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Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen

2020
978-3-8233-9385-6
Gunter Narr Verlag 
Marta García García
Manfred Prinz
Daniel Reimann
Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung Herausgegeben von Daniel Reimann (Duisburg-Essen) und Andrea Rössler (Hannover) Band 16 Marta García García / Manfred Prinz / Daniel Reimann (Hrsg.) Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen Neue Konzepte und Studien zu Schulsprachen und Herkunftssprachen in der Migrationsgesellschaft © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 2197-6384 ISBN 978-3-8233-8385-7 (Print) ISBN 978-3-8233-9385-6 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0204-9 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 11 31 57 79 107 125 Inhalt Einleitung Marta García García / Daniel Reimann Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen - Forschungsstand und neue Konzepte zur Vernetzung von Schulsprachen und Herkunftssprachen in der Migrationsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktuelle Fragestellungen zu Mehrsprachigkeit als Lernvoraussetzung und als Bildungsziel Birgit Schädlich Mediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz: Ansätze für reflektierte Mehrsprachigkeit in antinomischen Spannungsfeldern schulischen Fremdsprachenunterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anna Schröder-Sura Der Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) - Beispiele zum Einsatz und Nutzen der Deskriptoren . . . . . . . . . . . . . . . . . Theoretische, empirische und unterrichtspraktische Erweiterungen des Konzepts I: Alte Sprachen, Englisch und schulische Mehrsprachigkeit mit Blick auf die romanischen Sprachen Katharina Wesselmann Latein, Mehrsprachigkeit, Kulturgeschichte: Das neue Lehrbuch Aurea Bulla Lukas Eibensteiner / Johannes Müller-Lancé I am aprendiendo linguam hispanicam. Eine Untersuchung zum metasprachlichen Bewusstsein von Spanischlernenden . . . . . . . . . . . . . . . . . Giuseppe Manno / Mirjam Egli Cuenat Congénères dans la réception et la production de textes en français langue seconde et tertiaire en Suisse alémanique: perspectives acquisitionnelles et didactiques . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 191 211 261 281 311 Theoretische, empirische und unterrichtspraktische Erweiterungen des Konzepts II: Herkunftssprachen und Fremdsprachenunterricht Amina Kropp „Sprachenvernetzung als Ressource? “ Eine Interviewstudie mit Lernenden und Lehrenden zu herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit und mündlichem Produktionstransfer im schulischen Fremdsprachenunterricht . . . . . . . . . . Katja F. Cantone Italienischstämmige SchülerInnen im Fremdsprachenunterricht Italienisch: Spracherwerb und Spracherhalt im mehrsprachigkeitsdidaktischen Kontext Daniel Reimann Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht. Ergebnisse einer qualitativen Pilotierung (am Beispiel des Spanischen, mit Ausblicken auf weitere romanische Sprachen) Theoretische, empirische und unterrichtspraktische Erweiterungen des Konzepts III: Konzeptionelle Anregungen zur Entwicklung eines sprachsensiblen Fremdsprachen- und Fachunterrichts mit Fokus auf Bilingual Education Christian Koch Die Educación Intercultural Bilingüe in den Andenländern als Unterrichtsgegenstand zur Thematisierung herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit im Spanischunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marta García García Hablando de política - Urteilsbildung und Argumentation im sprachsensiblen Bilingualen Politik- und Wirtschaftsunterricht . . . . . . . . . Förderung der Mündlichkeit in sprachsensiblen und nachhaltigen Unterrichtssettings Clémentine Abel Suprasegmentalia im Französischunterricht: Skalen und Niveaubeschreibungen auf dem Prüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 327 345 369 391 Carine Greminger Schibli / Lilli Papaloïzos Enseignement du FLE et apprentissage de quelques genres textuels oraux . Manfred F. Prinz Mehrsprachigkeit versus Vielsprachigkeit Überholte Dichotomien versus Identitäten des „glissando“. Soziolinguistisch-didaktisch-musikologische Überlegungen am Beispiel von Liedern auf Cabo Verde und La Réunion . . Hochschuldidaktische Aspekte - Lehrerbildung: Mehrsprachigkeit und Ausbildung fremdsprachlicher Lehrkräfte Jacqueline Gutjahr / Andrea Bogner Sprachenbiographische Lehrforschungsprojekte als Ausgangspunkt für die Reflexion sprachenpolitischen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Giulia Pelillo-Hestermeyer / Ute von Kahlden Multilinguale und transkulturelle Medienkommunikation in der Fachdidaktik der romanischen Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt Einleitung Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen - Forschungsstand und neue Konzepte zur Vernetzung von Schulsprachen und Herkunftssprachen in der Migrationsgesellschaft Marta García García / Daniel Reimann Mehrsprachigkeit ist seit Jahrzehnten eines der zentralen sprachen- und bil‐ dungspolitischen Anliegen der Europäischen Gemeinschaft bzw. der Europäi‐ schen Union, Mehrsprachigkeitsdidaktik seit nunmehr beinahe drei Jahrzehnten eines der zentralen Forschungsfelder der deutschsprachigen Fremdsprachendi‐ daktik (einführend z. B. Reimann 2018, bes. 29, 39-46). Der romanistischen Fremdsprachendidaktik kam bei der Entwicklung mehrsprachigkeitsdidakti‐ scher Ansätze bezogen auf schulischen Fremdsprachenunterricht insofern eine Vorreiterrolle zu, als die romanischen Sprachen - von wenigen Ausnahmen im Bereich der slavischen Sprachen sowie den nicht unmittelbar vergleichbaren Konstellationen des Niederländisch- und Dänischunterrichts abgesehen - die einzige Sprachenfamilie darstellen, aus der regelmäßig mehr als eine Fremd‐ sprache im Laufe einer Schullaufbahn erlernt werden kann (z. B. Französisch als zweite und Italienisch oder Spanisch als dritte Fremdsprache) (vgl. Reimann i.Vb.). Zugleich wird landläufig festgestellt, dass die Anliegen der Mehrsprachig‐ keitsdidaktik noch immer zu wenig Eingang in die (Schul-)Praxis gefunden haben. Allerdings wird sich Schule in zunehmendem Maße auch an der Umset‐ zung mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze messen lassen müssen, nicht zu‐ letzt, seit durch Aufnahme der Bereiche Sprachbewusstheit und Sprachlern‐ kompetenz in die Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife (KMK 2012, 11, 23 sqq.) grundlegende Bausteine der Mehrsprachigkeitsdidaktik zu Kompetenzzielen des Fremdsprachenunterrichts in der Oberstufe erhoben wurden (zur Verbindung der Konzepte vgl. Morkötter 2005). In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Veränderungen in der Schüler- (und Lehrer-)schaft ergeben, aufgrund derer Mehrsprachigkeitsdidaktik „neu gedacht“, d. h. theoretisch und konzeptionell weiterentwickelt, weiter beforscht und unterrichtspraktisch ausgestaltet werden muss. Insbesondere ist hier auch die sprachliche Heterogenität der Schülerschaft - wie auch, in zunehmendem Maße, der Lehrerschaft - zu nennen, welche die Lernvoraussetzungen im Fremdsprachenunterricht mitbedingt (z. B. Hu 2003, Volgger 2012) und in der Lehrerausbildung mit berücksichtigt werden muss (vgl. z. B. Benholz et al. 2017, Reimann et al. 2018, Strobl et al. 2019, Reimann / Cantone im Druck). Mehr‐ sprachigkeitsdidaktik kann sich also nicht mehr nur auf Vernetzung von Schul‐ fremdsprachen untereinander beziehen, sondern muss die Herkunftssprachen der Schülerinnen und Schüler miteinbeziehen (z. B. Schmelter 2015). Eine be‐ sondere Konstellation besteht, wenn als Fremdsprache eine Herkunftssprache gewählt wird (vulgo: „Muttersprachler/ innen“ im Fremdsprachenunterricht, vgl. die Beiträge Cantone und Reimann im vorliegenden Band). Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, einen Überblick über die neuere Geschichte der Mehrsprachigkeitsdidaktik aus romanistischer Per‐ spektive zu geben, in deren Rahmen die Beiträge des vorliegenden Bandes zu verorten sind (zur Vorgeschichte einführend Reimann 2018, 45 sq., mit weiter‐ führender Bibliographie): Insgesamt hat sich die jüngere Mehrsprachigkeitsdi‐ daktik im weiteren Sinne im deutschsprachigen Raum seit den 1990er Jahren intensiv entwickelt. Ausgehend von vereinzelten Vorläufern wie beispielsweise den Beiträgen Abel 1971, Barrera-Vidal 1972, Oehler 1972, Ernst 1975 und Zapp 1979 sowie 1983 zeichnet sich in den 1980er Jahren ein verstärktes Interesse für Spezifika des Lernens und Lehrens dritter und spät beginnender Fremdsprachen ab (z. B. Christ 1985), das im sog. Bochumer Tertiärsprachenprojekt, in dem Spezifika des Italienisch- und Spanischunterrichts zu ergründen versucht werden, kulminiert (vgl. die zusammenfassende Ergebnisdarstellung in Bahr et al. 1991). In den 1990er Jahren legen insbesondere Franz-Joseph Meißner und Marcus Reinfried die Grundlagen für die Entwicklung einer „Didaktik der romanischen Mehrsprachigkeit“ (vgl. z. B. Meißner 1991 und 1993, Meißner / Reinfried 1998, weiterhin z. B. Martinez / Reinfried 2006). Weitere Veröffentlichungen reflek‐ tieren Potentiale und Erträge der Mehrsprachigkeitsdidaktik aus schulprakti‐ scher Sicht und mit Blick auf die Lehrerbildung (z. B. Hildenbrand / Martin / Vences 2012). Parallel entwickelt sich im Kontext der Didaktik des Deutschen als Fremdsprache die so genannte „Tertiärsprachendidaktik“ weiter, die insbe‐ sondere die Sprachenfolge „Deutsch nach Englisch“ und ihre didaktisch-me‐ thodischen Implikationen untersucht (z. B. Hufeisen 1991, Hufeisen / Linde‐ mann 1998). 12 Marta García García / Daniel Reimann In den späten 1990er und in den 2000er Jahren konzentriert sich die Forschung insbesondere auf den Bereich der Interkomprehension (vgl. z. B. Meißner 2005), also die Entwicklung rezeptiver Kompetenzen (v. a. Leseverstehen) auf der Grundlage umfassenderer Kompetenzen in anderen (hier v. a. romanischen) Sprachen. Ausgangs- und Referenzpunkt ist das Frankfurter Projekt EuroCom (vgl. Klein / Stegmann 2000), das entsprechende Pendants in romanophonen Kontexten kennt (z. B. Galatea, Galanet, EuRom 4 / EuRom 5, Interlat, InterRom, für eine Übersicht vgl. Caddéo / Jamet 2013, bes. 141-181, vgl. exemplarisch Bonvino 2011) und trotz seiner hochschuldidaktischen Konzeption auch in den schulischen Bereich zu transferieren versucht wurde (z. B. Klein 2004). Es ent‐ standen in der deutschsprachigen Fremdsprachenforschung mehrere umfas‐ sende empirische romanistisch-interkomprehensionsdidaktische Studien (z. B. Bär 2009, Mordellet-Roggenbuck 2011). Zugleich gab es, ausgehend von Eu‐ roCom, entsprechende Parallelprojekte im Bereich der germanischen und der slavischen Sprachen. Mitunter wird auch - über die o. g. interkomprehensions‐ didaktischen Arbeiten im engeren Sinne hinaus - die Perspektive von Schüle‐ rinnen und Schülern empirisch erfasst (z. B. Reimann 2002, Neveling 2017). Seit den 2010er Jahren zeichnet sich eine zunehmende Öffnung der traditio‐ nellen romanistischen Mehrsprachigkeitsdidaktik hin auch zum Englischen ab (z. B. Leitzke-Ungerer / Blell / Vences 2012, Bär 2012, Schöpp 2015, zahlreiche Beiträge von Eva Leitzke-Ungerer, z. B. Leitzke-Ungerer 2015). Der Englischun‐ terricht nimmt seinerseits seine Verantwortung als inzwischen überwiegend erste Fremdsprache, die Zugänge zum Erlernen weiterer Fremdsprachen er‐ öffnen kann und soll, wahr und die Englischdidaktik beginnt, diesen Aspekt empirisch zu beforschen (z. B. Jakisch 2015). In der Schweiz wurde u. a. das Transferpotential vom Englischen zur zweiten Fremdsprache Französisch in deutschsprachigen Kantonen in einem umfassenden empirischen Projekt un‐ tersucht (vgl. den Beitrag Manno / Egli Cuenat im vorliegenden Band). Die La‐ teindidaktik leistet ihrerseits einen Beitrag zur Mehrsprachigkeitsdidaktik, indem sie über traditionelle, exemplarische Unterrichtsmodelle zur Vernetzung der alten und der modernen Fremdsprachen hinausgehend (z. B. Einzelbeiträge wie Fischbach 1981, Knittel 1981, Metzger / Ulrich 1995, vgl. auch den Band Nagel 1997 sowie Themenhefte wie Der Altsprachliche Unterricht 4, 2005: Latein und Romanische Sprachen; 1, 2016: Latein und Spanisch) fundierte Studien mit Blick auf das Vernetzungspotential zwischen Sprachen vorlegt (z. B. Siebel 2017) und das Potential des Lateinunterrichts zur Sprachförderung insgesamt, gerade auch für mehrsprachige Schülerinnen und Schüler, beforscht (z. B. Kipf 2014, Große 2017). 13 Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen Neben zahlreichen vereinzelten Unterrichtsvorschlägen, vor allem in Zeit‐ schriften für die Unterrichtspraxis und punktuellen Aktivitäten in den meisten Lehrwerken der letzten Generationen, haben inzwischen einige wenige große Entwicklungsprojekte zu ganzen Lehrwerken geführt, die Erkenntnisse der Mehrsprachigkeitsdidaktik systematisch in Sprachlehrgänge zu integrieren ver‐ suchen. Mit Blick auf den Brückenschlag von altsprachlichem Unterricht zu den romanischen Sprachen ist für den schulischen Bereich hier die Baseler Lehr‐ werkreihe Aurea bulla zu nennen (Müller et al. 2016 sqq., vgl. den Beitrag Wes‐ selmann im vorliegenden Band). Für den Transfer innerhalb der romanischen Sprachen wurde in Österreich die Serie paralleler Lehrwerke Descubramos el español / Découvrons le français / Scopriamo l‘italiano vorgelegt, die jeweils für das Erlernen einer romanischen Sprache v. a. als zweiter oder dritter Fremd‐ sprache (Oberstufe) unter systematischem Rückgriff auf Vorkenntnisse in einer der beiden anderen romanischen Sprachen konzipiert sind (Holzinger et al. 2012, Rückl et al. 2012 und 2013) und punktuell über den rezeptiven Ansatz der In‐ terkomprehensionsdidaktik hinausgehen (vgl. Reimann 2016, 18 sq.). Einen neuen Meilenstein für die romanistische Mehrsprachigkeitsdidaktik stellt auch die Erstellung des Kernwortschatzes der romanischen Mehrsprachigkeitsdidaktik (KRM) durch Franz-Joseph Meißner dar (z. B. Meißner 2016, 2018). Etwa zeitgleich zeichnet sich sichtbar eine Erweiterung mehrsprachigkeits‐ didaktischer Ansätze um eine grundlegend zweite Dimension neben der Ver‐ netzung von Schulfremdsprachen untereinander ab, namentlich die oben bereits erwähnte Berücksichtigung so genannter Herkunftssprachen lebensweltlich bedingt mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler im Fremdsprachenunterricht (zu diesem Paradigmenwechsel vgl. z. B. Reimann 2018, bes. 29 sqq., Reimann 2019). Grundlegend zu Herkunftssprachen als Sprachlernvoraussetzung kann auf den Beitrag Baur / Chlosta 2010 verwiesen werden. Grundlegende For‐ schungsergebnisse zu herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit wurden in meh‐ reren Studien vorgelegt (vgl. Hu 2003, Volgger 2012, Méron-Minuth 2018) und einzelne Fragestellungen in thematischen Sammelbänden (z. B. Fernández Am‐ mann / Kropp / Müller-Lancé 2015, Schlaak / Thiele 2017, Willems / Thiele / Kramer 2019) oder in Zeitschriftenbeiträgen vertieft (z. B. zum Spanischen Gra‐ nados / Siems 2014, Reimann / Siems 2015, Reimann 2017, zum Französischen Thiele 2015, Reimann / Tziotzios 2018). Auch ein großes, laufendes, DFG-geför‐ dertes Projekt widmet sich dieser Fragestellung, namentlich Franzimo - Fran‐ zösisch als 2. Fremdsprache: interkulturell und mehrsprachigkeitsorientiert (www .romanistik.uni-wuppertal.de/ de/ personal/ fachdidaktik/ prof-dr-phil-lars-schm elter/ forschung/ franzimo-franzoesisch-als-2-fremdsprache-interkulturell-und -mehrsprachigkeitsorientiert.html, 09.10.2019, vgl. z. B. Schmelter 2015). Der 14 Marta García García / Daniel Reimann Sonderfall von Schülerinnen und Schülern, deren Herkunftssprache zugleich die Zielsprache des Fremdsprachenunterrichts ist, wurde in der deutschsprachigen Fremdsprachenforschung bislang nur in der slavistischen Fachdidaktik vertieft untersucht (einführend z. B. Brehmer / Mehlhorn / Yastrebova 2017). Zu einem romanistischen Pilotprojekt vgl. den Beitrag Reimann im vorliegenden Band sowie García García (2019a und im Druck) für den besonderen Kontext des Bi‐ lingualen Unterrichts. Auch die Perspektive von Lehrkräften wird zunehmend als grundlegender Baustein einer Weiterentwicklung der Mehrsprachigkeitsdidaktik beforscht. Im Bereich der romanistischen Fremdsprachenforschung wird hier neben der Gruppe der Lehrkräfte in Ausbildung (s. o., Reimann et al. 2018, Reimann / Can‐ tone im Druck) z. B. in den Beiträgen Neveling 2012 und 2013 (Fokus Schul‐ fremdsprachen) sowie Heyder / Schädlich 2014 und 2015 (Fokus Herkunftsspra‐ chen) auch die Sicht bereits praktizierender Lehrkräfte untersucht (vgl. Kropp in diesem Band). Immer wieder wurde versucht, mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze in um‐ fassendere Entwürfe zu bündeln. Im Rahmen dieses einleitenden Forschungs‐ berichts können etwa erwähnt werden: der Schweizerische Ansatz einer inte‐ grativen bzw. integrierten Sprachendidaktik seit 1998 (vgl. das Themenheft Babylonia 4, 1998: Gesamtsprachenkonzept), das Gesamtsprachencurriculum von Hufeisen seit 2005 (vgl. Hufeisen 2005) sowie weitere, sprachsensiblen Unter‐ richt in allen Fächern fokussierende Ansätze wie etwa das Projekt PlurCur des Europäischen Fremdsprachenzentrums des Europarats (vgl. Allgäuer-Hackl et al. 2015, einführend zu übergreifenden mehrsprachigkeitsdidaktischen An‐ sätzen vgl. Hufeisen 2018). Ein auf europäischer Ebene bedeutender Ansatz, der verschiedene mehrsprachigkeitsdidaktisch relevante Forschungs- und Hand‐ lungsfelder vereint, ist das Konzept der „Pluralen Ansätze zu Sprachen und Kul‐ turen“ des Europäischen Fremdsprachenzentrums des Europarats (vgl. das Handbuch Melo-Pfeifer / Reimann 2018a, weiterhin einführend z. B. Candelier 2008 und das Themenheft Babylonia 2, 2015: Les approches plurielles des langues et des cultures). Mit den „Pluralen Ansätzen“ wurde seit etwa 2005 ein Modell geschaffen, das versucht, verschiedene Ansätze des sprachsensiblen und spra‐ chenübergreifenden Unterrichtens und einer inter- und transkulturellen Sensi‐ bilisierung in ein Gesamtkonzept mehrsprachiger und mehrkultureller Bildung zu integrieren (vgl. Melo-Pfeifer / Reimann 2018b, 15). Dabei werden im engeren Sinne vier „Plurale Ansätze“ unterschieden: Éveil aux langues u. a. im Sinne der Entwicklung von (früher) Sprachbewusstheit gerade auch im Primarbereich und Nutzung der herkunftsbedingten Mehrsprachigkeit innerhalb der Lerngruppen, Interkomprehension, integrative Sprachendidaktik und interkulturelles Lernen. 15 Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen Die Arbeiten des Europäischen Fremdsprachenzentrums des Europarats sind u. a. im Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (RePA) gebündelt worden (einführend z. B. Schröder-Sura 2018, Schröder-Sura im vor‐ liegenden Band). Aus diesem kurzen Forschungsüberblick wird deutlich, dass eine Vielzahl von Konzepten und Entwicklungen nebeneinander existieren. Mit Blick auch über die romanischen Sprachen hinaus wird in Fäcke / Meißner 2019 in einer großen Zahl von Einzelbeiträgen versucht, dem weiten Spektrum der Didaktik der Mehrkulturalität und der Mehrsprachigkeit mosaikartig Rechnung zu tragen. In Hinblick auf die Entwicklung der schulbezogenen Fremdsprachenfor‐ schung und des Fremdsprachenunterrichts wurde in jüngerer Zeit mit der Denkfigur „aufgeklärte Mehrsprachigkeit“ ein integrierender Ansatz be‐ zeichnet, der für die künftige Mehrsprachigkeitsdidaktik relevante Forschungs- und unterrichtliche Handlungsfelder konzentriert in den Blick nimmt (Reimann 2016). Dabei wird insbesondere auf - eine stärkere Berücksichtigung der Entwicklung produktiver Fertig‐ keiten, - die Integration weiterer Schulfremdsprachen neben den romanischen Sprachen (einschließlich der alten Sprachen), - die Berücksichtigung des Deutschen als Mutter-, Zweit- und Fremd‐ sprache („Deutsch als Zielsprache“), - die Berücksichtigung der bereits genannten Herkunfts- und Familien‐ sprachen, - die Entwicklung rezeptiver Varietätenkompetenzen in der Zielsprache, - die Förderung multilingualen Sachfachunterrichts sowie - die Entwicklung transkultureller kommunikativer Kompetenz im Rahmen mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze abgehoben (vgl. art. cit., bes. 17-29). Die vorliegende Publikation versammelt konzeptionelle Entwürfe und em‐ pirische Studien gerade auch mit Blick auf die oben genannten „blinden Flecken“ der (v. a. romanistischen) Mehrsprachigkeitsdidaktik. Dabei werden u. a. aktu‐ elle Fragestellungen zur Entwicklung des Konzepts Mehrsprachigkeit als Lern‐ voraussetzung und als Bildungsziel formuliert, empirische Befunde zur Vernet‐ zung schulischer Fremdsprachen mit Fokus auf Produktion und Interaktion diskutiert (bes. Englisch / Französisch), empirische Erhebungen sowie praxis‐ orientierte Entwicklungsprojekte zur Integration der Alten Sprachen und der romanischen Sprachen vorgestellt, die Integration von Herkunftssprachen ein‐ schließlich der Konstellation „Herkunftssprache = Zielsprache“ im Fremdspra‐ 16 Marta García García / Daniel Reimann chenunterricht empirisch ergründet sowie schlussendlich auch der Aspekt der Interaktion in sprachsensiblen und nachhaltigen, teilweise auch in bilingualen Unterrichtssettings sowie hochschuldidaktische Aspekte der Lehrerbildung be‐ leuchtet. Der Band geht auf die Sektion „Interaktion, Migration und Mehrspra‐ chigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen“ des XXXV. Romanistentags in Zürich (08.-12.10.2017) zurück. Er enthält ausgewählte, ausformulierte und nach kritischer Begutachtung überarbeitete Beiträge dieser Tagung sowie wei‐ tere, den Blick auf die hier verhandelten Fragestellungen ergänzende Aufsätze. Die Beiträge wurden nach inhaltlichen Schwerpunkten auf sechs Sektionen verteilt: Die Beiträge des ersten Blocks Aktuelle Fragestellungen zu Mehr‐ sprachigkeit als Lernvoraussetzung und als Bildungsziel bilden einen kon‐ zeptionellen Rahmen des Bandes. Im Beitrag von Birgit Schädlich wird eine Systematisierung der Spannungsfelder unternommen, in denen sich sowohl der Diskurs um die schulische Mehrsprachigkeit als auch das Handeln von Lehr‐ personen dychotomisch bewegen, nämlich zwischen Mehrsprachigkeit als Lern‐ voraussetzung bzw. als Ziel der schulischen Ausbildung einerseits sowie Mehr‐ sprachigkeit verstanden als Gegenstand bzw. als Sprachgebrauch andererseits. Im Anschluss an die Ausführungen schlägt die Autorin mediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz als mögliche Ansätze vor, um diese Oppositionen konstruktiv im Fremdsprachenunterricht zu integrieren und insbesondere die Aspekte des Sprachgebrauchs und der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit mehr in den Fokus zu stellen. Andere mehrsprachigkeitsdidaktische Ansätze, die eher auf die Integration und Vernetzung von in der Schule erlernten Fremdsprachen abzielen, werden wie bereits erwähnt im RePA beschrieben. Im Beitrag von Anna Schröder-Sura wird mittels ausgewählter Beispiele gezeigt, welche kon‐ kreten Möglichkeiten sowohl auf curricularer als auch auf unterrichtsprakti‐ scher Ebene der Einsatz der Deskriptoren des RePA bietet. Beide Beiträge legen somit die Koordinaten fest, in denen sich die weiteren Beiträge - teils von eher empirischem, teils von eher praktischem Charakter - verorten lassen. Ein aus der Perspektive der romanistischen Mehrsprachigkeitsdidaktik mit‐ unter vernachlässigter Aspekt war und ist die Berücksichtigung und Integration der Alten Sprachen als Lernvoraussetzung bei der Aneignung einer romani‐ schen Sprache. Aber auch die empirische Fundierung der konzeptionell und unterrichtspraktisch zwischenzeitlich durchaus angeregten Integration des Englischen (s. o.) steht bis dato weitgehend aus. Diesen Bereichen widmet sich der zweite Abschnitt Theoretische, empirische und unterrichtspraktische Erweiterungen des Konzepts I: Alte Sprachen, Englisch und schulische Mehrsprachigkeit mit Blick auf die romanischen Sprachen, in der aus em‐ 17 Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen pirischer und unterrichtspraktischer Perspektive der Fokus auf die sinnvolle Vernetzung der in der Schule erlernten Sprachen gelegt wird. Ein konkretes Beispiel dafür, wie die Sprachvernetzung in Lehrwerken gefördert werden kann, stellt der Beitrag von Katharina Wesselmann dar. Die Autorin zeigt anhand des von ihr mitkonzipierten Lehrwerks Aurea Bulla auf, wie die alte Sprache Latein ihre Funktion als Grundlage für die Aneignung weiterer Sprachen er‐ füllen kann: Ansätze der Interkomprehensionsdidaktik, der integrierten Spra‐ chendidaktik sowie der Sprachenbewusstheit werden hier den jungen Ler‐ nenden in sehr ansprechender Form präsentiert. Lukas Eibensteiner und Johannes Müller-Lancé sowie Giuseppe Manno und Mirjam Egli Cuenat widmen sich der tatsächlichen Nutzung des Transferpotenzials vorgelernter Sprachen durch diejenigen Schülerinnen und Schüler, die eine zweite bzw. dritte Fremdsprache lernen. Lukas Eibensteiner und Johannes Müller-Lancé er‐ forschen diesen Aspekt mit Blick auf das Erlernen des verbalen Aspektes im Spanischen, Giuseppe Manno und Mirjam Egli Cuenat mit dem Schwer‐ punkt auf Erleichterungen durch Kognaten bei der Erledigung schriftlicher Auf‐ gaben im Französischen als Zielsprache. Trotz der Unterschiede in den unter‐ suchten Schulkontexten und in den Forschungsdesigns fallen die Ergebnisse beider Studien sehr ähnlich aus: In beiden Fällen kann konstatiert werden, dass eine Aktivierung von mehrsprachigen Lernstrategien stattgefunden hat, gleich‐ wohl bleibt das Transferpotenzial der vorgelernten Sprachen vielfach unausge‐ schöpft. Die zweite große im einleitenden Forschungsbericht beschriebene Dimension der aktuellen Mehrsprachigkeitsdidaktik, namentlich die der Einbeziehung von Herkunftssprachen in schulische Lehr-/ Lernprozesse, wird im folgenden Ab‐ schnitt Theoretische, empirische und unterrichtspraktische Erweite‐ rungen des Konzepts II: Herkunftssprachen und Fremdsprachenunter‐ richt in den Blick genommen. Einerseits scheint es mitunter im schulischen Alltag an der Berücksichtigung von Herkunftssprachen zu mangeln, wie der Beitrag von Amina Kropp paradigmatisch zeigt. Die Autorin untersucht in ihrer Interviewstudie mit Lehrenden und (ehemaligen) Lernenden, inwiefern herkunftssprachliche Kenntnisse als Ressource für das Lernen weiterer Spra‐ chen im Unterricht thematisiert und fruchtbar gemacht werden und stellt eine fehlende „multilinguale Überzeugung“ bei den Lehrpersonen fest. Dies steht im Einklang mit den negativen Erfahrungen der Lernenden, deren Mehrsprachig‐ keit sehr selten wertgeschätzt und einbezogen wurde. Aber nicht nur im Un‐ terricht selbst, sondern auch im deutschen Schulsystem als Ganzem scheinen Defizite bezogen auf die Förderung und den Erhalt von Herkunftssprachen vor‐ zuliegen. Dies untersucht Katja F. Cantone am Beispiel des Italienischen. Aus‐ 18 Marta García García / Daniel Reimann gehend von der Diskussion ausgewählter Fälle wird veranschaulicht, wie sehr die Eltern bei der Weitergabe der Familiensprache(n) auf sich alleine gestellt sind. Zwar scheint ein flächendeckendes, staatliches Angebot von Herkunfts‐ sprachenunterricht derzeit unrealistisch und kaum praktikabel, dennoch belegt diese Untersuchung offensichtliche, strukturelle Defizite. Einen Sonderfall mehrsprachlich kompetenter Schülerinnen und Schüler stellen die Lernenden dar, die einen zielsprachigen Hintergrund aufweisen. Diesem besonderen Fall widmet sich der Beitrag von Daniel Reimann und geht der Frage nach, wie Schülerinnen und Schüler mit Spanisch als Familiensprache im Spanischunter‐ richt behandelt und gefördert werden. Die zentralen Ergebnisse der schriftli‐ chen, retrospektiven Befragung an Studierenden sowie der mündlichen Inter‐ views mit Lehrenden und Schülerinnen und Schülern zeigen, dass die Einbeziehung der „muttersprachlichen“ Lernenden in den Unterricht zum einen für die Lehrkräfte als Herausforderung erlebt wird, da sie häufig einen Balan‐ ceakt zwischen Unterforderung und hoher Exposition der Schülerinnen und Schüler (z. B. als Experte, als Modell für die Mitlernenden) darstellt. Für die (ehemaligen) Schülerinnen und Schüler selbst besteht zum anderen der Wunsch (durch Zusatzleistungen noch) mehr gefordert zu werden. Im Einklang mit an‐ deren Beiträgen des Bandes wird ebenfalls festgestellt, dass sie nicht im vollen Bewusstsein des Transferpotenzials ihrer Sprachenkenntnisse sind bzw. dies im Unterricht nicht explizit genug einbezogen wird. In der vierten Sektion, die Konzeptionelle Anregungen zur Entwicklung eines sprachsensiblen Fremdsprachen- und Fachunterrichts mit Fokus auf Bilingual Edu‐ cation beinhaltet, werden beide Perspektiven (Mehrsprachigkeit als Vorausset‐ zung und als Bildungsziel) in zweifacher Hinsicht thematisiert. Zum einen un‐ terbreitet Christian Koch einen unterrichtspraktischen Vorschlag, in dem das Modell der Förderung der indigenen Sprachen in den Andenstaaten als Unter‐ richtsthema und als Anregung zur Diskussion über den Status der Regionalsowie der Familiensprachen präsentiert wird. Zum anderen wird im Beitrag von Marta García García anhand der Analyse ausgewählter Plenumsgespräche aus einem bilingualen Modul die Verschränkung zwischen Fach- und (Fremd-) Spra‐ chenunterricht beleuchtet. Außerdem werden Möglichkeiten aufgezeigt, die solch hybride Szenarien für die Unterrichtsfächer bieten. In der fünften Abteilung wird die Förderung der Mündlichkeit in sprach‐ sensiblen und nachhaltigen Unterrichtssettings in den Fokus genommen. Ausgehend von den Grenzen, die der GeR im Bereich der Aussprache und der Suprasegmentalia aufweist, stellt Clémentine Abel ein für die Lehrkräfte sowie für die Lernenden nachvollziehbares Deskriptorenmodell der wesentlichen pro‐ sodischen Merkmale des Französischen vor, das beiden Zielgruppen Aufschluss 19 Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen über die zu erwartenden Kompetenzen im Bereich der Aussprache gibt. Die de‐ fizitäre Förderung der Sprechkompetenz im Französischunterricht, die von Ca‐ rine Greminger Schibli und Lilli Papaloizos in ihrer Datenanalyse erkannt wird, ist die Grundlage zur Entwicklung eines Vorschlags, in dem zum einen die Arbeit mit den wichtigsten mündlichen Genres, zum anderen die metasprach‐ liche Reflexion anhand der von den Schülerinnen und Schülern vertretenen Sprachen in den Vordergrund gestellt werden. Manfred Prinz untersucht sei‐ nerseits in einem konzeptionellen und unterrichtspraktisch orientierten Beitrag die Rolle portugiesisch- und französischbasierter Kreolsprachen auf Cabo Verde und La Réunion. Ausgehend von soziolinguistischen und sprachpolitischen Be‐ trachtungen zur Rolle der Kreolsprachen auch im Kontext postmoderner Theo‐ riebildung stellt er, unter Rückgriff auf in seinem Projekt RapRomania entwi‐ ckelte Prinzipien, fünf Textbeispiele zum Hör-(Seh-) und Leseverstehen luso- und frankokreolischer Texte vor. Wie im Laufe der vorangegangenen Erläuterungen deutlich geworden ist, ist die Umsetzung mehrsprachigkeitsfördernder Ansätze noch immer keine Selbst‐ verständlichkeit in den fremdsprachlichen Klassenzimmern. Hier müsste die Lehrerbildung ansetzen - in der die Mehrsprachigkeitsdidaktik auch noch nicht überall fest verankert ist. Dies ist Gegenstand der letzten Sektion des Bandes, Hochschuldidaktische Aspekte - Lehrerbildung: Mehrsprachigkeit und Ausbildung fremdsprachlicher Lehrkräfte. Die beiden Beiträge der Sektion stellen - bei jeweils sehr unterschiedlicher theoretischer Ausrichtung - Projekte vor, die als Initiativen der Autorinnen entstanden sind, ohne bislang curricular verankerte Maßnahmen innerhalb des Studiums darzustellen. Giulia Pe‐ lillo-Hestermeyer und Ute von Kahlden präsentieren ein interdisziplinäres Projekt (zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik) zu transkulturellen Aus‐ tauschprozessen durch Medien, das darauf abzielt, die daran teilnehmenden Studierenden zunächst mit Fragen der sprachlichen und kulturellen Vielfalt aus kulturwissenschaftlicher Sicht zu konfrontieren, bevor sie diese Überlegungen direkt im Anschluss in den Entwurf von Lernszenarien überführen. Im Projekt Mehrsprachige Kompetenzen erforschen und ausbilden, welches im Kern des Bei‐ trags von Jacquelin Gutjahr und Andrea Bogner steht, werden ebenfalls mehrsprachigkeitssensible Szenarien von den Studierenden entwickelt, wobei hier nicht die konzeptionelle Ebene, sondern die Analyse und Reflexion in den Mittelpunkt gerückt werden. Der Beitrag verdeutlicht, wie anhand einer inten‐ siven und detaillierten Auseinandersetzung mit einem komplexen Ensemble von selbsterhobenen mehrsprachigen Daten (Sprachenbiografien mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler, Videoausschnitte aus ihren selbstkonzipierten Un‐ terrichtsstunden mit Fokus auf Mehrsprachigkeit) die Studierenden sich von den 20 Marta García García / Daniel Reimann eigenen Sprachideologien und Annahmen über Sprachen bewusst werden können. Somit erleben die Studierenden Mehrsprachigkeit nicht nur als theo‐ retischen Begriff, sondern als eine Realität, die den Schulalltag prägt und berei‐ chert. Letzteres ist gleichzeitig Grundannahme und Ausgangspunkt aller festge‐ stellten Desiderata, die alle Autorinnen und Autoren dieses Buches teilen. Göttingen / Essen, im Oktober 2019 Bibliographie Abel, Fritz. 1971. „Die Vermittlung passiver Spanisch- und Italienischkenntnisse im Rahmen des Französisch-Unterrichts“, in: Die Neueren Sprachen, 70, 355-359. 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Der folgende Beitrag fokussiert primär die Möglichkeiten einer Integration lebensweltlicher Mehrsprachigkeit als Ressource für den Fremdsprachenunter‐ richt sowie die Gestaltung mehrsprachiger Interaktionsprozesse durch die Lehr‐ personen, die geeignet erscheinen, inter- und mehrkulturelle Bedeutungsaus‐ handlungen zu initiieren, zu begleiten und aufrecht zu erhalten. Als Ansatz dazu wird eine Akzentuierung des Nexus zwischen Mehrsprachigkeit (Hu 2004; Schädlich 2013), mediatorischem Handeln (vgl. Kolb 2016; Schädlich 2016; García 2009) und Symbolischer Kompetenz (vgl. Kramsch/ Whiteside 2008; Kramsch 2011) vorgeschlagen, der im Begriff der reflektierten Mehrsprachigkeit integriert wird. 2 Mehrsprachigkeit und Fremdsprachendidaktik: Versuch einer Systematisierung für das unterrichtliche Handeln von Lehrpersonen Sowohl der Begriff „Mehrsprachigkeit“ als auch seine Implikationen für den Fremdsprachenunterricht und seine Erforschung sind heterogen und in Teilen auch widersprüchlich. Schmelter hat „Mehrsprachigkeit“ sogar als „slogani‐ sierten Begriff “ (vgl. Schmenk 2012: 414) charakterisiert, der vor allem in seinen Übersetzungen gerade in den Dokumenten des Europarates erhebliche Un‐ schärfen produziert. In linguistischer, spracherwerblicher, erziehungswissen‐ schaftlicher und fachdidaktischer Fokussierung werden unterschiedliche As‐ pekte sowohl gesellschaftlicher Vielsprachigkeit als auch individueller Mehrsprachigkeit akzentuiert (vgl. Europarat 2001: 17; Hu 2017a) und für sprachlich-kulturelle Lehr-/ Lernprozesse unter dem Begriff „Mehrsprachig‐ keitsdidaktik“ (vgl. Hu 2017b) transformiert. Um die spezifische Problemstellung einer Förderung pluraler sprachlicher Ressourcen im schulischen Fremdsprachenunterricht rahmen zu können, sollen im Folgenden einige Diskursstränge des Mehrsprachigkeitsbegriffs und mehr‐ sprachigkeitsorientierter fachdidaktischer Ansätze skizziert werden. Der Vorschlag zur Systematisierung mehrsprachigkeitsorientierter Didaktik, der im folgenden Beitrag entwickelt werden soll, setzt an zwei grundlegenden Oppositionen an, die jede Auseinandersetzung mit Mehrsprachigkeit für den Fremdsprachenunterricht grundlegend bestimmen. Dies sind zum einen ein Verständnis von Mehrsprachigkeit zwischen Voraussetzung und Ziel von Un‐ terricht und zum anderen eine Sicht auf Mehrsprachigkeit zwischen Unter‐ richtsgegenstand und Sprachgebrauch. 2.1 Mehrsprachigkeit zwischen Voraussetzung und Ziel von Unterricht Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht ist zunächst von der Opposition „Mehrsprachigkeit als Voraussetzung und Ziel“ (vgl. Hu 2004) geprägt. Damit ist gemeint, dass der Fremdsprachenunterricht einerseits das Ziel hat, das sprachliche Handlungsrepertoire der Schüler*innen durch ein systematisches Lernangebot fremdsprachlicher Fächer und Sprachenfolgen zu erweitern (vgl. Sekretariat 2004; 2012). Andererseits sind die sprachlichen Voraussetzungen der Schüler*innen so heterogen, dass Mehrsprachigkeit den Unterricht auch vor‐ gängig immer schon bestimmt. Hier sind nicht nur vorgelernte Fremdsprachen und Herkunftssprachen gemeint, sondern die grundsätzlich plurale Sprachlich‐ keit der Schüler*innen (vgl. Hu 2003; Wandruszka 1979). Damit ergeben sich für die Gestaltung und Erforschung von Fremdsprachen‐ unterricht weitere Oppositionen. So beschreibt Hu (2004) Forschungsarbeiten der interkulturellen Germanistik oder Erziehungswissenschaft in Abgrenzung zu Arbeiten fachdidaktischer Ausrichtung: Während die ersteren stärker le‐ bensweltliche Mehrsprachigkeit in den Blick nehmen, fokussieren die anderen eher auf Mehrsprachigkeit als Ziel schulischer Bildungsprozess und die Kon‐ zeption von Materialien und Aufgaben. 32 Birgit Schädlich In Forschungsarbeiten manifestiert sich die Opposition häufig so, dass An‐ gewandte Linguistik oder Erwerbsforschung sich stärker auf einer deskriptiven Ebene für das Verstehen mehrsprachiger Situationen und Personen interes‐ sieren (z. B. Busch 2013; Krumm 2008; Hu 2003), während fachdidaktische Un‐ terrichtsforschung meist stärker konzeptionell ausgerichtet ist und sich empi‐ risch eher für das Nachvollziehen der Wirksamkeit neuer Materialien oder Aufgabenformate interessiert (Candelier et al. 2009; Meißner 2001; Rückl 2013). Als Beispiele, an denen sich die skizzierten Oppositionen nachvollziehen lassen, seien zwei Ansätze dargestellt: 2.1.1 Beispiel „Sprachenportraits“ Sprachenportraits in der Tradition von Krumm (2001, 2008) oder Busch (2013) haben primär eine linguistisch deskriptive Funktion. Sie geben Aufschluss über die Repertoires sprechender Subjekte, sind also ein Ansatz, diese überhaupt zu‐ gänglich und beschreibbar zu machen. Sie verdeutlichen nicht nur, wer welche Sprache wie gut „beherrscht“, sondern sie geben Aufschluss darüber, welche Bedeutung und Bewertung Sprecher*innen einzelnen Sprachen oder Varietäten für ihre Identität und Möglichkeiten sprachlichen Handelns zuschreiben. Das Wissen, das in einer Lerngruppe über Sprachenportraits entsteht, ist mit Zielsetzungen wie der Würdigung sprachlicher Diversität (vgl. Candelier et al. 2009; Krumm 2008) verbunden. Zentral sind die Offenheit gegenüber den be‐ teiligten Sprachen sowie die subjektive Bedeutung, die ihnen lebensweltlich zu‐ geschrieben wird. Sprachenportraits haben in forschender Hinsicht eine heu‐ ristische und als Unterrichtsmaterial eine bewusstmachende Funktion. Sie geben Aufschluss über „natürliches“ mehrsprachiges Handeln, das Diet‐ rich-Grappin (2017, 102) dem durch Unterricht „didaktisch indizierten“ gegen‐ überstellt. 2.1.2 Beispiel Interkomprehensionsaufgabe Als typisches Beispiel für einen mehrsprachigkeitsdidaktischen Ansatz, der darauf abzielt, Mehrsprachigkeit als Ziel von Unterricht anhand bestimmter Materialien und Aufgaben zu erreichen, seien Interkomprehensionsaufgaben genannt (vgl. Rückl 2015; Meißner 2001; Bär 2009). Interkomprehension ist ein prominenter Ansatz zur Förderung schulischer Mehrsprachigkeit, der sich primär auf rezeptive Kompetenzen bezieht und Sprachbewusstheit akzentuiert. Er basiert auf der Annahme, dass über die Verfügbarkeit von Transferstrategien sprachliche Lernprozesse stärker vernetzt und damit ökonomisiert werden können. Über Sprachvergleich und -reflexion können morphosyntaktische Re‐ gelmäßigkeiten erschlossen werden, die das Verstehen einer bislang unbe‐ 33 Mediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz kannten, aber der unterrichtlich vermittelten typologisch verwandten Sprache erleichtern. 2.2 Mehrsprachigkeit zwischen Gegenstand und Sprachgebrauch Die Beispiele machen nicht nur die Oppositionen von Voraussetzung und Ziel, bzw. von eher deskriptiven gegenüber eher normativen Interessen mehrspra‐ chigkeitsorientierter Forschung deutlich. Sie verweisen auf eine dritte Opposi‐ tion, die für unterrichtliches Handeln relevant ist, nämlich die Auseinanderset‐ zung mit Sprache selbst und den Sprachenbegriff, der dem Fremdsprachenunterricht unterliegt. Bausch (2016, 8) stellt in diesem Zusammenhang einen systemlinguistischen Sprachenbegriff einem eher weit gefassten, kommunikativ-pragmatischen Sprachenbegriff gegenüber: Während ersterer im Sinne eines strukturalistischen Modells zur Beschreibung von Sprachen mit den Ebenen Lexikon, Morphosyntax, Lautung und Schreibung vor allem als formorientiert gelten kann, akzentuiert im Gegensatz dazu ein weiter Spra‐ chenbegriff die Mitteilungsebene sowie damit verbunden die Handlungsorien‐ tierung des Sprachgebrauchs. In den Beispielen unterliegt Sprachenportraits eher ein gebrauchsorientierter Sprachenbegriff, Interkomprehensionsaufgaben eher ein systemlinguistisch-formorientierter. Während Sprachenportraits Auf‐ schluss über Sprachverwendung und kommunikatives Handeln geben, thema‐ tisieren Interkomprehensionsaufgaben, mit ihrem Fokus auf den Transfer sprachlicher Strukturen. Sie machen also die Sprache selbst zum Gegenstand inhaltlicher Auseinandersetzung. Hier ist nicht das sprechende Subjekt zentral, sondern das Sprachsystem und dessen kognitive Durchdringung durch Sprach‐ beschreibung, zunächst einmal unabhängig davon, was die gebrauchten Spra‐ chen für das kommunikative Handeln eines Sprechers bedeuten. Im Kontext von Kompetenz- und Aufgabenorientierung (vgl. Sekretariat 2004; 2012; Bär 2013; Bechtel 2015; Caspari 2009) wird immer wieder der Fokus auf eine inhaltlich-kommunikative Ausrichtung der fremdsprachlichen Kom‐ munikation sowie die damit verbundene „dienende Funktion“ der sprachlichen Mittel (vgl. Caspari 2009, 26) verwiesen. In Anlehnung an das Konzept des task based language learning and teaching wird dabei ein Primat des focus on meaning gegenüber traditionellen Formfokussierungen als Inhalt von Fremdsprachen‐ unterricht akzentuiert (vgl. Bär 2013, 12). Dem Konzept unterliegt ein mittei‐ lungsbezogener Sprachenbegriff. Systemlinguistisches Wissen wird funktional integriert, jedoch immer im Hinblick auf pragmatische Kommunikationsbe‐ darfe. Dadurch kommt mehrsprachigen Bedeutungsaushandlungen tendenziell eine größere Bedeutung zu als isolierten, formfokussierten Betrachtungen der Sprachsysteme. Da letztere jedoch historisch gesehen (vgl. Titone 2016) lange 34 Birgit Schädlich 1 Der Begriff der Antinomie wird hier in Anlehnung als Helspers strukturtheoretisches Verständnis des Lehrerhandelns gebraucht. Zur genaueren begrifflichen Differenzie‐ rung siehe Helsper (2004, 61 f.). Zeit selbst primärer Gegenstand und Lernziel von Fremdsprachenunterricht waren, prägen sie nach wie vor die Unterrichtspraxis mit formfokussierten Phasen, in denen das Sprechen über Sprache dominiert. Die Frage, in welcher Sprache diese Phasen realisiert werden, bleibt dabei allerdings häufig unreflek‐ tiert. 3 Diskussion: Mehrsprachigkeit und Lehrerhandeln in antinomischen Spannungsfeldern Die Darstellung mehrsprachigkeitsbezogener Oppositionen hatte zunächst zum Ziel, unterschiedliche Ausrichtungen und Funktionen fremdsprachendidaktisch relevanter Aspekte von Mehrsprachigkeit zu systematisieren. Sie lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: - Die Sprachlichkeit der Schüler*innen ist durch die Oppositionen Mehr‐ sprachigkeit als Voraussetzung vs. Mehrsprachigkeit als Ziel von Fremd‐ sprachenunterricht sowie lebensweltliche vs. schulische Mehrsprachig‐ keit gerahmt. - Ziele sprachlichen Lernens sind durch die Opposition Sprache als Ge‐ genstand vs. Sprache als Kommunikationsinstrument gerahmt. - Unterrichtliches Handeln ist durch die Oppositionen systemlinguistische Metakognition vs. Bewusstmachung kommunikativer Strukturen sowie natürlichen vs. didaktisch angeleiteten Sprachgebrauchs gerahmt. - Forschung und Materialentwicklung sind durch die Opposition Deskrip‐ tivität vs. Normativität gerahmt. In einem zweiten Schritt sollen als Ansatz zu der Frage, wie im Fremdsprachen‐ unterricht das gesamte sprachliche Repertoire der Schüler*innen fruchtbar ge‐ macht werden kann, die oben entworfenen Oppositionen nicht als sich gegen‐ seitig ausschließende Fluchtpunkte forschenden Interesses und unterrichtlichen Handelns diskutiert werden, sondern als antinomische Spannungsfelder 1 , in denen sich die Entscheidungen von Lehrpersonen jeweils situativ und funk‐ tional verorten. Damit ist gemeint, dass es sich jeweils um Ausprägungen im Verständnis von Mehrsprachigkeit sowie fachdidaktischer Vorschläge zu mehr‐ sprachigkeitsorientiertem Unterricht handelt, deren Legitimität und unterricht‐ liches Potenzial gleichermaßen anerkannt werden. Damit verschiebt sich der Fokus auf die Diskussion, welche Ausprägung in welcher Situation und mit 35 Mediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz welcher Funktion für sprachliche Lehr-/ Lernprozesse akzentuiert wird und wie sich diese Akzentuierung im Lehrerhandeln realisiert. Dies stellt nicht nur für Personen, die sich forschend mit Unterricht beschäftigen und das Handeln von Lehrkräften rekonstruieren, eine mögliche Heuristik dar. Der Ansatz kann Lehr‐ kräften auch helfen, potenziell widersprüchliche Handlungen zu erkennen und ihre didaktischen Entscheidungen hier zu verorten, also mehrsprachig reflexiv zu handeln. Im Kontext der oben entworfenen Oppositionen seien im Folgenden exem‐ plarisch solche Spannungsfelder skizziert, die Entscheidungen situativ und funktional rahmen können. Unterrichtliches Handeln, das Mehrsprachigkeit zwischen Voraussetzung und Ziel, zwischen natürlichem und didaktisch indiziertem Sprachgebrauch, zwischen Gegenstands- und Mitteilungsfokus, zwischen Deskriptivität und Normativität akzentuiert, kann durchaus dazu führen, dass Fremdsprachenun‐ terricht gegebenenfalls selbst die Ziele einer Orientierung an Mehrsprachigkeit unterwandert: So können beispielsweise jener Stelle Reibungen entstehen, an der Schüler*innen einerseits zu ihren sprachlichen Repertoires befragt werden - in diesem Sinne werden beispielsweise Sprachenportraits auch zunehmend nicht mehr nur als Instrument der Forschung, sondern auch im Unterricht selbst eingesetzt - und damit eine grundsätzliche Würdigung sprachlicher Diversität intendiert wird, die somit auf einer Ebene der Sprachbeschreibung auch statt‐ findet. Auf der Ebene des Sprachgebrauchs hingegen kann eine solche Offenheit gerade an der Stelle als Pseudo-Wertschätzung konterkariert werden, wo sie in der konkreten Kommunikation wieder zurückgenommen wird, beispielsweise dann, wenn Schüler*innen im Unterricht auf andere als die Zielsprache zurück‐ greifen oder sprachliche Unsicherheiten entstehen, die inhaltliche Aushand‐ lungsprozesse erschweren oder unterbinden. Mehrsprachigkeitsorientierte Auf‐ gaben beziehen sich meist explizit auf Sprachen schulischer Sprachenfolgen und integrieren die Repertoires der Lernenden häufig gar nicht oder sehr punktuell im Sinne einer isolierten Kognition lexikalischer oder morphosyntaktischer Elemente. Busch (2013) zeigt in ihrer Analyse von Sprachenportraits eindringlich, dass das sprachliche Repertoire gerade nicht ausschließlich als positive Ressource wahrgenommen wird, sondern dass soziale Wertungen, in denen sich Sprach‐ ideologien manifestieren, den Sprachgebrauch bestimmen, wenn die Verfüg‐ barkeit sprachlicher Ressourcen beispielsweise Zugehörigkeit oder Nicht-Zu‐ gehörigkeit zu sprachlichen Gemeinschaften markiert: Das sprachliche Repertoire wird häufig gerade nicht - wie es auch der Repertoirebegriff des GER suggerieren könnte - als „Arsenal“ oder „Werkzeugkiste“ wahrgenommen, son‐ 36 Birgit Schädlich dern ex negativo, in solchen Situationen nämlich, in denen sprachliches Handeln unmöglich oder eingeschränkt ist (vgl. Busch 2012, 14 f.). Als ein Beispiel für antinomische Spannungen im natürlichen vs. didaktisch indizierten Sprachgebrauch können Entscheidungen zur Unterrichtssprache ge‐ nannt werden, in denen sich widersprüchliche Anforderungen wie die fol‐ genden zeigen können: Auf der einen Seite steht das Bemühen (und dahinter die curricular gesetzte Anforderung), die Zielsprache als Unterrichtssprache mög‐ lichst durchgängig zu etablieren, auf der anderen Seite der Anspruch, die Re‐ pertoires der Schülerinnen zu nutzen, was auch eine Entfernung von der Ziel‐ sprache bedeuten kann. Hier wiederum entstehen Sprachhierarchien und -präferenzen, die curricular begründet sind, aber sich nicht zwangsläufig mit den Repertoires der Lernenden decken. Diese bestimmen Entscheidungen zum Sprachgebrauch im Unterricht, wobei Sprachen, auf die funktional zurückgegriffen wird, gegebenenfalls nicht für alle dieselben sind. Hier wird im Spannungsfeld von Mehrsprachigkeit als Voraus‐ setzung (Einbezug von Herkunftssprachen) und Ziel (Orientierung an schuli‐ schen Sprachenfolgen) agiert. Lehrkräfte möchten einerseits alle Sprachen wür‐ digen und deren Gleichwertigkeit anerkennen, durch die Förderung oder Sanktionierung schülerseitiger Entscheidungen im Sprachgebrauch stellen sie aber zwangsläufig Priorisierung und Hierarchisierung akzeptierter (und nicht akzeptierter) Unterrichtssprachen her (vgl. Bogner/ Gutjahr 2019). Die skizzierten antinomischen Spannungsfelder sollen im Folgenden als kon‐ zeptionelle Rahmung für einen mehrsprachigkeitsorientierten Fremdsprachen‐ unterricht dienen, der sowohl den Aspekt „Mehrsprachigkeit als Voraussetzung von Unterricht“ akzentuiert als auch den Sprachgebrauch ins Zentrum didakti‐ scher Überlegungen rückt. 4 Ansätze für reflektierte Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht: Mediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz Reflektiertes mehrsprachiges Handeln durch Lehrpersonen bedeutet zusam‐ menfassend, antinomische Spannungsfelder als solche anzuerkennen und im Unterrichtshandeln ex ante, situativ und ex post auszugestalten. Ein solcher Un‐ terricht ist mehrsprachigkeitsorientiert in dem Sinne, als er die mehrsprachigen Repertoires der Lerngruppe sowie die Ziele ihrer Erweiterung durch Fremd‐ sprachenunterricht (Antinomie „Voraussetzung und Ziel“) berücksichtigt. Re‐ flektierte Mehrsprachigkeit akzentuiert dabei gleichermaßen unmittelbar kom‐ munikative Kompetenzen, wie auch mittelbar metasprachlich reflexive 37 Mediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz Kompetenzen, deren Verbindung als lernförderlich angenommen wird (Anti‐ nomie „Gegenstand und Sprachgebrauch“). Auf diese Weise wird die gegenstandsorientierte und metasprachlich fokus‐ sierte Didaktik der Mehrsprachigkeit zu einer stärker gebrauchsorientierten mehrsprachigen Didaktik, wie es Zarate/ Lévy/ Kramsch (2008, 438) im Ausblick ihres Précis du plurilinguisme et du pluriculturalisme formulieren: „Comparée à la didactique du plurilinguisme, une didactique plurilingue et pluricul‐ turelle sous-tend une manière différente d’apprendre et de vivre les langues. La langue n’est plus un objet dont les structures […] sont normées par l’Académie, codifiés par les dictionnaires […] contrôlés par les institutions scolaires. C’est la ‚parole’ saussur‐ ienne […] par chaque sujet ou groupe qui se constitue dans l’interaction didactique, y compris celle du maître. Cette parole est plurielle : parlée, façonnée, construite et modifiée par des milliers d’interlocuteurs natifs et non-natifs, de cultures elles-mêmes diversifiées, changeantes, hybrides et constamment renouvelées. La parole, porteuse de représentations sociales et culturelles, elles-mêmes liées à des lieux de mémoire, plus ou moins distants dans le temps et l’espace, devient un espace par excellence qu’il s’agit d’identifier non seulement sous ses aspects référentiels, mais aussi et surtout sous ses aspects sociolinguistiques, pragmatiques et discursifs.“ In den folgenden Abschnitten werden mit den Konzepten mediatorischen Han‐ delns und Symbolischer Kompetenz Ansätze vorgestellt, die im Sinne reflek‐ tierter Mehrsprachigkeit dazu beitragen können, die oben ausgeführten anti‐ nomischen Spannungsfelder nicht aufzulösen, sondern als Rahmung bewusst zu machen, in der sowohl didaktische Entscheidungen für Planungsprozesse ge‐ troffen, als auch forschungsorientierte Rekonstruktionen fremdsprachlicher Lehr-/ Lernprozesse ermöglicht werden können. 4.1 Mediatorisches Handeln zwischen Sprachmittlung und Translanguaging Mediation als zentrale Handlung eines mehrsprachigkeitsorientierten Fremd‐ sprachenunterrichts wird im Folgenden an der Schnittstelle zwischen Sprach‐ mittlung (vgl. Kolb 2016; Reimann/ Rössler 2013) und Translanguaging (García 2009; García/ Wei 2015; Aden/ Eschenauer 2019) beschrieben. Die Konzepte nehmen insofern die oben thematisierte Opposition von Mehrsprachigkeit als Voraussetzung und Ziel von Fremdsprachenunterricht auf, als Sprachmittlung als fachdidaktisches Konzept (vor allem im deutschsprachigen Diskurs) stärker auf die Entwicklung von Materialien und Aufgaben zielt, die sprachmittelnde Kompetenzen meist zwischen Ausgangs- und Zielsprache ausbilden sollen (vgl. Sekretariat 2004, 14), während das mediatorische Handeln im Kontext von 38 Birgit Schädlich 2 Aden/ Eschenauer (2019) gehen mit dem Begriff der translangageance insofern noch weiter, als dieser im Sinne einer enaktiven Didaktik jede Art zeichenhafter Bedeu‐ tungsaushandlung einschließt, auch kinästhetische und emotionale Anteile, die ganz‐ heitlich mit der verbalsprachlichen Ebene verbunden sind und situativ eine Sprache emergieren lassen. 3 Beispiele für Aufgaben finden sich u. a. bei Schädlich (2012). Translanguaging vornehmlich situativ entstehende Mittlungen berührt (vgl. García 2009), die zu inhaltlichen Prozessen von Bedeutungsaushandlung bei‐ tragen und über den engen Bereich des Übersetzens zwischen Ausgangs- und Zielsprache hinausgehen. Für den mittelnden Prozess werden genau die Spra‐ chen aktiviert oder hervorgebracht 2 , die der Lösung eines kommunikativen Pro‐ blems in einer spezifischen Situation zuträglich sein können. So stellen beispielsweise typische Sprachmittlungsaufgaben 3 gerade für Schüler*innen nicht-deutscher Erstsprache insofern eine doppelte Herausfor‐ derung dar, als hier gegebenenfalls mehrsprachige Aushandlungsprozesse be‐ reits für das Verständnis des Ausgangstexts notwendig sind, bevor überhaupt die in der Aufgabe anvisierte übersetzende Tätigkeit beginnt (vgl. Kolb 2016, 52). Sich als Lehrperson reflexiv mit Mehrsprachigkeit als Voraussetzung von Fremdsprachenunterricht auseinanderzusetzen, bedeutet hier konkret, bei der Konzeption von Sprachmittlungsaufgaben die Annahme einer gemeinsamen Ausgangssprache in Frage zu stellen, bzw. in der Aufgabenkonstruktion ergän‐ zende Mittlungen zu berücksichtigen und damit funktional in der Antinomie natürlich vs. didaktisch indizierter Sprachverwendung zu handeln. In diesem Sinne habe ich an anderer Stelle (vgl. Schädlich 2016) den prozess‐ haften Charakter der Sprachmittlung herausgearbeitet: Gestützt auf de Carlo (2012) wurde der professionellen Übersetzung zugeschrieben, dass für sie das Produkt zentral ist, der translatorische Prozess selbst aber intransparent bleibt. Im Gegensatz dazu wurde für die Sprachmittlung - und ihren potenziellen di‐ daktischen Mehrwert - der Aspekt des offenen Aushandelns von Bedeutungen in verschiedenen Sprachen hervorgehoben. Hierbei stehen der translatorische Prozess selbst und seine Reflexion im Mittelpunkt: „Transposées dans le contexte de la médiation linguistique et culturelle, les activités de négociation plurielles - se référant à plusieurs langues et cultures - peuvent aider les apprenants à trouver des correspondances sémantiques dans l’acte de médiation ou bien à expliciter ce qui n’est pas traduisible en le comparant à un élément dont ils disposent dans une autre langue-culture. Il s’agirait donc de se servir de la médiation linguistique et culturelle pour se rapprocher de la langue-culture cible tout en plaçant ses appartenances linguistiques et culturelles dans un réseau de comparaison“ (Schäd‐ lich 2016, 89). 39 Mediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz Die Bedeutung mediatorischer Handlungen hebt in ganz ähnlicher Weise auch Kramsch in The Multilingual Subject (2009) hervor und plädiert ebenfalls für eine Stärkung von Übersetzungen im Fremdsprachenunterricht. Dabei geht es ihr allerdings nicht um den engen Kontrast von L1 und L2, sondern um eine Sen‐ sibilisierung für Mittlung als sprachübergreifende und textverbindende Hand‐ lung: „But as a practice that brings the cultural differences in the relation of language and thought, translation should be rehabilitated, not only from L1 to L2 or L2 to L1, but across the languages shared by students in the class, or across modalities, textual, visual, musical […]“ (Kramsch 2009, 211). Mediatorisches Handeln ist in diesem Sinne eng mit der Förderung eines mehr‐ sprachigen Unterrichtsdiskurses verbunden, der sowohl die sprachlichen Re‐ pertoires der Lernenden berücksichtigt als auch Mittlungen zwischen Texten unterschiedlicher Modalitäten initiiert. Hier geht es gleichermaßen um die Be‐ arbeitung zielsprachlich fokussierter Aufgaben wie um die Mobilisierung sprachlicher Ressourcen und die Nutzung eines breiten Textangebots zur Her‐ stellung von Bedeutung. Kolb verweist in ihrer Habilitationsschrift an verschiedenen Stellen auf das Problem von „Authentizität“, bzw. die Problematik ihrer Herstellung im Kontext von Sprachmittlungsaufgaben (vgl. Kolb 2016, 231). Hier mutet es befremdlich an, dass natürliche Mittlungsprozesse, die im Fremdsprachenunterricht ständig auftreten, im fachdidaktischen Diskurs um die Sprachmittlung kaum Berück‐ sichtigung finden (vgl. Nicolas 2012). Vor dieser Beobachtung verweist Kolb auf den Ansatz des Translanguaging, den sie aber kaum als zu Sprachmittlung zu‐ gehörig ausführt. Translanguaging definiert García als „multiple discursive prac‐ tices in which bilinguals engage in order to make sense of their bilingual worlds“ (García 2009, 45; zit. in García/ Wei 2015, 225; Kursivsetzung im Original). Dabei unterscheiden García/ Wei natürliche Praktiken des Sprachgebrauchs als „translanguaging to learn“ (vgl. García/ Wei 2015, 229 f.), von gelenktem, leh‐ rerinitiierten „translanguaging to teach“ (vgl. García/ Wei 2015, 232 f.). Schüler‐ orientiert bestimmen die Lernenden selbst situative Aushandlungspraktiken: „This means, for example, that when bilinguals have to find new information by reading or speaking to others, they can language and use meaning-making re‐ sources that are not found in the classroom and with which teachers may not be familiar“ (García/ Wei 2015, 230). Lehrerorientiert werden entsprechende Strategien, wie z. B. mittelnde Erklärungen, modellhaft handelnd eingesetzt und der Unterrichtsdiskurs so gestaltet, dass inhaltsbezogene Aushandlungspro‐ zesse maximiert werden: „Translanguaging in teaching is always used in the 40 Birgit Schädlich service of providing rigorous instruction and maximizing interactions that would expand the students’ language and meaning-making repertoire“ (García/ Wei 2015, 233). Translanguaging kann in diesem Sinne als Ansatz verstanden werden, mit dem Spannungsfeld natürlicher Sprachpraxis vs. „didaktisch indiziertem Sprachverhalten“ (Dietrich-Grappin 2017, 102) konstruktiv umzugehen. García/ Wei (2015) schreiben dem Konzept jedoch mehr zu als die alleinige Ermögli‐ chung pluralen Sprachgebrauchs. Hinsichtlich des hier fokussierten Lehrerhan‐ delns benennen sie die Schwierigkeit situativ angemessener Entscheidungen in der Handlungssituation selbst. Ziel von Lehrerbildung wird es in diesem Sinne „to educate teachers to use translanguaging strategically moment-by-moment and as a critical gesture“ (García/ Wei 2015, 233; Kursivsetzung im Original). Mediatorisches Handeln geht daher weit über die alleinige Gestaltung von Aufgaben zur Förderung sprachmittelnder Kompetenzen hinaus. Es ermöglicht und integriert Sprachgebrauch und -reflexion als gleichzeitige Gestaltung der Räume, „in“ denen sie stattfinden. Gerade der Fremdsprachenunterricht sieht sich jedoch von dem Paradox berührt, dass er durch seine spezifische Fachlich‐ keit und mit dieser verbundenen monolingualen Ausrichtung - als Englisch-, Französisch-, Russischunterricht etc. - selbst potenzielle Praktiken von Mehr‐ sprachigkeit verunmöglicht (vgl. García/ Wei 2015, 228). Mediatorisches Han‐ deln muss sich also situativ immer wieder neu positionieren: zwischen institu‐ tionell gesetzten Zielen des Sprachenlernens einerseits und mehrsprachiger Praxis, die eine Ausweitung von Handlungsräumen in der „neuen“ Fremd‐ sprache fokussiert und dies über pluralen Sprachgebrauch ermöglicht, anderer‐ seits. In der mehrsprachigen Praxis werden sprachliche Handlungsräume immer mit reflektiert und Ungleichheiten reflexiv thematisiert. Diesen Aspekt betonen García/ Kano in einer weiteren Definition von Translanguaging als „… process by which students and teachers engage in complex discursive practices that include ALL the language practices of ALL students in a class in order to develop new language practices and sustain old ones, communicate and appropriate know‐ ledge, and give voice to new sociopolitical realities by interrogating linguistic ine‐ quality“ (García/ Kano 2014; zit. in García/ Wei 2015, 225). 4.2 Ansätze für mediatorisches Handeln in einem mehrsprachigkeitsorientierten Unterrichtsdiskurs Für die Schwierigkeit situativer Entscheidungen zu mehrsprachigem Handeln existieren keine unterrichtspraktischen passe-partout-Lösungen. Dennoch lassen sich aus empirischen Arbeiten, die unterrichtliche Interaktionen rekon‐ 41 Mediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz struieren, zumindest Ansätze abstrahieren, die als Reflexionskategorien in Ent‐ scheidungssituationen fungieren können. Exemplarisch sei hier auf die Ana‐ lysen von Nicolas (2012) und Ziegler/ Sert/ Durus (2012) zu realiter beobachteten mehrsprachigen Interaktionen des Fremdsprachenunterrichts verwiesen. Ni‐ colas rekonstruiert beispielsweise den „refus de l’anglais par l’enseignant“ (Ni‐ colas 2012, 374) mitsamt der unterliegenden subjektiven Theorie eines einspra‐ chig zu haltenden Unterrichts. Mit Cicurel bezeichnet Nicolas die Lehrperson als „sprachgefräßig“ („linguaphage“) im Sinne einer Vereinnahmung der Rede: „Le discours didactique présente la caractéristique d’être un discours qui avale la parole de l’autre. Le professeur […] provoque la parole, il la canalise, il l’arrête ou la reprend pour continuer à susciter une autre parole ou pour alimenter son discours pédagogique“ (Cicurel, 1990, 54; zit. in Nicolas 2012, 376). In Nicolas’ Beispielen aus dem Français langue étrangère-Unterricht wird schülerseitiges Aushandeln eher abgekürzt als gefördert; es wird also gerade nicht versucht, inhaltliche Aushandlungen zu maximieren (vgl. García/ Wei 2015, 233). Lehr‐ kräfte, die sich dieser Mechanismen bewusst sind, können entscheiden, an ent‐ sprechenden Stellen anders zu reagieren. Hierzu beleuchten die Analysen von Ziegler/ Sert/ Durus (2012) unter dem Stichwort des „next-turn-management“ typische Interaktionsmuster mehrsprachiger Unterrichtskommunikation. Zu‐ sammenfassend plädieren sie für folgende Strategie: „The teacher first accepts the use of multilingual ressources through a go-ahead token and, after a second use, repairs it by reference to the classroom preferencial language mode“ (Ziegler/ Sert/ Durus 2012, 2000). Im Detail unterscheiden sie zwischen veränderter Wiederaufnahme einer Schüleräußerung („modified repetition“), ihrer einsprachigen Umformulierung („monolingual reformulation“) oder der Initiierung eines metasprachlichen Dis‐ kurses („meta-talk about language“). Zusammenfassend nimmt mediatorisches Handeln zwischen Sprachmittlung und Translanguaging die Spannungsfelder von Mehrsprachigkeit als Vorausset‐ zung und Ziel auf sowie unterrichtliches Handeln in eher planerisch-zielsprach‐ lich fokussierter und in eher situativ-adaptiver, sprachlich offener Hinsicht auf. Eher lehrerseitig konzipierte Sprachmittlungsaufgaben und eher schülerseitig initiierte Prozesse „natürlicher“ Mittlungsprozesse stehen sich dabei nicht aus‐ schließend gegenüber, sondern als Ausprägungen mehrsprachigkeitsorien‐ tierten unterrichtlichen Handelns, das die sprachlichen Ressourcen der Schüler*innen für zielsprachliches Lernen fruchtbar macht. Damit ist nicht in‐ tendiert, im Französischunterricht systematisch auch produktive Kompetenzen in anderen Sprachen zu vermitteln. Vielmehr geht es im Sinne einer Förderung inhaltsbezogener Aushandlungsprozesse darum, lernersprachliches mehrspra‐ 42 Birgit Schädlich 4 Ein Ansatz für eine Lernaufgabe, die dieses Prinzip realisiert, ohne es jedoch explizit an die oben ausgeführte Begrifflichkeit mediatorischen Handelns anzubinden, findet sich in Schädlich (2013, 40 f.). Ähnliche Vorgehensweisen werden bei Celic/ Seltzer (2011, 62) ausgeführt. 5 Trotz der massiven Präsenz des Begriffspaares „Mehrsprachigkeit und Mehrkultura‐ lität“ v. a. in den Rahmentexten des Europarates fällt auf, dass der Terminus „Mehrkul‐ turalität“ für sich genommen nicht definitorisch spezifiziert oder didaktisch ausgestaltet wird. Der Begriff der Mehrsprachigkeit ist in Linguistik und Literaturwissenschaft Ge‐ genstand ausführlicher terminologischer Diskussionen, was für Mehrkulturalität nicht gilt. In gängigen Handbüchern (z. B. Surkamp 2017; Burwitz-Melzer/ Mehlhorn/ Riemer/ Bausch/ Krumm 2016) finden sich Einträge zu Mehrsprachigkeit und/ oder Mehrspra‐ chigkeitsdidaktik sowie zu Interkulturalität. Der in den europapolitischen Rahmen‐ texten verwendete Begriff „Mehrkulturalität“ oder „Plurikulturalität“ wird hingegen meist nicht aufgenommen, wodurch eine Diskussion zu Übereinstimmungen oder Ab‐ grenzungen zum Konzept der Interkulturalität erschwert wird. chiges Handeln dort, wo es die inhaltsbezogene Kommunikation maximieren kann, nicht vor einem gegebenenfalls hinderlichen Prinzip des „einsprachigen Unterrichts“ zu unterbinden. 4 4.3 Symbolische Kompetenz zwischen angewandter Linguistik und Fremdsprachendidaktik Das Konzept der Symbolischen Kompetenz sensu Kramsch (2006, 2009, 2011) wird hier als weiterer Ansatz für reflektierte Mehrsprachigkeit mit einem be‐ sonderen Fokus auf interbzw. mehrkulturelles Handeln im Fremdsprachenun‐ terricht vorgestellt 5 . Sie berührt die Antinomie von Deskriptivität und Norma‐ tivität, die sich hier im Transferversuch soziolinguistischer Arbeiten in den Bereich unterrichtlicher Aufgabenentwicklung manifestiert. Symbolische Kompetenz erscheint sowohl als Konzept als auch als Kompe‐ tenzziel geeignet, die plurale Bezüglichkeit kultureller Handlungen im Unter‐ richtsdiskurs zu rahmen. Kramsch hat sich in ihren kulturdidaktischen Arbeiten vor allem mit der Frage beschäftigt, wie eine potenziell deterministische und dichotomisierende Vorstellung von Kultur, die Fremdsprachenunterricht häufig unterliegt, durch diskursive und plural orientierte Kulturbegriffe ausgeweitet werden kann. Gerade vor dem Hintergrund der häufig bereits vorhandenen zwei- oder mehrsprachigen Identität von Sprachenlernenden werden Dichotomien wie Ausgangs- und Zielsprache ebenso wie Ausgangs- und Zielkultur als Bezugs‐ größen für schulisches Fremdsprachenlernen fragwürdig: „D’une autre part, des expressions comme ‚dialogue des cultures’ semblent transférer au domaine cul‐ turel la métaphore d’une relation binaire“ (Coste/ Moore/ Zarate 2009, 10). Dabei schreiben Coste/ Moore/ Zarate - im Gegensatz zu Kramsch - dem Präfix „inter-“ 43 Mediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz 6 Auf die spezifischen Differenzen der Konzepte zu Kramschs kulturdidaktischen Ar‐ beiten kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. 7 Den Begriff des Symbolischen leitet Kramsch aus Arbeiten zur Sprechakttheorie, But‐ lers Vorstellung von Sprache als symbolischer Macht sowie Bourdieus sens pratique her (vgl. Kramsch/ Whiteside 2008, 664; Kramsch 2009, 9). 8 Bei Kramsch/ Whiteside (2008, 645) finden sich weitere Literaturangaben zu affinen Ar‐ beiten der Fremdsprachenforschung. zu, gerade nicht „Gegenüberstellung“, sondern „dynamische Relation“ zum Aus‐ druck zu bringen: „[…] indicateur de relation et non de simple juxtapposition“ (Coste/ Moore/ Zarate 2009, 10). Das Interkulturelle wird als Relation zweier Kulturen oder die Existenz eines „Zwischen den Kulturen“ einerseits, sowie als ein „plus de deux“ andererseits beschrieben, was über die Synonyme „intersec‐ tion, interpénétration, interférence ou inter-construction et inter-définition de plusieurs cultures“ (Coste/ Moore/ Zarate 2009, 10) erläutert wird. Diese Vorstel‐ lung wird im Präfix „pluri“ - „entendu comme ‚plus de deux’“ (Coste/ Moore/ Zarate 2009, 10) ausgeweitet. 6 Kramsch hat sich in ihren kulturdidaktischen Arbeiten zunächst mit der Figur des Dritten Raums beschäftigt und versucht, die Metapher des Third Space des Kulturtheoretikers Homi K. Bhabha (vgl. Bhabha 1994) fruchtbar zu machen, dann aber auch dieses Konzept im Ansatz der Symbolischen Kompetenz weiter abstrahiert (vgl. die ausführliche Diskussion und Kritik des Konzepts bei Plikat 2017, 141 f.). Maßgeblich für ihren Kulturbegriff wird der Nexus von Kultur und Sprache, den sie an den Diskursbegriff koppelt. In Anlehnung an Clifford Geertz’ (1973) Vorstellung von Kultur als von Menschen hergestelltes Bedeutungsge‐ webe definiert sie kulturelle Praxis per se als textliche Praxis. Kulturelles Han‐ deln ist damit sprach- - oder noch abstrakter gefasst - grundsätzlich zeichen‐ gebunden. Damit versteht sie Kulturen auch nicht lediglich als Räume, in denen sich Akteure bewegen und nur auf eine bestimmte, deterministische Art be‐ wegen können. Kulturen als sprachlich oder zeichenhaft Hervorgebrachtes sind dynamisch und immer an die Prozesse ihrer Hervorbringung gekoppelt. Symbolische Kompetenz 7 leitet Kramsch in Anlehnung an Larsen-Freemans (1997) Komplexitätstheorie her und kontextualisiert sie mit Arbeiten zur Spra‐ chenökologie, die sie für den Bereich der Fremdsprachenforschung mit den Ar‐ beiten van Liers (2004) 8 assoziiert. Symbolische Kompetenz zeichnet sich durch fünf Dimensionen aus: Das Wissen um die Relativität des Selbst und des An‐ deren (erste Dimension) verweist auf die Dynamik des Verhältnisses kultureller Größen wie „Eigen“ und „Fremd“, die „intrinsically pluralistic“ (Kramsch/ White‐ side 2008, 659) sind, sowie auf deren Hervorbringung durch sprachliche Aus‐ handlungsprozesse. Letztere sind zeitlich und räumlich gerahmt, das heißt, Äu‐ 44 Birgit Schädlich ßerungen können verschiedene Zeitebenen (zweite Dimension der Time Scales) unterliegen, die auf eine layered simultaneity (vgl. Blommaert 2005, 130) ver‐ weisen. Diese Schichten können bewusste Erinnerungen sein, aber auch unbe‐ wusste, gleichsam in den Körper eingeschriebene Bilder, die den Bezugspunkt des Sprechens darstellen: „meanings expressed through language operate on multiple timescales, with unpredictable, often unintended outcomes and mul‐ tiple levels of truth and fantasy, reality and fiction“ (Kramsch/ Whiteside 2008, 659). Sie können bei verschiedenen Sprechern stark divergieren, so dass An‐ passungs- und Vermittlungsprozesse notwendig werden, um einen gemein‐ samen Bedeutungsraum herstellen zu können. Diese werden als emergente Pro‐ zesse (dritte Dimension) verstanden. Der Begriff der „Emergenz“ verweist darauf, dass Bedeutung nicht durch die „Anwendung“ erlernter, standardisierter Kommunikationsschemata entsteht, sondern dass der Interaktionsprozess selbst etwas hervorbringt, aus dem für die Gesprächsteilnehmenden Bedeutung in einer spezifischen Situation (und für diese) entsteht. Diese Prozesse sind per se unabgeschlossen (vierte Dimension) und über sich selbst hinausweisend. Im Sprechen werden Zeiten und Räume aufgerufen, die außerhalb der Situation liegen, aber die Interaktion indirekt bestimmen. Hierfür ist der Begriff der „De‐ territorialisierung“ (vgl. Kramsch/ Whiteside 2008, 660) bedeutsam, der von Kramsch vor allem als Kontrapunkt zu einem nach wie vor stark lokale Identi‐ täten und nationale Kulturbegriffe fokussierenden Fremdsprachenunterricht gezeichnet wird. Die Komplexität solcher Diskurse belegt Kramsch mit der Me‐ tapher des Fraktals (fünfte Dimension), bei dem einzelne patterns sich ähneln, aber räumlich und zeitlich sowie in der Größe differieren können (vgl. Kramsch/ Whiteside 2008, 659 f.). Symbolische Kompetenz bedeutet zusammenfassend, Sprache nicht nur kom‐ munikativ und interkulturell zu benutzen, sondern dabei auch ihre Wirkme‐ chanismen zu durchschauen und diese für eigene Handlungsziele auch nutzen zu können. Die Nähe dieses Kompetenzziels zur Praxis des mediatorischen Han‐ delns im Sinne von Translanguaging wird an dieser Stelle erkennbar: In beiden Fällen geht es um die Ausweitung bzw. Differenzierung der Möglichkeiten ge‐ sellschaftlicher Teilhabe (vgl. die Beispiele lebensweltlich mehrsprachiger Si‐ tuationen bei Kramsch/ Whiteside 2008) über sprachlich-kulturelle Aushand‐ lungsprozesse. Dass diese als per se prozesshaft und unabgeschlossen angenommen werden, deckt sich mit dem Fokus, der oben für Mittlungsprozesse herausgearbeitet wurde. Über den semiotischen Aspekt von Sprachmittlung - v. a. im Sinne de Carlos - geht Symbolische Kompetenz jedoch noch hinaus: „In the late modern stance offered by an ecological perspective, symbolic compe‐ tence is both semiotic awareness (van Lier 2004), and the ability to activley 45 Mediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz manipulate and shape one’s environment on multiple scales of time and space“ (Kramsh/ Whiteside 2008, 667). 4.4 Ansätze für symbolisches Handeln in einem mehrkulturell orientierten Unterrichtsdiskurs Symbolische Kompetenz als theoretischer Bezugsrahmen für sprachlich-kultu‐ rell plurales Handeln ist an sich kein fachdidaktisches Konzept. Soziolinguisti‐ sche und erwerbstheoretische Arbeiten werden jedoch bei Kramsch in den Be‐ reich institutionalisierten Sprachenlernens übertragen. Damit stellt das Konzept - ähnlich wie das oben beschriebene Translangua‐ ging - auch einen Versuch dar, zwischen deskriptiv-angewandter Linguistik und normativ-konzeptioneller Fachdidaktik zu mitteln. Kramschs Forschung bezieht sich einerseits auf Konversationsanalysen von Gesprächen unter Migrant*innen (vgl. Kramsch/ Whiteside 2008) in authentisch-lebensweltlichen Alltagssitua‐ tionen. Andererseits konkretisiert sie das Konzept immer wieder im Kontext schulischer und universitärer Sprachlehr-/ lernprozesse, wobei sie das Augen‐ merk auf die Interdependenzen historischer, ästhetischer, und emotionaler Funktionen von Sprache und Macht als Lernziele im Sinne einer critical language awareness legt. Es sollen im Folgenden zwei Beispiele aus Kramsch eigenen Arbeiten be‐ schrieben werden, die auf die unterrichtspraktische Ebene abzielen. Diese gehen mit ihren inhaltlich-thematischen Vorschlägen im Sinne fachdidaktischer Kon‐ zepte über die stärker deskriptiven Analysen ihrer linguistischen Arbeiten hinaus und erlauben es Lehrpersonen, unterrichtliche Entscheidungen reflexiv zu rahmen. Das erste Beispiel ist die Arbeit mit einem Werbeplakat des Pariser Kauf‐ hauses Le bon marché, die Kramsch (1998) in „The Privilege of the Intercultural Speaker“ beschreibt. Hier geht es um Aushandlungsprozesse, die dann ent‐ stehen, wenn Lernende kulturelle oder intertextuelle Anspielungen - was Wer‐ betexte unterrichtlich ebenso reizvoll wie schwierig macht - nicht verstehen, weil ihnen das relevante kulturspezifische Hintergrundwissen nicht verfügbar ist. Das „Privileg“ des interkulturellen Sprechers besteht nun darin, die ver‐ schiedenen Interpretationen, die sich aus den divergierenden Lesarten der Lerner ergeben (und die aus der Perspektive der Lehrkraft, die über das ent‐ sprechende kulturspezifische Wissen verfügt, „falsch“ erscheinen mögen), ih‐ rerseits auf ihr Zustandekommen hin zu befragen. Auf diese Weise werden die Relativität von Wahrnehmungen und die mit ihnen verbundenen, ‚mächtigen’ Plausibilitäten Gegenstand von Diskussionen, bei denen auch das - aus der Lehrerperspektive zu vermittelnde - interkulturelle Wissen in den Aushand‐ 46 Birgit Schädlich 9 Inwieweit Kramsch mit solchen Beobachtungen und verallgemeinernden Äußerungen selbst stereotype und homogenisierende Zuschreibungen vornimmt, kann an dieser Stelle nicht eingehend diskutiert werden. Das Problem eines Bruchs zwischen kultur‐ didaktischem Anspruch und eigener Praxis - sowohl hinsichtlich ihrer gesprächsana‐ lytischen Arbeiten als auch hinsichtlich des Unterrichtsmaterials - ist in ihren Arbeiten jedoch durchaus beobachtbar; siehe hierzu beispielsweise die kritische Auseinander‐ setzung bei Plikat (2017, 170 f.), der sowohl herausarbeitet, dass Kramschs eigene Ana‐ lysen problematische Machtkonstellationen in symbolischen Aushandlungen nicht ausreichend reflektieren, als auch, dass sie selbst in ihren Analysen immer wieder ho‐ mogenisierende kulturelle Zuschreibungen vornimmt. lungsprozess eingespielt werden kann. Hier geht es im Sinne der „Maximierung“ unterrichtlicher Interaktionen (vgl. (García/ Wei 2015, 233) gerade nicht darum, die spontanen Bedeutungskonstruktionen der Lerner lediglich durch das zu vermittelnde kulturspezifische Wissen zu ersetzen, sondern darum, die pluralen Bezugspunkte ihrer Hervorbringung relational zu thematisieren und dadurch neue Bedeutungen - und neues Wissen - emergieren zu lassen. Das zweite Beispiel findet sich in einem Unterrichtsvorschlag zur Arbeit an dem Text Als ich ein kleiner Junge war (1957) von Erich Kästner zu den Luftan‐ griffen auf die Stadt Dresden am Ende des Zweiten Weltkrieges (vgl. Kramsch 2011). Hier zeigt Kramsch, wie sie den Übergang von der kommunikativen zur Symbolischen Kompetenz unterrichtlich gestaltet: An typischen Aufgaben zur Textarbeit, die traditionell eine Inhaltswiedergabe, rhetorische Analysen sowie eigene Stellungnahme der Lernenden einfordern, kritisiert sie, dass v. a. letztere häufig stereotyp ausfallen und wirkliche Aushandlungsprozesse oder Diffe‐ renzen meist nicht entstehen. Im Gegenteil beobachtet sie eher, dass sprachliche Aushandlungen schnell beendet werden, der Unterricht stagniert und dabei ste‐ reotype Vorstellungen eingebracht werden, die gerade nicht in Frage gestellt oder relativiert werden, sondern rasch als Konsens etabliert sind. Sie erklärt dies am Beispiel des Textes von Kästner mit den stereotypen Vorstellungen ameri‐ kanischer Studierender zu Deutschland und zum Zweiten Weltkrieg, deren Ar‐ gumentation häufig darauf basiere, dass diese „nicht nur keine Pazifisten sind, sondern die ihr Selbstbewusstsein darauf aufbauen, dass es im Krieg nur Gute oder Böse gibt, und dass sie selber immer auf der Seite der Guten stehen“ (Kramsch 2011, 39). 9 Didaktisch stellt sie dem analytisch ausgerichteten Vorgehen eine alternative Unterrichtsdramaturgie gegenüber, welche eigene Produktionen der Lernenden in den Mittelpunkt der Analysen stellt und den Ausgangstext von Kästner auf diese Weise selbst intertextuell anbindet. Dadurch werden plurale kulturelle Aushandlungen anders initiiert, nämlich ausgehend von der eigenen Sprachar‐ beit: 47 Mediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz 10 Angesichts der wachsenden Anzahl von Schüler*innen, die gegebenenfalls selbst Krieg und Flucht erlebt haben, kommt der Entscheidung zur Textauswahl eine besondere Verantwortung zu. Die Aufgabe zum Text von Kästner sei hier ausdrücklich nicht als thematisches Modell, sondern in erster Linie als Modell für das didaktische Vorgehen zitiert. „Allerdings wird der interkulturelle Dialog manchmal durch inkompatible subjektive und historische Wertvorstellungen erschwert. Zu befördern ist er nicht durch direkten Fakten- und Informationsaustausch, sondern indirekt: durch die Freisetzung von per‐ sönlichem, subjektivem Affekt in der Arbeit an der Sprache selbst“ (Kramsch 2011, 40). Die Produktion eigener Texte löst in ihrem Vorschlag die Analyse des Textes von Kästner das analytische Vorgehen ab: „Anlässlich des 60. Jahrestages der Bombardierung Dresdens erzählen Sie Ihrem Kind vom 13. Februar 1945“. Die Aufgabe setzt - wie es oben bereits im Kontext von Kompetenz- und Aufga‐ benorientierung ausgeführt wurde - bei einer sprachlichen Produktion an, die selbst zum Gegenstand der Analyse wird und nicht ausschließlich als nachgän‐ gige Stellungnahme zur Interpretation des Ausgangstextes verfasst wird. Für das eigene Schreiben müssen Entscheidungen getroffen werden, und dabei werden die potenziell stereotypen Urteile, die Kramsch im textanalytisch orientierten Literaturunterricht beobachtet, zunächst einmal ersetzt durch Fragen, die durch die eigene Produktion bearbeitet werden: Wie spreche ich mit einem Kind über das Grauen? Was stelle ich ins Zentrum meiner Geschichte, was erzähle ich überhaupt und was lasse ich weg? Das sprachbildende Potenzial der Aufgabe liegt darin, dass die Komplexität des Themas subjektiv bearbeitet wird, nämlich über die Auseinandersetzung mit der Frage, wie etwas versprach‐ licht wird. In der sprachlichen Handlung greifen die Schreiber*innen auf das eigene Repertoire zurück. Ihre Geschichten zeigen, welche Formulierungen, Bilder, Erinnerungen an welche Sprachen und Geschichten geknüpft sind. Die eigenen Geschichten und ihre Analysen schaffen einen Zugang zu sprach‐ lich-kulturellen Diskursen, in die sich die Lernenden einschreiben und die ihnen im Sinne der layered simultaneity (vgl. Kramsch/ Whiteside 2008, 659) einge‐ schrieben sind. Die Texte zeigen, welche Erfahrungen ein historisches Ereignis wachruft - auch wenn die Schüler*innen vielleicht selbst nie einen Krieg erlebt haben 10 - und wie historisches Wissen mit der eigenen Erfahrungswelt ver‐ knüpft wird. An dieser Stelle setzt der metasprachliche Unterrichtsdiskurs an, der auf einen Nachvollzug der unterschiedlichen diskursiven Herstellung symbolischer Bedeutung und ihrer Verknüpfung zielt. Der bewusstmachende Aspekt im Sinne 48 Birgit Schädlich einer critical language awareness (Fairclough 2001) ist hier von einer Akzent‐ verschiebung geprägt: Die im Kontext von Sprachbewusstheit häufig fokus‐ sierte Ebene des Sprachsystems wird hier erweitert um das Verstehen konkreter Sprachverwendung und ihrer kommunikativen Funktionen. 5 Zusammenfassung und Ausblick In Anbindung an die eingangs beschriebenen Oppositionen und antinomischen Spannungsfelder können die Aspekte Mehrsprachigkeit, mediatorisches Han‐ deln und Symbolische Kompetenz als Fluchtpunkt sowohl für die konzeptionelle Ebene der Unterrichtsgestaltung als auch für die deskriptive Ebene empirischer Unterrichtsforschung angesetzt werden. Dabei wurde mehrsprachigkeitsorien‐ tiertes Handeln im Spannungsfeld zwischen Unterrichtsplanung und spontaner Adaptivität als reflektierte Mehrsprachigkeit bezeichnet. Auf der Ebene der Un‐ terrichtsgestaltung bedeutet mehrsprachigkeitsorientiertes Handeln das Schaffen von Räumen, in denen Mehrsprachigkeit zugelassen und plurale Aus‐ handlungsprozesse maximiert statt verengt werden. Die gestalterische Aufgabe von Lehrkräften liegt in diesem Sinne nicht nur in der Konzipierung von Auf‐ gaben - beispielsweise zu Mittlungssituationen -, sondern vor allem in der Auseinandersetzung mit der Frage, ob und wie mehrsprachige Prozesse der Un‐ terrichtskommunikation begleitet werden können. Durch das eigene mediato‐ rische Handeln können Lehrkräfte als Modell für ähnliche kommunikative Pro‐ zesse zwischen den Schüler*innen fungieren. Empirische Arbeiten zu mehrsprachigkeitsorientiertem Unterricht decken wiederholt Brüche zwischen den grundsätzlichen Einstellungen von Lehr‐ kräften und den tatsächlichen Arbeitsweisen auf, die diesen Einstellungen nicht entsprechen (vgl. Heyder/ Schädlich 2011; Göbel/ Vieluf/ Hesse 2010). Daher er‐ scheinen für die Unterrichtsforschung vor allem Arbeiten vielversprechend, die lehrerseitige Entscheidungen und mit diesen verbundene Unterrichtsinterakti‐ onen beschreibend zugänglich machen. In welchen antinomischen Spannungs‐ feldern von Mehrsprachigkeit verortet sich konkretes Lehrerhandeln und welche Entscheidungen werden hier getroffen? Wie lassen sich Interaktions‐ prozesse beschreiben, durch die plurale sprachlich-kulturelle Räume geschaffen werden und welche Funktion kommt ihnen für zielsprachliche und generell sprachliche Erwerbsprozesse zu? Forschungsmethodisch seien hierfür Kombinationen stärker deskriptiv-re‐ konstruktiver Arbeiten mit solchen vorgeschlagen, die alternative Konzepte - beispielsweise mehrsprachigkeitsorientierter Materialien und Aufgaben - in Interventionen implementieren. 49 Mediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz Als Beispiel sei an dieser Stelle auf eine Masterarbeit, die an der Universität Göttingen entstanden ist, verwiesen: Mardt (2018) hat über ethnographische Beobachtungen von Französischunterricht eine Grounded Theory (vgl. Strauss/ Corbin 1996) zu unterrichtlichen Interaktionsmustern entwickelt. Dabei konnte sie schüler- und lehrerzentrierte Muster beobachten, die im Zusammenhang mit mehrsprachigkeitsorientierten Unterrichtspraktiken stehen. Lehrerzentrierte Interaktion fokussiert stärker schulische Mehrsprachigkeit und deren system‐ linguistische Kognition, während eher bedeutungsaushandelnde und - aller‐ dings nur in einem Fall beobachtbare - lebensweltliche Mehrsprachigkeit inte‐ grierende Interaktionen eher schülerseitig stattfinden. Im beobachteten Französischunterricht spielt Mehrsprachigkeit in einem weiten Begriffsver‐ ständnis kaum eine Rolle und verengt sich in den Beobachtungen auf die Frage der Unterrichtssprache. Wenn auch in diesem Beitrag mehrsprachigkeitsorientiertes Arbeiten als er‐ werbsförderlicher Ansatz charakterisiert und mediatorisches Handeln sowie Symbolische Kompetenz als Ansätze vorgestellt wurden, die hierfür sowohl un‐ terrichtsplanerisch als auch im Sinne empirischer Unterrichtsforschung eine gegenstandstheoretische Rahmung darstellen können, so sei abschließend auf einige Aspekte, die problematisch und noch nicht ausreichend berücksichtigt erscheinen, hingewiesen. Der erste Aspekt bezieht sich auf die konkrete sprachliche Konstellation in einer Lerngruppe. Es ist davon auszugehen, dass nicht jede Zusammensetzung in gleicher Weise ähnliche mehrsprachigkeitsorientierte Praktiken nahelegt oder ermöglicht. Hier könnte beispielsweise relevant werden, ob in einer Gruppe eine Sprache nur durch eine Person repräsentiert ist oder durch mehrere, so dass in einer Gruppe andere Arten von Aushandlungsprozessen stattfinden und mit‐ telnde Prozesse eher erleichtert oder erschwert werden. Konzepte von Trans‐ languaging postulieren zwar, dass die förderlichen Aushandlungsprozesse per se nicht an bestimmte Einzelsprachen gekoppelt sind und die multimodalen Aushandlungsprozesse über einzelsprachliche Kategorisierungen hinausgehen. Die empirischen Situationen, die beispielsweise den Arbeiten von García un‐ terliegen, beziehen sich aber meist auf bilinguale Konstellationen, in denen Englisch und Spanisch dominante Bezugssprachen sind und auch jeweils meh‐ reren Beteiligten zur Verfügung stehen. Der zweite problematische Aspekt, der auch mit den Gegebenheiten situa‐ tiver Konstellationen verbunden ist, berührt die Frage spezifischer kommuni‐ kativer Situationen des Fremdsprachenunterrichts. Während sich die empiri‐ schen Arbeiten sowohl im Kontext von Translanguaging als auch im Kontext Symbolischer Kompetenz auf lebensweltliche Mehrsprachigkeit beziehen, ist 50 Birgit Schädlich der Fremdsprachenunterricht qua situativer Rahmung und in seiner Zielsetzung der Aneignung einer lebensweltlich gerade nicht - oder noch nicht - relevanten Sprache von sprachlich-kulturellen Aushandlungsprozessen gekennzeichnet, die nur in bedingtem Maße Parallelen zu den empirisch rekonstruierten Situa‐ tionen der Arbeiten von García oder Kramsch aufweisen. Dies betrifft in erster Linie die Eigenarten unterrichtlicher Interaktionen in ihrem Verhältnis zu au‐ ßerschulischer Kommunikation. Die Arbeiten zu Symbolischer Kompetenz übertragen soziolinguistische Be‐ obachtungen in lebensweltlich authentischen Kontexten auf den Fremdspra‐ chenunterricht. Die hierbei abstrahierten Kommunikationsmuster sind einer‐ seits aufschlussreich für das Funktionieren symbolischer Aushandlungsprozesse. Andererseits stellt sich die Frage, inwieweit die spezifische Kommu‐ nikationssituation des Fremdsprachenunterrichts nicht auch durch andere ty‐ pische Interaktionsverläufe geprägt ist, die einen unmittelbaren Übertragung problematisch erscheinen lassen müssen. Unterricht ist eine eigene „authenti‐ sche Situation“, die von ihr zugehörigen interaktionalen Mustern geprägt ist (vgl. Cicurel 2005; Ehlich 1981; Seedhouse 2004), welche für empirische Arbeiten zur Kenntnis genommen und beim Versuch des Transfers soziolinguistischer Arbeiten in den fachdidaktischen „Raum“ einbezogen werden müssen. Als Beispiel hierfür kann das von Gutjahr/ Bogner (in diesem Band) beschrie‐ bene, mit der Autorin gemeinsam durchgeführte Lehrforschungsprojekt gelten. Die Studierenden werden als zukünftige Fremdsprachenlehrkräfte sowohl für verschiedene Diskurse zu Mehrsprachigkeit sensibilisiert, als auch in eigenen Forschungsprojekten begleitet. Der Fokus liegt auf Unterrichtsbeobachtung sowie Interaktionsanalysen in Verbindung mit der Planung und Reflexion ei‐ genen unterrichtlichen Handelns. Das Projekt integriert in diesem Sinne die kritische Auseinandersetzung mit soziolinguistischen und fachdidaktischen Systematisierungsvorschlägen des Phänomens „Mehrsprachigkeit“ sowie gleichzeitig eine handlungsorientierte Einübung in die unterrichtliche Trans‐ formation pluraler mehrsprachigkeitsorientierter Ansätze. Beide Ebenen dienen hierbei dem Ziel, reflektierte Mehrsprachigkeit stärker in den Fokus angehender Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer zu rücken. 6 Literatur Aden, Joëlle / Eschenauer, Sandrine. erscheint. „Une pédagogie enactive-performative de la translangageance en milieu plurilingue“, in: Schädlich, Birgit (ed.): Europäische Per‐ spektiven auf Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht - Regards croisés européens sur le plurilinguisme et l'apprentissage des langues. 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Ziegler, Gudrun / Sert, Olcay / Durus, Natalia. 2012. „Student-initiated use of multilingual resources in English-language classroom interaction: next-turn management“, in: Classroom discourse, 3, 2, 187-204. 56 Birgit Schädlich Der Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) - Beispiele zum Einsatz und Nutzen der Deskriptoren Anna Schröder-Sura 1 Einleitung Seit dem Erscheinen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Spra‐ chen: Lehren, lernen, bewerten (fortan GeR) (Europarat 2001) ist der Einsatz von Referenzrahmen und ihren Deskriptoren im Kontext von Sprachunterricht kaum noch wegzudenken. Die Grenzen des GeR und von Referenzrahmen all‐ gemein sind ausführlich diskutiert worden (z. B. Barkowski; Christ; Quetz in Bausch et al. 2003; Harsch 2007; North 2014, 22 ff). Auch bergen sie, wie jede Form von Standardisierung, „die Gefahr, individuelle Sprachenprofile und kreativ-ästhetische Inhalte […] zu verhindern“ (Krumm 2016, 47) bzw. stark zu vernachlässigen. Die Vorteile für das Sprachenlernen und -lehren liegen mit Begriffen wie Ko‐ härenz, Transparenz, Vergleichbarkeit, Förderung möglicher Kooperationen sowie Perspektive auf lebenslanges Lernen, um nur eine Auswahl zu treffen, ebenfalls auf der Hand (Europarat 2001, 18 f). Im GeR werden die Kompetenz‐ bereiche dargestellt und entsprechende detaillierte Niveauskalen für die kom‐ munikativen Kompetenzen in den Fokus genommen. Dadurch kann er laut Coste (2017, 17) als ein Vektor der „Kontinuität“ in der Fremdsprachendidaktik betrachtet werden. Auch die mehrsprachige und plurikulturelle Kompetenz hat dank dieses Do‐ kuments eine hohe Verbreitung erfahren. Insgesamt spielt sie jedoch eine un‐ tergeordnete Rolle (Castellotti 2017, 66). Bei der Beschreibung der Kompetenzen wird den mehrsprachigen Repertoires der Lernenden wenig Beachtung ge‐ schenkt und das Können in den Zielsprachen wird in den KANN-Beschrei‐ bungen „in ganz traditioneller Weise“ (vgl. Christ 2003, 65) abgebildet (vgl. Morkötter / Schröder-Sura 2018, 232). Kritisch betrachtet hat der GeR ein ver‐ einfachtes und reduziertes Konzept der mehrsprachigen und plurikulturellen 1 Cette notion [la compétence plurilingue et pluriculturelle, Anm. ASS] a été conçue au départ comme visant à déplacer les représentations et imaginaires de la pluralité lin‐ guistique et culturelle, des personnes plurilingues et des modes pluriels d’appropriation (Castellotti et al., 2009) ; mais la part (ténue, et secondaire) des lignes définitoires de cette notion reprise dans le CECRL n’a pas suffi à mettre l’accent sur cet aspect fonda‐ mental, […] (Castellotti 2017, 63). Kompetenz propagiert, in dem das (eher isolierte) Erlernen mehrerer Sprachen im Vordergrund steht, doch das Potential mehrsprachiger Lernerprofile sowie die vielfältigen Aneignungswege unberücksichtigt bleiben (vgl. Castellotti 2017, 63 ff) 1 . Für Coste (2017, 17) gehört das Aufgeben einer curricularen Trennung von Sprachen jedoch zu den notwendigen „Brüchen“, die zu einer Entwicklung der Fremdsprachendidaktik beitragen können. Durch die fehlende Konkretisie‐ rung einer entsprechenden mehrsprachigkeitsdidaktischen Umsetzung bewegt sich dieser Bruch im GeR lediglich auf der deklarativen Ebene. In den knapp zwanzig Jahren seit der Publikation des GeR sind zur Präzisie‐ rung der in diesem Dokument nicht ausdifferenzierten Kompetenzbereiche wei‐ tere Instrumente entwickelt worden. Eines davon ist der Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (fortan REPA) (Candelier et al. 2012), in dem mehrsprachige und inter-/ plurikulturelle Kompetenzen dargestellt werden. In diesem Beitrag werden der Aufbau und die Zielsetzungen des REPA vor‐ gestellt und anschließend unterschiedliche Möglichkeiten des Einsatzes der Deskriptoren im Kontext des Fremdsprachenunterrichts illustriert. 