014: 8) stehe. Sie müsse „im Hinblick auf ihre Eignung für die Zwecke der Kulturstudien jeweils im Einzelfall legitimiert werden“ (Altmayer 2014: 34), wobei ihre Verwendung im Unterricht Deutsch als Fremdsprache gänzlich den Zielen des kulturellen Lernens untergeordnet wird. Der Fokus liegt hier auf einem Konzept, das die Deutungs- und Diskursabhängigkeit jeder gesellschaftlichen Wirklichkeit hervorhebt und weniger diese Wirklichkeit selbst als vielmehr die Prozesse beziehungsweise Praktiken, die Medien/ Diskurse und insbesondere die kulturellen Ressourcen beziehungsweise Wis‐ sensordnungen zum Gegenstand hat, die die ‚landeskundliche Wirklichkeit‘ überhaupt erst konstituieren. (Altmayer/ Dobstadt/ Riedner 2014: 8) Ein konkretes Beispiel, zwar nicht für einen Vermittlungszusammenhang, aber dafür, wie eine solche Analyse der „Prozesse“ und „Praktiken“, „Medien“ und „Diskurse“, „kulturellen Ressourcen“ und „Wissensordnungen“ aussehen könnte, entwickelt Mi‐ chael Dobstadt in seinem Beitrag friedliche Revolution - Wende - Friedliche Revolution: DDR-Erinnerungsworte als Gegenstände einer kulturwissenschaftlichen Landeskunde in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (2015). Für diese Analyse greift er nicht auf literarische Texte zurück. Erst in seinem späteren Beitrag ‚Deutschland im Krieg: Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan‘. Ein Diskurs und seine Medien aus der Perspektive des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (Dobstadt 2019) gehören neben nicht-literarischen Texten und Medien aus Nachrichtenorganen und Wissenschaft auch literarische bzw. ästhetische Texte und Medien zum Korpus. Auch hier wird die konkrete Vermittlungsperspektive nur angedeutet. Der hier skizzierte Ansatz der Kulturstudien muss sich außerdem zunehmend mit dem kritischen Hinweis auseinandersetzen, den Uwe Koreik aus der Perspektive des geschichtlichen Lernens in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache formuliert: Man muss nicht so weit gehen […] und der Landeskundevermittlung im Fremdsprachenun‐ terricht als eigentliches Ziel das der emanzipatorischen Bildung zuschreiben, man wird aber aus guten Gründen darauf beharren dürfen, dass mit der Sprachvermittlung immer auch Kulturvermittlung einhergeht, die eben auch Kenntnisvermittlung beinhaltet, weil sonst (zu) vieles unverständlich bleibt. Es reicht aber einfach nicht, sich darauf zu verlassen, dass eine gute Sprachausbildung zur Diskursfähigkeit führt, wenn Teilnehmende an Sprachkursen mit eklatanten Wissenslücken im Weltwissen und speziell mit Bezug auf deutschsprachige Zielländer in den Kursen sitzen: Selbst erlebte Äußerungen wie: ‚Ich hab gar nicht gewusst, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg mal zwei deutsche Länder gab‘ (so oder annähernd so von türkischen und spanischen Deutschlernenden geäußert) ist [sic] dafür nur ein Beleg. […] Zugleich ist klar, dass gewisse ‚Fakten‘ immer auch einer Interpretation unterliegen, die unterschiedlich ausfallen kann und je nach Blickwinkel und eigener Positionierung auch verschieden ausfallen muss. Gleichwohl ist unstrittig, dass ein überhaupt ernst zu nehmender Diskurs nur auf der Basis belegbarer Fakten geführt werden kann, die auf einer Validierung durch die Wissenschaftlergemeinschaft beruht. (Koreik 2018: 40 f.) 102 7 Landeskundliches Lernen In den Konzeptionen, die zu Beginn des vorliegenden Kapitels vorgestellt wurden, gel‐ ten literarische Texte als „Träger von landeskundlichen Informationen“ (Bischof/ Kess‐ ling/ Krechel 2007: 5). Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass literarische Texte die Wirklichkeit zielsprachiger Länder oder Regionen nicht einfach abbilden, sondern in Inhalt, Sprache und Form eigene Perspektiven ihr gegenüber einnehmen. Für den Unterricht bedeutet das, in der Lektüre literarischer Texte spezifische, historisch und sozial konnotierte Sichtweisen auf die Wirklichkeit zu erschließen, was wiederum bei den einzelnen Leser*innen aus unterschiedlichen Perspektiven erfolgt. Die Leser*innen erschließen sich individuelle Zugänge zu zielsprachlichen Wirklichkeiten und tauschen sich über diese aus. Notwendige (landeskundliche) Hintergrundinformationen für die Lektüren literarischer Texte werden bspw. aus Sachtexten oder Bildmaterial gewonnen - so formulieren es Bischof/ Kessling/ Krechel in Landeskunde und Literaturdidaktik (2007: 5). In der aktuellen fremdsprachendidaktischen, auch DaF/ DaZ-bezogenen Forschungs‐ diskussion liegt der Fokus weniger auf zielsprachlichen Wirklichkeiten als auf gesell‐ schaftlichen Aushandlungsprozessen - auch in transnationaler und globaler Perspektive. Anstelle einer inter- und plurikulturellen Kompetenz, die der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen als übergeordnetes Lehr- und Lernziel des Fremdsprachen‐ unterrichts postuliert, wird eine Diskursfähigkeit als solches angenommen. Unter ihrem Postulat verändert sich auch die Diskussion um das Verhältnis von (literarischen) Texten, Diskursen und kulturellem Lernen (→ Kap. 10). Vor diesem Hintergrund haben wir aus literaturwissenschaftlicher Sicht einen Vorschlag erarbeitet für eine didaktische und methodische Umsetzung der kulturwissenschaftlichen Prämisse von der diskursiven Verfasstheit gesellschaftlicher Zusammenhänge und der Teilhabe literari‐ scher Texte an diesen. Die Arbeit mit einem Textnetz (→ Kap. 10, 18) ermöglicht es, das Verhältnis zwischen literarischen Texten und gesellschaftlichen Wirklichkeiten bzw. zwischen Literatur und Landeskunde auf einer kulturwissenschaftlichen Basis neu zu konturieren und in unterrichtlichen Zusammenhängen zu berücksichtigen. 103 7 Landeskundliches Lernen 1 Vgl. etwa die Bände Dietrich Krusche (1993a/ 1985): Literatur und Fremde und Dietrich Krusche/ Alois Wierlacher (Hrsg.) (1990): Hermeneutik der Fremde. 2 Vgl. den Aufsatz in: Wierlacher, Alois (Hrsg.) (1985): Das Fremde und das Eigene. Prolegomena zu einer interkulturellen Germanistik (3-28); 1990 wurde er erneut publiziert in: Krusche/ Wierlacher (Hrsg.): Hermeneutik der Fremde (51-79). 8 Interkulturelles Lernen Die Perspektive des interkulturellen Lernens auf Potenziale und mögliche Funktionen literarischer Texte im Kontext von Lehre und Unterricht im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache wurde in → Kap. 7 bereits als Teil der Diskussion zum landes‐ kundlichen Lernen angedeutet. Sie wird hier in einem eigenständigen Kapitel weiter ausdifferenziert, ruft sie doch einen komplexen und immer wieder intensiv diskutierten Zusammenhang auf. Mit ihren unterschiedlichen Argumentationsgängen kann sie im Rahmen einer Einführung auch in einem eigenen Kapitel nur in reduzierter Form dargestellt werden. Mit Hinweisen auf einschlägige Publikationen zu den einzelnen Forschungspositionen versuchen wir, dieser Beschränkung zu begegnen. Die ‚interkulturelle Perspektive‘ ist von Beginn an Teil der fachwissenschaftlichen Diskussion zur Lektüre von Literatur im Fremd- und Zweitsprachenunterricht; sie nimmt zunächst von der Kategorie der „Fremde“ ihren Ausgangspunkt. 1 Schon in dem erstmals 1985 und 1990 nochmals publizierten 2 und immer wieder zitierten Beitrag Mit fremden Augen sehen oder: Fremdheit als Ferment. Überlegungen zur Begründung einer interkulturellen Hermeneutik deutscher Literatur bezeichnet Alois Wierlacher das Lesen deutschsprachiger literarischer Texte in Lehr-Lern-Zusammenhängen von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache als eine „mehrschichtige Fremderfahrungssituation“ (Wierlacher 1990: 56). „Fremde“, so Wierlacher (ebd.) begegnet „in dreifacher Gestalt: als Fremdsprachlichkeit, als fremdkulturelle (dargestellte) Wirklichkeit und als die Hermetik poetischer Texte“. Im Rahmen einer „Interkulturellen Germanistik“, die sich in den 1980er Jahren zu etablieren beginnt, plädiert er dafür, den „Aufbau einer interkulturellen Kommunikationsfähigkeit“ (ebd.: 55) der Lernenden bzw. Lesenden zu fördern durch: ■ Aufsuchen von Anschließbarkeiten des Texts an die hermeneutische Situation des Verstehenden ■ Herausarbeiten kulturell bedingter Lektüreunterschiede ■ Aufbau einer Ambiguitätstoleranz ■ Verfremden der Leser-Routinen ■ Prüfung der xenologischen Lesereinstellungen (ebd.) Auf der Basis der Grundbegriffe „Alterität, Kultur und Fremde“ (Wierlacher 1990: 56, Hervorh. d. Verf.) entwickelt Wierlacher eine „Hermeneutik kultureller Alterität“ bzw. eine „Interkulturelle Hermeneutik“, die „die Forschungsaufgaben 3 In Esselborns Band finden sich ausführliche Literaturverzeichnisse, die ein Weiterarbeiten zu den einzelnen von ihm bearbeiteten Themen ermöglichen. Außerdem sei hier darauf hingewiesen, dass er für das Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache jährlich eine mehrseitige Fachbibliografie zum Bereich Interkulturelle Literaturwissenschaft und Literaturvermittlung erstellt (seit 2009 zus. mit Simone Schiedermair), die einen sehr guten Überblick über die jeweils aktuellen Neuerscheinungen gibt. einer vergleichenden Fremdkulturwissenschaft mit den Lehraufgaben einer Fremdkul‐ turdidaktik verbindet“ (ebd.: 57) und den Begriff der Alterität sowohl als „Gegenstandsals auch als Wahrnehmungskategorie“ auffasst (ebd.: 69). Wichtig ist bei diesem Ansatz, dass die Positionen der Rezipierenden systematisch berücksichtigt werden. Die allgemeine Hermeneutik von Hans Georg Gadamer, die insbesondere das Verstehen über die zeitliche Distanz zwischen der Entstehung eines Textes und dem Zeitpunkt seines Gelesenwerdens hinweg reflektiert (vgl. Gadamer 1990/ 1960: 311), überträgt Wierlacher auf eine sogenannte „kulturräumliche“ Ferne, die zwischen deutschspra‐ chigen Texten und fremdsprachlichen Lesenden bestehe. Rezeption wird in diesem Kontext verstanden als ein dynamisches und flexibles Verstehen und als Prozess, der sich nicht nur im Hinblick auf den Text, sondern in gleicher Weise in Abhängigkeit von den Rezeptionsbedingungen der Lesenden ereignet. Folglich ist bei der Arbeit mit literarischen Texten das Bedingungsgefüge des Verstehens der Rezipierenden zu berücksichtigen. In Lehr-Lern-Zusammenhängen wird grundsätzlich auf die Reflexion der Textlektüre als interkulturelles Begegnungsmoment verwiesen; eine solche Lektüre literarischer Texte wird zum Trainingsfeld für eine interkulturelle Kompetenz, die die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel und die Fähigkeit zur Reflexion der eigenen per‐ spektivischen Gebundenheit sowie zu Empathie und Ambiguitätstoleranz einschließt. Die enge Verbindung, die hier zwischen literarischen Texten und interkul‐ turellem Lernen gezogen wird, hat eine große Überzeugungskraft entwickelt und verfügt in bestimmten Bereichen der fachwissenschaftlichen Diskussion bis in die Gegenwart über eine hohe Plausibilität. Die breite Wirkung des Konzepts zeigt etwa Karl Esselborn in seinem Band Interkulturelle Literaturvermittlung zwischen Theorie und Praxis (2010) (→ Kap. 7, 15), der darauf zielt, „die theoretischen fachwissenschaftlichen Ansätze mit Praxiserfahrung und Praxisanleitung bis hin zu (erprobten) didaktischen Modellen konsequent zu verbinden“ (ebd.: 14). 3 Der Konnex von literarischem und interkulturellem Lernen hat in vielen Bereichen der Fachdiskussion von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache den Status einer Selbstverständlichkeit erlangt und bildet trotz vielfältiger Kritik weiterhin einen wichtigen Bezugspunkt für die Gestaltung von Unterrichtseinheiten sowie für das Forschungsdesign aktueller Studien zur Literatur‐ didaktik (siehe etwa Eß 2016, Baumann 2018). Trotz vielfältiger Kritik am Paradigma der Interkulturalität und kritischer Stimmen zum Konzept der interkulturellen Kompetenz erfährt der Bereich des interkulturellen Lernens mit literarischen Texten weiterhin viel Beachtung. Materialien werden entwi‐ ckelt, Konzepte ausgearbeitet und Lernprozesse evaluiert. Eine aktuelle Formulierung dieser Position findet sich etwa von Werner Biechele in dem von Bernt Ahrenholz und Ingelore Oomen-Welke herausgegebenen Überblicksband Deutsch als Fremdsprache, 106 8 Interkulturelles Lernen der 2013 als Band 10 im Handbuch zur Didaktik der deutschen Sprache und Literatur in elf Bänden erschienen ist: Eine Literaturvermittlung, die die Beschreibung der subjektiven Erfahrungen mit Fremdheit zum Gegenstand des Unterrichtens macht und in der Auseinandersetzung mit dem Fremden, Anderen die Lerner zur Empathie, Rollendistanz und Ambiguitätstoleranz anhält, wird zur Interkulturalität als Haltung und Einstellung und damit zu interkultureller Kompetenz als wichtiger Schlüsselqualifikation führen, einer Schlüsselqualifikation, die befähigt, die Begrenztheit der eigenen Perspektive zu erfahren und kritisch zu reflektieren, Alternativen zu eigenen Verhaltensmustern zu erdenken und Fremdheit/ Andersheit auszuhalten und zu tolerieren. Solche Formen perspektivischen Sehens mit Hilfe literarischer Texte zu vermitteln, gehört zu den in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzenden Aufgaben des Deutsch als Fremdsprache-Unterrichts. (Biechele 2013: 224) Diese Vorstellung von Literaturdidaktik ist so präsent, dass die Förderung von interkultureller Kompetenz häufig als eine der zentralen Begründungen für die Frage danach verwendet wird, warum literarische Texte in Lehr- und Lernzusam‐ menhängen von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache zum Einsatz kommen. So äußert sich etwa Hermann Funk - ohne größeren argumentativen Aufwand, weil er davon ausgehen kann, dass seine Einschätzung auf einem breiten Konsens beruht -, dahingehend, dass sich „literarische Fragestellungen im Kontext von DaF […] daran messen lassen [müssen], welchen Beitrag sie zum Erwerb fremdsprachlicher und fremdkultureller Kompetenz und zur interkulturellen Sensibilisierung leisten“ (Funk 2017: 264). Gleichwohl ist das eine Position, die spätestens seit den 2010er Jahren zunehmend in die Kritik geraten ist und durch Ansätze, die darüber hinausführen, ergänzt und neu perspektiviert wird, etwa in dem von Ewert/ Riedner/ Schiedermair herausgegebenen Band Deutsch als Fremdsprache und Literaturwissenschaft. Zugriffe, Themenfelder, Perspektiven (2011a), die in ihrer Einführung formulieren: Während die bisherige fachwissenschaftliche Diskussion von Themen wie ‚Fremde als Motiv in literarischen Texten‘, ‚literarische Rezeption unter den Bedingungen der Fremd‐ kulturalität‘, ‚Erwerb interkultureller Kompetenz‘ sowie ‚Literatur als Sprechanlass‘ und ‚authentisches Material zur Vermittlung von landeskundlichen Inhalten‘ beherrscht wurde, ergibt sich aus den vorliegenden Beiträgen ein Bild, das weit über diese Bereiche hinausgeht. So werden vielfältige Möglichkeiten zu einer Neukonturierung der Literaturwissenschaft im Fach Deutsch als Fremdsprache entworfen, die auf Kategorien wie Fremdheit und Deau‐ tomatisierung, Heterogenität und Ambivalenz, form as meaning und Medialität, diskursive Vernetzung und mental mapping beruhen. (Ewert/ Riedner/ Schiedermair 2011b: 8) Wie sich bereits in nuce andeutet, hat der Ansatz der interkulturellen Hermeneu‐ tik und der interkulturellen Kommunikationsfähigkeit und Kompetenz vielfältige positive wie negative Kritik erfahren. In der Interkulturellen Literaturwissenschaft schließt man eher positiv an ihn an. So präsentiert ihn etwa Michael Hofmann ausführlich in seinem Band Interkulturelle Literaturwissenschaft. Eine Einführung 107 8 Interkulturelles Lernen 4 Die „Verdienste dieser Forschungsrichtung“ bezeichnet er als „unbestritten“ (Hofmann 2006: 38), auch wenn er sie in bestimmten Punkten kritisch sieht. Zu Hofmanns Einschätzung von Interkultureller Germanistik, Interkultureller Hermeneutik und Wierlachers Ansatz vgl. Hofmann (2006: 38-42) und Hofmann/ Patrut (2015: 14 ff.). 5 Diese sind: Alltägliche oder normale Fremdheit, Strukturelle Fremdheit, Radikale Fremdheit; vgl. Leskovec (2009: 35 ff., 2011a: 51 ff.) und Waldenfels (1997: 35 ff.). (2006) und weist darauf hin, dass die Kolloquien, Tagungen und Publikationen dieser Forschungsrichtung 4 auch eine „wesentliche Grundlage“ seines Buches darstellen. Während sehr früh Peter J. Brenner (1991) und in jüngerer Zeit Andrea Leskovec (2009) an der interkulturellen Hermeneutik kritisieren, dass sie mit ihren Verfahren auf eine Überwindung und damit Vereinnahmung von Fremde zielt, auf Konsensbildung aus‐ gerichtet ist und „Fremdheit als Spielart des Eigenen“ (Leskovec 2009: 127) konzipiert, argumentiert Hofmann, dass in der Wierlacher’schen Version die Fremde als solche respektiert wird und beschreibt die Hermeneutik des Fremden als Zwischenposition, von der aus integrierendes Verstehen und das Erhalten von Differenz möglich sind: Wierlacher plädiert in Abgrenzung zu Gadamer für eine Hermeneutik, die den Leser eines Textes in die Lage versetzt, verschiedene Rollen anzunehmen, mit ‚fremden Augen‘ zu sehen und auf diese Weise die eigene Perspektive zu erweitern. Für das fremdkulturelle Verstehen kommt der Literatur dabei eine besondere Rolle zu, weil diese dem Leser dazu verhelfen kann, spielerisch in eine fremde Identität zu schlüpfen und damit hypothetisch die Sichtweise des Fremden zu übernehmen. […] Das spielerische Einüben fremder Perspektiven und Rollenmuster ist also für Wierlacher der Weg, die Einseitigkeiten der traditionellen Hermeneutik zu überwinden und einen Modus des Fremdverstehens zu konzipieren, der das Fremde nicht auf eine Spielart des Eigenen reduziert. (Hofmann 2006: 39) Andrea Leskovec reflektiert in ihrer Studie Fremdheit und Literatur. Alternativer hermeneutischer Ansatz für eine interkulturell ausgerichtete Literaturwissenschaft (2009) kritisch einzelne Positionen der Interkulturellen Hermeneutik - neben Wierlacher etwa von Dietrich Krusche und Norbert Mecklenburg (s. Leskovec 2009, Kap. 5, 84-128) - und arbeitet auf dieser Basis sowie unter Rückgriff auf das Konzept der „Steige‐ rungsgrade des Fremdseins“ 5 von Bernhard Waldenfels ihren Ansatz einer „Poetik des schrägen Blicks“ (ebd.: 180) aus, dessen Adaption für unterrichtliche Zusammenhänge sie in ihrem Band Einführung in die interkulturelle Literaturwissenschaft (2011a) leistet. Mit Viktor Šklovskij (→ Kap. 1) konturiert Leskovec (ebd.: 117) als Funktion von Kunst und also auch von literarischen Texten, durch Deautomatisierung der Wahrnehmung „das Empfinden des Lebens wiederherzustellen, um die Dinge zu fühlen, um den Stein steinern zu machen […]. Ziel der Kunst ist es, ein Empfinden des Gegenstandes zu vermitteln, als Sehen, und nicht als Wiedererkennen“ (Šklovskij 1994: 15). Für den Unterricht entwickelt sie ein 4-Phasen-Modell, das sich durchgehend an der Frage orientiert, „welche interkulturellen Aspekte der Text aufweist und wie diese sichtbar gemacht werden können“ (Leskovec 2011a: 114; s. zu den einzelnen Phasen 115 ff.). Möchte man textanalytische Verfahren einsetzen, was in der unterrichtlichen Praxis 108 8 Interkulturelles Lernen vielfach der Fall ist (→ Kap. 20) und auch in der jüngeren Forschungsdiskussion sowie im neuen Begleitband zum GER (2020: 128 f.) vertreten wird (→ Kap. 5), können insbesondere die Orientierungsfragen, die Leskovec für die Reflexionsphase (= Phase 4 in ihrem Modell) vorschlägt, hilfreich sein: ■ Wie/ wodurch erregt der Text Aufmerksamkeit oder stört die Wahrnehmung? ■ Verweist der Text oder die Textstelle auf die Problematik der Konstruiertheit von Wirklichkeit, Wahrnehmung, Fremd- und Eigenbildern? ■ Inwiefern thematisiert der Text Fremdheit? □ Fremdheit auf der außertextlichen Ebene □ Fremdheit auf der Textebene □ Fremdheit als Thema/ Motiv oder als Strukturelement □ Umgang mit Fremdheit □ Auflösung oder Annäherung an Fremdheit - alltägliche, strukturelle, radikale Fremdheit ■ Inszenieren der Text oder die Textstelle die Auflösung von Homogenität? (Lesko‐ vec 2011a: 117, s.a. 2011b). Neben dem zentralen und oftmals formulierten Einwand gegen den als vereinnahmend kritisierten Umgang der Interkulturellen Hermeneutik mit Fremde wurden in der fach‐ wissenschaftlichen Diskussion weitere Kritikpunkte ausgearbeitet. Renate Riedner nennt in ihrem Beitrag Literatur, Kultur, Leser und Fremde - Theoriebildung und Lite‐ raturvermittlung im internationalen Handbuch Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (2010a) - und damit in einer zentralen Publikation des Faches - die folgenden fünf problematischen Bereiche: ■ das Fehlen einer Adaption für die Unterrichtspraxis, ■ die Vernachlässigung der ästhetischen Dimension literarischer Texte und die damit verbundene weitgehende Gleichsetzung von „Textwelten“ und „Lebenswelten“, ■ die Vernachlässigung unterschiedlicher Lesesozialisationen, ■ die Vernachlässigung von historischen Zusammenhängen und Machtkonstellati‐ onen, ■ das dem Ansatz inhärente/ implizite Beharren auf homogenen Kulturräumen, was einen „unreflektierten, objektivistischen, letztlich national definierten Kultur- und Literaturbegriff “ perpetuiert (vgl. Riedner 2010a: 1547). Wie Bernd Müller-Jacquier im selben Band betont, ist die Interkulturelle Germanistik inzwischen abgekommen von den kritisierten Positionen; „nicht nur doppelte Optik, also europäische Verfahren der Dichotomisierung von fremd-eigen, Selbst-Anderer, West-Ost“, sondern „Hybridität, Inter-Kultur, Mehrfachzugehörigkeiten“ (Müller-Jac‐ quier 2010: 128) spielen eine Rolle. Ebenso ist in der Interkulturellen Literaturwissen‐ schaft die Forderung nach dem Einbezug poststrukturalistischer Perspektiven, die „Spielräume des Auch-Anders-Denkbaren, Auch-Anders-Möglichen oder Noch-Frem‐ den“ (Hofmann/ Patrut 2015: 15) verhandeln, inzwischen längst common sense. Die 109 8 Interkulturelles Lernen Interkulturelle Literaturwissenschaft und also auch die genannten Einführungsbände zur Interkulturellen Literaturwissenschaft von Hofmann (2006) und Hofmann/ Patrut (2015) sind nicht auf Lehr-Lern-Prozesse in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache bezogen. Gleichwohl scheint die Interkulturelle Literaturwissenschaft weiterhin einen lohnenden Diskussionszusammenhang für das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und seine Literaturdidaktik darzustellen, wie etwa Michael Ewert auch im Hinblick auf ihre Genese im Kontext des Faches Deutsch als Fremdsprache in den 1980er Jahren ausführt (Ewert 2011: 12-19). Aus seiner Sicht wäre es „ein großer Gewinn, an diese Entwicklungen und Diskussionen anzuknüpfen“ (ebd.: 13), die sich mit Texten beschäftigen, „in denen die ästhetische Inszenierung und Reflexion der unterschiedlichen Formen und Konflikte der Kulturbegegnung konstitutiv sind“ (Gutjahr 2002: 357). Die Aufmerksamkeit für die Vielfalt an unterschiedlichen Rezeptionsbedingungen und die damit verbundenen unterschiedlichen Lesarten - vgl. Gadamers Hermeneutik und Wierlachers Interkulturelle Hermeneutik - wurde und wird im Fach außerdem auf der literaturtheoretischen Basis der von Hans Robert Jauß (1967) und Wolfgang Iser (1974/ 1970) ausgearbeiteten Rezeptions- und Wirkungsästhetik (→ Kap. 20) disku‐ tiert. Die für den Bereich der Fremdsprachendidaktik zentrale Grundlage dieser Theorien hat Bernd Kast (1994: 7 f.) in der Zeitschrift Fremdsprache Deutsch wie folgt formuliert: Der Text hat immer zwei ‚Autoren‘: einen, der den Text schreibt und einen, der den Text rezipiert. Im Dialog zwischen Text und Leser entsteht der Sinn. […] Nachdem man in der Rezeptionsästhetik den Leser entdeckt hatte, und zwar nicht als abstraktes Wesen, sondern in seiner jeweiligen Einmaligkeit […], entdeckte man auch die jeweiligen Besonderheiten der ‚fremdkulturalen Leserposition‘, d. h. den konkreten einzelnen Leser in Japan, in Kenia und in den USA. Diese Grundannahme ermöglicht es, die einzelnen Lesenden in ihren individuellen Verstehensprozessen zu berücksichtigen und, im Falle des fremdsprachlichen Literatur‐ unterrichts, die einzelnen Lesenden als fremdsprachliche und fremdkulturelle Lesende einzubeziehen, deren Lektüren und Lesarten gleichberechtigt neben denen stehen, die von L1-Sprechenden des Deutschen, von Lehrenden oder professionellen Lesenden wie Literaturwissenschaftler*innen entwickelt werden. So kommt den Lesenden eine systematische Position zu, was Auswirkungen auf didaktische und methodische Ent‐ scheidungen hat. Es gilt nicht mehr - wie es Iser zugespitzt für die Auseinandersetzung mit literarischen Texten allgemein ausgedrückt hat - „die in hieratischem Ton auf den Kathedern deutscher Hörsäle vorgetragene Auslegung der Meisterwerke“ (Iser 1990/ 1976: III). Diese Grundannahme wurde zur Basis, auf der verschiedene Ansätze zum interkulturellen Lernen mit literarischen Texten beruhen (Krusche, Bredella, Mummert, Koppensteiner/ Schwarz). Sie sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden. Affirmative wie kritische Aufmerksamkeit hat insbesondere das Konzept der In‐ terkulturellen Lesergespräche erfahren, das Dietrich Krusche von Rezeptions- und Wirkungsästhetik inspiriert bereits in den 1980er Jahren entwickelt hat. Er ist an der Rezeptionsvarianz interessiert und entsprechend an den Stellen in literarischen Texten, 110 8 Interkulturelles Lernen 6 So der Titel von Isers opus magnum zur Wirkungsästhetik. die einen „Auslegungsspielraum“ (Iser 1974: 15) eröffnen, bei Iser als „Leerstellen“ (ebd.) bezeichnet. In seinen universitären Seminaren, in denen er sein Verfahren entwickelt und erprobt hat, waren die Lesenden aufgefordert, sogenannte „Normalisierungen“ zu finden, d. h. plausible Erklärungen, mit denen sich die Leerstellen, im „Akt des Lesens“ (Iser 1976) 6 logisch schließen lassen. In verschiedenen Publikationen hat Krusche (1993b/ 1981, 1993c/ 1982, 1995a) sein Vorgehen präsentiert und reflektiert. Anhand des Kurzprosatextes Heimkehr (1920) von Franz Kafka sei es hier vorgestellt und kommentiert. Unterrichtsidee Franz Kafka: Heimkehr (1920) Ich bin zurückgekehrt, ich habe den Flur durchschritten und blicke mich um. Es ist meines Vaters alter Hof. Die Pfütze in der Mitte. Altes, unbrauchbares Gerät, ineinanderverfahren, verstellt den Weg zur Bodentreppe. Die Katze lauert auf dem Geländer. Ein zerrissenes Tuch, einmal im Spiel um eine Stange gewunden, hebt sich im Wind. Ich bin angekommen. Wer wir mich empfangen? Wer wartet hinter der Tür der Küche? Rauch kommt aus dem Schornstein, der Kaffee zum Abendessen wird gekocht. Ist dir heimlich, fühlst du dich zuhause? Ich weiß es nicht, ich bin sehr unsicher. Meines Vaters Haus ist es, aber kalt steht Stück neben Stück, als wäre jedes mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, die ich teils vergessen habe, teils niemals kannte. Was kann ich ihnen nützen, was bin ich ihnen und sei ich auch des Vaters, des alten Landwirts Sohn. Und ich wage nicht, an die Küchentür zu klopfen, nur von der Ferne horche ich stehend, nicht so, daß ich als Horcher überrascht werden könnte. Und weil ich von der Ferne horche, erhorche ich nichts, nur einen leichten Uhrenschlag höre ich oder glaube ihn vielleicht nur zu hören, herüber aus den Kindertagen. Was sonst in der Küche geschieht, ist das Geheimnis der dort Sitzenden, das sie vor mir wahren. Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man. Wie wäre es, wenn jetzt jemand die Tür öffnete und mich etwas fragte. Wäre ich dann nicht selbst wie einer, der sein Geheimnis wahren will. In einem Literaturseminar, an dem auch internationale Studierende teilnahmen, sollte dieser Text im Hinblick auf die folgende Fragestellung besprochen werden: „Warum geht das Ich nicht durch die Tür? “ (Sie können diese Frage gerne für sich beantworten bevor Sie weiterlesen). Antworten sollten gruppenweise erarbeitet und ins Plenum eingebracht werden. Dabei erfolgte die Gruppeneinteilung nach dem aus heutiger Perspektive kritisch zu sehenden Kriterium des Herkunftslandes der Studierenden (vgl. Krusche 1993c/ 1982: 15-19). Dieses Vorgehen ist aus verschiedenen Gründen in die Kritik geraten. Ein zentraler Vorwurf lautet, dass es darauf ausgerichtet sei, „kulturbedingte Lektüren“ elizitieren 111 8 Interkulturelles Lernen 7 Das Vorgehen wird sowohl von Ehlers als auch von Riedner in der zweiten Ausgabe von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch (2010) vorgestellt und kritisch diskutiert. Beide weisen darauf hin, dass der „Nachweis der Kulturspezifik von Lektüren“ (Riedner 2010a: 1547; vgl. Ehlers 2010: 1534) ausstehe, wobei Riedner (2010a: 1547) zusätzlich kritisiert, dass die „Festlegung kulturspezifischer Lektüren bzw. Textinterpretationen“ ein „höchst problematisches Unterfangen“ sei. Eine differenzierte Einschätzung zu Krusches Ansatz, die zwischen einer Phase der interkulturellen Lesergespräche in den 1980er Jahren und einer Phase sprachwissenschaftlicher Untersuchungen von textlichen Wirkungsstrukturen ab den 1990er Jahren unterscheidet, bietet Riedner (2010b). Wichtig im Hinblick auf die Idee kulturspezifischer Lektüren ist das Projekt zu Gottfried Kellers Erzählung Pankraz der Schmoller (1856), das im Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache (1992) dokumentiert ist. und erforschen zu wollen. 7 Für diese Auffassung kann man in dem Verfahren durchaus Hinweise finden, Krusche selbst hat sich jedoch wiederholt von didaktischen und methodischen Verfahren und Forschungsansätzen sowie von einem Verständnis seines Verfahrens distanziert, das Lesarten von Studierenden in Form von Äußerungen im Seminar als Belege für kulturspezifische Lektüren versteht: Das heißt nicht, dass man bestimmte in den Fallbeispielen berichtete Reaktionen auf den Text ohne weiteres als kulturell bedingt festlegen könne. Nicht um die Suche nach kulturtypischen Rezeptionsbedingungen soll es gehen, sondern um ein - methodisch reflektiertes und in Verfahren sich umsetzendes - Rechnen mit Rezeptionsdifferenz. (Krusche 1995b: 91, Hervorh. i. O.) Es geht ihm nicht darum, unterschiedliche Lesarten „aus den verschiedenen hermeneuti‐ schen Voraussetzungen kausal abzuleiten, also zu rekonstruieren, warum dieser Leser gerade so und nicht anders auf den Text reagiert hat; vielmehr kommt es darauf an, die Unterschiede als solche manifest zu machen.“ (Krusche 1993b: 149, Hervorh. i.O.). Damit wird auch respektiert, dass es nicht im Sinne der Teilnehmenden an solchen Gesprächen ist, „sich als Leser-Individuum und zugleich als Angehörige einer bestimmten kulturhistorischen Tradition ins Gespräch einzubringen.“ (ebd.: 144, Hervorh. i.O.). In der Rezeption von Krusches Ansatz hat sich der Fokus vor allem auf die „kultur‐ spezifischen Lektüren“ gerichtet (vgl. Riedner 2010b: 129 f.), und es wurde dabei nicht berücksichtigt, dass Krusche primär an den textlichen Wirkstrukturen interessiert ist. Es geht ihm nicht um vereindeutigende Lesarten, die zu Stereotypisierungen führen würden. Problematisch aus heutiger Sicht bleibt wie gesagt die Einteilung der Studierenden in Gruppen, die nach Herkunftsländern zusammengestellt wurden. Versteht man die Reak‐ tionen auf literarische Texte als individuelle Lesarten, können solche Lektüregespräche jedoch ein probates Vorgehen sein, einen Zugang zu einem literarischen Text zu finden, der Lektürevarianz nicht nur sichtbar macht, sondern systematisch mit ihr rechnet und sie begrüßt. Dass sich das Konzept des „Lesergesprächs“ und Krusches Interesse an der von den Textstrukturen initiierten Lektürevarianz auch nutzen lässt ohne die Vorstellung von ‚kulturspezifischen Lektüren‘, sei am Beispiel einer Lehr-Lern-Einheit mit einem weiteren Kurzprosatext von Franz Kafka gezeigt: Gibs auf! (1922), ebenfalls ein Text, der im Kontext von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache häufig zum Einsatz kommt (→ Kap. 3, 6, 20). Der Text wurde im Rahmen von Sprachunterricht im Mai 1997 einer 112 8 Interkulturelles Lernen Gruppe von japanischen Germanistikstudierenden auf Anfängerniveau zunächst in der folgenden Form gegeben, in der die letzten Sätze fehlen, mit der Hausaufgabe: Unterrichtsidee „Lesen Sie die Geschichte. Schreiben Sie die Geschichte zu Ende! “ Franz Kafka: Gibs auf! (1922) Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich, daß es schon viel später war, als ich geglaubt hatte, ich mußte mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg. Er lächelte und sagte: (Kafka 1992b: 358 f.) (Gerne können Sie die Aufgabe selbst bearbeiten, bevor Sie weiterlesen.) Aus den Ergebnissen wird deutlich, dass die Studierenden versuchen, das Lächeln des Schutzmanns zu erklären. Sie haben sehr unterschiedliche Lösungen für diese „Leerstelle“ des Textes gefunden: 113 8 Interkulturelles Lernen Abb. 9: Hausaufgabe 1 zu Kafkas Gibs auf! , privat In dieser Weise haben die Studierenden den Text „normalisiert“, Plausibilitäten auspro‐ biert und mit wenigen Worten verbalisiert. Unterrichtsidee Für eine zweite Hausaufgabe wurde die Geschichte mit ihrem Ende ausgeteilt mit der folgenden Aufgabe: „Lesen Sie die Geschichte zu Ende. Welche Frage möchten Sie jetzt an Kafka stellen? Schreiben Sie die Frage auf! “ Gibs auf! […] „Von mir willst du den Weg erfahren? “ „Ja“, sagte ich, „da ich ihn selbst nicht finden kann.“ „Gibs auf, gibs auf “, sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.“ Die folgenden Hausaufgaben wurden eingereicht: 114 8 Interkulturelles Lernen Abb. 10: Hausaufgabe 2 zu Kafkas Gibs auf! , privat Dieses kleine Beispiel aus der Unterrichtspraxis kann erste Hinweise geben, wie eine Arbeit auf der Basis rezeptions- und wirkungsästhetischer Theorie aussehen kann, die die Perspektive vom „interkulturellen Lernen“ auf die Auseinandersetzung mit „textlichen Strukturen“ verschiebt (→ Kap. 20). Wie an anderer Stelle (Schiedermair 115 8 Interkulturelles Lernen 8 Im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache wird fast ausschließlich der Begriff „Rezeptionsäs‐ thetik“ verwendet. Dies erstaunt insofern, als sich die meisten Publikationen auf Wolfgang Iser beziehen, der von einer „Theorie der ästhetischen Wirkung“ spricht, während Hans Robert Jauß den Schwerpunkt auf die „Rezeption“ legt. So findet sich etwa bei Mummert nur Wolfgang Iser im Literaturverzeichnis, sie nennt ihr einschlägiges Kapitel jedoch „Die Rezeptionsästhetik als Grundlage für Literaturdidaktik“. So ist es bspw. auch bei Dobstadt (2009), Koppensteiner/ Schwarz (2012). 2010a: 37) dazu bereits ausgeführt, gilt es bei diesem Vorgehen zu verstehen und zu beachten: Es wurden zwei übliche Methoden eingesetzt, nämlich das Vorenthalten des Endes der Geschichte mit der Bitte um Ergänzung und das spätere Austeilen des Originaltextes. Allerdings wurden diese Methoden nicht mit dem üblichen Ziel der Förderung der Kreativität eingesetzt, sondern mit dem Ziel, dass die Studierenden Wirkstrukturen des Textes erkennen, auf sie reagieren und sie reflektieren. Im Rahmen des Gießener Graduierten-Kollegs zum Fremdverstehen, das er von 1994- 2003 leitete, hat Lothar Bredella auf der Basis der Rezeptionsästhetik eine Theorie des Fremdverstehens entwickelt. Wie in seinen Bänden Literarisches und interkulturelles Verstehen (2002) und Das Verstehen der Anderen (2010) ausgeführt, werden literarische Texte als geeignete Medien verstanden, um Lernende für unterschiedliche Weltzugänge zu sensibilisieren. Analytische wie kreativ-produktive Aufgaben können bei Lernenden Verstehensprozesse des Fremden initiieren und zur Reflexion der auch kulturell be‐ dingten Perspektivgebundenheit führen (vgl. Cerri 2011b). Die Arbeiten von Bredella, der sich in der Fachdidaktik Englisch mit dem Potenzial von literarischen Texten für einen interkulturellen Fremdsprachenunterricht auseinandergesetzt hat (vgl. Bredella 1999), wurden auch im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache rezipiert: Chiara Cerri (2011a) verweist in ihrem Beitrag Mut zur interkulturellen Literatur im DaF-Un‐ terricht, erschienen in der Zeitschrift Info DaF, auf das identifikatorische Potenzial von interkultureller Literatur und zitiert dabei Bredellas Beobachtung, dass „das Neue sich nicht einfach auf das Vertraute und Bekannte beziehen lässt, sodass man zu beiden Welten in Distanz gerät“ (Bredella 2002: 217). Ebenfalls auf der Basis von Rezeptions- und Wirkungsästhetik 8 hat Ingrid Mummert ihr Konzept entwickelt, das auf die interkulturelle Erfahrungsbildung ausgerichtet ist. Dabei stützt sie sich u. a. auf die Arbeiten von Bredella (etwa 1999). Ihr Konzept sieht vor, die an der rezeptions- und wirkungsästhetischen Theorie orientierten Begriffe „Er‐ wartungshaltung“, „Weltwissen“, „Ent-Täuschung - Aha-Erlebnis“, „Unbestimmtheit“, „Leerstelle“ und „Sinnkonstitution“ (Mummert 2006: 38) für die Unterrichtskommuni‐ kation einzuführen, sodass die Lernenden bei der Arbeit mit literarischen Texten auf sie zurückgreifen können. Grundlegend für ihr Vorgehen ist außerdem der Aspekt der „Empathie“, die sie als „wichtige Komponente des Lernens und als Voraussetzung für interkulturelle Kommunikation“ versteht (ebd.: 24; vgl. auch Bredella 1999: 111 ff.). Basis für die Ausbildung von Empathie sei die Fähigkeit der „Selbstwahrnehmung und 116 8 Interkulturelles Lernen 9 Mummert hat ihr Konzept im Rahmen von Literaturunterricht am Studienkolleg in Hamburg erar‐ beitet. In ihrer Studie Begegnungen mit „Gertrud“ und „Elsa“. Mündliche und schriftliche Interpretation deutschsprachiger Literatur mit ausländischen Studierenden (2006) untersucht sie die Reaktionen ihrer Lernenden, wie sie mit dieser Art der „Literaturvermittlung im Einzelnen umgegangen sind und welche verschiedenen Verstehensprozesse sich erkennen lassen“ (ebd.: 10). 10 Zu den verschiedenen Bezeichnungen vgl. Hofmann (2006: 201): Der ältere Begriff „Gastarbeiterlite‐ ratur“ wurde wegen seines „patriarchalisch-gönnerhaft-unverschämten“ Gestus mit der Implikation „sozialpädagogischer Fürsorge“, die die Texte „lediglich als Dokumente der Betroffenheit betrachtet“ (ebd.), ersetzt durch „Migrationsliteratur“, inzwischen oft durch „interkulturelle Literatur“ (ebd.). In die Wahrnehmung eines anderen und […] die Fähigkeit, beides bewusst auseinander zu halten“ (Mummert 2006: 25). Im Kontext der Literaturdidaktik bedeutet dies, dass die Lesenden die von den literarisch-ästhetischen Texten vorgegebenen Perspektiven einnehmen, „sich in die Lage einzelner Figuren“ versetzen, „im Verlauf der Lektüre Verständnis für diese Figuren und ihr Handeln erlangen“ (ebd.: 28) und auf diese Weise ihre eigenen - auch kulturell geprägten - Perspektiven und Einstellungen reflektieren und ggf. modifizieren. 9 In diesem fachwissenschaftlichen Kontext verortet sich auch der 2001 erstmals erschie‐ nene Band von Jürgen Koppensteiner Literatur im DaF-Unterricht. Eine Einführung in produktiv-kreative Techniken, 2012 in einer Überarbeitung und Aktualisierung mit Eveline Schwarz erneut unter dem breiteren Titel Literatur im DaF/ DaZ-Unterricht. Eine Einführung in Theorie und Praxis publiziert - bis dato der einzige Einführungsband in die Arbeit mit literarischen Texten in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Koppensteiner hat seine Vorschläge zur Literaturdidaktik bei der Arbeit mit Ger‐ manistikstudierenden in den USA entwickelt. Wie Mummert (2006) ebenfalls von Bredella (2000) inspiriert, hat er Zugänge zu literarischen Texten modelliert, die an der Rezeptionsästhetik orientiert sind. Dabei schließt er sowohl an das Konzept eines handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts (HPLU, HPU, HPO) an (→ Kap. 20) als auch an das interkulturelle Lernen im Sinne von „Fremdverstehen“, das durch den „Perspektivenwechsel“ gefördert wird, den das Lesen literarischer Texte erfordert (Koppensteiner/ Schwarz 2012: 32). Es finden sich Vorschläge zur Arbeit mit Texten von Christine Nöstlinger, Friedrich Dürrenmatt, Peter Handke, Gottfried Keller, Alois Brandstetter, Marie Luise Kaschnitz, Bertolt Brecht, H.C. Artmann, Konstantin Kaiser und Ernst Jandl; diese Vorschläge sind sehr konkret, enthalten mitunter sogar Arbeitsblätter. Interkulturelle Germanistik (Wierlacher), Interkulturelle Hermeneutik (Wierlacher, Krusche, Leskovec), Interkulturelle Literaturwissenschaft (Hofmann, Gutjahr, Lesko‐ vec), Interkulturelle Lektüregespräche (Krusche), Fremdverstehen (Bredella), Empa‐ thieschulung (Mummert), und handlungs- und produktionsorientierter Literaturunter‐ richt (Koppensteiner/ Schwarz) nehmen zum Ausgangspunkt die Frage nach dem zu wählenden Modus des Umgangs mit literarischen Texten. Daneben gibt es auch einen Diskussionszusammenhang, der eine Gruppe von Texten als Ausgangspunkt nimmt: Texte einer so bezeichneten Migrationsliteratur. 10 Bereits 1992 hat Heidi Rösch 117 8 Interkulturelles Lernen dem Band Gegenwartsliteratur seit 1968 in der Reihe Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur wird auch der Begriff einer „kleinen Literatur“, die - an Kafka geschult - „aus dem Bewußtsein der Unmöglichkeit zu schreiben erwächst“, produktiv gemacht (vgl. Weigel 1992: 228). 11 Vgl. zur sogenannten ‚Migrationsliteratur‘ auch Ackermann/ Weinrich (1986): Eine nicht nur deut‐ sche Literatur. Zur Standortbestimmung der ‚Ausländerliteratur‘; Ackermann (Hrsg.) (1996): Fremde AugenBlicke. Mehrkulturelle Literatur in Deutschland; Ackermann (2001): Fragen des literarischen ihre Studie Migrationsliteratur im interkulturellen Kontext veröffentlicht, in der sie Texte von Aras Ören, Aysel Özakin, Franco Biondi und Rafik Schami im Hinblick auf ihr didaktisches Potenzial analysiert. Rösch prägt seit Beginn der 1990er Jahre die fachwis‐ senschaftliche Diskussion zur ‚Migrationsliteratur‘ vor allem im schulischen Kontext von Deutsch als Zweitsprache. Sie hat die theoretische Ausdifferenzierung des For‐ schungsfeldes vorangetrieben und auf dieser Basis Lektüreempfehlungen gegeben und Vorschläge für Curricula und Projektarbeiten entwickelt. So hat sie schon in den 1990er Jahren für die Überwindung von „ethnizistische[m] Denken und Handeln“ (Rösch 1995: 6) plädiert sowie Vorgehensweisen kritisiert, die „minderheitenpädagogisch konzipiert sind“ (ebd.). Stattdessen gehe es beim interkulturellen und literarischen Lernen darum, die „Trennung zwischen dem ‚Fremden‘ und dem ‚Eigenen‘ aufzuheben“ (ebd., Her‐ vorh. i. O.). Der hier zitierte Band Interkulturell unterrichten mit Gedichten. Zur Didaktik der Migrationsforschung (1995) enthält Texte und Vermittlungsvorschläge, die Rösch mit Lehramtsstudierenden an der Technischen Universität Berlin erprobt und evaluiert hat. Wie Rösch (2010: 1572) präzisiert, fokussiert der Begriff „Migrationsliteratur“ auf das Thema, anders als der ältere Begriff der „Migrantenliteratur“, der auch auf die Biografien der Autor*innen rekurriert und eine Verengung des Spektrums darstellt. Für den Zusammenhang von Deutsch als Fremdsprache betont Rösch, dass literarisch-äs‐ thetische Texte, die zur sogenannten Migrationsliteratur gerechnet werden, unter dem Thema „Migration als weltweites Phänomen“ (ebd.: 1576) behandelt werden sollten. In Kontexten von Deutsch als Zweitsprache spricht sie von vier Perspektiven auf die Texte, die für das didaktische und methodische Vorgehen relevant sind: ■ außertextuelle Ebene: Vergleich von „Herkunftskultur“ und „Aufnahmegesell‐ schaft“ ■ inhaltliche Ebene: Wahrnehmung „eigener und fremder kulturspezifischer Re‐ geln und Umgangsformen“ ■ thematische Ebene: Hinterfragen von „Rollenklischees im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Veränderungen und Bedingungen“ ■ ästhetische Ebene: Textart, etwa „Satire“ (ebd.) In ihrer Einführung Deutschunterricht in der Migrationsgesellschaft (2017) verbindet Rösch sprachliches Lernen und literarisches Lernen zu einem „integrativen Deutsch‐ unterricht“. Dabei schreibt sie gerade dem literarischen Lernen bzw. dem Lernen mit literarischen Texten eine wichtige Rolle zu, die sie schwerpunktmäßig in ihrem mehr als 70 Seiten umfassenden Kapitel „Migration, Literatur und Migrationsgesellschaft“ (ebd.: 45-122) ausarbeitet. 11 118 8 Interkulturelles Lernen Kanons (→ Kap. 3). Vgl. zur Erweiterung eines zu engen Begriffs Ewerts Hinweis „Literatur setzt sich seit jeher mit Migration, Flucht und Vertreibung auseinander“ (Ewert 2017: 42). Es bleibt festzuhalten, dass Begriffe wie Interkulturalität, Interkulturelle Kommunika‐ tion, Interkulturelle Kompetenz und Interkulturelles Lernen umstritten sind, wozu sich eine Vielzahl an Diskussionsbeiträgen findet; gleichzeitig verweisen die Begriffe auf immer noch zentrale fachwissenschaftliche Kategorien. Einerseits wird bereits in den 1990er Jahren formuliert, dass „das Lernen von Fremdsprachen“ als „interkulturelles Lernen“ zu verstehen sei (Bleyhl 1994: 9) und bis heute betont, dass der Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache immer interkulturell ist (vgl. Baumann 2018: 34), andererseits ist es ein üblicher Vorwurf, dass der Begriff „unreflektiert und inflationär“ verwendet wird (ebd.: 35) und an inhaltlicher Schärfe verliert (ill-defined area). Bereits 1993 sieht Dietmar Rösler im Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache eine Gefahr für die Sprachlehrforschung in einer „Trivialisierung und Verselbständigung des Interkultu‐ rellen“ (Rösler 1993: 77). Die weitere Diskussion führt zu Begriffen wie „Mehrsprachig‐ keit“ (→ Kap. 13), „Transkulturalität“ und „Postkolonialität“ (→ Kap. 15). 119 8 Interkulturelles Lernen III Neue Perspektiven in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 9 Literarizität Die Frage nach dem „Literarischen“ an literarischen Texten, also nach ihrer Spezifik, wird mit dem Begriff der „Literarizität“ gefasst. Damit knüpft dieses Kapitel in gewisser Weise an das erste Kapitel des Bandes an, das die sehr grundsätzliche Frage Was ist Literatur? stellt (→ Kap. 1). Nicht zufällig wird Teil III Neue Perspektiven in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache mit einem Kapitel zu diesem Begriff eingeleitet. Im vorausgehenden Teil II werden die Logiken und Plausibilitäten vorgestellt und diskutiert, mit denen seit der kommu‐ nikativen Wende in den 1970er Jahren die Relevanz literarischer Texte für den Fremd‐ sprachenunterricht begründet wurde. Im Fokus stehen in diesen Kapiteln seit langem etablierte Perspektiven der Literaturdidaktik in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache - so der Titel von Teil II. Das ist einerseits die Orientierung am sprachdidaktischen Paradigma der Fertigkeiten Hören, Lesen, Sprechen und Schreiben, das mit dem Standardisierungsinstrument des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER 2001, 2020) zu einer neuen Grundlegung des Fremdsprachenunterrichts geführt hat (→ Kap. 5) - auch über Europa hinaus (siehe GER 2020: 16-22; s.a. Lee 2021). Ande‐ rerseits geht es um das Potenzial literarischer Texte für das sprachliche (→ Kap. 6), landeskundliche (→ Kap. 7) und interkulturelle Lernen (→ Kap. 8). Gemeinsam ist diesen vier Perspektiven, dass sie von der Spezifik von fremdsprachlichen Lehr- und Lernprozessen aus argumentieren. Die Spezifik literarischer Texte dagegen stellt nicht den Ausgangspunkt der Überlegungen dar, sondern wird primär im Hinblick auf mögliche Funktionalisierungen für das fremdsprachliche Lernen berücksichtigt. Die Frage nach dem Literarischen, dem Besonderen von literarischen Texten wird mit dem Begriff der Literarizität aufgegriffen und rückt seit den 2010er Jahren zunehmend in die Aufmerksamkeit der literaturdidaktischen Diskussion im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Grundlegend ist hier der Band Deutsch als Fremdsprache und Literaturwissenschaft (Ewert/ Riedner/ Schiedermair 2011a), der erstmals literaturwissenschaftliche Analysen sowie konzeptionelle und unterrichtspraktische Vorschläge auf dieser theoretischen Basis gebündelt präsentiert. Als Leitbegriffe der aktuellen Diskussion werden dort „Literarizität“, „Diskursivität“ und „Medialität“ genannt (Ewert/ Riedner/ Schiedermair 2011b: 7). Diesen Begriffen sind in unserem Band die folgenden drei Kapitel (→ Kap. 9, 10, 11) gewidmet. Im letzten Jahrzehnt sind weitere Begriffe hinzugekommen, die wir in den nachfolgenden Kapiteln vorstellen werden: Performativität, Mehrsprachigkeit, Wissen, Postkolonialität und Gender (→ Kap. 12-16). Hier befindet sich die Diskussion z.T. erst am Anfang, sodass theoretische Überlegungen und Entwürfe vorliegen, ausgearbeitete Konzepte oder Materialien für die unterrichtliche Praxis aber erst in Ansätzen vorhanden sind. Einschlägig sind (tagungsbasierte) Sammelbände sowie Themenhefte von Zeitschrif‐ ten wie: ■ Deutsch als Fremdsprache und Literaturwissenschaft. Zugriffe, Themenfelder, Per‐ spektiven (2011), hrsg. v. Michael Ewert/ Renate Riedner/ Simone Schiedermair; ■ Fremdsprache Literatur. Themenheft der Zeitschrift Fremdsprache Deutsch 44/ 2011, hrsg. v. Michael Dobstadt/ Renate Riedner; ■ Ästhetisches Lernen im DaF/ DaZ-Unterricht. Literatur - Theater - Bildende Kunst - Musik - Film (2014), hrsg. v. Nils Bernstein/ Charlotte Lerchner; ■ Literatur in Deutsch als Fremdsprache und internationaler Germanistik. Konzepte, Themen, Forschungsperspektiven (2014), hrsg. v. Claus Altmayer/ Michael Dobstadt/ Renate Riedner/ Carmen Schier; ■ Literatur in sprach- und kulturbezogenen Lehr- und Lernprozessen im Kontext von DaF/ DaZ, Themenschwerpunkt der Zeitschrift Deutsch als Fremdsprache in Heft 1-4/ 2014 und Heft 1-3/ 2015, hrsg. v. Claus Altmayer/ Michael Dobstadt/ Renate Riedner; ■ Globalisierung - Natur - Zukunft erzählen. Aktuelle deutschsprachige Literatur für die internationale Germanistik und das Fach Deutsch als Fremdsprache (2015), hrsg. v. Almut Hille/ Sabine Jambon/ Marita Meyer; ■ Literaturvermittlung. Texte, Konzepte, Praxen in Deutsch als Fremdsprache und den Fachdidaktiken Deutsch, Englisch, Französisch (2017a), hrsg. v. Simone Schieder‐ mair; ■ Eintauchen in andere Welten. Vielfalt ästhetischer Texte im Kontext Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache (2019), hrsg. v. Tina Welke/ Renate Faistauer; ■ Literarisches und alltägliches Erzählen unter (fremd-)sprachendidaktischer Perspek‐ tive (2020), hrsg. v. Renate Riedner/ Simone Schiedermair, Band 1 der Reihe LiKuM; ■ Was zu beginnen nicht aufhört. Facetten von Gegenwartsliteratur in der internatio‐ nalen Germanistik und im Fach Deutsch als Fremdsprache (2020), hrsg. v. Almut Hille/ Oliver Niels Völkel, Band 2 der Reihe LiKuM. Im Kapitel Was ist Literatur? (→ Kap. 1) wurden bereits die Positionen von Viktor Šklovskij (1916) und Roman Jakobson (1960) vorgestellt, die zu den frühen Versuchen gehören, die Frage nach der Spezifik literarischer Texte zu beantworten. Šklovskij sieht in Prozessen von Deautomatisierung und Verfremdung spezifische Strategien der Kunst und mithin auch von literarischen Texten, um die Aufmerksamkeit von Rezipierenden zu erhöhen, Automatismen des Wahrnehmens aufzubrechen und so das Wahrnehmbare und den Akt des Wahrnehmens ins Bewusstsein zu rücken. Jakobson weist auf die von ihm sogenannte poetische Funktion der Sprache hin, die die Aufmerksamkeit von Rezipierenden auf die Sprache als Sprache lenkt, auf die spezifische Gemachtheit von Texten ganz allgemein, eine Funktion, die literarische Texte zwar nicht exklusiv, aber besonders stark charakterisiert. Als Beispiele für nicht-literarische und dennoch von Poetizität - bzw. von Literarizität - geprägte 124 9 Literarizität Texte wird von Jakobson der Wahlkampfslogan „I like Ike“ angeführt (vgl. Jakobson 2005: 93), von Klausnitzer in seiner Einführung Literaturwissenschaft das Sprichwort „Wie gewonnen, so zerronnen“ (vgl. Klausnitzer 2012: 34). Der Einblick in solche Verfahren der Poetizität bzw. Literarizität ist von hoher Relevanz für einen Fremdspra‐ chenunterricht, der auf eine reflektierte und selbstbestimmte Verwendung von Sprache zielt. Das Erkennen von Wiederholungsstrukturen und anderen auffälligen Verfahren auf lautlicher, prosodischer, syntaktischer, morphologischer und semantischer Ebene sowie von unterschiedlichen Tropen (→ S. 129 in diesem Kap.) stellt auch im Hinblick auf schnelllebige Kommunikationsformen, wie sie in digitalen Medien entwickelt werden, eine wichtige Ebene des Sprachgebrauchs dar. Es kann insbesondere am Beispiel literarischer Texte, die solche Formen intensiv nutzen, vorgestellt, nachvollzo‐ gen und trainiert werden. Eine solche Sensibilisierung erweitert die fremdsprachliche Diskursfähigkeit, die als übergreifendes Ziel des Fremdsprachenunterrichts verstanden werden kann. In der Argumentation von Šklovskij und Jakobson spielen in der Beschreibung mög‐ licher Merkmale von (literarisch-ästhetischen) Texten die Prinzipien der Abweichung bzw. Verfremdung und der Autofunktionalität eine wichtige Rolle. Sie fassen die besondere Gestaltung und den Selbstbezug der Sprache, die die Aufmerksamkeit auf die Form, auf die Beschaffenheit der Sprache selbst lenken - „und zwar so weit, dass der ‚Inhalt‘ der Mitteilung selbst in den Hintergrund gedrängt wird und wir der Sprache bei der Arbeit der Erzeugung von ‚Wirklichkeit‘ (die ja stets sprachlich vermittelt ist) förmlich zusehen können“ (Klausnitzer 2012: 45 f., Hervorh. d. Verf.). Auf dieses Verständnis von Literarizität greift bereits die frühe Diskussion zum Potenzial von Literatur in Deutsch als Fremdsprache zurück. Insbesondere Harald Weinrich verweist auf der Basis von Šklovskij und Jakobson auf die Erkenntnismöglichkeiten, die Literatur im Fremdsprachenunterricht bietet, und auf die Inspiration der Literatur, die gegen die immer virulente „Langeweile“ (Weinrich 1985a) im Sprachunterricht Abhilfe schaffen kann (→ Kap. 6). Auf der Basis poststrukturalistischer Theorien bestimmt Michael Dobstadt in seinem Beitrag „Literarizität“ als Basiskategorie für die Arbeit mit Literatur in DaF-Kontexten (2009) den Begriff. Von Jacques Derrida herkommend versteht er „Literarizität“ als „suspended relation to meaning and reference“ (Derrida zit. n. Dobstadt 2009: 24, Hervorh. dort) - als „Suspension von Bedeutung und Referenz“ (Dobstadt 2009: 23) -, als „prinzipielle Unausrechenbarkeit“ (ebd.: 26, Hervorh. d. Verf.) der Texte. Auf dieser Basis haben Michael Dobstadt und Renate Riedner eine Didaktik der Literarizität ausgearbeitet (vgl. Dobstadt/ Riedner 2011a, 2011b, 2013, 2016 und Ried‐ ner/ Dobstadt 2019), der es darum geht, „Aspekte der literarischen Sprachverwendung“ (Dobstadt/ Riedner 2013: 233) wie „(1) die Bedeutungsrelevanz von Form, (2) die Uneigentlichkeit literarischen Sprechens und (3) dessen transkulturelles Potential“ (ebd.: 232, vgl. 233-236) zu berücksichtigen. Mit Rückgriff auf Kramsch/ Huffmaster (2008) haben sie einen literarischen Sprachbegriff entwickelt (Riedner/ Dobstadt 2019: 43-47), den sie einem instrumentellen Sprachbegriff, wie sie ihn als Grundlage des 125 9 Literarizität Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens sehen, gegenüberstellen: „Er bietet den Lernenden die Perspektive der Regel, der Norm, der Konvention, aber so, dass diese zu‐ gleich und zwar von Anfang an als subvertierbar, veränderbar, verschiebbar erscheint.“ (ebd.: 47) Entsprechende Textlektüren regen sie in ihrem Konzept einer gemeinsam mit Nikolaus Euba und Chantelle Warner (2017) entwickelten, literarischen Sprachar‐ beit an. Grundlegende Forderung ist es, der ästhetischen Sprachverwendung mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Ihre Vorstellungen davon erläutern Dobstadt/ Riedner (2013: 233) u. a. am Beispiel eines Gedichts von Ernst Jandl: Unterrichtsidee ottos mops ottos mops trotzt otto: fort mops fort ottos mops hopst fort otto: soso otto holt koks otto holt obst otto horcht otto: mops mops otto hofft ottos mops klopft otto: komm mops komm ottos mops kommt ottos mops kotzt otto: ogottogott ( Jandl 1979/ 1970: 58) Dobstadt/ Riedner (2013) zufolge wären bei einer Lektüre des Gedichts als For‐ melemente etwa die Kleinschreibung und die Reduktion auf den Vokal „o“ an der Bedeutungsbildung beteiligt; auf der Ebene des Klangs, die deutlich macht, dass der grafisch immer identische Buchstabe „o“ für unterschiedliche lautliche Realisierungen steht, werden sie jedoch konterkariert. Die auffälligen Formelemente der schriftlichen Version, die beim Vortragen eine Diskrepanz zwischen lautlicher Vielfalt und einheitlichem Schriftbild induziert, markieren ein solches Sprechen als „uneigentliches“ Sprechen, als „Rede in permanenten Anführungszeichen“ (ebd.: 234), und signalisieren, dass „die Frage nach der ‚richtigen‘ Interpretation nicht mehr sinnvoll gestellt werden“ (ebd.: 235) kann. Die uneigentliche Rede literarischer Texte könne vor allem nicht mit einer spe‐ zifischen Kultur identifiziert werden; vielmehr stelle sie kulturelle Bedeutungen aus, zitiere sie, spiele mit ihnen und arrangiere sie neu - insofern könne sie auch „transkulturell“ gelesen werden (vgl. ebd.). Otto kann als „kleiner Mann“ 126 9 Literarizität mit einem begrenzten Lebensumfeld gelesen werden - auf das grafische Zeichen „o“ reduziert -, aber auch als Person mit komplexem und intensivem „Gefühls- und Beziehungsleben“ - mit verschiedenen lautlichen Realisierungsoptionen von „o“ (Dobstadt/ Riedner 2013: 233 f.); lesbar wird eine „Spannung zwischen einer äußerlich einförmigen, aber innerlich vielschichtigen Existenz“ (ebd.: 234). Festzuhalten wäre ein breites Verständnis des Begriffs „Literarizität“ wie es bei Šklovskij und Jakobson aufgefasst wird: als textliche Strategien, die darauf zielen, die eigene Sprachlichkeit auszustellen, sodass „man beim Lesen nicht nur den Inhalt mitverfolgt, sondern auch auf die sprachliche Umsetzung aufmerksam wird“, auf das „‚Wie‘ einer Mitteilung […] nicht nur auf das ‚Was‘, also auf das Zeichen als Zeichen […], auf die Mitteilung in ihrer spezifischen Form“ (Schiedermair 2011b: 174). Literarizität so verstanden ist wie bereits ausgeführt nicht auf literarische Texte beschränkt; diese nutzen die entsprechenden Strategien jedoch in auffälliger Weise und ermöglichen so einen besonders guten Einblick in Bedeutungsbildungsprozesse - oder wie es Klausnitzer oben stehend formuliert: Sie ermöglichen es, dass man „der Sprache bei der Arbeit der Erzeugung von ‚Wirklichkeit‘ (die ja stets sprachlich vermittelt ist) förmlich zusehen“ (Klausnitzer 2012: 45 f.) kann. Ganz einfach ist es jedoch nicht, der Sprache bei der Erzeugung von ‚Wirklichkeit‘ zuzusehen. Lernende und auch (künftige) Lehrkräfte müssen sensibilisiert und mit einem gewissen Instrumentarium ausgestattet werden, um die Prozesse beobachten zu können, in denen Sprache ‚Wirklichkeit‘ bzw. mögliche Bedeutungen erzeugt. Sie müssen - nach Claire Kramsch - eine symbolische Kompetenz (→ Kap. 10) erwerben. Das Konzept einer symbolischen Kompetenz folgt der Annahme: „Today it is not sufficient for learners to know how to communicate meanings; they have to understand the practice of meaning making itself.“ (Kramsch 2006: 251) Insofern sei eine symbolische Kompetenz als erweiterte kommunikative Kompetenz aufzufassen. Es seien besonders die Lektüren literarischer Texte, die sich - auf allen Stufen des Fremdsprachenunterrichts - für eine entsprechende Kompetenzförderung anböten. Unter Fragestellungen wie „Wie schaffen Texte Bedeutung(en)? “ und „Wie reflektieren sie diesen Vorgang möglicherweise selbst? “ wäre die Aufmerksamkeit von Lernenden auf Texte als Zeichensysteme zu richten, auf deren ‚Wissen‘ und Verfasstheit sowie deren Deutungs- und Symbolgehalt und damit auf symbolische Zusammenhänge bzw. Ordnungen, in denen die Komplexität der heutigen Welt erfahrbar wird (vgl. Kramsch 2006, 2011). Texte können sehr unterschiedliche Strategien ausstellen, um auf ihre sprachliche Verfasstheit hinzuweisen. Auch ohne tiefere literaturwissenschaftliche Kenntnisse zu Wortfiguren (syntaktische Figuren), Klangfiguren (phonologische Figuren) und Tropen (semantische Figuren), wie sie etwa in der Rhetorik ausgearbeitet wurden und zum Repertoire professioneller Analysen verschiedener Redeformen und Textarten gehören (vgl. die unten stehende Liste von Klausnitzer), sind relevante Beobachtungen möglich. 127 9 Literarizität 1 Vgl. Schiedermair (2010b) auch zu Texten von Matthias Politycki und Klaus Böldl; ähnliche Analysen in Schiedermair (2011a, 2014a, 2017b) zu (weiteren) Texten von Reinhard Lettau, Roman Ehrlich und Jenny Erpenbeck. So lassen sich etwa Wiederholungsstrukturen wahrnehmen - auf der Ebene von Satzbau, Wortwahl, Semantik und Laut - wie sie in dem skizzierten Kommentar zu Jandls Gedicht ottos mops und auch in der in Kap. 1 vorgestellten Analyse Jakobsons von Brechts Gedicht Wir sind sie deutlich wurden. Lernende und (künftige) Lehrkräfte wären auch zu sensibilisieren für Auffälligkeiten in Prosatexten, die nicht in gleicher Weise wie Lyrik - bei der meist schon das Schrift‐ bild einen Hinweis gibt und die i. d. R. durch Rhythmus und Klang gegliedert ist - ihre Sprachlichkeit ausstellen. Zum Einstieg eignet sich etwa die Kurzprosa von Reinhard Lettau, bspw. der folgende Text aus dem Band Zur Frage der Himmelsrichtungen (1988), der als mehrschichtiger kritischer Kommentar zum Massentourismus gelesen werden kann. Unterrichtsidee 33 Ein König kann jederzeit verreisen, wohin er will, also in der freien Welt verreisen viele Könige. Wenn nun in der freien Welt ein König verreist, sieht er die andern Könige, die auch verreisen. Kein König sieht aber gern um sich lauter Könige, es sei denn, die Könige reisten mit bewimpeltem Troß, Damen in schaukelnden Zelten, starken Pferden aufgebundenen Kästen voller Geschenke zu ihm zu einem Fürstenkongreß. Nun ruft der König: „Es macht keinen Spaß, wenn man König ist und alle andern sind ebenfalls König. Wenn man frei ist, und alle andern sind frei, ist man nicht frei. Frei ist man nur, wenn man der einzige ist. Bereits beim ersten Lesen vermittelt sich, dass das ästhetische Spiel des Tex‐ tes wohl mit der Wiederholung einiger weniger Ausdrücke konstituiert wird - „König“, „verreisen“, „frei“. Der Text lässt sich als Lob des Reisens lesen, gleichzeitig auch als dessen kritischer Kommentar. Das Verreisen als beliebte Aktivität, die aber gerade durch ihre Beliebtheit und Verfügbarkeit für viele an Attraktivität verliert, wird auch mit der sprachlichen Gestaltung des Textes kommentiert. Die repetitive Verwendung von wenigen Ausdrücken kann als Erleichterung beim Lesen wahrgenommen werden; gleichzeitig kann sie auch als Ausdrucksarmut rezipiert werden, die die Vorstellungstätigkeit der Lesenden nicht anregt, sondern sie immer wieder auf den gleichen Punkt fixiert und in ihrer Intensität sogar zur Verwirrung führt. So kann die Form als Kommentar gelesen werden zum Reisen, das in Zeiten des Massentourismus jederzeit und für jeden möglich ist, in seiner ermüdenden Wiederholung jedoch seine Funktion als Inspirationsquelle verliert (vgl. Schiedermair 2010b). 1 128 9 Literarizität 2 Wie schwer es Studierenden des Faches Deutsch als Fremdsprache und damit auch zukünftigen Lehrkräften bzw. Multiplikator*innen fällt, Texte entsprechend zu lesen, zeigen exemplarisch Kramsch/ Huffmaster (2008) und auch Hille (2017). Die Dominanz der Form manifestiert sich auch im Spiel mit Medialität und Intertextu‐ alität (→ Kap. 11), in semantischen Verdichtungen, Irritationen und Mehrdeutigkeiten unterschiedlicher Art, in Konnotationen und Polysemie - sowie in der Verwendung vielfältiger sprachlicher Figuren. Diese erkennen und in ihrer Relevanz für das Er‐ zeugen von ‚Wirklichkeit‘ betrachten zu können, gibt Lernenden und zuallererst (künftigen) Lehrkräften ein Instrumentarium an die Hand, um Prozesse der Bedeu‐ tungsbildung in Texten beobachten zu können. 