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Historische Valenz

2021
978-3-8233-9478-5
Gunter Narr Verlag 
Albrecht Greule
Jarmo Korhonen

Das Interesse für die Anwendung der Valenztheorie auf die deutsche Sprachgeschichte besteht seit etwa fünfzig Jahren. Hierdurch lassen sich Grundlagen für ein besseres Verständnis der historischen deutschen Texte schaffen: Wenn die historischen Texte der Valenzanalyse unterzogen werden, fördert Die Beobachtung der semantischen und morphosyntaktischen Umgebung von Verben Erkenntnisse zutage, die in lexikalische Verzeichnisse Eingang finden. Damit stehen syntaktisch untersuchte Verben aller Sprachperioden bereit und bieten sich zum historischen Vergleich an. Aus diesem spezifischen Blickwinkel wird der Sprachwandel erfasst und erklärt. Diese Einführung gibt einen Überblick über die Forschungsaktivitäten im Bereich der deutschen Sprachgeschichte, die auf valenztheoretischer Grundlage ausgeübt werden, z.B. in den Bereichen Syntax, Phraseologie, lexikalische Semantik und Lexikografie.

Historische Valenz Albrecht Greule / Jarmo Korhonen Einführung in die Erforschung der deutschen Sprachgeschichte auf valenztheoretischer Grundlage Historische Valenz Albrecht Greule / Jarmo Korhonen Historische Valenz Einführung in die Erforschung der deutschen Sprachgeschichte auf valenztheoretischer Grundlage Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung. © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISBN 978-3-8233-8478-6 (Print) ISBN 978-3-8233-9478-5 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0306-0 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 9 11 A. 13 1. 13 2. 22 3. 25 B. 31 1. 32 2. 34 C. 35 1. 35 2. 36 3. 39 D. 43 1. 43 2. 44 3. 46 4. 49 5. 73 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutsche Sprachgeschichte im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Perioden der deutschen Sprachgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Textüberlieferung in den historischen Sprachperioden . . Bibliografie der wichtigsten Grammatiken und Wörterbücher der deutschen Sprachperioden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der gegenwartssprachliche Valenzbegriff. Eine Zusammenfassung . . . . Prädikate, Ergänzungen, Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verb-Aktanten-Konstellationen (VAK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historische Valenz. Forschungsüberblick und Problembereiche . . . . . . . Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probleme bei der Analyse der historischen Valenz . . . . . . . . . Herausarbeitung der Verb-Aktanten-Konstellationen aus historischen Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Valenz und Historische Grammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Satzbaupläne im Zentrum der Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Textanalyse zur Valenz und zu den Verb-Aktanten-Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die linguistische Ersatzkompetenz (Prokompetenz) . . . . . . . . Vom historischen Korpus zur Valenz und zu den Satzbauplänen (Methoden) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Satzbaupläne, Satzmodelle oder Satzmuster im Alt-, Mittel- und Frühneuhochdeutschen sowie im (Älteren) Neuhochdeutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. 86 7. 91 8. 102 9. 109 10. 111 11. 121 12. 125 13. 129 14. 131 E. 133 1. 133 2. 148 3. 154 4. 157 F. 159 1. 159 2. 175 3. 184 G. 189 1. 189 2. 190 3. 192 4. 199 207 Die „logisch-grammatischen Satztypen“ in der deutschen Sprachgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Polyvalenz in der deutschen Sprachgeschichte . . . . . . . . . . . . . Historische Valenz und Wortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historische Valenz und verbale Wortfelder . . . . . . . . . . . . . . . Historische Valenz und Phraseologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historische Valenz und Funktionsverbgefüge . . . . . . . . . . . . . Historische Valenz und Textgrammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pragmatische Valenz historisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historische Valenz und Konstruktionsgrammatik . . . . . . . . . . Historische Valenz und Lexikografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historische Valenzlexika und valenzbezogene Informationen in historischen Allgemeinwörterbüchern des Deutschen . . . Methoden der historischen Valenzlexikografie . . . . . . . . . . . . . Projekte zur historischen Valenzlexikografie (HSVW, KHVL, MSVW) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historische Valenz und Digital Humanities . . . . . . . . . . . . . . . Valenzwandel und Valenzentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Valenzwandel: Satzglied- und Attributklassen . . . . . . . . . . . . . Entwicklung der Valenz ausgewählter Verben und Verbphraseme vom Althochdeutschen bis zum heutigen Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Valenzgeschichte(n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lexikografischer Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausschnitt aus dem Syntaktischen Verbwörterbuch zu den althochdeutschen Texten des 9. Jahrhunderts (Greule 1999, 300) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probeartikel zum Mittelhochdeutschen syntaktischen Verbwörterbuch (MSVW) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probeartikel zum Historisch syntaktischen Verbwörterbuch (HSVW) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probeartikel zum Kleinen historischen Valenzlexikon (KHVL) Literatur zur Historischen Valenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 223 1. 223 2. 223 225 226 Verzeichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Korpora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfasser- und Quellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt Vorwort Mit dem vorliegenden Handbuch, für dessen Inhalt wir gemeinsam verant‐ wortlich zeichnen, wollen wir zum einen einen Überblick über die verschie‐ denen Forschungsaktivitäten im Zusammenhang mit der Übertragung der Valenztheorie auf die Beschreibung des Deutschen unter sprachgeschichtlichem Gesichtspunkt bieten und zum anderen die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung des Valenzmodells für die Erfassung des Sprachwandels und damit für die Schaffung von Voraussetzungen für ein besseres Verständnis historischer Texte lenken. Bei der Beschäftigung mit älteren Texten in lexikalischer, syntaktischer, phraseologischer und semantischer Hinsicht stellen synchron und diachron angelegte Wörterbücher ein unverzichtbares Hilfsmittel dar, und gerade auf dem Gebiet der Erstellung historischer lexikografischer Nachschlagewerke hat die Valenztheorie in den letzten Jahrzehnten wichtige Ansätze entwickelt. Ent‐ sprechend bildet die historische Valenzlexikografie neben der Erläuterung von Beziehungen zwischen Valenz und historischer Grammatik sowie von Aspekten des Valenzwandels und der Valenzentwicklung einen deutlichen Schwerpunkt in unserem Buch. Das Interesse für die Anwendung der Valenztheorie auf die deutsche Sprach‐ geschichte erwachte vor rund 50 Jahren. Bereits in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre haben wir uns ‒ unabhängig voneinander ‒ vorgenommen, jeweils einen umfangreicheren Text mit valenzbasierten Methoden zu analysieren. In der Abhandlung von Albrecht Greule diente das „Evangelienbuch“ Otfrids von Weißenburg, in der von Jarmo Korhonen der Sermon „Von den guten Werken“ von Martin Luther als Untersuchungsmaterial. Seitdem haben wir uns fast un‐ unterbrochen mit dem Problemkomplex Valenztheorie und historische deutsche Sprachwissenschaft befasst und dazu mehrere Publikationen in unterschiedli‐ cher Form vorgelegt. Unsere Zusammenarbeit hat sich in letzter Zeit besonders dadurch verstärkt, dass Jarmo Korhonen mit Hilfe eines Forschungsstipendiums der Alexander von Humboldt-Stiftung in den 2010er-Jahren am Institut für Germanistik der Universität Regensburg arbeiten konnte. Während dieser Zeit hat Albrecht Greule eine Idee entwickelt, einerseits ein umfassendes Historisch syntaktisches Verbwörterbuch mit Schwerpunkt auf der Valenz und andererseits ein Kleines historisches Valenzlexikon zu erarbeiten. Ende der 1970er-Jahre intensivierten sich die Forschungen zur historischen Valenz erheblich, sodass Albrecht Greule im Jahr 1982 einen diesbezüglichen Sammelband („Valenztheorie und historische Sprachwissenschaft“) heraus‐ geben konnte. Schon damals zeigte sich, dass die einschlägigen Untersuchungen trotz der gemeinsamen theoretischen Grundlage recht divergent waren, was sich z. B. in den Methoden, der Terminologie und der Kennzeichnung der valenzbedingten Bestimmungen (Ergänzungen) widerspiegelte. Auch spätere historische Valenzstudien sind durch eine ähnliche Differenziertheit geprägt, weshalb wir uns entschieden haben, für unsere Darstellung keine formale Einheitlichkeit anzustreben, sondern die herangezogenen Publikationen etwa in Bezug auf die Gestaltung der Symbole von Ergänzungen unverändert zu dokumentieren und bei Bedarf kritisch zu besprechen. Unsere Arbeit im Bereich der historischen Valenzforschung ist außer von der Alexander von Humboldt-Stiftung auch von der germanistisch-romanisti‐ schen Forschergemeinschaft CoCoLaC (Contrasting and Comparing Languages and Cultures) in der Abteilung für Sprachen der Universität Helsinki geför‐ dert worden. Es konnten beispielsweise mehrere Arbeitstreffen und kleinere Kolloquien, auf denen wir unsere Überlegungen und Forschungsergebnisse präsentieren konnten, abwechselnd in Regensburg und Helsinki stattfinden. Beiden Institutionen sind wir zu Dank verpflichtet, desgleichen sprechen wir der Alexander von Humboldt-Stiftung für die Bewilligung einer großzügigen Druckkostenbeihilfe einen verbindlichen Dank aus. Schließlich danken wir dem Verlag für die gute Betreuung bei der Erstellung der Druckvorlage. Regensburg und Helsinki, im März 2021 Albrecht Greule und Jarmo Korhonen 10 Vorwort 1 Jörg Riecke (2016): Geschichte der deutschen Sprache. Eine Einführung. Stuttgart, 7. Einleitung „Viel stärker noch als bei der Beobachtung der Gegenwartssprache stoßen wir beim Lesen älterer Texte auf Zeichen der Veränderung. […] Dies macht sich durch zahl‐ reiche Verständnisprobleme fortwährend bemerkbar. Je älter ein Text ist, umso mehr häufen sie sich. […] Das Gute an den Schwierigkeiten im Umgang mit historischen Texten ist aber, dass sie uns die Tatsache der geschichtlichen Entwicklung einer Sprache nachhaltig verdeutlichen. […] Sprachgeschichtliche Kenntnisse helfen uns dabei, diese älteren Texte - und damit die Gedanken und Konzepte vorangegangener Generationen - richtig einzuordnen“. 1 Im Vorwort zu seinem Werk betont J ÖR G R I E C K E darüber hinaus, dass es in der Sprachgeschichte um Grundlagen des Textverständnisses, um ein Verständnis für den Wandel von Kommunikationsformen und um Einblicke in den histori‐ schen Wandel bei der Erfassung und Interpretation unserer Welt geht. Wir sind der Überzeugung, dass die Übertragung des aus den praktischen Belangen des Deutsch-als-Fremdsprache-Unterrichts der 1960er-Jahre entwi‐ ckelten Valenzmodells auf die deutsche Sprachgeschichte den Ansprüchen an die Sprachgeschichtsschreibung, besonders dem Anspruch, Grundlagen des Textverständnisses zu schaffen, Vorschub leistet. Wir sehen dies darin begründet, dass die Beobachtung der semanto- und morphosyntaktischen Umgebung - in erster Linie - von Verben, wenn die historischen Texte der Valenzanalyse unterzogen werden, Erkenntnisse zutage fördert, die dann in lexikalische Verzeichnisse (analog oder digital) Eingang finden. Damit stehen syntaktisch untersuchte Verben aller Sprachperioden bereit und bieten sich zum historischen Vergleich an. Aufgrund der „Valenzgeschichte“, die für je ein Verb das syntaktische Verhalten und die semantische Entwicklung vom Ahd. bis zum Nhd. beschreibt, wird aus einem spezifischen Blickwinkel der Sprachwandel erfasst und erklärt. Die wichtigsten Beschreibungs- und Forschungsbereiche der historischen Valenz sind demnach Syntax, Phraseologie, lexikalische Semantik und Lexikografie. Das Buch ist folgendermaßen aufgebaut. Zunächst erhalten die Leser einen knappen Einblick in die (periodisierte) deutsche Sprachgeschichte (Kapitel A), um die zeitlichen Dimensionen, die Textmenge und Themenfülle kennenzu‐ lernen, auf die sich die valenzbasierte Text- und Satzanalyse erstreckt. Ka‐ pitel B fasst den Forschungsstand zur gegenwartssprachlichen Valenztheorie zusammen. In Kapitel C geht es um die Probleme der Übertragung des Valenz‐ begriffs in die deutsche Sprachgeschichte. Die Kapitel D und E präsentieren die Ergebnisse historischer Valenzforschung auf dem Gebiet der Grammatik und der Lexikografie, den Hauptgebieten der Anwendung der sprachhistorischen Valenz. Kapitel F beschreibt den Sprachwandel, soweit die Verbvalenz erklärend dazu beiträgt. Die aus unterschiedlichen Perspektiven verfassten Probeartikel zu Historischen Verbvalenzwörterbüchern des Deutschen füllen den umfang‐ reichen Anhang (Kapitel G). 12 Einleitung A. Deutsche Sprachgeschichte im Überblick 1. Perioden der deutschen Sprachgeschichte Auf der Grundlage der schriftlichen Überlieferung ergibt sich folgende Ein‐ teilung der Entwicklung der deutschen Sprache in zeitliche Abschnitte. Die zeitlichen Grenzen sind ungefähre und gerundete Jahreszahlen. Neben den im hochdeutschen Sprachraum entstandenen Texten findet auch die Entwicklung im niederdeutschen Sprachraum Berücksichtigung. 1.1 Die althochdeutsche (und altsächsische) Zeit ca. 750‒1050 (ahd.) bzw. 9.‒12. Jh. (as.) 1.2 Die mittelhochdeutsche (und mittelniederdeutsche) Zeit ca. 1050‒1350 (mhd.) bzw. ca. 1200‒1650 (mnd.) 1.3 Die frühneuhochdeutsche Zeit ca. 1350‒1600 (fnhd.) 1.4 Das Neuhochdeutsche ab ca. 1600 (nhd.) 1.1 Althochdeutsch und Altsächsisch Das Ahd. wird von dem sprachhistorisch nah verwandten Altsächsischen durch den geografischen Raum, in dem es schriftlich festgehalten wurde, und durch lautliche Differenzen unterschieden. Die altsächsischen (altniederdeutschen) Aufzeichnungen weisen keine Reflexe der Zweiten (hochdeutschen) Lautver‐ schiebung (germanisch / p, t, k/ > ahd. / ff, zz, hh/ bzw. / pf, tz, kch/ ) auf, sondern bewahren den germanischen Lautstand. Der Raum, in dem ahd. geschrieben wurde, wird durch die folgenden Schreiborte (Klöster, Bischofssitze) markiert: Trier, Echternach, Köln, Aachen, Mainz, Lorsch, Speyer, Frankfurt, Fulda, Würzburg, Bamberg, Weißenburg, Murbach, Reichenau, St. Gallen, Freising, Regensburg, Salzburg, Tegernsee, Passau, Mondsee. Nach der Unterwerfung des Stammes der Sachsen durch Karl den Großen (804) wurden altsächsische Texte zum Zweck der Christianisierung der Sachsen verfasst und niedergeschrieben (vgl. das Altsächsische Taufgelöbnis). Als Grenze zu dem ahd. Gebiet wird die Benrather Linie (auch maken-machen-Linie) angenommen, eine gedachte Linie, die vom Rhein bei Düsseldorf nach Nordosten verläuft und die heutigen 1 Eckhard Meineke/ Judith Schwerdt (2001): Einführung in das Althochdeutsche. Pader‐ born u. a., 96. hochdeutschen Mundarten im Süden von den niederdeutschen im Norden trennt. Die ahd. Schriftlichkeit setzt im 8. Jh. ein (siehe Kapitel A.2). Die historischen Rahmenbedingungen dazu schufen die (fränkischen) Karolinger, deren Reich mit dem Tod Kaiser Karls III. anno 888 endete. Insbesondere die Kirchen- und Bildungsreform Kaiser Karls des Großen (geb. 747 oder 748, gest. 814 in Aachen) ist die Ursache dafür, dass „im ahd. Sprachraum Grundlagentexte des christl. Glaubens, der kirchlichen Praxis, der kulturell-politischen Auseinandersetzung und der schulischen Lektüre glossiert, übersetzt, kommentiert und zur Dichtung umgestaltet“ wurden. 1 Nach den herausragenden Werken des St. Galler Mönchs Notker III. (†1022) findet die ahd. Phase unter dem Geschlecht der Salier (1024‒1125) mit den um die Mitte des 11. Jh. verfassten Schriften ihr Ende und geht allmählich ins Frühmhd. über. Williram von Ebersberg (†1085) widmete seine ahd. Hoheliedparaphrase Heinrich IV., römisch-deutscher König seit 1056. 1.2 Mittelhochdeutsch Während das Ahd. eine Sammelbezeichnung für die Schriftzeugnisse der „Stammesdialekte“ Fränkisch, Alemannisch und Bairisch ist und es noch keine „deutsche“ Sprachgemeinschaft gab, verfestigte sich der um 1090 im vermutlich in Siegburg verfassten Annolied auftauchende Ausdruck diutsch (diutischin sprechin ‚deutsch sprechen‘) als Sprachbegriff. Er findet sich weiterhin in Texten des 11. und 12. Jh. aus allen Mundartgebieten und wird zum Volks- und Raum‐ begriff (diutschi liute). Der politische Hintergrund für diese Entwicklung ist die Machtentfaltung des (ehemals ostfränkischen) Reiches zur Zeit der salischen (1024‒1125) und staufischen (1125‒1250) Kaiser, auf die im letzten Jh. der mhd. Periode (1250‒1350) als Folge des Interregnums (1254‒1273) wechselnder Herrscherhäuser und territorialer Gewalten der Niedergang folgte. Der Wechsel der politischen Herrschaft im deutschen Reich ermöglicht es, das Mhd. in drei Phasen einzuteilen: • Frühmhd. (während der Zeit der Salier etwa ab 1050 bis 1125) • Klassisches (höfisches) Mhd. (während der Zeit der Staufer) • Spätmhd. (vom Ende der Staufer bis zu den Mystikern im 14. Jh.) 14 A. Deutsche Sprachgeschichte im Überblick 2 Vgl. ausführlich Hans Eggers (1965): Deutsche Sprachgeschichte II. Reinbek bei Ham‐ burg, 57‒109. 3 Vgl. Jörg Riecke (2016): Geschichte der deutschen Sprache. Eine Einführung. Stuttgart, 66‒69. Die frühmhd. Texte, die besonders im bairisch-österreichischen Raum ent‐ standen (vgl. zuerst das um 1060 verfasste Ezzolied), gehen auf die Wirkung der in Deutschland seit 1070 wirksamen cluniazensischen Klosterreform zurück. Sie verfolgten die Absicht, auch dem Laienstand das asketische Ideal des Mönchtums nahezubringen. Die Verfasser waren vorrangig Geistliche. Ebenfalls von Geistlichen, die aber im Dienst adliger Auftraggeber standen, wurden Versepen verfasst (z. B. das Rolandslied des Pfaffen Konrad, 1170), die auf die aventiure-Romane der höfischen Zeit vorverweisen. 2 Die Literatur zur Zeit der Staufer wird von den ritterlichen Epen, der Minne- und Kreuzzugslyrik bestimmt, besonders durch die Werke Hartmanns von Aue, Wolframs von Eschenbach, Gottfrieds von Straßburg, des anonymen Nibelungenlied-Dichters und Walthers von der Vogelweide. Die Dichtungen der klassischen Autoren sind rhetorisch geformt und von einem speziellen, teils aus dem Französischen entlehnten Wortschatz geprägt, in dem sich das Ideal der ritterlichen Lebensführung ausdrückt. Die „mhd. Dichtersprache“ war auch in der Weise überregional angelegt, als sich im Sprachgebrauch der Dichter um 1200, besonders in den Reimen, eine Vermeidung von Dialektismen und eine Tendenz zum Dialektabbau feststellen lässt. 3 Die lautliche Abgrenzung des Mhd. vom Ahd. wird vor allem an der „Nebensilbenabschwächung“ sichtbar. Das bedeutet, dass die im Ahd. noch vollen Vokale der unbetonten Silben im klassischen Mhd. als einförmiges <e> erscheinen oder durch Synkope oder Apokope ausfallen. Dem ahd. sálbōta entspricht mhd. salbete, nhd. salbte. Spätmhd. Phase (ca. 1250 ‒ ca. 1350): Seit dem 13. Jh. finden immer mehr Menschen Zugang zur Schriftlichkeit. Die Zahl der Städte stieg in Mitteleuropa zwischen 1200 und 1500 von ca. 250 auf ca. 3000. Die Städte boten in den unsicheren Zeiten Schutz. Es bildeten sich neue Kommunikationsgruppen; die Kaufleute brauchten Schulen, in denen Lesen, Schreiben und Rechnen in deutscher Sprache gelernt werden konnte. In diese Zeit fällt der Verfall der höfischen Dichtersprache; das höfische Ideal wurde in den Dichtungen der Zeit zur Mode stilisiert oder von realistischer Dichtung (z. B. Werner der Gartenaere, „Meier Helmbrecht“) verdrängt. Gegenüber dem Versepos in Reimpaaren gewinnen Texte in Prosa die Oberhand. Einerseits ist es die von den Angehörigen des Franziskaner- und Dominikanerordens gepflegte geistliche Predigt (z. B. Berthold von Regensburg), andererseits Fachliteratur, insbesondere die des Rechtswesens. Zuerst wurden Urkunden, in der Mitte 15 1. Perioden der deutschen Sprachgeschichte 4 Hans Eggers (1965): Deutsche Sprachgeschichte II. Reinbek bei Hamburg, 175. des 13. Jh. im Südwesten, in deutscher Sprache ausgestellt. Der Beginn der Rechtskodifikation, z. B. im Sachsenspiegel, fällt in die mittelniederdeutsche Zeit (s. u.). Für das Geschäfts- und Rechtswesen sind die im Sprachgebiet verbreiteten herrschaftlichen Kanzleien wichtig. Aufgrund der hier verschrifteten Texte können verschiedene Schreiblandschaften ausfindig gemacht werden. Am Ende der spätmhd. Phase stehen die Mystiker und Mystikerinnen (z. B. Mechthild von Magdeburg, Meister Eckhart), die ihre „Gottsuche und Gotteserkenntnis“ 4 in mhd. Prosa zum Ausdruck brachten. Den Übergang zur neuen Epoche markiert der Weltgeistliche Konrad von Megenberg, dessen für Laien in Prosa verfasstes naturkundliches „Buch der Natur“ (1348/ 1350) mit mehr als 100 Handschriften weite Verbreitung fand. Das Mittelniederdeutsche (von ca. 1200 bis ca. 1650) schließt an das Altsäch‐ sische an. Sprachräumlich umfasste das Mnd. ganz Norddeutschland und wurde zur Zeit der Hanse die führende Schreibsprache im Norden Mitteleuropas und Lingua franca in der Nordhälfte Europas. Bereits seit dem 12. Jh. trug die Einwanderung deutschsprachiger Siedler vorwiegend aus Flandern, Holland, dem Rheinland und Westfalen in die von Slawen besiedelten Gebiete östlich von Saale und Elbe (Deutsche Ostsiedlung) zur Erweiterung des Sprachgebiets bei. Es entstanden der niederdeutsche Dialekt ostelbisch und der ostmitteldeutsche Raum, dem Martin Luther entstammte. Wichtige mnd. Sprachdenkmäler sind der Sachsenspiegel Eikes von Repgow, ein um 1225 entstandenes Rechtsbuch, die Sächsische Weltchronik (13. Jh.), das Redentiner Osterspiel (Handschrift 1464), der Frühdruck der Lübecker Bibel (1494) und das Tierepos Reynke de vos (1498 gedruckt in Lübeck). Der Untergang des Mittelniederdeutschen, jener neben dem Mhd. existie‐ renden deutschen Varietät mit überregionaler Verbreitung, wurde auch ‒ als Folge der Reformation ‒ durch die Ausbreitung des „Meißnischen“, der durch Luthers Bibelübersetzung geschaffenen Schreibsprache, bewirkt. 1.3 Frühneuhochdeutsch Die Gründe, dass zwischen den Perioden Mhd. und Nhd. eine Epoche, das Fnhd., eingeschoben wird, liegen bei zwei weltgeschichtlichen Ereignissen, die für die Entwicklung der deutschen Sprache von großer Bedeutung waren: Um 1450 wurde der Druck mit beweglichen Metalllettern erfunden, und in der Folge der Reformation übersetzte Martin Luther (1483‒1546) die Bibel ins Deutsche. Im September 1522 erschien seine Übersetzung des Neuen Testaments als 16 A. Deutsche Sprachgeschichte im Überblick 5 Vgl. Jörg Riecke (2016): Geschichte der deutschen Sprache. Eine Einführung. Stuttgart, 115‒128: Von der Kanzleisprache zum Luther-Deutsch. gedrucktes Buch zur Leipziger Buchmesse. Luther legte damit und mit den spä‐ teren Bibeldrucken den Grundstein für die Herausbildung einer einheitlichen deutschen Schriftsprache. 5 Luther selbst bekannte, dass er nach der sächsischen Kanzlei „rede“, und lenkte damit den Blick auf die Rolle der sogenannten Kanzleisprachen und ihre Wirkung als schreibsprachliche Vorbilder im 14. und 15. Jh. Ab der Mitte des 14. Jh. erhöht sich die Zahl der Texte je Textsorte, vor allem die Zahl der Gebrauchstexte, nicht zuletzt befördert durch die Verbreitung des Schreibstoffs Papier. In diesem Zusammenhang wuchs auch die Zahl der Schreib- und Schrift‐ kundigen an. Vor allem die Kanzleien sind die Schreibstätten, wo das Schrifttum der herrschaftlichen Verwaltung durch Notare und Schreiber auch in deutscher Sprache produziert wurde. Aufgrund der zunächst nur regionalen (territorialen) Verbreitung der in den Kanzleien hergestellten Schriften entwickelten sich in den Kanzleien spätmittelalterliche Schreibdialekte. Unter ihnen kam der Schreibsprache der kaiserlichen Kanzlei eine gewisse Vorbildfunktion zu. In der Kanzlei des späteren Kaisers Karl IV. wurden um 1350 die Ergebnisse der nhd. Monophthongierung (mhd. / ie uo üe/ > nhd. / i: u: y: / ) und der nhd. Diphthongierung (mhd. / i: u: y: / > nhd. / ei au eu/ ) geschrieben und erlangten Vorbildfunktion für den Schreibusus auch anderer Kanzleien. Beide Lautent‐ wicklungen gelten als die deutsche Sprache charakterisierende Erscheinungen und werden als Hauptmerkmale genannt, durch die sich das Mhd. vom Fnhd. abgrenzt. Die führende Rolle für die Sprachentwicklung übergaben die Kanzleisprachen im Lauf des 16. Jh. an die städtischen Druckerzentren. Es entstanden regionale Druckersprachen. Mit der gedruckten Bibelübersetzung durch Martin Luther, der sich an Tendenzen zur Bildung überregionaler deutscher Schriftlichkeit an‐ schließen konnte, bildete sich nach 1500 eine bislang fehlende deutsche Leitva‐ rietät aus, die auch dank der Tatsache, dass die Druckerzeugnisse einen großen Absatzmarkt brauchen, geografische Verbreitung fand, zuerst in den protestan‐ tischen, danach auch in den katholischen Herrschaftsgebieten. Nachdem der deutschen Sprache dank der Bibelübersetzung der Rang einer heiligen Sprache zuerkannt worden war, sind erste Werke der Sprachkultivierung zu verzeichnen, d. h., es entstanden grammatische Darstellungen, die auf das einheitliche Lesen und Schreiben ausgerichtet waren. 17 1. Perioden der deutschen Sprachgeschichte 6 Auch Jörg Riecke (Geschichte der deutschen Sprache. Eine Einführung. Stuttgart 2016, 129), überschreibt die erste Phase des Nhd. mit „Wandel und Neuansatz im 17. Jahrhundert“, obwohl er die nhd. Periode mit ca. 1650 beginnen lässt. 1.4 Neuhochdeutsch Die Abgrenzung und der Beginn der nhd. Periode der deutschen Sprachge‐ schichte ist nicht einheitlich. Bisweilen setzt man den Schnitt zwischen Fnhd. und Nhd. auch erst mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648) an. Dies bedeutet aber, dass die Zäsur in der Mitte des 17. Jh. nicht nur die Epoche der deutschen Literaturgeschichte (Literatur des Barock), sondern auch wichtige sprachgeschichtliche Entwicklungen, die die Zeit des Barock mitprägen, aus‐ einanderreißen würde. 6 Man teilt das Nhd. beginnend mit dem Barock (17. Jh.) in drei Phasen ein: • Das Ältere Nhd. 1600 ‒ ca. 1800 (änhd.) • Das Jüngere Nhd. ca. 1800‒1950 (jnhd.) • Nhd. Gegenwartssprache seit ca. 1950 (nhd.) Das Ältere Nhd.: Der Dreißigjährige Krieg hinterließ ein verwüstetes Land und brachte dem Deutschen Reich einen politischen und ökonomischen Rückschlag. Am Ende des Krieges hatte sich Frankreich als führende Macht in Europa etabliert. Der französische Hof wurde zum Vorbild der absolutistischen Territo‐ rialfürsten, was eine besonders starke Einwirkung auf die deutsche Sprache durch die Übernahme zahlreicher Lehnwörter aus dem Französischen hatte und zu der häufig kritisierten deutsch-französischen „Mischsprache“ (Alamo‐ dewesen) führte. Außer der durch die Sprachkritik angeregten Sprachreflexion bekam die deutsche Sprachkultivierung noch vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges einen weiteren Impuls. Infolge der Gründung der ersten der barocken, primär adeligen Sprachgesellschaften im Jahr 1617 durch Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen bildeten sich im 17. Jh. neue Zentren der Sprachreflexion, Sprachkultivierung und literarischen Produktion heraus. Mitglied der Frucht‐ bringenden Gesellschaft war auch Martin Opitz, der mit dem „Buch von der deutschen Poeterey“ (1624) eine Literaturreform herbeiführte und einem der drei bestimmenden Prinzipien der Sprachreflexion, der Sprachschönheit, zur Geltung verhalf. Neben den Prinzipien der Sprachschönheit und Sprachreinheit beschäftigte man sich mit der Sprachrichtigkeit und der Norm einer Leitva‐ rietät des Deutschen. Zwei weiteren Zielen, die Georg Philipp Harsdörffer im Programm der Spracharbeit formulierte, nämlich die Erarbeitung eines Wörter‐ buchs und einer der Sprachrichtigkeit verpflichteten, normativen Grammatik, kam man näher: Dominant war in dieser Zeit die „Teutsche Sprachkunst“ 18 A. Deutsche Sprachgeschichte im Überblick (1641) von Justus Georg Schottel; aus der theoretischen Diskussion über das Verfassen eines Wörterbuchs ging gegen Ende des Jahrhunderts das normie‐ rende Wörterbuch von Kaspar Stieler „Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs / oder Teutscher Sprachschatz“ (1691) hervor. Dass die überregionale Verständlichkeit schriftlich verfasster und öffentlicher Texte erreicht war, zeigt die Zeitungssprache. Erstmals 1609 erschienen periodische Wochenzeitungen, ab Mitte des Jahrhunderts auch erste Tageszeitungen. Den Übergang vom 17. zum 18. Jh., dem Zeitalter der Aufklärung, innerhalb des Älteren Nhd., markiert Johann Christoph Gottsched (1700‒1766), dessen maßgebliche Grammatik „Grundlegung einer deutschen Sprachkunst“ ab 1748 erschien. In seinem „Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen“ (Leipzig 1729/ 1730) begründete Gottsched den Zusammenhang von Vernunft und Sprachgebrauch und setzte Maßstäbe der Sprachnorm, die im Laufe des 18. Jh. sowohl in den katholischen Regionen Süddeutschlands akzeptiert wurde als sich auch im niederdeutschen Norden als Schriftsprache (Meißnisch) aus‐ breitete. Dass das Hochdeutsche nun im gesamten deutschen Sprachraum Geltung besaß, ist auch den an verschiedenen Orten erscheinenden Zeitungen zu verdanken. Kritik an der von Gottsched mit Absolutheitsanspruch vorgetragenen Sprach‐ reform regte sich auf Seiten der Dichter. Zu nennen sind in diesem Kontext besonders Friedrich Gottlieb Klopstock (1724‒1803), Gotthold Ephraim Lessing (1729‒1781) und Christoph Martin Wieland (1733‒1813). Zu den Kritikern gehörte auch Johann Christoph Adelung (1732‒1806), der mit dem „Gramma‐ tisch-kritischen Wörterbuch der hochdeutschen Mundart“ (1774-1786) nicht mehr Normen setzen, sondern den tatsächlichen Sprachgebrauch (der oberen Stände Obersachsens) beschreiben wollte. Adelungs großes neues deutsches Wörterbuch wurde mit Gewinn von den Klassikern und gebildeten Bürgern benutzt. Zwischen Älterem und Jüngerem Nhd.: Die politischen und literaturge‐ schichtlichen Ereignisse zwischen 1789 und 1830/ 1832 erfordern es, dass die Sprachgeschichtsschreibung eine die deutsche Literatur und Sprache entschei‐ dend prägende Epoche einblendet und die Epochengrenze ca. 1800 gleichsam überspringt. In den Vordergrund treten dabei die literarischen Werke der Weimarer Klassiker und der Romantiker; insbesondere geht es um die Lite‐ ratursprache Goethes und Schillers. Wie die Klassiker verhielten sich auch die Romantiker ablehnend gegenüber der Französischen Revolution von 1789. (Als Dichter des „Sturm und Drang“ werden Goethe und Schiller auch der Periode des Älteren Nhd. zugeordnet.) Seit Beginn des 19. Jh. wird die auf der klassischen Literatursprache beruhende Norm zur Gebrauchsnorm der 19 1. Perioden der deutschen Sprachgeschichte 7 Jörg Riecke (2016): Geschichte der deutschen Sprache. Eine Einführung. Stuttgart, 205. Schriftsprache überhaupt; eine überregional verständliche Schriftsprache ist vorhanden. Sie war die Sprache der in ganz Europa anerkannten klassischen Literatur und prägte das „bürgerliche Sprachempfinden“ 7 im gesamten 19. Jh. Das Jüngere Nhd.: Der Tod Goethes im Jahr 1832 markiert das Ende der Zeit, in der die für die deutsche Literatur- und Schriftsprache vorbildlichen Werke geschaffen wurden. Das 19. Jh. ist danach durch die Festigung und Verbreitung der literatursprachlichen Norm, zu deren Durchsetzung besonders in Norddeutschland die Zeitungen einen wichtigen Beitrag leisteten, gekenn‐ zeichnet. Der Gebrauch der perfekten Schriftsprache wurde durch das Lesen der richtigen Bücher (z. B. der Ausgabe von Goethes Werken), durch Sprachratgeber, Lehrbücher und Briefsteller garantiert. Von besonderer Bedeutung waren das „Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache“ (1880) von Konrad Duden und die „Deutsche Bühnenaussprache“ (1889) von Theodor Siebs. Nicht den aktuellen Sprachgebrauch beschreiben oder regeln wollten die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm. In der Tradition der Romantik stehend erforschten sie die Geschichte der deutschen Sprache und begründeten durch Werke wie die „Deutsche Grammatik“ (1819‒1837) und das „Deutsche Wörterbuch“ (1. Band 1854, 33. und letzter Band 1971) eine deutsche Nationalphilologie. In den von den Brüdern Grimm verfassten und in mehreren Ausgaben überarbeiteten „Kinder- und Hausmärchen“ (1. Auflage 1812‒1815) ist die dafür als Volkspoesie konzipierte Sprache bis heute verbreitet und bekannt. Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 erhielt der gegen französische Einflüsse auf die deutsche Sprache gerichtete Sprachpurismus Auftrieb. Behörden griffen regulierend, z. B. bei Post, Eisenbahn und Militär, in den „Sprachenkampf “ durch Verdeutschungen ein. Nach der Gründung des „Allgemeinen deutschen Sprachvereins“ (1885) wurde die Sprachreinigung fast zu einer populären Bewegung. Noch zuvor war der „Allgemeine Deutsche Arbeiter-Verein“ (1863) entstanden und wurde die „Sozialdemokratische Arbei‐ terpartei“ (1869) gegründet. Damit etablierte sich ein Arbeiterbildungswesen, das die literatursprachliche Norm akzeptierte. Die Teilnahme der Bevölkerung am öffentlichen politischen Leben und die Rolle, die die Sprache in der öffent‐ lichen Auseinandersetzung jetzt spielte, führten im Gefolge des Ersten Welt‐ kriegs zur Politisierung der Sprache. Von den Schrecken des Ersten Weltkriegs sind die expressionistischen Dichtungen (1906‒1923) geprägt, in deren beson‐ derem Sprachstil sich die Krise der bürgerlich-imperialistischen Gesellschaft abzeichnet. 20 A. Deutsche Sprachgeschichte im Überblick Mit der Herrschaft der Nationalsozialisten (1933‒1945) war der öffentliche Sprachgebrauch vom nationalsozialistischen Sprachstil und von den durch den Rundfunk ins ganze Land verbreiteten Hetz- und Hassreden der Nazigrößen dominiert. Für seine Kritik des nationalsozialistischen Sprachgehabes ist beson‐ ders Victor Klemperer, der Autor der „Lingua Tertii Imperii“ (1947), bekannt geworden. Ein herausragendes Zeichen der Auseinandersetzung mit der durch den Nationalsozialismus „vergifteten“ deutschen Sprache nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte die von Dolf Sternberger herausgegebene Sammlung „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ (1957). Gegenwartssprache: Die von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs 1945 befreiten Länder Deutschland und Österreich waren zunächst in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden. Nach der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 war der öffentliche politische Sprachgebrauch vom sogenannten Ost-West-Konflikt in der deutschen Sprache, der sich schon ab 1945 in den Tageszeitungen andeutet, beherrscht. Der Konflikt wurde theoretisch durch die Vier-Varianten-Theorie untermauert, die besagt, dass es gemäß den deutschsprachigen Staaten, Bundesrepublik Deutschland, DDR, Österreich und Schweiz, auch vier offizielle Varianten des Deutschen gibt. Durch die Wieder‐ vereinigung 1989 und die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland existierte auch das „DDR-Deutsch“ außer in Regionalismen nicht weiter. Als die zentrale außeruniversitäre Einrichtung zur Erforschung und Doku‐ mentation der deutschen Sprache der Gegenwart wurde 1964 das Institut für Deutsche Sprache (IDS), jetzt Leibniz-Institut für Deutsche Sprache, gegründet. Im Fokus der sprachwissenschaftlichen Forschung der deutschen Sprache der Gegenwart standen und stehen: die Sprache der Werbung (in allen Medien), die Sprache der Jugend und der Jugendkultur, die Sprache der Politiker, die Entwick‐ lung der Dialekte zu Regionalsprachen, neuerdings die Sprachstile der „neuen Medien“, die durch die breite Nutzung der Sozialen Netzwerke (z. B. Facebook) und des Smartphones präsent sind. Als wichtige Institutionen der Sprachkulti‐ vierung und Sprachberatung wirken die bereits 1947 gegründete Gesellschaft für deutsche Sprache und die Duden-Redaktion. Sprachwissenschaftlich fest‐ gestellt werden Tendenzen, wie die deutsche Gegenwartssprache sich unter dem Einfluss der medialen und gesellschaftlichen Diskurse entwickelt. Dazu gehören z. B. der seit 1945 wachsende Einfluss des amerikanischen Englisch, der Übergang von einer literaturgeprägten Schriftsprache zu sprechsprachlichen 21 1. Perioden der deutschen Sprachgeschichte 8 Vgl. Peter Ernst (2005): Deutsche Sprachgeschichte. Eine Einführung in die diachrone Sprachwissenschaft des Deutschen. Wien, 235‒237. 9 Otto Ludwig (2005): Geschichte des Schreibens. Band 1: Von der Antike bis zum Buchdruck. Berlin, 125. Stilen, verbunden mit der Neigung zu kürzeren Sätzen und erweiterten Nomi‐ nalgruppen, und die Änderung der Satzklammer. 8 2. Die Textüberlieferung in den historischen Sprachperioden Die Sprachgeschichtsschreibung sowie die grammatische und lexikalische Be‐ schreibung der historischen Sprachstufen des Deutschen beruhen auf Texten, d. h. auf in lateinischer Alphabetschrift fixierten sprachlichen Formulierungen. Dem Umfang nach kann es sich um Kleinsttexte handeln, die nur aus einem Satz bestehen, oder auch um Großtexte und Textsammlungen (Bücher, Codices). In der Art und Weise der Überlieferung der Texte seit dem frühen Mittelalter bis in die Jetztzeit spiegelt sich auch die Entwicklung der Schriftmedien wider. Obwohl „Inschriften“ auf Stein, Holz, Gebäuden usw. angebracht wurden und noch werden, sind für die deutsche Textgeschichte als Schriftträger Pergament, Papier und letztlich computerbasierte Speichermedien die wichtigsten Träger der Textüberlieferung. Im frühen Mittelalter wurden die Texte in den Skriptorien der Klöster durch Abschreiben hergestellt. Geschrieben haben anfangs vornehmlich Mönche. Die volkssprachliche (deutsche) Textüberlieferung beginnt im späten 8. und frühen 9. Jh. mit Glossierungen lateinischer Texte (anfänglich durch ahd. Einzelwörter), mit Übersetzungen pastoraler Kleinliteratur (z. B. die ahd. Übersetzungen des Vaterunsers) und weitet sich aus auf die Bibeldichtung (z. B. das Evangelienbuch Otfrids von Weißenburg) und die zum Zweck der Schullektüre verfassten Schriften Notkers von St. Gallen oder auch auf heldenepische Texte (z. B. das Hildebrandslied). Zu den historischen Rahmenbedingungen für die Übersetzung lateinischer religiöser Texte bis hin zu den Dichtungen des (ahd.) Evangelien‐ buchs und des (altsächsischen) Heliands durch die Kirchen- und Bildungsreform Karls des Großen vgl. den Überblick über die deutsche Sprachgeschichte (Ka‐ pitel A.1.1). Im späten Mittelalter änderte sich zwar die „Technik“ des Schreibens; das Texteschreiben war jetzt arbeitsteilig organisiert: Der „Autor war für die Erzeugung des Textes verantwortlich, der Schreiber für die Herstellung des Manuskriptes“. 