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Das materialgestützte Schreiben aus literaturdidaktischer Perspektive

2021
978-3-8233-9470-9
Gunter Narr Verlag 
Nicola König

Die Einführung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens im Jahr 2012 markiert eine Zäsur in der Aufsatzdidaktik: Neben dem Interpretieren, Analysieren und Erörtern sind die Schüler:innen aufgefordert, auf der Basis unterschiedlicher Materialien Lexikoneinträge, Kommentare, Reden oder Leserbriefe zu verfassen. Die Fokussierung auf die Adressat:innen und die Synthese zu einem eigenen Zieltext stellen dabei mannigfache Anforderungen an die Lese- und Schreibkompetenzen und deren Vermittlung. Der vorliegende Band rückt eine literaturdidaktische Perspektive in den Vordergrund, indem sowohl auf die verwandten Aufsatzformen als auch auf die Geschichte des Aufsatzes abgehoben wird. Kern der Arbeit sind empirische Untersuchungen in unterschiedlichen Schulstufen, die auf eine Integration des Aufgabenformats in den Deutschunterricht abzielen.

Das materialgestützte Schreiben aus literaturdidaktischer Perspektive Nicola König Geschichte - empirische Untersuchungen - Unterrichtspraxis Das materialgestützte Schreiben aus literaturdidaktischer Perspektive Nicola König Das materialgestützte Schreiben aus literaturdidaktischer Perspektive Geschichte - empirische Untersuchungen - Unterrichtspraxis © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISBN 978-3-8233-8470-0 (Print) ISBN 978-3-8233-9470-9 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0268-1 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 7 I 17 I.1 17 I.2 20 I.3 40 I.3.1 40 I.3.2 54 I.3.3 67 I.3.4 79 II 95 II.1 95 II.1.1 96 II.1.2 117 II.2 131 II.3 141 II.4 150 II.4.1 150 Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Genese der Einführung des materialgestützten Schreibens Das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens im Kontext der Geschichte des Schulaufsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen und Aufgabenarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Erörterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handlungs- und Produktionsorientierung (HPU) . . . . . Kreatives Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Didaktisches Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rolle des Lesens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Notwendigkeit der Entwicklung eines Schreibmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das argumentierende Schreiben im schulischen Kontext: Textsorten und Textmuster des Argumentierens . . . . . . . . . . . Schemata als Prototypen sprachlichen Handelns oder über die Bedeutung kognitiver Strukturen für die Textproduktion . . . Die Erlernbarkeit des Schreibens durch die Vermittlung sprachlichen Musterwissens: Ein Vergleich zwischen den USA und Deutschland und seine Konsequenzen für eine veränderte Schreibdidaktik in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundgedanken eines Ländervergleichs . . . . . . . . . . . . II.4.2 153 II.4.3 161 III 167 III.1 167 III.2 181 III.2.1 181 III.2.2 194 III.3 228 III.3.1 228 III.3.2 233 III.4 248 III.5 253 III.5.1 253 III.5.2 267 III.5.3 272 III.5.4 292 IV 299 305 321 339 341 Unterschiede zwischen Deutschunterricht und English Language Arts (ELA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Vermittlung sprachlichen Musterwissens . . . . . . . . Unterrichtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Über die Notwendigkeit empirischer Untersuchungen - zum Studiendesign der Interventionsstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die empirische Studie in der Mittelstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgabenkonzeption und Analysekriterien einer materialgestützten Aufgabe für die Mittelstufe . . . . . . . Auswertung der empirischen Studie in der Mittelstufe Die empirische Studie in der Oberstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgabenkonzeption und Analysekriterien einer materialgestützten Schreibaufgabe in der Oberstufe . . Auswertung der empirischen Studie in der Oberstufe . Zusammenfassung der Ergebnisse der empirischen Studien in der Mittel- und Oberstufe und erste Konsequenzen für Forschung und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe: Ein Vorschlag zur alternativen Einführung des materialgestützten Schreibens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundgedanken einer Unterrichtseinheit zum Verfassen eines literarischen Essays in der gymnasialen Unterstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Eingangsdiagnose: Zielsetzung und Auswertung . Durchführung und Auswertung einer schemabasierten Unterrichtseinheit zum literarischen Essay . . . . . . . . . . Zusammenfassung der Ergebnisse und Konsequenzen für das materialgestützte Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 1 Kultusministerkonferenz (KMK) (Hg.) (2004): Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Mittleren Schulabschluss (BS MSA). Beschluss vom 4. 12. 2003. Neuwied: Luchter‐ hand 2004. URL: http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlichungen_beschluesse/ 200 3/ 2003_12_04-Bildungsstandards-Deutsch-MS.pdf. [letzter Abruf 19. 01. 2021], S. 6 2 Becker-Mrotzek, Michael: Das Schreiben zurückholen - Anmerkungen zur Funktion des materialgestützten Schreibens in den Bildungsstandards. In: Didaktik Deutsch 42 (2017). S. 4-11. S. 4 3 Becker-Mrotzek (2017), S. 5 ff. Einleitung Die 2012 durch die Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife (BS AHR) im Fach Deutsch vorgenommene Einführung des materialgestützten Schreibens als neuem verbindlichen Aufgabenformat des Abiturs (s. Abb. 1) markiert einen „Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik im Sinne von „out‐ come-Orientierung“ Rechenschaftslegung und Sytemmonitoring“. 1 Folgt man Becker-Mrotzeks Einschätzung, dass Bildungsstandards das „zentrale bildungs‐ politische Instrument [sind], das die normativen Erwartungen der Gesellschaft an die Fähigkeiten der nachfolgenden Generation in Bezug auf bestimmte the‐ matisch-inhaltliche Anforderungen verbindlich beschreibt“, 2 dann stellt sich die Frage nach den Ursachen gleichermaßen wie den Intentionen der Einführung eines neuen Aufgabenformats. Die Implementierung des materialgestützten Schreibens in allen sechzehn Bundesländern stellt die an Schule Beteiligten vor große Herausforderungen. Dies liegt nicht nur im Aufgabenformat selbst begründet, sondern auch in dem Umstand, dass die Bildungsstandards zwar eine Angleichung der Leistungsunterschiede intendieren, nicht aber methodische oder curriculare Vorgaben machen. Die Bildungsstandards bilden dabei einen verbindlichen Orientierungsrahmen und jede Schule ist dazu verpflichtet, die Regelstandards umzusetzen. Ziel dieser Arbeit ist es, diese Herausforderungen aus literaturdi‐ daktischer Perspektive in den Blick zu nehmen und Umsetzungsvorschläge aufzuzeigen. Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit ist dabei dreigeteilt: Wenn die zentrale Änderung in den BS AHR die Einführung eines neuen Aufgaben‐ formats markiert, dann gilt es zunächst, die Defizite zu rekonstruieren, die zur Einführung des Formats geführt haben. Becker-Mrotzek, fachdidaktischer Berater der Arbeitsgruppe, die mit der Entwicklung der Bildungsstandards betraut war, nennt als entscheidende Herausforderungen des materialgestützten Schreibens die Anbahnung eines propädeutischen Wissens, die Vermittlung der Argumentationsfähigkeit sowie der Schreibkompetenz. 3 Diese decken sich mit 4 BS AHR (2012), S. 5 5 Dass nicht mit der illustrierenden Prüfungsaufgabe der BS AHR gearbeitet wird, liegt an mehreren Gründen. Bei der Aufgabe handelt es sich um den Typ des informie‐ renden Schreibens. Inzwischen hat sich in der fachdidaktischen Diskussion jedoch der argumentierende Typ durchgesetzt. Weiterhin handelt es sich bei der Aufgabe zum Analphabetismus (BS AHR, S. 108) eher um einen Prototyp, denn um eine konkrete Aufgabe. So lautet die konkrete Aufgabe: „Verfassen Sie auf der Basis der Materialien 1- 4 einen Informationstext zum Analphabetismus. Der Text soll sich an junge Erwachsene ohne spezielle Vorkenntnisse richten. Dabei soll zum einen über Art und Umfang des Analphabetismus informiert werden. Zum anderen sollen mögliche Ursachen sowie Auswirkungen auf die kognitive Entwicklung der Betroffenen erklärt [Hervorhebung im Original] werden. Sie können eigenes Wissen über Sprache, Kommunikation und Denken sowie eigene Beispiele einsetzen, um Zusammenhänge zu verdeutlichen. Verweisen Sie in Ihrem Text auf die Quellen, denen Ihre Informationen entstammen.“ 6 Die Kompetenzbereiche für das Fach Deutsch sind „Sprechen und Zuhören“, „Schreiben“, „Lesen“, „Sich mit Texten und Medien auseinandersetzen“ sowie „Sprache und Sprachgebrauch reflektieren“. BS AHR (2012), S. 9 7 BS AHR (2012), S. 14 den übergeordneten Zielen der BS AHR Deutsch, in denen die Vermittlung einer vertieften Allgemeinbildung, die allgemeine Studierfähigkeit sowie die wissenschaftspropädeutische Bildung 4 angeführt werden. Diese Arbeit folgt Be‐ cker-Mrotzeks eindringlicher Forderung, dass das Schreiben in den Unterricht zurückgeholt werden muss, und versucht eine Beurteilung der Notwendigkeit dieser Forderung aus historischer (Teil I), aus schreibdidaktischer (Teil II) und aus praxeologischer Perspektive (Teil III). Können Aufgabenformate als Überprüfung der Bildungsstandards ver‐ standen werden, so bilden die illustrierenden Prüfungs- und Lernaufgaben ihre Konkretisierung. Die Merkmale und daraus resultierenden Herausforde‐ rungen des Aufgabenformats sollen anhand einer konkreten Beispielsaufgabe des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), das mit der wis‐ senschaftlichen Betreuung und der Umsetzung der Bildungsstandards betraut ist, erläutert werden. 5 Die BS AHR sind in fünf Kompetenzbereiche gegliedert, 6 die prozess- und domänenspezifischen Kompetenzbereiche. Das Schreiben als prozessbezogene Kompetenz wird anhand der domänenspezifischen Bereiche - sich „mit Texten und Medien auseinandersetzen“ sowie „Sprache und Sprach‐ gebrauch reflektieren“ 7 - konkretisiert. Hier wird die Verzahnung deutlich, die eine literaturdidaktische gleichermaßen wie eine sprachdidaktische Perspekti‐ vierung auf das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens erforderlich macht. 8 Einleitung 8 So arbeiten Modelle für die Unterstufe in der Regel mit Sachtexten oder Bildern und greifen nicht auf literarische Texte zurück, z. B. der Beitrag „Berlin entdecken“ (In: Praxis Deutsch 251), „Wie kommen die Wörter in den Duden? “ (In: Praxis Deutsch 262), „Was sind Märchen? - Informationen sammeln“ (In: Deutschunterricht 1-2015), „Wie schlafen Tiere? “ (Feilke et al. 2016). Bis auf den Beitrag in PD 262 lassen sich alle Aufgaben dem Typ des Verfassens informierender Texte zuordnen. 9 BS AHR (2012), S. 10 Abb. 1: BS AHR (2012), S. 24 Die Aufgaben der beiden Ausprägungsarten des materialgestützten Schreibens - das Verfassen informierender und argumentierender Texte - werden demnach immer zu domänenspezifischen Themen gestellt. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf dem argumentierenden Schreiben: Dies ist darin begründet, dass eine Progression vom informierenden zum argumentierenden Schreiben angenommen wird, die sich auch in den veröffentlichten Unterrichtsmodellen widerspiegelt. 8 Auch in Bezug auf die Domänenspezifik lässt sich eine Weiter‐ entwicklung beobachten. Während in der Mittelstufe Beispielsaufgaben noch fächerübergreifende Themen behandeln, wird erst in der Oberstufe die Domä‐ nenspezifik durchgehend berücksichtigt. Die Konzentration auf das argumen‐ tierende Schreiben ist aber auch im Hinblick auf die Aspekte des Problemlösens und der Propädeutik, die eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der BS AHR spielen, wichtig: „Besonderes Gewicht erhält die Entwicklung der Argumentations- und Reflexionsfähigkeit in Bezug auf die Bereiche des Faches und in fächerübergreifenden Kontexten“ 9 . Das Erlernen des Argumentierens und Positionierens stellt eine zentrale Herausforderung für die Entwicklung der Schreibkompetenz, aber auch für den Umgang mit Literatur dar, die nicht erst in der oberen Mittelstufe in den Blick genommen werden darf. Die folgende Beispielsaufgabe mit erhöhtem Niveau ist dem Aufgabenpool der Länder entnommen und dem argumentierenden Typ zugeordnet. 9 Einleitung 10 Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) (Hg.): Aufgabensammlung Deutsch. Materialgestütztes Verfassen argumentierender Texte. URL: https: / / www.iqb .hu-berlin.de/ abitur/ sammlung/ deutsch [letzter Abruf 19. 01. 2021] 11 Die Materialien können auf der Seite des IQB eingesehen werden. 12 BS AHR (2012), S. 24 Aufgabenstellung: Die Intendantin des städtischen Theaters hat in einem Interview mit der lokalen Tageszeitung Bedenken geäußert, „Kabale und Liebe“ auf den Spielplan zu setzen. Dabei bezog sie sich auf kritische Diskussionsbeiträge, wonach das Stück nicht mehr zeitgemäß sei. Ihr Deutschkurs, der Schillers Drama im Unterricht behandelt hat, will sich hierzu in einem Offenen Brief an die Intendantin äußern. Verfassen Sie auf Grundlage der Materialien M1 bis M9 und Ihrer fachlichen Kennt‐ nisse einen Offenen Brief (siehe dazu M10), der begründet darlegt, inwieweit es auch im 21. Jahrhundert sinnvoll ist, „Kabale und Liebe“ für die Bühne zu inszenieren. 10 Die Schüler: innen werden aufgefordert, sich mit der Frage der Aktualität des Dramas Kabale und Liebe zu beschäftigen, indem sie - als Mitglied des Deutschkurses - an die Intendantin des Theaters einen Offenen Brief schreiben. Damit werden in der Aufgabenstellung Zieltext - der Offene Brief - und Situierung - Stellungnahme des Deutschkurses zur Debatte - vorgegeben. Die für den Aufgabentyp des materialgestützten Schreibens typische Adressierung bewegt sich dabei im Spannungsfeld zwischen der genannten Adressatin - der Intendantin - und den eigentlichen Adressat: innen - den Leser: innen des Mediums, in dem der Offene Brief veröffentlicht werden soll. Zum Verfassen des Zieltextes erhalten die Schreibenden elf Materialien mit insgesamt 1659 Wörtern. Darin sind acht lineare pragmatische Texte, zwei Abbildungen und eine Tabelle enthalten. 11 Dieses Beispiel veranschaulicht die Grundgedanken des neuen Aufgaben‐ formats: Neben den textgebundenen Aufgaben der Erörterung, Interpretation und Analyse rücken damit Aufgaben ins Zentrum, „die keine vollständige Textanalyse mehr erfordern, da das vorgelegte Material auf der Grundlage von Rezeption und kritischer Sichtung für eigene Schreibziele genutzt werden soll (Materialgestütztes Schreiben).“ 12 Auf der Basis zahlreicher kontinuierlicher und diskontinuierlicher Texte gilt es, einen eigenen, individuellen informie‐ renden oder argumentierenden Text zu verfassen, der eine vorher bestimmte Adressat: innengruppe berücksichtigt und auf der Basis der zur Verfügung gestellten Materialien sowie des eigenen Weltwissens erfolgt. Das Neuartige des Aufgabenformates ist somit das Zusammenspiel von Textrezeption und -produktion. Das vorgegebene Material muss nicht nur gelesen, in Bezug auf die 10 Einleitung 13 Pertzel, Eva; Schütte, Anna Ulrike: Materialgestütztes informierendes Schreiben. In: Deutschunterricht 1-15  2015. S. 4-10. S. 4 ff. 14 Kultusministerkonferenz (KMK) (Hg.) (2002): Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Deutsch. (Beschluss vom 24. 05. 2002). S. 26 15 Siehe dazu beispielsweise Feilke, Helmuth; Lehnen, Katrin; Rezat, Sara; Steinmetz, Michael: Materialgestütztes Schreiben lernen. Braunschweig: Schroedel 2016. S. 57 16 Trotha, Hans von: Liebe Bundeskanzlerin. Aus: Deutschlandradio, 24. 5. 2017, 14.10 Uhr Aufgabenstellung ausgewertet und mit dem eigenen Vorwissen in Verbindung gebracht werden, sondern es muss vor allem eine Transformation geleistet werden. Pertzel und Schütte 13 weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Synthese für dieses Aufgabenformat eine entscheidende Rolle spielt. Es gilt, aus den unterschiedlichen Materialien diejenigen auszuwählen, die für die Adressat: innen und das jeweiligen Schreibziel angemessen sind. Damit wird das Material - und hier liegt ein entscheidender Unterschied zur Interpretation - zum Ausgangspunkt des eigenen Schreibprozesses. Lag bis 2012 durch die EPA - Einheitliche Prüfungsanforderungen Abitur - vorgegeben eine Begrenzung des Umfangs der zu bearbeitenden Texte bei 900 Wörtern, so wurde diese beim textbezogenen Schreiben auf 1500 erweitert. 14 Die Herausforderungen des Aufgabenformats Die Darstellung der Beispielsaufgabe ermöglicht, die Herausforderungen des Aufgabenformats zu beschreiben. Da sie den Aufbau dieser Arbeit bedingen, sollen sie an dieser Stelle kurz skizziert werden. Der Aufgabe muss eine Strit‐ tigkeit zugrunde liegen, die ein Argumentieren und Positionieren erforderlich macht. Da eine Vielzahl unterschiedlicher Zieltexte sowohl für das informie‐ rende als auch für das argumentierende Schreiben existiert, 15 erfordert dies von den Schreibenden ein umfangreiches Textsortenwissen. Im vorliegenden Fall müssen die Schüler: innen wissen, dass der Offene Brief nicht nur die Intendantin, sondern auch die Kulturschaffenden und -interessierten der Stadt ansprechen soll. Gleichzeitig impliziert der Offene Brief eine Asymmetrie zwischen Autor: in und Adressat: innen: Obwohl es sich um einen Brief handelt, liegt ein „öffentlicher Akt der Intimität“ 16 vor, der in konkrete Sprachhandlungen übersetzt werden muss. Adressat: innenbezogenes Schreiben erfordert demnach die Berücksichtigung der kommunikativen Funktionen des jeweiligen Ziel‐ textes. Damit aber rückt zugleich ein dialogisches Schreiben in den Vordergrund. Zentral ist weiterhin der Umgang mit der Materialfülle, die einen veränderten Umgang mit Texten sowohl im Hinblick auf den Leseals auch den Schreib‐ prozess erforderlich macht. Damit zeichnet das Aufgabenformat des material‐ 11 Einleitung 17 Köster, Juliane; Pabst, Stephan: Format mit doppelter Botschaft: Materialgestütztes Schreiben in der Sekundarstufe II. In: Didaktik Deutsch 43 (2017). S. 12-18. S. 12 ff. 18 Köster, Pabst (2017), S. 13 19 Vergleiche dazu Abraham et al. (2015), Feilke et al. (2016), Feilke et al. (2017), Philipp (2017, 12) sowie die Debatte in Didaktik Deutsch 42 und 43. 20 Feilke, Helmuth: Eine neue Aufgabe für das Fach Deutsch: Zusammenhänge erstellen - materialgestützt schreiben. In: Didaktik Deutsch 43 (2017). S. 4-11. (= 2017 a) S. 8 gestützten Schreibens eine „Hybridität“ 17 aus, die die Zieltextsorten ebenso wie die Materialien betrifft. So werden literarische Texte neben pragmatischen Texten, journalistische Artikel neben Aphorismen und Abbildungen neben Gedichten präsentiert. Das Material ist somit nicht nur polytextuell, sondern auch „fragmentiert und entkontextualisiert“. 18 Auf die Komplexität und die daraus resultierenden didaktischen Herausfor‐ derungen ist seit Einführung des Aufgabenformats in zahlreichen Veröffentli‐ chungen verwiesen worden 19 und sie wird weder auf Seiten der Praktiker noch in der Forschung bestritten. In dieser Arbeit aber soll es nicht ausschließlich darum gehen, diese Herausforderungen aufzuzeigen. Der erste Teil der Arbeit wirft - ausgehend von einer historischen Verortung des Schulaufsatzes - einen Blick auf die Entwicklungslinien der Aufsatz- und Schreibdidaktik. Ein Abriss der Geschichte des Schulaufsatzes fragt nach den Vorläufern des materialgestützten Schreibens und fokussiert auf die Lehrbarkeit des Schreibens und damit auf die Rolle des Musterwissens, die Rolle der Literatur und das Verhältnis von Mündlich- und Schriftlichkeit. Damit werden Textformen gleichermaßen wie Aufgabenarten in den Blick genommen und ihre Implikationen für die Kon‐ struktion eines Schreibmodells erläutert. Die Darstellung bewegt sich demnach im Spannungsfeld zwischen Sprach- und Literaturwissenschaft. Die empirischen Untersuchungen Damit das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens von den Schü‐ lerinnen und Schülern erfolgreich umgesetzt werden kann, bedarf es zum einen geeigneter Aufgabenstellungen und Materialien, zum anderen aber sind Unterrichtsarrangements erforderlich, die die entsprechende Lese- und Schreibkompetenz vermitteln. Wenn Feilke darauf abhebt, dass das materialge‐ stützte Schreiben „nicht nur ein Gegenstand, sondern eine Form des Lernens im Deutschunterricht“ ist, 20 das die Textplanung und die Erschließung von Materialien betrifft und somit in den Gesamtunterricht integriert werden muss, dann sind in diesem Sinne die drei empirischen Untersuchungen des dritten Teils dieser Arbeit angelegt. Die Vermittlung einer Schreibkompetenz soll die Schüler: innen dazu befähigen, auf die jeweils variierenden Zieltexte, 12 Einleitung 21 Das Bundesland Hessen hat, ebenso wie Nordrhein-Westfalen, das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens verspätet eingeführt. kommunikativen Situationen und Adressat: innen adäquat zu reagieren und die Materialien angemessen für den eigenen Schreibprozess zu nutzen. Vor allem das Argumentieren und Positionieren stellt in diesem Zusammenhang erhöhte Anforderungen an die Problemlösekompetenz. Die drei empirischen Studien sind als Interventionsstudien angelegt, d. h. sie untersuchen in Feldstudien kausale Zusammenhänge und damit die Wirksamkeit von Interventionen, also Maßnahmen, die dazu geeignet erscheinen, die Schreibfähigkeit zu verändern. In einem ersten Schritt der empirischen Untersuchung soll es darum gehen, detaillierte Informationen darüber zu erhalten, wie Schüler: innen mit materi‐ algestützten Schreibaufgaben umgehen. Auf der Basis von zwei Aufgaben, konzipiert jeweils für die Mittel- und die Oberstufe, wird untersucht, über welche Präkonzepte die Schreibenden verfügen, wenn sie eine materialgestützte Schreibaufgabe bearbeiten. Um die Schwierigkeiten und Herausforderungen zu beschreiben, hätte es allerdings gereicht, die Schüler: innen die Aufgabe bearbeiten zu lassen. Die Entscheidung für eine Interventionsstudie beruht auf dem Grundverständnis einer eingreifenden Didaktik mit dem Ziel, die Schreibkompetenz der Schüler: innen zu verbessern und Schreibarrangements zu entwickeln, die sie dazu befähigen. Diese müssen, basierend auf aktuellen Lese- und Schreibmodellen, durchgeführt, untersucht, evaluiert und weiterent‐ wickelt werden. Versteht man im Sinne Feilkes materialgestützte Schreibauf‐ gaben primär als Form des Lernens, denn als Gegenstand und nimmt man die in der didaktischen Diskussion antizipierten Herausforderungen ernst, dann kann eine einzige Intervention dem Untersuchungsgegenstand nicht gerecht werden. Zwar ließen sich beispielsweise Prozeduren des Argumentierens valide, objektiv und reliabel auf der Textoberfläche nachweisen und ein derartiges Setting würde den Ansprüchen an eine empirische Untersuchung weitgehend genüge leisten. Aber ein solches Vorgehen bildet weder die Komplexität des Aufgabenformats noch die Unterrichtswirklichkeit ab. Bei den 107 Mittelstufen- und 68 Ober‐ stufenschüler: innen, mit denen die beiden Unterrichtseinheiten durchgeführt wurden, handelt es sich um einen Erstkontakt mit dem Aufgabenformat und auch die Lehrkräfte konnten bisher keine einschlägigen Erfahrungen mit dem Aufgabenformat sammeln. 21 Deshalb würde es aus Sicht der Lernenden wie der Lehrenden defizitorientiert anmuten, nur den Ist-Zustand zu erheben, bzw. ausschließlich eine Intervention durchzuführen, die zwar operationalisierbar ist, aber den Bedürfnissen der Durchführenden nicht entspricht. 13 Einleitung 22 So werden beispielsweise auch in den Erläuterungen zur Beispielsaufgaben zum Argu‐ mentieren die folgenden Arbeitsschritte angegeben: „1. Sich in der Debatte orientieren, 2. Sich in der Debatte positionieren, 3. Zur Debatte recherchieren, 4. Das Material sichten und perspektivieren, 6. Das Sprachwissen vertiefen, 7. Die Debatte referieren, 8. Den Blogbeitrag schreiben, 9. Den Schreibprozess reflektieren. Neumann, Astrid; Steinhoff, Torsten: Schreiben. In: Michael Becker-Mrotzek, Michael Kämper-van den Boogaart, Juliane Köster, Petra Stanat, Gabriele Gippner (Hgg.): Bildungsstandards aktuell: Deutsch in der Sekundarstufe II. Braunschweig: Diesterweg Schroedel Wester‐ mann 2015. S. 66-119. S. 102 23 Zusätzlich zu den Gesprächen, die im Anschluss an die Durchführung der Unterrichts‐ einheiten mit den jeweiligen Lehrkräften durchgeführt wurden, fand noch mit einer Mittelstufenklasse und einem Oberstufenkurs ein Auswertungsgespräch statt. 24 Die Aufgabe für die Oberstufe wurde zusätzlich zur Pilotierung noch von 57 Lehramts‐ studierenden im Hauptstudium bearbeitet, so dass die Ergebnisse von Schreibnovizen in Bezug auf das argumentative Schreiben den Ergebnissen erfahrenerer Schreiber: innen gegenübergestellt werden können. Aus diesem Grund basieren die beiden Interventionsstudien, durchgeführt jeweils in 5 Klassen und 5 Oberstufenkursen, auf einer vollständigen Unter‐ richtsreihe mit ungefähr 9-12 Unterrichtsstunden. Die Konzeption der Inter‐ ventionen für die Mittel- und Oberstufe stützt sich auf eine erfahrungsgeleitete Hypothesenbildung und berücksichtigt bereits erschienene Publikationen 22 ebenso wie theoretische schreibdidaktische Modellierungen. Die Schüler: innen verfassen zu Beginn und am Ende der Unterrichtsreihe ihren Zieltext, so dass die Wirksamkeit der Interventionen beurteilt werden kann und die Schreibenden den eigenen Kompetenzzuwachs demonstrieren können. Die Interventionsstudien erlauben es, einen Schreibprozess über einen längeren Zeitraum in den Blick zu nehmen und nicht nur die Schwierigkeiten der Schüler: innen zu beschreiben, sondern auch den Einsatz der Interventionen zu reflektieren. Dadurch sollen Rückschlüsse auf die Aufgabenkonstruktion, die Materialauswahl ebenso wie auf die Planung von Interventionen und die curriculare Anbindung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens möglich sein. 23 Die Gegenüberstellung der Daten der Mittel- und der Oberstufe erlaubt zudem, die Schwierigkeiten beim Bearbeiten der Aufgaben und damit die Herausforderungen über einen größeren Zeitraum zu betrachten und somit Alterseffekte zu berücksichtigen. 24 Die dritte empirische Untersuchung wurde in einem qualitativen Untersu‐ chungsdesign in der Unterstufe des Gymnasiums zum literarischen Essay durchgeführt und nimmt einen Perspektivwechsel vor. Die Forderungen der Didaktik lauten, dass das Schreiben wieder im Unterricht selbst verortet und 14 Einleitung 25 In diesem Zusammenhang verweist Becker-Mrotzek auf die Folgen eines Schreibunter‐ richts, „der die Fähigkeiten zum argumentierenden Schreiben faktisch voraussetzt, aber nicht explizit zum Unterrichtsgegenstand macht“. Becker-Mrotzek (2017), S. 4 das Argumentieren gelehrt werden muss. 25 Um diesen Anspruch umsetzten zu können, ist es jedoch erforderlich, neu zu denken. Die literarische Perspektive soll daher nicht als Gegenpol, sondern als Ausgangspunkt gesehen werden. Die Unterrichtseinheit ist an aktuelle US-amerikanische schreibdidaktische Modelle angelehnt und basiert auf den Studien und Publikationen des Teachers College Reading and Writing Project der Columbia University, New York. Diesen Ansatz konnte ich während eines Forschungsaufenthaltes kennen lernen. Hos‐ pitationen in Schulen und bei Lehrer: innenfortbildungen vermittelten mir einen Einblick in die Chancen dieses Schreibansatzes, der ausgehend von einem literarischen Text ein argumentierendes Schreiben in den Blick nimmt. Anhand einer qualitativen Studie soll überprüft werden, welche argumentativen Schreib‐ kompetenzen Schüler: innen erlangen können, wenn sie frühzeitig in ihrer Schullaufbahn dazu angeleitet werden, schemabasiert in einem literarischen Essay zu argumentieren. Sprach- und Literaturdidaktik werden in diesem Sinne nicht als Kontrahenten verstanden, sondern als Partner mit demselben Ziel, die Schreibkompetenz im Deutschunterricht nachhaltig zu verbessern und die Schüler: innen zum differenzierten, authentischen sowie propädeutischen Schreiben zu befähigen. 15 Einleitung 1 Neumann, Astrid; Steinhoff, Torsten: Schreiben. In: Michael Becker-Mrotzek, Michael Kämper-van den Boogaart, Juliane Köster, Petra Stanat, Gabriele Gippner (Hgg.): Bildungsstandards aktuell: Deutsch in der Sekundarstufe II. Braunschweig 2015. S. 66- 119. S. 68 2 Neumann, Steinhoff (2015), S. 68 3 BS AHR (2012), S. 13 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens I.1 Die Genese der Einführung des materialgestützten Schreibens Die 2012 in Kraft getretenen Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschul‐ reife (BS AHR) stehen für eine Reform des Schreibunterrichts in der Sekundar‐ stufe II, so postulieren Neumann und Steinhoff. 1 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach den Intentionen der Reform, d. h. ihrem Zielpunkt, aber auch nach dem Ausgangspunkt: der Geschichte des Schreibens im Deutschunterricht. Die Neuerungen betreffen besonders die Bedeutung der pragmatischen Texte im Rahmen von Textproduktionen, die Fokussierung auf die Schreibprozesse und die Textfunktion, die das Informieren, Argumentieren und das Erklären betont und damit ein Gegengewicht zum Analysieren und Interpretieren litera‐ rischer Texte darstellt. 2 Für den Schreibunterricht erfordert diese Akzentuierung eine veränderte Auseinandersetzung mit Texten, sollen diese für die eigene Textproduktion nutzbar gemacht werden, sowie einen hohen Reflexionsgrad: Beides sind zentrale Kompetenzen, die für ein Schreiben in Beruf und Schule erforderlich sind. Wenn in den Bildungsstandards im Fach Deutsch für die Allgemeine Hoch‐ schulreife im Jahre 2012 erstmals explizit das Aufgabenformat des materialge‐ stützten Schreibens auftaucht, dann muss, um die Intention der Einführung des neuen Aufgabenformates einschätzen zu können, diese im Zusammenhang mit der Anschlussfähigkeit an die Bildungsstandards des Mittleren Schulabschlusses (BS MSA) betrachtet werden. Desweiteren ist die Betonung der kommunika‐ tiven Funktionen des Schreibens relevant, die „für das Studium, die Berufsausbil‐ dung und erfolgreiches Handeln im Beruf erforderlich sind“ 3 . Zwar wird in den 4 BS AHR (2012), S. 13 5 Dieser Aspekt bildet einen Schwerpunkt der Dissertation von Lisa Schüler. Schüler, Lisa: Materialgestütztes Schreiben argumentierender Texte. Untersuchung zu einem neuen wissenschaftspropädeutischen Aufgabentyp in der Oberstufe. Baltmannsweiler: Schneider 2017. 6 BS AHR (2012), S. 24 7 Siehe Kapitel I.3. 3. 1. 8 Abraham, Ulf; Baurmann, Jürgen; Feilke, Helmuth: Materialgestütztes Schreiben. In: Praxis Deutsch 251 (2015). S. 4- 12. S. 11 ff. 9 Abraham, Baurmann, Feilke (2015), S. 4 10 Auch Schütte verweist in ihrem Debattenbeitrag in Deutsch Didaktik auf die Notwen‐ digkeit, eine Auseinandersetzung mit dem Aufgabenformat auf die Sekundarstufe I auszuweiten. Sie nimmt die Grundlagen in den Blick, die erforderlich sind, um das Format erfolgreich in der der Sekundarstufe II bewältigen zu können. Schütte, Anna Ulrike: Materialgestütztes (informierendes) Schreiben aus der Perspektive der Sekundarstufe I. In: Didaktik Deutsch 42 (2017). S. 20-25. BS AHR auf die „Entwicklung der Argumentations- und Reflexionsfähigkeit“ abgehoben, 4 jedoch wird die Ausbildung der Wissenschaftspropädeutik, auf die in neueren Publikationen verwiesen wird, nicht explizit eingegangen. 5 Mit der Einführung des neuen Aufgabenformats ist der Wegfall des gestal‐ tenden Schreibens in der schriftlichen Abiturprüfung verbunden. 6 Damit steht das materialgestützte Schreiben in den beiden Ausprägungsformen des Verfas‐ sens informierender und argumentierender Texte neben den Aufgabenarten der Erörterung, der Interpretation und der Analyse. Der Wegfall des gestaltenden Schreibens markiert somit eine Neuorientierung der Schreibdidaktik, die im Verlauf der Arbeit näher ausgeführt werden soll. Ob die Schwierigkeiten einer Bewertung von kreativen Textprodukten für den Wegfall entscheidend waren oder aber die Orientierung an Schreibprodukten, die stärker an der Berufswelt oder dem Studium ausgerichtet sind, darüber kann nur spekuliert werden. Die Kritik an den Ansätzen des handlungs- und produktionsorientierten Literatur‐ unterrichts aber deutete bereits auf eine derartige Entwicklung hin. 7 Dass das materialgestützte Schreiben in der didaktischen Diskussion auf eine Geschichte zurückgreifen kann und keineswegs ein vollständig neues, von fachwissenschaftlichen Diskursen abgekoppeltes Phänomen ist, machen Abraham, Baurmann und Feilke in ihrem Basisartikel in der 2015 zum materi‐ algestützten Schreiben publizierten Praxis Deutsch-Ausgabe deutlich, indem sie auf Unterrichtsmodelle mit materialgestützten Schreibaufgaben verweisen, die bis in das Jahr 2001 zurückreichen. 8 Ebenso betonen die Autoren, dass das materialgestützte Schreiben ein Aufgabenformat für alle Schulstufen ist. 9 Obwohl dieses explizit in den BS AHR eingeführt wurde, muss es in der Unter- und Mittelstufe angebahnt werden. 10 18 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 11 BS MSA (2004), S. 11 12 BS MSA (2004), S. 12 13 BS MSA (2004), S. 18 14 Aufgaben werden dabei explizit als „Veranschaulichung der durch Standards defi‐ nierten Zielvorgaben“ verstanden. Aus: Kultusministerkonferenz (KMK) (Hg.) (2004): Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz. Erläuterungen zur Konzeption und Entwicklung. Neuwied: Luchterhand 2004. (= 2004a) S. 17 15 KMK (2004a), S. 23 Markiert die Einführung 2012 in den Bildungsstandards einen Paradigmen‐ wechsel, dann ergeben sich daraus gleichermaßen didaktisch-methodische Herausforderungen wie Fragen der Anschlussfähigkeit. So wird in den BS MSA explizit betont, dass die Umsetzung der Bildungsstandards die Chance bietet, „eine anforderungsbezogene Aufgabenkultur“ 11 zu entwickeln. Aus diesem Grund ist es erforderlich, das Aufgabenformat des materialgestützten Schrei‐ bens im Kontext der Bildungsstandards für den Mittleren Bildungsabschluss zu betrachten, der bereits 2004 für das Fach Deutsch eingeführt wurde: Zwar taucht hier der Begriff des materialgestützten Schreibens nicht explizit auf, jedoch wird im Kompetenzbereich Schreiben als Standard zum Texte planen angeführt, dass die Schüler: innen „gemäß den Aufgaben und der Zeitvorgabe einen Schreibplan erstellen, sich für die angemessene Textsorte entscheiden und Texte ziel-, adressaten- und situationsbezogen, ggf. materialorientiert konzipieren [Hervorhebung durch die Verfasserin]“ 12 sollen. Auch im Zusammenhang mit der Textüberarbeitung wird explizit auf die Schreibsituation und den Schreib‐ anlass abgehoben. Werden die näher zu erbringenden Leistungen konkretisiert, dann heißt es im Anforderungsbereich II: „Bezüge in Texten bzw. Materialien erkennen, um Aussagen zu erfassen“ 13 . Im Zusammenhang mit der Konstruktion von Aufgaben sollen auch thematisch orientierte Textzusammenstellungen angeboten werden. Der Prozesscharakter des Schreibens wird betont. Dass diese Forderungen in den BS MSA auf Aufgaben im Sinne des material‐ gestützten Schreibens hinauslaufen, verdeutlicht die angegebene Beispielsauf‐ gabe 1 14 : So wird das „Verfassen eines journalistischen Textes auf der Grundlage korrespondierender Materialien (Aufgabenart: Von einer Textgrundlage aus‐ gehend. Argumentieren, erörtern)“ am Beispiel des Themas „Alkohol: Lebens‐ freude oder Abhängigkeit? “ 15 gefordert. Als Materialien werden ein Interview, ein Sachtext sowie Diagramme angeboten. Auch die angeführten Teilaufgaben heben darauf ab, dass die den Materialien entnommenen Informationen in einen eigenen Text überführt werden, der eine klar festgelegte Adressierung hat: „Entnehmen Sie den vorgelegten Texten und der Grafik die geeigneten Informationen, Aussagen und Hinweise und schreiben Sie auf dieser Grundlage einen informierenden Artikel für eine Schülerzeitung zum Thema „Alkohol“! 19 I.1 Die Genese der Einführung des materialgestützten Schreibens 16 KMK (2004a), S. 26 17 „Sie [inhaltliche Standards, N. K.] beschreiben klar und eindeutig die aufzubauenden Kompetenzen und das zu erreichende Wissen.“ KMK (2004a), S. 8 Zeigen Sie in Ihrem Artikel Möglichkeiten auf, wie man dem Alkoholkonsum von Jugendlichen vorbeugen könnte.“ 16 In den Lösungsvorschlägen wird auf das intentions- und adressatenbezogene Schreiben abgehoben. Zwar kann man im Sinne des materialgestützten Schreibens bei der Präsen‐ tation von drei Materialien noch nicht von einer Materialfülle sprechen und auch das Thema ist nicht domänenspezifisch, wie es in den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife gefordert wird. Trotzdem wird hier von den Schülerinnen und Schülern ein adressatenorientiertes und zieltextgebundenes Schreiben gefordert. Die Informationen der Materialien müssen in einen eigenen Text überführt werden. Die Materialmenge und eine Konzentration auf ein informierendes Schreiben dürften dem Entwicklungsstand der Schüler: innen angepasst sein. Dass 2012 in den Bildungsstandards für die Allgemeine Hoch‐ schulreife das materialgestützte Schreiben erstmals auftaucht, kann demnach als logische curriculare 17 Fortführung der Forderungen und Standards des Mittleren Bildungsabschlusses verstanden werden. I.2 Das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens im Kontext der Geschichte des Schulaufsatzes Die 2012 von der KMK beschlossene Einführung des materialgestützten Schrei‐ bens steht in der Tradition von Aufsatzformen des Deutschunterrichts, die als Reaktion auf historische, gesellschaftliche, politische und ökonomische Ent‐ wicklungen gewertet werden können. Ziel ist es zu untersuchen, ob es Vorläufer und damit didaktische Anknüpfungspunkte des neuen Aufgabenformats gibt. Weiterhin gilt zu klären, in welcher Beziehung Literatur- und Schreibunterricht standen und wie sich das Schreiben über Literatur verändert hat. Es gilt das Verhältnis von Analysen im Gegensatz zu freieren Schreibformen abzuwägen. Ebenso wird die Rolle von Sachtexten für den Schreibprozess betrachtet, um sie dem polytextuellen Materialienverständnis beim materialgestützten Schreiben gegenüberzustellen. Eine historische Verortung konzentriert sich demnach auf die Debatten und Konflikte, die ein adressatenbezogenes, situiertes, auf unterschiedlichen Materialien basierendes Schreiben impliziert und nicht auf eine vollständige historische Darstellung der verschiedenen Aufsatzformen, 20 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 18 Ludwig, Otto: Der Schulaufsatz. Seine Geschichte in Deutschland. Berlin: de Gruyter 1988 19 Siehe Dawidowski, Christian: Literaturdidaktik Deutsch. Paderborn: Ferdinand Schön‐ ingh 2016. S. 33 20 Zur näheren Begriffsbestimmung siehe Meumann, Markus; Simons, Olaf: Einleitung. Aufsatzpraktiken (nicht nur) im 18. Jahrhundert. In: Markus Meumann, Olaf Simons (Hgg.): Aufsatzpraktiken im 18. Jahrhundert. Hamburg: Felix Meiner 2017. S. 5-28. S. 5-10 21 Ludwig (1988), S. 452 22 Helmers, Hermann: Didaktik der deutschen Sprache. Stuttgart: Klett 1966. S. 212 ff. 23 Helmers (1966), S. 175 die umfassend von Ludwig 18 vorgenommen wurde. Es wird demnach in dieser Betrachtung darum gehen, einzelne Fakten auszuwählen und darzustellen, die für das materialgestützte Schreiben relevant sind. Damit formt der Diskurs die Betrachtung gleichermaßen wie die Kontingenz. 19 Versucht man die gut 300jährige Geschichte des deutschen Aufsatzes zusam‐ menzufassen, so soll in diesem Zusammenhang eine Eingrenzung auf den schulischen Aufsatz vorgenommen werden. Der Aufsatz selbst setzte sich in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts als Textsorte durch, die unterschiedliche Formen schriftlicher Beiträge subsumierte. 20 Die Überlieferungsgeschichte bietet dabei ein Ordnungskriterium, das - Ludwig folgend 21 - drei zentrale Entwicklungsli‐ nien enthält: Die Konzentration auf die Rhetorik, die den deutschen Aufsatz bis ins 18. Jahrhundert geprägt hat, das Ausbilden einer eigenen Tradition, die das 18. und gesamte 19. Jahrhundert beeinflusste, und das 20. Jahrhundert mit der Vorstellung des freien Aufsatzes. Für die inhaltliche Ausrichtung ist die Einteilung Helmers’ weiterführend, die erlaubt, die Vorläufer des material‐ gestützten Schreibens in den Blick zu nehmen. So unterscheidet Helmers 22 den Imitationsaufsatz vom Reproduktions- und vom Produktionsaufsatz. Während der Imitationsaufsatz stark an die Form und damit an die antike Rhetorik gebunden ist, nimmt der Reproduktionsaufsatz die literarischen Stoffe in den Blick und fokussiert auf den Umgang mit diesen. Der Produktionsaufsatz hin‐ gegen hebt auf die Gestaltung und Selbstständigkeit der bis dahin überwiegend männlichen Schüler ab. Auf diese Einteilung wird am Ende dieses Kapitels noch einmal zurückgegriffen: Sie soll die Basis einer Auswertung der Einflüsse der Geschichte des deutschen Aufsatzes für das materialgestützte Schreiben darstellen. Um einschätzen zu können, warum es im Laufe der Geschichte des Aufsatzes immer wieder zur Weiterentwicklung und damit verbunden auch zur Ablehnung des Bestehenden gekommen ist, bietet es sich an, auf Helmers’ Dreieck des Gestaltens 23 zurückzugreifen: 21 I.2 Das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens 24 Eckhardt, Juliane: Einführung. In: Juliane Eckhard, Hermann Helmers (Hgg): Theorien des Deutschunterrichts. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1980. S. 1-28 15 Abb. 2 Helmers’ Dreieck des Gestaltens Diese Übersicht bietet die Möglichkeit, die einzelnen Aufsatzformen in Bezug auf vorgenommene Schwerpunkte einzuschätzen. Da das materialgestützte Schreiben sowohl auf die Wirksamkeit, die Sachgemäßheit und die Wahrhaftigkeit der Positionen abhebt und damit alle drei Aspekte in den Blick nimmt, soll im Folgenden untersucht werden, auf welche der jeweiligen Strömungen der Aufsatzvermittlung vorwiegend fokussiert wurde. Die Entwicklung eines Deutschunterrichts und damit verbunden von eigenen Aufsatzformen ist von den politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Faktoren der jeweiligen Zeit maßgeblich beeinflusst. Juliane Eckard 49 verweist in ihrer Einführung zu Theorien des Deutschunterrichts auf den Zusammenhang zwischen historischen und ökonomischen Bedingungen und zeigt die Einflussnahme auf Didaktik und Methodik des Deutschunterrichts auf. So könne die Einführung des Deutschen als Unterrichtssprache als Zeichen der Emanzipation des Bürgertums vom Feudaladel verstanden werden. Die Schwierigkeiten, das Fach Deutsch im Lehrplan zu etablieren, demonstriert die Machtansprüche der Herrschenden, einen humanistischen Bildungsanspruch und damit das Lateinische zu verteidigen und die 49 Eckhardt, Juliane: Einführung. In: Juliane Eckhard, Hermann Helmers (Hgg): Theorien des Deutschunterrichts. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1980. S. 1-28. Wahrhaftigkeit Wirksamkeit Gegenstand Sprecher Hörer Sachgemäßheit Abb. 2: Helmers’ Dreieck des Gestaltens Diese Übersicht erlaubt, die einzelnen Aufsatzformen in Bezug auf vorgenom‐ mene Schwerpunkte einzuschätzen. Da das materialgestützte Schreiben sowohl auf die Wirksamkeit, die Sachgemäßheit und die Wahrhaftigkeit der Positionen abhebt und damit alle drei Aspekte in den Blick nimmt, soll im Folgenden un‐ tersucht werden, auf welche der jeweiligen Strömungen der Aufsatzvermittlung vorwiegend fokussiert wurde. Die Entwicklung eines Deutschunterrichts und damit verbunden von eigenen Aufsatzformen ist von den politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Faktoren der jeweiligen Zeit maßgeblich beeinflusst. Juliane Eckard 24 verweist in ihrer Einführung zu Theorien des Deutschunterrichts auf den Zusammenhang zwischen historischen und ökonomischen Bedingungen und zeigt die Einfluss‐ nahme auf Didaktik und Methodik des Deutschunterrichts auf. So könne die Einführung des Deutschen als Unterrichtssprache als Zeichen der Emanzipation des Bürgertums vom Feudaladel verstanden werden. Die Schwierigkeiten, das Fach Deutsch im Lehrplan zu etablieren, demonstriert die Machtansprüche der Herrschenden, einen humanistischen Bildungsanspruch und damit das Lateinische zu verteidigen und die Vermittlung des Lesens und Schreibens in den Blick zu nehmen. Galt im Mittelalter, dass der „gute Theologe (…) der 22 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 25 Hemers, Hermann: Didaktik der deutschen Sprache. Einführung in die Theorie der muttersprachlichen und literarischen Bildung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchge‐ sellschaft 1976. S. 21 26 Helmers (1976), S. 21 27 Eckhardt (1980), S. 4 28 Nagel, Jens: Schulrhetorik an Gymnasien um 1700. Die öffentlichen Redeakte zwischen Meritokrartie und Repräsentation. In: Markus Meumann, Olaf Simins (Hgg.): Aufsatz‐ praktiken im 18. Jahrhundert. Hamburg: Felix Meiner 2017. S. 29-60. S. 42 gute Sprachenlehrer“ 25 ist, vollzog sich spätestens im 19. Jahrhundert eine Verdrängung der Theologie durch die Literaturwissenschaft. Helmers merkt kritisch an: „Nicht die Theorie des künftigen Berufs wird als Grundlage der Berufsausbildung angesehen, sondern die Theorie der Literatur.“ 26 Aus diesen differierenden Ansprüchen resultiert die Deutschland noch immer prägende Dreigliederung des Schulsystems, die sich mit den Erfordernissen konfrontiert sah - und immer noch sieht -, eine breite Bildung der Gesellschaft im Sinne einer „Volksaufklärung“ 27 vorzunehmen, die ökonomischen Interessen der Gesellschaft zu befriedigen, eine Mittelschicht auf den Beruf vorzubereiten sowie humanistische Bildungsideale in der Tradition des Lateinunterrichts hochzuhalten. Im Zuge der sich in Europa durchsetzenden Industrialisierungen wurden zunehmend auch naturwissenschaftlich ausgebildete Arbeitskräfte benötigt, die in der Bildung von Realgymnasien mündeten. Das Wahren tra‐ ditioneller Werte und Inhalte konkurrierte demnach mit den ökonomischen Interessen und den gesellschaftlichen Forderungen nach Partizipation. Der Einfluss der Rhetorik Bis weit ins 19. Jahrhundert wurde der Deutschunterricht maßgeblich von der antiken Rhetorik und der lateinischen Sprache, die noch bis ins 17. Jahrhundert die Unterrichtsorganisation und die Inhalte beeinflusst hat, geprägt. Dabei ging es nicht nur um das Halten von Reden im gesellschaftlichen oder schulischen Kontext. Gerade in der Frühen Neuzeit war die Vermittlung der Redekunst das übergeordnete Bildungsziel, an dem sich alle Fächer - „Grammatik, Syntax, Etymologie, lateinische Autorenlektüre, (…), Logik, Dialektik, Philosophie“ 28 - ausrichteten. Orientiert am antiken Ideal wurden die Reden zunächst übersetzt und analysierend nachvollzogen. Die rhetorischen Übungen zielten darauf ab - unabhängig davon, ob sie in lateinischer oder deutscher Sprache durchgeführt wurden -, einen guten Stil auszuprägen. Auch als im 17. Jahrhundert die deutsche Sprache Einzug in die Schulen hielt, war die Rhetorik noch inhaltsdo‐ minierend. Betrachtet man den antiken Unterricht, so fällt seine Dreigliedrigkeit auf: Zunächst erfolgte eine Unterweisung im Lesen und Schreiben. Den zweiten 23 I.2 Das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens 29 Ludwig (1988), S. 14 30 Ludwig (1988), S. 20 Teil machte der grammatische Unterricht aus. Hier ging es jedoch nicht nur um das richtige Sprechen und Schreiben, sondern um das Geschriebene im Allgemeinen, d. h. auch um die Auseinandersetzung mit Literatur. Der Rheto‐ rikunterricht als dritte und dominante Säule sollte den Schüler in die Lage versetzen, selbstständig Reden zu verfassen, sich als gebildeter Bürger auszu‐ zeichnen und damit am gesellschaftlichen Leben zu partizipieren. Wenn sich hier vielleicht noch nicht explizit von einer beruflichen oder universitären Ausbildung sprechen lässt, so muss die Unterweisung in der Rhetorik doch als Vorbereitung für ein zukünftiges Leben betrachtet werden. Diese Vorbereitung wurde in Form von Übungsformen angeleitet, in denen die unterschiedlichsten Textsorten nebeneinander vorkamen. So spielten auch literarische Texte wie die Fabel oder narrative wie die Erzählung eine Rolle. Konnex war die Rhetorik und damit eine kommunikative Perspektivierung: So ging es um die „Widerlegung eines gegnerischen Argumentes“, die „Stützung einer eigenen Behauptung“, „Lob“, „Tadel“ oder „Vergleich“. 29 Für die argumentative Auseinandersetzung spielte vor allem die Chrie eine besondere Rolle: Sie gliedert Inhalt und Form, indem konkrete Anweisungen zu befolgen sind, die die These kontextualisieren und wiedergeben, die auffordern, die eigene Meinung kurz darstellen und durch einen Gegensatz, Vergleiche, Beispiele und Zitate zu stützen. Neben der Chrie, auf die im Folgenden noch näher eingegangen wird, können zwei weitere rhetorische Übungen als Vorformen des argumentierenden Schreibens im Deutschunterricht gewertet werden, die thesis und die erfundene Rede. Die thesis behandelt im Sinne einer Erörterung eine allgemein strittige Frage und untersucht das Thema argumentativ. Während bei der Chrie die Gültigkeit der These vorausgesetzt wird und der Schreibende im Zuge seiner Mitteilung die Gültigkeit ausbreitet, ist bei der thesis diese erst herzustellen. Damit rückt diese Form des Schreibens in die Nähe des Philosophierens und hat im Gegensatz zu vielen anderen Übungsformen keine klaren Adressat: innen, an die sich der Text wendet. Ludwig stellt als letzte Übungsform die erfundene Rede dar: Der Schreibende muss sich in eine Person versetzen, die die Rede verfasst. Es liegt demnach nicht nur ein Thema, sondern auch eine konkrete Situation, ein Anlass, ein Ort und damit auch ein: e Adressat: in vor. Damit weist die erfundene Rede „kommunikative Bedingungen“ 30 auf, die erstaunliche Parallelen zur Situierung und zum Adressatenbezug des materialgestützten Schreibens zeigen. Demnach hebt die antike Rhetorik nicht allein auf die 24 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 31 Dawidowski (2016), S. 38 32 Ludwig (1988), S. 45 33 So führt Weise in der ersten Abteilung von den Schulreden beispielsweise an: „Ein Periodus heißt ein Stück von der Rede / welche einen vollkommenen Verstand hat / und mit einem Punct bezeichnet wird.“ Aus: Weise, Christian: Politischer Redner, das ist eine kurtze und eigentliche Nachricht, wie ein sorgfältiger Hofmeister seine Untergebenen zu der Wohlredenheit anführen sol. 1. Auflage 1677. Leipzig 1682. S. 3,4 34 Weise (1682), Vorrede. S. II [eigene Zählung] Ausprägung eines guten Stils ab, sondern betont den argumentativen Charakter, der auf die jeweiligen Adressat: innen und die Redesituation abzustimmen ist. Die Entwicklung des Deutschunterrichts aber ist nicht allein von der Über‐ tragung der lateinischen auf eine noch zu entwickelnde deutsche Rhetorik gekennzeichnet. Dawidowski weist auf die Bedeutung „der Sozialgeschichte des Lesens und der Herausbildung des humanistischen Denkens im späten 18. und 19. Jahrhundert“ 31 hin. Ebenso veränderte sich im 17. und 18. Jahrhundert auch die Schülerschaft. Es galt zunehmend nicht nur Theologen, sondern auch Gelehrte auszubilden. Setzte sich aber das Deutsche als Unterrichtssprache zunehmend durch, dann standen weniger das Erlernen der - lateinischen - Sprache und die Nachahmung eines an der sprachlichen Richtigkeit orientierten Stils im Vordergrund. Die Auseinandersetzung mit den Inhalten gewann an Bedeutung: „Zu jedem Akt des Redens oder Schreibens gehört die Tätigkeit des Sich-Äußerns, Gedanken, Gefühle, Vorstellungen, Ansichten, kurz alles, was sich sozusagen im Kopf des Menschen befindet“ 32 . Das Abheben auf Gefühle und Meinungen betont hier eindeutig eine kommunikative Funktion der Rede. Die rhetorische Produktion eines Textes hob auf Adressat: innen und die Wirkung, die die Rede auf diese haben sollte, ab und demonstriert die Entwicklung vom Imitationszum Reproduktionsaufsatz. Bei der Ausbildung einer deutschen Rhetorik spielte Christian Weise - Zittauer Schuldirektor, Verfasser von Schulkomödien und Reformator des deut‐ schen Gymnasiums - eine maßgebliche Rolle. Als Begründer der deutschen Oratorie forderte er vom Schreibenden den Gebrauch der Vernunft ein. 33 Gleichzeitig sollte der Unterricht und damit auch die zu verfassenden Reden dem Prinzip der Nützlichkeit folgen 34 und den Schülern ein - berufliches - Fortkommen ermöglichen. Dies aber ging Weises Erachtens nicht durch das Abschreiben von Mustern - der Imitation -, wie es noch üblich war. Er suchte Themen aus, die die Schüler verstehen konnten und die für sie eine Bedeutung hatten; zur Gliederung des Stoffes griff er auf das antike Chrien-Konzept zurück. 25 I.2 Das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens 35 Siehe hierzu auch: Fauser, M: Chrie. In: Gert v. Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik Online. Berlin, Boston: De Gruyter 1998. URL: https: / / www.degruyter.co m/ view/ HWRO/ chrie [letzter Abruf 19. 01. 2021] 36 Weise, Christian: Neu-Erleuterter Politischer Redner. Leipzig 1684. S. 58 ff. 37 Fauser (1998), Z. 37 38 Ludwig verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass nicht gesichert ist, inwieweit die Schüler diesem Modell auch tatsächlich gefolgt sind, da aus dieser Zeit nur äußerst wenige Schülerarbeiten erhalten sind. 39 Diese Befunde decken sich mit den empirischen Untersuchungen dieser Arbeit und werden ausführlich in Kapitel III.2. 2 dargestellt. Die Chrie 35 - auf Deutsch Bedarf, Nutzen oder Notwendigkeit - kann als in sich schlüssige Darstellung einer These verstanden werden, die Teil einer umfangreicheren Rede ist. Ihre Bedeutung, v. a. auch für die Unterweisung von Schülern, legt Weise in seinen einleitenden Worten zum dritten Kapitel Von der CHRIA dar. Es geht ihm vor allem um eine stufenweise Erhöhung der Komplexität und der Schwierigkeiten, die auch die Entwicklung des Schülers abbilden müssen. 36 Die Chrie diente der Verwendung in konkreten Redesituati‐ onen und kann somit als grammatisch-rhetorische Übung verstanden werden, die die Argumentationen in zahlreiche Einzelschritte zerlegt. Das Fundament der Chrie stellt dabei die Behauptung dar, die durch einen Beweis gestützt wird. Damit steht der argumentative Kern im Mittelpunkt. Weise reduzierte die ursprünglich aus sieben Redeteilen bestehende Chrie auf vier: „potasis (das Thema der C.), aetologia (Beweis), amplificatio (Erläuterung durch contrarium, comparatum, emxemplum, testimonium) und conclusio (Schlußfolgerung)“ 37 . Er löste sich damit von der festen Reihenfolge der Chrienform und betonte den argumentativen Teil und die Beweisführung, die die Schüler in Schulreden übten. Dadurch wurde nicht so sehr ein bestimmter Stil imitiert, denn auf der Basis eines strukturierenden Gerüsts ein eigener inhaltlicher Zugriff ermöglicht, der weniger auf die Wirksamkeit abhob, denn die Sachgemäßheit betonte. Dass die Anwendung der Chrienform in der Schule auf Dauer zu einem Formalismus geführt hat, ist nicht zu bestreiten. 38 Aktuell lässt sich eine ähnliche Entwicklung beobachten, wenn man die Verwendung sprachlicher und struktureller Muster beim Erörtern beobachtet, die erstaunliche Parallelen zur Chrienform aufweisen und auch heutzutage noch dazu führen, einem Schema zu folgen, ohne die eigene Position zu benennen und kenntlich zu machen. 39 Neben der Rede wurde auch die Briefform im Unterricht praktiziert, die ebenso einem festen Aufbau zu folgen hatte. Auch sie enthielt explizit einen Grund des Schreibens und damit eine Intention. Demnach kann man in diesem Kontext durchaus von einer kommunikativen Struktur und einem Adressaten‐ bezug, d. h. einem appellativen Charakter, sprechen. Es gibt übrigens keine 26 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 40 Die Komplexität demonstriert auch die Zieltextsorte des offenen Briefs. Auf ein Aufgabenbeispiel und die damit verbundenen Herausforderungen wird näher in Kapitel II.1 eingegangen. 41 Nagel (2017), S. 55. Aus Übersichtsgründen wurden die konkreten Angaben der Vorle‐ sungszahlen weggelassen. 42 Siehe zu den Ergebnissen der empirischen Untersuchungen III.2. 2. 3 und III.3. 2. 4. Hinweise dafür, dass das Verfassen von Briefen auf die unteren Jahrgänge beschränkt war, wie es heutzutage der Fall ist. So werden derzeitig Briefe in der Regel nur in den Klassenstufe 5/ 6 verfasst, der anspruchsvolle Charakter dieser Aufsatzform ist im aktuellen Deutschunterricht aus dem Blick geraten. 40 Neben dem Verfassen von Reden und Briefen waren Gedichte die dritte Textsorte, mit der sich Schüler beschäftigten. Hier ging es weniger um die Darstellung von Empfindungen, denn um eine Erhöhung der Eloquenz, d. h. um die Ausprägung des eigenen Stils. Ein weiterer Aspekt, der für das materialgestützte Schreiben relevant ist, fokussiert auf die Frage, wie Schüler: innen zu dem Wissen gelangen, das sie befähigt, über bestimmte Themen domänenspezifisch zu schreiben. Verbindlich kanonisierte Literaturlisten stellen eine Möglichkeit dar. Wird in den BS AHR der propädeutische Charakter, der zur Partizipation an Beruf und Studium befähigen soll, betont, dann müssen die inhaltlichen Voraussetzungen geklärt werden, um eine differenzierte Argumentation vorzunehmen zu können. Die Präsentation von Materialien im Rahmen des materialgestützten Schreibens stellt eine Realisierungsmöglichkeit dar. Wie aber gestaltete sich für Weise der Erwerb des Wissens und die Bereitstellung von Hintergrundinformationen im Rahmen der Textproduktion und des Verfassens einer Rede? Interessant in diesem Zusammenhang ist, die Themen in den Blick zu nehmen, zu denen Reden gehalten wurden. Nagel führt folgende Fächer bzw. Oberthemen an, die er nach der Reihenfolge ihrer Häufigkeit ordnet: „1. Geschichte, 2. Moral und Ethik, 3. schulische Tugenden und didaktische Fragen, 4. Philosophie, 5. Theologie, Religion und Kirchengeschichte, Gelegenheitsreden, Genealogie, Politik“ 41 . Auf‐ fällig ist, dass kein genuin literarisches Themenfeld angeführt wird. Damit gleicht das Vorgehen deutlich stärker dem Verfassen einer Erörterung, das sich in der Mittelstufe auf allgemeine Fragen aus der Lebenswelt der Schüler: innen bezieht. Die Domänenspezifik beim materialgestützten Schreiben, die in der Oberstufe das Aufgabenformat bestimmt, dürfte sicherlich auch eine Rolle dabei spielen, dass es den Schülerinnen und Schülern schwerfällt, sich zu positionieren. 42 Weises vorrangiges Erziehungsziel war das politische Wirken des Menschen. Er legte deshalb großen Wert auf die Verwendung des Verstandes beim Verfassen 27 I.2 Das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens 43 Weise (1684), S. 74 44 Siehe hierzu auch: Wagner, Tim: Topik. In: Gert v. Ueding (Hg.): Historisches Wörter‐ buch der Rhetorik Online. Berlin, Boston: De Gruyter 1998. URL: https: / / www.degruy ter.com/ view/ HWRO/ topik [letzter Abruf 19. 01. 2021] 45 Siehe dazu Kapitel II.3. von Reden, der sowohl für das Finden von Gedanken als auch für die Verbindung der Gedanken von Bedeutung ist. Dazu griff er auf die Toplogie zurück: „Niemand kan die geringste Rede aus eigenen Kräfften aufsetzen / wen er keine Probation erdencken kan“. 43 Der Rückgriff auf die aus der antiken Rhetorik bekannte Topik, die aus der Gerichtsrede hervorging, 44 rückte die Lehrbarkeit des Schreibens in den Mittelpunkt. Sie kann als eine Art Stoffsammlung verstanden werden, die half, das Thema in seiner Breite und Tiefe zu erfassen. Topen sind allgemeine Gesichtspunkte, die bei der Auseinandersetzung mit einem Thema beachtet werden können. Erst nach der Sammlung des Stoffes setzte in der Disposition - die Ordnung der Gedanken - ein. Damit ist die Topik ein argumentationstheoretischer Hintergrund, mit dessen Hilfe man durch Gesetzmäßigkeiten ein Argumentationsziel erreicht. Um Auffassungen überzeugend vertreten zu können, werden Begriffsrelationen hergestellt, die den Stoff und infolgedessen auch die Argumente strukturierten. Ziel ist es, das erworbene Wissen durch thematisches Ordnen abrufen zu können. Wie bei allen - formelhaften - Anwendungen eines Schemas, das zunächst als Unterstützung gedacht war, drohte auch bei der Umsetzung von Weises Ansatz eine Sinnentleerung des Vorgehens. So wurde der antiken Topik im Laufe ihrer Rezeptionsgeschichte eine zu starke Reglementierung und Klassifikation der Gedanken und damit eine Kleinschrittigkeit, z. B. bei der Umsetzung der Chrienform, vorgeworfen, die dafür sorgte, dass nicht die echte Erkenntnis - die Wahrhaftigkeit -, sondern nur die Ordnung und Strukturierung des Wissens und der Gedanken gefördert werde. Betrachtet man aber das Ziel, eine argumentativ überzeugende, an Adressat: innen orientierte Rede zu verfassen, dann stellt die Topik ein entscheidendes Hilfsmittel im didaktischen Prozess dar. Die Muster konnten als Gerüst verwendet werden, die eigenen Ideen zu strukturieren und argumentativ darzustellen. 45 In diesem Zusammenhang können die im aktuellen Deutschunterricht im Umgang mit journalistischen Texten verwendeten W-Fragen als Abkömmlinge der Topik verstanden werden. Weise griff aber nicht nur auf die Chrienform und die Topik zurück. Um den Schreibenden Hintergrundwissen zu vermitteln, forderte er die Schüler auf, mit Realien zu arbeiten. Dies sind Sammlungen von Notizen, Texten und Bildern - also Vorformen der Materialien, die heutzutage Schülerinnen und Schülern im Rahmen des materialgestützten Schreibens zur Verfügung gestellt 28 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 46 Ludwig (1988), S. 86 47 Siehe hierzu: Mayer, Heike: Kollektaneen. In: Gert v. Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik Online. Berlin, Boston: De Gruyter 1998. URL: https: / / www. degruyter.com/ view/ HWRO/ kollektaneen [letzter Abruf 19. 01. 2021] 48 Stötzer, Ursula: Deutsche Redekunst im 17. und 18. Jahrhundert. Halle: Max Niemeyer 1962. S. 76 ff. 49 Ludwig (1988), S. 86 50 Es ist nachvollziehbar, dass im Zuge der Genieästhetik das Anfertigen und die Verwen‐ dung derartiger Sammlungen als Kleingeisterei empfunden und abgelehnt wurde. werden. „Mit Hilfe der in der Topik zusammengestellten Gesichtspunkte und aus dem Material, das in den Kollektaneen zusammengetragen war, sollten die Schüler den Inhalt für ihre Ausarbeitung finden.“ 46 Kollektaneen 47 - sogenannte Lesefrüchte - können in diesem Zusammenhang als Zusammenstellung unter‐ schiedlicher Texte verstanden werden. Es kann sich dabei sowohl um hand‐ schriftliche Notizen oder gedruckte Artikel, um Bilder oder Aphorismen, Zitate oder ganze Texte handeln. Ebenso können eigene Beobachtungen festgehalten werden. Diese Zusammenstellungen existierten sowohl in privater als auch veröffentlichter Form. Anliegen dieses Sammelns war zunächst, Bestehendes zusammenzustellen und dadurch präsent zu machen. Dies war besonders auf‐ grund der Zunahme der Erkenntnisse der Wissenschaften notwendig geworden. Stötzer 48 verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Weise Realfächer im Unterricht einführte, die die Inhalte der Naturwissenschaften, aber auch der Mathematik, der Geschichte, der Geographie und der neuen Sprachen aufnahmen. Die Realien stellten damit das Material für Redeübungen, aber auch für Reden selbst dar. Sie boten demjenigen, der etwas zu einem Thema zu verfassen hatte, Inspirationen gleichermaßen wie Hintergrundinformationen. So wurden die Schüler angehalten, selber Sammlungen anzufertigen und diese in Sammelheften festzuhalten, um für unterschiedliche Anlässe Formulierungen, Versatzstücke und Ideen zur Verfügung zu haben. Gleichzeitig lernten sie, auf Materialien im Sinne von Hintergrundinformationen zurückzugreifen. „Mit Hilfe der in der Topik zusammengestellten Gesichtspunkte und aus dem Ma‐ terial, das in den Kollektaneen zusammengetragen war, sollten die Schüler den Inhalt für ihre Ausarbeitung finden.“ 49 Realien verkörpern demnach die Einsicht, dass alles Produzierte immer auf bereits Gedachtes und Geschriebenes zurückzuführen ist und damit ein Rückgriff nicht nur legitim, sondern vor allem auch sinnvoll ist. 50 Damit aber erhielten die Schüler explizit eine Unterweisung im Schreiben, das nicht nur das Gliedern der argumentativen Struktur, sondern auch das Auffinden und Verwenden von Hintergrundmaterialien beinhaltete. Dieser Herausforderung muss sich eine Didaktik des materialgestützten Schrei‐ bens aktuell stellen. 29 I.2 Das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens 51 In Bezug auf das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens wird diese The‐ matik in Kapitel III.2. 2. 2, III.3. 2. 2 sowie III.4 näher erläutert. Das Anfertigen von Realien beruhte demnach auf dem Prinzip der Nachah‐ mung ebenso wie auf der Erweiterung des eigenen Horizontes. Vor allem der erste Punkt erwies sich im Lauf der Geschichte der Rhetorik als schwierig, da mit zunehmender Bedeutung und Verwendung der Realien die floskelhafte Übernahme von Ideen und Wendungen zu- und die Eigenständigkeit der Gedanken abnahm. Immer häufiger wurden die Ausführungen des Redners von Zitaten unterbrochen und es entstanden Verweiszusammenhänge, die es erschwerten, der Rede zu folgen. Der Wert des vor allem eigenständigen Anlegens von Realien aber lag unbestritten darin, den jüngeren und unerfahre‐ neren Redeschreibern durch die Zusammenstellung von Materialien aus den verschiedensten Bereichen Inspiration zu ermöglichen und Ideen zur Horizont‐ erweiterung anzubieten. Weiterhin erfuhren die eigenen Gedanken durch den Rückgriff auf Realien eine Kontextualisierung. Im Hinblick auf die Einführung des materialgestützten Schreibens sind mehre Aspekte der Rhetorik Weises von Interesse: Das Erstellen von Realien und der Umgang mit diesen nimmt, ebenso wie das Einüben der Chrienform, das Vermitteln der Schreib- und Vortragskompetenz in den Blick: Aus einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen der Realien - hier lässt sich durchaus von Polytextu‐ alität sprechen - wurden Ideen, aber auch Zitate für die eigene Rede verwendet. Diese verfolgt zwar - im Sinne einer Adressierung - eine kommunikative Funk‐ tion, fokussierte aber primär auf den Inhalt: die Sachgemäßheit. Weise bemühte sich - im Sinne Helmers’ - um eine Ausgewogenheit der drei Aspekte beim Gestalten einer Rede. Der Verweis auf die unterschiedlichen Übungsformen legt nahe, dass das Verfassen und Halten von Reden im Unterricht selbst eine zentrale Rolle spielte. Betrachtet man den Umgang der Schüler im 18. Jahrhundert mit den Realien, dann mutet ihre Eigenverantwortlichkeit im Vergleich mit der der Schüler: innen des 21. Jahrhunderts groß an. Dies betrifft besonders die aktuell geführte Diskussion um den Grad der Verbindlichkeit, welche und wie viele der zur Verfügung gestellten Materialen genutzt werden sollen. 51 Der Beginn eines Deutschunterrichts Trotz aller Innovationen, die Weises Ansätze, die deutsche Sprache zu ver‐ mitteln, enthielten, blieben diese doch weiterhin der Rhetorik verpflichtet. Und so war das Lateinische noch im 18. Jahrhundert für den Schulbetrieb und seine Organisation maßgeblich. Das betraf die Auswahl der Lektüren und der Lehrbücher ebenso wie die Durchführung von Examina. Erst mit 30 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 52 Boueke, Dietrich: Der Literaturunterricht. Weinheim Berlin Basel: Julius Beltz 1971 53 Hiecke, Robert Heinrich: Der Deutschunterricht auf deutschen Gymnasien. Leipzig: Verlag von Eduard Eisenach 1842. S. 62 54 Hiecke (1842), S. 82 55 Interessant in diesem Kontext ist, den Rechtfertigungszwang, mit deutscher Literatur zu arbeiten, mit der herausragenden Bedeutung der Literatur im aktuellen Deutschun‐ terricht der Oberstufe und dem hohen Anteil von Prüfungsformaten, die sich mit der Analyse von Literatur beschäftigen, zu vergleichen. Hiecke wurde ein dezidierter Deutschunterricht eingeführt, der sich intensiv auch mit der Vermittlung der Literatur beschäftigte. Boueke 52 betont, dass man von einem Literaturunterricht, der das Verständnis literarischer Texte in den Vordergrund stellt, erst seit dem 19. Jahrhundert sprechen kann. Davor stand eine grammatische, stilistische und rhetorische Bildung im Zentrum. In den kommenden Jahrhunderten bewegte sich der Umgang mit Literatur im Spannungsfeld einer überwiegend analytischen Auseinandersetzung - als Wegbereiter lässt hier Hiecke anführen - und eines emotionalen Zugangs, bei dem Literatur Auslöser sinnlicher und emotionaler Erlebnisse ist. Konsens aber scheint trotz großer didaktischer und methodischer Unterschiede darin zu bestehen, dass der literarische Text als Gegenstand verstanden wird, der dazu geeignet ist, den Menschen zu bilden. Vor allem für die Entwicklung eines gymnasialen Deutschunterrichts und der Betonung eines interpretativen Zu‐ gangs zur Literatur hatte Hiecke einen entscheidenden Einfluss: In seiner 1842 erschienenen Abhandlung über den Deutschunterricht betont er die Bedeutung der deutschen Lektüre, die sich nicht nur durch Gehalt auszeichnen müsse, sondern auch die Basis sämtlicher unterrichtlicher Tätigkeit bilde, „für eigne inhalts- und lebensvolle Productionen, für einen interessanten und fördernden grammatischen Unterricht, und für alle sonstige theoretische und historische Belehrung, wie Metrik, Poetik und Literaturgeschichte.“ 53 Wenn Hiecke die Funktionen der Bildung und in diesem Zusammenhang die Rolle des Deutschunterrichts beschreibt, dann geht es ihm im Sinne einer Allgemeinbildung um die „praktischen Fertigkeiten des guten Lesens, des Verständnisses guter Schriftsteller, des Auffindens treffender Gedanken über angemessene Aufgaben, so wie der richtigen, fließenden und zusammenhän‐ genden mündlichen und schriftlichen Darstellung derselben“ 54 . Im Sinne einer Kompetenzorientierung gilt es, Fähigkeiten zu vermitteln, die jeweils an litera‐ rischen Texten oder Themen eingeübt werden sollen. Bedingte somit die Abkehr vom Lateinischen als Unterrichtssprache zunächst einen Rechtfertigungszwang, sich mit deutscher Literatur auseinandersetzen zu dürfen, so legt Hiecke hier den Grundstein und die Basis für einen integrativen Deutschunterricht, wie er heutzutage üblich ist. 55 31 I.2 Das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens 56 Hiecke (1842), S. 253 57 Ob durch die Arbeit mit Mustern die Eigenständigkeit oder die Imitation der Schüler: innen gefördert wird, bliebe zu diskutieren. Aufgrund der nur spärlich vor‐ handenen Schüler: innentexte aus dieser Zeit, dürfte es allerdings schwerfallen, eine Bewertung von Hieckes Ansatz in diesem Zusammenhang vorzunehmen. 58 Hiecke (1842), S. 253 59 Hiecke (1842), S. 257 60 Hiecke (1842), S. 258 Betrachtet man das Schreiben im Deutschunterricht, so fasst Hiecke dieses unter dem Begriff der „Productionen“ zusammen, wobei Produktion und Re‐ zeption ineinandergreifen sollen. Für die Vermittlung des materialgestützten Schreibens ist interessant, dass Hiecke bei der Vermittlung des Schreibens auf den Begriff der Muster zurückgreift: „Denn die Verarbeitung des mannickfal‐ tigen sich von außen herandrängenden Stoffes zu einer klaren und geordneten Gesammtanschauung ist immer nur möglich durch vorangegangene Bildung an Mustern solcher Verarbeitung.“ 56 Die durch Lehrer: innen vermittelten Muster helfen den Schreibenden, die ungeordneten Wahrnehmungen zusammenzu‐ fügen. 57 Wenn Hiecke im Folgenden seine Gedanken zum Schreiben präzisiert, so entwirft er ein erstes Curriculum, das vom Beschreiben des „außer uns Befindlichen“ 58 ausgeht. Der nächste Schritt stellt die Beschreibung von Per‐ sonen dar, es schließt sich die - reflexionslose - Schilderung von Erlebnissen an. Nach und nach kommen Themen hinzu, die nicht nur eine Beschreibung, sondern auch ein Nachdenken über das jeweilige Thema beinhalten. Während zu Beginn die Reflexion noch keine Rolle spielen soll, so wird durchaus der Lebensweltbezug betont, indem die „Beobachtungen dessen, was der Schüler um sich sieht“ 59 , aufgenommen werden - beispielsweise in Form von Stadtbe‐ schreibungen. Dieser Lebensweltbezug wird auch im Verfassen von Briefen deutlich; hier sollen nun auch Empfindungen zum Ausdruck gebracht werden. In den oberen Klassen nimmt der reflexive Anteil der Schreibaufgaben mehr und mehr zu. Damit bewegt sich das Schreiben im Spannungsfeld zwischen einem ästhetischen und einem eher kognitiv orientierten Schreiben. Entscheidend ist neben dem Lebensweltbezug ein Maß an Konkretheit in der Aufgabenstellung, das dafür sorgen soll, dass der Schreibende sich nicht in Allgemeinplätzen ver‐ liert: „Diese Themen sind aller der Art, daß sie dem Schüler nicht gestatten sich mit vagen Allgemeinheiten zu begnügen, daß sie ihn nöthigen sich concreter Bestimmtheiten der Sache zu bemächtigen.“ 60 Weiterhin ist Hiecke wichtig, dass der Aufsatz keine moralische Erziehungsinstanz darstellt. Obwohl Hiecke mehrfach auf die Bedeutung der Literatur für den Schreib‐ prozess abhebt, gibt es doch zahlreiche Themen, die unabhängig von den Inhalten des Literaturunterrichts sind, beispielsweise das Schreiben „über die 32 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 61 Hiecke (1842), S. 258 62 Hiecke (1842), S. 260 63 Hiecke (1842), S. 259 64 So taucht beispielsweise der Gedanke des Schreibens unter Prüfungsbedingungen im Sinne eines Vorabiturs auf, das die Schüler: innen auf die Prüfungssituation vorbereitet; vgl. Hiecke (1842), S. 277. Rocher verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass der Aufsatz um 1800 in die Abiturprüfungen aufgenommen wurde und somit eine Voraus‐ setzung für die Zulassung an der Universität darstellte. Siehe: Rocher, Michael: „Fleiß ist die halbe Tugend schon - Liebet ihn: herzlich ist sein Lohn“. Schülerarbeiten und Aufsätze des späten 18. Jahrhunderts als ‚neues‘ moralisches Erziehungsinstrument? In: Markus Meumann, Olaf Simins (Hgg.): Aufsatzpraktiken im 18. Jahrhundert. Hamburg: Felix Meiner 2017. S. 61-80. S. 63 65 Dieser Gedanke wird im Rahmen der Konzeption einer Unterrichtseinheit zum litera‐ rischen Essay relevant. Schreibjournale dienen zur Dokumentation des Schreib- und Überarbeitungsprozesses. Siehe dazu Kapitel II.4. 3 sowie III.5. 1. 2. 66 Hiecke (1842), S. 276 Abhängigkeit der Lebensweise von der Berufsthätigkeit“ 61 oder das „Poetische des Krieges“ 62 . Verweist Hiecke auf fächerverbindende Aufgaben, dann wird deutlich, dass den Schülern für das Schreiben zwar nicht explizit Materialien zur Verfügung gestellt werden. Es wird jedoch vorausgesetzt, „daß der Schüler bei dem der Ausarbeitung vorhergehenden Suchen nach concreten Belegen auf ein Material stößt, das ein vorzüglich lebendiges Interesse einzuflößen geeignet ist.“ 63 Im Zusammenhang mit der Einführung der Textsorten ist es Hiecke wichtig, dass eine Reduktion vorgenommen wird. So soll nur mit wenigen Formen gearbeitet werden, diese sollen aber im Unterricht eingeübt werden. Hiecke postuliert hier demnach eine Transparenz der Anforderungen 64 und eine Lehrbarkeit des Schreibens gleichermaßen, die sich auch in einer Planungsphase abbildet. Zu dieser zählt er die Stoffsuche, das Exzerpieren, das Ordnen und Anführen von Belegen. Dass es sich beim Schreiben tatsächlich um einen Prozess handelt, macht nicht nur die curriculare Darstellung der Schreibanlässe und der Themen deutlich. Ebenso fordert Hiecke dazu auf, die Schreibhefte aufzuheben und die Entwicklung des Schreibens in Bezug auf eine inhaltliche wie formale Gestaltung zu dokumentieren. 65 Der Schreibprozess wird durch die Phase der Überarbeitung abgeschlossen. Auch diese konkretisiert Hiecke, indem er darauf abhebt, wie die Aufsätze graphisch zu verfassen seien, damit Änderungen eingefügt werden können. 66 Zusammenfassend ist Hiecke als Wegbereiter eines eigenständigen Deutsch‐ unterrichts zu werten, der nicht nur ein Curriculum der zu lesenden Texte, sondern auch der zu verfassenden Texte entwickelt hat. Damit ist eine eindeu‐ tige Zäsur von einem Unterricht, der sich an der antiken Rhetorik orientierte, festzustellen. Durch das Fokussieren auf eigene Textformen, die im Deutsch‐ 33 I.2 Das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens 67 Siehe hierzu auch Kapitel I.3. 1. 68 Rocher (2017), S. 63 69 Rocher (2017), S. 64 70 Helmers (1966), S. 178 unterricht verfasst werden sollen, wurde die Grundlage für Aufsatzformate gelegt, die auch aktuell noch den Deutschunterricht prägen. Ausgehend von einer Beschäftigung mit der Literatur stand die gemeinsame Erarbeitung des Aufsatzes im Zentrum. Ist das Maß an Selbstständigkeit bei den Schülern als deutlich höher als beim Imitationsaufsatz zu bewerten, so steht doch das Erfassen der Literatur und ihre Analyse fortan im Zentrum. Der Grundstein des Interpretationsaufsatzes 67 ist gelegt, der die Geschichte des deutschen Aufsatzes bis heute maßgeblich prägt. Damit aber rücken die kommunikative Funktion und die Wirksamkeit des Textes in den Hintergrund. Der Leser selbst und seine Bewertung treten hinter den literarischen Text zurück. Argumentative, explizit auf Adressat: innen abhebende Fähigkeiten, wie sie beim materialgestützten Schreiben gefordert werden und im Rahmen der Rhetorik noch gelehrt wurden, spielen keine entscheidende Rolle mehr. Versucht man eine Zusammenfassung der Ausführungen, so weist der schriftliche Unterricht drei zentrale Entwick‐ lungslinien auf: Das Durchsetzen der deutschen Sprache und die abnehmende Bedeutung des Lateinischen, die „Abwertung des Mündlichen gegenüber dem Schriftlichen“ 68 und der ab ca. 1770 sich etablierende „selbstständige Schülerauf‐ satz, welcher mit sich brachte, dass sich im Schriftlichen immer mehr Stilformen verbreiteten und so das Primat der Schriftlichkeit gegenüber der Mündlichkeit verstärkt wurde.“ 69 Aufsatzformen im 20. Jahrhundert Das 20. Jahrhundert ist von verschiedenen Strömungen der Literaturdidaktik geprägt, die ihre Ursprünge zum einen in der Literaturwissenschaft, aber vor allem auch in den historischen Ereignissen haben. Es kann an dieser Stelle keine Rekonstruktion der Literaturdidaktik des 20. Jahrhunderts vorgenommen werden, vielmehr soll auf einzelne Strömungen und Ansätze eingegangen werden, die Grundgedanken des materialgestützten Schreibens beinhalten. Wenn man versucht, den Einfluss der Reformpädagogik auf den Deutsch- und den Aufsatzunterricht einzuschätzen, dann steht im Zentrum der Verände‐ rungen die Rolle, die der Mensch im Allgemeinen und das Kind im Besonderen einnimmt. Weniger der Intellekt, denn die Persönlichkeit und deren Ausprägung standen und stehen im Mittelpunkt. Ihrer Entwicklung sollte sich auch der Deutschunterricht annehmen: „Das Aufkommen des Kriteriums der Wahrhaf‐ tigkeit ist identisch mit dem Entstehen der Pädagogik.“ 70 Mit dieser Verschiebung 34 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 71 BS AHR (2012), S. 13 72 Helmers definiert in diesem Zusammenhang Gestaltung folgendermaßen: „Gestaltung von Sprache bedeutet also im Besonderen eine Art des Formens, in welcher die gedankliche Intention die sprachlichen Elemente vollkommen durchdringt und sie zu einem zwingenden Ganzen organisiert.“ (Helmers (1966), S. 171) 73 Hiecke hat demnach in seinem Werk eine curriculare Struktur geliefert, die sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts weiter ausdifferenziert hat. 74 Dass diese Einteilung nicht unproblematisch ist, zeigt Helmers auf. Er hebt vor allem auf die kurze Zeitspanne ab, in der der freie Aufsatz eine Bedeutung hatte. (Helmers (1966), S. 212) war eine Ablehnung alter Aufsatzformen verbunden, die eine an der Rhetorik orientierte, auf festen Mustern und Phrasen basierende Auseinandersetzung mit Literatur beinhaltete. Ziel war der ungebundene Aufsatz. Damit fand eine Weiterentwicklung vom Reproduktionszum Produktionsaufsatz statt, der auf den Sprecher und seine Wahrhaftigkeit fokussiert. Während in der Kunsterziehungsbewegung die Erlebniskraft des Kindes und seine eigene Gestaltung entscheidend waren, das schreibende Kind demnach zum Schriftsteller werden sollte, findet man in dieser Zeit Ursprünge nicht nur des Kreativen, sondern auch des Literarischen Schreibens. Um diesen Ansatz der Ausbildung einer Persönlichkeit umsetzen zu können, waren Themen not‐ wendig, zu denen das Kind eine persönliche Beziehung hatte. Dieser Anspruch an das Stellen von Lern- und Leistungsaufgaben ist für die zeitgenössische Aufgabenkultur maßgeblich und findet sich in den aktuellen Bildungsstandards, in denen es heißt, dass das Fach Deutsch die Schüler: innen zur „Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben“ befähigen solle. 71 Ludwig hebt darauf ab, dass sich nach dem 2. Weltkrieg v. a. der sprachge‐ staltende Ansatz 72 durchgesetzt hat, der zur Kanonisierung der Aufsatzformen und der Entwicklung eines Lehrplans geführt hat. Üblich waren nun die Formen des Berichts, der Erzählung, Beschreibung, Schilderung, Abhandlung und Betrachtung. Die jeweilige Einführung und unterrichtliche Umsetzung war an den entwicklungspsychologischen Stand des Kindes gekoppelt. 73 Sanner unterteilt die Geschichte des Aufsatzes in den gebundenen, den freien und den sprachgestaltenden Aufsatz. 74 Entscheidend ist, dass Sanner, der selbst dem sprachgestaltenden Ansatz verpflichtet ist, auf die kommunikativen Absichten der Schreiber: innen abhebt: In diesem Zusammenhang verweist er auf den lebensweltlichen Bezug, der vor allem durch die Reformpädagogen mit der Ausprägung des Aufsatzes relevant geworden ist. Sanner geht kritisch auf die Unterteilung der zu schreibenden Texte ein, die er unter dem Begriff der Darstellungsformen subsumiert. Sie führen vor allem zur Verwirrung der Schüler: innen sowie der didaktischen und methodischen Notwendigkeit, die 35 I.2 Das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens 75 Sanner, Rolf: Aufsatzerziehung und Ausdruckspflege. München: Kösel 1970. S. 26 ff. 76 Sanner (1970), S. 87. Hier deutet sich die Schwierigkeit beim Bewerten von Texten an, die im Rahmen des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts entstanden sind. Es lassen sich Korrelationen zu dem Umstand herstellen, dass mit der Einführung des materialgestützten Schreibens gestalterische Aufgaben nicht mehr Teil der Abiturprüfung sind. jeweiligen Formate einzuführen und gegeneinander abzugrenzen. Dabei sind für ihn nicht stilistische Aspekte entscheidend, sondern die Absicht, die der Text verfolgt. Entscheidend ist also, ob ich informieren, in Kenntnis setzen will (dann berichte ich), ob ich durch sprachliche Vergegenwärtigung ein inneres Beteiligtsein des Zuhörens im Sinne von Spannung und Lösung erstrebe (dann erzähle ich), ob ich im weitesten Sinne belehren will (dann beschreibe ich), oder ob ich meinen Eindruck und mein inneres Gestimmtsein anläßlich der Darstellung eines Zustandes oder Vorgangs zum Ausdruck bringen möchte (dann schildere ich). 75 Durch die Fokussierung auf die kommunikativen Funktionen wird zwar die Rolle der Schreibenden verstärkt in den Blick genommen. Es geht aber nicht um seine subjektive Wahrnehmung der Wirklichkeit, sondern um seine Beziehung zum Inhalt. Sanner setzt sich kritisch mit der Prüfung und Bewertung von Texten aus‐ einander, in denen Schüler: innen auch eigene Gedanken und damit das eigene Weltverständnis zum Ausdruck bringen, und er thematisiert die Beurteilung des subjektiven und damit persönlichen Anteils der Texte und die Problematik, sie „ihrem inneren Wert entsprechend einzuschätzen“ 76 . Um objektives, an Themen gebundenes Schreiben zu fördern, verweist er auf Texte, die in anderen Fächern verfasst werden und die damit sachlicher sind. Auch sie können zur Bewertung herangezogen werden. Hier findet demnach keine Abgrenzung von Fächern, sondern ein Herstellen von Synergieeffekten statt. Es wird deutlich, dass die Aufsatzformen nicht einfach abzuprüfende Formen sind, die bestimmten Mustern zu folgen haben. Sie nehmen vielmehr eine Funktion wahr, die sich sowohl an den Adressat: innen als auch an Absender: innen orientiert. Zentral ist damit, in welcher Beziehung Schreibende zum Inhalt stehen. Um einschätzen zu können, wie das materialgestützte Schreiben in die Geschichte des deutschen Aufsatzes eingeordnet werden kann und welche möglichen Vorläufer es gibt, soll noch einmal auf Helmers’ Unterteilung zurück‐ gegriffen werden: Während der Imitationsaufsatz sich an der vorgegebenen Form und Struktur orientiert und von Schreibenden keine eigene, bzw. nur eine stark zurückgenommene Stellungnahme erfordert, ist die Einführung des 36 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 77 Helmers (1966), S. 214 78 Helmers (1966), S. 216 Reproduktionsaufsatzes eng mit der Aufgabe des Lateinischen als Schulsprache und der Abkehr von der Imitation der antiken Rhetorik verbunden: „Der letzte Grund für die Verdrängung der Imitation durch die Reproduktion lag zweifellos in der Tatsache, daß das für die Nachahmung erforderliche absolute Stilvorbild fehlte.“ 77 Das Deutsche war nun nicht nur Bildungs- und Unterrichtssprache, sondern auch Alltagssprache. Der Produktionsaufsatz wurde mit den Schüle‐ rinnen und Schülern gemeinsam im Unterricht erarbeitet. Dass im Anschluss an den Imitationsaufsatz neue Themen und damit auch die deutsche Literatur Einzug in den Deutschunterricht fanden, ist Hiecke maßgeblich zu verdanken. Im Produktionsaufsatz nimmt das Maß der Selbstständigkeit und vor allem der Selbstbestimmung der Schüler: innen weiter zu. Der Grad der Subjektivität steigt ebenso wie die Anforderung an die Themenstellung: „Es ist klar, daß die Produktion nur bei solchen Themen zu fordern ist, die dem Schüler einen freien Entfaltungsraum sichern.“ 78 Die Einführung einer neuen Aufsatzform Das Format des materialgestützten Schreibens bewegt sich sowohl im Span‐ nungsfeld dieser drei Aufsatzformen als auch zwischen den drei Gestaltungs‐ formen der Wirksamkeit, der Sachgemäßheit und der Wahrhaftigkeit. Die damit verbundenen Ansprüche an die Schüler: innen einerseits und die Schreib‐ didaktik andererseits stellen gleichermaßen Chancen wie Herausforderungen dar, ein zeitgenössisches, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ansprüchen angepasstes, authentisches Schreiben in den Blick zu nehmen. So beinhaltet das materialgestützte Schreiben das Erfordernis, einen eigenständigen Text auf der Basis der vorgegebenen Materialien, wozu auch literarische Texte zählen, zu produzieren, in dessen Zentrum der argumentative Standpunkt der Verfasserin bzw. des Verfassers deutlich wird. Die Materialien müssen jedoch nicht nur verstanden, analysiert und ausgewertet werden, sondern auch für die eigene Textproduktion, die die Adressierung ebenso wie die Intention des Zieltextes in den Blick nimmt, nutzbar gemacht und somit transformiert werden. Damit positioniert sich das materialgestützte Schreiben in der Nähe des Produktionsaufsatzes. Betrachtet man die aktuell im Deutschunterricht der Oberstufe zu verfas‐ senden Aufsatzarten, dominiert die vollständige Analyse und Interpretation von literarischen Texten. Diese Textformen erfordern in Bezug auf das Material - den literarischen Text - in der Regel nur selten eine Reduktion. Auch das 37 I.2 Das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens 79 Ludwig, Otto: Vom Aufsatzunterricht zum Schreibunterricht. Zu einer notwendigen Veränderung des schulischen Schreibens. In: Jürgen Baurmann, Otto Ludwig (Hgg.): Schreiben - Schreiben in der Schule. Hildesheim: Georg Olms 1990. S. 9-17. S. 13 Setzen von eigenen Schwerpunkten ist in geringerem Maße erforderlich als beim materialgestützten Schreiben. Für die Schreibenden sind beim Interpretieren in Bezug auf die Sachgemäßheit die Anforderungen weitgehend transparent: Der Inhalt des Textes bzw. des Textausschnittes soll in seiner Gänze erfasst und wiedergegeben werden. Zur Bewertung der Schreibprodukte werden überwie‐ gend literaturwissenschaftliche Aspekte herangezogen. Die Lehrkraft ist in der Mehrzahl der Aufgaben die alleinige Adressatin, der zu schreibende Text muss keine kommunikative Funktion aufweisen. Die polytextuelle Materialfülle beim materialgestützten Schreiben hingegen erfordert andere Texterschließungs- und Formulierungskompetenzen. Basierend auf der Auseinandersetzung mit den in den Materialien vertretenen Positionen muss der Schreibende eine eigene Haltung zum Inhalt entwickeln und diese argumentativ nachvollziehbar und glaubhaft vertreten. Im Zentrum einer argumentierenden, materialgestützten Schreibaufgabe steht die Stellungnahme zu einem strittigen Thema: Die vorgegebenen Mate‐ rialien entfalten diesen Diskurs thematisch und bieten die Grundlage für eine geforderte - inhaltliche - Stellungnahme. Damit die Schüler: innen sich aber in‐ nerhalb dieses Diskurses glaubhaft und nachvollziehbar positionieren können, ist es wichtig, dass die Aufgaben einen hohen Lebensweltbezug aufweisen. Steht die Argumentation im Mittelpunkt, dann muss im Unterricht auch das Argumentieren gelehrt und geübt werden. Hierzu bieten sich Übungsformen wie die Chrie ebenso an wie Muster, die vorgeben, wie eine Argumentation aussehen könnte. Hier geht es weniger um das Imitieren, denn das Lehren von Schreibgerüsten, die die Schreibenden dazu befähigen, sich selbstständig mit einem Thema auseinandersetzen und differenziert Stellung beziehen zu können. Damit aber müssen das Schreiben und das Vermitteln der dazu nötigen Kompe‐ tenzen und Muster, wie es in der Rhetorik lange Zeit üblich war, wieder verstärkt in den Blick genommen werden. Unterteilt Ludwig den Schreibunterricht in die drei Formen des Schreib-, Stil- und Aufsatzunterrichts, so wird deutlich, dass Instruktionen zum materialgestützten Schreiben sich nicht allein darauf beschränken können, „die Organisation ganzer Texte“ in den Blick zu nehmen. Ebenso ist es erforderlich, „die schriftliche Formulierung von Ausdrücken“ 79 , die Ludwig dem Stilunterricht zuordnet, zu berücksichtigen. Wenn Ludwig kritisch anmerkt, dass sich der Aufsatzunterricht nicht auf die Vermittlung einiger weniger Aufsatzformen beschränken dürfe, da der Zusammenhang zwischen den drei Formen verloren ginge, dann ist diese Forderung im Hinblick auf die 38 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 80 Ludwig, Otto: Der Unterricht findet nicht statt: zur Schreibpraxis der reformierten Oberstufe. In: Ann Peyer, Paul R. Portmann (Hgg.): Norm, Moral und Didaktik - Die Linguistik und ihre Schmuddelkinder. Tübingen: Niemeyer 1996. S. 221-240. S. 221 Einführung und Etablierung des materialgestützten Schreibens aktueller denn je. Eine große Neuerung beim materialgestützten Schreiben stellt die Vorgabe des Zieltextes und der Adressat: innen und damit die Situierung des Schreibens dar. Dadurch spielt vor allem die Wirksamkeit eine zentrale Rolle. Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Textsorten näher, so nehmen diese in der Regel selten nur eine einzige Funktion wahr: So soll beispielsweise ein offener Brief an die Intendantin eines Theaters, der zur Aktualität des eines Theater‐ stückes Stellung nimmt, nicht nur informieren. Der Text muss unterhalten, den Leser der (fiktiven) Zeitung für sich gewinnen, zum Nachdenken anregen, sich positionieren und überzeugen. Die kommunikativen Funktionen, die die Inten‐ tion des Mitteilenden und die Erwartungen des Lesers berücksichtigen, spielen damit eine entscheidende Rolle. Um einen in dieser Hinsicht wirksamen Text produzieren zu können, bedarf es eines Deutschunterrichts, der das Schreiben thematisiert, dieses im Unterricht stattfinden lässt und den Schülerinnen und Schülern Muster zum Üben anbietet. In Bezug auf die Zieltextsorten bliebe zudem kritisch zu diskutieren, ob es sich hierbei um gebundene oder freie Aufsatzformen handelt und wie das jeweilige Textsortenwissen vermittelt werden kann. Die in neuerlichen Veröffentlichungen v. a. zu unterrichtlichen Umsetzungen zum materialgestützten Schreiben vorgenommene Fokussierung auf den Kommentar als Zieltextsorte scheint eine solche Einschätzung vor allem in Hinblick auf eine Anforderungstransparenz nahezulegen. Sowohl im Hinblick auf die Zieltextsorte als auch die verwendeten Formen der Argu‐ mentation stellt sich die Frage, ob nicht Schüler: innen auch über Fähigkeiten der Imitation verfügen müssen. Aus Sicht der Didaktik bliebe weiterhin zu diskutieren, ob den Lernenden nicht Schemata zur Verfügung gestellt werden müssen, die zum Argumentieren anleiten und die geforderten kommunikativen Funktionen vor allem der Positionierung und der Überzeugung lehren. Die Deutschdidaktik muss sich demnach der Aufgabe stellen, die Vermittlung von Schreibkompetenzen verstärkt in den Blick zu nehmen, da für den Deutschun‐ terricht der Oberstufe auch heute vielfach noch gilt, was Ludwig bereits 1996 pointiert feststellte: „Daß auch in der reformierten Oberstufe unserer Schulen noch geschrieben wird, vielleicht sogar viel geschrieben wird, dürfte kaum zu bestreiten sein. Ob Schreiben aber auch gelehrt wird, d. h. Gegenstand von Unterricht ist, das ist die Frage.“ 80 39 I.2 Das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens 81 Stout, Jeffrey: Was ist die Bedeutung eines Textes? In: Tom Kindt, Tilmann Köppe (Hgg.): Moderne Interpretationstheorien. Ein Reader. Göttingen: Vandenhoeck & Ru‐ precht 2008. S. 226-257. S. 242 82 Wieser, Dorothee: Interpretationskulturen: Überlegungen zum Verhältnis von theore‐ tischen und praktischen Problemen in Literaturwissenschaft und Literaturunterricht. In: Marie Lessing-Sattari, Maike Löhden, Almuth Meissner, Dorothee Wieser (Hgg.): Interpretationskulturen. Literaturdidaktik und Literaturwissenschaft im Dialog über Theorie und Praxis des Interpretierens. Frankfurt am Main: Peter Lang 2015. S. 39-60. S. 39 83 Lessing-Sattari, Marie: Hermeneutischer Zirkel reloaded: Perspektiven der Problemlö‐ seforschung auf die Frage der Modellierung und Vermittelbarkeit von Interpretations‐ prozessen. In: Marie Lessing-Sattari, Maike Löhden, Almuth Meissner, Dorothee Wieser (Hgg.): Interpretationskulturen. Literaturdidaktik und Literaturwissenschaft im Dialog über Theorie und Praxis des Interpretierens. Frankfurt am Main: Peter Lang 2015. S. 61-89. S. 84 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen und Aufgabenarten I.3.1 Die Interpretation „Eine Interpretation ohne ein gewisses Maß an Kreativität würde unseren Interessen und Zielen nicht dienen, weil sie auf nichts anderes als eine Wieder‐ holung des interpretierten Textes hinauslaufen müsste. Interpretationen sind entweder kreativ oder überflüssig.“ 81 Obwohl das Interpretieren eine zentrale Tätigkeit und ein Aufgabenformat des Deutschunterrichts in der Mittel- und Oberstufe darstellt, verweist Wieser zutreffend darauf, dass das unterrichtliche Tun häufig sehr unterschiedlich ist, wenn Schüler: innen Interpretationskom‐ petenzen erlangen. 82 Das liegt auch in dem Umstand begründet, dass es sich beim Interpretieren ebenso wie beim Erörtern um einen Makrooperator handelt, der unterschiedliche Teilhandlungen beinhaltet. Zudem ist die Interpretation Textform und Aufgabenformat in einem, was nötig macht, die „dialektische Verschränkung von Konstruktionsbzw. Such- und Prüfprozessen beim In‐ terpretieren“ 83 in den Blick zu nehmen. Wenn es um die Einführung und Etablierung des materialgestützten Schreibens als neuem Aufsatzformat geht, dann stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, welche theoretischen und didaktischen Überschneidungen zwischen dem Interpretieren und dem materi‐ algestützten Schreiben existieren. Es gilt zu klären, was die entscheidenden theoretischen, der Interpretation zugrundeliegenden Konzepte sind, die als Ausgangspunkt für didaktische Schreibmodelle dienen können, die im Kontext des materialgestützten Schreibens zum Einsatz kommen. 40 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 84 Kindt, Tom; Köppe, Tilmann: Moderne Interpretationstheorien. Eine Einleitung. In: Tom Kindt, Tilmann Köppe (Hgg.): Moderne Interpretationstheorien. Ein Reader. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008. S. 7-26. S. 12 85 Wieser (2015), S. 40 86 Wieser (2015), S. 53 87 Staiger, Emil: Die Kunst der Interpretation. In: Tom Kindt, Tilmann Köppe (Hgg.): Moderne Interpretationstheorien. Ein Reader. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008. S. 27-52. S. 33 Im Rahmen dieses Kapitels wird es nicht möglich sein, eine umfassende Einführung in die Theorie der Interpretation und der entsprechenden didak‐ tischen Konzepte vorzunehmen. Vielmehr sollen einzelne theoretische Posi‐ tionen skizziert werden, die ermöglichen, das Format des materialgestützten Schreibens einzuordnen sowie vom Interpretieren abzugrenzen. Dabei soll zunächst der Begriff der Interpretation allgemein gefasst werden, um diesen dann im nächsten Schritt auf das Interpretieren im Literaturunterricht zu beziehen. „Eine wichtige Aufgabe der Interpretationstheorie besteht darin, typische Ziele des Interpretierens zu identifizieren und für ihre Angemessenheit zu argumentieren.“ 84 Sowohl der Reader Moderne Interpretationstheorien als auch der Tagungsband Interpretationskulturen demonstrieren dabei im Neben‐ einander der unterschiedlichen Theorien die Ambivalenz und Brüchigkeit des Interpretierens. Ziel ist es demnach, die jeweiligen Ansätze hinsichtlich ihrer didaktischen und unterrichtlichen Konsequenzen zu befragen. Betrachtet man die unterschiedlichen theoretischen Konzepte zum Interpre‐ tieren, dann wird deutlich, dass sich diese im „Spannungsfeld von Erklären und Verstehen“ 85 und von „Normierung und Individualisierung“ 86 bewegen. Auf der Ebene der Aufgabenkonstruktion und der Operatoren zeigt sich dies in der Abgrenzung der Interpretation von der Analyse. Staigers Konzept der Werkim‐ manenz geht vom Individuellen aus und hat den Umgang mit literarischen Texten im wissenschaftlichen wie schulischen Kontext nachhaltig geprägt und zeigt seinen Einfluss noch heute. Dabei steht im Zentrum zu begreifen, was den Lesenden bei seiner Lektüre ergreift. Damit ist Ausgangspunt der Interpretation die affektive Wirkung. Interpretieren wird verstanden als der Schritt vom Ergriffensein zum Begreifen. Staiger betont in diesem Zusammenhang, dass die Literaturwissenschaft auf das Fundament gestellt werden müsse, das dem Wesen der Literatur und „dem Dichterischen gemäß ist, auf unserer Liebe und Verehrung, auf unserem unmittelbaren Gefühl.“ 87 Dieses Gefühl gilt es am Text nachzuweisen und zu überprüfen. Gleichzeitig impliziert dieser Ansatz, dass Interpretieren immer ein in seiner Darstellung einseitiger, offener und nicht abgeschlossener Prozess ist. 41 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 88 Gadamer, Hans-Georg: Vom Zirkel des Verstehens. In: Tom Kindt, Tilmann Köppe (Hgg.): Moderne Interpretationstheorien. Ein Reader. Göttingen: Vandenhoeck & Ru‐ precht 2008. S. 56-66. S. 56 89 Gadamer (2008), S. 63 90 Gadamer (2008), S 65 91 Lessing-Sattari (2015), S. 74 ff. 92 Lessing-Sattari (2015), S. 75 Neben der Betonung der Wirkung, die der Text auf Leser: innen ausübt, haben Gadamers Regel, dass man das Ganze aus dem Einzelnen und das Einzelne aus dem Ganzen verstehen müsse, sowie sein Verständnis des hermeneutischen Zirkels schulisches Interpretieren nachhaltig geprägt: „Die Aufgabe ist, in konzentrischen Kreisen die Einheit des verstandenen Sinns zu erweitern. Einstimmung aller Einzelheiten zum Ganzen ist das jeweilige Kriterium für die Richtigkeit des Verstehens.“ 88 Grundannahme dieses Ansatzes ist zunächst, dass der in den Blick genommene Text eine prinzipiell sinnvolle, kohärente Aussage enthält. Das Verständnis der Rezipient: innen beginnt zunächst mit ihrer eigenen Meinung zu dieser Aussage. Dieses Vorverständnis ist daher im ersten Schritt inhaltsbezogen und passt sich im weiteren Prozess des Verstehens dem Text an. „Verstehen heißt primär: sich in der Sache verstehen, und erst sekundär: die Meinung des anderen als solche abheben und verstehen.“ 89 Für Gadamer ist Verstehen damit immer ein Entwerfen: Der Leser trägt bestimmte Erwartungen an den Text heran, es kommt zu einer ersten Konstruktion von Sinn, die sich an den Passagen des Textes orientiert, die die Lesenden bereits verstehen. Zugang zu dem Text erhalten diese demnach nur durch das, was sie am Text berührt bzw. anspricht. Der Text präsentiert sich somit in der Differenz der eigenen Voreingenommenheit zur Andersartigkeit der im Text dargestellten Wirklichkeit. Damit ist der persönliche Zugang zum Text, seine unmittelbar ästhetische Dimension, für Gadamer die oberste aller hermeneutischen Bedingungen. 90 Um nicht in den eigenen Vorstellungen und Vorurteilen zu verharren, ist es erforderlich, dass Lesende Fragen an den Text stellen und diese in einer wiederholten Lektüre am Text überprüfen. Für Lessing-Sattari ist in diesem Zusammenhang Textverstehen und Interpretieren ein Problemlösen, das im Kontext hermeneutischer Suchbewegungen betrachtet werden muss. 91 So lassen sich die Parameter für Probleme - die Komplexität, Vernetztheit, Dynamik, Intransparenz und Polytelie 92 - auch auf den Umgang mit literarischen Texten übertragen. Verstehen ist somit immer ein Annähe‐ rungsprozess. Für den schulischen Kontext ist neben dem Grundkonzept des hermeneutischen Zirkels von Bedeutung, dass durch die Fokussierung auf die Voreingenommenheit der Leser: innen Gadamers Theorie den Trugschluss der 42 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 93 Hermerén, Göran: Interpretation: Typen und Kriterien. In: Tom Kindt, Tilmann Köppe (Hgg.): Moderne Interpretationstheorien. Ein Reader. Göttingen: Vandenhoeck & Ru‐ precht 2008. S. 248-276 94 Auf diesen Aspekt wird noch näher eingegangen, wenn das schulische Interpretieren und der Interpretationsaufsatz thematisiert werden. 