2 In seiner Einführung Literaturwissenschaft (2012) erläutert Ralf Klausnitzer die sprachlichen Elemente, die Literarizität in diesem Sinne konstituieren: ■ Klangfiguren Alliteration, Anapher, Assonanz, Epanalepse, Gemination, Lautmalerei/ Onomato‐ pöie, Metaplasmus, Silbenreim, Wortspiel/ Paranomasie ■ Wortfiguren Antithese, Chiasmus, Ellipse, Emphase, Klimax, Parallelismus, Oxymoron ■ Tropen Antonomasie, Hyperbel, Litotes, Metonymie, Periphrase, Synekdoche, Ornatus, Allegorie, Ironie, Metapher, Personifikation, Vergleich (vgl. auch zu weiteren Erläuterungen der Begriffe Klausnitzer 2012: 37 ff.). Solche besonderen sprachlichen Elemente müssen in einem Text ‚gelesen‘ werden können. Nur dann ist es möglich, in ihm mehr zu erkennen als nur seinen (möglichst eindeutigen) Sinn, den es zu ‚verstehen‘ gilt. Dabei stellen die genannten Elemente auch Begriffe und Kriterien für die Analyse und Beschreibung von Literarizität zur Verfügung, die für Lehrkräfte in Vorbereitung auf Textlektüren im Unterricht wichtig sind. Darüber hinaus kann die literarische Rede sich - beispielsweise über Zitate - auch in Beziehung zu weiteren Texten und Diskursen setzen (→ Kap. 10), die intertextuell und intermedial (→ Kap. 11) zu erfassen wären. Hinzuweisen wäre abschließend darauf, dass die Bestimmung dessen, was „Literarizi‐ tät“ sei, immer Anlass zu kontroversen Diskussionen gibt, dass auch die Antwort auf die Frage Was ist Literatur? (→ Kap. 1) immer nur eine vorläufige, gleichwohl begründete Annäherung sein kann. So beginnen etwa Jan Brüggemann, Mark-Georg Dehrmann und Jan Standke den 2016 von ihnen herausgegebenen Band Literarizität. Herausforderungen für Literaturdidaktik und Literaturwissenschaft mit der Feststellung: Immer wieder scheint die Frage nach der Literarizität die Gemüter zu erregen. Das ist insofern kaum verwunderlich, als diese Frage den Identitätskern all jener Fächer und Disziplinen berührt, die sich mit Literatur und ihrer Vermittlung auseinandersetzen. (ebd.: 7) 129 9 Literarizität Entsprechend ist es von großer Bedeutung, wie man Literarizität bestimmt, und gleichzeitig ist es ein komplexes Unterfangen. Eine allgemein akzeptierte Antwort auf die Frage nach Qualitäten und Merkmalen von Texten zu finden, käme der Entdeckung einer „Weltformel“ gleich, wie es Simone Winko (2009: 374 f.) auf den Punkt bringt: Gibt es immanente Eigenschaften oder Funktionen von Texten, die sie zu literarischen machen? Gibt es textinterne Kriterien, nach denen sich literarische von nicht-literarischen Texten unterscheiden lassen? Die Frage nach dem alle literarischen Texte zusammenhaltenden Litera‐ rizitätskriterium gleicht der Suche nach der Weltformel: Gäbe es sie und wäre sie akzeptiert, dann wäre alles einfacher. […] Kein Kandidat für ein textinternes Literarizitätskriterium hat allgemeine Zustimmung erhalten, und selbst für minimalistische Lösungen ist ein disziplinärer Konsens ausgeblieben. Auffällig ist jedoch, dass die Skepsis gegenüber solchen Kriterien einer Intuition zu widersprechen scheint, die den Umgang der ‚Normalleser‘ mit Literatur kennzeichnet, und auch in professionellen Kontexten ist die Unterscheidung immer dann unproblematisch, wenn keine Begründungen gefragt sind. […] Die theoretisch schwierig oder auch gar nicht zu leistende Abgrenzung literarischer Texte von nicht-literarischen stellt im ‚täglichen Umgang‘ mit diesen Texten offenbar kein Problem dar. Die Grenzen verlaufen erkennbar, und sie werden mit Bezug auf Textqualitäten begründet. Ein breites Verständnis von Literarizität, wie wir es oben für den Kontext von Unterricht skizziert haben, wäre darauf ausgerichtet, Lernende für textliche Strategien der (Be)deutungsbildung zu sensibilisieren. Es wäre eine „minimalistische Lösung“ wie von Winko gekennzeichnet, die sich aber für das fremdsprachliche Lehren und Lernen als funktional und produktiv erwiesen hat. 130 9 Literarizität 1 Vgl. etwa Ewert/ Riedner/ Schiedermair (2011: 7-11), Hille (2014: 13 f.), Grimstein/ Hille (2018: 207 ff.), Hille/ Schiedermair (2018: 33-38), Schiedermair (2020: 96 ff.). 10 Diskursivität Diskursivität gilt neben Literarizität (→ Kap. 9) und Medialität (→ Kap. 11) als einer der Leitbegriffe einer Literaturdidaktik im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache: Literarische Texte werden aus der Perspektive ihrer produktiven Teilhabe an Diskursen wahrgenommen (→ Kap. 1). In Publikationen, die seit 2010 entstanden sind, 1 wird Dis‐ kursivität zunehmend zur zentralen Bezugskategorie, die es ermöglicht, das Verhältnis zwischen literarischen Texten und kulturellen Zusammenhängen zu reflektieren und auszudifferenzieren. Eine solche kulturwissenschaftliche Ausrichtung diskutiert vor allem, wie sich Aspekte dieser Theoriebildung für Lehr- und Lernprozesse lohnend adaptieren lassen. Der Rückgriff auf entsprechende Konzepte bietet die Möglichkeit, das über viele Jahrzehnte als unproblematisch und als gegeben eingeschätzte Verhältnis von lite‐ rarischen Texten und landeskundlichen Inhalten kritisch zu hinterfragen und die Fachdiskussion an die gegenwärtige Theoriebildung in der kulturwissenschaftlichen Literaturwissenschaft anzubinden. Lange Zeit überzeugend war und z.T. bis heute verwendet wird ein Konzept, das das Verhältnis zwischen Literatur und Landeskunde als ein zweifach aufeinander bezogenes denkt. Auf der einen Seite werden literarische Texte als besonders motivierende Texte gesehen, die auf ästhetisch und emotional ansprechende Weise landeskundliche Inhalte vermitteln; auf der anderen Seite werden landeskundliche Inhalte als ein für das Verstehen von literarischen Texten notwendiges Reservoir an Informationen gesehen. Dieses Konzept tradiert die Vorstellung, dass literarische Texte landeskundliche Inhalte ‚spiegeln‘, und dass sich landeskundliches Wissen folglich aus literarischen Texten extrapolieren lässt und so Einblicke in gesellschaftliche Phänomene und deren Veränderungen ermöglicht (→ Kap. 7). Die gegenwärtige Fachdiskussion sieht darin die doppelte Problematik eines Lite‐ raturbegriffs, der die spezifische Verfasstheit und Mehrdeutigkeit literarischer Texte übersieht und sie als Speicher ‚authentischer‘ Informationen versteht, sowie eines homogenisierenden Kulturbegriffs, der sich nicht zu Konzepten wie Hybridität und Diversität verhält, sondern die Vorstellung von Dichotomie zwischen eigener und fremder Kultur fortschreibt. Mit den in der neueren Diskussion verwendeten Begriffen Diskurs und Diskursivität sind ein aktueller bedeutungs-, symbol- und wissensorien‐ tierter Kulturbegriff (Reckwitz 2006) und ein Verständnis von Kultur als Text (Geertz 1997) aufgerufen; methodisch werden Konzepte wie die Diskursanalyse (Foucault 1996/ dt. 1974/ frz. 1972) relevant. Literarische Texte werden als Orte gesellschaftli‐ cher Selbstreflexion (vgl. Böhme 1998: 480) verstanden und als Knotenpunkte in dynamischen Diskursnetzwerken (vgl. Winko 2008/ 1996: 472). Im Anschluss an den 2 Vgl. u. a. Schiedermair (2011a, 2011b, 2020); Hille (2013a, 2017); Riedner (2015); Hille/ Schiedermair (2018); Grimstein/ Hille (2018). New Historicism (Greenblatt 1990/ engl. 1988) gilt es, die Verstrickungen der Texte zu analysieren (vgl. Baßler 1995: 16), was unten näher ausgeführt wird. Diese kom‐ plexe Sicht auf das Verhältnis zwischen literarischen Texten und gesellschaftlichen Zusammenhängen wird im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache - u. a. mit Rückgriff auf die US-amerikanische Diskussion zu einer „symbolic competence“ (Claire Kramsch 2006) - diskutiert. 2 Die Grundlagen dieser immer noch neuen Sicht auf die Literaturdidaktik sollen im Folgenden dargestellt werden - wenn auch in der im Rahmen einer Einführung gebotenen Kürze. Sie soll aus unterschiedlichen Perspektiven theoretisch beleuchtet und beschrieben sowie in ihrem Potenzial für die Unterrichtspraxis reflektiert werden. Wie Simone Winko (2008) ausführt, induzieren literaturwissenschaftliche Vorgehens‐ weisen, die sich an der Diskursanalyse Michel Foucaults orientieren, eine neue „Suchoptik“ (ebd.: 463), die nicht produktionsästhetisch auf die Autor*innen, nicht rezeptionsästhetisch auf die Leser*innen oder wirkungsästhetisch auf das Zusammen‐ spiel von textlichen Strukturen und individuellen Verstehensprozessen von Lesenden ausgerichtet ist, sondern „auf andere Texte und auf Diskurse“ (ebd.). Literarische Texte werden nicht auf der Basis eines triadischen Modells von Autor*in - Text - Leser*in verstanden, sondern als Textur im Sinne eines Geflechts von intertextu‐ ellen Verweisen, deren Relationen zu untersuchen wären. An einer solchen wissens- und auch machttheoretischen Diskursanalyse orientierte Literaturwissenschaften in‐ teressieren sich für explizite und implizite Strategien, die Diskurse strukturieren. Diskurs in diesem Kontext stellt sich als Ergebnis von Ausschließungssystemen, Aufteilungsprinzipien und Verknappungsprozeduren dar (vgl. Foucault 1996: 10-44): Ich gehe davon aus, daß in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrol‐ liert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird - und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen (ebd.: 10 f.). Als zentrale Fragen von Diskursanalysen werden formuliert: ■ Was darf Gegenstand des Diskurses sein? ■ Mit welchen Begriffen wird darüber gesprochen? ■ In welchem Modus wird darüber gesprochen (Erzählung, wissenschaftliche Ab‐ handlung, mythologische Darstellung u. a.)? ■ Welche theoretischen Annahmen werden dabei vorausgesetzt? Wer redet oder darf reden? (vgl. dazu auch Winko 2008: 468) 132 10 Diskursivität Ein hier skizzierter weiter Diskursbegriff von Foucault ist auch im Kontext des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache von Relevanz, auch wenn es für konkrete Unterrichtsvorbereitungen wohl nicht immer möglich ist, einzelne Texte, Diskurse und Diskursmuster umfassend - auch im Hinblick auf Machtprozesse - zu analysieren. Produktiv für die didaktischen und methodischen Perspektiven der Modellierung von Lehr-und Lernprozessen ist vor allem Foucaults engerer Begriff, der Diskurs bestimmt als „eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören“ (Foucault 1997/ dt. 1973/ frz. 1969: 156). Foucault zufolge kann man etwa „von dem klinischen Diskurs, von dem ökonomischen Diskurs, von dem Diskurs der Naturgeschichte, vom psychiatrischen Diskurs sprechen“ (ebd.). In kritischer Auseinandersetzung mit dekonstruktivistischen Perspektiven in den Literaturwissenschaften, die durchaus produktiv an Foucault anschließen, aber deren „Textzentrierung […] so weit geht, keinen Existenzbezug außerhalb von Texten anzuerkennen“ (Bachmann-Medick 1996: 44), haben sich kulturwissenschaftliche Erweiterungen und Alternativen entwickelt. Sie überschreiten die von solchen An‐ sätzen implizierte Vorstellung der „Unlesbarkeit“, „Undeutbarkeit“, „Unsagbarkeit“ von literarischen Texten, erlauben Zugänge zu diskursiven Mustern und ihren dynamischen Konstruktionsprozessen und nehmen die von Texten „ausgelöste Eröffnung verschiedener Lesarten und neuer Bezüge“ (ebd.: 24) in den Blick. Der literarische Text wird in seinen Relationen, Interdependenzen und Interferenzen zu anderen Zeichensystemen gesehen. Er verliert damit seine Exklusivität im doppelten Sinn von Abgeschlossenheit und herausragender Stellung und wird „über eine Kette anderer, nichtkanonischer kultureller ‚Texte‘, Tagebücher, Traktate, Register, Träume, Visionen usw. eingereiht […] in den umfassenderen Prozeß der Kodierung kultureller Bedeutungen“ (Bachmann-Medick 1996: 46). Im Fokus stehen Netze und Verflechtun‐ gen von Texten, und Grundlage ist - wie das Zitat zeigt - ein weiter Textbegriff (→ Kap. 11, 17, 18). Der New Historicism gehört zu den frühen Positionen, die die Außenbezüge von literarischen Texten systematisch aufsuchen und für ihre Analysen Texte unterschied‐ licher Zusammenhänge lohnend miteinander ins Spiel bringen - seien es Genres, mediale Formate o. Ä. (→ Kap. 11). Dafür hat der New Historicism bzw. dessen Begründer, der US-amerikanische Literaturwissenschaftler und Shakespeare-Spezialist Stephen Greenblatt, den Begriff der „negotiations“, der „Verhandlungen“ geprägt (Greenblatt 1990). Er bezeichnet das dynamische Verhältnis zwischen literarischen Texten und ihrem diskursiven Umfeld bzw. ihren sozialen Kontexten. Moritz Baßler spricht anschaulich von „den Fransen des Textes“: Diskursfäden laufen in den Text hinein und aus dem Text hinaus, sind innerhalb und außerhalb des Textes vielfältig verwoben. Der an diesen Verbindungen und den dabei getätigten Tauschhandlungen („negotiations“) interessierte Interpret befindet sich immer an den Grenzen, den Fransen des Textes, dessen Konturen somit verschwimmen. (Baßler 1995: 16) 133 10 Diskursivität Auf dieser Basis kulturwissenschaftlicher Literaturwissenschaften kann das Verhältnis zwischen literarischen Texten und gesellschaftlichen Zusammenhängen - im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache traditionell als „Literatur und Landeskunde“ bezeichnet (→ Kap. 7) - neu gedacht werden, nicht als Rekonstruieren von landeskund‐ lichen Inhalten in literarischen Texten, sondern als reflektierende Auseinandersetzung mit den diskursiven Verhandlungen von Texten und Textensembles in verschiedenen medialen Formaten. Als einer der ersten hat Wolfgang Hallet diese neuen Perspek‐ tiven auf literarisch-ästhetische Texte in seiner Studie Fremdsprachenunterricht als Spiel der Texte und Kulturen. Intertextualität als Paradigma einer kulturwis‐ senschaftlichen Didaktik (2002) für den Fremdsprachenunterricht erschlossen. Hallet bezieht sich hier nicht auf den klassischen interpretationsorientierten Intertextuali‐ tätsbegriff, der „auf bewußte, intendierte und markierte Bezüge zwischen einem Text und vorliegenden Texten oder Textgruppen“ (Pfister 1985: 25) ausgerichtet ist. Er orientiert sich an dem poststrukturalistischen Begriff einer radikalen Intertextualität - dem Kristevaschen „texte général“ (Kristeva 1970: 12) - und nutzt diesen Intertex‐ tualitätsbegriff für alle Dimensionen des Unterrichts: Literarische Texte, Lehr- und Lernmaterialien sowie Texte bzw. Äußerungen von Lehrenden und Lernenden versteht er als Diskursschnittpunkte und deren „Interplay“ (Hallet 2002: 23) als dynamischen Prozess, der nicht im herkömmlichen Sinn didaktisch und methodisch planbar ist. Mit Rückgriff auf einen solchen Begriff der Intertextualität (→ Kap. 11) nimmt Hallet die diskursive Verwobenheit literarischer Texte zum Ausgangspunkt für deren Lektüren im Unterricht, wobei sich jeder fremdsprachige oder zielkulturelle Text (im weiten, semiotischen Sinne) als ein Faden im Bedeutungsgewebe darstellt, der eine Teillektüre (Interpretation) der fremden, zu beschrei‐ benden Kultur erlaubt und an dem entlang weitere Fäden und größere Teile des Netzes erschlossen werden können. (Hallet 2002: 33) Der Einblick in solche Strukturen fördert die fremdsprachige Diskursfähigkeit, die auch in der US-amerikanischen Fachdiskussion als Zielsetzung des Fremdsprachen‐ unterrichts gilt (→ Kap. 11), und erlaubt eine Teilhabe an Diskursen. Auch im Anfängerunterricht - etwa Französisch und Deutsch an Universitäten - sei Sprache in ihrer Komplexität, i.e. auch in ihren sozialen, historischen und kulturellen Zu‐ sammenhängen zu vermitteln; die Ausbildung einer „cultural literacy“ - wie die Französischdidaktikerin Kate Paesani (2017: 4) es nennt - wäre als „overarching goal“ (ebd.) zu verstehen. Ein integrierender Sprachunterricht zielt darauf, Lernende für einen in mehrfacher Hinsicht souveränen Umgang mit der Fremdsprache auszu‐ bilden, der auch die Fähigkeit zur kritischen Analyse umfasst und das Wissen, in welche Diskurse das eigene Sprechen hineinreicht. Lernenden wäre ein Einblick in Bedeutungsbildungsprozesse zu vermitteln und sie wären für die Wahrnehmung von semiotischen Prozessen zu sensibilisieren als Basis für die Teilhabe an Diskursen. Ziel wäre die Förderung ihrer Fähigkeit, selbstbestimmt und wissend um die Wirkung der sprachlichen Mittel, die sie wählen, sprachlich handeln zu können, wobei neben 134 10 Diskursivität 3 Vgl. zur Rezeption in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Kramsch (2011, 2015, 2018), Dob‐ stadt/ Riedner (2011a, 2011b), Riedner (2015), Hille (2017); Grimstein/ Hille (2018), Schiedermair (2019). der intensiven Auseinandersetzung mit Texten auch das Verfassen eigener Texte zum methodischen Vorgehen bei der Ausbildung einer solchen Fähigkeit, die Richard Kern (2015: 223) als „agility“ bezeichnet, gehört. In der deutschsprachigen Diskussion wurde vor allem der Begriff der „symbolic competence“ aufgegriffen, den Claire Kramsch mit ihrem Artikel From Communicative Competence to Symbolic Competence (2006) geprägt hat. 3 Das Konzept der symbolischen Kompetenz intendiert eine Erweiterung des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts. Als dessen Zielsetzung wäre es nicht ausreichend, die Lernenden dazu zu befähigen, wie L1-Sprechende „Aussagen korrekt zu produzieren, korrekt zu deuten und deren Sinn auszuhandeln“ bzw. „angemessene Sprechhandlungen am angemessenen Ort zur angemessenen Zeit im Dialog mit ande‐ ren auszuführen“ (Kramsch 2011: 39). Darüber hinaus gelte es, gesellschaftliche Muster wahrzunehmen und sich im fremdsprachlichen Kontext bewusst und selbstbewusst zu ihnen zu verhalten. Soziolinguistisch gewendet „versteht man unter symbolischer Kompetenz die Fähigkeit, in den alltäglichen Machtspielen erfolgreich zu sein“, sich gegenüber anderen zu positionieren (Kramsch 2018: 196). Dafür wäre eine intensive Auseinandersetzung mit Sprache nötig, die den Lernenden Einblicke in Bedeutungs‐ bildungsprozesse ermöglicht, was in Zeiten von Internet und Digitalisierung von großer Relevanz ist. Die spezifische Verfasstheit literarischer Texte kann dazu, wie auch Kramsch betont, einen genuinen Beitrag leisten (→ Kap. 9): In the real world, the input has become inordinately complex: Marketing techniques, newspeak, and political propaganda have commodified meanings and blurred the genres; the Internet has diversified the modalities of meaning making. Today it is not sufficient for learners to know how to communicate meanings: they have to understand the practice of meaning making itself. […] Through literature they can learn the full meaning making potential of language. […] What literature can do is foster the three major components of symbolic competence: the production of complexity, the tolerance of ambiguity, and an appreciation of form as meaning. (Kramsch 2006: 251) Wie man eine symbolische Kompetenz aufbauen kann, skizziert Kramsch (2011) am Beispiel einer Lehr- und Lerneinheit im Rahmen einer Fortbildung für Deutsch‐ lehrer*innen in den USA - auf der Grundlage eines Auszugs aus Erich Kästners autobiografischem Roman Als ich ein kleiner Junge war (2015/ 1957), der in etwas kürzerer Version auch in dem Lehrwerk Erinnerungsorte. Deutsche Geschichte im DaF-Unterricht (2007) in der Lektion „Dresden“ zur Lektüre vorgeschlagen wird, dort aber unter anderen Zielsetzungen. 135 10 Diskursivität Unterrichtsidee In der Modellierung von Kramsch wurde der Auszug zunächst gelesen und unter der Frage: „Wie appelliert der Text Erich Kästners an die Leser? “ (Kramsch 2011: 38) diskutiert: Wenn es zutreffen sollte, dass ich nicht nur weiß, was schlimm und häßlich, sondern auch, was schön ist, so verdanke ich diese Gabe dem Glück, in Dresden aufgewachsen zu sein. Ich mußte, was schön sei, nicht erst aus Büchern lernen. […] Ja, Dresden war eine wunderbare Stadt. Ihr könnt es mir glauben. Und ihr müsst es mir glauben! Keiner von euch, und wenn sein Vater noch so reich wäre, kann mit der Eisenbahn hinfahren, um nachzusehen, ob ich Recht habe. Denn die Stadt Dresden gibt es nicht mehr. Sie ist, bis auf wenige Reste, vom Erdboden verschwunden. Der Zweite Weltkrieg hat sie, in einer einzigen Nacht und mit einer winzigen Handbewegung, weggewischt. Jahrhunderte hatten ihre unvergleichliche Schönheit geschaffen. Ein paar Stunden genügten, um sie vom Erdboden fortzuhexen. Das geschah am 13. Februar 1945. Achthundert Flugzeuge warfen Spreng- und Brandbomben. Und was übrigblieb, war eine Wüste. Mit ein paar riesigen Trümmern, die aussahen wie gekenterte Ozeandampfer. (Kästner 2015: 49, 51 f.) Nach Lektüre und mündlicher Auseinandersetzung mit dem Text im Plenum wurden die Teilnehmer*innen der Fortbildung aufgefordert, selbst einen Text zu verfassen, in dem sie ihrem Kind vom 13. Februar 1945 erzählen sollten. Diese Vorgabe, ein Kind zu adressieren, führte dazu, dass die Lehrer*innen zunächst viel Zeit in ihre Konzeptionen investierten und erst vergleichsweise spät mit dem Schreiben begannen. Es stellte sich die Frage nach einer ange‐ messenen Darstellung: „Ein historischer Bericht? Eine Familiengeschichte? Ein Gedicht? Eine Zeichnung? Eine Collage? “ und „Was war zu sagen? Was war zu verschweigen? Und vor allem: Wie war es den Kindern zu erzählen? “ (Kramsch 2011: 38). Das Abwägen der eigenen Sprecher*innenposition im Verhältnis zur Adressat*innenposition war durch die Aufgabe herausgefordert. Welche Perspektive, welche sprachlichen Mittel waren zu wählen und wie wäre ein solches Ereignis kindgerecht zu erzählen? Fragen, deren Beantwortung zusätz‐ lich zu den Fähigkeiten des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts nach einer symbolischen Kompetenz verlangen, nach der Fähigkeit selbstbestimmter Teilhabe an einem Diskurs mit Rückgriff auf geeignete sprachliche Mittel und Strategien - kurz: nach einer Diskursfähigkeit, die in reflektierender Distanz auf das eigene sprachliche Handeln im Diskursgeflecht blickt. In Fortführung und Erprobung der Überlegungen von Claire Kramsch zeigt Almut Hille in ihren Beiträgen „Dresden war eine wunderbare Stadt, voller Kunst und Geschichte …“. Autobiografische Texte und (Erinnerungs-)Diskurse in der Ausbildung von Lehrkräften 136 10 Diskursivität 4 Auch Huffmaster/ Kramsch (2008) reflektieren diese Schwierigkeit (→ Kap. 6). für das Fach Deutsch als Fremdsprache (2017) und „Versuch eines happy ends …“. (Erinnerungen) Erzählen in der Ausbildung von Lehrkräften für das Fach Deutsch als Fremdsprache (2020b), wie gewinnbringend und gleichzeitig schwierig es sein kann, den Versuch der Förderung einer symbolischen Kompetenz zu unternehmen - nicht nur im Fremdsprachenunterricht, sondern auch in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften. 4 Eine ähnliche Erfahrung diskutieren Jens Grimstein und Almut Hille (2018): Sie haben ausgewählte Essays zur Globalisierung im Hochschulunterricht Deutsch als Fremdsprache sowie in der Ausbildung von Lehrkräften eingesetzt mit der Zielsetzung, symbolische und diskursive Kompetenzen zu fördern. Ausgewählt wurden Auszüge aus verschiedenen Essays: „Gone with the Wind“ und die Wiedereinführung der Sklaverei in Amerika von Hermann Broch (2010/ 1940); Gespensterarbeit, Krisenmanagement und Weltmarktfiktion von Kathrin Röggla (2009); Annäherung - Notizen aus 14 Ländern von Eugen Ruge (2010) und Unsere schönen neuen Kleider. Gegen die marktkonforme Demokratie - für demokratiekonforme Märkte von Ingo Schulze (2012). Anhand der Auszüge wurde das skizzierte Konzept symbolischer Kompetenz im Kontext von Globalisierung und globalem Lernen (→ Kap. 15) weiter ausdifferenziert - untersucht wurde, wie mit „ausgewählten Essays zur Globalisierung […] aktuelle deutschsprachige Diskurse für Lernende des Faches Deutsch als Fremdsprache erfahrbar und offen für ihre Teilhabe gemacht“ werden können (Grimstein/ Hille 2018: 211). In der fachwissenschaftlichen Diskussion bildet sich Diskursivität zunehmend als ein zentraler Begriff heraus für konzeptuelle Entwürfe, die es ermöglichen, dass „kulturelle Formen und gesellschaftliche Zusammenhänge im Prozess erarbeitet und diskutiert werden“ (Schiedermair 2011b: 178). So können Vernetzungen literarischer Texte „mit dem außerliterarischen Diskursgeflecht […] verfolgt und konstruiert werden, ohne die Nichtverrechenbarkeit literarischer Texte mit der außerliterarischen Wirklichkeit, ohne ihre Fremdheit und Vieldeutigkeit aufzugeben“ (ebd.). Auf den engeren Diskurs‐ begriff von Foucault bezogen, wird argumentiert, dass die Lektüre verschiedener Texte „die einzelnen Diskurszusammenhänge verstärken, abschwächen, ausweiten oder modifizieren“ (Schiedermair 2011a: 29) kann. Der literarische Text, der zunächst im Mittelpunkt der Lektüren steht, wird so „in ein flexibles ‚Kontextnetz‘ eingebunden, nicht in ein erklärendes ‚System‘“ (ebd.). Eine umfassendere theoretische Grundlegung und Textvorschläge für Kurskonzepte im Bereich Deutsch als Fremdsprache hat Almut Hille mit ihrem Beitrag Berlin - ‚global city‘ der Literatur. Zur Arbeit mit Textnetzwerken (2013b) vorgelegt. In ihm wird unter Rückgriff auf Ulfried Reichardts Studienbuch Globalisierung. Literaturen und Kulturen des Globalen (2010) auch explizit auf den gleichberechtigten Status der Texte in einem Textnetz(werk) hingewiesen: „Alle Punkte sind mit allen anderen in vielfältiger Weise verbunden, aber es gibt weder eine Hierarchie noch ein Zentrum.“ (Reichardt 2010: 54) Saskia Sassens Konzept der global cities als strategisch entscheidende Knotenpunkte, als Grenzzonen „für neuartige, vielleicht gerade erst sich abzeichnende Formen des 137 10 Diskursivität 5 Euba/ Warner (2017) bieten in ihrem Band Literatur Lesen Lernen Unterrichtsmaterialien in einer ähnlichen Zusammenstellung, indem sie „Ergänzungs- und Erweiterungstexte“ (2017: 11) einführen; allerdings orientieren sie sich weniger an dem Netzaspekt gleichberechtigter Textensembles, was sich auch in der Formulierung andeutet. Politischen, des Ökonomischen, des ‚Kulturellen‘ und des Subjektiven“ (Sassen 2008: 503) wird zur Referenz, über die Romane wie Die Habenichtse von Katharina Hacker (2006), Entfernung von Marlene Streeruwitz (2006), Sickster von Thomas Melle (2011), Das Ende unserer Tage von Christian Schüle (2012), Selam Berlin und Café Cyprus von Yadé Kara (2003, 2008) oder sogenannte ‚Praktikantenromane‘ von Nikola Richter und Elena Senft in ein offenes Spiel gegenseitiger Bedeutungszuweisung gebracht werden können. Dabei wird die „Nichtabschließbarkeit aller Verstehens- und Interpretations‐ vorgänge auch methodisch in Rechnung“ gestellt und es werden „neue, kreative Wege von Bedeutungskonstruktionen begrüßt“ (Hille 2013a: 238). 5 Unterrichtsidee Ebenfalls in dem Band Erzählte Städte, 2013 herausgegeben von Almut Hille und Benjamin Langer, präsentiert Simone Schiedermair auf der Basis eines literarischen Sommerkurses für internationale Studierende ein Textensemble zu „München als Literatur- und Medienstadt“, in dem gegenwärtige und vergangene Diskurse lesbar werden. Es wurden u. a. kurze Texte von Thomas Mann und Uwe Timm gelesen, in denen sie die Stadt unter dem Motto „München leuchtet(e)“ kommentieren: Manns berühmte Erzählung Gladius Dei (2008/ 1902) und Uwe Timms kurzer Text Der glückliche erste Blick (2006), der gut hundert Jahre nach Manns Erzählung im Stadtführer Süddeutsche Zeitung: München erschienen ist. Hier beschreibt Timm seine Ankunft in der Stadt München, in die er zum Studium gekommen ist; am Bahnhof sei er in ein Taxi gestiegen, dessen Fahrer eine kleine Stadtrundfahrt in seine Chauffeurdienste integriert und ihm „Isar-Athen“, die „nördlichste Stadt Italiens“ gezeigt habe: den Stachus, die Kaufingerstraße, die damals noch keine Fußgängerzone war, die Re‐ naissancefassade der Michaelskirche, den Marienplatz mit dem aufgebrezelten neuen und dem mittelalterlich nüchternen alten Rathaus, die wunderschöne Barockfassade der Theatinerkirche, den Universitätsplatz mit seinen beiden, römischen Vorbildern nachgebauten Schalenbrunnen, auf deren Rändern und Stufen junge Leute saßen. Ich wusste, in dieser Stadt werde ich mich wohl fühlen. (Timm 2006: 20) Thomas Mann hat diesen „glücklichen ersten Blick“ in der folgenden Beschrei‐ bung gefasst: München leuchtete. Über den festlichen Plätzen und weißen Säulentempeln, den anti‐ kisierenden Monumenten und Barockkirchen, den springenden Brunnen und Palästen und Gartenanlagen der Residenz spannte sich strahlend ein Himmel von blauer Seide, 138 10 Diskursivität 6 Im Roman steht dieser Ausspruch im Kontext der Demonstrationen, die im November 1918 eine Räterepublik forderten. Der Ich-Erzähler äußert ihn seinem Freund Schorsch gegenüber bei einer Versammlung auf der Theresienwiese, von der aus man zu den Kasernen zog und die u. a. zur Flucht des bayerischen Königs Ludwig III. und zum Ende der Wittelsbacher Herrschaft und der Monarchie in Bayern führte. Zu Grafs Texten im öffentlichen Raum des Literaturhauses München unter dem Aspekt der Erinnerung vgl. Schiedermair (2015a: 78 f.). und ihre breiten und lichten, umgrünten und wohlberechneten Perspektiven lagen in dem Sonnendunst eines ersten, schönen Junitages. (Mann 2008: 222) In Thomas Manns Erzählung endet der erste Absatz mit der gleichen Formulie‐ rung, mit der er begonnen hatte: „München leuchtete“ (ebd.: 225). Uwe Timms Text spielt am Ende auf diese Passage aus der Erzählung an, die inzwischen unzählige Male zitiert wurde, und endet mit dem Mann’schen Satz, jedoch im Präsens: „München leuchtet“, nachdem er eine Erklärung des Wetterphänomens gegeben hat, die sich weniger am „Himmel von blauer Seide“ und „Sonnendunst“ eines „schönen Junitages“ (ebd.: 222) orientiert als an naturwissenschaftlichen Beobachtungen: Zum Schluss soll noch der immer wieder zitierte Satz von Thomas Mann zitiert werden. München leuchtete. Das war in einem übertragenen Sinn gemeint. Jedoch, selten im Winter, fast nie im Sommer, hin und wieder im Frühjahr und oft im Herbst erscheint die Stadt in diesem eigentümlichen Licht, goldbraun in den späten Nachmittagsstunden, Resultat einer Brechung in höheren Sphären, bei der, wie mir ein Physiker erklärte, die nahen Alpen eine Rolle spielen, ein Licht, das die Fassaden und Kirchen wie in Äther taucht, die Dinge hervorhebt, so als schienen sie aus sich herauszutreten, es ist der Moment, in dem tatsächlich München leuchtet. (Timm 2006: 21) Um zu differenzieren, um neue Wege der Bedeutungszuweisung und -konstruk‐ tion zu ermöglichen wie auch kritische Wahrnehmungen der Stadt, wurden weiterhin Texte von Oskar Maria Graf gelesen, etwa sein Aufruf Verbrennt mich! Protest anläßlich der deutschen Bücherverbrennung 1933 und ein Auszug aus dem Roman Wir sind Gefangene (1999/ 1927). Vor Ort wurde von den Studierenden erkundet, wie Auszüge aus Texten Grafs noch heute in den öffentlichen urbanen Raum eingeschrieben sind: Ein Denkmal für den Autor wurde 1997 im Auftrag der Stadt München von der New Yorker Künstlerin Jenny Holzer errichtet. Für ihre Arbeit wählte sie Sprache und Schrift, d. h. Sätze des Autors, die auf der Einrichtung, auf dem Geschirr und auf einer elektronischen Schriftsäule in der Brasserie des Literaturhauses erscheinen. Auf den Bierdeckeln z. B. steht ein Satz aus dem Roman Wir sind Gefangene, der auf ganz unterschiedliche Weisen deutbar ist: „Herrgott, heut‘ ist ja ganz München da … Da wär’ doch was zu machen! “ (Graf 1999: 393). 6 139 10 Diskursivität Abb. 11: Bierdeckel, Brasserie im Literaturhaus München Unterrichtsidee Einen weiteren Vorschlag für die Lektüre eines Textnetzes hat Nadia Fischer in ihrem Beitrag ‚Kohn in der Couch‘ - Krohn auf der Couch. Das ‚Wie‘ des Erinnerns an die NS-Vergangenheit in erinnerungsliterarischen Texten. Implikationen und Praxishinweise für die Lehrkräfteausbildung im Fach Deutsch als Fremdsprache (2020) ausgearbeitet. Wie die Erzählung Kohn in der Couch von Norbert Kron (2004) etwa im Rahmen eines universitären Seminars in einer „multimediale[n] und -dimensionale[n] Herangehensweise“ gelesen werden könne, skizziert sie im Hinblick auf mögliche Texte wie Karikaturen, einen Besuch der Wanderaus‐ stellung Abgestempelt - Judenfeindliche Postkarten, Liedtexte (wie Der kleine Cohn), einschlägige Studien (wie die MEMO-Studie zum Erinnerungsdiskurs in Deutschland) und fachwissenschaftliche Diskussionen (etwa zum jüdischen Selbsthass), Zeitungsartikel und anderes. Eine reflektierende Auseinanderset‐ zung, die die Komplexität gesellschaftlicher Zusammenhänge und ihrer Aus‐ handlungen in Symbolisierungs- und Deutungsprozessen nicht reduziert, wäre ein Vorgehen, das Studierende zur „Teilnahme an erinnerungs-, kultur- und literaturwissenschaftlichen Diskursen innerhalb und außerhalb ihres eigenen Fachbereichs im Sinne der interdisziplinären Ausrichtung des Faches Deutsch als Fremdsprache befähigt“ (Fischer 2020: 87). Nicht nur im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, insgesamt in der aktuellen fremdsprachendidaktischen Diskussion gewinnt der Begriff des Diskurses bzw. der Diskursivität große Bedeutung, wird eine übergreifende Zielsetzung des Fremd‐ sprachenunterrichts doch verstärkt als fremdsprachige Diskursfähigkeit bzw. Fähigkeit zur Partizipation an fremdsprachigen Diskursen bezeichnet. Die im Ge‐ meinsamen Europäischen Referenzrahmen in der ersten Fassung von 2001 noch im Vordergrund stehende umfassende fremdsprachendidaktische Zielsetzung einer vor 140 10 Diskursivität 7 Im neuen Begleitband zum GER ist - im Rahmen einer konsequenten Handlungsorientierung, die „Lernende als gesellschaftlich Handelnde sieht“ - von einer plurikulturellen (anstelle einer interkulturellen) Kompetenz bzw. Bildung als einer übergreifenden Zielsetzung des Fremdsprachen‐ unterrichts die Rede (GER 2020: 34). allem interkulturellen Kompetenz (vgl. GER 2001: 105 f.) wird so auf der Grundlage eines bedeutungs-, symbol- und wissensorientierten Kulturbegriffs (→ Kap. 7) neu gefasst. 7 Im Rahmen der Fachdidaktik Englisch plädiert Wolfgang Hallet (2006a) in seinen Überlegungen zu Tasks in kulturwissenschaftlicher Perspektive dafür, die kulturellen Bedingungen allen Lernens - gegenwärtig u. a. gekennzeichnet durch die Globalisierung sozioökonomischer Prozesse, die Beschleunigung der Lebensverhält‐ nisse und die digitale Revolution - zur Bezugsebene von Lernprozessen und zur Grundlage didaktischer Arrangements zu machen (vgl. Hallet 2006a: 75). Er modelliert fremdsprachige Diskursfähigkeit und gesellschaftliche Partizipation als didaktische Schlüsselbegriffe einer Kompetenzorientierung, deren Kern die Fähigkeit sein sollte, an den Aushandlungsprozessen einer Vielzahl von „real world“-Diskursen teilnehmen zu können (vgl. ebd.: 75 ff.). Wenn man fremdsprachige Diskursfähigkeit als Leitwie auch Bildungsziel des Fremdsprachenunterrichts bestimmt, „wird damit zugleich die Einheit von sprachlicher Äußerungsform und inhaltlicher Verhandlung oder Reflexion fokussiert“ (Hallet 2009: 70) - was wir oben als Auseinandersetzung mit Literarizität bezeichnet haben (→ Kap. 9). Hallet zufolge erhalten literarische Texte auf dieser Basis einen festen Platz im Unterricht, können sie durch ihre Mehrdeutigkeit, ihre Perspektivenvielfalt, ihre Problemhaltigkeit (im Sinne der Problematisierung sozialer und personaler Gegebenheiten, Prozesse und Handlungsweisen) sowie die Evokation von Reflexionen doch wesentlich zur Entwicklung einer fremdsprachigen Diskursfä‐ higkeit beitragen (vgl. ebd.: 74). Die für die Ausbildung einer fremdsprachigen Diskursfähigkeit elementare Grund‐ lage, Bedeutungsbildungsprozesse wahrzunehmen und - wie in Kramschs Konzept einer „symbolic competence“ aufgehoben - sprachliche Mittel sowie textliche Formate und Medien begründet zu wählen, ist auch und gerade in Zeiten der Digitalisierung von hoher Relevanz. So fordert Hallet (2020) eine Digitalisierung der fremdsprachigen Diskursfähigkeit, deren Ziel „neben analogen auch digitale Äußerungsformen und die Kommunikation in digitalen Umgebungen“ wären (ebd.: 197). Dabei ist nicht ein Umgang mit Digitalisierung gemeint, der sie als Addendum denkt, in dem Sinne, dass zusätzlich zur fremdsprachlichen Kompetenz eine Medienkompetenz zu erwer‐ ben wäre; vielmehr wäre eine „digital literacy nicht als eigenständige Kompetenz zu betrachten, sondern als eine Teilkompetenz der allgemeinen fremdsprachigen Diskursfähigkeit“ (ebd.: 197, Hervorh. i. O.). Wie auch im folgenden Kapitel deutlich werden wird, ist man sich sowohl aus medientheoretischer Sicht wie auch in der fremdsprachendidaktischen Diskussion einig, „dass die Digitalisierung eine gewaltige mediale, kulturell und gesellschaftlich enorm wirkmächtige Umwälzung und gerade nicht nur eine technologische Revolution darstellt“ (ebd.: 187). 141 10 Diskursivität 11 Medialität Mit Medialität rückt - neben Literarizität (→ Kap. 9) und Diskursivität (→ Kap. 10) - der dritte Begriff in den Fokus, der seit Beginn der 2010er Jahre zu den Leitbegriffen in der Diskussion zu Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik in Deutsch als Fremd‐ sprache gezählt wird (vgl. Ewert/ Riedner/ Schiedermair 2011b: 7). Die Auseinanderset‐ zung mit Fragen der Medialität schließt an → Kap 1 an, das mit einem Zitat von Hans Magnus Enzensberger beginnt, in dem die geschriebene Literatur bzw. das Buch bereits 1970 als „Episode“ in der Mediengeschichte bezeichnet wird. Mit den Implikationen des Zitats für traditionelle Vorstellungen von literarischen Texten - die man eben als ‚Bücher‘ assoziiert - steht das Verhältnis von Literatur und Medien in Frage. Es wäre ohne normative Einschätzungen, die der Literatur als „schützenswertes oder wertloses Fossil“ eine „übermächtige Konstellation von Medien“ gegenüberstellen, zu fassen (Griem 2013: 492). Mit einem deskriptiven und differenzierenden Vorgehen wären literarische Texte in ihren „vielfältigen medialen Ausprägungen […] in einer zunehmend hybriden medialen Umgebung“ (ebd.) wahrzunehmen. Medialität ist einer der wichtigen kulturwissenschaftlichen Leitbegriffe jüngerer Zeit. In der Gegenwart ist er zusehends im Paradigma der Digitalität aufgehoben: Die immer breitere Zugänglichkeit von Computern und Internet haben seit den 1990er Jahren und verstärkt seit der Jahrtausendwende einen Paradigmenwechsel forciert. Der Begriff der Digitalität verweist auf „historisch neue Möglichkeiten der Konstitution und Verknüpfung der unterschiedlichsten menschlichen und nichtmenschlichen Akteure“; er bezeichnet ein „relationales Muster“, das „auf Basis der Infrastruktur digitaler Netzwerke in Produktion, Nutzung und Transformation materieller und immaterieller Güter sowie in der Konstitution und Koordination persönlichen und kollektiven Handelns realisiert wird“ (Stalder 2016: 18). Gekennzeichnet ist dieses Muster durch ■ Referenzialität (Menschen nutzen bestehendes kulturelles Material für die ei‐ gene Produktion, mit der sie sich in kulturelle Prozesse einschreiben); ■ Gemeinschaftlichkeit (nur über kollektiv getragene Referenzrahmen können Bedeutungen stabilisiert, Handlungsoptionen generiert und Ressourcen zugäng‐ lich gemacht werden); ■ Algorithmizität (automatisierte Entscheidungsverfahren reduzieren und formen den Informationsüberfluss, „so dass sich aus den von Maschinen produzierten Datenmengen Informationen gewinnen lassen, die der menschlichen Wahrneh‐ mung zugänglich sind und zu Grundlagen des singulären und gemeinschaftlichen Handelns werden können“ (ebd.: 13). Wir sprechen heute auch von einem fortschreitenden Prozess der Digitalisierung aller Bereiche unseres Lebens und einem gesellschaftlichen Strukturwandel, in dem 1 Zum Titel der Publikation, der in der ersten Fassung durch einen Druckfehler The Medium is the Massage (in der ersten deutschen Ausgabe des Ullstein-Verlags auch Das Medium ist Massage) lautete, vgl. https: / / marshallmcluhan.com/ common-questions/ [16.06.2021] „immer schnellere Innovationsschübe Anpassungen und Veränderungen“ erfordern (Hartmann/ Purz 2018: 16). Der entstehende Diskurs um Medien und Medialität galt im Laufe des 20. Jahrhunderts zunächst Fragen der technischen Realisierbarkeit von Signalübertragungen, auch wenn Autoren wie Bertolt Brecht in seiner Radiotheorie (1927-1932) oder Walter Benjamin in seinem Passagenwerk (seit 1927) bzw. der Schrift Das Kunstwerk im Zeitalter seiner techni‐ schen Reproduzierbarkeit (1936-1938) früh auf die gesellschaftlichen Dimensionen und möglichen individuellen Wirkungen einzelner neuer Medien verwiesen. In übergreifender Perspektive widmete sich erst der kanadische Philosoph und Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan in der Publikation The Medium is the M[e]ssage: An Inventory of Effects (gemeinsam mit Quentin Fiore und Jerome Agel 1967; dt. 1969) den unterschiedlichen Formen von Medien und ihren Funktions- und Wirkungsweisen. 1 McLuhan begründete - selbst wenn seine Überlegungen zunächst kaum als wissenschaftliche Theoriebildung angesehen wurden (vgl. etwa Enzensberger 1970: 121 f.) - die Auffassung, Medien würden das, was sie übertragen, zugleich auch hervorbringen (vgl. Krämer 2004: 22 f.). Medien - hier verstanden in einem weiten, nicht immer klar differenzierbaren Spektrum vom körperlichen Ausdrucksmittel der Stimme über Kommunikations- und Vermittlungsmedien wie Sprache, Schrift, Bild und Musik bis hin zu Verbreitungsmedien wie Buch, Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen oder Abrufmedien wie Computer und Smartphone - vermitteln oder übertragen also nicht einfach Sinn und Bedeutung (vgl. ebd.: 24 f.), sondern konstituieren diese auch. Sie sind damit sowohl Produkte wie auch Bedingungen kommunikativer Prozesse. Die stete Weiterentwicklung von Medien, speziell der Verbreitungs- und Abrufmedien, führte in (kultur-)historischer Perspektive immer wieder zu Revolutionen. So war es zunächst Johannes Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, der Druckerpresse und der Druckerschwärze um das Jahr 1440, die eine kulturelle Revolution in Europa auslöste. Bücher konnten massenhaft produziert werden. Zeitungen, zunächst Wochen- und später Tageszeitungen wie die Vossische Zeitung in Berlin, gegründet 1722, entstanden. Der Grundstein zu Informations- und Bildungsmöglichkeiten für breite Bevölkerungsschichten war gelegt, jedoch weiterhin an die Fertigkeit des Lesens gebunden. Diese prägte sich zunächst in einer adligen und später auch bürgerlichen Oberschicht immer weiter aus. Allgemeine Verbreitung fand sie im deutschsprachigen Raum jedoch erst im Laufe des 18. und frühen 19. Jahrhun‐ derts mit den Bemühungen um eine weitreichende Alphabetisierung der Bevölkerung durch Einführung einer allgemeinen Schulpflicht. Angeregt hatte diese schon Martin Luther 1524 mit seiner Schrift An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, dass 144 11 Medialität sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen (vgl. Richter 2017: 36). Johannes Gutenberg gilt heute als ein ‚Mann des Jahrtausends‘ (vgl. Gottschalk 2018). In der Mitte des 19. Jahrhunderts sorgten neue Medien zusammen mit Innovatio‐ nen besonders der Energieversorgung und des Transports für die Erste Industrielle Revolution. Die Möglichkeit des Dampfantriebs war erfunden worden und wurde für Maschinen, die Eisenbahn und auch die Schifffahrt genutzt. Bahnpost und Rohrpost sorgten für schnelle Kommunikation. Am Anfang des 20. Jahrhunderts initiierten Elektrizität, Telefon und Telegraf sowie der Verbrennungsmotor die Zweite Industrielle Revolution. Die Massenproduktion in der Industrie z. B. per Fließband wurde möglich, Automobile kreuzten die Straßen und erste Flugzeuge die Kontinente, per Telefon und Telegraf konnten Stimme bzw. Schrift so schnell wie nie zuvor übertragen werden. Marshall McLuhan analysierte bereits in The Medium is the Massage das (künftige) Potenzial der elektronischen Medien. Der elektronische Kreislauf würde die Herrschaft von ‚Zeit‘ und ‚Raum‘ zerstören (McLuhan/ Fiore 1967: 16) und uns in einem global village, einem simultanen Geschehen leben lassen (ebd.: 63, 67) - ein Gedanke, den er in dem posthum veröffentlichten Buch The Global Village. Transformations in World Life and Media in the 21st Century (1989/ dt. 1995) weiter ausführt. Das elektronische oder digitale Netz ist es, das seit den 1990er Jahren eine beschleunigte Globalisierung und eine Dritte Industrielle Revolution ermöglicht, beruhend auf digitaler Kommunikation und (erneuerbaren) Energien, deren Nutzung zunehmend über dezentrale Netzwerke erfolgen und die auch die Mobilität verändern wird: Zu denken ist an autonom fahrende Autos, Solarflugzeuge und -boote, die schon heute erprobt werden (vgl. auch Rifkin 2011). Im digitalen Netz, zugänglich über Abrufmedien wie Computer und Smartphone, werden Medienformate wie Stimme, Schrift, Bild, Musik und Film miteinander vernetzt. Mit dem Internet ist ein hypertextuelles, interaktives Medium entstanden, das raum- und zeitunabhängige Kommunikation und ‚Erfahrung‘ erlaubt. Wirklichkeit - kulturwissen‐ schaftlich und philosophisch ohnehin ein schwer zu fassender Begriff, der für „das Insgesamt des Gegebenen“, „das Tatsächliche“ und „das tatsächlich Geschehende“ steht - wird zunehmend destabilisiert, ist von Simulation und Virtualität geprägt (vgl. Welsch 2000: 171, 174). Es sind „medieninduzierte Veränderungen unserer Wirklichkeitsauffas‐ sung“, die in ein „Konkurrenzverhältnis zur gewohnten Wirklichkeitserfahrung“ treten, wobei „das Wirkliche und das Virtuelle durchlässig gegeneinander und miteinander verwoben sind“ (ebd.: 207, 210). Diese virtual reality durchdringt Realitätserfahrungen immer mehr. Menschliche Wahrnehmungs- und Erfahrungsprozesse sind zunehmend medial geprägt (vgl. Rajewsky 2002: 1). Eine fortschreitende Medialisierung bzw. Digitalisierung des Alltags verändert die Begriffe und Vorstellungen von Wirklichkeit, von Kommunikation, von industrieller Produktion, von Finanzwirtschaft, künstlerischer Produktion, Information, Wissen und Bildung in hohem Maße. Nicht zuletzt Bildungsin‐ stitutionen und -einrichtungen sind von diesen Veränderungen, die neue Parameter und Herausforderungen für alle Bildungsprozesse induzieren, berührt. 145 11 Medialität 2 Rajewsky (2002: 59 f.) diskutiert den Begriff der Intermedialität auch im Zusammenhang mit dem Begriff der Intertextualität. In der Fremdsprachendidaktik wurde in Reaktion auf die seit Mitte der 1990er Jahre zunächst zu beobachtende Omnipräsenz von (audiovisuellen) Medien im Alltag ein weiter Literaturbzw. Textbegriff etabliert. Neben verbalsprachlich fixierten (literarischen) Texten wurden auch Texte in anderen medialen Formaten wie Filme, Hörspiele, Video- und Werbeclips verstärkt in den Unterricht einbezogen. Die Förderung von audio literacy und visual literacy bzw. audiovisual literacy sowie einem intermedialen Lernen erlangte zunehmend Bedeutung, wobei darauf hinzuweisen ist, dass der Begriff literacy nicht zu eng gefasst werden sollte. Er wird in der Regel als Lese- und Schreibkompetenz bzw. auch Hör-, Sehbzw. Hör-Seh-Kompetenz übersetzt, impliziert aber viel mehr als das Beherrschen der entsprechenden Fertigkeiten: nämlich „Abstraktions- und Denkvermögen, Analyse- und Synthesefähigkeit, kulturelles Wissen, Kritik- und Urteilsvermögen, Erzählkompetenz, Selbst- und Weltverständnis“ (Reinfandt 2009: 166). Der hier wichtige Begriff der Intermedialität ist ein weit gefasster Begriff, der für die Gesamtheit von Mediengrenzen überschreitenden Phänomenen steht (vgl. Rajewsky 2002: 12). 2 Er setzte sich - oft synonym zu Begriffen wie Multimedialität, Poly- oder Plurimedialität und Transmedialität verwendet - Mitte der 1990er durch, zunächst um das Verhältnis von herkömmlichen Medien wie literarischen Texten oder Gemälden zu technischen bzw. elektronischen Medien sowie zu den Relationen dieser Medien untereinander zu beschreiben (vgl. Rajewsky 2002: 6, 9). Unter dem Begriff der Intermedialität sind zu unterscheiden: ■ Medienkombinationen Sie sind Resultat der Kombination mindestens zweier, konventionell als distinkt wahrgenommener Medien. Beispiele für Medienkombinationen wären der Film, die Oper, das Lied oder die Multimedia-Show. ■ Medienwechsel Sie umreißen den jeweiligen Prozess der Transformation eines medienspezifischen Prätextes oder Textsubstrats in ein anderes Medium. Beispiele wären Literatur‐ verfilmungen oder Inszenierungen dramatischer Texte. ■ Intermediale Bezüge Gemeint sind Verfahren der Bedeutungskonstitution, in denen ein mediales Produkt Bezug auf ein Produkt in einem anderen Medium oder auf dieses als System, etwa als Genre, nimmt. Elemente und/ oder Strukturen eines anderen, konventionell als distinkt wahrgenommenen Mediums werden also mit den eigenen, medienspezifischen Mitteln thematisiert, simuliert oder reproduziert. Beispiele wären die Bezugnahme eines literarischen Textes auf einen bestimmten Film, die Musikalisierung literarischer Texte (s. u. das Gedicht von Hugo Ball) und Ekphrasen (s. u. den Text von Thomas Bernhard). (vgl. Rajewsky 2002: 15 ff.) 146 11 Medialität Im Anschluss an die Überlegungen zu einer fremdsprachigen Diskursfähigkeit als über‐ geordnetem Lehr- und Lernziel des Fremdsprachenunterrichts (→ Kap. 10) und dem Fremdsprachenunterricht als einem Diskursraum, in dem sich Texte unterschied‐ licher medialer Repräsentationen in einem intertextuellen Spiel bewegen, entwickelt Gabriele Blell (2007) Grundzüge einer intermedialen Literatur- und Kulturdidaktik. Sie knüpft dabei auch an die Überlegungen von Camilla Badstüb‐ ner-Kizik (2006) zur Arbeit mit Bildender Kunst und Musik im Fremdsprachenunter‐ richt an, konzentriert sich aber besonders auf die Musik bzw. konkreter auf das Wechselspiel zwischen (literarischen) Texten und Musik. Besonders die klangli‐ chen oder rhythmischen Aspekte von (Literatur-)Sprache seien aus spracherwerbsthe‐ oretischer Sicht interessant: Wenn „man die musikalisch-klangliche Ebene von Sprache [betrachtet] und […] auf Sprechweisen oder sprachlich nachgeahmte Klangfiguren, auf den Rhythmus oder Synästhesien [achtet], […] wird die musikalische Dimension von Sprache bewusst, die für das Sprachenlernen durchaus bedeutungsmodifizierende bzw. -erweiternde Funktion haben kann“ (Blell 2007: 312). Als ein Beispiel wird das Lautgedicht Karawane (1917) von Hugo Ball genannt, das rhythmisch laut gelesen vielfältige Bedeutungszuweisungen ermöglicht. Unterrichtsidee Hugo Ball: Karawane jolifanto bambla ô falli bambla grossiga m`pfa habla horem égiga goramen higo bloiko russula huju hollaka hollala anlogo bung blago bung blago bung bosso fataka ü üü ü schampa wulla wussa ólobo hej tata gôrem eschige zunbada wulubu ssubudu uluw ssubudu tumba baumf kusagauma ba - umf (Dada Almanach 1920: 53) Der Text kann rhythmisch gemeinsam im Chor gelesen oder auch in einem rhythmischen Vortrag gehört werden. Selbst ohne Kenntnis des Titels seien Lernende - so Blell (2007: 315) - dann in der Lage, zumindest intuitiv eine 147 11 Medialität Karawanenbewegung zu assoziieren. Die leicht verfremdeten Bezeichnungen (jolifanto, russala), die Wiederholung dunkler Vokale (/ a/ , / o/ , / u/ ) oder die Ver‐ wendung lautmalerischer Elemente (Trompeten: ü üü ü) stützen diese Assozia‐ tionen. Der Titel ermöglicht konkretere semantische Bedeutungszuweisungen. Auf den politisch-kunstkritischen Kontext des Gedichts vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs, auch auf den Dadaismus als künstlerische Bewegung kann optional im Unterrichtsgespräch eingegangen werden. Vorschläge, wie dieses Gedicht in Kombination mit einer Fotografie von einer Autokarawane, genannt Urlauberwelle als Karawane, bearbeitet werden kann, bieten Frederking/ Krom‐ mer/ Maiwald in ihrer Einführung Mediendidaktik Deutsch (2018: 169). Um solche intermedialen Phänomene wahrnehmen zu können, bedarf es jedoch der Entwicklung intermedialer Hör-, Seh- und Lesekompetenzen der Lernenden (vgl. Blell 2007: 322). Diese sind auch für den Umgang mit den sogenannten ‚Neuen‘ Medien von Bedeutung. Neben visuellen, auditiven oder audiovisuellen Formaten literarischer Texte, die seit langem ihren Platz im Fremdsprachunterricht haben, gewinnen zunehmend auch digitale Formate an Bedeutung (vgl. Hille 2020a). Eine sogenannte digitale Literatur ist zunächst grundsätzlich von digitalisierter Literatur, mit deren Lektüre am Computer oder Smartphone sich vor allem die Rezeption verändert, zu unterscheiden (→ Kap. 1). Sie wird von vornherein in digitalen Formaten konzipiert und produziert. Die Schrift ist in ihnen oft mit anderen Zeichensystemen, etwa visuellen und akustischen, verbunden, auch mediale Selbstbezüge können beispielsweise durch das Einbinden von Quellcodes in Gedichte einfließen. Die Texte haben einen multimedialen (vgl. Winko 2016: 4) und multimodalen (vgl. Nünning/ Rupp 2011: 5) Charakter. In ihnen sind Hypertextualität, Nichtlinearität und Interaktivität als Textprinzipien angelegt. Über Links zu anderen Texten können den Lesenden unterschiedliche Pfade von Lektüren und damit unterschiedliche Möglichkeiten der Bedeutungskonstruktion nahegelegt und nicht-lineare Lektüren geradezu herausgefordert werden. Die Lesenden können auch verschieden große Spielräume der Mitwirkung am Text erhalten, die vom Kommentieren über die Beeinflussung des Fortgangs des Textes bis zum eigenen Verfassen von Texten bzw. Textteilen reichen (vgl. Winko 2016: 7). Besonders deutlich wird dies in der sogenannten Netzliteratur. Sie ist digitale Literatur, spezifisch aber noch einmal dadurch charakterisiert, dass sie „des Internets bedarf, um produziert und rezipiert zu werden“ (ebd.: 5). Ein Beispiel sind TINY TALES von Florian Meimberg wie etwa das folgende: Textbeispiel Er grinste verlegen: „Sorry, Leute. Ich wusste nicht, dass hier jemand wohnt.“ Columbus drehte sich um: „Segel setzen. Wir fahren wieder! “ (Meimberg 2011: 41). 148 11 Medialität 3 Einen umfangreichen Überblick über deutschsprachige Texte und Foren bietet Hille (2020a: 118 ff.). TINY TALES oder andere Formen der sogenannten Twitter-Literatur (auch: Twitte‐ rature) wie die Twitter-Poesie umfassen 140 Zeichen; sie werden fortlaufend als Tweets auf Twitter publiziert und können mit Kommentaren bzw. Antworten versehen werden. Florian Meimbergs TINY TALES wurden 2010 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet, 2011 erschienen sie erstmals in Buchform unter dem Titel Auf die Länge kommt es an. TINY TALES. Sehr kurze Geschichten im Fischer Taschenbuch Verlag in der Printversion und als E-Book. Die Grenzen zwischen digitaler und digitalisierter Literatur bzw. Hybridausgaben sind hier fließend. Auch Instagram-Stories, literarische Blogs, Mitschreibprojekte oder Schreibforen, digitale Poesie und über literarische Apps angebotene bzw. entstehende Texte gehören zur Netzliteratur. 3 Mit Blick auf die Lektüren solcher Texte im (Fremdsprachen-)Unterricht spricht man nicht mehr nur von Förderung einer audio und visual literacy bzw. audiovisual oder film literacy, sondern einer media bzw. digital literacy. Seit der Jahrtausendwende ist in der Fremdsprachendidaktik auch das Konzept einer multiliteracy einflussreich, das im Jahr 2000 vor dem Hintergrund einer beschleunigten Globalisierung und einer weiteren Medialisierung bzw. Digitalisierung unseres Alltags von einer Gruppe von Fachwissen‐ schaftler*innen der Anglistik in den USA, der sogenannten New London Group, entworfen wurde. Unter der Annahme, dass die von den Lernenden in verschiedenen Konstellatio‐ nen vorzunehmenden Aushandlungen von Bedeutungen immer multimedial bzw. -modal geprägt sind, haben sie eine multiliteracy-Pädagogik entwickelt. Das Konzept postuliert einen partizipatorischen Grundanspruch aller Bildung und ist insofern mit der übergeordneten Zielsetzung des Fremdsprachenunterrichts - einer Diskursfähigkeit der Lernenden bzw. ihrer Partizipationsfähigkeit an gesellschaftlichen Diskursen - gut vereinbar (vgl. auch Hallet 2007: 31). Als Teile einer im Fremdsprachenunterricht zu fördernden multiliteracy werden folgende Kompetenzen benannt: ■ linguistic literacy, ■ visual literacy, ■ audio literacy, ■ gestural literacy, ■ spacial literacy und ■ multimodal literacy (vgl. The New London Group 2000: 25). Das Konzept trägt damit dem Phänomen Rechnung, dass in den digitalen Medien verschiedene, auch analoge mediale Formate miteinander verschränkt sind, die im Unterricht aber nach wie vor auch als solche eine Rolle spielen. Das Internet etwa - ein Hypertext, für den verbalsprachlich fixierte Texte in schriftlicher und mündlicher Form, Bilder, Filme, Clips und Musik konstitutiv sind - basiert auf intermedialen bzw. auf hypermedialen Verknüpfungen, in denen Medienformate wie die genannten kaum noch als distinkt wahrgenommen werden. Multimodalität, Nichtlinearität und 149 11 Medialität Interaktivität sind als Textprinzipien angelegt. Gleichzeitig findet im Digitalen auch eine Auseinandersetzung mit dem Analogen statt und umgekehrt (vgl. Anselm/ Götzin‐ ger/ Rödel 2018: 232). Dies kann in Lehr- und Lernarrangements verdeutlicht werden, indem verschiedene Medienformate hierarchisiert und selektiert werden (vgl. Hallet 2002: 117). So kann der kompetente Umgang mit Hypertexten, der auch die reflektierte Beurteilung oft unübersichtlicher Informations- und Textangebote umschließt, trai‐ niert werden. Nicht zuletzt ist eine - auch ethisch fundierte - Urteilskraft gefordert (vgl. auch Anselm/ Götzinger/ Rödel 2018: 222), die auch in der Arbeit mit erwachsenen Ler‐ nenden immer weiter zu fördern ist. Die unterrichtlichen Zielsetzungen, Gegenstände und Methoden im Rahmen einer übergreifenden Förderung von media bzw. digital literacy oder multiliteracy müssen dabei jeweils konkret bestimmt werden. Richard Kern, US-amerikanischer Didaktiker für Französisch, fordert in seinem Band Language, Literacy, and Technology (2015: 233) die Ausbildung einer „critical semiotic awareness“, i.e. eine Sensibilisierung dafür, „how meanings are made, framed, and transformed in particular contexts of language use” (ebd.). Für die Förderung einer solchen literacy, die über die Fähigkeiten hinausgeht, auf die ein kompetenz- und fertigkeitenorientierter kommunikativer Fremdsprachenunterricht zielt, entwickelt er verschiedene Vorschläge, wie man Lehr- und Lernprozesse modellieren kann, die dafür sensibilisieren, dass die Wahl des Mediums von hoher Relevanz ist - „the medium matters“ (ebd.: 239) - und dass alle Texte als multimodal zu verstehen sind - „texts are always multimodal“ (ebd.: 246). Unterrichtsidee Im Hinblick auf die Relevanz des Mediums schlägt er verschiedene Lehr- und Lernarrangements vor, die den Lernenden einen erfahrungsbasierten Zugang zu dieser theoretischen Feststellung ermöglichen sollen, etwa die Nutzung einer Tontafel anstelle von Papier oder digitalen Geräten. Dabei wären die Lernenden zunächst aufgefordert, selbst aus Ton eine Tafel zu formen. In Gruppen sollen sie anschließend die folgenden Aufgaben mit dieser Tafel durchführen: 1. Eine lateinische Inschrift von Papier auf die Tontafel übertragen. 2. Eine Karte mit einer Wegbeschreibung von ihrem Zuhause in die Universität zeichnen. 3. Eine kurze „clay“-Mail an eine befreundete Person schreiben und beschrei‐ ben, wie man eine Tontafel herstellt. 4. Diskutieren, was Hamlet meint mit „To be or not to be, that is the question“. 