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Affektiv-emotionale Dimensionen beim Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen

2020
978-3-8233-9417-4
Gunter Narr Verlag 
Eva Burwitz-Melzer
Claudia Riemer
Lars Schmelter

In der Spracherwerbstheorie und der Fremd-/Zweitsprachendidaktik sind neben den kognitiven Faktoren auch die affektiv-emotionalen Faktoren als Dimensionen anerkannt worden, die die Prozesse des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen bestimmen. Dabei geht die Fremdsprachenforschung in der Regel von einer dreifachen Bedeutung der Emotionen im Lernprozess aus: Sie fungieren sowohl als individuelle Voraussetzungen der Lerner*innen wie auch als Determinanten des Lernprozesses, sie können aber auch ein Ergebnis des Lernens darstellen. Welche fremdsprachenspezifischen Aspekte lassen sich hinsichtlich der affektiv-emotionalen Dimensionen des Lehrens- und Lernens von Sprachen herausarbeiten? Welche aktuellen Entwicklungen sollten gerade auch im Zusammenhang von Lerner- und Kompetenzorientierung sowie Individualisierung und Differenzierung von der Fremdsprachenforschung in besonderer Weise berücksichtigt werden? Welche Forschungszugänge erscheinen dabei besonders fruchtbar? Der Band dokumentiert die überarbeiteten Stellungnahmen der Teilnehmer*innen der 40. Frühjahrkonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts dazu.

Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidak�k Eva Burwitz-Melzer / Claudia Riemer / Lars Schmelter (Hrsg.) Affek�v-emo�onale Dimensionen beim Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen Arbeitspapiere der 40. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho Eva Burwitz-Melzer / Claudia Riemer / Lars Schmelter (Hrsg.) Affektiv-emotionale Dimensionen beim Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen Arbeitspapiere der 40. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-8417-5 (Print) ISBN 978-3-8233-9417-4 (ePDF) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Inhaltsverzeichnis Vorwort 7 Eva Burwitz-Melzer: Die Rolle der Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 9 Daniela Caspari: In Zeiten von „Global English“: (De-)Motivation zum Erlernen zweiter und weiterer Fremdsprachen in der Schule 23 Bärbel Diehr: Emotionen verstehen und beschreiben. Eine fremdsprachendidaktische Erkundung 35 Britta Freitag-Hild: Literatur lesen, erleben und reflektieren lernen. Zur Rolle der Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht und in der universitären Lehrerbildung 49 Friederike Klippel: Lustvoll lernen 63 Uwe Koreik: Emotionen, Antisemitismus, „Spielzeugland“. Brisante kulturelle Inhalte im Unterricht für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 77 Jürgen Kurtz: Emotionen im Fokus der fremdsprachendidaktischen Diskussion 91 Lutz Küster: Emotionales Erleben im Fremdsprachenunterricht - eine leib-seelische Erfahrung 104 Hélène Martinez: Emotionen regulieren können. Von der Notwendigkeit affektive Strategien zu fokussieren - in Fremdsprachenunterricht und Forschung 118 Nicole Marx: Positive Psychologie und die Fremdsprachendidaktiken 132 Grit Mehlhorn: Zwischen Scham, Stolz und Reue: Emotionen beim (Wieder-)Erlernen von Herkunftssprachen 145 Claudia Riemer: Was Fremdsprachenlerner*innen bewegt … Zum Umgang mit der affektiv-emotionalen Dimension in der Fremdsprachenforschung 159 Inhaltsverzeichnis 6 Henning Rossa: Wir müssen nur wollen. Die emotionale Dimension fremdsprachlicher Lehr-Lernprozesse 173 Jutta Rymarczyk: „Let people above all not forget the heart for the head“ - Emotionen in der fremdsprachendidaktischen Diskussion 185 Lars Schmelter: Emotion als Schlüsselbegriff? Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen aus der Perspektive des Subjekts 198 Julia Settinieri: Die anderen Emotionen und die Emotionen der Anderen 212 Carola Surkamp: Zur Komplexität der Rolle von Emotionen im Fremdsprachenunterricht und den Potenzialen der Dramapädagogik 224 Karin Vogt: Becoming a language teacher abroad. Emotionen bei Studierenden im Auslandspraktikum 237 Eva Wilden: Freude und Angst bei Lernenden im Englischunterricht der Grundschule 249 Adressen der Beiträger*innen und Herausgeber*innen 260 Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 264 Vorwort Die Beteiligung von Emotionen beim Erlernen und Lehren von Fremd- und Zweitsprachen ist über viele Jahre von der Fremdsprachenforschung vernachlässigt worden, obwohl Emotionen im engen Verbund mit kognitiven Faktoren fremdsprachige Lernprozesse befördern und begleiten, auslösen aber auch beenden können. Emotionen, Affekte, Gefühle und Stimmungen, die alle beim Erlernen und Erwerb einer Fremd- und Zweitsprache beteiligt sein können, sind nicht immer einfach voneinander zu differenzieren, und sie sind auch nicht immer beobachtbar. Dennoch muss sich die Fremdsprachenforschung zu Konzepten, die die affektiv-emotionalen Dimensionen zu erfassen suchen, neu positionieren, sie neu ausloten und in Bezug auf ihre Bedeutungen für das Sprachenlehren sowie das individuelle und gemeinsame Sprachenlernen neu definieren. Dazu gehören auf der Seite der Lernenden zum einen die Motivations- und Leistungsdimensionen, die im Unterricht sehr oft von Emotionen wie Angst, Frustration oder auch Freude an geglückten Lernprozessen begleitet werden. Dazu zählen aber auch Emotionen, die sich an besonders interessanten Lerngegenständen entzünden, oder Emotionen, die erst als Ergebnis des Lernprozesses entstehen, wie etwa beim interkulturellen Lernen. Auch für die Lehrpersonen ist der alltägliche Umgang mit Emotionen im Fremd- und Zweitsprachenunterricht neu zu klären: Wie gehen sie mit Emotionen als individuellen und sozialen Variablen um? Wie planen sie Unterricht mit den emotionalen Determinanten der Lernprozesse? Wie schätzen sie emotionale Zielvorstellungen des fremd- und zweitsprachlichen Unterrichts ein? Letztlich stellt sich genau an diesem Punkt auch die Frage, wie emotionale Dimensionen in Einklang zu bringen sind mit der Kompetenzorientierung des Unterrichts. Welche Widersprüche oder Überschneidungen ergeben sich aus der Perspektive der Fremdsprachenforschung? Vor diesem Hintergrund hatte sich die 40. Frühjahrkonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts die Aufgabe gestellt, Positionen und Konzepte zum Thema Emotionen im Fremdsprachenunterricht zu diskutieren und zu analysieren. Einem bewährten Muster folgend tat sie dies anhand von Leitfragen, die den Teilnehmer*innen vorab zugestellt worden waren und zu denen sie sich in einem Statement im Umfang von 8-10 Seiten schriftlich äußern sollten. Diese Statements bildeten die Grundlage der Diskussion auf der Konferenz, die vom 13. bis 15.02.2020 im Schloss Rauischholzhausen, einer Tagungsstätte der Justus-Liebig-Universität Gießen, stattfand. Die Leitfragen lauteten: 1. Unterschiedliche wissenschaftliche Kontroversen und Paradigmenwechsel haben in der Spracherwerbstheorie und Fremd-/ Zweitsprachendidaktik dazu geführt, dass affektiv-emotionale Faktoren als wesentliche Erklärungsfaktoren neben kognitiven Faktoren anerkannt werden. In der Regel geht die Fremdsprachenforschung von einer drei- Vorwort 8 fachen Bedeutung der Emotionen im Lernprozess aus: Sie fungieren sowohl als individuelle Voraussetzungen der Lerner*innen wie auch als Determinanten des Lernprozesses, sie können aber auch ein Ergebnis des Lernens darstellen. Welche Variablen sehen Sie im Mittelpunkt einer Beforschung der affektiv-emotionalen Faktoren, die sich auf Fremdsprachenlernprozesse bezieht? 2. Gibt es aktuelle Entwicklungen und Ansätze im Bereich des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen, in denen die affektivemotionalen Faktoren der Lernenden besonders berücksichtigt sind bzw. werden sollten? 3. In der didaktischen Diskussion führt die Berücksichtigung von affektiv-emotionalen Faktoren häufig zu Empfehlungen zur stärkeren Differenzierung bzw. Individualisierung der verschiedenen Lehr-/ Lernbzw. Unterrichtssituationen. Sind Ihrer Meinung nach auch andere Aspekte betroffen? Wie wirkt sich die Thematik auf die Forderung nach Kompetenzorientierung aus? 4. In welchen Bereichen sehen Sie besonderen Forschungsbedarf und welche Forschungszugänge erscheinen Ihnen im Hinblick auf die affektiv-emotionalen Faktoren im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen besonders fruchtbar? Die in diesem Band abgedruckten Statements stellen die nach der Konferenz überarbeiteten Beiträge der Teilnehmer*innen dar. Sie zeigen den Forschungsbedarf ebenso auf wie die Vielfalt unterschiedlicher Auffassungen darüber, welche Bedeutung emotionale Prozesse in Verbindung mit Kognition im Fremd- und Zweitsprachenunterricht innehaben. Auch werden Einzelaspekte emotionaler Dimensionen behandelt, die sich an einzelnen Lerngegenständen beobachten und beforschen lassen. Veranstalter*innen und Teilnehmer*innen der Frühjahrskonferenz danken dem Präsidenten der Justus-Liebig-Universität sowie den Verantwortlichen vor Ort für die abermals gewährte Gastfreundschaft, die als Rahmenbedingung für das Gelingen der Konferenz von erheblichem Wert war. Gießen, Bielefeld und Wuppertal, im Sommer 2020 Eva Burwitz-Melzer Claudia Riemer Lars Schmelter Die Rolle der Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht Eva Burwitz-Melzer 1 Einleitung und Fokus Die fremdsprachliche Literaturdidaktik, insbesondere die interkulturell ausgerichtete Literaturdidaktik, beschäftigt sich bereits seit geraumer Zeit mit dem engen Zusammenspiel kognitiver und affektiver Prozesse im Unterrichtsgeschehen, die bei der Planung berücksichtigt, aber auch intensiv beobachtet werden können (Bredella 2012; Burwitz-Melzer 2003; Donnerstag 2017, 57; Nussbaum 2001). Meist sind sie bisher besonders oft dort betrachtet und beschrieben worden, wo es um die Rezeption der fiktionalen Texte selbst geht, also als ein Mit-Erleben der Emotionen von fiktionalen Charakteren. Tatsächlich sind Emotionen aber in dreifacher Hinsicht von Bedeutung bei Unterrichtszenarien mit literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht: Sie spielen erstens eine maßgebliche Rolle beim Faktor Motivation, der Lernenden hilft, das Lesen eines fiktionalen Textes mit interkulturellem Inhalt überhaupt interessiert und offen zu beginnen und auch durchzuhalten (Burwitz-Melzer 2007). Zweitens determinieren Emotionen den Ablauf und die Auswirkungen des Leseprozesses, indem sie uns miterleben lassen, um welche Emotionen es in der Geschichte eigentlich geht (Burwitz-Melzer 2008); dies ist wichtig für die Sinnkonstitution des Textes. Drittens stellt die Fähigkeit, eine Handlung emotional und empathisch mit Anderen miterleben zu können, aber auch ein wichtiges Lernergebnis dar, das heute als durchaus förderungswürdig gilt, um zum interkulturellen Lernen beizutragen. Der folgende Aufsatz möchte sich mit diesen drei Aspekten von Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht beschäftigen. Dabei sollen nach einer Begriffsdefinition die oben genannten drei Aspekte von Emotionen in literarischen Szenarios betrachtet und auf ihre Bedeutung für fachdidaktische Zusammenhänge hin untersucht werden. Ziel der Überlegungen ist es darzustellen, welche große Bedeutung emotionale Prozesse und Lernprozesse in den interkulturell ausgerichteten literarischen Unterrichtsszenarios innehaben. Eva Burwitz-Melzer 10 2 Emotionale Prozesse im fremdsprachlichen Literaturunterricht Im 18. und 19. Jahrhundert werden Emotion und Kognition als widerstreitende Kräfte betrachtet, wobei die Emotionen oft negativ besetzt und als zerstörerisch bewertet werden, die von rationalen Kräften im Zaum gehalten werden müssen (vgl. Donnerstag 2017, 57; Roald 2007, 9-17). Erst im 20. Jahrhundert wird dieses Konzept durch neuere Theorien ersetzt, die sich vor allem auf Erkenntnisse der Psychologie und Philosophie stützen. Heute sind kognitive Emotionstheorien von Psychologen, etwa von Richard Lazarus und Phoebe Ellsworth, und Philosophen, wie den Vertretern der judgement theory, Martha Nussbaum, Robert C. Solomon und Robert M. Gordon, anerkannt und bilden die Grundlage für weitergehende Konzepte in zahlreichen Wissenschaftsdisziplinen. Wenn wir über Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht nachdenken, geschieht dies deshalb in der Regel auf der Grundlage dieser Konzepte, die Emotionen als Resultate der Informationsverarbeitung ansehen und deshalb einen sehr engen Zusammenhang zwischen Kognition und Emotion herstellen, indem sie betonen, dass eine Emotion stets eine „Beurteilung einer bestimmten Situation“ sei oder sie zumindest enthalte oder dass einer Emotion solch ein Urteil vorangehe. Richard Lazarus hält ein solches Urteil für den Kern einer Emotion und beschreibt diesen als „[a]ppraisal of the significance of the person-environment relationship“ (Lazarus 1991 zitiert in Robinson 2005, 13). Ohne ein solches Urteil, so Lazarus, gäbe es keine Emotion, ist eine solche Beurteilung aber einmal erfolgt, muss auch zwangsläufig eine Emotion daraus resultieren. Emotionen haben zwar stets mit Beurteilungen der Lebenswelt zu tun - und zwar immer dann, wenn eine Situation entstanden ist, die wir als für uns vorteilhaft oder als bedrohlich beurteilen - sie sind aber nicht einfach identisch mit dieser Beurteilung. Vielmehr stellt eine Emotion eine kürzere oder auch längere Folge von Ereignissen dar, es handelt sich also stets um einen emotionalen Prozess. Die erste Reaktion, eine Art affektive Einschätzung (affective appraisal) erfolgt sehr schnell auf einen bestimmten lebensweltlichen Stimulus, ist automatisch und hat physiologische Reaktionen zur Folge. Im nächsten Schritt wird entschieden, welche Bedeutung der Stimulus für uns hat. Ist er lebensbedrohlich für uns selbst oder Menschen, die sehr eng mit uns verbunden sind, ist er positiv, ein Grund zur Freude für uns und die Menschen, die eng mit uns verbunden sind - oder kann er ignoriert werden? Erst danach folgt eine genauere kognitive Bestandsaufnahme (cognitive appraisal or monitoring) und damit auch eine Beurteilung der Situation, die sich auf bereits vorhandene Erfahrungen mit ähnlichen Situationen stützt und sowohl allgemeine, evolutionäre wie auch kulturell gebundene, individuelle Erfahrungsmomente enthält. Diese zweite Beurteilung wird unser weiteres Verhalten in der Situation maßgeblich steuern. Die Rolle der Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 11 There is (1) an initial affective appraisal of the situation that focuses attention on its significance to the organism and causes (2) physiological responses, which get the organism dealing with the situation as very broadly appraised by the affective appraisal, and which gives way to (3) a further more discriminating cognitive appraisal or monitoring of the situation. In other words, emotion is not a thing or a response or a state or a disposition; it is a process, a sequence of events (Robinson 2005, 59). In diesem prozesshaften Geschehen kommt nach Robinson dem emotionalen Gedächtnis zunächst in Phase (1), der ersten gefühlsmäßigen Einschätzung der Situation, eine besondere Rolle zu. Das emotionale Gedächtnis entscheidet darüber, ob eine Situation sehr schnell als gefährlich oder befremdlich, peinlich oder freundlich eingeschätzt wird. Dabei spielen erlernte oder auch angeborene Stimuli wahrscheinlich eine maßgebliche Rolle (Robinson 2005, 73), d.h. ein emotionaler Prozess muss als stark individuell angesehen werden. Richard Lazarus betont aber, dass es nach den ersten Einschätzungen noch weitere „secondary appraisals“ gibt, die anzeigen, ob man die Situation meistern wird, was die weiteren Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen sind, die man mit der Situation in Beziehung bringt (Lazarus zitiert bei Robinson 2005, 75f.). Damit ist gemeint, dass es zwischen Mensch und Umwelt zu einem stetigen Wechsel von zunächst affektiven Einschätzungen, Feedbacks, dann kognitiven Einschätzungen oder Beurteilungen kommt, die es uns erlauben, auch komplexe oder sich verändernde Situationen erfolgreich zu bewältigen. Zu den darauffolgenden kognitiven Einschätzungen gehört es auch, dass Menschen ihre jeweilige emotionale Erfahrung mit umgangssprachlichen Beschreibungen zu kategorisieren versuchen. Diese Reflexion hat eine einordnende und oft auch abschließend bewertende Wirkung, sie wird in der Regel nach eigenkulturellen Konzepten in allgemein verständlichen Termini formuliert. But in ordinary life, people tend to appraise their own emotional experiences by applying generalized labels from common sense or ‘folk’ psychology. So I may think to myself: ‘I see now why I yelled at Bobby: I was jealous of Sue who had been monopolizing his attention, … in short, I reflect upon the stream of emotional responses and try to assess in folk-psychological terms what prompted them and how to categorize them (Robinson 2005, 79f.). Dabei ist es wichtig zu wissen, dass unterschiedliche kulturelle Systeme durchaus auch unterschiedliche emotionale ‚Landkarten‘ besitzen können, die zum einen die Emotionen anders benennen können oder auch einige Emotionen aufweisen, die in anderen Kulturen gar nicht vorkommen mögen. Zum anderen muss man sich der Tatsache bewusst sein, dass eine abschließende Einschätzung auch durchaus fehlerhaft sein kann. Schließlich subsumiert man den emotionalen Prozess unter den Gesichtspunkten, die einem Individuum zugänglich sind. Man stellt eine Hypothese auf über eigene Reaktionen, Eva Burwitz-Melzer 12 obwohl wahrscheinlich nicht alle emotionalen Reaktionen, nicht alle Einschätzungen affektiver und kognitiver Art zugänglich sind. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, dieses grundlegende Verständnis von emotionalen Prozessen, von Emotion und Kognition auf Unterrichtsszenarien mit literarischen Texten zu beziehen. Dabei wird die dreifache Bedeutung von Emotionen als motivationale affektive Faktoren, als sinnkonstituierende Mittel der Rezeption und als Lernziel in Form von empathischen Emotionen untersucht. 3 Emotionen und Motivation vor dem Leseprozess - Plädoyer für eine individualisierte Lektüre Schülerinnen und Schüler durchlaufen im Fremdsprachenunterricht vielfach emotionale Prozesse und greifen dabei auch auf ihre emotionalen Gedächtnisse in Bezug auf das Lesen literarischer Texte zurück, die natürlich individuell geprägt sind. Werden sie im Unterricht mit einem solchen Text konfrontiert, kann dies - je nach Art der Lesesozialisation - durchaus kontroverse emotionale Reaktionen hervorrufen in Bezug auf eine persönliche Einschätzung des Textes, auf die Einstellung zum Thema bzw. auch die Aufgabenstellung im Unterrichtsszenario. Der französische Schriftsteller und Lehrer Daniel Pennac stellt Ende der Neunziger Jahre eine provokante Liste von Rechten auf, die er jedem Leser, jeder Leserin zugestehen möchte. Dazu gehören z.B. Seiten in einem Buch zu überspringen, ein Buch nicht zu Ende zu lesen, das Recht ein Buch noch einmal oder auch gar nicht zu lesen und über das Verstandene im Buch zu schweigen (vgl. Pennac 1994, 167-198). Im schulischen Unterricht sind diese Rechte - so sehr sie uns als Privatleser/ in bei Pennacs Lektüre auch beeindrucken und überzeugen - ausgehebelt, denn hier geht es um gelenktes Lesen im weitesten Sinne. In der Regel ist der Text oder eine kleine Auswahl von Texten als nicht verhandelbar vorgegeben, das Tempo der Bearbeitung wird von der Lehrkraft bestimmt, die Lernprozesse sind Gegenstand des Unterrichts, sie werden in Diskussionen und Hausaufgaben kontrolliert, im besten Falle ausgehandelt (vgl. Burwitz-Melzer 2007). Besonders Lernende, die zu Hause keine oder nur eine sehr rudimentäre Lesesozialisation erfahren haben und in ihren bisherigen schulischen Erfahrungen mit literarischen Texten auch wenig Erfolg verspürt haben, weil sie diese Texte vielleicht langweilig, thematisch weit entfernt von ihren Interessen, in der Fremdsprache als zu schwierig empfunden haben, werden mit Ablehnung und sogar Angst, auf jeden Fall jedoch mit gebremster Motivation reagieren, wenn sich eine neue Einheit mit Romanen und Kurzgeschichten ankündigt. Die self-fulfilling prophecy „Romane sind nichts für mich“, „Kurzgeschichten finde ich immer blöd“, besetzen das literarische Leseerlebnis sehr schnell mit negativen emotionalen Vorzeichen. Allzu schnell gesellt sich nach dem Unterrichtsgespräch der Eindruck: „Ich weiß nicht, worauf die Lehrper- Die Rolle der Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 13 son hinauswill“ dazu, weil das Verstehen eines literarischen Textes als vermeintliche exklusive Beschäftigung mit Symbolen, rhetorischen Mitteln und Schreibstrategien wahrgenommen wird, die zum Alltagsleben eines/ r Lernenden im Fremdsprachenunterricht keinerlei Bezug haben und deren Verstehen nur „Eingeweihten“ vorbehalten sind. Diese irgendwann im Anfangsunterricht gemachten Erfahrungen können sich verfestigen und verselbständigen, so dass in höheren Jahrgangsstufen der Zugang zu literarischen Texten durch eine negative motivationale Haltung versperrt sein kann. Zwei Auswege aus diesem Dilemma können einer negativen Erfahrung mit dem literarischen Lesen vielleicht etwas entgegensetzen und neue eher positiv besetzte Erfahrungen hervorrufen: eine stark individualisierte Lektüreauswahl, die ein sehr breites Angebot an Texten, vor allem auch doppelt kodierte Texte unterbreitet, und eine sorgfältige, an das Alter und die Spracherfahrung der Lernenden angelehnte Einstiegssequenz, die alle Schülerinnen und Schüler auch emotional in der Einstiegsphase der Lektüre einbezieht (vgl. hierzu z.B. Bredella/ Burwitz-Melzer 2004, 250-270). Eine möglichst individualisierte Auswahl der Lektüre, die immer mehrere literarische Texte zur Auswahl stellt oder kombiniert und auch die Zugangsformen und Aufgabenstellungen variiert und individualisiert, ermöglicht es den Lernenden, sich aktiv für ein Werk oder eine bestimmte Aufgabenstellung zu entscheiden, andere aber abzulehnen. So kann bereits die Einstiegsphase der Lektüre als etwas Eigenes, Selbst-Gewähltes und Selbst-Erarbeitetes betrachtet werden und damit bereits die erste Begegnung mit dem Text als kleiner individueller Leseerfolg verbucht werden, dem ein insgesamt positives Leseerlebnis folgen kann. 4 Emotionen beim Lesen von Literatur - Plädoyer für einen rezeptions-theoretischen Ansatz auf der Basis der Bildungsstandards Eine rezeptionstheoretische Literaturdidaktik, die sich auf neuere Erkenntnisse der Psychologie stützt und Emotion ebenso wie Kognition im Rezeptionsprozess verankert sieht, geht davon aus, dass die ästhetische Erfahrung des individuellen Lesers / der individuellen Leserin wichtig ist, weil sie lebensweltliche Bezüge herstellen kann und sich nicht nur auf eine formalistische Rezeption des Textes zurückzieht. Die Rezeptionstheorie geht davon aus, dass Texte den Lesenden auch emotional ansprechen und das Leseerlebnis damit in ethischer und moralischer Hinsicht für den Lesenden bedeutsam machen (vgl. Bredella/ Burwitz-Melzer 2004, 33-38). Wie kann das funktionieren, wenn es sich doch bei literarischen Texten nicht um lebensweltliche Erfahrungen handelt? Die Frage, ob emotionale Leserreaktionen auf die Gefühle oder Handlungen von Papier- und Zelluloidhelden echt sein können, ist nicht neu: Bredella argumentiert mit Aristoteles, dass es zwischen ästhetischer Welt Eva Burwitz-Melzer 14 und Lebenswelt keine scharfe Trennung gibt und dass deshalb die Emotionen, die wir empfinden, wenn fiktionale Protagonisten handeln, wir selbst aber nicht eingreifen können, ‚echt‘ seien, da literarische Texte als Modelle der Wirklichkeit fungieren: Die Auffassung, dass Emotionen bei der Rezeption literarischer Texte eine zentrale Rolle spielen, wird mit dem Hinweis in Frage gestellt, dass die Emotionen der Leser nicht echt sein können, weil die Charaktere gar nicht existieren, sondern nur aus Worten aufgebaut werden. Dagegen lässt sich einwenden, dass die Charaktere in Analogie zu Menschen konzipiert werden und dass der Leser sie nach den Wertmaßstäben beurteilt, mit denen er auch Menschen in der Lebenswelt beurteilt. Insofern sind die Charaktere ‚wirklich‘ und die Gefühle des Lesers ‚echt‘ (Bredella/ Burwitz-Melzer 2004, 79). Aus dieser Annahme kann auch ein wichtiger Nutzen für den fremdsprachlichen Literaturunterricht entstehen, wenn wir durch die Lektüre von Texten etwas über eigene Emotionen und die der Anderen lernen, die wir an uns selbst so differenziert nicht beobachten und in der Lebenswelt meist nicht in ihrer Komplexität entdecken können. Protagonisten durchleben in literarischen Werken zahlreiche emotionale Prozesse, die wir als Zeugen miterleben und nachvollziehen können. Die literarische Kunstform erlaubt es uns, den Prozess genau und immer wieder zu studieren, da wir erst schrittweise durch die Struktur des Werks mit dem emotionalen Geschehen der Figuren vertraut gemacht werden, es sich erst allmählich vor unseren Augen entfaltet. So kann sich auch unser Eindruck der geschilderten Emotionen sukzessive, unter Berücksichtigung aller miteinander konkurrierenden Aspekte entfalten (vgl. Robinson 2005, 155f.). Literarische Texte bauen also mit den Leserinnen und Lesern zwei Ebenen von emotionalen Prozessen auf: Zum einen beobachten die Lernenden, wie die Protagonisten emotionale Prozesse durchlaufen, wie ihre Wünsche, Hoffnungen, Befürchtungen sich ändern. Indem Leserinnen und Leser diese Entwicklungen beobachten und miterleben, erweitern sie zum anderen selbst ihren emotionalen Horizont und lernen neue Aspekte - durchaus auch neue kulturelle Aspekte - der Emotionen kennen. Robinson nennt dieses Phänomen eine „emotionale Erziehung“, die - je nach Disposition und kulturellem Hintergrund - auch unterschiedliche Schwerpunkte und Akzentsetzungen bei verschiedenen Leserinnen und Lesern haben darf. Diese Schwerpunkte können bei den Gefühlen von einzelnen Protagonisten oder bei Konflikten zwischen fiktionalen Charakteren liegen, es können kulturelle oder interkulturelle Thematiken sein, die von Schülerinnen und Schülern angesprochen werden. Damit nähert sich Robinson dem Konzept der Rezeptionstheorie an, die davon ausgeht, dass Leser auch ganz unterschiedliche emotionale und kognitive Reaktionen auf einen literarischen Text entwickeln können. Es liegt dann an der fachdidaktischen Kompetenz der Lehrkraft, die angesprochenen Die Rolle der Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 15 Themen in ein Unterrichtsgespräch oder eine neue Aufgabenstellung so einzubinden, dass die lesenden Lernenden in der Fremdsprache und mit Rückbezug auf den jeweiligen Text genauer über ihre ersten Feststellungen nachdenken und sie ihre Emotionalität noch schärfer ausloten. Es sollte hier vielleicht noch angefügt werden, dass für Fremdsprachenlernende zusammen mit einer diesbezüglichen Aufgaben- oder Fragestellung auch das passende Vokabular bereitgestellt werden sollte oder dass sich eine spezielle Aufgabenstellung mit dem Sammeln eines Wortschatzes zu den Dimensionen der Emotionalität im Text befasst. If we are reading seriously and attentively, we become emotionally engaged with the characters and we experience a stream of changing emotions as we read. Our own emotional experiences evolve as we follow the evolving emotional experiences of the main characters. Different readers may have different experiences. Doubtless, too, the same readers will have different experiences on rereading the same novel (Robinson 2005, 175). Als verantwortlichen ‚Erzieher‘ macht Robinson dabei den impliziten Autor aus, der durch Struktur und künstlerische Mittel die Aufmerksamkeit des Lesers lenkt. Wenn in einem Roman oder einem Spielfilm durch die Struktur des fiktionalen Textes emotionale Prozesse sukzessive enthüllt werden, es aber immer noch kausale Rätsel gibt, die emotionale Reaktion des Zuschauers immer wieder kontrolliert und ‚geradegerückt‘ wird, muss das emotionale Urteil über die Protagonisten stets neu überdacht werden, es müssen neue Ursachen für Taten gefunden, neue Motive enthüllt und neue Entschuldigungen für ein Fehlverhalten akzeptiert werden. Dieser emotionale Prozess weist große Parallelen auf mit dem Ablauf emotionaler Reaktionen in unserer Lebenswelt. It follows that although we respond emotionally to literary works in a way very similar to the way we respond to people and events in real life, there is at least one major difference: in responding emotionally to literature, our responses are guided and managed - through the form or structure of a work - much more carefully than is possible in life, and this is an important source of pleasure in literature (Robinson 2005, 228). Wenn wir Robinsons Argumenten folgen, bedeutet dies für die Unterrichtsarbeit mit literarischen Texten im Fremdsprachenunterricht, dass Lehrkräfte mit ihren Aufgabenstellungen als Bewusstmacher, als Monitore für diese emotionalen Prozesse auftreten und sich dieser Rolle auch bei der Unterrichtsplanung bereits bewusst sein müssen. Sie sollten, um die emotionalen Lernprozesse, die ein solcher Text bieten kann, auszunutzen und auch auszureizen, die Emotionen der Protagonisten durch Fragen und Aufgabenstellungen für die Lernenden nachvollziehbar machen. Dazu gehört es auch, den Lese- und Verstehensprozess zu verlangsamen oder zu wiederholen, wenn die emotionalen Reaktionen und die kognitiven Beurteilungen noch der schärfe- Eva Burwitz-Melzer 16 ren Konturierung bedürfen. Wichtig ist jedoch, dass es durchaus Unterschiede in der emotionalen Reaktion und kognitiven Einschätzung eines Protagonisten, einer Handlung auf Seiten der Lernenden geben darf. Unterrichtsgespräche über literarische Texte, aber auch kreative Aufgabenstellungen eignen sich gleichermaßen zu einer solchen Fokussierung auf emotionale Reaktionen. Es gilt vorab auszuloten, welche Details im jeweiligen Text besonders im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen sollten. Manchmal kann es von Nutzen sein, Textstellen, in denen Emotionen der Protagonisten genannt oder erläutert werden, bei der ersten oder zweiten Lektüre anzustreichen. Auch sollte vorab mit den Lernenden ein ausreichend großes Inventar an Vokabular zu emotionalen Prozessen abgesprochen worden sein, so dass in umgangssprachlicher Art über die Emotionen der literarischen Figuren und auch über eigene Emotionen diskutiert werden kann. Unterstützt werden die emotionalen Prozesse - dies mag für viele überraschend sein - auch von den Bildungsstandards, bisher zumindest von denen der gymnasialen Oberstufe (KMK 2012). Es sind vor allem zwei Standards, auf die ich in diesem Zusammenhang die Aufmerksamkeit lenken möchte: „Die Schülerinnen und Schüler können sich mit den Perspektiven und Handlungsmustern von Akteuren, Charakteren und Figuren auseinandersetzen und ggf. einen Perspektivenwechsel vollziehen“ (KMK 2012, 20). Standard 4 erläutert den Umgang mit Perspektivenwechseln. Es handelt sich bei einem Perspektivenwechsel, der mit einer literarischen Figur vollzogen wird, um einen hypothetischen Verstehensprozess, der sich darin manifestiert, dass der Lernende die Gedanken, Wünsche und Motive einer Figur nicht nur nachvollziehen, sondern auch selbst in Worte fassen und zu einem stimmigen Bild vervollständigen kann. Zu einem solchen Perspektivenwechsel benötigen die Lernenden nicht nur eine recht große sprachliche Kompetenz, sondern auch Einfühlungsvermögen und Wissen über beispielsweise das soziale Umfeld der Person, mit der der Perspektivenwechsel vollzogen werden soll. Dieser Deskriptor stellt es also als durchaus wünschenswert im Sinne einer intensiven Verarbeitungstiefe des Textes und seiner Sinnkonstitution in den Lesenden dar, dass häufige Perspektivenwechsel bei der Textarbeit verlangt werden, wo dies sinnvoll erscheint. Standard 5 verweist auf den Prozesscharakter der Textarbeit, die es oft nötig macht, sich in einem zyklischen Vorgehen dem spezifischen Text oder Medium der Textarbeit anzunähern. „Die Schülerinnen und Schüler können ihr Erstverstehen kritisch reflektieren, relativieren und ggf. revidieren“ (KMK 2012, 20). Endpunkt ist dabei nicht das erste Textverständnis, das in einer einmal verfestigten Meinung mündlich oder schriftlich festgehalten werden soll, sondern es werden Spielräume geschaffen für eine allmähliche Annäherung an literarische und nicht-literarische Texte. Gerade im Fremdsprachenunterricht ist dies ein wichtiges Anliegen, denn die Lernenden müssen sich die Texte auf zahlreichen Ebenen erschließen, da ihnen zum einen die Sprache noch teilweise unbekannt ist und ihnen zum anderen auch die in Die Rolle der Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 17 den Texten dargestellten Kulturen und Konzepte noch fremd sind. Ein prozesshafter Charakter der Textarbeit ist Chance und Verpflichtung zugleich; die Lernenden müssen bei der Überprüfung einer eigenen Meinung auch zulassen, dass einmal gefasste Schlüsse zugunsten einer größeren Verarbeitungstiefe noch einmal genau durchdacht und korrigiert werden sollen. Beide Standards belegen anschaulich, dass das Einfühlen in Emotionen und das Erleben eigener Emotionen bei der Arbeit mit Texten, insbesondere mit literarischen Texten, heute nicht im Widerspruch steht zur Kompetenz- und Standardorientierung, sondern ausdrücklich erwünscht ist und als sinnvoll erachtet wird. 5 Empathiefähigkeit als Ziel eines fremdsprachlichen Literaturunterrichts - Plädoyer für einen differenzierten Empathiebegriff Geht es um die Ziele, die der fremdsprachliche Literaturunterricht verfolgt, so wird heute, gerade wenn es gleichzeitig auch um interkulturelles Verstehen geht, häufig betont, dass Lernende in der Lage sein sollen, Perspektiven zu wechseln. In den nationalen Bildungsstandards findet sich die Formulierung, dass Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe beim Lesen von Texten und Erleben von Medien „Werte, Haltungen und Einstellungen ihrer zielsprachigen Kommunikationspartner erkennen und unter Berücksichtigung des fremdkulturellen Hintergrundes“ einordnen können sollen (KMK 2012, 20). Mehrfach wird der Vollzug eines Perspektivenwechsels angesprochen bzw. die Fähigkeit, mehrere Perspektiven zu vergleichen und abzuwägen (ebd.). Die in diesen Operationalisierungen angesprochenen Kompetenzen vereinen in der Regel Kognition und Emotionen miteinander, da Lernende verstehen und nachvollziehen sollen, was Protagonisten aus anderen Kulturen in Situationen, die ihnen selbst vielleicht zunächst fremd sind, erleben und welche Bedeutung dies für die Charaktere hat. Ihr Ziel und damit auch ein Kompetenzziel des fremdsprachlichen interkulturell ausgerichteten Literaturunterrichts ist Empathiefähigkeit: Schülerinnen und Schüler erschließen die in fremdsprachigen und fremdkulturellen Texten enthaltenen Informationen, Sinnangebote und Handlungsaufforderungen und reflektieren sie vor dem Hintergrund ihres eigenen kulturellen und gesellschaftlichen Kontextes. […] Damit erwerben sie die Voraussetzungen, zu kulturellen Geprägtheiten Empathie wie auch kritische Distanz zu entwickeln, ein begründetes persönliches Urteil zu fällen und ihr eigenes kommunikatives Handeln situationsangemessen und adressatengerecht zu gestalten (KMK 2012, 20f.). Die Nennung des Kompetenzziels „Empathie“ bleibt wie auch das der „kritischen Distanz“ undifferenziert in diesem Text, es bleibt bei der Nennung Eva Burwitz-Melzer 18 zweier zentraler Schlagworte, die aber nicht näher ausdifferenziert werden. So wird z.B. nicht geklärt, dass und wie sich der Begriff aus Kognition und Emotionen zusammensetzt (Breithaupt 2016, 84ff.) Der Begriff „Empathie“ bedarf aber einer besonderen Erläuterung, damit dieses Ziel im Unterricht auch angestrebt und realisiert werden kann. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird der Begriff der Empathie, wie wir ihn kennen, geprägt (vgl. Assmann/ Detmers 2016, 1-4). Zu Beginn des 21. Jahrhunderts entfachten die Erkenntnisse der Kognitions- und Neurowissenschaften die Diskussion um den Begriff in vielen Disziplinen, in denen das Verhalten des Menschen erklärt, beschrieben und gefördert werden soll. Martha Nussbaum (2001, 302) drückt es folgendermaßen aus: „Empathy is an imaginative reconstruction of another person’s experience, whether that experience is happy or sad, pleasant or painful or neutral, and whether the imaginer thinks the other person’s situation good, bad, or indifferent“. Nussbaum zeichnet hier einen neutralen, nicht wertenden Begriff der Empathie nach und grenzt diesen bewusst und sorgfältig ab von ähnlichen Begriffen wie Anteilnahme und Erbarmen, die gewöhnlich ein Gefälle von einem Subjekt in neutraler Position zu einem leidenden Objekt beschreiben (vgl. Assmann/ Detmers 2016, 4). Auch Mitleid bezeichnet einen anderen, deutlich von Empathie zu unterscheidenden Gefühlszustand, indem es in der Regel eine enge Beziehung zwischen zwei Individuen voraussetzt, die eine große Affinität zueinander verbindet (ebd.). Denn die mit den Begriffen Anteilnahme, Erbarmen und Mitleid verbundenen Konzepte von Unglück, Schmerz oder Leiden sind nach Nussbaum nicht zwingend Zustände, die Empathie hervorrufen. Menschen sind von Natur aus gut auf empathische Leistungen vorbereitet und sie benötigen diese Fähigkeit zum Überleben (vgl. Breithaupt 2016, 84f.). Insbesondere kognitions-wissenschaftliche Erkenntnisse haben in den letzten Jahrzehnten durch die Entdeckung der Spiegelneuronen gezeigt, dass Menschen die besondere Fähigkeit haben - und vielleicht auch gar nicht anders können - als sich ineinander einzufühlen, da das intellektuelle und emotionale miteinander Fühlen angeboren ist. Martha Nussbaum (2001) und Fritz Breithaupt (2017) haben die kognitiven und emotionalen Prozesse, die durch Empathie ausgelöst werden können, ausführlich beschrieben, wobei sie sich beide darum bemühen, sowohl eine positive und sozial wirkende Empathie darzustellen, wie auch vor einer zu einseitigen Konnotierung des Begriffs zu warnen (Breithaupt 2017; Nussbaum 2001); sie stellen also beide auch die dunklen Seiten der Empathie in ihren Konzepten dar. Assmanns und Detmers (2017) schildern in der Einleitung zu ihrem kulturgeschichtlichen Buch über die Grenzen der Empathie ein fünfstufiges Szenario, das es uns erlaubt, die emotionale Disposition des Menschen zur Empathie als eine sich entwickelnde und auch als zu fördernde Eigenschaft zu verstehen (vgl. Coplan 2006 und de Vignemont/ Singer 2006 zitiert in Ass- Die Rolle der Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 19 mann/ Detmers 2017, 5-7). Dieses Modell kann helfen, die Überlegungen zur Förderung der Empathie im fremdsprachigen Literaturunterricht einzuordnen. Auf der ersten Stufe stellt Empathie eine kurzlebige physiologische Reaktion dar, einen affektiven Zustand, der quasi als Reflex auftritt. Das klassische Beispiel für diesen somatischen Reflex (ebd., 5) ist das Säuglingszimmer mit neugeborenen Babies im Krankenhaus, das zeigt, dass ein weinendes Baby sehr rasch alle anderen mit Weinen „anstecken“ kann. Bereits auf der zweiten Stufe, der imaginativen Empathie (ebd.), werden die Bezüge und die emotionalen Reaktionen der Personen, die Empathie entwickeln, sehr viel komplexer: Wird über einen fiktionalen Charakter und sein Schicksal gelesen, wird ein fiktives Leben in einem Film verfolgt, so kann diese Beobachtung eine „affektive Resonanz“ (de Vignement/ Singer (2006) zitiert von Assmann/ Detmers 2017, 5) hervorrufen. Im Gegensatz zur ersten Stufe verläuft diese affektive Reaktion nicht automatisch, sondern stützt sich auf die Quelle der Beobachtung, also den Stimulus von außen, der die Imagination der empathischen Person auslöst und ihr suggeriert, dass sie wie die beobachtete Person fühlt. Die Entdeckung, dass Gefühle geteilt werden können und dass die Imagination eine Brücke zu den Gefühlen anderer bauen kann, ist wichtig. Sie birgt allerdings die Gefahr, dass empathische Personen die geteilten Gefühle nicht immer moralisch durchleuchten können; die Gefühle könnten sogar aktiv missbraucht werden zum Schaden der Anderen. Nussbaum und Breithaupt warnen vor diesen dunklen Formen der Empathie und führen einige Beispiele an wie den Henker, der seine Opfer quält, und dies sogar in seiner Vorstellung genießen kann, weil ihm dessen Pein nicht als Übel, sondern letztendlich als positiv erscheint (Nussbaum 2001, 329f.) oder sadistische und obsessive Formen der Empathie wie Stalking (Breithaupt 2017, 183-202). Nussbaum (2001, 329f.) fasst zusammen: „More generally, enemies often become adept at reading the purposes of their foes and manipulating them for their own ends: once again, this empathy is used egoistically, denying real importance to the other person’s goals“. Die imaginative Empathie, die sich darauf stützt, dass die Perspektive des Lesers oder Beobachters mit der des Opfers teilweise verschmilzt, weil der Leser/ Beobachter sich mit dem Opfer identifiziert, ist also eine Form und Stufe der Empathie, die sehr häufig mit fiktionalen Texten und fiktionalen Figuren in Verbindung gebracht wird. Assmann und Detmers (2017, 5-6) sprechen deshalb auch von ästhetischer Empathie. Unterschieden von der imaginativen Empathie wird die dritte Stufe der Empathie, die sich auf persönliche Interaktion gründet. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie zweifach wirkt: Hier stellt sich der empathische Mensch vor, wie es sich anfühlt an der Stelle einer anderen Person zu leiden, gleichzeitig aber ist dieser Mensch sich darüber im Klaren, dass er oder sie selbst in Sicherheit ist. In dieser differenzierenden, auch ambivalenten Haltung drückt sich die dritte Stufe der Empathie aus: Eva Burwitz-Melzer 20 While the imaginative incorporation of the other’s perspective creates a state of similarity between the empathic subject and the object of empathy, a clear understanding of the difference between self and other is the precondition for more complex forms of empathy where the self is no longer used as the template for the imagination, but an effort is made to stretch the imagination by putting oneself into the other’s shoes (Assmann/ Detmers 2017, 6). Wenn wir an den Handlungsort des fremdsprachlichen Literaturunterrichts denken, wäre diese Stufe erreicht, wenn nach dem Lesen des Textes und dem Erfüllen einer Aufgabe zum Perspektivenwechsel in einer Reflexionsphase die Unterschiede der Lebenssituation zwischen dem empathischen Subjekt (den Lernenden der Klasse) und dem Objekt der Empathie (dem fiktionalen Protagonisten) aufgezeigt würden (vgl. Burwitz-Melzer 2003, 433-483). Dabei wird dem empathischen Leser/ der empathischen Leserin durchaus bewusst, dass sie sich nicht selbst in der Notsituation befindet, sich nicht retten muss. Damit hat der empathische Mensch einen klareren Blick auf die Notlage und erkennt oft Aspekte der Situation, die dem fiktionalen Charakter verborgen bleiben - etwa eine zweite drohende Gefahr oder auch eine wahrscheinliche Rettung (Breithaupt 2017, 16-18). Eine vierte und fünfte Stufe der Empathie siedeln Assmann und Detmers dort an, wo Empathie die Region der Gefühle verlässt und sich in aktiven Handlungen, also in Unterstützung und Fürsorge äußert. Dieser Schritt in die Lebenswelt verlässt den unterrichtlichen Kontext und kann in der Schule kaum beobachtet werden (Assmann/ Detmers 2016, 5- 6). Selbst wenn man einer so eingeteilten Stufung der Empathiefähigkeit kritisch entgegenhalten kann, dass sich diese Stufen - mit Ausnahme der ersten - wohl nicht immer ganz deutlich voneinander trennen lassen und die Übergänge von der zweiten zur dritten und der vierten zur fünften sicher fließend sind, veranschaulicht das Konzept doch eine Differenzierung, die sich in der Gegenüberstellung von ästhetischem - hier im weitesten Sinne auch schulischem - Kontext (Stufe zwei und drei) und lebensweltlichem Kontext niederschlägt. Die Hoffnung, dass Empathiefähigkeit zusammen mit Urteilsvermögen und Kooperationsfähigkeit als Lernziel eines Literaturunterrichts bis in die Lebenswelt der Lernenden hineinwirken kann, ist eine, die sich sowohl bei Martha Nussbaum wie auch bei Lothar Bredella findet. Dahinter steckt die Hoffnung: Wenn ich die Empathiefähigkeit der Lernenden durch Perspektivenwechsel mit fiktionalen Charakteren fördere, die in den zielkulturellen Texten dargestellt werden, wirkt sich dies auf die Empathiefähigkeit und die moralische Kompetenz der Lernenden positiv aus und schlägt sich wahrscheinlich auch im täglichen Leben und Umgang mit anderskulturellen Personen nieder. Es wird also ein sehr direkter Bezug zwischen Empathie und Moral sowie moralischem Handeln hergestellt. Der Grundgedanke, dass narrative Texte, die Welteinsichten bieten, diese Welteinsichten so befördern, dass sie in der Lebenswelt zum Handeln anregen, ist aber auch kritisiert und Die Rolle der Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht 21 mit Skepsis beäugt worden. Fritz Breithaupt (2017, 206) bezeichnet unkritisches Nachdenken über Empathie als „Friede-Freude-Eierkuchen-Mentalität“. Er behauptet: „Empathie ist nicht unbedingt förderlich für moralische Prozesse“ (ebd., 204) und fährt fort: Allerdings widersetzt sich Empathie einer einfachen Instrumentalisierung für einen guten Zweck und gehorcht auch nicht der simplen additiven Logik, dass mehr Empathie bessere Menschen hervorbringt. Ein Medikament zur Steigerung der Empathie wäre mithin keine Lösung (Breithaupt 2017, 204). Es erscheint also wichtig, darüber nachzudenken, was im fremdsprachlichen Literaturunterricht leistbar, was erwartbar und plausibel ist, statt Empathie als ein pauschales Lernziel einzusetzen. Bredella setzt deshalb neben das Lernziel Empathie eine geschulte Urteilskraft, um zu zeigen, dass Empathie allein nicht ausreicht, um kooperatives Handeln auszulösen. Literarische Texte mit ihren „Störungen“ (Bredella 2012, 69) und moralischen und interkulturellen Herausforderungen stellen seines Erachtens [...] eine Welt dar, in der Charaktere mit Ungerechtigkeiten, Enttäuschungen und Widerständen, die sie an der Entfaltung ihrer Kräfte hindern, konfrontiert werden. … Fiktionale Geschichten halten uns den Spiegel vor. Das utopische Moment bei ihrer Rezeption liegt … wohl eher darin, dass Ungerechtigkeiten und Kooperationsstörungen nicht verdrängt, sondern zur Sprache gebracht werden und dass in ihnen explizit oder implizit Orientierungen und Wertvorstellungen enthalten sind., die uns als Rezipienten zu differenzierten Stellungnahmen anregen. Dafür sind Empathie- und Urteilsfähigkeit zentrale Voraussetzungen (Bredella 2012, 69). Um Empathie als Voraussetzung zum Verstehen, aber auch als realistisches Lernziel einsetzen zu können, ist es unabdingbar, empathische Vorgänge, also das Einfühlen in die fiktionalen Charaktere adressatengerecht, also auch altersgemäß zu üben und im Anschluss an eine literarische Unterrichtseinheit zu reflektieren. Erst die Reflexion, die nachträglich noch einmal vor Augen führt, welche emotionalen und kognitiven Prozesse die Lernenden durch die Lösung der Aufgabenstellungen durchlaufen haben, kann das Bildungspotenzial der Empathie wirklich entwickeln helfen. Erst mit ihrer Hilfe gerät die „kritische Distanz“, die wir als Leser/ Leserinnen dringend benötigen, um literarisches Erleben von lebensweltlichem Erleben zu differenzieren, abgerufen und verstanden. Literatur Assmann, Aleida/ Detmers, Ines (Hrsg.) (2016): Empathy and its Limits. London: Palgrave Macmillan. Bredella, Lothar (2012): Narratives und interkulturelles Verstehen: Zur Entwicklung von Empathie- Urteils- und Kooperationsfähigkeit. Tübingen: Narr. Eva Burwitz-Melzer 22 Bredella, Lothar/ Burwitz-Melzer, Eva (2004): Rezeptionsästhetische Literaturdidaktik mit Beispielen aus dem Fremdsprachenunterricht Englisch. Tübingen: Narr. Breithaupt, Fritz (2017): Die dunklen Seiten der Empathie. Berlin: Suhrkamp. Burwitz-Melzer, Eva (2003): Allmähliche Annäherungen: Fiktionale Texte im interkulturellen Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe I. Tübingen: Narr. Burwitz-Melzer, Eva (2007): „Ein Lesekompetenzmodell für den fremdsprachlichen Literaturunterricht“. In: Bredella, Lothar/ Hallet, Wolfgang (Hrsg.): Literaturunterricht, Kompetenzen und Bildung. Trier: WVT, 65-86. Burwitz-Melzer, Eva (2008): „Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 37, 27-62. Coplan, Amy (2006): „Catching Characters’ Emotions: Emotional Contagion Responses to Narrative Fiction Film“. In: Film Studies 8, 26-38. de Vignemont, Frédérique/ Singer, Tania (2006): „The Empathic Brain: How, When and Why? “ In: Trends in Cognitive Sciences 10/ 10, 435-441. Donnerstag, Jürgen (2017): „Emotion“. In: Surkamp, Carola (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. 2., aktual. u. erweit. Aufl. Stuttgart/ Weimar: Metzler, 57-58. KMK (2020) = Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.) (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlichungen_beschluesse/ 2012/ 2012_1 0_18-Bildungsstandards-Fortgef-FS-Abi.pdf (22/ 02/ 2020). Lazarus, Richard S. (1991): Emotion and Adaptation. Oxford: OUP. Nussbaum, Martha C. (2001): Upheavals of Thought: The Intelligence of Emotions. Cambridge: CUP. 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Erst die aktuelle Studie von Fritz (2019) deutet darauf hin, dass sich die Abwahlmotive für die Fächer Französisch und Spanisch nicht wesentlich zu unterscheiden scheinen. Aus diesem Grund möchte ich das diesjährige Thema der Frühjahrskonferenz zum Anlass nehmen, um über „Motivation“ nachzudenken, den affektiven Faktor, der neben der kognitiven „Sprachlerneignung“ als zentrale Variable des Individuums für erfolgreiches Fremdsprachenlernen gilt (vgl. Riemer 2010, 168). Nach der Darstellung der Entwicklung der Lernerzahlen (Abschnitt 2.1) und den Abwahlmotiven für die 2. und 3. Fremdsprachen (Abschnitt 2.2), widme ich mich der prominenten Rolle des Englischen (Abschnitt 2.3), das offensichtlich einen zentralen Faktor für die Abwahl der anderen Fremdsprachen darstellt. Bislang ist jedoch noch kaum bekannt, was Schülerinnen und Schüler trotz der Vorherrschaft des Englischen dazu motiviert, in der Schule weitere Fremdsprachen zu wählen und über die Mindestbelegzeit hinaus fortzuführen. Hierfür können die in der Motivationsforschung identifizierten unterschiedliche Motivationsfaktoren (Abschnitt 3) sowie die Konzepte des „multilingual self“ bzw. des „ideal multilingual self“ einen Ansatz bieten (Abschnitt 4). 1 Die Zielsetzung: Erwerb von „Mehrsprachigkeit“ durch schulischen Fremdsprachenunterricht Das oberste Ziel des Fremdsprachenlernens in Europa und des schulischen Fremdsprachenerwerbs in Deutschland ist bekanntermaßen der Erwerb von Mehrsprachigkeit. So formulieren bereits die Bildungsstandards für die Erste Fremdsprache für den Mittleren Schulabschluss dieses Ziel: Daniela Caspari 24 Vom Fremdsprachenunterricht in der ersten Schulfremdsprache ist daher zu erwarten, dass die kommunikativen, interkulturellen und methodischen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler für ihr Handeln in mehrsprachigen Situationen am Ende der Sekundarstufe verlässlich ausgebildet worden sind (KMK 2003, 7). Und die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache bestärken in der Fachpräambel diese Funktion des schulischen Fremdsprachenunterrichts: Dem schulischen Fremdsprachenunterricht kommt eine besondere Bedeutung für die Entwicklung von Mehrsprachigkeit und im Hinblick auf lebensbegleitendes Sprachenlernen zu (KMK 2012, 11). Da der Fremdsprachenunterricht in Deutschland normalerweise einzelsprachlich organisiert ist, wird Mehrsprachigkeit in erster Linie dadurch angestrebt, dass Schülerinnen und Schüler während ihrer Schulzeit zwei oder mehr Fremdsprachen bis zum Niveau B1 (Klasse 10) bzw. B2/ C1 (Abitur) lernen. Bildungspolitisch wurde dieses Ziel in den ausgehenden 1990er Jahren durch eine Vorverlegung des Fremdsprachenbeginns in die Grundschule und die Ausweitung bilingualer Angebote unterstützt. Aktuell gibt es Bestrebungen, in den Schulen häufiger Herkunftssprachenunterricht, vor allem in Türkisch und Arabisch anzubieten. Da ich mich im Folgenden auf das Regelangebot in den Sekundarstufen I und II beziehe, es über das Herkunftssprachenangebot jedoch keine verlässlichen Zahlen gibt und es in aller Regel in der Sekundarstufe I nicht fortgeführt wird 1 , kann ich dieses, insgesamt geringe Sprachlernangebot im Folgenden nicht berücksichtigen. Nicht berücksichtigen werde ich ebenfalls die aktuellen, zumeist im Kontext von Deutsch als Zweitsprache bzw. Sprachbildung entwickelten Ansätze, im Unterricht möglichst aller Schulfächer Familiensprachen oder anderweitig „mitgebrachte Sprachen“ der Schülerinnen und Schüler einzubeziehen, weil diese Ansätze in aller Regel nicht auf einen Kompetenzzuwachs in diesen Sprachen, sondern auf ihre Wertschätzung und eine Stärkung der Bildungssprache Deutsch abzielen. Mehrsprachigkeit im Sinne der Europäischen Union, dass „alle EU- Bürgerinnen und -Bürger […] neben ihrer Muttersprache in zwei Fremdsprachen kommunizieren können [sollen]“ (Europäische Union o.J.; Hervorhebung im Original), ist daher am sichersten dadurch zu erreichen, dass möglichst viele Schülerinnen und Schüler bereits während ihrer Schulzeit zwei Fremdsprachen erlernen. 1 Obwohl am Türkisch- und Russischunterricht, die üblicherweise als 2. Fremdsprache angeboten werden, auch Herkunftssprachensprecherinnen und -sprecher teilnehmen, gilt er nicht als Herkunftssprachenunterricht im klassischen Sinne. In Zeiten von „Global English“ 25 2 Die Realität: Zur Situation der 2. und 3. Fremdsprachen in Deutschland 2 2.1 Entwicklung der Lernerzahlen Während in Luxemburg 100 %, in Finnland 98,4 % und in Italien 95,8 % der Schülerinnen und Schüler mindestens zwei Fremdsprachen lernen, trifft dies in Deutschland trotz seiner Selbstverpflichtung durch die Verabschiedung des Weißbuches (Kommission 1995) lediglich auf 34,5 % der Schülerinnen und Schüler zu - deutlich weniger als der EU-Durchschnitt von 58,8 % (vgl. EURACTIV vom 23. Februar 2017) 3 . Dies liegt zum einen an der fast flächendeckenden Einführung von Englisch als 1. Fremdsprache 4 , das in aller Regel bis zum Ende der Sekundarstufe I bzw. bis zum Abitur fortgeführt wird. Es liegt zum anderen daran, dass eine Fremdsprache für den Erwerb des Mittleren Schulabschlusses ausreicht und nur für die Zulassung zur Abiturprüfung eine 2. Fremdsprache verlangt wird. Und es liegt sicherlich auch daran, dass in vielen Schulen die 2. und erst recht die 3. Fremdsprache mit attraktiven anderen Angeboten wie z.B. Arbeitslehre bzw. Wirtschaft/ Arbeit/ Technik, mit Informatik oder diversen AG-Angeboten konkurriert. Nicht zuletzt führen schulorganisatorische Maßnahmen wie Unterrichtszeiten in den Randstunden, das Zusammenlegen unterschiedlicher Jahrgänge oder von Grund- und Leistungskursen, eine begrenzte Anzahl von Kombinationsmöglichkeiten bei der Wahl der Oberstufenkurse oder auch häufige Lehrerwechsel dazu, dass der Prozentsatz der Schülerinnen und Schüler, die eine 2. bzw. 3. Fremdsprache in der Sekundarstufe I sowie in der gymnasialen Oberstufe eine andere Fremdsprache als Englisch wählen, sinkt. In der gymnasialen Oberstufe sank der Anteil der Französischlernerinnen und -lerner in den zehn Jahren von 2007/ 08 bis 2017/ 18 bundesweit um knapp 13 % (von 37,5 % auf 24,9 %). Dieser Rückgang wurde jedoch nicht durch die anderen Fremdsprachen ausgeglichen: Der Anteil der Spanischlernerinnen und -lerner stieg im gleichen Zeitraum zwar um knapp 4 %, dafür sank der der Lateinlerner und -lernerinnen um 3 %. 5 Insgesamt lernten im Jahr 2017/ 18 in der gymnasialen Oberstufe 12 % weniger Schülerinnen und 2 Die Überlegungen in diesem Kapitel basieren auf Caspari (2020a). 3 Vgl. hierzu auch den Eurydice-Bericht „Schlüsselzahlen zum Sprachenlernen an den Schulen in Europa“ der Europäischen Kommission (2017). 4 Ausnahmen sind z.B. das Saarland oder Berlin mit Französisch oder Sachsen mit Sorbisch. In diesen Fällen ist wie in den Staatlichen Europaschulen Berlin, die bereits in Klasse 1 den Unterricht hälftig in Deutsch und einer sog. Partnersprache anbieten, das Erlernen des Englischen als 2. Fremdsprache in der Sekundarstufe I verpflichtend. 5 Der Anteil der Russisch- und Italienischlernerinnen und -lerner blieb mit 1,5 % bzw. 0,5 % weitgehend stabil. Daniela Caspari 26 Schüler eine andere Fremdsprache als Englisch als im Jahr 2007/ 08 (von 77,3 % auf 65,2 %) (vgl. Statistisches Bundesamt 2018 und Vorjahre). 6 Diese deutliche Abwahltendenz ist hinsichtlich des Ziels, durch Fremdsprachenunterricht Mehrsprachigkeit zu erreichen, besorgniserregend: Vermutlich dürfte nur ein Teil der Schülerinnen und Schüler bei der im Vergleich zur 1. Fremdsprache deutlich geringeren Lernzeit 7 in den formenreichen Fremdsprachen wie Französisch, Italienisch, Russisch oder Spanisch bzw. in den ganz anders strukturiertenFremdsprachen wie Chinesisch oder Arabisch am Ende der Sekundarstufe I ein solides Niveau B1 GeR (sog. Schwellenniveau) erreichen, so wie es die Bildungspläne ausweisen und so wie es den Schülerinnen und Schülern mit dem Mittleren Bildungsabschluss inzwischen automatisch zertifiziert wird, unabhängig vom tatsächlich erreichten Niveau. 8 2.2 Abwahlmotive Nicht nur der Anstieg der Abwahlquote, sondern auch die Gründe für die Abwahl der Fremdsprachen sind m.E. besorgniserregend. Im Laufe der Jahre ist eine Reihe von Untersuchungen zu Schülereinstellungen und zu Abwahlmotiven für die Fremdsprache Französisch erschienen (Bittner 2003; Hoffmann 2014; Küster 2007; Schröder-Sura/ Meißner/ Morkötter 2009; Venus 2017). Sie zeigen übereinstimmend, dass es nicht primär die oben bereits genannten ungünstigen bildungspolitischen und schulorganisatorischen Rahmenbedingungen sind, die die Einstellungen zum Fach und die Gründe für dessen Abwahl bestimmen, sondern vor allem der von den Schülerinnen und Schülern erlebte Unterricht sowie die von ihnen wahrgenommenen Lernergebnisse. So beklagen die befragten Schülerinnen und Schüler vor allem den mit dem Fach verbundenen hohen Lernaufwand, die vielen Fehlermöglichkeiten und die im Verhältnis zum Arbeitsaufwand schlechten Noten. Am Unterricht selbst bemängeln sie, dass sie zu wenig Sprechen lernten und dass zu wenig Wortschatzarbeit betrieben werde. Stattdessen sei der Unterricht stark schriftlich ausgerichtet und „Grammatik“ im Sinne des Erwerbs von grammati- 6 In diesen Zahlen sind die Schülerinnen und Schüler, die in der gymnasialen Oberstufe neu mit einer Fremdsprache beginnen, enthalten. 7 In Berlin und Brandenburg z.B. ist in der Stundentafel für die 2. Fremdsprache die Hälfte der Lernzeit der 1. Fremdsprache vorgesehen, für die 3. Fremdsprache ein Viertel. Für alle drei Fremdsprachen ist als Ziel das Niveau B1 GeR vorgeschrieben. 8 Da es bislang keine Studien zum tatsächlich erreichten Niveau in den 2. Fremdsprachen gibt, ist die in NRW geplante landesweite Sprachstandserhebung in den 2. Fremdsprachen von großem fremdsprachendidaktischen Interesse. In Zeiten von „Global English“ 27 schem Wissen und des Einübens von Formen nehme einen zu großen Raum ein. Darüber hinaus komme die Anwendung des erworbenen Wissens zu kurz. Insgesamt konstatieren sie zu geringe Lernfortschritte und erleben die Sprache insgesamt als wenig bis gar nicht nützlich. Einige Schülerinnen und Schüler begründen ihre Abwahl auch mit zu geringer Sprachlerneignung. Während diese Ergebnisse in Ermangelung von Untersuchungen für andere Fremdsprachen bislang ausschließlich für das Französische galten, weist die Studie von Fritz (2019) an Französisch- und Spanischlernern und -lernerinnen der 10. Klasse in zwei Bundesländern darauf hin, dass es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Erleben der Fächer Französisch und Spanisch zu geben scheint, obwohl Spanisch häufig als „leichter“ betrachtet und von Anfang an als „Weltsprache“ unterrichtet wird (vgl. Caspari/ Rössler 2008). 2.3 Die Bedeutung des Englischen Ein gemeinsames Ergebnis dieser Studien ist, dass die Schülerinnen und Schüler sowohl die 2. Schulfremdsprache als auch den Unterricht in dieser Sprache auf der Folie des Englischen wahrnehmen und beurteilen zu scheinen. An den von Fritz (2019) erhobenen qualitativen Untersuchungsdaten kann man dies besonders gut erkennen. So hängt die Einstellung zur Fremdsprache sehr stark mit ihrer wahrgenommenen Nützlichkeit zusammen, d.h. insbesondere damit, wo und wie häufig sie gesprochen wird. So ist für die Schülerinnen und Schüler das Englische auch in ihrer Freizeit allgegenwärtig. „Englisch gilt als unverzichtbar und ausreichend, während die Obligatorik der zweiten Fremdsprache häufig abgelehnt wird“ (Fritz 2019, 96). Die Ablehnung anderer Fremdsprachen als Englisch scheint punktuell sogar so weit zu gehen, dass sich Schülerinnen und Schüler weigern, im Unterricht der Oberstufe die von ihnen abgewählten 2. Fremdsprachen anzuwenden. So berichten Lehrerinnen und Lehrer davon, dass die Kommunikation mit Zielsprachensprechern und -sprecherinnen selbst in informellen Situationen ausschließlich auf Englisch erfolgt, andere berichten, dass sogar das Vorlesen oder Verstehen von französisch- oder spanischsprachigen Quellen im Englisch- oder Deutschunterricht, selbst wenn es sich nur um einzelne Sätze handelt, abgelehnt wird. Während im Europäischen Jahr der Sprachen 2001 nicht zu erkennen war, dass das Ziel europäischer Mehrsprachigkeit in Frage gestellt werden könnte, scheint mir die Situation heute, knapp 20 Jahre später, deutlich verändert: Englisch hat als „Global English“ im gesellschaftlichen Bewusstsein noch weiter an Bedeutung gewonnen und die rasante Entwicklung elektronischer Kommunikationshilfen für Alltag und Beruf z. B. in Form von Übersetzungsprogrammen lässt das mühevolle Erlenen weiterer Sprachen als immer weni- Daniela Caspari 28 ger notwendig und sinnvoll erscheinen. Diese zunehmend geringere Bedeutung lässt sich ebenfalls an den Veränderungen in den bildungspolitischen Vorgaben erkennen. So wurde die Belegpflicht für eine 2. Fremdsprache in der gymnasialen Oberstufe abgeschafft, wenn sie in der Sekundarstufe I über eine Dauer von vier Jahren gelernt wurde. Lediglich die Schülerinnen und Schüler, die in der Sekundarstufe I keinen (durchgehenden) Unterricht in einer 2. Fremdsprache hatten, müssen in der Einführungsphase und allen vier Kurshalbjahren Unterricht im Umfang von 12 Jahreswochenstunden belegen (vgl. KMK 2018, 9). Auch in der Sekundarstufe I geschehen in einigen Bundesländern Veränderungen zum Nachteil der 2. Fremdsprache. So hat Nordrhein-Westfalen den Beginn des Unterrichts wieder auf die lernpsychologisch ungünstigere Klasse 7 verschoben (vgl. NRW 2020). Und in Sachsen wurden ab dem Schuljahr 2019/ 20 die Stundentafeln mehrerer Fächer zugunsten von Informatik, Medienbildung und politischer Bildung gekürzt, darunter die 2. Fremdsprache, die in Klasse 6 und 8 nun je eine Stunde weniger unterrichtet wird, während das Kernfach Englisch - sogar anders als Mathematik und Deutsch - von den Kürzungen verschont blieb (vgl. mdr Sachsen 2018). Zudem scheint es in Sachsen an einer Reihe von Oberschulen in der Sekundarstufe I entweder gar kein oder ein zu geringes Angebot in der 2. Fremdsprache zu geben, so dass die Plätze verlost werden müssen (vgl. Bündnis 90/ Die Grünen 2016). Angesichts dieser Situation verwundert es nicht, dass Dresdener und Berliner Kolleginnen und Kollegen im Frühjahr 2019 zu einer Tagung mit dem Titel „Welche Zielsetzungen sind für Französisch, Spanisch, Russisch & Co. (noch) zeitgemäß? Zu Perspektiven der weiteren Schulfremdsprachen im Zeitalter von Global English und Digitalisierung“ einluden (vgl. Bergmann/ Mayer/ Plikat 2020). 3 Motivation für das Erlernen einer Fremdsprache Während der Faktor „Motivation“ bislang vor allem in Hinblick auf die Wahl, das Lernen bzw. Unterrichten sowie das Abwählen bestimmter Fremdsprachen hin betrachtet wurde (vgl. u.a. die o.g. Titel zu Einstellungen bzw. zur Abwahl), scheint es inzwischen dringend geboten, die Frage allgemeiner zu stellen: Was kann Schülerinnen und Schüler dazu motivieren, zusätzlich zu Englisch eine weitere Fremdsprache zu lernen? Ergänzen könnte man die Frage um den Aspekt des „Dabei-Bleibens“: Was kann sie dazu motivieren, diese Sprache über die vorgeschriebene Mindestzeit hinaus zu lernen? Angesichts der Komplexität des Faktors „Motivation“ kann diese Frage an dieser Stelle selbstverständlich nur angerissen werden. Mir erscheint es aber wichtig, dass sie in einem Band zu „Affektiv-emotionale[n] Dimensionen beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen“ gestellt wird und zwar - anders als bisher - nicht auf bestimmte Sprachen, sondern generell auf das Erlernen anderer Fremdsprachen als Englisch bezogen. Als Orientierungsrahmen schlage ich In Zeiten von „Global English“ 29 den von Riemer (2010) zusammengestellten Überblick über Motivationstheorien vor. Abb. 1: Motivationsprozess beim Fremdsprachenlernen (Riemer 2010, 171) Abbildung 1 stellt die in den beiden Hauptsträngen der Motivationsforschung identifizierten zentralen Elemente für den Motivationsaufbau im Lernprozess dar. Dazu gehören die auf der linken Seite dargestellten sozialen und kontextuellen Faktoren, denen der Lerner bzw. die Lernerin ausgesetzt ist. Diese wirken auf die in der Mitte aufgeführten personalen Faktoren. Diese personalen Faktoren interagieren mit den einzelnen Etappen des rechts abgebildeten Motivationsaufbaus im Lernprozess, der aus mehreren Phasen besteht. Diese laufen nicht automatisch nacheinander ab, sondern müssen vom Lerner bzw. der Lernerin immer wieder neu angestoßen werden, insbesondere um den „Rubikon“ bzw. den „inneren Schweinehund“ zwischen Handlungsinitiierung und Lernanstrengung zu überwinden. Die Selbst- oder Fremdevaluation der Lernergebnisse wirken auf den Motivationsprozess und seine einzelnen Etap- Daniela Caspari 30 pen und damit auch auf die verschiedenen personalen Faktoren zurück. Zu beachten ist ferner, dass alle diese Faktoren und Prozesse innerhalb eines bestimmten soziokulturellen Milieus wirken, der in der Abbildung als äußerer Rahmen gezeichnet ist. Allein die Menge und die Interdependenz der auf das L2-Lernen einwirkenden Faktoren lassen erkennen, dass es keine einfachen Erklärungen für die Wahl, Fortführung oder Abwahl einer Fremdsprache geben kann. Wahrscheinlich spielen immer mehrere Faktoren zusammen (vgl. z.B. auch die Ergebnisse von Hoffmann 2017, 98-101, die zwischen primären und sekundären Motiven unterscheidet), und sie tun dies zudem in einer höchst individuellen Art und Weise. Trotz aller Individualität, Komplexität und Variabilität von Motivation ist es für bildungspolitische, curriculare und allgemeine didaktisch-methodische Entscheidungen jedoch wichtig zu wissen, welche die für die jeweilige Zielgruppe und Zielsprache bedeutsamsten sind. Daher schlage ich vor, die zentralen Motivationsfaktoren als Matrix zu nutzen, um die Ergebnisse der einzelnen Studien zu erfassen. Auf diese Weise könnte eine erste empirisch gestützte Zusammenschau der Motive für das Erlernen und das Abwählen einer 2. Fremdsprache bzw. 3. Fremdsprache in Deutschland erstellt werden. Da dabei die bereits gewonnenen Ergebnisse systematisch innerhalb der Motivationstheorien verortet werden, würden gleichzeitig Forschungslücken sichtbar. 4 Ausblick: Das „(ideal) multilingual self“ als Forschungsansatz Aus meiner Sicht als Didaktikerin der romanischen Sprachen ist es erstaunlich, dass international bislang nur wenig Forschung zur Motivation zum Erlernen einer 2. oder weiteren Fremdsprache vorliegt: The majority of recent research on language learning motivation has reportedly focused on English as a target language, typically in relatively homogeneous, secondary and postsecondary ‚foreign language’ settings (Duff 2017, 597). Erst in jüngster Zeit richtet sich die Aufmerksamkeit auf sprachlich heterogene Ausgangssituationen und hinsichtlich der Zielsprachen auf „languages other than (global) English“ (LOTE). Besonders vielversprechend scheint mir der von Dörnyei (2009) konzipierte und von Henry (2017) weiter entwickelte Ansatz zu sein, Motivation als „self-system“ und damit als Teil des Selbstkonzepts zu betrachten. Für das hier aufgeworfene Thema ist die Erkenntnis, dass Lernerinnen und Lerner für unterschiedliche Sprachen unterschiedliche Selbstkonzepte zu haben scheinen, besonders relevant (vgl. Dörnyei/ Al-Hoorie 2017, 458). Diese unterschiedlichen Selbstkonzepte bilden ein übergeordnetes „bilingual system“ bzw. „multilingual system“, in dem sie zusammen wirken und sich gegenseitig beeinflussen; hierdurch ist ein zusätzlicher, sprachenübergreifender Effekt zu In Zeiten von „Global English“ 31 beobachten, der sog. „multilingualism factor or effect“ (Herdina/ Jessner 2002 in Henry 2017, 552). Englisch scheint in dem als mehrsprachig konzipierten System als „normative referent“ für die anderen L2-Selbstkonzepte zu wirken und insbesondere als 1. Fremdsprache die Motivation für das Erlernen weiterer Fremdsprachen zu verringern (vgl. ebd.). Um diesen Effekt, aber auch die Tatsache, warum viele Menschen weiterhin mehrere Sprachen lernen und benutzen, erklären zu können, eignet sich das Konzept eines „ideal multilingual self“. Henry (2017) konzipiert es analog zum „multilingual system“: Die Idealvorstellungen einer Person in Bezug auf die einzelnen Sprachen, die sie bereits beherrscht bzw. lernt (ideal language x self, ideal language y self, ideal language z self …) wirken im „ideal multilingual self“ zusammen, das wiederum auf die einzelsprachlichen „ideal selves“ zurückwirkt. In einer Studie unter schwedischen Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe wird deutlich, dass dieses „ideal motivational self“ weit über die individuellen Vorstellungen zum Gebrauch der Sprachen hinaus geht und ebenfalls Aspekte wie Offenheit, Empathie und Entdeckerfreude enthält sowie als persönlicher wie sozialer Wert angesehen werden kann (vgl. Henry 2017, 558-559). Henry (2017) schreibt dem „ideal multilingual self“ eine hohe Motivationskraft für das Sprachenlernen zu und schlägt verschiedene psychologische Interventionsmöglichkeiten zu seiner Intensivierung vor. Diese beziehen sich auch auf Lernerinnen und Lerner, die sich trotz des Unterrichts in einer weiteren Fremdsprache mit einem „contentedly bilingual self“ zufrieden geben, d.h. mit dem auch von Fritz (2019) beobachteten Effekt, dass sich selbst Schülerinnen und Schüler mit guten Leistungen in Französisch oder Spanisch mit dem Beherrschen des Deutschen und Englischen zufrieden geben. Das Konzept des „ideal multilingual self“ liefert in Ergänzung zur bereits existierenden Forschung zu Abwahlmotiven und Einstellungen hinsichtlich des Lernens einer bestimmten Fremdsprache wichtige Anstöße für eine weiterführende Erforschung der Motivation für das Sprachenlernen. Diese könnte sowohl den Faktor „Englisch“ - als globale wie als kulturell gebundene Sprache - als auch die mehrsprachige Lebenspraxis von Schülerinnen und Schülern ganz anders einbeziehen, als dies bislang möglich und üblich war. Die Konzepte des „multilingual self“ und des „ideal multilingual self“ können m.E. aber bereits jetzt Anstöße dafür geben, die fremdsprachlichen Curricula und den Fremdsprachenunterricht so umzugestalten, dass das oben bereits zitierte bildungspolitische Ziel, dass „alle EU-Bürgerinnen und -Bürger […] neben ihrer Muttersprache in zwei Fremdsprachen kommunizieren können [sollen]“ (Europäische Union o.J.; Hervorhebung im Original) besser erreicht wird. Bezogen auf den Unterricht der romanischen Sprachen habe ich dazu bereits an anderer Stelle erste Überlegungen angestellt (Caspari 2020b). Zentral scheinen mir neben der bildungspolitischen „Aufwertung“ und des Endes der schulorganisatorischen Benachteiligung der Daniela Caspari 32 2. und weiteren Fremdsprachen zu sein, dass spezifische Curricula entwickelt werden, die nicht weiter eine Doppelung der 1. Fremdsprache Englisch darstellen. Denn dies führt zumindest in der Wahrnehmung von Schülerinnen und Schülern wie von Lehrerinnen und Lehrern bislang dazu, dass in den weiteren Sprachen i.d.R. mit viel mehr Mühe schlechtere Ergebnisse als im Englischen erzielt werden. Und nicht zuletzt ist es erforderlich, dass das Fach Englisch als 1. Fremdsprache endlich seiner Verantwortung besser gerecht wird, Mehrsprachigkeit als Ziel anzubahnen (so wie es die oben zitierten Bildungsstandards schon seit langem fordern), auch indem es sie systematisch auf das Lernen weiterer Sprachen vorzubereitet. Literatur Bergmann, Anka/ Mayer, Christoph Oliver/ Plikat, Jochen (Hrsg.) 