95 Hermerén (2008), S. 254 96 Hier ist gemeint, als was der Gegenstand interpretiert wird, sei es als Übersetzung, Strukturierung, Veranschaulichung oder Aufführung. 97 Hermerén (2008), S. 257 Objektivität und Abgeschlossenheit der Interpretation offenbart. Diese Einsicht aber hat nachhaltige Konsequenzen für die Aufgabenkonzeption und Bewertung von Interpretationsaufsätzen. Dass trotz dieser Aspekte ein Interpretieren von Texten sinnvoll und erfor‐ derlich ist, hängt vor allem mit den Leer- und Unbestimmtheitsstellen von Literatur zusammen. Aufgrund der Offenheit, Inkohärenz und Mehrdeutigkeit der Texte verstehen die Leser: innen zwar nicht immer alles, was sie lesen, aber sie nehmen Literatur wahr. Diese Wahrnehmung erfordert eine Deutung. Wenn Hermerén 93 in diesem Zusammenhang eine Unterscheidung von Inter‐ pretationstypen und -kriterien vornimmt, dann muss darauf verwiesen werden, dass er explizit zwischen der Interpretation als Prozess und als Produkt dif‐ ferenziert. 94 Die von Staiger aufgestellte Frage sollte demnach dahingehend erweitert werden, dass von Interesse ist, was die Leser: innen vom Verstehen und im nächsten Schritt vom möglichen Ergriffensein abhält. Um diese Fragen zu klären, lohnt es sich, Hermeréns Formel zu folgen: „X interpretiert Y als Z für U um zu V“ 95 . Dieses Schema zeigt die große Bandbreite in Bezug auf die Autorinnen und Autoren von Interpretationen (u. a. Prediger, Historiker, Philologen, Psychologen, Musiker, Ärzte, Theologen), den Gegenstand (u. a. Träume, Bilder, Ereignisse, Formeln, Handlungen, Texte), den Aspekt 96 und die Adressierung (u. a. Patient: innen, Jurymitglieder: innen, Kirchenbesucher: innen, Politiker: innen, Rechtsanwält: innen). Untersucht man den Zweck von Interpre‐ tationen, so führt Hermerén die Rekonstruktion historischer Prozesse, das Herstellen von Kohärenz, die Vorhersage zukünftiger Ereignisse, die Beeinflus‐ sung von Urteilungen und Meinungen, die Lenkung von Aufmerksamkeit, das Ermöglichen von Entscheidungsgrundlagen, die Lösung von Problemen, das Herausarbeiten von Ideen sowie die Aufklärung und Emanzipation der Adressat: innen an. 97 Fragt man nach den sich aus diesen Aspekten abzuleitenden Kriterien einer Interpretation, dann zeigt Hermerén zurecht die Schwierigkeit dieses Unterfangens auf: „Es ist in meinen Augen recht offensichtlich, dass es keine ausschließlich gültigen [definitive] oder korrekten Interpretationen geben kann, wenn »Interpretation« im Sinne einer Applikation (Nachweis von 43 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 98 Hermerén (2008), S. 267 99 Sontag, Susan: Gegen Interpretation. In: Tom Kindt, Tilmann Köppe (Hgg.): Moderne Interpretationstheorien. Ein Reader. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008. S. 176- 189. S. 178, 179 100 Sontag (2008), S. 183 101 Wieser (2015), S. 56 Relevanz), einer theoretischen Umdeutung oder einer Steigerung des Wertes verstanden wird.“ 98 Wurden bereits an mehreren Stellen die Brüchigkeit und die Schwierigkeiten des Interpretierens deutlich, so spitzt Sontag diese Problematik zu, indem sie in ihrem Aufsatz Gegen Interpretation postuliert, dass das Interpretieren nicht den natürlichen und vor allem den unausweichlichen Umgang mit Literatur darstelle. Für Sontag ist das Interpretieren die Suche nach der Bedeutung eines Werkes, die danach zielt, etwas hinter dem Werk zu finden. Dadurch werde die unmittelbare Sinnlichkeit des Werkes zurückgedrängt und das Werk werde zur Durchgangsstation auf dem Weg zu Bedeutung. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Parallelen zur Diskussion um die Rechtfertigung des HPU und damit zu Küglers Kritik am Eingriff in die Autonomie des Kunstwerks; siehe dazu auch Kapitel I.3. 3. 2. Kunst aber, so Sontags Forderung, solle helfen, die Sinne wiederzuentdecken. „Diese Überbetonung des Inhaltsbegriffs bringt das ständige, nie erlahmende Streben nach Interpretation mit sich. Und umgekehrt festigt die Gewohnheit, sich den Kunstwerken in interpretierender Absicht zu nähern, die Vorstellung, dass es tatsächlich so etwas wie den Inhalt eines Kunstwerkes gibt.“ 99 Interpre‐ tieren stelle damit eine Art Übersetzung der Aussage des Werkes dar, die sich an den Interessen der Leser: innen orientiere und damit häufig „die Verbeugung der Mittelmäßigkeit vor dem Genie ist. Es stellt in der Tat die moderne Weise des Verstehens dar, und es wird daher auf die Werke jeder Qualität angewandt.“ 100 Damit aber ist die Interpretation häufig reaktionär und wenig kreativ. Die größte Gefahr der Interpretation sieht Sontag in der Tatsache, dass sie das Empfindungsvermögen zerstöre und der Intellekt die Vorherrschaft vor der Kunst einnehme. Zentrales Anliegen müsse es demnach sein, aufzuzeigen, weshalb wir welche Erfahrung haben. Es könne aber nicht darum gehen, diese Erfahrung zu deuten. Interpretieren versus Interpretationsaufsatz Betrachtet man das schulische Interpretieren, so werden die angedeuteten Oppositionen zwischen „Kunst und Kompetenz, Erfahrung und direkte Instruk‐ tion, Kreativität/ Innovation und Kriterienorientierung“ 101 noch offensichtlicher. 44 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 102 Dieser Aspekt wird zentral, wenn in Kapitel II. 1 die Schreibmodelle näher erläutert werden. 103 Fritzsche (1994a), S. 229 104 Siehe zum Verhältnis des Interpretierens in Natur- und Geisteswissenschaften auch Wieser (2015), S. 40 ff. 105 BS AHR (2012), S. 30 ff. 106 An dieser Stelle sei das Land Hessen, Landesabitur 2016, als Beispiel herangezogen. Hessisches Kultusministerium: Operatoren in den Fächern Deutsch, Musik, Sport und in den Fächern des Fachbereichs II. Landesabitur 2016. Stand 01. August 2014. URL: https: / / kultusministerium.hessen.de/ sites/ default/ files/ media/ hkm/ la16-operator en-deutsch-musik-sport-fbii.pdf Solange es sich beim Interpretieren um einen Operator und beim Interpretati‐ onsaufsatz um ein abiturrelevantes Aufgabenformat handelt, setzt schulisches Interpretieren dabei an, dass es sich um ein bewusstes, und demnach ein lehrbares Vorgehen und nicht bloß um eine individuelle Wahrnehmung handelt. Interpretationshandlungen, die in dem Verfassen eines Interpretationsaufsatzes münden, sind demnach immer Problemlösevorgänge. 102 Ausgehend von einer Begriffsklärung sollen Schwierigkeiten und Chancen des Aufgabenformates aufgezeigt werden. Fritzsche definiert die Interpretation als die „schriftliche Ausarbeitung des Verständnisses eines poetischen Textes.“ 103 Dabei sei die Abgrenzung zur Analyse nicht immer eindeutig. So lasse sich der Ausdruck der Interpretation den verstehenden hermeneutischen Wissenschaften zuordnen, der der Analyse den erklärenden empirischen. 104 Vergleicht man diese gängige Definition mit den BS AHR des Faches Deutsch, 105 offenbart sich die Schwierigkeit der Begrifflichkeit. So wird bei‐ spielsweise im Abitur von den Schülerinnen und Schülern die Interpretation einer Dramenszene gefordert. Dazu sollen sie ein Gespräch im Drama ana‐ lysieren und im nächsten Schritt Galileis Selbstgespräch interpretieren. Die Musteraufgabe der Bildungsstandards ermöglicht weder eine Zuordnung der Operatoren zu unterschiedlichen Textarten - Analyse pragmatischer Texte, Interpretation poetischer Texte - noch zur Textmenge (Textausschnitt, Text‐ ganzes). Auch eine Unterscheidung von Prozess und Produkt kann in der vorliegenden Aufgabe nicht intendiert sein. Es bleibt unklar, was es heißt, wenn Schüler: innen einen Text interpretieren oder analysieren sollen. Diese Unschärfe verwundert besonders vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Interpretation um ein vorherrschendes Abiturformat handelt. Auch die Operatoren für das Fach Deutsch 106 bieten wenig Klärung: Die Zuordnung des Analysierens zum Anforderungsbereich II legt nahe, dass es sich 45 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 107 Hessisches Kultusministerium (2016a): „Analysieren: Merkmale eines Textes, Sachver‐ haltes oder Zusammenhanges kriterienorientiert bzw. aspektgeleitet erschließen und zusammenhängend verdeutlichen; Beispiel: Analysieren Sie die Liebesbeziehung in Goethes Gedicht auch unter Berücksichtigung sprachlich-formaler Aspekte.“ 108 Hessisches Kultusministerium (2016a): „Interpretieren: auf der Grundlage einer Ana‐ lyse Sinnzusammenhänge aus Materialien methodisch reflektiert erschließen, um zu einer schlüssigen Gesamtauslegung zu gelangen; Beispiel: Interpretieren Sie das vor‐ liegende Gedicht unter Berücksichtigung von inhaltlichen sowie sprachlich-formalen Aspekten.“ 109 Feilke, Helmuth; Rezat, Sara: Operatoren „to go“. In: Praxis Deutsch 274 (2019). S. 4-13. S. 9 110 BS AHR (2012), S. 31 ff. 111 BS AHR (2012), S. 31 beim Analysieren 107 um eine Vorstufe oder aber Vorarbeit des Interpretierens 108 handelt. In diesem Sinne verstehen auch Feilke und Rezat das Analysieren als einen Operator aus dem Anforderungsbereich der Reorganisation und den des Interpretierens als einen der Reflexion. 109 Während der Operator der Analyse auf einzelne Aspekte abhebt, geht es bei der Interpretation um die Gesamtaus‐ legung. Damit rückt die Frage nach der Bedeutung ins Zentrum. Betrachtet man die Ausführungen zu den Kompetenzbereichen in den Bildungsstandards im Rahmen einer Auseinandersetzung mit literarischen Texten 110 , dann gilt es, den Inhalt, Aufbau und die sprachliche Gestaltung literarischer Texte zu analysieren und auf dieser Grundlage „ein Textverständnis [zu] formulieren“ und „auf der Basis eigener Analyseergebnisse [zu] begründen“ 111 . Im weiteren Verlauf sollen die Schüler: innen „eigene Interpretationsansätze zu literarischen Texten ent‐ wickeln und diese argumentativ-erklärend darstellen, auch unter Berücksichti‐ gung von Ideengehalt, gattungs- und epochenspezifischen Merkmalen sowie literaturtheoretischen Ansätzen“, „Mehrdeutigkeit als konstitutives Merkmal literarischer Texte nachweisen“ sowie „die Einsicht in die Vorläufigkeit der Ver‐ stehensentwürfe zur kontinuierlichen Überarbeitung ihrer Hypothesen nutzen“. Damit bewegt sich das Interpretieren im Spannungsverhältnis von Erklären und Verstehen. Betrachtet man Fritzsches Definition, dass Interpretieren die Ausarbeitung des Verständnisses eines poetischen Textes ist, vor einem weiteren Horizont, dann muss geklärt werden, wie Verständnis prinzipiell hergestellt werden kann. Köster stellt in diesem Zusammenhang die Frage nach den Ansprüchen an eine Verstehenskompetenz: „Genügt es, dass sie [die Schüler: innen, N. K.] wissen, wie das Interpretationsprodukt aufgebaut sein soll? Genügt es, dass sie sprachliche Mittel identifizieren und deren Funktion als Verstärkung oder Ver‐ anschaulichung bezeichnen? Genügt es, dass sie ihre Aussagen am literarischen Text verifizieren, auch wenn sie nicht zwischen Paraphrase und Zuschreibung 46 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 112 Köster, Juliane: Die Tagung aus literaturdidaktischer Beobachterperspektive. In: Marie Lessing-Sattari, Maike Löhden, Almuth Meissner, Dorothee Wieser (Hgg.): Interpreta‐ tionskulturen. Literaturdidaktik und Literaturwissenschaft im Dialog über Theorie und Praxis des Interpretierens. Frankfurt am Main: Peter Lang 2015. S. 11- 35. S. 21 113 Johnson, Barbara: Dekonstruktion im Unterricht. In: Tom Kindt, Tilmann Köppe (Hgg.): Moderne Interpretationstheorien. Ein Reader. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008. S. 79-97. S. 84 114 Fritzsche (1994a), S. 235 unterscheiden? “ 112 Da Verständnis und Ergriffensein einander bedingen, gilt: Je weniger erfahren die Schüler: innen im Umgang mit Mehrdeutigkeit, Leerstellen und fehlender Kohärenz in literarischen Texten sind, desto dominanter ist das Gefühl der Fremdheit. In der Regel versperrt Fremdheit einen sinnlichen Zugang zum Werk. Ist der Text für die Schüler: innen unverständlich, wird die Ergriffenheit ausbleiben. Fehlt aber das Ergriffensein, dürfte es schwerfallen, sich dem Text konzentrisch in immer neuen Lesedurchgängen zu nähern. Verstehen und Ergriffensein müssen demnach angebahnt werden, damit im nächsten Schritt das Verständnis verbalisiert werden kann. Ziel ist es zu vermitteln, wie man Textelemente bemerkt, die überlesen oder aber ignoriert und wegerklärt werden, „wie man liest, anstatt zu raten, was sich der Autor gedacht haben mag; wie man erfasst, welche Belege eine Buchseite zu bieten hat, anstatt zu versuchen, sie durch eine andere Realität zu ersetzen.“ 113 Es gilt, besonders die in Bezug auf Syntax, Semantik und Bildlichkeit widersprüchlichen Zeichenprozesse in den Blick zu nehmen. Dies ist nur dann erfolgreich, wenn die Offenheit, der Prozesscharakter und die Subjektivität des Interpretierens glaubwürdig vermittelt werden. Inwieweit diese Parameter im traditionellen Aufsatzunterricht abgebildet werden, ist äußerst fragwürdig. Anknüpfend an Hermeréns Unterscheidung des Prozess- und Produktaspekts der Interpretation hebt Fritzsche auf die Doppeldeutigkeit des Begriffes ab: Als Vorgang sei die Interpretation Lernmedium, als Resultat Lernkontrolle. Dabei werde die Interpretation zum Lerngegenstand, wenn im Unterricht behandelt werde, wie man diese durchführt. „Während als Medium das Interpretieren seinen Zweck im besseren Verstehen des Textes hat, wobei also der Text der Lerngegenstand ist, tritt dieser Zweck zurück, wenn das Interpretieren zum Lerngegenstand gemacht wird.“ 114 Fokussiert man auf die Interpretation als Lehrmedium, so dient das Interpretieren vorrangig dem Ermöglichen und Gewinnen des Verständnisses und ist somit ein heuristischer Akt. Während des Schreibens führt der Schreibende einen Dialog mit sich selbst und ertastet sich das Verständnis des Textes. Dieses Schreib-Denken stellt einen Grundansatz der Unterrichtseinheit dar, die in Kapitel III.5 praktisch erprobt werden soll: In mehreren Schreibdurchläufen wird sich durch das Verfassen eines argumen‐ 47 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 115 Ulshöfer, Robert: Methodik des Deutschunterrichts 2. Mittelstufe I. Stuttgart: Klett 1976. S. 273 116 Fritzsche (1994a), S. 233 tierenden literarischen Essays dem Verständnis des Primärtextes genähert. Im Zentrum aber steht die eigene Textproduktion, die das Ergriffensein vom Primärtext zur Grundlage hat. Dieses wird im Verlauf des Essays erläutert und mit Hilfe von Textbelegen, Mentorentexten und eigenem Weltwissen plausibel gemacht. Ist die Interpretation hingegen selbst Lerngegenstand, dann steht das Mit‐ teilen des Verständnisses, d. h. das Endprodukt des Verstehensprozesses, im Vordergrund. Beim Ausformulieren sind demnach die Erkenntnisschritte nicht mehr sichtbar, sie werden in einem rhetorisch-didaktischen Akt quasi unkennt‐ lich gemacht. So wird der klassische Interpretationsaufsatz in der Regel mit der Nennung des Themas und damit des Kerngedankens des Textes eingeleitet, der allerdings erst am Ende der vollständigen Deutung angeführt werden kann. Ob es sich bei der Interpretation um ein Lernmedium oder einen -gegenstand handelt, sagt in der Regel nichts über die Form des Aufsatzes selbst aus, ob sich dieser linear am Text orientiert, mit globalen Aussagen startet oder ob er systematisch verschiedene Aspekte abhandelt. Wird die Interpretation zur Lernkontrolle, so dient sie der Dokumentation von Verständnis und Können, d. h. es geht zum einen um den Text als solchen und sein Verständnis, zum andern um die Textform der Interpretation. In der Regel werden die beiden Formen miteinander kombiniert. Ulshöfer fasste bereits 1976 dieses Dilemma folgendermaßen zusammen: Der Interpretationsaufsatz bringt den Lehrer in einen Zwiespalt: Er muß dem Schüler Fragestellungen, Gesichtspunkte, Gliederungsschemata von allgemeiner Bedeutung an die Hand geben, ihn aber zugleich vor Schematismus bewahren; er soll das Handwerklich-Lehrbare des Texterläuterns vermitteln, aber diese Fähigkeit nur so weit üben, als der Sinn für das Verstehen ausgebildet wird. Einsicht in das Wesen der Gestalt ist mehr als nur eine ästhetische Analyse. Diese „Mehr“ ist nicht lehr- und nicht lernbar. 115 Damit Interpretationen nicht eine bloße Wiedergabe des interpretierten Textes darstellen, erfordern sie mehrdeutige Texte, deren Leer- und Unbestimmtheits‐ stellen einer Deutung bedürfen. Daraus folgt im Umkehrschluss: „Interpretation war eine Folge der Textauswahl: Der fremdartige Text bedarf des Interpreten.“ 116 Für die Konzeption von Unterricht ergeben sich daraus unterschiedliche Kon‐ sequenzen: Steht das Verstehen und Entschlüsseln der von Schule ausgewählten Texte im Vordergrund, dann wird - um Komplexität zu reduzieren - zunächst 48 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 117 Fritzsche (1994a), S. 242 118 Spinner, Kaspar H.: Expressive und appellative Emotionalität als Aspekt wertschät‐ zenden Interpretierens. In: Marie Lessing-Sattari, Maike Löhden, Almuth Meissner, Dorothee Wieser (Hgg.): Interpretationskulturen. Literaturdidaktik und Literaturwis‐ senschaft im Dialog über Theorie und Praxis des Interpretierens. Frankfurt am Main: Peter Lang 2015. S. 241- 258. S. 255 119 Fritzsche (1994a) S. 238 die Mehrdeutigkeit missachtet oder zumindest aufgelöst. Genaue Textarbeit, die sich konzentrisch voranschreitend dem Textganzen nähert, verfolgt das Ziel, die Fragen, die an den Text gestellt werden, aufzulösen. Dies geschieht, so Fritzsche, zumeist im Unterrichtsgespräch, in dem die Schüler: innen häufig ihr eigenes Textverständnis nur bedingt entfalten können. Im Rahmen des schriftlichen Interpretierens erfordert das Verfassen eines Interpretationsauf‐ satzes von den Interpretierenden eine Beobachterposition und Distanz zum eigenen Verständnis und zur eigenen Textproduktion, die häufig erst in der Sekundarstufe II zu leisten ist. „Die I. unterscheidet sich vom bloßen Lesen und vom intuitiven Sinnentwurf durch ihren argumentativen Charakter. Da sie auf Erkenntnis aus ist, muß jeder Sinnentwurf kritisch geprüft werden. Zu üben ist also textbezogenes Argumentieren: das Aufstellen von Behauptungen, das Begründen, Belegen, Zitieren.“ 117 Auch Spinner betrachtet den Interpretations‐ aufsatz als Format, das diese Verstehensprozesse festhält, skeptisch. 118 Ziel sollte demnach weniger das Endprodukt - der Interpretationsaufsatz - sein, denn eine curriculare Anleitung zum Verstehen. Vorformen des Inter‐ pretierens sind somit bereits in der Grundschule und in der Sekundarstufe I in Form von Nacherzählungen, Inhaltsangaben oder Stellungnahmen verortet. Verstehen bildet sich im Zuge der Entwicklung der Lernenden aus und ist ein vor allem zu Beginn stark interessengeleiteter Prozess. So richtet sich der Fokus der Schüler: innen in Bezug auf literarische Texte zunächst überwiegend auf das Verhalten bestimmter Figuren, überraschende Ereignisse sowie spaßige Vorfälle. „Sie messen das, was im Text steht, an der außertextlichen Wirklichkeit und konstatieren die Abweichungen von ihren Erfahrungen. Auf der zweiten Stufe stellen die Schüler die Frage nach dem Sinn des gesamten Textes“. 119 Auf der abschließenden dritten Stufe stehe dann nicht mehr der Gesamtsinn im Zentrum. Interpretieren sei vielmehr ein Nachzeichnen von Einzelbedeutungen und ein Spiel mit Bedeutungsmöglichkeiten. Es ist allerdings zu bezweifeln, ob diese dritte Stufe den Unterrichtsalltag in der Oberstufe sowie die gängige Bewertungspraxis abbildet. An den Ausführungen der Literaturwissenschaftler: innen wie der Literatur‐ didaktiker: innen sind die unterschiedlichen Ansprüche an den Umgang mit 49 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 120 Hermerén (2008), S. 264 Literatur, die Notwendigkeit und Möglichkeit eines Verständnisses und an eine mögliche Vermittlung deutlich geworden. Diese Skepsis und Brüchigkeit gegen‐ über dem Interpretieren und vor allem dem Interpretationsaufsatz soll zum Anlass genommen werden, Konsequenzen für einen veränderten Umgang mit Literatur abzuleiten: Wird ernst genommen, dass Interpretieren den Schritt vom Ergriffensein zum Begreifen darstellt, dann muss das Ergriffensein einen festen Platz im Rahmen des Literaturunterrichts haben. Hier werden die Parallelen zu Spinners Ansatz des Literarischen Lernens deutlich, auf den ausführlich in Kapitel I.3. 4 eingegangen wird. Das Ergriffensein darf somit nicht allein auf die Einstiegsphase einer Unterrichtseinheit reduziert sein, in der die Leseeindrücke der Schüler: innen abgefragt werden, sondern muss sich auch im Produkt des Interpretationsaufsatzes - soll denn an diesem festgehalten werden - niederschlagen. Die alternative Aufsatzform des literarischen Essays, die das Ergriffensein als Ausgangspunkt des Schreibens sieht, wird in Kapitel III.5 erläutert und empirisch untersucht. Ausgehend von Hermeréns Schema der Interpretation stellt der schulische Interpretationsaufsatz im Literaturunterricht eine starke Engführung dar: Führt Hermerén insgesamt elf unterschiedliche Interpretationstypen an, so ist im Deutschunterricht in der Regel die ästhetische Interpretation bedeutsam: „Die Aufgabe des Interpreten besteht kurz gefasst darin, den Wert des Werkes zu ma‐ ximieren und es für den Leser ästhetisch (künstlerisch etc.) möglichst interessant erscheinen zu lassen, zum Beispiel indem er Form und Inhalt auf eine bestimmte Lebenssicht oder auf das, was (seines Erachtens) im Leben wichtig ist, bezieht.“ 120 Die Konzentration auf die ästhetische Dimension eines Werkes setzt aber nicht nur ein hohes Maß an Schreibkompetenz beim Interpretierenden voraus. Im schulischen Kontext ist diese Fokussierung besonders deshalb fragwürdig, weil der ästhetische Wert u. a. durch die Kanonisierung der Literatur vorgegeben wird. Auch wenn die Schüler: innen keinen persönlichen Zugang zum Text finden, sind sie aufgefordert, den Wert des Werkes herauszuarbeiten und Adressat: innen wiederzugeben, die in der Regel vom Wert des Werkes überzeugt sind. Zudem findet im Hinblick auf die Funktion beim Interpretationsaufsatz eine Engführung statt: So geht es weder um Sprachhandlungen der Beeinflus‐ sung, Überzeugung und Problemlösung, die beim materialgestützten Schreiben eine entscheidende Rolle spielen, sondern im Wesentlichen um erklärendes Nachvollziehen. Damit bildet das materialgestützte Schreiben, das als Aufgaben‐ format dem Interpretieren und Erörtern gegenübergestellt wird, eine größere Bandbreite an Sprachhandlungen als der traditionelle Interpretationsaufsatz ab. 50 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 121 Hermerén (2008), S. 267 122 Hermerén (2008), S. 269 ff. 123 Hermerén (2008), S. 257 Betrachtet man die Interpretation im Kontext der Lernkontrolle, dann muss nach den Kriterien der Interpretation gefragt werden; diese gilt es besonders im schulischen Kontext zu entwickeln und offenzulegen. Stehen jedoch als Intentionen des Interpretierens das nachvollziehende Verstehen und Darlegen des Verstehensprozesses im Zentrum, so muss dieser Ansatz auch zur Grundlage der Bewertung herangezogen werden. Auf diese Problematik verweist Her‐ merén: „Es ist in meinen Augen recht offensichtlich, dass es keine ausschließ‐ lich gültigen [definitive] oder korrekten Interpretationen geben kann, wenn »Interpretation« im Sinne einer Applikation (Nachweis von Relevanz), einer theoretischen Umdeutung oder einer Steigerung des Wertes verstanden wird.“ 121 Wann eine Interpretation als korrekt und plausibel beurteilt werden kann, hängt von der Art der Argumente ab. Auch hier führt Hermerén zehn verschiedene an, 122 beispielsweise linguistische, biographische, historische, kontextuelle, psy‐ chologische, objekt-orientierte, adressaten-orientierte oder normative. Die an‐ geführten Argumentationstypen weisen eine große Nähe zur schulischen Praxis auf: So kann die Plausibilität einzelner Passagen unterschiedlichen Argumenten zugeordnet und die Kohärenz der einzelnen Argumente bewertet werden. Dies ist sicherlich ein Grund, warum an dem Format des Interpretationsaufsatzes auch weiterhin als komplexem, höchst anspruchsvollem Aufgabenformat fest‐ gehalten wird. Die Problematik liegt aber weniger in der Art der Argumente und der Art der Beweisführung. Diese können Schüler: innen lernen und anwenden und sie sind zudem im Umgang mit Texten jeder Art sinnvoll und gewinnbrin‐ gend. Fraglich ist demnach weniger das Wie - die Kompetenzen im Umgang mit Texten -, sondern das Warum und damit der fehlende Adressat: innenbezug: „Eine Interpretation ist notwendig, wenn man etwas nicht sofort versteht. Aber was für eine Person oder Gruppe verständlich ist, ist nicht immer auch für eine andere Person oder Gruppe verständlich.“ 123 Dies Adressierung spielt demnach bei jeder Interpretation, die Lerngegenstand oder -kontrolle ist, eine besondere Rolle. Hier wird die Künstlichkeit der schulischen Interpretation deutlich: Die Lehrkraft, die meist die einzige Leserin des Interpretationsaufsatzes ist, hat in der Regel den Text ausgewählt, verstanden oder zumindest ein weitergehendes Verständnis des Textes. Demnach kann es nicht darum gehen, der Lehrkraft den vorliegenden Text zu erklären, sondern den eigenen Verständnisprozess sichtbar zu machen. Dies aber ist ein zutiefst selbstreferentieller künstlicher Akt. Noch ein weiterer Aspekt im Rahmen des schulischen Interpretierens ist nicht unproblematisch: Die Interpretation soll in der Regel dort ansetzen, wo der 51 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 124 Spinner (2015), S. 255 125 Zabka, Thomas: Über einen Versuch, das Interpretieren zu lehren. Untersuchung eines Lehrgangs für die gymnasiale Oberstufe. In: Marie Lessing-Sattari, Maike Löhden, Almuth Meissner, Dorothee Wieser (Hgg.): Interpretationskulturen. Literaturdidaktik Text Brüche oder Unbestimmtheitsstellen aufweist. Diese sind bei den Lesenden äußerst unterschiedlich, vor allem wenn es noch um die allgemeinen kontex‐ tuellen Beziehungen geht, in denen ein Text steht. Da zwischen Lehrenden und Lernenden in Bezug auf die Verstehens- und Interpretationskompetenz eine Diskrepanz vorliegt, kommt es unweigerlich zu einer unterschiedlichen Bewertung der relevanten, zu interpretierenden Stellen. Was für die Lehrkraft eine Unbestimmtheitsstelle darstellt und sich für eine Interpretation eignet, muss für die Schüler: innen noch lange keine relevante Passage sein. Das Format des Interpretationsaufsatzes aber suggeriert, dass es die eine, richtige Bedeutung gebe, die im Interpretationsaufsatz wiedergegeben werden müsse. Damit aber handelt es sich nicht mehr um einen kreativen Denk- und Schreibprozess, vielmehr um eine - überflüssige - Demonstration eines Herrschaftswissen. Weder die Sinnlichkeit der Kunst noch die Fraglichkeit des Bedeutungsbegriffes bildet der Interpretationsaufsatz ab. Für Schüler: innen ist häufig schwer nach‐ vollziehbar, auf welche Unbestimmtheitsstellen die Lehrkraft abhebt und welche Zugänge für sie relevant sind. Wird ein Kunstwerk in seiner ästhetischen Dimension tatsächlich ernst genommen, dann muss es als offen und unendlich wahrgenommen werden und den Rezipient: innen müssen unterschiedliche Ebenen des Ergriffenseins zugestanden werden. Wenn Spinner betont, dass eine interpretierende Tätigkeit „zu einem genaueren, imaginativ reicheren und Irritationen zulassenden Lesen und Verstehen“ 124 führt, dann weist dies auf das Potential des Interpretierens hin, das sich jedoch nicht auf die Verschriftlichung in Form eines Interpretationsaufsatzes beschränken darf. Befragt man abschließend die dargestellten Konzepte und Theorien des Interpretierens im Hinblick auf das materialgestützte Schreiben, so soll auf einen entscheidenden Aspekt abgehoben werden: Die zentrale Tätigkeit des Literaturunterrichts und des Interpretierens stellt das Befragen eines Textes auf seine Bedeutung dar. In der Regel sind es die Schüler: innen gewohnt, anhand mehrdeutiger Texte unterschiedliche textanalytische und interpretative Verfahren anzuwenden, um beispielsweise rhetorische Figuren in Bezug auf ihre Wirkung zu untersuchen und inhaltliche wie sprachliche Einzelaspekte zu einem kohärenten Ganzen zusammenzufügen. Zabka verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es um die Allgemeingültigkeit von Aussagen geht, die an einem speziellen Text erfahren wird. Damit oszillieren Interpreta‐ tionskompetenzen zwischen Strategievermittlung und Einzelanalyse. 125 Ziel der 52 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens und Literaturwissenschaft im Dialog über Theorie und Praxis des Interpretierens. Frankfurt am Main: Peter Lang 2015. S. 311-334. S. 311 ff. 126 Siehe dazu vor allem Kapitel III.3. 2. einzelnen Interpretationsschritte ist es, das Textganze und dessen Bedeutung zu erfassen und - im vorgegebenen Format - wiederzugeben. Das Belegen der Aussagen stellt dabei ein entscheidendes Vorgehen dar, um Objektivität zu erzielen. Gilt es nun, im Rahmen des materialgestützten Schreibens literarische Texte als Material für die Schreibaufgabe auszuwerten, so können die Schüler: innen auf die im Rahmen des Literaturunterrichts und des Interpretierens erworbenen Kompetenzen des literarischen Verstehens zurückgreifen. Im Gegensatz zum Interpretieren aber geht es nicht mehr um das Textganze und dessen Bedeutung. Vielmehr können Teilaspekte, einzelne Gedanken, Haltungen von Figuren oder Stimmungen als Ausgangspunkt der eigenen Argumentation verwendet werden. Nur wenn bei den Schülerinnen und Schülern ein gedanklicher Zugang zur Schreibaufgabe und der in ihr implizierten Sprachhandlungen vorliegt und davon ausgehend ein erstes gedankliches Konzept, das auf dem eigenen Vorwissen basiert, können die Materialien in Bezug auf die Aufgabe befragt werden. Dies aber setzt ein selektives, aufgaben- und adressatenbezogenes Lesen voraus. Das bedeutet, dass sich die Schüler: innen vom Konzept der Gesamtbedeutung lossagen, sich zunächst vom Text und den in ihm enthaltenen Gedanken ergreifen lassen müssen, um sich anschließend - im Sinne Gadamers - in konzentrischen Kreisen nicht dem Textganzen, sondern dem in Bezug auf die Schreibaufgabe entwickelten eigenem Präkonzept zu nähern. Diese Heraus‐ forderung, den literarischen Text im Hinblick auf den eigenen, zu verfassenden Text zu befragen, selektiv zu lesen und Teilaspekte aufzunehmen, die nicht im Widerspruch zum Textganzen stehen dürfen, hebt das neue Format des materialgestützten Schreibens vom Interpretieren ab und diese Schwierigkeit gilt es, bei der methodisch-didaktischen Umsetzung besonders in den Blick zu nehmen. 126 Die Darstellung der Interpretation und des Interpretationsaufsatzes aber verdeutlicht noch einen anderen, für das materialgestützte Schreiben relevanten Aspekt. So bewegt sich die Interpretation zwischen Normierung und Individua‐ lisierung. Auf der einen Seite sind Instruktionen zum Verfassen eines Interpre‐ tationsaufsatzes erforderlich, die eine standardisierte Bewertung ermöglichen. Auf der anderen Seite muss der Komplexität und Unabschließbarkeit des literarischen Textes Rechnung getragen werden. Ein ähnliches Spannungsver‐ hältnis liegt beim materialgestützten Schreiben vor, wenn es darum geht, die Verwendung der Materialien und die Anzahl der angeführten Argumente der 53 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 127 BS AHR Deutsch (2012), S. 24 128 Kultusministerkonferenz (KMK) (Hg.) (2012): Operatoren für das Fach Deutsch an den Deutschen Schulen im Ausland. Stand Oktober 2012. URL: https: / / www.kmk.org/ fileadmin/ Dateien/ pdf/ Bildung/ Auslandsschulwesen/ Ker ncurriculum/ Auslandsschulwesen-Operatoren-Deutsch-10-2012.pdf. [letzter Abruf 19. 01. 2021] (= 2012a) 129 KMK (2012a), S. 3, 4 Originalität und Überzeugungskraft eines Zieltextes gegenüberzustellen. Dies betrifft Fragen der Instruktion gleichermaßen wie der Bewertung. I.3.2 Die Erörterung Das Erörtern ist neben dem Interpretieren literarischer und der Analyse prag‐ matischer Texte die dritte verbindliche Aufgabenart des textgebundenen Schrei‐ bens, die in den Bildungsstandards Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife (BS AHR Deutsch) für die schriftliche Abiturprüfung angeführt wird. 127 Dabei wird zwischen der Erörterung literarischer Texte und der pragmatischer Texte unterschieden. Im Folgenden soll besonders auf den argumentativen Kern sowie auf den dialogischen Charakter des Erörterns eingegangen werden, um zu klären, inwieweit die beim Erörtern zugrundeliegenden Textmuster und Sprach‐ handlungen im Rahmen des materialgestützten Schreibens aufgegriffen und für die Entwicklung didaktischer Konzepte nutzbar gemacht werden können. Ähnlich wie beim Interpretieren handelt es sich beim Erörtern sowohl um einen Operator als auch um eine Aufgabenart und eine Aufsatzform. Diese Hybridität, auf die im Folgenden näher eingegangen wird, verweist auf das Problem einer Abgrenzung, die das Textmuster ebenso wie die Sprachhandlungen betrifft. Die von der KMK herausgegebene Zusammenstellung der Operatoren für das Fach Deutsch 128 führt für das Erörtern folgende Definition an: Erfassen des Problems; ggf. Definition wichtiger verwendeter Begriffe; Entwicklung einer aufgabenbezogenen Gliederung; erläuternde bzw. deutende Wiedergabe der Textvorlage hinsichtlich des in ihr vorliegenden Problems; Methodenkenntnis sowohl des dialektischen wie auch des linearen Verfahrens der Erörterung; argumentative Berücksichtigung möglicher Gegenpositionen; Einbringen von aufgabenbezogenem Fachwissen; Herstellen von aufgabenbezogenen Kontexten; Einsetzen geeigneter Argumentationsstrategien, Entfaltung einer eigenständigen Argumentation; Formu‐ lierung eines aus der Argumentation logisch abgeleiteten Urteils; in den Argumen‐ tationsverlauf passendes Einbringen des eigenen Standpunktes; Darstellung der Ar‐ beitsergebnisse als zusammenhängender Text (Gliederung, angemessener Ausdruck, Fachsprache, Zitiertechnik). 129 54 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 130 Feilke, Helmuth; Rezat, Sara: Operatoren „to go“. In: Praxis Deutsch 274 (2019). S. 4-13. S. 8 131 Feilke, Rezat (2019), S. 9 132 Brinker, Klaus: Linguistische Textanalyse. Berlin: Erich Schmidt 2010. S. 136 133 BS AHR Deutsch (2012), S. 25 Feilke und Rezat betonen in diesem Zusammenhang, dass Operatoren nicht „einfach die in Aufgabenformulierungen gebrauchten Verbalausdrücke [sind]. Vielmehr beziehen sich diese Verbalausdrücke auf eine didaktisch sinnvolle Ordnung begrifflich zu unterscheidender Sprachhandlungstypen.“ 130 Beim Erör‐ tern handelt es sich dabei um den hierarchiehöchsten Operator, der ebenso wie das Interpretieren den Anforderungsbereich der Reflexion zugeordnet werden kann. 131 Die Operatorendefinition der KMK zeigt zum einen, dass es sich beim Erörtern um einen Makrooperator handelt, zum anderen verweist sie gleicher‐ maßen auf Schwerpunkte wie auf Probleme der Aufgabenart, die sich in folgende Bereiche zusammenfassen lassen. Nach einer Begriffsbestimmung und Abgrenzung zu anderen Operatoren und Aufsatzformen werden die Textmuster und Sprachhandlungen des Argumentierens erläutert, bevor das Verhältnis zwischen dem Thema der Erörterung, der Textgrundlage, dem Weltwissen und dem Lebensweltbezug dargestellt wird. Folgt man Brinker mit seiner Definition der Textsorten als „konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen, die sich als jeweils typi‐ sche Verbindungen von kontextuellen (situativen), kommunikativ-funktionalen und strukturellen (grammatischen und thematischen) Merkmalen beschreiben lassen“ 132 , so sollen zunächst die dem Erörtern zugrundeliegenden Handlungen ausgeführt werden, bevor die strukturellen Merkmale erläutert werden. Ver‐ gleicht man die in den BS AHR Deutsch angeführten Erläuterungen zur Erör‐ terung literarischer und pragmatischer Texte, so wird in diesen einleitend für die beiden Aufgabenarten auf das Ziel der Erörterung abgehoben, das „im Kern die argumentative Auseinandersetzung“ 133 beinhaltet. Während im Umgang mit pragmatischen Texten explizit darauf abgehoben wird, „dass die Textvor‐ lage etwas Strittiges behandelt“, wird von den Schülerinnen und Schülern im Rahmen einer literarischen Erörterung gefordert, dass nicht nur auf Ergebnisse des Unterrichts zurückgegriffen wird, sondern der Ausgangstext auch analysiert und interpretiert wird. Dass ein Aufgabenfeld explizit Teilhandlungen und damit verbunden auch Textmuster einer anderen Aufgabenart enthält, dürfte nicht nur für Schüler: innen in diesem Zusammenhang verwirrend sein. Beide Typen der Erörterung enthalten zudem „informierende“ und „erklärende Anteile“. 55 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 134 Fix, Martin: Texte schreiben. Schreibprozesse im Deutschunterricht. 2. Auflage. Pader‐ born: Ferdinand Schöningh 2008. S. 8 135 Merz-Grötsch, Jasmin: Texte schreiben lernen. Grundlagen, Methoden, Unterrichtsvor‐ schläge. Seelze: Friedrich 2016. S. 205 136 Merz-Grötsch (2016), S. 205 137 Merz-Grötsch (2016), S. 206 138 Merz-Grötsch (2016), S. 90 139 Neumann, Astrid; Steinhoff, Torsten: Schreiben. In: Michael Becker-Mrotzek, Michael Kämper-van den Boogaart, Juliane Köster, Petra Stanat, Gabriele Gippner (Hgg.): Bildungsstandards aktuell: Deutsch in der Sekundarstufe II. Braunschweig: Diesterweg Schroedel Westermann 2015. S. 66-119. S. 100 ff. Deutlich an dieser Gegenüberstellung wird, dass es sich bei der Erörterung um eine „Mischform“ 134 , eine hybride Textform, handelt. Weiterhin gestaltet sich schwierig, dass der literarischen Erörterung keine strittige Frage zugrunde liegen muss; als Beispiele für Themen werden die Auseinandersetzung mit Fragen der Rezeption und der Wertung angeführt. In diesen Beispielen ist eine argumentative Auseinandersetzung nicht automatisch Teil eines Diskurses. Die Problematik einer genauen Begriffsbestimmung des Erörterns zeigt sich, wenn Merz-Grötsch die folgende Formen des schriftlichen Erörterns einander gegen‐ überstellt: Das textgebundene Erörtern als Auseinandersetzung mit Texten, „in denen die Autoren Stellung zu einem Sachverhalt beziehen und diesen darstellen“ 135 , das literarische Erörtern, in dem sich „auf die zu bearbeitenden Themen auf Fragen aus dem Bereich der Literatur“ 136 bezogen wird, und das freie Erörtern, bei dem „Meinungen und Positionen zu einem Thema eigenhändig recherchiert und ausgewertet werden“ 137 . Diese Definition entspricht nur zum Teil der der BS AHR. Um die Bedeutung der Erörterung in der aktuellen didaktischen Diskussion bewerten zu können, sollen die von Neumann und Steinhoff in ihrem Beitrag zum Schreiben im Rahmen der Erläuterung zu den aktuellen Bildungsstandards angeführten Beispielsaufgaben näher betrachtet werden. Während die erste eine Interpretationsaufgabe darstellt und damit die Gewichtung des Interpretierens von Literatur in der gymnasialen Oberstufe abbildet, fokussiert die zweite Aufgabe auf das Argumentieren. Dies verwirrt, da das Argumentieren keine Aufgabenart der BS AHR darstellt, sondern nur einen Operator. Wollen die Autorinnen und Autoren bewusst auf die „Spezifika der durch die BS AHR initiierten Reform des Schreibunterrichts“ 138 aufmerksam machen, so wird die Erörterung ex negativo definiert. Die Verfasser: innen heben darauf ab, dass die argumentative Auseinandersetzung mit der „Spitzer-Debatte“, einer Streitschrift des Neurowissenschaftlers zum Thema „Digitale Demenz“ 139 , dis‐ kursorientiert, prozessorientiert und wissenschaftsorientiert sei; sie „grenzt 56 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 140 Neumann, Steinhoff (2015), S. 100 141 Dass diese Position nicht unumstritten ist, zeigt die Bewertung Knapps: „Erörterung, Argumentation oder Facharbeit haben insbesondere in der Sekundarstufe II auch die propädeutische Funktion, wissenschaftliches Schreiben zu entwickeln.“ Knapp, Werner: Schreiben zu Texten. In: Helmuth Feilke, Thorsten Pohl (Hgg.): Schriftlicher Sprachgebrauch - Texte verfassen. Baltmannsweiler: Schneider 2014. S. 399-413. S. 405 142 Kühtz, Stefan: Wissenschaftlich formulieren. Tipps und Textbausteine für Studium und Schule. Paderborn: Ferdinand Schöningh 2011. S. 90 ff. 143 Dass Fix das Interpretieren auch diesen vier Textmustern zuordnet, sei an dieser Stelle kritisch bewertet. Ob eine Inhaltsangabe tatsächlich ausschließlich „eine Beschreibung des Textinhaltes“ ist, die auch „berichtende Elemente (z. B. indirekte Rede)“ enthält, sei bezweifelt. Dies betrifft auch Fix’ Einschätzung, dass sich beispielsweise eine Auseinan‐ dersetzung mit der Erzählperspektive auf „deskriptive Muster“ zurückführen lasse. „Die begründete Stellungnahme und Interpretation greift dagegen auf das argumentative Muster zurück.“ (Fix, 2008, S. 105) Der Komplexität des Interpretierens und des Deutens literarischer Textelemente wird hier nur bedingt Rechnung getragen. 144 Fix (2008), S 103 145 Fritzsche, Joachim: Zur Didaktik und Methodik des Deutschunterrichts. Band 2: Schrift‐ liches Arbeiten. Stuttgart: Klett 1994. S. 114 sich bewusst von der traditionellen Erörterung ab.“ 140 Das bedeutet, dass beim materialgestützten Schreiben durch die Materialauswahl und die Situierung in Form der Adressierung und der Zieltextsorte eine wissenschaftspropädeutische Dimension entstehe. 141 Inwiefern sich eine Prozess- und Diskursorientierung aber im Schreibprodukt abbildet, bliebe zu diskutieren. Um eine Systematisierung vorzunehmen, soll zunächst von einer Kategori‐ sierung der Textmuster ausgegangen werden. Während Kühtz das Erörtern als „Formulierungsmuster“ der Wissenschaftssprache anführt, 142 nennt Fix in diesem Zusammenhang das Erzählen, Berichten, Beschreiben und das Argu‐ mentieren. 143 Die Argumentation bildet den Kern der Erörterung, die jedoch „eine Mischform“ darstelle, „die neben argumentierenden auch berichtende und beschreibende Anteile enthalten kann“. 144 Auch Fritzsche subsumiert das Erörtern dem klärenden Schreiben und als Unterkategorie dem Argumentieren und definiert das Erörtern als „schriftliches Nachdenken über Probleme“ 145 ; Ziel der Erörterung sei die Prüfung der eigenen Annahmen. Dabei unterteilt er das Erörtern im Wesentlichen in die zwei Bereiche der Sacherörterung, die einen Sachverhalt von verschiedenen Seiten beleuchtet, und der Problemerörterung, die eine Auseinandersetzung mit gegensätzlichen Auffassungen darstellt. Der Besinnungsaufsatz - oder die freie Erörterung - als Sonderform hat einen hohen subjektiven Anteil und im Gegensatz zur dialektischen Erörterung keine feste Form, der die Schreibenden zu folgen haben. Dass sich der Besinnungsaufsatz trotz seiner langen Tradition nicht durchgesetzt hat, liegt an dem Fehlen einer inhaltlichen Tiefe aufgrund mangelnden Fachwissens. Außerdem hat 57 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 146 Fritzsche (1994), S. 121 147 Siehe dazu auch Fritzsche (1994), S. 121 ff. 148 Baurmann, Jürgen; Ludwig, Otto: Die Erörterung - oder: ein Problem schreibend erörtern. Versuch einer Neubestimmung. Praxis Deutsch 99 (1990). S. 16-25. S. 17 149 BS MSA (2004), S. 20 150 BS MSA (2004), S. 21 die Nähe von der reflexiven Besinnung zur beeinflussbaren Gesinnung in unterschiedlichen geschichtlichen Epochen zu einer Instrumentalisierung und zu einem Missbrauch beispielsweise zu völkisch-nationalen Zielen geführt. Problematisch am Besinnungsaufsatz aber bewertet Fritzsche vor allem, dass die Schüler: innen im Rahmen der vorzunehmenden Positionierung in der Regel die sanktioniert geglaubte Meinung der bewertenden Lehrerkraft mitdenken. Soll sich beispielsweise im Rahmen einer Erörterung entschieden werden, ob Drogen oder Waffen legalisiert werden sollen, so denken die Schreibenden in der Regel die Erwartungshaltung der Lesenden mit; dadurch erziehe die freie Erörterung zur „Heuchelei“ 146 . An dieser Stelle deutet sich an, wie wichtig die Materialauswahl im Rahmen von Erörterungen und materialgestützten Schreibaufgaben ist: Die Materialien müssen unterschiedliche Positionierungen erlauben und auch glaubhaft erscheinen lassen. Dass die freie Erörterung jedoch im Gegensatz zu ihrer textgebundenen Variante ein größeres Maß an formaler Varianz aufweist und damit den Schreibenden mehr Freiraum gelassen wird, wiegt die angeführten Kritikpunkte nicht auf. Wenn Baurmann und Ludwig die Erörterung als die älteste Aufsatzform bezeichnen und sie in einer rhetorischen Tradition sehen, 147 dann wird implizit von der freien Erörterung ausgegangen. Die Autoren verweisen auf die Paral‐ lelität im Aufbau, die mit einer „Monopolisierung einer bestimmten Form“ 148 verbunden ist, der Abfolge von thesis - confutatio - refutatio - conclusio. Um die verschiedenen Formen der Erörterung, die didaktischen Prinzipien einer unter‐ richtlichen Umsetzung sowie die curricularen Fragen einer Implementierung einschätzen zu können, soll kurz erläutert werden, wie die Erörterung in der Mittelstufe eingeführt wird. In den Bildungsstandards Deutsch für den Mittleren Bildungsabschluss von 2004 (BS MSA) werden folgende, in der Sekundarstufe I einzuführende Schreibformen genannt: „erzählen, informieren, berichten, be‐ schreiben, schildern, appellieren, argumentieren, analysieren/ interpretieren“ 149 . Das Erörtern wird in diesem Zusammenhang nicht explizit angeführt, taucht jedoch im Rahmen der Bearbeitung der Aufgabenarten 150 sowie im Zusammen‐ hang der Konkretisierung der Aufgabenarten der Abschlussprüfung auf. So sollen Schüler: innen „von einer Textgrundlage ausgehend, informieren, argu‐ 58 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 151 BS MSA (2004), S. 22 152 „Erörtern Sie abschließend, welche Chancen Kommunikation mit modernen Medien beinhaltet! “ (BS MSA (2004), S. 35) 153 Nutz, Maximilian (Hg.): deutsch.kompetent 8. Stuttgart: Klett 2014. S. 38 154 Nutz (2014), S. 50 155 Nutz (2014), S. 39 mentieren, erörtern“ sowie eine „Problemstellung erörtern“. 151 Beim Mittleren Schulabschluss kommt demnach neben der textgebundenen Erörterung auch die freie, von einem Ausgangstext unabhängige Erörterung vor. Vergleicht man die Schreibaufgaben der beiden Bildungsabschlüsse, so ist neben einer Zunahme an Komplexität vor allem ein Schwerpunkt auf dem lektüregestützten Schreiben zu beobachten. Diese Progression von der freien zur textgebundenen Erörterung wird auch im Rahmen einer Beispielsaufgabe für den Mittleren Schulabschluss deutlich, die sich auf einen pragmatischen Text bezieht. Nach der Textwiedergabe wird als Alternative zu einer gestalterischen Teilaufgabe das Verfassen einer Erörterung eines Teilaspektes des Themas gefordert. 152 Eine Konzentration dieses Kapitels auf die textgebundene Erörterung bietet sich aus verschiedenen Gründen an: Zum einen beschränken sich die Ausfüh‐ rungen auf die Oberstufe, in der die freie Erörterung keine wesentliche Rolle spielt. Um eine Gegenüberstellung der Erörterung und des materialgestützten Schreibens zu ermöglichen, soll eine Fokussierung auf den Umgang mit Mate‐ rialien stattfinden. Des Weiteren finden auch in der Mittelstufe in der Regel materialgestützte Erörterungen statt: So wird in dem kompetenzorientierten Lehrwerk deutsch.kompetent 8 die Erörterung am Thema Schutz durch Kontrolle eingeführt. Im Rahmen einer Kompetenzübersicht wird davon ausgegangen, dass die Schüler: innen bereits folgende Kompetenzen besitzen: „aus Texten den Standpunkt des Verfassers erschließen“, „verschiedene Textarten nutzen, um Adressaten zu überzeugen“, „zu einem strittigen Thema sprachlich angemessen und überzeugend argumentieren“ 153 . Der Kompetenzzuwachs innerhalb der Unterrichtseinheit besteht in der Verschriftlichung („Probleme und Sachver‐ halte schriftlich erörtern“) und der expliziten Nutzbarmachung der Materialien beim Argumentieren. So erhalten die Schüler: innen unterschiedliche Sachtexte sowie Beispieltexte, um mit „Unterstützung von Materialien Adressaten zu überzeugen“ 154 . Im Kontext der Einführung des materialgestützten Schreibens und einer möglichen curricularen Verortung ist die eindeutige Nennung von Adressat: innen sowie die Formulierung „materialgestützt einen eigenen Stand‐ punkt erarbeiten“ 155 von besonderem Interesse. Deutschbuch 8 hingegen führt nicht explizit die Erörterung ein, leitet jedoch im Rahmen der Thematik „Ich esse 59 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 156 Schurf, Bernd; Wagner, Andrea (Hgg.): Deutschbuch. Sprach- und Lesebuch 8. Berlin: Cornelsen 2007. S. 31 ff. 157 Ewald-Spiller, Ulla et al.: deutschideen. Sprach- und Lesebuch. 8. Jahrgangsstufe. Braunschweig: Schroedel: 2012. S. 36 158 Siehe hierzu Mückel, Wenke: Mündliches und schriftliches Argumentieren. In: Deutsch‐ unterricht 4/ 2016. S. 4-8. S. 6 159 Brinker (2010), S. 56 ff. 160 Baurmann, Ludwig (1990), S. 20 ff. 161 Der im dritten empirischen Teil dieser Arbeit für die Beobachtungsstufe (siehe Kapitel III.5) gelegte Schwerpunkt auf dem literarischen Essay fokussiert auf die Auseinander‐ was ich will“ 156 das Argumentieren und Stellungnehmen auf Sachtextbasis an. Das Lehrwerk deutschideen8 nimmt anhand des Themas „Schöne neue Medien‐ welt“ eine Progression vom mündlichen zum schriftlichen Argumentieren vor und definiert: „Eine schriftliche Argumentation nennt man auch Erörterung.“ 157 Die Materialgrundlage beschränkt sich jedoch auf die Zurverfügungstellung einer Rezension. Es deutet sich demnach auch in den Lehrwerken für die Mittelstufe an, dass das materialgestützte Schreiben im Kontext der Erörterung eingeführt wird. Dies erscheint nicht nur im Hinblick auf den argumentierenden Schwerpunkt sinnvoll und plausibel. Im Zusammenhang der Materialauswahl ist die Stoffgrundlage näher zu be‐ leuchten; sie kann nach Mückel textgebunden, literarisch oder frei sein. 158 Auch an dieser Stelle deuten sich Schwierigkeiten an, wenn nicht wie in den Bildungs‐ standards zwischen literarischen und pragmatischen Texten unterschieden wird, sondern zwischen Text und Literatur. Aber auch die Bildungsstandards bleiben hier indifferent: Wird im Rahmen der Erörterung literarischer Texte auf die „argumentative Auseinandersetzung mit dem literarischen Text“ ver‐ wiesen, so wird im Zusammenhang einer Erörterung pragmatischer Texte auf die „argumentative Auseinandersetzung mit Problemgehalten pragmatischer Texte“ [Hervorhebungen durch die Verfasserin] abgehoben. Der Plural deutet darauf hin, dass nicht nur mehr Texte bzw. Textausschnitte zur Verfügung gestellt werden, sondern dass eine weniger intensive, hermeneutisch orientierte Textrezeption erfolgen müsse. Betrachtet man die Themenentfaltung der zu verfassenden Texte, so unter‐ scheidet Brinker die deskriptive von der narrativen, der explikativen und der argumentativen Themenentfaltung. 159 Darauf aufbauend unterscheiden Baur‐ mann und Ludwig verschiedene Stufen einer argumentativen Auseinanderset‐ zung und Entfaltung der zu erörternden Themen: Die deskriptiv-aufzeigende, die narrativ-exemplifizierende und die argumentativ-ableitende Erörterung. 160 In ihren Überlegungen zu einer curricularen Verortung des Erörterns führen sie für die Orientierungsstufe das erzählende Erörtern an. 161 „Mit „argumen‐ 60 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens setzung mit einem literarischen Text und die persönliche Bedeutsamkeit der Figur für die Leser: innen. Dieser Schwerpunkt kann im Sinne Baurmanns und Ludwigs als nar‐ rativer gesehen werden. Dies betrifft die Texte, die als Grundlage des materialgestützten Schreibens dienen, ebenso wie die Entfaltung der Gedanken, die explizit erzählende Anteile haben. 162 Baurmann, Ludwig (1990), S. 23 163 Abraham, Ulf: Lesarten - Schreibarten. Formen der Wiedergabe und Besprechung literarischer Texte. Stuttgart: Klett 1994. S. 19 164 Mückel (2016), S. 6 ff. 165 Friedrich, Bodo: Informationen zur Durchsicht und Korrektur der Lehrpläne für den Muttersprachunterricht der Klassen 5-10. In: Deutschunterricht 41 (1988), Heft 4. S. 149-153. S. 152 166 Friedrich (1988), S. 152 167 Merz-Grötsch (2016), S. 205 tativ-ableitenden Erörterungen“ können wir erst gegen Ende der Sekundarstufe I rechnen.“ 162 Dass diese Abfolge und der sich daraus entwickelte Lehrgang „vom ‚Subjektiven‘ zum ‚Objektiven‘ - was immer man darunter versteht -, von der erzählend-schildernden Nähe zur beschreibend-besprechenden Distanz, vom fantasiebetonten Fabulieren zum erörternden Diskurs“ 163 durchaus kritisch bewertet werden kann und keine entwicklungspsychologische Notwendigkeit darstellt, betont in diesem Kontext Abraham. Während Fritzsche das Erörtern dem Argumentieren unterordnet - dieser Position folgt auch Mückel 164 - scheinen Baurmann und Ludwig den argumen‐ tierenden Anteil des Erörterns als eine Weiterentwicklung zu betrachten. Eine Akzentuierung nimmt in diesem Zusammenhang Friedrich vor, wenn er das Argumentieren dem Problemerörtern gegenüberstellt. Für Friedrich hat das Argumentieren eine vorrangig kommunikative Funktion, da es die Intentionen verfolgt, zu aktivieren und zu überzeugen. 165 Die Problemerörterung hingegen hebe drauf ab zu klären und ist deshalb vorrangig kognitiv. „Da Argumenta‐ tionen auf Partner bezogen, folglich von ihnen in ihrer Wirksamkeit abhängig sind, spielt die Berücksichtigung der Partnerperspektive eine ebenso wichtige Rolle wie die deutliche Formulierung des eigenen Standpunktes und dessen Begründung.“ 166 Wie terminologisch uneinheitlich eine Abgrenzung zwischen dem Argumentieren und Erörtern ist, zeigt die Definition von Merz-Grötsch: „Haben wir es beim Argumentieren in der bisher dargestellten Weise mit der Grundform des Begründens und des Belegens einer These zu tun, so kommen wir in dem Moment, wo wenigstens zwei Personen in einer Auseinandersetzung ihre Argumentationen gegeneinander vortragen, zu einer Erörterung.“ 167 Abgesehen von der Themenentfaltung spielt beim Erörtern die Gestaltung und damit der Aufbau eine entscheidende Rolle: So kann letzterer linear entfaltend oder dialektisch sein. Jesch führt weitere Formen der Argumen‐ 61 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 168 Jesch, Tatjana: Textverstehen. In: Christine Garbe, Karl Holle, Tatjana Jesch (Hgg.): Texte lesen. Lesekompetenz - Textverstehen - Lesedidaktik - Lesesozialisation. Pader‐ born: Verlag Ferdinand Schöningh 2010. S. 94 169 Siehe dazu Kapitel II.3 sowie die Ergebnisse der empirischen Untersuchung in III.3. Die Komplexität zeigt sich u. a., wenn Schüler: innen erstmals im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben einen Kommentar verfassen sollen und häufig noch auf die Ich-Form zurückgreifen. 170 Fritzsche (1994), S. 117 171 Baurmann, Ludwig (1990), S. 20 172 BS AHR (2012), S. 17 173 BS AHR (2012), S. 24 tationsgestaltung an. So könne eine Argumentation einfach oder komplex, einsträngig oder mehrsträngig, konvergent oder kontrovers sein. 168 In der schulischen Praxis aber hat sich im Wesentlichen die dialektische Erörterung durchgesetzt, die - angelehnt an die rhetorische Tradition - auf das Anführen von Argumenten und antizipierten Gegenargumenten fokussiert. Dies stellt für Baurmann und Ludwig eine Reduktion dar, die sowohl die Form als auch die zu erörternden Themen betrifft. Diese Problematik zeigt sich, wenn man das Ver‐ fassen eines Kommentars als Zieltext betrachtet. Dieser fordert im Kern von den Schreibenden eine argumentative Auseinandersetzung, gleichzeitig aber eine journalistisch-essayistische Umsetzung, die eine höhere Sprachvariabilität und eine größeres Musterwissen 169 nötig macht als das Verfassen einer Erörterung. Ähnliche Abgrenzungsschwierigkeiten treten bei der Zieltextsorte des Essays auf. Auch hier lässt sich eine Nähe zwischen dem Erörtern und dem materi‐ algestützten Schreiben beobachten: Sowohl Fritzsche 170 als auch Baurmann und Ludwig subsumieren den Essay dem Erörtern: „Der literarische Essay ist eine weitere Form, eine Sache zu erörtern.“ 171 Im Rahmen der BS AHR wird der Essay sowohl dem gestalterischen Schreiben zugeordnet 172 als auch als Textsorte verstanden, die im Rahmen der Abiturprüfung verfasst werden kann: „z. B. Erörterung, Interpretation, Rezension, Lexikonartikel, Essay“ 173 . Aufgrund der unmittelbar zuvor angeführten Aufgabenarten der Interpretation, Analyse, Erörterung und des materialgestützten Schreibens liegt es nahe, dass der Essay in den Bildungsstandards als Textsorte des materialgestützten Schreibens verstanden werden kann. Sprachhandlungen des Erörterns Neben den zu erstellenden Textsorten, der Themenentfaltung und dem Aufbau sind die der Aufgabenart zugrundeliegenden Sprachhandlungen von beson‐ derem Interesse. Aufgrund des hybriden Charakters der Aufsatzform der Erörte‐ rung soll an dieser Stelle eine Konzentration auf das Argumentieren stattfinden; 62 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 174 Siehe Kapitel I.3. 1. 175 Feilke, Helmuth: Argumente für eine Didaktik der Textprozeduren. In: Thomas Bach‐ mann, Helmuth Feilke (Hgg.): Werkzeuge des Schreibens. Beiträge zu einer Didaktik der Textprozeduren. Stuttgart: Klett 2014. S. 11-34. S. 26 176 Siehe hierzu u. a. Fritzsche (1994), S. 33 sowie Feilke, Rezat (2019), S. 9 ff. 177 BS AHR (2012), S. 56 178 BS AHR (2012), S. 95 179 Mückel (2016), S. 5 180 Mückel (2016), S. 5 das Interpretieren und Analysieren 174 sowie das Berichten und Erklären werden an dieser Stelle vernachlässigt. Im Rahmen des Argumentierens führt Feilke folgende Handlungsschemata an: „Positionieren“, „Begründen & Schließen“, „Konzedieren“ und „Modalisieren“ 175 . Diese Sprachhandlungen beinhalten so‐ wohl die Anforderungen der Reflexion als auch der Analyse und der Repräsen‐ tation. 176 Betrachtet man die illustrierenden Prüfungsaufgaben der BS AHR zum Erörtern, so werden diese Handlungsschemata nur zum Teil aufgenommen. So soll im Rahmen der Erörterung literarischer Texte der Interpretationsansatz des Regisseurs Michael Thalheimer erörtert werden, indem zwei Teilaufgaben in einem „strukturierten zusammenhängenden Text“ 177 bearbeitet werden: Die Darstellung der Thesen des Regisseurs - also eine Textwiedergabe - und die Überprüfung der Thesen. Das explizite Anführen einer eigenen Meinung wird nicht gefordert, ein dialogischer Charakter ist in der Aufgabe nicht angelegt. Betrachtet man die Beispielsaufgaben zur Erörterung pragmatischer Texte zum Thema Sprachwandel, so wird der Operator des Erörterns in folgende Teilaufgaben und damit auch Anforderungsbereiche unterteilt: „Arbeiten Sie die wichtigsten Argumente“ der Textvorlage heraus und „vergleichen Sie ihre zen‐ trale Position zum Sprachwandel“ 178 . In der zweiten Teilaufgabe wird gefordert: „Überprüfen Sie die Stichhaltigkeit der vorgestellten Positionen“, um zuletzt den eigenen Standpunkt begründet darzustellen. Während das Begründen und Positionieren in dieser Aufgabe explizit eingefordert wird, sind die Handlungen des Konzedierens und Modalisierens nicht gesondert angeführt. Die Erörterung eines literarischen Textes enthält im angeführten Beispiel einen nur schwer zu decodierenden argumentativen Kern. Steht die Argumentationsfähigkeit im Zentrum, dann führt Mückel folgende Dimensionen an: „tiefes Sachverständnis, Verfügbarkeit adäquater sprachlicher Ausdrucksmittel, Kooperationsfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit“ 179 . Für das schriftliche Argumentieren werden dann „Dialogizität und virtuelle Inter‐ aktion, sachverhalts- und personenbezogene Mehrperspektivität und sprachlich sowie kognitiv komplexe Argumentationsführung“ 180 zentral. Auch für Stein‐ seifer ist Argumentieren immer ein dialogischer Akt, eine Auseinandersetzung 63 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 181 Steinseifer, Martin: Vom Referieren zum Argumentieren: Didaktische Modellierung von Textprozeduren der Redewiedergabe und Reformulierung. In: Thomas Bachmann, Helmuth Feilke (Hgg.): Werkzeuge des Schreibens. Beiträge zu einer Didaktik der Textprozeduren. Stuttgart: Klett 2014. S. 199-221. S. 203 182 Steinseifer (2014), S. 204 183 Fritzsche (1994), S. 120 184 Pohl, Thorsten: Schriftliches Argumentieren. In: Helmuth Feilke, Thorsten Pohl (Hgg.): Deutschunterricht in Theorie und Praxis. Schriftlicher Sprachgebrauch - Texte ver‐ fassen. Band 4. Baltmannsweiler: Schneider 2014. S. 287-315. 185 Pohl (2014), S. 290 mit den verschiedenen Positionen, die im Rahmen einer Debatte vertreten werden. Bei der Verschriftlichung dieser Argumentation - sei es im Rahmen einer Erörterung oder einer materialgestützten Schreibaufgabe - jedoch erweist es sich als schwierig, da „der Dialog in der Distanzkommunikation eine virtuelle Form annimmt“ 181 und damit immer indirekt erfolgt. Während beim material‐ gestützten Schreiben diese Problematik aufgegriffen wird, indem der zu verfas‐ sende Zieltext nicht nur situiert, sondern an konkrete Adressat: innen gerichtet wird, bleibt die Schwierigkeit beim Erörtern erhalten, da die Adressat: innen sich „im Hintergrund“ 182 bewegen. Die Schreibenden müssen demnach diesen Dialog und einen potentiellen Dialogpartner mitdenken und die in den Materialien enthaltenen Positionen nicht nur im Rahmen einer eigenen Positionierung entschlüsseln, sondern in einer argumentativen Auseinandersetzung mit dem gedachten Gegenüber auch sichtbar machen. Es gilt demnach im Rahmen einer Argumentation - neben der Vermittlung von Denkmustern -, sich auf eine: n Partner: in zu beziehen und diese: n zu überzeugen. Die Plausibilität der Argumente wird jeweils mit den angenommenen und vorgestellten Leser: innen geklärt. Dadurch liegt beim Erörtern eine „Fiktion eines Lesers (bzw. einer Leserschaft)“ 183 vor, die im Rahmen materialgestützter Aufgabenformate durch das Anführen der Adressat: innen und einer kommunikativen Situation abge‐ schwächt wird. Auch Pohl weist in seinem Beitrag Schriftliches Argumentieren darauf hin, dass der Charakter der Argumentation dialogisch sei. Obwohl dies bereits in 1980er Jahren postuliert wurde, liege bis heute keine ausgearbeitete linguisti‐ sche Theorie dazu vor. 184 Die Grundannahme besteht darin, dass Argumentieren immer ein Gegenüber impliziere, dem der eigene Standpunkt sowie die strittige Thematik erläutert wird. „Ohne das Einwirken eines - realen oder fiktiven - Dialogpartners besteht für den Sprechenden (oder Schreibenden) in der Regel keine Motivation, einen Wechsel der kommunikativen Ebene vorzunehmen: Sich selber über die eigenen Beweggründe zu belehren, ist unnötig“ 185 . Das Argumentieren enthält demnach immer dialogische Sprachhandlungen, wie 64 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 186 Pohl (2014), S. 294 187 Pohl (2014), S. 300 188 Pohl (2014), S. 306 189 Pohl (2014), S. 308 190 Feilke, Helmuth: Bildungssprachliche Kompetenzen - fördern und entwickeln. In: Praxis Deutsch 233 (2012). S. 4-13. (= 2012a) S. 5 191 Fritzsche (1994), S. 127 das „Zustimmen, Bestreiten, Nachfragen, Problematisieren, Zurückweisen“ 186 . Gerade aber in der Erörterung sei für Pohl das dialogische Moment unterre‐ präsentiert. Dies treffe in besonderem Maße für die freie Erörterung zu, da hier ein heuristisches bzw. kreatives Argumentieren vorliege, das nur bedingt persuasive Punktionen beinhalte. Das Fehlen eines dialogischen Charakters in der Erörterung mache sich für Pohl vor allem in dem Umstand bemerkbar, dass im Rahmen dieser Aufsatzform gefordert wird, Gegenargumente zu antizipieren sowie eine Meinungsverschie‐ denheit anzuführen, die eventuell für die Schreibenden gar nicht besteht. Daraus resultiert, dass die Teilhandlungen des Argumentierens nicht nur „fingiert werden, sondern darüber hinaus fiktiv sind“ 187 . Dass diese Beobachtung im Wesentlichen auf die dialektische Erörterung zutrifft und weniger beispiels‐ weise auf die literarische Erörterung, ist auch dem Umstand der Hybridität des Aufgabenformats geschuldet. Einen Ausweg aus der Problematik sieht Pohl im kooperativen Schreiben 188 sowie in einer expliziten „Hinwendung zur Instanz des Adressaten“ 189 . In diesem Kontext kann das materialgestützte Schreiben durchaus in einer Entwicklungslinie gesehen werden, die von der freien zur textgebundenen Erörterung ausgeht und die im letzten Schritt die Adressierung und die Situierung und damit ein dialogisches Schreiben in den Blick nimmt. Fasst man die Probleme im Zusammenhang mit der Aufsatzform sowie dem Operator zusammen, so bewegen sich diese auf verschiedenen Ebenen: Ähnlich wie das Interpretieren findet auch das Erörtern in der Lebenswelt keine Entspre‐ chung und kann daher als „didaktische Gattung“ 190 bezeichnet werden. Daraus resultiert, dass die Aufgabenstellungen unnatürlich sind, „abstrakte Übungen ohne Handlungszusammenhang“ 191 . Aus dieser Beobachtung leitet Fritzsche das Plädoyer ab, die Themen der Erörterung an die Themen des Literaturunterrichts zu koppeln - eine Forderung, die sich auch auf materialgestützte Schreibauf‐ gaben übertragen lässt. Sowohl ein wenig ausgeprägter Lebensweltbezug, eine fehlende Anbindung an unterrichtliche Inhalte und damit die Abwesenheit von thematischem Wissen bei den Schreibenden als auch der vorgegebene, eher monologische als dialogisch angelegte Rahmen sorgen für eine unscharfe, an Abgrenzung und inhaltlich-argumentativer Tiefe krankenden Schreibform. „Die 65 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 192 Fritzsche (1994), S. 116 193 Baurmann, Ludwig (1990), S. 19 194 Baurmann, Ludwig (1990), S. 23 195 Baurmann, Ludwig (1990), S. 24 schulische Praxis des Erörterungsaufsatzes fördert also nicht selten Oberfläch‐ lichkeit, Leichtfertigkeit und phrasenhafte Geschwätzigkeit. Das Vorlegen von Texten, zu denen Schüler Stellung nehmen sollen, verhindert das nicht, sondern verstärkt noch den Zeitdruck.“ 192 Auf das Problem der Abgrenzung der Formen ist bereits mehrfach verwiesen worden. Die Hybridität der Schreibform hat aber nicht dazu geführt, dass sich eine Variabilität in den Verwirklichungsformen ausgebildet hat. Baurmann und Ludwig kritisieren in ihrem Basisartikel in Praxis Deutsch in diesem Zusammenhang vielmehr, dass dies zu einer Reduktion auf unterschiedlichen Ebenen geführt habe. So finde eine Fokussierung auf Wertefragen statt, die eine Eingrenzung bedeute. Weiterhin sei es problematisch, dass es - im Sinne der thesis - um ein allgemeines Problem gehen solle. Dies aber widerspreche dem Lernen der Kinder, das sich an konkreten Fragen orientiert. Weiterhin erachten die Autoren es als eine Reduktion, dass im Erörterungsaufsatz alle subjektiven Bezüge entfernt werden: „Die Ausmerzung aller subjektiven Züge des schreibenden Individuums, die Vernachlässigung jeglichen Leserbezugs sowie die ausschließliche Konzentration auf das zu erörternde Problem haben zu einer Verarmung dieser Aufsatzform geführt, die es aufzuheben gilt.“ 193 Das Anführen von Gegenargumenten beim dialektischen Erörtern führe zudem zu einem geringen Wirklichkeitsbezug der Aufsatzform. Baurmann und Ludwig plädieren hingegen dafür, die Muster der Argumen‐ tation als „Suchformen“ 194 zu gebrauchen, die helfen, die eigenen Gedanken zu ordnen. Die Aufsätze selbst aber sollen dialogisch und Ausdruck der eigenen Gedanken und Haltung zu dem Thema sein. Ob diese Stufe allerdings während der Schulzeit erreicht werden könne, bezweifeln die Autoren. 195 Damit aber wird das Erörtern eher als Lernmedium verstanden, das es den Schreibenden ermög‐ licht, sich über einen Sachverhalt Klarheit zu verschaffen und einen eigenen Standpunkt einzunehmen, denn als eine Aufsatzform. Dieser Forderung weiter‐ denkend kann das materialgestützte Schreiben, das explizit Adressat: innen - und damit den dialogischen Charakter - aufnimmt und einen lebensweltlichen Zieltext anführt, als Weiterentwicklung der Erörterung verstanden werden. Schüler: innen müssen explizit einen eigenen Standpunkt einnehmen, sich von anderen Meinungen abgrenzen und die Positionierung in einem Zieltext darlegen. Dass diese Ansätze bereits im Erörtern angelegt sind, deutet Fritzsches Einschätzung an, wenn er erläutert, in welchem Zusammenhang das Erörtern 66 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 196 Fritzsche (1994), S. 128 197 In der Fachdidaktik herrscht eine uneinheitliche Terminologie vor: So spricht Spinner beispielsweise von produktiven Verfahren, Waldmann vom produktiven Umgang mit Literatur und Haas vom handlungs- und produktionsorientieren Literaturunterricht. Aus Übersichtsgründen soll vom handlungs- und produktionsorientierten Literaturun‐ terricht gesprochen werden, der mit HPU abgekürzt wird. 198 Abraham, Ulf: Geschichte schulischen Schreibens. In: Helmuth Feilke (Hg.): Schriftli‐ cher Sprachgebrauch - Texte verfassen. Baltmannsweiler: Schneider 2014. S. 3-30. S. 16 199 Belgrad, Jürgen: Analytische, ästhetische und mimetische Qualitäten. Kategorien einer Didaktik des Literaturunterrichts. In: Jürgen Belgrad, Hartmut Melenk (Hgg.): Litera‐ risches Verstehen - Literarisches Schreiben: Positionen und Modelle zur Literaturdi‐ daktik. Baltmannsweiler: Schneider 1996. S. 83-98. S. 86 200 Siehe: Haas, Gerhard; Menzel, Wolfgang; Kaspar H. Spinner: Handlungs- und produk‐ tionsorientierter Literaturunterricht. Praxis Deutsch 123 (1994). S. 17-25. S. 17 erfolgt, nämlich in „Rede, Plädoyers, Streitschriften, Gutachten, Rezensionen, Kommentaren, (Leser)Briefen u. ä.“ 196 Die Ähnlichkeit der Zieltextsorten mit denen des materialgestützten Schreibens ist augenfällig. Werden aber variable Textsorten mit Lebensweltbezug berücksichtigt, dann steigen mit den Chancen auch die Anforderungen und es ist in diesem Sinne mit Baurmann und Ludwig kritisch zu fragen, ob dies von Schülerinnen und Schülern zu leisten ist. Eine Antwort auf diese Fragen soll im Rahmen der empirischen Untersuchungen - siehe Kapitel III. 2 und III.3 - angebahnt werden. I.3.3 Handlungs- und Produktionsorientierung (HPU) Im Rahmen der Darstellung der Geschichte des deutschen Aufsatzes wurde auf die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende Trennung von einer ästhetischen Auseinandersetzung mit Literatur und der Stilistik sowie der damit verbundenen eigenständigen Textproduktion eingegangen. Der in den 1980er Jahren aufkommende handlungs- und produktionsorientierte Literatur‐ unterricht 197 kann in diesem Kontext als eine „Revision“ 198 verstanden werden, der diese Trennung aufzuheben sucht. Ziel ist es, die ästhetische Dimension der Literatur wieder in den Verstehensprozess zu integrieren. „Literatur gehört einerseits zum diskursiven Symbolsystem, aber aufgrund ihrer ästhetischen Form, der Bilder und der musikalischen bzw. lyrischen Qualität, zugleich zum präsentativen Symbolsystem.“ 199 Das an literarischen Texten angelegte Schreiben, die als Muster bzw. Vorbilder verstanden werden, verfolgt dabei im Wesentlichen die Funktion, die Lust am Lesen 200 sowie die Sprachvariabilität der Schreibenden zu erhöhen und diese dadurch mit literarischen Texten bekannt zu machen und ein literarisches Verstehen anzubahnen. Fingerhut 67 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 201 Fingerhut, Karlheinz: Literaturdidaktik - eine Kulturwissenschaft. In: Jürgen Belgrad, Hartmut Melenk (Hgg.): Literarisches Verstehen - Literarisches Schreiben: Positionen und Modelle zur Literaturdidaktik. Baltmannsweiler: Schneider 1996. S. 50-72. S. 63 202 So führen Haas, Menzel, Spinner in ihrer Übersicht u. a. das Verfassen eines Briefs oder die Herstellung einer Literaturzeitung an (S. 24) an. Waldmann (1998, S. 80 ff.) regt weiterhin zum Schreiben eines Hörspiels oder Programmhefts an. Siehe: Waldmann, Günter: Produktiver Umgang mit Literatur im Unterricht. Band 1. Baltmannsweiler: Schneider 1998. fordert in diesem Zusammenhang „Teilnahmeverfahren“ 201 , die jenseits eines ausschließlichen Interpretierens liegen. Die einzelnen Vertreter des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts teilen trotz ihrer inhaltlichen wie methodischen Differenzen die Einschätzung, dass ein überwiegend analy‐ sierender und interpretierender Deutschunterricht weder den Bedürfnissen der Schüler: innen noch dem Lerngegenstand selber - der Literatur - gerecht wird. Grundfrage der Diskussion zwischen HPU und analytischen Texterschlie‐ ßungsverfahren ist somit das Verhältnis von Textanspruch und Textverstehen. Dieser Aspekt der Autonomie und Literarizität gestaltet sich jedoch immer dann diffizil, wenn der Grad an Unbestimmtheitsstellen der Texte, beispielsweise bei moderner Lyrik oder Prosa, besonders hoch ist. Die Verschiebung vom diskursorientierten zum handlungs- und produktionsorientierten Schreiben soll im Folgenden zunächst literaturwissenschaftlich im Kontext der Rezeptionsäs‐ thetik verortet werden. Im nächsten Schritt werden die Grundgedanken sowie die Kritik am HPU aufgezeigt, um zum Schluss die Überschneidungen zum Format des materialgestützten Schreibens zu analysieren. Das materialgestützte Schreiben im Kontext eines Aufgabenformates zu betrachten, in dessen Zentrum die Auseinandersetzung mit literarischen Texten steht, mag zunächst abwegig erscheinen, zumal beim handlungs- und produk‐ tionsorientierten Literaturunterricht in der Regel nur mit einem literarischen Text gearbeitet wird. Das Schreiben zu und mit diesem Text dient dem Ver‐ ständnis und der Konfrontation mit seiner Literarizität und Autoreferenzialität. Gemeinsam haben die beiden Aufgabenformate aber nicht nur einige Zieltexte, beispielsweise den Kommentar, den (Leser-)Brief sowie die Rezension. 202 Ge‐ meinsam ist ihnen zudem das Fördern einer Sprachvarianz durch das Verfassen unterschiedlicher Texte sowie das Entwickeln einer eigenen Haltung gegenüber dem Gegenstand, zu dem ein Text bzw. ein Textausschnitt geschrieben wird: Durch die Produktion eines inneren Monologs beispielsweise oder durch die Modernisierung einer Textpassage nimmt der Leser bzw. die Leserin eine Haltung gegenüber der literarischen Vorlage ein, die sich im Zieltext artikuliert. Im Rahmen einer materialgestützten Schreibaufgabe muss sich der Schreibende 68 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 203 Abraham, Ulf: Lesarten - Schreibarten. Formen der Wiedergabe und Besprechung literarischer Texte. Stuttgart: Klett 1994. S. 18 204 Siehe Haas, Menzel, Spinner (1994), S. 18 205 Siehe Kapitel I.3. 1. 206 Siehe hierzu den Ansatz von Lessing-Sattari. Lessing-Sattari, Marie (2015): Hermeneuti‐ scher Zirkel reloaded: Perspektiven der Problemlöseforschung auf die Frage der Model‐ lierung und Vermittelbarkeit von Interpretationsprozessen. In: Marie Lessing-Sattari, Maike Löhden, Almuth Meissner, Dorothee Wieser (Hgg.): Interpretationskulturen. Literaturdidaktik und Literaturwissenschaft im Dialog über Theorie und Praxis des Interpretierens. Frankfurt am Main: Peter Lang 2015. S. 61-89. S. 61 ff. 207 Abraham (1994), S. 117 ebenso gegenüber dem Thema positionieren und diese Position anhand der ihm zur Verfügung gestellten Materialien adressatenbezogen begründen. Wenn Abraham zwischen affektiven und kognitiven Schreibarten unter‐ scheidet, dann impliziert diese Unterteilung immer auch eine Auseinanderset‐ zung mit Produktions- und Rekonstruktionsprozessen: Lesen stellt ein Nach‐ vollziehen dar, eine Beschäftigung mit dem, was gegeben ist. Daraus resultiert aber für Abraham ein Problem der Authentizität: Bezweifeln will ich etwas ganz anderes [gemeint ist hier die Notwendigkeit des genauen Lesens von Texten und das Schreiben darüber. N. K.]: Daß sich unsere Schüler in dem, was sie über die „geschriebenen Dokumente“ unserer Literatur in der Regel zu Papier bringen, überhaupt noch selber finden - mit ihrem je eigenen Anspruch auf Rekonstruktion von “Authentizität“ zu ihren eigenen Bedingungen. 203 Leidet demnach der analysierende Literaturunterricht an einer Distanzierung der Lesenden von den literarischen Texten und damit an einer mangelnden Involviertheit, so geht es dem HPU und seinen Vertretern darum, dass die Schüler: innen eine eigene Vorstellung gegenüber dem Lerngegenstand entwi‐ ckeln 204 und diese in unterschiedlichen Ausprägungsformen der Produktion artikulieren. Die in der Schule realisierten Schreibformen aber fokussieren im Wesentli‐ chen auf eine Distanzierung: Es dominieren - vor allem in der gymnasialen Oberstufe - die Interpretation mit der Inhaltsangabe und Analyse des literari‐ schen Textes sowie die Erörterung. Im Rahmen des Interpretationskapitels 205 wurde deutlich, dass der Vorgang des Interpretierens selbst eine Suchbewe‐ gung darstellt, die auf die Unmöglichkeit, eine Eindeutigkeit des Verstehens herzustellen, reagiert. Ist aber Interpretieren ein Problemlösen, das zwischen Such- und Prüfprozessen oszilliert, 206 dann ergibt sich daraus für Abraham eine „Distanzierung von den Stimuli und Problemkernen der Literatur“ 207 . Auf die Verarmung der Schreibformen haben im Kontext der Erörterung bereits 69 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 208 Siehe Kapitel I.3. 2. 209 Abraham (1994), S. 121 ff. 210 Abraham (1994), S. 146 211 Abraham (1994), S. 164 212 Waldmann (1998), S. 3-4 Baurmann und Ludwig 208 verwiesen. Soll dieser Verarmung entgegengewirkt werden, so ist es erforderlich, dass neben den diskurs- und kognitionslas‐ tigen Schreibformen, die versuchen, einen objektivierenden Standpunkt einzu‐ nehmen, auch affektorientierte im Unterricht praktiziert werden. Diese Ansätze artikulieren sich sowohl in Waldmanns Phasenmodell als auch in Spinners Vorstellung des Literarischen Lernens; auf beide Ansätze wird im Folgenden noch näher eingegangen. Es geht demnach nicht um eine Abwertung einzelner Schreibformen, sondern um ein Plädoyer für mehr Vielfalt. Abraham verortet die Auseinandersetzung mit und das Schreiben über Lite‐ ratur in diesem Zusammenhang zwischen Konkretisation - das Repräsentieren des Textes z. B. in Form der Nacherzählung - und der erschließenden Interpre‐ tation. Während die Konkretisation überwiegend gerichtet erfolgt, 209 ist die Interpretation hingegen richtend. Das gestaltende Schreiben nimmt in diesem Zusammenhang einen Zwischenbereich ein: Wenn ein Text paraphrasiert wird, die Handlung an einen anderen Ort versetzt oder die Geschichte aus der Perspektive einer anderen Person verfasst wird, dann geht es weder um ein identifikatorisches Nachvollziehen des Textes noch um eine Textanalyse. Dieses „Nach-, Um- oder Neugestalten“ sei eine Art „Übungs- und Stilraum, in dem alles erlaubt ist, was einen Aspekt des Ausgangstextes erhellt“ 210 . Ziel ist es, dass hierdurch die Schüler: innen „schreibend hinein[ge]kommen“ 211 in den Text. Um zu verdeutlichen, was dieses Hineinkommen in einen Text konkret bedeutet und welche Erfordernisse sich daraus für die Lesenden und Schrei‐ benden ergeben, lohnt es sich, Waldmanns Modellskizze einer literarischen Hermeneutik, auf der sein didaktisches Phasenmodell literarischen Verstehens basiert, in den Blick zu nehmen. Grundgedanke ist ein differenztheoretischer Ansatz: Literarische Texte zeichnen sich in formaler und inhaltlicher Hinsicht durch ihre Differenz zur Alltags- und Umgangssprache aus. Die Verschiedenheit entsteht durch den Bezug zur Wirklichkeit und artikuliert sich besonders durch die Phänomene der Vereinfachung, der Verallgemeinerung sowie der Schema‐ tisierung der Alltagssprache. 212 Je weniger Erfahrungen die Leser: innen mit der Autoreferenzialität literarischer Texte haben, die innerhalb der einzelnen Gattungen noch stark differieren, desto größer ist das Gefühl der Fremdheit und Irritation bei der Rezeption, das bis zum Abbruch der Lektüre führen kann. 70 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 213 Waldmann (1998), S. 6 214 „Die Auswirkungen der durch die so genannte Konstanzer Schule begründeten Rezeptionsästhetik auf die Entwicklung des Literaturunterrichts seit den 1980er Jahren kann kaum überschätzt werden. Vor allem das Konzept des handlungs- und produktionsori‐ entierten Literaturunterrichts, das sich in den 1980er und 1990er Jahren durchsetzen konnte, gründet sich in entscheidenden Punkten auf theoretischen Annahmen der Rezeptionsästhetik.“ Kammler, Clemens: Literaturtheorie und Literaturdidaktik. In: Michael Kämper-van den Boogaart, Kaspar H. Spinner (Hgg.): Deutschunterricht in Theorie und Praxis. Lese- und Literaturunterricht. Band 11/ 1. Baltmannsweiler: Schneider 2010. S. 201-237. S. 221 215 Siehe Haas, Menzel, Spinner (1994), S. 18 216 Iser, Wolfgang: Der implizite Leser. München: Wilhelm Fink 1972. S 7 217 Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens. München: Wilhelm Fink 1994. S. 283 218 Iser (1972), S. 9 219 Siehe Waldmann (1998), S. 14 ff. Literarisches Verstehen ist für Waldmann die Wahrnehmung der „Differenzen zu Alltags- und Gebrauchstexten sowie zur realen Wirklichkeit“ 213 , der Produ‐ ziertheit und Intertextualität literarischer Texte. Dabei existieren zum einen Außendifferenzen zu Sachtexten, aber auch Binnendifferenzen, die die produkti‐ onsästhetischen Entscheidungen der Schriftsteller: innen und damit formale und inhaltliche Entscheidungen markieren, beispielsweise für einen Erzählertyp, ein Reimschema oder eine Raumkonstellation. In diesem Zusammenhang übernimmt die Rezeptionsästhetik eine entscheidende Rolle. Auf die Bedeutung der Rezeptionsästhetik für den handlungs- und produktionsorientierten Literaturunter‐ richt haben u. a. Kammler 214 sowie Haas, Menzel und Spinner 215 verwiesen. Literarisches Verstehen bedeutet demnach nicht nur ein Nachvollziehen der Differenzen und damit der Produziertheit des literarischen Textes, sondern auch eine Zuweisung von Bedeutung, „in der die Sinnkonstitution des Textes zu einer unverkennbaren Aktivität des Lesers wird.“ 216 Wenn Iser konstatiert, dass Fiktion und Welt nicht identisch sind, dann resultiert für ihn daraus eine Kom‐ munikation zwischen Text und Leser: in: „Die mangelnde Deckung manifestiert sich in Unbestimmtheitsgraden, die zunächst weniger solche des Textes als vielmehr solche der im Lesen hergestellten Beziehung von Text und Leser sind. Unbestimmtheitsgrade dieser Art funktionieren als Kommunikationsantriebe und bedingen die ‚Formulierung’ des Textes durch den Leser.“ 217 Der Text enthält einen Aufforderungscharakter, die Tätigkeit des Lesens versteht Iser deshalb als Entdeckung am Text, die automatisch Freiheit impliziere und ein „ästhetisches Vergnügen“ 218 darstelle. Das impliziert: „Sinn ist generell keine Eigenschaft der Dinge“ 219 und damit niemals im Text enthalten; er wird vielmehr von den Lesenden zugewiesen. Für die Vertreter des HPU bedeutet dies, dass sich der 71 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 220 Haas, Menzel, Spinner (1994), S. 18 221 Belgrad (1996), S. 94 222 Ingarden, Roman: Das literarische Kunstwerk. Tübingen: Niemeyer 1965. S. 261 223 „Entsteht Unbestimmtheit aus der Bestimmung fiktionaler Texte, Kommunikation zu sein, dann wird diese Unbestimmtheit - soweit sie im Text ‚lokalisierbar‘ ist - nicht ohne Struktur sein können, zumal sie ihre Funktion durch die dialektische Zuordnung auf die im Text formulierten Bestimmtheiten erhält. Zentrale Strukturen von Unbestimmtheit im Text sind seine Leerstellen.“ (Iser (1994), S. 283) 224 Waldmann (1998), S. 18 225 Waldmann (1998), S. 32 „Umgang mit Texten nur (! ) in einem Eingreifen und einem Dekonstruieren (Aufbrechen) der scheinbaren Geschlossenheit“ 220 artikuliert. Jeder Prozess des Lesens stellt somit einen Eingriff in den Text dar, die Rezeption lässt sich nicht von der Produktion trennen. „Diese spezifische Rezeptionsform ist nicht bloß Re-Produktion (wie es die klassische Hermeneutik unterstellt), auch nicht eigenständige Produktion (wie es die Poststrukturalisten unterstellen), sondern es ist eine durch das Text-Leser-Verhältnis hergestellte Produktion.“ 221 Zentrale Frage des HPU ist demnach, wie eine Produktion der Schüler: innen angeleitet werden kann und wie ein Verhältnis zwischen Text und Leser: in hergestellt wird, das weder Text noch Leser: in absolut setzt und damit die analytische wie die ästhetische Dimension des Textes gleichermaßen berücksichtigt und keine Opposition zwischen analytischen und produktions‐ orientierten Zugängen zum literarischen Text entstehen lässt. Wenn Ingarden im Kontext der Sinnzuweisung von „Unbestimmtheits‐ stellen“ 222 und Iser von „Leerstellen“ 223 spricht, dann beinhalten diese Begriffe trotz ihrer philosophischen und literaturwissenschaftlichen Differenzen die Gemeinsamkeit, dass die Lesenden beim Versuch, den literarischen Text zu verstehen, zu Ko-Produzenten werden. In der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Leerstellen geht es somit weniger um das, was der Text in Bezug auf seine Figuren oder Handlung ausspart, denn um die Rolle der Leser: innen beim Erschließen des Textes. Damit sich diese die fiktive Welt vorstellen können, müssen sie auf der Basis der sich ihm im Text präsentierenden Welt eine Re-Konstruktion vornehmen und die einzelnen Merkmale des Textes zu einem Vorstellungsbild zusammenfügen. Die Leser: innen nehmen für Waldmann in diesen Zusammenhang eine „Sinnaktualisierung“ 224 vor. Daraus resultiert, dass beim Lesen stets eine „imaginative Konkretisation“ 225 stattfindet, da der Text in der Regel keine vollständigen Wahrnehmungsbilder liefere. Verfahren, um diesen Prozess anzuleiten, sind z. B. das Illustrieren von Texten, das Anfertigen einer Rollenbiographie, das Verfassen von Fragen an die Figur, das Antizipieren 72 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 226 Waldmann (1998), S. 73-76 227 Iser (1972), S. 10 228 „Der handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht zielt nicht auf einheit‐ liche Ergebnisse“. (Haas, Menzel, Spinner (1994), S. 19) 229 Siehe hierzu König, Nicola: Dekonstruktive Hermeneutik moderner Prosa. Baltmanns‐ weiler: Schneider 2003. 230 „Der Poststrukturalismus propagiert einen Zugang zu literarischen Texten, der nicht auf den Ausweis der geschlossenen Ganzheit eines literarischen Textes zielt, sondern die Texte als dynamische Gebilde begreift, die durchzogen sind von verschiedenen Bedeutungssträngen, die sich durchaus widersprechen mögen. (…) Ebenso legt die konstruktivistische Literaturtheorie, die in radikaler Weise den Sinn eines Textes als Konstruktion des Lesers betrachtet, einen produktionsorientierten Umgang nahe.“ (Haas, Menzel, Spinner (1994), S. 18) 231 Rupp, Gerhard: Kulturelles Handeln mit Texten. Fallstudien aus dem Schulalltag. Paderborn: Ferdinand Schöningh 1987. S. 91 von Handlungen oder das Beschreiben von Requisiten, die für das Geschehen eine wichtige Rolle spielen. 226 Wenn aber Leser: innen in diesem Sinne zu entdeckenden Ko-Produzent: innen werden, dann müssen sie selber ihre Rolle entdecken: „Damit aber der Leser diese Rolle selber entdeckt, darf ihm der Roman selbst keine zuweisen.“ 227 Ob‐ wohl diese Sinnzuweisung individuell erfolgt, müsse und könne diese besonders aus Sicht der Vertreter des HPU angeleitet werden. Dabei geht es nicht nur um ein Mehr an Lektüreerfahrungen, die die Wahrnehmung verändern, sondern auch um eine aktive und damit produktive Auseinandersetzung mit literarischen Parametern. Das impliziert weniger ein Auflösen der Mehrdeutigkeiten und damit eine Engführung literarischer Aussagen, 228 sondern zunächst das Her‐ stellen einer Beziehung zwischen Text und Leser: in. Dass jedoch nicht nur die Rezeptionsästhetik, sondern auch die Dekonstruktion 229 und die konstruktivis‐ tische Literaturtheorie 230 maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung des HPU gehabt haben, soll stellvertretend anhand der Position Rupps aufgezeigt werden: Nur (! ) wenn durch Dekonstruktion der literarischen Texte und die durch sie gebildeten Bedeutungen wieder elementarisiert werden und die Schüler konkret und materiell durch Eingreiftexte zu Alternativen und zu dem realen semiotischen Reichtum in den literarischen Texten hingeführt werden, ist die Chance gegeben, daß sie sich als ‚Subjekte im kulturellen Bereich‘ (Müller-Michaels) erfahren und verstehen. 231 73 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 232 Bremerich-Vos, Albert: Hermeneutik, Dekonstruktivismus und produktionsorientierte Verfahren. Anmerkungen zu einer Kontroverse in der Literaturdidaktik. In: Jürgen Belgrad, Hartmut Melenk (Hgg.): Literarisches Verstehen - Literarisches Schreiben: Positionen und Modelle zur Literaturdidaktik. Baltmannsweiler: Schneider 1996. S. 25- 49. S. 39 233 Waldmann (1998), S. 26 234 Waldmann (1998), S. 28 235 Siehe: Spinner, Kaspar H. (2006): Literarisches Lernen. In: Praxis Deutsch 200 (2006). S. 6-16. 236 Haas, Gerhard: Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht. Theorie und Praxis eines „anderen“ Literaturunterrichts für die Primar- und Sekundarstufe. Seelze: Kallmeyer 1997. S. 35 Bremerich-Vos hebt in diesem Kontext darauf ab, dass Hermeneutik und De‐ konstruktion insofern eine Schnittmenge bilden, als dass sich der Sinn des literarischen Textes nicht objektivieren lässt. 232 Aus diesen Prämissen leitet Waldmann eine Modellskizze einer literarischen Hermeneutik 233 ab, die das Herstellen eines Bezugs des literarischen Textes auf das Sinnsystem der Leser: innen und damit verbunden die Abgrenzung zu anderen Texten, das Markieren der Literarizität und der Kontextualisierung beinhaltet. Eine so verstandene Hermeneutik stellt die Grundlage eines didak‐ tischen Phasenmodells dar: Vorphase: Spielhafte Einstimmung in literarische Texte 1. Phase: Lesen und Aufnehmen literarischer Texte 2. Phase: Konkretisierende subjektive Aneignung literarischer Texte 3. Phase: Textuelles Erarbeiten literarischer Texte 4. Phase: Textüberschreitende Auseinandersetzung mit literarischen Texten 234 Die Parallelität zu Spinners Ansatz des literarischen Lernens 235 wird hier offen‐ sichtlich: Bevor das spezifisch Fiktionale des jeweiligen Werkes erarbeitet wird - wie die sprachliche Gestaltung, die Figurenkonstellationen oder die metaphori‐ sche Ebene - ist es entscheidend, dass die Leser: innen Vorstellungen vom Ge‐ lesenen entwickeln, genau wahrnehmen und damit subjektiv involviert werden. Waldmanns Modell zeigt die unterschiedlichen Phasen der Auseinandersetzung mit literarischen Texten, denen verschiedene Methoden der aktiven Rezeption und Produktion zugeordnet werden. Deutlich wird, dass sich der handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht in der Pflicht sieht, den Kontakt zwischen Text und Leser: in herzustellen: „Literaturunterricht öffnet zunächst die Tür in die fiktionale Welt der Literatur (…). Literaturunterricht vermittelt Impulse zum intensiven Verweilen im Raum der der Literatur.“ 236 74 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 237 Eine komprimierte Zusammenstellung der Vorwürfe findet sich bei Haas, Menzel, Spinner S. 22 ff. Auch Bremerich-Vos setzt sich in seinem Beitrag mit Küglers Position auseinander. 238 Kügler, Hans: Die bevormundete Literatur. Zur Entwicklung und Kritik der Literatur‐ didaktik. In: Jürgen Belgrad, Hartmut Melenk (Hgg.): Literarisches Verstehen - Lite‐ rarisches Schreiben: Positionen und Modelle zur Literaturdidaktik. Baltmannsweiler: Schneider 1996. S. 10-24. S. 10 239 Kügler (1996), S. 11 240 Kügler (1996), S. 19 I.3.3.1 Zur Kritik am HPU Die Kritik am HPU 237 bewegt sich im Wesentlichen auf zwei Ebenen: Die eine berührt den Textbegriff und den damit verbundenen Autonomiegedanken, die andere den Verstehensprozess und damit die Vermittlungsdimension. Im Zentrum der Kritik Küglers, die in ihrer Folge von zahlreichen Didaktikern moduliert wurde, steht die „Bevormundung“ 238 der Leser: innen durch die Ver‐ fahren des HPU. Kügler wirft der Didaktik im Allgemeinen vor, dass sie sich in der „hermeneutischen Rolle des Dolmetschers“ 239 befinde, die durch ihre Eingriffe ein Verstehen zu ermöglichen versucht, das die Schüler: innen alleine nicht mehr leisten können. Jedes Handeln, und hier hebt Kügler besonders auf die Auseinandersetzung mit dem Unbestimmtheitsstellen ab, führe dazu, dass das Verstehen in Einzelprozesse zergliedert werde. Hier geht es demnach zum einen um den Autonomieanspruch des Textes, zum anderen aber auch um eine „Veräußerlichung der mentalen Leseprozesse im handlungsorientierten Literaturunterricht“ 240 . Zentral ist die Frage, ob durch das produktive Handeln der Schüler: innen mit literarischen Texten die Literarizität noch erhalten bleibe oder ob das Tun nicht vielmehr einen unterhaltsamen methodischen Selbst‐ zweck verfolgt, der die Autonomie und damit den ästhetischen Gehalt des Textes in den Hintergrund drängt. Damit verbunden ist die Frage, in welchem Verhältnis die grundsätzliche Offenheit der Deutung der Rezeptionsästhetik zu den Möglichkeiten des Textverstehens, welches auch die Schriftsteller: innen und den Kontext berücksichtigt, steht. Die Befürworter des HPU heben in diesem Zusammenhang darauf ab, dass produktive Verfahren keinen Ausschließlichkeitscharakter beanspruchen, sondern ein Nebeneinander mit analytischen Verfahren anstreben. Dieser Anspruch artikuliert sich bereits in Spinners terminologischer Abgrenzung, wenn er in seinem Aufsatz Von der Notwendigkeit produktiver Verfahren im Literaturunterricht postuliert: „Dass ich in meinem Aufsatz von produktiven Verfahren und nicht von produktionsorientiertem Literaturunterricht spreche, liegt darin begründet, dass ich die Produktionsorientierung nicht verabsolutiert 75 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 241 Spinner, Kaspar H. (1993): Von der Notwendigkeit produktiver Verfahren im Literatur‐ unterricht. In: Kaspar H. Spinner: Kreativer Deutschunterricht. Identität - Imagination - Kognition. Seelze: Kallmeyer 2001. S. 96-107. S. 96 242 Fritzsche, Joachim; Krempelmann, Anita; Tosun, Claudia; Zaborowski, Katrin: Litera‐ turunterricht kontrastiv. Der handlungs- und produktionsorientierte Literaturunter‐ richt auf dem Prüfstand. Baltmannsweiler: Schneider 2006. S. 11 243 Siehe dazu auch Fingerhut, Karlheinz: Der subjektive Faktor im neuen Literaturunter‐ richt. Einige Überlegungen zum Wertewandel in der Literaturdidaktik. In: Diskussion Deutsch 16/ 1985, Heft 84. S. 349-359. 244 Siehe auch Kügler (1996), S. 12 ff. sehen möchte als alleinige Methode und Zielsetzung des Literaturunterrichts.“ 241 Zum Verhältnis von diskursiven und Verstehensprozessen und handlungs- und produktionsorientierten Zugangsweisen formulieren Fritzsche et al.: Leitend war dabei die Annahme, dass es im Literaturunterricht nicht genügt, nur Vorstellungen zu bilden und Phantasie anzuregen, sondern dass der Unterricht auf das kognitiv-diskursive Verstehen der Texte zielt und dass das gewonnene Verständnis deshalb auch diskursiv (durch Fragen zum Text) ermittelt werden kann. Die Pointe allerdings ist: Der Weg, auf dem das Verständnis gewonnen wird, muss nicht ein dis‐ kursiv-analytisches Unterrichtsgespräch (…) sein, in welchem Urteile und Aussagen getroffen werden, sondern es kann auch ein intuitiv-gestalterischer Umgang mit Texten sein (…), wobei die Texte implizit verstanden werden. 242 Auf das schwierige und bis heute nicht vollständig ausbalancierte Verhältnis von produktiven und kognitiven Texterschließungsverfahrungen, 243 auf die Möglichkeiten, die Ergebnisse eigener produktiver Erfahrungen mit denen einer Analyse abzugleichen, wurde vielfach hingewiesen. Eng mit dieser Problematik ist der Vorwurf verbunden, dass durch die dominante Rolle der Leser: innen, die diese im Rahmen der Rezeptionsästhetik und des handlungs- und produkti‐ onsorientierten Literaturunterrichts einnehmen, der Text und die Autor: innen selbst in den Hintergrund treten. 244 Begreift man Verstehen - auch im Sinne von Waldmanns Phasenmodell - als Annäherung, dann stellen sowohl analytische als auch handlungs- und produktionsorientierte Verfahren Möglichkeiten dar, sich dem Text zu nähern. Dabei geht es weder um Ausschließlichkeit der Verfahren noch um eine festzu‐ legende Aufeinanderfolge. Küglers Kritik an einer Bevormundung der Didaktik im Kontext des Verstehens impliziert jedoch, dass auch ein - analytisches - Ge‐ spräch bzw. ein schriftlich-interpretierender Austausch über Literatur ähnliche Effekte erzeugen. Konsequent zu Ende gedacht bedeutet dies, dass Verstehen im Sinne von etwas, das im Unterricht stattfindet, nicht gelehrt werden und damit kein Unterrichtsgegenstand sein kann. Hier scheint demnach ein allgemeines 76 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 245 Kügler (1996), S. 20 246 Siehe hierzu auch Bremerich-Vos (1996), S. 26 247 Haas, Menzel, Spinner (1994), S. 24 248 Waldmann (1998), S. 62-95 249 Kügler (1996), S. 18 250 In diesem Zusammenhang kann der Ansatz des Literarischen Schreibens (siehe dazu Kapitel I.3. 4) als eine Art Neuanfang verstanden werden, der ca. zwei Jahrzehnte nach der Einführung des HPU versucht, ästhetisches Schreiben zurück in den Deutschunter‐ richt zu holen. Unbehagen an didaktischen Zugriffen im Rahmen einer Auseinandersetzung mit Literatur vorzuliegen, das sich allerdings im Rahmen von HPU potenziert. Wenn Kügler die Verfahren des HPU als „Prothesen für ausbleibendes Textver‐ stehen“ 245 bezeichnet, impliziert dies, dass ein produktives Handeln am Text ein Verstehen voraussetzt. 246 Die Vertreter des HPU hingegen gehen davon aus, dass die Verfahren der Handlungs- und Produktionsorientierung in der Lage sind, das Verstehen anzubahnen. Kügler übersieht in diesem Zusammenhang zwei Aspekte: Zum einen können die produktionsorientierten Verfahren auch zum Einsatz kommen können, wenn ein Verständnis bereits vorliegt, jedoch vertieft werden soll, indem beispielsweise ein Aktualitätsbezug hergestellt wird oder besondere sprachliche Mittel analysiert werden. Gleichzeitig setzt der HPU genau an jenen Textstellen an, die sich den Schüler: innen nicht automatisch erschließen. Die Gründe für ein Nichtverstehen können zu einen in der Unfähig‐ keit liegen, sich nicht mehr auf den Text einlassen zu können. Gleichzeitig kann auch die mangelnde Erfahrung der Leser: innen mit den jeweiligen textuellen Erscheinungen, Gattungen, Textformen oder Schriftsteller: innen Ursache eines sich nicht einstellenden Textverständnisses sein. Ein zentraler Kritikpunkt am HPU betrifft die unterrichtliche Umsetzung: Dass der handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht häufig weniger als Zugriff für ein Verstehen literarischer Texte, denn als Erweiterung eines Methodenrepertoires verstanden wurde, zeigt sich nicht nur in der Zusammenstellung unterschiedlicher Methoden im Rahmen des Basisartikels in Praxis Deutsch 247 oder in Waldmanns Auflistung von Verfahren. 248 Nicht voll‐ ständig unberechtigt bezeichnet Kügler diese Zusammenstellungen als „Grusel‐ kabinett“ 249 . In der unterrichtlichen Praxis wurden und werden handlungs- und produktionsorientierte Verfahren häufig unreflektiert eingesetzt, ohne dass ein Anschluss an die Textrezeption sowie analytische Verfahren hergestellt wird. 250 Gegner des HPU kritisierten weiterhin, dass die von Schülerinnen und Schülern im Rahmen des HPU erstellten Texte sich nur unzuverlässig valide bewerten lassen. Dieser nicht unwichtige Aspekt dürfte u. a. dazu beigetragen haben, dass gestalterische Aufgaben seit 2012 nicht mehr Teil der schriftlichen 77 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 251 Dass dies trotz der zahlreichen Unterrichtsmodelle, die inzwischen veröffentlich wurden, noch nicht der Fall ist, betont Becker-Mrotzek. Eine Fokussierung des Deutsch‐ unterrichts auf die Literatur führe dazu, dass das Schreiben selbst nicht ausreichend vermittelt werde. Siehe: Becker-Mrotzek, Michael (2017): Das Schreiben zurückholen - Anmerkungen zur Funktion des materialgestützten Schreibens in den Bildungsstan‐ dards. In: Didaktik Deutsch 42 (2017). S. 4-11. 252 Siehe Haas, Gerhard: Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht. Theorie und Praxis eines „anderen“ Literaturunterrichts für die Primar- und Sekundar‐ stufe. 10. Aufl. Seelze: Kallmeyer 2013. S. 10 Abiturprüfung sind. Wie sich in diesem Zusammenhang allerdings die neu eingeführten materialgestützten Schreibaufgaben bewerten lassen, bleibt noch zu klären. I.3.3.2 HPU und materialgestütztes Schreiben Versucht man den Einfluss des HPU auf den Deutschunterricht zu bewerten, dann demonstriert die Präsenz zahlreicher inzwischen im Unterrichtsalltag etablierter Verfahren das Bestreben aller an Unterrichtsplanung Beteiligten, die Schüler: innen aktiv mit Texten umgehen zu lassen, Schreiben im Unterricht zu verorten und eine Kommunikation über die Schreibprodukte stattfinden zu lassen. Durch handlungs- und produktionsorientierte Verfahren hat das Schreiben wieder einen festen Platz im Unterricht eingenommen. Im Kontext der Entwicklung von Lernaufgaben zum materialgestützten Schreiben lässt sich eine ähnliche Tendenz ausmachen: Die Komplexität des Aufgabenformats erfordert unabhängig von dem jeweiligen domänenspezifischen Inhalt der Schreibaufgabe, den Schreibprozess in den Blick zu nehmen, anzuleiten und im Unterricht stattfinden zu lassen. 