2 Der Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) Der Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) ist ein Instrument zur detaillierten Beschreibung der mehrsprachigen und plurikultu‐ rellen Kompetenz (zur Definition siehe Coste / Moore / Zarate 1997/ 2009, Eu‐ roparat 2001, 163). Er knüpft an die allgemeinen Kompetenzen des GeR an (Eu‐ roparat 2001, 22-24). Allgemeine Kompetenzen zeichnen sich laut dem GeR (ebd., 103) dadurch aus, dass sie sich „im Lauf früherer Erfahrungen“ eines Ler‐ nenden entwickelt haben und „weniger eng mit der Sprache“ verknüpft, d. h. transversal und auf neue Spracherfahrungen übertragbar sind. Ausgehend von diesen Überlegungen und anknüpfend an den Kompetenzbegriff von Weinert (2001), Beckers (2002) und Le Boterf (1994) greift der REPA die Zerlegung der Kompetenz in die Bereiche savoir, savoir-être, savoir-faire und savoir-apprendre auf, die im REPA als (interne) Ressourcen bezeichnet werden, und bietet um‐ 58 Anna Schröder-Sura 2 Le référentiel qui en résulte à l’heure actuelle est censé exprimer ainsi les aspects plu‐ riels, intervoire trans-, composites, complexes, mixtes… de la compétence plurilingue et interculturelle […] (Candelier / De Pietro 2011, 268). fangreiche Listen mit jeweils bis zu 170 Deskriptoren. Ihre Transversalität be‐ steht darin, dass sie zwischensprachliche und interbzw. plurikulturelle Bezie‐ hungen in den oben genannten Dimensionen zum Ausdruck bringen 2 und detailliert aufführen, was zum Kompetenzaufbau gehört (vgl. Candelier / De Pietro 2012, Candelier / Schröder-Sura 2015). Sie sind entsprechend der Defini‐ tion der allgemeinen Kompetenzen im GeR nicht an eine bestimmte Sprache bzw. Kultur geknüpft und berücksichtigen im starken Maße das Vorwissen und die Vorerfahrungen der Lernenden. Der Versuch, die einzelnen Elemente der mehrsprachigen und plurikulturellen Kompetenz zu erfassen, erklärt die hohe Anzahl der Deskriptoren im REPA. Die Deskriptoren weisen im Unterschied zu den Kompetenzbeschreibungen im GeR keine Kompetenzniveaus aus. Sie tragen zu mehr Systematik und zugleich mehr didaktischer Transparenz bei der Un‐ terrichtsplanung und bei der Analyse bzw. Konstruktion von Unterrichtsmate‐ rialien bei (vgl. Schröder-Sura 2018). Um z. B. im Rahmen der formativen Eva‐ luation eingesetzt werden zu können, müssen sie zunächst umformuliert werden. 2.1 Die REPA-Deskriptoren und ihre Erstellung Die Erstellung der Deskriptoren erfolgte induktiv über eine systematische Ana‐ lyse von über 100 Publikationen in verschiedenen Sprachen zu den einzelnen pluralen Ansätzen (siehe auch Kap.2.2). Der gesichteten Literatur wurden zu‐ nächst Textauszüge entnommen, in denen einzelne Elemente der mehrspra‐ chigen und plurikulturellen Kompetenz beschrieben wurden. Die ausgewählten Textpassagen wurden in einer Generaltabelle gesammelt, den Kategorien sa‐ voir, savoir-faire, savoir-être und savoir-apprendre zugeordnet, anschließend sor‐ tiert und synthetisiert, sowie gegebenenfalls in die gemeinsame Arbeitssprache Französisch übertragen (Candelier / De Pietro 2011, Schröder-Sura 2018, 90 f). 2.2 Die REPA-Deskriptoren und ihre Spezifik Im REPA werden diejenigen Kompetenzen und Ressourcen aufgeführt, die ge‐ zielt durch einen Rückgriff auf plurale Ansätze aufgebaut werden können (Can‐ delier et al. 2012, 6; Schröder-Sura 2018, 81 f). Als Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen werden „Lehr- und Lernverfahren […], die zugleich mehrere Spra‐ chen bzw. sprachliche Varietäten und Kulturen einbeziehen“ (vgl. Candelier et al. 2012, 6) verstanden. Dazu zählen das interkulturelle Lernen (vgl. z. B. Byram 1997, 2003), der Eveil aux langues-Ansatz bzw. Begegnung mit Sprachen (vgl. 59 Der (REPA) - Beispiele zum Einsatz und Nutzen der Deskriptoren 3 Die Deskriptoren sowie alle anderen Bestandteile des Referenzrahmens sind auf der Projektwebseite unter dem folgenden Link abrufbar: https: / / carap.ecml.at/ 4 Zur Kennzeichnung der Deskriptoren in den Bereichen Wissen, Fertigkeiten sowie Einstellungen und Haltungen wird jeweils der erste Buchstabe der englischen Bezeich‐ nungen Knowledge, Skills und Attitudes verwendet. Candelier 2003; Mertens 2018), integrierte Sprachendidaktik (Neuner 2005; Wo‐ kusch 2005) und die Interkomprehension(sdidaktik) (Meißner 2007; Ollivier / Strasser 2013). Diese Ansätze unterstützen im besonderen Maße den Aufbau mehrsprachiger und plurikultureller Kompetenzen der Lernenden. Auch der bi‐ linguale Sachfachunterricht „in seiner Idealform eines wirklich zweisprachigen Fachunterrichts“ (Böing 2018, 297, vgl. auch Gajo 2014, 123) kann als ein pluraler Ansatz betrachtet werden. 2.3 Die Organisation der Deskriptoren im REPA Die Deskriptoren in den Bereichen savoir, savoir-être, savoir-faire beschreiben vor allem interne Ressourcen der Lernenden und bilden das Kernstück des REPA 3 . Jede der drei Listen folgt im REPA ihrer eigenen Ordnung. Der Bereich Wissen (savoir / knowledge) 4 bzw. Wissen um Mehrsprachigkeit (vgl. Schwien‐ bacher et al. 2018, 27) ist zur besseren Verständlichkeit in eine sprachliche und eine kulturelle Dimension aufgeteilt und in fünfzehn Kategorien geordnet wie Sprache als semiotisches System, Sprache und Gesellschaft, Entwicklung von Sprachen oder allgemeine Merkmale von Kulturen, kulturelle und soziale Di‐ versität usw. (vgl. Candelier 2012, Schröder-Sura 2018, 87 ff). Im Bereich Sprache (und Kommunikation) werden bspw. Deskriptoren auf‐ geführt, die auf Sprache und Gesellschaft Bezug nehmen, wie z.B.: Wissen, dass die eigene Identität bei der Interaktion in einem kommunikativen Prozess mit „Anderen“ konstruiert oder definiert wird (K 2.3). Wissen, dass die eigene sprachliche Identität komplex sein kann (unter Bezug‐ nahme auf die persönliche, familiäre, nationale Geschichte) (K 2.5.3). 60 Anna Schröder-Sura 5 Das schließt Bereiche wie z.B den kognitiven Stil oder den Persönlichkeitsfaktor Intel‐ ligenz aus (Europarat 2001, 107). Im Bereich Kultur beschreiben die Deskriptoren bspw. sehr allgemeine kultu‐ relle Merkmale, wie z.B.: Wissen, dass kulturelle Systeme komplex sind und sich in unterschiedlichen Be‐ reichen zeigen (z. B. soziale Interaktion, Beziehung zur Umwelt, im Bereich der Wirklichkeit, der Sprache, der Tischsitten usw.) (K 8.3). Wissen, dass Kulturen zumindest teilweise die Wahrnehmung, die Weltsicht oder die Gedanken ihrer Teilhaber bestimmen oder ordnen (K 8.6). Der Bereich Einstellungen und Haltungen (savoir-être / attitudes) bzw. Umgang mit sprachlicher Vielfalt und Bewältigung mehrsprachiger Begegnungssituati‐ onen (vgl. Schwienbacher et al. 2018, 28) entspricht der im GeR dargestellten persönlichkeitsbezogenen Kompetenz (GeR 2001, 106 ff). Anders als im GeR werden in diesem Bereich jedoch vorrangig die potenziell von außen sichtbaren bzw. wahrnehmbaren Aspekte der persönlichkeitsbezogenen Kompetenz be‐ schrieben, die primär mit Hilfe pluraler Ansätze aufgebaut werden können 5 . Die Liste der Einstellungen und Haltungen deckt neunzehn Bereiche ab, wie z. B. Aufmerksamkeit, Sensibilität, Interesse, Neugier, Akzeptanz, Aufgeschlossen‐ heit, Respekt, Identität, Motivation. Diese Bereiche werden durch die Deskrip‐ toren folgendermaßen aufgegriffen: Aufgeschlossenheit gegenüber dem (sprachlich und kulturell) Nichtvertrauten (A 5.3.3). Wunsch nach Gleichberechtigung in plurilingualen oder plurikulturellen Inter‐ aktionen (A 8.6.3). Der Bereich Fertigkeiten (savoir-faire, skills) bzw. der Umgang mit Mehrspra‐ chigkeit (vgl. Schwienbacher et al. 2018, 27) umfasst sieben Kategorien wie ana‐ lysieren können, vergleichen können, über Sprachen und Kulturen sprechen können, interagieren können. Sie beschreiben Handlungen in Bezug auf Spra‐ 61 Der (REPA) - Beispiele zum Einsatz und Nutzen der Deskriptoren chen und Kulturen, die entweder auf metasprachliche Reflexionsphasen oder auf Kommunikationssituationen Bezug nehmen. Lehnwörter, Internationalismen oder Regionalismen identifizieren können (S 2.3.1). Das Repertoire der Gesprächspartner bei der Kommunikation in bilingualen / plurilingualen Gruppen berücksichtigen können (S 6.1). Das savoir-apprendre ist anders als im GeR (Europarat 2001, 108 f) als eine trans‐ versale Dimension dargestellt, deren Komponenten in mehreren Unterkatego‐ rien der drei Listen der savoir, savoir-être und savoir-faire zu finden sind (vgl. Martinez / Schröder-Sura 2011, 73 f, Martinez / Meißner 2017, 223), da auf Mehr‐ sprachigkeit und Plurikulturalität bezogene Ressourcen Einfluss auf die Ent‐ wicklung von Sprachlernkompetenz nehmen können. Deskriptoren, die speziell dem Lernen Lernen gewidmet sind, befinden sich am Ende jeder Liste. Das lässt sich an den folgenden Deskriptoren aus allen drei Bereichen exemplarisch zeigen: Wissen, dass die Vorstellung, die man von einer Sprache hat, Auswirkungen auf das Lernen dieser Sprache haben kann (K 7.4). Interesse für ein bewussteres / kontrollierteres Lernen von Sprachen (A 18.3). Den eigenen Lernprozess selbstständig organisieren können (S 7.6.1). Die Deskriptoren im REPA unterscheiden sich in ihrem Inhalt und auch in ihrer äußeren Form, wie Formulierung und Länge, von Deskriptoren zahlreicher an‐ derer Referenzwerke. Sie beschränken sich nicht auf Beschreibungen von Hand‐ lungen bzw. Verhaltensweisen, die durch hinzugefügte KANN-Formulierungen den Status von Kompetenzen erhalten. Solche Deskriptoren sagen nur wenig über den Inhalt der Kompetenz aus und sind für ihren didaktischen Aufbau daher nur von eingeschränktem Nutzen. Eben diese inhaltliche Zusammenset‐ zung veranschaulichen REPA-Deskriptoren, indem sie Kompetenzen in die Ele‐ mente Wissen, Einstellungen und Haltungen sowie Fertigkeiten zerlegen. Eine visuelle Darstellung der Deskriptoren im Bildungsverlauf versteht sich als Orientierungshilfe zur Bestimmung der Schulstufe, die für den Aufbau aus‐ gewählter Deskriptoren empfohlen wird. 62 Anna Schröder-Sura Der REPA präsentiert darüber hinaus allgemeine Kompetenzen, die bei Refle‐ xions- und Handlungsprozessen eben diese Ressourcen aktivieren (vgl. Cande‐ lier et al. 2012). Er unterscheidet zwei übergeordnete Kompetenzbereiche: die „Kompetenz, sprachlich und kulturell im Kontext von Alterität zu kommuni‐ zieren“ und die „Kompetenz zum Aufbau und zur Ausweitung eines mehrspra‐ chigen und plurikulturellen Repertoires“. Diese Bereiche umfassen sowohl die mehrsprachige und kulturelle Kommunikation als auch mehrsprachige und plu‐ rikulturelle Lernprozesse. Gemäß der oben beschriebenen Auffassung von Kom‐ petenz trägt Unterricht dazu bei, Lernende mit einer Vielzahl von Ressourcen auszustatten und dazu beizutragen, dass Lernende die Ressourcen ihres indivi‐ duellen sprachlichen und kulturellen Repertoires in der Kommunikation und für das Lernen nutzen und dementsprechend situationsangemessen mobili‐ sieren. Dazu stehen im Unterricht unterschiedliche Möglichkeiten des Aufbaus von Ressourcen und somit des Einsatzes der Deskriptoren des REPA zur Verfü‐ gung. 3 Einsatzmöglichkeiten der Deskriptoren Die Deskriptoren bieten vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Sie konkretisieren Ressourcen, die der mehrsprachigen und plurikulturellen sowie auch der Aneig‐ nungskompetenz zugrunde liegen (vgl. Martinez / Schröder-Sura 2011, 75), so dass diese zur Formulierung von Lernziele für die Planung und Gestaltung von Unterricht sowie zu Zwecken vorrangig formativer Evaluation (Schröder-Sura 2017) eingesetzt werden können. Weitere belegte Anwendungsbereiche, die sich nicht unmittelbar auf die Schulpraxis beziehen, betreffen etwa die Analyse von fachdidaktischen Texten (Candelier 2018), die Erstellung von Modulen für die Lehrerbildung (Candelier / De Carlo 2018, Schröder-Sura 2015, Vlad 2014) , sowie die Erstellung weiterer Referenzrahmen wie der Référentiel de compétences de 63 Der (REPA) - Beispiele zum Einsatz und Nutzen der Deskriptoren 6 Beide Referenzrahmen können auf der Webseite des Projekts MIRIADI abgerufen werden: www.miriadi.net/ printpdf/ book/ export/ html/ 414 7 Diese Datenbank mit Unterrichtsmaterialien ist online unter dem folgenden Link ver‐ fügbar: https: / / carap.ecml.at/ Database/ tabid/ 2313/ Default.aspx (14.12.2018) communication plurilingue en intercompréhension (REFIC), der Référentiel de compétences en didactique de l’intercompréhension (REFDIC)  6 , Reference Frame‐ work of Competences for democratic culture (Europarat 2016) oder der Companion Volume with New Descriptors (Europarat 2018). Die Deskriptoren tragen ebenfalls dazu bei, vorhandene Unterrichtsmateria‐ lien zu beschreiben, zu analysieren und ggf. zu ergänzen, sowie neue Materialien zur Förderung von Mehrsprachigkeit und Plurikulturalität zu entwickeln. Sie werden auch vermehrt zur Unterstützung bei der Entwicklung von Curricula und Rahmenplänen eingesetzt. Diese drei letztgenannten Punkte werden nun an ausgewählten Beispielen illustriert. 3.1 Analyse von Unterrichtsmaterialien 3.1.1 Die Datenbank mit Unterrichtsmaterialien Als ein weiteres Produkt, neben den Deskriptoren, sind aus dem REPA Beispiele vielfältiger Unterrichtsmaterialien hervorgegangen, die während der Projekt‐ laufzeit gesammelt und in einer Datenbank zusammengestellt wurden 7 . Wäh‐ rend aktuell vielfältige Materialien zur Förderung der Mehrsprachigkeit und des interkulturellen Lernens in verschiedenen Ländern zur Verfügung stehen, stellte die Datenbank in der Anfangsphase des Projekts und in den letzten Jahren ein Angebot an Materialien in unterschiedlichen Sprachen zusammen, die auf diesem Weg zugänglich gemacht werden konnten. Da die Datenbank Einblicke in Materialien zu unterschiedlichen pluralen Ansätzen bietet, die in zahlreichen Ländern, ausgenommen des interkulturellen Lernens, nicht gleichermaßen be‐ kannt sind, hat dieses Instrument dazu beigetragen, den Bekanntheitsgrad plu‐ raler Ansätze insgesamt zu erhöhen. Diese Materialbeispiele waren ursprüng‐ lich als Anregung gedacht und bedürfen in den meisten Fällen einer Anpassung an den eigenen Kontext. Im REPA sind die Deskriptoren nicht nach den einzelnen pluralen Ansätzen organisiert, doch können sie diesen zum Teil zugeordnet werden. In der fol‐ genden Tabelle werden jedem pluralen Ansatz möglichst spezifische Deskrip‐ toren exemplarisch zugewiesen. Zum verstärkten Einsatz eines bestimmten pluralen Ansatzes kann im schulischen Kontext eine derartige Vorauswahl ge‐ troffen werden. 64 Anna Schröder-Sura Pluraler Ansatz Spezifische Deskriptoren Eveil aux langues / Be‐ gegnung mit Sprachen Wissen, dass weltweit viele Sprachen gesprochen werden (K 5.1). Sprachproduktionen in verschiedenen Sprachen auf‐ merksam oder gezielt zuhören können (S 1.2.1). Hypothesen zur möglichen Verwandtschaft von Sprachen auf der Grundlage von Ähnlichkeiten formulieren können (S 3.5.1). Vertrauen in die eigenen Analyse- oder Beobachtungsfä‐ higkeiten im Umgang mit wenig oder nicht vertrauten Spra‐ chen haben (A 14.3.1). Integrierte Sprachendi‐ daktik Wissen, dass die Kategorien zur Beschreibung der Funkti‐ onsweise einer Sprache (z. B. der Muttersprache oder der Schulsprache) in anderen Sprachen nicht notwendigerweise vorzufinden sind (z. B. Numerus, Genus, Artikel usw.) (K 6.3). Satzstrukturen verschiedener Sprachen vergleichen können (S 3.7.1). Bereitschaft, sich angesichts einer unbekannten Sprache oder eines unbekannten Codes geeignete oder gegenstands‐ spezifische Verstehensstrategien zu überlegen (A 19.2.1). Interkomprehensions‐ didaktik Wissen, dass zwischen Sprachen oder sprachlichen Varie‐ täten Ähnlichkeiten und Unterschiede bestehen (K 6). Sensibilität für sprachliche oder kulturelle Ähnlichkeiten (A 2.3). Wörter unterschiedlicher Herkunft auf der Grundlage ver‐ schiedener sprachlicher Indizien identifizieren (oder er‐ kennen) können (S 2.3). Die indirekte lexikalische Nähe wahrnehmen können (d. h. ausgehend von der Nähe zwischen Begriffen aus derselben Wortfamilien in einer der Sprachen) (S 3.4.2). Interkulturelles Lernen Wissen, dass kulturspezifische Bräuche, Normen oder Werte komplex auf das Verhalten oder persönliche Ent‐ scheidungen im Kontext kultureller Vielfalt einwirken (K 10.1). Wissen, dass […] willkürlich aufgestellte zwischenkultu‐ relle Hierarchien je nach Blickwinkel oder Bezugspunkt wechseln können (K 12.5.3). Eine Kriterienvielfalt anwenden können, um kulturelle Nähe oder Distanz zu erkennen (S 3.10.1.). Bilingualer Sachfachun‐ terricht Wissen, dass die Geschichte oder Geographie häufig zum Verständnis oder zur Erklärung gewisser kultureller Praxen und Werte beitragen kann (K 11.1.3). Die kulturbedingten Inhalte oder Konnotationen verglei‐ chen können (z. B. die Zeitkonzeptionen vergleichen usw.) (S 3.10.3). Akzeptanz von Zeichen und Schriften […], die sich von denen der eigenen Sprache unterscheiden (A 4.3.2) (vgl. Böing 2018). 65 Der (REPA) - Beispiele zum Einsatz und Nutzen der Deskriptoren Diese exemplarische, stark reduzierte Übersicht verdeutlicht, dass in den Des‐ kriptoren mitunter eine Tendenz zugunsten eines pluralen Ansatzes erkennbar ist, eine eindeutige Zuordnung von Deskriptoren jedoch nur selten möglich er‐ scheint. Den Deskriptoren liegt demzufolge keine Spezifik im Hinblick auf einen bestimmten Ansatz zugrunde. Diese Überlappungen betreffen insbesondere die affektive Dimension, also den Bereich der Einstellungen und Haltungen, aber auch die Bereiche Wissen und Fertigkeiten. Die Gemeinsamkeiten der Lernziele sprachen- und kulturenübergreifender Ansätze sind so bedeutsam, dass sie durchaus als ein pluraler Ansatz mit unterschiedlichen Ausrichtungen ausgelegt werden können (Candelier 2008). In der Datenbank können vorhandene Unterrichtsmaterialien nach unter‐ schiedlichen Suchkriterien gefunden werden, so zum Beispiel durch die Eingabe mindestens eines REPA-Deskriptors. Diese Funktion der Datenbank stellt eine erste Option zur Beschreibung und Analyse der verfügbaren Unterrichtsmate‐ rialien dar, auf die z. B. auch in der Lehreraus- und Weiterbildung zurückge‐ griffen werden kann (vgl. Schröder-Sura 2018, 92 f). 3.1.2 Analyse von Aufgaben und Übungen Aktuell können Lehrende und Lernende auf eine Vielzahl von Aufgaben und Übungen zurückgreifen, die in Zusatzmaterialien und vereinzelt, aber doch immer häufiger auch in deutschsprachigen Lehrwerken z. B. für die Fremdspra‐ chen Französisch und Spanisch vorzufinden sind. Die Deskriptoren ermöglichen eine Analyse einzelner Aufgaben und Übungen aus Lehrwerken und Zusatzmaterialien auch mit dem Ziel einer Er‐ gänzung und Weiterentwicklung. Dazu werden einzelne Arbeitsaufträge mit ausgewählten Deskriptoren aus den Bereichen savoir, savoir-être, savoir-faire und savoir-apprendre untersucht und den Deskriptoren zugeordnet. REPA-Deskriptor N° Aufgabe / Teilaufgabe / Übung Wissen, dass man sich beim Er‐ lernen von Sprachen auf (z. B. strukturelle, diskursive oder prag‐ matische) Ähnlichkeiten zwischen Sprachen stützen kann K (7.2) 1 Ein Schulzimmer in Bali, In‐ donesien, und ein Schul‐ zimmer in La Neuveville, im Kanton Fribourg: Wo würdet ihr lieber in die Schule gehen? Warum? Wissen, dass es wichtig ist, die ei‐ genen Lernstrategien zu kennen, um diese zielgerichtet einsetzen zu können (K 7.6) 2 Sicher erinnert ihr euch noch an den Text in Young World 3 zum Schulzimmer in Bali. Lest die Sätze und 66 Anna Schröder-Sura 8 Die Arbeitsblätter sind online verfügbar: www.lehrmittelverlag.ch/ de-de/ nav-Downloa ds/ Home/ CMS/ efc44f9d-a6ea-4c16-9a6e-7a11be34d587? path=Web%2FDownloads vergleicht mit dem Bild. Treffen die Sätze auch für die Klasse in La Neuve‐ ville zu? Bereitschaft zum Umgang mit Schwierigkeiten in plurilingualen oder plurikulturellen Situationen und Interaktionen A(7.3) 3 Vergleicht den englischen und den französischen Text miteinander. Was könnten die französischen Sätze heißen? Vergleicht mit dem Bild des Schulzimmers. Bereitschaft, seine sprachlichen oder kulturellen Kenntnisse mit an‐ deren zu teilen A(7.4) 4 Sucht im englischen und im französischen Text Wörter, die ähnlich lauten: z.B. lesson - leçon. Sucht Wörter, die im Fran‐ zösischen und Deutschen ähnlich lauten: z.B. cravate - Krawatte Beobachtungs- oder Analysever‐ fahren beherrschen oder anwenden können (z. B. in einzelne Elemente segmentieren können, die ein‐ zelnen Elemente klassifizieren können oder die einzelnen Ele‐ mente in Beziehung setzen können) (S 1.1) 5 Hört euch die Sätze an: Könnt ihr Ähnlichkeiten zwischen dem Englischen und Französischen auch in der gesprochenen Sprache feststellen? In zwei oder mehreren Sprachen verwendete Schreibweisen verglei‐ chen können (S 3.3.3) 6 …. Quelle: Info Suisse romande: L’école de la Neuveville à Fribourg 8 Aufgaben- und Übungsformate (vgl. z. B. Behr 2010) zur Förderung der mehr‐ sprachigen und plurikulturellen Kompetenz sollten möglichst Ressourcen aus allen Bereichen aktivieren. Häufig verdeutlicht erst eine systematische Analyse der Aktivität, dass unter Umständen nicht alle Dimensionen abgedeckt sind (vgl. Martinez / Schröder-Sura 2011, 76 f). Die Analyse kann unter dem Gesichtspunkt der sprachlichen und kulturellen Vielfalt ebenfalls auf ein Lehrwerk oder eine Lehrwerkreihe ausgeweitet werden und in mehreren Schritten erfolgen (vgl. Melo-Pfeifer / Schröder-Sura 2017). Eine erste quantitative Analyse ermöglicht einen Überblick über die Verwen‐ 67 Der (REPA) - Beispiele zum Einsatz und Nutzen der Deskriptoren dung der einzelnen pluralen Ansätze im Lehrbuch und somit über die Anzahl und Vielfalt der eingesetzten sprachlichen Varietäten und kulturellen Merkmale. Für den zweiten Schritt empfiehlt sich eine Vorauswahl der REPA-Deskriptoren. Da die Deskriptoren im REPA unter anderem Auskunft darüber geben, ob ein pluraler Ansatz zum Aufbau einer bestimmten Ressource notwendig ist, bietet sich dieses Kriterium für die Analyse an. Bei diesem Ansatz geben die Analysen Auskunft über die Anzahl und den inhaltlichen Fokus der Aktivitäten und lassen Aussagen zu, ob und in welchem Ausmaß bestimmte Dimensionen und konkrete Ressourcen durch die Aktivitäten abgedeckt sind. Dass insgesamt „weiterfüh‐ rende konzeptionelle Aspekte, die der Heterogenität und der sprachlich-kultu‐ rellen Vielfalt der Lernenden“ kaum vorzufinden sind (Fäcke 2016, 40 f) und in einem viel stärkeren Maße berücksichtigt werden könnten, wird ebenfalls in der Studie von Melo-Pfeifer / Schröder-Sura (2017) bestätigt. Die REPA-Deskrip‐ toren bieten auch hier ein Instrument, mit dem die fehlenden Bereiche aufge‐ deckt und weiterentwickelt werden können. 3.2 Aufgabenentwicklung Trotz ihrer langer Tradition haben sich die Aufgabenorientierung und die damit verbundenen kompetenzorientierten Lernaufgaben vor allem der Sekundarstufe I erst seit dem Erscheinen des GeR und der Bildungsstandards durchsetzen können bzw. gewinnen immer mehr an Bedeutung (Burwitz-Melzer / Caspari 2017, 246). Bekannterweise wählt der GeR einen handlungsorientierten Ansatz (Europarat 2001, 21; Hilpisch 2012,9), weil er Sprachverwendende und Sprachenlernende vor allem als sozial Handelnde betrachtet, d. h. als Mitglieder einer Gesellschaft, die unter bestimmten Umständen und in spezifischen Umgebungen und Handlungsfeldern kommunikative Aufgaben bewältigen müssen, und zwar nicht nur sprachliche.[…] Wir sprechen von kommu‐ nikativen Aufgaben, weil Menschen bei ihrer Ausführung ihre spezifischen Kompe‐ tenzen strategisch planvoll einsetzen, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Der handlungsorientierte Ansatz berücksichtigt deshalb auch die kognitiven und emotio‐ nalen Möglichkeiten und die Absichten von Menschen sowie das ganze Spektrum der Fähigkeiten, über das Menschen verfügen und das sie als sozial Handelnde (soziale Akteure) einsetzen (Europarat 2001, 21). Im Fremdsprachenunterricht sollen kompetenzorientierte Lernaufgaben dazu beitragen, unterschiedliche Kompetenzbereiche aufzubauen und weiterzuent‐ wickeln, insofern ihre Bewältigung zum Aufbau und zur Aktivierung von Res‐ sourcen beiträgt (vgl. Martinez / Schröder-Sura 2011, 77). Wenn es also gemäß der Definition des GeR darum geht, kommunikative Aufgaben zu lösen, bei 68 Anna Schröder-Sura 9 Diese Vorgehensweise wurde im Rahmen eines Projekts mit einem Gymnasium mit einem bilingualen Zweig Spanisch eingesetzt, in dem im Kollegium Lernaufgaben zur Vernetzung von Spanisch und Englisch unter Verwendung der Schulsprache und an‐ derer Sprachen entwickelt wurden. Vor der Materialentwicklung ist es sinnvoll, an einer Fortbildung zu pluralen Ansätzen und zum REPA teilzunehmen. 10 Vgl. z. B. Steveker 2012. denen Menschen ihre spezifischen Kompetenzen sowie das ganze Spektrum ihrer Fähigkeiten einsetzen, dann ist es naheliegend, diese Aufgaben durchaus auch mehrsprachig anzulegen. In Lernaufgaben im Fremdsprachenunterricht werden in diesem Zusammenhang vor allem interkulturelle Kompetenzen oder auch die Sprachmittlungskompetenz gefordert und gefördert, konsequent mehr‐ sprachige Lernaufgaben sind jedoch nur selten zu finden. Als ein Beispiel kom‐ petenz- und mehrsprachigkeitsorientierter Lehrwerke können die in der deutschsprachigen Schweiz entwickelten Französischlehrwerke Mille Feuilles (Bertschy 2011) und Clin d’oeil (Autorenteam 2017) genannt werden. Die REPA-Deskriptoren erweisen sich als ein hilfreiches Instrument, wenn in Lernaufgaben die Vernetzung mehrerer Sprachen in den Vordergrund gestellt wird. Bei der Entwicklung können folgende Arbeitsschritte sinnvoll sein 9 : - Analyse der Lehrwerke und Materialien für die zu vernetzenden Fächer - Tabellarische Aufstellung aller möglichen sprachformbezogenen und in‐ haltlichen Parallelen - Auswahl relevanter Deskriptoren aus dem REPA - Anbindung der Deskriptoren an den Kernlehrplan - Überprüfung im Hinblick auf fachdidaktische Prinzipien - Erstellung eines Rasters mit einer detaillierten Zuordnung von Themen, Kompetenzen, sprachlichen Mitteln unter Berücksichtigung des Rahmen‐ plans und der REPA-Deskriptoren - Orientierung an der Struktur von Lernaufgaben 10 Als eine integrale Komponente einer Lernaufgabe oder auch als ein unabhän‐ giges Instrument können mithilfe des REPA Evaluationsraster (vgl. Schröder-Sura 2017) erstellt werden. 3.3 Curriculumsentwicklung In der Liste potentieller Nutzer der Deskriptoren werden im REPA Lehrplan‐ entwickler und Bildungsverantwortliche an erster Stelle aufgeführt (Candelier et al. 2012, 10). Empfehlungen und unterstützende Impulse für die Entwicklung mehrsprachiger und plurikultureller Curricula liefert der Guide pour le dévelop‐ pement et la mise en œuvre de curriculums pour une éducation plurilingue et in‐ 69 Der (REPA) - Beispiele zum Einsatz und Nutzen der Deskriptoren 11 Le „coeur de l’éducation plurilingue et interculturelle réside dans les transversalités à établir entre les langues“ (Beacco et al. 2016, 11) 12 vgl. https: / / frepafin.wordpress.com/ 13 Piano di studio della scuola dell’obbligo ticinese (www.pianodistudio.ch) terculturelle (Beacco et al. 2016), ein weiteres Dokument des Europarates. In einigen Ländern hat diese Publikation Einfluss auf die curriculare Integration der mehrsprachigen und interkulturellen Kompetenz genommen (Coste 2017). In diesem Dokument wird der Aufbau zwischensprachlicher Vernetzungen als das „Kernstück mehrsprachiger und interkultureller Bildung“ deklariert 11 . Die inhaltliche, methodische und terminologische Kohärenz der Sprachenfächer, die Abstimmung der Beiträge einzelner Fächer aufeinander sowie die Bewusstma‐ chung von Transfermöglichkeiten (vgl. Beacco et al. 2016, 26 f) werden als mög‐ liche Maßnahmen zur Unterstützung wirksamer Lehr-Lernprozesse aufgeführt. Aufgrund zahlreicher Übereinstimmungen mit diesen Prinzipien und Zielen werden plurale Ansätze sowie der REPA an mehreren Stellen genannt und ihr Einsatz mit Beispielen curricularer Szenarien (Beacco et al. 2016, 117-125; 150) veranschaulicht. In diesem Dokument werden unter anderem einzelne curricu‐ lare Entwicklungsphasen beschrieben. Die REPA-Deskriptoren können insbe‐ sondere in den Entwicklungsphasen Zielfestlegung (profilage des objectifs) und Kompetenzbestimmung (détermination des compétences visées) eingesetzt werden. Wenn es darum geht, die mehrsprachige und plurikulturelle Kompetenz zu konkretisieren, fließen plurale Ansätze und der REPA in curriculare Neubzw. Weiterentwicklungen ein (Daryai-Hansen et al. 2014) bzw. werden explizit ge‐ nannt, was die folgenden drei Beispiele verdeutlichen: Zum aktuellen finnischen Curriculum ist ein in Oulu entwickeltes Ergän‐ zungsinstrument mit dem Titel „Path to global citizenship“ (2016) 12 empfohlen, in dem die mehrsprachige und interkulturelle Dimension dargestellt wird. Die Bereiche Sprache und Kultur werden ausgehend von den REPA-Deskriptoren getrennt voneinander in zwei Übersichten dargestellt und in jeweils zwanzig thematischen Rubriken konkretisiert wie z. B. „Can identify sound items“, „Is curious and questionning about languages“, „Can apply systematic procedures for making comparisons between languages“ oder „Is aware that all cultures are continously evolving / changing“, „shows an attitude of critical questionning in regard to one’s own and other cultures“. Die jeweils zwanzig Rubriken werden auf vier Schulstufen verteilt. Der aktuelle Lehrplan im Tessin (2016) 13 integriert in einem sprachlichen Be‐ reich die Schulsprache Italienisch sowie die nachgelernten Sprachen Franzö‐ sisch, Deutsch, Englisch und Latein. Die pluralen Ansätze Eveil aux langues 70 Anna Schröder-Sura 14 Weitere Informationen zu curricularen Entwicklungen, zum Beispiel auch in Südtirol, befinden sich auf der Projektwebseite in der REPA in der Praxis: https: / / carap.ecml.at/ SeservirdeCARAP/ tabid/ 3637/ language/ en-GB/ Default.aspx sowie die integrierte Sprachendidaktik werden explizit empfohlen (2016, 114). Die traditionellen Bereiche der kommunikativen funktionalen Kompetenzen werden durch die „mehrsprachige und interkulturelle Dimension“ ergänzt, die durch leicht modifizierte REPA-Deskriptoren detailliert dargestellt wird (2016, 116) 14 . Zusammenfassende Überlegungen In diesem Beitrag wurde das Ziel verfolgt, den Einsatz und Nutzen der Deskrip‐ toren des REPA auf mehreren Ebenen darzustellen. Im ersten Schritt wurde ge‐ zeigt, dass das Konzept der mehrsprachigen und plurikulturellen Kompetenz mit Hilfe detaillierter Beschreibungen von Wissen, Einstellungen und Fertig‐ keiten fassbar gemacht werden kann. Im zweiten Schritt konnte an ausgewählten Beispielen bzw. Verweisen auf andere Publikationen gezeigt werden, dass durch detaillierte Deskriptoren der Aufbau dieses Kompetenzbereichs für didaktische Zwecke durch Hilfestel‐ lungen bei der Erarbeitung von Curricula und Unterrichtsmaterialien, in der Lehrerbildung sowie bei der Planung, Gestaltung und Evaluation von Unterricht erleichtert werden kann. An dieser Stelle kann nicht unerwähnt bleiben, dass die Komplexität und Anzahl der Deskriptoren in einigen Anwendungsbereichen mit einem zeitlichen und organisatorischen Aufwand verbunden ist (Candelier / Schröder-Sura 2015, Schröder-Sura 2015, Zappatore 2015), was grundsätzlich auf alle Neuerungen zutrifft und bei der Einführung in das Instrument von vornherein zu berücksichtigen ist. Auch verstehen sich die REPA-Deskriptoren nicht als ein Endprodukt und sollten nicht als solches dargestellt werden. Ihre Akzeptanz wird zusätzlich dadurch erhöht, dass sie als Stütze zur Formulierung eigener kontextgebundener Deskriptoren aufgefasst werden. Laut Fleming (2017, 198) lässt sich das am besten innerhalb professioneller Gemeinschaften verwirklichen. Mit diesen Ausführungen wird eine Einschätzung ermöglicht, inwieweit der REPA und seine Deskriptoren zur Weiterentwicklung einer Didaktik der Mehr‐ sprachigkeit beitragen können und somit die fehlende Konkretisierung im GeR des von Coste (vgl. 2017, 17) erwünschten Bruchs zur Aufhebung der traditio‐ nellen Trennung einzelner Sprachenfächer beim Sprachenlernen herbeiführen können. Erst dadurch könnte eine konsequente Nutzung sprachlicher, kultu‐ reller und lernfördernder Synergien auf der Ebene von Mehrsprachigkeitscur‐ 71 Der (REPA) - Beispiele zum Einsatz und Nutzen der Deskriptoren ricula, sprachenübergreifenden Unterrichtsmaterialien und Transdisziplinarität in der Unterrichtspraxis erfolgen. 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Durch die Einführung der neunjährigen Gesamtschule wurde das Gymnasium (und damit der gymnasialen Lateinunterricht) um ein Jahr gekürzt; auf der Schulstufe darunter ergaben sich jedoch noch gewichtigere, quantitative wie qualitative Änderungen. Die Geschichte dieser Veränderung liest sich komplex und turbulent. Alles begann mit der drohenden tabula rasa: Im Zuge der Harmonisierung der kan‐ tonalen Bildungssysteme 1 war Latein auf der Sekundarstufe I ursprünglich gar nicht mehr vorgesehen gewesen. Nach dem alten System hatten die Schüler*innen der progymnasialen Züge die Möglichkeit, zwei Jahre Latein zu lernen, und dafür je vier Wochenstunden zu investieren. Ziel der Harmonisie‐ rung war es aber unter anderem, durch ein identisches Fächerangebot aller Leistungsniveaus Durchlässigkeit zu gewährleisten; Latein stellte hier ein Hin‐ dernis dar. Auf die bildungspolitische Initiative der AG “Latein macht Schule” 2 hin, die vor allem mit der Funktion von Latein als idealer Grundlage einer mehrspra‐ chigen Gesellschaft argumentierte, kam es zu einem politischer Vorstoß in den Basler Parlamenten 3 und schließlich zum Beschluss, Latein in den beiden Basler Halbkantonen als sogenanntes Wahlpflichtfach auf der Sekundarschule zu ver‐ orten - für alle Schüler*innen, nicht mehr nur für die progymnasialen Züge. Das Fach sollte sich nach den Maximen des Schweizer Lehrplan 21 in die neusprach‐ 4 Neben den beiden Lingua-Fächern (Schwerpunkt Latein oder Italienisch) und dem na‐ turwissenschaftlichen Kombinationsfach MINT (Mathematik, Informatik, Naturwis‐ senschaft und Technik) werden als Wahlpflichtfächer noch Bildnerisches, Technisches und Textiles Gestalten sowie Musik angeboten. Die Schüler*innen in Basel-Stadt haben innerhalb dieses Pools die freie Wahl zweier Fächer; im Kanton Basel-Landschaft muss je ein Fach aus dem ‘intellektuellen’ und eines aus dem gestalterischen Bereich gewählt werden. lichen Lehrpläne einfügen, also stark auf Strategien und Kompetenzen fokus‐ sieren, auch auf solche, die im traditionellen Lateinunterricht weniger stark ge‐ wichtet worden waren, z. B. Hören und Lesen. Zentrales Anliegen sollte die Mehrsprachigkeitsdidaktik sein. Hierfür waren allerdings nur noch zwei Wochenstunden pro Jahrgangsstufe (8. und 9. Schuljahr) eingeplant - wie für die anderen Wahlpflichtfächer 4 auch. Zu diesen völlig veränderten Parametern kommt noch ein weiterer Umstand, der die Situation zusätzlich verkompliziert: Es soll weiterhin allen Lernenden freistehen, am Gymnasium das Schwerpunkt- oder Grundlagenfach Latein zu wählen, auch wenn sie auf der Sekundarstufe nicht Latein gelernt haben. Genau wie die anderen Wahlpflichtfächer soll Latein auf Sekundarstufe frei wählbar sein, ohne dass sich daraus Vor- oder Nachteile für die weitere Schullaufbahn ergeben. Die Situation des Unterstufenlateins hat sich also nun dreifach verschärft: Die Stundenzahl ist halbiert worden, die Schüler*innenschaft extrem heterogen (aber auch nicht immer in gleichem Maße, je nachdem, wie sich die Zusam‐ mensetzung der verschiedenen Züge in jedem Kurs neu gestaltet); schließlich soll das Fach künftigen Lateiner*innen am Gymnasium keinen Vorsprung bieten, gleichzeitig aber auch für Schüler*innen attraktiv sein, die sich nach der Sekundarstufe nicht für das Gymnasium, sondern beispielsweise für eine Lehre entscheiden. Entsprechend lautete dann auch der Auftrag des Bildungsrats Basel-Land‐ schaft bzw. des Erziehungsrats des Stadtkantons: “Lingua versteht sich als sprachliches Grundlagenfach und stellt eine Wei‐ terentwicklung des traditionellen Latein- und Italienischunterrichts dar. Latein bzw. Italienisch ist somit nicht mehr ein isolierter, auf sich selber bezogener Sprachlehrgang, sondern vermittelt Verständnis für sprachliche Systeme und das Lernen von Sprache. Gemäss der Didaktik der Mehrsprachigkeit werden Bezüge zu anderen Sprachen - auch den Herkunftssprachen der Schülerinnen und Schüler - hergestellt und Gemeinsamkeiten und Differenzen herausgear‐ beitet. Darüber hinaus bezieht Lingua auch kulturelle, historische, politische und philosophische Aspekte der lateinischen, der italienischen respektive der 80 Katharina Wesselmann 5 Kanton Basel-Stadt I Erziehungsdepartement I Kanton Basel-Landschaft I Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion; Konzept für die Wahlpflichtfächer Lingua Latein und Ita‐ lienisch an der Sekundarschule ab dem Schuljahr 2016/ 2017 bzw. 2017/ 2018, 2013, S. 4. 6 Die Leitung der AG Lingua Latein hatte Martin Müller, Lehrer für Latein und Griechisch in den Kantonen Basel-Landschaft und Zürich und früherer Fachdidaktiker an der Päd‐ agogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (PH FHNW), Mitarbei‐ tende waren Rolf Gutierrez, Lehrer für Latein, Griechisch und Spanisch im Kanton Basel-Stadt, Adele Netti, Lehrerin für Latein und Italienisch im Kanton Basel-Land‐ schaft, und Katharina Wesselmann, Lehrerin für Latein und Griechisch im Kanton Basel-Stadt und Fachdidaktikerin an der PH FHNW. germanischen Welt noch stärker in den Unterricht mit ein als es bereits der traditionelle Unterricht tut. Insbesondere Lingua mit Bezugsfach Latein hat den Anspruch, die Funktion des Türöffners zum Verständnis der abendländischen Kultur noch dezidierter wahrzunehmen als es der traditionelle Lateinunterricht tut.” 5 Es lag auf der Hand, dass ein herkömmlicher, wenn auch verlangsamter und binnendifferenziert unterrichteter Lateinunterricht für diese neuartige Situation nicht praktikabel sein würde; dass ein neues Lehrmittel konzipiert werden musste, war von Anfang an klar. Der Auftrag erging an eine AG aus Fachdi‐ daktikern und Lehrpersonen verschiedener Stufen und Sprachen. 6 Das neue Lehrbuch Aurea Bulla, erschienen 2016-2018, unterscheidet sich von herkömmlichen Lateinlehrmitteln in vieler Hinsicht. Zum einen ist es kon‐ sequent modular aufgebaut, da es in ganz verschieden zusammengesetzten Lerngruppen zum Einsatz kommt und entsprechend kleinere oder größere Stoffmengen, einfachere oder komplexere Aufgabenformate benötigt werden. Zum anderen sind die Aspekte der Mehrsprachigkeit und des interkulturellen Lernens sehr viel stärker gewichtet. 2 Aufbau Aurea Bulla besteht aus drei Bänden, denen jeweils ein Exercitia-Heft beigefügt ist. Daneben existiert eine CD mit den deutschen und lateinischen Texten sowie zusätzlichen Audio-Materialien; eine Webseite mit weiterem Material und Aus‐ tauschmöglichkeiten für Lehrpersonen und Schüler*innen befindet sich im Aufbau. Zentrum eines jeden der 12 Kapitel (“Capita”) des Buches ist die deutschspra‐ chige Fortsetzungsgeschichte Aurea Bulla. Es handelt sich einen kurzen Jugend‐ roman, der zu Beginn des 3. Jahrhunderts u. Z. in der römischen Schweiz spielt. Protagonisten sind Valens Mucapora, Sohn eines Tavernenbesitzers aus Basilia, 81 Latein, Mehrsprachigkeit, Kulturgeschichte: Das neue Lehrbuch Aurea Bulla und Julia Augustilla Sanucia, Tochter eines Duumvirn aus Augusta Raurica (Abb. 1). Die beiden Jugendlichen verbindet seit Kindesbeinen eine Freundschaft, die sich jedoch aufgrund des Standesunterschiedes nicht weiter entwickeln kann. Ent‐ sprechend den Konventionen des griechischen Romans wird jedoch bald ent‐ hüllt, dass Valens als Kleinkind ausgesetzt wurde; sein Ziehvater Mucapora be‐ sitzt noch das Erkennungszeichen, mit dem er gefunden wurde: eine zerbrochene, aber wertvolle goldene Bulla. Das Stück gibt Geschichte und Lehr‐ buch den Namen; es wird zum Motor der Erzählung und für Valens und Julia zum Symbol ihrer Hoffnungen; gleichzeitig steht es für die Identität, die wir durch die Beschäftigung mit unserer sprachlichen und kulturellen Herkunft ge‐ winnen können. Die deutschsprachige Geschichte hat gegenüber den typischen einfachen la‐ teinischen Eingangstexten herkömmlicher Lehrbücher den Vorzug, dass sich die Lernenden rasch in das System des Lehrbuchs einleben und sich für die Welt der Protagonisten interessieren. Dass diese Welt sich geographisch mit ihrer eigenen überschneidet, ist dabei ein weiterer Anziehungspunkt; die ersten Sta‐ tionen der Geschichte befinden sich an Orten, die von Basler Schulen aus leicht besuchbar sind. Ausgehend von Aurea Bulla finden sich in jedem Kapitel dieselben Teile, die mit der Geschichte in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Die Res Romanae 82 Katharina Wesselmann 7 Zitationsweise Aurea Bulla hier und im folgenden: Bandzahl.Seitenzahl. Nummer der Aufgabe (falls vorhanden). Die Lehrbuchbände sind mit 1, 2, 3 abgekürzt, die Exer‐ citia-Bände mit Ex. 1, 2, 3. erläutern Realien, die im jeweiligen Abschnitt wichtig sind: Wohnen in römi‐ scher Zeit, Heiratsbräuche, Medizin, Militär und Badekultur sind typische Themen. Teil der Res Romanae ist jeweils auch ein Abschnitt Vox Romana, ein lateinischer Originaltext mit Bezug zur Handlung, zum Beispiel die in Basel befindliche Grabinschrift des Valens Mucapora, oder in Caput 4, wo es um antike Medizin geht, ein Absatz aus Celsus’ De medicina über die Fähigkeiten des Chir‐ urgen. Die Fabula führt die deutschsprachige Geschichte in verschiedener Form auf Lateinisch fort, sei es als Paraphrase oder in Form einer Nebenhandlung oder eines zusätzlichen Dialogs; Lingua thematisiert sprachliche Phänomene, die im jeweiligen Fabula-Teil neu gelernt werden. Hier hakt auch der Exercitia-Band ein, der für die jeweiligen Grammatikphänomene zusätzliche Übungen bietet und in einem Commentatio betitelten Abschnitt kapitelweise dazu auffordert, über das Gelernte und die dabei angewendeten Strategien zu reflektieren. Auf die sprachlichen Teile folgt jeweils ein Mythos-Teil, der einzige Part des Lehr‐ buchs, der inhaltlich weitgehend von der Geschichte abgelöst ist; Ziel ist hier, den Schüler*innen einen breiten Überblick über die meistrezipierten antiken Mythen zu vermitteln, etwa über den troianischen Sagenkreis. Allerdings sind auch hier Bezüge zur Aurea Bulla vorhanden, wenn möglich: So wird im schon erwähnten Caput 4 passend zur medizinischen Thematik der Asklepios-Mythos erzählt. Den Abschluss der Kapitel bildet jeweils ein Magazin-Teil zu den Inhalten der Geschichte, z. B. zu Basilia oder Augusta Raurica, aber auch zu Metathemen wie der Entwicklung von Sprache in menschlichen Gesellschaften (1.64-69) oder der Entstehung des Französischen und Bündnerromanischen (2.118-121 7 ) sowie des Spanischen und Italienischen (3.87-95). Die Magazinteile sind ausführlicher als die Res Romanae-Informationen; sie sind auch nicht auf die jeweiligen Aurea Bulla-Kapitel bezogen, sondern dienen eher als generelle Hintergrundvermitt‐ lung und können in beliebiger Reihenfolge behandelt werden. 3 Mehrsprachigkeit Aurea Bulla verfügt über eine Vielzahl unterschiedlicher mehrsprachigkeitsdi‐ daktischer Aufgabentypen. Zwar wendet sich das Lehrmittel gezielt an Schüler*innen, die zum Zeitpunkt des Einstiegs in den Lateinunterricht bereits über grundlegende Französisch- und Englischkenntnisse verfügen und denen 83 Latein, Mehrsprachigkeit, Kulturgeschichte: Das neue Lehrbuch Aurea Bulla 8 Italienisch ist als Schweizer Landessprache sehr alltagspräsent und beispielsweise auf jeder Gebrauchsanweisung oder Supermarktverpackung lesbar; Spanisch ist die Her‐ kunftssprache zahlreicher Migrant*innen in den urbaneren Gebieten der Deutsch‐ schweiz. auch Italienisch und Spanisch nicht ganz fremd sind, 8 die Aufgabentypen sind jedoch sehr gut übertragbar auf Lernende mit anderen Sprachbiographien. 3.1 Panromanischer Wortschatz und Fremdwörter aus dem Lateinischen Es ist naheliegend, dass ein großer Prozentsatz der mehrsprachigkeitsdidaktisch orientierten Aufgabentypen in Aurea Bulla um das Phänomen des panromani‐ schen Wortschatzes kreisen, der in den romanischen Sprachen, aber auch im Englischen und Deutschen allgegenwärtig ist. Eine wichtige Säule sind hier die Vocabula-Teile, die konsequenter mehrsprachig aufgebaut sind als in herkömm‐ lichen Latein-Lehrbüchern: Die verwandten Wörter im Englischen, Französi‐ schen, Deutschen, Italienischen und Spanischen sind nach jeder lateinischen Vokabel in übersichtlichen Farbcodes abgebildet (Abb.2: 3.183). soror, sorōris f. die Schwester fr: la sœur; it: sorella post und postea Adv. nachher, später fr: puis; it: poi; sp: después (danach) ā / ab Präp. beim separativen Abl. von, von-her ā- / ab- / abs- Präfix wegpēior m.+f. , pēius n. Komparativ schlechter dt: pejorativ; fr: pire; it: peggiore Adv.; sp: peor pessimus, a, um Superlativ der Schlechteste, sehr schlecht dt: der Pessimismus; it: pessimo, a; sp: pésimo, a melior m.+f. , melius n. besser Komparativ fr: meilleur, e; it: migliore; sp: mejor pēs, pēdis m. der Fuss dt: das Pedal; fr: le pied; it: piede; sp: pie; en: pedestrian (Fussgänger) caelum, i n. der Himmel > das Wetter fr: le ciel; it: cielo; sp: cielo hōra, ae f. die Stunde fr: l’heure f.; it: ora; sp: hora; en: hour tabula, ae f. die Tafel, das Gemälde dt: Tafel; fr: la table; it: tavola; sp: tabla; en: table (fr, it, en: Tisch) cēdĕre, cēdō, cessus 1. gehen, schreiten 2. weggehen, weichen fr: céder; it: cedere; sp: ceder; en: to cede accēdĕre, accēdō, accessus hinzutreten, sich nähern, dazukommen fr: accéder; it: accedere; sp: acceder; en: to accede dēscendĕre, dēscendō, hinabsteigen dēscēnsus fr: descendre; it: discendere; sp: descender; en: to descend circā Adv. ringsum, ungefähr dt: circa; it: circa; sp: cerca (nahe, fast, bald) circum Adv. + Präp. beim Akk. Adv.: im Kreis, ringsum Präp.: um, um ... herum animum attendĕre, achtgeben, beachten attendō, attentus fr: attendre (warten), l’attention f.; it: attendere (warten), attenzione; sp: atender, atención; en: to attend, attention (Aufmerksamkeit) grātia, ae f. die Anmut, die Sympathie, die Gefälligkeit, der Dank dt: die Grazie; fr: la grâce; it: grazia; sp: gracia; en: grace grātiās agĕre danken valē! lebe wohl! prōcēdĕre, pōcēdō, 1. hervortreten, weitergehen prōcessus 2. Fortschritte machen dt: der Prozess; fr: procéder, le procédé; it: procedere, processo; sp: proceder, procedimiento; en: to proceed, process recēdĕre, recēdō, zurückweichen; fortgehen, sich entfernen recessus dt: die Rezession; fr: récéder, la récession; it: recedere, recessione; sp: recesión; en: to recede, recession rēicĕre, rēiciō, rēiectus zurückwerfen, zurücktreiben, zurückweisen f r: rejeter; it: rigettare; en: to reject capĕre, capiō, captus 1. ergreifen, nehmen Bei den Aufgaben rund um den panromanischen Wortschatz werden zunächst natürlich einfache Wortgleichungen thematisiert; so werden die Schüler*innen etwa dazu aufgefordert, mit Hilfe einer französischen Übersetzung der Fabula III französisch-lateinische Wortpaare zu suchen (1.83.3), oder sie übersetzen französische, englische und italienische Lehnwörter auf der Basis des aktuell gelernten lateinischen Vokabulars (1.113.13). Diese Parallelitäten stehen jedoch nicht im Zentrum des Interesses: Von Anfang an werden auch Bedeutungsver‐ schiebungen oder die Unterschiede zwischen den romanischen Sprachen und dem Deutschen behandelt. Dies zeigt sich gleich zu Anfang in Caput I, wo die Schüler*innen zum Thema römischer Wohnkultur mit dem Sachfeld ‘Möbel’ arbeiten. Nicht nur die Parallelität zwischen lat. lectus, frz. lit und ital. letto wird thematisiert, sondern auch die abweichende Natur des Deutschen, das hingegen 84 Katharina Wesselmann 9 Die Unterschiede zwischen der germanischen und der lateinischen Welt werden noch öfter thematisiert, so auch 1.31.6 angesichts der Bezeichnungen der Wochentage, die in den romanischen Sprachen nach den römisch-griechischen Gottheiten benannt sind (z. B. Giove-dì, Vener-dì), im Deutschen und englischen hingegen nach den germani‐ schen (Donners-tag, Frei[a]tag). Vgl. auch Ex. 2.18.1. 10 Z.B. 1.62.7: “Ecrivez a short Rede della Europa”. 11 Entsprechend sind auch die komplett fremdsprachigen Teile des Lehrmittels zu ver‐ stehen, z. B. die französischbzw. italienischsprachigen Schülerinnen-Interviews mit dem ehemaligen Kantonsarchäologen des Kanton Wallis, François Wiblé, über die rö‐ mische Vergangenheit von Martigny (3.18f.), und mit dem Leiter des Basler Antiken‐ museums, Andrea Bignasca (3.58f.), oder der spanischsprachige Dialog über berühmte Persönlichkeiten im römischen Spanien zwischen einem Basler Spanischlehrer und dem Lehrbuchautor Rolf Gutierrez (3.147). Die Schüler*innen sind hier nicht angehalten, die Texte vollständig zu verstehen oder gar ins Deutsche zu übersetzen; es geht eher um die Erkenntnis, dass sie große Teile einer Sprache verstehen, die sie nie gelernt haben oder in der sie sich bisher noch unsicher fühlen. das lateinische Wort mensa aufnimmt, allerdings in veränderter Bedeutung. Hier ergibt sich für Lehrpersonen gleich zu Anfang die Möglichkeit, etwa mit Blick auf die Karte des römischen Reiches im vorderen Faltcover des Lehrmittels die Gründe darzulegen, warum die deutsche Sprache nicht auf romanische Ur‐ sprünge zurüchgeht, 9 und darauf einzugehen, warum sich das Lateinische in einem Wort aus dem universitären Kontext wiederfindet. Ähnlich ist auch die Folgefrage ausgerichtet: “tabula heißt auf Deutsch ‘Brett’. Findest du deutsche, französische und englische Wörter, die auf tabula zurückgehen? ” Mit Blick auf die Bedeutungsverschiedenheit von ‘Tafel’ und ‘table’ im Gegensatz zum latei‐ nischen ‘Brett’ wird hier gleich zu Beginn die Komplexität von Wortverwandt‐ schaften thematisiert und damit der Enttäuschung vorgebeugt, die notwendig auf die oftmals simplifizierte Werbepropaganda von der Quasi-Identität der Sprachen folgt (“wer Latein lernt, kann automatisch Italienisch sprechen”). Eine Unbefangenheit im Umgang mit dieser Komplexität soll auch durch spielerische Aufgaben vermittelt werden, etwa durch die Aufforderung zum Abfassen ‘mak‐ karonischer’ Texte aus verschiedenen Sprachen. 10 Anders ist ein mehrsprachiger Ansatz kaum möglich: Schwierigere Aufgaben wie etwa das Erkennen ‘schwarzer Schafe’ in einer Reihe fremdsprachiger Wörter- z.B. das Schüler*innen eher nicht bekannte italienische Wort ancorare zwischen engl. announce, frz. annoncer und dt. annoncieren - könnten die Lernenden abschre‐ cken, da sie befürchten, aufgrund von Wissenslücken zu ‘versagen’; sind sie jedoch an einen lockeren Umgang mit der komplexen Materie gewöhnt, akzep‐ tieren sie leichter einen Zugang zu Sprache, der eher auf allgemeinem sprach‐ lichen Interesse und Neugierde baut denn auf Perfektionsstreben. 11 85 Latein, Mehrsprachigkeit, Kulturgeschichte: Das neue Lehrbuch Aurea Bulla 12 Die Studie wird von der PH FHNW durchgeführt und soll 2019 abgeschlossen sein; zunächst wurden im August/ September 2017 Schüler*innen, die gerade begonnen hatten, mit Aurea Bulla zu arbeiten, auf ihre Deutsch- und Mehrsprachigkeitskompe‐ tenzen hin getestet und zu ihren Erwartungen an das Fach Latein befragt. Im Abstand von je einem Jahr wird der Test nun noch zweimal wiederholt bzw. die Einschätzung der Schüler*innen zu ihren eigenen Fortschritten erhoben. 13 Z.B. die Anregung in Ex. 1.2.5: “Schreibe diejenigen Wörter, die du dir nicht gut merken kannst, auf eine Karteikarte. Notiere auf der einen Seite oben rechts die Lektion und in der Mitte das lateinische Wort. Füge nun alles Mögliche bei, das dir helfen kann, dir das Wort zu merken. Vielleicht ist es eine Zeichnung, ein fremdsprachiges Wort oder eine lustige Eselsbrücke. Auf der Rückseite notierst du dann die deutsche Bedeutung.” 14 2.61f., Ex 2.15.12, Ex. 2.17. Ein weiterer Aufgabenkomplex betrifft das verwandte Thema Fremdwörter, also Vokabular aus einem höheren als dem alltäglichen Register. In mehreren Aufgaben wird erklärt, wie das lateinische Vokabular bei der Dechiffrierung solcher Worte behilflich sein kann (im Deutschen oder einer fremden Sprache), z. B. bei den Begriffen Visier, visibility und Filiale (Ex. 2.5.15), protegieren, insol‐ vent, simultaneously (Ex. 2.11.15). Dasselbe gilt für lateinische Wendungen, die im Deutschen verwendet werden, z. B. pro forma oder ad acta (Ex. 2.31.12; Ex. 3.8.22). 3.2 Morphologie als Strategie beim Verstehen und Behalten Die zahlreichen Hinweise auf die Anwendungsmöglichkeiten eines panroma‐ nischen Wortschatzes werden durch die systematische Einübung von Strategien ergänzt, die beim Erwerb dieses Wortschatzes helfen können. Die Aneignung eines fremdsprachigen Vokabulars ist für zahlreiche Schüler*innen eine eher unattraktive Beschäftigung; oft stellen sie sich darunter eine rein mechanische Auswendiglernerei vor. So bekundeten im Zuge der noch laufenden Begleit‐ studie zum Lehrmittel Aurea Bulla  12 mehrere Latein-Anfänger*innen großes In‐ teresse daran, die Sprache Latein zu lernen oder sich durch das Lateinische den Zugang zu modernen Fremdsprachen zu erleichtern - aber gleichzeitig beant‐ worteten sie die Frage “Was glaubst du, könnte dir weniger gefallen? ” ent‐ schieden mit “Wörter lernen”. Ein wichtiges Ziel des Lehrbuchs Aurea Bulla besteht folglich darin, Schüler*innen die Scheu vor der Vokabelarbeit zu nehmen und ihnen Strategien zur Erarbeitung eines mehrsprachigen Wortschatzes mit‐ zugeben. Hier sind nicht in erster Linie Tipps zum effizienten Vokabellernen gemeint, obwohl es auch dazu 13 und zur effizienten Verwendung von Wörter‐ büchern 14 Anregungen gibt, sondern die fundierte und systematische Förderung eines morphologischen Grundverständnisses, durch das die Effizienz des Ler‐ 86 Katharina Wesselmann 15 Zu systematischen Behandlungen des Problemfelds ‘Wortschatzarbeit’ vgl. z. B. Nickel 1999, Kuhlmann 2009, Schirok 2010 16 www.amazon.de/ Grund-Aufbauwortschatz-Latein-Neubearbeitung-Habenstein/ prod uct-reviews/ 3126042201/ ref=cm_cr_dp_d_show_all_btm? ie=UTF8&reviewerType=all _reviews (Zugriff am 29.04.2018). nens gesteigert werden kann. Letzteres ist natürlich keine neue Erkenntnis, 15 so ist etwa der verbreitete Klett-Grundwortschatz Latein in Wortfamilien eingeteilt (Habenstein et al. 1992). Idealerweise erleichtert dies das Lernen massiv -Kom‐ posita müssen nicht mehr eigens gelernt werden, sondern sind durch die be‐ kannten Wortbausteine erschließbar. Allerdings zeigt sich immer wieder, daß ein morphologisches Grundverständnis sich nicht automatisch und ohne An‐ leitung einstellt, etwa an einer Rezension des Grundwortschatzes auf Amazon: “Schade ist nur, dass es meist nur eine Bedeutung pro Wort gibt, z.B.: ‘occidere’ kann sowohl töten heißen, als auch sterben oder umkommen. Ein großer Unterschied, das kann einen verwirren, wenn man nur eine Bedeu‐ tung kennt, aber eine andere in dem zu übersetzenden Text gemeint ist.” 16 Hier fehlt die Kenntnis der verschiedenen Etymologien von occīdere und occĭdere, dessen langes bzw. kurzes i sich durch die Herkunft von caedere ‘fällen, töten’ bzw. cadere ‘fallen’ erklärt; offenbar hat der oder die Rezensierende den Grund‐ wortschatz anleitungslos verwendet und vom Ordnungsprinzip nach Wortfa‐ milien nicht voll profitiert. Um solche Missverständnisse zu vermeiden, werden in Aurea Bulla gezielt morphologische Kenntnisse geschult, und zwar sowohl mit Bezug auf den la‐ teinischen Wortschatz als auch im Hinblick auf den mehrsprachigkeitsdidakti‐ schen Nutzen. Beim Erwerb des lateinischen Vokabulars werden die Schüler*innen schon zu Beginn des zweiten Kapitels auf das Phänomen der ‘Wortfamilie’ aufmerksam gemacht und dazu aufgefordert, Beispiele zu sammeln (Ex. 1.7.2; Ex. 1.23.10). Die Effizienz eines morphologischen Bewusst‐ seins geht den Lernenden z. B. auf, wenn sie Wörter nicht mehr neu lernen müssen, sondern erschließen können, z. B. bei Aufgabentypen wie Ex. 3.8.23, wo die Schüler*innen mit Hilfe bekannter Suffixe wie -osus und -tas sowie bereits gelernter Vokabeln wie gratia, mons, celer die Bedeutung neuer Wörter wie gratiosus, montuosus oder celeritas erkennen können. Entsprechend werden morphologische Erläuterungen auch bei mehrspra‐ chigkeitsdidaktischen Aufgaben vielfach eingesetzt; so werden die Personalen‐ dungen lateinischer Verben im Französischen wiedergefunden (1.21.12, 1.83.6, 1.84) oder die Deklinationsklassen im Französischen und Italienischen thema‐ tisiert (1.54) - hier wird den Schüler*innen z. B. eine Erklärung für die sonder‐ bare Pluralendung der französischen Worte auf -al geliefert: animaux. Wieder 87 Latein, Mehrsprachigkeit, Kulturgeschichte: Das neue Lehrbuch Aurea Bulla sind Wortbausteine wie die Suffixe Thema; so sollen die lateinischen Endungen -tudo, -sio, -tio, -io in ihren neusprachlichen Ableitungen angegeben oder ge‐ sucht werden (3.79, 3.158). Soweit möglich, wird die spezifische Bedeutung eines Suffixes auch ausführlicher behandelt, z. B. im Falle des ‘Mittels’ -mentum (1.122f.). Von entscheidender Bedeutung sind auch die häufig bedeutungstragenden Präfixe, die immer wieder neu thematisiert werden: Schon 1.58 werden die Be‐ griffe Simplex und Kompositum anhand des Präfixes ad eingeführt (ad-vocare, ad-dicere), das sich 3.121f. neben 17 weiteren Präfixen in einer mehrsprachigen Tabelle mit lateinischen, deutschen, französischen und englischen Beispielen findet, die zusätzlich um Erläuterungen zu Sprachgeschichte und Bedeutungs‐ verschiebung ergänzt ist (Abb.3). 88 Katharina Wesselmann 17 Z.B. Ex. 2.24.17f., Ex. 2.25, Ex. 2.29.9, Ex. 2.30.10 (Abb. 4),Ex. 2.32.13, Ex. 3.36.1. 18 Z.B. Ex. 3.1f.3-5, Ex. 3.26.6, Ex. 3.34. In den Exercitia-Bänden 2 und 3 schließlich häufen sich die Übungen zu Wor‐ terschließungen über Suffixe 17 (Abb. 4) und Präfixe. 18 89 Latein, Mehrsprachigkeit, Kulturgeschichte: Das neue Lehrbuch Aurea Bulla 10. Die Suffixe -ōs -us, a, um und -bil -is, -e im Französischen und Englischen → Leite aus den Nomen Adjektive mit den französischen und englischen Suffixen ab! Beispiel: en: You can believe this. → It is believable. A) fr: Il y a du danger. → C’est danger- . B) en: You can achieve it. → It is achieva- . C) fr: Tu peux boire l’eau. → L’eau est buva- . D) en: You can get it. → It is availa- . E) fr: Le film m’ennuie. → Le film est ennuy- . F) en: There is an advantage. → It is advantage- . G) fr: Elle a du courage. → Elle est courag- . H) en: You cannot count → The mosquitos are uncounta- . the mosquitos. I) fr: La joie de → Joy- anniversaire! l’anniversaire. J) en: You can drink the → The water is drinka- . water of this fountain. K) en: There is poison → The drink is poison- . in the drink. L) fr: On ne peut pas → Cette faute est inexcusa- . excuser cette faute. M) fr: Il aime une femme. → Il est amour- . N) en: You can eat this. → This is edi- . O) en: I can read your → Your writing is perfectly legi- . writing. 11. Julia und ihre Nachbarin → Setze die Demonstrativpronomen hic, haec, hoc und ille, illa, illud richtig ein! hunc haec illum hic hoc illi ille illum haec illa Julia unterhält sich im Theater mit ihrer Nachbarin: Iulia: « locus, ubi sedemus, optimus est. Omnia videre possumus. spectatores longissime absunt. Sie zeigt auf die Mutter neben sich: est Cornelia, mater mea. Hospites sumus. Sie zeigt auf einen jungen Mann in einiger Entfernung: Quis iuvenis est? » Vicina: «Appellatur Marcus Otacilius Bellus. Homines Bellum vocant, quod formosissimus est. Habitat in pulcherrimo aedificio omnium aedificiorum Aventicensium. Familia divitissima est. Agedum, te ad duco.» Iulia: «Gratias ago. certe nolim. Amo alium iuvenem. Mihi anulum tradidit. Vide! » Vicina: «Mirabilis anulus est. Verbum AUGUSTILLAE lego. Quis ēdĕre = essen legĕre = lesen vīcīnă, ae f. = die Nachbarin longissimē absunt = sind sehr weit entfernt hospitēs m. = die Gäste iuvenis m. = der junge Mann appellatur = er heisst bellus, a, um = hübsch dīvitissimus = steinreich agedum = Los! gratiās agō = (ich) danke nōlim = ich möchte nicht ānulus m. = der Ring tradidit = er hat gegeben proxima = die letzte 3.3 Syntax Wortschatzarbeit ist ein zentrales Anliegen der Aurea Bulla, aber auch die syn‐ taktischen Parallelitäten und Entwicklungen verschiedener Sprachen spielen eine große Rolle. Der Ansatz, lateinische Grammatik per se als isolierten Sprach‐ lehrgang zu vermitteln, wird konsequent vermieden, indem lateinische Syntax nie ohne Vergleich mit neusprachlichen Phänomenen eingeführt wird. Entspre‐ chend der in den letzten Jahrzehnten gewonnenen Erkenntnis, dass durch den Lateinunterricht auch die Deutschkompetenz der Schüler*innen massiv geför‐ 90 Katharina Wesselmann 19 Prominentes Flaggschiff dieser Forschungsrichtung ist das Projekt Latinus Pons der Berliner Humboldt-Universität, siehe dazu Kipf 2014a und b sowie www.hu-berlin.de/ d e/ foerdern/ was/ projekte/ nachwuchs/ latinus-pons (Zugriff am 29.04.2018). dert wird, 19 steht die deutsche Syntax hier von Anfang an im Fokus, z. B. wird gleich zu Beginn der Kasuslehre (1.24) die Aufmerksamkeit auf die deutschen Artikel gelenkt, durch die im Deutschen die Kasus angezeigt werden, anders als im Lateinischen. Gerade für dialektsprachige Schüler*innen ergeben sich hier unter Umständen neue Erkenntnisse, da die Nominativ- und Akkusativ-Artikel in den meisten Schweizer Dialekten gleich klingen, woraus sich im Schriftdeut‐ schen entsprechend häufig eine Fehlerquelle ergibt (“ich habe ein Mann ge‐ troffen”). Eine weitere Schwierigkeit sowohl für dialektals auch fremdspra‐ chige Schüler*innen besteht in den Komplexitäten der schriftdeutschen Satzstellung. Folglich wird bei der Einführung lateinischer Nebensätze in Caput VI auch die veränderte Satzstellung in deutschen Nebensätzen ausführlich be‐ handelt (2.72f.), und beim Thema der Nebensätze bieten sich natürlich auch Übungen zur Kommasetzung im Deutschen an (Ex. 2.13.6, Ex. 3.41.16). Neben zahlreichen weiteren Übungen und Erklärungen zum Deutschen bietet das Lehrbuch auch im syntaktischen Bereich eine große Fülle an Übungen zum Englischen, Französischen (z. B. 1.121 die Erklärungen zu dativischen Wen‐ dungen in beiden Sprachen) oder zum mehrsprachigen Vergleich. Hier geht es nicht immer um unmittelbare Anwendbarkeit; Ziel des Lehrbuchs ist auch Sprachbetrachtung, also das Aktivieren einer Reflexionsebene und die Förde‐ rung eines grundsätzlichen Interesses an Sprache durch kleine Erkenntnisse. Eine typische Aufgabe findet sich zu Beginn des ersten Bandes (1.26, Abb. 5): Evenus et Philetus im vorhergehenden Satz Evenus et Philetus im vorhergehenden Satz Jeder Satz braucht ein Hier sind die vier wichtigsten Satzglieder: SUBJEKT: Das Subjekt gibt an, wer oder was etwas tut oder ist. Es nennt also das Thema des Satzes. In den meisten Fällen steht das Subjekt im Nominativ. In der Regel ist das Subjekt ein Nomen oder ein Pronomen (er, sie). Jeder Satz braucht ein Subjekt, manchmal sind es auch mehrere. Evenus | et | Philetus | rident | et | clamant | et | currunt. Subjekt Subjekt Prädikat Prädikat Prädikat Evenus | und | Philetus | lachen, | schreien | und | rennen. Subjekt Subjekt Prädikat Prädikat Prädikat Im Lateinischen kann das Subjekt auch durch die blosse Endung des Verbs im Prädikat angezeigt werden. Im Deutschen benötigen wir dazu ein Personalpronomen im Nominativ. Gaudent. Prädikat Subjekt Sie | freuen sich. Subjekt Prädikat → Vergleiche, wie die verschiedenen Sprachen das Subjekt ausdrücken! LATEIN DEUTSCH FRANÇAIS ESPAÑOL ITALIANO ENGLISH amo ich liebe j’aime amo amo I love amat er/ sie liebt il/ elle aime ama ama he/ she loves amamus wir lieben nous aimons amamos amiamo we love amant sie lieben ils/ elles aiment aman amano they love → Was könnte der Grund dafür sein, dass manche Sprachen das Subjekt immer mit einem Personalpronomen ausdrücken, manche nicht? Die Erkenntnis, dass das Lateinische das Subjekt nicht explizit ausdrücken muss, ist neu und verwirrend für Schüler*innen, die bisher nur Deutsch, Französisch 91 Latein, Mehrsprachigkeit, Kulturgeschichte: Das neue Lehrbuch Aurea Bulla 20 Zusätzlich wird eine sprachhistorische Erklärung für die Dominanz der von plus abge‐ leiteten Steigerungsadverbien im Italienischen und Französischen gegenüber der Ab‐ leitungen von magis in anderen romanischen Sprachen geboten (3.35). Ergänzt wird die Thematik auch im Commentatio-Teil von Caput XI (Ex. 3.10): “Erkläre einem Freund oder deiner Familie, wie es ausgehend von den lateinischen Komparativ-Formen zu den Komparativ-Bildungen im Französischen, Italienischen und Spanischen kam.” und Englisch gelernt haben. Aus dem Vergleich mit den drei bekannten Sprachen sowie den (in der Regel) noch unbekannten Sprachen Italienisch und Spanisch ergibt sich eine Systematik des Phänomens: Sprachen, deren Verbalformen nicht eindeutig sind, müssen das Subjekt ausdrücken (z. B. klingen beim französischen Verb aimer die 1., 2., 3. Ps. Sg. und die 3. Ps. Pl. gleich); in Sprachen mit eindeu‐ tigen Personalendungen ist dies dagegen nicht nötig. Andere Aufgabentypen richten sich gezielt auf Phänomene, die in den neu‐ sprachlichen Fächern Probleme bereiten können, z. B. auf die Übereinstimmung von Prädikatsnomen und Subjekt im Französischen. Im Vergleich der Sätze Mater cara est / Die Mutter ist lieb / La mère est chère / The mother is kind (1.56) ergibt sich wiederum eine Parallelität des Lateinischen mit der romanischen Sprache, die nun systematischer erscheint als bisher, da sich das Französische in eine sprachhistorische Tradition einordnen lässt. Eine ähnliche Gelegenheit bietet sich beispielsweise beim Thema Kompara‐ tion (3.31-35), wo die Steigerung über Suffixe (high-er) derjenigen über Steige‐ rungsadverbien gegenübergestellt wird (more intelligent). Im Lateinischen gibt es beide Optionen, im Deutschen und im Französischen/ Italienischen nur je eine von beiden; im Englischen existieren beide Varianten abhängig von der Silben‐ zahl des zu steigernden Adjektivs, eine Regel, die bei dieser Gelegenheit wie‐ derholt oder neu eingeführt wird. 20 Dies ist ein typischer Fall für das kurze An‐ tippen einer Thematik, der den neusprachlichen Unterricht entweder als Wiederholung ergänzen kann oder den Boden für die gründlichere Einführung des Phänomens im Englischunterricht bereitet. Ähnlich verhält es sich z. B. mit den Tempus-Aspekten in den modernen Fremdsprachen, die bei der Einführung des lateinischen Perfekts angesprochen werden: Auch ohne ausführliches Ver‐ handeln des franzsischen Gegensatzes zwischen passé composé und imparfait oder des englischen simple past und past continuous kann den Schüler*innen bewusst gemacht oder in Erinnerung gerufen werden, dass Tempora eben nicht nur Zeitstufen, sondern auch Kategorien wie die Dauer einer Handlung be‐ zeichnen können. Vertiefungen erfolgen zusätzlich in der Commentatio (“Viele Sprachen … unterscheiden in Erzählungen beim Tempus-Gebrauch zwei As‐ pekte. Kannst du sie erläutern? ”) und im zugehörigen Exercitia-Teil (z. B. Ex. 3.14f. 12-13: Abb. 6). 92 Katharina Wesselmann seiner überragenden Fähigkeiten hat ihn der Kaiser zum Leiter der Kanzlei a libellis ernannt ( ). Wir werden in nächster Zeit häufig wichtige Gäste einladen ( ).» Julia fragte sich ganz aufgeregt: Wird gar der Kaiser in diesem Haus empfangen werden ( )? 12. Welches Tempus darf’s denn sein? → Wähle im folgenden Ausschnitt aus Aurea Bulla das richtige Tempus aus! Vor dem Eingang verabschiedeten sich ( were saying goodbye - said goodbye) die Frauen von Quintus. Dieser ging ( was going - went) schnurstracks ins Männerbad. Während sie voller Staunen durch die riesige Anlage spazierten ( were walking - walked), erzählte ( told - was telling) ihnen Attia vom Leben in Rom. Als sie später das apodyterium, die Garderobe, betraten ( were entering - entered), rief Attia eine junge Sklavin heran ( appelait - a appelé). «Pass auf unsere Sachen auf», sagte sie ( disait - a dit), «den Lohn bekommst du hinterher bei uns zuhause, wir wohnen nur ein paar Schritte von hier auf dem Aventin.» Die Frauen entkleideten sich ( se déshabillaient - se sont déshabillées) und übergaben ( tradebant - tradiderunt) der Sklavin ihre Sachen. «Es wird furchtbar viel gestohlen hier», erklärte ( explanabat - explanavit) die Tante, «und auch den capsariae hier kann man nicht trauen. Wenn man sie vorher bezahlt, sind sie meistens weg, wenn man aus dem Wasser steigt. Und nackt zurücklaufen wollt ihr wohl kaum.» Julia lachte ( ridebat - risit). → Die blau markierten Prädikate des folgenden Textes stehen alle im Präteritum. Im Lateinischen könnten die Prädikate mit erzählendem Perfekt oder Imperfekt wiedergegeben werden. Welches Tempus würdest du im Lateinischen erwarten? Begründe deine Wahl, indem du auf die Funktionen dieses Tempus verweist! Valens irrte durch die Strassen von Augusta Raurica, als sei er noch nie dort gewesen. Seit Julias Abreise fühlte er sich in der eigenen Heimat fremd. Seine liebste Freundin war weg, und nach wie vor wusste er nicht, wer er wirklich war. Mit seinem Vater konnte er nicht reden; der fing in letzter Zeit immer wieder von der Hochzeit mit Baudoaldus’ Tochter an. Valens hatte keine Freude mehr an seinem Heimatstädtchen Basilia. Parallelitäten und Gegensätze zwischen den einzelnen Sprachen ergeben sich immer wieder anders; so zeigt sich z. B. bei der Einführung des Genitivs eine Gemeinsamkeit des Deutschen und Lateinischen im Gegensatz zu den anderen Sprachen: Beim Übersetzen des lateinischen Genitivs ins Deutsche, Französische und Englische (2.101.9) wird deutlich, wie Kasus durch Präpositionalausdrücke ersetzt worden sind (Scio Mercurium filium Iovis et Maiae esse  Je sais que Mercure est le fils de Jupiter et de Maia / I know that Mercury is the son of 93 Latein, Mehrsprachigkeit, Kulturgeschichte: Das neue Lehrbuch Aurea Bulla 21 Vgl. auch 2.107-109 zu den possessiven und partitiven Funktionen im Englischen und Französischen. 22 Vgl. z. B. den “Lehrplan Gymnasien ab 2018” des Kantons Basel-Stadt (abrufbar als pdf unter www.edubs.ch/ schullaufbahn/ gymnasium am 29.04.2018): Latein und Griechisch sehen als einzige Fächer Übersetzungen ins Deutsche vor. 23 Zum Thema Übersetzungsvergleich vgl. beispielsweise Nickel 2004, Weiß 2007. Jupiter and Maia). 21 Hier wird sich unweigerlich eine Diskussion über das Deut‐ sche einstellen, wo der Genitiv auch nur noch schriftsprachlich gebraucht wird, während in der mündlichen Sprache die Präposition ‘von’ dominiert. Sprach‐ entwicklung wird so lebendig: Die Schüler*innen bemerken, dass sie selber Teil eines aktuell im Deutschen stattfindenden Sprachwandels sind, der in anderen Sprachen bereits abgeschlossen ist. 3.4 Übersetzen Das Schulfach Latein wird häufig mit der Tätigkeit des Übersetzens assoziiert. In der Tat besteht im Übersetzen bis heute eine Kernkompetenz des Altspra‐ chenunterrichts, gar ein ‘unique selling point’, da der neusprachliche Unterricht nachvollziehbarerweise mehr auf Sprachproduktion ausgerichtet ist. Auf das Übersetzen zu verzichten und den lateinischen Sprachunterricht auf theoreti‐ sche Vergleiche und Reflexionen zu beschränken, wäre ein großer Verlust: Durch das Suchen nach deutschen Entsprechungen für lateinische Wendungen und das bisweilen durchaus mühselige Ringen um passende deutsche Formu‐ lierungen wird die Deutschkompetenz der Schüler*innen in hohem Maße ge‐ schult. Natürlich wäre derselbe Effekt auch im neusprachlichen Unterricht er‐ zielbar, wenn man englisch- oder französischsprachige Texte ins Deutsche übertragen ließe; diese Tätigkeiten werden aber in wesentlich geringerem Um‐ fang trainiert, da die Zielsetzungen im Englisch- und Französischunterricht eben überwiegend Kompetenzen in der neuen Sprache betreffen und nicht Kompe‐ tenz im Deutschen. 22 Die letztere ist im Übersetzungsprozess aus dem Lateinischen immer Thema, gerade, wenn es um Sprachregister oder auch den Vergleich der Qualität bereits vorhandener Übersetzungen geht. 23 Auch in Aurea Bulla ist dieses Thema mehr‐ fach berücksichtigt. Die erste ausführliche Behandlung findet sich 2.65.9-11, wo ein kurzer Abschnitt der lateinischen Fabula näher betrachtet werden soll: Tum hostes coniuncti legionem IX Victricem Piam, quod invalidissima est, petunt. Dum omnes milites dormiunt, subito nocte castra oppugnant, vigiles occidunt. Tre‐ pidatio maxima in castris est. Utraque pars vehementer pugnat. (2.63) 94 Katharina Wesselmann Im Anschluss soll die Qualität der folgenden Übersetzung beurteilt und eine bessere Version erstellt werden (2.65.9f.): Dann erstreben die vereinigten Feinde die 9. Legion Victrix Pia, weil sie am schwächsten ist. Während alle Soldaten schlafen, bestürmen sie plötzlich in der Nacht das Lager, töten die Wachen. Die Aufregung ist amgrössten im Lager. Jede der beiden Seiten kämpft heftig. Die Schüler*innen erfassen die minderwertigen Teile der Übersetzung idealer‐ weise selbst: petunt ist mit ‘erstreben’ nicht adäquat wiedergegeben, sondern heißt hier ‘angreifen’; coniuncti wäre besser prädikativ zu übersetzen (‘Dann greifen die Feinde vereinigt … an’); der deutsche Hauptsatz ‘töten die Wachen’ wäre eleganter mit ‘und’ anzuschließen, auch wenn die Konjunktion im Latei‐ nischen fehlt; maxima ist kein echter Superlativ, sondern hier elativisch zu übersetzen (‘Die Aufregung ist riesengroß’); statt ‘heftig’ stellt etwa ‘erbittert’ ein passenderes Adverb zum Verb ‘kämpfen’ dar; andere Kleinigkeiten lassen sich ebenfalls diskutieren. Hier zeigt sich die ganze Komplexität des Überset‐ zens, von unterschiedlichen Wortbedeutungen bis hin zu syntaktischen Fein‐ heiten; auch die bei Schüler*innen bisweilen vorherrschende Vorstellung einer Schwarz-Weiß-Dichotomie zwischen Richtig und Falsch gerät ins Wanken: ve‐ hementer heißt ja schließlich ‘heftig’ - das steht so im Wörterverzeichnis (2.167). Dennoch ist die Übersetzung hier nicht ideal; stattdessen muß je nach Situation eine bessere Variante gesucht werden. Auch das Thema Sprachregister kommt hier nicht zu kurz. Schon bei der zitierten Aufgabe der Übersetzungsverbesserung ist die Auflage, dass die deut‐ sche Version der Erzählsituation entsprechen soll: “[es] handelt sich bei Marcus Messors Bericht um eine Erzählung im vertrauten Familienkreis”. Denkbar wären also auch umgangssprachlichere Wendungen, was wiederum gegen das deutsche Adverb ‘erbittert’ spricht; hier sind die Schüler*innen angehalten, sich zu überlegen, wie sie selbst ihren Familien Bericht erstatten würden; der Krea‐ tivität sind keine Grenzen gesetzt. Anschließend werden die Lernenden kurz theoretisch orientiert: Das Ziel der Übersetzungsarbeit in AUREA BULLA ist es, deutsche Übersetzungen zu verfassen, die im Deutschen den Stil und die Situation der lateinischen Texte möglichst treffend wiedergeben. Eine gute Übersetzung soll dem Leser, der Leserin so unmit‐ telbar verständlich sein, dass er, sie gar nicht mehr bemerkt, dass es sich um eine Übersetzung handelt. In der folgenden Aufgabe sollen die Schüler*innen zu einem weiteren Abschnitt der lateinischen Fabula eine eigene Übersetzung erstellen und “nach möglichst 95 Latein, Mehrsprachigkeit, Kulturgeschichte: Das neue Lehrbuch Aurea Bulla 24 Sehr ähnlich gelagert sind die Übersetzungsaufträge in Ex. 3.43f.18 und 21, wo es eben‐ falls zunächst um das Korrigieren einer ungeschickten Übersetzung geht und anschlie‐ ßend um das (un)passende Sprachregister im Deutschen. treffenden deutschen Formulierungen” suchen, die an einer fremden Überset‐ zung geübten kritische Haltung also nun gegenüber dem eigenen Produkt ein‐ nehmen. Bei einem weiteren Abschnitt der Fabula sind die Schüler*innen gefordert, ihre Übersetzungen untereinander zu diskutieren - die Lehrperson tritt als be‐ urteilende Autorität in den Hintergrund - und auch eine Übersetzung in ihr eigenes Idiom, z. B. Mundart, zu erstellen (2.67.17-19). Hier soll ein selbständiger, selbstbewußter und möglichst natürlicher Umgang mit dem Thema Sprachre‐ gister erreicht werden. 24 Das Übersetzen aus dem Lateinischen besteht natürlich nicht nur in möglichst passenden deutschen Rekodierungen; zunächst muss es auch um die Dekodie‐ rung des Lateinischen gehen. Es empfiehlt sich, Schüler*innen mit einem um‐ fangreichen, schwierigen lateinischen Text nicht alleine zu lassen; entsprechend steht in Aurea Bulla nicht die Aktivität des Übersetzens an sich im Zentrum, sondern vor allem auch das Erlernen und Trainieren von Lesestrategien zur Texterschließung. Es findet sich kein lateinischer Text, der ‘einfach so’ übersetzt werden soll; dies wäre gerade bei den längeren Fabulae der späteren Lektionen eine für jüngere Schüler*innen ermüdende und langweilige Aufgabenstellung. Stattdessen gibt es abschnittweise Erschließungsschritte, die auch als Vorberei‐ tung für eine mögliche künftige Originallektüre gedacht sind; jedoch können auch Lernende, die das Fach Latein später nicht weiterführen, von den Strate‐ gien im Umgang mit fremdsprachigen oder komplexen deutschsprachigen Texten profitieren. Ein Beispiel ist der mit 35 Zeilen recht lange lateinische Text B in Caput VIII (2.138-140). Bei der vereinfachten Passage aus Plautus’Am‐ phitruo handelt es sich um eine amüsante, aber auch einigermaßen komplexe Verwechslungsgeschichte, bei der Götter auf der Erde die Gestalt von Menschen annehmen. Die Schüler*innen absolvieren die folgenden Erschließungsschritte: Vor der Lektüre wird ein Informationstext zum Inhalt der Komödie gelesen. Anschließend wird der Text vorgelesen und erste Fragen via Hörverständnis geklärt: “Welche Personen sprechen in dieser Szene miteinander? Welche wei‐ teren Figuren des Stücks ‘Amphitruo’ werden erwähnt? Wer wird verprügelt? Warum? ” (139). Weiter werden die Schüler*innen zum Austausch in der Lern‐ gruppe aufgefordert, um zusammenzutragen, was bereits verstanden worden ist. Die nächsten Schritte der Texterschließung erfolgen in Tandemarbeit. Die Zeilen 3-17 werden aufgeteilt; es geht um Inhaltserschließung zuerst alleine, 96 Katharina Wesselmann 25 Vgl. auch die Einführung der Konstruktionsmethode in Ex. 2.3.2. 26 Weitere Aufgaben vom selben Typus finden sich 1.91.3, 1.128.13-19, Ex. 1.3f.9, Ex. 1.24.12, 2.51f.1-3, 2.54f., Ex. 2.33.15f., Ex. 2.38-41, 3.103f.1-4 und 7. dann mit Hilfe der jeweiligen Tandempartner*in. Weitere Aufträge zum inhalt‐ lichen Erfassen des Textes erfolgen punktuell, z. B. soll geklärt werden, worin das crimen terribile besteht, das eine der Figuren erwähnt, oder es soll die Ver‐ zweiflung einer anderen Figur anhand der Vokabeln im Text rekonstruiert werden (perhorrescit, dolores terribiles, me miserum, perii). Erst dann wird ein Teil des Textes tatsächlich ins Deutsche übersetzt, und zwar mit dem konkreten Auftrag, beim Register der Übersetzung das Genre Komödie zu beachten. Die Schüler*innen erwerben hier verschiedene Strategien, sich einem Text zu nähern: Schritt für Schritt wird der Inhalt durch Paratexte, Schlüsselbegriffe und Wortfelder vorerschlossen; Langeweile wird durch den Austausch im Tandem vermieden. Schließlich sind die Schüler*innen so weit, dass sie einen nicht zu umfangreichen Teil des Textes relativ mühelos ins Deutsche übertragen und sich gleichzeitig mit der spezifisch komödienhaften Recodierung befassen können. An diese eigentliche Übersetzungsarbeit schließt sich ein Reflexionsauftrag an: “Erläutert euch gegenseitig, wie ihr beim Übersetzen vorgegangen seid” (140); hier können Strategien wie etwa die bereits in Ex. 1.3.8 thematisierte Pen‐ delmethode 25 detaillierter besprochen werden. Die geschilderte Art der Texterschließung hat zum Ziel, die Lernenden mit Selbstbewußtsein auszustatten, was ihre Fähigkeiten zum Textverständnis an‐ geht; Versagensängste und -erlebnisse sollen durch die Kleinteiligkeit der Vor‐ gehensweise minimiert werden. Hier ist auch der kreative Aspekt entscheidend, der gerade beim Übertragen eines Komödientexts ins Deutsche eine spielerische Herangehensweise an das Übersetzen befördern kann. Ziel ist eine Unbefan‐ genheit im Umgang mit fremdsprachigen Texten, die idealerweise auch auf den Umgang mit komplexen deutschsprachigen Texten oder auf den neusprachli‐ chen Unterricht übertragen werden kann. Für letzteres ist auch durch einen weiteren Aufgabentyp gesorgt, der in der Aurea Bulla vielfach vertreten ist: 26 In parallelen fremdsprachigen Texten (eng‐ lisch, französisch, italienisch und spanisch, bisweilen auch in ‘exotischeren’ Sprachen wie Portugiesisch, Rumänisch oder Bündnerromanisch) werden Be‐ griffe definiert oder Sachverhalte erklärt; die Schüler*innen sind dazu ange‐ halten, einzelne Informationen aus den Texten herauszuziehen und der lateini‐ schen Wortherkunft der fremdsprachigen Vokabeln nachzugehen. Ein frühes Beispiel ist die Definition der eponymen Bulla in 1.44f. (Abb. 7), wo die Schüler*innen aus je einem französisch- und englischsprachigen Text Informa‐ tionen über das fremdartige Objekt suchen sollen; anschließend sind die neu‐ 97 Latein, Mehrsprachigkeit, Kulturgeschichte: Das neue Lehrbuch Aurea Bulla sprachlichen Ableitungen der lateinischen Vokabeln spiritus, protegere und dif‐ ferre gefragt. Die Aufgabenreihe schließt mit einer Erstellung des Wortfelds ‘Materialien’ in allen drei Sprachen. Auch bei den Fabula-Texten werden bisweilen neusprachliche Übersetzungen eingesetzt, um die Erschließung des Lateinischen zu erleichtern und sprachliche Parallelen hervorzuheben (z. B. 1.83.2-4; 2.63-65). 4. Kulturgeschichte 4.1 Sprachgeschichte Die Beschäftigung mit Sprache kann ohne kulturgeschichtlichen Rahmen nicht funktionieren; entsprechend befaßt sich auch Aurea Bulla nicht nur mit Sprach‐ wandel, sondern auch mit dessen historischen Ursachen und der Veränderung der Lebenswelten im Lauf der Zeiten. Oben ist schon erwähnt worden, dass die Faltkarte des römischen Reiches und seiner Grenzen mit der Ausbreitung des Romanischen in Zusammenhang gebracht werden kann und soll; weitere Lehr‐ buchteile befassen sich ebenfalls mit dem Phänomen Sprachgeschichte, und zwar auf sehr vielfältige Art und Weise: Schon zu Beginn des ersten Exer‐ citia-Bandes (1.4.13) wird der Begriff der Etymologie eingeführt und mit einfa‐ chen Erschließungsübungen ergänzt; der Magazinteil “Der Mensch und die 98 Katharina Wesselmann 27 Entscheidend erscheint hier auch die Wiederaufnahme der Thematik im Reflexionsteil Commentatio des Exercitia-Bandes: “Du hast zwei Regelmässigkeiten in der lautlichen Veränderung vom Lateinischen zum Französischen kennengelernt.  Überlege dir, wie dir dieses Wissen nützlich sein kann” (Ex. 2.25). Die Lautregeln werden den Schüler*innen also nicht einfach vorgesetzt, sondern ihre Anwendungsmöglichkeiten (und implizit diejenigen weiterer Lautregeln) werden auch über die im Buch gegebenen Beispiele hinaus reflektiert. Sprache” (1.64-69) schlägt einen breiten Bogen von der Entwicklung mensch‐ licher Sprache an sich über die indoeuropäischen Sprachfamilien bis hin zum Einfluss des Lateinischen auf die germanischen Sprachen Deutsch und Englisch; im Lingua-Teil des Caput VII und VIII werden lautliche Veränderungen vom Lateinischen zum Französischen grundsätzlicher erklärt - nicht ohne den Hin‐ weis, dass es sich hierbei um Tendenzen handelt und nicht um Regeln mit uni‐ verseller Gültigkeit (2.111f.; 2.145-148); 27 schließlich wird am Beispiel des latei‐ nischen Wortes gratia verdeutlicht, wie sich aus derselben Vokabel im Lauf der Zeit verschiedene Bedeutungen ergeben können (3.35, Abb. 8). 99 Latein, Mehrsprachigkeit, Kulturgeschichte: Das neue Lehrbuch Aurea Bulla 28 Niemann 2016. 4.2 Interkulturelles Lernen Es bleibt aber nicht bei einer rein diachron-historischen Betrachtung. ‘Das an‐ tike Rom’ oder ‘Latein’ sind keine genau definierbaren Kultur- oder Sprach‐ kreise. Die römische Antike lebt weit über die Grenzen Italiens hinaus fort, nicht nur in der mittelmeerumspannenden Oikumene des römischen Reiches, sondern auch in den Ländern, in denen die Römer selber nie Fuß gefasst haben, sondern die auf andere (mehr oder weniger problematische) Weise westliche Kultur- und Sprachelemente übernommen haben. Die Schüler*innen, die heute Latein lernen, befinden sich ihren Großeltern und wahrscheinlich sogar Eltern gegen‐ über in der neuartigen Situation einer immer heterogener werdenden Gesell‐ schaft, in der verschiedene kulturelle Hintergründe und Bildungsbiographien aufeinandertreffen. Aus diesem Grund eignet sich die Folie der römischen An‐ tike sehr gut als Modell für die heutige Gesellschaft, und die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, werden in Aurea Bulla vielfach genutzt. Natürlich können die Ziele hier nicht zu ehrgeizig sein. Ebensowenig wie Lingua Latein die Schüler*innen befähigt, Spanisch zu sprechen, werden Themen wie Sklaverei, Geschlechterrollen, Menschenrechte oder Religion in Aurea Bulla erschöpfend behandelt. Gerade in Bereichen, die in der Lebenswelt der Schüler*innen problematisch oder zumindest heikel sein könnten, darf keine Belehrung über heutige Zustände erfolgen, die ohnehin immer ungenau und pauschalisierend wäre - man denke z. B. an den aktuell beliebten Vergleich des troianischen Flüchtlings Aeneas mit heutigen Geflüchteten 28 , der zwar nahe‐ liegt, aber die spezifischen Gegebenheiten der jeweiligen Situation kaum ad‐ äquat berücksichtigen kann. Stattdessen werden in Aurea Bulla Themen ange‐ sprochen, die bei heutigen Lernenden Resonanz finden können, ohne aktiv Vergleiche zum Heute zu ziehen; wenn dies geschehen kann oder soll, finden sich die Anregungen in Form von Fragen wieder. Dass in der römischen Welt gesellschaftliche Konflikte existieren, wie sie auch heute an der Tagesordnung sind, ist zentrales Thema der Lehrbuchge‐ schichte: Valens und Julia haben kaum eine Chance, als Paar zusammenzu‐ kommen, weil die Überwindung ihres Standesunterschieds nicht vorgesehen ist. Eine erste mögliche Reaktion heutiger Schüler*innen wäre die spontane An‐ nahme, dass in der heutigen Welt Standesunterschiede keine Rolle mehr spielten; dieser naiven Abgrenzung von der antiken Welt wird bereits nach dem ersten Kapitel der Lehrbuchstory durch entsprechende Fragestellungen vorge‐ beugt: “Lies die Erzählung durch und notiere, aus welchen gesellschaftlichen Gruppen die Personen in der Geschichte kommen! … Diskutiert in der Lern‐ 100 Katharina Wesselmann 29 Holtermann et al. 2005, 20. gruppe, ob es auch in unserer heutigen Gesellschaft verschiedene Schichten gibt! ” (1.15.4 und 8). Ausgehend von der gesellschaftlichen Problematik, der sich die beiden Haupt‐ figuren der Geschichte ausgesetzt sehen, verändert sich ihre Perspektive auf die Welt; hier kommt auch das Thema Sklaverei zur Sprache. In gängigen Latein‐ lehrbüchern wird die Tatsache, dass in der Antike Menschen als Besitz gehalten und gehandelt wurden, in normalisierter Form präsentiert, etwa im lateinischen Lehrbuchtext der 2. Lektion des Lehrmittels Actio 1, 29 in dem ein harmlos-har‐ monisches Familienleben mit Vater, Mutter, Kindern und Sklaven suggeriert wird, bei dem jede Figur fröhlich ihren Aufgaben nachgeht. Natürlich kommen auch in Aurea Bulla Sklaven vor, ohne dass das Thema jedesmal ausführlich behandelt werden kann, aber wenigstens gibt es an einer Stelle Gelegenheit: In der Geschichte von Caput VI (2.46-49) wird die Lebensgeschichte der Sklavin Radoara berichtet, die im Zuge ihrer Versklavung Entsetzliches erlebt haben muss; die Erzählung bringt wiederum den Protagonisten Valens dazu, das Phä‐ nomen der Sklavenhaltung generell zu hinterfragen. Wieder werden die Über‐ legungen durch Aufgabenstellungen an die Schüler*innen weitergeführt, die absichtlich offen gehalten sind: “Beschreibe Radoadas bisheriges Leben! […] Er‐ findet Lebensgeschichten der [2.49, hier Abb. 9] dargestellten Sklavinnen und Sklaven. 101 Latein, Mehrsprachigkeit, Kulturgeschichte: Das neue Lehrbuch Aurea Bulla 30 Varro, De re rustica 1.17.1. 31 Vgl. auch die Wiederaufnahme des Themas in der zugehörigen Commentatio Ex. 2.11: “Notiere dir zwei Gemeinsamkeiten und zwei Unterschiede zum Thema ‘Heiraten’ im antiken Rom und in den heutigen Kulturen, die du kennst” oder in 2.117.7-8, wo die Figur der heiratsfähigen jungen Nausikaa thematisiert wird. Schreibt sie auf und hängt sie zusammen mit einer Kopie der Illustration im Schulzimmer auf.” Bereits im ersten Band werden im Rahmen der Res Romanae die gesellschaftlichen Rangordnungen in der Welt von Valens und Julia erklärt (1.79f.), erneut zum Vergleich mit heute aufgefordert (1.80.5); das Thema Skla‐ verei wird direkt im Anschluss anhand einer recht drastischen Textpassage aus Varros De Re Rustica  30 thematisiert, in der Sklaven unter den Arbeitsinstru‐ menten als genus vocale bezeichnet werden, ‘sprachfähig’ im Gegensatz zum genus semivocale (‘halbsprachfähig’, also Tiere) und mutum (‘stumm’, also z. B. Fuhrwerke). Die Schüler*innen werden u. a. dazu aufgefordert, die (erstaunlich kurz zurückliegenden) Zeitpunkte zu recherchieren, an denen die Sklaverei in Europa und Amerika abgeschafft wurde, und sich Gedanken über moderne Formen der Sklaverei zu machen (1.81.7 und 9). Themen dieser Art werden immer wieder aufgegriffen, zuletzt bei einer mehrsprachigkeitsdidaktischen Aufgabe, in der es zunächst darum geht, einen italienischen und einen spanischen Text zum Thema Menschenrechte zu ver‐ stehen (Ex. 3.52f.); in zweiter Linie werden die Schüler*innen jedoch wieder zur Diskussion aufgefordert: “Diskutiert, was ihr unter ‘Würde des Menschen’ ver‐ steht! Gibt es Eurer Meinung nach Grenzen der Toleranz? ” (Ex. 3.53.7). Ziel dieser Art von Aufgaben ist es, den Schüler*innen die Kontinuität gewisser Pro‐ blemstellungen aufzuzeigen und den historischen Hintergrund gesellschaftli‐ cher Haltungen zu beleuchten. Auch Fragen nach Geschlechterrollen und -verhältnissen spielen in Aurea Bulla eine Rolle, zum Beispiel beim Thema der Heiratsbräuche, denen Valens und Julia unterworfen sind (2.13-15). Hier werden die geschlechtsspezifischen Erwartungen auch sprachlich beleuchtet: Der Akt des Heiratens wird im Latei‐ nischen nach Mann und Frau unterschieden; während beim ersteren die aktive Wendung in matrimonium ducere, ‘in die Ehe führen’, verwendet wird, steht für die Frau nubere mit einer Art Dativus commodi, etwa ‘sich dem Manne verhei‐ raten’. Wieder werden die Schüler*innen zum Vergleich mit heutigen Gebräu‐ chen aufgefordert, diesmal auch mit Berücksichtigung verschiedener (eigener) Kulturkreise: “Welche Arten von Heiraten und gesetzlich anerkannten Partner‐ schaften existieren heute in der Schweiz und in euren Herkunftsländern? ” (2.15.2). 31 Der Schritt von der römischen Antike, in der ein Tavernenbub keine Bürgermeistertochter heiraten darf, zu heutigen Gesellschaften, in denen bei‐ 102 Katharina Wesselmann spielsweise homosexuelle Paare nicht heiraten dürfen, erscheint in einer solchen Diskussion unter Umständen nicht mehr allzuweit. Die kulturelle Heterogenität der Schülerschaft wird auch bei weiteren Themen ins Spiel gebracht, etwa bei den Feldern Bestattung und Jenseitsvor‐ stellungen: “Welche Bestattungsriten kennt ihr? Vergleicht sie mit den römi‐ schen! Welche Vorstellungen vom Jenseits sind euch aus eurem Kulturkreis be‐ kannt? Vergleicht sie mit jenen der Römer! Kennt ihr Bräuche, die mit der römischen Laren-Verehrung vergleichbar sind? ” (2.130.1-4). Diese Art offener Diskussion ermöglicht es den Schüler*innen, in offener Pluralität auch über re‐ ligiöse Vorstellungen zu sprechen, ohne dass Wertungen vorgenommen werden: Der Vergleich wird nicht auferlegt, sondern ist von den Lernenden frei wählbar; zudem erfolgt er mit der weit entfernten Folie der römischen Antike, nicht in erster Linie zwischen heutigen Religionen. Gleichzeitig eröffnet sich idealer‐ weise ein Zugang zur polytheistischen und multikulturellen antiken Gesell‐ schaft, die säkulare Lebensweisen neben zahlreichen Kulten und Religionen kennt. Fazit Der heutige Lateinunterricht benötigt zeitgemäße Formate, die aktuellen Fak‐ toren wie migrationsbedingter Mehrsprachigkeit, kultureller Heterogenität und bildungsbiographischer Diversität Rechnung tragen. Das Lehrmittel Aurea Bulla und das Schulfach Lingua Latein verstehen sich als Beitrag zu dieser Aktuali‐ sierung des Lateinunterrichts. Natürlich bedingt die Verbreiterung des mehr‐ sprachigkeitsdidaktischen und kulturhistorischen Ansatzes eine Schmälerung des eigentlich latinistischen Curriculums, wobei die sich stark unterscheidenden Rahmenbedingungen und die geringe Stundenzahl das Ihrige tun. Dies muss jedoch kein allzu gravierender Verlust sein: Bei den aktuellen Bedingungen in den Basler Halbkantonen ist es den Schüler*innen möglich, am Gymnasium weitere vier Jahre ‘traditionellen’ Latein-Unterricht zu belegen; umgekehrt er‐ reicht das Fach auf Sekundarschulebene zahlreiche Schüler*innen, die bisher nie mit Latein in Kontakt gekommen sind. Es genügt nicht, sich darauf zu verlassen, dass die lateinische Grammatik eine positive Eigendynamik entwickelt, die auf die neusprachlichen Fächer und die Deutschkompetenz der Lernenden wirkt. Entsprechend wird das vielgepriesene sprachfördernde Potential des Latein-Unterrichts in Aurea Bulla in einer Reihe mehrsprachigkeitsdidaktischer Aufgabenformate eingesetzt. Ferner wird die multikulturelle und multilinguale Welt der Antike konsequent in ihrem Zusam‐ menhang mit der Moderne dargestellt, ohne Komplexitäten zu vereinfachen und 103 Latein, Mehrsprachigkeit, Kulturgeschichte: Das neue Lehrbuch Aurea Bulla Probleme zu normalisieren oder zu marginalisieren. Die Lernenden bewegen sich offen und neugierig und zwischen den Sprachen (auch den ihnen unbe‐ kannten). Sie sind experimentierfreudig und entdecken, dass sie mehr verstehen als sie glauben. Ziel ist, den heutigen Schüler*innen ein sprachliches und kul‐ turelles Grundgerüst im eigentlichen Wortsinn zu geben: keine definitive Kon‐ struktion, sondern etwas, auf dem sie aufbauen können. Bildlegenden: Abb. 1: Julia und Valens (Band 1, Faltumschlag vorn) Abb. 2: Vocabula (Band 3, S. 183) Abb. 3: Präfixe (Band 3, S. 121) Abb. 4: Suffixe (Exercitia 2, S. 30) Abb. 5: Mehrsprachiger Vergleich der Subjektsebene (Band 1, Seite 26) Abb. 6: Mehrsprachiger Vergleich des Tempusgebrauchs (Exercitia 3, Seite 14) Abb. 7: Mehrsprachige Erschließungsaufgabe (Band 1, S. 44f.) Abb. 8: Bedeutungsverschiebungen (Band 3, S. 35) Abb. 9: Sklavendarstellung (Band 2, S. 49) Die Abbildungen erfolgen mit der freundlichen Genehmigung von Atelier bunt‐ erhund, Zürich (Abb.1, Abb. 9), und aplus caruso GmbH, Basel (Abb. 2-8). Bibliographie Habenstein et al. 1992 Latein: Grund- und Aufbauwortschatz, von Ernst Habenstein, Eberhard Hermes, Herbert Zimmermann; Neubearbeitung von Gunter H. Klemm. Stuttgart, Klett 2012 2 (1992 1 ). Holtermann et al. 2005 Martin Holtermann, Irmgard Meyer-Eppler, Günter Laser, Uwe Rademacher, Stefan Rebenich, Barbara Verwiebe, Anke Zegermacher und Patrich Zegermacher, Actio 1, Stuttgart/ Leipzig 2005. Kipf 2014a Stefan Kipf, Integration durch Sprache. Schüler nichtdeutscherHerkunftssprache lernen Latein, Bamberg 2014. Kipf 2014b Stefan Kipf, “Lateinunterricht und Zweitsprachförderung. Neue Perspektiven für eine alte Sprache”, in: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht. Di‐ daktik und Methodik im Bereich Deutsch als Fremdsprache, 19.1, 99-108. Kuhlmann 2009 Peter Kuhlmann, Fachdidaktik Latein kompakt, Göttingen 2009. Kapitel “Wortschatzarbeit”, 54-68. Nickel 1999 Rainer Nickel, “Wortschatzarbeit - wie, warum, wozu? ”, in AU 1999/ 4, 2-12. Nickel 2004 Rainer Nickel, “Synoptisches Lesen und bilinguales Textverstehen”, in AU 1/ 2004, 2-14. 104 Katharina Wesselmann Niemann 2016, Karl-Heinz, “Flucht, Schutzsuche und Schutzgewährung. Eine Unter‐ richtsreihe im Rahmen der Aeneis-Lektüre”, in: AU 4/ 5, 2016, 22-37. Schirok 2010 Edith Schirok,“Wortschatzarbeit”, in: Marina Keip und Thomas Doepner, Interaktive Fachdidaktik Latein, Göttingen 2010, 13-34. Weiß 2007 Dorothea Weiß, Catull, c. 8. und der Übersetzungsvergleich, in: Pegasus-On‐ linezeitschrift VII/ 1, 2007, 57-110. 