9 Die Kunst des Schreibens blieb aber noch immer auf den Klerus beschränkt. Schon im 13. Jh. wurden in den Kanzleien Urkunden nicht mehr 22 A. Deutsche Sprachgeschichte im Überblick nur in lateinischer, sondern auch in deutscher Sprache abgefasst. Vom 14. Jh. an üben sich auch Laien (Ritter und ansehnliche Bürger) in der Kunst des Schreibens, hauptsächlich um geschäftliche und private Briefe zu schreiben. Wichtige Sammelhandschriften sind die am Ende des 12. Jh. im Augustiner Chorherrenstift Vorau (Steiermark) geschriebene Vorauer Handschrift und der Codex Manesse, die bedeutendste deutsche Liederhandschrift des Mittelalters, die veranlasst durch die Zürcher Patrizierfamilie Manesse in der ersten Hälfte des 14. Jh. auf der Grundlage der Sammlung der Manesse vermutlich durch Nonnen des Klosters Oetenbach in Zürich hergestellt wurde. Nicht nur durch das zeitgleiche (oder spätere) und fehleranfällige Abschreiben (Kopieren) von Handschriften erscheint der mittelalterliche Text als ein dynamisches Gefüge. Es war auch üblich, Texte zeitlich und räumlich, dialektal und inhaltlich zu aktua‐ lisieren. Nicht jede mittelalterliche Handschrift setzt Verse ab; die Handschriften kennen keine Interpunktion im modernen Sinn und keine diakritischen Zeichen wie z. B. den Balken über Vokalen, um die Länge des Vokals zu markieren. Dies alles stammt von den Herausgebern der Neuzeit, die mit der Interpunktion das Textverständnis der modernen Rezipienten erleichtern, aber auch steuern wollten. Die Edition mittelalterlicher Texte hat erhebliche Auswirkungen auf die historische Syntax und die interpretative Satzabgrenzung. An die Stelle des teuren und für schnelles Schreiben ungeeigneten Perga‐ ments trat das glattere und billigere Papier als Schreibunterlage. Im 14. Jh. verbreitete sich Papier als Beschreibstoff und verdrängte im 15. Jh. das Perga‐ ment. Die erste deutsche Papiermacherwerkstatt wurde 1390 in Nürnberg in Betrieb genommen. Papier war eigenhändig leicht zu beschreiben und ermög‐ lichte einen durchgängigen Schreibfluss. Diesem diente auch die - anstelle der aufwendigen Buchschrift vor allem in Handel und Verwaltung verwendete - Kursivschrift, wo große Schriftmengen (Akten, Rechnungen) zu bewältigen waren. Auch ganze Bücher wurden im 14. Jh. in Kursive geschrieben. Das mühsame (Ab-)Schreiben mit der Hand konnte die steigende Nachfrage nach Lektüre auf Dauer nicht befriedigen. Die Erfindung des Bedruckens von Papier mit beweglichen Metalllettern durch Johannes Gutenberg um 1450 er‐ möglichte es, Texte zu „setzen“ und beliebig oft mechanisch in identischer Form zu vervielfältigen. Gegen Ende des 15. Jh. existierten in ganz Europa Druck‐ werkstätten (Offizinen). Die zwischen 1454 und dem 31. Dezember 1500 mit beweglichen Lettern gedruckten Einblattdrucke und Bücher (Inkunabeln, Wie‐ gendrucke) waren in Format, Typografie und Illustration vom Erscheinungsbild mittelalterlicher Handschriften geprägt. Die Produktion auch deutscher Bücher stieg bis 1523 auf 944 Exemplare. Neue Textsorten wie gedruckte Flugblätter und Flugschriften sind Vorformen der Zeitungen und Vorläufer der Massenmedien. 23 2. Die Textüberlieferung in den historischen Sprachperioden In der zweiten Hälfte des 20. Jh. brachte die Erfindung und weite Verbreitung des Computers eine der Erfindung Gutenbergs vergleichbare mediale Wende auf der Grundlage elektronischer Datenverarbeitung. Mit Hilfe des Computers seit den 1970er-Jahren, des Internets und des World Wide Webs seit den 1980er-Jahren sind die Herstellung, massenhafte Verbreitung und Speicherung von Texten in uneingeschränktem Maß möglich. Neue Textsorten wie E-Mail, Newsletter, Chat (und Chatroom), Tweet u. a. m., die sich von den Texten in den Printmedien erheblich unterscheiden, sind entstanden. Die Digitalisierung ganzer Bücher und mittelalterlicher Handschriften ist in vollem Gang. Die Digitalisate werden online gestellt und sind jederzeit und überall mit Hilfe des Computers aufrufbar. Damit schließt sich der Kreis zum Beginn der Überliefe‐ rung deutscher Texte im 8. Jh. - Zur Anwendung der Computer-Technik bei der Erforschung der Historischen Valenz vgl. Kapitel E.4. Die Textüberlieferung im Wandel der Medien am Beispiel von Otfrids Evangelienbuch Die als Codex Vindobonensis (V) bezeichnete Handschrift des Evangelienbuchs von Otfrid von Weißenburg wurde zwischen 863 und 871 im Skriptorium des Klosters Weißenburg unter der Aufsicht und mit eigenhändigen Korrekturen Otfrids hergestellt. V diente im dritten Viertel des 9. Jh. als Vorlage für die zweite - ebenfalls in Weißenburg hergestellte - Handschrift, den Codex Palatinus (P). In Freising entstand am Anfang des 10. Jh. die dritte Handschrift (F) und in Fulda in der zweiten Hälfte des 10. Jh. die nur fragmentarisch erhaltene Handschrift (D), beide kopiert von V. Der Codex Vindobonensis gilt als Haupthandschrift. Sie ist bis 1480 als Teil der Weißenburger Klosterbibliothek nachgewiesen, wurde aber, nachdem sie zwischenzeitlich in das Kloster St. Martin in Sponheim verbracht worden war, 1576 als Handschrift der Wiener Hofbibliothek geführt. 1560 fertigte Achill Pirmin Gasser in Augsburg eine Abschrift der Handschrift P an, nachdem P an Ulrich Fugger verkauft worden war. Als Druck erschien 1571 in Basel eine von Matthias Flacius Illyricus veranlasste Gesamtausgabe des Evangelienbuchs. Im 19. Jh. entstanden mehrere kritische (gedruckte) Textausgaben des Evangelienbuchs, zuerst die von Eberhard Gottlieb Graff unter dem Titel „Krist“ 1831 herausgegebene („mit einem Facsimile ieder der drei Handschriften“), dann die von Johann Kelle (1856‒1881) und Oskar Erdmann (1882), auf der Grundlage von V, und Paul Piper (1882) auf der Grundlage von P. Die Handschrift F wurde erst im Jahr 2000 durch Karin Pivernetz ediert. Eine Faksimile-Ausgabe der Wiener Handschrift wurde unter Mitwirkung von Hans Butzmann im Vierfarbendruck 1972 in Graz gedruckt. Eine nach den Handschriften V, P und D getrennte Neuedition des Evangelienbuchs gab Wolf‐ gang Kleiber (2004 und 2006) im Druck heraus. Die Neuedition wird mit Mängeln 24 A. Deutsche Sprachgeschichte im Überblick 10 https: / / digi.ub.uni-heidelberg.de/ diglit/ cpl52 11 https: / / daten.digitale-sammlungen.de/ / ~db/ 0009/ bsb00094618/ images/ der älteren Editionen, Neufunden zur Handschrift D und Konsequenzen aus der Autopsie der Wiener Handschrift begründet. Wichtiges Editionsprinzip ist die Vermeidung von Normalisierungen, moderner Zeichensetzung, Lesehilfen usw. zugunsten einer originalnahen, handschriftgetreuen Textwiedergabe. Das Ende der Textgeschichte des Evangelienbuchs ist vorläufig erreicht, seit die in der Universitätsbibliothek Heidelberg lagernde Handschrift P als digitale Kopie 10 und die Handschrift F als Digitalisat der Bayerischen Staatsbibliothek 11 verfügbar sind. 3. Bibliografie der wichtigsten Grammatiken und Wörterbücher der deutschen Sprachperioden 3.1 Althochdeutsch Grammatik: Wilhelm Braune (2018 [1886]): Althochdeutsche Grammatik. Band I: Laut- und Formenlehre. 16. Auflage. Tübingen; Richard Schrodt (2004): Althochdeutsche Grammatik. Band II: Syntax. Tübingen. Wörterbücher: Althochdeutsches Wörterbuch (1968ff.). Auf Grund der von E. v. Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissen‐ schaften zu Leipzig bearbeitet und herausgegeben von Elisabeth Karg-Gaster‐ städt/ Theodor Frings u. a. Berlin (bis 2020 sind 7 Bände erschienen, Band VII: O‒R). (= AWB) Digital zugänglich. Rudolf Schützeichel (2006): Althochdeutsches Wörterbuch. 6. Auflage. Tü‐ bingen. 3.2 Altsächsisch Grammatik: Johan Hendrik Gallée (1993 [1891]): Altsächsische Grammatik. 3. Auflage. Tü‐ bingen. Wörterbuch: Heinrich Tiefenbach (2010): Altsächsisches Handwörterbuch. Berlin/ New York. 25 3. Bibliografie der wichtigsten Grammatiken und Wörterbücher 3.3 Mittelhochdeutsch Es existiert keine umfassende grammatische und lexikografische Darstellung des Frühmhd. und des Spätmhd. Die mhd. Grammatiken konzentrieren sich auf das klassische Mhd. Grammatiken: Hermann Paul (2007 [1881]): Mittelhochdeutsche Grammatik. 25. Auflage. Tübingen. Thomas Klein/ Hans-Joachim Solms/ Klaus-Peter Wegera (2018): Mittelhoch‐ deutsche Grammatik. Teil II: Flexionsmorphologie. Tübingen; dies. (2009): Mittelhochdeutsche Grammatik. Teil III: Wortbildung. Tübingen. Wörterbücher: Georg Friedrich Benecke/ Wilhelm Müller/ Friedrich Zarncke (1854‒1861): Mit‐ telhochdeutsches Wörterbuch. 3 Bände. Leipzig. (= BMZ) Digital zugänglich. Matthias Lexer (1872‒1878): Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bände. Leipzig. (= ML) Digital zugänglich. Kurt Gärtner/ Klaus Grubmüller/ Karl Stackmann (Hg.) (2006‒2012): Mittelhoch‐ deutsches Wörterbuch. Stuttgart (bis 2020 ist 1 Band erschienen, Band 1: a- êvrouwe). (= MWB) Digital zugänglich. 3.4 Mittelniederdeutsch Grammatik: Agathe Lasch (1974 [1914]): Mittelniederdeutsche Grammatik. 2., unveränderte Auflage. Tübingen. Digital zugänglich. Wörterbuch: Karl Schiller/ August Lübben (1875‒1881): Mittelniederdeutsches Wörterbuch. 6 Bände. Bremen. 3.5 Frühneuhochdeutsch Grammatiken: Virgil Moser (1929‒1951): Frühneuhochdeutsche Grammatik. Band I,1 und 3. Heidelberg. Hugo Moser/ Hugo Stopp (Hg.) (1970-1991): Grammatik des Frühneuhochdeut‐ schen. Beiträge zur Laut- und Formenlehre. 7 Bände. Heidelberg. 26 A. Deutsche Sprachgeschichte im Überblick Robert Peter Ebert/ Oskar Reichmann/ Hans-Joachim Solms/ Klaus-Peter Wegera (1993): Frühneuhochdeutsche Grammatik. Tübingen. Wörterbücher: Ulrich Goebel/ Anja Lobenstein-Reichmann/ Oskar Reichmann (Hg.) (1986ff.): Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Berlin/ New York (bis 2020 sind die Bände 1‒6, 8 und 9 erschienen, Band 9: l‒ozzek). (= FWB) Digital zugänglich. Ph. Dietz (1973 [1870‒1872]): Wörterbuch zu Dr. Martin Luthers Deutschen Schriften. 2., unveränderte Auflage. Band 1‒2,1 (A‒Hals). Leipzig (Nachdruck Hildesheim/ New York). (= PHD) Renate und Gustav Bebermeyer (1993‒2018): Wörterbuch zu Martin Luthers deutschen Schriften. Wortmonographien zum Lutherwortschatz. [2], 2 (Hals‒ Härtigkeit) ‒ 17 (Lehnen‒Liebreden). Hildesheim/ Zürich/ New York. (= RGB) 3.6 Älteres Neuhochdeutsch Grammatik: Robert Peter Ebert (1999): Historische Syntax des Deutschen II: 1300-1750. 2., überarbeitete Auflage. Berlin. Wörterbücher: Goethe-Wörterbuch (1978ff.). Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Stuttgart (bis 2020 sind 6 Bände erschienen, Band 6: Medizinalausgabe‒Promenade). (= GWB) Digital zugänglich. Rosemarie Lühr/ Susanne Zeilfelder (Hg.) (2010‒2012): Schiller-Wörterbuch. 5 Bände. Berlin/ Boston. 3.7 Neuhochdeutsch Grammatiken: Duden. Die Grammatik (2016). 9., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auf‐ lage. Herausgegeben von Angelika Wöllstein und der Dudenredaktion. Berlin. Ulrich Engel (1988): Deutsche Grammatik. Heidelberg. Gerhard Helbig/ Joachim Buscha (2001): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Berlin u. a. Hans Wellmann (2008): Deutsche Grammatik. Laut. Wort. Satz. Text. Heidelberg. 27 3. Bibliografie der wichtigsten Grammatiken und Wörterbücher Wörterbücher: Konrad Duden (1880): Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deut‐ schen Sprache. Leipzig. Duden. Die deutsche Rechtschreibung (2020). 28., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben von der Dudenredaktion. Berlin. Wörterbuch der deutschen Gegenwartsprache (1961‒1977). Herausgegeben von Ruth Klappenbach/ Wolfgang Steinitz. 6 Bände. Berlin (Ost). (= WDG) Digital zugänglich. Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache (1976‒1981). Heraus‐ gegeben und bearbeitet vom Wissenschaftlichen Rat und den Mitarbeitern der Dudenredaktion unter Leitung von Günther Drosdowski. 6 Bände. Mann‐ heim/ Wien/ Zürich. Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache (1999). 3., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion. 10 Bände. Mannheim. Duden. Deutsches Universalwörterbuch (1983). Herausgegeben und bearbeitet vom Wissenschaftlichen Rat und den Mitarbeitern der Dudenredaktion unter Leitung von Günther Drosdowski. Mannheim/ Wien/ Zürich. (= DUW) Duden. Deutsches Universalwörterbuch (2019). 9., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben von der Dudenredaktion. Berlin. (= DUW) Duden. Onlinewörterbuch. duden.de/ woerterbuch Brockhaus-Wahrig. Deutsches Wörterbuch in sechs Bänden (1980‒1984). Her‐ ausgegeben von Gerhard Wahrig †/ Hildegard Krämer/ Harald Zimmermann. Wiesbaden/ Stuttgart. (= 1BW) Brockhaus-Wahrig. Deutsches Wörterbuch von Renate Wahrig-Burfeind. Mit einem Lexikon der Sprachlehre (2011). 9., vollständig neu bearbeitete und aktualisierte Auflage. Gütersloh/ München. (= 2BW) DWDS-Wörterbuch. dwds.de/ wb (= DWDSWB) Helmut Schumacher/ Jacqueline Kubczak/ Renate Schmidt/ Vera de Ruiter (2004): VALBU ‒ Valenzwörterbuch deutscher Verben. Tübingen. (= VALBU) Elektronisches Valenzwörterbuch deutscher Verben. grammis.ids-mann‐ heim.de/ verbvalenz (= E-VALBU). 28 A. Deutsche Sprachgeschichte im Überblick 3.8 Diachron Grammatiken: Hermann Paul (1916‒1920): Deutsche Grammatik. 5 Bände. Halle a. d. S. Otto Behaghel (1923‒1932): Deutsche Syntax. 4 Bände. Heidelberg. Robert Peter Ebert (1978): Historische Syntax des Deutschen. Stuttgart. Wladimir Admoni (1990): Historische Syntax des Deutschen. Tübingen. Jürg Fleischer in Zusammenarbeit mit Oliver Schallert (2011): Historische Syntax des Deutschen. Eine Einführung. Tübingen. Ingerid Dal/ Hans-Werner Eroms (2014): Kurze deutsche Syntax auf historischer Grundlage. 4. Auflage, neu bearbeitet von Hans-Werner Eroms. Berlin/ Boston. Wörterbücher: Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (1854‒1971): Deutsches Wörterbuch. 33 Bände. Leipzig. (= DWB) Digital zugänglich. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm (1983ff.). Neubearbei‐ tung, herausgegeben von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin in Zusammenarbeit mit der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen bzw. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. 9 Bände. Leipzig/ Stuttgart. (= DWBN) Digital zugänglich. Daniel Sanders (1860‒1865): Wörterbuch der deutschen Sprache. Mit Belegen von Luther bis auf die Gegenwart. 2 Bände. Leipzig. (= DS) Hermann Paul (2002 [1897]): Deutsches Wörterbuch. Bedeutungsgeschichte und Aufbau unseres Wortschatzes. 10., überarbeitete und erweiterte Auflage von Helmut Henne/ Heidrun Kämper/ Georg Objartel. Tübingen. Trübners Deutsches Wörterbuch (1939‒1957). Herausgegeben von Alfred Götze/ Walther Mitzka. 8 Bände. Berlin. 29 3. Bibliografie der wichtigsten Grammatiken und Wörterbücher B. Der gegenwartssprachliche Valenzbegriff. Eine Zusammenfassung Den gegenwartssprachlichen Valenzbegriff beschreibt H AN S -W E R N E R E R O M S in der „Syntax der deutschen Sprache“ (Eroms 2000) ausführlich. Vorausgesetzt werden dabei die Annahme der „Satzbedeutung“, wonach Sätze komplexe Zeichen sind, die eine strukturierte Bedeutung haben und durch integrierende Regeln ein komplexes Ganzes aufbauen, sowie der Satzgliedbegriff. Satzglieder oder Phrasen werden durch zwei auf den Satz angewendete Proben (Permuta‐ tion oder Verschiebeprobe und Kommutation oder Ersetzungsprobe) ermittelt und in sieben Phrasentypen unterteilt: Nominalphrasen, Pronominalphrasen, Präpositionalphrasen, Adverbphrasen, Satzförmige Typen, Infinitivkonstrukti‐ onen und Partizipialkonstruktionen. Die Phrasen sind meist aus mehreren Wörtern bestehende Wortgruppen (Eroms 2000, 34‒38, 47). Die Benennung der Phrasen erfolgt nach der Wortart des die Wortgruppe „regierenden“ Wortes (Nukleus, Kern oder Haupt). Dass die Wörter bzw. Wortgruppen im Satz so angeordnet sind, dass sich zwi‐ schen ihnen Verbindungslinien fassen lassen, die ihre Funktion steuern, ist der Ausgangspunkt der Dependenzgrammatik. In ihr herrscht ein hierarchisches Prinzip vor, das sich am Valenzbegriff verdeutlichen lässt. Der Valenzbegriff ist eine aus Physik oder Chemie übernommene Metapher, die besagt, dass das Verb als Kern des Satzes dank seiner Wertigkeit (Valenz) andere Einheiten an sich bindet. Grundlage der Analyse des Satzes ist nicht die Subjekt-Prädikat-Tren‐ nung, sondern die n-näre Valenz des Verbs (verbale Valenz). Verben erscheinen nämlich viel offensichtlicher „unvollständig“ oder ungesättigt als Substantive. Werden Verben bei der Versprachlichung verwendet, dann werden nominale Ausdrücke als Beteiligte von kleinen Handlungs- oder Vorgangsszenen oder Zuständlichkeiten spontan mitgedacht. Eine noch formalere Deutung des der verbalen Valenz zugrunde liegenden Phänomens ist der Bezug auf logische Vorstellungen: Wie ein Prädikat Argu‐ mente erfordert und dabei seine Stelligkeit von entscheidender Bedeutung ist, so gibt es ein-, zwei- oder höherwertige Verben, die entsprechende Füllungen ihrer Leerstellen verlangen. Wörter sind inhalts- und ausdrucksseitig bestimmbar, aber sie sind, wie alle Zeichen, gesamthaft funktional. Entsprechend lässt sich von ausdrucks- und inhaltsseitiger Valenz sprechen. Isolierungen von logischen, semantischen, syntaktischen und pragmatischen Valenzen sind jedoch immer Abstraktionen vom Gesamtbegriff der Valenz, der dadurch als ein Bündel verschiedener Schichten erscheint. - Es wird davon ausgegangen, dass die schon angegebene Argumenthaftigkeit die logisch-semantische Grundlage des Valenzkonzepts bildet. Dies kann nur so verstanden werden, dass Ergänzungen zu Verben in der Art von Argumenten zu Prädikaten aufgefasst werden. […] Manifest wird diese Valenz-Grundschicht in der „Beteiligtheit“ der Aktanten an der „Verbszene“. Sind die Verben gegeben, dann ist die valenzgrammatische Frage zunächst: Welche sind die valenzgebundenen Substantive und welche nicht? Ein Blick auf unterschiedliche Sätze zeigt, dass es alles andere als offensichtlich ist, was eine Ergänzung (Komplement) ist und was eine Angabe (Supplement) als Komplementärmenge der dependenten Glieder. Gerade die Valenzwörterbücher verdeutlichen durch ihre Unterschiedlichkeit die Schwierigkeit bei der Bestim‐ mung der Ergänzungen. Zum Beispiel setzt ein Wörterbuch das Verb kaufen als zweiwertig, ein anderes als dreiwertig, teils als vierwertig an. Welches E- und welches A-Kandidaten sind, muss jeweils einzeln durch Testverfahren ermittelt werden (vgl. Eroms 2000, 122‒125). Operationale Ver‐ fahren sind allerdings nur Näherungslösungen, und bei oberflächenstruktu‐ rellen Kriterien spielen auch immer inhaltsseitige Bedingungen eine Rolle. Dass ein Komplementärbereich, die Angaben, zugelassen wird, ermöglicht andere syntaktische Regelinstanzen anzusetzen. Denn nur die gestufte Einbindung der Konstituenten in die gesamte Satzbedeutung vermeidet eine bloß reihende „flache“ Verkettung der Satzglieder. Ergänzungen und Angaben tragen in prinzipiell unterschiedlicher Weise zur Satzbedeutung bei. Dass es Syntagmen gibt, bei denen die Entscheidung für die eine oder andere Klasse nur mit Wahrscheinlichkeit gegeben werden kann, ist kein Einwand. (Eroms 2000, 119‒129) 1. Prädikate, Ergänzungen, Angaben Das finite Verb (Finitum) ist der „Kopf “ des Satzes und bildet das Prädikat. Ein‐ fache finite Verben werden in der deutschen Sprache der Gegenwart zunehmend durch periphrastische, hierarchisch aufgebaute Fügungen ersetzt; das Prädikat ist dann identisch mit einer Verbgruppe (VG); diskontinuierliche Verbgruppen bilden die Verbalklammer. Die Verben werden wie folgt eingeteilt: Hilfsverben, Modalverben, Modalitätsverben, Aktionsartverben. Einen besonderen Typ der VG stellen die Funktionsverbgefüge (FVG) dar. 32 B. Der gegenwartssprachliche Valenzbegriff Ergänzungen (Aktanten, Komplemente) füllen die durch Verben geschaffenen Leerstellen. Prototypisch sind dabei nominale Glieder (nominale Wortgruppen, NG). Die Kriterien für die Einteilung in Ergänzungsklassen sind uneinheitlich (siehe dazu die Konkordanz bei Eroms 2000, 172) ebenso wie deren Bezeichnung. Am häufigsten wird das Symbol E verwendet und entweder durch eine Zahl (z. B. E 4 ) oder durch eine grammatische Abkürzung (z. B. E akk = Akkusativergänzung) indiziert. Ergänzungstypen (Eroms 2000, 183‒214) (1) E sub = Subjekt und subjektlose Konstruktionen (Kasus des Subjekts ist der Nominativ) (2) E akk = Akkusativobjekt (Akkusativergänzung) (3) E gen = Genitivobjekt (Genitivergänzung) (4) E dat = Dativobjekt (Dativergänzung) (5) E präp = Präpositionalobjekt (satz- oder nichtsatzförmige Präpositionalergän‐ zung) (6) E sit = Situativergänzung (7) E dir = Direktionalergänzung (8) E mens = Mensuralergänzung (Maßergänzung) (9) E nom = Nominalergänzung, Gleichsetzungsergänzung, substantivisches Prädi‐ katsnomen, Einordnungsergänzung (10) E adj = Adjektivalergänzung, Artergänzung, adjektivisches Prädikatsnomen. Es ist zu beachten, dass diese Abgrenzung der Ergänzungen formale und seman‐ tische Kriterien mischt: Typ 1‒5 sind formal bestimmt, Typ 6‒10 vorrangig se‐ mantisch. Typ 2‒4 sind Kasus-Objekte, genauer Oberflächenkasus-Objekte. Von den Oberflächenkasus müssen die Tiefenkasus (Kasusrollen, Theta-Rollen) wie z. B. Agens, Patiens, Experiens, unterschieden werden. Es handelt sich um „Funktionsindikatoren von Satzgliedern in Hinblick auf ihre Bindung an das Prädikat“ (Eroms 2000, 178), vgl. den Überblick über unterschiedliche Kasuslisten bei Eroms (2000, 180f.); neueste Überlegungen zu den semantischen Rollen bei Welke (2011, 140‒163). Angaben (Supplemente) sind nicht im Stellenplan von Verben verankerte Satzglieder. Ihre Klassifikation erfolgt nicht nach formalen Kriterien, sondern nach dem Beitrag der A zur Satzbedeutung: (1) Satzadverbien (Modalwörter), z. B. leider, wahrscheinlich, hoffentlich, beziehen sich auf den ganzen Satz, nicht auf das Prädikat allein. (2) Propositionsbezügliche Angaben mit den Subklassen: (a) Situierende: Temporal-, Lokalangaben 33 1. Prädikate, Ergänzungen, Angaben (b) Handlungskennzeichnende: Kausal-, Konditional-, Konzessiv-, Re‐ striktiv-, Konsekutiv-, Finalangaben (c) Prädikatmodifizierende: Instrumental-, Modal-, Quantifizierende An‐ gaben (d) Subjektbezogene Angaben (e) Sprecherbezogene Angaben (f) Negationsangaben. Für eine Angabe steht das Symbol A, indiziert durch die Abkürzung des Namens der Subklasse, z. B. A sit , A temp , A lok . Die Satzadverbien erhalten die Sigle Mw (Modalwort). (Eroms 2000, 215‒246) 2. Verb-Aktanten-Konstellationen (VAK) Das Verb und die Ergänzungen (Aktanten, Komplemente) bilden spezifische Konfigurationen. In isolierten Sätzen besteht deren Funktion darin, propositi‐ onale Inhalte kompakt auszudrücken. Die Konfigurationen können entweder so wie sie im mentalen Lexikon gespeichert sind, abgerufen und verwendet werden, oder aber quantitativ reduziert oder erweitert und je nach den Erforder‐ nissen des Kontextes abgewandelt werden. Gewöhnlich werden die Verb-Ak‐ tanten-Konstellationen als Satzmuster oder Satzbaupläne (SBP) bezeichnet (Eroms 2000, 315). Wird im Satzbauplan den Ergänzungen auch die jeweilige Kasusrolle zugeordnet, dann liegt ein Kasusrahmen („case frame“ nach Ch. J. Fillmore), besser Tiefenkasusrahmen (TKR), vor. Die VAK können demnach auf zwei Ebenen beschrieben werden: auf der morphosyntaktischen (z. B. als Nominalgruppe im Akkusativ bzw. als Akkusativobjekt) und auf der semanto‐ syntaktischen, auf der der NG akk die Kasusrolle Patiens zugeordnet wird. 34 B. Der gegenwartssprachliche Valenzbegriff 1 Vgl. jedoch auch Ebert (1978) und Tarvainen (1986), in denen die geschichtliche Entwicklung bestimmter Satzglieder (Ebert zum Subjekt und Objekt, Tarvainen zum Subjekt, Objekt, Prädikativ und Adverbial) im Sinne von Valenz dargestellt wird. C. Historische Valenz. Forschungsüberblick und Problembereiche 1. Forschungsüberblick Noch im Jahr 2007 konstatierte M E C HTHIL D H A B E R MAN N (2007, 85), dass es zur historischen Valenz des Deutschen nur wenige Forschungsbeiträge gebe, und zählte folgende Arbeiten auf: Greule (1973), Korhonen (1978), Maxwell (1982b), Greule (1982a), Ágel (1988). Ein Blick auf das Literaturverzeichnis zur Historischen Valenz (S. 207‒221) beweist, dass es bis 2007 und erst recht bis heute (2021) eine weit größere Zahl an Forschungsbeiträgen gibt. Die Idee der Übertragung des Valenzkonzepts auf die deutsche Sprachgeschichte und auf historische deutsche Texte kam - unabhängig voneinander - in der deutschen und in der finnischen Germanistik auf. Wichtige Anregungen gingen von den Arbeiten H AN S J ÜR G E N H E R IN G E R S (Heringer 1967; 1968a; 1968b; 1968c; 1969) aus. Eine erste Zusammenfassung der Forschungslage nach gut zehn Jahren lieferte der Sammelband „Valenztheorie und historische Sprachwissenschaft“ (Greule 1982b). Die - mit den von Habermann genannten Arbeiten charakterisierte ‒ For‐ schungslage war streng synchron auf einzelne historische Sprachdenkmäler (z. B. Otfrid von Weißenburg, Nibelungenlied, Luther) konzentriert (vgl. auch Habermann 1994, 65‒70, zu Albrecht Dürer). Erst J A R M O K O R H O N E N befasste sich 1995 unter dem Terminus „Polyvalenz“ explizit mit dem Valenzwandel (siehe dazu Kapitel F). 1 Bereits ein Jahr nach dem Statement von Habermann (2007) erschien 2008 die Dissertation von N ÁN D O R C S IK Y , in der die Geschichte eines ganzen Wortfelds, nämlich des Wortfelds WACHSEN, vom Ahd. bis zum Nhd. ausgearbeitet wurde. Der Valenzgrammatik der historischen Sprachstufen des Deutschen sind im Handbuch „Dependenz und Valenz“ mehrere Artikel gewidmet. Während Greule (2014) diachrone Perspektiven im historischen Valenzwörterbuch skizzierte, behandelte H AN S -W E R N E R E R O M S in der 4. Auflage der „Kurzen deutschen Syntax auf historischer Grundlage“ (Dal/ Eroms 2014, 4‒31) die Entwicklung der Valenz im Kontext von „Kasus und Kasusfunktionen“. Den Abriss einer historischen Valenzsyntax, konzentriert auf den Einfachsatz, enthält die 3. Auflage der „Einführung in die deutsche Sprachgeschichte“ von Hans Ulrich Schmid (Schmid 2018, 185‒201). Die neueste Forschung ist vorrangig auf den Entwurf und die Realisierung eines Historisch syntaktischen Verbwörterbuchs (HSVW) konzentriert (vgl. Greule/ Korhonen 2016), siehe dazu Kapitel E. Folgende historische Schriften sind bislang zur Beschreibung der historischen Valenz ausgewertet worden: Gotische Bibel (Korhonen 1995a); Althochdeutsche Exhortatio ad plebem chris‐ tianam (Greule 1982c); Hildebrandslied (Greule 1987); Otfrid, Evangelienbuch (Greule 1982a; Thornton 1984); ahd. Isidor (Eichinger 1993); ahd. Gebete (Braun 2016); ahd. Rezepte und Zaubersprüche (Riecke 2016); Hartmann von Aue (grüezen im Gesamtwerk) (Greule 2016); Nibelungenlied (Maxwell 1982a; 1982b); Heinrich von Morungen (Schütte 1982); Österreichische Reimchronik (Lénárd 1996); mhd./ mnd. Kochbuchtexte (Ehnert 1982); Handschriften des Rechtsbuchs „Schwabenspiegel“ (Uhlig 1983); mhd. Prosa-Lancelot (Keinästö 1986; 1990; 2016); fnhd. „Legenda aurea“ (Wegstein/ Wolf 1982; Wolf 1985); Bruder Bertholds „Rechtssumme“ (Wegstein/ Wolf 1982; Wolf 1985); „Denkwürdigkeiten der He‐ lene Kottannerin“ (Ágel 1988); fnhd. Benediktinerregel (Simmler 1982); Texte Albrecht Dürers, Heinrich Deichslers und Veit Dietrichs (um 1500) (Habermann 1994); Martin Luther, Schriften (u. a. Korhonen 1978); Luthers Bibelübersetzung (Thornton 1984; Wolf 1984; Funk 1995; u. a. Korhonen 2016); Reiseberichte der frühen Neuzeit (Aehnelt 2016); Leipziger Zeitung (1660‒1914) (Anttila 1997); Leipziger Frühdrucke (Fischer 1987). 2. Probleme bei der Analyse der historischen Valenz Die folgenden Problembereiche, die bei der Übertragung des gegenwartssprach‐ lichen Valenzmodells auf historische deutsche Texte zu beachten sind, wurden zuerst im Zusammenhang mit der Valenzanalyse der mhd. Lieder Heinrichs von Morungen dokumentiert (Schütte 1982, 32‒40). 36 C. Historische Valenz. Forschungsüberblick und Problembereiche 2.1 Allgemeine Probleme a) Man muss zwischen (freien) Angaben und Ergänzungen unterscheiden, die nach Helbig/ Schenkel (1973, 33ff.) in der „Tiefenstruktur“ begründet sind und durch eine Eliminierungs- und Substitutionsprobe unterscheidbar sein sollen. Die Unterscheidung in obligatorische und fakultative Ergänzungen wird dadurch getroffen, dass fakultative Ergänzungen weggelassen werden können, ohne dass der Satz ungrammatisch wird oder sich die Verbbedeu‐ tung wesentlich ändert. b) Es ist nicht angebracht, die Genitivobjekte - bei einer Analyse mhd. Texte - als veraltet anzusehen, weil die Genitive im Mhd. eine größere und natürlichere Rolle spielen als im Nhd. c) Bei Funktionsverbgefügen wird dem Funktionsnomen nicht der Rang eines Aktanten zuerkannt. Funktionsverbgefüge sind erwartbar bei semantisch indifferenten Verben wie mhd. tuon ‚tun‘ und hân ‚haben‘ (s. u.). d) Die Valenz eines Verbs ist nicht unabhängig vom Genus Verbi (Aktiv oder Passiv). Die Passivierung ist ein Verfahren der Valenzminderung, weil der Erstaktant im Passiv fakultativ wird. e) Die Wertigkeit eines Verbs kann durch Reflexivierung erhöht werden, z. B. mhd. vröiwe ich mich ‚…freue ich mich‘ mit zwei referenzidentischen Aktanten. f) Die Valenz eines Verbs kann auch mit dem Verbinhalt wechseln, z. B. mhd. kommen 1 ‚gehen nach‘ mit PräpG mit in oder einem Dativ; kommen 2 ‚gereichen‘ mit PräpG mit ze. g) Es ist sinnvoll, keine nullwertigen Verben anzusetzen und referierendes mhd. ez von „inhaltsleerem“ ez (z. B. bei Witterungsverben, mhd. dô tagte ez) nicht zu unterscheiden. 2.2 Methodologische Probleme a) Da bei der Anwendung der muttersprachlichen Kompetenz auf die Valenz‐ bestimmung historischer Verben die Gefahr intuitiver Fehlschlüsse besteht, sind der Ansatz einer „Ersatzkompetenz“ (siehe Kapitel D.3) und statistische Methoden (z. B. die Häufigkeit bestimmter Syntagmen bei verschiedenen Verben) erforderlich (s. u.). b) Linguistische Tests können nur beschränkt angesetzt werden. c) Notwendig ist die Übertragung der gegenwartssprachlichen Kompetenz des Deskribenten auf die gewünschte Sprachstufe (siehe Kapitel D.3). 37 2. Probleme bei der Analyse der historischen Valenz 2.3 Grundsätzliche Unsicherheiten Indem sie sich mit der historischen Valenzsyntax generell kritisch auseinan‐ dersetzt, führt M E C HTHIL D H A B E R MAN N sechs „Unsicherheiten“ auf, die bei der Feststellung der historischen Valenz beachtet werden sollten. a) Die Unsicherheit bei der Abgrenzung der Sätze: „Uncertainty as to the limits of the clause. Punctuation is often missing as a clause is punctuated according to pauses in speech, hence there are no criteria for identifying the beginning and the end of sentences.“ b) Die Unsicherheit in Bezug auf den Status der Sätze: „Uncertainty as to the status of the clause. Subordinate clauses are, as such, not unequivocally identified in every case, since the end position of the finite verb first appears as a rule in New High German. In addition, many conjunctions can just as well be read as hypotactic subordinators or coordinating elements. […] To sum up: the difference between parataxis and hypotaxis is nowhere as clear and unequivocal as in Modern German.“ c) Die Unsicherheit in Bezug auf den Verbstamm: „For a long time, noun compounds and […] verb compounds were not usually written as one word. With regard to the stem and its valency, it is essential to determine whether Middle High German adverbs such as an, auf, durch, or heran, hinauf, herum have the status of phrases or not and whether, as a consequence, they could be complements or adjuncts; or whether we are dealing with verb particles, and thus with verbs which take a particle“ (z. B. ankommen, aufsteigen, durchfahren). d) Die Unsicherheit in Bezug auf die morphologische Identifikation der Kasus: „Because of early syncretism of form, especially since Middle High German, certain cases are no longer identifiable. […] It is very risqué to transpose conventional valency schemata of New High German to historical lan‐ guage.“ e) Die Polyvalenz der Verben: „In contrast to New High German verbs, Old and even Middle High German verbs do not have a stable, or should I say prototypical valency. In New High German the meaning of the verb introduces a valency framework which, although it is slightly modifiable, as for instance in the case of optional complements, is quite stable for this particular meaning of polysemic lexemes. A wider range of structures is often recognisable in historical periods of language, so that prototypes cannot easily be defined. Thus here […] historical valency is greatly influenced by co-textual and contextual factors“ (siehe Kapitel D.12). 38 C. Historische Valenz. Forschungsüberblick und Problembereiche f) Nachwirkung der indoeuropäischen Kasus-Bedeutungen: „It seems that the meanings of the case in Old and Middle High German are still strongly influenced by their ancient Indo-European meanings […] - Basically, the three morphological cases genitive, dative and accusative can appear as adverbial phrases. The disparity and diversity of meanings of genitive and dative render the assignment of semantic roles difficult.“ (Habermann 2007, 86‒88) Kommentar: Die vor der Analyse zu bedenkenden Unsicherheiten (a) - (c) be‐ treffen nicht nur die historische Valenzanalyse, sondern syntaktische Analysen und Beschreibungen der Sätze in historischen Texten gleich welcher Art. Bei (a) und (b) kommt man um eine syntaktische Interpretation einer Textstelle nicht herum. Entweder übernimmt sie der Deskribent aus der Edition des historischen Textes (und folgt der Interpretation des Herausgebers) oder er interpretiert unter Beachtung von Textgliederungs-Signalen in der Handschrift die Interpretation selbst. (d) entspricht der Warnung, nhd. Satzbaupläne auf die historischen Texte einfach zu übertragen. (e) betrifft die bekannte Tatsache, dass vor der grammatischen und lexikalischen Regelung der deutschen Standardsprache sich aus den historischen Texten nicht immer ‒ wie im Nhd. ‒ eine stabile, prototy‐ pische Valenz ermitteln lässt (siehe Kapitel D.7). (f) zielt auf die Schwierigkeit des Ansatzes der semantischen Rollen generell und auf die „Ableitung“ der semantischen Rollen aus den morphologischen Kasus (siehe Kapitel B.1). 3. Herausarbeitung der Verb-Aktanten-Konstellationen aus historischen Texten Die Abstraktion von Verb-Aktanten-Konstellationen (auch Satzmuster, Satzbau‐ pläne, Satzmodelle) (vgl. Kapitel B.2) erfolgte - anders als in der Grammatik der Gegenwartssprache ‒ im Rahmen der historischen Grammatik abhängig von der Methode, unter unterschiedlichen Begriffen und mit unterschiedlicher Markierung (vgl. Kapitel D.5). Als Erster hat J A R M O K O R H O N E N den Begriff des Satzmodells auf die Analyse eines umfangreicheren historischen Textes angewendet. In Korhonen (1978) wurde mit mehreren Arten von Satzmodell operiert: Es wurden zunächst einerseits aktivische und passivische Satzmodelle (mit Prädikat in Aktivbzw. Passivform), andererseits Haupt- und Nebenmodelle unterschieden. Zu den Hauptmodellen wurden vom Prädikatsverb unmittelbar abhängige Elemente (Ergänzungen 1. Grades), zu den Nebenmodellen mittelbar abhängige Elemente 39 3. Herausarbeitung der Verb-Aktanten-Konstellationen aus historischen Texten 2 Aus: Exhortatio ad plebem christianam. 3 Pat = Patiens, U: loc = lokale Umstandsbestimmung, P: perf = perfektives Prädikat. (Ergänzungen 2. Grades) gerechnet. Als Valenzträger der Nebenmodelle fungiert in Korhonen (1978) eine infinite Verbform oder ein prädikatives Adjektiv. Die konstitutiven Glieder der Haupt- und Nebenmodelle wurden in Bezug auf Form und Funktion beschrieben und mit entsprechenden Symbolen gekenn‐ zeichnet, an denen die Wortklasse und die Anschlussart an den Valenzträger bzw. der Satztypus zum Ausdruck kommen (z. B. Nomen im Nominativ als Subjekt, präpositionales Adjektiv als Prädikativ und Nebensatz als Objekt). Die auf diese Weise entstandenen Kombinationen von Ergänzungen wurden morphofunktionelle Satzmodelle genannt. In einem weiteren Arbeitsschritt wurden die unterschiedlich ausgeprägten Ergänzungen jeweils zu Gruppen mit gleicher syntaktischer Funktion zusammengefasst und diese ferner miteinander verbunden, was zur Bildung von Satzgliedmodellen führte. ‒ Zu den verschie‐ denen Satz- und Satzgliedmodellen vgl. genauer Kapitel D.4.5. A L B R E C HT G R E U L E (1982c) fasste unter dem Terminus Satzform das formali‐ sierte Ergebnis der Satzglied-Analyse eines konkreten (ahd.) Satzes zusammen. Die Analyse beginnt mit einer Segmentierung des Satzes in Satzglieder, denen Kategorialsymbole zugeordnet werden. Zum Beispiel wurde der ahd. Satz 2 auf‐ geteilt in die Satzglieder: a) drato mihiliu caruni, b) dar inne, c) sint pifangan „sehr große Geheimnisse sind darin eingefangen“ (= Satzmuster). In der abstrahierten Satzform, die die Reihenfolge der Satzglieder wie im originalen Satz beibehält, sind die Satzglieder durch die Symbole a) NG1 (Nominalgruppe im Nominativ), b) AdvG (Adverbgruppe), c) VER (Verb) präsent. Die morphosyntaktisch deter‐ minierte Satzform bildet die Grundlage zu ihrer semantischen Interpretation. Im Fallbeispiel sieht die semantisch interpretierte Satzform so aus: a) NG1/ Pat - b) AdvG/ U: loc - c) VER/ P: perf 3 . Die Satzform ist also noch nicht auf das Prädikat und seine Ergänzungen reduziert. L AW R E N C E J O HN T H O R N T O N (1984, 77‒117) unterschied, ausgehend vom „Kleinen Valenzlexikon deutscher Verben“ (Engel/ Schumacher 1976), zehn „complement classes“ (E0‒E9), indem er das syntaktische Verhalten von ahd. Verben mit fnhd. Verben vergleicht: E1 ist markiert als Akkusativ, E2 als Genitiv, E3 als Dativ, E4 durch eine Präposition, E5 + 6 als lokale und temporale Phrasen, E6* durch Verbzusätze, E7 ist die „Einordnungsergänzung“ (z. B. er nennt sie Schätzchen) und E8 sind „Artergänzungen“ (z. B. er nennt sie faul), E9 ist der Ergänzungssatz. Dem ahd. Verb geban wird u. a. der Satzbauplan 013 zugeordnet und durch den Belegsatz (Otfrid 1,27,39) gab er mit giwurti in avur antwurti (= P, Nnom, Ndat, Nakk) verdeutlicht. Dem fnhd. Verb geben wird u. a. der 40 C. Historische Valenz. Forschungsüberblick und Problembereiche Satzbauplan 014 zugeordnet und durch den Belegsatz (Luther, Jn6.51): welchs ich geben werde fur das Leben der Welt (= Nakk, Nnom, P, PräpG) verdeutlicht (Thornton 1984, 290, 293). H A R R Y A NT TILA (1997, 78‒83) definierte Satzmodell wie folgt: „Mit Satzmo‐ dellen sind syntaktische Grundstrukturen gemeint, die auf der Valenz beruhen und die jedem realisierten Satz zugrunde liegen. […] Es handelt sich also um eine begrenzte Zahl von abstrakten Strukturmodellen, denen alle Verben des Deutschen zugeordnet werden können. Es ist zu beachten, daß ein und dasselbe Verb zu mehreren Satzmodellen gehören kann.