251 Auch die dem HPU entgegengebrachten Vorwürfe ähneln zum Teil jenen, die neu eingeführten Aufgabenformaten - unabhängig von ihrer Ausrichtung - entgegengebracht werden und die die aktuelle Diskussion um die Einführung des materialgestützten Schreibens dominieren: Das betrifft neben den bereits angesprochenen Fragen der Bewertung die zeitliche Umsetzung. Dieser Vorwurf wird vor allem immer dann relevant, wenn eine curriculare Verortung noch aus‐ steht und wenn Unterrichtsmodelle zwar einen innovativen Charakter haben, aber von den curricularen Unterrichtsinhalten und -methoden differieren. Ein übergeordnetes Problem betrifft zudem den Vorwurf eines nicht geschlossenen theoretischen Überbaus 252 und die Tatsache, dass sich der Ansatz aus an der Praxis orientierten Phänomen entwickelt hat. Auch dieser Vorwurf weist Par‐ allelen zur Einführung des Formats des materialgestützten Schreibens auf. Ein weiterer Aspekt betrifft das Verhältnis von literarischem Ausgangstext zum entstehenden Text: Kügler bezieht den Vorwurf der Bevormundung im 78 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens Rahmen des Literaturunterrichts auch auf die Beobachtung, dass die Ausein‐ andersetzung mit dem Primärtext zunehmend durch eine mit den jeweiligen Sekundärtexten abgelöst werde. Untersucht man in diesem Zusammenhang die Einführung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens, so zeigen sich Parallelen gleichermaßen wie Chancen: Zum einen thematisiert der Begriff materialgestützt, dass die zur Verfügung gestellten Texte eine Stütze für den eigenen Schreibprozess darstellen, der im Mittelpunkt steht. Der litera‐ rische Text, der als Material präsentiert wird, nimmt demnach vor allem bei argumentierenden Schreibaufgaben eine untergeordnete Rolle ein. Ziel ist es, die Argumentation, die Kern des Zieltextes darstellt, zu unterstützen. Dies stellt einen entscheidenden Unterschied zum HPU dar. Auch wenn die entstehenden Texte - beispielsweise ein Kommentar - eine große Ähnlichkeit zu Zieltexten des materialgestützten Schreibens aufweisen können oder sogar identisch sind, ist doch die Intention des Schreibens eine andere. Während es beim HPU um eine Annäherung an den literarischen Text und damit letztendlich um ein Verstehen geht und der Kommentar demnach eine Brückenfunktion einnimmt, ist dieser beim materialgestützten Schreiben als Zieltext Endprodukt der Lese- und Schreibprozesse. Vor diesem Hintergrund erfährt der Begriff der Bevormundung eine neue Bedeutung: Durch das Um- oder Weiterschreiben eines Textes, die Visualisierung oder das Verfassen eines Rollenprofils im Rahmen des HPU kann die ästhetische Dimension des Textes zerstört werden oder zumindest in den Hintergrund geraten. Damit besteht die Möglichkeit, dass das Handeln am literarischen Text zu einer Ersatzhandlung und zu einer Bevormundung wird. Ein Kommentar, der im Rahmen einer materialgestützten Schreibaufgabe verfasst wird, ist hingegen weniger Ersatz, denn reales sprachliches Handeln, das u. a. auf literarische Texte zurückgreift. Trotz der unterrichtlichen Verortung ist damit das Vorgehen vor allem aufgrund des Adressatenbezugs, der Situierung der Aufgabe sowie des Erfordernisses, die eigene Argumentation im Sinne eines wissenschaftspropädeutischen Vorgehens zu stützen, weniger künstlich als beim HPU. I.3.4 Kreatives Schreiben Stellen die Interpretation und die Erörterung die beiden Aufgabenarten dar, die neben dem materialgestützten Schreiben im Abitur abgeprüft werden, so können die Handlungs- und Produktionsorientierung sowie das Kreative Schreiben als Textformen verstanden werden, die auf das gestaltende Schreiben abheben. Die Ausführungen zum gestaltenden Schreiben in den Bildungsstan‐ dards zeigen nicht nur die Nähe zu Zieltexten, die im Rahmen materialge‐ 79 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 253 BS AHR (2012), S. 17 254 Als Beispiele dienen folgende Konkretisierungen: „die eigene Lesekompetenz für den analytischen, interpretatorischen sowie kreativen Umgang mit Texten und zur persönlichen Entwicklung und gesellschaftlichen Teilhabe nutzen“ (BS AHR (2012), S. 14), „kreativ Texte im Sinne literarischen Probehandelns gestalten“ (BS AHR (2012), S. 19), „Mehrdeutigkeit wird zur Basis einer kreativen Leistung“ (BS AHR (2012), S. 129) stützter Schreibaufgaben verfasst werden, sondern auch die Verzahnung von analytischen und interpretierenden Texterschließungsverfahren, die bei der Rezeption der Materialien eine Rolle spielen. Angebahnt wird hier auch die für das argumentierende materialgestützte Schreiben wichtige Positionieren und Transformieren in einen eigenen Text. Gestaltend schreiben Die Schülerinnen und Schüler halten eigene Ideen, Fragestellungen, Ergebnisse von Textanalysen und -interpretationen in kreativ gestalteten Texten fest. Die Schülerinnen und Schüler können • nach literarischen oder nicht-literarischen Vorlagen Texte neu, um- oder weiterschreiben, die Korrespondenz von Vorlage und eigenem Text beachten und dabei ein ästhetisches Ausdrucksvermögen entfalten • ästhetische, epistemische, reflexive Textformen wie Essay, Tagebuch, Gedicht, Brief zur Selbstreflexion, Wissensbildung und Entfaltung des ästhetischen Ausdrucksvermögens in literarischen oder pragmatischen Zusammenhängen verwenden • Texte für unterschiedliche Medien gestaltend schreiben 253 Wenn an mehreren Stellen der Bildungsstandards auf die kreativen Leistungen beim Lesen und Schreiben abgehoben wird, 254 obwohl die gestaltenden Auf‐ gaben keine Prüfungsaufgaben mehr darstellen, so zeigt sich damit das Bemühen der Kommissionsmitglieder: innen, eine Opposition zu einem rein kognitiv-analytischen Vorgehen im Deutschunterricht aufzuheben und einen integrierten Lese- und Schreibunterricht anzubahnen. Das Erfordernis, das kreative Schreiben genauer in den Blick zu nehmen, basiert auch auf der Tatsache, dass in Kapitel II.4 auf einen angloamerikanischen Ansatz zur Schreib‐ didaktik rekurriert wird. Dieser bildet die Grundlage der dritten empirischen Untersuchung und steht in der Tradition des creative writings. Versucht man eine Typologie des Schreibens vorzunehmen, dann kann man - Aristoteles folgend - das Schreiben in zwei verschiedene Handlungen einteilen: Das Schreiben, das das Ziel verfolgt, ein konkretes Werk hervorzubringen (Poiesis), und jenes, das sein Ziel im Tun selbst sieht. Antos plädiert in diesem Zusammenhang dafür, das poietische Schreiben stärker in den Blick zu nehmen, 80 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 255 Antos, Gerd: Eigene Texte herstellen! Schriftliches Formulieren in der Schule. Argu‐ mente aus Sicht der Schreibforschung. In: Der Deutschunterricht. III, 1988. S. 37-48. S. 38 256 Antos (1988), S. 39 257 Glindemann, Barbara: Creative Writing - zu den kulturellen Hintergründen und zum literaturwissenschaftlichen und institutionellen Kontext im Vergleich zwischen England, USA und Deutschland. Hamburg 2000. S. 6 258 Siehe dazu auch Haslinger, Josef: Warum Creative Writing? In: Josef Haslinger, Hans-Ulrich Treichel (Hgg.): Wie werde ich ein verdammt guter Schriftsteller? Berichte aus der Werkstatt. Frankfurt: edition suhrkamp 2005. S. 176-191. S. 185 ff. auch wenn dieses sich den Vorwurf gefallen lassen müsse, zweckrational zu sein. Dabei ist ihm wichtig, dass Schreiben als etwas verstanden wird, das man vermitteln kann und das die Fähigkeiten des Planens, der Antizipation, der Bereitstellung und Strukturierung von Wissen ebenso wie der Revision und der Identitätsbildung erfordert. Wird Schreiben in dieser Form verstanden, 255 dann handelt es sich um ein komplexes Handeln, das curricular unterschätzt werde. 256 Antos postuliert, dass zu früh in der Schule der Fokus auf den Inhalt und nicht den Schreibprozess selber gelegt wird. Betrachtet man weiterhin die Anwendungsbereiche des Schreibens jenseits des schulischen und universitären Kontextes, dann verweist Glindemann auf die Bandbreite der Einsatzbereiche: „wirtschaftsbezogenes und wissenschaft‐ liches Schreiben, Feature Writing, journalistisches Schreiben, Literatur- und Kulturkritik, Autobiographie, Biographie, expositorisches und literarisches Schreiben.“ 257 Diese unterschiedlichen Anwendungsbereiche aber erfordern nicht nur unterschiedliche Methoden, sondern auch ein Überschreiten der traditionellen Aufgabenformate: Das materialgestützte Schreiben stellt dabei eine wichtige Annäherung an die außerhalb der Schule existierenden Einsatz‐ bereiche des Schreibens dar. Geht es um die Vermittlung von Schreibkompetenzen in der Sekundarstufe I und II, dann ist der Deutsch- und vor allem der Literaturunterricht allerdings von der weit verbreiteten Ansicht geprägt, dass Schreiben nur bedingt lehrbar sei und im Wesentlichen mit dem Ende der Unterstufe abgeschlossen ist. Dabei ist der Zweifel an der Lehrbarkeit des Schreibens ein überwiegend kontinental‐ europäisches Phänomen, das dazu führt, dass sowohl an den Schulen als auch an den Universitäten die Vermittlung von Schreibkompetenz nur zögerlich in den Blick genommen wurde und wird. Die Tatsache, dass sich in den USA die „Idee, der Sprache, als grundlegender Ausdrucksform von Gelehrsamkeit, ein produktives Labor zur Verfügung zu stellen, viel früher durchsetzen“ 258 konnte, ist ein entscheidender Grund dafür, warum bei der Erprobung von Un‐ terrichtseinheiten auf amerikanische Modelle zurückgegriffen wird, auch wenn 81 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 259 Siehe Teil II.4 dieser Arbeit. 260 Rühm, Gerhard: über die lehrbarkeit von literatur. In: Christian Ide Hintze, Dagmar Travner (Hgg.): Über die Lehr- und Lernbarkeit von Literatur. Wien: Passagen 1993. S. 29 261 Lentz, Michael: Schreiben lernen! Haben andere nicht nötig! In: Josef Haslinger, Hans-Ulrich Treichel (Hgg.): Schreiben lernen - Schreiben lehren. Frankfurt am Main: Fischer 2006. S. 30 in den USA das Format des materialgestützten Schreibens nicht existiert. 259 Eng verbunden mit der Skepsis gegenüber der Vermittelbarkeit des Schreibens ist die „schamlose ignoranz“ der Literaten und Literaturwissenschaftler „gegenüber handwerk und geschichte“. 260 Der Autor und Dozent für Kreatives Schreiben Gerhard Rühm beklagt, dass das Lehren von Sprache als nicht angemessen angesehen wird. Literarisches Schreiben ist somit ein Gegenstand, der in der Regel in der Grundschule verortet wird. In den weiterführenden Schulen müssen sich die Schreibenden und ihre Schreiblehrer: innen den Vorwurf des Dilettantismus ihrer Schreibbemühungen gefallen lassen. Die Tatsache, dass im Abitur in den neunen KMK- Beschlüssen das gestaltende Schreiben durch das materialgestützte Schreiben ersetzt wurde, bildet die Skepsis gegenüber dieser Textform ab. Dass diese Skepsis nicht auf eine schulische Umsetzung beschränkt bleibt, sondern sich auch auf eine universitäre Ausbildung des Kreativen Schrei‐ bens bezieht, wie sie beispielsweise in Hildesheim oder Leipzig betrieben wird, betont der Schriftsteller und Dozent Michael Lentz: „In Deutschland scheint eine universitäre Autorenausbildung etwas Anrüchiges zu sein, im Sine von >da musste nachgeholfen werden<“. 261 Das Kreative Schreiben soll an dieser Stelle zunächst als Oberbegriff für jene Schreibformen verwendet werden, die nicht primär auf die Analyse, Interpretation oder Erörterung von Texten abzielen, sondern die sich an einem freieren Schreibprozess orientieren. Dazu soll neben dem Kreativen Schreiben auch das literarische Schreiben in den Blick genommen und vom handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht unterschieden werden. Eine trennscharfe Abgrenzung fällt jedoch nicht immer leicht, da gerade im unter‐ richtlichen Kontext die Begriffe häufig synonym für Schreibprozesse verwendet werden, die analytisch orientierten Verfahren gegenüberstehen. Im Zentrum der Darstellung der Formate stehen neben einem kurzen theoretischen Abriss die jeweiligen Beziehungen zum literarischen Ausgangstext sowie die mit dem Schreiben verfolgten Intentionen. Die Geschichte des Kreativen Schreibens ist eng mit der des Creative Writings verbunden; ausführliche Darstellungen finden sich unter anderem bei Ruf 82 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 262 Siehe z. B. Ruf, Oliver: Kreatives Schreiben. Tübingen: UTB 2016 und Glindemann (2000). 263 Siehe dazu auch Kapitel II.4. 264 Ruf (2016), S. 51 265 Ruf (2016), S. 53 266 Auswirkungen hat dies u. a. auf die in Deutschland eingerichteten Lehrstühle für Kreatives Schreiben, die von Schriftstellern betreut werden, siehe z. B. Hildesheim, ebenso wie die Frankfurter Poetik Vorlesung durch zeitgenössische Schriftsteller. und Glindemann. 262 Vergleicht man das schulische und universitäre Schreiben in Deutschland mit dem in den USA, dann fällt in den USA die Dominanz von Ansätzen auf, in denen freiere, essayistische Schreibformen überwiegen. Das Schreiben - und hier ist explizit nicht das Interpretieren oder Erörtern gemeint - wird systematisch in den Blick genommen und an Schulen und Universitäten gelehrt. 263 Damit ist die Geschichte des Kreativen Schreibens eng mit der des Creative Writing in den USA verbunden. Ausgangspunkt war Ende des 19. Jahrhunderts in den USA das Bemühen, die Schreibkompetenz der Studierenden zu erhöhen, indem die Verbindung zwischen Literaturtheorie und literarischer Praxis gestärkt und die Theorielastigkeit verringert wurde. Der praxisbezogene Teil der Ausbildung sollte den Studierenden einen Einblick über Kreativitätsprozesse verschaffen. Konkrete, regelmäßige Schreibübungen verfolgten demnach das Ziel, die „Wert- und Qualitätsmaßstäbe von Literatur“ 264 durch persönliches Schreiben zu erfahren und zu reflektieren. Erst im nächsten Schritt ging es um die Analyse der Literatur. Durch ein derartiges Verständnis vom Schreiben rückten die persönlichen Kompetenzen ins Zentrum: Die „Schulung von Persönlichkeitsentwicklung, Selbstverwirklichung und eigenem künstlerischen Ausdrucksvermögen mittels Schreiben“ 265 . Auch wenn in der Regel nicht das Ausbilden professioneller Schriftsteller: innen intendiert war und ist, wurde und wird an unterschiedlichen amerikanischen Schreibschulen der Schreibprozess durch Schriftsteller: innen gelehrt. 266 Durch das Ermöglichen eigener Erfahrungen während des Schreibens sollten die Studierenden nicht nur einen Zugang zur Literatur erhalten, sondern auch hermeneutisch geschult werden. Das Kreative Schreiben verbindet damit Lese- und Schreibprozesse und verharrt nicht auf dem eigenen Schreibprodukt, sondern öffnet sich für einen Umgang mit bereits verfasster Literatur. Damit aber handelt es sich bei diesem Verständnis des Schreibens um einen zutiefst kompetenzorientierten Ansatz. Je stärker das Kreative Schreiben Einzug in die Universitäten hielt, desto deutlicher kristallisierten sich drei unterschiedliche Ansätze heraus: der thera‐ peutische, der pädagogische und der künstlerische. Gleichzeitig fand durch die Tatsache, dass sowohl rhetorische Ansätze wieder an Bedeutung gewonnen und Textsensibilität sowie literarische Bewertung eine Rolle spielten, eine Annähe‐ 83 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 267 Ruf (2016), S. 239 268 Siehe hierzu auch Kapitel I.2. 269 Spinner, Kaspar H.: Kreatives Schreiben und literaturwissenschaftliche Erkenntnis. In: Hans Rau (Hg): Kreatives Schreiben an Hochschulen. Berichte, Funktionen, Perspek‐ tiven. Tübingen: Niemeyer 1988. S. 79-87. S. 82 rung an die Literaturwissenschaft statt. Daher verfolgen Studien zum Kreativen Schreiben und deren Umsetzung nach Ruf vor allem die Intention, „die neu‐ sprachliche Literaturwissenschaft durch den verlorengegangenen Praxisbezug wieder zu beleben.“ 267 So ist beispielsweise auch in Großbritannien die Verortung des Kreativen Schreibens eng von der Dichotomie einer Einordnung zwischen Genieästhetik und Beliebigkeit, jeder könne schreiben lernen, geprägt. Den verschiedenen angloamerikanischen Ansätzen ist gemeinsam, dass sie sowohl Schulen als auch Universitäten den Bildungsauftrag zuordnen, die Lernenden zum Schreiben zu befähigen, d. h. Schreibprozesse anzuleiten, Schüler: innen zu ermutigen, Texte zu verfassen, zu diskutieren und zu lektorieren. Damit bewegt sich das Schreiben im Spannungsfeld zwischen kreativer und analytischer Tätigkeit. Schreiben ist immer subjektiv und reflexiv zugleich. Gibt es demnach im englischsprachigen Raum seit dem 19. Jahrhundert eine universitäre Veran‐ kerung und damit verbunden auch eine wissenschaftliche Akzeptanz, so zeigt sich, dass in Deutschland eine Skepsis gegenüber dem kreativen Schreiben vorliegt, die die Vermittlung des Schreibens an Schulen und Universitäten maßgeblich beeinflusst hat. Trotz dieser ablehnenden Grundhaltung haben u. a. nachahmende Verfahren, wie sie beim Kreativen Schreiben eine entscheidende Rolle spielen, auch an deutschen Universitäten eine lange Tradition, die bis in 19. Jahrhundert Einfluss auf die Vermittlung des Schreibens hatte: 268 Bis ins 19. Jahrhundert hinein lernte man bei den Professoren für Poetik und Rhetorik nicht nur das Analysieren, sondern auch das Verfassen von Texten nach Mustern. Unter dem Einfluss der Genieästhetik ist jedoch seit dem Ende des 18. Jahrhunderts das Schreiben literarischer Texte zunehmend vom wissenschaftlichen Umgang mit ihnen abgekoppelt und damit die Unterweisung im Dichten aus den Hochschulen (zumindest Europas - in den USA sind die Verhältnisse bekanntlich anders) hinausgedrängt worden. 269 Betrachtet man die Forschungsperspektiven zum Kreativen Schreiben, so betreffen diese nach Ruf vier unterschiedliche Ebenen: Die Anleitungen zum Schreiben, also die konkrete Schreibpraxis, die Reflexionen über den Produktionsprozess, die Analyse des Buchmarkts sowie die pädagogische Vermittlung des Kreativen Schreibens und damit die „poetologische Selbstre‐ flexionsdidaktik“ - sie „eröffnen Forschungsperspektiven für die angewandte 84 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 270 Ruf (2016), S. 248 271 Hier zeigt sich die enge Verzahnung von Lese- und Schreibprozessen, die in Kapitel II.1 erläutert werden. 272 Ortheil, Hanns-Josef: Aristoteles und andere Ahnherren. Über die Herkunft und Ur‐ sprünge des »Kreativen Schreibens«. In: Josef Haslinger, Hans-Ulrich Treichel (Hgg.): Schreiben lernen - Schreiben lehren. Frankfurt am Main. Fischer 2006. S. 17-29. S. 17 273 Ortheil (2006), S. 20, 21 274 Dass sich Ortheils schriftstellerisches Werk in weiten Teilen wie poetologische Ab‐ handlungen über das Schreiben lesen, kann als logische Konsequenz dieser Einsicht germanistische Literaturwissenschaft.“ 270 . Bei den Anleitungen zum Kreativen Schreiben steht neben dem kreativen Akt des Schreibens immer auch die Frage nach dem Gemachtsein des Textes im Zentrum: Soll ein Schreibstil nachge‐ ahmt werden, so ist es erforderlich zu wissen, wie die jeweiligen Autor: innen schreiben. Demnach stehen das eigene und fremde Schreiben in einem ebenso engen Zusammenhang wie das Lesen und Schreiben. Das Schreiben über oder ausgehend von Literatur ermöglicht demnach den Schreibenden Einsichten über das Wesen der Literatur selbst. 271 Ausgehend von diesem kurzen Abriss der historischen Entwicklung des Kreativen Schreibens fällt das Fehlen eines einheitlichen Theoriehorizontes auf, der zu den bereits angesprochenen Abgrenzungsschwierigkeiten zum handlungs- und produktionsorientierten Schreiben führt. Die weitgehende Abwesenheit poetologischer Ansätze in den Darstellungen über das Kreative Schreiben nennt Ortheil als einen Grund, warum die Literaturwissenschaft eine bisher überwiegend distanzierte Haltung gegenüber dem Kreativen Schreiben einnimmt. Wolle das Kreative Schreiben ernst genommen werden, so müsse es als „eine Spiel- und vor allem Lesart von Poetik“ 272 verstanden werden. Wenn Ortheil nach der Herkunft und den Ahnherren des Kreativen Schreibens fragt, dann kommt er auf Aristoteles und Horaz zu sprechen. Sein Ansatz ist, die griechischen Poetiken als Abhandlungen über und Anleitungen zum Schreiben zu verstehen. Damit begreift Ortheil Dichtung als etwas, das man in Teile zerlegen kann. Diese Einzelteile lassen sich nicht nur benennen, sondern auch in ihrer Wirkung beschreiben. Beachte, wie diese Teile beschaffen sind und sich aufeinander beziehen! Prüfe, ob die Beschaffenheit und der Bezug der Teile so geartet sind, dass sie eine bestimmte Wirkung tun. (…) Tu alles dafür, den Illusionszusammenhang des Werks zu erhalten, um die von dir beabsichtigte Wirkung steuern zu können. 273 Entscheidend sei, dass die Wirkung von der Art der Zusammensetzung dieser Einzelteile abhänge. Dieser Zusammenhang ist für Ortheil eine entscheidende Grundlage für das Lehren und Lernen des Kreativen Schreibens. 274 Befragt man 85 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen verstanden werden. Siehe zum Beispiel Hanns-Josef Ortheil: Der Stift und das Papier. München: btb 2015. 275 Unter anderem in dieser Tatsache liegt begründet, warum im empirischen Teil auf den Einsatz von Schemata zurückgegriffen werden soll. 276 Lentz (2006), S. 37 ff. 277 Ruf (2016), S. 122 278 Siehe hierzu Kapitel II.1. 2. 279 Carey, Linda J.; Flower, Linda: Foundations for Creativity in the Writing Process: Rhetorical Representations of Ill-Defined Problems. In: John A. Glover, Royce R. dieses Verständnis nach den Chancen für das Kreative Schreiben, dann wird deutlich: Wenn Bauprinzipien eines Werkes bekannt sind und wahrgenommen werden, dann kann die Wirkung des Werkes analysiert und für das eigene Schreiben nutzbar gemacht werden. 275 Es geht nicht darum, dem Schreibenden zur Nachahmung oder zur starren Befolgung von Regeln anzuleiten. Vielmehr ist entscheidend, eine Reflexion über die innere Form des Schreibens anzuleiten. Rufs Ausführungen zu einer Theorie des Kreativen Schreibens zeichnet aus, dass es sich eher um poetologische Gedanken, denn um eine stringente Theorie handelt. So führt er in seinen Abhandlungen unterschiedliche Autoren und Dozenten für Kreatives Schreiben an, die verschiedene Ansätze in Bezug auf die Vermittlung und Intention des Kreativen Schreibens vertreten. Betrachtet man beispielsweise in diesem Zusammenhang Michael Lentz’ Ausführungen zum Schreiben, dann zeigen diese die Bandbreite des Kreativen Schreibens auf, sind aber insgesamt wenig trennscharf für eine Abgrenzung beispielsweise zum handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht: Die praktische Arbeit an literarischen Texten bedarf eines Oszillierens zwischen so ge‐ nannten »werkimmanenten« Strategien der Interpretation, motivationsästhetischen Aspekten, die auch kritisch Autorenintentionalität hinterfragen, und einem weiter gesteckten Referenzrahmen, der auch textexterne Daten wie zum Beispiel kulturelle Voraussetzungen (Wissen, das der Text einbringt bzw. stillschweigend voraussetzt) einholt. 276 Hier wird eine Verbindung der drei Textformen, die in den Bildungsstandards angeführt werden, gefordert. Dass Ruf, wenn er auf die Praxis des Kreativen Schreibens zu sprechen kommt, auf die Schreibprozessmodelle von Hayes und Bereiter zurückgereift, 277 verdeutlicht, dass zwischen dem Verfassen eines Essays oder eines literarischen Textes ein geringerer Unterschied zu sein scheint als angenommen. 278 Dies ist insofern erstaunlich, da dem kognitionspsychologischen Schreibmodell von Hayes der Vorwurf gemacht wird, Schreiben weniger als einen ästhetischen Akt, denn als ein Problemlösen, als ein „ill defined problem“ 279 , aufzufassen. Das 86 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens Ronning, Cecil R. Reynolds (Hgg.): Handbook of Creativity, Assessment, Research and Theory. New York: Plenum Publishing Corporation 1989. Siehe dazu ausführlich Kapitel II.1. 2. 280 Lentz (2006), S. 38 281 Porombka, Stephan: Sehenlernen! Das literarische Schreiben und die Welt da draußen. In: Josef Haslinger, Hans-Ulrich Treichel (Hgg.): Schreiben lernen - Schreiben lehren. Frankfurt am Main: Fischer 2006. S. 193-206. S. 196 282 Sampson, Fiona: Creative Writing in Großbritannien: ein hoffnungsloses Unterfangen? Einige Anmerkungen. In: Josef Haslinger, Hans-Ulrich Treichel (Hgg.): Schreiben lernen - Schreiben lehren. Frankfurt am Main: Fischer 2006. S. 128- 135. S. 129 283 Glindemann (2000), S. 45 Schreiben eines Sachtextes, einer Interpretation, eines Essays oder eines litera‐ rischen Textes scheint demnach mehr Gemeinsamkeiten aufzuweisen, als die Auseinandersetzung der Vertreter: innen der Sprach- und Literaturwissenschaft sowie ihrer jeweiligen Didaktiken vermuten lässt. Wenn allerdings auf die Gemachtheit des Textes fokussiert wird, dann ist entscheidend, dass Literatur immer bereits erschienene Werke beinhaltet. Kein Text entsteht nur aus sich heraus, vielmehr stellt er eine Reaktion auf bereits Gewesenes dar. Beim Schreiben gilt es demnach, nicht nur die eigenen Gedanken und Stimmen mit einzubeziehen, sondern auch die anderer Autorinnen und Autoren. Um diesen Einfluss zu erfassen, ist es erforderlich, auch Verfahren der Textanalyse beim Schreiben zu berücksichtigen: „Es geht darum, die Partie nachzuspielen, indem die dem Text zugrundeliegende Ordnung rekonstruiert wird.“ 280 Produktion und Rezeption und damit Schreiben und Lesen sind zusam‐ mengehörig. Wahrnehmung und Rekonstruktion der Konstruktionsprinzipien stellen demnach die Voraussetzungen des Schreibens dar. Für Porombka nimmt in diesem Zusammenhang das Kreative Schreiben eine Mittlerrolle zwischen den verschiedenen Schreibformen ein: Es geht darum, „aus der Perspektive des Kreativen Schreibens wissenschaftliche Interpretationsmodelle zu entwickeln, die im Horizont einer praxisfernen Literaturwissenschaft gar nicht entwickelt werden konnten.“ 281 Diese Mittlerrolle wird auch in dem Begriff des Kreativen Schreibens selbst deutlich: So verweist die Autorin Fiona Sampson darauf, dass der Begriff des Creative stets eine didaktische Komponente enthalte. „Außerhalb des Lehrbetriebs, also in unserer Welt als Romancier oder Lyriker, verstehen wir uns als Autoren und es versteht sich per definitionem von selbst, dass wir kreativ sind.“ 282 Aus Sicht der Deutschdidaktik ist das zentrale Anliegen beim Kreativen Schreiben die Wahrnehmungsfähigkeit der Schüler: innen durch regelgeleitetes und spontanes Schreiben, durch „Bindung und Freiheit“ 283 anzuleiten und zu fördern. 87 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 284 Ruf (2016), S. 67 285 Ruf (2016), S. 124 286 Waldmann (1998), S. 46 287 Ruf (2016), S. 75 Wenn Didaktiker oder Dozenten für Kreatives Schreiben ihre jeweiligen Konzepte und Übungen vorlegen, dann wird an mehreren Stellen die Nähe zum handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht deutlich. Das Verfassen von Erlebnisgeschichten, das Schreiben nach literarischen Vorbildern, Nachahmungen, Collagen, Um- und Fortschreiben sowie das Verfassen innerer Monologe und gestaltende Interpretationen lassen sich sowohl beim Kreativen Schreiben als auch im handlungs- und produktionsorientierten Literaturunter‐ richt verorten. Führt Ruf in diesem Zusammenhang „Umkehrungen, Verdoppe‐ lungen, Fragmentarisierung, Übertreibung, Untertreibung“ an, 284 dann sind dies Methoden, die traditionell im handlungs- und produktionsorientierten Litera‐ turunterricht verwendet werden. Damit ermöglichen weder die Verfahren noch die Intention des Schreibens eine trennscharfe Abgrenzung. Rufs Feststellung, dass das Schreiben das Ziel verfolgt, „dem Verstehen zu dienen“ 285 , ist wenig zielführend. Waldmann hingegen unterscheidet in diesem Zusammenhang die unterschiedlichen Schreibinteressen: Kreatives Schreiben ist vor allem auf den Schreibenden gerichtet und darauf, dass er, gegebenenfalls auch durch Schreiben in literarischen Formen, schreibend eigene Kreativität entbindet und erfährt, wobei ein mögliches besseres Verstehen bestimmter literarischer Texte mehr ein Nebenprodukt ist. Produktiver Umgang mit Literatur ist vor allem auf den literarischen Text gerichtet und darauf, dass er durch eigenes Schreiben besser verstanden wird, wobei die mögliche Förderung von Kreativität des Schreibenden ein bloßer Nebeneffekt sein kann. 286 Wenn Ruf in seinen Ausführungen zum Kreativen Schreiben auf Waldmann und den handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht verweist, 287 dann ist die Abgrenzung an dieser Stelle nicht präzise genug. Geht Waldmann davon aus, dass die Schreibenden durch handlungs- und produktionsorientierte Verfahren Differenzerfahrungen mit einem literarischen Phänomen machen, die sie u. a. dazu befähigen, inhaltliche, strukturelle oder stilistische Besonderheiten in der Literatur nicht nur wahrzunehmen, sondern auch in ihrer Wirkung beschreiben, analysieren und einschätzen zu können, so definiert Spinner das Kreative Schreiben folgendermaßen: Kreative Verfahren sind eine Möglichkeit, im Literaturstudium entdeckend zu lernen; sie erlauben es, literarische Strukturen und inhaltliche Problemdiskussionen durch 88 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 288 Spinner (1988), S. 87 289 Dies deckt sich mit der Beobachtung, dass die Akzeptanz sowohl des Kreativen Schreibens als auch des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts an Gymnasien vor allem in der Oberstufe abgenommen hat und abnimmt. 290 Der Umstand, dass Hessen das 2012 von der KMK verabschiedete Aufgabenformat erst zum Schuljahr 2017/ 2018 verbindlich einführt, zeigt die Problematik der Akzeptanz auf. eigene Gestaltung zu erkunden. Dieses entdeckende Lernen bleibt nicht auf kognitive Einsicht beschränkt, sondern schließt emotionale Erfahrung ein und ermöglicht neben dem analytischen Vorgehen ein ganzheitliches Erfassen. Durch die Einbeziehung kreativer Verfahren in die literaturwissenschaftliche Lehre kann literarische Bildung wieder als etwas vermittelt werden, was Geist, Gefühl und eigenes Tun in gleichem Maße anspricht und anregt. 288 Das Anführen von verfremdenden und nachahmenden Verfahren zur Erkun‐ dung der Literatur zeigt gleichermaßen die Nähe und die Abgrenzungsschwie‐ rigkeiten zwischen handlungs- und produktionsorientierten sowie kreativen Verfahren auf. So bleibt beispielsweise offen, ob es sich bei der Anwendung kreativer Verfahren bereits um Kreatives Schreiben handelt oder um handlungs- und produktionsorientierte Verfahren. Das Ziel der Erkundung literarischer Strukturen dürfte beiden Ausrichtungen gemeinsam sein, ebenso das Zusam‐ menspiel emotionaler und kognitiver Ansätze. Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Kritik, die am HPU geäußert wurde und wird, dann lassen sich wesentliche Punkte auch auf das Kreative Schreiben übertragen. Dies betrifft die mangelnde theoretische Fundierung, das unklare Verhältnis des eigenen Textprodukts zum literarischen Ausgangstext sowie die Frage nach der Intention des Schreibens. Ungeklärt in der didaktischen Diskussion sind zudem Bewertungsaspekte. Die Tatsache, dass gestaltende Textformen im Abitur nicht mehr prüfungsrelevant sind, beweist, dass auf die aufgezeigten Fragen keine befriedigenden Antworten gegeben werden konnten. 289 Schaffen es Praktiker: innen und Didaktiker: innen, die sich mit der Implementierung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens beschäftigen, nicht, hier Lösungsansätze anzubieten, dann bleibt zu befürchten, dass das materialgestützte Schreiben ein ähnliches Schicksal ereilt wie das gestalterische Schreiben. Die verspätete Einführung des materialgestützten Schreibens in einigen Bundesländern zeigt, dass die Chancen des Aufgaben‐ formats, eine Erhöhung der Schreibkompetenz zu bewirken, nicht erkannt wurden. 290 89 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 291 Abraham, Ulf; Brendel-Perpina, Ina: Literarisches Schreiben im Deutschunterricht. Produktionsorientierte Literaturpädagogik in der Aus- und Weiterbildung. Seelze: Klett 2015. S. 44 I.3.4.1 Der Versuch einer Neuorientierung: Das literarische Schreiben Das literarische Schreiben soll in diesem Zusammenhang als ein Ansatz ver‐ standen werden, der eine Neuausrichtung sowohl des HPU als auch des Krea‐ tiven Schreibens vornimmt. Das von den Literaturdidaktikern Abraham und Brendel-Perpina zusammen mit dem Literaturhaus Stuttgart initiierte Projekt nimmt die Ausbildung von Lernenden und Lehrenden gleichermaßen in den Blick. Dabei versteht sich das literarische Schreiben als literaturpädagogischer Ansatz mit dem Ziel, Menschen für Literatur zu interessieren und ihnen Schreibkompetenzen zu vermitteln, indem nicht nur Lesestoffe zur Verfügung gestellt werden, sondern auch Verfahren des produktiven Umgangs mit Lite‐ ratur erprobt werden. In Schreibwerkstätten rücken handwerkliche statt analy‐ tisch-hermeneutische Fragestellungen ins Zentrum. Es geht um das Lehren der Schriftlichkeit, um ein Entdecken der Möglichkeiten des gestaltenden Schrei‐ bens. Abraham und Brendel-Perpina verstehen somit literarisches Schreiben als Element der Persönlichkeitsbildung aufgrund der Tatsache, dass Schreiben als Medium, typischer Weise verstanden als Medium der Distanz und der kognitiven Be- und Verarbeitung pragmatischer Probleme (z. B. im erörternden Schreiben in der Sek. I), damit noch unter seinen Möglichkeiten bleibt. Schreiben ist auch ein Medium der Annäherung an das Fremde und der Erforschung des Selbst. 291 Damit ist weniger eine curriculare Verankerung intendiert, denn eine Selbstbil‐ dung. Ausgehend von der Feststellung, dass das schulische Schreiben überwie‐ gend auf pragmatische Schreibaufgaben ausgerichtet ist, stellt das literarische Schreiben als Ansatz die zentrale Forderung, dass der Deutschunterricht ähnlich wie der Bereich der Musik und der Kunst auch praktisches Arbeiten beinhalten müsse. Während der handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht das Schreiben überwiegend in den Dienst des Textverständnisses stellt und sich damit als Teil der Hermeneutik versteht, verfolgt für Abraham und Brendel-Per‐ pina das Kreative Schreiben einen eher kreativitätsfördernden Ansatz. Das literarische Schreiben aber orientiert sich am literarischen Werk selbst und verortet sich demnach näher bei der der Literaturwissenschaft, denn bei der Linguistik. Während in den Fächern Kunst und Musik seit jeher neben der Rezeption auch das eigene Hervorbringen einen festen Platz hat - dort ist das Ästhetische viel 90 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 292 Abraham, Brendel-Perpina (2015), S. 16 293 Abraham, Brendel-Perpina (2015), S. 211 294 Abraham, Brendel-Perpina (2015), S. 19 295 Abraham, Brendel-Perpina (2015), S. 18 selbstverständlicher als im Literaturunterricht eine Tätigkeit -, hat sich das Fach Deutsch lange schwer damit getan, „literarischen Dilettantismus“ zuzulassen oder gar positiv zu würdigen. 292 Dies ist u. a. in der Tatsache begründet, dass im Laufe des 19. Jahrhunderts in der Schreiberziehung weniger Kreativität und persönlicher Ausdruck im Fokus standen, denn Genauigkeit und Sprachrichtigkeit der Darstellung. Diese einseitige Ausrichtung der Schreibdidaktik ist für Abraham und Brendel-Perpina der Anlass der Gründung einer eigenständigen Didaktik Literarischen Schreibens, die in den Traditionen der subjektorientierten Formen kreativen Schreibens und der literaturdidaktisch begründeten Produktions‐ orientierung ihren Ausgang nimmt, aber über beide Zielorientierungen hinausweist, indem sie sich als produktions- und prozessorientierte Literaturpädagogik versteht. 293 Betrachtet man die Grundsätze der Produktionsästhetik, dann steht die Er‐ lernbarkeit des Schreibens im Zentrum, indem die Schreibenden sich mit verschiedenen Gattungen, Formen oder Genres auseinandersetzen. Abraham und Brendel-Perpina heben darauf ab, dass dies keine neue Forderung des Deutschunterrichts sei. Für das literarische Schreiben ist die „Vorstellung des verbesserbaren Entwurfs“ und damit die „Prozessorientierung“ entscheidend. 294 Angestrebt ist eine Erweiterung des Schreibbegriffs, wie dieser beim produkti‐ onsorientierten Schreiben eingeführt wurde. Im Gegensatz zur Literaturdidaktik geht es der Literaturpädagogik aber weniger um eine literarische Bildung, sondern um ein Ausbilden von Vorstellungen, Perspektiven und kritischem Denken. Das literarische Schreiben „fokussiert viel mehr die tätige (schrei‐ bende) Erkundung der Literatur als einen ästhetischen Diskurs.“ 295 Literatur wird in diesem Zusammenhang als eine fiktionale Ordnung der Wirklichkeit verstanden, die während des Lesens vom Leser bzw. der Leserin nicht nur - emotional - nachvollzogen, sondern auch durch das Füllen der Leer- und Unbestimmtheitsstellen (re-)konstruiert werden muss. Dieses Berühren oder Verunsichern durch Literatur aber soll kein einsamer Akt beim Lesen sein, sondern stellt während des gemeinsamen Schreibens, des Planens, Entwerfens und Überarbeitens eine kulturelle Praxis her. Ziel ist es nicht, Künstler her‐ vorzubringen, sondern dichterischen Ausdruck zu erfahren und aktiv über 91 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 296 Abraham, Brendel-Perpina (2015), S. 24 297 Abraham, Brendel-Perpina (2015), S. 15 literarische Formen zu verfügen. Am Ende eines solchen Schreibprozesses soll ein authentisches Schreiben stehen. Literaturpädagogik erreicht demnach ihre Ziele nicht mit Hilfe von Literatur. Sie ist vielmehr eine „auf Literatur als kulturelle Praxis gerichtete Pädagogik: Sie sorgt dafür, dass einerseits Literatur ihre Leser/ innen findet, und andererseits diese ihre Literatur (…)“ 296 . Gleichzeitig beinhaltet die Literaturpädagogik aber auch das Planen und Entwerfen und Diskutieren von Texten und damit das poetische Verstehen. Betrachtet man diese Definitionen, dann fällt auf, wie schwierig eine eindeutige Abgrenzung vom Kreativen Schreiben und vom handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht ist. So ist es der produktionsorientierten Literaturpädagogik eigen, dass sie davon ausgeht, dass Gattungswissen und Kontextualisierungsfähigkeiten Voraussetzung dafür sind, ein Werk zu rezipieren, infolgedessen zu bewerten und zur kulturellen Praxis werden zu lassen. Dem handlungs- und produktionsorientierten Litera‐ turunterricht hingegen geht es im Wesentlichen darum, durch schreibendes Erkunden sich dem literarischen Text und seinem Verständnis anzunähern sowie Kennzeichen von Gattungen, Epochen und Stilmerkmalen zu erarbeiten. Die ästhetische Tätigkeit wird somit unmittelbar mit den Prozessen der Rezep‐ tion und Interpretation verbunden. Eine Schwierigkeit der Abgrenzung liegt auch in der Bewertung der Kreati‐ vität begründet. Abraham und Brendel-Perpina weisen darauf hin, dass der „sei‐ nerzeit etablierte Kreativitätsbegriff als Hochwertbegriff in sozialen, politischen und pädagogischen Diskursen (…) die Schreibdidaktik nicht nur bereichert, sondern auch belastet“ 297 hat. So ging zunächst vom Kreativen Schreiben eine große Wirkung v. a. in Bezug auf eine Emanzipation von der Hochkultur aus. Das Verhältnis zwischen dem literarischen Ausgangspunkt und dem entstandenen Produkt ist in der kreativen Schreibdidaktik jedoch nur von geringem Interesse gewesen. Daraus resultieren u. a. die Schwierigkeiten der Bewertung offenerer und vor allem kreativerer Aufgabentypen. I.3.4.2 Die Rolle des HPU und des Kreativen Schreibens für das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens Kann die Interpretation als eine Verständigung über das Verstehen eines Textes aufgefasst werden, dann haben die vorangegangenen Ausführungen gezeigt, wie notwendig eine Auseinandersetzung über kreative Schreibprozesse ist. Schüler: innen werden nur dann in der Lage sein, materialgestützt und adressa‐ 92 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 298 Der Einfluss des Creative Writing auf die sich an das Konzept des Teacher College Reading and Writing Projects der Columbia Universität anlehnende Unterrichtseinheit wird an verschiedenen Passagen erkennbar. So werden beispielsweise die Schüler: innen durchgehend als writer bezeichnet. Zum Verfertigen eines literarischen Essays, das durchaus vergleichbar mit dem Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens ist, erhalten die Schreibenden Mentorentexte - literarische Texte und Essays, die ihnen als Inspirationsquelle für den eigenen Schreibprozess angeboten werden. Ein starres Korsett, wie es der deutsche Interpretationsaufsatz vorgibt, existiert beim Essaywriting nicht. Gleichzeitig wird die Erlernbarkeit des Schreibens durch das Verwenden von Schemata betont. 299 Ruf (2016), S. 63 tenbezogen zu schreiben, wenn sie auf Kompetenzen zugrückgreifen können, die über das Wiedergeben des Inhalts eines Textes und seine Analyse hinaus‐ reichen. Die zentralen Herausforderungen des Aufgabenformats des material‐ gestützten Schreibens betreffen dabei unterschiedliche Textformen: Erfordert die Positionierung zu einer strittigen Thematik ein erklärendes und argumen‐ tierendes Schreiben, so müssen die Schreibenden einen Informationstransfer vollziehen, um die Inhalte der Materialien nicht nur zu analysieren, sondern auch in die eigene Argumentation zu integrieren. Vor allem die kommunikativen Funktionen des Zieltextes aber und die damit verbundene Adressierung und Situierung erfordern ein gestaltendes, kreatives Schreiben. Das Nebeneinander der unterschiedlichen Textsorten erhöht die Komplexität des Aufgabenformats und die Anforderungen an die Flexibilität der Schreibenden. Sowohl handlungs- und produktionsorientierte Verfahren als auch kreative Schreibphasen erfordern von den Schreibenden eine dezidierte Haltung ge‐ genüber dem literarischen Text sowie dem Gegenstand, zu dem geschrieben wird. So wird der literarische Text zum Ausgangspunkt für den eigenen Schreibprozess. Das Schreiben wiederum führt im nächsten Schritt zu einem tieferen Verständnis der Literatur selbst, über die geschrieben wird. Der von der Interpretation ebenso wie von der Erörterung abweichende Zugang zur Literatur führt zu einem grundlegenden Wandel in der Einschätzung und Gewichtung von Literatur. Dass besonders Ansätze der angloamerikanischen Schreibforschung die Grundlage für die Konzeption von Schreibarrangements zum materialgestützten Schreiben sein können, wird in Kapitel II.4 theoretisch fundiert und in Kapitel III.5 empirisch erprobt und evaluiert. 298 Das Ineinander‐ verwobensein von Schreib-, Lese- und Verstehensprozessen spiegelt sich auch in der Forderung führender amerikanischer wie deutscher Universitäten wider, eine „Gleichberechtigung handwerklicher Schreib-Methodik, rhetorisch-stilis‐ tischen Techniken und literaturwissenschaftlicher Theorie“ 299 herzustellen und damit die Kluft zwischen Theorie und Praxis zu verringern. 93 I.3 Das materialgestützte Schreiben im Rahmen schulischer Textformen 300 Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sowohl in der Literaturdidaktik als auch in der Lehrer: innenausbildung handlungs- und produktionsorientierte Verfahren durchaus etabliert sind. Obwohl weder das Kreative Schreiben noch das literarische Schreiben einen festen, in den Bildungsplänen verankerten Platz im Deutschunterricht haben und auch handlungs- und produktionsorientierte Methoden zwar in den letzten Jahrzehnten üblicher, aber in Bezug auf Intention, Auswertung und Bewertung noch sehr uneinheitlich gehandhabt werden, 300 lassen sich Erkenntnisse und Konsequenzen aus diesen im Deutschunterricht praktizierten Schreibformen für das materialgestützte Schreiben ableiten: Je regelmäßiger Schüler: innen Schreibübungen durchführen, desto größer ist die Chance, dass sie Wert- und Qualitätsmaßstäbe von Literatur erkennen und diese auf die eigene Textproduktion übertragen können. Die Wahrnehmungsfähigkeit wird demnach durch regelgeleitetes Kreatives Schreiben geschult. Je sicherer sich die Schreibenden im Spannungsfeld zwischen kreativer und analytischer Tä‐ tigkeit bewegen und ermutigt werden, Texte zu planen, zu verbessern, zu diskutieren und zu redigieren und dabei erfahren, dass Schreiben gleichermaßen ein Prozess wie eine künstlerische Ausdrucksmöglichkeit ist, desto leichter wird es ihnen fallen, sich mit den vorgegebenen Materialien im Rahmen des materialgestützten Aufgabenformates auseinanderzusetzen. Die Schüler: innen werden die unterschiedlichen Positionen leichter erkennen und gegeneinander abwägen können und die Konstruktionsprinzipien der Texte für die eigene Textproduktion nutzen können. Kreative Schreibprozesse beinhalten dabei immer ein entdeckendes Lernen: Durch Perspektivübernahmen, Umschreiben eines Textes oder Paralleltexte werden kognitive Erfahrungen mit emotionalen gekoppelt. Diese Verbindung stellt eine elementare Voraussetzung für das Entwickeln eines eigenen Standpunktes dar. Es geht dabei weniger um das Nachahmen, denn um die Einsicht in das Gemachtsein von Texten. Je leichter und spielerischer Bauprinzipien - schreibend - erfahren werden, desto flexibler können Schüler: innen eigenständige, adressatenabhängige Texte formulieren. 94 I Zur Geschichte und Verortung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens 1 Ludwig, Otto: Einige Gedanken zu einer Theorie des Schreibens. In: Siegfried Grosse (Hg.): Schriftsprachlichkeit. Düsseldorf: Schwann 1983. S. 37-73. S. 71 2 Marx, Nicole; Steinhoff, Torsten: Unterrichtsbezogene Interventionen. In: Michael Becker-Mrotzek, Joachim Grabowski, Torsten Steinhoff (Hgg.): Forschungshandbuch empirische Schreibdidaktik. Münster: Waxmann. 2017. S. 253- 266. S. 253 II Didaktisches Konzept II.1 Zur Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben Wenn im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben Essays, Kommentare, Reden oder Offene Briefe auf der Basis multitextueller Materialien verfasst werden sollen, so definieren Aufgabenstellung und der darin festgelegte Zieltext die Textproduktion. Doch auch die Situierung und Adressierung der Aufgabe beeinflussen die Sprachhandlungen, die dem Schreibprodukt zugrunde liegen. Durch das Zusammenspiel von Aufgabenstellung, Situierung und Adressierung wird die Komplexität des Aufgabenformates maßgeblich bestimmt. Die An‐ forderungen an ein Lese- und Schreibmodell in Bezug auf materialgestützte Schreibaufgaben sind demnach zunächst, die Besonderheiten des Aufgabenfor‐ mats an die Textrezeption und -produktion darzustellen, eine Aufgabenanalyse zu ermöglichen und gleichzeitig ein Instrumentarium zur Verfügung zu stellen, um die Schreibschwierigkeiten zu antizipieren und davon abgeleitet Interven‐ tionen in Form von Schreibarrangements planen und abzubilden zu können. Ziel einer Auseinandersetzung mit Modellen sollte demnach die Klärung der Frage sein, „wie der Schreib- und Aufsatzunterricht an unseren Schulen verbessert, reformiert oder gar neu konzipiert werden kann“. 1 Definieren Marx und Steinhoff unterrichtsbezogene Interventionen als jenes Handeln, das „die Erwerbsprozesse der Lernenden“ beeinflusst, so konstatieren sie, dass die Unterrichtspraxis in der Regel auf „subjektiven Theorien“ beruht. 2 Empirische Untersuchungen aber benötigen nicht nur Gütekriterien, sondern auch theore‐ tische Modelle, die die Grundlage der Konstruktion der Interventionen ebenso wie ihrer Auswertung darstellen. Dabei sollen beim Schreiben die Dimensionen in den Blick genommen werden, die sich mit den übergeordneten Fragen der Planung und Überarbeitung, also mit der Textproduktion, beschäftigen. In diesem Zusammenhang versteht Molitor-Lübbert das Schreiben als mentalen 3 Molitor-Lübbert, Sylvie: Schreiben als mentaler und sprachlicher Prozess. In: Hartmut Günther, Otto Ludwig (Hgg.): Schrift und Schriftlichkeit: ein interdisziplinäres Hand‐ buch internationaler Forschung = Writing and its use. Bd. 2. Berlin: de Gruyter 1996. S. 1005-1027. 4 Flower, Linda (et al.): Reading-to-write: exploring a cognitive and social process. New York: Oxford University Press 1990 5 Bachmann, Thomas; Becker-Mrotzek, Michael: Schreibkompetenz und Textproduktion modellieren. In: Michael Becker-Mrotzek, Joachim Grabowski, Torsten Steinhoff (Hgg.): Forschungshandbuch empirische Schreibdidaktik. Münster: Waxmann 2017. S. 25-53, S. 33 6 Siehe dazu auch III.3. 2. und sprachlichen Prozess. 3 Wenn im Folgenden Schreibmodelle dargestellt werden, so beziehen sich diese nicht auf graphomotorische Prozesse, sondern auf die der Textproduktion. Da dem Schreibprozess materialgestützter Schreibaufgaben in der Regel das Lesen der Aufgabe und der Materialien vorausgeht und das Schreiben auf der Basis des reading-to-write  4 -Ansatzes erfolgt, soll zunächst auf die Rolle des Lesens sowie auf Modellierungsmöglichkeiten dieser Prozesse eingegangen werden. So bestimmen die Aufgabenkonzeption, Adressierung und Situierung maßgelblich den Leseprozess. Dies betrifft beispielsweise die Festlegung der Reihenfolge der zu lesenden Texte, die Auswahl der Texte und die Art der Lektüre. Die Darstellung der zentralen Lese- und Schreibmodelle wird anhand der bereits in der Einleitung angeführten Beispielaufgabe des Instituts zur Quali‐ tätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) zum materialgestützten Schreiben erläutert, konkretisiert und kritisch diskutiert. Es wird deutlich, dass nicht nur eine „Vernachlässigung sprachlicher Wissensbestände“ 5 ein entscheidendes Problem der Modelle ist. Wenig berücksichtigt wird auch die literarisch-ästhe‐ tische Dimension des Aufgabenformates in Bezug auf die Rezeption literarischer Texte und die Produktion der jeweiligen Zieltexte: So haben beispielsweise ein Essay oder ein Kommentar andere Kriterien in Bezug auf den Inhalt, Aufbau und die sprachliche Gestaltung zu erfüllen als eine Erörterung. Ebenso erfordern literarische Texte, die als Materialien präsentiert werden, andere transitorische Kompetenzen als Sachtexte. 6 II.1.1 Die Rolle des Lesens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben Die Komplexität materialgestützter Schreibaufgaben erfordert Modelle, die nicht nur die Multitextualität, sondern auch die Interaktion von Lese- und 96 II Didaktisches Konzept 7 Schüler, Lisa: Materialgestütztes Schreiben argumentierender Texte. Untersuchung zu einem neuen wissenschaftspropädeutischen Aufgabentyp in der Oberstufe. Baltmanns‐ weiler: Schneider 2017. S. 157 8 Siehe Kapitel III.2. 2 sowie III.4. 9 Zum Nachweis siehe Schüler (2017), S. 161 ff. 10 Philipp, Maik: Lese- und Schreibunterricht, Tübingen: Francke 2013. S. 83 ff. Schreibprozessen abbilden. Lisa Schüler verweist in ihren Ausführungen darauf, dass zwar ausreichend Modellierungen für den Schreib- und den Leseprozess existieren. Modelle jedoch, die die Synthese in den Blick nehmen und untersu‐ chen, wie die Textrezeption den Schreibprozess bedingt und welche Einflüsse die Textproduktion auf das Lesen haben, stehen noch aus. 7 Da besonders beim materialgestützten Schreiben diese Prozesse jedoch nicht nur nacheinander ablaufen, sondern ineinandergreifen, und man nicht davon ausgehen kann, dass das Bearbeiten der Aufgabe eine bloße Verbindung von Rezeptions- und Produktionsprozessen darstellt, ist eine Integration erforderlich. Diese Notwen‐ digkeit belegen auch die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen in der Mittel- und Oberstufe. 8 Obwohl die Lektüre von Sachtexten und literarischen Texten den Schülerinnen und Schülern durch die Aufgabenformate der Analyse, Interpretation und Erörterung bekannt ist und auch das Verfassen des Zieltextes in der Regel die Schreibenden nicht vor eine unbekannte Herausforderung stellt, zeigen die entstandenen Schüler: innentexte, dass das Aufgabenformat zusätzliche Anforderungen enthält, die sich nicht aus einer bloßen Addition der Lese- und Schreibprozesse ergeben. Zudem kann ein einzelner zu lesender Text eine textinterne Relevanz auf‐ weisen, die jedoch in Bezug auf die konkrete Schreibaufgabe nur bedingt von Bedeutung ist. Damit verschiebt sich die Bedeutung zugunsten des Schreibproz‐ esses. Welche speziellen Elemente des Textes eine Relevanz haben, ist demnach nicht - wie beispielsweise bei einer Interpretation - textimmanent, sondern auf‐ gabenspezifisch zu beurteilen. Obwohl Parallelen zwischen Schreib- und Lese‐ prozessen bestehen, die beispielsweise die Phasen der Planung, des prozeduralen Wissens und der metakognitiven Prozesse betreffen, 9 lässt sich festhalten, dass „anspruchsvolle Lese- und Schreibfähigkeiten wegen des Schriftsprachbezugs zwar theoretisch verwandte, empirisch aber unterschiedliche Kompetenzen bilden“. 10 Welche Schwierigkeiten für die Bearbeitenden einer materialgestützten Auf‐ gabe darin bestehen, beständig zwischen der Rolle der Lesenden und der Schrei‐ benden zu wechseln, verdeutlicht eine Analyse der im Rahmen der empirischen Untersuchungen entstehenden Schreibprodukte: So verweisen beispielsweise Schüler: innen in den Zieltexten des Redemanuskripts oder des Kommentars auf 97 II.1 Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben 11 Ausführliche Textbeispiele in Kapitel III.2. 2. 12 Philipp (2017), S. 38 13 Christmann, Ursula; Groeben, Norbert: Psychologie des Lesens. In: Bodo Franzmann, Klaus Hasemann, Dietrich Löffler, Erich Schön (Hgg.): Handbuch Lesen. Baltmanns‐ weiler: Schneider 2001. S. 145-223. S. 146 Materialien, die den Adressat: innen nicht zur Verfügung stehen und die diese demzufolge nicht kennen. 11 In diesem Moment beanspruchen das Lesen und das Verstehen der Materialien ein solches Maß an kognitiven Kapazitäten, sodass die Adressierung des Zieltextes nicht mehr berücksichtigt wird. Die inhaltliche Ebene des Textes steht im Vordergrund. Im Gegensatz zum Interpretieren, bei dem die Rezeption des Textes eine in der Regel vollständige Analyse impliziert, erfüllt das Lesen multipler Materialien im Rahmen materialgestützter Aufgaben andere Funktionen. So können die Informationen der Materialien konsistent, sich gegenseitig ergänzend oder widersprüchlich sein; die entscheidende Aufgabe aber ist die Integration der Materialien in einem kohärenten mentalen Modell. Die Materialien dienen dem Schreibenden zur eigenen Positionierung, als Informations- und Argumentati‐ onspool, als Muster für Textsorten - so kann beispielsweise das Anführen eines Kommentars oder Features als Grundlage des eigenen Schreibprozesses dienen - und ebenso, um die vom Zieltext geforderten kommunikativen Funktionen - beispielsweise des Unterhaltens oder des Appellierens - zu erfüllen. Die Mate‐ rialfülle spiegelt diese unterschiedlichen Anforderungen wider. Gleichzeitig soll sie den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, sich möglichst ergebnisoffen zu der Fragestellung positionieren zu können. Dies setzt voraus, dass in den Materialien divergierende Positionen vertreten sind. Das bedeutet für den Lese‐ prozess, dass zum einen der propositionale Gehalt der Materialien extrahiert und analysiert werden muss. Gleichzeitig müssen die Lesenden jedoch auch die sich widersprechenden Aussagen zu einer für die eigene Positionierung kohärenten Aussage integrieren. Dabei ist entscheidend: „Integrations- und Konstruktions‐ prozesse laufen übrigens nicht starr nacheinander und separiert ab, sondern sind hochgradig dynamisch.“ 12 Im Folgenden findet eine Konzentration auf das Lesen der Materialien statt. Der Text, der im Rahmen des Schreibprozesses entsteht und der immer wieder neu ge- und erlesen wird, soll nicht weiter berücksichtigt werden. Als Basis der folgenden Überlegungen wird mit einer Definition des Text‐ verstehens gearbeitet, die dieses als „eine kognitiv-aktive (Re)Konstruktion von Informationen darstellt, in der die im Text enthaltene ‚Botschaft‘ aktiv mit dem Vor- und Weltwissen der Rezipienten/ innen verbunden wird.“ 13 Lesen stellt somit keine ausschließlich rezeptive Tätigkeit dar, sondern einen aktiven 98 II Didaktisches Konzept 14 Siehe Auswertung Kapitel III.2. 2. 15 Zu den Materialien siehe: www.iqb.hu-berlin.de/ abitur/ sammlung/ deutsch/ Aufgabens ammlung_12.pdf Akt der Bedeutungskonstruktion, der zielgerichtet und funktional ausgerichtet erfolgt. Die daraus resultierende Text-Leser: in-Interaktion bildet die Vorausset‐ zung für einen aktiven Schreibprozess. Für das materialgestützte Schreiben be‐ deutet dies, dass die gelesenen Materialien zunächst mit dem eigenen Vorwissen in Verbindung gebracht werden müssen. Im Fall der vorliegenden Aufgabe benötigen die Schüler: innen Kenntnisse über den Inhalt des Dramas sowie über zentrale, überzeitlich relevante Konflikte. Weiterhin ist ein Wissen über die Entstehungszeit, den Autor, die literaturwissenschaftliche Bedeutung seines Werks sowie Epochen- und Gattungswissen notwendig, um das Werk vor dem Hintergrund seiner Bedeutung für das 21. Jahrhundert beurteilen zu können. Diese Beurteilung impliziert zudem Hintergrundkenntnisse zum Theater des 20. und 21. Jahrhunderts sowie Inszenierungspraktiken und -möglichkeiten. Diese Informationen werden in den zur Verfügung gestellten Materialien nicht bzw. nur ansatzweise präsentiert. Aufgrund dieses Vorwissens müssen die Aufgaben‐ stellung und die Materialien bewertet und eine Selektion der Informationen in Bezug auf die Aufgabenstellung vorgenommen werden. Im Rahmen der ersten empirischen Untersuchung, die sich mit der Frage beschäftiget, ob Ge‐ waltdarstellungen in den Medien die Gewaltbereitschaft erhöhen, wird gezeigt werden, dass nicht nur die Nutzung der Materialien die Schreibenden vor eine Herausforderung stellt, sondern auch der konkrete Bezug auf das Thema selbst. So haben zahlreiche Schüler: innen 14 zwar Bezug auf die Materialien genommen, aber sehr allgemein über die Folgen einer Mediennutzung geschrieben. Eine Aufgabenrepräsentation, die den eigentlichen Aufgabenkern identifiziert und einen Bezug zu den Materialien herstellt, wurde nicht geleistet. Eine zusätzliche Herausforderung beim materialgestützten Schreiben ist in dem Umstand begründet, dass den Lesenden unterschiedliche - kontinuierliche wie diskontinuierliche - Texte zur Bearbeitung vorliegen. Bei der Beispielsauf‐ gabe handelt es sich um elf Materialien mit insgesamt 1659 Wörtern. Davon sind acht lineare pragmatische Texte, zusätzlich liegen zwei Abbildungen und eine Tabelle vor. Texte von und über Schiller wechseln sich mit Theaterkritiken, Inszenierungszahlen sowie einer Information über den Zieltext des Offenen Briefs ab; ausschnitthafte Informationen zum veränderten Theaterverständnis und zum Regietheater finden sich neben einer Polemik über die zeitgenössische Stückauswahl und essayistischen Ausführungen zum Deutschen Idealismus. 15 Um die unterschiedlichen Quellen in Bezug auf ihre Tauglichkeit für die Textproduktion bewerten und den anschließenden Leseprozess einleiten zu 99 II.1 Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben 16 Siehe Kapitel II.2. 17 Dijk, Teun Adrianus van; Kintsch, Walter: Strategies of Discourse Comprehension. Orlando: Academic Press 1983. S. 48 18 Siehe dazu auch Schüler (2017), S. 170 19 Christmann, Groeben (2001), S. 147 können, muss ein Sprachwissen aktiviert werden, das zur Einordnung der Materialien in Bezug auf den Informationsgehalt, die kommunikative Funktion sowie die Glaubwürdigkeit herangezogen werden kann. Dieses Wissen steht den Lesenden in der Regel in Form von Textsortenkenntnissen zur Verfügung. 16 Inwieweit Materialien die Basis eines Textverständnisses darstellen, erläutern van Dijk und Kintsch im Rahmen ihres kognitiven Modells: First of all, it provides the reader with a basis for interpreting the text. A coherent textbase is obtained by binding the semantic units derived from the textual input to the conceptual skeleton provided by the knowledge schema. Textbases are the result of this marriage between schema knowledge and text. 17 Schemata stellen in diesem Zusammenhang eine Art Verstehensrahmen für die semantische Ebene des Textes und die Basis von Top-down-Prozessen dar. Damit aber greifen beim Lesen beständig Bottom-up-Prozesse, die vom Inhalt oder der Struktur des Textes selbst ausgehen, und wissensgeleitete Top-down-Prozesse ineinander. 18 Dass dieses Interaktionsverhältnis bei der Rezeption literarischer Texte besonders stark ausgeprägt ist, wird in der Forschung nicht bestritten, da gerade der Rezeption literarischer Texte diese Interaktionsstruktur seit Jahrhunderten durch die sog. Methode des ‚hermeneu‐ tischen Zirkels‘ (als immer erneut wiederholte Rückkopplungsschleife zwischen dem Verstehen von Textteilen und Textganzem, zwischen Erwartungen an den Text und Erfüllung bzw. Veränderung dieser Erwartungen durch den Text) 19 unterstellt wird. Obwohl beim materialgestützten Schreiben der Einsatz von Sachtexten in der Regel überwiegt, muss auch bei diesen Texten von einer kognitiv-konstruktiven Interaktion ausgegangen werden: Dies liegt zum einen an den unterschiedlichen Positionen und Perspektiven, die in den Materialien vertreten und von den Rezipient: innen integriert werden müssen. Ebenso aber sorgen die unterschiedlichen Textsorten dafür, dass die Bottom-up- und Top-down-Prozesse immer wieder neu bei jedem der einzelnen Materialien durchlaufen werden müssen. Dies stellt besonders für Lese- und Schreibno‐ 100 II Didaktisches Konzept 20 Der vor allem in der amerikanischen Schreibdidaktik verwendete Begriff der Schreib‐ noviz: innen betont den handwerklichen Charakter des Schreibens. Schreiben wird als eine Tätigkeit verstanden, die sich durch regelmäßiges Praktizieren erlernen und verbessern lässt. Aufgrund dieses Grundverständnisses soll der Begriff auch für die in dieser Arbeit dargestellten Schreibprozesse verwendet werden. 21 Christmann, Groeben (2001), S. 167 22 Zur Thematik der Fähigkeiten von Rezipient: innen, auf unterschiedliche Wissensbe‐ stände beim Rezipieren zurückgreifen zu können, siehe auch Waldmann, Michael R.: Schema und Gedächtnis. Das Zusammenwirken von Raum- und Ereignisschemata beim Gedächtnis für Alltagssituationen. Heidelberg: Asanger 1990. vizen 20 eine große Herausforderung dar und erfordert ein hohes Maß an Flexibilität. Modellierung des Lesens Um das Textverstehen näher beschreiben zu können, werden in dieser Arbeit Modelle bemüht, die auf die Leser: innen, den Text oder aber auf die Interaktion zwischen Text und Leser: innen abheben. Eine textorientierte Forschung kon‐ zentriert sich dabei auf die Beschreibung der Textstrukturen, die enthaltenen Propositionen und den Grad der Kohärenz zwischen ihnen. Derartige Modelle erlauben Rückschlüsse über das Maß der Verdichtung von Texten und damit verbunden die Aufnahmekapazität bei den Rezipient: innen. Leserorientierte Modelle hingegen fokussieren auf den Verarbeitungsprozess. Damit rücken Vorwissen, Erwartungen und Motivation der Leser: innen in den Mittelpunkt. Solche schematheoretischen Ansätze verstehen Schemata als „ganzheitliche Strukturen, die auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus Wissen über die ty‐ pischen Zusammenhänge von Realitätsbereichen (z. B. Bibliotheken, Computer, Filme, Autos etc.) repräsentieren.“ 21 Damit stehen Schemata den Lesern und Leserinnen als Strukturen zur Verfügung, die das Vorwissen organisieren und damit die Informationsentnahme aus den Texten steuern. Diese Strukturen sorgen dafür, dass Leser: innen Informationen, die einem Text fehlen, ergänzen und somit rekonstruieren können. Leser: innen eines Märchens beispielsweise rekonstruieren aufgrund ihres Textsortenwissens ohne Bedeutungsverlust die nicht genannten Namen und Orte der Märchenwelt sowie die fehlenden Cha‐ raktereigenschaften oder die Vorgeschichten der Figuren zu einer kohärenten Vorstellung. Problematisch beim materialgestützten Schreiben erweist sich in diesem Zusammenhang, dass die Materialien entkontextualisiert und fragmen‐ tiert präsentiert werden und somit unterschiedliche Textsorten im Rahmen einer Aufgabe gleichbedeutend nebeneinanderstehen. Die Leser: innen müssen dem‐ nach zunächst die einzelnen Textsorten identifizieren und rekonstruieren, um dann gegebenenfalls vorhandene Muster abrufen zu können. 22 Dass diese Pro‐ 101 II.1 Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben 23 Siehe Kapitel III.3. 2. 24 Zur Konzeption der Interventionen siehe vor allem Kapitel III.2. 1. Diese Intervention findet sich sowohl in der empirischen Untersuchung der Mittelstufe als auch der Oberstufe. 25 Christmann, Groeben (2001), S. 170 26 Siehe hierzu: Rosebrock, Cornelia; Nix, Daniel: Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen Leseförderung. Baltmannsweiler: Schneider 2015. S. 19 27 Siehe zu den Ergebnissen in Kapitel III.2. 2. sowie III.3. 2. zesse nicht automatisch ablaufen und ein ausgeprägtes Medialitätsbewusstsein erfordern, wird in den empirischen Untersuchungen zu beobachten sein. 23 Diese Herausforderung wird besonders bei der Konstruktion von Interventionen zu berücksichtigen sein, wenn die Schüler: innen vor der eigentlichen Lektüre auf‐ gefordert werden, die Textsorte sowie die erwartete inhaltliche Positionierung und Funktion innerhalb der Aufgabe zu formulieren. 24 Die Konfrontation mit verschiedenen Textsorten, die mit Bezugnahme auf die konkrete Aufgabenstel‐ lung gelesen werden müssen, erfordert demnach ein Schemawissen, das einen Zusammenhang zwischen Vorwissen, mentaler Konstruktion und Verarbeitung herstellt. Diese Schemata sind jedoch nicht identisch mit denen, die beim Schreiben verwendet werden können. Dadurch erhöht sich die Schwierigkeit bei Rezeption und Produktion. Vor allem mentale Modelle vermitteln zwischen Text und Leser: in und heben dabei gleichermaßen auf den Inhalt des Textes wie das Vorwissen der Rezi‐ pient: innen ab. Die Repräsentation des Gelesenen in mentalen Modellen führt dabei zu einer lokalen und globalen Kohärenzbildung. „Dadurch eröffnen sie die Möglichkeit zum gedanklichen Probehandeln, d. h. zur mentalen Simulation von Handlungen und Prozessen“ 25 . Da aber literarische Texte in der Regel andere sprachliche Figuren aufweisen als pragmatische Texte, sind Schüler: innen bei der Lektüre beispielsweise eines Gedichtes zunächst gefordert, auf lokaler Ebene komplexe sprachliche Figuren zu identifizieren, zu entschlüsseln und Kohärenz herzustellen, 26 bevor der Text in seinem Kontext betrachtet werden kann. Kann diese Kohärenz nicht hergestellt werden, weil beispielsweise Ironie nicht als ein besonderes Merkmal eines lyrischen Textes identifiziert wird, kann der Text auch nicht in einem übergeordneten Zusammenhang als Material für die eigene Argumentation verwenden werden. Die geringere Berücksichtigung literarischer Materialien in den materialgestützten Aufgaben in den empirischen Studien dieser Arbeit weist darauf hin, dass die Schüler: innen bei der Lektüre der Materialien unterschiedliche mentale Modelle erzeugen müssen, die sich nicht in ein einheitliches Bild integrieren lassen und die dazu führen, dass die Schreibenden nur selten auf diese Materialien zurückgreifen. 27 Auf die 102 II Didaktisches Konzept 28 Philipp (2017), S. 39 29 Dijk, Kintsch (1983), S. 10 30 Britt, M. Anne & Rouet, Jean-François: Learning with multiple documents: Component skills and their acquisition. Enhancing the Quality of Learning: Dispositions, Instru‐ ction, and Learning Processes, In: John R. Kirby, Michael J. Lawson (Hgg.): Enhancing the quality of learning: dispositions, instruction, and learning processes. New York: Cambridge University Press 2012. S. 276-314. S. 284 31 Siehe hierzu auch Philipp (2017), S. 37 32 Schüler (2017), S. 174 ff., Philipp (2017), S. 39 ff. Schwierigkeiten und die damit verbundene erschwerte Anwendbarkeit des Modells verweist auch Philipp. 28 Die Repräsentation des Gelesenen in Form mentaler Modelle führt zu einer vertieften Auseinandersetzung mit den jeweiligen Texten. Das von van Dijk und Kintsch entworfene Situationsmodell weist ein hohes Maß an mentalen Verarbeitungsprozessen auf und berücksichtigt nicht allein den propositionalen Gehalt des Textes und das Vorwissen der Rezipient: innen, sondern nimmt auch eine Kontextualisierung des Textes vor und bezieht die Autorintention mit ein. Van Dijk und Kintsch operieren in ihrem Modell demnach nicht ausschließlich mit linguistischen Parametern, sondern berücksichtigen ebenso die sozialen Interaktionen der Lesenden. Demnach ist jeder Verstehensprozess immer auch Teil einer sozialen Situation. „One of the major assumptions has been that in a cognitive model of discourse understanding and production, information of these various levels interacts in an intricate way.” 29 Eine Repräsentation des Textes greift demnach auf semantische und syntaktische Analysen zurück, stellt auf lokaler und globaler Ebene Kohärenz her und bezieht das Weltwissen mit ein. Der propositionale Gehalt einzelner Textaussagen sowie die Beziehungen untereinander greifen dabei ineinander. Damit lässt sich für das Modell fest‐ halten: „This situation model is an elaborated interpretation of the situation described by the text and goes beyond the information stated in the text.” 30 Je mehr Parameter jedoch beim Lesen berücksichtigt werden, desto weiter entfernt sich die Rezeption vom Wortlaut des Ursprungstextes 31 und desto größer wird der aktiv konstruierende und interpretative Anteil der Rezipient: innen. Für die konkrete Arbeit mit Texten erschwert der hohe Grad an Allgemeingültigkeit dieses Modells jedoch eine Anwendbarkeit. Um die Lektüre mehrerer Texte zu einem Thema erfassen zu können, bietet es sich an, auf das Dokumenten-Modell von Britt und Rouet (s. Abb. 3) zurückzugreifen. Diesem Ansatz folgen auch Schüler und Philipp 32 in ihren aktuellen Publikationen zum materialgestützten Schreiben. Das Modell stellt eine Erweiterung des Situationsmodells dar, zielt aber darauf ab, Bezüge zwi‐ schen unterschiedlichen Texten herzustellen. Die Autor: innen gehen davon 103 II.1 Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben 33 Siehe Britt, Rouet (2012), S. 286 aus, dass die Auseinandersetzung mit mehreren unterschiedlichen Quellen eine Lernchance darstellt, da in der Regel kein einziger Text in der Lage sei, einen komplexen Sachverhalt abzubilden. Sollen die Inhalte jedoch nicht nur gelesen, sondern beispielsweise in einem Essay argumentativ dargestellt werden, ist es Aufgabe der Lesenden und im nächsten Schritt der Schreibenden, den Inhalt der Quelle zu adressieren. Da aber jeder Text eine eigene Perspektive wahrnimmt und in einem eigenen kommunikativen Zusammenhang steht, erfordert dies nicht nur ein Verständnis der gegebenen Texte, sondern auch ihrer Genres und der Aufgabe selbst, in deren Kontext die Lektüre verortet ist. Sind zahlreiche unterschiedliche Texte gegeben, dann müssen die Bearbeitenden es schaffen, eine kohärente Repräsentation der Texte herzustellen. Abb. 3: Components of a documents model; Britt, Rouet (2012), S. 285 Das Dokumentenmodell zeichnet sich dadurch aus, dass neben der Repräsenta‐ tion der einzelnen Texte ein textübergreifendes Intertext- und Situationsmodell existiert. Von besonderem Interesse sind dabei die Zusammenhänge zwischen den Dokumentenknoten der einzelnen Texte im Intertext-Modell. So wird davon ausgegangen, dass ein Text neben seinem Inhalt immer auch Informationen und Kontexte zur Quelle und zur Darstellungsebene („Rhetorical goals“) enthält. Diese lassen sich in Autoreninformationen („Position / Status, Motivation, Access“), Entstehungshintergrund („Place, Time, Culture, Date, Type“), Form („Type“) sowie „Rhetorical goals“ gliedern, die die Intention und die Adressie‐ rung einbeziehen. 33 Das Intertext-Modell berücksichtigt demnach die eben skizzierten Document nodes, die über den eigentlichen Inhalt hinausreichende Informationen ent‐ 104 II Didaktisches Konzept 34 Britt, Rouet (2012), S. 289 35 Diese sind einsehbar auf der folgenden Seite: www.iqb.hu-berlin.de/ abitur/ sammlung/ deutsch/ Aufgabensammlung_12.pdf halten und häufig von den Lesenden antizipiert werden müssen, da sie in der Quelle selber nicht angegeben sind. Wird jedoch mit mehreren Texten gearbeitet, dann stellen die Intertext predicates die Verbindungen zwischen diesen her. „It is actually these intertext links that allow one to create a coherent and integrated representation of conflicting theories and evidence“ 34 . Von den Lesenden muss demnach mindestens eine Verbindung zwischen den Quellen hergestellt werden, damit ein mentales Modell der Texte entstehen kann. In der Regel stellt die in der Aufgabenstellung vorgenommene thematische Auswahl diese Verbindung her. Im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben aber erweist sich als problematisch, dass diese besonders im Fall von literarischen Texten nicht automatisch von den Schülerinnen und Schülern rekonstruiert werden kann. Enthalten die Quellen zudem widersprüchliche Aussagen - wie dies besonders im Rahmen einer strittigen Debatte gegeben ist -, dann ist es erforderlich, dass die unterschiedlichen Perspektiven wahrgenommen und reflektiert werden; ansonsten ist eine Integration unmöglich. Anhand der IQB-Aufgabe und der dazugehörigen Materialien sollen Schwie‐ rigkeiten aufgezeigt werden, die sich beim Herstellen von Dokumentenknoten ergeben: So impliziert die Überschrift von Material 2 35 Guido Hiss: Was analy‐ siere ich wie? , dass es sich bei der Quelle um Informationen zur Textanalyse handelt. Das Herstellen intertextueller Bezüge wird zudem erschwert, da der Textausschnitt dem Aufsatz Der postmoderne „Faust“ entnommen ist. Dass in diesem Textausschnitt der Autonomieanspruch des Theaters verhandelt wird, der sich auch auf das Drama Kabale und Liebe übertragen lässt, muss von den Schülerinnen und Schülern zunächst mitgedacht werden, bevor dem Text die eigentliche inhaltliche Aussage (Content information) entnommen und auf das Drama Kabale und Liebe übertragen werden kann. Auch das nächste Material, in dem es um die Bedeutung des Regietheaters geht, dürfte nicht einfach in die eigene Argumentation zu integrieren sein, da zunächst das Regietheater als eine Opposition zur Theaterpraxis beispielsweise des 19. Jahrhunderts verstanden werden muss. Erst durch das Wahrnehmen dieser Beziehung kann eine Verbindung zu Material 8 hergestellt werden, in welchem ein Auszug aus Schillers Betrachtungen zur Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet präsentiert wird. Die inhaltliche Verbindung der einzelnen Materialien stellt sich demnach nicht automatisch her. Fehlt eine solche Verbindung, dann wird es den Lesenden schwerfallen, die Quellen auf die Aufgabenstellung zu beziehen und für die eigene Argumentation zu nutzen. 105 II.1 Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben 36 Britt, Rouet (2012), S. 281 37 BS AHR (2012), S. 5, 17, 163 38 Die Ergebnisse werden ausführlich in Kapitel III.2. 2., III.3. 2. sowie III.4 dargestellt, erläutert und ausgewertet. 39 Britt, Rouet (2012), S. 284 40 Auf diesen Aspekt wird ausführlich im Rahmen der Auswertung d empirischen Studien eingegangen, siehe Kapitel III.4. Britt und Rouet gehen davon aus, dass eine Beschäftigung mit unterschied‐ lichen Texten bzw. Quellen den Schülerinnen und Schülern nicht nur dazu verhilft, die Besonderheiten des jeweiligen Textes und die Interdependenzen zwischen den Texten aufzuzeigen. Vielmehr eröffne eine Interpretation ein Verständnis für die Komplexität des Themas selber, die über die Wiedergabe von Wissen hinausgehe. 36 Dieses Verständnis ist durchaus parallel zum wissen‐ schaftspropädeutischen Ansatz der BS AHR. 37 Müssen aber unterschiedliche Perspektiven wahrgenommen und sich widersprechende Informationen in eine kohärente Repräsentation des Themas integriert werden, dann erhöht sich die Komplexität der Lese- und Schreibprozesse. Durch den Umgang mit einer Vielzahl an Texten kann ein vertieftes Lernen einsetzen. Da Schüler: innen in der Regel jedoch zunächst auf ihr eigenes Wissen vertrauen und rekurrieren - diese Einschätzung Britts und Rouets stützen die eigenen empirischen Erhebungen, die zeigen, dass in den am Ende der Interventionsstudie verfassten Zieltexten die Probanden der Mittelstufe nur auf 2,17 von 7 Materialien und in der Oberstufe auf 2,72 von 8 Materialien zurückgreifen 38 -, ist es erforderlich, Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die das Erfordernis eines Rückgriffs auf die Quellen offensichtlich machen. Die Unterstützung betrifft eine Auseinandersetzung mit den Textsorten und die Festlegung der Reihenfolge der zu lesenden Texte ebenso wie das Feststellen der Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Texten. Die Herausforderungen des Leseprozesses betreffen aber auch die Argumenta‐ tion selber und das Genrewissen: „This is important because knowledge of the genre guides the creation of certain task goals and subgoals.“ 39 Es muss also angestrebt werden, das Vorwissen der Schüler: innen zu aktivieren und mit den aktuellen Wissensbeständen und der konkreten Aufgabenstellung in Verbindung zu bringen. Soll zum kompetenten Umgang mit zahlreichen Quellen angeleitet werden, dann erfordert dies nicht nur ein Einüben, sondern auch eine differenzierte Aufgabenkultur sowie eine curriculare Verortung. 40 Dass das Dokumentenmodell tatsächlich für die Modellierung materialge‐ stützter Schreibaufgaben und die Konstruktion von Interventionen geeignet ist, wird ein Blick auf die empirischen Untersuchungen vor allem in der Mittel- und Oberstufe und die in diesem Zusammengang erarbeiteten Schreibarrangements 106 II Didaktisches Konzept 41 Ausführlich wird auf diese Aspekte im Rahmen der Darstellung der Unterrichtsein‐ heiten und der Interventionen eingegangen. 42 Britt, Rouet (2012), S. 291 43 “unfolding cycle of processing steps and decisions”, Rouet, Jean-François; Britt, M. Anne: Relevance processes in multiple document comprehension. Chapter submitted as part of McCrudden, Magliamo & Schraw’s Edited volume on Relevance-based reading. 2010. URL: https: / / www.researchgate.net/ publication/ 268011216_Relevance_processes _in_multiple_document_comprehension. S. 1-27. S. 5 44 Philipp (2017), S. 46 dieser Arbeit zeigen: Das betrifft sowohl die Interventionen zur Positionierung, die Komponentenanalyse als auch das Anfertigen einer Tabelle, in der vor der eigentlichen Lektüre Informationen über die Quelle der Materialien, ihr Entste‐ hungsdatum, die Textsorte und den antizipierten Zweck festgehalten werden. Diese Interventionen leiten die Schüler: innen dazu an, die Interdependenzen zwischen den Materialien herzustellen und ihre Lektüre zu organisieren. 41 Damit aber wird deutlich, dass Lesen kein bloß rezipierender Akt ist, sondern ein kognitiv-konstruierender: „The important point is that in a multiple-document situation, the reader is the author of the integrated mental model, and this generally requires that the content be transformed and organized.“ 42 Da beim materialgestützten Schreiben jedoch nicht nur zwei Quellen be‐ rücksichtigt werden müssen, soll anhand des MD-TRACE-Modells (for Mul‐ tiple-Document Task-based Relevance Assessment and Content Extraction) die Mehrdokumentenverarbeitung in den Blick genommen werden (s. Abb. 4). Dieses deskriptive Modell unterteilt die Arbeit mit unterschiedlichen Quellen in fünf Prozesse: Auf der Basis der Konstruktion eines Aufgabenmodells, in der die Lesenden eine Konkretisierung der Aufgabe und der damit verbundenen Res‐ sourcen vornehmen, wird eine Beurteilung der Informationen vorgenommen, die zur Bearbeitung der Aufgabe erforderlich sind. Es folgt die Auswahl, Verarbeitung und abschließende Integration der Quelleninformationen. Voraus‐ setzung ist demnach zunächst, dass die Lesenden eine Vorstellung der Aufgabe entwickeln. Um die Entnahme aufgabenspezifischer Informationen und Positionen aus unterschiedlichen Quellen abbilden zu können, geht das Modell von einem zyklischen Prozess aus, der aus einzelnen Teilschritten und Entscheidungen besteht, die sich immer weiter entfalten. Obwohl die Darstellungsweise in Form eines Flussdiagramms nahelegt, dass es sich um ein sequentielles Vorgehen handelt, betonen die Verfasser: innen den cyclischen Charakter. 43 So stellen die einzelnen Schritte, die im Zentrum des Modells stehen, eher „Entscheidungsstationen“ 44 dar, denn fest und vor allem einmalig ablaufende Teilhandlungen. 107 II.1 Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben Abb. 4: MD-Trace modell of multiple document use von Britt, Rouet (2010), S. 27 Das Modell geht davon aus, dass Lesende bei der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Quellen sowohl auf externe als auch auf interne Ressourcen zurückgreifen. Übertragen auf eine materialgestützte Schreibaufgabe beziehen sich die externen Ressourcen auf die Aufgabenumgebung, die die Konkretisie‐ rung der Aufgabe beinhaltet, beispielsweise auf die vorgegebenen Operatoren oder den Zieltext. Ebenso spielen hier aber auch Faktoren wie die zur Verfügung stehende Zeit oder die kontextuelle Einordnung der Aufgabe eine Rolle. So ist relevant, ob es sich um eine Lern- oder Leistungsaufgabe handelt und wie sich die persönliche Bedeutsamkeit der Aufgabe für die Lesenden und damit die Motivation gestaltet. Die zweite externe Ressource betrifft die zur Verfügung gestellten Quellen bzw. Materialien. Aber auch personale Ressourcen spielen hier eine - unterstützende - Rolle. Dies können instruierende Lehrer: innen ebenso wie Mitschüler: innen sein. Zudem stellen die während des Leseprozesses der Materialien entstehenden Notizen Ressourcen für die weitere Verarbeitung dar. Die internen Ressourcen unterteilen die Autor: innen in relativ feststehende, permanente und vorübergehende Ressourcen. Unter den permanenten Res‐ sourcen werden das Vorwissen, die Lesekompetenz sowie Fähigkeiten, die die Planung und die Selbstregulation betreffen, gefasst. Damit sich Leser: innen ziel‐ 108 II Didaktisches Konzept 45 Siehe Kapitel III.3. 1. führend mit einer Aufgabe und den zur Verfügung gestellten Quellen beschäf‐ tigen und diese auch bewerten können, ist ein Mindestmaß an - thematischem - Vorwissen erforderlich. Dieser Aspekt findet im Kontext materialgestützter Aufgaben seine Berücksichtigung, indem die Themen domänenspezifisch aus‐ gewählt sein müssen. So stellt die Kenntnis des Dramas Kabale und Liebe eine Voraussetzung für die Bearbeitung der Aufgabe dar. Ebenso wird betont, dass die Lesenden Kenntnisse davon haben müssen, dass es sich bei den Quellen um Artefakte handelt. Ohne eine Beachtung beispielsweise der Entstehungszeit der Quelle oder der Informationen zum Autor wird es schwerfallen, den Inhalt angemessen berücksichtigen zu können. Die vorübergehenden Ressourcen betreffen alle Aktivitäten im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Aufgabe: So beeinflussen das Verständnis und die daraus resultierende Repräsentation der Aufgabe durch die Lesenden und die zur Verfügung gestellten Quellen sowie die Beziehung der Quellen unterein‐ ander den Leseprozess. Die Analyse der Aufgabe und das daraus resultierende Aufgabenmodell ermöglichen es, Teilziele der Aufgabe zu identifizieren und vor diesem Hintergrund die Quellen zu befragen. Bezogen auf eine materialge‐ stützte Aufgabe bedeutet dies: Erst wenn Lesende wissen, welche Intention die Aufgabe erfüllt, wer die Adressat: innen sind und welche Teilfunktionen der zu schreibende Text umfasst, können sie beurteilen, welche Informationen zur Lösung erforderlich sind, welches Vorgehen sinnvoll ist, in welcher Reihenfolge Texte gelesen werden sollen und wie Notationen sinnvoll gestaltet werden können. Dadurch aber wird das Aufgabenmodell zu einer inneren Ressource, die für den Lese- und Verarbeitungsprozess zur Verfügung steht. Stellen Rouet und Britt die Abläufe beim Verarbeiten multipler Quellen plausibel dar, so ist dadurch noch nicht geklärt, wie sich vor allem für Schreibnovizen eine derar‐ tige Aufgabenrepräsentation gestalten kann. Die Auswertung der empirischen Untersuchungen in der Mittel- und Oberstufe zeigt, dass die Schreibenden große Probleme haben, die Teilaspekte der jeweiligen Aufgabe zu dechiffrieren. Die Komponentenanalyse stellt in diesem Zusammenhang einen Ansatz zur Aufgabenrepräsentation dar, der in der 2. empirischen Untersuchung zum Einsatz kommt. 45 II.1.1.1 Die Komponentenanalyse Die Komponentenanalyse nimmt als ein Verfahren der linguistischen Semantik eine Zerlegung der Gesamtbedeutung in kleinste Bedeutungselemente vor. Mit Hilfe objektsprachlicher Ausdrücke sollen dabei semantische Einheiten darge‐ 109 II.1 Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben 46 Siehe Bußmann, Hadumod: Lexikon der Sprachwissenschaft. Zweite, völlig neu bear‐ beitete Auflage. Stuttgart: Kröner 1990. S. 398 ff. 47 Gross, Harro: Einführung in die Linguistik. Neu bearbeitet von Klaus Fischer. München: iudicium 1998. S. 119. Siehe dazu auch: Schumacher, Frank; Steiner, Petra: Aspekte der Bedeutung: Semantik. In: Horst Müller (Hg.): Arbeitsbuch Linguistik. Paderborn: Ferdinand Schöningh 2002. S. 170-198. S. 182 48 Siehe zur kontrastieren Darstellung auch Schumacher, Steiner (2002), S. 184 49 Grewendorf, Günther; Hamm, Fritz; Sternefeld, Wolfgang: Sprachliches Wissen. Eine Einführung in moderne Theorien der grammatischen Beschreibung. Frankfurt: Suhr‐ kamp 1990. S. 306 stellt werden. Gleichzeitig aber wird aufgrund des Abstraktionsgrades diesen Einheiten ein metasprachlicher Charakter zugesprochen. Wird davon ausge‐ gangen, dass ein Wort zusammen mit anderen Wörtern eine strukturierende Menge ergibt 46 und dass sich die Bedeutung von Begriffen in Komponenten zerlegen lässt, so sollen die Grundsätze der Komponentialsemantik auf den Umgang mit Aufgabenstellungen übertragen werden, indem die Eigenschaften und Beziehungen, die zwischen den Lexemen des Satzes bestehen, analysiert werden. Durch das Herstellen von Bedeutungsbeziehungen wird zwischen der Oberflächen- und der Tiefenstruktur unterschieden. Innerhalb der Aufgabe sollen demnach Teilziele festgelegt werden, die den Lese- und Schreibprozess gliedern. Grundgedanke einer Komponentenanalyse ist, dass jeder Begriff un‐ terschiedliche Merkmalsausprägungen - Seme - aufweist. Im Zentrum stehen demnach Bedeutungsstrukturen, die „in einer unmittelbaren Opposition“ 47 stehen. Jede Komponente trägt das Gegensätzliche stets in sich. Dieses muss mitgedacht werden, bevor die Relationen zwischen den Komponenten in einem nächsten Schritt hergestellt werden. Das Feststellen dieser Distinktivität ist eine zentrale Voraussetzung, die Strittigkeit in der Aufgabenstellung wahrzunehmen und darauf basierend zu argumentieren und sich zu positionieren. 48 Das be‐ deutet, dass sich ein Gegenstand durch distinkte Merkmale von einem anderem unterscheidet und dadurch abgrenzt. Diese Unterschiede werden in der Regel in einem Raster oder in einem Stammbaum wiedergegeben und das jeweilige Merkmal wird in Bezug auf sein Vorhandensein charakterisiert. Ob sich von einem Merkmal jedoch stets zweifelsfrei behaupten lässt, dass es vorhanden (+), nicht vorhanden (-) oder indifferent in Bezug auf die Komponente ist (0), ist frag‐ lich und wird in der Forschung kritisch diskutiert. Trotz dieser Einschränkung und der Tatsache, dass eine Komponentenanalyse eine intuitive Kenntnis der semantischen Zusammenhänge voraussetzt, die aber gleichzeitig Erkenntnisziel ist, bietet das Verfahren der Komponentenanalyse die Möglichkeit, „generali‐ sierende Aussagen über Bedeutungen und Bedeutungszusammenhänge von Wortklassen zu machen“. 49 110 II Didaktisches Konzept 50 Siehe z. B. Gross (1998), S. 122 51 Siehe Adamzik, Kirsten: Sprache: Wege zum Verstehen. Tübingen: A. Francke 2004. S. 71 ff. 52 Siehe dazu auch Schumacher, Steiner (2002), S. 184. 53 Grewendorf et al. (1990), S. 311 Grundvoraussetzung dafür ist die Annahme, dass Wörter jeweils eine fest umrissene Bedeutung haben 50 und diese erfasst werden kann. Ziel ist, dass diese bei den Lesenden implizit vorhandene Vorstellung von den Begriffen sichtbar gemacht und in konkrete Listen übertragen wird. Somit wird von einer Wortfeldanalyse ausgegangen, die eine Inhaltsanalyse und damit eine Zerlegung in einzelne Bestandteile vornimmt. 51 Denotative und konnotative Bedeutungen werden berücksichtigt. Dieses Vorgehen setzt eine genaue und kohärente Beschreibung des Gegenstandes und damit eine Zerdehnung der Wahrnehmung voraus. Dabei geht es um Ähnlichkeiten und Abweichungen gleichermaßen und durch das Zusammentragen von Merkmalen wird der Gegenstand selbst charakterisiert. Eine Grundannahme ist weiterhin, dass die jeweiligen Teilkomponenten einfacher, das heißt, nicht weiter zerlegbar sind. Dies setzt sie Existenz einer Art Universalrepertoire sprachlicher Zeichen voraus. Ob dies tatsächlich auch für abstrakte Begriffe zutrifft, bliebe kritisch zu diskutieren. 52 Wenn Grewendorf et al. in diesem Zusammenhang kritisch anmerken, dass es dadurch zu einer „bedenklichen Vermehrung semantischer Merkmale“ 53 komme, dann ist dies der Ausgangspunkt, der im Rahmen der Aufgabenanalyse und -repräsentation zum Einsatz kommen soll und der es Schreibnovizen ermöglicht, die in der Aufgabenstellung enthaltenen impliziten Themenfelder zu entfalten. Auf die Analyse einer Aufgabenstellung des materialgestützten Schreibens übertragen erfordert eine Komponentenanalyse, dass nicht nur die einzelnen Elemente der Aufgabe benannt, sondern die Zusammenhänge untereinander und damit das Sinnganze erkannt werden müssen. Das Sinnganze stellt in diesem Zusammenhang beim materialgestützten Schreiben das Thema der Aufgabe selber ebenso wie die Verortung der Argumentation im Kontext der Aufgabenstellung dar: Hier müssen demnach Zieltext, Adressierung und Situierung berücksichtigt werden. Die Relationen, die zwischen den einzelnen Komponenten bestehen, gilt es herauszuarbeiten und in Aussagen umzuformen. Im letzten Schritt sollen Fragen formuliert werden, die mit Hilfe der Materialien und des eigenen Weltwissens beantwortet werden sollen. Diese Aspekte sollen in Bezug auf zwei Aufgabenstellungen konkretisiert werden: 111 II.1 Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben 54 Feilke, Helmuth; Lehnen, Katrin; Rezat, Sara; Steinmetz, Michael: Materialgestütztes Schreiben lernen. Braunschweig: Schroedel 2016. S. 204 ff. Der Radiosender Offener Kanal Berlin stellt jede Woche 10 Minuten Sendezeit zur Verfügung für Schülerbeiträge zum Thema „Literatur der Moderne“. Verfassen Sie ein Sendemanuskript für einen Hörbeitrag im Stile eines Radio-Features zum Thema „Warum ist schöne Literatur heute so hässlich? “ Ihr Feature soll Jugendliche Ihrer Altersstufe auf unterhaltsame Weise darüber informieren, dass und aus welchen Gründen schöne Literatur in der Moderne häufig hässliche Züge trägt. Vertonen Sie Ihr Manuskript am Ende für die Radiosendung. 54 In dieser Aufgabenstellung für die Oberstufe wird der zentrale Gegensatz des Schönen und Hässlichen explizit formuliert und damit sichtbar gemacht; das übergeordnete Sinnganze - die Literatur - wird dreifach in der Aufgabenstel‐ lung benannt. Aber auch die Zeitangaben heute und Moderne implizieren den Gegensatz des Vormodernen bzw. zeitlich weiter Zurückliegenden. Weniger offensichtlich hingegen gestalten sich die Gegensätze - und damit auch die Strittigkeit der Thematik - bei der Aufgabenstellung zur Inszenierung des Dramas Kabale und Liebe: Die Frage, warum es auch im 21. Jahrhundert sinnvoll sei, Kabale und Liebe für die Bühne zu inszenieren, fordert in Bezug auf die Zeitangabe und die Zuweisung der Sinnhaftigkeit auf, Gegensätze zu bilden. Beide Komponenten sind weniger offensichtlich als bei der vorangegangenen Aufgabenstellung: So kann sich die Inszenierungspraxis auf Zeiten vor dem 21. Jahrhundert im Allgemeinen oder auf die Entstehungszeit des Dramas beziehen. Die Frage nach dem Sinn wird durch das Adjektiv „zeitgemäß“ im ersten Teil der Aufgabenstellung ergänzt. Mögliche Gegensätze sind eine mangelnde Aktualität oder ein fehlender Lebensweltbezug. In Bezug auf die dritte Ebene - das Sinnganze - ist die Aufgabenstellung ebenso nur bedingt eindeutig: So geht es um das Drama ebenso wie um seine Inszenierung. Aus dieser Komponentenanalyse leiten sich unter anderem folgende Aus‐ sagen ab, die die Grundlage der Befragung der Materialien bilden können: Eine Inszenierung des Dramas war in vergangenen Zeiten sinnvoll. Es existieren Kriterien für die Auswahl von Dramen, die inszeniert werden sollen. Die Lebens‐ welt der Zuschauer des 21. Jahrhunderts hat sich verändert. Um als Drama auf einer Bühne inszeniert zu werden, muss das Stück eine zeitgenössische Dimen‐ sion enthalten. Dramen enthalten nicht per se allgemeingültige, überzeitliche Dimensionen. Aus der Situierung der Aufgabe ergeben sich weitere mögliche Teilkomponenten, beispielsweise die Perspektive des jugendlichen Zuschauers auf die Stückauswahl, die Bedingungen eines städtischen Theaters sowie die im Folgenden skizzierten Besonderheiten des Zieltextes, die erfordern, zwischen 112 II Didaktisches Konzept 55 Siehe hierzu auch Adamzik (2004), S. 87 56 Hans von Trotha: Liebe Bundeskanzlerin; aus: Deutschlandradio, 24. 5. 2017, 14.10 Uhr persönlichen und öffentlichen Anliegen zu differenzieren. Das Bestimmen von Teilzielen erlaubt es, Dokumentenknoten zu erstellen, eine Beziehung zwischen den einzelnen Materialien herzustellen und für den Schreibprozess auf die Materialien zurückzugreifen. Die Komponentenanalyse leitet somit die Repräsentation der Aufgabe ein. Jedoch muss berücksichtigt werden, dass beim Entwickeln der einzelnen Komponenten und der daraus abgeleiteten Fragen letztendlich - wie auch in der Prototypensemantik - gilt, dass nicht alle Kate‐ gorien die gleiche Relevanz haben 55 und damit gleichermaßen in den Materialien repräsentiert werden. Für die Aufgabenanalyse ist dabei eine Komponenten‐ analyse im klassischen Sinne mit der Auflistung aller Komponenten jedes einzelnen Begriffs nur bedingt zielführend. Ausgehend von der Bestimmung des domänenspezifischen Themas müssen vielmehr die Beziehungen zu diesem herausgearbeitet werden. Vor allem mit Schreibnovizen muss dieses Verfahren eingeübt werden. Im Rahmen der empirischen Untersuchung in der Oberstufe gilt es zu untersuchen, inwiefern dieses Verfahren sich für den Schreibprozess als sinnvoll erweist. Zur Konkretisierung des MD-TRACE-Modells Um den Leseprozess multipler Dokumente abbilden zu können, steht im Zen‐ trum des MD-TRACE-Modells ein fünfstufiges Vorgehen, das zunächst von einem Entwurf des Aufgabenmodells ausgeht. Dieser impliziert eine Repräsen‐ tation der erwarteten Ergebnisse und Auswirkungen des Lesens, einen Abgleich mit dem eigenen Vorwissen und mit ähnlichen, bisher bearbeiteten Aufgaben. Bezogen auf die Beispielsaufgabe müssen sich die Schüler: innen nicht nur die inhaltliche Dimension der Aufgabe vergegenwärtigen, die im Rahmen der Komponentenanalyse näher erläutert wurde. Ebenso gilt es, die Erfordernisse, die sich aus dem Zieltext, der Adressierung und der Situierung ergeben, zu konkretisieren. So erfordert die Textsorte des Offenen Briefes die Wahrnehmung einer doppelten Adressierung: Der Brief richtet sich zwar appellierend an die Intendantin, wendet sich aber gleichermaßen an die Kulturinteressierten und -schaffenden der Stadt. Diese Spannung zwischen dem genannten und den eigentlichen Adressat: innen gilt es aus Sicht der Schüler: innen zu decodieren. Für das Verfassen eines Offenen Brief ist ebenso kennzeichnend, dass in der Regel eine Asymmetrie zwischen Autor: in und Adressat: in vorliegt, die vor allem den Stil des Briefes prägt. Hans von Trotha spricht in diesem Zusammen‐ hang von einem öffentlichen „Akt der Intimität“ 56 : So müssen die Themen 113 II.1 Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben 57 www.iqb.hu-berlin.de/ abitur/ sammlung/ deutsch/ Aufgabensammlung_12. S. 9 58 Siehe Material 10 „Definition des Offenen Brief “, Z. 8/ 9 In: www.iqb.hu-berlin.de/ abitu r/ sammlung/ deutsch/ Aufgabensammlung_12. S. 9 [Angabe des Verfassers fehlt] zwar die Öffentlichkeit berühren, aber gleichzeitig einen persönlichen, intimen Kern enthalten. Durch die in der Aufgabenstellung vorgenommene Situierung - die Stellungnahme soll vom Deutschkurs vorgenommen werden - wird diese Intimität jedoch wieder zurückgenommen. Unklar ist, ob die Schülerin bzw. der Schüler aus einer persönlichen Perspektive schreiben oder die Meinung des gesamten Kurses vertreten soll. Diese Situierung erschwert somit eine Positio‐ nierung. In Bezug auf die Intention des Briefes kommt erschwerend hinzu, dass sich die Schreibenden des Briefes zwar eine Reaktion erhoffen, diese jedoch in der Regel nicht zeitnah oder in Form einer persönlichen Antwort erfolgt, sondern sich in einer öffentlichen Stellungnahme oder in einem veränderten Handeln artikuliert. Dieser Komplexität des Zieltextes wird in dem Anfügen von Material 10 begegnet: 57 Da in Bezug auf den Offenen Brief von keinem für alle Schüler: innen verfügbaren Textsortenwissen ausgegangen werden kann, ist das Anführen eines Materials, das Textsorten vermittelt, sinnvoll. Gleichzeitig bleibt kritisch zu beurteilen, ob diese Informationen ausreichen und ob die Schüler: innen auf dieses, als letztes präsentierte Material auch tatsächlich zurückgreifen. So erhalten sie zwar Information über den Zieltext. Da jedoch in der Aufgabenstellung das Medium, in dem der Offene Brief veröffentlicht werden soll, nicht angeführt wird, kann die „allgemeine Zugänglichkeit“ und das „Mitlesen der Öffentlichkeit“ 58 leicht übersehen werden. Auf der Grundlage einer derartigen Aufgaben- und Zieltextanalyse gilt es, in einem dynamischen Vorgehen Teilziele sowie Kriterien festzulegen, die helfen, die Quellen in Bezug auf ihre Tauglichkeit für die Aufgabe zu bewerten und einen Plan für die einsetzenden Lesevorgänge zu konstruieren. Dass gerade 114 II Didaktisches Konzept 59 Inwiefern Studierende zur Pilotierung der Aufgabe eine Rolle im Rahmen der empiri‐ schen Untersuchung eine Rolle spielen, wird in Kapitel III.3. 1. näher erläutert. 60 Rouet, Britt (2010), S. 14 die Vergegenwärtigung der Ergebnisse und das Festlegen von Kriterien hohe Erfordernisse an die Leser: innen stellen und Lesenoviz: innen multipler Quellen überfordern, zeigen nicht nur die eigenen empirischen Ergebnisse. Auch die Autor: innen des Modells weisen bei der Darstellung des zweiten Schritts - der Beurteilung, ob Informationen zur Bearbeitung der Frage erforderlich sind - auf diese Schwierigkeit hin: So tendieren Schüler: innen zu der Annahme, ohne zusätzliche Informationen die Aufgabe bearbeiten zu können. Dieser Aspekt ist für das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens in mehrfacher Hinsicht relevant: Zum einen zeigt die Materialnutzung der Schüler: innen ebenso wie die der Studierenden, 59 dass die Notwendigkeit, Materialien für die Argumentation zu verwenden, nur von einem Teil der Bearbeitenden gesehen wird. Dies aber verdeutlicht, dass in der Fachdidaktik darüber diskutiert werden muss, die Aufgabenstellung diesbezüglich eindeutiger zu formulieren oder aber komplexer zu gestalten, so dass es nicht ausreicht, bei der Bearbeitung ausschließlich auf eigenes Weltwissen zurückzugreifen. Ebenso kann es sich als sinnvoll erweisen, Interventionen anzubieten, die den Zusammenhang zwischen Aufgabenstellung und Materialnutzung explizit einüben. Eine Verän‐ derung der Aufgabenstellung betrifft sowohl die inhaltliche Ausgestaltung - ein Erhöhen der Komplexität kann die Notwendigkeit verstärken, Materialien zu nutzen - als auch den Grad der Verpflichtung, Materialien zu nutzen und in die Argumentation einzubringen. Nach der Verarbeitung der Dokumente erfolgt als nächster Schritt auf der Grundlage des Dokumentenmodells und des damit verbundenen Einbeziehens von Informationen aus den Quellen eine Revision bzw. Aktualisierung des Aufgabenmodells. Durch das einsetzende Verstehen entsteht eine zunehmende Interaktion mit dem Text, die sich u. a. in Markierungen und Annotationen zeigt. In diesem Zusammenhang weisen Rouet und Britt auf die altersübergreifende, von Schreibkompetenzen weitestgehend unabhängige Schwierigkeit hin, einen Zusammenhang zwischen der Aufgabenstellung und den zur Verfügung ge‐ stellten Informationen herzustellen: Dies betrifft das Nutzen von Informationen zur Beantwortung von Wissensfragen, das Formulieren von Argumenten, das Berücksichtigen eines anderen Standpunktes und damit der Perspektivverän‐ derung sowie der Positionierung im Rahmen einer kontroversen Aufgabenstel‐ lung. „We believe that each of these problems can be partially traced to an inappropriate task model.” 60 115 II.1 Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben 61 Rouet, Britt (2010), S. 15 62 Siehe Kapitel II.2 und II.3. 63 Wolfe, Christopher R.; Britt, M. Anne; Butler, Jodie A.: Argumentation Schema and Myside Bias in Written Argumentation. In: Written Communication. Vol. 26, Number 2, April 2009. S. 193-209 64 Wolfe et al. (2009), S. 205 Wenn Rouet und Britt anmerken, dass im Rahmen der Bearbeitung von Auf‐ gaben nur wenig elaborierte Argumente angeführt werden, dann kann darauf geschlossen werden, dass die Quellen nicht ausreichend einbezogen wurden. Als Ursachen führen sie die Komplexität des Argumentierens an: „writing complete, audience-appropriate arguments, evaluating the theory-evidence connection, and the counterfactual reasoning“. 61 Dass sich diese Schwierigkeiten auch beim materialgestützten Schreiben beobachten lassen, ist vielfach angedeutet worden und wird im Rahmen der Auswertung des ersten und zweiten empirischen Teils dieser Arbeit vertieft werden. Dies ist auch die Grundlage für die Entscheidung, dass der Fokus eines schemabasierten Schreibmodells, das in dieser Arbeit erprobt werden soll, auf der Auseinandersetzung mit den Grundlagen der Argumentation basiert. 