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Einen Zusammenhang zwischen Sprache und Emotion zeigt Diller in der Einleitung zu seinen korpuslinguistischen Analysen des Lexikons der Emotionswörter auf: The words we use to designate emotions are the most direct access that ordinary speakers have to emotion concepts, and emotion concepts are essential for understanding the emotion experience (Diller 2014, 63). Um die Bedeutung von Emotionen für das Fremdsprachenlernen und -lehren zu verstehen, einzuschätzen und entsprechende Einsichten praxiswirksam aufzuarbeiten, muss die Fremdsprachendidaktik Wissensbestände und Erklärungsansätze aus unterschiedlichen (Teil-) Disziplinen, Bezugswissenschaften und Bereichen zur Kenntnis nehmen und zusammenführen. 1 Überblick über relevante Erklärungsansätze Aufgrund der Breite des Themas sollen im Folgenden verschiedene Erklärungsansätze skizziert werden, von denen angenommen wird, dass sie bedeutende Perspektiven auf Emotionen im Fremdsprachenunterricht eröffnen. 1.1 Psychologische Ansätze Für das Thema Emotionen gilt die Psychologie als die wichtigste Bezugswissenschaft der Fremdsprachendidaktik. Bereits bei der Suche nach einer Definition des Begriffs und einer konsensfähigen Theorie beginnt man zu ahnen, dass es unter Psychologen viele verschiedene Auffassungen darüber gibt, was Emotionen sind, und dass es zahlreiche konkurrierende Theorien über ihre Entstehung und Wirkungsweise gibt. Konsens scheint darüber zu bestehen, 1 Für die konstruktiven Kommentare zu einer Vorgängerversion dieses Beitrags bedanke ich mich herzlich bei Friederike Klippel und Nicole Marx. Bärbel Diehr 36 dass Emotionen durch ein Ereignis ausgelöst werden, das vom Organismus als Stimulus aufgenommen und dann weiterverarbeitet und bewertet wird. Emotionen lassen sich grob als angeborene, das Überleben sichernde Hirnprozesse beschreiben, welche die Informationsverarbeitung und Handlungstendenzen steuern und die im Laufe der Evolution durch Lernprozesse modifiziert wurden (vgl. Güntürkün 2012, 199). Verschiedene Theorien bieten nicht nur unterschiedliche Klassifikationsschemata, die der Beschreibung und Charakterisierung von Emotionen (z.B. basale Emotionen, erlernte Emotionen, positive und negative Emotionen) dienen, sondern auch unterschiedliche Erklärungen über ihre Entstehung, Verarbeitung und Verknüpfung mit dem Denken (vgl. hierzu Settinieri in diesem Band). Für den wissenschaftlichen Diskurs ergibt sich aus der Allgegenwärtigkeit von Emotionen das Problem der begrifflichen Unschärfe: Emotionen gehen oft mit Gefühlen, Stimmungen, Affekten sowie Motivationen einher, lassen sich in der Realität des Unterrichtsalltags nur schwer von diesen Phänomenen abgrenzen und sind auch mit dem Denken eng verbunden. Dieser Umstand erschwert insbesondere ihre empirische Erforschung. Nach Güntürkün (2012, 197) sind Gefühle „die subjektive Innenansicht einer Emotion, die uns auf eine Handlung vorbereitet“. Mit dem Begriff des Gefühls wird somit die Bewertung und Deutung durch das Individuum betont, während der Begriff der Emotion die neurologischen Prozesse im Gehirn hervorhebt, die eine handlungsleitende Funktion ausüben. Beide Termini sind schließlich von ‚Motivation‘ zu unterscheiden, dem Begriff, der die Bereitschaft bezeichnet, „sich intensiv und anhaltend mit einem Gegenstand auseinander zu setzen“ (Hasselhorn/ Gold 2009, 103). Emotionen üben Einfluss auf den Lernprozess aus, „indem sie die Aktivierung der kognitiven und motivationalen Mechanismen begünstigen oder behindern“ (ebd., 122). Während jedoch die emotionsrelevanten Hirnstrukturen und neurophysiologischen Prozesse, insbesondere das limbische System, gut erforscht sind (vgl. Güntürkün 2012, 198-213), steht „[e]ine systematische empirische Analyse der Wirkmechanismen, die für den Beitrag der Emotionen zum erfolgreichen oder weniger erfolgreichen Lernen verantwortlich sind, […] noch aus“ (Hasselhorn/ Gold 2009, 116). In der pädagogischen Psychologie wird nach Pekrun und Schiefele (1996) zwischen positiven Emotionen (z.B. Stolz), aktivierenden negativen Emotionen (z.B. Ärger) und desaktivierenden negativen Emotionen (z.B. Langeweile) unterschieden, die sich auf die Aufmerksamkeitskapazität, das Arbeitsgedächtnis und die Motivation beim Lernen auswirken (vgl. Hasselhorn/ Gold 2009, 116f.). Effekte lassen sich allerdings nur schwerlich generalisieren und prognostizieren, da sie im Einzelfall von zahlreichen Faktoren und Konstellationen abhängen. So kann z.B. Angst in dem einen Fall zu Lähmung und Passivität führen, während sie in einem anderen Fall eine Aktivierung der Handlungsbereitschaft stimuliert (vgl. ebd., 117). Emotionen verstehen und beschreiben 37 1.2 Sprachwissenschaftliche Ansätze Um Emotionen zu beschreiben und zu kommunizieren, gibt es verschiedene Ausdrucksformen. Der Verbalsprache kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, weshalb sich auch die Sprachwissenschaft seit etlichen Jahren mit dem Zusammenhang von Emotion und Sprache beschäftigt. Während Dillers korpuslinguistische Analyse aus einer historischen Perspektive erfolgt und aufschlussreiche Erkenntnisse über die Veränderungen im englischen Lexikon der Emotionswörter sowie eine zunehmende lexikalische Differenzierung aufzeigt (Diller 2014, 115), decken kulturvergleichende Analysen der synchron arbeitenden Sprachwissenschaft faszinierende semantische Äquivalenzen, vor allem aber auch Teil-Äquivalenzen und Nicht-Äquivalenzen, zwischen verschiedenen Sprachen und ihren Bezeichnungen für Emotionen auf. Richtungsweisende Forschung stammt auf diesem Gebiet der Linguistik zum Beispiel von Wierzbicka (1997) und Pavlenko (2014). In jüngster Zeit erregte eine Studie Aufsehen, in der 24 Emotionskonzepte aus 2474 Sprachen mit dem aus der Semantik stammenden Verfahren der colexification untersucht wurden (Jackson et al. 2019). Die Autor*innen kommen zu dem Schluss, dass zwar alle Sprachen Emotionen semantisch ähnlich (universell) strukturieren, dass jedoch die lexikalischen Konzepte in unterschiedlichen Sprachfamilien unterschiedliche Verknüpfungsmuster (variabel) aufzeigen: For example, “anxiety” was closely related to “fear” among Tai-Kadai languages, but was more related to “grief” and “regret” amongst Austroasiatic languages (Jackson et al. 2019, 1521). Befunde wie diese unterstreichen die Probleme, die sich sowohl für Übersetzungen als auch für die mündliche Kommunikation und Sprachmittlung ergeben. Für die Vermittlung einer hohen Fremdsprachenkompetenz, in der semantische und pragmatischen Teilkompetenzen hinreichend Berücksichtigung finden, erscheinen mir Grundkenntnisse über Ergebnisse aus diesen Forschungszweigen daher unerlässlich. 1.3 Ansätze der Angewandten Linguistik Spätestens seit Krashens (1982) Ausführungen zum affektiven Filter beim Spracherwerb zeichnet sich auch in der angewandten Linguistik eine vermehrte Aufmerksamkeit für affektive Faktoren des Fremdsprachenlernens ab (vgl. auch Königs 2016). Das Fachjournal Studies in Second Language Learning and Teaching z.B. widmet 2018 eine komplette Spezialausgabe dem Thema Emotionen: This special issue demonstrates that emotion has become a focus of innovative research in SLA. […] This area of research is not just academically rewarding as the pedagogical implications have the potential to challenge the established Bärbel Diehr 38 view of FL learning and teaching as emotionless, clinical, germ-free absorption and transmission of linguistic knowledge (Dewaele/ Li 2018, 15-18). Zwar erscheint mir die Charakterisierung der Praxis des Fremdsprachenlernens und -lehrens als emotionsfreie Sprachvermittlung als nichtzutreffend, dennoch behandeln der Band und die darin referierte Forschung vielfältige relevante Aspekte, die hier nur selektiv und stichpunktartig zur Kenntnis genommen werden können: • die Bedeutung der positiven Atmosphäre im Klassenraum für die Sprachlernmotivation (vgl. Dewaele/ Li 2018, 16f.) • die Auswirkung von sog. Sprechangst (foreign language classroom anxiety) und Sprechfreude (foreign language enjoyment) auf das Fremdsprachenlernen (vgl. Dewaele/ Alfawzan 2018, 41) • die in emotionaler Hinsicht günstigen Lernbedingungen in CLIL Kontexten (vgl. De Smet et al. 2018, 62) Von besonderem Interesse dürfte zudem der von Marcos (1976) beschriebene und von Dewaele (2013) aufgegriffene detachment effect sein, wonach bei der Produktion in der Fremdsprache eine emotionale Barriere zum Tragen kommen kann. Für den Ausdruck der eigenen Gefühle präferieren Lernende ihre dominante Sprache, die in den meisten Fällen mit der Erstsprache identisch ist. „According to him [Marcos], the L2 fulfills an intellectual function and is relatively devoid of emotion; whereas the L1 clearly expresses emotions“ (Dewaele 2013, 2). Obwohl der postulierte Effekt möglicherweise weitreichende Konsequenzen für das Erlernen und den Gebrauch von Fremdsprachen haben könnte, ist er meines Wissens fremdsprachendidaktisch bisher kaum untersucht worden. Aus der Praxis des Fremdsprachenunterrichts dürfte reichlich anekdotische Evidenz vorliegen, z.B. in Form von Erfahrungen mit Schüler*innen, die Ärger, Wut, aber auch Freude nur in der Erstsprache artikulierten oder z.B. in Form von Erzählungen, dass einsprachig unterrichtende Lehrer*innen von Lernenden solange für unnahbar gehalten wurden, bis diese außerhalb des Klassenraums die gemeinsame Erstsprache verwendeten. Von großer Bedeutung ist in diesem Kontext z.B. die Frage, ob die emotionale Distanziertheit auch bei der fremdsprachlichen Rezeption zur Wirkung kommt und das Verständnis für und das Einfühlen in reale oder fiktive Personen erschwert. Überdies wirft die Beobachtung des detachment effect weitere Fragen nach den möglichen Gründen für dieses Phänomen auf: Geht es eher auf eine emotionale, eine kulturelle oder eine lexikalische Barriere zurück? Beruht es eher auf Unkenntnis, unbewusster Distanzierung oder bewusstem Abstandnehmen in der Fremdsprache? Möglicherweise spielt der detachment effect bei den unten berichteten Beobachtungen in einem Wuppertaler Forschungsprojekt eine maßgebliche Rolle (vgl. Abschnitt 4). Emotionen verstehen und beschreiben 39 1.4 Ansätze der Fachdidaktiken Im Handbuch Fremdsprachenunterricht (Burwitz-Melzer et al. 2016) ist lediglich ein Beitrag den affektiven Faktoren des Fremdsprachenlernens (Riemer 2016) gewidmet, während es einen eigenen Beitrag zu Emotionen nicht gibt. Die zunehmende Aufmerksamkeit für die Variable Emotion wird in den Beiträgen zur Lernerperspektive (Martinez 2016) und zu lernerbiographischen Perspektiven (Franceschini/ Veronesi 2016) erörtert, taucht hingegen als Merkmal der Gegenstände und Materialien (vgl. Abschnitt 3 und 4) nicht auf. Für das Fremdsprachenlernen kommt Ogasa (2011) nach Sichtung des einschlägigen Forschungsstands zu der Einschätzung, dass es sich beim Thema Emotionen und Lernen im Fremdsprachenunterricht um einen „bisher noch fast unberührten Bereich“ (ebd., 39) handelt. Ihre Interviewstudie mit 17 internationalen Deutschlernenden bestätigt, dass „die Gefühle, die die Lernerinnen im Fremdsprachenunterricht wahrnahmen, eine bedeutende Rolle in Bezug auf ihr subjektives Lernempfinden einnehmen und in Abhängigkeit zu verschiedenen Faktoren entstehen, die das Unterrichtsgeschehen ausmachen“ (ebd., 251). Aus dem Ergebnis, dass „positiven Gefühlen eine Vielzahl von positiven Auswirkungen auf das subjektive Lernempfinden zugeschrieben“ werden (ebd., 253), lässt sich lediglich eine Selbstverständlichkeit ableiten, dass nämlich (Fremdsprachen-)Lehrkräfte sich der Existenz von Emotionen im Unterricht bewusst sein sollten. Aufgrund der Allgemeinheit der Aussagen über den Einfluss von unterschiedlichen Emotionen auf den Lernprozess bleibt das fremdsprachendidaktische Erklärungspotenzial dieser Ergebnisse recht eingeschränkt. Eine besondere Rolle spielen Emotionen in der Begegnung mit fremdsprachlicher Literatur und den Zielkulturen. Zahlreiche Literatur- und Kulturdidaktiker*innen haben über viele Jahre hinweg die Bedeutung von Emotionen für Bildung und Erziehung im Fremdsprachenunterricht historisch, theoretisch und praktisch aufgearbeitet sowie empirisch erforscht (vgl. hierzu Klippel in diesem Band). Eine Vielzahl von Publikationen und Studien ging aus dem Gießener Graduiertenkolleg „Didaktik des Fremdverstehens“ (vgl. z.B. Bredella/ Christ 1995; Bredella 2007) hervor, das sich vorrangig mit der Rezeption von Literatur und responses auf Literatur auseinandersetzte. Neben den Emotionen, die in literarischen und kulturspezifischen Texten konstruiert werden, rücken damit die Gefühle, Einstellungen und Gedanken der realen Leser*innen in den Mittelpunkt (vgl. z.B. Burwitz-Melzer 2003; 2007). Als gemeinsamer Tenor einer Vielzahl literaturdidaktischer Publikationen lässt sich festhalten, dass literarische Texte sich aufgrund ihres Bezugs zu personalisierten Erfahrungen der Figuren zur Förderung affektiver und motivationaler Teilkompetenzen wie z.B. Leselust und Einfühlungsvermögen bei den Lernenden eignen (z.B. Surkamp 2012, 84). Bei der Textrezeption tragen Emotionen zur Verknüpfung der Inhalte literarischer - aber auch nicht- Bärbel Diehr 40 literarischer - Texte mit der Lebenswelt der Leser*innen bei und sollten daher beim Einsatz von Texten im Unterricht berücksichtigt werden (vgl. Surkamp/ Viebrock 2018, 94). Das trifft in hohem Maße auf Unterricht zu, in dem die Ziele der kulturellen Kompetenz, Perspektivwechsel und Empathie bei den Lernenden angestrebt werden. Zudem verlangen die aktuellen Bemühungen, die Bildung zur nachhaltigen Entwicklung und zum verantwortlichen Handeln in der globalisierten Welt zu stärken (vgl. z.B. KMK/ BMZ 2016; Lütge 2016), vermehrte Aufmerksamkeit für die Bedingungen, unter denen sich Perspektivwechsel und Einfühlungsvermögen im Fremdsprachenunterricht entwickeln. 2 Bildungspolitische Rahmenbedingungen und curriculare Vorgaben zu Emotionen Da Lehrkräfte in der Praxis stets auch bildungspolitische Vorgaben zu berücksichtigen haben, stellt sich die Frage, ob und wenn ja welche Bezüge zu Emotionen darin Erwähnung finden. Zur Überraschung vieler Lehramtsstudierenden verpflichtet z.B. das Schulgesetz in NRW Lehrpersonen darauf, das Erziehungs- und Bildungsziel „Ehrfurcht vor Gott“ in „Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und zur Friedensgesinnung“ in Kindern und Jugendlichen zu wecken (MSB NRW 2005, §2 (2)). Im Laufe des Studiums und der Lehrerausbildung sollte daher Gelegenheit gegeben werden, sich über die Bedeutung dieser Vorgaben bewusst zu werden und sich mit der Frage zu beschäftigen, ob hier nicht eher überdauernde und langfristig wachsende Werte gemeint sind. In den bildungspolitischen Reformbemühungen und den bildungswissenschaftlichen Konzepten der letzten 20 Jahre kommt dem Kompetenzbegriff eine Schlüsselrolle zu. Nach Weinert (2001, 27) sind Kompetenzen definiert als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“. Emotionen werden zwar nicht explizit als Bestandteile von Kompetenz benannt, es kann allerdings davon ausgegangen werden, dass die motivationalen, volitionalen und sozialen Komponenten von Kompetenz emotional angereichert sind und in Zusammenhang zu Emotionen stehen. Die derzeit gültigen Lehrpläne für das Fach Englisch in NRW sind durch eine merkliche Zurückhaltung gegenüber Emotionen gekennzeichnet. Der Kernlehrplan für die Sekundarstufe I des Gymnasiums erwähnt Gefühle nur an zwei Stellen: Zum einen sollen Lernende im Bereich des Hör-/ Hörsehverstehens befähigt werden, „wesentliche implizite Gefühle der Sprechenden [zu] identifizieren“ (MSB NRW 2019, 24); des Weiteren sollen Emotionen verstehen und beschreiben 41 sie über sprachliche Mittel - gerade auch grammatikalische - verfügen, um „Formen der Emphase sowie Gefühle und Meinungen [zu] äußern“ (ebd., 36). Es handelt sich also nicht um das Wecken von Emotionen, sondern um die Fähigkeit, sie in anderen zu erkennen und zu verstehen sowie eigene Gefühle angemessen versprachlichen zu können. Ähnlich verhält es sich mit dem Kernlehrplan für das Fach Englisch in der Sekundarstufe II (MSB NRW 2014). Werte, Einstellungen und Perspektivwechsel finden mehrfach Erwähnung, aber Emotionen als Lernergebnisse tauchen nicht auf. Lediglich „die Freude an der englischen Sprache, am Sprachenlernen und am Sprachgebrauch“ wird als Ziel genannt und zwar als Begründung für die Beschäftigung mit der literarisch-ästhetischen Dimension (ebd., 12). Es wäre in einer synoptischen Übersicht zu prüfen, ob sich dieser Eindruck einer gewissen ‚Emotionsabstinenz‘ in den Lehrplänen der anderen Schulformen und Bundesländer bestätigen oder widerlegen lässt. Dabei sollte jedoch das Fehlen von emotionalen Lernzielen nicht mit emotionsfreiem Unterricht gleichgesetzt werden. 3 Folgerungen für den Fremdsprachenunterricht Die Förderung von Lernfreude, Sprachlernmotivation, Leselust und Faszination für Sprachen zählt zu den wichtigsten Aufgaben von Fremdsprachenlehrkräften. Erfahrungsgemäß handelt es sich dabei um Bildungsprozesse, die sich über längere Zeiträume erstrecken und hohe Anforderungen auch an die Persönlichkeit der Lehrerin oder des Lehrers stellen, vor allem aber auf Seiten der Lernenden Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz erfordern. Die Vorstellung von Emotionen als Lernziel hingegen löst bei mir Unbehagen aus. Zweifellos können Lehrkräfte in Lernenden emotionale Reaktionen wie Stolz oder Angst auslösen, vielfach auch ohne es selbst zu merken. Aus diesem Grund gehört ein Basiswissen über Emotionen, ihre Entstehung und ihre Auswirkungen zur allgemeindidaktischen Ausbildung von Lehrkräften hinzu; sie sollten sich ihrer eigenen Wirkung auf Kinder und Jugendliche bewusst werden und emotionssensibel verhalten können. Eine geplante Erzeugung von Emotionen erscheint mir aber aufgrund der Komplexität des psychologischen Wirkungsgefüges und unvorhersehbarer Folgen als ethisch fragwürdig. Vielmehr plädiere ich in Analogie zum Beutelsbacher Konsens (Bundeszentrale für politische Bildung, online) für professionelle Zurückhaltung: Es ist nicht erlaubt, den Schüler - mit welchen Mitteln auch immer - im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der "Gewinnung eines selbständigen Urteils" zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und Bärbel Diehr 42 der - rundum akzeptierten - Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers (Wehling 1977, 179f.). Während dieses sogenannte Überwältigungsverbot die selbstständige politische Meinungsbildung schützt, sollte die emotionale Privatsphäre von Schüler*innen in gleicher Weise gewahrt werden. Es sollte für Lehrpersonen eine Selbstverständlichkeit sein sich zu bemühen, keine negativen Emotionen bei den Lernenden zu provozieren. Aber auch das Wecken erwünschter Emotionen oder eine Überwältigung mit real oder medial präsentierten Emotionen sollte im Fremdsprachenunterricht unterbleiben. Legitime Ziele, die mit Emotionen verbunden sind, ergeben sich vielmehr aus dem Bildungsauftrag des Fremdsprachenunterrichts, Kinder und Jugendliche zum Austausch mit Anderen und zur Teilhabe am Leben in Gemeinschaft zu befähigen. Daher geht es im Folgenden um spezifisch fremdsprachendidaktische Ziele. Dazu zählt erstens der Erwerb sprachlicher Mittel, um Emotionen in Wort und Schrift zu identifizieren und zu benennen. „Unsere Sprache kennt ein großes Repertoire von Wörtern zur Bezeichnung mentaler Zustände. Sie hat Barrett zufolge einen starken Einfluss darauf, was wir unter verschiedenen Emotionen verstehen“ (Schmidt-Atzert et al. 2014, 18). Es ist daher darauf zu achten, dass die Lernenden in nachvollziehbaren Kontexten ihr fremdsprachliches Lexikon beständig erweitern, um auch nuancierte Beschreibungen von Emotionen wie „Players from the Welsh team were livid when the referee pointed to the penalty spot“ zu verstehen. Dieses Ziel im Bereich der Rezeption wird zweitens ergänzt durch die Produktion, d.h. die Nutzung sprachlicher Mittel, pragmatischer Kenntnisse und kommunikativer Strategien, um eigene Emotionen angemessen zu äußern. Gerade im Bereich der sogenannten dispreferred speech acts wie z.B. beim Ausdruck von Ablehnung, Widerwillen oder Missfallen (vgl. Yule 1996, 79) bedarf es dazu gut konzipierter Übungsaufgaben (vgl. Diehr 2016, 55ff.; Glaser 2014). Ein Ziel, das in jüngster Zeit aufgrund gesellschaftlicher Aktualität und Brisanz an Bedeutung gewonnen hat, ist drittens das Wissen über die Wirkung von Sprache auf Emotionen sowie die Erzeugung und Lenkung von Emotionen durch Sprache. Schon in früheren Jahren wurden diese Zusammenhänge mithilfe politischer Reden, literarischer Texte oder manipulativer Werbung im Fremdsprachenunterricht erarbeitet. Seit wenigen Jahren ist eine Zunahme und beschleunigte digitale Verbreitung von gezielten Desinformationen, auch Fake News, und Emotionalisierung im Internet zu beobachten (vgl. z.B. Jaster/ Lanius 2019). Die darin enthaltene Emotions- und Verhaltenssteuerung durch Sprache, Bilder und Töne muss auch im Fremdsprachenunterricht thematisiert werden, damit er seinen Beitrag zur Erziehung zum kritischen Denken junger Menschen, zur vielbeschworenen Medienkompetenz und zur demokratischen Bildung leisten kann. Da viele prominente Beispiele für Fake News aus anglophonen Kontexten stammen (z.B. Plakate Emotionen verstehen und beschreiben 43 der Leave Campaign und Zeitungsartikel der britischen Boulevardpresse im Vorfeld des EU Referendums von 2016 im Vereinigten Königreich), lassen sich für den Englischunterricht aktuelle Gegenstände finden, zu denen Fremdsprachenlernende leicht Zugang finden und eigene Bezüge herstellen können. Diesem letztgenannten Zielkomplex sollte vermehrt Aufmerksamkeit in der fremdsprachendidaktischen Diskussion über Emotionen eingeräumt werden: Im Unterricht werden erzählte, dokumentierte und analysierte Emotionen zu Lerngegenständen. Dabei ist es durchaus möglich und vorteilhaft, wenn die Lernenden an eigene Emotionen anknüpfen können, wenn sie sich z.B. daran erinnern, dass bestimmte Facebook Posts in ihnen Mitleid mit den von der Klimakrise bedrohten Eisbären auslösten. Besonders fruchtbar sind zudem Analysen von sogenannten style guides der großen Zeitschriften. So entschied die Besitzerin und Herausgeberin des Guardian, dass in der Berichterstattung über den Klimawandel in Zukunft nicht mehr verharmlosend von climate change und global warming, sondern von climate crisis und global heating geschrieben werden sollte (vgl. Carrington 2019). Diese Beispiele eröffnen die Chance zur Reflexion und kontroversen Diskussion darüber, ob eine solche Wortwahl eher geeignet ist, Panik zu schüren oder eine sachliche Auseinandersetzung und Entscheidungsfindung zu bewirken. Dabei geht es in erster Linie darum, dass Schüler*innen lernen, Emotionen zu entschlüsseln, zu verstehen und mit ihnen umzugehen. 4 Die Emotionen der Anderen - Fremdsprachendidaktische Forschung zu Empathie und Perspektivwechsel Die Kompetenz, Emotionen in fremdsprachlichen Texten zu entschlüsseln und empathisch zu reagieren, lässt sich leicht einfordern, aber nur schwer entwickeln, wie das Wuppertaler Forschungsprojekt Peer Teaching and Peer Coaching (PETE) im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung (Diehr/ Bryan 2015; Diehr erscheint) zeigt. In praktischen Unterrichtsversuchen konzipieren Lehramtsstudierende bevorzugt Kompetenzaufgaben (vgl. Hallet 2012) mit Schwerpunkten auf dem empathischen Einfühlen in literarische Figuren. Dazu nehmen sie psychologische, literaturwissenschaftliche und literaturdidaktische Publikationen zur Kenntnis (z.B. Burwitz-Melzer 2007; Freitag-Hild 2010; Gabay et al. 2016; Hodges et al. 2018; Nünning 2014; Surkamp 2019). Wiederholt machen sie jedoch die Erfahrung, dass die Lernenden die angestrebten Perspektivwechsel - wenn überhaupt - nur in Ansätzen vollziehen. In einer Arbeit zu Eggers The Circle (Wilke 2019) zeigte sich, dass die Lernenden trotz sorgfältig entwickelter Materialien und Instruktionen in der Textproduktion (Emailnachricht aus der Perspektive der Protagonistin) ihre eigenen Gedanken und Gefühle ausdrücken und den Kommunikationsanlass nicht aus der Perspektive der Anderen wahrnehmen. Enttäuscht Bärbel Diehr 44 kommt Wilke am Ende ihres Unterrichtsprojekts zu dem Schluss, dass nur eine von 17 Lernenden sich in die Hauptfigur Mae Holland, speziell ihre Anpassungsbereitschaft und Sorge um den Arbeitsplatz in einem totalitären IT- Unternehmen, einfühlen konnte, während der Rest der Lerngruppe den Textauszug aus Eggers Roman weitgehend ignorierte und eigene Gedanken und Empfindungen zum Problem der Privatsphäre in sozialen Medien verschriftlichten (Wilke 2019, 6). Für Befunde wie diese gibt es verschiedene Erklärungsansätze, die in Zukunft in interdisziplinären Forschungsprojekten auf den Prüfstand gestellt werden sollten. Wilkes Eindrücke könnten z.B. darauf zurückzuführen sein, dass die kreative, produktionsorientierte Aufgabe als Einladung zur Darlegung persönlicher Gefühle missverstanden wurde. Freitag-Hild konnte dies in ihrer Studie zur lernerseitigen Rezeption der Perspektiven von literarischen Figuren als eines von mehreren Problemen aufdecken (vgl. Freitag-Hild 2010, 335; vgl. auch Surkamp 2019 und Diehr erscheint). Zudem muss bedacht werden, dass Empathie zwei Hauptbestandteile umfasst, die emotionale und die kognitive Empathie (vgl. auch Nünning 2014; Surkamp 2019): Emotional empathy relates to the ability to experience affective reactions to the observed experience of another and involves emotional connotation, emotion recognition, and shared pain [...]. Cognitive empathy, on the other hand, is the capacity of engaging in a cognitive process of adopting another point of view, including theory of mind (ToM), the ability to understand and predict the behavior of another by attributing mental states and knowledge (Gabay et al. 2016, 1131f.). Wenn es Fremdsprachenlernenden nicht gelingt, sich in die Emotionen anderer einzufühlen, könnten mögliche Ursachen in der noch fehlenden Lebenserfahrung sowie im fehlenden kontextuellen und konzeptuellen Verständnis für die im Text konstruierten Befindlichkeiten liegen. Es sollte nicht unterschätzt werden, wie stark ein eingeschränktes Lexikon das sprachliche Verstehen der Textgrundlage erschweren kann. Ob in Fallstudien wie diesen der detachment effect auch in der Rezeption von literarischen Texten eintreten kann, wäre in interdisziplinären Projekten zu untersuchen, die Emotion, Kognition und Fremdsprache integriert betrachten. 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Der Film des Regisseurs Ken Loach erzählt eine multikulturelle Liebesgeschichte und ermöglichte im Unterricht die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Sichtweisen und den kulturellen Identitätsentwürfen einer muslimischen Familie im schottischen Glasgow. Die Lehrkraft hatte die Lernenden aufgefordert, ihre Reaktionen zu einer Szene zu artikulieren, in der die Schwester des Protagonisten Casim seine Freundin Roisin zur Rede stellt und ihr die Problematik vor Augen führt, die sich aus der Liebesbeziehung für ihre Familie ergibt. Am Rezeptionsgespräch über diese Szene beteiligten sich zahlreiche Lernende, die ihre Sicht auf die Figuren und das Filmgeschehen mitteilen wollten - die Szene eignete sich damit als motivierender und authentischer Redeanlass, der ihnen Gelegenheit zum kommunikativen Austausch über ihre Rezeptionseindrücke und -erfahrungen gab. Aus Sicht der qualitativ-empirischen Studie, die ich in dieser Lerngruppe zum inter- und transkulturellen Lernen durchführte, war das Rezeptionsgespräch vor allem deshalb aufschlussreich, weil die Äußerungen der Lernenden Rückschluss auf ihre Rezeptionsprozesse und Personenvorstellungen zuließen, die sie von den Filmfiguren entwickelt hatten. Auffällig waren hier die überwiegend negativen emotionalen Reaktionen der Lernenden auf Casims Schwester, die u.a. als ‚evil‘, ‚stubborn‘, ‚ridiculous‘ bezeichnet wurde und für deren Verhalten die Lernenden wenig Verständnis aufbringen konnten, weil sie die Liebesbeziehung der Protagonisten in Frage stellte. Diese Reaktionen wurden im Rezeptionsgespräch zwar artikuliert und somit versprachlicht, nicht jedoch - wie es mit Blick auf kulturelle Lernprozesse erforderlich gewesen wäre - auf einer Metaebene reflektiert. Da die Lehrkraft als Moderatorin Britta Freitag-Hild 50 zwar das Rederecht zuteilte, aber keinerlei Impulse zur Reflexion der eigenen Rezeptionseindrücke gab, ging auch das Rezeptionsgespräch nicht über den reinen Austausch von Rezeptionserfahrungen hinaus und reflexive Lernprozesse - z.B. die bewusste Wahrnehmung und selbstkritische Reflexion der subjektiven, aber kulturell geprägten Interpretationen - wurden nicht angestoßen. Die skizzierte Unterrichtssituation verdeutlicht zum einen exemplarisch die Bedeutung von Emotionen für die Rezeption der Filmerzählung und fordert zum anderen zum Nachdenken über die Rolle der Lehrkraft und ihre professionsbezogenen Kompetenzen beim Umgang mit Emotionen im Literatur- und Filmunterricht auf. Die rezeptionsästhetische Literaturdidaktik (vgl. Bredella/ Burwitz-Melzer 2004) geht davon aus, dass die Bedeutung eines literarischen Textes erst im Zusammenspiel zwischen Text und Leser entsteht. Der Leser konstruiert Sinn, indem er unter Rückgriff auf sein lebensweltliches Vorwissen den sprachlichen und textuellen Zeichen (Buchstaben, Wörter, Sätze, Strukturen) Bedeutung zuweist. Dabei nutzt er konventionalisierte Wahrnehmungs- und Interpretationsschemata (frames), die er im Laufe der Sozialisation zur Erklärung lebensweltlicher Ereignisse und Erfahrungen herausgebildet hat. Mit Blick auf den Rezeptionsprozess hebt Lothar Bredella (2008, 19) zudem die Bedeutung zweier verschiedener Dimensionen literarischen Lesens hervor: „Reading is a dialogical process, which includes affirmative and critical reading.“ Während es beim affirmative reading darauf ankommt, sich auf die Welt des Textes einzulassen und sich ihr ‚anzuvertrauen‘, sich in die Welt hineinzudenken, also auch mit den Figuren zu denken und zu fühlen, geht es beim critical reading zudem um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Text und der inszenierten fiktionalen Welt. Das Bildungspotenzial literarischer Texte entfaltet sich erst, so die Annahme, wenn wir uns als Leser mit unserem Vorverständnis vom Text herausfordern lassen. Dafür ist es erforderlich, sich zunächst auf den Text, die Figuren und ihre Handlungen einzulassen, aber auch über die Figuren und ihre Handlungen zu urteilen, sie kritisch zu reflektieren und schließlich, ebenfalls als Teil der ästhetischen Erfahrung nach Rosenblatt (1981), die Lenkung des eigenen Rezeptionsprozesses durch den Text wahrzunehmen. Welche Bedeutung haben nun die Emotionen bzw. die emotionalen Reaktionen des Lesers im Rezeptionsprozess und welche Rolle spielen sie in der skizzierten Unterrichtssituation? In der kognitiven Emotionstheorie, die auch von der amerikanischen Philosophin Martha Nussbaum (1998) vertreten wird, wird von einem engen Zusammenhang zwischen Kognition und Emotion ausgegangen. In ihrem Band Upheavals of Thought. The Intelligence of Emotions bezeichnet Nussbaum (1998, 19) Emotionen als „judgments of value“, also als Urteile über etwas, das für uns persönlich einen Wert hat: Emotions, I shall argue, involve judgments about important things, judgments in which, appraising an external object as salient for our own well-being, we Literatur lesen, erleben und reflektieren lernen 51 acknowledge our own neediness and incompleteness before parts of the world that we do not fully control. (ebd., 19) Geht man wie Nussbaum von einem engen Zusammenhang zwischen Emotionen und ethischen Urteilen aus, so lassen sich die geäußerten emotionalen Rezeptionseindrücke der Lernenden in der skizzierten Unterrichtssituation auch als Werturteile über das Verhalten der Schwester verstehen. Aufgrund der für sie persönlich relevanten Vorstellungen und Werte wie Freiheit, Selbstbestimmung und Emanzipation lehnten die Lernenden das Verhalten der Schwester zutiefst ab, weil es dem ‚Glück‘ des Liebespaares und deren Selbstbestimmung im Wege stand, mit dem sie sich identifizierten. Für den Rezeptionsprozess sind diese emotionalen Äußerungen und ethischen Urteile bedeutsam - sie lassen den Rückschluss zu, dass die Lernenden sich im Sinne von affirmative reading auf die Welt des Filmes eingelassen hatten, dass sie in der Lage waren, Bedeutung zu konstruieren, indem sie eigene Deutungsmuster zur Erklärung heranzogen, auch um Leerstellen zu füllen, dass sie sich vom Text zu ethischen Urteilen herausfordern ließen und diese im Austausch miteinander teilten. Insofern zeigten die Lernenden an dieser Stelle bereits eine Bandbreite an affektiv-motivationalen, kognitiven und sprachlich-diskursiven Teilkompetenzen, die Bärbel Diehr und Carola Surkamp (2015) als relevant für die Ausbildung literarischer Kompetenz definieren. Mit Blick auf die Rolle affektiv-emotionaler Faktoren im Literaturunterricht ist die Aufmerksamkeit aber nicht nur auf die Lernenden und ihre emotionalen Reaktionen auf den Text, sondern auch auf die Lehrkraft zu lenken: Welchen Beitrag leistet sie im Umgang mit den Emotionen Lernender im Literaturunterricht? Wie nutzt sie emotional-affektive Faktoren zur Ausbildung sprachlicher, literarischer, kultureller Kompetenzen? Welchen Beitrag leistet sie durch die Gestaltung der Lehr-Lern-Situation für einen angemessenen Umgang mit den Emotionen der Lernenden im Rezeptionsprozess? Zu Recht verweist Eva Burwitz-Melzer (2008) auf die Rolle der Lehrkraft als derjenigen, die die Reflexion und die bewusste Begleitung der emotionalen Prozesse der Leser*innen anstoßen muss: [Lehrkräfte] sollten, um die emotionalen Lernprozesse, die ein solcher Text bieten kann, auszunutzen und auch auszureizen, die Emotionen der Protagonisten durch Fragen und Aufgabenstellungen für die Lernenden nachvollziehbar machen. Dazu gehört es auch, den Lese- und Verstehensprozess zu verlangsamen oder zu wiederholen, wenn die emotionalen Reaktionen und die kognitiven Beurteilungen noch der schärferen Konturierung bedürfen (ebd., 37). Wenn wir diese Überlegungen für die Evaluation der skizzierten Unterrichtssituation nutzen, müssen wir feststellen, dass die hier genannten Aufgaben der Lehrkraft - das Bewusstmachen der emotionalen Prozesse der Lernenden, Britta Freitag-Hild 52 Impulse zum Nachvollziehen der Emotionen der Filmfiguren, die Verlangsamung oder auch Wiederholung des Verstehensprozesses durch Rückfragen, ein Hinterfragen oder auch durch weitere Aufgabenstellungen - von der Lehrkraft in der beobachteten Situation nicht übernommen wurden. Die emotional gefärbten Äußerungen der Lernenden, die als Reaktionen auf ihre ethischen Urteile über die Figur zu verstehen sind, wurden an keiner Stelle im Rezeptionsgespräch und auch nicht im weiteren Unterrichtsverlauf reflektiert. Dabei hätten Impulse zur Reflexion bildungsrelevante literarische und kulturelle Lernprozesse anregen können. Eine genauere Auseinandersetzung mit der Filmfigur und ihren Motiven hätte ggf. zu einem differenzierteren Verständnis geführt, und die Auseinandersetzung mit den Ursachen der eigenen emotionalen Reaktionen und Urteile hätte dazu beitragen können, ein Bewusstsein für und die selbstkritische Reflexion von eigenen Wertvorstellungen und Wahrnehmungsweisen anzuregen. Natürlich ist die Situation nur eine Momentaufnahme - sie ist weder repräsentativ für den Englischunterricht der Lehrkraft noch für andere literarische Lehr-Lern-Situationen. Sie verdeutlicht aber, was ohne geeignete Impulse der Lehrkraft passieren kann: In der konkreten Unterrichtssituation werden die Emotionen der Lernenden zwar versprachlicht und ausgetauscht, im Anschluss dann aber ignoriert, da sie weder als Ausgangspunkt für ein differenziertes Textverständnis noch zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung oder Selbstwahrnehmung genutzt werden. Die Bedeutung der Emotionen im Lese- und Rezeptionsprozess ist in der Literaturdidaktik theoretisch reflektiert worden (vgl. z.B. Bredella/ Burwitz- Melzer 2004; Burwitz-Melzer 2008; Donnerstag/ Wolff 2007) und Lehrkräfte können auf ein umfangreiches didaktisch-methodisches Repertoire für die Gestaltung des Literaturunterrichts zurückgreifen, das auch die affektivemotionalen Aspekte des Rezeptionsprozesses berücksichtigt (u.a. Caspari 1994; Nünning/ Surkamp 2016; Scheller 2004). Diverse explorativ angelegte empirische Arbeiten haben außerdem den Blick auf Bedingungsfaktoren gelenkt, die für einen rezeptionsästhetisch orientierten Literaturunterricht erforderlich sind (vgl. z.B. Burwitz-Melzer 2003; Freitag-Hild 2010; Kimes-Link 2013). Wenngleich in den Fallstudien die Rolle der Lehrkraft und ihre Gestaltung des Literaturunterrichts berücksichtigt werden, so hat sich die Fremdsprachenforschung bisher noch zu wenig mit der Frage nach der Systematisierung von und Entwicklung der erforderlichen professionsbezogenen Kompetenzen im Literaturunterricht auseinandergesetzt. Weder für die erste Phase der Lehrerbildung, in der angehende Fremdsprachenlehrkräfte laut KMK (2009, i.d.F. vom 16.05.2019) solides, strukturiertes und anschlussfähiges fachwissenschaftliches und fachdidaktisches Wissen erwerben sollen, noch für die zweite Phase des Referendariats und darüber hinaus ist die Frage nach der Ausbildung und Entwicklung professionsbezogener Kompetenzen Literatur lesen, erleben und reflektieren lernen 53 von Fremdsprachenlehrkräften im Umgang mit Literatur bislang systematisch bearbeitet worden. Da diese Kompetenzen aber, wie ich exemplarisch ausgeführt habe, entscheidend dafür sind, ob das Bildungspotenzial literarischer Texte im Unterricht überhaupt zum Tragen kommen kann, erscheint eine systematische Erforschung literaturdidaktischer Kompetenzen von Lehrkräften insofern gewinnbringend, als sie eine Antwort darauf bieten kann, wie, also durch welche Schwerpunkte in der Ausbildung, durch welche Lerngelegenheiten und welche Unterstützungsangebote diese Kompetenzen gefördert werden können. Diese Aussage gilt in gleicher Weise für den Umgang der Lehrkraft mit den emotionalen Prozessen der Lernenden im Fremdsprachenunterricht - allerdings scheint mir dieser Aspekt ein Teilbereich einer umfassenderen, noch zu erforschenden literaturdidaktischen und unterrichtsbezogenen Handlungskompetenz, die auch pädagogische Kompetenzen einschließt, zu sein. Welche Zugänge und Fragestellungen mir hier mit Blick auf den Umgang der Lehrkräfte mit emotionalen Lernprozessen im Literaturunterricht relevant erscheinen, werde ich im 3. Abschnitt meines Beitrags skizzieren. 2 Literaturunterricht als Wertebildung: Die Ansätze der Glücksbildung und der Bildung für nachhaltige Entwicklung Welche Bedeutung Literatur für emotionale Lernprozesse und die Ausbildung ethischer Urteilsfähigkeit hat, hat Lothar Bredella (2012) in seinem Band Narratives und interkulturelles Verstehen eindrücklich erörtert. Dabei wird deutlich, dass Literaturunterricht, wenn sein bildungsrelevantes Potenzial entsprechend ausgeschöpft wird, generell als Wertebildung konzeptualisiert werden kann. Das bedeutet nicht, dass (fremd)sprachliches Lernen ausgeblendet wird, sondern dass sprachliche Lernprozesse im Literaturunterricht funktional auf die Ausbildung von Empathie-, Urteils- und Kooperationsfähigkeit bezogen sind. In diesem Zusammenhang möchte ich zwei Ansätze skizzieren, die mir für die fremdsprachliche Literaturdidaktik mit Blick auf emotionale Lernprozesse besonders relevant und anschlussfähig erscheinen und Impulse zur Erforschung affektiv-emotionaler Faktoren im Literaturunterricht bieten können. Der erste Ansatz bezieht sich auf den in der Pädagogik entwickelten Ansatz der sogenannten „Glücksbildung“ (Graf 2017), die im Zusammenhang mit der Einführung des ‚Unterrichtsfachs Glück‘ als Modellfach an einigen Heidelberger Schulen im Jahr 2007 Aufmerksamkeit erlangte (vgl. Schubert 2017). In diesem Kontext wird ‚Glück‘ nicht als einmaliger, kurzfristiger und intensiver Höhepunkt des subjektiven Erlebens verstanden, der sich auch ohne Zutun des Menschen einstellen kann, sondern vielmehr im Sinne von well-being, von Wohlbefinden als einer allgemeinen tragfähigen Lebenszufriedenheit (vgl. Graf 2017, 137). Diese allgemeine, tragfähige Lebenszufrie- Britta Freitag-Hild 54 denheit soll den Einzelnen zu einem gelingenden Leben im Einklang mit sich selbst und der Welt befähigen und dazu beitragen, auch im ständigen Auf und Ab des Lebens einen Kompass, eine Richtung für das eigene Leben zu haben - auch wenn aktuelle Lebens- und Erlebenssituationen eher unangenehm sind (vgl. ebd.). Die grundlegende Idee besteht darin, im Kontext eines auf akademische Zielsetzungen ausgerichteten Bildungssystems explizit stärker lebenspraktische Fragen, Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung, der Selbstkompetenz zu erschließen, so dass eigene Bedürfnisse, eigene Werte mit allgemeinen Werten und äußeren Anforderungen in Einklang gebracht werden können (vgl. Schubert 2017). Im Unterrichtsfach Glück geht es daher um die Entwicklung von Werten und Haltungen, um das Entdecken eigener Stärken, um Sinnorientierung im Leben, das Formulieren von Zielen und deren Umsetzung, um die Übernahme von Verantwortung und aktive Gestaltung des eigenen Lebensraums (vgl. ebd.). Es wird im pädagogischen und fachdidaktischen Diskurs durchaus kritisch diskutiert, ob es für diese Inhalte ein eigenes Schulfach braucht -so sieht Ulrike Graf (2017) den Gewinn dieser ‚Bewegung‘ eher darin, dass Forschungserkenntnisse aus diesem Bereich für die Weiterentwicklung der Professionalisierungsprozesse in der Lehrerbildung genutzt werden können, welche vor allem die persönlichkeitsbildenden Aspekte jedweder Bildungsangebote mit bedenkt. Dann ginge es darum, dass Lehrkräfte Aspekte des well-being in ihr gesamtes professionelles Handlungsspektrum integrieren lernen (ebd., 148). Als Implikationen für das professionelle Handeln der Lehrkräfte nennt sie u.a. die explizite Thematisierung des Selbst- und Welterlebens - von Klassenführungsaspekten über fachdidaktisches Handeln beim Einsatz bestimmter Methoden bis zu einer reflexiven und dialogischen Leistungskultur und der Elternarbeit. Worin besteht nun die Anschlussfähigkeit zum Literaturunterricht und zum Thema der diesjährigen Tagung? Beide Bereiche - der Literaturunterricht wie auch die ‚Glücksbildung‘ - leisten ihren jeweils spezifischen Beitrag zum (fächerübergreifenden) Ziel der Persönlichkeitsentwicklung. Während im Schulfach ‚Glück‘ der eigene Lebensweg und ein reflektierter Umgang mit (bisweilen auch belastenden) Emotionen explizit im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, findet Persönlichkeitsentwicklung im Literaturunterricht häufig implizit statt: Die bewusste Wahrnehmung und der reflektierte Umgang mit Emotionen ebenso wie die Auseinandersetzung mit Sinnorientierungen, mit Werten kann aufgrund der Beschaffenheit literarischer Texte im Literaturunterricht in besonderer Weise gefördert werden. Wo, wenn nicht bei der Rezeption von Literatur, erhalten Lernende die Möglichkeit, die Entstehung von und den Umgang mit Emotionen aus einer Distanz zu betrachten, über Handlungen von (fiktiven) Personen, den literarischen Figuren, nachzuden- Literatur lesen, erleben und reflektieren lernen 55 ken und ihre Entscheidungen zu bewerten? Auch literarisch inszenierte, extreme Emotionen wie Wut, Trauer, Hass können auf diese Weise zur Sprache kommen und zum Gegenstand der Reflexion werden, sodass Strategien zur Bewältigung bzw. zum Umgang mit diesen Emotionen reflektiert werden können. Voraussetzung für diesen Fokus ist allerdings, dass Lehrkräfte über entsprechende Kompetenzen verfügen, damit diese persönlichkeitsbildenden Aspekte von Literatur im Unterricht zum Tragen kommen können. Es ist davon auszugehen, dass es hierfür nicht nur fachdidaktischer Kompetenzen zu einem adäquaten Umgang mit Literatur bedarf, sondern auch einer pädagogischen Haltung, im Sinne einer pädagogischen Sensibilität für die aktuellen Bedürfnisse einzelner Schüler*innen und einer besonderen Beziehung zu den Lernenden: Nur in einer respektvollen, wertschätzenden Atmosphäre, in der die Lernenden der Lehrkraft und sich auch gegenseitig vertrauen und als Individuum mit besonderen Fähigkeiten, aber auch Bedürfnissen wahrgenommen werden, scheinen entsprechende Lerngelegenheiten möglich. Zugleich ist davon auszugehen, dass das Lesen und der Austausch über Literatur ein besonderes Potenzial zur Auseinandersetzung mit Themen, Erfahrungen und Emotionen birgt, über die Lernende nicht ‚als sie selbst‘ sprechen möchten, auf die sie sich als Leser und damit in der Rolle des distanzierten Beobachters einlassen. Mit Blick auf diese persönlichkeitsbildenden Potenziale des fremdsprachlichen Literaturunterrichts bedarf es keiner neuen theoriebasierten Auseinandersetzung, und die Literaturdidaktik hält ein umfangreiches didaktischmethodisches Repertoire bereit. Allen voran ist in diesem Zusammenhang die Dramapädagogik (vgl. Hallet/ Surkamp 2015) als ein Zugang zu nennen, der den erfahrungsbasierten und reflektierten Umgang mit Emotionen besonders zu fördern vermag: Dramapädagogische Methoden, darunter szenische Interpretationsverfahren (vgl. Scheller 2004), unterstützen Lernprozesse der Selbstwahrnehmung und Persönlichkeitsentwicklung, indem sie dazu anleiten, Emotionen verbal und nonverbal auszudrücken, sie zu simulieren, im Ausagieren selbst zu erfahren und zu erproben, um sie im Anschluss zu reflektieren. Sie können darüber hinaus denjenigen Lernenden einen Zugang zu literarischen Texten vermitteln, die als ‚reluctant readers‘ eingestuft werden, wie Jeffrey D. Wilhelm (2016) in You Gotta BE the Book ausführt. Aus meiner Sicht wäre es lohnend, professionsbezogene Kompetenzen auch beim Einsatz dramapädagogischer Methoden zu erforschen und hier - ausgehend von Best-Practice-Beispielen - aufzuzeigen, wie ein reflektierter Umgang mit Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht gelingen kann. Fragen, die in diesem Zusammenhang für die Ermöglichung von Lerngelegenheiten zu Emotionen im Literaturunterricht interessant scheinen, wären u.a. folgende: Britta Freitag-Hild 56 • Welche Rolle wird den Emotionen von Schüler*innen im Rezeptionsprozess durch das Lernarrangement zugestanden? • Wie geht die Lehrkraft mit Emotionen, die geäußert bzw. artikuliert werden, um? Werden sie von der Lehrkraft aufgegriffen und für die Reflexion und den Verstehensprozess genutzt - oder werden sie ausgeblendet und erscheinen unerwünscht? • Inwiefern werden die Aufgabenstellungen der Bedeutung von Emotionen im Leseprozess gerecht? Welche Rolle spielen dabei dramapädagogische oder andere Methoden und Aufgaben? • Inwiefern lassen sich im schulischen Literaturunterricht Situationen bzw. Interaktionsprozesse beobachten, in denen ein Zugang zu den (persönlichen) Emotionen der Lernenden möglich scheint? Welche Bedingungsfaktoren lassen sich hierfür erkennen bzw. wie werden solche Situationen aus der Sicht der Akteure (Lehrkraft, Schüler*innen) wahrgenommen? Videographierte Unterrichtssituationen aus dem Literaturunterricht könnten dabei nicht nur wichtige Erkenntnisse für die Fremdsprachendidaktik liefern, sondern auch in unterschiedlichen Phasen der (fachdidaktischen) Aus- und Weiterbildung zur Reflexion und Entwicklung fachdidaktischer und unterrichtspraktischer Handlungskompetenzen eingesetzt werden. Ein solcher Fokus stellt nach meinem Kenntnisstand bislang ein Desiderat in der Fremdsprachendidaktik dar. Der zweite Ansatz, den ich hier für die Betrachtung von Literaturunterricht als Wertebildung als anschlussfähig erachte, ist der fachübergreifende Ansatz der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Der von der Kultusministerkonferenz in Auftrag gegebene Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung (Schreiber/ Siege 2016) ist als Beitrag zum UNESCO Weltaktionsprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung zu verstehen und definiert in dieser Funktion konzeptionelle Grundlagen, schulische Rahmenbedingungen, fachübergreifende Kompetenzen, Themen und Inhalte sowie fachspezifische Umsetzungsmöglichkeiten von BNE. Laut Orientierungsrahmen besteht das übergeordnete Bildungsziel der BNE darin, „grundlegende Kompetenzen für eine zukunftsfähige Gestaltung des privaten und beruflichen Lebens, für die Mitwirkung in der Gesellschaft und die Mitverantwortung im globalen Rahmen zu erwerben“ (ebd., 18). Um als world citizens bzw. global citizens Verantwortung für das eigene Leben und die großen Herausforderungen der Weltgesellschaft zu übernehmen, ist eine Orientierung an gemeinsamen Werten erforderlich ebenso wie die Ausbildung von Kompetenzen, die Lernende dazu befähigen, „gerechte friedliche, tolerante und inklusive Gesellschaften zu gestalten“ (www.globaleducationfirst.org, zit. nach Schreiber/ Siege 2016, 31). Das Bewusstsein und der Respekt für die Vielfalt anderer Länder, Kulturen, Lebensweisen und ihre Vernetzungen gehören ebenso zu den Zielsetzungen wie die Literatur lesen, erleben und reflektieren lernen 57 Ausbildung der Fähigkeiten zum kritischen Denken, zum Problemlösen und zum Perspektivenwechsel, zu Empathie und einer Gestaltungskompetenz, die zum Handeln und zur Übernahme von Verantwortung in globalen Kontexten befähigt. Es liegt auf der Hand, dass Literatur aufgrund ihrer Inszenierung menschlicher Erfahrungen, der Förderung von Empathiefähigkeit und der Herausforderung von Leser*innen zu ethischen Urteilen ein besonderes Potenzial für Wertebildung beinhaltet. Diese Erkenntnis ist keineswegs neu. Im Kontext von BNE verschiebt sich aber - zumindest im Englischunterricht - der Fokus von der anglophonen Welt hin zu globalen Phänomenen und transnationalen Diskursen, so dass u.a. neue Texte, Themen und Inhalte in den Blick geraten - social inequality, sustainability, climate change, education, war and terrorism, forced displacement. Dieser Shift manifestiert sich im (fremdsprachlichen) Literaturunterricht u.a. in der Auseinandersetzung mit englischsprachiger Literatur, die sich einer eindeutigen Zuordnung zu anglophonen Kulturräumen entzieht, im Zuge von Migration und Globalisierung entstanden ist und die englische Sprache als lingua franca nutzt. So lassen sich englischsprachige Texte aus dem Themenbereich Flucht und Migration gewinnbringend in den Englischunterricht integrieren, um z.B. in der Auseinandersetzung mit Narratives of Forced Migration bei den Lernenden Wissen, Einstellungen und Fähigkeiten zu entwickeln, die für die Übernahme von Verantwortung als world citizens erforderlich sind (vgl. die Beiträge in Freitag-Hild 2019). Dabei spielen die Emotionen der Lernenden, die bei der Rezeption literarischer Texte entstehen und im Literaturunterricht ausgetauscht, reflektiert und verhandelt werden können, eine besondere Rolle. Im Zusammenhang mit dem Thema der Tagung und den aktuellen Entwicklungen im Rahmen der BNE ergeben sich demnach neue Impulse für den Fremdsprachenunterricht, weil Literatur und ihr Potenzial zur emotionalen Bildung und zur Reflexion ethischer Werte noch einmal neu - aus der globalen Perspektive heraus - betrachtet werden kann. Aus meiner Sicht können die Zielsetzungen der BNE die Rolle der Literatur im Fremdsprachenunterricht zusätzlich stärken, weil literarische Texte wie kein anderes Genre ihr didaktisches Potenzial zur Entwicklung von Empathiefähigkeit, Perspektivenwechsel, Respekt für Diversität und der (selbst-)kritischen und bewussten Auseinandersetzung mit Werten und Werturteilen entfalten können. 3 Kompetenzorientierung und Professionalisierung von Lehrkräften aus Sicht der Literaturdidaktik Das Erleben und Reflektieren von Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht steht in einem komplexen Verhältnis zu Fragen der Kompetenzorientierung, weil diese Fähigkeiten nicht direkt messbar und nur schwer operationalisierbar sind (vgl. Burwitz-Melzer 2008). Trotzdem - oder gerade Britta Freitag-Hild 58 deshalb - hat sich die Literaturdidaktik in den letzten Jahren darum bemüht, die Teilkompetenzen einer umfassenden ‚literarischen Kompetenz‘ modellhaft zu erfassen (vgl. Burwitz-Melzer 2007; Diehr/ Surkamp 2015) und auch in empirischen Studien zu erforschen und damit sichtbar zu machen (vgl. Steininger 2014). In diesen Kompetenzmodellen werden auch affektive Kompetenzen berücksichtigt, die sich auf „Identifikation und Empathie“ (Burwitz- Melzer 2007, 140) oder die Fähigkeit zur Ausbildung von „Imaginationen und Assoziationen sowie Emotionen und Reaktionen“ (Diehr/ Surkamp 2015, 29) beziehen. Auch rezeptionsästhetisch orientierte Unterrichtsmodelle, die modellhafte Aufgaben für den Unterricht vorschlagen, beinhalten Aufgaben, die emotionale Lernprozesse anstoßen können (vgl. beispielhaft die Aufgaben in Bredella 2002; Bredella/ Burwitz-Melzer 2004; Burwitz-Melzer 2007; Hallet et al. 2015). Zwei Herausforderungen, die sich aber nach wie vor stellen, betreffen zum einen die curricularen Vorgaben bzw. deren Auswirkungen auf die Unterrichtsrealität und zum anderen die bereits in Abschnitt 1 angesprochene Ausbildung professionsbezogener Kompetenzen von Fremdsprachenlehrkräften im Literaturunterricht. Im Fazit ihrer Dissertation verweist Ann Kimes-Link (2013, 377ff.) u.a. auf den bildungspolitischen Druck, dem sich die in ihren Fallstudien befragten Lehrkräfte im englischen Literaturunterricht der Sekundarstufe II ausgesetzt sehen: Durch die Vielfalt obligatorischer Themen und Texte für das Landesabitur (in Hessen) entsteht in der Wahrnehmung der Lehrkräfte ein großer Zeitdruck im Literaturunterricht, und die Schwerpunktsetzungen der Abituraufgaben führen zu einer einseitigen Betonung kognitiver und analytischer Fertigkeiten. Aufgaben zur Förderung affektiver und kreativer Kompetenzen, die sehr zeitaufwändig sind, werden dadurch vernachlässigt (vgl. ebd., 379). Mit Blick auf die 2012 veröffentlichten Bildungsstandards (KMK 2012) für die Sekundarstufe II, die erfreulicherweise auch kreative Beispielaufgaben beinhalten, wäre zu hoffen, dass sich diese Veränderung auch auf die Unterrichtspraxis ausgewirkt hat - es wäre zu überprüfen, inwiefern dies tatsächlich der Fall ist und die Aufgabenbeispiele tatsächlich die ihnen zugedachte Funktion als Modelle für Lehrkräfte entfalten. Für entsprechende Forschungsvorhaben ist dabei aus meiner Sicht ein Fokus auf der Aufgabengestaltung in literaturbezogenen Unterrichtseinheiten lohnenswert, um Planungskompetenzen und ggf. - bei ergänzenden Datenerhebungen im Unterricht - die Handlungskompetenzen von Lehrkräften zu erforschen. Die Frage, ob überhaupt und - wenn ja - wie emotionale Lernprozesse im Literaturunterricht eine Rolle spielen, kann dabei eine mögliche erkenntnisleitende Fragestellung sein, die aber bestenfalls durch Fragestellungen zu weiteren Faktoren der Aufgabendesigns ergänzt wird. Wünschenswert wären außerdem empirisch ausgerichtete Studien mit einem Forschungsdesign, das stärker vergleichende Auswertungen von Fallstudien ermöglicht, als Literatur lesen, erleben und reflektieren lernen 59 dies bisher in empirischen Arbeiten zur Literaturdidaktik der Fall ist. Aufgrund der üblicherweise großen Datenmenge in literaturbezogenen Unterrichtseinheiten, die sich zumeist über mehrere Unterrichtsstunden erstrecken, erscheint es allerdings sinnvoll, über Verbundprojekte nachzudenken, in denen ein umfangreicheres Datenmaterial und auch Forschungsprogramm zu bewältigen wäre. Aufschlussreich und für die Gestaltung der universitären Lehrerbildung erhellend dürfte auch die Frage sein, wie das für den Literaturunterricht erforderliche Professionswissen - einschließlich eines für die Persönlichkeitsentwicklung förderlichen Umgangs mit Emotionen - im Lehramtsstudium erworben wird bzw. noch besser gefördert werden kann. Eigenen Erfahrungen zufolge zeigen Studierende in literaturdidaktischen Seminaren - sowohl in schriftlichen Unterrichtentwürfen als auch im Microteaching - sehr heterogen ausgebildete Kompetenzen, wenn es um die Entwicklung bzw. das Design von Aufgaben für den Literaturunterricht geht. Wie die im Folgenden skizzierte Situation aus einem literaturdidaktischen Seminar veranschaulicht, stellt die Entwicklung ‚guter‘ Aufgaben für den Literaturunterricht eine besondere Herausforderung für Studierende dar. Die Situation entstammt einem Seminar zur Literatur- und Kulturdidaktik, in dem Studierende Aufgaben für die Arbeit mit den Kurzgeschichten aus Out of Bounds der Kinder- und Jugendbuchautorin Beverley Naidoo entwickeln und im Rahmen von Microteaching im Seminar erproben sollten. Die Kurzgeschichten erzählen Geschichten von Kindern und Jugendlichen während der Zeit der Apartheid in Südafrika. Eine Gruppe von Studierenden hatte eine Microteaching-Sitzung zu der Kurzgeschichte „The Gun“ vorbereitet, in der der Sohn (Esi) der Angestellten auf einer Wildfarm mit dem Schwiegersohn Williams des Eigentümers auf Jagd geht. Williams schlägt alle Warnungen Esis in den Wind, es kommt zu einem Unfall, bei dem sich Williams selbst mit dem Gewehr lebensgefährlich verletzt, und Esi läuft davon, ohne Hilfe zu holen - das Ende der Geschichte bleibt offen. Die Studierenden hatten eine Aufgabe für ein Rollenspiel entwickelt, in dem verschiedene Figuren aus der Geschichte (u.a. Eigentümer, Williams, Esis Eltern) über eine Strafe für Esi diskutieren sollten. Damit hatten die Studierenden - im Sinne rezeptionsästhetischer Literaturdidaktik - eine Leerstelle im Text identifiziert, die sie nutzten, um unterschiedliche Figurenperspektiven in einem Rollenspiel erfahrbar zu machen. In der Seminarsituation sah ich mich plötzlich selbst mit der Aufgabe konfrontiert, den Eigentümer der Wildfarm zu spielen, der eine zwiespältige Rolle in der Geschichte einnimmt - und ich erinnere mich an meine Vorbehalte gegen die Rollenübernahme, weil sie mir (wenn auch nur für den Moment des Rollenspiels) die Übernahme von Einstellungen und Handlungen nahelegte, die mit meinen eigenen ethischen Maßstäben unvereinbar waren. Das Rollenspiel fand statt, ging aber kaum über einen oberflächlichen Austausch von Ideen für eine angemessene Strafe für Esi hin- Britta Freitag-Hild 60 aus und verfehlte insbesondere eine kontextsensitive Interpretation, in der die komplexen Hierarchien und Beziehungen des (weißen) Wildfarmeigentümers, seines Schwiegersohns und des langjährigen und vertrauten Angestellten, Esis Vater, während der Zeit des südafrikanischen Apartheid-Regimes angemessen zum Tragen gekommen wären. Im Seminar konnten wir darüber im Anschluss reflektieren und auch darüber nachdenken, inwiefern das Design der Aufgabe - u.a. fehlte ein vorbereitendes Scaffolding, das zur vertieften Auseinandersetzung mit dem Text anregte - geeignet war, um ein tiefergehendes Verständnis der Figuren und der inszenierten Konflikte zu erreichen. Es liegt auf der Hand, dass die Entwicklung solcher Lernarrangements und Aufgaben fachwissenschaftliche und literaturdidaktische Kompetenzen voraussetzt, die im Rahmen des Studiums zunächst angebahnt und dann weiterentwickelt werden müssen. Aus literaturdidaktischer Sicht erscheint es daher interessant, sich mit Fragen zur Gestaltung des Lehramtsstudiums, vor allem mit Blick auf eine Verzahnung fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Ausbildungsinhalte auseinanderzusetzen. So wären u.a. aus meiner Sicht Antworten auf die Fragen interessant, 1. inwiefern literaturdidaktische Kompetenzen mit dem erworbenen fachwissenschaftlichen Wissen der Studierenden und den Kompetenzen aus der Literaturwissenschaft zusammenhängen, 2. wie sich Lerngelegenheiten im Studium auf die Entwicklung der literaturdidaktischen Kompetenzen auswirken, 3. welcher weiteren fachwissenschaftlichen oder fachdidaktischen Unterstützungsangebote es im Rahmen des Studiums bedarf. Um diese Fragen zu beantworten, ist allerdings zunächst eine Systematisierung literaturdidaktischer Kompetenzen von Fremdsprachenlehrkräften erforderlich, die sowohl Planungsals auch Handlungskompetenzen berücksichtigt, sowie die Definition des relevanten fachwissenschaftlichen Wissens. Eine solche Systematisierung literaturdidaktischer Kompetenzen liegt bislang auch in den noch relativ jungen Studien zum Professionswissen von Englischlehrkräften (vgl. König et al. 2016; Kirchhoff 2017) nicht vor, und auch die Entwicklung eines geeigneten kompetenzorientierten Erhebungsinstruments für das relevante fachwissenschaftliche Wissen und Können stellt ein echtes Desiderat dar. Die sog. FALKO-E Studie (Kirchhoff 2017) testet zwar das literaturwissenschaftliche Wissen anhand einzelner Items (u.a. zu Konzepten wie z.B. story, discourse) und erhebt auch literaturdidaktische Kompetenzen (u.a. Reflexion über notwendiges Vorwissen für das Verstehen eines Textes). Diese eignen sich jedoch nicht, um aussagekräftige Erkenntnisse über den Erwerb fachwissenschaftlichen Wissens im Kontext bestimmter Lerngelegenheiten (z.B. im Rahmen von Seminaren) zu gewinnen. Entsprechende Forschungsarbeiten und -ergebnisse könnten dazu beitragen, lernförderliche Literatur lesen, erleben und reflektieren lernen 61 Anpassungen in der Gestaltung des Lehramtsstudiums, der zweiten Ausbildungsphase und auch für Weiterbildungen anzustoßen. 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Lustvoll lernen Friederike Klippel 1 Emotionen ein weites Feld Emotionen sind essentieller Teil der menschlichen Existenz. Sie begleiten uns das ganze Leben hindurch; sie beeinflussen unser Handeln und unser Wohlbefinden. Wir begegnen ihnen in den Mitmenschen, in Literatur und Kunst, in Musik und Film, in Politik und Wissenschaft. Insofern sind sie auch für das Fremdsprachenlernen und -lehren, und zwar sowohl für die Lernenden als auch die Unterrichtenden von Relevanz und sollten eigentlich in gleichem Maße wie Kognitionen oder Physis im Blickfeld von unterrichtlicher Praxis, Ausbildung und Forschung stehen. Das ist jedoch nicht der Fall. Emotionen sind - abgesehen von Sprechangst - ein in der aktuellen Fremdsprachendidaktik noch immer weitgehend vernachlässigtes Thema. Ein Grund für diesen blinden Fleck mag gerade darin liegen, dass Emotionen ein Alltagsphänomen sind, das uns in allen Lebensbereichen betrifft und dem wir uns nicht entziehen können. Es ist das Verdienst der Frühjahrskonferenz im Jahr 2020, dieses vernachlässigte Thema in den Fokus gerückt zu haben. Alltagsphänomene erscheinen auf den ersten Blick einfach, alltäglich eben; sie stellen sich bei näherer Betrachtung dann oft als komplexer heraus, als zu vermuten war. Das trifft auch für die Emotionen zu. Emotions are multidimensional. They exist as subjective, biological, purposive, and expressive phenomena (Izard, 1993; Mauss et al., 2005). In part, emotions are feeling states, because they lead to feeling a particular way, such as angry or joyful. But emotions are also biological reactions - energy-mobilizing response systems that prepare the body for situational adaptation. Emotions are also agents of purpose, […]. And, emotions are social-expressive phenomena. When emotional, we send recognizable facial, postural, and vocal signals that communicate the quality and intensity of our emotionality to others. (Reeve 2018, 287) Emotionen sind in unserer Leiblichkeit verankert; so lassen etwa Gesichtsausdruck und Stimmlage einer Person bestimmte Rückschlüsse auf deren emotionalen Zustand zu. Zudem interagieren Emotionen mit unseren Kognitionen: Kognitive Prozesse lösen Emotionen aus, und Emotionen führen zu Kognitionen (Reeve 2018, 334). Friederike Klippel 64 Im Kontext von Unterricht und Bildung war man sich der Bedeutung von Emotionen schon immer bewusst; man denke etwa an Pestalozzis Diktum vom Lernen mit Kopf, Herz und Hand, das zu den geflügelten Worten der Pädagogik gehört oder an die Lernspiele der Philanthropen (Klippel 1980, 15). In unserer Gegenwart hat Forschung zu Emotionen seit ein paar Jahren in den Bildungswissenschaften wieder Konjunktur. Emotions have emerged as one of the most salient topics in current educational research. This was not always the case. Traditionally, with few exceptions, educational researchers focused on the cognitive outcomes of schooling and neglected emotions (Pekrun/ Linnenbrink-García 2014, IX). Diese längere Vernachlässigung nicht-kognitiver Faktoren trifft auch für Fremdsprachendidaktik und Zweitsprachenerwerbsforschung zu: [U]ntil recently the field of second language acquisition (SLA) has paid relatively less attention to noncognitive factors such as interest and engagement (with the exception of motivation, in my view). The field instead has focused mostly on cognitive factors, or processes and outcomes of knowing, learning, and perceiving (Butler 2019, 1). In der Praxis des Sprachenlehrens und -lernens haben Emotionen, positive und/ oder negative, in ihrer langen Geschichte ebenfalls sehr unterschiedliche Aufmerksamkeit erfahren, was verwundert, wenn man bedenkt, wie zentral sie für unsere Existenz und wie eng sie mit unserer Umwelt und insbesondere mit Sprache verknüpft sind. Emotional feelings result when we become consciously aware that an emotion system of the brain is active. Any organism that has consciousness also has feelings. However, feelings will be different in a brain that can classify the world linguistically and categorize experiences in words than in a brain that cannot. The difference between fear, anxiety, terror and apprehension, and the like would not be possible without language (LeDoux 1998, 302). Da alle Menschen auf derselben Erde leben und über Sprache verfügen, könnte man vermuten, dass es universale Emotionen gibt, die allen Kulturen gemeinsam sind. Unter Anthropologen existiert schon lange ein Diskurs zwischen Universalisten und Relativisten. Konsens besteht weitgehend darüber, dass es ein begrenztes Set an Grundemotionen gibt, die überall zu finden sind. Over the centuries, from Descartes to the present, philosophers and psychologists have proposed anywhere from 3 to 11 emotions as primary or basic. All the lists include fear, anger and sadness-, most include joy, love and surprise (Plutchik 2001, 349; Hervorhebung im Original). Differenzierungen, Kombinationen und Abtönungen dieser basalen positiven und negativen Emotionen lassen sich feststellen, wenn man deren Repräsentation in verschiedenen Sprachen untersucht. Eine aktuelle vergleichende Lustvoll lernen 65 Studie von Kolexifikationsmustern - d.h. „instances in which multiple concepts are coexpressed by the same word form within a language“ (Jackson et al. 2019, 1518) - in 2474 Sprachen aus unterschiedlichen Sprachfamilien kommt zu dem Schluss, dass die Semantik emotionaler Konzepte zwischen den unterschiedlichen Sprachfamilien durchaus variiert, wobei größere Ähnlichkeiten zwischen geographisch nahen Sprachen bestehen. Doch ziehen die Autoren folgendes Fazit: Despite this variation, we find evidence for a common underlying structure in the meaning of emotion concepts across languages. Valence and physiological activation - which are linked to neurophysiological systems that maintain homeostasis - served as universal constraints to variability in emotion semantics (Jackson et al. 2019, 1522). Dies bestätigt, dass ähnliche emotionale Konzepte überall zu finden sind, kulturelle Gewichtungen jedoch kaum exakt in eine andere Sprache zu übertragen sind. „Schadenfreude“ bleibt ein schwer zu übersetzender Begriff, wenngleich sich beschreiben lässt, was er bedeutet. „Thus, the way people interpret their own emotions depends, to some extent at least, on the lexical grid provided by their native language“ (Wierzbicka 1999, 26). Gerade für den Fremdsprachenunterricht ist dies relevant: „Language teachers need to be aware that cultural/ typological distance between the learners’ native language(s) and the LX is a potentially important obstacle in the communications of emotions“ (Dewaele 2011, 35). 