“ (Anttila 1997, 78). Bei Anttila werden Satzmodelle, die bei aktivischen Prädikaten vorkommen, von solchen unterschieden, die bei passivischen Prädikaten vorkommen (Anttila 1997, 156). Die für die Satzmodelle konstitutiven (d. h. die obligatorischen und fakultativen) Satzglieder sind im Satzmodell durch fettgedruckte Abkürzungen der grammatischen Bezeichnungen präsent. Dem Verb danken wird z. B. ent‐ weder das Satzmodell sub dat prp mit den Satzgliedern Subjekt, Dativobjekt und Präpositionalobjekt (Der Lehrer dankt dem Schüler für die Hilfe) zugeordnet oder das Satzmodell sub dat gls mit den Satzgliedern Subjekt, Dativobjekt und Gliedsatz (Der Lehrer dankt dem Schüler, dass er ihm geholfen hat). Man muss beachten, dass Anttila das Satzmodell sub dat gls nicht als Variante bezüglich der Position 3, die meist mit einer Präpositionalgruppe als Objekt besetzt ist, versteht, sondern als eigenes Satzmodell. 41 3. Herausarbeitung der Verb-Aktanten-Konstellationen aus historischen Texten D. Valenz und Historische Grammatik 1. Die Satzbaupläne im Zentrum der Syntax Um der wichtigsten Aufgabe einer Syntax, nämlich die Satzkonstitution zu beschreiben, gerecht zu werden, bietet die Valenztheorie einen grundlegenden Ansatz an (vgl. Wegstein/ Wolf 1982, 113). Die Valenz ist zwar primär ein lexikografisches Phänomen (vgl. Kapitel E). Das zeigt die praktische Umsetzung der Theorie in Valenzwörterbüchern (Helbig/ Schenkel 1973; Engel/ Schumacher 1976; Schumacher 1986; Sommerfeldt/ Schreiber 1996; VALBU 2004; E-VALBU) und deren Einsatz im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht. Im Valenzwörter‐ buch sind, vereinfacht gesagt, den Verben die Verb-Aktanten-Konstellationen (Satzbaupläne) zugeordnet, die das Grundgerüst dieses mit einem Verb gebil‐ deten Satzes vorgeben. Ein Thema der Grammatikografie wird die Verbvalenz aber dann, wenn die lexikografische Perspektive umgekehrt wird und ein Verzeichnis der Satzbaupläne erstellt wird, dem - meist wahlweise - die entsprechenden Verben zugeordnet sind. Für die Satzbaupläne der deutschen Sprache der Gegenwart vgl. die Duden-Grammatik (2016, 927‒951); Engel (1988, 185‒218); Helbig/ Buscha (2001, 516‒532); Wellmann (2008, 128‒135, 164‒184, 192‒194). Als Ordnungsprinzip ist die Valenz bzw. die Satzbauplan-Darstellung auch in der grammatischen bzw. syntaktischen Beschreibung der historischen deut‐ schen Sprachstufen (Ahd., Mhd., Fnhd.) anerkannt und wird praktiziert (vgl. Greule 1992, 201‒204). Dabei wird von einem hierarchischen Drei-Ebenen-Mo‐ dell ausgegangen: Auf der Ebene I geht es um die auf den höheren Ebenen II und III als Satzglieder fungierenden Wortgruppen; sie werden hier nach Kategorien (Verbgruppe, Nominalgruppe, Präpositionalgruppe) gesammelt und im Hinblick auf ihre interne Struktur beschrieben. Vgl. die Behandlung der Ebene I bei Schmid (2017, 201‒214). Auf der Ebene II geht es um die Strukturen des Einfachsatzes. Die Grundlage dafür ist die Typologie der Satzbaupläne, die aus der Valenz der Verben abgeleitet sind. Da die Satzbaupläne stellungsneutral formuliert sind, vgl. das Beispiel (Kapitel C.3): Satzmodell sub dat prp mit den Satzgliedern Subjekt, Dativobjekt und Präpositionalobjekt (Der Lehrer dankt dem Schüler für die Hilfe), muss die Ebene II um eine Beschreibung der möglichen Reihenfolge der Satzglieder, wie sie in den historischen Texten tatsächlich vorliegt, ergänzt werden. Auf der Ebene II muss ferner die Beschreibung des erweiterten Einfachsatzes bedacht werden, d. h., die durch die Satzbaupläne vorgegebenen Satzstrukturen können in konkreten Sätzen durch „freie“ Satz‐ glieder (valenztheoretisch: Angaben, Supplemente) erweitert sein. Vgl. die diachrone Behandlung der Ebene II unter dem Titel „Valenz und Einfachsatz“ mit Beispielen aus Texten der drei deutschen Sprachstufen (Schmid 2017, 185‒ 201). Auf der Ebene III, der höchsten Ebene, geht es um die Beschreibung der komplexen Sätze in den Formen Satzreihe, Satzgefüge (mit Gliedsatz und Attributsatz) und Satzperiode. Vgl. die Behandlung der Ebene III bei Schmid (2017, 215‒230) mit Beispielen aus Texten der drei deutschen Sprachstufen. Diese syntaktischen Großstrukturen, die mindestens zwei Prädikate aufweisen, müssen bereits im Zusammenhang mit der Segmentierung der Einfachsätze aus den historischen Texten in den Blick genommen werden. (Greule 1992, 208‒210) 2. Von der Textanalyse zur Valenz und zu den Verb-Aktanten-Konstellationen Die historische Valenz erfordert - im Unterschied zur Anwendung der Valenz‐ theorie auf die Gegenwartssprache - folgende methodischen Schritte: 1) Festlegung eines Korpus, das mit einem Text oder allen einer der histori‐ schen Sprachperioden zugeordneten Texten identisch ist. 2) Anwendung der auf den Verbalsatz eingeschränkten Satzdefinition (= Kon‐ struktion aus Satzgliedern mit einem Prädikat im Zentrum) auf den Text, was zu einer Liste von konkreten Sätzen führt, vgl. die Liste der 88 Sätze, in die das (ahd.) Hildebrandslied (Greule 1987, 440‒445) eingeteilt wird (zu den Problemen vgl. Habermann 2007, 86). 3) An die Text-Satz-Segmentierung schließt sich die interpretierende Segmen‐ tierung der gegebenen Verbalsätze in Satzglieder an. 4) Den konkret ausformulierten Satzgliedern wird jeweils - stellvertretend - ein morphosyntaktisches Kategorialsymbol zugeordnet, z. B. NGnom für ein Satzglied, das mit einer Nominalgruppe im Nominativ identisch ist (z. B. ahd. fater unser) oder PräpG in für ein Satzglied, das mit einer von der Präposition in eingeleiteten Präpositionalgruppe identisch ist (ahd. in himile). 5) Die interpretierende Ausscheidung von zusätzlichen Satzgliedern (Supple‐ menten, Angaben) aus der formalisierten Satzstruktur-Beschreibung und 44 D. Valenz und Historische Grammatik die damit einhergehende Feststellung der Aktanten (Ergänzungen) ermög‐ licht die Abstraktion eines Satzbauplans von einem konkreten Satz. 6) Die Zuweisung der Tiefenkasusrolle zu den als Argumente fungierenden Ergänzungen ergibt schließlich die aus Satzbauplan und Tiefenkasus‐ rahmen bestehende und auf das Verb als Prädikat bezogene Verb-Ak‐ tanten-Konstellation (VAK) (siehe Kapitel B.2). Beispiel: Die dritte Âventiure des Nibelungenlieds (= Korpus) beginnt mit der Zeile (Strophe 44) Den herren muoten selten deheiniu herzen leit. Die Zeile (44,1) ist mit einem (mhd.) Einfachsatz identisch. Es handelt sich um eine Konstruktion mit dem Prädikat muoten (= 3. Person Plural Präteritum Indikativ des Verbs mhd. müejen ‚bekümmern‘) im Zentrum. Die weiteren (konprädikativen) Satzglieder sind: den herren (= Siegfried), selten (‚niemals‘), deheiniu herzen leit (‚irgendwelches Herzeleid‘, Plural). Den Satzgliedern werden folgende Kategorialsymbole zugeordnet: NGakk (den herren) - P (muoten) - Adv (selten) - NGnom (deheiniu herzen leit). Das Adverb selten ist eine zusätzliche, die Zeit betreffende Prädikation und wird ignoriert, so dass der muoten/ müejen zugeordnete (zweiwertige) Satzbauplan (stellungsneutral) lautet: P - NGnom - NGakk. Die Zuweisung der Tiefenkasusrollen erfolgt von der Verbbedeutung her. Die Bedeutung des Verbs mhd. muoten ist ‚Tätigkeit, die einen emotionalen Zustand bewirkt‘ und verlangt ein Agens, das den Zustand bewirkt (im Beispiel abstrakt: deheiniu herzen leit) und ein Patiens, den Zustandsträger (den herren). Das ergibt folgende (stellungsneutrale) VAK: P (müejen) - Agens/ NGnom - Patiens/ NGakk Im konkreten Text des Nibelungenlieds ist das Patiens topikalisiert (an die Satzspitze gestellt) und der Satzinhalt durch selten in der Bedeutung ‚niemals‘ negiert. Detaillierter wird die Methode, die vom historischen Text-Korpus zur Valenz, zu den VAK und zu ihrer Präsentation im Valenzlexikon führt, in Kapitel E (Historische Valenz und Lexikografie) dargestellt. Alle methodischen Schritte setzen die Existenz einer linguistischen Ersatz‐ kompetenz voraus. 45 2. Von der Textanalyse zur Valenz und zu den Verb-Aktanten-Konstellationen 3. Die linguistische Ersatzkompetenz (Prokompetenz) Die erste kritische Diskussion der Methode, wie man vom historischen Text (= Korpus) zur Valenz eines Verbs und zur Erschließung von Satzmodellen gelangt, fasste Thornton (1984, 113‒219) unter der Kapitelüberschrift „From Corpus to Valence“ zusammen. Die Diskussion mündet schließlich in die An‐ nahme und Forderung einer „linguistischen Ersatzkompetenz“ des Deskribenten ein, die J A R M O K O R H O N E N (1976, 208) wie folgt beschreibt: Diese Art von Kompetenz bezieht sich […] nur auf die Erkennung, nicht auf die Erzeugung sprachlicher Strukturen. Eine generelle linguistische Kompetenz kann sich der Deskribent einer älteren Sprachstufe dadurch aneignen, daß er die Elemente des ihm vorliegenden Korpus beobachtet und miteinander vergleicht, bis er sie allmählich zu identifizieren lernt. Nachdem dieses Stadium erreicht worden ist, vermag nun der Deskribent die Elemente richtig zu segmentieren und zu klassifizieren. Zur Abgrenzung von Ergän‐ zungen und Angaben ist aber noch eine spezifische (d. h. valenzbezogene) linguistische Kompetenz nötig. Eine solche Kompetenz kann der Deskribent aufbauen, indem er seine Kompetenz der Gegenwartssprache auf die zu erforschende Sprachstufe überträgt und sie noch durch weitere Beobach‐ tungen zur Struktur der betreffenden Sprachstufe erweitert. Die Bestimmung des Unterschieds zwischen Ergänzungen und Angaben kann kaum nur im Rahmen einer morphosyntaktisch orientierten Beschreibung erfolgen; damit eine sprach- und linguistikadäquate Deskription gewährleistet werden kann, müssen auch logisch-semantische Begründungen herangezogen werden. Die spezifische linguistische Ersatzkompetenz ist durch textinterne und -externe Vergleiche zu verstärken, wobei sich die Feststellung der Vorkom‐ menshäufigkeit als ein brauchbares Hilfsmittel erwiesen hat: Elemente, die bei bestimmten Lexemen regelmäßig vorkommen, sind als Ergänzungen zu klassifizieren. Als textexterne Vergleichsbasis kommen sowohl zeitgenössi‐ sche als auch historische Grammatiken und Wörterbücher in Betracht, wenn sie auch nicht explizit valenzbezogene Informationen enthalten. 46 D. Valenz und Historische Grammatik 1 Noam Chomsky (1965): Aspects of the Theory of Syntax. The Massachusetts Institute of Technology; deutsch: Aspekte der Syntax-Theorie. Berlin 1969. 2 Roger G. van de Velde (1971): Zur Grundlegung einer linguistischen Methodik. Gezeigt am Beispiel der altfriesischen Syntax. München. 3.1 Sprachkompetenz, idealer Sprecher-Hörer und „tote“ Sprachen Die Frage nach einer „Kompetenz“ des Deskribenten historischer Sprachstufen ist vor dem Hintergrund der Sprachtheorie, die der berühmte US-amerikanische Linguist N O AM C H O M S K Y 1965 ausarbeitete, 1 zu sehen. Im Mittelpunkt der „ge‐ nerativ“ genannten Theorie steht die Kompetenz des „idealen Sprecher-Hörers“. Das Problem der Kompetenz stellt sich im Falle der Beschreibung der Grammatik „toter“ Sprachen, für die es keinen „idealen Sprecher-Hörer“ mehr gibt, völlig neu. Die Grammatik einer „toten“ Sprache kann ohne „native speaker“ nach den strengen Regeln der generativen Theorie gar nicht beschrieben werden. Es wurde in der Forschung deshalb auch bestritten, dass Linguisten - etwa nach entsprechender Ausbildung - eine Kompetenz für eine nur schriftlich fixierte Sprache besitzen können und wie in der Gegenwartssprache Sätze transformieren und generieren, d. h. neu bilden, können. Jedoch wurde vorge‐ schlagen, anstatt von einem „idealen Sprecher-Hörer“ für ältere Sprachstufen von einer „idealen Sprachkompetenz der Textschreiber“ auszugehen. Da eine Grammatik als Theorie dieser „idealen Sprachkompetenz der Textschreiber“ zu verfassen auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, wird in dieser Theorie der Deskribent selbst an die Stelle des „native speaker“ gesetzt. 3.2 Die vierfache Kompetenz des Deskribenten älterer Sprachstufen In der von R O G E R G. VAN D E V E L D E (1971) vorgetragenen Methodenlehre, die er auf die altfriesische Syntax anwandte, 2 werden vier Unterarten der Deskribenten-Kompetenz unterschieden (vgl. Greule 1982a, 73f.): 1) Verstehenskompetenz: Der Deskribent muss über ein semantisch-funktio‐ nales Verständnis der vorliegenden Materialien verfügen. 2) Textkompetenz: Der Deskribent muss bei der Lektüre und Interpretation seiner Texte die innersprachlichen, intratextuellen Fragen aufgrund der Kenntnis satz- und textkonstitutiver Regularitäten und aufgrund extratex‐ tueller Vorkenntnisse berücksichtigen. 47 3. Die linguistische Ersatzkompetenz (Prokompetenz) 3) Philologische Kompetenz: Der Deskribent muss über paläografische Fähig‐ keiten sowie kultur-, religions- und rechtsgeschichtliche die Materialbasis betreffende Kenntnisse verfügen. 4) Ersatzkompetenz: Der Deskribent baut sich aus der sprachlichen Erfor‐ schung der Materialbasis seine sekundäre Kompetenz auf, die der sprach‐ lichen Intuition des Textschreibers nahekommen sollte. Die Annahme einer Deskribenten-Kompetenz oder linguistischen Ersatzkom‐ petenz ist für jede Beschreibung einer älteren Sprachstufe, für die es nur schrift‐ liche Sprachdaten gibt, eine unabdingbare Voraussetzung. Ersatzkompetenz steht als Zusammenfassung aller vier prozesshaft erworbenen Unterarten. Aber dieser abgeleiteten, sekundären Kompetenz fehlt aufgrund ihrer Gebundenheit an die geschlossene Materialbasis die Kreativität. Sie ist nicht fähig, im genera‐ tiven Sinn unendlich viele neue Sätze zu erzeugen und zu verstehen. Wenn der Deskribent dennoch „neue“, in seinem Korpus nicht belegte Sätze versuchsweise bildet, kann es sich dabei nur um Vermutungen handeln. Die Ersatzkompetenz ist einseitig; ihre Fähigkeit besteht im Wesentlichen im Verstehen der im Korpus belegten Sätze, im Erkennen der sprachlichen Strukturen sowie im richtigen Segmentieren und Klassifizieren der im Korpus belegten sprachlichen Elemente. 3.3 Die Ersatzkompetenz als Erweiterung der muttersprachlichen Kompetenz Der Erwerb der vollständigen Ersatzkompetenz kann mit dem Erwerb einer Zweitsprache verglichen werden und kann mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Der Erwerb der Ersatzkompetenz kann - als Ausgleich eines sprachlichen Defizits - aber leichter vor sich gehen, wenn die „tote“ Sprache einen histo‐ rischen Zustand der Muttersprache des Deskribenten oder einer durch den Deskribenten vollständig erworbenen lebenden Zweitsprache darstellt. Bei deutschsprachigen Deskribenten trifft das auf ahd., mhd. und fnhd. Texte als Materialbasis zu. Es wird sogar angenommen, dass der Erwerb der Ersatzkom‐ petenz einer Erweiterung der für die Muttersprache oder eine Zweitsprache der Gegenwart bereits erworbenen Kompetenz gleichkommt. Für das Deutsche formulierte diese Position der Schweizer Sprachwissenschaftler H AN S G LINZ (1913‒2008) (Glinz, Deutsche Syntax. 3., durch einen Nachtrag erweiterte Auf‐ lage. Stuttgart 1970, 108f., zitiert nach Greule 1982a, 75f.): 48 D. Valenz und Historische Grammatik Wir sind […] nicht mehr die unmittelbaren Teilhaber der Sprache um 1500, um 1200, um 900 (ja nicht einmal mehr ganz der Sprache um 1800), sondern wir sind die Erben - zwar bevollmächtigte Erben, indem es unsere eigene Vergangenheit ist, aber doch Erben. Das müssen wir im Auge behalten, und wir müssen in unseren Methoden und in den darauf gestützten Aus‐ sagen entsprechend vorsichtig sein. So dürfen wir in erster Annäherung durchaus annehmen, daß unsere Vorfahren in ihrer Sprache größtenteils ähnliche morphosyntaktische Kategorien besessen haben wie wir (etwa Verb, Nomen, Pronomen, Kasus, Numerus usw.) und daß wir also, sobald wir die andersartige Phonomorphie beherrschen, von unserer gegenwärtigen Sprache zunächst zu einem gewissen Vorverständnis der Texte und ihres syntaktischen Baues kommen können. Dann müssen wir aber jederzeit damit rechnen, daß die Kategorien anders gewesen sein konnten, schon in der Morphosyntax (z. B. Rolle des Genitivs, kein Plusquamperfekt, kein so deutliches Passiv), und erst recht in der Nomosyntax. […] Dabei wird man […] nicht […] direkt und unmittelbar von den Texten ausgehen können, sondern man wird zum vornherein alle Vorarbeit nützen müssen, die in Grammatiken und Wörterbüchern gesammelt ist. Man wird sie aber kritisch nützen müssen und sich immer bewußt sein müssen, daß das alles im Grunde lauter Vorbegriffe und Hypothesen sind, die sich immer erst in der Analyse konkreter Texte bewähren müssen, und daß man sich ihrer wohl bedient, sich aber nicht an sie bindet. 4. Vom historischen Korpus zur Valenz und zu den Satzbauplänen (Methoden) 4.1 Vom Evangelienbuch Otfrids von Weißenburg zur Bestimmung der Valenz althochdeutscher Verben Das Evangelienbuch Otfrids von Weißenburg (EB) ist einer der wenigen umfangreichen ahd. Texte. Das EB ist in drei vollständig überlieferten Hand‐ schriften (V, P und F) überliefert (vgl. Kapitel A.2). Die Handschriften V (Wiener Handschrift) und P (Heidelberger Handschrift) sind im 9. Jh. im Skriptorium des Klosters Weißenburg (heute Wissembourg im Elsass) geschrieben worden. Die Wiener Handschrift (EB/ V), an deren Entstehung Otfrid selbst beteiligt war, gilt als Haupthandschrift. Eine valenztheoretische Untersuchung, die nicht auf einer Edition des Evangelienbuchs beruht, sondern direkt von der Wiener Handschrift 49 4. Vom historischen Korpus zur Valenz und zu den Satzbauplänen (Methoden) EB/ V ausgeht, wird dadurch erleichtert, dass sich die Grammatikografen auf eine Faksimile-Ausgabe des Codex Vindobonensis (1972) stützen und als Korpus auswerten können. Ein ausdifferenziertes Operationsmodell zur Bestimmung der Verbvalenzen in EB/ V mit 14 Einzelschritten, die von der Sammlung der Belegstellen eines bestimmten Verbs V x zu einem Eintrag in ein ahd. Valenzlexikon führen, entwickelte A L B R E C HT G R E U L E (1982a, 206‒218). Die Analyseschritte führen von Schritt 1: Sammlung der Belegstellen und Unterscheidung von V x (z. B. (gi)fullen ‚füllen‘) in finite und infinite Formen (z. B. Partizip Präsens fullentaz) bis zur zusammenfassenden Formulierung eines Lexikoneintrags (Schritt 14). Die Zwischenschritte sind: • Festlegung eines Signifikanten (Zusammenfassung der Schreibweisen von V x , z. B. fullit, fulta) und eines vorläufigen Signifikats (Schritt 2 und 3) • Bildung einfacher Sätze mit V x als Prädikat (Schritt 4), Bestimmung der konprädikativen Satzglieder in den Belegsätzen (Schritt 5) • Spezifizierung deiktischer Sprachzeichen, z. B. er, thiu, uuir (Schritt 6) • formale und semantische Klassifizierung der Satzglieder (Schritt 7 und 8) • Quantifizierung der Adverbiale (Ergänzung oder Angabe) (Schritt 9) • Quantifizierung der Ergänzungen (obligatorisch vs. fakultativ) (Schritt 10) • Beschreibung morphosyntaktischer Qualität der Leerstellen (Schritt 11) • Beschreibung der semantischen Qualität der Leerstellen durch Klasseme (Schritt 12) • Neufassung des Signifikats (Schritt 13), z. B. sind im Korpus zwei Sememe von (gi)fullen erkennbar: a) ‚vollmachen‘, b) ‚verrichten, befolgen‘. Der Analyse des Beispielverbs liegen 13 aus dem Korpus EB/ V gebildete Ein‐ fachsätze zugrunde. Nach Aussonderung der gering belegten Umstandsbestim‐ mungen (Adverbiale) werden unter dem Lemma (gi)fúllizwei Unterartikel für das ahd. Valenzlexikon formuliert: a) fakultativ 3w: E1, E2, E(orn), obligatorisch 2w: E1, E2, E(orn) = NP4/ NP5, Klassem 1 ‚belebt‘, Klassem 2 ‚konkret, hohl‘. Paraphrase: x1 macht: y2 ist voll (mit z) Beispielsatz (Otfrid 1,21,2) mit todu er (= ther kuning herod) daga fulta Satzbauplan: PräpGmit - NGnom - NGakk - P, oder (stellungsneutral) E nom, E akk, E präp b) 2w: E1, E2, Klassem 1 ‚Mensch‘, Klassem 2 ‚Mandat‘. Paraphrase: x1 verrichtet/ befolgt y2. Beispielsatz (rekonstruiert, Otfrid 1,4,6) siu bethiu (= Zacharias und Elisa‐ beth) io giuuar sinaz gibot fultun. 50 D. Valenz und Historische Grammatik Satzbauplan: NGnom ‒ [Adv] - NGakk - P, oder E nom , E akk E1 und E2 bedeuten: Ergänzung im Nominativ und Ergänzung im Akku‐ sativ; NP4/ NP5 bedeutet: Nominalgruppe im Genitiv oder Präpositional‐ gruppe. E(orn) bedeutet: ornative Umstandsbestimmung als Ergänzung. (Greule 1982a, 206‒218, 244‒246) 4.2 Vom Nibelungenlied zur mittelhochdeutschen Valenzgrammatik Das Nibelungenlied (NL) in der Fassung der Handschrift B, die im 13. Jh. in St. Gallen (Codex sangallensis 857) geschrieben wurde, dient H U G H M AX ‐ W E L L (1982b) als Korpus, aus dem heraus die theoretische Grundlage für ein Valenzwörterbuch der mhd. Verben entstehen sollte. Maxwell betrachtet das Korpus aufgrund der Edition des NL durch Helmut de Boor (19. Auflage, 1967) als bereits in Sätze segmentiert. Der Ausarbeitung eines mhd. Valenzlexikons geht eine Grammatik voraus, deren Kategorien durch Beispielsätze belegt und verdeutlicht werden. An oberster Stelle steht eine Darstellung der Formen, die das Prädikat als Valenzträger im Korpus annehmen kann. Der zweite Teil der Grammatik beschreibt die 12 Ergänzungsklassen, die durch einfache Versalien (N = N[ominativ]ergänzung usw.) markiert sind. Die Auflistung aller Ergänzungsstellen, die zusammen in einem Satz bei dem Verb x vertreten sein können, ergeben den Satzbauplan. Beispiel: NL 1790, 4 ist ein Nebensatz mit dem Prädikat schalt (Präteritum von schelten) (daz) diu frouwe Kriemhilt die schœnen Prünhilden schalt Kriemhilt ist Nominativergänzung, Prünhilden Akkusativergänzung. Der Satz‐ bauplan wird jeweils über den unterstrichenen Satzgliedern in Kurzform (N, A) markiert. In dieser Form wird der Satz als Beleg in den Artikel des Valenzwör‐ terbuchs unter dem Lemma schelten eingetragen. (Maxwell 1982b, 16, 44‒164) 4.3 Ermittlung der Satzmodelle in den Liedern Heinrichs von Morungen Ebenfalls auf der Grundlage einer Edition, der Edition von Helmut Tervooren (1971), erarbeitet W IL F R I E D S C HÜTT E eine Liste von 161 mhd. Verben, die in 51 4. Vom historischen Korpus zur Valenz und zu den Satzbauplänen (Methoden) den 35 Liedern des ostmitteldeutschen Minnesängers Heinrich von Morungen (†1218 in Leipzig) vorkommen (Schütte 1982, 54‒68). Die Verbliste entspricht einem Valenzwörterbuch zu den Liedern Heinrichs von Morungen. Den num‐ merierten Verblemmata sind zugeordnet: 1. die Belegstellen, 2. die belegten Verbformen, 3. die Ergänzungen, etwa in der Form PNn, PNa, PNg, AdV.m (lies: Pronomen im Nominativ, Pronomen im Akkusativ, Pronomen im Genitiv, modales Adverb). Damit erfasst Schütte - genau genommen - alle im Werk Heinrichs von Morungen vorkommenden Satzmodelle, und die Verbliste könnte als eine Grundlage für das noch zu schaffende mhd. Valenzwörterbuch dienen. Beispiel: Nr. 15 biten, bitten V, 1 (7) bite PNn, PNa, PNg = des „um das“ Von Schütte (1982, 41‒45) aufgelistete Probleme: Gemäß der Grundannahme der Valenzsyntax, dass die Wertigkeit eines Verbs unabhängig ist von den rea‐ lisierten morphosyntaktischen Formen, führte Schütte (1982, 41) alle flektierten Verbformen auf den Infinitiv zurück und ordnete sie dem Infinitiv als Lemma unter. Bei den problematischen Verbalpräfixen mhd. en-, ge- und Partikeln wie umbe und an, die als Präfix oder als Adverb aufgefasst werden können, musste teilweise willkürlich entschieden werden, ob ein präfigiertes Verb einen eigenen Eintrag in die Liste erhält oder nicht. Modal- und Hilfsverben wurden von Schütte nicht berücksichtigt. Bei den Imperativen fehlt der Erstaktant als textuelles Morphem (Pronomen). Da bei Heinrich von Morungen der Erstaktant entweder als Vokativ oder als fiktionaler Kommunikationspartner, nämlich als die besungene vrowe, gegeben ist, liegt keine Aktantenreduktion vor; Schütte (1982, 43) notiert für Textstellen mit dem Imperativ daher einen Erstaktanten in Klammern. Zum Beispiel weist die Stelle XIX (1,2) Vrowe, […] sich mich ein vil lützel an „Herrin, […] sieh mich ein bisschen an! “ mit dem Imperativ des trennbaren Verbs mhd. ansehen die Satzgliedstruktur auf: (Nn), Imperativ, PNa, Art+Na, Verbzusatz Bei kasusneutralen Ergänzungen werden die möglichen Kasus durch Kleinbuch‐ staben angegeben (z. B. g/ d = Genitiv oder Dativ). Endungslose Formen, bei denen alle Kasus möglich sind, werden durch 0 gekennzeichnet. „Junktoren“ 52 D. Valenz und Historische Grammatik bleiben unberücksichtigt; schwierig zu unterscheiden, ob z. B. bei des ein Junktor oder ein Pronomen im Genitiv vorliegt, ist in Fällen wie im folgenden Beleg: XIa, 2 (7,8) jâ enwil ich niemer des eralten, swenne ich sie sihe, mir sî von herzen wol Des kann hier als Junktor oder Verweisform auf einen eingebetteten Satz gesehen werden. 4.4 Ermittlung der Satzglieder im Frühneuhochdeutschen Um die Satzglieder in fnhd. Texten zu ermitteln und die auf dieser Sprachstufe geltenden Satzbaupläne zu rekonstruieren, ist es notwendig zu speziellen Techniken zu greifen. Zunächst muss eine Reihe von immer denselben Verben gesucht und deren Kontexte auf Ergänzungen und Angaben durch Quantifizie‐ rung (vgl. das Modell unter D.4.1) analysiert werden. W E R N E R W E G S T E IN und N O R B E R T R I C HA R D W O L F legten der Analyse folgende Texte (Korpus) der neuen geistlichen Prosa in Editionen zugrunde: „Legenda Aurea“ (1362), Ulrich von Pottenstein, „Katechismus“ (Anfang 15. Jh.), Bruder Berthold, „Rechtssumme“ (1390, 1423, 1454) und Hugo Ripelin von Straßburg, „Compendium theologicae veritatis“ (1375, 1. Hälfte des 15. Jh.). Das fnhd. Verb machen ist im Korpus in 19 Sätzen als Prädikat belegt, die aufgrund der Kontexte in zwei Gruppen mit 1 machen und 2 machen aufteilbar sind, z. B. 1 machen: Do mahte der boͤse geist ein vngewetter vffe dem mere 2 machen: ob ich dir dinen sun mache lebende In den neun Belegsätzen mit 1 machen sind immer zwei Ergänzungen vorhanden: im Nominativ (= Subjekt), im Beispielsatz der boͤse geist, und im Akkusativ, im Beispielsatz ein vngewetter vffe dem mere. In den zehn Belegsätzen mit 2 machen sind drei Ergänzungen vorhanden: im Nominativ (Subjekt), im Beispielsatz ich, im Akkusativ, im Beispielsatz dinen sun, und eine dritte Ergänzung, die im Beispielsatz als Adjektiv (lebende) vorkommt, aufgrund der Analyse der anderen Belegsätze mit 2 machen aber als Objektsprädikativ (E präd ) identifiziert wird. Dass bei fnhd. machen zwei unterschiedliche Satzbaupläne, nämlich E nom , E akk gegenüber E nom , E akk , E präd , vorkommen, wird durch die unterschiedliche Semantik von 1 machen und 2 machen erklärt: Das Semem von 1 machen kann mit ‚herstellen‘ paraphrasiert werden, das Semem 2 machen aber mit ‚bewirken‘. Aus der unterschiedlichen Semantik des Verbs können auch unterschiedliche Propositionsstrukturen abgeleitet werden: 53 4. Vom historischen Korpus zur Valenz und zu den Satzbauplänen (Methoden) 1 machen: Tätigkeits-Prädikat (Agens, Resultat) 2 machen: kausatives Prädikat [Agens, ist-Prädikation (Vorgangsträger, Eigenschaft)]. (Wegstein/ Wolf 1982, 112‒121) 4.5 Vom Korpus zu den Satzmodellen und ihren Valenzträgern bei Martin Luther 4.5.1 Einleitende Bemerkungen Den nachstehenden Ausführungen liegt eine Untersuchung zugrunde, die in Korhonen (1978) veröffentlicht wurde. Darin wurden valenzbezogene Methoden auf einen Luther-Text, und zwar den Sermon „Von den guten Werken“, ange‐ wendet. Er wurde im Jahr 1520 fertiggestellt und stammt somit aus den ersten Jahren des literarischen Schaffens von Luther. Von Bedeutung und Wert dieser frühesten reformatorischen Schrift Luthers, die im Juni 1520 herausgebracht wurde, zeugen die sieben weiteren Ausgaben, die davon noch im selben Jahre erschienen. Für die unten vorzustellende Untersuchung wurde die Ausgabe exzerpiert, die als der Urdruck angesehen wird und im fortlaufenden Text abgedruckt ist (= D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesammtausgabe. Band 6. Weimar 1888, 196‒276). Der Text hat hier einen Umfang von 75 Seiten, wovon ein Widmungsbrief an Herzog Johann von Sachsen zwei Seiten, der Sermon selbst (nur dieser wurde für die Analyse berücksichtigt) 73 Seiten umfasst. Die Untersuchung stellte sich zunächst die Aufgabe, aus den konkreten Satzgebilden der Textunterlage abstrakte syntaktische Grundstrukturen zu erschließen und diese Strukturen zu einheitlichen Gruppen zusammenzufassen. Dabei handelte es sich einerseits um Satzmodell-, andererseits um Satzglied‐ modellgruppen (freie Angaben blieben außer Acht). Weiterhin wurden die einzelnen Satzmodelle in Bezug auf die verschiedenen Valenzträger klassifiziert. Dadurch ließ sich die Umgebung des Valenzträgers genau beschreiben, was wiederum für die Ermittlung eventueller Änderungen in der Umgebung des Valenzträgers und für die Unterscheidung von Varianten den Ausgangspunkt bildete. Neben der Aufstellung und Besprechung von Strukturmodellen wurde jedoch auch einigen spezifischen Valenzproblemen nachgegangen. Damit be‐ stand das Ziel der Untersuchung darin, den lutherschen Sprachgebrauch im Sermon „Von den guten Werken“ im Hinblick auf die Valenz möglichst exakt zu erfassen. 54 D. Valenz und Historische Grammatik 4.5.2 Methode 4.5.2.1 Formalisierung und Abstrahierung Da den Sätzen der Textunterlage eine morphofunktionelle Strukturbeschrei‐ bung zugeordnet wurde, die eine weitgehende Untergliederung erfordert, wurden als Grundlage der Formalisierung Buchstabenabkürzungen verwendet (dies ermöglichte also eine übersichtliche Darstellungsform). Die Grundge‐ danken der valenzbezogenen Satzstrukturbeschreibung und der systematischen Zusammenstellung von Satzmodellen waren in den 1970er-Jahren an der heu‐ tigen Sprache entwickelt worden, weshalb das Formalisierungssystem zuerst auf vorgegebene Kombinationsmuster der deutschen Gegenwartssprache ge‐ gründet werden musste. Entsprechend den Voraussetzungen einer morphofunk‐ tionellen Beschreibung wurden hierbei besonders solche Darstellungssysteme von Satzmodellen in Betracht gezogen, die morphosyntaktische Repräsenta‐ tionsformen verschiedener Ergänzungsklassen als konstitutive Einheiten auf‐ weisen. Allein in Anbetracht der Art des Beschreibungsobjekts erwies es sich je‐ doch als notwendig, diese deduktive Vorgehensweise mit empirisch-induktiven Beobachtungen zu Satzstrukturen im Sprachgebrauch Luthers zu verbinden. In der Praxis bedeutete das, dass für jede Kombination valenzgebundener Ele‐ mente, die in Listen der Satzmodelle des heutigen Deutsch nicht nachzuweisen war, ein neues Strukturmuster angesetzt wurde. In systemgebundenen Darstellungen deutscher Satzmodelle wird von meh‐ reren Merkmalen abgesehen, die für einen konkreten Satz charakteristisch sind. Da es sich aber in Korhonen (1978) um eine Erfassung des syntaktischen Sprachgebrauchs in einem fnhd. Text handelte, bezog sich die Abstrahierung nur auf einen strukturellen Aspekt des Satzes, nämlich auf die Trennung von Ergänzungen und Angaben; mithin wurden andere Merkmale des Satzes, vor allem der kommunikative Aspekt und seine formalen Ausdrucksmöglichkeiten, beibehalten. In Hinsicht auf die verschiedenen Positionen des Satzes will das u. a. besagen, dass weder an Genus, Modus und Tempus des satzkonstituierenden Verbs noch am Aufbau nominaler und verbaler Ergänzungen vereinfachende Transformationen durchgeführt wurden. Zudem wurde noch an den folgenden drei Merkmalen festgehalten: Unterordnungsgrad des Satzes (regierender Satz, Ergänzungsbzw. Angabesatz usw.), Satzgliedfolge und Vorkommen der Nega‐ tionspartikel. Mit diesem Verfahren wurde also versucht, bei einer valenzori‐ entierten Satzanalyse zwei verschiedene beschreibungstheoretische Gesichts‐ punkte zu vereinigen: einmal die Beschreibung abstrakter Valenzstrukturen, zum anderen die Beschreibung bestimmter Aspekte des konkreten Satzbaus. 55 4. Vom historischen Korpus zur Valenz und zu den Satzbauplänen (Methoden) 3 Siehe das Abkürzungsverzeichnis auf S. 68. 4.5.2.2 Automatische Datenverarbeitung 4.5.2.2.1 Kodierungssystem von Satzmodellen Für die Untersuchung von Satzmodellen, die mit Hilfe statistischer Methoden durchgeführt wurde, musste zunächst ein Kodierungssystem erstellt werden. Entsprechend der Darstellung von Satzmodellen in Korhonen (1977b, 251ff.) wurden anfangs vier verschiedene Unterarten differenziert: einerseits Haupt- und Nebenmodelle, andererseits aktivische und passivische Modelle. Zur Ko‐ dierung der Modelle bedurfte es jedoch nur eines einzigen einheitlichen Prin‐ zips: Es wurden jeweils zwei Kodezahlen verwendet, und zwar eine für die Hauptklasse, die andere für die Unterklasse der valenzbedingten Umgebung des Lexems. Dabei bezog sich die Hauptklasse auf die Anzahl der Ergänzungen, die Unterklasse ihrerseits auf die Form (Wortart und Art des morphosyntakti‐ schen Anschlusses) und die Satzgliedfunktion der Ergänzungen innerhalb der jeweiligen Hauptklasse. Im Einzelnen wurden die Satzmodelle in Übereinstim‐ mung mit dem Formalisierungsprinzip kodiert: Zuerst wurden die deduktiv gewonnenen Modelle mit Kodezahlen versehen, und erst danach erfolgte die Kodierung der durch induktive Beobachtungen ermittelten Modelle ‒ genauer gesagt wurden die letzteren Satzmodelle jeweils in der Reihenfolge ihres Vorkommens fortlaufend nummeriert. Die Anzahl der Ergänzungen wurde in den Hauptmodellen vorläufig auf vier, in Nebenmodellen hingegen auf drei (Modelle mit einer infiniten Verbform als Valenzträger) bzw. zwei (Modelle mit einem prädikativen Adjektiv als Valenzträger) begrenzt. Bei Hauptmodellen und solchen Nebenmodellen, die auf der Valenz infiniter Verbformen beruhen, wurden aktivische und passivische Modelle so auseinandergehalten, dass für die eine Art der Modelle eine ungerade, für die andere eine gerade Kodezahl der Hauptklasse festgesetzt wurde, wohingegen eine derartige Differenzierung bei Nebenmodellen mit einem prädikativen Adjektiv als Valenzträger unnötig war. Zur Erläuterung des Kodierungssystems der morphofunktionellen Satzmodelle seien folgende Fälle angeführt: 0301: aktivisches Hauptmodell mit einer Ergänzung (= 03); Nn 3 (= 01) 0403: passivisches Hauptmodell mit einer Ergänzung (= 04); Ng (= 03) 0501: aktivisches Hauptmodell mit zwei Ergänzungen (= 05); Nn+Na (= 01) 0607: passivisches Hauptmodell mit zwei Ergänzungen (= 06); Nn+pN P (= 07) 205: aktivisches Nebenmodell (infinite Verbform als Valenzträger) mit einer Ergänzung (= 2); pN (= 05) 56 D. Valenz und Historische Grammatik 302: passivisches Nebenmodell (infinite Verbform als Valenzträger) mit einer Ergänzung (= 3); Nd (= 02) 209: Nebenmodell (prädikatives Adjektiv als Valenzträger) mit einer Ergän‐ zung (= 2); INFzu (= 09) Die Kodebezeichnung 01 (in Hauptmodellen) bzw. 1 (in Nebenmodellen) der Hauptklasse bezieht sich auf Strukturmuster, in denen Ergänzungen aus dem einen oder anderen Grund nicht vorhanden sind; es handelt sich also hierbei um die Klasse ‒ (= keine Ergänzungen). 4.5.2.2.2 Speicherung von Daten Für die Speicherung der Daten jedes analysierten Satzes wurden zwei Loch‐ karten hergestellt. Die verschiedenen Dateneinheiten wurden als 60 Variablen dargestellt, d. h., die zwei Karten wurden den Erfordernissen der jeweiligen Dateneinheit entsprechend in insgesamt 60 Lochfelder aufgeteilt. Bei der Kodierung wurden zwei Arten von Zeichen, nämlich Alphabetzeichen und Ziffern, benutzt. Das für die Ausgestaltung des Satzes entscheidende Element, der Haupt-Valenzträger, wurde auf Karte 1, die anderen Valenzträger (infinite Verbformen bzw. prädikativ verwendete Adjektive) auf Karte 2 eingetragen. Sowohl die verbalen als auch die adjektivischen Valenzträger wurden in der nhd. Grundform (Verben im Infinitiv I Aktiv, Adjektive in der unflektierten Form) kodiert. Bei verbalen Valenzträgern wurden Verbzusätze (trennbare Verbpräfixe usw.) und Verb-Simplizia in zwei selbstständige Lochfelder platziert. Von den Umgebungsdaten (in drei verschiedenen Spaltengruppen auf den Lochkarten) und den Valenzträgern abgesehen wurden auf den Karten auch noch u. a. folgende weiteren valenzbezogenen Informationen angebracht: Va‐ lenzreduzierung des satzkonstituierenden Verbs; Pronomen es (bzw. das) als Platzhalter oder Ergänzung; Reflexivpronomen als Verbbestandteil oder Ergän‐ zung; Korrelate von Infinitivkonstruktionen und Gliedsätzen; Dativbestimmung als Ergänzung oder Angabe. Darüber hinaus wurden auf den zwei Lochkarten einige Daten gespeichert, die sich nicht unmittelbar auf eine Valenzanalyse beziehen. Von diesen Daten, die in erster Linie der Anordnung und Gruppierung des Beobachtungsmaterials dienten, sei erstens der Unterordnungsgrad von Sätzen (genauer: Unterscheidung regierender und abhängiger Sätze) genannt. Zweitens wurden bei jedem Prädikatsverb Verbalgenus, Modus, Tempus und Person kodiert und als vier verschiedene Variablen auf Karte 1 eingetragen. Im Anschluss an diese Klassifizierung wurde drittens die Verwendung von Modal‐ verben und einigen anderen Verben mit Hilfsverbcharakter als Prädikatsteilen auf Karte 1 festgehalten. Weitere Aspekte, die bei der Satzstrukturbeschreibung Berücksichtigung fanden, waren die Satzgliedfolge (das Subjekt vor oder nach 57 4. Vom historischen Korpus zur Valenz und zu den Satzbauplänen (Methoden) dem Prädikat), das Vorkommen der Negationspartikel nicht und der Gebrauch von Phrasemen. 