62 Eng mit der Feststellung verbunden, dass Schüler: innen im Rahmen material‐ gestützter Aufgaben nur selten auf Quellen zurückgreifen, ist die Beobachtung, dass Gegenargumente in Argumentationen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Die Forschergruppe um C. Wolfe 63 hat in diesem Zusammenhang unter‐ sucht, wie es zu Verzerrungen in Argumentationen kommt, wenn ausschließlich die eigene Positionierung einbezogen wird, und welche Interventionen die Qualität der Argumentation verbessern. Um diese zu erhöhen, muss in einem ersten Schritt die Qualität der Argumente selbst in den Blick genommen werden. Dazu wird mit Argumentationsschemata gearbeitet, die weniger die prozedurale Ebene berücksichtigen, denn den schematischen Aufbau von Argumenten. Um die kommunikative Funktion der Argumentation abbilden zu können - „An argument, by definition, is an attempt to persuade readers to change their attitudes, beliefs, or behaviors by providing one or more reasons to support the claim already made.” 64 -, fordern die Autor: innen von den Schülerinnen und Schülern zunächst eine klare Positionierung, an die sich Begründungen anschließen. Entscheidend ist, nicht unbegrenzt Gründe anzuführen, sondern sich vielmehr auf drei bis vier wichtige zu beschränken und ein zentrales Gegenargument anzuführen. An dieser Studie ist bemerkenswert, dass die Verfasser: innen auch bei der Arbeit in der Oberstufe auf ein Schreibschema zurückgreifen, das die Grundlage für die inhaltliche und strukturelle Gestaltung des zu schreibenden Essays darstellt. Dieser Engführung ist dem Umstand des 116 II Didaktisches Konzept 65 Dieser Aspekt wird bei der Auswertung der Schüler: innentexte und der abgeleiteten Konsequenzen noch vertieft werden. 66 Schüler (2017), S. 187 eingangs dargestellten Unvermögens der Schreibenden ebenso wie der Einsicht in die Bedeutung des Argumentierens im universitären wie im beruflichen Kontext geschuldet. Dieser schemabasierte Ansatz ist für die US-amerikanische Schreibdidaktik handlungsleitend und Kerngedanke des Konzepts des Teachers College Reading and Writing Project der Columbia University New York. Dieses Konzept prägt maßgeblich die Interventionen der dritten empirischen Untersuchung dieser Arbeit und wird in Kapitel II.4 näher erläutert. Dass in den Interventionen für die Mittel- und Oberstufe dieser Ansatz nicht weiter verfolgt wurde und eine Fokussierung auf die Positionierung, die Entfaltung der Aufgabe, die kom‐ munikativen Funktionen des Zieltextes, die Situierung der Aufgabe sowie die Materialeinbringung stattfand, beruhte - fälschlicherweise - auf der Annahme, dass die Schüler: innen durch die Beschäftigung mit dem Aufgabenformat der Erörterung die Grundlagen der Argumentation bereits erlernt haben und beherrschen. 65 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das MD-TRACE-Modell auf die Dimensionen der Quellennutzung und -verarbeitung und der damit verbun‐ denen Repräsentation eines Aufgaben- und Dokumentenmodells fokussiert. Diese Aspekte sind zentral für den Schreibprozess im Rahmen des materialge‐ stützten Schreibens, der jedoch, wie auch Schüler betont, 66 nur am Rande im vierten Schritt des Flussdiagramms berücksichtigt wird. Auf den Schreibprozess soll daher im folgenden Abschnitt näher eingegangen werden. II.1.2 Zur Notwendigkeit der Entwicklung eines Schreibmodells Ausgehend von der Repräsentation der Aufgabe auf der Basis multitextueller Materialien wird nicht nur der Leseprozess eingeleitet und strukturiert, sondern auch der Schreibprozess beeinflusst. Die beiden Prozesse laufen jedoch weder nacheinander noch unabhängig voneinander ab. Sie nehmen vielmehr aufein‐ ander Bezug, bedingen einander und lassen sich nicht trennscharf abgrenzen. So sind beispielsweise Notationen als Aktualisierung des Dokumentenmodells Teil des Leseprozesses, als Vorform des entstehenden Textes aber ebenso Teil des Schreibprozesses. Die während des Schreibens entstehenden Fassungen hingegen werden immer wieder vom Schreibenden gelesen, auf die Materialien bezogen und können somit auch dem Leseprozess zugeordnet werden. 117 II.1 Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben 67 Ludwig (1983), S. 54 68 Molitor-Lübbert (1996), S. 1005 Nimmt man vor diesem Hintergrund der Verzahnung von Lese- und Schreib‐ prozessen die verschiedenen Schreibfunktionen in den Blick, so wird deutlich, dass ein Modell unmöglich die epistemischen wie sozialen, ästhetischen wie psychischen Funktionen sowie die der Wissensspeicherung gleichermaßen berücksichtigen kann. Es soll daher auf die Aspekte fokussiert werden, die bei der Bearbeitung einer materialgestützten Schreibaufgabe relevant sind. Ludwig stellt in diesem Zusammenhang den kommunikativen Funktionen, die z. B. die Weitergabe von Wissen, die Einflussnahme und die Überzeugung berücksich‐ tigen, solche Zwecke gegenüber, die nicht explizit kommunikativ sind, z. B. „sich einen Sachverhalt klar und bewußt machen“, „ein Problem zu lösen“, „Formulierungen zu finden“ oder „umfangreichere sprachliche Äußerungen zu konzipieren“. 67 Lassen sich die unterschiedlichen Schreibmodelle u. a. nach ihrer Herkunft oder ihrer Struktur klassifizieren, so erscheint aufgrund der skizzierten Anfor‐ derungen eine Fokussierung auf jene inhaltlichen Aspekte zielführend, die sich auf das Problemlösen und die Schreibstrategien konzentrieren. Der Ansatz des Problemlösens löst dabei die lange Zeit dominierende Vorstellung ab, dass es sich beim Schreiben um einen sequentiellen Prozess handelt, der chronologisch verschiedene Phasen durchläuft. Zentrale Repräsentanten dieses Ansatzes sind die Forschergruppe um Hayes und Flower. Ihr Modell (s. Abb. 5) betont die Interaktivität der Prozesse: „die Formulierung von Zielen und Problemen, vorwärtsgerichtete Suchprozesse nach einer geeigneten Vorgehensweise (d. h. nach einer Sequenz von Operatoren) zur Erreichung dieser Ziele, sowie die Analyse und Bewertung der Lösungswege beim Auftreten von Schwierigkeiten im Lösungsvorgang“ 68 . Auch Ludwig verweist in diesem Zusammenhang auf die Schwierigkeit, dass zwar der Vorgang des Schreibens selbst sukzessiv erfolgt, zwischen den einzelnen Phasen aber - für Ludwig sind das motivationale, kon‐ zeptionelle, innersprachliche, motorische und redigierende Aktivitäten - be‐ ständig Überlappungen und Rückverweisungen stattfinden. Interventionen, die diesen Umstand konsequent verfolgen, müssen demnach explizit dazu anleiten, sich zwischen den unterschiedlichen Ebenen des Schreibprozesses flexibel zu bewegen. Auf das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens über‐ tragen bedeutet das, den Rückgriff auf das Material, die eigene Positionierung, die Argumentationsstruktur, die kommunikativen Absichten des Zieltextes und die damit verbundenen kommunikativen Funktionen anzuleiten und im bereits entstandenen Text zu überprüfen. Schreiben wird somit als „iterativ“, „rekursiv“ 118 II Didaktisches Konzept 69 Ludwig (1983), S. 48 70 Philipp, Maik (2017a): Grundlagen der effektiven Schreibdidaktik und der systemati‐ schen schulischen Schreibförderung. Baltmannsweiler: Schneider 2017. S. 19 71 Siehe hierzu auch Bachmann, Becker-Mrotzek (2017), S. 32 ff. 72 Siehe Carey, Flower (1989) und „routinisiert“ verstanden, als „interaktiver Vorgang“. 69 Je dynamischer und individueller aber das Schreiben aufgefasst wird, desto schwieriger wird es, die Teilprozesse in unterrichtliche Interventionen zu zerlegen und in einer linear ablaufenden Unterrichtseinheit abzubilden. Aus diesem Grund spielen Schemata als Prototypen sprachlichen Handelns eine zentrale Rolle bei der Konstruktion von Interventionen (siehe Kapitel II.3). Wird Schreiben als „eine kommunikative Handlung im Sinne einer zeitlich und räumlich zerdehnten Schreiber-Leser-Interaktion mittels schriftlicher Text‐ produktion“ 70 verstanden, die darauf ausgerichtet ist, einen bestimmten Inhalt kohärent zu vermitteln, so verdeutlicht diese Definition die Herausforderungen, die an ein Modell gestellt werden. Zahlreiche kognitive Prozesse laufen beim Schreiben sowohl explizit als auch implizit, sowohl nacheinander als auch parallel ab, so dass ein Modell diese Teilprozesse ebenso wie deren Vernet‐ zung abbilden muss. Rückt nun im schulischen Kontext die Vermittlung von Schreibkompetenzen in den Vordergrund, so werden hierdurch automatisch die kognitiven Fähigkeiten betont. 71 Hier sehen Bachmann und Becker-Mrotzek einen engen Zusammenhang zur Kognitionspsychologie. Schreiben wird nicht nur als kognitiver Konstruktionsprozess verstanden, sondern steht im Kontext des Problemlösens. Somit lässt sich Schreiben als ein „ill defined problem“ 72 bezeichnen, also ein Problem mit offener Lösung, das aus den Subprozessen der Planung, der Formulierung und der Überarbeitung besteht. Der Zusammenhang zur Kognitionspsychologie beruht auch auf dem Umstand, dass Hayes und Flower ihre Erkenntnisse über das Schreiben über Protokollanalysen, die die Schreibenden während der Textproduktion tätigten, gewonnen haben. Diese metakognitiven Aussagen lassen Rückschlüsse über den Prozess des Planens, Schreibens und Überarbeitens zu. Hayes’ Modell eignet sich insofern beson‐ ders für die Abbildung schulscher Schreibprozesse und die Konstruktion von Interventionen, weil es davon ausgeht, dass das Schreiben zielorientiert ist: Zwischen dem Anfangszustand, der als unbefriedigend empfunden wird, und dem intendierten Endzustand vermitteln Aufgabenstellung, die Ressourcen, auf die Schreibende zurückgreifen können, ebenso wie Interventionen, die den Schreibprozess an- und einleiten. Das zentrale Problem ist demnach die Schreibaufgabe, die zu bewältigen ist und die bestimmte kognitive Prozesse 119 II.1 Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben 73 Hayes, John. R.: A new framework for understanding cognition and affect in writing. In: C. Michael Levy; Sarah Ransdell (Hgg.): The science of writing: Theories, methods, individual differences, and applications (S. 1-27). Mahwah, NJ: Erlbaum 1996. S. 3 74 Fix, Martin: Texte schreiben. Schreibprozesse im Deutschunterricht. 2. Auflage. Pader‐ born: Ferdinand Schöningh 2008. S. 36 ff. 75 Philipp (2017a), S. 22 ff. 76 Bachmann, Becker-Mrotzek (2017), S. 34 ff. 77 Schüler (2017), S. 193 ff. erfordert. Diese finden sich in dem Modell von Hayes in unterschiedlichen Phasen des planning, translating und reviewing wieder. 73 WRITING ASSIGNMENT Topic Audience Motivating Cues TEXT PRODUCED SO FAR TASK ENVIRONMENT PLANNING TRANSLATING REVIEWING ORGANIZING GOAL SETTING GENERATING READING EDITING MONITOR THE WRITER ‘ S LONG TERM MEMORY Knowledge of Topic Knowledge of Audience Stored Writing Plans Abb. 5: Das Schreibmodell von Hayes und Flower aus dem Jahre 1980; siehe Hayes (1996), S. 3 Auf eine umfassende Wiedergabe des mittlerweile als klassisch bezeichneten Modells von Hayes und Flower soll an dieser Stelle verzichtet werden; verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf zahlreiche schreibdidaktische Publikationen - siehe hierzu u. a. Fix, 74 Philipp, 75 Bachmann und Becker-Mrotzek 76 oder Schüler. 77 Vielmehr soll auf zentrale Momente eingegangen werden, die für die Bearbeitung materialgestützter Schreibaufgaben relevant sind. Der Erfolg des Modells liegt in seiner Übersichtlichkeit sowie in den didaktisch-methodischen 120 II Didaktisches Konzept 78 Siehe z. B. Feilke et al. (2017), S. 28 ff. und S. 50. Philipp weist allerdings zurecht darauf hin, dass das adaptierte Modell eine Linearität impliziere, die dem cyclischen Charakter widerspreche (Philipp, 2017a, S. 45). 79 Hayes, John R.; Flower, Linda S.: Identifying the organization of writing processes. In: Lee W. Gregg; Erwin R. Steinberg (Hgg.): Cognitive processes in writing. Hillsdale, NJ: Erlbaum 1980. S. 3-30. S. 12 80 Hayes, Flower (1980), S. 13 Modellierungen begründet, die das Modell mittlerweile erfahren hat. 78 Das kognitionspsychologische Grundmodell nimmt die Gesamtheit des Schreibproz‐ esses in den Blick und besteht aus drei wesentlichen Elementen: Der Aufgaben‐ umgebung („Task Environment“), dem Langzeitgedächtnisses des Schreibenden („Long-Term Memory“) und dem Schreibprozess an sich, der aus den Phasen des Planens, Formulierens und Überarbeitens besteht. Dabei verstehen Hayes und Flower unter dem Begriff Task Environment „everything outside the writer’s skin that influences the performance of the task.” 79 Überträgt man das Modell auf eine materialgestützte Schreibaufgabe, so gibt die Aufgabenstellung selbst das Thema („Topic“) vor. Durch die Adressierung und Situierung der Aufgabe stellen in der Regel nicht mehr nur die Lehrkraft oder bei kollaborativen Schreib‐ prozessen die Mitschüler: innen die Zuhörerschaft („Audience“) dar, sondern auch die angegebenen Adressat: innen. Bei der vorliegenden Aufgabe sind dies die Intendantin sowie die Leser: innen des veröffentlichenden Mediums. Die Situierung stellt neben dem schulischen Bewertungskontext eine weitere Ebene der Schreibmotivation („Motivating Cue“) dar. Die Planung des Textes wird in diesem Zusammenhang noch einmal in Teilprozesse untergliedert: So müssen Ideen generiert und mit den Wissensbe‐ ständen aus dem Langzeitgedächtnis abgeglichen, geprüft und bewertet werden, Informationen müssen geordnet und mit der Aufgabenumgebung abgeglichen werden. Die enge Verbindung zwischen dem Generieren und dem Langzeitge‐ dächtnis bezieht sich sowohl auf Inhalte als auf auch sprachliche Muster: In order to focus search on relevant material, the retrieval chain is broken, whenever an item is retrieved that is not useful to the writing task. Search is then restarted with a new memory probe derived from the task environment or from useful material already retrieved. 80 Bei der Darstellung des Prozesses wird deutlich, dass es sich um einen assozia‐ tiven und tastenden Vorgang handelt, der große Parallelen zum Situationsmo‐ dell sowie zum MD-TRACE-Modell aufweist. Je geübter die Schreibenden sind, desto automatisierter laufen diese Prozesse ab. Aufgrund der Komplexität der Aufgabenstellung und der Tatsache, dass nicht allein auf das Langzeitgedächtnis 121 II.1 Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben 81 Siehe hierzu auch Schüler (2017), S. 196. Auf die Rolle des Essays wird ausführlich in Kapitel II.4 eingegangen. 82 Hayes, Flower (1980), S. 14 83 Hayes, John R.: Modeling and Remodeling Writing. In: Written Communication. 29 (3) 2012. S. 369-388. S. 371 zurückgegriffen werden soll, sondern auch auf die Materialien, die zur Unter‐ stützung der eigenen Positionierung und Argumentation verwendet werden müssen, ist es erforderlich, das Generating anzuleiten. Dies geschieht im Rahmen der Interventionen unter anderen durch die bereits skizzierte Komponentenana‐ lyse, die die Themen und sprachlichen Handlungen, die der Aufgabenstellung zugrunde liegen, entfaltet. Unterbleibt eine derartige Aufgabenrepräsentation der Schreibenden, so erfolgt - wie in den empirischen Teilen gezeigt wird - eine indefinite Positionierung und eine oberflächliche, eindimensionale Argu‐ mentation. Dass besonders in Hayes’ und Flowers erstem Modell die Ressourcen keine entscheidende Rolle spielen, hängt unter anderem mit der Priorisierung des Essays als zentraler Schreibform in den USA zusammen. 81 Die Aufgabenrepräsentation nimmt daher eine zentrale Rolle im Modell ein: „The function of the ORGANIZING process is to select the most useful of the materials retrieved by the GENERATING process and to organize them into a writing plan.” 82 Aus diesen Suchbewegungen, die nicht nacheinander, sondern simultan und vor allem kreisend ablaufen, resultiert die Festlegung eines Schreibziels („Goal Setting“), das sowohl den Inhalt als auch die Motivation des Schreibenden impliziert. Im Rahmen von materialgestützten argumentie‐ renden Schreibaufgaben erfordert ein Goal Setting die Positionierung des Schrei‐ benden, die sowohl die Materialauswahl und -auswertung als auch den Aufbau der Argumentation nachhaltig beeinflusst. Den Rahmen der Positionierung stellt das Task Environment mit der Aufgabenstellung, der Adressierung und Situierung dar. Aufgrund der Schlüsselposition im Schreibprozess nimmt die Positionierung in den Interventionen eine zentrale Rolle ein. Das Formulieren soll in diesem Zusammenhang als Übersetzen von Gedanken in einen Text verstanden werden. Dass dieser Prozess vor allem bei jüngeren und ungeübteren Schreiber: innen einen wesentlichen Teil des Schreibens bildet und nicht automatisch abläuft, hat dazu geführt, dass Hayes in seinem Modell von 2012 den Aspekt des „Transcribing“ aufgenommen hat. 83 Die Notwendigkeit, auch diesen Prozess beim Anleiten von Schreibprozessen verstärkt in den Blick zu nehmen, thematisiert Kapitel II.3, in dem Aspekte der Prozedurendidaktik dargestellt werden. Dass es sich auch beim Formulieren um einen rekursiven Prozess handelt, der mehr als die Auswahl von passenden Ausdrücken bein‐ 122 II Didaktisches Konzept haltet, verdeutlicht Hayes’ und Flowers Struktur des Translation process (s. Abb. 6). Abb. 6: Der Translating process im Modell von Hayes und Flower (1980, S. 16) Während in dem revidierten Modell von 1996 der Schreibende und seine kogni‐ tiven Prozesse, die bei der Konstruktion von Bedeutung und der Überarbeitung der eigenen Texte eine Rolle spielen, noch stärker in den Mittelpunkt rücken, nimmt auf der Kontrollebene das Task Schema eine entscheidende Rolle ein. Dieses beinhaltet die Aufgabenrepräsentation auf der Ebene der Semantik ebenso wie auf der der Textstruktur sowie das Schreibziel. Vergleicht man in diesem Zusammenhang die Schreibprozesse in den Modellen von 1980 und 2012, so fällt auf, dass der Monitor in dem jüngeren Modell nicht mehr angeführt wird (s. Abb. 7). Dies hängt vor allem mit einer Fehlinterpretation des Begriffs zusammen: So geht es Hayes weniger um eine Überwachungsfunktion, die der Monitor im Rahmen des Schreibens einnimmt, denn um ein Differenzierungs‐ moment: „The monitor represented the writer’s predisposition to sequence the writing processes in a particular way. It was not intended to control how those 123 II.1 Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben 84 Hayes (2012), S. 373 85 Hayes (2012), S. 375 86 Hayes (2012), S. 370 processes were carried out.” 84 Hayes betont, dass das Überarbeiten sowohl auf lokaler Ebene die Grammatik und Orthografie betrifft als auch auf globaler Ebene zu erfolgen habe. In der Regel aber ignorieren Schreibende letztere. Erfolgreiches Überarbeiten zielt deshalb darauf ab, den Schreibenden Schemata - „as a stored plan or task schema” 85 - zur Verfügung zu stellen, die eine Überarbeitung anleiten, die sich vorrangig auf das Schreibziel und damit auch auf das Task Environment beziehen. Dieses Musterwissen aber ist dann sowohl dem Control level als auch dem Ressource Level zuzuordnen. Abb. 7: Current version of the writing model. Hayes (2012), S. 371 Vergleicht man die beiden Modelle, so erkennt man, dass zwischen 1980 und 2012 eine „Evolution“ 86 des Schreibmodells stattgefundenen hat, die vor allem die unterschiedlichen Ebenen, die beim Schreiben ablaufen, in den Blick nimmt. Hayes hebt in diesem Zusammenhang darauf ab, dass immer weitere Subprozesses des Schreibens ebenso wie die Ergebnisse empirischer Studien in das Modell aufgenommen wurden. 124 II Didaktisches Konzept 87 Rosenblatt, Louise M.: Writing and reading: the transactional theory. Berkeley, Cali‐ fornia: University of California 1988. S. 3 88 Ebenso wie Rosenblatt unterscheidet auch Spivey nicht explizit zwischen literarischen Texten und Sachtexten. Für die Arbeit mit literarischen Texten sei nur darauf abzuheben - so Rosenblatt -, dass diese andere Merkmale als Sachtexte aufweisen. 89 Spivey, Nancy Nelson: Constructive Processes in Reading and Writing. In: Written Communication, Vol. 7 No.2, April 1990. S. 256-287. S. 259 90 „Reading in order to write“: Flower, Linda (et al.): Reading-to-Write: Exploring a Cognitive and Social Process. New York: Oxford University Press 1990. S. 5 Werden in Hayes’ Modell die Interdependenzen und Teilprozesse in ihrer Gesamtheit dargestellt, so manifestiert sich in der Schreibdidaktik zunehmend die Position, dass Schreiben und Lesen Prozesse sind, die sich nicht voneinander trennen lassen. Grundgedanke der transaktionalen Theorie Rosenblatts ist dabei das Zusammenspiel von Lesen und Schreiben: Lesen sei immer ein integraler Bestandteil des Schreibens und damit transactional. Die vielfach anzutreffende Differenzierung und Separierung der beiden Prozesse sei dabei auf die Dicho‐ tomie Saussures in Signifikat und Signifikant zurückzuführen. Aus Rosenblatts Sicht stellt jedes Schreiben zunächst eine Interaktion mit dem leeren Blatt und damit mit dem Schreibprozess an sich dar. Das Verfassen aber von Worten selbst steht in einer Beziehung zu anderen, bereits gelesenen Worten. 87 Damit jedoch kann Schreiben niemals losgelöst vom Lesen betrachtet werden. Zusätz‐ lich ist jedes Schreiben verknüpft mit der Biographie der Schreibenden und ihrer persönlichen, soziokulturellen Umgebung und den damit verbundenen Erfahrungen. Aber auch im sich anschließenden Verlauf des Schreibens nimmt das Lesen in Form des erneuten und rückblickenden Lesens des bis dahin produzierten eigenen Textes - das reread - eine zentrale Bedeutung ein. Lesen stellt daher eine Interaktion mit dem bis dahin entstandenen eigenen Text, mit den antizipierten Leser: innen und den damit verbundenen Schreibabsichten dar. Rosenblatt hebt darauf ab, dass immer, wenn ein: e Leser: in etwas schreibt und auf einen Text antwortet oder diesen interpretiert, ein neuer Text produziert wird. Aus den Lesenden werden Schreibende. Das bedeutet aber, dass sich Lese- und Schreib‐ prozesse nicht voneinander trennen lassen. Die empirisch-konstruktivistische Didaktikerin Spivey betont, dass sich beim Schreiben von Texten auf der Grund‐ lage von Literatur oder Sachtexten 88 nicht entscheiden lasse, ob Schreibende etwas machen, um die Bedeutung des gelesenen Textes zu verstehen, oder ob sie eine Schreiboperation vollziehen, um dem eigenen Text Bedeutung zu verleihen. Damit aber sei Schreiben auf der Basis von Texten niemals ein linearer, sondern stets ein hybrider Akt. 89 Lesen erfolgt demnach, um einen eigenen Text zu schreiben. 90 Die Lektüre und das Verständnis des Quellentextes müssen deshalb 125 II.1 Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben 91 „…they needed to build a representation of the texts they were reading in order to build a representation of their own text.“ Flower (1990), S. 125 92 Flower (1990), S. 43 93 Scardamalia, Marlene; Bereiter, Carl: The development of evaluative, diagnostic and remedial capabilities in children’s composing. In: Margaret Martlew (Hg.): The psycho‐ logy of written language. Developmental and educational perspectives. New York, NY: Wiley and Sons 1983. S. 67-95 94 Fix (2008), S. 38 vor dem Hintergrund des eigenen, zu schreibenden Textes verstanden werden. 91 Ziele dieses reading in order to write-Ansatzes sind nach Flower u. a. die Zusammenfassung, die Synthese, das Überprüfen und Kommentieren sowie die Interpretation der Texte im Hinblick auf das eigene Schreibziel. 92 Für den eigenen Zieltext - sei es ein Essay, ein Kommentar oder ein Offener Brief - spielen aber weitere Schreibziele eine Rolle, beispielsweise die Präsentation des Gelernten und das Verständnis der Texte, die Originalität und Kreativität oder die Überzeugung der Leser: innen. Neben den Interdependenzen zwischen Lesen und Schreiben ist für eine Schreibdidaktik des materialgestützten Schreibens besonders die Auseinandersetzung mit schemabasierten Schreibarrangements, Schreibprozeduren sowie Anleitungen relevant, die eine Repräsentation des Aufgabenmodells erlauben und damit textsprachliches Handeln transparent machen und eine funktionale Verknüpfung kommunikativer Absichten mit sprachlichen Ausdrücken erlauben. Ein Umsetzungsvorschlag wird in Kapitel II.4 vorgestellt. Aufbauend auf dem Modell von Hayes nehmen Scardamalia und Bereiter den Revisionsprozess detaillierter in den Blick und entwickeln das CDO-Modell 93 , das für die Überarbeitung auf die drei Prozesse des Vergleichens (compare), des Diagnostizierens (diagnose) und der Textproduktion (operate) abhebt. Ausgangspunkt ist eine Analyse der Differenz zwischen der Intention der Schreibenden und der tatsächlichen Realisierung. Dabei wird jeweils der bis zum Überarbeitungszeitpunkt vorliegende Text mit dem intendierten verglichen. „Weicht die mentale Repräsentation des intendierten Textes von der vorlie‐ genden Fassung ab, kommt es zu einem produktiven (operierenden) Anteil, die Diskrepanzen führen dann zu Eingriffen in den eigenen Text.“ 94 Damit wird das Überarbeiten als ein Prozess verstanden, der nicht ausschließlich am Ende der Textproduktion stattfindet, sondern den jeweils produzierten Text (Text produced so far) in den Blick nimmt. Besonders im Kontext von Lernaufgaben kommt dem Überarbeiten eine zentrale Bedeutung zu. Dieses erweist sich immer dann als erfolgreich, wenn den Schülerinnen und Schülern Kriterien zur Verfügung stehen: Schemata ebenso wie Prozeduren leiten in diesem Zusam‐ menhang nicht nur den Schreibprozess ein, sondern auch das kriteriengeleitete 126 II Didaktisches Konzept 95 Siehe hierzu Feilke, Helmuth (2010), S. 8 96 Siehe hierzu auch Fix, Martin (2000): Textrevision in der Schule. Prozessorientierte Schreibdidaktik zwischen Instruktion und Selbststeuerung - empirische Untersu‐ chungen in achten Klassen. Baltmannsweiler: Schneider 2000. 97 Bereiter, Carl; Scardamalia, Marlene: The Psychology of Written Composition. Hills‐ dale, New Jersey: Lawrence Erlbaum Associates 1987. S. 8 98 In der für den zweiten empirischen Teil konzipierten Aufgabe wird den Schülerinnen und Schülern ein Kommentar, der inhaltlich zu der Debatte Stellung nimmt, angeboten. Das Material dient demnach als inhaltliche Ressource ebenso wie als Textsortenwissen. 99 Siehe hierzu ausführlich Kapitel III.4. Sprechen über Texte sowie ein sich anschließendes Überarbeiten. 95 Je stärker in den jeweiligen Schreibarrangements die Vermittlung eines Musterwissens im Zentrum steht - im Gegensatz zum freien oder Kreativen Schreiben -, desto eher lassen sich die Schreibenden auf den Vorgang des Überarbeitens ein. 96 Das CDO-Modell hat dabei (s. Abb. 8) selbstregulatorische Anteile. Wenn Bereiter und Scardamalia in diesem Zusammenhang auf die „mental represen‐ tation of assignment“ 97 abheben, dann stellt sich im Umkehrschluss die Frage, wie bei Schreibnoviz: innen eine solche Repräsentation angebahnt werden kann. Damit Schüler: innen ihren eigenen Text mit einem intendierten vergleichen können, müssen sie eine Vorstellung davon entwickeln, wie das Endprodukt aussehen soll. Da im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben eine Vielzahl an Zieltexten möglich ist und durch die Situierung und Adressierung noch eine zusätzliche Varianz entsteht, ist es bei der Aufgabenkonzeption inzwischen üblich, dass als Materialien Texte zur Verfügung gestellt werden, die nicht nur Inhalte vermitteln, sondern auch als Mustertext für die zu schreibende Textsorte verwendet werden können. 98 Damit aber sind die Materialien nicht nur eine externe Ressource, sondern Teil der Aufgabe selbst, so dass auch auf dem Control Level eine Repräsentation ermöglicht wird. Dass ein Abgleich zwischen Aufgabenstellung, Material und zu verfassenden Zieltext im Sinne des CDO-Modells ein äußerst komplexer Vorgang ist, zeigt die Arbeit mit Studierendentexten: Im Rahmen der Evaluation der Aufgabenkonzep‐ tion der zweiten empirischen Untersuchung gaben nur 44 % der Studierenden an, dass ihnen die Merkmale eines Kommentars bekannt seien, 71 % äußerten, dass sie nicht wissen, wie man in einem Kommentar auf Materialien verweist. 99 Aus diesem Grund konnten sie auch den in den Materialien angefügten Kommentar als solchen nicht identifizieren und als Mustertext verwenden. Die Schwierigkeiten beim Schreiben, die sich im Rahmen der Aufgabenrepräsentation ergeben, sind demnach durchaus vergleichbar mit denen beim Lesen, die im Rahmend des MD-TRACE-Modells festgestellt wurden. Um eine Repräsentation der Aufgabe zu ermöglichen und somit die Lücke zwischen Schreibnoviz: innen und -expert: innen 127 II.1 Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben 100 Siehe dazu Bereiter, Scardamalia (1987), S. 8 101 Hayes, John R.: Kinds of Knowledge-Telling: Modelling Early Writing Development. Journal of writing Research 2011. S. 73-92. S. 75 zu schließen, muss folglich die Vermittlung von Schreibstrategien verstärkt in den Blick genommen werden. Das Konzept des knowlege-telling und knowlegde-trans‐ forming von Bereiter und Scardamalia 100 bietet sich insofern als Ansatzpunkt an, als dass es auf den Kompetenzerwerb fokussiert (s. Abb. 8). Hayes verweist darauf, dass gerade das knowledge-telling-Modell von Bereiter und Scardamalia geeignet ist, die Schreibprozesse bei jüngeren Schreiberinnen und Schreibern abzubilden, da dieses Modell nach der Auswahl eines Themas oder Schreibgegenstandes die im Gedächtnis gespeicherten Informationen sondiert und sequentiell ablaufen lässt. As the name suggests, this strategy is focused on presenting the writer’s knowledge about the topic and not at all on shaping or adjusting that knowledge to the reader’s or the writer’s needs. In contrast, writers using the knowledge-transforming strategy engage in a problem solving process in which they try to shape their knowledge to meet their reader’s and/ or their own needs. 101 Knowledge Telling Process Mental Representation of Assignment Content Knowledge Discourse Knowledge Locate Topic Identifiers Locate Genre Identifiers Construct Memory Probes Retrieve Content from Memory Using Probes Run Test of Appropriateness Write (Note, Draft, etc.) Update Mental Representation of Text Fail Abb. 8: Das Konzept des knowledge-telling und knowledge-transforming von Bereiter, Scardamalia (1987), S. 8 128 II Didaktisches Konzept 102 Molitor-Lübbert (1996), S. 1015 103 Siehe Kapitel I.3. 3 und I.3. 4 dieser Arbeit. Untersucht man die Schüler: innentexte, die im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben entstehen, dann ist zu beobachten, dass Schüler: innen, die noch keine Begegnung mit dem Aufgabenformat und keinerlei Interventionen durchlaufen haben, in weiten Teilen dem Konzept des knowledge-telling folgen: So wird ein Abrufschema - in den meisten Fällen das der Erörterung - konstruiert und die entsprechenden Inhalte aus dem eigenen Wissensbestand - in den seltensten Fällen dem der Materialien - werden darauf bezogen. Es findet nur in Ansätzen eine übergreifende Planung statt. Die informierenden Anteile in den Argumentationen sind überrepräsentiert, der Zieltext wird selten berücksichtigt. Dieser Umstand wird bei der Auswertung der Mittelstufen- und Oberstufentexte relevant werden. Den Schülerinnen und Schülern stehen nur bedingt Problemlöseverfahren zur Verfügung, die sie auf die Teilanforderungen der materialgestützten Schreibaufgabe anwenden können. Das bedeutet, dass die Wechselwirkungen, die zwischen Zieltext, Adressierung und Situierung bestehen, mit dem Sprachwissen der Inhaltsangabe und der Erörterung konkur‐ rieren. Nur bei wenigen Schreibenden kann man bereits vor den Interventionen von einer „dialektischen Wechselwirkung zwischen beiden Problemräumen Inhalt und Struktur des Wissens“ 102 sprechen. Häufig werden die Informationen, die in den Materialien präsentiert werden oder die als Konzepte bereits im Wissensbestand der Schüler: innen existent sind, nicht auf den Zieltext oder die vorliegende kommunikative Situation bezogen. Es bleibt zudem die kritische Frage zu stellen, ob die Schreibenden die Aufgabe als tatsächliches Problem bzw. als strittige Thematik auffassen. Versucht man einen zusammenfassenden Blick auf die Modellierung von Schreib- und Lesemodellen zu werfen, so sollen zunächst einige kritische Anmerkungen vor allem zu dem sich in der Schreibdidaktik etablierten Hayes-Flower-Modell(en) angeführt werden. Vielfach ist angemerkt worden, dass Schreiben nicht ausschließlich zielgerichtet erfolge, dass dem Schreiben nicht immer ein Problem zugrunde liege und dass die Sprachlichkeit von Texten nicht ausreichend berücksichtigt werde. Besonders kreative sowie handlungs- und produktionsorientierte Schreibaufgaben 103 sind ergebnisoffener und haben eine ausgeprägt ästhetisch-literarische Funktion, die sich weder operationali‐ sieren noch in einem Modell abbilden lässt. Diese Schwierigkeit wird vor allem beim Bewerten materialgestützter Aufgaben relevant, wenn es darum gibt, die Qualität der Argumentation im Zusammenhang mit zieltextspezifischen ästhetischen und kommunikativen Funktionen einzuschätzen. 129 II.1 Theorie des Lesens und Schreibens im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben 104 Molitor-Lübbert (1996), S. 1008 105 Molitor-Lübbert (1996), S. 1008 106 Siehe Ludwig (1983), S. 53 107 Siehe Ludwig (1983), S. 49 ff. 108 Bachmann, Becker-Mrotzek (2017), S. 41 ff. So fokussiert das Modell zwar stärker als Hayes’ Modell auf die sprachlichen Wissensbestände und die Zusammenhäng zwischen den Ressourcen, die den Schreibenden zur Verfügung stehen. Trotz dieser Verschiebung der Gewichtung aber steht eine empirische Überprüfung des Modells noch aus. Entscheidend ist weiterhin, dass sowohl die Leseals auch die Schreibmo‐ delle überwiegend eine: n kompetente: n Schreiber: in in den Blick nehmen und Komponenten, die beim Überführen der Gedanken in Texte erforderlich sind, nicht berücksichtigen. Molitor-Lübbert weist zurecht darauf hin, dass Hayes’ Modell „nur das Verhalten von Schreibexperten [zeige], ohne Anhaltspunkte zu bieten, wie aus Schreibnovizen Schreibexperten werden können.“ 104 Diese Lücke versucht die Schreibdidaktik vor allem mit dem Konzept der Textprozeduren und -routinen zu füllen. Als problematisch bewertet Molitor-Lübbert zudem, dass die Prozesse des Schreibens hierarchisch nicht unterschieden werden und dadurch besonders die Rolle des Lesens nicht ausreichend berücksichtigt werde. 105 Da Schreiben immer - wenn man nicht ausschließlich von einem Ansatz des Problemlösens ausgeht - auch innere Prozesse darstellt, ist ein entscheidendes Motiv des Schreibens die Vergegenständlichung des Selbst. 106 So erfordern strittige Themen eine persönliche Positionierung der Schreibenden: Sei es zur Bedeutung des Theaters, zur Literatur oder zu einer medialen Wirk‐ lichkeit. Diese Zusammenhänge aber bedingen maßgeblich die Motivation der Schreibenden und haben Konsequenzen für die Anleitung von Schreibprozessen und die Konzeption empirischer Settings: So wirken sich beispielsweise die Anwesenheit der Lehrkraft ebenso wie die Verbindlichkeit der Bearbeitung auf die Dauer und Intensität des Schreibprozesses 107 und somit auf die Qualität der Schreibprodukte aus. Dass trotz der skizzierten Einwände mit Hayes’ revidiertem Modell gearbeitet werden soll und beispielsweise nicht auf das aktuelle Drei-Kreise-Modell der Textproduktion von Bachmann und Becker-Mrotzek 108 zurückgegriffen wird, liegt in dem Umstand begründet, dass das Modell gleichermaßen dazu geeignet ist, die Schwierigkeiten beim Bearbeiten materialgestützter Schreibaufgaben zu antizipieren wie Interventionen zu modellieren. 130 II Didaktisches Konzept 109 BS AHR (2012), S. 24 110 So fordert die Interpretation literarischer Texte das Verfassen einer Interpretation und die Erörterung pragmatischer oder literarischer Texte das Verfassen einer Erörterung. 111 Ziesenis, Werner: Textlinguistik und Didaktik. In: Günter Lange, Karl Neumann, Werner Ziesenis: Taschenbuch des Deutschunterrichts. Grundfragen und Praxis der Sprach- und Literaturdidaktik. Band 1. Baltmannsweiler: Schneider 1994. S. 3-39. S. 21 II.2 Das argumentierende Schreiben im schulischen Kontext: Textsorten und Textmuster des Argumentierens In den Bildungsstandards im Fach Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife hat die Kultusministerkonferenz 2012 zwei neue Aufgabenarten implementiert: Das materialgestützte Verfassen informierender und argumentierender Texte. 109 Diese beiden Aufgabenarten werden unter dem Begriff des materialgestützten Schreibens subsumiert und dem textbezogenen Schreiben gegenübergestellt. Während bei den bereits etablierten Aufgabenarten offenkundig ist, welche Texte den jeweiligen Aufgaben zugeordnet werden können, 110 gestaltet sich dies beim materialgestützten Schreiben weniger eindeutig, da das „Verfassen argumentierender Texte“ keinem eigenen Textmuster bzw. keiner Textsorte entspricht. Wenn in dieser Arbeit der Schwerpunkt auf dem Typ des argumentierenden materialgestützten Schreibens liegt, dann ist diese Wahl u. a. darin begründet, dass in der Fachdidaktik das argumentierende Schreiben als komplexer ange‐ sehen wird als das informierende und sich in der Oberstufe der Typ des argumentierenden Schreibens zunehmend etabliert. In der Regel lassen sich die beiden Formen jedoch nicht immer eindeutig voneinander trennen und argumentierende Texte haben häufig auch informierende Anteile. So ist es beispielsweise im Rahmen eine Debatte erforderlich, zunächst die wichtigsten Positionen wiederzugeben und damit zu informieren. In diesem Kapitel gilt es zu klären, welche Textsorten dem neuen Aufgabenformat zugeordnet werden können, welche Textmuster sich daraus ergeben und wie sich der Begriff des Argumentierens definieren lässt. Herausforderungen einer Textsortenzuordnung Eine Auseinandersetzung mit der Typologie von Texten ist auch insofern relevant, als dass beim materialgestützten Schreiben die Situierung und Adres‐ sierung eine zentrale Rolle spielen. Ziesenis verweist darauf, dass jeder Text in seinem kommunikativen Zusammenhang betrachtet werden muss. Struktur und Funktion bedingen somit die Textkohärenz. 111 Diese Aspekte gewinnen an 131 II.2 Das argumentierende Schreiben im schulischen Kontext: Textsorten und Textmuster 112 Böhme, Katrin; Schipolowski, Stefan; Canz, Thomas; Krelle, Michael; Bremerich-Vos, Albert: Kompetenzstufenmodelle im Bereich Schreiben. In: Michael Becker-Mrotzek, Joachim Grabowski, Torsten Steinhoff (Hgg.): Forschungshandbuch empirische Schreibdidaktik. Münster: Waxmann 2017. S. 55-74. S. 71 113 Siehe Kapitel III.5. 114 Brinker, Klaus; Cölfen, Hermann; Pappert, Steffen: Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in die Grundbegriffe und Methoden. 8. Aufl. Berlin: Erich Schmidt 2014. S. 139 115 Feilke, Helmuth: Argumentieren. In: Lexikon Deutschdidaktik. Kliewer, Heinz-Jürgen; Pohl, Inge (Hg.). Band 1: A-L. Baltmannsweiler: Schneider 2006. S. 18 Bedeutung, wenn es darum geht, die Textqualität zu beurteilen und Interven‐ tionen zu konstruieren. In dieser Arbeit soll auf die Ansätze von Brinker und Fritzsche zur Textsorteneinteilung zurückgegriffen werden, die zwar keinen repräsentativen Anspruch erheben, deren Klassifikation aber dazu geeignet ist, die Herausforderungen einer Typologie im Kontext materialgestützter Schreib‐ aufgaben zu formulieren und mögliche Handlungsmuster abzuleiten. Auf die Konsequenzen einer Textsortenabgrenzung für eine empirische Schreibdidaktik verweisen auch Böhme et al. 112 Wenn Schüler: innen im Zusammenhang mit dem Aufgabenformat des mate‐ rialgestützten Schreibens argumentierende Texte verfassen, dann müssen die Textsorte, die verwendeten Textmuster und die diesen zugrundeliegenden Sche‐ mata 113 in den Blick genommen werden. Dies ist insofern von besonderer Bedeu‐ tung, da in der Regel in jeder materialgestützten Schreibaufgabe der jeweilige Zieltext explizit angeführt wird, sei es ein Redemanuskript, eine Rezension, eine Informationsbroschüre, ein Begleitheft für eine Inszenierung, ein Offener Brief oder ein Feature. Aufgrund dieser großen Varianz möglicher Zieltexte ist es sinn‐ voll, den Komplex der Textsorten näher in den Blick zu nehmen. Brinker versteht in diesem Zusammenhang Textsorten als „konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen“, die „sich als jeweils typische Verbindungen von kontextuellen (situativen), kommunikativ-funktionalen und strukturellen (grammatischen und thematischen) Merkmalen beschreiben [Hervorhebung durch die Autoren]“ 114 lassen. Brinker et al. verweisen darauf, dass sich diese Muster historisch entwickelt haben und eine normierende Wirkung einnehmen, die die Kommunikation sowie die Orientierung der Sprachteilnehmer: innen erleichtern. Brinkers Darlegungen beziehen sich dabei weitestgehend auf nicht‐ literarische Gebrauchstexte, also Texte, die keinen explizit literarischen oder ästhetischen Anspruch verfolgen. Wenn Feilke den Begriff des Argumentierens als „verständnisoffene sprachliche Darstellungsform [definiert], die auf das Überzeugen von der Richtigkeit der Auffassung zu einem problemhaften Sach‐ verhalt bzw. von der Falschheit anderer Auffassungen“ 115 abzielt, dann wird hier 132 II Didaktisches Konzept 116 Philipp, Maik: Materialgestütztes Schreiben. Anforderungen, Grundlagen, Vermittlung. Weinheim: Juventa 2017. S. 33 117 Brinker (2014), S. 60 118 Fritzsche, Joachim: Zur Didaktik und Methodik des Deutschunterrichts. Band 2: Schrift‐ liches Arbeiten. Stuttgart: Klett 1994, S. 14-17 119 Fritzsche (1994), S. 47 ff. deutlich, dass das materialgestützte Schreiben tendenziell eher den Sachtexten zugeordnet wird: „Das Besondere am materialgestützten Schreiben ist seine Kombination von Leseaktivitäten bei mehreren Texten, die dazu führen sollen, dass man einen eigenen Sachtext schreibt.“ 116 Ob diese Einteilung sinnvoll und zielführend ist, soll im Folgenden näher untersucht werden. Brinker nimmt in diesem Zusammenhang eine Unterscheidung von Texten in vier zentrale Kategorien vor, die sich am Umgang mit dem jeweiligen Thema orientiert: „die deskriptive (beschreibende), die narrative (erzählende), die explikative (erklärende) und die argumentative (begründende) Entfaltung eines Themas [Hervorhebung durch den Autor]“ 117 . Während sich alltagssprachliche Texte diesen Kategorien noch relativ einfach zuordnen lassen, verhält es sich bei Texten, die im Unterricht geschrieben werden, schwieriger. Dies liegt zum einen daran, dass es sich in der Regel um Mischformen handelt - so muss in einer Interpretation ebenso beschrieben wie erklärt und begründet werden -, zum anderen liegt schulischen Aufsatzformen meist keine natürliche kommunikative Funktion zugrunde. Der Text wird ausschließlich an die bewertende Lehrkraft adressiert. Fritzsche hingegen geht bei seinen Überlegungen zu Textsorten explizit vom Aufsatzunterricht aus und führt drei zentrale Funktionen und Ziele des Schrei‐ bens an, die ihm als Grundlage der Einteilung der zu schreibenden Texte und den damit verbundenen Schreibaufgaben dienen: Schreiben ermöglicht für ihn eine schriftliche Kommunikation, den sprachlich-symbolischen (Selbst-)Ausdruck und fördert die Reflexion und Erkenntnis. 118 Daraus leitet er eine Unterteilung der Schreibaufgaben in drei Kategorien ab: Das klärende Schreiben als Mittel der Reflexion, das poetische Schreiben als Mittel des Ausdrucks und das kommuni‐ kative Schreiben mit seinen Formen des Briefes, der Beschwerde, der Nachricht, des Werbetextes, der Anleitung, der Bewerbung oder des Kommentars. Das klärende Schreiben untergliedert Fritzsche im nächsten Schritt in Er‐ zählen, Darstellen und Argumentieren. Je nachdem, ob Ereignisse, Sachverhalte oder aber Texte den Ausgangspunkt darstellen, lassen sich diesen Kategorien unterschiedliche schulische Aufsatzformen zuordnen, so zum Beispiel das Pro‐ tokoll, die Erörterung, die Nacherzählung, Inhaltsangabe oder Interpretation. 119 133 II.2 Das argumentierende Schreiben im schulischen Kontext: Textsorten und Textmuster 120 Fritzsche (1994), S. 98 ff. 121 Brinker (2014), S. 133 ff. 122 Fritzsche (1994), S. 35 Vergleicht man die Einteilungen von Fritzsche und Brinker, dann ergeben sich Unterschiede: Die deskriptive Funktion Brinkers findet sich bei Fritzsche in der Kategorie der Klärung, Unterkategorie Darstellung, wieder: Sowohl Personen-, Gegenstands- und Ablaufbeschreibungen sind Teil der Sachverhaltsdarstellung und verfolgen damit eine klärende Funktion. 120 Führt Brinker die Argumentation als eigene Form an, so ordnet Fritzsche diese der klärenden Funktion unter. Unterschiedlich gewichten die beiden Autoren die Rolle des Erzählens: Während Fritzsche diese, quasi als erste Stufe, dem klärenden Schreiben zuordnet, stellt die Narration bei Brinker eine eigenständige Form dar. Bildet demnach ein Er‐ eignis oder ein Text die Basis des Erzählens, handelt es sich bei Fritzsche um ein reflektierendes Schreiben. Werden hingegen eigenständige kreative Produkte verfasst, spricht er vom poetischen Schreiben. Hier wird Brinkers Fokussierung auf Sachtexte deutlich. Da es ihm bei der Darstellung der Grundformen primär um die Entfaltung des Textinhaltes geht, wird die kommunikative Funktion nicht explizit aufgeführt. Brinker betont jedoch, dass ein Text neben den grammatischen und thematischen Kohärenzbedingungen vor allem durch die kommunikative Funktion bestimmt werde. 121 Die Gegenüberstellung zeigt besonders auf kategorialer Ebene Unterschiede auf: Erscheinen Brinkers vier Grundformen bei Fritsche als Varianten des klärenden Schreibens, das dieser um die Formen des poetischen und kommuni‐ kativen Schreibens ergänzt, so betont Brinker die jeweiligen Sprachhandlungen und -muster. Fritzsche geht hingegen von den jeweiligen Aufgabenformaten und den in diesem Zusammenhang entstehenden Texten im schulischen Kontext aus. Gemeinsam ist beiden Autoren die Bewertung der Schwierigkeit, einzelne Texte den jeweiligen Kategorien zuzuordnen. Beide Wissenschaftler betonen, dass es zwischen den Bereichen Überschneidungen gibt und Mischformen entstehen. Fritzsche verweist darauf, dass besonders die Inhaltsangabe, Erörterung und In‐ terpretation den Schreibenden dazu dienen, Klarheit über den Text zu erhalten; neben der klärenden Funktion sei das Schreibprodukt demnach Selbstausdruck. Gleichzeitig habe es eine kommunikative Funktion, da es für die Lehrkraft, die diesen Text bewerten soll, geschrieben sei. „Wenn der Selbstausdruck und die persönliche Gestaltung wichtiger werden, geraten die Texte der ersten Kategorie in die Nähe der zweiten: Die Interpretation und die Erörterung werden zum Essay, die Naturbeschreibung zur poetischen Schilderung, die Personenbeschreibung zur literarischen Charakteristik usw.“ 122 134 II Didaktisches Konzept 123 Hier wird die Parallelität zu Helmers’ Einteilung der Aufsatzformen und des von ihm konzipierten Dreiecks der Gestaltung deutlich. Siehe Kapitel I.2. 124 Diese Einschätzungen belegen auch die empirischen Ergebnisse zum Umgang mit dem Kommentar als Zieltext; siehe III.3. 2. Selbst bei Studierenden ist kein solides Musterwissen in Bezug auf den Kommentar vorhanden. Sollen diese Aspekte auf den Komplex des materialgestützten Schreibens übertragen werden, dann zeigt sich die Schwierigkeit einer klaren Ein- und Zuordnung. Unabhängig von dem jeweiligen Zieltext bewegt sich das Aufgaben‐ format des materialgestützten Schreibens demnach zwischen den drei Kategorien. Die Aufnahme, Analyse und Wiedergabe des vorgegebenen Materials haben eine klar reflexiv-klärende Komponente. Durch die Situierung und Adressierung der Schreibaufgabe wird die kommunikative Funktion betont. Da der persönliche Ausdruck bei der Bewertung der vorliegenden Sekundärtexte und die Entwick‐ lung eines eigenen Standpunktes vor allem bei argumentierenden Aufgaben eine Rolle spielen, ist zudem die Ausdrucksebene relevant. 123 Im Hinblick auf die unter‐ schiedlichen Zieltexte kommt es zu einer Verschiebung. So hat beispielsweise eine Rede eine deutlich explizitere kommunikative Funktion als ein Kommentar, der in der Regel eine breitere, weniger spezifizierte Leserschaft anspricht. Die Text‐ sortenzuordnung aber bestimmt maßgeblich die sprachlichen Muster, die beim Schreiben eingesetzt werden. An dieser Stelle wird deutlich, dass aufgrund der Unterschiedlichkeit der Zieltexte - hier seinen exemplarisch die im empirischen Teil dieser Arbeit untersuchten Zieltexte der Rede bzw. des Redemanuskripts und des Kommentars angeführt - eine Zuordnung von Mustern schwerfällt. Musterwissen erfordert zudem Erfahrungen mit dem jeweiligen Zieltext, die es erlauben, wiederkehrende Strukturen abzuleiten, auf die konkrete Aufgabe zu übertragen und anzuwenden. Kann man bei einer Rede noch von Erfahrungen der Schüler: innen ausgehen, so ist dies bei einem zu verfassenden Kommentar, Feature oder einem Offenen Brief nicht mehr zu erwarten. 124 An dieser Stelle deuten sich Probleme bei der Einführung und Implementie‐ rung des Aufgabenformats an. Nur wenn die Schüler: innen wissen, welche Sprachhandlungen ihr jeweiliger Zieltext zu erfüllen hat, können sie erfolgreich materialgestützte Schreibaufgaben bewältigen. Ansonsten verfassen die Schrei‐ benden eine materialgestützte Erörterung. Hier stehen Didaktiker: innen und Kommissionsmitglieder: innen, die sich mit dem Erstellen von Bildungsplänen und Curricula befassen, vor einer entscheidenden Herausforderung. Um die Chancen des Aufgabenformats, das ein adressatenbezogenes, situiertes, argumentierendes Schreiben in den Blick nimmt und damit an die Lebenswelt der Schüler: innen anknüpft, zu wahren, ist es nicht sinnvoll, eine - weitere - Einschränkung der Zieltexte vorzunehmen. Wenn es das Ziel ist, einen flexibleren Umgang der 135 II.2 Das argumentierende Schreiben im schulischen Kontext: Textsorten und Textmuster 125 Fix, Martin: Texte schreiben. Schreibprozesse im Deutschunterricht. 2. Auflage. Pader‐ born: Ferdinand Schöningh 2008. S. 102 126 Siehe hierzu z. B. Feilke (1988) sowie Steinseifer: „Ebenso wichtig ist aber die Einsicht, dass nur da argumentiert wird, wo etwas unter mehreren an der Kommunikation Beteiligten umstritten ist.“ Steinseifer, Martin: Vom Referieren zum Argumentieren: Di‐ daktische Modellierung von Textprozeduren der Redewiedergabe und Reformulierung. In: Thomas Bachmann, Helmuth Feilke (Hgg.): Werkzeuge des Schreibens. Beiträge zu einer Didaktik der Textprozeduren. Stuttgart: Klett 2014. S. 199-221. S. 203 127 Nussbaumer, Markus: Argumentation und Argumentationstheorie. Heidelberg: Groos 1995. S. 4 Schreibenden mit kommunikativen, lebensweltlich orientierten Schreibaufgaben anzubahnen, dann ist es vielmehr erforderlich, dass Schüler: innen Routinen mit denjenigen Sprachhandlungen erlangen, die allen Zieltexten zugrunde liegen. Bei argumentierenden materialgestützten Schreibaufgaben sind dies die Positio‐ nierung zur jeweils strittigen Thematik und die darauf aufbauende argumentative materialgestützte Auseinandersetzung. In diesem Bereich gilt es Musterwissen zu etablieren, auf dessen Basis die Schüler: innen im Anschluss in die Lage versetzt werden, flexibel unterschiedliche Zieltexte argumentierenden Typs zu verfassen. Im dritten Teil dieser Arbeit sollen im Rahmen der empirischen Studien in der Mittel- und Oberstufe die Schwierigkeiten der Schüler: innen im Umgang mit materialgestützten Schreibaufgaben empirisch untersucht und präzise be‐ nannt werden. Im letzten Teil wird auf der Basis aktueller amerikanischer Schreibforschung - siehe Kapitel II.4 - ein Vorschlag entwickelt, wie mit den Herausforderungen konstruktiv umgegangen werden kann. Im Mittelpunkt dieser Interventionsstudie steht die Vermittlung sprachlicher Muster für die Positionierung und das Argumentieren. Das Handlungsmuster der Argumentation Um die Handlungsmuster zu bestimmen und zu entwerfen, die beim materi‐ algestützten Verfassen argumentierender Texte zum Tragen kommen, ist es erforderlich, den Begriff der Argumentation näher zu bestimmen. Unter einem Argument versteht man „eine Aussage, die im Hinblick auf eine Behauptung be‐ gründende Funktion und Plausibilität beansprucht. Es besteht aus einer These, für die ein Geltungsanspruch erhoben wird“ 125 , und einer Begründung, die durch ein Beispiel verstärkt werden kann. Damit steht die Strittigkeit von Aus‐ sagen und Positionen im Zentrum, die im Rahmen der Argumentation geklärt werden muss. 126 „Argumentieren wie Beweisen haben ihren Ausgangspunkt beim Strittigen und holen sich Gründe zu seiner Bestätigung oder Widerlegung im Unstrittigen. Der Beweis endet in der festen Gewissheit. Demgegenüber endet die Argumentation in der Plausibilität und im Konsens“. 127 Fix gliedert 136 II Didaktisches Konzept 128 Fix (2008), S. 107 129 Ludwig, Otto; Spinner, Kaspar H.: Mündlich und schriftlich argumentieren. Praxis Deutsch 160 (2000). S. 16-22. S. 16 130 Fritzsche (1994), S. 113 131 Feilke (2006), S. 19 132 Brinker (2014), S. 73 den Schreibprozess in folgende Teilprozesse: „Thema und Problem präzise klären, Stoffsammlung und Informationsrecherche, Entscheidung für einlinige oder kontroverse Argumentation, Argumente anordnen, Belege und Beispiele suchen“. 128 Während Nussbaumer auf die antiken Wurzeln der Argumentation verweist und erläutert, dass für die römische Rhetorik die Argumentation ein Verfahren war, mit dem das Strittige durch das Unstrittige unstrittig gemacht werden sollte, gehen Ludwig und Spinner bei ihrer Begriffsklärung zunächst davon aus, dass ein Mangel an Übereinstimmung zwischen Kommunikations‐ teilnehmern vorliegt und dass das gemeinsame Handeln eine Abstimmung erfordert. Sprache sei in diesem Zusammenhang das Medium, das diese Abstim‐ mung und das Suchen von Lösungen vermittelt. „Die Beteiligten versuchen die anderen zu überzeugen und lassen sich gegebenenfalls selbst überzeugen. Die Gründe, die vorgebracht werden, nennen wir Argumente, den Austausch der Argumente: Argumentation.“ 129 Eine Erweiterung des Begriffsfeldes nimmt Fritzsche vor, wenn er das Argumentieren als Klärung von Meinungen versteht; dieses kann strittige Fragen ebenso wie Sachverhalte und Probleme betreffen. „Unnötig zu sagen, daß in allen Arten von Textuntersuchungen, angefangen von der Inhaltsangabe bis hin zur Interpretation, ebenfalls argumentiert wird.“ 130 Dieser Aspekt wird in Kapitel III.5 relevant, wenn das Verfassen der Cha‐ rakteristik einer literarischen Figur als Einführung für das argumentierende Schreiben im literarischen Kontext verstanden wird. Damit eine Argumentation, eine „Sprachhandlung zur Klärung eines Sachver‐ halts mit umstrittenem Geltungsanspruch mit der Absicht der Lösungsfindung oder mitunter auch zur Rechtfertigung“ 131 , gelingen kann, ist es erforderlich, dass das Argument belegt wird und dass die Argumente widerspruchsfrei ver‐ kettet sind. Untersucht man den Aufbau einer Argumentation, so formuliert Brinker, dessen Ausführungen sich auf das Konzept Toulmins stützen, sechs Kategorien: Ausgehend von einer strittigen These (claim), in der das Thema vorgegeben wird, folgt eine Begründung durch Argumente (data). Dass man aus den Argumenten eine Konklusion ableiten kann, liegt an der Schlussregel (warrant): Werden die jeweiligen Argumente angeführt, dann lässt sich daraus der jeweilige Schluss ziehen. „Die Zulässigkeit der Schlussregel erweist der Emittent durch eine Stützung („backing“) [Hervorhebung durch den Autor].“ 132 Toulmin 137 II.2 Das argumentierende Schreiben im schulischen Kontext: Textsorten und Textmuster 133 Toulmin, Stephen Edelston: The Uses of Argument. Cambridge, U. K. 2003. eBook Collec‐ tion (EBSCOhost) (accessed August 11, 2016). S. 92 134 Brinker (2014), S. 78 ff. 135 Ludwig, Spinner (2000), S. 16 ff. erläutert in diesem Zusammenhang den Unterschied zwischen Argument und Schlussregel: “This is one of the reasons for distinguishing between data and warrants: data are appealed to explicitly, warrants implicitly. In addition, one may remark that warrants are general, certifying the soundness of all arguments of the appropriate type, and have accordingly to be established in quite a different way from the facts we produce as data.” 133 Dabei müsse die Stützung bestimmte Standards befolgen, z. B. durch einen Verweis auf Autoritäten oder Gesetze, um gültig sein zu können. Der Geltungsgrad der These könne dann mit einem Mo‐ deraloperator wiedergegeben werden, z. B. durch die Ausdrücke wahrscheinlich, immer, vielleicht. Wird die Gültigkeit der Schlussregel eingeschränkt, müssen diese Ausnahmebedingungen festgehalten werden. Analysiert man Struktur und Inhalt von Argumentationen, dann fällt auf, dass sich nicht alle Teile den Kategorien Toulmins zuordnen lassen. Gerade Einlei‐ tungen haben häufig einen narrativen oder deskriptiven Charakter, der dazu dient, auf das Thema einzustimmen, ein Problembewusstsein zu wecken oder das Thema in einem übergeordneten Kontext zu verorten. Nehmen begründende Passagen einen großen Raum ein, dann liegt häufig auch eine Mischform zwischen darstel‐ lend-beschreibenden und argumentierenden Teilen vor. Gibt der Schreibende im Rahmen seiner Argumentation beispielsweise den Inhalt eines Kapitels wieder, um eine besondere Eigenschaft der literarischen Figur darzustellen, so hat der Text in diesem Teil einen ausgeprägt beschreibenden bzw. darstellenden Charakter. Erläutert der Schreibende, wie sich in der eigenen Familie der Medienkonsum gestaltet oder wie das Medienkonzept der Schule aussieht, dann übernehmen diese beschreibenden Passagen die Funktion der Kontextualisierung. Brinker verweist zudem darauf, dass die Wertbasis beim Schreibenden eine entscheidende Rolle spielt. 134 Je nachdem, wie stark ausgeprägt diese ist und inwieweit die Schüler: innen es gewohnt sind, diese mündlich und schriftlich zu artikulieren, ist er erforderlich, die Schreibenden beim Entwickeln eines eigenen Standpunktes zu unterstützen und entsprechende Schemata zu entwerfen. Gehen Brinker und Toulmin in diesem Zusammenhang von der Struktur der Argumentation aus, stehen für Ludwig und Spinner die sprachlichen Handlungen beim Argumentieren im Vordergrund; im Folgenden sollen einige Teilaspekte aufgenommen und näher erläutert werden. Führen Ludwig und Spinner u. a. Mut, Zweifel, Einfallsreichtum, Perspektivübernahme und Urteils‐ fähigkeit 135 als Teilaspekte des Argumentierens an, dann verweist dies vor 138 II Didaktisches Konzept 136 Hier tauchen Parallelen zur Erörterung auf, die in Kapitel I.3. 2 dargestellt wird. 137 Diese Konzepte werden in Kapitel II.4 näher erläutert. Die angloamerikanische Schreib‐ didaktik beginnt konsequenterweise mit dem argumentativen Schreiben bereits in der Grundschule. Siehe dazu auch: Calkins, Lucy et al.: Writing Pathways. Performance Assessments and Learning Progressions, Grade K-8. Portsmouth, NH: Heinemann 2015. 138 Siehe hierzu z. B. auch Feilke (1988), S. 67 ff. allem auf die Notwendigkeit der Schreibenden, eine eigenständige Position gegenüber dem Thema und den Texten, die die Basis der Argumentation bilden, einzunehmen. Soll eine Argumentation kohärent und überzeugend sein, dann erfordert dies zunächst, dass Aussagen begründet und belegt werden. Sollen sich Zuhörer: innen oder Leser: innen der eigenen Meinung anschließen, dann setzt dies aber auch voraus, dass die Haltung des Gegenübers beim Schreiben antizipiert und seine Perspektive übernommen wird. Argumentieren ist demnach stets dialogisch. 136 Das Artikulieren einer eigenen Meinung vor und gegenüber anderen, das Hinterfragen von Informationen und Positionen, die im Klassenraum oder im vorliegenden Material vertreten werden, verlangen nicht nur inhaltliche Sicherheit und ein Lernklima, das eine angstfreie Kommu‐ nikation ermöglicht. Gleichzeitig erfordert dies Strukturen und Schemata, diese Gedanken zu entwickeln und artikulieren. Haben argumentierende Texte ihren Platz in der Regel in Form von Er‐ örterungen in der oberen Mittelstufe, dann hängt dies mit der skizzierten Komplexität der sprachlichen Handlungen zusammen. Ludwig und Spinner plädieren jedoch dafür, wesentlich früher, nämlich bereits in der Grundschule, mit der Beschäftigung mit argumentierenden Texten zu starten. Lange vor der Einführung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens fordern sie, dass folgende Texte verstärkt geschrieben werden: „Leserbrief, privater Brief mit Rechtfertigung einer Entscheidung, Zeitungskommentare, Buch- und Film‐ kritiken“. Besonders der klarere Adressatenbezug dieser Texte berücksichtigt den dialogischen Charakter des Argumentierens. Dem frühen Einführen und Einüben argumentierender Sprachhandlungen im Deutsch- und vor allem Literaturunterricht ist aus folgenden Gründen zu‐ zustimmen: Im Rahmen der theoretischen Auseinandersetzung mit Textsorten und Textmustern konnte nachgewiesen werden, dass für das materialgestützte Schreiben ein Musterwissen vor allem in Bezug auf die Basiskonzepte, im vorliegenden Fall das Positionieren und Argumentieren, erlangt werden muss. Die Unterrichtseinheit für die Unterstufe fokussiert auf diesen Aspekt. 137 Auch im deutschsprachigen Raum setzt sich die Ansicht durch, dass Argumentieren rechtzeitig angebahnt werden muss. 138 139 II.2 Das argumentierende Schreiben im schulischen Kontext: Textsorten und Textmuster 139 Dieser Gedanke findet sich prägnant auch in Spinners Konzept des Literarischen Lernens, wenn er als zweiten Aspekt die „subjektive Involviertheit“ in den Blick nimmt. Siehe: Spinner, Kaspar H. (2006): Literarisches Lernen. In: Praxis Deutsch 200 (2006). S. 6-16. S. 8 Dieser Gedanke soll im Folgenden noch unter einem dezidiert literaturdidak‐ tischen Blickwinkel betrachtet werden. Wenn Staiger im Umgang mit Literatur postuliert zu begreifen, was einen ergreift, dann ist dieser Gedanke mittlerweile durch zahlreiche lernphysiologische Untersuchungen gestützt. Der Ansatz, von den Leser: innen und ihrer Ergriffenheit auszugehen, hat seine Aktualität nicht verloren, ist allerdings im Unterrichtsalltag häufig zur Floskel - Was hat euch an dem Text gefallen? - verkommen. Das Begreifen der Ergriffenheit 139 findet nur selten eine systematische und im Sinne sprachlichen Handlungswissens fundierte Umsetzung. An einem Beispiel soll dies erläutert werden: Im Rahmen der Förderung der Lesekompetenz sowie der Beurteilungskompetenz hat sich durchgesetzt, dass Schüler: innen Buchvorträge bzw. -präsentationen halten. Ein selbstausgewähltes Buch wird der Klasse vorgestellt. Methodisch gibt es mittlerweile eine große Bandbreite von Umsetzungsvorschlägen, sei es in Form von Leserollen, Bücherkartons oder Bücherblogs. In der Regel sollen zunächst der Inhalt des Buches wiedergegeben, der Autor bzw. die Autorin, die jeweiligen Werke und der Kontext vorgestellt sowie zentrale Figuren und Handlungsstränge dargestellt werden. Üblicherweise endet der Vortrag mit einer kurzen Stellungnahme, warum der Schülerin oder dem Schüler das Buch gefallen hat und wem sie das Buch empfehlen würden. Besonders der letzte Teil enthält häufig klischeehafte, standardisierte und austauschbare Aussagen. In der Regel wurde den Schülerinnen und Schülern nicht vermittelt, ihre Ergriffenheit wahrzunehmen, auszubilden und zu artikulieren. Entscheidend ist, dass die Ergriffenheit gegenüber dem literarischen Text Ausgangs- und nicht Endpunkt der Beschäftigung darstellt. Wenn eine Beziehung zwischen Text und Leser: in hergestellt wird und sich die Leser: innen gegenüber dem Text positionieren, muss im nächsten Schritt durch den Einsatz von Schemata diese Positionierung kanalisiert werden. Dieser Ansatz ist der Grundgedanke des im dritten Teil dieser Arbeit entwickelten Konzepts zum literarischen Essay. 140 II Didaktisches Konzept 140 Philipp (2017), S. 102 141 Ruf (2016), S. 159 142 Ruf (2016), S. 161 143 Fix, Martin: Texte schreiben. Schreibprozesse im Deutschunterricht. 2. Auflage. Pader‐ born: Ferdinand Schöningh 2008. S. 92 II.3 Schemata als Prototypen sprachlichen Handelns oder über die Bedeutung kognitiver Strukturen für die Textproduktion Wenn in dieser Arbeit der Umgang mit Schemata eine zentrale Rolle für den Erwerb von Schreibkompetenz spielt, dann geschieht dies aus der Überzeu‐ gung, dass Schreiben lehr- und lernbar ist und auf Strategien beruht. „Die Vermittlung von Lese- und Schreibstrategien kann nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand als der wichtigste Baustein zur Förderung materialgestützten Schreibens gelten“ 140 . Schemata sollen in diesem Zusammenhang als ein Gerüst verstanden werden, das die Grundlage für sprachliches Handeln bildet. Im Rahmen der Darstellung der Geschichte des deutschen Aufsatzes - siehe Kapitel I.2 - konnte gezeigt werden, dass sich Kreativität und Musterwissen seit jeher in einem Spannungsverhältnis bewegen. Wenn Ruf in seinem Übersichtswerk zum Kreativen Schreiben darauf abhebt, „dass Schreibstrategien und Schreibroutinen grundlegende Techniken zur kulturellen Teilhabe an der aktiven Wissensgesell‐ schaft bedeuten“ 141 , dann spiegelt dies eine sich in der aktuellen Schreibdidaktik durchsetzende Position wider. Dabei ermöglicht das Formulieren und Anleiten von Strategien, beobachtbare und empirisch untersuchbare Rückschlüsse über den Lernerfolg zu ziehen und Schüler: innen zu selbstständigen Schreiber: in‐ nenn zu machen. „Selbstgesteuertes Lernen bedeutet, dass das Kind bestimmte Lernstrategien beherrscht und genau weiß, wie man am besten lernt, und die Lehrkraft kann das besonders konkret beim Schreiben beobachten.“ 142 Zunächst gilt es, den Begriff des Schemas terminologisch ein- und abzu‐ grenzen. Dies ist notwendig, da der Begriff uneinheitlich verwendet wird und sich im Spannungsfeld zwischen Text- und Handlungsmustern, Textsorte und Prozeduren bewegt. Der Zusammenhang von Textsorten und Schreibschemata wurde in Kapitel II.2 bereits erläutert und basiert auf folgender Vorstellung des Textsortenbegriffs: „Versteht man Textsortenwissen nicht als einengende Norm, sondern als praktische Orientierungshilfe, kann es innerhalb des Schreibprozesses unterstützend wirken. Hinter Textnormen stehen Textmuster.“ 143 In diesem Zu‐ sammenhang fordert Fix, dass dieses Wissen nicht deklarativ sein solle, sondern zu einem Handlungswissen werde. Die Orientierungsfunktion ergibt sich aus dem Umstand, dass Textsorten in der Lage sind, Wissensbestände gleichermaßen wie 141 II.3 Schemata als Prototypen sprachlichen Handelns 144 Siehe dazu Kapitel III.3. 1 145 Feilke, Helmuth: „Aller guten Dinge sind drei“ - Überlegungen zu Textroutinen & literalen Prozeduren. In: Fest-Platte für Gerd Fritz. Hg. und betreut von Iris Bons, Thomas Gloning und Dennis Kaltwasser. Gießen 17. 05. 2010. URL: http: / / www.festschrift-gerd-fritz.de/ fil es/ feilke_2010_literale-prozeduren-und-textroutinen.pdf. S. 4 146 Siehe Kapitel III.3. 2. 147 Bachmann, Thomas; Feilke, Helmuth: Werkzeuge des Schreibens - Zur Einleitung. In: Thomas Bachmann, Helmuth Feilke (Hgg.): Werkzeuge des Schreibens. Beiträge zu einer Didaktik der Textprozeduren. Stuttgart: Klett 2014. S. 7-10. S. 8 148 Feilke, Helmuth: Argumente für eine Didaktik der Textprozeduren. In: Thomas Bach‐ mann, Helmuth Feilke (Hgg.): Werkzeuge des Schreibens. Beiträge zu einer Didaktik der Textprozeduren. Stuttgart: Klett 2014. S. 11-34. S. 11 149 Feilke (2014), S. 15 150 Baurmann, Jürgen; Weingarten, Rüdiger: Prozesse, Prozeduren und Produkte des Schreibens. In: Jürgen Baurmann, Rüdiger Weingarten (Hgg.): Schreiben. Opladen: Westdeutscher Verlag 1995. S. 7-25. S. 8 Textprozeduren zu aktivieren. So erfordert beispielsweise das Verfassen eines Kommentars 144 als eines journalistischen Textes das Anführen einer Überschrift. Wenn Feilke Überschriften als literale Routinen bezeichnet, die „spezifisch für eine Kommunikation mittels schriftlicher Texte sind“, 145 dann belegen zwar die Ergebnisse der empirischen Untersuchung dieser Arbeit, dass die Schreibenden eine Überschrift routinemäßig verfassen können. 146 Es müssen demnach Textsor‐ tenkenntnisse vorliegen. Aber bereits das Entwerfen einer Einleitung und die Positionierung der Schreibenden sind nicht mehr routiniert, so dass kritisch zu diskutieren wäre, welche Aussage literale Routinen über die Textqualität und somit für das Anleiten von Schreibprozessen ermöglichen. Ein Verbindungsglied zwischen Mustern und sprachlichen Handeln stellen sprachliche Prozeduren dar: Sie werden auch als „Werkzeuge der Textbildung und des Schreibens“ 147 bezeichnet. Der Begriff der Prozedur hebt die „Mitt‐ lerstellung zwischen dem Prozess- und dem Produktaspekt des Schreibens hervor und macht deutlich, dass es um eine auf Texte und deren Komponenten bezogene Kompetenz geht“ 148 . So werden Textprozeduren von Leser: innen übernommen, weil sie an Sprache teilnehmen. Fragt man eine Person nach dem Weg, so wird diese in der Regel mit sachlichen, kurzen Sätzen im paratak‐ tischen Stil antworten. Dieses Sprachwissen kann als eine Art soziales Wissen verstanden werden. Entscheidend ist: „Zu einer Textprozedur werden nur solche Texthandlungen, deren Prozeduralisierung soziokulturell für sinnvoll gehalten wird.“ 149 Während Schreibprozesse zunächst einen „singulären Vorgang der Textherstellung“ bezeichnen, also beispielsweise die Bearbeitung einer materi‐ algestützten Schreibaufgabe, versteht man unter „Prozeduren stabile Routinen oder „Programme““ 150 , die dazu geeignet sind, den Schreibvorgang zu entlasten. 142 II Didaktisches Konzept 151 Feilke (2010), S. 3 152 Antos, Gerd: Mustertexte und Schreibprozeduren. Standardisiertes Schreiben als Modell zur Aneignung von Schreibprozeduren. In: Jürgen Baurmann, Rüdiger Weingarten (Hgg.): Schreiben. Opladen: Westdeutscher Verlag 1995. S. 70-84. S. 77 153 Antos (1995), S. 77 Prozeduren dienen demnach nicht nur der modellhaften Beschreibung von Schreibprozessen und -produkten, sondern sie nehmen vor allem die Verbesse‐ rung der Schreibfähigkeit in den Blick. Um in Baurmanns und Weingartens Bild des (Computer)Programms zu bleiben, stellt sich darauf aufbauend die Frage, welche Algorithmen das Programm bestimmen und wie diese vor allem im Rahmen einer Schreibdidaktik beeinflusst werden können. Prozedurales Wissen kann dabei nicht erlernt werden durch „pattern-drill, das heißt durch ein Memorieren fertiger Produkte“, 151 sondern durch den Gebrauch. Deutet sich an, dass die Ausbildung von Prozeduren mit deren Nutzung und Anbindung an alltagsweltliche Spracherfahrungen zusammenhängt, dann offenbart sich an dieser Stelle eine zentrale Problematik des Deutschunter‐ richtes: Die in der Schule häufig zu verfassenden Textsorten haben aufgrund des in der Regel fehlenden Bezugs zur Lebenswelt der Schüler: innen und der schwach ausgeprägten kommunikativen Funktion der Texte - dies betrifft besonders den Interpretationsaufsatz - nur bedingt eine soziokulturelle Rele‐ vanz. Aus diesem Grund bilden sich sprachliche Routinen - wenn überhaupt - nur für das schulische Schreiben aus, werden aber nicht auf außerschulische Schreibprozesse übertragen. Soll aber Schreiben nachhaltig vermittelt werden, dann ist es erforderlich, dass erworbene Schreibkompetenzen auch auf andere Aufgaben und Kontexte übertragen werden können. Antos setzt sich in diesem Zusammenhang mit dem Verhältnis von Mustertexten und Textprozeduren auseinander und schreibt Textprozeduren vor allem aufgrund ihrer „Transfer‐ funktion“ 152 ein großes Potential für die Vermittlung des Schreibens zu. Dies liegt vor allem daran, dass Prozeduren situationsunspezifisch und damit flexibel einsetzbar seien. Im Gegensatz zu Mustertexten, die von den Schreibenden häufig imitiert und reproduziert werden, stellen Prozeduren ein Modell dar, das an die sich jeweils ändernden Schreibprozesse angepasst werden kann. Prozeduren sind damit für Antos gleichermaßen anschaulich wie abstrakt. „Auf den Punkt gebracht, könnte man sagen: Schreibprozeduren sind von transfer-geeigneten Schreibprodukten induktiv ableitbare Schreibprogramme, die sich als Elemente zur Gestaltung von Schreibprozessen in funktionaler, kognitiver wie emotionaler Hinsicht anbieten.“ 153 143 II.3 Schemata als Prototypen sprachlichen Handelns 154 Feilke, Helmuth: Was sind Textroutinen? - Zur Theorie und Methodik des Forschungs‐ feldes. In: Helmuth Feilke, Katrin Lehnen (Hgg.): Schreib- und Textroutinen. Theorie, Erwerb und didaktisch-mediale Modellierung. Forum angewandte Linguistik. Bd. 52. Frankfurt am Main: Peter Lang 2012. S. 1-31. S. 11,12 155 Feilke (2014), S. 26 156 Auffällig ist, dass Feilke den Begriff des Handlungsschemas im Rahmen seiner vierstufigen Analyse der Textprozeduren (Feilke 2014, S. 26) anders verwendet als in seiner Veröffent‐ lichung zum Argumentieren (1988, S. 72): „Deshalb ist es notwendig, daß Schreiber über Schemata und Textstrukturierungsmuster verfügen, die helfen können, die komplexe Problemsituation des Schreibanfangs zu lösen.“ 157 Dieser Aspekt ist vor allem für die qualitative Analyse der empirischen Untersuchung in der Unterstufe relevant; siehe Kapitel III.5. 4. Der Werkzeuggedanke der Prozeduren impliziert ein routiniertes Aneignen und Wiederholen. Ziel ist es, dass die Prozeduren fester Bestandteil der Sprache des Schreibenden werden und somit für diesen automatisiert abrufbar sind: Textroutinen sind textkonstituierende sprachlich konfundierte literale Prozeduren, die jeweils ein textliches Handlungsschema (Gebrauchsschema) und eine saliente Ausdrucksform (Routineausdruck) semiotisch koppeln. Sie können soziale Typen von Sprachhandlungsmotiven indizieren, haben ein genrekonstituives Potential und sind ausdrucksseitig durch rekurrent kookkurrente Ausdruckskomponenten ausge‐ zeichnet. Sie können lexikalisch als Kollokationen, syntaktisch als grammatische Konstruktionen und textlich als Makroroutinen auftreten und in vielfacher Weise in‐ einander eingebettet sein. Pragmatisch funktionieren sie als Kontextualisierungshin‐ weise, die auf der Grundlage einer pars-pro-toto-Semantik ein reiches Kontextwissen für die Textrezeption und Textproduktion indizieren können. 154 Überträgt man diese Begrifflichkeit auf einen in der Schule zu verfassenden Text, bedeutet dies: Der Schulaufsatz 155 ist die Textsorte, das Argumentieren der Texthandlungstyp, das Positionieren ein Handlungsschema, zu dem Ich finde, dass einen möglichen Prozedurenausdruck darstellt. 156 Literale Routinen selbst lassen sich identifizieren, indem sie entweder durch die Schreibenden thematisiert werden oder indem sich Überarbeitungsspuren im Text finden lassen. 157 Betrachtet man die Geschichte der Schreibdidaktik, so fällt auf, dass diese zwischen den Polen der Subjekt- und der Sachorientierung oszilliert. In ers‐ terer stehen das schreibende Subjekt, seine Entfaltung und vor allem der Schreibprozess im Vordergrund. Diese Schüler: innen- und Prozessorientierung begünstigt Formen wie das Kreative Schreiben sowie handlungs- und produk‐ tionsorientierte Verfahren. Wird hingegen auf die Sache fokussiert, dominieren feste Aufsatzformen und damit das konkrete Produkt. Diesem traditionellen Aufsatzunterricht jedoch fehlt weitestgehend ein explizit didaktisches Modell, 144 II Didaktisches Konzept 158 Feilke, Helmuth; Rezat, Sara: Operatoren „to go“. In: Praxis Deutsch 274 (2019). S. 4-13. S. 9 159 In diesem Sinn Feilke, Rezat (2019), S. 6 das die Anforderungen nicht nur beschreibt, sondern auch die Vermittlung des Schreibprozesses in den Blick nimmt. Das Aufgabenformat des material‐ gestützten Schreibens und seine bisher skizzierten Herausforderungen für den Schreibenden erfordern ein flexibles Instrumentarium, das auf die unter‐ schiedlichen Zieltexte und die damit verbundenen kommunikativen Funktionen ebenso wie auf die verschiedenen Themen situationsgerecht reagiert. Soll durch das Aufgabenformat wissenschaftspropädeutische Schreibkompetenz gleichermaßen wie eine Varianz im kommunikativen, adressatenbezogenen argumentierenden Schreiben erlangt werden, dann sind Schemata erforderlich, die gleichermaßen flexibel wie universell sind. Ein zusätzliches Problem einer Prozedurendidaktik im Kontext des material‐ gestützten Schreibens ergibt sich aus dem Verhältnis von Textsorte, Operatoren und Textprozeduren. In der Regel wird eine Textsorte durch Operatoren näher bestimmt. So können der Textsorte Erörterung beispielsweise die Operatoren des Erklärens und Erörterns zugeordnet werden, der Interpretation neben dem Interpretieren und Analysieren auch das Zusammenfassen, Charakterisieren und Vergleichen. Operatoren haben demnach reproduzierende, reorganisie‐ rende und reflexive Elemente. 158 Im Kontext materialgestützter Schreibaufgaben deutete sich bereits im vorangegangenen Kapitel an, dass eine Textsortenzu‐ ordnung im Sinne schulischer Textsorten nicht eindeutig ist. Ebenso verhält es sich mit den Operatoren, die eine Mittlerposition zwischen der Textsorte und der Textprozedur einnehmen. 159 Problematisch ist, dass es sich beim „Ver‐ fassen“ eines materialgestützten Textes nicht um einen Operator handelt. Viel‐ mehr müssen die Schreibenden selbstständig Sprachhandlungen in Form von Operatorenformulierungen ihres Zieltextes erarbeiten, die die argumentative Dimension ebenso abdecken wie die kommunikative. Das bedeutet, dass die Schreibenden zunächst die Inhalte der Materialien nennen und darstellen, also die Sachverhalte reproduzieren müssen, um dann die strittigen Themen zu erklären, zu analysieren und zu vergleichen. Diese Sprachhandlungen erfor‐ dern eine Reorganisation des eigenen Weltwissens und der Informationen der Materialien. In einem weiteren Schritt gilt es zu reflektieren, d. h. zu interpre‐ tieren und zu diskutieren. Das materialgestützte Schreiben schließt demnach eine große Anzahl an Operatoren ein. Die Tatsache, dass das Argumentieren ebenso wie das Positionieren keine eigenen Operatoren darstellen, aber ein wesentlicher Bestandteil des argumentierenden Schreibens ist, veranschaulicht die Problematik nicht nur der Operatorenbeziehungen. Hier deuten sich be‐ 145 II.3 Schemata als Prototypen sprachlichen Handelns 160 Dies ist ebenso elementar für das Stellen von Aufgaben: Der Inhalt und damit die angebotenen Texte variieren. Der Charakter der Schreibaufgabe aber muss im Kern eine Argumentation enthalten, die von den Schülerinnen und Schülern wiedererkannt werden kann. Dies gilt es bei der Aufgabenstellung zu berücksichtigen. 161 Becker-Mrotzek, Michael: Schreibentwicklung und Textproduktion. Der Erwerb der Schreibfertigkeit am Beispiel der Bedienungsanleitung. Radolfzell: Verlag für Ge‐ sprächsforschung 2004. S. 20 reits Bewertungsschwierigkeiten materialgestützter Schreibaufgaben an, die im Rahmen der empirischen Untersuchungen im dritten Teil dieser Arbeit noch vertieft und erläutert werden. Ausgehend von den Operatoren ließen sich nun Prozedurenlisten erstellen, die im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben mit den Schreibenden ein‐ geübt werden können. Angesichts des Übermaßes der Operatoren, die im Rahmen der Bearbeitung einer Aufgabe abgedeckt werden müssen, erweist sich ein solches Vorgehen jedoch schnell als beliebig und wenig zielführend. Auch die Präsentation von Mustertexten, anhand derer die Schüler: innen die Merkmale des jeweiligen Zieltextes kennenlernen, hat zwar einen informie‐ renden Charakter, führt jedoch nicht zum Ausbilden literaler Routinen. Damit es tatsächlich zu einer Aneignung stabiler Routinen kommen kann, muss eine Konzentration auf diejenige Sprachhandlung stattfinden, die den Kern der Schreibaufgabe darstellt, das Argumentieren. In diesem Zusammenhang gilt es, kognitive Strukturen durch Schemata auszubilden, die in einem nächsten Schritt durch konkrete Prozeduren gestärkt und gestützt werden können. Der Umgang mit Schemata setzt voraus, dass derjenige, der sie entwickelt und den Schreibenden als kognitives Muster anbietet, davon ausgeht, dass es eine Situation beim Lesen und Produzieren eines Textes gibt, die sich wiederholt. Die Schreibenden müssen demnach etwas bewältigen, das nicht nur in der speziellen Aufgabe vorkommt, sondern ein generelles Handlungsmuster beinhaltet. 160 Variieren die Inhalte der Aufgaben beim materialgestützten Schreiben in Form der zur Verfügung gestellten Materialien, so ist es in Bezug auf die konkrete Schreibaufgabe erforderlich, dass die Schüler: innen auf Muster zurückgreifen können, die ihnen einen Transfer auf die jeweilige Aufgabe ermöglichen. Dabei steht im Zentrum der informierend-argumentierende Charakter, der allen Schreibaufgaben gemeinsam ist. Wiederholt sich aber dieser argumentative Kern, dann ist es zentral, dass den Schülerinnen und Schülern hierfür Muster zur Verfügung gestellt werden. „Handlungsmuster dienen der Bewältigung wiederholt auftretender defizitärer Standardkonstellationen. Man kann auch sagen, die Handlungsmuster haben den Zweck, eine bestimmte Defizienz in eine Suffizienz zu überführen.“ 161 Die Schüler: innen müssen demnach erkennen, 146 II Didaktisches Konzept 162 Becker-Mrotzek (2004), S. 21 163 Fix (2008), S. 106 164 Dies hängt zum einen mit dem Umstand zusammen, dass in der Regel weder in der Schule noch in der Universität oder in der Lehrer: innenausbildung Schreiben systematisch gelehrt wurde. Weiterhin spielt die Dominanz der Literatur im Deutsch‐ unterricht eine Rolle: Die Komplexität und Mehrdeutigkeit der Literatur wird von zahlreichen Germanist: innen als etwas verstanden, das sich nicht auf ein einfaches Schema reduzieren lässt. 165 Z. B. Borcherding, Wilhelm; Büsche, Klemens; Kempen, Willibert; Notzon, Konrad; Osterhus, Anna: deutsch.kompetent. Abiturtraining B. Stuttgart: Klett 2017. S. 107 dass trotz der unterschiedlichen Themen, Materialien, Adressierungen und Zieltexte in den Schreibaufgaben dem Schreib- und daraus resultierend auch dem Leseprozess ein Muster zugrunde liegt, auf das sie zurückgreifen können. Je häufiger ein Weg im Schreiben und Lesen gegangen wird - angeleitet oder eigenständig -, desto stärker und stabiler wird das jeweilige Handlungs‐ muster ausgeprägt. Dies betrifft auf der Ebene der Aufgabe Merkmale, die auf bestimmte Sprachhandlungen hinweisen bzw. diese einfordern, auf der Ebene des Adressat: innen Erwartungen, die bestimmte Textmuster beinhalten, und auf der Ebene des Materials bestimmte Inhalte, die geeignet sind, diese Aufgaben zu füllen. Dabei ist entscheidend: „Die Handlungsmuster als zugrundeliegende Strukturen sind nicht zu verwechseln mit den Handlungen selbst; die Muster bilden die Bewegungsformen des Handelns.“ 162 Dieser Aspekt ist vor allem für den Einsatz von Schemata in der Oberstufe relevant. Muster haben hier den negativen Ruf, sie simplifizieren Gedankengänge und seien der Komplexität des Inhaltes nicht angemessen. Fix betont in diesem Zusammenhang, dass Text‐ muster dazu beitragen können, den Schreibprozess transparent zu gestalten und damit zu entlasten. Er weist aber auch darauf hin, dass darauf geachtet werden müsse, die Norm zu überwinden, um einen authentischen Stil zu entwickeln. 163 Das Unbehagen, durch normierende Schemata einen Schreibprozess anzuleiten, zu ermöglichen und in der sich anschließenden Bewertung transparent zu gestalten, hat in Deutschland eine lange Tradition. 164 Diese Haltung hat u. a. zur Folge, dass bereits in der späten Mittelstufe ein Schreibtraining, wie es im an‐ gloamerikanischen Raum bis zum Ende der Schulzeit praktiziert wird, durch die Interpretation von Texten und den daraus resultierenden Interpretationsaufsatz ersetzt wird. Während sich in Unterrichtsmaterialien zum materialgestützten Schreiben durchsetzt, Prozeduren des Argumentierens anzubieten, 165 werden Muster nur in sehr allgemeiner Form angeboten. Sie beziehen sich im Wesent‐ lichen auf die Textstrukturen. So werden die Schüler: innen aufgefordert, eine Einleitung, einen Hauptteil und einen Schluss zu verfassen. In der Regel sind 147 II.3 Schemata als Prototypen sprachlichen Handelns 166 So werden beispielsweise in deutsch.kompetent folgende Arbeitsschritte angeführt: „Auf‐ gabenstellung erfassen“, „Material auswerten“, „Informationen organisieren“, „Gliederung erstellen“, „Klausur schreiben“, „Klausur überarbeiten“, Borcherding et al., S. 97 167 Fix (2008), S. 119 168 Siehe zur Erprobung einer schemabasierten Unterrichtseinheit Kapitel II.1. 2 sowie III.5. In diesem Zusammenhang wird auch der argumentative Charakter näher ausgeführt. Die Schreibenden sollen erläutern, was das Bemerkenswerte der literarischen Figur ist. 169 Die Messbarkeit dieser Parameter wird bei der Analyse des Unterrichtsversuches - siehe Kapitel III.5. 3 - zentral. diese Muster so allgemein gehalten, 166 dass sie den Schreibprozess nur bedingt unterstützen und sich keine Routinen ausbilden. Eine systematische Schule des Schreibens existiert nicht. Aus diesem Umstand lassen sich Anforderungen für Inhalt und Aufbau von Schemata ableiten: Schemata sollen verstanden werden als eine kognitive Struktur, die ein selbstreguliertes Bearbeiten komplexer Schreibaufgaben ermöglicht. Der universelle Charakter von Schemata erlaubt es den Schülerinnen und Schülern, un‐ terschiedliche Materialien und Schreibaufgaben zu bearbeiten. „Sprachunterricht versteht sich in diesem Sinne nicht als Instruktion, sondern er soll die Lerner dabei unterstützen, Wissen in einen aktiven und selbstständigen Konstruktionsprozess aufzubauen.“ 167 Dieser an der Kognitionspsychologie angelegte Ansatz geht davon aus, dass sich verschiedenartige Aussagen zu gleichartigen zusammenfassen lassen. In Bezug auf das in der Unterstufe verwendete Grundschema 168 - (Ein Charakter) ist (eine Eigenschaft), weil (erster Grund), (zweiter Grund) und beson‐ ders (dritter Grund). - beinhaltet dies die Einsicht, dass in literarischen Texten Aussagen über eine Figur vorliegen, die sich zu einer übergeordneten Aussage zusammenfassen lassen. Um jedoch eine solche kognitive Struktur ausbilden zu können, ist eine Assimilation erforderlich, das bedeutet ein Interpretieren des Textes und anschließendes Ordnen einzelner Aussagen. Zentrale Merkmale des Schemas sind damit Generalisierungen und das Bilden von Kategorien, die unterschiedliche Beobachtungen am Text zusammenfügen und in das Schema - in diesem Fall das der Argumentation - integrieren. 169 Schemata erlauben damit ein Wiedererkennen bestimmter Inhalte und Muster im Text, erfordern ein Deuten, verursachen auf der prozessualen Ebene des Schreibens eine Textreduktion und ermöglichen auf der Produktebene das Schreiben eines eigenständigen, von der Vorlage losgelösten Textes. Damit aber bewirken Schemata - trotz ihres zunächst normativ erscheinenden Charakters - eine Entlastung und Emanzipation der Schreibenden. Um erfolgreich mit dem Schema umgehen zu können, muss dieses eingeübt und damit automatisiert werden. Zentral ist neben der Konzeption des Schemas die Ein‐ sicht in die Notwendigkeit der Anwendung. In diesem Zusammenhang ist relevant, 148 II Didaktisches Konzept 170 Becker-Mrotzek (2004), S. 23 171 Siehe dazu auch Feilke, Rezat (2019), S. 6 172 Rezat, Sara: Textprozeduren als Instrumente des Schreibens. In: Thomas Bachmann, Helmuth Feilke (Hgg.): Werkzeuge des Schreibens. Beiträge zu einer Didaktik der Textprozeduren. Stuttgart: Klett 2014. S. 177-197. S. 193 dass der Schreibende eine defizitäre Situation wahrnimmt, beispielsweise, dass der Zusammenhang zwischen den vorgegebenen Materialien und der konkreten Schreibaufgabe noch nicht hergestellt werden kann. Innerhalb dieses Rahmens müssen anschließend die der Aufgabe zugrundeliegenden Sprachhandlungen er‐ kannt und als zentrales Anliegen des zu schreibenden Textes angenommen werden. Becker-Mrotzek spricht in diesem Zusammenhang vom „Eintritt ins Muster“. 170 Zwischenergebnis Aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass der im Kontext der Prozedurendi‐ daktik verwendete Schemabegriff ein anderer als der in dieser Arbeit gebrauchte ist. So bewegen sich Prozeduren im Wesentlichen auf der Realisierungsebene 171 und fragen nach dem Wie. Sollen aber Schemata zu einem stabilen Instrument werden, mit denen die Schreibenden auf unterschiedliche materialgestützte Schreibaufgaben flexibel reagieren, dann muss es sich bei den Schemata um kognitive Strukturen handeln, die die übergeordneten Prozesse beim Argumen‐ tieren in den Blick nehmen. Wenn Rezat anmerkt, dass es um „das Auslösen der mit den konzessiven Textprozeduren verbundenen Gebrauchsschemata (Instrumentierung)“ 172 geht, dann stellt sich die Frage, wie Schüler: innen die notwendigen Handlungsschemata erwerben sollen. Diese Frage soll in Kapitel II.4 erläutert und in III.5 praktisch erprobt und evaluiert werden. Dass es sich bei der Prozedurendidaktik trotz der angedeuteten Schwierig‐ keiten um einen zentralen Ansatz gegenwärtiger Schreibdidaktik handelt, liegt in dem Umstand begründet, dass der Schreibprozess und die Vermittlung der Schreibkompetenzen in den Blick genommen werden. Sprachreflexion, Umgang mit Texten und Schreiben greifen ineinander und machen den Schreib‐ prozesses sichtbar. Den Schreibenden werden konkrete Werkzeuge angeboten, mit denen sie operieren können. Dabei stellen die Prozeduren nicht nur ein Ordnungssystem, sondern auch eine Entlastung für die Schreibenden dar. Vor allem aus empirischer Perspektive handelt es sich bei der Prozedurendidaktik zudem um einen Ansatz, der sich konkret auf der Ebene der Schreibprodukte untersuchen und nachweisen lässt. Diese Operationalisierbarkeit dürfte ebenso dazu beigetragen haben, dass die Vermittlung von Prozeduren auch im Deutsch‐ unterricht selbst immer größeren Raum einnimmt. Dass den zentralen Heraus‐ forderungen des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens jedoch 149 II.3 Schemata als Prototypen sprachlichen Handelns 173 Siehe dazu auch: Kruse, Otto; Ruhmann, Gabriela: Prozessorientierte Schreibdidaktik: Eine Einführung. In: Otto Kruse, Katja Berger, Marianne Ulmi (Hgg.): Prozessorientierte Schreibdidaktik. Schreibtraining für Schule, Studium und Beruf. Bern: Haupt 2006. S. 13-35. S. 13 174 Auf die Rolle der sogenannten Mentorentexte wird noch explizit in Kapitel III.5. 1 eingegangen. Siehe hierzu auch Antos (1995), S. 70 ff. nicht ausschließlich mit der Vermittlung von Prozeduren begegnet werden kann, belegen die Ergebnisse der im dritten Teil dieser Arbeit durchgeführten empirischen Untersuchungen in der Mittel- und Oberstufe. II.4 Die Erlernbarkeit des Schreibens durch die Vermittlung sprachlichen Musterwissens: Ein Vergleich zwischen den USA und Deutschland und seine Konsequenzen für eine veränderte Schreibdidaktik in Deutschland II.4.1 Grundgedanken eines Ländervergleichs Im Hinblick auf die Einführung und Etablierung des materialgestützten Schrei‐ bens als neuem Aufsatzformat in der gymnasialen Oberstufe, in dessen Zentrum das Schreiben auf der Basis der Lektüre verschiedener Texte steht, ist es erfor‐ derlich, nach geeigneten didaktischen Ansätzen zu suchen, in deren Mittelpunkt die Synthese von Lese- und Schreibprozessen steht. Dabei geht es zunächst um die Interdependenzen zwischen dem Lesen des Materials, der Produktion eines eigenen Textes und den - antizipierten - Adressat: innen. Lesen und Schreiben sind dabei Prozesse, die nicht voneinander getrennt betrachtet werden können. Eine Auseinandersetzung mit amerikanischen Schreibmodellen bietet sich aufgrund ihres Prozesscharakters und der daraus resultierenden Einsicht in die Erlernbarkeit des Schreibens an. Gut dreißig Jahre vor der ersten PISA-Studie wurde in den USA durch Bildungsstudien die Wirksamkeit von Unterricht in den Blick genommen. Die Ergebnisse attestierten den Schülerinnen und Schülern eine mangelnde Schreibkompetenz. Daraus resultierten eine systema‐ tische Erforschung der Schreibkompetenzen und weitreichende Literacy-Pro‐ gramme. Das aktuelle Verständnis einer prozessorientierten Schreibdidaktik geht maßgeblich auf diese Prozesse zurück. 173 Grundgedanke der amerikani‐ schen Schreibdidaktik ist das Arbeiten mit Ablaufschemata, die den Schreib‐ prozess in Teilhandlungen zergliedern, transparent gestalten und dadurch das Schreiben entlasten. Konkrete Schreibanleitungen, sei es durch Mustertexte, 174 Schemata zum Aufbau oder das Formulieren von Leitfragen leiten das Schreiben 150 II Didaktisches Konzept 175 Siehe dazu Kapitel II.1. 2. 176 Siehe hierzu Kapitel I.2. 177 Siehe hierzu auch Graeser, Andreas: Positionen der Gegenwartsphilosophie. Vom Pragmatismus bis zur Postmodernen. München: Beck 2002. S. 19 und Goodmann, Russel B.: Pragmatism: a contemporary reader. New York: Routledge 1995. S. 22 178 Siehe hierzu auch Abraham, Brendel-Perpina (2015), S. 15 179 James: William: Pragmatism. In: Goodmann, Russel B.: Pragmatism: a contemporary reader. New York: Routledge 1995. S. 53-75. S. 54 an. Dieses Verständnis spiegelt sich auch im Schreibmodell von Hayes wider. 175 Dass eine Entzerrung von in der Regel parallel ablaufenden, mehrdimensionalen Prozessen und Darstellung in einem Modell immer auch eine Vereinfachung impliziert, drückt sich in der Kritik am Mehrebenenmodell aus. Die Unterschiede zwischen einer deutschen Aufsatzdidaktik 176 und einer amerikanischen Schreibdidaktik lassen sich aber auch auf ein differierendes Verhältnis zur Kunstautonomie zurückführen. Zwar sind die amerikanische Philosophie und vor allem John Dewey maßgeblich von abendländischen Ein‐ flüssen beeinflusst. 177 Während allerdings im deutschsprachigen Raum der Bil‐ dungshumanismus und die Ablehnung des Dilettantismus im Zusammenhang mit der Produktion von Schüler: innentexten eine zentrale Rolle spielten und spielen 178 und damit die aktuellen Stundentafeln der Schulen, die Lektüreaus‐ wahl, die Bedeutung der Kanonisierung sowie die Didaktik und Methodik des Literaturunterrichts prägen, hat sich in den USA ein überwiegend pragmatischer Umgang mit Bildung durchgesetzt. Konkrete Bedürfnisse und Zielsetzungen bestimmen die didaktischen Diskussionen. Mit Berkeley nahm zu Beginn des 18. Jahrhunderts idealistisches Gedan‐ kengut Einfluss auf die amerikanische Philosophie und fand durch Emerson seine Fortsetzung. Zunehmend gewann der Fortschritts- und Entwicklungsge‐ danke im amerikanischen Denken an Bedeutung. Damit aber setzte sich eine realistisch-positivistische Strömung durch. Der Pragmatismus von William James - „The pragmatic method in such cases is to try to interpret each notion by tracing its respective practical consequences.“ 179 - beeinflusst die aktuelle Pädagogik und dominiert auch heute noch den Umgang mit Literatur, die Lektüreauswahl sowie das Verständnis vom Schreiben, das wie ein Handwerk gelehrt und gelernt werden soll. Ein weiterer Grund für die von Deutschland differierende Sprach- und Literaturvermittlung in den USA liegt in der nicht explizit vorgenommenen Differenzierung in verschiedene Schulformen des amerikanischen Schulsystems begründet. Eine Einheitsschule erfordert, dass die Schreibkompetenz als Basiskompetenz verstärkt in den Blick genommen wird. Wenn alle Schüler: innen gemeinsam bis zur 12. Klasse der Highschool unterrichtet werden, dann müssen der Schreibprozess und seine Vermittlung 151 II.4 Erlernbarkeit des Schreibens durch die Vermittlung sprachlichen Musterwissens 180 Flower, Linda (et al.): Reading-to-Write: Exploring a Cognitive and Social Process. New York: Oxford University Press 1990. S. 4 181 Siehe: The English Language Arts Ressource Guide and Core Curriculum. The Univer‐ sity Of The State Of New York and The State Education Department. 1998. URL: http: / / www.p12.nysed.gov/ ciai/ ela/ pub/ ccela.pdf 182 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf das Curriculum der Stadt New York. Die Ausführungen sind insofern repräsentativ, als dass Ergebnisse der staatlichen Tests u. a. vom Teachers College der Columbia University, New York, wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden. 183 Siehe Spivey, Nancy Nelson: Constructive Processes in Reading and Writing. In: Written Communication, Vol. 7 No.2, April 1990. S. 256-287. S. 257 ff. als Basisfertigkeit im Vordergrund stehen. Dabei erfüllte Schreiben lange Zeit auch in den USA überwiegend die Funktion, Gelerntes zu sichern und testen. 180 Dies spiegelt sich in standardisierten Tests - zum Beispiel dem SAT (Scholastic Assessment Test), der die Studierfähigkeit prüft - wider, die einen großen Anteil an Multiple-Choice-Fragen enthalten und das Leseverständnis abfragen. Eine Neugewichtung des Schreibens und seiner Vermittlung hängt vor allem eng mit der Praxis amerikanischer Colleges und Universitäten zusammen, die das Verfassen von Essays neben den SATs als zusätzliche Eingangsqualifikation ansehen. Damit stellt das selbstständige Verfassen eines originären Textes eine Basisfertigkeit und Voraussetzung für den Erfolg an weiterführenden Bildungseinrichtungen dar. Die Notwendigkeit, Schüler: innen auf diese Arbeit vorzubereiten, bildet der zu Beginn des 21. Jahrhunderts in der US-amerika‐ nischen Pädagogik vorgenommene Taxonomienwechsel der Lernziele ab, in dessen Zentrum eine Verschiebung der Kompetenzen und damit eine Neuge‐ wichtung des Schreibens steht. Schüler: innen werden spätestens ab der 5. Klasse systematisch dazu angeleitet, Essays zu verfassen: zusammenhängende, in sich geschlossene Texte. Damit blicken die USA auf eine lange Diskussion über Schreibformen und deren Vermittlung zurück, die in Deutschland erst allmählich wieder Einzug in die Fachdidaktik und in die Lehrpläne findet. Aus deutscher Sicht sind, wenn es um die Vermittlung von Lese- und Schreibkompetenzen geht, mehrere Aspekte bedenkenswert: Dies betrifft zum einen die Vielzahl und die Varianz der Texte, die im Englischunterricht verfasst werden. Diese bilden sich sowohl im Curriculum 181 als auch in den einzelnen Un‐ terrichtsreihen ab. 182 Des Weiteren unterscheiden sich die Rolle und Gewichtung der Literatur im Schreibprozess und die daraus resultierenden Aufgabenformate deutlich. Sodann spielt in den USA bei der Vermittlung von Lese- und Schreib‐ kompetenz nur eine nachrangige Rolle, ob mit literarischen oder Sachtexten gearbeitet wird. Zwar heben Didaktiker 183 darauf ab, dass für das Verständnis von literarischen Texten und das Schreiben über diese zusätzliche Kompetenzen 152 II Didaktisches Konzept 184 Siehe Kapitel III.5. 185 Bloom, Benjamin S. (ed.): The Taxonomy of Educational Objectives, The classification of Educational Goal, Handbook I: Cognitive Domain. New York: McKay 1956 erforderlich sind. Die Texte selbst aber werden gleichrangig behandelt. Die in Deutschland vorherrschende Dichotomie zwischen Literaturwissenschaft und Linguistik, die auch die Einführung des materialgestützten Schreibens prägt, scheint in den USA in der didaktischen Diskussion weniger stark ausgeprägt zu sein. Der entscheidende Unterschied aber liegt im Umgang mit sprachlichen Mustern. Diese werden curricular mit Eintritt in die Schule eingeführt und fort‐ während geübt, erweitert und vertieft. Ziel dieses Vorgehens ist das routinierte Anwenden sprachlichen Musterwissens auch bei unbekannten, komplexen Schreibaufgaben und Texten. Um dies zu erreichen ist in einem nächsten Schritt die Unterrichtsorganisation entschieden verändert worden. Dies betrifft vor allem das Verhältnis von Instruktion und Konstruktion. Um die US-amerikanischen Ansätze, die sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt haben, für eine deutsche Schreibdidaktik des materialgestützten Schreibens nutzbar zu machen, in dessen Zentrum das selbstständige Verfassen von informierenden, argumentierenden und essayistischen Texten auf der Basis unterschiedlicher Quellentexte steht, sollen zunächst zentrale Unterschiede zwischen Deutsch- und US-amerikanischem Englischunterricht aufgezeigt und die theoretische Positionen der US-amerikanischen Schreibdidaktik erläutert werden. Im Anschluss wird ein Modell skizziert, das auf deutsche Bedürfnisse übertragbar ist und in der dritten empirischen Untersuchung dieser Arbeit praktisch erprobt und evaluiert wird. 184 II.4.2 Unterschiede zwischen Deutschunterricht und English Language Arts (ELA) Der eingangs angesprochene Taxonomienwechsel Andersons und Krathwohls, der eine Revision von Blooms Lernzielen aus den 1950er Jahren des letzten Jahrhunderts vornimmt, 185 markiert wesentliche Unterschiede zwischen dem aktuellen Deutschunterricht und dem US-amerikanischen Englischunterricht, der in den Schulen als ELA (English Language Arts) unterrichtet wird. Blooms Taxonomie der Lernziele lässt sich - zusammengefasst - in einer 6-stufigen Struktur wiedergeben, die eine kognitive Entwicklung des Lernens abbildet: Ausgehend vom Wissen erfolgt das Lernen über das Verständnis, die Anwen‐ dung, Analyse, Synthese und schließlich die Evaluation. Ein Grundgedanke des richtungsweisenden Werkes, das Einfluss auf die Entwicklung der Curricula zahlreicher Länder genommen hat, war die Beobachtung, dass ein Großteil des 153 II.4 Erlernbarkeit des Schreibens durch die Vermittlung sprachlichen Musterwissens 186 Bloom, Benjamin S.: Reflections on the Development and Use of the Taxonomy. In: Lorin W.Anderson, Lauren A. Sosniak (Hgg.): Bloom’s Taxonomy. A Forty-year Retrospective. Ninety-third Yearbook of the National Society for the Study of Education. Part II. Chicago: The University of Chicago Press 1994. S. 1-8. S. 1 187 „With the explosion of knowledge that has taken place during the past forty years, the ability to use higher mental processes has assumed prime importance.“ Bloom (1994), S. 1 188 Anderson, Lorin W.; Krathwohl, David R. (editors): A Taxonomy for Learning, Teaching, and Assessing: A Revision of Bloom’s Taxonomy of Educational Objectives. Complete Edition. New York: Longman 2001. Anderson, Krathwohl (2001), S. 83 189 Anderson, Krathwohl (2001), S. 84 190 Anderson, Krathwohl (2001), S. 318 ff. 191 „their own synthesis of information or materials to form a new whole, as in writing, painting, sculpting, building and so on.“ Anderson, Krathwohl (2001), S. 85 Unterrichts für die Wissensvermittlung, aber nur ca. 10 % für höhere mentale Prozesse verwendet wurde. 