105 Latein, Mehrsprachigkeit, Kulturgeschichte: Das neue Lehrbuch Aurea Bulla I am aprendiendo linguam hispanicam. Eine Untersuchung zum metasprachlichen Bewusstsein von Spanischlernenden Lukas Eibensteiner / Johannes Müller-Lancé 1 Einleitung Seit Mitte der 1990er Jahre zählen Sprachbewusstsein und Sprachlernbewusst‐ heit zu den zentralen Konzepten der Sprachenlehre (cf. Schmidt 2010, 858sq.). Wir definieren Ersteres in Anlehnung an die Association for Language Awareness als „explicit knowledge about language, and conscious perception and sensiti‐ vity in language learning, language teaching and use” (ALA 2017). Unter Sprach‐ lernbewusstheit verstehen wir in Anlehnung an Edmondson (1997, 93) „Kennt‐ nisse über das Fremdsprachenlernen allgemein und/ oder über das eigene Fremdsprachenlernen […], die nach Auffassung des Subjekts Einfluß auf das Fremdsprachenlernen hatten, haben oder haben können und bei Bedarf artiku‐ liert werden können“. Aufgrund des oftmals postulierten positiven Zusammen‐ hangs dieser beiden Konzepte im Hinblick auf eine bessere Sprachbeherrschung (cf. Schmidt 2010, 859), finden sie auch Einzug in den Gemeinsamen Europäi‐ schen Referenzrahmen. Sensibilität für Sprache und Sprachgebrauch würde demnach dazu beitragen, eine neue Sprache leichter zu lernen und zu verwenden (cf. Europarat 2001, 108). Aufgrund dieser positiven Zuschreibung sind die beiden Konzepte auch aus den schulischen Lehrplänen nicht mehr wegzu‐ denken. So schreibt beispielsweise der Bildungsplan für das Fach Spanisch in Baden-Württemberg, dass die „Schülerinnen und Schüler […] beim Erwerb der sprachlichen Mittel die spezifischen Ausprägungen des Spanischen auch im Vergleich zu anderen Sprachen“ reflektieren (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016, 9). Der Bildungsplan betont somit nicht nur die Wichtigkeit der Konzepte des Sprachbewusstseins und der Sprachlern‐ bewusstheit, sondern setzt diese auch in Bezug zur Komponente des Sprach‐ vergleichs, der wiederum als zentrales Element mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze verstanden werden kann. Die Nutzung von sprachlichem Vorwissen und die Implementierung sprachvernetzender Ansätze in den Fremdsprachen‐ unterricht werden seither als wichtige Ziele der Mehrsprachigkeitsdidaktik ver‐ standen. In diesem Kontext sind zahlreiche theoretische und praxisorientierte Arbeiten entstanden (cf. Meißner/ Reinfried 1998, Stegmann/ Klein 1999, Müller-Lancé 2006, Bär 2009). Seit spätestens 2010 lassen sich vermehrt Veröf‐ fentlichungen feststellen, die versuchen, sowohl weitere Schulfremdsprachen (cf. Klein/ Reissner 2006, Leitzke-Ungerer/ Blell/ Vences 2012) als auch soge‐ nannte Herkunfts- und Familiensprachen (cf. Fernández Ammann/ Kropp/ Müller-Lancé 2015) in ihre Überlegungen zu integrieren (cf. Reimann 2016, 17). Auch erste mehrsprachigkeitsdidaktische Lehrwerke wurden bereits vorgelegt (cf. Holzinger et al. 2012). Nichtsdestoweniger zeigen Lehrer/ innen-Befra‐ gungen, dass Lehrerinnen und Lehrer zwar durchaus „eine positive Einstellung zur Förderung von Mehrsprachigkeit und zum Nutzen bewusstmachender Sprachvergleiche“ (Neveling 2012, 230) haben, diese aber selten planen oder mithilfe von Zusatzmaterialien durchführen (cf. Heyder/ Schädlich 2015, 242). In dem folgenden Beitrag wollen wir nicht die Lehrerseite fokussieren, sondern stellen uns die Frage, ob Schülerinnen und Schüler sprachstrukturelle Ähnlich‐ keiten und Differenzen des spanischen imperfecto bzw. der Periphrase estar + gerundio zu ihrem sprachlichen Vorwissen in Bezug setzen können und ob diese Parallelen als förderlich für den Erwerb des Spanischen wahrgenommen werden. 2 Transferpotenziale beim Erwerb des spanischen imperfecto und estar + gerundio Der Erwerb des spanischen Imperfekts bereitet deutschsprachigen Lernenden erfahrungsgemäß Schwierigkeiten. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass die aspektuelle Opposition von perfektiv und imperfektiv im Deutschen nicht grammatikalisiert ist und sich die Lernenden diese komplexe Unterscheidung erst durch die Konfrontation mit dem L2-/ L3-/ Lx-Input aneignen können. Beim Erwerb des Englischen werden die meisten Lernenden im deutschen und öster‐ reichischen Schulsystem das erste Mal mit einer aspektuellen Opposition kon‐ frontiert. Anders als das Deutsche besitzt das Englische eine vollständig gram‐ matikalisierte und obligatorische progressive-Form (be + Verb-ing) (cf. Comrie 1976, 7), die in Form und Funktion der spanischen Periphrase estar + gerundio gleicht. Eine weitere Form-Funktions-Äquivalenz finden wir, wenn wir das spa‐ nische imperfecto mit dem lateinischen Imperfekt oder dem französischen im‐ parfait vergleichen (cf. Lindschouw 2017, 411). Die sprachstrukturelle Nähe als ein wesentliches Kriterium für positiven Transfer ist also gegeben. Nicht jede 108 Lukas Eibensteiner / Johannes Müller-Lancé strukturelle Nähe wird aber vom Lernenden als solche wahrgenommen. Deshalb betonen viele Transfermodelle die Wichtigkeit der vom Lernenden wahrge‐ nommenen strukturellen Nähe (cf. Kellerman 1977). Die Fähigkeit, Sprachen zu vergleichen und strukturelle Ähnlichkeiten wahrzunehmen und gewinnbrin‐ gend zu nutzen, hängt eng mit dem eingangs dargestellten Konzept des Sprach‐ bewusstseins zusammen. 3 Empirie 3.1 Untersuchungsdesign Die in diesem Artikel präsentierten Daten sind Teil eines noch nicht publizierten Dissertationsprojekts, das sich mit dem Erwerb des spanischen Tempus- und Aspektsystems im schulischen Fremdsprachenunterricht beschäftigt. Das Un‐ tersuchungssetting umfasst die folgenden Aufgabenformate: (1) einen C-Test, um das allgemeine Spanisch-Niveau der Lernenden zu messen, (2) Interpretati‐ onsaufgaben (en. sentence interpretation tasks) in Englisch, Französisch und Spa‐ nisch (je nach vorliegender Sprachenfolge), (3) das Nacherzählen zweier Bild‐ geschichten auf Spanisch, (4) eine Reflexionsaufgabe und (5) einen allgemeinen Fragebogen, in dem vor allem sprachenbiographische Daten, aber auch Aspekte wie explizites Regelwissen oder Lernerstrategien erhoben wurden. Im folgenden Beitrag werden wir uns auf die Daten aus der Reflexionsaufgabe konzentrieren und die Ergebnisse mit dem Abschnitt des Fragebogens, in dem das explizite Regelwissen der Lernenden abgefragt wurde, vergleichen. Um die Reflexionsaufgabe zu verstehen, ist es notwendig, kurz auf die Funk‐ tionsweise der spanischen Interpretationsaufgabe einzugehen. Die Lernenden erhielten insgesamt 35 Items, welche jeweils einen deutschen Kontext und zwei spanische Sätze enthielten. Die Schülerinnen und Schüler mussten diese im Hinblick auf ihre grammatikalische Korrektheit auf einer Likert-Skala von -2 bis +2 bewerten (siehe Abbildung 1 und 2). Abbildung1: Interpretationsaufgabe I 109 I am aprendiendo linguam hispanicam Abbildung 2: Interpretationsaufgabe II Am Ende der Untersuchung wurden die Lernenden aufgefordert, gemeinsam mit ihrem/ ihrer Partner/ -in über sechs ausgewählte Sätze aus der spanischen Interpretationsaufgabe zu reflektieren. Der Arbeitsauftrag lautete folgender‐ maßen: Denke noch einmal über Deine Ergebnisse bei der Sprachtestung in Spanisch nach und besprich Deine Ergebnisse mit jenen deines Partners. Orientiert Euch an fol‐ genden Fragen: […] 3. Haben Dir andere Sprachen bei Deiner Entscheidung geholfen? Hat Dir vielleicht die Sprache, die Du mit Deiner Familie sprichst, geholfen? Oder vielleicht das Englische, Französische oder das Lateinische? Wenn ja, wie haben sie Dir geholfen? Die Audiodateien wurden anonymisiert, transkribiert und mithilfe von MAXQDA ausgewertet. Wir folgten dabei den Prinzipien der qualitativen In‐ haltsanalyse nach Kuckartz (cf. 2016, 88sqq.) und bildeten die folgenden Kate‐ gorien induktiv am Material: (1) In die Kategorie konkrete Sprachvergleiche wurden all jene Aussagen eingeordnet, die entweder einen expliziten Vergleich zweier Formen aufwiesen oder die Funktion der entsprechenden Formen mit‐ einander verglichen. (2) Unter Hilfe Sprachvergleich allgemein wurden jene Aus‐ sagen kodiert, die keine konkreten Sprachvergleiche beinhalteten, diese aber als grundsätzlich positiv und hilfreich für den Spanischerwerb einstuften. Die Kom‐ mentare der Lernenden wurden diesen beiden Kategorien für jede einzelne Sprache, das heißt, Englisch, Französisch und Latein zugeordnet. (3) Unter kein Sprachvergleich ordneten wir alle Aussagen ein, die Sprachvergleiche explizit ablehnten und als nicht hilfreich einstuften. Viele der Lernenden gaben für diese Ablehnung keine Erklärungen an. Wurde ein Grund genannt, so wurde ihm ein eigener Code zugewiesen: (3a) Mangelnde Sprachkompetenz, (3b) strukturelle Unterschiede, (3c) Verwirrung durch Ähnlichkeit, (3d) keine aktiv gelernte Sprache, (3e) keine Übung. 110 Lukas Eibensteiner / Johannes Müller-Lancé 1 Es ist anzumerken, dass es sich bei den Lernstunden um Schätzungen handelt. Die Unter- und Obergrenzen bezüglich der in Spanisch erhaltenden Lernstunden sind: Gruppe A 326 bis 359, Gruppe B 290 bis 361 und Gruppe C 294 bis 360 Stunden. 2 Die Notendurchschnitte wurden aus den Noten für Biologie, Deutsch, Englisch, Fran‐ zösisch/ Latein, Geschichte und Mathematik berechnet. 3 Die Lernenden wurden gefragt, ob sie Sprachvergleiche im Spanischunterricht an‐ stellten. Sie konnten zwischen nie (0), in manchen Unterrichtsstunden (1), in vielen Un‐ terrichtsstunden (2) und in jeder Unterrichtsstunde (3) wählen. 3.2 Teilnehmer/ innen Die Daten wurden an insgesamt acht Schulen in Österreich und Süddeutschland erhoben. Insgesamt 144 Schülerinnen und Schüler führten die Reflexionsauf‐ gabe durch, wovon 30 Teilnehmer/ innen zusätzlich zu Deutsch noch eine wei‐ tere Herkunfts-/ Familiensprache hatten. Wie in Tabelle 1 abgebildet, fokus‐ sierten wir drei Sprachkonstellationen. Gruppe A lernte Spanisch als zweite Fremdsprache nach Englisch. Gruppe B und C hatten zusätzlich zu Englisch noch Französischbzw. Latein-Kenntnisse. Die Ergebnisse einer ANOVA zeigen, dass die Unterschiede zwischen den Gruppen im Hinblick auf die in Spanisch erhaltenen Lernstunden (p = .683) 1 und den allgemeinen Notendurchschnitt 2 (p = .145) nicht signifikant sind. Allerdings ergeben sich im Hinblick auf das Alter (p < .001) und die Häufigkeit der von den Schülerinnen und Schülern im Spanischunterricht durchgeführten Sprachver‐ gleiche (p = .009) 3 durchaus signifikante Unterschiede. Sprachen vor Spanisch Anzahl Alter Lern‐ stunden (Spanisch) Allg. No‐ tendurch‐ schnitt Sprachver‐ gleich im FSU Gruppe A (nur Eng‐ lisch) 46 M = 17.24 SD = 0.92 M = 342h SD = 55.13 M = 2.5 SD = 0.79 M = 0.98 SD = 0.39 Gruppe B (Englisch + Französisch) 52 M = 15.12 SD = 0.92 M = 325h SD = 126.6 M = 2.2 SD = 0.57 M = 1.29 SD = 0.61 Gruppe C (Englisch + Latein) 46 M = 15.26 SD = 1.06 M = 327h SD = 109.8 M = 2.3 SD = 0.77 M = 1.26 SD =0.58 Tabelle 1: Proband/ -innen 111 I am aprendiendo linguam hispanicam 4 Beispielsweise verweist Teilnehmer/ -in 414 darauf, dass ihm/ ihr das Englische bei „den Regeln der Vergangenheit, also bei z. B. ‚ich tat gerade das, als das und das passierte‘“ helfe. Teilnehmer/ -in 415 hingegen gibt lediglich an, dass ihm/ ihr das Englische bei der Verwendung des gerundio geholfen habe. 4 Ergebnisse 4.1 Fragebogen: Transfer von explizitem Regelwissen Im Fragebogen wurden die Lernenden gefragt, ob sie explizites Regelwissen in Bezug auf die Tempusverwendung aus ihrem Englisch-, Französisch- oder La‐ teinunterricht für das Spanische anwenden konnten. Die Frage war halb offen formuliert, so dass die Lernenden einerseits die Möglichkeit hatten, anzugeben, wie viele Regeln sie transferieren konnten, und andererseits ein Feld hatten, um anzugeben, welche Regeln sie tatsächlich transferiert haben. Wir werden im Folgenden nur die Ergebnisse des offenen Teils der Frage darstellen. 47% der Lernenden füllten den offenen Teil der Frage aus. Nur die wenigsten gaben konkrete Regeln an, die meisten nannten direkt die entsprechenden Tem‐ pusformen. 4 Wir nehmen an, dass sich die Lernenden dadurch auch auf die ent‐ sprechenden Tempusfunktionen beziehen wollten, zum Beispiel darauf, dass die Unterscheidung zwischen imperfecto und indefinido und imparfait und passé composé ähnlich funktioniere, oder darauf, dass man estar + gerundio verwende, wenn etwas gerade passiert und dass dies dem Englischen be +Verb-ing sehr ähnlich sei. 112 Lukas Eibensteiner / Johannes Müller-Lancé 5 Betrachtet man nur die morphosyntaktische Ebene, scheint dieses Ergebnis etwas un‐ klar. Es könnte aber durchaus möglich sein, dass sich die Lernenden auf ein temporal‐ semantisches Konzept der Vorzeitigkeit beziehen, das durch das Plusquamperfekt aus‐ gedrückt wird. Da das Plusquamperfekt nicht im Fokus des Artikels steht, soll an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen werden. Abbildung 3: Regeltransfer (offene Frage: Welche Regeln konntest Du transferieren? ) Abbildung 3 zeigt die quantifizierten Ergebnisse der Antworten der offenen Frage. Im Hinblick auf das Englische nennen alle Gruppen die progressive-Form, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß (Gruppe A: 52 %; Gruppe B: 36 %; Gruppe C: 43 %). Auch die Parallelen zwischen dem present perfect tense und dem perfecto compuesto werden von einigen Lernenden wahrgenommen (Gruppe A: 17 %; Gruppe B: 20 %; Gruppe C: 20 %). Das Gleiche gilt für die Unterscheidung zwischen perfektivem und imperfektivem Aspekt: Zwischen 4 % und 17 % geben hier an, dass sie Regeln aus dem Englischen transferieren konnten. Dieser Re‐ geltransfer ist allerdings nicht ganz unproblematisch, zumal das Englische kein Imperfekt wie in der Grammatik der romanischen Sprachen kennt, sondern nur Progressivität als Subkategorie imperfektiven Aspekts grammatikalisiert hat. Bezüglich des Lateinischen und des Französischen sehen wir, dass beide Gruppen auf ihr Wissen bezüglich der Unterscheidung von perfektiven und im‐ perfektiven Tempora in den jeweiligen Brückensprachen rekurrieren (Gruppe B: 59 %; Gruppe C: 54 %). Das Plusquamperfekt wird von 20 % der Gruppe C genannt. 5 113 I am aprendiendo linguam hispanicam Im nächsten Kapitel werden wir die Einstellung der Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf Sprachvergleiche darstellen und untersuchen, ob sie konkretere Sprachvergleiche anstellen, wenn sie mit ihren Partner/ innen über sechs Bei‐ spielsätze aus der Interpretationsaufgabe reflektieren. 4.2 Sprachvergleiche der Schülerinnen und Schüler in der Reflexionsaufgabe Ca. 8 % der Teilnehmer/ innen gaben keine einzige Stellungnahme bezüglich eines positiven oder eines negativen Effekts von Sprachvergleichen ab. 22 % der Schülerinnen und Schüler lehnen Sprachvergleiche kategorisch ab und stufen diese als nicht hilfreich ein. Im ersten Teil der Analyse werden wir uns auf die 70 % konzentrieren, die Sprachvergleiche durchführen oder diese positiv be‐ werten. Die nachstehende Abbildung zeigt, welche Gruppen auf welche Spra‐ chen zurückgreifen und konkrete Sprachvergleiche anstellen. Abbildung 4: Konkrete Sprachvergleiche Die Ergebnisse der Reflexionsaufgabe unterscheiden sich insofern von jenen des Fragebogens, als auf das Lateinische kaum zurückgegriffen wird. Des Weiteren zeigt das Ergebnis einer ANOVA, dass Gruppe B signifikant mehr Sprachver‐ gleiche anstellt als die anderen beiden Gruppen (p = .007). Das Englische wird in allen drei Gruppen als Transferbasis verwendet. In diesem Falle verweisen die Lernenden meist auf Parallelen zwischen estar + gerundio und der englischen progressive-Form: Also beim Satz C hat mir zum Beispiel das Englische geholfen, weil da war - zum Bei‐ spiel der Satz Der Pianist war schon am Spielen und das am Spielen habe ich immer mit der -ing-Form im Englischen, zum Beispiel he was playing - wenn ich das immer sehe, 114 Lukas Eibensteiner / Johannes Müller-Lancé dann weiß ich direkt, dass es ähm El pianista estaba tocando sein muss. Also das habe ich mir einfach vom Englischen erschlossen, durch die -ing-Form beim progressive. (Testperson 204) Die Testperson greift nicht nur auf ihre Englisch-Kenntnisse zurück, sondern bringt diese auch in Bezug zu ihrer L1. Die sogenannte rheinische Verlaufsform (am + Infinitiv + sein) wird hier zur progressive-Form in Bezug gesetzt und diese wiederum mit estar + gerundio. Alle drei Formen sind periphrastisch und drü‐ cken primär progressive Bedeutung aus. Aufgrund dieser Form-Bedeu‐ tungs-Äquivalenz scheint es den Lernenden möglich, diese Ähnlichkeiten be‐ wusst wahrzunehmen und zueinander in Beziehung zu setzen. Lernende, die diese similarity relation (cf. Ringbom/ Jarvis 2009: 109sqq.) zwischen der L1, der L2 und der L3 wahrnehmen, erstellen eine Hypothese, die besagt, dass die pe‐ riphrastische Form sowohl im Deutschen, als auch im Englischen und im Spa‐ nischen für progressive Bedeutung verwendet wird. Da diese wahrgenommene Ähnlichkeit der Lernenden mit der tatsächlichen Nähe übereinstimmt, sollte sie zu positivem Transfer führen. Dieser Sprachvergleich mit dem Englischen findet in allen drei Gruppen statt, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Obwohl auch in Gruppe B Vergleiche mit dem Englischen angestellt werden, präferieren die Lernenden das Französische als Brückensprache (40.4% im Ver‐ gleich zu 15.4% für das Englische) und verweisen hauptsächlich auf Ähnlich‐ keiten zwischen dem imparfait und dem imperfecto bzw. zwischen dem perfecto simple und dem passé composé: Und ähm ob uns andere Sprachen bei der Entscheidung geholfen haben. Also ähm mir schon. Im Französischen gibt es auch so einen Vergleich sozusagen, also im Franzö‐ sischen gibt es imparfait und das ist fast wie imperfecto. Und dann gibt es noch passé composé und das ist fast wie indefinido. Und im Französischen lernt man ja auch die Unterscheidung bei den Vergangenheitszeiten und deswegen ist es mir da leichter gefallen, ähm mir da was herzuleiten. Auch von den Formen. (Testperson 701) Dieser Vergleich findet trotz der formellen Unterschiede des synthetischen per‐ fecto simple und des analytischen passé composé statt. Obwohl es sich hier um eine contrast relation (cf. Ringbom/ Jarvis 2009: 109sqq.) handelt, ist dieser Ler‐ nende in der Lage, die Funktion der beiden Tempusformen in Bezug zu setzen. Ein für uns überraschendes Ergebnis war, dass Gruppe C die Parallelen zwi‐ schen dem lateinischen Imperfekt und dem imperfecto in der Reflexionsaufgabe nicht anspricht (nur Testperson 316 weist auf diese Parallele hin) und nahezu ausschließlich die Ähnlichkeiten zwischen der englischen und spanischen Progressiv-Form thematisiert. 115 I am aprendiendo linguam hispanicam 6 Alle Schüler/ -innen der Stichprobe hatten das Englische um mindestens zwei Jahre länger als Latein. Des Weiteren wird Englisch auch im täglichen Leben regelmäßig verwendet. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass das Englische besser be‐ herrscht wurde, obwohl individuelle Unterschiede nicht ausgeschlossen werden können. Und Englisch hat eigentlich sehr wenig geholfen, Französisch haben wir nicht, Latein eigentlich ja, was das Imperfekt angeht, ist es ja sehr ähnlich, also Imperfekt ist - Doch, es ist so ähnlich. (Testperson 316) Obwohl die konkreten Sprachvergleiche praktisch ausbleiben, wird das Latei‐ nische von 37 % durchaus als hilfreich wahrgenommen: S: […] durch Latein und Englisch hatte man ja so ein paar Vorkenntnisse und und dann wusste man schon, welche Zeitform da auch im Kontext reinpasst. B: Ja. S: Und dann hat man eben nur noch das Spanische darauf übertragen. (Testpersonen 521 (S) und 523 (B)) Abbildung 5 illustriert, dass die Lernenden prinzipiell alle Brückensprachen als hilfreich ansehen oder konkrete Sprachvergleiche durchführen. Interessant ist allerdings, dass Gruppe B vermehrt auf das Französische als näher verwandte Sprache und nicht auf das Englische zurückgreift. Gruppe C hingegen bevorzugt die besser beherrschte Brückensprache, das Englische, 6 und zwar sowohl im Hinblick auf konkrete Sprachvergleiche als auch hinsichtlich der positiven Be‐ wertung von Sprachvergleichen. 116 Lukas Eibensteiner / Johannes Müller-Lancé Abbildung 5: Hilfe Sprachvergleich allgemein 4.3 Warum Sprachvergleiche nicht hilfreich sind… Die meisten Lernenden geben keine Gründe an, warum sie Sprachvergleiche als nicht hilfreich empfinden. Obwohl es sich bei den folgenden Darstellungen um Einzelmeinungen handelt, sind sie für unsere Diskussion von Belang, da sie wissenschaftliche Erklärungen zu bestätigen scheinen. Teilnehmer/ -innen aller drei Sprachkonstellationen erwähnen, dass ihnen eine Sprache nur dann helfen könne, wenn sie ein ausreichend hohes Sprach‐ niveau in der jeweiligen Brückensprache besitzen würden: S: Ä: : : hm, haben dir andere Sprachen bei deiner Entscheidung geholfen? L: Nicht wirklich. S: Und wieso nicht? L: Weil ich mich jetzt nicht wirklich in Englisch leicht tue, das bringt mir dann auch nichts. (Testpersonen 820 (L) und 821 (S)) Aber sonst, wann man das verwendet - Ich weiß noch nicht mal, wann man im La‐ teinischen irgendwas verwendet. Wie soll ich es dann im Spanischen also quasi daraus herleiten? Das ergibt ja keinen Sinn. (Testperson 525) 117 I am aprendiendo linguam hispanicam Auch gängige Transfermodelle wie das Rollen-Funktions-Modell von Williams und Hammarberg (1998) sehen ein ausreichend hohes Sprachniveau und die typologische Nähe der Sprachen als notwendiges Kriterium für Transfer an. Unsere Daten zeigen allerdings, dass Lernende in der Lage sind, sprachstruktu‐ relle Ähnlichkeiten einer germanischen Sprache wie dem Englischen und einer romanischen Sprache wie dem Spanischen zu vergleichen. Dennoch kann die mangelnde wahrgenommene Nähe als entscheidendes Kriterium für eine eher ablehnende Haltung gegenüber dem Englischen angesehen werden: D: Ja, ich glaube - Also das Englische hat mir jetzt nicht geholfen. T: Nee, mir auch nicht. Weil da sind auch die Bildungen so ein bisschen - also ziemlich anders. (Testpersonen 513 (D) und 512(T)) Auch die häufig vertretene Annahme, Sprachvergleiche würden zu Verwir‐ rungen seitens der Lernenden führen, findet sich in unseren Daten: Ja, mit Französisch kommt man echt leicht durcheinander. Vor allem wenn die Regeln so ähnlich sind, aber trotzdem anders und man das zum Beispiel gleichzeitig lernt, gleichzeitig im Lehrplan ist, genau dieselbe Grammatik. (Testperson 417) Die These, dass Sprachen nicht voneinander unabhängig gespeichert sind, son‐ dern miteinander interagieren (Herdina & Jessner 2002), trifft in der Literatur weitgehend auf Zustimmung. Die Interaktion der unterschiedlichen Sprachsys‐ teme kann also ohnehin nicht unterdrückt werden. Daraus entstehende mög‐ liche Unsicherheiten und Verwirrungen sind Teil des Sprachlernprozesses und sollten im Fremdsprachenunterricht aktiv aufgegriffen und thematisiert werden. Ein solcher sprachvergleichender Unterricht, der Parallelen und Un‐ terschiede zwischen den Sprachen bewusst macht, wird daher eher Klarheit bringen als Verwirrung stiften. Einige Lernende fordern dies sogar ein, wenn sie kritisieren, dass ihnen das Vergleichen der Sprachen aufgrund der man‐ gelnden Unterstützung seitens der Lehrperson schwergefallen ist: L: Ähm, ja also mir hat zum Beispiel das Englische überhaupt nicht geholfen. Vielleicht auch, weil wir im Unterricht eigentlich nie gesagt haben, dass man das miteinander vergleichen kann. Weil es immer hieß, dass das einfach nicht geht, weil das doch verschieden ist. (Testperson 922) 118 Lukas Eibensteiner / Johannes Müller-Lancé 7 Die Frage, inwiefern sich diese Sprachvergleiche positiv auf die Ergebnisse der Inter‐ pretationsaufgabe auswirken, wird im Rahmen der diesem Artikel zugrundliegenden Dissertation aufgegriffen. Da zum Zeitpunkt der Publikation dieser Teilbereich der Da‐ tenanalyse noch nicht vollständig abgeschlossen ist, können an dieser Stelle keine wei‐ teren Ergebnisse präsentiert werden. Bezüglich des Lateinischen wird immer wieder hervorgehoben, nur aktiv ge‐ lernte Sprachen würden sich als Transferbasis eignen (Meißner 2003: 151 ff; Müller-Lancé 2006: 467). Auch Aussagen unserer Daten bestätigen diese These: S: […] Latein ist halt so eine Sprache, da ist ein Satz und du übersetzt es einfach und du weißt nicht, wann du das benutzt oder so. Das steht einfach da. K: Ja, man kann es ja -man muss es auch nie sprechen und man muss auch nie einen Text schreiben oder so. Man muss auch nie sagen - okay, man muss sagen, was für eine Zeit es ist, aber man muss sie nur erkennen, man muss nicht sagen, okay, da müsste jetzt eigentlich die Zeit stehen. S: Genau. K: Ja. (Testpersonen 524 (S) und 525 (K)) 5 Interpretation der Ergebnisse Nur 47 % der Befragten füllten den offenen Teil der Frage nach dem Transfer von explizitem Regelwissen aus und griffen somit auf ihr explizites Regelwissen aus den Brückensprachen zurück. Sie tun dies in einer sehr fundamentalen Weise, beispielsweise indem sie die entsprechenden Formen in der Brücken‐ sprache nennen, ohne genauer auf deren Funktion einzugehen. Die Ergebnisse der Reflexionsaufgabe illustrieren, dass eine Mehrheit der Lernenden Sprachvergleiche als hilfreich einschätzt (70 %). Davon sind ca. 35 % in der Lage, explizite Sprachvergleiche anzustellen. 7 Gruppe A rekurriert auf das Englische und vergleicht vor allem die spanische Periphrase estar + gerundio mit der englischen progressive-Form. Dieser Vergleich findet sich auch bei Gruppe B, obwohl hier primär Vergleiche zwischen imperfecto und imparfait durchgeführt werden. Auch Gruppe C setzt die englische und spanische progressiv-Periphrase in Beziehung. Es zeigt sich allerdings ein klarer Unter‐ schied zwischen den Ergebnissen der Gruppe C in der Reflexionsaufgabe und im Fragebogen: In der Reflexionsaufgabe wird kaum auf das Lateinische zu‐ rückgegriffen. Worauf ist dies zurückzuführen? Gruppe C scheint ihr explizites Regelwissen durchaus abrufen zu können. Geht es aber darum, dieses im Rahmen von Analysen spanischer Sätze auch 119 I am aprendiendo linguam hispanicam konkret anzuwenden, unterscheidet sie sich signifikant von Gruppe B und äh‐ nelt in Bezug auf die Anzahl der angestellten Sprachvergleiche eher Gruppe A. Anders als das Französische bei Gruppe B wird das Lateinische von Gruppe C kaum als Transferbasis herangezogen, was darauf zurückzuführen sein könnte, dass nur aktiv gelernte Fremdsprachen als Transferbasis dienen. Was für den Bereich der Lexik empirisch belegt ist (cf. Müller-Lancé 2006, 451), scheint auch für die Grammatik zuzutreffen. Wird eine Sprache nur passiv-rezeptiv gelernt, so wird zwar Wissen über die grammatischen Kategorien der Sprache durchaus aufgebaut. Die Schülerinnen und Schüler scheinen dieses aber in der Reflexion der Sätze der Interpretationsaufgabe nicht abrufen zu können. Dies hat nicht nur für den Lateinunterricht, sondern für den interkomprehensiv ausgerich‐ teten Unterricht im Allgemeinen große Auswirkungen. Bleibt die Vorgehens‐ weise auf passiv-rezeptive Komponenten beschränkt, scheint nicht das volle Transferpotenzial ausgeschöpft zu werden. Sowohl der Lateinunterricht als auch der Interkomprehensions-Unterricht muss daher um eine aktiv-produktive Komponente erweitert werden. Für die Lateindidaktik würde dies heißen, dass sie „sich […] stärker der Linguistik öffne[n]“ muss (Müller-Lancé 2009, 12; zu dieser und weiteren Forderungen an die Lateindidaktik cf. Müller-Lancé 2001 und 2004). Für den interkomprehensiven Ansatz heißt es, sich auch auf die För‐ derung der produktiven Fertigkeiten zu konzentrieren, wie dies beispielsweise das Konzept der Aufgeklärten Mehrsprachigkeit von Daniel Reimann (2016) for‐ dert. Die Ergebnisse der Studie zeigen außerdem, dass Sprachvergleiche von etwa zwei Drittel der Lernenden als nützlich für das Lernen des Spanischen bewertet werden. Diese lernerseitige Perspektive bestätigt schon vorhandene Studien, welche feststellten, dass Lehrerinnen und Lehrer Sprachen miteinander ver‐ gleichen und Sprachvergleiche auch bei ihren Schülerinnen und Schülern fest‐ stellen (cf. Neveling 2012, Heyder & Schädlich 2015). Dennoch zeigt sich, dass diese prinzipiell positive Einstellung seitens der LernerInnen auf der Oberfläche bleibt. Die Schülerinnen und Schüler nennen äußerst selten klare Regeln, son‐ dern beziehen sich meist nur auf formale Ähnlichkeiten. Diese Oberflächlichkeit lässt sich wie folgt erklären: Obwohl sprachvernetzende Ansätze positiv be‐ wertet werden und auch in curricularen Vorgaben Niederschlag finden (cf. Eu‐ roparat 2001, 108, Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württem‐ berg 2016, 9), zeigt sich, dass Sprachvergleiche selten systematisch geplant oder mithilfe von Zusatzmaterialien durchgeführt werden (cf. Heyder/ Schädlich 2015, 242). Auch Lernende unserer Daten verweisen auf die mangelnde Unter‐ stützung seitens der Lehrer/ innen (z. B. Testperson 922). Des Weiteren ist eine kontrastive Herangehensweise auch in Lehrwerken eher Mangelware, wie 120 Lukas Eibensteiner / Johannes Müller-Lancé 8 Im Rahmen einer Pilotstudie, die von den Universitäten Mannheim, Salzburg und des Saarlandes durchgeführt wird, wird genau dieser Frage nachgegangen. Für nähere In‐ formationen sei auf die Homepage des Forschungsprojektes verwiesen: http: / / meziko.p hil.uni-mannheim.de/ . Lehrwerkanalyse von Michler (2014) oder Eibensteiner (2017) zeigen. Umso be‐ dauerlicher ist dieser Mangel, wenn man Ergebnisse von Neveling (2012, 230) beachtet, die feststellt, dass sich Lehrerinnen und Lehrer noch mehr sprachver‐ gleichende Verweise in den Lehrwerken oder eigens dafür konzipierte Unter‐ richtsmaterialien wünschen würden. Ein systematisch durchgeführter spra‐ chenvernetzender Unterricht würde nicht nur das metasprachliche Bewusstsein der Lernenden fördern, sondern sich vermutlich auch positiv auf die zielsprach‐ liche Kompetenz auswirken. Dennoch sind empirisch-quantitative Studien, die die Lernwirksamkeit eines mehrsprachigkeitsdidaktischen Ansatzes messen, unseres Wissens nicht vorhanden. 8 Empirische Evidenz würde beispielsweise die Argumentation gegenüber den Lehrbuchverlagen erleichtern und uns einen Schritt weiter im Hinblick auf die Implementierung der Mehrsprachigkeitsdi‐ daktik in der Praxis bringen. Bibliographie Association for Language Awareness (www.languageawareness.org/ ? page_id=4 8,24.03.2018). Bär, Marcus. 2009. Förderung von Mehrsprachigkeit und Lernkompetenz. Fallstudien zu Interkomprehensionsunterricht mit Schülern der Klassen 8 bis 10. Tübingen: Narr. Comrie, Bernard. 1976. Aspect. An introduction to the study of verbal aspect and related problems. Cambridge: Cambridge University Press. Edmondson, Willis. 1997. „Sprachlernbewusstheit und Motivation beim Fremdsprachen‐ lernen“, in: Fremdsprachen Lehren und Lernen, 26, 88-110. 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Toutefois seule une partie de notre corpus sera exploitée: la production textuelle écrite. Congénères dans la réception et la production de textes en français langue seconde et tertiaire en Suisse alémanique: perspectives acquisitionnelles et didactiques Giuseppe Manno / Mirjam Egli Cuenat 1 Introduction Cette contribution se focalise sur les congénères dans la réception et la produc‐ tion textuelles écrites 1 en français langue étrangère chez les apprenants en classe de sixième primaire. Elle se situe dans un modèle intégré du répertoire pluri‐ lingue et de son développement et cherche à dégager les traces d’un dévelop‐ pement transversal des compétences de réception et de production textuelle écrite en vue de la création de dispositifs pédagogiques encourageant le décloisonnement des apprentissages. Les congénères, appelés mots parallèles dans un contexte didactique, consti‐ tuent une dimension importante de transversalité et d’économie cognitive dans l’apprentissage de langues apparentées, notamment mis à profit dans le cadre de la didactique de l’intercompréhension. A ce jour, peu de recherches ont été menées dans ce domaine auprès de jeunes apprenants, et à notre connaissance, aucune recherche ne tient à la fois compte de la réception et de la production textuelles auprès d’élèves de cette tranche d’âge. L’objectif de notre analyse est de découvrir si des élèves germanophones en sixième primaire (âgés de 12/ 13 ans) avec ou sans apprentissage préalable de l’anglais comprennent et font un usage différent des mots congénères dans la 2 Le présent article reprend des résultats pour la réception écrite qui ont été en partie (groupe expérimental, 6e classe) publiés ailleurs (Manno, à paraître); la comparaison entre les deux groupes est en revanche originale. Les congénères dans la production écrite ont été codés à titre exploratoire dans le cadre d’un dispositif visant principale‐ ment le développement transversal de la structuration textuelle (Egli Cuenat 2016). Il s’agit des premiers résultats qui devront être approfondis ultérieurement (Egli Cuenat / Bleichenbacher, à paraître). réception et la production de textes en français langue étrangère. Dans ce con‐ texte, l’anglais pourrait jouer le rôle d’une langue passerelle. 2 Après avoir introduit le contexte éducationnel et le cadre du projet de re‐ cherche ainsi que les bases théoriques et l’état de la recherche en matière de congénères, nous présenterons la méthodologie, y compris le codage des don‐ nées au niveau de la réception et de la production et nous exposerons les pre‐ miers résultats de notre analyse. L’intervention se terminera par une mise en perspective de l’exploitation de nos données dans le cadre d’une didactique in‐ tégrée des langues, voire des approches plurielles. 2 Contexte de l’étude Nous nous fonderons sur des données recueillies dans le cadre d’une recherche soutenue par le Fonds National de la recherche scientifique suisse, menée en col‐ laboration entre la PH FHNW et la PHSG (Manno / Egli Cuenat / Le Pape / Brühwiler 2016). Cette recherche se situe dans le contexte d’une réforme de l’enseignement des langues étrangères en Suisse alémanique, plus précisément dans le canton de St. Gall, où l’enseignement de l’anglais langue étrangère a été déplacé de la 7e à la 3e classe, le début de l’apprentissage du français restant fixé en classe de 5e primaire. En Suisse, on a procédé ces dernières décennies à une anticipation de l’enseignement des langues étrangères. Le modèle 3/ 5 (CDIP 2004) prévoit que les enfants apprennent deux langues étrangères (une langue nationale et l’anglais) à l’école primaire: une première langue dès la 3e et une deuxième langue dès la 5e année. Chaque canton a eu la liberté de choisir la première langue étrangère, puisque l’anglais et la langue nationale sont censés atteindre les mêmes objectifs à la fin de la scolarité obligatoire. L’accord inter‐ cantonal sur l’harmonisation de la scolarité obligatoire (concordat HarmoS, CDIP 2007) est venu entériner ce «compromis helvétique» (Egli Cuenat / Manno 2012). Du point de vue didactique, ce statu quo apparent ne saurait pourtant signifier que l’enseignement du français, qui ne sera plus la première langue étrangère enseignée à l’école, fonctionnera sur les mêmes bases qu’avant (Manno 2004). En effet, l’apprentissage du français en Suisse alémanique vient 126 Giuseppe Manno / Mirjam Egli Cuenat se placer au sein d’une stratégie plus vaste ayant pour objectif la constitution d’un répertoire plurilingue (modèle 3/ 5, CDIP 2004). Dans cette perspective, le passage du français de la première langue étrangère enseignée à la deuxième langue étrangère - et donc langue dite tertiaire - constitue, du moins potentiel‐ lement, un saut qualitatif dans l’approche de cette langue (Hufeisen 2004; Neuner 2 2005). 3 Cadre théorique 3.1 Une approche plurilingue de l’enseignement/ apprentissage des langues étrangères Notre recherche se fonde sur un modèle intégré du répertoire plurilingue et de son développement (Hufeisen 2004; Lüdi / Py 2009; Cenoz 2013; Jessner 2013) et cherche à dégager les traces d’un développement transversal des compétences de réception et de production textuelles écrites en vue de la création de dispo‐ sitifs pédagogiques encourageant le décloisonnement des apprentissages (Neuner 2 2005; Coste / Moore / Zarate 2 2009). Grâce au dépassement de la vision déficitaire du contact de langues inaugurée par l’approche contrastive en L2 (Lado 1957; Fries 1945), on porte de nos jours un regard différent sur les phénomènes interlinguistiques (Forlot / Beaucamp 2008, 80): «Il est temps de changer radicalement la façon de voir les faux amis dont on a long‐ temps surestimé le danger, ce qui compte, c’est la reconnaissance d’un terme et non le risque de transfert négatif [...] Le travail récent de Tanja Stahlhofen sur les inter‐ nationalismes montre bien que les réserves à l’égard des faux-amis ne jouent prati‐ quement aucun rôle dans les fautes d’interférence. Par contre, l’avantage pour l’ap‐ prenant est environ cinq fois plus grand que le prétendu dommage qui est de toutes façon minimisé, sinon annulé par la contextualisation» (Klein 2007, 8). Dans le cadre des recherches sur l’apprentissage des langues tertiaires (L3, L4, Lx), on admet que les apprenants sont susceptibles de profiter des apprentissages des langues précédentes (Cenoz 2003; Jessner 2013). Le modèle factoriel de Huf‐ eisen (2004) tente de rendre compte du passage crucial de L2 à L3: «D’une langue à l’autre, viennent s’ajouter des facteurs qui ne s’appliquaient pas à l’apprentissage de la langue étrangère précédente. Le modèle suppose que le plus grand saut qualitatif dans ce processus d’apprentissage systématique et dynamique a lieu entre l’apprentissage de la première (L2) et de la deuxième (L3) langue étran‐ gère» (Hufeisen 2004, 8-9). 127 Congénères dans la réception et la production de textes 3 Une précision terminologique. Nous utilisons le terme congénère en nous inspirant d’auteurs francophones tels que Forlot/ Beaucamp (2008): „Reconnaissance de congé‐ nères anglais par des francophones“. Il existe d’autres dénominations synonymes: co‐ gnates (Bogaards 2004, 153; Caid 2008; Berthele et al. 2017, 149), interlexèmes (Meissner / Meissner / Klein / Stegmann 2004), mots sosies (Caid 2008), mots transparents (Blanche-Benveniste 2008, 43; Berthele et al. 2017, 148). Dans le contexte scolaire suisse alémanique, on parle de mots parallèles. Les apprenants de L3, L4 sont en principe avantagés par rapport à ceux qui en sont à l’apprentissage de leur première langue étrangère. Une étude empirique menée en Suisse alémanique, portant sur la réception écrite et orale en français langue étrangère auprès d’élèves germanophones à la fin de la 5e classe de l’école primaire, a mesuré de meilleurs résultats chez les enfants ayant appris le français après l’anglais que dans les classes sans apprentissage préalable de l’anglais (Haenni Hoti et al. 2009). Pourtant, cet avantage avait tendance à diminuer à la fin du cycle primaire (Heinzmann et al. 2009). L’estompement de ces différences est très probablement dû à l’absence d’une didactique appropriée favorisant la constitution d’un répertoire plurilingue (Manno 2009; Manno 2011). Dans la per‐ spective d’une didactique axée sur le développement intégré du répertoire plu‐ rilingue (Coste et al. 2009; Candelier / Schröder Sura 2015), on postulera que l’inversion de l’ordre d’introduction des langues étrangères et l’anticipation de l’enseignement auront un impact favorable sur l’apprentissage du français langue tertiaire par les germanophones, à condition que l’on adapte les pratiques scolaires aux nouvelles conditions (Manno / Greminger Schibli 2015; Egli Cuenat / Grossenbacher / Gubler / Lovey, 2018). 3.2 Les congénères dans l’apprentissage des langues apparentées Il n’existe pas de définition de congénère  3 unanimement reconnue (cf. Otwi‐ nowska 2016). Notre définition se fonde sur trois critères: étymologie, séman‐ tisme et forme (Manno, à paraître). Il s’agit d’unités lexicales ayant une étymo‐ logie commune qui sont attestées dans au moins deux langues, qui présentent une image graphique et/ ou acoustique identique ou semblable, ainsi qu’un sé‐ mantisme totalement ou partiellement équivalent dans au moins une des ac‐ ceptions (vgl. Bogaards 2 2004; Hipfner-Boucher / Pasquarella / Chenc / Deacond 2016; Montelongo / Durán / Hernández 2013, 245; Sheng et al. 2016, 230). Voici deux définitions qui se rapprochent de la nôtre: «Les cognates sont généralement définis comme des mots de langues différentes ayant (à peu près) les mêmes formes et (à peu près) les mêmes sens, comme régulier français et regular anglais. Le terme cognate fait référence à une naissance commune: il s’agit 128 Giuseppe Manno / Mirjam Egli Cuenat de mots de la même lignée, de mots ayant les mêmes parents, proches ou lointains. » (Bogaards 2 2004, 153) «Cognates in two languages can be defined as historically related, formally similar words, whose meanings may be identical, similar, partly different or, occasionally, even wholly different.» (Ringbom 2007, 73). Ajoutons que les définitions restreintes (Van Roey 1990, 163) ne retiennent que les lexèmes communs au sein de la même famille linguistique (p.ex., langues romanes). D’autres définitions plus élargies prennent en considération l’en‐ semble des lexèmes communs indépendamment de l’appartenance généalogique des langues concernées et d’éventuels processus d’emprunts (Hammer / Giau‐ que 1989, 44; Sheng et al. 2016, 230; Otwinowska / Szewczyk 2017). Nous adhé‐ rons à la vision élargie de la notion: d’un côté, notre définition englobe les congénères au sens étroit du terme, de l’autre, elle comprend également les in‐ ternationalismes: p.ex. restaurant, police, hôtel, computer, week-end, bikini, etc. ainsi que les emprunts, soit au sein de la même famille (p.ex., italianismes du français: piano, soprano), soit en dehors de celle-ci (p.ex., emprunts français de l’anglais: p.ex., forest, animal; du suisse alémanique: p.ex., Merci, Trottoir, Coif‐ feur). Cela dit, la seule ressemblance du point de vue formel et sémantique ne saurait suffire si l’origine commune remonte à l’indoeuropéen (five, fünf, cinq, quinque, πέντε, etc. de la racine *pénke, cf. Oxford English Dictionary). Dans le contexte de l’apprentissage de langues apparentées comme l’anglais et français, les congénères peuvent jouer un rôle important grâce à la parenté linguistique. En effet, le français a exercé au fil des siècles une grande influence sur l’anglais, dont on trouve des traces évidentes dans le vocabulaire quotidien (city, coast, face, people, hour, mountain, etc.) de même que dans certains do‐ maines de la langue anglaise (administration et politique, religion, justice, gu‐ erre, mode et vie sociale, cuisine, art et éducation, etc.). L’anglais est une langue hybride du point de vue lexical et morpho-syntaxique. «[...] L’anglais est la plus latine des langues germaniques, quelque 60 % de son lexique provenant du fran‐ çais» (Forlot / Beaucamp 2008, 77; cf. aussi Klein / Reissner 2006). L’anglais est appelé à devenir une langue passerelle pour les germanophones qui apprennent le français (Manno 2009). Les élèves devraient donc être amenés à tirer profit des nombreux congénères et des structures semblables dans les deux langues. Sur la base des acquis en anglais première langue étrangère, ils sont susceptibles de compenser les divergences lexicales entre le français et l’al‐ lemand grâce aux correspondances entre le français et l’anglais: Wald - forest - forêt / Luft - air - air (Manno 2004, 2009). De manière générale, on pourra re‐ courir à L2 là où L3 n’est pas encore assez développée. 129 Congénères dans la réception et la production de textes Notre analyse des manuels d’enseignement utilisés dans le contexte scolaire étudié (envol 5 pour le français, Young World pour l’anglais) a fait ressortir que de manière générale dans envol 5 environ 50 % des mots français du lexique global (976 mots) ont un équivalent en anglais (p.ex., fleur, lac, poste). Cette indication relative à l’apport de l’anglais est en vérité hypothétique, car les ap‐ prenants suisses alémaniques à la fin de l’école primaire disposent en règle gé‐ nérale de compétences lexicales relativement restreintes en anglais. D’où la né‐ cessité de tenir compte du vocabulaire effectif contenu dans les deux manuels en question afin d’en dégager le potentiel. Notre analyse a révélé que dans le vocabulaire d’apprentissage obligatoire d’envol 5 et 6 pour les deux années du primaire, 12.5% (90 mots) ont un équivalent dans Young World 3, 4 (piano, guitare, fleur, forêt, etc.). Corrélativement, la part qui revient aux équivalents français dans le lexique du manuel Young World 3/ 4, s’élève à 9.5% (90 sur 927 mots, envol 5/ 6: idea, cinema, colour) (Manno / Klee 2009, 32). En outre, il ne faudra pas perdre de vue que le français partage aussi avec l’allemand de nombreux congénères. Finalement, dans le manuel envol une stratégie de lecture censée favoriser l’ex‐ ploitation des congénères est introduite dès la 5e classe: «Wortschatz und Paral‐ lelwörter. Suche nach Wörtern, die du kennst. Welche Wörter sind in deiner Mutter‐ sprache oder in anderen Sprachen, die du schon kennst, ähnlich geschrieben? ». 3.3 Recherches empiriques sur le rôle des congénères chez les adultes Les congénères représentent une dimension importante de transversalité et d’é‐ conomie cognitive dans l’apprentissage de langues apparentées (Ender 2007; Forlot / Beaucamp 2008; Lutjeharms 2010). La plupart des études sur les congé‐ nères portent sur les locuteurs adultes. L’exploitation des congénères est con‐ sidérée avant tout comme une stratégie importante pour la compréhension et/ ou l’inférence contextuelle de mots inconnus ce qui représente une facilita‐ tion du processus de lecture (Gass 1999; White / Horst 2012; Hipfner-Boucher et al. 2016). L’accès lexical en langue étrangère s’avère fondamental dans la me‐ sure où de nombreux mots inconnus rendent la reconnaissance lexicale difficile entravant ainsi le processus de lecture. En effet, chez les débutants, on relève une automatisation insuffisante des niveaux inférieurs (accès lexical, analyse syntaxique), la prédominance des processus base-sommet porte à une lecture ralentie. D’où la saturation de la mémoire de travail, ce qui empêche d’établir le lien entre le savoir préalable du lecteur et le texte (processus sommet-base). La lecture efficace se fonde pourtant sur l’articulation des deux processus (Ga‐ onac‘h 2000; Lutjeharms 2010). L’importance des congénères pour le processus de lecture ressort aussi du fait que dans la méthode EuroComRom, intercompré‐ 130 Giuseppe Manno / Mirjam Egli Cuenat hension en langues romanes, deux des sept tamis concernent le lexique pan‐ roman et les internationalismes (Meissner et al. 2004; Escudé / Janin 2010). Dans le cadre d’un étude qualitative effectuée auprès d’un petit groupe d’a‐ dultes débutants polonophones apprenant l’anglais (groupe d’intervention 4 participants, groupe de contrôle 4 participants), Otwinowska (2016) a examiné les effets d’une intervention ciblée et prolongée de sensibilisation aux congé‐ nères (notamment les internationalismes) sur la production orale et écrite ainsi que sur la traduction. Dans la production orale libre, les participants du groupe d’intervention ont fait preuve d’une prise de risque plus grande et ils ont utilisé un nombre plus élevé de congénères. Dans la tâche de traduction, ce groupe a également obtenu de meilleurs résultats et a executé la tâche en moins de temps. Dans la production écrite guidée, en revanche, aucune différence n’a été con‐ statée, ce que l’auteure de l’étude explique, du moins en partie, par le fait que les tâches étaient très proches de tâches du manuel utilisé en cours; ce facteur aurait découragé la prise de risques. La deuxième étude d’intervention impli‐ quant une sensibilisation aux congénères dans la production écrite et orale, conduite auprès d’apprenants avancés (groupe expérimental: N= 36, groupe de contrôle: N = 34) a montré un effet dans les deux modalités de production dans le groupe expérimental. Pour la reconnaissance de congénères à la lecture de textes, ce même groupe de contrôle a également obtenu de meilleurs scores. Les congénères peuvent aussi faciliter la mémorisation d’unités lexicales de la langue cible grâce à l’identité ou ressemblance graphique et/ ou phonique (Ender 2007; Montelongo / Durán / Hernández 2013, 245; Vanhove / Berthele 2015, 2; Otwinowska / Szewczyk 2017, 2; Fraser 1999, 238; Lutjeharms 2010). L’activation d’une L2 comme langue passerelle dans l’apprentissage d’une langue tertiaire résulte d’une combinaison de plusieurs critères (Bono 2008; Hammarberg 2006): sa proximité typologique avec la langue cible; le degré de maîtrise de celle-ci; le degré d’actualité: la dernière langue apprise aurait plus de chances d’être sélectionnée qu’une langue apprise il y a longtemps; le statut de langue étrangère (foreign language mode): les apprenants d’une L3 ont vo‐ lontiers recours à d’autres langues que leur L1, du moins en début d’apprentis‐ sage (De Angelis / Selinker 2001). La L2 n’a pourtant pas, surtout en production, la même incidence que la L1 (Hammarberg 2006). Finalement, les études dans le cadre de l’intercompréhension en langues romanes ont démontré que l’activa‐ tion d’une langue passerelle dépend, d’une part, du niveau de compétence atteint dans cette même langue, et d’autre part, de la conscience linguistique et inter‐ linguistique des apprenants (Meissner / Burk 2001). Qui plus est, les travaux de Kellerman (1983) ont révélé que la transférabilité d’une unité linguistique ne dépend pas uniquement de la proximité typologique. 131 Congénères dans la réception et la production de textes La disponibilité à activer d’autres langues tient également à la distance subjec‐ tive et à la perception de l’apprenant de la spécificité de sa L1 (markedness) et de la distance qui sépare sa L1 de la L2 (Ringbom 2007; Bono 2008). Souvent, les apprenants, qu’ils soient débutants ou non, ne semblent pas suffisamment mettre à profit leurs ressources potentielles (Müller-Lancé 2003; Ender 2007). Certains locuteurs plurilingues se comportent comme des monolingues à l’égard des inférences potentielles: «[Les adultes volontaires dans EuroRom4, désireux d’aborder de nouvelles langues] étaient souvent paralysés par cette confrontation brutale avec les langues, ne se sen‐ tant pas le droit de «deviner» quoi que ce soit et ne mettaient pas à profit le trésor de «mots transparents» qui permettaient d’avancer» (Blanche-Benveniste 2008, 43). En effet, les adultes avancés en L2 n’exploitent ces ressources potentielles en production en L3 que s’ils considèrent les ressemblances typologiques comme transférables (Psychotypologie, O’Laoire / Singleton 2009). L’identité totale du point de vue graphique ou phonique des congénères re‐ présente plutôt l’exception. Un écart graphique ou phonique est susceptible de rendre la reconnaissance du congénère difficile (Forlot / Beaucamp 2008; Ber‐ thele 2011). L’étude de Haeusser (1981) portant sur le français (L1) et l’anglais (L2) en 4/ 6 année (Lycée) a révélé que la différence d’un graphème (forest-forêt) comporte la réussite d’environ 90 %, de 2 graphèmes (voice-voix) d’environ 75 %, et de 3 graphèmes (various-varié) d’environ 50 %. Plus de 3 graphèmes consti‐ tuent un seuil critique. En outre, la reconnaissance ne dépend pas uniquement des écarts dans l’absolu mais plutôt de la proportion entre écarts et longueur des congénères: pour des mots courts, 3 graphèmes divergents, et pour des mots plus longs (4-5 graphèmes) divergents bloquent la reconnaissance lexicale. Fi‐ nalement, les écarts à la fin du mot se révèlent moins problématiques qu’au début du mot. On parvient ainsi à la distance EDIT normalisée: nombre d’écarts gra‐ phiques entre les deux mots concernés dans les deux langues divisé par la long‐ ueur du mot le plus long: 0 (absence d’écart) - 1 (distance maximale). 3.4 Etudes relatives à la reconnaissance de congénères par de jeunes apprenants en contexte scolaire A ce jour, peu de recherches ont été menées dans ce domaine auprès de jeunes apprenants, et à notre connaissance, aucune recherche portant sur le français langue tertiaire ne tient à la fois compte de la réception et de la production textuelles. Les premiers résultats dans le cadre de l’apprentissage non guidé auprès d’enfants bilingues précoces en réception ou en production nous ap‐ prennent que ceux-ci étaient à cet égard plus performants que les monolingues 132 Giuseppe Manno / Mirjam Egli Cuenat et qu’ils disposaient d’une conscience élevée de l’existence des congénères. Ainsi des enfants bilingues âgés de 4.6 ans en moyenne (espagnol et anglais) au début de leur alphabétisation étaient capables de reconnaître et identifier les congé‐ nères (Simpson Baird / Palacios / Kibler 2016). L’étude de Sheng et al. (2016) qui portait sur la reconnaissance de congénères à l’oral par des enfants bilingues (espagnol et anglais) âgés de 4-7 ans a confirmé ces résultats: d’une part, les auteurs ont mis en évidence dans des tâches lexicales un traitement différent entre les congénères et les non-congénères. D’autre part, la comparaison avec deux groupes de contrôle anglophones monolingues et bilingues anglais-man‐ darin a fait ressortir que le groupe des enfants bilingues espagnol-anglais dis‐ posait dans les langues d'un avantage au niveau de la reconnaissance des con‐ génères. En revanche, les résultats dans le cadre de l’apprentissage guidé dans le con‐ texte scolaire sont en partie contradictoires. L’étude de Hipfner-Boucher et al. (2016) a fait ressortir des effets positifs liés à la conscience de l’existence des congénères de la part d’apprenants âgés de 6-7 ans dans le cadre d’un pro‐ gramme intensif d’immersion au Canada. La conscience de ces jeunes appre‐ nants, qui n’avaient bénéficié que d’une introduction de 10 minutes aux concepts de congénères et de faux-amis, avait une incidence positive sur la lecture en français en deuxième classe du primaire. De nombreux chercheurs s’accordent pourtant à dire que les transferts positifs dans le cadre de l’apprentissage scolaire guidé des langues étrangères ne s’avèrent être ni automatiques ni concerner l’ensemble des apprenants: «Interlingualer Transfer durch Sprachvergleich ist einerseits kein einfaches Unter‐ fangen, denn bewusst, selbstinitiiert und von Anfang an können ihn nur wenige, be‐ gabte Schüler mit gutem Vorwissen in vorgelernten Sprachen leisten» (Neveling 2013, 122). «L2 learners often fail to notice many helpful cognates» (White / Horst 2012, 183). L’importance et l’impact de certaines variables en contexte scolaire pour la fa‐ cilitation ou l’entrave de l’activation des congénères ne fait pas l’unanimité des chercheurs. Le débat porte notamment sur des facteurs comme la compétence nécessaire, et surtout la compétence lexicale, dans la langue cible (Berthele / Lambelet / Schedel 2017) de même que dans les langues passerelles potentielles (Hammarberg 2006; Berthele / Lambelet 2009), des facteurs cognitifs tels que la maturité intellectuelle (Dörnyei 2009; Neveling 2013) et l’âge des apprenants (Berthele 2011; Lambelet / Berthele 2015; Vanhove / Berthele 2015). Les attitudes négatives et la démotivation à l’égard de la langue passerelle potentielle peuvent entraver les transferts positifs (Neveling 2013). De manière 133 Congénères dans la réception et la production de textes générale, la didactique ainsi que les attitudes des enseignant(e)s semblent im‐ portantes pour encourager tous les types d’apprenants à établir des liens trans‐ versaux (Bono 2008; Cenoz 2013; Otwinowska / Szewczyk 2017). D’où l’opinion unanime, à quelques exceptions près (cf. état de la recherche dans Otwinowska / Szewczyk 2017, 3), quant à la nécessité d’un entraînement des stratégies de transfert (Ringbom 2007; Ender 2007; Marx 2008; White / Horst 2012; Monte‐ longo et al. 2017). Les premières études empiriques ont fait ressortir l’utilité de la sensibilisation des adultes (Marx 2005, mais voir Szabo 2016, 5 au sujet des apprenants avancés). Quant aux apprenants dans le contexte scolaire, ce type de sensibilisation semble porter ses fruits pour tous les types d’élèves (Kursiša 2012; Neveling 2013, 122). Une étude d’intervention au Canada mettant en oeuvre un cours de sensibilisation à l’existence des congénères et des faux-amis dans le cadre d’un programme d’immersion en anglais pour des francophones âgés de 10-11 ans a fait ressortir des effets positifs de la conscience de l’existence et de l’utilité des congénères (scores significativement plus élevés pour le groupe expérimental que pour le groupe de contrôle). Un plus grand progrès du groupe expérimental au niveau des performances dans des tests lexicaux a également pu être constaté, surtout dans la catégorie des congénères avec une similarité partielle mais régulière (p.ex. stranger/ étranger, spirit/ esprit - pattern cognates). Mais la différence d’avec le groupe de contrôle n’était pas statistiquement sign‐ ificative. D’après les enseignants ayant participé à l’intervention, ces activités auraient augmenté la motivation des apprenants. D’autres interventions de ce type sont nécessaires, selon les auteurs, pour comprendre s’il s’agit là d’un pro‐ blème méthodologique dû aux différences inhérentes aux deux groupes et au choix du lexique dans les tests (White / Horst 2012). Finalement, Montelongo et al. (2017) ont développé des unités didactiques au niveau du primaire censées transmettre aux élèves bilingues les congénères anglais-espagnols ainsi que les règles de correspondance orthographiques et morphologiques. D’après les au‐ teurs, ces activités ont rencontré la faveur du groupe cible. 4 Questions de recherche - Observe-t-on des différences dans l’usage des congénères dans la récep‐ tion et la production textuelles écrites en français entre les élèves appre‐ nant le français comme première langue étrangère (groupe de contrôle) et ceux apprenant le français comme deuxième langue étrangère après l’anglais (groupe expérimental) à la fin de la 6e classe (2 ans d’apprentis‐ sage du français)? 134 Giuseppe Manno / Mirjam Egli Cuenat - Réception écrite: Comment se présente l’identification des congé‐ nères en français auprès des élèves apprenant le français comme deu‐ xième langue étrangère après l’anglais (groupe de contrôle)? Ob‐ serve-t-on une différence entre le groupe expérimental et le groupe de contrôle? - Production écrite: Les apprenants du groupe expérimental en fin de 6e classe utilisent-ils un plus grand nombre de congénères avec l’ang‐ lais et l’allemand dans leurs textes français que les apprenants sans apprentissage préalable de l’anglais langue étrangère (groupe de con‐ trôle)? - Quelles conséquences faut-il en tirer au niveau didactique? 5 Dispositif de recherche 5.1 Echantillon L’échantillon de notre dispositif quasi-expérimental se constitue de 608 élèves provenant de 32 classes avec apprentissage préalable de l’anglais (groupe expé‐ rimental = désormais GE) et de 216 élèves provenant de 11 classes sans appren‐ tissage préalable de l’anglais (groupe de contrôle = désormais GC). Nous com‐ parerons les deux groupes en nous fondant, d’abord sur les scores de la compréhension et de l’interprétation de congénères présents dans un texte fran‐ çais. Nous analyserons ensuite les productions écrites de la même population en nous intéressant à la fréquence de congénères français-allemands, fran‐ çais-anglais et français-anglais. 5.2 Dispositif pour la réception écrite Le dispositif dans la réception écrite comportait trois parties: les tests de lecture, l’identification des congénères et les questions relatives à l’application des stra‐ tégies de lecture (voir également Manno, à paraître). Pour l’étude des congé‐ nères, nous nous sommes inspirés d’instruments développés dans d’autres con‐ textes (Müller-Lancé 2003; Manno / Jenny 2011), qui ont été adaptés aux besoins et compétences de notre échantillon. Dans le GE, avec l’enseignement du fran‐ çais après l’anglais, la liste des congénères comprenait en français trois catégo‐ ries et six items: - congénères anglais-français: animaux, important - congénères anglais-français-allemand (internationalismes): central, sportif - congénères allemand-français: lecture, coiffer 135 Congénères dans la réception et la production de textes 4 Dans l’ensemble, cette tâche comportait trois phases pour le GE. La phase de la recon‐ naissance des congénères en dehors de tout contexte a été introduite dans l’enquête principale, mais elle manquait dans l’enquête préliminaire (GC). Pour assurer la com‐ parabilité des données des deux groupes, nous renonçons ici à présenter ces résultats. Qui plus est, les différences entre les scores en dehors de tout contexte et ceux relatifs à la phase A en français ne se sont pas avérées statistiquement significatives (cf. Manno, à paraître). Le choix des items s’est fait sur la base des mots attestés dans les textes utilisés pour évaluer la compétence de lecture. L’ensemble des congénères choisis en français figuraient en même temps dans envol Lexique 5/ 6: tout en étant apparus dans le manuel de français, ils ne faisaient pourtant pas partie du lexique obli‐ gatoire, exception faite de l’item animaux (envol 5, Unité 9; Young World 1, 2). Les congénères ont été classés selon leur distance EDIT. Pour les internatio‐ nalismes nous avons calculé la moyenne des deux distances EDIT par rapport aux deux langues concernées, puisqu’en principe deux langues passerelles étaient susceptibles d’être activées. Au terme du test de lecture, les apprenants devaient répondre à des questions relatives à l’identification (reconnaissance et/ ou inférence) des congénères con‐ tenus dans les tests de lecture. La tâche consistait à traduire le congénère en allemand. Elle comportait deux parties: - Phase A: identification spontanée des congénères - Phase B: en cas d’échec en phase A, nouvelle tentative par une in‐ vitation à deviner (inférer) le congénère inconnu à partir d’une relecture du texte. 4 Les écarts potentiels entre les deux phases sont susceptibles de fournir des in‐ dications relatives à l’inférence contextuelle de congénères inconnus. Les réponses pouvaient comporter les points suivants: - 2 points: réponse correcte: coiffer - p.ex., frisieren, kämmen, Haare richten/ machen - 1 point: réponse approximative ou imprécise du point de vue sémantique ou orthographique, fausse catégorie grammaticale: p.ex., coiffer - Frisör, Coiffeur, Frisur, Haare machen, Coiffure - 0 points: fausse réponse: coiffer - p.ex., schneiden En raison du nombre différent d’items dans le GE (5) et le GC (6), les moyennes ont été calculées sur la base des pourcentages par élève par rapport au nombre de points obtenus. Les réponses ont été codées par deux évaluateurs indépen‐ dants. 136 Giuseppe Manno / Mirjam Egli Cuenat 5 Nous tenons à remercier Lukas Bleichenbacher, HEP de St.Gall, pour ses conseils pré‐ cieux dans l’élaboration du manuel de codage. Merci à Sarina Betschart, Sandrine Wild et Michele Vitacca pour le soutien dans le codage des données. 5.3 Dispositif pour la production et codage des données Le dispositif pour la production écrite prévoyait une rédaction d’une lettre à l’intention de camarades francophones dans le cadre d’un mini-échange au‐ thentique avec des classes partenaires. Chaque enfant a produit deux textes (soit un texte un français et un texte en allemand pour le GC), voire trois textes (soit un texte un texte en allemand, un texte en français et un texte en anglais pour le groupe des élèves du GE ayant bénéficié d’un enseignement de l’anglais dès la 3e classe) à partir d’une consigne précise. Les élèves devaient se présenter et décrire leur habitation: leur maison ou leur appartement en allemand, leur chambre en français, leur salon en anglais. Ce format est compatible avec des dispositifs de test courants en langue étrangère et en langue de scolarisation (Eriksson 2006; Lenz / Studer / BKZ, EDK-Ost / NWEDK 2007) ainsi que dans la recherche sur le développement discursif (Schneuwly / Rosat 1995; Augst / Dis‐ selhoff / Henrich / Pohl / Völzing 2007; pour plus de détails voir Egli Cuenat 2016). La tâche de rédaction était de 20 minutes par texte; la production du texte français suivait immédiatement celle du texte en allemand; le texte anglais était produit en dernier par les enfants du GE. L’objectif de ce dispositif de production textuelle trilingue étant de com‐ prendre dans quelle mesure les apprenants, de manière spontanée, faisaient un usage transversal de structures textuelles descriptives, l’usage de dictionnaires bilingues était autorisé. Les paramètres principaux de l’analyse étaient la lon‐ gueur des textes, la structure descriptive, la fréquence et la diversité des con‐ necteurs (pour des résultats fondés sur ces analyses, cf. Egli Cuenat 2016). Les données ont été transcrites en format word et codées moyennant le logiciel MAXQDA. Le présent chapitre ne tient compte que des textes rédigés en fran‐ çais. Les congénères dans la production textuelle française ont été codés 5 à titre exploratoire et en accord avec le système de codage des tests pour la réception. Les résultats présentés ci-après résultent d’une première approche et feront ul‐ térieurement l’objet d’une analyse plus approfondie (Egli Cuenat / Bleichenba‐ cher, à paraître). Le codage des unités n’a tenu compte que de l’anglais et de l’allemand comme langues passerelles. Trois catégories ont été distinguées: - COGND: lexèmes français congénères avec l’allemand ou le dialecte alé‐ manique (ex. commode) - COGNE: lexèmes français congénères avec l’anglais (ex. forêt) 137 Congénères dans la réception et la production de textes - COGNED: lexèmes français congénères avec l‘anglais et l’allemand ou le dialecte suisse alémanique (ex. décoration) En accord avec le codage des congénères dans la réception, des points ont été accordés selon le degré de correction des unités: forme utilisée correctement en langue cible: 2pt. forme utilisée de manière approximative: 1 pt. exemples COGND1 une komode COGNE1 une Foret COGNED1 une Dekoration COGND2 une commode COGNE2 une forêt COGNED2 une décoration Tab. 1: Exemples pour le codage des congénères dans la production écrite N’ont pas été codées des unités lexicales françaises potentiellement congénères avec l’anglais ou l’allemand, ... si les unités lexicales dans les autres langues sont sémantiquement trop éloignées pour être traitées comme des congénères du français dans le contexte d’utilisation de la tâche de production textuelle: - p.ex. français pièce: anglais piece (en relation avec la polysémie, piece en anglais n’est pas utilisé dans le sens de „room“) - p.ex. français grand - anglais grand - allemand grandios (trop éloignés au niveau du signifié) ... si le congénère en anglais ou en allemand n’est pas adapté du point de vue du registre dans le contexte d’utilisation donné ou d’un usage très rare: - p.ex. français armoire - angl. armoire (emprunt du français) - p.ex. français étagère - all. Etagere (emprunt du français) ... si les unités lexicales sont étymologiquement trop éloignées en anglais ou en allemand: - p.ex. rouge (du lat. rubeus), non congénère avec l’anglais red / l’allemand rot, bien que probablement même racine indo-européenne *reudh- 138 Giuseppe Manno / Mirjam Egli Cuenat - p.ex. père non congénère avec l’allemand Vater angl. father bien que pro‐ bablement même racine indo-européenne *pəter. 6 Résultats 6.1 Réception écrite Nous présenterons d’abord les résultats relatifs au GE. Cela nous permettra de présenter les trois catégories de congénères. Dans un deuxième temps, nous procéderons à la comparaison avec le GC, en apportant des précisions relatives au corpus des congénères communs et différenciés entre les deux groupes. Nous verrons au chapitre prochain que les deux listes de congénères à traduire ne coïncidaient pas totalement et que dans la liste du GC la catégorie de congénères anglais-français n’était pas prévue. 6.1.1 Résultats de l’identification des congénères dans le modèle 3/ 5 (GE) à la fin de l’école primaire Items congénère - EDIT moyennes les animaux F/ E - 0.29 92.6 (2.1) sportif D/ F/ E - 0.31 79.5 (3.0) central D/ F/ E - 0.07 78.5 (2.5) important F/ E - 0 63.5 (3.0) la lecture F/ D - 0.43 48.5 (2.5) coiffer F/ D - 0.25 37.9 (1.9) Total 66.75 (2.5) Tab. 2: Moyennes calculées sur la base des pourcentages par élève par rapport au nombre de points obtenus (phase A + B), entre parenthèses moyennes relatives à la phase B, 6e classe, n= 607 (d’après Manno, à paraître) Les moyennes relatives à l’identification des congénères s’élèvent dans la phase A de reconnaissance contextuelle à 64.25, le total (A+B) à 66.75 (cf. Manno, à paraître). Les congénères français-anglais (animaux) et les internationalismes (central, sportifs) sont identifiés en moyenne plus facilement que la catégorie des congénères français - allemand (lecture, coiffer) de même que le deuxième con‐ génère français-anglais (important). animaux présente le meilleur score. Il atteint 139 Congénères dans la réception et la production de textes une moyenne nettement plus élevée que le mot important, bien que ce dernier ait la même image graphique en français et en anglais. De toute évidence, une bonne partie des apprenants ne connaissait pas suffisamment le mot important en anglais pour pouvoir l’activer en français. Certes, on pourrait interpréter le résultat relatif à animaux comme une simple reconnaissance lexicale d’un mot appris et non comme un transfert interlinguistique en raison de la présence de ce congénère dans les deux manuels (Young World, envol 5, Unité 9; animal: Young World 1, 2). Toujours est-il que cet exemple porte à admettre que l’anglais est susceptible de faciliter la mémorisation en français d’unités lexicales d’origine romane. Qui plus est, l’exemple représenté par important donne à penser que ni l’attestation du mot français en anglais ni son introduction dans les deux ma‐ nuels scolaires ne saurait garantir son identification en français. La forme graphique de l’internationalisme central en français est identique à celle en anglais. Pourtant, un quart des élèves n’a pas réussi à identifier central. Probablement, cette difficulté était due à l’écart graphique en début du mot par rapport à la forme allemande (zentral). Certains élèves ont en outre indiqué la fausse catégorie grammaticale renvoyant à des noms attestés en allemand: p.ex. Zentrale, Zentrum, Center, Mitte, Zentralschweiz. Quant à l’autre internationa‐ lisme, sportif, la petite distance EDIT aurait dû faciliter la reconnaissance géné‐ ralisée (cf. Graphique 1). Qui plus est, il s’agit du dérivé de l’internationalisme sport (envol 5). En vérité, il y a eu des traductions approximatives: Sport, Sportler, Sportarten, Sportclub, sportaktiv, voire des réponses erronées: fitnes, Fitness‐ center. Ces observations renvoient à une analyse insuffisante du suffixe -if. lecture connaît un équivalent en allemand (Lektüre). Pourtant seule la moitié environ des élèves a traduit lecture correctement. On a relevé des imprécisions sémantiques (p.ex., Buch, Zeitung, Lesebuch, Literatur, Zeitschrift) et orthogra‐ phiques (p.ex., lectüre). Des réponses telles que Prospekt, Geschichte, Wörterbuch, Lektor, Lektion, Bibliothek, Brief ont été considérées comme fausses. Finalement, le verbe coiffer n’a été traduit correctement en moyenne que par un tiers des élèves, ce qui représente la moyenne la plus basse dans la phase A malgré la petite distance EDIT à l’égard de Coiffeur, terme pourtant usité dans le dialecte alémanique et dans la variété helvétique de l’allemand standard. Ce résultat s’explique, d’une part, par des traductions imprécises ‘couper’. De l’autre, les élèves ont souvent opté pour la mauvaise catégorie grammaticale (Coiffeur, Frisör, Coiffure) établissant un lien direct avec le nom correspondant en suisse alémanique; ils ont aussi fourni des réponses erronées Chauffeur, Haarsalon, etc. 140 Giuseppe Manno / Mirjam Egli Cuenat Graphique 1: Identification des congénères (score total) français en relation avec la dis‐ tance EDIT Dans la phase B du test, il y avait la possibilité pour les élèves de tenter d’inférer contextuellement les congénères inconnus. L’augmentation de la moyenne de réussite est plutôt faible: M =2.5; la part qui revient aux inférences contextuelles s’avère donc modeste. Cela dit, il ne faut pas perdre de vue que seuls ceux qui étaient conscients d’avoir échoué dans la phase A pouvaient s’améliorer dans la phase B. La réussite la plus élevée dans cette phase concerne les internationa‐ lismes sportif, central ainsi que le congénère anglais-français important. Les résultats relatifs aux inférences contextuelles semblent contredire les déclarations des apprenants eux-mêmes au sujet de la fréquence de leur appli‐ cation de la stratégie de lecture introduite dans envol (Wenn ich einen französi‐ schen Text lese und ich nicht alle Wörter verstehe, dann versuche ich, die Bedeutung eines mir unbekannten Wortes zu erraten: aus dem Textzusammenhang). La stra‐ tégie d’inférence contextuelle (M = 3.02) atteint le même score que la stratégie interlinguistique générale die Bedeutung eines unbekannten Wortes dank der Ähnlichkeit mit einem deutschen Wort oder aus einer anderen Sprache (M = 3.0). Celle-ci est à son tour plus fréquente que les stratégies spécifiques relatives au recours aux congénères en anglais dans un texte français (M = 2.1) et aux con‐ génères en français dans un texte anglais (M = 1.68). 141 Congénères dans la réception et la production de textes 6.1.6 Comparaison du modèle 3/ 5 français deuxième langue étrangère avec le modèle 5/ 7, français première langue étrangère Rappelons que le nombre de congénères n’était pas identique pour les deux groupes. D’une part, nous avons été amenés à enlever un item (cirque) contenu dans le questionnaire soumis au GC qui s’était avéré trop facile (moyenne de réussite: 89.5). Afin d’éviter des effets de plafonnement, il a été décidé de le remplacer. D’autre part, avec l’introduction de l’enseignement en anglais dans le modèle 3/ 5, une nouvelle catégorie de congénère anglais-français est venue s’ajouter (important, animaux). L’enseignement de l’anglais dans le modèle 5/ 7 ne débutait qu’en 7e classe, on ne pouvait pas présupposer une compétence suffisante à la fin de l’école primaire pour que l’anglais puisse servir de langue passerelle. D’où la décision d’inclure dans le questionnaire soumis au GC uni‐ quement deux catégories de congénères pour lesquelles l’activation de la langue scolaire devait suffire à leur identification: 1. internationalismes; 2. congénères allemand-français. Les congénères identiques dans les deux listes étaient repré‐ sentés par sportif, coiffer, lecture, central. sportif et central constituent des inter‐ nationalismes également attestés en anglais, dont l’influence devait se mani‐ fester à ce sujet. Comparaison globale des congénères communs entre le français première (GC) et deuxième langue étrangère (GE) Graphique 2: Comparaison globale des congénères communs entre le français première (GC 6) et deuxième langue étrangère (GE 6) Il ressort de la comparaison des valeurs moyennes (4 items) entre les apprenants de la 6e classe du primaire ayant le français comme première langue étrangère 142 Giuseppe Manno / Mirjam Egli Cuenat (GC), et ceux comme deuxième langue étrangère (GE), que ces derniers présen‐ tent des scores plus élevés que les premiers. Cela concerne à la fois la phase de reconnaissance (phase A: M = 55.5, SD: 22.1 - M = 58.6, SD: 21.9) et la phase d’inférence des congénères (somme phase A + B: M = 59.8, SD: 21.3 - M = 61.1, SD: 21.1). Pourtant, la différence dans la phase A se rapproche du seuil de sig‐ nification statistique (p = .077); alors que la différence relative à la somme de phase A + B n’est pas statistiquement significative (p = .412). Tout porte à croire que le faible avantage des élèves ayant le français comme deuxième langue ét‐ rangère se réduit lors du passage aux inférences contextuelles. Passons donc à l’analyse des différents items. 6.1.7 Commentaire de la comparaison des moyennes des items L’analyse des différents items devrait permettre de faire ressortir des différences spécifiques propres à tel ou tel congénère. En outre, cette analyse est censée nous révéler si les internationlismes obtiennent de meilleurs scores dans le GE que dans le GC, grâce au soutien de l’anglais servant de langue passerelle. congénères GC GE sportif 80.4 79.5 central 64.95 78.5 la lecture 55.7 48.5 coiffer 38.3 37.9 *le cirque 89.5 — **important — 63.5 **les animaux — 92.6 Tableau 3: Comparaison des moyennes des items entre GE et GC calculées sur la base des pourcentages par élève par rapport au nombre de points obtenus (phase A + B) Le congénère coiffer présente dans les deux groupes des moyennes comparables. Au sujet de lecture, on constate un léger avantage pour le GC. Puisque les con‐ génères anglais-français important/ animaux ne figuraient pas dans cette version du test, les deux internationalismes sportif/ central, des unités lexicales attestées également en allemand et en anglais, devraient permettre de mesurer l’influence positive de l’anglais sur la reconnaissance lexicale en français. Bien que les deux congénères appartiennent à la même catégorie, on constate des résultats diver‐ gents: 143 Congénères dans la réception et la production de textes - sportif: présente une légère différence en faveur du GC, qui n’est pourtant pas statistiquement significative (phase A: GC M = 77.3 - GE M = 76.5, p = .739; phase A + B: GC M = 80.4 - GE M = 79.5, p = .743). - central: on relève un avantage statistiquement significatif pour les élèves appartenant au GE (phase A: GC M = 54.4 - GE M = 76.0, p<.001; phase A + B: GC M = 64.9 - GE M = 78.5, p<.001). Cette différence significative entre les deux groupes au sujet de central est probablement due au début du mot qui diffère du mot en allemand (zentral). Or, il s’agit d’une graphie qui correspond exactement à celle de l’anglais. La mémorisation du con‐ génère en anglais a donc dû faciliter la reconnaissance lexicale en français. 6.2 Production écrite A titre illustratif, nous reproduisons ci-dessous un texte écrit par une élève du GE (modèle 3/ 5), contenant un nombre élevé de congénères: Tableau 4: Texte produit par une élève du groupe expérimental Ce texte, transcrit dans sa forme originale, contient 20 unités lexicales codées comme des congénères. On y trouve des congénères partagés avec l’anglais (p.ex. village), avec l’allemand (p.ex. fenêtre) ainsi qu’avec les deux langues en même temps (p.ex. appartement). L’élève fait preuve d’inventivité en mettant à profit les trois langues, ce qui s’exprime dans le néologisme *jongleuballes (juggle balls/ Jonglierbälle). Tous les textes des élèves ne contiennent pas autant de con‐ gènres, mais le texte en question peut servir d’exemple pour illustrer la manière dont des élèves débutants peuvent se servir de leurs ressources dans différentes langues. Les graphiques 3 et 4 montrent l’analyse comparative de l’usage des congé‐ nères avec l’anglais et le français par les élèves en 6e classe primaire avec le 144 Giuseppe Manno / Mirjam Egli Cuenat français comme première langue étrangère (modèle 5/ 7) et ceux l’ayant apppris comme deuxième langue étrangère après l’anglais (modèle 3/ 5). Le grahique 3 indique que l’usage des congénères toutes catégories confondues COGN_ALL se monte dans les deux groupes à environ 5 unités lexicales en moyenne. La différence entre les deux groupes n’est pourtant pas significative. En addition‐ nant toutes les occurrences de congénères avec l’anglais (COGN_E_ED_ALL ceux utilisés de manière approximative et ceux conformes à la langue cible, y compris celles simultanément apparentées avec l’anglais et l’allemand), on en relève un nombre plus élevé dans des textes français du groupe des enfants avec enseignement de l’anglais préalable (GE). Cette différence se rapprochen du seuil de signification (p = 0.057). Dans les textes français du groupe des enfants sans enseignement préalable de l’anglais (GC), en revanche, le nombre moyen de congénères avec l’allemand COGN_D est un peu plus élevé p = 0.068). Graphique 3: Nombre moyen de congénères (toutes les catégories de codage) dans la production textuelle française L’analyse détaillée des catégories (graphique 4) révèle les tendances suivantes: les textes français du groupe des enfants avec enseignement de l’anglais préa‐ lable contiennent un nombre significativement plus élevé de formes approxi‐ matives, congénères avec l’anglais (COGNE 1, p< 0.001) et avec l’anglais/ alle‐ mand (COGNED 1, p <.01). 145 Congénères dans la réception et la production de textes Graphique 4: Nombre moyen de congénères (regroupés) dans la production textuelle française En revanche, à partir de ce type d’analyse distinguant les formes correctes et les formes approximatives, d’autres différences observables entre les groupes ne sont pas significatives. Dans les deux groupes, les congénères avec l’allemand et l’anglais (COGN_ED) sont la catégorie la plus fréquente, autant en moyenne par élève qu’en diversité. Non moins de 186 lexèmes (types) ont été relevés sur l’ensemble du corpus. Voici quelques exemples: adresse, balle, basketball, chance, confortable, dauphin, garage, piano, hobby, musique, sport, cool, téléphone, ter‐ rasse. Dans l’ensemble, et pour les deux groupes, le nombre de formes congé‐ nères correctes relevées dans les textes est plus élevé que le nombre de formes non correctes. Discussion des résultats et pistes pour l’exploitation didactique 6.3 Synthèse des résultats en réception écrite Bien que les élèves du GE montrent des traces de l’apprentissage préalable de l’anglais en français, surtout au sujet des congénères français/ anglais (p. ex. animaux), qui sont reconnus et/ ou inférés en moyenne plus facilement que les autres catégories, l’identification des congénères dans le nouveau modèle 3/ 5 ne s’avère pas être optimale. En effet, au niveau global la comparaison entre élèves apprenant le français comme première et comme deuxième langue étrangère révèle que le modèle 3/ 5 présente des scores plus élevés que le modèle 5/ 7, mais les différences entre les deux modèles ne se rapprochent du seuil de signification que dans la phase de la reconnaissance contextuelle (phase A). Au niveau des 146 Giuseppe Manno / Mirjam Egli Cuenat items seul central présente un avantage statistiquement significatif du GE, ce qui semble renvoyer à une influence positive du congénère équivalent en ang‐ lais. 6.4 Production écrite Le GE utilise signiticativement plus de formes approximatives en français à l’écrit, congénères avec l’anglais (COGNE1) et avec l’anglais/ allemand (COGNED 1). Ce résultat renvoie à une prise de risque plus élevée de ces élèves dans la production du français (Otwinowska 2016). Ce groupe utilise également légèrement plus de congénères avec l’anglais et/ ou avec l’allemand (COGNE/ COGNED), cette différence se rapprochant du seuil de signification statistique. La catégorie la plus fréquemment relevée dans les deux groupes est celle des congénères avec l’allemand et l’anglais (COGNED). Il s’agit là des «passerelles linguistiques» L1 = L2 = L3 (Bono 2008). Toutes catégories de congénères con‐ fondues, le GE (modèle 3/ 5) n’utilise dans l’ensemble pas significativement plus de congénères que le GC (modèle 5/ 7). Il est intéressant d’observer que le GC (modèle 5/ 7) utilise tendanciellement plus de congénères avec l’allemand (COGND). On observe donc dans l’ensemble de légères traces d’une influence de l’apprentissage préalable de l’anglais, l’allemand langue de scolarisation (si on additionne les passerelles et les congénères avec l’allemand) gardant la po‐ sition la plus forte et confirmant les tendances observées généralement dans la recherche (Hammarberg 2006). 6.5 Pistes didactiques On retiendra tout d’abord le potentiel didactique dégagé par notre analyse. Ces résultats invitent à nuancer les réserves émises par rapport au potentiel chez les débutants en contexte scolaire (p.ex. Berthele et al. 2016). En même temps, nous voyons la nécessité d’un entraînement systématique des congénères. De nom‐ breuses recherches ont confirmé le bien-fondé de cette démarche (Marx 2005; White / Horst 2012; Neveling 2013; Otwinowska 2016), spécifiquement à la transition entre le primaire et le secondaire (cf. Muñoz 2017). L’exploitation de mots du langage quotidien appartenant à la catégorie des «passerelles linguis‐ tiques» L1 = L2 = L3 (Bono 2008) sera une piste particulièrement intéressante à cet égard. L’importance des congénères ressort également des considérations suivantes: Dans le cadre de notre projet de recherche, nous avons relevé dans le modèle 3/ 5 à la fin de la 6e classe une corrélation hautement significative entre com‐ préhension de détail en français et identification des congénères (effet moyen). En d’autres termes, l’identification des congénères et la lecture de détail sont 147 Congénères dans la réception et la production de textes étroitement liées entre elles. Le calcul des régressions multiples confirme que la compréhension des congénères est une des variables prédisant la lecture de dé‐ tail cf. Manno, à paraître. Or, l’identification des congénères représente le pré‐ dicteur le plus significatif du modèle (cf. Manno, à paraître; cf. aussi Hipfner-Boucher et al. 2016, 396). En Suisse, où on constate un grand effort de mise en relation curriculaire entre les langues, la sensibilisation aux synergies potentielles apparaît également dans les matériaux pédagogiques dès l’école primaire (cf. Egli Cuenat et al., à paraître; Forlot / Beaucamp 2008, 7). Le potentiel d’exploitation des congénères dans la constellation actuelle de l’apprentissage des langues étrangères en Suisse ori‐ entale a été révélé par l’analyse des moyens d’enseignement en usage (Manno / Klee 2009). La brochure Brücken (Klee / Egli Cuenat 2011) propose des pistes concrètes ainsi que des matériaux téléchargeables pour créer des liens entre les moyens d’enseignement de français et d’anglais (congénères, morpho-syntaxe, stratégies d’apprentissage, etc.). Face aux résultats rapportés dans cet article, force est de constater que l’enseignement du français n’exploite pas suffisam‐ ment les synergies potentielles entre les différentes langues du répertoire des apprenants. On peut faire l’hypothèse, en se basant sur les recherches précé‐ demment citées, que cette langue notoirement ressentie comme difficilement abordable par les germanophones (Manno 2004; Manno 2009) profiterait d’une intervention didactique dense et régulière, à la fois au niveau de la réception qu’au niveau de la production écrite et de préférence dans des arrangements didactiques impliquant simultanément la lecture et l’écriture (Egli Cuenat & Manno, à paraître). Or, la nouvelle chronologie (l’anglais avant le français) pourrait permettre de réaliser une progression plus rapide en français pourvu que l’on parvienne à tirer profit du répertoire plurilingue des apprenants. En apprenant une nouvelle langue étrangère, on ne part pas de zéro. Ainsi, il s’agit d’encourager les en‐ seignants à réactiver chez leurs élèves les savoirs, les compétences, les stratégies d’apprentissage etc. déjà disponibles. Les recherches citées plus haut nous apprennent que tous les apprenants n’ét‐ ablissent pas ces connexions automatiquement, car ils n’osent pas «construire des ponts» entre les langues (Blanche-Benveniste 2008, Müller-Lancé 2003; Ender 2007; Neveling 2013; Otwinowska / Szewczyk 2017) mais que la démarche pédagogique de la sensiblisation aux congénères s’avère motivante même pour les apprenants plus jeunes. 148 Giuseppe Manno / Mirjam Egli Cuenat Références Augst, Gerhard / Disselhoff, Katrin / Henrich, Alexandra / Pohl, Thorsten / Völzing, Paul-Ludwig. 2007. „Text-Sorten-Kompetenz. Eine echte Longitudinalstudie zur Ent‐ wicklung der Textkompetenz im Grundschulalter“, Theorie und Vermittlung der Sprache, 48. Baird, Ashley / Palacios, Natalia / Kibler, Amanda. 2016. „The Cognate and False Cognate Knowledge of Young Emergent Bilinguals“, in: Language Learning, 66 (2), 448-470. Berthele, Raphael. 2011. „On abduction in receptive multilingualism. 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BIM/ SVR 2017). Wie aus einer weiteren im September 2017 erschienenen Studie zu Lehrerbildung in der Migrationsgesell‐ schaft hervorgeht, erfolgt die Auseinandersetzung mit dem Themenfeld ‘Mi‐ gration’ im Rahmen der Lehrerbildung immer noch überwiegend aus einer De‐ fizitperspektive, aus der heraus Migranten als „Problemfälle mit Förderbedarf “ (Mercator 2017, o.S.) oder als „Mängelwesen“ (ibid.) gesehen werden. Zudem könnten sich angehende Lehrkräfte „nicht systematisch das notwendige Wissen, die Qualifikationen und Haltungen aneignen“ (ibid.), die für eine valo‐ risierende Lernkultur erforderlich seien. Dies gelte in besonderem Maße für die gymnasiale Lehrerbildung, die migrationsbezogene Themen weitgehend aus‐ blende. Vor diesem Hintergrund mag es auch kaum erstaunen, dass - ungeachtet aller Desiderate nach einem sprachenintegrativen Fremdsprachenunterricht - „migrationsspezifische Sprachen selten bis gar nicht im Unterricht aufgegriffen werden“ (Göbel/ Buchwald 2017, 231). Dieser Befund steht dabei nicht nur im Kontrast zu einer zunehmend positiven Sichtweise auf Mehrsprachigkeit, son‐ dern lässt auch erkennen, dass die Ressourcen herkunftsbedingter Mehrspra‐ chigkeit für den weiteren Sprachenerwerb nahezu ungenutzt bleiben. Im Sinne einer komplex-dynamischen Konzeption von Mehrsprachigkeit betrifft dies auch sprachenvernetzende Verfahren wie z. B. den interlingualen Transfer, der als „Teil des Sprachlernprozesses“ (Allgäuer-Hackl/ Jessner 2012, 287) auch im Klassenzimmerdiskurs Platz finden sollte. Angesichts dieser Ausgangslage möchte vorliegender Beitrag beide Befunde zusammendenken und die Frage nach einer migrationssensiblen Qualifikation von Lehrkräften speziell auf die Integration von herkunftsbedingter Mehrspra‐ chigkeit in den schulischen Fremdsprachenunterricht beziehen; entsprechend einem kommunikativ orientierten Unterrichtssetting soll der Fokus auf her‐ kunftssprachlichen Transfer und transferbasierte Interaktionen gelegt werden: In einem ersten Teil werden hierfür zunächst mündliche Interaktionen sowohl lerntheoretisch als auch im Hinblick auf ihre sprachenplanerische Relevanz eingeordnet; ein weiteres Augenmerk liegt ferner auf dem Stellenwert spra‐ chenvernetzender Verfahren für die Sprachverarbeitung (herkunftsbedingt) mehrsprachiger Individuen wie auch für die Unterrichtsgestaltung. Anknüpfend an die eingangs vorgestellten Befunde erfolgt im nachfolgenden Abschnitt eine Bestandsaufnahme zu sprachintegrativem Fremdsprachenunterricht, wobei auch die Hintergründe für das Lehrerhandeln ausgeleuchtet werden. Hieran anschließend soll das spezifische lehrerseitige Anforderungsprofil, das sich aus transferbasierten Interaktionen ergibt, offengelegt werden. Auf dieser Grundlage werden in einem zweiten Teil die ersten Ergebnisse einer Interviewstudie zum lehrerseitigen Umgang mit herkunftssprachlichem Transfer im schulischen Fremdsprachenunterricht präsentiert: Neben persönli‐ chen Erfahrungen und Einschätzungen aus der Perspektive von Lernenden wie Lehrenden wurden auch die zugehörigen professionellen Wissensbestände und Überzeugungen seitens der Lehrkräfte erhoben. Ausgehend von diesen Er‐ kenntnissen werden abschließend weitergehende Überlegungen zu einer mi‐ grations- und mehrsprachigkeitssensiblen Professionalisierung von Fremdspra‐ chenlehrkräften angestellt. 160 Amina Kropp 2 Im Hinblick auf ein kommunikativ orientiertes Unterrichtssetting soll der Begriff ‘In‐ teraktion‘ hier im Sinne der Sprachlehrforschung gefasst werden als „wechselseitige Beeinflussung von Individuen (oder Gruppen) in ihren Handlungen; Fremdsprachen‐ unterricht besteht aus Interaktionen zwischen verschiedenen Lernern und zwischen Lehrer und Lerner(n)“ (Edmondson/ House 2011, 243). Aus einer didaktischen Perspek‐ tive fügt sich das Konzept in sozialkonstruktivistische Lerntheorien und ist besonders anschlussfähig für Lern- und Lehrprozesse in heterogenen Klassen (cf. z. B. Fürstenau 2009). 2 Migrationsbedingte Mehrsprachigkeit und transferbasierte mündliche Interaktionen im schulischen Fremdsprachenunterricht 2.1 Output und Interaktion: lerntheoretische und sprachenplanerische Einordnung Mündliche Interaktionen sind nicht nur ein wichtiger Bestandteil der Alltags‐ kommunikation, sondern zugleich auch von zentraler Bedeutung für den Spracherwerb. 2 Zugleich stellt mündliche Sprachproduktion aus kognitiver Sicht die anspruchsvollste Fertigkeit dar, da sie nicht nur dem zeitlichen Druck der face-to-face-Kommunikation unterliegt, sondern - im Vergleich zum Sprach‐ verstehen - ein „full processing of forms” (Ortega 2013, 62) erfordert. Gemäß der Output-Hypothese von Swain (1995; 2000) bildet die Sprachproduktion dabei einen wichtigen Teil des Erwerbsprozesses (cf. Swain 2000, 102), da sie u. a. er‐ möglicht, Hypothesen über die Zielsprache zu überprüfen (cf. id. 1995, 128: „hy‐ pothesis-testing function“). Diese Hypothesentestung kann in der mündlichen Interaktion unmittelbar durch outputbezogene Rückmeldungen seitens der Kommunikationspartner unterstützt werden (cf. Ortega 2013, 67). Output stellt folglich „eine Voraussetzung für interaktives Feedback“ (Riemer 2017, 321) dar und ist somit nicht nur für den Spracherwerbsprozess, sondern auch für den Lehrprozess von großer Relevanz. Diese interaktiven Prozesse bilden ihrerseits ein Kernelement der Interaktionshypothese (Long 1981), derzufolge Verstehens- und Lernprozesse gerade durch die interaktive Aushandlung (negotiation) von Form oder Bedeutung sprachlicher Elemente und Strukturen angestoßen werden (cf. auch Ortega 2013, 61-78; VanPatten/ Benati 2015, 150 f). Dabei leisten interaktive Prozesse insofern einen wichtigen Beitrag zum Spracherwerb, als sie die Aufmerksamkeit des Lernenden gezielt auf sprachliche Aspekte steuern (noticing) und somit Input überhaupt erst verständlich machen und in Intake umwandeln können (cf. Gnutzmann 2016, 146; VanPatten/ Benati 2015, 76-78). Dies steht wiederum im Einklang mit der „‘noticing/ triggering’ function” nach Swain (1995, 128), wonach Output die Aufmerksamkeit des Lernenden auf Wis‐ 161 „Sprachenvernetzung als Ressource? “ senslücken und Problemstellen lenken kann (cf. auch VanPatten/ Benati 2015, 153sq.). Outputbezogene Rückmeldungen wie Feedback oder andere interaktionale Stützmechanismen spielen aber nicht nur eine hervorgehobene Rolle im Sprach‐ lern- und -lehrprozess, sondern sind auch ein wesentlicher Teil von diskursivem Sprachmanagement (language management) (cf. Riehl 2014, 197-199; Marten 2016, 37). So werden durch Rückmeldungen nicht nur kommunikative Unklar‐ heiten oder sprachliche Abweichungen festgestellt und verhandelt; vielmehr werden die betreffenden Äußerungen zugleich auch (positiv oder negativ) be‐ wertet. Überdies können sich Rückmeldungen auch auf die Wahl der Kommu‐ nikationssprache beziehen. So findet in jeder individuellen Interaktion eine Be‐ einflussung des Sprachverhaltens und damit Sprachplanung auf der Mikroebene statt. Angesichts der Tatsache, dass ‘Schule’ eine der zentralen Domänen des Sprachmanagements darstellt, weisen mündliche Interaktionen im Klassen‐ zimmer folglich eine wichtige sprachplanerische Dimension auf. Aufgrund ihrer besonderen institutionell begründeten Autorisierung nimmt die Lehrperson hierbei die prominente Rolle als „manager” (Spolsky 2009, 253) ein. Einstel‐ lungen und Handlungen der Lehrkraft können dabei von übergeordneten sprachlichen Normvorstellungen beeinflusst werden, auch wenn sie im Unter‐ richtskontext nur implizit wirksam sind (cf. ibid.). 