4.5.2.2.3 Technische Realisierung der maschinellen Datenverarbeitung Für die maschinelle Bearbeitung des Materials wurden die einzelnen Daten‐ einheiten zuerst auf Kodierungsbogen geschrieben, von denen sie dann auf Lochkarten übertragen wurden. Danach wurden die Daten auf einer weiteren externen Speichereinheit, und zwar auf einem Magnetband, gespeichert und dadurch in eine maschinenlesbare Form gebracht. Von dort wurden die Daten mit entsprechenden Programmen an die Zentraleinheit des Computers weiter‐ gegeben; nachdem hier die eigentliche Datenverarbeitung stattgefunden hatte, wurden die Ergebnisse durch einen Zeilendrucker in Klarschrift ausgegeben. Die maschinelle Verarbeitung erfolgte in der Zentraleinheit von zwei Rechen‐ anlagen, Honeywell 1644 (im Rechenzentrum der Universität Oulu/ Finnland) und Univac 1108 (im staatlichen Computerzentrum, Helsinki), und dazu wurden knapp 30 Programme geschrieben. Nachdem alle vorbereitenden Schritte durch‐ laufen worden waren, wurden die einzelnen Aufgabenformulierungen von zwei Spezialisten in eine der Maschine verständliche Sprache umgesetzt. Die bei der Verarbeitung der Daten verwendeten Programme wurden in der FORTRAN-Sprache geschrieben. Ein bedeutender Teil der Programme wurde speziell für die Untersuchung in Korhonen (1978) hergestellt, daneben wurden aber auch einige Bibliotheksprogramme ‒ vor allem beim Sortierungsverfahren ‒ auf das Material angewendet. Außerdem wurden noch besonders für die statis‐ tische Auswertung drei Programme eines Programmkomplexes benutzt, der an der Universität Helsinki entworfen worden war. Angesichts des umfangreichen Beobachtungsmaterials erwies es sich als nötig, zunächst die einzelnen ‒ sowohl verbalen als auch adjektivischen ‒ Valenzträger nebst bestimmten anderen Daten (Nummer des Belegs; Stellenangabe; Präposition und Kasus des Prä‐ positionalobjekts; valenzbedingte Umgebung; Unterordnungsgrad des Satzes; Genus, Modus, Tempus und Person des satzkonstituierenden Verbs; Aufbau nominaler Ergänzungen) zu sortieren und aufzulisten. Diese Bearbeitungsphase 58 D. Valenz und Historische Grammatik 4 Erklärung der Daten: 1. = Nummer des Belegs, 2. = Stellenangabe, 3. = Verb-Simplex, 4. = Verbzusatz, 5. und 6. = Präposition und Kasus des Präpositionalobjekts (3 = Dativ; 5 = undefinierbar, z. B. beim Präpositionaladverb), 7. = Umgebung (0501 = Nn+Na; 0503 = Nn+Nd; 0504 = Nn+Ng; 0505 = Nn+pN; 0513 = Nn+NS; 0525 = NS S +pN), 8. = Unterordnungsgrad des Satzes (01 = Hauptsatz (regierender Satz); 04 = Attributsatz; 08 = Angabesatz 2. Grades), 9. = Genus Verbi (1 = Aktiv), 10. = Modus (1 = Indikativ; 2. Konjunktiv), 11. = Tempus (01 = Präsens; 02 = Präteritum; 04 = Plusquamperfekt), 12. = Person (1 = 1. Pers. Sing.; 3 = 3. Pers. Sing.; 4 = 1. Pers. Pl.; 6 = 3. Pers. Pl.), 13. = Anzahl der nominalen Ergänzungen, 14. und 15. = Umfang und Art der 1. bzw. 2. nominalen Ergänzung (01 = ein Substantiv; 02 = ein Pronomen; 04 = ein Adverb; 06 = zwei Substantive). kann anhand folgenden Beispiels (zwei Abschnitte aus dem Listenausdruck der Prädikatsverben) illustriert werden 4 : 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 02366 0242 ACHTEN 0501 04 1 2 04 3 2 02 01 00601 0213 ACHTEN 0501 04 1 1 01 4 2 02 01 02863 0251 ACHTEN 0504 01 1 1 01 6 2 02 02 03154 0256 ACHTEN 0504 04 1 1 01 3 2 02 01 01510 0228 ACHTEN 0513 01 1 1 01 1 1 02 00710 0215 ACHTEN 0513 04 1 1 01 6 1 02 04311 0275 FOLGEN 0503 08 1 2 01 4 2 02 02 02126 0238 FOLGEN AUS 3 0505 01 1 2 02 3 2 06 01 00202 0207 FOLGEN AUS 5 0525 01 1 1 01 3 1 04 02529 0245 FOLGEN NACH 0503 01 1 1 01 6 2 01 02 Mit Hilfe eines Sortierungs- und Auflistungsverfahrens oben dargestellter Art ließ sich das Material in einheitliche Gruppen einteilen, sodass sich daraus zugleich eine systematisch angeordnete Belegsammlung ergab, was wiederum insbesondere im Hinblick auf ein konsequentes Anführen von Beispielen von praktischer Bedeutung war. Zur Vereinfachung des technischen Bearbeitungs‐ prozesses wurden die einzelnen Valenzträger auch in alphabetischer Reihen‐ folge mit einer fortlaufenden Kodenummer versehen; dieses Kodierungssystem wurde z. B. dem obigen Listenausdruck zugrunde gelegt. Weitere Programme waren in erster Linie für die Sortierung, Klassifizierung und Tabellierung der morphofunktionellen Satzmodelle (Aktiv und Passiv) und für die Ermittlung der prädikatsverbbezogenen Verteilung der einzelnen Modelle (Aktiv und Passiv) 59 4. Vom historischen Korpus zur Valenz und zu den Satzbauplänen (Methoden) nötig. Ebenso wurden für die einzelnen Prädikatsverbbelege und für die Vertei‐ lung der Prädikatsverben auf verschiedene morphosyntaktische Umgebungs‐ klassen Sortierungs-, Klassifizierungs- und Tabellierungsprogramme benutzt. Da aber bei der Satzanalyse auch die infiniten Verbformen und prädikativen Ad‐ jektive im Hinblick auf ihre Valenzbeziehungen beschrieben wurden, bedurfte es für diese Valenzträger der gleichen Programme wie für die Prädikatsverben. Außerdem wurden noch bestimmte Einzelprobleme der Valenz und einige nicht unmittelbar valenzspezifische Daten (z. B. das Vorkommen von Modalverben als Prädikatsteilen) mittels Sortierungs-, Klassifizierungs- und Tabellierungs‐ programmen bearbeitet. In den Tabellen, die als Ergebnis der verschiedenen technischen Bearbeitungsschritte ausgegeben wurden, erschienen folgende In‐ formationen: die Variable nebst ihren jeweiligen Werten sowie die absolute und relative Häufigkeit der einzelnen Variablenwerte. Dieses Tabellierungsprinzip betraf die drei zentralen Problemkreise der statistischen Untersuchung, d. h. die Satzmodelle und die Valenzträger, die Einzelprobleme der Valenz sowie die nicht unmittelbar valenzbezogenen Daten. 4.5.2.3 Manuelle Bearbeitung Zum Aufgabenbereich der Untersuchung gehörte auch eine Zusammenfassung der Satzmodelle zu höheren syntaktischen Funktionseinheiten, d. h. zu Satz‐ gliedmodellen, weshalb das Material noch weiterbearbeitet werden musste. Diese Bearbeitung war jedoch relativ einfacher technischer Natur und konnte deshalb manuell durchgeführt werden. Bei der manuellen technischen Arbeit wurden die Ausgabedaten der maschinellen Verarbeitung zum Ausgangspunkt genommen; zuerst wurden die Ergänzungen der morphofunktionellen Satzmo‐ delle zu größeren Gruppen mit derselben syntaktischen Funktion kombiniert, und auf der Grundlage der auf diese Weise gebildeten Klassen wurden dann die Satzgliedmodelle selbst aufgestellt. Die neuen Klassen konnten beim manuellen Bearbeitungsprozess in zweierlei Hinsicht verwertet werden: einmal für die Be‐ schreibung der Umgebung der verschiedenen Valenzträgerarten, zum anderen für die Erfassung der Repräsentationsformen der Ergänzungen in den einzelnen Satzgliedmodellen. Einen weiteren Objektbereich manueller Arbeitsgänge bildeten die nek‐ tierten Valenzträger. Die valenzbedingten Umgebungen nektierter satzkonstitu‐ ierender Verben wurden besonders deshalb extra behandelt, weil es zu erwarten war, dass sich daraus Erkenntnisse über die Auslassung von Ergänzungen gewinnen lassen. Zum Teil aus demselben Grunde wurden auch die Umgebungs‐ strukturen der anderen Valenzträger des Satzes manuell erfasst, auf der anderen Seite hatte das auch einen beschreibungstheoretischen Grund: Es wurde davon 60 D. Valenz und Historische Grammatik ausgegangen, dass nektierte infinite Verbformen und prädikative Adjektive als Valenzträger mit ihren Ergänzungen keine eigenen Sätze, sondern vielmehr Teile des Satzes konstituieren. Somit konnten bei der maschinellen Verarbei‐ tung der Daten nur solche adjektivischen und infiniten verbalen Valenzträger berücksichtigt werden, die im Satz allein (d. h. ohne nebengeordnete Elemente) als Nukleus der unmittelbar verbabhängigen Ergänzungen fungieren. ‒ Darüber hinaus mussten auch noch freie Angaben 2. Grades und satzförmige Ergän‐ zungen teilweise außerhalb der automatischen Bearbeitungsphase bleiben. Bei der ersteren Dateneinheit wurde die Anzahl auf der Lochkarte festgehalten, während Informationen über Form und Inhalt ohne maschinelle Hilfe verar‐ beitet wurden. Bei der letzteren Dateneinheit wiederum bezog sich die manuelle Behandlung auf Fälle, in denen der Haupt-Valenzträger zwei Gliedsätze im Satz fordert; wie bei der Maschinenbehandlung wurden die Gliedsätze auch hier nach Art und Anzahl sortiert. Desgleichen musste die Umgebung von zwei Infinitiven als verschiedenen Ergänzungen manuell klassifiziert werden. 4.5.3 Ausgewählte Ergebnisse der Beschreibung von Satzmodellen und Valenzbeziehungen Die hier präsentierten Ergebnisse beziehen sich zunächst auf aktivische und passivische Hauptmodelle. Im Sermon „Von den guten Werken“ wurden ins‐ gesamt 4017 aktivische Sätze registriert. Diese Sätze verteilen sich auf 165 verschiedene morphofunktionelle Satzmodelle, unter denen die Modelle mit zwei Ergänzungen am häufigsten sind. Dann kommen die Modelle mit einer Ergänzung, danach die Modelle mit drei Ergänzungen, und zuletzt das Modell ohne Ergänzungen. Die fünf häufigsten Modelle sind Nn+Na, Nn+INF, Nn, Nn+ADJ P und Nn+Nn P . Dabei ist die Differenz zwischen Nn+Na und Nn+INF bedeutend größer als die Differenzen jeweils zwischen den übrigen Modellen. ‒ Die passivischen Sätze sind 340 an der Zahl und können zu 37 verschiedenen Modellen geordnet werden. Am häufigsten belegt sind die Modelle mit einer Ergänzung, dann folgen die Modelle mit zwei Ergänzungen, danach das Modell ohne Ergänzungen, und zuletzt die Modelle mit drei Ergänzungen. Nn, Nn+pN, Nn+Nd, Nn+pN Ag und das Modell ohne Ergänzungen sind die fünf häufigsten passivischen Hauptmodelle. Der größte Anteil kommt dem Modell Nn zu, das hier viel deutlicher dominiert als Nn+Na bei den aktivischen Hauptmodellen. Bei den aktivischen Hauptmodellen kommen insgesamt 579 verschiedene Valenzträger vor. In Bezug auf die Repräsentation der Valenzträger sind die fol‐ genden fünf Modelle am variationsreichsten (hinter den Modellen wird jeweils die Zahl der Valenzträger angegeben): Nn+Na 260, Nn 176, Nn+pN 89, Nn+Nd 44, Nn+NS 43. Als häufigste Valenzträger dieser Modelle erscheinen folgende 61 4. Vom historischen Korpus zur Valenz und zu den Satzbauplänen (Methoden) Verben: Nn+Na: haben, tun, suchen, hören, machen; Nn: sein, sagen, da sein, geschehen, wollen; Nn+pN: bitten, zweifeln, kommen, sein, trauen, sich verlassen; Nn+Nd: trauen, wohl gefallen, folgen, helfen, gefallen; Nn+NS: wissen, finden, tun, fragen, sehen. Die fünf häufigsten Verben aller aktivischen Hauptmodelle sind sein, sollen, tun, haben und sagen. Das Verb sein dominiert eindeutig, insofern als sein Anteil ca. 19 % der Belege erreicht. ‒ Die Zahl der verschiedenen Valenzträger der passivischen Hauptmodelle ist 170. In folgenden Modellen kommen die meisten verschiedenen Verben vor: Nn 108, Nn+pN 28, Nn+pN Ag 16, Nn+Nd 14. Als häufigste Valenzträger dieser Modelle können folgende Verben angesehen werden: Nn: gebieten, erhören, erfüllen, geben, ehren, stiften; Nn+pN: sagen, begreifen, schreiben; Nn+pN Ag : anfechten, treiben; Nn+Nd: geben, zueignen, gebieten, nehmen. Werden alle passivischen Hauptmodelle berücksichtigt, so erweisen sich gebieten, sagen, schreiben, geben, achten und erhören als die sechs häufigsten Valenzträger. Dabei kann dem Verb gebieten keine beherrschende Rolle zugesprochen werden. Bei der Zusammenstellung von Satzgliedmodellen ergab sich für die aktivi‐ schen Hauptmodelle, dass sich aus den 165 morphofunktionellen Satzmodellen 28 Satzgliedmodelle herleiten lassen. Die fünf häufigsten Satzgliedmodelle sind Subjekt + Objekt, Subjekt + Prädikativ, Subjekt, Subjekt + Objekt + Objekt und Subjekt + lokales Adverbial. Das häufigste Modell dominiert stark. ‒ Im Bereich der passivischen Hauptmodelle können die 37 morphofunktionellen Satzmodelle zu zehn Satzgliedmodellen zusammengefasst werden, unter denen die folgenden fünf am häufigsten vorkommen: Subjekt, Subjekt + Objekt, Subjekt + lokales Adverbial, Subjekt + Agens, Subjekt + Prädikativ. Auch hier dominiert das häufigste Modell eindeutig. Unter den aktivischen Hauptmodellen kommen acht verschiedene Satz‐ gliedklassen vor. Diese Klassen werden jeweils durch die folgenden Formen am häufigsten realisiert (hinter jeder Klasse wird die Zahl der Belege angegeben): Subjekt (3806): Nomen im Nominativ; Objekt (2810): Nomen im Akkusativ; kausales Adverbial (7): Nomen mit Präposition; lokales Adverbial (232): Nomen mit Präposition; modales Adverbial (122): Adverb; temporales Adverbial (5): Nomen mit Präposition und Adverb; Agens (2): Nomen mit Präposition (= die einzige Ausdrucksform); Prädikativ (786): Adjektiv. ‒ Bei den passivischen Hauptmodellen begegnen fünf konstitutive Satzgliedklassen, deren häufigste Repräsentationsformen sind: Subjekt (316): Nomen im Nominativ; Objekt (93): Nomen mit Präposition; lokales Adverbial (20): Nomen mit Präposition; Agens (22): Nomen mit Präposition (= die einzige Ausdrucksform); Prädikativ (20): Adjektiv. 62 D. Valenz und Historische Grammatik Für die aktivischen und passivischen Hauptmodelle (und die aktivischen und adjektivischen Nebenmodelle) wurde jeweils an einer bestimmten Zahl von Valenzträgern eine nähere Umgebungsanalyse durchgeführt. Bei den akti‐ vischen Hauptmodellen wurden 38, bei den passivischen 19 verschiedene Va‐ lenzträger in Bezug auf ihre morpho- und semantosyntaktischen Umgebungen beschrieben. Den Umgebungen wurde genauer gesagt auf der einen Seite eine morphofunktionelle und auf der anderen Seite eine inhaltliche Beschreibung mit Tiefenkasusrollen und semantischen Merkmalen zugeordnet. Die Aufgabe der Arbeit bestand hier vor allem darin, zu untersuchen, ob eine quantitative und/ oder qualitative Variation in der Umgebung eines Valenzträgers möglicherweise auf verschiedene Bedeutungsvarianten zurückzuführen ist. Bei den aktivischen Hauptmodellen sind die folgenden Verben reich an Bedeutungsvarianten (sie weisen zumindest fünf Varianten auf): geben, gehen, glauben, haben, halten, kommen, lassen, machen, sehen, sein, setzen, stehen. Im Hinblick auf morphosyntaktische Repräsentationsformen zeigen die valenzbe‐ dingten Umgebungen der meisten Varianten dieser Verben, besonders aber die von haben, halten, kommen, sehen und setzen, jeweils wenig Variation. Verben, die in der Textunterlage entweder nur in einer oder höchstens zwei Bedeu‐ tungen vorkommen, sind befehlen, begehren, bitten, fragen, gebieten, gedenken, geschehen, helfen, klagen, lesen, meinen, mögen, müssen, sagen, sollen, sprechen, wissen und wollen (die Modalverben wurden nicht in Bedeutungsvarianten differenziert). Im Ganzen genommen haben diese Verben in ihren Umgebungen mehr Ausdrucksformen als die Verben mit vielen Bedeutungsvarianten. Vor allem bitten, fragen, gebieten, geschehen, helfen, lesen, sagen, sprechen und wollen weisen jeweils in einer bestimmten Bedeutung mehrere morphofunktionelle Umgebungen auf. In der Liste der 19 Verben der passivischen Hauptmodelle gibt es nur drei Verben, die in drei oder mehr Bedeutungen vorkommen. Das sind die Verben halten, setzen und treiben, von denen halten in jeder seiner Bedeutungen durch nur eine Umgebung realisiert wird. Bei zwei Varianten von setzen und treiben dagegen sind jeweils zwei verschiedene Umgebungen vorhanden. Unter den übrigen 16 Verben zeigen die Verben anzeigen, begreifen, ehren, erhören, gebieten, müssen, schreiben, sollen und verbieten eine Bedeutung und die Verben achten, befehlen, erfinden, erfüllen, geben, sagen und stiften zwei Bedeutungen. Eine reiche Variation der morphofunktionellen Umgebungen ist für achten, gebieten, sagen und schreiben nachweisbar. Zur Illustration werden unten die Valenzanalysen von jeweils fünf Verben aus den aktivischen bzw. passivischen Hauptmodellen präsentiert. Hinter den Verben erscheint zuerst eine Angabe für die absolute und danach für die relative 63 4. Vom historischen Korpus zur Valenz und zu den Satzbauplänen (Methoden) Häufigkeit (Letztere in Klammern). Das Gleiche gilt für die einzelnen Bedeu‐ tungsvarianten (V 1, V 2 usw.). An die Beispielsätze schließt sich eine inhaltliche Beschreibung an, die aus Abkürzungen für Tiefenkasusrollen und Symbolen für semantische Merkmale besteht. Am Ende steht eine Belegangabe (Seite und Zeile der Textunterlage). Die ausgewählten Valenzträger der aktivischen Hauptmodelle sind glauben, halten, heißen, sehen und setzen: glauben 26 (0,65) V 1 ,denken, meinen, vermuten‘ 4 (15,38): Nn 2, Nn+NS 2 […], und ob sie glauben, das got ein wolgefallen darynnen uber sie habe, […] (EXP/ Hum, O/ Act) (205, 16f.) V 2 ,eine religiöse Überzeugung haben‘ 7 (26,92): Nn 3, Nn+pNin 4 ,[…], das yr in den glaubt, [den er gesandt hat]‘ (AG/ Hum, EXP/ Hum) (204, 28) V 3 ,für wahr, richtig, halten‘ 4 (15,38): Na (oS) [= ohne Subjekt] 1, Nn+Na 3 […], so glaubt […] es auch nichts, […] (AG/ Hum, O/ Abstr) (259, 29) V 4 ,sich auf jmdn., etw. verlassen‘ 7 (26,92): NS (oS) 1, Nn+HS 2, Nn+NS 2, Nn+pNan 1, Nn+ADV Am 1 dan wilch nit glauben, das sie erhoret werdenn, […] (AG/ Hum, O/ Act) (233, 27) V 5 ,Vertrauen schenken‘ 4 (15,38): Nn+Nd 4 ,[…], sundern da ihr dem wort gottis glaubet habt‘ (AG/ Hum, O/ Abstr) (206, 31f.) halten 23 (0,57) V 1 ,in seinem Zustand bestehen bleiben‘ 1 (4,35): Nn 1 […], [und on sulchen glauben und zuvorsehen] helt […] nichts (O/ Abstr) (224, 27f.) V 2 ,ausführen, befolgen, erfüllen‘ 7 (30,43): Na (oS) 1, Nn+Na 6 […], dan wir halten sein gebot […] (AG/ Hum, O/ Abstr) (205, 36) V 3 ,zurückhalten, beherrschen‘ 1 (4,35): Nn+Na 1 […], [und ist leyder niemandt], der […] halte dich (AG/ Hum, EXP/ +Anim (-Hum)) (241, 8f.) V 4 ,veranstalten, abhalten‘ 1 (4,35): Nn+Na 1 […] die priester und geistlichen halten […] mesz, […] (AG/ Hum, F/ Abstr) (243, 31) V 5 ,enthalten‘ 1 (4,35): Nn+Na 1 […], was die wort halten, […] (L/ Abstr, O/ Abstr) (235, 19) 64 D. Valenz und Historische Grammatik V 6 ,für jmdn., etw. sorgen‘ 2 (8,70): Nn+pNob/ pNüber 2 […] er […], helt uber sie, […] (AG/ Hum, EXP/ Hum) (275, 19) V 7 ,bewahren, einhalten‘ 6 (26,09): Nn+Na 4, Nn+NS 1, Nn+Na+Nd 1 Dan szo der teuffel, […], helt glauben allen, den […] (AG/ +Anim (-Hum), O/ Abstr, EXP/ Hum) (225, 1f.) V 8 ,gegenüberstellen‘ 1 (4,35): Nn+Na+pNgegen 1 Sie […] hielten sie (die Werke und Worte) gegen gottis gebot, […] (AG/ Hum, O/ Abstr, Z/ Abstr) (228, 36f.) V 9 ,eine bestimmte Meinung haben‘ 1 (4,35): Nn+Na+pNvon 1 […], auff das er […], nit etwas vonn yhm selb halt, […] (AG/ Hum, F/ Abstr, EXP/ Hum) (265, 29f.) V 10 ,zu etw. bringen‘ 1 (4,35): Nn+Na+pNzu 1 […], der ihn dartzu halte, […] (AG/ Hum, EXP/ Hum, Z/ Abstr) (269, 26f.) V 11 ,bewahren, in einem Zustand erhalten‘ 1 (4,35): Nn+Na+ADJ P 1 […], wer es (das Gebot) recht halten sol, […] (AG/ Hum, O/ Abstr, ESS/ Mod) (273, 16f.) heißen 28 (0,70) V 1 ,den Namen haben, genannt werden‘ 14 (50,00): Nn+Nn P 11, Nn+ADV P 1, Nn+INF P 1, Nn+NS P 1 […], das wir Christgleubigen heissen, […] (EXP/ Hum, ESS/ Hum) (206, 15) V 2 ,bedeuten‘ 3 (10,71): Nn+PARTII P 1, NS S +PARTII P 1, SGF S +INF P 1 […], das heisset dan [den feyrtag recht] gehalten und geheiliget, […] (O/ Abstr, ESS/ Act) (248, 11f.) V 3 ,gebieten‘ 5 (17,86): Nn+INF 3, Nn+Na+Na 1, Nn+Na+INF 1 […], [das] uns sanct Peter heyst ansehen, […] (AG/ Hum, EXP/ Hum, O/ Act) (259, 11f.) V 4 ,nennen, bezeichnen als‘ 6 (21,43): Nn+Na+Na P 3, Nn+Na+INF P 2, Nn+Na+PARTII P 1 […], die (die ersten Werke dieses Gebotes) wir heyssen gottis dienst, […] (AG/ Hum, O/ Abstr, ESS/ Abstr) (229, 28f.) sehen 46 (1,15) V 1 ,überlegen, prüfen‘ 3 (6,52): NS (oS) 3 ,[…], unnd sihe, ab dir ein bratensz hun ynsz maul fliege‘ (O/ Act) (271, 32f.) V 2 ,den Blick irgendwohin richten‘ 4 (8,70): pN Al (oS) 1, Nn+pN Al 3 ,[…], er […] sicht durch die fenster‘, […] (AG/ Hum, L/ Dir) (208, 13) 65 4. Vom historischen Korpus zur Valenz und zu den Satzbauplänen (Methoden) V 3 ,sich etw, ansehen, betrachten‘ 3 (6,52): Nn+Na 3 […], auff das wir […], mesz sehen, […] (AG/ Hum, O/ Abstr) (243, 22f.) V 4 ,erkennen, erfassen‘ 2 (4,35): Nn+Na 2 […], die warheit sehenn sie nit, […] (EXP/ Hum, O/ Abstr) (227, 6f.) V 5 ,auf etw. achten, bedacht sein‘ 3 (6,52): Nn+pNauf 3 […] yhr […] seht auff die person des ungerechten? (AG/ Hum, O/ Abstr) (227, 2) V 6 ,sich um etw. kümmern‘ 2 (4,35): Nn+pNnach 2 […], das er […] noch grossen wercken sicht, […] (AG/ Hum, O/ Abstr) (218, 35f.) V 7 ,bemerken, erblicken, als vorhanden feststellen‘ 7 (15,22): Nn+Na 5, Nn+NS 1, Nn+SGF 1 Dan wie vil sihestu, [die da hyn gehen], […] (EXP/ Hum, O/ Hum) (234, 21) V 8 ,merken, feststellen, einsehen‘ 22 (47,83): Nn 4, Nn+SGF 8, Nn+NS 5, Nn+Na 4, Nn+Na+INF 1 […] sihstu aber […], das der glaub musz sein der werckmeyster disses wercks, […] (EXP/ Hum, O/ Act) (275, 22f.) setzen 10 (0,25) V 1 ,bestimmen, vorschreiben‘ 1 (10,00): Nn+Na 1 […], was sie (die geistliche Gewalt) […], setzt, […] (AG/ Abstr (als Hum), O/ Abstr) (255, 20) V 2 ,zu jmdm., etw. machen‘ 2 (20,00): Nn+Na+Na P 1, Nn+Na+pN P 1 […] got […] dich […] zum spitel meyster setzt, […] (AG/ +Anim (-Hum), EXP/ Hum, ESS/ Hum) (253, 37‒254, 1) V 3 ,festlegen‘ 1 (10,00): Nn+Na+Nd 1 […], wilch aber yhm (Gott) ein tzil setzen, […] (AG/ Hum, EXP/ +Anim (-Hum), O/ Abstr) (233, 29) V 4 ,entgegenbringen‘ 4 (40,00): Nn+Na+pNauf/ pNin 4 […], das er […] setze sein zuvorsicht nicht auffs gelt, […] (AG/ Hum, O/ Abstr, Z/ Abstr) (271, 22f.) V 5 ,an eine bestimmte Stelle bringen‘ 2 (20,00): Nn+Na+pN Al 2 […], das sie […], den glauben gesetzt haben nit uber, szunder neben andere tugent, […] (AG/ Hum, O/ Abstr, L/ Loc) (206, 19ff.) 66 D. Valenz und Historische Grammatik Die folgenden fünf Verben sollen die Valenzverhältnisse in den passivischen Hauptmodellen veranschaulichen: achten, befehlen, erfinden, erfüllen und sagen. achten 9 (2,65) V 1 ,gegenüberstellen, vergleichen‘ 1 (11,11): Nn+pNgegen 1 […], wan sie (die Werke) gegenn dem glauben unnd seinem werck geachtet werden: […] (O/ Abstr, Z/ Abstr) (217, 13f.) V 2 ,einschätzen, beurteilen‘ 8 (88,89): Nn+ADJ P 3, Nn+Nn P 1, Nn+pN P 1, Nn+pNS P 1, Nn+pN Ag +ADJ P 2 Widderumb die geistliche gewalt […] ist, […] vil zu kostlich von yhm (Gott) geacht, […] (O/ Abstr (als Hum), AG/ +Anim (-Hum), ESS/ Mod) (259, 36f.) befehlen 4 (1,18) V 1 ,anvertrauen‘ 1 (25,00): Nn+Nd 1 […], das (Ort) yhm nicht befolen ist (O/ -Anim, EXP/ Hum) (254, 22f.) V 2 ,gebieten‘ 3 (75,00): INFzu S +Nd 2, INF S +Nd 1 […], die weyl den eltern befolen ist, [den kindern solchs] zuleren, […] (O/ Act, EXP/ Hum) (252, 29f.) erfinden 6 (1,76) V 1 ,finden, auf jmdn., etw. stoßen‘ 2 (33,33): Nn 2 […], das […] nit erfunden sollen werden furbitter und fursetzer […] (O/ Hum) (241, 7) V 2 ,befinden‘ 4 (66,67): Nn+ADJ P 3, Nn+pN P 1 ,Es wirt […] kein lebendig mensch rechtfertig erfunden‘, […] (EXP/ Hum, ESS/ Mod) (215, 31f.) erfüllen 7 (2,06) V 1 ,Genüge tun, wahr machen‘ 6 (85,71): Nn 5, NS S 1 […], das ewr gebet wirt erfullet werdenn, […] (O/ Abstr) (232, 20) V 2 ,ausfüllen‘ 1 (14,29): Nn+pNmit 1 […], und die Christenheit mit feynem jungen volck erfullet […] wurd (L/ Abstr (als Hum), EXP/ Hum) (256, 4) 67 4. Vom historischen Korpus zur Valenz und zu den Satzbauplänen (Methoden) sagen 17 (5,00) V 1 ,(aus-)sprechen, äußern‘ 16 (94,12): ‒ 7, Nn 2, pNvon 2, NS S 2, Nn+pNvon 3 […], was gesagt ist von dissen werckenn, […] (F/ Abstr, O/ Abstr) (264, 16) V 2 ,einen bestimmten Sinn haben‘ 1 (5,88): Nn+ADV P 1 […], das ist szo vil gesagt […] (O/ Abstr, ESS/ Mod) (209, 25) Abkürzungen 1. Ergänzungen in den morphofunktionellen Satzmodellen Nn = Nomen im Nominativ (als Subjekt) Nn P = Nomen im Nominativ (als Prädikativ) Na = Nomen im Akkusativ (als Objekt) Na P = Nomen im Akkusativ (als Prädikativ) Nd = Nomen im Dativ (als Objekt) Ng = Nomen im Genitiv (als Objekt) pN = präpositionales Nomen (als Objekt) pN Ag = präpositionales Nomen (als Agens) pN Al = präpositionales Nomen (als lokales Adverbial) pN P = präpositionales Nomen (als Prädikativ) ADJ P = Adjektiv (als Prädikativ) ADV Am = Adverb (als modales Adverbial) ADV P = Adverb (als Prädikativ) INF = Infinitiv ohne zu (als Objekt) INF S = Infinitiv ohne zu (als Subjekt) INF P = Infinitiv ohne zu (als Prädikativ) INFzu = Infinitiv mit zu (als Objekt) INFzu S = Infinitiv mit zu (als Subjekt) PARTII P = Partizip II (als Prädikativ) HS = Hauptsatz (als Objekt) NS = Nebensatz (als Objekt) NS S = Nebensatz (als Subjekt) pNS P = Nebensatz mit Präpositionaladverb als Korrelat (als Prädikativ) SGF = Satzgefüge (als Objekt) SGF S = Satzgefüge (als Subjekt) 2. Tiefenkasus AG = Agens (der Kasus des belebten Urhebers einer Handlung) ESS = Essiv (der Kasus für Eigenschaft, Identität und Zuordnung) 68 D. Valenz und Historische Grammatik EXP = Experiential (der Kasus des belebten Wesens, das von einer Handlung, einem Vorgang oder einem Zustand betroffen ist) F = Faktitiv (der Kasus für Gegenstände, Wesen und Begriffe, die aus einer Handlung, einem Vorgang oder einem Zustand resultieren) L = Lokativ (der Kasus, der die räumliche Abgrenzung einer Handlung, eines Vorgangs oder eines Zustands bezeichnet) O = Objektiv (der Kasus für Gegenstände, Wesen und Begriffe, die von einer Handlung, einem Vorgang oder einem Zustand betroffen sind) Z = Ziel (der Kasus, der den belebten oder unbelebten Zielpunkt einer Handlung oder eines Vorgangs bezeichnet) 3. Semantische Merkmale Abstr = Abstraktbezeichnung Abstr (als Hum) = Kollektivbegriff (auf Institutionen bezogen) Act = Handlung +Anim (-Hum) = belebtes Wesen (menschliches Wesen ausgenommen) -Anim = unbelebtes Wesen Dir = Richtungsbestimmung Hum = menschliches Wesen Loc = Ortsbestimmung Mod = Artbestimmung 4.6 Vom Korpus zu den Satzmodellen in Zeitungstexten von 1660‒ 1914 (Älteres Neuhochdeutsch) H A R R Y A NT TILA (1997, 156‒168) geht es darum, die Satzmodelle und ihre Fre‐ quenzen in den vier Teilkorpora (1660, 1750, 1850, 1914) des aus Leipziger Zeitungen der Zeitspanne 1660‒1914 bestehenden Gesamtkorpus zu ermitteln und miteinander zu vergleichen. Er exemplifiziert die Methode, die von den Korpustexten zu den Satzmodellen führt und die Valenz im engeren Sinne überspringt, an Einzelbelegen aus den Teilkorpora. Bei der Segmentierung der Belegsätze aus dem jeweiligen Textganzen orientiert er sich an der in den Drucken vorgegebenen Zeichensetzung. Das Ergebnis der syntaktischen Interpretation der einzelnen Sätze durch den Deskribenten wird grafisch folgen‐ dermaßen markiert: In den Belegsätzen sind die Ergänzungen kursiv gedruckt, das Prädikat (der Valenzträger) fett und Objektsätze kursiv und unterstrichen. An mehreren Belegsätzen aus dem ältesten Teilkorpus (1660) demonstriert Ant‐ tila (1997, 156‒160) folgende Satzmodelle mit aktivischem Prädikat. (Im Folgenden werden die Belegsätze im Unterschied zum Original verkürzt wiedergegeben.) 69 4. Vom historischen Korpus zur Valenz und zu den Satzbauplänen (Methoden) 5 auff ist in diesem Beleg Adverb im Sinne von ,bis zu, an die, ungefähr‘. (1) Belegsatz […] Gott […] wolle […] stärcken ihre Arme, [daß …] Valenzträger stärken, Prädikat wolle…stärcken, Ergänzungen(2) Gott (Nomi‐ nativ = Subjekt), ihre Arme (Akkusativ), Satzmodell sub akk - Keine Berück‐ sichtigung findet der finale oder konsekutive Nebensatz daß sie das Schwerdt mit unverzagten Muth führe. (2) Belegsatz Dieses pahr Hand=Schuh werden das Land von Aelst allein auff die 11000. fl. kosten „Dieses Paar Handschuhe wird allein das Land von Aelst bis zu 11000 Gulden kosten.“ Valenzträger kosten, Prädikat werden…kosten, Ergänzungen(3) Dieses pahr Hand=Schuh (Nominativ = Subjekt), das Land von Aelst (Akkusativ), (auff die) 11000. fl. (Akkusativ) 5 , Satzmodell sub akk akk (3) Belegsatz dahero man Ihnen die versprochene 20. Regimenter […] hinunter schicken müssen wird Valenzträger schicken, Prädikat schicken müssen wird, Ergänzungen(4) man (No‐ minativ = Subjekt), Ihnen (Dativ), die versprochene 20. Regimenter (Akkusativ), hinunter (Richtungsadverb = dir), Satzmodell sub dat akk dir (4) Belegsatz […] / wessen man sich noch vergleichet / öffnet die Zeit Valenzträger sich vergleichen, Prädikat sich…vergleichet, Ergänzungen(2) man (Nominativ = Subjekt), wessen (Genitiv), Satzmodell sub gen (5) Belegsatz La Ferte dürffte mit seinen Trouppen dem Bisthum Trier einiger‐ maßen beschwerlich fallen […] Valenzträger fallen, Prädikat dürffte…fallen, Ergänzungen(3) La Ferte (Nomi‐ nativ = Subjekt), dem Bisthum Trier (Dativ), beschwerlich (Adjektiv modal), Satzmodell sub dat mod (6) Belegsatz Das Königreich Fez grenzet an das Königreich Marocco Valenzträger grenzen, Prädikat grenzet, Ergänzungen(2) Das Königreich Fez (No‐ minativ = Subjekt), an das Königreich Marocco (Präpositionalgruppe), Satzmodell sub prp (7) Belegsatz nach dem Außgange der Tractaten in Dennemarck verlangt uns 70 D. Valenz und Historische Grammatik Valenzträger verlangen, Prädikat verlangt, Ergänzungen(2) nach dem Außgange der Tractaten in Dennemarck (Präpositionalgruppe), uns (Akkusativ), Satzmodell akk prp Kommentar: Im Unterschied zu Lawrence John Thornton (s. u.) werden die das Satzmodell konstituierenden Ergänzungen von Harry Anttila nicht numerisch, sondern durch Abkürzungen der Namen der Satzglieder (also sub, gen, dat, akk, prp usw.) bezeichnet, wodurch Missverständnisse vermieden werden. Wie bei Thornton wird auch von Anttila die Herauslösung der Belegsätze aus dem jeweiligen Textzusammenhang als bekannt vorausgesetzt, und die Methode kann nicht nachvollzogen werden. Die Identifikation, welche Satzglieder in den Belegsätzen für Ergänzungen gehalten werden und welche Wörter zum Prädikat gehören, unterscheidet Anttila aber durch unterschiedlichen Druck der entsprechenden Passagen in den Belegsätzen. Bei dem finnischen Forscher wird auch deutlich, dass bei der Benennung der Satzglieder morphologische Kriterien (z. B. gen, dat, akk, prp) und semantische Kriterien (z. B. dir, mod) nicht scharf getrennt werden. 4.7 Valenz und Satzbaupläne diachron - am Beispiel von bei Otfrid und Luther belegten Verben L AW R E N C E J O HN T H O R N T O N (1984, 146‒219) setzt voraus, dass die Sätze in einem gegebenen Korpus (z. B. Otfrids Evangelienbuch) mit identischem Prädikatsverb bereits in Satzglieder segmentiert sind (! ). Die Beschreibung der Ergänzungen des Prädikatsverbs wird soweit wie möglich auf die realisierten Formen begrenzt („morphosyntaktische Valenz“); aus dem Bereich der Semantik spielt dabei nur die Verwendung des semantischen Merkmals +/ -human eine Rolle. An dem „easy“ Verb FAST ‚fasten‘, das in beiden Korpora (Otfrid und Luther) mehrfach Prädikatsverb ist, wird die Methode wie folgt verdeutlicht: a) Auflistung der Belegsätze bei Otfrid: 1) Ist er ouh fon iugendi filu fastenti (1,4,34) 2) ioh fastota io zi noti in uualdes einoti (1,10,28 3) Si allo stunta betota ioh filu ouh fastota (1,16,11) 4) Er fasteta unnoto thar niuuan (lies: niun) hunt zito (2,4,3) Kommentar zu den Belegsätzen: 1) Das Prädikat Ist…fastenti kommt zusammen vor mit einem temporalen Satzglied (fon iugendi) und dem Adverb filu. Beide können auch bei anderen Verben, sofern es das „semantic profile“ zulässt, vorkommen und gehören 71 4. Vom historischen Korpus zur Valenz und zu den Satzbauplänen (Methoden) deshalb nicht zur Valenz. Das Pronomen Er fungiert als E0 (Subjekt des Satzes im Nominativ). 2) Das Verb wird von den frei vorkommenden Adverbien io, zi noti und von dem lokalen Satzglied in uualdes einoti begleitet. Das lokale Satzglied ist eine Angabe (A) und gehört nicht zur Valenz von FAST, weil jede Ortsbestimmung, die mit dem Verb kombiniert würde, für die Umgebung des Verbs in einem grammatikalisch korrekten Satz nicht essentiell wäre. Die fehlende E0 kann aus dem vorausgehenden Teilsatz als thaz kind oder er ergänzt werden. 3) filu und allo stunta sind adverbiale Angaben (A); si ist die E0. 4) Unnoto und thar sind adverbiale Angaben (A); niun hunt zito (ergänze: sehszug ouh thar miti in uuar = 360 Stunden = 40 Tage) ist Akkusativ der Zeitdauer (= A); Er ist die E0. Schlussfolgerung: Dem Verb FAST in Otfrids Evangelienbuch kann die Valenz‐ nummer 0 gegeben werden, d. h., FAST ‚fasten‘ ist monovalent. b) Auflistung der Belegsätze mit dem Prädikatsverb FAST in Luthers Überset‐ zung der Evangelien: 1) Da er vierzig tag und nacht gefastet hatte (Mt4.2) 2) wenn ir fastet (Mt6.16) 3) wenn du aber fastest (Mt6.17) 4) warumb fasten wir und die Phariseer so viel (Mt9.14) 5) und deine Juenger fasten nicht? (Mt9.14) 6) als denn werden sie fasten (Mt9.15) 7) ich faste zwier in der Wochen (Lk18.12) Kommentar zu den Belegsätzen: In 5) ist das Prädikat begleitet von der E0 und einer Negationspartikel. In 1), 2), 3), 6) und 7) ist es umgeben von der E0 und temporalen Elementen, während in 4) die Adverbien warumb und so viel zu finden sind. Außer der E0 ist keines dieser Elemente „verb-spezifisch“; sie sind alle Angaben (A). Schlussfolgerung: Das Verb FAST ist bei Luther ebenfalls monovalent (mit E0). Das Valenzprofil ist das gleiche wie bei Otfrid. Mit dieser Methode kommt Thornton zu den numerisch formulierten Satzbau‐ plänen der von ihm untersuchten ahd. und fnhd. Verben. Kritisch gesehen werden muss dabei und bei der Darstellung der Ergebnisse, dass die Herauslö‐ sung der Belegsätze aus dem jeweiligen Textzusammenhang ‒ nicht nachvoll‐ ziehbar ‒ vorausgesetzt wird. Ferner wird die Abgrenzung der Satzglieder nicht 72 D. Valenz und Historische Grammatik markiert; bei der Kategorisierung der Satzglieder bestehen Unklarheiten (z. B. wenn ist bei Luther 2) und 3) temporales Element und Subjunktion), und es fehlen Angaben zur Bedeutung des Verbs, die der Deskribent aber weiß bzw. wissen muss und die z. B. bei der Unterscheidung der Satzglieder in Ergänzungen (E) und Angaben (A) wichtig ist. 5. Die Satzbaupläne, Satzmodelle oder Satzmuster im Alt-, Mittel- und Frühneuhochdeutschen sowie im (Älteren) Neuhochdeutschen 5.1 Verb-Aktanten-Konstellationen im Althochdeutschen Die Verb-Aktanten-Konstellationen (VAK), die aus den ahd. Texten des 9. Jh. erschlossen wurden, werden nach der Zahl der Ergänzungen (E), die den Satzbauplan konstituieren, kategorisiert. Die Ergänzungen werden zuerst se‐ mantisch (z. B. ‚Agens‘), an zweiter Stelle morphosyntaktisch (z. B. NGnom = Nominalgruppe im Nominativ) markiert. Es gibt einbis vierstellige Verb-Ak‐ tanten-Konstellationen. „Nullstellige Satzmuster“, d. h. Satzbaupläne, die keine Ergänzung aufweisen, werden bei Witterungsverben und verbalen Zeitausdrü‐ cken angesetzt, z. B. ahd. iz regenot, iz abandet. Als Prädikat sind die Verben mit „expletivem“, nicht referierendem iz ‚es‘, das nicht als Ergänzung gezählt wird, verbunden. Unterhalb der VAK-Formel werden die ahd. Verben aufgeführt, die die jeweilige VAK verlangen, wenn mit ihnen als Prädikat (P) ein Satz gebildet ist. Einstellige Verb-Aktanten-Konstellationen (1) P (‚Zustand‘) - E (Subjekt) ‚Zustandsträger‘/ NGnom thursten ‚dürsten‘, hungaren ‚Hunger haben‘, slāfan ‚schlafen‘, zwīfolōn ‚zwei‐ feln‘, liuhten ‚leuchten‘, scīnan ‚leuchten, glänzen‘ (2) P (‚Vorgang‘) - E (Subjekt) ‚Vorgangsträger‘/ NGnom thorren ‚verdorren‘, wahhēn ‚wach sein, wach bleiben‘, weinōn ‚weinen‘ (3) P (‚Handlung‘) ‒ E (Subjekt) ‚Agens‘/ NGnom fastēn ‚fasten‘, suntōn ‚sündigen‘ 73 5. Satzbaupläne, Satzmodelle oder Satzmuster früherer Sprachstufen Zweistellige Verb-Aktanten-Konstellationen (4) P (‚Handlung‘) / / E (Subjekt) ‚Agens‘/ NGnom / / E ‚Adressat‘/ NGakk giberehtōn ‚verherrlichen‘, rehhan ‚rächen‘, ruogen ‚beschuldigen‘, salbōn ‚salben‘, seganōn ‚segnen‘, steinōn ‚steinigen‘, tiuren/ tiurisōn ‚preisen, verherrli‐ chen‘, scirmen ‚beschützen‘, trosten ‚trösten‘ (5) P (‚Handlung‘) / / E (Subjekt) ‚Agens‘/ NGnom / / E ‚Adressat‘/ NGdat scirmen ‚beschützen‘, thionon ‚dienen‘, tarōn/ terren ‚Schaden zufügen‘ (6) P (‚Handlung‘) / / E (Subjekt) ‚Agens‘/ NGnom / / E ‚Adressat‘/ NGgen wīsēn ‚planen, darauf sinnen‘, wīsōn ‚sich hinwenden‘, zilēn/ zilōn ‚streben nach, sich bemühen um‘ (7) P (‚Handlung‘) / / E (Subjekt) ‚Agens‘/ NGnom / / E ‚Patiens‘/ NGakk beran ‚gebären, zeugen‘, bergan ‚verbergen‘, buozen ‚bessern‘, then(n)en ‚aus‐ strecken‘, 1 th(w)ingan ‚bändigen‘, 2 th(w)ingan ‚bedrängen‘, fillen ‚schlagen‘, frem(m)an ‚in die Tat umsetzen‘, fuotiren ‚füttern‘, heilagōn ‚weihen, heiligen‘, slīz(z)an ‚zerreißen, zerbrechen‘, stelan ‚stehlen‘, tīlōn ‚tilgen‘, 2 twellen ‚hemmen‘ (8) P (‚Handlung‘) / / E (Subjekt) ‚Agens‘/ NGnom / / E ‚Inhalt‘/ NGakk ahtōn ‚überdenken, abwägen‘, jehan ‚sich bekennen zu‘, trahtōn ,in Erwägung ziehen‘, weiz(z)en ‚verständlich machen‘ (9) P (‚Handlung‘) / / E (Subjekt) ‚Agens‘/ NGnom / / E ‚Inhalt‘/ NGgen jehan ‚sich bekennen zu‘, lougnen ,verleugnen‘, trahtōn ,in Erwägung ziehen‘, 1 twellen ‚Zeit verstreichen lassen‘ (10) P (‚Handlung‘) / / E (Subjekt) ‚Agens‘/ NGnom / / E ‚Resultat‘/ NGakk frum(m)en ‚ausführen‘, sitōn ‚ausführen‘, zimb(e)ren/ zimb(o)rōn ‚(er)bauen‘ (11) P (‚Handlung‘) / / E (Subjekt) ‚Agens‘/ NGnom / / E ‚Ziel‘/ PräpG in, zi thingen/ thingōn ,zu etwas gelangen wollen‘ (12) P (‚Zustand‘) / / E (Subjekt) ‚Zustandsträger‘/ NGnom / / E ‚Adressat‘/ NGakk haz(z)ōn ‚hassen‘, intrātan ‚sich fürchten‘ (13) P (‚Zustand‘) / / E (Subjekt) ‚Zustandsträger‘/ NGnom / / E ‚Adressat‘/ NGdat milten ‚Mitleid fühlen‘ 74 D. Valenz und Historische Grammatik (14) P (‚Zustand‘) / / E (Subjekt) ‚Zustandsträger‘/ NGnom / / E ‚Adressat‘/ NGgen tharbēn ‚entbehren‘ (15) P (‚Zustand‘) / / E (Subjekt) ‚Zustandsträger‘/ NGnom / / E ‚Adressat‘/ PräpG in trūēn ‚Vertrauen haben‘ (16) P (‚Zustand‘) / / E ‚Zustandsträger‘/ NGdat / / E ‚Ziel‘/ NGgen gilustit ‚es gelüstet nach‘ (17) P (‚Zustand‘) / / E ‚Zustandsträger‘/ NGdat / / E ‚Ursache‘/ PräpG in līhhēt ‚es gefällt‘ (18) P (‚Zustand‘) / / E ‚Zustandsträger‘/ NGdat / / E ‚Ursache‘/ NGnom līhhēn ‚jemandem gefallen‘ (19) P (‚Zustand‘) / / E ‚Zustandsträger‘/ NGakk, dat / / E ‚Inhalt‘/ NGnom thunken ‚glauben, meinen‘ (20) P (‚Zustand‘) / / E ‚Zustandsträger‘/ NGnom / / E ‚Ursache‘/ NGgen, PräpG in (sih) menden ‚sich freuen‘ Dreistellige Verb-Aktanten-Konstellationen. In keinem Fall sind alle drei Ergänzungen realisiert. (21) P (‚Tätigkeit‘) / / E ‚Agens‘/ NGnom / / E ‚Patiens‘/ NGgen / / E ,Adressat‘/ NGdat līhan/ firlīhan ‚zuteilwerden lassen‘ (22) P (‚Tätigkeit‘) / / E ‚Agens‘/ NGnom / / E ‚Patiens‘/ NGakk / / E ,Adressat‘/ NGdat, PräpG fon retten/ irretten ‚retten vor, befreien von‘ (23) P (,Tätigkeit‘) / / E ‚Agens‘/ NGnom / / E ‚Adressat‘/ NGdat / / E ‚Inhalt‘/ NGakk harēn/ heren ‚etwas zurufen‘, 1 jehan/ bijehan ‚bekennen‘ (24) P (‚Tätigkeit‘) / / E ‚Agens‘/ NGnom / / E ‚Patiens‘/ NGakk / / E ‚Ursprungs-/ Zielort‘/ NGdat, PräpG fon, zi irfirren ‚wegnehmen, entfernen‘, 1 fuogen ‚hinzufügen‘ 75 5. Satzbaupläne, Satzmodelle oder Satzmuster früherer Sprachstufen (25) P (‚Tätigkeit‘) / / E ‚Agens‘/ NGnom / / E ‚Adressat‘/ NGdat / / E ‚Ursache‘/ NGgen, PräpG thuruh thankōn ‚danken‘, lōnōn ‚vergelten, belohnen‘ (26) P (‚Tätigkeit‘) / / E ‚Agens‘/ NGnom / / E ‚Patiens‘/ NGakk / / E ‚Ziel‘/ PräpG zi , NS, NGgen beiten ‚drängen, auffordern‘, spannan ‚zu einem bestimmten Verhalten bewegen‘ (27) P (‚Tätigkeit‘) / / E ‚Agens‘/ NGnom / / E ‚Patiens‘/ NGakk / / E ‚(Zah‐ lungs-)Mittel‘/ PräpG mit koufen ‚kaufen‘ Vierstellige Verb-Aktanten-Konstellation (28) P (‚Tätigkeit‘) / / E ‚Agens‘/ NGnom / / E ‚Patiens‘/ NGakk / / E ‚Ursprungsort‘/ PräpG fon , ADV / / E ‚Zielort‘/ PräpG in, zi , ADV fuaren ‚führen‘ (Greule 1992, 205‒208; Schrodt 2004, 62-67) 5.2 Mittelhochdeutsche Satzmodelle In den Liedtexten des ostmitteldeutschen Minnesängers Heinrich von Mo‐ rungen sind folgende Satzbaupläne (SBP) häufiger realisiert (zur Methode vgl. oben 4.3). Die Ergänzungen werden nur in Ausnahmefällen semantisch bestimmt. Einstellige Satzmodelle P / / E NGnom: mhd. liuhten, swîgen, zergên Zweistellige Satzmodelle P / / E NGnom / / E NGakk: mhd. ansehen, dulden, enphâhen, erkuolen, haben/ hân, klagen, rechen, singen, sprechen, sünden, verklagen ‚beklagen‘ P / / E NGnom / / E NGdat: mhd. dienen, lachen, leben/ geleben, vluochen P / / E NGnom / / E ‚lokal‘/ PräpG: mhd. gân/ gên, ligen, stân/ stên P / / E NGnom / / E PräpG von, nach, in, gegen, an : mhd. spiln, trûren, vlêhen, wonen P / / E NGnom / / E ‚modal‘/ Adv: mhd. gebieten P / / E NGnom (Subjekt) / / E NGnom: mhd. heizen ‚heißen‘ P / / E NGnom / / E AdjG: mhd. werden 76 D. Valenz und Historische Grammatik Dreistellige Satzmodelle P / / E NGnom / / E NGakk / / E NGdat: mhd. geben, künden, erben ‚vererben‘ P / / E NGnom / / E NGdat / / E ‚lokal‘/ Adv: mhd. ligen P / / E NGnom / / E NGakk / / E AdjGakk: mhd. machen, schouwen P / / E NGnom / / E NGakk / / E NGgen/ Adv: mhd. biten/ bitten P / / E NGnom / / E NGakk / / E PräpG an : mhd. begân/ begên, gernschouwen P / / E NGnom / / E NGakk / / E PräpG von, ze : mhd. haben/ hân P / / E NGnom / / E NGdat / / E PräpG ze, in, dur : mhd. komen P / / E NGnom / / E NGakk / / E Infinitiv: mhd. heizen ‚befehlen‘ P / / E NGnom / / E NGakk / / E Infinitiv/ Adj/ PräpG: mhd. lâzen/ lân (Schütte 1982, 45‒47) 5.3 Satzmodelle im Frühneuhochdeutschen (Valenz Frühneuhochdeutsch) 5.3.1 Einleitendes Das Valenzverhalten fnhd. Lexeme wird hier anhand von Strukturmodellen dargestellt, die auf morphosyntaktisch determinierten Ergänzungen dieser Lexeme beruhen. Je nachdem, welche Lexemklasse als Valenzträger fungiert, werden in Korhonen (2006a) verb-, adjektiv- und substantivabhängige Modelle unterschieden. Für diese Valenzträgerklassen gelten unten folgende Einschrän‐ kungen: Die Verben erscheinen in der Rolle eines aktivischen Prädikats, die Adjektive in der Rolle eines Prädikativs, und die Substantive sind (Verbal-)Ab‐ strakta. Von ihrer syntaktischen Funktion her sind die Glieder der Modelle Satzglieder (bei Verben und prädikativen Adjektiven) oder Attribute (bei Sub‐ stantiven). Die Satzgliedklassen, auf die sich die nachstehenden Ausführungen beziehen, sind Subjekt, Objekt, Prädikativ und Adverbial. Für die Ergänzungen werden die Anschlussmöglichkeiten durch Kasus, Präposition, Infinitiv und Gliedsatz berücksichtigt, sodass als Glieder von Satzmodellen Begriffe wie Nominativsubjekt, Akkusativobjekt, Infinitivobjekt, Genitivprädikativ, lokales Adverbial und Präpositionalattribut auftreten werden. Bezüglich der Anzahl der Glieder handelt es sich um Konstruktionen, in denen sich das Modell aus null bis drei Ergänzungen zusammensetzt. 