2 Emotionen und Sprachenlernen Im Fremdsprachenunterricht sind wie in jedem Unterricht Emotionen ubiquitär. Zusätzlich zu deren Bedeutung als Lernvoraussetzung, als Lernbegleitung, Lernförderung oder -hindernis spielen sie auch als angestrebte konkrete Lernergebnisse sprachlichen und kulturellen Lernens eine Rolle, wenn Lernfreude und eine positive Einstellung zu anderen Kulturen Ziele des Unterrichts sind. „Feelings do not happen in isolation“ (Plutchik 2001, 346). Emotionen sind situationsgebunden. Insofern interagieren viele Faktoren des Unterrichtsgeschehens und seiner Akteure. Die Auslöser für positive und negative Emotionen im Fremdsprachenunterricht sind zahlreich und individuell verschieden: Was die Lernenden betrifft, so kommen z.B. das häusliche Umfeld, die peer group, das physische Befinden, die Lehrperson, das Klassenzimmer als physischer und sozialer Raum, die Unterrichtsmaterialien, -medien oder -verfahren, die Frequenz oder die Arten der Leistungsmessung, die Unterrichtsinhalte, die Erfahrungen mit und die Kontakte zu Sprechern der gelernten Sprache, Selbsteinschätzung, Lernerfahrungen, Temperament, Persönlichkeit, significant incidents und vieles mehr in Frage. Und alle diese Auslöser können für jeden Einzelnen Friederike Klippel 66 in der Vergangenheit (gute oder schlechte Erfahrungen, die jetzige Reaktionen oder Erwartungen beeinflussen), der Gegenwart oder Zukunft (Hoffnungen, Erwartungen, Ängste) lokalisiert sein und damit gegenwärtige Emotionen beeinflussen. Angesichts dieser diversen und komplexen Ausgangslage verwundert es nicht, dass nicht alle Aspekte der emotionalen Reaktionen beim Lernen bislang erforscht wurden. Auch im Hinblick auf den Zweitsprachenerwerb ist die Forschungslage lückenhaft. Das Sachregister des 1142 Seiten starken Buchs The Study of Second Language Acquistion von Rod Ellis (2008) gab vor gut zehn Jahren eine knappe Antwort auf den Stand der Forschung zu Emotionen im Sprachenlernen und -lehren: „emotions see anxiety“ (Ellis 2008, 1119). Schon einige Jahre früher schlossen Pekrun et al. (2002) ihren Forschungsüberblick auf dem Gebiet der Psychologie so ab: The findings of our studies imply that students experience a great variety of self-referenced, task-related, and social emotions in academic settings. Judging from the results of our qualitative case studies, positive emotions such as enjoyment of learning, hope, pride, admiration, or empathy appear to be no less representative of this diversity than negative emotions. To date, research on students’ affective life has focused on test anxiety and has generally been biased toward negative emotions. To obtain a more complete picture of students’ academic reality, it would seem necessary to analyze their positive experiences as well (cf. also Fredrickson, 2001). Such an analysis may be of specific importance for designing educational environments in such ways that they foster students’ psychological well-being and learning beyond perspectives of preventing and modifying negative emotions. Going beyond test anxiety, which has been studied so extensively, the study of affect in educational psychology should thus address the full range of students’ affective experiences, negative as well as positive (Pekrun et al. 2002, 103). Von den vielen Gefühlen, die Lernende haben können, ist das negative Gefühl der Angst - Prüfungsangst in der Psychologie und Sprechangst in der Sprachlernforschung - am besten erforscht. Insofern liegen bisherige Forschungsschwerpunkte vorwiegend auf einer einzigen negativen Emotion, und man mag sich fragen, warum andere und vor allem positive Emotionen für die Forschung in den letzten Jahrzehnten weniger interessant waren. Hier deutet sich jedoch ein Wandel an. Dewaeles (2019) Stichwortsuche zu „emotion“ in zwei internationalen Fachzeitschriften (Applied Linguistics und Modern Language Journal) illustriert dies sehr schön: Vor 2002 erwähnt nur ein Aufsatz in Applied Linguistics den Begriff „emotion“ seit 2010 taucht er in 120 Beiträgen auf. Im Modern Language Journal hatte sich die Zahl der relevanten Artikel von 2010 bis 2018 verdreifacht (Dewaele 2019, 534). Positive psychology ist das Stichwort für jüngere Ansätze in der Psychologie und neuerdings auch der Fremdsprachenforschung, die unter anderem von Peter D. MacIntyre, Sarah Mercer, Tammy Gregersen und Jean-Marc Lustvoll lernen 67 Dewaele vertreten werden (siehe dazu ausführlich den Beitrag von Marx in diesem Band). Ob damit jedoch ein „emotional turn“ eingeleitet wird, wie dies White (2018) konstatiert, mag man angesichts der stetig ausgerufenen turns eher skeptisch beurteilen. Diese neue Richtung ist in gewisser Hinsicht eine Wiederbelebung der humanistischen Psychologie aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, folgt aber stärker einem empirischen Forschungsansatz. MacIntyre und Mercer (2014) halten fest: PP [Positive Psychology] aims to contribute another perspective to psychology by studying what we can do to increase strengths and attributes such as resiliency, happiness, optimism and the like in the general population (Mac- Intyre/ Mercer 2014, 155). Sie sehen das Potential dieser psychologischen Strömung für die Fremdsprachenforschung vor allem darin, dass die konkreten Lernkontexte im Sinne des social turn und die Komplexität des Sprachenlernens in jedem Einzelfall - im Gegensatz zu größeren quantitativen Vergleichsstudien - stärker in den Blick rücken (MacIntyre/ Mercer 2014, 165f.). Von positive psychology lassen sich Verbindungslinien zurück zu den humanistischen Ansätzen einiger alternativer Methoden der 1960er Jahre und zum Konzept des good language learner ziehen, wobei kognitive Aspekte bei der Beschreibung des guten Fremdsprachenlerners allerdings im Mittelpunkt stehen. Den Blickwechsel auf die Emotionen und vor allem auf die positiven kennzeichnet MacIntyre (2016, 7) als „from deficiencies to strengths“. Im Fokus stehen dabei diejenigen Merkmale, die ein erfolgreiches Leben ermöglichen (dazu Marx in diesem Band). Für den Fremdsprachenlernkontext hat Oxford (2016) unter dem Acronym EMPATHICS neun Dimensionen benannt, die Lernerfolg und Wohlbefinden der Lernenden umschreiben. Die Buchstaben des Acronyms stehen für: emotions and empathy (E), meaning and motivation (M), perseverance (P), agency and autonomy (A), time (T), habits of mind (H), intelligence (I), character strength (C), und self-efficacy (S). Damit ist weit mehr als ein Set von Emotionen umschrieben. Vielmehr ist es eine prägnante Zusammenfassung dessen, was Forschung, Beobachtung und die jahrelange Erfahrung von Lehrkräften schon länger als bedeutsame Faktoren im Fremdsprachenlernen erkannt haben. Wesentlich schwieriger ist jedoch die Frage, durch welche Umstände die erstrebenswerten Haltungen, Emotionen und Handlungen ausgelöst, erlernt und nachhaltig realisiert werden können. Zudem ist unklar, welchen Einfluss individuelle Dispositionen, familiärer Hintergrund oder Lernkontext jeweils besitzen. Die eingangs erwähnten Funktionen von Emotionen als Lernbegleitung, Lernförderung oder -hindernis hängen vermutlich eng, aber nicht ausschließlich mit dem Lernkontext, der inhaltlichen und methodischen Unterrichtsgestaltung und dem sozialen Umfeld zusammen. Dennoch wirken diese Bedingungen ja nicht gleich auf alle Beteiligten, da alle individuelle Friederike Klippel 68 Voraussetzungen mitbringen. Es erscheint daher utopisch, auf allgemein gültige Regeln auf der Basis von Forschung zu hoffen. Wichtiger ist es, die emotionale Dimension des Sprachenlernens in ihren positiven und negativen Ausprägungen genauer zu verstehen. Zudem besitzt der Fremdsprachenunterricht in seinen Zielen und Inhalten emotionale Domänen. Traditionellerweise sind diese vor allem mit Literatur und Kultur verknüpft (dazu etwa der Beitrag von Diehr in diesem Band). Weniger Aufmerksamkeit hat man bisher dem sprachlichen Ausdruck von Emotionen in Rezeption oder Produktion gewidmet. Dabei weiß jeder, der eine andere Sprache erlernt, wie schwierig es sein kann, die emotionale „Ladung“ bestimmter Wörter und Ausdrücke richtig einzuschätzen und sich kulturell und situativ angemessen auszudrücken. Zum Teil mag dies daran liegen, dass die Sprachlehrwerke in ihren Texten und Übungen quasi „keimfrei“ sind und nur wenige Emotionen darstellen oder zulassen. Starke Gefühle wie Trauer, Wut, Hass, Liebe, Ärger tauchen selten oder nie auf. Das mag mit dem Überwältigungsverbot zusammenhängen, das für die politische Bildung gilt (dazu der Beitrag Diehr in diesem Band). Jedoch erscheint es mir inkonsequent, einerseits aus motivationalen Gründen solche literarische Texte im Unterricht zu lesen, die starke Emotionen beschreiben und bei den Rezipienten auslösen (können), andererseits in den Lehrbüchern eine fast emotionslose sterile Welt abzubilden. Am ehesten finden sich in Lehrbuchtexten Freude und Überraschung. Dazu reicht im Englischunterricht dann in der Regel ein „great“. Differenzierende Ausdrucksweisen kommen kaum vor. Für die kommunikativen Anforderungen der außerschulischen, aber auch der unterrichtsinternen Kommunikation benötigen Lernende jedoch ein breites Spektrum an sprachlichen Mitteln, um das sagen zu können, was sie fühlen und sagen wollen. Auch hier zeigt sich wieder der uralte Konflikt zwischen Schule als geschütztem Raum und der Forderung, dass der Unterricht das Leben widerspiegeln müsse, um auf dieses vorzubereiten. Die Sprachlernenden müssen meiner Ansicht nach auch im Fremdsprachenunterricht in mehrfacher Hinsicht ernst genommen und gefördert werden: • als in ihrer Emotionalität, Leiblichkeit und Kognition ganzheitliche Individuen; • als Lernende, die in sprachlichen und kulturbezogenen Lernprozessen nicht nur mit intellektuellen sondern auch vielfältigen emotionalen Reaktionen umgehen lernen müssen; • als Kommunizierende, die den differenzierten Ausdruck von Emotionen in der anderen Sprache verstehen und sich ebenfalls differenziert ausdrücken lernen; • als Menschen, deren Wohlbefinden und positive Entwicklung zu mentaler und emotionaler Stärke auch im Fremdsprachenunterricht zu den Zielen zählt. Lustvoll lernen 69 Ein solcher Fremdsprachenunterricht stellt an das Curriculum, das Lehrmaterial und vor allem an die Lehrerinnen und Lehrer zweifelsohne zusätzliche Anforderungen, die nicht gut in die gegenwärtige Bildungslandschaft mit Output-Orientierung, Vergleichsarbeiten und Standardisierung passen. Emotionen entziehen sich der Normierung; sie sind individuell. Das muss zum ersten im Unterricht berücksichtigt werden. Das heißt zum zweiten, dass die Forschung in diesem Feld vor allem auf qualitative Verfahren aus emischer Perspektive setzt, etwa Interviews, Fallstudien, Befragungen und Tagebuchaufzeichnungen - so etwa Pekrun et al. (2002). Jeglicher Unterricht ist immer auch ein soziales Ereignis, das von den beteiligten Personen unter bestimmten räumlichen und zeitlichen Bedingungen gestaltet wird. Ein Blick auf die Emotionen im Fremdsprachenunterricht muss daher auch die Lehrerin oder den Lehrer einschließen. 3 Auf die Lehrperson kommt es an Anekdotische Evidenz weist darauf hin, dass Kinder, Heranwachsende und selbst Erwachsene auf die Lehrperson, aber natürlich auch auf Inhalte, Verfahren, Lern- oder Prüfungssituationen im Fremdsprachenunterricht ganz unterschiedlich emotional reagieren. Rückblickend werden jeweils andere positiv oder negativ besetzte Ereignisse und Situationen aus dem Unterricht erinnert, wenn man sich etwa Jahre später mit ehemaligen MitschülerInnen über die gemeinsame Schulzeit unterhält. Selbst Ansichten darüber, ob Frau X oder Herr Y eine gute oder weniger gute Lehrkraft gewesen sei, die diese oder jene Stärken und Schwächen besessen habe, werden nie von allen geteilt. Emotionale Reaktionen sind nun einmal individuell und lassen sich nicht für jeden Auslöser verallgemeinern. So heterogen wie die Schülerschaft sind auch die Lehrerschaft und der tatsächlich praktizierte Unterricht, dem jede Lehrerpersönlichkeit ihren Stempel aufdrückt. Der großen Vielfalt der wünschenswerten Emotionen, der sie auslösenden Faktoren und ihrer individuellen Wirkungen kann ein guter Fremdsprachenunterricht nur mit ebensolcher Vielfalt an Inhalten und Aufgaben entgegenkommen, um allen Lernenden und Unterrichtenden gerecht zu werden. Das ist alles gar nichts Neues, doch haben wir über endlosen Kompetenzdebatten zuweilen übersehen, dass Lernen Freude bereiten und wecken muss, dass Texte zum Nachdenken, zum Widerspruch, zum Lachen, zur Imitation und kreativen Weitergestaltung reizen sollen, dass Aufgaben auch witzig und phantasievoll sein können und selbst sprachlicher Blödsinn Sinn machen kann. Emotionen werden in einem solchen Unterricht nicht nur geweckt, sondern die Lernenden müssen in die Lage versetzt werden, auf vielfältige Weise gern, souverän und adäquat mit der fremden Sprache umzugehen. Als Partner in einem die Emotionen nicht ausblendenden Fremdsprachenunterricht braucht es eine Lehrkraft, die sich der emotionalen Wirkun- Friederike Klippel 70 gen von Inhalten, Verfahren und Lehrerverhaltensweisen bewusst ist und diese genau beobachtet und entsprechend gestaltet. Unterrichten ist eine Tätigkeit, die die ganze Person erfordert und fordert. Das verlangt Selbstreflexion, denn man muss mit der eigenen Emotionalität vertraut sein, um emotionale Stärken im Unterricht nutzen sowie eventuelle Defizite abbauen zu können. So sind beispielsweise im Feedbackverhalten Fingerspitzengefühl und Respekt gefragt, um Lob, Hilfe und Kritik so zu formulieren, dass bei dem jeweiligen Gesprächspartner diejenigen Gefühle bestärkt werden, die weiteres Lernen befördern, denn Gefühle, Kognition und Wohlbefinden sind eng miteinander verschränkt: Any competent teacher recognizes that emotions and feelings affect students’ performance and learning, as does the state of the body, such as how well students have slept and eaten or whether they are feeling sick or well. We contend, however, that the relationship between learning, emotion and body state runs much deeper than many educators realize and is interwoven with the notion of learning itself. It is not that emotions rule our cognition, nor that rational thought does not exist. It is, rather, that the original purpose for which our brains evolved was to manage our physiology, to optimize our survival, and to allow us to flourish. When one considers that this purpose inherently involves monitoring and altering the state of the body and mind in increasingly complex ways, one can appreciate that emotions, which play out in the body and mind, are profoundly intertwined with thought. And after all, this should not be surprising. Complex brains could not have evolved separately from the organisms they were meant to regulate (Immordino-Yang/ Damasio 2007, 3f.). In der Lehrerbildung sollte man daher das Thema Emotionen nicht weiter ausklammern, sondern darauf achten, dass angehende und praktizierende Lehrkräfte zum ersten ihre eigene emotionale Intelligenz entwickeln, die ihnen sowohl dabei hilft, individuell auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten in der Lerngruppe zu reagieren als auch auf der Basis eines guten Gefühlsmanagements zufriedener im Beruf zu sein. Zum zweiten können angehende Lehrkräfte lernen, bei der Planung, Durchführung und Reflexion von Unterricht emotionale Aspekte ebenso selbstverständlich mit zu bedenken wie kognitive oder organisatorische, um Inhalte und Verfahren in beiderlei Passung einzuschätzen. Dabei gibt es keine Patentrezepte, sondern nur einen das ganze Berufsleben andauernden Lern- und Erfahrungsprozess, der mit jeder neuen Lerngruppe weitere Facetten erhält, weil - zum Glück - die Menschen sehr verschieden sind und auf unvorhersehbare Weise emotional reagieren. Schließlich muss auch die fremdsprachendidaktische Forschung stärker die Emotionen von Lehrerinnen und Lehrern in den Blick nehmen. Frenzel et al. (2016) haben mit den „Teacher Emotions Scales“ ein Instrument zur Erforschung von Freude (enjoyment), Ärger (anger) und Angst (anxiety) entwickelt Lustvoll lernen 71 und an deutschen und kanadischen LehrerInnen unterschiedlicher Schulformen getestet, das sich auch für die Untersuchung von Fremdsprachenlehrkräften eignet. Ihr Fazit stimmt hoffnungsvoll: In sum, our data proposes that teaching anxiety is a threat more to teachers’ well-being rather than to the quality of their teaching. In contrast, teaching enjoyment is positively linked with effective teaching, but not necessarily with being satisfied with the teaching job or feeling particularly efficacious when teaching (Frenzel et al. 2016, 159). Das Stichwort „well-being“ (Wohlbefinden) deutet einen neuen Trend in der Lehrerforschung an. Hat man bisher vor allem die negativen Folgen des Lehrerberufs wie den Burn-out untersucht, beginnt man nun sich den positiven Seiten zuzuwenden. Das gerade erschienene Handbuch Teacher Wellbeing (Mercer/ Gregersen 2020) richtet sich speziell an Sprachlehrerinnen und -lehrer. Es enthält ein breites Spektrum an Überlegungen, Anregungen und Aufgaben, zu denen auch solche zu Lehreremotionen gehören. 4 Ein paar Vorschläge für den Fremdsprachenunterricht Mit dem Thema der Emotionen im Unterricht stellt sich für mich die Frage nach dem Konzept eines „idealen Unterrichts“, also eines ganzheitlichen, kognitive, soziale und emotionale Ziele verfolgenden Fremdsprachenlernens, das sprachliche Fähigkeiten entwickelt, den Horizont weitet, die Grundlage für freudiges, lebenslanges Lernen legt und sowohl den Lernenden als auch den Unterrichtenden Freude bereitet. Einen solchen Unterricht hat man in der Geschichte des Fremdsprachenlernens periodisch immer wieder gefordert und versucht zu realisieren. So etablierten die Philanthropen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an ihren Schulen eine Übungs- und Sprechmethode, die Lernspiele und Unterrichtsgänge einschloss, um Anschaulichkeit, körperliche Bewegung und Lernfreude zu generieren (Klippel 1980, 15). Die Montessori-Pädagogik und die Waldorf-Pädagogik bemühen sich um einen ganzheitlichen Fremdsprachenunterricht mit allen Sinnen (Kiersch 1992). In den 1990er Jahren wurde im Zusammenhang mit dem erneuten Interesse am Frühbeginn ganzheitliches Fremdsprachenlernen diskutiert (Klippel 2000). Und schließlich spielte der Einbezug von Emotionen und Individualität der Lernenden eine große Rolle in den 1960er bis 1980er Jahren, als viele der sogenannten alternativen Methoden entwickelt wurden, die eine Flut an kommunikativen Aktivitäten generierten, in denen Gefühle selbstverständlich Platz fanden und artikuliert werden sollten (z.B. Moskowitz 1978; Klippel 1984). Im Wesentlichen kann es also gar nicht darum gehen, Fremdsprachenunterricht ‚neu‘ zu denken, denn in den sich im Verlauf der langen Geschichte des Sprachenlernens und -lehrens immer wieder umschichtenden, in den Friederike Klippel 72 Vorder- oder Hintergrund tretenden und den jeweiligen Verhältnissen anpassenden Elementen des Sprachunterrichts wird es in naher Zukunft kaum revolutionäre Neuerungen geben. Vielmehr geht es darum, die Emotionalität des Menschen wieder in den Blick zu nehmen, daran zu denken, dass Gefühle wirkmächtige Antriebsmotoren für das Lernen sein können, die man in der Unterrichtsgestaltung fördern kann. Der amerikanische Pädagoge Kieran Egan schlägt dazu einen „imaginative approach to teaching“ vor (Egan 2005). Sein dazu entwickeltes „tool kit for learning“ (Egan 2005, 1-37) enthält vieles, was Fremdsprachenlehrkräfte auch bisher schon einsetzen: „story, metaphor, binary opposites, rhyme, rhythm and pattern, jokes and humor, mental imagery, gossip, play, mystery“. Immer geht es ihm darum, den Unterrichtenden Wege aufzuzeigen, die Lernenden auch in ihren Gefühlen zu „packen“, um ihnen dadurch ein nachhaltigeres Behalten und den Erwerb bestimmter Herangehensweisen zu ermöglichen. We should […] reemphasize that teaching is about communicating meanings more than it is about obtaining objectives. These are not mutually exclusive alternatives, of course, but which we put first significantly determines what goes on in the classroom (Egan 2005, 214). Seit meiner Zeit als Englischlehrerin in den frühen 1970ern habe ich im Sprachunterricht an Schule und Hochschule und in der Lehrerbildung gute Erfahrungen mit Spielen gemacht. Spielerisches Lernen involviert die Teilnehmer emotional und kognitiv - in Lernspielen, beim Improvisieren, beim Simulations- oder Rollenspiel. Spiele können Lernenden dabei helfen, einen freien und kreativen Umgang mit der fremden Sprache zu erwerben, weil in ihnen - abhängig vom Spielziel - Fehlertoleranz herrscht, individuelles Reagieren möglich und sprachliches Experimentieren erlaubt ist. Viele Lernspiele sind so strukturiert, dass Wiederholungen bestimmter Strukturen (etwa Fragen in Ratespielen oder beschreibende Aussagen in information gap games) oder Wortfelder erforderlich sind, um das Spielziel zu erreichen. Alle Spielteilnehmer sind dabei in der Gegenwärtigkeit des Spiels rezeptiv (man ist gespannt, was die anderen sagen oder schreiben) oder produktiv eingebunden (Klippel 2016, 16). Ganz wesentlich erscheint es mir, stärker die breite Palette der positiven Emotionen zu bedienen, und das heißt eben nicht nur sicherzustellen, dass die Unterrichtssituationen angstfrei bewältigt werden können, sondern aktiv lustvolles Arbeiten zu initiieren. Dabei kann man sicherlich an vieles anknüpfen, was (lebens-)erfahrene Lehrkräfte bereits praktizieren. MacIntyre, Gregersen und Mercer (2019, 268) empfehlen unter anderem „Taking a Strengths-Based (vs. Deficit-Based) Approach“: Employing an individual’s strengths consciously and actively in growing incipient language skills may enable learners to feel invigorated, authentic, and intrinsically motivated (ebd.). Lustvoll lernen 73 Das bedeutet nichts anderes als auf dem aufzubauen, was Lernende bereits beherrschen - ein uraltes pädagogisches Prinzip. Was man dazu braucht, sind Lehrkräfte, die ihre Schülerinnen und Schüler genau kennen und respektieren, die über ein breites methodisches Repertoire verfügen und die Freude am Unterrichten haben. Im weitgehend einsprachigen Fremdsprachenunterricht kommt dabei der Lehrersprache eine überragende Bedeutung zu. Nur wenn es Lehrkräften gelingt, im Medium der anderen Sprache nicht nur den Unterricht organisatorisch und inhaltlich zu gestalten, sondern auch in der Interaktion mit den Schülerinnen und Schülern zugewandt und kommunikativ ansprechend zu sein, können auch positive Emotionen geweckt werden. Es ist daher bedenklich, wenn Grundschullehrkräfte Schwierigkeiten haben, mit ihren SchülerInnen in der Fremdsprache spontan informell zu kommunizieren (Deters- Philipp 2018, 301 und 403) und sich fast nur auf die Vorgaben des Lehrbuchs beschränken. 5 Das Ziel Bereits der sehr kurze Blick auf das Feld hat deutlich gemacht, dass es vieles zum Thema Emotionen und Fremdsprachenlehren/ -lernen gibt, das bislang nicht oder kaum erforscht wurde. Da Emotionen bei Lernenden und Unterrichtenden so ubiquitär sind, kann man sie im Zusammenhang mit allen Bereichen und Aspekten des Sprachenlernens und -lehren erforschen - der Digitalisierung, der Gestaltung von Lehrwerken und Materialien, der Auswahl von Inhalten, dem Einsatz bestimmter Verfahren bei Darbietung, Übung und Anwendung, der Leistungsfeststellung, dem Lernkontext, der Lehrerpersönlichkeit und vielen anderen mehr. Die bisherige Forschung zu anxiety fällt unter die Kategorie achievement emotions, die auch in der Psychologie zu den am intensivsten erforschten Emotionen zählen. In den Bildungswissenschaften wird daher eine Ausweitung der Forschung zu Emotionen im Unterricht auf vier Felder empfohlen: Traditionally, research on emotions in education focused on the achievement emotions experienced by students when they succeed or fail, or expect to succeed or fail, on academic tasks. […] Emotions related to the contents of learning and teaching, to the process of cognitively generating knowledge, and to social interactions in the classroom are no less important, suggesting that there are at least four distinct groups of emotions that should be considered: achievement emotions, topic emotions, epistemic emotions, and social emotions (Pekrun/ Linnenbrink-García 2014, 3). Man könnte in Experimenten Hirnströme messen oder Blickrichtungen aufzeichnen, um Emotionen bei Lernprozessen eventuell auf die Spur zu kommen; zumeist muss sich die Forschung wohl aber auf die Selbstauskünfte von Probanden stützen. Dass diese nicht immer zuverlässig oder überindividuell Friederike Klippel 74 vergleichbar sind, liegt auf der Hand. Die Wirklichkeit des Klassenzimmers ist vielschichtig. Auch Beobachtungen oder Videographie können immer nur einige offensichtliche Aspekte des emotionalen Unterrichtsgeschehens erfassen. Aber aus vielen Beobachtungen und Erfahrungen, die sich in Befragungen und Interviews aller Art eruieren lassen, kann sich ein Gesamtbild ergeben, das gewisse Grundmuster erkennen lässt. Damit ließe sich an Forschungen aus den 1970er Jahren anknüpfen, in denen das Interaktionsverhalten exzellenter Fremdsprachenlehrkräfte aus Beobachtungen extrahiert wurde (Moskowitz 1976). Schon Hermann Klinghardt, der in der neusprachlichen Reformbewegung vier Jahre lang seinen eigenen Englischunterricht dokumentierte, beobachtete und reflektierte, beschreibt Unterrichtssequenzen, in denen offensichtlich Lernfreude ausgelöst wurde (Klinghardt 1888, 38f.; 65f.; 70). Hundert Jahre später schildert Joachim Appel (1995) in seinem Diary of a language teacher an vielen Stellen, wie bestimmte Handlungsweisen, die man grob als humanistisch bezeichnen könnte, positiv auf die Schülerinnen und Schüler wirken. So beschreibt er Beispiele für „empathetic understanding“ (Appel 1995, 46- 48), durch das der Lehrer den Lernenden Wertschätzung durch genaues Zuhören entgegenbringt. Diese wenigen Beispiele mögen andeuten, in welche Richtung meiner Meinung nach geforscht werden sollte. Wir brauchen mehr Forschung zu und von Lehrkräften, vor allem beobachtungs- und erfahrungsbasierte Konzeptionen der good language teachers. Ich habe bewusst den Plural gewählt, denn es geht mir nicht um ein Leitbild, das für alle verpflichtend wäre, sondern um solche Einstellungen, Praktiken und Persönlichkeiten, die es allen Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen ermöglichen, einen lustvollen, befriedigenden und ertragreichen Fremdsprachenunterricht zu erfahren, der sie als Persönlichkeiten stärkt. Literatur Appel, Joachim (1995): Diary of a Language Teacher. Oxford: Heinemann. Butler, Yuko Goto (2019): „Linking noncognitive factors back to second language learning: New theoretical directions“. In: System 86, 102-127. 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Emotionen, Antisemitismus, „Spielzeugland“ Brisante kulturelle Inhalte im Unterricht für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Uwe Koreik 1 „Emotionen“ als wiederkehrendes Thema Das Thema „Emotionen im Fremdsprachenunterricht“ wird mit ziemlicher Regelmäßigkeit immer wieder einmal in den Vordergrund der Fachdiskussionen geschoben. „Sind wir gegenwärtig in einer Zeit, in der die Emotionen als ein wissenschaftliches Sujet entdeckt werden, die Springflut der Publikationen weltweit spricht dafür […]? “ fragt Inge C. Schwerdtfeger bereits 1997 (ebd., 587), um letztlich anzudeuten, dass Emotionen als Thema wieder einmal Konjunktur habe, was sich u.a. auch darin ausdrücke, dass der FaDaF (Fachverband Deutsch als Fremd- und Zweitsprache) das Thema „Emotion und Kognition“ als eines der Schwerpunktthemen für seine Jahrestagung gewählt habe und es sich zudem in der Entdeckung der Emotionalen Intelligenz (Goleman 1996) äußere. Schwerdtfeger (1997) leitet daraus die Forderungen ab, Emotionen „als integralen Bestandteil des Fremdsprachenunterrichts zu verankern“ (ebd., 587), sie verstärkt in die Forschung zu integrieren und daraus weitere Forschungsfragen abzuleiten. Ein knappes Jahrzehnt später stellte Burwitz-Melzer (2008) fest, dass „Emotionen […] im Fremdsprachenunterricht wiederholt untersucht worden [sind]“ (ebd., 28) und zu den so genannten affektiven Faktoren zählen „die einen nicht geringen Einfluss auf das Erlernen einer Fremdsprache haben“ (ebd.) und kann sich dabei auf eine nach 1997 deutlich angewachsene Liste an relevanter Sekundärliteratur beziehen (De Leeuw 1997; Dörnyei 2001; Gardner/ Lambert 1972; Geisler/ Hermann- Brennecke 1997; Riemer 2002, 72-77; Solmecke 1983). Bemerkenswert ist die Feststellung von Burwitz-Melzer (2008), dass das Thema „Emotionen“ im Fremdsprachenunterricht einerseits immer mit dem Themenbereich Motivation in Zusammenhang gebracht oder aber andererseits mit dem Faktor „Angst“ verbunden werde. Um diese beiden Aspekte soll es hier nicht gehen, sondern der Blick soll auf das kulturelle Lernen im Sprachunterricht gerichtet und dabei genauer der Aspekt der Einstellungen bzw. Voreinstellungen in den Vordergrund gerückt werden. Und dabei gilt weiterhin: „Sprachenlernen ist immer Kulturenlernen“ (Krumm 1998, 524), auch wenn der Begriff „Kultur“ hier zu einer ausgedehnten Erörterung mit Bezügen auf etwa Altmayer (u.a. 2017) Uwe Koreik 78 oder Reckwitz (2000; 2019) einladen würde und gerade auch in Kombination mit dem Begriff „Emotion“ zu weitreichenden Überlegungen führen könnte, die allerdings auch schnell auf das Feld der Stereotypisierungen führen würden. 2 Erwartungshaltungen und Deutungsmuster Wir alle bringen aufgrund unserer Sozialisation, zu der eben auch Informationsaufnahme gehört, gewisse Voreinstellungen oder Einstellungen mit, die wirksam werden, wenn wir mit neuen Sachverhalten oder Fragestellungen konfrontiert werden. Und natürlich sind diese Einstellungen häufig auch mit Gefühlen verknüpft, die durch aus den verschiedensten Gründen erzeugte Ängste oder auch durch positive Erlebnisse geprägt sein können. Und in diesem Zusammenhang entwickeln wir zudem Erwartungshaltungen, die gerade auch das kulturelle Lernen im Fremdsprachenunterricht bestimmen (können), da sie unsere „kulturellen Deutungsmuster“ (z.B. Altmayer 2006) maßgeblich beeinflussen. Der Begriff der „Erwartung“ spielt schon bei Luhmann (1984) eine bedeutende Rolle, da er das „Auflösevermögen wissenschaftlicher Analyse gegenüber Kompaktbegriffen wie Rolle, Norm, Sozialität, Nutzen gesteigert“ habe. Und „Erwartungen zu [bilden] ist eine Primitivtechnik schlechthin“ (ebd., 397). Koreik (1998) führt in diesem Zusammenhang als eins von mehreren Beispielen einen Kurzvortrag vor zwei Gruppen bulgarischer Studierender Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts an der TU Sofia zum System der öffentlich-rechtlichen sowie der privaten Fernsehsender in der Bundesrepublik Deutschland an. Die sprachlich fast ausnahmslos guten bis sehr guten Studierenden hatten dem einen Hörverstehenstest simulierenden Kurzvortrag mehrheitlich entnommen, dass die privaten Fernsehsender in Deutschland eine freie Berichterstattung garantieren, wohingegen öffentlich-rechtliche Gremien zu einer Art Staatsberichterstattung führen. Nichts dergleichen war vorgetragen worden. Es war trotz absolut ausreichender Deutschkenntnisse fast aller Studierenden etwas gehört worden, das nicht dem Vortragsinhalt, sondern der eigenen Erfahrungswelt entsprach und zudem stark affektiv aufgeladen war. Die neu geschaffenen privaten Fernsehsender in Bulgarien waren seinerzeit die einzigen, die Kritik an der eigenen Regierung vorbrachten und sich zunehmender Beliebtheit in der Bevölkerung erfreuten. Eigene kulturelle Erfahrungen und vor allem die mit zu der Zeit fast ausschließlich positiv besetzten Emotionen hinsichtlich der Aktivitäten privater Firmen oder eben auch Medien, hatten zu einer kulturellen Interferenz geführt, die sich in einem völligen Fehlverstehen ausdrückte. Emotional positiv wie auch negativ besetzte „Erfahrungswelten“ beeinflussen die Informationsaufnahme wie das Lernen generell. Emotionen, Antisemitismus, „Spielzeugland“ 79 3 Antisemitismus in Gesellschaft und DaF-/ DaZ-Unterricht Isabell Mering (2013) hat an der Deutsch-Jordanischen Universität in Amman eine kleine Studie durchgeführt und dafür vor einer geplanten Unterrichtseinheit zur deutschen Geschichte mit dem Schwerpunktthema Nationalsozialismus bei Kursteilnehmer*innen Meinungen zu Hitler erhoben. Viele der festgehaltenen Äußerungen lesen sich wie folgende: Wenn ich Hitler sehe, dann sehe ich Deutschland […], dann erinnere ich mich nach Deutschland und was in den Weltkriegen passiert ist. Aber so schlimm finde ich Hitler eigentlich nicht, wie alle denken, ehrlich gesagt. Weil die sagen immer, wie schlimm er ist. Was jetzt die Juden machen in Palästina ist viel schlimmer (Mering 2013, 184). In anderen studentischen Beiträgen wird der Holocaust grundsätzlich in Frage gestellt oder zumindest bagatellisiert. Mehrfach wird dabei auf die aktuelle Situation in Palästina verwiesen (vgl. hierzu Koreik/ Fornoff 2020, 603-606). Wenn Altmayer (2018, 75) anmerkt, „was in einem Deutschunterricht, der solche Ergebnisse hervorbringt, eigentlich schief gelaufen [! ] sein muss“, ist das in zweifacher Hinsicht problematisch. Zum einen übersieht er, dass diese Aussagen vor Beginn der Unterrichtseinheit getätigt wurden (nach Abschluss gab es allerdings immer noch ähnliche Aussagen) und zum anderen übergeht er die Intention des Artikels von Mering, die bereits aus dem ersten Teil ihres Titels hervorgeht: „Im Spannungsfeld zwischen Vorurteil und Wissenslücken“. Im Hintergrund von Altmayers Wertung dürfte allerdings seine Position zum kulturellen Lernen im Fremdsprachenunterricht stehen. ,Landeskundliches Lernen‘ oder eben kulturbezogenes Lernen gilt im Rahmen der ,kulturwissenschaftlichen Landeskunde‘ als ein hochgradig individueller Prozess, der sich auch als ,Deutungslernen‘ oder auch als ,deutungsmusteranknüpfendes Lernen‘ beschreiben lässt […]. Ausgangspunkt sind die Deutungsressourcen oder kulturellen Muster, die den Lernenden zur Verfügung stehen und an die es zunächst anzuknüpfen gilt (Altmayer 2013, 21). Die von Mering erhobenen Aussagen von Studierenden an der Deutsch- Jordanischen Universität sind eben nicht in erster Linie „hochgradig individuell[…]“, sondern stark durch den gesellschaftspolitischen oder eben auch kulturellen Hintergrund geprägt. Zu ähnlichen Befunden insbesondere mit Blick auf die arabischsprachige Welt kamen auch bereits Fisseler-Skandrani (1992) und Ghobeyshi (2002) und jüngst auch Herzner (2018), der seine Analyse von Unterrichtsmaterialien für den an den Integrationskurs angehängten Orientierungskurs mit dem Zitat eines Teilnehmers aus einem universitären Flüchtlingskurs eröffnet: „Das mit den Juden hat Hitler gut gemacht“ (ebd., 184). Constantin Schreiber (2019) stellt nach einer Analyse von Schulbüchern aus Afghanistan, Iran, Ägypten, Palästina, und der Türkei mit dem Titel Kin- Uwe Koreik 80 der des Koran. Was muslimische Schüler lernen resümierend u.a. fest: „Antisemitische Elemente sind sehr präsent und explizit“ (ebd., 268). Und das dürfte in ähnlicher Weise auch auf Schulbücher in Jordanien zutreffen. Und zu den Einflussfaktoren Schule und Lehrwerke kommen Fernsehen, die sozialen Medien, alle Sozialkontakte von der Familie über den Freundeskreis sowie nicht selten auch Religionsvertreter hinzu. Die häufig schlechte Informationsgrundlage zum Holocaust wird zusätzlich überlagert durch das Leiden der Palästinenser und die jeweils aktuellen politischen Nachrichten zum Palästinakonflikt. Aleida Assmann (2016) hat die Wahrnehmungsprobleme von Israelis und Palästinensern präzise formuliert: Der Holocaust hat eine doppelte Folge gehabt: den Unabhängigkeitskrieg, der die Leiden der Juden beendete, und die Nakba, die die Leidensgeschichte der Palästinenser in Gang setzte. Diese historischen Ereignisse sind Gegenstand zweier nationaler Narrative, die jeweils nur zwei der drei Phasen erfassen. Für die Israelis sind das die Phasen I und II, für die Palästinenser die Phasen II und III. Auf diese Weise leben auf demselben Land zwei Volksgruppen zusammen, die jeweils mit einem blinden Fleck für die Geschichte der anderen geschlagen sind (ebd., 163). Als eine weitere Einflussgröße unabhängig von der Erinnerungskultur, „die in jeweils unterschiedliche individuelle, kollektive bzw. länderspezifische Bewertungen des Holocaust eingeht“ (Fornoff 2018, 169) benennt Fornoff das generelle Verhältnis zu Israel bzw. zum Judentum. Zu bedenken sei in diesem Zusammenhang, „dass Antisemitismus und Israel-Feindschaft (wobei dies durchaus zwei unterschiedliche Dinge sein können) ein kultur- und länderunabhängiges globales Problem darstellt, Antisemitismus mithin weit verbreitet und gerade auch in Deutschland nach wie vor vorhanden ist“ (ebd.). Dies ändere jedoch nichts an der Tatsache, dass in arabischen Ländern wie im Übrigen auch unter muslimischen Jugendlichen in Europa antisemitische Tendenzen besonders ausgeprägt seien (ebd.). „Infolge des bitteren israelischpalästinensischen Konflikts“, so Fukoyama (2019, 177), legten „viele Muslime zudem eine Form des Antisemitismus an den Tag, die man in Europa seit dem Ende des zweiten Weltkriegs sorgsam unter Kontrolle gehalten hatte.“ Mit der gewachsenen Zuwanderung aus islamisch geprägten Staaten nach Deutschland und erst recht durch die gestiegenen Flüchtlingszahlen aus entsprechenden Ländern ist das Problem eines „importierten“ Antisemitismus in Deutschland vermehrt angekommen, in dem Land der Täter des Holocaust, in dem man es sich gerne zu Gute halten möchte, eine weltweit mustergültige Aufarbeitung der belastenden Vergangenheit betrieben zu haben. In der Tat kann man nach einer längeren Phase der Verdrängung, die weitgehend bis in die sechziger Jahre reichte, dann mit einem gewissen Stolz auf zunächst die westdeutschen Schulcurricula seit den sechziger und vor allem siebziger Jahren blicken, in denen die Aufarbeitung der Taten und Folgen des Nationalso- Emotionen, Antisemitismus, „Spielzeugland“ 81 zialismus einen prominenten Stellenwert hatten. Auschwitz- und Eichmann- Prozess, Publikationen der Bundeszentrale für politische Bildung, Ausstellungen und Reden von Politiker*innen rückten im Westen Deutschlands den Umgang mit der Schuld zunehmend in den Vordergrund, so dass Schüler*innen seit etwa den achtziger Jahren oft gar mit einem gewissen Überdruss von einer permanenten Behandlung des Themas „Holocaust“ in den verschiedensten Schulfächern berichteten. Der entscheidende Anstoß für diese deutliche Veränderung in der Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik wurde jedoch 1978/ 79 durch die vierteilige US-Fernsehserie „Holocaust“ gegeben, „deren große Wirkung überhaupt erst dieses Wort bekannt machte“ (Bösch 2019, 363). Diese Serie, in der die Verfolgung und Ermordung der fiktiven jüdischen Familie Weiß den Haupthandlungsstrang ausmachte, „löste eine recht einmalige emotionale Erschütterung aus“ (ebd.) und führte zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung. „Zehntausende Menschen riefen bei den Fernsehsendern an, erzählten weinend ihre Erinnerungen oder schrieben emotionale Briefe“ (Bösch 2019, 263f.). Die Ausstrahlung dieser Serie wurde vielfach als entscheidende Zensur angesehen. Der Philosoph Günther Anders schrieb vom Eintritt der Deutschen „in die Nach-Hitler-Ära“ und Heinrich Böll nahm an, dass es ein „Vor Holocaust und ein Nach- Holocaust“ geben werde, wie Bösch (ebd., 264) berichtet. Es bleibt festzuhalten, dass es eine Spielfilmserie war, die diese einschneidende Änderung herbeiführte, eine Spielfilmserie die unter dem Titel „Judenvernichtung als Seifenoper“ von Sabine Lietzmann am 20.4.1978 in der FAZ besprochen worden war und die zunächst auch nur versteckt in den dritten Programmen gezeigt werden durfte, wo sie dann aber dennoch Millionen sahen. Währenddessen hatte man sich im Osten Deutschlands längst auf der Seite der Sieger gegen den Faschismus verortet. Bis zu Beginn der siebziger Jahre, so der ostdeutsche Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, existierte das Thema Judenverfolgung und vor allem Judenvernichtung in den Schulbüchern der DDR nicht (Kowalczuk 2019, 219), auch wenn es angesichts literarischer Werke wie von Friedrich Wolff oder Jurek Becker kein völlig ausgeklammertes Thema war. Dann ist die Verfolgung der Juden mit kurzen Abschnitten zur »Reichskristallnacht« zu den »Nürnberger Rassegesetzen« und zum »Aufstand im Warschauer Ghetto« eingeführt worden. Der Holocaust, die industrielle Vernichtung von Millionen Jüdinnen und Juden ist nicht erwähnt worden (ebd.). Kowalzcuk verweist auf eine von einem Nachwuchshistorikerkollektiv für das Jahr 1990 geplante neue Ausgabe des „Geschichtskalenders“, in der in dem Beitrag „Auschwitz-Mörder vor Gericht“ nicht erwähnt wurde, „wer dort eigentlich millionenfach umgebracht worden ist“ (Kowalczuk 2019, 220). DaF-Lehrkräfte im Ausland machen häufig die Erfahrung, dass im deutschen Schulunterricht das Thema oft sehr viel eingehender besprochen wur- Uwe Koreik 82 de, als das in vielen Ländern der Welt der Fall ist. Und daraus lässt sich leicht ableiten, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit in Deutschland besser gelöst wurde als anderswo. Aber das ist relativ. So erhielt ich z.B. für eine Vortragsrundreise in Japan, die im März 2020 hätte stattfinden sollen, aber der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen ist, die Einladung an eine japanische Universität mit folgendem Wunschvortragstitel : „Die deutsche Zeitgeschichte im Rahmen des Landeskundeunterrichts für DaF und ihre Implikationen für Japanisch als Fremd- und Zweitsprache“. In der Zuhörerschaft würden zahlreich Japanisch als Fremdsprachenlehrer*innen sitzen. Das Ziel der Veranstalterin war klar und mir waren auch Filme mit japanischen Untertiteln angeboten worden, aus denen ich hätte Ausschnitte zur Illustration meiner Aussagen hätte verwenden können. Dabei handelte es sich um Im Labyrinth des Schweigens (2014), ein Film der die bundesdeutsche Verdrängung von Schuld und die durch Fritz Bauer initiierte Vorbereitung des Auschwitz-Prozesses thematisiert, und um John Rabe (2009), ein international viel beachteter Film, in dem ein deutscher der NSDAP angehörender Geschäftsmann in Nanjing Tausende von Chinesinnen und Chinesen vor dem Massaker durch die japanische Armee bewahrt. Hier wurde einem deutschen Redner vielleicht sogar zu Recht die Aufgabe zugewiesen anhand von Beispielen aus der Kultur und vor allem aus dem Unterricht für Deutsch als Fremdsprache aufzuzeigen, welche Schritte der Vergangenheitsaufarbeitung nötig waren, um auf den aktuellen Stand zu kommen, von dem man in Japan noch weit entfernt zu sein scheint. „Der Deutsche Umgang mit der NS- und SED-Vergangenheit“, so der Zeithistoriker Edgar Wolfrum (2020, 279), „wurde seit den 1990er Jahren oftmals als weltweites Vorbild für die Aufarbeitung diktatorischer Vergangenheit angeführt“, was vielfach aber auch kritisch gesehen wurde, weil es einen ähnlichen Perfektionsdrang zu zeigen schien, der auch der Tötungsmaschinerie des Holocaust zu eigen gewesen sei. Weniger positiv vermag die deutsche Vergangenheitsaufarbeitung der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn (2020) zu sehen: Es ist nicht weniger als die große Lebenslüge der Bundesrepublik: der Glaube an die tatsächliche Aufarbeitung der Vergangenheit. Dabei hält eine kleine, gebildete, linksliberale Elite etwas für ein gesellschaftliches Phänomen, das zwar im intellektuellen Diskurs tatsächlich existiert, aber im gesamtgesellschaftlichen Raum nur rudimentär verankert ist - und, im Gegenteil, heute hartnäckiger denn je abgewehrt wird: die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, der Abschied vom eigenen Opfermythos und die Auseinandersetzung mit der antisemitischen Familiengeschichten der Bundesrepublik (was freilich nicht nur den westlichen, sondern auch den östlichen Teil Deutschlands meint). (ebd., 104) Auch Fornoff, Ghobeyshi und Schmenk (2020) heben in ihrer Einführung in das Themenheft zum „Holocaust im DaF-/ DaZ-Unterricht“ hervor, dass Emotionen, Antisemitismus, „Spielzeugland“ 83 jüngst wieder in den Vordergrund gerückte Erscheinungsbilder des Antisemitismus das Selbstbild der Bundesrepublik Deutschland, das entscheidende Akzente gerade aus der Abgrenzung und vermeintlich gelungenen ,Aufarbeitung‘ der NS-Geschichte zu gewinnen suchte, bis zu einem gewissen Grad Lügen [strafen], denn diese hat sich in einer Verquickung von historischer und politischer Bildung auf die Fahnen geschrieben, dass Verfolgungsverbrechen nie wieder, auch nicht im Ansatz, geschehen dürfen“ (Fornoff et al. 2020, 5). Auch wenn das Zitat von Salzborn (2020) und die Aussage von Fornoff, Ghobeyshi und Schmenk (2020) nachdenklich stimmt und einen die Ahnung beschleicht, dass darin sehr viel Wahrheit stecken könnte, darf man auch nicht übersehen, wie schnell auch größere Demonstrationen durchgeführt werden, wenn beispielsweise wie am 9.11.2019, ausgerechnet dem Datum der Reichspogromnacht, ca. 14.000 Menschen aller Altersgruppen gegen den Neonazi-Aufmarsch zum Gedenken einer in Bielefeld inhaftierten Holocaust- Leugnerin über Stunden unter dem Motto „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ auf die Straße gingen, wie u.a. auch die Tageszeitung Die Welt am 10.11.2019 berichtete. Und es ließen sich zahlreiche ähnliche Beispiele aus vielen anderen Städten aus den letzten Jahren anführen. Bedeutsamer ist dann allerdings vielleicht schon der Hinweis, dass in der 18. Shell-Jugendstudie Jugend 2019. Eine Generation meldet sich zu Wort konstatiert wird, dass es den meisten Jugendlichen egal wäre, wen sie als Nachbarn hätten, bei denen, die aber dennoch abgelehnt werden, wird „am wenigsten häufig eine jüdische Familie negativ bewertet“ (Shell 2019, 86). Jugendliche mit Migrationshintergrund allerdings lehnen „jüdische Familien deutlich stärker ab“ (Shell 2019, 90). Angesichts aktueller Zuwanderer-, Flüchtlings- und Asylbewerbergruppen ist es tatsächlich nichts Außergewöhnliches, wenn insbesondere DaZ- Lehrkräfte im Unterricht mit israelfeindlichen oder gar antisemitischen Äußerungen konfrontiert werden. Ähnliches hatten DaF-Lehrkräfte im Ausland immer wieder einmal erfahren müssen. Fornoff (2018) betont in diesem Zusammenhang: Es ist vor diesem Hintergrund sehr wichtig, die Lehrkräfte nicht mit den Themen Nationalsozialismus und Holocaust alleinzulassen, sondern sie mit Materialien oder auch in Workshops oder Seminaren auf diese Themen und ihr konfliktives Potential vorzubereiten und in diesem Rahmen mögliche Verhaltens- und Reaktionsweisen im Falle entsprechender Konflikte durchzuspielen (ebd., 171). Dies gilt insbesondere, da es mit dem nötigen Hintergrundwissen bei den Lehrkräften und mit reiner Wissensvermittlung im Unterricht in solchen Fällen nicht getan sein wird. Die Erziehungswissenschaftlerin Julia Schwanewedel, mit der Constantin Schreiber zusammengearbeitet hat, bemerkt dazu: Uwe Koreik 84 Wenn Du aber auf emotionaler Ebene von etwas überzeugt bist, können so viele Fakten kommen wie wollen, du bist nicht zu überzeugen, Emotion wird nicht geschlagen durch Wissen (Schreiber 2019, 272). Das Thema wird uns im DaF-/ DaZ-Kontext noch längere Zeit begleiten. „Der Holocaust steht heute im Zentrum der globalen Erinnerungskultur und gilt als die Chiffre für die Gewaltentgrenzung in der Moderne“ (Bösch 2019, 362; Hervorhebung im Original), lautet es aus Sicht eines Historikers, die „kaum zu überschätzende Aktualität der NS-Vergangenheit in Deutschland“ (Fornoff 2016, 285) belegt der DaF-/ DaZ-Kulturwissenschaftler Fornoff (2016) u.a. mit den NSU-Morden. 2020 ließe sich die Aktualität u.a. mit dem Anschlag auf die Synagoge in Halle begründen oder aber mit geschichtsverleugnenden oder absolut -verharmlosenden Äußerungen von Politiker*innen vor allem der AfD, deren prominenter Bundessprecher Alexander Gauland 2018 beispielsweise den Nationalsozialismus als einen „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte bezeichnete. Das Thema Nationalsozialismus und Judenvernichtung ist in mehrfacher Weise emotional aufgeladen, und auch für die meisten Lehrkräfte dürfte es kein wirklich einfaches Unterrichtsthema sein. In vielen Kontexten der Vermittlung der deutschen Sprache im In- und Ausland lässt sich das Thema oft nicht vermeiden, im Rahmen des gegen Ende der Integrationskurse vorgesehenen Orientierungskurs ist es sogar zwingend vorgeschrieben. Im entsprechenden Curriculum lautet es zum Modul II, Geschichte und Verantwortung: Der menschenverachtende Charakter der NS-Ideologie vermittelt sich den Teilnehmenden über den Blick auf die individuelle Betroffenheit einzelner Menschen und ihrer Familien (BAMF 2016, 28f). 3 Unterricht zu einem emotional besetzten Thema Wie nähert man sich jedoch der Thematik eines latenten oder auch deutlich geäußerten Antisemitismus, wenn zugleich klar ist, wie stark dieser durch tiefsitzende Gefühle und oft unzureichende Hintergrundinformationen geprägt ist? Für einen affektiven Zugang wird immer wieder völlig zu Recht der Einsatz literarischer Texte vorgeschlagen (z.B. Burwitz-Melzer 2008; Kramsch 2011 oder Dobstadt/ Riedner 2016), zunehmend aber auch der Einsatz von Filmmaterial erwogen (vgl. Koreik 2015; Koreik/ Fornoff 2020, 620-624 oder Lay et al. 2018). Und wenn es einen Film gibt, der geeignet ist, emotional anrührend in den Themenbereich Holocaust und Antisemitismus einzuführen, dann gehört der 2009 mit dem Oscar ausgezeichnete knapp vierzehnminütige Kurzfilm Spielzeugland von Alexander Freydank zur allerersten Wahl. In einer sehr schnellen und die Betrachter*innen verunsichernden Schnitttechnik wird die Deportation einer jüdischen Familie und die verzweifelte Suche der Nachbarin Emotionen, Antisemitismus, „Spielzeugland“ 85 nach ihrem achtjährigen Sohn erzählt. Als Zuschauer*in weiß man bis kurz vor Schluss nicht, ob es Heinrich tatsächlich gelungen ist, die Familie Silberstein und damit seinen Freund David beim Abtransport bis in den Güterwaggon zu begleiten, weil er so gerne auch ins „Spielzeugland“ - eine Notlüge seiner Mutter - gefahren wäre. Als ganz zum Schluss deutlich wird, dass tatsächlich beide überlebt haben und gemeinsam alt geworden sind, ist man sprachlos. Und regelmäßig sind einige Lerner*innen am Ende des Films den Tränen nahe. Aber genau damit eröffnet der Film ein weites Spektrum an Möglichkeiten, welche vielleicht auch einen neuen Blick auf die Thematik erst ermöglicht. Man kann in den wohl meisten Fällen nach der Rezeption des Films nicht mehr einfach so reden, wie es in den hier eingangs wiedergegebenen Zitaten zu Hitler und den Verbrechen an den Juden anklingt. Etwas ist danach anders! Auf das entsprechende Potential dieses Filmes für den Unterricht in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache wurde bereits von Albrecht (2013) und Chudak (2015) in didaktisch ausgerichteten Fachartikeln hingewiesen. Unvergesslich bleibt, wie sich nach einer Vorführung des Films in einem BA- Seminar zum Umgang mit antisemitischen Haltungen in DaF- und DaZ- Klassen als erstes ein Student meldete, der noch nie etwas im Seminar beigetragen hatte, und seinen kurzen Beitrag, in dem er für einen besonnenen Umgang mit Geschichte und der daraus resultierenden Verantwortung für alle plädierte mit der für die meisten Seminarteilnehmer*innen völlig überraschenden Information einleitete, dass er aus Palästina komme. Die daraus erwachsene äußerst fruchtbare und zu einem großen Teil emotional sehr berührende Diskussion in einer national sehr heterogen zusammengesetzten Seminargruppe wäre auf einem sogar deutlich niedrigeren Sprachniveau weniger ausgefeilt und dennoch sehr effektiv auch in einem Integrationskurs denkbar. Es ist die suggestive Kraft der Bilder, die hier vieles möglich macht und erweiterte Spielräume eröffnet. Gerade das Freisetzen von Emotionen ermöglicht unter Umständen erst den Zugang zu einem emotional besetzten Thema. Wir müssen vielleicht erst einmal berührt worden sein, um mitempfinden zu können. Und das Mitempfinden ermöglicht wohl auch erst die Bereitschaft zu einer erweiterten Informationsaufnahme und anschließenden kognitiven Be- und vielleicht sogar auch Verarbeitung der brisanten Thematik. Und im günstigsten Fall eröffnet sich damit der Weg zur Einlösung einer curricularen Vorgabe des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu den Orientierungskursen: Aus dem Wissen um die Folgen der NS-Diktatur entsteht Verantwortung und Wertschätzung für demokratische Prinzipien und Grundrechte in der Gegenwart (BAMF 2016, 29). Uwe Koreik 86 4 Zum Einsatz von Spielzeugland Schwerdtfeger hat bereits 1989 die These aufgestellt, dass „Filme und vor allen Dingen die mit ihnen verbundenen Übungen und Unterrichtsmethoden es vermögen, ein anderes Gefüge von kognitiven und emotionalen Kräften […] anzusprechen“ (Schwerdtfeger 1989, 20). Brandi (1996) und Surkamp (2004) haben unterrichtsmethodische Herangehensweisen umfassend und folgenreich vorgestellt. „In der Praxis bewährt hat sich eine Phasierung, die drei Schritte filmischer Arbeit umfasst“ (Köster 2013, 284), wobei er auf die von Brandi etablierten Phasen des „VOR“, „WÄHREND“ und „NACHHER“ verweist. Bei „Vor“ verweist er u.a. auf Assoziationen zum Titel des Films, zum Erfinden einer eigenen Geschichte, zur Recherche im Internet, auf den Trailer des Films und damit verbundenes assoziatives Schreiben. Alles dies verbietet sich hier, wenn man den affektiven Zugang und den inhaltlichen Überraschungseffekt ausnutzen möchte, um Irritation zu erzeugen und einen möglichen Erkenntnisprozess in Gang zu setzen. Und Assoziationen zum Filmtitel würden sowieso Orte wie „Disney Land“ oder „Phantasialand“ evozieren, was zwar im Sinne der Filmemacher gewesen sein mag, in dieser Unterrichtssituation aber kaum weiterhelfen würde, da der Verfremdungseffekt sowieso schon gegeben ist. Es ist vermutlich sehr sinnvoll, den Kurzfilm erst ab Min. 5: 55 anzuhalten, als die Mutter auf dem Bahnhof des Abtransports der jüdischen Mitbürger deutlich gemacht hat, dass sie keine Jüdin ist und allen Grund zu der Annahme hat, dass ihr Sohn Heinrich es geschafft hat, mit in den Zug zu kommen. Spätestens an dieser Stelle sollte im Unterrichtsgespräch der bisherige Handlungsverlauf geklärt werden. Es sind ja nicht nur sprachliche Probleme, die das Verständnis des Films bis hierhin erschweren können, auch die ständige Rückblendetechnik erschwert (bewusst) das Erschließen des Filmgeschehens. Und wenn man keine Kenntnis von den Deportationen hat, ist das Geschehen bis dahin sowieso nur intuitiv zu erschließen. Die nächste Filmunterbrechung könnte dann bei Min. 7: 16 erfolgen, wenn die rauchenden Schornsteine der Diesellokomotive in den Blick geraten und Assoziationen zu den Verbrennungsöfen in Auschwitz ermöglichen, die aber sicherlich nicht alle haben werden. An dieser Stelle könnten jetzt kurze, kompakte Informationen zu den Deportationen, den betroffenen Gruppierungen und zu der Zahl der insgesamt ermordeten Jüdinnen und Juden in den Unterricht eingespeist werden. Möglicherweise ist es aber sinnvoller auch an dieser Stelle noch auf die Weitergabe von Zahlen und Fakten zu verzichten. DaZ- und DaF-Lehrkräfte sollten dies vor dem Hintergrund der Kenntnis der eigenen Lernergruppe entscheiden. Auch wenn es an dieser Stelle wenig hilfreich erscheinen mag, dass keine wirklich klaren methodischen Vorgaben bis hin zu „Regieanweisungen“ für den Unterrichtsverlauf gemacht werden, so soll darauf hingewiesen werden, Emotionen, Antisemitismus, „Spielzeugland“ 87 dass sich gerade brisante Unterrichtsthemen nicht in schablonisierte Unterrichtsvorgaben pressen lassen. Viel zu viel ist von der Zusammensetzung der Gruppe, dem Reifegrad der einzelnen, dem Vorwissen, den Erwartungshaltungen und den bisher erworbenen Deutungsmustern und auch den Zielvorstellungen für das eigene Leben abhängig. Und nicht zuletzt spielt ja auch die Lehrkraft, die im Unterricht das Thema Nationalsozialismus, Judenverfolgung und Judenvernichtung behandelt, eine große Rolle. Ihr eigener Kenntnishintergrund, ihre Einstellungen und Sicherheiten und Unsicherheiten werden den Unterrichtsverlauf entscheidend prägen. Der Einsatz des Kurzfilms Spielzeugland bietet jedoch Möglichkeiten einen emotionalen Zugang zu einer höchst problematischen Thematik zu entwickeln, worin enorme Chancen des Erkenntnisgewinns und möglicherweise auch einer Einstellungsveränderung oder -relativierung bestehen. „Ich möchte auch ins ‚Spielzeugland‘“, sagt Heinrich im Film - und löst damit eine Kettenreaktion aus. Literatur Albrecht, Christian (2013): „Gegen die Zeit. Diskontinuität und Emotionalität im Kurzfilm Spielzeugland“. In: Praxis Deutsch 237, 42-47. Altmayer, Claus (2006): „Landeskunde als Kulturwissenschaft. Ein Forschungsprogramm.“ In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache, 32, 181 - 199. Altmayer, Claus (2017): „Landeskunde im Globalisierungskontext. Wozu noch Kultur im DaF-Unterricht? “. In: Haase, Peter/ Höller, Michaela (Hrsg.): Kulturelles Lernen im DaF/ DaZ-Unterricht. 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Emotionen im Fokus der fremdsprachendidaktischen Diskussion Jürgen Kurtz Gefühle begleiten all unser Tun. Ohne gefühlsmäßige Bewertung dessen, was wir tun, müsste das meiste im Leben schiefgehen. Wir können uns nicht allein auf unsere Rationalität verlassen. Wir brauchen den Kompass der Gefühle. Auch und gerade beim Sprachenlernen. Gefühl und Verstand arbeiten im Team, korrigieren sich gegenseitig, helfen einander aus (Butzkamm 2012, 5) 1 . 1 Einleitende Bemerkung Im Zeitalter der Kompetenz-, Standard- und Evidenzorientierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts befasst sich die diesjährige Frühjahrskonferenz mit der emotionalen Dimension des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Noch ist empirisch weitgehend ungeklärt, welche emotionalen Wirkungen und Nebenwirkungen von einem kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht ausgehen können. Ob und inwieweit kompetenzorientierte Ansätze geeignet sind, ihrem wichtigsten Anspruch gerecht zu werden, nämlich dem der Verbesserung der (immer wohl auch emotional-affektiv mitgeprägten) Unterrichtsqualität und - vor allem - der messbaren Steigerung des fremdsprachlichen Lernertrags, muss sich von daher erst noch erweisen. Unzureichend erforscht ist aber auch die Frage nach der Versprachlichung von Emotionen bzw. der didaktisch-methodisch bestmöglichen Förderung des emotiven zielsprachlichen Ausdrucksvermögens der Schülerinnen und Schüler im schulischen Fremdsprachenunterricht. Die Bereitstellung einiger Adjektivinventare oder formelhafter sprachlicher Wendungen, mit denen die Lernenden ihre eigenen Gefühle in der jeweiligen Zielsprache auszudrücken lernen sollen, ist grundsätzlich wichtig, aber wohl kaum hinreichend, um der emotionalen Durchdringung zwischenmenschlicher Kommunikationsprozesse, auch und gerade in transbzw. interkultureller Perspektivierung, gerecht zu werden. Ausgehend von einer kritischen Bestandsaufnahme meiner eigenen Forschungsbemühungen um eine theoretisch fundierte und unterrichtspraktisch 1 Mein Dank gilt Wolfgang Butzkamm für seine hilfreichen Anmerkungen zu meinem Statement. Jürgen Kurtz 92 tragfähige, die Emotionen aller Akteure berücksichtigende Figurationstheorie des improvisierenden Sprechens im Englischunterricht (vgl. Kurtz 2001, 116ff.; 2006), werde ich mich im Folgenden den vier Leitfragen, insbesondere der sog. Forderung nach Kompetenzorientierung (vgl. Leitfrage 3), zuwenden. 2 Zur Emotionalität des Sprechhandelns im schulischen Englischunterricht Ich befasse mich seit vielen Jahren mit der Frage, wie sich Lehr-/ Lernarrangements für den schulischen Englischunterricht gestalten ließen, die die Lernenden zum freieren, in Teilen improvisierenden Sprechen ermutigen können - erstmals diskutiert in einem kleinen Aufsatz in der Zeitschrift ‚Englisch‘ (vgl. Kurtz 1997), im Detail dann in meiner Habilitationsschrift (vgl. 2001) und weiteren, davon ausgehenden nationalen Veröffentlichungen (vgl. etwa Kurtz 2006; 2014a) sowie in der Folge auch in mehreren internationalen Publikationen (vgl. etwa Kurtz 2011; 2014b; 2015). Es stellt sich die Frage, inwiefern ich der Einbeziehung von Emotionen im Sinne einer möglichst umfassenden Modellierung fremdsprachlicher Lehr-/ Lernprozesse bislang entsprochen habe. Hierzu ein Auszug aus der Einleitung meiner Habilitationsschrift zum improvisierenden Sprechen: Das Alltagshandeln im Fremdsprachenunterricht […] ist vielerorts noch geprägt von restriktiven Handlungsstrukturen und stereotypen Lernroutinen, die sich spätestens seit der neusprachlichen Reformbewegung herausgebildet und als handlungs- und lernregulative Versteinerungen in der Unterrichtspraxis abgelagert und festgesetzt haben. Die alltagsunterrichtliche Versteinerung der Sprechhandlungsprozesse […] läßt das freie, selbstgesteuerte und selbständige Sprechen der Zielsprache kaum zur Entfaltung kommen. Das fremdsprachenunterrichtliche Sprechhandeln erstarrt vielmehr in einer gleichförmigen, an der Schriftsprache der jeweiligen Textvorlage orientierten, mehr oder minder mühsam aufrecht erhaltenen Mündlichkeit, der es an Unmittelbarkeit, Lebendigkeit, Emotionalität und vor allem auch an Erlebnisqualität mangelt. […] Die Verödung des Sprechhandelns geht [...] nicht selten mit motivationalen und volitionalen Widerständen einher, die in letzter Konsequenz dazu führen können, daß die curricularen Vorgaben im Bereich der fremdsprachlichen Sprechhandlungsfähigkeit nicht erreicht werden (Kurtz 2001, 13-14). Ganz im Sinne des Prinzips der fremdsprachendidaktischen Lernerbzw. Lernorientierung, so wie es damals diskutiert und propagiert wurde (vgl. hierzu die Statements zur 16. Frühjahrskonferenz in Bausch/ Christ/ Königs/ Krumm 1996), nahm ich in erster Linie die Schülerinnen und Schüler in den Blick, keineswegs jedoch (im Sinne einer anthropologischen Reduzierung) als lediglich Englischlernende. Ich betrachtete die Kinder und Jugendlichen Emotionen im Fokus der fremdsprachendidaktischen Diskussion 93 vielmehr, mit ganzheitlichem Anspruch, als heranwachsende Menschen, denen im deutschen Schulsystem eine englischsprachige Bildung zukommen soll, nicht vorrangig als sozioökonomisch wünschenswerten gesellschaftlichen Aufwuchs, der bestimmten fremdsprachlichen Kompetenzerwartungen bestmöglich gerecht werden soll. In Bezug auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung der emotional-affektiven Dimension englischunterrichtlicher Sprechhandlungsprozesse stellte ich fest: Die Fähigkeit, Emotionen oder aktuelle Emotionszustände unter Einbeziehung von nichtsprachlichen und paralinguistischen Signalen wie Mimik, Gestik, Körperhaltung, Körperorientierung, körperliche Distanz, Stimmhöhe, Stimmführung, Lautstärke und Sprechgeschwindigkeit situations- und adressatengerecht versprachlichen zu können, gehört zu den zentralen Komponenten sprachlich-sozialer Handlungskompetenz. Hinsichtlich des Empfindens, des Ausdrucks, aber auch der Wahrnehmung und der Interpretation von Emotionen bzw. gefühlsbezogenen Äußerungen bestehen in den verschiedenen Sprachen und Kulturen allerdings (mehr oder minder gravierende) Unterschiede. So ist das mündliche Sprachhandeln an kulturspezifische emotionale Äußerungsnormen gebunden, die vorgeben, wann und wie ein Gefühl gezeigt werden darf, auf welche situativen Gegebenheiten mit welchen Gefühlen, mit welcher Gefühlsintensität und welcher Gefühlssprache reagiert werden sollte; kurzum, welche sprachlich-sozialen Verhaltensregeln in bezug auf den Emotionsausdruck gelten […]. Wer nicht in der Lage ist, das eigene emotionale Erleben und Befinden den jeweiligen fremdkulturellen Konventionen entsprechend auszudrücken bzw. mitzuteilen, wer also weder über ein differenziertes Repertoire von zielsprachlichen Ausdrucksmitteln verfügt noch mit den potentiellen Wirkungen der Verwendung dieser Ausdrucksmittel vertraut ist, muß mit Unverständnis, dem Mißlingen der Kommunikation und im ungünstigsten Falle mit negativen Konsequenzen auf der zwischenmenschlichen Beziehungsebene rechnen. Im Fremdsprachenunterricht sollte daher der Befähigung zum Ausdruck und zum Verstehen von Emotionen (einschließlich der fremdkulturellen Implikationen) besondere Beachtung geschenkt werden (Kurtz 2001, 160-161). Ich führte des Weiteren aus: In der Regel kommt dem "conventional display of affect" (Günther, 1997, 247) im Unterrichtsdiskurs jedoch nur eine marginale Bedeutung zu. Es gibt kaum bzw. insgesamt zu wenig Sprechhandlungssituationen, in denen Emotionen wie Freude, Traurigkeit, Mitleid, Enttäuschung, Bewunderung, Liebe, Überraschung, Erleichterung, Ekel, Wut, Furcht, Schuld oder Scham - entweder spielerisch nachempfunden oder karikaturartig überzogen - zum Ausdruck gebracht werden können. Die Lernenden werden im allgemeinen auch nicht (bzw. erst in späteren Lernjahren) mit gefühlsspezifischen Ausdrucksrepertoires vertraut gemacht, die differenziert genug sind, um der Vielschichtigkeit subjektiver Emotionserlebnisse (in bezug auf die Qualität und die Intensität Jürgen Kurtz 94 der Empfindung) sprachlich gerecht werden zu können. Das unterrichtliche Sprechhandeln wirkt infolgedessen oftmals leblos und lebensfern, weil die komplexen Wechselwirkungen, die zwischen dem sprachlich-sozialen Handeln und dem emotionalen Erleben in natürlichen, didaktisch nicht akzentuierten bzw. reduzierten Alltagssituationen bestehen, künstlich aufgehoben sind (Kurtz 2001, 161). Vor diesem Hintergrund entstand in der Folge ein prototypisches, handlungsorientiertes Lehr- und Lernarrangement, das speziell auf die emotionale Ebene des in Teilen improvisierenden mündlichen Sprachhandelns im Englischunterricht zugeschnitten ist, i.e. die Improvisation „Variation of Emotions“ (vgl. Kurtz 2001, 160-170). Die Lehrbzw. Lehrerperspektive verlor ich dabei keineswegs aus dem Blick. Ich verweise aus Platzgründen an dieser Stelle lediglich auf die Art und Weise der Einbeziehung der Lehrenden in den Prozess der Entwicklung der diversen Improvisationen. Hierzu schrieb ich: Anknüpfend an die Lewinsche Tatforschung ( 4 1975) und die davon ausgehende neuere Aktionsforschung (Altrichter & Posch, 3 1998) wird ein multiperspektivisch und zyklisch angelegtes Forschungskonzept entwickelt, das zum einen darauf abhebt, während der Theoriebildung wiederholt umgestaltend in den Fremdsprachenunterricht an unterschiedlichen Schulen und Schulformen einzugreifen, um über die reflexive Vergewisserung in der Unterrichtspraxis schrittweise zu tragfähigen und möglichst übertragbaren Erkenntnissen zur Entwicklung der fremdsprachlichen Sprechhandlungsfähigkeit zu gelangen (Kurtz 2001, 18). Es ging mir in diesem Rahmen insbesondere darum, ein Konzept von fremdsprachendidaktischer Praxisforschung zu entwickeln, das den kritisch-konstruktiven Dialog mit Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrern sucht, um die mit der Theorie korrespondierenden modellhaften Lernarrangements aus der unterrichtlichen Verwendungsperspektive zu hinterfragen und auf diese Weise potentielle Verwendungsbarrieren aufzuzeigen und handlungspraktisch zu reflektieren, die eine Umsetzung der Theorie in die Alltagspraxis erschweren könnte (Kurtz 2001, 18). Das vorrangige Interesse bestand also nicht darin zu messen, welcher Lernertrag sich kurzfristig ergibt, wenn Kindern und Jugendlichen Freiräume zum zunehmend freieren Sprechen eingeräumt werden, in die sie bestimmte emotionale Ausdrucksmittel - zielsprachlich in Teilen improvisierend - einbringen können. Es ging vielmehr darum, zumindest in allerersten Ansätzen zu verstehen, wie sie a) ihre jeweils vorhandenen zielsprachlichen Ausdrucksrepertoires zu aktivieren versuchen, um Gefühle in der englischen Sprache auszudrücken. Dabei konnte ich b) beobachten, welche emotionalen Regungen und Befindlichkeiten sichtbar werden, wenn Schülerinnen und Schüler vor Emotionen im Fokus der fremdsprachendidaktischen Diskussion 95 ungewohnte bzw. im Englischunterricht der damaligen Zeit kaum vorzufindende Herausforderungen und Aufgaben gestellt wurden. 3 Zu den diesjährigen Leitfragen Die diesjährigen Leitfragen beinhalten einige Feststellungen, Einengungen und Setzungen, die meinem (oben nur in Grundzügen skizzierten) Verständnis von fremdsprachendidaktischer Theoriebildung und Forschung, insbesondere aber auch von Praxisrelevanz und -tauglichkeit, in einigen wichtigen Teilen entgegenstehen: Der ersten Leitfrage werden zwei Thesen vorangestellt. So wird einerseits festgehalten, dass diverse wissenschaftliche Kontroversen und Paradigmenwechsel in der Spracherwerbstheorie und Fremd-/ Zweitsprachendidaktik dazu geführt hätten, dass affektiv-emotionale Faktoren heute als wesentliche Erklärungsfaktoren neben kognitiven Faktoren anerkannt würden. Hierzu möchte ich anmerken, dass das semantische Spektrum des Wortes ‚neben‘ von ‚dicht bei‘ und ‚nahe‘ über ‚zugleich mit‘ und ‚verglichen mit‘ bis hin zu ‚abgesehen von, außer, nicht eingeschlossen, nicht enthalten, nicht inbegriffen, im Gegensatz/ Kontrast zu, im Vergleich/ Verhältnis zu‘ reicht (vgl. Dudenredaktion o.J.). Mir scheint die Bedeutung ‚zugleich mit‘ vielleicht noch am ehesten geeignet zu sein, um der engen und vielschichtigen Verwobenheit des anzunehmenden Zusammenhangs von Emotionalität und Rationalität in fremdsprachlichen Lehr- und Lernprozessen gerecht werden zu können. Es ist zumindest, in Anbetracht der derzeitigen Erkenntnislage in der pädagogischen Forschung zum Lehrerberuf (vgl. Frenzel/ Götz/ Pekrun 2008; Hascher/ Krapp 2014), im Verbund mit dem internationalen Forschungsdiskurs in den Wissenschaften, die sich mit dem Lehren und Lernen fremder Sprachen befassen (vgl. Dörnyei/ Ryan 2015; Mercer/ Kostoulas 2018; Martínez Agudo 2018), von „engen wechselseitigen Abhängigkeiten“ auszugehen, und zwar vor allem im Hinblick „auf die Entstehungsbedingungen von Emotionen und die Qualität bzw. Intensität des emotionalen Erlebens im Verlauf einer Handlung“ (Hascher/ Krapp 2014, 681). Es wird im Vorfeld der ersten Leitfrage andererseits festgestellt, dass die gegenwärtige Fremdsprachenforschung von einer dreifachen Bedeutung der Emotionen im Lernprozess ausgehe: a) als individuelle Voraussetzungen der Lernenden b) als Determinanten des Lernprozesses sowie c) als ein Ergebnis des Lernens. Hierzu ist anzumerken, dass das Lernen jedweder Sprache ganz wesentlich (inter-)kulturell, sozial-interaktiv und kontextuell-situativ geprägt ist. Die kulturell-sozial-interaktive Dimension muss daher in einer (noch zu entwickelnden) fremdsprachlichen Lernbzw. Unterrichtstheorie, die Emotionalität systematisch mit einbeziehen möchte, viel stärker als bisher Berücksichtigung finden - und damit auch Lehrerbzw. Lehrperspektive. King und Ng (vgl. 2018, 146) verweisen in diesem Kontext auf den relationalen Charak- Jürgen Kurtz 96 ter der intra- und interpersonalen Dimension von Rationalität und Emotionalität, den es theoretisch zu fassen und zu erforschen gilt. Piccardo und North (2019, 79) heben im Rückblick auf die internationale Forschung hervor: „Emotions begin to be regarded not solely as properties of an individual but within the social sphere.“ Dies deckt sich mit den Grundlagen einer Figurationstheorie fremdsprachlichen Lehrens und Lernens: Im Mittelpunkt [einer fremdsprachendidaktischen Figurationstheorie] stehen nicht die […] Schülerinnen und Schüler als Lernindividuen, sondern die polymorphen, faktisch nicht auf die kognitive [bzw. die kompetenztheoretische] Ebene reduzierbaren zwischenmenschlichen Beziehungen, in die alle am Fremdsprachenunterricht Beteiligten als ganzheitliche Persönlichkeiten zueinander treten (Kurtz 2001, 19) (ergänzende Anm. des Verf. in eckigen Klammern). In der sich an diese Thesen anschließenden Leitfrage 1 wird nach den Variablen gefragt, die im Mittelpunkt einer Beforschung der affektiv-emotionalen Faktoren stehen sollten, die sich auf Fremdsprachenlernprozesse beziehen. Dies ist insofern eine Eingrenzung, als hier auf eine ganz bestimmte, nämlich empirisch-variablenorientierte, i.e. das Gesamtphänomen segmentierende Forschung abgehoben wird, die letztendlich nicht hinreichend erklärungsmächtig sein könnte, um der multiplen Interaktion von Emotionalität und Rationalität in unterrichtlichen Lehr-/ Lernzusammenhängen, und damit auch in lehrer- und lernerseitigen Erlebens-, Urteils-, Entscheidungs- und Handlungsprozessen, zu entsprechen. Die zweite Leitfrage verengt den Blickwinkel erneut in diesem Sinne, da sie ausschließlich auf die affektiv-emotionale Perspektive der Lernenden abhebt. Die Lehrenden bleiben hier - in ihrer personenbezogenen, gleichermaßen kontextuell-situativ (state; akute emotionale Episoden im Sinne von Slaby, vgl. 2011, 29) wie biografisch-identitätsbezogen (trait; affektive Grundhaltungen bzw. Hintergrundgefühle nach Slaby, vgl. 2011, 29) zu denkenden Emotionalität - unterberücksichtigt. Richards (2018, 446) betont in Bezug auf den relationalen Charakter von Emotionen und kontextuellen Aktionen in fremdsprachlichen Lehr-/ Lernprozessen jedoch, ganz im Sinne einer fremdsprachendidaktischen Figurationstheorie: „[Emotions] arise as a result of a dynamic interplay between the teacher and learners’ feelings about learning and the context and activities of learning and teaching.