2.2 Mehr- und mischsprachige Lerneräußerungen: Sprachenvernetzung und Multikompetenz In einem sprachlich heterogenen Klassenzimmer sind mehr- und mischspra‐ chige Lerneräußerungen keine Seltenheit, auch wenn die Herkunftssprachen der Lernenden nur latent in der unterrichtlichen Interaktion präsent sein können. Aus kognitiver Sicht basieren diese Sprachmischungen auf „relations‐ hips between […] languages stored in the same mind” (Cook 1992, 580), die gemäß einer komplex-dynamischen Konzeption von Mehrsprachigkeit als zen‐ trales Merkmal der „holistic multicompetence“ (ibid., 566) gelten können. Diese besondere Kompetenz Mehrsprachiger geht dabei über die reine Sprachbeherr‐ schung in den Einzelsprachen hinaus und gründet vor allem in der Vernetzung und dem Zusammenwirken der Sprachsysteme (cross-linguistic interaction), worunter „sowohl Transfer- und Interferenzeffekte als auch Codeswitching und Borrowing” (Allgäuer-Hackl 2012, 283) zu fassen sind (cf. bereits Odlin 1989, 6 f; ebenso Allgäuer-Hackl/ Jessner 2014, 130-134; Cenoz 2013a, 8 f). Der konstruktive Umgang mit mehr- und mischsprachigen Lerneräuße‐ rungen im schulischen Fremdsprachenunterricht - etwa in Form adäquater leh‐ rerseitiger Rückmeldungen - steht folglich im Einklang mit den aktuellen For‐ 162 Amina Kropp derungen der Tertiärsprachenforschung, gemäß derer sich die Unterrichtsgestaltung an die kognitiven und neurobiologischen Gegebenheiten der Lernenden anpassen sollte. Im Sinne dieser „Sprachenvernetzung in Kopf und Unterricht“ (Müller-Lancé 2013, 13) steht dabei die grundlegende kogniti‐ onslinguistische Erkenntnis im Vordergrund, „dass verschiedene Sprachen weder in unterschiedlichen Hirnarealen noch in getrennten Speichern verar‐ beitet werden“ (ibid., 20 f). Hinzu kommt, dass sich sprachenvernetzende ko‐ gnitive Prozesse „im mehrsprachigen Menschen laufend ab[spielen]“ (Allgäuer-Hackl/ Jessner 2014, 133) und somit im Unterrichtsgeschehen allge‐ genwärtig und unvermeidbar sind. Dies gilt umso mehr im Falle mehrsprachig sozialisierter Individuen, deren kommunikative Praxis im Alltag auf hybriden Sprechpraktiken basieren (translanguaging, vgl. García/ Wei 2014) und daher Codeswitching und Transfer umfassen kann (cf. z. B. Auer 2009; Erfurt 2003). Die Integration (migrationsbedingter) Mehrsprachigkeit in den Fremdsprachen‐ unterricht sollte folglich nicht nur das besondere sprachliche Vorwissen be‐ rücksichtigen, sondern auch typische Verfahren mehrsprachiger Sprachverar‐ beitung und Kommunikation verstehen und nutzen können. Untermauert werden die Desiderate nach einem transferbasierten Fremdsprachenunterricht im sprachlich heterogenen Klassenzimmer auch durch aktuelle Erkenntnisse der empirischen Bildungsforschung, wonach „language transfer promotion […] po‐ sitively related with EFL achievement“ (Göbel/ Vieluf 2014, 191) sei. Entsprechend nimmt Transfer auch im Rahmen sprachintegrativer Ansätze der Fremdsprachendidaktik schon seit geraumer Zeit einen besonderen Stellen‐ wert ein: So versteht sich die Mehrsprachigkeitsdidaktik als „Transferdidaktik” (Meißner 2007, 90), verfügen Lerner doch aufgrund ihres sprachlichen Vorwis‐ sens über „Transferressourcen, die […] den Tertiärspracherwerb deutlich er‐ leichtern können” (Reissner 2015, 208). Ebenso werden nach dem Referenz‐ rahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (RePA 2010) Transferaktivitäten als interne Ressourcen konzipiert, die dem Bereich der Fer‐ tigkeiten und des prozeduralen Wissens (savoir-faire, skills) zuzurechnen sind (cf. Candelier et al. 2010, 96). Nicht zuletzt findet gerade die Nutzung von her‐ kunftssprachlichen Transferphänomenen eine sinnvolle Einbettung im aktu‐ ellen Paradigma der „aufgeklärten Mehrsprachigkeit” (Reimann 2016), das sich sowohl die Berücksichtigung von Herkunfts- und Familiensprachen als auch die „(Re-)Integration der produktiven Fertigkeiten” (ibid., 18) zum Ziel gesetzt hat. Im Sinne eines inter- und transkulturellen Zugangs zu Sprachen impliziert dies auch „Offenheit für Sprachmischung in Bezug auf die Interaktion im fremd‐ sprachlichen Klassenzimmer“ (ibid., 29). 163 „Sprachenvernetzung als Ressource? “ 2.3 Transferbasierte Interaktionen: Kognitivierung und language awareness Mündliche Interaktionen, die von Transferphänomenen ausgehen, setzen an der für mehrsprachige Individuen typischen Sprachenvernetzung an. Daneben ver‐ fügen transferbasierte Interaktionen aber auch über ein großes Lehrpotenzial, wie dies etwa von Allgäuer-Hackl (2012, 287) herausgestellt wird: „Positiver wie negativer Transfer (Interferenz) sind Teil des Sprachlernprozesses; beide Phä‐ nomene können im Unterricht gewinnbringend aufgegriffen und genutzt werden”. Im Sinne der o. g. Output-Hypothese sind typische sprachenvernet‐ zende Verfahren wie interlingualer Transfer dabei als Zeichen aktiven Hypo‐ thesentestens” (House 2004, 63) zu verstehen, das durch interaktive Prozesse, z. B. in Form von Feedback, unterstützt werden kann: So lassen sich durch die Integration mischsprachiger Lerneräußerungen reflexive und vergleichende Gedankengänge im Hinblick auf „die Struktur(en) einer oder mehrerer Spra‐ chen“ (Gnutzmann 2017, 20) anstoßen. Die Thematisierung der interlingualen Hypothesenbildung ermöglicht ferner, Sprachproduktions- und Lernprozesse zu behandeln und somit metakognitive Prozesse anzuregen. Sprachmischungen können darüber hinaus in den Kontext lebensweltlicher Mehrsprachigkeit ge‐ stellt werden, indem weitergehende Aspekte wie etwa der kommunikative Wert oder die identitäre Dimension hybrider Sprachformen aufgegriffen werden. Dieses kognitivierende Vorgehen auf unterschiedlichen sprachbezogenen Ebenen fügt sich dabei in eine auf language awareness ausgerichtete Unter‐ richtskonzeption, wonach sprachliche Bewusstheit als „Resultat eines Erkennt‐ nisprozesses, der an sprachliche Interaktion gebunden ist“ (ibid.) gelten kann (cf. auch id. 2016). Entsprechend können Interaktionen ausgehend von positiven wie negativen Transferphänomenen nicht nur Interaktionen in, sondern vor allem auch Interaktionen über mehrere Sprachen sein. 2.4 Integration von Transfer und Herkunftssprachen: Status Quo Wirft man einen Blick auf die Unterrichtsrealität, so lässt sich feststellen, dass Transferphänomene weiterhin pathologisiert und bekämpft werden, statt sie als Ressource für die Unterrichtsgestaltung zu nutzen (cf. Jessner/ Allgäuer-Hackl 2015, 213sq.). Insbesondere produktiver Transfer löst auf Seiten der Lehrkräfte „eine unsichere bzw. zwiespältige Haltung“ (Neveling 2013, 114) oder sogar „Angst“ (ibid., 125) aus, was nicht nur einer sprachintegrativen Unterrichtskon‐ zeption zuwiderläuft, sondern vor allem auch die lehrerseitige Handlungsfä‐ higkeit in einem kommunikativem, auf mündliche Interaktionen basierenden Setting empfindlich einschränkt. Diese Skepsis gegenüber Sprachmischungen im schulischen Fremdsprachenunterricht gründet historisch auf dem Einspra‐ 164 Amina Kropp chigkeitsprinzip und den didaktischen Ansätzen der Kontrastiven Linguistik (cf. Reimann 2016, 16sq.). Verstärkend kommt für die Schulen im deutschspra‐ chigen Raum ein „monolingualer Habitus” (Gogolin 1994) hinzu, der Einspra‐ chigkeit als Normalfall postuliert und gewissermaßen zu einem doppelt mono‐ lingualen Selbstverständnis des schulischen Fremdsprachenunterrichts beiträgt. Nicht zuletzt scheint auch die Resonanz gegenüber aktuellen Impulsen aus der Mehrsprachigkeitsforschung recht verhalten zu sein, weswegen sich der „Pa‐ radigmenwechsel hin zu einer mehrsprachigen Schule“ (de Cillia 2010, 252) nur langsam vollzieht. Besonders marginalisiert bleiben dabei Herkunfts- und Fa‐ miliensprachen, die, wie bereits einleitend festgestellt, „selten bis gar nicht im Unterricht aufgegriffen werden“ (Göbel/ Buchwald 2017, 231, v.s.). Ergänzend weisen aktuelle Forschungsbefunde zu heterogenen Klassen auf weitere Probleme der Umsetzbarkeit, vor allem in der täglichen Unterrichts‐ praxis: So legt eine Vielzahl von Studien nahe, dass (angehende) Lehrkräfte der Heterogenität im Klassenzimmer zwar positiv gegenüberstehen und einem an‐ gemessenen Umgang große Bedeutung beimessen, sich zugleich aber „nicht ausreichend genug für dieses anspruchsvolle Aufgabenfeld qualifiziert fühlen“ (Biederbeck/ Rothland 2017, 232). Diese Diskrepanz zeigt sich auch bei Fremd‐ sprachenlehrern, die trotz positiver Einstellungen zu sprachlicher Heterogenität und (migrationsbedingter) Mehrsprachigkeit ihren Unterricht nur punktuell sprachintegrativ gestalten, da ihnen etwa die nötige Erfahrung mit mehrspra‐ chigkeitsorientierten Materialien und Verfahren fehlt (cf. z. B. Heyder/ Schädlich 2015). Im schlimmsten Fall löst die Verwendung von Herkunftssprachen im Un‐ terricht sogar Unbehagen und Unsicherheit aus, was ebenfalls auf fehlende Un‐ terrichtsmaterialien zurückzuführen ist (cf. Siems/ Granados 2014, 31-33). Ge‐ rade im kommunikativen Setting führt dies lehrerseitig häufig zu einer Ausblendung von herkunftssprachlichen Transferphänomenen, die eine kon‐ struktive Nutzung unmöglich macht (cf. Göbel 2018). 3 Herkunftssprachliche Transferphänomene in mündlichen Interaktionen: lehrerseitiges Anforderungsprofil Wie im obigen Kapitel herausgestellt, nehmen Lehrkräfte den Umgang mit sprachlicher Heterogenität im Klassenzimmer als ein wichtiges, aber durchaus „anspruchsvolle[s] Aufgabenfeld“ (Biederbeck/ Rothland 2017, 232, v.s.) wahr. Ebenso weisen mündliche Interaktionen ausgehend von herkunftssprachlichen Transferphänomenen ein spezifisches Anforderungsprofil auf, das den Beson‐ derheiten der Unterrichtssituation und der Lernenden geschuldet ist: So erfor‐ dert ein sprachenintegrativer Unterricht eine wertschätzende Haltung gegen‐ 165 „Sprachenvernetzung als Ressource? “ über (migrationsbedingter) Mehrsprachigkeit und „Offenheit für Sprachmischung“ (Reimann 2016, 29, v.s.) und demzufolge die grundlegende Bereitschaft, Transferphänomene als Ressource für die Unterrichtsgestaltung nutzen zu wollen. Ferner stellen mündliche Interaktionen nicht nur für den Lernenden ein anspruchsvolles Setting dar; vielmehr sind sie auch für die Lehr‐ kraft mit hohen kognitiven Anforderungen verbunden. Dies hängt in erster Linie mit den o. g. Bedingungen der mündlichen Kommunikation zusammen, die von allen Kommunikationspartnern eine zeitnahe Reaktion verlangt. In einem mündlich-interaktiven Setting sollten Lehrkräfte zudem in der Lage sein, die Bedeutung der lernerseitigen Sprachproduktion für den Sprachenerwerb richtig einzuschätzen und die interlinguale Hypothesentestung durch adäquate unterrichtsmethodische Verfahren, wie z. B. konstruktives Feedback, zu unter‐ stützen. Dabei sind unterrichtliche Interaktionen zugleich auch als sozial ein‐ gebettete Prozesse zu verstehen, die durch eine gegenseitige Beeinflussung von lernendem Individuum und seiner engeren und weiteren Umgebung geprägt sind. In einem sprachlich heterogenen Klassenzimmer kommen neben besagten Rahmenbedingungen der unterrichtlichen Interaktion ferner auch die beson‐ deren Lernvoraussetzungen herkunftsbedingt mehrsprachiger Lernender zum Tragen: Nach dem o. g. Kenntnisstand der Mehrsprachigkeitsforschung stellt die „Sprachenvernetzung im Kopf “ (Müller-Lancé 2013, 13, v.s.) ein Kennzeichen der Multikompetenz Mehrsprachiger dar, die auch auf den Zugang zu neuen Sprachen zutrifft. Für die Kommunikation im Fremdsprachenunterricht legt diese Erkenntnis nahe, dass positive wie negative Transferphänomene ausge‐ hend von Herkunftssprachen einen festen Bestandteil der Unterrichtsrealität bilden. Besagte Phänomene sollten folglich nicht ausgeblendet oder lediglich als reparatur- oder korrekturbedürftig abgetan, sondern als wertvoller Beitrag zum Unterrichtsgeschehen verstanden werden, aus dem - gemäß dem Konzept von language awareness - neue Lerngelegenheiten zu unterschiedlichen Aspekten (neben sprachbezogenen v. a. auch im Hinblick auf Lernprozesse und Kommu‐ nikation) entstehen können. Entsprechend erfordert eine gezielte, konstruktive Rückmeldung seitens der Lehrkraft, den Blick ausgehend von der Lerneräußerung auf den Lernenden, sein Vorwissen und seine Lernprozesse zu richten, so wie dies auch schon länger etwa von einer mehrsprachigkeitsorientierten Sprachlehrforschung gefordert wird (cf. z. B. Königs 2006). Diese Perspektivenübernahme setzt zunächst voraus, die Lerneräußerungen überhaupt als Transferleistungen zu erkennen, da sich gerade positiver Transfer an der Oberfläche nicht als Abweichung bemerkbar macht (zum tip of the iceberg cf. bereits Kellerman 1983; Odlin 1996). Dabei sollte 166 Amina Kropp die Lehrkraft in der Lage sein, die der jeweiligen Lerneräußerung zugrundelie‐ genden Schülerkognitionen nachzuvollziehen; dies erfordert neben der Fähig‐ keit zur sprachsystematischen und vergleichenden Analyse auch ein umfas‐ sendes Verständnis des Transferprozesses. Oder mit den Worten von Terence Odlin (1989, 161): „[…] teachers must be concerned not only with forms and functions but also with the learning process. Although transfer is only one as‐ pect of that process, it is a crucial one”. Hierzu zählt auch die Erkenntnis, „dass lernerseitige Transferleistungen bisweilen nicht zu ‘richtigen’ Ergebnissen führen“ (Königs 2006, 221), was wiederum eine unabdingbare Voraussetzung für den konstruktiven Umgang mit „Fehlern“ darstellt. Im Sinne einer holistischen Betrachtung bedeutet diese Perspektivierung des Lernenden zugleich, dass die sprachliche Entwicklung als Ganzes und kognitive Prozesse in Abhängigkeit von ihrem Kontext zu sehen sind; dies gilt umso mehr im Zusammenhang mit Migration, da im schulischen Kontext defizitorientierte und monolinguale Sicht‐ weisen auch über das Lehrerhandeln wirksam werden können. Entsprechend sollten sich Lehrkräfte der Tatsache bewusst sein, dass gerade im Klassenzim‐ merdiskurs - etwa über lehrerseitiges Korrekturverhalten - stets auch Sprach‐ management auf der Mikroebene stattfindet. Eine umfassende Perspektivierung des Lernenden schließt letztlich auch die lebensweltlichen Zusammenhänge von Transferprozessen mit ein. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass transferbasierte Interaktionen hohe und spezifische Anforderungen an die Lehrkraft stellen. So sollte das Lehrer‐ handeln in erster Linie von einer „multilingualen“ Einstellung getragen sein. Ferner gründet die lehrerseitige Handlungsfähigkeit auf interlingualem Wissen, das auch linguistisches Fachwissen zu zwischensprachlichen wie sprachhisto‐ rischen Zusammenhängen umfasst. Ebenso sollte die Lehrperson auf ein um‐ fängliches und fundiertes professionelles Wissen zum Lerner und seinen Lern‐ prozessen zurückgreifen können: In einem interaktiv-kommunikativen Setting bezieht sich dies zunächst auf die kognitiven Herausforderungen der Sprach‐ produktion und ihren Stellenwert für den Spracherwerb. Darüber hinaus erfor‐ dert die Integration herkunftssprachlicher Transferphänomene auch Wissen zur mehrsprachigen Entwicklung, Organisation und Sprachverarbeitung, insbeson‐ dere im Kontext von Migration; dies schließt auch die Besonderheiten der her‐ kunftssprachlichen Kompetenz ein, die weder der Einsprachiger noch der von L2-Lernern entspricht (cf. Rothman 2009). Darüber hinaus sollten Fremdspra‐ chenlehrkräfte nicht nur die lernerseitigen Erwerbs- und Verarbeitungsprozesse in ihrer ganzen Komplexität in den Blick nehmen können, sondern zugleich auch um die Tragweite der eigenen unterrichtsmethodische Entscheidungen wissen. Dies betrifft in besonderem Maße das lehrerseitige Feedbackverhalten, da 167 „Sprachenvernetzung als Ressource? “ 3 COACTIV steht für „Professionswissen von Lehrkräften, kognitiv aktivierender Ma‐ thematikunterricht und die Entwicklung mathematischer Kompetenz“. Die erste Haupt‐ studie war in den deutschen PISA-2003-Längsschnitt eingebettet. Hierbei handelt es sich um ein auf dem anglo-amerikanischen Forschungsstand aufbauendes, generisches Kompetenzmodell zur professionellen Kompetenz von Lehrkräften, das zwischen 2002 und 2010 am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin in mehreren Teil‐ projekten am Beispiel von Mathematiklehrkräften entwickelt und empirisch validiert wurde (cf. Baumert/ Kunter 2011). Zur Generalisierbarkeit der Erkenntnisse cf. auch Kunter/ Baumert 2011, 351sq. sprachbezogene Rückmeldungen nicht nur einen hohen Stellenwert im Rahmen von Lehrprozessen besitzen, sondern auch ein zentrales Instrument von diskur‐ sivem Sprachmanagement darstellen. Nicht zuletzt setzen mündliche Interak‐ tionen aufgrund ihrer kommunikativen Ausrichtung und ihres unvorherseh‐ baren Verlaufs ein professionelles Wissen voraus, das nicht nur umfassend, sondern vor allem auch flexibel und jederzeit abrufbar sein sollte. 4 „Sprachenvernetzung als Ressource? Produktiver Transfer im schulischen Fremdsprachenunterricht“: Forschungsdesign und erste Ergebnisse 4.1 Fragestellung und Erkenntnisinteresse Wie anhand eingangs zitierter Bestandsaufnahmen zur Lehrerbildung in der Migrationsgesellschaft aufgezeigt, wird im Hinblick auf Unterrichtsqualität und Schulerfolg der Fokus zunehmend auf die Lehrpersonen als „die wichtigsten Akteure im Bildungswesen” (Baumert/ Kunter 2011: 29) gelegt; dieser „shift from learning to teaching“ (Trautmann 2010, 52) vollzieht sich gerade auch angesichts sprachlicher Vielfalt im fremdsprachlichen Klassenzimmer. Anknüpfend an die Kernausagen besagter Studien zeichnet sich ab, dass auch eine migrations- und mehrsprachigkeitssensible Professionalisierung von Fremdsprachenlehrkräften bei den Einstellungen und Wissensbeständen ansetzen muss. Dieser Ansatz‐ punkt entspricht dem aktuellen Stand der empirischen Bildungsforschung, die Professionswissen und Überzeugungen als zentrale kognitive Aspekte profes‐ sioneller Kompetenz modelliert (zum COACTIV-Kompetenzmodell cf. Baumert/ Kunter 2011). 3 Innerhalb des Professionswissens bildet wiederum das fachin‐ haltliche Wissen die Grundlage sowohl für das fachdidaktische Wissen wie auch für handlungsleitende epistemologische Überzeugungen. Dem Fachwissen kommt somit eine Schlüsselposition für die professionelle Kompetenz von Lehr‐ kräften zu, der auch in der Lehrerausbildung entsprechend Rechnung getragen werden sollte. 168 Amina Kropp Im Hinblick auf eine migrations- und mehrsprachigkeitssensible Professio‐ nalisierung legen dies auch o. g. Befunde nahe: Demnach sind Lehrkräfte zwar positiv und wertschätzend gegenüber sprachlicher Heterogenität und Mehr‐ sprachigkeit im Klassenzimmer eingestellt, beurteilen den Umgang zugleich aber als „anspruchsvolle[s] Aufgabenfeld“ (Biederbeck/ Rothland 2017, 232, v.s.), für das sie sich nicht angemessen qualifiziert und vorbereitet fühlen. Dass wis‐ senschaftlicher Erkenntnisstand und bestehendes Lehrerwissen zu migrations‐ bedingter Mehrsprachigkeit erheblich auseinanderklaffen, hebt bereits Hu (2003, 292-294) hervor. Spezielle Studien zu transferbezogenem Lehrerwissen liegen bisher nicht vor; entsprechende Rückschlüsse werden vielmehr summa‐ risch im Zusammenhang mit transferunterstützendem Unterricht im sprachlich heterogenen Klassenzimmer gezogen (cf. z. B. Göbel 2018, 48sq.; Göbel/ Vieluf/ Hesse 2010, 119sq.). In diesem professionstheoretischen Rahmen, der auch für Fragestellungen zu sprachlich-kultureller Heterogenität im Klassenzimmer anschlussfähig ist (cf. Hachfeld 2012), möchte die vorliegende Interviewstudie die vorgestellten Er‐ kenntnisse zu transferbasierten unterrichtlichen Interaktionen aufgreifen und fruchtbar machen. Gemäß der übergeordneten Fragestellung „Sprachenvernet‐ zung als Ressource? Herkunftssprachen und produktiver Transfer im schuli‐ schen Fremdsprachenunterricht“ zielt die Untersuchung dabei auf das Lehrer‐ handeln in Bezug auf herkunftssprachliche Transferphänomene im fremdsprachlichen Klassenzimmerdiskurs ab. Entsprechend der oben aufge‐ zeigten Relevanz für Lern- und Lehrprozesse im kommunikativen Unterricht liegt der Fokus auf dem interaktiven Umgang mit transferbasierten Lerneräu‐ ßerungen, der sowohl aus Lernendenwie aus Lehrendenperspektive ausge‐ leuchtet werden soll. Ausgehend von dem spezifischen lehrerseitigen Anforde‐ rungsprofil wird ein besonderes Augenmerk auf die Wissensbestände der Lehrkräfte gerichtet. Im Zusammenhang mit der für Mehrsprachige typischen Sprachenvernetzung kommt dabei dem tieferen Verständnis lernerseitiger Transferprozesse eine besondere Bedeutung zu. Diese umfassende Perspektivierung der Lernenden fügt sich dabei in ein sei‐ tens der mehrsprachigkeitsorientierten Sprachlehrforschung postuliertes „ver‐ ändertes Anforderungsprofil für die Lehrenden“ (Königs 2006: 221) und steht zugleich auch im Einklang mit dem aktuellen Forschungsstand der o. g. Bil‐ dungsforschung sowie der Fremdsprachenlehrerprofessionsforschung (vgl. z. B. 169 „Sprachenvernetzung als Ressource? “ 4 Nach COACTIV zählt das Lehrerwissen über fachbezogene Schülerkognitionen zu den sog. „Diagnostischen Fähigkeiten“; diese bilden wiederum die Grundlage für eine an‐ spruchsvolle Unterrichtskonzeption, die auf kognitiv aktivierende Aufgabenstellungen und eine adaptiv individuelle und konstruktiv unterstützende Lernumgebung bedacht ist (cf. Brunner et al. 2011, 216). Hierzu zählen Aufgaben, Erklärungen und Instruk‐ tionen, die an das lernerseitige Vorwissen anknüpfen, so wie dies etwa im Falle her‐ kunftssprachlicher Kenntnisse gegeben ist. 5 Bei ‘Einstellungen‘ und ‘Überzeugungen‘ handelt es sich um zentrale Begriffe der So‐ zialpsychologie, die als kognitive Konstrukte konzipiert werden. In sozialpsychologi‐ schem Sinne versteht man unter Einstellung (attitude) die Gesamtbewertung eines Ein‐ stellungsgegenstands; nach dem sozialpsychologischen Multikomponentenmodell (kognitiv, affektiv, konativ) zählen Überzeugungen (beliefs) zu den kognitiven Einstel‐ lungskomponenten (cf. Haddock/ Maio 2007, 190-193). Roters 2015; Roters et al. 2013). 4 Entsprechend einem „holistischen Anspruch von Language Awareness“ (Luchtenberg 1997, 114) entspricht diese Blickrich‐ tung zudem einer erweiterten Konzeption von teacher language awareness, die zunehmend auch die soziolinguistische Situation von Sprechergruppen in Sprachkontaktsituationen und damit die Wechselwirkungen zwischen schuli‐ schen Lernprozessen und die sie umgebenden Kontexten einbezieht (cf. Breid‐ bach/ Elsner/ Young 2011). Ergänzend zum Professionswissen sollen auch die zugehörigen professio‐ nellen Überzeugungen 5 erhoben werden, die nach COACTIV als maßgebliche Faktoren für ein erfolgreiches Unterrichtshandeln in sprachlich-kulturell hete‐ rogenen Klassen gelten können (cf. Hachfeld 2012). Dabei wirken sich gerade im Fremdsprachenunterricht, in dessen Zentrum sprachliche Strukturen und Sprachverwendung stehen, lehrerseitige Überzeugungen zum sprachlich-kul‐ turellen Hintergrund der Lernenden stärker auf das Unterrichtsgeschehen aus als in anderen Schulfächern. So werden Bewertungen gegenüber Sprachen und Sprechergruppen etwa in sprachbezogenem Feedbackverhalten wirksam, wobei übergeordnete Normvorstellungen wie auch persönliche Überzeugungen der Lehrkräfte zu Herkunftssprachen, herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit und Sprachmischungen eine große Rolle spielen. 4.2 Referenzstudien und methodisch-methodologische Überlegungen Die vorliegende Interviewstudie ist dem Themenkomplex „schulischer Fremd‐ sprachenunterricht und migrationsbedingte Mehrsprachigkeit“ (Hu 2003) zu‐ geordnet, wobei die gleichnamige bildungs- und kulturtheoretische Studie Adel‐ heid Hus inhaltlich wie methodisch eine zentrale Referenz bildet; dies gilt insbesondere für die von Hu eingenommene Doppelperspektive, die mittels narrativer Leitfaden-Interviews von Lehrenden und Lernenden erhoben wurde. Als weitere Orientierungspunkte wurden Studien herangezogen, die sich mit 170 Amina Kropp sprachintegrativem Unterricht und (herkunftsbedingter) Mehrsprachigkeit aus‐ einandersetzen und ebenfalls ein qualitatives Vorgehen aufweisen. Hierzu zählen vor allem die leitfadengestützten Experteninterviews von Fremdspra‐ chenlehrkräften zu sprachenübergreifendem Lehren und Lernen (Mehlhorn/ Neveling 2012; Neveling 2013) wie auch zu (herkunftsbedingt) mehrsprachigen Lernenden (Reimann/ Tziotzios 2018); zu nennen sind ferner auch Arbeiten zur Wahrnehmung herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit aus der Perspektive der jeweiligen mehrsprachigen Schüler sowie ihrer Eltern und Lehrkräfte (Mehl‐ horn 2015; Brehmer/ Mehlhorn 2015). Dementsprechend wurde mit der Methode ‘Interview’ ein bewährter quali‐ tativer Zugang gewählt, der auf die „Binnenperspektive“ (Dittmar 1988, 883) und ein „geschlossenes, abgerundetes, ganzheitliches Bild vom Befragten“ (Lamnek/ Krell 2010, 311) abzielt (cf. hierzu auch Reimann/ Tziotzios 2018, 148-151; Traut‐ mann 2012). Im Hinblick auf das übergeordnete Erkenntnisinteresse wurden die Gespräche anhand eines teil-standardisierten Leitfadens strukturiert und auf bestimmte Fragestellungen fokussiert, die jeweils in vier Fragenkomplexe un‐ terteilt waren (v.i.). Die Befragung der Lernenden sollte insgesamt stärker sprachbiographisch und offener ausgerichtet werden, wohingegen das Inter‐ view mit den Lehrkräften in Teilen als explorativ angelegtes Experteninterview konzipiert wurde. Für die besagte Doppelperspektive auf das Lehrerhandeln sollten einerseits herkunftsbedingt mehrsprachige Lernende, andererseits Fremdsprachenlehr‐ kräfte befragt werden; diese Datentriangulation zielte vor allem darauf ab, die Sicht der Lehrenden durch die Außenwahrnehmung zu komplettieren. Für die Auswahl der Informanten war auf Seite der Lernenden neben Bildungsbiogra‐ phie, mehrsprachiger Lebenswelt und dem Transferpotenzial der Herkunfts‐ sprache insbesondere auch die Fähigkeit zur retrospektiven Reflexion der ei‐ genen Erfahrungen wie auch des Lehrerhandelns ausschlaggebend. Auf Seite der Lehrenden sollte die Wahl auf gymnasiale Fremdsprachenlehrkräfte be‐ grenzt werden, deren Ausbildungszeit nicht länger als 15 Jahre zurücklag; dies sollte vor allem die Vergleichbarkeit mit der Lernerperspektive sicherstellen. Nicht zuletzt sollten auch lehrerseitig Informanten mit Migrationshintergrund eingeschlossen werden (v.i. Abschnitt 4.3). Um mögliche „Interviewer-Effekte“, d. h. sozial erwünschtes Antwortver‐ halten, sowie Rechtfertigungsdruck angesichts der sensiblen, nicht nur durch wissenschaftliche, sondern auch durch gesellschaftliche Diskurse gerahmten Thematik zu minimieren, wurden der Auswahl der Informanten in beiden Fällen bestehende gemeinsame Netzwerke und Zugehörigkeiten zugrundegelegt; überdies wurde das Ziel der Befragung nicht explizit formuliert, sondern sehr 171 „Sprachenvernetzung als Ressource? “ 6 Hierbei handelt es sich um einen Mannheimer Studiengang, der neben dem kulturwis‐ senschaftlichen Kernfach (65 %) auch wirtschaftswissenschaftliche Anteile (25 %) um‐ fasst. allgemein auf den Umgang mit herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit im Un‐ terricht bezogen. Entsprechend wurde auch beim Setting der Interviews auf ein vertrautes Umfeld geachtet. Da den befragten Personen bei der Beantwortung der Fragen ferner ausreichend Spielraum eingeräumt werden sollte, wurde kein fester zeitlicher Rahmen angestrebt; die Interviews dauerten im Mittel eine Stunde 45 Minuten. 4.3 Methodisches Vorgehen: Datenerhebung und -auswertung Die Perspektive der Lernenden wurde über vier höhersemestrige Romanistiks‐ tudierende der Universität Mannheim (drei Lehramt, ein Master „Kultur und Wirtschaft“ 6 ) mit italienischsprachigem Hintergrund erhoben. Die interviewstrukturierenden Fragen waren in vier Themenkomplexe un‐ terteilt; hierdurch wurde die Befragung ausgehend von der mehrsprachigen So‐ zialisierung und Lebenswelt zunehmend auf die Aspekte Sprachmischungen und produktiver Transfer im schulischen Kontext, v. a. im schulischen Fremd‐ sprachenunterricht enggeführt. Der erste Fragenblock zur sprachlichen Biogra‐ phie bezog dabei auch sprachenplanerische Dimensionen im Hinblick auf Er‐ werb, Erhalt und Relevanz von Herkunftssprache und herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit (u. a. Einstellungen der Eltern und institutionelle Vermittlung) ein. Fragenblock 2 und 3 umfassten die „klassischen“ soziolinguistischen Be‐ reiche „Spracheinstellung und sprachliche Selbsteinschätzung“ sowie „Sprach‐ gebrauch nach Domänen“; Fragenblock 4 richtete den Fokus auf Erfahrungen im Schulkontext, v. a. im Hinblick auf den lehrerseitigen Umgang mit produk‐ tivem Transfer im schulischen Fremdsprachenunterricht. Für die Lehrerperspektive wurden vier gymnasiale Fremdsprachenlehrkräfte aus der Region Rhein-Neckar (Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz) inter‐ viewt, von denen eine Lehrperson weder Romanistik studiert hat noch roma‐ nische Sprachen unterrichtet. Die Lehrerfahrung lag im Mittel bei zwölf Jahren. Drei der Lehrkräfte wiesen einen Migrationshintergrund auf, von denen zwei überdies mehrsprachig sozialisiert waren (Herkunftssprache Französisch). Der Gesprächsleitfaden umfasste vier Fragenkomplexe, mittels derer neben dem (berufs)biographischen Hintergrund (Fragenkomplex 1) vor allem Wissen und Überzeugungen zu (migrationsbedingter) Mehrsprachigkeit (Fragenkom‐ plex 2) sowie Unterrichtkonzeption und -praxis im Hinblick auf (herkunftsbe‐ dingte) Mehrsprachigkeit und Sprachenvernetzung (Fragenkomplex 3) erhoben wurden; hieran schlossen sich Fragen zur Ausbildung hinsichtlich migrations‐ 172 Amina Kropp bezogener Themen an (Fragenkomplex 4). Fragenkomplex 2 betraf vor allem die Lehrerkognitionen zu „Schlüsselkonzepten“; ergänzend bzw. kontrastierend zielte Fragenkomplex 3 auf das Lehrerwissen im Zusammenhang mit vorhan‐ denen Situations- und Ereignisschemata ab (cf. Baumert/ Kunter 2011: 34). Hierfür wurde auf persönliche Herausforderungen und Problemlagen bei der Integration von Herkunftssprachen abgehoben, die möglichst anhand von Pra‐ xisbeispielen aus dem Unterricht konkretisiert und ggf. reflektiert werden sollten. Ein besonderes Augenmerk lag auf dem Umgang mit produktivem Transfer, wobei auch nach dem unterrichtsmethodischen Instrumentarium zur Schaffung fremdsprachlicher Sprechanlässe sowie im Rahmen unterrichtlicher Interaktionen gefragt wurde. Die Audioaufnahmen wurden im Sinne der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) vollständig transkribiert und ausgewertet; dabei wurden neben den deduktiv aus den Leitfäden abgeleiteten Hauptkategorien weitere Katego‐ rien induktiv aus dem gesamten Datenmaterial gewonnen und entsprechend in einen Kodierleitfaden aufgenommen. In Anlehnung an die Studien von Hu (2003), Neveling (2013) und Brehmer/ Mehlhorn (2015) werden nachfolgend aus‐ gewählte Ergebnisse als synthetisches Gesamtbild präsentiert; in einer abschlie‐ ßenden Zusammenschau werden diese Befunde aufeinander bezogen und im Hinblick auf die übergeordnete Themenstellung in den wissenschaftlichen Kon‐ text eingeordnet (cf. auch Lenz 2012, 239-241). 4.4 Präsentation der Ergebnisse 4.4.1 Die Perspektive der Lernenden Mehrsprachigkeit und Sprachmischungen bilden für die lernerseitigen Infor‐ manten einen allgegenwärtigen und selbstverständlichen Bestandteil ihrer täg‐ lichen Kommunikationspraxis. Auf sprachenvernetzende Verfahren wird auch im schulischen Kontext (z. B. zur Erschließung von Fachterminologie) zurück‐ gegriffen. Dies gilt speziell auch für den Fremdsprachenunterricht, wobei das Transferpotenzial des Italienischen insbesondere für die Fremdsprachen Fran‐ zösisch, Spanisch, Englisch und Latein genutzt wird; interlingualer Transfer kommt dabei auch produktiv zum Einsatz, etwa in Form von foreignising-Ver‐ fahren (z. B. „italienisches Wort genommen und Endung angefügt“). Die Befunde stehen im Einklang mit o. g. „Sprachenvernetzung im Kopf “ (Müller-Lancé 2013, 13), die auch kennzeichnend für den Erwerb weiterer Sprachen ist. Zugleich wird im Hinblick auf sprachliche Transfermöglichkeiten zwischen Lexikon und Grammatik abgestuft, da sprachliche Ähnlichkeiten eher für den lexikalischen Bereich angenommen werden; demgegenüber wird für grammatische Struk‐ 173 „Sprachenvernetzung als Ressource? “ turen etwa die Intransparenz der ungesteuert erworbenen Herkunftssprache angeführt („weil nur L1“), wodurch das Vorgehen eher als intuitiv einzuschätzen ist („das hab ich mir so gedacht“). Insgesamt lässt sich feststellen, dass auch produktiver Transfer einen festen Stellenwert für den Erwerb einer neuen Sprache besitzt, dieses Potenzial aber nicht voll ausgeschöpft werden kann. Im Hinblick auf den lehrerseitigen Umgang mit produktivem Transfer be‐ richten sämtliche Informanten, trotz der zeitlichen Distanz, von mindestens einer markanten negativen Erfahrung. Dabei reichen die Reaktionen der Lehr‐ person von unmittelbaren Aufforderungen, weiteren Transfer zu unterlassen (z. B. „nimm dich zusammen! “) bis hin zu Sprachverboten (z. B. „Wir sprechen hier kein Italienisch“). Davon betroffen sind auch positive Transferphänomene, die sich bei allen Informanten ausschließlich auf das Französische und Spanische beziehen: So wurde etwa im Falle einer Französischlehrkraft auch nach einem schülerseitigen Erklärungsversuch das zielsprachige Transferergebnis als „Vor‐ lernen“ gewertet und sanktioniert („nicht vorlernen“; „es kann nicht sein, dass du das jetzt weißt“); demgegenüber berichtete der überwiegende Teil der Infor‐ manten, dass positiver Transfer nicht zu Nachfragen seitens der Lehrkraft ge‐ führt habe. Aus einer retrospektiven Reflexion wurde der lehrerseitige Umgang mit produktivem Transfer als zwiespältig eingestuft, da es häufig nur zu ziel‐ sprachigen Korrekturen der Äußerungen ohne weiterführende oder vertiefende Bezugnahmen gekommen sei. Als besonders befremdlich wurde dabei der Fall der Französischlehrkraft wahrgenommen, die nicht über Grundkenntnisse des Italienischen oder zumindest über ein allgemeineres Wissen um die sprachliche Ähnlichkeit zwischen dem Französischen und dem Italienischen verfügte. Zu‐ gleich versuchten die Informanten, sich in die Lehrperson hineinzuversetzen und entschuldigten das Lehrerhandeln etwa als Zeichen der Überforderung oder führten es auf die Zwänge der Unterrichtssituation (z. B. Rücksichtnahme auf die Klasse) zurück. 4.4.2 Die Perspektive der Lehrenden Die Befragung der Lehrkräfte förderte zunächst im Hinblick auf den Umgang mit (herkunftsbedingter) Mehrsprachigkeit im schulischen Fremdsprachenun‐ terricht die bekannte Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit zutage (v.s. Abschnitt 2.4): So scheint zwar ein allgemeiner Grundkonsens darüber zu herrschen, dass die Berücksichtigung sprachlicher Heterogenität und herkunfts‐ bedingter Mehrsprachigkeit sinnvoll und wünschenswert sei, die individuelle Unterrichtskonzeption und -praxis weicht hiervon aber mehrheitlich ab. Zu‐ gleich zeigen sich im Hinblick auf die individuelle Unterrichtskonzeption und 174 Amina Kropp -praxis markante Unterschiede. Entsprechend ließen sich die Lehrkräfte fol‐ gendermaßen typisieren: Für Lehrperson A (Migrationshintergrund, mehrsprachig sozialisiert) ist (her‐ kunftsbedingte) Mehrsprachigkeit ein integraler Bestandteil von Unterrichts‐ konzeption und -praxis. Dies zeigt sich in der Kenntnis des sprachlichen Hin‐ tergrunds der Lernenden und deren Haltung zur eigenen Herkunftssprache ebenso in einer proaktiven Vorgehensweise bei der Integration von herkunfts‐ bedingter Mehrsprachigkeit. Die Haltung von Lehrperson B gegenüber sprachintegrativen Ansätzen ist sehr stark von der Reflexion theoretisch-konzeptioneller Grundlagen geprägt. Die Integration von Herkunftssprachen im Rahmen der Unterrichtspraxis hat ihren Stellenwert allerdings primär im Kontext von „Interkulturalität“. Für Lehrperson C (Migrationshintergrund, mehrsprachig sozialisiert) spielt die Integration von Herkunftssprachen eine untergeordnete Rolle. Der Rück‐ bezug auf den mehrsprachigen Hintergrund der Schüler erfolgt fast ausschließ‐ lich, wenn hierin Probleme für das Deutsche oder die Zielsprache vermutet werden. Weitere handlungsleitende Kriterien sind ferner die Erreichbarkeit der curricularen Ziele und die „Machbarkeit“ im Rahmen der Unterrichtsstunde. Für Lehrperson D (Migrationshintergrund, nicht mehrsprachig sozialisiert) sind Herkunftssprachen und herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit überwiegend mit Schwierigkeiten assoziiert, was zu einer weitgehenden Ausblendung im Rahmen des Unterrichts führt. Als wichtigste Problemlagen im Hinblick auf eine sprachintegrative Unter‐ richtskonzeption und -praxis wurden von sämtlichen Informanten die Faktoren Zeitmangel bzw. die Stofffülle, fehlende Lehrwerke sowie insbesondere fehlende Kenntnisse in den Herkunftssprachen benannt. Aus diesem Gesamtbild sticht Lehrperson A deutlich heraus, da sich hier nicht nur übergeordnete positive Überzeugungen mit einer sprachintegrativen Un‐ terrichtskonzeption und -praxis decken, sondern auch großes Interesse und große Aufgeschlossenheit gegenüber der sprachlichen Vielfalt im Klassen‐ zimmer erkennbar ist. Eine besondere Handlungsfähigkeit lässt nicht zuletzt auch die proaktive Vorgehensweise vermuten, die auf die Ermutigung der Ler‐ nenden abzielt, ihre Herkunftssprache in den Unterricht einzubringen. Im Fol‐ genden soll daher auf Lehrperson A näher eingegangen werden, um hieraus weitergehende Erkenntnisse zu Professionalität und Professionalisierung im Umgang mit herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit, vor allem im Rahmen trans‐ ferbasierter Interaktionen zu gewinnen: Dabei steht zum einen die Frage im Vordergrund, auf welchen Wissensbeständen und Überzeugungen die beson‐ dere Handlungsfähigkeit der Lehrkraft basiert; zum anderen sollen auch mög‐ 175 „Sprachenvernetzung als Ressource? “ liche Zusammenhänge mit dem (berufs)biographischen Werdegang ausge‐ leuchtet werden. 4.4.3 Fallstudie Lehrperson A Lehrperson A ist migrationsbedingt mehrsprachig sozialisiert und gibt ihre Herkunftssprache (Französisch) auch an die eigenen Kinder weiter. Neben dem familiären Umfeld ist die Herkunftssprache auch in anderen Lebensbereichen präsent: Hierzu zählt vor allem der schulische Kontext, da es sich mit dem Fran‐ zösischen zugleich um eine der traditionellen Tertiärsprachen im deutschen Schulsystem handelt, die Lehrperson A auch unterrichtet. Die Herkunftssprache spielt auch nach eigenen Aussagen für das Selbstverständnis eine hervorgeho‐ bene Rolle. Mehrsprachigkeit, gerade auch herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit, wie auch hybride Sprachformen sind positiv konnotiert; dabei ist der Mehrspra‐ chigkeitsbegriff mit Kommunikationsfähigkeit assoziiert, d. h. funktional defi‐ niert (allerdings in Unkenntnis der GER-Definition). Im Hinblick auf die gesell‐ schaftliche und schulische Anerkennung von Mehrsprachigkeit als Realität in Deutschland ist ein fast ideologischer Impetus erkennbar („Mehrsprachigkeit muss propagiert werden“). Bei der Reflexion der eigenen Unterrichtskonzeption und -praxis fällt auf, dass bei allem Engagement, sehr schnell die institutionellen und persönlichen Grenzen für das sprachintegrative Unterrichten thematisiert werden. Hierzu zählen etwa fehlende kollegiale Kooperation oder Arbeitsgruppen. In diesem Zusammenhang wird zudem angeführt, dass sprachübergreifender Unterricht aufgrund der unterschiedlichen Progressionen der Lehrpläne auch für die schu‐ lischen Fremdsprachen kaum stattfinde. Als größte Einschränkung für die ei‐ gene sprachintegrative Unterrichtspraxis wird die mit unzureichenden her‐ kunftssprachlichen Kenntnissen einhergehende Kompetenzasymmetrie wahrgenommen („bin nicht firm genug“; „trau ich mich nicht“). Trotz dieser Bedenken um den Expertenstatus scheint der quasi-ideologische Impetus in das Unterrichtsgeschehen hineinzureichen, insofern als die Lernenden gezielt dazu aufgefordert werden, ihre Sprachen nicht nur auf Lehrernachfrage, sondern selbständig und proaktiv einzubringen („man muss sie ‘ranzüchten’, dass sie sich selbst melden“); zudem ließe sich im Unterrichtskontext auch auf lernerseitige Expertise zurückzugreifen, wenn diese durch weitere Lerner unmittelbar abge‐ sichert werden könne. Besonders aufschlussreich sind die Befunde zu sprachenvernetzenden Ver‐ fahren bzw. Transfer. Hier verfügt die Lehrkraft über explizites Wissen, was etwa Terminologie und grundlegende theoretische Kenntnisse über die häu‐ 176 Amina Kropp figsten Transferbereiche (Lexikon) und -phänomene im Unterricht (cognates bzw. false friends etc.) einschließt; bemerkenswert ist auch die Einschätzung von Einflussfaktoren wie z. B. dem sprachlichen Prestige, das sich eher negativ auf die Wahl von Herkunftssprachen als Transfersprachen auswirken kann („pol‐ nische und rumänische Schüler schämen sich“). Im Hinblick auf produktiven Transfer zeigt sich eine hohe Bereitschaft und Fähigkeit zur Analyse der Lern‐ eräußerungen, wofür nach eigenen Aussagen auch introspektiv auf die eigenen mehrsprachigen Lernerfahrungen zurückgegriffen würde. So werden regel‐ mäßig Vermutungen über zugrundeliegende Schülerkognitionen angestellt („da hat er vermutlich das e genommen und als Verb-Endung drangehängt“). Dabei seien Abweichungen allerdings nur analysierbar, wenn sie häufiger aufträten („Grundahnung“) oder aber die Transfersprache bekannt sei („vermutlich Spa‐ nisch“). Demgegenüber falle die Analyse der Schülerkognition bei unbekannten Herkunftssprachen schwer („das kann ich nicht so einschätzen, was wirklich in ihren Kopf vorgeht“). Auch positiver Transfer sei kaum zu identifizieren und, da er nicht zu Abweichungen führe, nachrangig. Im Zusammenhang mit Transfer im Rahmen mündlicher Interaktionen wird schließlich auch die Lehrerrolle reflektiert, was die Besonderheiten von face-to-face-Rückmeldungen einschließt: Da Transferprozesse oftmals „nicht bewusst“ abliefen, seien die Lernenden auf lehrerseitige Rückmeldung ange‐ wiesen; diese könne im Falle mündlicher Kommunikation allerdings schon in einem „Stirnrunzeln“ bestehen. Auch typische Interaktionsszenarien sind prä‐ sent und abrufbereit: „und da kommt oft ‘ist mir halt grad so eingefallen’ […] und dann kann ich dann nachschieben: ‘Ist das nicht vielleicht im Spanischen oder Türkischen so? ’“. Sehr häufig greife die Lehrkraft dabei auf positiv-bestär‐ kende Rückmeldungen („coole Idee“) zurück. Allerdings müsse im Unterricht sehr viel zurückgestellt werden, „weil es die anderen nicht verstehen würden“; in solchen Situationen gäbe es aber auch die Möglichkeit, der Klasse die „Son‐ derbehandlung“ (sic! ) zu erklären. Jede Nachfrage und Vertiefung müsse jedoch immer in Abhängigkeit von der Zeit und dem zu behandelnden Stoff sowie nach der sprachlichen Zusammensetzung der Schülerschaft beurteilt werden („wenn es passt“). Dennoch gäbe es immer die Möglichkeit, Dinge aufzuschreiben, die nachbesprochen werden könnten. Eine Besonderheit von Lehrperson A ist die mehrsprachige Sozialisierung und Lebenswelt. Im Unterschied zu Lehrperson C, die ebenfalls mehrsprachig sozialisiert wurde und ihre Herkunftssprache (Französisch) ebenfalls unter‐ richtet, ist jedoch eine Kontinuität in der intergenerationellen Weitergabe er‐ kennbar, die der Lehrperson auch durchaus bewusst ist: Mehrsprachige Sozia‐ lisierung in der Familie ist folglich mit positiven Erfahrungen sowohl aus der 177 „Sprachenvernetzung als Ressource? “ kindlichen wie auch aus der Elternperspektive verbunden. Nach eigenen Aus‐ sagen prägt dieser Erfahrungshorizont auch das Wissen und die Überzeugungen im Hinblick auf (herkunftssprachliche) Mehrsprachigkeit. Dies drückt sich ei‐ nerseits im besonderen Interesse für das Themengebiet im Rahmen der univer‐ sitären Ausbildung aus, das auch die Auswahl der Veranstaltungen bestimmt hat. Angesichts des begrenzten und fakultativen Angebots im Bereich von Mehrsprachigkeit und multiplem Sprachenerwerb sei dies bei anderen Mitstu‐ dierenden sicherlich anders gewesen. Andererseits versetzt diese Sprachbio‐ graphie die Lehrkraft auch in die Lage, die Perspektive mehrsprachig soziali‐ sierter Lerner einzunehmen, da Parallelen mit eigenen Erfahrungen vermutet würden; dies sei etwa bei der Analyse der Schülerkognitionen regelmäßig der Fall. Insgesamt scheint sich Lehrperson A gegenüber den anderen befragten Lehr‐ kräften durch ein umfangreiches und leicht abrufbares fakten- und ereignisbe‐ zogenes Wissen zu (herkunftsbedingter) Mehrsprachigkeit und Sprachenver‐ netzung hervorzuheben; hinzu kommen die positiven, nahezu ideologisch anmutenden multilingualen Überzeugungen. Diese besonderen Merkmale sind sicherlich im Zusammenhang mit der mehrsprachigen Sprachbiographie, die neben der erfolgreichen mehrsprachigen Sozialisierung vor allem auch mehr‐ sprachige Lernerfahrungen umfasst, zu sehen. Für die Unterrichtspraxis stehen ferner verschiedene erprobte didaktische Strategien zur Verfügung, die die Lehrkraft im Hinblick auf produktiven Transfer und mündliche Interaktionen souverän und handlungsfähig wirken lassen. Vergleichbar mit den übrigen Lehrkräften, wurden neben unzureichenden herkunftssprachlichen Kennt‐ nissen allerdings immer wieder der Zeitmangel und vor allem auch das Fehlen entsprechender Lehrwerke als wichtige Problemstellen für das sprachintegra‐ tive Unterrichten benannt. 4.5 Zusammenschau und Diskussion der Ergebnisse Entsprechend dem aktuellen Stand der Mehrsprachigkeitsforschung ist die „Sprachenvernetzung im Kopf “ (Müller-Lancé 2013: 13, v.s.) ein besonderes Kennzeichen mehrsprachiger Individuen. Dies bestätigt sich auch in der vorlie‐ genden Befragung herkunftsbedingt mehrsprachiger Lernender, für die spra‐ chenvernetzende Verfahren einen festen Bestandteil ihrer Lebenswelt bilden, was den schulischen Kontext explizit einschließt. Dabei nimmt auch produktiver Transfer einen hohen Stellenwert für den Zugang zu neuen Sprachen ein. An‐ ders als die alltägliche Kommunikationspraxis erfordert die konstruktive Nut‐ zung des Transfers im Fremdsprachenunterricht jedoch lehrerseitige Unterstüt‐ zung, da sich zeigt, dass das Transferpotential der Herkunftssprache vor allem 178 Amina Kropp im Bereich der Grammatik für den Lernenden nicht immer transparent ist und folglich ungenutzt bleibt; dies trifft selbst bei enger genetischer und sprach‐ struktureller Verwandtschaft zu, wie sie zwischen dem Italienischen und Fran‐ zösischen gegeben ist. Damit bestätigt sich erneut eine der zentralen Erkennt‐ nisse der Tertiärsprachenforschung, wonach sprachliches Transferpotenzial nicht mit lernerseitiger Transferbereitschaft und -fähigkeit gleichzusetzen ist (cf. Müller-Lancé 2006, 135-137): So wirkt sich gerade herkunftsbedingte Mehr‐ sprachigkeit selbst dann nicht zwingend positiv auf den Erwerb weiterer Spra‐ chen aus, wenn aus sprachstruktureller oder typologischer Sicht Transfermög‐ lichkeiten gegeben wären (cf. z. B. auch Cenoz 2003, 2013b). Dass lernerseitiger Transfer einer gezielten didaktischen Sensibilisierung, Anleitung und Unter‐ stützung bedarf, zeigen auch o. g. Studien der empirischen Bildungsforschung zu transferbasiertem Fremdsprachenunterricht im sprachlich heterogenen Klas‐ senzimmer (cf. Göbel 2018, 41sq.; Göbel/ Vieluf 2014, 184sq.). In diesem Zusam‐ menhang kommt der Fremdsprachenlehrkraft folglich eine besondere Bedeu‐ tung zu, da sie in der Lage sein sollte, das bestehende Wissen der Lernenden einzubeziehen und unterstützend auf individuelle Lernhypothesen und Lö‐ sungswege einzugehen. Demgegenüber konnte die Befragung der Fremdsprachenlehrkräfte zeigen, dass herkunftssprachlicher Transfer aus Sicht der Lehrenden überwiegend ein randständiges oder sogar lästiges Phänomen im Rahmen der Unterrichtspraxis darstellt, dessen Bedeutung für den Sprachenerwerb kaum erkannt wird. In der Gesamtschau zeigen die lehrerseitigen Befunde auch Parallelen zu den Angaben der befragten Lernenden, die selbst bei interlingualem Transfer zwischen ver‐ wandten und ähnlichen Sprachen wie etwa Italienisch und Französisch wenig Unterstützung und zuweilen auch Entmutigung erfahren. Zudem bestätigt sich auch die o. g. Bestandsaufnahme, wonach Herkunftssprachen trotz überwiegend positiver Lehrereinstellungen zu (herkunftsbedingter) Mehrsprachigkeit kaum in den schulischen Fremdsprachenunterricht integriert werden und vor allem „Transferpotenziale, die sich im Unterricht gezeigt hatten, von den Lehrper‐ sonen häufig nicht aufgegriffen [wurden]“ (Göbel 2018, 48) (v.s. Abschnitt 2.4). Dieser Widerspruch zeigt sich interessanterweise bereits in Hu (2003, 289-291): Gerade bei den Gymnasiallehrkräften offenbaren sich dabei erhebliche Diskre‐ panzen zwischen positiven Aussagen zu Mehrsprachigkeit und sprachlich-kul‐ tureller Heterogenität, die allerdings eher auf einer allgemein-rhetorischen Ebene verbleiben, und der monolingualen, stoffzentrierten Unterrichtspraxis. Dieser anhaltende Widerspruch zwischen „der Ebene der allgemeinen Rhetorik“ (Hu 2003, 288) und dem „spezifischen Kontext von Fremdsprachenunterricht“ (ibid.) ist möglicherweise auf einen grundsätzlichen Interviewer-Effekt ange‐ 179 „Sprachenvernetzung als Ressource? “ sichts des sensiblen Themas zurückzuführen; auch für vorliegende Studie können sozial erwünschte bzw. erwartungskonforme Antworten zu Fragen‐ cluster 2 (Lehrerkognitionen zu migrationsbedingter Mehrsprachigkeit) trotz des entsprechend gewählten Forschungsdesigns nicht ausgeschlossen werden (v.s. Abschnitt 4.1). So ist die Sichtweise auf Herkunftssprachen im Unterrichts‐ kontext entweder problembezogen (Lehrpersonen C und D) oder allenfalls mit interkulturellen Fragestellungen verbunden (Lehrperson B). Eine Sonderrolle nimmt lediglich Lehrperson A ein, die sich nicht nur durch ihr proaktives, er‐ mutigendes Handeln und entsprechende Überzeugungen auszeichnet, sondern Herkunftssprachen und Transfer auch als Ressource im interaktiven Setting nutzt. Das Handeln von Lehrperson A wird in erster Linie durch ihre ausgeprägten multilingualen Überzeugungen getragen. Dies kommt nicht nur in der Unter‐ richtspraxis zum Ausdruck, sondern auch in einem quasi-ideologischen Im‐ petus, die eigenen Überzeugungen an andere Personen, vor allem an die Ler‐ nenden weiterzugeben. Ferner zeigt Lehrperson A in Bezug auf transferbasierte Interaktionen nicht nur Wissen zu „Schlüsselkonzepten“, sondern kann vor allem auch entsprechende Interaktionssituationen unmittelbar abrufen. Letz‐ teres Wissen bezieht dabei sowohl die eigene lehrerseitige Perspektive als auch die Perspektive der Lernenden ein: So verfügt Lehrperson A über ein Repertoire unterschiedlicher face-to-face-Rückmeldungen, deren Bedeutung für den ziel‐ sprachigen Verstehens- und Lernprozess der Schüler mitbedacht werden. Diese Aussagen von Lehrperson A heben sich auch dahingehend ab, als konkrete Bei‐ spiele zur Anregung von Transfer aus der eigenen Unterrichtspraxis nur von wenigen Lehrkräften angeführt werden können (cf. Mehlhorn/ Neveling 2012, 391; Neveling 2013, 119). Lehrperson A sind auch die unterrichtstypischen Transferphänomene (cog‐ nates, false friends) und ihre sprachsystematische Einordnung in Transferbe‐ reiche (Lexikon, Morphologie etc.) vertraut. Im Hinblick auf den Transferpro‐ zess sind ferner auch die Kenntnisse soziolinguistischer Einflussfaktoren bemerkenswert, zu denen die negativen Einstellungen der Lernenden gegenüber den eigenen Herkunftssprachen zählen. Dieses Wissen deutet dabei nicht nur auf ein tieferes Verständnis des Transferprozesses, sondern auch auf eine be‐ sondere Sensibilität für sprachbezogenen Bewertungen im Kontext von Migra‐ tion. In diesem Punkt zeigt sich auch ein deutlicher Kontrast zu den in den Lernerinterviews geschilderten Ermahnungen und Sprachverboten seitens der Lehrkräfte, die vor allem bei verwandten Sprachen großes lernerseitiges Be‐ fremden hervorrufen. Allerdings scheint auch bei Lehrperson A kein Bewusst‐ sein über die prominente Rolle der Lehrkraft als „Sprachenmanager“ und die 180 Amina Kropp weitereichenden Folgen von äußerungsbezogenen Rückmeldungen vorzu‐ liegen. Ferner konzipiert Lehrperson A Transferphänomene und diesbezügliche Rückmeldungen lediglich sprachsystematisch. Dementsprechend werden auch keine metakognitiven oder metakommunikativen Aspekte ausgehend von Lern‐ eräußerungen thematisiert, wodurch nicht das gesamte Potenzial von Trans‐ ferphänomenen als Lern- und Lehrchance ausgeschöpft werden kann. Dies lässt wiederum darauf schließen, dass auch hier kein umfängliches Wissen zum Lern- und Kommunikationswert von Transferprozessen vorhanden ist. Wie sämtliche befragten Lehrenden verweist auch Lehrperson A auf die aus der Fachliteratur bereits bekannten Problemlagen (v.s. Abschnitt 2.4): Hierzu zählen neben Zeit‐ mangel bzw. Stofffülle und fehlenden Unterrichtsmaterialien mangelnde kolle‐ giale Kooperation oder Arbeitsgruppen. Trotz der Bereitschaft, auf lernerseitige Expertise zurückzugreifen, werden zudem die als unzureichend eingeschätzten Kenntnisse in den Herkunftssprachen und die damit einhergehende Kompe‐ tenzasymmetrie im Klassenzimmer besonders hervorgehoben. Dies deckt sich dahingehend mit dem aktuellen Forschungsstand, dass Fremdsprachenlehr‐ kräfte sich für einen mehrsprachigkeitsorientieren Unterricht vor allem Unter‐ stützung durch passende Lehrwerke und -materialien wünschen und ihre Spra‐ chenkenntnisse „im Kontrast zu denen der Lernenden“ (Reimann/ Tziotzios 2018, 158) wahrnehmen (cf. auch Mehlhorn/ Neveling 2012, 392sq.). Lehrkraft A führt ihr besonderes Interesse, Wissen und Engagement auf die eigenen (sprach)biographischen Erfahrungen als mehrsprachig sozialisierte Person zurück; im Gegensatz zu Lehrkraft C, die ebenfalls mehrsprachig sozia‐ lisiert ist, die Herkunftssprache aber nicht intergenerationell weitergibt, nimmt Mehrsprachigkeit für Lehrperson A im gesamten lebensweltlichen Kontext einen hohen Stellenwert ein. Dieser persönliche Hintergrund hat nach eigener Aussage auch die Wahl der Ausbildungsinhalte beeinflusst und bildet als be‐ sonderes Erfahrungswissen zugleich die Grundlage für die Fähigkeit zur Über‐ nahme der Schülerperspektive im Unterricht. Dies entspricht in einem wesent‐ lichen Punkt den aktuellen Erkenntnissen der empirischen Fremdsprachendidaktik, wonach eine mehrsprachige Sozialisierung bei ange‐ henden Fremdsprachenlehrkräften einen besonderen Einfluss auf multilinguale Einstellungen zu haben scheint (cf. Reimann et al. 2018). Im Unterrichtsalltag stellt sich dies allerdings mitunter anders dar: So konstatiert etwa Georgi (2011) im Hinblick auf den „monolingualen Habitus“, dass sich auch Lehrpersonen mit Migrationshintergrund überwiegend „am Primat der deutschen Sprache [ori‐ entieren]“ (Georgi 2011, 205). Zugleich zeigen Ergebnisse aus dem CO‐ ACTIV-Forschungsprogramm, dass ein erfolgreiches Unterrichtshandeln in sprachlich-kulturell heterogenen Klassen stärker mit den multikulturellen Über‐ 181 „Sprachenvernetzung als Ressource? “ zeugungen als mit dem Migrationshintergrund der Lehrperson zusammenhängt (cf. Hachfeld 2012). Wie oben ausgeführt, stellen mündliche Interaktionen ausgehend von her‐ kunftssprachlichen Transferphänomenen lehrerseitig ein höchst anspruchs‐ volles Setting dar (v.s. Abschnitt 3). Aus einer professionstheoretischen Sicht kommt dabei dem fachlichen Wissen eine Schlüsselrolle für die professionelle Kompetenz von Lehrkräften zu, die in vorliegender Interviewstudie im Fokus stand (v.s. Abschnitt 4.1). So stützen die hieraus gewonnenen Erkenntnisse die in der Fachliteratur bisher eher allgemein geäußerte Vermutung, wonach „die geringe Vertrautheit mit anderen Sprachen sowie mit Transferstrategien“ (Göbel 2018, 48) ursächlich für das eingeschränkte Lehrerhandeln sind. Darüber hinaus legen die vorliegenden Befunde aber auch nahe, dass besagtes transfer‐ bezogenes Wissen, auf dem die lehrerseitige Handlungsfähigkeit im Rahmen von mündlichen Interaktionen basiert, nicht allein faktenbezogen, sondern vor allem auch in Form von Interaktionsszenarien repräsentiert sein sollte, die über‐ dies rasch verfügbar und jederzeit abrufbereit sind. Um das gesamte Potenzial von Transferprozessen im Fremdsprachenunterricht erkennen und nutzen zu können, muss die Konzeption von interlingualem Transfer ferner über eine rein sprachsystematische Betrachtung von Transferphänomenen hinausgehen; viel‐ mehr muss das Wissen vor allem auf der Erkenntnis beruhen, dass sprachen‐ vernetzende Verfahren eine besondere Relevanz sowohl für den Sprachener‐ werb als auch für die kommunikative Praxis von mehrsprachigen Individuen besitzen, die sich auch im Unterrichtsalltag nicht ausschalten lässt. Dieses tiefere Verständnis von Transferprozessen schließt auch das Wissen über Einflussfak‐ toren ein, zu der neben sprachbezogenen Eigenbewertungen der Lernenden etwa auch lehrerseitige Rückmeldungen zu zählen sind. Im Einklang mit dem Erkenntnisstand der empirischen Bildungsforschung, wonach multikulturelle Überzeugungen als maßgebliche Faktoren für ein er‐ folgreiches Unterrichtshandeln in sprachlich-kulturell heterogenen Klassen gelten können (cf. Hachfeld 2012), sollte das Lehrerhandeln durch „multilin‐ guale“ Überzeugungen getragen sein; im Hinblick auf die Nutzung von Trans‐ ferphänomenen für die Unterrichtsgestaltung impliziert vor allem auch „Offen‐ heit für Sprachmischung in Bezug auf die Interaktion im fremdsprachlichen Klassenzimmer“ (Reimann 2016, 29, v.s.). 182 Amina Kropp 5 Fazit und Ausblick: migrations- und mehrsprachigkeitssensible Professionalisierung von Fremdsprachenlehrkräften Im Sinne des o. g. COACTIV-Kompetenzmodells sind „kognitive Merkmale wie Wissen und Überzeugungen […] Produkte beruflicher Entwicklungsprozesse“ (Baumert/ Kunter 2011, 46) und damit grundsätzlich erlernbzw. vermittelbar; als Grundlage sowohl für das fachdidaktische Wissen wie auch für handlungs‐ leitende epistemologische Überzeugungen nimmt das Fachwissen dabei eine Schlüsselposition ein (v.s. Abschnitt 4.1). Bezogen auf die Ausbildung von Fremdsprachenlehrkräften zu „Expertinnen und Experten für Mehrsprachigkeit“ (Göbel/ Buchwald 2017, 230) ließe sich die Forderung Adelheid Hus (2003) nach dem mündigen Fremdsprachenlehrer wieder aufgreifen und erneuern, wonach sich die Ausbildung von Fremdspra‐ chenlehrern nicht auf eine „forschungsferne Fachdidaktik“ (Hu 2003, 295) und die „Weitergabe praktischer Unterrichtsrezepte“ (ibid.) reduzieren lassen darf; vielmehr sollte die lehrerseitige Handlungsfähigkeit im Unterricht aus einer wissenschaftlichen Ausbildung hervorgehen, die „deutliche Theorie- und Re‐ flexionsanteile“ (ibid.) zu den Besonderheiten herkunftsbedingt mehrsprachiger Lernender und ihren Lernprozessen sowie den damit einhergehenden Anfor‐ derungen an die Lehrerrolle bereit hält. Entsprechend sollte angehenden Lehr‐ kräften die Teilhabe am aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse mit Beginn der universitären Ausbildung ermöglicht werden (cf. auch Allgäuer-Hackl/ Jessner 2014, 140). Die wissenschaftliche Ausbildung zielt zu‐ gleich auch auf ein „Forscherprofil auf Seiten der Lehrenden“ (Königs 2016, 67), dessen Entwicklung in der eigenen unmittelbaren Erfahrung und Auseinander‐ setzung mit herkunftsbedingt mehrsprachigen Lebenswelten gründen sollte, etwa durch kleinere selbständig durchgeführte empirische Studien (cf. auch Martínez 2018, 113-115). Zudem sollte die Sensibilisierung für das Potenzial herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit und die Vermittlung ausdifferenzierter sprach- und kulturbezogener Überzeugungen ein zentrales Handlungsfeld der Lehrerbildung darstellen, was die Möglichkeit zur kritischen Reflexion der ei‐ genen Positionen einschließt. Die Reflexion der Lehrerrolle sollte zugleich dazu beitragen, ein Bewusstsein über die Reichweite lehrerseitigen Handelns und die komplexen Wechselwirkungen zwischen Unterrichtssituation und gesellschaft‐ lichem Umfeld zu schaffen, wie sie gerade in Migrationssituationen zum Tragen kommen (cf. auch Allgäuer-Hackl/ Jessner 2014, 141). Multiples Sprachenlernen und -lehren im Kontext von Migration ist letztlich nur durch die stärkere Verzahnung von Linguistik, Fachdidaktik und Sprach‐ praxis und die Integration unterschiedlicher sowohl kognitionswie auch sozi‐ 183 „Sprachenvernetzung als Ressource? “ olinguistisch ausgerichteter Forschungsfelder erschließbar. Anknüpfend an die einleitend formulierten Desiderata für eine migrationssensible Lehrerbildung sollte die Professionalisierung von Sprachlehrkräften diesen besonderen Her‐ ausforderungen bereits im Rahmen der universitären Phase der Ausbildung be‐ gegnen (cf. 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Das Schulsystem reagiert nicht adäquat auf die disponible mitgebrachte Mehrsprachigkeit und benachteiligt SchülerInnen systematisch, indem es die Förderung der Mehrsprachigkeit den Familien überlässt. 2. Der Spracherwerb des Italienischen in Deutschland unterscheidet sich heutzutage grundlegend von der sprachlichen Situation zu Zeiten der Gastarbeiterwellen. Die Tatsache, dass es sich mittlerweile um die zweite oder gar dritte Generation italienischstämmiger Kinder und Jugendlicher handelt, hat Auswirkung auf Erwerb und Gebrauch der heritage lang‐ uage/ Minderheitensprache Italienisch und der Mehrheitssprache Deutsch. 3. Aus den Punkten 1. und 2. ergeben sich dringende Handlungsbedarfe hinsichtlich der Lehrerausbildung allgemein und der schulischen Sprach‐ mittlung des Italienischen im Spezifischen. Insbesondere ist zu überlegen, inwieweit eine effektive Beschulung in den Minderheitensprachen grundsätzlich möglich ist. Der Beitrag gliedert sich wie folgt: Zunächst wird in Abschnitt 2 auf den Status quo der Mehrsprachigkeit (mit Fokus auf das Italienische) an deutschen Schulen eingegangen, in Abschnitt 3 sollen Spracherwerb und Spracherhalt im Kontext von Migration thematisiert werden. Mittels qualitativer Daten aus zwei empi‐ rischen Studien wird in Abschnitt 4 die Vitalität des Italienischen in Deutschland präsentiert und analysiert. Abschließend folgt in Abschnitt 5 ein Vorschlag zur Sprachmittlung des Italienischen an Schulen und in 6 ein Fazit. 2 Mehrsprachigkeit an Schulen - eine Bestandsaufnahme Die SPREEG-Studie zeigte bereits Anfang des Jahrtausends exemplarisch, wie groß die sprachliche Vielfalt in deutschen Großstädten ist (cf. Chlosta/ Oster‐ mann/ Schroeder 2003): In einer repräsentativen Befragung aller Grundschulen der Stadt Essen gaben 27 % der Kinder an, mehrsprachig zu sein und nannten insgesamt 122 verschiedene Sprachen, u. a. Türkisch (27 %), Arabisch (14 %), Polnisch (12 %) und Italienisch (2,7%). Weitere Erhebungen, u. a. in Hamburg, Freiburg und Erfurt (cf. den Datenvergleich in Olfert 2019, 46) stellen ebenfalls fest, dass zwischen 14-40% der SchülerInnen mehrsprachig sind, die Anzahl der erhobenen Sprachen rangieren zwischen 36 und 122. Angesichts einer solchen Vielfalt muss davon ausgegangen werden, dass das sprachliche Angebot an Schulen ebenfalls vielfältig ist. Werfen wir einen Blick auf das Fremdsprachenangebot, so muss festgehalten werden, dass Englisch dominiert. Im Schuljahr 2016/ 2017 lernten bundesweit über 7 Millionen SchülerInnen an allgemeinbildenden Schulen Englisch, gefolgt von Französisch mit knapp 1,5 Millionen, Latein mit ca. 630.000, dem an Be‐ liebtheit steigenden Spanisch mit ca. 425.000 und Italienisch mit ca. 50.000 Ler‐ nenden (Statistisches Bundesamt 2017, 88sq.). Aufgrund der in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich verantworteten Durchführung des sog. Her‐ kunftssprachenunterrichts gibt es keine verlässlichen Zahlen dazu, wie viele SchülerInnen in Deutschland diesen besuchen (cf. Reich 2017). Ein „Min‐ destmaß“ (wie viele Stunden? Wie viele Jahre? ) an (Ergänzungs-)Unterricht, um den schrift- und bildungssprachlichen Ausbau der Minderheitensprache zu ga‐ rantieren, müsste jedoch gewährleistet sein (ibid.). Mithilfe des Mikrozensus (Statistisches Bundesamt 2016) lässt sich eine po‐ tentielle Bedarfsanalyse mit Hinblick auf die italienischstämmige Bevölkerung machen (wobei logisch ist, dass italienischstämmig und italienischsprachig 192 Katja F. Cantone 2 Die aktuelle Definition des Migrationshintergrundes lautet wie folgt: „Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deut‐ sche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt.“ (Statistisches Bundesamt 2016, 4) nicht gleichgesetzt werden können, cf. Cantone/ Di Venanzio 2015). Mittlerweile werden in den Untersuchungen bei Personen mit Migrationshintergrund 2 im Allgemeinen (in Deutschland insg. über 18 Millionen) zwischen solchen mit ei‐ gener Migrationserfahrung (davon über 12 Millionen, 67 %) und solchen ohne eigene Migrationserfahrung unterschieden. Für die italienischstämmige Gruppe arbeitet das Statistische Bundesamt mit folgenden Zahlen: Insgesamt leben in Deutschland 861.000 italienischstämmige Personen mit Migrationshintergrund, davon haben 508.000 (59 %) eine eigene Migrationsgeschichte. Das bedeutet, dass über 40 % der italienischstämmigen Personen keine eigene Migrationsge‐ schichte haben, in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland geboren sind und aufwachsen. Zum Schulbesuch des Italienischstämmigen lässt sich fol‐ gendes zusammenfassen (Statistisches Bundesamt 2016, 63, 178sqq.): Insg. Noch in der Schule Kein Schulabschluss Mit Schulabschluss Form des Abschlusses HS Real oder ähnl. Fachhoch‐ schulreife Abitur 861 175 (20 %) 114 (13 %) 570 (66 %) 295 (52 %) 129 (12 %) 33 (6 %) 109 (19 %) Tabelle 1: Italienischstämmige mit Migrationshintergrund (mit und ohne eigene Migra‐ tionserfahrung) in der Schule (insgesamt in 1000) Die Daten belegen, dass italienischstämmige SchülerInnen zum einen überpro‐ portional (52 %) oft die Hauptschule besuchen (cf. Schmid 2014) und zum an‐ deren, dass 13 % keinen Abschluss erlangen. Wenn 175.000 italienischstämmige Personen aktuell die Schule besuchen und wir davon ausgehen, dass 40 % der Personen mit Migrationshintergrund bereits in Deutschland geboren wurden (Tendenz bei Jüngeren wahrscheinlich höher), dann gibt es mindestens ca. 70000 italienischstämmige SchülerInnen im Schulsystem, die Italienisch (wenn über‐ haupt) nur in Deutschland im Kontext von Migration erworben haben. Das Angebot an bilingualen Schulen kann über die Informationen des Vereins für frühe Mehrsprachigkeit an KiTas und Schulen (FMKS) ermittelt werden: Insgesamt 28 von 1155 Schulen bieten Italienisch in bilingualen Schulen an (2 193 Spracherwerb und Spracherhalt im mehrsprachigkeitsdidaktischen Kontext 3 Der Indikator nicht-deutsch zuhause wird online veröffentlicht und kann Eltern bei ihrer Schulwahl beeinflussen (cf. Schroeder 2017). %), davon 16 Grundschulen (57 %), 2 Hauptschulen, 4 weiterführende Schulen und 9 Gymnasien (32 %). Dass das Angebot an letzterer Schulform so hoch ist, is angesichts der Unterrepräsentanz von italienischstämmigen SchülerInnen an Gymnasien eine paradoxe Zahl, auch wirken Angebote an 28 Schulen im ge‐ samten Bundesgebiet bei 175.000 SchülerInnen ebenfalls seltsam. Das schulische (Fremd-)Sprachenangebot für die italienische Sprache kann zusammenfassend insgesamt nicht als zufriedenstellend bezeichnet werden, möchte man der Annahme folgen, dass auch Schulen für den Spracherhalt in der Minderheitensprache zuständig seien. Weiterhin fehlt es an verlässlichen statistischen Zahlen von tatsächlichen SprecherInnen der Sprachen. Um ein un‐ gefähres Verhältnis ermitteln zu können, muss mit den Angaben zum Migrati‐ onshintergrund gearbeitet werden. Dieser sagt jedoch nichts über eine mögliche Mehrsprachigkeit aus. An manchen Schulen werden Daten zum Spracherwerb und heimischen -gebrauch erhoben. Diese Erhebungen der sog. mitgebrachten Sprachen dienen allerdings in bestimmten Kontexten nicht der Ermittlung von Vielfalt, sondern der Feststellung für eine besondere Belastung an Schulen, so‐ fern zuhause eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wird (Schroeder 2017, 362). Die zugrundeliegende Präsupposition ist: Wenn zuhause nicht die deutsche Sprache als Hauptkommunikationsmittel verwendet wird, bedeutet dies, dass Deutsch nicht genügend beherrscht wird. Dementsprechend benötigen Schulen zusätzliche Mittel für Förderstunden und -materialien. Dass eventuell eine an‐ dere Sprache zuhause gesprochen wird, um diese weiterzugeben, wird in dieser Argumentation völlig außer Acht gelassen. In der Konsequenz bedeutet dies, dass in der öffentlichen Wahrnehmung 3 eine vor kurzem geflüchtete Familie, die zuhause keine andere Wahl hat, als die mitgebrachte Sprache zu sprechen, mit einer Familie gleichgesetzt wird, die im Bemühen, eine Sprache der dritten Generation weiterzugeben, sich für eine andere Sprache als Deutsch als Haupt‐ kommunikationssprache zuhause entscheidet. Abschließend kann, wie in (1) bereits angemerkt, ein relativ starker Fokus auf wenige schulische Fremdsprachen identifiziert werden. Die Förderung der mit‐ gebrachten Sprachen reduziert sich auf eine begrenzte Auswahl an Herkunfts‐ sprachenunterricht und wenigen bilingualen Angeboten zum Italienischen. 194 Katja F. Cantone 3 Spracherwerb und Spracherhalt im Kontext von Migration Das Interesse für die mitgebrachten Sprachen im Kontext von Migration ist in bestimmten Forschungszweigen lange präsent, trotzdem hatte die Förde‐ rung der Landessprache stets Priorität. Seit einigen Jahren wird vermehrt mit Besorgnis festgestellt, dass die Sprachweitergabe der Minderheitensprachen bei transnationalen Familiengefährdet sei. Insgesamt fokussiert die linguisti‐ sche Forschung vermehrt den Erhalt der im familiären Kontext erworbenen, im Land nicht-dominanten Sprache unter den Bedingungen von Migration. Viele Fragen beschäftigen derzeit die sog. heritage language-Forschung (cf. i.a. Cantone/ Olfert 2015, Montrul 2008, 2010, 2016, Rothman 2009, Cabo/ Rothman 2012, Nagy 2016, Olfert 2017, Sorace 2004), wie z.B.: Kann ein unvollständiger Erwerb der Herkunftssprache angenommen werden? Welche Merkmale hätte dieses Phänomen in Abgrenzung zu Attrition oder arrested development? Wie soll der Sprachstand erfasst und womit soll dieser verglichen werden? Etwa zum Sprachstand von Monolingualen? Was ist die Herkunftssprache über‐ haupt? Eventuell eine Varietät? Ein Dialekt der im Ursprungsland gespro‐ chenen Hochsprache? An dieser Stelle kann die aktuelle Debatte um diesen Forschungszweig nicht vertieft werden, es sei aber auf die Problematik des Begriffes kurz hingewiesen: Wenn wir unter einer heritage language eine Sprache verstehen, die zuhause ungesteuert erworben und gesprochen und nicht von der Umgebung verwendet wird (cf. i.a. Benmamoun/ Montrul/ Polinski 2013a, 132, Benmamoun/ Montrul/ Polinski 2013b, 166; Montrul 2016, 6-7; Rothman 2009, 156; Valdés 2000, 375), so passt die Definition gut auf den Erwerb der 2. Generation von Einwanderern (cf. Garcia/ Diaz 1992). Doch wie gehen wir mit Kindern in der dritten Generation um? Haben sie frühen Kontakt zur heritage language der Eltern/ Großeltern? Hören oder sprechen sie diese Sprache überhaupt noch zuhause (cf. Fishman 1991, 2001)? Eventuell kann der Begriff nicht problemlos auf spätere Genera‐ tionen übertragen werden (cf. Cantone 2019), sodass wir eher von einer Min‐ derheitensprache sprechen müssten. Der natürliche, ungesteuerte Erwerb zweier Sprachen ab Geburt wird in der Forschung als doppelter Erstspracherwerb definiert (cf. i.a. Müller/ Kupisch/ Schmitz/ Cantone 3 2011, Rothweiler 2007), wobei von großer Relevanz ist, unter welchen Bedingungen der permanente und kontinuierliche Kontakt zu beiden Sprachen stattfindet (Erwerbsstrategien, cf. Romaine 1995). Wenn jedes Eltern‐ teil eine andere Erstsprache (bspw. Vater Deutsch, Mutter Italienisch) mit dem Kind spricht (und eine die Sprache der Umgebung ist), spricht man von der „Eine Person-Eine Sprache-Strategie“. Italienisch wird entsprechend von der Mutter 195 Spracherwerb und Spracherhalt im mehrsprachigkeitsdidaktischen Kontext 4 In diesem Beitrag kann leider nicht auf affektive und emotionale Faktoren des Sprach‐ erhalts eingegangen werden, da diese (noch) nicht erhoben wurden. vermittelt, kann der Vater ebenfalls Italienisch, könnte es eventuell als Famili‐ ensprache genutzt werden. Die „Nichtdominante Sprache Zuhause-Strategie ohne Unterstützung der Umgebung“ besagt, dass beide Eltern bspw. Italienisch als Erstsprache haben und diese mit dem Kind sprechen. In diesem Fall kann ausschließlich die Minderheitssprache zuhause gefördert werden. Doch wie verhält es sich, wenn Eltern bereits selbst bilingual aufgewachsen sind (cf. Can‐ tone 2019)? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit sie sich für die Weitergabe der Minderheitensprache entscheiden? In der Forschung werden viele extralinguistische Faktoren und ihre Rolle bei Spracherhalt und -weiter‐ gabe diskutiert (cf. den Überblick in Cantone/ Olfert 2015, Olfert 2019), bspw. Generationenzugehörigkeit, Sprachgebrauch, Medienverwendung, Beschulung (bilinguale Programme), Bildungsniveau, Schriftlichkeit (Ausbau von Schul‐ sprache und Literalität), Community-Zugehörigkeit, Spracheinstellungen, Kul‐ turelle Identität (cf. Baker 1992; Gürel 2007; Köpke 1999, 2007; Merino 1983; Montrul 2008; Mueller-Gathercole 2002; Schmid 2002, 2011; Yağmur 1997), aber selten systematisch überprüft (cf. jedoch Olfert 2019). Abschließend kann zusammengefasst werden, dass davon auszugehen ist, dass sich die Erwerbsbedingungen im Kontext von Migration von Generation zu Generation verändern. Während der Erwerb der Mehrheitssprache als Erst‐ sprache ungefährdet ist (cf. Cantone 2 2016), muss durch empirische Studien un‐ tersucht werden, welche extralinguistischen Bedingungen den erfolgreichen Erwerb der Minderheitensprache positiv beeinflussen könnten (Aspekt (2) in Abschnitt 1). Im Folgenden sollen Daten zweier empirischer Studien herangezogen werden, um exemplarisch mögliche Erwerbsabläufe des Italienischen als heri‐ tage language/ Minderheitensprache nachzuzeichnen. Dabei stehen folgende Fragen im Vordergrund: Welche mehrsprachigen Realitäten sind in einer post‐ migrantischen Gesellschaft, die SprecherInnen verschiedener Altersgruppen mit unterschiedlichen Erwerbs- und Beschulungsverläufen vorweist, vorzu‐ finden? Welche Rolle spielen Familien, ihr Sprachgebrauch und ihre Intentionen zur Sprachweitergabe? 4 196 Katja F. Cantone 5 Auch in der Fachdidaktikforschung gibt es relevante Beiträge, wie bspw. Reimann (2009). 6 Es gibt noch einen älteren Bruder, der jedoch nicht untersucht wurde. 4 Die Vitalität des Italienischen in Deutschland Der Erwerb des Italienischen in Deutschland ist in der Spracherwerbsforschung ein gut untersuchtes Phänomen (cf. die Zusammenfassungen in Cantone/ Olfert 2015 und Di Venanzio/ Cantone 2016). 5 Allerdings gibt es noch keine Studie zur Sprachweitergabe bilingualer Eltern (cf. jedoch Cantone 2019). In diesem Ab‐ schnitt werden Probanden vorgestellt, die in unterschiedlichen Kontexten Kon‐ takt zu Italienisch in Deutschland erhalten haben. Zunächst wird auf ein jugendliches Geschwisterpaar eingegangen, das im Rahmen der Studie „Wahrnehmung und Entwicklung von Mehrsprachigkeit bei italienisch-deutschsprachigen Jugendlichen“ untersucht wurde (cf. Cantone/ Olfert 2015). Im Fokus der Untersuchungen standen Beherrschung, Erhalt und Gebrauch des Italienischen sowie Einstellung zur heritage language/ Minderhei‐ tensprache. Zum Zeitpunkt der Erhebung war Samanta (S.) 16 Jahre und 9 Monate alt und besuchte die 11. Klasse einer Gesamtschule. Sie wurde in Italien geboren, kam jedoch bereits mit 6 Monaten nach Deutschland. Ihr kleiner Bruder Fabio 6 (F.) war zum Erhebungszeitpunkt 15 Jahre und 4 Monate alt. Er wurde in Deutsch‐ land geboren und besuchte die 7. Klasse einer Hauptschule. Beide Geschwister nahmen nie am Herkunftssprachenunterricht teil. Die Eltern sind Arbeiter und waren zum Zeitpunkt der Migration nach Deutschland 24 (Mutter) und 30 (Vater) Jahre alt. Bei ihren Kindern kann von einem frühen Zweitspracherwerb des Deutschen ausgegangen werden (cf. Müller/ Kupisch/ Schmitz/ Cantone 3 2011, Rothweiler 2007), da beide angeben, Deutsch erst ab dem Alter von 3 Jahren erworben zu haben (obwohl sie in einer deutschsprachigen Umgebung lebten). Dem strukturierten Fragebogen ist zu entnehmen, dass zuhause auch Sizilia‐ nisch gesprochen wurde. Samanta und Fabio berichten, ihre Eltern hätten in ihrer Kindheit zu 100 % Italienisch mit ihnen gesprochen. Beide geben an, Ita‐ lienisch zu brauchen, um sich mit der Familie zu unterhalten, sie sprächen beide Sprachen gerne, ihre Gedanken könnten sie aber am schnellsten und besten in der deutschen Sprache ausdrücken. Fabio gibt an, er könne Italienisch gleich gut wie seine Schwester. Samanta schätzt sich besser ein als ihr Bruder. Die Selbst‐ einschätzung sowie die Ergebnisse der Akzeptabilitätstests sind in Tabelle 2 dargestellt: 197 Spracherwerb und Spracherhalt im mehrsprachigkeitsdidaktischen Kontext 7 Die Tabelle liest sich wie folgt: Spr. = Sprechen, HV= Hörverstehen, Les.= Lesen, Schr.= Schreiben. Die Bewertung in Punkten bedeutet: 0 = keine - 5 = sehr gute Kenntnisse. Die Akzeptabilitätstests (Grammatikalitätsurteile) deckten die Bereiche Subjektauslas‐ sung und -realisierung, Adjektivstellung und Objektrealisierung. Pro Bereich konnten 10 richtige Angaben gemacht werden. 8 Die Tabelle liest sich wie folgt: ZH = Zuhause, Frei. = Freizeit, Zeit. = Zeitungen, Büch. = Bücher, Inter. = Internet, Em. = Emails, pM im Jahr = ein paar Mal im Jahr, u. 1x Mon. = ungefähr ein Mal im Monat, tägl. = täglich, geleg. = gelegentlich. Selbsteinschätzung Italie‐ nisch Selbsteinschätzung Deutsch Ergebnis Tests Spr. HV Les. Schr. Spr. HV Les. Schr. Korrekte Ant‐ worten S. 3 4 4 3 5 5 4 4 19/ 30 F. 3 4 2 1 3 4 4 5 13/ 30 Tabelle 2: Selbsteinschätzung und Tests - Samanta und Fabio im Vergleich 7 Die Ergebnisse bestätigen Samantas Eindruck: Im Lesen und Schreiben benotet sich ihr Bruder relativ schlecht und schlechter als sie ein, auch erreicht er in den Tests nur 13 von 30 Punkten. In der deutschen Sprache, in der beide sich besser einschätzen als im Italienischen, bewertet Samanta sich ebenfalls positiver. Die Fragen zum Sprachgebrauch des Italienischen werden wie folgt beantwortet: ZH Frei. Schule Büch. Zeit. Inter. Em. TV Musik S. immer selten nie nie pM im Jahr pM im Jahr 1x Mon. tägl. tägl. F. immer geleg. oft nie nie nie nie tägl. tägl. Tabelle 3: Sprachgebrauch des Italienischen in verschiedenen Kontexten 8 Zuhause sprechen beide immer Italienisch, italienisches TV und Musik gehören zum Alltag. Unterschiede finden sich im Gebrauch in Schule und Freizeit sowie bei Medien (Zeitungen, Internet, Emails). Fabio gibt an, es sei ihm gar nicht wichtig, gut Italienisch zu können, Samanta hingegen bewertet, es sei ihr etwas wichtig. Nichtsdestoweniger ist es beiden sehr wichtig, dass die zukünftigen Partner und Kinder Italienisch können. Im Bereich der Einstellung wird ferner deutlich, dass beide sich als Italiener fühlen. Samanta gibt hierzu an: „Zuhause spreche ich fast nur auf Italienisch und sehe 198 Katja F. Cantone sie deshalb als meine Sprache“ und „Weil ich ein italienischen Pass habe und da geboren bin und weil ich einfach als Italienerin fühle“. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Eltern die Sprachweitergabe des Italienischen in der Kindheit ihrer Kinder aktiv und - nach Einschätzung ihrer Kinder permanent und konsequent - nach der Methode „Nichtdominante Sprache Zuhause ohne Unterstützung der Umgebung“ durchgeführt haben. Eine Beschulung im Italienischen fand zu keinem Zeitpunkt statt. Obwohl beide in ihren Aussagen deutlich eine Zugehörigkeit zur italienischen Sprache und Kultur vornehmen und sich mit diesen identifizieren, bewerten sie sich besser im Deutschen. Auch entsprechen ihre Ergebnisse bei den Akzeptabilitätstests nicht einem erstsprachlichen Niveau. In der freien Sprachproduktion (Nacher‐ zählung einer Bildergeschichte) ist Samanta im Deutschen unauffällig, auch ihre italienische Geschichte ist - bis auf wenige Wortschatzlücken - angemessen. Fabio gibt die Geschichte im Deutschen korrekt wieder, wenn auch recht um‐ gangssprachlich, im Italienischen ist er hingegen nicht in der Lage, die Bilder zu beschreiben. Ihm fehlen viele Worte, sein Italienisch ist rudimentär und stark dialektal gefärbt. Um extralinguistische Faktoren im Spracherwerb von Kindern aus mehr‐ sprachigen Familien auf ihre Relevanz hin prüfen zu können, wurde in der zweiten Studie ein Elternfragebogen bei Familien mit Kleinkindern longitudinal eingesetzt (cf. Cantone 2019). Neben der Erhebung soziobiografischer Faktoren auf der Ebene der Großeltern, der Eltern und der Kinder ermittelt der Frage‐ bogen mittels eines Inputrechners die absolute und relative Verteilung der Spra‐ chen (cf. De Houwer 2011) im Alltag. Diese Berechnung ermöglicht es, ein un‐ gefähres Abbild des Sprachbades in der heritage language/ Minderheitensprache zu erhalten. So wird ein erster Versuch übernommen, um zu überprüfen, ob ein Mindestmaß an Input notwendig ist, um eine Sprachweitergabe im Kontext von Migration zu gewährleisten. Anders als bei Samanta und Fabio muss nicht im Nachhinein gefragt werden, zu wie viel Prozent die Eltern welche Sprache mit den Kindern verwendet haben, sondern die Daten werden in regelmäßigen Ab‐ ständen begleitend abgefragt. In zwei der in Cantone (2019) untersuchten Familien liegt die Sprachkombi‐ nation Italienisch/ Deutsch vor. Interessanterweise findet sich die Methode „Eine Person-Eine Sprache“ bereits auf Großelternebene im Rahmen einer binatio‐ nalen Ehe. Wie erfolgreich die Strategie war, lässt sich im Nachhinein nur an der Selbsteinschätzung überprüfen. Doch präsentieren wir zunächst die unter‐ suchten Familien: Die hier diskutierten Kinder heißen Julie und Toni, sie sind beide in Deutschland geboren (resp. 2014 und 2012) und sind zum Zeitpunkt der 199 Spracherwerb und Spracherhalt im mehrsprachigkeitsdidaktischen Kontext 9 Die Tabelle liest sich wie folgt: GV = Großvater, GM = Großmutter, v. = väterlicherseits, m. = mütterlicherseits. 10 Die Tabelle liest sich wie folgt: Spr. = Sprechen, V. = Verstehen, Les.= Lesen, Schr.= Schreiben. Die Bewertung in Punkten bedeutet: 1 = sehr gut- 6 = sehr schlecht. Erhebung Einzelkinder. Tabelle 4 zeigt ihre Familienkonstellationen mit Hin‐ blick auf die erworbene(n) Erstsprache(n): Vater Mutter GV v. GM v. GV m. GM m. Toni D/ I D I D D D Julie D D/ I D D I D Tabelle 4: Erstsprachen (L1) der Familienangehörigen 9 In Tonis Familie ist sein Vater bereits bilingual mit Italienisch und Deutsch auf‐ gewachsen, da die Großmutter väterlicherseits (GM v.) ihre Erstsprache Deutsch und der GV v. seine Erstsprache Italienisch an ihn weitergegeben haben. Tonis Vater hat darüber hinaus in seiner Kindheit sowohl in Italien als auch in Deutschland gelebt und in beiden Ländern die Schule besucht. Tonis Mutter ist monolingual Deutsch aufgewachsen, wie auch seine Großeltern mütterlicher‐ seits. In Julies Familie ist die Mutter bilingual deutsch-italienisch mit einem ita‐ lienischsprachigen Vater (GV m.) und einer deutschsprachigen Mutter (GM m.) in Deutschland aufgewachsen. Die Familie des Vaters ist monolingual deutsch. Tonis Vater und Julies Mutter schätzten sich im Fragebogen wie folgt ein: Selbsteinschätzung Italie‐ nisch Selbsteinschätzung Deutsch Spr. V. Les. Schr. Spr. V. Les. Schr. Tonis Vater 1 1 1 3 1 1 1 1 Julies Mutter 3 2 4 3 1 1 1 2 Tabelle 5: Selbsteinschätzung - Tonis Vater und Julies Mutter im Vergleich 10 Man kann deutlich erkennen, dass das Leben und die Beschulung in Italien als extralinguistische Faktoren, die stark in Zusammenhang mit dem Ausbau von Schulsprache und Literalität sowie mit Sprachgebrauch und Medienverwen‐ dung zusammenhängen, dazu geführt haben, dass Tonis Vater sich in der ita‐ lienischen Sprache gut einschätzt. Julies Mutter hingegen, die nie in Italien ge‐ 200 Katja F. Cantone 11 Der Erfolg des Spracherwerbs der Kinder kann bislang nicht überprüft werden, da keine linguistischen Daten/ Tests vorliegen. 12 Die Tabelle liest sich wie folgt: Deu. = Deutsch, Ita. = Italienisch. Inputangaben der Eltern sind bspw. bei Toni (0-9 Monate) 20,5 Stunden auf Deutsch und 2 Stunden Ita‐ lienisch. Das heißt nicht, dass Toni als Baby durchgängig wach war, sondern, dass mehrere Personen zeitgleich mit ihm Deutsch gesprochen haben und vermutlich immer eine deutschsprachige Person anwesend war, wenn er auf Italienisch angesprochen wurde. lebt hat, keinen Herkunftssprachenunterricht besuchte und erst als Erwachsenen einen Sprachkurs belegte, ist in ihrer Einschätzung des Italieni‐ schen vorsichtiger. Hier stellt sich die Frage, die wir in Abschnitt 2 bereits for‐ muliert haben: Mit wem sollte der Sprachstand von SprecherInnen wie Samanta, Fabio, Tonis Vater oder Julies Mutter verglichen werden? Tonis Vater würde aller Voraussicht nach gut mit Monolingualen mithalten, da er zeitweise in Ita‐ lien gelebt hat. 11 Welche Sprache(n) geben Julies Mutter und Tonis Vater an ihre Kinder weiter? Mithilfe des Inputrechners lassen sich folgende Altersabschnitte im Leben der Kleinkinder einzeln dokumentieren: 0-9 Monate, 9-18 Monate, 18-36 Monate und 36-54 Monate. 0-9 Mon. 9-18 Mon. 18-36 Mon. 36-54 Mon. Toni Deu. 20,5h 91% Ita. 2h 9% Deu. 13,5h 96% Ita. 0,5h 4% Deu. 16h 98% Ita. 15m 2% Deu. 22,15 99% Ita. 13m 1% Julie Deu. 11h45m 85% Ita. 2h 15% Deu. 14h15m 83% Ita. 3h 17% Deu. 13h45m 93% Ita. 1h 7% Tabelle 6: Sprachinput bei Toni und Julie - relativ und absolut 12 Bei Toni erkennen wir, dass sein Sprachinput durchgängig zu mehr als 90 % auf Deutsch ist. Anfänglich sprach sein Vater beide Sprachen zu ihm, entschied sich dann jedoch, Deutsch weiterzugeben. Die einzige Person, die mit Toni Italienisch spricht, ist sein italienischsprachiger Großvater. Er hört darüber hinaus im Fa‐ milien- und Freundeskreis in Deutschland und Italien Italienisch, dieses wird jedoch selten verwendet, um mit ihm zu sprechen. Julies Sprachinput enthält etwas zunächst mehr Italienisch, weil sie regelmäßig in Italien zu Besuch ist oder Besuch aus Italien bekommt. Ihre Mutter spricht mit ihr nur auf Deutsch (ab‐ gesehen von Liedern und Reimen auf Italienisch), der italienische Großvater lebt leider nicht mehr. 201 Spracherwerb und Spracherhalt im mehrsprachigkeitsdidaktischen Kontext Zusammenfassend kann festgehalten werden: Sowohl Julies Mutter als auch Tonis Vater haben sich als Bilinguale dagegen entschieden, ihre heritage lang‐ uage/ Minderheitensprache Italienisch weiterzugeben. Nichtsdestoweniger haben die Kinder einen zwar eingeschränkten doch regelmäßigen Zugang zum Italienischen, weshalb hier von Italienisch als ihrer Erstsprache gesprochen wird. Welche Faktoren haben die bilingualen Eltern in den zwei Familien dazu bewogen, die Minderheitensprache nicht weiterzugeben? Anders als bei Samanta und Fabio entstammen beide keiner einsprachigen Ehe, sondern Italienisch und Deutsch wurden im Kindesalter im familiären Um‐ feld einer binationalen Ehe erworben. Somit gehören sie zwar wie die Jugend‐ lichen der zweiten Generation an, jedoch mit dem Unterschied, dass die Mehr‐ heitssprache zuhause durch ein Elternteil vertreten war. Bei Julies Mutter ist die Familiensprache vermutlich Deutsch gewesen (die Familie lebte nur in Deutsch‐ land in einer einsprachigen Umgebung), im Fall von Tonis Vater wurde vermut‐ lich in Italien die italienische und in Deutschland die deutsche Sprache zuhause gebraucht (die deutschsprachige Mutter kann auch Italienisch). Dank der Be‐ schulung in Italien hat Tonis Vater - anders als Julies Mutter sowie Samanta und Fabio - die italienische Schulsprache ausgebaut. Die Notwendigkeit, Italie‐ nisch in der Kindheit und Jugend zu sprechen, ist bei allen vieren in unter‐ schiedlichem Maße gegeben. Samanta und Fabio mussten Italienisch können und verwenden, weil alle Familienangehörige Italiener sind und überwiegend in Italien leben. Bei Tonis Vater ist nur die Familie väterlicherseits italienisch, er hat jedoch mehrere Jahre in Italien in einsprachiger Umgebung gewohnt. Am wenigsten war die italienische Sprache bei Julies Mutter notwendig, da sie le‐ diglich zu Besuch bei der italienischsprachigen Familie väterlicherseits Italie‐ nisch gebraucht hat. Die Spracheinstellung, die kulturelle Identität und die community-Zugehörigkeit sind nicht erfragt worden. Welche dieser Faktoren letztendlich eine Rolle bei der Entscheidung, Italienisch nicht weiterzugeben, den Ausschlag gegeben haben, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Fest steht: Die hier präsentierten italienischstämmigen Julie, Toni, Samanta, Fabio sowie die Mutter von Julie und der Vater von Toni sind alle Erstsprecher des Italienischen, da sie von Geburt an Kontakt (wenn auch in sehr unterschied‐ lichem Maße) zu dieser Sprache durch MuttersprachlerInnen hatten. Ihr Sprach‐ stand im Italienischen variiert indes sehr stark. Was hätte - neben der familialen Sprachweitergabe - dazu beitragen können, diesen auf angemessene Ebene auszubauen? Welche Konsequenzen hat der aktuelle Sprachstand für den wei‐ teren Gebrauch? Perspektivisch stellen sich folgende Fragen: Werden Samanta und Fabio tatsächlich Italienisch an ihre Kinder weitergeben, obwohl sie sich im Deutschen sicherer fühlen? Werden Julie und Toni überhaupt Italienisch spre‐ 202 Katja F. Cantone 13 Natürlich darf nicht ausgeblendet werden, dass die Rolle der Sprache innerhalb der Familie ebenfalls einen großen Einfluss auf eine mögliche Weitergabe hat. Dies ist je‐ doch nicht der Fokus des vorliegenden Beitrages. (a) (b) (c) Ad (a): chen? Welche Verantwortung kann Schule übernehmen, um den Sprachstand der Kinder und Jugendlichen im Italienischen zu verbessern? Diese Fragen sollen im nächsten Abschnitt angegangen werden. 5 Vorschlag zur Sprachmittlung des Italienischen Aufgrund der ersten Ergebnisse der Inputstudie kann angenommen werden, dass Eltern, die bilingual mit einer Minderheitssprache und der Mehrheits‐ sprache aufwachsen, eher letztere an ihre Kinder weitergeben könnten. Ein wichtiger Grund für diese Entscheidung könnte die Tatsache sein, dass sie nie in ihrer Minderheitensprache beschult wurden und sich entsprechend unsicher in dieser fühlen. Ein weiterer Grund ist zweifelsfrei die einsprachige Einstellung in der Gesellschaft, die besonders im Schulwesen zum Ausdruck bringt, dass lediglich die Beherrschung der Mehrheitssprache und ausgewählter aner‐ kannter Fremdsprachen nötig sind, um Bildungserfolge zu erlangen (cf. Ab‐ schnitt 2). Damit werden Eltern indirekt dazu verleitet, sich auf nur eine Sprache zu konzentrieren. 13 Wir wissen, dass Samanta und Fabio nie den Herkunftssprachenunterricht besucht haben, bei Julie und Toni steht diese Entscheidung noch aus. Welche Art von schulischem Unterricht könnte diesen Kindern und Jugendlichen helfen, ihre Erstsprache Italienisch auszubauen? Muss die Verantwortung der Sprach‐ weitergabe allein bei den Familien sowie bei einem kontrovers diskutierten, qualitativ nicht überprüfbaren außercurricularen Herkunftssprachenunterricht liegen? Dem Vorschlag der Autoren Küppers und Schroeder (2017) folgend, soll an dieser Stelle dafür plädiert werden, den Ausbau und die Förderung der heri‐ tage languages/ Minderheitensprachen je nach Spracherwerbstyp auf drei an‐ deren Ebenen voranzutreiben: Deutschunterricht Bilinguale Klassen Fremdsprachenunterricht Der Deutschunterricht kann sich heutzutage angesichts der vielen mehrsprachigen Erfahrungen seiner Akteure nicht mehr allein auf den Ausbau des Deutschen konzentrieren (cf. Cantone & Di Venanzio 2015, Cantone 2011, 2 2016). Sowohl Schülerschaft als auch Lehrkräfte bringen Kontakt und/ oder sprachliches Wissen zu weiteren Sprachen 203 Spracherwerb und Spracherhalt im mehrsprachigkeitsdidaktischen Kontext mit, was im Rahmen einer kontrastiven Linguistik und Didaktik pro‐ duktiv für allgemeinlinguistische Aspekte aber ebenso für das Deut‐ sche im Speziellen genutzt werden kann (vgl. Wolf-Farré/ Cantone/ Moraitis 2020). Der Umgang mit Sprachvergleichen auf allen linguis‐ tischen Ebenen festigt Kenntnisse über die deutsche Sprache, fördert ein metalinguistisches Bewusstsein, trägt aktuellen und diachronen Phänomenen des Sprachkontaktes (Sprachwandel, Sprachmi‐ schungen) Rechnung und berücksichtigt den Ausbau von Kenntnissen in weiteren Erstaber auch Fremdsprachen. Letzterer Aspekt variiert je nach tatsächlich mitgebrachten Kenntnissen der jeweiligen Spra‐ chen. So könnte jeder unserer in Abschnitt 4 vorgestellten Personen einen entweder theoretischen oder angewandten Beitrag zu diesem Unterrichtsthema leisten. Ad (b): Der Ausbau bilingualer Modelle ab der Grundschule kann dabei helfen, die heritage language/ Minderheitensprache im Gebrauch zu fördern (als eine feste Schulsprache im Unterrichtsraum) und den schriftsprachlichen Ausbau einzuleiten (cf. i.a. García García in diesem Band). Dieses Angebot wäre für alle in Abschnitt untersuchten Italie‐ nischstämmigen von Vorteil gewesen, da die parallele Beschulung in Deutsch und Italienisch beide Sprachen gleichermaßen unterstützt hätte. Dieser Unterricht erfordert zwei gut kooperierende Lehrkräfte, die alternierend beide Sprachen in jedem Fach vermitteln. Ad (c): Die Öffnung des Fremdsprachenunterrichts für Erstsprachler‐ Innen ist ein zukunftsträchtiges Desiderat. Schon länger wird Lehr‐ amtsstudierenden aller Fächer an verschiedenen Universitäten mit Nachdruck vermittelt, dass in jedem Klassenzimmer mehrsprachige SchülerInnen mit unterschiedlichen Kenntnissen (von aktiven über passiven Bilingualen bis hin zu momentanen oder ehemaligen Lern‐ erInnen des Deutschen als Zweit- oder Fremdsprache) sitzen. Auch im Fremdsprachenunterricht sitzen Mehrsprachige und nicht selten solche, deren Erstsprache die Unterrichtssprache ist (cf. Reimann 2016a,b). Im Sinne eines mehrsprachigkeitsdidaktischen Ansatzes sollten Lehrkräfte auf die Arbeit mit (aktiven und passiven) Erst‐ sprachlerInnen vorbereitet sein (cf. Reimann/ Cantone/ Haller/ Venus/ Di Venanzio, 2018). Italienisch als Fremdsprache könnte für Julie und Toni eine Möglichkeit sein, auf der weiterführenden Schule ihre (vielleicht bis dato rudimentären und pas‐ siven) Kenntnisse des Italienischen auszubauen. Die systematische Vermittlung 204 Katja F. Cantone durch ausgebildete Fremdsprachenlehrkräfte, die sensibel für verschiedene Spracherwerbskontexte und frei von möglichen Vorwürfen (warum denn die „Muttersprache“ nicht gut beherrscht würde) sind, könnte die nach Reich (2017, 95) „persönlich wichtige Kultursprache“ optimal fördern. Diesem Idealunter‐ richt liegt die Annahme zugrunde, dass die herangehenden Fremsprachenleh‐ rerInnen gut für die Aufgabe der Sprachvermittlung vorbereitet sind, dass sie Spracherwerb, -erhalt und -gebrauch im Kontext von Migration einzuschätzen wissen und dass sie genügend didaktische Materialien und Methoden kennen, um einen mehrsprachigkeitsorientierten Unterricht zu geben (cf. Cantone 2011, Cantone/ Di Venanzio 2015, cf. Reimann 2016a,b, Reimann/ Cantone/ Haller/ Venus/ Di Venanzio, 2018). 