5. Eine Werbung für ein Lieblingsgetränk entwerfen. (vgl. Kern 2015: 244) Es bedarf wohl keines großen Kommentars dazu, dass das Medium Tontafel sich nicht für alle Aufgaben gleichermaßen eignet. Vergleichsweise unproblematisch ist sicher das Anfertigen einer Inschrift (Aufgabe 1), während längere Texte (Aufgabe 150 11 Medialität 4) oder multimodale Texte wie Text-Bild-Arrangements, die eine passende Lösung für ein Werbedesign (Aufgabe 5) wären, damit kaum zu bearbeiten sind. Mit ähnlich intuitiven Aufgaben wird für die Lernenden die grundsätzliche Mul‐ timodalität von Texten erfahrbar. Am Beispiel eines handgeschriebenen Briefes können Lernende für dessen spezifische Materialität sensibilisiert werden, etwa mit folgenden Fragen: Wie beeinflussen Größe, Form und Qualität des Papiers deinen Eindruck von Brief und Absender*in? Um die Vermittlungsmodalitäten von mündlicher und schriftlicher Kommuni‐ kation zu untersuchen, kann man die Lernenden bitten, Aufnahmen von Kon‐ versationen mit unterschiedlichen Kommunikationsmitteln herzustellen und zu vergleichen: ein Gespräch in face-to-face-Kommunikation mit einem Telefonge‐ spräch, mit einer Videokonferenz, einem Online-Chat und einer Chat-Kommuni‐ kation, die Schrift, Bild und Videos integrieren kann, wie sie auf Smartphones von verschiedenen Instant-Messengerdiensten (etwa WhatsApp, Signal) angeboten wird. In kritischer Auseinandersetzung mit den Formen von Kommunikation, die diese unterschiedlichen Medien ermöglichen, lässt sich analysieren, welches Potenzial die unterschiedlichen Medien haben, Beziehungsbildungen, Rollenzu‐ schreibungen und Identitätskonstruktionen durch Sprache und andere semioti‐ sche Ressourcen zu beeinflussen (vgl. Kern 2015: 246 f.). Deutlich wird, dass bei den Medien, die Kern für diese Aufgabe wählt, nicht immer offensichtlich ist, dass sie als multimodal zu charakterisieren sind. Am Beispiel dieser Medien kann man für Multimodalität sensibilisieren, die auf den ersten Blick vielleicht nicht wahrgenommen wird, ganz grundlegend etwa am Beispiel des Briefes. Ein souveräner und selbstbestimmter Umgang mit Medialität heißt auch, dass man ein Verständnis für das Potenzial entwickelt, das die unterschiedlichen Medien haben. Anhand der Aufgabenbeispiele von Kern wurde das grundsätzlich im Hinblick darauf durchgespielt, ob man bestimmte Texte aus Gründen technischer Möglichkeiten und Unmöglichkeiten sowie aus Gründen von Praktikabilität und Ökonomie bzw. nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand und in minderer Qualität produzieren kann, etwa einen längeren Text oder Text-Bild-Kombinationen auf einer Tontafel. Auch die Frage, welchen Einfluss die je spezifische Multimodalität einzelner Texte bei der Rezeption (Bsp. Brief) bzw. auf die Kommunikation (Bsp. face-to-face und Messenger-Dienste) hat, hat Kern mit seinen Aufgaben bearbeitet. Unterrichtsidee Für literarische Texte sei am Beispiel von zwei Panels der Graphic Novel Alte Meister (2011) das Potenzial einer medial aufmerksamen Lektüre aufgezeigt. Der Zeichner Nicolas Mahler orientiert sich an dem erstmals 1985 erschienenen Prosaband des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard. Setting ist das Kunsthistorische 151 11 Medialität Museum in Wien, in dem der Kunstkritiker Reger und sein Freund Atzbacher die Gemälde der alten Meister kritisieren. Anders als man vermuten würde, gibt es jedoch in Bernhards Text kaum Ekphrasen - i.e. literarische Beschreibungen von Werken der bildenden Kunst. Der Text gibt den Leser*innen keine Hinweise, wie die so heftig kritisierten Bilder zu imaginieren wären. Während die Gemälde im Text von Bernhard nicht anschaulich werden, kann die Graphic Novel am Prosatext ohne Bildbeschreibungen festhalten und gleichzeitig den Lesenden die Gemälde zeigen. Die Darstellungen der Gemälde gehören zu den ästhetischen Strategien in den Panels; sie konkretisieren den Text ohne ihn zu vereindeutigen, wie etwa an der folgenden Stelle exemplarisch nachvollzogen werden kann. Gegen Ende von Bernhards Text findet sich die Passage: Davon ganz abgesehen, daß alle diese sogenannten Alten Meister immer doch nur ein Detail ihrer Bilder wirklich genial gemalt haben, kein einziger von ihnen hat hundertprozentig ein geniales Bild gemalt, das ist keinem von diesen sogenannten Alten Meistern jemals gelungen; entweder sie scheiterten am Kinn oder am Knie oder an den Augenlidern, so Reger. (Bernhard 1988: 303 f.) In Mahlers Graphic Novel finden sich die folgenden beiden Seiten (2011: 56 f.): Abb. 12: Mahler (2011: 56) Abb. 13: Mahler (2011: 57) Die Graphic Novel kann - abweichend vom Prosatext - einen Vorschlag machen, welches Detail gelungen ist, hier die Oliven am unteren Bildrand; und sie kann gleichzeitig - wie der Prosatext - offen lassen, in welchem Gemälde ein bzw. dieses Detail gelungen ist; außerdem bleibt - wie in der Bernhardschen Prosa - offen, warum Kinn, Knie und Augenlider misslungen sind - und das obwohl man das Gemälde und die Figuren sehen kann, bei denen die malerische Abbildung dieser Körperteile misslungen ist - sie sind überdeckt von Schrift. Dass die Alten Meister im Kritzelstil aus Schwarz, Weiß und Gelb sichtbar werden, wirft - als Abb. 12: Mahler (2011: 56) Abb. 12: Mahler (2011: 56) Abb. 13: Mahler (2011: 57) Die Graphic Novel kann - abweichend vom Prosatext - einen Vorschlag machen, welches Detail gelungen ist, hier die Oliven am unteren Bildrand; und sie kann gleichzeitig - wie der Prosatext - offen lassen, in welchem Gemälde ein bzw. dieses Detail gelungen ist; außerdem bleibt - wie in der Bernhardschen Prosa - offen, warum Kinn, Knie und Augenlider misslungen sind - und das obwohl man das Gemälde und die Figuren sehen kann, bei denen die malerische Abbildung dieser Körperteile misslungen ist - sie sind überdeckt von Schrift. Abb. 13: Mahler (2011: 57) 152 11 Medialität 4 https: / / www.deutschestheater.de/ programm/ a-z/ alte_meister/ [16.06.2021] Die Graphic Novel kann - abweichend vom Prosatext - einen Vorschlag machen, welches Detail gelungen ist, hier die Oliven am unteren Bildrand; und sie kann gleichzeitig - wie der Prosatext - offen lassen, in welchem Gemälde ein bzw. dieses Detail gelungen ist; außerdem bleibt - wie in der Bernhardschen Prosa - offen, warum Kinn, Knie und Augenlider misslungen sind - und das obwohl man das Gemälde und die Figuren sehen kann, bei denen die malerische Abbildung dieser Körperteile misslungen ist - sie sind überdeckt von Schrift. Dass die Alten Meister im Kritzelstil aus Schwarz, Weiß und Gelb sichtbar werden, wirft - als ästhetische Strategie der Graphic Novel verstanden - die Frage auf, was Reger und Atzbacher und auch, was wir als Lesende sehen. Sind das die sogenannten Alten Meister oder sind das „Gescheiterte“ (Bernhard 1988: 303), ist das „ein riesiger Klumpen Gemeinheit und Lüge“ (ebd.: 68), und sehen wir den „größten Mist“ (ebd.: 219) - wie Reger in Bernhards Prosa meint. Weitere mediensensible Beobachtungen sind auch mit verschiedenen Trailern von Theaterinszenierungen der Alten Meister von Thomas Bernhard möglich, die im Netz zu finden sind. Die Frage nach der Sichtbarkeit der Gemälde, nach der gleichzeitigen Anwesenheit und Abwesenheit der Alten Meister - offenbar die zentrale Herausforderung bei einem Medienwechsel vom Prosatext zur Theateraufführung - wird mit den Mitteln des Theaters unterschiedlich gelöst. In einer Inszenierung in Berlin über den Raum - eine Frau sitzt vor der Bühne wie auf einer Bank vor einem Gemälde; in Wien über das Licht - Leinwände werden für Schatten und Projektionen verwendet; in Ulm über Requisiten - das Stück wird in Form einer Wanderaufführung durch das Museum Ulm und die Kunsthalle Weishaupt vor unterschiedlichen Kunstwerken inszeniert. Abb. 14 und 15: Deutsches Theater Berlin, Bühnenfassung von Thom Luz und David Heiligers, 2018, Fotografien © 2021 Arno Declair 4 153 11 Medialität 5 https: / / www.volkstheater.at/ stueck/ alte-meister/ [16.06.2021] 6 https: / / www.theater-ulm.de/ spielplan/ stuecke/ alte-meister [16.06.2021] Abb. 14 und 15: Deutsches Theater Berlin, Bühnenfassung von Thom Luz und David Heiligers, 2018, Trailer Abb. 16 und 17: Volkstheater Wien, Bühnenfassung von Dušan David Pařízek, 2015, Trailer 5 Abb. 18 und 19: Theater Ulm im Museum Ulm und in der Kunsthalle Weishaupt, Bühnenfassung von Deborah Krönung und Christian Katzschmann, 2019, Trailer 6 Festzuhalten wäre, dass der Begriff der Medialität im Kontext von Literaturdidaktik an ein Verständnis von Literatur anschließt, demzufolge „das semiotische Spiel literarischer Texte nicht […] als ‚notwendiges Übel‘ in Kauf zu nehmen, sondern als Surplus in den Mittelpunkt zu rücken“ (Ewert/ Riedner/ Schiedermair 2011: 7) wäre. Das Spiel literarischer Texte wäre dabei jeweils medienspezifisch und in seiner Multimodalität wahrzunehmen. Mit der Orientierung an „form as meaning“ (ebd.: 8) wird auch der Begriff der Literarizität 9) angespielt und in Richtung einer Medienaufmerksamkeit erweitert; d.h. bei der Modellierung von Lehr- und Lernprozessen wird „die jeweils spezifische Medialität der ‚Texte‘“ (ebd.) berücksichtigt. An den Begriff der Diskursivität (  Kap. 10) schließt Medialität an, indem er die These aufgreift, Medien würden das, was sie übertragen, zugleich auch hervorbringen (vgl. Krämer 2004: 22f.). Abb. 16 und 17: Volkstheater Wien, Bühnenfassung von Dušan David Pařízek, 2015, Trailer 5 Abb. 14 und 15: Deutsches Theater Berlin, Bühnenfassung von Thom Luz und David Heiligers, 2018, Trailer Abb. 16 und 17: Volkstheater We n, Bühnenfassung von Dušan David Pařízek, 2015, Trailer 5 Abb. 18 und 19: Theater Ulm im Museum Ulm und in der Kunsthalle Weishaupt, Bühnenfassung von Deborah Krönung und Christian Katzschmann, 2019, Trailer 6 Festzuhalten wäre, dass der Begriff der Medialität im Kontext von Literaturdidaktik an ein Verständnis von Literatur anschließt, demzufolge „das semiotische Spiel literarischer Texte nicht […] als ‚notwendiges Übel‘ in Kauf zu nehmen, sondern als Surplus in den Mittelpunkt zu rücken“ (Ewert/ Riedner/ Schiedermair 2011: 7) wäre. Das Spiel literarischer Texte wäre dabei jeweils medienspezifisch und in seiner Multimodalität wahrzunehmen. Mit der Orientierung an „form as meaning“ (ebd.: 8) wird auch der Begriff der Literarizität 9) angespielt und in Richtung einer Medienaufmerksamkeit erweitert; d.h. bei der Modellierung von Lehr- und Lernprozessen wird „die jeweils spezifische Medialität der ‚Texte‘“ (ebd.) Abb. 18 und 19: Theater Ulm im Museum Ulm und in der Kunsthalle Weishaupt, Bühnenfassung von Deborah Krönung und Christian Katzschmann, 2019, Fotografien © 2021 Kerstin Schom‐ burg 6 Festzuhalten wäre, dass der Begriff der Medialität im Kontext von Literaturdidaktik an ein Verständnis von Literatur anschließt, demzufolge „das semiotische Spiel litera‐ rischer Texte nicht […] als ‚notwendiges Übel‘ in Kauf zu nehmen, sondern als Surplus in den Mittelpunkt zu rücken“ (Ewert/ Riedner/ Schiedermair 2011b: 7) wäre. Das Spiel literarischer Texte wäre dabei jeweils medienspezifisch und in seiner Multimodalität wahrzunehmen. Mit der Orientierung an „form as meaning“ (ebd.: 8) wird auch der Begriff der Literarizität (→ Kap. 9) angespielt und in Richtung einer Medienaufmerk‐ samkeit erweitert; d. h. bei der Modellierung von Lehr- und Lernprozessen wird „die jeweils spezifische Medialität der ‚Texte‘“ (ebd.) berücksichtigt. An den Begriff der Diskursivität (→ Kap. 10) schließt der Begriff der Medialität an, indem er die These aufgreift, Medien würden das, was sie übertragen, zugleich auch hervorbringen (vgl. Krämer 2004: 22 f.). Das Paradigma der Digitalität und die immer ausgeprägtere alltägliche Nutzung eines Hypertextes wie des Internets bedeuten auch: Das Buch ist nicht mehr hervorgeho‐ benes oder gar einziges Referenzmedium des Arbeitens mit Literatur im Unterricht. 154 11 Medialität Filme, Hörspiele, Video- und Werbeclips, Musik und Bildende Kunst werden unter einem erweiterten Textbegriff schon seit längerem in den Fremdsprachenunterricht einbezogen. Aktuell kommen neue Text- und Medienformate wie die Netzliteratur oder Computerspiele hinzu. Sie sind nicht mehr eindeutig dem einen oder dem anderen For‐ mat zuzuordnen, gehören oft mehreren Formaten an bzw. sind hypermedial verknüpft. Das Buch wird (vorläufig? ) nicht aus dem Alltag und dem Unterricht verschwinden. Es ist aber schon jetzt Teil „ein[es] Mediensystem[s] kontinuierlicher Übergänge und schwacher Grenzen“ (Leschke 2015: 71) geworden, in dem Text- und Medienformate diffundieren. Mit Produktion und Rezeption dieser Formate verändert sich auch die kulturelle Praxis: So wie sich der Gegensatz zwischen analogen und digitalen Medien aufgelöst hat, besteht auch die Grenze zwischen digitalen und nicht-digitalen Praktiken nicht mehr (vgl. Hauck-Thum 2018: 295). Wie Hallet (2020) ausführt, ist damit auch eine Neuausrichtung des Fremdsprachenunterrichts gefordert: auf eine digitalisierte Diskursfähigkeit bzw. digital literacy. 155 11 Medialität 12 Performativität Der kulturwissenschaftliche Leitbegriff der Performativität richtet sich auf das Verhält‐ nis von Sprache und Wirklichkeit, die (Selbst-)Inszenierungen von Individuen im Alltag sowie die (sozialen) Inszenierungen von grundlegenden Kategorien wie Geschlecht und Identität. Ergänzend zu der Frage nach möglichen (Be-)Deutungen sprachlicher Äußerungen geht es um die Handlungen, durch die (kulturelle) Bedeutungen erzeugt werden (vgl. auch Bachmann-Medick 2009: 110). John L. Austin macht Anfang der 1960er Jahre auf die Performativität sprachli‐ cher Äußerungen aufmerksam. In seinen Vorlesungen How to Do Things with Words / Zur Theorie der Sprechakte (1979/ dt. 1972/ engl. 1962) formuliert er die Einsicht, dass Welt mit Sprache nicht nur beschrieben, sondern Weltzustände im Sprechen zugleich hervorgebracht werden (können). Austin entwickelt diesen Gedanken u. a. anhand der folgenden Beispiele: a. „Ja (sc. ich nehme die hier anwesende XY zur Frau)“ als Äußerung im Laufe der standes‐ amtlichen Trauung. b. „Ich taufe dieses Schiff auf den Namen ‚Queen Elizabeth‘“ als Äußerung beim Wurf der Flasche gegen den Schiffsrumpf. (Austin 1979: 28 f.) Das Sprechen benennt, beschreibt und beurteilt Welt also nicht nur, sondern es erschafft und konstituiert sie auch - oder anders ausgedrückt: Zeichen ‚repräsentieren‘ die Welt nicht nur, sondern bringen sie auch hervor (vgl. Krämer 2004: 14, 19). An diese Einsicht schloss zunächst ein sprechakttheoretischer und sprachpragmatischer Forschungsdiskurs an (vgl. ebd.: 13, 15), für den u. a. John R. Searle steht. In seiner Studie Speech Acts / Sprechakte (1971/ engl. 1969) geht er der Konstitution von Äußerungsbedeutungen zwischen Sprecher*in und Hörer*in und ihren semantischen und pragmatischen Konventionen nach. Nachfolgend wurden die Begriffe der Performativität, des Performativen, der Perfor‐ mance und der Performanz auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen produktiv. Einen Überblick geben etwa Wirth (2002) und Bachmann-Medick (2009). In der Anthropologie wandte sich zunächst Victor Turner der rituellen bzw. thea‐ tralen Performance in der Alltagskultur zu. In seiner Studie The Anthropology of Performance (1987) modelliert er Rituale als „soziale Dramen“, die Welt transformieren und verändern, die Übergänge von einem Zustand in einen anderen initiieren und regeln (vgl. auch Bachmann-Medick 2009: 111-120). In diesem Zusammenhang prägte Turner u. a. den Begriff der Liminalität, der in den Kulturwissenschaften, auch in einer kulturwissenschaftlich orientierten Literaturwissenschaft bis heute als Analysekate‐ gorie dient. Mit ihr werden Grenz- und Übergangsprozesse von Individuen (etwa in der Pubertät oder Adoleszenz) oder gesellschaftlichen Gruppen (etwa Unabhängigkeits- und Emanzipationsbewegungen) bzw. Transformationsprozesse ganzer Gesellschaften 1 Judith Butler bezeichnet sich selbst als non-binär und wählt als Selbstbezeichnung das Pronomen „they“. (etwa industrielle Revolutionen) gefasst, auch in postkolonialen Perspektiven (vgl. auch Bachmann-Medick 2009: 113, 116). Rituale begreift Turner als Medien symboli‐ schen Handelns, in denen Symbole nicht nur als Bedeutungsträger wahrgenommen und nach Möglichkeit dechiffriert werden, sondern in denen Prozesse der Symbolisie‐ rung und der sozialen Inszenierung beobachtbar sind (vgl. ebd.: 113). Auch Clifford Geertz stützte sich in seiner Studie Thick Description: Toward an In‐ terpretive Theory of Culture / Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme (1997/ dt. 1983/ engl. 1973) ausdrücklich auf ein performativ erweitertes Text‐ verständnis, das Handlungsformen wie Rituale und Feste einbezieht. Er kennzeichnet Kultur als Praxis der Signifikation, die beständig Bedeutungen produziert, und etabliert einen Kulturbegriff, in dessen Rahmen der Mensch als ein Wesen aufgefasst wird, „das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist“, die als Kultur anzusehen sind (Geertz 1997: 9). Die Metapher von der Kultur als ‚Bedeutungsgewebe‘ bzw. etwas allgemeiner von ‚Kultur als Text‘ erlangte zunächst in den interdisziplinären Cultural Studies im anglophonen Raum, bald aber auch über diesen hinaus große Bedeutung. Wie man diese Metapher verstehen könnte, verdeutlicht Geertz wie folgt: Ethnographie betreiben gleicht dem Versuch, ein Manuskript zu lesen (im Sinne von ‚eine Lesart entwickeln‘), das fremdartig, verblaßt, unvollständig, voll von Widersprüchen, frag‐ würdigen Verbesserungen und tendenziösen Kommentaren ist, aber nicht in konventionellen Lautzeichen, sondern in vergänglichen Beispielen geformten Verhaltens geschrieben ist. (Geertz 1997: 15) An die Thesen der Sprechakttheorie wie der Anthropologie schlossen auch die Gen‐ der Studies an. Judith Butler entwickelt in ihrer [their] 1 Studie Gender Trouble / Das Unbehagen der Geschlechter (1991/ engl. 1990) (→ Kap. 16) ein Verständnis von Performativität, in dem Geschlechtsidentität als ‚Akt‘ erscheint. Ausgehend von einer „grundlegende[n] Kontingenz in der Beziehung zwischen biologischem Geschlecht (sex) und Geschlechtsidentität (gender)“ (Butler 1991: 202) verdeutlicht Butler, dass Geschlechtsidentität durch Gesten und Inszenierungen erzeugt wird, die insofern performativ sind, als sie das Wesen oder die Identität, die sie angeblich zum Ausdruck bringen, erst durch leibliche Zeichen oder andere diskursive Mittel herstellen und aufrechterhalten (vgl. Butler 1991: 200). Die Konstitution von Geschlechtsidentität als „Akt“ oder auch als „Drama“ erfordert, wie andere rituelle gesellschaftliche Inszenie‐ rungen auch, wiederholte Darbietungen; diese sind als Re-Inszenierungen gesellschaft‐ lich etablierter Bedeutungskomplexe zu verstehen (vgl. Butler 1991: 206). Butlers Per‐ formativitätstheorie, die verdeutlicht, dass sprachliches und körperliches Handeln Welt erschaffen kann, beeinflusste die gesamte kultur- und sozialwissenschaftliche Identitätsforschung, die sich nun verstärkt der Konstitution, der Inszenierung bzw. Konstruktion von Identitäten zuwandte. 158 12 Performativität Auch in den Theaterwissenschaften wurde der sprechakttheoretische Begriff der Performativität weiter mit dem Begriff der rituellen bzw. theatralen Performance zusammengeführt und gleichzeitig an die ‚performative Wende‘ in den Künsten angeknüpft: Die Performance-Kunst der 1960er Jahre, Aktionskunst, Happenings und experimentelles Theater führten zu einer ‚Entgrenzung der Künste‘, die den Aufführungscharakter des Ästhetischen betonte und Ereignisse statt Werke in Szene setzte (vgl. Bachmann-Medick 2009: 108). Ein Konzept der Aufführung als Ereignis entwickelt Erika Fischer-Lichte in ihrer Studie Ästhetik des Performativen (2004) und fasst in ihm die (leibliche) Kopräsenz von Akteur*innen und Zuschauer*innen, die performative Hervorbringung von Materialität und die Emergenz von Bedeutung. Das Theater und die Theatralität des Alltags werden so gleichsam beobachtbar. Theater wird als „kulturelles Modell“ begriffen, in dem unsere Kultur als eine „Kultur der Inszenierung“ fassbar wird (Fischer-Lichte 2002: 291). Ihr Inszenierungscharakter wird durch die zunehmende Bedeutung der digitalen bzw. sozialen Medien weiter verstärkt: Durch Formate wie Websites, Podcasts, Instagram, Snapchat, WhatsApp, YouTube und TikTok bieten sich Individuen und Gruppen immer vielfältigere Möglichkeiten der (Selbst-)Inszenierung. Die neuen Medien tragen zur immer weiteren „Theatralisierung unserer Alltagswelt bei, indem sie nur noch Zugang zu einer inszenierten Welt offenhalten“ (ebd.: 293). Der performative turn in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen lenkt die Aufmerksamkeit auf die Ausdrucksdimensionen von Handlungen und Handlungse‐ reignissen bis hin zu sozialen Inszenierungen bzw. auf die Herstellungsdimensionen, zunehmend die Herstellungsprozesse kultureller Bedeutungen und Erfahrungen (vgl. Bachmann-Medick 2009: 104). Mit der Analyse ihrer Aufführungs-, Darstellungs- und Inszenierungsaspekte wird ‚Kultur als Performance‘ erfassbar (vgl. ebd.). ‚Kultur als Performance‘ im Unterricht nicht nur analytisch erkennbar, sondern auch erfahrbar zu machen, ist das Anliegen einer performativen Fremdsprachen‐ didaktik. Sie geht davon aus, „dass alles kulturelle Handeln […] in diskursiver und symbolisch durchformter Interaktion erzeugt wird“ und Interaktionssituationen sich auch als ‚kulturelle Dramen‘ in oft ritualisierter Form auffassen lassen (vgl. Hallet 2015: 57). In diesem Sinne ist kulturelles Handeln stets performativ. Lernende sollen dies im Fremdsprachenunterricht erfahren, indem sie solche ‚Dramen‘ in vielfältigen Varianten vom dialogischen Lesen oder Lesetheater über die ‚Aufführungen‘ in Rollenspielen bis zum selbst erfundenen und performten (dramatischen) Text selbst (re-)produzieren (vgl. ebd.: 59). Eine dramapädagogische Lehr- und Lernpraxis im Fremdsprachenun‐ terricht, wie sie schon Manfred Schewe in seiner Studie Fremdsprache inszenieren (1993) modellierte, wird in diesen Überlegungen weiter produktiv: Durch sie können Lehrende und Lernende gemeinsam „die Performativität, die Theatralität und Drama‐ tizität des Alltagshandelns agierend und spielend erfahren und erproben“ (ebd.: 59). Mit seiner Studie Fremdsprache inszenieren erschließt Manfred Schewe das im eng‐ lischsprachigen Raum etablierte Lehr- und Lernkonzept Drama in Education als 159 12 Performativität 2 Ein wichtiges Diskussionsforum ist die 2007 an der germanistischen Abteilung der Universität Cork begründete Zeitschrift scenario. Über die Homepage (http: / / scenario.ucc.ie) haben Wissenschaft‐ ler*innen und Lehrende weltweit kostenlosen Zugang zu einer Vielzahl an theoretisch wie praktisch ausgerichteten Artikeln sowie zu Literaturhinweisen. Dramapädagogik für die deutschsprachige Diskussion (→ Kap. 20). Er weist kritisch darauf hin, dass der (analytischen) Kraft von Sprache bei der Erkenntnis der Welt als diskursiver Symbolbildung „ein unverhältnismäßig privilegierter Stellenwert eingeräumt worden [ist]. Andere Formen symbolisch vermittelter Welterkenntnis, die dem Bereich nichtsprachlicher Künste zugeordnet werden können, z. B. visuelle (Bildende Kunst), akustische (Musik), figurative (Literatur), kinästhetische (Tanz/ Theater), hatten das Nachsehen“ (Schewe 1993: 63 f., Hervorh. i. O.). Schewe plädiert insofern für einen „Unterricht als sinnliche Gestaltung“ (ebd.: 61), um „der Wirklichkeit nicht nur denkend, analysierend, wissend gegenüberzustehen, sondern auch empfindend, sich einfühlend, kontemplativ, schauend, meditativ“ (ebd.: 412). Zu diesem Zweck sollen mit Hilfe von Methoden, die sich aus dramatischen Kunstformen ableiten lassen, im Unter‐ richt fiktive Kontexte geschaffen [werden], in denen Lehrende und Lernende sprachlich und nichtsprachlich in intensiver Weise handeln - die fremde Sprache wird ‚inszeniert‘. […] Im Vordergrund steht dabei nicht - wie im Theater - die künstlerische Qualität einer Aufführung, sondern die pädagogische Qualität von Lernprozessen. (ebd.: 4 f., Hervorh. i. O.) Einer performativen Fremdsprachendidaktik ist daran gelegen, das gesamte Formen‐ potenzial der performativen Künste für sprachliche, kulturelle und ästhetische Lehr- und Lernprozesse zu nutzen. Dabei will sie besonders „das Zusammenspiel von Sprache und Körper bei der Erzeugung von Bedeutung“ (Even/ Schewe 2016: 15) akzentuieren und erfahrbar machen. Das impliziert, dass „die Form der Sprache - und die Freude und gar Lust am Spiel mit ihr - besondere Aufmerksamkeit erhält; Form impliziert dabei, wie der Körper spricht, wie Laut, Wort, Satz und Bewegung zusammenspielen“ (Schewe 2015: 31). Der Körper wird im Rahmen eines performativen Lehrens und Lernens als zentrales menschliches Kommunikationsmedium und Erkenntnisinstru‐ ment anerkannt und neu ins Zentrum gerückt: Körper, Stimme, Präsenz und inszenierter Raum spielen in entsprechend gestalteten Lehr- und Lernprozessen eine entscheidende Rolle (vgl. Even/ Schewe 2016: 18). Das performative Lehren und Lernen 2 steht in engem Bezug zu den performa‐ tiven Künsten: dem Theater, dem Erzählen, dem Tanz und musikalischen Formen, in die alle Sinne, Körper und Geist aller Beteiligten - auch der Zuschauer*innen und Zuhörer*innen, die in das Geschehen eingreifen oder es in Gesprächen reflektieren können - einbezogen sind. Unterricht wird in einer performativen Didaktik stets als (einmaliges) Ereignis, als Experiment wahrgenommen. Durch den Einsatz der ästheti‐ schen Verfahren performativer Künste wird er als solches immer wieder neu gestaltet (vgl. Walter 2020: 4 f.). Dabei ist der Begriff „performativ“ in der Fremdsprachendidaktik 160 12 Performativität auch an einer Handlungsorientierung als Unterrichtsprinzip (→ Kap. 19), am sprachli‐ chen Handeln von Lehrenden und Lernenden sowie an einer performativen Pädagogik orientiert (vgl. Even/ Schewe 2016: 12 ff.). Zugrunde liegen den Überlegungen die kulturwissenschaftlichen Grundbegriffe „Performanz“, „Performance“ und „Performa‐ tivität“. In einer performativen Pädagogik wie auch (Fremdsprachen-)Didaktik rückt die „Perspektive des Performativen […] die Inszenierungs- und Aufführungspraktiken sozialen bzw. pädagogischen Handelns, deren wirklichkeitskonstitutive Prozesse sowie den Zusammenhang von körperlichem und sprachlichem Handeln, Macht und Kreati‐ vität in den Mittelpunkt“ (Wulf/ Zirfas 2007: 10). Die performative Kunst des Erzählens, zuvor relativ selten betrachtet, findet in jüngerer Zeit immer mehr Aufmerksamkeit in der Literaturdidaktik des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Simone Schiedermair (2014b) plädiert am Beispiel von Texten von Uwe Timm, Judith Schalansky und Judith Zander dafür, die Arbeit mit literarischen Texten auch darauf auszurichten, „Einblick in Inszenierungsprozesse des Erzählens“ zu geben und diese zu reflektieren, und damit die „Möglichkeit [zu bieten], sich mit Erzählen als einer zentralen kulturellen Praxis exemplarisch ausein‐ anderzusetzen - die vom alltäglichen bis zum literarischen Erzählen reicht“ (ebd.: 139). In ihrem Beitrag Narrativität und literarisches Erzählen im Fremdsprachenunterricht präsentiert Riedner (2017) den Stand der Forschung und gibt einen systematischen und instruktiven Überblick über eine Vielzahl von Ansätzen zum Erzählen in Kontexten fremdsprachlichen Unterrichtens. Spätestens seit dem „narrative turn“ - so ihre Argumentation - gelte es, die „Bedeutung und Wirkmächtigkeit des Erzählens als einer grundlegenden Form des Sprechens und der Konstruktion und Deutung von Welt“ (Riedner 2017: 59) zu berücksichtigen. Auf dieser Basis entwickelt sie einen Projektvorschlag mit dem Ziel „Lernprozesse im Zusammenhang mit verschiedenen Formen literarischen Erzählens in der Fremdsprache zu identifizieren, zu beschreiben und zu ergründen und deren Mehrwert für die Sprachaneignung zu erfassen“ (ebd.: 70). Im Sammelband Literarisches und alltägliches Erzählen unter (fremd-)sprachendi‐ daktischer Perspektive haben Riedner/ Schiedermair (2020) Beiträge aus dem Bereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und der Fachdidaktik Deutsch publiziert. Der Band ist darauf ausgerichtet, etwa zu diskutieren, inwieweit auch alltäglichem Erzählen eine literarische Qualität zukommt und welchen Stellenwert die (rezeptive) Auseinandersetzung mit literarischem Erzählen für ein Sprachenlernen haben kann, das auf die Entfaltung (alltags-)sprachlicher Kompetenzen ausgerichtet ist. Orientiert an den einer kulturwissenschaftlichen Narratologie verpflichteten Überlegungen von Ansgar Nünning und Vera Nünning (2007) wird das Erzählen zunehmend als Schlüssel‐ kompetenz und nicht nur als ‚kreatives‘ oder ‚performatives‘ Verfahren im Unterricht wahrgenommen. Hans-Eberhard Piepho plädierte schon in seiner 2007 postum veröffentlichten Arbeit Narrative Dimensionen im Fremdsprachenunterricht für ein stetes Erzählen im Verlauf des Fremdspracherwerbs. Das Sprachenlernen und -nutzen sei ohne das Erzählen von Geschichten kaum denkbar. Piepho bezeichnet das Erzählen als 161 12 Performativität eine elementare Form menschlicher Kommunikation, die auch beim Erlernen einer Fremdsprache eine Rolle spielen muss, das Erzählen von Geschichten bezeichnet er gar als „Kern des Sprachwachstumsprozesses“ (Piepho 2007: 4). Schon im Fremdspra‐ chenunterricht auf Anfängerniveau werde erzählt: „kleine oder große Begebenheiten, Zwischenfälle, Ereignisse, Späße, Witze und vieles mehr“, die man einander „in der menschlichen Alltagskommunikation“ ständig erzähle (Piepho 2007: 6) und anhand derer auch im Fremdsprachenunterricht (neu) Gelerntes - Wortschatz, Grammatik - erprobt und geübt werden kann. Auch das Lehrwerk stecke schon im Anfangsbereich voll von narrativen Möglichkeiten (vgl. ebd.: 48). Es besitze ein narratives Potenzial, das erkannt, in Szenarien (um-)geformt und für die Initiierung von Erzählprozessen genutzt werden sollte. Als Szenarien bezeichnet Piepho Lehr- und Lernarrangements, in denen ein Text, ein Bild o. a. aus einem Lehrwerk mit ganz neuen Übungen oder Aufgaben versehen wird, um etwa das Erzählen zu fördern. Um solche Prozesse zu gestalten, könnten alle Lernenden auch von Anfang an ein Logbuch im Sprachunter‐ richt führen, in dem - neben dem mündlichen Erzählen - regelmäßig in schriftlicher Form erzählt wird, z. B. 15 Minuten in jeder Unterrichtsstunde oder zumindest in einer Unterrichtsstunde pro Woche, nach thematischen Vorgaben, anhand anregender Impulse wie z. B. Bildern oder ganz frei (vgl. ebd.: 49). So entstehe ein Logbuch Meine [deutschen] Texte, die auch - gerade auf früher Stufe des Fremdsprachenerwerbs - erst einmal nur Assoziationen, einzelne Wortgruppen u. ä. sein können, die später noch über- oder weiterbearbeitet oder verändert werden können, nicht nur im Sinne von Korrekturen, sondern auch von Modifikationen der Textinhalte und -strukturen. Ein gezielter Erzählerwerb umfasst hier das mündliche wie das schriftliche, das alltägliche wie das literarische Erzählen - Formen des Erzählens (vgl. Ehlich 1980), die übergreifend im Fremdsprachenunterricht zu verankern sind. Die Entwicklung narrativer Fähigkeiten kann „als Teil der pragmatischen Entwicklung, d. h. der Ent‐ wicklung von Interaktions- und Diskurskompetenzen betrachtet werden“ (Ruhm 2014: 39), gleichzeitig aber auch als Teil einer bedeutungsvollen Orientierung des Unterrichts. Angelika Kubanek (2012) plädiert für die Verankerung eines narrativen Prinzips im Fremdsprachenunterricht von Anfang an. Sie definiert das narrative Prinzip als übergeordnete didaktische Haltung, die das Erzählen von Geschichten durch die Lehrkraft wie die Lernenden kontinuierlich achtet und fördert (vgl. Kubanek 2012: 64 f.). Es bedeutet - bezogen auf sprachliche und kulturelle Inhalte des Unterrichts: ■ Der Unterricht hat einen Spannungsbogen, als ob er selbst eine Erzählung wäre; ■ Die Lernenden erhalten Zeit, um (über sich) zu erzählen; ■ Im Unterricht ist Raum für die Rolle von solchem Erzählen, das zur Identitätsbil‐ dung und Entwicklung des Selbstkonzepts beiträgt; eine wichtige Rolle dabei spielt das Erzählen über das Fremdkulturelle, besonders auch über die eigenen kulturellen Erfahrungen der Lernenden und ihrer Familien; ■ Literarische Texte sowie Möglichkeiten der „Narrativierung“, z. B. der Umgestal‐ tung von Lehrbucheinheiten in Geschichten, werden genutzt; 162 12 Performativität 3 Obwohl sich ihr Beitrag auf den Kontext des Fremdsprachenlernens bezieht, gibt Kubanek keinen Hinweis dazu, in welcher Sprache ein solches Erzählen erfolgen kann. Mit Lernenden auf niedrigem Sprachniveau kann aber wohl der Rückgriff auf eine Sprache, die Lehrende und Lernende gemeinsam haben, eine Möglichkeit sein. ■ Die ‚großen‘ Themen der Menschheit, archetypische Muster des Verhaltens und Konflikte sind auch Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts; ■ Lernende erhalten früher als bisher das sprachliche Werkzeug zum Erzählen: Kon‐ junktionen (und, obwohl, als), Möglichkeiten zum Ausdruck temporaler Bezüge (plötzlich, dann, später, früher, vor vielen Jahren, bald, niemals), Verbformen der Vergangenheit, Möglichkeiten emotionaler Einordnung (leider, schlimm, schön). Sie werden aktiv erprobt und im Unterrichtsraum visualisiert (Poster); ■ Die Imagination der Lernenden wird auch auf die Fremdsprache als Kommunika‐ tionsmittel gerichtet; bezogen auf die Lehrkraft: ■ Die Lehrkraft erzählt in den ersten Stunden des Unterrichts vom Sinn des Sprachenlernens und von der Aufgabe, als kompetente mehrsprachige Sprechende später lokal oder international soziale/ ökologische Verantwortung zu tragen; 3 ■ Die Lehrkraft erklärt das Konzept der Progression und zeigt Lernen als Weg auf - bildhaft: als Fluss, als roter Faden, als Spannungsbogen. Das umfasst Motivierung zu bestimmten Zeitpunkten und Lösungen für mögliche Brüche bei Übergängen; ■ Die Lehrkraft vermittelt bedeutungsvolle Inhalte; ■ Die Lehrkraft verfügt über Fähigkeiten guter Erzähler, sie trainiert Prosodie und unterstützende Gesten; ■ Die Lehrkraft benutzt bildhafte Sprache, Metaphern, und beginnt damit bereits im Anfangsunterricht; ■ Die Lehrkraft ist gut im Zuhören und bemüht sich, auch in den emergenten Erzählun‐ gen von Fremdsprachenanfängern das Gemeinte zu erkennen; ■ Die Lehrkraft nutzt die Freude, die (jüngere) Lernende an Geschichten haben; ■ Die Lehrkraft hat Vertrauen in die Verstehensfähigkeiten von Lernenden; ■ Die Lehrkraft erzählt von eigenen Sprachlern- und fremdkulturellen Erfahrungen; ■ Die Lehrkraft nimmt autobiografische Erzählungen von (mehrsprachigen) Ler‐ nenden und ihren Familien ernst und bringt selbst entsprechende Geschichten in den Unterricht ein; ■ Die Lehrkraft weiß, dass narratives Denken mit dem Alltagsdenken in Verbindung steht. Sie benutzt narrative Verfahren auch als Veranschaulichung; ■ Schon Studierende werden mit Aspekten des narrativen Prinzips vertraut ge‐ macht. (vgl. Kubanek 2012: 63, Hervorh. i. O.). Als Lehrkraft muss man Prozesse des Erzählens selbst erfahren und reflektieren, um das Erzählen von Lernenden fundiert anleiten und begleiten zu können. Das ist einerseits in der Ausbildung, andererseits aber natürlich auch in Fortbildungen und 163 12 Performativität 4 Zu einem ähnlichen Erzählprojekt mit Jugendlichen einer Willkommensklasse an einer Berliner Schule vgl. Roshan (2020). einer steten Erzählpraxis möglich. Kristin Wardetzky (2020: 16) bringt es auf den einfachen Punkt: „Erzählen erlernt man durch Erzählen“ und durch dessen kritische Reflexion. Das maßgeblich von Kristin Wardetzky erarbeitete Konzept eines künstlerischen oder performativen Erzählens ist eine Form des mündlichen Erzählens, das durch Körpersprache, Gestik und Mimik Lebendigkeit erlangt und dabei die Darstellungskraft der Erzählenden genauso fordert wie die Imaginationskraft der Zuhörenden (vgl. Wardetzky 2007: 15). Es gilt auch als „kleinste Theaterform“ (www.erzaehlzeit.de [17.06.2021]) und wird herausragend von professionellen Erzähler*innen getragen, ausgebildet etwa in dem berufsbegleitenden Zertifikatskurs „Künstlerisches Erzählen - Storytelling in Art and Education“ an der Universität der Künste Berlin; aber auch Lehrer*innen können durch die Unterrichtspraxis zu immer besseren Erzähler*innen werden. Erprobt wurde das Konzept u. a. in Projekten zur Förderung der Kompetenzen in Deutsch als Zweitsprache von Grundschulkindern. Unterrichtsidee Im Vordergrund regelmäßiger Erzählstunden, die einem ritualisierten Ablauf folgen (vgl. Wardetzky 2020: 16), stehen das Erzählen durch Erzähler*innen und das Zuhören, Nachahmen und selbst Erzählen durch die Lernenden. Erzählt werden zum Beispiel Märchen. Sie enthalten international vergleichbare narrative Muster, die von den Lernenden neben der Körpersprache sowie den ver‐ wendeten Bildmaterialien, Requisiten und anderen Artefakten als Ankerpunkte des Zuhörens, Rekapitulierens und selbst Erzählens genutzt werden können. So entstehen Bilder zu den gehörten Erzählungen, die auch in Malbüchern gesam‐ melt werden können (vgl. ebd.: 16), und nach und nach eigene, von den Lernenden performte Erzählungen. In diese fließen auch persönliche Erinnerungen und Erfahrungen, Emotionen und Vergewisserungen über eigene Zugehörigkeiten ein. 4 Mit Hallet kann man den Fremdsprachenunterricht „als einen Sonderfall von insze‐ nierter Wirklichkeit“ (Hallet 2010: 4) betrachten, der eine performative Kompetenz unterstützt, „als ein Bündel von Fähigkeiten des Individuums, die Inszeniertheit allen sozialen Handelns zu verstehen, selbst soziale Interaktionssituationen zu initiieren, diese selbstbestimmt mitzugestalten und die eigene Rolle darin kritisch zu reflektie‐ ren.“ (ebd.). Mit Blick auf die Interaktionssituationen fügt er hinzu: „Dazu gehört insbesondere, dass die Lernenden als kulturelle Akteure die kulturell verfügbaren sprachlichen und anderen symbolischen Formen, Genres und Strukturen der sozialen 164 12 Performativität Interaktion (scripts, available designs) kennen und anwenden können“ (ebd.: 64, Her‐ vorh. i. O.). Lernende sollen selbst (sprachlich) handeln, um Prozesse der Konstitution von Bedeutungen sowie der individuellen, sozialen und gesellschaftlichen Inszenie‐ rungen nachvollziehen, um selbst neue (kulturelle) Bedeutungen erzeugen und sie in (Selbst-)Inszenierungen erproben zu können. 165 12 Performativität 13 Mehrsprachigkeit In der Einleitung zu dem von ihnen herausgegebenen Handbuch Literatur und Mehr‐ sprachigkeit (2017) schreiben Till Dembeck und Rolf Parr den Fremdsprachendidakti‐ ken eine Vorreiterrolle in der Entwicklung des Forschungsfeldes zu, das Mehrsprachig‐ keit in all ihren Facetten untersucht: In der internationalen literatur- und kulturwissenschaftlichen Forschung ist das Interesse an Mehrsprachigkeit in den letzten Jahren stark gestiegen. Ein Stück weit schließen die Philo‐ logien damit an eine Entwicklung an, die in der Linguistik, vor allem in der Soziolinguistik, und in den Erziehungswissenschaften schon länger Fahrt aufgenommen hat und die vor allem aus dem Gebiet, in dem sich beide Disziplinen überschneiden, nämlich in der sog. Fremdsprachendidaktik (die aber teils nicht mehr so heißen will), nicht mehr wegzudenken ist. (Dembeck/ Parr 2017: 9) Dass Mehrsprachigkeit an sich in Gesellschaften, die von Globalisierungs- und Migrationsprozessen geprägt sind, im Hinblick auf (Sozio-)Linguistik, Erziehungs‐ wissenschaften sowie den Fremd- und Zweitspracherwerb einen zentralen Aspekt der Forschung darstellt, leuchtet unmittelbar ein. Zu fragen ist jedoch, warum die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Literatur und Mehrsprachigkeit bzw. mehrsprachiger Literatur in der fremdsprachendidaktischen Forschung eine so große Rolle spielt? Wichtig ist hier der Anschluss an Debatten zur Inter- und Transkultura‐ lität, insbesondere auch zur Hybridität (→ Kap. 15), die in literarischen Texten auf der Ebene von Handlungen, Figuren und Motiven und insbesondere auf der Ebene der sprachlichen Verfasstheit der Texte geführt werden. Für den Kontext des Fremd‐ sprachenunterrichts von besonderer Relevanz sind Aspekte, auf die Antje Wischmann und Michaela Reinhardt in dem von ihnen 2019 herausgegebenen Band Multilingualität und Mehr-Sprachlichkeit in der Gegenwartsliteratur hinweisen: „Das monolinguale Paradigma und die Orientierung an der Muttersprachen-Norm sind destabilisiert, ‚Fremd‐ sprachen‘ können nicht länger als Gegenpol zu einer naturalisierten Herkunftssprache vorgestellt werden“ (Wischmann/ Reinhardt 2019: 7, Hervorh. i. O.; siehe dort auch einen Überblick über wichtige Phasen und Positionen der Mehrsprachigkeitsforschung). Den Verfasser*innen geht es darum, dass „diejenigen Verfahren in multilingualer Literatur erfasst und untersucht werden können, die nicht aus nationalsprachlichen Differenzen abgeleitet sind, sondern erst aus produktiven Formen von Vermischung oder Hybridität erwachsen oder ein Drittes entstehen lassen“ (ebd.: 9; hier verweisen sie auf Bhabha 2000/ engl. 1994). Ihre Überlegungen sind also darauf ausgerichtet, über die „nationalsprachliche Konstellation“ hinauszudenken (Wischmann/ Reinhardt 2019: 15). Dafür schlagen sie u. a. das Konzept eines „Kontinuumdenken[s]“ (ebd.: 16) vor, das die Vorstellung „systemischer Grenzen“ zwischen Sprachen ablöst (vgl. dazu auch Giulia Radaelli 2014, deren Modell weiter unten im Kapitel erläutert wird). Zentral ist hier auch der Begriff der „Mehr-Sprachlichkeit“, der auf ein „potentielles ‚Mehr‘ an Bedeutungen und an performativen, multimodalen (einschließlich media‐ len) Entfaltungsmöglichkeiten“ abzielt, das sich dann herausbilden kann, „wenn die Rezipierenden Zeichen bzw. diejenigen Elemente, denen sie Zeichenfunktion zuweisen, mehrfach belegen“ (ebd.: 17; zu „Mehr-Sprachlichkeit“ siehe urspr. Pasewalck 2014; vgl. dazu auch Patrut/ Bauer 2017). Dabei verweisen Wischmann/ Reinhardt auch auf den Begriff des „Vielfältigen“ von Patrut/ Bauer (2017): Will man hinter den erreichten Kenntnisstand nicht zurückfallen, kann der Begriff des ‚Vielfältigen‘ nicht als bloßes Nebeneinander von […] monadischen Kulturen gedacht werden, da damit ein nicht dialogisches Verhältnis zwischen Parallelwelten oder -gesellschaften suggeriert würde. Vor allem wäre ein solcher Begriff von Vielfalt in sozialer wie künstlerischer Hinsicht unproduktiv. Unseres Erachtens nach wird der Begriff des Vielfältigen vielmehr erst dann aussagekräftig, wenn man ihn dynamisiert und dialogisiert, temporalisiert und mediatisiert - also in komplexe Zusammenhänge von Austausch und Ausgleich, Verhandlung und Verständigung rückt und diese Zusammenhänge grundsätzlich als offen betrachtet. Das Vielfältige erscheint so zugleich als Resultat und als Prätext von Bewegung und Veränderung, Wandel und Transformation. (Patrut/ Bauer 2017: 53) Im Kontext eines Fremdsprachenunterrichts, der übergreifend auf eine fremdspra‐ chige Diskursfähigkeit zielt, verspricht die Beschäftigung mit mehrsprachiger Literatur einen „wichtigen Zugang zu Phänomenen sprachlicher, kultureller und sozialer Dif‐ ferenz“ (Dembeck/ Parr 2017: 9) und Ähnlichkeit (vgl. dazu Bhatti/ Kimmich 2015) sowie Anknüpfungsmöglichkeiten an das neu erstarkte „Interesse an der sprachlichen Struktur der literarischen Textualität“ (Dembeck/ Parr 2017: 9). Aber wie sind mehrsprachige Strukturen oder Elemente in literarischen Texten zu untersuchen? Was ist überhaupt mehrsprachige Literatur? Mehrsprachige Literatur ist in jedem Fall kein Randphänomen einer einsprachi‐ gen Literatur - im Gegenteil: Es ist kaum zu bestimmen „was ein einsprachiger Text überhaupt ist“, denn „welthistorisch betrachtet [stellt] keinesfalls Einsprachigkeit, sondern Mehrsprachigkeit den Normalfall menschlicher Kommunikation dar“ (ebd.: 10). In der gegenwärtigen Forschung werden als mehrsprachige Literatur einerseits Texte bezeichnet, in denen Segmente von diversen voneinander zu unterscheidenden Idiomen wie Dialekten, Soziolekten oder standardisierten Nationalsprachen zu finden sind (vgl. ebd.). Andererseits geht es um sogenannte „translinguale Texte“, d. h. um Texte von mehrsprachigen Autor*innen mit oft von Migration oder Exil geprägten Biografien, die nicht in der Erst-, sondern (teilweise) in einer Zweit- oder Drittsprache verfasst wurden. Von 1985 bis 2017 wurde für solche Texte im deutschsprachigen Raum der Adelbert-von-Chamisso-Preis verliehen, zunächst definiert als Auszeichnung für auf Deutsch schreibende Autor*innen, deren L1 nicht das Deutsche ist. Erster Preisträ‐ ger wurde 1985 Aras Ören - ein in Deutschland lebender Autor, dessen Texte zunächst auf Türkisch entstehen bevor sie ins Deutsche übersetzt publiziert werden. 168 13 Mehrsprachigkeit 1 Vgl. zum Adelbert-von-Chamisso-Preis https: / / www.bosch-stiftung.de/ de/ projekt/ adelbert-von-cha misso-preis-der-robert-bosch-stiftung [17.06.2021]. Er wurde an insgesamt 78 Autor*innen vergeben. Preisträger*innen waren u.a.: Zafer Şenocak, Yoko Tawada, José F. A. Oliver, Emine Sevgi Özdamar, Ilija Trojanow, Feridun Zaimoglu, Sherko Fatah, Uljana Wolf und Abbas Khider. Hier deutet sich eine gewisse Problematik des Preises, der in den folgenden Jahren zunehmend in die Kritik geraten ist, schon an. So wurde immer deutlicher der Vorwurf formuliert, dass der Preis weniger auf der Basis von „ästhetischen, sondern außerkünstlerischen Kriterien“ verliehen wird, dass mit seiner Verleihung „nicht selten gut gemeinte, aber paternalistische Gesten einhergehen - man denke nur an den Topos einer Bereicherung durch das Fremde […], schlimmstenfalls sogar mit dem Effekt, dass Kulturdifferenzen zwischen Herkunfts- und Einwanderungsland essentialisiert werden“ (Ewert 2017: 44). 1 Wie im Laufe des Kapitels weiter ausgeführt werden wird, gibt es verschiedene Formen und Verfahren literarischer Mehrsprachigkeit bzw. Mehr-Sprachlichkeit, die innerhalb wie außerhalb von Texten zu beobachten sind. Die literarische Mehr‐ sprachigkeit innerhalb von Texten steht im Mittelpunkt des gegenwärtig starken Forschungsinteresses in der Literaturwissenschaft wie auch in der Fremdsprachendi‐ daktik. Als Basis für die eigene Arbeit mit literarischen Texten kann man sich an dem von Giulia Radaelli (2014) entwickelten Modell textimmanenter literarischer Mehr‐ sprachigkeit orientieren. Radaellis Modell, in dem Beitrag Literarische Mehrsprachig‐ keit. Ein Beschreibungsmodell (und seine Grenzen) am Beispiel von Peter Waterhouses „Das Klangtal“, folgt vier Grundkriterien: ■ Fokus: Hier steht in Frage, was in den Blick genommen wird, etwa das mehrspra‐ chige Gesamtwerk oder ein mehrsprachiges Einzelwerk einer Autor*in. ■ Sprache: Differenziert werden Dialekte, Soziolekte bzw. Ethnolekte, Idiolekte oder standardisierte Sprachen von oft als einsprachig angenommenen National‐ staaten; auch erfundene (fiktive) Sprachen wären zu beachten. ■ Wahrnehmbarkeit: Unterschieden werden hier manifeste und latente Mehrspra‐ chigkeit. Als manifeste Mehrsprachigkeit wird die bei der Textlektüre unmittelbar wahrnehmbare Mehrsprachigkeit bezeichnet, die gegeben ist, wenn verschiedene Sprachen bzw. Idiome in einem Text verwendet werden. Unter latenter Mehrspra‐ chigkeit ist eine nur unterschwellig wahrnehmbare zu verstehen; verschiedene Sprachen bzw. Idiome werden im Text vielleicht nur erwähnt. ■ Diskursivierung: Differenziert werden unterschiedliche Diskursivierungsfor‐ men von Mehrsprachigkeit wie Sprachwechsel, Sprachmischung, Überset‐ zung, Sprachverweis und Sprachreflexion, die in enger Beziehung zur Wahr‐ nehmbarkeit von Mehrsprachigkeit stehen (vgl. Radaelli 2014: 162-168; vgl. auch Radaelli 2011 zu Elias Canetti und Ingeborg Bachmann). Die Diskursivierungsformen von Mehrsprachigkeit werden hier anhand von uns gewählter Beispiele aus der Gegenwartsliteratur erläutert: 169 13 Mehrsprachigkeit Sprachwechsel liegen vor, wenn Segmente voneinander zu unterscheidender Sprachen bzw. Idiome in einem Text abwechselnd verwendet werden; in der Linguistik sprechen wir in diesem Fall von code-switching (vgl. auch Dembeck 2017a: 125). Sprachwechsel können in der Figurenrede wie auch in der Erzählerrede auftreten; ein Beispiel wäre der Anfang von Ingeborg Bachmanns Erzählung Simultan (1974: 7): Bože moj! hatte sie kalte Füße, aber das mußte endlich Paestum sein, es gibt da dieses alte Hotel, ich versteh nicht, wie mir der Name, er wird mir gleich einfallen, ich habe ihn auf der Zunge, nur fiel er ihr nicht ein, sie kurbelte das Fenster herunter und starrte angestrengt seitwärts und nach vorne, sie suchte den Weg, der nach rechts, credimi, te lo giuro, dico a destra, abbiegen mußte. Sprachwechsel liegen auch vor, wenn anderssprachige Zitate in einen Text eingefügt werden, etwa die englischsprachigen Titel von Songs der Band Oasis als Kapitelüber‐ schriften in Benjamin von Stuckrad-Barres 1998 veröffentlichtem ersten Roman Soloalbum (vgl. auch Dembeck 2017b: 215 ff.) oder längere Teile von Songs von Amy Winehouse in Kerstin Grethers Roman An einem Tag für rote Schuhe (2014). Sprachmischung liegt vor, wenn mehrere Idiome bzw. Sprachen in einem Text zwar zu unterscheiden, nicht aber einzelnen Segmenten zuzuordnen sind (vgl. auch Dembeck 2017a: 125). Die Mischung kann auf unterschiedlichen Ebenen, etwa der syntaktischen, morphologischen, grammatischen, orthografischen, lexikalischen oder phonetischen Ebene erfolgen. Ein Beispiel wäre ein Satz aus dem Roman Sickster von Thomas Melle: Schulterschlüsse und satte Grimassen, gepeelte Gesichter, geschenkte Gefühle. (Melle 2011: 97) Übersetzungen können in Texten explizit erfolgen, indem entweder auf das Überset‐ zen selbst oder auf die jeweils übersetzte bzw. zu übersetzende Sprache hingewiesen wird. Ein Beispiel wäre eine Passage aus dem Roman Der Russe ist einer, der Birken liebt von Olga Grjasnowa: ‚Sind Sie vor kurzem auf Filterzigaretten umgestiegen? ‘ ‚Eigentlich nicht. Ich habe sie von einem Patienten.‘ Er sah auf die Schachtel hinunter, drehte sie mehrmals herum und fuhr mit dem Daumen über die arabischen Buchstaben, als ob er sie gerade erst bemerkt hätte. ‚Ich kann es nicht lesen‘, sagte er. Ich übersetzte ihm das Geschriebene. (Grjasnowa 2012: 19) Sprachverweise spielen zum Beispiel bei der Wiedergabe von Figurenrede eine Rolle, wenn etwa der Wechsel in eine andere Sprache bzw. ein anderes Idiom angekündigt und diese(s) benannt wird. Weiterhin können literarische Texte auf ihre Mehrsprachigkeit selbst oder auf die Sprachen mehrsprachiger Begegnungen bzw. Räume verweisen. Ein Beispiel wäre eine Passage aus dem Roman Ohrfeige von Abbas Khider: 170 13 Mehrsprachigkeit ‚Frau Schulz, wir reden zusammen. Ich wollte immer, und Sie haben keine Zeit oder Wille für mich, wenn ich vor Ihrem Zimmer warten. Jetzt endlich ist so weit! Ob Sie wollen oder nicht, wir reden. Aber Deutsch ist schwer für mich und ich will viele Sachen erzählen. Ich muss Arabisch mit Ihnen reden, so ich kann frei reden. Leider! ‘ Ich will mich nicht länger durch die deutsche Sprache quälen, durch diesen Dschungel aus Fällen und Artikeln, die man sich nie merken kann. Es ist natürlich Quatsch, jetzt mit ihr Arabisch zu sprechen, aber was soll’s. Auch wenn Arabisch ihre Muttersprache wäre, würde sie mich nicht verstehen. Sie stammt aus einer ganz anderen Welt als ich. (Khider 2016: 10) Sprachreflexion findet statt, wenn beispielsweise in Ansätzen sprachtheoretische Überlegungen, mögliche Zusammenhänge zwischen Denken und Sprache oder be‐ stimmte sprachliche Erfahrungen formuliert werden. Ein Beispiel wäre eine Passage aus der Kurzgeschichte Deutschunterricht von Wladimir Kaminer in seinem Band Russendisko: Seit Jahren lese ich täglich in meinem Lehrbuch Deutsches Deutsch zum Selberlernen aus dem Jahr 1991. Ein Trost für Geist und Körper. Das Vorwort könnte allerdings manch einem Angst einjagen, denn dort wird beschrieben, wie schrecklich kompliziert diese Sprache ist: „Im Deutschen ist ‚das junge Mädchen‘ geschlechtslos, die Kartoffel hingegen nicht. Der Busen ist männlich und alle Substantive fangen mit einem großen Buchstaben an“, klagen die Russen. (Kaminer 2000: 183 f.) Als ein Phänomen von textimmanenter Mehrsprachigkeit wird auch Mehrschrift‐ lichkeit bezeichnet. Sie verweist, außerhalb wie innerhalb von Texten beobachtet, auf ■ Personen, die mehr als eine Schrift beherrschen und verwenden; ■ Kommunikations- und Fixierungsprozesse in mehr als einer Schrift; ■ Texte, die in mehr als einer Schrift verfasst sind; ■ Textsammlungen mit Texten in unterschiedlichen Schriften (vgl. Schmitz-Emans 2017: 221). Auch die textimmanente Mehrschriftlichkeit, auf der ein Hauptaugenmerk der For‐ schung liegt, kann manifest oder latent auftreten. Ein Beispiel für eine manifeste Mehrschriftlichkeit, einhergehend mit Sprachwechsel und Übersetzung, wäre eine Pas‐ sage aus dem Roman Ausser sich von Sasha Marianna Salzmann: […] ein Plattenbau, der nach Nikita Sergejewitsch Chruschtschow benannt war, dem, der seinen schwarzen Lederschuh ausgezogen hatte in dem überfüllten Saal der Vereinten Nationen und mit seinem Gummiabsatz auf die Mahagonitischplatte hämmerte, während er schrie: „Мы вам покажем кузькину мать! “ Seine Simultanübersetzer hatten keine Ahnung, wovon der Mann sprach, und übersetzten wörtlich, dass Nikita Sergejewitsch allen Anwesenden die Mutter von Kuzkin zeigen möchte. Man mag sich gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn die Übersetzer damals, im Jahr 1960, über die Mikroports die wahre Botschaft des sowjetischen Führers an die Vereinten 171 13 Mehrsprachigkeit 2 Auf Arbeitsmöglichkeiten mit dem im Dialekt gehaltenen Schlager Un do druff von Wolfgang de Benkis/ Bert Bergers (1983) im Kontext von Deutsch als Fremdsprache verweist Grub (2020: 252 f.). 3 Blell bezieht sich hier auf den (fächerübergreifenden) Unterricht Englisch und Spanisch sowie den Kurzfilm The Mexican Dream (2003, Regie: Gustavo Hernández Pérez). Für den Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache kämen Filme wie Almanya - willkommen in Deutschland (2011, R.: Yasemin und Nesrin Şamdereli) und Fack ju Göthe (2013, R.: Bora Dagtekin) in Frage. Nationen weitergegeben hätten, nämlich: „Wir werden euch alle fertigmachen! “ (Salzmann 2018: 76 f.) Ein Beispiel für eine latente textimmanente Mehrschriftlichkeit wäre die oben bereits unter dem Stichwort Übersetzung zitierte Passage aus dem Roman Der Russe ist einer, der Birken liebt von Olga Grjasnowa. Deutlich wird, dass Verfahren literarischer Mehrsprachigkeit bzw. Mehrschriftlichkeit kaum isoliert voneinander auftreten. Till Dembeck und Rolf Parr verweisen in der Einleitung zum Handbuch Literatur und Mehrsprachigkeit (2017: 12 f.) auch auf einige Verfahren literarischer Mehrspra‐ chigkeit, die gattungsbzw. medienspezifisch wirksam werden können wie zum Beispiel ■ die Verwendung versbaulicher Formen (z. B. metrischer Muster) über ‚Sprachgren‐ zen‘ hinweg in der Lyrik; ■ die analoge und digitale Reproduktion von ‚fremden‘, dialektalen oder einfach ungewöhnlichen Klängen in Hörspiel, Hörbuch und Film, aber auch in mündlichen Texten der Slam Poetry oder akustischen Poesie; 2 ■ die Untertitelung, die Verwendung diegetisch eingebetteter Schriften wie auch spezifischer Formen der Mehrsprachigkeitssimulation in (Fernseh-)Filmen und Serien (vgl. dazu auch Parr 2014). Gerade die Mehrsprachigkeit bzw. Mehrsprachigkeitssimulation in Filmen spielt in fremdsprachendidaktischen Überlegungen zunehmend eine Rolle. So plädiert bspw. Gabriele Blell (2015) unter der Zielsetzung eines interbzw. transkulturellen, sprachenübergreifenden Lernens für eine Arbeit mit mehrsprachigen Filmen im Un‐ terricht, deren Fokus auf (Nicht-)Synchronisation und verschiedenen Formen der Untertitelung liegt, also verstärkt textsprachliche neben bildsprachlichen Elementen berücksichtigt und so neben der Hör-Seh-Kompetenz die Lesekompetenz fördert (vgl. Blell 2015: 35). Die Lernenden werden darin unterstützt, verbale wie visuelle kulturelle Bedeutungen zu erschließen und mit ihnen (fremd-)sprachlich zu handeln; der Schwerpunkt liegt also auf Form und Bedeutung in ihrem Bezug zu fremdbzw. mehrsprachlicher Handlungskompetenz: Die Mehrsprachigkeit bzw. Mehr-Sprachlich‐ keit eröffnet in diesem Kontext zusätzliche Möglichkeiten, „Diversität und Differenzen auszuhandeln und auszuhalten“ (vgl. ebd: 36). 3 In weitergehenden Überlegungen fügt Blell den Ebenen des interbzw. transkulturellen und (mehr-)sprachlichen Lernens die Ebene des filmästhetischen und (filmisch-)narrativen Lernens hinzu: Mehrsprachigkeit bzw. Mehr-Sprachlichkeit wird verbal und visuell sowie mit Blick auf den Einsatz von 172 13 Mehrsprachigkeit 4 In Kap. 18 Phasen der Textlektüren wird am Beispiel dieser Lektürereihe das fünfphasige Modell zur Arbeit mit literarischen Texten im Unterricht vorgestellt. Musik, von Musikstilen und Instrumenten sowie auf Kameraführung und Montage beobachtet (vgl. Blell 2016: 315). Unterrichtsideen Im Kontext von universitärer Ausbildung in internationalen Masterstudiengängen für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache haben wir mit Mehrsprachigkeit in Texten der Gegenwartsliteratur gearbeitet. In einem 2018 erschienenen Beitrag do‐ kumentieren wir eine Lektürereihe zu Flucht und Migration in der aktuellen deutschsprachigen Literatur, die in literaturdidaktischen Lehrveranstaltungen angeboten wurde (→ Kap. 18). 4 Die Zielsetzungen der Reihe waren, neben der übergreifenden Förderung von Diskursfähigkeit und -partizipation ■ die Sensibilisierung der Studierenden für die sprachlichen und kulturellen Symbolisierungen von Zugehörigkeiten in literarischen Texten, ■ fokussierte Textlektüren der Studierenden unter der Fragestellung, wie Zugehörigkeiten in (literarischen) Texten etabliert werden und welche Rolle dabei Handlungsstrukturen, Figuren(-konstellationen), Erzähltechniken und -perspektiven sowie sprachliche Mittel spielen, ■ eine Sensibilisierung der Studierenden dafür, wie Texte gemacht sind, wie Bedeutungen produziert werden, ■ die Ermutigung der Studierenden zu individuellen Deutungen, Bedeutungs‐ konstruktionen und Sinnstiftungen sowie die Förderung von deren Aus‐ handlung in (Klein-)Gruppen, ■ eine didaktisch-methodische Reflexion der ‚Lektürearbeit‘ und möglicher‐ weise verschiedener Lesestrategien, ■ die Auseinandersetzung der Studierenden mit dem sozialanthropologischen Konzept von Zugehörigkeit (belonging) (vgl. Hille/ Schiedermair 2018: 38; zum Konzept Zugehörigkeit siehe Pfaff-Czarnecka 2012). Mehrsprachigkeit war eines der Auswahlkriterien für die Texte der Unterrichts‐ reihe. So wurden gelesen: Christoph Kellers Roman Übers Meer (2013), in dem etwa Sprachwechsel in der Figurenrede zu beobachten sind (vgl. etwa Keller 2013: 70 f.); Julya Rabinowichs Jugendbuch Dazwischen: Ich (2016), in dem u. a. eine Auseinandersetzung mit Übersetzungen im Zusammenhang mit Behördengängen erfolgt (vgl. etwa Rabinowich 2016: 26 ff.) und Sherko Fatahs Roman Das dunkle Schiff (2010/ 2008), in dem u. a. die Problematik reflektiert wird, wie sich die eigene Fluchtgeschichte erzählen lässt, wenn man nicht die Sprache derer spricht, denen man sie erzählt (vgl. etwa Fatah 2010: 272 f.). Bei der Auseinandersetzung mit Mehrsprachigkeit in literarischen Texten 173 13 Mehrsprachigkeit 5 Die Antworten der Studierenden wurden sprachlich nicht angepasst. kann es nicht allein darum gehen, die Mehrsprachigkeit festzustellen. Wichtig ist vor allen Dingen die Frage, welche Reflexionsräume Mehrsprachigkeit in den Texten und für die Lektüren öffnen kann. Wie Studierende diese Textdimensionen wahrnehmen können, zeigen die folgenden Ausführungen zu einem Auszug aus dem Roman von Christoph Keller, in dem sich Abdoulaye Touré, der nach einer schwierigen Flucht schließlich auf der italienischen Insel Lampedusa landet, den Fragen der dortigen Behörden stellen muss: - Herkunftsland? - Je ne sais pas, weiß ich nicht. - Reisedokument? - Nein, keins. So sollen wir antworten, so haben wir das vor der Abreise eingeübt. Wir haben die Antworten einstudiert, damit wir sicher nach drüben kommen, damit wir bleiben können, pour rester. Immer ausweichen, immer sagen: ‚Je ne sais pas‘, man komme damit weit, hieß es. Dennoch möchten Sie, dass ich die Wahrheit sage, la verité, nicht wahr, Commissario. […] - Du lügst, Touré. - Monsieur Touré. Selbst wenn ich es Ihnen erzählen würde, Commissario, ich bin mir sicher, Sie wollten sie nicht hören, die ganze Geschichte, von Anfang an. (Keller 2013: 70 f.) Die internationalen Studierenden sollten sich anhand dieses Ausschnitts mit der folgenden, sehr offen formulierten Frage beschäftigen: Welche Bedeutung hat die französische Sprache für Abdoulaye Tourés Erzählung? Aus den Antworten wird deutlich, dass es den Studierenden gelingt, die Mehrsprachigkeit hier als eine Strategie wahrzunehmen, die sich auf unterschiedlichen Ebenen des Textes realisiert: Lesewirkung, Interaktion zwischen dem Geflüchteten und dem Behördenvertreter, Selbstvergewisserung des Geflüchteten, Strategie zur Erhöhung der Asylchancen, Verbesserung der eigenen Ausdrucksmöglichkeiten, Ausdruck der Zugehörigkeit: 5 T1: 174 13 Mehrsprachigkeit T2: T3: T4: T5: T6: Die Überlegungen bzw. Antworten zeigen, wie produktiv die an sich schlichte Frage sein kann, um Studierende für Aspekte der Mehrsprachigkeit innerhalb eines literarischen Textes zu sensibilisieren, für die Wahrnehmung von mögli‐ 175 13 Mehrsprachigkeit chen Funktionen oder Effekten von Mehrsprachigkeit sowie für die Eröffnung diverser Reflexionsräume. In den Lehrveranstaltungen wurden längere Passagen aus den Texten von Christoph Keller, Julya Rabinowich und Sherko Fatah gelesen. Das ist natür‐ lich nur in Zusammenhängen von Lehre oder Unterricht möglich, in denen Lernende über ein angemessenes Sprachniveau und ausreichend Zeit, evtl. sogar grundlegende analytische Kenntnisse im Umgang mit Literatur verfügen. Der hier abgedruckte Textausschnitt ist jedoch hinreichend kurz und konzise, um auch im Sprachunterricht, auf niedrigerem Sprachniveau und unter anderen Voraussetzungen verwendet werden zu können. Ergänzend oder alternativ lässt sich auch mit anderen Texten arbeiten, die Mehrsprachigkeit bzw. Mehr-Sprachlichkeit reflektieren. Auch auf niedrigem Sprachniveau und bei begrenzten Zeitressourcen kann man etwa das folgende Gedicht von Zafer Şenocak in unterrichtlichen Zusammenhängen verwenden. Ein konkreter Vorschlag zum Vorgehen findet sich im Beitrag Lyrik und Kurzprosa im Anfängerunterricht Deutsch als Fremdsprache (Schiedermair 2015b: 51ff.). Wie dort ausgeführt, werden zunächst Kopien mit dem Gedicht verteilt, das erstmals 1985 in dem Gedichtband Flammentropfen (Dağyeli-Verlag) und erneut 2005 im Band Übergang. Ausgewählte Gedichte 1980-2005 (Babel-Verlag) erschienen ist. Ich habe meine Füße auf zwei Planeten wenn sie sich in Bewegung setzen zerren sie mich mit ich falle ich trage zwei Welten in mir aber keine ist ganz sie bluten ständig die Grenze verläuft mitten durch meine Zunge ich rüttle daran wie ein Häftling das Spiel an einer Wunde (Şenocak 2005: 147, Hervorh. i. O.) Je nach Sprachstand der Lernenden kann die Kopie bereits ergänzende Worter‐ klärungen enthalten, etwa: I,3 jemanden (Akk) mitzerren - „mühsam od. mit Gewalt gegen einen Wider‐ stand, meist ruckartig ziehen, ziehend fortbewegen; Bsp. jemanden aus dem Bett zerren, in ein Auto zerren“ (Duden 2007, Sp. 1972); II,2 ganz - das Gegenteil von „kaputt“, also „nicht kaputt“, vollständig; II,3 ständig - immer; 176 13 Mehrsprachigkeit IV,1 rütteln an + Dativ - „schnell (ruckweise) hin- und herbewegen, heftig schütteln; Bsp. aus dem Schlaf rütteln, an der Tür rütteln“ (Duden 2007, Sp. 1423); IV,1 der Häftling - der Gefangene. In Phase 1 „Begegnung mit dem Text“ (→ Kap. 18) geht es darum, die Situation in ihrer Anschaulichkeit wahrzunehmen und sie mit Hilfe anderer Medien konkret sichtbar zu machen. Die Lernenden erhalten zunächst die Aufgabe, das Gedicht in Gruppen zu lesen und zu rekonstruieren, was gesagt wird. Jede Gruppe soll dann eine Form wählen, in der sie das Gedicht im Plenum präsentiert. Verschiedene Formen der Visualisierung sind dabei denkbar: etwa die Umsetzung in eine Pantomime oder andere dramatische Formen, das Gestalten eines Plakats oder Tafelbildes, das Malen eines Bildes oder Zeichnen eines Comics. Das Gedicht eignet sich sehr gut für solche Visualisierungen, sind die Vorstellungsbilder, die es evoziert, doch sehr eindrücklich - Strophe I: auf zwei Planeten stehen, die sich bewegen; Strophe II: zwei Welten, in mir, die bluten; Strophe III: eine Grenze durch die Zunge; Strophe IV: wie ein Gefangener an der Grenze in der Zunge rütteln. In Phase 2 „Aushandeln von Verstehensoptionen“ geht es um die intensive und differenzierte Auseinandersetzung mit dem Text, die auch Vieldeutigkeiten wahr‐ nimmt. Sie kann gegebenenfalls auch in der bzw. den Erstsprache(n) der Lernenden stattfinden. Mögliche Ausgangspunkte könnten die Implikationen sein, die sich daraus ergeben, dass Planeten immer „in Bewegung“ sind, oder die unterschiedlichen Semantiken von „Welt“, die hier gleichzeitig angespielt werden, wie geografische Gegebenheiten, kulturell-gesellschaftliche Zusammenhänge, persönliche Dispositio‐ nen. Auch der Ausdruck „Grenze“ wirft Fragen auf: Wie sieht diese Grenze aus? Ist sie durch eine Schranke oder Stacheldraht markiert? Oder ist es eine Grenze ohne Markierung? Ist sie als Raum zu denken oder als Linie? Ist sie sichtbar oder nur spürbar? Kann sie überwunden werden? Soll sie überwunden werden? In Phase 3 „Auseinandersetzung mit einem Textnetz“ kann mit einem Text‐ ensemble gearbeitet werden. Dies kann je nach Sprachniveau unterschiedlich zusammengestellt werden, etwa mit weiteren Texten von Şenocak (bspw. Der Kompass, 2006) oder mit anderen Texten, die im vorliegenden Kapitel genannt werden. Auch Texte von Herta Müller (Das Land am Nebentisch, 1991) und Yoko Tawada (Das Fremde aus der Dose, 1996) sind hier einschlägig; ebenso bieten sich Passagen an wie diese aus dem Essay von Yoko Tawada Von der Muttersprache zur Sprachmutter (2008/ 1996), der im Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache oft verwendet wird: Ein deutscher Bleistift unterschied sich kaum von einem japanischen. Er hieß aber nicht mehr ‚Enpitsu‘, sondern ‚Bleistift‘. Das Wort ‚Bleistift‘ machte mir den Eindruck, als hätte ich es jetzt mit einem neuen Gegenstand zu tun. Ich hatte ein leichtes Schamgefühl, wenn ich ihn mit dem neuen Namen bezeichnen mußte. […] 177 13 Mehrsprachigkeit 6 Wischmann/ Reinhardt (2019: 23) zitieren hier Huss/ Tidigs (2017: 222). An dieser Stelle kommentieren Huss/ Tidigs ein Gedicht von Cia Rinne, bei dem unklar ist, welche Sprachen es verwendet - oder eher ‚aufruft‘: Es können etwa frz. Wörter erkannt werden, aber auch finnische. Dieses Verfahren bezeichnen sie als „linguistic bordering […]: the poems engage their readers in an act of distinguishing and dissolving languages, drawing and dissolving borders” (ebd.). In der Muttersprache sind die Worte den Menschen angeheftet, so daß man selten spielerische Freude an der Sprache empfinden kann. Dort klammern sich die Gedanken so fest an die Worte, daß weder die ersteren noch die letzteren frei fliegen können. In einer Fremdsprache hat man aber so etwas wie einen Heftklammerentferner: Er entfernt alles, was sich aneinanderheftet und sich festklammert. (Tawada 2008: 9, 15) Einen Vorschlag von Ulrike Reeg (2019) aufnehmend bietet es sich auch an, Textaus‐ schnitte zu wählen, in denen mehrsprachige Autor*innen ihr Schreiben in anderen Sprachen reflektieren. Hier nennt sie den eben zitierten Text von Tawada. Daneben verweist sie auf Texte wie Franco Biondis Aus der Werkstatt der Sprach-Verwegenheiten (2017), José F. A. Olivers Fremdenzimmer (2015), Saša Stanišićs Wie ihr uns seht. Über drei Mythen vom Schreiben der Migranten (2008), Ilija Trojanows Nach der Flucht (2017) und Vladimir Vertlibs Spiegel im fremden Wort. Die Erfindung des Lebens als Literatur (2007). Aus den bisher angeführten Beispielen, an denen sich Muster literarischer Mehr‐ sprachigkeit bzw. Mehr-Sprachlichkeit nachvollziehen und auf deren Grundlage sich Lektürevorschläge für weitere Texte entwickeln lassen, wird die große Bandbreite an Optionen für das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ersichtlich. Mit Blick auf die Forschungen der interkulturellen Literaturwissenschaft (vgl. etwa Hofmann 2006, Hofmann/ Patrut 2015, Leskovec 2011a) (→ Kap. 8) zur sogenannten „Migrationsliteratur“ oder „interkulturellen Literatur“ hat sich schon in den 1990er Jahren zunehmend die Überzeugung entwickelt, dass die Perspektive der Mehrsprachigkeit für die Arbeit mit literarisch-ästhetischen Texten im Fremdspra‐ chenunterricht produktiv sein kann. Ihre Lesarten haben eine wichtige Dimension in das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache eingebracht, auch wenn sich von der aktuellen Theoriebildung aus, die Konzepte wie Kontinuumdenken und Mehr-Sprachlichkeit diskutiert (s. o.), auch kritische Perspektiven auf diese Lektüren ergeben. Insbesondere ihre Tendenz zur Fokussierung auf Nationalsprachen verstellt den Blick auf die Vielfalt sprachlicher Ebenen und Nuancen wie Dialekte, Soziolekte und sprachkreative Phänomene, etwa Mehrfachbelegungen von (sprachlichen) Zei‐ chen (s. o., vgl. Wischmann/ Reinhardt 2019: 17). Dieser Engführung begegnet die fachwissenschaftliche Diskussion mit Vorschlägen dazu, „wie Forschende über die nationalsprachliche Konstellation hinausdenken können“ (ebd.: 15). Dafür greift sie auf Begriffe zurück wie „bordering“, verstanden als „drawing and dissolving borders“ (ebd.: 23), 6 wie „borderscape“ als eine „Landschaft einander überlagernder Grenzzie‐ hungen, in deren Ensemble sich Interferenzen und Übergänge ergeben“ (Patrut/ Bauer 178 13 Mehrsprachigkeit 2017: 62), wie das „Übergängliche“ statt „Oppositionen und Dichotomien“ (Kimmich 2017: 140) oder die polyphone Textur nach Michail Bachtin (1971/ russ. 1963: 9-52). Ziel ist die „Sensibilisierung für Übergangsstellen“ (Wischmann/ Reinhardt 2019: 25). Solche Lektüreprozesse werden auch von Texten initiiert, die von der interkulturellen Literaturwissenschaft mit tendenziell dichotomischen Kategorien, die Bezeichnungen wie „deutsch-türkische Literatur“ aufrufen, gelesen wurden. So analysiert Michael Hofmann in seiner Einführung in die Interkulturelle Literaturwissenschaft (2006) eine Reihe von Texten, die Mehrsprachigkeit im Hinblick auf das Türkische und Deutsche reflektieren. Die Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit im oben vorgestellten Sinne einer Mehr-Sprachlichkeit (vgl. Wischmann/ Reinhardt 2019: 17), i.e. einer Mehrfachbe‐ legung sprachlicher Zeichen, bzw. „bordering“, „borderscape“ und „Übergänglichkeit“ (s. o.), kann diese Lektüren über die nationalsprachliche Ebene hinausführen. Insbe‐ sondere die Texte von Emine Sevgi Özdamar reflektieren auf verschiedenen Ebenen das Agieren zwischen mehreren Sprachen bzw. Varietäten. Wohl nur in Ausnahmefällen können diese literarischen Texte im Sprachunterricht verwendet werden, aber für Studierende in Studiengängen für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, also für zukünftige Lehrkräfte, sind sie eine lohnende Lektüre. Auch kleine Ausschnitte aus den Erzählungen oder Romanen Özdamars sind sinnvoll einsetzbar, um Studierenden die Möglichkeit zu geben, sich mit Mehrsprachigkeit zu beschäftigen. Mit sprachlichen Verfremdungen im Sinne Šklovskijs (→ Kap. 1) bzw. sprachlichen Varietäten, hier durch die Fremdsprache inszeniert, werden vielfältige Lektüre- und Reflexionsprozesse ausgelöst. Wir zitieren hier einen längeren Ausschnitt aus Özdamars Roman Die Brücke vom Goldenen Horn (2008/ 1998), um zu zeigen, wie auch kleine Signale der Mehrsprachigkeit Verfremdungseffekte bewirken und Lektüreprozesse auslösen können, die Mehrsprachigkeit/ Mehr-Sprachlichkeit und damit verbundene Wahrnehmungsprozesse reflektieren: Textbeispiel Ich lebte mit vielen Frauen in einem Frauenwohnheim, Wonaym sagten wir. Wir arbeiteten alle in der Radiofabrik, jede mußte bei der Arbeit auf dem rechten Auge eine Lupe tragen. Auch wenn wir abends zum Wonaym zurückkamen, schauten wir uns oder die Kartoffeln, die wir schälten, mit unserem rechten Auge an. […] Das linke zwickte sich immer zusammen und blieb halb geschlossen. Wir schliefen auch so, das linke immer etwas gezwickt, und am Morgen um fünf Uhr, wenn wir im Halbdunkel unsere Hosen und Röcke suchten, sah ich, daß auch die anderen Frauen wie ich nur mit dem rechten Auge suchten. Seitdem wir in der Radiolampenfabrik arbeiteten, glaubten wir unserem rechten Auge mehr als unserem linken Auge. Mit dem rechten Auge hinter der Lupe konnte man mit der Pinzette die dünnen Drähte der kleinen Radiolampen biegen. Die Drähte waren wie die Beine einer Spinne, sehr fein, ohne Lupe fast unsichtbar. Der Fabrikchef hieß Herr Schering. Sherin sagten die Frauen, Sher sagten sie auch. Dann klebten sie Herr an Sher, so hieß er in manchen Frauenmündern Herschering oder Herscher. (Özdamar 2008: 16) 179 13 Mehrsprachigkeit 7 Michael Hofmanns Kommentar zu dieser Textstelle untersucht die verschobene Wahrnehmung vom Textgeschehen, i.e. von dem Blick durch die Lupe aus, den die Arbeit in der Radiofabrik von den Frauen verlangt (vgl. Hofmann 2006: 216). Die sprachlichen Strategien in diesem Textauszug machen darauf aufmerksam, wie sich die Mehrsprachigkeit der Frauen durchgängig auf deren Wahrnehmung auswirken kann. Mit dem kleinen Nebensatz „Wonaym sagten wir“ wird dem Wohnort der Frauen eine - zumindest sprachliche - doppelte Zugehörigkeit zugeschrieben. Aus deutsch(sprachig-)er Sicht wohnen die Frauen in einem „Frauenwohnheim“, aber in ihrer türkisch(sprachig-)en Perspektive wohnen sie in einem „Wonaym“. Die minimale lautliche Abwandlung von „Wohnheim“ zu „Wonaym“, die Lesende des Romans lediglich als orthografische Abweichung wahrnehmen können, kreiert einen Zwischenort, der weder dem deutschsprachi‐ gen noch dem türkischsprachigen Zusammenhang vollständig zugehört. Durch die nochmalige Verwendung des Ausdrucks „Wonaym“ bereits im übernächsten Satz werden die Dimensionen von Mehrsprachigkeit, Mehrperspektivität und Mehrfachzugehörigkeit zum Rezeptionsmodus für die Lesenden. Nicht nur auf der Ebene der Handlung, sondern auch auf der Ebene der sprachlichen Verfasstheit wird durch diese kleine Variation die Wahrnehmung im Modus der Verschiebung auch auf den weiteren Seiten des Textes und im weiteren Verlauf des Romans präsent gehalten. So kann dieses unscheinbare Moment einer mehrsprachigen Schreibweise Auseinandersetzungen mit Fremdheitserfahrungen auslösen. Eine solche Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit bzw. sprachlichen Kreativität kann sowohl auf der Ebene der Handlung als auch auf der Ebene des Leseakts den Effekt verschobener oder verdoppelter Wahrnehmung der Reflexion zugänglich machen. Gerade bei dem Ausdruck „Wonaym“ ist das von Relevanz, da dieser durchgehend im Roman verwendet wird. Die phonetische Abwandlung, die zu Beginn des Textabschnitts als Strategie eingeführt wird, gibt gleichzeitig als Muster vor, dass die Lautebene und damit das Mündliche einen Aspekt der Mehrsprachigkeit dar‐ stellt, der in Özdamars Roman besonders produktiv eingesetzt wird, so etwa auch am Ende des zitierten Romanausschnitts in der Verschiebung von „Herr Schering“ über „Sherin“, „Sher“ zu „Herschering“ oder „Herscher“ mit den entsprechenden Implikationen. So kann an diesem kleinen Ausschnitt aus dem Text von Özdamar auch das Verfahren sichtbar werden, das man in der aktuellen Diskussion zur Mehrsprachigkeit als „Kontinuums-Konzept“ versteht, das Distinktionsansätze binärer Hierarchisierungen überwindet, und als „Code-mixing“ im Sinne eines „eigene[n] Codes“ bzw. einer „hybriden Sprache“ (Wischmann/ Reinhardt 2019: 22) gefasst wird. 7 Mehrsprachigkeit bzw. Mehr-Sprachlichkeit, die über Differenz- und Ähnlich‐ keitsrelationen nicht vollständig erfasst werden können, charakterisieren in einem besonders auffälligen Modus die Texte, die Feridun Zaimoglu in seinem Band Kanak Sprak. 