“ Der dritten Leitfrage, die sich in zwei Teile gliedert, wird die Feststellung vorangestellt, dass die Berücksichtigung von affektiv-emotionalen Faktoren in der fachdidaktischen Diskussion häufig zu Empfehlungen zu einer stärkeren Differenzierung bzw. Individualisierung der verschiedenen Lehr-/ Lernbzw. Unterrichtssituationen geführt habe. Dieser Auffassung vermag ich mich nicht widerspruchslos anzuschließen. Ich sehe in Bezug auf den Aspekt der Differenzierung und Individualisierung, bis hin zur Inklusion, bislang eher Emotionen im Fokus der fremdsprachendidaktischen Diskussion 97 eine Fokussierung auf sprachlich-kognitive und emanzipatorischpartizipative Aspekte des Fremdsprachenlernens. Die sich daran anschließende erste Teilfrage („Sind ihrer Meinung nach auch noch andere Aspekte betroffen? “) kann vor dem Hintergrund der aktuellen Forschung nur als eine rhetorische Frage interpretiert werden. Die zweite Teilfrage ist in ihrer Fokussierung auf die Kompetenzorientierung überdies sehr eng gefasst, und sie suggeriert zudem, dass Emotionen im Rahmen einer Kompetenztheorie des Lehrens und Lernens fremder Sprachen von Bedeutung sein könnten bzw. in Betracht gezogen werden sollten. Hierzu werde ich später ausführlicher Stellung nehmen (vgl. 3.1). Die vierte Leitfrage bezieht sich auf den Forschungsbedarf, der sich aus einer stärkeren Berücksichtigung von Emotionen in fremdsprachlichen Lehr-/ Lernprozessen ergeben wird. Die Frage wird aber auch wieder dahingehend eingeengt, als auf Forschungszugänge allein hinsichtlich der emotional-affektiven Faktoren abgehoben wird. „Emotionality and rationality“ (Martínez Agudo 2018, 1) mögen sich zwar auf dem Theorietisch zerlegen lassen, so etwa zum Zwecke der empirischen Beforschung, doch kann dies den explanativen Wert der gewonnenen Erkenntnisse bzw. deren ökologische Validität deutlich schmälern. 3.1 Emotion - Kognition - Kompetenz Ich möchte mich hiervon ausgehend speziell der in der dritten Leitfrage so formulierten ‚Forderung‘ nach Kompetenzorientierung zuwenden und verweise in diesem Zusammenhang auf drei meiner früheren Statements zur Frühjahrskonferenz, in denen ich hierzu bereits Stellung genommen habe (vgl. Kurtz 2009; 2013; 2016). Meiner Kritik an der Kompetenzorientierung, genauer gesagt, an seiner für den Fremdsprachenunterricht so wirkungsmächtigen bildungspolitisch-neoliberalen Ideologisierung, Simplifizierung und Reduktion, möchte ich die folgende Aussage voranstellen, formuliert von den Verfechtern dieses Ansatzes selbst: The NES [National Education Standards; die Bildungsstandards in Deutschland] describe competencies which the students must have acquired at a certain grade level for a certain school leaving qualification. Formally, the NES are normative structural guidelines for monitoring education systems […] That is, they reflect managerialist principles of governance within a neoliberal concept of education that is tied to accountability (Rupp/ Vock/ Harsch/ Köller 2008, 13) (Anm. des Verf. in eckigen Klammern). Bezogen auf das Lehren und Lernen fremder Sprachen mag es aus dieser Perspektive alternativlos erscheinen, sog. domänenspezifische, im Detail aufgeschlüsselte, lernerwie auch lehrerseitige Kompetenzen zu identifizieren, um auf diesem Wege die o.g. bildungspolitischen Vorstellungen von Qualitätsentwicklung im schulischen Fremdsprachenunterricht - dies ist das primäre Jürgen Kurtz 98 Anliegen, das hinter der Forderung nach Kompetenzorientierung steht - zu bedienen. Ebenso begründet und notwendig mag es erscheinen, den Versuch zu unternehmen, nun weitergehend auch emotional-affektive Kompetenzen (hier insbesondere Fähigkeiten der emotionalen Regulierung, d.h. des Umgangs mit Emotionen im Sinne der Umsetzung fremdsprachenunterrichtlicher Kompetenzerwartungen) zu definieren. Doch wohin genau soll dies führen? Steuern wir womöglich auf eine fremdsprachendidaktische Diskussion und Forschung zu, die die lerner- und lehrerseitige emotionale (Regulierungs-)Kompetenz als eine weitere Humanressource bzw. als eine sozioökonomische Notwendigkeit begreift, die es zu zerlegen, zu skalieren und zu messen gilt, um sie im vornehmlich global-marktwirtschaftlichen Sinne optimal ausschöpfen zu können? Ich hielte dies, vor allem unter ethischen Gesichtspunkten, für sehr fragwürdig. Eine Kompetenztheorie ist im Prinzip eine von den anzustrebenden, normativ-weltanschaulich geprägten Lernerwartungen aus gedachte Theorie der Voraussetzungen und Mobilisierungspotenziale, die als zwingend notwendig erachtet werden, um ‚Outcome‘ im Fremdsprachenunterricht zu erzeugen. Als solche ist sie (in diesem begrenzten Sinne) durchaus wertvoll, weil sie Orientierung hinsichtlich der anzustrebenden Ziele und der zur Erreichung derselben zu entwickelnden Voraussetzungen der Akteure bieten kann. Den Kern des Lehrens und Lernens fremder Sprachen vermag sie jedoch nicht zu fassen. Denn letzten Endes geht es im fremdsprachlichen Lehr-/ Lernprozess um kontextuell situierte Urteils-, Entscheidungs-, Handlungs- und Interaktionsprozesse, die eben - so gibt der aktuelle Diskurs in den Bezugswissenschaften zu erkennen - durchgehend emotional geprägt bzw. gefärbt sind (vgl. als Überblick Lerner/ Li/ Valdesolo/ Kassam 2015). Eine tragfähige fremdsprachliche Lehr-/ Lern- oder gar Unterrichtstheorie sollte daher - bei allem Verständnis für die Notwendigkeit der Verständigung über die Zielsetzungen und die erwünschten Ergebnisse von Fremdsprachenunterricht - als eine zielgerichtete, immer aber auch kontextsensitivrelationale Handlungsbzw. Entscheidungstheorie, letztlich als eine umfassende Figurationstheorie angelegt sein. Der kontextübergreifenden Intentionalität der Kompetenzorientierung gilt es daher die kontextsituierte, affektive Intentionalität der Akteure, mitsamt der damit verbundenen praktischperformativen Orientierungen (vgl. Slaby 2011, 30ff.) gegenüberzustellen, die alles Lehr-/ Lerngeschehen entscheidend wohl mitprägen und die den Fremdsprachenunterricht als Lehr-Lernmöglichkeiten bietenden, Probleme aufwerfenden und Anforderungen stellenden Handlungsraum überhaupt erst konstituieren. Das Konstrukt der Aufgabenorientierung, das heute vielfach herangezogen wird, um - jenseits der Ziel- und Stoffkultur - auch der Lern- und Verstehenskultur sowie der Kommunikations- und Unterstützungskultur des Fremdsprachenunterrichts zu entsprechen, greift hier vermutlich zu kurz. Emotionen im Fokus der fremdsprachendidaktischen Diskussion 99 Zumindest vermag es dasjenige, das Herbart zu Beginn des 19. Jahrhunderts bereits als Takt (vgl. Herbart 1964, 12; Kurtz 2014b, 121-122), Wygotski (1978, 79ff.) zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Obuchenie und Wimmer (1996, 429) später dann als „paradoxale Handlungsstruktur pädagogischer Professionalität“ bezeichneten, nicht hinreichend zu fassen. Lehrende sollten jedenfalls nicht als „well-oiled machines“ (Farrell 2018, vii) begriffen werden, die ihre eigenen Emotionen und unterrichtlichen Vorstellungen (als affektive Intentionen und zugleich praktisch-performative Orientierungen) der Ratio bzw. dem Regime der Standard-, Kompetenz- und Messbarkeitsorientierung unterordnen. 4 Zur künftigen fremdsprachendidaktischen Forschung und Theoriebildung Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen und in Anbetracht aktueller internationaler Diskurse besteht für mich keine zwingende Notwendigkeit, die Erforschung von Emotionen in fremdsprachlichen Lehr-/ Lernprozessen mit der ‚Forderung‘ nach Kompetenzorientierung zu verbinden. So werden Emotionalität und Rationalität in jüngsten internationalen Publikationen (vgl. Kayi-Aydar/ Gao/ Miller/ Verghese/ Vitanova 2019) nicht vorrangig oder ausschließlich in einer auf das lehrende oder lernende Individuum bezogenen Kompetenztheorie, sondern in einer kultur- und kontextkritischen, biografisch-identitätssensiblen, interaktiv-relationalen Handlungsbzw. Figurationstheorie verortet, in die das Konstrukt language teacher agency ganzheitlich eingebettet wird: We recognize teacher agency as relational, social and contextual rather than an individual trait, possession or competence. [I]t is shaped by a myriad of factors which can be personal (e.g. motivation, beliefs, desires, past experience, future aspirations and personal goals) and contextual. While contextual factors, such as dominant discourses, power and hierarchies, conflicts, tensions and dilemmas among others may prevent teachers from engaging in acts and actions they desire, the very same discourses and factors may push teachers to engage in acts of resisting, challenging and criticizing, thereby promoting teacher agency. Teacher agency is therefore unpredictable and contextually complex (Kayi-Aydar/ Gao/ Miller/ Verghese/ Vitanova 2019, 1). Die in Anbetracht der aktuellen internationalen agency-Forschung einigermaßen ungewiss erscheinende Annahme, man könne über zentralistisch implementierte Maßnahmen (Kompetenzbeschreibungen, Entwicklung von Bildungsstandards, Kerncurricula und beispielhaften Lern- und Testaufgabenformaten; eine modularisierte, kompetenzorientierte Lehrerausbildung, ein ‚Praxissemester‘ etc.) im positiven Sinne Einfluss auf die Dynamik, Qualität und Ergebnisse des Lehrens und Lernens im Sinne von Outcome oder Jürgen Kurtz 100 Output (oder gar fremdsprachlich-interkulturelle Bildung) nehmen, gilt es entsprechend zu relativieren und kritisch zu hinterfragen. 5 Zusammenfassung und vorläufiger Ausblick Die Frage nach der Bedeutung von Emotionen in fremdsprachlichen Lehr-/ Lernprozessen lässt sich nicht hinreichend klären, wenn lediglich entweder die Lern- oder die Lehrperspektive (in singulärer statt relationaler Perspektivierung) in den Blick genommen werden. Auch erscheint es wenig sinnvoll und zielführend zu sein, sich auf einzelne Emotionen bzw. emotionale Zustände in der Forschung zu konzentrieren, selbst wenn dabei einige weitere zentrale Faktoren oder Variablen (sprachlich-kognitive, inhaltliche, curriculare etc.) mit in den Blick genommen werden. Für die fremdsprachendidaktische Forschung in Deutschland ergeben sich so gesehen vielfältige, hoch anspruchsvolle Aufgaben und Herausforderungen. Am Anfang sollte eine umfassende Sichtung aller vorhandenen bezugswissenschaftlichen Erkenntnisse zur Genese, Qualität und Intensität menschlicher Emotionen stehen. Diese müssen hinsichtlich ihrer Bedeutung für das Lehren und Lernen fremder Sprachen tiefgreifend hinterfragt und in Bezug zu aktuellen fremdsprachendidaktischen Theorien, Modellen und Erkenntnissen gesetzt werden. Erst auf dieser Grundlage lassen sich (immer nur vorläufige) empirische Ansätze und Forschungsprojekte entwickeln, die eben nicht vornehmlich danach fragen, welche lehrer- und lernerseitigen Emotionen wann, wo und warum in welcher Qualität und Intensität im Rahmen vorrangig aufgabenorientiert angelegter Lehr-/ Lernprozesse in ihrem Zusammenspiel aufscheinen und wirksam werden und wie sie mit allen anderen, für den jeweiligen Handlungskontext als besonders wichtig erachteten Einflussgrößen (hier speziell Bildungsstandards, Kerncurricula, Lern- und Testaufgaben, etc.) interagieren. Die größte Herausforderung für die Entwicklung einer tragfähigen Theorie des fremdsprachlichen Lehrens und Lernens wird darin bestehen, grundsätzlich in Betracht zu ziehen, dass Emotionen das gesamte Lehr- Lerngeschehen durchdringen. Es wäre fragwürdig, eine theoretische Modellierung fremdsprachlicher Lehr-/ Lernprozesse anzustreben, in der die Emotionalität aller Beteiligten, in der Forschung dann fokussiert auf entweder die Lehrenden oder die Lernenden, vorrangig als ein Einflussfaktor bzw. als eine Determinante oder Variable (so meine Lesart der Leitfragen) erscheint. Forschungsmethodisch verweist dies auf zunächst eher konzeptuell-theoretische, hermeneutisch-empirische, mehrperspektivische oder qualitativ-explorative Zugriffe, die sich dem Forschungsgegenstand, beginnend mit phänomenologischen Fragestellungen, in all seiner Komplexität zu nähern versuchen. Mixed methods-Ansätze (vgl. hierzu als Überblick Neigert 2019, 70-87) könnten sich in der Folge als fruchtbar erweisen, um die vielschichtige Verwoben- Emotionen im Fokus der fremdsprachendidaktischen Diskussion 101 heit von Sprache, Kognition und Emotion, in der fremdsprachenunterrichtlichen Interaktion im Klassenzimmer bzw. in den vielfältigen Figurationen heutiger Lehr-Lernkontexte, besser zu verstehen. Literatur Altrichter, Herbert/ Posch, Peter (1998): Lehrer erforschen ihren Unterricht. Eine Einführung in die Methoden der Aktionsforschung. 3., durchgesehene und erweiterte Aufl. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (1996): Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Zwischenbilanz und Perspektiven. Arbeitspapiere der 16. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr. Butzkamm, Wolfgang (2012): Lust zum Lehren, Lust zum Lernen. 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(1978): Mind in Society: The Development of Higher Psychological Processes. Cambridge, Mass.: Harvard University Press. Emotionales Erleben im Fremdsprachenunterricht - eine leib-seelische Erfahrung Lutz Küster Wissenschaftliche Studien erfordern einen nüchtern analytischen Blick. Das gilt auch für den Gegenstandsbereich der Emotionen. Gleichwohl führt mich der thematische Fokus des vorliegenden Bandes unwillkürlich zu ganz persönlichen Erinnerungen an meine eigenen Schulbzw. Lernerfahrungen. Grob umrissen möchte ich diese als Fallbeispiel an den Anfang meiner Betrachtungen stellen, an denen manches von dem sichtbar werden soll, was ich im Anschluss in einem lernpsychologischen bzw. fremdsprachendidaktischen Rahmen erörtere. Besondere Aufmerksamkeit widme ich dem Verständnis von Lernen als leiblicher Erfahrung. Auf dessen phänomenologische Ursprünge sowie auf die aus ihnen sich ergebenden Perspektiven für ein Verständnis von Emotionen in Lehr-/ Lernkontexten gehe ich im Anschluss ein, bevor ich einen Bezug zu sprachökologischen Ansätzen der Fremdsprachendidaktik herstelle. Der Beitrag endet mit einem kurzen Ausblick auf unterrichtspraktische Implikationen. 1 Persönlicher Einstieg: Lernen zwischen Angst und Freude Mein Erleben schulischen Lernens war bis Mitte der 7. Klasse (1959-1965) vor allem von Versagensängsten geprägt, die mich in allen Lebensbereichen hemmten und zur Folge hatten, dass meine Leistungen bestenfalls im mittleren, zumeist jedoch im unteren Notenspektrum angesiedelt waren. Die Ursachen hierfür detailliert darzulegen, würde erheblich zu weit führen. Nur soviel: Von meinem Vater, der sich ehrgeizig vom Schustergesellen zum Gewerbelehrer hochgearbeitet hatte, ging ein starker Erwartungs- und Leistungsdruck aus, mehr noch als von den Ansprüchen eines sich als elitär verstehenden humanistischen Jungen-Gymnasiums. Zu dem von mir als einschüchternd erlebten Lernklima trug bei, dass einige meiner Lehrer eine von unberechenbaren Launen geprägte Strenge an den Tag legten. Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, dass ihr Verhalten - in geringerem Maße, aber in prinzipiell ähnlicher Weise auch das meines Vaters - von traumatischen und kaum bearbeiteten Erfahrungen der Nazi-Zeit und des Krieges geprägt war. Gemeinsam mit anderen Faktoren (insbesondere den Einflüssen einer christlichen Sekte, in der ich aufwuchs) führte mich dies zu einer Grundstimmung von Verunsicherung und Angst, die sich in z.T. anhaltenden vegetativen Ma- Emotionales Erleben im Fremdsprachenunterricht - eine leib-seelische Erfahrung 105 gen-Darmbeschwerden und vielem von dem niederschlug, was man heutzutage vermutlich als depressive Verstimmung bezeichnen würde. Eine einschneidende Veränderung ergab sich für mich Mitte der Quarta (7. Klasse). Infolge einer Knochenerkrankung war ich fünf Monate lang mit einem nahezu die gesamte mittlere und untere Körperhälfte umschließenden Gipsverband ans heimische Bett gefesselt. Das war eine in vielerlei Hinsicht meine Lebendigkeit weiter einschränkende und mein Verhältnis zum eigenen Körper negativ beeinflussende Erfahrung. Doch die Distanz von der schulischen Routine, die Abwesenheit von Bewertung und die Selbständigkeit meiner Versuche, den Anschluss an den Lernstand der Klasse und dadurch die Eingebundenheit in meine gewohnte soziale Umgebung zu erhalten, führten mich zu ersten freudig besetzten Selbstwirksamkeitserfahrungen. Plötzlich fiel mir die Beschäftigung mit dem Lernstoff zentraler Fächer nicht mehr schwer, sie machte mir sogar Spaß und war der Grundstein für ein neues Fähigkeitsselbstbild, das sich in der Folgezeit in deutlich besseren schulischen Noten widerspiegelte. Ein weiterer Meilenstein in meiner Lernbiographie war ein deutschfranzösischer Jungendaustausch in der Normandie, an dem ich mit 16 Jahren und dann ein Jahr später noch einmal teilnahm. Die Erfahrung, dass meine zunächst nur dreijährige Lerngeschichte des Französischen (3. Fremdsprache ab Jg. 9) mich schon in die Lage versetzte, mit gleichaltrigen Französinnen und Franzosen in deren Sprache zu kommunizieren, war ungemein motivierend und zugleich kompetenzsteigernd. Während der letzten beiden Jahre bis zum Abitur, in denen ich weitere Frankreichreisen unternahm, gewann ich an Selbstvertrauen, konnte mich im Verhalten und in meinen Leistungen ‚freischwimmen‘; diese Zeit habe ich in beglückender Erinnerung. Für den vorliegenden thematischen Rahmen halte ich folgende Aspekte fest: die enge Verschränkung von Emotionen (Angst ebenso wie Freude und Stolz) und Lernergebnissen, die soziale Bedingtheit emotionalen Erlebens im Rahmen schulischen Lernens und vor allem die leib-seelische Einheit von (Lern-)Erfahrungen sowie deren mögliche Bedeutung für die gesamte individuelle Lernbiographie und Persönlichkeitsentwicklung. Von der Pädagogischen Psychologie beeinflusste Forschungsarbeiten der Fremdsprachendidaktik helfen, diese Zusammenhänge besser zu verstehen. 2 Zum Verständnis und zum Stellenwert von Emotionen in der Fremdsprachendidaktik Eine Vorbemerkung zur Verwendung der Begrifflichkeit: In den Kognitionswissenschaften, in der Pädagogischen Psychologie und in der Fremdsprachendidaktik sind die im vorliegenden semantischen Feld relevanten Begriffe Lutz Küster 106 Emotionen, Affekte, Stimmungen und Gefühle nicht einheitlich definiert. 1 In Bezug auf Lern- und Leistungsemotionen wird häufig ein Mehrkomponentenmodell herangezogen, so z.B. von Beermann und Cronjäger (2012, 114), die folgende „voneinander unterscheidbaren, miteinander interagierenden, separaten Komponenten“ anführen: 1. Affektive Komponente (Gefühlsbezogene Komponente) 2. Kognitive Komponente (Gedankenbezogene Komponente) 3. Motivationale Komponente (Handlungsbezogene Komponente) 4. Physiologische Komponente (Körperlich-organismische Komponente) An diesem Modell werden die Vielschichtigkeit und die wechselseitigen Verzahnungen der genannten Facetten sehr deutlich. Mit Gregersen und MacIntyre (2014, 575) betrachte ich Emotionen daher als ein „integrated whole“ und folge Aneta Pavlenko (2012, 409), welche die analogen Begriffe affect, emotions und feelings synonym verwendet. Die Erscheinungsformen emotionalen Erlebens in schulischen Lehr-/ Lernkontexten sind demzufolge breit gefächert. Gleichwohl wurden Emotionen in der Fremdsprachendidaktik lange Zeit nahezu ausschließlich als Störfaktoren in fremdsprachlichen Lehr-Lernkontexten betrachtet, unter besonderer Berücksichtigung der Angst (vgl. Battacchi/ Suslow/ Renna 1996, 38). Erst später gelangten auch positive Emotionen wie Freude und Zuversicht zu nennenswerter Beachtung (vgl. u.a. Düwell 2002, 171-174). Zimmermann (1998, 210-212) spricht sogar von einer emotionalen Wende gegen Ende der 1990er Jahre als Antwort auf die kognitive Wende, die sich ihrerseits in Abkehr vom zuvor vorherrschenden Behaviorismus in den beiden vorherigen Jahrzehnten durchgesetzt hatte. Beeinflusst von den Kognitionswissenschaften richtete sich die Aufmerksamkeit fremdsprachendidaktischer Forschung schnell auf das Zusammenspiel von Kognition und Emotion in Lernprozessen (vgl. z.B. Börner/ Vogel 1998), ohne dass allerdings einvernehmlich hätte geklärt werden können, wie sich dies Zusammenspiel gestaltet und welche Faktoren ggf. als dominant anzusehen sind. Unstrittig erschien, dass beide einander ergänzen, dabei jedoch deutlich verschieden sind. Erst neuere Forschungen vertreten demgegenüber ein integratives Verständnis, demzufolge Emotionen kognitive Anteile enthalten und umgekehrt Kognitionen ohne den Einfluss von Emotionen kaum denkbar sind (vgl. Jäncke 2017, 599-602). Gleichwohl unterstreicht Pavlenko (2012, 408 f.): Theorywise, emotion research still lacks consensus on the relationship between affect and cognition. Basic emotion theories see primarly affective pro- 1 Aus fremdsprachendidaktischer Perspektive befasst sich besonders eingehend Nicole Ogasa (2011, 41-96) mit psychologischen und neurophysiologischen Emotionstheorien; zum einschlägigen neurowissenschaftlichen Forschungsstand sei auf Jäncke (2017, 597-631) verwiesen. Emotionales Erleben im Fremdsprachenunterricht - eine leib-seelische Erfahrung 107 cessing as discrete innate responses that precede cognitive judgements and are independent of language (Ekman & Cordaro, 2011; Izard, 2011; Panksepp & Wyatt, 2011). Appraisal theories see affective processing as subjective evaluation of stimuli with respect to their relevance for the individual’s goals, values, and needs that triggers changes in endocrine, autonomic, and somatic nervous sytems, only some of which enter consciousness and become labeled (Scherer, 2009). Constructionist theories deny the existence of „non-affective“ thought (Duncan & Barrett, 2007) and see affect as cognition, a transformation of the organism’s neurophysiological and somatovisceral state (core affect) into experiences understood in terms of language-specific emotion words (Barrett 2009) (Pavlenko 2012, 408 f.). Die Konstrukte Emotion und Kognition selbst geraten demzufolge auf den Prüfstand, ihre Abgrenzbarkeit erscheint zunehmend fragwürdig und eine Abkehr von einem dualistischen Denken somit einerseits als Gebot der Stunde. Andererseits ist aus analytischen Gründen eine Differenzierung sehr wohl vonnöten, wenn Lehr-/ Lernprozesse empirisch untersucht werden sollen. Die Konsequenz, die aus neueren neurophysiologischen und neuropsychologischen Forschungen zu ziehen ist, sollte es m.E. jedoch sein, sich dabei stets den systemischen Charakter beider Dimensionen vor Augen zu halten, statt additiv von einer puren Komplementarität auszugehen. 3 Bedeutung der Emotionen im Lernprozess Um die emotionalen Aspekte des Lernens konkreter fassen zu können, widme ich mich im Folgenden ausgewählten Aspekten der Alltagswirklichkeit schulischen Fremdsprachenunterrichts, verknüpfe dies jedoch jeweils mit einem Blick auf ihre Berücksichtigung in Forschungszusammenhängen. Eine Unterscheidung im Hinblick auf individuelle Voraussetzungen der Lerner*innen, auf Determinanten des Lernprozesses oder auf das Ergebnis des Lernens, wie sie in der ersten Leitfrage zur Frühjahrskonferenz vorgeschlagen wird, erscheint mir dabei allerdings nur bedingt hilfreich. Denn je konkreter man sich einzelne Erscheinungsformen vergegenwärtigt, desto mehr verschwimmen die Grenzen zwischen den einzelnen Kategorien. In Bezug auf die individuellen Lernvoraussetzungen möchte ich zunächst betonen, dass Fremdsprachenlernende in den Klassenraum naturgemäß die Gesamtheit ihrer biographischen Prägungen und die Verankerung in ihrer jeweiligen, sehr individuellen Lebenswelt einbringen. Dies betrifft den Unterricht in allen Fächern, hat daher eine (oft erhebliche) Bedeutung für die Lern- und Interaktionsprozesse auch im Fremdsprachenunterricht. Man darf hoffen, dass die (große? ) Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler aus einem emotional stabilen Elternhaus kommt. Aber leider gibt es auch sehr viele Kinder, für die dies nicht zutrifft. Da derartige Einflussfaktoren jedoch nicht spezifisch für fachliches Lernen sind, wird ihnen vonseiten der Fremdsprachen- Lutz Küster 108 didaktik keine nennenswerte Aufmerksamkeit geschenkt und das obwohl sie für die Prozesse wie auch die Resultate des Lernens von erheblicher Bedeutung sind. Im Zuge der Implementierung der inklusiven Schule ist heutzutage zudem an die Lernvoraussetzungen jener Schülerinnen und Schüler zu denken, die aufgrund insbesondere psychischer und sozialer Beeinträchtigungen zuvor in sonderpädagogischen Einrichtungen betreut wurden. Das Spektrum emotionaler Beeinflussungen der unterrichtlichen Interaktions- und Lernprozesse dürfte gerade in diesem Rahmen sehr breit und seine Relevanz für individuelle Zufriedenheit und positive Lernergebnisse sehr hoch sein. Doch auch für Schüler*innen mit wenig auffälligen außerschulischen Lebensbedingungen und schulischen Lernbiographien sind ihre jeweilige lebensweltliche Situiertheit und deren Auswirkungen auf ihre emotionale Verfasstheit für unser Thema von großer Bedeutung. Ein Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 12.12.2019 (Wetzel 2019) illustriert z.B., wie die Rahmenbedingungen schulischen Lernens (Stichwort Leistungsdruck) in vielen Fällen zu psychischen Erkrankungen, insbesondere zu Angststörungen führen. 2 Wenngleich die fremdsprachendidaktische Forschung zur Inklusion insgesamt noch in ihren Anfängen steckt, sind seit einigen Jahren bereits mehrere Schriften zu diesem Bereich erschienen (vgl. u.a. Burwitz-Melzer et al. 2017). Die o.e. Sicht auf Emotionen als Störfaktoren des Lernens bezog sich in erster Linie auf das Phänomen Angst. Erinnert sei z.B. an die Bedeutung des „affective filter“ in den Spracherwerbshypothesen von Krashen/ Terrell (1983). Hinsichtlich der Bedeutung der Angst zeigt sich besonders eindrücklich, wie sehr sich die drei in den Leitfragen zur Frühjahrskonferenz genannten Einflussvariablen überlappen: Schul- und Leistungsängste haben sich - vor allem bei der 2. und 3. Fremdsprache - oft schon längst im Fähigkeitsselbstbild der Lernenden verfestigt, in der Regel hemmen sie die Leistungsbereitschaft (Ebene der Lernvoraussetzungen) und beeinflussen, nicht zuletzt in Gestalt der Prüfungsangst, die Lernergebnisse, und selbstverständlich manifestieren sie sich zudem im Lernverlauf, z.B. in Form von Sprechhemmungen. 3 Neben Verhaltenshemmung können Leistungsängste allerdings auch zur Verhaltensaktivierung beitragen, dann nämlich, wenn bevorstehende Leistungsüberprüfungen Anlass zu vermehrten Lernaktivitäten geben. Umgekehrt können Erfahrungen der Selbstwirksamkeit Angst mindern und Lernerfolge fördern (vgl. Schwarzer/ Jerusalem 2002). Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, ob im Klassenraum ein positives, von wechselseitiger Akzeptanz geprägtes Lernklima herrscht. 2 Im Bereich der Angststörungen spielt allem Anschein nach zudem Mobbing häufig eine wesentliche Rolle (vgl. Wetzel 2019). 3 Dass derartige Lerndispositionen sehr wohl auch veränderbar sind, sollte am eingangs aufgezeigten persönlichen Fallbeispiel deutlich werden. Emotionales Erleben im Fremdsprachenunterricht - eine leib-seelische Erfahrung 109 Ähnliches gilt für die Einstellungen zur Sprache und zum Schulfach. Vieles deutet darauf hin, dass Spracheinstellungen (language attitudes) in starkem Maße affektiv-emotional konnotiert sind. 4 Dies zeigt sich nicht zuletzt in Studien zur Motivation von Fremdsprachenlernenden. Auf eine anfänglich oft positive Haltung dem neuen Lerngegenstand und Fach folgen nicht selten Ernüchterung und Enttäuschung, so dass das konkrete Lernverhalten in späteren Lernstadien unter diesen Vorerfahrungen und etablierten Mustern der Attribuierung leidet (auf das Fach Französisch bezogen vgl. u.a. Küster 2007). Umgekehrt kann davon ausgegangen werden, dass positive Erlebnisse eigenen Sprachkönnens sich förderlich auf die Lernbereitschaft, die Lernfreude, mittelbar vermutlich auch die Lernergebnisse auswirken (vgl. u.a. Schwarz-Friesel 2011, 253). Lerneremotionen spielen ferner im Hinblick auf kulturelle Differenz bzw. die Erfahrung von Fremdheit eine viel beachtete Rolle. In dem Maße, in dem es gelingt, Offenheit für die Andersartigkeit anderer zu wecken bzw. zu verstärken, Ambiguitätstoleranz zu erwerben (vgl. Caspari 2010, 61f., 64), können sich in diesem Bereich z.B. negative in positive Emotionen verwandeln. Bei einer aktuellen Durchsicht thematisch relevanter Schriften zum (inter-/ trans-)kulturellen Lernen fällt allerdings auf, dass die Überwindung emotionaler individueller Abwehrreaktionen gegenüber Fremdem und Fremdheit nur vergleichsweise wenig artikuliert wird, im Vordergrund steht vielmehr die kognitive Seite von Haltungs- und Verhaltensänderungen. Hinsichtlich der thematischen Lerngegenstände und der auf sie bezogenen Verfahren wird verschiedentlich geltend gemacht, dass im Unterricht behandelte Texte und Themen emotional ansprechend sein sollten, um ein Gegengewicht gegen die oft beklagte Banalität vieler Lehrbuchtexte zu bilden (vgl. Donnerstag 2017, 57). Gerade literarischen Texten wird gemeinhin eine emotional positiv stimulierende Wirkung zugeschrieben (vgl. u.a. Wieland 2015). Letztlich sei gesondert erwähnt, dass die Einbeziehung von Musik und dramapädagogischen Verfahren in den Fremdsprachenunterricht auf ihre je spezifische Art und Weise Lerneremotionen ansprechen kann (vgl. hierzu u.a. Grewe 2010 und Jauch 2011). So ist unbestritten, dass Musik durch die Ästhetik des Klangs über die Aktivierung bestimmter Hirnareale unmittelbarer emotionale Reaktionen hervorruft, als dies über sprachliche Zugänge in der Regel der Fall ist. Dabei gilt es zu bedenken, dass gesprochene Sprache ebenfalls Klang ist mit all seinen ästhetischen Facetten. Die Klangfärbungen der Sprache können unwillkürlich sowohl ansprechend als auch abstoßend wirken; die o.g. Einstellungen zu einzelnen Sprachen machen sich hier bemerk- 4 In ihrer breit und zugleich differenziert angelegten empirischen Untersuchung geht Venus (2017) hingegen von einem weitestgehend eingeschränkt kognitiven Verständnis von Einstellungen aus. Lutz Küster 110 bar. Theaterpraktische Verfahren wiederum nutzen über den Klang sprachlichen Ausdrucks hinaus auch dessen mimische und gestische Qualitäten. Indem sie den gesamten Körper einbeziehen, entsprechen sie dem aktuell verstärkt in den Fokus pädagogischer und fachdidaktischer Forschung gerückten Prinzip des embodiment bzw. der Leiblichkeit. Als Zwischenfazit halte ich fest, dass die unterschiedlichen Manifestationen von Emotionen im Lernprozess m.E. nicht isoliert, sondern in ihren wechselseitigen Bezügen betrachtet werden sollten. Daher spreche ich mich für eine integrative Sicht auf die Gesamtheit der kognitiven, affektivemotionalen und leiblichen Facetten allen Lernens aus, die deren Untrennbarkeit im Erleben der lernenden Subjekte Rechnung trägt. Mein eingangs angeführtes persönliches Fallbeispiel sollte dies illustrieren. Dies leitet über zu folgenden Reflexionen: 4 Leiblichkeit und embodiment: Leitkonzepte eines integrativen Verständnisses fremdsprachlichen Lernens? Die Berücksichtigung psychischer und physiologischer Faktoren im Lernprozess hat in Deutschland eine lange, wenngleich eher marginal beachtete Tradition, die sich mit dem Leitbegriff der Ganzheitlichkeit verbindet. Dieser trägt weiterhin das Erbe der Reformpädagogik mit sich, inklusive all ihrer humanistischen, oft aber auch diffus esoterischen Grundzüge. Zu Recht kritisiert Barbara Schmenk (2015, 114), dass mit der These eines ganzheitlichen Lernens häufig „eine relativ fraglose Akzeptanz einer romantisierenden Vorstellung von Lernen und Lernenden“ einhergehe. Insbesondere verweist sie auf die die in der Regel zugrunde liegende Idee einer statischen, harmonischen Ganzheit. Diese allerdings verträgt sich in der Tat nicht mit den Subjektkonzeptionen, die im Zuge neuerer Identitätsforschung allgemeine Anerkennung gefunden haben. Schmenk (2015) kritisiert ferner, dass das ‚Ganze‘ als Akkumulation seiner ‚Teile‘ konzipiert werde: Kumulativ ist diese Vorstellung insofern, als die jeweiligen ‚Teile‘ - also die kognitiven, emotionalen und leiblichen Anteile - dem Ganzheitlichkeitsargument nach alle berücksichtigt werden sollten. Wie sie im Einzelnen zueinander stehen oder miteinander verschränkt sind, wie das Zusammenspiel von leiblichen sowie emotionalen und kognitiven Aspekten aussehen könnte (oder gar aussieht), oder inwiefern welche Aufgaben welche kognitiven, leiblichen und emotionalen Aspekte auslösen und wie dann jeweils das Zusammenspiel der ‚Teile‘ vonstatten gehen könnten, bleibt im Dunkeln (Schmenk 2015, 115). Schmenk (2015, 116) geht davon aus, dass „das Zusammenspiel von Kognition, Emotion und Leiblichkeit ein sehr komplexes ist, das beileibe nicht harmonisch verläuft“. In dieser Sicht manifestiert sich ein Subjektverständnis, Emotionales Erleben im Fremdsprachenunterricht - eine leib-seelische Erfahrung 111 das von poststrukturalistischen Ansätzen, nicht zuletzt in der Identitätsforschung, geprägt ist - Bonnie Norton (2000, 125-128) fasst Identität bekanntlich als „site of struggle“ auf. Wie der Verweis auf das Leiblichkeitskonzept andeutet, kommen hier zudem phänomenologische Einflüsse zur Geltung. In phänomenologischen Ansätzen wird Lernen gemeinhin als leibliche Erfahrung verstanden. Anders als der oft mentalistisch verkürzte Kognitionsbegriff verdeutlicht der Erfahrungsbegriff die vielschichtige Erlebnisqualität von Erkenntnis- und Lernprozessen (vgl. hierzu Brinkmann/ Kubac/ Sales Rödel 2015). So ist Erfahrung nach Dieckmann (1994, 21) dreifach kodiert in Erkenntnis (Kognition), Handlung (Volition) und Wahrnehmung (Emotion), wobei diese drei stets miteinander verquickt seien. 5 Wahrnehmungen wiederum werden Schütz und Luckmann (1984, 12f.) zufolge erst dort zu Erfahrungen, wo der Einzelne sie aus dem Strom des Alltäglichen heraushebt, um weiter mit ihnen zu arbeiten. Wesentliches Merkmal einer Erfahrung ist demzufolge die Bedeutungszuschreibung des erlebenden Subjekts. Auf diese Weise gewinnt Erfahrung einen Doppelcharakter: Gerichtet auf ein Objekt verweist sie stets zugleich auf die Subjektseite, auf die Wirkung, die der Gegenstand im Einzelnen auslöst. Das wiederum liegt in phänomenologischer Sicht an dem Wesen von Wahrnehmung. Während Denken als Prozess der Distanzierung und Objektivierung verstanden wird, erscheint Wahrnehmung als ein leibliches, über die Sinne vermitteltes Geschehen, das nicht schlicht extern Gegebenes abbildet. Vielmehr produziert es Sinn und legt so zugleich den Grundstein für mögliche Haltungs- und Verhaltensänderungen. Inge Christine Schwerdtfeger (1997) verdeutlicht dies treffend: Mein Gesichtspunkt gegenüber der Welt, meine Wahrnehmung wird durch meinen Leib und die von ihm abhängige Ausrichtung meines Blicks bestimmt. So sind nur subjektive Wahrnehmungen und Bedeutungszuschreibungen möglich, die ich gewinne, weil ich in der Welt an einem bestimmten Platz stehe, den in diesem Augenblick kein anderer einnehmen kann und fühlend den Dingen, die mich umgeben, Bedeutung zuweise. So wird die Welt [...] durch den einzelnen aufgrund ständig neuer Sinnzuweisungen verändert. Sie wird zugleich verändert, weil ich fühlend in der Welt stehe und in ihr eine physische Präsens [sic] bin, die auf die Welt, in die Welt einwirkt (Schwerdtfeger 1997, 201). Das von Schwertfeger angeführte „Fühlen“ verweist auf die Bedeutung der Gefühle und der Emotionen. Denn Kognition und Emotion sind nicht nur in neuerer neuropsychologischer und neurophysiologischer, sondern bereits in phänomenologischer Sicht aufs Engste miteinander verwoben (vgl. auch Schwerdtfeger 2001). Wichtig ist in diesem Zusammenhang, auf die Differenz von Leib und Körper in phänomenologischem Denken zu verweisen. Während der Begriff Körper sich auf die naturwissenschaftlich erforschbare Mate- 5 Hierzu und zum Folgenden vgl. Küster (2004, 12f.). Lutz Küster 112 rialität menschlicher Existenz bezieht und somit objektivierbar ist, bezeichnet ‚Leib‘ die an Zeit und Raum gebundene Subjektposition eines sich und seine Umwelt wahrnehmenden Menschen, die sich dem objektivierenden Zugriff anderer entzieht. Viel zitiert, da bündig auf den Punkt gebracht, ist der Satz, demzufolge der Mensch einen Körper hat, aber Leib ist. 6 Daraus leitet sich ab, dass die Emotionen eines Menschen Teil seiner Leiblichkeit sind, als Erscheinungs- und Äußerungsformen seiner im Hier und Jetzt situierten Wahrnehmung, unabhängig davon, ob diese auf dingliche oder soziale Kontexte gerichtet ist. Emotionen lassen sich demzufolge auch nur mittelbar, über die Deutung bestimmter körper- oder verbalsprachlicher Ausdrucksformen interpretativ erfassen. Die Frage nach dem Stellenwert von Emotionen beim Sprachenlernen lässt sich, so ist weiter zu folgern, letzten Endes nicht objektiv beantworten. Geht man ferner davon aus, dass Emotionen stets mit Kognitionen verknüpft sind und mit diesen eine Einheit bilden, wäre zudem eine quantitative Verteilung schlichtweg nicht ermittelbar, da dies eine kompartmentaliserende Sicht zur Voraussetzung hätte. Anders als in kognitivistischen Ansätzen, in denen Lerner als informationsverarbeitende Wesen begriffen werden, wird der/ die Einzelne in einer phänomenologischen Sicht als Subjekt gesehen, das in seiner Leiblichkeit in Interaktion mit der Umwelt steht. Sprache wird folglich leibhaft erfahren, denn der Leib bildet einen Resonanzraum, in dem gehörte Sprache als lebendige Sinneswahrnehmung erfahren wird. Die gestisch-mimischen Anteile eigenen leibhaften Agierens in mündlicher Interaktion bleiben dabei zunächst in der Regel unbewusst und unverfügbar. Gleichwohl sind sie prinzipiell dem Bewusstsein zugängig, z.B. wenn sie im Spiegel der Kommunikationspartner wahrgenommen und auf dieser Basis reflektiert werden. Phänomenologische Zugänge werden derzeit wieder stärker beforscht, vermutlich auch unter dem Einfluss der anglo-amerikanischen Studien zu embodiment bzw. embodied cognition (vgl. u.a. Mayer/ Loder Büchel 2019, 3). Bisweilen wird sogar von einem turn to the body bzw. einem body turn gesprochen (vgl. z.B. Schwerdtfeger 2000, 295f. und Brinkmann/ Türstig/ Weber- Spanknebel 2019, 1). Hinter diesem Slogan 7 verbergen sich allerdings recht unterschiedliche Ansätze. 8 Auch wenn davon auszugehen ist, dass ‚body‘ im Englischen beide Bedeutungsvarianten‚ i.e. Leib‘ und ‚Körper‘, einschließt, 6 Zur genaueren Begriffsbestimmung vgl. Lindemann (2017, 57-66) sowie Brinkmann/ Türstig/ Weber-Spanknebel (2019, 1-6). 7 Zur Begrifflichkeit vgl. Schmenk/ Breidbach/ Küster (2019, 2-4). 8 Dies gilt bereits für den engeren Rahmen phänomenologischer Forschung. Brinkmann/ Türstig/ Weber-Spanknebel (2019, 6) belegen embodiment-orientierte Ansätze mit dem Attribut ‚neurophänomenologisch‘, die im Gegensatz zu anthropogisch fundierten Ansätzen deutlich stärker kognitionspsychologisch ausgerichtet seien (vgl. ebd., 4-7). Emotionales Erleben im Fremdsprachenunterricht - eine leib-seelische Erfahrung 113 lässt sich doch beobachten, dass in der Regel mehr letztere als erstere das Denken jener Forschenden bestimmt, die sich dieses Konzepts bedienen. Dies gilt nicht zuletzt für den Bereich der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik. So nimmt z.B. Clémentine Abel (2019, 77) einen objektivierenden Blickwinkel ein, wenn sie embodiment bzw. Körperlichkeit einerseits als Mittel des Fremdsprachenunterrichts oder auch als seinen Gegenstand betrachtet. Zu der erstgenannten Perspektive sind all jene Arbeiten zu sehen, die den Nutzen einer Einbeziehung des Körpers in Lernaktivitäten zu belegen versuchen; theaterpädagogische Ansätze wären u.a. hier zu nennen oder auch das Konzept des bewegten Lernens. Körperlichkeit als Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts wiederum findet ihren Ausdruck z.B. in der Berücksichtigung körpersprachlicher Ausdrucksmittel, insbesondere der Gestik und Mimik (vgl. ebd.). Dass das hier vertretene Körperbild mit phänomenologischen Leibkonzepten bisweilen in Konflikt gerät, zeigt sich u.a. daran, dass der Körper z.T. als Werkzeug des Lernens und somit in instrumentalistischer Weise begriffen wird (vgl. Mayer/ Loder Büchel 2019, 8). Embodiment wird nicht zu Unrecht in Opposition zu rein kognitivistischen Ansätzen gesehen. Problematisch erscheint mir allerdings, dass in der postulierten Verschränkung von Körper und Geist der Blickwinkel auf eben jenes Gegensatzpaar erhalten bleibt. Eine Erweiterung auf die Ebene der Emotionalität findet dabei allenfalls am Rande statt, anders als im Rahmen phänomenologischer Leibkonzepte. Einen integrative Sicht nehmen z.B. Brinkmann et al. (2019, 11) ein, wenn sie betonen, dass „mit Überlegungen zu Körper und Leib in der Husserl‘schen Phänomenologie und in der Embodied Cognition Theory zwei Antwortmöglichkeiten präsentiert [werden], mit denen die leibliche, emotionale und reflexive Struktur von Kognitionen erfasst werden kann“. 9 Claire Kramschs nicht mehr ganz neues, in deutschsprachiger Fremdsprachendidaktik allerdings relativ wenig beachtetes Konzept der Language Ecology (vgl. u.a. Kramsch/ Wellmon 2008 und Kramsch/ Whiteside 2008) geht in dieselbe Richtung. Mit Bezug zu Kramsch schreibt Barbara Schmenk (2015) sehr treffend: Ökologischen Forschungsansätzen (im englischen Sprachraum bezeichnet als language ecology) […] ist gemeinsam, dass sie sich den verbreiteten Dichotomien widersetzen […] (z.B. Individuum - Gesellschaft/ soziale Gemeinschaft, Muttersprachler - Nichtmuttersprachler etc.). Stattdessen spielen in ökologischen Ansätzen Begriffe wie Kontinuum, Hybridität, Vermittlung eine wesentliche Rolle. […] im Fokus steht nicht mehr allein die Tatsache, dass Lernende über Kopf, Gefühle und Körper verfügen, sondern die Einsicht, dass Subjekte sprachlich (und das heißt zugleich emotional-kognitiv-leiblich) kon- 9 Diesen Zusammenhängen widmen sich in systematischer Weise Fuchs (2015) und bezogen auf das Phänomen Scham Brinkmann (2019). Lutz Küster 114 stituiert werden und sich konstituieren, wobei dieser Prozess unabschließbar und immer mit Komplikationen verbunden ist, so dass Subjektivität gerade durch ihre Fragmentiertheit und Unabgeschlossenheit charakterisiert ist (Schmenk 2015, 119f.). Die Komplexität der angesprochenen Zusammenhänge stellt zweifelsohne eine Erschwernis für konzeptuelle Präzisierungen und mehr noch für empirische Studien dar. Dennoch sehe ich hier ein wichtiges Feld zukünftiger fremdsprachendidaktischer Forschung, zumal sich aus ihnen Schlussfolgerungen für die Gestaltung von Unterricht ergeben dürften. 5 Unterrichtspraktischer Ausblick Das Vorhandensein positiver Emotionen stellt, wie Swain (2013) betont, zwar keine notwendige Bedingung für das Zustandekommen von Lernen dar, doch - wie oben bereits angeführt - begünstigt es dies. Überzeugt von der Nicht- Trennbarkeit von Kognition und Emotion plädiert die Autorin in erster Linie dafür, dass Lehrkräfte die Lernenden in der Gesamtheit ihrer Gedanken und Empfindungen wahrnehmen sollten: „This means that we have to access to the emotional/ cognitive landscape of our students. As teachers, we can have this access by listening, really listening, to our students“ (Swain 2013, 205). Dies, so führt sie an gleicher Stelle weiter aus, könne auch erreicht werden „by consciously including this dimension as a goal in the design of collaborative learning tasks“ (ebd.). Beide Forderungen unterstütze ich uneingeschränkt. Besonders wichtig ist in meinen Augen die Herstellung einer von wechselseitigem Verständnis geprägten Lernatmosphäre und die Begünstigung positiver Lerneremotionen durch interaktive Aufgaben. Beide Aspekte sind - wie auch Sabine Hoffmann (2012, 129f.) argumentiert - eng miteinander verkoppelt. Literatur Abel, Clémentine (2019): „Embodiment im Französischunterricht der Sekundarstufen - Bedingungen, Settings und Lehrkräftekompetenzen“. In: Babylonia 3, 76-80. Barrett, Lisa F. (2009): „Variety is the spice of life. A psychological construction approach to understand variability in emotion“. In: Cognition and Emotion 23/ 7, 1284-1306. Battacchi, Marco W./ Suslow, Thomas/ Renna, Margherita (1997): Emotion und Sprache. 2. Aufl. Frankfurt a.M.: Lang. Beermann, Christian/ Cronjäger, Hanna (2012): „Emotionales Erleben im Französischunterricht der Sekundarstufe I - Exemplarische Analyse der Mehrsprachenstruktur“. 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Emotionen regulieren können Von der Notwendigkeit affektive Strategien zu fokussieren - in Fremdsprachenunterricht und Forschung Hélène Martinez 1 Emotionen in der Sprachlernbiographie von Maria - ein Beispiel unter vielen anderen Maria 1 lernte Englisch als erste Fremdsprache in der Ukraine. Sie berichtet, dass dieser Englischkurs konventionell und lehrerzentriert war und mehr oder weniger auf den Prinzipien der Grammatik-Übersetzungsmethode basierte. Sie kritisierte den Unterricht wegen mangelnder kommunikativer Orientierung und die Lehrerin wegen fehlender didaktischer Kompetenz und war der Ansicht, dass beide die Ursache seien für ihre eigene unzureichende Beherrschung der englischen Sprache: MA: Also, Englisch, das war so mit Hilfe der audiovisuellen Methode gelernt. Und zwar, unsere Lehrerin hatte selbst keine Ahnung von Englisch, das ist meine feste Überzeugung, auch jetzt. Also, die hat Englisch von auch einer Russisch-Muttersprachlerin gelernt. Die war selbst nie in England oder in Amerika. Und ich glaub’, die war überhaupt nicht mit Didaktik bekannt oder so. Der Unterricht war total langweilig, und das waren wirklich Wort-für-Wort-Übersetzungen. Und für sie war wichtig, wenn wir richtig übersetzen können. Jedes Wort. Was das Wort heißt, was das Wort heißt? Und es gab gar keine Kommunikation im Unterricht. Und die Folge jetzt: Ich bin so ein (? ) wie ein Hund. Wenn ich Englisch höre, ich verstehe, aber ich kann nicht sprechen. Also ich kann sogar auf Deutsch antworten oder auf Russisch, je nachdem, aber ich kann nicht auf Englisch sprechen. HM: Mhm. Mit wem hast du dich verglichen? Mit einem Hund? MA: Ja. Das ist ein Sprichwort in Russisch. Das heißt, ich bin wie ein Hund: alles verstehen, aber nichts sagen. (lacht) (Maria, Studentin) (Hervorhebung H.M.). 1 Maria ist Spanischstudentin an einer deutschen Universität und nahm an einer Studie zur Lernerautonomie teil (vgl. Martinez 2008). Sie ist eine wahrhaftige Sprachsammlerin. Der vorliegende Beitrag basiert auf einer Reanalyse der Daten im Hinblick auf die Frage von Emotion (vgl. auch Martinez 2016). Emotionen regulieren können 119 Die Frage, ob sie das Englischlernen während des Lernprozesses selbst negativ wahrgenommen hat, bejaht sie. Die Worte, die sie wählt, um ihre Enttäuschung auszudrücken, sind symptomatisch und zeigen das Unbehagen, das sie zu diesem Zeitpunkt empfand. Sie behauptet, dass sie sich „sogar verletzt“ gefühlt hat, als wäre sie seelisch bzw. körperlich angegriffen worden. Diese erste Erfahrung mit dem Englischlernen war so negativ und enttäuschend, dass sie sich auf Jahre hinaus weigern wird, eine neue Fremdsprache zu lernen. „Und das war Zeitverschwendung, irgendwie Kraftverschwendung. Ich habe gewusst, dass ich wirklich was gemacht habe, was geleistet habe, aber Ergebnis: null. Lange Zeit wollte ich natürlich gar keine Fremdsprache lernen.“ (Maria). Tatsächlich begann sie erst nach vier Jahren, Türkisch, Polnisch und dann Deutsch zu lernen, aus intrinsischer Motivation heraus und unter Bedingungen, die dem natürlichen Fremdsprachenerwerb ähnlich sind. Sie wollte mit Menschen kommunizieren, die ihr nahestanden und mit denen sie eine freundschaftliche Beziehung bzw. eine Liebesbeziehung verband. Sie beschreibt das Türkischlernen - eine Sprache, die sie jetzt perfekt beherrscht - als ein einfaches „Hobby“, ein Ergebnis von „persönlicher Initiative“. Deutsch ist die Sprache des Auserwählten ihres Herzens, den sie sehr bald nach dem ersten Treffen heiraten wird. Es ist ihre Lieblingssprache und inzwischen wie zu einer zweiten Muttersprache geworden. Eine starke intrinsische Motivation und eine positive Einstellung gegenüber diesen Sprachen und ihren Sprechern sind die treibenden Kräfte für ihre erfolgreichen Lernprozesse. Spanisch ist die Fremdsprache, die sie im Rahmen ihres Studiums an der Universität in Deutschland institutionell erlernt. Auch hier wird sich Maria sehr schnell der Grenzen des institutionellen Lernens bewusst und sie entwickelt eigene Lösungsstrategien. Die von Maria beschriebenen Strategien zum Erlernen der spanischen Sprache konzentrieren sich mehr auf Sinn und Bedeutung als auf die Form. Maria erklärt, dass sie Strategien, die sich für das Erlernen der deutschen oder türkischen Sprache als effektiv erwiesen haben, ins Spanische überträgt. Transfer dieser Art zwischen Sprachen trägt nicht nur zur Konstruktion lernhilfreichen intersprachlichen Wissens bei, sondern generiert auch didaktisches Wissen, welches zur Konstruktion methodischer Fähigkeiten imstande ist und ihr ein Gefühl von Selbstwirksamkeit entstehen lässt. Zwischenfazit: Es scheint, dass das negative Lernerlebnis mit der englischen Sprache ein wichtiger und kritischer Moment in der Lernbiographie von Maria ist. Ihre Aussagen unterstreichen die enge Verbindung zwischen dem Erlernen von Sprachen und der persönlichen Entwicklung oder sogar Entfaltung, wobei emotionale Faktoren einen entscheidenden Einfluss auf letztere haben. Auf der Grundlage dieser Erfahrung wird sie auf persönliche - autodidaktische - Weise die Mittel zum Erlernen von Fremdsprachen sowie Hélène Martinez 120 eine Lernkonzeption entwickeln, die auf dem intrinsischen Bedürfnis beruht, mit dem anderen in seiner Kultur und seiner Sprache zu kommunizieren. Die Re-Analyse der Daten legt nahe, dass Emotion ein komplexes und prozesshaftes Konstrukt mit unterschiedlichen affektiven, kognitiven, physiologischen und motivationalen Dimensionen ist, die in einer Wechselbeziehung stehen und nicht voneinander getrennt werden können (vgl. Pekrun/ Jerusalem 1996; Martinez 2014). Die Verbalisierungen von Maria reflektieren Ergebnisse neurobiologischer, pädagogischer und fremdsprachendidaktischer Forschung, die das Zusammenwirken kognitiver und emotionaler Komponenten im Entstehungsprozess von Motivation hervorheben (vgl. Düwell 2002). Die Auswirkung von Emotionen auf das Lernen und die Lernleistung sind offensichtlich: Emotionen sind Determinanten des Lernprozesses von Maria. Ihre positiven Emotionen haben eine wesentliche und unterstützende Funktion für die Selbstregulierung ihrer Sprachlernprozesse und die Entwicklung ihrer individuellen Mehrsprachigkeit (Ukrainisch, Russisch, Englisch (rezeptiv), Türkisch, Polnisch, Deutsch und Spanisch). Aber Emotionen sind auch das Ergebnis des erlebten institutionellen Fremdsprachenunterrichts: Maria fühlt sich wie ein Hund, sie ist verletzt und sozusagen sprachlos bzw. handlungsunfähig. Sprechen können - sich in der Fremdsprache ausdrücken/ verständigen zu können - wird zu ihrem Motto. Marias Fall illustriert inwiefern, „individuals differ along continua of affect, behavior, cognition, and motivation, and most of which can be understood and operationalized in terms of quantifiable traits dimensions, such as intelligence and personality“ (Chamorro-Premuzic et al. 2011: xvi, zitiert nach Dörnyei/ Ryan 2015, 11). 2 Emotionales Unterrichtserleben Die Frage nach den Auswirkungen des Lernprozesses auf emotionale Befindlichkeiten (Ergebnis des Lernprozesses) scheint mir im Hinblick auf den Französisch- und Spanischunterricht und vor dem Hintergrund älterer wie jüngerer empirischer Studien (vgl. Candelier/ Hermann-Brennecke 1993; Fritz 2019; 2020; Méndez López 2011) von besonderer Relevanz. Fritz (2020) zeigt in ihrer Studie, wie sich emotionales Erleben stark auf das Erlernen des Französischen oder Spanischen bis hin zur Abwahl der jeweiligen Fächer auswirkt. Bemängelt wird von den Schülerinnen und Schülern in der Regel der fehlende Bezug zu außerschulischen Lernorten, die überwiegend dominante Rolle der Lehrkraft und die motivationalen Interferenzen zwischen der zweiten Fremdsprache und dem Englischen. Darüber hinaus erleben die Schülerinnen und Schüler den Französischunterricht als „eine Herausforderung“ (ebd., 150) und das stupide und monotone Einüben von sprachlichen Mitteln sowie ausstehende Unterrichtserfolge als Motivationshindernisse (vgl. auch Meißner et al. 2008). Für viele Schülerinnen und Emotionen regulieren können 121 Schüler bleibt das Französische bzw. das Spanische lediglich ein Schulfach ohne Lebensweltbezug. Mangelnder Lernzuwachs und fehlendes positives Feedback sowie nicht vorhandene Identifikationsmöglichkeiten mit den Inhalten des Französisch- und Spanischunterrichts und die Dominanz der Vermittlung von Sprachwissen führen zu Frustration und letztendlich zu Ablehnung und Abwahl des jeweiligen Fachs. Es wird deutlich, dass die Abwendung vom Französischen bzw. Spanischen Ergebnis eines Prozesses bzw. einer schrittweisen Enttäuschung individueller Erwartungen im Französischund/ oder Spanischunterricht und ein damit einhergehender Motivationsverlust ist. Die Studie bestätigt die Bedeutung des emotionalen Erlebens im Unterricht als Prädiktor für die Lernbereitschaft und die Leistungsentwicklung (vgl. Düwell 2002, 174; Schnabel et al. 2001). Ein positives Unterrichtserlebnis besteht hingegen z.B. in der Möglichkeit zur Partizipation und dem Erleben eigener Kompetenz. Auch die zielsprachliche Kompetenz der Lehrpersonen zeigt Wirkung: Wird Spanisch von den Lehrkräften als Muttersprache beherrscht, scheint dies auch positive Effekte auf die wahrgenommene Lernbarkeit der Sprache zu haben. Es kann mit Brown und White (2010, 433) angenommen werden, dass „[e]motions are defined as valenced responses to external stimuli and/ or internal mental representations that involve changes across physiological, experimental, and behavioral response systems.“ Emotionen werden konzeptualisiert „as tools by which we appraise experiences and prepare to act on situations“ (Cole et al. 2004 zitiert nach Brown/ White 2010, 433). Düwell (2002, 174) spricht von dem „Wagnis, eine fremde Sprache [institutionell: HM] zu lernen“, „in das Lernende affektiv in mehrfacher Hinsicht involviert sind“. Die eigene Motivation aufrechtzuerhalten ist für viele Schülerinnen und Schüler - wie diese Studie zeigt - hoffnungslos (im engeren Sinne des Wortes). Bei vielen Schülerinnen und Schülern erscheint das Englische als ein Gegenpol zum Französischen bzw. Spanischen, in der Hinsicht, dass angenommen werden kann, dass sich negative emotionale Erfahrungen als fatal für den Unterricht der 2. Fremdsprache nach Englisch erweisen. „Da die Schülerinnen und Schüler bereits mit der englischen Sprache eine für sie im privaten als auch beruflichen Bereich sehr nützliche Sprache lernen, schätzen sie das Erlernen einer weiteren Fremdsprache als weniger wertvoll ein“ (Venus 2017, 289). Mit MacIntyre und Mercer (2014 in Anlehnung an Fredrickson 2001) kann geschlussfolgert werden, that positive and negative emotions are not dichotomous or opposite ends of the same continuum (as was implied by Krashen’s concept of the affective filter); they are better conceptualized as two dimensions of experience. At the core, the function of positive emotion is qualitatively different from negative Hélène Martinez 122 emotion. Whereas negative emotion tends to narrow a person’s field of attention and predisposes specific action tendencies, positive emotion creates tendencies toward play and exploration, yielding a broadened field of attention and building resources for future action (MacIntyre/ Mercer 2014, 162). 3 Positive vs. negative Emotionen: Über die Dichotomie hinaus Gregersen and MacIntyre (2014), inspired by the Positive Psychology movement, explain that negative emotions are not always bad, as they can help learners to eliminate an obstacle but they can be paralysing. Positive emotions on the other hand “can broaden the field of attention and build resources for the future” and help learners “to build relationships, personal strength, and tolerances for the moments when things become difficult” (p. xiv) (Dewaele 2015, 14). Auch wenn von einem emotional turn in der Fremdsprachenforschung noch nicht gesprochen werden kann, lässt sich in der angloamerikanischen Literatur in den letzten Jahren eine interessante Entwicklung beobachten. Die traditionelle Dichotomie, wonach positive Emotionen den Lernprozess fördern, negative Emotionen ihn behindern [und daher reduziert werden müssen; HM]“ (Hascher 2005 zitiert nach Cronjäger 2007, 13), wird zugunsten einer Akzeptanz sowohl positiver als auch negativer Emotionen aufgegeben und erweitert. Beruhend auf der Theorie der positiven Psychologie und ausgehend von der Prämisse, dass sich negative Emotionen nicht ausschließlich negativ auswirken, sondern als Auslöser für die Regulierung von Problemen fungieren können, plädieren immer mehr Fremd- und Zweitsprachenforscher für die Stärkung des lernenden Individuums bzw. die Förderung von „character strengths“ (u.a. MacIntyre/ Mercer 2014; Gregersen et al. 2016; Oxford 2016a, 2016b) im Fremdsprachenunterricht. Strengths provide a different strategic starting point for dealing with anxiety and other issues with L2 learning and communication. We can pose the question this way: instead of focussing on reducing the deficiencies of the anxious learner, what if language teachers tried to develop learner strengths? (Mac- Intyre et al. 2015, 3). Es wird angenommen, dass character strengths (Creativity, Curiosity, Openmindedness, Love of learning, Perspective, etc.) allgemeine personenbezogene Merkmale sind, die das Wohlbefinden von Individuen befördern können (vgl. Oxford 2016b, 57ff.) und dass sie daher für die Entfaltung von Fremdsprachenlernprozessen im Klassenzimmer nicht zu unterschätzen sind (vgl. Anhang 1). MacIntyre et al. (2015) zeigen zum Beispiel, wie die Entwicklung von courage im Fremdsprachenlernprozess positiv auf den Erwerb der Sprechfähigkeit von Schülerinnen und Schülern wirkt. Oxford (2016b, 58ff.) verdeut- Emotionen regulieren können 123 licht die Bedeutung der psychologischen Konstrukte, indem sie diese konkret mit dem Verhalten und den Strategien von Fremdsprachenlernern in Verbindung setzt: Lerner „show creativitiy in coming up with relevant learning strategies to meet their needs, finding new opportunities to practice the language, and putting words and sentences together in novel ways for communication“. Oder: Lerner are open-minded, particularly when they encounter different practices ans attitudes in the target culture and when they recognize that the syntax and pragmatics of the target language differ from their own.“ Einige „strength“-Deskriptoren (vgl. Anhang 1) erinnern an die Operationalisierung von savoir-être im Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) (Candelier et al. 2009), weitere knüpfen an die Beschreibungen affektiver und motivationaler Strategien bzw. die metaaffective strategies und metamotivational strategies an (vgl. Oxford 2017). Letztere basieren auf der Selbstregulierung von (negativen) Emotionen und zielen auf die Stärkung des Selbstkonzepts bei den Lernenden. Sie sind eng verbunden mit autonomiefördernden Ansätzen (s. auch Düwell 2002). Das Fallbeispiel von Maria zeigt, dass sogenannte autonome Lerner sehr wohl in der Lage sind, Emotionen und Motivation zu regulieren, um ihre Lernziele zu erreichen (vgl. Martinez 2008) 2 . Puozzo Capron und Piccardo (2013, 5f.) sprechen in diesem Zusammenhang von „autonomie émotionnelle“ oder „autorégulation émotionnelle“. Allerdings dürfte diese Fähigkeit - auch als emotionale Intelligenz bezeichnet - nicht bei allen Lernenden in gleichem Maße entwickelt sein. Mit anderen Worten, sie muss im Fremdsprachenunterricht gefördert werden. Lerngelegenheiten müssen geschaffen werden, die helfen, emotionale Intelligenz als „the ability to understand feelings in the self and others and to use feelings as informational guides for thinking and action“ (Salovey et al. 2011, 238 zitiert nach Oxford 2017, 220) in Kooperation mit der jeweiligen Lehrkraft und den Mitlernenden zu entfalten. Für das Gelingen solcher Ansätze erscheint wichtig, dass sie nicht als individueller Verlauf betrachtet werden, sondern als sozioindividueller Prozess im Rahmen des Klassenzimmers. Der „scenario-based strategy questionnaire assessing emotion-regulation strategies“ (Oxford 2017, 317) liefert dazu einen interessanten Ansatz. Es handelt sich um einen Fragebogen bei dem Lernende über ein Angebot an ausgewählten emotionell geprägten Lernsituationen reflektieren sollen. Durch eine Reihe sich anschließender Fragen werden Lernende angeregt, sich an mögliche, ähnliche, persönlich erlebte Lernsituationen zu erinnern, und zu überdenken, wie und inwieweit sie versucht haben, die dabei entstandenen Emotionen mit oder ohne Hilfe der Lehrkraft für sich zu regulieren (s. Anhang 2). 2 Dies entspricht auch dem Profil des „good language learner“ wie er Ende der 1970er Jahre konzeptualisiert wurde. Hélène Martinez 124 Solche Szenarien sind als individuelle reflexive Aufgaben gedacht, könnten aber auch in Partnerarbeit gelöst und Gegenstand von Unterricht sein, indem Lösungsbeispiele im Klassenzimmer besprochen und ausgetauscht werden (s. auch Assessment von Aufgaben; vgl. Chamot Uhl 2019; MacIntyre et al. 2015). Dies könnte dazu führen, dass sich Schülerinnen und Schüler - mit Unterstützung von Lehrkräften - untereinander austauschen, sich gegenseitig unterstützen, Hemmungen abbauen und aktiv an der Gestaltung eines positiven Klassenklimas mitwirken. Auch seitens der Lehrkraft könnte so eine erhöhte Bewusstheit für die Belange der Schülerinnen und Schüler entstehen. Der Fragebogen und ähnliche Instrumente (s. auch Chamot Uhl 2019) gehören zu Lehr- und Lernarrangements, die gezielt auf Empowerment bzw. Stärkung der Lernenden als ganzheitliche Individuen setzen und generell auf einer Förderung der Reflexion und der Metakognition basieren. Wie die Förderung von Metakognition ein Nachdenken über eigene Emotionen befördern kann, zeigt das folgende Zitat einer Schülerin des 7. Jahrgangs 3 . Nach einer Phase mit einer Aktivität zur Selbstevaluation setzt sich die Schülerin folgende Ziele: Die Schülerin nimmt sich vor, Selbstvertrauen zu entwickeln, das zu sagen und zu schreiben, was sie weiß - unabhängig von der Reaktion anderer Mitschülerinnen und Mitschüler -, sich am Unterricht zu beteiligen und zu ignorieren, wenn sich andere über Fehler lustig machen. Diese Aussagen verblüffen mit ihrem Grad an Reflexion. Sie zeigen aber auch, dass Fremdsprachenlernen eng mit Fragen der Aufrechterhaltung von eigener Motivation, Selbstbewusstsein, von Abhängigkeit in der Peer-Gruppe verknüpft ist und somit auch mit einer Regulierung von Emotion (Angstgefühle, Mut, Teamfähigkeit). Analysiert man dies unter dem Blickwinkel der Strategieforschung, lässt sich festhalten, dass die Lernerin eine Reihe von metaaffektiven Strategien entfaltet: u.a. „Paying Attention to Affect, Planning for 3 Dieser Originalauszug aus einem Selbstevaluationsbogen stammt aus einem Projekt zur Förderung von Lernerautonomie, das von mir wissenschaftlich begleitet wurde. Emotionen regulieren können 125 Affect, Organising Learning and Obtaining Ressources for Affect“ (vgl. Oxford 2017, 157). 4 Neben lernerbezogenen Maßnahmen zum Empowerment von Schülerinnen und Schülern zählen aber auch Lehr- und Lernarrangements, die auf Erfolgsorientierung statt Defizitorientierung zielen (vgl. Koenig 2005). Es sind solche Lernarrangements und Aufgabenformate, die den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit eröffnen, ihr fremdsprachliches Können erfolgreich zu üben und anzuwenden, so dass Lernende sich als (fremdsprachen-)kompetent erleben. Flankiert werden sollten diese erfolgsorientierten Lernarrangements mit einem positiven Feedback, das zum Weiterlernen ermuntert. Lernarrangements dieser Art sind als ‚Gegenentwurf‘ zu den Lernerlebnissen von Schülerinnen und Schülern zu konzipieren, wie sie Fritz (2020) rekonstruiert hat (relevante Übungen, Öffnung des Fremdsprachenunterrichts, positiver Umgang mit Fehlern etc.). Sie knüpfen an lernerorientierte, mit „Personalizing“ bezeichnete Verfahren an, die auf reformpädagogischen Grundgedanken aufbauen (u.a. Griffiths/ Keohane 2000). Sie könnten eine adäquate Antwort auf die Krise des Französischunterrichts liefern, unter der Voraussetzung, dass der Französischunterricht sich als der Unterricht der 2. Fremdsprache nach Englisch neu konzeptualisiert. 4 Forschungsperspektiven Bedeutsame und fruchtbare Forschungsansätze ergeben sich für mich aus den genannten Feststellungen. Fritz’ (2020) Studie fokussiert auf das emotionale Erlebnis von Schülerinnen und Schülern in der Sekundarstufe I. Es wäre zusätzlich von Interesse, zu erforschen, wie auch Lehrkräfte den Französisch- und Spanischunterricht erleben, inwieweit die überwiegend negativen Lernerlebnisse wahrgenommen und geteilt werden, wie bewusst sich Lehrkräfte der Funktion von Emotionen im Fremdsprachenunterricht sind und welche Strategien sie in dieser Hinsicht möglicherweise entwickeln. Dies erscheint mir umso wichtiger, als die meisten Studien zu Emotionen ja auf die entscheidende Rolle der Lehrkraft hinweisen. Viele Untersuchungen (u.a. Fritz 2020; Meißner et al. 2008; Venus 2017) verweisen darauf, dass dem Kompetenzerleben von Schülerinnen und Schülern eine Schlüsselfunktion bei der Regulierung intrinsischer Motivation zukommt, welche wiederum mit dem Erleben von positiven Emotionen eng verbunden ist (vgl. Thomas/ Müller 2015). Daran lassen sich Studien anschließen, welche diese Dimension und auch die damit verbundene Dimensi- 4 Die Grenzen zu den motivationalen und metamotivationalen Strategien sind fließend. Hélène Martinez 126 on des Lernen Lernens fokussieren. „La compétence d’apprentissage (…) est une capacité qui engage toute la personne et contribue à la construction de l’identité. Elle est de l’ordre de l’être plus que de l’avoir : savoir-apprendre, c’est savoir être, c’est-à-dire « assumer une identité langagière et culturelle propre ». Candelier et al. (2007, 91)“ (Martinez 2016; zu savoir-être und Emotion, s. auch Piccardo 2013). Affektive Strategien haben bisher keine besondere Berücksichtigung in der Strategieforschung erfahren (vgl. Plonsky 2011 zitiert nach Oxford 2017, 214). 5 Jüngere Untersuchungen legen den Schluss nahe zu unterscheiden zwischen meta-affektiven Strategien, welche zur Regulierung von Emotionen beitragen 6 und die mit ihnen korrelierenden affektiven Strategien. Letztere sind: 1) Selecting the situation to influence emotions, 2) Modifying external situations to control emotions, 3) Deploying my attention to control emotions, 4) changing cognitive appraisals of situations (external or internal) to shape emotions (reframing), 5) Modulating my emotional responses, 6) Making meaning as a means of handling emotions (Oxford 2017, 227f.). Diese Typologie ist aus Tagebüchereinträgen vorwiegend erwachsener Lerner im anglo-amerikanischen Raum entstanden. Es gilt ihre Relevanz für das Erlernen im institutionellen Fremdsprachenunterricht zu untersuchen und sie eventuell anzupassen bzw. zu erweitern (vgl. Beispiel Kap. 3). Angemessen erscheinen mir insbesondere qualitativ explorative Forschungsansätze, die die unterschiedlichen Dimensionen und Facetten von Emotion sowie ihre Regulierungen im Rahmen eines Fremdsprachenunterrichts in bundesdeutschen Kontexten erforschen. Dazu zählt insbesondere die Forschung zu subjektiven Theorien und die Biographieforschung (vgl. Martinez 2016; zu forschungsethischen Fragen bei der Erforschung von Emotion s. auch Oxford 2017). Zusätzlich sind Studien erforderlich, die die o.g. Instrumente, Lernarrangements/ Interventionen zur Bewusstmachung und Regulierung von Emotionen im Sinne von kollaborativem Forschen gemeinsam mit praktizierenden Lehrkräften entwickeln, im Unterricht erproben und kritisch reflektieren sowie forschend begleiten. Solche Studien knüpfen auch an die notwendige Erforschung der Vermittlung von affektiven Strategien an - immer noch ein Desiderat. 5 Oxford verweist darauf, dass die dominante Berücksichtigung des Faktors „Angst“ nicht dazu geführt hat, dass Strategien entwickelt wurden, Angst zu reduzieren (Oxford 2017, 214). 6 Diese umfassen „Paying attention to affect, Planning for affect, Organizing learning and obtaining resources for affect, Monitoring and evaluating for Affect“ (Oxford 2017: 226f.; vgl. auch Kapitel 3). Emotionen regulieren können 127 Darüber hinaus erscheint es mir in diesem Zusammenhang wichtig, schon bei der Lehramtsausbildung Studierende für das komplexe Konstrukt von Emotion zu sensibilisieren. Dabei sollte man nicht auf der Ebene der (kritischen) Analyse verbleiben, sondern die Studierenden anregen, eigene Forschungsprojekte oder Fallstudien zum Thema mit Schülerinnen und Schülern zu planen und durchzuführen. Solche empirisch angelegten Projekte könnten dazu beitragen, eine reflexive Forschungshaltung bei den zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern zu entwickeln und bestenfalls erreichen, dass Lehrkräfte einen bewussteren und lernerorientierteren Umgang mit Emotionen im Französischbzw. Spanischunterricht entwickeln. Eine Forschung, die darüber hinaus gezielt die Emotionen angehender Lehrkräfte in den Blick nimmt, steht noch aus. Literatur Brown, Jennifer/ White, Cynthia J. (2010): „Affect in a self-regulatory framework for language learning“. In: System 38, 432-443. Candelier, Michel/ Hermann-Brennecke, Gisela (1993): Entre le choix et l’abandon: les langues étrangères à l'école, vues d'Allemagne et de France. Paris: Didier. Candelier, Michel (coord.) (2009): Ein Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen. Kompetenzen und Ressourcen. Überarbeitete und aktualisierte Fassung. Straßburg: Europarat. http: / / carap.ecml.at (28/ 05/ 2020). 