6 Fazit Der vorliegende Beitrag argumentiert, dass die angebotenen Sprachen im deut‐ schen Schulsystem nicht der tatsächlichen mehrsprachigen Realität gerecht werden. Am Beispiel der italienischen Sprache konnte gezeigt werden, dass Ita‐ lienisch als Fremdsprache bislang nur 50000 Interessierte erreicht, die aller Vor‐ aussicht nach nicht zu denjenigen gehören, die in Deutschland aufgrund fami‐ liärer Bedingungen frühen Kontakt zum Italienischen haben. Im Zweifel erlernen italienischstämmige SchülerInnen ganz andere Fremdsprachen und besuchen nie einen Unterricht, der ihre Erstsprache fördert. Eine inhaltliche Öffnung des Fremdsprachenunterrichts für LernerInnen aller Formen (aktive und passive ErstsprachlerInnen sowie FremdsprachenlernerInnen) könnte Fa‐ milien darin unterstützen, die heritage language/ Minderheitensprache (schrift‐ lich) auszubauen. Lehrkräfte aller Schulformen und -fächer müssen dahinge‐ hend ausgebildet werden, alle Typen des Spracherwerbs individuell zu fördern und stets eine mehrsprachigkeitsdidaktische Perspektive auf ihren Unterricht einzunehmen. Des Weiteren konnte der Beitrag anhand exemplarischer Ergebnisse zweier empirischer Studien zu Erwerb, Erhalt, Sprachstand und Gebrauch des Italieni‐ schen im Kontext von Migration nachweisen, dass die Erwerbsbedingungen sehr disparat sind: Je nachdem, ob einer oder beide Elternteile die Minderhei‐ tensprache beherrschen bzw. einer oder beide Elternteile bilingual sind, kann die Sprachweitergabe (quantitativ) stark abweichen. Manche Kinder hören dem‐ nach von Klein an mehrheitlich eine Sprache oder beide Sprachen zu gleichen Anteilen. Hören Kleinkinder überwiegend die Sprache der Mehrheit, kann dies nachhaltige Konsequenzen für die Minderheitensprachen haben. Sie wird dann entweder nur passiv oder eventuell gar nicht beherrscht. Ob es ein „Min‐ 205 Spracherwerb und Spracherhalt im mehrsprachigkeitsdidaktischen Kontext destmaß“ an natürlichem sprachlichem Input bedarf und welcher dieser sei, ist in der Forschung noch nicht geklärt (cf. Cantone 2019). 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In der Folge des starken Aufschwungs als Schul‐ fremdsprache vor allem seit etwa dem Jahr 2000, v. a. in den Bereichen der 2., 3. und spät beginnenden Fremdsprache, erlernen inzwischen ca. 550.000 Schüle‐ rinnen und Schüler an deutschen Schulen die spanische Sprache (davon ca. 425.000 an allgemeinbildenden, ca. 125.000 an beruflichen Schulen (vgl. Eng‐ lisch: 8,5 Millionen, Französisch: 1,5 Millionen, Latein: 600.000, Russisch: 100.000, Italienisch: 50.000 (jeweils gerundet), DESTATIS 2018a). Gleichzeitig gibt es immer weniger Schülerinnen und Schüler, die einen herkunftssprachli‐ chen Unterricht im Fach Spanisch besuchen. Die spanische Botschaft etwa ver‐ zeichnete für die in ihrem Geschäftsbereich angesiedelten Kurse im Schuljahr 2016/ 2017 bundesweit nur noch ca. 2.700 Schülerinnen und Schüler (s. u.). Ins‐ gesamt genießt das Spanische in Deutschland ein hohes Prestige (vgl. Gärtig / Plewnia / Rothe 2010, bes. 243-263). Parallel zu den skizzierten Entwicklungen des Spanischunterrichts erfolgt eine spürbare Zuwanderung von hispanophonen Menschen nach Deutschland: Im Jahr 2018 verzeichnete das Statistische Bundesamt ca. 290.000 spanische und hispanoamerikanische Staatsangehörige, davon ca. 178.000 Spanier (2010: 105.000) und ca. 110.000 Hispanoamerikaner (2010: 80.000). Von letzteren stammten ca. 55.000 (2010: 40.000) aus den Bereichen Mittelamerika, Karibik und Mexiko, ca. 55.000 (2010: 40.000) aus Südamerika ohne Brasilien (DESTATIS 2018b). Eine „neue“ Zuwanderung aus Spanien, aber auch aus Hispanoamerika macht sich auch in den Statistiken im Vergleich zu den Zahlen des Jahres 2010 deutlich bemerkbar. Die Frage nach - umgangssprachlich formuliert - „Muttersprachlern“ im Fremdsprachenunterricht wird an den Schulen daher nicht von ungefähr zu‐ nehmend als virulent wahrgenommen und wurde von einem Studienseminar an mich herangetragen. Während erste Sondierungen zu dem Phänomen in der Zeit zwischen 2005 und 2010 in Bayern ergaben, dass es sich seinerzeit dort eher um Einzelfälle handelte, zeigte sich nun, dass die Präsenz von Schülerinnen und Schülern mit romanophonem Hintergrund im Unterricht einer romanischen Sprache (hier besonders im Spanischen) eine nicht zu übersehende Realität dar‐ zustellen scheint und einen weiteren Aspekt der Heterogenität im fremdsprach‐ lichen Klassenzimmer bedingt. Unter dem umgangssprachlich verständlichen Etikett „Muttersprachler“ ver‐ birgt sich dabei, gerade im Fall jener romanischer (Schul-) Sprachen, die auch traditionelle Migrantensprachen in Deutschland sind, namentlich Italienisch, Spanisch und Portugiesisch, die Spannweite von Schülerinnen und Schülern der dritten oder vierten Generation mit nur rudimentären und eher punktuellen Sprachkenntnissen in der entsprechenden Sprache über tendenziell symme‐ trisch Bilinguale bis hin zu Schülerinnen und Schülern, die erst nach einem Teil ihrer Schulzeit z. B. in Spanien nach Deutschland kommen, d. h. eine grundle‐ gende Alphabetisierung und Literalitätsentwicklung in der entsprechenden Sprache durchlaufen haben. Als weitgreifender Oberbegriff für diese weit zu fassende Gruppierung von Schülerinnen und Schülern, die über eine Vertraut‐ heit mit der Zielsprache des Fremdsprachenunterrichts in ganz unterschiedli‐ chem Ausmaß verfügen können, wurde daher die neutrale Formulierung „Schü‐ lerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund“ (sc. im Fremdsprachenunterricht) gewählt und beim Romanistentag in Zürich 2017 erstmals zur Diskussion gestellt. Um den theoretischen Kontext des Forschungsfelds abzustecken, empfehlen sich als Koordinaten folgende vier Komplexe der jüngeren nationalen und in‐ ternationalen fremdsprachendidaktischen Forschung: auf der einen Seite (1) die Mehrsprachigkeitsdidaktik mit dem in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus gerückten Aspekt der Integration herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit in den Fremdsprachenunterricht, auf der anderen Seite (2) die Erforschung der Situa‐ tion von Schülerinnen und Schülern mit zielsprachlichem Hintergrund im Un‐ terricht der slavischen Sprachen, wie sie die slawistische Fremdsprachenfor‐ schung als einzige Fremdsprachendidaktik in Deutschland bislang geleistet hat (sowie die eher punktuellen Erkenntnisse weiterer benachbarter Disziplinen), drittens (3) die Forschung zur Situation von Schülerinnen und Schülern mit his‐ 212 Daniel Reimann panophonem Hintergrund im Spanischunterricht in den USA und viertens (4) der herkunftssprachliche Unterricht in den romanischen Sprachen in Deutsch‐ land als möglicher Vorlauf für den Besuch der jeweiligen Sprache als Fremd‐ sprache. Die Situation an bilingualen Schulen in Deutschland kann meines Er‐ achtens nur bedingt als Referenzgröße herangezogen werden, da hier die spezifische Situation bilingualer Schülerinnen und Schüler, anders als bei der Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit zielsprachlichem Hintergrund in den Regel-Fremdsprachenunterricht, grundlegend mit berücksichtigt wird und Teil des jeweiligen Schulkonzepts ist. 2 Forschungsstand Der Forschungsstand zu diesen insgesamt weiten Feldern kann an dieser Stelle in aller Kürze wie folgt umrissen werden. Ad (1) - Mehrsprachigkeitsdidaktik und Herkunftssprachen Bezogen auf das Gebiet der Mehrsprachigkeitsdidaktik bewegt sich die Frage‐ stellung im Bereich des Teilaspekts „Herkunftssprachen“ bzw. „Familienspra‐ chen“ im Fremdsprachenunterricht, innerhalb dessen sie wiederum einen Son‐ derfall in den Blick nimmt (die Herkunftssprache bzw. Familiensprache ist die Zielsprache des jeweiligen Fremdsprachenunterrichts). In die Mehrsprachig‐ keitsdidaktik einführend unter Berücksichtigung der Herkunftssprachen kann z. B. auf Reimann 2018 verwiesen werden (mit weiterführender Bibliographie), in die Untersuchung von Herkunftssprachen insgesamt auf Brehmer/ Mehlhorn 2018. In Reimann 2016 wurde das Konzept einer integrativen, „aufgeklärten Mehrsprachigkeit“ vorgestellt, das sich über folgende sieben Forschungs- und Handlungsfelder entwickelt: verstärkte Integration der produktiven Fertig‐ keiten in nachgelernten Fremdsprachen, Vernetzung im konkreten Fall der ro‐ manischen Sprachen auch mit dem Englischen, Lateinischen, (Alt-) Griechi‐ schen und weiteren Schulfremdsprachen, Integration des Deutschen als Erst- und Fremd-/ Zweitsprache sowie der Herkunfts- und Familiensprachen, Entwicklung einer rezeptiven Varietätenkompetenz in der Zielsprache, Einrich‐ tung eines multilingualen Sachfachunterrichts, Erreichen transkultureller kom‐ munikativer Kompetenz als ein Leitziel des Fremdsprachenunterrichts (vgl. Rei‐ mann 2016, 17 ff.). Der Integration von Schulsprachen mit Herkunfts-/ Familiensprachen kommt in diesem Konzept eine Schlüsselrolle zu. Grundle‐ gend zu Herkunftssprachen als Sprachlernvoraussetzung vgl. den Beitrag Baur / Chlosta 2010. Forschungsbeiträge zu herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit wurden in der Folge der großen Studie Hu 2003 zwischenzeitlich wiederholt 213 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht vorgelegt (vgl. Volgger 2012, Méron-Minuth 2018) und einzelne Fragestellungen in thematischen Sammelbänden (z. B. Fernández Ammann / Kropp / Müller-Lancé 2015, Schlaak / Thiele 2017, Willems / Thiele / Kramer 2019) oder Zeitschriftenbeiträgen vertieft (z. B. zum Spanischen z. B. Granados / Siems 2014, Reimann / Siems 2015, Reimann 2017c). Mithin lässt sich die Fragestellung auch im großen Konzept der Pluralen Ansätze zu Sprachen und Kulturen des Euro‐ parats verorten (vgl. einführend Melo-Pfeifer / Reimann 2018). Frühe, knappe, sprachenübergreifend konzipierte Problemaufrisse zu Mög‐ lichkeiten und Grenzen der Integration von Schülerinnen und Schülern mit zielsprachlichem Hintergrund sind die Beiträge Roth 1996 und Alix 2003 („Schüler als native speakers im Unterricht: ungebetene Experten? “ bzw. „Der bilinguale Schüler: Potentielle Stütze für den fremdsprachlichen Unterricht und Beispiel für sprachliche Kompetenz oder persona non grata? “). Studien zu dem in diesem Beitrag untersuchten Fall, in dem die Herkunftssprache Zielsprache des Fremdsprachenunterrichts ist, liegen in der romanistischen Fremdsprachen‐ forschung indes bislang nicht vor. In der Fremdsprachenforschung insgesamt scheint indes in jüngerer Zeit eine Sensibilisierung für das Phänomen einzutreten, gerade auch durch Beiträge der slawistischen Fachdidaktik in sprachenübergreifend konzipierten Publika‐ tionen (z. B. Bergmann 2017 in Praxis Fremdsprachenunterricht - Basisheft, vgl. dort auch die in der Englischdidaktik entstandene Skizze Beckmann / Hohwiller 2018), oder etwa auch durch die Einrichtung eines entsprechenden Symposions bei der ersten internationalen Konferenz der ADLES - Verband Fremdspra‐ chendidaktik Schweiz in Lausanne im Jahr 2018 (vgl. Egli Cuenat / Reimann 2019). Ad (2) - Schülerinnen und Schüler im Unterricht der slavischen Sprachen Bis dato hat indes nur die slawistische Fachdidaktik vertiefte Untersuchungen zur Integration von Schülerinnen und Schülern mit zielsprachlichem Hinter‐ grund in den jeweiligen Fremdsprachenunterricht vorgelegt. Es handelt sich um Ergebnisse des von Bernhard Brehmer und Grit Mehlhorn geleiteten BMBF-Pro‐ jekts Russische und polnische Herkunftssprache als Ressource im Schulunter‐ richt? - Eine Bestandsaufnahme zur Rolle des familiären und schulischen Kontexts für die Nutzung von Herkunftssprachen durch Schülerinnen und Schüler mit Mi‐ grationshintergrund (2013 ff.), aus dem zahlreiche Publikationen hervorge‐ gangen sind (z. B. Brehmer/ Mehlhorn 2015, Brehmer/ Mehlhorn/ Yastrebova 2017, Mehlhorn 2015, Brehmer/ Mehlhorn 2018a und b). Es konnten u. a. insge‐ samt folgende Vor- und Nachteile der Integration von Lernenden mit russisch‐ sprachigem Hintergrund im Russischunterricht eruiert werden: 214 Daniel Reimann Vorteile: - größere Chancen für die russischsprachigen Schüler auf einen erfolgrei‐ chen höheren Schulabschluss […], - Bestätigung von Fähigkeiten und Kenntnissen, die sie aus ihrem Heimat‐ land mitgebracht haben […], - Erhöhung des Selbstwertgefühls bei den russischsprachigen Schülern aus der Erfahrung, auch einmal etwas besser zu können, und positive Aus‐ strahlung auf ihr Verhalten in anderen Fächern […], - Kompetenzzuwachs […] in Bezug auf ihre schriftsprachlichen Kenntnisse […], - Erhalt und Ausbau ihrer sprachlichen Kommunikationsfähigkeit im Rus‐ sischen […], - Möglichkeit, über die Erstsprache Russisch den Zweitspracherwerb des Deutschen zu stützen […], - Ermöglichung interkulturellen Lernens durch die Verbindung von russi‐ scher und deutscher Kultur […]“ (Mehlhorn 2014, 247, jeweils mit wei‐ terführenden bibliographischen Angaben). Nachteile: - geringe Akzeptanz des Russischunterrichts bei Familien mit starkem As‐ similationswillen, in denen zu Hause nur noch Deutsch gesprochen wird […], - übersteigertes Selbstbewusstsein einiger „Muttersprachler“, was sich im Anspruch auf Bestnoten und Zweifeln an der Kompetenz der Lehrperson äußert […], - Entmutigung leistungsschwächerer Schüler, Abwahl des Faches Russisch durch einen Teil der Fremdsprachenlerner und Abwertung des Unter‐ richtsfachs Russisch durch „reine Muttersprachlerklassen“ […], - sprachliche und methodische Überforderung [sc. der Lehrkräfte] durch Schüler mit russischsprachigem Hintergrund und damit verbundene Un‐ sicherheit vieler Russischlehrkräfte […]“ (art. cit., 248). Aus ihren Befragungen von Schülerinnen und Schülern sowie von Eltern be‐ zogen auf die Herkunftssprachen Russisch und Polnisch konnten sie folgende Erkenntnisse zu Einstellungen zum Unterricht in Herkunftssprachen gewinnen, wobei explizit „neben zusätzlichem [herkunftssprachlichen Unterricht] auch schulischer [Fremdsprachenunterricht] in der [Herkunftssprache] gemeint ist (Brehmer/ Mehlhorn 2018a, 73): 215 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht Pro Unterricht in der [Herkunfts‐ sprache] Contra Unterricht in der [Herkunfts‐ sprache] Eltern: - Erhalt der [Herkunftssprache] des Kindes - Erwerb der Schriftsprache - Lernzuwachs in Kultur, Landes‐ kunde, Geschichte und Literatur (Bil‐ dung in der [Herkunftssprache]) - Vorteile durch sprachliches Vor‐ wissen im [Fremdsprachenunter‐ richt] - soziale Kontakte zu weiteren Her‐ kunftssprechern - Stärkung der Familiensprache Eltern: - Befürchtung, dass sich zwei Sprachen parallel nicht gut entwickeln könnten - Überzeugung, die [Herkunftssprache] könne auch auf „natürliche Weise“ weitergegeben werden - Zeitmangel bzw. andere Prioritäten für die Kinder - [Herkunftssprache] auch später noch ausbaubar - Zweifel am Nutzen herkunftssprach‐ licher Kenntnisse Kinder: - [Herkunftssprache] verbessern - Lesen und Schreiben lernen - [Herkunftssprachlicher Unterricht] macht Spass, ist interessant - [Herkunftssprache] mit Freunden lernen - im [Fremdsprachenunterricht] von Vorkenntnissen profitieren (gute Noten) Kinder: - zufrieden mit ihrem Sprachstand - keine Notwendigkeit des Lesens und Schreibens in der [Herkunftssprache] - Lernen einer neuen Fremdsprache sinnvoller - keine Zeit, andere Prioritäten - Bequemlichkeit Abb. 1: Einstellungen von Schüler/ innen und Eltern zu Unterricht in der Herkunfts‐ sprache (aus: Brehmer/ Mehlhorn 2018a, 74) Wiederum bezogen auf Einstellungen, und zwar Einstellungen von Lehrkräften zu Herkunftssprecher/ innen im Fremdsprachenunterricht, konnte Mehlhorn 2013 zu folgenden Ergebnissen gelangen: Pro Herkunftssprecher im [Fremd‐ sprachenunterricht] Contra Herkunftssprecher im [Fremdsprachenunterricht] - Erhalt der [Herkunftssprache] - Erlernen und Ausbau der schrift‐ sprachlichen Kompetenzen (großer Lernbedarf) - Erwerb kulturellen Wissens über das Herkunftsland - Motivation (u. a. durch Wertschät‐ zung von Vorkenntnissen) - Entwicklung des mehrsprachigen Po‐ tenzials der Schüler - Schüler lernen eine Fremdsprache weniger - Störfaktor im Unterricht - sprachliche Unterforderung einiger Herkunftssprecher - Sprechhemmungen der Fremdspra‐ chenlerner - Anspruch auf Bestnote - Motivationsprobleme 216 Daniel Reimann - sprachpraktische „Fortbildung“ der Lehrkräfte - Herkunftssprecher hören (und korri‐ gieren) Fehler der Lehrenden -> Kon‐ flikte Abb. 2: Einstellungen von Lehrkräften zu Herkunftssprecher/ inne/ n im Fremdsprachen‐ unterricht nach Mehlhorn 2013 (aus: Brehmer/ Mehlhorn 2018a, 79) Brehmer / Mehlhorn 2018a geben auch unterrichtsmethodische Anregungen zur Binnendifferenzierung, wobei insbesondere auch der Ansatz des Lernens durch Lehren (LdL, vgl. Martin 1978 u. ö.) bezogen auf Herkunftssprecher/ innen in der Lehrerrolle als ein Lösungsansatz präsentiert wird (Brehmer / Mehlhorn 2018a, 81-83). Weiterhin können Fachdidaktik und Unterricht der slavischen Sprachen - hier des Russischen - inzwischen auf ein Lehrwerk zurückgreifen, das gezielt differenzierendes Übungsmaterial für Schülerinnen und Schüler mit zielsprach‐ lichem Hintergrund bereithält, etwa auch zu spezifischen Fehlerschwerpunkten (op. cit., 83-85). Schließlich können Brehmer / Mehlhorn op. cit., 85-99 auf der Grundlage ihrer Forschungen erste vertiefte methodische Hinweise zu Vermitt‐ lungsprinzipien und Vermittlungsstrategien des Russischen und Polnischen als Herkunftssprache - sowohl im Herkunftssprachlichen Unterricht als auch im Fremdsprachenunterricht (vgl. op. cit., 85) geben. Als Vermittlungsprinzipien führen sie dabei ein: - Reflexion über Sprache, u. a. durch Sprachvergleich - interkulturelle Bildung - Differenzierung - Vermittlung der Standardsprache - Bildung durch fachliche Inhalte und bildungssprachlichen Wortschatz (Brehmer / Mehlhorn 2018, 85 f.). Sodann werden spezifische Anregungen für Vermittlungsstrategien in den Be‐ reichen Aussprache, Hör- und Hörsehverstehen, Leseverstehen, Grammatik, Wortschatz, Schreiben, Orthographie, Wort-Sudoku, Sprechen und Sprachmitt‐ lung gegeben. Dabei wird jeweils auf Stärken und Schwächen der fraglichen Zielgruppe im Russisch- und Polnischunterricht und auf entsprechende Mög‐ lichkeiten der Förderung hingewiesen (op. cit., 87-97). U.a. wird intensives und bewusstes Lesen und bewusste Arbeit mit Lesetexten als Grundlage auch des (bildungssprachlichen) Schreibens angeregt (op. cit. 87 f., 91 f.), die Notwendig‐ keit der Entwicklung bildungssprachlichen Wortschatzes und die Fokussierung der Gefahr von Interferenzen betont (op. cit., 90), Erziehung zur Präzision in Orthographie und Morphologie durch gezielte Übungen zur Rechtschreibung 217 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht und Wort-Sudokus vorgeschlagen (op. cit., 92-95) sowie Aktivitäten zur Diffe‐ renzierung nach oben in den Bereichen, in denen die fraglichen Schülerinnen und Schüler meist Stärken aufweisen, wie etwa Aussprache und Hörsowie Hörsehverstehen, Sprechen und Sprachmittlung (op. cit., 87,95-97). Bereits an dieser Stelle kann vorweggenommen werden, dass sich der Fall der z. B. russlanddeutschen Schülerinnen und Schüler, die an einzelnen Schulstand‐ orten auch das Gros der Russischlernenden ausmachen können, nicht ganz un‐ mittelbar mit der Situation der doch eher punktuell zu inkludierenden Ler‐ nenden mit romano- (hier hispano-) phonem Hintergrund im Unterricht der romanischen Sprachen vergleichen lässt (s. u., Abschnitt 5, Diskussion der Er‐ gebnisse im Kontext der Forschung). Ad (3) - Forschung zur Situation von Schülerinnen und Schülern mit hispanophonem Hintergrund im Spanischunterricht in den USA Der Fall von Schülerinnen und Schülern mit hispanophonem Hintergrund wie‐ derum wird seit einigen Jahrzehnten vertieft in einem anderen umgebungs‐ sprachlichen Kontext, namentlich in den USA, beforscht. In nicht unbeträchtli‐ chen Teilen der USA (v. a. Süden und Südwesten, aber auch Südosten) beträgt der Bevölkerungsanteil mit hispanophonem Hintergrund seit geraumer Zeit über 25 %, über weite Teile des Staatsgebiets (v. a. in der westlichen Hälfte) sind spürbare Bevölkerungsteile hispanoamerikanischer Abstammung (vgl. z. B. Beaudrie / Fairclough 2012b, bes. 2-5). Insgesamt gibt es in den USA derzeit ca. 60 Millionen Hispanics, bei einer vom US Census Bureau prognostizierten Ent‐ wicklung bis zu über 110 Millionen im Jahr 2060 (www.census.gov/ library/ visu alizations/ 2018/ comm/ hispanic-projected-pop.html, 09.09.2019). Die Bundes‐ staaten mit den in absoluten Einwohnerzahlen größten hispanischen Commu‐ nities waren im Jahr 2018 Kalifornien (ca. 16 Millionen), Texas (ca. 11 Millionen), Florida (ca. 5,6 Millionen), New York (ca. 3,8 Millionen), Arizona (ca. 2,3 Millio‐ nen), Illinois (ca. 2,2 Millionen), Ne Jersey (ca. 1,8 Millionen), Colorado (ca. 1,2 Millionen), Georgia, New Mexico (je ca. 1 Million) (https: / / factfinder.census.gov / faces/ tableservices/ jsf/ pages/ productview.xhtml? pid=PEP_2016_PEPSR6H &; prodType=table#, 09.09.2019). Ein frühes Interesse für Spanischlernende mit hispanophonem Hintergrund zeichnete sich dort bereits in den 1930er Jahren ab (vgl. Valdés 2000b, 9), wenn auch erst seit den 1970er Jahren verstärkt spezielle Lehrmaterialien erstellt und die Forschung intensiviert wurde (vgl. ebd., z. B. Valdés-Fallis 1975). Einführende Überblicksdarstellungen sind etwa Peyton 2008 (mit besonderem Blick auf den schulischen Bereich des „K-12 SNS [Spanish for Native Speakers]“, Carreira 2012 und 2014 sowie Fairclough 2015 (mit einem Blick auf Spanisch als Herkunfts‐ 218 Daniel Reimann sprache weltweit). Die Historiographie des Unterrichts in „Spanish for Native Speakers (SNS)“ - heute eher „Spanish as a heritage language (SHL)“ - spricht von einer ersten Phase des „Limited Normative Approach“ (z. B. Carreira 2014, 765 f.), der vor allem eine Normorientierung als Ziel hatte und seit den (späten) 1970er Jahren von einer zweiten Phase, einem „Comprehensive Approach“, ab‐ gelöst wurde: In diesem wurde der Aufbau einer Beziehung zur Herkunfts‐ sprache und die Anwendung in kommunikativ bedeutsamen Situationen in den Vordergrund gestellt (vgl. z. B. Carreira 2014, 765). In jüngerer Zeit wird eine Bewusstmachung für die Bezüge zwischen Sprachkompetenz und persönlichen Chancen in den Vordergrund gerückt (vgl. z. B. Fairclough 2015, 142). Gerade die frühe Forschung und Unterrichtsentwicklung legte einen Fokus auf die sozio- und varietätenlinguistischen Grundlagen (welche spanische Va‐ rietät wird von welcher Population von Lernenden eingebracht? ) und konzi‐ pierte Programme v. a. auch für homogen-hispanophone Gruppen ab dem Col‐ lege / der Universität (z. B. Valdés / Lozano / García-Moya 1981). Im Zentrum standen dabei zunächst vor allem Lernende mit mexikanischem und puerto-ri‐ canischem Hintergrund. Zunehmend wird Spanisch als Herkunftssprache auch im schulischen Bereich relevant und beforscht. Seit den 1990er Jahren werden teilweise eigene Klassen für Herkunftssprecher/ innen des Spanischen einge‐ richtet (vgl. z. B. Walqui 1997, Carreira 2012, 226 f.), die Integration - oftmals bei gleichzeitiger Höherstufung in fortgeschrittene Lerngruppen - in den Unter‐ richt des Spanischen als Fremdsprache wird gleichwohl an vielen Standorten aufrecht erhalten (vgl. z. B. Fairclough 2015, 141). Einblicke in die jüngere Forschung geben etwa die Bände Colombi / Alarcón 1997, Roca / Colombi 2003, Beaudrie / Fairclough 2012a sowie jüngst etwa Fairc‐ lough / Beaudrie 2016 und Potowksi 2018. Neben Fragestellungen der Sprach‐ testung (vgl. z. B. entsprechende Beiträge in Valdés 2000a, Beaudrie / Fairclough 2012a) treten nunmehr auch interkulturelle Fragestellungen sowie Fragen zu Einstellungen und Identität der Lernenden mit hispanophonem Hintergrund (einführend z. B. Ducar 2012, Potowski 2012). Dabei kommen zunächst über‐ wiegend quantitative Zugriffe zum Tragen (z. B. Beckstead / Toribio 2003), die Absenz qualitativer oder zumindest von mixed-methods-Studien wird erkannt (vgl. Ducar 2012, 173). Daneben werden Einzelaspekte wie etwa die Entwicklung der Lesekompetenz mit dem Ziel einer Literalitätsentwicklung untersucht (z. B. Carrasquillo / Segan 1998). In jüngerer Zeit werden Forschungsgebiete wie lern‐ ersprachliche Grammatiken von Herkunftssprecher/ inne/ n, Effekte von Unter‐ richt (gerade auch im Vergleich von Herkunftssprecher/ inne/ n und Fremdspra‐ chenlernenden) sowie soziolinguistische Fragestellungen des Spracherhalts erschlossen (vgl. Carreira 2014, 773-776). 219 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht 1 Genuin linguistische Aspekte des Spanischen als heritage language gerade auch im frühkindlichen Spracherwerb werden in der Spracherwerbsforschung durchaus unter‐ sucht, exemplarisch können hier etwa Müller / Kupisch / Schmitz / Cantone 2011, Ar‐ naus Gil / Müller 2019 oder Schmitz / Di Venanzio / Scherger 2016 erwähnt werden. Die Forschung zu Schülerinnen und Schülern mit hispanophonem Hinter‐ grund in den USA kann mithin einen Hintergrund für die Untersuchung der genannten Fragestellung liefern. U.a. aufgrund der grundlegend unterschiedli‐ chen Situation - auch zwischen den Bundesstaaten der USA und den entspre‐ chenden Erhebungskontexten innerhalb der amerikanischen Forschung - können die dort gewonnenen Erkenntnisse indes keineswegs ohne Weiteres übertragen werden. Ad (4) - Herkunftssprachlicher Unterricht in den romanischen Sprachen Der Forschungsstand zum herkunftssprachlichen Unterricht in den romani‐ schen Sprachen in Deutschland ist als hochgradig defizitär zu bezeichnen. Grundlegend einführend in das Konzept des herkunftssprachlichen Unter‐ richtes kann etwa auf die Beiträge Reich 2014 und 2016 sowie auf Mehlhorn 2017 verwiesen werden. Allgemein einführend zum herkunftssprachlichen Unter‐ richt in Deutschland aus hispanistisch-didaktischer Perspektive und unter grundlegender Berücksichtigung der Situation des Spanischen als Herkunfts‐ sprache in Deutschland kann weiterhin auf Ramos Méndez-Sahlender 2018 hin‐ gewiesen werden. Auch Reich und Ramos Méndez-Sahlender stellen ein For‐ schungsdefizit fest (z. B. Reich 2016, 223, Ramos Méndez-Sahlender 2018, 500). Eine Abfrage beim Informationszentrum für Fremdsprachenforschung (IFS) in Marburg mit Stand vom 26.08.2019 ergab unter kombinierter Stichwortsuche „Spanisch FU, Muttersprache, muttersprachlicher Unterricht“ bzw. „Spanisch FU Herkunftssprache“ insgesamt 14 Treffer, von denen sich bei genauer Prüfung nur zwei einschlägig erwiesen, zu den bereits oben aufgrund der subjektiven Kenntnis des Forschungsstandes zitierten Bereichen und Titeln gehören. Eine weiter gefasste Abfrage mit den Stichworten „Herkunftssprache“ sowie „mut‐ tersprachlicher Unterricht, Spanisch FU“ vom 30.08.2019 führte zu vergleich‐ baren Ergebnissen. 1 Selbst Statistiken zum herkunftssprachlichen Unterricht liegen kaum vor (vgl. Reich 2016, 224). Die spanische Botschaft etwa verzeichnete für das Schul‐ jahr 2016/ 2017 in der Bundesrepublik 2740 Schülerinnen und Schüler in den so genannten ALCE (aulas de lengua y cultura españolas) -Kursen, die von 30 Lehrkräften unterrichtet wurden (Nachricht der Botschaft des Königreichs Spa‐ nien an den Verfasser vom 15.05.2017). Diese Zahl kann aber nur den Teil der Kurse, die unter der direkten Ägide der Botschaft stehen, wiederspiegeln. 220 Daniel Reimann Auch Lehrmaterialien, aus denen indirekt auf die unterrichtliche Realität ge‐ schlossen werden kann, liegen kaum vor (vgl. auch diesbezüglich Reich 2016, 224). Für das Spanische ist etwa aus den 1980er und den frühen 1990er Jahren aus dem damaligen Landesinstitut für Schule und Weiterbildung in Soest eine Reihe von Unidades didácticas para las clases de lengua castellana (Soest: Soester Verlagskontor) in Form von Handreichungen dokumentiert. Ähnliche Unter‐ richtsmodelle wurden auch in anderen Bundesländern (z. B. Hessen) entwickelt (Hinweise der Qualitäts- und UnterstützungsAgentur - Landesinstitut für Schule - QUA-LiS NRW und der Bezirksregierung Köln an den Autor vom 18. und 19.05.2017). Aus jüngerer Zeit liegt für das Spanische in gedruckter Form weiterhin das Lehrwerk Cocodrilo aus dem Verlag Weyel vor (2014 ff.), das für den Primarbereich konzipiert ist und sich weitgehend auf eine Alphabetisierung auch im Spanischen konzentriert (vgl. www.ulrich-weyel.de/ herkunftssprache. html, 30.08.2019). Für höhere Jahrgangs- und Sprachstandsstufen werden u. a. vom oben genannten Verlag Lehrwerke aus hispanophonen Verlagen ver‐ trieben, die nicht spezifisch für den herkunftssprachlichen Unterricht entwickelt wurden. Etwaige Forschung zum herkunftssprachlichen Unterricht Spanisch kann folglich nicht als theoretische Grundlage für weitere Forschungen zu Schüle‐ rinnen und Schülern mit zielsprachlichem Hintergrund im Regelunterricht Spa‐ nisch als Fremdsprache dienen, sondern stellt ein weiteres Forschungsfeld dar, das parallel untersucht werden sollte (s. u., Abschnitt 6). Der Blick in die einschlägige Forschung zeigt folglich insgesamt, dass die fraglichen Forschungsfelder zwar Berührungspunkte zur hier zu verhandelnden Fragestellung aufweisen, aber nicht geeignet sind, um sie abschließend zu klären oder auch nur umfassend theoretisch zu begründen, so dass eine grundlegende Erforschung des Komplexes „Schülerinnen und Schülerinnen mit zielsprach‐ lichem Hintergrund“ unumgänglich scheint. Zur spezifischen Situation von Schülerinnen und Schülern mit roman‐ ophonem Hintergrund im Unterricht einer romanischen Sprache an deutschen allgemeinbildenden Schulen lagen bis Untersuchungsbeginn im Jahr 2017 und liegen meines Wissens bis heute noch keine publizierten Forschungen vor. Vor diesem Hintergrund wurde der Versuch unternommen, den besonderen Fall dieser Lernenden am Beispiel von Schülerinnen und Schülern mit hispano‐ phonem Hintergrund im Spanischunterricht zunächst pilotierend zu untersu‐ chen. 221 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht 3 Forschungsfrage, Forschungsdesign, Stichprobe und Methode Die Forschungsfrage lautete mithin: Wie werden Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Spa‐ nischunterricht der Sek. I und II an Gesamtschulen und Gymnasien behandelt und gefördert (und wie könnten sie besser gefördert werden)? Das Forschungsdesign der Pilotstudie sah eine retrospektive schriftliche Befra‐ gung von Lehramtssstudierenden der romanischen Sprachen, leitfadengestützte mündliche Befragungen betroffener Schülerinnen und Schüler sowie Leitfaden‐ interviews mit Lehrkräften vor. Die Datenerhebung fand im Frühjahr und im Sommer 2017 statt. Die Stich‐ probenziehung erfolgte aufgrund der Fragestellung (vgl. Kontext, s. o., Abschnitt 1) deduktiv bzw. deduktiv über Gatekeeper (Lehrkräfte) (vgl. z. B. Reinders 2016, 119 f., 122 f.) bzw. stellt eine Art Klumpenstichprobe im Rahmen einer qualita‐ tiven Untersuchung dar (Studierendenbefragung). Die Stichprobe kann wie folgt beschrieben werden: Schülerinnen und Schüler: 4 Schülerinnen/ Schüler ( Jg. 8-12) an zwei Gymnasien einer Großstadt in Nord‐ rhein-Westfalen, Gesamtaufnahmedauer 117: 09 Minuten (ca. 30 Minuten / Interview) Lehrkräfte: 3 Lehrkräfte an einer Gesamtschule und zwei Gymnasien in einer Mittelstadt und in zwei Großstädten in Nordrhein-Westfalen, Gesamtaufnahmedauer 117: 41 Minuten (ca. 40 Minuten / Interview) Studierende: 110 Studierende des 2. Fachsemesters in den Lehramtsstudiengängen Französisch und Spanisch an der Universität Duisburg-Essen (Vorlesung zur Einführung in die Fach‐ didaktik der romanischen Schulsprachen) Die Transkription der Interviews erfolgte nach Kuckartz 2016, 167-171, die Aus‐ wertung nach den Prinzipien der qualitativen Inhaltsanalyse in Anlehnung an Mayring 2015. 222 Daniel Reimann 4 Ergebnisse 4.1 Studierendenbefragung Die Erhebung fand am 26.04.2017 im Rahmen der o. g. Vorlesung statt und dau‐ erte ca. 10 Minuten. Neben geschlossenen Fragen zu (sprach)biographischen Daten und zum eigenen Fremdsprachenunterricht wurden mit einer offenen Frage retrospektive Daten elizitiert. Entsprechend dem Ausbildungsstand der Studierenden wurde auf die vereinfachte Begrifflichkeit „Muttersprachler/ innen“ für „Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund“ zu‐ rückgegriffen. Der entsprechende Teil des Fragebogens umfasste daher fol‐ genden Text: Gab es in Ihrer Schulzeit in Ihrer Französisch- und / oder Spanisch- (ggf. Italienisch-, Portugiesisch-) Klasse / Lerngruppe Muttersprachlerinnen / Muttersprachler der je‐ weiligen Sprache (Französisch / Spanisch / Italienisch / Portugiesisch)? Sprache(n): Ggf. Herkunft der muttersprachlichen Mitschülerin / des muttersprachlichen Mit‐ schülers (sofern bekannt): _______________________________________ Beschreiben Sie, wie Sie die Behandlung der Muttersprachlerin / des Muttersprachlers durch die Lehrerin / den Lehrer erlebt haben: Der Rücklauf umfasst 110 Fragebögen von Studierenden, die überwiegend zwi‐ schen 19 und 22 Jahre alt waren. Mitschülerinnen und -schüler mit zielsprach‐ lichem Hintergrund in einer romanischen Sprache wurden in folgender Anzahl erinnert: Französisch: 13 Spanisch: 44 Italienisch: 5 (sowie zwei initiativ erwähnte Schüle‐ rinnen und Schüler mit italophonem Hin‐ tergrund im Spanischunterricht) Portugiesisch: 3 keine romanophone Muttersprachler: 46 Mithin wurden von 64 der 110 befragten Studierenden Mitschülerinnen und -schüler mit romanophonem Hintergrund im Unterricht der entsprechenden 223 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht Sprache erinnert, von 46 nicht. Auch wenn diese einfache Quantifizierung im Rahmen einer qualitativ ausgerichteten Pilotierung keine verlässlichen An‐ haltspunkte zur absoluten Frequenz geben kann (es handelt sich lediglich um subjektive, retrospektive Daten in Form von Erinnerungen, die Gesamtzahl der erinnerten Schülerinnen und Schüler wurde nicht erfragt), so zeigt diese ein‐ fache Auszählung doch, dass das Phänomen in der Erinnerung über die erlebte schulische Realität und im Bewusstsein angehender Lehrkräfte der romanischen Sprachen durchaus präsent ist und weitere Betrachtung verdient. Da viele Studierenden auf die Erinnerung an eine/ n einzelne/ n Mitschüler/ in fokussieren, entstehen kurze, aufschlussreiche Einzelfalldarstellungen, von denen hier einleitend drei exemplarisch wiedergegeben werden, um einen ersten Einblick in die Heterogenität der Sprachenbiographien und Leistungs‐ profile wie auch der Strategien der Lehrkräfte zum Umgang mit entsprechenden Schülerinnen und Schülern zu geben. Im ersten Beispiel handelt es sich um eine Mitschülerin mit chilenischem Hintergrund, zu der folgende Erinnerungen wie‐ dergegeben werden (sprachliche Abweichungen vom Standarddeutschen hier und im Folgenden sic): (1) - öfter hat sich die Schülerin bei der Bearbeitung von Aufgaben gelangweilt - sie wurde öfter als andere Schüler*innen drangenommen, wenn sie sich nicht gemeldet hatte, - sie sollte öfter von eigenen Erfahrungen (in Chile oder auch in Deutschland -> Bewahrung von Traditionen) erzählen - sie sollte ab und zu auch beispielhaft Hausaufgaben vorlesen (gerade Texte) (2017, S59, Sp (Chile)) Das Motiv der Unterforderung / Langeweile tritt im gesamten Datensatz immer wieder auf, auch die Beobachtung, dass sich das Aufruf-Verhalten der Lehrkräfte bei Schülerinnen und Schülern mit zielsprachlichem Hintergrund gegenüber dem bei anderen Schülerinnen und Schülern unterscheidet, ist sowohl in den Daten aus der Studierendenbefragung als auch in den Schülerbefragungen prä‐ sent (s. u.). In einem anderen Fall wird die Präsenz eines Schülers marokkani‐ schen Ursprungs im Französischunterricht beschrieben: (2) Der Muttersprachler wurde wie die anderen Schüler behandelt, da dieser die französische Sprache so gut wie kaum 224 Daniel Reimann sprechen konnte. Allerdings war er in der Rechtschreibung gut. Er wurde zunächst nicht bevorzugt im Unterricht drangenommen, jedoch zeigte er in der Leistung mit der Zeit große Schwächen, weshalb er immer wieder drangenommen wurde, ohne sich gemeldet zu haben. Dadurch hat er seine Motivation verloren und fühlte sich ungleich behandelt. Er wählte französisch ab. (2017, S79, F (Marokko)) Auch diese Beschreibung beinhaltet Kategorien, die sich in weiteren Daten‐ sätzen finden (z. B. keine besondere Berücksichtigung, Motivations- und Leis‐ tungsabfall). Der dritte Einzelfall beschreibt einen Schüler aus Spanien, der erst nach der Grundschulzeit nach Deutschland gekommen ist und über entspre‐ chend gute Spanisch-, aber weniger gute Deutschkenntnisse verfügte: (3) Wurde genauso behandelt wie alle anderen auch. Derjenige hat bis zu seinem 10. Lebensjahr in Spanien gelebt und hatte erstmal einige Schwierigkeiten mit Deutsch, weshalb er im Spanisch Unterricht, trotz guter Spanisch Kenntnisse nicht viel besser war, als alle anderen. Teilweise unterschied sich das Spanisch in der Schule von seinen Kenntnissen, sodass er die Lehrerin oftmals berichtigt hat oder sogar gefragt wurde, wie er bestimmte Dinge auf Spanisch sagen würde. (2017, S97, Sp (Spanien, Madrid)) Im Folgenden sollen über die Datensätze hinweg häufig anzutreffende Motive bzw. Kategorien betrachtet werden. Immer wieder wird berichtet, dass (Mit-) Schülerinnen und -schüler mit zielsprachlichem Hintergrund keine besondere Behandlung erfahren haben, so z. B. bezogen auf einen anderen Schüler mit spanischem Hintergrund: (4) Im Grunde genommen fast identisch zu den anderen Schülern, da er nicht bilingual aufgezogen wurde. Die Lernkurve bei dieser Person war jedoch deutlich schneller, als beim Durchschnitt der Anderen. Es gab aber keine bis kaum differenzierte Behandlung, noten-technisch gehörte dieser Schüler dementsprechend zu den deutlich besseren Schülern. (2017, S86, Sp (Spanien)) 225 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht Die im gesamten Datensatz gezeichneten Leistungsprofile erweisen sich als sehr heterogen. Anders als im Beispiel (4) wird etwa über eine im Fach Spanisch eher schwächere Schülerin erinnert: (5) Da die Kenntnisse meiner spanischen Mitschülerin lediglich bei der Aussprache, nicht aber bei grammatischen oder vokabularen Fragen ausgeprägt waren, konnte die Schülerin in den normalen Unterricht intigriert werden, jedoch hielt die Lehrerin bei Satzbaufragen gegebenenfalls Rücksprache mit ihr. (2017, S96, Sp) Immer wieder wird von Unterforderung berichtet, so z. B. im folgenden Fall: (6) [...] Sie war auf einem höheren Level als alle anderen Schüler und war damit auch unterfordert. Das führte dazu, dass sie den Unterricht nicht oft besuchte und oft nicht mitgearbeitet hat. Die Klausuren konnte sie trotzdem immer gut schreiben. (2017, S45, Sp) Die Einbeziehung als Experten scheint eine häufig angewandte Strategie der Lehrkräfte zur Inklusion der Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund zu sein: (7) Der Muttersprachler kam oft an die Tafel und hat einige Unterrichtsstunden gehalten. Der Lehrer hat ihn jedoch nicht so oft drangenommen. Auch hat der Lehrer den Schüler einige Sachen gefragt, wo er sich selbst nicht sicher war. (2017, S32, Sp (Spanien)) Mitunter wird auch die Präsenz von Herkunftssprecher/ innen einer anderen romanischen Sprache als vergleichbar eingeführt, punktuell dabei auch auf die Integration mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze durch die Lehrpersonen hingewiesen: (8) Im Großen und Ganzen nicht sehr viel anders als uns gegenüber. Jedoch kamen des Öfteren Situationen auf, in denen unser Lehrer (vor Allem vokabeltechnische) Bezüge zum Italienischen einbezogen hat. Der Schüler teilte uns das italienische Wort mit und [wir] erkannten sofort die Ver- 226 Daniel Reimann wandtschaft zwischen diesen beiden Sprachen. (2017, S70, Sp (Italien)) Insgesamt können aus der Studierendenbefragung folgende Kategorien ge‐ wonnen und (Zwischen-) Ergebnisse festgehalten werden: 1. Häufig erfolgt keine besondere Berücksichtigung der Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund, teilweise auch, da dies aus Sicht der befragten ehemaligen Mitschüler/ innen bezogen auf das jeweilige Kompetenzprofil ange‐ messen zu sein scheint. 2. Die Kompetenz- und Leistungsprofile der Schülerinnen und Schüler mit ziel‐ sprachlichem Hintergrund sind heterogen, in der Erinnerung der Mitschüler/ innen häufig mit folgenden Stärken und Schwächen: 2.1 Stärken in der Mündlichkeit (Hörverstehen, Sprechen) und in der Lexik 2.2 keine Vorteile oder sogar Schwächen beim Schreiben (v. a. Orthographie, bes. Akzente (im Spanischen und Französischen), Grammatik) 3. Es wurden durch die befragten Mitschüler/ innen Unterforderung und (in der Oberstufe) Fehlzeiten wahrgenommen. 4. Punktuell wird auch Überheblichkeit der Schülerinnen und Schüler mit ziel‐ sprachlichem Hintergrund erinnert. 5. Häufig wird die Einbeziehung durch Mitschüler/ innen und vor allem durch die Lehrkräfte als Expertinnen und Experten erwähnt, und zwar insbesondere in den folgenden Kompetenzbereichen und Unterrichtsphasen bzw. Rollen in der unterrichtlichen Interaktion: 5.1 Lexik 5.2 Aussprache (mit besonderer Erinnerung an das Vorlesen) 5.3 soziokulturelles Orientierungswissen und interkulturelle Erfahrungen 5.4 Ergebnissicherung, z. B. Tafelanschrift oder mündliches Resümee 5.5 Übernahme von Lehrerfunktionen 5.6 Übernahme der Funktion eines Lerncoachs bei kooperativen Arbeitsformen 6. Weiterhin wird die Förderung durch Zusatzaufgaben erinnert. 7. Die Lehrkräfte scheinen sich in der retrospektiven Wahrnehmung der ehema‐ ligen Mitschüler/ innen mit Blick auf differenzierende bzw. individualisierende Maßnahmen in einem Spannungsfeld zwischen „(Aus-) Bremsen“ der Lernenden mit zielsprachlichem Hintergrund und Formen der Einbeziehung sowie der „Dif‐ ferenzierung nach oben“ zu bewegen. 227 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht 8. Immer wieder wird Nicht-Aufrufen bei Meldung sowie Aufrufen bei Nicht-Mel‐ dung durch die Lehrkräfte erinnert. 9. Die Lehrkräfte haben in der retrospektiven Einschätzung vieler Studierender erhöhte Erwartungen an die Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund, was wiederum in ein Spannungsfeld zwischen Bevorzugung ei‐ nerseits und offensichtlicher Vernachlässigung andererseits zu führen scheint. 10. Als Sonderfall werden von mehreren Befragten initiativ die Herkunftssprecher/ innen einer anderen romanischen Sprache als der Zielsprache (z. B. Italienisch im Spanischunterricht) eingeführt und in ihrer Situation als den Schülerinnen und Schülern mit zielsprachlichem Hintergrund vergleichbar dargestellt. 4.2 Schülerinterviews Die leitfadengestützten Interviews von Schülerinnen und Schülern mit ziel‐ sprachlichem (hispanophonem) Hintergrund fanden am 05.07.2017 an zwei Gymnasien in einer Großstadt in Nordrhein-Westfalen statt. Die befragten Schülerinnen und Schüler besuchten folgende Jahrgangsstufen und Ausbil‐ dungszüge im Spanischen als Fremdsprache: S 01 = Jahrgangsstufe 8, Spanisch als 3. Fremdsprache S 02 = Jahrgangsstufe 10, Spanisch als 2. Fremdsprache S 03 = Q1, Spanisch spät beginnend S 04 = Q2, Spanisch spät beginnend Die Schülerinnen und Schüler wurden nach ihrem sprachenbiographischen Hintergrund, Motiven der Wahl des Spanischen als Schulfremdsprache, ihrer Einstellung zum Spanischunterricht, der Selbsteinschätzung ihrer Mitarbeit im Spanischunterricht, selbst wahrgenommenen Stärken und Schwächen im Spa‐ nischen, wahrgenommenen Unterschieden zu ihren Mitschülerinnen und Mit‐ schülern in Leistungen und in der Beteiligung am Unterricht, Wünschen und Ratschlägen an die Lehrkräfte zur Einbeziehung von Schülerinnen und Schülern mit zielsprachlichem Hintergrund sowie zur Wahrnehmung der eigenen in den Unterricht eingebrachten sprachlichen Varietäten und zum Vernetzungspoten‐ tial zwischen Sprachen befragt. Im Folgenden sollen wiederum zunächst aus‐ gewählte Befunde anhand einzelner Beispiele eingeführt werden, bevor in einer Gesamtschau zentrale Kategorien und Ergebnisse dieses Datensatzes referiert werden. Komplexe Sprachenbiographien Sprachenbiographien können in globalisierten Gesellschaften, in der Transmig‐ ration (vgl. aus fremdsprachendidaktischer Perspektive z. B. Gogolin 2006, Sie‐ 228 Daniel Reimann vers 2010, Reimann 2017a, 16-18) ein zunehmend zu beobachtendes Phänomen ist, zunehmend komplex sein, so dass auch differenziertere Modelle der Kate‐ gorisierung etwa des simultanen Mehrsprachenerwerbs (vgl. z. B. Müller / Ku‐ pisch / Schmitz / Cantone 2011, 48 ff., Cantone / Di Venanzio 2016, 41 f.) wie auch der Ausprägung mehrsprachiger Kompetenz (vgl. z. B. Bausch 2016, 286 f., aus Perspektive der romanistischen Fremdsprachenforschung jeweils Reimann 2019, 130 f.) mitunter nicht greifen. Selbst bei 2L1 ist eine sukzessive Verände‐ rung der Dominanz etwa im Sinne des ökologischen Modells von Aronin und O´Laoire 2004 möglich. Sehr anschaulich wird dies an folgendem Beispiel eines Oberstufenschülers: (9) Also mein Vater ist [Nationalität aus Südamerika], meine Mutter ist [Nationalität aus Mitteleuropa]. Die Erstsprache, die ich gelernt habe, war [slawische Sprache]. Da war aber das Prob/ , also meine Mutter spricht auch Spanisch, aber mein Vater kein [slawische Sprache] und dadurch war halt das Problem, dass ich mich nur mit meiner Mutter verständigen konnte. Also habe ich auch wegen Familie und so etwas dann Spanisch gelernt. Das ging dann bis kurz vor dem Kindergarten. Also ich würde sagen mit zw/ drei konnte ich auf jeden, zwei, drei konnte ich Spanisch und [slawische Sprache] und dann kurz, ich bin mit vier, glaube ich, in den, drei oder vier in den Kindergarten gekommen und davor habe ich nochmal dann Deutsch gelernt (S03, 210-221) Im weiteren Verlauf beschreibt der Befragte, wie durch Kindergartenbesuch und Schule das Deutsche auch zu Hause für ihn zur Verständigungssprache wurde, die slavische Sprache zunehmend in den Hintergrund trat und nur mehr von der Mutter verwendet wird (bei Antworten des Befragten auf Deutsch). Er spricht sich in dieser Sprache derzeit überwiegend rezeptive Kompetenzen (v. a. Hörverstehen) zu. Auch das Spanische war zwischenzeitlich verdrängt worden, wurde dann aber bewusst als spät beginnende Fremdsprache gewählt, so dass hier seit der 10. Jahrgangsstufe wieder ein Kompetenzzuwachs wahr‐ genommen wird (vgl. S03, 235-272). Motive für die Wahl des Spanischen als Fremdsprache Als Motiv für die Wahl der Herkunftssprache Spanisch als schulische Fremd‐ sprache wird immer wieder der persönliche und familiäre Bezug genannt. Dar‐ 229 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht über hinaus scheint auch der in einem ersten Schritt unmittelbare, leichte Zu‐ gang und mitunter die Hoffnung, verhältnismäßig leicht eine gute Note erzielen zu können, eine Rolle zu spielen, wie etwa in den folgenden Beispielen deutlich wird: (10) und ich habe es eben auch gewählt, damit ich mich mit meinen Verwandten zum Beispiel vernünftig unterhalten kann und nicht immer die Wörter suchen muss und, ja. #-02: 38# (S03, 60-63) (11) Ja, halt einmal natürlich, weil meine Mutter ja aus Spanien kommt und weil es deswegen halt dann für mich auch ein bisschen einfacher war, da einzusteigen und ja, weil ich auch Spaß daran habe (lacht) und ich sowieso gerne halt Sprachen lerne. Also das war dann auch mehr so mein Schwerpunkt, also sprachlich und nicht so Naturwissenschaften (lacht). #-01: 20# (S04, 30-36) (12) Ja, also auf jeden Fall Familie ist ja/ die reden ja alle Spanisch bei mir und na, also der größte Grund war eigentlich die Muttersprache. Ja und das mit den Noten halt, dass die Note halt also sozusagen ein Extra ist. So ja, weil da immer eine eins oder zwei ist, kann die einen retten. Ja, Französisch ist ja auch generell ein bisschen schwer #-03: 05# (S02, 74-80) Herkunftssprachliche Varietäten Mit der individuellen Mehrsprachigkeit eng verbunden ist die Verfügung über Varietätenbewusstheit und ggf. sogar Varietätenkompetenz in der Zielsprache (vgl. Reimann 2016, bes. 24-26). In einigen Fällen ist ein Bewusstsein für Varie‐ täten der Herkunfts- und Zielsprache vorhanden, d. h. für die Tatsache, dass die mit in den Fremdsprachenunterricht eingebrachte Varietät ggf. von der dort vermittelten Varietät divergiert. (13) Ja, einfach auch so selber nochmal/ also wie gesagt, ich lerne immer noch ein bisschen dazu und ich kann einfach noch ein bisschen verbessern und auch, also meine Eltern 230 Daniel Reimann kommen aus Argentinien und da ist es so ein bisschen anders. Also die Spra/ man spricht so ein bisschen anders als in Spanien und dann lerne ich auch jetzt die spanischen Wörter wirklich aus Spanien. Also ein paar sind halt anders. #-02: 04# [...] Zum Beispiel beim/ die Verben werden anders konjugiert. Also die zweite Person Singular, die ist anders und auch ein paar Wörter wie zum Beispiel Obst wie Erdbeere [Arg. frutilla vs. fresa] oder sowas ist auch anders. #-02: 22# [...] Ja und auch die Aussprache in Argentinien ist ein bisschen anders. Das/ also zum Beispiel das Ypsilon wird so sch ausgesprochen und in Spanien halt so anders, halt so j. #-02: 42# (S01 [Jg. 8], 44-51, 56-59, 68-70) Der Wunsch, dass die eigene Herkunftsvarietät im Spanischunterricht Berück‐ sichtigung findet, wird von den Schülerinnen und Schülern wiederholt geäußert. Auch geben die Lehrkräfte an, die Lernenden u. a. durch Zusatzmaterial zu ein‐ zelnen Varietäten zu fördern (jeweils s. u.). Das Ziel der Entwicklung einer re‐ zeptiven Varietätenkompetenz (vgl. Reimann 2017b) darf für Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund in besonderem Maße gelten und kann einen Förderbereich der „Differenzierung nach oben“ für diese Zielgruppe dar‐ stellen. Herkunftssprecher/ innen anderer romanischer Sprachen Wie auch von den Studierenden (s. o. Abschnitt 4.1, u. a. Punkt 10 der abschlie‐ ßenden Synopse) wird von den befragten Schülerinnen und Schülern initiativ die Parallele zu Herkunftssprecherinnen und Herkunftssprechern anderer ro‐ manischer Sprachen gezogen und deren Situation als im weitesten Sinne ver‐ gleichbar dargestellt. Auch hier werden Phänomene wie ein leichterer Einstieg zu Beginn eines Sprachlehrgangs und ein später festzustellender Leistungsabfall beschrieben, wie etwa im folgenden Beispiel: (14) In meiner Spanischklasse ist noch ein Portugiese. Der, würde ich sagen, hat es auch einfacher. Die Sprachen sind ja verwandt. Ja, also mittlerweile ist der auch, glaube ich, ist der auch nicht mehr s/ überragend, würde ich sagen, aber so wie er es halt früher war, aber gerade letztes Jahr in der EF hat man dann schon gemerkt, dass er 231 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht durch sein Portugiesisch sich, dass ihm das auf jeden Fall weitergeholfen hat mit Spanisch. #-08: 05# (S03, 194-201) Mitarbeit im Spanischunterricht Die eigene Mitarbeit wird häufig als unbeeinflusst vom Status einer Schülerin/ eines Schülers mit zielsprachlichem Hintergrund wahrgenommen (z. B. S01, 82-86). Einzelne Lernende erwähnen besondere Zurückhaltung aus Respekt ge‐ genüber den Mitschülerinnen und Mitschülern. Im folgenden Beispiel ist dies verbunden mit der Wahrnehmung, von den Lehrkräften nur als Experte für die Aussprache konsultiert zu werden: (15) Also meiner Meinung nach, mache ich wirklich viel mit, aber ich will auch den anderen eine Chance geben, mitzumachen, weil ich will denen jetzt nicht die ganze Arbeit wegnehmen. Das/ ja, also die Lehrer nehmen mich eigentlich meistens nur dran, wenn es um die Aussprache geht, damit alle ein Beispiel haben so wie man es richtig ausspricht. Aber jetzt zum Beispiel so für andere Sachen werde ich nicht immer unbedingt drangenommen. (S02, 124-135) Mitunter wird auch artikuliert, dass gerade herausfordernde Aufträge wie die Moderation von Gruppenarbeit oder die Leitung von Diskussionen als beson‐ ders motivierend und herausfordernd wahrgenommen werden: (16) Also ich würde schon sagen, dass ich in Spanisch am meisten mitgearbeitet habe von allen Fächern, also mit am meisten jetzt und ich denke, das liegt auch einfach daran, weil ich mich da halt von der Sprache her besser ausgekannt habe und dann zum Beispiel, wenn es irgendwie ums Vorlesen ging oder Aufgaben bearbeiten, dann konnte ich das halt alles besser verstehen als andere und zum Beispiel auch, wenn wir Diskussionen gemacht haben oder so, habe ich dann halt oft die Diskussion geleitet, also ich sage mal so Moderatorin, und ja, da habe ich mich dann, denke ich mal, also hoffe ich, ganz gut eingebracht (lacht) (S04, 96-107) Als besondere Formen der Mitarbeit und der Förderung werden auch die Ein‐ beziehung als Helfer/ in sowie die Möglichkeit, zusätzliche Aufgaben zu bewäl‐ 232 Daniel Reimann tigen, wiederholt positiv eingeschätzt. So hebt ein Schüler hervor, dass aus der Helferrolle auch eigener Lernzuwachs entstehen kann: (17) Und sonst den Lehrern, ich würde sagen, was mir halt geholfen hat, war anderen zu helfen, weil dadurch, dass ich das teilweise selber nicht konnte und mir dann nochmal angucken musste „Aha, wie ist das? “ oder so „Ah ja, genau.“, dann habe ich das automatisch selber wiederholt für mich und ja, wir hatten beide einen Vorteil davon. #-26: 18# (S03, 626-632) Eine Schülerin würde andere betroffene Schülerinnen und Schüler motivieren, ggf. initiativ auf die Lehrkraft zuzugehen, um etwa besondere Leistungen zur Korrektur einreichen zu können: (18) Ja, also ich würde vielleicht sagen, dass wenn die Schüler sich selber eben unterfordert fühlen, dass sie vielleicht auch einfach den Lehrer einfach darauf ansprechen und dass sie dann eben vielleicht auch eigene Arbeiten abgeben können an den Lehrer, so wie ich das ja auch manchmal gemacht hatte. Da habe ich dann auch zum Beispiel Texte abgegeben, um mich halt auf das Abitur vorzubereiten, weil ich ja die Einzige war und das fand ich, war eigentlich ganz gut, weil das dann halt auch sehr individuell war und man dann auch die Fehler eben gesehen hat, die man gemacht hat und ja, sie dann auch direkt verbessern konnte und sich das nochmal anschauen konnte in Ruhe und ja, das finde ich halt sehr gut. #-29: 27# (S04, 687-699) Zusammenschauend führend die leitfadengestützten Interviews mit den Schü‐ lerinnen und Schülern zu folgenden Kategorien und Ergebnissen: 1. Ein Bewusstsein für Varietäten der Herkunfts- und Zielsprache ist bei den Schülerinnen und Schülern vorhanden. 2. Motive für die Wahl der Herkunftssprache als Zielsprache des Fremdspra‐ chenunterrichts: 2.1 persönlicher Bezug / Familie 2.2 Freude an der Sprache / (sprachliche) „Heimat“ 233 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht 2.3 Hoffnung auf eine leicht zu erzielende gute Note 2.4 Ziel der Vertiefung (meta)sprachlicher Kompetenz („Grammatik“) 3. Bezogen auf einen teilweise im Vorfeld besuchten herkunftssprachlichen Un‐ terricht sind die Wahrnehmungen stark divergent, wobei eine große Abhän‐ gigkeit von der jeweiligen Lehrkraft berichtet wird. 4. Faktoren für Freude am Spanischunterricht: 4.1 Lernzuwachs (in der Oberstufe explizit in inhaltlicher Hinsicht) 4.2 Lernökonomie durch Vorkenntnisse in der Herkunfts-/ Zielsprache 4.3 motivierend wahrgenommene Aktivitäten und Aufträge, z. B. Diskussionen, Moderation 5. Faktoren für Verdruss im Spanischunterricht: 5.1 Langeweile 5.2 Nicht-Wissen bei Fragen durch die Lehrkraft (z. B. in den Bereichen Lexik und Morphosyntax) 6. Wahrnehmung der eigenen Kompetenzen und Leistungen sowie die Leis‐ tungsentwicklung: 6.1 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund nehmen anfangs einen leichten Einstieg in den Spanischunterricht wahr, fühlen sich aber später teilweise eher auf einem mit den anderen vergleichbaren Lernstand 6.2 Stärken werden insbesondere in folgenden Bereichen wahrgenommen: Aus‐ sprache, Lexik; Vorlesen, Sprechen 6.3 Schwächen werden indes in folgenden Bereichen registriert: Orthographie (explizit v. a. Akzente), Grammatik (explizit v. a. deklarativ), Schreiben mit Ausnahme der Lexik bei der schriftlichen Textproduktion 7. Beschreibung der eigenen Mitarbeit: 7.1 Mehrfach wird sie als nicht vom zielsprachlichen Hintergrund beeinflusst wahrgenommen. 7.2 Wiederholt wird auf Respekt für die Mitschülerinnen und Mitschüler ver‐ wiesen, der eine Balance zwischen aktiver Mitarbeit und Zurückhaltung im‐ pliziere oder sich die Mitarbeit vor allem auf Hilfestellungen für die Mitschü‐ lerinnen und Mitschüler konzentrieren lasse. 8. Wahrnehmung der Behandlung durch die Lehrkräfte (allgemein): 8.1 Sie fühlen sich, teilweise auf eigene Bitten, weitgehend gleichbehandelt. 8.2 Mitunter haben sie den Eindruck, nicht berücksichtigt zu werden, und fragen sich, ob dies in ihrer höheren Kompetenz in der Zielsprache begründet sein könnte. 234 Daniel Reimann 8.3 Teilweise wird auch der Eindruck berichtet, strenger bewertet zu werden als die übrigen Schülerinnen und Schüler. 9. Wahrnehmung der Individuellen Förderung im Spanischunterricht: 9.1 Helferrolle für Mitschüler/ innen 9.2 Helferrolle für Lehrkräfte 9.3 Expertenrolle im Bereich Aussprache (v. a. im Anfangsunterricht, häufig durch Vorlesen bei der Texteinführung) 9.4 Expertenrolle im Bereich der Lexik, bes. in der Phase der Semantisierung 9.5 Übertragung anspruchsvoller Aufträge im Sinne der Differenzierung (bes. in der Oberstufe) 10. Wahrnehmung von Mehrsprachigkeit (der eigenen und der anderer): 10.1 Es scheint eine teils wenig spezifische Wahrnehmung des Vernetzungspoten‐ tials zwischen Sprachen bezogen auf die eigene Mehrsprachigkeit zu bestehen. 10.2 Bezogen auf Mitschülerinnen und Mitschüler wird die Wirkung anderer ro‐ manischer Herkunftssprachen im Spanischunterricht allerdings durchaus po‐ sitiv wahrgenommen und berichtet. 11. Wünsche zur Berücksichtigung ihres zielsprachlichen Hintergrunds und zur individuellen Förderung: 11.1 Schulpolitisch-strukturell: Spanisch als 1. Fremdsprache 11.2 Differenzierung „nach oben“ durch anspruchsvolle und ansprechende Auf‐ träge, Aktivitäten gegen Langeweile (Unterforderung? ) 11.3 Möglichkeit der Abgabe zusätzlicher Leistungen 11.4 Gleichbehandlung bei Meldungen („Aufzeigen“) 11.5 Berücksichtigung der Herkunftsvarietät und -kultur 11.6 Einbeziehung als Helfer/ in 4.3 Lehrerinterviews Die leitfadengestützten Interviews mit Lehrkräften des Spanischen als Fremd‐ sprache an einer Gesamtschule und zwei Gymnasien einer Mittestadt und zweier Großstädte in Nordrhein-Westfalen fanden am 15.05.2017 und 05.07.2017 statt. Die Auswahl der Lehrkräfte orientierte sich an der Vertrautheit mit der Fra‐ gestellung und, soweit möglich, am Prinzip der Varianzmaximierung (vgl. Rein‐ ders 2016, 118). Die drei Lehrkräfte unterscheiden sich grundlegend mit Blick auf das Dienstalter (unter 10, zwischen 10 und 20, über 20 Dienstjahre) sowie 235 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht teilweise bezogen auf die persönlichen Sprachenprofile: eine Lehrperson ist selbst als Kind spanischer Eltern zweisprachig aufgewachsen und hat einen in‐ tensiven herkunftssprachlichen Unterricht durchlaufen, zwei andere leben in deutsch-hispanoamerikanischen Familien. Ergänzend zu den auch mit den Schülerinnen und Schülern verhandelten Themen wurden die Lehrkräfte insbesondere auch zu ihrer Einschätzung der Kompetenz- und Leistungsentwicklung der Lernenden mit zielsprachlichem Hintergrund, pädagogischen wie fremdsprachendidaktischen und -methodi‐ schen Herausforderungen der Anwesenheit von Lernenden mit zielsprach‐ lichem Hintergrund wie auch zu Fördermaßnahmen, die sie gezielt für diese Gruppe von Schülerinnen und Schülern einsetzen, befragt. Prototypische Leistungskurve von Schüler/ innen mit zielsprachlichem Hintergrund Dabei wurde u. a. deutlich, dass es (auch) aus Lehrersicht eine prototypische Leis‐ tungskurve zu geben scheint, die Schülerinnen und Schülern mit zielsprachlichem Hintergrund zunächst ohne großen Aufwand zu guten Leistungen gelangen lässt, dann häufig in einen Leistungsabfall mündet, der sich entweder perpetuiert oder aber, nach entsprechender Erkenntnis und bei entsprechender Motivation, wieder zu einer, ggf. auch starken, Leistungssteigerung durch erhöhten Einsatz führen kann. Exemplarisch wird dies in folgender Aussage deutlich: (19) Das hat damit, glaube ich, auch zu tun, dass sie das vielleicht auch erst mal nicht ernst nehmen, weil die eh nichts tun müssen, ne? Und das fällt mir dann immer wieder auf, dass dann beispielsweise auch schon in der EF die Vokabelteste nicht eins sind, sondern vielleicht mal zwei. Die lernen die Vokabeln nicht und dann bieten die mir dann was ganz anderes an, was auch gar nicht gelernt werden sollte beispielsweise. Sowas habe ich auch schon beobachtet und es ist aber dann meistens so, dass sie dann in der Q1 Punkte liegen lassen, dass diese Erfahrung/ einige brauchen diese Erfahrung und dass sie dann sehen „Okay, ich muss was tun. Ich muss mich inhaltlich auch besser vorbereiten.“ und dann vielleicht zur Q2 hin dann auch wiederum die obersten Notenbereiche dann, ne, auch erreicht werden, auch vierzehn, fünfzehn Punkte, ne, sage ich jetzt mal. (L01, 391-406) 236 Daniel Reimann Stärken von Schüler/ innen mit zielsprachlichem Hintergrund Die besonderen Stärken im Bereich der Mündlichkeit und des Sprechens (vor allem der fluency) werden von einer anderen Lehrkraft hervorgehoben. Diese weist - neben einem insgesamt besseren Leistungsbild in den sprachlichen Fä‐ chern bei bilingualen Lernenden - auch darauf hin, dass Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund von der stärkeren Gewichtung der mündlichen Teilkompetenzen in den letzten Jahren in besonderem Maße profi‐ tieren können: (20) was ich aber finde, was viel wichtiger ist, ist im Bereich Sprechen. Die Sprachbarriere, die ist viel geringer und die, die, die Angst vor Fehlern ist viel geringer, weil die Fehler interessieren nicht, was interessiert ist die Kommunikation, das ist ja auch eigentlich unser Leitziel und das ist bei denen automatisch da und das ist sehr schön und ich glaube dav/ also jetzt bei meinen Schülern denke ich, ist es auch so, wenn ich so im Vergleich bei, bei den Zeugniskonferenzen sieht man ja immer die Sprachennoten dann und man kennt ja auch so ein bisschen ihre so intellektuellen Fähigkeiten und sonst was ich denke, dadurch haben sie einen großen Vorteil auch jetzt gerade im Zusammenhang mit der Mündlichkeit, die immer stärker im Vordergrund steht. Im Schriftlichen sind die Vorteile eher nicht so da, aber im Mündlichen sind sie sehr stark und auch würde ich sagen in anderen Sprachen. #-16: 31# (L02, 264-279) Schwächen von Schüler/ innen mit zielsprachlichem Hintergrund Darüber hinaus verweist dieselbe Lehrkraft auf immer wieder anzutreffende mangelnde Präzision im Bereich der Verwendung sprachlicher Mittel (v. a. im morphosyntaktischen Bereich). Offensichtlich versucht sie, die Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund dafür zu sensibilisieren, dass diesbezügliche Korrektheit auch auf ihr soziales Image einem zielsprach‐ lich-erstsprachlichem Interaktionspartner gegenüber wirken: (21) bei Grammatik eher nicht und ich weiß auch nicht, fast eher ein bisschen negativ, weil die wird ja/ man kann sich ja verständigen mit Wortschatz und das reicht ja auch 237 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht (lacht), ja, also so die Unterscheidung wenn mich sowieso alle verstehen, ob da jetzt da ein subjuntivo hinkommt, oder die Unterscheidung der Vergangenheitszeiten ehm ‘ne und da ist das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass man/ wenn man da nicht ordentlich unterscheidet oder dass man dann auch ein Bild von sich gibt, das, das muss man erst schaffen dieses Bewusstsein dafür, dass man ja sich als eine Persönlichkeit darstellt, die man nicht sein möchte, über die Sprache. (L02, 249-261) Fördermaßnahmen für Schüler/ innen mit zielsprachlichem Hintergrund Bezogen auf die spezifische Förderung von Schülerinnen und Schülern mit ziel‐ sprachlichem Hintergrund hebt eine Lehrkraft über die bereits oben aus den Aussagen der Studierenden und der Schülerinnen und Schüler referierten Maß‐ nahmen hinaus auf deren Rolle bei der Ergebnissicherung ab. Zum Wohle der anderen Lernenden scheint sie diese Schülerinnen und Schüler in Erarbeitungs‐ phasen eher weniger aufzurufen, hingegen für mündliche Resümees des Erar‐ beiteten heranzuziehen. Dadurch entstehen eine Art „Spiegeltexte“ des schon Gesagten. Dabei achtet sie auf eine Anleitung der Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund in der Hinsicht, dass deren resümierende Pro‐ duktion nicht zu komplex sein darf, um für die anderen verständlich zu bleiben. (22) das sind Schüler, die häufig am Ende dann dran sind von irgendeiner Erarbeitungsphase, ne, also wo man dann merkt, die können das dann ganz schnell und haben das schon und wenn man sie das dann sagen lässt, dann ist es eigentlich auch schon verpufft sozusagen, was man sich da so überlegt hat und dann lässt man die anderen eben erstmal so das erarbeiten und am Ende kann dann dieser muttersprachliche Schüler das dann auch nochmal sagen. Und das ist dann schon für die Schüler auch toll wenn sie im Grunde genommen das, was sie selber zwar mühselig erarbeitet haben, aber dann nochmal in so einem Wortschwall oder in Form eines Textes so geballt nochmal sehen und sich dann auch darin wiedererkennen, also ja man muss auch so ein bisschen gucken, dass man möglichst das so organisiert, dass die, was die sagen dann natürlich auch für die anderen verständlich ist, das heißt man muss ihn dann auch schon so dirigieren, 238 Daniel Reimann dass die da nachher nicht mit irgendeiner Rede kommen, wo die anderen nur jedes zehnte Wort von verstehen, sondern, dass die anderen Mitschüler sich und ihre/ die Dinge, die sie gelernt haben, da auch tatsächlich wiedererkennen können. #-25: 50# (L03, 448-468) Eine andere Lehrkraft verweist auf die Möglichkeit, die Lernenden mit ziel‐ sprachlichem Hintergrund als Experten mit Zusatzaufgaben zu versehen, etwa Präsentationen über eine ihnen vertraute Region oder Interviews mit Familien‐ mitgliedern. (23) Mhm, also die als Experten einzusetzen, denen mal zusätzlich Aufgaben zu geben so im Bereich mal ein Referat halten, was Besonderes vorstellen oder Regionen wo, wo/ wir haben ja jetzt Chil/ Chile im Lehrplan und wenn ich da jetzt jemanden habe, der da schon mal war oder der da Verwandte hat/ Andalusien haben wir auch (…) das, das kann man auch mit, mit Schülern machen, die, die entweder mal in einer Gastfamilie waren, also die muss man auch speziell einbinden, das tut es im Grunde mit denen auch. Man kann sie auch mal Interviews machen lassen mit ihren Familienmitgliedern zu bestimmten Themen, sowas/ immer wo so/ man muss nur gucken, dass das auch gewünscht ist ‘ne, also so ein bisschen abtasten, hat er jetzt da Lust zu oder nicht, (L02, 198-211) Nebenbei verweist die Lehrkraft in Beispiel (23) darauf, dass in mancherlei Hin‐ sicht - u. a. mit Blick auf das soziokulturelle Orientierungswissen und die in‐ terkulturelle Erfahrung - Schülerinnen und Schüler mit einem Auslandsaufent‐ halt in einer zielsprachlichen Region Schülerinnen und Schülern mit zielsprachlichem Hintergrund vergleichbar sind. Insgesamt konnten aus den leitfadengestützten Lehrerinterviews folgende Kategorien und Ergebnisse gewonnen werden: 1. Quantität und Qualität des Phänomens 1.1 In der Wahrnehmung der befragten Lehrkräfte gibt es durchschnittlich eine/ n Schüler/ in mit zielsprachlichem Hintergrund in jeder Lerngruppe des Spanischen als Fremdsprache. 239 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht 1.2 Während es sich bei den Schülerinnen und Schülern mit spanischer Fa‐ milie tendenziell um Angehörige der zweiten, dritten oder sogar vierten Generation handele, handele es sich bei Hispanoamerikanern häufiger um Angehörige der ersten oder zweiten Generation. 1.3 Schülerinnen und Schüler ohne familiären zielsprachlichen Hintergrund aber mit Aufenthalt in einer zielsprachlichen Region (etwa Auslands‐ schuljahr) seien in mancher Hinsicht vergleichbar. 2. Einschätzung der Leistungen im Spanischunterricht 2.1 Grundsätzlich werden allgemeine Vorteile von Schülerinnen und Schülern mit zielsprachlichem Hintergrund festgestellt. 2.2 Schwächen werden mit nicht besuchtem Herkunftssprachlichen Unter‐ richt (auch bei Lernenden mit hispanoamerikanischem Hintergrund) und mit mangelnder Elternunterstützung in Verbindung gebracht. 2.3 Eine prototypische Leistungskurve wird mit folgenden drei Phasen be‐ schrieben: leichter Einstieg - Leistungsabfall - ggf. Konsolidierung oder Verbleib auf der Stufe des Leistungsabfalls 2.4 Stärken werden insbesondere in den Bereichen Lexik, Sprechen sowie inter- und transkulturelle Kompetenz festgestellt. 2.5 Schwächen werden hingegen für die Bereiche Orthographie (v. a. Ak‐ zente), Grammatik, aber auch für die Bereiche Bildungssprache und ana‐ lytische Kompetenz berichtet. 3. Einbeziehung der Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hinter‐ grund im Unterricht Die Lehrkräfte sehen die Herausforderung darin, eine Balance zu finden zwischen dem „Bremsen“ dieser Lernenden zum Wohl der übrigen Schülerinnen und Schüler und einer für die betroffenen Lernenden selbst zuträglichen Integration (Inklusion? ) in den Unterricht des Spanischen als Fremdsprache. 4. Förderung der Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hinter‐ grund im Spanischunterricht Folgende Möglichkeiten der Förderung der betroffenen Schülerinnen und Schüler werden von den Lehrkräften erwähnt: 4.1 Angebot differenzierenden Materials (auch zur herkunftssprachlichen Va‐ rietät) 4.2 Einbeziehung als Experten 4.2.1 im Bereich Aussprache: Vorlesen 4.2.2 im Bereich Lexik 240 Daniel Reimann 4.2.3 im Bereich soziokulturelles Orientierungswissen 4.2.4 im Bereich Varietäten, auch im Anfangsunterricht 4.3 Einbeziehung zur Ergebnissicherung (mündliche Zusammenfassung, „Spiegeltext“) 4.4 Einbeziehung als Lernberater/ in / als Lerncoach 4.5 Aufzeigen von Grenzen 4.6 Anregung von Zusatzaufgaben (Vorträge, Interviews) 5. Schwierigkeiten im Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit ziel‐ sprachlichem Hintergrund Als allgemeine Problemfelder und Schwierigkeiten im Umgang mit dieser Zielgruppe des Fremdsprachenunterrichts erwähnen die Lehrkräfte die folgenden Aspekte: 5.1 zu hohe Sprachkompetenz 5.2 in Einzelfällen: pädagogisch schwierige Schüler/ innen 5.3 Eltern (falsche Einschätzung der Kompetenz der eigenen Kinder) 5.4 Bewertung 5.5 Unzufriedenheit mit eigenen Fördermaßnahmen 5 Zusammenfassung zentraler Ergebnisse und Diskussion im Kontext der Forschung Sowohl innerhalb der einzelnen Datensätze (Studierende, Schüler/ innen, Lehr‐ kräfte) als auch über die Datensätze hinweg ergibt sich ein in sich konsistentes Bild der Wahrnehmungen der beteiligten Akteure. Diese können daher im Rahmen einer Pilotierung als zentrale Ergebnisse festgehalten werden und können die Grundlage der Hypothesenbildung mit Blick auf weitere, quantita‐ tive Befragungen wie auch für weiterführende Studien etwa auf der Basis von Unterrichtsbeobachtungen und Sprachdaten (s. u. Abschnitt 6, Methodenrefle‐ xion und Perspektiven) bilden. Es kann festgehalten werden, dass es sich bei der Präsenz von Schülerinnen und Schülern mit zielsprachlichem Hintergrund im Spanischunterricht in der untersuchten Region (Nordrhein-Westfalen) um eine spürbare Realität in allen Lerngruppen handelt. Mit Blick auf individuelle Lernervariablen der betroffenen Jugendlichen ist festzustellen, dass 241 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht 1. hochgradig individuelle Sprachenbiographien vorliegen 2. herkunftssprachlicher Unterricht im Sinne einer mehrsprachigen Litera‐ litätsentwicklung im Vorfeld des Fremdsprachenunterrichts bedeutsam ist 3. die affektiv-emotionale Variable Motivation eine zentrale Rolle spielt und in der Darstellung der Betroffenen eng mit den Lernemotionen Freude und Frustration / Verdruss verbunden wird. Weiterhin können auf der Grundlage der vorliegenden Datensätze prototypi‐ sche Leistungsprofile und Leistungskurven formuliert sowie Stärken und Schwächen von Schülerinnen und Schülern mit zielsprachlichem Hintergrund in bestimmten Bereichen angenommen werden - auch diesbezüglich stimmen die Aussagen von Studierenden (Retrospektion), Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften weitgehend überein (einzig mit der Ergänzung der Beobach‐ tung bildungssprachlicher und analytischer Defizite bei einzelnen Schülerinnen und Schülern durch die Lehrkräfte, eine Beobachtung, die in Folgestudien ge‐ prüft werden müsste). Aus den vorliegenden Aussagen von Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Studierenden gehen folgende drei Problemkreise hervor, in denen nachfolgende Forschungs- und Entwicklungsprojekte ihre Schwerpunkte haben müssten: 1. Problemkreis 1: Unterforderung vs. spezifische Schwächen 2. Problemkreis 2: Selbstüberschätzung / Überheblichkeit (auch der Eltern) 3. Problemkreis 3: Einbeziehung in den Unterricht / Mitarbeit / Aktvierung und Bewertung, wobei Problemkreis 3 sicherlich die zentrale und größte Herausforderung dar‐ stellt, aus deren Bewältigung sich auch Lösungen für die ersten Bereiche ergeben würden. Im Anhang befindet sich eine Synopse, die das Auftreten der verschiedenen Aussagen in den drei Datensätzen bezogen auf folgende Aspekte veranschau‐ licht: 1.1 Quantität und Qualität des Phänomens 1.2 Allgemeine Schwierigkeiten im Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit zielsprachlichem Hintergrund 2 Motive für die Wahl der Herkunftssprache als Fremdsprache 3 Beurteilung des herkunftssprachlichen Unterrichts 4.1 Leistungen und Leistungsentwicklung insgesamt 242 Daniel Reimann 4.2 Stärken 4.3 Schwächen 5 Motivation im Spanischunterricht 6.1 Mitarbeit im Spanischunterricht 6.2 Einbeziehung als heritage speakers im Spanischunterricht (v. a. durch Lehrkräfte) 6.3 Förderung im Spanischunterricht 7 Wünsche der Schülerinnen und Schüler zu Berücksichtigung und Förderung als heritage speakers im Spanischunterricht Unter anderem können aus den Datensätzen also Wünsche betroffener Schüle‐ rinnen und Schüler zu ihrer Förderung abgeleitet werden (vgl. Abschnitt 4.2, Punkt 11): in schulpolitisch-struktureller Hinsicht wird das Angebot von Spa‐ nisch als 1. Fremdsprache gewünscht, mit Blick auf die (Binnen-) Differenzie‐ rung und Individualisierung im Spanischunterricht auf fordernde und anspre‐ chende, mithin motivierende Aufgaben, Aktivitäten und Materialien zur Differenzierung verwiesen (z. B. wird auch die Einbeziehung als Helfer/ in ex‐ plizit gewünscht), aber auch die Gleichbehandlung bei Meldungen eingefordert (hier wird immer wieder beobachtet, dass Schülerinnen und Schüler mit ziel‐ sprachlichem Hintergrund bei Meldung nicht aufgerufen werden) sowie die Be‐ rücksichtigung der Herkunftsvarietät als Wunsch geäußert. Weiterhin entsteht aus den verschiedenen Datensätzen ein sich ergänzendes Bild über derzeit offensichtlich praktizierte Formen der Einbeziehung und der Förderung von Schülerinnen und Schülern mit zielsprachlichem Hintergrund (welches natürlich ebenfalls in Folgestudien, insbesondere durch Unterrichts‐ beobachtung, geprüft werden müsste, s. u., Abschnitt 6). Es soll aufgrund seiner Bedeutung für künftige Forschungen und Entwicklungen an dieser Stelle resü‐ mierend vorgestellt werden. Derzeit in der Darstellung der beteiligten Akteu‐ rinnen und Akteure praktizierte Maßnahmen sind in den folgenden Bereichen verortet: - Angebot differenzierenden Materials (auch zur herkunftssprachlichen Varietät) - Einbeziehung als Experten (Aussprache (v. a. Vorlesen), auch unter Be‐ rücksichtigung der herkunftssprachlichen Varietät, Lexik (v. a. Semanti‐ sierung), soziokulturelles Orientierungswissen) - Einbeziehung bei der Ergebnissicherung (Tafelanschrift, mündliche Zu‐ sammenfassung als „Spiegeltext“ statt „Lehrerecho“) 243 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht - Einbeziehung als Helfer und Lernberater/ in / Lerncoach, v. a. bei koope‐ rativen Lernformen - Übernahme von Lehrerfunktionen (vgl. „LdL“) - Moderation von Hausaufgabenbesprechung, aber auch von Diskus‐ sionen / Debatten - Aufzeigen von Grenzen, auch in Bezug auf Varietäten (v. a. Dialekte) - Zusatzaufgaben (Vorträge, Interviews). Die überwiegend positiven Einstellungen der Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund decken sich trotz grundlegend divergentem so‐ ziokulturellen Kontext (vgl. Abschnitte 1 und 2) im Wesentlichen mit den in Ducar 2012 referierten Forschungsergebnissen aus dem us-amerikanischen Kontext (vgl. Ducar 2012, 169 f., mit weiterführender Bibliographie). Auch die dort anzutreffende Forderung der - im konkreten Fall allerdings erwachsenen - Lernenden nach Berücksichtigung ihrer Herkunftsvarietät (vgl. Ducar 2012, 169) und das Motiv der Interaktion mit hispanophonen Gesprächspartnern (Ducar 2012, 172) finden sich in den Daten der hier vorgestellten Befragung wieder. Unterschiede bestehen indes vor allem mit Blick auf stark kontextab‐ hängige Faktoren wie etwa von der US-Forschung konstatierter „language an‐ xiety“ (vgl. Ducar 2012, 168 f), die auch durch „anti-Spanish sentiments“ und „prejudices against US varieties of Spanish“ (Ducar 2012, 173) beeinflusst werden, und welche im schulischen bundesdeutschen Kontext, in dem Spanisch eher als eine prestigeträchtigere Sprache angesehen werden kann (s. o., vgl. Gärtig / Plewnia / Rothe 2010, bes. 243-263), nicht existieren. Auch die einleitend in Abschnitt 2 referierten Erkenntnisse der slavistischen Fremdsprachenforschung bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte, zeigen aber doch auch sprach- und vor allem kontextabhängige Divergenzen. So ist etwa das Motiv des Lernens gemeinsam mit Freunden (vgl. Brehmer/ Mehlhorn 2018a, 74) sicherlich auch angesichts der geringeren Fallzahlen im Spanischen in den vorliegenden Daten nicht präsent, auch das Motiv der eigenen sprachlichen Fortbildung der Lehrkräfte durch die Präsenz herkunftssprachlicher Schüle‐ rinnen und Schüler (vgl. op. cit., 79) konnte hier nicht nachgewiesen werden. Hingegen sind andere Argumente von Lernenden und Lehrenden des Russi‐ schen und Polnischen, mitunter in leicht variierter Form, durchaus auch bezogen auf das Spanische in der vorliegenden Untersuchung anzutreffen (s. o. Ab‐ schnitt 2, u. a. Abb. 1 und 2). Die Einrichtung „reiner Muttersprachlerklassen“ (Mehlhorn 2014, 248) wie auch die Befürchtung des Reputationsverlusts einzelner Schulen, die etwa in Süddeutschland an einzelnen Standorten, an denen Russisch als 3. Fremdsprache weit überwiegend durch Herkunftssprecher/ innen belegt wurde, im Raum stand 244 Daniel Reimann (Erfahrungswissen des Autors), steht angesichts der heterogenen Provenienz und der geringeren Fallzahlen im Spanischen wie auch wegen des Sprachpres‐ tiges derzeit keineswegs nicht im Raum. Aus diesem Grund ist es andererseits verständlich, dass etwa Lehrwerke - noch - keine gezielten Förderangebote bereithalten. 6 Methodenreflexion und Perspektiven Die referierten Ergebnisse unterliegen allen Einschränkungen einer qualitativen Pilotierung, die sich mit Wahrnehmungen, subjektiven Überzeugungen und Einstellungen zu einem Phänomen befasst. Gleichwohl erlaubt der mehrper‐ spektivische Zugriff - Daten aus Sicht betroffener Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und ehemaliger Mitschülerinnen und Mitschüler (Studierende in der Retrospektion) - und der Einbezug verschiedener Datentypen - schriftliche Be‐ fragung und leitfadengestützte Interviews - einen triangulierenden Blick auf das Phänomen. Es zeigt sich, dass sich aus den Datensätzen ein verhältnismäßig konsistentes und umfassendes Bild über die Wahrnehmung des Phänomens durch die betroffenen Akteurinnen und Akteure des Unterrichts ergibt. Die verschiedenen Datensätze bestätigen sich in vielfacher Hinsicht untereinander, sie ergänzen einander da, wo eine der drei Gruppen als „Expertengruppe“ in Hinblick auf die Wahrnehmung eines bestimmten Aspekts gelten kann (z. B. die Schülerinnen und Schüler für Fragen der Punkte 5, 6.1 und 7 der Synopse im Anhang, beide Gruppen für einzelne Aspekte des Punktes 6.2, wobei auffällig ist, dass die Studierenden in ihrer Doppel-Perspektive als ehemalige Mitschü‐ lerinnen und Mitschüler wie auch als angehende Lehrkräfte sowohl Punkte be‐ nennen, die auch von den Schülerinnen und Schülern, als auch solche, die auch von den Lehrerinnen und Lehrern erkannt werden). Im hier vorgestellten Pilotprojekt liegen zwischenzeitlich auch Daten zu Schülerinnen und Schülern mit italophonem bzw. lusophonem Hintergrund im Italienisch- und Portugiesischunterricht als Fremdsprache vor, die an anderer Stelle ausgewertet werden sollen. Weitere Untersuchungen, auch mit quantitativen Ansätzen, vor allem aber auch unter Berücksichtigung weiterer Perspektiven - die der aktuellen Mit‐ schülerinnen und Mitschüler wie auch die der Eltern - , sowie unter Integration weiterer Datentypen - etwa auch Lerntagebücher über einen längeren Zeit‐ raum - wären wünschenswert, um das Phänomen noch detaillierter beschreiben und analysieren zu können. Insbesondere sollten auch Daten aus der Unter‐ richtsbeobachtung, der Analyse lernersprachlicher Daten und unterrichtsbezo‐ 245 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht gener Produkte in eine weiterführende Analyse der Situation von Schülerinnen und Schülern mit zielsprachlichem Hintergrund einfließen. Dabei könnten auch die Gruppen mehrsprachiger Lernender mit einem an‐ deren romanophonen Hintergrund als der Zielsprache sowie solche ohne ro‐ manophonen Hintergrund, aber mit einem längeren Auslandsaufenthalt in einer zielsprachlichen Region, berücksichtigt werden. Parallel wäre die vertiefte empirische Erforschung des herkunftssprachlichen Unterrichts wünschenswert, um abschließend zu einer evidenzbasierten Ent‐ wicklung von Fördermaßnahmen und deren Implementierung und Evaluation durch entsprechende Begleitforschung zu gelangen. Nicht zuletzt ist perspektivisch festzuhalten, dass auch aus romanis‐ tisch-hochschuldidaktischer Sicht auch die Erforschung der Ressourcen von und der Fördermöglichkeiten für Studierende/ n mit zielsprachlichem Hintergrund ein interessantes Forschungsgebiet darstellen könnte (vgl. z. B. punktuell ange‐ deutet in Budach 2006). Für die Entwicklung von Förderinstrumenten für die betroffenen Schüle‐ rinnen und Schüler können die von Brehmer / Mehlhorn 2018a (bes. 85-98) für die slavischen Sprachen entwickelten Anregungen ebenso wie eine Dokumen‐ tenanalyse der in der Vergangenheit für den muttersprachlichen Ergänzungs‐ unterricht bzw. den herkunftssprachlichen Unterricht konzipierten Materialien eine wertvolle Grundlage bieten. Unterrichtspraktische Anregungen für eine vergleichbare Zielgruppe, die auf ihre Übertragbarkeit zu prüfen sind bzw. für das Spanische adaptiert werden könnten, wurden auch in der Schweiz im Rahmen des Projekts Progetto Deutsch für Deutschsprachige im Tessin (Sek. I) entwickelt (vgl. https: / / scuolalab.edu.ti.ch/ materialididattici/ Pagine/ Progetto -Deutsch-fuer-Deutschsprachige-im-Tessin.aspx, 02.09.2019). Auch zunehmend unterrichtsmethodisch orientierte Beiträge aus den USA (z. B. Fairclough / Beau‐ drie 2016, Carreira 2016) müssten auf ihre Übertragbarkeit geprüft werden. 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Generation vs. Hispanoame‐ rikaner: 1./ 2. Generation X deutschsprachige Schüler/ innen mit Aus‐ landsaufenthalt X (Herkunftssprecher/ innen einer anderen romanischen Sprache im Spanischunter‐ richt) X X 1.2 Allgemeine Schwierigkeiten im Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit zielsprachlichem Hintergrund (für die Lehrkräfte) Schüle‐ rinnen und Schüler Lehrkräfte Studie‐ rende zu hohe Sprachkompetenz X Unterforderung und Fehlzeiten (Ober‐ stufe) X X Überheblichkeit, pädagogisch schwierige Schüler/ innen (in Einzelfällen) X X Eltern X Bewertung X Unzufriedenheit mit den Fördermaß‐ nahmen (X) X 252 Daniel Reimann 2. Motive für die Wahl der Herkunftssprache als Fremdsprache Schüle‐ rinnen und Schüler Lehrkräfte Studie‐ rende persönlicher Bezug / Familie X X Freude / (sprachliche) „Heimat“ X X „leichte Note“ X X Vertiefung der (meta)sprachlichen und de‐ klarativen Kompetenz („Grammatik ver‐ bessern“) X X 3. Beurteilung des herkunftssprachlichen Unterrichts Schüle‐ rinnen und Schüler Lehrkräfte Studie‐ rende heterogene Wahrnehmung X X starke Abhängigkeit von der Lehrkraft X X teilweise positive Effekte auf Sprachkom‐ petenz der Schülerinnen und Schüler X 4.1 Leistungen und Leistungsentwicklung insgesamt Schüle‐ rinnen und Schüler Lehrkräfte Studie‐ rende heterogene Leistungsprofile X X grundsätzliche Vorteile X X X anfangs häufig „leicht“, später „eigentlich auf dem gleichen Wissensstand“ wie die anderen X X X häufige Leistungskurve: leichter Einstieg - Abfall - ggf. Konsolidierung X 253 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht Schwächen bei nicht-besuchtem her‐ kunftssprachlichen Unterricht (auch His‐ panoamerikaner) X Schwächen bei mangelnder Unterstützung durch das Elternhaus X 4.2 Stärken Schüle‐ rinnen und Schüler Lehrkräfte Studie‐ rende Aussprache X X X Lexik X X X Vorlesen X X X Sprechen X X X soziokulturelles Orientierungswissen, inter-/ transkulturelle kommunikative Kompetenz X (X) 4.3 Schwächen Schüle‐ rinnen und Schüler Lehrkräfte Studie‐ rende Orthographie (Akzente) X X X Grammatik (v. a. deklarativ) X X X Schreiben (mit Ausnahme der Lexik) X X analytische Kompetenz X Bildungssprache X 254 Daniel Reimann 5. Motivation im Spanischunterricht Schüle‐ rinnen und Schüler Lehrkräfte Studie‐ rende Freude durch Lernzuwachs (in der Ober‐ stufe: inhaltlich) X Freude durch Lernerleichterung / Lern‐ ökonomie X Freude durch motivierend wahrgenom‐ mene Aktivitäten, z. B. Diskussionen, Mo‐ deration X Verdruss durch Langeweile X X Verdruss durch Nicht-Wissen bei Fragen der Lehrkraft (z. B. Lexik, Morphosyntax) X 6.1 Mitarbeit im Spanischunterricht Schüle‐ rinnen und Schüler Lehrkräfte Studie‐ rende häufig nicht beeinträchtigt vom ziel‐ sprachlichen Hintergrund X Respekt für Mitschüler/ innen (aktive Mit‐ arbeit und Zurückhaltung / Hilfestel‐ lungen) X 6.2 Einbeziehung als heritage speakers im Spanischunterricht (v.a. durch Lehrkräfte) Schüle‐ rinnen und Schüler Lehrkräfte Studie‐ rende häufig keine besondere Berücksichtigung (auch: Gleichbehandlung auf Bitten der/ s Schülerin/ s) X X Balance zwischen „Bremsen“ und Einbe‐ ziehung / Differenzierung „nach oben“ X X 255 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht Nicht-Berücksichtigung wegen Kompe‐ tenz? X Bevorzugung vs. offensichtliche Vernach‐ lässigung X Nicht-Aufrufen bei Meldung - Aufrufen ohne Meldung X X Einbeziehung als Expert/ inn/ en X durch Mitschüler/ innen X X durch Lehrkräfte X X X in folgenden Bereichen: -- Aussprache (v. a. auch Vorlesen) X X X soziokulturelles Orientierungswissen und interkulturelle Erfahrung X X - Ergebnissicherung, z. B. Tafelanschrift X X - Ergebnissicherung, z. B. mündliches Re‐ sümee X X - Übernahme von Lehrerfunktionen (LdL) X - Übernahme der Funktion eines Lernco‐ achs bei kooperativen Arbeitsformen X X Zusatzaufgaben X erhöhte Erwartungen der Lehrkraft (Pro‐ blematik: individuelle / strengere Leis‐ tungsbewertung? ) X X X 6.3 Förderung im Spanischunterricht Schüle‐ rinnen und Schüler Lehrkräfte Studie‐ rende differenzierendes Material (auch zur her‐ kunftssprachlichen Varietät) X Einbeziehung als Expert/ inn/ en X in folgenden Bereichen: - Aussprache: Vorlesen X X 256 Daniel Reimann - Lexik, v. a. Semantisierung X X soziokulturelles Orientierungswissen X - Varietäten, auch im Anfangsunterricht X - Ergebnissicherung (z. B. mündliche Zu‐ sammenfassung) X Einbeziehung als Lernberater/ in / Lern‐ coach X Aufzeigen von Grenzen X schwierigere Aufträge im Sinne der Diffe‐ renzierung X Anregung von Zusatzaufgaben X 7. Wünsche der Schülerinnen und Schüler zu Berücksichtigung und Förderung als heritage speakers im Spanischunterricht Schüle‐ rinnen und Schüler Lehrkräfte Studie‐ rende schulpolitisch-strukturell: Spanisch als 1. Fremdsprache X Differenzierung „nach oben“, Aktivitäten gegen Langeweile, Zusatzaufgaben X Gleichbehandlung bei Meldungen X Berücksichtigung der Herkunftsvarietät X Einbeziehung als Helfer/ in X 257 Schülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht Theoretische, empirische und unterrichtspraktische Erweiterungen des Konzepts III: Konzeptionelle Anregungen zur Entwicklung eines sprachsensiblen Fremdsprachen- und Fachunterrichts mit Fokus auf Bilingual Education Die Educación Intercultural Bilingüe in den Andenländern als Unterrichtsgegenstand zur Thematisierung herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit im Spanischunterricht Christian Koch 1 Einleitung Die Educación Intercultural Bilingüe (EIB) befindet sich in weiten Teilen der Hochland- und Regenwaldgebiete der Andenstaaten Bolivien, Ecuador und Peru im Aufwind. Dabei geht es in der Regel um die frühkindliche Beschulung ein‐ schließlich der Alphabetisierung in einer indigenen Sprache und den kontinu‐ ierlichen Ausbau des Spanischen im Laufe der schulischen Ausbildung. Ange‐ strebtes Ziel ist die Förderung der Literalität in der indigenen Bevölkerung und der Erhalt indigener Sprachen durch Schaffung einer stabilen Zweisprachigkeit mit möglichst geringem Grad an Diglossie. Damit stellt die EIB einen interes‐ santen Unterrichtsgegenstand für das Fach Spanisch dar, der dazu dienen kann, den Schülerinnen und Schülern (SuS) in Deutschland einen Spiegel vorzuhalten und sprachliche Situationen und Veränderungen, die das Schulsystem erfährt, miteinander zu vergleichen. Zu den großen Herausforderungen unserer Zeit, denen sich der Fremdspra‐ chenunterricht in besonderem Maße zu stellen hat, gehört der konstruktive Umgang mit den vielen Sprachen, die insbesondere SuS mit Migrationshinter‐ grund in den Unterricht mitbringen. Die Einbeziehung dieser sog. Herkunfts‐ sprachen birgt einerseits Potenzial im Hinblick auf Wertschätzung und Aner‐ kennung der besonderen Sprachkenntnisse, aber andererseits auch tatsächliche Lernerleichterung durch die Erfahrbarmachung von sprachlichen Ähnlich‐ keiten. Entsprechend können verschiedene Herangehensweisen unterschieden werden, welche die Herkunftssprachen der SuS mal mehr und mal weniger konkret ins Auge fassen, wobei sich verschiedene Konzepte hier eher ergänzen, als dass sie sich widersprächen. Der im Folgenden skizzierte Unterrichtsgegen‐ stand der EIB soll in diesem Sinne als ein Beitrag zur Auseinandersetzung mit Herkunftssprachen im Spanischunterricht verstanden werden, wenngleich er sich mit den Sprachen der SuS im Einzelnen gar nicht befasst. Um die Zuordnung zur Thematik zu verdeutlichen, wird in einem ersten Schritt eine Typologie zu Aktivitäten der Herkunftssprachenthematisierung im Unterricht romanischer Sprachen vorgeschlagen. Anschließend wird die Kon‐ zeption der EIB in den Andenländern vorgestellt und als Thema für den fortge‐ schrittenen Spanischunterricht in der Sekundarstufe II anhand von Material‐ sichtung und Beispielaufgaben zur Fokussierung von Herkunftssprachen eingeführt. 2 Förderung der Herkunftssprachen im Unterricht romanischer Sprachen - Versuch einer Typologie Die sperrige Bezeichnung ‚im Unterricht romanischer Sprachen‘ soll dem As‐ pekt Rechnung tragen, dass die universitäre Spanischdidaktik mehrheitlich - bedingt durch romanistische Personalunionen - mit anderen romanischen Spra‐ chen gemeinsam gedacht wird. Bestimmte Themenfelder wie etwa die türki‐ schen Gallizismen im Französischunterricht (z. B. Brüser/ Wojatzke 2013) oder phonetischer Transfer aus dem Türkischen ins Spanische (cf. Gabriel/ Rusca-Ruths 2015) mögen dabei nur für das einzelne Fach anwendbar sein, können aber sicherlich auch Konzepte für die anderen romanischen Schulspra‐ chen inspirieren. In diesem Sinne versteht sich auch die EIB als ein Gegenstand, der zwar sprachlich und kulturell an den Spanischunterricht gebunden ist, im Hinblick auf verschiedene Pendants zur zweisprachigen Erziehung etwa in afri‐ kanischen Ländern auch für den Französisch- und Portugiesischunterricht wei‐ tergedacht werden kann. Bevor ich jedoch den Lerngegenstand der EIB näher betrachte, möchte ich zunächst einmal verschiedene Ansätze zur Integration von Herkunftssprachen im Fremdsprachenunterricht gegenüberstellen, um damit potenziellen Kritik‐ punkten zu begegnen, die etwa in die Richtung geäußert werden könnten, dass es hier gar nicht um konkrete Herkunftssprachen gehe, sondern sich das Ganze nur sehr vage auf die Thematik bezieht. Hierfür schlage ich vor, Konzepte zur Förderung von Herkunftssprachen mehrdimensional zu denken. Eine Dimen‐ sion wäre die Unterscheidung zwischen sprachinterner und sprachexterner An‐ näherung an die Herkunftssprachen. Analog zur Terminologie in der Sprach‐ geschichtsschreibung bezeichnet ‚sprachintern‘ die Fokussierung auf sprachliche Strukturen, also lautliche, grammatikalische und lexikalische Ähn‐ lichkeiten zwischen Herkunftssprache(n) und Zielsprache. ‚Sprachextern‘ hin‐ gegen bezeichnet die Wahrnehmung der SuS als Herkunftssprachenspreche‐ 262 Christian Koch rInnen an sich und jene Bereiche, die außerhalb der Herkunftssprachen liegen, aber mit ihnen in Verbindung stehen, etwa die Herkunftskulturen. Die zweite Dimension bezeichnet die Orientierung an einer Einzelsprache und als Gegenpol das Übereinzelsprachliche oder Sprachuniverselle. Betrachtet man also die zahl‐ reichen Gallizismen im Türkischen als Transferpotenzial zur Erschließung fran‐ zösischer Vokabeln, so ist dieses Potenzial einerseits nicht auf nahverwandte Sprachen wie das Turkmenische übertragbar (einzelsprachliche Orientierung), andererseits kann man für jedes sprachliche Mehrwissen individuellen Nutzen bezüglich Wortschatzerschließung postulieren, wenn SuS Bezeichnungund/ oder Bedeutungsähnlichkeiten zu ihren Herkunftssprachen entdecken (über‐ zeinzelsprachliche Orientierung). Beide Dimensionen lassen Übergänge und Kombinationen zu, so dass sie als Kontinuen auf zwei Achsen darstellbar sind: Fig. 1 Dimensionen zur Förderung von Herkunftssprachen Es ist anzunehmen, dass sprachintern orientierte Ansätze stärker auf einzelne Sprachen zugeschnitten sind, während Konzepte, die den Anspruch erheben, übereinzelsprachlich einsetzbar zu sein, d. h. allen SuS mit Herkunftssprachen nützen, konkrete Sprachstrukturen nicht beschreiben können. Die graue Fläche deutet also den prototypischen Bereich an, in denen Konzepte zur Förderung von Herkunftssprachen denkbar sind. Einzelsprachlich orientiert ist beispielsweise der lexikalische Transfer aus dem Türkischen ins Französische (Brüser/ Wojatzke 2013; Thiele 2015; Gürel 2017), der Lernenden mit Türkischkenntnissen eine Erleichterung bei der Wort‐ schatzerschließung und -memorierung verspricht. Transferpotenzial von Rus‐ sisch zu Spanisch lotet Laschet (2015) aus. Besonderes Potenzial, aber auch spe‐ zifische Interferenzgefahr, birgt die Kenntnis einer anderen romanischen Sprache (cf. Hungerbühler 2009). Einen Sonderfall stellen in diesem Zusam‐ menhang auch Lernende dar, die die Zielsprache als Herkunftssprache sprechen 263 Die Educación Intercultural Bilingüe in den Andenländern als Unterrichtsgegenstand 1 Das Urteil relativiert sich etwas beim Blick auf internationale Publikationen, da sich naturgemäß die Zweitsprachendidaktik eher mit den verschiedenen Sprachen der Ler‐ nenden auseinandersetzen muss als eine Fremdsprachendidaktik, die prototypisch von einer gemeinsamen Erstsprache ausgeht. Herausragend ist seit langem das Katalani‐ sche, zu dem etwa bei der Generalitat de Catalunya die Reihen Aprenem català des de… und Llengua, immigració i ensenyament del català Material auf eine große Zahl von Sprachen zugeschnitten ist (cf. Generalitat de Catalunya s.a.). (cf. für Russisch Mehlhorn 2012 sowie für Spanisch Reimann in diesem Band). Die Stärke dieser Ansätze liegt in der individualisierten, potenziell durchaus sachkundigen Hilfestellung, die einzelnen SuS zuteilwerden kann. Problem dabei ist jedoch, dass nicht alle Sprachen gleichermaßen versorgt werden können, da Lehrkräfte kaum imstande sein dürften, Beziehungen zu jeder Her‐ kunftssprache der SuS herzustellen, schon allein weil die Literatur mit Hin‐ weisen auf Transferpotenziale und Interferenzgefahren für den Bereich der ro‐ manischen Sprachen noch sehr lückenhaft ist. Im Bereich DaF/ DaZ haben Zusammenstellungen von Sprachprofilen in Formen von Handbüchern eine ge‐ wisse Tradition (z. B. Schader 2011; Krifka et al. 2014). 