186 Nicht nur die explosionsartige Zunahme des Wissens machte ein Umdenken erforderlich, das sich in diesen Taxonomien wi‐ derspiegelt, 187 sondern ebenso die - schulische wie berufliche - Notwendigkeit, sich mit diesem Wissen aktiv und kritisch auseinanderzusetzen. Knapp 50 Jahre später dominiert das Modell noch immer die didaktischen Diskussionen, weist aber zwei Änderungen auf. Das revidierte Modell gliedert den Wissensbegriff in eine Wissens- und eine kognitive Dimension auf, die sich in der Aufspaltung in einen verb- und einen noun-aspect widerspiegelt. Die zweite Änderung betrifft die Gewichtung der Taxonomien und damit verbunden eine veränderte Bewertung der kognitiven Prozesse. Am Ende des Lernprozesses steht nun nicht mehr das kriteriengeleitete und auf Standards basierte Urteilen - Evaluate  188 -, sondern der Schaffensprozess: Create. Was aber genau meinen Anderson und Krathwohl, wenn sie in ihren Taxono‐ mien der Lernziele, die allgemein pädagogisch ausgerichtet sind, von dem Begriff Create sprechen? Wurden zuvor Texte zusammengefasst, gedeutet, das Wissen auf neue Sachverhalte übertragen und kritisch bewertet, so geht es auf der höchsten Lernebene darum, dass die Schüler: innen verschiedene Aspekte des Materials zusammenführen, um etwas Kohärentes und Funktionales zu formen, also ein eigenes, neues Produkt herzustellen. Dazu werden Gedanken oder Aspekte des vorgegebenen Materials in einer Form oder Struktur reorganisiert, die so vorher noch nicht existierte. 189 Die Umbenennung von Blooms Taxonomie der Synthesis zu Andersons und Krathwohls Create  190 spiegelt die Akzentverschiebung vom abstrakteren Analysieren zum schöpferischen Kreieren. Die semantische Nähe zum Kreativitätsbegriff darf allerdings nicht zu der Annahme verleiten, dass es hierbei ausschließlich oder überwiegend um einen freien, kreativen Prozess gehe. Im Zentrum steht die Synthese der Informationen und des vorgegebenen Materials. 191 Zwar könne Originalität und Einmaligkeit eine Rolle spielen. Ziel sei es aber, dass 154 II Didaktisches Konzept 192 Anderson, Krathwohl (2001), S. 85 193 Anderson, Krathwohl (2001), S. 85 194 Ebenso ließe sich diskutieren, ob nicht der deutsche Interpretationsaufsatz ebenso eine eigenständige Form darstellt, die sich deutlich vom Original - dem zu interpretierenden Text - abhebt und somit einen Akt des Kreierens - Create - darstellt. 195 Ob hier eine unmittelbare Kausalität vorliegt, bliebe in einem anderen Rahmen zu unter‐ suchen. 196 Auf die historisch und philosophisch begründeten Ursachen, die vor allem auf den Einfluss des Neuhumanismus zurückzuführen sind, soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. die Aufgaben von allen Schülerinnen und Schülern unabhängig von ihren künst‐ lerischen Fähigkeiten bearbeitet werden können. Der kreative Akt besteht darin, verschiedenes Material neu zu organisieren und zu präsentieren. Im Gegensatz zu den vorangestellten Taxonomien steht demnach bei Create die Produktion eines Originalprodukts am Ende. Die anderen Operatoren hingegen arbeiten mit bereits fertigen Produkten (z. B. einem literarischen Text), den es zu verstehen gilt. „In Create, on the other hand, the student must draw upon elements from many sources and put them together into a novel structure or pattern relative to his or her own prior knowledge.“ 192 Damit aber geht das neue Schreibprodukt über das hinaus, was als und im Material vorgegeben ist. Ein wesentlicher Unterschied zum Interpretieren liegt somit im Kompositionscharakter: „Create is not involved in writing that represents the renembering of ideas or the interpretation of materials.“ 193 Dass tiefergehende Verstehensprozesse ebenso Konstruktionsprozesse darstellen oder beinhalten, soll an dieser Stelle nicht berücksichtigt werden. 194 Entscheidend ist, dass der Taxonomie Create ein konstruktivistischer Ansatz zugrunde liegt, der zum Ausgangspunkt einer Theorie der Schreibdidaktik wird. Die Entwicklung des Kompetenzbegriffs und darauf aufbauend die der Kom‐ petenzraster im deutschsprachigen Raum kann als parallele Entwicklung zum dargestellten Taxonomienverständnis in Amerika und insbesondere zur Auseinan‐ dersetzung mit dem Wissensbegriff des revidierten Modells verstanden werden. 195 Betrachtet man allerdings den Deutschunterricht der Mittel- und besonders der Oberstufe, so ist festzustellen, dass dieser in weiten Teilen noch die unteren Taxonomienebenen Blooms abbildet: Im Mittelpunkt steht der literarische Text, dem sich überwiegend durch einen der Hermeneutik verpflichteten Ansatz ge‐ nähert wird. Die Vermittlung literaturwissenschaftlichen Wissens spielt eine zentrale Rolle. Trotz integrativer Ansätze ist eine Auseinandersetzung mit Fragen der Grammatik, des Wortschatzes, der Gliederung und Kohärenz von Texten nachrangig. Das Verfassen eines eigenen, in sich abgeschlossenen Textes, die Untersuchung der jeweiligen Handlungsmuster der Textsorten und das Arbeiten an diesem nehmen einen vergleichsweise geringen Stellenwert ein. 196 155 II.4 Erlernbarkeit des Schreibens durch die Vermittlung sprachlichen Musterwissens 197 Eine Orientierung findet an der Operatorenliste für das Fach Deutsch des Hessischen Kultusministerium statt. Siehe: Hessisches Kultusministerium: Operatoren in den Fächern Deutsch, Musik, Sport und in den Fächern des Fachbereichs II. Landesabitur 2016. Stand 01. August 2014. URL: https: / / kultusministerium.hessen.de/ sites/ default/ fil es/ media/ hkm/ la16-operatoren-deutsch-musik-sport-fbii.pdf 198 Siehe: The English Language Arts Ressource Guide and Core Curriculum 199 Der Begriff der Person umfasst hier im weiteren Sinne auch Gruppierungen, Genera‐ tionen oder Gesellschaften. Um die Gewichtung der Literatur sowie Formen und Bedeutung des Schrei‐ bens in den beiden Schulsystemen präziser einschätzen zu können, soll eine schematisch skizzierte Unterrichtseinheit des Deutschunterrichts wiederge‐ geben werden, die sich auf den Umgang mit einer Ganzschrift bezieht. Dabei wird versucht, diese in Form von Andersons und Krathwohls verb und noun aspect darzustellen. Der verb aspect wird dabei durch die Operatoren 197 wieder‐ gegeben, die die Eindeutigkeit und Standardisierung der Arbeitsaufträge wie die der zu erwartenden Schüler: innenleistungen sicherstellen sollen. Der noun aspect wird in Form von Wissensbeständen dargestellt. Die im Rahmen der Unterrichtseinheit in der Regel zu verfassenden Texte sowie Schreibanlässe sollen einen Vergleich mit den Common Core Standards (im Folgenden CCS), 198 auf die im Folgenden noch näher eingegangen wird, ermöglichen. Im Zentrum des Deutschunterrichts der Oberstufe, der in weiten Teilen ein Literaturunterricht ist, steht zumeist ein Gang durch die Lektüre, in dessen Verlauf die Schüler: innen • den Inhalt des Textes zusammenfassen, den Gang der Handlung wie‐ dergeben, den Aufbau und die Struktur des Textes skizzieren sowie Handlungsaspekte unter funktionalen und genrespezifischen Aspekten analysieren können, - indem sie u. a. Zusammenfassungen und Inhaltsangaben verfassen, Spannungskurven oder Übersichtstabellen zeichnen, • Personen charakterisieren, zentrale Konflikte der Personen 199 herausar‐ beiten und Personengefüge analysieren, - indem sie auf der Basis von Personenbeschreibungen Charakterisie‐ rungen verfassen und dabei Personen miteinander in Beziehung setzen sowie innere Monologe schreiben, • Sprache und Stil des literarischen Textes untersuchen, die jeweilige Wirkung analysieren und die Autorintention herausarbeiten, - indem sie Analysen von Textpassagen verfassen, 156 II Didaktisches Konzept 200 An dieser Stelle soll es nicht um die Relevanz des Interpretierens oder um eine Bewer‐ tung der Schwierigkeiten gehen. Im Zentrum steht die Frage, welche Kompetenzen durch die jeweilige Schwerpunktsetzung eingeübt werden. 201 Siehe Kapitel I.3. 3. • historische, biographische, epochenspezifische Hintergründe und litera‐ turwissenschaftliche Modelle wiedergeben, einordnen, diskutieren und zur Interpretation heranziehen, - indem sie Zusammenfassungen der Sekundärtexte verfassen, Thesen formulieren und Analysen von Textausschnitten schreiben, • auf der Grundlage der Textarbeit sowie aufgrund von Rezensionen, Inszenierungen oder Adaptionen den literarischen Text einordnen und bewerten, - indem sie Modernisierungen vornehmen, Antworttexte schreiben oder Rezension verfassen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit bildet diese Zusammenstellung einen exem‐ plarischen Gang durch eine Unterrichtseinheit ab, wie dieser sich sowohl in den Bildungsstandards als auch in dem Aufbau von Lehrwerken und Unterrichts‐ hilfen präsentiert. Ausgangspunkt der Konzeption einer Unterrichtseinheit stellt damit der literarische Text dar, der interpretiert werden soll. Schreiben findet im Laufe der Unterrichtseinheit immer wieder statt, um Textverständnis sicherzustellen (Inhaltsangabe, Nacherzählung), um Ergebnisse und Wissen festzuhalten (Charakter- oder Epochenmerkmale, Handlungsstruktur), um Ver‐ ständnis zu vertiefen oder um bestimmte Aufgabenformate, die im Rahmen von Klausuren abgeprüft werden, einzuüben. Am Ende sollen die Schüler: innen in der Lage sein, eine Textanalyse oder einen Interpretationsaufsatz 200 zu verfassen. Betrachtet man die Operatoren und die im Rahmen der Unterrichtseinheit in der Regel zu verfassenden Texte, dann fällt auf, dass das Vorgehen überwiegend den Taxonomiehierarchisierungen Blooms folgt und nicht denen Andersons und Krathwohls. Nicht der geschriebene Text steht im Vordergrund, sondern das Verständnis der Literatur und dessen schriftliche Dokumentation in Form eines Interpretationsaufsatzes. Finden sich handlungs- und produktionsorientierte Ansätze in Unterrichtsreihen wieder, so verfolgen sie zumeist das Ziel, durch Differenzerfahrungen das Verständnis und die Deutung des Primärtextes zu ermöglichen oder zu vertiefen. 201 Kreative, offenere Textproduktionen werden damit deutlich eingegrenzt und finden ihren Bewertungsmaßstab am literari‐ schen Original. Ein kreativer Umgang mit Literatur, der die Produktion eines in sich geschlossenen Textes im Blick hat, findet selten statt. Diese Beobachtung 157 II.4 Erlernbarkeit des Schreibens durch die Vermittlung sprachlichen Musterwissens 202 KMK: Bildungsstandards (2012), S. 24 203 Fountas, Irene C.; Pinnell, Gay Su: Guiding Readers and Writers Grade 3-6. Teaching Comprehension, Genre, and Content Literacy. Portsmouth: Heinemann 2003. S. 13 204 Flower (1990), S. 4 205 Flower (1990), S. 4 206 Flower (1990), S. 5 ff. 207 Unter einem Essay wird in der Regel ein Text verstanden, dem eine klare Struktur mit Einleitung, Hauptteil und Schluss zugrunde liegt. In der Einleitung wird die zentrale Idee / These dargestellt, wichtige Gedanken werden kurz angerissen und das Interesse der Leser: innen wird geweckt. Der Hauptteil besteht zumindest aus drei body paragraphs, die jeweils eine These, erklärende Ausführungen, Fakten, Details und Belege sowie einen zusammenfassenden Satz enthalten. Die body paragraphs dienen zur Unterstützung des Grundgedankens (main idea). Im abschließenden Schlussteil wird die Eingangsthese aufgenommen und im Hinblick auf den Hauptteil ergänzt oder umformuliert. Die Ausführungen werden zusammengeführt und abgeschlossen. Siehe dazu z. B. Beverly, Ann Chin; Bucco, Anthony; Panzer, Frederick J: Grammar for Writing. Grade 8. Common Core Enriched Edition. New York: Sadlier 2014. S. 125 deckt sich mit der Tatsache, dass in den aktuellen Bildungsstandards gestaltende Aufgaben durch das materialgestützte Schreiben ersetzt wurden. 202 Damit aber unterscheiden sich Umfang, Bewertung und Art der Texte, die im Unterricht erstellt werden, deutlich von denen im US-amerikanischen Englisch‐ unterricht. Bereits die in der Fachbezeichnung ELA implizite Unterscheidung in Language und Arts hebt die Bedeutung der Sprachvermittlung hervor. Dieser Unterteilung liegt ein Literacy-Konzept zugrunde, das nach Fountas und Pinnell auf drei Säulen steht: „a three-block framework: language & word study, reading, and writing“ 203 . Flower betont in diesem Zusammenhang, dass Literacy nicht synonym mit der Fähigkeit zu lesen, also zu dekodieren, oder zu schreiben (to transcribe) ist. 204 Es ist vielmehr ein zielorientiertes, kontextspezifisches Verhalten, „wich means that a literate person is able to use reading and writing in a transactional sense to achieve some purpose in the world at hand“. 205 Flower unterscheidet zwischen der receptive literacy und der critical lite‐ racy  206 : Geht es bei ersterer hauptsächlich um die Informationsentnahme aus Texten - beispielsweise beim Lesen der Zeitung -, so erfordert die critical lite‐ racy ein Erfragen und Ertesten von Empathie. Zentral ist durch die Auseinander‐ setzung mit den Intentionen des Textes das Entwickeln eigener Vorstellungen sowie eines sozialen und politischen Bewusstseins. Damit wird deutlich, dass sich ELA im Gegensatz zur hermeneutisch orientierten Literaturfixierung des Deutschunterrichts überwiegend als Schreibunterricht versteht. Während am Ende einer Unterrichtseinheit im Deutschunterricht ein möglichst umfassendes Verständnis des Primärtextes steht, ist im Englischunterricht das Verfassen eines Essays 207 - z. B. über das literarische Werk - entscheidend. 158 II Didaktisches Konzept 208 Fountas (2003), S. 252 209 Diese Gewichtung zeigt sich auch anhand der Tatsache, dass in dem gut 500seitigen Werk Fountas die Beschäftigung mit Literatur nur einen verschwindend kleinen Teil einnimmt (Chapter 15, S. 252-261). 210 „Students will read, write, listen, and speak for literary response and expression. “ CCS, S. 56 Die Rolle der Literatur hebt sich damit deutlich von der im Deutschunterricht ab: Literatur ermöglicht im Wesentlichen den Lesenden das Kennenlernen und die Übernahme neuer Perspektiven. Durch die Rezeption wird eine ästhetische Dimension erfahren, die das eigene Schreiben beeinflussen und verbessern kann: As they participate in literature study, students develop new understandings as readers. By sharing meanings and listening to multiple perspectives, they come to understand texts in a deeper, more fully developed way than they can on their own. Through literature study, students also begin to improve their own writing. Analyzing an author’s style and technique often prompts students to reexamine their own writing and develop their self-expression. 208 Literatur nimmt damit im Lese- und Schreibprozess eine primär dienende Rolle ein. 209 Diese Gewichtung bildet sich auch in dem eingangs skizzierten Taxono‐ mienwechsel ab: Nicht das Deuten und sprachliche Abbilden des Deutungspro‐ zesses in Form eines Interpretationsaufsatzes stehen im Zentrum, sondern das Verfassen eines eigenständigen Textes auf der Basis der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Texten. Create wird damit als höchste Kompetenzstufe angesehen. Dass es sich hierbei nicht um eine didaktische Einzelmeinung handelt, offen‐ bart ein Blick auf die Curricula der Stadt New York. Die Common Core Standards (CCS) legen jeweils für mehrere Jahrgänge die Standards fest. Interessant ist, dass zunächst die Texte, die die Schüler: innen schreiben müssen, aufgelistet werden. Im nächsten Schritt werden die verbundenen Sprachhandlungen dar‐ gestellt. Für die abschließenden Jahrgänge 9-12 werden diese im Bereich Schreiben folgendermaßen definiert: Schreiben erfüllt auf der ersten Stufe die Funktion des Informierens und Verstehens. Es müssen u. a. Recherchearbeiten, technische Berichte oder Thesenpapiere verfasst werden. Die konkrete Infor‐ mationsentnahme und -wiedergabe steht im Zentrum. Auf der nächsten Ebene steht das literarische Schreiben 210 in Form von fiktiven Texten, beispielsweise Gedichten, Erzählungen, Features, Videos-Skripten ebenso wie interpretative Essays. Die dritte Stufe befasst sich mit der kritischen Analyse und Evaluation. Die Lernenden schreiben u. a. Buch- und Filmkritiken, politische Reden, Edi‐ 159 II.4 Erlernbarkeit des Schreibens durch die Vermittlung sprachlichen Musterwissens 211 Diese Hierarchisierung findet sich nicht allein in der Oberstufe; sie liegt auch in der Grundschule und Unterstufe vor. So werden für Grade 5 folgende Schreibfunktionen angeführt: „Understand the purpose for writing; for example, explain, describe, narrate, persuade, and express feelings.“ CCS, S. 29 212 Hessisches Kultusministerium (1997), S. 96 torials und Werbung. Der vierte Standard hebt auf die social interaction ab. Hier geht es darum, dass die persönliche Beziehung und Beteiligung durch das Verfassen privater Briefe oder eines Tagebuchs artikuliert werden. 211 Damit aber orientieren sich die CCS deutlich stärker an den Schreibprodukten. Es werden keine Aufgaben zum Text beantwortet, sondern eigenständige, abgeschlossene Texte verfasst. Besonders die letzte Kategorie der CCS mag aus deutscher Sicht verwundern, ist doch das persönliche Schreiben in Deutschland überwiegend in der Grund‐ schule verortet und wird dort in authentischen Schreib- und Lesesituationen in Form von zu verfassenden persönlichen Briefen oder Tagebuchaufzeichnungen berücksichtigt. 212 In den weiterführenden Schulen spielt die persönliche Betei‐ ligung beim Schreiben eine geringe Rolle. Sie wird von den Schülerinnen und Schülern überwiegend in Rahmen von Erörterungen oder bei Bewerbungs‐ schreiben gefordert. Der Tagebucheintrag wird allenfalls als Verfahren des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht zur Auseinander‐ setzung mit literarischen Figuren eingesetzt. In der Oberstufe bewegen sich damit die Leistungsaufgaben im deutschen Abitur zumeist auf der Ebene des 2. Standards, in Einzelteilen auf der des 3.. Kreative Leistungsaufgaben wurden - wie bereits erläutert - durch das materialgestützte Schreiben ersetzt und werden damit nicht mehr im Abitur abgeprüft. Damit aber folgt der Deutschunterricht im Wesentlichen Blooms Taxonomie und nicht der revidierten Andersons und Krathwohls. Betrachtet man vor diesem Hintergrund allerdings die Anforderungen, die das neu eingeführte Format des materialgestützten Schreibens an die Schreibkompetenz stellt, nämlich die selbstständige Produktion kommunikativ angemessener Texte und die damit verbundene persönliche Positionierung der Schreibenden, dann heben sich diese Kompetenzen deutlich von denen des Interpretierens ab. Dabei ist weniger entscheidend, wie man die Relevanz und die Komplexität dieses Aufgabenformates bewerten mag. Wichtig ist, dass das materialgestützte Schreiben mit seinen Formen des informierenden und argu‐ mentierenden Schreibens sowie des Verfassens von Essays andere Textmuster und Textprozeduren als das Interpretieren erfordert. Diese anzuleiten, stellt eine zentrale Herausforderung des Deutschunterrichts dar. 160 II Didaktisches Konzept 213 Rosenblatt, Louise M.: Writing and reading: the transactional theory. Berkeley, Cali‐ fornia: University of California 1988. S. 3 214 Dieser Vorgang ist durchaus vergleichbar mit der Dimension des „Text produced so far“ in Hayes Schreibmodell. 215 Ebenso wie Rosenblatt unterscheidet auch Spivey nicht explizit zwischen literarischen und Sachtexten. Für die Arbeit mit literarischen Texten sei nur darauf abzuheben - so Rosenblatt -, dass literarische Texte andere Merkmale als Sachtexte aufweisen. II.4.3 Zur Vermittlung sprachlichen Musterwissens Um den Schreibenden sprachliches Musterwissen zu vermitteln, muss der Schreibprozess in seiner Gesamtheit in den Blick genommen werden. Dies ist in Kapitel II.1. 2. mit Rückgriff auf das kognitionspsychologische Modell von Hayes und Flower ausführlich geschehen. Hayes und Flower verweisen darin auf die Notwendigkeit des Zurverfügungstellens von Mustern, Schemata und Strategien für die Textproduktion und das Überarbeiten. Damit aber ist der Schreibprozess gekennzeichnet durch ein beständiges Interagieren zwischen Revision und Resources. Dass dabei Schreiben und Lesen Prozesse sind, die sich gerade beim materialgestützten Schreiben nicht voneinander trennen lassen, ist in der aktuellen Schreibdidaktik unbestritten. Die besondere Rolle des Lesens soll an dieser Stelle noch einmal vor dem Hintergrund der transaktio‐ nalen Theorie Rosenblatts dargestellt werden. Lesen ist immer ein integraler Bestandteil des Schreibens und damit transactional. Aus Rosenblatts Sicht stellt Schreiben zunächst eine Interaktion mit dem leeren Blatt und damit mit dem Schreibprozess an sich dar. Jedes Verfassen von Worten steht somit in einer Beziehung zu anderen, bereits gelesenen Worten 213 und kann niemals losgelöst vom Prozess des Lesens betrachtet werden. Zusätzlich ist jedes Schreiben verknüpft mit der Biographie der Schreibenden und ihrer persönlichen, sozio‐ kulturellen Umgebung und den damit verbundenen Erfahrungen. Auch im weiteren Verlauf der Textproduktion nimmt das Lesen in Form des erneuten und rückblickenden Lesens des bis dahin produzierten eigenen Textes - das reread - eine zentrale Bedeutung ein. 214 Lesen stellt in diesem Zusammen‐ hang eine Interaktion mit dem bereits entstandenen eigenen Text ebenso wie mit den antizipierten Leser: innen und den damit verbundenen Schreibabsichten dar. Rosenblatt hebt darauf ab, dass jeder Text eine Antwort bzw. eine Interpre‐ tation eines bereits bestehenden Textes darstellt. Aus den Lesenden werden Schreibende. Das bedeutet aber, dass sich Lese- und Schreibprozesse nicht voneinander trennen lassen. Die empirisch-konstruktivistische Didaktikerin Spivey betont in diesem Zusammenhang, dass sich beim Schreiben von Texten auf der Grundlage literarischer Texte oder Sachtexte 215 nicht entscheiden lasse, ob Schreibende etwas machen, um die Bedeutung des gelesenen Textes zu 161 II.4 Erlernbarkeit des Schreibens durch die Vermittlung sprachlichen Musterwissens 216 Spivey (1990), S. 259 217 „…they needed to build a representation of the texts they were reading in order to build a representation of their own text.“ Flower, S. 125 218 Flower (1990), S. 5 219 Flower (1990), S. 43 220 Bloom (1994), S. 6 verstehen, oder eine Schreiboperation vollzogen werde, um dem eigenen Text Bedeutung zu verleihen. Damit aber ist Schreiben auf der Basis von Texten niemals ein linearer, sondern stets ein hybrider Akt 216 und erfolgt, um einen eigenen Text zu schreiben. Die Lektüre und das Verständnis des Quellentextes muss demnach vor dem Hintergrund des eigenen zu schreibenden Textes verstanden werden. 217 Ziele dieses reading in order to write  218 -Ansatzes, dem ver‐ schiedene Texte zugrunde liegen, sind nach Flower u. a. die Zusammenfassung, die Synthese, das Überprüfen und Kommentieren sowie die Interpretation der Texte im Hinblick auf das eigene Schreibziel. 219 Für die eigene Textproduktion, insbesondere den eigenen Essay, spielen damit folgende Schreibziele eine Rolle: Die Präsentation des Gelernten und das Verständnis der Texte, der Text als Quelle für eigene Ideen, die Originalität und Kreativität sowie die Überzeugung der Leser: innen. Neben diesen Interdependenzen zwischen Lesen und Schreiben ist für eine Schreibdidaktik des materialgestützten Schreibens besonders die Auseinandersetzung mit Schemata relevant, die den Schülerinnen und Schülern das textsprachliche Handeln transparent macht und die eine funktionale Ver‐ knüpfung kommunikativer Absichten mit sprachlichen Ausdrücken darstellt. Orientiert sich Unterricht an den Taxonomieebenen Blooms, dann ist das Erlangen höherer Kompetenzstufen anzustreben. So sollen die Schüler: innen besonders im Fach ELA in die Lage versetzt werden, Essays zu verfassen, die eine kritische Auseinandersetzung mit den jeweiligen Lerngegenständen - ob Literatur oder Sachtext - abbilden, eine eigene Meinung zu entwickeln, andere Perspektiven zu berücksichtigen und ihre Argumentation begründet darzustellen. Da sich diese Ziele vollständig auf das Aufgabenformat des mate‐ rialgestützten Schreibens übertragen lassen, erscheint es gewinnbringend, die unterrichtliche Umsetzung genauer in den Blick zu nehmen. Denn vor dem Hintergrund der revidierten Taxonomien steht die Schüler: innenaktivität - The Fundamental Processes nach Hayes - und damit das Schreiben selbst im Vordergrund und die Rolle der Lehrkraft verändert sich. Der Schreibprozess muss sich durch ein klares Schreibziel auszeichnen und durch Schreibschemata angeleitet und gesteuert werden: „One of the primary reactions to the Taxo‐ nomy on the part of educators was a shift from a concern about teacher’s action to a concern for what students learned from these actions.“ 220 Hayes’ 162 II Didaktisches Konzept 221 „The Taxonomy does emphasize the need for teachers to help students learn to apply their knowledge to problems arising in their own experiences and to be able to deal effectively with problems that are not familiar to them.“ Bloom (1994), S. 7 Organisationsform des Schreibens spiegelt in diesem Zusammenhang die Rolle der Instruktion und der Lehrkraft wider: Die Aufgaben werden als Teil des Task Schemas dem Schreibprozess gegenüber gestellt und die Lehrkraft ist Teil dieses Task Schemas. Bloom hebt in diesem Zusammenhang darauf ab, dass die Rolle der Lehrkraft darin besteht, die Schüler: innen zu unterstützen, Wissen aufzubauen, um sie zu befähigen, eigene Fragen und Probleme zu bewältigen. 221 Wie eine derartige Instruktion in Bezug auf die Vermittlung der Schreibkompetenz aussehen kann, soll anhand des Ansatzes des Reading & Writing Project des Teachers College (TCRWP) der Columbia University, New York, aufgezeigt werden. Das TCRWR unterstützt die Stadt New York bei der Umsetzung der Common Core Standards durch quantitative und qualitative Studien, Fortbildung von Schulen und Lehrerkräften sowie die Entwicklung von Lehrmaterialien. Calkins ist Gründungsprofessorin des TCRWP und maßgeblich an der Entwicklung des Konzeptes beteiligt. Um die Komplexität der unterrichtlichen Faktoren des TCRWP angemessen wiedergeben und um eine Übertragung dieser Ansätze in das deutsche System vornehmen zu können, erscheint eine wissenschaftstheoretische Einordnung sinnvoll. Diese Verortung in ein schreibdidaktisches Modell soll erleichtern, Vorgehen und Ziele genauer bewerten und im Hinblick auf Möglichkeiten der Übertragung auf das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens befragen zu können. Das Modell des TCRWP zeichnet sich durch eine ausgeprägte pragmatische Struktur aus. Versucht man jedoch, dieses Modell paradigmatisch einzuordnen, so präsentiert es sich im Wesentlichen als additives Muster, das sich zwischen den Polen der Kognitionspsychologie mit direkten Instruktionen und dem selbstgesteuerten, schüler: innenzentrierten Konstruktivismus bewegt. Wäh‐ rend die Kognitionspsychologie den Prozess des Wissenserwerbs betont, der ein verstehendes und problemlösendes Lernen auslösen soll, bestreitet die radikale konstruktivistische Didaktik die Möglichkeit einer objektiven Erkenntnis. Im Rahmen der Kognitionspsychologie spielen eine regelhafte und symbolische Informationsverarbeitung und die Vorstellung einer systematischen Übermitt‐ lung fertiger, geschlossener Wissenseinheiten eine zentrale Rolle. Dabei wird Lernen von außen vorbereitet, geplant und organisiert, um Kenntnisse und Fertigkeiten im Sinne eines Wissenstransfers zu ermöglichen. 163 II.4 Erlernbarkeit des Schreibens durch die Vermittlung sprachlichen Musterwissens 222 Siehe dazu Hasselhorn, Marcus; Gold, Andreas: Pädagogische Psychologie: erfolgrei‐ ches Lernen und Lehren. 2. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer 2009. S. 220 ff. 223 Huwendiek, Volker: Didaktische Modelle. In: Gislinde Bovet, Volker Huwendiek (Hgg.): Leitfaden Schulpraxis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrberuf. 5. Aufl. Berlin: Cornelsen 2008. S. 35-69. S. 62 224 Calkins, Lucy: A Guide to the Common Core Writing Workshop. Middle School Grades. Portsmouth: Heinemann 2014. S. 26 225 „Each student, then, is assigned to write a paper of the same format, about the same text, using the same ideas the class has developed together.“ Calkins (2014), S. 26 Das konstruktivistische Paradigma 222 hingegen betont das selbstgesteuerte Lernen durch Bereitstellen geeigneter Lernumgebungen. Dies impliziert eine Abkehr von der Vermittlerperspektive und der Inhaltsdidaktik zur Lerner-Be‐ ziehungsdidaktik. Ziel ist die Selbstentwicklung eines kognitiven Systems beim Lernen. Im Zentrum stehen die schreibenden Schüler: innen. Dies erfordert von den Lehrenden ein Aushalten der Ungewissheit mit gleichzeitiger Betonung der Heterogenität, vom Lernenden, sich den eigenen Lernprozess zu vergegen‐ wärtigen. Damit wird die Verständigung über Sinn „tatsächlich wichtiger als kollektive Belehrungs- oder Bekehrungsversuche.“ 223 Die Eckpfeiler des TCRWP - die Vermittlung und Umsetzung von Schemata sowie die Struktur der Stunde mit der Betonung der minilessons als Abbild des Verhältnisses von Instruktion und Konstruktion - sollen im Folgenden dargestellt und im Hinblick auf einen theoretischen Überbau eingeordnet und bewertet werden. Dass weitere didaktische Modelle in die Konzeption des TCRWP Einzug gehalten haben und es sich damit tatsächlich um ein pragmatisches Additum handelt, wird im Folgenden näher erläutert. Calkins versteht Schreiben als etwas, das wie ein Handwerk gelehrt und gelernt werden kann. Aus diesem Grund müssen der Prozess des Schreibens ebenso wie das Produkt sichtbar gemacht werden. Dabei bewegt sich die Vermittlung des Schreibprozesses traditionell zwischen zwei Polen: Der erste Ansatz geht davon aus, dass Schreiben ein Grundbedürfnis des Menschen ist und die Lernenden selber ihren Weg zum Schreiben finden. Der zweite Ansatz - der Assigned Task Approach  224 - geht von einer starken Steuerung durch Aufgaben- und Themenvorgaben aus: Alle Schüler: innen lesen denselben Text und bearbeiten weitestgehend im Rahmen der Texterschließung die glei‐ chen Fragen und Aufgaben. 225 Beide Vorgehen sind aus der Sicht Calkins problematisch: Trotz des Grundbedürfnisses des Menschen, sich mitzuteilen, lebe Schreiben von Schreibstrategien. Durch ihre Vermittlung erhöhten und verbesserten sich die Fähigkeiten sowie das Engagement der Schreibenden. Bezugnehmend auf Hayes’ Modell bedeutet das Transparentmachen, Lehren und Erproben von Strategien ein Einflussnehmen auf alle Parameter des Schrei‐ 164 II Didaktisches Konzept 226 Calkins (2014), S. 27 227 Es ist nicht zufällig, dass dieser Ansatz eine große Nähe zum materialgestützten Schreiben aufweist. 228 Calkins (2014) , S. 27 bens: Je klarer die Ziele der Aufgabe und das Vorgehen sind, desto klarer kann auch der Schreibende seine eigenen Schreibziele verfolgen und auf sein Wissen zurückgreifen. Den zweiten Ansatz sieht Calkins als problematisch an, da er die Illusion vermittle, dass die Schüler: innen unabhängige Schreiber: innen geworden seien. Wenn Calkins anmerkt, dass die Schreibenden häufig wenig flexibel, einfallsreich und belastbar seien, wenn ihnen neue und komplexere Aufgaben präsentiert werden, 226 dann beschreibt sie ein Phänomen, das die Erfahrungen zahlreicher deutscher wie amerikanischer Lehrer: innen widerspie‐ gelt. Dies betrifft besonders die Fähigkeit, eine eigene, begründete Haltung zu dem jeweiligen Gegenstand einzunehmen. An dieser Stelle wird bereits die Zwischenstellung dieses Ansatzes zwischen einem auf gezielter Instruktion basierenden kognitionspsychologischen Vorgehen und einem schüler: innen‐ zentrierten konstruktivistischen Arbeiten deutlich. Calkins hebt darauf ab, dass alle Lernenden es verdienen, dass ihr Schreiben und damit die Schreibanlässe real sind und einen Bezug zur Wirklichkeit haben. 227 Die Bewertung solle sich nicht allein am Maßstab des Lehrenden, sondern an dem der Wirklichkeit und an der Adressierung orientieren. Sollen Schüler: innen eine Meinung zu dem, worüber sie schreiben, entwickeln und artikulieren, dann erfordert dies, dass sie über Themen schreiben, die sie interessieren und die wichtig für sie sind. Geht man auf Hayes’ Schreibmodell zurück, dann zeigen die Forderungen Calkins den deutlichen Zusammenhang zwischen Task Schema und dem individuellen Schreibprozess auf: Je stärker Schreibende bei der Textauswahl und den Themen, über die sie schreiben, auf das, was sie wissen und sie interessiert, zurückgreifen können, desto stärker ist ihre Motivation. Gleichzeitig haben sie als Lesende und Schreibende größeren Zugriff auf Kriterien zur Beurteilung eigener und fremder Texte. Für die Art der Vermittlung ist es entscheidend, dass die Aufgabenstellungen klare Zielvorgaben enthalten, die den Schreibenden ermöglichen, eigene Ziele zu entwickeln, die gleichzeitig die Grundlage der Rückmeldung und Bewertung darstellen. „The unit would involve as a sequence of tasks, not assignment-based but instead writing process-based, and therefore transferable to kids’ work beyond task at hand.“ 228 Schreibstrategien aber müssen explizit vermittelt werden. Dies betrifft Fragen der Rechtschreibung und Grammatik ebenso wie die der Gestaltung von Argumenten, des Argumentationsaufbaus, der Evidenz oder der Verknüpfung von Ideen. Stellt das Schreiben den zentralen Inhalt des 165 II.4 Erlernbarkeit des Schreibens durch die Vermittlung sprachlichen Musterwissens Unterrichts dar, dann bedeutet dies im Umkehrschluss, dass diesem genügend Raum für die Arbeit am und mit dem Text eingeräumt wird: Dies betrifft die Planung, Gliederung, Recherche ebenso wie die Überarbeitung und Veröffent‐ lichung. Eine intensive Rückmeldung, die sich auf das Schreibziel bezieht, ist dringend erforderlich. An dieser Stelle wird deutlich, dass die dargestellten Forderungen wesentliche Aspekte aufnehmen, die sich bei den Auswertungen der empirischen Untersu‐ chungen in der Mittel- und Oberstufe zeigen. Die Anschlussfähigkeit dieses Ansatzes für das materialgestützte Schreiben ist gegeben. Die Forderungen der Didaktiker des TCRWP haben aber vor allem auch Konsequenzen für die Unterrichtsorganisation, die Auswahl der Texte, die Bedeutung der Literatur im Schreibprozess sowie die Schreibformate. Die konkreten Umsetzungsvorschläge dieses Ansatzes werden in Kapitel III.5. 1 aufgezeigt und diskutiert. 166 II Didaktisches Konzept 1 Siehe Reusser, Kurt: Von der Bildungs- und Unterrichtsforschung zur Unterrichtsent‐ wicklung - Probleme, Strategien, Werkzeuge und Bedingungen. In: Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung 27 (2009) 3. S. 295-312. S. 295 2 Steinhoff, Torsten; Grabowski, Joachim; Becker-Mrotzek, Michael: Herausforderungen der empirischen Schreibdidaktik. In: Michael Becker-Mrotzek, Joachim Grabowski, Torsten Steinhoff (Hgg.): Forschungshandbuch empirische Schreibdidaktik. Münster: Waxmann 2017. S. 9-24. S. 20 III Unterrichtspraxis III.1 Über die Notwendigkeit empirischer Untersuchungen - zum Studiendesign der Interventionsstudien Die Ausbildung einer Schreibkompetenz, die sich der Komplexität des neuen Aufgabenformates annimmt, soll im Wesentlichen anwendungsorientiert be‐ trachtet werden. Dabei steht im Zentrum die Frage, wie sich didaktische Kon‐ zepte auf die Schreibkompetenz der Schüler: innen auswirken. Grundannahme dieser empirischen Untersuchungen ist, dass Unterrichtsforschung niemals Selbstzweck sein darf, sondern der Unterrichtsentwicklung dienen soll. 1 Im kon‐ kreten Fall geht es um die Einführung und Etablierung des materialgestützten Schreibens und die Verbesserung der Schreibkompetenz. Die Notwendigkeit, Unterricht weiter zu entwickeln, ist zum einen durch die Einführung des Auf‐ gabenformats 2012 in den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife gegeben. Zum anderen zeigen erste Erfahrungen der Schreibenden mit dem Aufgabenformat, dass dieses die Schreibenden vor umfangreiche Herausfor‐ derungen stellt, die unterrichtlicher Interventionen bedürfen. Dabei werden Maßnahmen, die eine „Beeinflussung und Veränderung von Eigenschaften und Fähigkeiten“ in den Blick nehmen - in diesem Fall die Schreibkompetenz von Schülerinnen und Schülern im Umgang mit materialgestützten Schreibaufgaben - „forschungsmethodisch als Intervention“ [Hervorhebung durch die Autoren, N. K.] bezeichnet und durch „die Trias aus Diagnose, Intervention und Eva‐ luation“ 2 bestimmt. Daher sind detaillierte quantitative wie qualitative Daten erforderlich, um die Schreib- und Lesekompetenzen der Schüler: innen und im anschließenden Schritt die Wirksamkeit von Interventionen differenziert beschreiben zu können. Interventionsstudien sind demnach immer Feldstudien, 3 Siehe zum Komplex der Interventionsstudien in der Schreibdidaktik auch: Marx, Nicole; Steinhoff, Torsten: Unterrichtsbezogene Interventionen. In: Michael Becker-Mrotzek, Joachim Grabowski, Torsten Steinhoff (Hgg.): Forschungshandbuch empirische Schreibdidaktik. Münster: Waxmann 2017. S. 253-266. 4 Siehe hierzu auch Grabowski, Joachim: Anforderungen an Untersuchungsdesigns. In: Michael Becker-Mrotzek, Joachim Grabowski, Torsten Steinhoff (Hgg.): Forschungs‐ handbuch empirische Schreibdidaktik. Münster: Waxmann 2017. S. 315-334. S. 317 ff. 5 Siehe zur Einordnung von Indikatoren und Prädikatoren: Schmitt, Markus; Knopp, Matthias: Prädikatoren der Schreibkompetenz. In: Michael Becker-Mrotzek, Joachim Grabowski, Torsten Steinhoff (Hgg.): Forschungshandbuch empirische Schreibdidaktik. Münster: Waxmann 2017. S. 239- 252. S. 239 ff. 6 Reusser, Jürgen: Empirisch fundierte Didaktik - didaktisch fundierte Unterrichtsfor‐ schung. Eine Perspektive zur Neuorientierung der Allgemeinen Didaktik. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 10, Sonderheft 9 (2008). S. 219-237. S. 224 ff. die kausale Zusammenhänge und damit die Wirksamkeit von Interventionen untersuchen. 3 Schreibkompetenz vorherzusagen und darauf aufbauend Interventionen zu planen, durchzuführen und auszuwerten, erweist sich als komplexes Unter‐ fangen, das sich unter anderem in der Mehrdimensionalität und im Prozesscha‐ rakter der Schreibmodelle widerspiegelt. Je komplexer der Untersuchungsge‐ genstand ist, desto schwieriger scheint es, eine Konstruktvalidität herzustellen. 4 Zielkriterium ist dabei die Textqualität und in besonderem Maße als Indikator 5 das Ver- und Anwenden von Argumentations- und Textmustern. Als ein ord‐ nendes Modell der Zusammenhänge im Rahmen von Interventionsstudien soll das didaktische Dreieck von Reusser herangezogen werden, das hilft, die un‐ terschiedlichen Dimensionen der Lehr-Lern-Prozesse in den Blick zu nehmen. Reussers drei Grunddimensionen des didaktischen Handelns sind der Gegen‐ stand, die Lehrperson und der bzw. die Lernende. 6 Die Ziel- und Stoffkultur vermittelt dabei zwischen Gegenstand und Lehrperson, die Lehr- und Verste‐ henskultur zwischen Gegenstand und Lernenden und die Kommunikations- und Unterstützungskultur zwischen Lehrperson und Lernenden. Ziel der jeweiligen empirischen Untersuchungen ist es, die Interaktion zwischen den drei Dimen‐ sionen zu verbessern und die Schreib- und Lesekompetenz der Schüler: innen im Kontext materialgestützter Aufgaben zu erhöhen. Überträgt man dieses Modell auf die Neueinführung des Aufgabenformates, dann bedeutet dies, dass Aufgaben und Interventionen entwickelt werden müssen, ohne dass konkrete empirische Daten über die Kompetenzen und Schwierigkeiten der Schreibenden mit diesem Format und vor allem mit der jeweiligen Aufgabe vorliegen. Die Aufgabenkonzeption, Auswahl an Materialien und Planung von Interventionen beruht demnach zunächst auf subjektiven Annahmen und empirische Untersu‐ 168 III Unterrichtspraxis 7 Siehe dazu auch Bortz, Jürgen; Döring, Nicola: Forschungsmethoden und Evaluation. Für Human- und Sozialwissenschaftler. Heidelberg: Springer 2006. S. 30 8 Siehe Kapitel II.4 und III.5. chungen gehen immer auf Erfahrungen zurück. 7 Das Verhältnis von Hypothe‐ senbildung und Erfahrungen im Kontext empirischer Untersuchungen soll im Folgenden näher untersucht werden. Das Vorhaben dieser Arbeit ist es, in einem ersten Schritt die Lernenden in den Blick zu nehmen, wie sie die konzi‐ pierten Aufgaben bewältigten. So stehen diagnostische Daten zur Verfügung, die über die Kompetenzen der Schreibenden ebenso Auskunft geben wie über die Qualität und Schwierigkeiten der jeweiligen Aufgabe. Die Auswertung dieser Daten ermöglicht demnach Rückschlüsse auf die Aufgabenkonzepte ebenso wie auf die Kompetenzen und Präkonzepte der Schreibenden. Damit wird gleichermaßen deduktiv wie induktiv vorgegangen. Um jedoch erfolgreiche Interventionen entwerfen zu können, müssen Daten vorliegen, wie die Ler‐ nenden mit den entworfenen Lernaufgaben und Interventionen umgehen. Diese beruhen auf erfahrungsgeleiteten Hypothesen, die in einem nächsten Schritt durch die Durchführung von Interventionsstudien bestätigt oder falsifiziert werden können und damit die Grundlage einer Weiterentwicklung darstellen. Für die Anlage und Konzeption der Interventionsstudien dieser Arbeit bedeutet das Vorgehen, dass die Evaluation der Ergebnisse und die Schlussfolgerungen der empirischen Untersuchungen in der Mittel- und Oberstufe (Kapitel III.2 und III.3) die Basis für eine Weiterentwicklung bilden. Da ein zentrales Ergebnis der Studien in der Mittel- und Oberstufe ist, dass Schreiben verbindlich im Unterricht stattfinden, curricular verankert und frühzeitig angeleitet werden muss, zielt die Weiterentwicklung auf eine Intervention in der Unterstufe, in die neue Ergebnisse der anglo-amerikanischen Schreibforschung einfließen. 8 Damit werden die im Rahmen der Unterrichtseinheiten für die Mittel- und Oberstufe verfassten Texte als theoriegenerierende Produkte verstanden, die den Ausgangspunkt einer weiteren Untersuchung bilden. Ausgangsunkt der ersten beiden empirischen Studien ist ein beobachtetes Phänomen, das der letzten eine konkrete Forscherfrage. Empirische Untersuchungen in der Literaturdidaktik Um zu klären, was die Grundlagen der Erfahrungen der Lehrenden sind, die die Konzeption der Aufgaben und der Interventionen beeinflussen, muss die Rolle der Fachlichkeit näher beleuchtet werden. Die Literaturdidaktik sah es lange Zeit als ihre zentrale Aufgabe an, fachwissenschaftliche Ansätze in didaktische Modelle zu transformieren und in diesem Zusammenhang Unterrichtsmateria‐ lien zu entwerfen. Die empirische Schreibdidaktik hingegen als junge Disziplin 169 III.1 Über die Notwendigkeit empirischer Untersuchungen - Interventionsstudien 9 Steinhoff, Torsten; Grabowski, Joachim; Becker-Mrotzek, Michael (2017), S. 9 10 Reusser (2008), S. 221 11 Siehe dazu u. a. Groeben, Norbert; Hurrelmann, Bettina: Einleitung: Die Konzeption des Weiterbildungsprogramms. In: Norbert Groeben, Bettina Hurrelmann (Hgg.): Em‐ pirische Unterrichtsforschung in der Literatur- und Lesedidaktik. Ein Weiterbildungs‐ programm. Weinheim und München: Juventa 2006. S. 12-30. S. 12 ff. bezieht „Methoden der Schriftlichkeits- und texttheoretischen Forschung, der Spracherwerbs- und entwicklungspsychologischen Forschung sowie der psy‐ cholinguistischen und sprachpsychologischen Forschung“ 9 ein. Um aber die Wirksamkeit von Interventionen zu untersuchen, in deren Zentrum literarische Themen verhandelt und literarische Texte rezipiert und interpretiert werden, ist es erforderlich, dass dieses Feld nicht ausschließlich der Linguistik und Schreibdidaktik überlassen wird. Die Literaturdidaktik muss sich hier eindeutig positionieren, soll das Format des materialgestützten Schreibens erfolgreich in den Deutschunterricht integriert werden. Obwohl die hermeneutische Wissenschaftstradition im Zusammenhang mit Fragen der Ästhetik und Literarizität Bewertungs- und Wertungsaspekte be‐ rücksichtigt und beinhaltet, ist sie gegenüber einer von außen an sie herange‐ tragenen Beurteilung zurückhaltend. Das zeigt sich auch, wenn man die Rolle empirischer Untersuchungen in der Didaktik anderer Länder betrachtet, die eine stärk erfahrungswissenschaftlich orientierte Empirie berücksichtigen: Der Grund dafür liegt darin, dass in der durch die Aufklärung geprägten deutsch‐ sprachigen Tradition die Didaktik seit jeher eine Teildisziplin der Erziehungswis‐ senshaft darstellt, während sie im anglo-amerikanischen Raum als zur Pädagogi‐ schen Psychologie gehörig betrachtet wird. Eine Folge davon ist, dass im deutschen Sprachraum der Bildungsbegriff, im englischen Raum dagegen der Lernbegriff und der Entwicklungsbegriff die Referenzgrößen zur Zielbestimmung der schulischen Aufgaben darstellen. 10 Diese Gewichtung prägt die Konstruktion von Lehr-Lernprozessen nachhaltig. Die Bedeutung des Lernbegriffs wird in der dritten empirischen Untersuchung, die an die amerikanische Schreibdidaktik angelehnt ist, relevant. Dass die Skepsis einer hermeneutischen Tradition der Literaturwissenschaft und -didaktik, 11 die das Verstehen als einen primär mentalen und langfristig ablaufenden Bildungsprozess auffasst, der sich nach Ansicht zahlreicher Litera‐ turwissenschaftler nicht schematisch untersuchen lasse, nicht unproblematisch ist, soll im Folgenden näher untersucht werden. Diese Haltung hat entschei‐ denden Einfluss auf die Skepsis gegenüber empirischen Ansätzen und das Selbstverständnis der Literaturdidaktik. Versteht man Unterrichten als einen 170 III Unterrichtspraxis 12 Schmitt, Markus; Knopp, Matthias (2017): Prädikatoren der Schreibkompetenz. In: Michael Becker-Mrotzek, Joachim Grabowski, Torsten Steinhoff (Hgg.): Forschungs‐ handbuch empirische Schreibdidaktik. Münster: Waxmann. 2017. S. 239-252. Lehr-Lern-Prozess, dann handelt es sich dabei um einen intentionalen Akt: Die Lernenden sollen am Ende einer Unterrichtseinheit, eines Schuljahres und ihrer Schulzeit Themen und Sachverhalte besser verstehen können. Für den Literaturunterricht ist besonders das Verstehen von Texten sowie das Sprechen und Schreiben über Texte relevant. Unterricht zielt damit in der Regel darauf ab, Inhalte und Kompetenzen zu vermitteln und diesen Prozess bei Schülerinnen und Schülern - je nach pädagogisch-philosophischen Grundverständnis - zu ermöglichen, zu ebnen, anzuleiten oder zu lehren. In jedem Fall ist das unter‐ richtliche Vorgehen ein intentionaler Prozess. Damit aber rückt „die Feststellung empirischer Wirksamkeit (in Relation zu vorgegebenen Zielen)“ ins Zentrum; über die „Berechtigung dieser Ziele wird dabei keine Aussage getroffen.“ 12 Entscheidend ist demnach nicht die Frage der Sinnhaftigkeit der Einführung des materialgestützten Schreibens, sondern die Untersuchung der Unterrichts‐ modelle im Rahmen der Einführung des materialgestützten Schreibens. Nur wenn sichergestellt ist, dass das zu erprobende Modell dazu führt, die Aufgaben im Rahmen des materialgestützten Schreibens erfolgreich zu bearbeiten, ist es angezeigt, das Material weiter zu entwickeln, darauf aufbauend eine Theorie zu entwickeln oder es flächendeckend einzuführen. Ein weiterer Vorwurf berührt die Anzahl und die Wechsel didaktisch-metho‐ discher Ansätze in der Literarturdidaktik, die sich innerhalb der Jahrhunderte herausgebildet haben: Alle Ansätze - ob handlungs- und produktionsorien‐ tierte oder kooperative Verfahren, ob literarisches oder textnahes Schreiben - beanspruchen ihre Legitimation. Wird beispielsweise in den aktuellen Bil‐ dungsstandards das gestalterische Schreiben nicht mehr als Leistungsaufgabe aufgenommen, so stellt sich die Frage, auf welcher - empirischen - Grundlage diese Entscheidung getroffen wurde. Soll demnach ein neues Aufgabenformat eingeführt werden, so sind empirische Begleitstudien sinnvoll und notwendig. Ausgehend von der skizzierten Notwendigkeit literaturdidaktischer empi‐ rischer Studien stellt sich die Frage nach den Anforderungen, die an diese Studien gestellt werden. Die Sozialforschung hebt in diesem Zusammenhang auf den Unterschied zwischen der Natur und dem Sozialen ab. Während ersteres geschehe, „beruht »das Soziale« auf dem menschlichen Handeln, und menschliches Handeln geschieht nicht einfach, sondern ist immer sinngeleitetes 171 III.1 Über die Notwendigkeit empirischer Untersuchungen - Interventionsstudien 13 Krotz, Friedrich: Neue Theorien entwickeln. Eine Einführung in die Grounded Theory, die Heuristische Sozialforschung und die Ethnographie anhand von Beispielen aus der Kommunikationsforschung. Köln: Halem 2005. S. 13 14 Groeben, Norbert: Wissenschaftstheorie: Grundlagen für eine Verbindung von empi‐ rischer und hermeneutischer Tradition. In: Norbert Groeben, Bettina Hurrelmann (Hgg.): Empirische Unterrichtsforschung in der Literatur- und Lesedidaktik. Ein Wei‐ terbildungsprogramm. Weinheim und München: Juventa 2006. S. 287-306. S. 287 15 Groeben (2006), S. 301, 302 und bedeutungsstrukturiertes Geschehen.“ 13 Jeder Lese-, Schreib- und Argumen‐ tationsvorgang stellt somit ein sprachliches Handeln dar, das sinngeleitet ist und Bedeutung konstruiert. Es erfordert demnach Untersuchungen, die diesem Umstand Rechnung tragen. Damit bewegen sich literaturdidaktische Studien im Spannungsfeld zwischen Geistes- und Naturwissenschaft und damit zwi‐ schen „hermeneutisch-geisteswissenschaftlicher und empirisch-szientifischer Wissenschaftsstruktur“. 14 Die Forschung oszilliert demnach zwischen Bedeu‐ tungs- und Erklärungshypothesen und enthält gleichermaßen deskriptive wie explanative Konstrukte. Dieses Spannungsverhältnis lässt sich nicht auflösen. Entscheidend aber ist, dass sowohl das wissenschaftliche Vorgehen als auch die gewonnenen Erkenntnisse kommuniziert werden und dass damit dem Kriterium der Nachprüfbarkeit genüge getan wird. „In einer literaturdidak‐ tischen Unterrichtsforschung, die eine möglichst gleichberechtigte interdiszi‐ plinäre Kooperation zwischen hermeneutisch-literaturwissenschaftlicher und empirisch-szientifischer Tradition darstellt, kann hier vor allem das szientifische Paradigma profitieren, indem die Wertungsdiskussion des hermeneutischen konstruktiv einbezogen wird.“ 15 Eine empirisch ausgerichtete Literaturdidaktik muss daher auf der einen Seite der Komplexität des Gegenstandes des literarischen Textes und den damit verbundenen Verstehens- und Schreibprozessen Rechnung tragen und sinngeleitet sowie bedeutungsstrukturierend sein. Auf der anderen Seite muss ein empirischer Ansatz wissenschaftlichen Ansprüchen genügen und auf der Basis gezielter Datenerhebung und -auswertung die Entwicklung einer Theorie ermöglichen. Diese Dichotomie erfordert einen hybriden Ansatz, der die unter‐ schiedlichen Erfahrungen im Rahmen der Hypothesenbildung und damit der Aufgabenkonstruktion berücksichtigt. Es wurde bereits herausgearbeitet, dass das Studiendesign entscheidend durch Annahmen und Erfahrungen derjenigen, die Aufgaben und Interven‐ tionen konstruieren, geprägt ist. Diese Erfahrungen, die den empirischen Unter‐ suchungen dieser Arbeit zugrunde liegen, werden im Folgenden näher entfaltet. Für die Aufgabenkonstruktion sind die Vorgaben der Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife ebenso zentral wie die Theorien, auf denen die 172 III Unterrichtspraxis 16 Siehe Teil 1 dieser Arbeit. 17 Siehe Kapitel II.1. 18 Krotz (2005), S. 117 19 Bortz, Jürgen; Döring, Nicola: Forschungsmethoden und Evaluation. Für Human- und Sozialwissenschaftler. Heidelberg: Springer 2006. S. 4 20 Bortz, Döring (2006), S. 29 21 Groeben (2006), S. 295 Modellierung von Aufgaben beruht. Sie sind in Kapitel II.1 näher erläutert. Für die Konstruktion von Interventionen aber sind vor allem jene Erfahrungen ent‐ scheidend, die im Umgang mit unterschiedlichen Aufsatzformen gleichermaßen wie deren Historizität gemacht wurden. 16 Besonders die bei Schülerinnen und Schülern antizipierten Kompetenzen im Bereich des Erörterns und Interpretie‐ rens stellen hier eine Basis für die Planung von Interventionen und die Materi‐ alauswahl dar. Ebenso gehen die Erfahrungen aus dem Bereich der theoretischen Modellierung des Schreibens und des kognitionspsychologischen Ansatzes der amerikanischen Schreibforschung 17 in die Planung der Unterrichtsreihen ein. Interventionen sind demnach ein hybrides Konstrukt unterschiedlicher Erfahrungen der Lehrenden. Im Umkehrschluss erfordert dieses Verständnis ein Studiendesign, das diesen Ansprüchen gerecht wird. So macht es nur bedingt Sinn, ausschließlich quantitative Untersuchungen durchzuführen, die zwar die zentralen Kriterien der Empirie - Validität, Reliabilität, Objektivität - erfüllen, dem Gegenstand selbst aber nicht angemessen berücksichtigen. Theoriegene‐ rierende Forschung muss sich im „Dialog mit der Wirklichkeit“ 18 befinden. Es ist entscheidend, dass die wissenschaftlichen Prinzipien der „Generalisier‐ barkeit“, des „Allgemeinheitsgrad[s]“ und der „Falsifizierbarkeit“ 19 berücksich‐ tigt werden. Die Instrumente aber müssen immer den inhaltlichen Fragen untergeordnet sein. 20 Groeben hebt in diesem Zusammenhang darauf ab, dass besonders literaturdidaktische Fragestellungen aufgrund des Charakters der Prozessualität und der Mehrebenenstruktur so komplex sind, dass quantitative Herangehensweisen zur Erfassung des Themenfeldes nicht ausreichen. 21 Qua‐ litative Methoden hingegen greifen direkt in die (Unterrichts-) Wirklichkeit ein und berücksichtigen den literarischen Unterrichtsgegenstand und vermitteln zwischen hermeneutischen und empiriewissenschaftlichen Ansätzen. Sollen demnach Schüler: innentexte, die während einer Unterrichtseinheit zum mate‐ rialgestützten Schreiben verfasst werden, ausgewertet werden, dann vermittelt eine Ziel-Mittel-Analyse zwischen den unterschiedlichen Ansätzen. Ziel des Vorgehens ist die konstruktive Weiterentwicklung von Unterricht und darauf aufbauend die Implementierung dieses Ansatzes. Um jedoch eine Implementie‐ rung vornehmen zu können, ist es erforderlich, die Wirksamkeit des Vorgehens 173 III.1 Über die Notwendigkeit empirischer Untersuchungen - Interventionsstudien 22 Siehe dazu Kapitel III.2. 1 und III.3. 1. 23 Krotz (2005), S. 11 24 Zum Teil wird angedacht, Kriterien der quantitativen Forschung auch für die qualitative zu übernehmen. Ebenso werden eigene Gütekriterien diskutiert, beispielsweise die Re‐ flexivität der Forscher, die argumentative Begründung in der Gruppe der Forscher oder zu untersuchen und sowohl den Prozess als auch das Produkt in den Blick zu nehmen. Diese wechselseitige Beeinflussung aber ist für die tatsächliche Durchfüh‐ rung einer Interventionsstudie nicht unproblematisch: Der eine Aspekt betrifft den zeitlichen Ablauf, der andere die Datenmenge. Da im realen Unterrichts‐ alltag zwischen der Diagnose und der Durchführung der tatsächlichen Inter‐ vention keine großen Zeiträume liegen können, lassen sich die Ergebnisse der Diagnose nicht unmittelbar in der Einheit umsetzen. 22 Gleichzeitig ist es sinnvoll, die Pilotierung nicht nur mit einer Lerngruppe durchzuführen, da die Auswertung der empirischen Untersuchungen in der Mittel- und Oberstufe eine große Streuung gezeigt haben. Somit haben die Beobachtungen immer erst Einfluss auf einen nächsten Durchgang. Wird mit den Lernenden eine vollständige Unterrichtseinheit zum materi‐ algestützten Schreiben durchgeführt, dann spielen im Rahmen dieser Inter‐ ventionen, die in allen drei Stufen durchschnittlich drei Wochen dauerten, Prozess und Produkt gleichermaßen eine Rolle. Es gilt daher, verschiedene Variablen auf der Lehr- und Lerner-Seite zu berücksichtigen. Eine empirische Studie muss demnach dem Kriterium der Multikriterialität gerecht werden. Gleichzeitig können im Rahmen einer empirischen Studie niemals alle Aspekte berücksichtigt werden. Dies betrifft die Erhebung der Daten gleichermaßen wie die Auswertung. Steht im Zentrum die Theorienentwicklung zum argumentierenden Schreiben und damit die Erprobung, Weiterentwicklung und Modellierung von Interventionen, dann muss man Theorieentwicklung und empirische Un‐ tersuchung als einen „gezielten, problembezogenen, systematischen und daten‐ gestützten Prozess“ verstehen, „mit dessen Hilfe man von einer Ausgangsfrage bzw. einem Ausgangsproblem zu einer Theorie als Teil von Wissenschaft gelangt, mit der die Ausgangsfrage beantwortet und aus der schließlich auch eine brauchbare Lösung des Ausgangsproblems abgeleitet werden kann“. 23 Da qualitative Forschungsfragen stets kontextbezogene und kontextberücksichti‐ gende Verfahren sind und damit den Kontext des schulischen Lernens im Klassenzimmer und die Interaktionen zwischen Lernenden und den Lehrenden einbeziehen, bietet sich trotz der Unschärfe der Kriterien, die qualitativen Studien in der Regel zugrunde gelegt werden, 24 ein überwiegend qualitatives 174 III Unterrichtspraxis die Systematik der Vorgehensweise. Siehe hierzu auch Schreier, Margit: Qualitatives Untersuchungsdesign. In: Norbert Groeben, Bettina Hurrelmann (Hgg.): Empirische Unterrichtsforschung in der Literatur- und Lesedidaktik. Ein Weiterbildungsprogramm. Weinheim und München: Juventa 2006. S. 343-359. S. 354 25 Schreier (2006), S. 344 26 Schreier (2006), S. 344 27 Krotz (2005), S. 162 Untersuchungsdesign an. Dieses ist immer dann geeignet, wenn die Erhebung und Auswertung bedeutungshaltiger, nicht numerischer Daten im Mittelpunkt stehen. Es geht vielmehr um die Abfolge von Untersuchungsschritten. Damit sind qualitative Untersuchungsdesigns „traditionell eher einer hermeneutischen Wissenschaftstradition verpflichtet“ 25 . Das beschreibende Verstehen der Innen‐ sicht steht im Vordergrund. Das Versuchsdesign hat einen induktiven, offenen, häufig auch zyklischen Charakter. „Datenerhebung, Auswertung und Modifika‐ tion von Hypothesen greifen ineinander“ 26 . Dieses Vorgehen ist in Bezug auf die Anlage der empirischen Durchführung und die Ergebnisse offen. Es handelt sich um eine Forschungsspirale, die sich im Laufe der Durchführung stets neu definiert. Damit aber entspricht das gewählte Untersuchungsdesign auch dem Verständnis des Mehrebenen-Schreibmodells. Ein empirischer Ansatz, der die Konstruktion von Theorien noch stärker in den Vordergrund rückt, ist die Grounded Theory. Es handelt sich bei dieser in den 1960er Jahren von Glaser und Strauss begründeten Theorie um eine Syn‐ these von Forschungstraditionen unterschiedlicher Art mit dem Ziel, Theorien zu entwickeln. „Die Grounded Theory ist also ein Verfahren zur Beantwortung einer Forschungsfrage durch eine mittels empirischer Schritte systematisch entwickelten Theorie. Dabei stehen die drei Schritte der Datenerhebung, der Datenauswertung und der auf Erhebung und Auswertung gestützten Konstruk‐ tion von Theorien und Teiltheorien im Mittelpunkt.“ 27 Datenerhebung und -auswertung greifen demnach ineinander. Damit aber stellt nicht die Theorie, die getestet werden soll, den Ausgangspunkt, dar. Vielmehr sind für ihre Entwicklung, Formulierung und Begründung bereits empirische Schritte not‐ wendig. Deshalb wird die Grounded Theory auch als gegenstandsbezogen oder in Daten begründetes (Konstruktions-)Verfahren von Theorie bezeichnet. Daten dienen nicht der Überprüfung, sondern der Konstruktion von Theorien und befinden sich in einem beständigen Abgleich. Dabei wird immer von einer Art Vorwissen - den bereits skizzierten Erfahrungen - ausgegangen, auf dessen Basis die Daten erhoben werden und das die Grundlage für die ersten interessengeleiteten Hypothesen darstellt. Das Vorwissen selbst muss reflektiert und beschrieben werden. Nur dann kann es kritisiert und weiterentwickelt 175 III.1 Über die Notwendigkeit empirischer Untersuchungen - Interventionsstudien 28 Krotz (2005), S. 154 29 Siehe Kapitel III.2. 1 und III.3. 1. werden. Die Hypothesen selbst müssen widerlegbar und damit falsifizierbar sein. Je mehr Falsifikationen eine Hypothese aufweist, desto höher ist ihr empirischer Gehalt und desto datennäher kann die Gültigkeit der Theorie überprüft werden. Weiterhin müssen die Hypothesen widerspruchsfrei und operationalisierbar sein, d. h. ihnen müssen Beobachtungen zuordnenbar sein. Quasi-universelle Hypothesen sind probabilistische Hypothesen, d. h. sie treten mit großer Wahrscheinlichkeit auf. Für den Untersuchungsgegenstand des argumentierenden Schreibens bietet die Grounded Theory jenen hybriden Theoriehorizont, der die ergebnisoffene Erprobung und Weiterentwicklung eines Unterrichtskonzepts ermöglicht, das ausgehend von Erfahrungen in der Mittel- und Oberstufe auf die Unterstufe ausgeweitet werden soll. Die Formulierung erster Hypothesen, die zur Unter‐ suchung des Unterrichtskonzepts herangezogen werden sollen, müssen dabei stets im Kontext der vorherrschenden Konzepte betrachtet werden: „Theoriege‐ nerierende Forschung ist dabei komparativ angelegt. Die im Forschungsprozess erzeugten Daten werden in vergleichender Hinsicht untersucht, und zwar in Bezug zum je vorhandenen Vorwissen bzw. im Vergleich zu bereits vorhandenen Daten und den daraus bereits gewonnenen Ergebnissen.“ Dies hat zur Folge, dass eine derartige Forschung immer „eine Modifikation und Weiterentwick‐ lung bereits vorher vorhandener Erkenntnisse“ darstellt, „deren Gültigkeit dadurch zugleich eingeschränkt und präzisiert wird.“ 28 Dass dieser Abgleich zwar als sinnvoll erachtet, sich aber in empirischen Untersuchungen, die eine tatsächliche Lernerunterstützungskultur und damit die Weiterentwicklung von Unterricht im Blick haben, nur bedingt umsetzbar ist, wurde bereits aufgezeigt. Die Daten, die im Rahmen einer qualitativen Untersuchung gewonnen werden, sind in der Regel bedeutungshaltig. Es werden demzufolge Methoden zur Analyse und Bestimmung von Bedeutung benötigt. Im Anschluss an die Er‐ hebung und Erfassung der Daten - die primäre Auswertung - dienen sekundäre Auswertungsverfahren zur Systematisierung der Ergebnisse. Relevante Bedeu‐ tungsaspekte werden in Kategorien zusammengefasst und systematisch zuge‐ ordnet. 29 Diese Kategorien werden induktiv aus dem Material entwickelt. Die Reduktion der Daten führt im Verlauf der Auswertung zu einer zunehmenden Abstraktion, die der Theoriebildung dient, aber gleichzeitig einen Verlust an Bedeutung impliziert. Zudem ist es möglich und erforderlich, dass während des Auswertungs- und Kodierungsprozesses neue Fragen an das Material gestellt und damit neue Konstrukte generiert werden. Trotz dieses zirkulären 176 III Unterrichtspraxis 30 Marx, Steinhoff (2017), S. 258 31 Siehe dazu auch Marx, Steinhoff (2017), S. 258 32 Grabowski (2017), S. 320 Vorgehens lassen sich immer nur ausgewählte Fragen und Bedeutungsaspekte untersuchen. Das Studiensetting Nachdem ausführlich auf den Lerngegenstand des didaktischen Dreiecks einge‐ gangen wurde, müssen in Bezug auf Planung und Durchführung der Interven‐ tionsstudien noch relevante Aspekte der Lernenden und Lehrenden beleuchtet werden. Für die Planung der Interventionen spielt die Erhebung der Probanden und damit verbunden die Validität der Aussagen eine entscheidende Rolle. Sollen die empirischen Untersuchungen eine hohe Validität aufweisen, so bietet sich eine möglichst repräsentative Stichprobe an. Diese zu gewinnen, gestaltet sich bei Interventionsstudien, die durchschnittlich drei Wochen Unterrichtszeit in Anspruch nehmen, als herausfordernd. Es gilt Lernende, Lehrende und deren Institutionen zu gewinnen, die sich darauf einlassen, eine neue Unter‐ richtseinheit zu erproben und die Ergebnisse evaluieren zu lassen. Ebenso sind Abstimmungen in Bezug auf die Einbindung in die jeweiligen Schulcurricula erforderlich. Diese Herausforderungen zeigen, dass es sinnvoll ist, die „pragma‐ tischere Variante der „anfallenden Stichprobe“ [zu wählen, N. K.]: Man führt eine Intervention mit einer Gruppe durch, auf die man Zugriff hat“ 30 . Im Falle der Mittel- und Oberstufeneinheiten sind dies Lehrer: innen von Marburger Schulen und einem Hamburger Gymnasium, zu denen persönlicher Kontakt besteht und die Interesse zeigten, eine Unterrichtsreihe zum materialgestützten Schreiben und damit verbunden neue Methoden zu erproben. Damit liegt ein persönlicher Nutzen für die Durchführenden vor 31 und es konnte gewährleistet werden, dass die Intervention in den unterrichtlichen Kontext eingeordnet wird. Die Motivation der Lernenden und Lehrenden weist demnach nicht nur intrinsische, sondern auch nicht zu vernachlässigende extrinsische Faktoren auf. Kennt der Studiendurchführende die Lerngruppe über einen längeren Zeitraum, so liegen zusätzliche Informationen über die Lernumgebung, das soziale Umfeld der Lernenden, die Lese- und Schreibsozialisation, aber auch über die unterrichtlichen Voraussetzungen vor. Damit kann der Studiendurch‐ führende auf zusätzliche diagnostische Verfahren zurückgreifen, die für die Anpassungen der Interventionen relevant sind. Nicht zu vernachlässigen ist weiterhin, dass die Durchführung der Intervention durch die in der Klasse unterrichtende Lehrkraft dem „Hawthorne-Effekt“ 32 - der Veränderung der Ergebnisse durch den Umstand der Untersuchung - entgegenwirken kann: „In 177 III.1 Über die Notwendigkeit empirischer Untersuchungen - Interventionsstudien 33 Grabowski (2017), S. 320 34 Krotz (2005), S. 137 35 Da während einzelner Unterrichtsphasen ein intensiver Austausch innerhalb der Klasse stattfindet, ist ein standardisierter Ablauf ausgeschlossen, auch wenn die Interven‐ tionen von derselben Versuchsleitung durchgeführt werden würden. schulischen Untersuchung wird das etwa dann relevant, wenn Erhebungen nicht von den üblichen Lehrkräften, sondern von externen Personen durchge‐ führt werden.“ 33 Die angeführten Aspekte dürfen im Zusammenhang einer Interventionsstudie, die Unterrichtsarrangements zu einem neu eingeführten Aufgabenformat entwickelt, stärker zu bewerten sein als beispielsweise Aspekte der Randomisierung. Unabhängig von dieser didaktischen Entscheidung, die auf das Studiendesign gleichermaßen wie auf den Lernerfolg der Schüler: innen abhebt, zeigen schulische Erfahrungen, dass es äußert schwierig sein dürfte, Teilnehmende für eine Interventionsstudie zu rekrutieren, wenn eine externe Person über einen längeren Zeitraum den Unterricht übernimmt. Für die Durchführung der dritten empirischen Studie in der Unterstufe, die einen Lösungsansatz für die Herausforderungen des Aufgabenformats anbietet, wurden als Probanden die Schüler: innen der eigenen Klasse gewählt. Auf diesen Aspekt wird in III.5. 1 noch näher eingegangen werden. Neben den Probanden spielt vor allem die Versuchsleitung eine entscheidende Rolle im Studiendesign: „Qualitative Forschung ist nur möglich, insofern For‐ schungsperson und Forschungsgegenstand Teil einer gemeinsamen sozialen und kulturellen Wirklichkeit sind.“ 34 Für Unterrichtskontexte bedeutet dies, dass die jeweiligen Unterrichtseinheiten von der in der Klasse bzw. dem Kurs unterrichtenden Lehrkraft durchgeführt werden. Standardisierte Studien‐ designs hingegen versuchen eine Art Nullkontext zu schaffen und Besonder‐ heiten der Erhebung auszuschließen. Abweichungen von diesen Verfahren werden häufig als Verzerrungen bezeichnet, der empirischen Untersuchung wird mangelnde Objektivität vorgeworfen. Würden allerdings die jeweiligen Unterrichtseinheiten von einer neutralen, den Schülerinnen und Schülern unbekannten Person durchgeführt, so wäre zwar die Wahrscheinlichkeit höher, dass die Einheiten ähnlich ablaufen. 35 Gleichzeitig würde es aus mehreren Gründen zu Verzerrungen kommen, die gewichtiger eingeschätzt werden als ein Studiendesign mit einer neutralen Versuchsleitung. Ist die Lehrkraft nicht Teil des Unterrichtsarrangements, schafft man eine künstliche Situation. So sind es Schüler: innen gewohnt, von ihrer Lehrkraft wahrgenommen und bewertet zu werden. Wenn dies unterbleibt, werden Lernende in der Regel demotiviert. Aber auch in Bezug auf die Methoden der Unterrichtseinheiten, die empirisch erhoben werden, ermöglicht eine Durchführung durch die in der Klasse bzw. 178 III Unterrichtspraxis 36 Auf das Forschungsfeld des Klassenraums, der zahlreiche Störgrößen enthält, soll hier nicht näher eingegangen werden. Die Unterrichtseinheiten werden jeweils in den für die Klassen bzw. Kursen üblichen Räume durchgeführt. 37 Siehe hierzu Marx, Steinhoff (2017), S. 259 ff. 38 Nur die Menge der zur Verfügung gestellte Materialien variiert zwischen Prä- und Endtest. Siehe dazu ausführlicher III.2. 1. in dem Kurs unterrichtende Lehrkraft eine größere Varianz. Dies betrifft vor allem solche Methoden bzw. Verfahren, die auf einer Vertrauensbasis beruhen, beispielsweise das gegenseitige Überarbeiten von Texten oder Gruppenübungen zum Positionieren. Soll in den Interventionsstudien nicht nur diagnostisch der Ist-Zustand erhoben werden, sondern es auch zu Phasen des kooperativen Schreibens kommen, so ist es entscheidend, eine möglichst authentische Lern‐ umgebung zu schaffen, die der regulären Unterrichtssituation weitestgehend entspricht. Das betrifft die Lernumgebung, die Durchführung der Intervention durch die unterrichtende Lehrkraft sowie das Gruppendesign. 36 Dieses wird als abhängiges konstruiert, das bedeutet, dass die gesamte Lerngruppe dieselbe Intervention durchläuft. Ein alternatives Arbeiten mit einem unabhängigen Gruppendesign 37 erweist sich in unterrichtlichen Kontexten als problematisch, da für das neu eingeführte Aufgabenformat bisher wenige Unterrichtsmodelle zur Verfügung stehen, die adäquat und somit als Alternative zu den vorliegenden Modellen umgesetzt werden können. Dass hingegen eine Kontrollgruppe ohne Intervention arbeitet, ist im schulischen Kontext u. a. in Bezug auf das Errei‐ chen von Kompetenzen und eine optimale Förderung und Vorbereitung auf das Zentralabitur gerade in der Oberstufe nicht denkbar. Aus diesem Grund wird auf eine Kontrollgruppe verzichtet, obwohl quantitative, standardisierte Studien davon ausgehen, dass diese notwendig ist, um die Wirksamkeit einer Maßnahme beurteilen zu können. Die überwiegend qualitativ angelegten em‐ pirischen Untersuchungen in der Mittel- und Oberstufe erheben hingegen die Kompetenzen zu Beginn der Unterrichtseinheiten in Form eines Prätests. Diese Ergebnisse liefern eine Art Null-Kontext, der den Kompetenzen am Ende der Unterrichtseinheit in Form des Endtextes gegenübergestellt wird und erlaubt, die Wirksamkeit der Interventionen zu beurteilen. So verfassen die Schüler: innen zu derselben Aufgabenstellung zu Beginn und am Ende der Einheit den gleichen Zieltext. 38 Auf die sich aus diesem Studiendesign ergebenen Schwierigkeiten gerade im Hinblick auf die Motivation der Schreibenden wird ausführlich in Kapitel III.4 eingegangen. Die Auswertung und Dokumentation der Ergebnisse der Interventionen stellt die letzte Phase des empirischen Forschens dar. Dabei gilt es, den Lernzuwachs der Schüler: innen in Bezug auf die Forschungsfrage und die aufgestellten 179 III.1 Über die Notwendigkeit empirischer Untersuchungen - Interventionsstudien 39 Siehe zum Aspekt der quasi-experimentellen Versuchspläne auch Grabowski (2017), S. 327. 40 Siehe Anhang 4 und 6. 41 Siehe dazu Kapitel III.2. 1 und III.3. 1. 42 Marx, Steinhoff (2017), S. 264 Hypothesen zu überprüfen und - falls erforderlich - eine Überarbeitung der Interventionen vorzunehmen. Hierbei handelt es sich um einen Prozess, der die Phasen des Beobachtens, Änderns und erneuten Intervenierens beinhaltet. Damit werden ausgehend von assoziativen Beziehungen kausale Zusammen‐ hänge hergestellt. Der Lernzuwachs selbst kann prinzipiell einmalig (Postest), zweimalig (Prä- und Posttest) oder mehrfach 39 überprüft werden. In den drei em‐ pirischen Untersuchungen für die Unter-, Mittel- und Oberstufe wurden jeweils zu Beginn und am Ende der Unterrichtseinheit Daten in Form eines Prätests und eines Posttests erhoben. Alle Ergebnisse der Interventionen wurden jeweils in einem Schreibjournal festgehalten. Dabei handelt es sich um ein liniertes Heft, in dem die einzelnen Arbeitsergebnisse chronologisch fixiert sind. Dieses Vorgehen erlaubt, den Schreibprozess in den Blick zu nehmen. Ebenso befinden sich in dem Journal die annotierten Texte und ausgefüllten Arbeitsmaterialien. Damit ist die Möglichkeit einer kontinuierlichen Analyse des Lernzuwachses gegeben, die dem Prozesscharakter des Schreibmodells Rechnung trägt. Alle erhobenen Daten bleiben erhalten. Die Auswertung der anonymisierten Daten‐ sätze erfolgt zunächst mit standardisierten Auswertungsbögen, 40 die sich an den Untersuchungskriterien der jeweiligen Unterrichtsreihen orientieren. 41 Um eine Reliabilität der Auswertung zu gewährleisten, wird diese standardisierte Auswertung durchgehend von einer externen Person durchgeführt. Daran schließt sich eine aspektbezogene Auswertung an. Im Anschluss an die Auswertung spielt die Dokumentation und Weitergabe der Ergebnisse eine zentrale Rolle für die Implementierung der entwickelten Ansätze: Marx und Steinhoff verweisen in diesem Zusammenhang der Durch‐ führung und Aufbereitung der Interventionen auf die Notwendigkeit der „Wei‐ tergabe an die Lehr/ Lernpraxis“. 42 Diese ist relevant für die beteiligten Versuchs‐ personen sowie ihr Umfeld, z. B. Eltern und Lehrkräfte. Vor dem Hintergrund einer Bestätigung, kritischen Diskussion, aber vor allem einer Implementierung der Interventionen erscheint diese Weitergabe dringend erforderlich. Ob diese im Rahmen von Lehrer: innenfortbildungen oder Publikationen geschieht, sei an dieser Stelle offengelassen. In jedem Fall erhöht sich die externe Validität, wenn die Interventionen in Form von veröffentlichten Unterrichtshilfen anderen 180 III Unterrichtspraxis 43 Siehe zur Generalisierbarkeit auch Grabowski, S. 325 ff. Zur Veröffentlichung der Unterrichtseinheiten für die Unter- und Mittelstufe siehe auch: König, Nicola: Über eine literarische Figur schreiben: argumentieren, Aussagen belegen und den eigenen Text überarbeiten. RAAbits Deutsch. Stuttgart: Raabe 2018. 47 Seiten. Materialgestütztes argumentierendes Schreiben: Eine Rede zum Thema „Gewaltdarstellungen in den Medien“ verfassen. RAAbits Deutsch. Stuttgart: Raabe 2018. 45 Seiten. 44 Alle Arbeitsaufträge sowie Materialien waren zum Zeitpunkt der Erstellung nicht gegendert. Lehrenden zur Verfügung gestellt werden. 43 Die Wiederholbarkeit der Unter‐ richtseinheit in anderen schulischen Kontexten ermöglicht eine breit angelegte Diskussion über die Validität der Intervention. III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe III.2.1 Aufgabenkonzeption und Analysekriterien einer materialgestützten Aufgabe für die Mittelstufe Das Studiendesign der empirischen Untersuchungen für die Mittel- und Ober‐ stufe ist prinzipiell identisch: Grundlage ist die Konstruktion jeweils einer argumentierenden materialgestützten Schreibaufgabe, die sich in Hinblick auf die Thematik, den Zieltext und die Materialauswahl voneinander unterscheiden. Die Grundsätze der Aufgabenkonstruktion und der sich daraus ableitenden Analysekriterien sind jedoch gleich und werden aus diesem Grund nur in diesem Kapitel dargestellt. Die Ergebnisse, die sich ausschließlich auf die Studie in der Mittelstufe beziehen, werden in Kapitel III.2. 2 wiedergegeben. Eine über‐ geordnete Auswertung, die die Ergebnisse beider Studien zusammenfasst und Konsequenzen für Forschung, Unterricht und Curriculumgestaltung ableitet, findet abschließend in Kapitel III.4 statt. Aufgabenkonzeption und Materialauswahl Die Konzeption der Aufgabe für die Mittelstufe sowie der sich daran anschlie‐ ßenden Interventionen orientiert sich an den Vorgaben der KMK und beinhaltet im Kern eine argumentative Auseinandersetzung mit einem domänenspezifi‐ schen Thema. Zieltext der Argumentation ist eine Rede, die Adressatin die Schulgemeinschaft und die Situierung der Medientag der Schule: Im Rahmen eines Medientages an eurer Schule, an dem neben Schülern 44 und Lehrern auch Eltern teilnehmen, geht es in einer Veranstaltung um Mediennutzung von Jugendlichen und inwieweit diese beschränkt werden soll und darf. In diesem 181 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 45 Siehe hierzu Hannken-Illjes, Kati: Argumentation: Einführung in die Theorie und Analyse der Argumentation. Tübingen: Narr 2018. S. 21 ff. Zusammenhang sollst du einen Vortrag zu dem Thema halten, der sich mit der Frage beschäftigt: Fördern Gewaltdarstellungen in Medien die Gewaltbereitschaft? Verwende die dir zur Verfügung gestellten Materialien und verfasse einen ausformu‐ lierten Redetext. Der argumentative Kern der Aufgabe liegt in der Bearbeitung der Strittigkeit - der Frage, ob der Medienkonsum die Gewaltbereitschaft erhöht - und dem Herstellen von Geltung, d. h. die Positionierung der Schreibenden im Rahmen der Rede und im Kontext der Schulgemeinschaft. Diese Strittigkeit ist in der entwickelten Aufgabe mehrfach enthalten: Zum einen gilt es zu verhandeln, ob die Mediennutzung der Schüler: innen, und damit der Schreibenden selber, beschränkt werden soll bzw. darf. Daran schließt sich die Frage an, ob die Dauer der Mediennutzung einen Einfluss auf das Verhalten der Konsumenten hat. Die Möglichkeit, an die Lebenswelt der Lernenden anzuknüpfen, ist durch deren eigenen Medienerfahrungen beispielsweise mit Computerspielen, das Rezipieren von Musik oder Filmen, in denen Gewalt dargestellt und verherrlicht wird, unmittelbar gegeben. Die Thematik selbst ist strittig und enthält eine Offenheit, die die Art der Medien, die als Beispiel herangezogen werden, ebenso betrifft wie den Umgang mit Medien und die Bearbeitung der Strittigkeit: Diese kann in der Herstellung eines Konsenses in Form eines Kompromisses - in der Beispielsaufgabe wäre dies möglicherweise das Beachten der Altersfreigabe von Computerspielen oder Absprachen in Bezug auf die Dauer der Mediennutzung - oder der Verschärfung eines Dissenses bestehen. Agonalität kann thematisiert werden, indem auf die widersprüchlichen Ergebnisse in den Theorien und Studien in den Materialien verwiesen wird oder indem Schüler: innen in ihrer Argumentation darauf abheben, dass auch Erwachsene Medien konsumieren und deshalb von der Thematik betroffen sind. Aber auch der Zieltext enthält unterschiedliche Möglichkeiten der Umsetzung: So kann der Anteil an Informa‐ tionen ebenso variieren wie die Intention der Rede. Die Geltung der Argumentation artikuliert sich in der Auswahl und Verknüp‐ fung von Argumenten. Dabei soll unter einem Argument das Anführen eines Grundes und seiner Konklusion verstanden werden. 45 Der Übergang vom Grund zur Konklusion erzeugt die Relevanz des Arguments, wird aber häufig nicht explizit formuliert und ist nur in wenigen Fällen durch Prozeduren operationa‐ 182 III Unterrichtspraxis 46 Stefan Frerichs: Gewalt in Medien (29. 02. 2012) URL: http: / / www.ard. de/ home/ ard/ Gewalt_in_den_Medien__Machen_Medien_gewalttaetig_/ 76046/ index.h tml? articleSectionIndex=1 [letzter Abruf 19. 01. 2021] 47 Hannken-Illjes (2018), S. 25 ff. 48 Hannken-Illjes (2018), S. 31 ff. 49 Siehe Carey, Flower (1989) lisierbar. So ist beispielsweise aus Material 6 46 die These zu entnehmen, dass Medienkonsum das Verhalten in der Realität stimuliert. Soll dieser Aspekt im Rahmen einer Argumentation als ein Argument für den negativen Einfluss von Gewaltdarstellungen der Medien auf die Gewaltbereitschaft der Konsumenten verwendet werden, so müsste der Grund mit einer Konklusion verbunden werden, nämlich dass der Konsum von Gewaltdarstellungen in den Medien eine Wirkung auf das Verhalten der Konsumenten hat. Es bleibt zu untersuchen, inwieweit in den Reden der Schüler: innen tatsächlich explizit Konklusionen angeführt werden und wie sich der Übergang von Grund zur Konklusion gestaltet. Für den Aufbau einer Argumentation ist relevant, dass diese in der Regel so‐ wohl persuasive Anteile enthält, 47 die die eigene Position wiedergeben, als auch explorative, die der gemeinsamen Weiterentwicklung - beispielsweise eines Medienkonzeptes für eine Schule - dienen. Im Rahmen einer Argumentation wird demnach sowohl erklärt - hierbei handelt es sich unter anderem um den informierenden Teil des materialgestützten Schreibens - als auch verhandelt. Die Gestaltung einer Rede berücksichtigt dabei die Dimensionen der Logik, der Dialektik und der Rhetorik 48 und nimmt dadurch formale und funktionale Perspektiven ebenso in den Blick wie die Frage der Gültigkeit. Auf textueller Ebene manifestieren sich diese Bereiche u. a. in der Auswahl, der Art der Argumente und in ihrem Überzeugungsgehalt sowie in der Verknüpfung und der Anordnung. Der dialogische Charakter der Argumentation und besonders auch der Rede und die damit verbundenen Sprachhandlungen werden hier deutlich, die Wirksamkeit einer Rede allerdings kann - v. a. im Rahmen einer Leistungsaufgabe - nur antizipiert werden. Für die Konstruktion von Aufgaben und die damit verbundenen Interven‐ tionen soll auf das Modell der „Aufgaben mit Profil“ zurückgegriffen werden, das von Bachmann und Becker-Mrotzek entwickelt wurde. Das Modell basiert auf Hayes’ Vorstellung des Schreibens als einer Form des Problemlösens. Wird Schreiben als kognitiver Konstruktionsprozess verstanden, als ein „ill defined problem“ 49 - also ein Problem mit offener Lösung, das aus den Subprozessen der Planung, der Formulierung und der Überarbeitung besteht, dann sind task schema - die Schemata, die zur Bewältigung einer Aufgabe zur Verfügung stehen 183 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 50 Bachmann, Becker-Mrotzek (2010), S. 194 51 Dieser Aspekt wird v. a. in der dritten Intervention thematisiert, in der die kommuni‐ kativen Funktionen von Sprachhandlungen thematisiert werden. Siehe dazu auch III.2. 1 sowie Anhang 2. 52 Bachmann, Becker-Mrotzek (2010), S. 195 ff. 53 Dies wird beispielsweise eingeübt, wenn die Schüler: innen in einer Debatte Mitschüler: innen gegenüber die eigene Position vertreten oder die Gegenposition einnehmen. 54 Neumann, Steinhoff (2015), S. 74 ff. 55 Neumann, Steinhoff (2015), S. 75 - ebenso wie die Ressourcen, auf die die Schreibenden in Form der Materialien und ihres Weltwissens zurückgreifen, zentral. Grundannahme ist, dass jede Schreibaufgabe „in einem klar erkennbaren und nachvollziehbaren Handlungs‐ zusammenhang stehen“ 50 sollte. Damit stellt jede Form des Schreibens eine kommunikative Herausforderung dar, die bewältigt werden muss. Das bedeutet, dass Zuhörer: innen im Falle der Rede von der Position des Vortragenden überzeugt werden müssen, dass sie aber ebenso für das Thema sensibilisiert und interessiert werden sollten. Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Adressierung und Situierung materialgestützter Schreibaufgaben eine Auseinandersetzung mit den kommunikativen Sprachhandlungen des jeweiligen Zieltextes erforder‐ lich machen. 51 Aus diesen kommunikativen Herausforderungen ergeben sich vier Bedingungen 52 der „Aufgaben mit Profil“: Sie müssen zuerst eine erkenn‐ bare Schreibfunktion beinhalten, die in der Bearbeitung eines kommunikativen Problems besteht. Diese Funktion bedingt u. a. den Aufbau und die sprachlichen Mittel der Textgestaltung. Die zweite Bedingung betrifft das Schreibwissen, das zur Bearbeitung der Aufgabe erforderlich ist. Die Schreibenden müssen die Möglichkeit haben, sich dieses Wissen anzueignen. Gleichzeitig impliziert dieses Wissen auch ein Verständnis der Schreibenden über den Gegenstand, der bearbeitet werden soll. Der dritte Aspekt beinhaltet die Schreibinterak‐ tion: Interaktives Schreiben ermöglicht die Überwindung der Zerdehnung der Sprechsituation. 53 Die letzte Bedingung betrifft die Schreibwirkung: Erst wenn die Wirkung des Textes anhand der realen Leser: innen überprüft wird, kann über die - erfolgreiche - Umsetzung der Funktion des Textes reflektiert werden. In Bezug auf die Schreibfunktion von Texten verweisen Neumann und Steinhoff zutreffend auf die Multifunktionalität von Texten; 54 so stehen die angeführten psychischen, kognitiven und sozialen Funktionen des Schreibens im engen Zusammenhang mit der „„Superfunktion“ Lernen“ 55 . Zu erwähnen ist allerdings, dass trotz eines expliziten Adressatenbezugs, einer vorgegebenen Situierung und den sich daraus ergebenen kommunikativen Funktionen bei materialgestützten Schreibaufgaben und den sich darauf aufbauenden Interven‐ tionen alle angestrebten Interaktionen auch vor dem Hintergrund schulischer 184 III Unterrichtspraxis 56 Neumann, Steinhoff (2015), S. 77 Leistungsbewertung und -beurteilung betrachtet werden müssen - unabhängig davon, ob es sich um Leistungs- oder Lernaufgaben handelt. Jede Art der Problembewältigung im Rahmen situierter Schreibaufgaben stellt somit ein künstliches Probehandeln für die bewertende Lehrkraft dar. Diese doppelte Adressierung muss bei der Konstruktion von Aufgaben und den zugehörigen Interventionen demnach mitgedacht werden. Entscheidend für die Bedingungen des Schreibwissens ist laut Neumann und Steinhoff nicht nur der Erwerb neuen Wissens, sondern auch die Möglichkeit, bereits vorhandenes Wissen einzubringen. Für die Konstruktion von Analy‐ sekriterien ist das Verhältnis von eigenem Wissen und aus den Materialien bezogenem Wissen relevant; dieses lässt sich in einer Analyse der Argumente operationalisieren. Eine Untersuchung der verwendeten Materialien ermöglicht aber auch Rückschlüsse darauf, ob das ausgewählte Material genügend Hinter‐ grundwissen bzw. ausreichend Argumente für verschiedene Positionen bietet. Für die sich an die Textproduktion anschließende Beurteilung der Texte ist die Frage der Verbindlichkeit der Materialnutzung zentral. Gleichzeitig geht es in diesem Zusammenhang auch um ein sprachliches Wissen, das u. a. Schemata der Argumentation oder der Umsetzung des Ziel‐ textes berücksichtigt: Je weniger davon auszugehen ist, dass Schemata beispiels‐ weise des Argumentierens oder Vergleichens vorliegen, desto stärker muss im Rahmen von Intervention dieses Wissen - u. a. durch die Anwendung sprach‐ licher Prozeduren und Schemata des Argumentierens - vermittelt werden. Im Rahmen der Analyse gilt es zu untersuchen, welche Präkonzepte zu Beginn der Unterrichtseinheit vorliegen und wie sich diese durch die Interventionen verändern. Um einschätzen zu können, ob die Funktion eines Textes erfüllt wird, muss seine Wirkung beurteilt werden. Dies aber ist im Wesentlichen durch Kooperationen möglich, die sowohl die mündliche wie die schriftliche Ebene betreffen. Durch kollaboratives Schreiben und durch einen Austausch über den Text kann die Wirkung der Rede eingeschätzt werden. Neumann und Steinhoff verweisen in diesem Zusammenhang 56 zutreffend darauf, dass sich dieser Phase der Kooperation eine Überarbeitungsmöglichkeit anschließen muss. Erneut wird erkennbar, dass „Aufgaben mit Profil“ den Prozesscharakter des Schreibens in den Vordergrund rücken. Für die Aufgabenkonstruktion lassen sich die Bedingungen der „Aufgaben mit Profil“ folgendermaßen zusammenfassen: Durch ihre Domänenspezifik, Aktualität und den Lebensweltbezug lässt sich die vorliegende materialgestützte 185 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 57 So wird im Bundesland Bayern im Format V - Materialgestütztes oder textbezogenes Argumentieren (mit journalistischer Variante, z. B. Kommentar oder Essay) - den Schüle‐ rinnen und Schülern eine Wahlfreiheit gegeben; das Thema - Freundschaft im Zeitalter digitaler Kommunikation - und das dazugehörige Material kann entweder zum Ver‐ fassen eines journalistischen Textes oder aber zum Schreiben einer Erörterung führen. Siehe weitere Beispielaufgaben unter: URL: https: / / www.isb.bayern.de/ download/ 2296 9/ texte_in_den_bayerischen_abiturpruefungen_seit_2011_stand_juni_2020.pdf 58 Zum Verhältnis von internen und externen Ressourcen siehe Hayes (2012), S. 371 ff. 59 Siehe dazu die Ergebnisse der zweiten empirischen Untersuchung in der Oberstufe. Schreibaufgabe in der Mittelstufe curricular verorten. Die bayerische Praxis, dass dasselbe Material für unterschiedliche Zieltexte verwendet werden kann, 57 lässt sich auch in der Mittelstufe anbahnen, indem die Schüler: innen im Vor‐ feld oder im Anschluss an das Themengebiet der Erörterung materialgestützt (weiter)schreiben. Die Parallelität der Darstellungskonventionen in Bezug auf argumentative Prozeduren sowie des Umgangs mit Materialien erleichtert eine curriculare Etablierung in der Mittelstufe. Für die inhaltliche Gestaltung des Themas gilt: Je größer der persönliche Bezug zum Thema ist, desto leichter lassen sich die Inhalte der Materialien bewerten bzw. lässt sich eine authentische Argumentation entwickeln. 58 Der Zieltext muss dabei nicht nur die Möglich‐ keiten einer argumentativen Auseinandersetzung bieten. Es hat sich ebenso als sinnvoll erwiesen, dass der Zieltext die Formulierung der eigenen Position in Ich-Form erlaubt. Dadurch sind weniger sprachliche und inhaltliche Transfor‐ mationen erforderlich als beispielsweise bei journalistischen Formen wie dem Kommentar. Dass es sich beim Kommentar um einen komplexeren Zieltext han‐ delt, zeigen die Texte Studierender, die im Rahmen von Seminaren zum materi‐ algestützten Schreiben im Sommersemester 2018 und Wintersemester 2018/ 19 einen Zeitungskommentar zu einem strittigen Thema verfassen sollten. 59 18 von 57 Studierenden haben im Zeitungskommentar die aus journalistischer Perspektive unübliche Ich-Form gewählt. Die Zieltextsorte der Rede bietet jedoch insofern Probleme, als dass sie in der Mittelstufe in der Regel nicht eingeführt sein dürfte. Die Schüler: innen, mit denen im Anschluss an die Unterrichtseinheit eine Reflexion stattfand, merkten an, dass sie Information zu Aufbau und Funktion der Rede benötigt hätten. Auch wenn im Rahmen dieser materialgestützten Schreibaufgabe der Aufbau und die rhetorischen Funktionen der Rede nicht im Zentrum standen, sondern die Rede nur den kommunikativen Rahmen der Argumentation darstellte, sind doch die Einwände der Schüler: innen nachvollziehbar und verweisen auf die Komplikationen, die sich aus dem Umstand der großen Vielfalt möglicher Zieltexte ergeben. Die Entscheidung für eine Rede wurde aber unter anderem durch den Umstand gestärkt, dass in der Regel Schüler: innen im schulischen 186 III Unterrichtspraxis 60 Im Gespräch mit einer Klasse im Anschluss an die Durchführung der Unterrichtseinheit merkten Schüler: innen in diesem Kontext an, dass sie es bevorzugt hätten, wenn die Aufgabenstellung nicht explizit auf Jugendliche eingegangen wäre. Diese Eingrenzung entspreche nicht der Wirklichkeit, da auch Erwachsene beispielsweise GTA spielten oder Horrorfilme und Krimis konsumierten. Dies würde den Schülerinnen und Schülern ein unreflektiertes Handeln unterstellen bzw. das Problem verengen. Das Herstellen einer konkreten Schreibsituation, die die Lebenswelt der Schüler: innen berücksichtigt, erfährt hier demnach Grenzen. 61 Köster (2016), S. 89 62 Siehe Anhang 1. Kontext bereits Reden gehört haben - beispielsweise zur Einschulung, bei der Verleihung von Preisen, bei Entlassungsfeiern -, so dass sie auf Erfahrungen zurückgreifen können und die wesentlichen Merkmale der Rede kennen, z. B. die direkte Ansprache der Zuhörer: innen, das Nennen des Themas sowie das adressaten- und kontextbezogene Sprechen. Um eine aussagekräftige Argumentation durchführen zu können, erhalten die Schreibenden Materialien. Die Auswahl orientiert sich an den unterschied‐ lichen Anforderungsebenen der Aufgabe, die u. a. eng mit den verschiedenen Sprachhandlungen, die der Zieltext zu erfüllen hat, verbunden sind. Den Schrei‐ benden müssen sowohl ausreichend Argumente für einen angenommenen Einfluss von Gewaltdarstellungen in den Medien auf die Gewaltbereitschaft der Konsumenten zur Verfügung gestellt werden als auch Argumente, die begründen, dass kein oder aber kein negativer Einfluss von Gewaltdarstellungen in Medien ausgeht. Trotz des schulischen Kontextes, der impliziert, dass be‐ stimmte Haltung durch die lesende und bewertende Lehrkraft sanktioniert werden, sollte die Aufgabenstellung sowie die Auswahl der Materialien einen ergebnisoffenen Diskurs eröffnen. 60 Damit orientiert sich die Materialauswahl der insgesamt 7 Materialien in Bezug auf die sprachliche Darstellung und die inhaltliche Gestaltung an der Komplexität der Aufgabenstellung. Wenn es um die Einschätzung der Schwierigkeit des Materials geht, dann führt Köster neben der Beschaffenheit des Materials und möglicher Verstehenshürden auch die Bewertbarkeit der Materialien an: „Auch hier muss entschieden werden, ob die Materialien sachlich neutral, parteiisch oder polemisch sind. Es geht sowohl um die Nähe des Materials zur Aufgabenstellung als auch um die erforderliche Umstrukturierung des Materials und um die vorausgesetzten Wissensbestände.“ 61 Material 1 (M1) 62 nimmt in Form eines Cartoons eine visuelle Stellungnahme vor. Dabei beinhaltet der Cartoon weder eine ausschließlich informierende noch argumentierende Funktion. Er bietet den Schülerinnen und Schülern einen nie‐ derschwelligen Einstieg in das Thema und erfüllt für den eigenen Schreibprozess 187 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 63 In diesem Fall durften die Schüler: innen jedoch auf die gesamten Aufzeichnungen der vorrangegangenen Unterrichtsstunden und somit auf die Ergebnisse der Interventionen zurückgreifen. 64 Köster (2016), S. 40 65 Siehe Anhang 2 die Funktion der Direktiva, nämlich zu unterhalten, in ein Thema einzuführen, aber auch eine Empfehlung vorzunehmen. M2 bietet in Form einer Statistik eine Übersicht über die Konsumhäufigkeit von Gewaltfilmen bei Jugendlichen. Auch dieses Material liefert weniger Argumente, denn Informationen. Es stellt einen Lebensweltbezug her, sensibilisiert und zeigt die Relevanz der Thematik auf. Die Online-Rezension (M3) polarisiert mit ihrer eindeutig positiven und subjektiven Bewertung eines Computerspiels. M4 und M6 sind journalistische Beiträge, die zum einen Studienergebnisse, zum anderen Theorien über die Wirkung von Gewaltdarstellungen in Medien wiedergeben. Bei M5 handelt es sich um Lyrics, M7 ist ein Romanausschnitt eines Jugendbuches, in dem die Realität und die Welt eines Computerspiels ineinandergreifen. Die Materialien erfüllen somit unterschiedliche Funktionen: Sie zeigen die Bandbreite und eine mögliche persönliche Bedeutsamkeit des Themas auf, sensibilisieren, informieren, provo‐ zieren und bieten Argumente zur eigenen Positionierung. Interventionen Die empirische Untersuchung ist als Lernaufgabe konzipiert, die jedoch gerahmt wird von einer Diagnose zu Beginn und das Verfassen einer fertigen Rede am Ende. Ob man bei der Diagnose - das Schreiben einer Rede auf der Basis einer begrenzten Materialauswahl ohne jegliche Intervention - und der Abschluss‐ rede, die von einer durchführenden Klasse als Klassenarbeit gewertet wurde, 63 von einer Leistungsaufgabe sprechen kann, bliebe zu diskutieren. So definiert Köster Leistungsaufgaben als „Aufgaben für Klassenarbeiten und Klausuren zur Überprüfung des Unterrichtserfolgs“. 64 Zwar bildet die Rede, die am Ende der Einheit steht, den Unterrichtserfolg ab, doch handelt es sich hier gleichzeitig um einen Prozess im Sinne einer Lernaufgabe, die den Erwerb und die Erarbeitung von etwas Neuen darstellt. Es ist davon auszugehen, dass die Ergebnisse in die Bewertung implizit einfließen, aber weder Aufgabenstellung noch Materialien sind für den am Ende der Einheit entstehenden Text neu; somit bildet die am Ende zu verfassende Rede eher einen Schreibprozess ab. Die erste Intervention 65 zielt darauf ab, die Strittigkeit der Thematik und damit die Funktion der Argumentation zu erfassen. Im Rahmen einer Kurzde‐ batte müssen die Schüler: innen zu der Thematik eine Position einnehmen. Die 188 III Unterrichtspraxis 66 Siehe zur Bedeutung der Verwendung von Schemata auch Kapitel II.3 sowie III.5. 1. 3. angeführten Argumente und Gegenargumente können im Anschluss mit den in den Materialien angeführten abgeglichen werden. Das angegebene Schema 66 Gewaltdarstellungen in den Medien fördern ein / fördern kein gewalttätiges Handeln (These), da (a) (1. Grund), (b) (2. Grund) und besonders (c) (3. Grund). stellt im Rahmen der Argumentation Geltung her und fordert von den Schüler: innen, sich eindeutig zu positionieren, sich auf drei Gründe zu be‐ schränken und dadurch eine Priorisierung vorzunehmen. Gegenargumente sollen bewusst noch nicht thematisiert werden. Die zweite Intervention fokussiert auf die Verwendung des Materials als Basis möglicher Argumente. Dabei geht es zum einen darum, die zentralen Aussagen der Materialien im Hinblick auf das Thema der zu haltenden Rede zu erfassen und für das Formulieren möglicher Argumente nutzbar zu machen. Das Lesen und Auswerten der Materialien erfolgt in Bezug auf die strittige Frage, nachdem eine Übung zum Vergleichen unternommen wurde. Anhand der Merkmale eines Vergleiches - das vergleichende Subjekt, die Bedingungen, der Zweck, die Kriterien sowie die Verfahren des Vergleichs - und einer Anwendungsübung sollen die Erkenntnisse auf die vorliegenden Materialien übertragen werden: Um diese miteinander vergleichen zu können, muss der Zweck des Vergleichs klar sein. Dieser wird bestimmt aus dem Zieltext (Rede), den Adressat: innen (Mitschüler: innen, Eltern, Lehrer: innen) und der Intention der Rede, eine Ant‐ wort auf die Frage zu geben, ob Gewaltdarstellungen in Medien die Gewaltbe‐ reitschaft fördern. Diese Aspekte bedingen die zu untersuchenden Kriterien sowie die Auswertung der Materialien. Die Zusammenstellung der Ergebnisse in einer Tabelle mit einem begrenzten Platzangebot (s. Abb. 9) erfordert von den Schülern eine Materialtransformation. Die Informationen müssen nicht nur reduziert, sondern in Bezug auf das Thema und eine Positionierung ausgewertet werden. Dies erfordert ein selektives Lesen. Zum Umgang mit den Materialien erhalten die Schüler: innen folgende Anleitung: ANLEITUNG ZUM UMGANG MIT DEN MATERIALIEN Verschaffe dir einen Überblick über das Material, indem du … 1. nur die Autoren und Überschriften liest (Thema), 2. die Textsorte und Quelle beachtest (Lexikonartikel, Wörterbuch, Zeitungsar‐ tikel, Comic, Werbebroschüre, Gedicht, Roman etc.), 3. die Texte anschließend nach ihrem Zweck sortierst, den du erwartest: zum Beispiel informieren, positionieren, überzeugen, einen Aufhänger liefern, pro‐ 189 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 67 Der Autor … vertritt die These, dass …, indem er … und … anführt. 68 In diesem Zusammenhang wird den Schülerinnen und Schülern eine Liste mit fast 30 Ausdrücken zum Herstellen von Evidenz als Formulierungsebenso wie als Bewer‐ tungshilfe der sprachlichen Funktionen zur Verfügung gestellt, z. B. vorbringen, prüfen, beweisen, demonstrieren, entlarven. vozieren, unterhalten. Achtung: Ein Text kann mehrere Funktionen innehaben. Die Funktion kann sich noch verändern, wenn du den Text gelesen hast. 4. Lege einen Leseplan fest. 5. Lies anschließend das Material in Bezug auf das Thema deiner Rede - Förden Gewaltdarstellungen in Medien ein gewalttätiges Handeln? - und fülle die Tabelle aus. Fördern Gewaltdarstellungen in Medien ein gewalttätiges Handeln? Textsorte Inhaltliche Positionierung Argumente Zweck des Materials M1 M2 Abb. 9: Anleitung zur Auswertung der Materialien Auf die besondere Rolle der literarischen Texte (M5 und M7) wird im Folgenden noch näher eingegangen. Auch wenn sich im Verlauf der Lektüre die Bewer‐ tung des Zwecks verändern wird, ist es wichtig, die Schüler: innen anzuleiten, unmittelbar nach einer Sichtung der Materialien eine Einschätzung der zu erwartenden Inhalte und Intentionen des Textes für das Verfassen einer Rede vorzunehmen. Um die Ergebnisse der Gegenüberstellung der Materialien in der Tabelle sicherzustellen, bietet es sich an, dass die Schüler: innen erneut auf eine schemabasierte Formulierung 67 zurückgreifen, die als Prozedur des Argumentierens für das sich anschließende Formulieren der Rede zur Verfügung steht. Im Anschluss können die Multifunktionalität ebenso wie die Darstel‐ lungsweisen und die Glaubwürdigkeit der Texte analysiert werden. Damit die unterschiedliche Funktion der Materialien sprachlich angemessen dargestellt werden kann und somit die verschiedenen kommunikativen Sprachhandlungen umgesetzt werden können, erhalten die Schüler: innen eine Liste von sprachli‐ chen Prozeduren zum Herstellen von Evidenz. 68 Die dritte Intervention betrifft die Situierung der Aufgabe. Da die Schrei‐ benden sich mit der Adressierung und dem Zieltext auseinandersetzen müssen, 190 III Unterrichtspraxis 69 Brinker, Klaus; Cölfen, Hermann; Pappert, Steffen: Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in die Grundbegriffe und Methoden. 