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft (2010/ 1995) 180 13 Mehrsprachigkeit 8 Zu diesem Text und zu Fragen nach Subversivität und Authentizität von Zaimoglus Band, auch zur Bezeichnung „Kanake“ vgl. ausführlicher Hofmann (2006: 226-236. Vgl. auch Hofmanns Analyse zum zitierten Ausschnitt unter dem Aspekt der Hybridität (ebd. 235 f.). 9 http: / / www.youtube.com/ watch? v=lllr32BWXGs&feature=kp [17.06.2021]. Unter dem Titel Ein Ka‐ nake sieht rot. Geschichten, Texte, Gedichte und mehr ist 2014 auch ein Band von Sulaiman Masomi erschienen, in den der Text aufgenommen wurde. veröffentlicht hat. Zaimoglu hat Interviews mit Jugendlichen der zweiten und dritten Generation von Familien geführt, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahr‐ hunderts als sogenannte ‚Gastarbeiter‘ migriert sind. Auf dieser Basis hat er die Texte zusammengestellt. Sprachlich zwischen Deutsch, Türkisch, Englisch, Umgangs- und Jugendsprache, entwickeln sie einen Duktus, der sich nah am Mündlichen bewegt und von Metaphern, Anspielungen, Zitaten getragen wird. Viele Ausdrücke aus der Fäkalsprache werden verwendet sowie ein Schriftbild, das durch durchgängige Kleinschreibung charakterisiert ist: Sie sind menschenmüll, eine verschwendung in den straßen der metropolen, sie haben das spiel verloren, weil die karten gezinkt sind, die man ihnen in die Hand drückt. Deshalb sind sie kanaken, deshalb bin ich ein kanake, deshalb bist du ein kanake. Wir sind bastarde, freund, das heißt, dass wir gedanken und empfindungen haben, für die wir nichts können, sowas wie ausgeknobelte kreaturen ohne sinn und rechtem verstand, die gerne eine gebrauchsanweisung hätten, oder einen heiligen Katechismus, um dieses dumpfe brüten, das uns beherrscht, abzuschütteln. (Zaimoglu 2010: 109 f., Hervorh. d. Verf.) Der Text kreist um den Begriff „kanake“, dabei gleitet er - siehe die markierten Pronomen - vom Reden über Dritte zu einem Reden über sich selbst, zur Anspra‐ che an ein Du und zu einem Wir, das mit der Bezeichnung Freund (scheinbar) mit einer Konnotation von Zugehörigkeit und Vertrautheit ausgestattet wird. Ein Netz von Metaphern, Redewendungen und Kollokationen zieht sich über den Text, die unterschiedlichste Assoziationen und Sprachregister aufrufen - etwa „menschenmüll“, „bastard“, „kreatur“; „gedanken und empfindungen“, „sinn und […] verstand“; „metropole“, „gebrauchsanweisung“, „heilige[r] Katechismus“; „spiel verloren“, „gezinkte Karten“, „dumpfe[s] brüten“. Auch dieser Text generiert seinen eigenen Code, den er aus unterschiedlichen Quellen speist, und verlangt von seinen Leser*innen, sich auf eine in mehrfacher Hinsicht hybride Sprache einzulassen. 8 Der Poetry Slammer Sulaiman Masomi positioniert seinen Text Ein Kanake sieht rot 9 intertextuell deutlich in Bezug auf Feridun Zaimoglus Kanak Sprak. Er setzt Zaimoglus Schlusssatz des Vorworts - „Hier hat allein der Kanake das Wort.“ (Zaimoglu 1995: 18) - pointiert um, indem er den Ich-Erzähler bzw. die Slammer-Kunstfigur mit der (Selbst-)Zuschreibung des Kanaken spielen lässt. Der Text beginnt: 181 13 Mehrsprachigkeit Als ich letztens aus Versehen bei Rot über die Ampel schlenderte, rief mir ein Opa mit dem Stock schwingend hinterher: ‚Ihr scheiß Türken! Ihr lernt es wohl nie, euch zu integrieren! ‘ Als ich das hörte, drehte ich mich um und ging bei Rot wieder zurück. Ich baute mich vor dem Opa auf, welcher, schon entschlossen und zu allem bereit, seinen Krückstock umklammerte. Ich sagte: ‚Erstens: Ich bin kein Türke, sondern Afghane. Sie sollten mit Ihren Vorur‐ teilen über Türken vorsichtig sein, Sie Pflegefall, denn die Türken gehen nicht bei Rot rüber! Das machen nur wir Afghanen, […] Zweitens: Wer will sich denn hier bitte integrieren? Ich hab mal für einen Monat versucht, mich zu integrieren, um eine Kartoffel zu werden: Ich war extra schlecht im Bett, war pünktlich und hab Frauen wie Menschen behandelt. Es hat mir gar nichts gebracht. Auch die Pünktlichkeit hat mir nichts gebracht. Wenn ich mich mit Kanaken verabredet habe und pünktlich war, musste ich immer eine halbe Stunde auf die warten. Wenn man sich um acht mit einem Kanaken verabredet, weiß jeder Kanake Bescheid: Das Treffen ist um halb neun. Außerdem geh ich über Rot, weil hier einfach zu viele Kanaken rumfahren. […] Ich bin so was von geladen jetzt und ich hab auch keine Lust mehr, mit Ihnen zu diskutieren, denn eigentlich, ja eigentlich wollte ich Ihnen ja nur sagen, dass ich Ihren Kommentar nicht politisch korrekt fand.‘ (Masomi 2014: 34-38) In der Performance übernimmt der Slammer Masomi die direkten Reden verschie‐ dener Stimmen und zeigt sich sprachlich hybrid und polyphon, verwendet Hoch‐ deutsch, Soziolekte und Kanaksprak. Gerade der mehrstimmige Streitcharakter zeigt die Nähe zu den provokativen und aggressiven Reden in den von Zaimoglu veröffentlichten Texten. Bewusst polarisierend werden - wie Almut Hille und Johann Georg Lughofer (2015) ausführen - vermeintliche kulturelle Differenzen betont und auf diese Weise nicht zuletzt soziale Hierarchien offengelegt. Der „Rand[…] der Gesellschaft“ (Zaimoglu 2010) wird zum karikierten Leitmotiv. Der dargebrachte Humor im Kontext schwieriger und anspruchsvoller Themen lässt den Text auch für den DaF-Unterricht geeignet erscheinen, in Bezug zu Zaimoglus Kanak Sprak oder als Einzeltext. Stereotypen können gesammelt, be‐ sprochen und kritisiert werden. Wie bei der Kunstfigur Masomis können Perspek‐ tivenwechsel und Rollenspiele erarbeitet werden. Allein durch die keineswegs ‚bildungsferne‘ Sprache wird die Kunstfigur, die sich mit unverblümt homo- und frauenfeindlichen Einstellungen positioniert, als solche markiert - vergleichbar mit der Ali G-Figur des Komikers Sacha Baron Cohen in verschiedenen britischen Fernsehshows (vgl. Hille/ Lughofer 2015: 99 f.). 182 13 Mehrsprachigkeit In den zitierten und kurz kommentierten Texten scheinen Subjektpositionen auf, wie sie die US-amerikanische Germanistin Claire Kramsch im Kontext des Fremdsprachen‐ unterrichts als „multilingual subjects“ bezeichnet, die über „symbolic competence“ im soziolinguistischen Sinn verfügen, als „Fähigkeit, in den alltäglichen Machtspielen erfolgreich zu sein“ (Kramsch 2018: 196). Denn wenn „man spricht und schreibt, verwendet man Sprache als Medium für symbolische Macht“ (ebd.: 200). Wenn Kramsch als Ziel des Fremdsprachenunterrichts die Ausbildung einer „symbolischen Kompetenz“ fordert, heißt das auch, die Lernenden zu sensibilisieren für „the full meaning making potential of language“ (Kramsch 2006: 251), für semiotische Prozesse bzw. Bedeutungsbildungsprozesse, damit sie „eine eigene Position finden in dem Zusammenspiel der vielfältigen Faktoren und symbolischen Werte“ (Kramsch 2018: 202) und selbstbestimmt an fremd- und mehrsprachigen Diskursen teilhaben können. Richard Kern, US-amerikanischer Romanist, spricht in diesem Zusammenhang von „agility“ (Kern 2015: 223), der Fähigkeit der Lernenden, wissend um die Wirkung der gewählten sprachlichen Mittel und Medien selbstbestimmt sprachlich handeln zu können. In deutschsprachigen Kontexten des Fremdsprachunterrichts ist hier von fremdsprachlicher Diskursfähigkeit die Rede (→ Kap. 10). 183 13 Mehrsprachigkeit 1 Der Ausdruck „negotiations“ stellt den zentralen Begriff im New Historicism dar. In der wichtigen Arbeit des US-amerikanischen Literaturwissenschaftlers Stephen Greenblatt, der als der Begründer des New Historicism gilt, findet er sich bereits im Titel: Shakespearean Negotiations. The Circulation of Social Energy in Renaissance England (1988). 14 Wissen Literarische Texte entstehen - so wird mit Blick auf deren mögliche Speicherfunktion (→ Kap. 1) ausgeführt - in gesellschaftlichen Zusammenhängen und beziehen sich in je spezifischen Bedingungsgefügen auf das kollektive Wissen ihrer Zeit sowie das individuelle Wissen und die Positionen von Autor*innen wie Leser*innen. Sie speichern Wissensbestände und Positionen, verdichten sie und spitzen sie zu. Dieses Wissen findet sich, folgt man etwa den Annahmen des New Historicism, in Texten - wenn auch nicht in Formen der Abbildung, sondern von „Diskursfäden“, die „innerhalb und außerhalb des Textes vielfältig verwoben“ (Baßler 1995: 16) und im Modus von „Tauschhandlungen“ (ebd.: 16), „Verhandlungen“ (Heitmann 1999: 10) bzw. „negotiations“ (Greenblatt 1988) 1 lesbar sind. In den Literaturwissenschaften werden über das Verhältnis von Literatur und Wissen seit vielen Jahren intensive Diskussionen geführt. Unter den Fragestellungen Wissen literarische Texte etwas - und wenn ja, was, wie wird es inszeniert und wie kann man es analysieren? thematisieren sie die vielfältigen Beziehungen zwischen Literatur und Wissen. Wie groß das Spektrum dessen ist, was man thematisch unter dem Wissen der Literatur verstehen kann, wird bereits bei einem Blick in das Inhaltsverzeichnis des gleichnamigen Bandes deutlich, den Jochen Hörisch 2007 veröffentlicht hat. Das Kapitel III nennt er „Was weiß schöne Literatur über“ und ergänzt durch die Überschriften der Unterkapitel u.a. folgende Wissensbereiche: „Epochen-Krankheiten“, „Gedächtnis und Vergessen“, „Willkomm und Abschied“, „Neuzeitliche Kommunikationsprobleme“, „Freundschaft und Liebe“, „Schlafen“, „DEN Menschen“, „Musik und Zeit“, „Die Erfahrung des Fremden und die fremde Erfahrung“, „Paradoxien der Neuzeit“ [Hervorh. i.O.]. In seinem Studienbuch Literatur und Wissen (2008) nennt Ralf Klausnitzer als Möglichkeiten, dem in Texten inszenierten Wissen auf die Spur zu kommen, die Analyse von ■ in der Literatur aufgehobenen Wissensbeständen und -ansprüchen, ■ Bezugnahmen von Autor*innen auf Entwicklungen in spezialisierten Wissenskul‐ turen und Spezialdiskursen (z. B. Fachsprachen), ■ Einflüssen wissenschaftlicher Innovationen auf die poetische Einbildungskraft und ihre Metaphern, ■ literarischen Inszenierungen etwa von naturwissenschaftlichem, rechts- oder wirtschaftswissenschaftlichem, medizinischem oder psychologischem Wissen, von weltanschaulichen Ideen und erkenntnistheoretischen Problemen wie auch von Alltags- und Weltwissen, ■ Exponierungen von Entdecker*innen und Erfinder*innen als literarische Figuren, ■ narrativen Mustern historischer Darstellungen oder ■ rhetorischen Verfahren philosophischer Texte (vgl. Klausnitzer 2008: V). Grundlegend modelliert Klausnitzer die „mehrfach dimensionierten Zusammenhänge zwischen Literatur bzw. literarischer Kommunikation und Wissen bzw. Wissenskultu‐ ren“ in vier Relationen. Diese sind: ■ die literarischen Kommunikationen als (Bestandteile von) Wissenskulturen, ■ die fiktionalen und faktualen Welten der Literatur als spezifische Erkenntnisforma‐ tionen, ■ die poetischen Schreibweisen und Textverfahren als Funktionselemente von Wissen und ■ die Literatur als Produkt von Wissensordnungen (vgl. ebd.: 162, Hervorh. i. O.). Als gemeinsame Basis von Literatur und Wissen ist die Sprache zu betrachten. So wie jeder (literarische) Text aus einzelnen Zeichen wie z. B. Buchstaben besteht (→ Kap. 1), ist auch das Wissen primär sprachlich verfasst. Definiert werden kann Wissen als eine „dynamische, sich diachron wie synchron verändernde Gesamtheit von begründeten Kenntnissen, die in bzw. mit kulturellen Systemen erworben, gespeichert und weitergege‐ ben werden“ (Klausnitzer 2008: VI, Hervorh. i.O.). Dabei erscheint und wirkt das Wissen vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, in und durch Sprache. Es erscheint, wie Joseph Vogl (1999) in seiner Darlegung von Poetologien des Wissens formuliert, „etwa in einem literarischen Text, in einem wissenschaftlichen Experiment, in einer Verordnung oder in einem alltäglichen Satz gleichermaßen“ (Vogl 1999: 11). Literarischer Text und Wissens‐ ordnung stehen also in keiner Relation wie etwa einem „Abbildverhältnis“ oder einem „Verhältnis zwischen Stoff und Form“ zueinander (vgl. ebd.: 14). Literatur und Wissen werden insofern auch „nicht als getrennte Gegenstandsbereiche mit mehr oder weniger intensiven Austauschbeziehungen, sondern als Formen der Repräsentation einer kultu‐ rellen Bedeutungsproduktion“ (Klausnitzer 2008: VIII, Hervorh. i.O.) wahrgenommen. Sie werden „über eine Kette anderer, nichtkanonischer kultureller ‚Texte‘, Tagebücher, Traktate, Register, Träume, Visionen usw. eingereiht […] in den umfassenderen Prozeß der Kodierung kultureller Bedeutungen“ (Bachmann-Medick 1996: 24). Wie sich in literarischen Texten die „kulturelle Bedeutungsproduktion“ bzw. „Kodie‐ rung kultureller Bedeutungen“ realisiert und wie literarische Texte mit anderen medialen Formen interagieren, wird zur wichtigen Dimension für die Arbeit mit literarischen Texten im Unterricht. Im Sinne etwa des New Historicism (→ Kap. 10) gilt es, zu untersuchen, wie literarische Texte an Wissensordnungen partizipieren und gleichzeitig an deren Produktion beteiligt sind. Der Fokus liegt auf dem Er-Lesen der „negotiations“ oder „Verhandlungen“, wie Stephen Greenblatt sie in seinem Band genannt hat. Dort geht es ihm darum, Wissen zu deuten im Sinne einer sensibilisierenden Rekonstruktion bspw. der medizinischen und juristischen Diskurse in Shakespeares Stück Twelfth Night (vgl. Greenblatt 1990: 66-93). 186 14 Wissen Im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache wurden Überlegungen zum Wissen der Literatur zunächst in den Diskussionen um Literatur und Landeskunde, i.e. um die in literarischen Texten enthaltenen und von Lernenden zu entnehmenden landeskundlichen Informationen (→ Kap. 7) formuliert. Es ging um Alltagsbzw. Weltwissen über das ‚fremde‘ Land, das in den Texten vorgeblich in einem Abbildungsverhältnis aufgehoben ist und von den Lernenden im Unterricht nun erkannt werden soll. Diese Vorstellung findet sich zwar weiterhin in Lehr- und Lernmaterialien wie auch Fernstudieneinheiten, ist jedoch zunehmend in die Kritik geraten und wird im Fach intensiv diskutiert. „Literarische Texte bilden Wirklichkeit nicht einfach ab“ stellen Bischof/ Kessling/ Krechel (2007: 16) fest und Karl Esselborn (2010: 79) warnt: „Landeskundliche Aspekte sind aber aus literarischen Tex‐ ten nur selten direkt wie objektive Sachinformationen zu entnehmen“. Um den Kurzschluss zwischen literarischen Texten und landeskundlichen Informationen generell zu vermeiden, fordern Ewert/ Riedner/ Schiedermair in dem von ihnen herausgegebenen Band Deutsch als Fremdsprache und Literaturwissenschaft. Zugriffe, Themenfelder, Perspektiven Konzepte, die grundsätzlich darüber hinausgehen, Literatur als „authentisches Material zur Vermittlung von landeskundlichen Inhalten“ (ebd. 2011b: 8) zu verstehen. In demselben Band entwickelt Almut Hille als eine Alternative zu einer solchen Vermittlungs‐ vorstellung ein Verfahren der „sprunghaften Lektüre“, ein „Navigieren in Texten bzw. Textgeflechten“ (Hille 2011: 168), das literarische Texte - die ein „Archiv von Bildern“ und darin ein „stark verdichtetes Wissen“ evozieren - als „vieldeutig und vieldeutbar“ versteht (Hille 2011: 169). Ebenfalls in diesem Band führt Simone Schiedermair aus, dass literarische Texte zwar an „gesellschaftliche Prozesse und Diskurse zurückgebunden“ seien, diese jedoch nicht abbilden, sondern „verhandeln“ (Schiedermair 2011b: 176) und entwickelt den Vorschlag, mit mehreren Texten zu arbeiten, um auch in methodischer Hinsicht Vorstellungen von objektiven Entsprechungen zu unterlaufen und die diskursiven Verflechtungen literarischer Texte in konkretes unterrichtliches Handeln umzusetzen (vgl. Schiedermair 2011b: 178). Angesichts der deutlichen Kritik an „Abbildungs“-Konzep‐ ten formulieren Michael Dobstadt und Renate Riedner im Hinblick auf das weiter zu erforschende Verhältnis von Literatur und Landeskunde bzw. Kultur drei Schwerpunkte: „Erstens geht es um die Frage einer landeskundlichen Lesbarkeit literarischer Texte; zweitens um das Verhältnis von Literatur und Wissen; drittens um die Frage der Vermittlung bzw. des Erwerbs spezifisch kulturbezogener Kompetenzen durch Literatur“ (Dobstadt/ Riedner 2014a: 159, Hervorh. i.O.). Gemeinsam mit Claus Altmayer haben sie in der Zeitschrift Deutsch als Fremdsprache mehrere Hefte mit dem Themenschwerpunkt Literatur in sprach- und kulturbezogenen Lehr- und Lernprozessen im Kontext von DaF/ DaZ herausgegeben (2014, Hefte 1-4 und 2015, Hefte 1-3). In ihrem Einführungsbeitrag dazu plädieren sie dafür, lite‐ rarische Texte „als Medien diskursiver Selbstverständigung und Bedeutungsaushandlung“ (Altmayer/ Dobstadt/ Riedner 2014: 8) zu lesen und fokussieren damit ein Konzept, das die Deutungs- und Diskursabhängigkeit jeder gesellschaftlichen Wirklichkeit hervorhebt und weniger diese Wirklichkeit selbst als vielmehr die Prozesse beziehungsweise Praktiken, die Medien/ Diskurse und insbesondere die kulturellen Ressourcen beziehungs‐ 187 14 Wissen weise Wissensordnungen zum Gegenstand hat, die die ‚landeskundliche Wirklichkeit‘ über‐ haupt erst konstituieren. (ebd., Hervorh. d. Verf.) Entsprechende Überlegungen wurden in jüngerer Zeit im Kontext der Forschungs‐ diskussionen um eine Partizipationsfähigkeit an fremdsprachigen Diskursen als über‐ greifender Zielsetzung des Fremdsprachenunterrichts um das Verhältnis von Kul‐ tur(-vermittlung) und Literatur sowie um die Bedeutung von Gegenwartsliteratur im Unterricht weiterentwickelt. Dabei ging es kaum um das Alltagsbzw. Weltwissen über das ‚fremde‘ Land, das in Texten aufgefunden und ihnen entnommen werden soll, son‐ dern grundsätzlich um die diskursive Verfasstheit von Texten und in ihnen gespeicherte Wissens-, (Be-)Deutungs- und Symbolvorräte. So wird auch einem Kulturbegriff Rechnung getragen, der für das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache inzwischen grundlegend ist: Er wird mit Andreas Reckwitz (2006: 64 ff.) als bedeutungs-, symbol- und wissensorientiert bezeichnet (→ Kap. 7). In den Verhandlungen der Wissens-, (Be-)Deutungs- und Symbolvorräte in Texten spielen die Lesenden eine wesentliche Rolle. Almut Hille (2011) verweist in dem oben bereits erwähnten Aufsatz zu „Sprung“ und „netzartigem Navigieren“ als Lektüreverfahren anhand von Uwe Kolbes kurzem Erzähltext Tabu auf die Viel‐ schichtigkeit des im Text gespeicherten Wissens, das nicht einfach zu er-lesen ist. Kolbes Text ist in der 2009 anlässlich des 20. Jahrestages des Falls der Berliner Mauer von Julia Franck herausgegebenen Anthologie Grenzübergänge. Autoren aus Ost und West erinnern sich erschienen. Er inszeniert mögliche Identitätsbildungen zwischen Wahrnehmung, Erinnerung, Amnesie, Irrtum und Projektion. Für Lektüren im Unterricht Deutsch als Fremdsprache wird eine Diskussion der im Text sehr deutlich ausgeformten zeitlichen Dimensionen des Erzählens sowie der autopoetischen Reflexionen und Lektürehinweise vorgeschlagen. Mit ihnen wird die Konstitution des Wissens des Textes explizit an die „Zeit der Lektüre“ (Eco 1994: 74 f.) geknüpft und damit eine Position vertreten, die auch Ulrike Bergermann und Elisabeth Strowick in ihrem Band Weiterlesen. Literatur und Wissen (2007) formulieren: „Das Wissen der Literatur konstituiert sich nirgendwo anders als im Akt des Lesens“ (ebd.: 14). Literarische Texte sollten im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache verstärkt als Orte der Verhandlungen von Wissen aufgefasst werden. Noch im Lehrwerk Mittelpunkt neu B2. Deutsch als Fremdsprache für Fortgeschrittene (2012) bspw. werden sie nicht als solche gesehen. Eine Lektion Wissen und Können regt zunächst eine Verständigung der Lernenden über den Begriff „Wissen“ an. Gesammelt werden sollen eigene Definitionen des Begriffs, die anschließend mit ausgewählten zitierten Lexikoneinträgen zu einem (individuellen und kollektiven) Wissen, das in verschiedenen Formen vorliegt und vom bloßen Meinen oder Glauben abzugrenzen wäre, zu vergleichen sind. Weiterhin werden Formen des Wissenserwerbs präsentiert: die detaillierte Beobachtung, die Lektüre von Lexika oder Fachbüchern, das wissenschaftliche Experiment und die Instruktion in Unterricht oder Vorlesung (vgl. Mittelpunkt neu B2 2012: 80 f.). Die Lektüren literari‐ scher Texte spielen in dieser Aufzählung keine Rolle, obwohl sie - wie gezeigt - für die 188 14 Wissen 2 Zu neueren Überlegungen zum Verhältnis von Engagement und Literatur vgl. Brokoff/ Geitner/ Stüs‐ sel (2016). Produktion, Kodierung, Wahrnehmung und Verhandlung von Wissen von Bedeutung sind. Sie ermöglichen andere Zugänge zu Wissensbeständen und -ansprüchen als etwa die genannten Formen der Repräsentation bzw. Erkenntnis von Wissen. Auch Einträge auf Internetplattformen, deren Recherche und Lektüren inzwischen sicher von vielen Lernenden als bevorzugte Form des ‚Wissenserwerbs‘ betrachtet werden, bieten nur vermeintlich standardisierte, ‚objektive‘ Wissensbestände. Sie werden der - weiterhin in verschiedenen medialen Formaten aufgehobenen - Diversität des Wissens kaum gerecht. Ihre Darstellungsbzw. Inszenierungsformen sollten in ihren möglichen Funktionalisierungen - auch in ihrer Fremd- oder Mehrsprachigkeit - bestenfalls von Nutzer*innen erkannt und um andere Wissensbestände ergänzt werden. Dabei sollten die Lektüren von Texten auch gattungsbzw. textartenspezifischen Überlegungen folgen. In literarischen Texten etwa wie Gedichten, Reportagen, Reisebe‐ richten, Essays, Autobiografien, Romanen oder Dramen werden Wissensbestände und -ansprüche auf verschiedene Weisen inszeniert und erzeugen unterschiedliche Rezeptions‐ haltungen. So erwarten Leser*innen von einer Autobiografie oder einem Essay, gerade im Hinblick auf das in ihnen enthaltene Wissen, etwas anderes als von einem Roman oder einem Gedicht. Insofern geht es in (analytischen) Textlektüren (→ Kap. 20) nicht nur um das, was der Text weiß, sondern vor allen Dingen darum, wie es inszeniert wird. Almut Hille (2016) verweist in ihrem Beitrag Westöstliche Konfusionen in einer vernetzten Welt. Reisereportagen von Ilija Trojanow und Matthias Politycki zur möglichen Rolle der Literatur im Kontext eines globalen Lernens (→ Kap. 15) im Unterricht Deutsch als Fremdsprache zum Beispiel auf Reportagen und Reiseberichte, die als Teile von Globalisierungsdiskursen gelesen werden können. Das Wissen um die Dimensio‐ nen und Auswirkungen gegenwärtiger beschleunigter Globalisierungsprozesse, des Tourismus und der Ungleichverteilung von Besitz wird in ihnen in (karikierter) dokumentarischer Form mit Mitteln der Ironie und sozialen Groteske, aber auch im Zeichen des Engagements inszeniert. 2 Ebenfalls anhand von Texten der sogenannten Reiseliteratur untersucht Simone Schie‐ dermair in ihrem Aufsatz Der Leser in der Reiseliteratur der Gegenwart. Literaturwissen‐ schaftlich-linguistische Lektüren zu R. Lettau, M. Politycki, K. Böldl (2010b), wie Texte von den genannten Autoren unterschiedlich mit dem (Vor-)Wissen der Lesenden rechnen, mit welchen sprachlichen Mitteln sie das Zusammenspiel zwischen ihrem eigenen Wissen und dem potenziellen Wissen ihrer Leser*innen organisieren. In weiteren Forschungsbeiträgen des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache - wie von Almut Hille Was gehört zum ‚Kanon‘? Natur(wissenschaften), Technik und Kultur in der Perspektive globalen Lernens im Fach Deutsch als Fremdsprache (2015), von verschiedenen Autor*innen in dem von Almut Hille/ Sabine Jambon/ Marita Meyer 2015 herausgegebenen Band Globalisierung - Natur - Zukunft erzählen sowie von Jens Grimstein/ Almut Hille Symbolische und diskursive Kompetenzen fördern. Lektüren von Essays zur Globalisierung im 189 14 Wissen Unterricht Deutsch als Fremdsprache (2018) - werden Lektüren von literarischen Texten, die den Zusammenhang von Wissen und Literatur berücksichtigen, in ersten Ausformungen vorgeschlagen. Modelliert werden wissensorientierte Lektüren von ■ einem Bilderbuch wie Am Südpol, denkt man, ist es heiß (1998) von Elke Heiden‐ reich mit Illustrationen von Quint Buchholz (vgl. Hille 2015); ■ einem Gedicht aus dem Zyklus Manufakturen von Raphael Urweider (vgl. Hille 2015); ■ Slam Poetry-Texten wie Dran glauben, Fünffacher Wortwert, Blumenblüten, Fühlo‐ thek, Nach dem Loop: Leben und Meine Paradiese von Bas Böttcher oder Generation Praktikum von Marc-Uwe Kling (vgl. Hille/ Lughofer 2015); ■ einem Essay wie Bullau. Versuch über die Natur von Andreas Maier und Christine Büchner (vgl. Scharnowski 2015); ■ einem (Wissenschafts-)Comic wie Die große Transformation. Klima - kriegen wir die Kurve? , herausgegeben von Alexandra Hamann/ Claudia Zea-Schmidt/ Reinhold Leinfelder (vgl. Jambon 2015); ■ kinder- und jugendliterarischen Future Fictions (vgl. Hollerweger 2015); ■ einem Bildungsroman wie Judith Schalanskys Der Hals der Giraffe (vgl. Schieder‐ mair 2015c) und ■ (globalisierungskritischen) Essays wie „Gone with the Wind“ und die Wiederein‐ führung der Sklaverei in Amerika von Hermann Broch, Gespensterarbeit, Krisenma‐ nagement und Weltmarktfiktion von Kathrin Röggla oder Unsere schönen neuen Kleider. Gegen die marktkonforme Demokratie - für demokratiekonforme Märkte von Ingo Schulze (vgl. Grimstein/ Hille 2018). Die Texte inszenieren etwa natur- und wirtschaftswissenschaftliches Wissen, expo‐ nieren Erfinder*innen und vermeintliche Entdecker*innen geografischer Räume als literarische Figuren, lassen die Bezugnahmen von Autor*innen auf spezialisierte Wissenskulturen erkennen wie auch die Einflüsse wissenschaftlicher Innovationen und Spezialdiskurse auf die Metaphorik. Ausgewählte Lektürevorschläge, die hier kurz präsentiert werden, können dies veranschaulichen: Textbeispiel Da ist zunächst das für Lernende aller Altersgruppen geeignete Bilderbuch Am Südpol, denkt man, ist es heiß von Elke Heidenreich und Quint Buchholz (1998), das ‚unsere westliche‘ Sicht der Welt und der Natur parodiert. Es erzählt von Pinguinen, denen das Opernschiff aus Wien ein wenig Kultur an den Südpol bringt, während sie dem Klimawandel trotzen, und Naturwissenschaftler*innen ihre Art und ihre Lebensgrundlagen zu beschreiben sowie ihre künftigen Le‐ bensmöglichkeiten zu prognostizieren suchen. In einfachen Paarreimen werden Zusammenhänge von Alltagswissen, Natur(-wissenschaften), Technik und Kultur lyrisch verdichtet. Hier Anfang und Ende des Textes: 190 14 Wissen Am Südpol, denkt man, ist es heiß. Ganz falsch gedacht! Nur Schnee und Eis! Am Südpol stehn mit ernster Miene… … zweihunderttausend (! ! ! ) Pinguine - Vielleicht auch noch ein bisschen mehr, vielleicht ein bisschen wenigér. Sooo viele sind’s! Wer zählt sie schon? Da gibt es Vater, Mutter, Sohn, gibt Tochter, Oma, Enkel, Tante, gibt Freunde und gibt Anverwandte. Sie wohnen dort und frieren nie In ihrem Frack aus Pelz. Aus Pelz? ja wie? (Die Wissenschaft weiß nicht zu sagen, ob Pelz sie oder Federn tragen. Erst hüllt ein Babyflaum sie ein - Kann Pelz, können auch Federn sein! Na gut, ich geb es endlich zu, dann hat die liebe Seele Ruh: Ja, es sind Federn! Dicht und kraus! Doch sehn sie nicht wie Pelzchen aus? ) Wo war ich? Ja. Sie frieren nie. Dort stehn sie und dort schnattern sie. Was sie so schnattern? Och, vielleicht, wie lange wohl das Eis noch reicht, ob’s wohl noch kälter wird, ob Walter den Winter schafft - bei seinem Alter! Und ob die Kinder auch nicht frieren, […] Nun ist es Nacht. Man schweigt und schaut, das Meer liegt still, der Morgen graut. Die Pinguine stehn im Schnee und ihre Herzen tun noch weh vor lauter Sehnsucht nach Musik. Das Opernschiff, es kommt zurück! Das wissen sie. Es kommt, und dann Hat man schon mal die Fräcke an. Doch bis es kommt, kann Zeit vergehn, viel Zeit, man muss hier stille stehn, muss Kinder füttern, Fische fangen, ein wenig um die Zukunft bangen, denn ob im Norden, Süden, Westen: 191 14 Wissen Mit der Natur steht’s nicht zum Besten. Das Eis, es schmilzt, die Welt wird wärmer, die Pinguine werden ärmer. Sie halten tapfer durch und schwören: „Wir wollen noch ‚Aida‘ hören! “ (Heidenreich/ Buchholz 1998: 7-16, 58 f.; Hervorh. i. O.) In die Arbeit mit dem Text wären auch die Illustrationen von Quint Buchholz ein‐ zubeziehen. Sie ermöglichen im Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache viele, über die Lektüre des gedruckten Textes hinausgehende Aufgabenstellungen und Reflexionen. Sie verweisen zum Beispiel auch auf Zukunftsszenarien, die in dem 1908 von Arthur Bremer herausgegebenen Buch Die Welt in 100 Jahren entworfen wurden. So zeigt eine Abbildung zu dem Text Das 1000jährige Reich der Maschinen von Hudson Maxim eine Gruppe von Forschern, die im ewigen Eis der Arktis oder Antarktis Theateraufführungen sehen, die in London gespielt werden - per Fernseher und Fernsprecher auf einem Schirm reproduziert. Zu den Pinguinen 1998 kommt die Oper live per Schiff. 2021 würden sie sie in einem Livestream genießen. Diachrone Wissensstände und -entwicklungen können so anhand der Texte und Illustrationen nebeneinander gestellt werden. Abb. 20: Heidenreich/ Buchholz, Am Südpol, denkt man, ist es heiß (1998: 25), mit freund‐ licher Genehmigung von Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG Abb. 21: Maxim (2008/ 1908: 21) 192 14 Wissen Textbeispiel Raphael Urweider ‚dichtet‘ in seinem lyrischen Zyklus Manufakturen (2000), für den er den renommierten Leonce-und-Lena-Preis erhielt, naturwissenschaft‐ liche Erkenntnisse, technische Entwicklungen und geografische Eroberungen. Dichten heißt hier: Er ver-dichtet sie poetisch, und subjektiviert ihre komple‐ xen, kulturellen Implikationen. In jeweils sechzehnzeiligen Episoden werden die Entdeckungen von Ferdinand Magellan, Christoph Kolumbus, Robert F. Scott und Roald Amundsen, Galileo Galilei, Johannes Gutenberg, Benjamin Franklin, Alexander Graham Bell, James Watt, Thomas A. Edison, Leonardo da Vinci, Nikolaus Kopernikus, Marie Curie und anderen als Alltagsereignisse erzählt. Westliches ‚Entdeckertum‘ wird parodiert - wie etwa in der Episode über Edward Percival Hillary, den ‚ersten‘ Bezwinger des Mount Everest: wie leichtbekleidet sich der gipfel gibt bei dieser wetterlage zwischen sturm und vacuum am ganz und gar runden horizont erscheint sir edward percival hillary von nun an kann er nur noch abwärts blicken sir tensing schaut zu ihm auf über achttausend metern findet kaum luft platz neben ihnen die sonne nur wenig näher zusammengedrängt auf dem gipfel stützt sir tensing sir hillary höher geht nichts mehr ohne flügel es zieht sie nach unten edward hillary fürchtet die luftleere sir tensing schaut in die runde die sonne kühl ab achttausend metern beinahe hüllenlos der gipfel den sir tensing verlässt sir hillary folgt willig es zieht ihn wieder abwärts unbeflügelt den blick in richtung des rundlichen horizonts (Urweider 2000: 107) Der Höhenflug des ‚westlichen‘ Menschen findet ein Ende. Auch die strenge poetische Ordnung von jeweils acht nicht gereimten Doppelzeilen vermag die Ordnung, die (post-)koloniale ‚Ordnung‘ der Welt, nicht zusammenzuhalten. Zeilensprünge, unregelmäßig gesetzte Gleichklänge und Binnenreime deuten ihr Aufbrechen an. In kaum expliziter Subversion parodiert der Erzähler der Episode die ‚westliche‘ Perspektive der Eroberung, der Erklärbarkeit und vermeintlichen Beherrschbarkeit der Welt (und das heißt auch der Natur). Die Parodie lädt dazu ein, andere Perspektiven zu ergänzen, verschiedene lyrische Stimmen zu imaginieren (zum Beispiel die der Helfer und Träger von Sir Hillary) und in 193 14 Wissen ihnen die verschiedenen Wahrnehmungen der Welt oder der Konsequenzen von ‚Entdeckungen‘ und deren Nutzung. Das ist sprachlich nicht einfach, die Texte von Raphael Urweider sind komplex. Aber schon eine Aufgabe zur Setzung der Interpunktion in dem Gedicht kann verschiedene Lesarten der Lernenden und damit verschiedene Wahrnehmungen und Deutungen bzw. Bedeutungszuschrei‐ bungen aufzeigen, die zueinander und zu anderen Texten in Beziehung zu setzen wären. Textbeispiel Judith Schalansky hat mit ihrem 2011 erschienenen Roman Der Hals der Giraffe. Bildungsroman Aufsehen erregt: Nach positiven Rezensionen im Feuilleton folgten eine Hörbuchfassung und verschiedene Theateradaptionen, Buchpreise, Übersetzungen und eine Reihe von wissenschaftlichen Artikeln. Der Roman reiht sich mit seiner äußeren Gestaltung in die Kategorie naturwis‐ senschaftlicher Fachbücher und Lehrbücher - auch Schulbücher - ein, u. a. mit biologischen Fachtermini in der Kopfzeile, Abbildungen von Tieren und anderen Visualisierungen zu den im Text besprochenen (Fach-)Inhalten. Im Mit‐ telpunkt stehen die sozialdarwinistischen Wahrnehmungen und Einschätzungen der Hauptfigur, einer älteren Lehrerin für Biologie und Sport am Charles-Dar‐ win-Gymnasium in einer Kleinstadt im Nordosten Deutschlands, das von der Schließung bedroht ist. Der Untertitel Bildungsroman ruft eine seit Erscheinen von Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre sehr produktive Gattung auf, an die seit den 2000er Jahren mehrere Texte der Gegenwartsliteratur in unterschiedlicher Weise anschließen. Schalanskys Text setzt sich auf verschiedenen Ebenen mit dem Thema Wissen und Wissensordnungen auseinander und kann damit als Kommentar zum Wissensdiskurs gelesen werden. Wie der Roman bspw. Kunst und Naturwissenschaft als Wissensordnungen diskutiert, verdichtet sich in der Begegnung der Biologielehrerin Lohmark mit der Kunstlehrerin Schwanneke, die gerade dabei ist, im Schulflur neben den Abbildungen von Ernst Haeckels Quallen Reproduktionen von Claude Monets Seerosen aufzuhängen (vgl. Schiedermair 2015c: 206). Lohmark kommentiert den Gegensatz zwischen den naturwissen‐ schaftlichen Zeichnungen und den impressionistischen Bildern: Es war nicht zu glauben. Dass sie tatsächlich wagte, ihre krautigen Wasserpflanzen nur drei Handbreit von den prachtvollen Medusen an die Wand zu nageln. […] Das plump ausufernde Querformat zeigte ein ungeheures Geflirre. Schimmelige Flecken auf fauligen Farben. Alles wurzelte im Schlamm, auf dem Grund eines Tümpels, eines brackigen Gewässers. Verwesende Süße und Modergeruch. Moderne hin oder her. Die Schönheit der Natur bedurfte keiner Verfremdung. Ihr war nur mit äußerster Präzision nahezukommen. Von welch bestechender Klarheit, von welch entschlossener Pracht waren dagegen Haeckels Quallen: Die untere Ansicht einer Taschenqualle mitsamt ihrem fliederfarbe‐ 194 14 Wissen nen, gekräuselten Strahlenkranz, das achteckige Mundrohr wie ein Blütenkelch. […] Ihr Anblick eine Wohltat an jedem Tag. Am Anfang war die Qualle. Alles andere kam später. Ihre Vollkommenheit blieb unerreicht, kein Zwei-Seiten-Tier konnte so schön sein. Nichts ging über die Radialsymmetrie. (Schalansky 2011: 31-35) Textbeispiel Die Ebene der Auseinandersetzung mit Formen von Wissen, Wissensproduktion und Wissensordnungen findet sich auch in dem Roman Die Vermessung der Welt (2018/ 2005) von Daniel Kehlmann, in dem zwei große Forscherpersönlichkeiten, der Mathematiker Karl Friedrich Gauß und der Naturforscher Alexander von Humboldt im Mittelpunkt stehen. Wollte man mit einem kleinen Textstück an den Diskurs um Bildung und den (Humboldtschen) Bildungsbegriff, der in den Bildungsromanen seit mehr als 200 Jahren verhandelt wird, sowie um die Kontro‐ verse naturwissenschaftliche versus geisteswissenschaftliche Bildung anknüpfen, bietet sich ein Textstück vom Anfang des Romans aus dem Kapitel Das Meer an, das die Erziehung der beiden Brüder Wilhelm von Humboldt und Alexander von Humboldt als Experiment vorstellt: Der eine solle zum Mann der Kultur ausgebildet werden, der andere zum Mann der Wissenschaft. Und welcher wozu? Knuth überlegte. Dann zuckte er die Schultern und schlug vor, eine Münze zu werfen. Fünfzehn hochbezahlte Experten hielten ihnen Vorlesungen auf Universitätsniveau. Für den jüngeren Bruder Chemie, Physik, Mathematik, für den älteren Sprachen und Literatur, für beide Griechisch, Latein und Philosophie. Zwölf Stunden am Tag, jeden Tag der Woche, ohne Pause oder Ferien. (Kehlmann 2018: 20) Am Beispiel der beiden Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt werden geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Bildung nebeneinanderge‐ stellt, entschieden durch den Zufall, das Werfen einer Münze. Im Verlauf des Romans folgen weitere Ausdifferenzierungen von Wissensformationen: So steht der Mediziner Aimé Bonpland, der Pflanzen bestimmt, neben Alexander von Humboldt, der geografische und geologische Messungen durchführt; der rech‐ nende Mathematiker Carl Friedrich Gauß neben dem sammelnden Naturforscher Alexander von Humboldt, und mit der Figur von Gauß werden die Erkenntnis‐ möglichkeiten mathematischer Berechnungen, die Logiken von Liebe sowie die Plausibilitäten von Politik verhandelt. Nachvollziehbar wird anhand der Beispiele, dass literarische Texte etwas wissen - auch über die möglichen Modi des Wissens - und es auf verschiedene Weise inszenieren. Jochen Hörisch und Thomas Klinkert notieren in ihren Vorbemerkungen zu der von ihnen herausgegebenen Schriftenreihe Das Wissen der Literatur, dass Literaturwissen‐ 195 14 Wissen schaft „die Analyse poetischer Rede mit der Analyse der in literarischen Texten kodierten Wissens-Inhalte“ verbinden muss (Hörisch/ Klinkert 2006: 13). Entsprechend müssen wissensorientierte Lektüren von Texten (im Unterricht) auf das Er-Lesen dessen, was der Text weiß und wie es inszeniert wird, zielen. 196 14 Wissen 15 Postkolonialität Fragen von Postkolonialität, auch Postkolonialismus und (De-)Kolonisierung werden in der sogenannten postkolonialen Kritik bzw. den seit den 1970er Jahren entstan‐ denen postkolonialen Studien diskutiert. Diese beschreiben in der Fokussierung der Geschichte(n) des europäischen Kolonialismus und seiner anhaltenden, zum Teil neokolonialen Auswirkungen unter anderem die Bedeutung diskursiver Praktiken bei der Herausbildung bzw. dem Erhalt von Machtasymmetrien (vgl. Göttsche/ Dunker/ Dürbeck 2017: VIIf.). Die Grundlagen der in der Gegenwart besonders in ihrer anglophonen Ausprägung stark rezipierten postkolonialen Studien wurden von Theo‐ retiker*innen wie Edward W. Said, Gayatri Chakravorty Spivak und Homi K. Bhabha gelegt; sie werden mitunter auch als „holy trinity“ der postkolonialen Studien bezeichnet (vgl. Struve 2017: 16). Deren Ursprünge reichen allerdings weiter. Sie umfassen die in den 1930er Jahren in Paris von Schwarzen Intellektuellen wie Léopold Sédar Senghor, Léon Damas und Aimé Césaire begründete Négritude-Bewegung, die sich gegen den Kolonialismus wandte und das Selbstbewusstsein einer Schwarzen Kultur ausdrückte (vgl. Schüller 2017: 3). Auch Texte der späteren französischsprachigen antikolonialen Bewegung wie Frantz Fanons Peau noire, masques blancs (1952; dt. 1980) und Albert Memmis Portrait du colonisé und Portrait du colonisateur (beide 1957, dt. 1980) sind in diesem Zusammenhang zu lesen. In den 1940er Jahren entwarf der kubanische Soziologe Fernando Ortiz erste Modellierungen von Transkulturation bzw. Transkulturalität in Schriften zur afro-kubanischen Kultur, „deren selektive und kreative Verwendung von Elementen aus der dominanten Kultur der Kolonisatoren“ er thematisierte (vgl. Antor 2017: 31). Als Schlüsseltext der postkolonialen Studien gilt Edward W. Saids Studie Ori‐ entalism / Orientalismus (1981/ engl. 1978). Said entfaltet unter dem Begriff des Orientalismus die These, dass ‚westliche‘ (literarische) Inszenierungen des islamischen Orients einen Diskurs etablierten, der „als ein Zeichen europäisch-atlantischer Macht über den Orient verstanden werden sollte und nicht als ein wahrheitsgemäßer Diskurs über den Orient“ (Said 1981: 13). Er schreibt: Ich begann mit der Annahme, daß der Orient keine unveränderliche Tatsache der Natur ist. Er ist nicht einfach da, genauso wie der Okzident nicht einfach da ist […]: als sowohl geografische wie kulturelle Einheiten - um nicht die historischen Einheiten zu erwähnen - sind solche Orte, Regionen, geografische Sektoren wie ‚Orient‘ und ‚Okzident‘ vom Menschen geschaffen. Deshalb ist der Orient ebenso wie der Westen selbst eine Idee, die eine Geschichte besitzt und eine Tradition als Denkweise, Bildwelt sowie Vokabular und für die es eine Realität und Präsenz im und für den Westen gegeben hat. Die beiden geografischen Einheiten unterstützen somit einander und reflektieren sich bis zu einem gewissen Grad. (Said 1981: 12, Hervorh. i. O.) Saids Werk ist vielfach aufgenommen, weitergedacht und kritisiert worden. So weist etwa Andrea Polaschegg in ihrer Studie Der andere Orientalismus. Regeln deutsch-mor‐ genländischer Imagination im 19. Jahrhundert (2005) auf eine Tendenz bei Said hin, Ergebnisse aus französischen und britischen Quellen zum „westliche[n] Idealfall“ (ebd. 32) zu pauschalisieren. Gayatri Chakravorty Spivak entwickelt in ihrem mit der Frage Can the Subaltern Speak? (2008/ engl. 1985) betitelten Text eine feministische Wissenschaftskritik. Diese bewegt sich „von einer Kritik an gegenwärtigen westlichen Bemühungen, das Subjekt zu problematisieren, hin zur Frage […], wie das Subjekt der Dritten Welt innerhalb des westlichen Diskurses repräsentiert wird“ und greift dabei auf das Argument zurück, „dass die westliche intellektuelle Produktion in verschiedenen Hinsichten mit interna‐ tionalen wirtschaftlichen Interessen des Westens komplizenhaft verbunden ist“ (Spivak 2008: 19 f.). Als Subalterne betrachtet Spivak besonders mehrfach benachteiligte bzw. diskriminierte Frauen in der ‚Dritten Welt‘ bzw. Low-Income-Countries, exemplarisch in Indien. Sie bietet eine „alternative Analyse der Beziehungen zwischen den Diskursen des Westens und der Möglichkeit, über (oder für) die subalterne Frau zu sprechen“ (ebd.: 20). Das verbreitete Sprechen über die ‚subalternen Subjekte‘ als die ‚Anderen‘ kennzeichnet Spivak, auch in weiteren Texten, als Othering. Sie deckt auf, „wie in Texten das ‚Andere‘ konstruiert wird, wie die Konstruktion von Geschlecht, Kultur, Ethnizität, Klasse und Nation funktioniert und der koloniale (ethnografische) Text unentwegt erzeugt, was er vorgeblich beschreibt“ (Babka 2017a: 23). Hier klingt bereits an, was auch in dem Begriff der Intersektionalität gefasst wird: die Verwobenheit und wechselseitige Beeinflussung mehrfacher und vielfältiger Strukturen von Differenz und Ungleichheit, von Marginalisierung, Privilegierung und Macht (vgl. auch Babka 2017b: 109). Homi K. Bhabha wird vornehmlich über sein Werk The Location of Culture / Die Verortung der Kultur (2000/ engl. 1994) rezipiert. In ihm entwirft er das Ende des 20. Jahrhunderts als fin de siècle, als einen „Moment des Übergangs, wo Raum und Zeit sich kreuzen und komplexe Konfigurationen von Differenz und Identität, von Vergangenheit und Gegenwart, Innen und Außen, Einbeziehung und Ausgrenzung erzeugen“, als ein „Darüber Hinaus“, ein „beyond“ (Bhabha 2000: 1, Hervorh. i. O.). Dies gehe einher mit einem „Gefühl von Desorientierung“ (ebd.: 2), das zu einem Kulturverständnis führe, bei dem der Performativität (→ Kap. 12) eine wichtige Rolle zuzuweisen sei: Die Bedingungen kultureller Bindung, gleichgültig, ob diese nun antagonistisch oder inte‐ grativ sind, ergeben sich performativ. Die Repräsentation von Differenz darf nicht vorschnell als Widerspiegelung vor-gegebener ethnischer oder kultureller Merkmale gelesen werden, die in der Tradition festgeschrieben sind. Die gesellschaftliche Artikulation von Differenz ist aus der Minderheitenperspektive ein komplexes, fortlaufendes Verhandeln, welches versucht, kulturelle Hybriditäten zu autorisieren, die in Augenblicken historischen Wandels aufkommen. (ebd.: 3, Hervorh. i. O.) 198 15 Postkolonialität Bhabha betrachtet Differenz „nicht als statische Trennlinie, sondern als Bezugsraum“ und versucht, diesen „für die Überwindung der Dichotomien zugunsten neuer, anderer Formen von Agency in kulturellen Aushandlungsprozessen fruchtbar zu machen“ (Struve 2017: 17). Er will, anders als in dem oft kulturpolitisch gefassten Begriff der Diversity, „keinen konsensuellen Mischzustand beschreiben“, sondern nach „immanen‐ ten Störmomenten suchen“, in denen „andere Identitäten, Handlungsspielräume und Machtverteilungen“ möglich und „Bedeutungen […] transformiert“ werden (ebd.). Der „Übergang zwischen festen Identifikationen eröffnet die Möglichkeit einer kulturellen Hybridität, in der es einen Platz für Differenz ohne eine übernommene oder verordnete Hierarchie gibt“ (Bhabha 2000: 5). Hybridität bedeutet für Bhabha eine „prozessuale und kreative Neukonstruktion von Identitäten“, welche sich nicht aus bspw. zwei Originalen speist, die synthetisiert werden, sondern als „neue Formen mit inhärenten Differenzen, Ambivalenzen und Widersprüchen“ zu denken wäre: Aufgehoben sind diese Überlegungen auch in der Metapher des dritten Raumes (third space), der einen Raum repräsentiert, in dem kulturelle Aushandlungsprozesse stattfinden (vgl. Struve 2017: 17 f.). Zentrale Konzepte postkolonialer Studien wie Diskursmacht, Transkulturation bzw. Transkulturalität, Othering, Differenz, Diversität und Hybridität erfahren in der Gegenwart angesichts einer beschleunigten kapitalistischen Globalisierung, weltwei‐ ter Migration als einer ihrer Erscheinungen, (globaler) Ungerechtigkeit und Rassis‐ mus vielfältige auch theoretische Weiterentwicklungen (vgl. auch Antor 2017: 27). Aufgenommen und ihrerseits von postkolonialen Theorien befruchtet werden etwa Konzeptualisierungen von Globalisierung, Kosmopolitismus, Feminismus und Gender (→ Kap. 16), Ökologie und Religion. In den in jüngerer Zeit begründeten Critical Whiteness Studies verschränken sich insbesondere Elemente der Gender Studies und der Rassismusforschung. Die Kategorie des Weißseins als Norm und Grundlage einer „selbstbezogenen Weltbetrachtung“ (Babka 2017b: 111) wird in ihnen kritisch reflektiert. Herausgestellt wird: Die Kategorie ist nicht ‚neutral‘, sie marginalisiert und diskriminiert ‚Andere‘ in langlebigen Mustern, die unter der Aufforderung check your privilege auch ‚eigenen‘ Re-Lektüren zu unterziehen sind. In der deutschsprachigen Diskussion postkolonialer Kritik, auch in der Fremdspra‐ chendidaktik, wurde zunächst das Konzept der Transkulturalität einflussreich. Wolfgang Welsch entwickelt in seinem gleichnamigen Beitrag (1995) eine Betrachtung heutiger Kulturen, die „nicht mehr den alten Vorstellungen geschlossener und ein‐ heitlicher Nationalkulturen“ entsprechen, sondern „intern durch eine Pluralisierung möglicher Identitäten gekennzeichnet [sind] und extern grenzüberschreitende Kon‐ turen auf[weisen]“ (ebd.: o.S.). Kulturen seien hochgradig miteinander verflochten und würden einander durchdringen - unter dieser Annahme sei das Konzept der Transkulturalität abzugrenzen von Konzepten der Interkulturalität und auch der Multikulturalität, die Kulturen traditionell als Inseln oder Kugeln verstehen würden, die (konflikthaft) miteinander in Berührung kämen, auch innerhalb einer Gesellschaft 199 15 Postkolonialität 1 Welschs Konzept fand nach einer Übersetzung des Beitrags ins Englische 1999 auch in den anglophonen postkolonialen Studien Beachtung (vgl. Antor 2017: 31). (vgl. Welsch 1995). 1 Diese Betrachtung von Interkulturalität und auch der von Welsch zugrunde gelegte Kulturbegriff sind vielfach kritisiert worden (vgl. etwa Uerlings 2017: 105). Im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache wird das Konzept der Transkul‐ turalität häufig in Erweiterung oder Ergänzung des Konzepts der Interkulturalität aufgenommen, aktuell auch in der Konzeption von Lehrwerken, die an den neuen Richtlinien zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (2020) und besonders an deren Plurikulturalität und Plurilingualität orientiert sind. So wirbt zum Beispiel der Hueber Verlag für seine neuen Lehrwerke Gemeinsam, Momente und Vielfalt wie folgt: Shirin Hansen heißt eine Protagonistin der neuen Lehrwerke von Hueber. Schon ihr Name macht deutlich: Shirin ist in zwei Kulturen zu Hause. Die junge Hamburgerin hat deutsche und iranische Wurzeln, spricht zudem mehrere Sprachen und studiert im Ausland. Shirin Hansen ist das, was man eine Weltbürgerin nennen könnte. Sie fühlt sich nicht nur einer Kultur oder Nationalität zugehörig, sondern hat Einblicke in unterschiedliche Kulturen und bewegt sich selbstverständlich in allen. Shirin ist damit ein zeitgemäßes Beispiel für das Konzept der Transkulturalität nach Wolfgang Welsch: ‚Die heutigen Kulturen entsprechen nicht mehr den Vorstellungen geschlossener und einheitlicher Nationalkulturen. Sie sind durch eine Vielfalt möglicher Identitäten gekenn‐ zeichnet und haben grenzüberschreitende Konturen.‘ Zudem bereichern Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus und Kulturkreisen die neuen Lehrwerke mit ihrer Geschichte: Wenwei aus China, Rita aus Rumänien oder Godwin aus Nigeria. Die Idee ist, noch mehr als bisher über das rein Sprachliche hinaus kulturelle Verständigung zu fördern. Diese plurikulturelle Herangehensweise betont die Besonderhei‐ ten und die Koexistenz unterschiedlicher Kulturen - die deutsche eingeschlossen als eine von vielen. […] Die neuen Lehrwerke Gemeinsam, Momente und Vielfalt haben aber nicht nur einen plurikul‐ turellen Ansatz, sondern sind zudem plurilingual ausgerichtet. Deutsch ist schließlich nicht gleich Deutsch. Auch die deutsche Sprache verfügt über zahlreiche Varietäten. In den neuen Lehrwerken kommen daher nicht nur Sprecher/ -innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu Wort, sondern auch solche mit einem Dialekt oder Akzent. Denn Sprache ist ein dynamisches System und Lernende, die Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache erwerben, bringen ihre eigene Note, ihre besondere Art zu kommunizieren, in die deutsche Sprache mit. (blog.hueber.de, Hervorh. i. O. [01.07.2021]) Mit den angesprochenen Begriffen der Weltbürgerin, der Transkulturalität und Vielfalt, aber auch der (sozialen) Milieus soll den in einem allgemeinen Verständnis noch immer wirkmächtigen Vorstellungen geschlossener und einheitlicher „Nationalkulturen“ eine Absage erteilt werden, gleichzeitig werden sie auch reproduziert, wenn von „unter‐ schiedlichen Kulturen“ und „Kulturkreisen“ die Rede ist. 200 15 Postkolonialität Im Zusammenhang der Literaturvermittlung in Deutsch als Fremd- und Zweitspra‐ che wird wiederholt darauf verwiesen, dass diese transkulturell orientiert, d. h. an transkulturellen bzw. transkulturell lesbaren Texten ausgerichtet sein sollte, wenn der Begriff der Transkulturalität auch nicht immer mit der gleichen Bestimmung verwendet wird. So verweist Renate Riedner in ihrem Beitrag Literatur, Kultur, Leser und Fremde im Handbuch Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (2010a: 1550) darauf, dass die „transkulturelle[…] Lesbarkeit und Wirkungsmacht literarischer Texte“ in der Fachdiskussion wie im Unterricht stärkere Aufnahme finden sollte. Karl Esselborn fügt in seinen Band Interkulturelle Literaturvermittlung (2010) ein Kapitel Internationalisie‐ rung, Interkulturalität und Transkulturalität der Literaturwissenschaft ein, in dem Lite‐ raturwissenschaft und -vermittlung u. a. in Rückbezug zu Welschs Konzept der Trans‐ kulturalität betrachtet werden. In einem Beitrag Neue Beispiele transkultureller Literatur in Deutschland (2015) fasst Esselborn „Literatur mit Migrationsthemen“ (ebd.: 116, Hervorh. i. O.) als transkulturelle Literatur und verweist unter Kategorisierungen wie Migrationserfahrungen, Alltagsthemen, Herkunftsorientierung und Mehrsprachigkeit auf Texte, die für den Unterricht geeignet wären: etwa die Erzählung Mutterzunge (1990) und der Roman Die Brücke vom Goldenen Horn (1998) von Emine Sevgi Özdamar; die Romane Die Welt ist groß und Rettung lauert überall (1996) von Ilija Trojanow, Die Sehnsucht der Schwalbe (2000) von Rafik Schami, Selam Berlin (2003) von Yadé Kara und Die Ungehaltenen (2014) von Deniz Utlu oder den Jugendroman Scherbenpark (2008) von Alina Bronski. Michael Ewert verweist auf das Potenzial, das Mehr- und Transkulturelle Literatur in deutscher Sprache (2017) in das Fach einbringen kann, indem sie als Weltliteratur verstanden „Spannungsverhältnisse zwischen Globalität, Lokalität und heterogenen Kontexten“ thematisiert (ebd.: 53, Hervorh. i. O.) und so ein „Bewusstsein für kulturelle Vielfalt und die Chancen eines humanen Zusammenlebens schaffen“ kann (ebd.: 54, Hervorh. i. O.). Heidi Rösch weist in ihrer dem Fokus Deutsch als Zweitsprache verpflichteten Einführung Deutschunterricht in der Migrationsgesellschaft (2017) darauf hin, dass „Literatur inter- oder transkulturell sein [kann], da sie kulturelle Muster enthält und vermittelt, manchmal kritisch reflektiert oder überwindet“ (ebd.: 21). Sie könne ethnisch mehrfach adressiert sein, indem sie etwa Figurenbeziehungen zwischen sozial, kulturell oder religiös ungleich Markierten entwirft und damit nicht nur unterschied‐ liche Sichtweisen widerspiegele, sondern auch verschiedene Gruppen von Leser*innen anspreche. Als Beispiel einer auf diese Weise mehrfach adressierten Literatur wird der Roman Nachts ist es leise in Teheran (2016) von Shida Bazyar genannt (vgl. Rösch 2017: 22). Empfohlen wird für die Arbeit mit Literatur im Unterricht ein Rückbezug auf das von Werner Wintersteiner etablierte Konzept einer transkulturellen literarischen Bildung, das eine Poetik der Verschiedenheit (2006) in die literaturdidaktische Praxis übersetzt. Der Begriff bezieht sich auf Édouard Glissants ästhetisches und politisches Programm einer Poétique du Divers (1995). Als pädagogisches Programm gefasst, beinhaltet es zwei Komponenten: 201 15 Postkolonialität ■ einen an Homi K. Bhabha geschulten kritischen Begriff von Diversität, Vielfalt bzw. Verschiedenheit und die Idee weltweiter Verständigung, Solidarität und universeller Menschenrechte; ■ eine „Wertschätzung der Ästhetik in ihrem grundlegenden Sinn als Schulung der Wahrnehmung gegenüber allen künstlerischen Äußerungen“ (vgl. Wintersteiner 2006a: 20 f.). Die Komponenten verschmelzen „durch die Überzeugung, dass diese Wahrnehmung der Verschiedenheit, ebenso wie deren Wertschätzung, gelehrt und gelernt werden kann“ (Wintersteiner 2006a: 21). Exemplarisch führt Wintersteiner dies anhand litera‐ rischer Texte aus und entwickelt sein Konzept transkultureller literarischer Bildung: ■ Deren Zielsetzung ist die Entfaltung ästhetischen Potenzials in der Erziehung für eine solidarische Weltgemeinschaft als Teil eines globalen Lernens. Angestrebt wird kein universaler Standpunkt, sondern eine Bewusstheit der Subjektivität der eigenen Position. ■ Ihr Gegenstand ist Literatur in ihren vielfältigen Verflechtungen. Im Mittelpunkt des Unterrichts stehen nicht nur einzelne literarische Texte, sondern Diskurse, die immer wieder an einzelnen Texten festgemacht werden. Von Interesse sind dabei nicht nur kanonische Texte, die neu gelesen und in neue Zusammenhänge gestellt werden, sondern auch bislang nicht kanonisierte Texte mit transkulturellen Dimensionen wie zum Beispiel der Mehrsprachigkeit. Deutschsprachige Literatur wird so - auch in historischer Dimension - im Kontext von kulturellen Ver‐ flechtungen und (eurozentrischen) Machtasymmetrien sowie von globalen, auch politischen und ökonomischen Entwicklungen wahrgenommen. Im Mittelpunkt stehen die literarischen Texte im weiten Sinne mit ihren spezifischen Qualitäten. ■ Eine Aufgabe transkultureller Literaturdidaktik wird darin gesehen, „ethnozis‐ tisches“ Denken zu reflektieren und ggf. zu überwinden sowie das (national) ‚Eigene‘ zu dekonstruieren. ■ Die Wahl der Methoden ist daran orientiert, die transkulturellen und fremden Dimensionen der Literatur selbst herauszuarbeiten und zur Geltung zu bringen. Während der Lektüren soll ein Befremden in einen Prozess des Vertrautmachens, auch in Bezug zu den eigenen Lebenserfahrungen der Lesenden, münden. (vgl. Wintersteiner 2006b: 183 ff.) Im Anschluss an das Konzept von Wintersteiner nennt Heidi Rösch (2017: 104) für den Unterricht folgende Leitfragen, die an Texte gestellt werden können: ■ Wer spricht über bzw. für wen, mit wem und in welcher Sprache? ■ Welche (Denk-)Räume öffnen sich und wie werden sie gestaltet? ■ (Wie) Wird Ethnizität praktiziert? ■ (Wie) Wird Multiperspektivität inszeniert und ein Perspektivenwechsel angeregt? Das oben angesprochene Konzept eines globalen Lernens wird in der Fremdspra‐ chendidaktik, zunächst in der Fachdidaktik Englisch, vorrangig als eine Weitung von 202 15 Postkolonialität 2 Ein Band wie Globalisierung - Natur - Zukunft erzählen, hrsg. 2015 von Almut Hille/ Sabine Jambon/ Marita Meyer, bietet mit Blick auf Lehre und Unterricht weitere Lektüren von Texten - etwa von Christa Wolf, Alexander von Humboldt, Libuše Moníková, Kathrin Röggla, Alexander Kluge, Monika Maron, Karen Duve und Jonas Lüscher. Auch Cynthia Freudenthal bezieht sich in ihrer Studie Ökologische Diskurse im Fremdsprachenunterricht (2021) unter den Zielsetzungen eines globalen Lernens auf literarisch-ästhetische Texte wie Josef Haslingers Bericht Phi Phi Island (2008) und den Dokumentarfilm Watermark (2013, Regie: Jennifer Baichwal, Edward Burtynsky). Zielsetzungen und Gegenständen aufgenommen. So diskutiert Laurenz Volkmann (2007a) unter der Prämisse des Englischen als lingua franca im global village nicht zu übersehende Konsequenzen für den Englischunterricht: etwa in Fragen einer Standardsprache, einer Literatur als Weltliteratur unter besonderer Berücksichtigung der sogenannten New English Literatures oder einer Landeskunde als transnationaler Weltkunde, die mit dem Ziel einer world literacy zu vermitteln wäre (vgl. ebd.: 134). Lehr- und Lernmaterialien wie die von Engelbert Thaler edierte Reihe Challenges. Global Learning in a Globalised World tragen diesen Überlegungen unter Themen wie Global Warming, Science (Fiction), Religion, Gender Matters und Advertising and Marketing Rechnung. Aktuell werden sie in einem von Britta Freitag-Hild herausgege‐ benen Themenheft Globales Lernen: Seeking refuge der Zeitschrift Der fremdsprachliche Unterricht Englisch (2019) aufgegriffen: In ihm sind Arbeitsvorschläge zum globalen Lernen zum Thema Flucht, Vertreibung und Migration dargestellt, die sich auch auf literarisch-ästhetische Texte wie Bilderbücher, Kurzgeschichten, Autobiografien und Filme beziehen. Für das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache weist Almut Hille in verschie‐ denen Publikationen auf das Potenzial globalen Lernens hin und die Notwendigkeit, auch ‚deutsche‘ Literatur und Kultur, Gegenwart und Geschichte in ihren globalen Verflechtungen wahrzunehmen. Sie orientiert sich an einer global citizenship als Lehr- und Lernziel (vgl. etwa Hille 2012: 180) und schlägt verschiedene Lektüren einer global und ökologisch orientierten Literatur vor. Bezug genommen wird auf Texte wie Ilija Trojanows Reportagen in dem Band Der entfesselte Globus (2008), Matthias Polityckis Reisebericht In 180 Tagen um die Welt. Das Logbuch des Herrn Johann Gottlieb Fichtl (2008), das Jugendbuch Unter dem Gully liegt das Meer (2007) von Andrea Paluch und Robert Habeck oder Johann Wolfgang von Goethes Zauberlehrling (1797). 