1 Schließlich kann man manchen dieser Ansätze auch zum Vorwurf machen, dass sie den focus on form zu sehr in den Mittelpunkt rücken, was jedoch auch gerade eine Stärke im Aufbau von deklarativem Sprachwissen darstellen kann (cf. Kropp 2015, 176sqq.). Wie in allen Bereichen ist problematisch, bei den SuS davon auszu‐ gehen, dass sie ihre Herkunftssprachen mündlich wie schriftlich quasi mutter‐ sprachlich beherrschten. Gerade im Hinblick auf fehlende Beschulung, sind die Herkunftssprachen der SuS - man verwendet hier auch den Terminus Famili‐ ensprachen (cf. Reimann 2016, 59) - nicht selten von Besonderheiten geprägt wie diatopischer Markiertheit, geringer Kenntnis der Distanzsprache sowie im Falle von allographen Sprachen Analphabetismus (cf. Polinsky 2015, 9-14). Dies erschwert natürlich in vielen Fällen, dass die SuS Zusammenhänge selbstständig erarbeiten können oder mit vorgegebenen Erklärungen etwas anzufangen wissen. Weniger auf Sprachstrukturen als vielmehr kommunikativ ausgerichtet sind dagegen die Ansätze zur mehrsprachigen Sprachmittlung, in denen Herkunfts‐ sprachen der SuS in realitätsnahe Aufgabenstellungen einbezogen werden. Für den Spanischunterricht konzipieren dies Reimann/ Siems (2015) mit Türkisch sowie Reimann (2017) mit Griechisch als Herkunftssprache. Gleichwohl die letzteren beiden Titel konkrete Aufgabenstellungen bein‐ halten, besteht im Bereich der Sprachmittlung schon eher der Gedanke, dass auch übereinzelsprachlich mit Herkunftssprachen gearbeitet werden kann: „Grundsätzlich lassen sich entsprechende Aktivitäten natürlich auch für alle 264 Christian Koch 2 Der Referenzrahmen für Plurale Ansätze (RePA) fasst den Ansatz des éveil aux langues weiter für alle Altersstufen „tout le long de la scolarité“ (Candelier et al. 2012, 7) und entsprechend wird dort tiefer in sprachliche Strukturen eingetaucht. anderen Nicht-Schulfremdsprachen/ Herkunftssprachen konzipieren“ (Reimann 2017, 30). Zugunsten der Praktikabilität wäre sicherlich auch denkbar, Aufga‐ benstellungen nicht - wie hier auf Türkisch bzw. Griechisch demonstriert - in der Herkunftssprache zu formulieren, sondern auf Deutsch oder Spanisch mit dem Verweis darauf, die Sprachen der SuS mit einzubeziehen. Als formbezogen ist übereinzelsprachlich die Idee der Gestaltung von Arbeitsmaterial mit Raum für Herkunftssprachen zu bezeichnen, etwa Wortschatzlisten mit einer zusätz‐ lichen, freien Spalte oder Impulse zur Reflexion von Ähnlichkeiten und Unter‐ schieden zwischen Ziel- und Herkunftssprache. Das Potenzial einiger dieser Ansätze besteht darin, dass sie alle SuS mit Herkunftssprachen gleichermaßen einbezieht, schwierig bis unmöglich bleibt dagegen die Kontrollierbarkeit, wenn beispielsweise eine Schülerin Ähnlichkeiten in den Vergangenheitstempora von Spanisch und Punjabi feststellt. Schlimmstenfalls riskiert man die Generierung von falschem Regelwerk, aus dem Fehler entstehen, die für die Lehrkraft nicht nachvollziehbar sind. Kropp (2017, 120sq.) spricht von Asymmetrie im Lerner- und Lehrerwissen: „Diese Asymmetrie kann auf Lernerwie Lehrerseite zu Überforderung und Unsicherheit hinsichtlich der Expertenrolle führen.“ In der übereinzelsprachlichen sprachinternen Orientierung stellt die Offenheit für alle Sprachen gleichermaßen Stärke und Schwäche dieses Ansatzes dar. Als sprachextern sind jene Ansätze zu bezeichnen, die sich nicht mit sprach‐ lichen Strukturen, insbesondere mit sprachlichen Konvergenzen und Diver‐ genzen zur Zielsprache, beschäftigen, sondern den Fokus auf die Wahrnehmung der Herkunftssprachen und -kulturen legen. Für die Wahrnehmung von Mehr‐ sprachigkeit existieren zahlreiche Aktivitäten wie die Ausschraffierung von Sil‐ houetten mit den verschiedenen Sprachen, die im Leben der SuS eine Rolle spielen (cf. Heyder 2017, 71sqq.). Im weiteren Sinne ist auch das vor allem in der Grundschuldidaktik beheimatete Begegnungssprachen- oder Éveil-aux-Langues -Konzept zu nennen, wobei einzelne Elemente durchaus sprachliche Strukturen thematisieren. 2 Der Nutzen sprachexterner Ansätze liegt vornehmlich in der Wertschätzung der vielfältigen sprachlich-kulturellen Hintergründe der SuS und der Herausstellung von Vorteilen des sprachlichen Mehrwissens: „Die in Schule und Unterricht erfahrene Wertschätzung der Herkunftssprachen ist ein von den Lernenden sehr bewusst wahrgenommenes Zeichen des persönlichen Respekts und somit wichtige Grundlage für Lernmotivation und Leistungsbe‐ reitschaft“ (Mehlhorn 2017, 51). Man kann jedoch kritisch anmerken, dass diese Wertschätzung üblicherweise nur oberflächlich erfolgt und zu sehr das Moment 265 Die Educación Intercultural Bilingüe in den Andenländern als Unterrichtsgegenstand des Entdeckens fokussiert, langfristig jedoch keine Arbeitsperspektive aufzeigt, von der die SuS mit Herkunftssprachen tatsächlichen Nutzen ziehen. Gemeinhin steht die sprachexterne Orientierung auch nicht in direkter Beziehung zum Fremdsprachenunterricht, da keine Brücken zwischen Herkunfts- und Fremd‐ sprachen geschlagen werden. Zusammenfassend seien die postulierten Aspekte der verschiedenen Dimen‐ sionen zur Förderung von Herkunftssprachen tabellarisch zusammengefasst: Dimension sprachintern sprachextern einzelsprachlich übereinzelsprachlich Erläuterung - spezifische Trans‐ ferpotenziale nutzen - spezifischen In‐ terferenzgefahren vorbeugen - Raum für indivi‐ duelle Bezug‐ nahme zu Her‐ kunftssprachen - Aktivitäten mit flexiblem Einsatz von Herkunfts‐ sprachen - Herkunftsspra‐ chen (und -kul‐ turen) als Unter‐ richtsgegenstand ohne Thematisie‐ rung sprachlicher Strukturen Chancen - gezielte Lerner‐ leichterungen - globale Förder‐ möglichkeiten für alle Herkunfts‐ sprachen - Wertschätzung und Anerkennung von extracurricu‐ laren Sprach‐ kenntnissen mutmaß‐ liche Kritik‐ punkte - focus on form - fehlende Detail‐ kenntnisse bei den Lehrkräften - Anwendbarkeit nur auf einzelne Schüler(-gruppen) - fehlende Kontrol‐ lierbarkeit durch die Lehrkraft - Oberflächlichkeit, d. h. keine kogni‐ tive Annäherung - primär behei‐ matet in der Grundschuldi‐ daktik - Annahme einer L1-Kompetenz in den Herkunftssprachen Tab. 1 Dimensionen zur Förderung von Herkunftssprachen Betrachtet man die verschiedenen mutmaßlichen Kritikpunkte, die zweifellos auch einer hier sehr verknappten Darstellung geschuldet sind, findet sich ein Teil der Lösung darin, die verschiedenen Dimensionen miteinander zu kombi‐ nieren, d. h. keinen Ansatz per se zu diskreditieren. In allen Bereichen besteht Forschungs- und Entwicklungsbedarf, um Professionswissen und Handlungs‐ kompetenz von Lehrkräften auszubauen. Die hier im folgenden vorgestellte Idee der Educación Intercultural Bilingüe im Spanischunterricht versteht sich als sprachexterner Ansatz, also jener Be‐ 266 Christian Koch reich, in dem Konzepte für den fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht in der Sekundarstufe II bislang wohl kaum je vorgeschlagen worden sind. 3 Die Educación Intercultural Bilingüe in den Andenländern Die EIB vereint seit den Anfängen in den 1980er Jahren die Idee der Bewahrung und Förderung indigener Sprachen (educación bilingüe) mit der Aufwertung in‐ digenen Kulturguts als Unterrichtsgegenstand (educación intercultural). Die EIB richtet sich primär, aber nicht nur, an jene Kinder, die mit einer indigenen Sprache aufwachsen und häufig zum Zeitpunkt der Einschulung größere Pro‐ bleme mit dem Spanischen haben als ihre MitschülerInnen. Grundlage der zwei‐ sprachigen Erziehung ist dabei ein Transitionsmodell: Fig. 2 Transitionsmodell der Educación Intercultural Bilingüe Eine Grundidee der EIB ist die Alphabetisierung in der indigenen Sprache, wobei diese Sprachen im Andenraum ausnahmslos lateinisch verschriftet werden. Durch größere Rechtschreibreformen folgen die großen Sprachen wie Quechua und Aymara der graphophonischen und phonographischen Eineindeutigkeit, sind also besonders leicht zu lesen und zu schreiben. An das Spanische werden die SuS dagegen verstärkt wie an eine Fremdsprache herangeführt, was den Vorteil hat, dass die Spracharbeit mit mehr Sensibilität erfolgt als in einem mut‐ tersprachlichen Unterricht, in dem sprachliche Defizite im Spanischen über‐ sehen werden. Auch wenn mehrere indigene Sprachen in den letzten Jahr‐ zehnten erheblich ausgebaut worden sind, liegt es nicht nahe, bei komplexeren Inhalten in den höheren Klassen auf Spanisch zu verzichten. Entsprechend nimmt der Anteil an Unterricht auf Spanisch kontinuierlich zu, während der Unterricht in der indigenen Sprache, der am Anfang neben Schriftspracherwerb und elementarem Rechnen vor allem lebensweltnahe Inhalte thematisiert, im Laufe der Jahre immer weiter abnimmt. 267 Die Educación Intercultural Bilingüe in den Andenländern als Unterrichtsgegenstand Moderne Konzeptionen sehen jedoch größere Anteile in indigenen Sprachen bis zum Abitur vor, wie folgendes Modell aus Ecuador zeigt (Ministerio de Edu‐ cación [Ecuador] 2013, 6): Eduación in‐ fantil comu‐ nitaria Inserción a los procesos semióticos Fortaleci‐ miento cog‐ nitivo afec‐ tivo, y psicomotriz Desarrollo de las de‐ strezas y téc‐ nicas de estudio Procesos de aprendizaje investiga‐ tivo Bachil‐ lerato 100% Lengua de la nacio‐ nalidad 75% Lengua de la nacio‐ nalidad 50% Lengua de la nacio‐ nalidad 45% Lengua de la nacio‐ nalidad 40% Lengua de la nacio‐ nalidad 40% Lengua de la nacio‐ nalidad 20% Lengua de relación intercul‐ tural 40% Lengua de relación intercul‐ tural 45% Lengua de relación intercultural 40% Lengua de relación intercul‐ tural 40% Lengua de relación intercul‐ tural 5% Lengua extranjera 10% Lengua extranjera 10% Lengua extranjera 20% Lengua extranjera 20% Lengua extranjera Tab. 2 Sprachenaufteilung in der Educación Intercultural Bilingüe in Ecuador Der sperrige Ausdruck „Lengua de relación intercultural“ bezeichnet das Spa‐ nische, „Lengua de la nacionalidad“ hingegen ist eine der 14 in das EIB-Pro‐ gramm aufgenommenen indigenen Sprachen, wobei derzeit wohl allenfalls Kichwa und Shuar ausreichend ausgebaut sind, um bis ins Abitur eingesetzt zu werden. Es sind vor allem diese beiden Sprachen, die im Rahmen der EIB besonders beworben werden. Kichwa, die ecuadorianische Varietät des Quechua, ist die am weitesten verbreitete indigene Sprache Ecuadors und wird im gesamten Hochland sowie im Regenwaldgebiet im Raum des Río Napo gesprochen. Als ein Vorzeigeprojekt ist in der Nähe von Ambato im zentralen Hochland Ecuadors die Unidad Educativa del Milenio Intercultural Bilingüe „Chibuleo“ entstanden. Aus einem Werbevideo soll hier ein kleiner Ausschnitt in transkribierter Form einen Eindruck von der Modernität geben (Chibuleo 2015): 268 Christian Koch 3 Der Ausdruck estudiante ist den Bauchbinden aus dem Video entnommen und be‐ zeichnet SuS jeden Alters. Alumno bzw. alumna ist in den Andenländern weniger ge‐ bräuchlich. Presentador: La misión es conservar y promover la lengua indígena empezando por los más pequeños. Luz Baltazar, estudiante  3 : Nosotros los que... nosotros aprendemos las culturas indí‐ genas y también hacemos aprender a los niños que todavía llegan de otros lados. Presentador: El proceso educativo intercultural bilingüe lleva más de treinta años con la recuperación de la identidad y cosmovisión indígena, pero desde el 12 de noviembre de 2014 se fortalece como guardiana de la lengua al 100 %. Jenny Tixilema, estudiante: Ahora es muy importante que tenemos que saber tres idi‐ omas, que es el español, kichwa y el inglés, porque conocemos la historia de nuestros antepasados, porque somos originarios, venimos de descendientes de las raíces indí‐ genas. Presentador: La Unidad Educativa “Chibuleo” cuenta con laboratorios de física, química, tecnología e idiomas, bloques de administración, una biblioteca y aulas donde se imp‐ arten clases en idioma kichwa, a cargo de 45 docentes, de los cuales el 50 % son indí‐ genas, y el 50 % hispanos, una sala de uso múltiple, el bar, parqueaderos, baterías sa‐ nitarias, un patio cívico, pizarras inteligentes y canchas deportivas la complementan. Además de la educación a los niños y jóvenes de las comunidades aledañas, se impulsa el desarrollo económico y social del sector. www.youtube.com/ watch? v=MTlC1pCMjyI, 00: 01: 30-00: 02: 46. Transkript 1 Unidad Educativa del Milenio Intercultural Bilingüe „Chibuleo“ Diese Schule ist eines der Prestige-Projekte, die eine besonders hohe Förderung erhalten und daher nicht den Standard abbilden. Nichtsdestotrotz wird deutlich, dass man sich in einem Schwellenland wie Ecuador in der Modernisierung der medialen Ausstattung ähnlich orientiert wie etwa in Deutschland. Dass die EIB vor allem in Ecuador mittlerweile Erfolge verbuchen kann, ist das Ergebnis der Überwindung einer Reihe von Problemen, wenngleich ver‐ schiedene Aspekte weiterhin kontrovers diskutiert werden, was auch be‐ gründet, warum die EIB nicht überall und für alle indigenen Sprachen gleichsam erfolgreich sein kann (cf. insgesamt Moya 1988, 382sqq.; García Ponce 2014, 545sq.). In den Andenländern Bolivien, Ecuador und Peru existieren rund 80 indigene Sprachen, wobei genaue Zahlen schwierig zu benennen sind, da etwa Bolivien 35 Sprachen durch die Verfassung schützt, von denen mehrere de facto nicht mehr vital sind. Es fehlt den meisten Sprachen die Disposition zum Ausbau für komplexe Lehrinhalte, teilweise ist die Verschriftung im Alltag kaum ausgereift. Hinzu kommen sprachliche Realitäten in Räumen, in denen mehr als eine indi‐ gene Sprache eine Rolle spielt und daher die zweisprachige Erziehung zu kurz greift. Doch selbst für die größeren Sprachen fehlt es an Lehrkräften und Lehr‐ 269 Die Educación Intercultural Bilingüe in den Andenländern als Unterrichtsgegenstand 4 Zur Konkretisierung des Globalen Lernens im Spanischunterricht cf. Danninger/ Schank (2010) und Büter (2018). material, wobei das Material beim Erscheinen nicht selten umfangreicher Kritik ausgesetzt ist, vor allem im Hinblick auf sprachlichen Ausdruck, aber auch über die Stoffverteilung wird vielfach debattiert (cf. Paladines Escudero 2011, 288; Zavala 2014, 153). Neben Detailfragen besteht jedoch auch generelle Skepsis am Nutzen und an der Wirksamkeit der intensiven Beschulung in indigenen Spra‐ chen, nicht zuletzt innerhalb der indigenen Bevölkerung (cf. von Gleich 2007, 52). Es besteht Konkurrenz durch Englisch, das auf jeden Fall einen Platz im Curriculum einnehmen muss (cf. von Gleich 2004, 125). Thematisiert man die EIB im Spanischunterricht, verhelfen einige kritische Aspekte zur differenzierteren Betrachtung des Konzepts, wie im Anschluss ge‐ zeigt wird. 4 Die Educación Intercultural Bilingüe im Spanischunterricht Im Folgenden wird skizziert, wie sich die EIB als Unterrichtsgegenstand im fortgeschrittenen Spanischunterricht in der Sekundarstufe II - beispielsweise eingebettet in ein Semesterthema wie Los países andinos - eingesetzt werden kann. Im Zusammenhang mit dem Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung ist die Thematik den Bereichen 7 „Bildung“ und 17 „Mi‐ gration und Integration“ zuzuordnen (cf. Schreiber/ Siege 2 2016, 97). 4 Nicht er‐ wartet werden sollte an dieser Stelle ein kopierfertiges Unterrichtsdossier, son‐ dern vielmehr Anregungen zur sprachexternen Thematisierung der Herkunftssprachen der SuS. Unterkapitel sind die sprachliche Förderung (4.1), die Förderung von Kulturen (4.2), Probleme der Legitimierung der EIB (4.3) und die EIB als mögliches Modell auch für Deutschland (4.4). 4.1 Förderung indigener Sprachen Als erster Einblick in den Grundgedanken der EIB kann folgendes unter Schirm‐ herrschaft der UNICEF Peru entstandenes Video (EIB in Peru 2011) dienen, in denen zwei Schülergruppen auftreten, eine aus dem östlichsten Teil des Landes mit der Sprache Shipibo(-Konibo) und eine andere aus dem Hochland mit Que‐ chua. Die SuS sprechen in dem Video ausschließlich in diesen Sprachen und werden auf Spanisch untertitelt. Zwischendurch erklärt die Folklore-Sängerin Dina Páucar als Botschafterin der UNICEF die Situation von Kindern mit indi‐ genen Sprachen, die in der Schule mit Spanisch und mit lebensweltfernen In‐ 270 Christian Koch halten konfrontiert werden. Ausschnitte aus dem knapp 5-minutigen Video sind hier transkribiert: Dina Páucar, embajadora de Buena Voluntad de UNICEF Perú: ¿Cómo pueden aprender nuestros hijos en un idioma que no entienden, sin una metodología apropiada? Esa es la realidad que viven día a día miles de niños peruanos. […] Dina Páucar: En los distritos de Apurimac, Cusco, Ucayali y Huancavelica, más del 70 % de la población en edad escolar es indígena, y tiene como lengua materna una de las más de 40 lenguas que se hablan en nuestro país. Para aprender hay que entender. La Educación Intercultural Bilingüe es un derecho. […] Profesor hispanohablante: Buenos días, niños. Hoy día vamos a aprender sobre el árbol y tenemos la flor, las hojas, el fruto, el tallo y la raíz. Estudien todo esto porque mañana les voy a tomar un examen. Entendieron, ¿no? Estudiante shipiba 1: ¿Eso no más nos va a enseñar? Estudiante shipiba2: Si tú supieras lo que yo sé. Estudiante shipiba 3: ¡Si mi profesor hablara mi idioma y conociera mis costumbres, yo aprendería mucho más! Dina Páucar: Muchos de los niños y niñas de las zonas rurales andinas y amazónicas dejan la escuela porque sienten que en ella no valoran sus saberes. La Educación In‐ tercultural Bilingüe es un derecho. Estudiante shipibo 4: ¡Ven, entra a mi salón para que veas cómo aprendo en mi escuela! Profesor shipibo: Hoy vamos a estudiar la Historia del Perú… Estudiante shipibo 4: ¡Mi profesor habla mi idioma y me entiende! Estudiante quechua 1: Mira el libro que me han dado en la escuela, ¡tiene muchos cu‐ entos e historias de mi comunidad! Estudiante quechua 2: En mi escuela me enseñan todas las palabras en mi idioma. El abuelo habla en shipibo. Estudiante shipiba 3: Y a mi abuelo lo invitaron a la escuela para que nos cuente toda la historia de nuestro pueblo. Estudiante shipiba 5: Y en grupo escribimos el relato de nuestra comunidad que nos contó el abuelo. Profesor shipibo: Ahora quiero que escriban una composición en castellano sobre lo que entendieron. Estudiantes shipibos: ¡Sí, profesor! Estudiantes quechuas: ¡Sí, profesor! Estudiante shipibo 6: Me gusta mi escuela, pero hay muchas cosas que nos faltan. Estudiante quechua 3: ¡Necesitamos más libros como este! Estudiante shipiba 1: Y que todos los profesores hablen nuestro idioma. Estudiante shipibo 4: Pero aun así mi escuela ahora es muy buena, ¡no la cambio por ninguna otra! Estudiante quechua 2: Porque nos enseñan en nuestro idioma y también aprendemos un buen castellano. Profesor shipibo: Nosotros nos capacitamos para enseñar en dos lenguas. Madre shipiba: Ahora sí veo que mis hijos aprenden. Me siento feliz porque sé que van a salir adelante. Padre quechua: Aprendiendo en dos lenguas y dos culturas, los niños están en buen camino. Madre quechua: Nosotros los padres de familia, apoyamos a nuestros hijos cuando aprenden en dos lenguas y dos culturas. 271 Die Educación Intercultural Bilingüe in den Andenländern als Unterrichtsgegenstand 10. a) 11. b) Dina Páucar: Y tú, ¿qué harás por los miles de niños que no tienen una escuela como esta? ¡Date cuenta! Ahora te toca a ti. La Educación Intercultural Bilingüe es un der‐ echo. Tú puedes hacer que este derecho se convierta en una realidad. www.youtube.com/ watch? v=Vl_3G1kO1kI, 00: 00: 26-00: 00: 36; 00: 01: 14-00: 01: 33; 00: 02: 11-00: 04: 45. Transkript 2 Educación Intercultural Bilingüe in Peru Zweifellos entspricht die Darstellung insofern nicht der Realität, als die EIB in Peru bislang nur eine Minderheit der Bevölkerung erreicht und in weiten Teilen des Landes trotz Präsenz indigener Sprachen kaum ernsthaft diskutiert wird, obwohl das hier von Dina Páucar mehrfach wiederholte Grundrecht auf EIB besteht. Die Vorzüge des Videos liegen dafür in der leicht verständlichen Sprache Dina Páucars bzw. der leichten Verständlichkeit durch Untertitel und in den akustischen und visuellen Einblicken in die indigenen Sprachen und Kulturen. Aufgaben werden hier nur grob, d. h. ohne genauere Operatoren und metho‐ dische Konkretisierungen, aber differenzierend für SuS mit und ohne Her‐ kunftssprachen - d. h. in Selbst- und in Fremdperspektive -formuliert (a bzw. b). Sie betreffen die Argumentation gegen rein spanischen und für zweispra‐ chigen Unterricht. Vergleichend beurteilen die SuS, wie es ihnen selbst bzw. anderen SuS mit Herkunftssprachen ergangen sein könnte, wenn es einen zwei‐ sprachigen Unterricht gegeben hätte: - Nombra los problemas que los alumnos mencionan con respecto a la educación en español. - Y tú: ¿Tuviste problemas similares al empezar la escuela en Alemania? ¿Piensas que los niños que todavía no hablan alemán sufren de problemas similares al empezar la escuela en Alemania? - Nombra las ventajas que ellos ven en la enseñanza en dos idiomas. - Y tú: 12. a)¿Te habrías beneficiado de una enseñanza con la inclusión de tu lengua ma‐ terna? Explica tu opinión. 13. b)¿Piensas que los niños que hablan otros idiomas en su casa se beneficiarían de una enseñanza con la inclusión de su lengua materna? Explica tu opinión. Aufgaben 1 Förderung indigener Sprachen 272 Christian Koch Die Fragestellungen an die SuS mit Herkunftssprachen können die Komplexität der Varianten des sog. Migrationshintergrunds nicht einfangen, sind aber selbst‐ verständlich auf die jeweilige Schülerbiographie umformbar. Ferner kann den SuS mit Herkunftssprachen natürlich freigestellt bleiben, ob sie die Aufgaben auf sich selbst bezogen oder im Allgemeinen bearbeiten, etwa weil ihre Her‐ kunftssprache für sie persönlich keine große Rolle spielt. 4.2 Förderung lokaler Kulturen In zentralistischen Schulsystemen ist der Raum für lebensweltnahe Gestaltung von Schule und Unterricht gering, wenn zwischen der Lokalkultur und den do‐ minierenden Bildungskonzepten eine große Kluft liegt. Die Unidad Educativa del Milenio Intercultural Bilingüe „Bosco Wisuma“ in der Nähe von Macas im zentralen Regenwaldgebiet Ecuadors setzt beispielsweise um, dass neben einer landesweit üblichen Schuluniform die im Volk der Shuar typische Bekleidung als Schuluniform dient. In dem im Folgenden transkribierten Ausschnitt ist zu sehen, dass diese lokale Schuluniform mehrheitlich getragen wird (Bosco Wi‐ suma 2015): Margarita Tuish, madre de familia: Yo a mis hijos les he valorado, que mis hijos, mi hija, ella es, más sale en shuar. Ella dice, madre, dice, yo tengo que estudiar en shuar y aprender a ser shuar. Porque ella es la primera hija que tengo en danza shuar y el hombre, también lo mismo, mis hijos todos en cultura shuar. Y así van a seguir a ser, acostumbrándose, aprendiendo más para que ellos puedan valorizarse para ellos mismos, para el bien de ellos. Profesor habla en shuar. Jairo Chamikiar, estudiante: Me siento orgulloso de estar en ese colegio y en este es‐ tablecimiento tan precioso y, es de calidez, me siento tan feliz con todos mis compa‐ ñeros y terminaré mis estudios, después me decidiré a ir a la universidad. Lina Chuint, estudiante: Nosotros con los compañeros, cuando venimos en los buses, venimos conversando cómo es la educación ahorita, y llegar en el aula y sentarse bien cómodo y atender a los profesores. Y es chévere, venimos tan felices, contentos de seguir estudiando aquí y graduarnos aquí, salir según, seguir estudiando de largo. José Rojas, vicerrector: Los niños aprenden a relacionarse, aprenden a interculturalizarse porque antes hasta eso era separado. En cambio, ahora no. Ahora a través de la inser‐ ción educativa comienza esto, que no haya la separación sino más bien la unión de todos. De lo que se conoce lógicamente como unión de los pueblos indígenas. Aquí el niño está incluido, se le atiende como debe hacerse, como un ser humano, se le ayuda, se le fortalece y en ello se tiene más amor a su etnia, tiene más forma de expresarse, no tiene ese miedo, ese temor, y lo que él busca, y siempre es salir adelante. www.youtube.com/ watch? v=Q0AAdu24XAU, 00: 04: 55-00: 06: 40. Transkript 3 Unidad Educativa del Milenio Intercultural Bilingüe „Bosco Wisuma“ 273 Die Educación Intercultural Bilingüe in den Andenländern als Unterrichtsgegenstand 14. a) 15. b) 16. a) Neben den Schuluniformen ist am Ende des Ausschnitts auch zu sehen, wie im Vorschulunterricht elementare Komponenten des Alltagslebens Gegenstand sind und hierfür eine lokale Behausung neben modernen Gebäuden auf dem Schulgelände Platz findet. Aufgaben für den Spanischunterricht könnten die folgenden sein: - ¿Qué te parece especial en esta escuela? - Analiza cómo se apoya el mantenimiento de la cultura local. - Y tú: ¿Piensas que el sistema escolar alemán te da espacio para mantener tu propia cultura? Explica tu opinión. ¿Piensas que los alumnos de otros países deben tener el derecho de mantener su cultura? Explica tu opinión. Aufgaben 2 Förderung lokaler Kulturen Die ersten beiden über das Sehverstehen erschließbaren Aufgaben dienen als Impulse zur Reflexion darüber, inwieweit in Deutschland von SuS mit Migrati‐ onshintergrund kulturelle Assimilierung gefordert wird und inwieweit Anpas‐ sung erforderlich ist oder aber diese einen Verlust darstellt. 4.3 Problem der Legitimierung der Educación Intercultural Bilingüe In Abs. 3 ist neben praktischen Problemen der Umsetzung der EIB auch auf die generelle Kontroverse über den Sinn der EIB hingewiesen worden. Anhand eines Zitats aus von Gleich (2007, 52) soll verdeutlicht werden, dass es abwei‐ sende Haltungen gibt: “[Los indígenas] hispanohablantes favorecen normalmente programas de castellani‐ zación sin tener mayor interés en el desarrollo y mantenimiento de las lenguas indí‐ genas.” (Utta von Gleich. 2007. “La lucha de ideologías lingüísticas en sistemas educativos. Tres décadas (1975-2005) de observación en los países andinos Bolivia, Ecuador y Perú”, in: Pueblos indígenas y educación 59, 39-64.) - Argumenta si es legítimo que la integración de gente indígena en la sociedad moderna enfoque mayormente la castellanización y no el aprendizaje en sus lenguas. - ¿Y en Alemania? Si hablas en casa una lengua que no se enseña en el colegio alemán, ¿te parece injusto que no haya apoyo escolar para estudiarla? Explica tu opinión. 274 Christian Koch 17. b) ¿Piensas que el sistema escolar alemán debe ofrecer clases a los inmigrantes para estudiar sus lenguas de origen? Explica tu opinión. Aufgaben 3 Problem der Legitimierung der Educación Intercultural Bilingüe Mehrsprachige Erziehung wird aus der Sicht der Lernenden dann zu einem Pro‐ blem, wenn das Additum der Herkunftssprache nicht als bereichernd, sondern als eine zusätzliche Lernbelastung empfunden wird, die mehr Umweg als Brücke bei der Integration in die Zweitsprache zu sein scheint. Eine Erörterung über den Sinn der Beschäftigung mit indigenen Sprachen im Andenraum bzw. des Herkunftssprachenunterrichts in Deutschland kann durchaus kontrovers aus‐ fallen und die Grundannahme des generellen Mehrwerts sprachlicher Förde‐ rung in Frage stellen. SuS mit Herkunftssprachen können je nach biographischer Situation ganz unterschiedlich argumentieren und einige für sich keinen Nutzen in der Beschäftigung mit ihren Sprachen sehen. In der Soziolinguistik spricht man hier von Sprachilloyalität oder disclocation (cf. Marten 2016, 71), die mit dem Verlust der Identifizierung mit der Herkunftskultur einhergehen kann. Die positiv konnotierte Mehrsprachigkeitsförderung muss sich der Dialektik stellen und weitere Argumente hervorbringen. Häufig entsteht etwa bei SuS, die Deutsch als Zweitsprache mit hohem Aufwand erlernen müssen, der Ein‐ druck der Überlastung durch weitere Beschäftigung mit der Erstsprache, so dass sie später mit ihren Kindern vielleicht nur noch Deutsch sprechen werden, wenngleich jene Generation ohnehin früh mit dem Deutschen in Kontakt kommt, die Belastung also geringer und der Verlust der Sprache dort umso be‐ dauerlicher wäre (cf. Marten 2016, 66). 4.4 Die Educación Intercultural Bilingüe als Modell für Deutschland? Nachdem in den vorigen Abschnitten einzelne Aspekte der EIB vor allem als Impulsgeber für Reflexionen zum Umgang mit Herkunftssprachen im deutschen Schulsystem angesprochen worden sind, geht es hier schließlich um die Frage, ob das ganze System der EIB übertragbar wäre bzw. vor welchen Schwierig‐ keiten eine solche Übertragung stehen würde: - ¿Qué te parece la idea de aplicar el sistema de la Educación Intercultural Bilingüe en Alemania para niños cuya lengua materna no es el alemán? ¿Ves una posi‐ bilidad o te parece imposible? Justifica tu respuesta. Aufgabe 4 Die Educación Intercultural Bilingüe als Modell für Deutschland? 275 Die Educación Intercultural Bilingüe in den Andenländern als Unterrichtsgegenstand Entscheidender Unterschied ist der Status der Sprachen. In den Andenländern sind Regionalsprachen zentrales Thema, in Deutschland sind es die Herkunftsbzw. Migrantensprachen. Gleichwohl spielen Regionalsprachen auch hierzu‐ lande natürlich eine Rolle, wenn auch nur noch sehr marginal. Ähnlichkeiten zur EIB kann man bei der Förderung des Dänischen in den nördlichsten Gebieten Schleswig-Holsteins erkennen (cf. Marten 2016, 63sq.), während andere Regio‐ nalsprachen wie Friesisch oder Sorbisch bestenfalls einen Platz im Fremdspra‐ chencurriculum finden. Regional- und Herkunftssprachen sind u. a. von fol‐ genden Gegensätzen gekennzeichnet (cf. Marten 2016, 59): Regionalsprachen Herkunftssprachen autochthon allochthon lange Tradition rezentes Auftreten territorial verankert (Ausnahmen: Jid‐ disch, Romani…) territorial nicht verankert und verstreut häufig ohne Status einer Nationalsprache vielfach mit Status einer Nationalsprache im Herkunftsland Tab. 3 Regionalvs. Herkunftssprachen Mit der Einsicht, worin sich Herkunftssprachen und Regionalsprachen quali‐ tativ unterscheiden, sollten die SuS erkennen, dass es in der Umsetzung ideo‐ logische und praktische Probleme gibt. Ideologisch dahingehend, dass die Her‐ kunftssprachen historisch in Deutschland nicht verankert sind, allerdings - anders als vielfach Regionalsprachen - im Herkunftsland nicht vom Ver‐ schwinden bedroht sind bzw. es primär die Aufgabe einer dort stattfindenden Sprachpolitik sein müsste, die Sprachen zu erhalten. Praktische Probleme be‐ treffen die fehlende territoriale Verankerung von Herkunftssprachen, d. h. ge‐ rade für kleinere Sprachen ist die Bildung von Lerngruppen an einem Ort schwierig und qualifizierte Lehrkräfte rar. Überdies sind Lerngruppen überaus heterogen. Die SuS mit Herkunftssprachen haben hier wie auch in den vorigen Aufgaben die Gelegenheit, Erfahrungen einzubringen. Eine sprachliche Förde‐ rung, wie sie die EIB vorsieht, werden jedoch allenfalls SuS erlebt haben, die Prestige-Sprachen wie Englisch oder Französisch mitbringen, und gezielt an Programmen des bilingualen Sachfachunterrichts teilgenommen haben. So unrealistisch die EIB als ein Ansatz zur Herkunftssprachenförderung in Deutschland scheinen mag, so sehr erlaubt doch gerade der Klassenraum als dritter Ort (cf. Corti/ del Valle/ Martínez Casas 2018) die Ausgestaltung von Fan‐ 276 Christian Koch tasien darüber, wie SuS mit Herkunftssprachen sich Sprachförderung ge‐ wünscht hätten, oder auch wie sie sich sprachliche Förderung für die nächste Generation wünschen würden. Wird dabei die EIB zum unerreichbaren Ideal stilisiert, ist als Rückkehr zur Wirklichkeit zu überlegen, was davon realistisch umsetzbar ist. 5 Fazit Die hier in groben Zügen skizzierte Unterrichtseinheit zur EIB im Spanischun‐ terricht versucht Lebensweltbezug mit einem im Normalfall weitestgehend un‐ bekannten Thema zu vereinen. In Orientierung an den Anforderungen des fort‐ geführten Spanischunterrichts in der Sekundarstufe II fokussiert die Einheit eine anspruchsvolle Auseinandersetzung mit der herkunftsbedingten Mehrsprachig‐ keit der Schülerschaft. Als Material sind hier Auszüge aus drei Videos präsentiert worden. Die Ma‐ terialsammlung ist zu erweitern und zu didaktisieren. Vor allem in Bezug auf methodische Ausgestaltung sind hier keine konkreten Vorschläge gemacht worden. Gerade im Hinblick auf die kontroversen Perspektiven, die zwischen SuS mit und ohne Herkunftssprachen bestehen, ist beispielsweise die Arbeit mit Debattentechniken denkbar. Schließlich sei auch dazu angeregt, den hier vorgeschlagenen Impuls zur (sprachexternen) Behandlung von Herkunftssprachen im Spanischunterricht auf andere Räume der hispanophonen Welt, in denen sich Schulsysteme mit der Mehrsprachigkeit der SuS auseinandersetzen, zu übertragen. Bibliographie Brüser, Babett / Wojatzke, Julia. 2013. „Das Türkische als ‚Brücke‘ zum Wortschatzerwerb im Französischen. Eine empirische Studie mit Berliner Schülerinnen und Schülern des Jahrgangs 10“, in: Fremdsprachen Lehren und Lernen, 42/ 1, 121-130. Büter, Mara. 2018. „Pensar global, actuar local: Globales Lernen im Spanischunterricht“, in: Hispanorama, 159, 46-52 Candelier, Michel (coord.) et al. 2012. Le CARAP. 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In Deutschland sind in den verschiedenen offiziellen Rah‐ mentexten generell zwei Beschreibungen von BU zu finden, je nachdem, ob der Aufbau fachsprachlicher Elemente sowohl in der Fremdals auch in der Schul‐ sprache als explizites Ziel deklariert wird oder nicht: (a) als Fachunterricht in der Fremdsprache (z. B. MK Niedersachsen 2014) und (b) als Fachunterricht in zwei Sprachen (z. B. KMK 2006; MSW NRW, o. J.). In beiden Fällen unterliegt dennoch das Verständnis von BU als Fachunterricht. Die im Rahmen dieses Bei‐ trags vertretene Auffassung von BU orientiert sich an dem im europäischen Kontext verbreiteten Konzept von Content and Language Integrated Learning (CLIL), das die entscheidende Rolle der Sprache zum Wissensaufbau betont und sich als Verbindung von Sprach- und Fachunterricht versteht: „CLIL is not a new form of language education. It is not a new form of subject education. It is an innovative fusion of both“ (Coyle/ Hood/ Marsh 2010, 1). Neben seinem Beitrag zur unterrichtlichen Interdisziplinarität und Innova‐ tion (Wolff 2011) gilt der BU als Ansatz innerhalb der Mehrsprachigkeitsdi‐ daktik, der das Potenzial hat, die Sprachenvielfalt in schulischen Kontexten zu 1 Für eine ausführliche Diskussion des BU als Beitrag zur Mehrsprachigkeit siehe Deutsch (2016, 83-91). fördern 1 (Gajo 2011). Tatsächlich erscheint der BU auf den ersten Blick per se als mehrsprachig, da der Gebrauch einer Fremdsprache als Lern- und Interak‐ tionsmittel die Ressourcenmobilisierung in mindestens zwei Sprachen voraus‐ setzt (Moore/ Nussbaum 2011, 93). Dennoch stellt sich die Frage, inwiefern Mehrsprachigkeit gefördert wird, wenn die Mehrheit der bilingualen Angebote in Deutschland (und Europa) in der Zielsprache Englisch stattfindet: „CLIL ef‐ fectively means CEIL, or content-and-English integrated learning“, wie Dalton-Puffer (2011, 183) pointiert formuliert. Eine Möglichkeit, dieser Situation im Sinne der gesamteuropäischen Sprachenbildungspolitik und der damit ein‐ hergehenden Förderung und Unterstützung der schulisch-institutionellen Spra‐ chenvielfalt entgegenzuwirken, liegt in den bilingualen Modulen. Ihre flexible und unbürokratische Umsetzung, beispielsweise im Rahmen von Projektwo‐ chen durch die Behandlung eines Themas aus einem Sachfach mit Materialien in einer Fremdsprache, macht es möglich, den BU für die Vielfalt von Sprachen, Fächern sowie- über das Gymnasium hinaus - für weitere Schülerschaften und Schulformen zu öffnen (Abendroth-Timmer 2007; Escobar Urmeneta 2011; Diehr 2012). Die Module fungieren somit als eine Art geschützter Raum für die Er‐ probung bilingualer Angebote, in dem alle Beteiligten (Lehrkräfte, Lernende und Elternschaft) sich an das Konzept gewöhnen können (Schwab 2013, 300). Vor diesem Hintergrund wurden an der Universität Göttingen im Rahmen von fachdidaktischen Seminaren und Masterarbeiten verschiedene bilinguale Module in der Arbeitssprache Spanisch entwickelt und erprobt. Nach einer kurzen Darstellung der Vorteile, die sich aus der Verbindung von Sprache und Inhalt sowohl für den Fremdsprachen- (2.) als auch für den Fachunterricht (3.) ergeben, sowie der Darlegung der methodologischen Vorgehensweise (4.), steht die Analyse (5.) ausgewählter Sequenzen von Unterrichtsgesprächen aus einem Politik- und Wirtschaftsmodul im Mittelpunkt dieses Beitrags. Dabei wird in einer konversationsanalytischen Vorgehensweise das Hauptaugenmerk auf die Verflochtenheit zwischen „doing Politik“ und „doing Spanisch“ (Pekarek Doehler/ Ziegler 2007) in der Unterrichtsinteraktion gelegt. Mit der Diskussion der gewonnenen Ergebnisse (6.) und den daraus abgeleiteten forschungsbezo‐ genen und didaktischen Implikationen (7.) schließt der Beitrag ab. 282 Marta García García 2 Für einen Überblick siehe Frings/ Leitzke-Ungerer (2010) sowie Buendgens-Kosten (2014). 3 Eine Prämisse, die mit anderen kommunikativen Ansätzen, u. a. mit der Aufgabenori‐ entierung geteilt wird (vgl. Appel 2017, 94). Siehe bspw. Escobar Urmeneta/ Sánchez Sola (2009) und Moore/ Lorenzo (2015) zur erfolgreichen Anwendung von Lernaufgaben (Tareas) in CLIL-Kontexten in Spanien. 2 Inhalt im Fremdsprachenunterricht There's all the difference in the world between having something to say, and having to say something - J. Dewey Über Authentizität und Künstlichkeit im Fremdsprachenunterricht ist viel ge‐ schrieben worden. 2 Dennoch gibt es möglicherweise nichts Treffenderes als das oben angeführte Zitat von Dewey, um den Kern des Dilemmas des institutio‐ nalisierten Fremdsprachenlernens zu erfassen: die Verwendung der Sprache zu reinen Übungsanstatt zu Kommunikationszwecken. In dieser Problematik kommt den Inhalten eine zentrale Rolle zu. Indem sprachlich-formale Aspekte im Vordergrund stehen und kulturelle Inhalte als Vorwand für die Vermittlung von Grammatik verblassen, wird der Fremdspra‐ chenunterricht „inhaltsleer“ (Krumm 2009, 104) und es wird erschwert, „mit einer neuen Sprache neue Welten zu entdecken“ (ebd. 107). Dabei sind attraktive und interessante Themen, auch wenn sie nur in Abhängigkeit von vielen an‐ deren Faktoren zu einem erfolgreichen Lernen beitragen können, unerlässlich, damit es überhaupt erst einmal zu Kommunikationsanlässen und damit zum komple‐ xeren, inhaltsbezogenen Sprachgebrauch sowie zu positiven Einstellungen gegenüber der Fremdsprache, ihren Artefakten und kulturellen Facetten kommen kann. (Zydatiss 2009, 191) In diesem inhaltsbezogenen Sprachgebrauch sehen die Vertreter des bilingualen Ansatzes den Schlüssel zum erfolgreichen Lernen: 3 (CLIL) is based on the well-known assumption that foreign languages are best learnt by focussing in the classroom not so much on language - its form and structure - but on the content which is transmitted through language. (Wolff 2009, 546) Im Vergleich zu anderen inhaltsbasierten Ansätzen liegt aber das Spezifikum des BU darin, dass die im Unterricht behandelten Themen und Texte sowie die ge‐ stellten Aufgaben nicht aus dem Alltag, sondern aus den akademischen Diszi‐ plinen bzw. Schulfächern stammen (ebd.). Dies ermöglicht es, dass higher-order thinking skills entwickelt werden (Marsh 2010, 235; vgl. Abschnitt 3), anstatt „triviale“ Inhalte zu behandeln, wie dies oft im Rahmen des kommunikativen 283 Urteilsbildung und Argumentation im Bilingualen Unterricht 4 Bzw. des Lernens, siehe hierzu Vollmer/ Thürmann (2010). Ansatzes der Fall ist (Rösler 2009, 170). Daher ist der Unterrichtsdiskurs sowohl quantitativ als auch qualitativ anders als im Fremdsprachenunterricht: Die em‐ pirischen Studien liefern Belege für signifikant weniger Fehlerkorrekturen, we‐ niger enge IRF-Sequenzen, mehr Bedeutungsaushandlungen sowie mehr offene und herausfordernde Fragen mit längeren und komplexeren schülerseitigen Beiträgen in BU-Kontexten als im Fremdsprachenunterricht (Nikula/ Dalton-Puffer/ Llinares 2013). Die Forschungsergebnisse bestätigen darüber hinaus die Annahme, dass die Lernenden im BU mehr Möglichkeiten haben, die Fremdsprache sinn- und bedeutungsvoll zu verwenden. Eine Erklärung diesbe‐ züglich sieht Nikula (2007) in der unterschiedlichen „Sozialisation“ (im Sinne von Rollenverteilung und vom Verständnis der Unterrichtsaktivität an sich), die die Lernenden in BU-Kontexten erleben: [..] it is interesting to note that students in CLIL and EFL classrooms seem to be so‐ cialized into different kinds of identities as users of English, this also being reflected in the IRF structure. While students in EFL classrooms are socialized into producing to-the-point and often quite brief answers to questions relating to various aspects of the English language, students in CLIL classrooms are socialized into using English for purposes other than learning about the language itself. (Nikula 2007, 200) 3 Sprache im Fach - am Beispiel des Politik- und Wirtschaftsunterrichts Während im vorherigen Abschnitt die sprachliche Entwicklung (in diesem Fall der L2) mittels kognitiver Herausforderungen, wie beispielsweise komplexerer Inhalte, betrachtet wurde, wendet sich dieser Abschnitt der Kehrseite zu, näm‐ lich der Sprachlichkeit des Wissens  4 , d. h., der engen Interdependenz von Sprache und Kognition, die sich gegenseitig beeinflussen (Wygotski 1986). Ideen und Gedanken bedürfen sprachlicher Fähigkeiten, um strukturiert zu werden, Form anzunehmen und zugänglich zu sein. Nur in sprachlichen Konstruktionen kann das Wissen gefasst und somit erfasst und begriffen werden (Gardt 1995). „Spre‐ chen und Denken sind zwar nicht dasselbe, aber die Entwicklung höherer Denk‐ prozesse ist auf Versprachlichung angewiesen“, betont Dalton-Puffer (2013, 139). Neben dieser kognitiven bzw. epistemischen Funktion (als Werkzeug des Den‐ kens), die für die inneren Mentalprozesse notwendig ist, macht Sprache durch ihre kommunikative Funktion (als Medium von Wissenstransfer) es überhaupt erst möglich, dass Inhalte mitgeteilt und vermittelt werden (Morek/ Heller 2012; Vollmer/ Thürmann 2010). 284 Marta García García 3.1 Sprachsensibler Unterricht Es leuchtet ein, dass die sprachlichen Strukturen, die für die Transmission von Inhalten im Fall der akademischen Disziplinen notwendig sind, entsprechend komplex sein müssen: It is simply more difficult to explain the process by which cells replicate, or the theory of evolution, or the various factors contributing to global warming than it is to nego‐ tiate the purchase of onions or respond to an addition problem; therefore, the language required must be more complicated. (Snow/ Uccelli 2009, 123 in Morek/ Heller 2012, 74) Die sogenannte „Bildungssprache“ zeichnet sich somit durch eine Reihe von Merkmalen wie die hohe Anzahl von Komposita, Konjunktionen, umfänglichen Attributen und Passivsätzen sowie durch Phänomene wie Substantivierungen, informative Densität, Dekontextualisierung und Abstraktion aus (Lorenzo/ Trujillo/ Vez 2011, 215 sq.). Das alles sind aber allgemeine, von der Fachrichtung unabhängige Eigenschaften der akademischen Texte. Darüber hinaus bedienen sich die akademischen Disziplinen aus einem Fachwortschatz sowie aus fach‐ spezifischen Diskursfunktionen (z. B. Beschreiben, Erklären oder Hypothesen aufstellen) und Textsorten (z. B. Experimentprotokolle, Biografien, Theoreme oder öffentliche Reden), die sich für jedes Fach als typische Darstellungs- und Vermittlungsformen des Wissens herauskristallisiert haben (Dalton-Puffer 2013; Vollmer 2013). Die Rolle der Sprache in den akademischen Disziplinen ist derart von Bedeutung, dass sich aktuell ein Verständnis vom Sachfachlernen etabliert hat, welches sehr eng mit dem Erwerb der fachbezogenen Literalität zusammenhängt: „learning science is the same thing as learning the language of science“ (Halliday 1993 in Morek/ Heller 2012, 75). Diese Erkenntnis hat zum einen dazu geführt, dass sowohl Elemente des sprachlichen Lernens in den schulischen Kernlehrplänen verankert wurden als auch die kommunikative Kompetenz sich als ein Ziel des Sachfachunterrichts in den Kompetenzmodellen etablierte (Vollmer/ Thürmann 2010; Blesse/ Roll 2015; Luft/ Manzel/ Nagel 2015). Zum anderen, und spätestens seit dem PISA-Shock von 2001, wird seitens der Bildungspolitik und der Bildungswissenschaft die dringende Forderung aufge‐ stellt, im Fachunterricht den sprachlichen Besonderheiten des Fachs Aufmerk‐ samkeit zu schenken und diese insbesondere für Kinder mit Migrationshinter‐ grund oder aus bildungsfernen Schichten zugänglich zu machen. Dieser Ansatz des sprachsensiblen Unterrichts, der als „bewusster Umgang mit Sprache beim Lehren und Lernen im Fach“ (Leisen 2010, 3) definiert wird, erlebt zurzeit (wie 285 Urteilsbildung und Argumentation im Bilingualen Unterricht 5 Z.B. das Modellprogramm FörMig in Hamburg oder das Projekt DaZNet in Nieder‐ sachsen und Sammelbände wie Becker-Mrotzek et al. (2013) und Michalak (2014). der BU) Hochkonjunktur, was sich in einer Reihe von Forschungsprojekten und Förderkonzepten widerspiegelt. 5 Auf die Frage, inwiefern Politik- und Wirtschaftsunterricht (auch) Sprach‐ unterricht ist, d. h. inwiefern die sprachliche Dimension im konkreten Fall des Fachs Politik und Wirtschaft eine Rolle spielt, wird im nächsten Abschnitt ein‐ gegangen. 3.2 Politik und Wirtschaft: ein kommunikatives Fach Im Gegensatz zu vermeintlich spracharmen Fächern gilt Politik eher als ein ‚La‐ berfach‘. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass der Gegenstand der Politik an sich (anders als bei Mathematik, Kunst oder Sport) nicht ohne Sprache auskommen kann: Politik wird durch oder mit Sprache entworfen, vorbereitet und ausgelöst; sie wird von Sprache begleitet, beeinflusst und gesteuert, durch sie beschrieben, erläutert, mo‐ tiviert, gerechtfertigt, verantwortet, kontrolliert, kritisiert sowie beurteilt und gege‐ benenfalls verurteilt. (Detjen 2012, 29 in Luft et al. 2015, 11) Das Ziel des Politik- und Wirtschaftsunterrichts ist die Befähigung der Schüle‐ rinnen und Schüler zur Teilhabe am Leben in der demokratischen Gesellschaft (MK Niedersachsen 2015, 5). Diese Teilhabe findet grundsätzlich durch Sprache (noch genauer, durch Sprache im Diskurs) statt, denn „[e]s geht darum, Inter‐ essen zu definieren und zu artikulieren, Konflikte auszutragen, anhand von dis‐ kursiven Settings Kompromisse zu finden, Entscheidungen zu verhandeln und zu begründen“ (Achour/ Jordan/ Sieberkrob 2017, 231). Die zentralen Kompe‐ tenzen des Politikunterrichts (Urteils- und Handlungskompetenz) sind daher grundsätzlich diskursive Kompetenzen: Damit die Lernenden politische Urteile aussprechen und somit politisch aktiv (im Sinne von Teilnahme in der Gesell‐ schaft) werden, müssen sie in der Lage sein, die eigene Stellungnahme unter der sachgerechten Verwendung von Fachbegriffen zu formulieren, zu erklären und zu rechtfertigen sowie eine Argumentationsstrategie zu entwickeln (ebd., 240; Luft et al. 2015, 17 sq.). Ob und wie tatsächlich im Fach Politik und Wirtschaft diese notwendige sprachliche Förderung stattfindet, dazu ist die empirische Forschungslage dürftig, jedoch zeigen die bisherigen Studien, dass „eher auf Alltagsverständnisse zurückgegriffen und eine politische Fachsprache mit be‐ reichsspezifischen Begriffen kaum angewendet wird“ (Manzel 2015, 269). Es kann aber die Vermutung angestellt werden, dass der BU, als interdisziplinärer 286 Marta García García und sprachsensibler Unterricht per excellence (Escobar Urmeneta 2011; Schwab 2013; Bonnet 2015), den geeigneten Rahmen zur Entwicklung und Implemen‐ tierung von sprachförderlichen Lehr- und Lernkonzepten bietet. Der BU agiert somit als perfekter Katalysator eines „linguistic turn“ in der Didaktik der Sach‐ fächer, denn es ist sicherlich kein Zufall, dass gerade die zwei aktuell stärksten Bewegungen in der Schullandschaft (BU und sprachsensibler Unterricht) sowohl auf Sprache als auch auf Interdisziplinarität setzen: Der Ansatz, Sprache als Medium des Lernens im Fach explizit zu didaktisieren, hat einen Anschub für die linguistische und pädagogische Theoriebildung geliefert, indem disziplinäre Grenzen gelockert und der Zusammenhang von Sprachlichkeit, Kognition und Lernen in ihrer Funktionalität anerkannt wurden. Diese Entwicklung lässt auf eine gemeinsame, interdisziplinäre Anstrengung hoffen, ein „literal empowerment“ auf dem Weg zu bringen und entsprechende Konzepte in Schule und Hochschule zu implementieren […]. (Beese/ Roll 2015, 68) Allerdings stellt sich die Frage nach dem geeignetsten Ansatz für diese Sprach‐ förderung, die im Fall des Politik- und Wirtschaftsunterrichts hauptsächlich als Förderung diskursiver Fähigkeiten erfolgen soll. In diesem Zusammenhang un‐ terscheiden Heller und Morek (2015, 3) zwischen zwei Modalitäten der Arbeit mit diskursiven Praktiken wie dem Erklären und dem Argumentieren: in „se‐ paraten Übungen“ (wie z. B. Rollenspiele) oder eingebettet in das Unterrichts‐ gespräch, was „die Verschränkung fachlichen und diskursiven Lernens“ (ebd., 4) ermöglicht. Letztere scheint die bessere Alternative für den Politik- und Wirt‐ schaftsunterricht zu sein, weil die Urteilsbildung (fachliches Ziel) nur durch das Argumentieren (diskursives Ziel) erreicht werden kann. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dem BU zwei Anforderungen - als mitteilungsbezogener Fremdsprachenunterricht einerseits, als sprachsensibler Sachfachunterricht andererseits - gestellt werden. Inwiefern diese Doppelrolle in der Unterrichtsinteraktion erfüllt wird, ist Gegenstand dieser Studie. 4 Forschungsfragen und Methodologie Selbst wenn die oben in aller Kürze wiedergegebenen Ausführungen über die synergetischen Lerneffekte aus der Integration von Fach- und Sprachunterricht längst allgemein bekannt sind, wird doch regelmäßig auf die Notwendigkeit von mehr unterrichtsbasierten Studien hingewiesen, die sowohl diese Synergien er‐ hellen als auch zeigen, wie die Lerngelegenheiten im Kontext eines CLIL-An‐ satzes optimiert werden können (Nikula/ Dalton-Puffer/ Llinares 2013; Cenoz/ Genesee/ Gorter 2014; Lo/ Macaro 2015): 287 Urteilsbildung und Argumentation im Bilingualen Unterricht 6 Alle Namen, sowohl von der Lehrkraft als auch von den Lernenden, wurden anonymi‐ siert. A key point to bear in mind is that, irrespective of the concerns of the moment, be it social integration, nation building, language and curriculum learning or language re‐ vival, the claims for or against bilingual education of any form ring hollow when there is not a clear sense of what happens inside the classroom. (Leung 2005, 238 in Bruton 2011, 530; Herv.: MGG) Das übergeordnete Ziel des vorliegenden Beitrags ist es daher, aus der Analyse eines Moduls des in Abschnitt 1 vorgestellten Corpus die Verbindung von sprachlichen und fachlichen Aspekten in der (fremdsprachigen) Unterrichtsin‐ teraktion zu untersuchen und das Potenzial sowohl für das Sachfachals auch für das Fremdsprachenlernen zu eruieren. Konkret wurde die Studie von fol‐ genden Fragen geleitet: - Inwiefern lassen sich (a) authentische Kommunikationsanlässe für die Fremdsprache, (b) fachdidaktische Prinzipien des Sachfaches und (c) eine Argumentationsförderung im Zuge der Unterrichtsinteraktion er‐ kennen? - Inwiefern wirkt sich die Mehrsprachigkeit (d. h. die Tatsache, dass der Unterricht in der Fremdsprache durchgeführt wird) auf die (sachfachli‐ chen) Unterrichtsziele aus? Um es in konversationsanalytischer Terminologie auszudrücken: Wie wird die Orientierung an „doing Politik“ und an „doing Spanisch“ lokal organisiert (vgl. Pekarek Doehler/ Ziegler 2007)? Und inwieweit ist die Mehrsprachigkeit für die Teilnehmenden relevant? Für den folgenden Beitrag wurde das von der Studentin Milena 6 entwickelte Modul zu Politik und Wirtschaft Mode und Moral - Die Bekleidungsindustrie im Zeitalter der Globalisierung ausgewählt. Das aus drei aufeinanderfolgenden Doppelstunden bestehende Modul wurde in einer 10. Klasse erprobt und video‐ grafiert. Nach Aussagen der regulären Lehrkraft hatten die 17 Schülerinnen und Schüler zum Zeitpunkt der Erhebung das B1 Niveau des GER erreicht, befanden sich im 5. Spanisch-Lernjahr und verfügten über keine vorherige Erfahrung mit BU. Drei Schülerinnen hatten Spanisch als Herkunftssprache. Das behandelte Thema lässt sich im Niedersächsischen KC für den Jahrgang 10 innerhalb des Bereichs „Unternehmen und Arbeitsbeziehungen“ verorten. Das Ziel des Mo‐ duls ist die „Bewusstmachung der Relevanz individueller Wertorientierungen bei Konsumentscheidungen“ und somit die Förderung der Meinungs- und Ur‐ 288 Marta García García 7 Die Problemorientierung als politikdidaktische Methode hat als Ziel „Menschen in die Lage zu versetzen, Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven wahrzunehmen, ver‐ schiedene Lösungen durchspielen zu können und sich ein begründetes eigenes Urteil über die bestmögliche Lösung zu bilden“ (Sander 2001, 123). teilsbildung der Lernenden über ihr Kaufverhalten sowie ihre Rolle als Konsu‐ menten. Nach der ersten Sichtung des gesamten Materials wurden spezifische Szenen mit interner Kohärenz (eine erkennbare Unterrichtsaktivität, deutlicher didak‐ tischer Fokus) ausgewählt und in einem zweiten Schritt mithilfe der Transana Software (Woods / Fassnacht 2017) sowie nach den konversationsanalytischen Konventionen (wie in Hepburn & Bolden 2013 zusammengefasst) fein transkri‐ biert. Die für die Analyse relevanten multimodalen Ressourcen wurden in An‐ lehnung an Mondada (2016) in getrennten Zeilen und in Kursivschrift wieder‐ gegeben. Die Auswertungsmethode folgte einer konversationsanalytischen Perspek‐ tive, die in ihrer Anwendung auf BU-Unterrichtskontexte einen besonderen de‐ taillierten Blick auf die Lehr- und Lernhandlungen und ihre sequenzielle Ent‐ wicklung in der Interaktion ermöglicht. 5 Analyse Zu Beginn der Stunde und als Einstieg in die Thematik der Arbeitsbedingungen in der Textilbranche haben die Lernenden anhand von diversen Impulsen ange‐ geben, welche Aspekte ihnen beim Kauf eines Kleidungsstücks am wichtigsten sind und wie viel sie für ein T-Shirt bereit wären zu zahlen. Die Ergebnisse dieser informellen Klassenumfrage wurden visuell in Form einer Skala auf einem Plakat an der Tafel festgehalten. Darüber hinaus hat Milena ein Diagramm mit der Preisaufschlüsselung einer Jeans beschreiben und kommentieren lassen, auf dem zu erkennen ist, dass die Löhne in der Modeindustrie lediglich circa 1,5% des Endpreises eines Kleidungsstückes ausmachen. All diese Unterrichtsschritte bezweckten im Sinne der Problemorientierung 7 , die Lernenden auf einen poli‐ tischen und ökonomischen Sachverhalt aufmerksam zu machen - in diesem konkreten Fall auf die Niedriglöhne der Textilarbeiterinnen -, den es zu ändern gilt. Dabei sollte nach dem Beutelsbacher Konsens das Thema neutral und gleich‐ zeitig kontrovers präsentiert werden, damit sich jeder eine eigene Meinung bilden konnte. Im Anschluss an die Besprechung des Diagramms initiierte die Lehrerin folgende Sequenz: 289 Urteilsbildung und Argumentation im Bilingualen Unterricht 5.1 Sequenz 1 "cómo es posible" (LEH: Lehrerin, ANN: Anna, ISA: Isabel, AND: Andres, SMX: unbekannter männlicher Schüler) 1 LEH bueno entonces, (.5) 2 *la mayoría, (0.6) ha dicho, (.9) *öffnet die zugeklappte Tafel--> 3 vamos a verlo otra vez, (1.3)* --->* 4 que está dispuesta, 5 a pagar *dentro de veinte y veinticinco euros,* (.) *zeigt auf das Plakat-----------------* 6 para una camisa. (.7) 7 *aquí podemos ver* *zeigt auf das Diagramm* 8 que de los veinte euros; (.6) 9 los trabajadores >porque no es solamente uno< (.) 10 son varios trabajadores (.) 11 reciben solamente un punto cin↑co, (1.4) céntimos. 12 (1.5) 13 tenéis alguna idea (.) cómo es posible; (1.3) 14 bueno cómo escómo es (.) posible eso? (1.) 15 el asunto que: (.5) ganan tan poco? 16 *(26.)* *nimmt die an der Tafel klebenden Karteikarten ab, zwei Schüler melden sich* 17 LEH sí? 18 (.3) 19 ANN hay niños que trabajan en países en vía de desarrollo, 20 y porque: (.5) ahm (1.2) sí (1.3) no: 21 SMX ((flüsternd)) °reciben°. 290 Marta García García 22 ANN no reciben más dinero, (.) 23 (.8) 24 LEH ((zustimmend)) hmHM; 25 ANN porque solo son niños°; ((Beitrag von Ann wird lauter wiederholt)) 26 (.4) 27 LEH hm. (.9) vale: sí, (.4) sí? 28 (.3) 29 ISA también hay un problema que hay muchas personas en (.) 30 los países ehm en: en vías de desarrollo, 31 que: necesitan trabajo: (.) y porque hay tantas personas, 32 ehm no hay suficiente trabajo, (.) 33 y las personas (.) que trabajan para menos dinero (.) 34 reciben (.) el trabajo porque así las personas (.) los jefes 35 tienen que pagar menos (.6) 36 y así ehm los que trabajan 37 para menos dinero reciben (.7) eh reciben el trabajo, (.6) 38 y: ese dinero aunque es pocmuy muy poco, (.5) 39 tienen que trabajar para recibir= 40 *=algo para vivir porque no tienen casi ningún dinero.* leh *nickt zustimmend------------------* 41 (.4) 42 LEH bueno entonces lo que vosotras dos queréis decir (.) 43 $como *conclusión* de lo que habéis dicho$ *runde Handbewebung* 44 es que LAS empre: las empresas grandes (.) abusan (.3) 45 la situación (.) 46 en la que se encuentran los trabajadores (.4) 47 en este tipo de países (.4) no? (.5) 48 abusar algo? (.) 49 cono+céis la palabra? (.3)+ 291 Urteilsbildung und Argumentation im Bilingualen Unterricht 8 „Los cauces informativos de los contenidos en el aula bilingüe no son diversos sólo respecto a las lenguas, sino que son multimodales en los sistemas semióticos que usa“ (Lorenzo/ Trujillo/ Vez 2011, 218). Über die häufigere Präsenz von Lernartefakten in CLIL-Kontexten als im „normalen“ Fremdsprachenunterricht und deren Rolle zur Un‐ terstützung der Lernprozesse siehe Jakonen (2018). sus +mehrere Schüler heben die Hand+ 50 LEH *sí? * *zeigt auf AND* 51 AND ausnutzen. 52 LEH exactamente (.) sí. 53 (.5) 54 LEH vale muy bien entonces eso es una posibilidad, 55 no lo sabemos todavía no? 56 leh dreht sich und schreibt an die Tafel den Satz "las empresas abusan la mala situación de los trabajadores" Die Sequenz beginnt mit den Diskurspartikeln bueno entonces (Z. 1), die in ihrer Funktion als Diskontinuitätsmarker den Übergang in eine neue Unterrichts‐ phase mit einem neuen pädagogischen Fokus (Seedhouse 2008) explizit machen. Die Lehrerin nimmt anschließend auf die vorher durchgeführten Unterrichts‐ aktivitäten Bezug: die Kaufvorstellungen der Lernenden (visuell dargestellt auf dem Plakat an der Tafel) und die Besprechung des Diagramms mit der Preis‐ aufschlüsselung (Z. 2-6 und 7-11). Der Kontrast zwischen den 20-25 € Kaufpreis einerseits und den 1,5 Cent Arbeitslohn andererseits wird zum einen mit Pausen und suprasegmentalen Elementen, zum anderen mit non-verbalen Handlungen (das Zeigen auf das Plakat und auf das Diagramm) 8 hervorgehoben. Somit wird den Lernenden ein ‚politisch-ökonomisches Problem‘ vor Augen geführt. In Zeile 12 tritt eine rhetorische Pause ein, die die Spannung aufbaut und auf den Höhepunkt des Beitrags vorbereitet: tenéis alguna idea (.) cómo es posible (…) el asunto que: (.5) ganan tan poco? Es handelt sich hier um eine anspruchsvolle Frage, die von den Lernenden Kreativität und Denkvermögen (das Etablieren und Erklären eines Kausalzusammenhangs) abverlangt. Milena fragt aber nicht nach einer einzigen richtigen Lösung, vielmehr werden die Lernenden einge‐ laden, mit „irgendwelchen“ Ideen (alguna idea) die Gründe für die niedrigen Arbeitslöhne zu erklären. Die Wortwahl alguna zeigt dabei, dass jeder Vorschlag willkommen ist. Nach der langen Denkpause (Z. 16) erhält Anna das Rederecht und schlägt als Möglichkeit die Kinderarbeit vor. Sie argumentiert, dass Kinder, nur weil sie 292 Marta García García Kinder sind, „weniger Geld verdienen“ (reciben menos dinero, Z. 19-25). Das Wort reciben bekommt Anna dabei von ihrem Mitschüler zugeflüstert und je unsi‐ cherer sie mit ihrer Aussage wird, desto leiser spricht sie, sodass sie am Ende den Beitrag noch mal wiederholen soll (nicht im Transkript). Auf eine (vielleicht nicht ganz überflüssige) Reformulierung der Argumentation zwecks der Ver‐ besserung der Zirkularität verzichtet die Lehrerin. Stattdessen nimmt sie den Beitrag als gültige Antwort mit einem kurzen Rezipientensignal (hm) sowie einem knappen vale an und gibt der nächsten Schülerin, Isabel, das Wort. Diese erwähnt als Problem (Z. 29), dass in den Entwicklungsländern viele Menschen auf eine Beschäftigung angewiesen sind, die Arbeitgeber diejenigen einstellen, die bereit sind, für weniger Geld zu arbeiten, und die Arbeitnehmer letztendlich diese schlechte Bezahlung akzeptieren müssten, um zu überleben. Der Beitrag ist bezüglich seiner Länge, Korrektheit und syntaktischen Komplexität (drei Re‐ lativsätze, drei Kausalsätze und ein Konzessivsatz) beachtlich. Auf die kleinen sprachlichen Fehler (Verwendung von porque anstatt como in Z. 31 und von para anstatt por in Z. 33 und 37) bzw. auf den unvollständigen Satz von Z. 38 geht Milena nicht ein, sie begleitet lediglich das Ende des Beitrags mit einem zustim‐ menden Nicken. Weitere Kommentare oder Bewertungen - wie im Fall von Annas Antwort - erfolgen ebenfalls nicht. Stattdessen werden beide Beiträge „modelliert“ (vgl. shaping, Walsh 2012): Die Lehrerin bietet eine Zusammenfas‐ sung (conclusión) an und bringt dabei einen Schlüsselbegriff für die Diskussion (abusar) ein, dessen Bedeutung in einer Seitensequenz (Z. 48-53) geklärt wird. Schließlich werden die Vorschläge von Anna und Isabel als eine Möglichkeit (una posibilidad, Z. 54) bewertet. Die Sequenz folgt überwiegend dem klassischen Schema des fragend-ent‐ wicklenden Unterrichtsgesprächs, ist aber in zweierlei Hinsicht besonders auf‐ fällig. Zum einen sind viel längere und elaboriertere Redebeiträge der Lernenden vorzufinden, als es im Fremdsprachenunterricht und in manchen BU (Dalton-Puffer 2007; Llinares/ Morton 2010) üblich ist. Des Weiteren bedienen die Antworten von Anna und Isabel nicht nur die von der Lehrerin gestellte Anforderung, mögliche Ursachen der Niedriglöhne zu nennen, sie äußern dar‐ über hinaus Kritik (gegen die Arbeitgeber) und Mitgefühl (mit den Kindern und Arbeitnehmern). Indem beide Schülerinnen sich derart in den Unterrichtsdis‐ kurs einbringen, wird deutlich, dass sie sich nicht um des Üben Willens betei‐ ligen, sondern dass sie etwas zu sagen haben und es mitteilen wollen. Die Kom‐ plexität der Beiträge ist ein Hinweis, dass sie in „intellectually and socially more demanding“ (Nikula 2007, 197) Aufgaben involviert sind (vgl. Abschnitt 3). Zum anderen sind die minimalen Rückmeldungen der Lehrerin ebenfalls sehr auffällig, indem diese lediglich als reine Rezipientensignale (Z. 27) oder als 293 Urteilsbildung und Argumentation im Bilingualen Unterricht Gestik (Z. 40) ohne weitere Bewertung bzw. Kommentar zum Ausdruck kommen. Dieses Absehen von explizitem Feedback ist auf das Prinzip des Über‐ wältigungsverbots zurückzuführen, welches am Ende des Fragments deutlich wird: Milenas Zweck ist das Sammeln verschiedener „Möglichkeiten“ (Z. 54). Ob diese richtig oder falsch sind, wird im weiteren Verlauf der Stunde geklärt: no lo sabemos todavía (Z. 55). Umformulierungen und sprachliche Korrekturen werden weder angeboten noch verlangt, auch nicht solche, die den Ausdruck der Kausalität (porque anstatt como) oder den Ausbau einer Kausalkonstruktion betreffen. Nachdem weitere Ideen und Meinungen der Lernenden im Sinne des Per‐ spektivwechsels aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und an der Tafel gesammelt werden, kommt die Lehrerin zu einer neuen Fragestellung, die im folgenden Abschnitt analysiert wird. 5.2 Sequenz 2 "comercio justo" (LEH: Lehrerin, SON: Sonia, ISA: Isabel) 1 LEH vale muy bien chicos. (.7) 2 entonces, (.) 3 qué (.) preguntas (.) surgen (.6) 4 *al ver todos estos datos*, *zeigt auf die Tafel-----* 5 qué preguntas tenemos? 6 (2.5) 7 todo eso tiene que ver algo con nosotros? (1.2) 8 estamos de alguna manera, (.) indirecta, 9 (3.) 10 sus SON und AND heben die Hand 11 conectados (.7) con ese asunto? (1.2) 12 sí? 13 (.3) 14 SON yo creo que sí porque: nosotros somos (.) 15 los que compramos (.) esa ropa, (.3) 16 y: al fin no: no gastamos más dinero para: que la gente: (.) 294 Marta García García 17 los trabajadores reciban (.) más dinero: = 18 =o para (.) que puedan 19 trabajar (.) bien (.) 20 ehm y deal fin pagamos siete euros y: 21 y no ni reciben dos centimcentcent- °centim°- 22 LEH céntimos. hmhm. (1.) vale. (.5) 23 pero qué siginifica eso que: = isa hebt die Hand 24 =a partir de ahora solamente deberíamos 25 fabricar nuestras prendas en Alemania? (.) 26 o en Europa? (1.8) 27 o si: (.3) solamente deberíamos comprar (.3) 28 ropa limpia, (.5) 29 de comercio justo? 30 (1.3) 31 sí? 32 ISA ahm me parece que: (.) no: tendríamos que apoyar 33 a las (.) marcas (.) que (.) le dan poco dinero 34 a los trabajadores, 35 y: ya que somos un país (.5) más rico, (.) 36 ehm comprar ropa (.3) que: (.5) ehm sea más (.) 37 más verehm (1.) (xxx) 38 LEH de comercio justo. 39 ISA sí de comercio justo y que sea más cara, 40 LEH SÍ. 41 ISA ehm para que: para que sí sea sea justo, 42 y: los trabajadores reciban más dinero, (.3) 43 y: (.) a lo mejor tampoco comprarnos (.) 44 ehm siempre más ropas sino usar lo que ya: tenemos, 45 para no: apapoyar a los comercios malos. 295 Urteilsbildung und Argumentation im Bilingualen Unterricht 9 Eine politikdidaktische Operationalisierung des Argumentierens erfolgt über die Inte‐ gration der Urteilskategorien Legitimität und Effizienz; nur hierdurch werden sie zu genuin politischen Argumenten (Achour / Jordan / Sieberkrob 2017, 240). 46 LEH hmhm↑ sí, es una posibilidad claro. Auch hier wird wie im ersten Fragment zuerst die vorherige Sequenz explizit abgeschlossen (vale muy bien, Z. 1), die neue mit einem Diskursmarker (ento‐ nces, Z. 2) eingeleitet und auf das zuvor Erarbeitete Bezug genommen (Z. 4). Milena lädt dann die Lernenden ein, die im Verlauf der Erarbeitungsphase ent‐ standenen Fragen zu formulieren (Z. 3 und 5). Diese ‚Frage nach den Fragen‘ liegt im Prinzip der Problemorientierung begründet und bezweckt die Beteili‐ gung der Lernenden an der Problemformulierung und -lösung und soll sie zum Nachdenken anregen. Der Versuch bleibt jedoch zunächst erfolglos, da sich nie‐ mand meldet (Z. 6). Daraufhin reformuliert die Lehrerin zweimal ihren Impuls (Z. 7-13), um nach einer Verbindung, „womöglich indirekt“ (de alguna manera indirecta), zwischen dem Sachverhalt und den Lernenden zu fragen. Sonia be‐ teiligt sich (Z. 14-21) und erkennt die Verantwortung des eigenen Kaufverhal‐ tens an den Niedriglöhnen: nosotros somos los que compramos esa ropa. Indem sie mit Gerechtigkeit argumentiert (para que reciban (.) más dinero o para (.) que puedan trabajar (.) bien), bedient sie sich an der politischen Urteilskategorie der Legitimität. 9 Milena akzeptiert den Beitrag erneut ohne besondere Rückmeldung (hmhm vale) und wirft direkt im Anschluss eine kontroverse These auf (Z. 23-29), zu der die Klasse eingeladen wird, Stellung zu nehmen. Isabel bekommt das Rede‐ recht erteilt, woraufhin sie ihre Meinung, die Billigmarken nicht zu unter‐ stützen, wie ihre Vorrednerin mit dem Argument der Gerechtigkeit (para que sí sea sea justo) begründet. Während dem ersten Vorschlag (Kleider vom Fair Trade zu kaufen) deutlich zugestimmt wird (sí), verhält sich die Lehrerin bei dem zweiten (weniger Kleidung zu kaufen) erneut distanziert (hmhm, Z. 46). Ihre Absicht ist es, dass die Lernenden sich eine eigene Meinung bilden und über ihr individuelles Konsumverhalten und dessen mögliche (negative) Auswirkungen reflektieren. Dieses Ziel erschließt sich als genuin und glaubwürdig für die Ler‐ nenden, die sich daran orientieren und eine sinnhafte Kommunikation hervor‐ bringen: Die schülerseitigen Redebeiträge erfüllen ihre kommunikative Funk‐ tion als Vorschläge, Meinungen, Argumente, Kausalzusammenhänge etc. und sind keine leeren Beispiele von Kausalbzw. Konzessivsätzen oder dem Ge‐ brauch des Subjuntivo. Wie die Teilnehmenden tatsächlich zur Urteilsbildung kommen, wird im folgenden Abschnitt analysiert. 296 Marta García García 5.3 Sequenz 3 “qué papel tenemos” Die Sequenz stammt aus der zweiten Doppelstunde des Moduls. Nach der Lek‐ türe und dem Kommentar eines Zeitungsartikels hat die Lehrerin die Verzah‐ nung zwischen der großen Nachfrage in den Industrieländern und der schnellen, auf Niedrigkosten basierenden Produktion in den Entwicklungsländern durch die Zeichnung eines „Teufelskreises“ an der Tafel festgehalten. Darauf bezug‐ nehmend fordert Milena eine Reflexion der Lernenden: (LEH: Lehrerin, MAR: Marcus, SYL: Sylvia, AND: Andy) 1 LEH entonces, (2.) 2 qué papel tenemos nosotros (.) en ese (.) juego? (.7) 3 o en ese círculo vicioso? 4 (2.) 5 LEH sí? 6 MAR sí ehm los fábricos ehm (.5) 7 no tienen que cumplir los ehm condicionantes de salud (2.) 8 eh hehe lala seguridad y: ehm esos (.) puntos (.) 9 y por y por eso es muy barato para ellos. 10 *(.6)* 11 leh *nickt zustimmend* 12 LEH también. es verdad sí, 13 PERO me gustaría volver a mi última pregunta ehm que hice, (.) 14 qué papel tenemos nosotros como consumidores? 15 (1.5) 16 qué qué qué rol tenemos nosotros? sí? 17 SYL podemos comprar (.) eh ropa ehm (.6) barata, 18 (.) 19 LEH sí. 20 SYL y (1.5) °no tenemos que: ehm (pagar más dinero)° 21 (.7) 22 LEH PERO (1.) sin nosotros (1.2) 297 Urteilsbildung und Argumentation im Bilingualen Unterricht 23 sin que nosotros, (.8) compraríamos esa ropa? (.) 24 sí? 25 AND bueno nosotros apoyamos eso (en el) final porque (.5) 26 *sí, lo compramos y ellos* leh *nickt zustimmend * 27 AND pueden conseguir más. 28 LEH exactamente (.) exactamente. Die Lehrerin fragt danach, wie die Lernenden ihre eigene Rolle in diesem Teu‐ felskreis sehen (Z. 1-3). Zuerst meldet sich Marcus, aber seine Antwort, die Fa‐ briken müssten die Gesundheits- und Sicherheitsstandards nicht erfüllen und deswegen sei die Produktion sehr billig (Z. 6-9), geht nicht in die von Milena gewünschte Richtung. Sie akzeptiert den Beitrag als richtig (es verdad, Z. 12), zeigt aber gleich im Anschluss, dass damit keine Antwort auf die gestellte Frage geliefert wurde (Z. 13), ein Kommentar, der deutlich durch die adversative Kon‐ junktion pero markiert wird. Milena wiederholt ihre Frage einmal mit der Er‐ gänzung como consumidores und, nach einer Pause (Z. 15), in der sich niemand meldet, ein zweites Mal mit einem leichter verständlichen Wort (rol anstatt papel, Z. 16). Sylvia bekommt das Rederecht und geht in ihrem Beitrag eher auf die Vorteile ein, die diese Situation für die Kunden in den Industrieländern mit sich bringt, jedoch nicht auf die Eigenverantwortung jedes Einzelnen. Deshalb akzeptiert die Lehrerin diese Antwort erneut nicht (pero, Z. 22) und reformuliert infolgedessen die Frage, mit einer klaren Emphase auf der Rolle der Käufer (nosotros) als Verursacher des Models (Z. 22). Andy meldet sich und argumen‐ tiert, dass „wir“ als Konsumenten mit unserem Kaufverhalten (porque (.5) sí, lo compramos) die Situation (eso) unterstützen. Abweichend von ihrem bisherigen Rückmeldeverhalten lobt die Lehrerin die Antwort ausdrücklich (exactamente (.) exactamente). Anders als in den schülerseitigen Beiträgen zuvor geht es hier nicht um Meinungen bzw. Argumente, mit denen man einverstanden sein kann oder nicht, sondern um eine Reflexion über Auswirkungen der individuellen Konsumentscheidungen, die im Diskurs explizit gemacht werden: Das Ziel des 298 Marta García García 10 Hier soll selbstverständlich keine Aussage darüber getroffen werden, inwiefern die Re‐ flexion bei all den anderen Lernenden stattgefunden hat, aber durch die vorherige Analyse kann man davon ausgehen, dass eine Reflexion und Bewusstmachung in Gang gesetzt wurde: „Das Ziel der Urteilsbildung besteht in der Initiierung eines Prozesses, nicht dem Erreichen eines bestimmten Ergebnisses“ (Kayser/ Hagemann 2005, 10). 11 Wenn ein Thema wie der Fair Trade Gegenstand des Unterrichts ist, wird es oftmals nur als Vorwand für die Vermittlung sprachlicher Formen verwendet. Siehe hier Bar‐ quero et al. (2011). Für eine zielgerechte Behandlung der politischen Bildung im Spa‐ nischunterricht siehe Grünewald (2017). Moduls gilt somit für die Lehrerin, die dies mit ihrer Zustimmung besonders hervorhebt, als erreicht. 10 6 Diskussion In diesem Beitrag wurde der Fokus darauf gelegt, wie die sprachlichen und fachlichen Aspekte innerhalb eines bilingualen Moduls (Politik/ Spanisch) in‐ einandergreifen. Aus der Analyse der Unterrichtsinteraktion in den Plenums‐ sequenzen lassen sich folgende Bemerkungen feststellen: Erstens zeigt die Analyse deutlich, dass es sich um Fachunterricht und nicht um Fremdsprachenunterricht handelt. Lernende und Lehrerin orientieren sich an Lernartefakten (Diagramme, Grafiken, Plakate), Prinzipien (Überwältigungs‐ verbot, Kontroversität, Legitimität) und Zielen (Reflexion über die Arbeitsbe‐ dingungen in der Textilbranche und Bewusstmachung über das eigene Kon‐ sumverhalten), die ausschließlich politikdidaktisch sind. Innerhalb dieser Rahmung elizitiert und moderiert die Lehrerin die Wort‐ meldungen der Lernenden so, dass sie die nicht-zielführenden Beiträge zwar als Teilnahme honoriert, aber immer gleich im Anschluss die nächste Aufforderung (an die Lernenden) formuliert, bis das erwartete Ziel erreicht wird. Es geht also keineswegs darum, zu Übungszwecken Ideen an der Tafel zu sammeln, die weder an das Vorherige noch an das Folgende anknüpfen. Im Ge‐ genteil dazu ist jeder Unterrichtsschritt in den analysierten Sequenzen sehr eng mit dem vorherigen und dem nächsten verzahnt. Die fachliche, argumentative Progression wird deutlich erkennbar. Dies spiegelt sich auch in den Ausdrucks‐ weisen, mit denen sich die Lehrerin auf das zuvor Erarbeitete bezieht und das Folgende ankündigt, wider. Der Unterschied zu einem lehrwerkbasierten Spa‐ nischunterricht ist in dieser Hinsicht deutlich, da eine interne inhaltliche Ko‐ härenz innerhalb der Lehrwerkaktivitäten meistens nicht gegeben ist und diese fachlichen und persönlichkeitsbildenden Komponenten (leider! ) meistens im klassischen Fremdsprachenunterricht nicht vorhanden sind. 11 299 Urteilsbildung und Argumentation im Bilingualen Unterricht 12 Die Lehrerin hatte bereits im Rahmen eines universitären Seminars eine Unterrichts‐ stunde konzipiert und durchgeführt. Zweitens hat genau diese Orientierung auf „doing Politikunterricht“ klare Auswirkungen auf die Unterrichtsinteraktion, die zweifelsohne als sinnvoll und authentisch bezeichnet werden kann: herausfordernde Fragen, lange und kom‐ plexe Redebeiträge und zurückhaltendes lehrerseitiges Feedback, das nicht auf grammatische Fehler eingeht. Sofern diese anspruchsvollen Fragen keine richtige oder falsche Antwort vorhersehen, besitzen sie keinen Kontrollcharakter: Die Lehrerin fragt, fragt aber nicht ab, sondern erlaubt somit einen Gesprächsraum für lange und kom‐ plexe Antworten, weit weg von den einsilbigen Beiträgen, die sowohl im Fremdsprachenunterricht (Nikula 2007) als auch im Sachfachunterricht (Heller und Morek 2015) Standard sind. Anders als bei Fragen, die nur zwecks der Her‐ vorhebung bestimmter sprachlicher Formen gestellt werden und die bei vielen Lernenden zu Verwirrung oder Frustration führen (Toth/ Moranski 2018, 77), wurden die Fragen im Rahmen des analysierten fragend-entwickelnden Unter‐ richtsgesprächs eingesetzt, um tatsächlich schülerseitige Meinungen, Hypo‐ thesen und Argumente hervorzurufen. Auch wenn die Schülerinnen, die die längsten Beiträge hervorbringen, wie Isabel und Sonia, höchstwahrscheinlich Herkunftssprecherinnen des Spanischen sind, heißt das nicht, dass andere Ler‐ nende von der Teilnahme ausgeschlossen wurden (siehe die Beiträge von Mario und Sylvia). Anstatt daraus zu schließen, dass nur Lernende mit herkunftsprach‐ lichem Hintergrund vom BU profitieren, sei hier die Interpretation gewagt, dass erst in einem CLIL-Kontext die Lernenden (mit Herkunftssprache oder ohne) ihre Sprachfertigkeiten vollständig entfalten können. Drittens erlauben die analysierten Fragmente die direkte Beobachtung, dass es sich um einen normalen Unterricht handelt, im Sinne einer reibungs- und problemlosen Teilnahme seitens der Lernenden am Unterrichtsgeschehen. Dies ist keineswegs trivial, wenn man berücksichtigt, dass für alle Beteiligten (Lehr‐ kraft sowie Lernende) diese die erste bedeutende Erfahrung mit der Vermittlung von Inhalten in einer Fremdsprache darstellte. 12 Das Fach Politik scheint sich somit perfekt für den Einstieg in den BU zu eignen - ein Potenzial, das durch die Überscheidung von Themen sowie von Textsorten zwischen dem Fach Po‐ litik und den fremdsprachlichen Fächern verstärkt wird. Die Durchführung eines bilingualen Politikmoduls bringt somit Vorteile für beide Fächer mit sich. Neben den authentischen Kommunikationsanlässen für den Spanischunterricht profitiert das Fach Politik (indem tatsächlich Politikunterricht gehalten wird) von mehr Unterrichtszeit als die wenigen Wochenstunden, die in den Bildungs‐ 300 Marta García García plänen vorgesehen sind (Manzel 2016). Hierbei scheint die Fremdsprache keine Barriere für die Beteiligung und das Erreichen der Unterrichtsziele zu sein. Bezüglich der sprachlichen Aspekte lässt sich viertens die Tatsache, dass es sich um einen Unterricht in der Fremdsprache handelt, lediglich an kurzen Wortsuchsequenzen (recibir, comercio justo) und Wortschatzerklärungen (abusar) feststellen. Diese Momente des „doing Spanisch“ sind aber vom „doing Politik“ untrennbar, da es sich um für die Diskussion notwendige Fachbegriffe handelt. Andere kleine, grammatikalische Fehler, die in den schülerseitigen Bei‐ trägen feststellbar sind, bleiben unkommentiert. Das alles trägt auf der einen Seite wesentlich dazu bei, dass der Unterricht als Politikunterricht glaubwürdig wird. Auf der anderen Seite bekommen sämtliche sprachlichen Ressourcen, die für die Diskursfunktionen der Argumentation, Kausalität sowie Hypothesen‐ erstellung notwendig sind und ebenfalls zum Fachunterricht gehören (s. Ab‐ schnitt 3) seitens der Lehrerin keine Aufmerksamkeit. Es stellt sich somit die berechtigte Frage, inwiefern der BU das gesamte Potenzial des sprachsensiblen Unterrichts ausschöpfen kann, wenn diese bildungssprachlichen Aspekte wäh‐ rend des Unterrichtsgesprächs in den Hintergrund geraten. 7 Fazit Aufgrund der Möglichkeiten für eine authentische Sprachverwendung sowie für die zeitliche Erweiterung des Fachunterrichts und dank seiner besonderen Eignung als Herkunftssprachenunterricht scheint das hier analysierte bilinguale Modul nicht nur das bekannte Motto „zwei zum Preis von einem“, sondern sogar „drei zum Preis von einem“ legitim zu vertreten. Bilinguale Module können sich somit als Orte konstituieren, in denen eine motivierende Lehrerfahrung, ein „Sprachlernabenteuer“ (Krumm 2009, 110) möglich ist. Viele Gründe sprechen daher dafür, bilinguale Module in anderen Sprachen als dem Englischen zuneh‐ mend in den Schulalltag zu integrieren. Ausgehend von den obigen Bemerkungen kann allerdings die paradoxe Schlussfolgerung gezogen werden, dass, während der Spanischunterricht von der Inhaltsorientierung stark profitiert, eine Sprachorientierung dem Fach Politik und Wirtschaft besonders zugutekommen würde. Dieser Fokus auf die Sprache soll allerdings über die Behandlung des Fachwortschatzes hinausgehen und die Förderung der Argumentationskompetenz im Unterrichtsgespräch einschließen, wie es von Heller/ Morek (2015) paradigmatisch gezeigt wird. Damit Lehre‐ rinnen und Lehrer adäquate Modelle zur Verfügung gestellt bekommen, wie diese Förderung im Gespräch gelingen kann, ist eine weitere Erforschung der Unterrichtsinteraktion in mehrsprachigen Kontexten unerlässlich. 301 Urteilsbildung und Argumentation im Bilingualen Unterricht Referenzen Abendroth-Timmer, Dagmar. 2007. Akzeptanz und Motivation. Empirisch Ansätze zur Er‐ forschung des unterrichtlichen Einsatzes von bilingualen und mehrsprachigen Modulen. 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Tübingen: Narr, 185-193. 307 Urteilsbildung und Argumentation im Bilingualen Unterricht Förderung der Mündlichkeit in sprachsensiblen und nachhaltigen Unterrichtssettings Suprasegmentalia im Französischunterricht: Skalen und Niveaubeschreibungen auf dem Prüfstand Clémentine Abel Einleitung Seit in zahlreichen deutschen Bundesländern mündliche, teilweise auch dialo‐ gische Abschlussprüfungen eingeführt wurden, hat die (interkulturelle) münd‐ liche Kommunikationsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler im schulischen Französischunterricht an Bedeutung gewonnen. Zusätzlich konnte die For‐ schungsliteratur der letzten zwanzig Jahre zeigen, dass die Kommunikationsfä‐ higkeit in hohem Maße von phonetischen, insbesondere prosodischen Merk‐ malen beeinflusst wird: Diese determinierendie Verständlichkeit des Gesagten (Derwing and Munro, 2015), sind Bestandteil der Diskurskonventionen der je‐ weiligen Sprache (Celce-Murcia and Olshtain, 2000; Kerbrat-Orecchioni, 1996) und tragen maßgeblich zur Identitätskonstruktion der Schülerinnen und Schüler bei (Moyer, 2013). Es ist evident, dass in einem Kontext migrationsbedingter und schulischer Mehrsprachigkeit all diese Aspekte für den Lernerfolg wesentlich sind. Diese Bedeutung lässt sich auch in der empirischen Forschungsliteratur zu wirksamen Aussprachelernsettings nachbilden. So hat die diesbezügliche For‐ schungstätigkeit in den letzten zehn Jahren erheblich zugenommen, wie dies die Metaanalysen von Lee, Jang &Plonsky (2015) und Saito (2012) darlegen. Trotz dieser zunehmenden Aufmerksamkeit wird die Bedeutung der Supra‐ segmentalia jedoch sowohl im schulischen Französischunterricht als auch in den verschiedenen Deskriptoren des GER und den Niveaukonkretisierungen der Bundesländer eher vernachlässigt. Dieser Beitrag setzt sich daher zum Ziel, ausgehend von der Analyse des Status quo ein heuristisches Modell für die systematische Vermittlung der für die Interaktion wesentlichen prosodischen Merkmale des Französischen zur Diskussion zu stellen. 1 Im Folgenden werden die Termini „Suprasegmentalia“ und „Prosodie“ entsprechend der Definitionen von Derwing und Munro (2015) und Hirschfeld und Neuber (2010) syn‐ onym gebraucht. 2 Ein Beispiel wäre die Opposition zwischen den Sätzen: „Jean porte le sac“ und „J’em‐ porte le sac.“ 1. Bedeutung von Suprasegmentalia Prosodische Merkmale 1 umfassen nach Hirschfeld und Neuber (2010, 10sq.) „Sprechmelodie, Lautheit, Dauer, Sprechgeschwindigkeit, Sprechspannung, Pausen sowie Stimmqualität/ Stimmausdruck und deren jeweilige Variation.“ Ihnen kommen in der Kommunikation - in Wechselwirkung mit segmentalen Merkmalen - unterschiedliche Funktionen zu: So erfolgt gerade im Französi‐ schen die (beispielsweise syntaktische) Disambiguierung oftmals über die Pro‐ sodie 2 (Mertens, 2009; Millotte et al., 2008; Pynte, 1996). Auch in der Konversation spielt die Prosodie eine wichtige Rolle. So wird das Ende eines Turns unter anderem auch prosodisch markiert (Kerbrat-Orecchioni, 1996; Reinke, 2007). Lernende, die dies nicht zu erkennen beziehungsweise zu verwenden vermögen, können entsprechend das Gefühl bekommen, „nicht zu Wort zu kommen oder ständig unterbrochen zu werden“ (Schumann, 2010, 21). Schließlich übertragen prosodische Merkmale die Emotionen der Sprecherin oder des Sprechers (Chun, 1988; Potapova, 2010). Folglich kann es, sollten von den Lernenden beispielsweise durch eine Übertragung der muttersprachlichen Prosodie auf die Zielsprache nicht intendierte Emotionen transportiert werden, seitens der Gesprächspartner zu negativen Reaktionen kommen (Munro et al., 2006; Potapova, 2010). Die große Bedeutung prosodischer Merkmale (in Kom‐ bination mit segmentalen Merkmalen) für Fremdsprachenlernende und die Ent‐ wicklung ihrer Interaktionskompetenz liegt somit auf der Hand. Umso befremd‐ licher nimmt es sich aus, dass diese Aspekte im Französischunterricht häufig vernachlässigt werden. So legen Daten aus empirischen Befragungen (für Deutschland: Abel, 2018a, Abel, 2018b) und aus Beobachtungsstudien (Foote et al., 2016) nahe, dass Lehrkräfte hauptsächlich Segmente trainieren und korri‐ gieren. Darüber hinaus geben Lehrkräfte an, über kein schlüssiges Aussprach‐ schulungskonzept zu verfügen, sondern sich notgedrungen ausschließlich an den Schulbuchübungen orientieren zu müssen (Abel, in Vorbereitung), die nach wie vor hauptsächlich isolierte segmentale Übungen anbieten. Entsprechend wird die Forderung nach einem Modell bzw. nach fundierten Skalen und Deskriptoren (Reimann, 2017, 177) laut, die den Lehrkräften eine Orientierung über die kommunikativen Funktionen der Aussprache und ihre Vermittlung geben würden. Hier existieren bereits einige Modelle, deren Leis‐ 312 Clémentine Abel 3 Für diesen Artikel wurde die französische Version des Gemeinsamen Europäischen Re‐ ferenzrahmens (Conseil de l’Europe, 2001) verwendet. 4 Die Problematik der missverständlichen Terminologie des GeR (z. B. die Opposition von „Aussprache“ und „Intonation“) soll hier nicht thematisiert werden. Diesbezüglich sei jedoch auf Hirschfeld & Reinke (2012) verwiesen. tungen und Begrenzungen in Bezug auf die Ausspracheschulung allgemein und die Förderung suprasegmentaler Merkmale im Besonderen im Folgenden dis‐ kutiert werden sollen. 2. Diskussion bestehender Modelle 2.1. Sprachübergreifende Skalen (z. B. GeR) Ein prominentes, seit fast 20 Jahren etabliertes Modell ist der Gemeinsame Eu‐ ropäische Referenzrahmen (GeR) oder Cadre européen commun de référence pour les langues  3 (Conseil de l’Europe, 2001). Problematisch ist, dass die „phonologi‐ sche Kompetenz“ im GeR in für den Unterricht nur sehr ungenügender Weise Erwähnung findet. So wird sie beispielsweise in der Globalskala der Referenz‐ niveaus (Conseil de l’Europe, 2001, 26sq.) nicht aufgeführt. An anderer Stelle bietet der GeR jedoch eigene Aussprachedeskriptoren an 4 (s. Tabelle 1) Maîtrise du système phonologique (Conseil de l’Europe, 2001, p. 92) C2 Comme C1 C1 Peut varier l’intonation et placer l’accent phrastique correctement afin d’ex‐ primer de fines nuances de sens. B2 A acquis une prononciation et une intonation claires et naturelles. B1 La prononciation est clairement intelligible même si un accent étranger est quelquefois perceptible et si des erreurs de prononciation proviennent occa‐ sionnellement. A2 La prononciation est en général suffisamment claire pour être comprise malgré un net accent étranger mais l’interlocuteur devra parfois faire répéter. A1 La prononciation d’un répertoire très limité d’expressions et de mots mémo‐ risés est compréhensible avec quelque effort pour un locuteur natif habitué aux locuteurs du groupe linguistique de l’apprenant/ utilisateur. Tabelle 1 Aussprachedeskriptoren des GER Ergänzt werden diese Deskriptoren um den Hinweis, die Benutzerinnen und Benutzer des Referenzrahmens möchten sich um die einzelfallspezifische Be‐ 313 Suprasegmentalia im Französischunterricht deutung von Lauten und Prosodie Gedanken machen. Sie sollen außerdem die phonologischen Fähigkeiten, die von den Lernerinnen und Lernern erwartet werden, ausformulieren und schließlich überlegen, ob Flüssigkeit und korrekte Aussprache ein unmittelbares Lernziel darstellen oder eher über einen längeren Zeitraum erlernt werden sollten. Zunächst einmal gilt es, die Stärken des GeR-Modells hervorzuheben: So stellt dieses einen wichtigen Versuch dar, die Aussprachekompetenz über Sprach‐ grenzen hinweg zu definieren. Darüber betont es, dass dem fremdsprachlichen Akzent eine auch kommunikative Bedeutung zukommt - dass also ein völliger Verzicht auf Ausspracheschulung nicht im Sinne einer Förderung der kommu‐ nikativen Kompetenz sein kann. Jedoch wird auch Kritik an den Skalen des GeR laut. Diese wird teilweise ganz grundsätzlich geübt (Gohard-Radenkovic, 2017; Kecker, 2016; Lüdi, 2006), teil‐ weise aber auch ganz explizit auf die Aussprache bezogen (Abel, 2018c; Moyer, 2013; Rolland, 2011). Explizit mit den Aussprachedeskriptoren befasst sich Rolland (2011, 26sq.), der das GeR-Modell ziemlich harsch als eine zusammenhanglose, von den an‐ deren Sprachkompetenzen unabhängige Liste kritisiert, die somit für Lehrkräfte wenig nutzbar sei. Als besonders problematisch sieht er an, dass die Intonation erst auf Niveaustufe B2 erwähnt wird. Seiner Ansicht nach ist es unabdingbar, dass sie ab Beginn des Sprachlernprozesses an prominenter Stelle steht. Insge‐ samt ist seiner Auffassung nach die Aussprachekompetenz im GeR nicht hin‐ reichend definiert; an plausiblen Kriterien zum Kompetenzaufbau und zur Eva‐ luation mangele es vollkommen: „Il ressort de cette présentationque la notion de prononciation reste vague, aucun critère sérieux n’est évoqué.“ (ibid.) Auch Hirschfeld und Reinke (2012, 133) betonen die Problematik einer sepa‐ raten Behandlung linguistischer, soziolinguistischer und pragmatischer Kom‐ petenzen. Dies führe nämlich dazu, „dass der Zusammenhang zwischen den einzelnen Kompetenzen zu wenig deutlich wird, was sich u. a. auf die Darle‐ gungen zur Aussprachekompetenz, die im GeR nur zur linguistischen Kompe‐ tenz gerechnet wird, auswirkt.