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In den Sozialwissenschaften, der Psychologie und auch in der Lehr-/ Lernforschung ist die Rolle affektiv-emotionaler Faktoren in den letzten Jahrzehnten immer stärker in den Fokus gerückt - eine Tendenz, die andernorts etwas plakativ als emotionology bezeichnet wird (Mackenzie/ Alba- Juez 2019). Dieser emotional turn (White 2018) hat auch die bis dahin eher kognitiv ausgerichtete Fremdsprachenforschung nicht unberührt gelassen (Dewaele/ Chen/ Padilla/ Lake 2019, 1). Bislang wurde v.a. die Rolle negativer Emotionen verhandelt. So spielten Faktoren wie foreign language classroom anxiety (im Deutschen oft Fremdsprachenlernangst oder -sprechangst, eher: Besorgnis, Unruhe) schon in den 1980er Jahren eine Rolle (u.a. Horwitz/ Horwitz/ Cope 1986; s.a. die Zusammenfassung in Dörnyei 2005, 199-201). Anxiety wurde in Bezug auf unterschiedlichste Lernsituationen, Lernende, Kulturen und Personen in experimentellen wie nichtexperimentellen quantitativen und qualitativen Forschungsstudien nachgegangen, und es wurden ihr je nach Zustand, Situation und Lernenden fördernde oder - wesentlich häufiger - hemmende Lerneffekte zugeschrieben. Dass sog. negative Emotionen bislang eine recht starke Position eingenommen haben, verwundert nicht, da sich die zentrale Bezugsdisziplin Psychologie lange Zeit primär mit Störungen und Defiziten beschäftigte. Dennoch wächst in den letzten Jahren das wissenschaftliche Interesse an positiven Affekten und Emotionen. Im Folgenden stehen die Rolle und die Erforschung von fördernden emotionalen, volitionalen und motivationalen Aspekten, u.a. auch positiven Emotionen, im Fremdsprachenunterricht und beim Zweit- und Fremdsprachenlernen im Zentrum. Hierfür bietet die Positive Psychologie (PP) einen geeigneten theoretischen Rahmen. Die noch sehr junge Disziplin der PP erforscht und lehrt, wie Personen Glück und Wohlbefinden erleben und erzielen (können); sie ist eine reoriented science that emphasizes the understanding and building of the most positive qualities of an individual: optimism, courage, work ethic, future-mindedness, interpersonal skill, the capacity for pleasure and insight, and social responsibility (Seligman 1999, 559). Positive Psychologie und die Fremdsprachendidaktiken 133 Gemeint ist damit also eine Umorientierung weg von Defiziten hin zu individuellen Stärken und dem, was stärkt bzw. „the scientific study of what goes right in life“ (Peterson 2006). Der Aufruf zu dieser Perspektive erfolgte 1998 durch Seligman, bis dahin v.a. für seine Arbeiten zu erlernter Hilflosigkeit bekannt. Er forderte eine Wende von der Fokussierung auf Probleme hin zu einer Erforschung von Glück (Seligman 1999). Dennoch ist die Positive Psychologie keine „Anleitung zum Glücklichsein“ (von Seligman recht abschätzend als „Happiology“ bezeichnet). Stattdessen werden solche Emotionen und Charaktereigenschaften erforscht, die zu einem erfüllten, zielgerichteten Leben oder Handeln (und somit auch Lernen) führen. Die PP geht also weit über die Rolle von (positiven oder negativen) Emotionen hinaus. Auch in der Sprachlehr-/ -lernforschung findet die PP Einzug. Den Anstoß hierzu gibt die Diskussion in MacIntyre/ Gregersen (2012) zum differenziellen Einfluss positiver und negativer Emotionen im Fremdsprachenlernprozess. Dies ist Ausgangspunkt für die weiteren Ausführungen. 2 Zentrale förderliche, affektiv-emotionale Faktoren in der PP Die PP erforscht förderliche Affekte, Emotionen und Charaktereigenschaften für die individuelle Entwicklung. Von besonderem Interesse in didaktischen Kontexten sind solche individuellen und situationellen Merkmale, die veränderbar sind - und somit durch externe oder interne Einflüsse modifizierbar. Hierauf fußt die Positive Didaktik (Positive Education, vgl. auch Seligman 2018, 279-294; Seligman/ Ernst/ Gillham/ Reivich/ Linkins 2009), worauf in Kap. 5 einzugehen sein wird. Auf Basis evidenzbasierter empirischer Forschung wurde das PERMA- Modell (Seligman 2013, 15-20) entwickelt. Es beschreibt zentrale Merkmale, die resiliente (und deswegen erfolgreiche) Personen auszeichnen. Grundlegende Elemente sind: 1. positive Emotionen (subjektives und situationsabhängiges Wohlbefinden) 2. Engagement (in der reinsten Form Flow, bei dem Emotionen erst nach der Aktivität wahrgenommen werden) 3. (positive) interpersonale Beziehungen (positive relationships) 4. Sinnhaftigkeit (meaning, oder die Beteiligung an für größere Kontexte förderlichen Aktivitäten) 5. Zielerreichung (accomplishment, auch und v.a. als Selbstzweck). Jedes Merkmal kann sich als (mehr oder weniger stete) Charaktereigenschaft oder als situationsabhängiger, transitorischer Gefühlszustand realisieren. Denn einerseits beschreiben die Merkmale generelle Dispositionen und Handlungstendenzen, andererseits können sie situationsabhängig stark abweichen. So kann z.B. die Zielerreichung situationsunabhängig die Summe Nicole Marx 134 von erreichten Zielen in einem Bereich oder im Leben bezeichnen, jedoch auch das subjektive Empfinden von accomplishment, z.B. beim Bewältigen einer schwierigen Lernaufgabe. Diese Grunddimensionen des PERMA-Modells sind Bildungskontexten nicht fremd, und auch die Fremdsprachendidaktik inkorporiert sie in diversen - wenn auch teils abweichend und für die Lehr- und Lernpraxis spezifizierten - Modellen und Maßnahmen. So hat Oxford (2016) eine Erweiterung des Modells unter dem Akronym EMPATHICS vorgeschlagen. Diese bezieht sich besonders auf empirische Ergebnisse aus dem Fremdsprachenlernkontext und erweitert das Modell auf neun (anstatt fünf) Dimensionen, die hier kurz aufgelistet werden (alle Übersetzungen durch die Verfasserin): E (emotions and empathy = Emotionen und Empathie), M (motivation and meaning = Motivation und Bedeutung), P (perserverence = Beharrlichkeit, Resilienz, Hoffnung, Optimismus), A (agency and autonomy = Handlungsfähigkeit bzw. Handlungsinitiative und Autonomie), T (time = Zeit), H (habits of mind = wiederkehrende, erfolgreiche kognitive Verhaltensweisen), I (intelligences = Intelligenzen), C (character strengths = Charakterstärken) und S (self-factors = Selbst-Faktoren wie Selbstwirksamkeit, Selbstkonzept, Selbstachtung) (Oxford 2016, 10). Da m.E. sämtliche Merkmale bereits im PERMA-Modell einbezogen werden und sich im Gegensatz zu den PERMA-Hauptkategorien nicht eindeutig voneinander differenzieren lassen, werden sie hier nicht weiter vertieft. Den PERMA-Dimensionen inhärent sind mehrere Variablen, die für die Erforschung von affektiv-emotionalen Faktoren beim Lehren und Lernen bedeutend sein könnten. Besonders zentral erscheint, inwiefern die einzelnen Dimensionen das Fremdsprachenlernen bereichern bzw. befördern. Zunächst ist die Frage zu stellen, welche Rolle positive Emotionen spielen, um diese dann mit der Rolle negativer Emotionen und anschließend mit den positiven Auswirkungen beider in Verbindung zu bringen. Hierfür ist das positivebroadening Konzept grundlegend. 3 Die Rolle positiver Emotionen beim Lernen Zunächst zur besonderen Rolle positiver Emotionen. Diese werden als beeinflussender Faktor bei der Entwicklung einer Lerngrundlage, das broadening (ursprünglich Fredrickson 2001) verstanden. Broadening ermöglicht Lernenden, sich für die Fremdsprache und die Lernsituation zu öffnen und macht somit die Aufnahme neuer Informationen und Erfahrungen möglich. Fredrickson zufolge erweitern positive Emotionen „the scopes of attention and cognition, enabling flexible and creative thinking“ (Fredrickson 2004, 1372). So leite Freude die Kreativität, das Spiel und die Grenzüberschreitung ein, Interesse die Exploration und Zufriedenheit das (Lern-)Vergnügen - allesamt Handlungen bzw. Emotionen, die dem (Fremdsprachen-)Lernen Positive Psychologie und die Fremdsprachendidaktiken 135 Pate stehen (ebd., 1369). Beispielhaft hierzu sei eine Emotion genannt, die viel Aufmerksamkeit in der Arbeitsgruppe um Dewaele erhält, das foreign language enjoyment (FLE, in etwa: das subjektive Empfinden von Vergnügen bei der Verwendung einer Fremdsprache, u.a. auch im Fremdsprachenunterricht). Forschungsansätze hierzu untersuchen, was FLE fördert, und welche Lehrkraft- und Unterrichtsmerkmale mit erhöhtem oder niedrigerem FLE der Lernenden zusammenhängen (z.B. Dewaele/ MacIntyre 2016). Das durch solche positive Emotionen erzielte broadening mit Bezug auf die Fremdsprache und die Fremdkultur(en) unterstützt in der Folge eine verstärkte mentale Repräsentation des ideal L2 self (MacIntyre/ Gregersen 2012). Dieses Selbstkonzept repräsentiert eine in der Fremdsprache handlungsfähige und des (weiteren) Fremdsprachenlernens mächtige Person. Lernende, bei denen das L2-Selbstkonzept bereits verstärkt in Richtung des ideal L2 self ausgeprägt ist, weisen demnach eine höhere Lern- und Kommunikationsmotivation auf, beides bedeutende Einflussfaktoren beim Fremdsprachenlernen (Dörnyei 2005, 65; Riemer 2016, 267), die schließlich in erhöhter Lernanstrengung münden. Im Kern lässt das broadening-Konzept sich zudem mit dem Konzept des savoir-apprendre im GeR verbinden, das die „Bereitschaft für die Entdeckung des „Anderen““ hervorhebt (Trim/ North/ Coste 2001, 24). Mit der PP wird nicht postuliert, dass nur positive Emotionen förderlich sind, auch wenn - wie Komorowska (2016) zu Recht kritisiert - die Rolle von positiven und negativen Emotionen beim Lernen und Handeln oft simplifiziert, gar missverstanden, wird. Denn erstens können negative Emotionen beim Lernen unterstützend wirken. So fördern (leicht) negative Emotionen wie Angst die Fokussierung auf spezifische Problemstellungen (s. hierzu u.a. die Diskussion in Eynde/ Turner 2006), wichtig für das Aufgabenlösen. Und zweitens sind positive Emotionen nicht immer förderlich, können sie doch auch dazu führen, dass die für das Lernen notwendige Tiefe der Informationsverarbeitung nicht aufgebracht wird. So tendieren Optimisten z.B. eher zu Simplifizierungen, Denkabkürzungen oder auch Ablehnung von in die eigenen Denkstrukturen nicht passender Information (Forgas 1998). Dass positive Emotionen wie Lernfreude nicht notwendigerweise mit Lernerfolg zusammenhängen, zeigt auf eindrucksvolle Weise auch der IQB Bildungstrend 2016. So gilt für das Bundesland, in dem Schülerinnen und Schüler im bundesweiten Vergleich das höchste Ausmaß an Lernfreude im Fach Deutsch aufweisen, dass eben diese Lernenden bundesweit Schlusslicht sind bei den gemessenen Kompetenzen im gleichen Fach in den Bereichen Lesen, Zuhören und Orthografie (Rjosk/ Haag/ Heppt/ Stanat 2017, 250, 252, Nicole Marx 136 255, 268); dies gilt übrigens für Schülerinnen und Schüler ohne wie für solche mit Zuwanderungshintergrund. 1 Positive Emotionen spielen somit zwar eine wichtige Rolle beim Lernen; im Rahmen der PP wird deswegen postuliert, dass sie dem positiven Wachstum vorausgehen, wodurch sie einen Platz im Fremdsprachenunterricht einnehmen können und sollen. Dennoch sind positive Emotionen nur ein Teil im Gesamtgeflecht des Lernens. Im Folgenden geht es darum, welche Konsequenzen der Ansatz für die fremdsprachendidaktische Forschung (Kap. 4) sowie für die fremdsprachendidaktische Praxis (Kap. 5) haben könnte. 4 Konsequenzen der PP für fremdsprachendidaktische Forschung Die noch sehr junge Disziplin der PP hat in den Fremdsprachendidaktiken bereits einige empirische Ansätze vorzuweisen. Diese fokussieren positivity as expressed by affectivity in the processes involved, motivational and attitudinal factors, the strengths of teachers and learners as facilitative aspects of teaching/ learning processes, as well as educational institutions and their functions enabling success, well-being, and development of both teachers and learners. (Gabryś-Barker/ Gałajda 2016b, vii). Eine beachtliche Zahl neuerer Forschungsstudien beruft sich direkt auf Konzepte der PP (vgl. u.a. Gabryś-Barker/ Gałajda 2016a; MacIntyre/ Gregersen/ Mercer 2019). Jedoch fokussiert der Großteil bisheriger Untersuchungen positive Emotionen. Im Sinne der PP, die auf einer breiten gesicherten empirischen Basis auch in der Bildungsforschung fußt, wäre es dennoch sinnvoll, sämtliche zentrale Elemente des PERMA-Modells als Ausgangspunkt für Forschungsansätze zu nehmen und solche Hauptkomponenten zu erforschen, die zu einer Verbesserung der (Lern-)Situation führen könnten. Unterstützend dürfte die bereits entwickelte und empirisch gestützte Operationalisierung von PP-Konstrukten sein, deren Erhebung in Forschungsstudien anhand z.T. kostenlos und online zur Verfügung stehender Fragebögen in mehreren Sprachen möglich ist (z.B. über die Forschungsgruppe von Seligman, The Trustees of the University of Pennsylvania 2020). Dabei besteht m.E. in zwei Bereichen besonderer Forschungsbedarf. Aus Sicht der Fremdsprachenlernforschung ist von Interesse, ob bzw. wie das Modell sich auch auf Lernsituationen u.a. innerhalb von Bildungsinstitutionen und somit auf das Fremdsprachenlernen beziehen lässt. Mit anderen Worten ist zu fragen, ob die identifizierten Komponenten nun auch mit dem erfolgreichen Fremdsprachenlernen zusammenhängen. Aus Sicht der Fremdsprachenlehrforschung ist darüber hinaus zu fragen, ob spezifische Ansätze 1 Einzige Ausnahme hierzu bilden Schülerinnen und Schüler ohne Zuwanderungshintergrund beim Zuhören im Fach Deutsch; im Vergleich zur Kohorte in anderen Bundesländern sind sie nur auf dem viertletzten Platz. Positive Psychologie und die Fremdsprachendidaktiken 137 und Übungen der Positive Education das Fremdsprachenlernen unterstützen können. Hierbei wären v.a. kausative Forschungsstudien angebracht. Ähnlich argumentieren MacIntyre/ Gregersen/ Mercer (2019, 268-270) mit ihrer Aufstellung von drei anstehenden Forschungsfeldern für PP in der Fremdsprachenforschung: Theoriebildung, evidenzbasierte Interventionsforschung und Didaktik, wobei im Folgenden die letzten beiden gemeinsam behandelt werden. Zunächst zur Fremdsprachenlernforschung. Zentral in diesem Kontext ist, inwiefern sich die Hauptelemente des PERMA-Modells mit dem (erfolgreichen) Fremdsprachenlernen verbinden lassen. Bei den entsprechenden Vorhaben handelt es sich v.a. um theoriebildende Forschungsansätze. Einen Vorstoß in diese Richtung macht Oxford (2016) mit einer Liste von neun testbaren Hypothesen zu ihrer Modelladaption; hier sollen nur die Elemente des PERMA-Modells reflektiert werden. Insbesondere ist zu klären, inwiefern die PP den bisherigen Erkenntnisstand im Forschungsfeld ergänzen kann. Hier könnten Fragen zu den Konstrukten des PERMA-Modells und deren Interaktion mit weiteren Einflussfaktoren, die sprach- und kulturübergreifend wichtig werden, gestellt werden. Es handelt sich dabei um korrelative Studien, die den Zusammenhang (jedoch nicht den Einfluss) der PERMA-Elemente mit dem Sprachenlernen sowie insbesondere mit sprachlichem, aber auch kommunikativem oder sozialem Lernerfolg untersuchen. Besonders häufig vertreten sind hier solche Studien, die die Rolle positiver Emotionen von Lernenden für den Lernverlauf, aber auch für Konstrukte wie Selbstkonzept, Motivation, Selbstwirksamkeit, foreign language enjoyment (Dewaele/ MacIntyre 2014) oder Engagement untersuchen. Dabei befassen sich die meisten Studien mit Lernenden, einige jedoch auch mit Lehrenden (für eine umfangreiche Zusammenfassung dieser Studien s. Dewaele/ Chen/ Padilla/ Lake 2019, 8-9; MacIntyre/ Gregersen/ Mercer 2019). Da positive Emotionen allerdings nicht nur stark subjektiv, sondern auch stark situationsabhängig sind, sind sie für die Theoriebildung nur als erster Schritt zu verstehen. Als Moderatorvariablen können für sie kaum direkte Auswirkungen auf den Lernerfolg nachgewiesen werden. Viel weniger bzw. kaum erforscht sind dafür die weiteren, intraindividuell stabileren Elemente des Modells. Das Empfinden von Flow, der Aufbau positiver interpersonaler Beziehungen, die Erfahrung von Sinnhaftigkeit oder Zielerreichung und deren Zusammenhang mit dauerhaftem Lernerfolg sind Forschungsdesiderate der Fremdsprachenforschung. Darüber hinaus ist zu prüfen, inwiefern eine Differenzierung zwischen den Merkmalen des Modells als (meist) stabile Charaktereigenschaften und situativ bedingten Empfindungen für das Lernen von Fremdsprachen notwendig ist (vgl. Lake 2016). In der Fremdsprachenlehrforschung und insbesondere der Interventionsforschung ist von Interesse, inwiefern die PERMA-Elemente im Fremdspra- Nicole Marx 138 chenunterricht gefördert werden können, ob sie einen Einfluss auf das Fremdsprachenlernen (und auf weitere Merkmale) haben, und welche Elemente besonders zugänglich und/ oder zentral für den Lernprozess sind. Dabei ist zu erfragen, ob ein Einbezug auf unterschiedlichen Ebenen (Individuum, Klassenzimmer, Schule etc.) in unterschiedlichen Situationen (Zielgruppen, Kulturen etc.) zu differenziellen Auswirkungen führt. Es handelt sich somit um Untersuchungen zur Kausalität. Was Interventionsansätze angeht, so bestehen bereits unterschiedliche Konzepte für Positive Education, die sich auch im Fremdsprachenkontext übertragen und prüfen ließen. Es geht zentral darum, welche Aktivitäten die im PERMA-Modell genannten, lernförderlichen Elemente erhöhen könnten (vgl. Dewaele/ MacIntyre 2016), sowie umgekehrt, welche PP-Ansätze im Fremdsprachenunterricht individuelle Variablen wie anxiety, Kreativität, willingness to communicate (Dörnyei 2005, 207-211) oder Selbstwirksamkeit beeinflussen, und wie sie im dynamischen Prozess des Fremdsprachenlernens zu verorten sind. Die übergreifende Fragestellung wäre somit, wie Lehrende eine Lernumgebung erschaffen können, die positive Effekte auf den Lernerfolg genauso wie auf das Wohlbefinden der Lernenden (und Lehrenden), ihre Empathiefähigkeit und ihr soziales Verhalten hat (vgl. auch MacIntyre/ Gregersen 2012). Hier zeigt sich allerdings in der Fremdsprachenforschung die größte Lücke mit Bezug auf die PP. Geht es im Folgenden um Praxisansätze, sollte daher bedacht werden, dass zu den diversen bereits vorgeschlagenen oder eingesetzten Konzepten ebenfalls begleitende Forschungsstudien durchgeführt werden müssten. 5 Positive Education im Fremdsprachenunterricht Die gleichzeitige Berücksichtigung akademischer Ziele und der Entwicklung des Wohlbefindens der Lernenden ist das erklärte Ziel von Positive Education (PE) (Seligman/ Ernst/ Gillham/ Reivich/ Linkins 2009). Dabei sollte der Dreh- und Angelpunkt der Umsetzung von PP im Bildungsbereich das weitere Bestärken der bereits vorhandenen individuellen Stärken sein, unabhängig von gesellschaftlichem Erfolg oder Lernerfolg. Dies gilt genauso für deren Anwendung auf schulischer wie auf fächerspezifischer Ebene. Positive Education wurde fächerübergreifend entwickelt, dennoch sehen MacIntyre und Gregersen (2012) den Fremdsprachenunterricht als in einer besonders günstigen Position für seine Anwendung, da er sich u.a. in Folge der kommunikativen Wende viel mehr als andere Unterrichtsfächer persönlichen Themen, dem kommunikativen Umgang mit anderen und der Introspektion widme. Der Fremdsprachenunterricht sei damit ein logischer Ort, um die Entwicklung positiver Emotionen zu unterstützen (vgl. auch MacIntyre/ Gregersen/ Mercer 2019, 266). So sollen sowohl Vorkehrungen getroffen werden, um im Fremdsprachenunterricht negative Emotionen (v.a. anxiety) Positive Psychologie und die Fremdsprachendidaktiken 139 zu reduzieren, und gleichzeitig solche, um positive Emotionen anzubahnen. Positive Erfahrungen sollen zudem den unterrichtlichen Lernprozess unterstützen. Da Emotionen an sich situationsabhängig und instabil sind, haben sie zwar vereinzelt keine längerfristige Auswirkung - sind dafür im Unterricht leicht zu steuern. Komorowska (2016) greift diesen Gedanken auf, warnt jedoch gleichzeitig vor einer Simplifizierung des PP-Ansatzes durch den Fokus auf Positivität; so mahnt sie: teachers’ efforts therefore, do not need to go in the direction of suppressing negative affect, but should engage learners’ cognition, helping them to selfreflect […], analyze the type of difficulty, assess to what extent they are interested in achieving a particular objective, locate human and material resources available and plan detailed action (Komorowska 2016, 52). Ihr zufolge stehen somit die Komponenten des PERMA-Modells im Zeichen der Zielerreichung - der Unterrichtskontext ist so aufzubauen, dass Lernende sich i.S. des broadening dem Lernprozess widmen können. Im Folgenden werden exemplarisch einige fremdsprachendidaktische Übungen vorgestellt, die über eine Fokussierung auf positive und negative Emotionen hinaus auf eine Stärkung der PERMA-Elemente abzielen. Eine größere Sammlung von Aktivitäten zum Einbezug in den Fremdsprachenunterricht, die sich umfangreich auf das PERMA-Modell bezieht, wurde von Helgesen (2018) vorgelegt. Obwohl das gedruckte Werk außerhalb Japans nicht verfügbar ist, sind diverse, flexibel einsetzbare Übungen und Aktivitäten für den Fremdsprachenunterricht über die Verlagswebseite aufrufbar. Helgesen kombiniert PE-Prinzipien mit spezifischen Sprachlernaktivitäten, so dass neben der Entwicklung von z.B. Dankbarkeit (zentral für das R- Element, interpersonale Beziehungen) auch sprachsystembezogene Themen wie Verbflexion im Präteritum integriert werden. Als Beispiel sei hier die „Three best friends“-Aufgabe zu nennen. Hier werden Lernende darum gebeten, sich drei Lebensalter aufzuschreiben, in denen sie schon einmal waren und dazu die engste Freundschaft aus der Zeit zu notieren. Es folgen mündliche Aktivitäten, u.a. gemeinsames Brainstorming zu möglichen relevanten Informationen über die Person (z.B. eine schöne Erfahrung mit der Person schildern); anschließend beschreiben Lernende in Kleingruppen einen der ausgewählten Freunde. Weitere schriftliche Aktivitäten können sich anschließen (z.B. Figurenbeschreibungen erstellen, Geschichten über ein Ereignis mit der Person entwickeln oder auch einen kreativen Text schreiben, bei der man der Person wieder begegnet). Mit der Übungsreihe sollen nicht nur spezifische thematische Bereiche, sprachliche Funktionen und passende Ausdrücke geübt werden, sondern positive Emotionen werden elizitiert, Kreativität wird gefördert und es wird ein Anlass zur Reflexion über die bisherigen und gegenwärtigen persönlichen Beziehungen gegeben; die P-R-M-Elemente des Modells werden somit angesprochen. Nicole Marx 140 Neben fremdsprachendidaktischen Kontexten könnte die PE m.E. besonders für den Unterricht mit neu zugewanderten Lernenden fruchtbar sein. Noch mehr als im Fremdsprachenunterricht ist in diesem Kontext eine gleichzeitige Förderung von Sprache und Wohlbefinden (in der Sprache und der neuen Umgebung) zentral. Hier bietet die PE eine große Bandbreite an Ideen, die von einzelnen, immer wiederkehrenden Übungen bis hin zu längeren Unterrichtsreihen reichen. Eine der Standardaktivitäten der PP, die gut in den Unterricht zu integrieren ist, ist „What went well“, eine Auflistung von drei positiven Erfahrungen des (Vor-)Tages samt Begründungen für ihr Entstehen (zur antidepressiven Wirkung dieser Übung, s. Seligman 2018). Eine solche Aktivität ist z.B. im regulären Montagmorgenkreis im DaZ-Kurs gut zu integrieren; anstatt über das Wochenende zu reden, könnten Lernende über eine gelungene Erfahrung mit der deutschen Sprache berichten. Dies könnte Teilnehmende in Bezug auf die neue Lebensumgebung und auf das Deutschlernen positiv stimmen und gleichzeitig die Reflexion über das Erreichen (sprachlicher) Lernziele unterstützen. Der Austausch mit anderen Lernenden kann zudem weitere Ideen für das eigene planvolle und zielgerichtete Handeln bieten. Auch längere Unterrichtssequenzen sind mit PE vereinbar. Hier spielen Einheiten, die sowohl sprachliches als auch fachliches Lernen integrieren, eine besonders Rolle - v.a., wenn sie Konsequenzen für das Leben in der Aufnahmegesellschaft haben. Als ein Beispiel hierfür ist eine zweiwöchige Sequenz für DaZ-Vorbereitungsklassen in der Sekundarstufe I zu nennen, bei der sich Lernende unterschiedlichster Niveaus gemeinsam dem Thema „Plastik im Ozean“ widmen (Reichert/ Rick/ Marx/ Gill 2020). Durch Aktivitäten innerhalb, aber auch außerhalb des eigenen Klassenraums engagieren sich Lernende zu einem Thema, das für größere Kontexte - die lokale und globale Umwelt - bedeutend ist (meaning; vgl. auch Oxfords 2016 Diskussion zu meaningful engagement), bauen soziale Beziehungen zueinander sowie zu Schulmitgliedern außerhalb der Klasse auf (relationships), und erhalten durch schulweite Anerkennung und Rückmeldung zu extern präsentierten Ergebnissen ein Gefühl von Zielerreichung (accomplishment) und Aufmerksamkeit. Dadurch werden die Elemente P-R-M-A gefördert. Ein letztes Beispiel entstammt der PE im Unterricht für zugewanderte Schülerinnen und Schüler zur Einleitung einer transkulturellen Diskussion (Seligman/ Ernst/ Gillham/ Reivich/ Linkins 2009, 306). Basierend auf der Erkenntnis, dass eine Reflexion und der zielgerichtete Einsatz der eigenen positiven Charaktereigenschaften lernförderlich wirken, wurden in einer Aktivität Stärken von folkloristischen Protagonisten unterschiedlicher Nationen (hier: Japan, China und Frankreich) identifiziert und besprochen. Dadurch reflek- Positive Psychologie und die Fremdsprachendidaktiken 141 tieren Lernende kulturelle Begebenheiten auch anhand eigener kultureller Erfahrungen - und positionieren sich gleichzeitig zu diesen Ideen. 2 Solche PE-Aktivitäten sind insbesondere deswegen für den differenzierenden Fremdsprachenunterricht interessant, weil sie nicht unbedingt kraft der Materialien oder des Tasks individualisiert und differenziert sind, sondern schon auf Grund der involvierten Thematik. Sie können daher potenziell für unterschiedliche Zielgruppen und Lernende fördernd eingesetzt werden, sind sie doch auf persönliche Interessen und Bedürfnisse der Lernenden gestützt. Eine letzte Überlegung ist zum erweiterten Lernkontext anzustellen. Denn obwohl im vorliegenden Beitrag die Bedeutung von PP und insbesondere von PE für Lernende hervorgehoben wurde, besteht ebenso Interesse in Bezug auf deren Auswirkungen auf Lehrende (s.a. die Zusammenfassung in Dewaele et al. 2019). Die Begebenheiten des „Pandemie-Jahres“ 2020 brachten z.B. zur Zeit des Verfassens dieses Beitrags besondere Herausforderungen in allen institutionellen Lehr- und Lernsituationen mit sich. Besonders die Gruppe der neu zugewanderten Schülerinnen und Schüler konnte nicht auf „Home Schooling“ bei ihrer Familie zurückgreifen, die entweder selber nicht die hierfür benötigten Deutschkenntnisse aufbrachten oder nicht einmal im Deutschland lebten; zudem konnten Lernende durch die Schulschließungen nicht einmal annähernd im benötigten Umfang fachlich, sprachlich und auch emotional unterstützt werden. Im Rahmen des digitalen Semesters habe ich daher kurzfristige und niedrigschwellige „Corona-Lernpatenschaften“ im Regierungsbezirk Köln einrichten können, bei denen Studierende im Masterlehramtsmodul Deutsch als Zweitsprache nach fachlicher Einleitung ab Ende der Osterferien jeweils zwei Schülerinnen bzw. Schüler individuell einmal wöchentlich in Videokonferenzen betreuten. Neben fachlichen Aspekten (sprachliche Unterstützung der Lernenden, Ausbau fachlicher Kenntnisse der Studierenden) waren nach den Rückmeldungen der Studierenden zwei Haupterträge zu verzeichnen: Die beteiligten Schülerinnen und Schüler wurden durch die individuelle Zuwendung, die in dieser Zeit durch Lehrkräfte nicht zu leisten war, in ihrer Lernmotivation und ihrem Verständnis von sich als Deutschlernende (ideal L2-self) gestärkt; die dadurch entstandenen Beziehungen waren für ihren Bezug zur weiteren Lebenswelt in Deutschland positiv. Und die angehenden Lehrkräfte, die im Coronasemester kurzfristig und unerwartet mit einer Reihe von digitalen Lernaufgaben aus allen Fächern konfrontiert wurden und diese in social distancing alleine zu Hause bearbeiteten, konnten auch einer Aufgabe nachgehen, die sie in einem größeren gesellschaftlichen Rahmen als sinnvoll empfanden (meaning). Die Evidenz positiver Effekte aus diesem kurzfristig eingerichteten Projekt wird anekdotisch 2 Weitere Beispiele für Fächer wie Kunst, Geographie, Unterricht der Verkehrssprache, Sport, Grundschuldidaktik und Musik finden sich im gleichen Artikel. Nicole Marx 142 bleiben; aber sein starker Bezug zu den PERMA-Elementen lässt hoffen, dass sich auch längerfristige Auswirkungen zeigen lassen. 6 Ausblick Das anhaltende Interesse für Fragen der Rolle affektiv-emotionaler Faktoren beim Lernen generell und beim Sprachenlernen im Speziellen zeigt eindeutig, dass neue Sichtweisen auf die Gesamtlernsituation Einzug in eine oft kognitiv und/ oder linguistisch ausgerichtete Forschung und Lehre gehalten haben. Als inzwischen gut empirisch erforschter Ansatz kann dabei die Positive Education eine neue Sichtweise einbringen. Sie bietet operationalisierte und in anderen (auch Bildungs-)Kontexten belegte Konstrukte für die Fremdsprachenforschung ebenso wie erprobte didaktische Maßnahmen für die Fremdsprachendidaktik und erzielt eine Verbindung zwischen dem Lernen und der Stärkung bereits vorhandener (förderlicher) Charaktereigenschaften. In Konsequenz der zweiten wird auch das erste unterstützt und gefördert. Auch wenn der Einzug der Positive Education in die Sprachlehr- und -lernforschung derzeit noch etwas zögerlich von statten geht, wird die PE in den nächsten Jahren sicherlich interessante Anhaltspunkte für die Auseinandersetzung innerhalb unserer Fächer liefern und zu einer weiterhin spannenden Diskussion über deren Potential für die Sprachenfächer beitragen. Literatur Dewaele, Jean-Marc/ Chen, Xinjie/ Padilla, Amado M./ Lake, J. (2019): „The flowering of positive psychology in foreign language teaching and acquisition research“. In: Frontiers in Psychology 10, 1-13. Dewaele, Jean-Marc/ MacIntyre, Peter (2014): „The two faces of Janus? Anxiety and enjoyment in the foreign language classroom“. In: Studies in Second Language Learning and Teaching 4, 237-274. Dewaele, Jean-Marc/ MacIntyre, Peter (2016): „Foreign language enjoyment and foreign language classroom anxiety. The right and left feet of FL learning? “. In: MacIntyre/ Gregersen/ Mercer (Hrsg.), 215-236. 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Als Herkunftssprecher/ innen gelten bereits in Deutschland geborene oder im frühen Kindesalter eingewanderte Personen, die mit Deutsch und ihrer L1 als Familiensprache aufwachsen und die oft als ‚zweite Migrantengeneration‘ bezeichnet werden. Sie teilen viele Merkmale mit den sogenannten late arrivals bzw. Angehörigen der ‚Generation 1,5‘, die im Alter zwischen 6 und 12 Jahren nach Deutschland gekommen sind und bereits einen Teil der Grundschule in ihrem Herkunftsland absolviert haben. In Bezug auf ihre sprachlichen Kompetenzen in der Herkunftssprache stehen beide Zielgruppen zwischen monolingual im Herkunftsland aufgewachsenen ‚Muttersprachlern‘ und Gleichaltrigen, die die Herkunftssprache als Fremdsprache erlernen. Dieses ‚Dazwischen‘ empfinden v.a. Angehörige der Generation 1,5 auch in Bezug auf ihre Identität - oder wie es ein Herkunftssprecher in Venturins (2019, 238) Artikel zum Zusammenhang von Bilingualität und Emotionen formulierte: „I don’t fit in here and I don’t fit in there“. 2 Emotionen und Variablen zur Beforschung affektiv-emotionaler Faktoren im Fremdsprachenunterricht In den empirischen Arbeiten der letzten Jahrzehnte haben emotionale Komponenten des Fremdsprachenlernens verstärkt Aufmerksamkeit erfahren; White (2018) spricht sogar von einem „emotional turn“. Die Begriffe ‚Emotionen‘ und ‚Gefühle‘ werden dabei häufig synonym gebraucht. Neben den Basisemotionen Ärger, Angst, Traurigkeit, Freude und Abscheu, über deren - kulturunabhängige - Existenz unter den meisten Emotionsforschenden Ei- Grit Mehlhorn 146 nigkeit herrscht (Ekman 2016), werden weitere Gefühle wie Überraschung, Scham, Verlegenheit, Schuld, Verachtung, Zuneigung, Ehrfurcht, Sorge, Neid, Hass, Mitleid, Stolz, Erleichterung und Dankbarkeit unterschieden, die jedoch weniger gut untersucht sind. Kleinginna und Kleinginna (1981) kommen bei ihrer Analyse der emotionspsychologischen Fachliteratur bereits auf 92 verschiedene Emotionsdefinitionen. Konsens besteht offensichtlich darüber, dass Emotionen aktuelle Zustände von Personen sind, die mit emotionalen Dispositionen bzw. bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen im Zusammenhang stehen können, etwa Wut mit Reizbarkeit oder Furcht mit Ängstlichkeit (Ekman 2016) oder auch mit Perfektionismus (Frost/ Marten/ Lahart/ Rosenblate 1990). Sie kennzeichnen den Zustand der betroffenen Personen durch ein charakteristisches (emotionales) Erleben, bestimmte physiologische Veränderungen (Gesichtsausdruck, Stimme, Körperhaltung) und konkrete Verhaltensweisen. Emotionen werden häufig als positiv oder negativ kategorisiert und unterscheiden sich in ihrer Intensität. Die von Wilhelm Wundt Ende des 19. Jahrhunderts vorgeschlagene Einteilung in bipolare Dimensionen wie ‚angenehm vs. unangenehm‘, ‚geringe vs. hohe Intensität‘ wird in der quantitativen Emotionsforschung heute noch genutzt. Emotionen richten sich in der Regel auf ein bestimmtes Objekt: Man ist stolz auf die sprachliche Bewältigung einer Aufgabe, trauert um wahrgenommenen Sprachverlust, hat Angst vor Fehlern in einer Prüfungssituation oder freut sich über einen selbst entdeckten Zusammenhang zwischen gelernten Sprachen. Emotion und Motivation stellen zwar distinkte psychische Funktionsbereiche dar, stehen aber in enger Wechselwirkung miteinander (vgl. Riemer in diesem Band). Hascher (2005) spricht dementsprechend von einem gemeinsamen Einfluss von Emotion und Motivation auf Lernen und Leisten. Lern- und Leistungsemotionen beziehen sich vorrangig auf Lern- und Leistungsaktivitäten und -ergebnisse und werden anhand eines Gütemaßstabs von anderen Personen oder vom Lernenden selbst bewertet. Kognitionen sind Auslöser von emotionalem Erleben. In Bezug auf die Wirkung von Emotionen auf das Lernen und Leisten von SuS wird im kognitiv-motivationalen Mediationsmodell (Pekrun 1992) angenommen, dass Emotionen mittels der Mediatoren Motivation bzw. Volition, Lernstrategien und kognitive Ressourcen auf das Lernen bzw. die Lernleistung wirken. Die Überprüfung von Studien zum Zusammenhang zwischen Emotionen und schulischen Leistungen bestätigen, dass Emotionen das Lernen von Jugendlichen beeinflussen, einschließlich ihrer Aufmerksamkeit, Motivation, der Anwendung von Lernstrategien, der Selbstregulierung des Lernens und der Leistungsergebnisse. Die Entwicklung leistungsbezogener Emotionen wird durch die Beurteilung von Erfolg und Misserfolg der Jugendlichen sowie durch individuelle Faktoren und das soziale Umfeld geprägt, die diese Beurteilung beeinflussen, inkl. Geschlecht, Leistung, Unterrichtspraktiken und Testverfahren (Pekrun 2017). Zwischen Scham, Stolz und Reue 147 Die Sprachen, in denen sich Mehrsprachige am kompetentesten fühlen, sind offensichtlich auch die wahrscheinlichsten Kanäle für den Ausdruck von Emotionen (vgl. Dewaele 2010). Die Wahrnehmung positiver Eigenschaften einer Sprache, die selbsteingeschätzte Kompetenz und die Wahrscheinlichkeit, dass man seine Gefühle in dieser Sprache zum Ausdruck bringt, werden Dewaele zufolge v.a. durch zwei Gruppen von Variablen beeinflusst: sprachlernbiografische Faktoren (wie das Alter zu Erwerbsbeginn, die Reihenfolge der gelernten Sprachen und Erwerbskontexte) sowie Variablen, die die aktuelle Sprachpraxis erfassen (die allgemeine Gebrauchshäufigkeit einer Sprache, der Grad der Sozialisierung in ihr einschl. der Häufigkeit ihres Gebrauchs mit bestimmten Gruppen von Gesprächspartnern (vgl. ebd.). Sprachdominanz scheint zudem ein Schlüsselfaktor zu sein, der die Sprachenwahl von zweisprachigen Jugendlichen mit ihren Eltern beeinflusst (vgl. Pavlenko 2004). Code Switching bedient bei Bilingualen eine breite Palette affektiver Funktionen, von der Signalisierung von Intimität in der Herkunftssprache oder Distanz zu einer gelernten Sprache bis hin zur Sprachverwendung für komische Effekte oder dem unbewussten Wechsel zur L1 in Fällen starker Emotion (vgl. Dewaele 2010). Schließlich spielen auch soziodemografische Variablen (Geschlecht, Alter, Bildungsniveau) und psychologische Merkmale, etwa persönliche Eigenschaften wie emotionale Intelligenz (vgl. Goleman 1996 sowie Martinez in diesem Band) eine Rolle für die bevorzugte Sprache für den emotionalen Ausdruck sowie die Wahrnehmungen und Einstellungen der Sprecher/ innen zu ihren verschiedenen Sprachen (vgl. Dewaele 2010, Kap. 4). 3 Emotionen von Herkunftssprachenlernenden Neben Ergebnissen aus der Fachliteratur beziehe ich mich im Folgenden auf (1) Interviewdaten von bilingual aufgewachsenen Jugendlichen und ihren russischbzw. polnischsprachigen Eltern im Rahmen einer in Berlin, Hamburg und Leipzig durchgeführten, vier Jahre umfassenden Longitudinalstudie (vgl. Brehmer/ Mehlhorn 2015) sowie auf (2) schriftlich erhobene Sprachlernbiografien (SLB), die von Lehramtsstudierenden der Fächer Polnisch und Russisch der letzten zehn Jahre stammen (vgl. Mehlhorn 2020). Auch wenn diese Daten nicht ohne Weiteres verallgemeinerbar sind, scheinen einige Beobachtungen und Erklärungsversuche auf den Unterricht mit Herkunftssprechern in weiteren Schulfremdsprachen übertragbar. Viele Herkunftssprecher/ innen fühlen Scham aufgrund empfundener Sprachlosigkeit und bei der Konfrontation mit Defiziten im herkunftssprachlichen Unterricht sowie bei Aufenthalten im Herkunfts(sprachen)land, wenn sie sich mit gleichaltrigen Muttersprachlern vergleichen und dabei offensichtlich wird, dass sie etwas nicht können, was sie aus Sicht Anderer oder ihrer eigenen Meinung nach sprachlich beherrschen sollten, z.B. Grit Mehlhorn 148 Im Verlauf meiner Schulzeit hatte ich, wenn ich meine Großeltern besuchte, immer das Gefühl, dass ich nicht ausreichend gebildet bin. Mein Russisch war fließend und akzentfrei, aber mein Wortschatz war nicht so groß wie im Deutschen und ich konnte mich nicht so geschickt und schlagfertig ausdrücken, wie es mir auf Deutsch möglich war. Auch hatte ich Wissenslücken im Hinblick auf russisch-historische Zusammenhänge und Kulturgeschichte. Mein Opa führte mich damit immer vor. So kam es, dass ich mich, wenn ich Russisch sprach, wie ein anderer, dümmerer Mensch fühlte (SLB, A.F., SS 2020). Eine Lehramtsstudentin Russisch schreibt in ihrer Sprachlernbiografie von der „Ohnmacht keine Worte für meine Gedanken zu finden“ (SLB, D.K., SS 2017). Eine andere Herkunftssprecherin berichtet von ihrer eigenen Wahrnehmung, dass ihr Russisch während der Kindheit und Jugend „eingerostet“ ist: „Ich hatte im Russischen einen Akzent und musste in meinem Wortschatz, wie in einem Brunnen, nach Wörtern suchen“ (SLB, A.F., SS 2020). Gleichzeitig scheint es vielen jugendlichen Herkunftssprechern in Deutschland unangenehm zu sein, ihre Familiensprache im öffentlichen Raum zu verwenden: „In der Pubertät war es mir peinlich, wenn meine Mutter in der Öffentlichkeit Russisch mit mir sprach. Ich antwortete dann immer stur auf Deutsch“ (ebd.). Diese Schamgefühle stehen offenbar in einem direkten Zusammenhang mit Stigmatisierungserfahrungen. Die Herkunftssprecher/ innen sind gefangen zwischen dem empfundenen Assimilationsdruck in der Aufnahmegesellschaft und der Kritik an ihren sprachlichen Kompetenzen durch Familienangehörige und Muttersprachler/ innen im Herkunftsland. Stolz bzw. Befriedigung empfinden Herkunftssprecher/ innen bisweilen über ihr sprachliches Können, wenn sie alles verstehen, flüssig sprechen, Verwandten oder Mitschülern etwas in der Herkunftssprache erklären oder ins Deutsche übersetzen können oder als Aussprachevorbild im Fremdsprachenunterricht gelobt werden, wenn also offensichtlich wird, dass sie - im Vergleich zu Gleichaltrigen - über bessere sprachliche Kompetenzen in der Zielsprache verfügen. Die folgenden Zitate einer Leipziger und einer Hamburger Schülerin sollen das verdeutlichen: Also, Deutsch, Russisch und Englisch sind halt/ auch wenn ich Deutsch und Englisch später gelernt habe, das ist so alle drei wie eine Muttersprache. Ich verstehe alles, kann es auch alles sprechen (L_RU_K08, 1 #1: 10: 09#). Also ich find es halt selbst für mich sehr erstaunlich, dass man [...] schon drei Sprachen halt richtig gut beherrscht. Also das finde ich halt schon krass (HH_PL_K02, #0: 43: 21#). 1 Die Kürzel L und HH stehen für Leipzig und Hamburg, RU und PL für Russisch und Polnisch, K für Kind und E für Elternteil. Die interviewten Personen wurden durchnummeriert. Zwischen Scham, Stolz und Reue 149 Der sprachliche Kompetenzvorsprung kann jedoch in einem Fremdsprachenunterricht, der sich fast ausschließlich an SuS ohne Vorkenntnisse orientiert, auch schnell in Unterforderung und damit einhergehende Langeweile umschlagen. Häufig hören Herkunftssprecher/ innen bald auf, sich am Unterricht zu beteiligen und sind auch dann nicht mehr aufmerksam, wenn es für einen Wissenszuwachs hilfreich wäre. Das dauerhafte Abschalten im Unterricht verhindert Spracherhalt und kann - ebenso wie der Nichtgebrauch der L1 im familiären Kontext - langfristig zum Abbau sprachlicher Kompetenzen führen. Reue über vertane Lernchancen bzw. ungenutzte Lerngelegenheiten setzt häufig ein, wenn Herkunftssprechern bewusst wird, wieviel sie in ihrer L1 vergessen haben, z.B. weil sie im Kindes- oder Jugendalter aufgehört haben, diese Sprache aktiv zu verwenden, sich die Beherrschung im Nachhinein doch als erstrebenswert herausstellt und die Herkunftssprache nun mühevoll wiedererlernt werden muss. Das von einer Russisch-Lehramtsstudentin zu Beginn ihres Studiums in ihrer Sprachlernbiografie beschriebene „Reuegefühl, dass man die Herkunftssprache vernachlässigt hat, weil man an sich deutlich Anzeichen von Sprachverlust wahrnimmt“ (SLB, K.S., SS 2016) wird in ähnlicher Weise von vielen Slawistikstudierenden thematisiert und stellt ein häufig genanntes Studienmotiv dieser Zielgruppe dar. Plewnia und Rothe (2011) haben in einer Fragebogenstudie die Einstellungen von Neunt- und Zehntklässlern gegenüber anderen Sprachen und ihren Sprechern untersucht. Dabei wurden die westeuropäischen Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch deutlich positiver, d.h. sympathischer und nützlicher bewertet als die ,Migrantensprachen‘ Polnisch, Russisch und Türkisch. 2 Viele SuS wenden sich während der Pubertät - so zumindest der Eindruck aus den longitudinalen Interviewdaten - aufgrund des wahrgenommenen geringen Prestiges ihrer L1 sowie wegen eigener oder beobachteter Diskriminierungserfahrungen von der Herkunftssprache ab und hören auf, sie aktiv zu gebrauchen. Interessant sind offenbar im Zusammenhang damit stehende Emotionen wie das ,Fremdschämen‘ für den polnischbzw. russischsprachigen Akzent der Eltern und entsprechende Coping- Strategien, z.B. Verstummen, Flüstern oder bewusste Sprachenwechsel in der Öffentlichkeit, von denen die Jugendlichen in den Interviews berichten, oder auch Ironie durch das Parodieren dieses Akzents in Gruppen von Gleichaltrigen. 3 2 Eine Auswertung der Daten von Jugendlichen mit entsprechendem Migrationshintergrund zeigte jedoch auch deren positive Eigenbewertungen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Anstatt (2017), die bei Jugendlichen mit Russisch als Familiensprache eine loyale und emotional positive Beziehung zum Russischen sowie eine neutrale zum Deutschen identifiziert. 3 Ironie (einschl. Selbstironie) scheint überhaupt eine Möglichkeit für viele Jugendliche zu sein, gesichtswahrend Emotionen zu regulieren. Es wäre interessant zu Grit Mehlhorn 150 Im Kindes-, Jugend- und frühen Erwachsenenalter ändern sich die Strategien, wie mit Emotionen umgegangen wird (emotion regulation). Die Meinung von Peers wird während der Pubertät für viele Jugendliche immer wichtiger, während gleichzeitig der Einfluss der Eltern auf ihre Einstellungen in dieser Zeit abnimmt. Während zu Untersuchungsbeginn der oben erwähnten Längsschnittstudie die meisten damals 12bis 13-Jährigen dem Stolz auf ihre Bilingualität Ausdruck verliehen haben, der von den ebenfalls interviewten polnisch- und russischsprachigen Eltern geteilt wird, wurden diese Emotionen in den geführten Folgeinterviews mit den Jugendlichen immer seltener erwähnt und scheinen in ihrer Lebenswelt zunehmend an Bedeutung zu verlieren. 4 Affektiv-emotionale Faktoren in der Fremdsprachen- und Herkunftssprachenforschung Emotionen sind domänenspezifisch, d.h., sie können in sprachlichen und anderen Schulfächern ganz unterschiedlich ausgeprägt sein und sich auf bestimmte sprachliche Bereiche beziehen. Während Fremdsprachenlernende bei gleichzeitiger Anwesenheit flüssig sprechender Herkunftssprecher/ innen verstärkt Sprechhemmungen zeigen, sind bei den letztgenannten v.a. schriftliche Aufgaben mit Ängsten verbunden, wenn die Lernenden von den Lehrkräften immer wieder auf orthografische und grammatische Defizite hingewiesen werden. Xiao-Desai und Wong (2014) haben heritage language anxiety (HLA) von 87 chinesischen Herkunftssprachenlernenden an zwei USamerikanischen Universitäten untersucht und festgestellt, dass das Schreiben die am meisten angstbesetzte Fertigkeit dieser Zielgruppe ist, gefolgt vom Leseverstehen. Darüber hinaus gibt es offensichtlich bestimmte Themen, deren Behandlung im Unterricht von Lernenden als besonders motivierend oder demotivierend empfunden wird. Emotionen spielen v.a. in alternativen Vermittlungsmethoden, die positive Emotionen in den Lernenden hervorrufen sollen, eine wichtige Rolle, etwa in der Suggestopädie oder der Dramapädagogik. Besonders relevant erscheinen sie in der Ausspracheschulung, da ein andersartiges Sprechen identitätsbezogene Ängste hervorrufen kann (vgl. Wild 2015). Schwerdtfeger (1997) verweist auf die emotionale Verfasstheit zu lernender Sprachen und sieht mit dieser erweiterten Sicht des Menschen neue Möglichkeiten für den Fremdsprachenunterricht. So könnten bestimmte Vermittlungswege die „Einverleibung der Grammatik“ durch die Lernenden und damit ihr Erleben als emotional-kognitiver Besitz des Einzelnen ermöglichen (ebd., 599). Beispielsweise kann durch einen handlungsorientierten Ansatz untersuchen, inwieweit diese Art der Kontrolle bzw. Maskierung von Emotionen kulturell geprägt und gelernt ist. Zwischen Scham, Stolz und Reue 151 (task based language learning) ein Lebensweltbezug, d.h. ein emotionaler und kognitiver Zugang zu den Lernenden, gefunden werden. Bei der Behandlung von Filmen und literarischen Texten ist emotionale Betroffenheit durchaus erwünscht, da sie Perspektivenübernahmen erleichtern sowie das Lernen im Bereich von Haltungen und Einstellungen fördern können (vgl. Burwitz-Melzer in diesem Band). Menschen, die häufiger positive Emotionen empfinden bzw. in der Lage sind, sie herbeizuführen, scheinen resilienter zu sein und erfolgreicher mit negativen Emotionen umgehen zu können. Da die Erfahrung positiver Emotionen kognitive Prozesse erleichtert, kann sie als Grundlage für die Aneignung und Anwendung zusätzlicher Emotionsregulierungstechniken wie kognitive Restrukturierung und Problemlösen dienen (vgl. Izard et al. 2011). Differenzierung und Individualisierung, z.B. in Bezug auf Feedback, Fehlerkorrektur und Leistungsrückmeldungen, spielen eine große Rolle für Emotionen von Lernenden, wie Ergebnisse aus Aktionsforschung im schulischen Russischunterricht mit heterogenen Lerngruppen aus Fremdsprachen- und Herkunftssprachenlernenden zeigen (Mehlhorn 2019). Ein empathischer Umgang mit den Gefühlen der SuS von Seiten der Lehrkraft, etwa durch aktives Zuhören und eine generell achtsame Haltung, kann sich förderlich auf das Lernklima in der Klasse auswirken. Stroud und Wee (2006) diskutieren identitätsbezogene und kompetenzbezogene Angst beim Sprachenlernen und kommen zu dem Ergebnis, dass SuS oft genauso oder gar mehr mit dem Gruppendruck in der Klasse und den Lehrerreaktionen auf ihre Fehler beschäftigt sind (identitätsbezogene Angst) als mit ihrer Sprachkompetenz (leistungsbezogene Angst). Die identitätsbezogene Angst ist durch den Wunsch motiviert, bestimmte Gruppenbeziehungen aufrechtzuerhalten, Stigmatisierung zu vermeiden und von Gleichaltrigen akzeptiert zu werden. Sie äußert sich u.a. in der Sorge, dass die Demonstration der eigenen sprachlichen Kompetenz die Beziehungen zu den Mitschülern gefährden könnte. Nicht nur die Lehrkraft, sondern mehr noch die Mitlernenden sind die Quelle der Angst. Deshalb werden z.B. exponierte Rollen wie die der Sprachexpertin im Sinne des Lernens durch Lehren, die sinnvolle binnendifferenzierende Maßnahmen darstellen könnten, von manchen Herkunftssprechern nur ungern übernommen (vgl. Mehlhorn 2013). Der Bereich des Testens und Prüfens ist von Seite der Lernenden generell sehr emotionsbeladen. Sprachkompetenzbezogene Angst (Sprechangst, Prüfungsangst) scheint besonders gut untersucht (vgl. u.v.a. Pérez Castillejo 2019). Um die Belastung von Fehlersituationen mit negativen Gefühlen zu vermeiden, sollte im Fremdsprachenunterricht eine klare Trennung zwischen Lern- und Leistungssequenzen erfolgen. Grit Mehlhorn 152 5 Heritage language anxiety Während foreign language anxiety als isoliertes Konstrukt in der Herkunftssprachenforschung wenig Beachtung gefunden hat, sind Vorstellungen von Nervosität, Unsicherheit, Unbehagen und Furcht von Herkunftssprachenlernenden vor negativer Beurteilung umfassend dokumentiert worden (vgl. u.a. Krashen 1998). Diese unliebsamen Emotionen sind mit Schamgefühlen und Frustration verbunden und stehen häufig im Zusammenhang mit der Wahrnehmung eigener Defizite in der Herkunftssprache. Sevinç und Dewaele (2018) haben heritage language anxiety von 116 türkischen Herkunftssprechern dreier Generationen in den Niederlanden untersucht und die stärkste Angst in Bezug auf die Verwendung der Herkunftssprache in der dritten Migrantengeneration gefunden, d.h. bei denjenigen Sprechern, die das Türkische am wenigsten beherrschen. Krashen (1998) weist darauf hin, dass Herkunftssprachenlernende im Unterricht oft sprachliche Interaktion vermeiden (linguistic shyness), um Gefühle der Peinlichkeit und Unzulänglichkeit zu minimieren. Prada und Guerrero-Rodriguez (2020) sehen einen grundlegenden Unterschied zwischen foreign language anxiety und heritage language anxiety darin, that the former does not incorporate a history of instances of linguistic shaming, bullying, oppression and stigma. HSs [Heritage speakers, GM], on the contrary, are partly defined by their historical formation as problematized multilinguals (ebd., 96). Mit Bezug auf bisher vorliegende Studien definieren Prada und Guerrero- Rodriguez (2020) heritage language anxiety as a sense of insecurity and nervousness when HSs use their HL to complete educational, professional or social tasks that require (meta)socio-linguistic resources which (1) HSs have not had opportunities to acquire/ develop, and/ or which (2) HSs have acquired/ developed but are conceptualized as deficient/ insufficient by their interlocutors given their (i.e., the interlocutors') biases in terms of what is linguistically good and right (ebd., 97). In einer Mixed methods-Studie haben Prada und Guerrero-Rodriguez (2020) Ängste von Herkunftssprachenlernenden in Spanischkursen an einer USamerikanischen Universität untersucht: im Herkunftssprachenunterricht (Experimentalgruppe, N=16) und im Fremdsprachenunterricht Spanisch (Kontrollgruppe, N=14). Die Ergebnisse der quantitativen Fragebogenteilstudie zeigen eindeutig eine geringer ausgeprägte heritage language anxiety der Experimentalgruppe aus dem herkunftssprachlichen Unterricht als in der Kontrollgruppe, in der die Herkunftssprachenlernenden (HSL) gemeinsam mit Fremdsprachenlernenden (FSL) den Kurs besuchen. Die qualitative Interviewstudie mit den HSL liefert mehrere Gründe dafür. So empfinden die HSL dieser Studie im Herkunftssprachenunterricht ein Gefühl der Zugehö- Zwischen Scham, Stolz und Reue 153 rigkeit, das zu einer entspannten Lernatmosphäre beiträgt, während sich die HSL im Spanischunterricht für Fremdsprachenlernende als nicht dazugehörig wahrnehmen und aufgrund der unterstellten Beherrschung des Spanischen unter Leistungsdruck stehen. Die befragten HSL erklären, dass sie im Fremdsprachenunterricht oft zu zielsprachlichen Strukturen befragt werden, die metalinguistische Kenntnisse verlangen, über die sie meist nicht verfügen. Solche Unterrichtssituationen führen zu Unsicherheit, Angst sich zu äußern bis hin zum Verstummen und Rückzug der HSL. Der herkunftssprachliche Unterricht Spanisch deckt den Befragten zufolge eine größere thematische Vielfalt ab. Hier wird von den HSL zwar auch erwartet, dass sie über sprachliche Fragen reflektieren, aber es werden zudem ihre eigenen Erfahrungen, ihre Ansichten zu gesellschaftspolitischen Themen und Belange der herkunftssprachlichen Gemeinschaft thematisiert. Ein weiterer in der Studie erwähnter Faktor ist die strikte Einsprachigkeit, die von den befragten HSL im Fremdsprachenunterricht gefordert wird. Die Autoren plädieren stattdessen für eine Anwendung flexibler sprachlicher Praktiken, die von Seiten der Lehrkraft auch Vergleiche zwischen der Umgebungssprache und der Zielsprache zulassen und die es bilingualen Lernenden zumindest ab und zu ermöglichen, zweisprachig zu interagieren (zum Translanguaging im herkunftssprachlichen Spanischunterricht vgl. auch Prada 2019). Die Ergebnisse der Studie können aufgrund der geringen Probandenzahl (zudem wurde weder die Perspektive der Fremdsprachenlernenden noch die der Lehrkräfte berücksichtigt) und der Kontextspezifik (u.a. Rolle der Lehrerpersönlichkeit, ein bestimmtes Verhältnis von HSL und FSL im Fremdsprachenunterricht) nicht direkt auf andere Fremdsprachen- und Herkunftssprachenkurse übertragen werden. Dennoch lassen sich bestimmte Empfehlungen ableiten, die helfen können, die heritage language anxiety zu reduzieren (vgl. Abschnitt 6). 6 Berücksichtigung von Emotionen im Unterricht mit Herkunftssprachenlernenden Kompetenzerleben und soziale Eingebundenheit sind menschliche Grundbedürfnisse, denen auch im Unterricht mit heterogenen Lerngruppen Rechnung getragen werden sollte. Dazu gehört, Emotionen der Lernenden nicht auszublenden, sondern sie ernst zu nehmen, um ein achtsames soziales Miteinander zu ermöglichen. Die Bezugnahme auf lokale Gemeinschaften der Herkunftssprecher/ innen kann für alle SuS motivierend sein und durch die gemeinsame Erkundung außerschulischer Lernorte erweitert werden. Wichtig ist die Einstellung aller am Unterricht Beteiligten, dass individuelle Unterschiede innerhalb einer Lerngruppe normal sind und auch Potenziale in sich bergen. Dabei sollten die vielfältigen kulturellen und sprachlichen Verortungen der SuS aktiv in den Unterricht einbezogen werden. Eine individuelle Bezugsnorm und formatives Feedback ermöglichen es, die unterschiedli- Grit Mehlhorn 154 chen Lernausgangslagen angemessen zu berücksichtigen. Differenzierung sollte anhand von Lernaufgaben erfolgen, die kognitiv und sozial aktivieren und es SuS aller Sprachniveaus ermöglichen zu partizipieren und dazuzulernen. Dies lässt sich über kooperative Arbeitsformen realisieren, bei denen phasenweise Gruppen flexibel zusammengesetzt werden. In Kleingruppenarbeit kann über gemeinsame Lernaufgaben eine positive Abhängigkeit hergestellt werden, die gemeinschaftlich erbrachte Schülerleistungen ermöglicht, die weit über das hinausgehen, was einzelne Lernende leisten könnten. Für kooperationsfördernde Aktivitäten eignen sich u.a. Aufgaben mit Informationslücken, zur Problemlösung und Entscheidungsfindung, verschiedene Formen des Meinungsaustauschs sowie aktivierende Methoden wie Gruppenpuzzle, Think-Pair-Share und reziprokes Lernen. Die kooperativen Arbeitsprozesse sollten regelmäßig gemeinsam reflektiert und eventuelle Konflikte zeitnah bearbeitet werden. Durch ein solches Vorgehen lässt sich vermeiden, dass Differenzierungsmaßnahmen zu festen Leistungsgruppierungen innerhalb einer Lerngruppe führen, die sich auch sozial voneinander abgrenzen. Durch Differenzierung ‚von unten‘, bei der die Lernenden in einem gesetzten Rahmen Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten (z.B. bezüglich der Inhalte, des Schwierigkeitsgrades oder der Sozialform) erhalten, kann schrittweise Lernerautonomie und Selbsteinschätzungskompetenz insbesondere derjenigen HSL gefördert werden, deren Motivation für den Fremdsprachenunterricht in ihrer Herkunftssprache zunächst niedrig ist, da sie sich in diesem Unterricht nicht als Lernende begreifen. Des Weiteren ist eine gewisse Fehlertoleranz, wie sie im kommunikativen Fremdsprachenunterricht üblich ist, auch gegenüber HSL angebracht. Gleichzeitig benötigen die HSL Feedback positiver Art, um in ihren vorhandenen Kompetenzen und Lernfortschritten bestärkt zu werden (vgl. Mehlhorn/ Rutzen 2020). Eine stärkere Konzentration auf positive Aspekte und Wertschätzung der im Klassenzimmer vorhandenen sprachlichen Kompetenzen wäre zudem im Sinne der sog. Positive Psychology (vgl. MacIntyre/ Gregersen 2012) und würde mehr Freude im Unterricht mit HSL mit sich bringen. Während des Lernens erfahrene freudvolle Emotionen erleichtern es HSL, sich für die Zielsprache und die Lernsituation zu öffnen sowie neue Informationen und Erfahrungen aufzunehmen (broadening, vgl. auch Marx in diesem Band). Unablässige Voraussetzung hierfür ist eine Sensibilität der Lehrkräfte für den Lernkontext und die jeweiligen Lernbedürfnisse der SuS. 7 Weiterer Forschungsbedarf In der Herkunftssprachenforschung wurden bis auf die hier genannten Arbeiten zu heritage language anxiety Emotionen nur selten untersucht bzw. eher am Rande erwähnt. Ein Desiderat ist insbesondere Forschung im herkunfts- Zwischen Scham, Stolz und Reue 155 sprachlichen Unterricht selbst. Wünschenswert sind Studien, die Kausalbeziehungen zwischen Emotionen und Sprachenlernen auf den Grund gehen. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass Emotionen nicht unbedingt direkt mit dem Lernergebnis zusammenhängen, sondern vielmehr andere psychische Aspekte wie Motivation, Handlungskontrolle und Lernverhalten beeinflussen, die ihrerseits direkt oder indirekt auf die Lernleistung wirken (vgl. Hascher 2005). Horwitz (2010) schlägt vor, Sprechangst, Motivation, Autonomie und Selbstkonzept im Zusammenhang zu untersuchen. Pekrun (2017) diskutiert die Notwendigkeit von Interventionsstudien, die auf Leistungsemotionen abzielen. Quantitative Fragebogenstudien, etwa mithilfe des Achievement Emotions Questionnaire von Pekrun/ Götz/ Frenzel et al. (2011) oder des Bilingualism and Emotions Webquestionnaire von Pavlenko (2005) würden durch eine Triangualation mit Daten qualitativer Forschung (u.a. aus Interviews, Gruppendiskussionen, Laut-Denk-Protokollen, Sprachlernbiografien, Portfolios aus der Lehrerausbildung oder Lerntagebüchern) bereichert werden (vgl. Riemer 2004) und vermutlich zu neuen Einsichten kommen, denn „those who study emotion using a qualitative approach may hold very different views about the nature of emotion than what was found for those using a quantitative approach“ (Ekman 2016: 33). Forschung im Bereich Inklusion im engeren Sinne betrifft u.a. SuS mit emotionalen Beeinträchtigungen. Inklusion in einem weiten Verständnis würde auch heterogene Lerngruppen mit Herkunftssprachenlernenden stärker in den Blick nehmen, wobei hier Aktionsforschungsprojekte in verschiedenen Lernkontexten sinnvoll erscheinen. Künftige Forschungsfelder sollten zudem die (professionelle) Zufriedenheit und Ängste von (angehenden) Lehrkräften - nicht zuletzt im Zusammenhang mit den Ängsten von Lernenden - umfassen (vgl. Gkonou/ Daubney/ Dewaele 2017, 221). Vielversprechend erscheint zudem Forschung im Rahmen der Positive Psychology. Durch tiefere Einblicke in die Zusammenhänge von Emotionen, Spracherwerb, Sprachgebrauch und Interaktionen im Unterricht mit Herkunftssprachenlernenden könnte eine sozio-affektive Wende in der Herkunftssprachenforschung eingeleitet werden. Literatur Anstatt, Tanja (2017): „Language attitudes and linguistic skills in young heritage speakers of Russian in Germany“. In: Isurin, Ludmila/ Riehl, Claudia Maria (Hrsg.): Integration, identity and language maintenance in young immigrants: Russian Germans or German Russians. Amsterdam: John Benjamins, 197-223. Brehmer, Bernhard/ Mehlhorn, Grit (2015): „Russisch als Herkunftssprache in Deutschland. 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Was Fremdsprachenlerner*innen bewegt … Zum Umgang mit der affektiv-emotionalen Dimension in der Fremdsprachenforschung Claudia Riemer Vorbemerkung Die diesjährige Frühjahrskonferenz hat ein Thema gewählt, das nach mehrheitlicher Meinung in der Fremdsprachenerwerbsforschung und Fremdsprachendidaktik immer wieder vernachlässigt wurde - dies möglicherweise als Folge einer bevorzugten Beschäftigung mit den kognitiven Prozessen des Fremdsprachenerwerbs oder mit inhaltlichen, didaktisch-methodischen, curricularen und bildungspolitischen Anforderungen an den Fremdsprachenunterricht und/ oder die Lehrer*innenbildung. Das Thema „Emotionen“ gewinnt in den letzten Jahren in der deutschen und internationalen Fremdsprachenforschung spürbar an Aufmerksamkeit (vgl. exemplarisch die Dissertation von Ogasa 2011, Beiträge in Dewaele 2018 sowie die Diskussionsbeiträge in Bigelow 2019). Wenn jedoch der Fokus auf die Gefühlswelten und andere personenbezogene Einflüsse verlegt wird, die die Prozesse um das Fremdsprachenlernen und -lehren begleiten bzw. ihnen inhärent sind, ist es m.E. unausweichlich, Schwerpunkte auf Teile dieses „Faktorenkomplexes“ zu legen. In meinem Statement werde ich daher insbesondere die lernenden Personen ins Zentrum rücken, was aber nicht mit einer Ausblendung der zentralen Rolle von Lehrpersonen verwechselt werden sollte, worüber in den letzten Jahren in unseren wissenschaftlichen Diskursen so viel gesprochen wurde. 1 Terminologische Abgründe Spaß, Freude, Antrieb, Heiterkeit, Zufriedenheit, Ärger, Frust, Langeweile, Traurigkeit, Aufregung, Enttäuschung, Angst und Scham - von solchen Regungen ist recht schnell die (Alltags-)Rede, wenn Erfahrungen und Überzeugungen zum Fremdsprachenlernen und zum Fremdsprachengebrauch ausgetauscht werden. Befasst man sich mit solchen Themen aus wissenschaftlicher Perspektive, stolpert man nahezu sofort über konzeptuelle Fragen und über ganz unterschiedliche Termini, die vermeintlich dasselbe oder ganz Unterschiedliches bedeuten (sollen oder wollen) - und man könnte nach ausgiebiger und kritischer Recherche und Lektüre aus Nachbardisziplinen der Emotions-, Motivations- und Kognitionspsychologie lange Abhandlungen darüber Claudia Riemer 160 verfassen, was Emotionen eigentlich sind bzw. nicht sind. Dieses Bemühen verfolgte für unsere Disziplin z.B. Christine Schwerdtfeger bereits im Jahr 1997 mit einer umfänglichen Auseinandersetzung mit unterschiedlichen disziplinären Diskursen und dem Versuch einer Begriffsbestimmung; und als ein Ergebnis ihrer „Suche nach den verlorenen Emotionen“ (Schwerdtfeger 1997) appellierte sie letztlich an uns, das Gefühlsleben der Lerner*innen und den Ausdruck von Emotionen beim Fremdsprachenlernen ernster zu nehmen. In den Leitfragen der diesjährigen Frühjahrskonferenz ist die Rede von affektiv-emotionalen Faktoren (nicht von Emotionen oder Affekten), was auf das grundsätzliche Problem verweisen könnte, dass in unseren Forschungsbereichen kein einheitliches Verständnis darüber existiert, wann man von „Emotionen“, „Gefühlen“, „Affekten“, „affektiven Faktoren“, „affective factors“, „emotions“, „feelings“ etc. sprechen sollte - und welche Konstrukte man diesen Oberbegriffen zuordnen sollte und welche besser nicht. Manchmal werden Emotionen von Motivation abgegrenzt, manchmal werden beide als komplementäre Felder aufgegriffen. 1 Nicht übereinstimmende semantische Felder der Begrifflichkeiten im Deutschen und Englischen - vgl. insbesondere „affect“ und „Affekt“, wobei „affect“ als neutraler Oberbegriff Anwendung findet (s. ein Beispiel dazu im Zitat in Fußnote 1), „Affekt“ aber eher für die Bezeichnung starker Erregung geeignet ist - sowie deren (nicht immer reflektierte) Verwendung tun ihr Übriges, eine exakte Gegenstandsbestimmung zu erschweren. Auch die Verwendung des Begriffs „Faktor(en)“ - der in diesem Beitrag häufig vorkommt - ist nicht unproblematisch. So ist es in postmodernen zweitsprachenerwerbstheoretischen Modellierungen geradezu obsolet geworden, von „Faktoren“ zu sprechen, während dies in der psychometrischquantitativ orientierten Fremdsprachenerwerbsforschung, die eine lange Tra- 1 In der Psychologie werden Emotionen und Motivation als eigenständige Forschungsfelder behandelt. Grob zusammengefasst untersucht die Emotionspsychologie die komplexen Gefühlsdimensionen und das Gefühlserleben, während die Motivationspsychologie auf die Erforschung insbesondere von zielgerichtetem Verhalten, Anreizen, Leistungsbereitschaft und Motivationsintensität zielt. Nichtsdestotrotz interagieren beide Gegenstandsbereiche miteinander, denn Emotionen treten dann auf, wenn Ereignisse oder Handlungen persönlich relevant sind, d.h. mit Motiven/ Motivation verbunden sind. Und motiviertes Handeln verfolgt z.B. das Ziel, unangenehme und belastende Situationen zu verhindern (vgl. einführend Brandstätter et al. 2018). Auch in der L2-Motivationsforschung wird angezweifelt, ob (insb. aus neuropsychologischer Perspektive) trennscharf zwischen Motivation, Emotion und Kognition unterschieden werden kann: „[…] motivation, like most higher-order mental functions, involves a blended operation of cognitive, affective and motivational components. […] if cognition, emotion and motivation are so intricately intertwined, is it still possible to determine where to draw the line between them? In other words, does it still make any theoretical sense to distinguish motivation from cognition and affect? “ (Dörnyei 2020, 14; Hervorhebung im Original). Was Fremdsprachenlerner*innen bewegt … 161 dition in der Untersuchung von das Fremdsprachenlernen beeinflussende Prädiktorvariablen hat, üblich ist. In der internationalen Fremdsprachenerwerbsforschung existiert eine umfangreiche Auseinandersetzung rund um „affektive Faktoren“ und „Emotionen“, denen unterschiedliche theoretische Zugänge (darunter Kognitionspsychologie, Sozialpsychologie, soziokulturelle Ansätze) unterliegen - und die sich teilweise gegenseitig ignorieren. Leider hat sich die deutsche Fremdsprachenforschung nur selten und punktuell an diesen Forschungslinien durch konzeptuelle und empirische Forschungsbeiträge beteiligt. Für mein Statement orientiere ich mich an folgender Definition und Erläuterung, die einem einführenden Standardwerk der Psychologie entnommen sind: Heutzutage wird eine Emotion als ein komplexes Muster körperlicher und mentaler Veränderungen verstanden, darunter physiologische Erregung, Gefühle, kognitive Prozesse und Reaktionen im Verhalten als Antwort auf eine Situation, die als persönlich bedeutsam wahrgenommen wurde. Um zu erkennen, warum all diese Komponenten notwendig sind, stellen Sie sich eine Situation vor, die Sie sehr froh macht. Ein Teil Ihrer physiologischen Erregung mag ein leicht erhöhter Pulsschlag sein. Sie hätten ein Gefühl der Freude. Die damit verbundenen kognitiven Prozesse bestehen aus Interpretationen, Erinnerungen und Erwartungen, die es Ihnen ermöglichen, die Situation als positiv und freudig einzustufen. Ihre sichtbaren Reaktionen liegen vielleicht im Ausdruck (lächeln) und/ oder sind handlungsorientiert (einen geliebten Menschen vor Freude umarmen) (Gerrig/ Dörfler/ Roos 2018, 436; Hervorhebung im Original). Diese Definition betont die mehrdimensionale Natur des Konstrukts; sie scheint mir deshalb gut geeignet zu sein, da sie keine Abgrenzung zwischen Emotion und Kognition vornimmt, vielmehr hervorhebt, dass kognitive Prozesse dem Entstehen und Ausdruck von Emotionen unterliegen, Emotionen situations- und gegenstandsbezogen sind sowie handlungsbezogene und expressive Komponenten haben. Weitere terminologische Klärungen und Abgrenzungen zu ähnlichen Konzepten sollen nicht im Zentrum meines Beitrags stehen. Denn die weitere Beschäftigung mit den Unterschieden zwischen Gefühlen, Stimmungen, Affekten, Emotionen führt m.E. letztlich zu dem, was bereits Fehr und Russell (1984) ganz zu Beginn ihres viel zitierten konzeptionellen Artikels schrieben: Everyone knows what an emotion is, until asked to give a definition. Then, it seems, no one knows (Fehr/ Russell 1984, 464). Für die Fremdsprachenforschung gewinnbringend scheint mir eine Annäherung zu sein, die an vorliegenden Forschungsergebnissen zu den sogenannten „individuellen Unterschieden“/ „individual differences“ zwischen Fremdsprachenlerner*innen beim Fremdsprachenerwerb (im Folgenden als „ID- Claudia Riemer 162 Forschung“ abgekürzt) anknüpft, aber auch aus soziokulturellen Ansätzen stammende Überlegungen zum „affective turn“ einbezieht. In eigenen empirischen Untersuchungen habe ich mich schwerpunktmäßig mit der Rolle der Motivation, aber auch Angst beim Fremdsprachenlernen auseinandergesetzt; also zwei affektiv-emotionalen Konstrukten, die Fremdsprachenlerner*innen beim Lernen und bei der Verwendung der L2 bewegen (vgl. die etymologischen Wurzeln von Motivation und Emotion in lat. movere bzw. emovere), indem sie Gemütsregungen, Haltungen und Lernhandlungen zum Ausdruck bringen. 