5.3.2 Verbabhängige Modelle Weist ein Verb in seiner Umgebung keine Ergänzungen mit Satzgliedstatus auf, so liegt ein Modell ohne valenzbedingte Glieder vor. Zu diesen Prädikaten 77 5. Satzbaupläne, Satzmodelle oder Satzmuster früherer Sprachstufen zählen vor allem Ausdrücke der Naturerscheinungen mit Pronomen es, unter denen die Witterungsverben an zentraler Stelle stehen. Im Fnhd. lassen sich für diese Verben Belege mit und ohne es anführen, wobei die Belege ohne es relativ selten sind: es donnert, blitzet, regent (PHD 1, 319); […] widderumb bat er, vnd hot geregent, […] (Luther). Eine zweite, wesentlich größere Gruppe bilden Verben, bei denen eine oder mehrere Ergänzungen erspart worden sind, sodass die Grundstruktur des Satzes durch das Prädikatsverb allein konstituiert wird. Neben Fällen mit Prädikatsverb im Imperativ sind hier Verwendungsweisen zu nennen, in denen ein einwertiges Verb ohne Subjekt erscheint (das Subjekt ist z. B. aus einem vorhergehenden Satz zu entnehmen): Nemet hyn vnd esset, […] (Luther); […] so werden ewre augen auff gethan / vnd werdet sein wie Gott […] (Luther); entweyche im die varb vnd erpleychet (Eyb). Eines der häufigsten verbabhängigen Strukturmodelle im Fnhd. basiert auf Konstruktionen, in denen das Nominativsubjekt das einzige konstitutive Glied darstellt. Viele Valenzträger dieses Modells sind inzwischen jedoch verschwunden bzw. veraltet oder haben ihre Bedeutung geändert. Weitere Ergänzungsklassen, die das eingliedrige Strukturmodell konstituieren können, sind u. a. das Akkusativobjekt, das Dativobjekt, das Genitivobjekt und das Prä‐ positionalobjekt: vnnd da er […] gefastet hatte, hungert yhn (Luther-Bibel); das wasser so streng lief, das dem grafen schwindlet (Zimmersche Chr.); wenn sein not ist (Tucher); Darumb das an Brot vnd Wasser mangeln wird […] (Luther). Für Valenzträger dieser Modelle lassen sich schon im Fnhd. konkurrierende Konstruktionen mit Nominativsubjekt beobachten: Sie werden weder hungern noch dürsten (Luther) usw. Die Fügung es gibt/ hat + Akkusativobjekt (es hat in oberdeutschen und schlesischen Mundarten) breitet sich besonders im 16. und 17. Jh. aus: viel helden hat es jetzt, so hats auch viel poeten (DWB). Unter den Strukturmodellen mit zwei konstitutiven Gliedern ragt die Kom‐ bination Nominativsubjekt + Akkusativobjekt durch ihre außerordentlich hohe Frequenz hervor. Schon im 14. Jh. ist die Gruppe der Verben mit entsprechender Valenz sehr groß und in semantischer Hinsicht heterogen, und im Laufe des Fnhd. gesellen sich dazu zahlreiche weitere Verben. Einige Verben haben das damals übliche Akkusativobjekt zugunsten einer anderen Ergänzungsklasse aufgegeben: ich wais wol, waz mich angehoͤrt, so wais mein sun wol, waz in an‐ gehoͤrt. (FWB); Das wir der Christenheit unfal […] spotten, […] (Luther). Neben Simplizia und fest präfigierten Verben stellen Verben mit trennbarem Präfix (u. a. ab, aus, bei, mit, nach, ob, vor, zu) Lexeme dar, auf deren Valenz das Modell Nominativsubjekt + Dativobjekt häufig aufbaut: […], ob es (Unrecht leiden) wol abnimpt dem leyb vnd gut (Luther). Für das Glied Genitivobjekt im Modell Nominativsubjekt + Genitivobjekt kann folgende Unterteilung vorgenommen 78 D. Valenz und Historische Grammatik werden: partitiver Genitiv, Genitiv bei Negation und subklassenspezifischer Genitiv. Während die ersten beiden Genitivarten im Fnhd. stark zurückgedrängt wurden, konnte sich die dritte Art (vor allem bei Verben mit akkusativischem Reflexivpronomen) etwas besser behaupten: […] das mehrer teil […] geistlicher gewalt misbrauch, […] (Luther); Jch habe mich der Höflichkeit, und anderer tugenden, so wol beflissen […] (Schupp). Für das Modell Nominativsubjekt + Präpositionalobjekt ist schon zu Beginn der fnhd. Periode eine relativ hohe Frequenz nachweisbar, und vom 15. bis 17. Jh. nimmt die Zahl von Verben mit dieser syntaktischen Umgebung noch erheblich zu. Allerdings können be‐ stimmte verbspezifische Präpositionen vom heutigen Gebrauch abweichen: die selbigen czwelf v̈beltäter die hörtten als pald auf von irem pösen sündigen leben. (FWB); Disse nachfolgende gebot handeln mit den begirden vnd wollusten des menschen, […] (Luther). Im Bereich des Infinitivobjekts kann auf folgende Besonderheiten hinge‐ wiesen werden: Der einfache Infinitiv kommt bei einigen Verben vor, die jetzt einen Infinitiv mit zu verlangen, und vor einem Infinitiv mit zu muss im Unterschied zu heute nicht ein Präpositionaladverb als Korrelat stehen: […] wir […] vormessen uns […] ym gefallen, […] (Luther); […], dan so viel und weit es dienet, das fleisch und seine lust zudempffen odder todten (Luther) (hier fehlt das im gegenwärtigen Deutsch obligatorische Korrelat dazu). Auch bei satzförmigen Objekten (gemeint sind sowohl Hauptals auch Nebensätze) begegnen Fälle, in denen der Anschluss an den Valenzträger anders gestaltet wird als heute: Gleich wie das erst gebot vorbeut, wir sollen kein andere gotter haben, […] (Luther); die bedurfften wol, das man zwifach fur sie bittet, […] (Luther). Spezielle fnhd. Strukturmodelle mit Prädikativ als zweitem Glied sind No‐ minativsubjekt + Dativprädikativ und Nominativsubjekt + Genitivprädikativ. In beiden Modellen kann ein Possessivbzw. Zugehörigkeitsverhältnis zum Ausdruck gebracht werden: […], vnnd ist yhn kein werckel tag, […] (Luther); ich hab gesündet, so bin ich der behaltenen (Pauli). Zu valenzbedingten Adverbialen ist anzumerken, dass im Fnhd. noch Konstruktionen mit liegen, sitzen und stehen als Valenzträger und einem Richtungsadverbial als Ergänzung lebendig sind: Eim auff die achßlen Ligen ( JM 273b); da es sich begab, das ein minbruder, wie mans nent, stund auff die kantzel (DWB). Die Bedeutungen der Verben können in einem solchen Gebrauch wie folgt definiert werden: ‚sich legen‘ bzw. ,sich setzen‘ bzw. ‚sich stellen‘. Dieser Konstruktionstypus ist insbesondere bei oberdeutschen Autoren noch im 18. Jh. zu finden. Von subjektlosen Modellen mit zwei konstitutiven Gliedern seien folgende genannt: Akkusativobjekt + Genitivobjekt, Akkusativobjekt + Präpositional‐ 79 5. Satzbaupläne, Satzmodelle oder Satzmuster früherer Sprachstufen objekt, Dativobjekt + Genitivobjekt und Dativobjekt + Präpositionalobjekt: mich wundirte des gesichtis (Cranc); ja nymer glangt yn dar nach (Geiler v. Kaisersberg); das im nicht geprist | der hymelischen wunne. (FWB); also wer den lißt oder hoͤrt / dem můß darob grawsen (Wickram). Ähnlich wie bei eingliedrigen Modellen ohne Subjekt tauchen hier konkurrierende Strukturen mit persönlichem oder sachlichem Subjekt auf, z. B. do der künig von Engelant lange strites wartete und ime spise gebrast, […] (FWB). Es ist auch möglich, dass bei einem Verb sowohl das Personenals auch das Sachobjekt zum Subjekt wird: vnd mus ergerlich, freuelich vnd ketzerlich handeln, wer nit an yhren schlechten worten benugt (PHD 1, 254); als ich nun kund schreiben und lesen, das mich benügt zů meinem wesen (DWB). Dreigliedrige Modelle weisen im Fnhd. zwar vielfältige Kombinationsmög‐ lichkeiten von Ergänzungen auf, kommen aber im Ganzen viel seltener vor als Modelle mit zwei Gliedern. Das Modell Nominativsubjekt + zwei Akkusa‐ tivobjekte ist im Fnhd. etwas häufiger als im heutigen Deutsch: ich will euch auch eyn wort fragen (Luther). Ein erheblich größerer Frequenzunterschied zwischen dem Fnhd. und der deutschen Gegenwartssprache ist für das Modell Nominativsubjekt + Akkusativobjekt + Akkusativprädikativ festzustellen: […] ob sie das auch gut werck achten, […] (Luther). Das häufigste und stabilste Strukturmodell mit zwei Kasusobjekten ist Nominativsubjekt + Akkusativobjekt + Dativobjekt; später sind bei den Valenzträgern jedoch mehrere Änderungen eingetreten: got […] schafft yhn leiden vnd allerley widerwertickeit tzu, […] (Luther) (anstelle von zuschaffen wird heute zufügen verwendet). Das Modell Nominativsubjekt + Akkusativobjekt + Genitivobjekt hat zwar im Vergleich mit dem Mhd. an Bedeutung verloren, wird aber noch durch mehrere Verben realisiert: eins dinges wil ich dich bitten (R. Merswin). Ebenso ist das Modell Nominativsubjekt + Akkusativobjekt + Präpositionalobjekt schon im Mhd. bei zahlreichen Verben anzutreffen, und während des Fnhd. wird sein Gebiet ständig erweitert: Got wirt sie […] davon nit fragen […] (Luther). Im Modell Nominativsubjekt + Dativobjekt + Präpositionalobjekt stellt das letzte Glied bei bestimmten Verben eine neuartige, bei anderen wiederum eine ursprüngliche Ergänzungsklasse dar: die sollen dem herrn dancken vmb seine güte vnd vmb seine wunder, […] (PHD 1, 396) (im Fnhd. auch noch mit dem ursprünglichen Genitivobjekt); Nu wil ich euch kunt tun von dieser Mechthilden Krumpsitin (C. Ebner). Die beiden Modelle Nominativsubjekt + Dativobjekt + Genitivobjekt und Nominativsubjekt + Genitivobjekt + Präpositionalobjekt, die im struktu‐ rellen System des Gegenwartsdeutschen nicht mehr vorhanden sind, lassen sich bei einer relativ geringen Zahl von Verben belegen: ich will dir dyner guothait wider gelten (Steinhöwel); […], szo du […] dich alles guttis, gnadenn 80 D. Valenz und Historische Grammatik vnnd wolgefallhens tzu yhm vorsichst, […] (Luther). Ein seltener Typus ist auch das Modell Nominativsubjekt + zwei Präpositionalobjekte: Da wolt er mit jm von etlichen Sachen reden (Luther). Das Modell Nominativsubjekt + Akkusativobjekt + Richtungsadverbial wird von mehreren Verben konstituiert, ist aber in einigen Fällen später unüblich geworden: do man si dar hiez (A. Langmann). 5.3.3 Adjektiv- und substantivabhängige Modelle Wenn ein prädikatives Adjektiv in einem Satz erscheint, kann es als Valenzträger 2. Grades eingestuft werden. Valenzträger 1. Grades ist dann die Kopula, die neben dem prädikativen Adjektiv das Subjekt als Ergänzung 1. Grades zu sich nimmt. Unter dieser Voraussetzung besteht die Valenz eines prädikativen Ad‐ jektivs aus Ergänzungen 2. Grades, d. h. aus Bestimmungen, die direkt von ihm abhängen. Die weitaus größte Zahl der Adjektive kommt ohne Ergänzungen vor: kinder die nicht falsch sind (PHD 1, 630). Zu den eingliedrigen Modellen zählt erstens das Akkusativobjekt, das nicht selten das ältere Genitivobjekt ersetzt: also was der platz vol folck (W. Rem). Allerdings kann der Anschluss bei einem Adjektiv variieren: Der Akkusativ ist besonders bei alleinstehenden Substantiven (wie oben) und neutralen Pronomina möglich: Denn ein Erbeiter ist seiner Speise werd […] Ob jemand darinnen sey / der es werd ist […] (Lu‐ ther-Bibel). Sehr gut vertreten sind die Modelle Dativobjekt und Genitivobjekt: daz er […] gueten leuten gar holt was (A. Langmann); so sind wir der ewigen selikeyt gewiß (Geiler v. Kaisersberg). Das Präpositionalobjekt tritt schon zu Beginn des Fnhd. bei vielen Adjektiven als einzige Ergänzung auf, und im Laufe des 14. bis 17. Jh. wird es immer häufiger: […] wer schuldig sey an dem diebstal (Hartlieb). Zweigliedrige Modelle sind relativ selten und beschränken sich auf die Kombinationen Dativobjekt + Genitivobjekt (an die Stelle des letzteren Glieds tritt jedoch schon früh das Akkusativobjekt) und Dativobjekt + Präpositionalobjekt: ich byn euch desz schuldig (DWB); dem […] ist kein gutt werck, furderlich zur frumkeyt vnd seligkeit (PHD 1, 747). Die als Valenzträger fungierenden abstrakten Substantive stehen sehr oft ohne abhängige Glieder: bei jm […] ist weisheit vnd gewalt (Luther). Unter den eingliedrigen Modellen stellt das Dativattribut eine fnhd. Eigentümlichkeit dar, die jedoch ganz selten ist: […] im zestraff vnd zepezzerung dem vndertan (Bruder Berthold). Viel gebräuchlicher ist das Genitivattribut mit den beiden Subklassen Genitivus subjectivus und Genitivus objectivus: […] das willig volgen der Christen (Zwingli); die bestellung der arbeiter (Tucher). Ebenso lässt sich das Präpositionalattribut als eine häufige Ergänzungsklasse abstrakter Substantive betrachten: die hoffnung in got (Eyb). Wird ein Substantiv mit 81 5. Satzbaupläne, Satzmodelle oder Satzmuster früherer Sprachstufen zwei Ergänzungen verbunden, liegt meistens das Modell Genitivattribut + Präpositionalattribut vor: solch reuberey, schinderey, vnserer guter von dem bapst (Luther). 5.3.4 Formale Polyvalenz Eine typische Valenzeigenschaft fnhd. Lexeme ist die morphosyntaktische Variation beim Anschluss einer Ergänzung an den Valenzträger, wobei die Be‐ deutung des Valenzträgers unverändert bleibt. Es kann u. a. ein Kasus mit einem anderen Kasus oder einer Präposition wechseln, oder es gibt eine Konkurrenz zwischen verschiedenen Präpositionen. Im Hinblick auf die Satzgliedklassen bezieht sich ein solcher Wechsel sehr oft auf das Objekt, daneben aber auch auf das Subjekt und das Prädikativ (bei substantivischen Valenzträgern auf Attribute). Wie aus Kapitel D.7.1 hervorgeht, umfasst die formale Polyvalenz ohne Bedeutungsveränderung des Valenzträgers außer einer Variation beim Valenzmarker einen Wechsel bei der syntaktischen Klasse der Ergänzung (etwa Substantiv, Infinitiv oder Satz). Auf letztere Erscheinung wird hier nicht eingegangen. Bei Verben kommt die Variation von Valenzmarkern erstens bei Kasusob‐ jekten vor. Es gibt vor allem einen Wechsel zwischen dem Akkusativ und Dativ einerseits (angehören, dünken, fluchen, folgen, helfen, lüsten …) und dem Akkusativ und Genitiv andererseits (sich anmaßen, bedürfen, entbehren, entraten, erwarten, spotten, üben, vergessen …). Ebenso weit verbreitet ist der Wechsel zwischen einem Kasus- und Präpositionalobjekt. Der Akkusativ kann z. B. mit auf (trauen), über (regieren), vor (fliehen) und zu (rufen), der Dativ mit in (trauen, vertrauen), von (abfallen, nehmen) und zu (sagen) und der Genitiv mit an (gedenken), über (sich erbarmen), um (sich annehmen) und von (sich enthalten) konkurrieren. Für das Präpositionalobjekt ist ein Wechsel zwischen zwei oder mehr Präpositionen nachweisbar, z. B. aus - von (kommen), gegen - zu (sich versehen), mit - wider (streiten), nach - um (eifern), für - um - um … willen (eifern) und mit - ob - über - von (sich bekümmern). Darüber hinaus finden sich zahlreiche Belege für eine kombinierte Variation von Kasus- und Präpositionalobjekt, vgl. u. a. Akkusativ - Genitiv - auf (achten), Akkusativ - von - zu (bitten), Akkusativ - Dativ - vor - zu (flehen), Genitiv - an - auf - zu (gewöhnen), Genitiv - halb - über - um - vor (sich bekümmern) und Genitiv - für - ob - über - um - um … willen - von - vor (danken). Bei Adjektiven wechselt u. a. das Akkusativobjekt mit dem Genitivobjekt (gewiss, pflichtig, schuldig, wert …), das Dativobjekt mit dem Präpositionalobjekt (abfällig) und das Genitivobjekt mit dem Präpositionalobjekt (arm, fähig, frei, froh, reich, voll …). Im Falle substantivischer Valenzträger kommt es insbe‐ 82 D. Valenz und Historische Grammatik sondere beim Genitiv- und Präpositionalattribut zu einem häufigen Wechsel: Der Genitiv konkurriert u. a. mit an (Schaden, Verderbung), für (Vergebung), gegen (Ehre, Gehorsam), von (Aufhören) und zu (Trauen, Ursache). Beispiele für eine Variation von Präpositionen beim Präpositionalattribut sind in - über (Wohlgefallen) und über - von (Frage). Drittens können bei einem Attribut drei Anschlussarten auftreten, insofern als zwei Präpositionen zum Genitiv in Konkurrenz treten, z. B. Genitiv - gegen - zu (Glaube, Liebe, Zuversicht) und Genitiv - in - zu (Glaube). 5.3.5 Entwicklung der Satzmodelle und der Valenz von Verben im Fnhd. Während des Fnhd. haben nicht wenige Verben infolge einer bestimmten Ent‐ wicklung in ihrer Valenz das Satzmodell gewechselt. Solche Verschiebungen der Verteilung von Verben auf Satzmodelle stellen Prozesse dar, die normalerweise länger dauern und vorübergehend eine formale Polyvalenz als Teil der gesamten Entwicklung beinhalten. In vielen Fällen kommt die Valenzentwicklung von Verben nicht vor 1650 zum Abschluss. So kann ein Verb beispielsweise noch im 18. Jh. in archaischem oder poetischem Stil oder in regionalem Gebrauch eine ältere Variante seiner valenzbedingten Umgebung aufweisen. Unter den zweigliedrigen Modellen haben sich u. a. folgende qualitative Veränderungen vollzogen: Von den Verben, die zu Beginn des Fnhd. das Modell Nominativsubjekt + Akkusativobjekt konstituieren, gehen einige in das Modell Nominativsubjekt + Dativobjekt, einige andere wiederum in das Modell Nomi‐ nativsubjekt + Präpositionalobjekt über. Ersteres trifft auf Verben wie angehören und ankommen, Letzteres u. a. auf die Verben handeln und weinen zu. Beim Satzmodell Nominativsubjekt + Genitivobjekt macht sich ein starker Abbau des Verbbestandes bemerkbar. Es finden in erster Linie Übergänge in die beiden Modelle Nominativsubjekt + Akkusativobjekt (beginnen, empfinden, glauben …) und Nominativsubjekt + Präpositionalobjekt (sich freuen, warten, sich wundern …) statt. Hat das Satzmodell mit Genitivobjekt wesentlich an Boden verloren, so hat das Modell Nominativsubjekt + Dativobjekt sein ursprüngliches Gebiet relativ gut behaupten können. Bei subjektlosen Verben mit Akkusativ- und Ge‐ nitivbzw. Präpositionalobjekt (dürsten, gelüsten, hungern, träumen, verlangen …) entwickelt sich eine neue Konstruktion, in der das frühere Akkusativobjekt als persönliches Nominativsubjekt erscheint. Bei einer zweiten Gruppe von Verben, die ursprünglich Valenzträger der Modelle Dativobjekt + Genitivbzw. Präpositionalobjekt sind (fehlen, gebrechen, gelingen …), wird das genitivische bzw. präpositionale Sachobjekt zum Nominativsubjekt. Auch bei dreigliedrigen Satzmodellen sind mehrere Veränderungen zu beob‐ achten. Zu den Modellen, in denen die Zahl der Valenzträger reduziert wird, 83 5. Satzbaupläne, Satzmodelle oder Satzmuster früherer Sprachstufen gehören u. a. Nominativsubjekt + zwei Akkusativobjekte, Nominativsubjekt + Akkusativobjekt + Genitivobjekt und Nominativsubjekt + Dativobjekt + Genitivobjekt. Hier findet eine Verschiebung einerseits zugunsten des Modells Nominativsubjekt + Akkusativobjekt + Dativobjekt (z. B. aus der Konstruktion Nominativ + Akkusativ + Genitiv gewähren, sichern; aus der Konstruktion Nomi‐ nativ + Dativ + Genitiv gestatten, getrauen, glauben …), andererseits zugunsten des Modells Nominativsubjekt + Akkusativobjekt + Präpositionalobjekt (z. B. aus der Konstruktion Nominativ + Akkusativ + Genitiv bitten, fragen …; aus der Konstruktion Nominativ + Dativ + Genitiv danken, helfen …) statt. Von den Konstruktionen mit Prädikativ hat das Modell Nominativsubjekt + Akkusativ‐ objekt + Akkusativprädikativ mehrere Verben an das Modell Nominativsubjekt + Akkusativobjekt + Präpositionalprädikativ abgeben müssen (achten, erfinden, halten …). Quantitative Veränderungen der Valenz im Sinne einer historischen Entwick‐ lung beziehen sich entweder auf die Verminderung oder auf die Erhöhung der Zahl der Ergänzungen eines Lexems. Ein Verb, das früher z. B. ein drei‐ gliedriges Modell realisierte, kann später mit veränderter Bedeutung in einem zweigliedrigen Modell auftauchen. Ein Beispiel dafür ist das Verb rennen, das früher zu den Valenzträgern des Modells Nominativsubjekt + Akkusativob‐ jekt + lokales Adverbial gehörte (Bedeutung ‚springen machen‘), dann aber zum Modell Nominativsubjekt + lokales Adverbial überwechselte (Bedeutung ‚schnell reiten‘). Entsprechendes gilt für das Verb darben: Es ist ursprünglich ein zweistelliges Verb mit der valenzbedingten Umgebung Nominativsubjekt + Genitivbzw. Akkusativobjekt (Bedeutung ‚entbehren, ermangeln‘), seit Luther aber einstellig mit Nominativsubjekt als Ergänzung (Bedeutung ‚Mangel an Lebensnotwendigem leiden‘). Eine Valenzerhöhung wiederum liegt u. a. beim Verb widmen vor. Es konstituierte anfangs in der Bedeutung ‚eine Schenkung machen‘ das Satzmodell Nominativsubjekt + Akkusativobjekt, später begegnet es in den beiden dreigliedrigen Modellen Nominativsubjekt + Akkusativobjekt + Präpositionalobjekt (mit der Präposition mit) und Nominativsubjekt + Akkusa‐ tivobjekt + Dativobjekt und besitzt dabei die Bedeutung ‚jmdm. etw. schenken, zueignen‘. 5.3.6 Abschließende Bemerkungen Das Fnhd. zeichnet sich durch einen hohen Grad an syntaktischer Variabilität aus, von der neben den abstrakten Strukturmodellen die Reihenfolge der Satz‐ teile betroffen ist. Die Variation der Valenz ist u. a. durch bestimmte Entwick‐ lungen im formalen Bereich, etwa durch Kasussynkretismus und Einheitsplural bzw. -singular, bedingt. Zusammen mit älteren Konstruktionsmustern ließen die 84 D. Valenz und Historische Grammatik neuen Kombinationsmöglichkeiten verb-, adjektiv- und substantivabhängiger Ergänzungen im Fnhd. eine vielseitige Variation entstehen. Der Zuwachs der Vielfalt von Sprachformen erklärt sich sicherlich auch aus stilistischen Entscheidungen sowie aus sprachgeografischen und -soziologischen Gegeben‐ heiten. Außersprachliche Voraussetzungen für die Entstehung und Verbreitung konkurrierender Valenzkonstruktionen sind in den politischen, sozialökono‐ mischen und kulturellen Verhältnissen der damaligen Zeit zu suchen. Beim Übergang vom Fnhd. zum Nhd. ist eine Stabilisierung eingetreten, die jedoch nicht alle valenzbezogenen Variationen beseitigt hat. Wenn man die Repräsentation der Strukturmodelle des Fnhd. mit der des ge‐ genwärtigen Deutsch vergleicht, stellt sich heraus, dass nicht wenige Modelle in beiden Sprachperioden identisch oder fast identisch sind; dieser Befund bezieht sich vor allem auf zweigliedrige Modelle mit Prädikativ oder Adverbial. Auf der anderen Seite lassen sich für mehrere Modelle Veränderungen verschiedener Art nachweisen. So sind z. B. die Modelle Nominativsubjekt + Dativobjekt + Genitivobjekt und Nominativsubjekt + Genitivobjekt + Präpositionalobjekt im Laufe der Zeit verschwunden. Bei anderen Modellen haben unterschiedliche qualitative und quantitative Verschiebungen stattgefunden, und eine große Zahl von Valenzträgern ist überhaupt ausgestorben. 5.4 Satzmodelle in Zeitungen von 1660‒1914 H A R R Y A NTTILA (1997) liefert mit seiner Untersuchung einen Beitrag zur Ent‐ wicklung der Syntax in Zeitungen, die in Leipzig zwischen dem 1.1.1660 und dem 5.2.1914 erschienen sind. Ziel der Untersuchung ist es, die Entwicklung der in den Zeitungen präsenten Satzmodelle, eingeschränkt auf den Bereich des Objekts, festzustellen. Verglichen werden die Satzmodelle in vier synchronen Querschnitten (1660, 1750, 1850, 1914), die jeweils 1000 Belege, insgesamt 4000 Prädikate bzw. Valenzträger, umfassen. Für das von 1660 bis 1914 reichende Textmaterial listet Anttila (1997, 155) 63 Satzmodelle auf (siehe Kapitel D.4.6). Die Verteilung bzw. das Vorkommen der Satzmodelle mit aktivischem oder passivischem Valenzträger auf die vier Teilkorpora wird tabellarisch dargestellt. Das erlaubt es dem Leser schnell festzustellen, welche Satzmodelle in welchem Teilkorpus vorkommen bzw. nicht mehr vorkommen. Darüber hinaus macht Anttila Angaben zur Frequenz der Satzmodelle (Anttila 1997, 168‒180) und diskutiert die verschiedenen Fak‐ toren, die die Satzmodell-Frequenzen beeinflussen. Er stellt fest, dass sich am häufigsten zweistellige (d. h. zweiwertige) Satzmodelle manifestieren, darunter das Satzmodell sub akk an erster Stelle. Im Anhang (Anttila 1997, 497‒555) 85 5. Satzbaupläne, Satzmodelle oder Satzmuster früherer Sprachstufen 6 Abkürzungen: S = (Nominativ-)Subjekt, P = Prädikat, NS = Nebensatz, NG = Nomen/ Nominalgruppe. finden sich zwei Verzeichnisse. Das erste (Anttila 1997, 497‒510) ordnet jedem Satzmodell das im Korpus belegte Verb in alphabetischer Reihenfolge zu, z. B. sub akk: abdanken, belegt in Teilkorpus 1, aktivisch, usw. Das zweite Verzeichnis (Anttila 1997, 511‒555) ordnet jedem Prädikatsverb das Satzmodell zu, z. B. abdanken: Teilkorpus 1, aktivisch, Satzmodell1 SnSa, Satzmodell2 sub akk. - Das erste Verzeichnis wird der Grammatik (Syntax), das zweite der Lexikografie zugeordnet. 6. Die „logisch-grammatischen Satztypen“ in der deutschen Sprachgeschichte Gestützt auf das im „Deutschen Sprachbau“ (4. Auflage 1982) für das Nhd. ausge‐ arbeitete System der logisch-grammatischen Satztypen, entwickelte W LADIMI R A DM O NI (1909‒1993) auch die Systeme der logisch-grammatischen Satztypen für die historischen Sprachperioden des Deutschen (Admoni 1990). Dabei werden die Elementarsätze nach dem Bestand ihrer notwendigen Satzglieder und dem durch ihn ausgedrückten Bedeutungsgehalt unterschieden. Die so klassifizierten Elementarsätze werden zwar auch Satzbaupläne/ Satzmodelle/ Satzmuster genannt; der Fachausdruck logisch-grammatische Satztypen bringt nach Admoni jedoch die eigentliche Funktion klarer zum Ausdruck. Diese Auffassung wird an der Klassifikation der ahd. Sätze deutlich. Für das Ahd. unterscheidet Admoni (1990, 38‒46) acht Satztypen, zunächst vier Grundtypen. Die Formalisierung der Satztypen wird der Übersichtlichkeit und besseren Vergleichbarkeit wegen hier nachgetragen. 1. Der Ausgangstyp: Nominativsubjekt und ein intransitives Verb, z. B. quad Hiltibrant „sagte Hildebrand“. Ihr Zusammenwirken bezeichnet ein Ding und den von ihm ausgehenden Prozess. Formal 6 S - P intrans 2. Drei Haupttypen (Sätze mit Objekt) 2.a) Objekt im Akkusativ, z. B. nam er thaz brôt „er nahm das Brot“. Es handelt sich um „äußere“ Handlungen, die auf den vom Objekt bezeichneten Gegenstand 86 D. Valenz und Historische Grammatik real einwirken, oder um „innere“ Handlungen, die den Gegenstand durch die Sinne des Subjekts umfassen, z. B. er sihit unso dâti „er sieht unsere Taten“. S - P - Akkusativobjekt 2.b) Objekt im Genitiv, z. B. gib mir thes drinkannes „gib mir des Trinkens (des Getränks)“. Das (direkte) Objekt meist mit partitiver Semantik. S - P - Genitivobjekt 2.c) Objekt im Dativ, als direktes Objekt, z. B. ther uns ni lîbit „der uns nicht schont“; aber meist als indirektes Objekt bei Verben (wie neman), die auch ein direktes Objekt bei sich haben. S ‒ P ‒ Dativobjekt 2.d) Objekt ist eine Präpositionalkonstruktion als direktes Objekt, hauptsächlich bei Verben des Sagens und Gebietens, z. B. er fon imo sagêta „er sagte von ihm“. S - P - Präpositionalobjekt 2.e) Objekt ist ein Nebensatz, meist eingeleitet mit der Konjunktion thaz, gewöhnlich nach Verben des Sagens, Wahrnehmens, Meinens und der Auffor‐ derung, z. B. Sagêtun, thaz sie gâhûn sterron einan sâhun „Sagten, daß sie plötzlich einen Stern sahen“. S -P - NS thaz 3. Sätze, die aus Nominativsubjekt, Kopula und Nominativprädikat bestehen, z. B. bin ih scalc thîn „ich bin dein Knecht“. Sätze dieses Typs bezeichnen die Einbeziehung eines engeren Begriffs in einen allgemeineren oder die Identifi‐ kation von Vorstellungen und die Benennung. S - P wesan - prädikativer Nominativ 87 6. Die „logisch-grammatischen Satztypen“ in der deutschen Sprachgeschichte 4. Der Satz besteht aus einem Nominativsubjekt, der Kopula und einem Adjektiv (im Nominativ oder in der Kurzform), z. B. thu io ginâdiger bist „du bist immer gnädig“. Sätze dieses Typs bezeichnen die Eigenschaft, die ein Ding besitzt. S ‒ P wesan ‒ prädikatives Adjektiv Die folgenden Satztypen sind gegenüber den Grundtypen peripher: 5. Der Satz besteht aus einem Nominativsubjekt, der Kopula und einem Sub‐ stantiv im Genitiv oder Dativ, z. B. Sie sint rôzagemo muate „Sie sind traurigen Gemütes“. Der Bedeutungsgehalt ist die Beschaffenheit des Subjekts, seine Herkunft, Zugehörigkeit, auch die partitive Beziehung und die des Besitzes. S - P wesan - NG im Genitiv/ Dativ 6. Der Satz wird mit Hilfe des Verbs wesan ‚sich befinden‘ und einer Adverbial‐ bestimmung gebildet, z. B. burg ist thâr in lante „Eine Stadt ist dort im Lande“. Bedeutungsgehalt: das „Sichbefinden“ in einem lokalen oder temporalen Bereich oder in einem Zustand. S - P(‚sich befinden‘) - Lokal-/ Temporaladverbial 7. Der Satz weist eine erweiterte verbale Konstruktion auf. Das Verb bezeichnet eine Handlung, die auf einen anderen Prozess (Handlung, Zustand) gerichtet ist. Der abhängige Prozess steht im Infinitiv, z. B. Fügung mit Modalverb (ni kan inan bimîdan „ich kann ihn nicht vermeiden“), kausative Konstruktion (ni liazzi irgraban sînaz hûs „er lässt nicht sein Haus untergraben“), Akkusativ mit Infinitiv (AcI) (then fater hôrt er sprechan „den Vater hörte er sprechen“), ingressive Konstruktion (Bigan druhtin eines redinôn „Es begann der Herr einmal zu sprechen“). (S) - P(‚Handlung‘) - Infinitiv Die Typen 8 und 9 des Nhd. haben sich im Ahd. noch nicht ausgebildet! 10. Unpersönliche Sätze, gekennzeichnet durch Abwesenheit des Subjektnomi‐ nativs oder durch den Gebrauch des desemantisierten Stellvertreters iz. Es 88 D. Valenz und Historische Grammatik werden fünf semantische Haupttypen unterschieden, z. B. mit der Semantik der Naturerscheinungen iz nahtet „es wird Nacht“. (iz) - P - (Genitiv-/ Dativ-/ Akkusativobjekt) und (iz) - P wesan - prädikatives Adjektiv/ Adverb 11. Sätze mit syntaktischer Wechselwirkung zwischen Subjekt und Prädikat oder Objekt, das zur Bezeichnung von partitiv-quantitativen oder negierenden prädikativen Beziehungen dient. Das von einem Zahlwort (oder von niht) ab‐ hängige partitive Genitivattribut ist Subjekt, das Zahlwort wird zum Prädikativ, z. B. iro uuârun fiari „ihrer waren (es) vier“ oder des mohte hie nicht geschehen „dessen konnte hier nicht geschehen (nichts davon konnte hier geschehen)“. S(Genitiv) - P - Prädikativ(Zahlwort) Bei den logisch-grammatischen Satztypen des Mhd. verzeichnet Admoni (1990, 98‒102) nur die Änderungen, die sich im Vergleich mit dem Ahd. ergeben. Sie betreffen die Satztypen 1, 2, 3, 4, 5, 10, 11. Zwei Typen sind neu: (9.) Konstruktionen mit satzeröffnendem ez, das Nominativsubjekt steht an dritter Stelle, z. B. Ez wuohs in Buregonden ein vil edel magedîn. Dadurch wird der semantische Gehalt des Verbs hervorgehoben. ez - P - S (12.) Substantivische Nominativformen in Satzfunktion, ohne dass schon ein‐ gliedrige nominativische Existenzialsätze entstanden sind, z. B. ein man, ein wîp; er sælic man. Bei den logisch-grammatischen Satztypen des Fnhd. I (1350‒1500) verzeichnet Admoni (1990, 139‒141) nur die Änderungen, die sich im Vergleich mit dem Mhd. ergeben. Sie betreffen die Satztypen 2, 5, 7, 10, 12. Unter den logisch-grammatischen Satztypen der Etappe Fnhd. III (1550‒ 1700) hebt Admoni (1990, 185‒187) als tiefgreifende Veränderung die Stellung 89 6. Die „logisch-grammatischen Satztypen“ in der deutschen Sprachgeschichte des Genitivobjekts in Typ 2 hervor, das aber nicht vollständig beseitigt wird, sondern in reflexiven Sätzen und neben dem Akkusativobjekt erhalten bleibt. Von den Veränderungen im System der logisch-grammatischen Satztypen des 18. Jh. weist Admoni (1990, 206) auf die Belebung der eingliedrigen nominativischen Existenzialsätze (Typ 12) hin. Im 19. Jh. dauert die Verdrängung des Genitivobjekts fort (Admoni 1990, 224‒225), ausgenommen die Sätze mit einem zweiten direkten Objekt. Ebenso nimmt der Gebrauch der eingliedrigen nominativischen Existenzialtexte zu; eine große Rolle spielen sie bei den Impressionisten. Durch die Eingangsformel Es war einmal … entsteht ein peripherer auf eine Textsorte eingeschränkter, dreigliedriger Existenzialsatz. Im 20. Jh. treten im Gebrauch der logisch-grammatischen Satztypen gewisse Veränderungen ein (Admoni 1990, 250‒251): Erweiterung des semantischen Gehalts der Sätze mit direktem Objekt (im Akkusativ), indem Menschen als Ob‐ jekte bei Verben behandelt werden, die früher intransitiv waren (z. B. jemanden fliegen), Ersatz des Passivs durch Verben wie erfolgen, Bildung neuer Verben mit dem Präfix vermit Akkusativobjekt (z. B. verplanen). - Der Satztyp 11 S(Genitiv) - P - Prädikativ(Zahlwort), z. B. Der Straßen sind unzählige in Hellas, kommt außer Gebrauch. Der Gebrauch der eingliedrigen nominativischen Existenzial‐ texte nimmt zu; in der Sprache der Werbung und in Zeitungsüberschriften wird die Kopula oft weggelassen. Kommentar zu den „logisch-grammatischen Satztypen“ in der deutschen Sprachgeschichte: Wladimir Admoni ist der erste Forscher, der die deutschen Satzbaupläne (hier Satztypen) in ihrer Entwicklung im Verlauf der Sprachgeschichte darstellt. Zwar geschieht dies bei ihm auf der Grundlage der klassischen Satzgliedkate‐ gorisierung (Subjekt, Akkusativobjekt usw.) ohne explizite Bezugnahme auf die Valenztheorie; aber die Konstellationen aus Prädikat, Subjekt und Objekten werden semantisch interpretiert. Der Terminus „logisch-grammatisch“ ist dafür allerdings nicht treffend gewählt. Admoni zitiert die Beispiele für die Satztypen aus einem Korpus, das aus Texten der deutschen Sprachgeschichte vom Ahd. bis zum Nhd. zusammengesetzt ist. Zudem verwendet er ab der mhd. Periode eine engere Periodisierung als sonst üblich (Fnhd. I‒III, 18. und 19. Jh.). Gegen‐ über Darstellungen, die von der Annahme der Dependenz (Abhängigkeit der Satzglieder vom Verbinhalt) ausgehen, spielen bei Admoni die „eingliedrigen Existenzialsätze“ eine wichtige Rolle. Derartige Konstruktionen ohne Prädikat erscheinen in der Liste der Satzbaupläne der Gegenwartssprache nicht; sie bekommen einen eigenen Status und werden „Setzungen“ genannt. 90 D. Valenz und Historische Grammatik 7. Polyvalenz in der deutschen Sprachgeschichte 7.1 Grundlagen Die Valenz eines Lexems kann sich in sehr vielen Fällen unterschiedlich ge‐ stalten; sie ist nicht unbedingt an eine Repräsentation gebunden. Die Valenzva‐ riationen lassen sich in zweierlei Weise erfassen: einmal in Bezug auf die Anzahl, zum anderen in Bezug auf die Art, d. h. Inhalt und Form, der Ergänzungen. Eine solche, sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht, unter‐ schiedliche Valenzrealisation wird in der einschlägigen Forschungsliteratur als Polyvalenz bezeichnet. Die variierende Repräsentation der Valenz kann mit einer Bedeutungsveränderung des Lexems verbunden sein, muss aber nicht ‒ die Lexembedeutung bleibt dann bei den verschiedenen Valenzumgebungen konstant. Die quantitative Variation der Valenz wird normalerweise unter dem Aspekt der Reduktion betrachtet. Eine Valenzreduktion entsteht dadurch, dass eine oder mehrere Ergänzungen in der Umgebung des Lexems weggelassen werden. Bei der quantitativen Polyvalenz können zwei Gruppen von Ergänzungen, obligatorische und fakultative, unterschieden werden. Bringt die Weglassung einer Ergänzung für den Valenzträger eine neue Bedeutung mit sich, liegt eine obligatorische Ergänzung vor. Resultiert aus der Weglassung dagegen keine veränderte Lexembedeutung, hat man es mit einer fakultativen Ergänzung zu tun. Im Rahmen der qualitativen Polyvalenz lassen sich zwei Teilbereiche, ein inhaltlicher und ein formaler, unterscheiden. Die inhaltliche Polyvalenz geht auf Variationen der semantischen Klasse von Ergänzungen zurück, wobei für den Valenzträger die beiden Möglichkeiten der Bedeutungsvarianz bzw. -invarianz gegeben sind. Im Bereich der formalen Polyvalenz kann unter Zugrundelegung einer Differenzierung von syntaktischer Klasse und Valenzmarker eine weitere Unterteilung vorgenommen werden. Bei Variationen der syntaktischen Klasse handelt es sich um die Realisierung einer Ergänzung u. a. als Substantiv, Infinitiv oder Gliedsatz, während sich ein Wechsel beim Valenzmarker auf verschiedene Anschlussmöglichkeiten der Ergänzung an den Valenzträger bezieht. Als Va‐ lenzmarker sind folgende grammatischen Morpheme möglich: Kasusmorphem, Präposition, Infinitivmorphem, Partizipmorphem, Präpositionaladverb (als Kor‐ relat valenzgebundener Infinitivkonstruktionen und Gliedsätze), die Partikel zu (vor Infinitiven) und das Pronomen es (als Korrelat von Infinitivkonstruktionen und Gliedsätzen). Wie die inhaltliche, kann auch die formale Polyvalenz eine oder mehrere Ergänzungen betreffen, desgleichen kann die Bedeutung des 91 7. Polyvalenz in der deutschen Sprachgeschichte Valenzträgers im Zusammenhang mit Formvariationen wechseln oder unver‐ ändert bleiben. Valenzvariationen oben besprochener Art kommen sowohl bei Einals auch Mehrwortlexemen (Phrasemen) vor. Im Folgenden werden die in Korhonen (1986b) für die deutsche Gegenwartssprache entwickelten Beschreibungsprin‐ zipien auf die deutsche Sprachgeschichte angewendet (vgl. Korhonen 1995a). Die Valenzträgerlexeme stammen aus dem nichtphraseologischen Bereich und repräsentieren die drei zentralen Klassen Verb, Adjektiv und Substantiv. Zuerst wird die Erscheinung der Polyvalenz in synchroner Dimension erfasst, und zwar nicht nur anhand der Hauptstufen Ahd., Mhd. und Fnhd., sondern auch anhand des Gotischen. Danach folgt eine diachrone Darstellung, die sich auf eine Gegenüberstellung von Belegen aus dem Ahd., Mhd. und Fnhd. sowie Beispielen aus dem Gegenwartsdeutschen gründet. Das Belegmaterial wurde vorwiegend in historischen Wörterbüchern, Textausgaben und einem umfangreichen Text‐ korpus von Jarmo Korhonen zur formalen Polyvalenz im Fnhd. gesammelt. 