“ (ibid). Im Einzelnen kritisieren die Autorinnen, dass die Progression, wie sie der GeR vorsieht, der Individualität des Ausspra‐ chelernens nicht ausreichend Rechnung trage: So können auch Anfänger bereits eine „klare, natürliche Aussprache“ haben, wohingegen fortgeschrittene Ler‐ nende durchaus noch akzentuiert sprechen könnten. Besonders problematisch sei jedoch, dass den verschiedenen Funktionen der Aussprache im GeR nicht Rechnung getragen werde. So werde weder auf die Interaktion mit soziolingu‐ istischen (z. B. Höflichkeitskonventionen oder Registerunterschiede), gramma‐ tischen (im Französischen: syntaktisches Parsing durch prosodische Markie‐ 314 Clémentine Abel 5 z.B. im Falle des B2-Deskriptors « a acquis une prononciation et une intonation claires et naturelles ». Hier mag die Frage erlaubt sein, welches Ausspracheniveau von den Lernenden konkret erwartet wird. rung) oder pragmatischen (etwa das Turn-Taking oder das Erzeugen von Kohärenz) Kompetenzen eingegangen. Entsprechend, so die Autorinnen, lasse sich schlussfolgern, dass die Forderung, die Phonetik zu integrieren und Aussprachekompetenzen in Ver‐ knüpfung mit allen kommunikativen Kompetenzen zu entwickeln, im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen nicht erfüllt wird. (Hirschfeld and Reinke, 2012, 137). Auch Moyer (2013, 164sqq.), die sich mit der Analyse verschiedener Ausspra‐ chekompetenzmodelle beschäftigt, bewertet den europäischen Referenzrahmen als unzulänglich. So hält sie den Aussprachedeskriptoren des GER zwar zugute, dass sie die kommunikative Bedeutung eines fremdsprachlichen Akzentes be‐ tonen. Jedoch kritisiert sie, dass die genannten Deskriptoren als „disproportio‐ natelysparsecomparedtootherskillsets“ erscheinen (ibid.). Sie weist außerdem darauf hin, dass der Schritt zwischen dem Niveau B1 und dem Niveau B2 für Sprachenlernerinnen und Sprachenlerner als nahezu unüberwindlich einzu‐ stufen sei, sodass fraglich sei, ob und wie ein solcher Fortschritt überhaupt er‐ reicht werden könne: It is also interesting to note the considerable gap within the independent user category from “occasional mispronunciations” and evident “foreign accent” at level B1 to “clear, natural pronunciation and intonation” for B2 - quite a range of ability for just one proficiency category - leaving the impression that accent is almost coincidental to overall fluency, or that it magically develops as a by-product of gains in other skills. (Moyer, 2013, 164) Besonders problematisch muten solch sprunghafte bzw. lückenhafte Kompe‐ tenzbeschreibungen an, wenn man sich die Gefahr einer Fossilisierung der Aus‐ spracheprobleme vor Augen führt (Boettinger et al., 2010; Wild, 2015). So ist es angesichts der linguistischen Forschungslage zu fossilisierten Ausspracheprob‐ lemen wenig plausibel anzunehmen, dass Lernende, die zunächst eine extrem fehlerhafte Aussprache erworben haben, nach drei oder vier Lernjahren noch zu einer „natürlichen“ Aussprache gelangen, wie sie die Deskriptoren des Re‐ ferenzrahmens einfordern. Jenseits des systematischen Kompetenzaufbaus gestaltet sich jedoch auch die Evaluation der Aussprache unter Zuhilfenahme der vorhandenen Kompetenz‐ modelle als recht schwierig. So sind manche Aussprachedeskriptoren so vage 5 und - wie Gohard-Radenkovic (2017) anmerkt - teilweise von dem Empfinden 315 Suprasegmentalia im Französischunterricht 6 z.B. im Falle des A1-Deskriptors « compréhensible pour un locuteur natif habitué aux locuteurs du groupe linguistique de l’apprenant/ utilisateur » stellt sich beispielsweise die Frage, wie eine nichtnative Lehrkraft die Bewertung vornehmen soll. Ebenso pro‐ blematisch mutet es an, wenn sich beispielsweise migrationsbedingt Lernende in einer Klasse befinden, mit deren Herkunftssprache die Lehrkraft nicht vertraut ist. eines Muttersprachlers abhängig 6 , dass sie kaum als Grundlage einer standar‐ disierten Evaluation zu dienen vermögen. Das aktuelle GeR-Modell erscheint also kaum dazu geeignet, Lehrkräften und Lernenden eine gute Orientierung über Funktionen, Erwerb und Evaluation einer zielsprachlichen Aussprache zu verschaffen. Dies mag jedoch - neben allen bereits angesprochenen Problemen - auch ganz grundsätzlich ein Problem sprachübergreifender Kompetenzmodelle zu sein. So weisen Derwing & Munro (2015) und Saalfeld (2012) darauf hin, dass bestimmte Aussprachephänomene in einer Einzelsprache von hoher funktionaler Bedeutung seien - in einer anderen Sprache jedoch nicht. Dessen seien sich jedoch vielen Lehrkräfte - und sogar manche Schulbuchautorinnen und -autoren! - nicht gewahr: Man unterrichte und evaluiere daher bisweilen phonetische Merkmale der eigenen Mutter‐ sprache, die zielsprachlich nur von eingeschränkter kommunikativer Bedeutung seien. Teilweise komme es gar zur absurden Situation, dass Intonationsübungen für Muttersprachler kaum zu lösen seien: Several of the intonation patterns covered in textbooks directed at L2 students are not easily distinguished by native speakers, and therefore are not appropriate for instru‐ ction purposes. (Derwingand Munro, 2015, 8). Wie komplex sich die Analyse der Aussprachemerkmale einer Sprache gestalten kann, stellen Briet, Collige und Rassart-Eeckhout (2014) in ihrer Studie unter Beweis, in der sie eine Klassifikation der liaisons nach Niveaustufen unter‐ nehmen. So können sie mittels einer quantitativen Sprachanalyse belegen, dass innerhalb der liaisons obligatoires 49 % dem Typus der / z/ -Liaisons (Graphie z, x und s) zugehörig sind (deux amis, mes amis…). Weitere 28,2 % entfielen auf die / t/ -Liaison (est-il), 22,5 % gehörten der / n/ -Liaison an (un ami). Die übrigen liai‐ sons obligatoires seien quantitativ zu vernachlässigen. (Briet et al., 2014, 18sq.). Von kommunikativer Wichtigkeit seien darüber hinaus die liaisons interdites (insbesondere nach et). Diese Phänomene sollten daher bereits in den Basisni‐ veaustufen (A1/ A2) unterrichtet werden. Die liaisons facultatives, die vor allem stilistische Bedeutung haben, werden von Briet et al. eher den Niveaustufen B1/ B2 zugeordnet. Angesichts der linguistischen Komplexität und der Desiderata des GeR wäre es daher aus praktischer Sicht wünschenswert, über ein Kompetenzmodell zu 316 Clémentine Abel verfügen, das einerseits einen plausiblen Kompetenzaufbau bzw. eine kriterien‐ basierte Evaluation ermöglicht, andererseits jedoch auch ausreichend sprach‐ spezifisch ist, um den Lehrerinnen und Lehrern die Entscheidung bezüglich der funktionalen Bedeutung der verschiedenen Aussprachemerkmale zu erleich‐ tern. Dies könnten beispielsweise die Bildungspläne der Bundesländer leisten. 2.2. Sprachspezifische Niveaukonkretisierungen Exemplarisch soll hier der Bildungsplan, der 2016 in Baden-Württemberg ein‐ geführt wurde, analysiert werden. Dieser misst der Aussprache tatsächlich eine größere Bedeutung bei, als dies bei den Vorgängermodellen oder im GeR der Fall ist. So wird für die erste Fremdsprache am Gymnasium in Klasse 5/ 6 (Ministe‐ rium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2016, 23) gefordert, die Schülerinnen und Schüler möchten „unter Anleitung Laute, Lautfolgen und ele‐ mentare Intonationsmuster des Französischen (français standard) erkennen und phonologisch weitgehend korrekt aussprechen.“ (ibid.) An Beispielen wird je‐ doch lediglich die liaison obligatoire genannt. Geradezu innovativ mutet die Er‐ wähnung der Intonation auf der ersten Niveaustufe an, sowie die Forderung danach, dass bekannte Lautfolgen bereits in den Anfangsjahren „weitgehend korrekt“ zu artikulieren seien. Damit geht der Bildungsplan weit über die An‐ forderungen des GeR hinaus und ermöglicht einen kontinuierlichen Kompe‐ tenzaufbau, ohne eine Fossilisierung „erworbener“ Fehler zu favorisieren. Trotzdem lassen die Niveaubeschreibungen Beispiele und Details vermissen, die für die anderen Fertigkeiten durchaus angeführt werden. So finden sich für die Grammatik ausführliche Listen der erwarteten Strukturen, die den Lehre‐ rinnen und Lehrern die Entscheidung über den Unterrichtsinhalt deutlich er‐ leichtern und die funktionale Bedeutung der sprachlichen Mittel verdeutlichen. Es wird für die Klasse 7/ 8 beispielsweise gefordert, die Lehrerinnen und Lehrer möchten den Schülerinnen und Schülern beibringen, ihre Meinung zu äußern. Hierzu solle folgendes unterrichtet werden: „subjonctif présent (je trouve bien que, je n’aime pas que) mit den frequenten Verben auf -er, -ir, -(d)re sowie être, avoir, aller, faire, dire, mettre, prendre, venir“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2016, 32). Im direkten Vergleich nimmt sich die Be‐ schreibung der phonetisch-phonologischen Fähigkeiten für die Klasse 7/ 8 eher sparsam aus: „Die Schülerinnen und Schüler können Laute, Lautfolgen und In‐ tonationsmuster des Französischen (français standard) phonologisch weitge‐ hend korrekt aussprechen.“ (ibid., 33). Es obliegt also - anders als für die anderen sprachlichen Fertigkeiten - der Lehrkraft, die zu unterrichtenden Strukturen zu selektieren und zu erkennen, welche z. B. soziolinguistische oder pragmatische Funktion sie erfüllen. 317 Suprasegmentalia im Französischunterricht 7 Dieses soll im Folgenden mit de Florio-Hansen (2015) als „Kompetenzentwicklungs‐ modell“ verstanden werden, das „den Erwerb der Kompetenzen auch über einen län‐ geren Zeitraum der schulischen Ausbildung“ hinweg planbar macht (De Florio-Hansen 2015, 76). Ein weiterer Aspekt der Aussprache, der in den Aussprachedeskriptoren nicht thematisiert wird, ist die interkulturelle und gesprächsstrukturierende Dimen‐ sion der Aussprache, die es ja - mindestens ab den Niveaustufen B1/ B2 - zu erwerben gälte. An anderer Stelle (3.3.3.3. Sprechen - an Gesprächen teil‐ nehmen, Klasse 7/ 8) wird zwar gefordert, die Schülerinnen und Schüler sollten „nonverbale Formen des aktiven Zuhörens wie Nicken, Stirnrunzeln und Lä‐ cheln“ (ibid., 2016, 38) einsetzen, um ihr Verständnis zu sichern. Die Bedeutung intonatorischer Mittel für beispielsweise Höflichkeit und/ oder stilistische Nu‐ ancen (B2/ C1) oder die besondere Organisation des Turn-Takings im französi‐ schen Sprachraum wird weder in den Deskriptoren zum dialogischen Sprechen noch in denjenigen zur interkulturellen kommunikativen Kompetenz angeführt. Aus diesen Reflexionen folgt, dass ein komplementäres Aussprachekompe‐ tenzmodell 7 erforderlich ist, das über die bereits genannten Modelle hinausgeht. Dieses müsste die oben dargestellten Forschungsergebnisse zur funktionalen Bedeutung der verschiedenen Aussprachemerkmale integrieren. Darüber hinaus sollte es den Lehrerinnen und Lehrern eine Liste an zu erwartenden Kompetenzen bieten, die ihnen die Entscheidung über die Ziele des Ausspra‐ cheunterrichts abnehmen und auch ggf. Grundlage für eine Ausspracheevalu‐ ation darstellen könnte. 3. Entwicklung eines komplementären Modells 3.1. Methodisch-theoretische Überlegungen Zunächst muss geklärt werden, ob der Ausspracheerwerb im schulischen Kon‐ text nach speziellen universellen Entwicklungssequenzen verläuft. In diesem Fall müssten diese Entwicklungssequenzen auch die Formulierung der Deskrip‐ toren leiten. Die Grundidee, die der Annahme von Entwicklungssequenzen zu‐ grunde liegt, besagt, so Trautmann, dass die grundlegende Architektur des menschlichen Geistes für alle Menschen gleich ist (Pienemann, Keßler& Roos Hrsg. 2006: 73). […] Sprachenlernen wird dabei als Ent‐ wicklungsprozess verstanden, der universellen Gesetzen folgt - sog. developmental features im Sinne fester Reihenfolgen oder Erwerbsstufen -, der aber zugleich von jedem Lerner individuell vollzogen wird, sich also in Erwerbsgeschwindigkeit und Varietäten innerhalb der jeweiligen Entwicklungsstufe durchaus unterscheiden kann 318 Clémentine Abel 8 Für einen Überblick über lernerbezogene Faktoren in ihrer Interaktion mit dem Aus‐ spracheerwerb s. Abel (2018a). (sog. variational features, vgl. Keßler 2006). Trotz dieser formalen Anerkennung von Lernerdifferenzen gilt: Gleichheit, nicht Unterschiedlichkeit von Menschen steht hier im Zentrum der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit. (Trautmann, 2010, 3sq.) Hansen Edwards (2014), die sich in einem Literaturreview mit der Forschungs‐ literatur und den empirischen Befunden zum Vorliegen solch universeller pho‐ netischer Entwicklungssequenzen befasst, kann tatsächlich einige Aussprache‐ merkmale herausarbeiten, die wahrscheinlich prioritär erlernt werden könnten. Allerdings betont sie auch, dass es mehrere sprachinterne Faktoren gibt, die offenbar schwerer wiegen als die Entwicklungssequenzen: It is also clear that both linguistic environment and grammatical conditioning can exert a powerful effect on L2 phonology, sometimes overriding transfer and universal constraints, indicating that phonological developmental phenomena are influenced by linguistic factors other than phonology. (Hansen Edwards, 2014, 68) Noch deutlich mehr Gewicht komme darüber hinaus sprachexternen und lern‐ erbezogenen Faktoren (beispielsweise Motivation, Identität, Hörfähigkeit, Sprachbenutzung…) zu, die jedoch, so Hansen Edwards, in ihrer Bedeutung für den Ausspracheerwerb noch nicht ausreichend erforscht seien 8 . Die dünne und uneinheitliche Forschungslage erlaubt es daher aktuell nicht, universelle Erwerbssequenzen zum Ausgangspunkt der Formulierung von Kompetenzbeschreibungen und Niveaukonkretisierungen zu machen. Eine weitere Herangehensweise, die verschiedentlich eingefordert wird (s. Kecker, 2016), wäre eine empirische Begründung der Kompetenzbeschrei‐ bungen auf Lernerkorpora (Díez-Bedmar, 2017). Eine solche Vorgehensweise würde es - eine Repräsentativität des Korpus (z. B. durch unterschiedliche Mut‐ tersprachen und Altersstufen) vorausgesetzt - erlauben, die Deskriptoren em‐ pirisch zu begründen und erscheint daher vielversprechend. Aktuell ist jedoch die Forschungs- und Datenlage auch in diesem Bereich noch zu dünn, um eine korpusbasierte Formulierung der Deskriptoren vorzunehmen. Zum aktuellen Zeitpunkt scheint daher am ehesten eine heuristische Vorge‐ hensweise indiziert zu sein. Dabei soll auf Grundlage der theoretischen Wis‐ sensbestände zum Ausspracheerwerb und zur kommunikativen Bedeutung ver‐ schiedener Aussprachemerkmale sowie durch eine Überprüfung der Deskriptoren auf ihre Praktikabilität hin ein Modell erarbeitet werden, das dann für den Einsatz im schulischen Französischunterricht geeignet scheint. 319 Suprasegmentalia im Französischunterricht 3.2. Entwicklung Eine empirische Überprüfung der auf Grundlage der Forschungsliteratur for‐ mulierten Deskriptoren wurde in einem aktionsforschungsähnlichen Design geleistet. Die Deskriptoren der Niveaustufen A1/ A2 des Ausgangsmodells wurden von den Referendarinnen des Staatliche Seminars für Gymnasiale Leh‐ rerbildung Freiburg unter der Leitung von Frau Prof. Gabriele Lämmle im Un‐ terricht eingesetzt. Leitfrage war hierbei, ob die vorgeschlagenen Deskriptoren als Grundlage einer Einstufung und Evaluation der beobachteten Schülerinnen und Schüler dienen können. Auf diese Weise sollte ihre Praxistauglichkeit über‐ prüft werden - die Reflexionen der Referendarinnen sollten dabei Ausgangs‐ punkt für eine Überarbeitung der Deskriptoren sein. Ganz maßgebliche Hinweise hinsichtlich der Tauglichkeit der Deskriptoren für Unterrichtsplanung und Evaluation wurden von G. Lämmle selbst auf der Grundlage ihrer eigenen langjährigen Unterrichts- und Fortbildungspraxis ge‐ liefert, sodass die Deskriptoren dergestalt überarbeitet wurden. Im weiteren Verlauf wurden die Deskriptoren im Rahmen einer Fortbildungs‐ veranstaltung zur Ausspracheschulung an 45 angemeldete Lehrkräfte gegeben. Dies war mit der Bitte verbunden, sie im Unterricht einzusetzen und ggf. Rück‐ meldung zu Praktikabilität, Formulierung und Passung zu geben. Dieser Auf‐ forderung kamen vier Lehrkräfte nach, sodass auch hier entsprechende Ände‐ rungen vorgenommen werden konnten. Für die Niveaustufen B1-C2 wurden allerdings nur weitere Aspekte gesam‐ melt, die für einen integrierten Ausspracheunterricht von Bedeutung sein könnten. 3.3. Vorschlag für Deskriptoren (Niveaustufen A1 und A2) A1: • In bekannten Sätzen und Chunks wenden die Lernenden die französische Betonungs- und Silbenstruktur meist richtig an (accent de groupe). Die Lernenden kennen die Besonderheit des mot phonétique. • Die Unterscheidung zwischen Intonationsfrage und Aussagesatz gelingt in bekannten Sätzen überwiegend. • Einige Grundregeln der Graphem-Phonem-Beziehung (Nasale, Endung der dritten Person Plural bei Verben…) sind den Lernenden bekannt und werden ansatzweise angewandt, z. B. um ein unbekanntes Wort zu er‐ schließen. Die Lernenden kennen einige Strategien, um die Aussprache von Wörtern zu erschließen (IPA, Nutzung von Kontextinformationen). 320 Clémentine Abel • Die häufigsten liaisons obligatoires (/ t/ , / s/ , / n/ ) werden in bekannten Sätzen/ Chunks häufig benutzt (mes amis, un ami, ils ont). • Die Lernenden kennen wichtige Phoneme des Französischen (Nasale, Un‐ terschied stimmhaftes/ stimmloses s) und können sie in bekannten Wörtern oft korrekt aussprechen, bzw. können sich bei falscher Aussprache kor‐ rigieren. A2: • Bekannte Sätze und Chunks, werden überwiegend korrekt ausgespro‐ chen: Das Betonungsmuster (accent de groupe), die Silbenstruktur (mot phonétique) und intonatorische Grundregeln (Intonationsfrage, Exclama‐ tion) werden umgesetzt. • Treten Fehler auf, findet meist eine Eigenkorrektur durch den Sprecher/ die Sprecherin statt. Die Lernenden verwenden hierzu einzelne idioma‐ tische Korrekturstrategien (je veux dire…,euh…). • Bei unbekannten Ausdrücken finden sich noch Interferenzen mit mut‐ tersprachlichen (prosodischen oder segmentalen) Merkmalen. • Die Lernenden wissen um die Existenz von liaisons interdites und setzen dieses Wissen überwiegend korrekt um (vor allem die liaison nach « et »). • Die Lernenden verfügen über Strategien, um sich auch die Aussprache unbekannter Wörter und Ausdrücke zu erarbeiten (Phonie-Graphie-Be‐ ziehungen, IPA, Kontextinformationen). 3.4. Weitere Aspekte ab B1: Weitere Ausspracheaspekte, die ab B1 relevant werden könnten, sollen im Fol‐ genden lediglich unstrukturiert benannt werden: • Enchaînements consonantiques (Par ici à / paʀi si/ ) • Liaisons facultatives communes (C‘est important, Il est allé, après quand, après dont) • Besonderheit des französischen Turn-takings (Die Länge der Pause zwi‐ schen den Turns fällt im Französischen kürzer aus als im Deutschen, chevauchement, prosodische Markierung des Turnende) • Silbenlänge (z. B. Länge einer Silbe, die auf einen Konsonanten endet vs. Ende einer Silbe, die auf einen Vokal endet: Mon amour vs. J’ai regardé) • Registerunterschiede durch die Aussprache: Liaisons facultatives dés‐ uètes (nous allons_à Paris) • Prosodische Markierung von Emotionen in Diskussionen (différence entre implication (Evidemment!  montée) et agacement (Evidemment!  descente)) 321 Suprasegmentalia im Französischunterricht Diese Liste stellt freilich nur einen ersten Vorschlag dar, die zu vermittelnden Aussprachephänomene in Verknüpfung mit ihrer Funktion und anhand von Beispielen darzustellen. 4. Ausblick Der vorliegende Vorschlag ist als heuristisches Modell für das Desiderat anzu‐ sehen, die unterschiedlichen Aussprachemerkmale des Französischen in ihrer kommunikativen Bedeutung abzubilden. Durch das explorative Vorgehen in einem sehr spezifischen Kontext wäre es sicher verfrüht, daraus eine Generali‐ sierung abzuleiten. Trotzdem mag es eine Diskussionsgrundlage in Richtung eines letztlich praktikablen Modells darstellen, welches es den Lehrkräften er‐ leichtern würde, ihre Lernenden beim Ausspracheerwerb strukturiert und stan‐ dardisiert zu unterstützen. Perspektivisch wäre es zudem wünschenswert, einerseits auch Deskriptoren für die Niveaustufen ab B1 zu formulieren, andererseits, das vorliegende heu‐ ristische Modell auf Grundlage von Lernerkorpora auch empirisch auf seine Gültigkeit und Anwendbarkeit zu überprüfen. 5. Bibliographie Abel, Clémentine, 2018a, Ausspracheschulung: Erhebung von Kompetenzen, Überzeu‐ gungen und Praktiken von Französischlehrkräften. Entwicklung eines bedarfsbezo‐ genen Fördermoduls. Tübingen : Narr Francke Attempto. Abel, Clémentine. 2018b. „Aus Fehlern wird man schlau“? Zur Bedeutung des Faktors Feedback im Ausspracheunterricht“, in: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung, 29,1, 73-95. 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Enseignement du FLE et apprentissage de quelques genres textuels oraux Carine Greminger Schibli / Lilli Papaloïzos Introduction Cet article se base sur le modèle didactique AMI, élaboré en 2015 1 , et le développe à partir d’enregistrements audio ou vidéo effectués dans plusieurs classes d’en‐ seignant-e-s de français langue étrangère (FLE) selon différents genres textuels. Nous présentons ici des exemples d’interaction orale tirés de trois classes différentes du secondaire I, en 7 e et 8 e année scolaire (ce qui équivaut, selon le canton de Bâle ou d’Argovie, de 3 à 5 années de français). La consigne donnée aux enseignant-e-s était d’enregistrer des leçons basées sur des interactions orales dans le cadre d’une tâche. Pour analyser ces enregistrements, nous nous sommes posé les questions suivantes : - Quelles sont les différentes langues employées dans ces classes de FLE ? - A quel moment de l’interaction l’autonomie des élèves se manifeste-t-elle ? - Quelles interactions entre enseignant-e et élèves aident-elles les élèves de manière efficace dans leur apprentissage ? 1 Le modèle AMI Pour structurer notre réflexion, nous avons utilisé un modèle basé sur les notions d’autonomie, de motivation et d’interaction (AMI), que nous avions const‐ ruit lors d’une première recherche-action en classe de FLE (Greminger/ Papa‐ loïzos/ Sauvin 2015). 2 cf. Viau (2000) a établi une liste de conditions à respecter pour susciter la motivation des élèves. Schéma 1 : Les bases du modèle AMI Dans ce schéma, on voit que les interactions orales sont distribuées dans les quatre espaces A-D, selon que les élèves et l’enseignant-e utilisent le français, l’allemand, le dialecte ou encore d’autres langues, et selon que les activités des élèves impliquent une structuration langagière simple ou une structuration complexe. La spirale désigne l’apprentissage qui se déroule dans ces quatre espaces, l’objectif étant naturellement l’autonomie langagière des élèves. Cette auto‐ nomie ne s’acquiert pas en ligne droite, car au début de la spirale le français est moins utilisé, puis il l’est de plus en plus. Dans notre modèle, les erreurs et l’emploi de la langue scolaire ou du dialecte ne sont pas considérés comme une régression, mais comme des étapes nécessaires à l’apprentissage. Nous verrons ce que l’on peut dire de l’autonomie des élèves dans nos enregistrements. Se pose alors la question du rôle des enseignant-e-s et de leur étayage: com‐ ment aider les élèves à devenir autonomes ? D’abord en les motivant, en créant une atmosphère de confiance qui leur permet de prendre des risques; en les responsabilisant, par exemple en leur donnant la possibilité de choisir parmi plusieurs thèmes et en leur permettant de collaborer entre eux. Puis en main‐ tenant la motivation 2 , c’est-à-dire en les guidant bien : en leur donnant des con‐ 328 Carine Greminger Schibli / Lilli Papaloïzos 3 cf. Manno / Greminger 2015, 53. 4 cf. Dolz/ Schneuwly (2016) ont défini les caractéristiques de différents genres textuels oraux dans l’enseignement de la langue maternelle. 5 cf. le plan d’études 21, 11-12. Le plan d’études 21 est le premier plan d’études désormais en vigueur dans tous les cantons de la Suisse alémanique. 6 cf. Thonhauser 2010, 10. 7 Les enregistrements (environ 6h) ont été effectués dans quatre classes différentes. 8 Les noms des enseignants ont été anonymisés. signes claires et des inputs suffisants et variés, en les amenant à exploiter les stratégies d’apprentissage et de production acquises dans d’autres langues comme le recommande la didactique du plurilinguisme. 3 Les plans d’études demandent de privilégier les compétences communica‐ tives, donc aussi de production orale. Quelles sont les compétences attendues au secondaire 1 ? Les compétences liées à des genres textuels et que l’on retrouve le plus souvent sont : savoir raconter une histoire, savoir faire un petit exposé, savoir jouer un rôle et savoir débattre 4 . Dans l’enseignement du FLE, les com‐ pétences des élèves du secondaire I ne permettent pas encore la mise en œuvre d’un vrai débat, mais se cantonne aux compétences décrites dans le plan d’études 21, à savoir « [die Schülerinnen und Schüler] können kurze Geschichten er‐ zählen, indem sie die Ereignisse aneinanderreihen, können vertraute Dinge und Sachverhalte kurz beschreiben, können einfache Aussagen zu vertrauten Themen machen und darauf reagieren, können zu alltäglichen Aktivitäten Fragen stellen und beantworten und können ausdrücken, ob sie einverstanden sind oder lieber etwas anderes machen möchten » 5 . Précisons tout de suite qu’une tâche doit se concrétiser dans un résultat (p.ex. un récit, un jeu de rôle ou un exposé) et qu’elle ne peut être accomplie que si elle est précédée d’une série d’exercices et d’activités, qui préparent à la réalisation de la tâche 6 . 2 Analyse des documents Dans nos enregistrements 7 , nous avons surtout rencontré des exemples de récits et de jeux de rôles, et nous allons analyser quatre exemples dans trois classes différentes. Raconter une histoire et jouer un rôle sont des tâches orales qui demandent des compétences langagières spécifiques. Nous verrons ainsi com‐ ment les enseignants Fabien, José et Paul 8 soutiennent leurs élèves dans ces tâches-là. A. Classe de Fabien - Raconter la fin d’une histoire Comme préparation à la tâche, les élèves de cette classe de 7e ont lu le début d’une de trois histoires (tirées du manuel scolaire Clin d’œil) qu’ils ont pu choisir 329 Enseignement du FLE et apprentissage de quelques genres textuels oraux 9 Ellis 2003 ; Kraus/ Nieweler 2011, 5 10 Cf. conventions de transcription en annexe. individuellement dans la leçon précédente. La leçon enregistrée commence par un échange entre pairs pour assurer la compréhension de ce qu’ils ont lu, ensuite ils reçoivent la consigne d’inventer une fin possible pour cette histoire dans des groupes de cinq à huit élèves. L’objectif était de raconter la fin inventée aux autres groupes à partir de notes, sans lire un texte. Il s’agit d’une tâche avec une interaction authentique entre les apprenant-e-s et avec un produit final, comme le définissent Ellis ou Kraus / Nieweler 9 : raconter sa propre fin de l’histoire. Dans la phase préparatoire (voir notre schéma, espaces A et B) les élèves recourent au suisse allemand et à l’allemand pour les échanges d’idées, et au français pour la mise en forme. D’une part le travail se fait dans un groupe et dans un contexte interactionnel et collaboratif, d’autre part les élèves qui écoutent ne connaissent pas le résultat des autres groupes vu qu’ils ont tous travaillé sur un autre texte. Voilà ci-dessous la présentation des résultats des trois groupes 10 : Exemple 1: 1 P: (…) la suite de leur histoire . . . et après groupe numéro deux . . et groupe numéro trois . . euh . vous êtes/ vous vous dites vite le le . un titre de l’his‐ toire . . ch(u): : t . . . (un groupe se lève) alors peut-être vous présentez euh . le titre de votre histoire . . . 2 F: cou[p] de foudre 3 P: seulement pour que / coup de foudre tu/ . okay . la suite de coup de foudre 4 F1: (lit) ce matin elle était dan(s) une bibliothèque . 5 F2: (lit) elle était dans la section de Goethe . et naturellement . . doit penser à Stéphane . 6 F3: (lit) elle se lève et elle rencontre Stéphane . . les deux/ les deux commen‐ cent à parler de l’XXX et de Goethe . . 7 F4: (lit) ils allons boire un café . . et le reste (rire léger) . on laisse à + l’univers (rire léger) 8 P: on reste à ? 9 F4: à l’univers . . 10 P: (c’est) bien 11 (applaudissements) 330 Carine Greminger Schibli / Lilli Papaloïzos 12 P: alors . groupe numéro deux (16s; le deuxième groupe se lève) 13 P: XX venez là . vous pouvez dire vite le titre d(e) l’histoire . . 14 F5: attaque de wagon postal . . . ah . attaque du wagon postal 15 P: attaque d’un wagon postal 16 F5: (difficilement compréhensible) la nuit Arthur (? ) a X acheté une tente à caribik . . il avance (? ) XX à boyband . XXXX il a fait les vacances dans la caribik (? ) . 17 G1: il est réconté le boyband . . il est . devenu . an grand supporter . de cette boyband . 18 F6: il a réconnu les malintraitants (? ) . mais n’effraie pas . parce que il est un . grand supporter . . 19 P: (o)kay . . bien . merci 20 (applaudissements) 21 P: numéro trois . . c’est qui qui parle ? . . X tu parles ? (9s) ch: : : t 22 P: XX vite dire euh le le titre . Alex . XXX (4s) le titre (bruit de fond) 23 G2: XXXXX (3s) 24 F6: (ne lit pas ? ) euhm . . apreu . le paisant a tiré l’alarme . euhm (bruit de langue) les/ la police vient . et . . ils demandent . qui a . tiré l’alarme . . le . étudiant . . montre sur le paisant . le paisant montre sur le mouton . . et . 25 G2 (? ): ouais . . le mouton . né prouver pas il tirait l’alarme . euhm . il doit . avec . euhm . il doit . donc X la cage . 26 P: le mouton . ist ein Schaf XXX . pour tout le monde so . ouais 27 G3: et si le mouton ne pas mort . on peut le voir encore aujourd’hui . . . 28 (rires et applaudissements) Ce qui est frappant dans les résultats, c’est la brièveté des récits. Les élèves prononcent en moyenne 50 mots en 30 secondes, et le texte présenté est lu et non pas raconté comme la consigne l’exigeait. Par ailleurs le feedback des autres élèves se limite à un applaudissement (davantage pour le courage de s’être ex‐ posé que pour le contenu du résultat) et le feedback de l’enseignant est minimal. Comment l’enseignant pourrait-il soutenir davantage l’apprentissage des élèves après la présentation du résultat ? Son commentaire « très bien » ou « okay, bien, merci » (l.10, 19) ne donne aucune indication sur la qualité du résultat. Or pour développer des comportements langagiers, un véritable feedback, et par là 331 Enseignement du FLE et apprentissage de quelques genres textuels oraux 11 cf. Dolz/ Schneuwly 2016, 63-69. aussi un feedforward pour nourrir les compétences langagières des élèves, s’im‐ poserait et pourrait se faire à différents niveaux. Nous en proposons trois : - au niveau de la prononciation : des mots comme « malintraitants » (l.18) ou « paisant » (l.24) posent de vrais problèmes de compréhension. La lec‐ ture à haute voix et la prononciation ne peuvent pas rester approxima‐ tives. - au niveau de la syntaxe : la phrase « le mouton . né prouver pas il tirait l’alarme . euhm . il doit . avec . euhm . il doit . donc X la cage » (l.25) est incompréhensible. Pour que la communication soit possible, il faut que les règles grammaticales de base et la clarté de l’énonciation soient res‐ pectées. - au niveau de la structuration: le récit est composé de phrases isolées, ce qui ne constitue pas un texte. Un travail sur les connecteurs pour relier les phrases de manière cohérente s’impose. Dans une perspective plurilingue, certains de ces éléments pourraient être int‐ roduits et travaillés dans la phase de préparation de la tâche, par exemple en analysant les connecteurs dans les textes lus ou en faisant des comparaisons avec la langue de scolarisation (ou d’autres langues) pour rappeler la structure d’une histoire et pour profiter des synergies des différentes langues. En effet, les caractéristiques du genre textuel « raconter une histoire » (principes de cohé‐ rence et de cohésion, et caractéristiques du code oral comme les phrases courtes, les marqueurs de contextualisation, ainsi que les connecteurs et la prononcia‐ tion) sont transférables d’une langue à l’autre 11 . B. Classe de José - Jouer un rôle donné Dans les deux exemples suivants, il s’agit d’un autre genre scolaire, à savoir faire un jeu de rôle. Nous allons voir que dans deux classes différentes, les élèves n’ont pas du tout la même autonomie : dans l’exemple 2, ils ont reçu une liste de commission et ils doivent jouer à acheter les produits de cette liste selon un schéma très précis pour automatiser des structures, alors que dans l’exemple suivant les élèves inventent eux-mêmes un jeu de rôle. On a donc d’un côté un jeu de rôle où les rôles et les contenus sont donnés, et de l’autre un jeu de rôle inventé par les élèves. 332 Carine Greminger Schibli / Lilli Papaloïzos Exemple 2: 1 P: okay . maintenant . euh vous allez . vous avez reçu . . tout un objet . vous êtes le vendeur . le vendeur de cet objet . et vous recevrez . . une liste de commission et vous dou/ vous devez . acheter . ces trois . objets sur cette liste . . vous com‐ prenez ? vous vous levez . vous marchez . et vous demandez . est-ce que . j’ai besoin etcetera . . c’est clair ? . . est-ce que vous avez besoin d’un exemple ? 2 G1: non 3 P: (s’adresse à un autre garçon) on va le faire ? 4 Se: oui (bas) 5 P: alors . nous deux . . bonjour Seba . ça va ? 6 Se: oui . [ça va aussi ? 7 G1: [ça va et toi 8 P: moi je vais bien merci . euhm . j’ai besoin d’un croissant . est-ce que tu as un croissant ? 9 Se: je n’ai pas un croissant 10 P: oh dommage . . alors merci . . et je vais demander Marvin . Marvin bonjour ça va ? 11 Ma: ça va et toi ? 12 P: et vous . . moi je vais bien très bien merci . euhm . est-ce que tu as un croissant parce que il me faut un croissant . et tu dis . non je n’ai pas . okay ? . ça c’est la liste des commissions . vous devez maintenant vous bouger . . est-ce que vous avez des questions ? . . non alors . levez-vous . discutez (…) 13 (les élèves se lèvent et commencent à se poser des questions; bruit de fond con‐ tinu) 14 G4: est-ce que vous avez de la crème . de la crème solaire ? 15 XXXXX (…) 16 G5: est-ce que vous avez du saucisson ? 17 XXXXX (…) 18 G6: bonjour Seba ça va ? 19 Se: ah ça va pas bien (petit rire) 20 G6: wieso ? 21 XXXXX 333 Enseignement du FLE et apprentissage de quelques genres textuels oraux 12 cf. Griggs 2004, 231. Dans cet extrait, l’enseignant utilise uniquement le français, et il veut d’abord s’assurer que la consigne qu’il a donnée est claire. Il va donc donner un exemple de ce qu’il veut, même si un élève (G1, l.2) déclare que ce n’est pas nécessaire. Seba (l.4) accepte d’une voix faible de jouer le jeu avec l’enseignant, et G1 (l.7) s’invite dans le jeu en répondant en même temps que Seba, comme pour bien montrer qu’il a compris et qu’il n’a pas besoin d’exemple. L’enseignant s’adresse ensuite à un autre élève, et on voit là une première confusion entre le jeu de rôle et la réalité : l’enseignant s’adresse aux élèves en les tutoyant, contrairement à ce que demanderait le jeu de rôle (on ne tutoie pas le ou la commerçante), et il corrige Marvin (l.12) qui lui a répondu en le tutoyant aussi. Ensuite les élèves se lèvent et appliquent la consigne, mais eux se mettent dans le rôle d’un acheteur qui vouvoie le vendeur. Et la confusion s’installe de nouveau ligne 19, quant à la question ça va ? Seba répond ah ça va pas bien, avec un changement d’intonation et un petit rire, car il y introduit un élément inat‐ tendu. G6 (l. 20) semble tellement surpris qu’il réagit spontanément en dialecte, wieso ? Seba sort du jeu de rôle en ne respectant pas la formule rituelle des salutations. Le changement de langue fait penser que G6 réagit comme si c’était une vraie question, en dehors du jeu de rôle (off-task talk selon Markee 2005). Dans le plurilinguisme, chaque langue remplit des fonctions particulières ; dans nos extraits l’emploi du suisse allemand est habituellement réservé au discours régulatif (c’est-à-dire au méta-discours), alors que le français est utilisé dans le discours constitutif (c’est-à-dire qui constitue l’objet d’apprentissage). 12 Nous aimerions souligner qu’il ne s’agit pas d’une tâche dans l’exemple ana‐ lysé, mais d’une activité qui permet d’exercer des chunks (« comment se saluer et demander un produit dont on a besoin »). Par rapport à un exercice qui se focalise uniquement sur la forme (p.ex. exercice de conjugaison), une activité contextualise les formes exercées, mais elle reste encore axée sur la forme et est fortement structurée par l’enseignant, ce qui laisse très peu de créativité aux élèves. Une tâche nécessite des exercices et des activités pour aboutir à un pro‐ duit final, résultat de la tâche. C. Classe de Paul - Inventer un jeu de rôle Dans cet exemple, il s’agit d’une activité de préparation où les élèves ont da‐ vantage d’autonomie, ce qui se concrétisera finalement dans un jeu de rôle in‐ venté par les élèves. Après un début de la leçon ludique où les élèves répètent des chunks utiles pour la suite, de façon comparable à l’activité de l’exemple précédent, ils peuvent 334 Carine Greminger Schibli / Lilli Papaloïzos choisir une situation selon leurs intérêts à l’aide des situations décrites dans le manuel Clin d’œil. La tâche prévoit la création d’une scène avec des critères à respecter (p.ex. participation de chacun-e, chunks à utiliser, ). Ensuite les élèves travaillent en petits groupes pour créer un jeu de rôle. La situation peut être définie comme situation d’interaction authentique. Le groupe que nous avons analysé a choisi le thème « Pas de prof ». Cet extrait nous semble intéressant pour différentes raisons : - D’un côté l’enseignant assume différentes fonctions conjointement. - De l’autre, l’extrait montre l’importance d’un étayage conscient et expli‐ cite, et du lien étroit avec la ou les fonctions assumées par l’enseignant. - En outre plusieurs langues sont utilisées pour maintenir l’interaction. Exemple 3: 1 P: vous avez choisi quelle situation ? 2 Tous: euh . Pas de prof 3 P: d’accord (rire du groupe) qui est le prof ? 4 F1: Sophie . 5 P: Sophie: : (voix haute) 6 F2: yeah: : (rire) 7 P: et puis . qu'est-ce que vous faites ? 8 F2: oh Gott . 9 P: le prof n'est pas là 10 (tous parlent ensemble) 11 G1: nous allons . . non non non . . nous schmeissen le Schwamm 12 P: jeter 13 G1: dans la salle de classe [ F1: dans ma tête 14 P: ouais . on jette l'éponge 15 G1: et le prof entrer de la salle 16 P: oui 17 G1: et les élèves tait le le Schwamm dans la 18 P: jettent 335 Enseignement du FLE et apprentissage de quelques genres textuels oraux 13 cf. Dabène 1984: elle distingue trois fonctions principales de l’ enseignant: « vecteur d’information, meneur de jeu et évaluateur ». 19 G1: jettent le Schwamm dans la tête de . le prof [F1: moi 20 P1: alors . jettent l'éponge à la tête de la professeure 21 F1: mmh (rire) 22 F2: äh die Begeisterig 23 F1: hoffe ihr träffet ned 24 P: d’accord (rire) oui . alors . faites attention finalement c'est tout le monde qui doit parler un peu . et euh . . à la fin c'est pas seulement Sophie qui parle le plus . oui . d’accord ? tout le monde parle . pendant que la prof est absent . vous avez des discussions peut-être . . . et à la fin tu vas les gronder ? 25 F1: mmh 26 P: tu as un retenu et toi tu vas écrire une feuille . et quelque chose comme ça 27 F2: non ! trois . trois ! 28 G1: trois millions ! Une analyse détaillée montre d’abord que l’enseignant s’adresse au groupe avec la question « Vous avez choisi quelle situation ? » (l.1) Il assume donc la fonction du meneur de jeu, selon Dabène, et rappelle le contrat didactique 13 . Puis il ai‐ merait en savoir davantage sur l’état du travail accompli : « D’accord (rire du groupe) qui est le prof ? » (l.3). Les élèves commencent alors à raconter en français la scène qu’ils ont in‐ ventée. Lorsqu’un élève dit : « nous schmeissen le Schwamm » (l.11) - donc qu’il se sert du code-switching pour maintenir la conversation - l’enseignant, tout en passant de la fonction de meneur de jeu à celle de vecteur d’information, traduit avec le mot français jeter, mais sans en donner la forme conjuguée. Les élèves ne réagissent pas, car ils se concentrent sur le contenu en présentant leurs idées et ne font pas attention à l’aide formelle de l’enseignant. L’enseignant intervient une deuxième fois en lançant le chunk « on jette l’é‐ ponge » (l.14), donc il retraduit l’expression en donnant cette fois la forme con‐ juguée. Peu après l’élève reprend la phrase, mais comme il n’a apparemment pas bien compris l’expression donnée par l’enseignant, il répète une syllabe phoné‐ tiquement proche « tait » (l.17) pour « jette ». L’aide de l’enseignant a laissé quelques traces sonores du verbe, le mot « éponge » par contre a disparu. À la ligne 18, l’enseignant répète le verbe pour la troisième fois, en donnant la forme 336 Carine Greminger Schibli / Lilli Papaloïzos 14 cf. de Pietro/ Matthey/ Py 1989. 15 cf. Griggs 2004, 232. verbale conjuguée mais sans pronom sujet, et l’expression complète « jeter l’é‐ ponge » s’est perdue. Cette fois, l’élève concerné reprend la forme conjuguée immédiatement dans sa phrase, puis continue en allemand, car il n’a pas retenu la traduction du mot Schwamm (l.19). L’enseignant ajoute encore « l’éponge » et répète la phrase « jettent l’éponge à la tête de la professeure » (l.20). À ce mo‐ ment-là, les élèves passent au discours régulatif et commentent la scène en suisse allemand. L’enseignant reprend sa fonction première de meneur du jeu : « tout le monde doit parler un peu. » (l.24). Il donne des indices contextuels et sollicite la participation plus ou moins égale des interactants. Une fois que l’enseignant s’est éloigné du groupe, la discussion entre les élèves se prolonge en français, en allemand et en suisse allemand sur le choix des prénoms et noms des per‐ sonnages du jeu de rôle. On peut voir dans cet extrait un exemple de séquence potentiellement acquisitionnelle (SPA) 14 : on relève plusieurs données (input) de la part de l’enseignant (l.12,14 et 18), une prise (intake) incorrecte de la part de l’élève (l.17) et une prise correcte (l.19). La prise fonctionne pour le verbe jeter, une fois que l’enseignant l’a conjugué, mais elle ne fonctionne pas pour « l’é‐ ponge » qui n’est pas repris. Les conclusions suivantes peuvent être tirées par rapport au modèle AMI: - Les élèves ont pu choisir de manière autonome la scène, ils semblent mo‐ tivés et montrent du plaisir à utiliser la langue cible. Tous les élèves par‐ ticipent à l’interaction avec l’enseignant, les conditions sont donc favo‐ rables à l’apprentissage. - Pendant le travail préparatoire à la réalisation de la tâche, on trouve ha‐ bituellement des moments de bifocalisation, à la fois sur la forme et le contenu, ce qu’on observe aussi ici. Dans notre modèle ces moments d’é‐ tayage s’inscrivent dans les différents cercles de la spirale. L’enseignant propose un étayage tout en langue cible, autant en ce qui concerne les problèmes lexicaux que les échanges au niveau métadiscursif. Les inputs donnés par l’enseignant sont repris en partie par les élèves : ils sont at‐ tentifs et la SPA montre un moment de l’apprentissage. - L’étayage au niveau formel n’aboutit qu’à moitié, car si la bifocalisation simultanée est possible pour l’enseignant (bilinguisme composé), elle ne peut pas se faire en même temps chez les élèves (bilinguisme subor‐ donné) 15 . Pour optimiser l’apprentissage des élèves, l’enseignant doit as‐ 337 Enseignement du FLE et apprentissage de quelques genres textuels oraux sumer clairement ses fonctions respectives en déclarant explicitement s’il se focalise sur la forme ou sur le contenu. D. Classe de Paul - jouer son propre jeu de rôle L’exemple qui suit est le résultat provisoire du travail des élèves, quand ils jouent les rôles qu’ils ont inventés. Exemple 4: 1 F1 (reprend son dialogue): écoute-moi mes élèves . . je vais copier les feuilles de mathématiques . je rentre dans . quelques minutes (elle s’approche de la porte et fait semblant de sortir de la classe) 2 F2+G1+G2: (en choeur) c’est bien madame Madame ! 3 F1 (fait une révérence et revient s’asseoir) ; (quelques secondes incompréhensi‐ bles entre les 3 élèves) 4 G1: XXX qu’est-ce qu’il faut faire ? XXX 5 F2: je n’ai pas écoute . qu’est-ce que nous faisons ? (F1 sort de la salle) 6 G2: j’ai une idée ! . . nous construi[s]ons un avion de papier ! 7 F2: oui ! . c’est bien ! (tous les 3 prennent une feuille et commencent à faire un avion en papier) 8 F2 (lance son avion sur G2 en souriant; rires; elle ramasse son avion tombé par terre et le lance en direction de la porte) 9 F2+ G1+ G2 (lancent leurs avions dans la salle en s’amusant) 10 F2 + G1 (se lèvent pour jouer avec l’éponge du tableau, G2 refuse de participer; F2 et G1 se lancent l’éponge comme un ballon) (rires) 11 F2: attention ! 12 G1: oh non ! (F1 est rentrée dans la classe et elle reçoit l’éponge lancée par G1 à la figure; rires; F2 et G1 retournent en riant à leur place) 13 G2: ahaha . c’est karma 14 F1: XXX (essayant de prendre un air fâché) cinq feuilles pour toi ! . . . et XX (s’adresse à F2). pour toi une feuille ! 15 F2: oh no: n ! 16 F1 (s’adresse à G2): Hans-Peter (rigole) . . tu as un exemple 17 G2: merci madame Madame 18 (rires) tous retournent à leur place (ils discutent entre eux pendant 3mn) 338 Carine Greminger Schibli / Lilli Papaloïzos 16 cf. Bange 1992. La première chose à souligner, c’est que le résultat est très court. Les échanges durent un peu plus de deux minutes, mais la moitié est sans paroles, et chaque élève ne dit pas plus de dix mots à la suite. On pourrait attendre davantage des élèves après cinq années de français, alors qu’ici ils remplacent l’utilisation de la langue par la mimo-gestualité. Dans ce cas les élèves ont eu beaucoup d’autonomie : ils ont choisi le thème « pas de prof » parmi d’autres thèmes, et ils nous donnent en deux minutes une certaine image des relations prof-élèves : quand il n’y a pas de prof, on fait les fous, puis le prof distribue les punitions et les récompenses entre les mauvais et les bons élèves ! C’est une vision très classique de l’école… Parmi différentes stratégies d’apprentissage, les élèves pouvaient choisir entre : a) la stratégie d’évitement, c’est-à-dire réduire la communication à un mi‐ nimum b) la stratégie de substitution, en utilisant la langue maternelle, la langue scolaire ou la mimogestualité c) la stratégie de réalisation, en prenant des risques en français, le risque de faire des erreurs ou de ne pas remplir tout à fait la consigne. 16 Ici on peut dire que les élèves ont utilisé surtout la stratégie de substitution, puisque la moitié de la scène est mimée et non parlée. Ils ont aussi eu recours, par facilité, à la stratégie d’évitement, en se contentant par exemple de nommer la prof « madame Madame » (l.2), sans chercher à lui donner un nom plus cré‐ dible. C’est d’ailleurs une chose qui nous a frappées à plusieurs reprises dans nos enregistrements : les élèves recourent énormément à l’absurde quand ils doivent inventer la fin d’une histoire ou un jeu de rôle, comme si cela minimisait les risques en langue seconde. Si c’est absurde, il n’y a en effet plus de juste ou faux et on peut facilement se cacher derrière de tels rôles… Par conséquent les élèves rient beaucoup, mais le danger est que le travail sur la langue ne se fasse pas et que le jeu seul prenne le dessus. 3 Conclusion et perspectives L’analyse de nos enregistrements en fonction des différents genres textuels oraux nous amène aux réponses suivantes par rapport à nos questions de départ : 339 Enseignement du FLE et apprentissage de quelques genres textuels oraux A. A quel moment de l’interaction l’autonomie des élèves se manifeste-t-elle ? Il ressort clairement de nos analyses que dans ce processus, donner beaucoup d’autonomie aux élèves n’équivaut pas à « les laisser parler librement ». En effet, plus les contraintes (objectifs de la tâche, structure et outils) liées à chaque genre textuel sont données explicitement au début de la tâche, et plus la créativité langagière des élèves peut s’épanouir, car ils ont ainsi des repères sur lesquels s’appuyer pour progresser (exemples 3 et 4). B. Quelles sont les différentes langues employées dans ces classes de FLE ? On voit aussi qu’il est possible au niveau A2 de rester la plupart du temps dans la langue cible en tant qu’enseignant-e, si il ou elle dispose d’une compétence langagière assurée pour ce qui est des consignes, mais aussi dans l’interaction avec les élèves en parlant de contenu (exemple 3). Parmi les langues disponibles, on constate chez les élèves que l’allemand est utilisé (par les élèves) en cas de lacune lexicale (exemple 3), et que le suisse allemand est utilisé dans les commentaires métadiscursifs (exemple 2). On aurait pu attendre d’autres langues, par exemple l’anglais ou des langues d’origine, mais elles n’apparaissent dans aucun de nos enregistrements. C. Quelles interactions entre enseignant-e et élèves aident-elles les élèves de manière efficace dans leur apprentissage ? Dans les interactions entre enseignant-e et élèves, le feedback ET le feedforward sont nécessaires pour exploiter le résultat d’une tâche (qui est un état des lieux du niveau des élèves) pour approfondir la forme et le contenu. Pour aboutir aux compétences caractéristiques de chaque genre textuel, un feedback précis après chaque résultat permettra de déterminer de nouveaux exercices et de nouvelles activités, et poussera les élèves à une réflexion métalinguistique avant de passer à une nouvelle tâche (exemple 1). D. Conséquences pour la formation des futur-e-s enseignant-e-s Savoir raconter une histoire, faire un exposé ou savoir jouer un jeu de rôle sont des genres textuels dont la maîtrise se manifeste dans le produit d’une tâche, à la fin d’un processus qui implique des exercices et des activités. Les enseig‐ nant-e-s devraient en être conscient-e-s et structurer leur enseignement en fonction de ce processus. S’il est clair que l’objectif commun des genres textuels scolaires est de con‐ textualiser la langue pour améliorer les compétences langagières des élèves, 340 Carine Greminger Schibli / Lilli Papaloïzos pour la formation des futur-e-s enseignant-e-s nous aimerions insister sur les éléments suivants : - Il faut enseigner les caractéristiques des différents genres oraux (objectifs, structure et outils) tels que le récit, l’exposé oral ou le jeu de rôle. Les caractéristiques du code oral se retrouvent dans les différents genres tex‐ tuels cités et sont donc des outils à travailler (phrases courtes et pauses respiratoires, vocabulaire simple, répétition, marqueurs de contextuali‐ sation, soutien mimogestuel, prononciation correcte et clarté de l’expres‐ sion, contact avec l’auditoire, …), et par ailleurs chaque genre a des ob‐ jectifs et une structure spécifique, que nous donnons très brièvement ci-dessous, sans les détailler : • Récit. Objectifs : capter et garder l’attention de l’auditoire. Structure : début - développement - fin. • Exposé oral. Objectifs : capter et garder l’attention de l’auditoire ; sa‐ voir décrire, expliquer, illustrer. Structure : présentation du thème - présentation du plan - développement et enchainement thématique - conclusion. • Jeu de rôle. Objectifs : s’approprier physiquement la langue, prendre conscience du système phonologique et de l’accentuation spécifique du français ; savoir incarner un personnage. Structure : situation donnée avec un texte donné ou à inventer - mise en voix du texte - mise en scène du texte. - Méthodologiquement les étudiant-e-s doivent mieux comprendre la dif‐ férence entre exercices, activités et tâches, ainsi que leur implication res‐ pective dans l’apprentissage d’une langue seconde. Il ne faut pas s’arrêter après une activité, mais aller jusqu’au bout de la tâche, voire reprendre la tâche dans un autre contexte pour consolider et enrichir les compétences en cours d’acquisition. - Une fois le produit fini, le travail de la voix et des gestes n’est pas à nég‐ liger : on peut ainsi exercer la prononciation, la prosodie, l’intonation, la respiration et la mimogestualité avant la présentation du résultat. Ainsi les élèves ont moins de risque de perdre la face devant la classe, car ils seront plus à l’aise. - L’importance du feedback et du travail sur le résultat de la tâche, à savoir le feedforward, ont une fonction essentielle dans l’acquisition des com‐ pétences langagières, autant avant et pendant la réalisation de la tâche qu’à la fin, lors de la présentation du résultat. Et pour que le feedback aboutisse, les enseignant-e-s doivent rendre leur fonction et leurs attentes explicites. 341 Enseignement du FLE et apprentissage de quelques genres textuels oraux - Parmi les stratégies d’apprentissage, la comparaison entre les différentes langues (différences phonologiques, ressemblances lexicales, compara‐ ison des structures morphosyntaxiques) et la réflexion (méta-)linguis‐ tique sont fondamentales. Nous pouvons donc compléter notre schéma en y ajoutant le feedback des pairs et de l’enseignant-e, afin de permettre une réflexion métalinguistique et une nouvelle base pour un travail d’approfondissement et de consolidation de chaque genre textuel. Schéma 2 : La dynamique du modèle AMI Bibliographie sélective Bange, Pierre. 1992. « À propos de la communication et de l’apprentissage de L2 (nota‐ mment dans ses formes institutionnelles) », Acquisition et interaction en langue étran‐ gère [En ligne], 1 | 1992, http: / / aile.revues.org/ 4875, Éditeur : Association Encrages. Dabène, Louise. 1984. « Pour une taxonomie des operations métacommunicatives en classe de langue étrangère ». Etudes de linguistique appliquée, n° 55, 39-46. De Pietro, Jean-François/ Matthey, Marinette/ Py, Bernard. 1989. « Acquisition et contrat didactique : les séquences potentiellement acquisitionnelles dans la conversation exo‐ lingue », Actes du IIIe colloque régional de linguistique, Strasbourg : Université des Sciences humaines, 99-124. 342 Carine Greminger Schibli / Lilli Papaloïzos Dolz, Joaquim/ Schneuwly, Bernard. 2016. Pour un enseignement de l‘oral. Initiation aux genres formels à l‘école. Paris : ESF éditeur. Ellis, Rod. 2003. Task-based language learning and teaching. Oxford: Oxford University Press. Ghazala, Merazga. 2009. « L‘interaction en classe de langue: la promotion du plurilin‐ guisme et du culturel par le CECR. » in: Synergies Algérie n°5 - 2009, 65-71. Greminger Schibli, Carine/ Papaloïzos, Lilli/ Sauvin, Eric. 2015. « Autonomie, Motivation und Interaktion im aufgabenorientierten Französischunterricht. Das Modell AMI », in : Stefan Keller/ Christian Reintjes (ed.), Aufgaben als Schlüssel zur Kompetenz. Münster/ New York : Waxmann, 223-235. Greminger Schibli, Carine/ Papaloïzos, Lilli/ Sauvin, Eric. 2016. « Le modèle AMI: un apprentissage en spirale», in: Babylonia 3, 60-61. Griggs, Peter. 2004. « Articulation entre L1 et L2 dans la co-construction des savoirs langagiers en classe d’initiation à une langue étrangère », in : Alain Rabatel (ed.) : Interactions orales en contexte didactique. Mieux (se) comprendre pour mieux (se) parler et pour mieux (s')apprendre. 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Oxford : Oxford University Press. 343 Enseignement du FLE et apprentissage de quelques genres textuels oraux Conventions de transcription . pause neutre . . pause courte . . . pause longue (3s) à partir de 3 secondes, la durée des pauses est indiquée entre parenthèses : allongement d’une syllabe / interruption d’un mot NON mot accentué + début ou fin d’une séquence à laquelle se réfère une remarque ( ) remarques du transcripteur et commentaires [ ] transcription phonétique [ indique un chevauchement des tours de parole XXX passage incompréhensible, en nombre approximatif de syllabes euh/ mh/ mmh = articulateurs du discours oral 344 Carine Greminger Schibli / Lilli Papaloïzos Mehrsprachigkeit versus Vielsprachigkeit Überholte Dichotomien versus Identitäten des „glissando“ Soziolinguistisch-didaktisch-musikologische Überlegungen am Beispiel von Liedern auf Cabo Verde und La Réunion Manfred F. Prinz Zusammenfassung So ungewöhnlich und abwegig es erscheinen mag, sogenannte Mischformen wie Kreolsprachen auf einem Romanistentag zu einem gleichwertigen Gesprächs‐ gegenstand zu erklären wie die traditionellen romanischen Sprachen FSIPKR -und das noch innerhalb einer Didaktiksektionso plausibel und angemessen -ja notwendigist es, sie angesichts ihrer Betrachtung in lokalen Kontexten, wo sie oftmals als „vollwertige Muttersprachen“ -wie in frankophonen DROM-TOMs (französischen Überseeregionen und -departments) mit überwie‐ gend mehrheitlicher Sprecherzahl gegenüber der offiziellen Minderheitssprache „Französisch“ gesprochen werden, in ihrer soziolinguistischen Besonderheit zu thematisieren, obgleich sie im öffentlichen Leben -insbesondere in Schule, Me‐ dien u. a. - gegenüber dem Französischen keine (anerkannte) Rolle spielen. Die Inwertsetzung der Kreolsprachen scheint darüber hinaus angesichts ihres Stellenwertes im Rahmen eines sich mehr und mehr behauptenden Identitäts‐ diskurses, in dem Identität als hybrides, fluktuierendes Zwischenraumphä‐ nomen ohne jeglichen Dominanzanspruch verstanden wird, in mehrfacher Hin‐ sicht interessant: - Die Kreolsprachen entsprechen am ehesten den Kriterien der individu‐ ellen und kollektiven Identität, insbesondere wenn sie sich als hybrid-bas‐ tardische Phänomene oftmals mehr dem Verstehen entziehen als zu diesem zu ermutigen, vergleichbar anderen Annäherungsversuchem in Kontexten interkulturell-interkomprehensiven Fremdverstehens. - Der hohe künstlerisch-ästhetische und soziale Stellenwert der kreo‐ lsprachlichen Ausdrucksformen in Musik, Text etc als konsekrierte Ma‐ nifestationen nationaler kultureller Identität beweisen ihren hohen iden‐ titätsstiftenden Stellenwert. - Die Bedeutung der Kreolsprachen für Sprachenlerner könnte darin be‐ stehen, gängige Inhalte (etwa Landeskunde, interkulturelles Lernen, Me‐ dienkompetenz, interdisziplinäres und autonomen Lernens u. a. m.) sowie Fertigkeiten und Kompetenzen des FU mit hohem Anspruch an „span‐ nenden Kontexten“ zu praktizieren. - Das Verstehen kreolsprachlicher Ausdrucksformen als approximativer Prozess allmählichen Verstehens zwischen Scheitern und Erfolg könnte als Paradebeispiel für den Verlauf von Verstehensprozessen allgemein zwischen Möglichkeit und Unmöglichkeit des Verstehens angesehen werden. - Interessant ist darüber hinaus, dass sich unterschiedliche Niveaus im Leichtigkeits- und Schweregrad der kreolsprachlichen Ausdrucksformen ausmachen lassen, die für Lernende und Lehrende ein Abenteuer in Sa‐ chen Fremdverstehen angesehen werden könnten. 1 Soziolinguistische und sprachpolitische Betrachtungen 1.1 Notwendigkeit neuer Theoriebildungen Die traditionellen Sprachen der Romania, die ein Deutscher Romanistentag bis heute zu seinem Untersuchungsgegenstand erklärt, sind nach wie vor das Ka‐ talanische, Spanische, Französische, Italienische, Portugiesische und Rumäni‐ sche, das Rätoromanische mit seinen dialektalen Varianten in den Tälern der Schweiz ist inzwischen nahezu von der Liste verschwunden. Innerhalb der Romanistik spielen sowohl die Mehrsprachigkeit (Fähigkeit des Sprechens und Verstehens mehrerer Sprachen) als auch die Vielsprachigkeit (regionales Vorkommen verschiedener Sprachen und Sprachvarianten) eine zentrale Rolle, die als Sachverhalte und Forschungsgegenstände in den letzten Jahren zunehmend im Bereich der Fremdsprachendidaktik eine zentrale Bedeu‐ tung (Europarat 2001: 17) spielen. Synchrone und diachrone Sprachwissenschaft befassen sich mit der territorialen Verbreitung und den individuell-kollektiven Ausdrucksformen in romanischen Sprachen und deren konkreten Sprachkon‐ taktsituation, wie z. B. der Kreol- und Mischformen bestehend aus romanischen und nicht-romanischen Sprachen sowie etwa des Code-Switchings und Formen der Pidginisierung. Die Sprachsoziologie sieht diese sprachlichen Entwick‐ lungen unter dem konfliktuellen Verhältnis zwischen dominierenden und do‐ 346 Manfred F. Prinz minierten Sprachen (Calvet 1987) sowie des fortschreitenden language death von Minderheitensprachen (Brenzinger 1992, Crystal 2000), was in den 90er Jahren zu der Reklamierung von Menschen- und Sprachenrechten, zunächst in der Erklärung von Barcelona (1995) und wenig später zu einer von der UNESCO verfassten Charta geführt hat, in der sowohl das Recht auf Benutzung der Mutter- oder Herkunftssprachen als auch des Rechts auf den Erwerb von Fremd‐ sprachen verankert sind. Sprachliche, soziologische, politische und kulturelle Aspekte gehen Hand in Hand in neuen Theoriebildungen hinsichtlich bestehender Entwicklungsten‐ denzen in immer wieder aktualisierten Periodisierungs- und Typologisierungs‐ versuchen. Fremd-sprachendidaktisch zeigten sich in Ansätzen der Mehrsprachigkeits‐ didaktik (MSD) Versuche, den Anspruch auf Sprach- und Bildungsmonopole aufzulösen durch einen multiplen Ansatz des Verstehens von Sprachen aufgrund ihrer Ähnlichkeiten, die traditionell Gegenstand der Etymologie waren. Der Zugang zu anderen Sprachen aufgrund ihrer etymologischen Verwandtschaft, lässt sich insbesondere über sprachgeschichtliche Entwicklungen der verschie‐ denen verwandten Sprachfamilien verfolgen, stößt aber gleichzeitig bei „Misch‐ formen“ (wie den Kreolischsprachen) auf immer deutlichere Grenzen. Dennoch ermöglichen gerade diese „Misch“- und Sonderformen ein reich‐ haltiges Material, um Spracherwerb und die Reflexion über sprachlich-kultu‐ relle Phänomene motivierend und erfolgreich zu ermöglichen, unter Berück‐ sichtigung und Inwertsetzung zahlreicher Kompetenzbereiche, insbesondere des Hörens und Hörsehverstehens, die neben Lesen und Schreiben tretend, auch Medien- und Evaluationskompetenz erfordern. 1.2 Entwicklungstendenzen im Zuge der Postmoderne Die Wahrnehmung in Dichotomien, die weitgehend unser Denken bestimmt, zeigt gleichzeitig die Grenzen dieses Denkens auf. Dies trifft fast alle Bereiche des Lebens, und unsere Versuche des Zugriffs auf unsere Umwelt zu : trial and error, binäre Codierung, Gleich- und Wechselstrom, Plus- und Minustempera‐ turen, falsch und richtig u. a. stehen am Anfang dieser Zugriffe, bis die Ergeb‐ nisse unserer Wahrnehmung sich als nicht realitätsadequat, da als differen‐ zierter entpuppen bzw. andere Perspektiven und Sichtweisen auf dieselbe Realität in einem anderen Licht verlangen und ihr eine andere (Be-)-Deutung zu geben versuchen. Modellbildungen unterschiedlicher Art zeigen daher zunächst eine auf Di‐ chotomien und binäre Zweiteilung beruhende Einteilung wahrgenommener Phänomene, doch diese anfängliche vereinfachende « Schwarz-Weiss-Sicht » in 347 Mehrsprachigkeit versus Vielsprachigkeit einfachen Gegensätzen wird sehr bald einer korrigierenden Sicht der Vielfäl‐ tigkeit, Widersprüchlichkeit und verfeinerten Differenzierung weichen müssen. Das didaktische Moment der Vereinfachung komplexer Sachverhalte steht so am Anfang jeder Wahrnehmung und Aneignung von Realität, verfeinert sich aber im Laufe ihrer Verarbeitung zu komplexeren Zusammenhängen und Ge‐ bilden, für die dann wiederum ursächliche Bezüge und Begründungen zur Er‐ klärung herangezogen werden. Für sprachliche und kulturelle Phänomene zeigt sich eine zunehmend diffe‐ renzierende Wahrnehmung und Modellbildung in Versuchen der historischen Perzeption, die Entwicklungsphasen in Periodisierungen, zunehmenden Rami‐ fizierungen und verfeinerder Ausgliederungen faßt : so z. B. bei der historischen Betrachtung von Entstehung und Ausgliedeung der Sprachen oder bei der ety‐ mologischen Bedeutungsentwicklung und -nuancierung. Soziologische Betrachtungen sehen in der Ausdifferenzierung die Folge von Konflikten und Auseinandersetzungen um Dominanzgefüge, die sogenannten kulturellen Leuchttturmkulturen und -sprachen (Galtung 1985 : 151 ff)) stehen für Hochkulturen, die ihrerseits durch parallele kulturelle Bewegungen und « Erhebungen » bedroht und auf kurz oder lang von einem drohenden Untergang geweiht sind. Das Multiparadigmenmodell dominanter und unter‐ legener, auftstrebender und untergehender Paradigmen des portugiesischen So‐ ziologen Boaventura Sousa Santos (2000 : 103 ff), das er weltweit auf die Prozesse gesellschaftlich-kultureller, juristischer u. a. Systeme anwendet, sei hier bei‐ spielhaft genannt. Im Rahmen von Theoriebildungen der sogenannten « Postmoderne » wurde vor allem von Vertretern der Peripherie das Konzept der « Zwischenraumkul‐ turen » (cultures d’interstices oder intersticielles) entwickelt (z. B. Homi Baba 2000 : 2 ff, Louis-Jean Calvet 1994 : 269 ff, Sousa Santos: 2000 : 103)), die auf Theoreme der Stadtsoziologie in den 20er Jahren von Soziologen der Schule von Chicago zurückgehen (Calvet, 1994 : 19 ff)) bereits entwickelt wurden. Im Zusammenhang der Thematisierung von Kreolsprachen mit diversen und komplexen Ursprüngen in ihrem Verhältnis zu kolonial dominanten offiziellen Landessprachen ergibt sich -im Unterschied etwa zu afrikanischen Kontexteneine entetymologisierte Semantik, d. h. Sprachfomen ohne eindeutige heutord‐ nung Zurodnung, wie auch beim Beispiel des code-switchings, d. h. einem scheinbar unmotivierten Wechsels zwischen zwei oder mehreren Sprachen die jeweilige Wahl der einen oder anderen Sprache mitten in der chaîne parlée. Es handelt sich um den Verlust der identitätsstiftenden Funktion einer singulären Sprache hin zu einer Sprachform, die ähnlich der Zwischenraumkulturen fluk‐ tuierend und hybrid, übergangshalber im Zwischenraum angesiedelt, tagesform 348 Manfred F. Prinz bedingt, und nicht schriftlich fixiert und konsekriert, sondern mündlich-provi‐ sorisch, eher dem Risiko des Nichtverstehens zugewandt, aber dennoch lokal-grégäre Artikulation einer Mehrheit ist, die sich gegenüber einer verste‐ henswilligen Mehrheit von Fremden und Außenstehenden eher verschließt und ausgrenzt. Diese Form der unfreiwilligen aber von der historischen Entwicklung her bedingten Autoexklusion gehört für Calvet (1994: 269) zum Wesensmerkmal der der Sprachen und Kulturen der Zwischenräume. Der Weg zur non-verbalen Kommunikation mit vereinfachten Zeichen an‐ gesichts der zunehmenden Verschlüsselung und Codierung des hybrid-polyse‐ mischen Sprachsystems, lässt sich allenfalls noch kontextuell entziffern, und entzieht sich einem lexikalisch zuzuordnendem Verstehen. Die soziolinguistische Einschätzung des Kreolischen in einem Kontext der Diglossie erscheint problematisch, da die Kreolsprachen nur in Ausnahmefällen durch Öffentlichkeit wie Schule, Medien und Schriftlichkeit konsekriert sind, sich aber dennoch als Mehrheitssprache und lingua franca etabliert haben und weiter entwickeln. Die „glottophagie“ (Calvet 1974) erfolgt hier nicht über die Verdrängung durch einer sich als dominant durchgesetzten offiziellen und in wichtigen Bereichen des öffentlichen Lebens konsekrierten Sprache, sondern umgekehrt durch eine nichtkonsekrierte Mehrheitssprache ohne eindeutig his‐ torisch Zuordnung, wie etwa in den von Calvet mehrheitlich untersuchten afri‐ kanischen Kontexten. So sehen Forschungen zum Kreolischen für La Réunion auf kurz oder lang das „Ende der Diglossie“ hin zu einer Dominanz des Kreolischen, zu Ungunsten der offiziellen kolonial gesetzten Landessprache Französisch voraus. (Anonym: 2010) Alphabetisierungs- und Schulsprache zu werden. So wie Calvet am Bei‐ spiel des Kreolischen gegenüber dem Französischen und Englischen auf dem Archipel „Maurice“ exemplifiziert (Calvet: 1987: 87 ff). 1.3 Sprachenrechte - Erklärung von Barcelona, Charta Gleichzeitig mit den Diskursen der sogenannten Postmoderne wurde in den 1990er Jahren wurden vonseiten der UNESCO weltweit Anstrengungen zur Verbesserung und Abschaffung von Missständen in formalen und non-formalen Bereichen gefordert. 1990, im Jahr der Internationalen Jahr der AIphabetisie‐ rung, ausgerufen von der UNESCO, stand der Erwerb der Schreib- und Lesefä‐ higkeit für Jeden im Mittelpunkt. Die 30 Mitgliedsländer der OECD (Organiza‐ tion for Economic Cooperation and Development) setzten sich zum Ziel, bis 2015 den Alphabetisierungsgrad der 15-24-Jährigen in allen Ländern auf 99 % zu steigern, und die Vereinten Nationen erklärten die Jahre 2003-2013 zur UNO-Al‐ phabetisierungdekade. 349 Mehrsprachigkeit versus Vielsprachigkeit Im Jahr 2000 beschlossen 189 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen mit der Millenniumserklärung einen Katalog grundsätzlicher, verpflichtender Ziel‐ setzungen für alle Mitgliedstaaten, unter denen im Bildungsbereich der Primar‐ schulbildung ein prioritärer Stellenwert zukam. Die Erklärung der Sprachenrechte durch die UNO, hervorgehend aus der Er‐ klärung von Barcelona (1995), gilt als Beginn, weltweit auch Grundrechte in sprachlichen Bereichen zu definieren und den Menschenrechten gleichzu‐ stellen. In den Artikeln (3) und (5) der Charta wird insbesondere das Recht, seine Muttersprache sowohl im privaten wie im öffentlichen Raum zu sprechen, ge‐ fordert: Article 3 La présente Déclaration considère comme droits personnels inaliénables pouvant être exercés en toutes occasions: - le droit d'être reconnu comme membre d'une communauté linguistique; - le droit de parler sa propre langue en privé comme en public; - le droit à l'usage de son propre nom; - le droit d'entrer en contact et de s'associer avec les autres membres de sa communauté linguistique d'origine; - le droit de maintenir et de déve‐ lopper sa propre culture; - et tous les autres droits liés à la langue visés par le Pacte international des droits civils et politiques du 16 décembre 1966 et par le Pacte International des droits économiques, sociaux et culturels de la même date. (…) Darüber hinaus wird eine friedliche Koexistenz von Sprachen der Mehrheiten und Minderheiten eingefordert, d. h. im Fall von Migrantensprachen auch der Respekt der Sprache des Gastgeberlandes: Les droits des personnes et des groupes linguistiques précédemment cités ne doivent en aucun cas entraver leurs relations avec la communauté linguistique hôte ou leur intégration dans cette communauté. Ils ne sauraient en outre porter atteinte au droit de la communauté hôte ou de ses membres d'utiliser sans restrictions sa propre langue en public dans l'ensemble de son espace territorial. Auch diskriminierende sprachliche Bezeichnungen wie „Minderheiten- oder Regionalsprachen“ werden laut Artikel (5) auch in der Charta nicht verwendet, weil diese Bezeichnungen der rechtlichen Gleichstellung widersprechen und diese einschränken könnten. 350 Manfred F. Prinz Article 5 La présente Déclaration part du principe que les droits de toutes les communautés linguistiques sont égaux et indépendants du statut juridique ou politique de leur langue en tant que langue officielle, régionale ou minoritaire; les expressions «langue régionale» et «langue minoritaire» ne sont pas utilisées dans la présente Déclaration car il y est fréquemment recouru pour restreindre les droits d'une communauté lin‐ guistique, même si la reconnaissance d'une langue comme langue minoritaire ou ré‐ gionale peut parfois faciliter l'exercice de certains droits Danyel Waro, der im Weiteren zu untersuchende Sänger von La Réunion the‐ matisiert diesen Aspekt, hält aber die Eigenbezeichnung des Begriffs der „ba‐ tarsité“ eher für ein Adelsprädikat der „identité réunionnaise“ aufgrund iher vielfältigen Ursprünge, wenn er den Titel Batarsité folgendermaßen erläutert: Batarsité On peut le prendre au sens péjoratif désignant des enfants sans père. Mais dans mon cas, je parle d« Batarsité » signifie, littéralement, « bâtardise ». e « batarsité » au sujet de l’identité réunionnaise. Nous sommes un peuple profondément marqué par le métissage, ayant donné nais‐ sance à une culture particulière et unique. Chaque Réunionnais renferme en lui plusieurs origines, il ne peut donc s’associer à une catégorie particulière: on ne peut pas affirmer être Africain, Chinois, Indien ou Européen. Nous possédons tout cela à la fois! ». 2 Didaktische Annäherungsversuche an sprachlich hermetische Formen - Am Beispiel des Kreolischen Statt metasprachlich-theoretischer Vermittlung von Fremdverstehen und -er‐ fahrungen bieten künstlerische und vitale Beispiele der Verarbeitung dessen, was Kulturwissenschaftler und Soziologen mit „fluktuierender Identität“, „Hyb‐ ridität“„Zwischenraumkulturen“ und „konkurrierenden Paradigmen“ um‐ schreiben, einen ästhetisch vermittelten Zugang, der mehrspektivische Wahr‐ nehmung per se voraussetzt und -unterstützt durch Neugierde und deren Bewusstmachungin einem hermeneutischen Wahrnehmungsprozess zwischen Eigenem und Fremden in vielfacher Hinsicht den Weg zu einer verändert/ -nden Überzeugung und Haltung. Wesentlich für diesen didaktischen Weg ist die selbstständige, persönliche Erfahrung, die auf vielfältige Weise medial und moderierend-vermittelnd be‐ gleitet und in Gang gesetzt wird. 351 Mehrsprachigkeit versus Vielsprachigkeit Beispiele musikalisch- und textbasierter Erschließung von Fremderfahrung beim Lernen von Fremdsprachen haben wir in dem Konzept „RapRomania“ ver‐ sucht und in einer Publikation zu französisch- und spanischsprachigen Kon‐ texten darzustellen (Prinz u. a. 2016). Und dies mittels Hörsehverstehen und Medienkompetenz verbunden mit Vorgaben zur eigenen Recherche im Er‐ schliessen von Text-, Musik- und Filmbeispielen jugendkultureller Manifesta‐ tionen der Hiphopkultur als cultures intersticielle par excellence (Calvet - 1994: 269 ff). Dies soll nun in extremis an Beispielen der sogenannten Kreolkulturen, der Künstlerin Cesária Évora aus Kapverden und dem Sänger Danyel Waro aus La Réunion, eine Fortsetzung finden. In extremis deswegen, weil es in beiden Fällen das Kreolische angesichts einer offiziellen Landessprache (hier Portugiesisch, dort Französisch) als von einer absoluten Mehrheit gesprochenen sich unwi‐ derruflich als durchsetzenden Sprache mit wachsender Markierung eine neue Form von Fremd- und Identitätserfahrung zu gehen scheint, in der verbale Sprache als Kommunikationsmittel zugunsten anderer Vermittlungs- und Zei‐ chenformen zurückzutritt und sich in der Auseinandersetzung - trotz verbaler Hermetiküber andere Kanäle ein hochgradiger Wert an Kommunikation und Annäherung entwickelt. Der kritische Umgang mit Übersetzungen aus dem Internet wäre eine weitere Kompetenz, zwischen Sensibilisierung für Mehrsprachigkeit und evaluativem Leseverständnis angesiedelt. Die fünf Textbeispiele lassen sich ohne Weiteres in fünf verschiedene Ni‐ veaustufen einordnen und schärfen das intertextuelle Hör- und v. a. Lesever‐ stehen kreolischer Varianten am Beispiel von Cesária Évora (Kapverden) und Danyel Waro (La Réunion) sowie die non-verbale Vermittungsformen von se‐ mantischen Inhalten. Die Einordnung in Schwierigkeitsgrade schärft bei Ler‐ nern das Bewusstsein für sprachliche und und inhaltliche Kriterien der Evalua‐ tion, dies sowohl sprachlich als auch außersprachlich. Insbesondere musikalisch-tonal bieten die Hörbeispiele in mehrfacher Hin‐ sicht Paradigmen der Auflösung jeder Form von Tonalität, die sich aus den eu‐ ropäischen Formparadigmen (Tonleiter, Tonarten, Rhythmen, instrumentalen Kategoren, Genres u. a. m.) ableiten lassen. V.a. bei Cesária Évora kommt der Begriff des „Glissando“ (Gleitens) zur Anwendung, der sich insbesondere mit Saiteninstrumen und Schlagzeugen, wie das sogenannte Waschbrett (im Ge‐ gensatz zu Instrumenten mit vorgegebenen Tönen wie Tasteninstrumenten) er‐ zeugen lässt. Mit bis zur Unverständlichkeit zurückgehender Verbalsemantik, wie bei Danyel Waros Titel Tanbi, der mit Klänge von Viehglocken beginnt und das Landleben der armen Landbevölkerung und der Zugtiere thematisiert, wie 352 Manfred F. Prinz der begleitende Video illustriert. Sprachlosigkeit und Aufgabe harmonisch-tonal abgestimmter Musik ließen sich hier im übertragenen Sinne mit der Sprachlo‐ sigkeit der Armen, die ihr Leben mit/ wie Tiere fristen, aber dennoch für das physische Überleben der Bewohner der Insel eine zentrale Bedeutung haben. 2.1 Césária Évora / Kapverdische Inseln / Textcorpus (1)„Sodade“ von Cesária Évora Quem mostra' bo esse caminho longe? Esse caminho pra S-o Tomé Quem mostra' bo esse caminho longe? Quem mostra' bo esse caminho longe? Esse caminho pra S-o Tomé Sodade sodade Sodade dessa minha terra, S-o Nicolau Sodade sodade Sodade dessa minha terra, S-o Nicolau Si bô 'screvê' me 'm ta 'screvê be Si bô 'squecê me 'm ta 'squecê be Até dia qui bô voltà Si bô 'screvê' me 'm ta 'screvê be Si bô 'squecê me 'm ta 'squecê be Até dia qui bô voltà, sodade Sodade sodade Sodade dessa minha terra, S-o Nicolau Sodade sodade Sodade dessa minha terra, S-o Nicolau 353 Mehrsprachigkeit versus Vielsprachigkeit Quem mostra' bo esse caminho longe? Quem mostra' bo esse caminho longe? Esse caminho pra S-o Tomé Quem mostra' bo esse caminho longe? Quem mostra' bo esse caminho longe? E sse caminho pra S-o Tomé Sodade sodade Sodade dessa minha terra, S-o Nicolau Sodade sodade Sodade dessa minha terra, S-o Nicolau Si bô 'screvê' me 'm ta 'screvê be Si bô 'squecê me 'm ta 'squecê be Até dia qui bô voltà Si bô 'screvê' me 'm ta 'screvê be Si bô 'squecê me 'm ta 'squecê be Até dia qui bô voltà, sodade Sodade sodade Sodade dessa minha terra, S-o Nicolau Sodade sodade Sodade dessa minha terra, S-o Nicolau Sodade sodade Sodade dessa minha terra, S-o Nicolau Sodade sodade Sodade dessa minha terra, S-o Nicolau (2)„Petit pays“ von Cesaria Évora, 354 Manfred F. Prinz La na céu bo é um estrela Ki catá brilha Li na mar bô é um areia Ki catá moja Espaiote nesse munde fora Sô rotcha e mar Terra pobre chei di amor Tem morna tem coladera Terra sabe chei di amor Tem batuco tem funaná Espaiote nesse munde fora Sô rotcha e mar Terra pobre chei di amor Tem morna tem coladera Terra pobre chei di amor Tem batuco tem funaná Oi tonte sodade sodade sodade Oi tonte sodade sodade sem fim Oi tonte sodade sodade sodade Oi tonte sodade sodade sem fim La na céu bo é um estrela Ki catá brilha Li na mar bô é um areia Ki catá moja Espaiote nesse munde fora Sô rotcha e mar Terra pobre chei di amor Tem morna tem coladera Terra sabe… 2.2 Cesária Évora - didaktische Annäherungen Hintergrund ihrer Lieder ist die Geschichte ihrer Heimat mit Themen wie „Iso‐ lation“, „Sklavenhandel“ und „Emigration“. Neben den typisch kapverdischen Liedern interpretiert sie auch Lieder anderer Herkunft, zum Beispiel „Besame Mucho“. Der Gesangsstil ist geprägt von „Glissandi“ in der Intonation und einem relativ freien Timing, das insbesondere bei rhythmischen Liedern im Kontrast steht zum festen Timing der Begleitband. Damit erhält die Musik ihren typi‐ schen, entspannt fließenden Charakter.w 355 Mehrsprachigkeit versus Vielsprachigkeit In Anlehnung an RapRomania (Prinz 2014) schlage ich etwa folgende Auga‐ benstellungen vor: 1. Cherchez sur l‘internet des infos concernant les Îles du Cap Vert, en par‐ ticulierleur l‘emplacement, leur histoire et leur population. 2. Quelle(s) langue(s) parle-t-on au Cap Vert? 3. Procurez des infos sur l‘histoire et la situation actuelle du Cap Vert! 4. Comprenez-vous le message que la chanteuse que Cesária Évora veut transmettre? Quelles sont les paroles que vous ne comprenez pas! 5. „Sodade“ signifie „mal du pays“ („saudade“ en portugais), expliquez pour‐ quoi! 6. Informez-vous sur le genre musical de Cesária Évora, les instruments typiques qui acompagnent ses chansons, p.ex. „cavaquinho“, „morna“, „caladeira“, „funaná“, „batuque“, „glissando“... 7. Laquelle des deux musiques vous paraît plus facile à comprendre? 8. Faites une traduction ou un commentaire sur l‘une des deux! 9. Le créole, c’est une langue facile, selon vous? 10. Qu‘est-ce que vous savez de l‘origine du créole? Est-ce que vous croyez que le créole aura un avenir et qu‘il sera enseigné à l‘école, ou plutôt le portugais qui est la langue officielle du Cap Vert? 11. Dans quelle mesure trouvez-vous une des chansons plus difficile que l’autre et pourquoi? 12. Dans quelle mesure les traductions sur l‘internet sont-elles utiles? 13. Comparez les traductions! En quoi ils aident à déchiffrer l’original et comment vous jugez la qualité de ces traductions! (Voir 2.4. avec les re‐ ferences concernant des possibilités de traduction sur internet! ) 2.3 Danyel Waro / La Réunion / Textkorpus (1)„Mandela“ von Danyel Waro 356 Manfred F. Prinz Kwé i lé Granmounté Mandela? Kwé i lé Granmounté? Amont amwin Kinm in kalot oté Mandela Twé la pa mèt dan la gèl banna Twé la pèt amwin. Kwé i lé la Dinité Mandela? Kwé i lé la Dinité? Amont amwin Kaminm i pouléré Mandela Non twé la pa souplé Twé la mèt amwin. Kwé i lé Léternité Mandela? Kwé i lé Léternité? Amont amwin Vinnsétan kasoté Mandela Kék lalmanak izé Twé la mèt amwin. Wo Mandela la Kélaz li nana sa? Na laz Lazani sa! Na laz Lazani sa Na laz Lazani sa. Kwé i lé Granmounté Mandela? Kwé i lé Granmounté? Amont amwin Kinm in kalot oté Mandela Twé la pa mèt dan la gèl banna Twé la pèt amwin. Kwé i lé la Dinité Mandela? Kwé i lé la Dinité? Amont amwin Kaminm i pouléré Mandela Non twé la pa souplé Twé la mèt amwin. Kwé i lé Léternité Mandela? Kwé i lé Léternité? Amont amwin Vinnsétan kasoté Mandela Kék lalmanak izé Twé la mèt amwin. Wo Mandela la Kélaz li nana sa? Na laz Lazani sa! Na laz Lazani sa 357 Mehrsprachigkeit versus Vielsprachigkeit Na laz Lazani sa. (2)„Batarsité“ von Danyel Waro Mwin pa blan Non mwin pa nwar Tarz pa mwin si mon listwar Tortiyé kaf yab malbar Mwin nasyon bann fran batar Mwin pa blan Non mwin pas nwar Tarz pa Mwin si mon listwar Sinwa Zarab Zorèy Komor Mwin nasyon bann batar Rod atwé si ti vé Asèt atwé si ti vé Ton blansité Rod atwé si ti vé Giny atwé si ti vé Ton fransité Amwin m'la pa bézwin rodé Amwin ferblan mon kalité I débord i koul atèr Sanm tout mon batarsité Amwin m'la pa bézwin rodé Amwin ferblan mon kalité I débord i koul atèr Sanm tout mon réyonèzté 358 Manfred F. Prinz Rod atwé si ti vé Asèt atwé si ti vé Ton pirlinnsité Rod atwé si ti vé Giny atwé si ti vé Ton pirsinwazté Amwin m'la pa bézwin rodé Amwin ganblo mon kalité I débord i koul atèr Sanm tout mon Batarsitè Amwin m'la pa bézwin rodé Amwin ganblo mon kaloté I débord i koul atèr Sanm tout mon réyonèzté Rod atwé si ti vé Asèt atwé si tivé Ton pirlafrikinnté Rod atwé si ti vé Giny atwé si ti vé Ton ropeinnté Amwin m'la pas bézwin rodé Amwin ganblo mon kalité I débord i koul atère Sanm tout mon Batarsité Amwin m'la pa bézwin rodé Amwin ganblo mon kalité I débord i koul atèr Sanm tout mon réyonèzté Roul atwé si ti vé Pyont atwé si ti vé Zoli kozé Roul atwé si ti vé Pyont atwé si ti vé Zoli kozé Amwin m'la pas bezwin roulé Amwin sanm mon ti margonyé Mi giny tir mon maloya Mon narlgon kabaré 359 Mehrsprachigkeit versus Vielsprachigkeit Amwin m'la pas bezwin roulé Amwin sanm mon ti margonyé Mi giny tir mon maloya Mon séga kabaré Ral atwé si ti vé Dékony atwé si ti vé Ton mapinm sové Amwin m'la pa bezwin ralé Amwin mon touf lo tin oté Sa i ansèrv koman zoryé Po sana mon gaté Amwin m'la pa bezwin ralé Amwin mon touf lo tin oté Sa i ansèrv koman zoryé Po nout dé mon gaté (3)„Tanbi“ von Danyel Waro WOHOWO WOHOWO JAK WAI WO ! WOHOWO WOHOWO DRRU WAI WO ! Jak wai wo ! drru wai wo! Tambi dand brancar Chabouk dan mon main Mi monte ‘bitation pou rode un goyave zabor camaron WOHOWO WOHOWO JAK WAI WO ! WOHOWO WOHOWO DRRU WAI WO ! Jak wai wo ! drru wai wo! Onze hèr fine sonner Sarett lé vidé 360 Manfred F. Prinz Mi ardsend mon caz bonpé la pente pou déssauté WOHOWO WOHOWO JAK WAI WO ! WOHOWO WOHOWO DRRU WAI WO ! Jak wai wo ! drru wai wo! En lèr prémier pente, mi di mon garçon, Ma tienbo fer d’ nez ou va ’ ssiz su brancar pou gardien lo frein WOHOWO WOHOWO JAK WAI WO ! WOHOWO WOHOWO DRRU WAI WO ! Jak wai wo ! drru wai wo! O ler ti doucement la bez dand ssendant La fé ki si têt a moin mon bef ensemb mon sarett WOHOWO WOHOWO JAK WAI WO ! WOHOWO WOHOWO DRRU WAI WO ! Jak wai wo ! drru wai wo! Oté ti kit sa mèr moin la di a toué sèr ! Cossa toué la fé un lariaz aussi ti gaingn pi serré Mais moin la séré ! papa moin la fé Tel ou la di a moin, moin la sèr lo frein dand touf vetiver WOHOWO WOHOWO JAK WAI WO ! WOHOWO WOHOWO DRRU WAI WO ! Jak wai wo ! drru wai wo! 2.4 Danyel Waro - didaktische Annäherungen Die Aufgabenstellungen für die drei Titel von Danyel Waro können cum grano salis ähnlich wie für die beiden Titel von Cerária Évora, auf den Kontext von La Réunion bezogen, formuliert werden. Darüber hinaus sind folgende Impulse und Fragestellungen denkbar wie: • Diskutiert und erörtert möglichst kontrovers die folgenden Themenkom‐ plexe: • „Schutz von Autorenrechten versus Recht und Legitimation auf Ver‐ breitung“ • „Internet Provider für Lyrics und Übersetzung von Liedtexten über Übersetzungssoftwares versus Schutz von Autoren“ - wie wenn keine identifizierbaren physischen Personen dahinter‐ stehen? - wie wenn eine KI (künstliche Intelligenz) die Übersetzung produ‐ ziert? 361 Mehrsprachigkeit versus Vielsprachigkeit - wie wenn die Autoren mit ihren Botschaften bekannter werden wollen, und dies auch unter vermeintlicher Verletzung von Auto‐ renrechten und Datenschutz? - wie wenn die Vermittlung der Inhalte rein didaktisch-bewusst‐ seinserweiternde Lernziele ohne kommerzielles Interesse verfolgt? - Sucht nach adäquaten Übersetzungen für die Liedtexte über folgende In‐ ternetquellen: www.parolesmania.com/ www.paroles-musique.com/ iledelareunion.net songtextübersetzung.com songtexte.com Hier können Songstexte selbständig und von jedem Nutzer eingegeben werden, zur Prüfung und Weiterleitung an den Provider MusiXmatch. https: / / lyricstranslate.com/ de/ sodade-toska-toska.html www.musixmatch.com/ de Hierzu gibt es eine kostenlose App mit der Möglichkeit, bei der Er- und Fertigstellung von Übersetzungen mitzuwirken Im Internet angebotene Übersetzungen zu Cesária Évora und Danyel Waro: https: / / songtext-ubersetzung.com/ l/ z/ 5986034/ danyl-waro/ batarsit/ https: / / lyricstranslate.com/ de/ sodade-sodade.html https: / / lyricstranslate.com/ de/ petit-pays-petit-pays.html-1 https: / / lyricstranslate.com/ de/ sodade-sodade.html Weitere Hinweise und Anregungen zu den Fragen von Autorenrechten bei Musik- und Textquellen aus dem Internet finden sich in Prinz 2014: 53-69. Dieselben Kompetenzen wie Lese-, Lesehörverstehen, Medienkompetenz, Evaluation der Übersetzungen, des Schweregrades der Texte sowie Landeskun‐ derecherchen u. a. stehen auch hier wieder im Vordergrund. Es sei hier kurz auf eine Erhebung in einer Gruppe von Studierenden im Fach Französisch hingewiesen, die eine Hörverstehens- und Übersetzungsübung zur Erschließung der beiden Tiel „Mandela“ und „Bastardité durchgeführt haben. Die Erarbeitung des Titels „Mandela“ zeigte eindeutig ein besseres Ergebnis im Hörverstehens mit der Erkennung wichtiger Schlüsselbegriffe, die von insge‐ samt 11 Studierenden über das Französische erschlossen werden konnten, wie „dignité“, „éternité“, „27 ans chachote“´, hilfreich war zudem der Titel mit der international bekannten Persönlichkeit Nelson Mandela. Bei der anschlie‐ 362 Manfred F. Prinz ßenden Übersetzung des schriftlich vorgelegten Textes haben nur vier Studei‐ rende teilgenommen und die westenlichen Passagen souverän erfolgreich ins Französische übertragen. Gegenüber den im Internet zugänglichen Überset‐ zungen zeigten die Übersetzungen der Studierenden weitaus adäquatere Über‐ setzungen. Die beiden Beispiele der Titel „Batarsité“ und „Tanbi“ weisen eindeutig einen höheren Schwierigkeitsgrad auf, wobei in „Batarsité“ im Hörverstehen noch Begriffe wie „blancité“, „francité“, „qualité“, „européen“, „africain“ erschlossen wurden. Auch hier ist die mangelnde Qualität der ins Internet gesetzten Über‐ setzung festzustellen. Den Text des Titels „Tanbi“ vermochten selbst franko‐ phone Sprecher nicht zu verstehen. Allerdings erlaubt die musikalische Gestal‐ tung in ihrer der atonalen und rhythmischen Form sowie die über den Videoclip eindeutige Zuordnung zur landwirtschaftlichen, körperlich harten Landarbeit mit Zugvieh, ärmlichen Lebensverhältnissen und den sozialen Unterschieden zwischen der frankophonen Elite und der kreolsprachigen Mehrheit auf La Ré‐ union. 3 Fazit Die Beschäftigung mit Kreolsprachen führen das Erlernen von Fremdsprachen an deutliche Grenzen des Verstehens auch miteinander vermeintlich verwandter Sprachen und Kulturen. Herkömmliche Kategorisierungen, Terminologien und Erklärungsmuster scheinen angesichts der Komplexität des Gegenstandes zu versagen. Verbales Kommunizieren zwischen Verstehen und Nichtverstehen bewegt sich auf eine sich reduzierende Rezeption zum Schweigen hin, und kann Verstehen kann allenfalls über non-verbale, mediale Bedeutungsvermittlung und Fertigkeiten wie Hörseh-Verstehen erreicht werden. Lernende werden durch die Herausforderung über kreolischsprachige Lieder und Liedtexte neugierig, sich auf neue Erschließungswege zu begeben, doch kann dies nur annäherungsweise und oft ohne Bezug auf Referenzsprachen ge‐ schehen. Verstehen wird zu „Verstehen in den Zwischenräumen“, ähnlich der Interlinearversionen mittelalterlicher Übersetzungen, die lediglich eine Stütze des Verstehens darstellen. Die Kultur des Schweigens und Nichtverstehens hat bislang in der Didaktik kaum Berücksichtigung gefunden, denn auch hier lassen sich unterschiedliche Haltungen, wie etwa die des „rezeptiven, neugierigen und geduldigen Schweigens“ im Gegensatz zum stummen Schweigen (Redkova 2015) festmachen. Auf diesem Hintergrung entwickeln wir neue kombinatori‐ sche Techniken und Formen des Verstehenwollens, über die wir uns Wege zur Erschließung von Bedeutungen bahnen. 363 Mehrsprachigkeit versus Vielsprachigkeit 4 Quellen 4.1 Literatur Anonym (2010). Das Ende der Diglossie? - Soziolinguistische Beobachtungen auf La Réunion (Bachelorarbeit). GRIN, Leipzig. Brenzinger, Matthias (ed.) (1992). Language death: factual and theoretical explorations with special reference to East Africa. Mouton de Gruyter, Berlin. Baba, Homi (2000). Die Verortung der Kultur. Stauffenburg-Verlag, Tübingen. Idem (2000). Die Verortung der Kultur. (Aus dem Englischen übersetzt von M. Schiffmann und J. Freudl) Stauffenburg Verlag, Tübingen. Calvet, Louis-Jean (1987, 2005). La guerre des langues et es politiques linguistiques. Payot, Paris. Idem (1974, 2002). Linguistique et Colonialisme (Petit Traité de glottophagie). Payot, Paris. Idem (1994). Les voies de la ville. Introduction à la sociolinguistique urbaine. Payot, Paris. Clyne, Michael (1992). Pluricentric Languages: Differing Norms in Different Nations. Mouton de Gruyter, Berlin. Comité d’accompagnement de la Déclaration universelle des droits linguistiques (1998). Déclaration Universelle des Droits Linguistiques. UNESCO. Crystal, David (2000). Langauge Death. University Press Cambridge. Europarat, Goethe-Institut u. a. (Hrsg.) (2001). Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Langenscheidt, Berlin/ Madrid/ München/ Warschau/ Wien/ Zürich. Galtung, Johan (1985) Struktur, Kultur und intellektueller Stil. Ein vergleichendeer Essay über sachsonische, teutonische, gallische und nipponische Wissenschaft. In: Alois Werlacher (Hrsg). (1985). Das Fremde und das Eigene. Prolegommena zu einer inter‐ kulturellen Germanistik. Iudicium, München: 151-193. Hubert-Delisle, Marie-José (o.D.). créole, école et maîtrise du français. Île de la Réunion. Le français à l’école, o.O. Matos, Francisco Gomes de (2002). Comunicar para o Bem. Rumo à Paz Comunicativa. Ave Maria, S-o Paulo Naguschowski, Dirk (2003). Muttersprache als Bekenntnis. Status und Ideologien des Französischen im frankophonen Afrika. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig. Prinz, Manfred (1992). Frankophone Literatur Senegals und die Kultur der „schweigenden Mehrheit“ - eine kultur- und literaturwissenschaftliche Studie. Verlag für interkultu‐ relle Kommunikation, Frankfurt. Idem. (2001). „Cultures africaines, paradigmes émergents pour un monde post-moderne“, in: Diop, Papa Samba u. Jürgen Lüsebrink Hrsg.): Littératures et Sociétés Africaines - Regards comparatistes et perspectives interculturelles (Mélanges offerts à János Riesz à l’occasion de son xoixantième anniversaire). Tübingen, Gunter Narr Verlag: 77-87. 364 Manfred F. Prinz Idem. (2005). „Mehrsprachigkeit, Multikulturalität, und Perspektivenvielfalt in Curricula des Nordens und Südens“, in: Duncker, Ludwig u. a. (Hrsg): Perspektivenvielfalt im Unterricht. Kohlhammer, Stuttgart: 161-175. Idem. (2010). „Offenes Frühes Fremdsprachenlernen“, in: Blell, Gabriele u. Rita Kupetz (Hrsg): Der Einsatz von Musik und die Entwicklung von „audio literacy“ im Fremd‐ sprachenunterricht. Peter Lang, Frankfurt am Main u.a.: 81-98. Idem. (2010). „Lernkulturen der Kindheit - Lernkulturen der Welt. Plädoyer für eine frühkindliche Sprachen- und Kulturvermittlung“, in: Manfred Prinz (Hrsg.): Lernkul‐ turen-Lernlandschaften. Französisch heute 1/ 2010. Gresser, Meckenbeuren: 12-20. Idem. (Hrsg.).(2014) RapRomania. ( Jugendkulturen und Fremdsprachenunterricht). Band I: Spanisch/ Französisch). Ibidem-Verlag, Stuttgart. Idem u. Rafael Cano, Sebastian Buchczeyk, Lars Kettner. (2016). “RapRomania, Förderung des Hör-Sehverstehens am Beispiel von HipHop-Videoclips”, in: Christine Michler u. Daniel Reimann (Hrsg.): Sehverstehen im Fremdsprachenunterricht. Narr/ Francke/ Attempto Verlag, Tübingen: 352-375 . Reutner, Ursula (Hrsg.) (2007). Beiträge zur Kreolistik. (Festschrift zum 70. Geburtstag von Annegret Bollée). Buske, Hamburg. Sousa Santos, Boaventura (2000). Pela M-o de Alice - o social e o politico na pós-mo‐ dernidade. Cortez Editora, S-o Paulo. 4.2 Hörbeispiele und Internetquellen: Évora, Cesária: Sodade www.youtube.com/ watch? v=ku_WZoTtT8Q https: / / youtu.be/ ERYY8GJ-i0I Petit Pays https: / / youtu.be/ DeLUGn7qYP8 Waro, Danyel: Mandela https: / / youtu.be/ Itz5yYQGE4w Batarsité https: / / youtu.be/ 9rsJCLAsi1E Tanbi https: / / youtu.be/ Kd32EYJv6d4 (Mein Dank gilt der Kollegin Marta Garcia und dem Kollegen Daniel Reimann für ihr Vertrauen und ihre Geduld bei der Verschiebung der deadline, sowie Christophe Schaumburg für seine Hilfe bei der Erarbeitung der Liedtexte.) 365 Mehrsprachigkeit versus Vielsprachigkeit Hochschuldidaktische Aspekte - Lehrerbildung: Mehrsprachigkeit und Ausbildung fremdsprachlicher Lehrkräfte 1 Sämtliche sprecher*innenbezogenen Daten aus dem Korpus WS 15/ 16 ZIMD-YLAB sowie Angaben, die Rückschlüsse auf die Identität der Beteiligten zulassen, wurden anonymisiert. 2 Unser Lehrforschungsprojekt wurde in Kooperation mit der Professur Didaktik der Romanischen Sprachen und Literaturen entwickelt und wird nun im Rahmen der Zu‐ satzqualifikation Interkulturalität und Mehrsprachigkeit / Deutsch als Fremd- und Zweit‐ sprache (ZIMD), die sich an Studierende aller Fächer und Qualifikationsstufen richtet, durchgeführt sowie in Modulen des Master of Education im Bereich des Forschungs‐ praktikums, zunächst im Fach Französisch, verankert. Sprachenbiographische Lehrforschungsprojekte als Ausgangspunkt für die Reflexion sprachenpolitischen Handelns Jacqueline Gutjahr / Andrea Bogner was man so die ganze zeit HAT, (.) im KOPF,= =aber was man NICHT so verSTEHT,= =also wenn man das MALT, dann (-) DENKT man denk ich mal auch (.) MEHR drüber NACH, wenn man das WIRKlich hat. (1.3) verSTEHT man auch MEHR- = =was man da eigentlich drüber NACHdenkt (Seg.235f) Mit diesen Formulierungen antwortet Anton 1 in dem Gespräch über sein Spra‐ chenportrait auf die Nachfrage seiner Interviewerin im Rahmen des Lehrfor‐ schungsprojekts Mehrsprachige Kompetenzen erforschen und ausbilden -Explo‐ ring and developing multilingual competences  2 , wie er diese Form der Auseinandersetzung mit seiner Sprachlichkeit erlebt habe. Seine Reflexion ver‐ anschaulicht die Leistungsfähigkeit des sprachenbiographischen Erhebungs‐ verfahrens, das in der Komplementarität von Zeichnen und Sprechen einen spezifischen „Raum des Innehaltens, der selbstreflexiven Verzögerung und Dis‐ tanznahme, der sich den Zugzwängen des Erzählens und vorschnellen Ratio‐ nalisierungen ein Stück weit entzieht“ (Busch 2013, 37), schafft. Ziel dieses Beitrags ist es, anhand einer exemplarischen Analyse von spra‐ chenbiographischen Daten aus diesem Projekt herauszuarbeiten, wie im Spre‐ chen über die eigene Sprachlichkeit Formen des policymaking und damit ver‐ bundenen ideologiegeleiteten Auffassungen von Sprache, Sprachfunktionen, 3 Für die sprachenbiographischen Erhebungen wurde die kunsttherapeutisch begründete unter www.heteroglossia.net/ sprachportraet.123.0.html abrufbare Silhouette ver‐ wendet. Sprachgebrauch und (Sprach-)Kompetenz in ihrer Auswirkung auf die Entwick‐ lung und Bewertung sprachlicher Repertoires erkennbar werden und aufzu‐ zeigen, wie diese Ergebnisse zum Ausgangspunkt der (selbstkritischen) Refle‐ xion sprachenpolitischen Handelns und der forschungsmethodologischen Reflexion gemacht werden können. Abb. 1: Sprachenportrait Anton 3 1. Anlage des Lehrforschungsprojekts und theoretische Ausgangspunkte Seit dem Wintersemester 2015/ 16 wird das Projekt regelmäßig in Zusammen‐ arbeit mit der Didaktik der Romanischen Sprachen und Literaturen, dem geis‐ teswissenschaftlichen Schülerlabor der Universität Göttingen (YLAB) und 370 Jacqueline Gutjahr / Andrea Bogner 4 Vgl. Modulhandbuch des Zertifikatsstudiums Zusatzqualifikation Interkulturalität und Mehrsprachigkeit/ Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (ZIMD) abrufbar auf www.uni-g oettingen.de/ ZIMD (zuletzt aufgerufen am 31.12.2019) 5 Vgl. dazu ausführlicher Busch (2018). 6 Wir konzentrieren uns auf die von uns betreute Gruppe von Studierenden der ZIMD, die auf Basis der Ergebnisse ihrer sprachenbiographischen Studie Unterrichtseinheiten für den Deutschunterricht entwickelt hat. einem Göttinger Gymnasium in den Vertiefungsmodulen unseres Zertifikatss‐ tudiums Zusatzqualifikation Interkulturalität und Mehrsprachigkeit/ Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (ZIMD) durchgeführt mit dem Ziel, Wissen über die sprachlichen Repertoires von Schüler*innen zur Ausgestaltung einer auf Mehr‐ sprachigkeit ausgerichteten Vermittlung zu gewinnen. Die Studierenden sollen, wie in den Kompetenzbeschreibungen formuliert, dazu befähigt werden: - „Kategorisierungen von Sprachen und Sprecher*innen in ihren Implika‐ tionen kritisch zu beurteilen; - den Zusammenhang zwischen Konzepten, Ansätzen und Dimensionen von Sprachenförderung/ -bildung und gesellschafts-, bildungs- und spra‐ chenpolitischen Bedingungen zu deuten; - sich selbst als policymaker zu erkennen, (selbst)kritisch zu reflektieren und das eigene Vermittlungshandeln als sprachenpolitisches auszuge‐ stalten; - ausgewählte Verfahren der linguistischen Diskursanalyse und der Ge‐ sprächsforschung u. a. in der Analyse von pädagogischen Konzepten, Richtlinien, Curricula und Unterricht anzuwenden“. 