2 Dezidiert aufgenommen werden postkoloniale Konzepte in der Migrationspädago‐ gik, die ihrerseits zunehmend in das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ausstrahlt. Sie kritisiert eine Perspektive der Interkulturalität als eingeschränkte Per‐ spektive, die lediglich kulturelle Zusammentreffen in den Blick nimmt. Dagegen wäre ein postkoloniales Vorgehen stets auf die Analyse von Machteffekten gerichtet sowie auf die De-Universalisierung des Wissens und die Hinterfragung eigener Privilegien (Castro Varela 2016: 161). Vorrangiges Anliegen der Migrationspädagogik ist eine „Kritik an migrationsgesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen“ (Mecheril 2016: 19). Sie versteht sich als „selbstreflexive Such-Bewegung in einem […] von zunehmenden Distinktionspraktiken geprägten akademischen, bildungspolitischen und -praktischen 203 15 Postkolonialität Feld“ (Mecheril 2016: 8). Es geht „mit dem migrationspädagogischen Ansatz um das Erkennen der Macht institutioneller und diskursiver Ordnungen und darüber hinaus darum, die Frage zu erkunden, wie würdevolle Handlungsfähigkeit unter den Bedingungen des Gegebenen möglich ist“; der Blick richtet sich auf „Zugehörigkeits‐ ordnungen in der Migrationsgesellschaft, auf die Macht der Unterscheidung, die von ihnen ausgeht sowie die damit ermöglichten und verhinderten Bildungsprozesse und zwar aller, wie auch immer ihre migrationsgesellschaftliche Position und Status sein mögen“ (ebd.: 19, Hervorh. i. O.). Im Handbuch Migrationspädagogik (2016) als aktuellem Standardwerk wird - im Anklang an Gayatri Chakravorty Spivaks Studie An Aesthetic Education in the Era of Globalization (2012) - auf die zentrale Bedeutung einer ästhetischen Bildung im Rahmen des Konzepts verwiesen. Spivak wird als die Vertreterin postkolonialer Kritik benannt, die sich am intensivsten mit Fragen von Bildung auseinandersetzt und diese eng mit Fragen der Ästhetik verbindet (vgl. Castro Varela 2016: 159). Die Rolle einer ästhetischen Bildung im Kontext einer Migrationspädagogik wird jedoch nicht weiter ausgeführt; in dem Handbuch ist lediglich ein Artikel von Agnieszka Czejkowska zur Kunstpädagogik zu finden. Die Lektüren ästhetischer Texte spielen an dieser Stelle keine Rolle. Unterrichtsidee Hannes Schweiger (2015) präsentiert in einem der Hochschuldidaktik im Fach Deutsch als Fremdsprache verpflichteten Band eine migrationspädagogisch bzw. postkolonial inspirierte Lektüre eines literarischen Textes. Unter dem Aspekt der Erinnerungsarbeit, die ebenfalls ein Handlungsfeld der Migrationspädagogik ist, liest er den Text PRETTY CITY@WIR von Alma Hadzibeganovic (2000). In ihm werden der Wiener Südbahnhof und das nicht weit entfernt liegende Schloss Belvedere als zentrale Erinnerungsorte Österreichs inszeniert, die von der Ich-Erzählerin gemieden werden. Sie fragt sich selbst nach den Gründen, die sie in Bezügen zu ihrer eigenen (Migrations-)Geschichte und zur (Kolonial-)Ge‐ schichte Österreichs vermutet. Besonders das Schloss Belvedere, Anfang des 18. Jahrhunderts als Sommerresidenz für Prinz Eugen von Savoyen errichtet, wird von ihr als nicht zu übersehender, aber dennoch zu umgehender Ort in der Stadt konturiert: ‚Dem Schloß B., einem der bedeutendsten Schlösser Wiens neben Schönbrunn, keinen Besuch abzustatten - ist das denn möglich? ‘ […] ‚Und warum? Woher dieser Haß? Gerade gegen dieses Schloß, gegen diese Palastanlage? Wieso diese Ablehnung? ‘ (Hadzibeganovic 2000: 60) Die Antwort liegt in der nationalen Verehrung des Prinzen als Helden der österreichischen Geschichte - er war aber auch jener Feldherr, der im Zuge des Zurückdrängens der Osmanischen Truppen im Jahr 1697 die Stadt Sarajevo 204 15 Postkolonialität weitgehend zerstören ließ (vgl. Schweiger 2015: 154). Insofern betrachtet die Ich-Erzählerin diesen Ort auf andere Weise: Als ob sich meine ganze Beleidigung dort in Stein angehäuft hätte, antworte ich. Prinz Eugen und die Türken, der Rückzug bis zu unseren Städten - und dann stop! Aber der tapfere Geburtsadel, fremd bei uns, hat es geschafft: Einiges an sich gerissen, anderes in Schutt gelegt… Fackeln des Fortschritts brannten in Sarajevo nicht, dafür aber die Serays und Handschriften, goldverziert. (Hadzibeganovic 2000: 61) In PRETTY CITY@WIR wird eine „Gewaltgeschichte thematisiert, die im Zusam‐ menhang mit einem prominenten Erinnerungsort […] kaum zur Sprache kommt, weil sie nicht dem herrschenden Diskurs entspricht und die mit ihm verbundene Heldengeschichte unterläuft“ (Schweiger 2015: 154). Auf diese Weise wird eine postkoloniale Perspektive eröffnet, die im Unterricht verdeutlicht werden kann. Postkolonial orientierte (Re-)Lektüren literarischer Texte in einer fremdsprachendi‐ daktischen Perspektive bietet auch Judita Kanjo in ihrer Studie Deutschsprachige Literatur des postkolonialen Diskurses (2013). Im Fokus stehen Texte wie ■ Uwe Timms Roman Morenga (1978) als erster Roman, der sich - anhand des Nama-Aufstands 1904-1907 - kritisch mit der deutschen Kolonialherrschaft in Deutsch-Südwestafrika auseinandersetzt; ■ Christof Hamanns Roman Usambara (2007), der die deutsche Kolonialherrschaft in Deutsch-Ostafrika und (neo-)koloniale Denkmuster thematisiert; ■ Peter Schneiders Essay Die Botschaft des Pferdekopfes (1981), in dessen Mittelpunkt (neo-)koloniale Verhältnisse in Lateinamerika und - anhand der Person Alexander von Humboldts - die Rolle der Wissenschaften stehen; ■ Jeanette Landers Roman Jahrhundert der Herren (1993) als fiktive Darstellung der postkolonialen Situation in Sri Lanka; ■ Gottfried Kellers Novelle Don Correa (1881), die eine kritische Behandlung kolo‐ nialer Geschlechterfragen bietet; ■ Wilhelm Raabes Roman Stopfkuchen (1891) als beißende Kolonialkritik und ■ Giselher W. Hoffmanns Roman Die verlorenen Jahre (1991) als Zeugnis deutsch‐ sprachiger Literatur in Namibia (vgl. Kanjo 2013: 99). Unterrichtsidee Auch ein Tiny Tale wie zu Columbus (→ Kap. 11) könnte unter einer Frage‐ stellung wie „Was wäre gewesen, wenn Columbus 1492 in Amerika nicht an Land gegangen wäre…? “ im Unterricht, bereits auf niedrigem Sprachniveau, in postkolonialer Perspektive gelesen werden. 205 15 Postkolonialität Textbeispiel Oliver Niels Völkel bietet in einer Lektürespur in der Zeitschrift Zielsprache Deutsch einen postkolonialen Blick auf den Roman 1000 Serpentinen Angst von Olivia Wenzel (2020). Eine namenlose Protagonistin reist in ihm gedanklich in die Vergangenheit, in ihre Kindheit und Jugend in Thüringen in der Nachwendezeit, nach Berlin, Marokko, Vietnam und nach Angola, woher ihr Vater kommt. Mit der Vielfalt an Anspielungen auf Orte und soziale Zusammenhänge entsteht das Bild einer 30-Jährigen, Schwarz, queer und aus dem Osten Deutschlands. Wie Völkel im Einzelnen analysiert, ergibt sich so ein Roman, der Perspektiven der Intersektionalität eröffnet und dem es gelingt, vermittelt über eine solche Protagonistin „Rassismus, (Neo)Kolonialismus, Sexismus, Neoliberalismus uvm. deutlich zu thematisieren und nachvollziehbar zu machen, ohne dass dies wie ein wissenschaftlicher Exkurs wirkt“ (Völkel 2020c: 70), etwa mit Passagen wie dieser: In New York gehe ich die Fifth Avenue entlang und esse unbefangen eine Banane. AUSGEZEICHNET! DAS DREIFACHE PROBLEM MIT DER BANANE. Let me explain: 1. Öffentlich eine Banane essen als schwarze Person: Rassistische Affenanalogien, uga uga uga. Aua. 2. Eine Banane essen als Ossi - die Banane als Sinnbild für die Unterlegenheit des beigen Ostens gegenüber dem goldenen Westen. Die Banane als Brücke in den Wohlstand, exotische Südfrüchte als Symbol wirtschaftlicher Übermacht. Boah und die blöden Ossis standen da nach’m Mauerfall stundenlang für an, ey. 3. Eine Banane essen als Frau - Blowjob, dies das. Die Banane als Penisanalogie und Werkzeug des Sexismus. (Wenzel 2020: 49, Hervorh. i. O.) Völkel sieht in dem Roman auch eine „Einladung“, sich mit den „eigenen Verstri‐ ckungen in systemische Diskriminierungen zu beschäftigen“ (Völkel 2020c: 71). Postkoloniale Konzepte wie Othering und Critical Whiteness finden erst in jüngster Zeit und bislang vorrangig mit Blick auf die (Aus-)Bildung von Lehrkräften Aufnahme in die fremdsprachendidaktische Diskussion. Der Beitrag Die „Anderen“ im Klassenzimmer: Othering im Kontext von DaZ in der Lehrer/ innenbildung von Martina Turecek (2015) zeigt im Rückgriff auf migrationspä‐ dagogische Prämissen, wie für die Herstellung sozial wirksamer Differenzierungen zwischen Menschen mit und ohne ‚Migrationshintergrund‘ im schulischen Alltag sensibilisiert werden kann. Eine dramapädagogische Annäherung (→ Kap. 12, 20) an die autobiografische Erzählung In Between. Mein Leben in zwei Kulturen (2013) von Amina Mahdy soll es künftigen Lehrkräften ermöglichen, zu erfahren, „wie es sich anfühlt, als ‚Andere/ r‘ behandelt zu werden“ (ebd.: 57), sowie (Alltags-)Rassismus, Strategien des Othering, eine diskriminierende Sprache und sprachliche Praxen im 206 15 Postkolonialität Zusammenhang mit der Aushandlung hegemonialer Verhältnisse zu reflektieren (vgl. ebd.: 58, 63). Angeregt werden sollen auch individuelle und institutionelle Selbstreflex‐ ionen, bezeichnet als „ethnisches Monitoring“ (vgl. ebd.: 64). Einen anderen Weg, individuelle Selbstreflexionen anzuregen, geht Anne Mihan, indem sie den qualitativen bildungs- und sozialwissenschaftlichen Forschungsansatz der Community Autoethnography (CAE) für die (Aus-)Bildung von Lehrkräften er‐ schließt. Mit ihm erforschen Studierende „die eigene Involviertheit in rassistische (Diskurs-)Strukturen“ auf der Grundlage kurzer autobiografischer Essays, die sie in impulsgesteuerten Schreibkonferenzen gemeinsam verfassen und diskutieren; das schriftliche Format wird zum Instrument einer „sprachlichen Annäherung an das Thema Rassismus. Abwertende Bezeichnungen durch die eigene Hand geschrieben zu sehen, verdeutlicht[…] Studierenden das Gewaltpotenzial von Sprache“, sie erinnern sich „an vergessen geglaubte Erlebnisse und w[e]rden sich unbewusster Annahmen und Einstellungen bewusst“ (Mihan/ Voerkel im Druck). So gelingt ein kritisch-hinter‐ fragender Zugriff auf rassistische Strukturen, Haltungen und Handlungen, auf die eigene Positioniertheit in einer hierarchischen Gesellschaftsordnung und Dimensionen von Privilegiertheit. 207 15 Postkolonialität 1 Die Realität etwa von Intergeschlechtlichkeit wird im binären Geschlechterbild vieler Gesellschaften i. d. R. noch immer negiert, auch wenn, wie z. B. in der Bundesrepublik, in den letzten Jahren erweiterte rechtliche Regelungen getroffen wurden. 16 Gender Die Kategorie Gender spielt im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache bislang eine erstaunlich geringe Rolle, was sich u. a. daran zeigt, dass im internationalen Handbuch Deutsch als Fremd- und Zweitsprache als Standardwerk sowohl in der Ausgabe von 2001 wie auch in der Ausgabe von 2010 ein entsprechender Basisartikel fehlt. Auch in einschlägigen Fachzeitschriften wie Fremdsprache Deutsch liegen keine entsprechenden Themenhefte vor. Erst in jüngerer Zeit finden Aspekte von Gender in der fachwissenschaftlichen Diskussion mehr Beachtung: So initiierten Kristina Peuschel und Simone Schiedermair auf dem 27. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF), der 2017 in Jena zum Thema Sprachen lernen integriert - global, regional, lokal stattfand, ein sogenanntes Freies Format unter dem Titel Aspekte von Gender in der Fremdsprachendidaktik. Dessen Ziel war es, „Gender als eine der wichtigen Kategorien im Kontext von Heterogenität, Diversität und Inklusion auch beim Lehren und Lernen des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache“ zu kennzeichnen, Reflexionsangebote zur gendersensiblen Gestaltung von Unterricht zu machen und Unterrichtsideen vorzustellen (vgl. Peuschel/ Schiedermair 2019: 453, Hervorh. d. Verf.). Darüber hinaus präsentiert Kristina Peuschel in ihrem Beitrag As‐ pekte von Gender in der Sprach(aus)bildung Deutsch (als zweite, dritte und Folgesprache) von 2018 einen Forschungsüberblick mit dem Schwerpunkt Deutsch als Zweitsprache und Sprachbildung und benennt Desiderata sowie Perspektiven für die Forschung. Sie kennzeichnet Gender bzw. Geschlecht und Sprache als bipolare Differenzlinien, über die Individuen in unseren heutigen Gesellschaften wahrgenommen und sozial markiert werden (vgl. Peuschel 2018: 354), und die in ihren Verknüpfungen und weiteren intersektionalen Überschneidungen mit Differenzlinien wie etwa einer na‐ tio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit (vgl. Mecheril 2003) in der Forschung aufge‐ griffen werden müssen. In den Gender Studies und auch den von ihnen inspirierten Sprach- und Literaturwissenschaften erfolgt dies bereits intensiv, im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache bzw. in der Fremdsprachendidaktik allgemein ist es weniger der Fall. In das Handbuch Fremdsprachenunterricht wurde mit der Ausgabe von 2016 ein Basisartikel zum Thema Geschlecht aufgenommen, nachdem in der vorausgehenden Ausgabe von 2007 ein solcher Artikel noch fehlte. Barbara Schmenk macht in ihm darauf aufmerksam, dass Geschlecht in der fremdsprachendidaktischen Forschung bis heute in der Regel als anatomische (engl. sex), binäre Kategorie aufge‐ fasst wird. 1 Dementsprechend wird bei Untersuchungen in den Feldern „Geschlecht und Lernerfolg“, „Motivation und Einstellungen“, „Geschlecht und Interaktion“ sowie „Historische Studien“ grundlegend zwischen männlichen und weiblichen Lernenden 2 Judith Butler bezeichnet sich selbst als non-binär und wählt als Selbstbezeichnung das Pronomen „they“. 3 Vgl. auch die 2020 erschienenen Hinweise zu Sprache und Ansprache in den Handlungsempfehlungen für Geschlechtervielfalt an Hochschulen. Erste Schritte der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleich‐ stellungsbeauftragten an Hochschulen e.V.: https: / / t1p.de/ o1ql [01.07.2021]. (und Lehrenden) sowie ihren unterschiedlichen Zugängen zum (Fremd-)Sprachenler‐ nen unterschieden wird. Das sozial und kulturell konstruierte Geschlecht (gender) und Aspekte seiner diskursiven Konstruktion (doing gender), von Judith Butler in ihrer [their] 2 grundlegenden Studie Das Unbehagen der Geschlechter. Gender Studies / Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity (1991/ engl. 1990) analysiert, bleiben auf diese Weise unberücksichtigt, ebenso non-binäre, trans*, inter* und queere Verortungen von Individuen. Entsprechende Aspekte müssen aber Beachtung finden, will man Lernende und Lehrende zumindest für genderneutrales sprachliches Han‐ deln sensibilisieren und gewinnen, wie es im neuen Begleitband zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (2020) als Anspruch formuliert wird (vgl. ebd.: 25). 3 Soll dieser Anspruch eingelöst werden, muss im Unterricht von Anfang an genderneutral bzw. gendersensibel, genderkritisch oder genderreflexiv sprachlich gehandelt und dieses Handeln gemeinsam erlernt werden, „unabhängig davon, in‐ wiefern dies im Kontext der anderen Sprachen der Lernenden üblich ist“ (Peuschel 2018: 350). Der Fremdsprachenunterricht würde so - wie es Lotta König/ Carola Sur‐ kamp/ Helene Decke-Cornill in ihrem Basisartikel zum Themenheft Negotiating Gender der Fachzeitschrift Der fremdsprachliche Unterricht Englisch (2015) formulieren - zum „Raum, über Geschlechternormen nachzudenken“ (ebd.: 2), verschiedene Perspektiven wahrzunehmen und in Bezug zueinander zu setzen sowie die Rolle von Sprache in der Konstruktion und Inszenierung von Geschlecht zu reflektieren. So könnte ein gender- und differenzsensibler Unterricht entstehen. Helene Decke-Cornill (2015: 10) entwickelt exemplarische Möglichkeiten methodischen Vorgehens: ■ die zweigeschlechtliche Ordnung (ent-)dramatisieren z. B. durch Aufgaben, die die Normierung von vermeintlich typischem Geschlechtsausdruck thematisieren und gleichzeitig das ‚Typische‘ von Geschlechtervielfalt normalisieren; ■ Aushandlungs- und Verständigungsgelegenheiten schaffen durch die Lektüren verschiedener (ästhetischer) Texte, die etwa auch ‚nonkonforme‘ Figuren und Geschlechterkonstellationen inszenieren; ■ Texte und Formulierungen so überarbeiten, dass sie verschiedene Geschlechts‐ identitäten berücksichtigen; dabei kann ein gendersensibler Sprachgebrauch er‐ probt und kritisch reflektiert werden; ■ die Lernenden mit (eigenen) Gendererwartungen konfrontieren, indem z. B. beim Erzählen einer Geschichte das Geschlecht der Protagonist*innen offengehalten 210 16 Gender 4 Es eignen sich auch Texte, in denen bewusst mit entsprechenden Erwartungen und Irritationen gespielt wird, wie etwa Anne Garrétas Roman Sphinx, bereits 1986 im französischen Original erschienen und erst 2016 ins Deutsche übersetzt, oder die Erzählung Das Wasser des Flusses Lot (2018) von Margarita Iov, die Kristina Kocyba auf der Tagung „gender_vielfalt_sexualität(en) im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache“ (2020) in einer Lesart für einen gendersensiblen Literaturunterricht in Ungarn präsentierte. 5 Das Personal von Lehrwerken ist häufig stereotyp dargestellt, darauf verweist für den Kontext von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache z. B. Laurine Schlecht in ihrer Studie Sie heißt Hanna, er heißt Nico. Kategorien von Geschlecht in Lehrwerken Deutsch als Zweit- und Fremdsprache (2019). Vgl. auch Renate Riedner (2020: 177) zum Lehrwerk studio d. Ein Lehrmaterial für Deutsch als Zweitsprache, das andere Wege gehen will, ist Vielfalt LEBEN von Almut Büchsel, erschienen 2018 im Hueber Verlag. Es bietet u. a. zu den Themenfeldern Rollenvielfalt und Geschlechtergerechtigkeit Kopiervorlagen, orientiert sich an dem Rahmencurriculum von 2016 für die Integrationskurse im Auftrag des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). 6 Vgl. hier auch die Überlegungen von Judith Butler (1991) zur Subjektkonstitution im Rahmen einer heterosexuellen Matrix, weitergehend im Konzept der Heteronormativität gefasst. oder getilgt wird und diesbezügliche Erwartungen der Lernenden im Unterrichts‐ gespräch vielleicht irritiert werden; 4 ■ zu Perspektivenwechseln anregen, indem in der Arbeit mit (ästhetischen) Texten innere Monologe hinzugefügt, neue Personen oder Beobachtungsstandpunkte eingeführt oder die Texte aus dem Blickwinkel ungewöhnlicher Subjektpositionen neu erzählt werden; ■ Lehrwerkpersonen und ihre Beziehungen zueinander entstereotypisieren 5 und durch komplexere, spannendere, vielfältigere Gestaltungen ersetzen; ■ Visualisierungen von Geschlecht einbeziehen, indem man z. B. Lehrwerke auf visuelle Konstruktionen von Geschlecht hin sichtet oder mit Bildern bzw. Foto‐ grafien arbeitet, die verunsichern; ■ geschlechterpolitische Kontroversen in den Zielsprachenländern untersuchen; ■ historische Perspektiven berücksichtigen; ■ geschlechtertheoretische Fragen diskutieren z. B. anhand von (kurzen) Interviews mit Autor*innen und Aktivist*innen. Mit den genannten Vorgehensweisen wäre, ausgehend von einer fremdsprachigen Dis‐ kursfähigkeit als übergeordneter Zielsetzung des Fremdsprachenunterrichts, die För‐ derung einer spezifischen „Genderdiskursfähigkeit“ möglich (König/ Surkamp/ De‐ cke-Cornill 2015: 5). Ästhetischen Texten wird in diesem Rahmen ein großes Potenzial zugewiesen (vgl. ebd.: 8), sind sie doch in besonderem Maße ‚fremde‘, ästhetisch kodierte Texte und bieten die Möglichkeit, dass sich Lernende anhand von Figuren und Figurenkonstellationen und von deren sprachlicher Inszenierung mit Geschlech‐ tervorstellungen, -normen und -rollen sowie mit deren gesellschaftlichen Bedin‐ gungen, mit heteronormativen Anforderungen 6 und eigenen Identifikationen auseinandersetzen. Ziel ist dabei zunächst immer das Anregen von Reflexions- und Aushandlungsprozessen, nicht das Erzeugen einer erwünschten ‚Weltsicht‘ (vgl. ebd.: 6), die sich in ‚korrektem‘ sprachlichen Handeln ausdrückt. Gleichzeitig können 211 16 Gender sprachliche Strategien, Geschlecht zu ‚entdramatisieren‘ jedoch aktiv reflektiert und erprobt werden. Den theoretischen Hintergrund für gender- und differenzsensible Lektüren ästhe‐ tischer Texte, die die Aufmerksamkeit auf diskursive Konstruktionsprozesse von ‚Identitäten‘ und ‚Zugehörigkeiten‘ lenken, stellen die literaturwissenschaftlichen Theoriediskussionen in den 1990er Jahren dar, intensiviert und neu ausgerichtet auf Theorien des dekonstruktiven Feminismus durch das Erscheinen des oben bereits genannten Bandes Gender Trouble von Judith Butler, der 1990 in den USA und bereits 1991 auch auf Deutsch erschienen ist. Einen historischen und systematischen Überblick über verschiedene Positionen von vormodernen Konzepten bis hin zur dekonstruktiven feministischen Literaturwissenschaft in den 1990er Jahren geben Renate von Heydebrand/ Simone Winko. In ihrem Beitrag Arbeit am Kanon: Geschlech‐ terdifferenz in Rezeption und Wertung von Literatur (1995: 213 ff.) unterscheiden sie sechs Denkmodelle und deren Auswirkungen auf Lese- und Lektürepraktiken, von denen die Modelle I-III historisch-rekonstruktiv ausgerichtet sind und die Modelle IV-VI sich stärker systematisch an feministischen Positionen orientieren. Sie sind hier sicher von besonderem Interesse: ■ Modell IV schließt an frühe feministische Positionen an und zielt auf gesellschaft‐ liche Gleichstellung, ein Ausgangspunkt ist Simone de Beauvoirs Analyse in Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau (1951/ frz. 1949): „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ (ebd.: 285). Für die Literaturwissenschaft bedeutete das eine Aufwertung sogenannter ‚weiblicher‘ Texte, Schreib- und Deutungsweisen, für Leserinnen bedeutete es, „to become a resisting reader rather than an assenting reader, and by this refusal, to assent, to begin the process of exorcizing the male mind that has been implanted” (Fetterly 1978: XX). ■ Modell V schreibt die Vorstellung einer Geschlechteropposition weiter, fordert lediglich eine umgekehrte Wertung ein, ‚weibliche‘ Texte und Lesarten werden so auf- und auch höher gewertet. ■ Modell VI umfasst die dekonstruktiven Varianten des Feminismus mit ihren sprachkritischen und psychoanalytischen Argumentationen; die Vorstellung einer Geschlechteropposition wird als Konstrukt verstanden, dessen Zustandekommen es zu durchschauen bzw. das es zu dekonstruieren gilt. Seit den 1990er Jahren wird die Diskussion von der poststrukturalistischen Theo‐ riebildung (Modell VI) geprägt, die Geschlecht weder als biologische noch als kultu‐ relle Identität versteht, sondern als ‚rhetorisch verfasst‘; so sei „die Rede von zwei Geschlechtern […] bloßes Konstrukt, eine spracherzeugte, hierarchische Opposition, die dekonstruiert werden muß“ (Lindhoff 1995: IX). Die romanistische Literaturwis‐ senschaftlerin Barbara Vinken unterscheidet zwischen einer „‚thematischen‘, auf Repräsentation, Identifikation und Geschlechtsidentität zielenden und einer ‚andersle‐ senden‘ Richtung“ (Vinken 1992: 23 f.), die auf die Dekonstruktion binärer Oppositio‐ nen zielt. Geschlecht wäre als nachträgliche Interpretation einer Wahrnehmung zu 212 16 Gender verstehen: „Sexualität ist also nicht gegeben, sie wird in einem Akt der Interpretation konstruiert“ (Vinken 1992: 12). Der Band Gender Trouble von Judith Butler prägt die Diskussion entscheidend mit seiner Analyse, dass sich „die Geschlechtsidentität als performativ [erweist], d. h., sie selbst konstituiert die Identität, die sie angeblich ist. In diesem Sinne ist die Geschlechtsidentität ein Tun“ (Butler 1991: 49): Hinter den Äußerungen der Geschlechtsidentität (gender) liegt keine geschlechtlich be‐ stimmte Identität (gender identity). Vielmehr wird diese Identität gerade performativ durch diese ‚Äußerungen‘ konstituiert, die angeblich ihr Resultat sind. (ebd., Hervorh. i. O.) Barbara Vinken sieht literarische Texte als einen Ort, an dem diese rhetorische Ver‐ fasstheit lesbar wird (vgl. Vinken 1992: 19). Das Potenzial literarischer Texte für entsprechende Reflexions- und Aushandlungsprozesse sowie sprachliche ‚Erprobungen‘ findet ab den 2000er Jahren zunehmend auch in der fremdsprachlichen Literaturdidak‐ tik Beachtung, so bereits in dem bis heute maßgeblichen, von Helene Decke-Cornill und Laurenz Volkmann herausgegebenen Band Gender Studies and Foreign Language Teaching (2007). Werner Delanoy entwirft ebenso wie Laurenz Volkmann in seinem Beitrag einen kritisch reflektierenden Dialog zwischen Gender Studies and Literature Didactics. Diskutiert werden Fragen der Textauswahl: gendersensible Revisionen und Erweiterungen des Lektürekanons (→ Kap. 3) und methodische Zugänge: wahrneh‐ mungsschulende (gender-sensitive perception), kritisch-analytische (evaluating gender roles) sowie handlungs- und produktionsorientierte (playing with gender) Verfahren. Mit konkretem Blick auf den Unterricht präsentiert Laurenz Volkmann (2007b: 175) einen Katalog möglicher Fragen und Aufgaben für die Lektüren von Texten, die an den Gender Studies bzw. einer von ihnen inspirierten Literaturwissenschaft orientiert sind. Sie schließen an unterschiedliche Phasen der fachwissenschaftlichen Diskussion an. Zu fragen wäre zunächst etwa ■ nach Rollenverteilungen im Text, traditionellen und alternativen Rollenoptionen, nach Klischees, Stereotypen und Vorurteilen; ■ nach Werten und Machtpositionen, die Frauen und Männern zugeschrieben werden; ■ nach dem Verhältnis zwischen Frauen und Männern; ■ nach dominierenden Genderpositionen im Text; ■ ob der Text einen Blick in eine weniger repressive Gesellschaft erlaubt, in ein „gender utopia“; ■ ob (weibliche) Figuren oder Körper als Ware gesehen werden; ■ ob die weibliche/ männliche Psyche oder der weibliche/ männliche Körper als defizitär dargestellt wird; ■ ob Frauen als stark und selbstbestimmt dargestellt werden. Stärker orientiert an den Gender Studies, die sich an der Theoriebildung der dekonst‐ ruktiven feministischen Literaturwissenschaft ausrichten, wäre zu fragen, 213 16 Gender 7 In diesem Band sind Original-Auszüge aus zentralen Texten der Gender Studies zusammengestellt, etwa von Virginia Woolf, Simone de Beauvoir, Silvia Bovenschen, Michel Foucault, Judith Butler. 8 Vgl. etwa Blell/ Lütge (2009), König (2015), Lewin (2015) und König (2018). ■ wie Geschlechter konstruiert und konstituiert werden, welche performativen Verfahren und Strategien in den Texten lesbar werden, welche Interpretations‐ prozesse inszeniert oder initiiert werden, wodurch sie ausgelöst werden - durch Kleidung, Verhalten, Sprache …; ■ wie Körper - als weiblich, männlich, … - inszeniert werden und welche Wertvor‐ stellungen gleichzeitig damit inszeniert werden; ■ welche Machtpositionen, -konstellationen, -symmetrien und -asymmetrien lesbar werden; ■ unter welchen Prämissen Zuschreibungen erfolgen und Zugehörigkeiten konstru‐ iert werden und mit welchen Thematiken, Metaphoriken und Symboliken dies geschieht. Wie Bergmann/ Schößler/ Schreck im Vorwort zu ihrem Band Gender Studies (2012) 7 ausführen, wäre Geschlecht dabei als „dynamische Kategorie“ zu denken und als „Prozess“ zu beschreiben; die „geschlechtliche Zuordnung“ wäre als Ergebnis „aus bestimmten Verhaltensrepertoires, Kleiderkodes, Mimik und Gestik“ (ebd.: 10) zu ver‐ stehen, die in alltäglicher - meist unbewusster - Wiederholung immer neu hergestellt werden. Die ebenfalls in den 1990er Jahren entstehenden Queer Studies hinterfragen die Normen der Heterosexualität und beschäftigen sich mit Formen von Begehren und geschlechtlicher Identität jenseits dieser Ordnung. Zunehmend finden sich auch Studien, die intersektional ausgerichtet sind und die „Verschränkung geschlechtlicher Identitätskategorien mit anderen Determinanten wie Race, Ethnie, Nationalität, Klasse, Alter und Behinderung/ Nicht-Behinderung“ in den Blick nehmen (ebd.: 11). Zunächst in der Fachdidaktik Englisch sind auf solcher Grundlage in den letzten Jahren zahlreiche Reflexionsangebote zur gendersensiblen Gestaltung von Unterricht sowie verschiedene Unterrichtsvorschläge entstanden, die zunehmend auch queere Aspekte in den Blick nehmen. 8 Aber auch erste Beiträge im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache legen gendersensible Lektüren literarischer Texte im Unterricht nahe. Die Vorschläge - die sich auf so vielfältige Textarten wie Slam Poetry, Berichte, Reportagen, Lieder, Spielfilme und Romane beziehen - können etwa anhand des dargestellten Katalogs möglicher Fragen (Volkmann 2007) weiter ausgeformt, erprobt und reflektiert werden. 214 16 Gender 9 Medusa/ Köhle (2013: 70-74) bzw. http: / / www.youtube.com/ watch? v=ltwnJtlxhJM [17.06.2021] Unterrichtsidee So verweisen Almut Hille und Johann Georg Lughofer in ihrem Beitrag „Aber schau mal dagegen: die Welt“ Slam-Poetry global(-isierungs-)kritisch? (2015: 104ff.) auf den Text Mama oder: aber nicht nur der österreichischen Slammerin Mieze Medusa. 9 Der Text bezieht eine starke lyrische Kraft aus Anaphern, vielfältigen Wiederholungen, expressiven Reihungen, symmetrischen Strukturen und einem eingängigen Rhythmus. Nach einer Thematisierung von Zellteilung und Geburt wird mit Freudschem Vokabular auf die Anstrengungen des Mutterseins angespielt: Mama hat jetzt ein Über-ES. Eine Mütze Schlaf, bis ES wieder schreit. Ein Durchatmen, bevor ES wieder gefüttert wird. Ein ‚Mama ist gleich da, Schatz! ‘ in seine Richtung. Ein Sich-aber-wirklich-nur-ganz-kurz-im-Klo-einsperren-weil-Mama-eine-klitzekleine- Mikrosekunde-für-sich-selbst-braucht. Ein Drei-Tage-wach, das kein Festivalrausch-mit-Kater-Danach ist, sondern ein Die-ganze-Familie-liegt-mit-Grippe-im-Bett-und-sie-sollte-das-eigentlichauch-tun-aber-was-soll-sie-machen-wenn-ES-einen-frischen-Tee-braucht-oder- ES-einen-Topfenwickel-benötigt-oder-einen-den-schlechten-Traum-Wegküsskuss … (Medusa/ Köhle 2013: 70) Inmitten der täglichen Herausforderungen und Schwierigkeiten, denen die Mut‐ ter offensichtlich allein gegenübersteht, werden die Freuden des Alltags mit Baby nur kurz benannt - anschließend mündet der Text in einen Reigen assoziativer Definitionen der Mutterrolle in der (österreichischen) Gesellschaft. Die Verse beginnen anaphorisch mit den Worten „Mama ist“. Die kulturell festgeschriebene Rolle wird auch in intertextuellen Bezügen u. a. zu Romanen von Elfriede Jelinek konturiert; diese könnten in die Arbeit mit einem Textnetz (→ Kap. 10, 17, 18) in Auszügen einbezogen werden: Mama ist mit Sicherheit kein akademischer Titel. Mama ist ein Konstrukt ihrer Zeit. Mama ist eine bunt bedruckte Baumwollschürze, aber nicht nur. Mama ist das, was im Liebesroman nach dem Happy End kommt. Mama ist das, was in einem Jelinek-Roman lang vor dem Ende mit Schrecken kommt. […] Mama ist das schöne Kleid, das sie anziehen will, wenn sie zum ersten Mal wieder mit Papa ausgeht. Mama ist der Ärger darüber, nicht mehr in das schöne Kleid zu passen. Und es ist alles seine Schuld. Geht sie halt in Jeans und Pulli aus. 215 16 Gender 10 Der Liedtext ist zu finden unter https: / / www.wikiwand.com/ en/ Das_lila_Lied oder https: / / www.so ngtexte.com/ songtext/ ute-lemper/ das-lila-lied-2be1eca6.html [17.06.2021], hier mit Verweis auf Ute Lemper, die das Lied vor einigen Jahren erfolgreich coverte. Mama ist der Kugelschreiber, mit dem sie 100 Notfallnummern für die Babysitterin auf einen Zettel schreibt. […] Mama ist, was - laut manchen - eine Frau mindestens zweimal im Leben werden soll, wegen den Pensionen und der Zuwanderung und dem Generationenvertrag. Mama bekommt aber keine oder nur eine ganz kleine Pension - warum denn auch? Sie hat doch viel zu kurz gearbeitet. (Medusa/ Köhle 2013: 71 f., Hervorh. i. O.) Der Text ist ein Sprechtext mit Publikumsbeteiligung, was die Aufmerksamkeit erhöht. Der per Handzeichen wiederholt eingeforderte Publikumskommentar „aber nicht nur“ ist im gedruckt publizierten Text kursiv gestellt. Er löst Heiterkeit und Ambivalenzen aus. Für den Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache bietet der Text einen Reigen an Assoziationen in vergleichsweise einfacher ana‐ phorischer Struktur und ermöglicht beispielsweise ein Weiter- oder Umschreiben und Performen mit den gleichen oder auch anderen Satzanfängen zu den Rollen von Papa, Kind, Mann oder Frau, wobei Rollenfestlegungen, -normierungen und -abgrenzungen (spielerisch) reflektiert werden können. Unterrichtsidee Oliver Niels Völkel (2020a) präsentiert das Konzept eines Sprachkurses B2.1 im Hochschulkontext mit dem Titel Berlin unterm Regenbogen - LGBTI in Berlin von 1900 bis zur Gegenwart. Ziele des Kurses waren u. a. eine vertiefte Auseinandersetzung mit den LGBTI-Emanzipationsbewegungen und ihren viel‐ fachen Verflechtungen, das sichtbar machen von LGBTI-Persönlichkeiten in der Geschichte Berlins, wie auch eine Orientierung in der Stadt für LGBTI (vgl. ebd.: 167). Neben journalistischen und wissenschaftlichen Texten kamen als literarisch-ästhetische Texte der nur fragmentarisch erhaltene Spielfilm Anders als die anderen (1919, Regie: Richard Oswald), der als weltweit erster Film gilt, der (männliche) Homosexualität inszenierte und damit einen Skandal verursachte, und das kurze Zeit später veröffentlichte Lila Lied (1920, Musik: Arno Billing, Text: Kurt Schwabach) zum Einsatz. Hier ein Auszug: Denn bald - gebt acht - wird über Nacht auch unsre Sonne scheinen. Dann haben wir das gleiche Recht erstritten, wir leiden nicht mehr, sondern sind gelitten! (zit. nach Völkel 2020a: 169) 10 216 16 Gender 11 Vgl. etwa die Übersicht auf https: / / www.nonbinary.ch/ audio/ und „Intersexuell - Raus aus der Tabuzone.“ Planet Schule. https: / / www1.wdr.de/ fernsehen/ planet-schule/ videos/ video-intersex---rau s-aus-der-tabuzone-100.html [17.06.2021]. Auch Bücher wie Ich bin Linus. Wie ich der Mann wurde, der ich schon immer war von Linus Giese (2020) und Trans. Frau. Sein. Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung von Felicia Ewert (2020) könnten einbezogen werden. Erarbeitet werden kann eine Diskursverschiebung in den letzten 100 Jahren: In Film und Lied wird die Forderung nach Anerkennung von Homosexuellen mit deren grundsätzlich andersartiger Natur untermauert, was in diametralem Gegensatz zum heutigen Ansatz steht (vgl. Völkel 2020a: 170). Die Emanzipati‐ onsbewegung wurde im Kurs mit Auszügen aus Rosa von Praunheims Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt (1971), Oliver Hilmes’ Roman Berlin 1936. Sechzehn Tage im August (2012), Julian Mars’ Roman Lass uns von hier verschwinden (2018), Heiner Carows Film Coming Out (1989, der einzige in der DDR gedrehte Film, in dem Homosexualität zentral inszeniert wird) und dem Film Aimée und Jaguar (1999, Regie: Max Färberböck) weiter verfolgt. Ergänzt werden Präsentationen der Studierenden zu LGBTI-Persönlichkeiten wie Romy Haag, Audre Lorde und Nasser El-Ahmad, wobei die Intersektionalität besondere Beachtung findet (vgl. Völkel 2020a: 173). Eine besondere Herausforderung so gestalteter Kurse, die bislang zweimal stattfanden und in einer Nachbefragung der Studierenden evaluiert wurden, wird von Völkel darin gesehen, dass einerseits die Diskurse zu LGBTI nicht nur in historischer Perspektive betrachtet werden, sondern stets auch das Wechselspiel zwischen öffentlichen Diskursen zu LGBTI und jenen in und aus der LGBTI-Gemeinschaft zu beachten ist; die Studierenden sollen sie in diesen Dimensionen rezipieren, mit eigenen Beiträgen wie z. B. Präsentationen an ihnen teilnehmen und sie auf die eigene Situation und die eigenen Vorstel‐ lungen beziehen (vgl. ebd.: 174). Andererseits bringen die Studierenden sehr unterschiedliches Wissen zu sexuellen Orientierungen und zu geschlechtlicher Identität mit: „Während Lesbisch- und Schwulsein, wie auch Bisexualität meist gut bekannt waren, war Transgeschlechtlichkeit wesentlich weniger vertraut, noch stärker galt dies für Intergeschlechtlichkeit und Nicht-Binarität (enby)“ (ebd.: 175). Das Wissen kann anhand geeigneter Materialien wie z. B. Videos und Podcasts von trans*, inter* und nicht-binären Personen, in denen diese selbst berichten, 11 ergänzt werden; auf diese Weise kann auch das Vokabular erarbeitet werden, das von den jeweiligen Personen als angemessen empfunden wird (vgl. ebd.). In einem Eintrag in den Blog Diversity, Decolonization and the German Curriculum (DDGC) ergänzt Völkel (2020b), dass gerade die Beschäftigung mit queeren histori‐ schen Personen einen idealen Ausgangspunkt für Einführungen in Schlüsselkonzepte 217 16 Gender 12 Zu den Begrifflichkeiten vgl. etwa Kauer (2019: 9 ff.). In dem Studienbuch Queer lesen. Anleitung zu Lektüren jenseits eines normierten Textverständnisses präsentiert die Literaturwissenschaftlerin Katja Kauer neben einer Einführung in die Theorie exemplarische Lektüren literarischer Texte, die auch für den Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Anregungen bieten. 13 Weitere einschlägige Beiträge werden in dem Band gender_vielfalt_sexualität(en) im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (hrsg. v. Anika Freese und Oliver Niels Völkel) zu finden sein, der vorauss. 2021 in der Reihe LiKuM: Literatur, Kultur, Medien in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache erscheint. der Gender bzw. Queer Studies bietet. 12 So lernen Studierende in der Auseinanderset‐ zung mit Leben und Werk Audre Lordes beispielsweise Theorien des intersektionalen Feminismus kennen, die für die afro-deutsche (Frauen-)Bewegung, bei deren Initiie‐ rung Lorde entscheidend mithalf, von zentraler Bedeutung sind. Obwohl sich die Präsentationen auf einzelne Persönlichkeiten konzentrieren, wird auch deren Umfeld sichtbar. So ergibt sich bei Audre Lorde die Möglichkeit, sich näher mit afro-deutschen Wissenschaftlerinnen und Schriftstellerinnen wie May Ayim und Katharina Oguntoye auseinanderzusetzen (vgl. Völkel 2020b). 13 Die „wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschlechterordnung, wie sie in den Gender Studies praktiziert wird“ - im Fremdsprachenunterricht oder in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften - gilt Helene Decke-Cornill (2004) als eine Voraussetzung einer von ihr sogenannten „reflexiven Literaturdidaktik“ (ebd.: 182). In deren Mittelpunkt müssen, wie oben bereits angemerkt, Fragen der Textauswahl und methodische Zugänge stehen, die u. a. Aspekte der Kanonrevision und der Intertextu‐ alität sowie in pädagogischer Perspektive Aspekte der Anerkennung umfassen (vgl. ebd.: 196 f., 200 f.). 218 16 Gender IV Didaktische und methodische Perspektiven 1 Vgl. etwa Leubner/ Saupe/ Richter (2016: 90 ff., 107 f., 122 ff.), die dafür plädieren, dass insbesondere die drei klassischen Großformen Epik, Lyrik und Dramatik Berücksichtigung finden. 2 Vgl. etwa (Ehlers 2016: 17), genannt werden (literarische) Texte unterschiedlicher Gattungen, auch Mediengattungen wie Hörspiel und Spielfilm, weitere „Wissens-/ Textquellen“ wie theoretische Schriften, Programmatiken, Sekundärquellen sowie Sachtexte, „hoher Kanon“ gleichermaßen wie Gegenwartsliteratur, Kinder- und Jugendliteratur, popkulturelle Genres. 3 Vgl. etwa Paefgen (2006: 55-69), Leubner/ Saupe/ Richter (2016: 152 f.), Šlibar (2011: 96). 4 Vgl. etwa Korte (2012: 61-77), insbesondere in der Schule spielen Lehrpläne und Prüfungsanforde‐ rungen eine Rolle. 5 Vgl. etwa Ehlers (2010: 1531 ff.). 6 Vgl. etwa Šlibar (2011: 93 ff.) und Koppensteiner/ Schwarz (2012: 51-57), genannt werden literarische Kompetenzen, sprachliche Kompetenzen sowie Kulturvermittlung und Interkulturalität, Erweite‐ rung des Wahrnehmungsbereichs, aber auch Freude am Text bzw. an der Lektüre. 7 Vgl. etwa Bischof/ Kessling/ Krechel (2007: 25). 8 Vgl. etwa Huneke/ Steinig (2013: 104-108), die persönliche Lektüreinteressen aus den Ergebnissen von Umfragen unter Germanistikdozent*innen an einer Universität sowie unter Deutschlehrer*in‐ nen und Schüler*innen an Schulen in verschiedenen Bundesländern ableiten. 17 Textauswahl Die richtige Textauswahl ist von grundlegender Bedeutung für die Arbeit mit lite‐ rarischen Texten. Sie stellt sowohl für den Einsatz literarischer Texte im Fremd- und Zweitsprachenunterricht, als auch für deren Verwendung im fremdsprachlichen Literaturunterricht eine komplexe Herausforderung dar, bei der es verschiedene Dimensionen zu berücksichtigen gilt. So oft wie (institutionell) möglich und didaktisch sinnvoll sollte die Frage der Textauswahl in Kooperation mit den Lernenden gelöst werden. In den Forschungsdiskussionen zur (fremd- und zweitsprachlichen) Literaturwie auch Lesedidaktik wurden eine Reihe von Kriterien der Textauswahl erarbeitet, die in Abhängigkeit von gesetzten Schwerpunkten unterschiedliche Aspekte fokussieren wie: Gattungsvielfalt, 1 Textartenvielfalt, 2 Kanonrelevanz, 3 Institutionenrelevanz, 4 Le‐ sevoraussetzungen, 5 Lehr- und Lernziele, 6 Landeskundebezug 7 und persönliche Lektü‐ reinteressen. 8 Unter Bezug auf die umfänglichen Forschungsdiskussionen schlagen wir für den Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache die folgenden sieben grundlegen‐ den Kriterien vor: 1. Unterrichtsziele 2. Inhalt der Texte 3. Struktur und Umfang der Texte 4. Literarizität der Texte 5. Illustrationen zu den Texten 6. Gattungs- und Medienvielfalt 7. Adaptionen und Übersetzungen 9 Vgl. etwa (Šlibar 2011: 97), Koppensteiner/ Schwarz (2012: 56). In welcher Reihenfolge die Kriterien anzuwenden und hier auch weiter auszuführen wären, ließe sich natürlich diskutieren; in den verschiedenen Publikationen zur Literaturdidaktik werden dafür verschiedene Lösungen gefunden. Wir möchten zwei ergänzende Kriterien, die oft am Ende von Kriterienkatalogen stehen, 9 an den Anfang stellen: die Begeisterung für Texte und die Relevanz von Texten für die Lernenden. Wann immer es möglich ist und nicht im Widerspruch zu eventuellen institutionellen Vorgaben steht, sollten Lehrkräfte Texte auswählen, die sie selbst begeistern. So können sie leichter Begeisterung bei den Lernenden auslösen, analyti‐ sche Tätigkeiten entfalten und kreative Prozesse initiieren. Lehrende sollten Zugänge zu Texten finden, es sollte „funken“ wie Neva Šlibar (2011: 97) es ausdrückt. Wenn Lehrkräfte die Lernenden an der Textauswahl beteiligen, wird der Erfolg des Ent‐ scheidungsprozesses auch davon abhängen, ob sie die Lernenden für Texte begeistern können bzw. ob zumindest einzelne Lernende von Texten so zu begeistern sind, dass sie die anderen davon überzeugen können, dass es sich um einen lohnenden Gegenstand für die gemeinsame Lektüre handelt. Bei der Bestimmung der Relevanz von Texten können bzw. sollten - sofern institutionelle Vorgaben wie verbindliche Textlektüren in der Vorbereitung auf Prüfungen nicht dagegensprechen - die Lernenden in jedem Fall mitwirken. Sie selbst können am besten einschätzen, welche Texte für sie von Interesse bzw. Relevanz sind, mit welchen Themen, vielleicht auch mit welchen besonderen sprachlichen Experimenten oder welchen Autor*innen sie sich auseinandersetzen möchten. Hier spielt auch das Kriterium der möglichen Altersangemessenheit von Texten eine Rolle. Diese ist von Lehrkräften oft nur schwer einzuschätzen. Will man die Einschätzung gemeinsam mit Lernenden vornehmen, bietet sich hier auch die Möglichkeit, mit ihnen über literarische und andere mediale Vorerfah‐ rungen bspw. durch private Lektüren, gern gesehene Filme und TV-Serien oder gern gespielte Computerspiele, über ihr lebensweltliches Vorwissen und ihr mögliches Interesse für ausgewählte historische Epochen oder gegenwärtige gesellschaftliche, auch alltägliche Phänomene zu sprechen. Günstig kann es sein, die Lernenden bei der Auswahl möglicher gemeinsam zu lesender Texte in Form von Vorschlägen, aus denen sie wählen können, zu unterstützen. Gerade bei intertextuell bzw. diskursorientierten Lektüren im Unterricht (→ Kap. 10, 11) scheint es angemessen, Lernende einer Vielzahl von Texten und Materialien auszusetzen, zwischen denen sie selbst Beziehungen herstellen und die sie ergänzen können (vgl. Hallet 2002: 83). Die beiden erstgenannten Kriterien rücken den individuellen Zugang, die individu‐ elle ‚Beziehung‘ von Lehrenden und Lernenden zu Texten in den Fokus. Sie werden von den genannten grundlegenden Kriterien der Textauswahl flankiert, die im Folgenden weiter ausgeführt werden. 222 17 Textauswahl Unterrichtsziele Diese Frage müssen sich Lehrkräfte immer stellen: Mit welchen Zielsetzungen planen sie, einen literarischen Text oder auch verschiedene literarische Texte, eventuell auch in Kombination mit nicht-literarischen Texten, im Unterricht einzusetzen? Mögliche Ziele wären neben der Förderung einer Diskursfähigkeit als übergreifender Zielset‐ zung des Fremdsprachenunterrichts bzw. eines fremdsprachlichen Literaturunterrichts die Förderung von sprachlichen Fertigkeiten und der Bewusstheit für Literarizität (→ Kap. 5, 6, 9), das landeskundliche und (inter-)kulturelle Lernen (→ Kap. 7, 8), die Sensibilisierung für unterschiedliche mediale Formen und die Förderung einer (multi-)literacy (→ Kap. 11), der Einblick in die performative Dimension literarischer Texte verbunden mit emotionalem und sozialem Lernen (→ Kap. 12), das Wahrnehmen und Reflektieren von Mehrsprachigkeit (→ Kap. 13), die Analyse des ‚Wissens von Tex‐ ten‘ und der literarischen Reflexionen von Wissensordnungen (→ Kap. 14) sowie die Auseinandersetzung mit Machtasymmetrien, Diskriminierungen und Privilegierungen und mit Mechanismen von othering und doing gender (→ Kap. 15, 16). In der Praxis werden in der Regel mehrere Unterrichtsziele miteinander kom‐ biniert. Dabei ist zu beachten, dass unter dem Dach einer übergeordneten Zielsetzung wie der Förderung einer fremdsprachigen Diskursfähigkeit der Lernenden (→ Kap. 10) jeweils die Teil-Ziele zu definieren sind, die in einzelnen Unterrichtsphasen (→ Kap. 18) und der möglichen Vor- oder Nachbereitung zu Hause erreicht werden sollen. Diese könnten etwa der Einblick in diskursive Konstruktionsprozesse gesellschaftlicher Zusammenhänge, die Sensibilisierung für die sprachliche Verfasstheit und mögliche (Be-)Deutungen sowie Wirkungen von Texten sein. Weiterhin ist zu bedenken, dass die Textauswahl immer vor dem Hintergrund insti‐ tutioneller Gegebenheiten stattfindet, die sich mit folgenden Fragen reflektieren lassen: Findet der Unterricht in einer Schule, an einer Universität oder in der außeruniversi‐ tären Erwachsenenbildung statt? Handelt es sich um die Arbeit mit einem literarischen Text im Fremdsprachunterricht oder im fremdsprachlichen Literaturunterricht? Gibt es verbindliche Lehrpläne oder Curricula? Gibt es vorgegebene Prüfungen und Prüfungs‐ formen? Welche zeitlichen Ressourcen stehen inkl. häuslicher Vor- und Nachbereitung zur Verfügung? Auch die konkrete Zielgruppe gilt es stets als Basis der Entscheidung für Unter‐ richtsziele und geeignete Texte zu berücksichtigen, anhand von Fragen wie: Wo, in welchem Land, in welcher Region findet der Unterricht statt? Haben alle Teilneh‐ menden dieselbe oder verschiedene Erstsprachen? Über welches Sprachniveau bzw. welche Sprachniveaus verfügen die Teilnehmenden? Welches Alter und welche sozia‐ len bzw. (Bildungs-)Hintergründe haben sie? Welche Lernsozialisationen haben sie durchlaufen? Mit welchen Unterrichtsmethoden sind sie vertraut? Welche technische Ausstattung steht den Lernenden im Unterricht und zu Hause zur Verfügung? 223 17 Textauswahl Inhalt der Texte Dieses Kriterium spielt in didaktischen Überlegungen traditionell eine große Rolle. In der Fachdidaktik Deutsch und in der Fremdwie Zweitsprachendidaktik gewann seit den 1980er Jahren „das Ordnungsprinzip der thematisch orientierten Unterrichts‐ vorhaben, […] bei dem Texte verschiedener Gattungen und Epochen etwa zu den Themen Liebe, Krieg, Familie, Recht und Gerechtigkeit usw. vergleichend und unter Berücksichtigung des jeweiligen historischen Kontextes untersucht werden“ (Leub‐ ner/ Saupe/ Richter 2016: 160), an Bedeutung. Im Bereich Deutsch als Fremdsprache wurden thematische Textreihen u. a. im Hinblick auf das landeskundliche Lernen diskutiert, so finden sich etwa bei Bischof/ Kessling/ Krechel (2007: 72 ff.) Vorschläge für eine „(literarische) Reise nach Berlin“ und bei Esselborn (2010: 74 ff.) Vorschläge zur „Wendeliteratur“. Gisela Tütken (2002) stellt unter dem Titel Prisma. Begegnun‐ gen mit Deutschland in deutschsprachiger Gegenwartsliteratur Texte zu den Themen „Natur“, „Liebe“, „Heimat/ Fremde“, „Mitmenschen“, „Deutschland nach der Wende“, „Zeitzeichen“ und „Sprache als Material“ zusammen. Schiedermair (2010c: 9) schlägt die Arbeit mit verschiedenen Texten zur Fremde vor, Radwan (2011: 24 ff.) die Arbeit mit verschiedenen Gedichten der Neuen Subjektivität, die „individuelle Wahrnehmungen, Ängste, Wünsche, Träume“ zum Thema haben. Aktuell finden etwa Initiativen wie die von Sieglinde Grimm/ Berbeli Wanning in der Fachdidaktik Deutsch vorgeschlagene Themenorientierte Literaturdidaktik (TOLD) Beachtung, in deren erstem Band Kulturökologie und Literaturdidaktik einschlägige Beiträge, auch zum Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, versammelt sind. Wie die Herausgeberinnen schreiben, versteht sich dieser Ansatz als eine kon‐ struktive Reaktion auf die „Legitimationskrise“ des Literaturunterrichts, die durch den „PISA-Schock“ (Grimm/ Wanning 2016: 9) (→ Kap. 4) ausgelöst wurde und zu zahlrei‐ chen „einschlägigen empirischen (Bildungs-)Studien“ (ebd.: 10) geführt hat. Der Ansatz zielt darauf, sich weder mit „Wissensvermittlung“ noch mit „Kompetenzorientierung“ zu begnügen, sondern „sich wieder auf die Inhalte zu besinnen, diese aber in einer literaturdidaktischen Weise zu präsentieren, die sich den positiven Aspekten der […] Entwicklung der letzten Dekade nicht verschließt“ (ebd.: 10). Folglich stellt TOLD „aktuelle und traditionelle Themen fachwissenschaftlich fundiert, aber mit einem spezifisch literaturdidaktischen Blick vor“ (ebd.: 10). Anregungen für thematisch orientierte Textensembles lassen sich auch in den Heften der Zeitschrift Literatur im Unterricht. Texte der Gegenwartsliteratur für die Schule finden, so in jüngerer Zeit zu den Themen Krankheit erzählen (2/ 2017), Glück (1/ 2018), Technik und Technologie in der Gegenwartsliteratur (2/ 2018) und Natur (2/ 2019). Ein thematisch orientiertes Arbeiten mit (literarischen) Texten ist auch für einen Fremd- und Zweitsprachunterricht konstitutiv, dessen übergreifende Zielsetzung in der Förderung einer fremdsprachigen Diskursfähigkeit besteht. Ein Diskurs (→ Kap. 10) kann vereinfacht als ein größerer, thematisch kohärenter Redezusammen‐ hang definiert werden (vgl. Hallet 2009: 70). Die Menge der sprachlichen Äußerungen, 224 17 Textauswahl die in einem solchen Redezusammenhang stehen können, ist prinzipiell unendlich. Ein Diskurs ist nicht begrenzt. Im Unterricht kann er daher nur als Diskursausschnitt zum Gegenstand von Lehr- und Lernprozessen werden, als ein thematisch organisiertes Textnetz (→ Kap. 10, 18), in dem verschiedene sprachliche Äußerungen bzw. Texte angeordnet sind, die sich auf verschiedene Weisen aufeinander beziehen (lassen) und sich so wechselseitig Bedeutungen zuweisen, während ihnen gleichzeitig auch von den Leser*innen (verschiedene) Bedeutungen zugewiesen werden. Solche thematisch orientierten Textnetze als Diskursausschnitte werden für den Unterricht und mögliche häusliche Lektüren sicher zunächst als Vorschlag von den Lehrenden arrangiert, sollten aber soweit möglich mit den Lernenden diskutiert werden und eine Offenheit für ständige Erweiterungen durch die Lernenden wahren. Zu fragen ist, wie Themen gewonnen werden können, ob und wie „sich für die ausschnitthafte Repräsentation, die Rekonstruktion oder die Modellierung kultureller Diskurse im Fremdsprachenun‐ terricht eine Struktur bestimmen lässt“ (Hallet 2002: 36). Eine mögliche Lösung wäre eine grundlegende Orientierung an drei diskursiven Sphären, denen die im Unterricht repräsentierten Diskurse angehören sollten: a. lebensweltliche Diskurse der Lernenden, b. fremdsprachige Diskurse, c. transkulturelle, globale Diskurse (vgl. Hallet 2009: 74). Für Deutsch als Fremdsprache wurden in jüngster Zeit bspw. Textnetze zur Globa‐ lisierung (Grimstein/ Hille 2018, → Kap. 10), zu Flucht und Migration in der Gegen‐ wartsliteratur (Hille/ Schiedermair 2018, → Kap. 13) und zum Erzählen von Flucht (Schiedermair 2020, → Kap. 18) erarbeitet. Bei allen Überlegungen zur Arbeit mit thematisch orientierten Lehr- und Lernarran‐ gements, Textarrangements, Textensembles oder Textnetzen darf jedoch nicht verges‐ sen werden, dass gerade literarische Texte nicht immer konsistent in ihrem Thema bzw. ihrem Sinn sind, sondern sich eindeutigen Sinn- und Bedeutungszuschreibungen häufig verweigern. Struktur und Umfang der Texte Der Schwierigkeitsgrad eines Textes ist kaum ‚absolut‘ bestimmbar. Für ihn sind von Bedeutung: ■ ‚leserseitige‘ Komponenten wie □ Lese- und Mediengewohnheiten □ lebensweltliches (Vor-)Wissen □ Interessen □ Sprachkompetenzen und ■ ‚textseitige‘ Komponenten wie □ inhaltliche bzw. thematische Aspekte □ sprachliche Einfachheit 225 17 Textauswahl □ semantische Dichte □ Redundanz □ Textkohärenz □ Gliederung und Präsentation des Textes □ Textlänge Was die sprachliche Einfachheit betrifft, lässt sich sicher festhalten, dass geläufiges Vokabular und einfacher Satzbau zur sprachlichen Einfachheit beitragen und ein Verstehen auch auf Sprachniveaus wie A1 und A2 erleichtern bzw. ermöglichen können. Allerdings können sie keine Garantie sein, entziehen sich literarische Texte doch oft trotz einer vermeintlich leichten Sprache einfachen Bedeutungszuweisungen. Zur Verständlichkeit eines Textes können weiterhin eine geringere semantische Dichte sowie stärkere Redundanzen in Form von Wiederholungen, Synonymen und Paraphrasierungen beitragen. Diese haben zudem behaltensfördernde Effekte. Textkohärenz, Gliederung und Präsentation des Textes sind ebenfalls Aspekte, die das Textverständnis erleichtern können. So lässt sich ein klar aufgebauter (im Falle eines narrativen Textes bspw. ein chronologisch erzählter) und deutlich gegliederter Text (im Falle eines narrativen Textes bspw. in einzelne Abschnitte bzw. Kapitel, im Falle eines lyrischen Textes bspw. in Strophen) leichter erschließen als ein Text, der mit diesen Prinzipien spielt und von ihnen abweicht. Im Hinblick auf den Präsentati‐ onsmodus lässt sich festhalten, dass ein im großzügigen Druckbild präsentierter Text den Lektüreprozess unterstützt. Nicht zuletzt die Textlänge hat Einfluss darauf, ob Lernende sich einen Text erschließen können oder nicht. Wie unten noch weiter ausgeführt wird, muss sie stets in einem angemessenen Verhältnis zu den vorhandenen Zeitressourcen gewählt werden. Gleichzeitig gilt es zu beachten, dass kurze Texte nicht immer leicht zugänglich sind. Auch wenn sie sprachlich besonders zugänglich erscheinen, wie z. B. kurze lyrische Texte, sind sie nicht immer einfach zu verstehen. Sie können etwa ein hohes Maß an Literarizität oder an (semantischen) Leerstellen, die es beim Lesen zu füllen gilt, aufweisen. Literarizität der Texte Auf Elemente einer besonderen Gestaltung der Sprache, also der Literarizität eines Textes bzw. mehrerer Texte (→ Kap. 1, 9), sind die Lernenden in der Regel in der gemeinsamen Lektüre im Unterricht (ergänzend) aufmerksam zu machen. Sie erschließen sich, zumal in der Fremd- oder Zweitsprache, nicht so leicht. Gleichzeitig sind diese Elemente aber konstitutiv für die Bedeutungsbildung eines Textes; ihre Wahrnehmung und kritische Reflexion ist damit ein zentraler Aspekt im Rahmen von Textlektüren, die auf eine Diskursfähigkeit der Lernenden zielen und insofern darauf ausgerichtet sind, diskursive Konstruktionsprozesse wahrzunehmen. Lehrende müssten bei entsprechender Zielsetzung im Unterricht zunächst Texte identifizieren, die sich für eine „literarische Spracharbeit“ eignen, und sie anschließend mit einem „literarizitätsorientierten Blick“ (Dobstadt/ Riedner 2013: 239) für die Lektüren im 226 17 Textauswahl 10 Zu den Illustrationen in literarischen Texten von Andreas Steinhöfel vgl. Hanner/ Mikota (2018: 211); sie entwickeln auch ein allgemeines Modell zur Analyse von Illustrationen in Kinderbüchern, das die Kriterien „Inhalt“, „Art und Weise der Darstellung“, „Verhältnis Text-Bild“, „Funktion der Illustration“ vorschlägt (ebd.: 213-217), und diskutieren, inwieweit Illustrationen unterstützend im Lektüreprozess wirken. Unterricht vorbereiten. In gleicher Weise ist es natürlich möglich, bereits aus anderen Gründen ausgewählte oder von den Lernenden vorgeschlagene Texte im Hinblick auf deren Literarizität zu lesen. Für die Lehrenden heißt es in jedem Fall, dass sie die sprachlichen Elemente, die Literarizität konstituieren, wie etwa Klang- und Wortfiguren oder Tropen, analysieren müssen, um nachfolgend zu konzipieren, wie sie sie gemeinsam mit den Lernenden erschließen. Illustrationen zu den Texten Ansprechende Illustrationen können die Rezeption von Texten unterstützen. Sie finden sich nicht nur in Kinderbüchern wie bspw. Die Landmaus und die Stadtmaus von Elizabeth Shaw (2000), Am Südpol, denkt man, ist es heiß von Elke Heidenreich und Quint Buchholz (1998) (vgl. auch Hille 2015, → Kap. 14) oder den von Peter Schössow illustrierten Romanen von Andreas Steinhöfel. 10 Zu denken wäre auch an die Illustrationen und Schwarzweiß-Fotografien in Judith Schalanskys Romanen und Erzählungen (s. etwa Schiedermair 2015c) oder an die Fotografien in Matthias Polityckis In 180 Tagen um die Welt: Das Logbuch des Herrn Johann Gottlieb Fichtl (2008) (s. etwa Hille 2016). Illustrationen sollten im besten Fall „ein reges und diversifiziertes Bedeutungsgeflecht mit dem Text eingehen“ und „sowohl Text als auch Illustrationen […] sollten Leerstellen anbieten“ (Burwitz-Melzer 2007a: 226), die in der Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen anregend wirken können. Gattungs- und Medienvielfalt Bei der Auswahl von literarischen Texten für den Unterricht sollte auf eine Viel‐ falt an Gattungen und medialen Formaten (→ Kap. 11) geachtet werden: Kinder- und Abzählreime, Lieder, Lyrik, Konkrete Poesie, Slam Poetry, Fabeln, Märchen, Kurzgeschichten, Erzählungen, Romane, (kurze) dramatische Texte, Comics, Graphic Novels, Essays, Reportagen, Hörspiele, Spielfilme und Kurzfilme sowie verschiedene Formen von digitaler Literatur sind grundlegend für den Fremd- und Zweitsprachen‐ unterricht geeignet und eröffnen eine große Bandbreite an möglichen Lektüren. Sie weisen jedoch unterschiedliche Spezifika und Eignungsmerkmale auf und sind mit differenzierten Zielsetzungen im Unterricht einzusetzen. Gleichzeitig ermöglichen unterschiedliche mediale Formate unterschiedliche Zugänge und schließen an unter‐ schiedliche Rezeptionsgewohnheiten von Lernenden an. Dies gilt es bei der Auswahl von Einzeltexten im Auge zu behalten, aber auch bei der Arbeit mit mehreren Texten bspw. anhand von Textnetzen. 227 17 Textauswahl 11 Zum literarischen und filmischen Erzählen im Zusammenhang von Deutsch als Fremdsprache vgl. u. a. die beiden Beiträge von Renate Bürner-Kotzam (2011a, 2011b). Vgl. auch den Grundlagenband von Abraham (2009). 12 Zur Arbeit mit Hörspielen allgemein und an einem konkreten Beispiel in einem Literaturkurs in der internationalen Germanistik vgl. etwa Folkvord (2011). Adaptionen und Übersetzungen Ein weiteres mögliches Kriterium für die Textauswahl ist das Vorliegen von (Thea‐ ter-, Film-, Comic- oder Hörspiel-)Adaptionen und von Übersetzungen. Vielleicht möchten Lehrkräfte Fernseh- oder Videoaufzeichnungen von Theaterinszenierungen etwa des Romans Tschick von Wolfgang Herrndorf, die Verfilmung des Romans oder die verschiedenen Verfilmungen von Erich Kästners Emil und die Detektive  11 oder Comics nach ‚berühmten‘ Texten wie Goethes Faust (etwa Flix (2010): Faust. Der Tragödie erster Teil) in ihren Unterricht einbeziehen? Oder Hörspielfassungen von Texten wie Friedrich Dürrenmatts Die Physiker? 