7.2 Synchrone Polyvalenz älterer Sprachstufen Valenzvariationen eines Lexems sind für alle historischen Stufen des Deutschen nachweisbar. Darüber hinaus lassen sich verschiedene Aspekte der Polyvalenz bereits im Gotischen registrieren ‒ nicht nur bei Verben, sondern auch bei Adjektiven und Substantiven. Das Phänomen der Polyvalenz wird hier für die drei Valenzträgerklassen nicht völlig gleichmäßig beleuchtet; es werden durch‐ schnittlich 15 Belege für die quantitative, inhaltliche und formale Polyvalenz aus den einzelnen Sprachstufen des Deutschen einschließlich des Gotischen angeführt. Im Anschluss an Korhonen (1986b) wird bei der Gestaltung des Belegmaterials wie folgt verfahren: Für die Kennzeichnung der quantitativen Polyvalenz werden Strukturmodelle benutzt, während bei der qualitativen Valenz jeweils die betreffenden Ergänzungen mit ihren morphosyntaktischen und semantischen Eigenschaften aufgeführt werden. Die Beschreibung der Variationen erfolgt unter Verwendung von Abkürzungen und Symbolen, wobei ein waagerechter Strich variierende Strukturmodelle und Ergänzungen mar‐ kiert und das Zeichen Ø für die Nullrepräsentation, d. h. für das Fehlen einer Ergänzung, steht. Nicht selten ließen sich im Rahmen der Valenz eines Lexems mehrere Strukturmodelle einem anderen oder bei einer bestimmten Ergänzung mehrere formale oder inhaltliche Realisationen einer anderen gegenüberstellen. Um der Übersichtlichkeit willen wird unten jedoch auf die Dokumentation des gesamten Ergänzungspotenzials eines Valenzträgers verzichtet ‒ es wird jeweils nur eine Modell- oder Formbzw. Inhaltsrepräsentation herausgegriffen. ‒ 92 D. Valenz und Historische Grammatik 7 Siehe das Abkürzungsverzeichnis auf S. 68. Da die Benutzung konstruierter Beispiele für historische Sprachzustände aus‐ geschlossen ist, können hier die strikten Bedingungen, die in Korhonen (1986b, 10) für Belegkonstruktionen formuliert wurden (im Falle der quantitativen Polyvalenz z. B. soll sich an den Konstruktionen außer den eingesparten Ergän‐ zungen nichts ändern), nicht aufrechterhalten werden. Die valenzbedingten Umgebungen der Lexeme werden also in den untenstehenden Beispielen genau in der Form festgehalten, in der sie in den herangezogenen Quellen auftreten. Bei den gotischen Beispielen fehlt eine Quellenangabe. Sie stammen alle aus: Die gotische Bibel, hg. von Wilhelm Streitberg. Heidelberg 1965. Gotisch Quantitative Polyvalenz; ohne Bedeutungsveränderung (1) bidjan Na+Na ‒ Na 7 ,jmdn. um etw. bitten‘: […] þatei þuk bidjos, […] ‒ baþ Teitu jah miþinsandida imma broþar […] (2) skula Na+Nd ‒ Na ,jmdm. etw. schuldig‘: […]; ei ni qiþau þus þatei jaþþuk silban mis skula is. ‒ jah aflet uns þatei skulans sijaima, […] (3) kunþi Ng ‒ Ø ,Kenntnis‘: […], ei fullnaiþ kunþjis wiljins is […] ‒ weitwodja auk im þatei aljan gudis haband, akei ni bi kunþja. Quantitative Polyvalenz; mit Bedeutungsveränderung (4) haitan Nn+Na+Na ‒ Nn+Na ,jmdn. jmdn. heißen‘ ‒ ,jmdn. rufen, einladen‘: Daweid ina fraujan haitiþ, […] ‒ gasaiƕands þan sa Fareisaius, saei haihait ina, […] Inhaltliche Polyvalenz; ohne Bedeutungsveränderung (5) bidjan Ng: -Anim ‒ Abstr ,jmdn. um etw. bitten‘: […] baþ þis leikis Iesuis. ‒ […] bidjiþ gawairþjis. (6) fulls Ng: -Anim ‒ Abstr ,voll von etw.‘: […] sah atwaurpans was du daura is, banjo fulls. ‒ Iþ Iesus, ahmins weihis fulls, […] (7) faheþs pNin: Hum ‒ Abstr ,Freude‘: qiþa izwis þatei swa faheds wairþiþ in himina in ainis frawaurhtis idreigondins […] ‒ […], ufarfulliþs im fahedais in allaizos managons aglons unsaraizos. Inhaltliche Polyvalenz; mit Bedeutungsveränderung (8) bairan Na: Hum ‒ -Anim ,jmdn. gebären‘ ‒ ,etw. tragen‘: wiljau nu juggos liugan, barna bairan, […] ‒ ni bairaiþ pugg nih matibalg nih gaskohi; […] 93 7. Polyvalenz in der deutschen Sprachgeschichte (9) skula Ng: -Anim ‒ Abstr ,eines Verbrechens schuldig‘ ‒ ,eine Strafe verdienend‘: […] skula wairþiþ leikis jah bloþis fraujins. ‒ […]: skula dauþaus ist. Formale Polyvalenz; syntaktische Klasse; ohne Bedeutungsveränderung (10) wairþs Ng ‒ NS ,einer Sache wert‘: […] du wairþans briggan izwis þiudan‐ gardjos gudis, […] ‒ […], ikei ni im wairþs ei haitaidau apaustaulus, […] Formale Polyvalenz; syntaktische Klasse; mit Bedeutungsveränderung (11) haitan Na ‒ INF ,jmdn. jmdn. heißen‘ ‒ ,jmdm. befehlen, etw. zu tun‘: […] jabai gardawaldand Baiailzaibul haihatun, […] ‒ […], haihait galeiþan siponjans hindar marein. Formale Polyvalenz; Valenzmarker; ohne Bedeutungsveränderung (12) wairþan Nn ‒ pNdu ,etw. werden‘: […], qiþ þamma staina ei wairþai hlaibs. ‒ […], akei so saurga izwara du fahedai wairþiþ. (13) trauains pNdu ‒ pNin ,Vertrauen zu jmdm.‘: managa mis trauains du izwis, […] ‒ […] trauainai managai in izwis; […] Formale Polyvalenz; Valenzmarker; mit Bedeutungsveränderung (14) bidjan Na ‒ pNfaur ,jmdn. um etw. bitten‘ ‒ ,für jmdn. Fürsprache einlegen‘: […] bidja izwis. ‒ […] ni ƕeilaidedum faur izwis bidjandans […] (15) wairþs Ng ‒ pNdu ,einer Sache wert‘ ‒ ,zu etw. tauglich‘: […]; wairþs auk ist waurstwja mizdons seinaizos. ‒ […]; jaddu þamma ƕas wairþs? Althochdeutsch Quantitative Polyvalenz; ohne Bedeutungsveränderung (16) thankôn Nn+Nd+Ng ‒ Nn+Nd ,jmdm. für etw. danken‘: […], thes scal er gote thankon; […] ‒ bigonda er (Abel) gote thankon mit sines selbes werkon (AWB) (17) for[a]hta Ng ‒ Ø ,Furcht vor etw.‘: duruh forahtun dera hello ‒ iu scal sin fon gote heil, nales forahta nihein (AWB) Quantitative Polyvalenz; mit Bedeutungsveränderung (18) ahtôn Nn+Na+Na ‒ Nn+Na ,etw. für etw. achten‘ ‒ ,etw. beachten‘: nesulen uuir … saligheit kuot ahton? ‒ wir sculun thiu wort ahton […] (AWB) (19) fol Ng ‒ Ø ,mit etw. bedeckt‘ ‒ ,vollkommen‘: uuante min hoibet ist fol toiuues unte mine locca fol dero nahttroffon ‒ bittet, inti intfahet, thaz iuuuer gifeho si fol (AWB) 94 D. Valenz und Historische Grammatik Inhaltliche Polyvalenz; ohne Bedeutungsveränderung (20) for[a]hten Na: Hum ‒ Abstr ,jmdn., etw. fürchten‘: nefurhte niomannen ‒ den tod furhtet tiu natura (AWB) (21) fol Ng: Hum ‒ Abstr ,voll von etw.‘: darder ist ein hus follez ubelero liuto ‒ diu erda ist fol dinis pisezzis (AWB) Inhaltliche Polyvalenz; mit Bedeutungsveränderung (22) fullen Na: -Anim ‒ Abstr ,etw. füllen‘ ‒ ,etw. erfüllen‘: […], tho sie fultun thiu vaz. (Otfrid 2,8,42) ‒ […], thie […] sinan willon fultun. (Otfrid 5,23,192) Formale Polyvalenz; syntaktische Klasse; ohne Bedeutungsveränderung (23) thiggen Ng ‒ NS ,jmdn. eindringlich und demütig um etw. bitten‘: […] thar ir zi mir es thigget, […] (Otfrid 5,16,39) ‒ Zi gote ouh thanne thigiti, thaz er giscowoti […] (Otfrid 1,4,13) (24) flîzîg Ng ‒ INFzi ,um etw. eifrig bemüht‘: sie (die Franken) sint gotes worto flizig filu harto ‒ alle dine filii … die sint flizech ze bilidene exemplum meae humilitatis (AWB) Formale Polyvalenz; syntaktische Klasse; mit Bedeutungsveränderung (25) bifel[a]han Na ‒ INFzi ,jmdm. jmdn., etw. anvertrauen‘ ‒ ,jmdm. befehlen, etw. zu tun‘: der (der Kaiser) Dioteriche […] daz lant peualh. unde die liute ‒ got peuile demo chuninge […] din gerihte zetuonne. unde din reht zeforderonne (AWB) Formale Polyvalenz; Valenzmarker; ohne Bedeutungsveränderung (26) gifehan Nd ‒ Ng ‒ pNin ‒ pNubar ,sich über jmdn., etw. freuen‘: giuahun uuarlicho thie iungoron gisehenemo throhtine ‒ thie (die Hohenpriester) thaz gihorenti uuaren es (über des Judas Bereitschaft zum Verrat) gefehenti, […] ‒ inti al thaz folc gefah in then (sc. über die Taten Christi) thiu dar […] ‒ her (der Hirt) giuihit uber thaz (das wiedergefundene Schaf) mer thanna ubar niun inti niunzog […] (AWB) (27) fol Ng ‒ Nd ‒ pNfon[a] ,voll von etw.‘: […], innana sint fol notnumpfti inti unsubarnesses ‒ thaz dar uuarlicho innan iu ist, fol ist notnunfti inti unrehte ‒ thu findist fol then salmon fon thesen selben thingon (AWB) (28) girida Ng ‒ pNin ,Begierde nach etw.‘: ich habe gisundot … in lobis giride ‒ ih teta … girida in fremiden sahhun (AWB) 95 7. Polyvalenz in der deutschen Sprachgeschichte Formale Polyvalenz; Valenzmarker; mit Bedeutungsveränderung (29) wartên Nd ‒ Ng ,jmdn. behüten‘ ‒ ,sein Augenmerk auf jmdn. richten‘: Thaz hirta sine uns warten […] (Otfrid 1,28,9) ‒ Sie thin giwaro warten […] (Otfrid 2,4,59) (30) garo pNmit ‒ pNzi ,mit etw. ausgerüstet‘ ‒ ,zu etw. innerlich bereit‘: er santa man manage mit wafanon garawe ‒ si wari sin thiu zi thionoste garawu (AWB) Mittelhochdeutsch Quantitative Polyvalenz; ohne Bedeutungsveränderung (31) gelouben Nn+Na+Nd ‒ Nn+Na ,etw. glauben, für wahr halten‘: giloube du iʒ mir ‒ geloubest du daʒ (BMZ) (32) nütze Nd ‒ Ø ,jmdm. nützlich‘: du bist niht nütze mir ‒ nütz mac der sîn, der niht mac schaden (BMZ) (33) grim Ng ‒ Ø ,Grimm‘: dorren von dem grimme mîner unreinen stimme ‒ er sprach ûʒ einem grimme (BMZ) Quantitative Polyvalenz; mit Bedeutungsveränderung (34) gelouben Nn+Na+pNan ‒ Nn+Na ,jmdm. etw. zutrauen‘ ‒ ,etw. glauben, für wahr halten‘: nieman guotlîchen muot noch zuht an in gelouben kan ‒ swerʒ niht geloubet der sündet (BMZ) (35) rîche Ng ‒ Ø ,etw. in großer Menge besitzend‘ ‒ ,vornehm, fürstlich, von hohem Stande‘: er enist doch niht sô rîche der habe und des guotes ‒ iwer tohter ist […] edel unde rîch (BMZ) (36) vorhte Ng ‒ Ø ,Furcht vor jmdm.‘ ‒ ,das Schreckliche‘: in gotes vorhte ‒ disiu vorhte wîte erschal (BMZ) Inhaltliche Polyvalenz; ohne Bedeutungsveränderung (37) vrî Ng: Hum ‒ Abstr ,etw. nicht besitzend‘: daʒ ir worden vrî sît iuwers vaters ‒ des lebens vrî (BMZ) (38) minne Ng: Hum ‒ -Anim ,Liebe zu jmdm., etw.‘: wie gar mîne sinne eins andern wîbes minne in ir gewalt gewunnen hât ‒ lobe ich des lîbes minne, deis der sêle leit (BMZ) Inhaltliche Polyvalenz; mit Bedeutungsveränderung (39) vinden Na: +Anim ‒ Abstr ,jmdn. finden‘ ‒ ,etw. erfinden‘: er hæte sîn verlorneʒ schâf vunden (BMZ) ‒ den list den vant ich (ML) 96 D. Valenz und Historische Grammatik Formale Polyvalenz; syntaktische Klasse; ohne Bedeutungsveränderung (40) hëlfen Ng ‒ INF ,jmdm. bei etw. helfen‘: des sol uns helfen Hagne ‒ daʒ er mir helfe klagen (BMZ) Formale Polyvalenz; syntaktische Klasse; mit Bedeutungsveränderung (41) rîche Ng ‒ INFze ,etw. in großer Menge besitzend‘ ‒ ,zu etw. fähig‘: was Sîvrit rîch des guotes (BMZ) ‒ ze springen bin ich rîche (ML) Formale Polyvalenz; Valenzmarker; ohne Bedeutungsveränderung (42) rüemen Na ‒ Ng ,jmdn. wegen einer Sache rühmen‘: und rüemte eʒ dem herren alsô vast ‒ des wil ich immer ruomen dir (BMZ) (43) giric Ng ‒ pNûf ,auf etw. begierig‘: des wâren die prophêten giric ‒ er wart girech ûf sînen tôt (BMZ) (44) vorhte Ng ‒ pNvon ‒ pNze ,Furcht vor jmdm.‘: durch die vorhte des man ‒ durch die vorhte von ir man ‒ ir vorht ze ir herren (BMZ) Formale Polyvalenz; Valenzmarker; mit Bedeutungsveränderung (45) halten Na ‒ pNgegen ,jmdn. bewahren‘ ‒ ,jmdm. gegenüber standhalten‘: got halt den künec Artus ‒ si hielten gein den helden (BMZ) Frühneuhochdeutsch Quantitative Polyvalenz; ohne Bedeutungsveränderung (46) danken Nn+Nd+pNum ‒ Nn+Nd ,jmdm. für etw. danken‘: die sollen dem herrn dancken vmb seine güte vnd vmb seine wunder, […] ‒ nu wil ich dem herrn dancken (PHD 1, 396) (47) bewusst Nd ‒ Ø ,jmdm. bekannt‘: weil euch denn wohl bewuszt, wie beynöthig es itzt allenthalben wird […] ‒ es ist aber gnugsam bewust, das […] (PHD 1, 298) (48) Gewalt Ng+pNüber ‒ Ø ,Macht, Herrschaft über etw.‘: gewalt des bapsts vber die gantz christenheit ‒ bei jm (gott) ist weisheit vnd gewalt (PHD 2, 112) Quantitative Polyvalenz; mit Bedeutungsveränderung (49) sein Nn+pNAl ‒ Nn ,sich irgendwo befinden‘ ‒ ,existieren‘: ,[…] in der wus‐ teney ist er‘, […] (Luther) ‒ Nu aber seind vierley menschen (Luther) (50) dürftig Ng ‒ Ø ,einer Sache bedürftig‘ ‒ ,arm, in Not und Mangel lebend‘: seiner heilwertigen gnaden durfftig (PHD 1, 471) ‒ Denn er ist dürfftig / vnd erhelt seine Seele damit / […] (Luther-Bibel) (51) Gericht pNwider ‒ Ø ,Urteil‘ ‒ ,Institution der Rechtsprechung‘: die engel nicht ertragen das lesterliche gericht wider sich […] (PHD 2, 86) ‒ sey nicht zenckisch fur gericht (PHD 2, 85) 97 7. Polyvalenz in der deutschen Sprachgeschichte Inhaltliche Polyvalenz; ohne Bedeutungsveränderung (52) denken pNan: Hum ‒ Abstr ,seine Gedanken auf jmdn., etw. richten‘: Weñ wir mit ernst an vns dencken / […] ‒ so denket an mein ( Jesu) sterben. (FWB) (53) froh Ng: -Anim ‒ Abstr ,über etw. erfreut‘: wird der sonnen nicht fro ‒ sie werden jres einkomens nicht fro werden (PHD 1, 717) (54) Erscheinung Ng: Hum ‒ Abstr ,Erscheinen, Kommen‘: bis auff die erscheinung vnsers herrn Jhesu Christi (PHD 1, 588) ‒ vnd warten auff die selige hoffnung vnd erscheinung der herrligkeit des grossen gottes (PHD 1, 588f.) Inhaltliche Polyvalenz; mit Bedeutungsveränderung (55) haben Na: Hum ‒ Abstr ,zu jmdm. in einem Verhältnis der Zugehörigkeit stehen‘ ‒ ,mit etw. ausgestattet sein‘: […], wan das kind widder kind hat, […] (Luther) ‒ […] ,hettestu die gesuntheit, […]‘ (Luther) Formale Polyvalenz; syntaktische Klasse; ohne Bedeutungsveränderung (56) begehren Ng ‒ INFzu ‒ HS ‒ NS ,etw. verlangen, wünschen‘: wer des lebens satt ist vnd des todes begeert ‒ ich begere nicht mehr zu leben (PHD 1, 229) ‒ […], wie wir den […] schreien und begern, man sol unsere sache horen und richten, […] (Luther) ‒ auch begehren, dasz ich wollt ein büchlein lassen ausgehen (PHD 1, 230) (57) gewiss Ng ‒ HS ‒ NS ,einer Sache sicher‘: werde der sachen gewis ‒ […], so bisz gewisz, du bist der besten streyter vnd hertzog eyner ‒ also ist Salomon gewis gewesen, das sein trawm von gott war (PHD 2, 118) Formale Polyvalenz; syntaktische Klasse; mit Bedeutungsveränderung (58) Beruf pNzu ‒ NS ,Berufung, Ruf ‘‒ ,Verpflichtung‘: […], ob jr sollet den beruff zum predigamt gen N. annemen ‒ wer da fület, das er nicht iunckfraw kan sein, der hat seinen beruff, das er ehelich werde (PHD 1, 261) Formale Polyvalenz; Valenzmarker; ohne Bedeutungsveränderung (59) gewöhnen Ng ‒ pNan ‒ pNauf ‒ pNzu ,jmdn. mit etw. vertraut machen‘: Aber wir muͤssen uns der Ebreischen geticht gewenen (Luther) ‒ Drumb solt yhr euch gewhenen an das gebett (Luther) ‒ Sie hat das volck lassen osterlamb halten […] gewehnete sie auff Christum, […] (Luther) ‒ wenn sieß […] zů Gottes wort gewehnen (Luther) (60) abfällig Nd ‒ pNvon ,jmdm. untreu‘: […], das du mir bist abfellig worden? ‒ der teufel […] bracht sie zu fall, das sie von gott abfellig ward (PHD 1, 13) (61) Frage pNüber ‒ pNvon ,zu erörterndes Thema‘: da erhub sich eine frage vnter den jüngern Johannis sampt den jüden vber die reinigung ‒ […], ewer prediger 98 D. Valenz und Historische Grammatik wollten sich der fragen von den heyligen ym hymel vnd von den todten entschlahen (PHD 1, 696) Formale Polyvalenz; Valenzmarker; mit Bedeutungsveränderung (62) sehen Na ‒ pNnach ,etw. erkennen, erfassen‘ ‒ ,sich um etw. kümmern‘: […], die warheit sehenn sie nit, […] (Luther) ‒ […], das er […] noch grossen wercken sicht, […] (Luther) In den oben angeführten Beispielen wurden Anzahl, Inhalt und Form der Er‐ gänzungen streng auseinandergehalten. Neben dieser strikten Differenzierung ist jedoch auch eine kombinierte Darstellung von Valenzvariationen möglich, vgl. etwa: Inhaltliche Polyvalenz; formale Polyvalenz; syntaktische Klasse und Valenz‐ marker; mit Bedeutungsveränderung (63) bereit Nd: Hum ‒ pNzu: Abstr; pNzu ‒ INFzu ,jmdm. willfährig‘ ‒ ,zu etw. bereit‘: gleych wie ein erwegen ehbrecheryn die augen auffsperret vnd mit vollen augen vmb sich wirfft eynem yderman bereytt tzu seyn ‒ […] vnd bereyt weren […] zum tod vnd zum streyt ‒ euch zu foddern bin ich willig vnd bereyt (PHD 1, 257) Voraussetzungen für verschiedene Arten von Polyvalenz sind bereits im Goti‐ schen und später in der deutschen Sprache seit ältester schriftlicher Überliefe‐ rung vorhanden. Allerdings gibt es beträchtliche Unterschiede in der Intensität der Variationen zwischen den einzelnen Sprachstufen, was sich etwa fürs Gotische und Ahd. leicht mit der Menge der erhaltenen Texte und folglich mit dem Umfang des beschreibbaren Wortschatzes motivieren lässt. Auf der anderen Seite ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das Gotische und das Ahd. über Lexeme verfügen, bei denen sich eine reiche Polyvalenz in quantitativer, inhaltlicher und formaler Hinsicht entfaltet hat. Es handelt sich dabei vor allem um frequente und polyseme Verben und Adjektive wie beispielsweise bidjan und skula fürs Gotische und ahtôn und fol fürs Ahd.; diese Lexeme eignen sich jeweils zur Veranschaulichung mehrerer Arten von Valenzvariationen. Dass die valenzbedingte Umgebung eines Lexems in konkreter Sprachver‐ wendung Variationen aufweist, lässt sich auf verschiedene Weise erklären. Für die meisten Variationsarten kommen u. a. kommunikative, textlinguistische und syntaktische Faktoren in Betracht, bei valenzmarkerbezogener Polyvalenz ohne Bedeutungsveränderung kann vorwiegend mit syntaktischen Gesichtspunkten operiert werden (weitere Aspekte sind stilistischer und textsortenspezifischer Art). Beim letztgenannten Polyvalenztyp kann zwischen einem freien und 99 7. Polyvalenz in der deutschen Sprachgeschichte einem stärker bzw. schwächer gebundenen Wechsel unterschieden werden. Für einen freien Wechsel gibt es keine Erklärung, während für einen stärker gebundenen Wechsel distributionelle, für einen schwächer gebundenen Wechsel hingegen andere syntaktische und stilistische Kriterien anzuführen sind. ‒ Zu Erklärungsmöglichkeiten einer synchronen formalen Polyvalenz vgl. genauer u. a. Korhonen (1981, 70ff.). 7.3 Zur diachronen Polyvalenz Wenn valenzbedingte Umgebungen eines Lexems aus verschiedenen Sprach‐ stufen in quantitativer, inhaltlicher und formaler Hinsicht einander gegenüber‐ gestellt werden und aus dem Vergleich jeweils Unterschiede resultieren, können sie als Ausdruck einer diachronen Polyvalenz angesehen werden. Die diachrone Polyvalenz baut auf einer Gegenüberstellung von zwei oder mehr Sprachstufen auf, und sie kann entweder einzelne oder mehrere Strukturmodelle bzw. inhalt‐ liche oder formale Repräsentationen einer Ergänzung umfassen. In letzterem Falle ist in der diachronen Polyvalenz eine synchrone Polyvalenz als Bestandteil enthalten, wobei beide Polyvalenzarten gemeinsame Komponenten aufweisen können; das bedeutet, dass die diachrone Polyvalenz auf einer unterschiedlichen Anzahl der Komponenten beruht. Die diachrone Erfassung von Valenzvariationen wird unten anhand einer kleinen Auswahl von Aspekten erläutert. In den meisten Fällen sind die an diachroner Polyvalenz beteiligten Sprachstufen Fnhd. und Gegenwartsdeutsch (Abkürzung „DGS“), in einigen wenigen Beispielen tauchen auch ahd. und mhd. Valenzumgebungen auf. Die drei Valenzträgerklassen werden jede für sich aufgeführt. Verben Quantitative Polyvalenz; mit Bedeutungsveränderung (64) sprengen mhd. Nn+Na+pNAl ‒ DGS Nn+pNAl ,jmdn. angreifen und springen machen‘ ‒ ,galoppieren‘: mhd. einen aus einem orte sprengen (ML) ‒ DGS Reiter sprengten in den Hof. Inhaltliche Polyvalenz; mit Bedeutungsveränderung (65) ablassen fnhd. Na: Abstr ‒ DGS Na: -Anim ,jmdm. etw. erlassen‘ ‒ ,jmdm. etw. aus Gefälligkeit abgeben‘: fnhd. der abbt .. ließ ihm (mönch) diese schulde (unart bei tisch) ab (DWBN) ‒ DGS Er ließ ihm zwei Zigaretten ab. Formale Polyvalenz; Valenzmarker; ohne Bedeutungsveränderung 100 D. Valenz und Historische Grammatik (66) weinen ahd. Na ‒ pNzi ‒ mhd. Na ‒ pNbî ‒ pNobe ‒ pNûf ‒ fnhd. Na ‒ pNob ‒ pNüber ‒ pNum ‒ DGS pNüber ,seinem Schmerz über jmdn., etw. mit Tränen Ausdruck geben‘: ahd. iuih selbon weinot, […]; Weinot ouh, […] iu kind […] (Otfrid 4,26,33) ‒ mhd. weint […] nicht ûf mich (BMZ) ‒ fnhd. Dergleychen geschicht mit andern suͤnden auch, […], Niemand bekuͤmmert sich noch weynet drumb, […] (Luther) ‒ DGS Sie weint über das Unglück. Adjektive Quantitative Polyvalenz; ohne Bedeutungsveränderung (67) leer mhd. Ng ‒ DGS Ø ,nichts enthaltend‘: mhd. der wârheit læriu vaʒ (ML) ‒ DGS leere Fässer Inhaltliche Polyvalenz; mit Bedeutungsveränderung (68) gehorsam fnhd. Nd: Abstr ‒ DGS Nd: Hum ,etw. annehmend, anerkennend‘ ‒ ,folgsam‘: fnhd. es wurden auch viel priester dem glauben gehorsam (PHD 2, 47) ‒ DGS Sie ist ihren Eltern gehorsam. Formale Polyvalenz; Valenzmarker; mit Bedeutungsveränderung (69) ärgerlich fnhd. Nd ‒ DGS pNauf ,bei jmdm. Anstoß erregend‘ ‒ ,über jmdn. verärgert‘: fnhd. […], damit er nicht ergerlich were den frenckisschen knaben vnd knappen (PHD 1, 113) ‒ DGS Er ist auf das Kind ärgerlich. Substantive Quantitative Polyvalenz; ohne Bedeutungsveränderung (70) Abschied fnhd. Ng ‒ DGS Ng+pNvon ,Tod‘: fnhd. euch zu vermanen in ewrem vnfall, so euch jtzt durch abscheid ewers sons als den eltern widerfaren (PHD 1, 27) ‒ DGS der Abschied der jungen Frau vom Leben Inhaltliche Polyvalenz; mit Bedeutungsveränderung (71) Ablehnung fnhd. Ng: Abstr [Gefahr, Unheil usw.] ‒ DGS Ng: Abstr ,Abwen‐ dung‘ ‒ ,Zurückweisung‘: fnhd. zu ablehnung der pein […] (PHD 1, 22) ‒ DGS die Ablehnung des Angebots Formale Polyvalenz; Valenzmarker; ohne Bedeutungsveränderung (72) Liebe fnhd. Ng ‒ pNgegen ‒ pNzu ‒ DGS pNzu ,starkes Gefühl der Zuneigung‘: fnhd. Aber ich kenne euch / das jr nicht Gottes liebe in euch habt. (Luther-Bibel) ‒ Darumb preiset Gott seine liebe gegen uns […] (Luther-Bibel) ‒ Denn das ist die liebe zu gotte […] (Luther-Bibel) ‒ DGS die Liebe zu den Kindern 101 7. Polyvalenz in der deutschen Sprachgeschichte 7.4 Schlussbemerkung Polyvalenz ist auch in den ältesten deutschen Sprachperioden kein seltenes Phänomen. Ein weiterer, ausführlicherer Vergleich macht deutlich, dass Valenz‐ variationen besonders stark seit Ende des Mhd. in Erscheinung treten. Dies ist z. B. durch bestimmte Entwicklungen im formalen Bereich (Kasussynkretismus und Einheitsplural bzw. -singular) bedingt. So verfügt das Fnhd. im Hinblick auf die formale Polyvalenz bei verb-, adjektiv- und substantivabhängigen Bestim‐ mungen über viele neue Konstruktionsweisen, die zusammen mit älteren Kon‐ struktionsmustern eine vielseitige Variation entstehen lassen. Beim Übergang zum Nhd. und weiterhin zum heutigen Deutsch aber ist für bestimmte Arten der quantitativen und der formalen Polyvalenz eine Stabilisierung eingetreten. Im Gegensatz zur deutschen Gegenwartssprache konnte im Fnhd. beispielsweise das Subjekt oft ausgelassen werden, und für den Valenzmarker waren bei Verben, Adjektiven und Substantiven jeweils mehr Variationsmöglichkeiten vorhanden als heute. Eine interessante Erscheinung in der Sprachentwicklung stellt folgende Tatsache dar: Eine auf den Valenzmarker bezogene formale Polyvalenz ohne Bedeutungsveränderung wandelt sich in eine Polyvalenz mit Bedeutungsveränderung. Ein Beispiel dafür ist das Verb achten, dem sich in der Bedeutung ,auf jmdn., etw. aufpassen‘ im Fnhd. die Polyvalenz Na ‒ Ng ‒ pNauf zuordnen lässt. In der Gegenwartssprache ist davon nur pNauf für diese Bedeutung vorgesehen, mit Na realisiert achten die Bedeutung ,jmdn., etw. hochschätzen‘, und Ng, das jetzt als veraltend gilt, ist auf die Bedeutung ,jmdm., einer Sache Aufmerksamkeit schenken‘ beschränkt. 8. Historische Valenz und Wortbildung 8.1 Valenzveränderung durch Präfigierung im Althochdeutschen Der Terminus „Präfigierung“ wird in der Untersuchung von S U S U M U K U R O DA (2014) doppeldeutig gebraucht. Da in den ahd. Texten meist unklar ist, ob die „Präfigierung“ durch ein Präfix oder eine Partikel erfolgte, liegt eine Prä‐ figierung im engen Sinn dann vor, wenn die Position des vor dem Verb im Infinitiv präfigierten Morphems (bi, fir, in, int, ir, zi) in allen Kotexten gleich bleibt. Diese Art der Präfigierung wird als „A-Präfigierung“ von den Präfigie‐ rungen i. w. S. unterschieden, deren präfigiertes Morphem unter syntaktischen Bedingungen verschiebbar ist (B-Präfigierung oder Partikelpräfigierung). Die A-Präfigierungen entsprechen im Nhd. den Verben mit Präfix, die B-Präfigie‐ rungen entsprechen im Nhd. den Verben mit trennbarem Verbzusatz. 102 D. Valenz und Historische Grammatik 8 Abkürzungen: PROakk = Pronomen im Akkusativ, PROnom = Pronomen im Nominativ, PROdat = Pronomen im Dativ. Die Änderungen der Valenz durch A-Präfigierung z. B. mit dem Präfix beist im Nhd. gut an folgendem einfachen Beispiel zu beobachten: Wir haben Rosen im Garten gepflanzt. versus Wir haben den Garten mit Rosen bepflanzt. Die semantische Satzglied-Struktur ändert sich durch die Präfigierung nicht: Agens - Patiens - Ort, wohl aber die morphosyntaktische Struktur und die Stellung der Satzglieder: a) Präfixloses pflanzen: Agens → NGnom (wir) / Patiens → NGakk (Rosen) / Ort → PräpG (im Garten) b) Präfigiertes pflanzen: Agens → NGnom (wir) / Ort → NGakk (den Garten) / Patiens → PräpG (mit Rosen) Vergleichbare Beobachtungen hat Kuroda (2014, 321f.) an einem ahd. Korpus ge‐ macht. Es besteht aus den folgenden Texten: Otfrids Evangelienbuch, Tatian und Isidor, und umfasst 24.630 Verbformen mit 350 Verbpaaren. An 118 Verbpaaren konnte Kuroda eine Valenzstrukturveränderung durch Präfigierung feststellen. Er teilte sie in folgende, nach Häufigkeit angeordnete Typen ein: 1) Einführung des Akkusativs in die Valenzstruktur Durch A-Präfigierung. Beispiel ahd. giazan, bigiazan ‚gießen‘ a) Präfixloses Simplex (Otfrid 4,2,16) Nam Maria nardon […] thia goz si in sine fuazi „Maria nahm Nardenöl, das goss sie auf seine ( Jesu) Füße“ Objekt (Nardenöl) → PROakk 8 (thia) / Agens → PROnom (si) / Ort ( Jesu Füße) → PräpG (in+Akk) (in fuazi) b) Mit A-Präfigierung (Otfrid 5,23,8) […] thie sih mit thiu bigiazent „(jene), die sich damit (mit Tränen) benetzen“ Agens → PROnom (thie) / Ort → reflexPROakk (sih) / Objekt (Tränen) → PräpG (mit thiu) Durch B-Präfigierung. Beispiel ahd. senten, anasenten ‚werfen‘ a) Präfixloses Simplex (Tatian 54,13) zuuene bruoder […] sententi iro nezzi in seo „zwei Brüder […] ihre Netze in den See werfend“ Ort (See) → PräpG (in seo) 103 8. Historische Valenz und Wortbildung b) Mit B-Präfigierung (Tatian 199,5) thie […] zi eristen sente sia stein ana „der (ohne Sünde ist) werfe zuerst den Stein auf sie“ Ort (Ehebrecherin) → PROakk (sia) Die Valenzstrukturveränderung Typ 1 ist mit 45 Paaren im Ahd. am häufigsten vertreten. Der durch die Präfigierung ‒ anstelle der (lokalisierenden) Präpositi‐ onalgruppe ‒ auftretende Akkusativ entspricht aber nicht immer der Rolle ORT. Er kann auch Genitiv- oder Dativergänzungen beim präfixlosen Prädikatsverb ersetzen. Ferner wird beobachtet, dass die Akkusativierung der nicht lokalen Präposi‐ tionalgruppe des Simplex überwiegend bei der A-Präfigierung vorkommt; zum Beispiel ahd. ruahen, biruahen ‚sich kümmern um‘: a) Präfixloses Simplex (Otfrid 3,20,186) […] sie ni ruahtun bi thaz „sie kümmerten sich nicht um dies“ Inhalt → PräpG (bi thaz) b) Mit A-Präfigierung (Otfrid 1,17,44) […] sie iz ouh biruahtin / bi thaz selba kint irsuahtin. „[…] dass sie sich auch (darum) kümmern sollten, nach dem Kind zu suchen“ Inhalt → PROakk (iz) Zusammenfassend nimmt Kuroda (2014, 334f.) an, dass bei der Einführung des Akkusativs in die Valenzstruktur ahd. Verben den Präfixen und den Parti‐ keln unterschiedliche Operationen zugrunde liegen. Durch die Präfigierung bewirken die Präfixe nicht immer eine lokale Bedeutungsmodifikation; sie haben weit mehr lokalen Bezug eingebüßt als die Partikeln und konnten deshalb relativ frei die Akkusativierung herbeiführen. Demgegenüber sind die Partikeln - entsprechend ihren historischen Wurzeln - stärker an die lokale Bedeutung gebunden und bringen als Verbzusätze häufiger Komponenten in die Bedeu‐ tungsstruktur lokativischer Simplex-Verben ein, können aber im Unterschied zu den A-präfigierten Verben nur lokative Substantive akkusativieren. 2) Einführung des Dativs in die Valenzstruktur Durch B-Präfigierung. Beispiel ahd. faran, forafaran ‚gehen‘ a) Präfixlos (Tatian 27, 4) Inti her ferit fora Inan […] „Und er geht vor ihm ( Jesus) her“ Ort → PräpG (fora inan) b) B-präfigiert (Isidor 156) Ih faru dhir fora […] „Ich gehe vor dir her“ Ort (Du) → PROdat (dhir) 104 D. Valenz und Historische Grammatik Das Beispiel aus Isidor (156) kann mit Bezug auf ahd. fora auch anders, also nicht als (trennbarer) Verbzusatz, interpretiert werden. Ahd. fora ‚voraus‘ (lokal und temporal) ist sowohl Adverb als auch Präposition (mit Genitiv oder Dativ). In dem Ausdruck dhir fora könnte fora nachgestelltes Adverb oder sogar nachgestellte Präposition sein und zur Hervorhebung dienen. 3) Angebliche Einführung des Genitivs in die Valenzstruktur Das Satzpaar, das als Beleg für die Einführung des Genitivs durch A-Prä‐ figierung dienen soll, wird von ahd. bintan mit NGakk ← Objekt in der Bedeutung ,(Wunden) verbinden‘ und inbintan mit NGgen ← Objekt in der Bedeutung ,(vom Leiden) befreien‘ gebildet (Kuroda 2014, 327). Ahd. inbintan ist zwar formal eine Präfixbildung zu bintan, hat aber eine diametral andere Bedeutung als das Simplex. Der klare Bedeutungsunterschied zwi‐ schen beiden Verben, den man als Gegensatz beschreiben kann (binden vs. nicht mehr binden), widerlegt die Behauptung, dass auch Genitive anstelle von Akkusativen durch Präfigierung in die Valenzstruktur ahd. Verben eingeführt werden können. 8.2 Valenzveränderung durch die Bildung von Verbalabstrakta im Mittelhochdeutschen und Frühneuhochdeutschen Verbalabstrakta sind Nomina, die mittels eines Suffixes vom Stamm eines Verbs (Basisverb) abgeleitet werden; als Nomina können sie dann den Kern einer Nominalgruppe bilden. Aus syntaktischer Sicht ist interessant zu beob‐ achten, was nach dem Derivationsprozess mit den Ergänzungen des Basis‐ verbs geschieht. 1) H AN S J ÜR G E N H E R IN G E R (1969) hat den Vorgang an den Verbalabstrakta der an solchen Bildungen reichen mhd. Übersetzung der Summa Theologica des Thomas von Aquin (Handschrift von ca. 1323‒1325/ 1350) untersucht. Folgende Bildungsweisen sind belegt: a) Verb + ung, z. B. die habunge b) Verb + en, z. B. daz wesen (in dem Satz wan daz wesen eins ieklichen dinges ist etwas guotes) ist nicht identisch mit einem satzwertigen Infinitiv (Infini‐ tivkonstruktion); der Infinitiv der Infinitivkonstruktion hat im Gegensatz zum nominalisierten Infinitiv - außer dass das Subjekt fehlt - die gleichen Ergänzungen wie das Verb als Prädikat, vgl. mhd. Sunder ufersten von den sünden ist widerbringen den menschen zuo den dingen. 105 8. Historische Valenz und Wortbildung 9 In STh 148,19 steht daz entliche urteile mit hyperkorrektem Endungs-e, pleonastisch im Anschluss an das attributive Adjektiv entliche. c) Bildung mit Nullmorphem oder Ablaut, z. B. daz urteil  9 (neben urteilen), nach dem ursprunge (neben entspringet). Neben der primären Änderung der syntaktischen Kategorie tritt bei den Ver‐ balabstrakta gegenüber den Verben als Prädikate die Änderung auf, die im Verlust der syntaktischen Wertigkeit besteht. Dadurch ist es möglich, im Kotext Ergänzungen zu ersparen, wenn ein vorhergehendes Prädikatsverb durch ein Nomen aufgenommen wird: Unde wer si noch denne also selbestande, die menschliche nature, noch denne so enwer ez niht bekemlich gewesen, daz si von dem worte gotis angenomen wer gewesen. Wan diz annemung wirt geendet zuo der persone (STh 44,21) Die Ersparung der Ergänzungen ist nicht obligatorisch; sie können in verschie‐ dener Form wieder aufgenommen werden. Im folgenden Beispiel erscheint die Ergänzung im Akkusativ als Genitivattribut des Verbalabstraktums: Prädikatsverb ordenet + Akkusativ → Verbalabstraktum ordenung dez menschen (STh 134,27). Die Ersparnis von Satzgliedern, die beim finiten Verb notwendig sind, durch Bildung eines Verbalabstraktums hat G E O R G S TÖT Z E L (1966) bei dem Mystiker Meister Eckhart (um 1260‒1328) auf der Grundlage der Schrift „Die rede der underscheidunge“ kontextuell und formalsyntaktisch untersucht. Auch in diesem Werk Meister Eckharts sind die Verbalabstrakta wie in der Summa Theologica (s. o.) als substantivierter Infinitiv (diz nidern zum Verb nidern) oder als Ableitung mit dem Suffix -ung (anvehtung zum Verb anvehten) gebildet. Zum Beispiel können bei zweiwertigen Verben die Subjektergänzung und die Präpositionalergänzung im Unterschied zur finiten Verwendung des Verbs ausgespart werden: … diu sêle (Enom) ist vil naher mit gote (PräpE) vereinet … Disiu einunge … (Stötzel 1966, 301). Auch die Ersparnis aller Ergänzungen bei dreiwertigen Verben ist nachge‐ wiesen, z. B.: … allez, daz (Eakk) man (Enom) gote (Edat) tar getriuwen … / … disiu getriuwunge … (Stötzel 1966, 303). 106 D. Valenz und Historische Grammatik Auch das Reflexivpronomen in der Funktion einer Ergänzung wird durch die Konstruktion mit einem Verbalabstraktum ausgespart, z. B.: Er sol sich selber nidern … / … daz diz nidern einez sî (Stötzel 1966, 301). Die Analyse ergibt ferner, dass im Text Meister Eckharts die Ersparnisfunktion von Verbalabstrakta unabhängig von der Satzgliedrolle des Verbalabstraktums ist. Die Vorteile der nominalen Geschehensbezeichnungen gegenüber finiten Aktiv- und Passivkonstruktionen bestehen darin, dass in Aussagesätzen intran‐ sitive Verben nicht ohne Subjekt und transitive Verben nicht ohne Subjekt und Objekt verwendet werden. Bei nominalen Geschehensbezeichnungen wird je‐ doch (durch Bildung von Verbalabstrakta) - unter textsyntaktischer Perspektive - entweder das Subjekt oder das Objekt der Verbalkonstruktion wieder aufge‐ nommen, oder Subjekt und Objekt können ganz ausgespart werden (Stötzel 1966, 302). 2) Das Verhalten von Verbalabstrakta in fnhd. Texten beobachteten W E R N E R W E G S T E IN und N O R B E R T R I C HA R D W O L F (Wegstein/ Wolf 1982) bei der Analyse eines Korpus, das aus vier Texten besteht, die als Vertreter der „neuen“ geistli‐ chen Prosa gelten (siehe Kapitel D.4.4). Die Textgruppe wird wegen der neuen Vertextungsstrategie für fnhd. gehalten. Die stilistische Zielnorm ist nicht eine versifizierte Dichtersprache, sondern sind mehr oder weniger überregionale Schriftdialekte. Beim syntaktischen Verhalten der fnhd. Verbalabstrakta werden deutliche Unterschiede zum Nhd. sichtbar gemacht (Wegstein/ Wolf 1982, 121‒124): 1. Mit dem Verbalabstraktum kommt ein adnominales Element im Dativ vor, z. B. zů einre erschreckung allen sundern. Der Dativ ist mit einem Genitiv austauschbar, z. B. (mit Dativ) vnd maint daz im zestraff vnd zepezzerung dem vndertan versus (mit Genitiv) vnd maint straffüng vnd pesserung des vntertan. ‒ 2. Die Akkusativergänzung zum Basisverb wird meist Genitivattribut (Genitivus objectivus) zur Abstraktbildung, z. B. Basisverb pinigen ,peinigen‘: Die starken des geistes piniget er (E nom , E akk ) versus Abstraktbildung pinigung: Doch bleip er … in pinigunge sins libes. ‒ 3. Basissätze mit transitivem Prädikatsverb werden in eine Nominalgruppe umgewandelt, in der die Ergänzungen Attri‐ bute sind, z. B. Basisverb vzlegen: Dise driveltige gnade (E akk ) vzleget vns der heilige Paulus (E nom ) versus Abstraktbildung vzlegung: Die ersten vzlegvnge sancti Augustini (Genitivattribut) von der tvgend (Präpositionalattribut) … ‒ 4. Adjektive auf -lich können die Stelle von substantivischen Attributen, die Akkusativergänzung beim Basisverb sind, einnehmen, z. B. Basisverb betrahten: so ich … den himel betrahte versus Abstraktbildung betrahtung: von der suͤssikeit goͤttelicher betrahtunge. Für eine E gen steht das Adjektiv auf -lich als Attribut zum 107 8. Historische Valenz und Wortbildung Verbalabstraktum, z. B. Basisverb ermanen: … der túfel … ermant den moͤnschen alles des das er geton het versus Verbalabstraktum ermanung: Er was senftmuͤtig in goͤttelicher ermanunge. 8.3 Valenz und Bedeutung bei den mit durchverbundenen Verben Das Belegarchiv zur Neubearbeitung des Deutschen Wörterbuchs der Brüder Grimm erfasst vom Ahd. bis zur Gegenwart etwa 3000 Verben, die mit durchverbunden sind. Die Verbindung von durch mit Verben kann trennbar (läuft durch den Wald, ist durchgelaufen) und untrennbar (durchläuft den Wald, hat durchlaufen) sein. Die untrennbare Verbindung ist primär und seit ahd. Zeit belegt; seit fnhd. Zeit treten ihnen trennbare Verbindungen zur Seite, die seit der zweiten Hälfte des 18. Jh. gegenüber den trennbaren sogar vorherrschen. Die untrennbaren durch-Verben haben den Satzbauplan NGnom - NGakk; die trennbaren haben meist den Satzbauplan NGnom - PräpG(direktiv). Beide Bildungsweisen stimmen semantisch weitgehend überein, was gut erkennbar bei Bezeichnungen für Bewegung ist. B E R N D H O R LIT Z (1982) stellte bei der Analyse der mit durchverbundenen Verben im Belegarchiv des „Neuen Grimm“ fest, dass es bei den dicht belegten Verben dieses Typs Untergruppen mit fach- und sondersprachlich motiviertem Gebrauch gibt (Horlitz 1982, 265‒268). Dabei beobachtet er eine unmittelbare gegenseitige Beziehung zwischen Valenzstruktur und Bedeutung und exempli‐ fiziert dies an den in der Sport-Terminologie verwendeten durch-Verben. Ihr Gebrauch setzt im 15. Jh. ein, konzentriert auf Fechten oder Ringen. Beispiele: (1) Dúrchbrechen: Mitte 15. Jh. Der Hertzog […] rant grymmiglich vff Hugen […] vnd wolt durch brechen. Mit einwertigem trennbarem Verb dúrchbrechen; modern: Der Mittelstürmer brach durch. (2) Dúrchkommen ,beim Fechten oder Ringen die gegnerische Deckung über‐ winden‘: 1570 Derhalben merck das du mit deinem Hauw nicht durchkommest. Mit einwertigem trennbarem Verb dúrchkommen; modern: Bei dieser massierten Deckung fanden die Frankfurter kein Durchkommen. Aus der Analyse ergibt sich die Regel, dass der durch die Valenzreduktion (vom zweiauf einwertigen Satzbauplan) charakterisierte sport-terminologische Ge‐ brauch niemals der jeweils älteste Wortgebrauch ist. Mit „dem Vorgang der Wertigkeitsminderung als signifikantem Merkmal für eine sprachliche Kommu‐ nikation zwischen Eingeweihten korrespondiert […] der gegenläufige Vorgang der Wertigkeitserhöhung, wenn ursprünglich fach- oder sondersprachlich ge‐ 108 D. Valenz und Historische Grammatik bundene Wortverwendungen in standardsprachlichen Gebrauch übergehen und damit allgemeiner in ihren Bezeichnungsmöglichkeiten werden“ (Horlitz 1982, 268). 