8. Aufl. Berlin 2014. gilt es, die kommunikativen Funktionen des Zieltextes zu antizipieren und damit eine Abgrenzung von der Erörterung vorzunehmen. Die Zusammenstellung der kommunikativen Funktionen ist an Brinker angelehnt 69 und erfordert, die Funktionen des Zieltextes in den Blick zu nehmen und dahingehend die Materialien auszuwerten. Die vierte Intervention fokussiert auf die Besonderheiten von literarischen Texten im Kontext materialgestützter Schreibaufgaben: Der fiktionale Cha‐ rakter literarischer Texte macht es in besonderem Maße nötig, neben der Inhalts‐ ebene auch die Gestaltungsebene in den Blick zu nehmen. Wird ausschließlich der Inhalt berücksichtigt und bleiben die ästhetische Dimension sowie die Intention unbeachtet, so wird der bzw. die Rezipierende diesen Texten nur bedingt gerecht. Beachten die Leser: innen beispielsweise nicht, dass es sich um einen Erzähler handelt, der das Geschehen im Roman „Erebos“ wiedergibt, dann können Handlungen ebenso wie Haltungen nicht angemessen eingeschätzt werden. So werden durch eine bestimmte Erzählperspektive, die Ausgestaltung von Charakteren und Handlungsorten sowie die Konzeption von Dialogen nicht nur Spannung erzeugt, eine Stimmung aufgebaut und die Geschichte kontextualisiert; es wird auch die Motivation der handelnden Protagonisten aufgezeigt. Die Konstruktion von Bedeutung wird während des Lesens durch den Lesenden selber hergestellt, da sich der literarische Text in der Regel durch Unbestimmtheitsstellen und Mehrdeutigkeiten auszeichnet. Damit liegt eine Pluralität der Lesbarkeiten vor, die variantenreicher ist als bei einem Sachtext. In Bezug auf die Auswertung literarischer Texte im Rahmen materialgestützter Aufgaben hat die Feststellung, dass ein: e Autor: in nicht mit dem Erzähler bzw. der Erzählerin gleichzusetzen ist, eine besondere Relevanz. Werden im Rahmen einer materialgestützten Schreibaufgaben neben konti‐ nuierlichen und diskontinuierlichen Sachtexten auch literarische Texte präsen‐ tiert, so müssen die Schüler: innen auf unterschiedliche Lesemodi zurückgreifen können. Dazu bedarf es eines Bewusstmachens der Unterschiede auf textueller Ebene und eines Handwerkzeugs: Das betrifft die Wahrnehmung ebenso wie die Verschriftlichung. Die gesteigerte Zeichenhaftigkeit der Sprache lässt sich am eindringlichsten an lyrischen Texten untersuchen: Das Abweichen von der Alltagssprache, das Spiel mit Sprache und Normen, aber auch der Ausdruck von Subjektivität - authentischer oder imaginierter, fingierter - treten bei Lyrik besonders offensichtlich zutage. Um dieses uneigentliche Sprechen erfahren zu können, werden gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern anhand 191 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 70 Wie nötig einer Auseinandersetzung u. a. mit der Hyperbel ist, zeigt sich, wenn man die Schwierigkeit der Schüler: innen im Umgang mit der subjektiven und übertreibenden Haltung der Rezension (M3) betrachtet. 71 Mögliche Lösungen zum Songtext lauten: Durch den Parallelismus („Im Villenviertel ist Krawall / Im Ghetto ist Fiesta“) wird Spannung erzeugt; der Autor stellt die beiden Welten einander gegenüber; dadurch dramatisiert er das Geschehen und betont die Unterschiede. Oder: Durch Wiederholung des Refrains wird die Brutalität der Gesellschaft veranschaulicht. 72 Die Unterrichtseinheit wurde mit insgesamt vier neunten Klassen und einer achten Klasse durchgeführt. 73 Siehe Anhang 4 und 5. des Songtextes (M5) Techniken des literarischen Schreibens analysiert. An dieser Stelle wird explizit darauf verzichtet, ausschließlich mit einer Zusam‐ menstellung von rhetorischen Figuren zu arbeiten. Es gilt zu verdeutlichen, dass literarisches Schreiben andere Regeln befolgt und damit andere Mittel verwendet als ein Sachtext; dazu zählen neben Stilmitteln wie der Hyperbel 70 auch Dialoge, die Rolle des Erzählers sowie beispielsweise Rückblicke. Bewusst wird davon abgesehen, einzelnen Techniken bestimmte Absichten zuzuordnen, da diese in der Regel kontextabhängig sind. Dieser Aspekt muss im Rahmen des Unterrichts besprochen und die Zuordnung von Absichten eingeübt werden. 71 Die letzte Intervention betrifft den konkreten Schreibvorgang: die Planung, Gliederung und Überarbeitung der Rede. Weiterhin werden den Schülerinnen und Schülern Prozeduren zur Darstellung von Gegenargumenten sowie Kon‐ kretisierungen für mögliche Einleitungen zur Verfügung gestellt. Grundgedanken der Analyse Für die Analyse der 107 Schüler: innentexte 72 gilt zu berücksichtigen, dass es sich für die Schüler: innen jeweils um die erste Begegnung mit diesem Aufga‐ benformat handelt. Anhand der im Rahmen der Eingangsdiagnose entstandenen Reden können demnach die Präkonzepte analysiert werden, die beim materi‐ algestützten Argumentieren vorliegen. Ausgehend von den Erfordernissen, die das Format des materialgestützten Schreibens an die Schreibenden stellt, und den daraus abgeleiteten Konsequenzen für die Aufgaben- und Interventi‐ onskonstruktion ergeben sich folgende Analysekategorien, die sich auch an der Gewichtung der Interventionen orientieren. Die vier Komplexe bilden die Grundlage eines Analyserasters, das für die Auswertung der Schüler: innentexte verwendet wird. 73 192 III Unterrichtspraxis Der erste Komplex betrifft die Strittigkeit: • Wird explizit angegeben, welches Thema verhandelt wird? Wird ein Ap‐ pell erkennbar, der die Beschränkung des Medienkonsums thematisiert? • Wird eine Positionierung sichtbar bzw. nach der Intervention sichtbarer? • Wird ein Kompromiss verhandelt oder die Verstärkung eines Dissenses angestrebt? Der zweite Komplex betrifft die Ressourcen: • Wie viele Materialien werden in der Eingangs- und der Abschlussrede verwendet? • Welche Materialien werden berücksichtigt, welche vernachlässigt? In diesem Zusammenhang gilt es zu klären, ob die literarischen Materialien und der Cartoon verwendet wurden. • Wie wird auf die Materialien verwiesen? Der dritte Komplex betrifft die Argumentation: • Wie viele Argumente werden jeweils angeführt? • In welchem Verhältnis stehen eigene Argumente zu jenen, die den Materialien entnommen sind? • Wie verändert sich die Argumentation durch die Interventionen? • Wie werden die einzelnen Argumente verknüpft? Können Prozeduren des Argumentierens zur Analyse herangezogen werden? Der vierte Komplex betrifft die Situierung der Aufgabe: • Inwieweit realisieren sich die Adressierung und die Situierung? • Inwieweit lassen sich kommunikative Handlungen, die dem Zieltext der Rede zuzuordnen sind, nachweisen? Nicht alle Aspekte lassen sich qualitativ analysieren. Die ersten drei Komplexe - der Umgang mit den Materialien, die Art der Positionierung und die Anzahl der Argumente - sollen zunächst quantitativ analysiert werden, um einen Überblick über die Kompetenzen der Schüler: innen und die Komplexität des Aufgabenformates zu erhalten sowie Konsequenzen für die Konzeption von Aufgaben, Interventionen und die Bewertung abzuleiten. Anhand ausgewählter Schüler: innentexte soll in einem nächsten Schritt qualitativ eine Feinjustierung dieser Ergebnisse vorgenommen werden: So ist für die Entwicklung von Be‐ wertungsrastern relevant, in welchem Verhältnis argumentative Anteile zu Ausführungen stehen, in denen eine Situierung der Rede vorgenommen wird, beispielsweise in Form einer Einleitung, der Ansprache der Zuhörer: innen oder 193 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 74 Siehe Kapitel II.3. 75 In diesem Zusammenhang formulierte ein Schüler den Einwand, dass sich seit jeher die Erwachsenen gegen das Tun und die Interessen der Jugendlichen wenden, also in dieser Diskussion keine inhaltliche, sondern eine pädagogische Frage verhandelt wird. 76 Siehe zur Vertiefung der Operationen der Argumentationsanalyse Hannken-Illjes (2018), S. 130 ff. der Hinführung auf das Thema. Ebenso soll die Verwendung der Materialien und das Verhältnis von eigenen und materialgestützten Argumenten ausgewertet werden. Es wird zu diskutieren sein, ob im Sinne einer Vergleichbarkeit der Ergebnisse eine Vorgabe vorgenommen werden muss, die die Verbindlichkeit der Materialnutzung thematisiert. Weiterhin bleibt zu untersuchen, ob sich sprachliche Prozeduren, die sich in der aktuellen Schreibdidaktik für die Ver‐ mittlung des Argumentierens etabliert haben, 74 auch in den Schüler: innentexten nachweisen lassen und damit ein valides Analysekriterium darstellen. Wie sich der Übergang vom Grund zur Konklusion gestaltet und welche inhaltlichen Topoi verwendet werden, um Relevanz und Geltung herzustellen, wird schwer‐ punktmäßig Gegenstand der Analyse der Oberstufeneinheit sein. Dies betrifft auch das Verhältnis von formalen Topoi, die unabhängig vom Gegenstand in jeder Argumentation zum Tragen kommen, 75 zu materialen Topoi, die an das jeweilige Argumentationsfeld gebunden sind. In Bezug auf die Materialnutzung ist vertiefend qualitativ zu untersuchen, wie das vorgegebene Material im Zuge der eigenen Argumentation transformiert wird: Dies betrifft die Beobachtung, dass sich nicht immer am Text eindeutig nachweisen lässt, woher die angeführten Argumente stammen. 76 So wird in der Regel nicht immer explizit auf Materialien verwiesen, es kommt vielmehr häufig zu einer Neuordnung der in den Materialien vertretenen Thesen sowie zu einer Ersetzung, bei der zwar Materialien verwendet, aber daraus neue Argumente konstruiert werden, die auch das eigene Weltwissen mit einbeziehen. III.2.2 Auswertung der empirischen Studie in der Mittelstufe III.2.2.1 Rahmenbedingungen der empirischen Erhebung An der empirischen Erhebung der materialgestützten Aufgabe zum Verfassen einer Rede waren insgesamt 107 Mittelstufenschüler: innen beteiligt; diese verteilen sich auf zwei Marburger und ein Hamburger Gymnasium. 22 Schüler: innen befanden sich in der 8., der Rest in der 9. Klasse (s. Tab. 1). Bis auf die Hamburger Schüler: innen werden alle anderen nach G9 unterrichtet. Die Schüler: innen aller fünf Klassen hatten vorher noch keinen Kontakt mit 194 III Unterrichtspraxis 77 In den Tabellen wird aus Platzgründen auf die gegenderten Formen verzichtet. 78 Die Verschriftlichung enthält die Grundgedanken der Unterrichtseinheit, ohne eine zu strikte Vorgabe für die Durchführung zu beinhalten. dem Aufgabenformat. Die empirische Untersuchung fand mit den Marburger Klassen im 2. Halbjahr des Schuljahres 2017/ 18 im Zeitraum zwischen April und Juni statt, in Hamburg vor den Herbstferien im 1. Halbjahr 2018/ 19. Mit den Schülerinnen und Schülern der Klasse E erfolgte im Anschluss an die Un‐ terrichtseinheit zusätzlich ein ca. einstündiges Auswertungsgespräch. Mit allen Lehrkräften wurden am Ende der Unterrichtsreihe die Aufgabenkonzeption und die Interventionen evaluiert. Schule Kürzel der Schule Klassenstufe Dauer der Durch‐ führung 1. Kontakt mit Aufga‐ benformat Anzahl an Schü‐ lern 77 w m Teilnehmer am Prä‐ test End‐ test 1 E 9 (G9) 19.4- 25.5.18 ja 27 20 7 25 27 2 Pa 8 (G9) 24.4- 16.5.18 ja 22 15 7 21 21 2 Pb 9 (G9) 17.5- 15.6.18 ja 17 11 6 16 14 2 Pc 9 (G9) 4.6- 19.6.18 ja 20 12 8 19 18 3 H 9 (G8) 21.9- 9.11.18 ja 21 12 9 21 21 107 70 37 102 101 Tab. 1: Allgemeine Daten zur empirischen Erhebung in der Mittelstufe Die Unterrichtseinheit wurde jeweils von den in der Klasse unterrichtenden Deutschlehrkräften durchgeführt, die im Vorfeld eine persönliche Instruktion sowie eine ausformulierte Fassung der Interventionen, Arbeitsaufträge und möglichen Tafelbilder erhalten haben. Die Instruktionen für die unterrichtenden Lehrkräfte ist in Form von Modulen formuliert, die es erlauben, individuelle Anpassungen vorzunehmen. Aufgrund der mündlichen Instruktion fällt die schriftliche Fassung deutlicher kürzer und weniger explizit aus 78 als die im An‐ 195 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 79 König, Nicola: Materialgestütztes argumentierendes Schreiben: Eine Rede zum Thema „Gewaltdarstellungen in den Medien“ verfassen. RAAbits Deutsch. Stuttgart Raabe 2018. S. 1-45 80 Siehe Tab. 2. Material 2 liegt zudem in gekürzter Form vor. 81 Siehe Tab. 1; inwieweit sich die Zahlen aufgrund von stattfindenden Ferien, Feiertagen oder schulinternen Unterrichtsausfällen direkt miteinander vergleichen lassen, soll an dieser Stelle nicht weiter erläutert werden. schluss veröffentlichte Fassung der Unterrichtseinheit. 79 Sämtliche Fassungen der Schüler: innenreden sind in einem ausschließlich für die Einheit zur Ver‐ fügung gestellten Heft, dem Schreibjournal, festgehalten, so dass auch die Zwischenergebnisse zur Auswertung zur Verfügung stehen. Zu Beginn der Unterrichtseinheit haben alle Schüler: innen einen Prätest durchgeführt: Ohne eine Einführung in das Aufgabenformat des materialge‐ stützten Schreibens erhalten zu haben, sollten die Schüler: innen die Aufgabe bearbeiten. Dazu standen ihnen lediglich vier Materialien zur Verfügung. 80 Die Funktion des Prätestes ist eine Erhebung der Präkonzepte, die beim materialgestützten Schreiben vorliegen. Die in diesem Rahmen entstehenden Texte sollen zudem darüber Auskunft geben, inwiefern die Aufgabenstellung in Bezug auf die Strittigkeit, den argumentativen Charakter, die Einbringung von Materialien und die kommunikativen Funktionen eindeutig formuliert ist. Da alle Schüler: innen zuvor noch keinen Kontakt mit dem Aufgabenformat hatten, können die Schüler: innentexte trotz unterschiedlicher Vorkenntnisse in Bezug auf die vorhandenen Präkonzepte miteinander verglichen werden. Des Weiteren sollte eine Einschätzung möglich sein, inwiefern die durchgeführten Interventionen zielführend sind. Das Arbeiten mit nur 4 von insgesamt 7 Mate‐ rialien, die im weiteren Verlauf der Unterrichtseinheit zur Verfügung gestellt werden, liegt in der Unterrichtsökonomie begründet. So sollte der Prätest in maximal einer Doppelstunde verfasst werden können. Die geringere Anzahl an Materialien hat zudem motivationale Gründe: Ein Großteil der Schüler: innen ist es nicht gewöhnt, sich über einen längeren Zeitraum mit dem Verfassen und Überarbeiten eines Textes zu beschäftigen. Die künstliche Situation, zu Beginn und am Ende einer Unterrichtsreihe denselben Zieltext zu verfassen, konnte verringert werden, indem im Verlauf der Einheit drei weitere Materialien ergänzt wurden. Dadurch aber ist die Vergleichbarkeit des Prätextes mit der am Ende der Unterrichtseinheit verfassten Rede - dem Endtext - eingeschränkt. Die Dauer der Durchführung der Unterrichtsreihe variierte innerhalb der Klassen von zweieinhalb bis zu fünfeinhalb Wochen. 81 Beeinträchtigt wird die Vergleichbarkeit der Ergebnisse neben der differierenden Länge und Um‐ setzung der Interventionen auch durch die unterschiedlichen Vorkenntnisse 196 III Unterrichtspraxis der Schüler: innen; so hatte beispielsweise eine Klasse direkt im Vorfeld der Unterrichtseinheit das Thema Erörterung behandelt. Weiterhin spielen die Unterrichtsorganisation und die Motivation der teilnehmenden Lehrer: innen und Schüler: innen eine maßgebliche Rolle: Während in der Klasse Pa zahlreiche Stunden durch externe Veranstaltungen ausfielen, so dass sich die Schüler: innen große Teile der Unterrichtseinheit selbstständig erarbeiten mussten, wurden in der Klasse E die am Ende entstehenden Reden als Klassenarbeiten gewertet. Dieser Aspekt hat entscheidenden Einfluss auf die Motivation der Schüler: innen und die Verbindlichkeit des Arbeitens. Trotz dieser limitierenden Faktoren ist eine Interventionsstudie, die den nachhaltigen Kompetenzzuwachs der Schüler: innen in den Blick nimmt, meines Erachtens nur denkbar, wenn diese von der in der Klasse unterrichtenden Lehrkraft durchgeführt wird und in den regulären Unterrichtsverlauf eingebettet ist. III.2.2.2 Der Umgang mit den Materialien Charakteristisch für das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens ist die Präsentation einer Überfülle von multitextuellen Materialien, die keine vollständige Analyse, sondern ein selektives Lesen erfordern. Die Materialien befinden sich zudem nicht in einer kausallogischen Reihenfolge. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang, ob und wie viele Materialien die Schreibenden für die Textproduktion verwenden und wie sie diese für ihre eigene Argumentation nutzen. Für den Prätest standen mit den vier Materialien ein Cartoon, eine Rezension, eine Studie sowie der Auszug eines Jugendromans zur Verfügung (s. Tab. 2). Einbringung der Materialien Prätest M1 - M3 M2 - - M4 Endtest M1 M2 M3 M4 M5 M6 M7 Cartoon Statistik Rezension Studie Song Theorien Erebos Prätest 0 - 31 81 - - 46 Endtest 17 9 35 74 12 62 22 Tab. 2: Materialeinbringung 197 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 82 Hierfür wäre es erforderlich gewesen, nicht nur die konkreten Interventionen und die jeweiligen Zwischenergebnisse der Schüler: innen in den Blick zu nehmen, sondern den jeweiligen Unterricht zu videographieren oder zumindest zu hospitieren. Erst dadurch hätten valide Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der jeweiligen Interventionen gezogen werden können. Prätext Endtext Prozentuale Steigerung E 1,458 2,33 59,6 % Pa 1,381 1,95 41,3 % Pb 1,438 2,24 57,75 % Pc 1,263 1,8 42,86 % H 2,142 2,52 17,76 % 1,536 2,168 43,85 % Tab. 3: Durchschnittliche Verwendung der Materialien pro Klasse Während in dem zur Diagnose verfassten Prätext die Schüler: innen durch‐ schnittlich 1,54 Materialien sowohl zum Informieren als auch zum Argumen‐ tieren einbringen, liegt der Wert in der am Ende der Einheit verfassten Rede bei 2,17 (s. Tab. 3); damit ist eine durchschnittliche Steigerung von 44% zu be‐ obachten. Berücksichtigt wurde sowohl die explizite als auch die implizite Ein‐ bringung der Materialien. Die Werte zeigen zum einen, dass die Schüler: innen nach dem Lesen der Aufgabenstellung eine Vorstellung davon haben, dass sie für ihre Rede auf die Materialien zurückgreifen sollen; nur 7,8 % der Schüler: innen verwenden in der Eingangsdiagnose keine Materialien, in dem Endtext sinkt dieser Wert auf 2 %. Es sei an dieser Stelle kritisch anzumerken, dass nicht eindeutig entschieden werden kann, ob das Mehr an Materialien oder die Inter‐ ventionen für diesen Anstieg verantwortlich sind. 82 Vergleicht man in diesem Zusammenhang die Einbringung derjenigen Materialien, die in beiden Texten zur Verfügung standen, so fällt auf, dass der Zeitungsartikel M4 - im Prätext M 2 - von einem Großteil der Schüler: innen in beiden Texten verwendet wurde: Dieses Material informiert verständlich über verschiedene Studienergebnisse zur Wirkung des Medienkonsums auf das Handeln der Konsumenten. Das Anführen konkreter Zahlen vermittelt den Eindruck von Objektivität. Der Stil des Artikels ist überwiegend sachlich gehalten und dem Material lassen sich unterschiedliche Argumente für verschiedene Positionierungen entnehmen, 198 III Unterrichtspraxis 83 Die geringe Abnahme der Verwendung dieses Materials im Endtext lässt sich mit der insgesamt größeren Materialmenge erklären. Zudem wird mit M6 ein weiteres, überwiegend informierendes Material zur Verfügung gestellt. 84 Die Schreibweise der Schüler: innentexte wurde nicht verändert. ohne dass eine Interpretation der Aussagen nötig wäre. 83 Auffällig bei der Ma‐ terialeinbringung sind zwei Aspekte, auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll: Zum einen betrifft dies die Beobachtung, dass im Prätest keiner der Schüler: innen auf den Cartoon zurückgegriffen hat, obwohl insgesamt nur vier Materialien zur Verfügung standen; in den abschließenden Reden führen 17 Schüler: innen den Cartoon an (s. Tab. 2). Zum anderen ist von Interesse, dass in den Endtexten nur noch 22 von ursprünglich 46 Schreibenden den Roman Erebos verwenden. Die Komplexität der Materialeinbringung lässt sich anhand der Auseinander‐ setzung mit dem Cartoon veranschaulichen und konkretisieren: Die folgenden vier Umsetzungsbeispiele 84 verdeutlichen dabei die Herausforderungen, ein Bild in einen Fließtext zu überführen, zu integrieren und die ironische Aussage des Cartoons angemessen abzubilden: 1. Die Eltern aus M1 meinen, dass man durch Ballerspiele ein Amokläufer wird und durch Schach ein Fliesenleger wird. [Pa14m] 2. Eine Karikatur, die das Gegenteil beschreibt, sagt aus dass wenn man von Ballerspielen Amokläufer wird man von Schach Fliesenleger. ( Ja, stellt euch das mal vor ich gebe meinem Kind ein Spiel und entscheide damit was es mal wird. Von Monopoly vielleicht Besitzer. [NK: In Klammer steht am Rand „Ironie“ als Sprechanweisung.] [Pb14m] 3. Das Klischee über das ich rede ist das, das man von Gewaltdarstellungen selber gewalttätig wird. Für mich ist das völliger Unsinn. Nur weil man gut malen kann wird man auch nicht gleich Maler und nur weil man gerne Schachspielt wird man nicht gleich Fliesenleger. Dies zeigt auch der Comic M1. [H20w] 4. Wenn ich jetzt sagen würde: „Jeder von ihnen der schon mal ein Baller‐ spiel gespielt hat, wird morgen zum Amokläufer“, so wäre diese Aussage sicherlich falsch. Gewaltspiele machen genauso wenig zum Amokläufer, wie Schach zum Fliesenleger macht. Trotzdem habe ich mir die Frage gestellt, ob Gewalt in den Medien die Bereitschaft zu Gewalt vielleicht noch fördert. [H6w] Die Beispiele zeigen die Erfordernisse, den Inhalt angemessen wiederzugeben sowie das Vorwissen der Adressat: innen und die Situierung zu berücksichtigen. Schreibende müssen demnach abstrahieren, dass den Adressat: innen der Car‐ 199 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 85 Es handelt sich um M7, im Prätest M4. toon nicht vorliegt, der Inhalt demnach wiedergegeben oder paraphrasiert werden muss. Dies wurde von Pa14 m nicht geleistet, auch H20w verweist explizit auf das Material. An dieser Stelle wird eine Schwierigkeit deutlich, die die Besonderheiten des adressatenbezogenen Schreibens auszeichnet: Beim Verfassen von Aufsätzen, in denen auf Texte zurückgegriffen wird, wie bei‐ spielsweise beim Interpretieren, haben die Schüler: innen gelernt, dass es erfor‐ derlich ist, Aussagen zu belegen und die verwendete Quelle anzugeben. Im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben ist es ebenso erforderlich, mit den Materialien zu arbeiten. Es muss jedoch für Leser: innen geschrieben werden, denen die Materialien nicht vorliegen. Dies erfordert eine veränderte Form des Belegens und Herstellen von Evidenz, die eher dem der gesprochenen als der geschriebenen Sprache ähnelt. Ebenso gilt es, implizite Aussagen des Materials, in diesem Fall die ironische Intention des Cartoons, zu interpretieren, damit diese für die eigene Argumentation nutzbar gemacht werden kann. Während die Schülerin H17w zwar die ironische Dimension des Cartoons erfasst - „Wenn sie also nicht wollen, dass ihre Kinder von Ballerspielen Amokläufer werden, lassen sie ihre Kinder doch Schach spielen, denn davon werden sie Fliesenleger. 210 Inhalt demnach wiedergegeben oder paraphrasiert werden muss. Dies wurde von Pa14m nicht geleistet, auch H20w verweist explizit auf das Material. An dieser Stelle wird eine Schwierigkeit deutlich, die die Besonderheiten des adressatenbezogenen Schreibens auszeichnet: Beim Verfassen von Aufsätzen, in denen auf Texte zurückgegriffen wird, wie beispielsweise beim Interpretieren, haben die Schüler gelernt, dass es erforderlich ist, Aussagen zu belegen und die verwendete Quelle anzugeben. Im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben ist es ebenso erforderlich, mit den Materialien zu arbeiten. Es muss jedoch für Leser: innen geschrieben werden, denen die Materialien nicht vorliegen. Dies erfordert eine veränderte Form des Belegens und Herstellen von Evidenz, die eher dem der gesprochenen als der geschriebenen Sprache ähnelt. Ebenso gilt es, implizite Aussagen des Materials, in diesem Fall die ironische Intention des Cartoons, zu interpretieren, damit diese für die eigene Argumentation nutzbar gemacht werden kann. Während die Schülerin H17w zwar die ironische Dimension des Cartoons erfasst ─ „Wenn sie also nicht wollen, dass ihre Kinder von Ballerspielen Amokläufer werden, lassen sie ihre Kinder doch Schach spielen, denn davon werden sie Fliesenleger. ���� “ [H17w] -, ist nicht zu erwarten, dass potentielle Zuhörer: innen den Ausführungen folgen können, wenn ihnen der Cartoon nicht vorliegt. Weiterhin müssen die kommunikativen Erfordernisse der Rede, beispielsweise zu unterhalten, zu informieren oder zu überzeugen, umgesetzt werden. Pb14m gibt hierzu in Klammern eine Anmerkung, wie der jeweilige Satz gesprochen werden könnte. Auffällig ist, dass zahlreiche Schüler den Cartoon im Rahmen ihrer Einleitung anführen. Dies lässt sich auf den Umstand zurückführen, dass in der Intervention zum Verfassen von Einleitungen Zitate als eine Umsetzungsmöglichkeit genannt wurden. Dieser kurze qualitative Einblick in Schülerarbeiten demonstriert die Anforderungen an den Schreibprozess und an die unterrichtlichen Interventionen, die die verschiedenen Schwierigkeiten und Vorkenntnisse der Schüler berücksichtigen. Eine weitere Auffälligkeit betrifft den Umgang mit einem literarischen Text - dem Auszug aus dem Jugendroman Erebos von Ursula Poznansky. 638 46 Schüler verweisen im Prätest auf den Es handelt sich um M7, im Prätest M4. “ [H17w] -, ist nicht zu erwarten, dass potentielle Zuhörer: innen den Ausführungen folgen können, wenn ihnen der Cartoon nicht vorliegt. Weiterhin müssen die kommunikativen Erfordernisse der Rede, beispiels‐ weise zu unterhalten, zu informieren oder zu überzeugen, umgesetzt werden. Pb14 m gibt hierzu in Klammern eine Anmerkung, wie der jeweilige Satz gesprochen werden könnte. Auffällig ist, dass zahlreiche Schüler den Cartoon im Rahmen ihrer Einleitung anführen. Dies lässt sich auf den Umstand zurück‐ führen, dass in der Intervention zum Verfassen von Einleitungen Zitate als eine Umsetzungsmöglichkeit genannt wurden. Dieser kurze qualitative Einblick in Schüler: innenarbeiten demonstriert die Anforderungen an den Schreibprozess und an die unterrichtlichen Interventionen, die die verschiedenen Schwierig‐ keiten und Vorkenntnisse der Schüler: innen berücksichtigen. Eine weitere Auffälligkeit betrifft den Umgang mit einem literarischen Text - dem Auszug aus dem Jugendroman Erebos von Ursula Poznansky. 85 46 Schüler: innen verweisen im Prätest auf den Roman, in dem ein Computerspiel die Grenze zwischen der fiktiven Welt des Spiels und der realen Welt der Prot‐ agonisten überschreitet. Von diesen 46 Schüler: innen haben 19 nicht erkannt, dass es sich um einen fiktionalen Text handelt; im Endtext sind dies noch 4. Dieses sich im Prätest zeigende mangelnde Medialitätsbewusstsein lässt sich weniger mit der Komplexität des Bestsellers als mit der Kontextualisierung des 200 III Unterrichtspraxis Materials erklären. Der Roman befindet sich in räumlicher und inhaltlicher Nähe zu Sachtexten - Studienergebnissen, einer Rezension und einer Statistik. Auch graphisch unterscheiden sich die Präsentationen der Textsorten nicht vonein‐ ander. Dieser Umstand ist eine zentrale Ursache für die Fehldeutung und das Missachten der Fiktionalität des Romans und impliziert, dass die Schüler: innen bei der Rezeption des Materials die Textsorte als solche mitdenken und deuten müssen. Diese zusätzliche Herausforderung ist eine denkbare Erklärung für die Fehldeutungen. Wenn nach der Intervention im Endtext nur noch 22 Schüler: innen das Mate‐ rial verwenden, dann liegt dies neben dem Zusatzangebot an Materialien daran, dass im Unterricht der fiktionale Charakter des Materials besprochen wurde und sich daraus die Schwierigkeit ergibt, eine fiktionale Romanhandlung, in der die Auswirkungen eines Computerspiels für die Protagonisten thematisiert werden, zu interpretieren und im Anschluss für die eigene Argumentation zu verwenden. Die folgenden Textbeispiele verdeutlichen Herausforderungen und Lösungsvarianten: 1. Ganz anders sieht es aber aus, wenn es um Spiele geht die Realität und Fiktion miteinander verbinden und von dem Spieler verlangen brutale Dinge in der realen Welt auszuführen. Denn genau dieses Szenario lief in einer Londoner Schule ab. Denn dort wurde ein Spiel namens „Erebos“ rumgereicht. Dieses Spiel hat außerdem einen gefährlichen Suchtfaktor (…) Solche Spiele sollten für jeden verboten werden und wenn es möglich ist auch aus der Welt geschafft werden. [H1w, Prätext] 2. Es gibt ein Buch namens „Erebos“ welches solche Themen behandelt. In diesem Buch geht es um ein Videospiel, welches einen dazu bewegt anderen Schaden zuzufügen. Sowie auch sich selber. Es soll darauf hin‐ weisen, dass gewaltsame Videospiele einen zu sehr schlimmes bewegen können. [Pc17w, Prätext] 3. Das fiktive Spiel Erebos zeigt die eindeutigen Grenzen von Gewaltspielen. Es ist ein Spiel, das die Spieler dazu auffordert, gewisse Aufgaben in der Realität zu erledigen, die andere Spieler spielen. (…) [Pc14 m, Prätext] Im ersten Text wird die Fiktionalität des Materials nicht erkannt, die Aussage des Romans aber zutreffend interpretiert und für die eigene Argumentation verwendet. Der zweite Beispielstext hingegen benennt die Fiktionalität des Materials, paraphrasiert aber nur den Inhalt. Im letzten Beispiel hingegen wird das Material richtig verortet und in die eigene Argumentation integriert. Der Umgang mit Materialien im Rahmen einer argumentierenden material‐ gestützten Aufgabe unterscheidet sich demnach deutlich von der Inhaltsangabe 201 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe oder Interpretation eines Textes, da die Inhalte nicht nur erfasst, sondern auch kontextualisiert werden müssen. Besonders solche Materialien, die zunächst interpretiert werden müssen, wie beispielsweise literarische Texte, stellen eine besondere Herausforderung dar. Dies betrifft auch den Songtext „Gewalt“ der Band „Waving the Guns“ (M5). Während die Materialien des Prätests sich auf Gewaltdarstellungen in Spielen konzentrieren, werden für die weitere Bearbei‐ tung der Aufgabe noch Filme (M2) und Lyrics (M5) als zu berücksichtigende Medien hinzugezogen. Der Songtext positioniert sich trotz zahlreicher Themen, die angesprochen werden, nicht eindeutig zur Gewaltausübung; kontextuelle Verweise sowie die ironische Dimension des Textes erschweren zudem eine Deutung. Zu den bisher thematisierten gewaltverherrlichenden Spielen wird kein expliziter Bezug hergestellt. Dieser Transfer muss von den Schreibenden selber geleistet werden. Von den insgesamt 100 Reden, die am Ende der Unterrichtseinheit verfasst werden, verweisen nur 12 entweder explizit oder implizit - siehe Schülerbeispiel Pc10 m - auf den Songtext. 1. Zu M5 habe ich nichts zu sagen, da dies nur ein einfacher Songlyrics ist, der von Gewalt handelt. [Pa14m] 2. Im nächsten Text/ Liedtext „Waving the Guns“ geht es um die Dort‐ munder-Nordstadt, wo Gewalt an der Tagesordnung liegt und diese auch im Text ausgedrückt wird. In dem Text werden wieder Vorurteile ausge‐ drückt und Gewalt in Form von physischer und anderen Gewaltarten ausgedrückt, die meiner Ansicht nach sehr stark auch so noch einmal die Kriminalität, Vergleich zu den Videospielen zeigt. [Pb17m] 3. Auch Songs gehören zu Medien. Es gibt massig Raper die diese Themen wie Drogen, Gewalt und Vorurteile verherrlichen. Die Jugendlichen hören sich diese an und verbinden oft damit dann Erfolg oder Reichtum. Diese Raper beinflussen das Menschenbild vieler und ändern die Mei‐ nungen vieler. [H15m] 4. Als ich anfing mich für die Rede vorzubereiten, habe ich mir ein Lied namens „Waving the Guns“ angehört, wo der Rapper über sein Leben erzählt und warum Gewalt eine Lösung für ihn sei. Wie dem auch sei, habe ich mir aus purer Neugier die Kommentare angeschaut. Ratet mal, was ich fand. Richtig, Kommentare voller Rentnern, wo ich mich generell gewundert habe, was die da verloren haben. Ratet mal, was sie geschrieben haben. Richtig, der Rapper sei ja nur gewalttätig, weil er Videospiele spielt und bestimmt nichts anderes machen würde. [E23w] 5. Auch wenn viele Jugendliche Spiele, wie zum Beispiel Grand Theft Auto (GTA), in denen Folterszenen bis ins kleinste Detail dargestellt werden, Lieder, wie Gewalt von Waving the Guns, in welchen vom Leben im 202 III Unterrichtspraxis 86 So muss von den Schülerinnen und Schülern zunächst geklärt werden, ob und inwieweit die Rezension ernst gemeint oder ironisch gebrochen ist, zumal es sich bei dem Rezensenten um einen erwachsenen Spieler zu handeln scheint. Ghetto und von sozialen Missständen erzählt wird, konsumieren und viele meinen, dass dies die Gewaltbereitschaft steigert, ist dies noch nicht eindeutig wissenschaftlich bewiesen. [Pc10m] Während im zweiten Beispiel überwiegend eine Paraphrasierung und Deutung des Inhalts vorgenommen wird, zeigen Formulierungen wie „Im nächsten Text/ Liedtext“, dass die Situierung und Adressierung nicht umgesetzt werden. Der Songtext wird eher als ein wiederzugebender Text aufgefasst, denn als Material für die eigene Argumentation verwendet. Im dritten Beispiel wird die Funktion des Materials zutreffend wiedergegeben und reflektiert. Die Argumentation selbst erfolgt jedoch nur indirekt, eine kommunikative Situation - beispiels‐ weise durch veranschaulichende Beispiele - wird nicht hergestellt. Das vierte Beispiel zeigt, welchen kreativen Spielraum adressatenbezogenes Schreiben eröffnet, das sich deutlich von dem des Interpretierens oder Erörterns eines literarischen Textes abhebt. Die Schreibende nutzt den Text jedoch nicht für die eigene Argumentation. Wie sich diese Leistung im Rahmen einer Leistungs‐ aufgabe in Abgrenzung zur Argumentationsstruktur bewerten lässt, bliebe zu diskutieren. Betrachtet man die Materialeinbringung im Überblick, so fällt auf, dass diejenigen Materialien, die überwiegend Informationen enthalten (M4 und M7), am häufigsten verwendet werden. Eine diskontinuierliche Präsentation der Informationen (M2) hingegen scheint eine zusätzliche Herausforderung darzustellen und von der Verwendung abzuhalten. Die den Schülerinnen und Schülern präsentierte Online-Rezension eines exzessiven und begeisterten Vi‐ deospielkonsumenten (M3) wurde in beiden Redefassungen von ca. 30 Schrei‐ benden verwendet; das Material bietet durch seine extreme Positionierung sowohl positive als auch negative Argumente. Von Interesse ist in diesem Zu‐ sammenhang, dass die Schüler: innen überwiegend die abschreckende Wirkung des Spielekonsums mit dem damit verbundenen Suchtpotential erklären. Die Faszination, die das Spiel für seine Konsument: innen hat, wird nicht dargestellt. Ob diese Verwendung mit einer angenommenen sanktionierten Haltung der Rezipient: innen - hier sind sowohl die Adressat: innen des Zieltextes als auch die die Rede bewertende Lehrkraft gemeint - zusammenhängt oder mit dem Umstand, dass Texte mit einer extremen Positionierung schwieriger in den eigenen Text zu integrieren sind, 86 kann an dieser Stelle nicht abschließend geklärt werden. 203 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 87 Dieser Umstand ist sowohl bei den Texten der Oberstufenschüler: innen als auch bei den Studierenden zu beobachten, denen das Einbringen von Quellen vertraut sein sollte. 88 In diesem Zusammenhang führte ein Schüler an, dass man ja auch für wissenschaftliche Arbeiten an der Universität recherchieren und nicht alle Materialien verwenden würde. Aus diesen Beobachtungen leiten sich Fragen der Verbindlichkeit der Mate‐ rialnutzung sowie der Art der Materialeinbringung ab. Betrachtet man die Endwerte der in die Rede eingebrachten Materialien, so stellt man zwar einen Anstieg fest, dieser ist jedoch bei der Anzahl von sieben zur Verfügung gestellten Materialien weniger signifikant, als zu erwarten gewesen wäre, zumal eine Intervention die inhaltliche Erschließung der Materialien beinhaltet. 87 Diese Ergebnisse verweisen auf die Komplexität des Aufgabenformats und die Schwie‐ rigkeit, passende Argumente in den Materialien für die eigene Argumentation zu identifizieren und zu nutzen. Im Reflexionsgespräch mit Schülerinnen und Schülern bemerkten diese allerdings kritisch auf die Frage, ob es hilfreich für die Textproduktion wäre, wenn es eine verbindliche Vorgabe bezüglich der Anzahl der zu verwendenden Materialien gäbe, dass das Aufgabenformat materialge‐ stützt und nicht materialverpflichtend heiße. 88 Der hier angedeutete Freiraum im Schreibprozess würde durch eine Vorgabe sicherlich eingeschränkt. In Bezug auf die Vergleichbarkeit der Ergebnisse im Rahmen einer Bewertung könnte jedoch ein höheres Maß an Objektivität entstehen. Gleichzeitig zeigen die angeführten Schüler: innenbeispiele jedoch, dass keine unmittelbare Korrelation zwischen der Materialeinbringung und der Anzahl der Argumente sowie der Qualität eines Textes besteht. Zu untersuchen bliebe, ob eine Vorgabe für die Materi‐ aleinbringung zu einer intensiveren Textlektüre führt. Es bleibt im zweiten empirischen Teil dieser Arbeit zu untersuchen, wie sich die Materialeinbringung bei Schreibenden der Oberstufe und Studierenden gestaltet. III.2.2.3 Der Aspekt der Strittigkeit Neben der Materialeinbringung nimmt das Argumentieren eine entscheidende Rolle im Schreibprozess ein. Aus diesem Grund sollen die Menge und die Art der Argumente sowie die Positionierung zur Frage, ob Medien einen Einfluss auf das Verhalten der Konsument: innen haben, untersucht werden. Die in der Aufgabe angelegte Strittigkeit erfordert von den Schreibenden eine argumenta‐ tive Auseinandersetzung. Betrachtet man die Anzahl der Schüler: innen, die im Prätext keine Argumente anführen, so fällt der Anteil mit 19,6 % relativ hoch aus (s. Tab. 4). Durchschnittlich jede: r fünfte Schüler: in führt in seiner Rede keine Argumente an. Auffällig ist in diesem Zusammenhang die große Varianz der Werte von 6,3 % bis 28,6 %. Erklärungsansätze bieten neben der Klassenstufe - 204 III Unterrichtspraxis 89 Der Spitzenwert von 28,8 % der Klasse Pa lässt sich somit auch auf die Jahrgangsstufe zurückführen: Die Schüler: innen dieser Klasse sind die einzigen, die sich im 8. Jahrgang befinden. 90 So führen durchschnittlich 33,6 % der Schüler: innen eigene Argumente an. 91 Die eigenen Argumente nehmen ca. ein Viertel der insgesamt verwendeten Argumente ein. die Erörterung wird in der Regel in der 9. Jahrgangsstufe eingeführt 89 - auch die zuvor behandelten Unterrichtsinhalte. So haben die Schüler: innen der Klasse Pb direkt vor der untersuchten Unterrichtseinheit das Thema der Erörterung durchgenommen; dies kann den niedrigen Wert von 6,3 % erklären. Ob die Ursache, dass Schüler: innen keine Argumente anführen, an der Tatsache liegt, dass sie die Strittigkeit nicht identifiziert und der Rede zugehörig empfunden haben, oder ob die Schüler: innen Schwierigkeiten beim Formulieren eines Arguments hatten, wird im weiteren Verlauf noch näher analysiert. Prätext Endtext Anteil ohne Argu‐ mente (in %) Menge der Argu‐ mente (Durch‐ schnitt) Menge Informa‐ tionen (Anzahl und Durch‐ schnitt) Schüler, die eigene Argu‐ mente an‐ führen (in %) Anteil der eigenen an der Ge‐ samtzahl der Argu‐ mente (in %) Anteil ohne Argu‐ mente (in %) Menge der Argu‐ mente (Durch‐ schnitt) Menge Informa‐ tionen (Durch‐ schnitt) E 28 1,56 (17) 0,63 28 23,1 3,7 3,3 0,59 Pa 28,6 1,66 (18) 0,82 38,1 31,4 14,3 2 1,27 Pb 6,3 2,38 (16) 0,94 31,3 21,1 7,1 1,54 1,0 Pc 21,1 1,47 (15) 0,75 42,1 32,1 0 2,5 0,65 H 14,3 2,14 (23) 1,09 28,6 20 4,8 3,1 1,09 19,7 1,84 0,85 33,6 25,5 6 2,49 0,92 Tab. 4: Die Argumentation im Prä- und Endtext Der Anteil von durchschnittlich 1,84 Argumenten in den Prätexten zeigt, dass diejenigen Schüler: innen, die argumentieren, die Notwendigkeit erkennen, mehr als ein Argument anzuführen. Ebenso zeigt die Analyse der Prätexte, dass den Schreibenden nach der Lektüre der Aufgabenstellung bewusst ist, dass sie in ihrer Rede auch auf eigene Argumente zurückgreifen dürfen. 90 Setzt man die Anzahl der eigenen Argumente ins Verhältnis zu den materialgestützten Argumenten, 91 so wird deutlich, dass die Materialien die Grundlage der Argu‐ 205 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 92 Während durchschnittlich 1,85 Argumente im Prätext angeführt werden, so ist der Anteil von durchschnittlich 0,85 Informationen deutlich geringer. 93 Auf diese Intervention wird im Folgenden noch näher eingegangen. mentation darstellen und dass eigene Argumente eher einen ergänzenden Cha‐ rakter einnehmen. Ebenso scheint die Aufgabenstellung für die Schüler: innen zu implizieren, dass eine Rede auch Informationen enthält, der argumentierende Teil jedoch überwiegen sollte. 92 Betrachtet man die im Anschluss an die Interventionen verfassten Reden, so ist ein Anstieg der angeführten Argumente von durchschnittlich 1,84 auf 2,49 zu beobachten. Nur noch 6 % der Endtexte enthalten keine Argumente. Berück‐ sichtigt man jedoch den Umstand, dass die Materialien gründlich gelesen und Argumente in einer Tabelle 93 zusammengetragen werden sollten, so verwundert der vergleichsweise geringe Anstieg. Anhand der Schreibjournale lässt sich jedoch nur ansatzweise rekonstruieren, wie die Interventionen eingeführt, von den Klassen umgesetzt und Ergebnisse gesichert wurden. Die zweite Intervention beinhaltet eine Übung zum Positionieren: In Zwei‐ ergruppen wurde den Schülerinnen und Schülern eine Rolle zugelost, die sie im Rahmen einer Kurzdebatte vertreten und argumentativ belegen sollten; hierzu stand ihnen das folgende Schema zu Verfügung. Gewaltdarstellungen in Medien fördern ein / fördern kein gewalttätiges Handeln (These), da (a) (1. Grund), (b) (2. Grund) und besonders (c) (3. Grund). Das Schema fordert zwar, sich eindeutig zu positionieren und sich auf drei Gründe zu beschränken, erläutert aber nicht den Aufbau von Argumenten. Hierzu gab es in der Unterrichtsreihe keine Intervention. Die Schwierigkeit, Materialien Informationen für Argumente zu entnehmen und diese in die eigene Argumentation zu integrieren, wurde demnach falsch bewertet. Interessant ist jedoch, dass die Schüler: innen, deren am Ende der Einheit verfasste Reden als Klassenarbeit gewertet wurden, mit durchschnittlich 3,3 Argumenten den Spitzenwert bilden. Die Verbindlichkeit und der Bewertungsrahmen nehmen demnach entscheidenden Einfluss auf den Schreibprozess. Die Frage, welche Argumente die Schüler: innen verwenden, fokussiert auf die Frage der zur Verfügung stehenden Textmuster und den Zusammenhang von Argumentation und Positionierung. 206 III Unterrichtspraxis 94 Hier werden nur die Schüler: innen berücksichtigt, die in ihren Reden überhaupt Argumente angeführt haben. 95 Dies betrifft die Frage, ob der Konsum von gewaltverherrlichenden Medien einen Einfluss auf die Gewaltbereitschaft der Konsumenten hat. 96 So liegt der Anteil der Proargumente an den insgesamt verwendeten Argumenten zu Beginn bei 76,9 %, im Endtext bei 69,6 %. 97 Diese Vermutung deckt sich auch mit der Zusammenstellung der aus den Materialien entnommenen Argumente, die als Folie für die Auswertung der Schüler: innentexte verwendet wurde; die Gegenargumente sind unterrepräsentiert. Siehe dazu Anhang 4. Prätext Endtext Anzahl der verwen‐ deten Argumente Anzahl Schüler, die Pro- und Contraargumente anführen 94 Anzahl der verwen‐ deten Argumente Anzahl Schüler, die Pro- und Contraargumente an‐ führen Pro Contra Pro Contra E 22 12 5/ 18 27,8 % 57 34 10/ 26 38,5 % Pa 28 7 1/ 15 6,7 % 33 9 4/ 18 22,2 % Pb 27 11 3/ 15 20 % 13 7 5/ 10 50 % Pc 16 12 5/ 15 33,3 % 34 11 6/ 18 33,3 % H 37 8 5/ 18 27,8 % 46 19 6/ 20 30 % 130 39 23,1 % 183 80 34,8 % Tab. 5: Verwendung und Art der Argumente Die Auswertung der Daten zeigt eine deutliche Priorisierung der Proargu‐ mente 95 sowohl im Prätext als auch im Endtext (s. Tab. 5). Dieses Verhältnis bleibt auch nach den Interventionen bestehen, verschiebt sich aber leicht zu einer ausgewogeneren Verwendung der Argumente. 96 Betrachtet man das Übergewicht der Proargumente, so muss kritisch die Frage gestellt werden, ob in den Materialien ausreichend Argumente für den nicht nachweisbaren Einfluss der Medien auf die Gewaltbereitschaft zur Verfügung gestellt worden sind. 97 Diese Kritik äußerten auch die Schüler: innen der Mittelstufenklasse, mit denen im Anschluss an die Unterrichtseinheit über das für sie neue Aufgabenformat, die Aufgabenstellung und die Interventionen diskutiert wurde: Für die Gegen‐ position habe es zu wenig auswertbare Materialien gegeben. Welchen Einfluss dies auf die Aufgabenkonzeption und Materialauswahl hat, bleibt abschließend zu bewerten. Untersucht wurde weiterhin, wie viele Schüler: innen in ihrer Rede Argu‐ mente für beide Seiten berücksichtigen. Durchschnittlich führen 23,1 % der 207 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 98 Auf diesen Aspekt hoben im Reflexionsgespräch sowohl die Schüler: innen der Mittel‐ stufe als auch der Oberstufe ab. Schüler: innen, die in ihren Reden argumentieren, sowohl Proals auch Con‐ traargumente an. Dieser Anteil steigt nach den Interventionen auf 34,8 %. Interessant sind in diesem Fall erneut die Werte von Pa; der Durchschnittswert von 6,7 % weicht deutlich von denen der Vergleichsklassen ab. In der Regel wird der Aufbau einer dialektischen Erörterung und damit die Berücksichtigung von Gegenargumenten in der Klassenstufe 9 eingeführt. Der geringe Wert kann demnach durch die fehlenden Kenntnisse im Erörtern erklärt werden: Die Schüler: innen können nicht auf Text- und Argumentationsmuster, die im Rahmen der Erörterung erworben wurden, zurückgreifen. Ob allerdings die Berücksichtigung beider Seiten mit der Qualität des Textes korreliert, konnte nicht nachgewiesen werden. Häufig führen zwar Schüler: innen ein Gegenargu‐ ment an, entkräften dieses aber nicht, so dass dadurch ihre eigene Position geschwächt wird. Weiterhin lässt sich kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Art der Argumente, dem Anführen von Pro- und Contraargumenten sowie der Art der Positionierung feststellen. Betrachtet man in diesem Zusammenhang, ob sich die Schreibenden zu der Thematik der Aufgabenstellung positioniert haben, so variieren die Werte zwischen den Klassen zwischen 50 % und 90 % (s. Tab. 6). Nur den Schülerinnen und Schülern der Klasse H ist evident, dass die Aufgabenstel‐ lung eine Positionierung erfordert und diese ein entscheidender Bestandteil der Rede ist. Für die anderen Schüler: innen ist dies weniger eindeutig. Vielfach werden zwar wie bei einer Erörterung Argumente angeführt, eine eindeutige Positionierung aber unterbleibt. Dies deckt sich mit der Beobachtung, dass viele sich erst am Ende - quasi als Fazit - positionieren; dies entspricht dem Textmuster der Erörterung. Dass gerade in einer mündlich vorgetragenen Rede aufgrund der antizipierten Aufmerksamkeitsspanne der Zuhörer: innen eine frühe Positionierung sinnvoll ist, wird nur von wenigen berücksichtigt. Auffällig ist zudem, dass zahlreiche Schüler: innen im Rahmen ihrer Positionierung den Konjunktiv verwenden. Die folgenden Beispiele zeigen die Unsicherheit, eine eigene Meinung in einem schriftlichen Text zu artikulieren. 98 1. Ich würde es als richtig empfinden, dass die Eltern entscheiden können, wieviel Gewalt anhand der Einstellungen zugelassen wird. [H19 m, Prä‐ text] 2. Denn etliche Leute spielen Videospiele, darunter auch sicher gewalttätige. Vielleicht sogar sie selbst oder ihre Verwandten oder Freunde. Aber sind sie deswegen Verbrecher oder tuen sonstige schlechte Dinge? Ich 208 III Unterrichtspraxis 99 Unter jein werden all jene Texte subsumiert, in denen keine klare Positionierung vorliegt; die angeführten Argumente werden nicht ausgewertet und für eine eigene Stellungnahme verwendet. Es ist hier explizit keine inhaltliche Positionierung gemeint, die zwischen den beiden Polen oszilliert. denke ihre Antwort hieße nein. (…) Nun haben sie ziemlich viele unter‐ schiedliche Meinungen von mir zu hören bekommen. Ich hoffe meine Meinungen und Aussagen konnten Ihnen ein mehr offenes und aufge‐ klärteres Bild über gewalttätige Spiele geben, ohne zu viele Vorurteile. [H1w, Prätext] 3. Die Jugendlichen würden sowieso einen Weg finden, dass verbotene Spiel zu spielen und sich wahrscheinlich nur mit ihren Eltern zerstreiten. Besser währe es, mit seinem Kind zu reden und sich sicher zu sein, dass es zwischen Realität und Spiel unterscheiden kann. Außerdem könnte man gemeinsame Spielzeiten festlegen und so für beide Seiten eine Lösung finden. Ich danke für ihre Aufmerksamkeit. [E19w, Prätext] Während das Verb „empfinden“ im ersten Beispiel die subjektive Sichtweise bereits deutlich markiert, nimmt der Schreibende H19 m sein Urteil und die damit verbundene Empfehlung an die Eltern durch den Modus des Konjunktivs II zurück. Auch im letzten Beispiel E19w wird die Empfehlung und damit die eigene Position durch den Konjunktiv - „Besser währe es (…)“ - eingeschränkt. Der sich anschließende Konjunktiv - „könnte man gemeinsame Spielzeiten festlegen“ - ist nicht nur als Höflichkeitsform und als Zeichen der thematischen Komplexität zu deuten. Die Formulierung betont ebenso die Bedenken, eine eigene Meinung schriftlich zu fixieren. Die Schülerin H1w wählt trotz der vorangegangenen rhetorischen Fragen die Formulierung „hieße“ und bemüht sich damit um eine ausgewogene, differenzierte Meinung zu Ungunsten der eigenen Positionierung. In diesem Beispiel zeigt sich zudem die sprachliche und inhaltliche Unsicherheit, zwischen einer Meinung und einem Argument zu unterscheiden. Prätext Endtext ja Anzahl jein 99 nein ja Anzahl jein nein E 15 60 % 5 5 21 78 % 5 1 Pa 11 52 % 1 9 17 81 % - 4 Pb 8 50 % 6 2 8 62 % 4 1 209 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 100 Der Anteil macht im Prätext 56,8 % aus, in der abschließenden Rede 63,3 %. Pc 10 53 % 3 6 13 72 % 2 3 H 19 90 % 2 - 20 95 % - 1 61% 78 % Tab. 6: Vorliegen einer Positionierung Nach der Intervention steigt die Anzahl der Schüler: innen, die sich zu dem Thema der Aufgabenstellung positionieren, von 61 % auf 78 % (s. Tab. 6). Dass trotz einer expliziten Übung zum Positionieren mehr als jede: r 5. Schüler: in auch am Ende der Unterrichtseinheit noch keine klare Positionierung zu dem Thema vornimmt, lässt sich im Wesentlichen mit der Unterrichtstradierung der vorherrschenden Textsorten erklären, in denen eine eindeutige, persönliche Stellungnahme nicht gefordert und vor allem nur bedingt erwünscht ist. Betrachtet man die inhaltliche Art der Positionierung, so fällt auf, dass die Schüler: innen eher dazu tendieren, Medien eine Wirkung auf die Gewaltbereit‐ schaft der Konsumenten zuschreiben (s. Tab. 7). Die Tatsache jedoch, dass die überwiegende Anzahl zu einer differenzierten Meinung tendiert, 100 zeigt die Komplexität des Themas auf. Die Fragestellung erlaubt es den Schülerinnen und Schülern, unterschiedliche Haltungen einzunehmen. Damit ist die Offenheit gleichermaßen wie die Strittigkeit der konzipierten Aufgabe belegt. Inwieweit vor allem die Contraposition durch zusätzliche bzw. andere Materialien noch hätte gestützt werden können, bliebe zu diskutieren. Nicht zu unterschätzen ist weiterhin der Umstand, dass ein Lebensweltbezug des Themas zwar einen Rückgriff auf das Weltwissen der Schüler: innen ermöglicht und damit ihre persönliche Involviertheit erhöht. Gleichzeitig aber ist fraglich, inwieweit sich Schüler: innen in einem schulischen Bewertungskontext offen zu der Frage ihres eigenen Medienkonsums äußern. Prätext Endtext ja nein differenziert ja nein differenziert E 6 - 12 8 1 16 Pa 2 2 7 2 4 11 Pb 10 2 2 2 3 7 210 III Unterrichtspraxis Pc 1 2 9 4 2 9 H 6 1 12 8 5 7 25 7 42 24 5 50 Tab. 7: Inhaltliche Positionierung auf die Frage: Fördern Gewaltdarstellungen in den Medien die Gewaltdarstellung der Konsumenten? Untersucht man weiterhin den Zusammenhang zwischen der Positionierung und der Argumentation, so lässt sich dieser quantitativ nicht eindeutig nach‐ weisen: Insgesamt gibt es 15 Schüler: innen, die in ihren Prätexten keine Argumente anführen, sich aber deutlich positionieren. Gleichzeig existieren 17 Schüler: innentexte, in denen keine Positionierungen, aber Argumente vor‐ liegen. Es scheint demnach für die Schreibenden kein notwendiger Zusammen‐ hang zwischen der eigenen Stellungnahme und dem Anführen von Argumenten bzw. dem argumentierenden Teil ihrer Rede und einer sich daraus ableitenden Positionierung zu bestehen. Dieser Umstand verändert sich auch nach den Interventionen - der Besprechung der Materialien und den Übungen zum Posi‐ tionieren - nicht maßgeblich. Betrachtet man beispielsweise die Argumentati‐ onsstruktur der Schüler: innentexte, die sich differenziert zu der Aufgabestellung äußern, so ist keine Korrelation zu der Art der angeführten Argumente zu beobachten. Es finden sich in diesen Texten demnach gerade nicht diejenigen, die sowohl Proals auch Contraargumente berücksichtigen Eine inhaltlich differenzierte Stellungnahme beinhaltet für die Schreibenden nicht automatisch, dass Pro- und Contraargumente angeführt werden. Der Rückgriff auf Materialien und die Argumentationsstruktur zeigt dem‐ nach keine direkte Korrelation zur Positionierung des Textes. Soll materialge‐ stützt erfolgreich argumentiert werden, müssen der Aufbau und die Verwen‐ dung von Argumenten im Kontext der eigenen Argumentation explizit eingeübt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass die Strittigkeit des Themas erkannt und eine Positionierung vorgenommen wird. Dies impliziert, dass die Aufga‐ benrepräsentation, die in der Oberstufeneinheit durch die Komponentenanalyse angebahnt werden soll, auch in der Mittelstufe eine dominantere Position einnehmen muss. III.2.2.4 Die kommunikative Funktion des Zieltextes Entscheidend für materialgestützte Schreibaufgaben ist, dass die Positionierung und Argumentation im Rahmen eines konkreten Zieltextes zu erfolgen hat, der in Bezug auf die Adressierung und Situierung eine Eigengesetzlichkeit 211 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 101 Es wurden Daten zu einer expliziten (ex) und impliziten (im) Ansprache erhoben; sprechen Schüler: innen die Adressat: innen sowohl implizit als auch explizit an, so ist das in der Tabelle mit beides (b) vermerkt. aufweist. So macht es einen Unterschied, ob eine Rede ausschließlich vor der Schüler: innenschaft oder auch vor Lehrkräften und Eltern gehalten werden soll. Ebenso hat der Anlass - in diesem Fall der Medientag - Einfluss auf Aufbau und Inhalt der Rede. Soll im Rahmen der Rede ein Dialog mit den Zuhörer: innen entstehen, so ist es nicht ausreichend, diese ausschließlich zu informieren und ihnen Argumente zu präsentieren. Eine erfolgreiche Rede wird auch durch die kommunikativen Funktionen, die die Intention der Rede abbilden, bestimmt. Stellen Anrede und Ansprache der Zuhörer: innen einen Kontakt her (s. Tab. 8), so gibt die Situierung Hinweise darüber, ob die Verfasser: innen die Informationen und Argumente kontextualisieren. Auch das Vorkommen von Elementen der Unterhaltung, auf die noch näher eingegangen wird, mar‐ kiert die Situierung. Neben der zentralen Frage des Einflusses der Medien auf die Gewaltbereitschaft der Konsument: innen enthält die Aufgabenstellung weiterhin die Aufforderung, sich mit der Beschränkung des Medienkonsums auseinanderzusetzen. Das bedeutet für die Verfasser: innen einer Rede, dass diese nicht nur informieren, argumentieren und sich positionieren müssen, sondern die Rede auch Empfehlungen oder Appelle enthalten sollte, die sich mit der Thematik beschäftigen. Damit aber bewegen sich die kommunikativen Funktionen auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus; dies gilt es bei der Auswertung des empirischen Datenmaterials zu berücksichtigen. Anrede Ansprache Prätext Endtext Prätext Endtext ex 101 im b ja nein ex im b ja nein E 18/ 25 72 % 21/ 27 77 % 5 3 1 9 36 % 16 9 4 1 14 52 % 13 Pa 20/ 21 95,2 % 13/ 21 61,9 % 5 5 24 % 16 6 4 10 48 % 11 Pb 13/ 16 81,3 % 10/ 14 71,4 % 5 2 7 44 % 9 2 2 4 29 % 10 Pc 2/ 19 10,5 % 7/ 18 38,8 % 3 3 16 % 16 4 2 6 33 % 12 H 20/ 21 95 % 19/ 21 90 % 6 4 10 48 % 11 13 13 62 % 8 Tab. 8: Anrede und Ansprache in den Schüler: innenreden In Bezug auf die Anrede ist der überwiegenden Anzahl bewusst, dass die Anrede integraler Bestandteil einer Rede ist; eine Ausnahme bildet nur die Klasse Pc. 212 III Unterrichtspraxis Interessant ist allerdings, dass die Werte von drei Klassen im Endtext abnehmen und die Schüler: innen insgesamt seltener ihre Zuhörer: innen ansprechen. Nur in der Klasse E, deren Reden am Ende als Klassenarbeit gewertet wurden, und in Pc, in der die Schüler: innen die kommunikative Funktion zuvor kaum umgesetzt hatten, ist eine Steigerung zu verzeichnen. Die Abnahme der Werte lässt sich im Wesentlichen durch zwei Aspekte erklären: Es ist möglich, dass sich die Schreibenden stärker auf den Inhalt und die argumentative Struktur ihrer Rede konzentrieren und die kommunikativen Funktionen vernachlässigen. Diese Beobachtung deckt sich mit den Befunden zu den anderen kommunika‐ tiven Funktionen. Eine andere Erklärung ist die abnehmende Motivation der Schüler: innen, am Ende der Unterrichtseinheit erneut eine Rede zu verfassen. Die gängige Schreibpraxis in der Mittel- und Oberstufe sieht es in der Regel nicht vor, dass über einen längeren Zeitraum an einem Text gearbeitet und dieser überarbeitet wird. Diese Schwierigkeit spielte bei der dritten empirischen Untersuchung, die mit 5. Klässler: innen durchgeführt wurde, keine Rolle. Ob dies allerdings allein auf das Alter und die bisher etablierten Schreibpraktiken, die Art der Aufgabenstellung und Interventionen oder auf die Bedeutung der Klassenlehrerin, die die Unterrichtsreihe konzipiert und durchgeführt hat, zurückzuführen ist, lässt sich nicht trennscharf ermitteln. Um einen Kontakt zu den Adressat: innen herzustellen, ist es nicht ausrei‐ chend, diesen nur zu Beginn der Rede anzusprechen. Aus diesem Grunde wurde untersucht, ob die Schüler: innen neben der Anrede im weiteren Verlauf der Rede die Zuhörer: innen explizit oder implizit ansprechen. Diese Werte liegen zwischen 16 % und 48 % und damit deutlich unter denen der Anrede. Nach den Interventionen stiegen die Werte mit Ausnahme einer Klasse an. Fasst man die Ergebnisse zusammen, so ist für den Großteil evident, dass eine Rede eine Kommunikation zwischen Verfasser: in bzw. Redner: in und den Adressat: innen beinhaltet, die sich u. a. in einer Anrede artikuliert. Im weiteren Verlauf der Rede die Zuhörer: innen anzusprechen, fällt den Schreibenden allerding schwer. In diesem Zusammenhang ist auch die Situierung Rede zu einzuordnen, die die Informationen und Argumente verortet (s. Tab. 9). Appell Empfehlung Unterhaltung Situierung Prä End Prä End Prä End Prä End E 3/ 25 3/ 27 11/ 25 11/ 27 6/ 25 16/ 27 15/ 25 19/ 27 12 % → 11 % 44 % → 41 % 24 % → 59 % 60 % → 70 % Pa 2/ 21 2/ 21 11/ 21 9/ 21 5/ 21 11/ 21 10/ 21 9/ 21 213 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 8,3 % bleibt 52,4 % → 43 % 24 % → 52 % 48 % → 43 % Pb 3/ 16 1/ 14 8/ 16 5/ 14 8/ 16 7/ 14 11/ 16 10/ 14 19 % → 7,1 % 50 % → 36 % 50 % bleibt 69 % → 71 % Pc 1/ 19 1/ 18 7/ 19 8/ 18 4/ 19 5/ 18 0/ 19 10/ 18 5,3 % → 5,6 % 37 % → 44 % 21 % → 28 % 0 % → 56 % H 8/ 21 5/ 21 7/ 21 5/ 21 7/ 21 14/ 21 21/ 21 18/ 21 38 % → 24 % 33 % → 24 % 33 % → 67 % 100 % → 86 % Tab. 9: Die kommunikativen Redeanteile Die Situierung wird von einem Großteil der Schüler: innen bereits im Prätext erfolgreich umgesetzt. Die folgenden Beispiele zeigen unterschiedliche Explizit‐ heitsgrade und Funktionen der Situierung: 1. Auf diese Frage möchte ich heute eingehen und möchte sie darüber aufklären was Gewaltdarstellung in den Medien mit Jugendlichen macht oder nicht macht. [Pa16 m, Endtext] 2. Heute am Medientag werde ich euch über die alltägliche Gewalt in Videospielen, welche ihre Kinder spielen, etwas erzählen. [Pa5w, Prätext] 3. Entschuldigen Sie, bitte. Hätten Sie Interesse Ihr momentanes Leben aufzugeben und als Kartoffel auf Ihrer Couch zu verrotten? Ein armseliger Abklatsch eines Menschen zu werden, der auf einem flimmernden Kasten mehr Spaß, Möglichkeiten und Begeisterung findet, als es in seinem ganzen Leben in der Wirklichkeit geben könnte? Ja? Super. Ich auch… Sehr geehrte Damen und Herren. Hiermit begrüße ich Sie recht herzlich zu diesem Informationsabend mit dem Thema Fördern Gewaltdarstel‐ lungen in Medien ein gewalttätiges Handeln? Ich möchte Sie heute Abend darüber informieren, aufklären und Ihnen ein möglichst genaues Meinungsbild schaffen. [Pa8w, Endtext] Während im ersten Beispiel die Situierung nur durch ein Temporaladverb markiert und mit einer Anrede kombiniert ist, benennt die Schülerin Pa5w den Redekontext explizit. Dabei wird die Rede jedoch ausschließlich an die Eltern („Ihre Kinder“), nicht aber an die Mitschüler: innen und Lehrer: innen der Schule adressiert. Das letzte Beispiel verbindet in der Einleitung der Rede unterschiedliche kommunikative Handlungen: So wird zunächst durch das Portrait eines exzessiven Spielers, das sich auf Material 3 bezieht, und durch einen persönlichen Bezug die Aufmerksamkeit der Zuhörer: innen gewonnen. 214 III Unterrichtspraxis 102 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass diese gelungenen kommunikativen Textpassagen des Schülers Pa6 m in seinem Endtext nicht mehr enthalten sind; auf diesen Effekt wird in Zusammenhang mit der Analyse der Appelle und Empfehlungen noch näher eingegangen. Nach der sich anschließenden Anrede wird eine Situierung vorgenommen, die zudem die Intention der Rede thematisiert. Ein adressatenbezogenes Schreiben impliziert auch, die Vorkenntnisse der Adressat: innen und deren Interessen zu berücksichtigen. Der Begriff Unterhal‐ tung (s. Tab. 9) subsumiert dabei jene inhaltlichen und formalen Aspekte, die sich der Gewinnung der Aufmerksamkeit der Zuhörer: innen widmen, sei es durch persönliche Beispiele, Anekdoten, Zitate oder rhetorische Figuren: 1. In meiner Rede möchte ich mich jedoch auf die gewalttätigen Computer‐ spiele fokussieren. Ich habe eine kleine Anekdote, die ich gerne mit Ihnen teilen würde. Vor ein paar Wochen, als ich gerade auf dem Heimweg von der Schule im Bus saß, ist ein Junge meines Alters, zwei Plätze neben mir, plötzlich lauthals in Tränen ausgebrochen, da eine Welt in seinem Handyspiel zerstört worden ist. Ich war verblüfft und schockiert wie seht es an dieser „nicht realen“ Welt hing. [E18w, Endtext] 2. Gewalt, wir erleben es jeden Tag, ob in der Schule, am Arbeitsplatz oder durch Nachrichten! Man sieht es oft in der Schule: Ein Junge wird von einer Gruppe Jungs auf den Boden getreten und viele Mitschüler jubeln, doch meist würden sie helfen. Doch warum tun sie das nicht? (…) Doch jetzt, worauf ich eigentlich zu sprechen kommen wollte, wir beschäftigen uns damit, ob Gewaltdarstellungen in Medien die Gewaltbereitschaft fördern. Was macht Gewalt in Videospielen mit Jugendlichen? „Jugendliche können doch wohl Realität von Fiktion unterscheiden, die sind doch keine Klein‐ kinder mehr? ! “, sagen viele Eltern. Doch haben sie Recht? [Pb6 m, Prätext] In Beispiel 1 thematisiert die Schülerin anhand einer Anekdote die Brüchigkeit der Grenze zwischen Realität und Fiktionalität, die bei der Bewertung von Medieninhalten eine zentrale Rolle spielt. Die Wirkung des Gedankens wird durch die unmittelbare Anrede und die persönliche Einschätzung verstärkt. Der Schüler Pb6 m arbeitet die Bedeutung des Themas durch das Anführen rhetorischer Fragen und die Antizipation der Meinung der Zuhörer: innen heraus. Die Beispiele verdeutlichen die Eigengesetzlichkeit des Zieltextes und die damit verbundenen Möglichkeiten der Umsetzung einer Adressierung und Situierung. Daraus leiten sich gleichermaßen Chancen wie Anforderungen an den Schreibprozess ab, die im Zusammenhang mit der Vermittlung ebenso wie der Bewertung des Aufgabenformats zentrale Herausforderungen darstellen. 102 215 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 103 Siehe Anhang 2. 104 In: Brinker, Klaus; Cölfen, Hermann; Pappert, Steffen: Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in die Grundbegriffe und Methoden. 8. Aufl. Berlin 2014. 105 Den Schülerinnen und Schülern wurden hierzu verschiedene Umsetzungsvorschläge - beispielsweise das Einbringen von Zitaten oder das Anführen einer persönlichen Anekdote - vorgestellt, die eng mit den jeweiligen Sprachhandlungen verknüpft sind. 106 Siehe Beispiel 1-3. Betrachtet man, wie häufig in den Prä- und Endtexten kommunikative Formen der Unterhaltung auftauchen, dann steigen in allen Klassen die Werte nach den Interventionen deutlich an. Die einzige Ausnahme bildet die Klasse Pb, in der die Werte bei 50 % stagnieren. Der durchschnittliche Anstieg lässt sich durch die Interventionen erklären: Im dritten Schritt der Einheit 103 werden die Situierung der Aufgabe und damit verbunden die kommunikativen Funktionen der Sprache in den Blick genommen: Die Schüler: innen lernen - angelehnt an Searle 104 - verschiedene Sprachhandlungen kennen, ordnen diese unterschied‐ lichen Zieltexten zu und erarbeiten im nächsten Schritt die entsprechenden Funktionen der Materialien gleichsam wie der Rede. Auf die kommunikativen Funktionen der Rede wird zudem beim Verfassen der Einleitung 105 ebenso wie beim Überarbeiten explizit verwiesen. Eine andere Erklärungsmöglichkeit für den Anstieg liegt in dem Umstand begründet, dass zur Situierung nicht auf die Materialien zurückgegriffen werden muss. Es ist zudem nicht erforderlich, sich zu positionieren bzw. zu argumentieren - Sprachhandlungen, die eine prinzipiell höhere Komplexität aufweisen. Um die Situierung der Aufgabenstellung erfolgreich umsetzen zu können, muss neben dem Einfluss des Medienkonsums auf die Gewaltbereitschaft des Konsument: innen auch die Einschränkung der Mediennutzung berücksichtigt werden. Dies erfordert von den Schreibenden, die angeführten Argumente und Informationen auszuwerten, in Beziehung zur eigenen Positionierung zu setzen und eine Empfehlung 106 für die Zuhörer: innen oder einen Appell zu formulieren; die Übergänge gestalten sich fließend. Die folgenden Beispiele zeigen unterschiedliche Umsetzungsmöglichkeiten auf: 1. Bitte bereden Sie dieses wichtige Thema mit ihrem Kind zu Hause und erklären sie den Kindern die Risiken solcher Spiele. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit! [Pa11w, Prätext] 2. Mit dieser Präsentation wollte ich ihnen nicht sagen, ihre Kinder komplett davon abzuhalten, Computerspiele zu spielen, aber vielleicht sollten sie mal darauf achten, ob es Spiele gibt, die ihre Kinder auffällig z. B. in der Selbstwahrnehmung ändert und diese dann verbieten. Ich bin immer noch der Meinung, dass Gewaltdarstellungen in den Medien die 216 III Unterrichtspraxis 107 Siehe Beispiel 3, 4 und 5. Gewaltbereitschaft fördern. Ich hoffe sie haben jetzt eine etwas klarere Meinung über dieses Thema und ich hoffe es hatte ihnen gefallen. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit. [H21w, Endtext] 3. Das wars schon mit meiner Rede. Ich hoffe es hat ihnen gefallen und ich konnte ihre Fragen soweit klären. Falls es doch noch welche gibt können sie sie mir gleich stellen. Vielen Dank, dass sie alle dar waren und mir zugehört haben. Und an die Kinder: Bitte spielt nicht so einen Unsinn. Es bringt euch nicht weiter. DANKE! [H16w, Endtext] 4. Bestimmt wird niemand wegen Videospielen in Maßen gewalttätig oder beginnt zu rauchen. Ihr müsst euch selber überlegen, was ihr verantworten könnt. Setzt euch in jedem Fall gründlich mit diesem wichtigen Thema auseinander. [Pc18w, Prätext, im Endtext ist kein Appell enthalten] 5. Egal ob Mädchen oder Junge, alt oder jung - Gewalt ist keine Lösung. Hin‐ terfragt alles was ihr tut oder nimmt Hilfe an. Denkt darüber nach, was im schlimmsten Falle passieren könnte, ihr könntet dadurch mindestens ein Verbrechen, eine Übeltat, eine Vergewaltigung etc pp. Verhindern. Ich bedanke mich für eure Aufmerksamkeit! Ich wünsche euch noch einen schönen Tag! 210 Inhalt demnach wiedergegeben oder paraphrasiert werden muss. Dies wurde von Pa14m nicht geleistet, auch H20w verweist explizit auf das Material. An dieser Stelle wird eine Schwierigkeit deutlich, die die Besonderheiten des adressatenbezogenen Schreibens auszeichnet: Beim Verfassen von Aufsätzen, in denen auf Texte zurückgegriffen wird, wie beispielsweise beim Interpretieren, haben die Schüler gelernt, dass es erforderlich ist, Aussagen zu belegen und die verwendete Quelle anzugeben. Im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben ist es ebenso erforderlich, mit den Materialien zu arbeiten. Es muss jedoch für Leser: innen geschrieben werden, denen die Materialien nicht vorliegen. Dies erfordert eine veränderte Form des Belegens und Herstellen von Evidenz, die eher dem der gesprochenen als der geschriebenen Sprache ähnelt. Ebenso gilt es, implizite Aussagen des Materials, in diesem Fall die ironische Intention des Cartoons, zu interpretieren, damit diese für die eigene Argumentation nutzbar gemacht werden kann. Während die Schülerin H17w zwar die ironische Dimension des Cartoons erfasst ─ „Wenn sie also nicht wollen, dass ihre Kinder von Ballerspielen Amokläufer werden, lassen sie ihre Kinder doch Schach spielen, denn davon werden sie Fliesenleger. ���� “ [H17w] -, ist nicht zu erwarten, dass potentielle Zuhörer: innen den Ausführungen folgen können, wenn ihnen der Cartoon nicht vorliegt. Weiterhin müssen die kommunikativen Erfordernisse der Rede, beispielsweise zu unterhalten, zu informieren oder zu überzeugen, umgesetzt werden. Pb14m gibt hierzu in Klammern eine Anmerkung, wie der jeweilige Satz gesprochen werden könnte. Auffällig ist, dass zahlreiche Schüler den Cartoon im Rahmen ihrer Einleitung anführen. Dies lässt sich auf den Umstand zurückführen, dass in der Intervention zum Verfassen von Einleitungen Zitate als eine Umsetzungsmöglichkeit genannt wurden. Dieser kurze qualitative Einblick in Schülerarbeiten demonstriert die Anforderungen an den Schreibprozess und an die unterrichtlichen Interventionen, die die verschiedenen Schwierigkeiten und Vorkenntnisse der Schüler berücksichtigen. Eine weitere Auffälligkeit betrifft den Umgang mit einem literarischen Text - dem Auszug aus dem Jugendroman Erebos von Ursula Poznansky. 638 46 Schüler verweisen im Prätest auf den 638 Es handelt sich um M7, im Prätest M4. (Applaus) XD [E7w, Prätext, im Endtext ist kein Appell enthalten] 6. Also, Eltern, Lehrer, Mitschüler, ihr könnt Gewaltdarstellungen nicht aus dem Weg gehen. Sie sind überall: Fernsehen, Werbung, Spiele, Musik, Plakate, Flyer … Überall! Wir sind täglich mit ihnen konfrontiert. Wir haben bereits eine gewisse Stumpfheit gegenüber Gewalt entwickelt. Doch auch wenn wir Gewalt nicht aus dem Weg gehen können, wir können und müssen unser Bestes geben, dass sich keiner mehr mit diesen Charakteren und Geschichten identifizieren kann. Danke für ihre Aufmerksamkeit. [E11w, Endtext] Auffällig ist, dass Empfehlungen und Appelle jeweils am Ende der Rede formuliert werden. Sie bilden eine Art Zusammenfassung der eigenen Aus‐ führungen und einen Abschluss. Diese Verortung entspricht dem Textmuster der Erörterung. Die in der Aufgabe angelegte dreifache Adressierung an El‐ tern, Lehrer: innen und Mitschüler: innen, die der Realität eines Medientages nahekommt und somit eine hohe Authentizität aufweist, gestaltet sich in der Umsetzung als große Herausforderung: So sind die Empfehlungen über‐ wiegend an die Eltern adressiert - siehe Beispiel 1 und 2; allein die letzte Schülerin berücksichtigt auch ihre Mitschüler: innen. Die Appelle hingegen richten sich im Wesentlichen an diese. 107 Nur im letzten Beispiel werden alle 217 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe Adressat: innen angesprochen, wenngleich der Appell sich im Wesentlichen an die Konsument: innen der Spiele richtet. Nicht berücksichtigt wurden hingegen die Position und Aufgabe der Schule bzw. der Lehrer: innen im Rahmen einer Medienerziehung. Als weitere Schwierigkeit erweist sich die Berücksichtigung der eigenen Rolle des Schreibenden, die bereits bei der Positionierung auftrat: Auch im Zusammenhang mit dem Aussprechen einer Empfehlung bzw. eines Appells zeigt sich in vielen Texten eine deutliche Distanzierung von der The‐ matik. So wird häufig nicht berücksichtigt, dass der Redner bzw. die Rednerin nicht nur Teil der Schulgemeinschaft, sondern auch Medienkonsument: in ist. Nur im letzten Beispiel (6) bezieht sich die Rednerin E11w durch den Wechsel der Personalpronomen von der 2. Person in die 1. Person aktiv mit ein. Thematisch bleiben die Empfehlungen und Appelle überwiegend vage in Bezug auf eine Konsumbeschränkung: „bereden“ [Pa11w], „achten“ [H21w], „Denkt darüber nach“ [E7w] und „Setzt euch (…) auseinander“ [Pc18w]. Nur E11w und H16w werden konkreter. Betrachtet man die Anzahl der vorkommenden Empfehlungen bzw. Appelle, ist festzustellen, dass Schüler: innen insgesamt eher Empfehlungen als Appelle aussprechen; das ist durch die Komplexität der Thematik und die dreifache Adressierung der Rede zu erklären. Da die Redner: innen jedoch immer auch von der Problematik selber betroffen sind, ist nachvollziehbar, dass das Aussprechen einer Empfehlung als glaubwürdiger empfunden wird als das eines Appells. Um abschätzen zu können, wie viele Schüler: innen entweder einen Appell oder eine Empfehlung formulieren, und damit eine Zusammenfassung und Auswertung der eigenen Argumentation vornehmen, werden in der folgenden Tabelle 10 die jeweiligen Werte addiert, Doppelungen sind abgezogen. Prätext Endtext E 13/ 25 52 % 14/ 27 52 % Pa 12/ 21 57 % 10/ 21 48 % Pb 11/ 16 69 % 6/ 14 43 % Pc 8/ 19 42 % 8/ 18 44 % H 12/ 21 57 % 10/ 21 48 % 55 % 47 % Tab. 10: Anführen von Appellen oder Empfehlungen in der Rede 218 III Unterrichtspraxis 108 Siehe u. a. Feilke, Lehnen et al. (2016); Philipp (2017) S. 110 ff. und S. 138. 109 Den unterrichtenden Lehrkräften lag eine Musterlösung vor. 55 % der Schüler: innen sprechen in ihren Prätexten eine Empfehlung oder einen Appell aus, ohne jedoch immer explizit auf die Frage der Einschränkung des Medienkonsums Bezug zu nehmen. Zieltext und Aufgabenstellung implizieren somit für die Mehrheit, dass sie nicht nur Argumente anführen und mit den Adressat: innen kommunizieren, sondern diese auch in Form eines Appells oder einer Empfehlung überzeugen müssen. Dass die Berücksichtigung unter‐ schiedlicher Sprachhandlungen, das Herstellen eines Bezugs zum Thema und zu den Adressat: innen sowie das Darlegen des eigenen Anliegens eine große Herausforderung darstellen, belegen die abnehmenden Werte am Ende der Interventionen: In drei Klassen fallen sie, eine Klasse behält den Prozentrang. Nur die Klasse Pc, die zu Beginn die geringste Anzahl an Appellen und Empfeh‐ lungen aufweist, kann eine leichte Steigerung verzeichnen. Ein weiterer, bereits mehrfach angeführter Erklärungsversuch ist die abnehmende Motivation der Schüler: innen. Wurde das Aussprechen einer Empfehlung oder eines Appells als Zusam‐ menfassung der eigenen Argumentation oder Positionierung aufgefasst, so ist zu erwarten, dass eine Empfehlung bzw. ein Appell nur formuliert werden kann, wenn eine eindeutige Positionierung vorliegt. Betrachtet man die Korre‐ lation zwischen der Positionierung und diesen beiden kommunikativen Hand‐ lungen, dann kann diese jedoch weder quantitativ noch qualitativ nachgewiesen werden. Dies betrifft auch den Zusammenhang zwischen dem Anführen von Argumenten und der eigenen Positionierung. Auch zwischen diesen beiden Größen besteht keine nachweisbare Korrelation. Um den Aspekt der abnehmenden Motivation genauer zu untersuchen, sollen Zwischenergebnisse des Schreibprozesses der Schüler: innen näher betrachtet werden. Zur Vorbereitung der Rede und Entlastung des Schreibprozesses sollen die Schüler: innen Teilergebnisse in einer Tabelle zusammenfassen. Die Inter‐ vention - Zum Umgang mit den Materialien - fordert (s. Abb. 9), die Textsorte, die in den Materialien vertretene Position, die angeführten Argumente sowie die kommunikative Funktion zusammenzufassen. Das Arbeiten mit Tabellen als Strukturierungshilfe ist im Kontext materialgestützter Aufgaben ein übliches Instrument. 108 In der vorliegenden Unterrichtseinheit erfolgt das Ausfüllen der Tabelle vor und während der eigentlichen Lektüre der Materialien und sollte ein auf die Aufgabenstellung bezogenes, zielgerichtetes Lesen der Materialien anbahnen. Die Schreibjournale belegen, dass in allen Klassen mit diesem Instru‐ ment gearbeitet wurde und die Schüler: innen die Tabelle ausgefüllt haben. 109 219 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe Die Ähnlichkeit Lösungen zeigt weiterhin, dass in den Klassen Pa und Pb die Ergebnisse im Klassenverband besprochen wurden. Die Tabellen sind von einem Großteil der Schüler: innen sorgfältig und umfassend bearbeitet worden, was die prinzipielle Arbeitsbereitschaft ebenso wie die Motivation zeigt. Vergleicht man jedoch die Inhalte der Tabelle, werden zahlreiche Probleme, die die Aufgabenstellung gleichermaßen wie den Schreibprozess betreffen, deutlich; diese sollen im Folgenden näher erläutert werden. In allen Klassen ist die Bandbreite der in der Tabelle angeführten Zwecke der Materialien sehr hoch. Daran wird deutlich, dass die Schüler: innen erfasst haben, dass Texte unterschiedliche kommunikative Funktionen und die Mate‐ rialien im Kontext der Aufgabenstellung unterschiedliche Sprachhandlungen erfüllen. Am Beispiel der Online-Rezension - Material 3 - sollen exemplarisch Umsetzungsbeispiele aufgezeigt werden (s. Tab. 11): Während die Beurteilung des Zwecks des Materials, das Nennen der Textsorte und die Wiedergabe der inhaltlichen Positionierung der jeweiligen Materialien überwiegend plausibel ausfällt, zeigen sich große Differenzen und Schwierigkeiten beim Anführen der Argumente. Fördern Gewaltdarstellungen in den Medien ein gewalttätiges Handeln? Textsorte Inhaltliche Positionie‐ rung Argumente Zweck des Materials E18w Online Artikel + Beschreibt GTA → Suchtpotential, man wird abge‐ stumpft, sarkastisch gutheißen Informierend, bewertend Pa21w Kommentar (Rezension) Contra • seine eigene Mei‐ nung ist negativ • warnt vor Gewalt (Auswir‐ kungen auf Charakter, Leben) Pa19w Bericht (neutral) Contra • stellen Gewalt im Spiel als ungefähr‐ lich dar • Erleuchten der po‐ sitiven Seiten des Spiels Darstellen der positiven Seiten des Spiels Pc3 m Artikel Gegen Video‐ spiele Gewalt bis ins Detail dargestellt, Glorifizie‐ rung von Gewalt Direkt Pro‐ blem anspre‐ chen 220 III Unterrichtspraxis 110 Da die Bezeichnung in Klammern angefügt ist, liegt nahe, dass der Fachbegriff im Rahmen der gemeinsamen Besprechung eingeführt wurde. Pb17 m Onlineartikel Subjektive Haltung + gewaltbereit, frei‐ zügig, rassistisch, Dro‐ genkonsum, Autos klauen, Kommentare als Aufhänger, Sucht‐ gefahr Bewertung (subjektive Haltung) H5 m Meinungsar‐ tikel Pro „unendliche Möglich‐ keiten“ / „Bis ins kleinste detail“ Promotion Tab. 11: Zum Umgang mit der Intervention in Bezug auf M3 Die Beispiele belegen zum einen, dass die Beurteilung des Zwecks des Materials eine eigenständige Interpretationsleistung darstellt. So zeigt der erste Beitrag von E18w auf, dass aufgrund der beschreibenden Anteile der Rezension diese für die Schülerin sowohl einen informierenden als auch einen bewertenden Zweck erfüllt. Während sich Pa19w eher auf den Inhalt des Materials konzen‐ triert, nimmt H5 m eine eigenständige Interpretation des Materials vor und deutet die Rezension als „Promotion“. Passend zu dieser Einschätzung ist die Beschreibung der Textsorte als „Meinungsartikel“. Pa19w hingegen wählt für die Textsorte den Begriff „Bericht“; diese sachliche Kategorisierung korreliert mit der überwiegend beschreibenden Darstellung der Intention des Materials. Insgesamt erkennen nur zwei Schüler: innen bei der Beschreibung der Textsorte den subjektiven Charakter der Rezension Der Fachbegriff selbst fällt nur bei einem der sechs exemplarisch ausgewählten Schüler: innen. 110 Betrachtet man die Bewertungen der Positionierung der Rezension, so fallen diese sehr unter‐ schiedlich aus. Nicht immer sind die Aussagen hier unmissverständlich: So erwähnt Pa21w, dass der Rezensent „warnt“ und dass das Spiel Auswirkungen auf das Leben der Konsumenten habe. Konsequenterweise müsste die Frage, ob Gewaltdarstellungen die Gewaltbereitschaft fördern, bejaht werden. Das formulierte „Contra“ ist allein mit der unter der Rubrik Argumente angeführten „negativ[en] Meinung“ des Rezensenten zu erklären. Es wurde demnach nicht die Wirkung des Konsums, sondern die Bewertung des Rezensenten wiederge‐ geben. Ähnlich muss in diesem Zusammenhang die Einschätzung des Schülers Pc3 m bewertet werden. Diese Unklarheiten scheinen eine generelle Problematik der Aufgabenstel‐ lung widerzuspiegeln. So setzen sich zahlreiche Schüler: innen in ihrer Rede 221 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe vorrangig mit der Frage auseinander, wie der Konsum bestimmter Spiele beur‐ teilt werden kann. Dies dürfte auch der Aspekt sein, der in ihrem persönlichen Kontext die größte Relevanz aufweist. Diese Frage erfordert eine subjektive Stellungnahme, die weitestgehend ohne das Hinzuziehen von Material beant‐ wortet werden kann. Dass im Zentrum der Aufgabenstellung aber nicht die Bewertung, sondern die Wirkung des Konsums steht, wurde von zahlreichen Schreibenden nicht trennscharf dargestellt. Ausgehend von dieser Unschärfe in der Aufgabenrepräsentation lassen sich die Eintragungen in der Rubrik „Argumente“ erklären: Die sechs ausgewählten exemplarischen Schüler: innenarbeiten zeigen Schwierigkeiten auf zwei unter‐ schiedlichen Ebenen: Die erste betrifft den Aufbau eines Arguments: Wenn dem Material im Rahmen der Einschätzung der Positionierung eine gewaltfördernde Wirkung zugeschrieben wird, dann müssten Argumente angeführt werden, die dies belegen. Dass aber eine negative Bewertung der Medien in der Regel eine positive Wirkung impliziert, führt zu Missverständnissen und erhöht die Komplexität der Aufgabe. Betrachtet man die in der Rubrik Argumente angeführten Beobachtungen, so fällt auf, dass es sich überwiegend um Inhaltszu‐ sammenfassungen handelt. Das Material wird zusammengefasst (E18w, Pb17m), paraphrasiert (Pa19w), bewertet (Pc3m) und zitiert (H5m). Die Ausführungen zeigen, dass sich die Schüler: innen mit dem Material auseinandergesetzt und dieses in weiten Teilen zutreffend verstanden haben. Niemand hat jedoch explizit Argumente aus den Materialien herausgearbeitet. Am ehesten noch lassen sich die Beobachtung von E18w als Basis für das Formulieren eines Arguments verwenden; im Endtext lässt sich bei dieser Schülerin ein Anstieg von einem auf drei Argumente feststellen. An einem weiteren Material - M 4 - sollen diese Annahmen überprüft werden; dabei werden die Eintragungen derselben Schüler: innen betrachtet (s. Tab. 12). Es handelt sich um einen in der FAZ veröffentlichten Artikel mit dem Titel Krasse Typen, schwache Teenies, der Studienergebnisse zur Wirkung von Gewaltspielen auf das Verhalten der Konsument: innen aufzeigt. Der Artikel hat mit seinem hohen Informationsanteilen Berichtcharakter, Wortwahl und Passagen der Stellungnahme lassen die Grenze zum Kommentar jedoch brüchig erscheinen. 222 III Unterrichtspraxis Fördern Gewaltdarstellungen in den Medien ein gewalttätiges Handeln? Textsorte Inhaltliche Po‐ sitionierung Argumente Zweck des Materials E18w Zeitungsar‐ tikel + Jugendliche identifi‐ zieren sich mit dem Charakter des Prota‐ gonisten, Brutalität wird massiv gefördert positionie‐ rend, bewertend Pa21w Auswertung Studien (contra) neutral • Zahlen & Fakten (keine eig. Mei‐ nung) • Beispiele • Darstellung von Befragungen • stellt Zahlen & Fakten in einem Text dar Pa19w Bericht neutral / pro • Es gibt keine Posi‐ tionierung → Gefahr hinweisung Darstellung auf die Gefahr der Spiele Bsp. Teenies Pc3 m Artikel Gegen Video‐ spiele Studienbeweis, Spieler nehmen Charakter der Protagonisten an Aufklärung Pb17 m Onlineartikel Bezug auf Studie + • Beruft sich auf Studie • Zusammenhang zwischen Gewalt‐ spielen und Dro‐ genkonsum, Ge‐ waltbereitschaft … Information, Positioniert, Aufklären H5 m Sachtext contra Spieler nehmen Cha‐ rakter der Protago‐ nisten an Aufklärung / info Tab. 12: Zum Umgang mit der Intervention in Bezug auf M4 Während die Beurteilung der Intention des Materials den Schreibenden über‐ wiegend leicht fällt und der informierende, aufklärende Charakter erkannt wurde - dies korreliert auch mit den Bemerkungen zur Textsorte, die den sachlichen Charakter des Materials betonen -, zeigen sich Probleme, die Po‐ sitionierung des Materials zu bewerten. Während bei E18w die angeführten Informationen sich mit der Positionierung decken, beschreiben Pa19w, Pc3 m und H5 m den negativen Einfluss der Spiele, notieren bei der Positionierung jedoch „contra“. Bei Pc3 m verdeutlicht der Kommentar „Gegen Videospiele“, dass die inhaltliche Positionierung des Materials gegenüber Videospielen, nicht 223 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 111 Dieser Schüler notiert nur bei M5 - dem Songtext - „Pro Gewalt“. aber der Einfluss der Medien auf den Konsum wiedergegeben wird. 111 Auch bei der Schülerin Pa21w wird deutlich, dass mit der Positionierung die Haltung gegenüber Gewaltdarstellungen in den Medien und nicht der Einfluss der Medien auf das Verhalten wiedergegeben wird. Diese Gewichtung wird ebenso in der abschließenden Rede beibehalten. Auch bei der Rubrik Zweck wird ausschließlich der Inhalt dargestellt. Betrachtet man die in der Rubrik Argumente angeführten Bemerkungen, so weisen diese Parallelen mit denen zu M3 auf (s. Tab. 11). Dies ist insofern erstaunlich, da das Material explizit Argumente für den Einfluss des Medi‐ enkonsums auf den Konsumenten anführt. Während in der Rezension die Aussagen und die mögliche Ironie des Rezensenten gedeutet werden müssen, führt M4 überwiegend Informationen und Argumente an, beispielsweise, dass die Identifikation der Spieler: innen mit einer Spielfigur Auswirkungen auf das Verhalten in der Realität habe und sich daraus Risiken für die Konsument: innen ergäben. Dieses Argument findet sich nur bei E18w. Pc3 m und H5 m deuten den Aspekt an, ziehen jedoch keine Konklusion und verlassen somit nicht die beschreibende Ebene. Vergleicht man die in der Tabelle angeführten Aspekte mit den Umsetzungen in der am Ende verfassten Rede, so fällt auf, dass die plausible Wiedergabe und Bewertung der Materialien von E18 m in der Tabelle mit der Umsetzung in der am Ende verfassten Rede korreliert: Die Schülerin nimmt eine differenzierte Positionierung vor, adressiert und situiert die Rede angemessen und die Anzahl der angeführten Argumente steigt von zu Beginn 1 auf 3. Schüler Pb17 m hingegen führt auch in seiner Abschlussrede trotz Beschäftigung mit den Materialien kein einziges Argument an; der sich in der Tabelle abzeichnende überwiegend beschreibende Charakter setzt sich in der Rede fort. Schüler Pc3 m vertritt in seiner Rede die Position, dass Gewaltdarstellungen keinen Einfluss auf das Verhalten den Konsumenten haben; dies deckt sich mit der zuvor skizzierten Bewertung der Materialien. Die Anzahl der angeführten Argumente bleibt bei 1, eine Adressierung und Situierung wird nicht vorgenommen. Daraus lassen sich folgende Schlussfolgerungen ableiten: Die Intervention zeigt trotz gewissenhafter Bearbeitung nur bedingten Erfolg. Dies liegt zum einen an der Aufgabenstellung, die von den Schreibenden zunächst erfordert, sich selber zu Gewaltdarstellungen in den Medien zu positionieren, um in einem nächsten Schritt den Einfluss der Medien zu beurteilen. Dieser zweite Schritt wurde, wie die angeführten Beispiele im Umgang mit M3 und M4 zeigen, von einer großen Anzahl an Schülerinnen und Schülern nicht vollzogen. Damit ist 224 III Unterrichtspraxis aber auch die Intervention Anleitung zum Umgang mit den Materialien und die Bewertung der Materialien in Bezug auf die Intention, die enthaltenen Argu‐ mente und die daraus resultierende Positionierung nur bedingt erfolgreich. Der zweite Aspekt betrifft das Anführen von Argumenten. In einigen Fällen haben die Schüler: innen den Materialien Informationen entnommen und Prämissen formuliert. Die auf die Aufgabenstellung bezogene Konklusion aber fehlt fast vollständig. Vor allem die ausbleibende sprachliche und inhaltliche Verbindung zwischen Prämisse und Konklusion sorgt dafür, dass die Reden häufig stärker informieren, denn argumentieren. Sollte das Ausfüllen der Tabelle im Rahmen der Unterrichtseinheit den Schreibprozess vorentlasten und strukturieren, so konnte dieser Zweck nur bedingt erfüllt werden. Damit Schüler: innen erfolgreich mit diesem Instrument arbeiten können, wäre es erforderlich gewesen, die Aufgabe mit der ihr enthal‐ tenen Zweischrittigkeit der Positionierung zu entfalten und im nächsten Schritt den Aufbau und das Formulieren von Argumenten einzuüben. Die Tatsache, dass diese beiden Aspekte nicht explizit gefordert bzw. durchgeführt wurden, erklärt, dass die weiteren Interventionen nur zum Teil erfolgreich verlaufen und die Endtexte in Bezug auf den argumentativen Charakter, unabhängig von der abnehmenden Motivation der Schreibenden, nur eine geringe Weiterentwick‐ lung aufweisen. Eine abschließende Bewertung der Umsetzung der kommunikativen Funk‐ tionen der Rede zeigt, dass das Formulieren der Anreden, Ansprache und das Vornehmen der Situierung überwiegend intuitiv erfolgen und keiner großen Anleitung bedürfen. Je länger sich die Schüler: innen im Rahmen der Unter‐ richtseinheit mit der Thematik beschäftigen, desto mehr Aspekte werden thematisiert, die beim Schreiben berücksichtigt werden müssen. Dies erklärt, dass in einigen Endtexten beispielsweise eine Anrede, die im Prätext angeführt wurde, vergessen wird. In der Nachbesprechung gaben mehrere Schüler: innen an, dass sie nicht glaubten, dass zwischen den beiden im Rahmen der Un‐ terrichtseinheit verfassten Reden ein Unterschied bestehe. Diese subjektive Einschätzung deckt sich nicht mit den tatsächlichen Ergebnissen; die Endtexte fallen bei vielen deutlich differenzierter und kohärenter aus. III.2.2.5 Zusammenfassung der Ergebnisse Die empirische Studie liefert Erkenntnisse für die Konzeption von Aufgaben und Interventionen. Die sich daraus ableitenden Konsequenzen werden im Folgenden skizziert. Das Thema der Aufgabenstellung weist einen Lebenswelt‐ bezug und eine Strittigkeit auf und ermöglicht unterschiedliche Positionie‐ rungen der Schüler: innen. Als besondere Herausforderung hat sich die in der 225 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 112 Siehe Kapitel II.1. Aufgabe angelegte Zweigliedrigkeit erwiesen, die von den Schreibenden eine Positionierung gegenüber den Medieninhalten und gegenüber der Frage einer Beschränkung des Konsums erfordert. Die dreifache Adressierung der Aufga‐ benstellung an Schüler: innen, Eltern und Lehrer: innen bietet zwar Gestaltungs‐ spielraum, erschwert aber auch die gedankliche und sprachliche Präzisierung. Je weniger Erfahrungen die Schüler: innen mit einem adressatenbezogenen Schreiben haben, desto eher bietet es sich an, in diesem Zusammenhang eine Vereinfachung in Form einer Reduktion der Adressat: innen vorzunehmen. Diese Komplexität macht - soll erfolgreich argumentiert werden - im Rahmen der In‐ terventionen eine Aufgabenrepräsentation nötig, die die Strittigkeit der Aufgabe entfaltet und einen Zusammenhang zwischen der geforderten Positionierung, den Argumenten, den in den Materialien präsentierten Informationen, den kommunikativen Funktionen des Zieltextes sowie dem eigenen Weltwissen herstellt. Aus diesem Grund muss sie vor dem eigentlichen Schreibprozess stattfinden. Diese Ergebnisse decken sich mit der dominanten Rolle, die die Aufgabenrepräsentation im Schreibmodell von Hayes et al. einnimmt. 112 Die Rede als Zieltext hingegen ist für eine Mittelstufeneinheit prinzipiell geeignet. Das zeigt die Umsetzung von zahlreichen kommunikativen Funktionen bereits in den Prätexten. Auch die für die Rede übliche Ich-Form erleichtert es den Schülerinnen und Schülern, sich zu der vorliegenden Thematik zu positionieren. Wesentliche Merkmale einer Rede sind ihnen vertraut und müssen nicht explizit eingeführt werden. Die kreativen Umsetzungen der Schüler: innen im Kontext der kommunikativen Funktionen zeigen, dass das Aufgabenformat des materialge‐ stützten Schreibens und die Konkretisierung der Rede einen Fokus nicht allein auf die analytischen Schreibkompetenzen legen und Entfaltungsspielräume eröffnen. In Bezug auf die Materialauswahl konnte gezeigt werden, dass unterschied‐ liche Positionen berücksichtigt wurden. Es zeigt sich jedoch, dass die Gegenposi‐ tion in den Materialien unterrepräsentiert ist. Ob sich dadurch allerdings die Art der Positionierung oder die Qualität der Argumentation verändert hätte, bliebe zu diskutieren. Die Untersuchung hat zudem bewiesen, dass eine besondere Herausforderung jene Materialien darstellen, die eine Interpretation erfordern. So müssen die Intentionen der Autor: innen bzw. der Erzähler: innen zunächst ge‐ deutet werden, um dann in einem nächsten Schritt für die eigene Argumentation genutzt werden zu können. Je weniger ausgeprägt das Medialitätsbewusstsein der Schüler: innen ist, desto schwieriger fällt ihnen der Umgang mit diesen Materialien. Das wurde vor allem im Umgang mit dem Romanausschnitt, der Rezension und den Lyrics deutlich. Der Umstand, dass unterschiedliche 226 III Unterrichtspraxis 113 Die Interventionen wurden ausschließlich auf der Basis der entstandenen Texte und der Auswertungsgespräche analysiert; eine Videographie fand nicht statt. Textsorten nebeneinander präsentiert werden und in der Regel graphisch nicht voneinander abgehoben werden, erschwert zusätzlich eine Kontextualisierung der Materialien. Sollen Schüler: innen im Umgang mit Materialien unterstützt werden, kann es sich anbieten, eine Textsortenzuordnung durch eine graphische Gestaltung, z. B. der Präsentation in Spaltenform für journalistische Texte, zu erleichtern. Werden in Materialien ironische Aussagen präsentiert, bereitet dies den Schreibenden große Probleme: So kommt es vor allem bei der Deutung des Cartoons zu Missverständnissen. Gerade für Schüler: innen der Mittelstufe, die in der Regel einen ersten Kontakt mit dem Aufgabenformat haben, ist es sinnvoll, auf Materialien, die ironische Aussagen oder extreme Positionen vertreten, zu verzichten. Eine weitere Schwierigkeit stellt das Einbringen der Materialien dar. Da den Rezipient: innen des Zieltextes die Quellen nicht vorliegen, muss der Inhalt nicht nur wiedergegeben, sondern in die eigene Argumentation integriert werden. Die Kompetenzen des Belegens von Aussagen, die im Rahmen von Inhaltsangaben, Interpretationen oder Erörterungen erlangt wurden, müssen für materialgestützte Schreibaufgaben modelliert werden. Dieses Erfordernis zeigte sich besonders in der Auseinandersetzung mit dem Cartoon. Im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Schüler: innen, Materialien in den eigenen Text einzubinden, wurde die Notwendigkeit, sich in einer Intervention mit dem Ver‐ gleich näher auseinanderzusetzen, falsch eingeschätzt. Rückblickend benötigen die Schüler: innen dringender Interventionen zum Aufbau und Formulieren von Argumenten und zur Transformation der Informationen der Materialien für die eigene Textproduktion. Nimmt man die Schreibprodukte im Ganzen in den Blick, so signalisiert besonders die Analyse der Argumente und der Positionierung, dass bei den Schreibenden eine starke Orientierung am Textmuster der Erörterung vorliegt: Dies betrifft die Lokalisierung der eigenen Positionierung am Ende der Rede ebenso wie das Nebeneinanderstellen von Pro- und Contraargumenten. Die durchgeführten Interventionen 113 zeigen aber gerade im Hinblick auf den Um‐ gang mit Materialien und die Positionierung nur eine eingeschränkte Wirkung. Um hier eine höhere Wirksamkeit zu erzielen, sind zwei Schwerpunktsetzungen nötig: Die erste betrifft die Aufgabenrepräsentation. Wenn den Schülerinnen und Schülern nicht bewusst ist, zu welcher Thematik sie sich positionieren müssen, können sie weder die Materialien zielgerichtet auswerten noch prä‐ zise argumentieren. Der zweite Schwerpunkt muss auf dem Formulieren der 227 III.2 Die empirische Studie in der Mittelstufe 114 Inwieweit die Qualität des Unterrichts und der Lehrkraft selber eine Rolle spielt, kann nicht beurteilt werden. 115 Philipp, Maik: Grundlagen der effektiven Schreibdidaktik und der systematischen schuli‐ schen Schreibförderung. Baltmannsweiler: Schneider 2017. S. 47. Argumente liegen. Ein Zusammenhang zwischen der eigenen Positionierung und dem Anführen von Argumenten wurde zwar in der ersten Intervention angebahnt. Da aber elementare Kenntnisse im Aufbau von Argumenten fehlen, war diese nur für wenige Schüler: innen zielführend. Für den Erfolg der Unterrichtseinheit spielen neben der Aufgabenkonzeption und den durchgeführten Interventionen das Unterrichtarrangement selbst eine zentrale Rolle. Signifikant sind in diesem Zusammenhang die Beobachtungen zur Klasse E. Die am Ende der Unterrichtseinheit stattfindende Leistungskontrolle sorgte für eine gewissenhaftere und ausführlichere Bearbeitung als in den anderen Klassen. 114 Dies wirkt sich vor allem auf die Materialeinbringung und die Argu‐ mentation positiv aus. Auch die Dauer der Unterrichtseinheit spielt hier eine Rolle und belegt die in der Schreibforschung sich durchsetzende These, dass Schreiben im Unterricht stattfinden muss. Diese Notwendigkeit ist insofern gegeben, da empirisch belegt ist, dass die Schreibzeit im Unterricht mit zunehmendem Alter abnimmt: „Je älter die Heranwachsenden werden, desto kürzer werden die Texte und desto seltener schreiben die Schüler zu verschiedenen Anlässen. Kurzant‐ worten und Arbeitsblätter dominieren zusehends das schulische Schreiben, was wenig Planung und/ oder Revision erfordert.“ 115 Vor allem in der Mittelstufe erfordert eine erfolgreiche Einführung und Etablierung des Aufgabenformats, dass Schreiben im Unterricht stattfindet und die Einheiten curricular aufeinander abgestimmt werden; dies betrifft vor allem die Einführung der Erörterung und den Umgang mit Verweisen. Sollen journalistische Zieltexte umgesetzt werden, so ist auch hier eine curriculare Abstimmung erforderlich. III.3 Die empirische Studie in der Oberstufe III.3.1 Aufgabenkonzeption und Analysekriterien einer materialgestützten Schreibaufgabe in der Oberstufe Das Erkenntnisinteresse der zweiten empirischen Untersuchung liegt zum einen darin, die Komplexität des Aufgabenformats vor allem im Hinblick auf die Ein‐ führung des materialgestützten Schreibens als Abiturformat präziser beschreiben zu können. Zum anderen geht es um die Beurteilung der Wirksamkeit der Interventionen. Damit greifen deskriptive und explanative Konstrukte der Inter‐ 228 III Unterrichtspraxis 116 Als Grundlage dieser Einschätzung dient ein Vergleich der Abituraufgaben der Bun‐ desländer, die bereits das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens eingeführt haben. Hier kristallisiert sich der Kommentar als Zieltext für die Oberstufe heraus. Nur Baden-Württemberg hat sich für eine Einführung des Essays als Zieltext entschieden. 117 Hier sind besonders die Themenfelder Q1. 4 „Romantische Spiegelungen“ und Q.1. 5 „Emanzipation und Aufklärung“ mit den Schlüsselthemen der „Vernunft, Mündigkeit, Toleranz, Tugend“ zu nennen. Siehe Hessisches Kultusministerium: Kerncurriculum gymnasiale Oberstufe Deutsch. Wiesbaden 2016. URL: https: / / kultusministerium.hess en.de/ sites/ default/ files/ media/ kcgo-d.pdf. S. 38. ventionsstudie ineinander. Da die in der Mittelstufe entstandenen Texte als theoriegenerierende Produkte verstanden werden, die den Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung der Aufgaben, Interventionen und somit von Unterricht ermöglichen, sollen Mittel- und Oberstufenstudie kausal betrachtet werden. Das bezieht sich auf den Aufbau und die Durchführung der Studie, die Aufgabenkon‐ struktion sowie die Evaluation. Diese Trias ist bei beiden Studien weitgehend iden‐ tisch und soll nur dann näher erläutert werden, wenn Abweichungen vorliegen. So sind die Merkmale einer profilierten Aufgabe und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Konstruktion von Interventionen in Kapitel III.3. 1 im Rahmen der Mittelstufenaufgabe ausführlich dargestellt worden. Die Abweichungen betreffen auf der Ebene der Aufgabenkonstruktion den Umgang mit den Materialien. Hier ist neben der Menge und Art der verwen‐ deten Materialien vor allem die Rolle der Literatur und damit verbunden das Einbringen literarischer Texte von Interesse. Die Strittigkeit des Themas muss im Zusammenhang mit der Domänenspezifik betrachtet werden. Für die Auswertung gilt es, die Anzahl der Argumente und die Positionierung zu berücksichtigen. Es muss geklärt werden, wie sich die Aufgabenrepräsentation gestaltet und auf welche Textmuster die Schüler: innen zurückgreifen. Die dritte Ebene betrifft den Zieltext des Kommentars und die damit verbundenen kom‐ munikativen Funktionen, die umgesetzt werden müssen. Vor dem Hintergrund, dass sich in der didaktischen Diskussion eine Reduktion der verwendeten Zieltexte und eine Festlegung auf den Kommentar andeutet, 116 sind folgende Fragen relevant: Welche Textsortenkenntnisse liegen bei den Schülerinnen und Schülern vor? Erschwert die journalistische Form des Kommentars, der in der Regel auf die Ich-Form verzichtet, eine Positionierung? Die Thematik der Aufgabe weist ein hohes Maß an Domänenspezifik auf und knüpft an die Inhalte der gymnasialen Oberstufe, besonders der Qualifika‐ tionsphase 1, in Hessen an. 117 Damit ist gewährleistet, dass über die Rolle der Literatur im Kontext materialgestützter Schreibaufgaben und eine Verzahnung der unterschiedlichen Aufgabenformate des Interpretierens, Erörterns und 229 III.3 Die empirische Studie in der Oberstufe 118 Den Probanden werden als Material das romantische Gedicht In der Fremde von Joseph von Eichendorff sowie die Parabel Gibs auf von Franz Kafka zur Verfügung gestellt. 119 Eine Übersicht der Materialien befindet sich im Anhang 6 dieser Arbeit. 120 So ist dieser Text bereits in Schulbücher aufgenommen und wurde im hessischen Abitur 2009 im Rahmen einer LK-Aufgabe verwendet. Das Material weist somit einen gewissen Grad an Kanonisierung auf. des materialgestützten Schreibens diskutiert werden kann. Die Anzahl der Sachtexte ist aus diesem Grund geringer als in der Mittelstufenaufgabe gehalten. 