4 Im Sinne des forschungsorientierten Lehrens und Lernens setzen sich die Stu‐ dierenden in zwei Projektphasen mit methodischen Verfahren zur Erfassung und Analyse von Daten zu Sprachenbiographien (Phase 1) und zur Unterrichts‐ interaktion (Phase 2) auseinander. Um Zugang zu den subjektiven Erfahrungen von Mehrsprachigkeit und dem emotionalen, individuellen Erleben von Sprachlichkeit zu erhalten, wurde für die erste Projektphase das Sprachenportrait als Erhebungsinstrument 5 ausge‐ wählt, im Hinblick auf seine Leistungsfähigkeit überprüft und für das konkrete Forschungsdesign der sprachenbiographischen Studie adaptiert. Die Analyse‐ ergebnisse der ersten Phase bilden die Grundlage für die Konzeption und Durch‐ führung von auf Mehrsprachigkeit ausgerichteten Unterrichtseinheiten für den Deutschunterricht und den Französischunterricht 6 , die Auswertung der über Videographie gewonnenen Daten zur Durchführung dieser Unterrichtsein‐ heiten dient der Evaluation und Reflexion auf Mehrsprachigkeit ausgerichteter 371 Lehrforschungsprojekte zur Reflexion sprachenpolitischen Handelns 7 Das Korpus der Begleitforschung wird seit dem Wintersemester 15/ 16 kontinuierlich erweitert und enthält neben den Sprachenporträts drei Teilkorpora, Daten zu den auf die Sprachenportraits bezogenen Einzel- und Gruppeninterviews (ZIMD YLAB IV), den Tischgesprächen während des Zeichnens der Portraits (ZIMD YLAB TG) und zur Un‐ terrichtsinteraktion (ZIMD YLAB UI). In diesem Beitrag greifen wir schwerpunktmäßig auf die Daten zu den Interviews (ZIMD YLAB IV) aus dem WS 15/ 16 zurück. Als Trans‐ kriptionskonventionen wurden sowohl GAT 2 als auch HIAT verwendet, damit sich die teilnehmenden Studierenden mit unterschiedlichen Systemen auseinandersetzen können. Vermittlungsformen und der Analyse im Hinblick auf die Ausgestaltung als sprachenpolitisches Vermittlungshandeln. Abb. 2 Struktur des Lehrforschungsprojekts Mehrsprachige Kompetenzen erforschen und ausbilden Eine systematische Aufbereitung und Auswertung der unterschiedlichen Da‐ tensätze, der Sprachenportraits der Schüler*innen, der an den Zeichentischen erfassten Gespräche und der Einzel- und Gruppeninterviews über diese Portraits aus Projektphase 1 und der Unterrichtsinteraktion aus Projektphase 2, erfolgt im Rahmen unserer Begleitforschung. 7 Die ausgewerteten Transkriptionen 372 Jacqueline Gutjahr / Andrea Bogner 8 Zur Entwicklung des Begriffs des sprachlichen Repertoires vgl. Gumperz (1964), Lüdi (2003) und Busch (2013). 9 In unserem Sprachbegriff schließen wir uns u. a. den von Ehlich (2009, hier bes. S. 19ff.) genannten Ausführungen zu Sprache als Differenzintegral an, die Differenz nicht zum Verschwinden bringt, sondern Bewegungsformen ermöglicht, eine Qualität, die in allen drei Dimensionen von Sprache, der teleologischen, der kommunitären und der gnose‐ ologischen ihren Ausdruck findet. werden zur Veranschaulichung, Ausdifferenzierung und Reflexion der theore‐ tischen Grundlegungen und zur Schulung methodischer Kompetenzen in zu‐ künftigen Lehrforschungsprojekten herangezogen. Sowohl das Lehrforschungsprojekt als auch unsere daran angeschlossene Begleitforschung basieren auf einem subjektbezogenen Mehrsprachigkeitsbe‐ griff, der Individuen, ihr Spracherleben (Busch 2010, 2013) und ihre sprachlichen Repertoires 8 in der diskursiven Ausgestaltung von Interaktion in den Blick nimmt und Mehrsprachigkeit in ihrer identitäts- und erkenntnisstiftenden Funktion als kommunikative und konzeptuelle Ressource 9 und nicht in der nor‐ mierenden und einschränkenden Zuordnung zu Einzelsprachen fasst. In der Verwendung des Begriffs language policymaker schließen wir an Mo‐ dellierungen von language policy an, wie sie von Spolsky (2004, 2009, 2012) vor‐ gelegt wurden. Für ihn ist das Zusammenspiel dreier „inter-related but inde‐ pendent components“ (Spolsky 2012, 5) bestimmend: Als erste Komponente fasst er „actual language practices of the members of the speech community“ (ebd.), d. h. die Sprechweisen, die sie für die jeweilige kommunikative Funktion be‐ nutzen und anerkennen, mit unterschiedlichen Interaktanten einsetzen, wel‐ chen Regeln sie im (Nicht)Sprechen über unterschiedliche Themen folgen und zum Artikulieren oder Verbergen ihrer Identität einsetzen - für Spolsky „the 'real' language policy of the community, described by sociolinguists as the eco‐ logy or the ethnography of speech, exceptions to which may mark the speaker as alien or rebellious“ (ebd.). Die zweite Komponente leitet sich aus den sprach‐ lichen Praktiken ab und beeinflusst diese wesentlich, sie besteht in den „values assigned by members of a speech community to each variety and variant and their beliefs about the importance of these values“ (ebd.), die sich zu Sprachide‐ ologien als von Sprechergemeinschaften geteilten Werten formieren können (Silverstein 1979). Die Sprachenplanung, von Spolsky als „language manage‐ ment“ bezeichnet, bildet die dritte Komponente und umfasst die (bewusste) Ein‐ flussnahme derjenigen, „who have or believe they have authority over other members to modify their language practice, such as by forcing or encouraging them to use a different variety or even a different variant“ (Spolsky 2009 in Spolsky 2012,5). 373 Lehrforschungsprojekte zur Reflexion sprachenpolitischen Handelns 10 Wir schließen hier an dynamische Konzeptionen von Raum an, wie sie im Anschluss an die Wissenssoziologie u. a. von Krefeld (2004) vorgelegt wurden, die davon ausgehen, dass Sprecher*innen diesen in der Interaktion selbst hervorbringen. Sprachliche Repertoires entwickeln sich dynamisch in Korrelation zu Be‐ dürfnissen in Lebenswelten, und spiegeln - wie Busch (2013) in Anknüpfung an Blommaert (2008) formuliert - Lebenswege und -stationen von Sprecher*innen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten aber auch gleichzeitig an divergenten so‐ zialen - eher öffentlich-institutionellen oder privaten - Räumen diverser Spre‐ chergemeinschaften teilhaben, die durch unterschiedliche, keineswegs stabile Sprachregime, in denen je spezifische Regeln des Sprachgebrauchs gelten, kon‐ stituiert werden. Das Zusammenwirken der drei Dimensionen von language policy in unterschiedlichen Räumen und die Tatsache, dass Interaktant*innen auch in Überschneidungen dieser agieren bzw. sie über ihre Praktiken hervor‐ bringen, führt dazu, dass diese von einer Vielzahl an (internalisierten) hand‐ lungsleitenden Sprachideologien und mitunter konkurrierendem language po‐ licymaking durchzogen sind. García/ Menken und Hélot/ Ó Laoire nehmen diese Überlegungen und die darin angelegten ‚Spielräume‘ auf, wenn sie von Lehrkräften nicht als „just blind followers who implement policies mandated from above“ (García & Menken 2010a, 250) sprechen, sondern sie als zentrale Akteure ansehen, die eine eigen‐ ständige Gestaltungskraft in dynamischen Prozessen von „language policy ne‐ gotiation, recreation, and implementation“ (García & Menken 2010b, 262) ent‐ wickeln können und somit auch Möglichkeiten, über ihre Entscheidungspraktiken mehrsprachige kommunikative Räume 10 im Unterricht hervorzubringen, „to respond to all possibilities and potentialities at the class‐ room level, thus forging one's own policies that are locally effective and empo‐ wering”. (Hélot & Ó Laoire 2011, VVII). Das institutionelle unterrichtliche Vermittlungshandeln lässt sich mit Hélot und Ó Laoire als ein in „contested sites of competing ideologies, discourses and powers“ hervorgebrachtes fassen: „[…] What is possible for people to do, what spaces they can find to negotiate their own engagement with language(s) and what is impossible“ (ebd., S. XV), ist Gegenstand einer moment-by-moment ana‐ lysis, einer lokalen Aushandlungspraxis in der Interaktion. Vor dem Hintergrund dieser theoretischen Ausgangspunkte ist die über das Lehrforschungsprojekt ermöglichte erfahrungs- und forschungsbasierte Aus‐ einandersetzung angehender Lehrkräfte mit den sprachlichen Repertoires von Schüler*innen im Kontext ihrer Lebensgeschichten und in ihrer Eingebunden‐ heit in historische und gesellschaftspolitische Zusammenhänge, aber auch mit eigenen sprach(en)bezogenen Vorannahmen ein wichtiger Ausgangspunkt, 374 Jacqueline Gutjahr / Andrea Bogner 11 Wir knüpfen an den in den Ten Guiding Principles for Teachers von García und Menken (2010b) formulierten Fragenkatalog an. denn sie bestimmen wesentlich mit, wie flexibel sprachliche Praktiken in Un‐ terrichtsgeschehen und Schulentwicklung sein können. Beteiligte gestalten ihre Interaktionsräume selbst aus, indem sie konkrete sprachenpolitische Rege‐ lungen im gemeinsamen Handeln immer wieder neu verhandeln, interpretieren, bestätigen und verändern. Dies kann über explizit artikulierte Regelungen, unter Bezugnahme auf (curriculare) Verordnungen, aber auch über vermeintlich kon‐ sensuelle, internalisierte Vorgaben geschehen. Durch die Anlage des Lehrforschungsprojekts eröffnen sich sprachenbezo‐ gene Reflexionsräume für alle Beteiligten auf unterschiedlichen miteinander in Beziehung stehenden Ebenen: für die Schüler*innen, die über ihre Sprachlich‐ keit nachdenken bzw. sich dieser erst bewusst werden, wie es im einleitenden Zitat zum Ausdruck kommt; für die Studierenden, die sich im Rahmen der von ihnen durchgeführten sprachenbiographischen Studie, in der theoriegeleiteten Adaption des Instruments Sprachenportrait, der Entwicklung des Forschungs‐ designs und der Auswertung der Ergebnisse mit Blick auf deren Relevanz für die Ausgestaltung von Vermittlungsprozessen mit eigenen Vorannahmen über Sprache und Sprachen, ihren Überzeugungen, Einstellungen, Ideologien und darauf basierenden Zuschreibungen von sprachlichen Profilen und Zugehörig‐ keiten 11 auseinandersetzen im Sinne einer Ausbildung von Reflexivität als „constant attention that should be paid to ideologies ‚lurking‘ behind how we conceptualise and do research, or work with diversities in education“ (Dervin 2013, 97). Dies gilt nicht zuletzt auch für die Projektleiterinnen im Hinblick auf die Konzeption und Durchführung des gesamten Lehrforschungsprojekts. 2. Spuren des policymaking im Spracherleben - eine Detailanalyse aus der sprachenbiographischen Begleitforschung Als multimodales Erhebungsinstrument in seiner Komplementarität von Zeichnen und Sprechen gibt das Sprachenportrait Aufschluss über das Sprach‐ erleben einer Person, also darüber, wie sich Menschen in ihrer Sprachlichkeit wahrnehmen, positionieren, wie sie sie zu einem bestimmten Zeitpunkt (re)prä‐ sentieren und bewerten, und bildet einen Ausgangs- und Referenzpunkt für Er‐ zählungen und Reflexionen. In dem Sprechen über die Sprachlichkeit einer Person spiegeln sich nicht nur Ausschnitte aus der individuellen Lebensge‐ schichte, sondern auch historisch-gesellschaftliche, politische und institutio‐ 375 Lehrforschungsprojekte zur Reflexion sprachenpolitischen Handelns 12 Die Proband*innen konnten selbst entscheiden, ob sie über ihre Sprachenportraits in Einzel- oder Gruppeninterviews sprechen wollten. Anton entschied sich für ein Ein‐ zelinterview, Karim für ein Gruppeninterview, das im vorliegenden Fall von zwei Stu‐ dierenden mit drei Schüler*innen durchgeführt wurde. 13 Entscheidungen über sprachenfördernde Maßnahmen u. a. im Rahmen von Sprach‐ lernklassen regelt der Runderlass „Förderung von Bildungserfolg und Teilhabe von Schülerinnen und Schülern nicht - deutscher Herkunftssprache“ vom 01.07.2014, online verfügbar unter: www.schure.de/ 22410/ 25,81625.htm (zuletzt aufgerufen am 31.12.2019), siehe dazu auch die Erläuterungen in Schanz 2014. nelle Konfigurationen mit ihren Sprachideologien, Diskursformationen und Machtstrukturen (Busch 2010, 2013, 2018). In unserer Analyse konzentrieren wir uns schwerpunktmäßig auf die beiden Sprecher Anton und Karim 12 , die zu den Proband*innen der sprachenbiographi‐ schen Studie aus dem WS 2015/ 16 zählen. Insgesamt waren an dieser sprachen‐ biographischen Erhebung neun Schüler*innen eines Göttinger Gymnasiums, von denen vier die dortige Sprachlernklasse 13 und übergangsweise auch bereits den Regelunterricht besuchten, beteiligt. Unabhängig von der Erzählaufforderung lassen sich in unserem Datenset zwei Muster als Ausgangspunkte der sprachenbiographischen Erzählungen identifizieren, die an ‚Herkunft‘ im weitesten Sinne ansetzen oder stärker die Ebene der zeichnerischen Darstellung in den Blick nehmen bzw. beides mitein‐ ander verknüpfen. Mit „ICH habe versucht äh EInen (-) neuTRAlen (--) MEN‐ schen- °hh die: : _äh SPRAchen,= =die ich SPREche in der SCHUle oder (.) priVAT (.) oder von meinen ELtern (.) DARzustellen“ (Seg.10f) rekonstruiert Anton seine Ausdeutung des Zeichenimpulses in Bezug auf die vorgegebene Silhouette und kommentiert erste Entscheidungen über die Auswahl der darzustellenden Sprachlichkeit, die er an zwei soziale Räume, Schule oder privat oder/ bzw. durch eine Spezifizierung „von meinen Eltern“, bindet. Er greift dabei - auch in der expliziten Beantwortung der Nachfrage der Interviewerin - auf (Kollektiv-)Symbole zurück, die bayerische Tracht mit der deutschen Flagge, die norwegische Flagge und das spanisch-serbische Wörterbuch. Thematisch wird damit die Herkunft der Eltern, die Mutter aus Norwegen und der Vater aus Ser‐ bien, seine zweite Fremdsprache Spanisch und über das spanisch-serbische Wörterbuch zugleich eine Verbindung zwischen den beiden Räumen, „u: nd (.) ein (.) SPAnisch-serbisch wörterbuch; = = also (.) in der SCHUle wird (.) SPAnisch gesprochen als zweite FREMDspache-= = und: mein VAter kommt aus SERbien“ (Seg.18f). Seine Sprachlichkeit beschreibt er in Bezug zur Herkunft seiner Eltern über einen expliziten Moduswechsel ins Aktiv „ICH: verstehe: (-) SERbisch flie‐ ßend, (-) aber ich SPRECH_es <<lachend> nicht>“ (Seg.21f). 376 Jacqueline Gutjahr / Andrea Bogner An einzelsprachlichen Kompetenzen orientiert präzisiert er dies bis in die jeweiligen Modalitäten und den Zeitpunkt des Erwerbs „SPAnisch seit de: r SECHSten KLASse, (--) also SCHON ganz gut, °h (-) DEUTSCH halt MUTter‐ sprache,= =und: NORwegisch: (-) leider nicht“ (Seg.24f). In seiner Formulierung werden die sich teils widersprechenden sprachideologischen Erklärungszusam‐ menhänge (Herkunft, Kompetenz etc.) für das Konzept ‚Muttersprache‘ aufge‐ deckt. Auf die Frage der Interviewerin nach seinem „Erleben der Sprachen“ und die von ihr suggerierte ‚Familiensprache‘ Deutsch, „also es_s (.) DEUTSCH is ja dann- (-) DAS_was du zu HAUse sprichst. = = <<dim> wahrscheinlich“ (Seg.69f), die sie mit der Darstellung im Portrait begründet, „DEShalb hast du das dann auch so mehr DAhin gemalt“ (Seg.73), erläutert Anton seine Nähe-/ Distanzbe‐ ziehungen zu den genannten Sprachen, die mit den jeweiligen Räumen verbun‐ denen sprachlichen Praktiken und darin geltende Sprachenregime sowie das insbesondere in den (Sprachenwahl-)Entscheidungen der Beteiligten sichtbar werdende language management. In einer längeren Erzählsequenz überprüft Anton die Leistungsfähigkeit seines (sprachlichen) Repertoires im Hinblick auf Verstehen, von konkreten Sprachlernstrategien bis zum Selbstverstehen, was „mich AUSmacht“ (Seg.185), auch über die Anforderungen, die er für sich selbst formuliert und die an ihn explizit herangetragen werden bzw. wurden. Mit Rückbezug auf seine Zeichnung stellt er den über das Wörterbuch sym‐ bolisierten Übersetzungsprozessen - „da hab ich halt ä: : hm SPAnisch DEUTSCH-= also da man das halt äh MEIstens auch ineinander überSETZT,“ (Seg.85) - das Norwegische gegenüber: „NORwegisch ist halt sozusagen ein wenig davon ABgegrenzt, weil ich das °h (quasi) nicht verSTEHe,= =das wollt_ich EXtra °hh so ABsetzen“ (Seg.87f). Das Norwegische steht ihm, auf‐ grund des policymaking der Mutter, die zwar anfänglich eine alternierende Sprachenpraxis deutsch/ norwegisch im Umgang mit ihrem Sohn gepflegt hatte, sich dann aber für eine einsprachige Praxis entschieden hatte, nur sehr bedingt zur Verfügung. „[Sie] meinte,= =DEUTSCH wäre dann doch (.) Eher das WICH‐ tigere“ (Seg.97f) verweist auf Argumentationen aus dem Sprache-Integra‐ tions-Diskurs und damit verbundene Vorstellungen der Homogenität von Spre‐ chergruppen und territorialer Einsprachigkeit. Über die vom Vater durchgehaltene Sprachenpraxis „mein VAter spricht aber auch regelmäßig SER‐ bisch mit mir“ (Seg.100) bekräftigt Anton die Angemessenheit der Repräsenta‐ tion des Serbischen im Wörterbuch und zugleich die Wirksamkeit dieser Praxis als Verstehens- und Verständigungshandeln. Gleichzeitig erlebt Anton den von seinem Vater gestellten Anspruch, den Straub der aspirierten, angestrebten imaginierten Identität zurechnet, die „zur Konstitution des Handlungspotentials einer Person bei[trägt] und […] sie zu 377 Lehrforschungsprojekte zur Reflexion sprachenpolitischen Handelns bestimmten Verhaltensweisen [motiviert]. […] ein normativer, sozialer An‐ spruch, den Personen an sich und andere stellen können, wohl wissend, dass niemand diesen Anspruch jemals zu erfüllen in der Lage ist“ (Straub 2004, 281). Dies zeigt sich in Antons Formulierung „der BRINGT sehr STARK die kulTUR rüber; und ä: h möchte so dass ich MICH ä: h sehr stark dem ANpasse“ (Seg.158f), wobei er klar auch Grenzen für die an ihn herangetragenen Erwartungen, die Schule in Serbien zu besuchen, die Sprache zu lernen und schließlich seinen Lebensmittelpunkt nach Serbien zu verlegen, zieht: „so weit geht das dann (-) beSTIMMT nicht“ (Seg.170). Abb. 3: Transkript ANdere beDEUtung Mit ihrer Frage „°hh und FÜHLST du dich dann in der (---) ähm: (-) in der deut‐ schen SPRAche sozusagen- (1.1) ähm (---) also- (--) ja; (-) wie soll man das SAgen, °hhh ähm (2.1) hat die ne ANdere beDEUtung gegenüber der_jetzt (.) dem SER‐ bischen oder dem SPAnischen? was du ja AUCH SPRICHST? =oder“ (Seg.174f) macht die Interviewerin eine Unterscheidung zwischen den genannten sprach‐ lichen Ressourcen relevant, deren Qualität sie nicht benennt, die aber in der Reformulierung letztlich über die „andere Bedeutung“ einen besonderen Status des Deutschen präsupponiert. Die Tatsache, dass Anton sein besonderes Verhältnis zur deutschen Sprache expliziert, zeigt, wie Studierende in ihrer Rolle als Interviewende eigene Voran‐ nahmen in Bezug auf Sprache(n) einbringen und damit einhergehend Hierar‐ 378 Jacqueline Gutjahr / Andrea Bogner chisierungen von Sprachen betreiben und anregen. Mit seiner Auslegung der Frage nach der anderen Bedeutung verweist Anton auf die Ambivalenzen des von ihm aufgerufenen Konzepts ‚Muttersprache‘ zurück: „DEUTSCH würd_ich halt eher ähm jetzt mit meiner MUTtersprache verbinden,= =also dass DIE halt sozusagen (1.1) mich AUSmacht“ (Seg.183f). In der eigeninitiierten Reparatur‐ sequenz, in der seine Relevanz vorerst eine Zurücknahme erfährt, um dann wieder bestätigt zu werden, wirkt diese Ambivalenz bis in die prosodische Ge‐ staltung: „also <<acc>nee dass sie mich NICHT ausmacht>,= =dass SIE halt (-) sie mich DOCH ausmacht“ (Seg.187f). In einer erweiternden Konstruktion schließt er seinen Identitätsentwurf im Containermodell resümierend ab und weist den beteiligten Sprachen klar ge‐ trennte Funktionen zu, die kommunitäre einerseits „SERbisch und NORwegisch jeweils (-) zum chaRAKter BEItragen-= =die identiTÄT (--) FÜLlen“ (Seg.190f) und die teleologische andererseits in der Etikettierung der Schulfremdsprache Spanisch als ‚Gebrauchsmittel‘ (Seg.192), deren Wahl er in Abwägung der Op‐ tionen Französisch und Latein „nach dem NUTzen“ (Seg.211) und nach den Kri‐ terien ‚Sprecherzahl‘ und ‚lebend‘ begründet. Ausgehend von der Frage nach seinem Gebrauch des Serbischen, das er ‚fließend versteht‘, beschreibt er seine sprachlichen Praktiken mit den in Serbien lebenden Familienmitgliedern, „mit meinen GROßeltern MUSS ich serbisch sprechen,= =weil die kein DEUTSCH kann“ (Seg.283f). An dieser auferlegten Praxis, die er durchaus als erfolgreich erlebt, erläutert er Sprachaneignungserfahrungen, „man LERNT es ziemlich SCHNELL,= =aber man (.) verGISST_s auch geNAUso schnell wieder“ (Seg.294f), die er mit einer Episode im schulischen Fremdsprachenunterricht verbindet, „ich hab schon mal ANgefangen im SPAnischunterricht SERbisch zu sprechen“ (Seg.297). Diese ‚unkontrollierte‘ Überlagerung von sprachlichen Ressourcen, die er zu Beginn des Gesprächs noch fokussiert auf Einzelsprachen vorgestellt hatte, erfährt eine explizite Begründung, „einfach weil es (.) ä: : hm (.) <<acc>die SPRAchen hören sich nicht wirklich ÄHNlich an>,= =aber von den SPRAchen die ich SPREche, °h kommt das dem am NÄCHsten-= =und des‐ wegen-“ (Seg.298f), die an der vermeintlichen (Un-)Ähnlichkeit von Sprachen ansetzt, aber letztlich das subjektive Erleben seiner Sprachen, seines sprachlichen Repertoires zum Ausdruck bringt. Bewusst und konsequent im Modus der Zweisprachigkeit gestaltet er seine kommunikative Praxis mit dem Vater „weil ich MEIStens auf deutsch ANT‐ worte; = =und (--) er verSTEHT das DEUtsche auch. (.) GANZ gut.“ (Seg.324f), was er in seiner Zeichnung schon mit dem Wörterbuch angelegt hatte. Er kontrastiert sprachliche Identitätsakte familiärer Teilhabe am Beispiel seines Serbischen nach qualitativen Ausprägungen 379 Lehrforschungsprojekte zur Reflexion sprachenpolitischen Handelns „MEHR über die kulTUR“ (Seg.343) „nur so HALBherzig“ (Seg.345) „MEHR verbunden mit“ (Seg. 344) „nur so (-) triviAles“ (Seg.346) „nur […] auf STANdardfragen „man hat dann nicht die ganze SPRAche“ (Seg.350) „nicht so RICHtig verSTÄNdigen“ (Seg.351) „nur so (--) STANdardphrasen“ (Seg.352) und folgert für sich, dass er in seiner aspirierten sprachlichen Identität Serbisch „RICHtig LERnen“ (Seg.357) wollen sollte. Dem steht das Modell sukzessiven schulischen Fremdsprachenerwerbs mit den damit getroffenen Hierarchisie‐ rungen von Sprachen gegenüber, das er schon als Begründung für die Entschei‐ dung der Mutter gegen die mehrsprachige Praxis (norwegisch/ deutsch) heran‐ gezogen hatte und damit als Dimension seiner sprachideologischen Bewertungen internalisiert hat, „aber jetzt ERSTmal will ich mich konzen‐ TRIEren auf die (1.2) WICH (-) tigeren (-) grade GRAde wichtigeren SPRAchen. genau. schulisch.“ (Seg.371f) Insgesamt zeigt sich, wie stark er sich in der Be‐ wertung seines Repertoires und dessen Entwicklung gesellschaftlich domi‐ nanten, institutionell beförderten Sprachauffassungen unterwirft, auch wenn er, auf das Fehlen des Englischen in seinem Portrait befragt, betont: „da wollt_ich halt den FOkus eher auf äh (--) etwas (.) UNgewöhnliche; (.) SPRAchen machen“ (Seg.388f). Diese Kontrastierung des „Ungewöhnlichen“ mit dem „Nützlichen“ über die (Nicht)Repräsentation von „Sprachen“ - in seiner zeichnerischen Dar‐ stellung z. B. das Norwegische über die (Kollektiv-)Symbole „Vikingerhelm“ und „norwegische Flagge“ - zeigt, dass die im Forschungsdesign angelegte Multi‐ modalität der Zugänge zum Spracherleben immer wieder spezifische Ausgangs‐ punkte in der Rekonstruktion der Sprachlichkeit schafft, d. h. „mit jedem neu‐ erlichen Erzählen oder Darstellen zugleich neu selektiert, evaluiert und interpretiert“ (Busch 2011, 51) wird. Diese Perspektivierungen ermöglichen fortwährend Reflexionen auf das, ‚was mich ausmacht‘. 380 Jacqueline Gutjahr / Andrea Bogner Abb. 4 Sprachenportrait Karim An den Daten zu dem zweiten von uns ausgewählten Sprecher lassen sich diese wechselnden Rekonstruktionen und die dadurch vorgenommenen Neupositi‐ onierungen besonders gut beschreiben. Auch Karims sprachenbiographische Erzählung setzt an der Erläuterung seiner zeichnerischen Darstellung hier im schulisch eingeübten Muster ‘Bildbeschreibung’ an, „In this picture you can see“ (seg.72), und referiert mit seiner (sprachlichen) Selbstrepräsentation gleichzeitig auf die gewählte Symbolisierung „my ((1s)) knowledge, languages represented by flags“ (Seg.75f), über die Homogenitätsvorstellungen und nationalsprach‐ liche Ideologien aufgerufen werden. Den Bezug auf seine Sprachlichkeit stellt er begründend über die Herkunft der Eltern, die familiäre Migrationsgeschichte und familiäre sprachliche Prak‐ tiken in unterschiedlichen Räumen her. „my father is Algerian • and my mum`s Polish. Er ((1s)) well • • ((räuspert sich)) I speak Polish as my mother language as well as ((1,5s)) Italian. Because ma / I've been living in Italy • • for a long time and my father has lived there as well. ((1s)) That’s the place 381 Lehrforschungsprojekte zur Reflexion sprachenpolitischen Handelns where he met my mum. • • So we speak it at home • • • and • • • when my father is working I speak it.‿I i Polish at home. ((1,2s)) Er • • • since I orally good at Arabic. • Although ((1s)) I have a lot of/ a lot to do with Arabic • um̄ • since my father is Algerian.“ (Seg.80f) Sein explizites, unaufgefordertes Begründungshandeln verweist zum einen auf eine bewusste Abhebung von im Diskurs präsenten Sprache-Herkunfts-Korre‐ lationen, zum anderen auf soziale Erwünschtheiten, wie sie in der Gruppenin‐ terviewsituation, aus der Karims Daten stammen, verstärkt wirksam werden können. Während das Polnische noch im argumentativen Zusammenhang von Herkunft steht und als „my mother language“ im wörtlichen Sinn der Sprache der Mutter - insofern konsequent, ob bewusst oder nicht, die Verwendung von ‚language‘ anstelle von ‚tongue‘ - für ihn relevant ist und unabhängig vom Ort des Sprechens in der Interaktion mit der Mutter zum Einsatz kommt, begründet er die Nennung des Italienischen an zweiter Stelle - durch eine längere Pause abgesetzt - mit der elterlichen sprachlichen Praxis und der gemeinsamen Le‐ bensphase mit den Eltern in Italien. In seinen Erläuterungen zum Arabischen setzt er an Vorstellungen von Kompetenzen und Ausprägungen von Modalitäten an, deren Begründung durch Abbrüche und das Neuansetzen mit „since“, „alt‐ hough“, „since“ ausbleibt, und er letztlich zusammenhanglos wieder auf die Herkunft des Vaters bzw. die ihm zugeschriebene Identität rekurriert. In der Erläuterung seiner kommunikativen Praktiken spiegelt sich seine Prä‐ ferenz für das Englische, die er bereits in der den Beteiligten zu Beginn des Interviews überlassenen Sprachenwahlentscheidung zum Ausdruck brachte und auch in seiner Angabe, dass er Englisch „mostly“ (Seg.105) mit seiner Familie in Algerien spreche. Den frühen Zeitpunkt des Erwerbs und die Tatsache, dass zwei Personen in seinem familiären Umfeld Englischlehrerinnen sind, zieht er als Begründung für seine Kompetenz „pretty okay“ (Seg.116) heran, deren Ent‐ wicklung er immer ausgerichtet auf die zu erreichende Perfektion beschreibt. Der mit „But you can hear that I have some ki/ some kind of an accent“ (Seg. 123 f) unterstellte Konsens einer native-like performance als Ideal erzeugt einen Anpassungsdruck, der sich in dem Begehren „I’m gonna study (at) • it a bit deeper like phonology and such“ (Seg.126f) äußert. Die imaginierte Dominanz des Englischen in der familiären Kommunikation erfährt in der folgenden Sequenz, die Karim mit „my family in Algeria sp…“ (Seg.131) einleitet, eine sukzessive Zurücknahme. Karims Abbruch verweist darauf, dass dies einer expliziten Begründung bedarf, die er mit dem Verweis auf das in Algerien herrschende Sprachenregime liefert: „Well, in Algeria, there is this mentality because of colonialism. • • That ((1s)) French is the language of the world“ (Seg.132f), was er mit „Which is really not true actual“ (Seg.136) zwar 382 Jacqueline Gutjahr / Andrea Bogner zurückweist, dessen Konsequenzen er sich aber durch Lernen bedingt auferlegt „I had to learn some French“ (Seg.139), um zumindest minimale kommunikative Bedürfnisse „with some of my family members“ (Seg.140), nämlich den nicht Englisch Sprechenden, zu befriedigen. Nachgeschoben erfolgt die Begründung der deutschen Flagge im linken Bein: „because I’ve learned German when I was/ • when I moved here“ (Seg.155f), um dann diese erste Sequenz der Kommentie‐ rung seines Portraits und des erzählten Überblicks über seine sprachlichen Praktiken in unterschiedlichen Lebensphasen und sozialen Räumen vorerst ab‐ zuschließen „So yeah, that’s it“ (Seg.157). […] Abb. 5: Transkript I identify as Mit dem erneuten Ansetzen „Also you can he here/ you can see here“ (Seg.158) verlässt er die Ebene der Beschreibung ganz explizit und setzt mit dem ‚Ergebnis‘ der Ausdeutung seines identitären Selbstverständnisses ein: „well • • • myself I identify as a citizen of the world” (Seg.160f). Er verweist aus der Zeichnung 383 Lehrforschungsprojekte zur Reflexion sprachenpolitischen Handelns 14 Im weiteren Gesprächsverlauf deutet Karim an, dass zusätzliche Symbolisierungen in seiner Darstellung zur Veranschaulichung von Zugehörigkeiten fehlen: „Maybe • I could have drawn some some kind of sights behind me. […] Which would be more like sym‐ bolical.” (Seg.349ff) Dabei bezieht er sich auf die Portraits seiner Mitschüler*innen, die im Gespräch an den Zeichentischen über die Auslegung des Zeichenimpulses und den Stellenwert symbolischer Darstellungen diskutiert hatten. heraus begründend auf die Flagge mit der Weltkugel in der erhobenen Hand und nennt dann als identitätsstiftendes Element 14 die „cultural hats or the cultural cap of Arabs, • • this • the white thing with ((1,3s)) er black circle, • • • yeah. It’s called Ghutra in Arabic” (Seg.166f), über das er seine identitäre Positionierung begründet und die zuvor getroffene erweitert: „because • • I’m Arab. So • that’s it I guess.“ (Seg. 177 f) Mit der Frage, ob die Anordnung der Flaggen in bestimmten Teilen des Kör‐ pers eine besondere Bedeutung habe, nimmt die Interviewerin Karims Begrün‐ dungskette auf. Nach einer scherzhaften Verneinung der rhetorischen Frage, eine Sequenz, die von beiden lachend zurückgenommen wird, greift Karim diese als Aufforderung zur Ausdeutung auf und setzt mit „Okay. I'd I would try to interpretate my own picture“ (Seg.195f) ein drittes Mal an. Nachdem er zuvor selbst die Identitätsfrage im Erzählprozess aufgeworfen hatte, nimmt er nun eine Selbstpositionierung über die Nationalität des Vaters vor „I identify as an Algerian“ (Seg.200), die er - eine vermeintlich konsensuelle Annahme in Bezug auf ‚die‘ Sprache(n) ‚des‘ Algeriers unterstellend - als Ge‐ gensatz zu der sich anschließenden komprimiert zusammengefassten Hierar‐ chisierung ‚seiner‘ Sprachen entwirft, „but I speak mostly • • Polish and Italian. Though • I find English very • • important in my life, because I can communicate with anyone in English“ (Seg.201f). Seiner sprachlichen Praxis stellt er mit dem Kriterium der ‚Häufigkeit des Sprechens‘, bezogen auf das Polnische und das Italienische, die imaginierte ‚kommunikative Reichweite‘, mit der er zweckbe‐ stimmt noch einmal die für ihn hervorstechende und sich auch in der zeichne‐ rischen Darstellung spiegelnde - die amerikanische Flagge füllt den gesamten Rumpf aus - Bedeutung des Englischen begründet, gegenüber, eine Argumen‐ tation, auf die er auch im weiteren Verlauf des Gruppengesprächs immer wieder rekurriert u. a. bis zu der Vorstellung von Englisch als einer unabdingbaren Vor‐ aussetzung von Kommunikation in globalisierten Lebenswelten „And if you don't know English for instance then • at least basics ((1,2s)) that would be hard“ (Seg.423). Der ‚Exkurs‘, der sich an dieser Stelle anschließt und auch die Phan‐ tasie vom einsprachigen Paradies nicht auslässt, schließt dann allerdings doch mit der (national)kultur- und identitätsstiftenden Funktion von Sprachen, „these languages represent the culture of us, several countries“ (Seg.428), deren Vielfalt 384 Jacqueline Gutjahr / Andrea Bogner es - trotz aller Trennung, die sie durch ihre bloße Existenz bewirken - zu be‐ wahren gelte, „colourful effects, • I think so. • • • They are very ((1,2s)) a good” (Seg.430f.) Mit Verweis auf die in den jeweiligen Farben der Nationalflaggen ausgemalten “legs” - mit Ausnahme des „white thing with the black circle“ ver‐ wendet er nur nationenrepräsentierende Farben - ergänzt er kompetenzorien‐ tiert seine weniger gesprochenen Sprachen Deutsch und Französisch, ohne sie explizit zu nennen, „then ((1s)) these two are legs because I didn't speak them • • as/ as much • like • • my skills.” (Seg.211ff) und schließt seine Interpretation damit ab „Yeah. That's it.” (Seg.217). Wie bei Anton lässt sich auch bei Karim die für die Dynamik sprachenbio‐ graphischer Erzählungen charakteristische Re-Evaluierung und das fortwäh‐ rende Neuansetzen in der Selbstrepräsentation und in der Interpretation des eigenen Repertoires nachweisen, insbesondere zeigt sich, wie Busch (2010) mit Verweis u. a. auf Boehm (2005) betont, dass Denken und Darstellen im visuellen Modus weitgehend eigenständig fungieren und wie im ‚Blick‘ auf die Gestalt, auf Proportionen und Relationen der Teile zueinander Bedeutung geschaffen wird. Neben der verwertungslogischen Argumentation bleibt für Karim die Orien‐ tierung an der native-like performance insbesondere in institutionellen Räumen - etwa bezogen auf das angestrebte Studium "in an Anglophone country“ (Seg.393) - und den vermeintlich darin geltenden Sprachenregimen bestim‐ mend. In einem komplexen Ineinander von Selbst- und Fremdwahrnehmung stellt er sein Streben danach als Angst vor dem eigenen Versagen aus, „I must be worried about my pronunciation • if I had/ if I have to be frank. ((1,5s)) Because ((1,5s)) yeah (it won't) sound perfect.” (Seg.378ff), während er für sich in An‐ spruch nimmt, es spiele für ihn keine Rolle, wenn andere mit ihm mit Akzent sprechen „But if you/ if I/ someone would speak • with an accent to me I have no problem with. ‿I mean“ (Seg. 407). Er unterscheidet hier klar in Ansprüche, die er sich selbst auferlegt „Just for myself because I think I could achieve • • • better knowledge in English“ (Seg.412) und Ansprüche, die er hinsichtlich der Bedeutung eines ‚akzentfreien Sprechens‘ an andere stellt, und erweitert diese Unterscheidung um die betroffenen Sprachen und deren Status und Verbrei‐ tungsgrad: „Depends on the language. If it's for instance a language that is spoken • • world-widely, ((1s)) then I think it's very important“ (Seg.384ff). Damit unterscheidet er, was in welchen Sprachen-Sprecher-Konstellationen für wen eine Rolle spielt und bezieht dies auf bestimmte Sprachen und auf gewisse Spre‐ cher. 385 Lehrforschungsprojekte zur Reflexion sprachenpolitischen Handelns Wie stark die Interviewsituation selbst die Überschneidungen, in denen die Beteiligten agieren, und deren Bewertungen und beliefs sichtbar macht, zeigt sich insbesondere in den Nachfragesequenzen. Auf die mehrmaligen Abschlüsse von Karims Ausführungen „that’s it I guess“ (Seg.180 u. ö.) und die an die übrigen Beteiligten gerichtete Einladung, selbst noch Fragen zu stellen, setzt eine der Interviewerinnen erneut an, „Does it have a special meaning that you chose the American flag and not the English flag? “ (Seg.223ff). Ihre binäre Opposition American/ English flag wird von Karim mit einer kontrastierenden Bewertung der Varietäten American vs. British English aufgegriffen „I find the American English • • better.“ (Seg.131f), an die sich eine ausführliche Sequenz anschließt, in der er begründet, wen er wann in welchem Kontext als Native Speaker und idealen Gesprächspartner wahrnimmt „I also find…• • I used to have more con‐ tact with American people than with British. • • • So • • I really had luck“ (Seg.234f), und wer seine Sprachlernbemühungen (nicht) unterstützen kann „Those of the/ most of these guys went back to their country. • • So I can't practice English with them.” (Seg.255f). In der Reaktion auf die Frage der Interviewerin nach der Emotion, die er mit den unterschiedlichen Sprachen verbindet, formuliert Karim sein grundsätzli‐ ches Interesse an Sprache(n), das er, im Kontext ‚Emotion‘, wie selbstverständ‐ lich auf ‚die arabischen Sprache‘ bezieht: „Humph I'm interested in languages. • • Maybe I'd like to study ((1s)) the Arabic language • • at the university.” (Seg.370f). Während er das Arabische zeichnerisch als Identitätsmarker und na‐ tionale Positionierung über die Herkunft des Vaters mit „a lot to do with Arabic“ eingebracht hatte, nicht aber in die Beschreibung seiner sprachlichen Praktiken in unterschiedlichen Räumen und in die Nennung seiner präferierten Sprachen, stellt er nun über die Bedeutung von Sprache als das Medium der Verständi‐ gung, “I also find languages are an important thing • • • in • • human life because it's the only way you can really communicate with someone else” (Seg.372ff), und mit dem sich auferlegten Wunsch, Arabisch zu lernen, eine Verbindung von identitärer und kompetenzorientiert teleologischer Dimension her. In der anschließenden Reformulierung: “Yeah. • I'd like to study maybe so‐ mething that has to do with languages • • but humph ((1,2s)) I don't know” (Seg.376f) verschiebt sich dieser konkrete Wunsch wieder, um dann erneut auf die aspirierte perfekte, für ihn muttersprachliche Beherrschung seiner präfe‐ rierten Sprache - des Englischen - bezogen zu werden. Insgesamt zeigt sich bei Karim in den Hierarchisierungen von bzw. seiner Sprachen, wie stark er sprachenpolitische Statuszuweisungen an Sprachen und sprachideologische Maßstäbe internalisiert und zu seinen eigenen gemacht hat. So beeinflusst seine auf allen Darstellungsebenen zum Ausdruck kommende 386 Jacqueline Gutjahr / Andrea Bogner Präferenz für das amerikanische Englisch die Beschreibung seiner kommuni‐ kativen Praktiken in unterschiedlichen sozialen Räumen bis hin zu ihrer Ima‐ gination. In seiner Bewertung des Akzents als Zeichen mangelnder Kompetenz spiegelt sich die auch in Bildungsinstitutionen nach wie vor wirkmächtige „ide‐ ology of native speaker authority” (Bonfiglio 2013, 30), die als Anerkenntnis auch in seinem Anspruch und Begehren, sich im phonetischen Bereich stetig zu ‘verbessern’ und damit für den ‚anglophonen‘ Bildungsmarkt zu qualifi‐ zieren, hervortritt. 3. Sprachenbezogene Reflexionsräume eröffnen Auf der Grundlage der exemplarischen Analyse der Vielschichtigkeit des poli‐ cymaking, wie es über die Auswertungen der über den multimodalen sprachen‐ biographischen Zugang gewonnenen Daten sichtbar wird, lassen sich unter‐ schiedliche Dimensionen von Reflexivität, die mit dem Lehrforschungsprojekt Mehrsprachige Kompetenzen erforschen und ausbilden eröffnet werden, identifi‐ zieren. Die Analyse der aufbereiteten Daten bietet den Studierenden zum einen Aus‐ gangspunkte für die Reflexion von sprachenpolitischen Zusammenhängen und unterschiedlichen Formen des policymaking in den von den Schüler*innen vor‐ genommenen multimodalen Darstellungen und (Re)Präsentationen ihrer ei‐ genen Sprachlichkeit, über die der Einfluss von Sprachideologien etwa in den bewertenden Kommentierungen (eigener) sprachlicher Repertoires und Prak‐ tiken zum Ausdruck kommt. Zum anderen ermöglicht sie eine damit eng ver‐ wobene forschungsmethodologische Reflexion bezüglich des Einsatzes und der Adaption der eingesetzten Erhebungsinstrumente - eine Methodenkritik, die auch auf die Gesprächsführung und das Frageverhalten der Studierenden in den Interviews zielt. So wird bereits an den Formulierungen der Fragen deutlich, dass mit jeder Fragestellung auch Vorannahmen und Einstellungen der Inter‐ viewenden zu Sprache(n) Einfluss auf den Verlauf des Gesprächs nehmen, dass die Interviewenden also selbst policymaking betreiben, wenn sie etwa (unbe‐ wusst) den Interviewpartner*innen Vorlagen für sprachideologisch geleitete Bewertungen von Sprachen und Varietäten liefern. Im Projekt sind diese Reflexionsprozesse zyklisch angelegt und entsprechend der Anreicherungen der Daten - von der Erhebung, über die Transkription bis zur ihrer Analyse und der Metaanalyse - in Aufgaben und Arbeitsschritte über‐ setzt. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Portfolio, in dem über spezifische Aufgabenstellungen eine systematische Begleitung des Forschungsprozesses stattfindet und die eigene Rolle als (Ver)Mittelnde und 387 Lehrforschungsprojekte zur Reflexion sprachenpolitischen Handelns 15 Eine detaillierte Vorstellung dieses Instruments erfolgte im Rahmen der Konferenz Approaches to Migration, Language and Identity: Practices, Ideologies and Policies now and then auf dem Panel Doing language ideologies in research in Duisburg Essen im September 2019 und wird im Konferenzband nachzulesen sein. Forschende in der (un)bewussten (Re)Produktion von Sprachideologien und vorherrschender Sprachauffassungen reflektiert werden. Wie diese erfahrungs‐ basierten und theoriegestützten Reflexionsprozesse integraler Bestandteil von Lehrforschungsprojekten werden und auch deren forschungsmethodologische Bedingungen aufnehmen, wird in ein umfassenderes Instrument zur Erfassung der Wirkmächtigkeit von language ideologies einfließen, 15 das eine kritische Re‐ flexivität für alle Phasen des Forschungsprozesses - von der Formulierung des Zeichenimpulses für die Erstellung der Sprachenportraits über das language management im Verlauf der Interviews bis zur Analyse der transkribierten Daten zu Sprachenbiographien und zur Unterrichtsinteraktion - ermöglicht und die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Überprüfung eigener beliefs und den An‐ nahmen anderer über Sprache und Sprachgebrauch erkennbar macht. Literaturverzeichnis B L O M MA E R T , Jan. 2008. „Language, asylum, and the national order“, in: Urban Language & Literacies, 2-21. B O E HM , Gottfried. 2005. „Jenseits der Sprache? 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Multilinguale und transkulturelle Medienkommunikation in der Fachdidaktik der romanischen Sprachen Giulia Pelillo-Hestermeyer / Ute von Kahlden 1 Einleitung Die Aufwertung der Kulturwissenschaft und der Fachdidaktik sowie deren Ver‐ schränkung spiegeln sich aktuell bei der Gestaltung und der Planung neuer Studiengänge und Lehr-Lernformate in den Philologien, insbesondere in der Romanistik wider. Jedoch stößt eine aus theoretischer und methodologischer Sicht fundierte Verschränkung beider Fächer in der Praxis auf noch wenige, oder zumindest ausbauwürdige institutionalisierte Formen des Austausches und der Kooperation zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik. Der vorliegende Beitrag stellt die Ergebnisse des Projekts „Transkulturelle Austauschprozesse durch Medien. Fachwissenschaftliche Inhalte und deren didaktische Transfor‐ mationen“ vor, das auf eine Integration von Kulturwissenschaft und Fachdi‐ daktik in der Förderung von Mehrsprachigkeit und Transkulturalität in der Di‐ daktik der romanischen Sprachen abzielte, wobei die erarbeiteten Ansätze sich auch in anderen, über die Romanistik hinausgehenden Fächern sowie in viel‐ fältigen Lehr-Lern-Kontexten anwenden lassen. Sprachliche Differenz stellt nicht nur einen wichtigen Themenkomplex im Hinblick auf eine fruchtbare Sprachendidaktik dar, sondern sie wird auch soziokulturell stark geprägt und zählt zu den am meisten von Menschen geteilten Lebenserfahrungen 1 , sodass ein transdisziplinärer, kulturwissenschaftlicher und fachdidaktischer Zugang zur Thematisierung und Förderung von Mehrsprachigkeit als besonders ge‐ eignet erscheint. Das Projekt baute auf einer schon begonnenen, informellen Kooperation im Rahmen von zwei parallel laufenden Seminaren, mit jeweils kulturwissen‐ schaftlicher beziehungsweise fachdidaktischer Orientierung, zum Thema der 2 Cf. Welschs Kritik an den modernen Kulturbegriff sowie an das Kugelmodell der Kultur in den Begriffen „Interkulturalität“ und „Multikulturalität“ (Welsch 2005: 315-322 und Welsch 2010). kulturellen Hybridität, ausgehend von der Arbeit des argentinischen Anthro‐ pologen Néstor García Canclini auf. In diesem Zusammenhang hatte sich eine noch stärkere Integration des kulturwissenschaftlichen und fachdidaktischen Zugangs im Rahmen eines transdisziplinären Seminars als sinnvoll und wün‐ schenswert erwiesen, unter anderem um die Zentralität der kommunikativen Aspekte bei der theoretischen und methodologischen Behandlung von Hybri‐ dität und Transkulturalität durch didaktische Ansätze noch deutlicher hervor‐ zuheben: insbesondere konnten wir feststellen, dass eine fundierte kulturwis‐ senschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Themenschwerpunkten trotz des wachsenden Lehrangebots in romanistischen Fächern häufig gegen etablierte Denkmuster von Seiten der Studierenden über angeblich voneinander isolier‐ bare Kulturen 2 stößt, und dass eine gezielte Didaktik mit einem Fokus auf Kul‐ turkontakt die Infragestellung vereinfachten Wissens und damit die Überwin‐ dung falscher Erwartungen begünstigen würde. Aufbauend auf dieser Erfahrung und mit dem Ziel, die bis dahin nur informelle Kooperation zu kon‐ solidieren, wurde das Projekt „Transkulturelle Austauschprozesse durch Me‐ dien. Fachwissenschaftliche Inhalte und deren didaktische Transformationen“ konzipiert. Im Rahmen einer Förderung durch die Heidelberg School of Educa‐ tion war es möglich, die ursprünglich geplante Kooperation zu erweitern und die Projektinhalte im Laufe des Sommersemesters 2017 in fünf Schritten zu ent‐ wickeln: 1. Ein transversales (kulturwissenschaftliches und fachdidaktisches) Se‐ minar zu „Kulturen in Kontakt: Transkulturelle Austauschprozesse und Medialität. Fachwissenschaften und deren didaktische Transforma‐ tionen“ wurde für die Studierenden der Romanistik der Universität und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg sowie für Lehrkräfte aller Schularten angeboten. Hierbei bildete die multilinguale Kommunikation einen zentralen thematischen Schwerpunkt. 2. Lehr-Lern-Konzepte wurden mit dem Ziel erarbeitet, Schnittstellen zwi‐ schen Theorie und deren empirischer Anwendung sowie praxisbezo‐ genem Wissen bei der Auseinandersetzung mit sprachlicher und generell kultureller Differenz durch didaktische Ansätze zu vertiefen. 3. Ein transversales Modul mit kulturwissenschaftlichen und fachdidakti‐ schen Inhalten wurde für den geplanten Master of Education entworfen. 392 Giulia Pelillo-Hestermeyer / Ute von Kahlden 3 Eine erste knappe Einführung in häufigen Erstsprachen der Lernenden siehe Krifka, M. (et al.) 2014. 4. Ein Workshop für Lehrkräfte, Experten und Verantwortliche im Bereich der Lehreraus- und -fortbildung hinsichtlich vieler verschiedener Unter‐ richtsfächer und Schulformen sowie für Studierende der Universität und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg wurde mit dem Ziel organi‐ siert, die Projektergebnisse zu präsentieren, zu diskutieren, mit den An‐ forderungen aus der Praxis abzugleichen und Erfordernisse für das Mas‐ terstudium bzw. die Ausbildung zu formulieren. 5. Die Projektergebnisse wurden im Rahmen der Sektion „Interaktion, Mi‐ gration und Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen“ beim XXXV Romanistentag an der Universität Zürich vorgestellt und diskutiert. Die Mehrsprachigkeit von Lernenden anzulegen oder eine bestehende zu för‐ dern ist eine grundlegende didaktische Anforderung an Lernumgebungen. Für Lehrkräfte ergibt sich die Herausforderung, die Erstsprachen der Lernenden und damit Sprachen einzubeziehen, die sie selbst nicht beherrschen. 3 Insbesondere im Rahmen von Sachfachunterricht, stellt der sprachsensible Fachunterricht neue Anforderungen an individuelle Lernumgebungen. Der sprachsensible Um‐ gang mit der Fachthematik kann z. B. bedeuten, dass die notwendigen Textbau‐ steine für eine bildungssprachliche Behandlung der Sachthematik bereitgestellt werden müssen und dass bei Sprechakten die Sprachrichtigkeit gemäß der deut‐ schen Bildungssprache nicht vorausgesetzt werden kann. Kultursensible Sach‐ fachdidaktik kann hier noch einen Schritt weitergehen und sowohl bei der Auf‐ gabenauswahl als auch bei ihrer Bearbeitung Elemente verschiedener Kulturräume sowie unterschiedliche Perspektiven darauf einbeziehen. Die Fremdsprachendidaktik beinhaltet viele dieser Aspekte. Im Kontext for‐ maler Bildung entwickeln sich die Ziele der Fremdsprachendidaktik im 21. Jahr‐ hundert weg von der reinen Sprachkompetenz hin zu einer kulturellen Kom‐ petenz. Ende des 20. Jahrhunderts stand das Ziel „near native speakers“ durch guten Fremdsprachenunterricht heranzubilden noch in dessen Zentrum. Durch die Kompetenzbeschreibungen rückte die (inter-)kulturelle kommunikative Kompetenz mehr in den Vordergrund und ist in Deutschland auf Ebene der Kultusministerkonferenz spätestens seit 2012 das grundlegende Bildungsziel von Fremdsprachenunterricht. In den Bildungsplänen der modernen Fremd‐ sprachen in Baden-Württemberg stellt die (inter-)kulturelle kommunikative Kompetenz in Verbindung mit einer kritischen Text- und Medienanalysekom‐ petenz das zentrale Ziel des Fremdsprachenunterrichts dar, der darüber hinaus 393 Multilinguale und transkulturelle Medienkommunikation 4 Cf. Bildungspläne Baden-Württemberg 2016 für Gymnasien, Leitgedanken zum Kom‐ petenzerwerb, 1.1 Bildungswert der modernen Fremdsprachen. 5 Ibid. Leitgedanken zum Kompetenzerwerb, 1.2 Kompetenzen. 6 Ibid. Leitgedanken zum Kompetenzerwerb, 1.1 Bildungswert der modernen Fremd‐ sprachen. „in besonderem Maße die Entwicklung von Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt [unterstützt] und (…) zu einem friedlichen Zusammenleben in der Welt bei[trägt]“ 4 . Dabei unterstreicht „die Auseinandersetzung mit kulturell ge‐ prägten Deutungsmustern“ 5 , dass die Lernenden sich mit kulturellen Aushand‐ lungsprozessen auseinandersetzen sollen. Konkrete Beispiele einer „zunächst ungewohnten sprachlichen Ordnung der Welt“ „als mögliche Interpretationen von Welt kennen [zu lernen] und [zu] respektieren“ 6 , kann nicht ohne Folgen auf die eigene Lebenswelt der Jugendlichen bleiben. In einem ersten Schritt kann diese Auseinandersetzung am Beispiel eines durch die zu lernende Sprache vor‐ gegebenen Raumes stattfinden. Der Rückbezug auf die eigene individuelle Iden‐ tität und Interpretation von Welt kann dabei sensibel angeleitet werden, ohne in Überzeugungen der jungen Menschen einzugreifen. In entsprechend ange‐ passter Weise können diese Bildungsziele, die die Entwicklung einer eigenen kulturellen Identität fördern, von allen Fächern aufgegriffen werden und müssen nicht auf den Fremdsprachenunterricht beschränkt bleiben. Entspre‐ chend wären die Seminarziele und -inhalte unter dem erprobten Fokus auf De‐ mokratie und Partizipation auch für Nichtromanisten und damit für interes‐ sierte Studierende anderer Fächer des Masters of Education denkbar. Im Folgenden werden zunächst die theoretischen Bausteine des Projekts aus‐ geführt (Kap. 2), dann wird die methodologische Herangehensweise vorgestellt (Kap. 3), um schließlich die Projektergebnisse unter Berücksichtigung des er‐ haltenen Feedbacks aus Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Praxis zu erörtern (Kap. 4). 2 Mehrsprachigkeit aus kulturwissenschaftlicher und fachdidaktischer Sicht 2.1 Die kulturwissenschaftlich-theoretischen Bausteine des Projekts Eine kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Mehrsprachigkeit hebt zunächst die materielle Natur des Sprachgebrauchs hervor, die zwar allgegen‐ wärtig zu beobachten ist, dennoch von Sprecher_innen nicht immer bewusst wahrgenommen wird: Sprachen stellen dementsprechend kulturelle Ressourcen zur Verfügung, über deren Wert im Rahmen eines „kulturellen Markts“ (Bour‐ 394 Giulia Pelillo-Hestermeyer / Ute von Kahlden dieu 1982) verhandelt wird. Pierre Bourdieu macht in seinem 1982 veröffent‐ lichten Werk Ce que parler veux dire: l’économie des échanges linguistique auf diesen Aspekt des Sprachgebrauchs aufmerksam, indem er den historischen Aufstieg des Französischen als Standardsprache im Kontext der Herausbildung des Nationalstaates aufgezeigt hat: „La langue officielle a partie liée avec l’État. Et cela tant dans sa genèse que dans ses usages sociaux. C’est dans le processus de constitution de l’État que se créent les conditions de la constitution d’un marché linguistique unifié et dominé par la langue officielle : obligatoire dans les occasions officielles et dans les espaces officiels (École, administrations publiques, institutions politiques, etc.), cette langue d’État devient la norme théorique à laquelle toutes les pratiques linguistiques sont objectivement me‐ surées„ (Bourdieu 1982: 20). Die Standardisierung der Nationalsprache entsprach in diesem Kontext der Ver‐ einheitlichung des nationalen Rechtes als Instrument der Gleichstellung aller Bürger_innen. Ihr „Erwerb“womit auch semantisch die Aneignung eines Gutes suggeriert wird - stellte eine wichtige Voraussetzung dar, um die Teilhabe der Bürger_innen am Leben des Staates sowie den Zugang zum Arbeitsmarkt und den sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Um dies zu erzielen, wurden erhebliche Ressourcen investiert: Wörterbücher und Grammatiken sorgten für die Norma‐ lisierung und „Purifizierung“ der Nationalsprache, Schulen und Akademien ga‐ rantierten deren Verbreitung, auch einzelne Menschen investierten ihre eigene Ressourcen (Zeit, Geld usw.), um das wertvolle Gut mit dem Ziel des sozialen Aufstiegs zu erwerben (Bourdieu 1982: 26-47). Bourdieus Überlegungen sind nicht nur im Hinblick auf ein tieferes Verständnis der Herausbildung des his‐ torischen Kulturerbes erhellend, sondern sie regen auch einen kritischen Um‐ gang mit sprachlichen Ressourcen in heutigen Zeiten an. Blommaert (2010) zeigt anhand vielfältiger soziolinguistischer Analysebeispiele, wie im Rahmen der Globalisierung viele Sprachen - womit nicht nur National- oder Standardspra‐ chen, sondern auch bestimmte Varietäten, wie z. B. das sogenannte business English, Register und Stile gemeint sind - miteinander konkurrieren, deren Wert sich in Zusammenhang mit sozialen, politischen sowie wirtschaftlichen Pro‐ zessen und abhängig von entsprechend wandelnden „kulturellen Märkten“ ver‐ ändert: „The „languages“ of the traditional vocabulary exist as „registers“ in a new and more productive vocabulary, and the real „language“ that the people possess is this patch‐ work of specialized multilingual resources. Such a view can have a deep impact on contemporary studies of language endangerment because it removes the categorical aspect of such studies (a language is either “vital” or “endangered”) and replaces it 395 Multilinguale und transkulturelle Medienkommunikation 7 Für zahlreiche interessante Beispiele aus dem romanischen Sprachraum s. Cichon/ Czernilofsky (2001). with a far more detailed and precise view in which shades of grey are allowed, and in which we can see that particular resources, even if they look obsolescent to the analyst can have important functions for language users [...] Perhaps it is not languages that are “oppressed” but their deployment over specific genres and registers - for instance their use as a language of instruction at schools or of political debate in the public arena. [...] One thing looks quite certain: in a world in which patterns of mobility mean that more and more communication has the characteristics of an unfinished product, less and less analytic relevance can be attributed to conceptions of language that are based on the “standard” varieties and conceptions of it. [...]” (Blommaert 2010: 134). Sowohl Bourdieus kritische Darstellung des Standardisierungs- und Etablie‐ rungsprozesses der nationalen Standardsprache, als auch Blommaerts Perspek‐ tive auf die Auswirkungen der Globalisierung auf individuelle Sprachrepertoires und soziolinguistische Kategorien weisen auf den Kontrast zwischen konkreten sprachlichen Ressourcen der Sprecher_innen und zirkulierenden Sprachideolo‐ gien, die von der Autorität und Machtposition von Institutionen sowie von kul‐ turellen Märkten gesteuert werden, hin: während mehrsprachige Repertoires aufgrund der hohen Mobilität von Individuen und Ressourcen jeglicher Art an Komplexität gewinnen, sodass traditionelle Kategorisierungen von Sprachva‐ rietäten aus soziolinguistischer Sicht immer ungenauer in Hinblick auf die Be‐ stimmung individueller sprachlicher Repertoires erscheinen, bleiben solche Ka‐ tegorisierungen durch autoritative Diskurse und etablierte Normen wichtige Referenzpunkte für die Bewertung linguistischer und kultureller Ressourcen. So wird Mehrsprachigkeit je nach Kontext mal als wichtige, erstrebenswerte Res‐ source (z. B. als individuelle Kompetenz), mal als Hindernis (z. B. als Problem im Hinblick auf den sozialen Zusammenhalt, als Herausforderung hinsichtlich der Herstellung von Öffentlichkeit, als Bedrohung für demokratische Partizipation) unterschiedlich betrachtet. Zahlreiche Konflikte entstehen im Rahmen von Ver‐ handlungsprozessen über den Wert und die Förderungswürdigkeit einzelner sprachlicher Ressourcen, sowohl auf individueller als auch auf sozialer und po‐ litischer Ebene. Die oft umstrittene Förderung von bestimmten Sprachen, seien diese die Nationalsprachen gegenüber dem „globalen“ Englischen oder von Minderheitensprachen gegenüber den Nationalsprachen, kann beispielweise als politische Maßnahme gelten, um einen „freien“ Markt der kulturellen Res‐ sourcen zu regulieren oder zumindest zu beeinflussen 7 . Die daraus resultie‐ renden Konflikte stehen in engem Zusammenhang mit der Konkurrenz zwi‐ schen verschiedenen kulturellen Ideologien, die jeweilig den Schutz eines 396 Giulia Pelillo-Hestermeyer / Ute von Kahlden 8 In der kulturwissenschaftlich orientierten Medienforschung hat sich das Konzept der Mediatisierung etabliert, um die gegenseitige Wirkung von Medien und soziokultu‐ rellen Bedingungen aufeinander zu betonen. Im Unterschied zur medialen Kommuni‐ kation, welche die vermittelte Kommunikation im Allgemeinen (worunter auch die Sprache oder die Gesten als Medium zählen) bezeichnet, bezieht sich der Begriff der mediatisierten Kommunikation auch auf die technologischen sowie institutionellen Bedingungen, welche die Kommunikation prägen (cf. Krotz 2009, Lundby 2009, Hepp 2014 b). bestimmten - lokalen, regionalen, nationalen, übernationalen - Kulturerbes oder die Möglichkeit des Zugangs zu globalen Kommunikationsflüssen in den Mittelpunkt rücken. Die Herausbildung eines Bewusstseins für solche soziokulturelle Prozesse stellt eine wichtige Voraussetzung dar, um eine kulturwissenschaftlich geprägte Diskurs- und Raumperspektive auf Mehrsprachigkeit zu öffnen. Michel Foucault (1969, 1971) hat mehrfach darauf hingewiesen, dass Diskurse die gesellschaft‐ liche Ordnung einerseits widerspiegeln, andererseits zu deren Konstruktion durch die Wirkung ihrer (wissenschaftlichen, politischen, religiösen usw.) Au‐ torität beitragen. Eine kulturwissenschaftlich orientierte Auseinandersetzung mit Mehrsprachigkeit fördert demzufolge ein Bewusstsein für die Materialität sprachlicher Ressourcen sowie für die Konflikte und Machtverhältnisse, welche die Herausbildung und Etablierung kommunikativer Normen bestimmen. Hierbei geht es darum, die Autorität und das Wirkungspotential von Diskursen über Sprachen und Sprechergruppen in entsprechenden Räumen (z. B. einem Klassenzimmer, einem medial hergestellten Raum) kritisch zu hinterfragen und Machtverhältnisse zu erkennen. Die soziokulturelle Konstruktion von Sprache in ihrer Prozesshaftigkeit und eine entsprechende Überwindung statischer Kon‐ zepte von Mehrsprachigkeit stehen dabei im Mittelpunkt. Mediatisierte Kommunikation 8 sowie Medienarbeit stellen ideale Experimen‐ tierfelder dar, um die Wirkung von Autorität und Macht auf Mehrsprachigkeit zu untersuchen, womit sowohl die Sichtbarkeit und Verbreitung von Mehrspra‐ chigkeit als auch ihre soziokulturelle Wahrnehmung gemeint sind (Steinert et al. 2006, Pelillo-Hestermeyer 2014 und 2015). Medien - nicht nur Massenme‐ dien - stellen Kommunikationsräume her, in denen soziokulturelle - und dar‐ unter sprachliche und kommunikative - Normen etabliert, verbreitet und da‐ durch normalisiert werden ( Johnson/ Ensslin 2007, Kelly-Holmes/ Milani 2011). Mediatisierte Kommunikation kann daher zur Verbreitung und Etablierung un‐ terschiedlicher Konzepte von Mehrsprachigkeit beitragen und diese insgesamt in erheblichem Maße fördern oder beeinträchtigen. Für eine kulturwissen‐ schaftliche Annährung an den Themenkomplex Mehrsprachigkeit bietet die Analyse mediatisierter Kommunikation zahlreiche Möglichkeiten, um kommu‐ 397 Multilinguale und transkulturelle Medienkommunikation 9 Cf. für die Fremdsprachendidaktik u. a. Steinbrügge 2008. nikative Normen und Machtverhältnisse zu thematisieren, Konkurrenz zwi‐ schen im Konflikt stehenden Ideologien hervorzuheben und die Autorität ent‐ sprechender Diskurs- und Denkmuster zu hinterfragen. Mehrsprachigkeit erscheint dabei als vielfältige, verhandelbare Ressource, deren Sichtbarkeit im öffentlichen Raum unterschiedlich ausgeprägt ist. 2.2 Fachdidaktische Bausteine des Projekts Mehrsprachigkeit spielt weiterhin eine zentrale Rolle bei den didaktischen Grundentscheidungen zur Konzeption des Seminars und daraus resultierend auch für weitere formale Lehr-/ Lernkontexte. Aufgrund der Pluralität von Wis‐ senszugängen erscheint eine konstruktivistisch orientierte (Fach-)didaktik, eine didaktische Rekonstruktion, in diesem Kontext angemessen (s. u. a. Schumann/ Steinbrügge 2008). Sie wird bereits seit den 1970-er Jahren immer wieder ge‐ fordert und widerspricht einer didaktischen „Reduktion“. Aufgabe der Didaktik sei es, die „Sachstruktur so bearbeiten, dass sie eine Tiefenstruktur entfaltet, die zu den kognitiven Strukturen der Lernenden passt“ (Lenzen 1973: 47, 152, 157 zitiert nach Reis 2014: 162). Dies geht unseres Erachtens über die didaktische Transformation hinaus, diese „ist vor allem die Bereitstellung von Methoden, mit Komplexität umzugehen“ (Schädlich 2008: 95). Beide Ansätze ergänzen sich gegenseitig und sollen nicht gegeneinander gestellt werden. Ziel ist es, sich dem Forschungsgegenstand, hier der Mehrsprachigkeit im Kontext der transkultu‐ rellen Medienkommunikation, selbstständig zu nähern und auf die eigenen kul‐ turellen Erfahrungen zurückzugreifen. Somit entsteht die Auseinandersetzung mit (Fach-)didaktik durch den fortlaufenden Wechsel zwischen Erfahrung von didaktischer Rekonstruktion und ihrer Reflexion. Ein wesentliches Merkmal von didaktischer Rekonstruktion ist neben der fachwissenschaftlichen Klärung die „Erfassung von Schülerperspektiven“ (Kattmann et. al 1997) als Grundlage für eine didaktische Strukturierung. Dieser Ansatz kommt ursprünglich aus den Naturwissenschaften, hat sich aber im Kontext des konstruktivistischen Lernens auf alle Fachdidaktiken ausgewirkt. 9 Als Grundlage für das Seminar wurden die kulturellen bzw. kulturwissenschaftlichen Vorerfahrungen der Studierenden nicht im Vorfeld erhoben, aber in den laufenden Sitzungen und Reflexionen berücksichtigt und den Studierenden dieses Vorgehen transparent gemacht. Hinzu kommt eine weitere Stufe der Reflexion mit den Studierenden und zwar die Frage, ob das Seminarprogramm mit Lernenden im Rahmen der formalen Bildung durchgeführt werden könnte oder ob sie einen weiteren Schritt an di‐ daktischer Rekonstruktion in der Folge für notwendig halten. Weitere didakti‐ 398 Giulia Pelillo-Hestermeyer / Ute von Kahlden sche Überlegungen zu Differenzierung und Individualisierung sind notwendig, denn Heterogenität hinsichtlich kultureller Vorerfahrungen sowie Reflexions‐ erfahrung beeinflussen die Planung und Durchführung von Lernumgebungen wesentlich. Aktuelle Lernarrangements sollen in allen Fächern sprachsensibel sein und sind idealerweise mehrsprachig. Damit kann ein Eingehen auf Erstsprachen, ein Nutzen von sprachlichen Transferbasen oder ein Aufbau der Bildungssprache Deutsch mit anderen Brückensprachen, z. B. Englisch, gemeint sein. Wie durch die Bildungspläne bereits dargestellt, soll sowohl innerhalb der Lernenden‐ gruppe als auch gegenüber anderen Personen oder Gruppen ein tolerantes Klima herrschen, welches sich im pädagogischen Handeln und der Behandlung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen soziologischen Gruppen (z. B. Szenen) spiegelt. Dies zieht sofort nach sich, dass Lernarrangements auch kul‐ tursensibel gestaltet werden sollen. Zum einen sollen kulturelle Gruppen re‐ spektvoll dargestellt und behandelt werden, zum anderen sollen die Kulturen der Lernenden respektvoll eingebunden werden, ohne dass dies den Lernenden zur Last wird. Dies ist nicht leicht zu erreichen, da Stimmungen aus der Gesell‐ schaft die Lernenden in ihrem Handeln beeinflussen. Sie wissen durchaus, ob ihre Erstsprache mit Prestige versehen ist oder als Bildungsdefizit betrachtet wird. Eine Schulsprache wie Englisch als Erstsprache zu haben, wird nicht als Nachteil betrachtet, während eine Sprache wie Türkisch oder Arabisch, die im schulischen Kontext nahezu nicht berücksichtigt wird, sofort mit einem Bil‐ dungsnachteil verbunden werden kann. Rösch betrachtet Sprache als „überge‐ ordnete Differenzlinie“ (Rösch 2016: 288) und unterstreicht, dass „die Wichtig‐ keit normgerechter Deutschkenntnisse für den Schul- und späteren Berufserfolg einseitig betont, die Potentiale der Mehrsprachigkeit aber verkannt werden" (ibid.). Insofern kommt durch die Merkmale „sprachsensibel, mehrsprachig, kultursensibel, tolerant“ häufig in erster Linie das Ziel einer Stärkung des Erst-/ Sprachenbewusstseins der Lernenden zum Tragen. Erst in weiteren Schritten können sich diese Lernenden darauf einlassen, Mehrsprachigkeit in den Lern‐ umgebungen zu leben, spielerisch einzusetzen und zu gestalten. Aus der Praxis wurde berichtet, wie Lernende mit verschiedenen Erstsprachen ohne Unter‐ stützung der Lehrkräfte oder gar gegen die strenge Regel, nur Deutsch zu spre‐ chen, ihre Wege für eine gelingende Kommunikation im schulischen Rahmen finden. Sie kommunizieren meist mit Hilfe selbst entdeckter kleiner Transfer‐ basen und der Nutzung entsprechender Bausteine, zum Teil in einer selbst er‐ schaffenen Sprache aus Bausteinen, die für viele zugänglich sind (zu „Ethnolekt“, „Soziolekt“, „Multi-kulti-Deutsch“ siehe Rösch 2017: 16 f). Gemessen werde ihr Sprachhandeln aber ausschließlich anhand von Kriterien zur Beherrschung der 399 Multilinguale und transkulturelle Medienkommunikation deutschen Bildungssprache. Diese bleibt als Ziel unbestritten, mehrsprachiges Handeln müsse jedoch stärker berücksichtigt, begleitet und geschätzt werden. Auf der Basis von Lernumgebungen, die diese vier oben vorgestellten didak‐ tischen Merkmale berücksichtigen, kann ein Schritt weiter gegangen werden, um Lernarrangements mit „kulturwissenschaftlich analytischer“ Ausrichtung und entsprechenden Lernzielen zu konzipieren. Mit didaktischen Rekonstruk‐ tionen lassen sich adaptive Lernarrangements planen und umsetzen, die es auch jungen Lernenden erlauben, (erste) Erfahrungen mit inter- oder transkulturellen Perspektiven zu machen, Dichotomien zu entdecken, sie zu nutzen oder aufzu‐ heben, oder hybride Merkmale kultureller Räume oder Konkretionen zu er‐ kennen und zu beschreiben. Ein Beispiel ist die Behandlung der Gattung der graphic novel unter dem Fokus der Hybridität. Insbesondere für junge Lernende ist die Schaffung einer neuen Gattung aus Charakteristika anderer, z.T. auch nicht literarischer Gattungen wie Graffiti, Videospiel, faszinierend zu analy‐ sieren und zu diskutieren. Auch transnational zirkulierende Darstellungen lassen sich hier untersuchen, so dass sowohl die Produkte als auch die Autoren einiger graphic novels unter einem transkulturellen Blickwinkel betrachtet werden können, wie dies z. B. anhand von Persepolis von Marjane Satrapi in unserem Seminar durchgeführt wurde. Nicht jedes Lehr-/ Lernarrangement hat immer dieselben Schwerpunkte und Ziele. Die folgende Graphik soll exempla‐ risch zwei Lernumgebungen aufzeigen. Der Nullpunkt liegt im Zentrum der Graphik. Ausprägungen in Richtung des äußeren Randes der Graphik entspre‐ chen somit einem höheren Grad dieser Ausprägung, Markierungen in der Mitte einem niedrigeren. In den didaktischen Einheiten (Lernumgebungen) werden nicht immer alle fünf aufgeführten Anforderungsbereiche in gleichem Maße zur Bearbeitung der jeweiligen Thematik eingefordert. Dies entspricht dem didak‐ tischen Prinzip einer Isolation von Schwierigkeiten, die ein fokussiertes Ar‐ beiten an den jeweils zentralen Aspekten erlaubt. Abb. 1 Beispiele für Lehr-/ Lernumgebungen mit verschiedenen Schwerpunkten 400 Giulia Pelillo-Hestermeyer / Ute von Kahlden 10 Zu diesen Konzepten aus romanitisch-fachdidaktischer Perspektive und zu einem Mo‐ dell transkultureller kommunikativer Kompetenz vgl. die einschlägigen Beiträge von Daniel Reimann (2017a und 2017b). Umgebung 1 zeigt, dass eine kulturwissenschaftlich-analytische Zielsetzung einhergehen muss mit der Klärung und Bereitstellung von entsprechender Fachsprache (starke Ausprägung des Merkmals „sprachsensibel“), sowie einer kultursensiblen Wahl der thematischen Beispiele. Im Sinne einer Isolation von Schwierigkeiten ist bei diesem Arrangement das Merkmal „mehrsprachig“ eher schwach ausgeprägt, d. h. es werden so viele Aspekte mehrsprachig behandelt, wie es für die teilnehmenden Lernenden hilfreich ist, jedoch wird der Umgang mit Mehrsprachigkeit nicht zusätzlich gezielt gefordert. Die kulturwissenschaft‐ lich-analytischen Ziele benötigen eine hohe Konzentriertheit. Bei der Durch‐ führung des Seminars wurden den Studierenden hier mehrere Anforderungen auf ein Mal zugemutet und ihnen die eigenständige Entscheidung über das Zer‐ legen von Aufgabenstellungen in Anforderungsbereiche und deren getrennte Bearbeitung überlassen. 3 Die didaktisch-methodische Herangehensweise 3.1 Transkulturelle Medienkommunikation Das transversale Seminar sollte die im vorigen Kapitel erläuterte kritische Aus‐ einandersetzung mit Fragen der sprachlichen und kulturellen Vielfalt in zwei aufeinanderaufbauenden Blöcken methodisch umsetzen, wovon der erste eine theoretische und der zweite eine empirische Ausrichtung hatte. Im ersten Block wurden wissenschaftliche Texte behandelt, die verschiedene Konzeptualisie‐ rungen kultureller Vielfalt, wie beispielsweise Multi-, Interbzw. Transkultu‐ ralität, Hybridität und Transdifferenz, beinhalteten. 10 Das didaktische Ziel dieses Blocks bestand vor allem darin, die Kontextualität der einzelnen Begriffe einer‐ seits hervorzuheben, andererseits zu zeigen, dass Kontextualität keinesfalls zu einem kulturellen Relativismus führen darf. In anderen Worten sollte durch die Hervorhebung der Differenzen zwischen Konzeptualisierungen und Zugängen zu kultureller Vielfalt in verschiedenen wissenschaftlichen Kontexten (wie z. B. in der Literaturwissenschaft, in der Linguistik oder in der Politikwissenschaft) ersichtlich werden, dass solche Differenzen in Zusammenhang mit spezifischen Fragestellungen, Perspektiven und Traditionen stehen, welche die Anwendung des einen oder des anderen Begriffs kontextuell wichtige Akzentsetzungen und Perspektivierungen ermöglichen und auf keinen Fall beliebig machen. Zu diesem Zweck wurde beispielsweise über die unterschiedliche Bedeutung der 401 Multilinguale und transkulturelle Medienkommunikation Grenzüberschreitung bzw. der Grenzsetzung bei der Konzeptualisierung von Hybridität (Bhabha 2005, Nederveen Pieterse 2005) und Transkulturalität (Welsch 2005) in wissenschaftlichen Texten zunächst in Gruppen und dann im Plenum diskutiert, um anschließend die Frage aufzugreifen, welcher Ansatz in bestimmten, gezielt ausgewählten Fallbeispielen geeigneter erschien und mit welcher Begründung. Nach diesem Block sollte den Kursteilnehmer_Innen deutlich werden, dass kulturelle Vielfalt auch aus wissenschaftlicher Sicht nicht im Rahmen von objektiven und allgemein gültigen Kategorien erfasst werden kann, sondern dass sie konstruktivistisch und kontextuell angegangen werden soll. Dieser Zugang, der dem Kern kulturwissenschaftlicher Annährungen zu jeglichen Formen kulturellen Handelns entspricht, widersprach der verbreiteten Erwartung einiger Kursteilnehmer_innen, definitive Aussagen über Kultur und Sprache im Anschluss an eine Kurseinheit treffen zu können. Einen konstruk‐ tiven Umgang mit solchen unerfüllten Erwartungen zu entwickeln, ein Be‐ wusstsein für die Kontextualität von Kultur zu erwecken und einen kritischen Umgang mit kulturellen Kategorien und Praktiken zu trainieren, bildeten die primären Ziele und die größte Herausforderung im Rahmen des Seminars. Um die Zentralität der Kategorie der Kontextualität sowie der Prozesshaftig‐ keit kultureller Praktiken am Beispiel der multilingualen Kommunikation zu vertiefen, wurde im zweiten Block des Kurses die Medienanalyse methodisch eingesetzt. Im vorigen Kapitel wurde in Anlehnung an Foucault (1969 und 1971) und Bourdieu (1982) betont, dass mediatisierte Kommunikation durch die Ver‐ breitung und Etablierung von sprachlichen und diskursiven Normen zu deren Standardisierung sowie nur Normalisierung entsprechender Ideologien und Machtverhältnisse in erheblichem Maße beiträgt. Diese zunächst theoretisch behandelte Feststellung wurde im zweiten Teil des Kurses durch Beispiele aus der Medienanalyse empirisch verfolgt: dabei ging es darum, den Umgang mit sprachlicher Vielfalt in verschiedenen medial hergestellten Kommunikations‐ räumen durch die Analyse sprachlicher, diskursiver und medialer Praktiken zu hinterfragen. Konkrete Fragestellungen dazu waren zum Beispiel: Wie wird in einzelnen Medienprodukten, die global zirkulieren, mit sprachlicher Differenz umgegangen? Wie wird dabei individuelle und gesellschaftliche Mehrsprachig‐ keit dargestellt? Was geht durch Übersetzungs- oder Synchronisierungsprak‐ tiken gegebenenfalls verloren? Wie werden Identitäten, Zugehörigkeiten (reli‐ giöser, genderspezifischer, politischer oder anderer Natur), Narrative, Traditionen und Wertekonzepte in transnational zirkulierenden Kommunika‐ tionsflüssen monovs. multilingual ausgehandelt? In dieser ersten Phase der Analyse wurden die Kursteilnehmer_innen dazu ermutigt, die Transkulturalität verschiedener ausgewählter Medienprodukte zu analysieren, indem nicht nur 402 Giulia Pelillo-Hestermeyer / Ute von Kahlden 11 Hepps Modell der transkulturellen Kommunikation zeigt, wie Transkulturalität nicht nur in den medialen Repräsentationen, sondern auch in all den Momenten der Produk‐ tion, Zirkulation, Regulation und des Konsums festzustellen ist. 12 Für eine ausführlichere Behandlung der spezifischen Transkulturalität radiojournalis‐ tischer Produktionen im Rahmen der von COPEAM geförderten Kooperation s. Pe‐ lillo-Hestermeyer 2018. mediale Repräsentationen, wie zum Beispiel Bilder, Texte und Diskurse gege‐ benenfalls in Zusammenhang mit Musik, Film und deren gesamter Semiotik, sondern auch ihre transnationale Produktion und Zirkulation durch verschie‐ dene Medienöffentlichkeiten mit entsprechenden verschiedenen Rezeptions‐ weisen (vgl. Hepp 2014a 11 ) mitberücksichtigt werden sollten. Als Beispiel für ein zu dem Zeitpunkt aktuelles und global wahrgenommenes Ereignis wurde auf die Wahl des französischen Präsidenten Emmanuel Macron eingegangen. Dank der multilingualen Kompetenzen der Teilnehmergruppe war es möglich, in Gruppenarbeit die Wahl von Macron und seine Siegesrede vor der Pyramide des Louvre als globales Medienereignis mehrsprachig zu analysieren und kritisch zu hinterfragen. Zu diesem Zweck wurde die Berichterstattung über den Wahl‐ sieg Macrons sowie die Inszenierung seiner Siegesrede in verschiedenen natio‐ nalen Medienöffentlichkeiten und Medienformaten verglichen und dabei die inhaltlichen und linguistischen Anpassungen an die jeweiligen nationalen Kon‐ texte im Rahmen der transnationalen Zirkulation von Bildern und Texten her‐ vorgehoben und diskutiert. Diese Art der Berichterstattung wurde anschließend mit der von dem transnationalen Mediennetzwerk COPEAM verglichen, das u. a. multilinguale Radiosendungen im Rahmen einer internationalen Koopera‐ tion zwischen öffentlichen Medienanstalten des Mittelmeerraums (Ägypten, Algerien, Frankreich, Italien, Libanon, Marokko, Tunesien und Spanien) fördert und sich dementsprechend an ein - auch sprachlich - heterogenes Publikum richtet 12 . Die Analyse erschloss hierbei andere Formen von Transkulturalität, wie zum Beispiel einen ausgeprägten sprachlichen Polyzentrismus oder die in‐ haltliche Hervorhebung von Differenzen und Gemeinsamkeiten zwischen den Ländern des Mittelmeerraums in Hinblick auf die Folgen des Wahlergebnisses. Die intensive Auseinandersetzung mit den vielfältigen Resemantisierungen und Neudeutungen des Medienereignisses durch den Wandel der ursprünglichen Inszenierung der Siegesrede hatte das Ziel, die Kontextualität als entschei‐ denden Aspekt der Kulturanalyse noch einmal zu verdeutlichen: Durch die transnationale Produktion und Zirkulation mediatisierter Kommunikation er‐ gibt sich eine Vielfalt von Kontexten, in welchen auch nationale oder lokale Symbole und Kulturgegenstände hybridisiert und transkulturalisiert werden und dadurch vielfältige neue Deutungen begünstigen. Eine kulturwissenschaft‐ 403 Multilinguale und transkulturelle Medienkommunikation lich orientierte Analyse mediatisierter Kommunikation ermöglicht einen tiefen Zugang zu einer solchen Vielfalt, indem sie neben den medialen Repräsenta‐ tionen auch deren transkulturelle Produktion und Zirkulation berücksichtigt und dabei kulturelle Praktiken und Identitäten als dynamische, kontextuell be‐ stimmte und verhandelbare Kategorien betrachtet. In diesem zweiten Block wurde zum Beispiel die legitimierende, standardisierende Wirkung der Medien auf die soziokulturelle Wahrnehmung von Mehrsprachigkeit durch eine Refle‐ xion über die eigene Rezeption der analysierten Medienprodukte thematisiert. Zu diesem Zweck wurden den Seminarteilnehmer_innen nicht nur Medienpro‐ dukte in den Sprachen, in denen sie eine sehr gute Kompetenz aufwiesen, zur Analyse gestellt. Die Arbeitsgruppen wurden gezielt sprachlich möglichst he‐ terogen gebildet, was erlaubte, eine Reflexion über die Rezeption von Medien‐ produkten in „fremd klingenden“ Sprachen anzuregen und die verschiedenen auditiven Erfahrungen und entsprechenden Wahrnehmungen zu diskutieren. So wunderten sich beispielsweise einige Studierende darüber, dass sie auch Texte deuten konnten, von denen sie dachten, dass sie aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse zu ihnen keinen Zugang hätten. Sie bestätigten, dass sie sich mit den entsprechenden Medienprodukten in ihrem Alltag nicht auseinander‐ gesetzt und diese nicht wahrgenommen hätten, wenn sie nicht im Rahmen des Kurses damit konfrontiert worden wären. Solche individuellen Erfahrungen mit der Rezeption von Medienprodukten dienten einerseits dazu, etablierte Verhal‐ tensmuster im Umgang mit Sprachenvielfalt in der Medienkommunikation und im Alltag kritisch zu hinterfragen, andererseits ein Bewusstsein für die Vielfalt der Rezeptionsweisen zu stimulieren. Auch im Hinblick auf den Moment der Rezeption von Medienkommunikation wurde daher deutlich, dass kulturelle Deutungen nur kontextuell erschließbar sind. Im Rahmen wachsender Media‐ tisierung und Transnationalisierung der Kommunikation ermöglicht eine mehr‐ sprachige Arbeit mit global zirkulierenden Mediendarstellungen eine Ausein‐ andersetzung mit der daraus resultierenden Vielfalt der Deutungen und Identifikationsprozesse. Darüber hinaus regt sie ein Bewusstsein für die Wir‐ kung des Sprachgebrauchs auf die Zugänglichkeit medial hergestellter Öffent‐ lichkeiten und die damit einhergehenden Möglichkeiten soziokultureller und politischer Teilhabe an. 3.2. Didaktische Transformation und Rekonstruktion Entsprechend der graphischen Darstellung von Lehr-/ Lernarrangements (Abb. 1) wurde die Planung des Seminars insgesamt auf hohe Ausprägungen hin‐ sichtlich der fünf Merkmale „sprachsensibel, mehrsprachig, kultursensibel, to‐ lerant und kulturwissenschaftlich-analytisch“ gegründet. Der Aspekt der „To‐ 404 Giulia Pelillo-Hestermeyer / Ute von Kahlden leranz“ war erweitert auf Partizipation und Demokratie und die Frage, inwieweit die Sprachwahl auch den Zugang zu kommunikativen - gegebenenfalls öffent‐ lichen - Räumen reguliert, bis hin zur Frage des Linguizismus. Dieser „be‐ zeichnet die Legitimation, Effektivierung und Reproduktion „eine[r] ungleiche[n] Verteilung von Macht und Ressourcen (materiellen und ideellen) zwischen Gruppen, die auf der Basis ihrer Sprache (ihrer Muttersprachen) de‐ finiert sind (Skutnabb-Kangas 1992: 41, zitiert nach Rösch 2017: 18). Eine Isola‐ tion von Schwierigkeiten wurde insgesamt immer punktuell z.T. von den Stu‐ dierenden individuell vorgenommen, indem einzelne Aspekte vorübergehend in den Hintergrund traten, aber die Fragestellungen als solche waren komplex zu untersuchen. Sowohl im theoretischen als auch im empirischen Teil des Seminars wurden die Studierenden durch entsprechende Aufgabenstellungen angehalten, didak‐ tische Rekonstruktionen und Lernumgebungen in groben Zügen zu beurteilen, zu planen oder Material hinsichtlich seiner Eignung oder Adaption für didak‐ tische Zielsetzungen einzuschätzen, so z. B. wie unten ausgeführt zum Thema „Narrativ und Mythos“. Die Präsentation ihrer Ergebnisse unterstrich, dass ihnen dies gut gelang. Kulturwissenschaftliche Perspektiven einzunehmen und aus ihnen heraus zu argumentieren, fiel den Studierenden im Rahmen des Se‐ minars und insbesondere hinsichtlich eines selbst gewählten zu vertiefenden Themas nicht so leicht wie sie gedacht hatten. Sie begründeten dies damit, dass sie es nicht gewohnt seien, eine Interpretationsoffenheit außerhalb literarischer oder künstlerischer Werke zuzulassen. Ein Verweis auf die Geschichtsdidaktik, in der es ebenfalls nicht „sinnvoll wäre, sich für die sozial, kulturell, politisch und individuell verschieden positionierten Menschen auf eine Geschichtsdeu‐ tung mit universalem Anspruch (Masternarrativ) und ihre Vermittlung zu ei‐ nigen“ (Trautwein 2017: 19) war hier hilfreich. Kulturwissenschaftliche Ansätze wurden mit kreativen Methoden von verschiedenen Seiten beleuchtet, um mit ihnen vertrauter zu werden und sie als weniger überraschend zu erleben. Sehr überzeugend war die Erkenntnis, dass Nachrichtenagenturen weltweit agieren und damit ein in Lateinamerika erscheinender Zeitungsartikel nicht die Sichtweise der dortigen Journalist_innen noch Leser_innen spiegeln muss, son‐ dern die Bewertung eines Ereignisses transnational kommentiert und weiter‐ gegeben wird. Dies ließ sich an Pressemeldungen zu Macrons Wahlsieg direkt zeigen. Seriöse digitale Tageszeitungen werden normalerweise zu unterrichtli‐ chen Zwecken ohne weitere Recherche herangezogen. Dies ist auch hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit der Inhalte unbestritten. Eine kulturelle Perspektive darf aus den Inhalten jedoch nicht abgeleitet werden, ohne zu überprüfen, woher die Art der Darstellung kommt. So zeigte sich, dass wichtige digitale Medien in 405 Multilinguale und transkulturelle Medienkommunikation 13 Dr. Carlo Avventi ist Regisseur und Medienpädagoge an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und kooperierte in diesem Zusammenhang am Projekt. mehreren lateinamerikanischen Ländern nahezu wortwörtlich dieselbe Nach‐ richt zu Macrons Wahlsieg verbreiteten. Diese basierten auf Agenturmeldungen und eben nicht auf Bewertungen von Journalist_innen der jeweiligen Länder. Dies war sowohl unmittelbar für die Studierenden einsichtig und ist es auch für jüngere Lernende in formalen Lernkontexten. Die Inszenierung des Wahlabends nach Macrons Sieg verlangte nach einer Klärung der Konzepte (nationaler) Mythos und (kollektives) Narrativ aus so‐ ziologischen und kulturwissenschaflichen Perspektiven heraus. Zum einen ver‐ lief die Auseinandersetzung im Seminar durch Teilnehmende aus Frankreich bzw. mit Lebenserfahrung in Frankreich sehr interessiert und differenziert, zum anderen ließ sich an diesen Beispielen eine didaktische Rekonstruktion für ju‐ gendliche Lernende diskutieren und skizzieren. Insbesondere die Idee eines Narrativs für jugendliche Szenen, Peergroups, virtuelle Comunities, usw. ließ dieses Konzept als sehr ertragreich für eine fachwissenschaftliche Betrachtung in einem schulischen Lernarrangement erscheinen. Im Laufe des Seminars sollten die Teilnehmenden im empirischen Teil die von ihnen erprobten kulturwissenschaftlichen Analyseperspektiven eigenständig und gemeinsam erproben. Dazu wurde die Verfilmung Persepolis von Marjane Satrapi basierend auf ihrer graphic novel gemeinsam in einer freiwilligen zu‐ sätzlichen Veranstaltung angeschaut, einige Studierende kannten zusätzlich die graphic novel zumindest in Ausschnitten. In einer darauf folgenden Sitzung, bei der Carlo Avventi 13 einen filmanalytischen Zugang zur Untersuchung des Zei‐ chentrickfilms vorstellte, konnten die Studierenden ihre zuvor aus kulturwis‐ senschaftlichen Perspektiven formulierten Erkenntnisse diesem weiteren Zu‐ gang gegenüberstellen, bzw. sie mit diesem verbinden. Die Auswahl von Perspolis basiert auf verschiedenen didaktischen Überle‐ gungen. Sowohl die Hybridität der Gattung der graphic novel als auch die The‐ matik der Jugend eines Mädchens in einem muslimischen Land, das sich gesell‐ schaftspolitisch im Umbruch befindet, sowie die Thematik des Exils in europäischen Ländern, u. a. in Frankreich, knüpfen an verschiedene Fragen des Seminars an. Didaktisch betrachtet könnte dies bereits eine Aufgabe für die Studierenden zur Anwendung verschiedener Analysefragen darstellen (s. u. a. Allolio-Näcke/ Kalscheuer 2005). Die Entscheidung noch einen Schritt weiter zu gehen, nämlich die Verfilmung der graphic novel zu untersuchen, erlaubt eine weitere Differenzierung innerhalb der Fragestellungen. Der Zeichentrickbzw. Animationsfilm nähert sich durch die Bewegung und die Stimmen bekannter 406 Giulia Pelillo-Hestermeyer / Ute von Kahlden Schauspieler_innen in gewisser Weise wieder mehr der Realität, während die graphic novel Fiktion bleibt. So können Aspekte wie die De- und Reterritoria‐ lisierung von kulturellen Symbolen auf mehreren Ebenen und Anforderungs‐ stufen untersucht werden. Die graphik novel und ihre Verfilmung sind auch für jüngere Lernende ansprechende und einsetzbare, miteinander verbundene Werke. Der erwähnte Aspekt des „Hin- und Herreisens von Symbolen“ war z. B. für die Studierenden gut nachzuvollziehen und zu analysieren. Dieses Beispiel zeigt, dass kulturwissenschaftliche Fragestellungen anhand von geeigneten kul‐ turellen Praktiken sehr gut didaktisch rekonstruiert und differenziert werden können. Im Rahmen des abschließenden Workshops mit Lehrkräften und Studie‐ renden am Ende des Semesters wurde ein überzeugendes Beispiel für kultur‐ wissenschaftliche Untersuchungen mit jüngeren Lernenden vonseiten der Lehr‐ kräfte eingebracht: die Ritter. An diesem Beispiel ließen sich bereits mit jungen Lernenden kulturwissenschaftliche Ansätze erfahrbar machen, so z. B. die Ritter und die übrigen Gesellschaftsgruppen bis hin zu heutigen (virtuellen) Ritter‐ spielen und darin vorhandene Perspektiven. 4 Diskussion der Ergebnisse und Ausblick Ein zentrales Anliegen des Projekts „Transkulturelle Austauschprozesse durch Medien. Fachwissenschaftliche Inhalte und deren didaktische Transforma‐ tionen“ bestand darin, Lehr-Lern-Kontexte zu entwickeln, um einen kultursen‐ siblen Umgang mit linguistischer Diversität nicht nur in schulischen oder uni‐ versitären Kontexten, sondern auch darüber hinaus in der Medienaneignung und -nutzung sowie im Alltag zu fördern. Der festgestellte „monolinguale Ha‐ bitus der multilingualen Schule“ (Gogolin 2008) prägt auch in Zeiten wachsender Mediatisierung und Transnationalisierung der Kommunikation die meist mo‐ nolingualen Öffentlichkeiten (Busch 2004, Johnson/ Ensslin 2007, Morley/ Ro‐ bins 1995) weiter und bestärkt eine statische, einheitliche Konzeption von Sprache, Kultur und Identität. Sowohl die Erfahrungen mit den Studierenden im Laufe des transversalen Seminars als auch das erhaltene Feedback von Experten aus der Unterrichtspraxis im Rahmen des Workshops und des Romanistentags haben bestätigt, dass eine wirksame Förderung von Mehrsprachigkeit über den „Sprachunterricht“ hinausgehen muss, indem sie wichtige kulturelle Voraus‐ setzungen für einen sensiblen Umgang mit linguistischer und kultureller Vielfalt schafft. Insbesondere die Neigung dazu, kulturelle Differenz im Rahmen von statischen Dichotomien (das Eigene vs. das Fremde, das Natürliche vs. das Kul‐ turelle, das Weibliche vs. das Männliche, usw.) zu erfassen, steht einer effektiven 407 Multilinguale und transkulturelle Medienkommunikation Förderung mehrsprachiger Kompetenzen in vielfältigen Lehr-Lern-Kontexten im Weg, weil eine Vielzahl von Stereotypen und Erwartungen eine offene Hal‐ tung gegenüber dem Sprachgebrauch im weitesten Sinne behindert. So konnten wir beispielsweise in unserer mehrsprachigen Arbeit zur Medienrezeption mit den Studierenden feststellen, dass die Erwartungshaltung, bestimmte „Fremd‐ sprachen“ nicht zu verstehen, die Aneignung entsprechender Medieninhalte zunächst stark beeinträchtigte. Als diese Erwartungshaltung kritisch themati‐ siert und hinterfragt wurde, war eine Auseinandersetzung mit der Semiotik derselben Medieninhalte nicht nur möglich, sondern fruchtbar. Die Medienana‐ lyse bestätigte sich in diesem Kontext als nützliches Experimentierfeld, um eine Diskussion über den Zusammenhang zwischen sprachlichen Ressourcen und dem Zugang zu partizipativen Räumen anzuregen, weil sie zunächst neutralere Beispiele anbietet, um über die Teilhabe an, bzw. den Ausschluss aus kommu‐ nikativen Räumen zu reflektieren: Welche sprachlichen Ressourcen haben großen bzw. geringen Wert im entsprechenden Kontext? Wer darf in welchem Raum in welcher Sprache zu Wort kommen? Wie tragen Diskurse zur Kon‐ struktion und Bestärkung gesellschaftlicher Normen bei? Solche Erfahrungen mit medial hergestellten Räumen können dann in einem zweiten Schritt auf andere Beispiele (Klassenzimmer, städtische Räume usw.) erweitert werden, bei denen die Wirkung von Autorität und Machtpositionen auf die Wahrnehmung von Identitäten dekonstruiert werden kann. Die Anregung eines kritischen Um‐ gangs mit Machtpositionen und Autorität wurde im Rahmen des Workshops auch von Seiten der Lehrkräfte als wichtiger Prozess angesprochen, um Lernen‐ den zu ermöglichen, ihre kulturellen Identitäten und Mehrfachzugehörigkeiten auszuleben und dabei weiter zu entwickeln. Der Austausch mit den Expert_innen bestätigte weiterhin die vorgestellten Anforderungen an die Lehr-/ Lernumgebungen, was allerdings in der Praxis noch nicht häufig genug berücksichtigt oder umgesetzt wird. Das anspruchs‐ volle Merkmal „kulturwissenschaftlich-analytisch“ stieß auf breite Zustim‐ mung, wenn auch hierfür noch wenige verwendbare Materialien vorhanden sind bzw. keine Fortbildungen angeboten werden. Insbesondere der Umgang mit Dichotomien sollte didaktisch reflektiert im Kontext von transkulturellen Kon‐ zepten oder hybriden Konstruktionen als solcher bewusst gemacht werden. Eines der Desiderata des Workshops, der „kultursensible Unterricht“, der ins‐ besondere Dichotomien vermeidet und transkulturelle Perspektiven in die di‐ daktischen Entscheidungen integriert, scheint für adaptive Lernarrangements unabdingbar. Eine Integration von Kulturwissenschaft und Fachdidaktik kann deutlich dazu beitragen, dass didaktische Rekonstruktionen fachwissenschaftlicher In‐ 408 Giulia Pelillo-Hestermeyer / Ute von Kahlden halte eine Sensibilisierung für die transkulturelle Aushandlung von Identitäten, Zugehörigkeiten, Wertekonzepten, Narrativen und Traditionen anregen. Eine kulturwissenschaftlich fundierte Reflexion über die Wirkung des Sprachge‐ brauchs und die Autorität hegemonialer Diskurse über sprachliche und kulturel‐ le Vielfalt auf die Zugänglichkeit von Kommunikation kann die Etablierung einer pluralen Kultur der Mehrsprachigkeit wesentlich fördern: Mehrsprachig‐ keit wird dabei als kontextuell verhandelbare, gesellschaftlich geprägte und in‐ dividuell erlebte Kategorie erkannt und erfahren. Bibliographische Angaben Allolio-Näcke, Lars / Kalscheuer, Britta / Manzeschke, Arne (ed.). 2005. Differenzen anders denken: Bausteine zu einer Kulturtheorie der Transdifferenz. Frankfurt [u. a.]: Campus. Bhabha, Homi K. 2005. „Die Frage der Identität. Frantz Fanon und das postkoloniale Privileg“, in: Allolio-Näcke/ Kalscheuer/ Manzeschke, 361-95. Blommaert, Jan. 2010. The Sociolinguistics of Globalization. Cambridge [u. a.]: Cambridge University Press. Bourdieu, Pierre. 1982. Ce que parler veut dire: l'économie des échanges linguistiques. 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Sehverstehen im Fremdsprachenunterricht 2016, 446 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-6876-2 4 Lieselotte Steinbrügge Fremdsprache Literatur Literarische Texte im Fremdsprachenunterricht 2016, 134 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-8233-8002-3 5 Ferran Robles i Sabater, Daniel Reimann, Raúl Sánchez Prieto (Hrsg.) Angewandte Linguistik Iberoromanisch - Deutsch Studien zu Grammatik, Lexikographie, interkultureller Pragmatik und Textlinguistik 2016, 259 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-6941-7 6 Ferran Robles i Sabater, Daniel Reimann, Raúl Sánchez Prieto (Hrsg.) Sprachdidaktik Spanisch - Deutsch Forschungen an der Schnittstelle von Linguistik und Fremdsprachendidaktik 2016, 188 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8014-6 7 Christoph Bürgel, Daniel Reimann (Hrsg.) 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Plurale Ansätze im Fremdsprachenunterricht in Deutschland State of the art, Implementierung des REPA und Perspektiven 2018, 354 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8189-1 13 Clémentine Abel Ausspracheschulung Erhebung der Kompetenzen, Überzeugungen und Praktiken von Französischlehrkräften. Entwicklung eines bedarfsbezogenen Fördermoduls 2018, 214 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-8264-5 14 Christian Koch, Daniel Reimann (Hrsg.) As Variedades do Português no Ensino de Português Língua N-o Materna 2019, 225 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8221-8 15 Daniel Reimann, Ferran Robles i Sabater, Raúl Sánchez Prieto (Hrsg.) Kontrastive Pragmatik in Forschung und Vermittlung Deutsch, Spanisch und Portugiesisch im Vergleich 2019, 381 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8124-2 16 Marta García García, Manfred Prinz, Daniel Reimann (Hrsg.) Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen Neue Konzepte und Studien zu Schulsprachen und Herkunftssprachen in der Migrationsgesellschaft 2020, 409 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8385-7