9. Historische Valenz und verbale Wortfelder Am Beispiel des Wortfeldes WACHSEN kann gezeigt werden, welche Rolle die Valenz für die Geschichte der verbalen Wortfelder spielt. Der Wortfeldbegriff ist eine theoretische Konstruktion, um semantisch organisierte lexikalische Teilsysteme des Wortschatzes zu ordnen. Wird ein Wortfeld auf mehreren histo‐ rischen Sprachstufen, ausgehend von der Gegenwartssprache, untersucht, bietet sich die Möglichkeit, die Geschichte und Umgliederung dieses Wortschatzteils zu erschließen. Das Wortfeld WACHSEN ist ein verbales Wortfeld. Der Begriff ‚wachsen‘ ist ein Vorgang, bei dem eine Entität zu verschiedenen Zeitpunkten bei steigender Tendenz jeweils anders ist und damit verschiedene Zustände einnimmt. Das Archisemem des verbalen Wortfeldes konstituiert sich demnach aus: einem Vorgangsträger (VT) und den Semen ‚Differenz‘, ‚Veränderung‘ und ‚steigende/ sinkende Tendenz‘. In die Feld-Beschreibung nicht aufgenommen sind kausative Verben wie erhöhen, steigern, vermehren, die ein Agens im Subjekt an der Stelle des Vorgangsträgers und den Vorgangsträger im Akkusativobjekt verlangen. Semantosyntaktische Struktur der nhd. Verben des Wortfeldes WACHSEN Außer dem als Subjekt (NGnom, seltener PräpG) beteiligten VT konstituieren folgende weitere Ergänzungen (Komplemente, fakultativ) die den Verben des Wortfeldes zugeordneten Verb-Aktanten-Konstellationen: ‚Maß und Menge‘ → PräpG, z. B. Die Einwohnerzahl der Gemeinde stieg von 623 auf 1040. ‚Resultat‘ → PräpG, z. B. Die Müllhalden wachsen ins Unendliche. ‚Abhängigkeit‘ → PräpG, z. B. Bei steigendem Tempo erhöht sich die Gefahr. Die Gewinnung der zum Wortfeld WACHSEN gehörenden Verben erfolgt ‒ unter Zuhilfenahme der Ersatzkompetenz (vgl. Kapitel D.3) ‒ aus den für die jeweilige Sprachstufe (in unterschiedlicher Qualität und Quantität) verfügbaren Quellen (Textkorpora, Wörterbücher, computergestützte Sammelkorpora). Das Ahd. verfügt nur über wenig Wortmaterial (sih breiten, sih managfaltōn, sih mērōn, wahsan), um den Begriffsbereich WACHSEN zu versprachlichen 109 9. Historische Valenz und verbale Wortfelder (vgl. Csiky 2008, 163). Im Vergleich dazu versprachlicht das Mhd. denselben Begriffsbereich deutlich differenzierter (Csiky 2008, 179), z. B. haben die mhd. Verben ûfnemen, (sich) mêren, wahsen den SBP: VT → NGnom / / ‚Abhängigkeit‘ → PräpG (,an Teuerung aufnehmen‘); mhd. stîgen, ûfstîgen den SBP: VT → NGnom / / ‚Resultat‘ → PräpG in, ze (der milte man ie stîgende an hôhen sælden was); mhd. zuonemen den (einstelligen) SBP: VT → NGnom (daz alle sine gutete zunamen biz an sinen tot). Im Zentrum des fnhd. Wortfeldes WACHSEN stehen die Verben wachsen, zunemen und sich meren/ meren. Dem einstelligen SBP (VT → NGnom) sind zugewiesen die Verben fnhd. aufgehen, aufnemen, grossen/ sich grossen. Den zweistelligen SBP (VT → NGnom / / ‚Abhängigkeit‘ → PräpG) weisen auf: sich vermeren, wachsen und zunemen, sich zunemen. Dreistelliger SBP bei: aufsteigen (VT → NGnom / / ‚Resultat‘ → PräpG in, zu / / ‚Abhängigkeit‘ → PräpG) und steigen (VT → NGnom / / ‚Maß und Menge‘ → PräpG auf, von / / ‚Resultat‘ → PräpG zu ). Im Älteren Nhd. stehen die Verben wachsen, zunehmen und steigen im Zentrum des Wortfeldausschnittes WACHSEN. Folgende Satzbaupläne werden registriert: Zweistellige bei: aufschlagen (VT → NGnom / / ‚Maß und Menge‘ → PräpG bis auf, um ), sich erweitern (VT → NGnom / / ‚Resultat‘ → PräpG zu ), sich vervielfältigen (VT → NGnom / / ‚Resultat‘ → PräpG in, zu ). Dreistellige bei: anwachsen (VT → NGnom / / ‚Maß und Menge‘ → PräpG auf, von-bis / / ‚Resultat‘ → PräpG bis zu, in, zu ), sich steigern (VT → NGnom / / ‚Re‐ sultat‘ → PräpG auf, in, von-bis zu, zu / / ‚Abhängigkeit‘ → PräpG), zunehmen (VT → NGnom / / ‚Maß und Menge‘ → PräpG um / / ‚Abhängigkeit‘ → PräpG). Vierstellige bei: steigen (VT → NGnom / / ‚Größe‘ → PräpG auf, bis, ueber, um, von-auf / / ‚Menge‘ → PräpG bis in, in / / ‚Höhe‘ → Adj), sich vermehren (VT → NGnom / / ‚Maß und Menge‘ → PräpG um / / ‚Resultat‘ → PräpG in / / ‚Abhängigkeit‘ → PräpG), wachsen (VT → NGnom / / ‚Maß und Menge‘ → PräpG um / / ‚Resultat‘ → PräpG bis zu, in, zu / / ‚Abhängigkeit‘ → PräpG). Zusammenfassung. Durch den ganzen Untersuchungszeitraum ist das Verb wachsen (ahd. wahsan, mhd. wahsen) als das zentrale Element des Wortfelds zu betrachten. Die nächsten Feldnachbarn von wachsen, zunehmen und steigen, etablieren sich erst in mhd. bzw. fnhd. Zeit. Hinsichtlich der Zahl der Kom‐ plemente ist eine fortschreitende Valenzerhöhung zu beobachten. Vierstellige Satzbaupläne, die alle Komplemente/ Ergänzungen (Vorgangsträger, Maß und Menge, Resultat, Abhängigkeit, s. o.) aufweisen, sind erst im Älteren Nhd. belegt. Variation der (zweibis vierstelligen) Satzbaupläne erstreckt sich darüber hinaus 110 D. Valenz und Historische Grammatik nur auf die Art und Zahl der Präpositionen bei den Ergänzungen, die mit Präpositionalgruppen besetzt sind. (Csiky 2008) 10. Historische Valenz und Phraseologie Neben verbalen Einwortlexemen können auch verbale Mehrwortlexeme, Verb‐ phraseme, als Valenzträger auftreten und eine bestimmte Anzahl von Leerstellen in bestimmter Form und syntaktischer Funktion sowie mit bestimmtem Inhalt um sich eröffnen. Die syntaktische Funktion, die einem Verbphrasem im Satz zukommt, ist das Prädikat. Hinsichtlich ihres phraseologischen Status lassen sich die Verbphraseme, die zumindest eine Ergänzung verlangen, in Kollokationen (z. B. den Tisch decken), Funktionsverbgefüge (z. B. etw. zum Abschluss bringen) und Idiome (z. B. aus der Haut fahren; dumm sein wie Bohnenstroh) einteilen. Im Fokus werden unten Verbphraseme stehen, die zu einem bestimmten Wortfeld, und zwar zu den Ausdrücken der Aufmerksamkeit und des Wahrnehmens, gehören. Außer den Verbphrasemen dieses Wortfelds werden im Folgenden auch einige weitere Verbphraseme berücksichtigt, zu denen es in der Sekundärliteratur Untersuchungen gibt. Die Darstellung bezieht sich besonders auf die Erfassung der verschiedenen Objektklassen, ist synchron angelegt und erfasst alle Sprachperioden des Deutschen vom Ahd. bis zum heutigen Deutsch. ‒ Wegen ihres besonderen Status in der deutschen Sprache werden die Funktionsverbgefüge in einem eigenen Kapitel abgehandelt. Vgl. dazu Kapitel D.11. Althochdeutsch Als ahd. Vertreter der Verbphraseme der Aufmerksamkeit und des Wahrneh‐ mens können in thia ahta neman, giwar werdan, innana werdan und wara neman betrachtet werden. Zum ersten Phrasem ist im AWB nur ein Beleg zu finden, in dem der Kasus des Objekts als Akkusativ definiert wird: firmonames … anderero armuati … ni nemen in thia ahta manno scalkslahta. Für giwar werdan ist im zweiwertigen Gebrauch formale Polyvalenz zu beobachten; es wird mit Genitiv oder Nebensatz mit dass verbunden: du gîenge sament demo diêbe. dâr du sîn gewâr wurde (DWB); laz mih keuuar uuerden, daz du mih obesehest (AWB Belegkartei). Darüber hinaus kommt giwar werdan dreiwertig vor, und zwar (neben dem Subjekt) mit einem Akkusativ- und Infinitivobjekt ohne zu: Síe uuúrten guár die sángcútenna darzû fáren (AWB Belegkartei). Der Objektkasus von innana werdan ist Genitiv: wanda her thes innen is worthan 111 10. Historische Valenz und Phraseologie (AWB Belegkartei). Wie giwar werdan nimmt auch wara neman einmal ein Genitiv-, zum anderen ein Nebensatzobjekt (hier allerdings mit einer w-Frage) zu sich: er fillit aber eiglich sin chint des er uuara nimit (AWB); also uuara zenemenne ist . uuio Boetius in primo libro uuas incusans fortunam (AWB). Mittelhochdeutsch Im Mhd. ist die Anzahl der Verbphraseme der Aufmerksamkeit und des Wahr‐ nehmens wesentlich höher als im Ahd., vgl. die folgenden Ausdrücke: ahte gewinnen, ahte hân, ahte nemen, ahtunge hân, gewar werden, inne[n] werden und war nemen. Die beiden Objektklassen von ahte gewinnen sind ein Präposi‐ tionalobjekt mit auf bzw. zu: der nie dehein ahte ûf mich gewan (MWB); daʒ ir ze manslahte immer gewinnet ahte (BMZ). Ahte hân und ahte nemen haben ein Genitivobjekt als gemeinsame Ergänzung, außerdem wird ahte hân mit einem Präpositionalobjekt mit auf bzw. um verbunden: der frowen […] die min deheine achte hat (MWB); sî hât vil gilacht / mîns herzen siuften; des nam ich danne acht (MWB); […], die habent dehain acht auf daz gotes rich (MWB); das sú enkeine conciencie darumbe nút enhant noch enkeine ahte (MWB). Wie bei ahte hân ist auch bei ahtunge hân das Objekt entweder eine Genitivergänzung oder eine Präpositionalergänzung mit auf: […] dann beyden wir biß off das letst und verließen yne, so han wir syn umb sust so lang gehut und achtung gehabt (MHDBDB: Prosa-Lancelot); als wir […] hân meinunge oder ahtunge ûf ihtes iht anders dan ûf got (MWB). Bei gewar werden bezieht sich die formale Polyvalenz auf das Akkusativ-, Genitiv-, Präpositional-, Hauptsatz- und Nebensatzobjekt (mit dass, ob und w-Frage, wobei vor dem Nebensatz ein Korrelat stehen kann): in den hof er nu geschreit. / sa daz der lewe wart gewar, […] (MWB); niheinis urlougis wart man giwari (MWB); ir bichtere wart iezu gewar, […] umme disen unflat, […] (MWB); der gast wirt schiere gewar, enist er niht ein tôre gar, […] (DWB); do der uater geware wart / daz daz kint geboren was […] (MWB); wirt sie des an mir gewar, / daz ich alsus mit zorne var, […] (MWB); […] daʒ nieman wurde des gewar, ob er eʒ wære oder ich. (DWB); ir der weder […] gewar wart, / wer der ander were (MWB). Die Objektergänzungen von inne werden und innen werden sind ein Genitiv-, Hauptsatz- und Nebensatzobjekt (mit dass bzw. w-Frage; der Nebensatz mit dass erscheint mit und ohne Korrelat): dô er des tieres innen wart, […] (MWB Belegarchiv); nu bin ieh wǒrden innen. du uerstest daz gotes wort geliche. sam div nater […] (ReM: Kaiserchronik); Do ward Tyrus inne/ Das er pey der schwartzen lag (MWB Belegarchiv); als er des wart inne/ daz diu porte was ûf getân, […] (MWB Belegarchiv); wir wurden inne/ […] wie minne flihtet arme und bein, […] (MWB Belegarchiv). 112 D. Valenz und Historische Grammatik Mit Ausnahme des Präpositionalobjekts sind die Objektklassen bei war nemen die gleichen wie bei gewar nemen, außerdem kommt war nemen auch ohne Objekt vor: dô sprach der voget von Berne: ,nemet alle war, sitzet alle stille und gebet mir iuwern rât.‘ (DWB); man maht dâ wol war nemen zinimîn und zitwar (ML); der vrouwen nam si ninder war (ML); ich hân an dir genomen war, du schînest harte riwevar (BMZ); er nam war, daʒ lützel überiger rede ergie (BMZ); […] sol man ouch des nemen war, daʒ dâ iht zu wênic sî oder ubermâʒe (DWB); […] so sal der brûder […] nemen war, ob man iht daran zu beʒʒerne vinde (DWB); die jungfrouwen […] nâmen des vil rehte war, ob er lebte oder wære tôt (DWB); die gerne wolden nemen war, wie dâ wurde gestriten (DWB); daʒ er dar zuo ware neme, wie er den trugener vertrîbe (ML). Für die Untersuchung der Valenz weiterer mhd. Verbphraseme steht ein phraseologisches Wörterbuch des Mhd. (Friedrich 2006 = JF) zur Verfügung. In den meisten Fällen lassen sich aus den lexikografischen Nennformen der Verbphraseme sowohl die quantitative als auch die qualitative (Poly-)Valenz erschließen. So handelt es sich z. B. bei der Nennform (jmdm.) ze beine gân ‚(jmdm.) zu Herzen gehen, (jmdn.) stark berühren‘ um quantitative Polyvalenz, d. h., die Dativergänzung ist fakultativ: Swie ichz niht enweine,/ sô gât mîn leit ze beine […]; dir gât mîn nôt ze beine […] ( JF 113). Im Mhd. finden sich auch dreiwertige Verbphraseme, vgl. jmdm. etw. an den lîp gebieten ,jmdm. etw. einschärfen; nachdrücklich befehlen‘: der Kvnic iz im an den lip gebot ( JF 277f.). Eine wichtige Erkenntnis ist, dass in den Nennformen nicht nur Objekte, sondern auch andere Ergänzungen, nämlich Adverbiale, aufgeführt werden, vgl. irgendwo krône tragen ,irgendwo die Herrschaft innehaben; über etw. (ein Land, ein Reich) herrschen; König von etw. sein‘: Der kvnic Nabuchodonosor/ Truoc ze babilone/ Mit gewalte krone ( JF 254); sînen vuoʒ irgendwohin setzen ,irgend‐ wohin kommen, gehen‘: ich hân gesetzet mînen vuoz/ nâch hôhen sælden in daz lant ( JF 442). Qualitative Polyvalenz liegt u. a. bei folgenden Beispielen vor: man mac an den vîanden/ nemen gût bilide […]; von diu sulen alle kunige/ bî im immir nemen bilide; hie neme ein herre bilde bî; […] der gedenke waz man tuon sol/ und neme dâvon bilde wol ( JF 118). Die von Friedrich angeführte Nennform lautet hier bilde nemen ,sich ein Beispiel nehmen; jmdn./ etw. als Vorbild ansehen; aus etw. lernen, eine Lehre ziehen‘, sollte aber so gestaltet werden, dass sie auch die Objekte enthält; eine adäquate Nennform würde an/ bei jmdm., bei/ von etw. bilde nemen lauten. Auch bei der Nennform einer Sache ein gast sîn ,etw. nicht haben, etw. verlieren‘ wäre eine zusätzliche Information wünschenswert, da einer Sache sowohl Genitiv als auch Dativ sein kann. Einem Beispiel wie ich was ie fröuden ein gast ( JF 156) ist nicht zu entnehmen, welchen Kasus fröuden vertritt (die Form ist entweder Genitiv oder Dativ Plural). Aus den übrigen 113 10. Historische Valenz und Phraseologie Beispielen geht jedoch hervor, dass der Kasus bei diesem Verbphrasem Genitiv ist, vgl. u. a. durch daz er der êren ist ein gast (ebd.). Eine präzise Nennform könnte z. B. wie folgt lauten: einer Sache <Gen.> ein gast sîn. Frühneuhochdeutsch Fnhd. Verbphraseme der Aufmerksamkeit und des Wahrnehmens sind acht geben, acht haben, acht nehmen, in acht nehmen, achten haben, achtung geben, achtung haben, gewahr werden, inne[n] werden und wahr nehmen. Auch wenn es im Fnhd. z. B. die zusammengeschriebenen Formen achthaben, achtnehmen und wahrnehmen gibt, können diese Ausdrücke als Phraseme klassifiziert werden. So kommt acht im Fnhd. als selbstständiges Substantiv vor: Es kann ohne die Verben geben, haben und nehmen verwendet werden, mit einem Artikel und der Negation kein verbunden werden und mit einem anderen Substantiv in Nektion erscheinen, weiterhin kann zwischen acht und z. B. geben eine Ergänzung treten. Bei wahr nehmen wiederum zeigt sich der substantivische Charakter von wahr im Fnhd. noch darin, dass sich an wahr ein Adjektiv, besonders gut, anschließen kann und dass wahr nehmen auch ein Genitivobjekt verlangt (der Genitiv war ursprünglich von wahr abhängig). Außerdem kann wahr mit einem anderen Substantiv verbunden werden, und zwischen wahr und nehmen kann z. B. ein Präpositionaladverb als Korrelat eines Nebensatzes stehen. Ergänzungen, die den Phrasemen acht geben, acht haben und acht nehmen gemeinsam sind, sind das Genitivobjekt und das Präpositionalobjekt mit auf, darüber hinaus treten diese Phraseme auch ohne Objekt auf: die mögen wol acht nemen und sich hüten; aufs fleiszigste acht zu nemmen (DWB); […], das wir ja zu sehen und uns lassen einen ernst sein und unser wol acht haben, […] (Luther); Gott […] thut ymmerdar seine zeychen dahyn fuͤr und fuͤr, also das niemands odder gar wenig leute acht drauff geben, […] (Luther). Eine weitere Objektklasse, die sich bei bei acht haben und acht nehmen belegen lässt, ist das Akkusativobjekt: der künig .. der do mer die schöne ires leibs acht vnd wargenomen het dann die andern (DWBN). Anstelle eines Präpositionalobjekts mit auf taucht bei acht haben auch eines mit vor auf, und acht haben und acht nehmen verbinden sich auch mit satzförmigen Objekten (acht nehmen mit Hauptsatz, beide mit Nebensatz mit dass bzw. w-Frage, acht haben auch mit Korrelat): beym geitzigen knopff möcht ein diener lieber ein roß, hundt oder ander thier seyn, denn so die in jhrer art gut, hat man mehr sorg vnd acht vor sie als vor ein diener (DWBN); Hie hor, o mensch, nym eben achte, | Dis ist der wor cristenlich glaub (FWB); so hab ich auch nicht gnommen acht,/ das eur gnad gwessen ist hierinn (DWBN); ein iglicher sol darauff achte habenn, was gott mit yhm wirckt (PHD 1, 40). Während achten haben im Fnhd. nur selten begegnet (Belege dazu sind etwa bei Luther zu finden) und dabei ein Präpositionalobjekt mit auf und einen 114 D. Valenz und Historische Grammatik Nebensatz mit dass bzw. w-Frage mit Korrelat aufweist, lässt achtung haben eine reichhaltige Polyvalenz erkennen. Ein Vergleich mit acht haben zeigt, dass hier zwar kein Akkusativobjekt, dafür aber zusätzlich ein Präpositionalobjekt mit um und ein Nebensatz mit ob enthalten sind. Ein einwertiger Gebrauch ist ebenfalls möglich: hie sol man imerdar achtung haben (DWB); daz sy […] keyne achtunge odir sorge mochte haben umme di liplichin vorgenclichin dinge (DWBN); […] darnach kan man auch achtung haben, ob sie Christlich leben (Luther). Wie achten haben, sind in acht nehmen und achtung geben im Fnhd. selten. Das erstere Phrasem verbindet sich mit einem Objekt im Akkusativ, das letztere mit einem Präpositionalobjekt mit auf: Strabo rühmet den Homerus, dasz er die eigenschaft eines jedwedern dinges sehr genau in acht genommen (DWB); Gib nur achtung auff meinen Sohn (GH 13). Die Valenz von gewahr werden umfasst einen ein- und einen zweiwertigen Gebrauch mit folgenden Objektklassen: Akkusativ-, Genitiv- und Nebensatz‐ objekt mit dass (mit und ohne Korrelat), ob und w-Frage, vgl. […], das die warheytt unuorsehens und ßo heymlich untergehet […] Ja, auch ßo heymlich, das die rechtglewbigen nit wurden gewar, wenn sie nitt mit vleyß nach der warheytt trachten (Luther); Was sihest du einen splitter in deines brůders auge und den balcken in deinem auge würstu nit gewar (Luther); […] vnd wirst nicht gewar des Balcken in deinem auge (Luther-Bibel); Wo er aber gewar wurd. das wyr diß gepett wollten vben […] (Luther); denn wo ich des gewar und gewisz wurde, das sie solch gifft ausz meinen büchern sugen, […] (DWB); […], und niemant wird es gewar, das es ein solche krafft hatt, […] (DWB); […], so wirstu nymer gewar, ob eyn winckel ledig sey, […] (Luther); Da werdenn wir denn erst recht volkommlich gewar, was wir glaubt haben, […] (Luther). Neben diesem Valenzverhalten begegnet im Fnhd. ein dreiwertiger Gebrauch mit Subjekt, Akkusativ- und Infinitivobjekt ohne zu (wie im Ahd.; vgl. oben): da wurd ich gewar / auß einer tieffen hoͤlen / […] gegen mir herauß kommen / einen Ritter (FWB). Die objektbezogene Valenzumgebung von inne werden und innen werden besteht aus einem Akkusativ-, Genitiv- und Nebensatzobjekt mit dass (mit und ohne Korrelat), ob und w-Frage (mit und ohne Korrelat). Aus dem ersten Beispiel geht aber hervor, dass ein Objekt nicht obligatorisch ist: […], der solt den Keyser heimlich, das er nicht jnnen wuͤrde, abmalen oder konterfeien, […] (Luther); […], das würt ir inn in kurzer frist (DWB); Alls nw dy küniginne | sich schied von im […] | ward er des priefes inne (FWB); […], ßo wirstu ynnen werden, das gemeynicklich nur weyber sind geweßen, die umb nachlassen der beycht vordampt seyn, […] (Luther); pin das durch vil sach innen worden, das der mensch chain gut ent nimet (FWB); Vnd die Egypter sollens innen werden / 115 10. Historische Valenz und Phraseologie das ich der HERR bin […] (Luther-Bibel); […] der wird innen werden / ob diese Lere von Gott sey […] (Luther); […], und wirtt ynnen, wie war das sey, […] (Luther); […] und sie sollens auch ynne werden, welche frucht sie erlangen und wie feine leute Gott aus yhn machen wird (RGB 1077). Auch bei wahr nehmen ist die formale Polyvalenz reich entwickelt. Als Objektklassen sind ein Akkusativ-, Genitiv- und Präpositionalobjekt mit auf , ein Hauptsatz sowie Nebensätze mit dass bzw. ob (mit und ohne Korrelat) und w -Frage nachweisbar: also und schröcklicher hat dich der stoltze feind oft wahrgenommen , […] (DWB); Darumb soll yn dißem handel eyn Christen auch dißer zweyerley menschen warnehmen: […] (Luther); spricht der widerteyl, man söll uff syne werck warnemen und nit uff den wandel (DWB); wann sie zů euch sagen, sihe, nymm war, Christus ist in der wuͤsten, gond nit hinausz, nymm war, er ist in der zell oder kämer, so glaubent es nit (DWB); HYe in disem Euangelio […] ist war zůnemen, das wir den rechten eynfeltigen verstandt […] ergreyffen, […] (Luther); […] und söllent war daruff nemen, das sü gůte gelt und guldin empfohent (DWB); […] das dw eben warnemest, ob dw dich findest also, das dw ein begird darzu hast (Luther); der klingeler .. soll ouch altzit […] daruf lůgen und warnemen, obe yemans unküscheit dete (DWB); Martius […] wolt war nemen, wie sich der stryt hielt .., […] (DWB); nu nam sy des vil eben war, war der man die slússel tet (DWB). Neuhochdeutsch (1650‒1950) Zu den nhd. Verbphrasemen der Aufmerksamkeit und des Wahrnehmens können Acht geben , Acht haben , Acht nehmen , in Acht nehmen , Achtung geben , Achtung haben , gewahr werden , inne[n] werden und wahr nehmen gezählt werden. Zu den ersten zwei Phrasemen ist zunächst anzumerken, dass sie in Korpora und Wörterbüchern ohne Objekt belegbar sind: Habt ihr wohl Acht gegeben, Kinder? (GWB); Habet Acht und haltet zusammen! (GWB). Gemeinsame nominale Ergänzungen von Acht geben , Acht haben und Acht nehmen sind das Genitiv- und Präpositionalobjekt mit auf , die letzten zwei kommen auch mit Akkusativobjekt vor: Und haben die/ so dises in Zweifel ziehen wollen/ gewißlich Pauli denckwürdiger Worten nicht recht Acht gegeben. (DWDS: Gotthard Heidegger 1698); Ich habe immer auf die Verdienste meiner Widersacher Acht gehabt […] (GWB); Nun hatte dieser gleich sein Geschwätze mit Klodius Schwester/ daß ers nicht acht nahm […] (DWDS: Andreas Heinrich Bucholtz 1659). Bei allen drei Phrasemen sind Nebensatzobjekte mit dass (mit und ohne Korrelat) anzutreffen: Man mus aber mit brennenden Fackeln wol versehen seyn/ auch im hinein gehen acht nehmen/ daß durch die/ in grosser Menge darinnen enthaltenden Fleder-Mäuse/ solche nicht ausgelöscht werden. (DWDS: Johann Heinrich Seyfried 1679); So sollen die Gerichts-Verwaltere darauff gute 116 D. Valenz und Historische Grammatik e Acht haben/ das zuforderst die Civil-Sachen […] vorgebacht und gehört […] (DWDS: Der Stadt Hamburg Statuta und Gerichts Ordnung ca. 1680). Neben den dass-Sätzen treten Sätze mit ob bzw. w-Frage (Letztere mit und ohne Korrelat) auf, wie die Beispiele mit Acht geben und Acht haben zeigen: […] diesmal sollst du mit gehen und Acht haben ob Zweiäuglein draußen ißt […] (DWDS: Grimms Märchen 1850); […] daß sie […] allein darauff acht geben/ was zu ihrer erbauung diensam […] (DWDS: Philipp Jakob Spener 1676). Die Ergänzungsklassen von in Acht nehmen weichen nicht stark von denen bei Acht geben, Acht haben und Acht nehmen ab; die Klassen sind Akkusativ- und Genitivobjekt sowie Nebensätze mit dass, ob und w-Frage: .. nimmt er auch den todten Hirsch in Acht (DS 1, 8); Der Markung nicht in Acht genommen (DS 1, 8); […] er hat aber nicht darbey in acht genommen/ daß ein wenig dürre Holtz bald von der Flamme des Feuers angezündet […] wird […] (DWDS: Johann Balthasar Schupp 1663); Und hören ob alles wol auf einander klinget/ sonderlich aber in Acht nehmen/ ob die Distinctiones also gleich geordnet/ daß […] (DWDS: Georg Philipp Harsdörffer 1653); Und also in acht nehmen/ welchen Milch oder starcke Speise gebühre/ […] (DWDS: Christoph Banner 1652). Achtung geben und Achtung haben weisen folgende Gemeinsamkeiten auf: Präpositionalobjekt mit auf und Nebensätze mit dass und w-Frage (beide mit und ohne Korrelat). Daneben erscheint Achtung haben mit Genitivobjekt und Achtung geben einwertig und mit ob-Satz: […] daß die Fürsten/ in ablesung der Brieffen/ und überreichter Schriften/ gute Achtung geben sollen […] (DWDS: Martin Zeiller 1660); Ein jeder führer hat bey sich zwölff tapffre knaben/ Die mit geschwindem lauff sein fleißig achtung haben […] (DWDS: Publius Vergi‐ lius Maro 1668); […] daß er auff den Catechismum, auff die Tauff/ vnd Wohlfahrt der Seelen oder Seeligkeit/ achtung gebe. (DWDS: Johann Conrad Dannhauer 1653); […] doch müßte man nothwendig Achtung geben/ daß nicht etwan seine Feinde jhm dieses Bad fälschlich zugerichtet hetten. (DWDS: Sigismund Friedrich Wartmann 1652); […] solt du drauff achtung haben/ Daß du bedecket trägst/ dein haupt und angesicht […] (DWDS: Publius Vergilius Maro 1668); […] auch muß man achtung geben/ ob sie bewurzelt/ sintemahl sie ohn wurzeln schwerlich anschlagen. (DWDS: Johann Sigismund Elsholtz 1666); […] daß wir selbst/ persönlich achtung geben/ Wie diese Pest vergeh՚ […] (DWDS: Andreas Gryphius 1650); […] daß er nicht soll darauff achtung haben/ was für Pfarrherrn und Prediger die kirchen wehlten. (DWDS: Gottfried Arnold 1700). Zu den Ergänzungen von gewahr werden gehören das Akkusativ-, Genitiv- und Präpositionalobjekt mit auf (die letzte Klasse ist selten) sowie Nebensätze 117 10. Historische Valenz und Phraseologie mit dass und w-Frage: dasz sie eine weile vor ihm stand ehe er sie gewahr wurde. (DWB); man ward hier einer unbeengten, wohlgebauten, der gegend angemessenen stadt gewahr. (DWB); er […] war auf derselben Spur wie ich auf den Irrthum Newtons gewahr worden (GWB); Wenn er gewahr wird daß sein Gegner ihm an moralischen Kräften zu sehr überlegen ist. (DWDS: Carl von Clausewitz 1834); […] und werde recht gewahr/ was das Leben sey/ und ein Leben heisse. (DWDS: Samuel Pomarius 1659); […] sondern hat auch die erfahrung davon in seiner seelen/ welche gewahr wird dessen/ was in ihr geschihet […] (DWDS: Philipp Jakob Spener 1701). Vom Präpositionalobjekt mit auf abgesehen sind bei inne werden und innen werden die gleichen Ergänzungen zu beobachten wie bei gewahr werden. Dazu kommen ein Objekt in Form eines Hauptsatzes und ein Nebensatz mit ob: […] wie daß ihre Nonnen den Betrug wären inne worden (DWDS: Christoph Philipp Richter 1661); […] oder da sie seines Christenthums innen würde […] (DWDS: Andreas Heinrich Bucholtz 1659); Damit die Feinde zuletzt innen werden, sie haben auf einen vest zusammengepackten Oelbeer Hauffen geschlagen, […] (DWDS: Samuel Lucius 1731); Fürsten […] Werden endlich innen werden/ daß jhr Baw nicht jhnen stund. (DWDS: Friedrich von Logau 1654); Bist du es inne geworden, daß ich kam? ( JA); […] damit man bey Zeiten innen werde/ ob man auch gegen alle Fälle gefasset seyn könne oder nicht. (DWDS: Johann Georg Pasch 1662); […] biß er innen ward/ welche Wurtzel gut war. (DWDS: Johann Walther 1669); Er wird es schon noch inne werden, was das heißt, einen solchen Menschen zu beleidigen ( JC 2, 825). Wahr nehmen kann sowohl zweials auch dreiwertig vorkommen. Die Ergänzungsklassen des zweiwertigen Gebrauchs sind das Akkusativ- und Ge‐ nitivobjekt sowie Nebensätze mit dass und w-Frage: ihre pferde aber wurden dem wirthe anvertrauet, solche wohl wahr zu nehmen. (DWB); setzt eure ruhe seiner hitz՚ entgegen, ermüdet ihn, nehmt seiner blöszen wahr. (DWB); sobald sie wahrnahmen, dasz ihre regierung .. widersprechende maszregeln ergreife, […] (DWB); Ich nahm es nicht wahr, daß mich etwas stach. ( JA); auch hast du wohl wahrgenommen, wie sehr mein herz an dieser arbeit hing. (DWB). Beim dreiwertigen Gebrauch hat man es mit dem Satzmodell Subjekt + Akkusativobjekt + Infinitivobjekt (ohne zu) zu tun: Weil der Andere nur Alles nach physischen Gesetzen entstehn und aufhören wahrnahm (DS 2, 419). Gegenwartsdeutsch Von den oben behandelten nhd. Verbphrasemen sind Achtung geben, Achtung haben und innen werden im heutigen Deutsch nicht mehr vorhanden (Achtung beschränkt sich heutzutage auf die Bedeutung ‚Hochachtung‘). Acht nehmen kommt äußerst selten vor und wird z. B. in neueren und modernen Allgemein‐ 118 D. Valenz und Historische Grammatik wörterbüchern (u. a. 1BW, 2BW, DUW und DWDSWB) nicht aufgeführt. Auch in den DWDS-Korpora lassen sich dafür nur einige wenige Belege anführen, wobei als Objektergänzung eine Präpositionalkonstruktion mit auf steht, vgl. […] dass sie auf ihre Gesundheit acht nehmen sollen. (DWDS: Die Zeit 17.3.2015). Das Phrasem etw. in Acht nehmen wiederum ist heute in der Bedeutung ,gut auf etw. achten, auf etw. aufpassen‘ weniger üblich, vgl. […] wenn er nur den rechten Gebrauch und Ordnung in acht nimmt, […] (DWDS: Die Zeit 6.2.1958); beispielsweise in DUW wird die Bedeutung wie folgt definiert: ,etw. vorsichtig, sorgsam behandeln‘. Demgegenüber ist sich vor jmdm., etw. in Acht nehmen (,sich vor jmdm., etw. vorsehen‘) ein fester Bestandteil des heutigen Phrasemguts. Neben Acht geben und Acht haben existieren die Wortbildungskonstruktionen achtgeben und achthaben, während inne und werden bzw. wahr und nehmen nur zusammengeschrieben werden und damit ihren Phraseologiestatus verloren haben (trotzdem werden ihre Valenzeigenschaften unten mitberücksichtigt). Von den beiden Phrasemen Acht geben und Acht haben ist das Erstgenannte häufiger (laut DUW gehört Acht haben dem gehobenen Sprachgebrauch an). Acht geben wird in den DWDS-Korpora ein- und zweiwertig verwendet; die Objektergänzungen sind in erster Linie das Präpositionalobjekt mit auf, das Infinitivobjekt mit zu und Nebensatzobjekte mit dass, ob und w-Frage (den Infinitivkonstruktionen und Nebensätzen kann ein Korrelat vorangehen): In der Küche muß man besonders achtgeben. (DWDS: Carl H. Schmidt-Rogge 1973 [1969]); […] ich mußte hinter ihm gehen und genau auf ihn achtgeben. (DWDS: Ulrich E. Hasler 1967); […] wobei ich achtgab, nichts von dem Gerümpel in den Mund zu bekommen. (DWDS: Walter Moers 1999); […] andererseits müsse sie darauf achtgeben, das rasante Wachstum der Kredite zu verlangsamen. (DWDS: Die Zeit 5.3.2015); Dabei wird man acht geben, daß der Kork nicht durchbohrt wird, […] (DWDS: Alfred Kölling 1962 [1956]); […] aber man muß darauf achtgeben, daß man die Sehnen nicht zerrt. (DWDS: Die Zeit 5.3.1993); […] wird früher oder später der erste Gigant […] achtgeben, ob wirklich niemand davon erfährt. (DWDS: Die Zeit 16.9.1999); Es ist lohnend, einmal darauf achtzugeben, wie viele Menschen heute die unmöglichsten Dinge lohnenswert finden. (DWDS: Die Zeit 19.6.1959). Als Ausnahmen sind ein Dativobjekt und ein Präpositionalobjekt mit vor anzusehen: […] bohre mich über den Eiter des Körpers in den Eiter meiner Person, dem ich so lange nicht achtge‐ geben habe, […] (DWDS: Volker Elis Pilgrim 1983 [1977]); Dabei müsse man vor zwei Gefahren acht geben: […] (DWDS: Archiv der Gegenwart 2001 [1958]). Acht haben unterscheidet sich von Acht geben nur dadurch, dass es einerseits auch mit einem Genitivobjekt verbunden werden kann und andererseits nicht mit einem Dativ- oder Präpositionalobjekt mit vor erscheint: […] und wie man 119 10. Historische Valenz und Phraseologie doch mit rechtem Bürgersinn solcher Zeichen eher hätte acht haben sollen; […] (DWDS: Die Zeit 7.6.1956). Sowohl bei gewahr werden als auch bei innewerden treten das Akkusativ-, Genitiv- und Nebensatzobjekt (mit dass bzw. w-Frage; dass-Sätze mit und ohne Korrelat) als Ergänzungen auf (die gegenwartsbezogenen Wörterbücher 1BW, 2BW, DUW und DWDSWB geben für innewerden nur den Genitiv als Objektkasus an; in DUW und DWDSWB wird auch der dass-Satz als Objekt‐ realisation angeführt): Voraussetzung für den Erfolg dieser Nachfolge ist rechte Selbsterkenntnis, die die eigene Sündhaftigkeit innewerden läßt; […] (DWDS: Karl Baus 1962); […] weil er die Widerstände, die Hemmnisse, die Barrieren und die Barrikaden nicht kennt oder nicht wahrhaben will oder ihrer nicht gewahr wird. (DWDS: Wolfgang Hildesheimer 1981); Dies ist selbst dann von Vorteil, wenn man dabei gewahr wird, daß man in dieser oder jener Frage konträrer Auffassung ist. (DWDS: Erwin Dichtl 1979); Mögen Sie dessen innewerden, … daß das Miteinander von Menschen und Völkern nicht zu einem Gegeneinander führt - […] (DWDS: Die Zeit 16.10.1959); […], in denen man die schlafenden Höllenhunde wecken muß, um an ihrem Gebelle innezuwerden, wie nahe wir der Hölle noch sind. (DWDS: Die Zeit 22.1.1960). Spezifische Ergänzungen, die nur bei gewahr werden belegt werden konnten, sind das Dativobjekt, das Infinitivobjekt mit zu und das Nebensatzobjekt mit ob; bei innewerden stellt das Präpositionalobjekt mit über ein entsprechendes Spezifikum dar: […], als ich mich noch einmal umwandte und dem schrecklichsten Anblick meines Lebens gewahr wurde. (DWDS: Raoul Schrott 2003); Ihm jagt Angst ein, dass er gewahr wird, in etwas hingeraten zu sein, das sein Verstand nicht zu fassen vermag. (DWDS: Die Zeit 19.8.1999); Ich wurde nie gewahr, ob sie unseren Rekord zunichte machten; […] (DWDS: Erwin Strittmatter 1983); Ich hoffe, dass sich viele Menschen trotzdem Mel Gibsons Film nicht nur ansehen, sondern innewerden über das, was Jesus für sie getan hat. (DWDS: Die Zeit 18.3.2004). Als eine syntaktische Besonderheit von gewahr werden ist eine Konstruktion zu betrachten, in der ein Nebensatz als Subjekt und eine im Dativ stehende Personenbezeichnung als Objekt erscheint: […], dass vielen Abgeordneten erst so langsam gewahr wird, dass über Nacht eine tragende Säule des konservativen Wertegebäude [sic! ] abmontiert worden ist. (DWDS: Die Zeit 9.6.2011); Sie schrak auf, als ihr plötzlich gewahr wurde, mit welcher Sicht sie ihre Reise betrachtete. (DWDS: Erik Neutsch 1964). Objektergänzungen von wahrnehmen sind das Akkusativobjekt und Neben‐ sätze mit dass, ob und w-Frage. Mit Ausnahme von DWDSWB werden in den Allgemeinwörterbüchern des heutigen Deutsch nur Beispiele für das Akkusa‐ tivobjekt angeführt (das satzförmige Objekt in DWDSWB ist ein dass-Satz): 120 D. Valenz und Historische Grammatik 10 Zu mhd. kausativen Verben und ihrer Valenz vgl. Greule (2016, 118‒120). Früher hat sie die Texte nie so genau wahrgenommen, […] (DWDS: Marcel Beyer 2000); Sie hat noch nicht wahrgenommen, daß sich eine Öffentlichkeit gebildet hat als Arena der gesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildung - […] (DWDS: Karl Schlögel 2002); […] dass der Fahrer nicht wahrnimmt, ob der Elektromotor allein für Bewegung sorgt oder den Diesel unterstützt, […] (DWDS: Berliner Zeitung 6.11.2004); Man muß nur einmal als Eifersüchtiger wahrgenommen haben, wie solche weiblichen Frauen über ihre Weiblichkeit verfügen, […] (DWDS: Theodor W. Adorno 1951). 11. Historische Valenz und Funktionsverbgefüge Funktionsverbgefüge (kurz FVG) sind komplexe, aus mehreren Wörtern beste‐ hende Prädikate, die zuerst für die deutsche Grammatik in der zweiten Hälfte des 20. Jh. entdeckt und beschrieben wurden. Ein FVG wie nhd. zur Entscheidung kommen besteht aus einer Präposition mit integriertem Artikel (zur), einem Substantiv (Entscheidung) und dem Funktionsverb (kommen). Das Funktions‐ verb ist desemantisiert, d. h., kommen bedeutet im Beispiel nicht (mehr) ‚sich nähern‘. Die Hauptbedeutung des FVG trägt das Substantiv, das semantisch eine Handlung beschreibt (Entscheidung), die auch durch ein Verb erfasst werden kann (entscheiden). Für die Beschreibung der Valenz ist es wichtig zu sehen, dass das ganze FVG der Valenzträger ist und nicht nur das Funktionsverb. Herr Meier entscheidet den Streit enthält ein zweiwertiges Prädikat (Agens → NGnom Herr Meier / Patiens → NGakk den Streit), während das semantisch entsprechende FVG im Satz der Streit kommt zur Entscheidung einwertig ist. Im Beispiel ermöglicht die Bildung des FVG die Valenzreduktion um die Agensergänzung. Auch der umgekehrte Fall, die Valenzerhöhung, ist durch die Bildung eines FVG möglich, z. B. einwertig Die Glocke schwingt, zweiwertig Herr Meier bringt die Glocke zum Schwingen. Durch die Bildung des FVG zum Schwingen bringen wird in das einwertige Vorgangsprädikat schwingen ein Verursacher (Agens) als NGnom/ Subjekt eingeführt (Bildung eines kausativen Prädikats). 10 Dass die Funktionsverbgefüge keine Neuerung der nhd. Sprachperiode sind, sondern sie auch in der Sprachgeschichte schon existierten, ist durch die Feststellung dieser Prädikatsstruktur und eine Sammlung von FVG in mhd. Quellen nachgewiesen worden (Tao 1997). Allerdings ist die Systematisierung der mhd. FVG noch nicht so ausgeprägt wie im Nhd. (Vgl. Maxwell 1982b, 171‒177). 121 11. Historische Valenz und Funktionsverbgefüge 11 Freie Übersetzung durch Helmut Brackert (1970): Das Nibelungenlied 1. Frankfurt (= Fischer Taschenbuch), 11. 12 Vgl. Tao (1997, 76). Beispiel: In der 22. Strophe des Nibelungenlieds (Zeile 4) findet sich der Satz Sît heten in ze minne diu vil wætlîchen wîp „Die schönen Damen fanden ihn später sehr anziehend“. 11 Das Pronomen in bezieht sich auf Sîvrît; das Prädikat lautet im Infinitiv ze minne hân und hat die Valenz NGnom → Agens, NGakk → Patiens. Dem steht das einfache Verb minnen (im Prädikat minnen solde) gegenüber (Nibelungenlied 285,1‒2, Siegfried denkt): „swie kunde daz ergân, daz ich dich minnen solde? “ Die Valenz ist mit der des FVG identisch. Das wirft die Frage auf, welchen Gewinn der Dichter des Nibelungenlieds mit der Verwendung des FVG anstelle des einfachen Verbs erzielte, außer dass die Hauptbedeutung auf ein Substantiv (minne) verlagert wurde. Die Antwort ist möglicherweise bei der Markierung der Aktionsart zu finden: ze minne hân kann gegenüber minnen (solde) als Bestimmung der Durativität (Bezeichnung eines kontinuierlich ablaufenden Vorgangs ohne Betonung von Anfang oder Ende) gelten. 12 Deutlicher wird die Unterscheidung, wenn die Valenz bei einem FVG um ein Satzglied erhöht ist, und zwar durch die Einführung eines Handlungsverursa‐ chers (Agens). Dies ist der Fall, wenn das FVG im Unterschied zum einfachen Verb kausativ ist. Der Typus, dass kausativierende FVG die Ergänzungen des nicht kausativen Grundverbs vollständig übernehmen, ist im Nhd. gut ausge‐ baut, findet sich aber in der Sammlung von J IN G NIN G T A O nur selten. Er (Tao 1997, 66) führt nur wenige Fälle auf: (zweiwertiges, kausatives) ze gloube bringen steht einwertigem gelouben ‚glauben‘ gegenüber; ähnlich an gedinge bringen versus gedingen ‚fest und sicher glauben, hoffen‘, an gruoz bringen versus grüezen, in minne bringen versus minnen ‚lieben‘. Aus dem Nibelungenlied stammt der Beleg (Nibelungenlied 675,4‒676,1) mit dem dreiwertigen FVG an ein lougen bringen sît brâht er an ein lougen die vil hêrlichen meit Ir ungefüges willen „Siegfried bewirkte, dass später Brün‐ hild ihre unschicklichen Verwünschungen leugnete“. Der Satz ist die Kausativierung der nicht kausativen zweiwertigen Konstruktion *sît lougnete die vil hêrliche meit Ir ungefüges willen 122 D. Valenz und Historische Grammatik 13 Tao (1997, 69). mit folgender Valenz: Enom/ Agens (die vil hêrliche meit) / / Egen/ Inhalt (Ir ungefüges willen). loug(en)en ist im Nibelungenlied zwar als reflexives Verb belegt, z. B. (Nibelungenlied 831,4) si mac sîn gerne lougen, des Prünhilt verjehen hât („was Prünhilt behauptet hat, das kann sie gerne leugnen“). Das Reflexiv‐ pronomen steht im Genitiv; die Valenz, die vom ganzen Prädikat mac sîn lougen ausgeht, bleibt aber zweiwertig: Enom/ Agens (si, Prünhilt) / / Egen/ Inhalt (des … verjehen hât). Die nicht reflexive Verwendung von loug(en)en findet man mit der gleichen Wertigkeit bei F R E IDAN K 47, 3: ein ieglich diep weiz vil wol, wie er der diube louken sol „Jeder Dieb weiß ganz genau, wie er den Diebstahl leugnen soll“: Enom/ Agens (ein ieglich diep) / / Egen/ Inhalt (der diube). Als „scheinkausative“ FVG werden Prädikate gewertet wie zweiwertiges an/ in arbeit bringen ‚in Not bringen‘ (Parzival 386,18: er … vil liute brâht in arbeit), das im Wesentlichen bedeutungsgleich ist mit zweiwertigem arbeiten, also keine Wertigkeitserhöhung mit sich bringt. 13 Manche mhd. FVG bewirken eine Valenzreduzierung bei gleichbleibender Be‐ deutung gegenüber dem Grundverb, z. B. an arcwân kommen versus arcwænen: Tristan 14845‒14847 (wundert mich des starke,) wa von mîn hêrre Marke an disen arcwân kæme „[…] weshalb mein Herr Marke dies argwöhnte“ - mit einer Ergänzung NGnom (mîn hêrre Marke), im Unterschied zu: Tristan 13629 … daz er eteswaz hie van / arcwânde in sînem muote „… dass er etwas davon in seinem Herzen argwöhnte“ mit zwei oder drei Ergänzungen: NGnom (er), NGakk (eteswaz hie van), PräpGin. Die Ergänzung im Akkusativ bei arcwænen ist im FVG zum Attribut geworden: an disen arcwân < *er arcwânde dis. Weitere potenzielle Valenzänderungen bei mhd. FVG im Vergleich zum Grundverb behandelt Tao (1997, 69‒71). Der ganze Komplex bedarf aber noch einer weiteren Untersuchung im größeren Rahmen einer mhd. Phraseologie in Verbindung mit der Valenztheorie. 