2015 hat die 17jährige Schülerin Naina mit ihrem Tweet eine Diskussion über die Aufgaben und Inhalte schulischer Bildung angestoßen. In Deutschland müssen alle Schüler bis zu ihrem jeweiligen Schulabschluss verpflichtend das Fach Deutsch be‐ legen. In der gymnasialen Oberstufe werden überwiegend literarische Texte analysiert und interpretiert. Verfassen Sie einen Kommentar für die Wochenzeitschrift DIE ZEIT aus Ihrer Per‐ spektive, der zu der Frage Stellung nimmt, ob Schüler der gymnasialen Oberstufe heutzutage noch einen verpflichtenden Literaturunterricht brauchen. Die Strittigkeit der Aufgabe liegt in der Bewertung der Bedeutung des Literatur‐ unterrichts für die Schüler: innen. Das Thema sowie zwei literarische Texte, 118 die als Materialien 119 präsentiert werden, knüpfen an die Inhalte der gymnasialen Oberstufe gleichermaßen wie an die Lebenswelt der Heranwachsenden an. Mit Peter Bichsels Betrachtungen Eigenartige Leute - Leser zum Beispiel sowie dem Auszug aus Peter Bieris Essay Was wäre ein selbstbestimmtes Leben? werden zudem Materialien aufgenommen, die im Rahmen des Literaturunterrichts regelmäßig thematisiert werden. So kann davon ausgegangen werden, dass vor allem Bieris philosophische Betrachtungen zur Bedeutung der Bildung, die sich in Bezug auf die Textsorte an der Grenze zwischen einem Sachtext und einem literarischen Text bewegen, einigen bereits bekannt sind. 120 Die Auswahl an Materialien knüpft somit an das Vorwissen der Schüler: innen im Umgang mit Literatur an. Die Aktualität des Themas ist durch den Tweet gegeben, ein Lebensweltbezug durch die Position der Schülerin Naina hergestellt. Da alle Schreibenden verpflichtend Deutschunterricht haben, sollte eine Positionierung zum Bildungsauftrag der Schule im Allgemeinen und zur Literatur im Besonderen möglich sein. Für die Materialauswahl sind noch zwei weitere Texte relevant, die in dieser Form nicht in der Mittelstufe vorkommen. So dient ein Tweet (M1), der bereits in der Aufgabenstellung aufgenommen wird, als Grundlage der Debatte. Mit M3 - einem Kommentar in der ZEIT von Ulrich Greiner zum Thema Schönheit muss man lernen - wird den Probanden nicht nur eine Position zu der Debatte zur Verfügung gestellt, sondern auch ein Mustertext für das Verfassen eines 230 III Unterrichtspraxis 121 Köster, Pabst (2017), S. 16 122 Die Schüler: innen erhalten in einer Graphik eine Übersicht von Funktionen des Literaturunterrichts. 123 Hessisches Kultusministerium: Lehrplan Deutsch. Gymnasialer Bildungsgang. Jahrgangs‐ stufe 5 bis 13. Wiesbaden. URL: https: / / kultusministerium.hessen.de/ sites/ default/ files/ med ia/ g9-deutsch.pdf Obwohl die Bildungsstandards und Kerncurricula die Lehrpläne abgelöst haben, greift eine Mehrzahl an Lehrkräften mangels fehlender eigener Schulcurricula weiterhin auf Lehrpläne und die darin konkretisierten Umsetzungsvorschläge zurück. 124 Ebd. S. 33 Kommentars. Für die Materialauswahl gilt, was bereits für die Mittelstufe festgestellt wurde: „Was an einen Text zum Material wird, muss sich offenkundig nicht auf die Information beschränken. Die Benutzung kann sich auch auf bestimmte rhetorische Figuren, ein bestimmtes Vokabular, eine bestimmte Sprecherposition oder Adressierungsstrategie beziehen.“ 121 Da im Prätest primär die Konzepte, die Schülerinnen und Schülern beim Bearbeiten einer material‐ gestützten Schreibaufgabe zur Verfügung stehen, analysiert werden sollen, werden neben Tweet und Kommentar noch eine reine Informationsquelle 122 und ein Essay, der eine Mittlerrolle zwischen Sachtext und Literatur einnimmt, präsentiert. Dass an dieser Stelle kein explizit literarischer Text ausgewählt wurde, kann mit der antizipierten Schwierigkeit der Texttransformation, die in der Mittelstufe diagnostiziert wurde, begründet werden. Ein Anliegen der empirischen Untersuchung ist es, die Anforderungen, die sich an das Schreiben eines Kommentars stellen, präzise zu beschreiben und daraus Konsequenzen für die Zieltextauswahl und die Konstruktion von Interven‐ tionen abzuleiten. Textsortenkenntnisse können insofern erwartet werden, als dass spätestens am Ende der Mittestufe journalistische Formen im Unterricht thematisiert werden. Dabei ist besonders das Verfassen von Nachrichten und Berichten curricular vorgesehen. Ergänzend wird mit meinungsbildenden Texten, u. a. dem Kommentar, gearbeitet. Auch wenn die spezifischen Merkmale der Textsorte nicht präsent sein sollten, ist zu erwarten, dass die kommunikativen Funktionen anderer journalistischer Texte auf den Kommentar übertragen werden können. Dies betrifft beispielsweise das Verfassen einer Überschrift, das Anführen von Informationen, Denkanstößen oder den Bezug auf die vorliegende Debatte. Während in den aktuellen Bildungsstandards Deutsch für die Sekundarstufe I journalistische Formen, u. a. auch der Kommentar, nicht mehr explizit angeführt werden, sondern die Medienrezeption und -reflexion übergeordnet thematisiert werden, finden sich im Lehrplan Deutsch für den gymnasialen Bildungsgang 123 noch explizit Angaben zu einzelnen journalistischen Formen. So ist für die Klassen 8 und 10 die Auseinandersetzung mit dem „Kommentar als meinungsbildenden Text“ und die „Abgrenzung von Nachricht und Kommentar“ 124 vorgesehen. 231 III.3 Die empirische Studie in der Oberstufe 125 Ein Muster des Auswertungsbogens befindet sich im Anhang 7. 126 Siehe dazu auch Kapitel II.1. 1. 127 Zwei Seminargruppen an der Philipps-Universität Marburg haben an einem Seminar zum materialgestützten Schreiben teilgenommen und die Aufgabe zum Einstieg ver‐ fasst. Da die Studierenden in der Regel bisher keinen Kontakt mit dem Aufgabenformat hatten, sollten erste Erfahrungen mit dem Aufgabenformat gesammelt werden, um die Komplexität der Aufgaben bewerten und Konsequenzen für die Aufgabenkonstruktion ableiten zu können. Zusätzlich haben noch Studierende eines sprachwissenschaftlichen Seminars die Aufgabe bearbeitet. 128 Siehe Anhang 8. Das Thema der Aufgabenstellung und die Festlegung des Zieltextes erfordern von den Schreibenden demnach eine informierend ausgelegte Darstellung der Debatte, eine eindeutige Positionierung und darauf aufbauend ein argumen‐ tierendes Schreiben. Um auch die stilistischen und kommunikativen Besonder‐ heiten des Zieltextes berücksichtigen zu können, fokussiert eine Intervention auf M3 als Mustertext, aus dem die stilistischen und strukturellen Besonder‐ heiten des Kommentars herausgearbeitet werden sollen. In einem zusätzlichen Informationstext über den Kommentar wird explizit auf die informierenden und argumentierenden Anteile und die kommunikativen Funktionen des Kom‐ mentars abgehoben. Diese Merkmale stellen die Grundlage der standardisierten Auswertungsbögen dar, mit denen die Schüler: innentexte analysiert werden. 125 Auf der Basis dieser Informationen sollen die Schüler: innen die Merkmale des Kommentars an M3 nachweisen sowie die Positionierung und das Verweisen des Autors auf andere Positionen untersuchen. Die weiteren Interventionen der Unterrichteinheit konzentrieren sich auf die Aufgabenrepräsentation in Form der Komponentenanalyse 126 und das Her‐ stellen von Evidenz. Zum Umgang mit der Überfülle an Materialien wird mit der bereits in der Mittelstufe verwendeten tabellarischen Übersicht gearbeitet. Das Arbeiten mit derselben Intervention soll Rückschlüsse über Alterseffekte beim Schreiben ermöglichen. Zusätzlich zu der empirischen Untersuchung mit fünf Oberstufenkursen haben im Rahmen von literatur- und sprachwissenschaftlichen Seminaren 57 Studierende des Höheren Lehramts diese Aufgabe durchgeführt. 127 Im Anschluss an das Verfassen der Aufgabe haben die Studierenden einen Fragebogen 128 ausgefüllt, der Aufschluss über die Schwierigkeiten beim Schreiben, das Ver‐ wenden von Schreibstrategien, das Verständnis der Aufgabe und den damit verbundenen Erfordernissen für die Planung von Interventionen gibt. Im Rahmen dieser empirischen Studie sollen überwiegend die Ergebnisse des Fragebogens ausgewertet werden. Diese Angaben werden als Expertenaussagen gewertet, die denen von Schreibnoviz: innen gegenübergestellt werden. Die 232 III Unterrichtspraxis 129 Das bedeutet, dass die Schüler: innen von ihren regulären Deutschlehrkräften unter‐ richtet wurden und die Unterrichtseinheit nicht videographiert wurde. 130 Q steht in diesem Zusammenhang für Qualifikationsphase; es handelt sich um die letzten beiden Jahre der Oberstufe, die zum Abitur hinführen. 131 Die Untersuchung wurde mit vier Grundkursen (GK) und einem Leistungskurs (LK) durchgeführt. zusätzlichen Daten sollen helfen, Tendenzen, die sich bei der Auswertung der Schüler: innentexte andeuten, einzuschätzen. III.3.2 Auswertung der empirischen Studie in der Oberstufe III.3.2.1 Rahmenbedingungen der empirischen Untersuchung Die empirische Untersuchung wurde mit fünf Kursen - davor vier Grundkurse und ein Leistungskurs - in zwei Marburger Gymnasien durchgeführt (s. Tab. 13). Das Setting entspricht dem der Mittelstufe: 129 Die Lehrer: innen haben zuvor eine mündliche Instruktion und im Anschluss eine schriftliche Ausformulierung der Interventionen erhalten. Zu Beginn wurde ein Prätest mit einer reduzierten Anzahl an Materialien durchgeführt (s. Tab. 14). Mit einem Kurs (PGKb) fand im Anschluss ein einstündiges Auswertungsgespräch statt. Schule Kürzel der Schule Klassen‐ stufe Dauer der Durch‐ führung Anzahl an Schülern w m Teilnehmer am Prä‐ test End‐ test 1 PGKa Q1 130 (G9) 22.10- 7. 11. 18 9 5 4 9 6 2 PGKb Q1(G9) 3. 12.18- 14. 1. 19 17 12 5 17 17 2 PGKc Q1(G9) 10.9- 5. 10. 18 11 7 4 9 10 2 EGK 131 a Q1(G9) 10. 12.18- 14. 1. 19 23 17 6 22 17 3 ELKb Q1(G9) 3.12- 12. 12. 18 8 8 0 8 8 68 49 19 65 58 Tab. 13: Allgemeine Daten zur empirischen Erhebung in der Oberstufe 233 III.3 Die empirische Studie in der Oberstufe 132 In Hessen ist dies die der Qualifizierungsphase vorausgehende Jahrgangsstufe. 133 Siehe hierzu Kapitel I.1. Spielen die Vorkenntnisse, die Schüler: innen in Bezug auf das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens haben, eine Rolle, um die vorliegenden Präkonzepte beim Schreiben zu beurteilen, so gestalten sich die Ergebnisse weniger eindeutig als im Rahmen der Mittelstufeneinheit. Zwar geben alle durchführenden Lehrer: innen an, dass dies die erste Unterrichtseinheit ist, die sie explizit zum materialgestützten Schreiben mit dem jeweiligen Kurs durchgeführt haben. Da die Kurse in der Einführungsphase 132 jedoch von un‐ terschiedlichen Lehrkräften unterrichtet wurden und zahlreiche Schüler: innen erst zum Eintritt in die gymnasiale Oberstufe zu den jeweiligen Gymnasien gewechselt haben, lässt sich nicht rekonstruieren, welche Vorkenntnisse vor‐ liegen. Dies liegt auch in dem Umstand begründet, dass diejenigen, die zuvor Gesamtschulen besucht haben, in der Regel für den Mittleren Bildungsabschluss bereits mit dem Aufgabenformat in Kontakt gekommen sind, ohne dass die Begrifflichkeiten explizit eingeführt worden sind. 133 Rückschlüsse über den Erfolg der Interventionen sind demnach weniger eindeutig zu ziehen, als wenn es sich nachweislich um einen Erstkontakt mit dem Aufgabenformat handelt. Einbringung der Materialien Prä‐ test M1 M3 M2 M4 End‐ test M1 M2 M3 M4 M5 M6 M7 M8 Tweet Ge‐ dicht Kom‐ mentar Gra‐ phik Philoso‐ phi‐ scher Beitrag Ko‐ lumne Erzäh‐ lung Sach‐ beitrag Prä‐ text 44 38 31 30 End‐ text 48 5 26 26 32 12 0 23 Tab. 14: Materialeinbringung Betrachtet man die Zahlen der an der Untersuchung teilnehmenden Schüler: innen (s. Tab. 13), so fallen einige Besonderheiten ins Auge, die für die Konzeption von Interventionsstudien eine wichtige Rolle spielen. Während bei 234 III Unterrichtspraxis 134 Siehe dazu auch Feilke (2017a), S. 8 PGKb Texte des ganzen Kurses und bei EGKa diese fast vollständig vorliegen, ist in den anderen drei beteiligten Kursen eine große Streuung zu beobachten. Dies liegt an einem lehrer: innenbedingten Unterrichtsausfall, der ein Einsammeln der Schreibjournale unmöglich machte (ELKb), an der Abwesenheit von fünf Schülerinnen und Schülern während der Unterrichtseinheit für einen Austausch (PGKc), aber auch an dem eingeschränkten Interesse der unterrichten Lehrkraft bzw. der mangelnden Verbindlichkeit. Dies betrifft die Durchführung der Inter‐ ventionen ebenso wie das Einsammeln oder Bewerten der Schreibjournale. So wurden in keinem der Kurse die entstandenen Schreibprodukte explizit in die Leistungsbewertung einbezogen. An dieser Stelle deutet sich bereits an, dass es sowohl für die durchführenden Lehrer: innen als auch für die Schüler: innen unüblich ist, dass im Oberstufenunterricht Schreiben stattfindet bzw. zum Thema gemacht wird. In Hessen ist der an der empirischen Untersuchung teilnehmende Jahrgang der erste, der im schriftlichen Abitur mit dem Aufgabenformat des material‐ gestützten Schreibens konfrontiert wird. Es liegen demnach von Seiten der Lehrer: innen keine Erfahrungswerte bezüglich der konkreten Aufgabenstel‐ lungen, der die Bewertung beeinflussenden Erwartungshorizonte und der tatsächlichen Themenanwahlen im Abitur vor. Wie Schüler: innen Leistungs‐ aufgaben bewältigen und welche konkreten Schwierigkeiten entstehen, ist ebenso ungewiss wie die Frage, welche Art von unterrichtlicher Vorbereitung erforderlich und zielführend ist. Diese Beobachtung korreliert mit der Tatsache, dass keiner der unterrichtenden Lehrer: innen mit dem jeweiligen Kurs zuvor einen Leistungsnachweis zum materialgestützten Schreiben geschrieben hat. Teilnehmerzahlen, Verbindlichkeit der Aufgabenbearbeitung sowie die Text‐ produkte selbst belegen, dass es in der Oberstufe deutlich schwieriger als in der Mittelstufe ist, eine komplette Unterrichtseinheit durchzuführen und die Schüler: innen zum verbindlichen Verfassen und vor allem zum Überarbeiten von Texten zu bewegen. Aus der Perspektive der unterrichtenden Lehrer: innen scheint sich die Einschätzung zu bestätigen, dass das Aufgabenformalt zur Zeit noch als Additum zu den etablierten Aufgabenformaten des Erörterns und Interpretierens aufgefasst wird. 134 Zwar sei das Aufgabenformat des mate‐ rialgestützten Schreibens aus Sicht der unterrichtenden Lehrer: innen in der Lage, Schreibkompetenzen zu vermitteln. Da aber keine explizite Anbindung an literaturwissenschaftliche Unterrichtsinhalte stattfinde, fällt es den Lehrkräften schwer, Zeit für das Schreiben zu reservieren. Diese Beobachtung deckt sich auch mit den Daten der Umsetzungsdauer, die von eineinhalb bis vier Wochen 235 III.3 Die empirische Studie in der Oberstufe 135 Siehe Philipp (2017), S. 56 ff. 136 Zum Vergleich: In der Mittelstufe lagen die Werte im Prätest bei 7,8 %, im Endtest bei 2 %. variiert. Soll das Aufgabenformat jedoch erfolgreich implementiert werden, ist ein Umdenken bei der Unterrichtsplanung und -gestaltung notwendig. III.3.2.2 Der Umgang mit den Materialien Im Umgang mit den Materialien zeigt sich, dass ältere Schüler: innen mehr Informationen aus den Materialien in ihre eigenen Texte integrieren. So werden im Prätest durchschnittlich 2,33 Materialien eingebracht, im Endtest 2,73 (s. Tab. 15). Im Vergleich dazu liegen die Werte der Mittelstufe bei durchschnittlich 1,54 bzw. 2,17. Die Informationsentnahme aus den Materialien zeigt demnach eine Altersabhängigkeit. Dies deckt sich mit den Beobachtungen Philipps im Rahmen der Auswertung von Studien zu Alterseffekten beim Schreiben mit mehreren Texten. 135 Dass es sich bei den Schülerinnen und Schülern der Oberstufe prinzipiell um routiniertere Schreiber: innen handelt, belegt auch die Tatsache, dass im Prätest nur 3 % der Schüler: innen keine Materialien verwenden, im Endtext fällt der Wert auf 0 %. 136 Ob sich auch in Bezug auf die Textqualität, beurteilt unter anderem anhand der Anzahl der Argumente und der Umsetzung der kommunikativen Funktionen, eine Korrelation zum Alter zeigt, wird im Folgenden untersucht. Prätest Endtest Prozentuale Veränderung PGKa 1,77 2,375 + 34,5 % PGKb 2,47 3,88 + 57,09 % PGKc 2,44 3,1 + 27,05 % EGKa 2,32 2,05 - 11,64 % ELKb 2,65 2,25 - 42,62 % 2,33 2,73 Tab. 15: Durchschnittliche Verwendung der Materialien pro Kurs Dass die Werte bei acht zur Verfügung gestellten Materialien insgesamt relativ niedrig ausfallen, hat zum einen motivationale Gründe, zum anderen ist dies auf die Komplexität des Aufgabenformats zurückzuführen. Dieser Aspekt wird abschließend im Rahmen der Frage der Verbindlichkeit der Materialeinbringung und der Gestaltungen von Interventionen diskutiert werden müssen. 236 III Unterrichtspraxis 137 Mit M2 - Peter Bieris philosophischen Betrachtungen Was wäre ein selbstbestimmtes Leben? - liegt allerdings ein Text vor, der sich an der Grenze zwischen einem Sachtext und einem literarischen Text befindet. Prätest M1 M2 M3 M4 PGKa 3 7 2 4 PGKb 12 9 13 8 PGKc 6 7 5 4 EGKa 19 11 12 9 ELKb 4 6 6 5 44 31 38 30 Tab. 16: Materialeinbringung innerhalb der Klassen/ Kurse im Prätest Die Materialeinbringung im Prätest gestaltet sich sowohl im Hinblick auf absolute Zahlen als auch auf die Verteilung innerhalb der Kurse ausgewogen (s. Tab. 15 und 16). Zudem werden alle Materialien berücksichtigt. Im Vergleich mit den Werten der Mittelstufe scheint die Materialauswahl den Schreibprozess der Schüler: innen zu unterstützen und die Schreibenden sind in der Lage, die unterschiedlichen Textsorten in ihren Kommentar zu integrieren. Es könnte je‐ doch kritisch angemerkt werden, dass im Prätest kein explizit literarischer Text angeboten wurde. 137 Da in der Aufgabenstellung ausdrücklich auf M1 verwiesen wird, ist eine Verwendung des Tweets nahezu zwingend und erklärt die hohen Werte sowohl in den Präals auch Endtexten (s. Tab. 17). Diese Beobachtung stärkt die These, dass es sich für die Aufgabenkonzeption anbietet, bereits einen zentralen Standpunkt materialgestützt zu präsentieren. Den Schreibenden wird der Zugang zur Thematik und zur Debatte erleichtert und sie lernen, dass Texte aufeinander Bezug nehmen. Hier zeigt sich, dass der These Kösters über die Multifunktionalität der Materialien gefolgt werden kann: Materialien haben neben informierenden auch kommunikative und rhetorische Eigenschaften. Einschränkend sei aber angemerkt, dass es sich mit M1 um den kürzesten und am leichtesten verständlichen Text handelt. 237 III.3 Die empirische Studie in der Oberstufe 138 Köster, Juliane; Pabst, Stephan: Format mit doppelter Botschaft: Materialgestütztes Schreiben in der Sekundarstufe II. In: Didaktik Deutsch 43 (2017). S. 12-18. S. 12 139 Köster, Pabst (2017), S. 13 Prätext Endtext M1 PGKa 3 / 9 33 % 6/ 6 100 % PGKb 12/ 17 71 % 17/ 17 100 % PGKc 6/ 9 67 % 6/ 10 60 % EGKa 19/ 22 86 % 15/ 17 88 % ELKb 4/ 8 50 % 4/ 8 50 % 44/ 65 68 % 48/ 58 83 % Tab. 17: Materialeinbringung des Tweets in die Reden Endtext M1 M2 M3 M4 M5 M6 M7 M8 PGKa 6 3 2 1 4 0 0 3 PGKb 17 2 13 4 10 7 0 13 PGKc 6 0 6 10 7 4 0 1 EGKa 15 0 3 7 6 1 0 3 ELKb 4 0 2 4 5 0 0 3 48 5 26 26 32 12 0 23 Tab. 18: Materialeinbringung innerhalb der Klassen/ Kurse im Endtext In den Endtexten gestaltet sich das Bild der Materialeinbringung weniger einheitlich (s. Tab. 18). Abgesehen von dem Rückgriff auf literarische Texte (M2 und M7) zeigt sich, dass die Oberstufenschüler: innen insgesamt besser als die Mittelstufenschüler: innen in der Lage sind, mit der Hybridität der Texte umzugehen. Hybridität bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die „Herkunft der zu einer Einheit verknüpften Elemente“ 138 ebenso wie auf den Umstand, dass „das Material fragmentiert und entkontextualisiert vorgelegt wird.“ 139 238 III Unterrichtspraxis III.3.2.3 Zur Rolle der literarischen Texte Hat sich bereits der Bearbeitung der Mittelstufenaufgabe angedeutet, dass die Schreibenden große Schwierigkeiten haben, den Romanausschnitt in ihre Rede zu integrieren, so werden die Ergebnisse im Rahmen der empirischen Untersuchung in der Oberstufe noch offensichtlicher: Mit M2 und M7 liegen zwei literarische Text vor, deren Autoren - Eichendorff und Kafka - den Schülerinnen und Schülern bereits aus der Mittelstufe vertraut sein dürften. Die Epoche der Romantik ist zudem Thema in der Qualifikationsphase 1. Bei beiden Texten und Autoren handelt es sich demnach um kanonisierte Inhalte, die die Schüler: innen kennen bzw. die sie kontextualisieren können. Auffällig ist, dass von den 60 Schülerinnen und Schülern niemand auf die Parabel von Kafka zurückgreift. Auf das Gedicht verweisen nur 5 Schüler: innen. Diese Werte unterscheiden sich nicht maßgeblich von denen der Studierenden: 60 % der Seminarteilnehmer: innen greifen nicht auf das romantische Gedicht zurück, 64 % nicht auf die Erzählung von Kafka und 45 % nicht auf den Essay von Peter Bichsel. Diese Zahlen verwundern besonders vor dem Hintergrund, dass es sich um Studierende des Faches Germanistik handelt. Daraus lässt sich ableiten, dass das Einbringen von literarischen Texten in eine Argumentation eine Herausforderung darstellt, obwohl in dem Thema der Aufgabe explizit die Bedeutung der Literatur verhandelt wird, die Schreibenden demnach auch zu ihrer Meinung über Literaturunterricht und -auswahl befragt werden. Auf welche Textmuster die Schüler: innen beim Schreiben zu dem bzw. über das Gedicht zurückgreifen, soll anhand von drei Textbeispielen erläutert werden. 1. Man erweitert beim Lesen seinen Horizont und erfährt individuelle Cha‐ rakterbildung. Zum Beispiel kann man aus dem Gedicht „In der Fremde“ von Joseph von Eichendorff lernen, wie es ist, ganz allein irgendwo zu sein, ohne selber die Erfahrung zu machen mit den damit verbunden oft negativen Gefühlen wie Einsamkeit und Allein sein. [PGKa2w] 2. Ebenso darf die Förderung des Lesens und Schreibens auch nicht fehlen, aber dies könnte man ja mit der Berufsorientierung in Verbindung bringen, als dass man zum Beispiel Praktikumsberichte schreibt, analy‐ siert und interpretiert und Texte liest, welche wirklich passiert sind und noch nicht lange her sind. Natürlich sollte man mal sehen wie die Menschen damals geschrieben und sich ausgedrückt haben und deshalb würden Eichendorfs, Goethes und Schillers Texte nicht zusammen bre‐ chen und in Vergessenheit geraten. [PGKb9m] 3. Im Gegensatz dazu plädiert der Artikel „Bildung 2030 Im Blick. Die Bildungspolitische Position der Arbeitgeber“, veröffentlicht auf der Web‐ 239 III.3 Die empirische Studie in der Oberstufe site www.arbeitgeber.de, dahingehend, dass wir ein Bildungssystem bräuchten, das sowohl die eigene Entwicklung des Individuums als auch die Entwicklung gegenüber der Außenwelt und anderen Personen fördern sollte. Dies solle jedoch vielmehr durch Technik und Digitales als durch Literatur geschehen. Texte die zeitlich weit zurück liegen wie zum Beispiel das Gedicht „in der Fremde“ von Joseph von Eichendorff erinnern daran, dass das Arbeiten mit Literatur, metaphorisch betrachtet, nicht sterben dürfe, damit diese nicht in Vergessenheit geraten würde. [PGKb4w] Die Beispiele zeigen, dass das Gedicht nicht gedeutet, sondern lediglich als Veranschaulichung der zuvor entwickelten Positionierungen verwendet wird. So werden der persönliche Nutzen der Literatur (PGKa2w), die Historizität von literarischen Texten (PGKb9m) und die Bedeutsamkeit von Literatur (PGKb4w) dargestellt. Demnach liegt ein anderer Lesemodus als beim Interpretieren vor. Er zielt primär auf die Informationsentnahme ab und wird komplexen literarischen Texten nicht gerecht. Dies wird besonders deutlich bei der Auseinandersetzung mit Peter Bichsels Porträt der Leser: innen (M6). Auch hier handelt es sich um einen polyvalenten, ironisch gebrochenen Text, der einer Interpretation bedarf. Der Umstand, dass nur 12 Schüler: innen darauf zurückgreifen, deutet an, dass die Schüler: innen diese Komplexität antizipieren und auf das Einbringen verzichten. 1. Peter Bichsel, ein schweizer Schriftsteller, hält die Erziehung durch Literatur für Zeitverschwendung, mit der sich „Langweiler“ in eine Traurigkeit bzw. Resignation oder Sehnsucht fliehen. Seiner Meinung nach sollte der Literaturunterricht nicht verpflichtend sein bzw. nicht gefördert werden, da es kein Beispiel für „schöne Literatur“ gibt, das man zu erreichen versuchen könnte. Der Autor nimmt also eine klare Anti-Stellung ein, die wohl hauptsächlich provozieren und unterhalten soll. (…) Ich denke wir sind in einem Alter in dem wir selbst entscheiden können welche Fächer wir als wichtig empfinden, persönlich würde ich dennoch nicht auf den Literaturunterricht verzichten, da Lesen und Schreiben einfach grundlegend sind und die Literatur eine gute Unter‐ richtsgrundlage zum Üben dieser Fähigkeiten bietet. [EGKa18w] 2. Allerdings prägen für mich die Digitalisierung und der demografische Wandel immer mehr unsere Gesellschaft und unsere Arbeitswelt. So sagt auch Peter Bichsel: „Warum sollte die Literatur unser Lesevermögen verbessern obwohl wir diese Fähigkeit schon besitzen.“ Dies ist ein weiteres gutes Argument, welches beweist das Literatur nichts mehr 240 III Unterrichtspraxis 140 Dies veranschaulicht auch das folgende Beispiel: „Im Gegensatz dazu kommen aber auch Befürworter des Literaturunterrichts zu Wort. Literatur helfe der gedanklichen Vielfalt und einer größeren Vorstellungskraft, so Peter Bieri (…)“ [PGKb2w] bringt. Ein sehr wichtiges Argument liefert allerdings schon der erste Tweet von Naina, wo es geschrieben heißt (…) [PGKb8m] 3. Für den Literaturbegeisterten kann der Deutschunterricht horizonter‐ weiternd sein und sogar zur Charakterbildung beitragen, denn Leser sind Langweiler. Nicht doch seien sie langweilig. Ein Langweiler sei schlichtweg ein Mensch, der viel Zeit hat, denn eine lange Zeit bedeutet auf Schweizer- und hochdeutsch Sehnsucht. Leser sehnen sich nach einer fremden Welt und flüchten (engl. escape) durch Literatur in diese. (…) [PGKc5w] Beispiel 1 und 2 zeigen ein mangelndes Textverständnis, nur die Schülerin PGKc5w erkennt die Bedeutung, die Bichsel den Leser: innen und der Literatur beimisst. Sie verweist allerdings nicht auf den Autor. Die Textauszüge veran‐ schaulichen das Bemühen um eine genaue Textanalyse. Diese ist jedoch sehr stark auf die Aufgabenstellung bezogen und erfasst somit den Inhalt, die Eigen‐ gesetzlichkeit und die Intention des Materials nur sehr eingeschränkt. Die Bei‐ spiele aber offenbaren noch weitere Herausforderungen des Schreibprozesses: Das für einen Kommentar eher unübliche Verwenden der Ich-Form (EGKa18w und PGKb8m) und das explizite Verweisen auf den argumentativen Charakter der Ausführungen („Dies ist ein weiteres gutes Argument“, PGKb8m) zeigt, dass die Schreibenden sich am Textmuster der dialektischen Erörterung orien‐ tieren. 140 Auch der Verweis auf den „erste[n] Tweet“ (PGKb8m) demonstriert, dass die journalistischen Eigenschaften des Kommentars nicht berücksichtigt werden. Diese exemplarischen Schüler: innenbeispiele deuten an, dass die sich in der Mittelstufe andeutenden Probleme bezüglich des Verweisens auf Material in der Oberstufe in der Regel noch nicht behoben sind. Eine zusätzliche Schwie‐ rigkeit stellt damit der Kommentar dar, der eine differenziertere Adressierungs- und Positionierungsstruktur als die Rede erfordert. Die Herausforderungen im Umgang mit Materialien liegen demnach auf inhaltlicher Ebene und im Bereich der Kontextualisierung der Inhalte. Je höher der Grad an Polyvalenz ist, desto offensichtlicher werden die Probleme. Ein Einbringen des Materials aber wird auch dadurch erschwert, dass kein unmit‐ telbarer Zusammenhang zwischen Aufgabenstellung und Material hergestellt werden kann. Wird im Material das Thema nicht explizit verhandelt, erschwert dies eine Auseinandersetzung. So liefert der Sachtext M8 aus der Perspektive der Arbeitgeber Argumente dafür, dass neue Bildungsinhalte benötigt werden, 241 III.3 Die empirische Studie in der Oberstufe 141 So führt die Schülerin PGKa2w als aus der Aufgabestellung abgeleitete Aussagen an: „heutzutage erscheint einigen verpflichtender Literaturunterricht in der gym. Oberstufe überflüssig, Literaturunterricht ist nicht unbedingt notwendig - verliert Stel‐ lung in der Gesellschaft, in der Vergangenheit war Literaturunterricht nötig/ wichtig, Literaturunterricht ist verpflichtend → Veränderung der Ansprüche“. Daraus leitet die Schülerin folgende „Leitfragen“ ab: „1. Warum soll Literaturunterricht nicht mehr not‐ wendig sein? 2. Weshalb hat sich die Einstellung zu verpflichtenden Literaturunterricht verändert? 3. Weshalb interessiert diese Frage die Zeitung und ihre Leser? 4. Gibt es eine Alternative zum verpflichtenden Literaturunterricht? “ Aus diesen Fragen leitet sie die „Eigene Position“ ab: „-Literaturunterricht ist wichtig und sollte unterrichtet werden / verpflichtend sein → allerdings an die Anforderungen der heutigen Gesellschaft / des (zukünftigen) Berufsleben angepasst sein“ Die Rede der Schülerin spiegelt mit vier verwendeten Materialien, vier Argumenten und einer klaren Positionierung diese thematische Entfaltung wider. und präsentiert Gegenargumente für die Notwendigkeit eines verpflichtenden Literaturunterrichts. Der Sachtext ist in Bezug auf Syntax und Semantik einfach verständlich. Dass er trotzdem nur relativ selten für die eigene Argumentation verwendet wird, liegt unter anderem in dem Umstand begründet, dass die Arbeitgeberposition nicht explizit auf Literatur verweist. Im Auswertungsge‐ spräch mit der Klasse PGKc haben mehrere Schüler: innen angegeben, dass sie keinen unmittelbaren Zusammenhang zur Aufgabenstellung erkannt haben. Trotz Lebensweltbezug und Einfachheit verhindert die nicht ausreichende Aufgabenrepräsentation demnach eine Materialtransformation. III.3.2.4 Aspekte der Strittigkeit Die Frage nach einem verpflichtenden Literaturunterricht in der Oberstufe erfordert von den Schreibenden eine Auseinandersetzung mit der Thematik auf unterschiedlichen Ebenen. Zum einen müssen die Schüler: innen klären, was eine gymnasiale Bildung zu leisten hat und welche Rolle in diesem Zu‐ sammenhang die Literatur einnehmen kann. Dazu müssen sie die subjektive Bedeutsamkeit der Literatur herausarbeiten und diese vor dem Hintergrund des Literarturunterrichts, den sie selber erleben, beleuchten. Um diese Teilaspekte angemessen berücksichtigen zu können, muss informiert und argumentiert werden. Die Tatsache, dass sich nur gut die Hälfte der Schüler: innen zu der Thematik positioniert (s. Tab. 21), zeigt die Komplexität der Aufgabenstellung und das Erfordernis einer Aufgabenrepräsentation. Diese wurde durch die Intervention der Komponentenanalyse angebahnt, die nachweislich in allen Kursen durchgeführt wurde. Umsetzungsbeispiele zeigen eine differenzierte Entfaltung der Thematik. 141 Dass diese von vielen noch nicht in die eigene Textproduktion überführt werden konnte, verdeutlicht, dass diese Prozesse angeleitet und regelmäßig geübt werden müssen, damit sie Erfolg zeigen. 242 III Unterrichtspraxis 142 Hier liegen die Werte im Prätext bei 1,84, im Endtext bei 2,49. 143 Im Hinblick auf die einzelnen Kurse gestalten sich die Werte jedoch unterschiedlich: So ist in PGKa, PGKc und ELKb ein Anstieg zu beobachten; hier werden zum Teil durchschnittlich Werte von über 3 erreicht. In PGKb und EGKa hingegen fallen die Werte signifikant. Prätext Endtext Anteil ohne Argu‐ mente (in %) Menge der Argu‐ mente (Durch‐ schnitt) Menge Informa‐ tionen (Anzahl und Durch‐ schnitt) Schüler, die eigene Argu‐ mente an‐ führen (in %) Anteil der eigenen an der Ge‐ samtzahl der Argu‐ mente (in %) Anteil ohne Argu‐ mente (in %) Menge der Ar‐ gumente (Durch‐ schnitt) Menge Informa‐ tionen (Durch‐ schnitt) PGKa 0 2,67 (1) 0,11 33,33 41,66 0 3,3 0,16 PGKb 5,89 3 (9) 0,53 35,29 21,57 17,6 2,24 2 PGKc 0 2,44 (5) 0,56 55,56 22,72 0 3,1 0,8 EGKa 0 2,77 (7) 0,32 45,45 18,03 17,65 1,94 0,53 ELKb 0 1,63 (11) 1,38 37,5 23,53 0 2 1 2,51 0,58 2,51 0,9 Tab. 19: Die Argumentation im Prä- und Endtext Betrachtet man die durchschnittliche Anzahl der angeführten Argumente in den unterschiedlichen Kursen (s. Tab. 19), so liegt der Wert bei 2,5 und damit höher als in der Mittelstufe. 142 Diese Zahl bleibt allerding nach den Interven‐ tionen gleich. 143 Die durchschnittliche Anzahl der in den Reden angeführten Informationen steigt nach der Durchführung der Unterrichtseinheit. Eine Kor‐ relation zwischen der Menge an Argumenten und der der Informationen lässt sich allerdings nicht herstellen. Dass nach den Interventionen die Anzahl der Schüler: innen zunimmt, die in ihren Kommentaren gar keine Argumente anführen, lässt sich plausibel nur mit einer abnehmenden Motivation erklären, auf die im Rahmen des Fazits näher eingegangen wird. 243 III.3 Die empirische Studie in der Oberstufe 144 Hier werden nur die Schüler: innen berücksichtigt, die in ihren Reden überhaupt Argumente angeführt haben. 145 Unter jein werden all jene Texte subsumiert, in denen keine klare Positionierung vorliegt; die angeführten Argumente werden nicht ausgewertet und für eine eigene Stellungnahme verwendet. Es ist hier explizit keine inhaltliche Positionierung gemeint, die zwischen den beiden Polen oszilliert. Prätext Endtext Anzahl der verwen‐ deten Argumente Anzahl Schüler, die Pro- und Contraargu‐ mente anführen 144 Anzahl der verwen‐ deten Argumente Anzahl Schüler, die Pro- und Contraargu‐ mente anführen Pro Contra Pro Contra PGKa 17 5 4/ 9 44 % 11 9 3/ 6 50 % PGKb 34 19 10/ 17 59 % 23 15 6/ 17 35 % PGKc 6 5 3/ 9 33 % 10 21 3/ 10 30 % EGKa 23 21 8/ 22 36 % 23 10 4/ 17 24 % ELKb 10 7 1/ 8 13 % 12 4 1/ 8 13 % 90 57 37 % 79 50 30 % Tab. 20: Verwendung und Art der Argumente Prätext Endtext ja Anzahl jein 145 nein ja Anzahl jein nein PGKa 6 67 % 3 0 3 50 % 3 0 PGKb 9 53 % 7 1 9 53 % 8 0 PGKc 4 44 % 2 3 6 60 % 3 1 EGKa 15 68 % 4 3 8 47 % 6 3 ELKb 3 38 % 4 1 4 50 % 3 1 54 % 52 % Tab. 21: Vorliegen einer Positionierung 244 III Unterrichtspraxis 146 Diese Beobachtung deckt sich mit den Ergebnissen der Mittelstufe. Auch hier über‐ wiegen die pädagogisch sanktionierten Positionierungen. 147 Dies verhält sich anders bei den Kommentaren der Studierenden; hier werden tat‐ sächlich häufiger persönliche Erlebnisse zum Stützen der eigenen Position oder zur Veranschaulichung angeführt. Prätext Endtext 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5 PGKa 4 0 1 3 1 3 1 0 2 0 PGKb 10 2 0 3 1 11 1 2 2 1 PGKc 1 1 2 4 1 2 2 2 4 0 EGKa 6 5 4 4 0 4 4 3 3 0 ELKb 3 0 3 1 0 3 2 2 0 0 24 8 10 15 3 33 10 9 11 1 Tab. 22: Inhaltliche Positionierung auf die Frage: Brauchen wir einen verpflichtenden Literaturunterricht? Index: 1: Literaturunterricht beibehalten 2: Literaturunterricht abschaffen 3: verpflichtenden Literaturunterricht abschaffen 4: Literaturunterricht verändern 5: übrige Positionen Sowohl die Art der mehrheitlich verwendeten Argumente (s. Tab. 20) als auch die der Positionierung (s. Tab. 22) geben Rückschlüsse für die Aufgaben‐ konstruktion. So ist die Strittigkeit in der Aufgabe deutlich angelegt. Die Aufgabenstellung und das zur Verfügung gestellte Material geben keine ein‐ deutige Determination vor und berücksichtigen somit unterschiedliche Zielset‐ zungen und Neigungen. Die Mehrheit der Schüler: innen tendiert dazu, sich für eine Beibehaltung des Literaturunterrichts auszusprechen. Ob dies der tatsächlichen Meinung der Schüler: innen gegenüber dem Deutschunterricht entspricht, eine wertkonservative Haltung abbildet oder aber Ausdruck einer sanktioniert geglaubten Meinung ist, lässt sich nicht abschließend beurteilen. 146 Auffällig aber ist, dass sowohl Mittelals auch die Oberstufenschüler: innen vergleichsweise selten auf eigene Erfahrungen zurückgreifen; 147 diese stellen für die Schreibenden keinen Bestandteil eines Schulaufsatzes dar. 245 III.3 Die empirische Studie in der Oberstufe 148 So verfassen weniger als die Hälfte der Schüler: innen eine Überschrift. Im Prätext beziehen sich nur 45 % auf die Debatte. 149 Das Verwenden der Ich-Form, Anreden der Leser: innen in der Überschrift oder der explizite Verweis auf Materialien in den Texten der Studierenden zeigten die Schwie‐ rigkeiten. III.3.2.5 Der Kommentar als Zieltext: Situierung und kommunikative Funktionen In den Prätexten deutet sich an, dass die Schüler: innen nur rudimentäre Text‐ sortenkenntnisse haben bzw. nicht auf die in der Mittelstufe vermittelten Kompetenzen zurückgreifen. Dies zeigt sich u. a. am Fehlen einer Überschrift ebenso wie eines Bezugs zur Debatte (s. Tab. 23). 148 Eine Einleitung hingegen, die auch beim Interpretieren oder Erörterung gefordert wird, formulieren 68 % bzw. 72 % der Teilnehmer: innen. Große Schwierigkeiten bereitet es den Schülerinnen und Schülern, die spezifischen Merkmale eines meinungsbildenden Textes zu berücksichtigen, die sich auf einer eher essayistischen Ebene bewegen (s. Tab. 25 und 26). Diese Textfunktionen korrelieren am wenigsten mit denen der Inter‐ pretation und Erörterung. Es stehen keine Textmuster zur Verfügung, auf die zurückgegriffen werden kann. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, dass sich diese Werte nicht wesentlich nach den Interventionen und der Besprechung des Mustertextes ändern. Diese Beobachtungen decken sich mit den Befragungsergebnissen und Texten der Studierenden. Nur 44 % gaben an, dass ihnen die Merkmale eines Kommentars bekannt seien, 149 71 % äußerten, dass sie nicht wissen, wie man in einem Kommentar auf Materialien verweist. Überschrift Einleitung Bezug auf Debatte / Tweet Prätext Endtext Prätext Endtext Prätext Endtext PGKa 4/ 9 44 % 1/ 6 17 % 4/ 9 44 % 4/ 6 67 % 4/ 9 44 % 5/ 6 83 % PGKb 8/ 17 47 % 5/ 17 29 % 8/ 17 47 % 13/ 17 76 % 7/ 17 41 % 16/ 17 94 % PGKc 3/ 9 33 % 1/ 10 10 % 8/ 9 89 % 8/ 10 80 % 5/ 9 56 % 5/ 10 50 % EGKa 13/ 22 59 % 5/ 17 29 % 19/ 22 86 % 15/ 17 88 % 16/ 22 73 % 14/ 17 82 % ELKb 4/ 8 50 % 5/ 8 63 % 6/ 8 75 % 4/ 8 50 % 1/ 8 13 % 1/ 8 13 % 47 % 30 % 68 % 72 % 45 % 64 % Tab. 23: Hinführung zum Thema 246 III Unterrichtspraxis Prätext Endtext PGKa 9/ 9 100 % 5/ 6 83 % PGKb 17/ 17 100 % 17/ 17 100 % PGKc 8/ 9 89 % 10/ 10 100 % EGKa 22/ 22 100 % 17/ 17 100 % ELKb 7/ 8 86 % 7/ 8 86 % 95 % 94 % Tab. 24: Berücksichtigung von Merkmalen eines Kommentars Information / Hintergründe Meinung Prätext Endtext Prätext Endtext PGKa 5/ 9 56 % 4/ 6 67 % 8/ 9 89 % 5/ 6 83 % PGKb 16/ 17 94 % 14/ 17 82 % 17/ 17 100 % 14/ 17 82 % PGKc 7/ 9 78 % 10/ 10 100 % 7/ 9 78 % 10/ 10 100 % EGKa 16/ 22 73 % 10/ 17 59 % 20/ 22 91 % 17/ 17 100 % ELKb 6/ 8 75 % 6/ 8 75 % 6/ 8 75 % 6/ 8 75 % 75 % 77 % 87 % 88 % Tab. 25: Merkmale eines Kommentars, Teil 1 Denkanstöße Unterhaltung Prätext Endtext Prätext Endtext PGKa 2/ 9 22 % 0/ 6 0 % 0/ 9 0 % 0/ 6 0 % PGKb 4/ 17 24 % 5/ 17 29 % 4/ 17 24 % 17/ 17 100 % PGKc 4/ 9 44 % 4/ 10 40 % 4/ 9 44 % 3/ 10 30 % EGKa 11/ 22 50 % 6/ 17 35 % 13/ 22 59 % 4/ 17 24 % ELKb 1/ 8 13 % 2/ 8 25 % 4/ 8 50 % 5/ 8 63 % 31 % 26 % 35 % 43 % Tab. 26: Merkmale eines Kommentars, Teil 2 247 III.3 Die empirische Studie in der Oberstufe 150 Dass die Motivation der Schüler: innen in der Unterstufe während der Einheit nicht abnimmt, hängt nicht nur mit der Lehrer: innenpersönlichkeit, sondern vor allem mit dem Alter und der Schreibpraxis der Probanden zusammen. In der Grundschule ist es durchaus üblich, dass dem Schreiben im Unterricht selbst viel Zeit eingeräumt wird. 151 Die Werte fallen von 147 Argumenten auf 139; siehe Tab. 20. III.4 Zusammenfassung der Ergebnisse der empirischen Studien in der Mittel- und Oberstufe und erste Konsequenzen für Forschung und Praxis Fasst man die Ergebnisse der beiden empirischen Studien zusammen, so geben sie Aufschluss über das Studiendesign und damit die Validität der Ergebnisse. Ebenso ermöglichen die Texte der Probanden Rückschlüsse für die Aufgabenkonstruktion und die Konzeption erforderlicher Interventionen. Der den Studien zugrundeliegende hybride Theorieansatz, der quantitative und qualitative Aspekte berücksichtigt, hat sich für eine erste Bestandsaufnahme der skizzierten Fragestellungen als sinnvoll erwiesen. Die Größe der Stichproben erlaubt eine ausreichend differenzierte Diagnose der Herausforderungen, die sich Schülerinnen und Schülern im Umgang mit materialgestützten Schreibauf‐ gaben stellen. Die Gegenüberstellung von zwei Jahrgangsstufen erlaubt zudem, Alterseffekte in den Blick zu nehmen. Im Hinblick auf den Einfluss der Motiva‐ tion auf den Schreibprozess hat es sich als sinnvoll erwiesen, dass die jeweiligen Unterrichtseinheiten von der in der Klasse bzw. im Kurs unterrichtenden Lehr‐ kraft durchgeführt wurden. Der Vorwurf einer mangelnden Vereinheitlichung in der Durchführung der Interventionen ist berechtigt. Primäres Anliegen dieser Interventionsstudien aber ist zunächst eine kritische Bestandsaufnahme und prinzipielle Beurteilung der erforderlichen Unterstützungsmaßnahmen. Das von allen Probanden geführte Schreibjournal bietet zudem Aufschluss über die Durchführung der jeweiligen Interventionen. In Bezug auf das Studiendesign der empirischen Untersuchungen zeigt sich, dass die Motivation für das Schreiben eine entscheidende Rolle einnimmt. Bei den Oberstufenschülerinnen und -schülern lässt sich eine Verstärkung dieses Einflussfaktors beobachten. 150 Dies betrifft auf der Textoberfläche u. a. die sinkende Anzahl der Argumente in den Endtexten, 151 die Zunahme derjenigen, die im Abschlusskommentar trotz Interventionen keine Argumente anführen (s. Tab. 19) sowie die Abnahme der Schüler: innen, die sich positionieren (s. Tab. 21). Ebenso finden sich in den Endtexten seltener Überschriften als in den eingangs verfassten Kommentaren. Auch die Abnahme der Textmenge demonstriert einen Motivationsverlust, am Ende der Einheit erneut einen Text zu verfassen bzw. den eigenen Kommentar zu überarbeiten. Die Bedeutung der Motivation 248 III Unterrichtspraxis 152 Siehe hierzu u. a. Lehnen, Katrin: Gemeinsames Schreiben. In: Helmuth Feilke, Thor‐ stern Pohl (Hgg.): Schriftlicher Sprachgebrauch. Texte verfassen. DTP Bd. 4. Baltmanns‐ weiler: Schneider 2014. 153 Philipp (2017), S. 155 ff. 154 Jost, Jörg; Wieser, Dorothee: Materialgestütztes Schreiben. Ein didaktisch notwendiges Aufgabenformat - zu viele offene Fragen. In: Didaktik Deutsch 43 (2017). S. 26-32. S. 29 korreliert mit der Stellung, die diese im Schreibmodell von Hayes einnimmt. Leitet man aus diesen Beobachtungen Konsequenzen für die Planung von Unterrichtssequenzen ab, so sollten diese zunächst die Unterrichtsorganisation berücksichtigen: Schreiben muss auch in der Mittel- und in der Oberstufe regelmäßig im Unterricht stattfinden und darf sich nicht auf ein häusliches Tun beschränken. Nur wenn Planung, Formulieren und Überarbeiten von Texten regelmäßig im Unterricht verortet sind und auch kollaborativ im Unterricht erfolgen, 152 kann die Motivation der Schüler: innen aufrechterhalten werden oder steigen. Dies aber impliziert eine curriculare Abstimmung der jeweiligen Einheiten und Methoden, mit denen geschrieben werden soll. Entscheidend ist weiterhin, dass die Schüler: innen während und nach dem Schreibprozess eine Rückmeldung über ihr Schreibprodukt erhalten. Die Bewertung von Texten darf sich nicht auf Leistungsaufgaben beschränken. Auch das Selbstkonzept spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle. Wenn die Probanden in der Mittelstufe in einem Auswertungsgespräch kritisch anmerken, dass sich ihre Texte im Verlauf der Unterrichtseinheit nicht verbessert haben, dann entspricht das zwar nicht der Realität, aber den Erfahrungen, dass sich Schreiben nicht vermitteln bzw. lernen lasse. Gerade im Fach Deutsch werden die eigenen Kompetenzen eher statisch bewertet. Hier sind Lehrende gefordert, konstruktive und vor allem regelmäßige Rückmeldungen zu geben und Trans‐ parenz in Bezug auf die Leistungsanforderungen herzustellen. In Bezug auf die Materialeinbringung stellt sich die zentrale Frage nach der Verbindlichkeit. Wenn in den am Ende der Unterrichtseinheit verfassten Kommentaren durchschnittlich 2,73 Materialien verwendet werden, dann be‐ deutet dies im Umkehrschluss, dass durchschnittlich über 5 Materialien weder im Kontext des informierenden noch des argumentierenden Schreibens berück‐ sichtigt werden. Ob die Qualität eines Textes durch die Menge der verwendeten Materialien steigt, lässt sich nicht abschließend beantworten. Obwohl Philipp 153 kritisch anmerkt, dass die Kohärenz eines Textes nicht automatisch durch die Menge der zur Verfügung gestellten Texte steigt, fordern auch Jost und Wieser, 154 dass die Frage einer verpflichtenden Materialeinbindung in den Blick genommen werden müsse. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund einer transparenten Leistungsbewertung dringend geboten. 249 III.4 Zusammenfassung der Ergebnisse der empirischen Studien 155 Nachweislich wurde die Tabelle in drei Kursen (PGKa, PGKb und EGKa) ausgefüllt. Überwiegend paraphrasieren die Schüler: innen hier - ebenso wie in der Mittelstufe - jedoch die Texte. 156 Nur 11 % der Studierenden gaben an, in ihrem Kommentar alle Materialien verwendet zu haben, obwohl sie anmerkten, dass ihnen ausreichend Zeit zur Verfügung stand. Nur 4 % der Studierenden stimmen weiterhin voll zu, dass ihnen nach der Lektüre der Aufgabenstellung klar war, wie viele Materialien sie einbringen sollen, 20 % stimmen eher zu, 76 % zeigten sich unentschieden bzw. unsicher. 157 Feilke, Helmuth: Eine neue Aufgabe für das Fach Deutsch: Zusammenhänge erstellen - materialgestützt schreiben. In: Didaktik Deutsch 43 (2017). S. 4-11. S. 4 Forscht man nach den Ursachen der Nichtberücksichtigung der Materialien, so kann das Nichtlesen nicht die einzige Ursache sein. Dies belegen die Tabellen, die als Entlastung des Schreibprozesses sowohl in der Mittelstufe als auch in der Oberstufe ausgefüllt wurden. 155 Die Auswertung der Tabellen ergab jedoch, dass in beiden Studien überwiegend die Inhalte der Materialien, nicht aber Argumente festgehalten wurden. Ein Bezug zur Aufgabenstellung und damit zur Argumentation wurde in der Regel nicht hergestellt. Damit aber hat die Intervention nicht zu einer signifikanten Verbesserung der Schreibprodukte beigetragen. Die Ergebnisse der Fragebögen der Studierenden, die vergleichbar niedrige Werte bei der Materialeinbringung zeigten, 156 sollen in diesem Zusammenhang ergänzend hinzugezogen werden und Aufschluss über die Nichtberücksichti‐ gung der Materialien liefern. So gaben zahlreiche Studierende an, dass sie Schwierigkeiten hatten, die Position der jeweiligen Materialien in die eigene Argumentation zu integrieren. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ein Nichtverwenden bestimmter Materialien nicht automatisch auf ein Nichtlesen zurückzuführen ist. Auch erfahrenen Schreiberinnen und Schreibern fehlen Kompetenzen der Materialeinbringung und vor allem der Informationstransfor‐ mation. Es muss in der Fachdidaktik demnach entschieden darüber diskutiert werden, ob das Einfordern der Berücksichtigung einer bestimmten Anzahl an Materialien nicht helfen kann, mit diesem Problem konstruktiv umzugehen. Weiterhin würde eine verbindliche Festlegung die Transparenz in der Leistungs‐ bewertung erhöhen. Damit zeigt sich das „sprachlich transformierende Schreiben“ 157 als zen‐ trale Herausforderung des materialgestützten Schreibens. Auf übergeordneter Ebene betrifft dies zunächst die Informationstransformation: Den Materialien müssen Informationen entnommen und in den eigenen Text integriert und in Argumente transformiert werden. Das setzt voraus, dass die Schreibenden Kenntnisse und vor allem Routinen im Formulieren von Argumenten haben. Die Aufgabenrepräsentation in Form der Komponentenanalyse ist ein erster 250 III Unterrichtspraxis 158 Abraham, Ulf; Kammler, Clemens: Materialgestütztes Lesen und Schreiben im Litera‐ turunterricht. PD 273/ 2019. S. 4-11 Ansatz, einen Zusammenhang zwischen den Materialien, der Schreibaufgabe und den sich daraus abzuleitenden Schreibzielen herzustellen. Diese Interven‐ tion aber muss konsequent eingeübt werden, soll sie Erfolg zeigen. In diesem Zusammenhang muss ebenso darüber nachgedacht werden, ob eine bestimmte Anzahl von Argumenten, die ein Zieltext enthalten muss, nicht vor allem für Leistungsaufgaben vorgegeben werden sollte. Diese Vorgabe ist den Schü‐ lerinnen und Schülern vom Aufgabenformat der Erörterung bekannt. Vor dem Hintergrund, dass das materialgestützte Schreiben ein Aufgabenformat der Allgemeinen Hochschulreife ist, muss auch über Vorgaben im Bereich der Anzahl der Argumente nachgedacht werden, wenn es keinen heimlichen, von Lehrkräften implizit vorgenommenen Bewertungskontext geben soll. Hier ist Transparenz erforderlich. Die zweite Ebene der Transformation betrifft die besondere Rolle der Lite‐ ratur in materialgestützten Schreibaufgaben. Es konnte gezeigt werden, dass Mittel- und Oberstufenschüler: innen ebenso wie Studierende große Schwierig‐ keiten haben, eine angemessene Deutung und Kontextualisierung literarischer Texte im Hinblick auf die eigene Argumentation vorzunehmen. Dies liegt zum einen an der Verdichtung und Polyvalenz der Texte. Zum anderen erfordern die jeweiligen, im Rahmen der Aufgabe präsentierten Materialien unterschiedliche Lesemodi. Zunächst gilt es, die jeweilige Textsorte zu identifizieren - hier hatten vor allem die Probanden der Mittelstufe große Probleme -, um dann im nächsten Schritt die Funktion des Materials im Aufgabenkontext zu antizipieren. Die Rolle der Literatur im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben ist insofern von besonderer Bedeutung, da der Umgang mit Literatur in den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife ebenso wie in den Kerncurricula der Länder weiterhin eine dominante Rolle einnimmt. Sollen aber Lehrer: innen ihren Schülerinnen und Schülern ausreichend Zeit für das Schreiben einräumen und gleichzeitig die vorgegebenen Inhalte berücksichtigen, dann ist eine enge Verzahnung des materialgestützten Schreibens mit Themen des Litera‐ turunterrichts dringend erforderlich. Dabei ist noch weitgehend unerforscht, welche Rolle das materialgestützte Schreiben für ein literarisches Verstehen einnehmen kann. So fokussieren auch Abraham und Kammler in ihrem Basis‐ artikel 158 auf einen materialgestützten Literaturunterricht und nicht auf ein materialgestütztes Schreiben im Literaturunterricht. Im Zentrum der Praxis Deutsch-Ausgabe steht die Frage, wie durch Materialien das Verständnis eines literarischen Textes angebahnt werden kann. Dieses Vorgehen ist besonders 251 III.4 Zusammenfassung der Ergebnisse der empirischen Studien 159 Abraham, Kammler (2019), S. 10 für den Literaturunterricht der Mittel- und Oberstufe, in dem Sekundärtexte beispielsweise aus dem historischen, biographischen oder philosophischen Bereich zur vertiefenden Deutung hinzugezogen werden, durchaus üblich. Nicht näher wird allerdings untersucht, wie sich ein Umgang mit literarischen Texten im Rahmen materialgestützter Aufgaben hiervon unterscheidet. Dies betrifft die Lesemodi ebenso wie die Deutung der Texte und das Schreiben über Literatur. Wenn die Autoren postulieren, dass mit der „Überprüfung von Inter‐ pretationskompetenz ein drittes Format“ 159 des materialgestützten Schreibens implementiert werden soll, dann impliziert dies, dass Abraham und Kammler es als notwendig erachten, eine engere Verzahnung von Literaturunterricht und materialgestütztem Schreiben herzustellen. Diese Verzahnung ist eine zentrale Aufgabe für die Sprach- und Literaturdidaktik, die gemeinsam angegangen werden muss. Für die Lernenden bedeuten diese Herausforderungen, dass vor allem ihre Argumentationskompetenz gestärkt, die Aufgabenrepräsentation angebahnt und unterschiedliche Lesemodi vermittelt werden müssen. Nur wenn die Schreibenden in der Lage sind, verschiedene Lesemodi flexibel einzunehmen, die die Funktionen des Zieltextes gleichermaßen wie den Aufgabenkontext berücksichtigen, können Materialien im Hinblick auf die Aufgabenstellung erfolgreich rezipiert und transformiert werden. Je höher die Flexibilität im Umgang mit Texten ist, desto eher werden die Schüler: innen in der Lage sein, auch auf Kompetenzen, die sie beim Interpretieren und Erörtern erworben haben, zurückzugreifen, ohne die Textmuster dieser Aufgabenformate unreflek‐ tiert zu übernehmen. Damit erfordert die Materialfülle gleichermaßen wie die Multimodalität der Texte eine hohe Flexibilität beim Schreiben wie beim Lesen. Diese aber kann nur erlangt werden, wenn die Schüler: innen regelmäßig und vor allem sehr früh in ihrer schulischen Karriere mit Formen des Argumentierens und des materialgestützten Schreibens konfrontiert werden. Dieses darf sich allerdings nicht auf den Umgang mit Sachtexten beschränken, sondern muss literarische Texte mit einbeziehen. Die im dritten empirischen Teil vorgestellte Unterrichtseinheit stellt eine Umsetzungsmöglichkeit dar, die sich diesen Her‐ ausforderungen stellt und eine Antwort anbietet. In Bezug auf den Oberstufenunterricht bedeuten die Ergebnisse der empiri‐ schen Untersuchung, dass sich eine Anbindung an literarische Themen dringend empfiehlt. Dies könnte die Motivation der Unterrichtenden gleichermaßen wie der Schreibenden erhöhen, sich auf das Aufgabenformat einzulassen. Diese Verzahnung ermöglicht, das Schreiben, wie Becker-Mrotzek zutreffend fordert, 252 III Unterrichtspraxis 160 Siehe Becker-Mrotzek (2017a) 161 Feilke (2017a), S. 9 162 Damit werden in der im Folgenden dargestellten Unterrichtseinheit die Situierung und Adressierung nur am Rande beleuchtet. Im Sinne eines curricularen Aufbaus gilt es, diese in späteren Jahrgängen der Sekundarstufe in den Blick zu nehmen. in der Mittel- und vor allem in der Oberstufe zurück in den Unterricht zu holen. 160 Damit stellt die „Integration in den Gesamtunterricht“ 161 eine weitere zentrale Herausforderung des Aufgabenformats dar. Nur wenn auch auf curricularer Ebene darüber nachgedacht wird, wann, wozu und wie geschrieben werden soll, kann das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens erfolgreich implementiert werden. III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe: Ein Vorschlag zur alternativen Einführung des materialgestützten Schreibens III.5.1 Grundgedanken einer Unterrichtseinheit zum Verfassen eines literarischen Essays in der gymnasialen Unterstufe Die Herausforderungen, die sich im Umgang mit materialgestützten Schreib‐ aufgaben im Rahmen der beiden empirischen Untersuchungen in der Mittel- und Oberstufe gezeigt haben, bewegen sich auf unterschiedlichen Ebenen. Für die Konstruktion einer Intervention, die sich mit diesen Herausforderungen auseinandersetzt, soll der Fokus auf zwei Aspekten liegen, auf die vor allem der Literaturunterricht eine Antwort zu geben vermag. Dies betrifft im Rahmen des Schreibprozesses die Positionierung der Schreibenden zu dem jeweiligen Thema und darauf aufbauend das Formulieren von Argumenten auf der Basis des eigenen Weltwissens und der zur Verfügung gestellten Materialien. Die zweite große Herausforderung betrifft die Rolle, die das Schreiben im Unterricht einnimmt. Es hat sich gezeigt, dass Schreiben einen festen Platz benötigt. Das betrifft die Zeit, die den Schülerinnen und Schülern zum Schreiben zur Verfügung gestellt wird, ebenso wie die Anbindung des Schreibens an die relevanten Themenkomplexe des Deutschunterrichts, in diesem Fall an die Literatur. Wird Schreiben als etwas erfahren, das erlernbar ist, kann davon ausgegangen werden, dass der Schreibprozess positiver bewertet wird und ein geringerer Motivationsverlust v. a. beim Überarbeiten vorliegt. Argumentieren und Positionieren soll demnach im Umgang mit literarischen Texten erarbeitet werden. 162 253 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe 163 In der konzipierten Unterrichtseinheit wird bewusst der Begriff des Essays beibehalten, der zwar für Unterstufenschüler: innen ungewohnt ist, aber eine explizite Distanzierung von den traditionellen Aufsatzformen markiert. 164 Siehe dazu auch die Forderung von Becker-Mrotzek (2017a). Die Grundlagen der folgenden Ausführungen basieren auf den in Kapitel II.4 erläuterten Konzepten des Teachers College Reading and Writing Project (TCRWP) der Columbia University, New York und der Forschergruppe um Cal‐ kins. Eine Unterrichtsreihe zum Literarischen Essay für die Jahrgangsstufe 6 des TCRWP soll dabei die Basis für die Konzeption einer empirischen Untersuchung für die Klassenstufe 5 an einem Marburger Gymnasium darstellen. Im Zentrum der Einheit steht eine textnahe Auseinandersetzung mit einer literarischen Figur. Die Schreibenden stellen in ihrem Essay 163 begründet und argumentierend dar, warum diese Figur für sie persönlich bemerkenswert ist. Der literarische Essay soll in diesem Sinne weniger als eine Variante des materialgestützten Schreibens, denn als eine Hinführung aufgefasst werden, da in der Aufgaben‐ stellung keine explizierte Adressierung oder Situierung vorgenommen wird. Im Verlauf der Unterrichtseinheit wird zwar mit verschiedenen Materialien gear‐ beitet, doch steht im Zentrum ein literarischer Text, den sich die Schüler: innen ausgewählt haben und über den sie einen Essay schreiben. Dass trotz dieser Abweichungen vom Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens die Ausführungen zum literarischen Essay dargestellt, entwickelt und empirisch untersucht werden sollen, liegt an dem Umstand begründet, dass der Ansatz eine Umsetzungsmöglichkeit darstellt, das argumentierende Schreiben in den Unterricht zu integrieren. 164 Die Auseinandersetzung mit literarischen Figuren und deren Charakterisierung grenzt sich nicht von einem interpretatorischen oder erörternden Zugriff ab, sie stellt vielmehr eine Erweiterung und Vorform des materialgestützten Schreibens dar. Dies ermöglicht im Umkehrschluss eine Anbindung an unterschiedliche Einheiten im Deutschunterricht. Bevor die inhaltlichen und methodischen Besonderheiten des Ansatzes des TCRWP erläutert werden, soll die thematische Anbindung der Einheit an deutsche Curricula aufgezeigt werden. III.5.1.1 Thematische Anbindung an den Deutschunterricht in der Unterstufe Im Zentrum des literarischen Essays steht die Charakterisierung einer literari‐ schen Figur. Die Auseinandersetzungen mit literarischen Figuren spielen im Umgang mit Literatur eine zentrale Rolle. In den Kerncurricula für Hessen 254 III Unterrichtspraxis 165 Hessisches Kultusministerium. Bildungsstandards und Inhaltsfelder. Das neue Kern‐ curriculum für Hessen. Sekundarstufe I - Gymnasium. Deutsch. Wiesbaden. URL: h ttps: / / kultusministerium.hessen.de/ sites/ default/ files/ media/ kerncurriculum_deutsch_ gymnasium.pdf 166 Ebd. S. 29 167 Ebd. S. 41 168 Ebd. S. 20 169 Die Gegenüberstellung ist den Bildungsstandards entnommen und dient dem Ge‐ winnen einer Übersicht. werden dabei aus dem Themengebiet „Texte/ Medien rezipieren“ 165 am Ende der 6., 8. und 9./ 10. Klasse folgende Kompetenzen formuliert: Klasse 6 166 Klasse 8 167 Klasse 9/ 10 168 • Empfindungen von Fi‐ guren / Personen in Texten / Medien wahr‐ nehmen und ausdrü‐ cken, • Empfindungen von Fi‐ guren / Personen in Texten / Medien wahr‐ nehmen und differen‐ ziert beschreiben, • Empfindungen von Fi‐ guren / Personen in Texten / Medien re‐ flektieren, • Figuren / Personen in Texten / Medien cha‐ rakterisieren, • Figuren / Personen in Texten / Medien cha‐ rakterisieren, • Beziehungen zwischen literarischen Figuren untersuchen, • Beziehungen zwischen literarischen Figuren untersuchen, • Verhalten und Eigen‐ schaften von Figuren / Personen in Texten / Medien beschreiben und hinterfragen • Verhalten und Hand‐ lungsmotive von Fi‐ guren / Personen in Texten / Medien beur‐ teilen • Verhalten und Hand‐ lungsmotive von Fi‐ guren / Personen in Texten / Medien beur‐ teilen Auffällig an der Gegenüberstellung 169 ist, dass in allen Stufen die Auseinander‐ setzung mit literarischen Figuren nicht von der mit Personen getrennt wird. Es wird zudem nicht zwischen Texten und Medien unterschieden. Der Kompetenz‐ zuwachs erfolgt vom Wahrnehmen und Ausdrücken über die Beschreibung und Charakterisierung zur Reflexion. Unklar bleibt in diesem Zusammenhang der Operator ausdrücken. Auch die Unterscheidung zwischen einem Hinterfragen und Beurteilen ist nur bedingt operationalisierbar, enthält aber Teilkompetenzen des Argumentierens und Positionierens. Dass eine nicht explizit vorgenommene Unterscheidung in Figuren und Personen nicht unproblematisch ist, soll im Folgenden aufgezeigt werden. 255 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe 170 Siehe dazu zum Beispiel: Henninger, Heike; Höhme, Michael; Nutz, Maximilian (Hgg.): deutsch.kompetent 6. Stuttgart: Klett 2012. S. 65-67; Ramin, Andreas; Zimmer, Thorsten (Hgg.): D. U. DeutschUnterricht 5. Bamberg: C.C. Buchner 2017. S. 52-59. Die Personenbeschreibung wird in der 5. Klasse regelmäßig als Einstieg zur Auseinandersetzung mit Personen/ Figuren verwendet. Neben der Gegenstands- und Ortsbeschreibung bietet sie eine Einführung in das strukturierte und kriteriengeleitete Schreiben. Die Personenbeschreibung geht dabei von außen nach innen, vom Allgemeinen zum Besonderen vor, Abbildungen von realen Personen dienen als Maßstab der Bewertung. 170 Dieses Vorgehen wird auf das Charakterisieren literarischer Figuren übertragen und ist aus mehreren Gründen problematisch: Ausgangspunkt der Charakterisierung einer Figur ist der literarische Text mit seinen Figuren. Diese sind in der Regel die ent‐ scheidenden Handlungsträger und damit für den Aufbau der Handlung und die Konstitution von Sinn zentral. Jeder Text aber bietet nur eine bestimmte Auswahl an Merkmalen, die für den Fortgang der Geschichte relevant ist. Im Ge‐ gensatz zur realen Figur werden diese in der Regel nicht auf der Textoberfläche explizit thematisiert. Sie müssen vielmehr aus Handlungen, Äußerungen und Beobachtungen anderer erschlossen und damit interpretiert werden. Im Um‐ gang mit literarischen Figuren handelt es sich demnach in den seltensten Fällen ausschließlich um eine Beschreibung, sondern vielmehr um eine Interpretation. Der nicht operationalisierbare Ausdruck „ausdrücken“ für die Klasse 6 spiegelt diese Schwierigkeit wider. Problematisch ist weiterhin, dass Erzähler: innen selten objektiv berichten. Die Informationen, die die Leser: innen über eine Figur erhalten, können demnach nicht nur unvollständig, sondern auch verzerrt oder unzuverlässig sein. Den Lesenden werden demnach unvollständige und unzuverlässige Informationen vermittelt. Diese Schwierigkeiten eines gering ausgeprägten Medialitätsbewusstseins haben sich Rahmen der empirischen Untersuchungen in der Mittel- und Oberstufe gezeigt, wenn Schüler: innen den fiktiven Charakter eines Textes nicht erkannt und diesen als objektive Informationsquelle verwendet haben. Um aber einen literarischen Text und die in ihm handelnden Figuren ver‐ stehen zu können, ist weder Vollständigkeit noch Objektivität entscheidend. Vielmehr gilt es, die Informationen in einem übergeordneten Kontext zu be‐ trachten und im nächsten Schritt zu deuten, zu gewichten und zu beurteilen. So tragen Angaben über die Größe und die Haarfarbe einer Figur in der Regel wenig zum Verständnis eines Textes bei. Diese Informationen müssen anders gewichtet werden als in einer Personenbeschreibung. Zwar helfen die im Rahmen der Personenbeschreibung gewonnenen Kenntnisse der Beobachtung und Strukturierung beim Verfassen einer Charakterisierung. Entscheidend aber 256 III Unterrichtspraxis 171 Der in den hessischen Bildungsplänen aufgenommene Ausdruck der Wahrnehmung (siehe oben) spielt hier auf die Wirkung des Textes auf die Leser: innen an. 172 Auf diesen Begriff wird im Rahmen der Darstellung der Unterrichtseinheit noch näher eingegangen werden. 173 Die Unterrichtsreihen sind jeweils so organisiert, dass in jeder Jahrgangsstufe drei Blöcke mit dem Schwerpunkt Schreiben unterrichtet werden sollen. Die Blöcke um‐ fassen gut 15 einzelne Einheiten. Da in den USA die Schulstunden ca. 60 Minuten dauern, ist eine Übertragung auf eine deutsche Stundentafel nicht leicht möglich. Während in Grade 7 die Einheiten Writing Realistic Fiction, Writing about Reading und The Art of Argument lauten, bauen die Einheiten jahrgangsübergreifend aufeinander auf: The Literary Essay (Grade 6), The Art of Argument (Grade 7), The Literary Essay (Grade 8). Siehe dazu: Calkins, Lucy et al.: Writing Pathways: Performance Assessments and Learning Progressions, Grade 6-8. Portsmouth, N.H.: Heinemann 2014. S. 104 ff. 174 Calkins (2015), S. 106 ff. 175 Es sei nur am Rande darauf verwiesen, dass die Interpretation in dieser Aufstellung nicht vorkommt. ist, dass die Schüler: innen lernen, dass sie - ausgehend von der Wirkung 171 der Figur auf die Lesenden - die Bedeutung im Textganzen erarbeiten. Nur wenn sie sich zu der Frage positionieren, warum eine Figur für sie persönlich bemerkenswert 172 ist, können sie übergeordnete Kategorien bilden, die den Charakter der Figur abbilden. III.5.1.2 Zur Unterrichtsorganisation Die vom TCRWP konzipierten Unterrichtsreihen 173 lassen sich nach den zu verfassenden Texten in folgende Schreibformate unterteilen: 1. erzählendes Schreiben (Beispiele sind fiktive Texte mit Fantasietexten und Erzählungen, Biographien, aber auch narrative Nonfiktion), 2. persuasives, argumentatives Schreiben (Stellungnahmen, Petitionen, Edi‐ torials, historische und literarische Essays), 3. informelles Schreiben (Rezepte, Anweisungen, Regieanweisungen, Web‐ seiten, Blogs). 174 Die Unterrichtsreihe zum Literarischen Essay ist demnach dem argumentie‐ renden Schreiben zugeordnet und verfolgt nicht das primäre Ziel einer abschlie‐ ßenden Interpretation des Werkes. 175 Entscheidend ist, dass die Schüler: innen einen Essay verfassen, der sich mit zentralen Themen des jeweiligen Werkes beschäftigt. In Grade 6 handelt es sich hierbei um die Charakterisierung einer literarischen Figur. Im Mittelpunkt steht der Schreibprozess, der jeweils zu Beginn der Stunde mit einer gut 10-minütigen Instruktionsphase des Lehrkör‐ pers (minilesson) eingeleitet wird. Das Verhältnis von Instruktion und Konstruk‐ tion liegt somit eindeutig auf Seiten der eigenständigen Schreibtätigkeit der 257 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe 176 Zur Rolle des Connectings siehe Calkins (2014), S. 61 ff. 177 „The connection ends with a clear teaching point.“ Calkins, Lucy: A Guide to the Common Core Writing Workshop. Middle School Grades. Portsmouth: Heinemann 2014 (= 2014a). S. 63 178 “When visitors come to the classroom or on parent-teacher conference days or on Meet Our Goal celebration days that you set up, each student can help a visitor “walk along the pathway of the student’s learning.”” (Calkins, 2014, S. 61) 179 „Students continue the work on the next part of the demonstration text.“ Calkins (2014a), S. 68 180 „Students act as researchers, naming what you have done in the demonstration.“ Calkins (2014a), S. 69 Schüler: innen. Hier wird trotz der lehrgangsartigen Organisation der Unter‐ richtseinheit eine eindeutige Abkehr von einer Inhaltsdominanz deutlich. Die Organisation der Stunden spiegeln das Alternieren zwischen lehrer: in‐ nenzentrierter, akribisch geplanter Instruktion und Konstruktionsprozessen auf Schüler: innenseite wider. Die Stunden zeichnen sich durch eine klare, wiederkehrende Struktur aus, bestehend aus einer einleitenden minilesson, einer Schreibzeit mit eingeschobenem kurzem Input (mini-workshop), dem Austausch und der häuslichen Weiterarbeit. Jede minilesson besteht aus den Phasen Connection, Teaching und Active Engagement. Sie wird eingeleitet, indem eine Verbindung zu dem bisher Gelernten, Bearbeiteten und der Lebenswelt der Schüler: innen hergestellt wird. 176 Es geht darum, einen Zusammenhang zu der eigenen Schreibarbeit herzustellen, die Relevanz des Themas herauszuarbeiten und Vorwissen zu aktivieren. Hier findet jeweils die Aufgabenrepräsentation statt, die Hayes in seinem Schreibmodell als zentrale Kategorie des Schreibproz‐ esses identifiziert und die in den empirischen Studien der Mittel- und Oberstufe jeweils nur rudimentär ausgeprägt war. Die Aufgabenrepräsentation wird erreicht, indem beispielhaft mit Textauszügen, Schreibprodukten, lebensnahen Anekdoten oder alltagsnahen Texten das Argumentieren geübt wird. Dieser Zugriff erfüllt neben motivationalen Aspekten die Funktion, dass der Fokus nicht auf dem Inhalt, sondern auf dem Erlernen einer Struktur liegt. Die kurze Einführung endet mit der expliziten Zielformulierung. 177 Die Stunde zeichnet sich demnach durch ein hohes Maß an Transparenz aus; das betrifft die Struktur der Stunde ebenso wie die Zielformulierung. 178 Die sich nun anschließende Vermittlung des Inhaltes erfolgt in der Regel in Form einer Demonstration, einer angeleiteten praktischen Übung, eines fragend-entwickelnden Gesprächs oder einer auf Beispielen gestützten Erklärung. An diese Phase schließt sich das Ac‐ tive engagement an, das die unmittelbare Verbindung zwischen der Instruktion - dem task schema - und dem sich anschließenden eigenen Schreiben 179 darstellt. Dabei ahmen die Schüler: innen das Demonstrierte nach 180 und übertragen das 258 III Unterrichtspraxis 181 „Students transfer what they have learned to do to another text - one shared by the class or their own.“ Calkins (2014a), S. 68 182 Hier wird die in Kapitel II.1 dargestellte Verbindung von Lese- und Schreibprozessen produktiv umgesetzt. Gelernte auf ihren eigenen Text. 181 In der minilesson werden somit Schemata an einfachen, alltagsnahen Beispielen eingeführt. Dies soll eine erfolgreiche Repräsentation bei den Lernenden ermöglichen, die die Voraussetzung für die Übertragung des Schemas auf den eigenen Text und damit den eigenen Schreibprozess darstellt. Betrachtet man die Struktur der minilesson, so bildet diese in weiten Teilen ein Konglomerat handlungsorientierter und kognitionspsychologischer Ansätze. Neu allerdings ist die - zeitliche und inhaltliche - Gewichtung der minilesson. Sie stellt den Einstieg in die Stunde dar und bildet den Ausgangspunkt der konstruktivistischen Schreibarbeit. Ebenso abweichend vom Deutschunterricht ist, dass die Instruktion im Wesentlichen auf der Arbeit mit Schemata beruht, auf die im Folgenden ausführlicher eingegangen werden soll. Die sich nun anschließende 20bis 30-minütige Schreibphase wird als Conferring bezeichnet: Die Übertragung der Instruktion aus der minilesson in die eigene Schreibar‐ beit - die Konstruktion. Sie wird nur unterbrochen durch einen sehr kurzen mid-workshop. Dieser kann kurze Verweise für die Gliederung, das Zitieren, das Erstellen von Absätzen ebenso wie die Wortschatzarbeit für das Formulieren von Übergängen oder die Stärkung der Evidenz beinhalten. Dieser Impuls ist eine Möglichkeit, das Schreibniveau der Schüler: innen auf ein höheres Niveau zu heben. Die Schreibphase wird durch eine Share Session und Homework abge‐ schlossen. Dabei geht es um ein Besprechen und gemeinsames Überarbeiten der Texte. Aus den Schreibenden werden Lesende, 182 die die Erkenntnisse aus dem eigenen Schreibprozess auf die Texte anderer übertragen. Lesen und Schreiben sind damit eng verzahnte - transaktionale - Prozesse. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Aufbau der Stunde mit dem Aktivieren des Vorwissens, dem Anleiten des Lernprozesses und der Anbahnung des Lerntransfers weitest‐ gehend das Vorgehen eines kognitiven Instruktionsmodells abbildet. III.5.1.3 Zum Umgang mit Schemata Zentrum des Schreibprozesses und damit der Instruktion ist somit der Umgang mit Schemata. Sie bilden die Basis der Schreibarbeit und damit des kognitiven Systems der Schüler: innen. Die Schemata zeichnen sich durch strukturelle und prozessuale Parameter aus, die die Sprachhandlung des Textes - in diesem Falle die literarische Argumentation - abbilden. Sie haben exemplarischen Charakter und sind dadurch übertragbar auf andere Texte und Aufgabenfor‐ 259 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe mate. Gleichzeitig beinhalten sie eine Reduktion der Stofffülle und erfordern Mut zur Gründlichkeit. Das ausführliche Schreiben an einem Essay, der unter verschiedenen Gesichtspunkten immer weiter bearbeitet wird, bildet dieses didaktische Prinzip ab. Dieser exemplarische Charakter macht verständlich, warum im Folgenden auf ein Schema der 6. Jahrgangsstufe zurückgegriffen wird, wenn es um die Einführung eines Oberstufenformates geht. Die bisher vom TCRWP umgesetzten und mit Schülerinnen und Schülern praktizierten Unterrichtsreihen beziehen sich auf die Jahrgangsstufen vom Kindergarten bis zur 8. Klasse; für die Highschool sind die Materialien in der Erprobung. Damit die Schüler: innen in der Oberstufe Essays u. a. für ihre Collegebewerbung verfassen können, werden sie dazu curricular angeleitet. Es wird demnach vom Ende gedacht: In der Unter- und Mittelstufe werden die Grundlagen für das Verfassen von Essays gelegt. Die Schüler: innen werden qualifiziert, zunehmend selbstständig Texte zu immer komplexeren Themen und umfangreicheren literarischen Werken zu verfassen. Aus diesem Grund bietet sich im Hinblick auf die Einführung des materialgestützten Schreibens an, auf ein Verfahren zurückzugreifen, das den reading in order to-write-Ansatz betont und universell einsetzbare Schemata entwirft, die auf verschiedene Themen übertragbar sind. Da in Deutschland in der gymnasialen Oberstufe in der Regel Kenntnisse beim Interpretieren und Erörtern bereits vorhanden sind, die Schüler: innen aber vergleichsweise ungeübt im Argumentieren und Positionieren sind, ist es sinnvoll, auf universelle Modelle zurückzugreifen, die übertragbar und variabel sind und die den Schreibprozess als solchen in den Blick nehmen. Geht es um die Charakterisierung einer literarischen Figur, so steht im Zentrum die Frage, was die Figur auszeichnet und damit zu einer bemerkenswerten bzw. bewundernswerten Erscheinung werden lässt. Um sich mit dieser Frage beschäftigen zu können, benötigen die Schüler: innen Textkenntnisse ebenso wie einen persönlichen Zugang zur Figur. Da davon ausgegangen wird, dass der literarische Text nicht auf jede: n dieselbe Wirkung ausübt, ist es entscheidend, diese Wirkung nicht nur zu beschreiben, sondern - argumentativ - zu erläutern und am Text zu belegen. Roberts und Calkins gehen in diesem Zusammenhang exemplarisch vor und erläutern die folgende Struktur anhand eines allgemein bekannten Kinderbuches. 260 III Unterrichtspraxis 183 Die folgenden Schemata sind dem Band The Literary Essay. From Character to Compare / Contrast. Grade 6. Unit 2 Argument von Roberts und Calkins (2014b) entnommen; hier S. 8. Sie wurden sinngemäß übersetzt. 184 Hier werden den Schülerinnen und Schülern bereits in der Unterstufe verschiedene Texte zur Auswahl angeboten, die die Grundlage des eigenen literarischen Essays bilden. 185 Calkins (2014b), S. 9 (Ein Charakter) ist (eine Eigenschaft), weil (erster Grund), (zweiter Grund) und besonders (dritter Grund). 183 Überträgt man dieses Schema auf einen in Deutschland bekannten Kinderbuch‐ klassiker, so könnte die Argumentationsstruktur folgendermaßen aussehen: Pippi Langstrumpf ist faszinierend, weil sie sehr stark ist, unabhängig von der Meinung anderer handelt und besonders, weil sie eine gute Freundin ist. Das zunächst simplifizierend anmutende Vorgehen erfordert von den Schülerinnen und Schülern, kategorial zu denken und eine mentale Konstruktion der Figur vorzunehmen. Die Lesenden müssen nach Textbeispielen und Eigenschaften suchen, die die Figur auszeichnen, und im nächsten Schritt Kategorien bilden, die die Eigenschaften zusammenfassen. Damit aber stehen nicht mehr eine einzige Lösung oder ein einziges Vorgehen im Zentrum. Die Schüler: innen entwickeln vielmehr auf der Basis des Schemas ein eigenes kognitives System und überführen dieses in textuelles Handeln. Es wird demnach kein Wissen, sondern eine Handlungsanweisung transferiert. Diese wird nun - nach Anwen‐ dung auf den zu untersuchenden literarischen Text 184 - zu einem komplexeren Begründungszusammenhang ergänzt. 185 (Ein Charakter) ist (eine Eigenschaft), weil (erster Grund), (zweiter Grund) und besonders (dritter Grund). 1. Absatz Der erste Grund, warum (Charakter) (Eigenschaft) ist, liegt darin begründet, dass er (a) Zum Beispiel … • Dies verdeutlicht der Autor, indem … • Außerdem erkennt man dies … Erkläre, wie die Beispiele die These / Behauptung stützen. 261 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe 186 Anchor charts haben eine besondere Rolle bei der Visualisierung und Zielformulierung. Sie bilden Strukturen ab und bieten gleichermaßen im Sinne einer Prozedurendidaktik - siehe dazu auch Kapitel II.3 - Formulierungen für den eigenen Schreibprozess. 187 Hier spielt sicherlich eine Rolle, dass in den USA die Lehrer: innen feste Räume haben, zu denen die Schüler: innen kommen. Da hier häufig auch mehrere unterschiedliche 2. und 3. Absatz Ein anderer Grund, warum (Charakter) (Eigenschaft) ist, liegt daran, dass (b) • Zum Beispiel … • Dies zeigt besonders … • Zusammenfassung Rückbezug auf These Bezogen auf das bereits angesprochene Kinderbuchbeispiel könnte eine Ausdif‐ ferenzierung folgendermaßen aussehen: Pippis Unabhängigkeit erkannt man daran, dass sie … • ohne Eltern aufwächst und den Haushalt selber führt. - So backt sie an Weihnachten für sich, ihre Tiere und Freunde Pfefferkuchen und dekoriert das ganze Haus. Sie wirkt dabei weder einsam noch traurig. • anzieht, was sie mag. - Ihr Kleidungsstil ist ungewöhnlich; so trägt sie zum Beispiel ver‐ schieden farbige Strümpfe. Wenn sich andere darüber lustig machen, lacht sie einfach mit ihnen. • mit einem Pferd zur Schule reitet, aber nicht am Unterricht teilnimmt. - Obwohl sie nicht richtig lesen und schreiben kann, kommt sie im Leben zurecht. In die Schule gehen möchte sie nur, um auch Ferien zu bekommen. Diese einfache und klare Struktur wird zunächst stetig wiederholt. Dadurch werden Denk- und Formulierungsprozesse eingeübt. Durch die Übertragung dieser Struktur auf den ausgewählten literarischen Text, über den die Schüler: innen einen Essay verfassen, erleben sie, dass Gedankenstrukturen und zu verfassende Texte auf ein Grundgerüst zurückzuführen sind. Ausgehend von diesem Schema, das während der Unterrichtseinheit als anchor chart 186 im Klassenraum 187 hängt und beständig ergänzt wird, entsteht im Laufe 262 III Unterrichtspraxis Jahrgänge unterrichtet werden, kann der Schreibprozess als fortlaufende Entwicklung für die Lernenden sichtbar werden. 188 Schriftsteller: innen und ihre Produkte werden zu Mentor: innen für die Schreibnovizen. 189 Siehe Calkins (2014b), S. 101. Es wurde eine sinngemäße Übersetzung vorgenommen. der Unterrichtseinheit ein zunehmend komplexer werdender Text. Das bedeutet, dass die Schüler: innen über einen längeren Zeitraum an ihrem Text arbeiten und diesen durch Prozeduren sowie durch Impulse in Form von Mentorentexten 188 weiterentwickeln. Mentorentexte können literarische Texte sein, mit deren Hilfe auf einen besonderen Aspekt - Textübergänge, Einfügen von Dialogen, Einlei‐ tungen - fokussiert wird. Bei der Analyse der Mentorentexte geht es - im Sinne des reading in order to write-Ansatzes - immer auch darum, wie aus Leser: innen eines Textausschnittes oder Buches selbst Schreibende werden. Entscheidend ist, die dem Charakterisieren und Argumentieren impliziten Sprachhandlungen sichtbar zu machen und die Schritte, die beispielsweise bei der Bildung von Kategorien eine Rolle spielen, in Fragen und Handlungsanweisungen aufzulösen. Die Schüler: innen erhalten damit ein Gerüst, das bei der Arbeit mit verschiedenen Texten und Themenstellungen anwendbar und übertragbar ist. Dieses Gerüst bildet das Skelett für den Aufbau des Essays, bietet Formulierungshilfen und hilft, Evidenz herzustellen und eine Gewichtung der Einzelaspekte vorzunehmen. Die Schüler: innen werden zu eigenständigen, mündigen Schreiber: innen und erfahren, dass Schreiben (er)lernbar ist. Wie man einen themenbasierten literarischen Essay schreibt 189 • Berücksichtige die Motivation der Figur, ihre Probleme und ihre Ent‐ wicklung. Gibt es wiederkehrende Muster? • Was möchte die Figur und was hindert sie an diesen Zielen? • Wie versucht die Figur, ihre Probleme zu lösen? • Was lernt die Figur beim Lösen ihrer Probleme? • Welche Muster kannst du erkennen? • Welche übergeordneten Muster kannst du erkennen? Frage dich, welche großen und wichtigen Fragen der Leser aus dieser Geschichte lernen kann. • Entwirf eine These, die die Themen der Geschichte einschließt. • Suche nach dem überzeugendsten Beweis, der deine These stützt; füge diesen deinem Essay hinzu, indem du - Teile des Textes zitierst, - einen anderen Teil des Textes nacherzählst, - von einem weiteren Teil den Inhalt wiedergibst. 263 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe 190 Calkins (2014), S. 61 • Verfasse eine Einleitung für deinen Essay. Beginne mit einer allgemein‐ gültigen Aussage und leite dann zu deiner These über, indem du dich auf die Geschichte beziehst, über die du schreibst. • Um einen Abschluss zu schreiben, gehe auf mindestens einen der folgenden Aspekte ein: - deine These; betone, warum deine Behauptung, deine Erklärungen und Belege bedeutsam sind; - dich selber und das, was du aus der Geschichte gelernt hast; - die Aussage des Autors; - den Leser; präsentiere ihm ein Thema oder eine Fragestellung, über die er nachdenken sollte. Der Schreibprozess selber und die ihm innewohnenden Sprachhandlungen werden damit erfahrbar und als solche in notebooks  190 abgebildet und sichtbar. Wenn Calkins mehrfach auf das Schreiben in notebooks abhebt, dann ist dies aus folgenden Gründen interessant: Diese Hefte machen zum einen das Schreiben und vor allem den Prozess des Schreibens sichtbar. Im Idealfall wird Raum zum Ideensammeln, zum Planen, Entwerfen, Schreiben und Überarbeiten geschaffen. Die einzelnen Phasen des Schreibens bilden sich in diesem notebook ab. Alle Schemata und Impulse, die in den mid-workshops gegeben werden, sollen in Form von Boxen oder Kopien dort festgehalten werden. Der Unterschied zum traditionellen Schulheft liegt weniger im Format, denn im Sichtbarwerden eines Schreibprozesses. Die verschiedenen Phasen sind präsent, Entwürfe werden nicht entfernt. Aus diesem Grund soll kein Collegeblock verwendet werden, aus dem Seiten entfernt werden können. Ist Schreiben ein transactional act, wie Rosenblatt definiert, dann muss sich dies auch in der Art, wo und wie geschrieben wird, abbilden. Schreiben ist ein reread der eigenen Texte und Ideen. Etwas, das verworfen wurde, soll noch existent sein, um es wieder benutzen zu können. Schreibende bewegen sich vor- und zurücklesend in ihren eigenen Schreibprozessen. Die Länge und die Mühen dieses Prozesses werden sichtbar. Für die vorliegende Einheit wird der neutrale Begriff des Schreibjournals eingeführt. Das Arbeiten mit separaten Heften, die in der Regel in der Klasse verbleiben, erlaubt zudem im Rahmen der Auswertung einen Rückgriff auf alle Zwischenprodukte. Die minimalistische Struktur der Schemata führt im Verlauf der Unterrichts‐ reihe zu einer Vielzahl an Differenzierungsmöglichkeiten: So kann - ausgehend 264 III Unterrichtspraxis 191 Das Modell für die Argumentationsstruktur wird beispielsweise von Calkins durch den Impuls eingeleitet: I love ice cream because …(a) because (b) and because (c).“ Calkins (2014b), S. 8. von einfachen Beispielstexten oder Fragestellungen 191 - das Modell von der überwiegenden Mehrheit der Schüler: innen nachvollzogen und praktiziert werden. Es geht demnach bei der Einführung der Schemata weniger um das intellektuelle Durchdringen eines Themas oder eines literarischen Textes. Im Zentrum steht das Verständnis, dass Schemata textsprachliches Handeln abbilden. Sie haben einen semantischen und pragmatischen Mehrwert, da das Modell auf unterschiedliche Fragestellungen und Texte übertragbar ist. Dieses Modell können die Schüler: innen an verschiedenen Texten erproben. Eine weitere Differenzierungsmöglichkeit ergibt sich durch die gezielte Wortschatz‐ arbeit, die sich der Einführung anschließt: Je nach Sprachvermögen kann das eingeführte Schema unterschiedlich schnell variiert und ergänzt werden. Auch in Bezug auf das Hinzuziehen von Mentorentexten kann differenziert werden. Da zudem die Schreibzeit einen großen Teil der Stunde einnimmt, bietet dies der Lehrkraft die Möglichkeit, die einzelnen Schüler: innen bei ihrer Arbeit individuell zu unterstützen. Die Arbeit mit Schemata sowie die Betonung der individuellen Schreibzeit sind damit zentrale Pfeiler eines Schreibmodells, das ausgehend von einer klar definierten Instruktionsphase den Konstruktionsprozess der Schüler: innen ins Zentrum rückt. Das dargestellte Verfahren zum literarischen Essay ist übertragbar auf den Umgang mit informellen und narrativen Texten, die die Schüler: innen verfassen. Während in der Unter- und Mittelstufe das Schreiben fast ausschließlich im Unterricht stattfindet und die notebooks in der Regel im Klassenraum verbleiben, wird in höheren Klassen die Schreibarbeit zunehmend zu Hause durchgeführt. Obwohl neue Aspekte aufgenommen und am Text untersucht werden, z. B. stilistische Besonderheiten und deren Wirkung, bleibt das Unterrichtsprinzip gleich: Einführung des Schemas an einfachen Texten - Songtexten oder Videos - und Übertragung auf literarische Texte. Der Unterricht geht nicht von Einzelfragen aus, die an den literarischen Text gestellt werden, sondern vom Endprodukt, einem in sich geschlossenen Essay, der sich mit der Bedeutsamkeit der Figuren oder des Themas für die Leser: innen beschäftigt. Aus diesem Grund spielt auch die Adressierung - anders als beim materialgestützten Schreiben - keine entscheidende Rolle und wird nicht explizit erwähnt. Das Verhaken mit den Leserinnen und Lesern und das Wecken von Interesse aber spielen eine zentrale Rolle und stellen eine Vorübung für das adressatenbezogene Schreiben im Kontext materialgestützter Schreibaufgaben dar. 265 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe Abschließend lässt sich festhalten, dass die Einführung und Etablierung des neuen Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens ein schreibdi‐ daktisches Modell erfordert, das literarische Texte ebenso wie Sachtexte berück‐ sichtigt. Die im Rahmen der Aufgabe zu verfassenden Texte verlangen nicht nur eine umfassende Kenntnis der Textsorten, sondern vor allem der ihnen zugrundeliegenden Textmuster. Dabei ist es im ersten Schritt entscheidend, auf die Fähigkeiten, die die Schüler: innen beim Interpretieren und Erörtern erworben haben, zurückzugreifen. Das sind insbesondere die Deutung von und die Informationsentnahme aus Texten sowie das Belegen von Aussagen. Neu für die Schüler: innen ist die Auswertung dieser Texte in Bezug auf ein konkretes Schreibziel und das Verfassen eines zusammenhängenden, eigenen Textes, dessen Struktur, Inhalt und Intention von den vorgegebenen Texten abweichen. Um den Schülerinnen und Schülern ein in Bezug auf die jewei‐ lige Aufgabenstellung und die ihr innewohnenden Sprachhandlungen, die vorgegebenen Texte und ihr eigenes Schreibvermögen abgestimmtes variables System anzubieten, ist es sinnvoll, die routinierte Anwendung sprachlichen Musterwissens zu fördern und Schemata zu entwerfen. Diese müssen zum einen die Auswertung der Sekundärtexte strukturieren, zum anderen im nächsten Schritt den darauf aufbauenden eigenen Schreibprozess einleiten und lenken. Die Schemata müssen so gestaltet sein, dass sie fiktionale wie nicht fiktionale Texte berücksichtigen. Damit die Schemata jedoch zu Textroutinen werden, ist es zentral - besonders im Hinblick auf die Erfahrungen, die mit den Ansätzen des TCRWP in den jeweiligen Schulen gemacht wurden -, dass der Schreibprozess in dieser Phase tatsächlich im Unterricht stattfindet. Texte müssen gemeinsam geschrieben, be- und überarbeitet werden. Es muss den Schülerinnen und Schülern bewusst werden, dass Schreiben ein transaktionaler Akt ist und damit das Produkt im Zentrum steht, das für Leser: innen gedacht und geschrieben worden ist. Jede: r Schreibende ist dadurch zugleich Lesende: r und umgekehrt. Schreiben muss als Prozess vermittelt und verstanden werden, der sich immer weiter dem Endprodukt annähert. Der Text wird damit als Konstrukt einzelner Sprachhand‐ lungen wahrnehmbar und erfahrbar. Inwieweit die Schüler: innen bereits in der Unterstufe in der Lage sind, mit einem schemabasierten Ansatz zu arbeiten, soll in dieser empirischen Untersuchung aufgezeigt werden. Da sich die Konzeption dieser Unterrichtseinheit maßgeblich vom herkömm‐ lichen Deutschunterricht und den in der Regel praktizierten schreibdidaktischen Ansätzen abhebt, soll eine erste empirische Untersuchung in Form einer Pilot‐ studie zunächst mit einer Klasse durchgeführt werden. Es handelt sich um eine 5. Klasse eines Marburger Gymnasiums mit 24 Schülerinnen und Schülern, in der 266 III Unterrichtspraxis 192 Siehe König (2018a) 193 Auf die Schwierigkeiten, in Interventionsstudien einen Nullkontext herzustellen, wurde in Kapitel III.1 sowie III.2. 1 bereits verwiesen. 194 Kinney, Jeff: Gregs Tagebuch - Von Idioten umzingelt. Ein Comicroman. Köln: Baum‐ haus 2008. S. 1-7 195 Die konkrete Aufgabenstellung lautet: „Lies dir den Anfang von Gregs Tagebuch - Von Idioten umzingelt durch und stelle einer Person, die noch nie etwas von Greg gehört hat, diesen vor. Verwende dazu den Textausschnitt.“ die Verfasserin selber das Fach Deutsch als Klassenlehrerin unterrichtet. Nach einer Evaluation und Publikation 192 gilt es, eine empirische Untersuchung auf weitere Klassen auszuweiten. Die Anlage der Studie orientiert sich ansonsten an denen der vorangegangenen empirischen Studien und soll nur dann näher dargestellt werden, wenn Abweichungen zu den vorherigen vorliegen. III.5.2 Die Eingangsdiagnose: Zielsetzung und Auswertung Ziel der Eingangsdiagnose ist es festzustellen, über welche Kompetenzen die Schüler: innen verfügen, wenn sie über eine literarische Figur schreiben. Aus‐ gehend von der Frage, welche Präkonzepte beim Schreiben bereits vorhanden sind, wird im Rahmen der sich anschließenden Unterrichtseinheit untersucht, ob und wie sich diese Kompetenzen durch die Intervention der Unterrichtsreihe verändern. 193 Anhand eines siebenseitigen Romanausschnittes aus „Gregs Ta‐ gebuch - Von Idioten umzingelt“ 194 sollen die Schüler: innen den Ich-Erzähler des Comicromans vorstellen. 195 Für die Auswahl des Textes ist entscheidend, dass das Buch bei Jungen und Mädchen trotz des männlichen Protagonisten gleichermaßen hohen Zuspruch genießt. Sowohl der Plot als auch das Zusammenspiel von Text und Bild motivieren die Schüler: innen, sich mit der Figur Gregs auseinanderzusetzen. Um ein valides, die Schreibkompetenz messendes Ergebnis zu erzielen, wird bewusst ein einfach verständlicher und leicht zugänglicher literarischer Text gewählt, der jedoch lang genug ist, dass Generalisierungen, Kategorienbildung und damit verbunden eine Informationsreduktion untersucht werden können. Da es sich um den Anfang des Romans handelt, können auch diejenigen, die die Buchreihe nicht kennen, dem Gang der Handlung ohne weitere Einführung folgen. In der Aufgabenstellung wird darauf verzichtet, den Begriff der Charakterisierung zu verwenden. Zum einen kommen die Schüler: innen von verschiedenen Grund‐ schulen, greifen damit auf unterschiedliches Vorwissen zurück und sollen durch eine eventuell unbekannte Terminologie nicht verwirrt werden. Zum anderen wird für die sich anschließende Unterrichtseinheit explizit nicht der Begriff 267 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe 196 Siehe vorangegangene Ausführungen zur Personenbeschreibung in Kapitel III.5. 1. 197 Siehe Kapitel III.5. 3. 198 „…aber momentan bin ich von Idioten umzingelt.“ Kinney, S. 2 199 „Erwartet also nicht…“ (Ebd., S. 1), „Wenn ihr mich fragt…“ (Ebd., S. 3) 200 Von den 23 Schülerinnen und Schülern, die die Diagnose durchgeführt haben, haben 16 Schüler: innen einen Text verfasst, der fast vollständig oder überwiegend den Romanausschnitt nacherzählt. In diesen Texten wird umfassend oder in weiten Teilen die Chronologie des Comicromans übernommen. der Charakterisierung verwendet, 196 so dass auch bei der Diagnose der Begriff vermieden wird. Die Adressierung der Aufgabenstellung soll die Schüler: innen beim Schreiben über Greg dazu anleiten, sich auf den vorliegenden Romanausschnitt zu be‐ ziehen und Aussagen am Text zu belegen. Der Hinweis, dass die Adressat: innen die Figur Greg nicht kennen, fordert von den Schreibenden, auch solche Informationen zu berücksichtigen, die sie als bekannt voraussetzen, z. B. Gregs Aussehen, sein Geschlecht oder sein Alter. Ebenso ist es erforderlich, die eigenen Aussagen zu gliedern. Im Zentrum der Auswertung steht die Frage, wie die Schüler: innen mit diesem Textausschnitt umgehen und in welcher Beziehung die Textvorlage zu der entstandenen Charakterisierung Gregs steht. Um die Texte beurteilen und um Konsequenzen für die Konzeption der Unter‐ richtseinheit 197 ableiten zu können, ist es erforderlich, den literarischen Text ge‐ nauer in den Blick zu nehmen: Die dargestellten Erlebnisse sind in der Ich-Form aus der Sicht Gregs verfasst. Es handelt sich dabei um einen an der Handlung beteiligten Erzähler, der einen radikal subjektiven Standpunkt einnimmt 198 und der Träume und Visionen gleichbedeutend neben Handlungsabläufen in Text und Bild wiedergibt. Die Glaubwürdigkeit des Erzählers ist somit eingeschränkt. Der Gang der Handlung - Bericht über das neue Tagebuch, Visionen über potentielle Berühmtheit und Rechtfertigung des Tagebuchschreibens sowie erste Szenen an der neuen Schule - ist durch eine doppelte Dialogizität gekennzeichnet: Der Fließtext wird durch Comiczeichnungen unterbrochen, die sowohl explizite als auch implizite Aussagen über Greg enthalten und damit die reale Handlungsebene ebenso wie die Imagination des Erzählers betreffen. Die zweite Ebene der Dialogizität betrifft die Kommunikation des Erzählers mit den Lesenden. 199 Das Nebeneinander von antizipierten Ereignissen, Wünschen und tatsächlichen Handlungen findet auf verschiedenen Zeitebenen statt. Der Untersuchungsgegenstand fordert von den Schülerinnen und Schülern eine Decodierung und Transformation in ein eigenständiges Textprodukt. Analysiert man die entstandenen Schüler: innentexte, so bewegen sich diese zwischen den Polen der Reproduktion und der eigenständigen Textproduktion: Ein Großteil 200 der Schüler: innen orientiert sich in seinen Texten über Greg an 268 III Unterrichtspraxis 201 „Wenn ihr Greg fragt, er würde die Klassen nach Körpergrößen sortieren.“ [PUS2w] „Er erzählt davon wenn ihn einer mit seinem „Tagebuch“ sieht wird er Loser genannt. Wir brauchen auch nicht erwarten das „Liebes Tagebuch“ kommt.“ [PUS3w] 202 So sind drei exemplarische Texte, die sich sehr stark an der Chronologie des Textes orientieren und diesen fast wörtlich wiedergeben, mit 251 Wörtern [PUS5w], 233 Wörtern [PUS2w] und 193 Wörtern [PUS3w] deutlich länger als solche, in denen Kategorien gebildet werden und generalisiert wird: 70 Wörter (PUS6w], 72 Wörter [PUS7m] und 44 Wörter [PUS8m]. 203 Einige längere Texte zeichnen sich beispielsweise dadurch aus, dass sie auf die Schika‐ nierungen Gregs und seinen Stand in der Klasse nicht eingehen. der Vorlage und verfasst in weiten Teilen eine Nacherzählung mit zahlreichen Paraphrasierungen und/ oder wörtlichen Übernahmen aus dem Text. Diese Pas‐ sagen sind nicht als Zitate kenntlich gemacht. Zum Teil wird die von der Regel‐ sprache abweichende Großschreibung aus dem Text kopiert. Drei Schüler: innen übernehmen im Laufe ihrer Ausführungen die Personalpronomen und damit die Erzählperspektive des Textes: „Er findet die Highshool das schlechteste überhaupt denn da wird man mit riesigen Typen zusammengesteckt. Jusoo [ Jason] Brill kam zu spät und hätte sich fast neben mich [Hervorhebung durch die Verfasserin] gesetzt.“ [PUS1m] Die mangelnde Abgrenzung zwischen der literarischen Vorlage und dem eigenen Text über Greg zeigt sich auch darin, dass die Leser: innenansprache des Erzählers in der Personenbeschreibung aufgenommen wird. 201 Verbunden mit dem nacherzählenden Charakter ist der Umstand, dass diese Texte der Chronologie des Romans folgen. Mehrfach werden die Fiktionalität und damit auch die Subjektivität des Erzählers nicht erkannt: „Greg ist ein Junge der heute seinen ersten Tag an der Highschool ist [Hervorhebungen durch die Verfasserin].“ [PUS4w] Schüler: innentexte, die sich durch ein hohes Maß an Reproduktion und damit einer nicht vorgenommenen Informationsreduktion auszeichnen, sind in der Regel überdurchschnittlich lang. 202 Die Textlänge ist somit kein absolutes und aussagekräftiges Maß für den Grad der Eigenständigkeit der Textproduktion oder für die Menge der aus dem Primärtext berücksichtigten Themen. 203 Die ungeübten Schreibenden fokussieren auf zahlreiche unwichtige Mikropropo‐ sitionen, ohne übergeordnete Kategorien zu bilden. Das Deuten eines literari‐ schen Textes erfordert jedoch nicht nur das Aufstellen von Makropropositionen, die die Textmenge reduzieren. Gleichzeitig ist eine Metareflektion nötig: So begründen bereits einige Schüler: innen ihre Kategorien und Beurteilungen. In diesem Fall steigt der Textumfang durch interpretative Anteile, ohne dass es zu reproduktiven, nacherzählenden Passagen kommt. Besonders schwer fiel einem Großteil der Schüler: innen die Auseinanderset‐ zung mit dem ersten Teil des Romans, in dem der Erzähler über das Schreiben des 269 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe 204 „Greg ist ein Junge. Er erzählt von seinem Leben in einem Buch und schreibt alles auf.“ [PUS9w]; „Greg ist ein Junge der gerade in die weiterführende Schule gekommen ist.“ [PUS10m] „Greg würde ich so beschreiben.“ [PUS7m] 205 „schätze ich ihn so ein“ [PUS10m] 206 „Greg ist ein Junge, der führt ein Tagebuch, will aber nicht, dass es irgendjemand merkt, weil er dann als „Loser“ dasteht [Hervorhebungen durch die Verfasserin].“ [PUS5w]; „Er hat sich schon immer für Mädchen interessiert, aber die Mädchen nicht für ihn [Hervorhebungen durch die Verfasserin].“ [PUS11w] Tagebuchs und die Intentionen des Schreibens berichtet. Größtenteils wurden der Rechtfertigungscharakter und damit der metafiktionale Anteil dieser Pas‐ sage nicht erkannt. Dies liegt neben den drei verwendeten Zeitebenen vor allem an den Erzählmodi: Greg berichtet von seinen antizipierten Ereignissen in der nahen und fernen Zukunft, ohne dass beispielsweise Konjunktivformen die Abgrenzung von den Ereignissen der Romanhandlungen markieren. Folge dieser narrativen Komplexität ist, dass diese fast zweiseitige Passage von vielen Schülerinnen und Schülern überwiegend wörtlich oder paraphrasierend wieder‐ gegeben wurde. Den Schreibenden fehlte ein Instrumentarium, diese Aussagen in einen eigenen Text zu überführen. Damit zeichnen sich die Schüler: innentexte nicht nur durch einen nacherzählenden Charakter, sondern auch dadurch aus, dass der fiktive Charakter des Romans nicht erkannt bzw. markiert wurde. Ein kleinerer Teil der Klasse verfügt bereits über Präkonzepte beim Schreiben über eine literarische Figur. Diese zeigen sich in einer eigenen, von der literari‐ schen Vorlage unabhängigen Struktur, z. B. in Form einer Einleitung. 204 Während das Verfassen eines Einleitungssatzes deutlich etablierter ist, schreibt niemand einen Schluss. Den Text gliedernde Absätze fehlen in allen Schüler: innrntexten. Ein entscheidendes Kriterium für einen fortgeschrittenen, sich nicht am Gang der Handlung orientierenden Text, der die Gewohnheiten und Eigenschaften Gregs in den Mittelpunkt rückt, ist das Bilden von Kategorien: „Greg ist witzig und selbstsicher. Er denkt, dass er reich und berühmt wird und findet Mädchen cool.“ [PUS8m] Um Handlungen einzelnen Eigenschaften zuordnen zu können, werden Generalisierungen vorgenommen, die einzelne Aussagen kohärent miteinander verbinden: „Vom Typ her schätze ich ihn so ein dass er denkt dass er der einzigste Junge ist der auf der Junior High School kein Volldepp ist. Er probiert viel dass er beliebter wird [Hervorhebungen durch die Verfasserin].“[PUS10m] Das Verweisen auf den „Typ“ sowie auf das „viel“ zeigt, dass der Schüler versucht, Textaussagen nicht nur auszuwerten und zu deuten, 205 sondern einzelne Handlungen zusammenzufassen. Ebenso werden Relationen gebildet, die die einzelnen Textaussagen des Romans in Beziehung zueinander setzen. 206 Einige Schüler: innentexte verweisen auf die Subjektivität des Erzäh‐ lers und die Notwendigkeit einer interpretativen Deutung und Einordnung der 270 III Unterrichtspraxis 207 In dem vorliegenden Text der Schülerin PUS12w kommt es zur Deutung impliziter Aussagen. So findet eine explizite Unterscheidung zwischen den Aussagen Gregs und damit der Erzählerstimme und der Intention des Gesagten statt („hält sich“). Weiterhin nimmt die Schülerin Hierarchisierungen und Generalisierungen vor; persönliche Be‐ wertungen werden markiert. Handlungen: „Greg hält sich für schlau. Er denkt generell oft an sich. Vor allem glaubt er, dass er cool ist. (…) Bei vielen Leuten kommt er mit seiner Art nicht so gut an. (…) Leider ist er deswegen auch nicht besonders beliebt. Aber er will sehr beliebt sein.