12 Das Angebot an Materialien und die methodischen Möglichkeiten sind in jedem Fall groß, sowohl im Hinblick auf die Arbeit mit Einzeltexten wie auch mit Textnetzen. Wahrscheinlich bietet sich auch hier die Arbeit mit Ausschnitten an. So könnten sogar verschiedene Theaterinszenierungen, Filme, Comics oder Hörspielfassungen miteinander verglichen werden. Von diesen sind zum Teil auch Trailer oder Fotos im Netz zu finden, die sich ebenfalls in Lektüreprozesse integrieren lassen. Außerdem kann man die Vorteile nutzen, die eine vorliegende Übersetzung in der L1 der Lernenden oder einer L2 oder L3, die sie beherrschen, bietet. Textfassungen kön‐ nen dann miteinander verglichen werden. Dabei kann für Bedeutungsbildungsprozesse und diskursive Konstruktionen sensibilisiert werden, die die gewählten sprachlichen Verfahren im Ausgangstext im Vergleich zur Übersetzung initiieren, sowie für die damit erzielten Wirkungen und Bedeutungsnuancen (s. etwa Kramsch/ Huffmaster 2008). Im neuen Begleitband des GER (2020) kommen solche Verfahren mit dem neuen Kapitel Mediation in den Blick, das die angemessene Übertragung in einen fremdsprachlichen Zusammenhang als eigenen Bereich im Fremdsprachenunterricht ausweist. Damit spricht es dem Kontext eine große Bedeutung zu und dem Aspekt von co-constructing of meaning (vgl. ebd.: 112), der die Rezeptionssituation und die Rezipierenden im Blick hat und ihnen eine systematische Position einräumt. Unterrichtsidee Ein Vergleich von Übersetzungen mit dem deutschsprachigen Original kann bereits mit kleinem Aufwand zu interessanten Ergebnissen führen. So könnte man etwa die verschiedenen Titel von Wolfgang Herrndorfs 2010 auf Deutsch erschienenem Roman Tschick, der in über zwanzig Sprachen übersetzt wurde, miteinander vergleichen. Die Titel lassen darauf schließen, was den Verlagen als jeweils anschlussfähig für ihr Publikum erscheint. Hier das Rechercheergebnis 228 17 Textauswahl 13 Auch die Ausgaben auf Ungarisch (2012: Csikk), Polnisch (2013: Czik) und Tschechisch (2012: Čik) haben den deutschen Titel übernommen. 14 Wenn man den Titel ausspricht, zeigt sich eine (lautliche) Ähnlichkeit zum Filmtitel Good Bye, Lenin (2003, Regie: Wolfgang Becker), der international stark rezipiert wurde bzw. wird. 15 Das ist keine Übersetzung, sondern eine Transkription von Good bye, Berlin; vgl. den Titel der französischen Ausgabe, evtl. wurde dieser als Ausgangspunkt für den Titel der russischen Ausgabe gewählt. Vgl. auch Fußnote 16. 16 Wie beim russischen Titel wird hier keine koreanische Entsprechung für „Walachei“ gewählt, sondern der geografische Name transkribiert; vgl. auch Fußnote 15. 17 Zum Aspekt „Stereotype“ in Herrndorfs Roman Tschick vgl. Rösch (2015) und Hoge-Benteler (2015). aus Seminaren mit internationalen Studierenden an der Universität Jena 2014 und 2015: Den deutschen Titel Tschick haben die Übersetzungen ins brasilianische Portugiesisch (2011: Tchick), 13 ins Norwegische (2012: Tschick - Adjø, Berlin! ) und ins Japanische (2013: Tschick - 14 歳、ぼくらの疾走 マイクとチック / Tschick - 14 sai, bokura no shisso: maiku to chikku - Tschick - 14 Jahre, unser Rennen: Maik und Tschick) beibehalten, z.T. durch Untertitel ergänzt. Dabei fällt auf, dass der japa‐ nische Titel darauf hinweist, dass es um zwei 14-jährige Jungen geht. Vermutlich, um den Assoziationsspielraum zu nutzen, der sich mit Berlin verbindet, haben mehrere Übersetzungen den Stadtnamen in den Romantitel aufgenommen, etwa die Übersetzungen ins Französische (2012: Goodbye, Berlin), 14 Norwegische (2012: Tschick - Adjø, Berlin! ), europäische Portugiesisch (2013: Adeus, Berlim) und Russische (2015: Гуд бай, Берлин! - Gud baj, Berlin). 15 Ebenfalls mit einem Titel, der sich an Goodbye, Berlin orientiert, lief der Film zum Roman (2016, Regie: Fatih Akin) in Taiwan auf dem Taipei Golden Horse Film Festival im November 2016; anders als im Russischen wurde jedoch nicht eine Transkription gewählt, sondern eine Übersetzung 再見柏林 - Zài jiàn Bólin - Auf Wiedersehen, Berlin. Überraschend ist der Titel der koreanischen Übersetzung (2012: 우리들의 발라카이 - Unsere Walachei), 16 der eine anspielungsreiche Bezeichnung einer Region aufgreift, deren metaphorische Ebenen für das koreanische Lesepublikum vermutlich nicht einfach zu erschließen sind. Die Übersetzungen ins Italienische (2012: Un’ estate lunga sette giorni - Ein 7-Tage-Sommer) und ins Englische (2014: Why we Took the car) sowie die Ausgabe in der VR China (2014: 公路少年 - Jugendliche auf dem Weg) nutzen für den Titel weder die Bekanntheit Berlins, noch verwenden sie den vermutlich eher unbekannten Namen Tschick; sie spielen nicht den Ort und die Personen, sondern jeweils unterschiedliche Aspekte der Handlung an, die Reise bzw. den Autodiebstahl der beiden Hauptfiguren des Romans. 17 229 17 Textauswahl Abb. 22: Tschick, Cover der koreanischen Ausgabe Abb. 23: Tschick, Cover der norwegischen Ausgabe Abb. 24: Tschick, Cover der tschechischen Ausgabe Neben diesen grundlegenden Auswahlkriterien gibt es eine Reihe von zusätzlich zu beachtenden Aspekten. So ist es ‚leserseitig‘ bei der Arbeit mit Literatur im Unterricht immer wichtig, die Lernenden als Lesende nicht zu überfordern, ihnen aber auch nicht zu wenig zuzutrauen, sie nicht zu unterfordern - weder in der Auswahl der Texte noch während der gemeinsamen Lektüren, die durch Aufgaben strukturiert und gesteuert werden (→ Kap. 19). ‚Textseitig‘ wird im Kontext von Fragen der Textstruktur und -länge in der (fremdsprachen-)didaktischen Forschung auch die Verwendung von Ganzschriften vs. Textauszügen im Unterricht diskutiert. Konsens besteht darüber, dass die Lektüre von Ganzschriften, wo immer möglich, vorzuziehen ist, da nur dann die ästhetischen Textqualitäten umfänglich deutlich werden können. Allerdings sind Lehrkräfte in der Folge oft ausschließlich auf der Suche nach kurzen Texten. Die Gattungsvielfalt und auch das Spektrum möglicher Texte, die im Unterricht als Einzeltexte oder in einem Textnetz arrangiert eingesetzt werden können, sind damit eingeschränkt. Uns scheint, auch wenn bei entsprechenden Rahmenbedingungen die Lektüre ganzer Texte vorzuziehen ist, die Lektüre von Textauszügen in Lehre und Unterricht mitunter notwendig und möglich, um ■ (aktuelle) Diskurse mit Lernenden zu erschließen und ihnen dadurch die Partizi‐ pation an diesen Diskursen zu ermöglichen; ■ Texte miteinander ‚ins Spiel‘ zu bringen; ■ mit Lernenden anhand ihrer Lektüreerfahrungen zu beobachten, wie sich Texte wechselseitig Bedeutungen zuweisen. Eine Diskursfähigkeit als übergreifendes Lehr- und Lernziel des Fremdsprachenun‐ terrichts legt eine solche Arbeit mit literarischen Texten nahe: Wenn man sich im Unterricht nicht (immer) auf lyrische Texte, Kurzgeschichten, Minidramen, Fabeln, 230 17 Textauswahl 18 Vgl. auch Freitag/ Gymnich (2007: 273), Freitag-Hild (2010), O’Sullivan/ Rösler (2013: 71 f.), Leub‐ ner/ Saupe/ Richter (2016: 259). Euba/ Warner arbeiten in dem von Dobstadt/ Riedner herausgegebenen Band Literatur Lesen Lernen. Lesewerkstatt Deutsch 2 (2017) ebenfalls mit Textauszügen. Vgl. auch For‐ noff (2011): In einer kleinen Studie hat er Studierende die Arbeit mit literarischen Textausschnitten im Vergleich zu Ganzschriften evaluieren lassen; 20 von 23 Teilnehmenden fanden dieses Vorgehen sinnvoll. Als Begründung wurde u. a. angegeben, man könne so „mehrere Texte behandeln und sie bis zum Detail analysieren“, man hätte „dadurch ein breiteres Spektrum an Werken und kann die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Werken besser verstehen“ (ebd.: 516). Anekdoten u. ä. beschränken möchte bzw. nicht über ausreichende zeitliche Ressourcen verfügt, um mit den Lernenden auch längere Texte wie Romane im Ganzen zu lesen, kann nur mit Textauszügen gearbeitet werden. Mehrere Romane etwa können in den meisten Lehr- und Lernzusammenhängen von Deutsch als Fremd- und Zweit‐ sprache sowie der internationalen Germanistik in einzelnen Schulhalbjahren oder Hochschulsemestern kaum ganz gelesen werden. Insofern bleibt nur die Lektüre von Textauszügen, will man die Lernenden bzw. Studierenden dennoch an umfangreiche Texte heranführen und sie ermuntern, diese weiterzulesen (vgl. auch Šlibar 2011: 93) und ihre (sich verändernden) Positionen in Diskursen zu beobachten. Betont werden sollte in solchen Fällen aber immer, dass der vorliegende Text ein Auszug und nicht der gesamte Text ist. Bei entsprechend sorgfältiger Vorbereitung und deutlichen Hinweisen stellt die Arbeit mit Textauszügen eine probate Alternative dar zur oft nicht möglichen Arbeit mit Ganzschriften. Nicht zuletzt wird die Auseinandersetzung mit Auszügen von Lernenden nicht selten als Inspiration aufgenommen, in privater Lektüre die Texte weiterzulesen; Ausschnitte können so sehr wohl auch zur Anregung zum extensiven Lesen werden. 18 Die genannten Kriterien und Aspekte der Textauswahl orientieren sich auf der Basis etablierter Perspektiven einer Literaturdidaktik in Deutsch als Fremd- und Zweitspra‐ che (→ Teil II) an neuen Perspektiven der fachwissenschaftlichen Diskussion (→ Teil III) und zielen vor allem auf eine Arbeit mit Literatur ■ die den Einzeltext berücksichtigt, ■ das Vorgehen jedoch, wo immer möglich, auf die Arbeit mit größeren Textmengen ausweitet, ■ Texte als Teile von Diskursen versteht, ■ für Bedeutungsbildungsprozesse sensibilisieren möchte, ■ dafür sprachliche Verfahren wahrnehmen und verstehen möchte, ■ wobei sie Form allgemein als bedeutungsgenerierenden Faktor berücksichtigt ■ und damit die Literarizität der Texte ernst nimmt. Für die Auswahl von Texten kann es keine stets und überall gültigen Vorgaben oder Erleichterungen in Form von Listen ‚bewährter‘ und für bestimmte Sprachniveaus geeigneter Texte geben (→ Kap. 3). Wichtig ist, schon bei der Textauswahl sowohl die Lernenden wie auch die geplanten Lehr- und Lernprozesse im Blick zu haben. Wie bei allem Unterrichten gilt es auch bei der Auswahl und Arbeit mit literarischen Texten 231 17 Textauswahl die Faktorenkomplexion zu akzeptieren und immer wieder zu reflektieren, warum und wozu man die Lektüren von (diesen) literarischen Texten wählt. 232 17 Textauswahl 18 Phasen der Textlektüren Mit der Auswahl des Textes oder der Texte (→ Kap. 17) werden bereits eine Reihe von Entscheidungen getroffen, welche die Grundlage für eine konkrete Unterrichtsplanung und damit von großer Bedeutung sind. Wie im vorausgehenden Kapitel ausgeführt, ist es dabei zunächst wichtig, die Unterrichtsziele, auch mit Blick auf den institutionellen Rahmen und die Zielgruppe, festzulegen. Wenn in Übereinstimmung mit ihnen und mit den anderen Kriterien zur Textauswahl - Inhalt der Texte, Struktur und Umfang der Texte, Literarizität der Texte, Illustrationen zu den Texten, Gattungs- und Medienviel‐ falt, Adaptionen und Übersetzungen (→ Kap. 17) - ein oder mehrere Texte begründet ausgewählt wurden, beginnt die Planung der Lektüreprozesse, wiederum eine kom‐ plexe Herausforderung, bei der es eine Vielzahl an Faktoren zu berücksichtigen gilt (vgl. Wicke 2010). Im allgemeinen Bedingungsgefüge des Fremdsprachenunterrichts sind bei der Planung von Lehr- und Lernprozessen bzw. von Unterricht die in der Forschung entwickelten grundlegenden methodischen Prinzipien wie Handlungsorientierung, Lerner*innen- und Prozessorientierung sowie Aufgabenorientierung (→ Kap. 19) zu berücksichtigen. Darüber hinaus wird in der Literaturdidaktik stets auch von den Vermittlungsgegenständen, i.e. von den literarischen Texten und ihrer Spezifik aus argumentiert. Nicht ausschließlich, aber primär in dieser Perspektive entwirft Neva Šlibar in ihrer Einführung in die Arbeit mit Literatur im Unterricht Deutsch als Fremdsprache (2011: 72 ff.) Grundregeln, die bei der Unterrichtsplanung im Sinne von Leitlinien hilfreich sein können. Sie werden hier in leicht veränderter Form wiedergegeben: 1. Im Mittelpunkt der Vorbereitung, Begleitung und Reflexion von Lektüreprozessen stehen immer die literarischen Texte als solche. 2. Literarische Texte sollten als literarische Texte verwendet und nicht auf sprachli‐ ches Übungs- oder landeskundliches Informationsmaterial reduziert werden. 3. Die Förderung der sprachlichen Fertigkeiten (→ Kap. 5) steht nicht im Mittelpunkt der Lektüreprozesse, stellt aber einen (natürlich wünschenswerten) Effekt dar. 4. Zu viel Kontextwissen - etwa biografisches Wissen zu Autor*innen, Wissen um literarische Formen und deren Merkmale ohne eine Vertiefung und Funktionali‐ sierung anhand der Texte - kann die Lektüreprozesse stören. Es muss folglich jeweils genau überlegt werden, ob und wie solches Wissen eingeführt und genutzt wird. 5. Die Arbeit mit literarischen Texten erfordert insbesondere einen bewussten Um‐ gang mit dem Offenen, Mehrdeutigen, Radikalen, Unerhörten, Unfassbaren, Ab‐ weichenden oder Normbrechenden des Literarischen und Ästhetischen (→ Kap. 1, 9). Es gilt, dies nicht zu verharmlosen, zu neutralisieren oder zu domestizieren. 1 Zu verschiedenen Phasenmodellen in der Deutschdidaktik im Überblick vgl. Leubner/ Saupe/ Richter (2016: 185 f.). Zu einem Vier-Phasen-Modell in Deutsch als Fremdsprache, das hier nicht näher erläutert wird, vgl. Behrendt (2016). 2 Vgl. in kritischer Auseinandersetzung auch Rösler/ Würffel (2017: 109). Eine zu starke Vereindeutigung oder Simplifizierung ‚entschärft‘ die Literatur und nimmt ihr die wichtigsten ihrer möglichen Reize und Funktionen. 6. Die Lernenden als Lesende sind wichtige und ernst zu nehmende Akteur*innen in Lektüreprozessen. Sie sollten so weit wie möglich selbstständig arbeiten (dürfen). 7. Die Lernenden sollten nicht unterfordert werden. Dazu gehört auch das Vertrauen, dass sie in der Lage sind, sich anhand angemessener Aufgaben mit Texten aus‐ einanderzusetzen, die zunächst vielleicht im Hinblick auf ihren Inhalt oder ihre sprachliche Form als zu komplex erscheinen. 8. Literarische Texte wie Gedichte, Slam Poetry oder kurze Auszüge aus Dramen können auch auswendig gelernt und im Unterricht oder in geeigneten Präsentati‐ onsmedien (verschieden) performt werden. Nicht auswendig gelernt werden sollte hingegen Kontextwissen wie das oben genannte zu Autor*innen oder literarischen Formen. 9. Wenn es um die Planung von längeren Unterrichtseinheiten geht, sollten Ziel‐ setzungen und möglicher Verlauf der Lektüren transparent gestaltet werden. Lernziele können so zu ‚Lerner*innenzielen‘ werden, übergreifend für die gesamte Unterrichtseinheit wie auch für jede einzelne Unterrichtsstunde. 10. Die Textauswahl darf originell sein und durchaus auch die Frage der Lehrkraft berühren: Was würde mir Spaß machen? (→ Kap. 17) Für die Phasierung von Lektüreprozessen, die für die Planung von Unterricht selbstverständlich eine große Rolle spielt, gibt es verschiedene Modelle - in der Regel werden drei, vier oder fünf Phasen vorgeschlagen. 1 Wichtig ist in jedem Fall, die einzelnen Phasen vom Lektüreprozess her und von ihren Funktionen in diesem zu denken und nicht einfach als zeitliche Abfolge wie z. B. in den oft sogenannten Phasen „vor dem Lesen/ Hören/ Sehen“, „während des Lesens/ Hörens/ Sehens“ und „nach dem Lesen/ Hören/ Sehen“. Diesen Phasen werden in Lehrwerken, aber auch in Forschungs‐ beiträgen oder Handreichungen für die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften in der Regel verschiedene mögliche Aktivitäten von Lernenden zugeordnet, ohne dass deren Zielsetzungen verdeutlicht würden. 2 Unterrichtsidee So arbeiten etwa Bischof/ Kessling/ Krechel mit Blick auf Landeskunde und Lite‐ raturdidaktik (2007/ 1999) mit diesen Phasen und erarbeiten für Texte von Rudolf Otto Wiemer, Ernst Jandl und Peter Bichsel entsprechende Unterrichtsvorschläge (→ Kap. 7). Sie schlagen (ebd.: 45-51) für die Phase „vor der Textarbeit“ zu dem Gedicht Markierung einer Wende (1992/ 1984) von Ernst Jandl (→ Kap. 7) vor, 234 18 Phasen der Textlektüren 3 Ähnlich geht Marie-Luise Brandi (1998) mit Blick auf Film im Unterricht vor. 4 Auch Einzeltexte - deren Lektüre im Fremdsprachenunterricht nach wie vor ihren Platz hat und sei es mit einübendem, exemplarischem Charakter (vgl. auch Hallet 2002: 66) - können nach diesem Modell (Phase 1 und 2) gemeinsam gelesen werden. zunächst nur die Zahl 1945 zu zeigen, die Lernenden zu bitten, Vermutungen dazu anzustellen und in weiteren Schritten einzelne Textteile zu präsentieren, bis das Gedicht komplett sichtbar ist. Bei der nun beginnenden Phase „während der Textarbeit“ sollen die Lernenden zunächst einen Titel für das Gedicht finden, dann u. a. Überlegungen dazu anstellen, was die Wörter „Krieg“ und „Mai“ miteinander zu tun haben könnten. Für die Phase „nach der Textarbeit“ werden Aktivitäten vorgeschlagen wie das Verfassen von Zeitungsbeiträgen oder die Ausarbeitung eines Vergleichs mit einem thematisch ähnlichen Gedicht. 3 Kritisch ist an diesem Vorgehen, dass den genannten Phasen „vor“, „während“ und „nach“ mögliche Aufgabenstellungen und Aktivitäten der Lernenden zugeordnet werden, ohne dass deren Funktionen für die initiierten Lektüreprozesse oder gewählten Zielsetzungen reflektiert würden. Wir schlagen zwei unterschiedlich umfangreiche Modelle vor, in denen die einzelnen Phasen im Hinblick auf ihre je spezifischen Funktionen für eine fremd- und mehrsprachige Diskursfähigkeit als übergreifender Zielsetzung des Fremdsprachenun‐ terrichts bestimmt werden. Analytische, kreative und performative Verfahrensweisen (→ Kap. 20) sollten sich in den einzelnen Lektürephasen ergänzen. Das von Simone Schiedermair (2011a, 2015b) entwickelte Vorgehen geht von drei Phasen aus. Es eignet sich für kürzere Unterrichtseinheiten sowie kürzere Texte 4 und kann auch im Anfängerunterricht eingesetzt werden. Am Anfang steht die möglichst direkte Begegnung mit dem Text (Phase 1), die zunächst vielleicht auch irritierende, schwierige und herausfordernde Begegnung der Lernenden mit dem literarischen Text ohne vorentlastende Aktivitäten „vor dem Lesen/ Hören/ Sehen“. Die Lerner*innen sollen zunächst die Möglichkeit erhalten, sich individuell und dann in kleinen Gruppen mit dem ausgewählten Text auseinan‐ derzusetzen. Er wird ihnen dafür in einer Form zur Verfügung gestellt, in der sie Markierungen anbringen können, sei es eine Papierversion oder eine digitale Version, die eine Kommentierung erlaubt. In Partnerarbeit oder kleinen Gruppen wird der Inhalt des Textes so erarbeitet, dass er im Plenum präsentiert werden kann. Das kann bspw. eine Skizze an einer Tafel, Flipchart oder einem Whiteboard sein oder eine Mindmap, eine mündliche Zusammenfassung oder eine Performance als Rap, eine szenische Darstellung oder ein Standbild, eine Umsetzung mit digitalen Medien oder Collagen aus Papier. In der Regel werden sehr unterschiedliche Präsentationsformen gewählt. Durch diese verschiedenen Bearbeitungen rücken unterschiedliche Aspekte des Textes in den Fokus, unterschiedliche Zugänge und Lektüreprozesse werden sichtbar. Diese 235 18 Phasen der Textlektüren 5 In ihrer 2017 erschienen Materialsammlung Literatur Lesen Lernen schlagen Nikolaus Euba und Chantelle Warner ähnliche Phasen vor (ebd.: 11). erste Phase zielt darauf, dass die Lernenden die Anschaulichkeit eines Textes in einer bewusst ungelenkten Erstbegegnung realisieren, die von den Lernenden selbst so weit rationalisiert wird, dass sie in eine Präsentation überführt werden kann. Es geht darum, „auch individuelle Vorstellungsbilder, in denen die Anschaulichkeit des Textes konkretisiert wird, in der Gruppe vorzustellen“ (Schiedermair 2011a: 29). Auf dieser Basis geht es um ein Aushandeln von Verstehensoptionen (Phase 2). Vorzugsweise in Gruppen- oder Partnerarbeit setzen sich die Lernenden nun mit allen Dimensionen des Textes auseinander, mit seiner Vieldeutigkeit, mit den ästhetischen Strategien des Textes und den von ihnen initiierten Bedeutungsbildungsprozessen und Rezeptionsangeboten sowie mit seinen Beziehungen zu möglichen Kontexten, aus denen sich zusätzliche Reflexionspotenziale ergeben. Dabei gilt es, nicht das undifferenzierte Verständnis zu tradieren, dass „literarische Texte kulturelle Formen unverändert abbilden und man diese scheinbaren Abbildungen der Realität in der Textarbeit […] rekonstruiert“ bzw. rekonstruieren kann (ebd.). Stattdessen werden in enger Rückbindung an den Text Aspekte von Form analysiert und inhaltliche Dimensionen ausgelotet. Im Fokus steht dabei die Sensibilisierung für die Vieldeu‐ tigkeit und Offenheit literarischer Texte, für ihre Formen der Bedeutungsbildung, mithin für ihre Literarizität im Sinne Jakobsons, i.e. das Verweisen (literarischer) Texte auf ihre eigene sprachliche Verfasstheit (→ Kap. 1, 9). Das Wie und das Was eines Textes gilt es in vielfältiger Weise in Beziehung zu setzen und sich gleichzeitig auf die Unabschließbarkeit von Deutungsprozessen einzulassen. In unterrichtlichen Zusammenhängen, in denen die Lernenden die gleiche L1 haben, könnte die Gruppen- oder Partnerarbeit evtl. auch teilweise oder ganz in dieser Sprache stattfinden, damit eine differenzierte Auseinandersetzung möglich ist. In einem weiteren Schritt geht es um die Auseinandersetzung mit einem Textnetz (Phase 3). Der Fokus auf einen Einzeltext wird aufgegeben zugunsten einer Ausrichtung auf ein Textensemble. Diese dritte Phase setzt den Text in einen größeren Rahmen, der die vorher analysierten „Diskurszusammenhänge verstärken, abschwächen, ausweiten oder modifizieren kann“ (ebd.). Sie nimmt weitere Texte aus dem Diskursausschnitt hinzu und verfolgt den Text damit in seinem Zusammenspiel mit anderen Texten und in seiner Verflechtung in diskursive Konstruktionsprozesse gesellschaftlicher Zusammenhänge. Im Sinne des New Historicism werden „Diskursfä‐ den“ verfolgt wie sie „innerhalb und außerhalb des Textes vielfältig verwoben“ (Baßler 1995: 16) sind (→ Kap. 10). Es gilt zu beachten, dass damit keine Vereindeutigungen einhergehen. Vieldeutigkeiten und Offenheiten sollen wahrgenommen und deren kritisches Potenzial im Unterrichtsgespräch genutzt werden. Wie die Arbeit mit diesem Modell konkret aussehen kann, wird im Kapitel Mehrsprachigkeit (→ Kap. 13) am Beispiel des Gedichts Ich habe (1985) von Zafer Şenocak gezeigt (vgl. auch Schiedermair 2015b: 51 ff.). 5 236 18 Phasen der Textlektüren 6 „Wie haben Sie das gelesen“ war die Frage, mit der Dietrich Krusche in seinen Seminaren im Studi‐ engang Deutsch als Fremdsprache an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Gespräche eröffnet hat, vgl. Ehlich et al. (2010: 11). Wenn der zeitliche Rahmen weiter gesteckt ist, kann dieses Modell auch um zwei Phasen erweitert werden. Das hier vorgestellte Fünf-Phasen-Modell bezieht sich auch auf das Modell zur Arbeit mit literarischen Texten von Neva Šlibar (2011: 75 ff.). Phase 1: Einstieg in den Diskurs Hier werden von Lehrkraft und Lernenden Impulse zur Thematik gegeben bzw. zusammengetragen, (persönliche) Fragestellungen und lebensweltliche Erfahrungen formuliert. Ziel ist es, Interesse und vielleicht sogar Spannung aufzubauen und auf die folgende Arbeit einzustimmen. Die Motivation der Lernenden, sich auf das Folgende einzulassen, kann so erzeugt bzw. erhöht werden. Phase 2: Begegnung mit dem Text In dieser Phase geht es wie oben bereits dargestellt um die Erstbegegnung mit dem ausgewählten Textmaterial. Auch Šlibar (2011) stellt fest, dass literarische Texte „immer zuerst in ihrer Sinnlichkeit, mit den Sinnen und mit Genuss erlebt werden“ sollten (ebd.: 76). Hier kann es sich alternativ zu dem oben dargestellten Vorgehen auch anbieten, einen Text zunächst zu Gehör zu bringen - gelesen, vorgetragen oder performt von Schauspieler*innen, professionellen Erzähler*innen, Autor*innen oder Slam Poet*innen. Entsprechende Hörbücher sind leicht zu erwerben und Lesungen und Performances auch im Internet, z. B. auf Autor*innenhomepages oder Seiten wie zehnseiten.de oder lyrikline.org zu finden. Auch die Lehrkraft selbst kann den Text natürlich vortragen; im Idealfall ist sie im Erzählen oder Vorlesen geschult worden und mit professionellen Präsentationstechniken vertraut. Festzuhalten und mit den Lernenden an geeigneter Stelle auch zu reflektieren ist: Jedes Vorlesen, Erzählen, Vortragen oder Performen ist immer schon eine Textdeutung. Abgerundet werden kann diese Phase mit der Äußerung und dem Festhalten von unmittelbaren Reaktionen der Lernenden auf den Text: Erste Eindrücke, Assoziationen, (emotionale) Wirkungen und Irritationen, die das Lesen oder Hören induziert hat, können verbalisiert werden. Die Funktion dieser Phase ist mit der Funktion der ersten Phase in dem obigen drei‐ phasigen Modell vergleichbar. Es geht darum, dass die Lernenden die Anschaulichkeit eines Textes in einer bewusst ungelenkten Erstbegegnung realisieren und ein Stück weit rationalisieren. Unterstützt werden kann dies etwa mit Fragen wie „Was fällt mir auf ? “ oder „Wie lesen Sie denn das? “, 6 dagegen nicht mit der häufig empfohlenen Frage „Wie gefällt Ihnen der Text? “, die zu Kurzantworten wie „gut“ verleitet, die dann über mühsames Warum-Fragen weitergeführt werden müssen und in der Regel keinen Aufschluss über die Lektüreeindrücke geben. In jedem Fall sollten Lernende dazu 237 18 Phasen der Textlektüren ermuntert werden, auch Reaktionen wie Überraschung und Unverständnis zu äußern. Denn oft tendieren sie dazu, die Widerständigkeit einzelner Textstellen auszublenden, obwohl gerade diese Stellen konstitutiv für literarische Texte sind und sich in der Regel als lohnender Ausgangspunkt für weitere Lektüren erweisen (siehe auch die Studie von Winkler 2007). Phase 3: Aushandeln von Verstehensoptionen Im Mittelpunkt dieser Phase steht die Auseinandersetzung der Lernenden mit allen Dimensionen des Textes, mit seiner Vieldeutigkeit, den ästhetischen Strategien und den von ihnen initiierten Bedeutungsbildungsprozessen und Rezeptionsangeboten sowie mit den Beziehungen des Textes zu möglichen Kontexten. Eingesetzt werden können verschiedene Lesestile wie das globale und detaillierte Lesen (→ Kap. 5). So könnten zunächst im globalen Lesen - soweit erkennbar - Thema, Zeit, Raum und Handlung des Textes, zentrale Figuren bzw. Figurenkonstellationen, zentrale Textverfahren (bspw. Ironie) und zentrale Textsymboliken (bspw. Natursymboliken) ermittelt und in ihren Wirkungen untersucht werden. Die Befunde werden durch das detaillierte Lesen vertieft. Es zielt auf das Erkennen der ‚Machart‘ eines Textes durch mehrmalige Lektüre und Untersuchung auch einzelner Textstellen sowie durch die Wahrnehmung und Beschreibung von Strukturmerkmalen des Textes, die auf ihre möglichen Funktionen im Text und ihre möglichen Wirkungen auf die Leser*innen hin untersucht werden. Initiiert werden kann eine fast detektivische Arbeit am Text, die unterschiedliche Wahrnehmungen, Bedeutungszuweisungen und Sinnentwürfe der Leser*innen stützen wie auch in Konkurrenz zueinander und in Aushandlungsprozesse bringen kann. Es geht darum, sich mit dem Wie auseinanderzusetzen, also die jeweils spezifischen Strategien eines Textes wahrzunehmen, i.e. Bedeutungsbildungsprozesse nachzuvollziehen und die dafür gewählten Mittel zu erkennen. Geübte Lehrende moderieren diesen Prozess, indem sie die Beiträge der Lernenden, die diese aus ihrer je individuellen Textbegegnung heraus formulieren, weiterverwenden. In dieser Phase finden auch semantische Klärungen (neuer Wortschatz, schwierige Textstellen), grammatische Klärungen (neue Grammatik) und explizit eine Aktivierung bzw. ein Erwerb und Einsatz von Wissen (Alltags- und Weltwissen, Fachwissen) durch Erläuterungen und zusätzliche Informationen seitens der Lehrkraft oder durch eigenes Recherchieren der Lernenden statt. Phase 4: Auseinandersetzung mit einem Textnetz In dieser Phase werden die Befunde der bisherigen Lektüren überprüft und ggf. ausdifferenziert durch den Einbezug weiterer Texte, die in einem Textnetz (→ Kap. 10 und 17) miteinander verknüpft sind. Der zunächst gelesene Text wird (neu) kontextu‐ alisiert, er wird als Teil eines Diskurses erfahrbar. Die Lesart des gelesenen Textes kann sich in einer Re-Lektüre verändern; durch den Einbezug weiterer Texte können 238 18 Phasen der Textlektüren sich die Texte wechselseitig (neue) Bedeutungen zuweisen. Die Texte können in komplementärer, vergleichender und kontrastiver Weise gelesen werden (vgl. Hallet 2006b: 136). So können in erzählenden Texten z. B. die Figurenkonstellationen und zeitliche wie räumliche Verortungen der Handlungen in Bezug zueinander gesetzt werden. Das Augenmerk kann auf zentrale Textverfahren bzw. -symboliken sowie Strukturmerkmale der Texte und deren mögliche Funktionen gerichtet werden. Die Lernenden üben sich so in nicht-linearen Lektüren, die letztendlich dem Prinzip des Hypertexts, das in unserem Alltag eine immer größere Rolle spielt, entsprechen (→ Kap. 11). Ein Diskurs kann von ihnen als komplexes Konstrukt wahrgenommen werden. Sie können durch die eigene Tätigkeit nachvollziehen, dass ein Diskurs prinzi‐ piell unendlich ist, z. B. indem sie dem im Kontext des Unterrichts als Diskursausschnitt arrangierten Textnetz von ihnen selbst recherchierte Texte hinzufügen. Dies können auch Sach- und Informationstexte sein, der Fokus sollte aber auf literarischen Texten liegen (vgl. auch Burwitz-Melzer 2006: 117). Ziel dieser Phase ist es, dass die Lernenden den Sinn eines fremdsprachigen Diskurses (für sich) herstellen und mögliche Textbzw. Diskursfunktionen erkennen können, im Idealfall im Sinne einer symbolischen Kompetenz (→ Kap. 10). Zu überlegen ist, wie auch weitere literarische Texte zunächst sinnlich und genuss‐ voll erfahrbar werden und wie semantische und grammatische Klärungen zu ihnen sowie eine Aktivierung bzw. ein Erwerb und Einsatz weiteren Wissens erfolgen können, ohne dass der Unterricht durch das immer gleiche Vorgehen ‚zäh‘ wird - hier wäre auf methodische und mediale Vielfalt zu setzen. Phase 5: Transfer und Reflexion In dieser Phase soll den Lernenden verdeutlicht werden, dass und wie sie selbst an fremd- und mehrsprachigen Diskursen partizipieren. Das kann je nach Fokus des Unterrichts in Form einer Transferaufgabe oder einer Reflexionsphase geschehen, im Idealfall wären beide durchzuführen. In einem Transfer erstellen die Lernenden selbst Texte, in mündlicher und/ oder schriftlicher Form. Dies können literarische Texte sein, die vorgetragen oder per‐ formt, in einer (Foto-)Ausstellung oder Filmvorführung präsentiert oder in einer (Online-)Zeitschrift, einem Blog o. a. veröffentlicht werden. Dies können auch zusam‐ menfassende bzw. informierende Texte z. B. zum Thema des Diskurses oder zu einzel‐ nen Autor*innen oder Regisseur*innen, literarischen Gruppierungen oder ästhetischen ‚Schulen‘ sein, die etwa in einer Datenbank zusammengestellt und veröffentlicht werden (zum Anlegen einer Filmdatenbank vgl. de Berg 2016) oder auch wertende Texte wie z. B. Rezensionen oder Kritiken, die in verschiedenen Rahmen veröffentlicht werden. In einer abschließenden Reflexion sollen die Lernenden sowohl die eigenen Posi‐ tionen im Diskurs wie auch die eigenen Lektüreprozesse (vgl. auch Burwitz-Melzer 2006: 111) reflektieren. Dies kommt oft zu kurz, ist aber wichtig für persönliche 239 18 Phasen der Textlektüren Bildungsprozesse. Die Reflexion kann bspw. in Form von Gruppengesprächen (auch zur Auswertung etwa fortlaufend geführter individueller Lesetagebücher) oder in Form von Fragebögen, deren Auswertung dann wiederum in einem Gruppengespräch stattfindet, erfolgen. Sie kann in entsprechenden Lerngruppen (s. o.) auch in der L1 durchgeführt werden, wenn das Sprachniveau in der Fremdsprache Deutsch nicht ausreichend für ein solches Gespräch ist. Wie eine Arbeit mit dem Fünf-Phasen-Modell aussehen könnte, möchten wir im Folgenden anhand eines Beispiels mit Texten der Gegenwartsliteratur zu Flucht und Migration skizzieren, mit dem wir bereits in unterschiedlichen unterrichtlichen Kontexten gearbeitet haben. In Master- und Lehramtsstudiengängen für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Freien Universität Berlin und der Friedrich-Schil‐ ler-Universität Jena sowie in Fortbildungen für Deutschlehrkräfte in Russland und Japan wurden im Sommersemester 2017 und im Frühjahr 2019 unter dem Aspekt von (Nicht-)Zugehörigkeiten Texte von Julya Rabinowich, Christoph Keller, Elfriede Jelinek, Sherko Fatah und Shumona Sinha gelesen. Ausgelöst durch die verstärkten Flucht- und Migrationsprozesse seit dem Sommer 2015 hat sich in Europa eine breite Debatte entwickelt. In zahlreichen (deutschsprachigen) Texten der Gegenwartslitera‐ tur und anderen literar-ästhetischen Formen fanden sich Auseinandersetzungen mit dem Thema „Flucht und Migration“, auch bevor es so große mediale Aufmerksamkeit auf sich zog; sie erreichen jedoch seitdem eine unvergleichlich größere Öffentlichkeit. Im Folgenden skizzieren wir, wie die Arbeit mit Texten der genannten Autor*innen auf der Grundlage des oben entwickelten fünfphasigen Modells aussehen kann. Unterrichtsidee Phase 1: Einstieg in den Diskurs Für den Einstieg in den Diskurs zu Flucht und Migration kann man sich mit dem Begriff „Zugehörigkeiten“ auseinandersetzen, etwa mit einer simplen interaktiven Übung wie dem Vorlesen verschiedener Aussagen, zu denen sich die Lernenden verhalten sollen. Wenn die Aussage auf sie zutrifft, sollen sie das durch Aufstehen oder andere Formen, man kann hier auch digitale Tools nutzen, signalisieren. Solche Aussagen können sein: „Ich bin mit der U-Bahn gekommen“, „Ich esse gerne Kuchen“, „Ich habe einen Führerschein“, „Ich höre gerne Musik“, „Ich habe eine Schwester“, „Ich gehe gerne joggen“, „Ich hatte als Kind ein Haustier“. Gewählt wurden Aussagen, die von den Lernenden möglichst nicht verlangen, Dinge über sich preiszugeben, die sie als zu intim empfinden könnten. Außerdem wird vor Beginn der Übung darauf hingewiesen, dass man natürlich nicht „ehrlich“ sein muss. Im Anschluss an diese Phase gibt es eine Reflexionsrunde mit Fragen wie „Bei welchen Aussagen sind Sie aufgestanden? “, „Wo haben Sie sich zugehörig gefühlt? “, „Gab es Aussagen, bei denen Sie mit Ihrer Positionierung gezögert haben? “, „Wo machen Sie mit? “, „Wozu gehören Sie? “, „Waren Sie immer mit den gleichen Leuten in einer Gruppe? “ Es steht 240 18 Phasen der Textlektüren den Lernenden frei, sich dazu zu äußern, denn die Reflexion wird auch in Gang gesetzt, wenn sie im Rahmen des Kurses nicht darauf reagieren möchten. Wichtig ist die darüber hinausgehende Frage auf der Metaebene „Was lernen wir über Zugehörigkeiten? “, die dazu anregen kann, dass Beobachtungen formuliert werden wie „Zugehörigkeiten können sich ändern“, „Man hat Zugehörigkeiten nicht automatisch“, „Gleichzeitige Zugehörigkeit zu mehreren Gruppen ist möglich“, „Man kann Zugehörigkeiten wählen und abwählen“. Abschließend können in Gruppen mit hohem Sprachniveau (in akademischem Kontext) zwei Ausschnitte aus einem wissenschaftlichen Text gelesen werden, im Unterricht oder in der Nachbereitung zu Hause, und ggf. im Hinblick auf die interaktive Übung kommentiert werden: aus Joanna Pfaff-Czarnecka Zugehörigkeiten in der mobilen Welt. Politiken der Verortung (2012) jeweils ein Auszug zu Multiple Belonging ( 53 f.) und zu Biographischer Navigation (58 f.). Phase 2: Begegnung mit dem Text Als Text werden Auszüge aus dem Roman Dazwischen: Ich (2016) von Julya Rabinowich gewählt. Für die erste Begegnung mit dem Text wird zunächst der Anfang des Romans wenn möglich mündlich präsentiert und schriftlich zur Verfügung gestellt: Wo ich herkomme? Das ist egal. Es könnte überall sein. Es gibt viele Menschen, die in vielen Ländern das erleben, was ich erlebt habe. Ich komme von Überall. Ich komme von Nirgendwo. Hinter den sieben Bergen. Und noch viel weiter. Dort, wo Ali Babas Räuber nicht hätten leben wollen. Jetzt nicht mehr. Zu gefährlich. (Rabinowich 2016: 7) Assoziationen, Irritationen, Kritik, Begeisterung und andere Reaktionen werden gesammelt und als erste Lektüreoptionen festgehalten. Unterstützend können Fragen wie „Was fällt mir auf ? “ oder „Wie haben Sie das gelesen? “ gestellt werden, woraufhin sich Beobachtungen wie die folgenden formulieren lassen: Der Text beginnt mit einer Frage, auf die aber keine Antwort gegeben wird bzw. der ganze Abschnitt ist eine Antwort, die aber nichts preisgibt bzw. lediglich reflektiert, warum man nicht antworten möchte. Kurze Sätze, „Sätze“ ohne Verb. „Überall und Nirgendwo“. Wo möchte man nicht wohnen, weil es zu gefährlich ist? - In Kriegsgebieten, aber auch in manchen Stadtvierteln, wie eine Studentin aus Brasilien vorgeschlagen hat. Wer ist Ali Baba? Warum „sieben“ Berge? Phase 3: Aushandeln von Verstehensoptionen Eine genauere Auseinandersetzung mit dem Text kann anhand von weiteren Ausschnitten erfolgen, die aus dem Roman ausgewählt wurden und die im Hinblick auf die verwendeten sprachlichen Verfahren, ästhetischen Strategien und die damit verbundenen Bedeutungsbildungsprozesse analysiert werden. Man kann den Text in unterschiedlichem Umfang lesen. Die minimale Version wäre, dass man nur mit dem oben zitierten Abschnitt vom Anfang des Romans arbeitet. Die Lernenden haben sich diesem Ausschnitt ja 241 18 Phasen der Textlektüren 7 Inwieweit dies gelingt, wird anhand von Auswertungen zu Lehr- und Lerneinheiten auf der Grund‐ lage dieses Romans in unterschiedlichen Studiengängen in Hille/ Schiedermair (2018: o.S.) diskutiert: „Wie die Auswertung ergeben hat, haben sie [= die Studierenden] eine Reihe von Textstrategien erkannt, haben diese Dimension der Lektüre literarischer Texte allerdings nur wahrgenommen und bearbeitet, wenn sie explizit dazu aufgefordert wurden. Fragen nach Figuren, Figurenkonstellationen und Handlungsstrukturen wurden dagegen ohne größere Probleme bearbeitet.“ bereits in einem individuellen Leseprozess in Phase 2 genähert. Dazu gehört nun in Phase 3, in der es um eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Text geht, die folgende Aufgabe 1. Aufgabe 1: Wie beschreibt das Ich den Ort der eigenen Herkunft? Was bedeuten „Überall“ und „Nirgendwo“? Was vermuten Sie: Woher kommt es? Begründen Sie. Als zweite Option könnten weitere Seiten ausgewählt (etwa 7-11, 14 f., 26-29, 33-37) und zu ihnen zwei weitere Aufgaben formuliert werden: Aufgabe 2: Lesen Sie den Text weiter bis Seite 15. Beschreiben Sie die Stimmung, die Madinas Erzählung erzeugt, mit drei bis fünf Adjektiven. Nennen Sie die Sätze, die zu dieser Stimmung besonders beitragen. Aufgabe 3: Welche Bedeutung haben die Verben „gehen - zurückbleiben - ankom‐ men - wandern - kreuzen - kriechen - jagen“ in Madinas Erinnerung an die Flucht? (34-37). Die umfangreichste Textarbeit würde sich auf weitere Textteile beziehen (etwa 54-59, 12-131, 199-201, 219-224, 230-231, 244-248). Zu ihnen könnten drei weitere Aufgaben formuliert werden: Aufgabe 4: Lesen Sie den Text zu Ende. Wie beschreibt Madina das Verhältnis zwischen sich und ihrem Vater? Wie beschreibt sie ihre eigene Position im neuen Land? Aufgabe 5: Wem oder was fühlt sich Madina am meisten zugehörig: ihrer Familie (Mutter, Vater, Rami, Oma, Tante Amina), ihrer früheren Freundin Mori, ihrer neuen Freundin Laura, dem neuen Land oder dem alten Land? Begründen Sie Ihre Meinung. Aufgabe 6: Welche Gefühle löst der Satz „Wir gehören jetzt schon fast dazu.“ (200) in Madina aus? Verändern sie sich im weiteren Verlauf des Textes? Die Aufgaben sollen helfen, Bedeutungsbildungsprozesse nachzuvollziehen und die Lernenden für die sprachlichen und ästhetischen Strategien des Textes zu sensibilisieren sowie erste Ideen dazu anzuregen, wie sich der Text im Diskurs zu Flucht und Migration verortet. 7 Wir haben die Aufgaben in Gruppen bearbeiten und die Antworten gruppenweise schriftlich festhalten lassen. Es ist jedoch nicht wichtig, dass die Auseinandersetzung mit dem Text anhand dieser Aufgaben und schriftlich erfolgt. Man kann auch in Form eines moderierten und angeleiteten Lektüregesprächs mit den Textausschnitten arbeiten und auf diese Weise für sprachliche Verfahren, ästhetische Strategien und diskursive Konstruktionsprozesse sensibilisieren (zur Arbeit mit dem Text von Rabinowich vgl. genauer Hille/ Schiedermair 2018). 242 18 Phasen der Textlektüren 8 Zur genaueren Darstellung und Auswertung vgl. Schiedermair (2020). Phase 4: Auseinandersetzung mit einem Textnetz Um den Diskurs um Migration und Flucht, der nicht an nationale Grenzen ge‐ bunden ist, als solchen sichtbar zu machen, wurden Texte aus unterschiedlichen deutschsprachigen Ländern und die deutsche Übersetzung eines ursprünglich auf Französisch erschienenen Romans ausgewählt. Zu einem Textnetz wurden Aus‐ züge zusammengestellt aus dem in Zürich erschienenen Roman Übers Meer (2013: 70 f.) von Christoph Keller; aus dem Stück Die Schutzbefohlenen (2018: 9 f., 15 f., 32) von Elfriede Jelinek, das ab 2013 zunächst auf der Homepage der österreichischen Autorin veröffentlicht wurde; aus Sherko Fatahs Irak-Berlin-Roman Das dunkle Schiff (2010: 175, 273) und aus der deutschen Übersetzung von Shumona Sinhas Erschlagt die Armen! (2016: 8 f., 32f./ dt. 2015/ frz. 2011). Im Gegensatz zu dem in den Phasen 2 und 3 bearbeiteten Einstiegstext, von dem insgesamt bis zu 35 Seiten als Lektüre vorgeschlagen wurden, wurden als weitere Vorschläge für das Textnetz jeweils sehr kurze Auszüge ausgewählt, die alle den Fokus auf das „Erzählen von Flucht“ legen und insgesamt ungefähr drei Seiten Text umfassen (s. am Ende des Kapitels). Sie wurden gleichzeitig ausgegeben, um auch durch den methodischen Umgang mit den Texten zu signalisieren, dass zwischen den einzelnen Auszügen, die nun ein Textnetz von fünf Texten bilden, kein hierarchisches Verhältnis besteht. In dieser Phase geht es darum, die Lernenden für das Zusammenspiel der Texte, ihre gegenseitigen Bedeutungszuweisungen zu sensibilisieren. Die Arbeit fokussiert deswegen nicht die einzelnen Texte, sondern ist ausgerichtet auf das Textnetz, mit dem anhand der folgenden drei Aufgaben eine Auseinandersetzung erfolgen soll. ■ Aufgabe 1: Welche Diskurse lassen sich erkennen? ■ Aufgabe 2: Welchen Beitrag leisten die einzelnen Texte zu diesen Diskursen? ■ Aufgabe 3: Wie ist das in den einzelnen Texten sprachlich gemacht? Durch dieses Vorgehen sollen die Texte in ihrer Diskursivität wahrgenommen werden, in ihrer je spezifischen inhaltlichen Ausrichtung und Form und dem jeweils spezifischen Beitrag, den sie damit zum Diskurs leisten. Dabei sind sowohl Mehrfachnennungen interessant als auch Einzelnennungen. Erstere zeigen die diskursiven Schwerpunkte, die sich im Zusammenspiel der Texte herauskristallisieren, während letztere die Deutungsoffenheit, Vieldeutigkeit und Multiperspektivität der Texte sichtbar machen, die zu unterschiedlichen Lesarten führen. Wie in den vorigen Phasen, so gilt auch hier, dass natürlich die schriftliche Bearbeitung der Aufgaben in keiner Weise verbindlich für das Vorgehen ist. 8 243 18 Phasen der Textlektüren Phase 5: Transfer und Reflexion Für Transfer und Reflexion können unterschiedlich aufwändige Verfahren ge‐ wählt werden. Eine minimale Version von Reflexion wäre etwa, die Titel der verschiedenen Texte an die Tafel oder das Whiteboard zu schreiben und die Lernenden zu bitten, bei Verlassen des Raumes nach der Unterrichtseinheit anzugeben, ggf. auch kurz zu kommentieren, mit welchen Texten sie gerne gearbeitet haben. Bei einem Seminar in Jena sahen die Tafelabschnitte zu Rabinowich und Keller so aus: Abb. 25: Kurzevaluation an der Tafel, Foto privat Aufwändiger, sicher aber auch ergiebiger im Sinne einer Reflexionsphase, ist ein Ge‐ spräch über die bearbeiteten Texte des Textnetzes und die eigenen Lektüreprozesse. Dieses kann inhaltlich noch über die Texte hinausgehen, und es kann dabei bspw. auch diskutiert werden, inwieweit Flucht und Migration in anderen Gesellschaften, etwa in den Herkunftsländern der Lernenden, eine Rolle spielen und ob sie im öffentlichen Diskurs, etwa auch in der literarischen Debatte, sichtbar sind. Vielleicht kommen solche Aspekte auch schon früher auf und Lernende bringen Vorschläge ein, um welche weiteren Texte - auch Filme u.a. - man das Netz erweitern könnte. Auch zur Transfer- und Reflexionsphase gehören die Seminararbeiten und Masterarbeiten, die in den universitären Studiengängen, in denen wir mit diesen Texten gearbeitet haben, zu diesen Texten entstanden sind. Sie stellen sozusagen die Maximalversion von Transfer und Reflexion dar. 244 18 Phasen der Textlektüren 19 Methodische Prinzipien und Aufgabenformate Die Idee übergreifender Methodenkonzeptionen wie etwa Grammatik-Übersetzungs-Me‐ thode, Audiolinguale bzw. Audiovisuelle Methode, Kommunikativer oder Interkultureller Fremdsprachenunterricht ist in der fachwissenschaftlichen Diskussion im Hinblick auf ein planvolles Initiieren von Lehr- und Lernprozessen in den Hintergrund getreten. Auch der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen empfiehlt „keinen bestimmten didaktisch-methodischen Ansatz“ oder schreibt ihn gar vor (vgl. GER Begleit‐ band 2020: 33). Stattdessen wird von mehreren methodischen Prinzipien ausgegangen, die - wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung und Kombination - grundlegend für jeden Fremdsprachenunterricht sind. Die in den letzten Jahrzehnten entwickelten methodischen Prinzipien gelten auch als Basis für die Arbeit mit literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht bzw. für den fremdsprachlichen Literaturunterricht, wie auch in anderen Kapiteln dieses Bandes deutlich wird. Im Internationalen Handbuch Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (2010) nennt Hermann Funk zwölf grundlegende methodische Prinzipien des Fremdsprachenunterrichts, wobei mit der Reihenfolge keine Priorisierung verbunden ist: Handlungsorientierung • rezeptive und produktive Sprachverwendung als primäres Lernziel • Fertigkeitsintegration: Vom Verstehen zum Äußern Inhaltsorientierung • bedeutungsvoller (aus Lernersicht authentischer Input) • Inhaltsverarbeitung vor Form-Fokussierung Aufgabenorientierung • Aufgaben mit „Sitz im Leben“ • fertigkeitsbasierte Übungen mit Bezug zu den Aufgaben Individualisierung & Personalisierung • differenzierende und lernerorientierte Verarbeitungsan‐ gebote • mit Sprache handeln: Lerner sprechen und schreiben als sie selbst Autonomieförderung • Vermittlung von Lernstrategien • offene Unterrichtsphasen mit Projektcharakter Interaktionsorientierung • Kommunikationsförderung • kollaboratives Lernen • Lernen als kognitiver Prozess in einem sozialen Kontext Reflexionsförderung • Einsicht in Strukturen • problemlösendes Lernen Automatisierung • Einüben produktiver Routinen sowohl als Ergebnis als auch als Voraussetzung kognitiver Prozesse Transparenz & Partizipa‐ tion • Zieltransparenz und Beteiligung der Lerner an pädagogi‐ schen Entscheidungen Evaluationskultur • summative und formative Evaluation von Lernprozessen • Evaluation von Lehre, Rechenschaftspflicht Mehrsprachigkeit • als Voraussetzung für Entscheidungen in Bezug auf Un‐ terrichtsmaterial, Motivation und Übungsgestaltung Lehr-/ Lernkultursensibi‐ lität • Berücksichtigung kulturspezifischer Verarbeitungsfor‐ men von Lernstoff (Funk 2010: 943 f.). Diese Prinzipien sind (teilweise) auch im GER, in seiner grundlegend handlungsori‐ entierten Anlage aufgehoben, die „Sprachnutzende und Sprachlernende als in einer sozialen Welt ‚gesellschaftlich Handelnde‘ dar[stellt], die ihre Lernprozesse selbst steuern“ (GER Begleitband 2020: 31). Das Sprachenlernen sollte darauf gerichtet sein, Lernende zum Handeln in lebensweltlichen Situationen zu befähigen und sich in ihnen auszudrücken sowie Aufgaben unterschiedlicher Art erfolgreich auszuführen. […] Der GER legt also ausdrücklich nahe, gewissermaßen rückwärts von kommunikativen Bedürfnissen der Lernenden im wirklichen Leben auszugehen, mit konsequenter Abstimmung zwischen Curriculum, Lehren und Beurteilen. (ebd.: 33) Die hier zentralen Prinzipien der Handlungsorientierung, der Lerner- und Prozessorientierung sowie der Aufgabenorientierung werden in der fremdspra‐ chendidaktischen Forschung seit langem intensiv diskutiert. In den 1970er Jahren im Zuge einer kommunikativen Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichts etabliert, um die (durchaus sinnvollen und lange Zeit nicht in angemessenem Maße berück‐ sichtigten) pragmatischen Zielsetzungen einer Sprachverwendung im Alltag durch die Lernenden zu fokussieren, erfahren sie mit der Einführung des GER 2000 (dt. 2001) und dessen Ergänzungen im neuen Begleitband 2018 (dt. 2020) eine weitere Aufwertung. Die skalierten Beschreibungen von kommunikativen Aktivitäten und Sprachkompetenzniveaus von A1 bis C2 zielen auf das Sprechhandeln der Lernenden und auf ihre (individuellen) Lernprozesse. Diese sollen im Unterricht durch eine konsequente Aufgabenorientierung (task based language learning) unterstützt werden. Grundannahme der Aufgabenorientierung ist, dass sich die Aufgaben im Unter‐ richt an den kommunikativen Herausforderungen orientieren sollten, die Lernende auch außerhalb des Unterrichtsraums zu bewältigen haben. Vorausgesetzt wird, dass das Sprachlernen durch die Fokussierung auf alltags- und realitätsnahe Inhalte bzw. ‚Probleme‘ verstärkt angeregt wird, verlangt doch das Suchen nach Lösungen ein Aushandeln von Bedeutungen und damit fremdsprachliches Handeln (vgl. Caspari 2009: 77). Realitätsbezogenen Aufgaben (real-world-tasks) kommt insofern eine beson‐ dere Rolle im Unterricht zu. Sie fördern nicht nur die „komplexen kommunikativen Formen und Strategien […], die reales Sprachhandeln in Alltagsdiskursen auszeichnen“, sondern auch die Selbsttätigkeit der Lernenden (vgl. Hallet 2006a: 72). Diese werden als „kulturelle Subjekte wahrgenommen, die im Hier und Jetzt an gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen und Prozessen partizipieren“ (Hallet 2006a: 74). So betrachtet wären als Aufgaben (tasks) im besten Sinne jene Aufgaben zu verstehen, die reale 246 19 Methodische Prinzipien und Aufgabenformate 1 In diesem Zusammenhang wurde auch das Modell einer „komplexen Kompetenzaufgabe“ bzw. einer „komplexen Lernaufgabe“ (vgl. Hallet 2012b bzw. Kräling/ Fraile/ Caspari 2015) entwickelt. Von Peu‐ schel (2016: 77) wird das Potenzial einer weiteren Öffnung des Modells zu einem projektorientierten Arbeiten betont. 2 Vgl. die oben stehende Liste. Problemstellungen und mit ihnen verknüpfte diskursive Aushandlungen inszenieren, sich also auf real-world-Diskurse beziehen und Lernende anregen, an diesen ‚problem‐ lösend‘ teilzuhaben (vgl. Hallet 2006a: 76 f.). Nimmt man diese Überlegungen ernst, entstehen komplexe Lehr- und Lernarrangements, die auch einer Inhaltsorientie‐ rung des Unterrichts, die im Rahmen einer starken Kompetenzorientierung nach der Einführung des GER 2001 in den Hintergrund zu geraten schien, (wieder) verstärkt Rechnung tragen. 1 Literarischen Texten - die in Modellierungen eines aufgabenorientierten Fremdspra‐ chenunterrichts vorab kaum eine Rolle spielten - wird in solchen (komplexen) Lehr- und Lernarrangements in jüngerer Zeit verstärkte Bedeutung zugeschrieben (vgl. Hallet 2006a: 79), denn sie sind Teile gesellschaftlicher Diskurse, modellieren und bereichern diese in besonderer Formensprache in fiktionalen Kontexten und erlauben deren Beob‐ achtung wie auch utopische Weiterentwicklung in subjektiven (Figuren-)Perspektiven. Insofern können sie ‚bedeutungsvollen Input‘ 2 im Unterricht kreieren, im besten Fall an die Lebenswelt und die Interessen der Lernenden anknüpfen und sie dazu anregen, (neu) auf die Welt zu schauen. Gleichzeitig kann sich bei den Lektüren literarischer Texte die Selbsttätigkeit von Lernenden entfalten. Die sich beim Lesen vollziehenden „Sinn-/ Bildungsprozesse“ (Decke-Cornill/ Gebhard 2007: 11) sind im Unterricht konsequent zu fördern, wobei es mehr um Unterstützung als um eine mögliche Steuerung geht, denn solche Prozesse sind kaum direkt von außen steuerbar (vgl. auch Hallet 2002: 66). Es sind komplexe selbstbestimmte Prozesse, in die sowohl (fremd-)sprachliches Wissen als auch Alltags- und Weltwissen sowie dessen Erweiterung, d. h. auch Strategien der Erschließung, Aufnahme und Verarbeitung des ‚Wissens von Texten‘ (→ Kap. 14) und ästhetische Erfahrungen hineinspielen. Lernende sollen zu einem individuellen, selbsttätigen Umgang mit Texten, aber auch zu vielfältigen Aushandlungen ihrer Lek‐ türeergebnisse und Bedeutungskonstruktionen angeregt werden. Die Offenheit von Lektüreprozessen gilt es bei der Planung von Unterricht stets im Blick zu behalten. Zu bedenken ist auch, dass zwischen einem erwarteten Unterrichtsverlauf und den Planungen von Aufgaben durch die Lehrkraft (task as workplan) auf der einen und deren Realisierungen durch die Lernenden (task in process bzw. task in action) auf der anderen Seite Diskrepanzen entstehen können (vgl. auch Biebighäuser/ Zibelius/ Schmidt 2012: 17). Die tatsächlich individuell oder in einer Gruppe erfolgenden Lernaktivitäten und die individuell ablaufenden Lernprozesse sind, wie bereits angemerkt, nicht vollständig planbar (vgl. auch Caspari/ Grotjahn/ Kleppin 2008: 85); auch inszenieren Lehrende Aufgaben im Unterricht bspw. in verschiedenen Gruppen unterschiedlich und geben damit unterschiedliche Impulse für Lektürebzw. Lernprozesse (vgl. auch Biebighäuser/ Zibelius/ Schmidt 2012: 19). 247 19 Methodische Prinzipien und Aufgabenformate 3 In diesem Zusammenhang wird auch von task demands und task support gesprochen (vgl. Biebig‐ häuser/ Zibelius/ Schmidt 2012: 16 f.). 4 Solche geschlossenen Formate werden in der Forschungsliteratur oft auch als Übungen bezeichnet. Zur Diskussion von Übungen und Aufgaben vgl. etwa Biebighäuser/ Zibelius/ Schmidt (2012: 26 ff.) und Funk (2013: 299). In der Vorbereitung und Begleitung von Lektüreprozessen muss eine Lehrkraft für jede der einzelnen Phasen - Begegnung mit dem Text, Aushandeln von Verstehensoptionen, Auseinandersetzung mit einem Textnetz (Modell mit 3 Phasen); oder auch Einstieg in den Diskurs, Begegnung mit dem Text, Aushandeln von Verstehensoptionen, Auseinandersetzung mit einem Textnetz, Transfer und Reflexion (Modell mit 5 Phasen) (→ Kap. 18) - eine Vielzahl methodischer Entscheidungen treffen. Von besonderer Bedeutung ist der Entwurf von Aufgaben, die Lektüreprozesse strukturieren und An‐ forderungen an die Lernenden formulieren, ihnen gleichzeitig aber auch Unterstützung anbieten. 3 Eine Aufgabe wird im Kontext der Fremdsprachendidaktik minimal definiert als eine Unterrichtsaktivität, die Lernende zu funktionalem und authentischem Sprachgebrauch anleitet und die einen eindeutigen Fokus auf den Inhalt der auszutauschenden Nachrichten legt […]. Funktionaler Sprachgebrauch bezieht sich hier auf die Verwendung von sprachlichen Formen, die die Lernenden zum Lösen der Aufgabe benötigen […], während ‚authentisch‘ häufig definiert ist als das ‚wirkliche Leben‘. (Biebighäuser/ Zibelius/ Schmidt 2012: 14) Zentrales Element einer Aufgabe ist ihre Ergebnisorientierung; nach Funk (2013: 298) hat eine Aufgabe als Ergebnis eines sozialen und interaktiven Prozesses die Erstellung eines fremdsprachlichen Produktes […] zum Ziel […], d. h. z. B. eines Textes jedweder Form, mit dem die Lerner z. B. Rechercheergebnisse publizieren, Meinungen mitteilen oder (Lese-)Erlebnisse berichten. Das Entwerfen von Aufgaben - auf der Grundlage klarer und transparenter (Teil-)Ziel‐ setzungen - ist ein komplexer Vorgang und gerade für Lehrkräfte ohne ausgeprägte Berufserfahrung oft eine Herausforderung. Anhand von drei Merkmalen sind Aufgaben bzw. einzelne Aufgabensequenzen grundlegend voneinander zu unterscheiden: Format Mit dem Format wird festgelegt, ob und in welchem Maße zur Lösung einer Aufgabe von den Lernenden Texte produziert werden sollen. Zu unterscheiden wären folgende Formate: ■ geschlossen 4 keine Textproduktion, nur die Auswahl oder Zuordnung von Aussagen z. B. in Multiple-Choice-Verfahren 248 19 Methodische Prinzipien und Aufgabenformate 5 In der Forschungsliteratur und im GER wird zwischen von der Lehrkraft entworfenen Aufgaben im Unterricht und Aufgaben in Lehr- und Lernmaterialien unterschieden. Zur Veranschaulichung der Merkmale von Aufgaben werden hier Aufgaben aus einem Lehrwerk gewählt, während es sonst in diesem Kapitel vorrangig um Aufgaben im Unterricht geht. ■ halboffen Formulieren von Stichpunkten, von einem oder mehreren kurzen Sätzen; Ausfül‐ len eines Lückentextes ■ offen Produktion eines mehr oder weniger umfangreichen Textes (vgl. Leubner/ Saupe/ Richter 2016: 210). Textbeispiel Zur Verdeutlichung seien hier Aufgaben aus der Einheit 15: Von Rostock nach Syrakus aus dem Lehrwerk Eurolingua Deutsch 3 in der ersten Fassung von 1999 angeführt. 5 Im Mittelpunkt der Einheit steht die Erzählung Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus von Friedrich Christian Delius (1995), die in Auszügen präsentiert wird. Als Zielsetzungen der Einheit werden zunächst benannt: ■ einen literarischen Text verstehen, ■ Ereignisse aus der deutschen Geschichte nach 1945 kennen lernen (vgl. Eurolingua Deutsch 3: 170). In Teil 1 der Einheit (Einführung) erhalten die Lernenden u. a. Hinweise zur Arbeit mit dem Text: In dieser Einheit werden Sie Ausschnitte aus der Erzählung ‚Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus‘ von Friedrich Christian Delius lesen. Wir haben Ausschnitte ausgewählt, die Ihnen einen Überblick über die Geschichte geben. Manche Abschnitte sollten Sie zu Hause lesen, andere werden gemeinsam im Kurs gelesen. Sie sollten im Kurs darüber entscheiden, wie viel Zeit Sie für diese Geschichte verwenden, wie viel Sie zu Hause machen möchten und was im Kurs besprochen werden soll. Die Aufgaben und Untergliederungen sollen Ihnen beim Lesen helfen. Natürlich können Sie den Text auch lesen, ohne die Aufgaben zu beachten, und dann darüber im Kurs sprechen. (Eurolingua Deutsch 3: 170) Im Mittelpunkt von Teil 2 der Einheit (Der Anfang der Erzählung) steht folgender Textauszug: In der Mitte seines Lebens, im Sommer Die Abrechnung ist fertig, die Tische 1981, beschließt der Kellner Paul sind gewischt, er schaut auf das Wasser, Gompitz aus Rostock, nach Syrakus auf Feierabend. Alles ist wie immer, nur der Insel Sizilien zu reisen. Der Weg 25 im Kopf eine stürmische Klarheit. 5 nach Italien ist versperrt durch die „Ja! “ sagt er laut, geht in seine Kabine 249 19 Methodische Prinzipien und Aufgabenformate höchste und ärgerlichste Grenze der im Vorschiff, packt die schmutzige Welt und Gompitz ahnt noch keine Wäsche in einen Koffer, verabschiedet List, sie zu durchbrechen. Er weiß nur, sich beim Kapitän, läuft durch den dass er Mauern und Drähte zweimal 30 Hafen und steigt in sein Auto. Nach 10 überwinden muss, denn er will, wenn drei Wochen Arbeit drei Tage Pause, das Abenteuer gelingen sollte, auf die Frau wartet in Rostock, genug jeden Fall nach Rostock zurückkehren. Trinkgeld in der Tasche, der Tank ist An einem wolkenarmen Augustabend voll, es ist alles geregelt. Er verdient so im Hafen von Wolgast auf der „Seebad 35 gut, dass er nach fünf Monaten Saison 15 Ahlbeck“, einem Schiff der Weißen im Winter nicht arbeiten muss, besser Flotte, fällt der Entschluss, dem als ihm geht es nicht vielen … (S. 7)* Fernweh endlich nachzugeben und das Land, um bleiben zu können, einmal zu *alle Textpassagen aus: Friedrich Chris‐ tian Delius, Der Spaziergang von Ros‐ tock nach Syrakus. Zitiert nach der Ausgabe der Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main und Wien 1995 verlassen. 20 Gompitz ist müde, er hat den ganzen Tag die Urlauber zwischen Rügen und Usedom bedient mit Kaffee, Bier, Bockwurst, Käsekuchen. Die zugehörigen Aufgaben lauten: 2.1 Hören Sie zu und lesen Sie bis Zeile 32. Fassen Sie dann den Text mit Hilfe der Stichwörter zusammen: Paul Gompitz, Bürger der DDR, Beruf: Kellner auf einem Touristenschiff (Ostsee), verdient gut / muss im Winter nicht arbeiten, 1981 Beschluss: Reise von Rostock nach Syrakus (Italien), Problem: Grenze (Mauer). (Eurolingua Deutsch 3: 171) Dies ist eine offene Aufgabe, mit Stichwörtern als Unterstützungsangeboten. 2.2 Was wissen Sie jetzt schon über das Reisen in der DDR? (Eurolingua Deutsch 3: 172) Dies ist eine halboffene Aufgabe. 2.3 Literarische Formulierungen verstehen - Zu welchen Stellen im Text passen die folgenden Sätze? 1. Die DDR erlaubt nicht, daß ihre Bürger ins westliche Ausland reisen. 2. Er ist entschlossen. Er weiß jetzt sicher, was er will. 3. Er ist etwa 40 Jahre alt. 250 19 Methodische Prinzipien und Aufgabenformate 4. Er lebt gern in der DDR, aber er will reisen können. 5. Er weiß noch nicht, wie er es machen soll. (Eurolingua Deutsch 3: 172) Dies ist eine geschlossene Aufgabe. Lenkung Jede Aufgabe weist einen bestimmten Lenkungsgrad auf, d. h. sie verlangt von den Lernenden ein in unterschiedlichem Maße selbstständiges Vorgehen bei der Lösung bzw. bietet für diese in unterschiedlichem Maße Unterstützung, damit aber eben auch Lenkung an (vgl. Leubner/ Saupe/ Richter 2016: 202). Verdeutlichen können dies die verschiedenen Aufgaben, die in der zitierten Lehr‐ werk-Einheit für Teil 7 (Abschlussgespräche) zur Erzählung Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus vorgeschlagen werden: 7.1 Wir geben Ihnen hier einige Stichpunkte, die Sie in ein Abschlussgespräch integrieren können: Freiheit = Reisefreiheit? Hat sich die Reise gelohnt? Wie hat Gompitz’ Frau seine Reise erlebt (Angst, Wut, Enttäuschung, Verrat …)? Wie sieht die Zukunft von Gompitz aus? Was wäre gewesen, wenn … 7.2 Interview mit F.C. Delius. Sammeln Sie zuerst Fragen, die Sie dem Autor stellen würden. Hören Sie dann das Interview. 7.3 Nachdenken über das Lesen (Eurolingua Deutsch 3: 181) Die Aufgaben weisen unterschiedliche Lenkungsgrade auf. Der Lenkungsgrad einer Aufgabe ist eng verbunden mit deren Format. So wird an‐ hand der Aufgaben zur Lektüre des Anfangs der Erzählung Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus sicher deutlich, dass Aufgaben im geschlossenen Format in der Regel stark lenkend sind. Aufgaben im halboffenen Format bieten gewisse lenkende Vorgaben, mit ihnen aber auch mehr Unterstützung für das Erkennen von Textelementen oder deren Deutung. Aufgaben im offenen Format können mehr oder weniger lenkend ausfallen (vgl. Leubner/ Saupe/ Richter 2016: 211-212). 251 19 Methodische Prinzipien und Aufgabenformate 6 Diese Verben werden in den Skalierungen „Persönliche Reaktion auf kreative Texte (einschließlich Literatur)“ und „Analyse und Kritik kreativer Texte (einschließlich Literatur)“ in der aktualisierten Fassung des GER verwendet (vgl. Begleitband 2020: 127 ff.). Zu Operatoren vgl. bspw. auch Rösch (2017: 29). Schwierigkeitsgrad Der Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe entspricht dem Maß an kognitiver Leistung, das für deren Lösung erbracht werden muss (vgl. Leubner/ Saupe/ Richter 2016: 215). Er ist weitgehend von Format und Lenkungsgrad der Aufgabe bestimmt. Neben dem Schwierigkeitsgrad des Textes bzw. der Texte (→ Kap. 17) ist der Schwierigkeitsgrad der Aufgabe(n) ausschlaggebend für den Erfolg von Lektüreprozessen. Die hier präsentierten Auszüge aus der Lehrwerk-Einheit Von Rostock nach Syrakus können zeigen, dass auch ein ‚schwieriger‘ Text - als solcher bestimmt durch seine Länge, die ‚lebensweltliche‘ Ferne und unbekannten Wortschatz - durch das Angebot von Aufgaben zu ausgewählten Textauszügen erfolgreich gelesen werden kann. Für das Formulieren einzelner Aufgaben sind sogenannte Operatoren wichtig, die ver‐ deutlichen, welche Aktivitäten der Lernenden gefordert bzw. welche Leistungen beim Lösen einer Aufgabe von ihnen zu erbringen sind. Solche Operatoren - handlungsini‐ tiierende Verben wie beschreiben, erklären, skizzieren, kommentieren, präsentieren, bewerten, vergleichen 6 - sollten von der Lehrkraft transparent, klar, spezifisch und wiederholend bei der Formulierung von Aufgaben verwendet werden. In der Lehrwerk-Einheit Von Rostock nach Syrakus bspw. sind folgende Operatoren wiederholt zu finden: sammeln, suchen, betrachten, ergänzen, notieren und inszenie‐ ren. Zu den methodischen Entscheidungen im Kontext des Entwurfs von Aufgaben gehört auch die jeweilige Wahl der Sozialformen sowie der Arbeits-, Kommunikations- und Präsentationstechniken bzw. -medien. Grundlegende Sozialformen sind Ein‐ zelarbeit, Partner- oder Gruppenarbeit und Plenumsarbeit. Die Zielsetzungen einer Aufgabe bzw. Unterrichtsphase legen oft die Wahl von einer oder auch mehreren Sozialform(en) nahe. So empfiehlt es sich z. B., einen Text zunächst allein oder zu zweit zu lesen und nachfolgende Aushandlungsprozesse in (Klein-)Gruppen zu gestalten. Die Arbeitsergebnisse wären im Plenum zu präsentieren und zu diskutieren. Eine abschließende Reflexion des Arbeitsprozesses kann mündlich im Plenum erfolgen oder schriftlich allein, zu zweit oder in (Klein-)Gruppen. Dabei muss für die Lernenden transparent sein, wie sie Lektüreeindrücke und -ergebnisse jeweils festhalten, wie sie in den entsprechenden Phasen miteinander kommunizieren und ihre Arbeitsergeb‐ nisse präsentieren. Gerade die Formen des Festhaltens von Lektüreeindrücken und -ergebnissen sowie die Präsentationstechniken und -medien können sicher oft mit den Lernenden gemeinsam festgelegt werden. Eine Auswahl der Sozialformen kann nur in begrenzterem Rahmen, aber so weit möglich auch mit den Lernenden gemeinsam getroffen werden. 