2 Vielfalt der Forschungslinien Auch wenn immer wieder die kognitivistische Tradition der internationalen Fremdsprachenerwerbsforschung seit ihrer Entstehung in den 1960er und 1970er Jahren in Folge der durch Chomsky eingeleiteten Abkehr von behavioristischen hin zu kognitiven Lerntheorien - m.E. mitunter überzogen (vgl. exemplarisch Swain 2013, 197f.) - beklagt wird: Spätestens mit der Hypothese des affective filter (Krashen 1982, 30-32), die Krashen aus Schlussfolgerungen zum damaligen Forschungsstand ableitete und dabei Überlegungen von Dulay/ Burt (1977) aufgriff, haben affektiv-emotionale Faktoren Einzug in die Fremdsprachenerwerbstheorie gehalten. Dies geschah parallel zur Entwicklung einer Forschungslinie, die den sogenannten affective factors als Teilbereich der ID-Forschung (vgl. die erste umfangreiche zusammenfassende Monographie von Skehan 1989) eine bedeutsame Erklärungskraft für erfolgreiches Fremdsprachenlernen zuweist (zum Forschungsstand zu den affektiven Faktoren vgl. die Beiträge in Arnold 1999; zusammenfassend Riemer 2016a). Während der „affektive Filter“ im Rahmen informationsverarbeitender Fremdsprachenerwerbshypothesen und -theorien (u.a. Input- Hypothese) v.a. als den Fremdsprachenerwerbsprozess beeinträchtigend konzeptualisiert wurde, insofern als Angst und fehlende Motivation als Störquellen für die kognitive Verarbeitung von L2-Input betrachtet wurden, werden seit den späten 1960er Jahren sukzessiv unterschiedliche affektive Faktoren wie v.a. Einstellungen, Motivation und Angst als wirkmächtige, das erfolgreiche Fremdsprachenlernen bedingende Einflussfaktoren konzeptualisiert und vorrangig im Rahmen quantitativer Forschungsmethoden (v.a. Fragebogenbefragungen) operationalisiert. Motivation ist der prominenteste sowie meisterforschte affektive Faktor und außerdem derjenige, der nach dem kognitiven Faktor „Sprachlerneignung“ als der zweitwirkmächtigste Einflussfaktor für erfolgreiches Fremdsprachenlernen gilt. Dabei ist Motivation selbst ein komplexer mehrdimensionaler Faktor mit Wechselwirkungen zu anderen Variablen, insbesondere zu solchen, die im situativen, soziokulturellen Umfeld der Fremdsprachenlerner*innen liegen. Forschungsergebnisse und Modelle liegen vielfältig und Was Fremdsprachenlerner*innen bewegt … 163 inzwischen in unübersichtlich werdendem Umfang vor. Sie fokussieren die Beweggründe, die Lerner*innen zum initialen bzw. fortgesetzten Fremdsprachenlernen bewegen bzw. sie davon abhalten, und damit verbundene Willensbildungs- und Verhaltensregulationsprozesse. Interessanterweise gerieten dabei kognitiv-motivationale Aspekte stärker als gefühlsbetonte Aspekte ins Zentrum der Aufmerksamkeit, so z.B. in Form der Untersuchung von Attributionen und Selbstregulationen - und seit ca. zehn Jahren in Form von identitätsstiftenden idealisierten, auf die Zielsprache bezogenen Selbstkonzepten (vgl. Dörnyei 2020; zusammenfassend Ushioda 2020 und Riemer 2019, wobei Letztere kritisch auf ein häufiges Ausblenden sprachen- und regionenspezifischer Aspekte in der internationalen L2-Motivationsforschung hinweist). Dem Erleben und Entstehen von Angst beim Fremdsprachenlernen bzw. im Fremdsprachenunterricht wird in den letzten Jahren wieder mehr Interesse gewidmet (vgl. MacIntyre 2017 und andere Beiträge in Gkonou/ Daubney/ Dewaele 2017). In den 1980er und 1990er Jahren war noch umstritten, ob Angst als relevante unabhängige Variable betrachtet werden kann (vgl. exemplarisch MacIntyre/ Gardner 1991). Konzeptionelle Fragen des Konstrukts führten zur quantitativen Operationalisierung der sog. foreign language classroom anxiety, wobei zwischen Sprechangst (inkl. Verstehensangst), Angst vor negativer Bewertung durch Mitlernende und Lehrende (soziale Angst) sowie Angst vor Testsituationen differenziert wurde und moderate bis geringe Effekte auf gemessenen Fremdsprachlernerfolg festgestellt wurden (vgl. Horwitz/ Horwitz/ Cope 1986; Horwitz 2010). Neuere Arbeiten kommen zum Ergebnis, dass Angst mit Gender und vorhandener Mehrsprachigkeit interagiert: Frauen zeigen tendenziell höhere Ängstlichkeit, Lerner*innen mit vielfältigen Sprachlernerfahrungen dagegen sind weniger ängstlich beim Fremdsprachenlernen (vgl. Dewaele/ MacIntyre 2014). In jüngerer Zeit werden verstärkt Überlegungen der sog. Positiven Psychologie in der Fremdsprachenerwerbsforschung und der Fremdsprachendidaktik aufgegriffen, die v.a. auf die das Fremdsprachenlernen stärkenden Effekte von positiven Emotionen, wie z.B. Lernfreude, Glück, Empathie, Hoffnungen, setzen (vgl. die Beiträge in MacIntyre/ Gregersen/ Mercer 2016 sowie MacIntyre/ Gregersen/ Mercer 2019). Neuere Arbeiten betonen darüber hinaus die Bedeutung von Emotionen im Fremdsprachenunterricht unter Einschluss sowohl der Perspektiven der Lernenden wie der Lehrenden (vgl. exemplarisch Dewaele 2011 sowie mit Fokus auf die Lehrperson die Beiträge in Mercer/ Kostoulas 2018 und Martínez Agudo 2018). Es gab und gibt aber auch fundamentale Kritik an diesen Forschungslinien. Die Vernachlässigung affektiv-emotionaler Faktoren durch die vermeintlich zu stark kognitiv orientierte Fremdsprachenerwerbsforschung und auch innerhalb der Schwerpunkte der ID-Forschung ist immer wieder kritisiert worden (vgl. exemplarisch Dörnyei/ Ryan 2015, 9) und zum Ausgangspunkt der Ausarbeitung einer eigenen Forschungs- und Theorielinie rund um Claudia Riemer 164 soziokulturelle Ansätze geworden. Spätestens seit diesem Aufkommen soziokultureller Ansätze in der Fremdspracherwerbsforschung und durch den damit eng verbundenen sogenannten social turn (Block 2003) - noch verstärkt durch den von Pavlenko (2013a) verkündeten affective turn - wird in Vygotsky’scher Tradition die Untrennbarkeit von Emotion und Kognition betont und die vorrangige Betrachtung kausaler Zusammenhänge zwischen affektiven Faktoren und Sprachlernerfolg zugunsten einer Auffassung zurückgewiesen, die Emotion als sozial und kulturell bedingtes, sich interpersonal und kommunikativ entfaltendes Konzept auffasst, das umgekehrt auch die Auswirkungen des Sprachenlernens auf Emotion und Identität betrachtet (vgl. z.B. Imai 2010; Swain 2013). Die gesellschaftlichen Bedingungen des Zweitspracherwerbs im Kontext von Migration, ungleichen Machtverhältnissen und lebensweltlicher, diskriminierter Mehrsprachigkeit erhalten in dieser Forschungslinie herausgehobene Beachtung, u.a. in Folge der großen Aufmerksamkeit, die die Meilenstein-Publikationen von Norton Peirce (1995) und Norton (2000/ 2013) erfahren haben. In diesen Forschungsarbeiten wird das psychologische Konstrukt „Motivation“ als ein soziologisches Konstrukt „investment“ umgedeutet: Norton lieferte überzeugende Befunde, dass L2- Lerner*innen, die sich z.B. im Zweitsprachenunterricht wenig beteiligen, nicht etwa unmotiviert seien, sondern dass Lerner*innen so in das Lernen der L2 und das sprachliche Handeln im Unterricht investieren bzw. sich so in entsprechende Aktivitäten einbringen, wie Machtverhältnisse es zulassen und eine Verbesserung des kulturellen Kapitals sowie soziale Teilhabe und Erfüllung von Wünschen für die Zukunft versprechen. Postmoderne, antirassistische und feministische Perspektiven verschaffen sich in diesen Ansätzen ausdrucksvoll Gehör. Dabei stoßen Modellierungen des Sprachlernprozesses bzw. von Sprachenlerner*innen als Bündel von Einflussfaktoren, als quasi (passive) Träger bestimmter personaler Eigenschaften, auf grundsätzliche wissenschaftstheoretisch wie erkenntnistheoretisch unterlegte Kritik, die teils erstaunlich scharf formuliert ist (vgl. z.B. Pavlenko 2013a, 8f.). Im Kern steht dabei der Vorwurf, der gesamte Bereich der ID-Forschung sei theoretisch wenig fundiert, würde mit schwach definierten Konstrukten arbeiten und affektive Faktoren lediglich als rein individuelle und nicht soziale Zusammenhänge berücksichtigende Phänomene betrachten. Im Kern steht außerdem die Forderung, Lerner*innen als in ihren situativen Kontexten Handelnde zu verstehen, das Auftreten und Entstehen von Emotionen auf einer interaktiven Mikroebene sowie in lernbiographischer Perspektive zu untersuchen - und dementsprechend die Lerner*innen als Untersuchungsteilnehmer*innen selbst zu Wort kommen zu lassen (vgl. Pavlenko 2013a; Swain 2013). Hier knüpft unmittelbar auch eine Forderung nach anderen, qualitativen Forschungsansätzen an (s. auch Folgeabschnitt). Leider nehmen diese Vorwürfe und Vorschläge wenig zur Kenntnis (bzw. weisen sie als nicht hinreichend zurück, s. Pavlenko 2013a, 14f.), dass längst Was Fremdsprachenlerner*innen bewegt … 165 innerhalb der L2-Motivationsforschung breitere Ansätze entwickelt sowie soziale Dimensionen nicht ausgeblendet wurden (vgl. dazu Dörnyei 2020, 25- 27) und auch qualitative Ansätze und Daten eine wichtige Rolle spielen (vgl. exemplarisch Ushioda 2009 sowie die jüngst in Dörnyei 2020, 29-30 erläuterten Überlegungen und Entwicklungen; s. auch Ausführungen zu meinen eigenen Untersuchungen im Folgeabschnitt). Dass ganz unterschiedliche Forschungslinien, Überzeugungen, theoretische Schulen, einflussreiche Forscherpersönlichkeiten, Meinungen und Herangehensweisen sich aber auch gegenseitig befruchten können, zeigen aktuelle, teils konzeptuelle Beiträge, die die Entwicklungen der L2-Motivationforschung seit den 1960er Jahren beleuchten (s. die Beiträge in Al-Hoorie/ MacIntyre 2020 und daraus exemplarisch Norton 2020, die die Komplementarität der unterschiedlichen Forschungslinien und Ansätze betont). 3 Forschungsmethodologische Herausforderungen und Forschungsbedarf Die oben zusammengefassten Forschungslinien verdeutlichen - bei aller Unterschiedlichkeit der Zugänge, trotz Kontroversen und gegenseitiger Ignoranz -, dass affektiv-emotionalen Faktoren wie Angst und Motivation sowie damit interagierende Einstellungen und Haltungen zum Fremd-/ Zweitsprachenlernen mehrdimensional und tief in der Persönlichkeit und Identität der Lerner*innen sowie in ihrem jeweiligen situativen soziokulturellen Kontext und ihrer Lernbiographie verwurzelt sind. Die Erforschung der affektiv-emotionalen Dimensionen hält allerdings besondere forschungsmethodologische Herausforderungen bereit: aufgrund der instabilen, interdependenten, teils unbewussten sowie stark eingeschränkt beobachtbaren bzw. nicht beobachtbaren Natur der Untersuchungsgegenstände, der zufolge sie in der Regel durch Befragungsverfahren operationalisiert werden müssen. Probleme der Definition und empirischer Operationalisierung von affektiv-emotionalen Konstrukten werden auch dafür verantwortlich gemacht, dass nicht die Bandbreite möglicher Einflussfaktoren intensiv erforscht wurde und so z.B. Angst viel intensiver als andere Emotionen untersucht wurde (vgl. Imai 2010). Die Erforschung affektiver Faktoren als Teil der ID-Forschung ist, wie bereits mehrfach erwähnt, durch vorrangig quantitative Forschungsansätze geprägt, die zunehmend auch mittels multivariater Verfahren komplexe Modelle testen. Qualitative und gemischte Zugänge werden zwar immer wieder gefordert (vgl. exemplarisch Dewaele 2005), bleiben dennoch in der Minderheit (vgl. exemplarisch Ushioda 2009) bzw. wurden selten beachtet, insbesondere wenn ihre Publikation nicht in internationalen englischsprachigen Organen erfolgte. Meist standen und stehen innerhalb der ID-Forschung isolierte Einzelfaktoren (wenngleich diese Einzelfaktoren häufig selbst als sehr komplexe, sich Claudia Riemer 166 aus vielen unterschiedlichen Teilaspekten zusammensetzende Konstrukte behandelt werden) sowie deren Effekte für erfolgreiches Fremdsprachenlernen im Zentrum von Untersuchungen. Dies führt auch dazu, dass immer wieder neue Variablen auf Forschungsinteresse stoßen (vgl. exemplarisch die qualitative Studie von Galmiche 2017 zum Faktor Scham, die die L2- Angstforschung ergänzen möchte) oder mitunter vernachlässigte Variablen nachholend behandelt werden (so z.B. zuletzt der Faktor Sprachlernerfahrungen in der Dörnyei’schen L2-Motivationsmodellierung; vgl. Dörnyei 2019). Das komplexe Zusammenwirken der unterschiedlichen Einflussfaktoren wird in der ID-Forschung selten negiert, mitunter mittels multivariater Modelle explizit berücksichtigt (vgl. exemplarisch die neuere quantitative Studie von Zhang 2019 zum Faktor Angst), aber selten ins Zentrum der Untersuchungen gestellt. Dies hat sicherlich vorrangig damit zu tun, dass ID-Forschung weitgehend quantitativen, mit geschlossenen Fragen/ Items operierenden Forschungsansätzen folgt und die Daten eben nur diejenigen Konstrukte operationalisieren und Hypothesen testen, die in den Forschungsfragen thematisiert werden. Eine gewisse Ausnahme stellt die qualitative Longitudinalstudie von Riemer (1997) dar, in der zwar vom Grundgedanken der Konzeptualisierung unterschiedlicher Einflussfaktoren, darunter affektive, soziale und kognitive Faktoren, ausgegangen wird, deren Wechselwirkungen aber im Zentrum des Erkenntnisinteresses standen. Als Hauptergebnis wurde die „Einzelgänger- Hypothese“ aufgestellt, die auf die Individualität des Fremdsprachenerwerbsprozesses aufgrund jeweils sich individuell zusammensetzender, die Lerner*innen konstituierender Faktorengefüge verweist und dabei insbesondere die Interdependenz sozialer und affektiver Faktoren betonte. Eine solche Auffassung impliziert, dass affektive Faktoren nie allein als Prädiktoren betrachtet werden sollten, sondern auch immer ein Ergebnis von (Lern-)Prozessen sein können (vgl. dazu auch Mihaljevic Djigunovic 2012). Kritisch diskutiert werden kann außerdem, inwiefern mittels psychometrischer Verfahren gewonnene Einsichten überhaupt imstande sind, punktuell im Lernprozess auftretende Emotionen zu erfassen. So stoßen quantitative Datenerhebungen, bei denen es darum geht, möglichst klar und unmissverständlich formulierte Items zu bewerten, an Grenzen, wenn es darum geht, Befragte zu Erinnerungen bzw. Re-Konstruktionen von Gefühlsregungen anzustoßen. Qualitative Daten hingegen können Emotionen selbst zur Sprache bringen und in Sprache ausdrücken - und auf diese Weise deutlich tiefgründigere Einsichten ermöglichen. An dieser Stelle ist auf die oben angesprochene Favorisierung von qualitativen Forschungsansätzen in der soziokulturellen, an Vygotsky’schen Theoremen anknüpfenden Fremdsprachenerwerbsforschung zu verweisen, in denen qualitative Daten aus natürlich vorkommenden Kommunikationen sowie Narrationen von Lerner*innen ein Was Fremdsprachenlerner*innen bewegt … 167 besonderes Gewicht erhalten, die auch dem Ausdruck von Emotionen in der L2 besondere Aufmerksamkeit schenken (vgl. Pavlenko 2013b; Swain 2013). In meiner eigenen Forschung zur L2-Motivation von DaF-Lerner*innen aus vielen Ländern der Welt verwende ich qualitative Daten, die mittels schriftlicher, einem sehr freien Schreibimpuls folgender Sprachlernbiographien erhoben werden (vgl. methodologische Überlegungen in Riemer 2004 und zusammenfassende Forschungsergebnisse in Riemer 2016b; 2019). Die folgenden (sprachlich unkorrigierten) Datenbeispiele aus den in den Studien erhobenen Datensätzen mögen illustrieren, dass mit Hilfe solcher Daten nicht nur affektiv-emotionale Konstrukte und Muster betreffende Kodes gewonnen werden können, sondern gleichzeitig Emotionen selbst sprachlich zum Ausdruck kommen - gerade letzterer Aspekt, nämlich der sprachliche Ausdruck von die L2 betreffenden Haltungen, Gefühlen, Erfahrungen in der L2, sollte in künftiger Forschung stärker selbst zum Untersuchungsgegenstand gemacht werden. „Deutschland ist mir ans Herz gewachsen. Auch wenn es ein fremdes Land war, habe ich dort mein schönstes Weihnachtsfest erlebt. Dieses warme Gefühl im Herzen und das kribbeln im Magen kann ich nich beschreiben. Es war so schön. Die Situacion, wo ich das gespürt habe war im Kaufland. Ich sah da einen großen geschmückten Weihnachtsbaum und ich habe mich sofort verliebt. Der Wunsch zum Studieren der deutschen Sprache war irgendwie immer da. Ich musste nie wirklich darüber nachdenken.“ (Germanistikstudent*in in Kroatien) „Wie die Professoren die Fächer vermiesen können, ist unglaublich. Sie kommen ins Unterricht unvorbereitet. Reden über Prinzipien des Unterricht, aber halten sich selbst nicht daran.“ (Germanistikstudent*in in Kroatien) „Apprendre l’allemand est pour moi un calvaire.“ (Deutschlernen ist eine Tortur für mich.) (Schüler*in in einem französischen Gymnasium) „Vor meinem Studienleben an der Universität wusste ich nicht, dass ich Deutsch lernen muss und nach Deutschland gehen kann. Anfangs hasste ich Deutsch, weil ich es kompliziert fand: es gibt viele Wortarten beim Deutsch. Oft konnte ich mir nicht die Wörter und die Grammatik merken. Ich war nicht bestimmt, ob ich Deutsch gut lernen konnte. Während des Deutschlernens interessierete ich mich allmählich für Deutsch und Deutschland. Ich fand, dass das Deutschlernen meine Denkweise verbessern kann und Deutschland bläueren Himmel, frischere Luft und billigeren Preis als China hat. Und Deutschland hat viele Sorten Wurst! Es gefällt mir sehr! Deshalb wollte ich nach Deutschland gehen. Andererseits wollte ich ein verschiedenes und selbständiges Lenben. Ich wollte allein leben.“ (DaF-Lerner*in an einer chinesischen Universität, studienbegleitender Deutschunterricht) Claudia Riemer 168 4 Die affektiv-emotionale Dimension im Fremdsprachenunterricht ernst(er) nehmen Aus den angesprochenen Forschungslinien und konzeptuellen Überlegungen ergibt sich, dass im Fremdsprachenunterricht die affektiv-emotionale Dimension berücksichtigt sowie dem Ausdruck von Emotionen im Lernalltag und in der Unterrichtsinteraktion und von Emotionen als (auch sprachlichem) Gegenstand stärker Beachtung geschenkt werden sollten. Die Forschungsbefunde stützen zum einen didaktische Prinzipien eines lernerorientierten Fremdsprachenunterrichts sowie Prinzipien der Förderung von Lernerautonomie und liefern Beiträge für Diskussionen z.B. um die Notwendigkeit und die Grenzen von modifizierten Unterrichtsangeboten, Lernberatung, Individualisierung und Binnendifferenzierung (vgl. Ellis/ Shintani 2014, 283-317). Gerade der affektiv-emotionalen Dimension kommt eine besondere Bedeutung im Fremdsprachenunterricht zu, da sie - anders als andere personale Faktoren wie die oben kurz erwähnte Sprachlerneignung - durch Erlebnisse und Erfahrungen innerhalb und außerhalb des Unterrichts veränderbar sind: durch Stärkung selbstbestimmterer Formen der Motivation mittels Handlungs- und Projektorientierung, durch die Entwicklung und Stärkung positiver L2-Selbstkonzepte durch die Thematisierung (erstrebenswerter) Visionen zum Leben in und mit der L2 (vgl. MacIntyre/ Gregersen 2012 sowie vielfältige Didaktisierungen in Gregersen/ MacIntyre 2014). Die Forschungsergebnisse deuten aber auch darauf hin, dass Angst im Fremdsprachenunterricht (Sprechangst, soziale Angst, Angst vor der Lehrer*in und Umgang mit Fehlern) für viele Lerner*innen zum Alltag des Fremdsprachenlernens gehört und intensiverer Reflexion bedarf - auch in der Lehrer*innenbildung (vgl. exemplarisch Nerlicki/ Riemer 2012). Zum anderen deuten Befunde aus der L2-Motivationsforschung, die sich weniger mit dem Englischlernen und stärker mit dem Erlernen von Folgefremdsprachen beschäftigen, darauf hin, dass das Anknüpfen an vorhandene Sprachlernerfahrungen und mitgebrachte Mehrsprachigkeit, z.B. die Nutzung (nicht nur) vorhandener Englischkenntnisse, in die Realität des Fremdsprachenunterrichts stärker einzubringen ist (vgl. exemplarisch Riemer 2016b). Für die Didaktik des Deutschen als Fremdsprache und anderer typischer (schulischer) Folgefremdsprachen stellen sich besondere Herausforderungen, Lerner*innen für das Sprachenlernen zu gewinnen, sie zu halten und Sprachkompetenz jenseits des Englischen als erstrebenswerte Vision zu entwickeln (vgl. die Beiträge von Caspari; Martinez sowie Schmelter in diesem Band). 2 2 Insofern ist erfreulich, dass die internationale Forschung sich inzwischen stärker für motivationale Prozesse des Lernens von sogenannten languages other than English (LOTEs) interessiert (vgl. exemplarisch konzeptionelle Beiträge und Forschungsbefunde in Ushioda/ Dörnyei 2017 sowie die Meta-Studie von Mendoza/ Phung 2019). Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den motivationa- Was Fremdsprachenlerner*innen bewegt … 169 Interessante Anknüpfungspunkte liefern außerdem die neueren Überlegungen aus der Positiven Psychologie: Wie positive Emotionen, z.B. Freude am Sprachenlernen und Begeisterung über Entitäten der zu erlernenden Sprache und Kultur, geweckt werden können, ist ein noch vielfältig zu bearbeitendes Feld. Wichtig wäre es aus DaF-Perspektive und der Perspektive anderer typischer Folgefremdsprachen, dass motivationale Effekte sprachen- und bildungspolitischer Bedingungen und auch fremdsprachlicher Unterrichtsroutinen (z.B. Langeweile und andere Ermüdungserscheinungen durch immer gleiche Unterrichtshandlungen, bei denen lediglich die Sprache variiert) stärker in den Blick genommen werden, z.B. in der Lehr-/ Lernmaterialentwicklung. Aber auch der Mikroebene der Unterrichtsinteraktion sollte mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. So schlägt z.B. Swain (2013, 205f.) vor, dass Lehrer*innen ihren Lerner*innen wirklich zuhören sollten, auf welche Weise Lernaufgaben affektiv-emotional unterlegt durch die Lerner*innen bearbeitet werden; Emotionen bzw. dem Ausdruck von Emotionen sollte im Unterricht mehr Raum gegeben werden. Solche Appelle erinnern uns daran, dass bereits Schwerdtfeger (1997) dafür plädiert hat, dass sowohl in der Forschung als auch im Unterricht dem sprachlichen Ausdruck von Emotionen in der L2 und ihrer Verankerung in sozialen und kulturellen Konventionen größeres Gewicht im Fremdsprachenunterricht beigemessen werden sollte. Auf diese Weise werden Emotionen als Lern- und Reflexionsgegenstand Teil in der Entwicklung soziokultureller Kompetenz in einer L2. Hier sehe ich auch unmittelbare Anknüpfungspunkte an kulturwissenschaftliche Ansätze sowie kompetenzorientierte Ansätze in der fremdsprachlichen Literatur- und Landeskundedidaktik. Literatur Al-Hoorie, Ali H./ MacIntyre, Peter (Hrsg.) (2020): Contemporary Language Motivation Theory. 60 Years since Gardner and Lambert (1959). Bristol etc.: Multilingual Matters. Arnold, Jane (Hrsg.) (1999): Affect in Language Learning. Cambridge: Cambridge University Press. Bigelow, Martha (Bearb.) (2019): “(Re)considering the role of emotion in language teaching and learning”. Mit einem Positionspapier von Matthew T. Prior und Kommentaren von James P. Lantolf/ Merril Swain, Sarah Benesch, len Dimensionen des Lernens und Lehrens spezifischer (Folge-)Fremdsprachen (sowie des gleichzeitigen Lernens unterschiedlicher Fremdsprachen) inkl. ihrer regionalen (u.a. soziokulturellen, ökonomischen, bildungspolitischen) Bedingungen stellen jedoch noch vielfältige Forschungslücken bereit. Claudia Riemer 170 Jean-Marc Dewaele, John H. Schumann und Kaishan Kong. In: The Modern Language Journal 102/ 2, 515-544. Block, David (2003): The Social Turn in Second Language Acquisition. Edinburgh: Edinburgh University Press. Brandstätter, Veronika/ Schüler, Julia/ Puca, Rosa Maria/ Lozo, Ljubica (Hrsg.) (2018): Motivation und Emotion. 2. Aufl. Berlin: Springer. 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Wir müssen nur wollen Die emotionale Dimension fremdsprachlicher Lehr- Lernprozesse Henning Rossa Wir können alles schaffen genau wie die tollen dressierten Affen wir müssen nur wollen wir müssen nur wollen wir müssen nur wollen Wir müssen nur (Holofernes 2012) 1 Einleitende Beobachtungen zur Bedeutung von Emotionen im Fremdsprachenunterricht Das vorangestellte Zitat aus einem Songtext der Band ‚Wir sind Helden‘ enthält eine These, die sich aus meiner Sicht als Verweis auf die allgegenwärtige emotionale Dimension von Lehr-Lernprozessen lesen lässt: Wir müssen nur wollen. Im Unterricht, der von Schulgesetzen, Standards, Lehrplänen, Lehrwerken usw. gerahmt wird, sind die Akteurinnen und Akteure andauernd mit der Aufgabe beschäftigt, Widersprüche zwischen Müssen und Wollen auszuhalten. Dabei wirkt sich ihre emotionale Beteiligung an den Lehrsituationen bzw. Lerngelegenheiten im Unterricht auf ihre Bereitschaft aus, sich zu engagieren, denn „Emotionen signalisieren, ob, was und wie gelernt werden soll“ (Hascher/ Brandenberger 2018, 301). Emotionen wird in der pädagogischen Psychologie zudem eine direkte Beteiligung an kognitiven Prozessen (Wissen internalisieren, im Gedächtnis verankern) zugeschrieben: Die indogermanische Wurzel des Wortes Lernen „lais“ bedeutet „Spur“. Emotionen hinterlassen ihre „Spuren“ im Gedächtnis und sind unmittelbar an Lernprozesse geknüpft. Wenden wir uns dem Verhältnis von Lernen und Emotionen zu, so begegnet uns diese Relation als wechselseitig: Lernen hat Einfluss auf Emotionen und umgekehrt (Fritz/ Hussy/ Tobinski 2018, 210). Emotionen spielen demnach eine unmittelbare, allgegenwärtige, sinnstiftende Rolle, die für den Fremdsprachenunterricht und seine kommunikativen Aushandlungsprozesse von besonderer Bedeutung ist. Es liegt daher nahe, in Emotionen nicht nur einen ‚Faktor‘ im komplexen Netzwerk der Bedingungen, Angebote, Prozesse und Ergebnisse des Unterrichts zu sehen, sondern Henning Rossa 174 eine ganz grundlegende Dimension der Lehr-Lernprozesse, für die im Unterricht bewusst Raum geschaffen werden muss. 2 Theoretische Überlegungen zum Begriff ‚Emotion‘ In einer der eindrücklichsten Episoden, die ich zum Einstieg in die Berufspraxis als Englischlehrer erlebt habe, zerreißt ein Schüler meiner siebten Klasse zu Beginn der Klassenarbeit laut brüllend sein Heft und den Aufgabenzettel, steht auf und schmeißt das Pult um, das mit einem lauten Knall auf dem Boden landet. „Ich schaff das ja eh nicht! “, schreit er wütend, mit Tränen in den Augen. Ich bin sprachlos, fühle mich verantwortlich (Waren die Aufgaben vielleicht wirklich zu schwierig? ) und überlege hastig, was ich jetzt tun kann, um ihm zu helfen. Der Rest der Klasse arbeitet still weiter, während ich versuche, den bebenden Schüler zu beruhigen, ihm Mut zuzusprechen. Ein Mitschüler, der offenbar bemerkt, dass mich die Situation auch emotional mitnimmt, kommentiert lakonisch „Keine Sorge, Herr Rossa. Das macht der öfter.“ Episoden wie diese decken die Allgegenwärtigkeit von Emotionen im Unterrichtsgeschehen auf. Sie sind der „elephant in the room“ (Swain 2013, 195): ein Phänomen, das alle Beteiligten wahrnehmen aber aus Furcht vor negativen Konsequenzen lieber nicht besprechen. So geschehen die emotionale Bewertung und Verarbeitung der typischen Unterrichtssituationen im Normalfall still und weitgehend privat. Wenn Emotionen entgegen der mehr oder weniger impliziten Absprachen zur unterrichtlichen Interaktion (Halte dich an die Gesprächsregeln, konzentriere dich, beachte die Aufgabenstellung! ) offenbar werden, dann tritt aus einer soziokulturellen Perspektive die innere Sprache an die Oberfläche, wie Swain (2013) unter Verweis auf Vygotskij (2002/ 1934; Swain/ Kinnear/ Steinman 2015) analysiert: „This inner speech often surfaces as private speech when a person faces a complex problem and tries to regain control of his or her cognitive activity“ (Swain 2013, 201). Der Begriff ‚Emotion‘ wird im Kontext des Lehrens und Lernens vielfältig definiert und zudem in Abgrenzung zu - oder synonym mit verwandten Begriffen wie ‚Gefühl‘, ‚Affekt‘, ‚Stimmung‘, ‚Befinden‘ benutzt. In diesem Beitrag beziehe ich mich auf drei Eigenschaften von ‚Emotionen‘, die die Erziehungswissenschaftlerinnen und Unterrichtsforscherinnen Tina Hascher und Claudia Sutter-Brandenberger in ihrem Überblicksbeitrag zum Thema „Emotionen und Lernen im Unterricht“ beschreiben: (1) Emotionen sind Gefühlsregungen, die sich meist auf einen Auslöser zurückführen lassen und daher relativ konkret bestimmbar und beschreibbar sind, z.B. Freude über einen Erfolg oder Angst vor einer Leistungssituation. (2) Emotionen sind ein Ausdruck subjektiver Bewertung und Bedeutungszuschreibung. Deshalb werden sie auch als „hot cognitions“ bezeichnet. Weist eine Situation keine persönliche Relevanz auf, dann entstehen in der Regel Die emotionale Dimension fremdsprachlicher Lehr-Lernprozesse 175 auch keine Emotionen; die Situation lässt einen „kalt“. (3) Werden Emotionen erlebt, dann rückt dies den Zustand einer Person in den Mittelpunkt des Bewusstseins. Emotionen begleiten unser Denken, Handeln und Tun (Hascher/ Brandenberger 2018, 291). Diese holistische Perspektive auf das emotionale Erleben hat in der theoretischen Modellierung von Emotionen zur Unterscheidung mehrerer Komponenten geführt (vgl. Izard 1999): 1. affektive Komponente (das mit der Emotion ausgelöste subjektive Erleben einer Person), 2. kognitive Komponente (die mit der Emotion zusammenhängenden Gedanken und Bewertungen), 3. expressive Komponente (das mit der Emotion verbundene Ausdrucksverhalten), 4. motivationale Komponente (der durch die Emotion initiierte Handlungsimpuls), 5. physiologische Komponente (die durch eine Emotion hervorgerufenen Körperreaktionen) (Hascher/ Brandenberger 2018, 291). Im Unterricht lassen sich die Emotionen der Beteiligten angesichts ihrer Bedeutung für Erleben, Affekt, Kognition und Motivation als eine wichtige Dimension der Lehr-Lernprozesse und als Voraussetzungen und Ergebnisse des Lehrens und Lernens fassen. In diesem Beitrag nähere ich mich dem Thema aus der Perspektive der Lehrperson, die im Unterrichtsgeschehen gewissermaßen ‚online‘ das emotionale Erleben des eigenen Handelns und der Interaktion im Klassenraum wahrnimmt und reguliert. Gleichzeitig sind Lehrerinnen und Lehrer mit den mehr oder weniger stark verbalisierten oder auf andere Weise offenbarten kognitiven und expressiven Komponenten der Emotionen ihrer Schülerinnen und Schüler konfrontiert. Akute Gefühlszustände des persönlichen Erlebens lassen sich per definitionem ‚von außen‘ nicht gut prognostizieren oder regulieren. Insofern zählen die Emotionen der Lernenden zu den vielen Unwägbarkeiten, auf die sich die Lehrperson im Unterricht einlässt. Angesichts ihrer engen Verknüpfung mit Sinnzuschreibungen, subjektiven Bewertungen und dem Empfinden einer „persönliche[n] Relevanz“ (ebd.) in der (Lern-)Situation zählt die Frage, inwiefern es im Unterricht gelingt, Emotionen auszulösen, zweifellos zu den wesentlichen Gelingensbedingungen. 3 Emotionen und fremdsprachliche Lehr-Lernprozesse Die Aufgaben, die Lehrpersonen im Spannungsfeld der oft widersprüchlichen Erwartungen, Voraussetzungen, Bedürfnisse und Ziele der am System Schule und Unterricht Beteiligten bewältigen müssen, stellen besondere Anforde- Henning Rossa 176 rungen an ihre Fähigkeiten, Emotionen wahrzunehmen, auszudrücken und zu regulieren (Benesch 2012). Die Bewältigung der emotionalen Anforderungen und Belastungen im Unterricht wird zusätzlich erschwert durch die historisch tradierte Überzeugung, Emotionen seien beim Lernen und Lehren eher hinderlich: „Teachers and students alike are therefore trained to manage their emotions privately so that they can behave in ways that are considered appropriate for the classroom“ (Benesch 2018, 2). Aus dieser soziopolitischen Perspektive ist zu erkennen, dass Unterricht von Lehrenden und Lernenden emotion labor, d.h. Anstrengungen mit Blick auf eine selbstgesteuerte Regulierung von Emotionen einfordert (Benesch 2019). Es steht außer Frage, dass gänzlich unregulierte Emotionen, die mit einer ungehemmten expressiven Komponente einhergehen, das Lehren und Lernen im Unterricht unmöglich machen würden. Eine stark ablehnende Haltung gegenüber der emotionalen Dimension von Lehr-Lernprozessen lässt andererseits auf ein mechanistisches Menschenbild schließen und erinnert an „die von den pädagogischen Reformern in jeder Generation beklagte kartesianische Trennung von Körper und Geist als Irrtum der Geistesgeschichte“ (Bleyhl 1998, 21). In den theoretischen Diskursen zur Konzeptualisierung von Emotionen lassen sich zwar spätestens seit Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts zunehmend Versuche erkennen, eine „Versöhnung und Integration von Vernunft und Leidenschaft, von Geist und Körper sowie von Kognition und Emotion“ zu erreichen (Huber/ Krause 2018, 3). Für die deutschsprachige Fremdsprachenforschung ist aber festzustellen, dass weder die von Schwerdtfeger (1997, 603) geforderte anthropologisch-narrative „Neuorientierung des Fremdsprachenunterrichts“, noch eine intensivierte Erforschung der „sinnlichen und emotionalen Möglichkeiten beim Sprachenlernen“ (Vollmer et al. 2001, 65) zu beobachten sind. Dabei müssen wir nur wollen: Um in eine neue Richtung zu gehen, die von vornherein von einer Verknüpfung von Emotionen und Kognition ausgeht, muß der Fremdsprachenunterricht, muß die Erforschung des Fremdsprachenunterrichts sich erst auf neue Grundlagen besinnen. Diese liegen bereits alle vor. Sie müssen nur zusammengefügt werden, und schon steht vor uns ein ganzer Fremdsprachenlernender, als ein Mensch, der Gefühle, Leib und Verstand hat und der eine Sprache spricht und lernt, die immer schon emotional-leiblich verfaßt ist (Schwerdtfeger 1997, 598). Wenn die notwendigen theoretischen Bausteine tatsächlich so auf der Hand liegen, stellt sich die Frage, wieso das wiederholt identifizierte Forschungsdesiderat der emotionalen Dimension des Fremdsprachenunterrichts weder in theoretisch-konzeptuellen noch in empirischen Forschungsbemühungen eingelöst wurde. Bleyhl (1998, 22) sieht dafür ironischerweise eine sinnlich- Die emotionale Dimension fremdsprachlicher Lehr-Lernprozesse 177 emotionale Ursache in der Verantwortung: „[D]ie traditionelle mainstream- Didaktik hatte noch keine Lust“. Die Dominanz der Lernerorientierung (Stichworte: Autonomie, Lernstrategien, Motivation, Diagnose und individuelle Förderung) in Theorie und Praxis des Fremdsprachenunterrichts hat seit den 1960er Jahren ja durchaus den Weg für ein Interesse an den Emotionen der Lernenden und mittlerweile auch der Lehrpersonen geebnet (Beermann 2010; Königs 2014; Martínez Agudo 2018), aber der enge Fokus auf isolierte - wie auch in den Leitfragen zur diesjährigen Frühjahrskonferenz - als ‚Faktoren‘ modellierte, meist negative Emotionen und ihre Wirkung auf kognitive Lernprozesse wird in den einschlägigen Studien erst in letzter Zeit erweitert (MacIntyre/ Gregersen 2012; Dewaele/ Witney/ Saito/ Dewaele 2018; Dewaele 2019; Zhang 2019). Neben epistemologischen und methodologischen Problemen, die eine umfassende und systematische Untersuchung von Emotionen im Rahmen der Faktorenkomplexion Fremdsprachenunterricht aufwirft, fordert sie aus meiner Sicht auch eine veränderte Perspektive auf Lernende, Lernprozesse und Lerngegenstände heraus: Eine stärker an der emotionalen Dimension des Lehrens und Lernens orientierte fremdsprachendidaktische Unterrichtskonzeption relativiert die Überzeugung, Emotionen sollten in Unterrichtskonzepten und -planungen, in Lernsituationen und Verfahren der Leistungsmessung möglichst ausgeklammert werden. Wenn wir Emotionen als Privatsachen abtun, die autonom und still zu regulieren seien, um die Progression der vorgesehenen Lernschritte im Unterricht nicht zu gefährden, ignorieren wir die soziale, auf reziproke Beziehungen gebaute Architektur des Unterrichts, vernachlässigen „die Idee gegenseitigen Verpflichtetseins“ (Felten 2020) und womöglich auch das Potenzial der Ko-Konstruktion von emotional vermittelten Kognitionen in dialogischen, kollaborativen Unterrichtsphasen (vgl. Swain 2013, 202-203 zum Konzept des languaging). Diese ganzheitliche Perspektive würde schließlich auch die weiterhin recht stabile Überzeugung revidieren, eine Fremdsprache sei als Unterrichtsgegenstand zu konzeptualisieren, den man losgelöst von der Frage der individuellen emotionalen Zugänge der Lernenden ‚durchnehmen‘ könne. Wenn wir stattdessen den Prozess des Internalisierens/ Inkorporierens der Fremdsprache in konkreten Anwendungssituationen als „das leibliche Moment des Lernens“ (Hackl 2017, 142) in den Blick nehmen, ermöglicht dies auch einen Anschluss an handlungsbzw. kompetenzorientierte Ansätze (vgl. Hallet/ Legutke 2013). Auf der Ebene der theoretischen Modellierung von Unterricht bieten die interdisziplinären Diskurse um das gesellschaftspolitische Ziel der inklusiven Bildung wertvolle Anknüpfungspunkte (Stichworte: gemeinsames Lernen, Teilhabe für Alle, Entfaltung individueller Potenziale, Berücksichtigung individueller Lernvoraussetzungen) für eine bewusste Aufnahme der Emotionen in fremdsprachendidaktische Unterrichtskonzepte (Roters/ Gerlach/ Eßer 2018; Saito/ Dewaele/ Abe/ In'nami 2018). Anhand des Rahmenkonzepts uni- Henning Rossa 178 versal design for learning (CAST 2018) möchte ich in diesem Beitrag skizzieren, wie die emotionale Dimension von Lernprozessen schon in der Planung vielfältiger, persönlich bedeutsamer Zugänge zu Fremdsprachen berücksichtigt werden könnte. Zimmermann (1998, 212) forderte zur 18. Frühjahrskonferenz, die sich mit dem „Schlüsselbegriff“ ‚Kognition‘ (Bausch/ Christ/ Königs/ Krumm 1998) beschäftigte, eine stärkere Prozessorientierung des Fremdsprachenunterrichts, der die „kognitiv-emotional-motivationalen“ Prozesse bislang „kaum in den Blick“ nehme und die „Vermittlung prozeduralen Strategiewissens“ vernachlässige. Er empfiehlt, „Fragen der Schüler zum Unterricht, zu den eigenen Lernprozessen und deren der Mitschüler nicht nur zuzulassen, sondern auch zu ermutigen und zu fördern“, und begründet dies mit der Notwendigkeit, Bedeutungen in der unterrichtlichen Interaktion gemeinsam auszuhandeln: Da die Schüler aus den eingehenden Daten und ihren eigenen Zielen, Interessen, aufgrund ihres Vorwissens und ihrer Strategien Bedeutung individuell (re)konstruieren müssen, was häufig nicht gelingt, sind sie auf die Äußerung von Lernproblemen und Hilfen bei ihrer Bewältigung angewiesen (Zimmermann 1998, 212-213). Die didaktische Empfehlung, ein möglichst unterstützendes Lernklima zu schaffen, in dem positive Emotionen erzeugt und verstärkt (und negative reduziert oder abgeschwächt) werden, muss aus meiner Sicht insofern erweitert werden, dass gerade die als schwierig (enttäuschend, frustrierend, entmutigend) empfundenen Lernsituationen gemeinsam besprochen und über einen konstruktiven Umgang mit diesen Schwierigkeiten beraten wird. So könnte auch das gelingen, was Felten (2020) „mehr Betonung des Gemeinschaftlichen“ nennt: „Dass Lehrer zum Beispiel Gelegenheiten schaffen, dass Schüler sich über ihre Sorgen aussprechen können, etwa in einem moderierten Klassenrat, oder dass sie einander beim Lernen unterstützen“ (ebd.). 4 Access for All! Emotional-kognitive Zugänge zu Lerngelegenheiten im Fremdsprachenunterricht ermöglichen Aus diesen Ausführungen wird klar, dass sich zwei grundlegende Bedingungen für gelingenden Fremdsprachenunterricht, nämlich eine ganzheitliche Schülerorientierung und kognitive Aktivierung ohne Offenheit der Lehrperson gegenüber den emotionalen Sinnzuschreibungen der Lernenden schlechterdings nicht umsetzen lassen, wie bereits Vollmer et al. (2001) bemerken: Kognitionen im Fremdsprachenunterricht laufen nicht einfach nur ab, sie können und müssen gefördert und z.T. auch „provoziert" werden, und zwar in enger Anbindung an die affektiven Prozesse und Emotionen des Lernenden. Dies sollte geschehen in einem Klima der permanenten Ermutigung durch va- Die emotionale Dimension fremdsprachlicher Lehr-Lernprozesse 179 riantenreiche positive Rückmeldung, der gemeinsamen Erzeugung von Lernfortschritten und der Empathie für mögliche Fehlleistungen (ebd., 64). Die Autorinnen und Autoren betonen hier die These, dass die Aktivierung von Lernerkognitionen von einer für Emotionen und potenzielle Lernschwierigkeiten sensiblen, empathischen Haltung abhängt. Mit diesem zugegebenermaßen impliziten Verweis auf die Ganzheit von Emotion und Kognition sowie auf die Perspektiven der „sogenannten ‚lernschwachen‘ Schülerinnen und Schüler“ (Rossa 2015, 172) berühren sie zwei „blinde Fleck[en] fachdidaktischer Forschung“ (ebd.), die seit einiger Zeit insbesondere in den Diskursen zum inklusiven Fremdsprachenunterricht neue Aufmerksamkeit erfahren (Schlaak 2015). Die Aufgabe, eine inklusiven Konzeption des Fremdsprachenunterrichts zu entwickeln, erinnert uns als Forschende und Lehrende an die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Perspektive auf den Unterricht, in der wir „die Unterschiede [der Lernenden] annehmen, aber auch erkennen, sowie spezifische Eigenheiten und individuelle Bedarfe [unserer] Schüler akzeptieren“ (Schlaak 2014) und die unterschiedlichen „Zugangs-, Ausdrucks- und Motivationsmöglichkeiten aller Lernenden“ (Krause/ Kuhl 2018, 190) bei der Planung und Gestaltung des Unterrichts und seiner Erforschung bedenken. Insgesamt ist angesichts dieser Überlegungen zur Rolle von Emotionen und Kognitionen sowie zum inklusiven Unterricht offenbar eine verstärkte Adaptivität in der Planung und Durchführung von Unterricht anzustreben, die die Ressourcen der Lernenden berücksichtigt und mögliche Hindernisse und Beeinträchtigungen des Lernens antizipiert. Dieses Prinzip wird bei der Entwicklung inklusiver didaktischer Ansätze in der Sonderpädagogik und den Rehabilitationswissenschaften ebenfalls betont (vgl. Wember/ Melle 2018). Es geht dabei nicht etwa um eine maximale Individualisierung der Lerngegenstände und Lernwege, sondern vielmehr um ein breit nutzbares Lehr- Lernarrangement, das möglichst viele Zugänge und Verarbeitungswege ermöglicht. Ein Modell, das diese Anforderungen in den Mittelpunkt stellt, und somit auch eine stärkere Berücksichtigung der Emotionen beim Lehren und Lernen ermöglichen kann, ist das universal design for learning (UDL). Das UDL ist ein neuropsychologisch informiertes Rahmenkonzept, das die vom Architekten Ronald Mace in den 1970er Jahren entwickelten gestalterischen Leitlinien des universal design, einer barrierefreien Architektur, die ohne besondere Hilfsmittel und Anpassungen für Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten nutzbar sein soll (Mace 1998), auf Unterricht anwendet (Hall/ Meyer/ Rose 2012). Die uneingeschränkte Zugänglichkeit der Lerngegenstände für alle Lernenden (access for all) ist das grundlegende Ziel der UDL guidelines, die das Center for Applied Special Technology (CAST 2018) veröffentlicht und weiterentwickelt. Die zentralen Prinzipien und die ihnen aus neurowissenschaft- Henning Rossa 180 licher Perspektive zugeordneten Anforderungsbereiche dieser Handreichung lauten: I. Provide Multiple Means of Representation (Recognition Networks) II. Provide Multiple Means of Action and Expression (Strategic Networks) III. Provide Multiple Means of Engagement (Affective Networks) (CAST 2018) Diese Prinzipien werden in der Publikation von CAST in Form von didaktisch-methodischen Empfehlungen ausdifferenziert und müssen für fachliches Lernen inhaltlich konkretisiert und angepasst werden. Die Prinzipien I. und II. weisen dabei offenkundige Verbindungen zu Konzepten und Unterrichtstechniken auf, die in den Fremdsprachendidaktiken bereits adaptiert und etabliert wurden (vgl. Krause/ Kuhl 2018, 189). So verweist das erste Prinzip auf möglichst vielfältige, d.h. multimediale bzw. multimodale Zugänge zu den Lerngegenständen und Unterrichtsmaterialien. Auch die begründete Auswahl aus verschiedenen Formen der impliziten und stärker expliziten Spracharbeit und das fundamentale Problem der Verständlichkeit des fremdsprachlichen Inputs lassen sich auf die Frage der multiplen Repräsentation der Lerngegenstände beziehen. Das zweite, handlungsorientierte Prinzip berührt die grundlegenden fremdsprachendidaktischen Konzepte der Kommunikation, Bedeutungsaushandlung und Metakognition, während das dritte Prinzip in seinem neurowissenschaftlich informierten Verweis auf affective networks die Relevanz der Emotionen für das Lernen explizit hervorhebt und eine Verbindung zu den didaktischen Konzepten der Lernerautonomie, Sinnstiftung und des selbstgesteuerten Lernens impliziert. Die folgende Auswahl (5 von 10 didaktisch-methodischen Empfehlungen zu Prinzip III. „Provide Multiple Means of Engagement“ der UDL Checkliste, CAST 2018) eignet sich aus meiner Sicht besonders dazu, die emotionale Dimension von Lernprozessen in der Unterrichtsplanung zu bedenken und auf der Mikroebene der unterrichtlichen Interaktion aufzugreifen: - Optimize relevance, value, and authenticity (7.2) Im kommunikativen Fremdsprachenunterricht gilt es, Lernende dazu anzuregen, über persönliche Bezüge zum Unterrichtsthema nachzudenken. Es mag sich mit Blick auf eine emotionale Bewertung der kommunikativen Situationen im Unterricht lohnen, zu reflektieren, was den Schülerinnen und Schülern wichtig erscheint und Überlegungen anzustellen, aus welchen Gründen diese Zuschreibung von Bedeutung so empfunden wird. Die emotionale Dimension fremdsprachlicher Lehr-Lernprozesse 181 - Minimize threats and distractions (7.3) Kommunikative Rituale und eine angemessene Variabilität bzgl. der Ausprägung des scaffolding und des geforderten Arbeitstempos können helfen das Risiko für eine (empfundene) Überforderung der Lernenden zu minimieren. - Foster collaboration and community (8.3) - Promote expectations and beliefs that optimize motivation (9.1) - Facilitate personal coping skills and strategies (9.2) Zur Stärkung positiver Emotionen im Fremdsprachenunterricht können Gelegenheiten für das Erleben von Gemeinschaft und Selbstwirksamkeit in kollaborativen Lernsituationen geschaffen werden, z.B. durch inquiry-based learning (Lee/ Smagorinsky 2000). Als Ergänzung zum konstruktiven Umgang mit negativen Emotionen bieten sich Gelegenheiten zur Selbstreflexion an, wie z.B. eine Übung, in dessen Verlauf die Schülerinnen und Schüler angeleitet werden, sich realistische Ziele zu setzen und mit Frustrationen und Angstgefühlen umzugehen. 5 Ausblick zur Erforschung der emotionalen Dimension fremdsprachlicher Lehr-Lernprozesse Ich habe in diesem Beitrag das Thema auf die Mikroebene der unterrichtlichen Interaktion bezogen, weil ich vermute, dass wir die Rolle und Wirkung der Emotionen in Lehr-Lernprozessen besser verstehen können, wenn wir diesen Prozessen möglichst nahekommen. Die Prinzipien und Lehr- Lerntechniken, die ich vorangegangenen Abschnitt ausgewählt und kurz skizziert habe, implizieren einen Forschungsansatz, der den Fokus auf die Binnenstrukturen dieser Prozesse richtet und dabei das Ziel verfolgt „forschungsbasierte und praxistaugliche Unterrichtsdesigns“ (Hußmann et al. 2013, 25) zu entwickeln. Der Ansatz des educational design research (van den Akker/ Gravemeijer/ McKenney/ Nieveen 2006) scheint dazu besonders geeignet zu sein, da er die Zyklen pädagogischer und didaktischer Entwicklungsarbeit (Analyse, Design, Evaluation, Überarbeitung) im Forschungsdesign nachzeichnet und so in diesem Kontext Erkenntnisse sowohl zur Praktikabilität inklusiv ausgerichteter Unterrichtsdesigns im Sinne einer stärkeren Berücksichtigung der emotionalen Dimension des Unterrichts, als auch zum fachdidaktischen Entwicklungsprozess selbst ermöglicht. Literatur Bausch, Karl-Richard/ Christ, Herbert/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (1998): Kognition als Schlüsselbegriff bei der Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen: Arbeitspapiere der 18. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr. Henning Rossa 182 Beermann, Christian (2010): „Emotionales Erleben im Französischunterricht am Ender der Sekundarstufe I - Eine Längsschnittstudie“. 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Ich war begeistert, in der Schriftstellerin und Lehrerin Emily Ruete (1844-1924), geboren in Beit il Mtoni bei Sansibar- Stadt als Sayyida Salme Prinzessin von Oman und Sansibar, die nach ihrer Heirat mit dem deutschen Kaufmann Rudolph Heinrich Ruete 1866 nach Deutschland übergesiedelt war, eine Frau zu finden, die sich aus einer für damalige Zeiten noch recht ungewöhnlichen Perspektive über das deutsche Schulsystem äußerte. Es war die Perspektive einer Frau, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Sultanstochter auf Sansibar erzogen worden war, jedoch über die Schulbesuche ihrer Kinder in Deutschland auch die deutsche Schule kannte und sich wohl zurecht als „eine[n] unbefangenen, in anderen Lebenskreisen aufgewachsene[n] Beobachter“ (Ruete 1886, 95) bezeichnete. Erst bei der weiteren Recherche für diesen Aufsatz las ich das deutsche Original dieser Textstelle und musste (gleichermaßen beschämt wie fasziniert) feststellen, dass meine Interpretation des Satzes falsch gewesen war: In der Verbalphrase „not forget the heart for the head“ wird head keinesfalls - so mein Verständnis - die semantische Rolle „Rezipient“ oder gar „Benefiziär“ zugeordnet: „ein Herz für den Kopf“. Ich hatte den Gedanken schön gefunden, dass der Kopf ein Herz bekommen sollte, dass also mehr emotionale Aspekte in unsere von Kognition, Intellekt und Ratio gesteuerte akademische Sicht auf Schule und damit auch in das Fremdsprachenlernen einfließen sollten - und, zugegebenermaßen, dass ich den Satz so wunderbar für die Frühjahrskonferenz gebrauchen konnte. Das deutsche Original „Mögen die Weisen fortfahren zu forschen und zu studieren; aber möge man nicht die Köpfe der Kinder mit all dem Wissen vollstopfen, das sie doch nicht zu fassen im Stande sind; möge man auch hier das rechte Maß halten und, ich komme immer wieder darauf zurück, möge man über dem Kopf vor Allem das Herz Jutta Rymarczyk 186 nicht vergessen“ (Ruete 1886, 98) gab nun all das nicht mehr her, denn „Kopf“ gerät zum „Instrument“ und „Herz“ zum „Thema“, wenn ihm nicht gar die semantische Rolle „Patiens“ zugeordnet wird. Es gibt also auch bei Ruete eine klare Trennung von Kopf und Herz, von Ratio und Emotio. Soweit zur Beschämung ob der falschen Interpretation. Fasziniert war ich aber - und deshalb widme ich dem Satz hier so viel Raum -, weil selbst die Fehlinterpretation unser Thema trifft. Meine Begeisterung für diese mutige Frau und die daraus resultierende positive Haltung ihr gegenüber hatten mich völlig blind sein lassen für die idiomatisch richtige Übersetzung und stattdessen die wörtliche wählen lassen. Vorurteile im positiven Sinn und stereotypes Denken bezüglich des vermeintlich blumigen Schreibstils der orientalischen Prinzessin führten zu einem falschen Textverständnis. Mit diesen Gedanken sei auf eine der drei Bedeutungen von Emotionen im Lernprozess Bezug genommen, die in den einleitenden Vorbemerkungen zu den Leitfragen des diesjährigen Themas der Frühjahrskonferenz genannt wurden: Emotionen fungieren als individuelle Voraussetzungen der Lerner*innen - aber auch der Lehrer*innen und Forscher*innen. 1 Affektiv-emotionale Faktoren als wesentliche Erklärungsfaktoren der Fremdsprachenforschung Die Länge der Vorbemerkungen zu den Leitfragen der diesjährigen Frühjahrskonferenz lässt auf die Komplexität des Themas schließen. So wird, wie bereits erwähnt, darauf hingewiesen, dass in der Fremdsprachenforschung gemeinhin von einer dreifachen Bedeutung der Emotionen im Lernprozess ausgegangen wird. Neben der o.g. Bedeutung (individuelle Voraussetzungen der Lerner*innen) werden Emotionen als Determinanten des Lernprozesses genannt sowie ihre Rolle als ein Ergebnis des Lernens. Die Frage, welche Variablen man im Mittelpunkt einer Beforschung der affektiv-emotionalen Faktoren im Rahmen von Fremdsprachenlernprozessen sieht, soll in diesem Beitrag lediglich auf die zweite Bedeutung (Emotionen als Determinanten des Lernprozesses) ausgerichtet beantwortet werden, denn bereits diese Funktion umspannt eine große Fülle verschiedener Einzelaspekte, von denen im Folgenden auf einige kurz näher eingegangen wird. Emotionen als Determinanten des Lernprozesses spielen eine entscheidende Rolle in der komplexen Beziehung von Identität und Fremdsprachenlernen (vgl. den gleichnamigen Titel des Bandes zur 33. Frühjahrskonferenz (Burwitz-Melzer/ Königs/ Riemer 2013)) und auch in der Verbindung von Inklusion, Diversität und dem Lehren und Lernen fremder Sprachen (vgl. wiederum den gleichnamigen Titel, diesmal des Bandes der 37. Frühjahrskonferenz (Burwitz-Melzer/ Königs/ Riemer/ Schmelter 2017)). Die Kombination beider Themen, Identität und Inklusion, behandelt beispielsweise Bellet (2017) in ihrem Aufsatz zur Integration von CLIL und sprachsensiblem „Let people above all not forget the heart for the head“ 187 Fachunterricht für Kinder mit einer anderen Erstsprache als Deutsch. Die Autorin zeigt eindrucksvoll auf, wie Grundschüler*innen einer Lerngruppe davon profitieren können, wenn sie in dafür vorgesehenen Unterrichtsphasen differenziert nach ihrer Familiensprache und individuellen Unterstützungsbedarfen die sachfachlichen Unterrichtsgegenstände entweder in der Zielsprache Englisch (bei Kindern mit Familiensprache Deutsch) oder in der zu erlernenden Zweitsprache Deutsch (bei Kindern mit Migrationshintergrund) vermittelt bekommen. Der Gewinn liegt für die letztgenannte Gruppe nicht nur im Anwachsen der zweitsprachlichen Kompetenz, sondern auch in dem als sicher und wertschätzend wahrgenommenen integrierenden Lernumfeld, das die Kinder dem Sprachenlernen positiv gegenübertreten lässt und ihre Persönlichkeit als Ganzes stärkt (Bellet 2017 und mündliche Information der Autorin). Ein weiteres Feld, in dem die Beachtung affektiv-emotionaler Faktoren unabdingbar ist, stellt das ästhetische Lernen im Fremdsprachenunterricht dar bzw. die Einbindung von Kunstwerken, seien sie aus dem Bereich der bildenden Kunst, der Musik, des Theaters oder der Literatur, des Films. Die theoretische Behandlung von Kunstwerken, ebenso wie die ästhetische Praxis in bilingualem Sachfachunterricht (Content and Language Integrated Learning - CLIL), führt die Lernenden zu einem Diskurs, der wie wohl kaum ein anderer die expressive Funktion von Sprache enthält, die mit einer besonders lernförderlichen Wirkung in Zusammenhang gebracht wird (vgl. Rymarczyk 2003, insbesondere Kapitel 2.3.2 „Das Fächerangebot zur Integration der affektiven Komponente“, 3.2.2.7 „Die expressive Funktion“ und „3.2.3 „Spezifische Sprachfunktionen des Kunstunterrichts“). Die Lernenden benutzen die Fremdsprache, um ihre „eigene Befindlichkeit, Haltung und individuelle Gedanken auszudrücken“ (Rymarczyk 2003, 164). Das lernförderliche Moment liegt dabei in dem persönlichen Ausdruck, der ein zentrales Moment des theoretischen sowie des praktischen Kunstunterrichts ist. Jede Versprachlichung eines ästhetischen Wahrnehmungs- und Gestaltungsprozesses hat primär expressiven Charakter und stellt die sprechende Person mit ihrem Denken, Fühlen und Handeln in den Mittelpunkt, wodurch ein Maximum an Schülerorientierung und Authentizität der sprachlichen Handlungen erreicht wird (ebd., S. 162 ff.). Ein weiterer Inhaltsbereich der Fremdsprachendidaktik, in dem Emotionen von Relevanz sind, ist der große Bereich der Motivation, zu dessen Erforschung wohl in erster Linie Zoltán Dörnyei zu nennen ist. Dörnyei betont in seinen Arbeiten zunehmend die zeitliche Dimension von Motivation, indem er auf ihren prozeduralen Charakter eingeht und ihre dynamische Komplexität unterstreicht (Dörnyei 2020, 41ff.). Positive Emotionen und insbesondere Passion werden über das Konzept der Vision zukunftsgerichtet mit Motivation verknüpft und als dem Zweitspracherwerb bzw. Fremdsprachenlernen zuträglich angesehen (Dörnyei 2020, 123ff.; 151f.). Jutta Rymarczyk 188 Im Kontext von Motivation sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es im Fokus des vorliegenden Aufsatzes nicht um Motivation als individuelle Voraussetzung der Lernenden geht, sondern um die Schaffung bzw. Aufrechterhaltung von Motivation durch die Lehrkraft. Zu einem nicht unwesentlichen Grad liegt es beispielsweise an der Lehrkraft, ob sie bei den Lernenden das Interesse an den Zielkulturen und folglich die Bereitschaft zur Aufnahme des fachlichen und sprachlichen Lernstoffs entwickeln kann. An dieser Stelle wird der Bezug unserer Betrachtungen zu Motivation im Klassenzimmer zu frühen Zweitspracherwerbstheorien deutlich, wie etwa dem „Acculturation Model of Second Language Acquisition“ von Schumann (1978). Eine der Zielkultur zugewandte Haltung bzw. Akkulturation an die Zielsprachengruppe - so Schumann - kann den Erwerb der Zielsprache befördern, während eine ablehnende Haltung den Zweitspracherwerbsprozess blockieren oder zumindest erschweren kann. Weitere Anknüpfungspunkte aus diesem Zeitraum sind beispielsweise Krashens „Language Acquisition Hypothesis“ bzw. der damit verbundene sogenannte „affektive Filter“ (Krashen/ Terrell 1983) sowie der Begriff der „Silent period“ (Krakowian 1981). Krashens Hypothese postulierte, dass ein hoher affektiver Filter ausgelöst durch Angst oder auch nur fehlende Motivation eine mentale Blockade verursachen kann, die es dem Lernenden nicht mehr erlaubt, Strukturen aus dem fremdsprachlichen Input aufzunehmen. Verfechter der „Silent period“ hingegen verwiesen auf die Notwendigkeit einer „pre-speaking period“; Lernende sollten zu Beginn ihres Spracherwerbsprozesses nicht zur Sprachproduktion gezwungen werden, um Beklommenheit oder gar Angst im Fremdsprachenunterricht zu vermeiden (Krakowian 1981). Aus heutiger Sicht scheint es eher angemessen zu sein, den Lernenden über task support oder scaffolding zu helfen, ihre Ängste abzubauen oder ihnen zumindest leichter gegenüber treten zu können. Task support kann zum Beispiel im Rahmen einer vielfältigen Lernumgebung ermöglicht werden, die Lernenden die Gelegenheit zu so genanntem minimal output (vgl. Rymarczyk 2003) gewährt. Schülerinnen und Schüler können in diesem Kontext Vermeidungsstrategien wählen, die den sicherheitsbestrebten Lernenden (non-risk taking learners) trotz aller unter Umständen bestehender Angst (foreign language anxiety) sich zu äußern, die Möglichkeit zu aktiver, (fremdsprachlich) produktiver Teilnahme am Unterricht bietet. Konkret erlaubt es die an Realien reiche Lernumgebung den Lernenden, sich mittels deiktischer Ausdrücke („This! “ - „That! “ etc.) in Verbindung mit entsprechenden Gesten zur Orientierung im Raum am Unterrichtsdiskurs zu beteiligen, ohne sich dem Risiko auszusetzen, fremdsprachliche Fehler zu produzieren. Aktuellere Ansätze zur Vermittlung von Fremdsprachen wie etwa aufgabenorientiertes Lernen oder Lernen an außerschulischen Lernorten, die unter anderem auf Grundsätzen wie etwa „Meaningful Content“ basieren, aber auch „Let people above all not forget the heart for the head“ 189 den Kontext des Lernens in den Mittelpunkt stellen, greifen ebenfalls den Aspekt der Minimierung negativer Emotionen (Unbehagen bis Angst) auf. So erläutert etwa Beecroft (2020) die Schaffung eines sicheren Ortes (safe space) in der Abhängigkeit von Aufgabenparametern. Konkret genannt werden hier z.B. die inhärente Struktur der Aufgaben, unterschiedlich anspruchsvolle Formen der Partizipation, die Länge und Komplexität der produzierten Äußerungen (Ein-Wort-Äußerungen bis hin zu kompletten Dialogen), task support, Lehrer-Schüler Diskurse, Differenzierung in der Aufgabenstellung sowie task-Progression (Beecroft 2020, 311). Rymarczyk (2016) zeigt anhand des Beispiels von Sprachenlernen im Museum, dass Lernende fremdsprachliches Agieren im öffentlichen Raum trotz seiner Authentizität durchaus nicht immer dem Klassenraum vorziehen, den sie als sheltered space empfinden. Es ist an den Lehrkräften, diese Räume zu schaffen. Die Variablen der Beforschung affektiv-emotionaler Faktoren im Rahmen von Fremdsprachenlernprozessen, oder anders ausgedrückt, die Determinanten der Lernprozesse sind folglich sehr vielfältig. Aus den bisherigen Ausführungen kristallisiert sich heraus, dass die Auswahl der Inhalte wesentlich ist für unser Thema, beispielsweise für die Herausbildung von Identität, dass methodische Entscheidungen relevant sind im Rahmen von Inklusion und Heterogenität, dass die fremdsprachlichen Schwerpunktsetzungen auf der expressiven Funktion Emotionen in das Unterrichtsgeschehen einbinden, und schließlich der Ort des Lernens, sein Kontext, zu beachten sind, wenn es gilt, Lernenden ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Mit der Nennung des Begriffs „Gefühl“ ist es nun unabdingbar, dieses Kapitel mit einer kurzen Diskussion der Termini „Gefühl“ und „Emotion“ abzuschließen. Ogasa (2011) definiert Emotionen als „ein komplexes System, das nicht auf das Bewusstsein angewiesen ist, zum größten Teil ohne dieses arbeitet, und den Menschen zu Handlungen und/ oder Äußerungen veranlassen kann, ohne dass dieser darauf Einfluss nehmen könnte“ (ebd., 96). Die Autorin leitet diese Definition aus den neurophysiologischen Emotionstheorien von Joseph LeDoux (2001) und Antonio Damasio (2000) ab, laut derer zwischen Gefühlen und Emotionen zu unterscheiden ist. Es wird dargelegt, dass Gefühle entstehen (und evolutionär entstanden) als Folge von Emotionen (laut LeDoux 2001 nach Ogasa 2011, 82ff.) und (laut Damasio 2000) als der bewusste Teil der Emotionen zu verstehen sind (Ogasa 2011, 90ff.). Wenn wir uns in der Diskussion also mit Emotionen auseinandersetzen, so ist zu beachten, dass sie kaum willentlich zu beeinflussen sind. Emotionen lösen Gefühlszustände aus, derer wir uns erst bewusst werden, wenn der biologische Prozess längst angelaufen ist: „Wir können Emotionen bewusst, d.h. willentlich, nur schwach beeinflussen, doch umgekehrt können die Emotionen das Bewusstsein dominieren“ (Ogasa 2011, 84). Die Autorin zitiert Damasio (2000), um zu veranschaulichen, dass wir uns der Emotionen nicht bewusst sind, wenn wir sie entwickeln: Jutta Rymarczyk 190 Häufig werden wir uns in einer gegebenen Situation ganz plötzlich bewusst, dass wir uns ängstlich oder unbehaglich, erfreut oder entspannt fühlen, und es ist ganz offenkundig, dass dieser besondere Gefühlzustand, den wir in diesem Augenblick erkennen, nicht im Augenblick der Erkenntnis, sondern schon einige Zeit vorher eingesetzt hat. Weder der Gefühlszustand noch die Emotion, die ihn ausgelöst hat, waren ‚im Bewusstsein‘, und doch haben sie sich als biologischer Prozess entfaltet (Damasio 2000, 51 in Ogasa 2011, 91). Diese Umstände lassen unseren Gegenstandsbereich noch einmal komplexer erscheinen: Emotionen beeinflussen unser Verhalten maßgeblich, sind aber nur „zeitversetzt“ erforschbar, da sie erst in ihrer nächsten Stufe als Gefühle unser Bewusstsein erreichen. Inwiefern andere (Lernende, Mitschüler*innen, Lehrende) dann die emotionalen Reaktionen richtig interpretieren, bleibt auch zunächst offen, denn „der Ausdruck von Emotionen [kann] durch Lernen und kulturelle Einflüsse verändert werden“ und unterliegt „individuelle[n] Schwankungen und der Tatsache, dass die Kultur bei der Ausformung einiger Auslöser eine Rolle spielt“ (Damasio 2000, 63 in Ogasa 2011, 91f.). Dieser Komplexität gilt es in fremdsprachendidaktischen Überlegungen Rechnung zu tragen. 2 Affektiv-emotionale Faktoren und die Forderung nach Kompetenzorientierung Einerseits wird die Kompetenzorientierung in der fremdsprachendidaktischen Theoriediskussion häufig kritisiert, zu einer Vernachlässigung der affektiv-emotionalen Faktoren geführt zu haben. In seinem Handbuchbeitrag „Kompetenzen und Standards“ spricht Küster (2016) sicher zurecht von „der Inhaltsleere des Kompetenzkonstrukts“ (ebd., 86), wodurch „eine Vernachlässigung von Zielen der Persönlichkeitsbildung“ stattfände sowie für die Lernenden eine geringere „Klärung [ihres] Selbst-Weltverhältnisses“ (ebd., 84). Andererseits haben verschiedene Autoren aber aus ihren individuellen Disziplinen bzw. Interessensfeldern heraus wiederholt auf die enge Verbindung von Kognition und Emotion hingewiesen. Zu nennen ist hier Piaget als früher Vertreter der Auffassung, dass die Energetik unseres Verhaltens der Affektivität entspringt, seine Strukturen allerdings aus kognitiven Funktionen hervorgehen (vgl. Piaget 1954/ 1995, 25). Vollmer (in Vollmer et al. 2001) betont ebenfalls, dass „Kognitionen [...] immer mit affektiven und attitudinalen Komponenten einher(gehen)...“ (ebd., 44), wie auch Ogasa (2011) schließlich, „die gegenseitige Bedingtheit von Emotion, Gedächtnis und Kognition“ hervorhebt, die „zu einem nicht trennbaren interagierenden System gehören“ (ebd., 17). In seinem oben bereits erwähnten Handbuchbeitrag stellt Küster (2016) nicht nur die Komponenten der Kompetenzorientierung heraus, die zu einer geringeren Beachtung von Emotionen in der Freundsprachendidaktik führen, „Let people above all not forget the heart for the head“ 191 sondern zeigt auch Charakteristika von Kompetenzorientierung auf wie etwa die Stärkung der „Selbst- und Selbstwirksamkeitskonzepte [als] wesentliches Anliegen didaktischer Bemühungen“ (Küster 2016, 84). Es wird ausgeführt, dass „die Individualität des lernenden Subjekts in den Mittelpunkt“ rücke, da es [c]harakteristisch für die Kompetenzorientierung [sei], dass sie an den Könnensbeständen der Lernenden ansetzt“ (ebd.). Dieses Ansetzen an den Könnensbeständen der Lernenden oder - um eine pädagogische Grundmaxime zu bemühen - „Die Schüler und Schülerinnen dort abholen, wo sie sind“ ist keineswegs nur auf Differenzierung bzw. Individualisierung der verschiedenen Lehr-/ Lernbzw. Unterrichtssituationen zu beziehen, sondern auf jedwede Art schulischer Interaktionsprozesse zwischen Lehrkräften und Lerner*innengruppen bzw. deren Grundvoraussetzungen. Ryan und Deci (2000) beispielsweise heben mit ihrer „Self-Determination Theory“ (SDT) auf wesentlich allgemeinere Ebenen ab: STD is an approach to human motivation and personality (…], its arena is the investigation of people’s inherent growth tendencies and innate psychological needs that are the basis for their self-motivation and personality integration, as well as for the conditions that foster those positive processes. (Ryan/ Deci 2000, 68) Mittels induktiver, empirischer Forschung haben die Autoren drei solcher Bedürfnisse (needs) identifiziert und zwar Kompetenz, Bezogensein (relatedness) und Autonomie, die essentiell zu sein scheinen für eine konstruktive, soziale Entwicklung sowie persönliches Wohlbefinden (ebd.). Noch wesentlicher als die Nennung von Kompetenz (hier zu verbinden mit der Definition bei Weinert 2001, 27f.) in der Aufzählung der Bedürfnisse ist m.E. Ryan und Decis Erwähnung nicht optimaler Herausforderungen (nonoptimal challenges) in ihrer Nähe zum Kompetenzkonstrukt, bezieht man sie auf die Passgenauigkeit schulischer (hier: fremdsprachlicher) Anforderungen an die Lernenden: Excessive control, nonoptimal challenges, and lack of connectedness, on the other hand, disrupt the inherent actualizing and organizational tendencies endowed by nature, and thus such factors result not only in the lack of initiative and responsibility but also in distress and psychopathology. (Ryan/ Deci 2000, 76) Nicht optimale kognitive Herausforderungen sind begründet in Unter- oder Überforderung, die sich vor allem im Bereich der Primarstufe als „der einzig wahren Gesamtschule“ und dort im Unterricht nicht für den Fremdsprachenunterricht ausgebildeter Lehrkräfte manifestiert (vgl. zu dem Aspekt nicht grundständiger ausgebildeter Lehrkräfte, deren Zahl deutschlandweit derzeit auf ca. 80 % geschätzt wird, Hempel/ Kötter/ Rymarczyk 2017 sowie Rymarczyk 2018). Einen Mangel an Verbundenheit (lack of connectedness, als weiterer opponierender Faktor in der SDT genannt) zu den Kindern im Jutta Rymarczyk 192 Fremdsprachenunterricht der Grundschule aus dem Umstand fehlender Ausbildung abzuleiten, ist sicher nicht geboten. Nichtsdestotrotz stimmt ein Blick auf das Modell von Kompetenz als Kontinuum bei Blömeke/ Gustafsson/ Shavelson (2015, 7) nachdenklich, in dem Kognition, also Fachwissen, neben affektiv-motivationalen Faktoren die Disposition der Lehrkräfte ausmacht, die den Anfang des Kontinuums bildend über situationsspezifische Fertigkeiten zur Performanz führt. Ogasas (2011) Studie zum Einfluss von Gefühlen auf das Lernen im DaF-Unterricht Erwachsener untermauert die Vermutung, dass ein Zusammenspiel von Fachwissen und Emotionen der Lehrkraft existiert und dass dieses Zusammenspiel großen Einfluss auf die Gefühle der Lernenden und deren Lernerfolg ausüben kann. Ogasa bezeichnet diese Eigenschaft bzw. dieses Verhalten der Lehrkraft als „Stimmungsdeterminanz“ (ebd., 168; 255). Es sind folgende Fähigkeiten: 1. gemeinschaftsbildende Wirkung auf die Lernergruppe haben, 2. bei den Lernerinnen Begeisterung und Interesse auszulösen vermögen, 3. den Lernerinnen durch bestimmte Erläuterungsweisen das Verstehen neuer Inhalte erleichtern, 4. signalisieren, dass die Lehrperson ihre Arbeit gerne macht (Ogasa 2011, 255). Es steht zu befürchten, dass die Punkte drei und vier nicht ausgebildeten Lehrkräften schwerfallen. 3 Feedback im Geflecht affektiv-emotionaler Faktoren fremdsprachlichen Lehrens und Lernens Angesichts der allumfassenden Wirksamkeit affektiv-emotionaler Faktoren in menschlichem Denken und Handeln ist definitiv weiterer Forschungsbedarf zu Emotionen und Gefühlen im Bereich des Lehrens und Lernens fremder Sprachen gegeben. In Bezug auf Motivation weist Riemer (2016) darauf hin, dass bislang die motivationale Haltung der Lernenden stärker erforscht wurde als die Aufrechterhaltung bzw. die weitere, dynamische Entwicklung von Motivation zum Erlernen von Fremdsprachen. Da (korrektives) Feedback eine allgegenwärtige Komponente schulischer Interaktion ist (cf. Hattie/ Timperley 2007, 81: „Feedback is [.] ‘consequence’ of performance“) und eng mit Motivation zu weiterem Lernen bzw. der affektiven Dimension des Korrigierenden verknüpft erscheint, soll Riemers implizite Aufforderung zur Behandlung der Weiterentwicklung von Motivation der Fremdsprachenlernenden aufgegriffen und auf den restlichen Seiten dieses Beitrags diskutiert werden. Während in Chaudrons (1977) früher Definition von korrektivem Feedback eine Negativhaltung mitschwingt: „any reaction by the teacher which clearly transforms, disapprovingly refers to or demands improvement of the learner utterance“ (ebd., 31; Kursivsetzung J.R.), schlagen Kleppin und Kö- „Let people above all not forget the heart for the head“ 193 nigs (1991) Gegensatzpaare auf einem Kontinuum vor, um die affektive Dimension in der Kategorisierung von Rückmeldungen und Fehlerkorrekturen berücksichtigen zu können: laut - leise: Variation der Korrekturlautstärke, freundlich - unfreundlich: Äußern des Verständnisses für den Fehler, humorvoll - ironisch - streng (ebd., 67ff.). Wie Feedback von den Lernenden aufgenommen wird, ist noch weitgehend unklar: „there is currently no established theory as to what and how many factors underlie English learners’ beliefs about CF [corrective feedback, J.R.]“ (Kartchava 2016, 27), sicher scheint jedoch zu sein, dass wissenschaftliche Ergebnisse zur Wirksamkeit von Feedback und subjektive Theorien von Lehrkräften voneinander abweichen (vgl. Gómez Argüelles/ Hernández Méndez/ Perales Escudero 2019, 108). Eine zweite Diskrepanz zeigte sich in Untersuchungen zu mündlichem korrektivem Feedback (oral corrective feedback, OCF) zwischen den Intentionen von Lehrkräften und der Wahrnehmung der Lernenden. Obwohl beide Gruppen prinzipiell das Risiko negativ empfundener Unterrichtssituationen bzw. von „face-threatening acts“ mit OCF verbinden, weichen ihre Auffassungen dessen, was effektives OCF ausmacht, voneinander ab (Gurzynski-Weiss 2016, 269). Da detaillierte Einsichten in die subjektiven Theorien von Lehrkräften zu OCF immer noch als Forschungsdesiderat bzw. „an understudied area in the descriptive CF domain“ (Gurzynski-Weiss, 2016, 255) gelten, werden abschließend zwei aktuelle Forschungsarbeiten skizziert, die u.a. auf die affektiv-emotionale Dimension der Interaktanten im Rahmen von OCF eingehen. Helmy-Youssef (2019) konnte in einer mixed-methods Interventionsstudie aufzeigen, dass ein mehrwöchiges Training zu OCF deutliche Auswirkungen auf die Art und Weise hatte, wie Dozenten an einer arabischen Universität die Beiträge ihrer Studierenden in Veranstaltungen zu Englisch als Zweitsprache mündlich korrigierten. Auf Seiten der Studierenden ergab die qualitative Analyse ihres Wissens und ihrer Haltungen zu OCF in postintervention Fokusgruppen eine Verbesserung sowohl im kognitiven als auch im affektiven Bereich. Die Studierenden waren im Gegensatz zu den Ergebnissen der pre-intervention Datenerhebung in der Lage einzelne Formen von OCF, die von den Dozenten eingesetzt worden waren, zu unterscheiden und waren den fremdsprachlichen Korrekturen gegenüber positiver gestimmt. Die Fortbildung der Dozenten zum Ausbringen unterschiedlicher Arten von OCF konnte folglich die lernerseitige Haltung gegenüber OCF verbessern, was als dem zweitbzw. fremdsprachlichen Lernfortschritt zuträglich angesehen wird (Helmy-Youssef 2019, 398ff.). Ein weiterer möglicher Weg, zu Einsichten in die Komplexität der affektiv-emotionalen Ebene von OCF zu gelangen, liegt in dem direkten Vergleich der Haltungen Lernender und Lehrender zu mündlichen Korrekturen. Die Pilotierung eines entsprechenden Forschungsprojekts, in dem drei 15bis 17jährige Gymnasialschüler*innen und drei Student*innen des Faches Englisch Jutta Rymarczyk 194 mittels analog aufgebauter Fragebögen befragt wurden, zeigt erste interessante Ergebnisse: Sowohl die Schüler*innen als auch die Student*innen erkannten den Wert von mündlichem korrektivem Feedback an, zeigten aber unterschiedliche Präferenzen bezüglich des Fehlertyps, des Zeitpunktes und der verwendeten Strategie. Während die Schüler*innen neben globalen Verständnisfehlern vor allem Grammatikfehler korrigiert sehen wollten, präferierten die Student*innen in erster Linie Vokabel- und Aussprachefehler. Die Schüler*innen bevorzugten eine sofortige Korrektur der Fehler, die Student*innen hingegen sprachen sich zusätzlich zu sofortiger auch noch für zeitlich versetzte Korrektur aus. Am wichtigsten für das Thema dieses Aufsatzes ist allerdings der Unterschied in der Bevorzugung der verwendeten Strategie: Während die Schüler*innen sich explizite Strategien wünschten und Input-bietende gegenüber Output-auslösenden bevorzugten, sprachen die Student*innen sich für implizite Strategien aus, die es den Lernenden ermöglichen, die richtige fremdsprachliche Form selbst zu finden. Eine Antwort zeigt exemplarisch, dass die Student*innen dabei durchaus das emotionale Wohl der Schüler*innen im Blick hatten: „[…] explizite Korrekturen („das spricht man eigentlich so …aus“, „das heißt eigentlich so…“) sollten vermieden werden, weil eine Häufung von solchen Korrekturen den Kindern das Gefühl gibt, zu viel falsch zu machen, was dazu führen kann, dass sie die Motivation verlieren“ (Rymarczyk/ Umathum, in Arbeit). Die Antworten der Lernenden zeigten jedoch eine andere Gefühlslage. Sie empfinden mündliches korrektives Feedback als einschüchternd und gar bloßstellend und werden demotiviert, wenn Lehrkräfte ihre Korrekturpräferenzen ignorieren. „One learner described that she feels embarrassed when she makes an error in front of her peers and the teacher is prompting her to find the correct form, even though she does not know it“ (ebd.). Diese Aussage deckt sich mit Ergebnissen, die Hattie (2009) aus seiner Metastudie zu Feedback gewinnen konnte: It appears to be more effective when there are perceived low rather than high levels of threat to self-esteem, presumably because low-threat conditions allow attention to be paid to the feedback (Hattie 2009, 175). Qualitative Datenerhebungsmethoden bzw. konkret Introspektion, sowohl aufseiten der Lehrenden als auch aufseiten der Lernenden, könnten an dieser Stelle hilfreich sein, und zwar vor allem dann, wenn die Daten der unterschiedlichen Akteure in der anschließenden Analyse passgenau einander gegenübergestellt werden könnten. Sofern das Design einer Interventionsstudie gewählt wird, könnte nach einer Diskussion der Analyseergebnisse bzw. dem gegenseitigen Erläutern von Intention (vonseiten Lehrender) und Wirkung (aufseiten Lernender) in einem dritten Schritt überprüft werden, ob sich zukünftiges Korrekturverhalten und die Wirksamkeit des Feedbacks verändert haben. Wünschenswert scheint in jedem Fall, so die Ergebnisse beider hier vorgestellter Studien, eine verstärkte Behandlung von OCF in der Fremd- „Let people above all not forget the heart for the head“ 195 sprachenlehrer*innenausbildung, und zwar auch, um dem Aspekt der Emotionen in der fremdsprachendidaktischen Diskussion und Praxis mehr Raum zu gewähren. Literatur Beecroft, Raphaëlle (2020): The performativity of the intercultural speaker: Mainstreaming improvisational tasks as an action-oriented framework for the lower secondary classroom - a longitudinal, mixed-methods action-research study. Unveröffentlichte Dissertation. Pädagogische Hochschule Heidelberg. Bellet, Sandra (2017): „Mehrsprachenerwerb und Content and Language Integrated Learning in der Primarstufe“. In: Chilla, Solveig/ Vogt, Karin (Hrsg.): Heterogenität und Diversität im Englischunterricht - Fachdidaktische Perspektiven. Frankfurt a.M. et al.: Lang. Blömeke, Sigrid/ Gustafsson, Jan-Eric/ Shavelson, Richard J. 