“ 207 Der fiktive Charakter des Textes wird erkannt, einzelne Textaussagen werden gedeutet und im eigenen Schreibprozess markiert. Je häufiger Textstellen zusammengefasst, interpretiert und Kategorien ge‐ bildet werden, desto weiter entfernen sich die Schreibenden in der Regel von der Vorlage. Daraus resultiert die Notwendigkeit, Aussagen am Text zu belegen. Zwar verwendet niemand explizit Zitate; eine Schülerin führt jedoch Beispiele zum Erklären an, eine andere verwendet den Konjunktiv als Zeichen der Redewiedergabe. Vier Schüler: innen nehmen in ihren Vorlagen Markierungen vor, zwei kommen zu eigenständigen Lösungen, die zeigen, wie ausgehend von den Kategorien der Eigenschaften Gregs ein Rückverweis auf den literarischen Text stattfindet: „Er ist ein bisschen egoistisch, ist sehr von sich überzeugt. Greg lernt nicht von seinen Fehlern finde ich. Er versucht sich immer berühmt zu machen.“ [PUS7m] Nach „überzeugt“ hat der Schüler ein * eingefügt; im Anschluss an diese Beschreibung Gregs gibt er - ohne explizite Markierung - zur Erklärung ein Zitat aus dem Comicroman wieder. Ein anderer Schüler hat vier verschiedene Farben zur Markierung verwendet und diese den Kategorien, die er gebildet hat, zugeordnet: „cool, witzig, selbstsicher, findet Mädchen cool“. [PUS8m] Diese Beispiele demonstrieren das Bemühen, die stilistischen und inhaltlichen Besonderheiten des literarischen Textes abzubilden. Zwischen diesen beiden Polen der Nacherzählung und Kategorienbildung finden sich zahlreiche Mischformen: Texte, die erste Formen der Kategorisie‐ rung und Interpretation enthalten, die aber gleichzeitig noch nacherzählen: „Greg ist ein Junge, der nicht beliebt ist und der findet, dass die Klassenvertei‐ lung eher nach der Größe gehen soll, weil sonst neue 5. Klässler mit Leuten zusammen kommen die sich 2mal täglich rasieren müssen.“ [PUS13m] Der Schüler nennt die Kategorie der Beliebtheit. Im nächsten Schritt wird durch das Wort „und“ angedeutet, dass eine zweite Eigenschaft angeführt wird. Es wird jedoch eine Anekdote erzählt, die den schwierigen Stand Gregs in der Klasse abbildet. Der vorgenommene Perspektivwechsel - zuerst wird über Greg geschrieben, dann aus seiner Perspektive - erschwert, den Textausschnitt als ein Beispiel von Gregs mangelnder Beliebtheit zu erkennen. Dabei paraphrasiert der 271 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe Schüler den Inhalt, der vor allem die Probleme Gregs in der Klasse darstellt: „mit riesigen Gorillas zusammen, die sich zweimal täglich rasieren müssen“ sowie „sollten die Klassenstufen nach Körpergröße und nicht nach Alter bestimmt werden“. Zweierlei wird an dem Beispiel deutlich: Der Schüler erkennt die Notwendigkeit, Kategorien zu bilden. Die eingeführte Struktur wird jedoch nicht beibehalten und erschwert es den Lesenden, dem Gedankengang des Schreibenden zu folgen. Ein Zusammenhang zwischen These und Erläuterung bzw. Textbeleg wird nicht hergestellt. Die Eingangsdiagnose zeigt, dass das entscheidende Textmuster, das für die Charakterisierung einer literarischen Figur verwendet wird, die Nacherzählung ist. Die Chronologie des Romans wird aufgenommen, Prozeduren des Erzäh‐ lens - beispielsweise „dann“ - dominieren. Auffällig ist weiterhin, dass die Schüler: innen sich nicht zu der Figur Gregs positionieren, das heißt, diese als sympathisch oder bemitleidenswert darstellen. Es überwiegt der Versuch einer objektiven Darstellung. Je weniger die Schreibenden Kategorien bilden, desto geringer ist zudem der argumentative Anteil der Charakterbeschreibung. III.5.3 Durchführung und Auswertung einer schemabasierten Unterrichtseinheit zum literarischen Essay Da das Verfassen eines literarischen Essays auf der Basis einer schemabasierten Struktur in weiten Teilen von im Deutschunterricht üblichen Verfahren der Texterschließung und -produktion abweicht, werden im Folgenden einige zentrale Interventionen der Einheit wiedergegeben und erläutert. Dies soll im Anschluss ermöglichen, die Einheit vor dem Hintergrund der Herausfor‐ derungen des materialgestützten Schreibens kritisch zu reflektieren. Grundge‐ danke der Einheit ist, dass das Arbeiten mit Schemata jeweils nicht an dem literarischen Text, über den die Schüler: innen einen Essay schreiben, eingeführt wird, sondern anhand einer kanonisierten, allen bekannten literarischen Figur. Dazu wurde Pippi Langstrumpf aus den Kinderbüchern von Astrid Lindgren ausgewählt. In der Unterrichtseinheit wird auf das Vorwissen der Schüler: innen zurückgegriffen und jeweils an den Gelenkstellen beispielhaft mit dieser Figur gearbeitet: Die Lehrerin demonstriert das Vorgehen, die Schüler: innen üben dieses anhand der Figur ein und übertragen in einem nächsten Schritt das Vorgehen auf ihren eigenen Text, über den sie einen Essay verfassen. Damit wird zum einen der Schreibprozess bei der Einführung von Verfahren entlastet, da keine Lektüre erforderlich ist. Zum anderen ermöglicht der niedrigere Kom‐ plexitätsgrad der Kinderbuchfigur, dass eine Fokussierung auf die Anwendung des Schemas und nicht auf den Inhalt stattfindet. 272 III Unterrichtspraxis 208 Die Schüler: innen können zwischen folgenden vier Romanausschnitten wählen: Joanne K. Rowling „Harry Potter und der Stein der Weisen“, Max von der Grün „Die Vorstadt‐ krokodile“, Astrid Lindgren „Ronja Räubertochter“, Susie Morgenstern „Die Farben des Lebens“. 209 In der von Calkins et al. konzipierten Unterrichtseinheit wird das Schema folgender‐ maßen formuliert: „Claim (A character) is (a trait) because (one reason), (another reason), and above all, because (a third reason).“ Calkins (2014b), S. 9 Das Verfassen eines Essays erfolgt anhand eines Romanausschnittes, den die Schüler: innen aus einem Textkorpus von vier Texten auswählen. 208 Das Arbeiten mit vier verschiedenen Romanausschnitten berücksichtigt unterschiedliche Interessen der Schülerinnen und Schüler und erhöht damit die Motivation, sich auf das Schreiben eines Essays einzulassen. Gleichzeitig erlaubt das Arbeiten mit mehreren Texten, dass in der Überarbeitungsphase die Essays auch von Mitschülerinnen und Mitschülern beurteilt werden, die den Textausschnitt nicht bearbeitet haben und diesen im Hinblick auf eine kohärente Darstellung überprüfen können. Hier wird auf einer niedrigschwelligen Ebene ein adressa‐ tenbezogenes Schreiben angebahnt. Eingeführt und eingeübt wird das Schema jeweils durch die literarische Figur der Pippi Langstrumpf. Anhand dieser Figur werden die Schüler: innen erstmals damit konfrontiert, Aussagen eines literarischen Textes in ein Schema zu überführen und damit gleichermaßen eine Reduktion des Textes sowie Generalisierungen und Kategorisierungen vorzunehmen. Diese Abstraktions‐ prozesse, sollen sie bereits in der Unterstufe des Gymnasiums angeleitet werden, erfordern eine schrittweise Einführung, die den Komplexitätsgrad zunehmend erhöht. Pippi Langstrumpf ist allen entweder aus Büchern, Verfilmungen oder Hörspielen bekannt und genießt einen hohen Sympathiewert. Deshalb kann auf die Lektüre des Textes verzichtet und auf das Vorwissen der Schüler: innen rekurriert werden. Damit konzentriert sich die Einführung des Schemas nicht auf das Lese- und Textverständnis, sondern auf die Anwendung. Zudem ver‐ hindert das Vorgehen, dass die Schüler: innen die Handlung nacherzählen oder paraphrasieren. Der entscheidende strukturierende Vorgang des Schemas - (Ein Charakter) ist (eine Eigenschaft), weil (erster Grund), (zweiter Grund) und besonders (dritter Grund). - ist die Aufforderung, drei Gründe für eine Eigenschaft der literarischen Figur anzuführen. 209 Um die Schüler: innen anzuleiten, eine herausragende Eigenschaft von Pippi Langstrumpf zu identifizieren, wird diese zunächst als bemerkenswert oder besonders festgelegt. Das Schema zeichnet sich durch die folgenden, für den Schreibprozess relevanten Parameter aus: Wenn auf das Besondere bzw. Bemerkenswerte einer Figur abgehoben wird, dann 273 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe 210 „The third little pig is an admirable character because A, because B, and most of all, because C.“; Calkins (2014b), S. 6 211 Nur bei einem Schüler wird nicht ganz deutlich, ob er die Figur der Pippi Langstrumpf tatsächlich kennt; so werden im Einleitungssatz zwar drei Eigenschaften genannt, die Beispiele sind aber weder Buch noch Verfilmung eindeutig zuzuordnen. „Pippi ist eine bemerkenswerte Person, weil sie lustig, verrückt und stark ist. (…) Der Grund, dass Pippi verrückt ist, liegt darin begründet, dass sie mit dem Auto um die Welt fliegen will.“ [PUS14m] 212 Eine Schülerin [PUS20w] war längere Zeit krank und hat diese Aufgabe nicht bearbeitet. 213 Nur einer Schülerin fiel es schwer, sich auf drei Eigenschaften zu beschränken. So werden zwar im Einleitungssatz drei Eigenschaften genannt, aber im Rahmen der sich anschließenden Begründung werden weitere Eigenschaften angeführt. erfordert dies von den Schreibenden, sich von der Handlungsebene zu lösen und auf die Eigenschaften der Figur zu schließen. Das Adverb besonders bzw. das Adjektiv bemerkenswert verlangt, sich auf einen entscheidenden Wesenszug zu konzentrieren und gleichzeitig eine Haltung gegenüber der literarischen Figur einzunehmen. Um dies zu leisten, muss von der Handlung und den Ereignissen der Erzählung generalisiert und auf Kategorien geschlossen werden. Dabei kann es zu unterschiedlichen Bewertungen durch die Schreibenden kommen. Dass im Verlauf des Schreibprozesses zunehmend auch Eigenschaften angeführt werden, die nicht ausschließlich positiv zu bewerten sind, zeigt die inhaltliche Offenheit des Schemas, das den Schreibprozess unterstützt, aber nicht thematisch lenkt. Diese Offenheit der Ergebnisse gilt es, im Unterricht aufzuzeigen. So sind Faszination und Irritation demnach denkbare Varianten, die auch erlauben, dass sich der Schreibende von der Figur abgrenzt. Wenn Calkins et al. in ihrem Schema mit dem Adjektiv „admirabel“ 210 arbeiten, dann hat dies eine deutlich positivere, die Deutung eines Textes jedoch einengende Konnotation. Das Einfordern von drei verschiedenen Gründen im Rahmen des Schemas erfordert eine Reduktion der Textmenge bzw. der Teilhandlungen des Textes und stellt einen Begründungszusammenhang her. Die Schüler: innen müssen generalisieren und Kategorien bilden und somit Eigenschaften finden, die nicht nur einmalig auftreten, sondern in vielen Situationen präsent sind. Das Wort besonders bei der Aufführung der Gründe impliziert im nächsten Schritt, dass die Schreibenden ihre Gründe priorisieren und damit auch bewerten. Untersucht man die ersten, von den Schülerinnen und Schülern verfassten Schemata zu der Figur der Pippi Langstrumpf, dann fallen folgenden Ergebnisse auf. Alle 211 23 Probanden 212 waren in der Lage, drei Eigenschaften anzuführen und damit eine Reduktion der Handlung vorzunehmen. 213 Die erarbeiteten Eigenschaften lassen sich in vier übergeordneten Kategorien einordnen: Stärke, 274 III Unterrichtspraxis 214 Als Textbeispiel werden angeführt: „liebevoll“, „versteht sich gut mit anderen“, „kann gut mit Tieren umgehen“, „wird nie sauer“, „gut zu Kindern“, „hilfsbereit“, „freundlich“, „gutherzig“, „großzügig“. 215 „verrückt“, „anders“, auffällig“, „frei“, „geht nicht in die Schule“, „macht Quatsch“, „macht Streiche“, „frech“ Unangepasstheit, Umgang mit anderen 214 und Auftreten. Während 22 von 23 Schülerinnen und Schülern auf Pippis Stärke abheben und dafür zahlreiche Beispiele nennen, sind die angeführten Eigenschaften für die Unangepasstheit vielfältiger. 215 Die Bandbreite dieser Eigenschaften zeigt, dass es sinnvoll ist, mit dem Adverb besonders zu arbeiten, um auch Handlungen benennen zu können, die nicht ausschließlich positiv bewertet werden können. Weiterhin waren alle in der Lage, durch das Anführen von Beispielen die gewählten Eigenschaften zu erläutern. Besonders leicht fiel es den Schülerinnen und Schülern, Beispiele für Pippis Stärke und ihre Großherzigkeit zu benennen. Mehrere Schüler: innen führen nicht nur ein, sondern mehrere Erklärungen an und nehmen dadurch eine stichhaltige Argumentation vor: 1. Dass sie gutherzig ist, sieht man daran, dass sie immer nett zu ihren Freunden und Haustieren ist, dass sie an Weihnachten jedem Kind etwas schenkt oder dass sie immer nett zu Dieben ist. [PUS15m] 2. Sie ist auch sehr verrückt, dass sieht man, dass sie mit Schuhen im Bett schläft, dass sie Plätzchen auf dem Boden backt und dass sie mit ihren Tieren spricht. [PUS1m] Alle haben auf der Basis des vorgegebenen Schemas Absätze gemacht und dadurch den eigenen Text strukturiert. Schwierigkeiten bei der Anwendung des Schemas gab es auf zwei Ebenen: Die eine betrifft das Adverb besonders, die andere die Begründungszusammenhänge. Neun Schüler: innen haben das Wort besonders weggelassen und damit keine explizite Priorisierung der Gründe vorgenommen. Vier Schüler: innen haben besonders als Steigerung der letzten Eigenschaft verstanden. 216 Die zweite Prob‐ lemebene liegt im strukturellen Bereich. Das Thema fordert zunächst, eine These aufzustellen, bevor die einzelnen Gründe erläutert und argumentativ gestützt werden. Für jeden Grund soll dazu ein eigener Absatz gewählt werden. 3. Pippi ist eine besondere Person, weil sie lustig ist, gut mit Tieren umgehen kann und besonders stark ist. / Dass sie verschiedene Socken anhat. / Sie das Pferd mit ins Haus nimmt und gut behandelt. / Sie alle Seeräuber hochheben kann und dass ihr Vater nicht so stark ist wie sie. [PUS17w] 275 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe 216 „besonders freundlich“ [PUS18m], „besonders stark“ [PUS3w], „besonders mutig“ [PUS13m], „besonders auf Streiche ausgelegt“ [PUS16w] 217 „Pippi ist eine bemerkenswerte Person, weil sie stark ist. Gr: Sie kann ihr Pferd mit einer Hand hochheben. Weil sie lustig ist. Gr: Sie macht Spaß mit der Polizei, veräppelt sie und lässt sie dumm aussehen du sie ist besonders, weil sie gut mit Freunden umgehen kann. Gr mutig ist. Gr: Weil sie sich traut, sich gegen die Polizei, Ordnungsamt und Kinderheim aufzuwenden. Gr = Grund“ [PUS7m] 218 Siehe hierzu auch Feilke (2010), S. 14 Das dritte Textbeispiel zeigt, dass sie Schülerin PUS17w, statt nach der These den ersten Grund noch einmal aufzunehmen, unmittelbar Beispiele anbringt. Diese Verkürzung erschwert das Verständnis. Ein anderer Schüler hat keine einleitende These mit drei Gründe formuliert, sondern nacheinander die Eigen‐ schaften erklärt. 217 Das Prinzip jedoch, die Besonderheit einer Figur zu benennen und zu begründen, haben alle verstanden und umgesetzt. Auch die Formulierungen im Rahmen der Begründung bereiteten einigen Probleme. So wurden beispielsweise die unterschiedlichen Ebenen, die zwischen der Eingangsthese und der Erläuterung der einzelnen Gründe bestehen, nicht er‐ kannt. Damit führen Schüler: innen Gründe und nicht Belege für Eigenschaften an: 4. Pippi ist eine besondere Person, weil sie sehr stark ist, sich mit Tieren versteht und besonders freundlich ist. / Der erste Grund, warum Pippi sehr stark ist, liegt darin begründet, dass sie zum Beispiel mit einer Hand hochheben kann. / Ein anderer Grund, warum Pippi sich mit Tieren versteht, liegt daran, dass sie einen Affen und ein Pferd besitzt. / Noch ein Grund, warum Pippi besonders freundlich ist, liegt daran, dass sie zum Beispiel viele Freunde hat [Hervorhebungen durch die Verfasserin]. [PUS18m] Um diese Unsicherheiten beim Formulieren zu beheben, gilt es zum einen, in einer weiteren Interventionsstudie zusätzliche Übungsphasen zu etablieren. Zudem bietet es sich bei einer Weiterentwicklung der Interventionen an, alternative Formulierungen zu erproben. Dass man bei dem Schema jedoch tatsächlich von einer kognitiven Struktur sprechen kann, zeigt sich u. a. an der Tatsache, dass es als Gerüst verstanden wird und Raum für individuelle Ausfüh‐ rungen bietet. So wählen bereits in der Einführungsphase der Unterrichtseinheit einige Schüler: innen Formulierungen, die nicht vorgegeben sind oder schreiben bereits einen zusammenfassenden Schluss: „Diese Gründe und noch viele mehr machen Pippi zu einem ganz besonderen Menschen.“ [PUS5w] Interessant sind in diesem Zusammenhang zudem selbstregulative Prozesse der Schreibenden: 218 276 III Unterrichtspraxis 219 „Pippi ist eine besondere Person, denn sie ist sehr stark. Sie kann nämlich ihr Pferd hochheben. / Ein weiterer Grund ist, dass sie eine nette Person ist, dass sie sich gut mit Kindern versteht, denn sie kauft allen Kindern ganz viele Süßigkeiten. Sie ist auch sehr lustig, das erkennt man, als sie Eier mit dem Kopf auffängt und an der Decke läuft. / Pippi ist eine bemerkenswerte Person; das erkennt man daran, dass sie stark ist, dass sie gut zu Kindern ist und dass sie sehr lustig ist. / Dass sie stark ist, erkennt man daran, dass sie ihr Pferd hochheben kann. / Sie ist nett zu Kindern, sie kauft nämlich allen Kindern Süßigkeiten. / Sie ist auch sehr lustig, denn sie läuft an der Decke. [Hervorhebungen durch die Verfasserin]“ [PUS19m] 220 Diekhans, Johannes; Fuchs, Michael (Hgg.): P.A. U.L. D. 5. Braunschweig: Ferdinand Schöningh 2004. Die Texte befinden sich in der Einheit zum Thema „Freundschaft hat viele Gesichter - Freunde in Jugendbüchern“, S. 58 ff. 221 Dieser Gedanke wird auch bei der Überprüfung der Lernerfolge drei Monate nach er Intervention im Rahmen einer Ganzschriftlektüre relevant. 222 Hierbei handelt es sich um Harry aus „Harry Potter und der Stein der Weisen“, Hannes aus „Die Vorstadtkrokodile“, Ronja „Ronja Räubertochter“, und Ernest „Die Farben des Lebens“. So unterbricht PUS19 m eigenständig den begonnenen Schreibprozess, um die Begründung im Sinne des Schemas fortzusetzen. 219 Im nächsten Schritt sollen die Schüler: innen das Schema auf einen literari‐ schen Text anwenden: Schreib- und Leseprozess greifen nun ineinander. Dabei haben sie die Wahl zwischen vier ungefähr gleich langen Romananfängen, die einem Lesebuch der Klasse 5 entnommen sind. 220 Dies zeigt, dass ein sche‐ mabasiertes Schreiben literarischer Essays keine neuen Materialien, sondern einen veränderten Blickwinkel auf das Schreiben über Literatur erfordert. Die entworfene Unterrichtseinheit ist demnach auf andere literarische Texte und Ganzschriften übertragbar und führt in die Arbeit mit Schemata ein. 221 Da jeweils zu den Romananfängen geschrieben wird, sind keine zusätzlichen Erklärungen durch die Lehrkraft erforderlich. Untersucht werden sollen im Wesentlichen drei Aspekte. Zunächst gilt es zu beobachten, ob die Schüler: innen in der Lage sind, auf der Basis des eingeführten Schemas in einem Romanausschnitt Eigenschaften einer Figur zu finden, also zu generalisieren und zu kategorisieren. Da die jeweiligen Romanausschnitte weder im Unterricht gemeinsam gelesen, noch besprochen werden, müssen die Schüler: innen das Schema selbstständig auf ihren Romanausschnitt übertragen und anwenden. Auf der Oberfläche des Schreibprodukts zeigt sich diese Kom‐ petenz u. a. in einer Reduktion des Textes. Die literarische Vorlage wird nicht nacherzählt und die Gedanken sind im Präsens wiedergeben. Im zweiten Schritt wird analysiert, ob diese Eigenschaften, die die Besonderheit der gewählten Figur 222 abbilden, mithilfe des Textausschnittes belegt werden. Es geht dabei we‐ niger um ein regelkonformes Zitieren, denn um ein argumentatives Begründen 277 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe 223 An dieser Stelle dominierten „mutig“ (8x), „hilfsbereit“ (7x) und „ängstlich“ (4x). 224 Viermal wurde „bemerkenswert“ gewählt, dreimal „besonders“. 225 „Hannes ist eine freundliche Person, weil er sympathisch, immer hilfsbereit und besonders mutig ist.“ [PUS13m]; „Hannes ist ein sympathischer Junge, denn er ist hilfsbereit, ist zielstrebig und ist keine Petze.“ [PUS19m] mithilfe des gegebenen Materials. Diese Begründungselemente müssten sich jeweils im Anschluss an die These in den Absätzen finden lassen. Im letzten Schritt geht es um die Struktur der Ausführungen, die durch das Schema vorgegeben ist: Es wird untersucht, ob sich die vorangestellte These und die drei Paragraphen, in denen jeweils die Gründe erläutert werden, wiederfinden. Auch dieser Aspekt lässt sich unmittelbar am Text nachweisen und ist damit operationalisierbar. In Bezug auf diese drei Parameter kristallisieren sich folgende Ergebnisse heraus: Von 24 Texten finden sich in 23 eine These, in der die Besonderheit der Figur anhand von drei Eigenschaften begründet wird. Ein Text stellt eine Nacherzählung der Handlung dar. Von den 23 Texten finden sich in allen erklärende, aus den Romanausschnitten entnommene Belege. In vier Fällen hatten Schüler: innen noch Probleme, beim Schreiben die vorgegebene Struktur beizubehalten, sei es, dass keine Absätze gemacht oder dass die Erläuterungen unmittelbar nach dem Grund angeführt wurden. Da die Romanausschnitte unterschiedlich explizit in Bezug auf die Figuren‐ zeichnung sind, sollen sie separat voneinander erläutert werden. 10 von 24 Schü‐ lerinnen und Schülern haben sich für die Figur des Hannes aus dem Roman Die Vorstadtkrokodile entschieden. Von diesen zehn führen neun einen Wesenszug und drei begründende Eigenschaften 223 an und gliedern ihre Ausführungen in Absätze. Neben den bereits eingeführten Wesenszügen „besonders“ und „bemerkenswert“ 224 wählen zwei Schüler: innen die Adjektive „sympathisch“ und „freundlich.“ 225 Im Laufe des Schreibprozesses sind diese Adjektive nach der Intervention zum Kategorienbilden und der Übung Eine These für den gesamten Text finden aufgegeben worden. Eine Variation des Schemas haben zwei Schüler: innen vorgenommen, indem sie bereits kontrastiv argumentieren: „Hannes ist eine bemerkenswerte Person, die erstens mutig ist, aber auch ängstlich, außerdem ist er hilfsbereit.“ [PUS10m] Dieses Beispiel zeigt, dass das Schema nicht als Einengung, sondern als Gerüst verstanden wird. Die Schülerin, die ohne Verwendung des Schemas das Handeln von Hannes in einem Fließtext zu erklären versucht, wechselt von der narrativen zur argumentativen Schreibweise durch die Intervention Eine These für den gesamten Text finden, die im Folgenden näher erläutert wird. 278 III Unterrichtspraxis 226 5 Schüler: innen haben sich für Ronja Räubertochter entschieden, 5 für Harry Potter. 227 Alle 5 Schüler: innen führen „mutig“ an, drei „neugierig. 228 Dieses Adjektiv wird dreimal zur Beschreibung von Harry Potter und einmal für Ronja verwendet. 229 „Ernest ist eine besondere Figur, weil er anders, ordentlich und besonders ist.“ [PUS3w] 230 „Ernest ist eine komische Person, weil er „langweilig“, einsam und neutral ist.“ [PUS11w]; „Ernest ist eine seltsame Figur, weil / Gründe: besonders, dunkel und besonders er ist anders.“ [PUS21w] Alle Schüler: innen, die sich mit Ronja und Harry 226 beschäftigt haben, wenden das Schema an, stellen eine These auf und erläutern diese in den sich anschlie‐ ßenden Paragraphen begründend. Während sich die Eigenschaften bei Harry relativ einheitlich gestalten, 227 verhält es sich bei Ronja weniger uniform. So nennen drei der fünf Schüler: innen „fuchsteufelswild“ als Eigenschaft und orientieren sich damit am Auftreten der Figur. Dass es den Schreibenden noch schwerfällt, implizite Aussagen als Charaktereigenschaften zu deuten, zeigt sich in der häufigen Verwendung des Adjektivs „nett“ 228 ebenso wie in der Tatsache, dass z.T. sehr ähnliche Gründe angeführt werden: „Ronja Räubertochter ist eine besondere Person, weil sie aggressiv, mürrisch und fuchsteufelswild ist.“ [PUS4w] Vor allem die Interventionen Erkennen, was eine Person wirklich will sowie Eine These für den gesamten Text finden haben zur Konkretisierung und Klärung widersprüchlicher Handlung geführt. So formuliert die Schülerinnen PUS4w nach der Intervention: „Ronja ist eine zweiseitige Person. Sie verhält sich sehr aggressiv gegenüber Birk bei der ersten Begegnung, aber sehr hilfsbereit, als Birk auf einem Felsvorsprung in dem Höllenschlund steht.“ Hier wird eine Ausdifferenzierung der Figur auf der Basis der Schemaanwendung deutlich. Mit dem letzten Text und der Figur Ernest aus Die Farben des Lebens haben sich vier Schülerinnen auseinandergesetzt, die jeweils eine These formuliert haben. Bis auf eine Schülerin haben alle im Anschluss an die These diese in drei Ab‐ sätzen begründet. Eine Schülerin erklärt zwei Eigenschaften zusammenfassend und erzählt danach den Text überwiegend nach. Dies zeigt sich unter anderem an einem Tempuswechsel vom Präsens zum Präteritum und an der narrativen Konjunktion „als“. Die Wahl des Wesenszuges und der diesen begründenden Eigenschaften fällt bei der Figur Ernest jedoch den Schreibenden schwer: Als Wesenszüge werden die Eigenschaften „komisch“, „besonders“ und „seltsam“ angeführt. Diese Attribute zeigen die Schwierigkeit, das Handeln der Figur und vor allem ihre Veränderung einzuschätzen. Diese Beobachtung verstärkt sich bei den Begründungen. Doppelungen, 229 Mehrdeutigkeiten und sprachliche Unklarheiten 230 dominieren. Das Herstellen von Kausalitäten jedoch zeigt sich in allen vier Texten u. a. durch die Verwendung der Konjunktion „weil“. Besonders die Intervention Eine These für den gesamten Text finden konnte hier für Klärung 279 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe sorgen; alle vier Schüler: innen haben in ihrem Essay am Ende die Entwicklung der Figur in den Mittelpunkt gerückt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass 23 von 24 Schülerinnen und Schülern das eingeführte Schema bereits beim ersten Versuch auf einen litera‐ rischen Text übertragen konnten, ohne dass dieser in der Klasse besprochen worden ist. Die kognitive Struktur - These mit Begründung und anschließenden Erläuterungen am Text - konnten demnach 23 Schüler: innen umsetzen. Es fand beim Verfassen eines literarischen Essays keine Orientierung an den bereits bekannten Textmustern der Nacherzählung oder Beschreibung statt. Die Anwendbarkeit des Schemas und Integration in den eigenen Schreibpro‐ zess zeigt, dass tatsächlich eine Vermittlung zwischen Prozess und Produkt stattfindet. Die bereits besprochenen Interventionen dienen im Wesentlichen der Erläuterung der im Schema enthaltenen impliziten kognitiven Strukturen. Sie werden anhand der Figur der Pippi Langstrumpf sowie anhand von Paral‐ leltexten vorgenommen. Die unterschiedlichen Inhalte der Romanauszüge und der damit verbundene differierende Komplexitätsgrad zeigt, dass Interventionen erforderlich sind, die anleiten, die Handlung der Figuren in Eigenschaften zu transformieren. Um der Schwierigkeit zu begegnen, angemessene und aussagekräftige We‐ senszüge einer literarischen Figur herausarbeiten und ihr Verhalten erklären zu können, muss eine genaue Textarbeit erfolgen, bei der die impliziten Aussagen gedeutet werden. Dazu werden die Schüler: innen angeleitet, von der Handlung auf Eigenschaften zu schließen. Diese Intervention erfolgt in drei Schritten: Zunächst sollen am Beispiel Pippi Langstrumpfs unterschiedliche Aussagen über die Figur ausgewertet und den Eigenschaften Beispiele zugeordnet werden. Der parallele Aufbau der Sätze erschwert eine Zuordnung. Zwischen Eigenschaften und Beispielen unterscheiden Pippi versteckt Limonade in Bäumen. Pippi ist eine gute Sachensucherin. Pippi reitet mit einem Pferd durch die Stadt. Pippi denkt an andere. Pippi ist kreativ. Pippi denkt sich für Tommy und Annika Spiele aus. Pippi kauft für die Kinder der Stadt Süßigkeiten. Pippi spielt auf einer Leiter vor Tommys und Annika Theater, als diese krank sind. Pippi denkt sich neue Worte aus. Pippi kann ohne Rezepte kochen. Pippi zieht verschieden farbige Strümpfe an. Pippi lebt unabhängig von der Meinung anderer. 280 III Unterrichtspraxis 231 „Lucy stand an der Straßenecke; sie hatte sich extra beeilt, hatte ihren Kakao beim Frühstück nicht ausgetrunken: und jetzt das. Sie riss die Blütenblätter der Margerite ab, schlug mit ihrem Fuß einen schnellen Rhythmus und schaute bestimmt zum 50ten Mal auf ihre Uhr. „Na endlich. Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr.“ „Ich …“ „Ja, ich weiß, du musstest deiner kleinen Schwester beim Anziehen helfen und die Mathehausaufgaben hattest du auch noch nicht gemacht.“ „Nein“, entgegnete Pauline, „bei uns in der Küche hat es gebrannt und ich half meiner Mutter, meine Schwester in Sicherheit zu bringen.“ Lucy wurde still.“ [eigener Text] 232 Wie man in einem Text etwas über eine Figur erfährt - Direkte Äußerungen des Autors über die Figur Lucy stand stundenlang vorm Spiegel und prüfte ihr Aussehen. - Äußerungen anderer Personen über die Figur Pauline sagte verärgert zu Lucy: „Mensch, lass mich doch auch einmal ausreden.“ - Äußerungen der Figur über sich selber Lucy biss sich auf die Lippe; sie ärgerte sich über sich selber. Warum konnte sie nicht abwarten, bis Pauline ihr berichtet hätte? - Aufschlussreiche Handlungen Sie holte einen Hammer aus der Kammer; obwohl sie das Geld in ihrem Schwein für ihr neues Fahrrad sparen wollte, wusste Lucy, dass Pauline und ihre Mutter das Geld nun nötiger benötigten als sie. Pippi schläft mit den Füßen auf dem Kopfkissen. Pippi geht nicht zur Schule. Pippis Vater lebt auf einer Südseeinsel. Diese Aufgabe fordert im ersten Schritt ein Generalisieren - das Zusammen‐ fassen von Aussagen mit ähnlicher Intention - und im nächsten Schritt das Zuordnen zu Kategorien. Während beim Bilden einer These im Rahmen des Schemas diese beiden Schritte implizit erfolgen, werden in der vorliegenden Intervention diese Handlungen zeitlich zerdehnt eingeübt. Diese Intervention hat sich für den Schreibprozess als äußerst erfolgreich erwiesen. Im Schreib‐ journal konnte bei der Analyse der veränderten Thesen eine zunehmende Generalisierung und Kategorienbildung beobachtet werden. Um implizite Aussagen im Text erkennen und deuten zu können, wird mit einer weiteren Intervention gearbeitet, die den Unterschied zwischen narrativen und argumentativen Schreiben über eine Person verdeutlicht. Die Überführung des Narrativen in Eigenschaften erfolgt an einem Übungstext. 231 Die Schüler: innen werden aufgefordert, implizit dargestellte Eigenschaften einer Figur zu benennen und mit Hilfe eines Schemas - Man erkennt, dass Lucy … ist, da…und …. - zu begründen. Welche weiteren Möglichkeiten es für einen Erzähler gibt, implizite Aussagen im Text zu präsentieren, und wie diese gedeutet werden können, vermittelt eine Zusammenfassung. 232 Im 281 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe nächsten Schritt sind die Schüler: innen aufgefordert, eine Übertragung auf den Romanausschnitt vorzunehmen. Das vorliegende Beispiel zeigt, wie die Schülerin PUS3w diese Intervention umsetzt (s. Abb. 10): Sie führt konkrete Aussagen aus dem Roman an („hat mit seinen 10 Jahren verfrüht sein greißenalter erreicht“), um dann in einem nächsten Schritt diese Aussage zu deuten: „er hat eine lasst die er nicht los wird“. Die Schülerin hat demnach erkannt, dass der Tod der Eltern und das Aufwachsen bei der Großmutter dazu führen, dass Ernest sich „anders“ verhält. In ihrem abschließenden Essay formuliert sie: „Ernest zeigt eine Veränderung, weil er am Anfang eingeschüchtert war und dann kam Victoire, da war sein Leben plötzlich bunt und im Haus ist endlich Leben reingekommen.“ Abb. 10: Auszug aus dem Schreibjournal der Schülerin PUS3w 282 III Unterrichtspraxis 233 Im Folgenden ist exemplarisch eine Hilfskarte dargestellt: Hilfskarte Die Farben des Lichts Würdest du einen Apfel, der dir nicht schmeckt, weiter essen? Warum isst Ernest seinen Apfel trotzdem (Z. 16)? Was sagt dies über Ernest aus? Ernest begegnet seinen Mitschülern mit „Vorsicht“ (Z. 39). Was könnte mit dieser Aussage gemeint sein? Als Victoire an der Haustür klingelt, scheint die Klingel Tote aufgeweckt zu haben (Z. 53). Was erfährst du an dieser Stelle über Ernests Leben? Es wird von Ernest gesagt, dass er sich nie beeilen musste (Z. 90). Was bedeutet diese Beobachtung? 234 Erkennen, was eine Figur wirklich will Was sind Motive der Figur: Warum handelt sie so und nicht anders? Was möchte die Figur und was hindert sie an diesen Zielen? Das Vorgehen wird durch Hilfskarten 233 unterstützt, die die Aufmerksamkeit der Schüler: innen auf die relevanten Textstellen lenken und dadurch den Verstehensprozess unterstützen. Das Arbeiten mit Hilfskarten ist dem Umstand geschuldet, dass die Romanausschnitte nicht im Unterricht besprochen werden, und stellt eine flankierende Differenzierungsmaßnahme dar. Diese Intervention kann als eine Vorübung für das materialgestützte Schreiben betrachtet werden. Sie leitet die Schreibenden dazu an, materialbasierte Informationen in eigene Argumente zu transferieren und in die eigene Argumentation zu integrieren. Dass Schüler: innen auch der Mittel- und Oberstufe mit diesen Transforma‐ tionsprozessen Probleme haben, zeigte sich besonders in den empirischen Untersuchungen, wenn als Materialien literarische Texte angeboten wurden. Das Nichtbeachten der Fiktionalität bzw. der Ironie demonstriert die Schwie‐ rigkeiten. Hier setzt die vorliegende Übung an, die das Verfahren zunächst an einem Beispielstext erläutert und einübt, um dann in einem nächsten Schritt die Übertragung auf den Romanausschnitt fordert. Erst wenn die Schüler: innen diese Kompetenz sicher beherrschen, können sie dieses Verfahren mit mehreren Materialien praktizieren. Die zweite Intervention betrifft die Besonderheit der Person, die in der These wiedergegeben werden soll: Je komplexer eine literarische Figur gestaltet ist, desto seltener lässt sie sich auf einen einzigen Wesenszug reduzieren. So erfahren beispielsweise die Figuren Hannes und Ernest im Verlauf des Textausschnittes eine Veränderung und Ronja weist ein widersprüchliches Verhalten auf. Diese Komplexität zeigt sich darin, dass die Bezeichnungen besonders oder bemerkenswert nicht das Wesen aller Figuren erfassen. So führen die Schüler: innen zwar jeweils in ihrer These drei Eigenschaften an. Diese aber sind z.T. redundant oder nur von peripherer Bedeutung für die Romanhandlung. Um zum Kern vorzudringen, wird die Klasse zunächst aufgefordert, anhand von Fragen 234 die Motive der Figur zu erkunden. So tritt Ronja zwar „fuchsteu‐ 283 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe Welche Probleme hat die Figur? Wie geht sie damit um? Was lernt die Figur beim Lösen ihrer Probleme? Gibt es Verhaltensweisen, die immer wieder auftauchen? Nach Calkins (2014b), S. 81 235 Nach Calkins (2014b), S. 47 felswild“ auf, dies ist aber weniger eine Eigenschaft, denn ein Zeichen ihres verletzten Stolzes. Ernest geht immer denselben Weg zur Schule und kleidet sich ungewöhnlich. Ursache dieses Andersseins ist in seiner Erziehung begründet. Damit das Schema nicht als Korsett, sondern als kognitive Struktur empfunden wird, die auch widersprüchliche Aussagen einschließt, erfährt das Schema eine Erweiterung. 235 Eine These für den gesamten Text finden (Ein Charakter) ist (eine Eigenschaft), weil (erster Grund), (zweiter Grund) und besonders (dritter Grund). [T1] (Ein Charakter) verhält sich (auf diese Weise) gegenüber (Person A) und (Person B). [T2] (Ein Charakter) verhält sich (auf diese Weise) (in dieser Situation) und (in folgender Situation). [T3] (Ein Charakter) verhält sich (auf diese Weise) und (auf jene Weise) als (Rolle). [T4] (Ein Charakter) verhält sich (auf diese Weise) zu Beginn, in der Mitte und am Ende der Geschichte. [T5] Während sich die zweite, dritte und fünfte These auf Hannes gleichermaßen wie auf Ernest und Ronja anwenden lässt, ist die vierte These für die Arbeit mit Romanausschnitten nur bedingt geeignet. Der Begriff der Rolle oder auch der Funktion bedarf einer besonderen Einführung und ist für die Arbeit mit kurzen Textausschnitten nicht zielführend. Auf der Basis dieses erweiterten Schemas werden die Schreibenden aufgefordert, unterschiedliche Thesen zu erproben und diese mit den Klassenkameraden zu besprechen, die über dieselbe Figur schreiben. Schreiben wird demnach als ein Prozess erfahren und der Essay als ein Ergebnis unterschiedlicher strukturierender Arbeitsschritte. Untersucht man, welchen Einfluss diese Intervention auf die Essays hat, so er‐ geben sich große Unterschiede bezüglich der Figuren, über die die Schüler: innen schreiben. Von den 24 Thesen, die sich in den fertiggestellten Essays finden, sind lediglich drei identisch mit der zu Beginn aufgestellten. Dies zeigt, dass die Schüler: innen sich auf das Überarbeiten ihrer Texte einlassen. Elf haben die gleiche Struktur beibehalten, aber andere Gründe angeführt. 13 haben die 284 III Unterrichtspraxis Struktur ihrer These verändert und sind auf das unterschiedliche Verhalten ge‐ genüber Personen (T2), in verschiedenen Situationen (T3) oder die Veränderung der Person (T5) eingegangen. Wenn alle fünf Schüler, die in ihren Essay über Harry schreiben, die eingangs eingeführte Struktur beibehalten und in vier Fällen nur die begründenden Ad‐ jektive verändern, dann lässt sich dies u. a. mit der Komplexität des literarischen Textes und vor allem dem Explizitheitsgrad der Darstellung begründen. So zeigt Harry in dem Textausschnitt, der nur einen kurzen Zeitraum abdeckt, ein überwiegend einheitliches und damit widerspruchsfreies Verhalten. Mit dieser Beobachtung korreliert, dass alle vier Schülerinnen, die über Ernest geschrieben haben, die Struktur ihrer These überarbeiten und die Veränderung von Ernests Verhaltens durch Victoire thematisieren. Der ungleich polyvalentere Text erfor‐ dert von den Schreibenden eine Interpretation der Aussagen und somit einen flexibleren Umgang mit dem Schema. Folglich finden sich in diesen Thesen Mischformen von T2 und T3 ebenso wie T5 vor. Abb. 11: Schreibjournal der Schülerin PUS6w An einem Beispiel soll die Wirkung der einzelnen, aufeinander aufbauenden Interventionen aufgezeigt werden. Das Schreibjournal der Schülerin PUS6w (s. Abb. 11) demonstriert, wie sich der Schreibprozess im Verlauf der Interventionen verändert. Die erste These, die nach der Einführung des Schemas formuliert wurde, lautet: „Ernest ist eine komische Figur, weil er „langweilig“, einsam, anders ist.“ Im Zuge der oben dargestellten Intervention beginnt die Schülerin, 285 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe Beobachtungen zu bündeln und Kategorien zu finden. Durch den Auftrag Erkennen, was eine Figur wirklich will präzisiert sie ihre Ausführungen, indem sie formuliert; „Ernest hat das Problem, dass er keine Freunde hat und deshalb sehr einsam ist. Ernest scheint es nicht so sehr zu stören. Ernest zeigt immer wieder, dass er gute mannieren hat. Ernest läuft.“ Erst nach der Präsentation der Schemavarianten kann die Schülerin diese widersprüchlichen Beobachtungen in einer These zusammenfassen, die auch im Essay aufgenommen wird: „Ernest benimmt sich vor der Begegnung mit Victoire sehr brav und immer gleich gegenüber der Großmutter und nach der Begegnung mit Victoire benimmt er sich anders, indem er nicht mehr so langweilig ist und zeigt das sein leben bunt ist.“ Die Romanausschnitte aus Ronja Räubertochter und Die Vorstadtkrokodile stellen in diesem Zusammenhang Übergangsformen dar: So liegt beim Schreiben über Hannes und Ronja das gleiche Verhältnis von Beibehalten und Veränderung der Struktur vor: 2 der 10 Schüler: innen haben ihre eingangs aufgestellten Thesen über Hannes nicht verändert, 2 haben die Struktur, nicht aber die Eigenschaften beibehalten. In den neu formulierten Thesen überwiegt T5. In den Texten über Ronja haben 3 von 5 Schülerinnen die Struktur ihrer Thesen verändert, niemand hat die ursprünglich verwendeten Eigenschaften übernommen. Diese Ergebnisse verweisen zum einen auf die unterschiedliche Gestaltung und Komplexität der Textausschnitte. Gleichzeitig zeigt sich, dass die Interven‐ tion, den Schülerinnen und Schülern Varianten des Schemas anzubieten, in hohem Maße umgesetzt wurde. Ein Großteil zeigt eine Souveränität, nicht an dem eingeführten und eingeübten Schema festhalten zu müssen und damit den eigenen Essay überarbeiten zu können. In allen Fällen erleichtert die durch das jeweilige Schema vorgegebene Struktur den Schülerinnen und Schülern die Orientierung, wenn sie im nächsten Arbeitsschritt passende Belege anführen sollen, die ihre Gründe stützen. So haben zahlreiche Schüler: innen die drei Eigenschaften auf einen Klebezettel notiert und parallel dazu passende Zitate gesucht und am Absatz eingefügt. 286 III Unterrichtspraxis 236 „Er ist mutig: Dies erkennt man daran, dass er über eine rostige Feuerleiter, die zehn Meter nach oben ragt, auf ein morsches Dach klettert, um eine sehr gefährliche Mutprobe zu bestehen, damit er mehr Freunde hat. ‚Er sah nur nach oben, wo er sein Ziel vor Augen hatte.‘“ [PUS18m] Abb. 12: Schreibjournal des Schülers PUS18m Der Schüler PUS18 m zeigt (s. Abb. 12), dass das Verfahren, relevante Zitate zu‐ nächst abzuschreiben und dann an der entsprechenden Stelle mit Klebezetteln in den Text zu integrieren, gewinnbringend ist. Die übersichtliche Schemastruktur erleichtert dabei die Zuordnung. In dem am Ende verfassten Essay finden sich alle Zitate wieder, sind aber nur ansatzweise sprachlich verbunden. 236 Betrachtet man dieses Vorgehen von Fünftklässlern, so zeigt sich das Potential des Vorgehens im Hinblick auf materialgestützte Schreibaufgaben. Dem Pro‐ blem der geringen Materialeinbringung, das sich in den empirischen Studien in der Mittel- und Oberstufe gezeigt hat, kann begegnet werden, wenn frühzeitig in der Schullaufbahn der Umgang mit Belegen und das Integrieren in den eigenen Text thematisiert und geübt werden. Vergleicht man den Essay mit den bisher in der Sekundarstufe I eingeführten Aufsatzformen - der Nacherzählung, dem Bericht sowie der Beschreibung -, so liegen die Unterschiede vor allem in der begründeten persönlichen Haltung der Schreibenden sowie der kommunikativen Funktion. Obwohl für den Essay kein: e explizite: r Adressat: in angegeben wird, ist charakteristisch für einen essayistischen Stil, dass die Leser: innen mit dem Text verhakt werden. Damit stellt dieser Stil eine Vorform für das materialgestützte Schreiben dar, indem die 287 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe 237 Folgende Möglichkeiten werden den Schülerinnen und Schülern angeboten: Beginne mit einem Zitat; stelle ein Problem dar, mit dem sich dein Essay im Folgenden beschäftigt; beginne mit einer persönlichen Anekdote; sprich die Leser: innen direkt an. 238 Der Begriff des Mentorentextes zielt auf den Unterschied zwischen Schreibnoviz: innen und -expert: innen ab und stellt in Form eines erweiterten Musterbegriffs Ideen und Prozeduren für den eigenen Schreibprozess zur Verfügung. 239 Steinhöfel, Andreas: Rico, Oskar und die Tieferschatten. Hamburg: Carlsen 2011. S. 202- 203 Adressierung weiter ausdifferenziert wird. Während die Argumentation mit‐ hilfe des Schemas und der flankierenden Interventionen angeleitet wird, sollen die kommunikative Funktion und damit der Bezug zur Leserschaft mithilfe von beispielhaften Einleitungen anhand der Figur der Pippi Langstrumpf erarbeitet werden. Die Schüler: innen erhalten drei verschiedene Einleitungen, die sie beurteilen sollen. Sie werden dadurch Leser: in und bewerten die kommunikative Funktion der Einleitungen. Für ihre eigene Textproduktion erhalten sie unter‐ schiedliche Materialien. So werden Schreibanleitungen mit unterschiedlichen Methoden, einen Bezug zum Auditorium herzustellen, 237 ebenso wie Mentoren‐ texte, 238 die inhaltliche Anregungen bieten, zur Verfügung gestellt. Mentorentext 1 enthält einen Auszug aus einem Kinderbuch 239 zum Thema Freundschaft, Mentorentext 2 verschiedene Zitate zu diesem Thema. Die Schüler: innen sind aufgefordert, verschiedene Einleitungen zu verfassen und diese der Klasse zu präsentieren und dadurch die Wirkung zu erproben. 1. „Reich sind nur die, die wahre Freunde haben.“ Es gibt natürlich Leute, die haben schicke Häuser und Bugatti Veyrons. Auf diese Weise kann man glücklich sein, aber meist ist man glücklicher mit einem Freund. Man kann mit ihm spielen und Spaß haben. / Harry ist mutig, freundlich und schlau als Freund. [PUS8m] 2. Ist es einfach ohne Freunde? Nein, ist es nicht. Wenn es dann aber jemanden gibt, den man cool findet, dann will man dazugehören. Das kennen bestimmt viele. Hannes aus dem Roman „Die Vorstadtkrokodile“ hat genau dieses Problem. Deshalb stellt er sich einer Mutprobe. Als er aber in Gefahr gerät, merkt er, was seine „tollen“ Freunde wirklich sind … [PUS20w] 3. Manche Kinder haben keine Eltern und müssen deshalb bei den Großeltern aufwachsen. Mit Großeltern aufwachsen ist aber auch nicht immer leicht. Denn die Großeltern sind vor sehr langer Zeit aufgewachsen und erziehen ihren Enkel so, wie auch sie aufgezogen wurden. Wenn man schon keine Eltern hat, dann will man aber öfter Besuch haben, denn wenn man bei Freunden ist und Spaß hat, dann denkt man nicht gleich daran, dass man keine Eltern hat und ist deshalb nicht immer so traurig. Aber bei dem Jungen mit dem Namen Ernest aus dem Roman „Die Farben des Lebens“ ist es nicht so.[PUS6w] 288 III Unterrichtspraxis 4. „Reich sind nur die, die wahre Freunde haben.“ (Thomas Fuller) Dieses Zitat sagt viel über die Geschichte (Die Krokodile) aus. / Stellen Sie sich vor, Sie wären der kleinste und hätten eine Möglichkeit, in einer Bande mitzumachen mit vielen größeren coolen Jungs und vielleicht denken Sie sich, da finde ich bestimmt Freunde. Und wenn dann der Anführer sagt: „Du musst nur eine kleine Mutprobe bestehen und du bist aufgenommen.“ Was würden Sie tun? Würden Sie sich auf die Mutprobe einlassen, obwohl es lebensmüde ist? Hannes, ein zehn Jahre alter Junge, hat sich darauf eingelassen. [PUS19m] Für die ausgewählten Einleitungen haben neun Schüler: innen explizit auf Zitate zurückgegriffen [z. B. PUS8m], zehn haben die Leser: innen direkt angesprochen oder eine persönliche Anekdote erzählt [z. B. PUS20w] und elf haben zunächst unabhängig vom Romanausschnitt auf das Thema hingeführt [z. B. PUS6w]. In der Regel finden sich in den einleitenden Absätzen Mischformen: So entfaltet der Schüler anhand eines Zitates das Thema, um anschließend auf die Figur, über die er schreibt, überzuleiten [PUS19m]. Die Beispiele zeigen nicht nur eine große Varianz, sondern zudem eine souveräne, individuelle Auseinandersetzung mit der Thematik. Die Schreibenden positionieren sich zu der Figur und leiten damit auf die sich anschließende textnahe Argumentation über. Bevor ein Fazit der empirischen Untersuchung in der gymnasialen Unterstufe gezogen wird, sollen einige vollständige Essays präsentiert werden. Sie vermit‐ teln einen Eindruck von den Schreibprodukten und bilden die Grundlage, die Chancen des schemabasierten Schreibens für das materialgestützte Schreiben zu beurteilen. Die ersten beiden Auszüge aus den Schreibjournalen veranschauli‐ chen die Präsentation des Essays. Bei dem ersten Schüler PUS1m (s. Abb. 13) kann man deutlich die Struktur des Essays - Einleitung, These, drei Absätze mit Gründen und Schluss - erkennen. Bei diesem Schüler handelt es sich um einen schwächeren Schüler im Fach Deutsch, der das eingeführte Schema mit den jeweiligen Formulierungen ohne Variationen umsetzt. Trotz der erkennbaren Schwierigkeiten führt er Belege aus dem Romanausschnitt an und begründet seine Aussagen. Die Einleitung zeigt, dass er eine eindeutige Haltung gegenüber der literarischen Figur einnimmt und diese in den folgenden Ausführungen erläutert. Auch das zweite Textbeispiel der Schülerin PUS22w (s. Abb. 14) weist eine klare Struktur und eine starke Orientierung an dem Schema auf. Die Schülerin übernimmt zahlreiche Formulierungshilfe, variiert diese aber bereits. 289 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe Abb. 13: Abschlussessay des Schülers PUS1m Abb. 14: Abschlussessay der Schülerin PUS22w 290 III Unterrichtspraxis Zwei abschließende Essaybeispiele sollen zeigen, wie Schüler: innen bereits in der 5. Klasse in der Lage sind, sich kreativ und eigenständig zu einem Roman‐ ausschnitt zu äußern und eigenständig Themenschwerpunkte festzulegen. „Reich sind nur die, die wahre Freunde haben.“ (Thomas Fuller) Dieses Zitat sagt viel über die Geschichte (Die Krokodile) aus. Stellen Sie sich vor, Sie wären der kleinste und hätten eine Möglichkeit, in einer Bande mitzumachen mit vielen größeren coolen Jungs und vielleicht denken Sie sich, da finde ich bestimmt Freunde. Und wenn dann der Anführer sagt: „Du musst nur eine kleine Mutprobe bestehen und du bist aufgenommen.“ Was würden Sie tun? Würden Sie sich auf die Mutprobe einlassen, obwohl es lebensmüde ist? Hannes, ein zehn Jahre alter Junge, hat sich darauf eingelassen. Hannes ist eine bemerkenswerte Person, denn er ist am Anfang sehr ängstlich, aber wird dann sehr mutig. Er ist auch sehr hilfsbereit, deshalb habe ich mich für ihn entschieden. Dass Hannes sehr ängstlich ist, erkennt man daran, dass er auf der zehn Meter hohen Leiter am Haus die Zähne zusammen presst, um nicht laut aufzuschreien und dass ihm auf der Leiter, als er nach unten guckt, schwarz vor Augen wird. Ein weiterer Grund ist, dass er sehr langsam die verrostete Leiter hinauf klettert und dass man ihm seine Angst ansehen kann. Vor allem aber erkennt man seine Angst daran, dass er, als er nur noch an der Dachrinne hängt, weint und schreit: „Hilfe! Hilfe, ich stürze ab.“ Dass Hannes mutig ist, erkennt man daran, dass er sich auf die Mutprobe eingelassen hat, obwohl ein normaler Menschenverstand das als lebensmüde sehen würde und dass er den Feuerwehrmännern nichts von den Vorstadtkrokodilen erzählt, obwohl sie ihn fragen: „ Warst du allein? Und was wolltest du auf dem Dach? “ Dass Hannes hilfsbereit ist, erkennt man daran, dass er den gelähmten Jungen Kurt anbietet, ihm zu helfen, obwohl er nicht strak ist und er Hausarrest hat. Er zeigt großes Mitleid und Interesse mit ihm. Hätten Sie Hannes auch gerne als Freund? [PUS19m] „Freundschaft ist eine Tür zwischen zwei Menschen. Sie kann knarren, sie kann klemmen, aber sie ist nie verschlossen.“ Wenn man alleine ohne Kinder auf einer Burg aufwächst und dann kommt ein Kind, dann öffnet dir das eine Tür. Diese Tür ist abgesperrt und zwar durch das Pflichtgefühl der Familie gegenüber. Denn Ronja aus dem Roman „Ronja Räubertochter“ und ihre Familie ist verfeindet mit Birks Familie. Ronja verhält sich sehr aggressiv gegenüber Birk bei der ersten Begegnung. Gleich‐ zeitig aber auch sehr hilfsbereit, als Birk auf einem Felsvorsprung im Höllenschlund steht und sie ihm raus hilft. Dass Ronja so aggressiv ist, erkennt man an ihren vielen Drohungen und Beleidi‐ gungen z. B.: „Fahr mit einem Furz zum Donnergrummel! “ Sie ist aber auch so 291 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe aggressiv, weil Birk ihren Stolz verletzt und dann ist man nun mal fuchsteufelswild. Da Ronja immer das einzige Kind auf der Mattisburg war, hat sie niemand jemand zurecht gewiesen und dann wird man plötzlich provoziert, dann ist das schon heftig. Sie wird schon fast verrückt und zu allem Überfluss fängt dieser Birk an, über eine tiefe, gefährliche Schlucht - den Höllenschlund - zu springen. Ab da ist ihr Stolz dann wirklich stark verwundet, so stark, dass auch sie anfängt, über den Höllenschlund zu springen. Dass Ronja hilfsbereit ist, erkennt man daran, dass sie Birk aus dem Höllenschlund befreit oder kurz gesagt ihm das Leben rettet, denn Birk steht auf einem kleinen Felsvorsprung, der gerade reicht, um darauf zu stehen. Also nimmt Ronja ihr Lederseil vom Gürtel und knotet an beide Enden eine Schlaufe. Dann legt sie sich hinter einen großen Stein und wirft Birk die Schlaufe zu; er streift sie sich über den Kopf und Ronja ruft: „Jetzt! “ Birk klettert los und das Band schnürt sich um Ronjas Bauch, sie ringt nach Luft. Als Birk oben ankommt, liegt Ronja noch hinter dem Stein. Bei den meisten Leuten hätte der Gerettete sich bedankt. Hier geht es direkt weiter mit einem Duell. Doch trotz der vielen Sticheleien wurde das Pflichtbewusstsein ein kleines bisschen erweicht und die Tür hat sich einen kleinen Spalt geöffnet. [PUS4w] III.5.4 Zusammenfassung der Ergebnisse und Konsequenzen für das materialgestützte Schreiben Betrachtet man abschließend die Einheit zum literarischen Essay und deren Durchführung, so konnte gezeigt werden, dass 5. Klässler in der Lage sind, diese anspruchsvolle Aufsatzform umzusetzen und literarische Essays zu verfassen, in denen auf der Basis einer These das Thema entfaltet, Gründe für den Standpunkt angeführt sowie strukturiert und differenziert Aussagen am Text belegt werden. Maßgeblich verantwortlich für den Erfolg des Schreibprozesses ist der Einsatz von Schemata; dies konnte im Rahmen der empirischen Unter‐ suchung nachgewiesen werden. Es konnte weiterhin gezeigt werden, dass die Einfachheit des Schemas nicht zu einer Simplifizierung der Gedankengänge führt. Vielmehr stellen die Schüler: innen eindeutige Kausalzusammenhänge her, belegen Aussagen am Text und erläutern diese durch mehrere Beispiele. Eine den Schreibprozess unterstützende Funktion hatte weiterhin das Ar‐ beiten mit einer Parallelfigur. Anhand der Figur der Pippi Langstrumpf konnten Phänomene demonstriert, erläutert und eingeübt werden, bevor eine Übertra‐ gung auf den eigentlichen Sachgegenstand - den Romanausschnitt - stattfand. Aufgrund des Bekanntheitsgrads der Figur konnte weitgehend auf das Lesen verzichtet werden. Durch die Abkopplung von Lese- und Schreibprozess wurde die Komplexität des Schreibprozesses verringert, die Schreibenden wurden ent‐ 292 III Unterrichtspraxis 240 Timm, Uwe: Der Schatz auf Pagensand. München: dtv 2000 241 In der Aufgabenstellung wurde nicht explizit auf die Verwendung von Schemata, das Anführen von Belegen oder das Setzen von Absätzen hingewiesen. lastet. Zusätzlich stützten metareflexive, den Schreibprozess anleitende Texte und Zusatzmaterialien in Form von Mentorentexten den Schreibprozess, der im Rahmen eines Schreibjournals festgehalten wurde und den Schülerinnen und Schülern beim Schreiben zur Verfügung stand. Im Rahmen einer 15-stün‐ digen Unterrichtseinheit haben die Schüler: innen den Prozesscharakter des Schreibens erfahren. Dass das Arbeiten mit Schemata und einer Parallelfigur besonders nachhaltig ist, konnte im Rahmen einer Poststudie gezeigt werden: Zwei Monate nach der Unterrichtseinheit wurde mit derselben Lerngruppe im Rahmen der Lektüre einer Ganzschrift untersucht, ob und inwieweit die Schüler: innen auf die in der Unterrichtseinheit vermittelten Kompetenzen zurückgreifen und schemabasiert über eine literarische Figur schreiben. Dazu wurde die Klasse aufgefordert, einen literarischen Essay zu einer Romanfigur aus Uwe Timms Der Schatz auf Pagensand 240 zu verfassen. Der Roman wurde in der Klasse gemeinsam gelesen und besprochen. Für das Verfassen des Essays standen den Schülerinnen und Schülern ihre Schreibjournale nicht zur Verfügung; damit hatten sie weder Zugriff auf die Schemata noch auf die Interventionen zum Verweisen oder zum Formulieren einer Einleitung. Die entstandenen Essays geben daher Aufschluss darüber, welche Strukturen die Schreibenden memorieren konnten und welche sie als sinnvoll für die eigene Textproduktion erachten. 241 Die Ergebnisse demonstrieren eine große Präsenz des Schemas: Alle haben einen gegliederten Text mit einer klaren argumentativen Struktur verfasst und mit dem Schema - Anführen von drei Gründen und der näheren Ausführung - gearbeitet; Nacherzählungen und Paraphrasierungen fanden nur im Zusammenhang mit der Erläuterung von Eigenschaften der Figuren statt. 22 von 24 Schülerinnen und Schülern haben eine Einleitung und einen Schluss geschrieben. Versucht man, die Beobachtungen und Ergebnisse der empirischen Untersu‐ chung zum literarischen Essay zusammenzufassen und auf das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens zu übertragen, so ergeben sich folgende Konsequenzen. Zentrale Herausforderungen, die in den empirischen Untersu‐ chungen der Mittel- und Oberstufe aufgezeigt wurden, waren, sich zu der jeweiligen Fragestellung zu positionieren und darauf aufbauend kohärent zu argumentieren. Die Schüler: innen haben sich zwar mit den Materialien auseinandergesetzt, diese aber selten in die eigene Argumentation integriert. Die Schwierigkeiten lagen demnach auf der Ebene der Aufgabenrepräsentation 293 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe 242 Siehe dazu auch Kapitel II.2. 243 Feilke, Helmuth; Tophinke, Doris: Materialgestütztes Argumentieren. Praxis Deutsch 262 (2017). S. 4-13 244 Feilke, Tophinke (2017), S. 5. Die Dopplung der Begriffe im Rahmen einer Definition ist in diesem Zusammenhang für eine Abgrenzung allerdings wenig hilfreich. 245 Feilke, Tophinke (2017), S. 5 246 Feilke, Tophinke (2017), S. 10, 11 ebenso wie auf der der Informationstransformation. Besondere Probleme berei‐ teten in diesem Zusammenhang literarische Texte. Inwieweit eine Einheit zum literarischen Essay dazu geeignet ist, eine Ant‐ wort auf diese Herausforderungen anzubieten, soll im Folgenden diskutiert werden. Das der Einheit zugrundeliegende Schema hat sich in der dargestellten Unterrichtseinheit als Werkzeug gezeigt, das von den Schreibenden in einem frühen Stadium der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema eine Positionierung und das Anführen von Argumenten erfordert. Der Umstand, dass die Schüler: innen zu jedem der drei Gründe in ihrem Essay einen Absatz schreiben müssen, erfordert, sich intensiv mit dem Roman zu beschäftigen, Textbelege und Beispiele im Rahmen der Argumentation anzuführen. Es kann in diesem Zusammenhang kritisch hinterfragt werden, ob es sich bei einem literarischen Essay tatsächlich um eine Argumentation handelt. 242 Die Strittigkeit ist im Rahmen der Auseinandersetzung mit einer literarischen Figur deutlich weniger ausgeprägt, als wenn es gilt, sich zu einer Regulation des Me‐ dienkonsums oder zur Notwendigkeit des Literaturunterrichts zu positionieren. Hilfreich bei der Frage, ob die Schüler: innen in ihren Essays argumentieren, ist die Einteilung von Feilke und Tophinke. 243 Während das Informieren die Wie‐ dergabe von Inhalten sowie das Beschreiben und Berichten umfasst, verstehen Feilke und Tophinke unter dem Erklären das „Erklären der Kontroverse“ und „der Sachverhalte“. 244 Unter Argumentieren führen sie das „Abwägen kontro‐ verser Positionen“ sowie die „eigene Positionierung und deren Begründung“ an. 245 Betrachtet man weiterhin die in diesem Zusammenhang angeführten Prozeduren des Abwägens, Positionierens, Begründens, Konzedierens und Mo‐ dalisierens, 246 dann wird deutlich, dass die Schüler: innen im Rahmen ihres literarischen Essays argumentieren. Ausgangspunkt dabei ist allerdings weniger einer Kontroverse, denn die Frage nach der Bedeutsamkeit der literarischen Figur. In diesem Sinne kann die Unterrichtseinheit als Einführung in ein argumentierendes Schreiben aufgefasst werden. Ein schemabasiertes Schreiben hat aber weitere Einflüsse auf den Schreibpro‐ zess, der auch für ältere Schüler: innen relevant ist. In Kapitel II.3 konnte gezeigt werden, dass Schemata Handlungsmuster darstellen, die der „Bewältigung wie‐ 294 III Unterrichtspraxis 247 Becker-Mrotzek (2004), S. 20 248 Feilke (2012), S. 11,12 249 Siehe Kapitel III.3. 1. 250 Becker-Mrotzek (2004), S. 21 derholt auftretender defizitärer Standardkonstellationen [dienen]. Man kann auch sagen, die Handlungsmuster haben den Zweck, eine bestimmte Defizienz in eine Suffizienz zu überführen.“ 247 Damit ein Muster tatsächlich auch auf neue Inhalte und Aufgaben übertragen werden kann und damit im Sinne Feilkes eine Textroutine wird, 248 ist es erforderlich, dass das jeweilige Schema nicht nur frühzeitig im Curriculum eingeführt wird, sondern im Unterricht immer wieder in unterschiedlichen Zusammenhängen angewendet und wiederholt wird. Erst wenn das Schema keine kognitiven Kapazitäten mehr verbraucht, kann es auf einen komplexen literarischen Text eigenständig angewendet werden. Diese Aspekte gilt es auch bei der Einführung eines schemabasierten Schrei‐ bens in höheren Klassenstufen zu berücksichtigen. Zwar ist davon auszugehen, dass die Schüler: innen das jeweilige Schema strukturell und semantisch schnell erfassen und mit einzelnen Formulierungen weniger Probleme haben als Un‐ terstufenschüler: innen. Aber die Präsentation eines Schemas und die Aufforde‐ rung, dieses anzuwenden, führen aufgrund mangelnder Routinen nicht auto‐ matisch zur Anwendung und damit zur Verbesserung der Schreibprodukte. Dies konnte im Rahmen der Interventionen in der Mittelstufenstudie nachgewiesen werden. Den Schülerinnen und Schülern wurde während der Intervention zum Positionieren das Schema - Gewaltdarstellungen in Medien fördern ein / fördern kein gewalttätiges Handeln (These), da (a) (1. Grund), (b) (2. Grund) und besonders (c) (3. Grund). - angeboten. Dass dieses nur von einer Schülerin in ihrer Rede explizit verwendet wurde, zeigt, dass keine Textroutinen vorliegen. 249 Im Rahmen der Unterrichtseinheit wurden die Schreibenden durch die Anwendung des Schemas mehrfach aufgefordert, zu kategorisieren und zu ge‐ neralisieren. Beides sind Kompetenzen, die beim materialgestützten Schreiben im Hinblick auf die Materialfülle dringend erforderlich sind. Dass in der Unterstufe im Wesentlichen mit einem Basistext gearbeitet wurde, dürfte hier nicht hinderlich sein. Erst wenn die Schreibenden Sicherheit im Argumentieren gewonnen haben, können sie diese Kompetenz auf mehrere Texte ausweiten. Durch das beständige Üben des schemabasierten Argumentierens anhand einer Parallelfigur, das zunächst mündliche Erproben des Schemas und die sich anschließende Anwendung auf den Romanausschnitt, über den der Essay geschrieben wird, bilden sich Muster heraus, die zu „Bewegungsformen des Handelns“ 250 werden. 295 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe 251 Becker-Mrotzek (2004), S. 23 Für materialgestützte Schreibaufgaben ist die Anwendung eines Schemas auch insofern relevant, als dass dieses eine Struktur liefert, die sich an der Argu‐ mentation orientiert. Das Fehlen von Absätzen in den Reden und Kommentaren ist nur ein Indikator, dass es den Schreibenden schwerfällt, eine Struktur für den Zieltext zu entwickeln, der sich aus der Argumentation ergibt. Fiel es den Schülerinnen und Schülern beim Verfassen eines literarischen Essays leicht, Zitate in ihre Ausführungen zu integrieren, so liegt dies auch in der klaren Struktur begründet. Im Umkehrschluss bedeutet dies für den Umgang mit einer Überfülle an Materialien bei materialgestützten Schreibaufgaben, dass eine sich aus der Argumentation ergebene Struktur das Einbringen von Materialien in den Zieltext erleichtern würde. Diese These gilt es, empirisch in einer weiteren Studie zu untersuchen. Für den Erfolg des schemabasierten Schreibens in der Unterstufe ist das Arbeiten mit einer Parallelfigur entscheidend. Die Figur der Pippi Langstrumpf kann in diesem Zusammenhang als „Eintritt ins Muster“ 251 verstanden werden. Je früher dieser Eintritt angebahnt wird, desto wahrscheinlicher ist, dass die Schreibenden auf dieses Muster zurückgreifen, wenn sie im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben vor komplexe Herausforderungen gestellt werden. Gleichzeitig wird durch die Parallelfigur eine zeitliche Zerdehnung ein‐ zelner Phasen des Argumentierens vorgenommen: Dies betrifft die Einführung von Denkstrukturen ebenso wie die Präsentation zunehmend komplexer wer‐ dender Schemata. Diese zeitliche Zerdehnung ist im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben aufgehoben. Wenn im Rahmen der empirischen Untersuchung zum literarischen Essay literarische Figuren und Romanausschnitte im Mittelpunkt stehen, dann gilt es zu untersuchen, welche Erkenntnisse daraus für den Umgang mit literarischen Texten im Rahmen materialgestützter Aufgaben gezogen werden können. Hatten die Mittel- und Oberstufenschüler: innen Schwierigkeiten damit, die Fiktionalität einzelner Materialien zu erkennen und die enthaltenen Aussagen in den eigenen Zieltext zu transformieren, dann sind diese Herausforderungen beim Schreiben eines Essays in dieser Form nicht gegeben, da die Literatur hier im Mittelpunkt steht. Aus folgenden Gründen sind aber einzelne Ergebnisse auch für das materialgestützte Schreiben relevant und damit übertragbar. Im Rahmen der Essayproduktion setzen sich die Schüler: innen selbstständig mit einem literarischen Text auseinander. Sie lesen und interpretieren diesen im Hinblick auf eine konkrete Fragestellung, im vorliegenden Fall die Beson‐ derheiten der literarischen Figur, ihr Interagieren mit anderen Figuren und 296 III Unterrichtspraxis 252 Die Parallelen zum hermeneutischen Zirkel sind an dieser Stelle nicht zufällig; siehe dazu auch Kapitel I.3. 1. 253 Dies betrifft auch die Rolle der Adressat: innen, die im literarischen Essay nur am Rande berücksichtigt werden. Die beiden empirischen Untersuchungen aber haben gezeigt, dass der Adressatenbezug nicht die primäre Herausforderung des Aufgabenformats darstellt. Aus diesem Grunde soll an dieser Stelle nicht näher auf diesen Aspekt eingegangen werden. ihre Veränderungen. Dies erfordert ein selektives Lesen und eine Integration der Beobachtungen in die eigene Argumentation. Dieser Prozess wird durch das Schema gestützt, das ein Positionieren und Generalisieren gleichermaßen fordert. Die erarbeiteten Argumente sind damit die Basis eines weiteren Le‐ seprozesses und einer erneuten Interpretation. 252 Für die Unterstützung von Schreibprozessen im Rahmen materialgestützter Schreibaufgaben ist in diesem Fall relevant, dass nicht die gemeinsame unterrichtliche Besprechung der Texte ein Verständnis und ein Schreiben über diese anbahnt. Es hat sich im Rahmen der Analyse der Interventionen in der Mittelstufe gezeigt, dass in allen Klassen und Kursen mit der Tabelle als einer die Inhalte der Materialien ordnenden Struktur gearbeitet wurde. Dass die Anzahl der Argumente trotzdem relativ niedrig ausfällt und ebenso nur wenige Materialien zum Informieren oder Stützen der eigenen Argumente verwendet werden, wurde auf eine zu gering ausgeprägte Aufgabenrepräsentation zurückgeführt. Die Schreibenden konnten keinen Zusammenhang zwischen der Aufgabenstellung, der eigenen Position und den Materialien herstellen. Hier kann die Arbeit mit Schemata eine vermittelnde Position einnehmen. Sie fordert zunächst, sich zu positionieren und Argumente anzuführen. Wenn auf dieser Grundlage zunächst zu jedem Argument ein Absatz formuliert werden muss, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Argumente stichhaltiger und materialgestützt vorgetragen werden. Um dies empirisch zu untersuchen, wäre es erforderlich, eine Unterrichtsein‐ heit zu konzipieren und zu evaluieren, die konsequent auf dem Einsatz und die Anwendung von Schemata aufbaut. Der denkbare Vorwurf, dass diese enge Bindung an ein Schema die Besonderheiten des jeweiligen Zieltextes nicht berücksichtigt, ist berechtigt. 253 Gleichzeitig konnte im Rahmen der empirischen Untersuchung in der Unterstufe gezeigt werden, dass diejenigen Schüler: innen, die das Schema als Handlungsmuster sicher beherrschen, sich selbstständig davon entfernen und individuelle Schreibprozeduren entwickeln. Den Schreib‐ noviz: innen aber bietet die Arbeit mit Schemata ein Grundgerüst, mit dem sie ihre Schreibkompetenz erhöhen und weiterarbeiten können. Der letzte Punkt, der für eine Übertragung der Ergebnisse auf das Aufgaben‐ format der materialgestützten Schreibens relevant ist, betrifft die Unterrichts‐ 297 III.5 Die empirische Studie in der gymnasialen Unterstufe 254 Siehe dazu auch Kapitel III.4. 255 Siehe dazu auch Kapitel II.4. 3 sowie III.5. 1. 2. organisation: Vor allem in der empirischen Untersuchung in der Oberstufe konnte ein eklatanter Motivationsverlust im Verlauf der Unterrichtseinheit nachgewiesen werden. 254 Dass Schüler: innen der Unterstufe keine Probleme haben, über einen Zeitraum von drei Wochen sich mit dem Verfassen eines Textes zu beschäftigen, liegt meines Erachtens im Verhältnis von Instruktion und Konstruktion in der vorliegenden Unterrichtseinheit. 255 Schreiben wird schemabasiert eingeführt, geübt und findet im Unterricht statt. Die Überarbei‐ tung erfolgt kooperativ, so dass aus den Schreibenden Lesende werden. Damit erfahren die Schüler: innen, dass Schreiben Zeit und zahlreiche Überarbeitungs‐ phasen erfordert. Gleichzeitig aber erleben sie, dass Schreiben erlernbar ist. Soll das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens erfolgreich in der Schule implementiert werden und sollen die Chancen, die sich aus einem adressaten‐ bezogenen, situierten Schreiben für die Schreibenden ergeben, genutzt werden, dann muss Schreiben nicht nur schemabasiert eingeführt werden, sondern auch in höheren Klassen der Sekundarstufe I im Unterricht selbst stattfinden. Wird dies praktiziert, dann ist davon auszugehen, dass die Schüler: innen in der Oberstufe in der Lage sind, sich zunehmend eigenständig argumentativ mit materialgestützten Schreibaufgaben auseinanderzusetzten. 298 III Unterrichtspraxis IV Fazit Das materialgestützte Schreiben argumentierender Texte präsentiert sich als Aufgabenformat, das hochgradig dazu geeignet ist, das Schreiben wieder im Unterricht zu verorten. Mit Texten, die eine Entsprechung in der Wirklichkeit haben, kann ein authentisches, flexibles Schreiben angebahnt werden. Wenn Schüler: innen Reden, Rezensionen, Kommentare, Petitionen oder Leser: innen‐ briefe verfassen, dann werden reale Adressat: innen in den Blick genommen und die Wirkung des Schreibprodukts lässt sich erfahren und überprüfen. Gleichwohl stellt das Aufgabenformat alle an Schule Beteiligten vor große Herausforderungen: So müssen die Schüler: innen die komplexen Schreibauf‐ gaben bewältigen, die sich deutlich von den Aufgabenarten der Interpretation und der Erörterung abheben. Die Lehrenden hingegen sind aufgefordert, an‐ gemessene Aufgaben zu konzipieren und aktuelle Materialien auszuwählen, die die Domänenspezifik und den Lebensweltbezug der Schreibenden gleicher‐ maßen berücksichtigen. Didaktiker: innen müssen Interventionen entwickeln, die die Komplexität des Aufgabenformats in Bezug auf das Vorwissen der Schüler: innen, die theoretischen Modellierungen und Curricula umsetzen, und ihre Wirksamkeit empirisch untersuchen. Die große Chance dieser Herausfor‐ derungen besteht darin, dass die Komplexität des Aufgabenformats, die in dieser Arbeit aufgezeigt und empirisch untersucht wurde, als Ausgangspunkt genommen wird, Schreiben systematisch zu lehren, über die Qualität von Texten zu reflektieren und Interventionen zu entwickeln, die nicht nur auf die Entwicklungslinien der deutschen Aufsatzgeschichte zurückgreifen, sondern länderübergreifend schreibdidaktische Entwicklungen aufnehmen. Zur Erfassung und Weiterentwicklung des materialgestützten Schreibens ist es notwendig, die historische Dimension des Aufgabenformats, seine didakti‐ schen Modellierungen sowie die Unterrichtspraxis in den Blick zu nehmen. Die Dreiteilung erlaubt es, Tendenzen in der Aufsatz- und Schreibdidaktik einzuschätzen, Interdependenzen aufzuzeigen und Konsequenzen für die un‐ terrichtliche Umsetzung abzuleiten. Die drei empirischen Interventionsstudien verfolgen dabei die Intention, die Schreibkompetenz der Schüler: innen im Umgang mit dem neuen Aufgabenformat nicht nur zu beschreiben, sondern zu verbessern und zu reformieren. Auf dieser Grundlage soll eine thesenartige Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit erfolgen, die gleichermaßen ana‐ lytisch-diagnostische Beobachtungen wie Konsequenzen und Forderungen für Didaktik und Methodik betreffen. 1. Beim materialgestützten argumentierenden Schreiben handelt es sich um ein hochgradig komplexes Aufgabenformat, das gleichermaßen aus literaturwie aus sprachdidaktischer Perspektive in den Blick genommen werden muss. Stärker als die Aufsatzformen der Erörterung und der Interpretation bzw. der Analyse von Texten berücksichtigt das materialgestützte Schreiben alle fünf Kompetenzbereiche des Deutschunterrichts. So verlangen Aufgabenstellung und Materialfülle multitextueller Quellen von den Schülerinnen und Schülern nicht nur eine ausdifferenzierte Aufgabenrepräsentation, sondern auch eine ausgeprägte Lesekompetenz und vor allem variable Lesemodi. Die Fragmen‐ tarisierung und Entkontextualisierung der Materialien erfordern, soll eine erfolgreiche Informationstransformation für das eigene Schreibprodukt statt‐ finden, ein großes Medialitätsbewusstsein. Die Strittigkeit der Thematik, die die Grundlage vor allem des argumentierenden Typs materialgestützter Schreib‐ aufgaben bildet, macht es nötig, dass die Schüler: innen über argumentative Kompetenzen verfügen. Die Adressierung und Situierung der Aufgabe setzen zudem eine Hinwendung zu den Adressat: innen und damit ein dialogisches Schreiben voraus, das beim Erörtern und besonders beim Interpretieren weniger ausgeprägt ist. Dadurch gestaltet sich das Argumentieren nicht mehr nur fiktiv und fingiert, sondern nähert sich einem authentischen Schreiben an. Die Do‐ mänenspezifik des Themas ermöglicht gleichermaßen eine Auseinandersetzung mit literarischen, medienpädagogischen und sprachreflexiven Themen. Beim materialgestützten Schreiben handelt es sich um eine profilierte Aufgabe, bei der Schreib- und Leseprozesse ineinandergreifen. Damit aber ist eine Trennung von literatur- und sprachdidaktischen Zugangsweisen wenig angezeigt, soll der Komplexität des Aufgabenformats angemessen begegnet werden. Hier ist ein Umdenken der jeweiligen Didaktiker: innen geboten. 2. Materialgestütztes Schreiben muss in allen Schulstufen stattfinden und erfordert aufgrund seiner Komplexität ein Curriculum, das die Schreibkompetenz systematisch in den Blick nimmt. Soll das Aufgabenformat erfolgreich an den Schulen umgesetzt werden, dann ist ein Curriculum notwendig, das ein adressatenbezogenes situiertes Schreiben mit Eintritt in die Sekundarstufe anbahnt. Sowohl die Texte der Mittelals auch der Oberstufenschüler: innen belegen, dass es den Schreibenden schwer‐ fällt, sich zu einer Thematik explizit zu positionieren und die eigene Haltung argumentativ auf der Basis der zur Verfügung gestellten Materialien und des eigenen Weltwissens zu begründen. Aufgrund der empirisch belegten Schwierigkeiten im Bereich des Argumentierens ist es unumgänglich, dass in den unteren Klassen nicht nur der Typ des informierenden, sondern auch 300 IV Fazit des argumentierenden Schreibens vermittelt wird. Nur wenn argumentative Kompetenzen rechtzeitig ausgebildet werden, sind Schüler: innen in der Lage, unterschiedliche Materialien und Zieltexte im Rahmen einer argumentierenden materialgestützten Schreibaufgabe zu berücksichtigen. Aus diesem Grund sind Verantwortliche in Schulen, Universitäten und in der Bildungsadministration aufgefordert, ein Curriculum zu entwerfen, das nicht nur den Erwerb von Text‐ formen, sondern vor allem von Schreibstrategien berücksichtigt. Die Ergebnisse dieser Arbeit bieten hierfür erste Umsetzungsmöglichkeiten. 3. Schreiben muss zum Unterrichtsgegenstand selbst werden und im Deutschunterricht stattfinden. Studienergebnisse sowie die Auswertung der eigenen empirischen Untersu‐ chungen belegen, dass im Unterricht immer seltener geschrieben wird. So ist eine Korrelation zwischen dem Alter der Schüler: innen und der Schreibzeit im Unterricht festzustellen. Diese Tatsache hat weitreichende Konsequenzen für die Ausbildung der Schreibkompetenz. Im Rahmen der empirischen Unter‐ suchungen in der Mittelstufe und der Oberstufe konnte eine Altersabhängigkeit insofern festgestellt werden, dass es den Unterrichteten schwerfällt, über einen längeren Zeitraum an einem Text zu arbeiten. Vor allem im Rahmen der Überar‐ beitungsvorgänge ist ein großer Motivationsabfall der Oberstufenschüler: innen zu beobachten. Sollen aber nicht nur Auseinandersetzungen mit den jeweiligen Themen der materialgestützten Aufgabe erfolgen, sondern auch die Adressie‐ rung, die Situierung sowie die kommunikativen Funktionen des Zieltextes berücksichtigt werden, dann muss der Schreibprozess in einzelne Teilschritte untergliedert werden. Dies betrifft besonders die Aufgabenrepräsentation: Ob‐ wohl Mittel- und Oberstufenschüler: innen - wie auch ihre Schreibjournale zeigen - über Texterschließungsverfahren und Gliederungskompetenzen ver‐ fügen, konnten sie nur bedingt auf diese Kenntnisse zurückgreifen. Positionie‐ rungen, die das Thema verfehlt haben, unklare Adressierungen der Texte, große informierende, statt argumentative Anteile belegen dies auf der Textoberfläche. Damit die Schüler: innen tatsächlich auf die Kompetenzen, die sie beim Verfassen von Berichten, Inhaltsangaben, Erörterungen oder Interpretationen erworben haben, zurückgreifen können, ist eine Aufgabenrepräsentation erforderlich. Die Komponentenanalyse stellt einen Ansatz dar, diese anzubahnen. Die Komplexität des Aufgabenformats erfordert somit ein beständiges Be- und Überarbeiten der eigenen Texte, das bisher im schulischen Alltag noch zu wenig etabliert ist, das aber für universitäre und berufliche Schreibprozesse benötigt wird. Diese Forderung setzt Schreibroutinen voraus, die sich nur ausbilden, wenn Schreiben regelmäßig angeleitet im Unterricht stattfindet und die Schüler: innen Rückmeldungen zu ihren Texten erhalten. 301 IV Fazit 4. Eine erfolgreiche Implementierung des Aufgabenformats erfordert eine Anbindung an den Literaturunterricht. Da in Bezug auf die zu vermittelnden Kompetenzen und Inhalte in den Bildungs‐ standards keine weitreichenden Reduktionen stattgefunden haben, muss geklärt werden, wie die Zeit, die für die Schreib- und Bearbeitungsprozesse benötigt wird, erübrigt werden kann. Um eine zeitliche Belastung der Schüler: innen und Lehrer: innen in Grenzen zu halten, ist es geboten, das Aufgabenformat des materialgestützten Schreibens nicht als etwas vollständig Neues aufzufassen, sondern als Aufgabenart, die an die Aufsatztraditionen anknüpft und auf bereits vermittelte Kenntnisse zurückgreift. Kompetenzen, die im Rahmen von Inhaltsangaben und Interpretationen literarischer Texte gewonnen werden, bilden die Grundlage materialgestützter Schreibprozesse. Dies zeigt sich auch an der Parallelität der Zieltexte, die im Rahmen von handlungs- und produktions‐ orientierten Unterrichtsphasen verfasst werden, beispielsweise Rezensionen oder Kommentare. Diese Verzahnung entlastet nicht nur das Curriculum und die Unterrichtsorganisation, sondern auch die Schreibenden, die auf im Unterricht behandelte Inhalte zurückgreifen können. Eine materialgestützte Auseinandersetzung beispielsweise mit der Aktualität des Dramas Kabale und Liebe, die im Rahmen der Beispielsaufgabe des IQB erläutert wurde, sollte sich an eine Unterrichtseinheit zum Drama anschließen und die Inhalte explizit einbeziehen. Für die Konzeption von Leistungsaufgaben bietet es sich an, den Schülerinnen und Schülern unterschiedliche Aufgabenarten zu demselben Thema zu präsentieren, d. h. die Interpretation einer Szene gleichrangig neben die literarische Erörterung zu Frauenfiguren im bürgerlichen Trauerspiel und das materialgestützte Verfassen eines Offenen Briefs zu stellen. Der Inhalt bildet somit das verbindende Element und die Textsorten unterschiedliche Umset‐ zungsformen. Je routinierter und geübter die Schüler: innen sind, sich zu einem Thema in unterschiedlichen Textsorten zu äußern, desto erfolgreicher werden sie materialgestützte Schreibaufgaben bearbeiten können und desto größer wird die eigene Schreibkompetenz. Für die Lehrenden sowie die Lernenden stellen somit materialgestützte Schreibaufgaben weniger ein Additum, denn eine Ergänzung des Curriculums statt. Die Motivation beider Seiten, sich auf das Aufgabenformat einzulassen, dürfte durch die explizite Anbindung an den Literaturunterricht steigen. 5. Der Komplexität des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens soll nicht durch eine Festlegung auf einzelne wenige Zieltexte begegnet werden, sondern durch schemabasierte Schreibarrangements. Die sich in Theorie und Praxis abzeichnende Beschränkung möglicher Ziel‐ texte und damit verbunden eine Konzentration auf den Kommentar wird als 302 IV Fazit problematisch angesehen. Die Komplexität des Aufgabenformats darf nicht dazu führen, dass den Schülerinnen und Schülern primär ein Textsortenwissen vermittelt wird. Zumal wenn es sich um journalistische Texte handelt, deren inhaltliche und formale Gestaltung in Theorie und Praxis uneinheitlich gehand‐ habt wird. Diese Beschränkung lenkt von den eigentlichen Herausforderungen, aber vor allem von den Chancen des Aufgabenformats ab, ein adressatenbezo‐ genes Argumentieren auf der Basis von Materialien anzubahnen und dadurch die Schreibkompetenz zu erweitern. Es ist nicht das Ziel, Journalist: innen auszubilden, sondern Schüler: innen auf ein authentisches, flexibles, an ihrer zukünftigen Berufswelt orientiertes Schreiben vorzubereiten. Schemata des Argumentierens, die universell für alle Zieltexte verwendet werden können, stellen hierfür ein mentales Gerüst dar. Sie leiten ein argumen‐ tierendes Schreiben an, bilden textsprachliches Handeln ab und stützen den Schreibprozess auf inhaltlicher und formaler Ebene. Die kognitive Struktur der Schemata stellt eindeutige Kausalzusammenhänge her und entlastet Lese- und Schreibprozesse gleichermaßen. Prozeduren hingegen können im Wesent‐ lichen auf einer hierarchieniedrigeren Ebene den Schreibprozess stützen. Damit sind Schemata in der Lage, argumentative Routinen auszubilden, die die Schüler: innen in die Lage versetzen, in unterschiedlichen Kontexten flexibel auf Schreibanlässe zu reagieren und damit den Anforderungen einer Wissens‐ gesellschaft zu begegnen. 6. Der literarische Essay ist eine geeignete, in der US-amerikanischen Schreibdidaktik erprobte und etablierte Form, argumentative Schreibkompetenz bereits in der Sekundarstufe I zu erwerben. Die dritte empirische Studie dieser Arbeit nimmt diesen Ansatz in den Blick und zeigt, dass es gewinnbringend ist, auf der Basis der Auseinandersetzung mit einer literarischen Figur das Positionieren, Argumentieren und Belegen von Aussagen anzuleiten. Grundlage dieses Schreibprozesses sind Schemata. Dabei entkoppelt die Arbeit mit Paralleltexten den Lesevom Schreibprozess, so dass eine Konzentration auf die Positionierung und Argumentation stattfinden kann. Beide Aspekte wurden in den empirischen Untersuchungen der Mittel- und Oberstufe als zentrale Herausforderungen benannt. Zentral für die erfolgreiche Umsetzung eines schemabasierten Schreibarrangements ist, dass das Schreiben nicht nur angeleitet und im Unterricht stattfindet, sondern selbst zum Unter‐ richtsgegenstand wird. Nur so können sich stabile Routinen entwickeln, die die Basis für materialgestützte, argumentierende Schreibaufgaben darstellen. Sind die Schreibenden sicher im Positionieren und Argumentieren, können sie in einem nächsten Schritt zusätzliche Materialien als Basis einer inhaltlichen 303 IV Fazit Auseinandersetzung hinzuziehen und Adressierungen bzw. Zieltexte berück‐ sichtigen. 7. Um eine nachhaltige Umsetzung des Aufgabenformats zu gewährleisten, ist es notwendig, Fragen der Bewertung der Schreibprodukte in den Blick zu nehmen. Dies betrifft vor allem die Materialeinbringung, die Anzahl notwendiger Argu‐ mente und das Verhältnis argumentierender Textanteile zu solchen, die die kom‐ munikativen Funktionen des Zieltextes berücksichtigen. Da keine unmittelbare Korrelation zwischen der Textqualität und dem Anteil der verwendeten Mate‐ rialien besteht, ist eine Festlegung einer konkreten Anzahl einzubringender oder zu zitierender Materialien kritisch zu bewerten. Dies ist auch auf der Tatsache begründet, dass vor allem für journalistische Zieltexte keine verbindlichen und allgemeingültigen Zitiervorgaben existieren. Um sicherzustellen, dass eine Aus‐ einandersetzung mit den Materialien stattfindet, ist es angezeigt, dass die Qua‐ lität einer Argumentation und darauf aufbauend der Aufbau von Argumenten thematisiert werden. Wissen Schüler: innen, in welcher Beziehung Prämissen und Konklusion in einem Argument stehen, wird ihnen die Notwendigkeit ein‐ sichtiger erscheinen, den Materialien Hintergrundinformationen zu entnehmen. Damit steigt zum einen die Wahrscheinlichkeit der Materialeinbringung, aber auch die Kohärenz des Zieltextes. Im Sinne einer Bewertungstransparenz vor allem in Rahmen von Leistungsaufgaben, insbesondere in Abiturprüfungen, ist es geboten, eine Mindestanzahl an Argumenten vorzugeben, die angeführt werden müssen. Schwieriger gestaltet sich allerdings die Frage der Berücksichtigung der kom‐ munikativen Funktionen. Diese komplexen Sprachhandlungen zielen vor allem auf ein dialogisches Schreiben, das die Wirksamkeit von Texten in den Blick nimmt. Berücksichtigen die Schreibenden weder Zieltexteigenschaften noch Adressierung oder Situierung der Schreibaufgabe, dann bewegen sie sich in der Textform der Erörterung und decken nicht alle Anforderungsbereiche des materialgestützten Schreibens ab. Aus diesem Grund ist es erforderlich, dass ein adressatenbezogenes, situiertes Schreiben nicht nur vermittelt, sondern auch bewertet wird. In welcher Gewichtung dies geschehen kann, werden zukünftige empirische Untersuchungen zeigen müssen. 304 IV Fazit Anhang Anhang 1: Übersicht der Materialien der Mittelstufenaufgabe M1 Cartoon zum Medien‐ konsum von Heran‐ wachsenden https: / / ruthe.de/ archiv/ 2129/ datum/ asc/ Cartoon eingestellt 13. 08. 12 M2 Statistik zur Konsum‐ häufigkeit von Gewalt‐ filmen bei Jugendlichen der 9. Klasse nach Ge‐ schlecht https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 158437 / umfrage/ konsumhaeufigkeit-von-gewaltfilmen-bei -jugendlichen-der-9-klasse/ M3 Rezension zu GTA 5 aus der Perspektive eines Gamers [Auszug] http: / / www.gamona.de/ games/ grand-theft-auto-5,t est-ps3: article,2331091.html M4 Joachim Müller-Jung: Gewalt in Videospielen - Krasse Typen, schwache Teenies [Auszug] http: / / www.faz.net/ aktuell/ wissen/ gewalt-in-video spielen-krasse-typen-schwache-teenies-13123587.ht ml M5 Lyrics: Waving The Guns: Gewalt [Auszug] https: / / soundcloud.com/ audiolith/ sets/ waving-theguns-schlachtrufe M6 Stefan Frerichs: Ge‐ walt in den Medien (29. 02. 2012) [Auszug] http: / / www.ard.de/ home/ ard/ Gewalt_-in_den_Medi en__Theorien_in_der_Praxis/ 76052/ index.html M7 Ursula Poznanski: Erebos [Auszug] Ursula Poznansky: Erebos. Loewe Bindlach 2013. S. 134-135, 326 1 Hierbei handelt es sich um geschätzte Zeitwerte; diese verändern sich, wenn beispiels‐ weise die Materialien vorbereitend zu Hause gelesen werden. Es ist jedoch sinnvoll, wenn weite Teile der Rede in der Schule und nicht zu Hause verfasst werden. 2 DS: Doppelstunde, ES: Einzelstunde Anhang 2: Übersicht der Unterrichtseinheit zum Thema Fördern Gewaltdarstellungen in Medien die Gewaltbereitschaft? Stunde(n) Thema Arbeitsblätter / Materialien Einholen der Einverständniserklärung der Eltern Elternbrief DS 1 Diagnose: Schreiben der Lernaufgabe auf der Basis reduzierter Materialien Lernaufgabe und Materialien 1 (ES) 2 Einen Standpunkt einnehmen • Kurzdebatte • Den eigenen Standpunkt argumen‐ tativ vertreten und schriftlich fest‐ halten Lernaufgabe 2 (DS) Materialien zur Stützung des eigenen Standpunktes verwenden: der Vergleich • Materialsichtung und Auswertung in Bezug auf das Thema • Merkmale eines Vergleichs • AB: Anleitung zum Um‐ gang mit Materialien • M1-7 • Wortschatzarbeit: Evidenz herstellen 3 (ES) Die Situierung der Aufgabe - der Zieltext und die Adressat: innen • Materialgestütztes Schreiben be‐ rücksichtigt nicht nur die Argu‐ mente, sondern auch den Zieltext und die Adressat: innen AB: Die kommunikative Funk‐ tion von Aussagen: mit Sprache handeln 4 (ES) Die Besonderheiten von literarischen Texten im Kontext materialgestützter Aufgabenformate AB: Techniken literarischen Schreibens 5 (DS) Eine Rede planen und schreiben Wortschatzarbeit: Die Gegen‐ seite darstellen AB: Den Leser für ein Thema interessieren - die Einleitung 6 (ES) Textüberarbeitung AB: Korrekturzeichen 306 Anhang Anhang 3: Arbeitsblatt Anleitung zum Umgang mit den Materialien 307 Anhang 3 Die Angaben beziehen sich auf die Materialien, denen die Argumente entnommen sind. Anhang 4: Zusammenstellung von Argumenten zur Thematik: Fördern Gewaltdarstellungen in Medien die Gewaltbereitschaft der Konsumenten? Argumente für die These (1) Niemand wird durch Medienkonsum friedlicher. (M6) 3 (2) Medienkonsum stimuliert das Verhalten in der Wirklichkeit; dadurch kommt es zu mehr Gewalt und Aggressionen. (M6) (3) Eine Habitualisierung des Medienkonsums führt zur Abstumpfung; es ist jedoch nicht bewiesen, ob dadurch die Konsument: innen in der Wirklichkeit abstumpfen. (M6) (4) Medienkonsum kann Suchtpotential haben. (M3) (5) Es liegt ein Einfluss des GTA-Konsums auf das tatsächliche Handeln vor. (M3) (6) Medienkonsum von Gewaltspielen fördert, sich mit Altersgenoss: innen und Lehrer: innen anzulegen; es kommt zu verstärktem Alkoholkonsum und ungeschützten Sex. (M4) (7) Es gibt eine Korrelation zwischen der Intensität des Medienkonsums und der Wirkung. (M4) (8) Die Identifikation der Spieler: innen mit einer Figur in einem Spiel hat Auswirkungen auf das Verhalten in der Realität; daraus ergibt sich ein Risiko für die Konsument: innen. (M4) (9) Konsum gewaltverherrlichender Medien führt zu einer Veränderung der Werte. (M4+6) (10) Die Grenze zwischen Medien und Realität wird indefinit. (M7) (11) Jugendliche suchen bewusst das Außenseitertum. (M4) Gegenargumente (12) Medienkonsum kann als Ventil dienen und Gewalt abbauen (M6). (13) Da auch Sport- und Erotikdarstellungen Aggressionen auslösen, können Gewaltdarstellungen nicht dafür verantwortlich gemacht werden, die Gewalt‐ bereitschaft zu erhöhen. (M6) (14) Eine Habitualisierung des Medienkonsums führt zur Abstumpfung; es ist jedoch nicht bewiesen, ob dadurch die Konsument: innen in der Wirklichkeit abstumpfen. (M6) (15) Medienkonsum kann zu einer kritischen Haltung gegenüber Gewalt führen. (M5) 308 Anhang (16) Es konsumieren mehr Menschen gewaltverherrlichende Medien, als dass Gewalttaten verübt werden; es kann demnach keine Korrelation bestehen. (17) Die Identifikation der Spieler: innen mit einer Figur in einem Spiel hat Auswirkungen auf das Verhalten in der Realität, sie rebellieren und opponieren. (M4) 309 Anhang Anhang 5: Standardisierter Auswertungsbogen für die Reden Prätext Codierung: Situierung der Aufgabe Ja Nein Bemerkung Werden die Adressaten angesprochen? Anrede Implizite Ansprache Explizite Ansprache Finden sich kommunikative Handlungen? Appell Empfehlung Unterhaltung Situierung durch… Die Strittigkeit Ja Nein unklar Wird explizit das Thema angegeben, welches verhandelt wird? Wird eine Positionierung sichtbar a) In Bezug auf Mediennutzung? b) In Bezug auf Gewalteinfluss? Mediennutzung Gewalteinfluss Wird ein Kompromiss verhandelt? Wird ein Dissens angestrebt? Die Argumente Wie viele Pro Argumente werden angeführt? ____________________________________________ Wie viele Contra-Argumente werden angeführt? _________________________________________ Ja Nein Werden literarische Texte verwendet? M 5 M 7 Wird der Cartoon verwendet? Welche Materialien werden verwendet? (abhaken) M1 M2 M3 M4 Endtext Codierung: 310 Anhang Situierung der Aufgabe Ja Nein Bemerkung Werden die Adressaten angesprochen? Anrede Implizite Ansprache Explizite Ansprache Finden sich kommunikative Handlungen? Appell Empfehlung Unterhaltung Situierung durch… Die Strittigkeit Ja Nein unklar Wird explizit das Thema angegeben, welches verhandelt wird? Wird eine Positionierung sichtbar? a) In Bezug auf Mediennutzung? b) In Bezug auf Gewalteinfluss? Mediennutzung Gewalteinfluss Wird ein Kompromiss verhandelt? Wird ein Dissens angestrebt? Die Argumente Wie viele Pro Argumente werden angeführt? ____________________________________________ Wie viele Contra-Argumente werden angeführt? _________________________________________ Ja Nein Werden literarische Texte verwendet? M 5 M 7 Wird der Cartoon verwendet? Welche Materialien werden verwendet? (abhaken) M1 M5 M2 M6 M3 M7 M4 311 Anhang Anhang 6: Übersicht der Materialien der Oberstufenaufgabe M1 Tweet Naina zur Relevanz schulischer Bildung (Screen‐ shot) Twitter-Account nicht mehr aktiv; vgl. https: / / ww w.faz.net/ aktuell/ wirtschaft/ netzwirtschaft/ na ina-debatte-wie-ein-tweet-eine-bildungsdebat te-ausloesen-konnte-13372015.html M2 Joseph von Eichendorff: In der Fremde (Gedicht) Eichendorff, Joseph von: In der Fremde. In: Wolfdietrich Rasch (Hg.): Joseph von Eichen‐ dorff: Werke in einem Band. München: dtv 1995. S. 233. M3 Ulrich Greiner: Schönheit muss man lernen (Essay) [Auszug] ZEIT Nr. 04/ 201528. 1. 2015 M4 Ziele des Literaturunterrichts (Graphik) Aus: Dawidowski, Christian: Literaturdidaktik Deutsch. Paderborn: Ferdinand Schöningh 2016. S. 185 M5 Peter Bieri: Was wäre ein selbstbestimmtes Leben? (Essay) [Auszug] Bieri, Peter: Wie wollen wir leben? München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2014. S. 7, 24- 25, 61-62 M6 Peter Bichsel: Eigenartige Leute - Leser zum Beispiel (Essay) [Auszug] In: Der Deutschunterricht. 1988 Heft 4, S. 5-8. M7 Franz Kafka: Gibs auf! (Pa‐ rabel) Kafka, Franz: Gibs auf! In: Max Brod (Hg.): Be‐ schreibung eines Kampfes. Novellen, Skizzen, Aphorismen aus dem Nachlaß. Frankfurt am Main: Fischer 1983. S. 87. M8 Bildung 2030 im Blick. Die bil‐ dungs-politische Position der Arbeitgeber [Auszug] https: / / www.arbeitgeber.de/ www/ arbeitgeber .nsf-/ res/ 7401F6BB45BCB17DC12580E500552 B16/ $file/ Bildung_2030.pdf [letzter Abruf 19. 01. 2021] 312 Anhang Anhang 7: Standardisierter Auswertungsbogen für die Oberstufenaufgabe Prätext Codierung: Situierung der Aufgabe Ja Nein Bemerkung Hinführung zum Thema? Überschrift Einleitung Bezug auf Debatte / Tweet Finden sich Merkmale des Kommentars Informationen/ Hintergründe Meinung Denkanstöße Unterhaltung Situierung durch… Die Strittigkeit Ja Nein unklar Wird explizit das Thema angegeben, welches verhandelt wird? Wird eine Positionierung sichtbar, ob Schüler einen verpflichtenden Literaturunterricht brauchen? Art der Positionierung Wird ein Kompromiss verhandelt? Die Argumente Wie viele Pro Argumente werden angeführt? ____________________________________________ Wie viele Contra-Argumente werden angeführt? _________________________________________ Wie viele Informationen wurden angeführt? _____________________________________________ Ja Nein Wird der Tweet verwendet? (M1) Welche Materialien werden verwendet? (abhaken) M1 M2 M3 M4 Endtext Codierung: 313 Anhang Situierung der Aufgabe Ja Nein Bemerkung Hinführung zum Thema? Überschrift Einleitung Bezug auf Debatte / Tweet Finden sich Merkmale des Kommentars Informationen/ Hintergründe Meinung Denkanstöße Unterhaltung Situierung durch… Die Strittigkeit Ja Nein unklar Wird explizit das Thema angegeben, welches verhandelt wird? Wird eine Positionierung sichtbar, ob Schüler einen verpflichtenden Literaturunterricht brauchen? Art der Positionierung Wird ein Kompromiss verhandelt? Die Argumente Wie viele Pro Argumente werden angeführt? ____________________________________________ Wie viele Contra-Argumente werden angeführt? _________________________________________ Wie viele Informationen wurden angeführt? _____________________________________________ Ja Nein Werden literarische Texte verwendet? Eichendorff Kafka Wird der Tweet verwendet? (M1) Welche Materialien werden verwendet? (abhaken) M1 M3 M5 M7 M2 M4 M6 M8 314 Anhang Anhang 8: Fragebogen für die Online-Befragung der Studierenden 315 Anhang 316 Anhang 317 Anhang 318 Anhang 319 Anhang Bibliographie Abraham, Ulf: Geschichte schulischen Schreibens. In: Helmuth Feilke (Hg.): Schriftlicher Sprachgebrauch - Texte verfassen. Baltmannsweiler: Schneider 2014. S. 3-30. Abraham, Ulf: Lesarten - Schreibarten. Formen der Wiedergabe und Besprechung literarischer Texte. Stuttgart: Klett 1994. Abraham, Ulf; Kammler, Clemens: Materialgestütztes Lesen und Schreiben im Literatur‐ unterricht. In: Praxis Deutsch 273 (2019). 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Kafka, Franz: Gibs auf! In: Max Brod (Hg.): Beschreibung eines Kampfes. Novellen, Skizzen, Aphorismen aus dem Nachlaß. Frankfurt am Main: Fischer 1983. S. 87. Kinney, Jeff: Gregs Tagebuch - Von Idioten umzingelt. Ein Comicroman. Köln: Baumhaus 2008. Lindgren, Astrid: Pippi Langstrumpf. Hamburg Oettinger 1986. 336 Bibliographie Lindgren, Astrid: Ronja Räubertochter. Hamburg Oettinger 1982. Morgenstern, Susie: Die Farben des Lebens. München: Bertelsmann 1998. Ortheil, Hanns-Josef: Der Stift und das Papier. München: btb 2015. Rowling, Joanne K.: Harry Potter und der Stein der Weisen. Hamburg: Carlsen 2005. Steinhöfel, Andreas: Rico, Oskar und die Tieferschatten. Hamburg: Carlsen 2011. Timm, Uwe: Der Schatz auf Pagensand. München: dtv 2000. 337 Bibliographie Abbildungsverzeichnis Abb. 1: BS AHR (2012), S. 24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Abb. 2: Helmers’ Dreieck des Gestaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Abb. 3: Components of a documents model; Britt, Rouet (2012), S. 285 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Abb. 4: MD-Trace modell of multiple document use von Britt, Rouet (2010), S. 27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Abb. 5: Das Schreibmodell von Hayes und Flower aus dem Jahre 1980; siehe Hayes (1996), S. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Abb. 6: Der Translating process im Modell von Hayes und Flower (1980, S. 16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Abb. 7: Current version of the writing model. Hayes (2012), S. 371 124 Abb. 8: Das Konzept des knowledge-telling und knowledge-transforming von Bereiter, Scardamalia (1987), S. 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Abb. 9: Anleitung zur Auswertung der Materialien . . . . . . . . . . . . . 190 Abb. 10: Auszug aus dem Schreibjournal der Schülerin PUS3w . . . . 282 Abb. 11: Schreibjournal der Schülerin PUS6w . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Abb. 12: Schreibjournal des Schülers PUS18m . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Abb. 13: Abschlussessay des Schülers PUS1m . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Abb. 14: Abschlussessay der Schülerin PUS22w . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Tabellenverzeichnis Tab. 1: Allgemeine Daten zur empirischen Erhebung in der Mittelstufe 195 Tab. 2: Materialeinbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Tab. 3: Durchschnittliche Verwendung der Materialien pro Klasse . . . 198 Tab. 4: Die Argumentation im Prä- und Endtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Tab. 5: Verwendung und Art der Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Tab. 6: Vorliegen einer Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Tab. 7: Inhaltliche Positionierung auf die Frage: Fördern Gewaltdarstellungen in den Medien die Gewaltdarstellung der Konsumenten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Tab. 8: Anrede und Ansprache in den Schüler: innenreden . . . . . . . . . . 212 Tab. 9: Die kommunikativen Redeanteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Tab. 10: Anführen von Appellen oder Empfehlungen in der Rede . . . . 218 Tab. 11: Zum Umgang mit der Intervention in Bezug auf M3 . . . . . . . . 220 Tab. 12: Zum Umgang mit der Intervention in Bezug auf M4 . . . . . . . . 223 Tab. 13: Allgemeine Daten zur empirischen Erhebung in der Oberstufe 233 Tab. 14: Materialeinbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Tab. 15: Durchschnittliche Verwendung der Materialien pro Kurs . . . . 236 Tab. 16: Materialeinbringung innerhalb der Klassen/ Kurse im Prätest . 237 Tab. 17: Materialeinbringung des Tweets in die Reden . . . . . . . . . . . . . . 238 Tab. 18: Materialeinbringung innerhalb der Klassen/ Kurse im Endtext 238 Tab. 19: Die Argumentation im Prä- und Endtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Tab. 20: Verwendung und Art der Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Tab. 21: Vorliegen einer Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Tab. 22: Inhaltliche Positionierung auf die Frage: Brauchen wir einen verpflichtenden Literaturunterricht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Tab. 23: Hinführung zum Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Tab. 24: Berücksichtigung von Merkmalen eines Kommentars . . . . . . . 247 Tab. 25: Merkmale eines Kommentars, Teil 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Tab. 26: Merkmale eines Kommentars, Teil 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 ISBN 978-3-8233-8470-0 Die Einführung des Aufgabenformats des materialgestützten Schreibens im Jahr 2012 markiert eine Zäsur in der Aufsatzdidaktik: Neben dem Interpretieren, Analysieren und Erörtern sind die Schüler: innen aufgefordert, auf der Basis unterschiedlicher Materialien Lexikoneinträge, Kommentare, Reden oder Leserbriefe zu verfassen. Die Fokussierung auf die Adressat: innen und die Synthese zu einem eigenen Zieltext stellen dabei mannigfache Anforderungen an die Lese- und Schreibkompetenzen und deren Vermittlung. Der vorliegende Band rückt eine literaturdidaktische Perspektive in den Vordergrund, indem sowohl auf die verwandten Aufsatzformen als auch auf die Geschichte des Aufsatzes abgehoben wird. Kern der Arbeit sind empirische Untersuchungen in unterschiedlichen Schulstufen, die auf eine Integration des Aufgabenformats in den Deutschunterricht abzielen.