252 19 Methodische Prinzipien und Aufgabenformate Grundsätzlich können Aufgaben verschiedener Merkmale jeder Phase eines Lektüre‐ prozesses zugeordnet werden. Zur Binnendifferenzierung, die der Heterogenität innerhalb von Lerngruppen und der individuellen Förderung von Lernenden Rech‐ nung trägt, können Aufgaben in einzelnen Phasen auch miteinander kombiniert und den Lernenden alternativ angeboten werden. So können Lernende im Laufe eines Lektüreprozesses (teilweise) unterschiedliche Aufgaben (zur Auswahl) oder das Angebot von zusätzlichen Aufgaben erhalten (vgl. auch Leubner/ Saupe/ Richter 2016: 275). Auch dies wird mit Blick auf die Lehrwerk-Einheit: Von Rostock nach Syrakus sicher deutlich - Aufgaben wie z. B. 2.1 bis 2.3 (s. o.) können binnendifferenzierend von den Lernenden alternativ (nach Wahl) gelöst werden. Gleichzeitig können Aufgaben so angelegt werden, dass sie unterschiedliche Rea‐ lisierungsmöglichkeiten (explizit) anbieten und damit Möglichkeiten zur Differenzie‐ rung eröffnen (vgl. Caspari/ Grotjahn/ Kleppin 2008: 85). Alle hier diskutierten Aufgaben sind Lernaufgaben. Sie beziehen sich auf Lernsi‐ tuationen im Unterricht bzw. im Rahmen von Lektüreprozessen, die (teilweise) ja auch außerhalb des Unterrichts ablaufen können. Sie unterstützen das Lernen als individuellen und konstruktiven Prozess und stoßen häufig Aushandlungsprozesse zwischen Lernenden an. Neben den Lernaufgaben stehen Testaufgaben, die sich auf Leistungssituationen wie Prüfungen oder kurze Tests beziehen und der Überprüfung von Lernergebnissen bzw. Kompetenzen dienen. Die Grenzen zwischen Lern- und Testaufgaben sind allerdings fließend; so können Lernaufgaben bzw. einzelne ihrer Se‐ quenzen, die der Nachbereitung und Reflexion dienen, auch evaluative Funktionen ha‐ ben (vgl. Caspari/ Grotjahn/ Kleppin 2008: 85 ff.) und Testaufgaben können Reflexionen anregen. In bestimmten Lernszenarien können Arbeitsbzw. Lernergebnisse wie die Inhalte eines Portfolios auch prüfungsrelevant sein. Sandra Drumm/ Stefanie Mehler (2015) beschreiben dies für den Literaturunterricht Deutsch als Fremdsprache anhand von Inhalten digitaler Portfolios wie Lesetagebüchern, Podcasts und Webquests, die einerseits Lektüreprozesse begleiten und andererseits von Lernenden zur Bewertung eingereicht oder als Grundlage mündlicher Portfolioprüfungen ausgewählt werden. Im Rahmen des Fremd- und Zweitsprachenunterrichts wie auch der Lektüren literari‐ scher Texte spielen E-Learning-Szenarien und besonders Blended-Learning-Sze‐ narien zunehmend eine Rolle. Der übergreifende, nicht klar konturierte Begriff des Blended Learning bezeichnet dabei eine Kombination von Phasen des Präsenz-Lernens und des computergestützten, vorrangig online gestalteten Lernens. Dietmar Rösler und Nicola Würffel (2010: 7) unterscheiden folgende grundlegende E-Learningbzw. Blended-Learning-Szenarien für den Fremdsprachenunterricht: ■ Der Präsenzunterricht wird durch den Einsatz des Internets als Medium unter‐ stützt, indem Lernende z. B. Informationen recherchieren oder Online-Wörterbü‐ cher und -Grammatiken nutzen. 253 19 Methodische Prinzipien und Aufgabenformate 7 Vgl. etwa die von Eva-Maria Jenkins (1998) herausgegebene didaktische Bearbeitung zu der Erzählung Abschied von Sidonie von Erich Hackl. Sie ist auch ein Beispiel für eine langfristig angelegte Lektüre einer Ganzschrift im Unterricht Deutsch als Fremdsprache mit fortgeschrittenen Jugendlichen und Erwachsenen. Vgl. auch Thomas Raith (2006), der darauf verweist, dass er es Lernenden bei der Lektüre bspw. eines Jugendromans freistellt, ob sie ein Lesetagebuch oder einen Weblog als Online-Lesetagebuch führen wollen. ■ Der Präsenzunterricht wird durch weitergehende, inhaltstragende Online-Kom‐ ponenten ergänzt; Lernende erhalten z. B. (Haus-)Aufgaben per E-Mail oder über eine Lernplattform, senden diese an die Lehrkraft zurück, die ihre Korrekturen bzw. Kommentare wiederum für die Lernenden zugänglich macht und Ergebnisse evtl. im Präsenzunterricht aufgreift. ■ Präsenz- und Online-Phasen alternieren und sind inhaltlich eng miteinander ver‐ zahnt; eine Lerngruppe tritt z. B. in virtuellen Austausch mit einer Partnergruppe, der Austausch wird in Präsenzphasen vor- und nachbereitet, Ergebnisse der Online-Phasen werden in den Präsenz-Phasen weiterbearbeitet. ■ Es gibt keine Präsenzphasen; Lernende arbeiten mit internetgestütztem Selbstlern‐ material evtl. in einem virtuellen Lernraum und werden dabei von einer Lehrkraft betreut bzw. können Sprachlernberatungen wahrnehmen. Die Online-Phasen sind grundlegend in synchrone und asynchrone Phasen zu unter‐ scheiden: In synchronen Phasen ‚treffen‘ sich die Lernenden in einem virtuellen Lernraum und kommunizieren miteinander, in asynchronen Phasen arbeiten Lernende in selbst gesetzten Zeitrahmen an vorgegebenen Aufgaben (vgl. auch Pfeil 2015a: 6). Besonders wichtig in Blended-Learning-Szenarien ist, das sei noch einmal betont, eine sinnvolle Verzahnung der einzelnen Phasen (vgl. auch Pfeil 2015b). Als Beispiel verweist Pfeil auf das Schreiben von (Kurz-)Geschichten anhand von Bildergeschichten: Im Schreibprozess werden erste Ideen etwa an einer interaktiven Tafel gesammelt, die weitere Arbeit und auch die Veröffentlichung der Ergebnisse des (kollaborativen) Schreibens erfolgt in einem virtuellen Kursraum auf einer Lern‐ plattform oder in einem Kursblog (vgl. ebd.). Anna de Berg (2016) beschreibt die Erstellung einer digitalen Filmdatenbank von Studierenden für Studierende in einem Blended-Learning-Szenario: Parallel zu einer Vorlesung zum deutschen Film und einzelnen ‚Filmlektüren‘ erstellen Studierende in synchroner oder asynchroner Tätig‐ keit Padlets zu ausgewählten Filmen, die nach und nach zu einer Datenbank über den deutschen Film zusammengefügt werden. Drumm/ Mehler (2015) plädieren, wie bereits erwähnt, für den Einsatz digitaler Portfolios in einem Literaturunterricht, der handlungs- und produktionsorientiert ist. Die Anfertigung von (analogen) Portfolios, auch von Lesetagebüchern oder -protokollen, in denen Lernende während der Arbeit mit einem umfänglichen literarischen Text oder einem Textnetz selbst geschriebene Texte sammeln können, wird für den Unterricht schon seit längerem empfohlen. 7 Di‐ gitale Portfolios erweitern jedoch die Möglichkeiten, da Texte verschiedenen medialen Formats aufgenommen, stetig überarbeitet und anderen Lernenden oder der Lehrkraft 254 19 Methodische Prinzipien und Aufgabenformate 8 Ein Beispiel für eine intensive Nachbereitung und Reflexion von Aufgaben in (analogen) Lektüren des Gedichts Inventur von Günter Eich durch US-amerikanische Studierende gibt auch Claire Kramsch (2015). (mit der Bitte um Feedback) zur Kenntnis gebracht werden können, was auch eine Reflexion von (individuellen) Lernprozessen und -ergebnissen erlaubt. Die Qualität von Aufgaben im computergestützten Fremd- und Zweitsprachenunter‐ richt misst sich immer an ihrer didaktischen und nicht nur technologischen Innovation. Gleichzeitig gelten die im analogen Rahmen entwickelten Qualitätskri‐ terien oder Merkmale ‚guter‘ Aufgaben auch für die Arbeit mit digitalen Medien, sind aber spezifisch zu betrachten wie Biebighäuser/ Zibelius/ Schmidt (2012: 45-50) anführen. So können der Bedeutungsgehalt und Lebensweltbezug von Aufgaben durch die Verwendung digitaler Medien verstärkt werden, da neue vielfältige Formen der Bedeutungskonstruktion, der Interaktion mit realen Personen außerhalb des Unterrichtsraumes und der Diskursteilnahme etwa durch die Publikation eigener Texte der Lernenden möglich sind. Auf diese Weise wird auch die Ergebnisorientierung gestärkt. Beim Abwägen von Transparenz der Aufgaben und angemessener Her‐ ausforderung für die Lernenden muss auch deren Medienkompetenz berücksichtigt und, genau wie die der Lehrenden, ggf. gestärkt werden. In diesem Zusammenhang sollten auch medienkritische Aspekte thematisiert werden. Aufgaben müssen sinnvoll und so kleinschrittig entworfen werden, dass Lernende genug Unterstützung erfahren, aber auch als selbsttätig Handelnde ernst genommen werden. Besonders geeignet sind digitale Medien für die Durchführung von Projekten. Beate Baumann (2018) verweist in diesem Zusammenhang auf ein internationales Austauschprojekt zu Texten der deutsch- und italienischsprachigen Migrationsliteratur im universitären Kontext, das von ihr wissenschaftlich begleitet und einer detaillierten Nachbereitung und Reflexion (gemeinsam mit den Lernenden) unterzogen wurde. 8 In der Vorbereitung von Aufgaben muss in einem computergestützten Unterricht immer eine genaue Analyse des gewählten Mediums erfolgen mit Blick auf ■ Form, Register und Stil der in ihm verwendeten Sprache, ■ Aspekte wie die Anzahl der anwesenden Nutzer*innen, ■ die grafische Oberfläche des Mediums und ■ die Synchronität bzw. Asynchronität der Kommunikation (vgl. Biebighäuser/ Zi‐ belius/ Schmidt 2012: 37). Im neuen Begleitband zum GER werden in den Beschreibungen von kommunikativen Aktivitäten erstmals Skalen und Deskriptoren für die Online-Interaktion entworfen. Sie sind auf „Online-Gespräche und -Diskussionen als multimodale[…] Phänomen[e]“ sowie auf „den potenziell kooperativen Charakter von Online-Interaktion und Trans‐ aktionen mit spezifischen Zielen, wie sie im heutigen Alltag regelmäßig anzutreffen sind“ (GER Begleitband 2020: 104, 107) fokussiert. Einige der in den Skalen „operatio‐ 255 19 Methodische Prinzipien und Aufgabenformate nalisierten Schlüsselkonzepte“ können auch in Prozessen der Lektüren literarischer Texte umgesetzt werden wie in der Skala „Online-Konversation und -Diskussionen“: ■ die simultane (in Echtzeit) und konsekutive Interaktion, ■ die Teilnahme an zusammenhängender Interaktion mit einem oder mehreren Gesprächspartner*innen, ■ Postings und Beiträge für andere verfassen, auf die sie reagieren können, ■ Kommentare zu Postings, Kommentaren und Beiträgen anderer, ■ Reaktionen auf eingebettete Medienobjekte, ■ die Fähigkeit, Symbole, Bilder und andere Kodes einzufügen, damit die Nachricht Ton, Betonung und Prosodie übermittelt, aber auch die affektive/ emotionale Seite, Ironie usw. (vgl. ebd.: 104); und in der Skala „Zielorientierte Online-Transaktionen und -Kooperation“: ■ die Teilnahme an kooperativen Projekten, ■ Kommunikationsprobleme beheben (vgl. ebd.: 107). Die in den Skalen formulierten Deskriptoren (Kann-Beschreibungen) für die Niveaus A1 bis C2 können auch für die Entwicklung von Aufgaben genutzt werden, wobei auch die Verbindung von Deskriptoren aus verschiedenen Skalen zu empfehlen ist (vgl. ebd.: 34, 53 f.). 256 19 Methodische Prinzipien und Aufgabenformate 20 Kreative, performative und analytische Verfahren In der Fachdiskussion wie in der unterrichtlichen Praxis von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache gelten kreative Verfahren spätestens seit den 1990er Jahren als wich‐ tiger Zugang zu literarischen Texten. In der (fachdidaktischen) Forschung gibt es jedoch bislang keine klare Definition für diese Verfahren. Einer Bestimmung könnte man sich über den Begriff der Kreativität nähern. Diesen haben etwa Michaela Sambanis und Maik Walter aus der Perspektive einer performativen Didaktik (→ Kap. 12) be‐ schrieben. Ihnen zufolge umfasst er „mehrere Komponenten, insbesondere Flexibilität, Originalität und gedankliche Beweglichkeit“ (Sambanis/ Walter 2019: 60). Ein mögli‐ cher und sinnvoller Ausgangspunkt wäre auch die Bestimmung von Leubner/ Saupe/ Richter (2016) zum handlungsorientierten Unterricht, die sich generell auf kreative Verfahren beziehen lässt. Hier wird der „Zugang zu literarischen Texten“ verstanden als „ein ganzheitliches Tun, das kognitive, affektive und praktische Fähigkeiten erfordert“ (ebd.: 177). Als literaturtheoretische Grundlagen für kreative Verfahren gelten die Rezeptions- und Wirkungsästhetik (→ Kap. 8), die Ende der 1960er und in den 1970er Jahren zunächst in der Romanistik ( Jauß 1967) und Anglistik (Iser 1970 und 1976) entwickelt, in den 1980er Jahren in der germanistischen fachdidaktischen Diskussion (Haas 1984, Waldmann 1984) aufgegriffen und in den 1990er Jahren im Fach Deutsch als Fremdsprache (Kast 1994) produktiv rezipiert wurden. Sie wurden unter der Bezeichnung „handlungs- und produktionsorientierter Literaturun‐ terricht“ bekannt und spielen als HPLU, HPU oder HPO in der Literaturdidaktik bis heute eine sehr wichtige Rolle. Wie Elisabeth Paefgen in ihrer fachdidaktischen Einführung in die Literaturdidaktik ausführt, denkt man bei Handlungsorientierung primär an „szenische, grafisch-bildliche, musikalische, körpersprachliche, vortragende, spielerische und ähnliche Inszenierungen zu literarischen Texten“, im Fokus sind „[a]ffektive Lernziele - wie Freude, Lust, Spaß - und Erhalt der Motivation“ (Paefgen 2006: 139, Hervorh. i. O.). Bei Produktionsorientierung wird der Schwerpunkt auf „schreibende Arbeitsformen“ gelegt, die „Herstellung eigener poetisierender Texte soll einer Intensivierung des literarischen Verstehens dienen“ (ebd., Hervorh. i. O.), was seine Fortsetzung in den Methoden zum kreativen Schreiben (s. u.) findet. Als zentrale Publikation der Deutschdidaktik gilt der Band Handlungs- und produk‐ tionsorientierter Literaturunterricht: Theorie und Praxis eines „anderen“ Literaturunter‐ richts für die Primar- und Sekundarstufe (1984) von Gerhard Haas. Hier wird ein grundlegendes Vorgehen entwickelt, in dem literarische Texte als Ausgangsmate‐ rial zu betrachten sind, die die Lernenden dann mit ihrer je eigenen Kreativität rezipieren und modifizieren. Der Argumentation von Haas zufolge können damit gewisse Konstanten des Literaturunterrichts, die trotz Modifikationen im Großen und Ganzen für mehr als hundertfünfzig Jahre als selbstverständlich galten, aufgebrochen und abgelöst werden, nämlich 1 Haas hat 1997 einen ähnlichen Band unter dem Titel Handlungs- und produktionsorientierter Litera‐ turunterricht. Theorie und Praxis eines „anderen“ Literaturunterrichts für die Primar- und Sekundarstufe veröffentlicht; aus diesem wird hier zitiert. die absolute Dominanz des kognitiven Vorgehens, in der Zieldiskussion die Vorrangstellung von Erkenntnis und Wissen, das Arrangement eines Unterrichts, in dem die Wortgewandten und Schnellen dominieren, die weitgehende Vernachlässigung der sinnlichen Seite von Literatur, vor allem aber die fraglose Priorität des literarischen Objekts gegenüber dem Subjekt des Lektüreprozesses. (Haas 1997: 7) 1 Rezeptions- und Wirkungsästhetik bieten ein neues Textverständnis und damit alternative Zugänge zum Text. Sie verstehen das literarische Werk - das sie vom literarischen Text unterscheiden - als Ergebnis des Lektüreprozesses und weisen damit den Lesenden, als den „Subjekte[n] des Lektüreprozesses“ (s. Zitat oben) eine systematische und zentrale Position bei seinem Entstehen zu. Die Konkretisierung der Texte erfolgt in Abhängigkeit von den je individuellen Dispositionen der Lesenden und kann von Lektüre zu Lektüre variieren. Wolfgang Iser (1974: 7) formuliert pointiert: Bedeutungen literarischer Texte […] sind das Produkt einer Interaktion von Text und Leser und keine im Text versteckten Größen, die aufzuspüren allein der Interpretation vorbehalten bleibt. Generiert der Leser die Bedeutung eines Textes, so ist es nur zwangsläufig, wenn diese in einer je individuellen Gestalt erscheint. Dieses Verständnis von Literatur rückt die Lesenden in den Fokus der Aufmerksam‐ keit und eröffnet literaturdidaktischen Überlegungen die Möglichkeit, die Lernenden nicht länger auf die Rolle von Rezipierenden zu reduzieren, sondern als Agierende und Produzierende mit ihrer Individualität und Kreativität in die unterrichtlichen Prozesse einzubinden. So stehen die Leseerfahrungen der Lernenden gleichberech‐ tigt neben denen der Lehrenden - und auch neben literaturwissenschaftlichen Interpretationsvorschlägen - und können in den Unterricht lohnend eingebracht werden. Mit seinem Beitrag Literatur im Anfängerunterricht, der 1994 in der vom Goethe-Institut herausgegebenen Zeitschrift Fremdsprache Deutsch erschienen ist, hat Bernd Kast diesen Ansatz in das Fach Deutsch als Fremdsprache eingebracht. Er hat bis heute großen Einfluss, gilt zuweilen als selbstverständliches Vorgehen bei der Arbeit mit Literatur. So stellt etwa die Einführung Literatur im DaF/ DaZ-Unterricht von Koppensteiner (2001) bzw. Koppensteiner/ Schwarz (2012) nur diesen Ansatz vor, in der Einführung von Huneke/ Steinig (1997 bis 2013) beschränkt sich das Literaturkapitel ebenfalls auf diesen Ansatz (→ Kap. 2). Wie selbstverständlich der Einsatz entsprechender Verfahren bei der Arbeit mit literarischen Texten ist, kann man auch daran sehen, dass in sehr vielen sogenannten Didaktisierungen von Texten mindestens eine Aufgabe aus dem Spektrum des handlungs- und produktionsorien‐ tierten Literaturunterrichts dabei ist (vgl. unten den Handlungskasten nach Kast 1994). Der Ansatz wird bis heute und auch in den internationalen Zusammenhängen von Deutsch als Fremdsprache produktiv rezipiert. 258 20 Kreative, performative und analytische Verfahren 2 Ausgabe 2017; es konnten leider keine Angaben zu den Autor*innen gefunden werden. Fremdsprache Deutsch 11 Auch während der Lektüre kann man den Leseprozeß unterbrechen und vorhersagen: Welches Wort paßt? Wie geht der Satz weiter? Was steht in dem folgenden Abschnitt? Wie geht die Geschichte zu Ende? Solche Antizipationen sind dann besonders ergiebig, wenn eine Figur vor eine Entscheidungssituation gestellt wird: Wie könnte sie sich entscheiden? Was spricht dafür, was dagegen? Wie würdest du dich entscheiden? PERSPEKTIVENÜBERNAHME Der Schüler/ Leser nimmt so die Perspektive der jeweiligen Figur ein, er tut das, was auch Leerstellen im Text von ihm fordern: er muß die fremde Perspektive, die für ihn ja dreifach fremd ist: ! als literarischer Text, ! in der fremden Sprache, ! aus einer fremden Kultur (und möglicherweise noch aus einer zurückliegenden Epoche) einnehmen, indem er sie antizipiert. Damit wird er gezwungen, seine Einbindung in seine Lebenswelt und seine kulturellen Erfahrungen erst einmal aufzugeben und so zu tun, als würde er die fremde Rolle spielen. Die im „Handlungskasten“ aufgezählten handlungs- und produktionsorientierten Aufgabenstellungen und das antizipierend-spekulative Verfahren sind also auch Anleitungen zur Perspektivenübernahme, und gerade das ist eine entscheidende Haltung beim Lesen fremdsprachlicher literarischer Texte: Die Fremdheit des Textes führt zu Fragen, die der Text aufwirft und die der Schüler/ Leser an den Text stellt. Es ist wichtig, daß der Schüler/ Leser lernt, seine Fragen an den Text zu richten, um dann zu versuchen, im weiteren Verlauf des Textes Antworten auf seine Fragen zu finden. Auf Seite 14 ff. beschreibt Dominique Lafargue in seinem Beitrag „Jugendbücher im Unterricht“ die Klassenlektüre „Die Ilse ist weg“ von Christine Nöstlinger. Nun könnte man schon beim Titel und der Umschlagillustration (siehe S. 14) die Lernenden bitten, Fragen zu stellen, auf die der Roman eine Antwort geben sollte. Die Erfahrung zeigt, daß die Schüler dann fragen: Wer ist Ilse? Was heißt „ist weg“? Warum ist sie weg? Wohin ist sie gegangen? Wie alt ist sie? L I T E R A T U R I M A N F Ä N G E R U N T E R R I C H T 10 „Handlungskasten“ oder: Wie Schüler an Texte „Hand anlegen“ können Sie können: ! ! Den Text oder Teile des Textes transformieren, verändern, z.B. unter der Aufgabenstellung: „Wie würde die Handlung weitergehen, wenn...? “; ! Einen Brief an den Autor/ die Autorin schreiben und die eigenen Eindrücke mitteilen, Fragen stellen usw.; ! Briefe entwerfen, die eine Figur der anderen schreibt (Wer könnte wem was schreiben? ); ! Einer Figur im Text (die man besonders mag, die einen irritiert usw.) einen Brief schreiben (was man von ihr/ ihrem Verhalten hält, wo man zustimmt oder anderer Meinung ist, Fragen hat usw.); ! Ein Tagebuch aus der Perspektive einer Figur schreiben; ! Einen Dialog schreiben, wenn im Text nur erwähnt wird, daß Figur A und B miteinander gesprochen haben; ! Sich ein anderes Ende überlegen oder über das Ende der Geschichte hinaus schreiben (Wie könnte die Geschichte fortgesetzt werden? ); ! Erzählen, was geschehen ist, bevor die Geschichte beginnt (um zu erklären, was in der Geschichte passiert, um Handlungen und Verhaltensweisen zu begründen); ! Die Geschichte aus einer anderen Perspektive schreiben (z.B. „Hänsel und Gretel“ aus der Perspektive der Hexe); ! Sich selbst als neue Figur in den Text einbringen (um Partei zu ergreifen, zu vermitteln, den Verlauf zu verändern); ! Den Text in einer anderen Textsorte schreiben (z.B. wird eine Kurzgeschichte in eine Zeitungsnachricht übertragen); ! Den Text oder Teile davon als Hörspiel bearbeiten; ! Selbst einen Text (ein Gedicht, eine Fabel) schreiben; ! Eine pantomimische Umsetzung von Textteilen versuchen; ! Den Text als Rollenspiel bearbeiten und vorspielen; ! Eine Rezension schreiben (z.B. für die Schul- oder Klassenzeitung); ! Auf eine vorliegende Rezension reagieren (z. B. in Form eines Leserbriefs); ! Ein Interview mit einer der Figuren vorbereiten: einige Schüler übernehmen die Rolle der/ des Interviewten oder bereiten sich auf ihre Rolle anhand der Interviewfragen vor; ! Ein Bild/ eine Collage/ ein Plakat zum Text/ zu einigen spannenden, wichtigen Textstellen anfertigen; ! Bilder und literarische Texte einander zuordnen/ Bilder bestimmten Stellen im Text zuordnen und diese Zuordnungen begründen (die Bilder können sehr unterschiedlich sein und sollten Eindrücke wiedergeben können, nicht primär den Text illustrieren); ! Einen Text aktualisieren, indem sie die Handlung aus einer vergangenen Epoche in die Gegenwart versetzen (Modell „Die neuen Leiden des jungen W.“ von Ulrich Plenzdorf); ! Ein Lesetagebuch führen, in dem alles notiert wird, was ihnen ein- und auffällt, was ihnen gefällt und mißfällt, was sie die anderen Schüler fragen möchten, wo sie interessante Zitate festhalten usw.; ! Einen auseinandergeschnittenen Text wieder rekonstruieren (die Textteile in die richtige Reihenfolge bringen); ! Einen Lückentext ausfüllen, um die Erfahrung zu machen, daß sie die wesentlichen Inhalte eines Textes verstehen können, ohne alles verstehen zu müssen; ! Handlungslücken füllen, indem sie den Kontext (also auch das, was nach der Lücke folgt), berücksichtigen; ! Wortkarten, die Bausteine des Handlungsgerüsts enthalten, in eine logische (kohärente) Reihenfolge legen; ihre Geschichte dann mündlich oder schriftlich erzählen und danach mit dem Original vergleichen; ! Versuchen, sich in eine Figur zu versetzen und in Form eines inneren Monologs aufzuschreiben, was diese fühlt und denkt; ! Alternative Handlungen und Haltungen beschreiben, mit denen eine Figur ihr Ziel besser/ schneller/ verantwortungsvoller usw. erreicht hätte. Vielleicht haben Sie auch noch mehr Ideen. Fremdsprache Deutsch Heft 11/ 1994 - Literatur im Anfängerunterricht, ISBN 978-3-19-879183-7, © Hueber Verlag 2007 Lizenziert für Frau Prof. Dr. Simone Schiedermair. Die Inhalte sind urheberrechtlich geschützt. © Copyright Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2015 - (Einzeldokumenteverkauf) - 28.09.2015 - 10: 10 - (ds) 587013053879 Abb. 26: Handlungskasten für den handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht Kast (1994: 6) So hat etwa die Zeitschrift eDUSA. Deutschunterricht im Südlichen Afrika in ihren Ausgaben von 2017 und 2018 Vorschläge für die Lektüren von Gedichten und kurzen Prosatexten publiziert, die „kreative und interaktive Arbeitsformen“ enthalten und die Lernenden dazu anregen sollen, dass sie „handelnd mit den Texten umgehen“ (https: / / www.sagv.org.za/ wp-content/ uploads/ 2019/ edusa/ eDUSA-2017-Didaktisierungen.pdf [16.06.2021]). In den sieben Lektürebeispielen wird - hier kurz zusammengefasst - u. a. vorgeschlagen, Bertolt Brechts Vergnügungen zu zerschneiden und von den Lernenden zusammensetzen zu lassen, zu Günter Eichs Inventur ein Parallelgedicht zu verfassen, zu Brechts Wenn die Haifische Menschen wären Plakate, Zeichnungen, Orden und Piktogramme herzustellen, 2 zu Leonhard Thomas’ Der Stromausfall Poster mit Text-Bild-Kombinationen zusammenzustellen, zu Georg Heyms Der Gott der Stadt 259 20 Kreative, performative und analytische Verfahren 3 Vgl. ausführlicher das gesamte Kapitel II.1 Typen der Textarbeit: rationale Textanalyse und kreative Zugangsformen in Nünning/ Surkamp (2010: 62-70). in einem Text zu imaginieren, wie man wohl in dieser Stadt lebt, zu Friedrich Schillers Der Handschuh ein Rollenspiel zu entwickeln und sich der Brück’ am Tay von Theodor Fontane mit dem Bau eines Brückenmodells anzunähern und das Gedicht in einen Zeitungstext zu verwandeln (vgl. die Beiträge von Henk van der Westhuizen, Deetlev M. G. Weber, Angelika Weber und Andy Sudermann in der Ausgabe 2018). Den großen Vorteil dieses Ansatzes sieht man darin, dass literarische Texte nun „nicht mehr nur im Kopf, sondern mit Herz und Hand“ (Huneke/ Steinig 2013: 112) rezipiert werden, und dass er mit der Individualität und insbesondere mit der Kreativität der Lernenden rechnet. Die vielfältigen Optionen, diese zu nutzen, hat bereits Bernd Kast gesehen und in einer Liste unter der Überschrift ‚Handlungskasten‘ oder: Wie Schüler an Texte ‚Hand anlegen‘ können zusammengestellt, die weiterhin inspirieren kann (s.o.). Der große Erfolg dieses Ansatzes im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache hängt auch damit zusammen, dass er mit den bereits genannten methodischen Prinzi‐ pien der allgemeinen Fremdsprachendidaktik (→ Kap. 19) wie Handlungsorientierung, Inhaltsorientierung, Aufgabenorientierung, Individualisierung und Personalisierung - um nur einige zu nennen - gut kombinierbar ist. Zunächst sind die kreativen Verfahren in Absetzung von den analytischen Verfahren der Literaturwissenschaft entstanden und wurden lange Zeit als Konkurrenz zu diesen verstanden. Inzwischen gibt es jedoch einen breiten Konsens, dass beide Modi des Umgangs mit literarischen Texten - kreative und analytische - im Unterricht sinnvoll sind, im Idealfall sogar produktiv aufeinander bezogen werden können. So argumentieren etwa Nünning/ Surkamp (2010: 69) im Kontext der Englischdidaktik, dass „[r]ationale Textanalyse und handlungs- und produktionsorientierter Literaturun‐ terricht“ keine sich gegenseitig ausschließenden Alternativen darstellen und plädieren „für einen methodischen Pluralismus […] in Form einer Integration von analytischen und kreativen Verfahren.“ Dabei weisen sie darauf hin, dass aus pädagogischer Sicht auch für eine Verbindung spricht, dass so unterschiedliche Typen von Lernenden angesprochen werden können. 3 Unterrichtsidee Wie eine Integration der Verfahren aussehen könnte, zeigt Suzan Radwan im Themenheft Fremdsprache Literatur der Zeitschrift Fremdsprache Deutsch (2011). In ihrem Beitrag Lyrik der Neuen Subjektivität im fremdsprachlichen Deutschunterricht entwickelt sie einen Vorschlag auf der Basis ihrer Unter‐ richtserfahrungen mit Erwachsenen auf B2-Niveau am Goethe-Institut in Kairo/ Ägypten. In ihrer Einleitung weist sie explizit auf die skizzierte Diskus‐ sion hin, i.e. auf den Vorwurf der „Funktionalisierung“ und des „Missbrauchs literarischer Texte“ (Radwan 2011: 22) bei der Verwendung von Methoden 260 20 Kreative, performative und analytische Verfahren des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts, da dieser vor allem auf sprachliche Lernziele ausgerichtet sei und literarische Texte auf Medien zum Grammatiklernen reduziere. Auf der anderen Seite rufe die Forderung, das „spezifisch Literarische“, die „ästhetische Dimension der Texte“ (ebd.: 23) zu berücksichtigen, bei vielen Lehrenden Skepsis hervor, da sie die kreativen Verfahren des HPLU/ HPU/ HPO als „lernergerecht“ einschätzen, das Wahrnehmen, Analysieren und Reflektieren von ästhetischen Strategien dagegen als (unnötige) (Über)forderung ansehen, die aber „zweifellos litera‐ turgerecht“ (ebd., Hervorh. i. O.) sei. Mit einem Zitat von Saša Jazbek plädiert sie dafür, beide Zugänge zum Text zu nutzen, für ein Sowohl-als-auch: „Der HPLU wird oft der interpretierend-analysierenden Methode gegenübergestellt […] Das konträre Entweder-Oder stellt jedoch keine ideale Lösung dar. ‚Sowohl als auch‘ ist das Ziel des Literaturunterrichts.“ (Jazbek 2004: 210, zit. in Radwan 2011: 23) In sechs Schritten verfolgt Radwan im Unterricht mit dem Gedicht Ich bin die Frau von Ulla Hahn (1983) ihr Ziel, „Sprachkompetenz und Litera‐ turkompetenz“ zu entwickeln und arbeitet dabei „sowohl mit textanalytischen Verfahren als auch mit Methoden des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts“ (Radwan 2011: 24). Ich bin die Frau Ich bin die Frau die man wieder mal anrufen könnte wenn das Fernsehen langweilt Ich bin die Frau die man wieder mal einladen könnte wenn jemand abgesagt hat Ich bin die Frau die man lieber nicht einlädt zur Hochzeit Ich bin die Frau die man lieber nicht fragt nach einem Foto vom Kind Ich bin die Frau die keine Frau ist fürs Leben. (Hahn 1983: 63) So sind die Lernenden etwa in Schritt 3 aufgefordert, in Einzelarbeit schriftlich ein Porträt von dem Ich in dem Gedicht zu entwerfen und zunächst in Kleingruppen, dann im Plenum mit Bezug auf einzelne Stellen im Gedicht ihr Vorgehen zu begründen. Mit dieser kreativen Aufgabe entstehen unter‐ schiedliche Lesarten, die als individuelle Deutungsversuche gleichberechtigt 261 20 Kreative, performative und analytische Verfahren nebeneinanderstehen. Im anschließenden Schritt 4 gilt es, die strukturellen Merkmale des Textes zu untersuchen und mögliche Zusammenhänge zwischen der Form und der Thematik zu reflektieren. In Gruppenarbeit sollen die Lernenden das Gedicht unter den folgenden leitenden Aspekten bearbeiten: „Funktion der Ich-Perspektive, Aufbau des Gedichts, Reimschema, Sprache (Bilder, Metaphern, rhetorische Elemente…), Zeichensetzung“ (Radwan 2011: 26). Diese Begrifflichkeiten werden nicht explizit eingeführt, da die Lernenden - so Radwans Erfahrung in der Erwachsenenbildung - in der Regel über Wissen verfügen, das sie hier nutzen können. Nur wenn sich die Notwendigkeit zeigt, erfolgen entsprechende Erklärungen. Abschließend wird reflektiert, ob durch diese Analyse neue Einsichten gewonnen wurden. In dem Artikel werden mehrere Antworten der Lernenden (sprachlich korrigiert) zitiert, die zeigen, wie die Lernenden von diesem doppelten Zugang zum Text profitieren, exemplarisch sei ein Zitat wiedergegeben: „Das einzige Zeichen im Gedicht ist ein Punkt am Ende. Das heißt, das lyrische Ich hat alles gesagt, was es sagen will. Es ist fertig mit dieser Gesellschaft.“ (ebd.: 26) Unterrichtsidee Der Artikel von Radwan ist mehr als 25 Jahre später in der Zeitschrift Fremdspra‐ che Deutsch erschienen, in der 1994 auch der Artikel von Bernd Kast zum hand‐ lungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht veröffentlicht wurde, der die kreativen Verfahren im Fach bekannt gemacht hat. Auch daran lässt sich sehen, wie präsent dieser Ansatz im Fach ist. In dem genannten Themenheft Fremdsprache Literatur von 2011 finden sich weitere Artikel, die auf der Basis einer kurzen Darstellung der jeweils relevanten theoretischen Grundlagen Vor‐ schläge für die unterrichtliche Praxis präsentieren, die unterschiedliche kreative Verfahren nutzen: Im Kontext von Deutsch als Zweitsprache an Grundschulen hat Gerlind Belke ein Konzept für kreative Schreibaufgaben auf der Basis von Textstrukturen, die von literarischen Texten übernommen werden, entwickelt (Belke 2011, auch → Kap. 6). Ähnlich wie Belke schlägt auch Sophie Engel (2011) kreatives Schreiben auf der Grundlage eines vorgegebenen Textmusters vor, hier ein Unterrichtsbeispiel zur Arbeit mit Märchen an Schulen in Pune/ Indien. Carmen Schier (2011) versteht die Lernenden als Mitschaffende und arbeitet auf der Basis eines produktionsorientierten Literaturunterrichts projekt‐ orientiert, wobei sie auch die Körpersprache berücksichtigt und die Lernenden etwa Masken basteln lässt, um sich so mit dem Thema der „Notwendigkeit, in der Gesellschaft, eine oder mehrere Rollen zu spielen“ (Schier 2011: 59) auch auf diese Weise auseinanderzusetzen. Renate Bürner-Kotzam (2011a) stellt in ihrem Beitrag vor, wie Lernende ihr Wissen über filmisches Erzählen, etwa über Kameraeinstellungen wie Vogelperspektive, Oberperspektive, Normalper‐ 262 20 Kreative, performative und analytische Verfahren 4 Bürner-Kotzam weist darauf hin, dass man Verfilmungen von Jugendlichen zu diesem Text auch im Internet ansehen kann unter: www.youtube.com [17.06.2021]. Für die Arbeit an Filmen (Schnei‐ den, Montieren, Vertonen, 30 Tage kostenlos nutzbar) empfiehlt sie: http: / / www.heise.de/ softwar e/ download/ video_deluxe/ 23478 [17.06.2021], für Windows und Linux http: / / www.avidemux.org [17.06.2021]. 5 Vgl. etwa die oben genannten Lektürevorschläge, die in den Ausgaben 2017 und 2018 von eDUSA erschienen sind. Sie alle kombinieren kreative und analytische Verfahren. spektive, Unterperspektive, Froschperspektive (vgl. ebd.: 42) nutzen können, um die Machart von literarischen Texten zu durchschauen und deren Wirkung zu verstehen. Wie Radwan (s. o.) so nutzt auch sie kreative und analytische Zugänge zum Text, darüber hinaus auch die Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, und lässt die Lernenden mit Smartphones Kafkas Kurzprosatext Gibs auf! (→ Kap. 8) verfilmen. 4 Sie können so auf verschiedenen Wegen Einblicke in die Bedeutungsbildungsprozesse erhalten, die durch sprachliche Verfahren und ästhetische Strategien des Textes initiiert werden. Unterrichtsidee Zahlreiche weitere Beispiele könnte man hier nennen, die zeigen, wie hand‐ lungs- und produktionsorientierte Verfahren mit analytischen Verfahren loh‐ nend zu kombinieren wären. 5 Vorstellen möchten wir, in Ergänzung zu Suzan Radwan (2011), die ihr Vorgehen anhand von Lyrik aus den 1980er Jahren und im Kontext der Erwachsenenbildung am Goethe-Institut ausgearbeitet hat, einen Vorschlag von Irena Samide (2020): Sie arbeitet mit Lyrik, die nach dem Jahr 2000 erschienen ist, und mit Germanistikstudierenden, denen sie „Modelle und Muster“ (Samide 2020: 165) zur Arbeit mit Lyrik im schulischen Deutschunterricht in Slowenien vermitteln möchte. Für das erstmals 2004 erschienene Gedicht teich von Monika Rinck, geeignet für das Sprachniveau B1/ B2, schlägt Samide vor, den Lernenden zunächst eine sinnliche Wahrneh‐ mung des Gedichts zu ermöglichen, eine auditive und eine visuelle. So könnte man das Gedicht hören, etwa von der Autorin selbst gelesen auf lyrikline.org (https: / / www.lyrikline.org/ de/ gedichte/ teich-1840 [17.06.2021]). Das Sehen als sinnliche Wahrnehmung bezieht Samide indirekt mit ein, indem sie die Ler‐ nenden ermutigt, Farbassoziationen zuzulassen und im Plenum mit einem einfachen Verfahren zu äußern, indem sie aus farbigen Papieren auswählen, die bereits vor Unterrichtsbeginn auf ihren Tischen verteilt worden waren. Nach diesem sinnlichen und interaktiven Vorgehen folgt eine analytische Auseinandersetzung mit dem Gedicht, die Samide mit der einfachen Aufgaben‐ stellung initiiert, „Wiederholungsstrukturen im Gedicht (samt Variationen und Modifikationen sowie Kontrastierungen und Oppositionen)“ zu suchen und deren „Wirkung und Funktion“ (Samide 2020: 171) zu reflektieren. 263 20 Kreative, performative und analytische Verfahren 6 Von Monika Rincks Gedicht teich gibt es eine englische Übersetzung im Internet. Diese könnte man gut nutzen, wenn es um Fragen der Übersetzung (vgl. Kramsch/ Huffmaster 2008) bzw. um Mediation im Sinne des neuen Begleitbandes zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (2020, Kapitel 3.4) geht (→ Kap. 5). teich sagt er: das leid ist ein teich. sag ich: ja, das leid ist ein teich. weil das leid von fischen durchschossen in einer mulde liegt und faulig riecht. sagt er: und die schuld ist ein teich. sag ich: ja, die schuld auch teich. weil die schuld in einer senke schwappt und mir bei hochgerecktem arm bereits zur aufgedehnten achselhöhle reicht. sagt er: die lüge ist ein teich. sag ich: ja die lüge ebenso teich. weil man im sommer des nachts am ufer der lüge picknicken kann und immer dort etwas vergisst. (Rinck 2013: 36) In vier Gruppen lässt Samide mit unterschiedlichem Fokus arbeiten: Wiederho‐ lungen auf der Lautebene, auf der morphologischen Ebene, der syntaktischen und der lexikalisch-semantischen Ebene. Dabei lässt sie die leistungsstärkste Gruppe mit der vierten Ebene arbeiten und nutzt so auch die Möglichkeit zur Binnendifferenzierung bei der Arbeit mit dem Gedicht. Wie schon beim einfachen Überfliegen oder Lesen festzustellen ist, lassen sich eine Vielzahl an Beobachtungen auf allen vier Ebenen machen. Samide gibt in ihrem Artikel einen komprimierten Überblick über diese und zeichnet in Auszügen den Prozess nach, wie die Studierenden ihre Beobachtungen machen, formulieren, zueinander ins Verhältnis setzen und so die Ergebnisse der analytischen Textlektüre auf ihre Wirkung und Funktion im Gedicht befragen. Statt in die - wie sie es nennt - „klassische Gedichtanalyse-Falle (d. h. automatisierte und unreflektierte Aufforderung zur Bestimmung der Strophen- und Versanzahl, des Rhythmus, des Metrums, rhetorischer Figuren etc.)“ (Samide 2020: 171) zu geraten, gelingt es Samide mit ihren Aufgaben, dass sich die „Gedichtinterpre‐ tation entpuppt […] als Spurensuche, von der man nicht weiß, wohin sie führt“ (ebd.: 172). 6 264 20 Kreative, performative und analytische Verfahren 7 Vgl. etwa Paefgens Kommentar zu handlungsorientierten Verfahren, die vor allem auf „[a]ffektive Lernziele - wie Freude, Lust, Spaß - und Erhalt der Motivation“ zielen: „Literarische Texte dienen als Sprungbrett für die gestaltenden Aktivitäten der Schüler, werden aber nicht unbedingt auf Inhalt und Form hin untersucht.“ (Paefgen 2006: 139) 8 Vgl. auch den Beitrag von Kramsch (2011): Sie schlägt ein ähnliches Vorgehen für die Arbeit mit einem Prosatext vor, einem Auszug aus Erich Kästners Roman Als ich ein kleiner Junge war (1957) (→ Kap. 10). Kreative Verfahren wie die vorgestellten, die die Textvorlage nicht gänzlich aus dem Blick verlieren und nicht ausschließlich darauf ausgerichtet sind, die Kreativität der Lernenden zu fördern oder zu nutzen - vgl. den Vorwurf des „Sprungbretts“ 7 (→ Kap. 8) - erfordern eine genaue Auseinandersetzung mit dem Text und ermöglichen gleichzeitig einen distanzierten und differenzierenden Blick, der für die Machart der Texte sensibilisiert und sich deshalb kreativ auf sie beziehen kann. Den hier vorgestellten Lektürevorschlägen ist gemeinsam, dass das textanalytische Vorgehen und die kreati‐ ven Verfahren ineinandergreifen und systematisch aufeinander bezogen sind. Kreative Verfahren werden nicht als losgelöst verstanden, sondern in ihrer Bezogenheit auf die literarischen Texte. Wie man Texte analytisch lesen kann, wird bei Radwan (2011) und Samide (2020) klar: Fragen nach Perspektive und Zeichensetzung sowie nach Wiederholungsstruk‐ turen - sei es auf der Ebene von Laut, Syntax oder Semantik - führen zu Ergebnissen, die die Auseinandersetzung mit dem Text auf produktive Weise in Gang setzen. 8 Solche vergleichsweise einfachen Fragestellungen können Einstiegsfragen wie „Was fällt mir auf ? “ oder „Wie haben Sie das gelesen? “ (→ Kap. 18) lohnend ergänzen. Wie Radwan (2011) gehen wir davon aus, dass vielen Lernenden in der Erwachsenen‐ bildung die dafür nötigen Begriffe aus der Literaturwissenschaft wie Erzählperspektive, Reimschema, Metapher u. Ä. vertraut sind. Anhand einschlägiger (elektronischer) Nachschlagewerke lassen sie sich aber auch von den Lernenden recherchieren oder von den Lehrenden im Hinblick auf die spezifischen Anforderungen der jeweiligen Texte, die gelesen werden, zusammenstellen. Auch die globale Simulation ist ein Verfahren, das die Handlungsorientierung als Unterrichtsprinzip und das kreative Potenzial von Lernenden wie Lehrenden, aber auch ihren analytischen Blick stärkt. Entwickelt wurde es vorrangig in der fremdsprachen‐ didaktischen Diskussion in Frankreich. Zentrales Merkmal des Verfahrens ist es, dass die Teilnehmenden über einen längeren Zeitraum hinweg eine gemeinsame fiktive Welt, einen Mikrokosmos, sowie fiktive Identitäten, die in dieser Welt zu Hause sind, durch das Mittel der Erfindung erschaffen. Einmal kreiert, wird diese Welt, in der die Teilnehmenden agieren, mit fortschreitender globaler Simulation genauer beschrieben und somit verdichtet. (Maak 2011: 553) Das Erfinden ist wesentlicher Teil der globalen Simulation und „ermöglicht den kreativen, selbstbestimmten Umgang mit der Fremdsprache“ (Maak 2011: 555). 265 20 Kreative, performative und analytische Verfahren 9 Auch Yaiche (1996) nutzt das Bild der Inseln in seiner Beschreibung des Verfahrens. Er veranschau‐ licht die globale Simulation mittels Inseln, deren ‚steile Ufer‘ und zugleich ‚erreichbare Strände‘ von den Teilnehmenden nach und nach entdeckt werden. In dieser Rolle sind die Teilnehmenden auch diejenigen, die die Inseln mitgestalten, z. B. indem sie sie taufen (vgl. Schulz 2019: 66). Unterrichtsideen Mit Rückgriff auf Francis Yaiche (1996) veranschaulicht Maak einen möglichen Verlauf anhand einer globalen Simulation mit Studierenden von Deutsch als Fremdsprache in Dänemark. Sie erschaffen für die Dauer mehrerer Unter‐ richtsstunden eine Zeitschriftenredaktion, in der eine Zeitschrift zur Neueren deutschsprachigen Literatur herausgegeben werden soll. Als Mitglieder der Redaktion beschäftigen sie sich mit einzelnen Werken verschiedener Genres, mit Autor*innen und bereits vorliegenden Rezensionen. Sie lesen Texte, tauschen sich in Redaktionssitzungen und informellen Treffen (etwa am Kaffeeautomaten) über diese aus, werben für ‚ihre‘ Werke, verfassen selbst Textkritiken, halten Vorträge und stellen die Zeitschrift unter dem Titel Leseratte zusammen. Zielsetzungen der globalen Simulation sind in diesem Fall eine handlungsbezogene und integrierte Grammatik- und Wortschatzar‐ beit, das Ermöglichen eines spontanen Sprechhandelns in informellen und formellen (beruflichen) Situationen, die Verbesserung von Vortrags- und Präsentationsfähigkeiten sowie die Erweiterung des Wissens über die aktuelle deutschsprachige Literatur (vgl. Maak 2011: 558). Jessica Schulz (2019) begreift die globale Simulation stärker als Spiel bzw. Spiel‐ bühne und als Möglichkeit ästhetischer Erfahrungen. In einem von ihr skizzierten literarischen Experiment verflechten sich literarische Texte Yoko Tawadas wie Talisman (1996), Überseezungen (2002) und Schwager in Bordeaux (2008) mit dem Ort und den fiktiven Identitäten einer globalen Simulation: Ausgehend von der „archipelischen Schreibweise“ Yoko Tawadas als einem „transdiskursiven Geflecht“ (Ette 2010: 222) entwirft sie einen Tawada-Archipel, in dem Texte der Autorin selbst zu Orten der Simulation werden. 9 Die Teilnehmenden entdecken Inseln, auf denen sie mit den literarischen Texten in einen Dialog treten, sich ihnen szenisch nähern, sie transformieren und in verschiedenen Perspektiven wahrnehmen. Sie bereisen verschiedene Inseln wie die Leseinsel, die Rezeptions‐ insel, die Tandeminsel und die Schreibinsel, bevor sie am Ende der Simulation an einem Abschlussabend als Open Stage gemeinsam Texte vorlesen, Szenen vorspielen oder Lieder vortragen können, die sie auf ihrer Reise entdeckt oder entwickelt haben (vgl. Schulz 2019: 66 ff.). Bei den kreativen Verfahren nimmt das kreative Schreiben einen zentralen Stel‐ lenwert ein. Impulse für das kreative Schreiben können ein Bild, ein Gemälde oder eine Fotografie, ein Lied oder anderes Musikstück, eine Klang- oder Geräusch-Col‐ 266 20 Kreative, performative und analytische Verfahren 10 Zur Konkreten und Visuellen Poesie vgl. auch: http: / / blogs.fhnw.ch/ zl/ files/ 2012/ 04/ Sprachspie le_Rundschreiben_2009_16.pdf [02.07.2021]. http: / / dergipark.gov.tr/ download/ article-file/ 153266 [02.07.2021]. Zum Verständnis des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens und zu Skalie‐ rungsvorschlägen zum kreativen Schreiben siehe GER (2001: 67 f., 2020: 81 ff.). lage, ein Gegenstand, eine Pflanze oder der Blick aus dem Fenster sein. Literarische ‚Vorlagen‘ können Gedichte (Sonett, Haiku) sein, deren Struktur für eigene Gedichte genutzt werden soll; auch epische Texte, die weitergeschrieben oder in einen bspw. dramatischen Text umgeformt werden, in einer anderen Figurenperspektive, in einer anderen Zeit oder an einem anderen Ort, mit einem anderen Schluss erzählt werden sollen. Weitgehend ohne Vorlage können aber auch ein innerer Monolog einer literarischen Figur, eine Kurzgeschichte, Anekdote oder Fabel oder ein Slam Poetry-Text (→ Kap. 21) geschrieben werden. In allen Fällen sind Genremerkmale der (entstehenden) Texte zu Beginn des Schreibprozesses gemeinsam mit den Lernenden zu erarbeiten. Im Kontext von Deutsch als Zweitsprache im Grundschulbereich hat Gerlind Belke (2007 und 2011) ein solches Verfahren zum kreativen Schreiben nach Vorlagen von literarischen Texten entwickelt, das sie „generatives Schreiben“ nennt. Nach dem Muster von vorgegebenen kurzen Texten produzieren die Lernenden eigene Texte: Kinderreime, Sprachspiele und Konkrete wie Visuelle Poesie (→ Kap. 6). Unterrichtsidee Ebenfalls auf den Primarbereich, jedoch mit dem spezifischen Fokus auf Lernende ohne Vorkenntnisse, zielen die Vorschläge von Angelika Lundquist-Mog (2019) in ihrem Beitrag zu Wortbildern und Wortlandschaften. Dort findet sich eine Fülle von Anregungen für kreative Schreibaufgaben. So schlägt sie vor, dass die Kinder Silben-Smoothies herstellen oder Wortlandschaften malen wie ein Schloss im Wald. Auch in aktuellen Lehrwerken finden sich solche Übungen, wie etwa Lundquist-Mogs Hinweis auf den Text Belegtes Brot in dem Lehrwerk DaF leicht A1.1 (2014: 118) zeigt. 10 267 20 Kreative, performative und analytische Verfahren Abb. 27: Silben-Smoothie Lundquist-Mog 2019: 43 Abb. 28: Schloss im Wald ebd.: 44 Abb. 29: Belegtes Brot ebd.: 45 Auf verschiedenen Niveaus sind aufwändigere Projekte zum kreativen Schreiben möglich, wie die Comic- und Roman-Reihe Die Federsammler zeigt, die sich an Kinder und Jugendliche von 8 bis 18 Jahren richtet. Es arbeiten Schüler*innen zusammen, die Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremdsprache sprechen. Gemein‐ sam wird an Texten und Bildern gearbeitet; nach der Fertigstellung eines Buches wird es von der Lehrkraft digital an das Team der Federsammler übermittelt. Als E-Book sind die Ergebnisse weltweit zu lesen. In ihrem Beitrag Bücher schreiben und dabei Deutsch lernen? , 2019 im Themenheft Schreiben der Zeitschrift Fremdsprache Deutsch erschienen, berichtet Antje Hübner, dass seit 2011 fast 700 Schüler*innen aus 24 Städten und Ländern an dem Projekt teilgenommen haben. Zu den vielfältigen Möglichkeiten, kreativ und insbesondere performativ mit litera‐ rischen Texten zu arbeiten, gehören auch die verschiedenen Verfahren der Drama‐ pädagogik, die in jüngster Zeit unter dem Begriff einer performativen Didaktik (→ Kap. 12) gefasst werden (vgl. Schewe/ Even 2016, Schewe 2020). Manfred Schewe führte den Begriff der Dramapädagogik (drama in education) in seinem Aufsatz Fokus Lehrpraxis: Für einen integrierten, dramapädagogischen Deutsch-als-Fremdsprache-Un‐ terricht für Fortgeschrittene, der 1988 in der Zeitschrift InfoDaF erschien, in die deutsch‐ sprachige Diskussion ein. Unter dem Titel Fremdsprache inszenieren (1993) plädierte er in einer umfangreichen Studie dafür, die Formensprache und die methodischen Zugänge des Theaters auch im Fremdsprachenunterricht zu nutzen. Dabei geht es keineswegs vorrangig darum, ganze Theaterstücke mit Lernenden zu inszenieren und aufzuführen (→ Kap. 21). Auch kleine Szenen, in denen Stimme und Körper variabel zum Einsatz kommen, um verschiedene mögliche Bedeutungen des Gesagten zu zeigen und auszuhandeln, Improvisationen sowie Rollen- und Bewegungsspiele können Eingang in den Unterricht finden. Schewe (1993) verweist auf das Potenzial 268 20 Kreative, performative und analytische Verfahren 11 Erläuterungen zu einzelnen Techniken finden sich weiter unten im Kapitel und etwa bei Oelschläger (2017) und Hensel (2020). 12 Einen hilfreichen Überblick über entsprechende Verfahren bieten im Rahmen der anglistischen Fachdidaktik Nünning/ Surkamp (2010: 173-193) im Kapitel Theaterstücke spielerisch-kreativ bearbeiten: ein Überblick über szenische Zugangsformen. eines mehrkanaligen Lehrens und Lernens „mit Kopf, Herz, Hand und Fuß“ (ebd.: 8, Hervorh. d. Verf.), in das auch (senso-)motorische, kreative, ästhetische, emotionale und empathische Dimensionen einbezogen werden (vgl. ebd.: 13). Jüngere neurowis‐ senschaftliche Forschungsergebnisse belegen, dass dramapädagogische Verfahren ihre Wirksamkeit beim Lernen von Fremdsprachen durch multiple Vernetzungen, durch die emotionale Einbindung der Akteur*innen (Flow-Erlebnisse) und durch Bewegungen entfalten (vgl. Sambanis 2013). Flow-Erlebnisse bzw. Flows können ent‐ stehen, wenn während der Erarbeitung einer Szene, während einer Improvisation oder eines Rollenspiels durch positive Emotionen und Bewegungen unter Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin ein starker innerer Antrieb der Lernenden erwächst, der zu einem „idealen Fokussierungszustand“ führt (vgl. Sambanis 2013: 135, 146). In ihm vergessen die Lernenden ‚alles um sich herum‘, sie erleben das Geschehen sehr intensiv, was sich positiv auf das Lernen auswirkt. Dramapädagogische Elemente werden in allen Bereichen des Unterrichtens von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache verwendet. Mit Blick auf die Literaturdidaktik muss zunächst festgehalten werden, dass man bei dramapädagogischen Verfahren zwischen extracurricularen und intracurricularen Aktivitäten bzw. nach Schewe (2015) „perfor‐ mativen Großformen“ (Inszenierungen) und „performativen Kleinformen“ (Improvisa‐ tionen) unterscheidet. Wie Schewe (2010: 1591 ff.) darstellt, umfassen performative Großformen Theaterstücke, die außerhalb des regulären Unterrichts auf freiwilliger Basis über einige Wochen oder Monate hin erarbeitet, eingeübt und meist am Ende eines Schuljahres oder eines Semesters zur Aufführung gebracht werden. Oft handelt es sich um kanonische, deutschsprachige Dramen, die inszeniert werden. Zunehmend geht man aber auch freier mit der Textauswahl um und entscheidet sich für Prosa, Lyrik und auch selbstverfasste Stücke. Die große Bedeutung, die diese „Lernerfahrungen in Bezug auf Sprache, Literatur und Kultur“ (Schewe 2010: 1592) haben, führten und führen immer wieder zu der Forderung, solche Aktivitäten stärker in curriculare Vorgaben zu integrieren. Performative Kleinformen dagegen sind von vornherein so angelegt, dass sie sich in den unterrichtlichen Alltag integrieren lassen. Zu ihnen gehören Aktivitäten, die sich in wenigen Minuten realisieren lassen, aber auch umfangreichere, die eine oder auch mehrere Unterrichtseinheiten füllen können. Es gibt eine Reihe von sogenannten „dramapädagogischen Basistechniken“, die man in unterschiedlichen Kontexten und für unterschiedliche Ziele einsetzen kann wie bspw. Standbild, Doppeln, Heißer Stuhl und Teacher in Role. 11 Als ein Beispiel für eine kurze dramapädagogische Einheit nennt Schewe (2010: 1593) den Einstieg in ein Gedicht mit einer Bewegungsübung von etwa 10 Minuten, um so das rhythmische Sprechen und ggf. auch die Aussprache in die Aufmerksamkeit der Lernenden zu rücken, bevor der Text gelesen wird. 12 269 20 Kreative, performative und analytische Verfahren 13 Zur szenischen, auf das Sprechen konzentrierten Annäherung an die Balladen Der Zauberlehrling von Johann Wolfgang von Goethe und Der Handschuh von Friedrich Schiller vgl. auch Brunner (2006); zum szenischen Arbeiten mit Filmen vgl. Miladinović (2020). Ein dramapädagogisches Verfahren, das in der Erarbeitung literarischer Texte breite Anwendung nicht nur im Fremdsprachenunterricht findet, ist die Szenische Interpreta‐ tion. Sie bietet verschiedene, analytische und szenische Verfahren verbindende Zugänge zu dramatischen, epischen, lyrischen und journalistischen Texten, aber auch zu Bildern und Filmen. 13 Analytische Gespräche werden „auf die sinnlichen Wahrnehmungen, Vorstellungen und Gefühle“ bezogen, die das Geschriebene während der Lektüren provoziert; die Lernenden unterhalten sich im Laufe einer Szenischen Interpretation „immer wieder über die dargestellten Figuren und Handlungsabläufe, über das, was die Beteiligten im Spiel gezeigt haben“ wie auch „über mögliche Auslegungen, über die Bedeutung und die Darstellungsweise des Textes“ (vgl. Scheller 2004: 17). Eine Szenische Interpretation folgt, um den „szenischen Charakter von Lese- und Deutungsprozessen“ (Scheller 2004: 26) hervorheben zu können, einem bestimmten Ablauf. In mehreren aufeinander aufbauenden Schritten eignen sich die Lernenden als Spielende einen Text nach und nach an: ■ Die Spielenden lesen einen Teil des Textes und erkunden ihre unmittelbaren Reaktionen auf die Figuren und die Handlung sowie ihre eigenen Vorstellungen, Bilder und Projektionen, die während des Lesens entstanden sind. ■ Sie erkunden den Habitus und Lebenszusammenhang der Figuren szenisch. ■ Sie übernehmen Rollen und fühlen sich in die Haltungen der Figuren ein. ■ Sie erarbeiten wichtige Szenen des Textes entlang des Handlungsverlaufs und klären die situativen Bedingungen und Haltungen, in denen die Figuren in den einzelnen Szenen agieren. ■ Sie sprechen über das Erlebte in der Rollenperspektive. ■ Das szenisch Dargestellte wird durch Spielende und Beobachtende reflektiert (vgl. Scheller 2004: 49). Im Verlauf der einzelnen Schritte können verschiedene Techniken der Szenischen Interpretation eingesetzt werden: ■ die Fantasiereise, ■ die Auseinandersetzung mit vorbereiteten Rollenbeschreibungen, ■ die Selbstdarstellung in Rollenbiografien, ■ verschiedene Habitus- und Haltungsübungen wie etwa □ die Erkundung von Körperhaltungen bei verschiedenen Bewegungen oder in der Interaktion mit anderen Personen, □ das szenische Lesen zur Erkundung von Sprechhaltungen, □ die Raumbeschreibung, □ improvisierte Rollengespräche wie z. B. Rolleninterviews oder Rollenmono‐ loge, 270 20 Kreative, performative und analytische Verfahren □ szenische Improvisationen, □ Standbilder, □ Stimmenskulpturen (vgl. Scheller 2004: 60-75). Ausgelöst werden können während der Szenischen Interpretation eines Textes ver‐ schiedene Lernprozesse, die sich etwa auf das literarisch-ästhetische Lernen, das sprachliche Lernen, das emotionale Lernen, das geschlechtsspezifische Lernen, das historische Lernen, das (inter-)kulturelle und das soziale Lernen beziehen (vgl. ebd.: 75 f.). In seiner Einführung in die Szenische Interpretation erläutert Ingo Scheller Ablauf, Techniken und mögliche Lernprozesse anhand konkreter Textbeispiele. Zu ihnen gehören auch einige ‚Klassiker‘ des Unterrichts Deutsch als Fremd- und Zweit‐ sprache wie die Kurzgeschichten Die unwürdige Greisin (1949) von Bertolt Brecht, Das Brot (1946) von Wolfgang Borchert, Fenster-Theater (1953) von Ilse Aichinger und die Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral (1963) von Heinrich Böll. Unterrichtsidee Einen Vorschlag, wie an einem Text der Gegenwartsliteratur mit der Technik der szenischen Interpretation gearbeitet werden kann, stellt Birgit Bader in ihrem Beitrag Vom Text zum Spiel vor, der 2020 im Themenheft Performative Didaktik der in diesem Kapitel schon mehrmals erwähnten Zeitschrift Fremdsprache Deutsch erschienen ist. Bader geht davon aus, dass fast jeder literarische Text das Potenzial für eine szenische Umsetzung hat, sodass sich mit dieser Technik sehr gut im Kontext des Literaturunterrichts arbeiten lässt. Vor der Arbeit mit einer Szene sollte man in der Gruppe mit verschiedenen dramapädagogischen Übungen Vertrauen für die Arbeit mit dem Körper schaffen. Wichtig ist dabei, dass man in einem geschützten Raum arbeitet, der von außen nicht einsehbar ist, und dass alle mitmachen. Eine erste Übung könnte sein, dass man einer Person, die die Augen geschlossen hat, die Hände von hinten auf die Schultern legt und sie durch den Raum führt. So können sich alle Teilnehmenden in Paaren, eine Person blind und eine sehend, gleichzeitig durch den Raum bewegen. In einer zweiten Übung bewegen sich alle frei im Raum, auf ein Signal hin bleiben sie stehen und sagen einer Person in der Nähe ein Kompliment, man kann die Struktur „Ich mag dein/ e/ n…! “ vorgeben. Drittens schlägt Bader einen „Hahnenkampf“ vor, bei dem alle ihre Arme verschränken, auf einem Bein stehen und eine andere Person so anstoßen, dass sie aus dem Gleichgewicht kommt. Nach diesen und ggf. auch weiteren Übungen - etwa Atemübungen - werden die Interpretationsmöglichkeiten einer Szene erprobt. Bader schlägt den folgenden Auszug aus dem Roman Ich nannte ihn Krawatte von Milena Michiko Flašar (2014/ 2012) vor, der in der japanischen Metropole Tokio spielt und von einem sogenannten „Hikikomori“ handelt, einem Jungen, der eines Tages beschließt, sein Zimmer nicht mehr zu verlassen: 271 20 Kreative, performative und analytische Verfahren Nur einmal haben sie versucht, mich herauszuholen. Am Höhepunkt ihrer Verzweif‐ lung angelangt, brachen sie mit einem Stemmeisen die Türe auf. Vater stürmte herein, er war außer sich. Und wenn ich dich hinaus prügeln muss! Er erhob seine Hand. […] Sekundenlang in der Luft. […] Sackte kraftlos zu Boden. Ich sagte: Ich kann nicht mehr. Sagte es mehr zu mir selbst. Ab da ließ man ganz von mir ab. (Flašar 2014: 46) Die Lernenden erhalten die Aufgabe, einen Dialog mit insgesamt acht Sprechan‐ teilen zu schreiben, in dem Vater, Mutter und Sohn Sprechanteile haben. Bereits diese Umwandlung des in Prosa erzählten Geschehens in eine Szene, die sich in Rollen spielen lässt, ist ein erster Interpretationsschritt. Eine zweite Umwand‐ lung könnte in Form eines Standbildes erfolgen, zu dem sich Dreiergruppen gegenseitig formen. In einem dritten Schritt wird das Standbild in Bewegungen aufgelöst, die zunächst nur von Geräuschen - Knurren des Vaters, Fiepen der Mutter, hilfloser Laut des Sohnes - begleitet werden, später dann von dem in der ersten Phase ausgearbeiteten Dialog. So können die Lernenden über die Arbeit und das Spiel mit dem Körper auf einer Ebene, die über das Lesen eines Textes hinausgeht, die Familienkonstellation und -situation in dem geschilderten Ereignis verstehen (vgl. Bader 2020: 28). In ihrer Publikation In Motion. Theaterimpulse zum Sprachenlernen präsentieren Sam‐ banis/ Walter (2019) vielfältige bewegungsorientierte, körperbetonte Impulse für den Unterricht; sie führen auch die Faktoren, die Flow-Erlebnisse begünstigen können, weiter aus (ebd.: 31). Unter dem Begriff eines Bewegten Lernens (Embodied Le‐ arning) plädieren sie für die Verknüpfung von Bewegungen mit unmittelbaren Wahr‐ nehmungs- und Handlungserfahrungen der Lernenden, wodurch auch eine stärkere längerfristige Behaltensleistung erreicht werden kann (vgl. Sambanis/ Walter 2019: 13). Beispiele wären etwa die Zuordnung einer Bewegung zu einem bestimmten Lerninhalt wie einer neuen Vokabel oder das Sichtbarmachen von Personenkonstellationen und Handlungsabläufen durch Standbilder im Rahmen der Arbeit mit literarischen Texten (ebd.). Eine längerfristige Enkodierung neuen Wissens im Gehirn wird auch durch dessen Einbettung in Geschichten, die erzählt und gehört werden und durch das Schaffen von Bildern begünstigt (vgl. Sambanis/ Walter ebd.: 40 f.). Dies spricht für eine weitere Stärkung des Erzählens (→ Kap. 12) im Unterricht und auch für die Nutzung verschiedenster Möglichkeiten, Bilder zu entwickeln und zu variieren. Eine solche Möglichkeit zeigt Sigrid Unterstab (2020) mit Blick auf den Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache mit Jugendlichen. Fotografien und Bildende Kunst werden zum Anlass für Assoziationen und kurze Erzählungen, von denen einzelne durch das gemeinsame Imaginieren von möglichen Konflikten zu Spielszenen ausgebaut werden, aus denen auch ein ganzes Stück entstehen kann. „Werden solche Szenen oder Stücke fotografiert, skizziert, gemalt oder in ein Bühnenbild eingearbeitet, 272 20 Kreative, performative und analytische Verfahren 14 Das von Birgit Oelschläger verfasste Handbuch Bühne frei für Deutsch! (2017) differenziert die verschiedenen sprachlichen, persönlichkeitsbezogenen, sozialen und ästhetisch-künstlerischen Kompetenzen (vgl. ebd.: 24 f.), die durch den Einsatz dramapädagogischer Verfahren im Fremd‐ sprachenunterricht gefördert werden können und bietet eine Vielzahl von Anregungen für das dramapädagogische Arbeiten im Unterricht. entstehen neue Bilder“, die dem Ausgangsbild hinzugefügt und damit „zum Geschenk gemacht“ werden können (vgl. Unterstab 2020: 41). Neben die im Unterricht gewohnte Sprache mit Wörtern treten so die Sprache des Körpers, die Sprache von Bildern, von Geräuschen und Tönen; durch das Zusammenspiel von Wort, Körper, Bildender und Darstellender Kunst entsteht für die Jugendlichen etwas, „das sie durch künstlerische Tätigkeit zur Selbstreflexion bewegt, ihre Selbstregulierung anregt, ein ganz neues Gruppengefühl schafft und ihre Sprachkenntnisse erweitert“ (Unterstab 2020: 40). 14 Im Unterricht gilt es, analytische, kreative und performative Verfahren in sinnvoller Weise aufeinander zu beziehen und ihr je spezifisches Potenzial zu nutzen. Die Band‐ breite an Möglichkeiten ist groß. Sie wurde hier in ihren Grundstrukturen dargestellt, aber auf dieser Basis gibt es selbstverständlich in den verschiedenen unterrichtlichen Zusammenhängen viele weitere Optionen. Und so endet dieses Kapitel mit der Frage, die am Ende des oben zitierten Handlungskastens steht: Vielleicht haben Sie auch noch mehr Ideen? 