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Eventuell haben wir es hier mit einer der typischen Pendelbewegungen fremdsprachendidaktischer Diskurse zu tun (vgl. u.a. Königs 1998; siehe auch White 2018). Möglich wäre auch, dass es sich bei den aktuellen Publikationen zu den affektivemotionalen Faktoren des Lehrens und Lernens von Sprachen um ein letztes Aufbäumen handelt, bevor Emotionen - auch im Zuge des digitalen Wandels, der Sprachen auf das System zu reduzieren droht (vgl. Burwitz-Melzer u.a. 2019) - endgültig aus dem Fokus der Fremdsprachenforschung geraten und mit ihnen auch die leibliche Verfasstheit der Lerner*innen, wie Schwerdtfeger (1991; 1997) schon vor gut dreißig Jahren vermutete. Eine optimistische Deutung des aktuellen Diskurses wäre die Einschätzung, dass die Fremdsprachenforschung nach langem forschenden Suchen sich verstärkt an einem Schlüsselkonzept abarbeitet, mit dem man die Faktorenkomplexion konzeptuell, empirisch und unterrichtspraktisch eventuell umfassender als bislang erklärend in den Griff bekommt. Die folgenden, auch in ihrer Überarbeitung im Anschluss an die Diskussionen der 40. Frühjahrskonferenz weiterhin vorläufigen Überlegungen, Beobachtungen und Versuche verstehe ich als Impulse, die Perspektive des lernenden Subjekts im Sinne der Kritischen Psychologie (vgl. Holzkamp 1985; 1995 sowie einführend Markard 2009) bzw. der Subjektwissenschaft (vgl. Allespach/ Held 2015a) auch im Zusammenhang mit Fragestellungen des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen nicht aus dem Blick zu verlieren. Subjektwissenschaftliche Forschung hat einen emanzipatorischen und damit politischen Anspruch, der sich aus dem Grundverständnis der „gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit“ des Subjekts (vgl. Holzkamp 1985) ergibt (Allespach/ Held 2015b, 13). Sie befasst sich nicht nur - wie beispielsweise die Neurophysiologie, Neuropsychologie oder kognitivistische Ansätze 1 Siehe u.a. Prior (2019) und die Repliken auf seinen Beitrag im gleichen Heft. Emotion als Schlüsselbegriff? 199 - mit den nur scheinbar „autonomen“ biologischen und damit weitgehend kultur- und geschichtslosen Prozessen im Gehirn des Menschen, sondern sie reflektiert dessen Handeln konsequent im Lichte seiner Wahrnehmungen und Deutungen der ihn umgebenden gesellschaftlichen, ökonomischen, kulturellen Rahmen und sich daraus ergebender Handlungsmöglichkeiten und -behinderungen. Zugleich vernachlässigt subjektwissenschaftliche Fremdsprachenforschung die biologisch-körperlichen Aspekte des Lehrens und Lernens nicht. Subjektwissenschaftliche Ansätze der Fremdsprachenforschung sind daher am ehesten mit sozio-kulturellen Ansätzen anschlussfähig. Bei diesem Spagat über die verschiedenen Betrachtungsebenen, der ja letztlich auch ganze Wissenschaftsdomänen überschreitet, hat die Emotionalität, haben die emotional-motivationalen Bewertungen der Bedeutungsstrukturen durch das Subjekt in ihrer verallgemeinerten Form eine zentrale Funktion. Vor dem Hintergrund des schulischen Französischunterrichts in Deutschland versuche ich dies im Folgenden zu skizzieren. 1 Aktuelle Entwicklungen des Schulfachs Französisch Französisch wird, wie auch andere schulische Tertiärsprachen (z.B. Italienisch, Russisch oder Spanisch), in der Regel als 2. bzw. 3. Fremdsprache vermittelt. Ein u.a. hinsichtlich der emotional-affektiven Variablen bedeutsamer Aspekt (z.B. Hufeisen 2010; Meißner/ Tesch/ Vázquez 2011; Grünewald 2019). Französisch ist zugleich und evtl. gerade aufgrund seiner Stellung in den Bildungsgängen ein Abwahlfach, das von den Schüler*innen - so zeigen es die Statistiken und so wissen wir mittlerweile aus einschlägigen Untersuchungen (siehe u.a. Fritz 2020) - möglichst früh, d.h. sobald dies ohne Gefährdung angestrebter Schulabschlüsse erfolgen kann, abgewählt wird. Für die zumindest in den letzten gut 30 Jahren eher zurückhaltende Beziehung der Schüler*innen zum Fach Französisch werden in der Literatur - zum Teil auf der Grundlage empirischer Untersuchungen - eine Reihe von Gründen aufgeführt (siehe hier und im Folgenden u.a. Beermann/ Cronjäger 2011; 2012; Bittner 2003; Cronjäger 2009; Düwell 2002; Fritz 2020; Küster 2007; Meißner/ Beckmann/ Schröder-Sura 2008; Venus 2017). Die genannten Gründe sind institutionell-struktureller, organisatorischer, aber auch curricularprüfungsrechtlicher und didaktisch-methodischer Natur. Sie finden - sieht man von den didaktisch-methodischen Aspekten ab - in der Fremdsprachenforschung jedoch bislang eher selten Aufmerksamkeit (siehe auch Caspari in diesem Band). Wesentlich häufiger werden für die frühe Abwahl bzw. das Nicht-Beibehalten des Faches affektiv-emotionale Variablen angeführt und untersucht. Die entsprechenden Analysen der Daten zeigen, dass die Bewertung des Französischen (sowie des Spanischen; vgl. Fritz 2020) durch die Schüler*innen vor dem Hintergrund ihrer insgesamt eher geringen Motivation erfolgt, neben Englisch weitere Sprachen zu lernen. Schüler*innen sehen Lars Schmelter 200 dafür, so lassen sich die Untersuchungen interpretieren, keine Notwendigkeit, denn sie machen z.B. die Erfahrung, trotz Französischunterrichts auch z.B. in französischsprachigen Ländern mit Englisch (besser) zurecht zu kommen. Schon Düwell (1976) spricht mit Blick auf die fehlende Motivation für das Französische von der „motivationalen Inferenz“. Dieses Konzept wird in den jüngsten Studien aufgegriffen und findet dort seine empirische Bestätigung: Schüler*innen schätzen Französischunterricht und die in und mit der Sprache Französisch gemachten Erfahrungen im Vergleich zu Erfahrungen mit dem Englischen ein. Dabei kommen sie zumeist zu Bewertungen, die ihren Ansprüchen und Erwartungen an das Lernen von Französisch widersprechen und die sich entsprechend negativ in Einstellungen zur Sprache, zum Unterricht sowie vor allem auf die Motivation, die 2. bzw. 3. Fremdsprache Französisch (weiterhin) zu lernen, niederschlagen; und dies zum Teil trotz guter Noten (vgl. Fritz 2020). Die Entwicklungen des digitalen Wandels tragen möglicherweise nicht nur auf Seiten der Schüler*innen zu einer Verstärkung der Einschätzung bei, dass der Erwerb 2. und 3. Fremdsprachen nach Englisch ineffektiv und letztlich nutzlos sei. Denn eine Kommunikation auf dem basalen Niveau, das von den schulischen Curricula angestrebt wird, kann in der Wahrnehmung vieler Schüler*innen dank digitaler Unterstützung sowohl schriftlich als auch mündlich nicht nur ohne die vor der Digitalisierung notwendigen Lernanstrengungen, sondern heute auch ohne die Hilfe dritter Personen, die als Dolmetscher*innen, Übersetzer*innen oder Mittler*innen tätig werden, in befriedigender Weise stattfinden (siehe z.B. Grünewald 2019; Schmelter 2019). Französischunterricht ist zumindest in einigen Bundesländern noch immer ein exklusives Angebot, dass nicht allen Schüler*innen gemacht wird. Französisch wird in Deutschland - mit Ausnahme Baden-Württembergs, Rheinland-Pfalz‘ und des Saarlands - flächendeckend zumeist nur an Gymnasien sowie in den Real-, Mittel-, Undsoweiter-Schulen in den für die Sekundarstufe II qualifizierenden Bildungsgängen und damit - wie schon erwähnt - in der Regel als 2. oder 3. Fremdsprache unterrichtet. Der Französischunterricht ist also in den betroffenen Ländern bestimmten Schülergruppen vorbehalten, während man den anderen Gruppen das Angebot, eine 2. oder gar 3. Fremdsprache zu lernen, weitgehend vorenthält; im Übrigen entgegen der EU-Zielvorgabe, jeder EU-Bürger möge die Chance erhalten, neben der nationalen Verkehrssprache mindestens zwei Fremdsprachen zu lernen. Zwar wird zumindest in einigen Ländern - zumindest an einigen Schulen - mittlerweile eine echte Wahlmöglichkeit zu Latein geboten, indem man neben Französisch z.B. auch Spanisch anbietet. Aber noch immer wird das Fach Latein als gleichwertiges Angebot gemacht, obwohl es der oben angesprochenen Zielvorstellung mehrsprachiger EU-Bürger*innen nicht zuträglich ist. Trotzdem nimmt Französisch aufgrund der besonderen Beziehungen Emotion als Schlüsselbegriff? 201 zwischen Deutschland und Frankreich weiterhin eine Sonderstellung unter den 2. und 3. Fremdsprachen ein; nicht nur für den Kontext ‚Schule‘, sondern auch in vielen anderen hier relevanten Kontexten bestehen zur französischen Sprache und Kultur zahlreiche Zugangsangebote. Dies ist politisch gewollt und wird sowohl von französischer als auch von deutscher Seite gefördert. 2 Eine letzte Rahmenbedingung soll hier noch Erwähnung finden. Sie ergibt sich aus der größer werdenden Zahl von Schüler*innen, die aufgrund eigener Migrationserfahrungen oder anderer Familiensprachen als Deutsch bereits mehrsprachig mit dem Französischunterricht als 2. oder 3. Schulfremdsprache beginnen. Auch wenn u.a. familiäre Migrationserfahrungen noch immer ein negatives Vorzeichen für schulischen Erfolg (und damit den Besuch des Gymnasiums) sind, hat sich dennoch die Zahl der Schüler*innen im gymnasialen Französischunterricht erhöht, die über eigene mehrsprachige biographische Erfahrungen und entsprechende (Teil-)Kompetenzen verfügen. Zwar liegen diese zumeist in anderen als den schulisch vermittelten Sprachen vor. Trotzdem kann ein mehrsprachigkeitsorientierter Französischunterricht, der die zuvor angeeigneten Sprachen und die dabei erworbenen Sprach-, Kultur- und Lernkompetenzen und Wissensbestände konstruktiv aufgreifen will, sich nicht mehr auf die Verkehrssprache Deutsch und die schulisch zuvor vermittelten Fremdsprachen (zumeist Englisch und ggf. Latein, bisweilen Spanisch) beschränken. Er muss vielmehr damit rechnen, dass Schüler*innen andere Sprach-, Kultur- und Sprachlernkompetenzen (einschließlich des Französischen als Familiensprache 3 ) einbringen (können). Jedoch werden diese Schüler*innen sowohl curricular, als auch didaktisch allenfalls randständig beachtet. Die gängigen Lehrwerke für Französisch machen keine nennenswerten Angebote, diese sprachlichen Ressourcen konstruktiv, inklusiv bzw. wertschätzend zu nutzen. Diese Rahmenbedingungen (und viele weitere gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge) gilt es aus der subjektwissenschaftlichen Perspektive zu berücksichtigen. 2 Emotionen als Schnittstelle von Natur und Kultur Emotionen bilden nicht nur in der Psychologie den „Schnittpunkt“ von natur- und sozialwissenschaftlichen Ansätzen (Pritzel/ Brand/ Markowitsch 2003, 385). Auch die pädagogische Anthropologie geht vom „biokulturellen 2 Ich verweise hier exemplarisch auf die französischen Kulturinstitute in Deutschland, den Fernsehsender ARTE, das Deutsch-Französische Jugendwerk und die Deutsch-Französische Hochschule. 3 Siehe u.a. Reimann u.a. (2018); siehe zum Umgang mit den aufgrund der Verhältnisse verständlicher Weise häufiger in Erscheinung tretenden Frankophonen bzw. deutsch-französisch bilingualen Schüler*innen im Französischunterricht in der deutschsprachigen Schweiz u.a. Egli Cuenat/ Oliveira/ Trommer (2019). Lars Schmelter 202 Charakter [der Emotionen] aus und betont die Historizität und Kulturalität sowohl der Emotionen als auch der auf sie bezogenen Forschung“ (Wulf 2018, 113). Aus der neurophysiologischen Perspektive ist die „emotionale Entwicklung des Menschen [ebenfalls] ein Produkt der biologischen und sozio-kulturellen Evolution“ (Hirschenhauser 2018, 196; kursiv im Original). Insofern ist es folgerichtig, dass auch die verschiedenen in der Fremdsprachenforschung gängigen Beschreibungs- und Erklärungsansätze des Lehrens und Lernens von Sprachen - trotz differenter konzeptueller Füllungen - um diesen Begriff herum zusammenkommen (siehe Modern Language Journal 2019, Bd. 103(2)) und sich in ihren Grundaussagen anzunähern scheinen (vgl. auch Riemer in diesem Band). In Emotionen 4 kommt das Verhältnis der Menschen zur Welt - dazu gehören u.a. die anderen Menschen und der eigene Körper - zum Ausdruck. Sie können zumeist auf konkrete Auslöser zurückgeführt werden. Über die verschiedenen Definitionen und Modelle hinweg werden Emotionen zumeist grob als Hinweise der Anziehung/ Zugewandtheit bzw. Furcht/ Ablehnung verstanden. Die entsprechende Emotion kann eher aktivierend oder deaktivierend auf den Menschen wirken. Von dieser Grunddifferenzierung aus werden viele Einzelemotionen konzeptualisiert, die sich im Spannungsverhältnis der genannten Pole ansiedeln lassen. Emotionen können mit spontanen, zumeist unwillkürlichen körperlichen Reaktionen (z.B. Herzrasen, Schwitzen) verbundenen sein. Aufgrund dieser physiologischen Veränderungen und aufgrund ihrer mehr oder weniger willentlich steuerbaren expressiven körperlichen Komponenten (hierzu gehören u.a. Gestik und Mimik) können Emotionen, ohne dass diese zuvor verbalisiert wurden, von anderen gedeutet werden. Emotionen scheinen auf dieser physiologischen Ebene weitgehend universal und biologisch, d.h. durch unsere körperliche Verfasstheit vorbestimmt zu sein. Aber schon hier sind sie immer auch ein soziales Phänomen, weil sowohl die Ausdruckformen als auch die Reaktionen auf bestimmte eigene Emotionen bzw. Emotionen anderer historisch, kulturell und sozial vermittelt sind, zugleich aber individuelle Merkmale aufweisen. Für das Lehren und Lernen von Sprachen stellt die kulturell-historische und sprachliche Vermitteltheit bzw. die Erfahrungsbezogenheit der affektiven Bewertung von Emotionen eine Herausforderung dar. Der Ausdruck von Emotionen ist nicht nur abhängig von den physiologischen Zuständen des Subjekts (in seiner Wahrnehmung). Denn Emotionen werden u.a. gestisch, mimisch, sprachlich mit sozial vermittelten, kulturell-historisch gebildeten Mitteln ausgedrückt. Infolgedessen erfordert die Aneignung kommunikativer Kompetenz in einer Fremdsprache auch die Aneignung dieser Mittel bzw. 4 Zur folgenden, stark verkürzten Darstellung vgl. u.a. die Beiträge in Huber/ Krause (2018) und Schmidt-Atzert/ Peper/ Stemmler (2014) sowie Krapp/ Geyer/ Lewalter (2014). Emotion als Schlüsselbegriff? 203 setzt ihr Verstehen voraus. Da uns diese Mittel in einer fremden Sprache jedoch immer nur eingeschränkt zur Verfügung stehen (können), verstehen wir auch andere Menschen immer nur in dem Rahmen dieser eingeschränkten Möglichkeiten. 5 Wulf (2018) zeigt z.B. anhand des japanischen Worts „amae“ und dem damit bezeichneten Konzept die kulturell-sprachliche Abhängigkeit von Emotionen: Wenn es in einer Kultur ein Wort gibt, mit dem eine bestimmte Emotion bezeichnet wird, so lässt sich diese Emotion auch in dieser Kultur nachweisen. Fehlt dieses Wort jedoch in einer anderen Kultur, so gibt es in dieser Kultur auch nicht die mit diesem Wort bezeichnete Emotion (Wulf 2018, 120f.). Unabhängig davon, dass es ggf. Emotionen (und andere Konzepte) geben mag, für die sich in Sprachen und Kulturen, über die die Lerner*innen schon verfügen, nur teilweise Äquivalente finden lassen, hat der kommunikations- und handlungsorientierte Fremdsprachenunterricht die Aufgabe, diese Ausdruckformen von Emotionen soweit wie möglich verstehbar und für die Lerner*innen auch nutzbar zu machen. Doch zumindest für Französisch- Lehrwerke kann konstatiert werden, dass wir i.S. von Schwerdtfeger (1997) die verlorenen Emotionen weiterhin suchen müssen. 6 Für die Gestaltung des Lehrens und Lernens sind aus didaktischer Perspektive die hinderlichen bzw. förderlichen Einflüsse von Emotionen auf Wahrnehmungs-, Informationsverarbeitungs-, Gedächtnis- und damit auf Lernprozesse von besonderem Interesse. Für Pekrun (2018) ergeben sich aus 5 Schwerdtfeger (1996) spricht in diesem Zusammenhang unter Verweis auf Becker (1992) von der „präsentischen Eindimensionalität“ in einer fremden Sprache. 6 In einer Analyse (vgl. Schmelter in Vorbereitung) der aktuell gebräuchlichen Lehrwerke für den Französischunterricht an Gymnasien bzw. Real- und Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen, die noch nicht ganz abgeschlossen ist, zeigt sich, dass die Schüler‘*innen zumindest in den ersten beiden Jahren nur sehr eingeschränkt befähigt werden, frankophonen Sprecher*innen gegenüber Emotionen und Gefühle in sprachlich und pragmatisch angemessener Weise auszudrücken. Auf der Ebene der Lexik werden zwar Verben, Adjektive und in geringem Umfang auch Konstruktionen zum Ausdruck von Emotionen und Gefühlen angeboten. Diese sind aber fast ausschließlich an den Polen der Gefühlsausprägung angesiedelt. Einem „mögen/ lieben (aimer)“ oder gar „anbeten (adorer)“ steht zunächst einmal nur ein „verabscheuen (détester)“ gegenüber; Abstufungen von Emotionen kommen so gut wie nicht vor. Metaphorische und andere indirekte Formen des Ausdrucks von Gefühlen, sei es nun verbal, paraverbal, gestisch, mimisch etc., werden allenfalls sehr implizit z.B. über Abbildungen vermittelt, aber kaum bis gar nicht auf einer Metaebene thematisiert oder gar sprach- und kulturvergleichend reflektiert (vgl. zur Metaphern-Losigkeit der Lehrwerke schon Koch 2013). Angesichts der starken unterrichtsbestimmenden Stellung, die Lehrwerke einnehmen, kein verheißungsvoller Weg, Lerner durch die Vermittlung affektiv-emotional bedeutsamer Handlungspotenziale in der Fremdsprache Französisch emotional an die Sprache und das Fach zu binden. Lars Schmelter 204 den vorliegenden Befunden zum Zusammenhang von Emotionen und Lernen zwei Schlussfolgerungen. Erstens scheint es im Interesse einer Förderung von Kompetenzentwicklung und Leistung wichtig, positive aktivierende Emotionen wie Freude, Neugierde und Begeisterung fürs Lernen zu stärken und negativen Emotionen vorzubeugen bzw. sie zu reduzieren, wenn sie eintreten (Pekrun 2018, 228). So sollten insbesondere aufgabenbezogene positive Emotionen gefördert werden. Für negative Emotionen gelte, „dass sie nicht immer verhindert werden können“ (ebd.). Dann sollte über die Vermittlung günstiger Selbsteinschätzungen die Möglichkeit geschaffen werden, diese negativen Emotionen (z.B. Ärger, Angst, Verwirrung) produktiv zu nutzen (ebd.) Zum zweiten sollten die individuellen Kompetenzen gefördert werden. Dabei seien Erfolgserlebnisse „zentrale Voraussetzungen für eine Stärkung positiver und Reduktion negativer Lern- und Leistungsemotionen“ (ebd.). Günstig ist hier eine Verwendung von individuellen und sachorientierten Bewertungsmaßstäben anstelle einer sozialvergleichenden Bewertung; werden Lerner danach bewertet, ob sie besser oder weniger gut als andere abschneiden, gibt es per Definition des Maßstabs zwar immer Gewinner, aber auch etliche Verlierer, die im Vergleich mit anderen zu Misserfolg verdammt sind (Pekrun 2018, 228). Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Französischlehrer*innen wie z.B. Herbert Schnädter (2002) dies schon lange wussten: Interesse an den Unterrichtsthemen, Freude am Gebrauch der Sprache und Vertrauen in die eigene Sprachkompetenz, gepaart mit der Zuversicht, auch den Anforderungen der Oberstufe gerecht zu werden und keinen Leistungseinbruch zu erleiden. Die Noten selbst bestätigen letztlich die Erfolgs- oder Misserfolgserfahrungen im Unterricht, sie dürften bei einer grundsätzlich positiven Einstellung zum Französischen nur in begrenztem Umfang für die Abwahl des Fachs ausschlaggebend sein (Schnädter 2002, 286f.; Hervorhebungen L.S.). Und doch ist der Französischunterricht auch heute noch ein Abwahlfach (siehe oben). Möglicherweise liegt dies an einigen als emotionengenerierend erkannten Faktoren, die aber in Untersuchungen wie die, welche Pekrun (2018) referiert, nur am Rande berücksichtigt werden können (Stichwort „sozialvergleichende Notengebung und deren Allokationsfunktion“); und möglicherweise liegt dies auch daran, dass in diesen konzeptuellen Zugriffen Emotionen abstrakt bleiben und in vom Subjekt und seinen Perspektiven losgelösten Diskursen erfasst werden. Auch die von Pekrun, Schnädter u.a. gemachten Vorschläge, wie positive Emotionen befördert und wie negativen entgegengewirkt werden könnte, bleiben abstrakt und am Ende beliebig: Filme, ganz oder in Auszügen, in den Emotion als Schlüsselbegriff? 205 Französischunterricht einzubeziehen, kann evtl. Freude oder Neugierde vermitteln: Freude über 90min ohne Grammatikaufgaben oder Neugierde, ob die Lehrperson die eigene Abgelenktheit bemerkt. Aber auch Angst, der Film könnte Gegenstand der nächsten Leistungsüberprüfung werden, weil man nichts versteht, oder umgekehrt Angst, dass gerade nicht Inhalte des Films, sondern grammatische Strukturen abgeprüft werden, die man dann besser anstelle des Films zum Unterrichtsgegenstand machen sollte. Dabei mahnt schon Kleppin (2001, 219) vor dem Mythos Motivation, also vor „der Hoffnung, man könne eine ganze Gruppe mit bestimmten Techniken langfristig motivieren“. Sie fährt fort: Lehrer können Lerner allerdings dabei unterstützen, einzelne der genannten Faktoren dann in den Blick zu nehmen und zu kontrollieren, wenn der Verdacht besteht, dass sie zu Motivationsbarrieren werden (Kleppin 2001, 219). Zwar werden bei Kleppin die Lerner*innen schon deutlicher als Subjekte in einer Gruppe wahrgenommen; aber ob sie motiviert sind oder nicht, wird immer noch von außen bewertet. Motivationale Maßnahmen sollen die Lerner*innen davon überzeugen, das Unvermeidliche anzunehmen. 3 Emotional-motivationale Bewertung der objektiv gegebenen Möglichkeiten - Forschung aus der Perspektive des Subjekts Der subjektwissenschaftliche Zugriff hat m.E. den Vorteil gegenüber klassischen psychologischen Zugriffen auf die emotional-affektiven Faktoren des Lernens, dass er emanzipatorische Fragen mitdenkt, indem er z.B. die weitverbreitete alleinige Suche nach den besten, d.h. effektivsten und effizientesten Treatments durch Kritik herausfordert und die emanzipatorische Relevanz zum Ausgangspunkt seiner Forschung macht (Allespach/ Held 2015b, 14f.), indem er u.a. die objektiv gegebenen gesamtgesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten und -behinderungen zu erfassen sucht und im Zusammenhang mit den subjektiven Wahrnehmungen dieser Behinderungen und Möglichkeiten reflektiert, um Alternativen im Sinne der Subjekte formulieren zu können. Dabei wenden sich subjektwissenschaftliche Ansätze von einem „Ursachen-Ereignis-Diskurs“ (Holzkamp 1985) ab, der aus der Außenperspektive auf der Basis scheinbar objektiv gegebener Umweltbedingungen menschliches Handeln zu erklären versucht. Im Gegensatz dazu stellen sie die handelnden Subjekte sowie ihre jeweiligen Wahrnehmungen und Bewertungen der gesamtgesellschaftlich vermittelten Handlungsmöglichkeiten (und -behinderungen) als Prämissen individuellen Handelns in den Mittelpunkt. Subjektwissenschaftliche Zugriffe sind folglich bestrebt, die Psychologie des Menschen und sein Handeln aus der Perspektive eines verallgemeinerten Subjekts in einem „Prämissen-Begründungs-Diskurs“ (ebd.) zu formulieren, Lars Schmelter 206 der nicht nur isolierte Situationen (wie z.B. die Französischklasse der Schule X), sondern die gesamtgesellschaftliche Situation des Subjekts erfasst. Dabei nimmt die Emotionalität, nehmen die emotional-affektiven Faktoren eine Schlüsselstellung ein. Denn für die Subjektwissenschaft fungieren Emotionen als Bindeglied zwischen den individuellen biologischen und mental-kognitiven Aspekten einerseits und den sozialen, kulturellen und historischen Aspekten andererseits. Die „Emotionstheorie“ der kritischen Psychologie unterscheidet sich somit von klassischen Konzepten dadurch, dass sie Emotionen stärker als „Seismographen“ objektiver Lebensbedingungen deutet und ein Bild vom Subjekt entwirft, welches der Umwelt in bewusster Durchsetzung seiner eigenen Bedürfnisse und mit bestimmten Erkenntnisinteressen begegnet, nämlich mit dem Ziel, aktiv auf die eigenen relevanten Lebensbedingungen einzuwirken (Schüßler 2004, 103). Denn - so die Kernannahme der Kritischen Psychologie bzw. Subjektwissenschaft 7 - das Subjekt ist nicht das Resultat der Verhältnisse, in denen es lebt, und seiner körperlichen Verfasstheit, sondern es verhält sich gestaltend zu ihnen aufgrund seiner Wahrnehmung, Kenntnis und Bewertung seiner gesamtgesellschaftlich vermittelten Handlungsfähigkeit 8 , die es seinen Handlungen bzw. Handlungsplänen als Prämissen zugrundelegt. Dabei kann das Subjekt - eine weitere Kernannahme - nicht bewusst gegen seine Interessen handeln, sondern wird in der Regel dafür sorgen, dass sein (Nicht-)Handeln seine gesamtgesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten nicht weiter einschränkt und im Idealfall seine Handlungsfähigkeit, i.S. von Weltverfügung weiter ausbaut. Wenn sich ein Handeln anscheinend oder sogar ganz objektiv von außen betrachtet gegen die Interessen des Subjekt richtet, dann kann dies folglich auf eine begrenzte Einsicht in die objektiv gegebenen Handlungsmöglichkeiten (unzureichende Prämissenlage) zurückgeführt werden oder auf die Einschätzung des Subjekts, dass sein objektiv selbstschädigendes Handeln (z.B. beim Vokabeltest abschreiben) ihm (zumindest momentan) mehr Lebensqualität gibt, als es ihm Schaden zufügt. Auch das Lernen ist für die Kritische Psychologie vom Subjektstandpunkt aus stets gut begründet. Kommt das Subjekt mit den ihm zur Verfügung stehenden Handlungsfähigkeiten bei der Bewältigung einer Handlungsproblematik nicht weiter (z.B. angekündigter Test zu neuem Wortschatz), so kann es eine sogenannte Lernschleife ausgliedern, in deren Rahmen das Subjekt versucht, sich die für die Bewältigung der Problemsituation notwendigen Bedeutungen und damit Handlungsmöglichkeiten anzueignen (z.B. durch 7 Vgl. hier und im Folgenden, wenn nicht weiter angegeben, die oben aufgeführte Literatur. 8 Zum Begriff „Handlungsfähigkeit“ in der Subjektwissenschaft insbesondere in Abgrenzung zu „agency“ vgl. Held (2015). Emotion als Schlüsselbegriff? 207 Memorieren des neuen Wortschatzes). Ob dies und wie dies geschieht 9 , hängt von der subjektiv wahrgenommenen Prämissenlage und der emotionalmotivationalen Bewertung des antizipierten Ergebnisses der Lernanstrengungen ab. Dabei beantwortet das Subjekt für sich in diffus emotionaler oder bewusst emotional-motivationaler Weise Fragen wie z.B.: Wie groß und wie bedeutsam für meine Interessen im Französischunterricht und darüber hinaus ist das Problem? Welche Konsequenz hat mein Abschneiden im Vokabeltest? Jetzt, später, gegenüber meinen Eltern, Freunden? Für mein Zeugnis, meinen Abschluss? Wieviel Zeit muss ich in das Memorieren des Wortschatzes investieren? Welche anderen Aktivitäten, Fächer, Annehmlichkeiten, die mir wichtig sind, muss ich dafür evtl. vernachlässigen? Lohnt der Aufwand? Reicht es den Wortschatz erst für die nächste Klassenarbeit zu lernen? Kann ich ein schlechtes Abschneiden ggf. vor den Eltern verheimlichen? Gibt es evtl. weniger aufwändige und damit meine Freiheiten weniger einschränkende Bewältigungsstrategien (z.B. Spicken, Abschreiben, Krankmelden)? In der Terminologie Holzkamps (1995) wird Lernen folglich entweder expansiv begründet, wenn es aus der Perspektive des Subjekts vornehmlich um die Gewinnung neuer Handlungsmöglichkeiten geht, oder defensiv, wenn es um die Abwehr von Bedrohungen eigener Freiräume und erreichter Handlungsmöglichkeiten geht. Je nach emotional-motivationaler Bewertung der eigenen Situation, die wie hier skizziert nicht an der Tür zum Klassenraum endet, wird das Subjekt zudem den Lerngegenstand, dessen lernende Aneignung die problematische Situation zu überwinden verspricht, anders formulieren. Vor diesem theoretischen Hintergrund können das Emotionserleben und die Einstellungen von Schüler*innen, wie sie u.a. bei Beermann und Cronjäger (2011; 2012), bei Fritz (2020) oder bei Venus (2017) rekonstruiert wurden, noch einmal reinterpretiert werden. Französischunterricht aus der Subjektperspektive Schule und der in ihr besuchte Französischunterricht sind für Kinder und Jugendliche nur ein Gesellschaftsbereich, in dem sie als Schüler*innen zwangsweise agieren müssen. Ihr Handeln dort hat gegenwärtige und zukünftige Auswirkungen auf ihre Handlungsmöglichkeiten in der Schule sowie in allen anderen Gesellschaftsbereichen: Familie, Freunde, berufliche Zukunft usw. Darin steckt eine erhebliche Ambivalenz: Einerseits macht die Schule obligatorisch wahrzunehmende Angebote, die eigenen Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Andererseits schränkt der damit verbundene Zwang subjektiv bedeutsamere Handlungen ein. Aufgrund dieses dialektischen Verhältnis- 9 Bspw. so, wie der Wortschatz abgefragt wird, d.h. als Übersetzung von Einzelwörtern, oder in Konstruktionen, die als kommunikativ hilfreich erfahren wurden. Lars Schmelter 208 ses wird zwar gelernt, aber vermutlich eher „widerständig“ (Holzkamp 1995), wenn die emotional-motivationale Einschätzung unbestimmt ablehnend bleibt (z.B. eine Angst, deren Ursache für das Subjekt ungeklärt bleibt), oder defensiv, wenn die Ablehnung der geforderten Lernanstrengungen bewusst erfolgt und ggf. zu deutlichen Umformulierungen der Lerngegenstände führt. Nur in seltenen Fällen wird der Französischunterricht einzig als subjektiv bedeutsame Möglichkeit wahrgenommen, den eigenen gesamtgesellschaftlichen Handlungsspielraum durch entsprechende expansive Lernanstrengungen zu erweitern; und selbst dann werden die curricularen Lehrziele vermutlich nicht 1: 1 als subjektiver Lerngegenstand formuliert werden. Dies hängt u.a. mit den direkten und indirekten Signalen zusammen, die die Schüler*innen bewusst oder unbewusst wahrnehmen und folglich zu Bestandteilen ihrer Prämissenlage machen können: Englisch als 1. Fremdsprache hat sowohl in der Schule, als auch in der Gesellschaft deutlich mehr Bedeutung als andere Sprachen, mit curricularen Regelungen zur zweiten Fremdsprache im Abitur, die insbesondere am Fach Latein (Stichwort: kleines Latinum als Studienvoraussetzung) besonders transparent werden. Überhaupt scheint eine andere Sprache als Englisch nur mit Blick auf den Universitätszugang bedeutsam. In der Prämissenlage der Schüler*innen sind die Leistungserhebungen und die darin für sie deutlich werdenden Bewertungskriterien bedeutsam für die Formulierung der Lerngegenstände. Wenn die Lehrpläne zwar die Kompetenzorientierung einfordern, der Französischunterricht und die Klassenarbeiten aber durch das Abfragen von sprachlichen Strukturen und das höhere Bewerten von sprachlicher Korrektheit vor kommunikativer Angemessenheit etwas anders signalisieren, dann ist möglicherweise auch das Erleben kommunikativer Handlungskompetenz in einem solchen Unterricht und im zielsprachigen Land schwer zu erreichen. Dabei wird die Wahrnehmung der Prämissenlage u.a. durch soziale Bedeutungszuweisungen verstärkt (vgl. u.a. Williams u.a. 2002). Die mit dieser objektiv betrachtet ggf. falschen Prämissenlage einhergehende Gefahr der Selbstschädigung zu thematisieren, ist Aufgabe der Lehrpersonen. Die ggf. unter gesamtgesellschaftlichen und emanzipatorischen Gesichtspunkten notwendigen Veränderungen zu erfassen, zu prospektieren und einzufordern, ist die Aufgabe der subjektwissenschaftlich orientierten Fremdsprachenforschung. Literatur Allespach, Martin/ Held, Josef (Hrsg.) 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Und wenn wir uns an unsere Schulzeit oder den Fremdsprachenunterricht im Besonderen erinnern, ist es wohl tatsächlich so, dass wir uns primär an Situationen erinnern, die emotional aufgeladen waren, wie z.B. Freude und Dankbarkeit, als die Lateinlehrerin ohne jeden Anlass dem Kurs eine selbstgebackene Johannisbeer-Eierlikör-Torte mitbrachte, oder Scham, als die Französischlehrerin auf der Blockflöte die Marseillaise intonierte und der gesamte Kurs mitsingen sollte. Welche spezifischen Emotionen spielen aber eine Rolle im Erwerb und beim Lernen einer L2? Und inwiefern beeinflussen Emotionen möglicherweise die Erwerbsgeschwindigkeit oder auch das erreichbare Sprachstandsniveau? Auffällig erscheint hier zunächst, dass die Fremdsprachenforschung bislang augenscheinlich weniger auf Emotionen als auf sozio-affektive Faktoren fokussiert zu haben scheint, wobei in der Regel Motivation, Einstellungen und Angst sowie Qualität und Quantität des Sprachkontakts in kognitivistisch geprägten Faktorenmodellen bzw. die Einbettung in soziale und kulturelle Kontexte im Rahmen des soziokulturellen Paradigmas in den Blick genommen werden (vgl. z.B. Riemer 2016; Pietzuch 2016 für einen Überblick). Abgegrenzt werden die individuelle Erwerbsunterschiede erklärenden sozioaffektiven Faktoren dann geläufig z.B. von biologischen und kognitiven (vgl. Riemer 2002 für einen Überblick). Angst scheint somit die einzige Emotion im engeren Sinne zu sein, die in Standardmodellierungen überhaupt eine Rolle spielt. Darüber hinaus wird diese in der Regel im L2-Sprechenden verortet, während mögliche Interaktionspartner*innen, wie Lehrer*innen oder andere, auch außerunterrichtliche Kommunikationspartner*innen, und deren Emotionen noch deutlich weniger intensiv beforscht zu sein scheinen. Daher soll im Folgenden zunächst ein breiterer Blick auf den Begriff der Emotion geworfen werden, und zwar aus psychologischer Sicht, da die Psy- Die anderen Emotionen und die Emotionen der Anderen 213 chologie die Bezugswissenschaft zu sein scheint, die das Konzept bislang am differenziertesten untersucht hat. Auf dieser Basis soll ein Überblick über mögliche weitere für die Fremdsprachenaneignung relevante Emotionen gewonnen werden. Dabei werden nicht nur die Emotionen von L2- Sprecher*innen, sondern auch die ihrer Interaktionspartner*innen in die Betrachtung einbezogen. 2 Definitionen 2.1 Emotion „Everyone knows what an emotion is, until asked to give a definition.“ (Fehr/ Russell 1984, 464; zit. nach Schmidt-Atzert/ Peper/ Stemmler 2014, 20) - Dass die Begriffsdefinition nicht ganz leicht fällt, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass das Konstrukt der Emotion multidimensional zusammengesetzt ist. Eine anschauliche Erläuterung dieser unterschiedlichen Komponenten findet sich z.B. bei Gerrig (2016): Heutzutage definieren Psychologinnen und Psychologen Emotion als ein komplexes Muster körperlicher und mentaler Veränderungen, darunter physiologische Erregung, Gefühle, kognitive Prozesse und Reaktionen im Verhalten als Antwort auf eine Situation, die als persönlich bedeutsam wahrgenommen wurde. Um zu erkennen, warum all diese Komponenten notwendig sind, stellen Sie sich eine Situation vor, die Sie sehr froh macht. Ein Teil Ihrer physiologischen Erregung mag ein leicht erhöhter Pulsschlag sein. Sie hätten ein Gefühl der Freude. Die damit verbundenen kognitiven Prozesse bestehen aus Interpretationen, Erinnerungen und Erwartungen, die es Ihnen ermöglichen, die Situation als positiv und freudig einzustufen. Ihre sichtbaren Reaktionen liegen vielleicht im Ausdruck (lächeln) und/ oder sind handlungsorientiert (einen geliebten Menschen vor Freude umarmen) (Gerrig 2016, 458; Hervorhebung im Original). Es lassen sich folglich ein subjektives Erleben, d.h. eine Gefühlskomponente, eine kognitive Bewertung dieses Gefühls, der Aspekt der Handlungsbereitschaft, der sich darauf bezieht, einer Situation entweder entkommen zu wollen oder sich noch tiefer in sie hineinzubewegen, und der somit die motivationale Komponente der Emotion umreißt, sowie damit verbundene körperliche Reaktionen (physiologischer Erregungszustand sowie auch für andere sichtbarer Ausdruck bzw. Verhalten) voneinander unterscheiden (Scherer 1987 nach Sokolowski 2013, 223-227; vgl. auch Schmidt- Atzert/ Peper/ Stemmler 2014, 25; Hess 2018, 118). In einer funktionalen Betrachtungsweise dienen Emotionen einerseits dem bewertenden Monitoring von Situationen (subjektive und kognitive Komponenten), der Kommunikation (Ausdrucks-/ Verhaltenskomponente) sowie der Vorbereitung einer Reaktion auf die Situation (physiologische und moti- Julia Settinieri 214 vationale Komponenten) (Sokolowski 2013, 238-239; Shuman/ Scherer 2014, 16; Hess 2018, 118-119). Diese adaptiven Reaktionen als Ergebnis der Evolution teilen im Kern alle Menschen, wenngleich unterschiedliche Kulturen in ihren Normen in Bezug auf die Angemessenheit emotionaler Reaktionen natürlich variieren können (Gerrig 2016, 460-461; 502). So können Angst, Ärger, Ekel, Freude, Überraschung, Trauer als sechs universelle Basisemotionen angesehen werden (Ekman/ Friesen/ Ellsworth 1972 nach Sokolowski 2013, 240; Kuhbandner/ Frenzel 2019, 190), zu denen jedoch in den unterschiedlichen Klassifikationsversuchen noch eine Vielzahl weiterer hinzutreten. Abb. 1: Affective circumplex (Pekrun/ Muis/ Frenzel/ Goetz 2018, 4; adaptiert nach Feldman Barrett/ Russell 1998). Interessant ist nun aber, dass all diesen Emotionen nur zwei basale, jeweils graduelle Dimensionen zugrunde liegen: Zum einen lassen sich Emotionen auf einer Valenzskala von unangenehm zu angenehm einordnen, zum anderen auf einer Aktivierungsskala von deaktiviert zu aktiviert. Gemeinsam formieren sie ein Annäherungs- und ein Vermeidungssystem (Feldman Barrett/ Russell 1999 nach Kuhbandner/ Frenzel 2019, 189; Abb. 1). ACTIVATION DEACTIVATION NEGATIVE POSITVE Negative activated Positive activated Positive deactivated Negative deactivated Nervous Angry Sad Bored Tired Calm Excited Elated Happy Relaxed Die anderen Emotionen und die Emotionen der Anderen 215 Treffen wir auf einen Reiz, werden beide Systeme adjustiert, bezogen auf die beiden Ausgangsfragen: „Ist das Ereignis relevant? “ (wenn ja, erhöhe den Aktivierungsgrad) und „Welches System muss ich aktivieren? “ (bei Zielbedrohung das Vermeidungssystem und bei Zielerreichung das Annäherungssystem). Die Aktivität beider Systeme übersetzt sich dabei in ein inneres „Grundgefühl“: Eine Aktivierung des Vermeidungssystems fühlt sich unangenehm an (Anwesenheit von unangenehmen Dingen), eine Aktivierung des Annäherungssystems angenehm (Anwesenheit von angenehmen Dingen) (Kuhbandner/ Frenzel 2019, 189). Die Intensität der Aktivierung kann dabei variieren. 2.2 Abgrenzung zu verwandten Konstrukten Aus den obigen Erläuterungen geht bereits hervor, dass der Begriff Gefühl eine Teilkomponente der Emotion, nämlich ihre „subjektive und innerlich bewusst erlebte Seite“ (Kuhbandner/ Frenzel 2019, 188), darstellt. Des Weiteren lassen sich Affekt und Stimmung abgrenzen, und zwar als […] Varianten des allgemeineren Begriffs ‚Emotion‘, die diesen insbesondere hinsichtlich der Intensität und zeitlichen Dauer ausdifferenzieren. „Affekt“ bezeichnet demnach einen Emotionszustand von kurzer und sehr intensiver Zeitdauer, der durch eine starke Verhaltenstendenz charakterisiert ist (‚Handeln im Affekt‘). „Stimmung“ bezeichnet stattdessen einen länger anhaltenden Emotionszustand von geringerer Intensität, der sich oft vom ursprünglich emotionsauslösenden Ereignis entkoppelt hat […] (Kuhbandner/ Frenzel 2019, 188-189; Tab. 1). Affekt Emotion Stimmung Ursache erkennbar erkennbar nicht erkennbar Kognitionen nicht notwendig notwendig nicht notwendig Intensität hoch mittel schwach Dauer kurz mittel lang Verhalten zwingend drängend kaum fordernd Tab. 1: Unterscheidung zwischen den drei emotionalen Zuständen Affekt, Emotion und Stimmung (Sokolowski 2013, 221). Schließlich sind auch Emotion und Motivation voneinander abzugrenzen, wobei oben bereits deutlich geworden ist, dass Emotionen sowohl eine kognitive als auch eine motivationale Komponente beinhalten bzw. dass Kognition und Motivation aus Sicht der Emotionsforschung Moderatorvariablen sind (Pekrun/ Perry 2014, 132). Gerrig (2016) definiert: „Motivation ist der allgemeine Begriff für alle Prozesse, die der Initiierung, der Richtungsgebung und der Aufrechterhaltung physischer und psychischer Aktivitäten dienen“ (ebd., 420; Hervorhebung im Original). Und weiter: Julia Settinieri 216 Analysen motivationaler Vorgänge tragen zur Erklärung bei, wie biologische Prozesse und gezeigte Verhaltensweisen in Beziehung zueinander stehen und warum Menschen trotz Hindernissen und Widrigkeiten ihre Ziele verfolgen. Die Triebtheorie konzeptualisiert Motivation als Spannungsreduktion. Menschen werden auch durch Anreize motiviert, externale Reize, die nicht im Zusammenhang mit körperlichen Bedürfnissen stehen (Gerrig 2016, 454). Auch die Motivationsforschung integriert jedoch anders herum kognitive (z.B. Bewertungen) und emotionale (z.B. in Bezug auf intrinsische Motivation) Aspekte, so dass insgesamt deutlich wird, dass die Forschungsprogramme Emotion und Motivation einander überlappen und ergänzen und möglicherweise lediglich zwei unterschiedliche Perspektiven auf die Grundfrage, was uns Menschen eigentlich im Innersten bewegt, darstellen. So referieren beide Konzepte auf Grundbedürfnisse des Menschen, wie sie z.B. von Maslow (1977) formuliert wurden, dessen Bedürfnishierarchie biologische Bedürfnisse sowie die Bedürfnisse nach Sicherheit, Bindung, Wertschätzung und Selbstverwirklichung heuristisch voneinander trennt (Gerrig 2016, 425-426). 3 Forschungsstand Wie einleitend bereits genauer erläutert, hat sich die Fremdsprachenforschung m.E. bislang kaum mit der Rolle von Emotionen (im engeren Sinne) beschäftigt. Eine größere Ausnahme bildet vielleicht Krashens (1982) Affective Filter Hypothesis, die Emotionen als Moderatorvariable im Erwerb modelliert, indem angenommen wird, dass negative Emotionen wie Angst, geringes Selbstbewusstsein oder Langeweile die Aufnahme und Verarbeitung von sprachlichem Input blockieren können. Jean-Marc Dewaele beschäftigt sich darüber hinaus schon seit vielen Jahren im Rahmen unterschiedlicher Studien mit der Frage, welche Emotionen Mehrsprachige mit ihren unterschiedlichen Sprachen verbinden (z.B. Dewaele 2008; 2013; vgl. auch einen ersten State-ofthe-Art bei Dewaele/ Chen/ Padilla/ Lake 2019 zu Ansätzen Positiver Psychologie in der Fremdsprachenforschung sowie Marx in diesem Band). Ansonsten finden sich jedoch eher vereinzelte Studien zur Rolle der Emotion in der L2- Aneignung (z.B. Imai 2010; Méndez López 2011; MacIntyre/ Vincze 2017). Darüber hinaus sind die Faktoren (Sprech- oder Prüfungs-)Angst (anxiety) und Motivation relativ umfangreich beforscht worden. Aus Sicht der pädagogischen Psychologie kann zusammenfassend festgehalten werden, dass Emotionen und Kognitionen einander gegenseitig beeinflussen, Emotionen also Lernprozesse sowohl vorstrukturieren als auch ein Ergebnis von Lernprozessen darstellen können (Fiedler/ Beier 2014, 36). Während man landläufig vielleicht annehmen könnte, dass dabei vor allem positive Emotionen den Lernprozess fördern, verhält es sich jedoch vielmehr so, dass es grundsätzlich die aktivierenden Emotionen (und zwar sowohl positive Die anderen Emotionen und die Emotionen der Anderen 217 als auch negative; vgl. Abb. 1) sind, denen positive Effekte auf die Lernleistung nachgewiesen werden können. Fiedler und Beier (2014, 39; 50-51; vgl. auch Pekrun/ Perry 2014, 133-135; Kuhbandner/ Frenzel 2019, 200-203) gehen dabei unter Verweis auf zahlreiche empirische Studien grundlegend davon aus, dass negative Emotionen eher Akkommodation, positive Emotionen eher Assimilation (im Sinne Piagets 1954) begünstigen. Negative Emotionen werden somit mit Regelkonformität, Genauigkeit und der Fokussierung auf taskrelevante Stimuli in Beziehung gesetzt, positive Emotionen mit Kreativität und Exploration. Over time, as a consequence of this dialectic interplay of both adaptive functions, the individual has to deal with contrasting affective experiences and to acquire a rich repertoire of strategies, which in turn facilitates successful education and development in the long run (Fiedler/ Beier 2014, 50). Angesprochen ist hier die Fähigkeit zur Emotionsregulation, die es uns ermöglicht, unsere Emotionen willentlich in Intensität und Dauer zu beeinflussen, bspw. indem wir einen Reiz neu bewerten (uns z.B. klarmachen, dass der Horrorfilm „nur ein Film“ ist) oder uns von ihm ablenken (z.B. durch Stricken während des Films) (Gerrig 2016, 469-470). Diesen aktiven und konstruktiven Umgang mit Emotionen gilt es, auch im Fremdsprachenunterricht zu fördern. 4 Forschungsperspektiven Einen für die Fremdsprachenforschung in diesem Zusammenhang besonders interessanten psychologischen Ansatz bietet meines Erachtens die Control- Value Theory of Achievement Emotions (Pekrun 2006; Pekrun/ Perry 2014), die Regulationsmöglichkeiten auf vier Ebenen aufzeigt. Achievement emotions werden dabei zunächst definiert als „affective arousal that is tied directly to achievement activities (e.g., studying) or achievement outcomes (success and failure; […])“ (Pekrun/ Perry 2014, 121). Abgegrenzt werden achievement emotions von topic emotions, epistemic emotions und social emotions (Pekrun/ Perry 2014, 121; vgl. genauer auch Kuhbandner/ Frenzel 2019, 196- 199), die in Lernkontexten ebenfalls von Bedeutung sind, wobei es durchaus auch zu Überlappungen kommen kann. 1 Des Weiteren können achievement emotions danach ausdifferenziert werden, ob sie sich auf eine Lernaktivität beziehen oder ob sie prospektiv oder retrospektiv auf Lernergebnisse bezogen sind, sowie entlang der oben (Abb. 1) beschriebenen Dimensionen Valenz und Aktivierung (Tab. 2). 1 Darüber hinaus können natürlich auch schulunabhängige Emotionen einen Einfluss im Schulkontext haben, wenn sie bspw. im Falle von Gewalt in der Familie oder von Fluchterfahrungen im Kontext von Migration Ressourcen von schulrelevanten Themen ablenken (Kuhbandner/ Frenzel 2019, 198). Julia Settinieri 218 Positive a Negative b Object Focus Activating Deactivating Activating Deactivating Activity Enjoyment Relaxation Anger Boredom Frustration Outcome/ Prospective Hope Relief c Anxiety Hopelessness Joy c Outcome/ Retrospective Joy Pride Contentment Relief Shame Anger Sadness Disappointment Gratitude Tab. 2: A Three-Dimensional Taxonomy of Achievement Emotions ( a Positive = pleasant emotion. b Negative = unpleasant emotion. c Anticipatory joy/ relief.) (Pekrun/ Muis/ Frenzel/ Goetz 2018, 5). Die Control-Value Theory versucht nun, mögliche Ursprünge, situative Spezifität, Funktionen, Regulationsprozesse sowie die relative Universalität von Leistungsemotionen genauer zu modellieren. Im Zentrum der Überlegungen stehen dabei wiederum control und value appraisals sowie die gegenseitige Beeinflussung (reciprocal causation) der einzelnen dynamischen Komponenten im Rahmen zyklischer Regulierungsprozesse (feedback loops), die sich auf Emotionen, Bewertungen, Situationen oder Kompetenzen beziehen können. Die Bewertungsprozesse können dabei bewusst oder unbewusst ablaufen. Pekrun und Perry (2014) erläutern genauer: Perceived control refers to appraisals of control over actions and outcomes (controllability), whereby such control can be exerted by oneself or external factors (agency). Perceived control also determines the subjective likelihood to obtain outcomes (probability). Perceived value involves both perceived degree of importance for oneself (goal relevance) and perceived direction (positive versus negative; i.e., goal congruence in terms of events either supporting goal attainment or impeding goal attainment) (Perkun/ Perry, 124-125). In diesem Zusammenhang verweisen die Autoren auch selbst auf Überschneidungen mit Erwartungs-Wert-Theorien der Motivationsforschung (z.B. Situations-Ergebnis-Erwartungen, Handlungs-Ergebnis-Erwartungen und Ergebnis-Folgen-Erwartungen bei Heckhausen 1991; Selbstwirksamkeitsüberzeugungen nach Bandura 1977; 1997 und insbesondere Weiners Attributionstheorie der Leistungsmotivation 1985; 2007). Spezifischer aus Sicht der Fremdsprachenforschung lässt sich aus dem oben Festgehaltenen ableiten, dass Emotionen in sozialen und interaktionalen Zusammenhängen untersucht und modelliert werden sollten. So entsteht die besonders gut erforschte Emotion der Angst im Kontext der Fremdsprachen- Die anderen Emotionen und die Emotionen der Anderen 219 forschung bspw. ausschließlich in der Interaktion, da sie evaluative Reaktionen (z.B. Nicht-Verstanden-Werden oder eine Note) antizipiert. Entsprechend sollte die Fremdsprachenforschung in Zukunft nicht nur vielfältigere Emotionen, sondern auch die Emotionen aller an der Interaktion beteiligter Personen in den Blick nehmen und nicht - wie bislang dominant der Fall - ausschließlich die der L2-Sprecher*innen. Sowohl Emotionen von Lehrenden (vgl. z.B. Schutz/ Pekrun 2007, IV; Pekrun/ Muis/ Frenzel/ Goetz 2018, 98-126; Kuhbandner/ Frenzel 2019, 198-199 für einen Überblick aus psychologischer Perspektive; vgl. auch Kurtz in diesem Band zur Kritik an der Sicht auf Lehrende als „gut geölte Maschinen“) als auch von Gesprächspartnerinnen und -partnern im ungesteuerten Erwerb sollten hier in den Blick genommen werden, da sie Erwerbsprozesse entscheidend mitbeeinflussen können. Emotionen können dabei in einer breiteren Sicht in Prozesse sozialer Evaluation eingebettet betrachtet werden, wie dies beispielsweise die Soziophonetik tut (vgl. z.B. das SNAC-Modell (Model of the Stigma of Nonnative Accents in Communication) bei Gluszek/ Dovidio 2010). Neben auch in der Fremdsprachenforschung gängigen Methoden wie Interview, Fragebogen (häufig mit Ratingskalen, ggf. auch als Zeitstichproben erhoben; vgl. z.B. Wilden in diesem Band) oder Tagebuch kommen in der Psychologie zur Erforschung von Emotionen insbesondere auch unterschiedliche Priming-Methoden sowie physiologische Messungen (z.B. Puls-, Blutdruck-, Temperaturmessung, EEG) und Beobachtungsmethoden (z.B. in Bezug auf Mimik und Gestik) zum Einsatz (vgl. z.B. Brandstätter/ Otto 2009, Kap. VIII; Pekrun/ Linnenbrink-Garcia 2014, Part IV; Schmidt- Atzert/ Peper/ Stemmler 2014, 37-127 für einen Überblick). Eine mögliche Adaptation für die Fremdsprachenforschung sollte geprüft werden. 5 Pädagogisch-didaktische Implikationen In Bezug auf die Gestaltung von Tasks und Lernumgebungen lässt sich aus der Control-Value Theory of Achievement Emotions bspw. ableiten, dass die kognitiven Anforderungen auf die Zone der nächsten Entwicklung (Vygotskij 2002) bzw. das optimal level of arousal (Yerkes/ Dodson 1908) zielen und so weder Langeweile noch Überforderung, sondern idealerweise Flow-Erleben (Csikszentmihalyi 1975) auslösen sollten. Auf motivationaler Ebene sollte von Eltern und Lehrpersonen versucht werden, einschlägige values zu stärken, z.B. durch Lernerorientierung, kooperative Arbeitsformen (die dem Grundbedürfnis nach sozialer Eingebundenheit entgegenkommen) und durch Begeisterung der Lehrperson für die Fremdsprache. Um Kontrollüberzeugungen auszubauen, ist nach Möglichkeit Lernerautonomie anzustreben, die dem Grundbedürfnis nach Selbstbestimmung entgegenkommt, was jedoch wiederum nicht zu Überforderung führen darf, um nicht in Kontrollverlust, Angst und Hoffnungslosigkeit umzuschlagen (Pekrun/ Perry 2014, 130; vgl. auch Julia Settinieri 220 Pekrun/ Muis/ Frenzel/ Goetz 2018, 127-152, die zehn Praxisimplikationen der Emotionsforschung diskutieren). Darüber hinaus erscheint eine Orientierung an individuellen Normen im (Fremdsprachen-)Unterricht geboten, da jegliches Anlegen einer sozialen Norm relativen Erfolg und Misserfolg (und damit wiederum Emotionen wie Angst oder Hoffnungslosigkeit) für jeweils die Hälfte der Lerngruppe bedeutet. Von zentraler Wichtigkeit ist insgesamt, dass Schüler*innen erleben, dass Anstrengung zu Erfolg führt und dass dieser in ihrer Hand liegt. Diese auf Emotionsregulation zielenden Erkenntnisse der Emotionsforschung decken sich, wie hier erneut ersichtlich wird, tatsächlich sehr breit mit denen der Motivationsforschung. 6 Fazit The classroom is an emotional place. The countless hours students spend attending class, completing projects, taking exams, and building social relationships translate into progress towards crucial life goals - holding a degree in education has never been of more personal, social, or financial significance than it is today. Accordingly, it is no wonder that educational settings abound with emotions. In these settings, emotions such as enjoyment of learning, curiosity, interest, hope, pride, anger, anxiety, shame, confusion, frustration, or boredom are frequent, pervasive, manifold, and often intense. (Pekrun/ Linnenbrink-Garcia 2014, 1) Dabei wird der Schule häufig vorgeworfen, basale Bedürfnisse wie Selbstbestimmung, Kompetenz oder soziale Eingebundenheit zu wenig zu befriedigen (Vollmeyer 2009, 340). Selbstverständlich spielen Emotionen - wie auch die eng verwandte Motivation - eine wichtige Rolle in fremdsprachlichen Erwerbs- und Lernprozessen. Nichtsdestotrotz stellt die Sprachaneignung bzw. stellt das Lernen allgemein einen genuin kognitiven Prozess dar, so dass aktivierende Emotionen nicht gleich Lernen bedeuten, genauso wenig wie Interaktion mit Spracherwerb gleichzusetzen wäre. Gleichwohl finden Lernen und Erwerb häufig in der Interaktion statt, so dass es geboten erscheint, neben den Emotionen der L2-Sprecher*innen selbst auch die Emotionen der weiteren Akteurinnen und Akteure (Lehrer*innen, Kommunikationspartner*innen) in den Blick zu nehmen, wobei aus der Rezipientenperspektive anstelle des Begriffs der Emotionen möglicherweise das Konzept der evaluativen Reaktionen (s.o.) das treffendere sein könnte. Auch wäre es verengend, Emotionen in der Fremdsprachenforschung ausschließlich in ihrer Funktion für das Lernen bzw. den Erwerb in den Blick zu nehmen, auch wenn oder gerade weil die Versuchung in Zeiten von Kompetenzorientierung und Selbstoptimierung hoch zu sein scheint. Positive Emotionen stellen jedoch einen Wert für sich dar bzw. ein Recht, das nicht nur besonders starke Fremdsprachenlerner*innen haben, sondern jedes einzelne Kind einer Klasse. Während Erwachsene einen (Sprach-)Kurs, in dem sie sich Die anderen Emotionen und die Emotionen der Anderen 221 nicht wohl fühlen, in aller Regel jederzeit einfach verlassen können (und dies auch regelmäßig tun, wenn wir z.B. die Abbrecherquoten an Universitäten in den Blick nehmen), müssen Schüler*innen (zumindest in den niedrigeren Schulstufen) die meisten ihrer Schulstunden verpflichtend belegen und dürfen nicht einfach fehlen, geschweige denn ein Fach nicht mehr besuchen. Sie sind also über lange Zeit gezwungen, Unterricht zu erleben, was Lehrpersonen eine hohe Verantwortung für das körperliche und seelische Wohlbefinden ihrer Schüler*innen auferlegt. Insofern sollte zumindest kritisch hinterfragt werden, welche negativen Emotionen als erwerbsförderlich zu rechtfertigen sein bzw. im Rahmen regulativer Prozesse genutzt werden könnten, welche Emotionen schlicht nicht immer zu verhindern sind und welche tunlichst vermieden werden sollten. 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Zur Komplexität der Rolle von Emotionen im Fremdsprachenunterricht und den Potenzialen der Dramapädagogik Carola Surkamp 1 Emotionen im Fremdsprachenunterricht Wie die Beiträge im vorliegenden Band zeigen, besteht in der Fremdsprachenforschung heute Einigkeit darüber, dass neben Kognitionen auch Emotionen in vielfältiger Weise an Lernprozessen beteiligt sind. Emotionen wirken auf unser Denken und Handeln ein und können das Lernen entlang der Stufen von Verstehen, Behalten und Wiederanwendung erleichtern, erschweren oder hemmen (vgl. Wolff 2004, 95). Gesicherte Erkenntnisse für Wirkungen von emotionalen Einflussgrößen auf das sprachliche Lernen liegen mittlerweile beispielsweise im Hinblick auf das Wecken von Interesse an einem Thema oder einer Aufgabe, die Fokussierung der Aufmerksamkeit sowie die Erinnerungsleistung vor (vgl. z.B. Sambanis 2013, 27). Des Weiteren wurde herausgefunden, dass Emotionen die Sprachrezeption und -produktion sowie die Wahrnehmung, Interpretation und Bewertung von Situationen und Personen bestimmen (vgl. Wolff 2004, 96; Schwarz-Friesel 2013, 4). Um die Wirkungsweisen von Emotionen in Lernprozessen sowohl für Forschungszwecke theoretisch besser fassen als auch mit Blick auf die konkrete Unterrichtspraxis deuten zu können, werden diese nach verschiedenen Kriterien klassifiziert. Sambanis (2013, 25) orientiert sich an einem Katalog nach Hascher (2005), dem zufolge Emotionen nach ihrer Valenz, Intensität, Häufigkeit, zeitlichen Dimension, Referenz und dem Kontext, in welchem sie auftreten, unterschieden werden. Das Kriterium der Valenz klassifiziert Emotionen als ‚positiv‘, ‚negativ‘ oder ‚ambivalent‘, während mit der Intensität und der Häufigkeit die Stärke einer Emotion bzw. die Frequenz ihres Auftretens skaliert wird. Über die zeitliche Dimension werden Emotionen in Abhängigkeit zu einem Ereignis als prospektiv, aktuell oder retrospektiv unterschieden, und das Kriterium der Referenz fragt nach der Person, auf die sich eine Emotion bezieht (vgl. Sambanis 2013, 25). Anhand solcher Kriterien lassen sich Emotionen auch als Einflussgrößen beim fremdsprachlichen Lernen näher beschreiben. So bleiben Inhalte, die mit positiven Emotionen verknüpft sind, in der Regel nachhaltig im Gedächtnis, während Wortschatz, der unter starkem Druck z.B. angesichts eines spontan angekündigten Tests gelernt wird, eher kurzfristig im Gedächtnis Zur Komplexität der Rolle von Emotionen im Fremdsprachenunterricht 225 bleibt (vgl. ebd., 27). Allerdings sind Emotionen auch noch in anderer Hinsicht in fremdsprachlichen Lehr- und Lernprozessen präsent: Lernenden begegnen Emotionsdarstellungen in Texten, emotionale Aspekte spielen eine wichtige Rolle beim Textverstehen, Emotionen kommen durch Sprache zum Ausdruck und werden dadurch mittelbar (vgl. Schwarz-Friesel 2013, 1), über Emotionen wird gesprochen und geschrieben und nicht zuletzt finden Emotionen Eingang in Zielbeschreibungen des Fremdsprachenunterrichts. Es bedarf also einer detaillierteren Betrachtung und Systematisierung der verschiedenen Ebenen im Unterrichtsgeschehen, auf denen emotionale Aspekte Bestandteil des fremdsprachlichen Lehrens und Lernens sein können. Führt man sich vor Augen, dass Lernende im Fremdsprachenunterricht anhand von unterschiedlich medial verfassten Texten gemeinsam mit der Lehrperson mündliche und schriftliche Aushandlungen vornehmen, um fremdsprachliche kommunikative Kompetenzen zu entwickeln, dann spielen emotionale Aspekte in vielerlei Hinsicht eine Rolle: Neben der Lehrperson und ihren eigenen Emotionen, den emotionalen Bindungen zwischen den Akteur*innen und der methodischen Gestaltung der Lehr-Lern-Situation sind dabei auch die Unterrichtsgegenstände, also die Texte und ihre Kontexte, und auch die Fremdsprache selbst, zu nennen. 2 Emotionen auf verschiedenen Ebenen im Unterrichtsgeschehen Im Folgenden versuche ich, schrittweise ein Modell zu entwickeln, das die verschiedenen Ebenen, auf denen Emotionen für den Fremdsprachenunterricht relevant werden, erfasst. Dabei konzentriere ich mich zunächst auf die Ebene der Unterrichtsgegenstände, indem ich - ausgehend von einem weiten Textbegriff - ein Modell zur textuellen Kommunikation (vgl. Surkamp/ Nünning 2016, 24) unter dem Aspekt der ‚Emotionen‘ erweitere. In einem zweiten Schritt gehe ich auf die Lehr-Lern-Situation bei der Beschäftigung mit Texten im Fremdsprachenunterricht sowie auf die beteiligten Akteur*innen und deren Emotionen ein. Im Kommunikationsprozess produziert ein*e Autor*in (Sender*in) einen Text (Nachricht), der zugleich die materiale Grundlage bzw. das Medium (Kanal) bildet, durch das die Nachricht zum Rezipienten bzw. zur Rezipientin (Empfänger*in) gelangt. Eine notwendige Voraussetzung dafür, dass diese*r den Text verstehen kann, besteht darin, dass Sender*in und Empfänger*in eine gemeinsame Sprache beherrschen und von ähnlichen Genrekonventionen (Kode) ausgehen. Zudem weisen Texte einen Bezug zur Wirklichkeit (Kontext) auf, der allerdings ästhetisch bzw. medial vermittelt ist. Auf all diesen Ebenen können Emotionen zum Tragen kommen (vgl. Abb. 1): Es wandern nicht einfach Informationen und Bedeutungen vom Sender zum Empfänger, sondern Signale, die durch eigene Bedeutungszuweisung interpretiert werden, auch unter Einfluss von Emotionen. Die emotionale Einstel- Carola Surkamp 226 lung des Senders bzw. der Senderin wirkt sich zudem auf die Textgestaltung aus, sowohl auf inhaltlicher als auch auf sprachlich-formaler Ebene. Darüber hinaus können Emotionen im Text selbst zum Thema werden, ggf. unter Bezug auf einen bestimmten Kontext. Schließlich werden Emotionen in Texten durch Sprache repräsentiert, und auch die besondere mediale Gestaltung des Textes kann Emotionen zum Ausdruck bringen und den bzw. die Rezipient*in emotionalisieren, wie dies z.B. beim Einsatz von Musik im Film der Fall ist. Es lässt sich daher zwischen sogenannten „F-emotions, die sich auf die Ereignisse in der fiktiven Welt richten und A-emotions, die sich auf den [ sic! ] Artefakt, d.h. auf die Form des Textes beziehen“ (Donnerstag/ Wolff 2007, 151; kursiv im Original), unterscheiden. Abb.1: Modell textueller Kommunikation und emotionale Aspekte Wird nun im Fremdsprachenunterricht mit Texten gearbeitet, kommen weitere Aspekte und Ebenen, auf denen Emotionen wirksam werden können, hinzu (vgl. Abb. 2). So kann die Tatsache, dass Emotionen in Texten zur Darstellung kommen, Auswirkungen auf die Textauswahl haben. Kramsch (2011, 38) zufolge ist es z.B. für das Interesse und die Motivation der Lernenden sich mit kulturell-historischen Ereignissen im Fremdsprachenunterricht auseinanderzusetzen wichtig, diesen Ereignissen über die Einbeziehung von Gefühlen ein menschliches Gesicht zu verleihen, den Unterricht also „um eine emotionale Komponente zu ergänzen“ (ebd.). Diese Komponenten können ihrer Meinung nach vor allem literarische Texte vermitteln (vgl. ebd.). Auch im Kontext des globalen Lernens kann Literatur in dieser Hinsicht eine Rolle spielen, um Lernenden beim Erkennen und Bewerten globaler Zusammenhänge bei Themen wie ‚Klimawandel‘, ‚Fast Fashion‘ oder ‚Migration‘ durch die Beschäftigung mit Einzelschicksalen und Geschichten hinter reinen Fakten und Zahlen auch einen affektiven Zugang zum jeweiligen Thema zu verschaffen. Dies kann für die beim globalen Lernen u.a. verfolgten Lernziele der Entwicklung von Empathie und Handlungswillen förderlich sein. Auch Zur Komplexität der Rolle von Emotionen im Fremdsprachenunterricht 227 ein Dokumentarfilm, der einen einzelnen Menschen begleitet, kann in dieser Hinsicht eingesetzt werden. Emotionale Textinhalte werden zudem besser behalten als neutrale Informationen. Durch die besondere Aktivierung des Gedächtnisses werden sie tiefer verarbeitet und mit bereits bestehendem Wissen leichter verknüpft (vgl. Schwarz-Friesel 2013, 130). Allerdings reicht die Auswahl von Texten über emotionale Themen allein nicht aus, um die Behaltensleistung zu verbessern; der Lerninhalt muss auch „als etwas persönlich Sinnvolles wahrgenommen werden“ (Hänze 2009, 750). Hier kommt die methodische Gestaltung der Lehr-Lern-Situation ins Spiel: Aus emotionspsychologischer Perspektive führen problemorientierte Methoden, bei denen Schüler*innen eigene Fragen an das Material formulieren und Antworten eigenständig erarbeiten, zu einer ‚stärker‘ bzw. ‚stärkeren‘ persönlichen und emotionalen Bedeutsamkeit des Unterrichtsstoffs als lehrerzentrierte Verfahren (vgl. ebd.; Wolff 2004, 99f.). Im Unterricht kann aber auch ein Fokus auf Emotionen als Gegenstand bei der Textarbeit gelegt werden. Dafür kommen zum einen die in Texten dargestellten Inhalte in Frage. Burwitz-Melzer (2008, 33) ist z.B. mit Robinson (2005) der Auffassung, dass sich Emotionen mit Hilfe von Literatur beobachten, analysieren und reflektieren lassen, was auch Aufschluss über emotionale Prozesse in der Lebenswelt geben kann: But if we really want to understand emotions in all their uniqueness and individuality, if we want to follow the progress of an emotion process as it unfolds, if we want to understand how the different elements of the process feed into one another […] then we would do better to stay away from the generalizations of philosophers and psychologists, and turn instead to the detailed studies of emotion that we find in great literature (Robinson 2005, 98f., zitiert in Burwitz-Melzer 2008, 33). Zum anderen kann das durch die Art der Darstellung, die verwendete Sprache oder die besondere Medialität des Textes geschaffene Emotionalisierungspotenzial eines Textes untersucht werden. Die formale Gestaltung wird z.B. bei Werbetexten und politischen Reden, aber auch bei Spiel- und Dokumentarfilmen relevant, da in diesen Texten durch den Einsatz von metaphorischer Sprache, paralinguistischen Signalen, Farben, Bildern oder Musik gezielt Emotionen geweckt werden sollen, um Rezipient*innen zu beeinflussen, z.B. um im Falle von Werbetexten einen Kaufimpuls hervorzurufen (vgl. Schwarz- Friesel 2013, 6). Auch die Fremdsprache selbst wird bei einer solchen Zielsetzung zum Unterrichtsgegenstand, da die Beziehungen zwischen Sprache und Emotionen näher betrachtet werden. Die Lernenden erfahren, dass und wie mit sprachlichen Äußerungen Emotionen nicht nur zum Ausdruck gebracht und benannt, sondern auch konstruiert und evoziert werden (vgl. ebd.). Sowohl in Beispielen für private Alltagskommunikation (Dialog eines Liebespaares oder Carola Surkamp 228 familiäres Streitgespräch) als auch für öffentliche Kommunikationssituationen (politische Rede oder Berichterstattung in einer Nachrichtensendung) kann verdeutlicht werden, dass lexikalische Mittel und syntaktische Strukturen gezielt eingesetzt werden, um emotionale Inhalte zu vermitteln (ebd., 27). Schüler*innen lernen so, dass sprachliche Äußerungen immer auch die emotionale Einstellung des Senders bzw. der Senderin einer Nachricht widerspiegeln, Aufschluss über die Beziehung zwischen Kommunikationsteilnehmer*innen geben und zugleich nahelegen, dass ein Inhalt abhängig von der emotionalen Verfasstheit und den Intentionen des Senders bzw. der Senderin unterschiedlich versprachlicht werden kann (vgl. ebd.). Die methodische Gestaltung des Lehr-/ Lernprozesses wiederum kann dafür sorgen, dass emotionale Aspekte überhaupt Eingang in fremdsprachliche Aushandlungsprozesse finden und für das Lernen genutzt werden. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn Lernende in textbezogenen Aufgaben explizit aufgefordert werden, ihre Emotionen beim individuellen Textverstehen einzubringen oder die Emotionen der Figuren in einem literarischen Text mittels eines Perspektivwechsels nachzuvollziehen und durch kreative Methoden (z.B. auch nonverbal) zum Ausdruck zu bringen. Insbesondere handlungs- und produktionsorientierte Verfahren tragen der Erkenntnis der Textverstehensforschung Rechnung, dass Lesen ein kreativer Akt der Bedeutungsbildung ist, bei dem auch emotionale Aspekte mitwirken. Zum einen fungieren Emotionskonzepte als mentale Schemata, die eine Einordnung von Erlebnissen erst ermöglichen (vgl. Schwarz-Friesel 2013, 41). Zum anderen bilden Emotionen im Leseprozess, wie Donnerstag und Bosenius (2000, 153) herausstellen, „eine unabdingbare Voraussetzung für die Verbindung eigener Erfahrungswelten mit literarischen Erfahrungswelten“: Leser*innen erleben die im Text dargestellten Emotionen über Identifikationsprozesse, hoffen und bangen mit den Figuren, freuen sich und leiden mit ihnen. Auf diese Weise lenken Gefühle die Aufmerksamkeit des Lesers bzw. der Leserin und beeinflussen die Wahrnehmung von fiktionalen Situationen. Sie spielen daher auch eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Deutungshypothesen und deren Überprüfung im Leseprozess (vgl. ebd.). Einfluss auf die fremdsprachliche Lernleistung haben Emotionen, wenn sich Angst negativ auf die Sprachproduktion auswirkt und Lernende z.B. hemmt, sich mündlich in der Fremdsprache zu äußern. Wesentliche Faktoren für die Beeinflussung dieses Aspekts der emotionalen Dimension beim Fremdsprachenlehren und -lernen sind die Lehrperson und die Atmosphäre in der Lerngruppe. Die Lehrkraft nimmt mit ihren eigenen Emotionen am Unterrichtsgeschehen teil und beeinflusst damit auch die Emotionen der Lernenden. Lernende reagieren z.B. insofern auf die Lehrkraft, als ein positiver Gesichtsausdruck die Aufnahmebereitschaft und die Verarbeitung von Wissen begünstigt und eine positive Grundstimmung der Lehrperson auch auf die Fremdsprache selbst übertragen wird und sowohl die Offenheit der Zur Komplexität der Rolle von Emotionen im Fremdsprachenunterricht 229 Lernenden für die Fremdsprache als auch deren Leistungswillen erhöht (vgl. Sambanis 2013, 33f.). Ist darüber hinaus im Klassenzimmer ein ermutigendes, fehlertolerantes und wertschätzendes Klima (auch bei den Lernenden untereinander) vorherrschend, steigen mit den dadurch evozierten positiven Emotionen die für das Fremdsprachenlernen notwendige Risikobereitschaft und das Selbstvertrauen der Lernenden (vgl. ebd., 34). In diesem Zusammenhang muss auch die Art und Weise des Feedbackgebens stärker berücksichtigt werden (vgl. Surkamp 2020 sowie Rymarczyk in diesem Band). Da Bindung und Bildung eng aneinander gekoppelt seien, betont Hüther (2004, 33) den hohen Stellenwert der emotionalen Beziehung zwischen Lehrperson und Lernenden für Lernprozesse (vgl. auch Settinieris Forderung in diesem Band, Emotionen noch stärker als bisher in sozialen und interaktionalen Zusammenhängen zu untersuchen und zu modellieren). Dass Emotionen in vielerlei Hinsicht Eingang in den Fremdsprachenunterricht finden, zeigt sich schließlich in unterschiedlichen Zielformulierungen in bildungspolitischen Dokumenten, in denen die affektive Dimension des Sprachenlernens berücksichtigt wird. Beim Leseverstehen z.B. sollen Sprachenlernende gemäß des neuen Companion Volume des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen auf Niveaustufe B1 die Beschreibung von Gefühlen, z.B. in einem persönlichen Brief, aber auch in literarischen Texten, verstehen können (Council of Europe 2018, 61, 65). Auf Niveaustufe C1 kommt hinzu, dass auch implizit zum Ausdruck gebrachte Gefühle in verschiedenen Genres und in den sozialen Medien nachvollzogen werden können (ebd., 61). Im Hinblick auf die Sprachproduktion sollen Lernende auf B1 in der Lage sein, ihre eigenen Gefühle bei einem Erlebnis sowohl zu artikulieren als auch zu begründen (ebd., 70). Für Interaktionen wird angestrebt, dass Lernende ihre eigenen Gefühle nicht nur zeigen, sondern auch die Gefühle anderer erkennen und adäquat darauf reagieren, und bei der Online-Kommunikation wird für die Niveaustufe C2 erwartet, dass emotionale Reaktionen des Kommunikationspartners antizipiert werden können und dass mit möglichen Missverständnissen effektiv umgegangen werden kann (ebd., 85, 97). Emotionen haben also Eingang in alle Kompetenzbereiche des Fremdsprachenlernens gefunden. Folgt man einem weiten Kompetenzbegriff, der nach Weinert (2001, 27f.) neben Wissen und Fähigkeiten auch Motivationen und Haltungen umfasst, ist die emotionale Dimension des Lernens allerdings sowieso immer Bestandteil des sprachlichen, kulturellen und literarischen Lernens. Zudem schafft Emotionalität, wie oben dargelegt, Zugänge zu Gegenständen und Lernprozessen, so dass ohne die Einbeziehung von Emotionen in den Unterricht viele Kompetenzen überhaupt nicht gefördert werden könnten. Nicht zuletzt muss die Förderung der sog. ‚emotionalen Intelligenz‘ - also der emotionalen Selbstwahrnehmung, des Deutens von und des Umgangs mit Emotionen - als fächerübergreifende Aufgabe in der Schule ange- Carola Surkamp 230 sehen werden, da, wie auch Schwarz-Friesel (2013, 118) feststellt, „,rein kognitive‘ Fähigkeiten nicht ausreichen, um Probleme zu lösen, Konflikte abzubauen und Disharmonien zu beseitigen“. Wie auch die folgende, das Bisherige zusammenfassende Abbildung zeigt, stellt sich die emotionale Dimension fremdsprachlicher Lehr-Lern-Prozesse bei näherer Betrachtung als äußerst komplex dar. Zur Realisierung von Forschungsvorhaben mit einem Fokus auf Emotionen im Fremdsprachenunterricht müssen sicherlich Fokussierungen auf Einzelaspekte vorgenommen werden. Es bedarf aber auch einer Zusammenschau der verschiedenen Variablen, um die unterschiedlichen Wirkmechanismen emotionaler Faktoren im Unterricht überhaupt sichtbar und erklärbar zu machen. Abb. 2: Kommunikationsmodell für Lehr-Lern-Situationen unter Berücksichtigung emotionaler Aspekte 3 Emotionen und Dramapädagogik Ein Ansatz innerhalb der Fremdsprachendidaktik, der emotionale Aspekte des Lernens auf verschiedenen Ebenen besonders berücksichtigt, ist die Dramapädagogik. In Anlehnung an die Kunstform ‚Theater‘ verfolgt dieser Ansatz durch Körper-, Stimm- und Sprechübungen sowie durch das Spiel in Rollen ein Fremdsprachenlernen mit allen Sinnen. Auf der Basis von Bildern, Gegenständen, Geräuschen oder Texten wird ein fiktiver Handlungskontext geschaffen, innerhalb dessen sich eine dramatische Handlung entfaltet, z.B. in Form einer Pantomime, einer akustischen Collage, eines Standbildes oder Zur Komplexität der Rolle von Emotionen im Fremdsprachenunterricht 231 einer Improvisation (vgl. Schewe 2017, 50). Sprache wird als Ereignis und performativer Akt angesehen, der Lernende in ihrer ganzen Person - im Denken, Handeln und Fühlen - berücksichtigen möchte (vgl. Küppers et al. 2011, 8). Diese Prinzipien sind nicht neu. Schon im letzten Jahrhundert forderten die Reformpädagog*innen ein Lernen mit ‚Kopf, Herz und Hand‘, um Emotionen für Lernprozesse fruchtbar zu machen. Zudem wird spätestens seit dem grundlegenden Werk Fremdsprache inszenieren von Manfred Schewe (1993) in fremdsprachlichen Lehr-Lern-Kontexten auch dramapädagogisch gearbeitet. Die Dramapädagogik hat allerdings recht lange eher ein Nischendasein im Bereich der Fremdsprachenforschung geführt. Nachdem die mit dem Ansatz in Verbindung gebrachten Potenziale für das fremdsprachliche Lernen hauptsächlich auf theoretischen Annahmen und Erfahrungswissen beruhten, sind in den letzten Jahren nun zunehmend empirische Studien erschienen. Einige dieser Arbeiten belegen die Wirkungsweise des Ansatzes gerade für emotionale Aspekte des Lernens (vgl. auch Crutchfield/ Sambanis 2017, 127). So zeigt die groß angelegte, internationale DICE-Studie (Drama Improves Lisbon Key Competences in Education) von 2010, dass durch den Einsatz von Theatermethoden neben kommunikativen auch soziale und interkulturelle Schlüsselkompetenzen weiterentwickelt werden. In ähnlicher Weise legen die qualitativ-quantitativen Studien von Domkowsky (2008; 2011) nahe, dass sich theaterpädagogische Angebote positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung und psychosozialen Kompetenzen der Teilnehmenden auswirken. Noch enger auf das fremdsprachliche Lernen bezogen sind die Mixed- Methods-Studien von Atas (2015) und Galante (2018). Sie geben Aufschluss darüber, dass sich die Sprechangst von Lernenden durch die beim Spiel entstehende positive Atmosphäre und das Sprechen aus einer Rolle heraus in Distanz zum eigenen Ich verringert (zum Zusammenhang von positiven und negativen Emotionen beim Fremdsprachenlernen vgl. auch die Studie von Dewaele/ Alfawzan 2018). Mit einem Fokus auf das interkulturelle Lernen zeigt Jäger (2011), dass dieses mittels dramapädagogischer Übungen nicht nur kognitiv, sondern durch den Perspektivenwechsel und das ganzheitliche Handeln in inszenierten Begegnungssituationen auch affektiv erfolgt, was die Lernenden bei der Entwicklung von Empathiefähigkeit unterstützt. Schließlich konnte für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrenden nachgewiesen werden, dass dramapädagogische Verfahren auf hochschuldidaktischer Ebene dazu beitragen, dass sich Studierende auch emotional mit den verschiedenen Rollen einer Fremdsprachenlehrkraft und dem eigenen Selbst auseinandersetzen. Dies hat sich als wichtiger Baustein für die Förderung von Selbstkompetenz sowie der Fähigkeit, auch mit negativen Emotionen wie Stress, Frustration und Selbstzweifel umzugehen, herausgestellt (vgl. Crutchfield 2018; Haack 2018). Carola Surkamp 232 Auch die Neurodidaktik bestätigt viele der bisher gewonnenen Einsichten zum dramapädagogischen Lehren und Lernen. So bestimmen körperliches und emotionales Erleben insofern die Verarbeitung von Wissen, als durch die situative Einbettung des Lernstoffs sowie die Anregung von Emotionen und Kreativität im dramapädagogischen Spiel das episodische Gedächtnis einbezogen wird. Das Erlebnis des Sprachenlernens selbst wird also mit abgespeichert, was bei positivem Erleben die Verstehens- und Erinnerungsleistung erhöht (vgl. Sambanis 2013, 30). Zum positiven Erleben dramapädagogischer Lernsituationen tragen auch der Schutz bietende Als-Ob-Charakter des Spiels in Rollen und die kooperative Arbeit in Gruppen bei (vgl. ebd., 130f.). Neben lernerseitigen Aspekten werden also auch kontextuelle und lehrerseitige Faktoren berücksichtigt. Dass die Variable der Lehrkraft in dramapädagogischen Settings einen besonderen Stellenwert hat, wird z.B. unter Verweis auf die Bedeutung von Humor, Offenheit für Überraschendes und eine fehlertolerante bzw. -begrüßende Lernkultur sowie ein eigenes Selbstverständnis als Lerner*in betont - alles Faktoren, die zur Etablierung einer positiv-affektiven Atmosphäre beitragen, innerhalb derer die Lernenden sich sicher und ermutigt fühlen und auch einmal Risiken eingehen können (vgl. ebd., 43f.; Crutchfield/ Sambanis 2017, 134, 136). Forschungsarbeiten aus dem Bereich der kulturellen Bildung weisen ebenfalls darauf hin, dass neben Musik, Tanz und bildender Kunst auch das Theater Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung nehmen kann. Durch die Künste könnten Wahrnehmungs- und Empathiefähigkeit, Kreativität und emotionale Intelligenz gefördert werden (vgl. z.B. Rittelmeyer 2012; 2013). Wie im Rahmen einer rezeptionsästhetisch orientierten Literaturdidaktik (vgl. auch Bredella 2004) wird ästhetische Bildung daher als „Äquivalent zu einem vorrangig begrifflich ausgelegten Zugang zur Welt“ (Schier 2014, 51) verstanden, um „eine Lernkultur der emotionalen Beteiligung“ (ebd.) zu schaffen. Allerdings ist bislang weitgehend ungeklärt, warum die Künste diese Effekte zeigen, d.h. welche Mechanismen dafür genau verantwortlich sind. Wie Rittelmeyer (2013) herausarbeitet, ist für die Wirkung kultureller Bildungsangebote das ganzheitliche, erfahrungsorientierte Arbeiten mit allen Sinnen entscheidend. Für das Theaterspiel ist darüber hinaus die gemeinsame Erarbeitung einer Aufführung zentral, für die sich Lernende sowohl mit einem konkreten Gegenstand (den zu inszenierenden Text) als auch mit sich selbst, mit ihren Wahrnehmungen, Einstellungen, Gefühlen und Erfahrungen auseinandersetzen müssen. Rittelmeyer (ebd., 221) fordert daher die Entwicklung komplexer Forschungsdesigns, in die auch sog. Strukturanalysen ästhetischer Praxen für die Erklärung von außerästhetischen Wirkungsmechanismen einbezogen werden. Solche komplexen Designs können in interdisziplinär angelegten Projekten verwirklicht werden. Ein Projekt in dieser Richtung ist die derzeit vom Forschungsfonds Kulturelle Bildung geförderte gemeinsame Studie von Eng- Zur Komplexität der Rolle von Emotionen im Fremdsprachenunterricht 233 lischdidaktik und Pädagogischer Psychologie an der Universität Göttingen. In dieser werden die potenziellen Wirkmechanismen von englischsprachigen Theater-AGs an einer integrierten Gesamtschule auf Persönlichkeitseigenschaften der Teilnehmenden untersucht. Dabei wird ein mehrdimensionales Studiendesign angelegt: Zum einen wird eine Strukturanalyse der ästhetischen Praxis durchgeführt: Nicht die Aufführung steht als Produkt im Fokus, sondern der kollektive Prozess ihrer Entstehung mit seinen verschiedenen Phasen der Sensibilisierung für Körper und Stimme, des Experimentierens mit Ausdrucksformen, der Arbeit an den Rollen sowie der Reflexion des eigenen Spielerlebens. Zum anderen werden Persönlichkeitseigenschaften wie ‚Empathie‘, ‚Kreativität‘, ‚Offenheit‘ und ‚Sprechangst‘ der Teilnehmenden in Anlehnung an Standardtests der Persönlichkeitspsychologie über Fragebögen erfasst. Im qualitativen Teil der Studie geben Gruppeninterviews mit den Teilnehmenden weiteren Aufschluss über mögliche Wirkungszusammenhänge zwischen Elementen des Inszenierungsprozesses und dem sozialemotionalen Erleben. 4 Fazit und Ausblick Wir wissen inzwischen, wie wichtig Emotionen für das fremdsprachliche Lernen sind. Wir wissen auch, dass Ansätze wie die Dramapädagogik dazu beitragen können, der Komplexität der Rolle von Emotionen im Fremdsprachenunterricht Rechnung zu tragen. Aktuelle Studien wie die oben Genannte beleuchten diesen Zusammenhang weiter. Gerade in Bezug auf Texte als Gegenstände für den Fremdsprachenunterricht sollten in weiteren Studien aber auch noch andere Bezugswissenschaften der Fremdsprachenforschung über Neurowissenschaft und Psychologie hinaus berücksichtigt werden. Emotionsbezogene Forschungsansätze in der Literatur-, Medien- und Kulturwissenschaft (vgl. z.B. Winko 2003) können z.B. Aufschluss darüber geben, „auf welche Arten sich Emotionen überhaupt in Texten manifestieren können“ (ebd., 330) und wie das leserlenkende Emotionalisierungspotenzial von Textstrukturen bestimmt werden kann. Schier (2014, 61) stellt jedenfalls fest, dass sich neuere Konzepte der geisteswissenschaftlichen Bezugswissenschaften in den letzten Jahren noch kaum in fremdsprachendidaktischen Veröffentlichungen widerspiegeln. Dazu zählen auch diskursive Konzepte von Emotionen, nach denen diese als „komplexe narrative Strukturen“ (Schwerdtfeger 1997, 591 nach Shweder 1994, 37) angesehen werden, „die körperlichen und seelischen Zuständen (z.B. Anspannung und Leere) Form und Bedeutung geben“ (Schwerdtfeger 1997, 591). Eine solche Sichtweise, die Emotionen an Narrationen bindet und nach Typen von Geschichten differenziert, die uns ein Sprechen über Gefühle überhaupt erst ermöglichen (vgl. Shweder 1994, 37), hat Schwerdtfeger schon Ende der 1990er Jahre für die Fremdsprachendidaktik fruchtbar machen wollen. Bislang ist diese Idee nicht weiterver- Carola Surkamp 234 folgt worden, scheint aber gerade vor dem Hintergrund der Bedeutung auch von narrativen Kompetenzen und Verfahren des storytelling im Fremdsprachenunterricht vielversprechend. Literatur Atas, Mine (2015): „The Reduction of Speaking Anxiety in EFL Learners through Drama Techniques“. In: Procedia - Social and Behavioral Sciences 176, 961- 969. Börner, Wolfgang/ Vogel, Klaus (Hrsg.) (2004): Emotion und Kognition im Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr. Bredella, Lothar (2004): „Grundlagen für eine rezeptionsästhetisch orientierte Literaturdidaktik“. In: Bredella, Lothar/ Burwitz-Melzer, Eva: Rezeptionsästhetische Literaturdidaktik mit Beispielen aus dem Fremdsprachenunterricht Englisch. Tübingen: Narr, 25-80. Burwitz-Melzer, Eva (2008): „Emotionen im fremdsprachlichen Literaturunterricht“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 37, 27-62. 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Becoming a language teacher abroad Emotionen bei Studierenden im Auslandspraktikum Karin Vogt 1 Emotionen im Professionalisierungsprozess von Lehrkräften Anna-Lena absolviert ihr Professionalisierungspraktikum an einer Gesamtschule in Edinburgh. Als Lehramtsstudentin für Englisch in der Sekundarstufe I soll sie dort als Fremdsprachenassistentin Deutsch als Fremdsprache unterrichten, aber auch ihr anderes Fach Religion ist gefragt. Sie will mit vielen Zielsprachensprecher/ innen in Kontakt treten und hofft so, „echtes“ Englisch zu lernen, ohne ihren leichten deutschen Akzent. Kurz vor der Abreise bricht sie in Panik aus, weil sie denkt, dass sie als Nicht-Muttersprachlerin durch sprachliche Missverständnisse in peinliche Situationen geraten könnte. Sie ist sehr neugierig auf die Jugendlichen, die sie in Einzel- und Gruppenarbeit sowie im Klassenverband unterrichten wird und sie freut sich darauf, mit ihnen zu interagieren und in die Praxis umzusetzen, was sie bisher an der Hochschule und in früheren Praktika gelernt hat. So ganz fühlt sie sich andererseits nicht als „fertige“ Lehrerin und sie muss sich erst zurechtfinden in einem Bildungssystem, das sie nicht aus ihrer Erfahrung als Schülerin kennt. Es eröffnen sich ihr unterschiedliche Arten von Fremdheit in dieser neuen Situation, die sie durch ein Wechselbad der Gefühle gehen lässt. Lehrkraft zu werden ist ein hochemotionaler Prozess, der positive und negative Emotionen generieren kann (Farrell 2018; Hargreaves 1998; Yang 2019). In der Forschung zu Emotionen von Lehrkräften wird ein bedeutsamer Einfluss von Emotionen auf deren unterrichtliches Handeln angenommen (Hascher/ Krapp 2014). Das aufkommende Interesse an Emotionen von fremdsprachlichen Lehrkräften fügt sich ein in theoretische und empirische Arbeiten zu Emotionen von Lehrkräften (z.B. De Costa/ Rawal/ Li 2020), zur Psychologie von fremdsprachlichen Lehrkräften (z.B. Mercer/ Kostoulas 2018) und zu Fragen der emotionalen Arbeit (emotional labour) von Lehrkräften (Benesch 2017). Die emotionalen Erfahrungen von angehenden Lehrkräften in der Lehrkräfteausbildung, wie sie eingangs im Beispiel exemplarisch beschrieben wurden, werden von Golombek und Dorian (2014) als interessantes Feld betrachtet, zu dem es jedoch zu wenig empirische Forschung gibt (s. auch Hascher/ Krapp 2014; Porsch 2018). Porsch (2018) macht in ihrem Überblick zu Emotionen in der Lehrer/ innenbildung als einen von drei Schwerpunkten Karin Vogt 238 der wenigen Forschungsarbeiten das Schulpraktikum aus, jedoch in deutschsprachigen Kontexten. Bei fremdsprachlichen Lehramtsstudierenden wie Anna-Lena, die ihr Praktikum im Zielsprachenland in einem differenten Bildungssystem absolvieren, treten emotionale Zustände hinzu, die sich mit dem unterschiedlichen Kultur- und Bildungskontext begründen lassen. Auch die Fremdsprache als Kommunikationsmittel ruft in einem professionellen Umfeld wie der Schule emotionale Reaktionen wie Fremdheit hervor, die sich von einem Praktikumseinsatz an einer Schule in Deutschland unterscheiden. 2 Emotionen als Teil emergenter Professionalität zukünftiger Englischlehrkräfte im Auslandspraktikum: Beispiele aus einer Studie In Schulpraktika nehmen Studierende in der Realität des Klassenzimmers die Transition von der Schülerzur Lehrerrolle vor (Yang 2019) und dort erleben sie Herausforderungen auch emotionaler Art. Neben der Fremdheit in ihrer neuen Rolle und Tätigkeit tritt in einem Klassenzimmer im Auslandspraktikum noch die sprachlich und kulturell bezogene Fremdheit der angehenden Lehrkraft hinzu, die emotional besetzte Prozesse unterschiedlicher Art auslösen kann. Der Bereich des Auslandspraktikums ist somit als Ort informellen Fremdsprachenlernens, interkulturellen Lernens und der emergenten Professionalität von Fremdsprachenlernenden ein interessanter Forschungsgegenstand, was den Einbezug von Emotionen angeht. Vogt (2019) untersuchte die Entwicklungsprozesse von 35 Lehramtsstudierenden des Faches Englisch, die ein Auslandspraktikum in Irland oder dem Vereinigten Königreich absolvierten. Die Studierenden des Lehramts Englisch, die an Primar- und Sekundarschulen für drei Monate unterschiedliche Fächer unterrichteten, reflektierten ihre Erwartungen, Erfahrungen und Ergebnisse bezogen auf sprachliche, interkulturelle und professionsbezogene Aspekte mittels weekly reports, von denen sie 8-10 anfertigten (n=276). Die Datenanalyse erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse. Obwohl der Fokus der Untersuchung auf der Nachzeichnung von interkulturellen Lernprozessen lag, sind in den Daten auf die emotionalen Prozesse bezogen zahlreiche Hinweise, die im Folgenden nur unsystematisch erörtert werden können mit einem Schwerpunkt auf dem fremdsprachlichen Professionalisierungsprozess während des Praktikums. Die Studierenden erwähnen in ihren Reflexionen explizit oder implizit Angst, Freude, Stolz und Hoffnung als dominierende Emotionen. Insbesondere zu Beginn des Praktikums äußern sie die Hoffnung, dass sie ihre Sprachkenntnisse verbessern und benennen die Bereiche teilweise recht explizit: I think that my English will be good enough to talk to the teachers and to teach the children, but I also hope to improve my English, particularly in spontaneous speaking (5-W-10). Becoming a language teacher abroad 239 Die Hoffnung auf mehr Selbstbewusstsein in der Sprachverwendung und mehr Authentizität wird in einem Fall angelehnt an die gewünschte Lerneridentität (ought-to self, Dörnyei 2009): Coming back home, I hope I will feel more confident about my English and maybe I can even sound a bit more British, for I love this accent (9-W-11). Negative Gefühle wie Unsicherheit oder Angst spielen vor allem zu Beginn des Praktikums eine Rolle, wenn sie sich in das ungewohnte Sprechtempo der Zielsprachensprecher/ innen noch einfinden müssen und befürchten, dass die Situation nicht vorübergehend ist, wie eine Studentin in Wales bemerkt: At the moment I feel a bit insecure because I have to ask for words sometimes or paraphrase and some people speak very fast so I have to ask them to repeat what they said (9-W-11). Mit der Rolle der Lehrkraft zusammenhängend ist die häufige Befürchtung, Schüler/ innen zu unterrichten, die als Muttersprachler/ innen bessere Kompetenzen haben als die Studierenden. Damit einher geht vielmals die Befürchtung eines Autoritätsverlustes auf der professionellen Ebene. I have to teach native speakers whose English is much better than mine, which could also be a problem (102-D-12). Zweifel an der eigenen Sprachkompetenz in der Kommunikation mit Zielsprachensprecher/ innen und damit zusammenhängende angstbehaftete Verhaltensweisen werden von einzelnen Studierenden auch noch im Verlauf des Praktikums verbalisiert: As a person from a foreign country, I try to get accustomed to new customs, environment, etc. as well as I am able to. For me, language is an essential part of this and I often worry too much about possible mistakes during talks (12- W-12). Das Bestreben, Fehler in der Kommunikation zu vermeiden, und sich deshalb nicht flexibel auf Kommunikationsprozesse einlassen zu können, ist mit dem Gefühl der Angst verbunden, wie ein Student bestätigt: At the beginning of the teaching practice it was quite difficult for me to speak to the children or to members of staff as I always wanted to avoid mistakes. There was not only a lack of vocabulary but also a lack of self-confidence (22- W-13). Angst scheint zumindest in diesem Fall einen Bezug zum Selbstkonzept (Sahakyan et al. 2018) zu haben, denn der Student verbalisiert selbst den tieferliegenden Grund als ein Mangel an Selbstvertrauen neben den vermeintlichen Wortschatzlücken. Dennoch weicht im Verlauf des Praktikums die Angst positiven Gefühlen wie Stolz und Freude an der Interaktion mit Lehrkräften, Schüler/ innen und Karin Vogt 240 anderen Akteur/ innen in der Schule. Wenigstens in sprachlicher Hinsicht scheint die Rückmeldung der Zielsprachensprecher/ innen hinsichtlich der Zielsprachenkompetenz der Studierenden eine gewichtige Rolle bei der Selbsteinschätzung zu spielen. I am quite satisfied with my English now and I receive a lot of good feedback but still I look forward to exploring other parts of the UK and continuing improving my English (9-W-11). I am not sure if I improved my language skills very much. It is hard to say. What I can say is that I feel confident enough to talk in front of a big group of pupils or adults and I feel as I can express everything I want to. (…) People I meet always say how good my English is, which makes me feel proud, although I am not sure how serious [sic] I can take it. The only thing I know is that my pronounciation [sic] is not bad but I feel, I still have to improve my level of vocabulary, especially if [sic] it comes to writing (10-W-11). Die Sicherheit des Eigenurteils fällt bei den beiden Beispielen unterschiedlich aus, beide verlassen sich zusätzlich auf die Rückkopplung mit Zielsprachensprecher/ innen, die zur Freude am Erreichten objektiv beizutragen scheint. Das abschließende Zitat eines Studenten am Ende seines Praktikums vereinigt die Freude über Erfolgserlebnisse beim Unterrichten, den Stolz über das Erreichte und die Reflexion über frustrierende sprachliche Limitierungen: Who would have thought that, me being in a foreign country teaching in a foreign language? All in all, I leave (name) School with 27 lessons taught. That’s amazing even though I had my ups and downs teaching different topics in Religious Education. I had those days for example, where I couldn’t communicate the way I wished to. Then I had those days where I taught lessons as if I was a native speaker having no troubles and no worries, just teaching a good lesson. This was a very interesting phenomenon on which I will still reflect upon (24-W-13). 3 Emotionen als Teil emergenter Professionalität zukünftiger Englischlehrkräfte im Auslandspraktikum: theoretische Bezüge Benitt (2015) identifiziert in ihrer Studie zu professionellen Lernprozessen von zukünftigen Englischlehrkräften eine interpersonale, eine kognitive und eine affektive Dimension. Im Folgenden sollen die oben skizzierten Daten aus der Studie von Vogt (2019) auf theoretische und empirische Erkenntnisse zur affektiven Dimension von emergenter Professionalität bezogen werden. Emotionen sind laut Burwitz-Melzer (2008, 32) „(…) eine kürzere oder auch längere Folge von Ereignissen“ und betont ihren prozesshaften Charakter im Gegensatz zu einem überdauernden Zustand (Oxford 2016). Die Kürze der emotionalen Episode drückt sich etwa in den Daten in der Unsicherheit der Studentin aus, die sich erst allmählich an das Sprechtempo ihrer Ge- Becoming a language teacher abroad 241 sprächspartner/ innen vor Ort gewöhnen muss, was mit einer vorübergehenden Unsicherheit einhergeht. Die Angst verflüchtigt sich mit zunehmendem intensiverem Kontakt zu Sprecher/ innen der Zielsprache und der damit einhergehenden Kompetenzentwicklung im Rahmen des Schulpraktikums, die zu einer erhöhten professionellen Selbstwirksamkeit auch in der Fremdsprache führt. Schutz, Hong, Cross und Osbon (2006) definieren Emotionen als socially constructed, personally enacted ways of being that emerge from conscious and / or inconscious judgments regarding perceived successes at attaining goals or maintaining standards or beliefs during transactions as part of social historical contexts (ebd., 344). Diese Definition eignet sich besonders für die Zielgruppe der angehenden Fremdsprachenlehrkräfte, da sie sich nicht nur auf individuelle Gefühlszustände bezieht, sondern auch die interaktionale Komponente mit einbezieht, die gerade für Studierende im Auslandspraktikum sowohl in sprachlicher, kultureller als auch professionsorientierter Hinsicht maßgeblich ist. Die sozial konstruierte Komponente bezieht sich auf die Erwartungen anderer an Lehrkräfte, z.B. wenn die Studierenden glauben, dass die Lehrkraft zu jeder Zeit die Diskurshoheit haben muss, um Autorität und Kompetenz auszustrahlen. Eine imperfekte Zielsprachenkompetenz widerspricht jedoch dieser idealisierten Erwartung und löst bei einigen Studierenden Angst aus bzw. die Befürchtung, diesen sozial konstruierten Erwartungen in der Praktikumssituation im Ausland nicht voll entsprechen zu können. Die sozial konstruierten Erwartungen haben noch eine individualisierte Komponente, die mit „personally enacted“ gemeint sind - die Studierenden nehmen diese Erwartungen für sich persönlich an und individualisieren sie für ihre jeweilige Situation, wie der Student, der zu Beginn des Praktikums so unsicher ist wegen seiner Zielsprachenkompetenz, dass er in der professionellen Situation die Interaktion mit Kindern und Mentor/ innen als belastend empfindet, weil er um jeden Preis Fehler vermeiden will. Diese Verhaltensweisen gründen sich auf bewusste oder unbewusste Urteile bzgl. einer erfolgreichen Zielerreichung, Standards oder Beliefs während Handlungen oder Vorgängen. Aus der bescheidenen Datenbasis oben wird deutlich, dass die Studierenden entweder selbst oder von anderen Urteile bzgl. ihrer Zielsprachenkompetenz oder deren Entwicklung im Auslandspraktikum vornehmen (lassen), was sich in den beiden Kommentaren zum Schluss finden lässt, die sich zusätzliche Bestätigung für die positive Entwicklung ihrer fremdsprachlichen Kompetenz suchen und sich nur bedingt auf ihr Eigenurteil verlassen. Die Zieldimension wird von der ersten Studierenden explizit als die Erreichung eines authentischen britischen Akzents definiert, die zusammenhängt mit einem sozial und individuell konstruierten Belief bzw. idealisierten Standard einer Englischlehrerin mit einer exzellenten und möglichst nahnativen Aussprache. Die Ziele, Standards und Beliefs entstehen im Gefüge eines Austausches, in dem auch die Studierenden Karin Vogt 242 in der Studie stehen, wenn sie interagieren mit Schüler/ innen, Eltern, Mentor/ innen und anderen Lehrkräften im sozial-historischen Kontext von Schule als System in Großbritannien und Irland, d.h. die Emotionen anderer sind ebenfalls involviert und werden im Rahmen von Interaktionen mit dem persönlichen, sozialen und professionellen Umfeld spezifiziert und ggf. adaptiert. Im Fall des Auslandspraktikums tritt zu der sozial-historischen Dimension die sprachlich-kulturelle Dimension hinzu, wenn etwa Studierende sich als Lehrpersonen behaupten können in einem ihnen unbekannten Bildungssystem und mit ihren eingeschränkten Praxiserfahrungen, deren sie sich sehr bewusst sind, ihre fachlich und überfachliche Professionalisierung in der Fremdsprache, die viele anfänglich als (potenzielle) Hürde betrachten, voranbringen können. Der rückblickende Kommentar des Studierenden am Ende des Praktikums zeugt von der prozesshaften und situational abhängigen emotionsbehafteten Entwicklung des Lehramtsstudierenden als Zielsprachensprecher gepaart mit Professionsaspekten. Im Folgenden sollen die Einzelemotionen in den Daten näher betrachtet werden. 3.1 Klassifikation von Emotionen Emotionen werden auf unterschiedliche Weisen klassifiziert, die bekannteste ist die Dichotomie zwischen positiven und negativen Gefühlen (z.B. Hargreaves 1998; Sutton/ Wheatley 2003). Positive Gefühle umfassen Freude, Zufriedenheit, Stolz oder Aufregung, während negative Emotionen Ärger, Frust, Angst oder Traurigkeit beinhalten. Gross und Barrett (2011) entwerfen ein Kontinuum von Emotionen, Plutchik und Kellerman (1980) ordnen Emotionen in Gegensätzen in einem Kreis an, der zusätzlich die Intensität einer Emotion und die Ähnlichkeiten zwischen den einzelnen Emotionen visualisiert. Eine dimensionale Einteilung wird von Parrott (2001) vorgeschlagen, der zwischen primären, sekundären und tertiären Emotionen differenziert, weil er der Ansicht ist, dass scheinbar unzusammenhängende sekundäre oder tertiäre Dimensionen wie Enttäuschung und Scham auf die primäre Emotion ‚Traurigkeit‘ zurückzuführen sind. Obwohl dieser Ansatz Potenzial hat für die Abbildung der Komplexität von emotionalen Befindlichkeiten, sind für die Betrachtungen der Daten die Erkenntnisse der positiven Psychologie relevant und gehen analog zu Frederickson (2001) aus von positiven und negativen Emotionen als zwei Dimensionen von Erfahrung. 3.2 Einzelemotionen: Angst, Hoffnung, Freude, Stolz Richtet sich die Aufmerksamkeit in der Zweitsprachenerwerbsforschung bei Einzelemotionen auf Angst (Forschungsüberblick zu Angst in MacIntyre Becoming a language teacher abroad 243 2017), werden andere Emotionen eher peripher von der Forschung wahrgenommen (Imai 2010). Aktuell ist jedoch eine Gegenbewegung wahrzunehmen, die aus dem Forschungsbereich der positiven Psychologie entstanden ist (MacIntyre/ Gregersen/ Mercer 2016; Dewaele/ MacIntyre 2014; Gkonou/ Daubney/ Dewaele 2017). Die förderliche Wirkung positiver Emotionen auf z.B. Gesundheit und Resilienz im Sinne von persönlichen Ressourcen werden übertragen auf fremdsprachliche Lernprozesse sowie auf die Zielgruppe der Lehrkräfte (Hiver 2018). Vor allem die Arbeiten von Dewaele sind hier zu nennen, der dem Gefühl der Angst (Foreign Language Classroom Anxiety, FLCA) das der Freude am Fremdsprachenlernen entgegensetzt. Auch in der allgemeinen Literatur zu Emotionen von Lehrkräften ist die Freude eine häufig vorkommende positive Emotion (exemplarisch empirische Arbeiten von Bahia et al. 2013; Hagenauer et al. 2015). In den Daten der Studierenden ist vor Beginn des Praktikums eine Angst bzgl. ihrer fremdsprachlichen Fähigkeiten zu konstatieren, die einhergeht mit einem verminderten professionellen Selbstvertrauen (lack of professional confidence), die auch Benitt (2015) in ihrer Studie mit angehenden Englischlehrkräften feststellen kann, jedoch im Kontext von Aktionsforschungsprojekten. Die Studierenden in der vorliegenden Studie fürchten, Autorität in der Vermittlungssituation zu verlieren, weil sie befürchten, sich als Nichtmuttersprachler nicht ausreichend sprachlich kompetent präsentieren zu können. Die Ängstlichkeit von Nicht-Muttersprachler/ innen mit möglichem negativem Einfluss auf ihre emotionale Stabilität ist auch in Studien z.B. von Song (2016) bestätigt worden. Im Auslandspraktikum ist diese Angst und das reduzierte professionelle Selbstvertrauen durch den Kontext auf der professionellen Ebene (mangelnde Unterrichtserfahrung) wie auf der sprachlichen Ebene (keine Muttersprachler/ innen) möglicherweise potenziert vorhanden. Bezogen auf Lehramtsstudierende im Praktikum konnten Porsch und Gollub (2017, in Porsch 2018) eine Abnahme von anfänglicher Angst bezogen auf ihre Professionalität feststellen, was auch für die vorliegenden Daten gilt. In fast allen Fällen konnte durch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit sowohl in sprachlicher als auch in professioneller Hinsicht die Angst der Lehramtsstudierenden in der Studie zumindest minimiert werden. Hoffnung ist als Emotion eng mit motivationalen Theorien verknüpft, etwa erfolgreiches Fremdsprachenlernen mit der Hoffnung auf ein zukünftiges erwünschtes Selbst (ought-to self als Teil des L2 motivational self system, Dörnyei 2009). Hiver (2016, 169) sieht Ziele als die „cognitive anchors“ von Hoffnung. In den Daten drückt sich entsprechend die Hoffnung bei der Studentin aus, die selbst gesetzte Zieldimension zu erreichen u.a. in Form eines authentischen britischen Akzentes, das einen Teil ihres erwünschten Selbstkonzepts als Englischlehrkraft ausmacht. Freude (enjoyment) wird von Dewaele und Macintyre (2016, 216) als komplexes Phänomen charakterisiert, bei der Aspekte wie Herausforderung Karin Vogt 244 etwa durch eine zu lösende Aufgabe eine Rolle spielen und die eigene wahrgenommene Fähigkeit, diese zu lösen basierend auf Erfolgswillen. In den Daten beschreibt eine Studentin die Freude i.S.v. Freude über das Erreichte, indem sie sich am Ende des Praktikums im Ausland als zufrieden über ihren aktuellen Kompetenzstand in der Zielsprache äußert, jedoch als nächstes eine weitere Zielbestimmung vornimmt, was ihre zukünftige sprachliche und kulturelle Kompetenzerweiterung angeht. Stolz wird von Oxford (2016) charakterisiert als eine positiv besetzte Emotion, die bei Fremdsprachenlernenden beiträgt zu mehr Selbstregulation und Lernerautonomie. Ross und Stracke (2016) beforschten Lernende von Englisch als Zweitsprache in Australien, und Stolz als Emotion hat sich bei den Informant/ innen in ihrer Studie allerdings als kontextabhängig erwiesen. In kommunikativen Situationen außerhalb der formalen Lernsituation im Klassenzimmer wurde Stolz häufiger und intensiver empfunden als im institutionellen Fremdsprachenunterricht. Auch an den Daten der Studierenden lässt sich erkennen, dass sie Stolz über die vielfältigen gelingenden Interaktionen mit einer kompetenten Sprachverwendung in der Unterrichts- und anderen Situationen empfinden, was sich in dem anerkennenden Feedback der Zielsprachensprecher/ innen widerspiegelt, wie eine Studentin am Ende ihres Praktikums bestätigt: „I feel as I can express everything I want to. (…) People I meet always say how good my English is, which makes me feel proud.“ (s.o.) Gerade positive Emotionen und deren Einbettung in Fredericksons (2001) broaden and build-Theorie, bei der positive Emotionen die Aufmerksamkeit des Einzelnen erweitern und auf innovative Gedanken und Handlungen aufbauen, sprechen dafür, dass die Studierenden bei überwiegend positiven Emotionen wie Freude, Stolz und sich minimierender Angst offener sind für deren Reflexion und damit die weitere effektive Professionalisierung. Der reflektierende Umgang mit den eigenen Emotionen und deren Nutzbarmachung als Teil des Lernprozesses wird besonders deutlich in dem abschließenden Kommentar des Studenten, der seine sprachlichen und emotionalen Höhen und Tiefen gewinnbringend zu reflektieren bereit ist, um ggf. zukünftige Handlungen daraus abzuleiten: „This was a very interesting phenomenon on which I will still reflect upon.“ (s.o.) 4 Didaktische Implikationen Obwohl eine binäre Vorstellung von Emotion und Kognition überwunden ist (Swain 2013), scheint die emotionale Ebene von Lehrerbildung im Allgemeinen und von Lehrkräftebildung im Auslandspraktikum im Besonderen im deutschsprachigen Raum noch vernachlässigt zu sein. Selbst die unsystematisch analysierten Daten aus der Studie in diesem Beitrag zeigen, dass die Einflüsse, die Emotionen auf den Professionalisierungsaspekt von angehenden Fremdsprachenlehrkräften haben können, nachvollziehbar und analy- Becoming a language teacher abroad 245 sierbar sind. In dieser Hinsicht wäre die Verstärkung von positiven Emotionen bezüglich des Auslandspraktikums i.S.v. Fredericksons (2001) broaden and build-Theorie hilfreich, um die gewünschten lernförderlichen Effekte zu erzielen bzw. zu maximieren. In dem vorliegenden Beispiel war dies möglich über die ständige Kommunikation mit der Betreuenden seitens der Hochschule, die kontinuierliches Feedback gegeben hat und damit auch die Möglichkeit hatte, Ängste zu analysieren und zu zerstreuen, etwa was die Angst vor möglichem Gesichts- oder Autoritätsverlust die professionelle Identität betreffend durch unzulängliche sprachliche Kompetenzen anbelangte. Die Wichtigkeit einer Begleitung im Praktikum wird von Yang (2019) für Unterrichtspraktika allgemein betont. Auf einer allgemeineren Ebene der Lehrerbildung wäre es angezeigt, die Wechselwirkung von Professionswissen und -können mit emotional begründeten Unterrichtsentscheidungen im Fremdsprachenunterricht in die erste Phase der Lehrerbildung mit einzubeziehen und damit ein Bewusstsein zu schaffen für die wichtige Rolle von Emotionen in Professionalisierung und handlungsleitende Strategien von Lehrkräften, die sonst wenig beschreibbar bleiben würden. Um den Wert von emotionalen Erfahrungen zu betonen, müssen diese Erfahrungen bei den Studierenden sichtbar gemacht werden und vor allem Möglichkeiten zu deren Analyse geschaffen werden, so dass Lehramtsstudierende ihre Emotionen (evtl. gemeinsam) analysieren können, z.B. mit Mentor/ innen. Dies sollte nicht auf das Auslandspraktikum bzw. andere Praktikumskontexte beschränkt werden. Für die angeleitete kritische Reflexion, die Emotionen mit einbezieht, eignen sich critical incidents, aber auch Coachingansätze, u.a. mit dem Ziel, Empathie zu entwickeln (Mercer 2016). Diese Fähigkeit zu entwickeln, ist insbesondere bei Fremdsprachenlehrkräften relevant, weil eine neue Sprache lernen mit emotionalen Aspekten einhergeht, z.B. die Änderung der Lerneridentität oder die Konstruktion von hybriden Kulturen durch die Aneignung der Fremdsprache. Diese Prozesse gilt es in ihrem späteren Unterricht adäquat zu begleiten. Angehende Lehrkräfte sollen ein Bewusstsein entwickeln für ihre eigene emotionale Disposition und sollten auch die von anderen für die Interaktionen innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers deuten können z.B. mittels Lesen von Gesichtsausdrücken. Hierzu ist Mut für die Öffnung für Emotionales in der fremdsprachlichen Lehrerbildung seitens der Studierenden und der Lehrenden notwendig, auch Empathievermögen ist von beiden Seiten relevant (Mercer 2016). 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Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts, die sich dem Thema ‚Emotionen im Fremdsprachenunterricht‘ widmete. Der Beitrag fokussiert die Rolle der Emotionen im frühbeginnenden Fremdsprachenunterricht der Grundschule, da diese hier - im Vergleich zum Unterricht mit älteren Lernenden in der Sekundarstufe bzw. anderen Lehr-Lern-Kontexten - eine besondere Rolle haben. Dies sei beispielhaft anhand des nordrhein-westfälischen Kernlehrplans für die Grundschule illustriert, der für den „Englischunterricht die folgenden Leitziele [festlegt]: die Entwicklung von Interesse und Freude am Sprachenlernen und an den fremden Lebenswelten den Erwerb, die Erprobung und die Festlegung elementarer sprachlicher Mittel des Englischen die Bewältigung von einfachen Sprachhandlungssituationen in englischer Sprache den Erwerb von Lern- und Arbeitstechniken sowie wirkungsvollen Strategien des Sprachlernens“ (MSW NRW 2008, 71). Es fällt ins Auge, dass der Lehrplan in dieser einleitenden Passage zu den Aufgaben und Zielen des Faches Englisch, noch vor Nennung der sprachlichen bzw. kommunikativen Aspekte des Fremdsprachenlernens auf die affektiv-emotionalen Faktoren ‚Interesse‘ und ‚Freude‘ als Lernziele im Grundschulunterricht verweist. In diesem Sinne gehört es zu den typischen Unterrichtsgegenständen der Grundschule, sich in der englischen Sprache zur eigenen Person - und damit auch zu den eigenen Interessen und Emotionen - zu äußern (vgl. z.B. Klein 2007; 2008; Wörle 2007). Beispielsweise geschieht dies in Nordrhein- Westfalen lehrplangemäß mit Bezug auf die sogenannten Erfahrungsfelder, die sich an der Lebenswelt und den Interessen der Kinder orientieren (MSW NRW 2008, 75f.; vgl. auch Elsner 2015, 16f.). Kommunikative Sprechanlässe, in denen Grundschulkinder z.B. Phrasen üben wie ‚I am happy/ sad because…‘, entsprechen etwa den Themen Me and my family oder My friends im Eva Wilden 250 Erfahrungsfeld ‚Zu Hause, hier und dort‘ (ebd.; vgl. auch das Thema Feelings in Richardson/ Feldhaus 2013, 36-43). Ganz im Gegensatz zur schulischen Praxis des Englischunterrichts finden die Emotionen der Lernenden in der Forschung zum frühbeginnenden Fremdsprachenunterricht hingegen bislang nur wenig Berücksichtigung. Die vorliegenden Befunde der wenigen Studien, die zu diesem Gegenstand identifiziert werden konnten, werden im Folgenden berichtet. Diese Forschungslücke gibt Anlass, sich in diesem Beitrag zunächst mit den thematischen Schwerpunktsetzungen der 40. Frühjahrkonferenz unter besonderer Berücksichtigung des frühbeginnenden Fremdsprachenunterrichts in der Grundschule zu befassen. Im zweiten Teil berichtet der Beitrag von den Befunden einer Studie zum Empfinden von Lernfreude und Angst durch Lernende im Englischunterricht der Grundschule aus dem TEPS-Projekt (Teaching English in Primary Schools; vgl. Wilden/ Porsch/ Schurig 2020) 1 . 2 Beschäftigung mit den Leitfragen der 40. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts 2.1 Lernfreude und Angst als Variablen in der Forschung zu Fremdsprachenlernprozessen in der Grundschule Emotionen sind in Lehr-Lernkontexten sowohl bei Lehrenden als auch bei Lernenden allgegenwärtig. Eine Aufgabe von Schule ist es, „die positiv affektiv-motivationale Haltung der Schüler und Schülerinnen gegenüber der Schule und dem Lernen zu fördern“ (Hagenauer/ Hascher 2011, 63). Dazu gehört zum einen die Lernfreude zu fördern, die im Schulalltag auftritt (ebd., 64), und zum anderen die Entstehung von Angst, die insbesondere mit Prüfungssituationen in Verbindung gebracht wird (Krohne 2010), nach Möglichkeit zu verhindern. Nimmt man den nordrhein-westfälischen Kernlehrplan für den Englischunterricht in der Grundschule als Maßgabe, sollte sich Forschung in diesem Zusammenhang besonders dem Lernziel der „Freude am Sprachenlernen und an den fremden Lebenswelten“ (MSW NRW 2008, 71) widmen. Diese Formulierung und Nennung der Variable an zentraler Stelle des Lehrplans bei den Aufgaben und Zielen des Faches suggerieren, dass die Lehrplanentwickler*innen diese Emotion als ein Ergebnis des Lernprozesses erwarten. Die narrative Evidenz von Englischlehrkräften der Grundschule sowie die Befunde der wenigen Studien zur Rolle der Lernfreude im frühbeginnenden Fremdsprachenunterricht (vgl. Abs. 3) der Grundschule belegen hingegen, dass diese ebenso als Determinanten des Lernprozesses sowie als Vorausset- 1 Die Autorin bedankt sich sehr herzlich bei Prof. Dr. Raphaela Porsch (Otto-von- Guericke-Universität Magdeburg) für ihre Unterstützung als Ko-Projektleiterin des TEPS-Projekts. Freude und Angst bei Lernenden im Englischunterricht der Grundschule 251 zungen der Lerner*innen fungieren. Angesichts dieser zentralen Rolle, die der Freude am Sprachenlernen normativ zugeschrieben wird, erscheint es sinnvoll, diese zusammen mit der Angst, als ihrem negativen Gegenpart, in der Forschung zum Fremdsprachenunterricht in der Grundschule stärker in den Blick zu nehmen, als dies bislang der Fall ist. Im Kontext des Sprachlernens gehören Emotionen zu den affektiven Faktoren, die „in erheblichem Umfang zur Erklärung intra- und interindividueller Unterschiede beim Fremd- und Zweitsprachenlernen herangezogen werden“ (Riemer 2016, 266; vgl. auch Böttger 2016, 22; Sambanis 2013, 27). So tragen affektive Faktoren etwa dazu bei, dass Lernende eine Sprache unterschiedlich schnell oder erfolgreich lernen. Zudem sind sie „mehrdimensional, dynamisch und teils tief in der Persönlichkeit der Lernenden und ihrer Lernbiographien verwurzelt“ (Riemer 2016, 266f.). 2.2 Aktuelle Entwicklungen und Forschungsbedarf zur Rolle der Emotionen im Fremdsprachenunterricht der Grundschule Im Kontext des frühbeginnenden Fremdsprachenunterrichts muss darauf verwiesen werden, dass es im Gegensatz zur recht breiten Forschungsliteratur über foreign language anxiety bei älteren Lernenden bislang nur wenig Forschung zur Rolle der Emotionen beim Fremdsprachenlernen von Kindern im Grundschulalter gibt. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass der Fremdsprachenunterricht auf der Primarstufe als bundesweit verpflichtendes Grundschulfach noch recht jung ist und es insgesamt in diesem Kontext - trotz reger Forschungsaktivitäten (z.B. Enever 2018; Frisch 2013; Kötter/ Rymarczyk 2011; Wilden/ Porsch 2017) - noch erhebliche Forschungslücken gibt. Im Folgenden werden die bislang wenigen Untersuchungen zusammengefasst, die das emotionale Erleben von Schüler*innen im Englischunterricht der Grundschule untersucht haben. Die Autor*innen der BIG-Studie (Barucki et al. 2015, 14) berichten, dass 22,4% der im Rahmen einer Querschnittsstudie in 15 Bundesländern befragten Grundschulkinder (n = 2.148) angaben, sie hätten Angst, vor der Klasse Englisch zu sprechen. Zudem berichten sie von Zusammenhängen zwischen guten Noten und weniger Angst (Barucki et al. 2015, 15). In ähnlicher Weise zeigte sich in einer Schweizer Studie (Kreis/ Williner/ Maeder 2014) mit Englischlernenden in der Klasse 6, die letzte Klassenstufe in der Schweizer Primarstufe, dass diejenigen, die weniger Angst im Englischunterricht verspüren, höhere Testleistungen erreichen. Die Zusammenhänge für alle Fertigkeiten sind statistisch signifikant und liegen zwischen -.34 und -.44 (Kreis et al. 2014, 32). Diese Befunde können bspw. durch Pekruns (2006) Kontroll-Wert-Theorie erklärt werden, nach der positive Emotionen wie Lernfreude die Aufmerksamkeit stärken. Negative Emotionen wie Angst können die Informationsverarbeitung ein- Eva Wilden 252 schränken und die Motivation schwächen, so dass in der Folge Lernprozesse weniger erfolgreich verlaufen (vgl. auch Riemer 2016, 269). Neben den Emotionen aufseiten der Grundschulkinder soll auch auf den Forschungsbedarf zu den Emotionen von Fremdsprachenlehrkräften im Primarbereich (Wilden/ Porsch 2017) verwiesen werden, der in der Forschung bislang ebenfalls wenig Aufmerksamkeit erhalten hat. Im Besonderen sei hier auf die Tatsache verwiesen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ein großer Teil des Englischunterrichts in der Grundschule bislang von nicht grundständig ausgebildeten Lehrkräften durchgeführt wird (Porsch/ Wilden 2021). Eine Studie über diese out-of-field teachers (Wilden/ Porsch angenommen/ 2020) hat gezeigt, dass diese angeben, tendenziell mehr Deutsch im Englischunterricht zu sprechen und ihre Englischkompetenz als niedriger einzuschätzen. Einige der befragten Lehrkräfte äußerten sich zudem sehr offen über die Wahrnehmung eigener zielsprachlicher Defizite, ein Umstand der bereits von Horwitz (1996) bzgl. seiner möglichen negativen Konsequenzen für die Unterrichtspraxis und Lernerfolge der Schüler*innen diskutiert wurde. Die Rolle der Emotionen der Lehrkräfte im Zusammenhang mit diesen selbst wahrgenommenen sprachlichen Defiziten sollten als Determinanten des Unterrichtsgeschehens bzw. des Lehrer*innenhandelns mit in den Blick der Forschung zum Fremdsprachenunterricht in der Grundschule genommen werden. Studien zu diesem Gegenstandsbereich konnten bislang nicht identifiziert werden. 3 Freude und Angst im Englischunterricht der Schule: Vorabbericht einer Studie Im Folgenden werden die Befunde einer Studie zum Erleben von Lernfreude und Angst durch Lernende im Englischunterricht der Grundschule aus dem TEPS-Projekt (Teaching English in Primary Schools; vgl. Wilden et al. 2020) zusammengefasst; der ausführliche Forschungsbericht zur Studie befindet sich in Vorbereitung (Wilden/ Porsch in Vorbereitung). Dabei handelt es sich um eine Querschnittsstudie, in der Grundschulkinder in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen am Ende der 4. Klasse zu ihrem Erleben von Freude und Angst im Englischunterricht der Grundschule befragt wurden. In der folgenden Zusammenfassung der Befunde werden neben dem theoretischen Hintergrund das Design der Studie sowie die Befunde skizziert. Im abschließenden Fazit werden letztere mit Blick auf ausgewählte Aspekte der Leitfragen der 40. Frühjahrstagung zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts knapp kommentiert. Freude und Angst bei Lernenden im Englischunterricht der Grundschule 253 3.1 Theoretischer Hintergrund In der hier zusammengefassten Studie wurde das Erleben von Freude und Angst durch Lernende im Englischunterricht der Grundschule bzw. in entsprechenden Testsituationen erhoben. Dies geschah auf Basis der Annahme, dass das Erleben von Lernfreude im Englischunterricht dem Sprachlernen zuträglich ist bzw. umgekehrt das Erleben von Angst das Sprachlernen erschweren kann, auch wenn negative Emotionen das Lernen nicht generell verhindern (vgl. Sambanis 2013, 27-31). Ferner folgt die Studie bei der Erhebung dieser Emotionen der Annahme von Lichtenfeld et al. (2012, 191), dass die Emotionen Freude und Angst neben Langeweile am häufigsten in Lehr- Lernsettings auftreten. Im Kontext der vorliegenden Studie wird unterschieden zwischen Freude im Sinne von Lernfreude (d.h. Freude in Lernsituationen) und Leistungsfreude (d.h. Freude in Situationen zur Leistungsbewertung). Schüler*innen erleben Lernfreude, „wenn im Umgang mit schulischen (kognitiven) Lerninhalten (= Erwerb von Wissen) bzw. beim Erwerb von neuen Fähigkeiten und Fertigkeiten Freude hervorgerufen wird, die (…) als Gefühl der Vitalität, der Sicherheit, des Wohlfühlens etc. erlebt wird“ (Hagenauer 2011, 20). Dagegen wird unter Leistungsfreude (auch ‚Lernergebnisfreude‘ genannt) die „Freude am Lernergebnis“ (ebd., 21) verstanden. Sowohl Lernals auch Leistungsfreude beziehen sich in diesem Beitrag auf den Englischunterricht in der Grundschule, d.h. Freude wird beim Lernen der englischen Sprache empfunden oder hervorgerufen, wenn Lernende ihre fremdsprachlichen Kompetenzen im Rahmen von Leistungsbewertungen zeigen können. Angst im Englischunterricht wird in der vorliegenden Studie ähnlich der Freude einerseits für Lern- und anderseits für Leistungssituationen erfasst. Angst als eine Lernemotion wird empfunden, wenn Indikatoren von Angst beim Lernen bzw. im Englischunterricht auftreten. Leistungsbzw. Bewertungsangst tritt in Situationen auf, in der eine Bewertung im Englischunterricht erfolgt. Dieses situationsspezifische Verständnis von Angst beim Englischlernen entspricht der Darstellung von Riemer (2016, 269), nach der „fremdsprachenspezifische Angst die affektive Reaktion von Individuen auf Situationen [ist], in denen sie mit einer Sprache bzw. dem Lernen und Gebrauch dieser Sprache konfrontiert werden, die nicht beherrscht wird.“ Dabei werden im Kontext des Fremdsprachenunterrichts verschiedene situationsspezifische Ängste wie etwa Sprechangst, Kommunikationsangst, soziale Angst, Angst vor Testsituationen beschrieben (ebd.). 3.2 Forschungsfrage und Methode Vor diesem theoretischen Hintergrund geht die vorliegende Studie diesen Forschungsfragen nach: Eva Wilden 254 1. Wie ausgeprägt sind bei Schüler*innen in Klasse 4 (Grundschule) Lernbzw. Leistungsfreude und Angst im Englischunterricht sowie in Testsituationen? 2. In welchem Ausmaß lassen sich Unterschiede in den rezeptiven Englischleistungen durch Emotionen - Freude bzw. Angst - der Schüler*innen erklären? 2017 wurden in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen 745 Schüler*innen der Klassenstufe 4 im Rahmen des TEPS-Projekts (Teaching English in Primary School) mithilfe von schriftlichen Fragebögen befragt und auf ihre Englischleistungen im Lese- und Hörverstehen getestet. Für die im folgenden durchgeführten Analysen wurden ausschließlich die Daten (n = 659) berücksichtigt, für die vollständige Antworten zu allen berücksichtigten Variablen vorlagen (Graham 2009). Die Leistungsemotionen Lernfreude und Angst im Englischunterricht wurden mithilfe des AEQ-ES-Fragebogens (The Achievement Emotions Questionnaire-Elementary School) erfasst, der von Lichtenfeld et al. (2012) für den Einsatz im Rahmen des TEPS-Projekts zur Verfügung gestellt worden war. Items zu jeder fünfstufigen Skala wurden bildgestützt präsentiert (siehe Abb. 1), wobei eine Version für Mädchen und eine für Jungen eingesetzt wurde. Abb. 1: Beispielitem zur Skala ‚Lernfreude im Englischunterricht‘ (Jungen) Die Items wurden sprachlich in der Weise angepasst, dass statt ‚Unterricht‘ der Begriff ‚Englischunterricht‘ gewählt wurde. Lichtenfeld et al. (2012) unterscheiden zwischen class-related emotions, learning-related emotions und testrelated emotions. Learning-related emotions beziehen sich auf das Lernen von Inhalten eines Faches außerhalb der Schule. Da davon auszugehen ist, dass Fremdsprachenlernen im Grundschulalter vorrangig in der Schule stattfindet, wurde im TEPS-Projekt auf die Erhebung der learning-related emotions verzichtet. Lernfreude im Englischunterricht wurde mit 4 Items erhoben (α = .92), Angst im Englischunterricht mit 4 Items (α = .62), Leistungsfreude Bitte kreuze an, wie es dir im Englischunterricht geht. 1. Der Englischunterricht macht mir Spaß. 1. stimmt gar nicht 2. stimmt wenig 3. stimmt etwas 4. stimmt ziemlich 5. stimmt sehr Freude und Angst bei Lernenden im Englischunterricht der Grundschule 255 im Englischunterricht mit 3 Items (α = .84) und Angst in Testsituationen im Englischunterricht mit 5 Items (α = .85). Die Reliabilität der Skalen ist zufriedenstellend mit Ausnahme der Skala ‚Angst im Englischunterricht‘. Zusätzlich wurde noch eine Skala mit Items zum Konstrukt ‚Angst im Englischunterricht zu sprechen‘ entwickelt, die aus 5 Items bestand (α = .84, Bsp. „Beim Sprechen auf Englisch bin ich sehr nervös.“). 3.3 Ergebnisse Die Datenanalyse brachte folgende Befunde zur Forschungsfrage 1 bzgl. der Ausprägung von Angst bzw. Lernfreude im Englischunterricht sowie in Testsituationen hervor (siehe Tab. 1): Konstrukt M SD Lernfreude im Englischunterricht 3.83 1.09 Angst im Englischunterricht 1.48 0.64 Leistungsfreude im Englischunterricht 3.50 1.17 Angst in Testsituationen (Englisch) 1.82 0.92 Angst beim Sprechen (Englisch) 1.43 0.68 Anmerkungen: 5-stufige Skalen; M = Mittelwert; SD = Standardabweichung Tab. 1: Ausprägung von Angst bzw. Lernfreude im Englischunterricht sowie in Testsituationen Insgesamt zeigt sich, dass bei den befragten Kindern die Lernfreude im Englischunterricht überwiegt und es nur einen geringen Anteil von Schüler*innen gibt, die Angst im Englischunterricht empfinden. Etwas geringer als die Lernfreude ist die Leistungsfreude ausgeprägt. Am niedrigsten ausgeprägt ist die Angst beim Sprechen auf Englisch. Die Angst beim Lernen im Englischunterricht ist geringfügig höher, aber niedriger als die Angst in Bezug auf Testsituationen im Fach Englisch. Die Mittelwerte der Skalen zur Lernfreude unterscheiden sich signifikant (p < .001), ebenso wie die zur Angst (p < .001). Bezüglich der Forschungsfrage 2 zur Erklärung der rezeptiven Englischleistungen durch Lernfreude bzw. Angst im Englischunterricht zeigte sich Folgendes: Da die verschiedenen Skalen zur Lernfreude bzw. zur Angst relativ hoch korrelieren (vgl. Anhang) wurden in den Regressionsanalysen zur Vermeidung von Multikollinearität 2 lediglich die Skalen zur Freude bzw. Angst in Testsituationen berücksichtigt. Die lineare Regression mit der abhängigen Variablen Hörverstehensleistung zeigt, dass lediglich die Angst in Testsituationen einen statistisch signifikanten Beitrag zur Varianzaufklärung leistet 2 Multikollinearität besteht, wenn zwei oder mehr Variablen, die in einer Regressionsanalyse berücksichtigt werden sollen, stark miteinander korrelieren. Eva Wilden 256 (p < .001). Die Aufklärung ist mit R² von .04 (bzw. 4 % der Gesamtvarianz) jedoch gering. Das bedeutet, dass Unterschiede in den Hörverstehensleistungen der Viertklässler*innen in geringem Maße durch diese Leistungsemotion erklärt werden können. Etwas höher fällt die Varianzaufklärung durch Angst in Testsituationen für die abhängige Variable Leseverstehen mit R² von .09 (bzw. 9 % der Gesamtvarianz) aus. Das bedeutet gleichermaßen, dass Unterschiede in den Leseverstehensleistungen der Kinder in geringem Maße durch das Erleben von Angst erklärt werden können. 3.4 Fazit Die hier zusammengefasste Studie hat Freude und Angst im Zusammenhang mit rezeptiven Englischleistungen von Grundschulkindern am Ende der Klasse 4 untersucht. Die Studie hat diese positiven bzw. negativen Emotionen demnach als individuelle Lernvoraussetzungen der Kinder betrachtet, die zu einem geringen Teil die Varianz der rezeptiven Englischleistungen erklären konnten. Erwartungsgemäß zeigt sich, dass die Grundschulkinder den alltäglichen Englischunterricht überwiegend mit Lernfreude wahrnehmen, wohingegen das Angstempfinden in Testsituationen etwas höher ist. Diese Befunde zum frühbeginnenden Englischunterricht entsprechen somit bereits vorliegenden Befunden zum Sprachenlernen von älteren Lerner*innen (vgl. Riemer 2016). Zudem können diese Befunde vorsichtig als Beleg dafür herangezogen werden, dass das erstgenannte Lernziel des nordrheinwestfälischen Kernlehrplans für den Englischunterricht in der Grundschule erreicht scheint: Kinder scheinen die Fremdsprache mit Freude zu lernen. Dieser Befund sollte, gemeinsam mit den Befunden zu sprachlichen und kommunikativen Lernergebnissen der Grundschulkinder, auch vor dem Hintergrund der immer wieder aufflackernden öffentlichen Debatten über den Sinn - oder Unsinn - des frühbeginnenden Fremdsprachenunterrichts in der Grundschule Berücksichtigung finden (z.B. Haug 2017; Hesse/ Voogt 2019; Spiegel Online 2019; Wilden/ Porsch 2020). Bildungspolitische Entscheidungen über die Rückverlegung des Fremdsprachenunterrichts in höhere Klassenstufen sollten auch unter Abwägung dieses augenscheinlich recht positiven emotionalen Erlebens des Unterrichts durch Grundschulkinder getroffen werden. Literatur Barucki, Heidi/ Bliesener, Ulrich/ Börner, Otfried/ Böttger, Heiner/ Hoffmann, Ingrid-Barbara/ Kierepka, Adelheid/ Kronisch, Inge/ Legutke, Michael K./ Lohmann, Christa/ Müller, Tanja/ Schlüter, Norbert (2015): Der Lernstand im Englischunterricht am Ende von Klasse 4: Ergebnisse der BIG-Studie. München: Domino. Freude und Angst bei Lernenden im Englischunterricht der Grundschule 257 Böttger, Heiner (2016): Neurodidaktik des frühen Sprachenlernens: Wo die Sprache zuhause ist. Stuttgart: UTB. Elsner, Daniela (2015): Englisch 1-4. München: Oldenbourg. Enever, Janet (2018): Policy and Politics in Global Primary English. Oxford: OUP. 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Freude und Angst bei Lernenden im Englischunterricht der Grundschule 259 Anhang Bivariate Korrelationen der Emotionsskalen HV_PV LV_PV LernfreudeEU LernfreudeTests AngstEU AngstTests AngstSprechen HV_PV Korrelation nach Pearson 1 ,562 ** ,191 ** ,150 ** -,274 ** -,196 ** -,258 ** Signifikanz (2-seitig) ,000 ,000 ,000 ,000 ,000 ,000 N 659 659 659 659 659 659 635 LV_PV Korrelation nach Pearson ,562 ** 1 ,283 ** ,252 ** -,308 ** -,253 ** -,316 ** Signifikanz (2-seitig) ,000 ,000 ,000 ,000 ,000 ,000 N 659 659 659 659 659 659 635 LernfreudeEU Korrelation nach Pearson ,191 ** ,283 ** 1 ,663 ** -,370 ** -,300 ** -,454 ** Signifikanz (2-seitig) ,000 ,000 ,000 ,000 ,000 ,000 N 659 659 659 659 659 659 635 LernfreudeTests Korrelation nach Pearson ,150 ** ,252 ** ,663 ** 1 -,272 ** -,442 ** -,379 ** Signifikanz (2-seitig) ,000 ,000 ,000 ,000 ,000 ,000 N 659 659 659 659 659 659 635 AngstEU Korrelation nach Pearson -,274 ** -,308 ** -,370 ** -,272 ** 1 ,522 ** ,632 ** Signifikanz (2-seitig) ,000 ,000 ,000 ,000 ,000 ,000 N 659 659 659 659 659 659 635 AngstTests Korrelation nach Pearson -,196 ** -,253 ** -,300 ** -,442 ** ,522 ** 1 ,609 ** Signifikanz (2-seitig) ,000 ,000 ,000 ,000 ,000 ,000 N 659 659 659 659 659 659 635 AngstSprechen Korrelation nach Pearson -,258 ** -,316 ** -,454 ** -,379 ** ,632 ** ,609 ** 1 Signifikanz (2-seitig) ,000 ,000 ,000 ,000 ,000 ,000 N 635 635 635 635 635 635 635 **. Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. Adressen der Beiträger*innen und Herausgeber*innen Prof. Dr. Eva Burwitz-Melzer Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Anglistik/ Didaktik des Englischen Otto-Behaghel-Straße 10 B 35394 Gießen Prof. Dr. Daniela Caspari Freie Universität Berlin Institut für Romanische Philologie Habelschwerdter Allee 45 14195 Berlin Prof. Dr. Bärbel Diehr Bergische Universität Wuppertal Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften Anglistik / Amerikanistik Gaußstr. 20 42119 Wuppertal Prof. Dr. Britta Freitag-Hild Universität Potsdam Didaktik Anglistik/ Amerikanistik Am Neuen Palais 10 14469 Potsdam Prof. em. Dr. Dr. h.c. Friederike Klippel Department für Anglistik und Amerikanistik Ludwig-Maximilians-Universität München Schellingstr. 3 80799 München Prof. Dr. Uwe Koreik Universität Bielefeld Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Fachbereich Deutsch als Fremdsprache Postfach 10 01 31 33501 Bielefeld Adressen der Beiträger*innen und Herausgeber*innen 261 Prof. Dr. Jürgen Kurtz Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Anglistik/ Didaktik des Englischen Otto-Behaghel-Straße 10 B 35394 Gießen Prof. Dr. Lutz Küster Humboldt-Universität zu Berlin Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät Institut für Romanistik Unter den Linden 6 10099 Berlin Prof. Dr. Hélène Martinez Justus-Liebig-Universität Gießen Institut für Romanistik/ Didaktik der romanischen Sprachen Karl-Glöckner-Straße 21 G 35394 Gießen Prof. Dr. Nicole Marx Universität zu Köln Philosophische Fakultät Institut für Deutsche Sprache und Literatur II Albertus-Magnus-Platz 1 50923 Köln Prof. Dr. Grit Mehlhorn Universität Leipzig Institut für Slavistik Beethovenstr. 15 04107 Leipzig Prof. Dr. Claudia Riemer Universität Bielefeld Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Postfach 10 01 31 33501 Bielefeld Adressen der Beiträger*innen und Herausgeber*innen 262 Prof. Dr. Henning Rossa Universität Trier Fachbereich II: Anglistik Universitätsring 15 54296 Trier Prof. Dr. Jutta Rymarczyk Pädagogische Hochschule Heidelberg Institut für Fremdsprachen - Englisch Keplerstr. 87 69120 Heidelberg Prof. Dr. Lars Schmelter Bergische Universität Wuppertal Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften Romanistik Gaußstr. 20 42119 Wuppertal Prof. Dr. Julia Settinieri Universität Bielefeld Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Deutsch als Fremd- und Zweitsprache Postfach 10 01 31 33100 Paderborn Prof. Dr. Carola Surkamp Universität Göttingen Seminar für Englische Philologie Fachdidaktik Englisch Käte-Hamburger-Weg 3 37073 Göttingen Prof. Dr. Karin Vogt Pädagogische Hochschule Heidelberg Institut für Fremdsprachen und ihre Didaktik Im Neuenheimer Feld 561 69120 Heidelberg Adressen der Beiträger*innen und Herausgeber*innen 263 Prof. Dr. Eva Wilden Universität Duisburg Essen Fakultät für Geisteswissenschaften Didaktik des Englischen Universitätsstr. 12 45141 Essen Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Arbeitspapiere der 1. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Heidelberg: J. Groos 1981. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Das Postulat der Lernerzentriertheit: Rückwirkungen auf die Theorie des Fremdsprachenunterrichts. Arbeitspapiere der 2. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Heidelberg: J. Groos 1982. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Inhalte im Fremdsprachenunterricht oder Fremdsprachenunterricht als Inhalt? Arbeitspapiere der 3. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Heidelberg: J. Groos 1983. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Empirie und Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 4. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1984. K.-R. Bausch/ H. Christ/ W. Hüllen/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Forschungsgegenstand Richtlinien. 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Krumm (Hrsg.): Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung als Ausbildungs- und Forschungsdisziplinen. Arbeitspapiere der 17. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1997. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Kognition als Schlüsselbegriff bei der Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 18. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1998. Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 266 K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Die Erforschung von Lehr- und Lernmaterialien im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 19. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1999. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Interaktion im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 20. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2000. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Neue curriculare und unterrichtsmethodische Ansätze und Prinzipien für das Lehren und Lernen fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 21. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2002. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Arbeitspapiere der 22. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2003. K.-R. Bausch/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenlehrerausbildung. Konzepte, Modelle, Perspektiven. Arbeitspapiere der 23. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2003. K.-R. Bausch/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Mehrsprachigkeit im Fokus. Arbeitspapiere der 24. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2004. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfstand. Arbeitspapiere der 25. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2005. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Aufgabenorientierung als Aufgabe. Arbeitspapiere der 26. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2006. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Textkompetenzen. Arbeitspapiere der 27. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2007. Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 267 K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenlernen erforschen: sprachspezifisch oder sprachenübergreifend? Arbeitspapiere der 28. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2008. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht im Spannungsfeld von Inhaltsorientierung und Kompetenzbestimmung. Arbeitspapiere der 29. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2009. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachen lehren und lernen: Rück- und Ausblick. Arbeitspapiere der 30. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2011. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen: Forschungsethik, Forschungsmethodik und Politik. Arbeitspapiere der 31. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2011. E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Sprachenbewusstheit im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 32. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2012. E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ C. Riemer (Hrsg.): Identität und Fremdsprachenlernen. Arbeitspapiere der 33. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2013. E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ C. Riemer (Hrsg.): Perspektiven der Mündlichkeit. Arbeitspapiere der 34. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2014. E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ C. Riemer (Hrsg.): Lernen an allen Orten? Die Rolle der Lernorte beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen. Arbeitspapiere der 35. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2015. E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ C. Riemer/ L. Schmelter (Hrsg.): Üben und Übungen beim Fremdsprachenlernen. Arbeitspapiere der 36. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2016. Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 268 E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ C. Riemer/ L. Schmelter (Hrsg.): Inklusion, Diversität und das Lehren und Lernen fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 37. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2017. E. Burwitz-Melzer/ C. Riemer/ L. Schmelter (Hrsg.): Rolle und Professionalität von Fremdsprachenlehrpersonen. Arbeitspapiere der 38. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2018. E. Burwitz-Melzer/ C. Riemer/ L. Schmelter (Hrsg.): Das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen im digitalen Wandel. Arbeitspapiere der 39. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2019. Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidak�k In der Spracherwerbstheorie und der Fremd-/ Zweitsprachendidak�k sind neben den kogni�ven Faktoren auch die affek�v-emo�onalen Faktoren als Dimensionen anerkannt worden, die die Prozesse des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen bes�mmen. Dabei geht die Fremdsprachenforschung in der Regel von einer dreifachen Bedeutung der Emo�onen im Lernprozess aus: Sie fungieren sowohl als individuelle Voraussetzungen der Lerner*innen wie auch als Determinanten des Lernprozesses, sie können aber auch ein Ergebnis des Lernens darstellen. Welche fremdsprachenspezifischen Aspekte lassen sich hinsichtlich der affek�v-emo�onalen Dimensionen des Lehrens- und Lernens von Sprachen herausarbeiten? Welche aktuellen Entwicklungen sollten gerade auch im Zusammenhang von Lerner- und Kompetenzorien�erung sowie Individualisierung und Differenzierung von der Fremdsprachenforschung in besonderer Weise berücksich�gt werden? Welche Forschungszugänge erscheinen dabei besonders fruchtbar? Der Band dokumen�ert die überarbeiteten Stellungnahmen der Teilnehmer*innen der 40. Frühjahrkonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts dazu. ISBN 978-3-8233-8417-5