273 20 Kreative, performative und analytische Verfahren 21 Projektarbeit Die Projektarbeit, der Projektunterricht oder auch projektorientierte Unterricht, das projektorientierte Lernen oder Projektlernen ist „ein umfassendes Konzept hand‐ lungsorientierten Lehrens und Lernens“ (Gudjons 2014: 73). Die Vielfalt der verwendeten Begriffe deutet es bereits an: Es gibt keine ganz klare Definition, die Begriffe stehen eher für eine Sammlung verschiedener methodischer Praktiken einer selbsttätigen, viele Sinne umfassenden Auseinandersetzung mit und aktiven Aneig‐ nung von Lerngegenständen (vgl. ebd.: 8). Um die Projektarbeit nicht als eine ‚bloße Methode‘ unter anderen zu betrachten, lohnt es sich, die Entwicklungsgeschichte dieses handlungsorientierten Konzepts nachzuzeichnen (vgl. ebd.: 74 f.): Es geht auf den US-amerikanischen Philosophen und Pädagogen John Dewey zurück, der in seinem Hauptwerk Demokratie und Erziehung (1916) wesentliche Aspekte des Projektgedan‐ kens umriss. Sie stellen eine Reaktion auf sich rasch wandelnde gesellschaftliche Verhältnisse wie die zunehmende Industrialisierung und Massenproduktion sowie die Migration großer Bevölkerungsschichten dar, in denen gerade jüngere Generationen lernen müssten, Probleme zu erkennen, aufzugreifen und zu lösen. Erfahrung solle dabei zur Grundlage von ‚höherer Erkenntnis‘ werden: in Lehr-, Lern- und Arbeits‐ prozessen, in denen alle Beteiligten gleichberechtigt, eigenständig, selbstorganisiert und selbstverantwortlich tätig sind. Erfahrung und Erkenntnis, Denken und Handeln seien somit untrennbar miteinander verbunden in Prozessen, deren Entwurf zutiefst demokratisch geprägt ist. Diese Überlegungen wurden in der Reformpädagogik in Deutschland bereits im frühen 20. Jahrhundert und erneut in Bildungsreformen in der Bundesrepublik seit den 1970er Jahren aufgegriffen. Seit dieser Zeit wurden sie auch für den Fremdsprachenunterricht erschlossen. Herbert Gudjons entwickelte erstmals 1986 einen Katalog von Schritten und Merkmalen eines Projekts, der bis heute in vielen Materialien und Modellversuchen aufgegriffen und dabei weiter ausdifferenziert wird. Er bietet auch für den Fremd- und Zweitsprachenunterricht grundlegende Orientierung: Projektschritt 1: eine für den Erwerb von Erfahrungen geeignete, problemhaltige Sachlage auswählen Merkmale: Situationsbezug, Orientierung an den Interessen der Beteiligten, gesell‐ schaftliche Praxisrelevanz Projektschritt 2: gemeinsam einen Plan zur Problemlösung entwickeln Merkmale: zielgerichtete Projektplanung, Selbstorganisation und Selbstverantwor‐ tung Projektschritt 3: sich mit dem Problem handlungsorientiert auseinandersetzen Merkmale: Einbeziehen vieler Sinne, soziales Lernen Projektschritt 4: die erarbeitete Problemlösung an der Wirklichkeit überprüfen Merkmale: Produktorientierung, Interdisziplinarität, Grenzen des Projektunter‐ richts (vgl. Gudjons 2014: 76 f.). Als mögliche Grenzen des Projektunterrichts bzw. der Projektarbeit werden eventu‐ elle Defizite in der Einordnung der gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse in vorhandene Wissensbestände sowie im Üben und Trainieren betrachtet (ebd.: 90). Traditionelle Formen der Vermittlung und Systematisierung von Wissen wie auch des angeleiteten Übens und Trainierens von (neu erworbenen) Fertigkeiten sind im Rahmen eines Projekts bzw. ergänzend zu diesem kaum verzichtbar. Das wird auch in der Fremdsprachendidaktik betont (vgl. z. B. Peuschel 2012). Für fremd- und zweitsprachliche Projekte gilt es als besonders wertvoll, dass Lernende in ihnen eigenständig in der Fremdbzw. Zweitsprache handeln und ein von ihnen beobachtetes, sie interessierendes Problem mit den ihnen zur Verfügung stehenden bzw. gezielt auszubauenden sprachlichen Mitteln und Wissensvorräten in sowohl kognitiver als auch affektiver Involvierung lösen. Die Motivation zum Lernen kommt dabei nicht von außen, sondern von innen, denn […] die Lernenden [entscheiden] selbst darüber, was sie und wie sie lernen wollen. Dies betrifft nicht nur den Inhalt und die methodischen Verfahren, sondern auch die Auswahl der sprachlichen Mittel, […]. Wenn z. B. in einem Projekt Interviews geführt werden sollen, dann müssen in der Vorbereitungsphase gezielt der Wortschatz/ die Redemittel erarbeitet und in Rollenspielen oder Simulationen die Sprache geübt werden, die für die Durchführung der Interviews nötig ist. (Häuptle-Barceló 2003: 3 f.) Von besonderer Bedeutung für den Erfolg eines Projekts ist dessen gemeinsame, detaillierte Planung; hier setzt bereits die Selbstverantwortung der Lernenden ein. Die Zielsetzung der Projektarbeit, das anzustrebende Produkt und die einzelnen Projektschritte sind im Projektteam von vornherein möglichst genau festzulegen. Nur so können die Lernenden ihre Ideen erfolgreich umsetzen und inspirierende kooperative Arbeitsprozesse gestalten. Die Rolle von Lehrkräften in solchen Prozessen ist eine zurückgenommene, die in den einzelnen Projektphasen sehr unterschiedlich definiert sein kann: Sie reicht von Expert*innen für einzelne Wissensbestände bis zu Moderator*innen von Diskussionen (vgl. Häuptle-Barceló 2003: 4). Im Folgenden werden verschiedene Möglichkeiten zur Projektarbeit mit literarischen Texten präsentiert. Literarische Spaziergänge und Exkursionen Bei literarischen Spaziergängen und Exkursionen geht es darum, das aktuelle oder auch frühere literarische Leben einer Stadt, eines Stadtteils oder einer Gegend zu erkunden, 276 21 Projektarbeit indem einschlägige Orte aufgesucht werden. Wenn in der Vor- oder Nachbereitung oder vor Ort Texte von Autor*innen gelesen werden, intensiviert das solche Projekte. In großen Städten findet sich in der Regel eine große Anzahl von Zielen, die für ein solches Projekt relevant sein können. Aber auch in kleineren Orten können sich mehrere Stellen finden, die man in diesem Kontext berücksichtigen kann. So natürlich Weimar mit Goethes Wohnhaus und Goethe-Nationalmuseum am Frauenplan und Goethes Gartenhaus an der Ilm sowie Schillers Wohnhaus und Schillermuseum - um nur die bekanntesten Gebäude zu nennen. Aber auch im nur etwa zwanzig Kilometer entfernten Jena finden sich mit Schillers Gartenhaus, mit den vielen Stellen, an denen sich die Aktivitäten von Goethe bis heute zeigen (wie der Botanische Garten und die Mineralogische Sammlung), und mit dem Romantikerhaus eine Reihe von Orten, die für literarische Spaziergänge interessant sind. Ein weiterer kleinerer Ort wäre auch Greifswald an der Ostsee mit dem Koeppenhaus (auch mit einer Verbindung zum Nobelpreisträger Günter Grass, der maßgeblich daran beteiligt war, dass Wolfgang Koeppens Geburtshaus zu einer literarischen Begegnungs- und Forschungsstätte mit Archiv wurde), mit dem Haus von Hans Fallada, Autor des Romans Jeder stirbt für sich allein (1947) und mit dem Wohnhaus der barocken Dichterin Sibylla Schwarz. Ziel von literarischen Spaziergängen können Wohn- und Aufenthaltsorte von Autor*innen sein, aber auch Institutionen des Literaturbetriebs wie Literaturhäuser, literarische Verlage oder Literaturarchive. Möglich wären auch literarische Spaziergänge und Exkursionen zu den Handlungsorten von literarischen Texten - Hiddensee etwa mit Joachim Ringelnatz’ Gedicht Hiddensee (1932) und Lutz Seilers Roman Kruso (2014), Berlin mit Texten wie E.T.A. Hoffmanns Des Vetters Eckfenster (1822), Erich Kästners Emil und die Detektive (1929), Klaus Schlesingers Am Ende der Jugend (1977) und Thomas Brussigs Am kürzeren Ende der Sonnenallee (1999) oder Schwabing mit weltbekannten und nur regional gelesenen Münchner Autor*innen. In großen Städten lassen sich auch Spezialinteressen verfolgen, etwa Schriftstellerinnen in München von 1860 bis 1960 (vgl. Edda Ziegler 2000), oder andere Perspektiven einnehmen wie in dem Grup‐ penprojekt Skandinavier*innen in München von Münchner Masterstudierenden der Skandinavistik (als digitales Projekt auf der Institutshomepage www.nordistik.uni-mu enchen.de [Stand: 17.06.2021]). Als weitere Perspektive lassen sich Spuren literarischen Lebens deutschsprachiger Autor*innen im Ausland verfolgen. Ein solches Projekt präsentieren bspw. Boris Blahak und Astrid Winter in ihrem Beitrag Recherchieren - dokumentieren, übertragen - inszenieren: Bausteine einer interdisziplinären literaturdi‐ daktischen Projektreihe zu Spot Kafka/ Kafka Landscape in Prag (2017). Lohnend wären weitere Projekte, etwa ■ zum Netzwerk von Exilant*innen in Mexiko-Stadt, zu dem Anna Seghers, Egon Erwin Kisch, Ludwig Renn u. a. gehörten; ■ zu Thomas Mann, Lion Feuchtwanger u. a. Exilant*innen im kalifornischen Pacific Palisades/ Los Angeles; 277 21 Projektarbeit 1 Vgl. auch nachfolgende Projekte zu Poetry Slams. ■ eine Exkursion zum Exil-Wohnhaus von Stefan Zweig in Petrópolis nördlich von Rio de Janeiro oder ■ zu Shanghaier Schauplätzen von Romanen wie Vicki Baums Hotel Shanghai (1939), aber auch Ursula Krechels Shanghai fern von wo (2008) und Susanne Hornfecks Torte mit Stäbchen. Eine Jugend in Shanghai (2012). Dieser Blick auf verschiedene Anregungen zu Projekten ist nur ein kleiner Ausschnitt; es können hier lediglich Ideen für verschiedene Möglichkeiten gegeben werden. Natürlich kann man literarische Spaziergänge buchen oder Lehrende können sie selbst vorbereiten - zum Projekt im Sinne von Gudjons werden sie, wenn man den Lernenden den Freiraum und die dazugehörige Unterstützung gewährt, selbst Interessen zu entwickeln und in einem Projekt zu verfolgen. Lesungen und Gespräche mit Autor*innen Bei solchen Projekten liegt der Fokus vor allem - aber nicht ausschließlich - auf der Gegenwartsliteratur. Es gibt eine Vielzahl an Orten und unterschiedlichen Räumen, an denen Lesungen stattfinden, die in Projekte eingebunden werden können, seien es Buchhandlungen oder (ehemalige) Wohnhäuser von Autor*innen, Literaturfestivals, Radio-Formate (vgl. etwa Am Morgen vorgelesen auf NDR Kultur) oder Formate im Internet (vgl. etwa www.zehnseiten.de). Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, Au‐ tor*innen einzuladen - entweder in Eigenregie von Lehrenden und Lernenden oder in Kooperation mit größeren Akteuren vor Ort wie den Goethe-Instituten, die regelmäßig Autor*innen für Lesereisen gewinnen. Solche (öffentlichen) Lesungen können auch Teil von Lehrveranstaltungen in Bachelor- und Masterstudiengängen von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache sein. Neben den Gesprächen nach Lesungen ist es evtl. auch möglich, Autor*innen in Seminare einzuladen und den Studierenden so eine zusätzliche Begegnung zu ermöglichen. Um ihnen in der ungewohnten Situation zu helfen, sich zu äußern, können vor einer solchen Begegnung Fragen vorbereitet werden. Diese können etwa in schriftlicher Form und anonymisiert bei der Seminarleitung abgegeben werden. Vor Beginn des Gesprächs werden sie an die Seminarteilnehmer*innen verteilt. Nun nicht ihre eigene Frage zu stellen, erleichtert manchen Studierenden den Einstieg ins Gespräch. Mit der Zeit wagen sie es in der Regel mehr und mehr, Fragen zu stellen, an deren Antworten sie selbst interessiert sind. So handeln sie selbstbestimmt und verfolgen ihre eigenen Interessen im Projekt. Es sind auch Projekte denkbar, in denen Studierende selbst Lesungen und Gespräche mit Autor*innen organisieren und/ oder moderieren. 1 Wie ein solches Projekt aussehen kann, skizziert und kommentiert Dirk Skiba in seinem Beitrag Der fremde Freund - Die fremden Leser. Anmerkungen zu Gesprächen von Schriftstellern und Deutschlernern (2003). DAAD-Lektor*innen verschiedener Shanghaier Universitäten hatten Christoph Hein zu Werkstattgesprächen eingeladen und diese gemeinsam mit Studierenden vorbereitet. 278 21 Projektarbeit Dass die Studierenden möglichst direkt mit dem Autor ins Gespräch kommen konnten, wurde insbesondere dadurch gefördert, dass die Moderation der Sitzungen von den Studierenden selbst übernommen wurde. Poetry Slams Eigene Slam Poetry-Texte zu gestalten und in einem Poetry Slam öffentlich (an der Schule, an der Universität, in einem Café) zu performen, kann eine sehr lohnenswerte Projektarbeit sein. In dem Arbeitsheft Materialien Deutsch als Fremdsprache zu der Publikation Die Poetry-Slam-Expedition: Bas Böttcher geben Almut Hille/ Matthias Schönleber (2010) grundlegende Hinweise zur Gestaltung eines solchen Projekts. Unter der Überschrift Von Slam-Poetry zum Poetry-Slam: Texte schreiben und performen stellen sie einen Workshop in zwei Teilen vor: In Teil 1 geht es um das Verfassen und Vortragen eigener Texte individuell oder im Team, in Teil 2 um die Organisation eines öffentlichen Wettstreits. Für das Verfassen und Vortragen eigener Texte schlägt der erfolgreiche Slammer Bas Böttcher folgenden Weg vor: „von der Idee zum Text zur Performance“ (vgl. Hille/ Schönleber 2010: 49; alle folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Seiten 48-62). Diesen Schritten folgt Teil 1 des Workshops. Für die Suche nach einer thematischen Idee für eigene Slam-Poetry-Texte werden verschiedene Impulse vorgeschlagen: ■ das Notieren zufälliger Gedanken ■ die Annäherung an mögliche Themenbereiche wie Ich und mein Leben, Phantasti‐ sches, Orte, Personen, Songtexte durch verschiedene Fragestellungen ■ das Aufnehmen von Impulsen durch ein Bild, eine Fotografie oder einen literari‐ schen Text Für das Verfassen der eigenen Texte werden zunächst die Assoziationen und Gedanken‐ ketten zum gewählten Thema ausgebaut, miteinander verbunden oder in Opposition zueinander gesetzt. Vor der weiteren Arbeit an den eigenen Texten unterstützen Wortschatzübungen die Lernenden darin, ihren Wortschatz zu erweitern, mit Wörtern zu spielen und ihre Ausdrucksmöglichkeiten zu variieren. In kreativen Schreibübungen können z. B. Akrostichons und Listengedichte erstellt oder Gedichte wie Elfchen, Siebener und Haikus nach dargestellten Genremustern verfasst werden (→ Kap. 6, 20). Erst nachfolgend sollte die Arbeit an den eigenen Texten fortgesetzt werden. Zu überlegen ist, welche Form für die Verwirklichung der jeweiligen thematischen Ideen am geeignetsten erscheint. Dann wird die erste Version der Texte verfasst und nachfolgend überarbeitet und korrigiert unter besonderer Berücksichtigung von Textaufbau, Wortwahl, der Wahl von Bildern, Metaphern und Wortspielen sowie der 279 21 Projektarbeit 2 Bei Teamarbeiten am Text können Möglichkeiten des kollaborativen (digitalen) Schreibens genutzt werden (→ Kap. 5). 3 Vgl. Hille/ Schönleber (2010: 59). Grammatik. 2 Zu überprüfen sind durch das laute Sprechen einzelner Zeilen wie der gesamten Texte auch deren Klang und Rhythmus. Das Vortragen der eigenen Texte, die Gestaltung der Performance erfordert größte Aufmerksamkeit, ist eine gute Performance bei einem Poetry-Slam doch mindestens ebenso wichtig wie ein guter Text. Für das Vorbereiten der Performance gibt es viele Tipps, 3 auch Atemübungen, Stimm- und Sprechübungen sowie Auf‐ wärmübungen sollten durchgeführt und das Agieren auf der Bühne variantenreich erprobt werden. Teil 2 des Workshops gibt Hinweise für die Organisation eines Poetry-Slams. Zunächst sollte das unbedingt Benötigte gefunden werden: ein geeigneter Ort, eine technische Grundausstattung (Mikrofon, Musikanlage) und ein prägnanter, an‐ sprechender Titel für den Slam. Nachfolgend wären ein originelles Plakat und vielleicht ein Interneteintrag als Werbung für den Slam zu gestalten und auszuhängen bzw. an geeigneter Stelle zu veröffentlichen. Für den eigentlichen Slam muss entschieden werden, wer Master of Ceremony (MC) wird, wie der Slam ablaufen und besonders, wie die einzelnen Beiträge bewertet werden sollen: vom gesamten Publikum (etwa durch Länge und Intensität des Beifalls) oder von einer Publikumsjury (etwa durch zu vergebende Punkte zwischen Eins und Zehn). Festgelegt werden müssen die Bewertungskriterien, die für alle Slammer*innen und die Jury bzw. das Publikum transparent sein müssen. Zu überlegen ist auch, welcher Preis am Ende verliehen wird (oft eine witzige Kleinigkeit) und welche Musik vielleicht zwischen den einzelnen Beiträgen und den Moderationen eingespielt wird. Solche Projekte sind bereits sehr erfolgreich an vielen Schulen, Universitäten und Goethe-Instituten weltweit durchgeführt worden. Sie werden teilweise im Internet dokumentiert bzw. in Forschungsbeiträgen wie von Johann Georg Lughofer (2019) dargestellt: Lughofer prüft besonders in jüngerer Zeit entstandene Slam-Formate wie den Science Slam, den Tagebuch Slam, den Dead or Alive Slam, den Kurzfilm Slam, den Polit Slam oder den Herzblatt Slam auf ihre Einsatzmöglichkeiten im Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (→ Kap. 13, 16). Theaterprojekte Bei Theaterprojekten steht - anders als beim dramapädagogischen Arbeiten im Unter‐ richt (→ Kap. 12, 20) - die öffentliche Aufführung des Erarbeiteten im Vordergrund. Sie ist Ziel wie Produkt eines Projektes und strukturiert den gemeinsamen Arbeits‐ prozess. Dieser umfasst eine Vielzahl von Schritten, die von den Lernenden in möglichst großer Eigenverantwortung gestaltet werden sollten: 280 21 Projektarbeit ■ die Auswahl eines Stückes, die Zusammenstellung einer Textcollage oder das Verfassen eines eigenen Textes, ■ die Auswahl von Szenen für die Bühnenfassung, ■ die Verteilung von Rollen und eventuelle Modifikationen des Textes, ■ die Gestaltung von Bühnenbild, Beleuchtung und Kostümen, ■ regelmäßige Proben, ■ die organisatorische Vorbereitung der Aufführung und ■ die Aufführung selbst. In der Online-Zeitschrift scenario erscheinen seit 2007 regelmäßig auch Berichte über erfolgreiche Theaterprojekte im Unterricht Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache. So stellt bspw. Birgit Oelschläger (2011) unter dem Titel „Wenn man sieht, dass die Jugendlichen wirklich dabei sind“ ein Projekt an PASCH-Schulen in Mittelosteu‐ ropa vor. Es wurde auf Initiative des Goethe-Instituts über mehrere Jahre hinweg an zahlreichen Schulen in der Region durchgeführt und mit der Fortbildung von Lehrkräften verbunden, die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Oelschläger (2011: 16 f.). Zielsetzungen des Projekts waren, bei Schüler*innen und Lehrkräften Begeisterung für das Theater zu wecken, ihnen Möglichkeiten zu internationaler Begegnung und Vernetzung zu bieten sowie gerade die Schüler*innen sicherer und selbstbewusster sprachlich handeln zu lassen. Teilgenommen haben Schüler*innen, die mindestens über das Sprachniveau A2 verfügten. In ca. fünfmonatigen Arbeitspro‐ zessen haben sie gemeinsam mit Theaterpädagog*innen und Lehrer*innen an ihren jeweiligen Schulen Stücke entwickelt, inszeniert und deren Aufführung während einer gemeinsamen Abschlussveranstaltung aller beteiligten Schulen vorbereitet. Die Fremdsprache Deutsch war dabei „zum einen Kommunikationsmittel innerhalb des Probenprozesses […] und zum anderen […] ästhetisches Mittel innerhalb des gestalte‐ rischen Repertoires“ (Oelschläger 2011: 16). Herangehensweise an die Inszenierungen war eine gemeinsame Stückentwicklung über Improvisationen zu jeweils vorgegebe‐ nen Themen wie Unser täglich Drama, Ich & Du oder Helden. Schon durch erste Improvisationen sind kleine Szenen entstanden, von denen einzelne ausgewählt und zu einer schriftlich fixierten (Text-)Collage, einem Stück zusammengestellt wurden. So entstanden zum Thema Ich & Du bspw. auf der Grundlage von Reisefotos, Zukunfts‐ träumen und der Erzählung Masken (1965) von Max von der Grün eine Szenencollage zum Bahnhof als symbolischem Ort möglicher Begegnungen von Menschen sowie auf der Grundlage von eigenen Geschichten, Informationstexten und Erich Frieds Liebes‐ gedicht Was es ist (1983) eine Szenencollage gleichen Titels. Die Aufführungslänge der Collagen bzw. Stücke war mit max. 20 min vorgegeben. Bühnenbild, Beleuchtung und Kostüme wurden mit einfachen Mitteln realisiert und die Inszenierung in ein bis zwei Treffen pro Woche geprobt. Während der Proben konnten die schriftliche Stückfassung noch weiter ausgestaltet, szenische Abläufe verändert und Schritt für Schritt Entscheidungen über die ästhetische Gestaltung der Szenen getroffen werden. Die gemeinsame Abschlussveranstaltung mit einer großen Zahl von Teilnehmer*innen 281 21 Projektarbeit 4 Alle nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf Neumann et al. (2011). Ein ähnliches Projekt schildern auch Rösch/ Bachor (2011), Grundlage war Erich Kästners Kinderbuch Gullivers Reisen (1939). aus verschiedenen Ländern zeigte, dass auch mit recht geringen Sprachkenntnissen mutig und erfolgreich auf Deutsch Theater gespielt und in internationalen Foren in der Fremdsprache kommuniziert werden kann. In Auswertungsgesprächen mit den Schüler*innen „wurde deutlich, dass sie sich alle durch die Projekterfahrung insgesamt stärker und selbstbewusster fühlen und viel von der Angst verloren haben, überhaupt Deutsch zu sprechen“ (Oelschläger 2011: 18). Diese Erfahrung kann als prägend für die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler*innen und ihren weiteren Zugang zum Fremdsprachenlernen betrachtet werden. Eine Herausforderung der Projektarbeit ist jedoch immer deren Nachhaltigkeit. Wie kann sichergestellt werden, dass sich positive Projektergebnisse und -erfahrungen nicht zu schnell wieder verflüchtigen? Eine Möglichkeit präsentiert das Hamburger Projekt eines TheaterSprachCamps und nachfolgenden TheaterSprachKurses zur Förderung der Kompetenzen von Grundschulkindern im Bereich Deutsch als Zweitsprache. Das TheaterSprachCamp wurde in einer Kooperation von Schulbehörde, Universität, Landesinstitut für Lehrer‐ bildung und Jugenderholungswerk in den Sommerferien 2007 ins Leben gerufen und nachfolgend mehrfach durchgeführt. Seine Zielsetzungen waren die spielerische, lebens‐ nahe und mit emotionaler wie sozialer Stärkung verbundene Sprachförderung der Kinder im Rahmen von Ferienfreizeiten (vgl. Neumann et al. 2011: 1). 4 Das explizite Augenmerk der Sprachförderung galt der Lesekompetenz, dem Lese‐ vergnügen, der Grammatik (besonders der Grammatik des Verbs) und der Mehrspra‐ chigkeit. Die integrierte Sprach- und Theaterarbeit wurde in fast täglichen Werkstätten mit kleinen Gruppen von Kindern durchgeführt. Grundlage der Arbeit war ein Kinder‐ buch wie z. B. Michael Morpurgos Die schwarze Hexe/ Black Queen in der Übersetzung von Fred Schmitz und mit Illustrationen von Tony Ross (2001). Das Buch wurde in einzelnen Teilen in den Werkstätten szenisch interpretiert (→ Kap. 20), begleitet von sprachlichen Entdeckungen und Übungen. In abendlichen Vorlesestunden wurde es nach und nach im Ganzen vorgelesen, gefolgt auch von anderen Büchern. Ziel der Vorlesestunden war es besonders, die Fähigkeit der Kinder zum Zuhören und gespannten Genießen sowie ihre Lesemotivation und Bereitschaft zum selbstständigen Lesen zu fördern. Zu den einzelnen Teilen des Buches Die schwarze Hexe wurden kleine Inszenierungen von ca. drei Minuten Länge vorbereitet, die in einer großen Abschlussveranstaltung in Hamburg Eltern und anderen Gästen gezeigt wurden. Jedes Kind führte ein Camp-Buch als Portfolio, in dem es Arbeitsprodukte sam‐ meln und selbst reflektieren konnte. Für die Erstellung des Camp-Buchs wurden zu Beginn der Ferienfreizeit orientierende gemeinsame Ziele und Kriterien formuliert. Das Camp-Buch konnte neben der Aufführung den Familien präsentiert werden und wurde auch zur Grundlage für Gespräche über Lernen und Leistung mit den Schullehrkräften 282 21 Projektarbeit nach den Ferien. Es wurde versucht, Ergebnisse und Erfahrungen aus dem Camp in die nachfolgende schulische Arbeit zu integrieren. Dennoch zeigten Evaluationen der ersten TheaterSprachCamps von 2007 bis 2011, dass unmittelbar nach dem Camp nachzuweisende Fördererfolge, also spezifische Lernzuwächse in den geförderten Bereichen, nicht über das folgende Schuljahr hinweg gesichert werden konnten (vgl. Kinze 2012: 85). Das TheaterSprachCamp hatte, wie andere Projekte als kurzfristige Interventionsmaßnahmen auch, ein „Nachhaltigkeitsproblem“ (vgl. ebd.). Um diesem zu begegnen, wurden 2012 erstmals TheaterSprachKurse aufgelegt, in denen schuljahresbegleitend mit den geförderten Kindern unter ähnlichen Zielsetzun‐ gen anhand der bereits im TheaterSprachCamp erprobten Methoden weitergearbeitet wurde. Einmal pro Woche nahmen kleinere Gruppen von Kindern im Rahmen der schulischen Ganztagsbetreuung an 90-minütigen Theater-AGs teil: Diese setzten sich aus integrierter Sprach- und Theaterarbeit, einer Vorlesezeit und der Arbeit am Kursbuch, einer Fortsetzung des Camp-Buchs, zusammen (vgl. Neumann et al. 2012: 4). Arbeitsgrundlage für die TheaterSprachKurse war wiederum ein Kinderbuch: Brigitte Schärs Dinosaurier im Mond mit Illustrationen von Jacky Gleich (2009). Die Zeit des Vorlesens aus dem Buch, aber auch aus anderen Büchern, die in einer Lesekiste zur Verfügung standen und ausgeliehen werden konnten, bildete jeweils den Beginn eines Kurses. So konnten die Kinder in die Geschichte(n) ‚hinein kommen‘ und sich konzentrieren, bevor gestaltendes Lesen und szenische Umsetzungen von Teilen aus Dinosaurier im Mond in der Sprach- und Theaterarbeit wichtig wurden. Neue Aufmerksamkeit gegenüber dem Camp erfuhr die Förderung von Schreibkompetenz sowohl in der Sprach- und Theaterarbeit wie auch in der Arbeit am Kursbuch. Mit der Methode des generativen Schreibens (→ Kap. 6, 20) wurden Gedichte und Geschichten entwickelt, die neben eigenen Gedanken, Notizen zu Leseinhalten und zum persönli‐ chen Verhältnis zur Mehrsprachigkeit auch in das Kursbuch aufgenommen werden konnten, um individuelle Lernwege zu dokumentieren (vgl. Neumann et al. 2012: 4). Aufführungen für die Eltern und die Schulgemeinschaft fanden jeweils am Ende eines Schulhalbjahres statt. Die Nachhaltigkeit der sprachlichen Förderung der Kinder konnte im Zusammen‐ klang von TheaterSprachCamps und TheaterSprachKursen besser gesichert werden. Über entsprechende Erfahrungen in einem Projekt in Tübingen berichten auch Doreen Bryant und Sophie Charlotte Rummel in ihrem Aufsatz Nachhaltige dramapädagogische Sprachförderung für Grundschulkinder mit DaZ (2015). Künstlerisches Erzählen In den beschriebenen Theaterprojekten zur Förderung von Deutsch als Zweitsprache in der Grundschule gilt ein motivierend gestaltetes Vorlesen als wichtiger Baustein: Es soll den Kindern Möglichkeiten zur Identifikation mit Figuren und zum Eintauchen in deren Welten geben, auch um Antworten auf eigene Lebensfragen, eine positive Einstellung zu Büchern und Freude am Lesen zu finden (vgl. Neumann et al. 2012: 16). Bei einem 283 21 Projektarbeit 5 Vgl. Gutzmann et al. (2013) und www.erzaehlzeit.de. Die Publikation von Gutzmann et al. Vom Zuhören zum Erzählen. Didaktisches Material zum Projekt ErzählZeit (2013) bietet eine Vielzahl von Anregungen zur Projektgestaltung wie auch zur Förderung von Text- und Präsentationskompetenz in der Grundschule. motivierend gestalteten Vorlesen gehe es besonders darum, wie „die Vorleserin das gesprochene Wort mit Stimmungen in der Stimme und bildlichen Eindrücken durch Gestik und Mimik [verknüpft], um die Kinder zu faszinieren“ (Neumann et al. 2012: 16) und ihnen den „sinnlich-unterhaltenden Wert“ und das Aufregende des Lesens (ebd.: 9) zu vermitteln. Über das motivierende, bewusst gestaltete Vorlesen hinaus geht das freie künstle‐ rische oder performative Erzählen (→ Kap. 20). In dem Projekt „ErzählZeit“, das zunächst seit 2005 an einzelnen Berliner Grundschulen zur Förderung des Deutschen als Zweitsprache durchgeführt wurde und heute fester Bestandteil der kulturellen Bildung nicht nur in Berlin ist, 5 ist das Künstlerische Erzählen grundlegend. In den teilnehmenden Klassen werden über ein bis zwei Jahre hinweg einmal wöchentlich von professionellen Erzähler*innen Märchen aus aller Welt erzählt und die Kinder zum Zuhören und schließlich zum Verfassen eigener Märchen eingeladen. Das aufmerksame Zuhören (→ Kap. 5) soll die Kinder zunächst anregen, sich den erzählten Märchen ‚ganz hinzugeben‘ und sie mit fortschreitender Projektzeit mitzugestalten: So fordern die Erzähler*innen die Kinder nach und nach auf, Anfangs- und Schlussformeln, Verse und wiederkehrende Wendungen mitzusprechen oder bei dreifacher Wiederholung einer Sequenz diese beim dritten Mal selbst zu erzählen (vgl. Wardetzky 2010: 45). Am Beginn jeder Erzählstunde wird das Märchen aus der vorausgehenden Woche von den Kindern erinnernd erzählt, auch in anderen Sprachen als der deutschen. Projekttage zum Erzählen ergänzen das regelmäßige Angebot: An ihnen fertigen die Kinder zu einzelnen Episoden oder Details von Märchen Zeichnungen an, basteln farbige Hintergründe und einfache Requisiten zu einzelnen ‚Akten‘ eines Märchens oder schlüpfen in die Rollen von Gegenständen aus den Märchen, deren Erlebnisse sie erzählen. Erst am Ende des Projekts, nach langer „Inkubationszeit des Mündlichen“ (ebd.: 46) werden die Kinder angeregt, eigene Märchen zu verfassen. Vor dem eigenen freien Erfinden und kreativen Schreiben steht in dem Märchen-Projekt „eine Befruchtung der Fantasie mit den Bildern, Motiven, Konfliktkonstellationen und Bauplänen dieses narrativen Genres - und zwar im Medium der Mündlichkeit“ (ebd.). Das öffentliche Erzählen der eigenen Märchen durch die Kinder kann vor der Klasse oder im Rahmen eines Elternnachmittags, einzeln oder in Gruppen erfolgen (vgl. Gutzmann et al. 2013: 58, 66). Die Förderung des Erzählens oder der Erzählkompetenz wird oft bei jüngeren Kindern als besonders lohnenswert betrachtet, gilt der Erzählerwerb zumindest in der Erstsprache doch im Allgemeinen mit ungefähr zwölf Jahren als abgeschlossen. In der Zweit- oder einer Fremdsprache ist dies nicht so. Dass das Künstlerische Erzählen auch in der Förderung von älteren Kindern und Jugendlichen produktiv sein kann, zeigt das Projekt „Erzähl! Erzähl! “, das 2016 erstmals in Willkommensklassen der Sekundarstufe II an Berliner Schulen durchgeführt wurde. Auch im Mittelpunkt 284 21 Projektarbeit dieses Projekts stehen Märchen und die „Trias der Mündlichkeit […] Zuhören - Nacherzählen - freies Erfinden“ (Wardetzky 2010: 47). In der Laufzeit des Projekts über ein Schuljahr hin werden die Jugendlichen angeregt, ■ in Gruppen gemeinsam zu arbeiten, ■ sich zu konzentrieren und den erzählten Märchen zuzuhören, ■ sich sprachliches und genretypisches Wissen anzueignen, ■ eigene Erlebnisse und die neue Umgebung zu reflektieren und ■ am Ende im Rahmen von Projekttagen eigene Märchen zu gestalten. Diese werden in einer großen öffentlichen Veranstaltung zum Schuljahresabschluss präsentiert. Fragen nach den von den Jugendlichen mitgebrachten Geschichten und Erzähltraditionen und nach dem, was wir als Gesellschaft von ihnen lernen können, schwingen in diesem Projekt mit. Ziel des Erzählens und Zuhörens ist es u. a., Austausch, Sensibilität und Verständnis füreinander und gleichzeitig auch eine stärkere Offenheit für Nicht-Verstehen zu fördern (vgl. Roshan 2020: 45). Deutlich wird, dass es bei Erzählwie auch bei Theaterprojekten einerseits um die Ausdrucks- und andererseits um die Wahrnehmungsschulung geht (vgl. Vaßen 2016: 111). Es finden künstlerische Arbeit und Beziehungsarbeit statt, die im Erforschen und gleichzeitigen Überschreiten sozialer Wirklichkeiten auch ein außerkünstlerisches Potenzial entfalten (vgl. ebd.: 110). In der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften ist es sinnvoll, in Projekten auch Lehr- und Lernmaterialien in verschiedenen Formaten zu erstellen. Von ihrer Konzeption und Gestaltung profitieren zunächst und in besonderem Maße die (zukünftigen) Lehrkräfte, die so ■ bereits vorhandene Kenntnisse anwenden, ■ (Teil-)Zielsetzungen für den Unterricht formulieren, ■ Themen und Gegenstände von Lehr- und Lernprozessen bestimmen, ■ Lehr- und Lernszenarien imaginieren und -arrangements zusammenstellen, ■ eigene methodische Ideen entwickeln und ■ diese im besten Fall auch erproben können. Zudem können die entwickelten Materialien (digital) publiziert werden, sodass Leh‐ rende und Lernende sie in breiteren Kontexten nutzen und Rückmeldungen geben können. Zwei Beispiele für entsprechende Projektarbeiten sollen hier angeführt werden: ei‐ nerseits die Entwicklung von Materialien für den Unterricht Deutsch als Fremdsprache im Rahmen eines Kooperationsprojekts einiger deutscher und polnischer Universitäten und andererseits die Erstellung von Erklärvideos zu einem literaturwissenschaftli‐ chen Fachterminus in einer (Online-)Lehrveranstaltung in einem Masterstudiengang „Deutsch als Fremdsprache“. 285 21 Projektarbeit Materialien für den Unterricht Die hier vorgestellten Materialien für den Unterricht Deutsch als Fremdsprache wur‐ den im Rahmen des Projekts „Kulturdidaktische Modellbildung: Deutsch-Polnische Erinnerungsorte im Fach Deutsch als Fremdsprache“ erstellt, das in Kooperation zweier deutscher und zweier polnischer Universitäten durchgeführt wurde. In der ersten Phase des Projekts setzten sich Studierende in Lehrveranstaltungen an den beteiligten Universitäten in Deutschland und Polen einführend mit aktuellen theoretisch fundierten Kulturbegriffen, mit Konzepten einer kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung und in einem vertieft interaktionalen Zugang mit ausgewählten deutsch-polnischen Er‐ innerungsorten auseinander. Die Arbeitsgrundlage bildete der Band Parallelen (2012) aus der mehrbändigen, von Hans Henning Hahn und Robert Traba herausgegebenen Publi‐ kationsreihe Deutsch-Polnische Erinnerungsorte. Der Band konstituiert einen innovativen Blick auf die Parallelität kultureller Phänomene und eröffnet damit die Möglichkeit, sich mit funktional ähnlichen Phänomenen von Geschichte und Kultur in verschiedenen Gesellschaften auseinanderzusetzen und deren Parallelen zu entdecken. Gelesen wurden Essays zu deutsch-polnischen Erinnerungsorten wie: ■ Johann Wolfgang von Goethe und Adam Mickiewicz - Poetische Gesetzgeber des kulturellen Kanons ■ Ludwig van Beethoven und Frédéric Chopin - Vom universalen und nationalen Anspruch der Musik ■ Das Wunder von Bern 1954 und Wembley 1973 - Ein Spiel schreibt Nationalgeschichte ■ Käfer und Maluch und Trabi - Die motorisierte Sehnsucht: Freiheit, Konsum und die ,guten alten Zeiten‘ Die individuellen Lektüren der Essays und deren anschließende Diskussionen in den Seminargruppen wurden durch die Anfertigung von Lektüreprotokollen anhand von Leitfragen gestützt. Nach den Lektüren der Essays wurden in einem gemeinsamen Projektseminar von Studierenden aller beteiligten Universitäten zunächst mögliche Zielsetzungen bei der Arbeit mit Erinnerungsorten im Unterricht Deutsch als Fremdsprache, tragfähige Auswahlkriterien für Erinnerungsorte als Gegenstände von Lehr- und Lernprozessen und nachfolgend in kleinen Arbeitsgruppen Unterrichts‐ materialien zu einzelnen Erinnerungsorten entwickelt. Unterrichtsidee Der Entwurf etwa zu Johann Wolfgang von Goethe und Adam Mickiewicz als ‚Nationaldichtern‘ bietet für die Sprachniveaus B1, B2 und C1 sprach- und kulturreflexiv angelegte, auf verschiedenen (medialen) Zugängen basierende Vorschläge für die Lektüren literarischer Texte wie auch zur Auseinandersetzung mit Fragen zur möglichen kulturellen Funktion und Symbolkraft eines ‚National‐ dichters‘, zu kulturellen Kanonisierungsprozessen und zur Lebenswirklichkeit heutiger junger Menschen in Europa. Der Entwurf ist in die Unterrichtsphasen 286 21 Projektarbeit 6 Zu dem Phasenmodell vgl. den Beitrag von Renata Behrendt in dem Dokumentationsband zum Pro‐ jekt, herausgegeben von Camilla Badstübner-Kizik/ Almut Hille (2016). Die Unterrichtsmaterialien sind darüber hinaus auf der Plattform www.memodics.com abrufbar. A (Einführung), B (Vertiefung), C (Ausdifferenzierung) und D (Reflexion) geglie‐ dert 6 und enthält zu jeder Phase eine Vielzahl an Aufgaben und Übungen, aus denen im Unterricht eine Auswahl getroffen werden kann. Ziel der Studierenden beim Entwurf der Aufgaben und Übungen war es, Diskurse aufzubereiten (vgl. Janachowska-Budych 2016: 129) und dabei einen Abwechslungsreichtum in medialer und methodischer Hinsicht, aber auch Möglichkeiten zur Binnendiffe‐ renzierung zu bieten. In der Phase A (Einführung) werden die Lernenden z. B. gebeten, Fotos, Gemälde‐ reproduktionen, Postkarten, Bücher, Gedichte oder andere Schriften von Goethe oder Mickiewicz mit in den Unterricht zu bringen und zu erzählen, wo oder wie sie sie erhalten haben, ob sie ein Geschenk waren oder gekauft wurden, wie lang das her ist, wer in der Familie die Werke und Bücher gelesen hat oder, wenn nichts mitgebracht werden konnte, zu begründen warum. In der Phase B (Vertiefung) können in verschiedenen Längen und Schwierigkeits‐ graden angebotene Kurzbiografien von Goethe und/ oder Mickiewicz gelesen und (ein) Poster zu den Feierlichkeiten zum 270. Jahrestag von Goethes Geburtstag und/ oder den Feierlichkeiten zum 160. Jahrestag von Mickiewicz’ Geburtstag gestaltet werden. Bestimmt werden sollen ein geeignetes Thema für die Feierlich‐ keiten wie auch deren Format: Soll es ein Festival sein, eine Lesung, eine ganze Veranstaltungsreihe, eine Gedenkfeier oder ein Konzert? Reflektiert werden soll, warum beide Dichter als ‚Nationaldichter‘ bezeichnet und gefeiert werden. Im Mittelpunkt der Phase C (Ausdifferenzierung) steht der Teufelspakt als literarisches Motiv in Goethes Faust und Mickiewicz’ Pani Twardowska. Rezi‐ piert werden können Ausschnitte aus Verfilmungen der Werke wie aus den Texten selbst. Diese sollen auch laut vorgetragen, in ausgewählten Aspekten miteinander verglichen und möglicherweise um weitere literarische Texte in verschiedenen Sprachen mit dem Motiv des Teufelspakts ergänzt werden. In der Phase D (Reflexion) werden bspw. die Gemälde Goethe in der Campagna von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1787) und Porträt von Adam Mickiewicz auf dem Ajudah-Felsen von Walenty Wankowicz (1827-1828) betrachtet. 287 21 Projektarbeit Abb. 30: Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Goethe in der römischen Campagna, 1787 (Quelle: CC BY-SA 4.0 Städel Museum, Frankfurt am Main) Abb. 31: Wańkowicz, Walenty, Por‐ trait von Adam Mickiewicz auf dem Felsen von Judah, 1828 (Quelle: Public Domain, Nationalmuseum Warschau) Die Lernenden sollen folgende Fragen beantworten: ■ Was haben Goethe und Mickiewicz gemeinsam? Was unterscheidet sie? ■ Wie empfinden Sie die Frisur und die Kleidung von Goethe und Mickiewicz? Könnten Sie sich die beiden Dichter als moderne Künstler oder Stars vorstellen? Wie sähen sie aus? ■ Bilden Sie die Pose/ die Haltung nach! Wie fühlt es sich an? Gibt es Situa‐ tionen, in denen Sie sich vorstellen könnten, so dazusitzen? In welchen? Warum? Was wollen Sie damit erreichen? ■ Würden Sie auch so sitzen? Würden Sie auch so schauen? Sind Ihnen die Männer sympathisch oder nicht? Würden Sie sie gerne kennenlernen? Warum? ■ Passen die Porträts zu den Darstellungen von Goethe und Mickiewicz in den Kurzbiografien? Welche Aspekte stellen sie in den Vordergrund bei der Charakteristik der Personen? (vgl. Gruber et al. 2016: 185 f.). Auf diese Weise ist ein multimediales, perspektivenreiches Arbeiten mit litera‐ risch-ästhetischen Texten möglich. Ein ‚kanonischer‘ Text wie Goethes Faust wird nicht als ‚typisch für etwas‘ oder ‚weil man eben etwas von Goethe gelesen haben sollte‘, sondern in einem weiteren, vielleicht auch überraschenden kultur- und sprachübergreifenden Kontext betrachtet. Das Augenmerk liegt - in der Phase C - auf ästhetischen Mitteln der Texte und Verhaltenswie Kommunikationsweisen der literarischen Figuren, aber - in anderen Phasen - auch der Dichter und der Lesenden. Konzepte wie die eines ‚Nationaldichters‘ 288 21 Projektarbeit 7 Zu einer ersten Evaluation ausgewählter Selbstlernmaterialien für Deutsch als Fremdsprache vgl. Efimova (2019). oder Kanons (→ Kap. 3) können so reflektiert werden; Literaturgeschichte wird im besten Fall zum Gegenstand eines entdeckenden Lernens und einer reflektierten Erinnerungskultur (vgl. Nutz 1997). Erklärvideos Erklärvideos sind Fremdsprachenlernenden wie auch Lehrkräften aus vielfältigen Kontexten bekannt; sie sind im Internet zahlreich verfügbar, werden für verschiedene Zwecke des (alltäglichen) Lehrens und Lernens genutzt und können ohne größeren Aufwand produziert werden. Für (künftige) Lehrkräfte bietet ihre Produktion eine Gelegenheit, ■ sich mit fachwissenschaftlichen Inhalten vertieft auseinanderzusetzen, ■ diese für möglicherweise verschiedene Gruppen von Adressat*innen aufzuberei‐ ten, ■ sich selbst in die Rolle der Erklärenden zu begeben und ■ das eigene Agieren anhand der Aufzeichnungen zu reflektieren. Zu beachten ist, dass eine tatsächliche Orientierung an einer spezifischen Lerngruppe, wie sonst im (Fremdsprachen-)Unterricht üblich, bei der Gestaltung von Erklärvi‐ deos kaum möglich ist. Die Videos sind „zunächst eigentlich eine Art von zeit- und raumunabhängigem Frontalunterricht“ (Anselm/ Götzinger/ Rödel 2018: 237). Die Möglichkeiten und Potenziale ihrer Nutzung im Fremdsprachenunterricht bzw. zu Selbstlernzwecken sind noch weiter (empirisch) zu erforschen. 7 Unbestritten ist aber ihr Potenzial als Produkt und nicht als Auslöser von Lernprozessen (vgl. etwa Wampfler 2017b, Frederking/ Krommer/ Maiwald 2018: 321 f.), im Unterricht wie auch in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften. Im Masterstudiengang „Deutsch als Fremdsprache: Kulturvermittlung“ an der Freien Universität Berlin waren Studierende im Rahmen eines (Online-)Seminars zur Lite‐ raturdidaktik in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache im Sommersemester 2020 aufgefordert, in einem Mini-Projekt in Kleingruppen jeweils zwei Erklärvideos zum Fachterminus Erinnerungsliteratur zu erstellen. Zur vorbereitenden individuellen Lektüre standen allen Seminarteilnehmer*innen auf einer Lernplattform die Aufsätze Geschichte einer Nummer. Das Motiv der Tätowierung in Ruth Klügers Erinnerungen „Unterwegs verloren“ von Rose Thee Morewedge (2010) und Erinnerungsliteratur als Erinnerungsort - und noch viel mehr: Literarische Inszenierungen von Erinnerungen und ihr kulturdidaktisches Potenzial am Beispiel der Autobiografie ‚Mein Auschwitz‘ von Władysław Bartoszewski von Nadia Fischer (2016) zur Verfügung. Die Arbeit an den 289 21 Projektarbeit eigenen Erklärvideos sowie die Evaluation anderer Videos war von den Studierenden selbst zu gestalten; folgende Anleitung diente als Leitfaden: Entwerfen Sie in Arbeitsgruppen jeweils zwei Erklärvideos mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad zum Terminus „Erinnerungsliteratur“, die Sie mit jeweils einem/ ei‐ ner Sprecher*in aufnehmen und anschließend auf die Lernplattform hochladen. ■ Lesen Sie zunächst die Aufsätze von Rosmarie Thee Morewedge: Geschichte einer Nummer. Das Motiv der Tätowierung in Ruth Klügers Erinnerungen „Unterwegs verloren“ und Nadia Fischer: Erinnerungsliteratur als Erinnerungsort - und noch viel mehr: Literarische Inszenierungen von Erinnerungen und ihr kulturdidaktisches Po‐ tenzial am Beispiel der Autobiografie ‚Mein Auschwitz‘ von Władysław Bartoszewski als Einführung in die Diskussion um Erinnerungsliteratur im Unterricht Deutsch als Fremdsprache. ■ Recherchieren und lesen Sie möglicherweise mehr (literaturwissenschaftliche) Forschungsbeiträge zum Terminus „Erinnerungsliteratur“. ■ Verfassen Sie nun gemeinsam zwei Texte zum Terminus „Erinnerungsliteratur“ mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad. Stellen Sie sich zwei unterschiedliche Gruppen von Adressat*innen mit unterschiedlichen sprachlichen Kenntnissen vor. ■ Nehmen Sie auf der Grundlage jeweils eines Textes ein Erklärvideo mit einem/ ei‐ ner Sprecher*in auf. Präsentieren Sie es sich gegenseitig und korrigieren mögli‐ cherweise. Achten Sie auf: □ Angemessenheit und Verständlichkeit des Inhalts, □ Angemessenheit der Textlänge für die Zielgruppe, □ sprachliche Angemessenheit für die Zielgruppe, □ Sprechtempo (Pausen), Deutlichkeit des Sprechens, Modulation der Stimme, □ Mimik, Gestik. ■ Laden Sie Ihre Videos auf die Lernplattform hoch. ■ Betrachten Sie auf der Lernplattform auch die Videos mindestens zweier weiterer Arbeitsgruppen und evaluieren Sie diese anhand der Kriterien: □ Angemessenheit und Verständlichkeit des Inhalts, □ Angemessenheit der Textlänge für die Zielgruppe, □ sprachliche Angemessenheit für die Zielgruppe, □ Sprechtempo (Pausen), Deutlichkeit des Sprechens, Modulation der Stimme, □ Mimik, Gestik. Entstanden sind in dem Seminar elf Videos für Lernende mit Sprachniveaus von A2 bis C1. Die Videos variieren in Länge und Gestaltung, sie sind zwischen 1: 34 min und 6: 06 min lang und arbeiten mit verschiedenen filmischen und textlichen Gestal‐ tungselementen. So werden Schlüsselbegriffe wie „Erinnerungsliteratur“, „Fakten“, „Fiktion“ auf Plakaten notiert und in die Kamera gehalten, eingeblendet oder anhand von Piktogrammen im Laufe der Erklärung visualisiert. Teile aus literarischen Texten werden als Beispiele eingeblendet oder vorgelesen, im Falle des Vorlesens sind sie zum Teil mit eigenen Filmaufnahmen als Illustrationen versehen. Auch eigene Texte wie 290 21 Projektarbeit z. B. Tagebucheinträge fiktiver Personen werden als Beispiele vorgelesen. In einem Video wird Hintergrundmusik eingespielt. Für die meisten Studierenden war es die erstmalige Konzeption und Aufnahme eines Erklärvideos. Die Videos wurden von anderen Arbeitsgruppen insgesamt positiv evaluiert. Kritische Anmerkungen betrafen vorrangig eine mangelnde Deutlichkeit der Aussprache, ein zu hohes Sprechtempo, mangelnde Blickkontakte (mit der Kamera), eine mangelnde Mimik bzw. Gestik und eine mangelnde Visualisierung - Aspekte, die für künftige Lehrkräfte sicher wichtig zu reflektieren sind. Abschließend wurden die Teilnehmer*innen in individuellen schriftlichen Evalua‐ tionen gebeten, ihre Lernprozesse und deren mögliche Auswirkungen auf ihr späteres Unterrichten sowie das mögliche Potenzial der entstandenen Erklärvideos für den Unterricht einzuschätzen. Die persönlichen Lernprozesse wurden als sehr produktiv eingeschätzt: So konnte ■ geübt werden, „Sachverhalte prägnant zu beschreiben und zu erklären“ sowie „komplexe Themen auch für ein niedriges Sprachniveau herunterzubrechen“; ■ man sich „durch das intensive Beschäftigen mit einem Thema auch automatisch mit der Frage auseinander[setzen], wie dieses Thema für unterschiedliche Niveau‐ stufen aufbereitet werden sollte und welche Schwierigkeiten man teilweise selbst damit hat einzuschätzen was für welches Niveau angemessen ist“; ■ das eigene Verhalten, auch die eigene Sprache mehr reflektiert werden; es wurde „bewusst wie wichtig es ist, dass man weder zu schnell noch zu langsam spricht und eine angemessene Wortwahl benutzt“; ■ erprobt werden, wie man sich vor der Kamera verhält. Der Zeitaufwand für die Planung und Aufnahme der Videos wurde von den Studieren‐ den als sehr hoch eingeschätzt. Gleichzeitig sehen die meisten von ihnen ein Potenzial der Videos für den Unterricht bzw. für das Selbststudium von Lernenden. Sachverhalte, z. B. auch grammatische Phänomene, können anhand von solchen kurzen Videos erklärt werden. Das zeigen auch Online-Angebote wie der DaF-Youtube-Kanal 24 h Deutsch, der von Maria Efimova (2019) in einer Studie positiv evaluiert wurde. Digital gestützte Projekte Etwas verkürzt als digital gestützte Projekte werden hier Projekte bezeichnet, deren Produkte digitale Texte sind und/ oder deren Arbeitsprozesse digital gestützt sind. Nun gibt es heute wahrscheinlich kaum noch Arbeitsprozesse, in denen nicht digital recherchiert, Material gespeichert oder bearbeitet würde. Im Mittelpunkt des Folgen‐ den sollen aber Projekte stehen, für die digitale Produkte bzw. digitale Arbeitsprozesse tatsächlich konstitutiv sind. In Kap. 20 wurde bereits auf das digitale Schreiben und sein Potenzial für den Unterricht hingewiesen: Schreibprozesse können digital stärker als bisher koopera‐ 291 21 Projektarbeit tiv bzw. kollaborativ gestaltet werden. Die Modularität des Schreibprozesses kann genutzt werden, um digital bestimmte Segmente des Prozesses kollaborativ, andere individuell zu gestalten und die Ergebnisse später zusammenzufügen, mit Teil- und Zwischenprodukten des Schreibens zu arbeiten und das Endprodukt zu präsentieren (vgl. auch Anselm/ Götzinger/ Rödel 2018: 238). Zur Verfügung stehende Features und Tools unterstützen das kollaborative Schreiben in Teams, z. B. das Verfassen von (Blog-)Romanen, Fan Fiction, dramatischen Texten, Drehbüchern oder literarischen Kritiken - linear oder auch hypertextuell strukturiert. Es kann auch in Form von Projektarbeit stattfinden. In erprobender Auseinandersetzung mit PC-Funktionen und -Programmen können visuelle, auditive und digitale Poesie, E-Books oder Adaptable Books, deren Gestaltung weit mehr erfordert als zu schreiben, entstehen. Uta Hauck-Thum (2018) verweist mit Blick auf den Deutschunterricht in der Grundschule auf die Möglichkeit der Herstellung von Adaptable Books bereits durch jüngere Lernende. Lesetexte, möglicherweise auch solche, die selbst verfasst wurden, werden dabei multimedial gestaltet und durch Wortschatzerklärungen, durch Erläuterungen des Handlungsverlaufs oder einzelner Figurenkonstellationen in (selbst gedrehten) Erklärvideos, durch die Darstellungen einzelner Szenen durch szenisches Spiel, Handpuppenspiel oder Trickfilme, durch Interviews u. Ä. ergänzt. Das Format einer (digitalen) Buchseite bleibt erhalten und kann von den Lernenden als ästhetisches Phänomen räumlich nachvollzogen werden. Die Sprachförderung findet beim Gestal‐ ten und Produzieren von Adaptable Books vielfältig und auf unterschiedlichen Ebenen statt (vgl. Hauck-Thum 2018: 302). Karen Bauer und Lise Sandvik (2017) präsentieren ein digital storytelling-Projekt im Deutschunterricht an norwegischen Schulen, bei dem die Schüler*innen aufgefordert waren, sich auf der Basis von Zeitzeugeninterviews, die sie selbst geführt haben, mit dem Thema „Tysk okkupasjon“ (ebd.: 128) - deutsche Besatzung (1940-1945) - auseinanderzusetzen. Ihre Aufgabe war, aus dem gesammelten Material eine Ich-Er‐ zählung zu entwickeln und diese zu digitalisieren, i.e. Sprachaufnahmen und ggf. Hintergrundmusik sowie Fotos und Illustrationen zu einem überzeugenden Format zu arrangieren. Beate Baumann (2018) präsentiert ein Projekt, in dessen Mittelpunkt der digitale Austausch über Literatur steht. Im Rahmen eines virtuellen Begegnungsprojekts mit Germanistikstudierenden an der italienischen Universität Catania und Romanis‐ tikstudierenden an der Freien Universität Berlin wurde 2014/ 15 mit Texten einer deutsch- und einer italienisch-sprachigen Migrationsliteratur gearbeitet. Dabei wurden von den Studierenden bspw. Texte von Emine Sevgi Özdamar, Franco Biondi, Rafik Schami, Yoko Tawada, Feridun Zaimoglu und Zsuzsa Bánk gelesen und in fünf Videokonferenzen anhand eines Arbeits- und Aufgabenleitfadens diskutiert (vgl. ebd.: 115). Im Mittelpunkt standen Aushandlungsprozesse und Interaktionen, in denen über einen literarizitätsorientierten Zugang zu den Texten symbolische Kompetenz und (inter-)kulturelles Lernen gefördert wurden (vgl. ebd.: 13). 292 21 Projektarbeit Das vorliegende Kapitel hat gezeigt, dass Projektarbeit vielfältige Optionen bietet. So wären auch von diesem Stichwort aus Lektüren von literarischen Texten als ein vielschichtiges, komplexes und unabschließbares Projekt zu denken. Auch die Literaturdidaktik insgesamt ist ein Projekt in diesem Sinne - vielschichtig, komplex, unabschließbar. Wir laden am Ende dieses Bandes zur produktiven Teilhabe an dem Projekt Literaturdidaktik ein - dazu, an unterschiedlichen Stellen und auf unterschiedliche Weise mit- und weiterzudenken. 293 21 Projektarbeit Fachbezogene Handbücher, Lexika, Schriftenreihen, Bibliografien und Zeitschriften Handbücher und Lexika Bühne frei für Deutsch! Das Theaterhandbuch für Deutsch als Fremdsprache (2017). v. Oelschlä‐ ger, Birgit. Weinheim: Deutscher Theaterverlag. Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales Handbuch (2001). Hrsg. v. Helbig, Gerhard/ Götze, Lutz/ Henrici, Gert, Krumm, Hans-Jürgen. Berlin, New York: de Gruyter. Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch (2010). Hrsg. v. Krumm, Hans-Jürgen/ Fandrych, Christian/ Hufeisen, Britta/ Riemer, Claudia. Berlin, New York: de Gruyter. Fachlexikon Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (2010). Hrsg. v. Barkowski, Hans/ Krumm, Hans-Jürgen. Tübingen: Narr Francke Attempto. Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen (2001). Hrsg. v. Europarat, Rat für kulturelle Zusammenarbeit. Berlin u. a.: Langenscheidt. Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Begleit‐ band (2020). Hrsg. v. Europarat. Stuttgart: Ernst Klett Sprachen. Handbuch Deutsch als Fremdsprache (2013) (= Deutschunterricht in Theorie und Praxis, Bd. 10). Hrsg. v. Ahrenholz, Bernt/ Oomen-Welke, Ingelore. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Handbuch Fremdsprachenunterricht (2016). Hrsg. v. Burwitz-Melzer, Eva/ Mehlhorn, Grit/ Rie‐ mer, Claudia/ Bausch, Karl-Richard/ Krumm, Hans-Jürgen. 6., vollständig neu bearb. und erw. Auflage. Tübingen: Narr Francke Attempto. Handbuch Postkolonialismus und Literatur (2017). Hrsg. v. Göttsche, Dirk/ Dunker, Axel/ Dür‐ beck, Gabriele. Stuttgart: Metzler. Handbuch Migrationspädagogik (2016). Hrsg. v. Mecheril, Paul unter Mitarbeit v. Kourabas, Veronika/ Ranger, Matthias. Weinheim, Basel: Beltz. Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (= KLG) (seit 1978): Nachschlagewerk in Form einer Loseblattsammlung. Hrsg. v. Korte, Hermann. München: edition text + kritik. Kritisches Lexikon zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur (= KLfG) (seit 1983): Nachschlage‐ werk in Form einer Loseblattsammlung. Hrsg. v. Domsch, Sebastian/ Heitmann, Annegret/ Hi‐ jiya-Kirschnereit, Irmela/ Kissel, Wolfgang/ Klinkert, Thomas/ Pörzgen, Yvonne/ Winckler, Barbara/ Wirthensohn, Andreas. München: edition text + kritik. Literatur und Mehrsprachigkeit. Ein Handbuch (2017). Hrsg. v. Dembeck, Till/ Parr, Rolf unter Mitarbeit v. Küpper, Thomas. Tübingen: Narr Francke Attempto. Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Ansätze - Methoden - Grundbegriffe (2017). Hrsg. v. Surkamp, Carola. Stuttgart: Metzler. Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze - Personen - Grundbegriffe (2013). Hrsg. v. Nünning, Ansgar. 5., akt. und erw. Auflage. Stuttgart, Weimar: Metzler. Schriftenreihen Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Schriften des Herder-Instituts (SHI). Hrsg. v. Altmayer, Claus/ Fandrych, Christian/ Tschirner, Erwin/ Würffel, Nicola. Tübingen: Stauffenburg. LiKuM: Literatur, Kultur, Medien in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Hrsg. v. Hille, Almut/ Schiedermair, Simone. München: iudicium. (Bände open access kosten‐ frei unter www.iudicium.de) Materialien Deutsch als Fremdsprache. Hrsg. v. Fachverband Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (FaDaF) Scenario Books. Hrsg. v. Schewe, Manfred/ Even, Susanne. Berlin u.a.: Schibri Bibliografien Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache. Jahresbibliographie zur Interkulturellen Literaturwissen‐ schaft und Literaturvermittlung. v. Esselborn, Karl/ Schiedermair, Simone. KomBiOn: www.goethe.de/ de/ spr/ unt/ kum/ bib.html ‚Wende‘ und ‚Einheit‘ im Spiegel der deutschsprachigen Literatur. Ein Handbuch/ Bd. 2: Biblio‐ graphie (2003). v. Grub, Frank Thomas. Berlin, New York: de Gruyter. Zielsprache Deutsch. Lektürespuren. Übersicht über die Lektürespuren seit 2011 in Heft 1/ 2021. Zeitschriften (ggf. ausgewählte Themenhefte oder -schwerpunkte) Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift zur Theorie und Praxis des Faches Deutsch als Fremdsprache Fremdsprache Deutsch. Zeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts ■ 63/ 2020: Graphic Novels ■ 62/ 2020: Performative Didaktik ■ 44/ 2011: Fremdsprache Literatur ■ 27/ 2002: Kinder- und Jugendliteratur ■ 2/ 1994: Literatur im Anfängerunterricht German as a Foreign Language (GFL-) Journal (Beiträge kostenfrei online unter www.gfl-journal.de) Informationen Deutsch als Fremdsprache (Info DaF) ■ 47.1/ 2020: Das Thema Holocaust im DaF- und DaZ-Unterricht ■ 45.1/ 2018: Film im DaF-/ DaZ-Unterricht ■ 44.6/ 2017: Bilder im DaF-/ DaZ-Unterricht 296 Fachbezogene Handbücher, Lexika, Schriftenreihen, Bibliografien und Zeitschriften Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache. Intercultural German Studies ■ 42/ 2016: Vielfalt des Literarischen. Deutsch in Bewegung ■ 38/ 2012: Literarisches Übersetzen ÖDaF-Mitteilungen ■ 36.1/ 2020: „Worum geht’s hier eigentlich? “ Anspruch und Wirklichkeit eines inhaltsorientierten DaF/ DaZ-Unterrichts ■ 34.2/ 2018: Schreiben in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ■ 33.2/ 2017: „Man lernt nicht mit dem Kopf allein“ Zur Rolle von Emotionen im DaF/ DaZ-Unterricht ■ 32.2/ 2016: Lesen(d) Lernen Scenario. A Journal for Performative Teaching, Learning, Research (Beiträge kostenfrei online unter https: / / journals.ucc.ie/ index.php/ scenario/ ) Zielsprache Deutsch. Eine Internationale Zeitschrift für Deutsch als Fremd‐ sprache/ Deutsch als Zweitsprache Babylonia. Die Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen ■ 2/ 2020: Graphic Novels ■ 3/ 2017: Lieder, Musik und Sprachen ■ 2/ 2012: Literatur - Kultur im Sprachunterricht ■ 2/ 2010: Kriminalroman und Interkulturalität ■ 3-4/ 2006: Leseverstehen in der Fremdsprache ■ 2/ 2001: Sprache, Literatur und Kultur in der Schweiz Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL). Zur Theorie und Praxis des Sprach‐ unterrichts an Hochschulen ■ 45.1/ 2016: (Fremd-)Sprachenlernen mit Film ■ 43.2/ 2014: Multiliteralität ■ 37/ 2008: Lehren und Lernen mit literarischen Texten Fremdsprache und Hochschule (FuH) The Modern Language Journal (MLJ) Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht (ZIF) (Beiträge kostenfrei online unter https: / / tujournals.ulb.tu-darmstadt.de/ index.php/ zif/ issue/ archive) ■ 26.1/ 2021: KORPORA in DaF und DaZ: Theorie und Praxis ■ 25.2/ 2020: Schreiben in verschiedenen Sprachen ■ 24.2/ 2019: Bildende Künste im Fremdsprachenunterricht 297 Fachbezogene Handbücher, Lexika, Schriftenreihen, Bibliografien und Zeitschriften ■ 22.1/ 2017: Interkulturelle Literatur ■ 17.2/ 2012: Film, Bild im Fremd- und Zweitsprachenunterricht Der Deutschunterricht. Beiträge zu seiner Praxis und wissenschaftlichen Grundlegung ■ 5/ 2020: Bild - Literatur - Medium ■ 4/ 2020: Digitales Lesen ■ 3/ 2020: Kurzfilme ■ 2/ 2019: Verfilmte Gegenwartsliteratur ■ 5/ 2016: Digitale Literatur und elektronisches Lesen ■ 4/ 2014: Was bleibt? Erinnerungen an die DDR-Literatur ■ 3/ 2011: Literatur und Musik IDE. Informationen zur Deutschdidaktik. Zeitschrift für den Deutschunter‐ richt in Wissenschaft und Schule ■ 44.2/ 2020: Videospiele ■ 42.1/ 2018: Literaturvermittlung ■ 1/ 2015: Bewegte Bilder ■ 4/ 2011: Österreichische Gegenwartsliteratur 2000-2010 ■ 1/ 2010: Weltliteratur ■ 2/ 2002: Bilder-Bücher Literatur im Unterricht (LiU). Texte der Gegenwartsliteratur für die Schule ■ 20.2/ 2019: Natur ■ 19.3/ 2018: Andreas Steinhöfel ■ 19.2/ 2018: Technik und Technologie ■ 19.1/ 2018: Glück ■ 18.2/ 2017: Krankheit erzählen ■ 16.3/ 2015: Wolfgang Herrndorf Praxis Deutsch. Zeitschrift für den Deutschunterricht ■ 283/ 2020: Youtube ■ 276/ 2019: Handlungs- und Produktionsorientierung ■ 268/ 2018: Biopics - verfilmte Biografien ■ 253/ 2015: Dokumentarfilme ■ 237/ 2013: Kurzspielfilme ■ 200/ 2006: Literarisches Lernen ■ 185/ 2004: Literatur hören und hörbar machen 298 Fachbezogene Handbücher, Lexika, Schriftenreihen, Bibliografien und Zeitschriften Rechtsnachweise S. 80, Abb. 1/ 2: Susann Körner, Felix Kabeljau (2010) und Est, Est, Est (2001) aus: Kassenbonge‐ dichte - So einkaufen, dass ein Gedicht entsteht © 2021 Susann Körner, Hamburg (www.sus annkoerner.de) S. 98f., Abb. 7/ 8: Nora Krug, Heimat. Ein deutsches Familienalbum © 2018 Penguin Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH S. 140, Abb. 11: Aus dem Oskar-Maria-Graf-Kunstwerk von Jenny Holzer in der Brasserie „OskarMaria“. © 2021 Literaturhaus München S. 152, Abb. 12/ 13: Thomas Bernhard, Alte Meister. Komödie. Gezeichnet von Mahler © Suhrkamp Verlag Berlin 2011. © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1985. S. 153, Abb. 14/ 15: Thomas Bernhard, Alte Meister, Bühnenfassung von Thom Luz und David Heiligers, Deutsches Theater Berlin 2018 / Fotografien © 2021 Arno Declair (arno@iworld.de) S. 154, Abb. 16/ 17: Thomas Bernhard, Alte Meister, Regie von Dušan David Pařízek, Volkstheater Wien 2015 © 2021 Johannes Hammel / Volkstheater Wien S. 154, Abb. 18/ 19: Thomas Bernhard, Alte Meister, Bühnenfassung von Deborah Krönung und Christian Katzschmann, Theater Ulm im Museum Ulm und in der Kunsthalle Weishaupt 2019 / Fotografien © 2021 Kerstin Schomburg S. 192, Abb. 20: Elke Heidenreich, Am Südpol, denkt man, ist es heiß. Mit Illustrationen von Quint Buchholz © 1998 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München S. 230, Abb. 24: Wolfgang Herrndorf, Tschick, Cover der tschechischen Lizenzausgabe: Jakub Tytykalo. Published in Praha: ARGO, 2012 S. 253f.: Gedicht von Friedrich Christian Delius aus: Ders., Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1995 (Originalausgabe) © Friedrich Christian Delius S. 264, Abb. 26: Kast, Bernd (1994): Literatur im Anfängerunterricht. In: Fremdsprache Deutsch 2/ 1994 (= Themenheft: Literatur im Anfängerunterricht, hg. von Bernd Kast), S. 6, Abbildung: Handlungskasten für den handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht © 2021 Erich Schmidt Verlag S. 272, Abb. 27/ 28: Lundquist-Mog, Angelika (2019): Kreatives Schreiben im Primarunterricht mit Lernenden ohne Vorkenntnisse. Wortbilder und Wortlandschaften zu Wortfeldern und Geschichten. In: Fremdsprache Deutsch 60/ 2019 (= Themenheft: Schreiben, hg. von Ingo Thonhauser), S. 43-45, Abbildungen: Silben-Smoothie, Schloss im Wald © 2021 Erich Schmidt Verlag S. 272, Abb. 29: Butterbrot, aus: Jentges, Sabine/ Körner, Elke et al. (Hrsg.) (2014), DaF leicht A1.1, Stuttgart: Klett Sprachen, 118 © 2021 Klett Literaturverzeichnis Hinweise Das Literaturverzeichnis gliedert sich in drei Teile: 1. Im ersten Teil werden die literarischen Texte angegeben, die im Band zitiert werden. Im Band selbst finden sich darüber hinaus Hinweise auf viele weitere literarische Texte, die jedoch nur an den entsprechenden Stellen im Fließtext genannt werden. 2. Alle Lehrwerke bzw. Lehr- und Lernmaterialien, die im Band genannt werden, werden im zweiten Teil des Literaturverzeichnisses angegeben. 3. Alle wissenschaftlichen Texte, die im Fließtext des Bandes zitiert oder genannt werden, werden im dritten Teil des Literaturverzeichnisses nachgewiesen. Im Literaturverzeichnis finden sich bei einigen Publikationen mehrere Jahres‐ angaben. Die Jahreszahlen in den Klammern geben an erster Stelle die Ausgabe an, aus der wir im Band zitieren. An zweiter Stelle wird jeweils angegeben, wann die Publikation zum ersten Mal erschienen ist. Bei Texten, die zuerst in einer anderen Sprache erschienen sind, wird an zweiter Stelle ggf. angegeben, wann sie erstmals auf Deutsch erschienen sind, und nachfolgend, wann sie zuerst im Original erschienen sind. Im Fließtext finden sich bei der ersten Nennung die gleichen Angaben wie hier im Literaturverzeichnis. Bei allen weiteren Nennungen wird nur die Jahreszahl der Auflage angegeben, die wir verwenden. Wir haben uns für dieses Vorgehen entschieden, weil im Band eine historische Dimension zu finden ist. Bei einigen Publikationen geben die Angaben zum ersten Erscheinen und zur Auflage Hinweise darauf, wie einflussreich bestimmte Texte waren und noch sind. Das Literaturverzeichnis bietet kein Verzeichnis der verwendeten Links. Sie werden im Fließtext mit vollständigen Angaben benannt. Literarische Texte Bachmann, Ingeborg (1974): Simultan. In: Bachmann, Ingeborg: Simultan. Erzählungen. Mün‐ chen: dtv, 7-33. Ball, Hugo (1920): Karawane. In: Dada Almanach. Hrsg. v. 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KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de Die Einführung gibt einen Überblick über die Literaturdidaktik aus der Perspektive des Faches Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Sie kann für die universitäre und außeruniversitäre Aus- und Fortbildung sowie zum Selbststudium verwendet werden. Ziel ist es, unterschiedliche Ansätze für die Arbeit mit literarischen Texten auf den Sprachniveaus A1-C2 vorzustellen. Dabei stehen theoretische Grundlagen wie praktische Unterrichtsvorschläge gleichermaßen im Fokus. ISBN 978-3-8233-8371-0