123 11. Historische Valenz und Funktionsverbgefüge Entstehung von Funktionsverbgefügen durch Veränderung des Satzbau‐ plans Am Beispiel des ahd. Verbs queman und seiner bedeutungsgleichen Präfixverben zeigt C H R I S TIAN B R AU N (2010), wie Tiefenkasusverschiebungen zur Entstehung von FVG im Ahd. beigetragen haben. Grundlage der Analyse ist der Artikel queman im Syntaktischen Verbwörterbuch zu den ahd. Texten des 9. Jahrhun‐ derts (Greule 1999, 189‒191). Im zugrunde liegenden Korpus wurden 598 Belege für queman (und seine bedeutungsgleichen Präfixbildungen) gefunden. Das ahd. Verbwörterbuch formuliert dazu zwei Unterartikel: 1 queman ‚kommen‘ und 2 queman ‚zuteilwerden, widerfahren‘. Das Bewegungsverb 1 queman hat den Kasusrahmen AGENS ‒ SITUATIV ‒ URSPRUNGSLOKATIV - WEG/ STRECKENLOKATIV - ZIELLOKATIV Das Agens (AG) ist semantisch durch die Merkmale +hum/ anim (Mensch) in 508 Belegen bzw. durch die Merkmale -hum/ anim (Belebtes) in 80 Belegen spezifiziert. Zum Beispiel: Thie ewarten alle quamun zi themo thinge (Otfrid 3,25,5) „Die Priester kamen alle zu dem Gericht“. 2 queman hat einen anderen Kasusrahmen: Das affizierte OBJEKT wird dem ADRESSATEN vom AGENS (oder ZIELORT) zuteil. mit 10 Belegen. Zum Beispiel: … thaz mir queme alles guates in ewon genuagi (Otfrid 1,2,53) „… dass mir reichlich an Gutem auf ewig zuteilwerde“. Dem stehen 33 FVG mit queman als Funktionsverb gegenüber. 1. Inchoative FVG, z. B. ahd. zi giloubu biqueman ‚zum Glauben kommen‘, 2. Ingressive FVG, z. B. ahd. in gidrahta queman ‚in den Sinn kommen‘. Der inchoative bzw. ingressive Bedeutungsbeitrag durch das Funktionsverb queman unterscheidet sich durch die Geschwindigkeit, mit der das Ende des Vorgangs erreicht wird: inchoativ ‚allmählich einsetzend‘ versus ingressiv ‚plötzlich einsetzend‘. Die FVG sind eine von mehreren Variationen des Satzbauplans von 1 queman +hum/ anim. Wird der Ziellokativ personifiziert (und damit zum ADRESSATEN) und gleichzeitig das Agens mit einem (deverbalen) Abstraktum besetzt (und zum affizierten OBJEKT gemacht), findet der Wechsel zum Kasusrahmen von 2 queman statt. Wird aber der Ziellokativ mit einem (deverbalen) Abstraktum besetzt, wird die lexikalische Bedeutung auf dieses Nomen verlagert, während 124 D. Valenz und Historische Grammatik queman seine lexikalische Bedeutung verliert und zum (grammatischen) Funk‐ tionsverb wird. Zum Beispiel: … suntar so thie dati mir quement in githahti (Otfrid 3,1,8) „… sondern so, wie mir die Taten spontan einfallen“; thie dati (Agens -hum/ anim), mir (Adressat), githahti (deverbales Nomen zum Verb ahd. githenken). Das FVG quement in githahti „fallen spontan ein“ ist ingressiv. 12. Historische Valenz und Textgrammatik Die Valenz der ahd. und gerade der mhd. Verben hängt nicht nur von lexikali‐ schen Faktoren ab, sondern auch von textlinguistischen. (“Old and Middle High German valency is not only part of the grammar of sentence, but also of the grammar of the text.”) (Habermann 2007, 96). 12.1 Die Rolle der valenten Prädikate in der Textgrammatik Die textgrammatische Analyse soll erhellen, mit welchen sprachlichen Mitteln ein Text kohärent gemacht ist oder gemacht werden kann. Das dabei praktizierte Modell stützt sich weitgehend auf K LAU S B R IN K E R und sieht den Text als eine begrenzte und vernetzte Folge von kleinsten Texteinheiten (MTE), gemeint sind im Normalfall Sätze, an. Die wichtigsten Analyse-Parameter sind: 1. Die „Zentralen Textgegenstände“ (ZTG), die sich jeweils aus einer den Text durch‐ ziehenden Reihe von Sprachzeichen mit identischer Referenz (= Koreferenz) ergeben, sowie 2. die Isotopie-Ebenen, die sich über ein im Textverlauf jeweils mehrfach impliziertes semantisches Merkmal, das „Klassem“, definieren. Die ZTG und die Isotopien eines Textes bilden die Grundstruktur des Text-Themas. Beispiel: Die biblische Geschichte „Die Huldigung der Sterndeuter“ (Matthäus 2,1‒12, Einheitsübersetzung, 1980) besteht aus den (nummerierten) Minimalen Texteinheiten: (1) Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem und fragten: (1,1) Wo ist der neugeborene König der Juden? (1,2) Wir haben seinen Stern aufgehen sehen, und sind gekommen, um ihm zu huldigen. (2) Als König Herodes das hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem. (3) Er ließ alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und erkundigte sich bei ihnen, wo der Messias geboren werden solle. (4) Sie antworteten ihm: (4,1) In Betlehem in Judäa; 125 12. Historische Valenz und Textgrammatik (4,2) denn so steht es bei dem Propheten: (4,2,1) D U B E T L E H E M I M G E B I E T V O N J U D A B I S T K E I N E S W E G S D I E U N B E D E U ‐ T E N D S T E U N T E R D E N F ÜH R E N D E N S TÄD T E N V O N J U D A ; (4,2,2) D E N N A U S D I R W I R D E I N F Ü R S T H E R V O R G E H E N , D E R H I R T M E I N E S V O L K E S I S R A E L . (5) Danach rief Herodes die Sterndeuter heimlich zu sich und ließ sich von ihnen genau sagen, wann der Stern erschienen war. (6) Dann schickte er sie nach Betlehem und sagte: (6,1) Geht und forscht sorgfältig nach, wo das Kind ist; (6,2) und wenn ihr es gefunden habt, berichtet mir, damit auch ich hingehe und ihm huldige. (7) Nach diesen Worten des Königs machten sie sich auf den Weg. (8) Und der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; (9) Dort blieb er stehen. (10) Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt. (11) Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; (12) da fielen sie nieder und huldigten ihm. (13) Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar. (14) Weil ihnen aber im Traum geboten wurde, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land. Diese sogenannte Dreikönigs-Perikope in der Fassung der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift (EÜ) ist zunächst in einen Haupttext mit 14 Sätzen bzw. MTE sowie in drei Subtexte, die den direkten Reden entsprechen, gegliedert. Der Haupttext weist folgende ZTG (durch Versalien herausgehoben) auf: 1. JESUS (als Kind), 2. die STERNDEUTER sowie kontiguitiv (durch semantische Nähe) darauf bezogen: der STERN, 3. HERODES. Isotopien können zuerst bei den Prädikaten aller Art festgestellt werden. In der Sterndeuter-Geschichte handelt es sich um folgende Isotopien, die jeweils mit dem Klassem benannt werden: 1. ‚eigendynamische Fortbewegung von Menschen‘, 2. ‚kommunizieren mit Sprache‘, 3. ‚Herrscher‘, 4. ‚geboren werden‘. Es ist wichtig zu sehen, wie sich die Valenzen der Prädikate im Text zur Thema-Struktur verhalten, die aus ZTG und Isotopien besteht. Dazu greift man nur eine Komponente der Thema-Struktur, z. B. die Isotopie ‚eigendynamische Fortbewegung von Menschen‘, heraus. Die Verben, die dieses Klassem enthalten, wie gehen und kommen, sind in ihrer Grundvalenz zweiwertig. Sie implizieren die semantischen Rollen bzw. die Ergänzungen: ‚Träger der Fortbewegung‘ (AG) und ‚Ausgangspunkt, Zielpunkt oder Ort der Fortbewegung‘ (LOC). Es handelt sich im Text um folgende Prädikate: 126 D. Valenz und Historische Grammatik (1) Als Jesus geboren worden war (= temporal), kamen STERNDEUTER (= AG) aus dem Osten nach Jerusalem (= LOC). (3) kausativ: HERODES (= AG) ließ alle Hohenpriester … (= PAT) zusammen‐ kommen. (5) kausativ: HERODES (= AG) rief die STERNDEUTER (= PAT) heimlich (= modal) zu sich (HERODES) (= LOC). (6) kausativ: HERODES (= AG) schickte die STERNDEUTER (= PAT) nach Beth‐ lehem (= LOC). (7) Die STERNDEUTER (= AG) machten sich auf den Weg (LOC im Prädikat impliziert). (8) Der STERN (= AG) zog vor den STERNDEUTERN (= modal) her, bis zu dem Ort … (= LOC). (11) Die STERNDEUTER (= AG) gingen in das Haus (= LOC). (14) Die STERNDEUTER (= AG) kehrten nicht (Negation) zu HERODES (= LOC) zurück, sondern zogen heim in ihr Land (= LOC). Überblickt man die Besetzung der Ergänzungs-Positionen, dann stellt man zunächst fest, dass in drei Sätzen das Klassem in einem kausativen Prädikat steckt (Herodes ließ zusammenkommen, rief zu sich, schickte), wodurch die Valenz um eine dritte Rolle, das Patiens, erhöht wird. Danach stellt man fest, dass die AGENS- und PATIENS-Rollen der Isotopie ,eigendynamische Fortbewegung von Menschen‘ mit einer Ausnahme (Satz 3) mit den ZTG HERODES oder STERNDEUTER besetzt sind. HERODES besetzt die Agens-Rolle allerdings nur in den kausativen Prädikaten, d. h., er bewegt sich selbst nicht, sondern lässt andere sich bewegen! Darüber hinaus erkennt man, dass es eine Affinität der ZTG HERODES und STERNDEUTER zur Isotopie der Bewegung gibt; genauer gesagt, sind nur die STERNDEUTER in Bewegung. Für die innere Struktur des Textthemas ist weiter die Beobachtung wichtig, dass rhematische, also „neue“ Informationen, entweder in der zweiten Ergänzung LOC stecken oder in nicht vom Verb geforderten, traditionell „Angaben“ genannten Satzgliedern. Die Handlung wird auf dieser Isotopie-Ebene also vorzüglich durch wechselnde Orte als Ziele der Bewegung vorangetrieben. Interessant ist, dass die Verfasser der Einheitsübersetzung eine Überschrift für die biblische Geschichte wählten, die der inhaltlichen Fülle der Matthäus-Pe‐ rikope, wie sie sich aus einer textgrammatischen, auf die Verbvalenz konzen‐ trierten Analyse ergibt, nicht gerecht wird: „Die Huldigung der Sterndeuter“. Damit wird der zweifellos theologisch wichtige Aspekt, nämlich ‚Huldigung‘, in den Vordergrund gerückt, während die szenisch ausführlich gestaltete Ausein‐ andersetzung der Sterndeuter mit Herodes in den Hintergrund tritt. (Greule 2015, 26‒28) 127 12. Historische Valenz und Textgrammatik 12.2 Textgrammatisch gesteuerter Genitiv-Akkusativ-Wechsel? Bei vielen ahd. Verben wechselt die Genitivergänzung mit der Akkusativergän‐ zung. In der Forschungsliteratur ist eine Hypothese aufgestellt worden, laut der die Gründe für diesen Wechsel unter Zuhilfenahme von Textgrammatik und Textsemantik erklärt werden können (vgl. z. B. Schrodt 1992, 382f.; 2004, 82f.; Habermann 2007, 91‒95). Die Genitivergänzung werde dann gewählt, wenn das Referenzobjekt bereits im Prätext erwähnt sei. Die „Wiederaufnahme“ bzw. Koreferenz erfolge meist in Form eines anaphorischen Pronomens im Genitiv. In dem komplexen Satz (asyndetische Satzreihe) (Otfrid 4,10,9) Nam er tho selbo thaz brot, bot in iz gisegenot, gibot thaz si es azin, al so sie thar sazin. („Er nahm das Brot, bot es ihnen als Gesegnetes, gebot, dass sie es essen sollten, alle wie sie da saßen.“) sei die Genitivergänzung es (im dritten Teilsatz) zum Verb ahd. ezzan gewählt worden, weil das Referenzobjekt BROT bereits im ersten Teilsatz erwähnt ist (Prinzip der Vorerwähntheit), d. h., das Objekt ist im dritten Teilsatz bereits bekannt; es ist thematisch. Anders verhalte es sich bei der Akkusativergänzung zu ezzan im Beispiel Otfrid 4,10,11: Ir ezet, quad er, ana uuan, lichamon minan […] („Ihr esst, sagte er, wahrlich meinen Leib […])“. Hier ist das Objekt (lichamo ‚Leib‘) im Prätext nicht vorerwähnt, es sei gleichsam neu im Text, d. h. rhematisch, und erscheine deshalb als Akkusativergänzung. Die textgrammatisch gesteuerte Verteilung von Genitiv- und Akkusativer‐ gänzung spiegele im Ahd. die alten unterschiedlichen semantischen Eigen‐ schaften der beiden Kasus wider. Der Genitiv beziehe sich auf ein externes, immer präsentes Objekt, der Akkusativ hingegen auf ein internes, als Resultat der im Prädikatsverb enthaltenen Handlung. Der Genitiv korrespondiere daher mit der Vorerwähntheit, der Akkusativ jedoch mit dem Faktor des Neu-Seins. Habermann (2007, 95) hebt hervor, dass ausgedehnte Korpusrecherchen erforderlich seien, um die Hypothese vom Wechsel zwischen Genitiv und Akkusativ zu verifizieren. Aber schon genauere Untersuchungen z. B. zu den Belegen für ezzan im AWB sowie für ezzan und trinkan bei Tatian und Otfrid (anhand der Angaben zu den Belegstellen in Greule 1999, 61, 268) bringen die Hypothese ins Wanken. So kann erstens ein anaphorisches Pronomen im Akkusativ stehen, vgl. enti az uuizodbroth daz aer ezan nimvosa (AWB) und Quad, ob er iz azi, imo ubilo iz gisazi, […] (Otfrid 2,6,7). Im ersten Beispiel steht das Referenzobjekt direkt vor dem Relativpronomen, im zweiten Beispiel bezieht sich iz auf das Nomen obaz, das im Prätext zu finden ist (nach Ansicht von Schrodt 1992, 383; 2004, 83 stellt der Akkusativ hier eine Ausnahme dar). Zweitens kann ein anaphorisches Pronomen wegen eines lateinischen Ein‐ flusses im Genitiv erscheinen, vgl. ther puzz ist filu diofer; war nimist thu 128 D. Valenz und Historische Grammatik thanne ubar thaz wazar fliazzantaz? […] unser fater Jacob ist; er drank es, […] (Otfrid 2,14,32); im Lateinischen heißt es et ipse ex eo bibit, d. h., die Präpositionalkonstruktion wurde mit dem Genitiv wiedergegeben. Der primäre Grund für die Wahl des Kasus ist hier höchstwahrscheinlich der Ausdruck von Partitivität, nicht die Vorerwähntheit (auch bei Otfrid 4,10,9 oben geht es um ein Teilobjekt, d. h., die Jünger sollten jeweils einen Teil des Brots essen). Drittens kann ein Nomen, das im Prätext ein Referenzobjekt hat, im Akku‐ sativ stehen (es ist also nicht rhematisch), vgl. Thiz ist brot thaz fon himile nidarsteig […] ther thar izzit thiz brot, […] (Tatian 82,11). Und viertens muss nicht Neues im Text mittels Akkusativ ausgedrückt werden; der Genitiv ist in solchen Fällen durchaus geläufig, vgl. so drinkist thu io mit willen thes luteren brunnen (Otfrid 2,9,68). ‒ Zum Vorkommen des partitiven Genitivs und des Akkusativs im Ahd. ist noch einmal (zusätzlich zum Beleg zu Otfrid 2,14,32) festzuhalten, dass der Kasus nicht selten in Abhängigkeit von einer lateinischen Vorlage gewählt wurde. Ein weiteres Kennzeichen von Partitivität war im Ahd. eine Präpositionalkonstruktion mit von, die auch auf einem lateinischen Vorbild beruhte, vgl. z. B. Giuuelih de dar trinket fon uuazzare thesemo, […] (Tatian 87,4; lat. omnis qui bibit ex aqua hac […]). Vgl. im Übrigen die Bemerkungen zum partitiven Genitiv in Kapitel F.1.2.4, aus dem hervorgeht, dass dieser Genitivtypus nicht nur im Ahd., sondern auch im Mhd., Fnhd. und Älteren Nhd. verwendet wurde. Außer durch das oben Gesagte lässt sich die Hypothese von der Vorerwähnt‐ heit dadurch relativieren, dass der Genitiv eines Pronomens nicht immer auch anaphorisch bzw. thematisch zu verstehen ist und sich auf etwas bereits Vorerwähntes bezieht. Das lehrt z. B. der Satz Otfrid 3,12,5: Uuiht, quad er, ni helet mih, thes ich nu fragen iuih. („Nichts verhehlt mir, sagte er, wonach ich euch jetzt frage.“) Der Genitiv thes beim Verb ahd. frâgên kann hier, wenn man Prä- und Posttext berücksichtigt, nicht durch Vorerwähntheit bedingt sein. Er ist nicht anaphorisch, sondern kataphorisch und bezieht sich auf die erst in Zeile 7 im Posttext ausformulierte Frage Uuaz quit fon mir der liutstam? („Was sagen die Leute über mich? “) 13. Pragmatische Valenz historisch Von pragmatischer Valenz kann man bei sprechhandlungsbezeichnenden Verben sprechen, die auch performativ gebraucht werden können. Es sind dies alle Verben, mit denen man im Rahmen dialogischer Kommunikation 129 13. Pragmatische Valenz historisch 14 Das Mittelrheinische Passionsspiel der St. Galler Handschrift 919. Neu hg. von Rudolf Schützeichel. Tübingen 1978, 130. Handlungen vollziehen kann, wie z. B. fragen und antworten, vorwerfen und rechtfertigen. Im Rahmen von minimaldialogischen Sprechaktsequenzen erfolgt das Zu‐ sammenspiel von initiativem Sprechakt und reaktivem Sprechakt: Der erste „Zug“ bindet - durch seine illokutionäre Rolle im Dialog - den zweiten „Zug“ an sich. Die pragmatische Valenz von fragen besteht darin, dass auf den initiativen Sprechakt des Fragens der reaktive Sprechakt des Antwortens folgt. Das lässt sich z. B. am folgenden Dialogausschnitt aus dem spätmhd. Wormser Passions‐ spiel (14. Jh.) für das Mhd. beobachten: (Quo osculato dicat Iesus ad Iudeos: ) Wen suchent ir Iuden zů dirre stunt? (initiativ) (Respondeant Iudei: ) Wir suchen Iesum, daz si dir kunt (reaktiv). 14 Beide „Züge“, der initiative des Fragens und der reaktive des Antwortens, sind durch die identische Repetition des Verbs suchen auch textgrammatisch kohärent. Im Unterschied zu der gegenwärtigen, alltäglichen Praxis des Grüßens, bei der auf das initiative Grüßen reaktives Grüßen folgt (initiativ Grüß Gott! - reaktiv Grüß Gott! ), zeigen die mhd. Texte eine andere pragmatische Valenz. Auf initiatives Grüßen folgte reaktives Danken, was sich aus der folgenden erzählten Szene ergibt: Parzival 351,5 swer Bien sey venûz dâ sprach (initiativ) gramerzîs (= grand merci „großen Dank“) er (Gawan) wider jach (reaktiv). Gleichsam pragmatisch avalent ist mhd. grüezen demgegenüber an der Stelle Parzival 76,10‒12: En franzois er in gruozte sân / ‚bien venûz, bêâs sir, mîner frouwen unde mir […]‘. Auf diesen initiativen „Zug“ folgt keine Reaktion, sondern der Sprechende über‐ reicht einen Brief, dessen Inhalt zitiert wird. Auch der Brief beginnt mit einem Gruß: dir enbiutet minne und gruoz / mîn lîp (Parzival 76, 23‒24). Auch dieses Grüßen bleibt pragmatisch avalent, weil es zu Beginn einer monologischen Rede steht und kein reaktiver Zug erfolgt. (Kilian 2008, 173‒181; Rapp/ Reimann 2016) 130 D. Valenz und Historische Grammatik 14. Historische Valenz und Konstruktionsgrammatik Nach neuester Forschungsmeinung verhalten sich Valenztheorie und Konstruk‐ tionsgrammatik (KxG) (vgl. Rostila 2016, 261f.) komplementär und sollten sich gegenseitig füreinander öffnen (Lasch 2016, 282). Die Konstruktionsgrammatik gilt als Ergänzung der Valenztheorie und umgekehrt die Valenztheorie als Er‐ gänzung der Konstruktionsgrammatik (Welke 2011, 172). Die Valenztheorie ist insofern projektionistisch, als ein Kopf (Regens, Valenzträger) die Ergänzungen in die Konstruktion hineinprojiziert. Im Unterschied dazu geht die KxG von der Konstruktion aus und fügt den Kopf (Regens, Valenzträger) in die Konstruktion ein. In der KxG sind nicht die Wörter die Grundeinheiten der Sprache, sondern Konstruktionen. Konstruktionen sind Form-Bedeutungs-Zuordnungen, die un‐ abhängig von Verben existieren; sie tragen selbst Bedeutung unabhängig von den Wörtern, die in ihnen vorkommen. Verben werden in Konstruktionen ein‐ gepasst, die Verbbedeutung aber an die Konstruktionsbedeutung angepasst. Die Grundbedeutung einer Konstruktion gibt elementare Situationen der mensch‐ lichen Existenz wieder (vgl. Welke 2011, 174‒176). Beispiel: Das Verb geben symbolisiert als Prototyp eine konkrete Grundsitua‐ tion menschlicher Existenz. Der Inhalt wird wie folgt beschrieben: Eine Person a überreicht einer Person b einen Gegenstand c. Sie tut das mit den Händen. Zunächst hat a den Gegenstand in den Händen/ der Hand, und b übernimmt den Gegenstand mit den Händen/ der Hand, indem sie die Hände/ die Hand ausstreckt (vgl. Welke 2011, 206). Mit dieser Inhaltsbeschreibung gehört geben in das Wortfeld der Verben des Besitzwechsels (Sommerfeldt/ Schreiber 1996, 61‒86). Daraus ist die Konstruktion VERB des Besitzwechsels: Agens a ‒ Rezipient b ‒ Patiens c ableitbar. In diese Konstruktion sind auch andere Verben (z. B. schenken, leihen, verkaufen) - semantisch modifiziert - einsetzbar. Derartige Argumentstruktur‐ konstruktionen (A-Konstruktionen) werden im Sinne der KxG (Rostila 2016, 263) als „Satzschablonen“, die einen eigenen Bedeutungsbeitrag leisten und eine Leerstelle für das Verb (Prädikat) eröffnen, charakterisiert. Sie sind den (seman‐ tischen) Tiefenkasusrahmen (siehe Kapitel B.2) vergleichbar (vgl. Lasch 2016, 281; Rostila 2016, 263). Um zu einem konkreten Satz zu kommen, werden auf der syntaktischen Ebene die Ergänzungen (oder der Satzbauplan) zugeordnet: geben 131 14. Historische Valenz und Konstruktionsgrammatik → Prädikat - Agens → NGnom - Rezipient → NGdat - Patiens → NGakk. Danach kann der Satz Wittgenstein gibt seiner Schwester den Bauplan gebildet werden. Mit Blick auf ein Historisch syntaktisches Verbwörterbuch fordert A L E XAN D E R L A S C H , dass man um die Beschreibung von Verben als Konstruktionen keinen Bogen machen sollte. „Denn der konstruktionsgrammatische Ansatz kann das Vorhaben eines ‚Historischen Valenzwörterbuchs‘ wesentlich entlasten“ (Lasch 2016, 282). Bislang ist diese Behauptung noch durch keine empirischen Studien bewiesen worden. Es ist theoretisch Folgendes denkbar. Die Entlastung eines Historisch syn‐ taktischen Verbwörterbuchs könnte dadurch erfolgen, dass nicht, wie üblich, die vielen in der Sprachgeschichte belegten Verben aufgelistet und jedem Verb die VAK pro Sprachstufe zugeordnet werden (Verb-Lexikon), sondern dass den (an Zahl geringeren) im Verlauf der Geschichte konstant bleibenden A-Konstruktionen die Verben zugeordnet werden („Verb-Konstruktikon“). An die Stelle der Beschreibung des Valenzwandels tritt dann die Beschreibung aus umgekehrter Blickrichtung, nämlich wie sich der Bezug der Verben zu den konstant bleibenden Konstruktionen im Verlauf der Geschichte ändert. Darüber hinaus führt Rostila (2016, 265‒269) mehrere Gründe an, warum A-Konstruktionen in einem Historisch syntaktischen Verbwörterbuch bzw. von der historischen Syntax berücksichtigt werden sollten, und belegt die Erklärungsstärke der Theorie an empirischen sprachhistorischen Fallbeispielen. Wenn auch die konstruktionsgrammatischen Theoreme in der Sprachge‐ schichte berücksichtigt werden und die historische Valenz ergänzen sollen, führt methodisch kein Weg zuerst an der Analyse der historischen deutschen Texte vorbei. Auch für diesen Fall gilt, was in Kapitel D.3 oben zur „Ersatzkompetenz“ ausgeführt ist. 132 D. Valenz und Historische Grammatik E. Historische Valenz und Lexikografie 1. Historische Valenzlexika und valenzbezogene Informationen in historischen Allgemeinwörterbüchern des Deutschen 1.1 Althochdeutsch Das einzige Opus, das gegenwärtig als eigentliches historisches Valenzlexikon bezeichnet werden kann, ist das syntaktische Verbwörterbuch zu den ahd. Texten des 9. Jh. von A L B R E C HT G R E U L E (1999). Für das Wörterbuch wurde ein Korpus erstellt, das aus folgenden Texten besteht: altalemannische Psalmen‐ fragmente, Benediktinerregel, Hildebrandslied, Monseer Fragmente, Murbacher Hymnen, Otfrid, Tatian und kleinere Sprachdenkmäler. In der Makrostruktur enthält das Wörterbuch insgesamt 739 Haupt- und Verweislemmata, die in alphabetischer Reihenfolge angeordnet sind. Eine dritte Lemma-Art stellen Sublemmata dar, die Bestandteile der Mikrostruktur sind. Als Sublemmata sind die einzelnen Bedeutungen (Sememe) des jeweiligen Verbs zu verstehen. Mit Ausnahme der Verweislemmata wird jeder Wortartikel mit einem Hauptlemma eingeleitet; je nach Zahl der Bedeutungen des Verbs folgen ihm ein oder mehrere Sublemmata. Besitzt das Verb mehrere Bedeutungen, sind die entsprechenden Sublemmata mit einem Index versehen (z. B. 1 bintan / gibintan, 2 bintan) und bilden jeweils einen eigenen Teilartikel. Wie aus der Form des ersteren Sub‐ lemmas hervorgeht, kann das Sublemma auch Präfixbildungen aufweisen; dabei handelt es sich um Verben, die die gleiche Bedeutung wie das Simplex haben. Die Präfixverben erscheinen im Wörterbuch auch als Verweislemmata (z. B. gibintan → bintan). Die Reihenfolge der Teilartikel richtet sich nach der Häufigkeit der Belege, d. h., der Teilartikel mit den meisten Belegen steht an erster Stelle usw. Unterhalb des Lemmas gliedern sich die Wortartikel in fünf Blöcke. In Block 1 wird die Bedeutung des Lemmaverbs in zweifacher Weise angegeben. Auf die Bedeutungsangabe im Infinitiv folgt eine satzförmige Bedeutungsbeschrei‐ bung, in der die vom Verb verlangten Ergänzungen durch die Variablen a, b, c usw. gekennzeichnet sind. In Block 2 werden die Ergänzungen zuerst morphosyntaktisch und danach semantisch spezifiziert. Für die morphosyntak‐ tische Spezifikation werden Kategorialsymbole benutzt, denen in bestimmten Fällen eine Zahl zugeordnet ist, z. B. NP1 (= Nominalphrase im Nominativ), NP2 (= Nominalphrase im Akkusativ), NP3 (= Nominalphrase im Dativ), NP4 (= Nominalphrase im Genitiv), NP5 (= Präpositionalgruppe), IKS (= Infinitiv‐ konstruktion), IS (= Infinitivsatz), NS (= Nebensatz). Bei Präpositionalgruppen werden die im Korpus belegten Präpositionen hinter den Kategorialsymbolen in Klammern aufgeführt, bei Nebensätzen die einleitenden Konjunktionen (sofern sie vorhanden sind). In der semantischen Spezifikation werden die Ergänzungen möglichst textnah paraphrasiert, z. B. unter 3 bit(t)en (Bedeutungsbeschreibung: wünschen: a wünscht b für c): a: Mensch, der b wünscht; b: Gutes/ Böses, das a wünscht; c: Mensch, dem b gewünscht wird. ‒ Ergänzungen, die nicht in allen Belegsätzen auftauchen, sind eingeklammert. Dabei stehen Ergänzungen, die in 99 % bis 51 % der Belegsätze vorkommen, in runden Klammern, während Ergänzungen, die in weniger als 51 % der Belegsätze vorkommen, in spitzen Klammern erscheinen. Block 3 ist für nicht valenzbedingte Bestimmungen, also für freie Angaben vorgesehen. Sie werden in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit aufgeführt, Nega‐ tions- und Modalitätsangaben finden sich am Schluss von Block 3 und sind von den übrigen Angaben durch Semikolon getrennt. Wie die Ergänzungen, werden auch die freien Angaben in semantischer und morphosyntaktischer Spezifikation angeführt, zusätzlich wird ihre Häufigkeit in Klammern vermerkt. Beispiele für die Kennzeichnung der freien Angaben sind caus (= kausal), cond (= konditional), fin (= final) und quant (= quantitativ). Die Kategorie loc wird durch einen tiefgestellten Index näher bestimmt, vgl. etwa loc sit (= Handlungsort) und loc urspr (= Ursprungsort). Bei der morphosyntaktischen Spezifikation werden die gleichen Kategorialsymbole wie für die Ergänzungen verwendet. In Block 4 sind ein oder mehrere Beispielsätze zu finden; sie sollen verschie‐ dene syntaktische Strukturen belegen. Die Sätze stammen aus dem Satz-Korpus und sind teils verkürzte, teils ergänzte Zitate aus den herangezogenen Text‐ editionen. Rekonstruierte oder aus dem Kotext ergänzte Teile erscheinen in runden Klammern, aus der lateinischen Vorlage ergänzte in Schrägstrichen. Die Beispielsätze sind nah am ahd. Text ins Nhd. übersetzt, damit ihre syntaktische Struktur besser durchschaubar wird. In Block 5 werden die Belegstellen mit ihrer Gesamtzahl angegeben, wobei rekonstruierte Sätze als eigenständige Belege gezählt werden. Wenn das Hauptlemma mit einem Sternchen versehen ist, wird am Ende des gesamten Wortartikels darüber Auskunft gegeben, warum bestimmte Be‐ legstellen des Lemmaverbs bei der Bearbeitung des Artikels außer Acht gelassen wurden. Gründe dafür sind beispielsweise abweichende Bedeutung des Verbs, Lückenhaftigkeit der Belegstelle oder Vorhandensein eines Phrasems. Aus 134 E. Historische Valenz und Lexikografie Raumgründen werden nicht in jedem Fall alle nicht berücksichtigten Beleg‐ stellen aufgeführt. ‒ Zur Gestaltung der Wortartikel vgl. näher die Darstellung des Verbs wuofan im Anhang G.1. Über den Fortgang der Arbeit am ahd. Valenzlexikon hat A L B R E C HT G R E U L E mehrfach berichtet, vgl. Greule (1988; 1989; 1995; 1997; 2001; 2006a, 1477f.). In diesem Zusammenhang sind auch folgende Beiträge zu nennen, die an das in Greule (1999) angewendete Beschreibungsmodell anschließen: Näßl (2016), Riecke (2016) und Braun (2016). Gegenstand von Näßl (2016) ist das ahd. Verb quedan, das auf seine Bedeutungsstruktur und Valenz hin untersucht wird. In Riecke (2016) geht es um die morphosyntaktische und semantische Beschrei‐ bung der Valenz der ahd. Verben aus dem thematischen Bereich von Heilung und Gesundheit (gi-arzatôn, faskôn, heilen, lâhhinôn, nerien usw.). Der Ansatz von Braun (2016) bezieht sich auf ahd. Gebete, an denen das Wechselspiel zwischen valenzsyntaktischen und textlinguistisch-kognitiven Parametern untersucht wird (entsprechende Verben sind u. a. bi(t)ten, ginâdên und ruofan). Ansonsten vgl. Wolf (1986), in dem eine exemplarische Valenzanalyse von ,gehen‘ darge‐ boten wird. In den Wortartikeln des Ahd. Wörterbuchs (= AWB, auch online; noch nicht abgeschlossen) wird die Valenz eines Verbs nicht explizit angegeben, sie ist aber aus den syntaktisch-semantischen Beschreibungen der Verbumgebungen herauszulesen; eine Ausnahme bildet die Nominativergänzung bzw. das Subjekt, das normalerweise außer Acht bleibt. Valenzbezogene Informationen eines ahd. Verbs sind in der Darstellung seinen Bedeutungen untergeordnet, d. h., am Anfang steht eine semantische Beschreibung des Verbs bzw. eines Semems, der dann eine syntaktisch-semantische Charakteristik der Umgebungen folgt, vgl.: eiscôn 4) ,fragen, forschen, sich erkundigen‘: a) ,jmdn. nach etw. fragen‘: α) mit Akk. d. Pers. u. Gen. d. Sache; β) mit Akk. d. Pers. u. indir. Fragesatz; b) ,bei jmdm. nach etw. fragen, von jmdm. etw. erfragen‘: α) mit Akk. d. Sache u. Präp. zi/ fona + Dat. d. Pers.; β) mit Präp. fona/ zi + Dat. d. Pers. u. indir. Fragesatz; c) ,nach jmdm. oder etw. (eindringlich) fragen, forschen, etw. erfragen, erforschen‘: α) mit Gen. d. Person oder Sache; β) mit Akk. d. Pers. oder Sache usw. Während oben eine „vollständige“ Valenzstruktur den Ausgangspunkt bildet, wird der Artikel bitten anders gegliedert. Hier beginnt die Darstellung nach der Anführung von Glossenbelegen mit dem „absoluten“ (also einwertigen) Gebrauch des Verbs und steigt dann zu den Repräsentationen der gesamten Valenzumgebung auf, die damit als fakultative Erweiterungen zu verstehen sind. Dies zeigt, dass im AWB bei der Gliederung der Verbartikel nicht ganz konsequent vorgegangen wird. Ein weiteres Beispiel ist der Artikel bringan, 135 1. Historische Valenzlexika und valenzbezogene Informationen in Wörterbüchern in dem auch reduzierte Strukturen den umfangreicheren vorausgehen. Auch innerhalb eines Semems kann z. B. der zweiwertige Gebrauch dem dreiwertigen vorangestellt sein, vgl.: klagôn 2) ,beklagen, bejammern; beweinen, betrauern‘: a) ,jmdn., etw. beklagen, be‐ jammern‘: α) mit Akk. d. Pers.; β) mit Akk. d. Sache/ abstr. Akk. […] mit abstr. Akk. u. fora + Dat. d. Pers. Im Vergleich zu früheren historischen Wörterbüchern werden die Valenzumge‐ bungen des Verbs im AWB vielseitiger erläutert. So werden etwa das valenzbe‐ dingte Adverbial mit seinen verschiedenen Repräsentationsformen sowie das Objekt in der Kombination Präposition + Kasus und in Satzform stärker in die Beschreibung mit einbezogen. Ein Beispiel für die Berücksichtigung des obligato‐ rischen Adverbials sind die beiden Belegsätze zi theru steti fuart er thia druhtines muater und fuart er (Abraham) sar tho tharasun (zur Opferstätte) then selbon sinan drutsun unter fuoren 1b) ,etw., jmdn. zu einem Ziel hin bringen, tragen, schaffen‘, wo vor den Sätzen folgende Information erscheint: m. Richtungsangabe (Präp. zi + Dat., Adv. thara, tharasun). Auch auf die Frage, ob es im Ahd. vierwertige Verben gibt, findet man im AWB eine Antwort, vgl. die Darstellung von lônôn ,jmdm. etw. (mit etw.) vergelten, lohnen, jmdn. für etw. (mit etw.) belohnen […]‘ unter b): mit Dat. d. Pers., Gen. d. Sache u. Präp. mit + Dat./ Instr. und den Beleg sie (die Juden) lonoton mir (Christus) guotes mit ubele. ‒ Zur Vierwertigkeit ahd. Verben vgl. Blum (1984), weiterhin Blum (1982), wo die Unterscheidung zwischen prädikativem Attribut und Objektsprädikativ unter Verwendung von Belegen aus dem AWB erörtert wird. Zu Problemen der Valenz bei ahd. Verben vgl. allgemeiner Blum (1977) und Große (1990), siehe auch Korhonen (1986a, 204, 207). 1.2 Mittelhochdeutsch Für das Mhd. ist ein mit dem syntaktischen Verbwörterbuch des Ahd. vergleich‐ bares Valenzlexikon schon lange in Planung. Die Initiative zu diesem Projekt stammt von Albrecht Greule, der dazu allein oder zusammen mit anderen mehrere Beiträge veröffentlicht hat; außerdem kann hier der Beitrag von Rapp/ Reimann (2016) erwähnt werden. Vgl. hierzu Näheres in Kapitel E.3.3 und Anhang G.2. Die ersten Untersuchungen zur Valenz speziell mhd. Lexeme wurden bereits Anfang der 80er-Jahre des 20. Jh. vorgenommen (vgl. Ehnert 1982; Schütte 1982; Maxwell 1982b). In diesen Arbeiten steht der lexikografische Aspekt nicht im Vordergrund, aber sie enthalten auch Beschreibungen, die als Ansätze zur Er‐ stellung von Wortartikeln für mhd. Verben aufgefasst werden können. Anhand von Belegen aus sieben Kochbuchtexten erarbeitet Ehnert einen Lexikoneintrag 136 E. Historische Valenz und Lexikografie für das Verb behalten und berücksichtigt dabei auch freie Angaben, sodass eine Kontextbeschreibung dieses Verbs bis zu vier abhängige Glieder aufweisen kann (Subjekt, Akkusativobjekt, Präpositionalobjekt mit vor und lokales Adverbial: behalt dy in einem keler vor den katzen; wegen des Imperativs erscheint hier kein Subjekt). Schütte verwendet die Lieder Heinrichs von Morungen als Korpus und stellt die Valenz von 161 Verben dar. Es werden nur die Ergänzungen in Form morphosyntaktischer Kategorialsymbole angegeben, entsprechende Belegsätze fehlen. In der Monografie von Maxwell dient die Handschrift B des Nibelungenlieds als Korpus. Der Verfasser unterscheidet zwölf Ergänzungs‐ klassen (und „ergänzungsähnliche Elemente“) und veranschaulicht sie jeweils mit Beispieleinträgen. Am Anfang eines Eintrags steht die morphosyntaktische Beschreibung, darunter folgen die semantische Charakterisierung der Ergän‐ zungen (mit Merkmalen wie „hum“ und „abs“) und genauere Angaben zu bestimmten Ergänzungsklassen (z. B. zum Korrelat bei Satzergänzungen). Jede Valenzumgebung wird mit einem Satz belegt, vgl. etwa NAS (= Nominativ-, Akkusativ- und Satzergänzung) bei rüemen: … dv habes dich des gervemet, daz dv ir schoͤnen lip aller erst habes geminnet. Im Jahr 1996 erschien eine weitere umfangreichere Studie zur Valenz mhd. Verben. Es ist die Dissertation von T I B O R L ÉNÁR D , in der 23 Fortbewegungs‐ verben, die in der Österreichischen Reimchronik vorkommen, semantisch und syntaktisch analysiert werden. Für die Verben wird ein Lexikoneintrag erstellt, der aus vier Stufen besteht: Stufe 1 enthält erstens eine syntaktifizierte Beschrei‐ bung der Verbbedeutung mit Hilfe syntaktifizierter Argumente, zweitens die Angabe valenzirrelevanter Seme des Verbs und drittens die Interpretation der Argumente als Tiefenkasus. Auf Stufe 2 werden die semantischen Restriktionen der Tiefenkasus angegeben, und auf Stufe 3 wird die syntaktische Valenz bestimmt, indem vor den Ergänzungsklassen auch über ihre morphosyntakti‐ schen Realisationsformen Auskunft gegeben wird. Obligatorische Ergänzungen werden nicht eingeklammert, fakultative stehen in runden Klammern. Auf Stufe 4 wird schließlich ein Belegsatz angeführt, vgl. z. B. Variante 1 von erbeizen: 1.1. a bewegt sich nach b fort. 1.2. [auf dem Wasser], [vom Schiffe], [ans Land]. 1.3. a = AG, b = GOAL; 2.1. AG: [Mensch], z. B. kunic. 2.2. GOAL: [Ort], z. B. lant; 3.1. AG: NP0 = E0. 3.2. GOAL: NP4(ûf1) = E(dir); 4. dô er erbeizte ûf daz lant. Erläuterung der morphosyntaktischen Symbole von Stufe 3: NP0 = Nominalphrase im Nominativ, E0 = Ergänzung im Nominativ, NP4(ûf1) = Nominalphrase mit Präposition ûf + Akkusativ, E(dir) = Richtungsergänzung. Für das Mhd. gibt es drei größere Allgemeinwörterbücher, in denen valenz‐ bezogene Informationen studiert werden können: Das Mhd. Wörterbuch von Georg Friedrich Benecke/ Wilhelm Müller/ Friedrich Zarncke (= BMZ, auch 137 1. Historische Valenzlexika und valenzbezogene Informationen in Wörterbüchern online), das Mhd. Handwörterbuch von Matthias Lexer (= ML, auch online) und das von Kurt Gärtner/ Klaus Grubmüller/ Karl Stackmann herausgegebene Mhd. Wörterbuch (= MWB, auch online; noch nicht abgeschlossen). In den im 19. Jh. erschienenen BMZ und ML finden sich naturgemäß keine exakten Auskünfte über Valenz im heutigen Sinne, aber die Verbartikel enthalten Beschreibungen, in denen besonders syntaktische Eigenschaften des Objekts und Adverbials zum Ausdruck kommen (das Subjekt wird auch hier nicht mitberücksichtigt). In BMZ ist die Syntax in der Regel der gesamten Darstellung vorgeordnet, insofern ein Semem, das manchmal nicht semantisch umschrieben wird, direkt durch syntaktische Angaben eingeführt wird, vgl.: geloube, gloube I. glaube; 1. ohne zusatz.; 2. die person wird ausgedrückt a. durch präpos.; b. durch den dativ.; 3. mit accus.; 4. mit accus. der sache und dat. der person.; 5. mit accus. der sache, wobei die person durch eine präpos. ausgedrückt wird.; 6. mit genit.; 7. mit genit. u. dativ.; 8. mit untergeordnetem satze. usw. In ML ist der entsprechende Verbartikel knapper gestaltet, vgl.: ge-louben, glouben […] glauben, allgem. u. zwar: absol.; mit dat. d. p. od. an, in; mit acc. d. s. oder gen.; mit acc. u. dat. od. an; mit gen. u. dat. (ML 1, 824; in ML online fehlen die Angaben „absol.“ und „mit dat. d. p.“ vor „od. an, in“) Im MWB ist der Wortartikel gelouben wesentlich umfangreicher und primär semantisch ausgerichtet, d. h., es liegt eine Gliederung vor, in der den einzelnen Sememen syntaktisch-semantische Informationen zugeordnet sind, vgl.: gelouben 1 ,(jmdm.) etw. (Gen./ Akk.) glauben, etw. (von jmdm. Gesagtes, Vorge‐ brachtes) für wahr halten‘; 1.1 allg.; 1.1.1 mit Gen.d.S., häufig des mit folgendem erläuterndem (meist daz-)Satz; 1.1.2 mit Akk.d.S.; 1.1.3 mit abh. Satz; 1.1.4 mit Dat.d.P. und Gen./ Akk.d.S. […]; 2 ,jmdm./ einer Sache (ver)trauen, Glauben schenken‘; 2.1 mit Dat.d.P.; 2.2 mit Dat.d.S.; 3 auf Zukünftiges bezogen, ,auf etw. vertrauen, etw. zuversichtlich erwarten‘, mit Gen.d.S. […] ‒ mit Ersparung des. Obj.; 4 ,an (einen) Gott glauben‘; 4.1 tr.; 4.2 mit an; 4.3 ohne Obj.; 4.4 subst. Inf.; 5 ,an etw. (relig. Lehren) glauben, etw. für wahr halten‘, überw. in Glaubensbekenntnissen und kate‐ chetischen Reden; 5.1 tr.; 5.2 mit an; 5.3 mit daz-Satz; 6 ,nachgeben, entgegenkommen; sich freundlich erweisen‘; 6.1 mit Dat.d.P.; 6.2 mit Dat.d.S.; 7 ,jmdm. etw. erlauben, gestatten‘ […] ‒ mit daz-Satz; mit Ersparung des Dat. usw. Auffällig ist oben die Verwendung der Abkürzung „tr.“ (für „transitiv“) anstelle von „Akk.“ bei 4.1 und 5.1. Transitivität impliziert ja eine Möglichkeit zur Bildung passivischer Sätze, für die Belegsätze bei 4.1 und 5.1 kann man sich aber kaum eine Passivbildung vorstellen. Auch sonst ist das MWB bei der Darstellung 138 E. Historische Valenz und Lexikografie von Valenzstrukturen nicht ganz konsequent. Dies kommt beispielsweise bei der Beschreibung von zwei Sememen im Verbartikel bitten zum Vorschein, vgl. zuerst Semem 1: 1 ,jmdn. um etw. bitten‘, besonders ,im Gebet um etw. bitten, zu Gott (um etw.) beten‘. - Die Pers., die um etw. gebeten wird, erscheint in der Regel im Akk., selten im Dat. […], in der Bed. ,zu Gott (um etw.) beten‘ als Präp.-Obj. mit ane/ zuo, […] Die Sache oder Handlung, um die gebeten wird, erscheint in der Regel als Gen., Inf., oder daʒ-Satz, selten als Akk. […], Präp.-Obj. mit umbe […] oder Inf. mit ze/ zuo […] 1.1 abschwächend, höflich-indirekt oder verhüllend auch im Sinne von ,anflehen, ersuchen, fordern, befehlen‘ usw.; öfters bestimmt ein weiteres Verb das Gemeinte: […] Unter 1.1 wird nicht expliziert, ob das Verb einwertig verwendet werden kann oder welche der unter 1 aufgeführten Objektklassen allein oder zusammen mit einer weiteren Objektklasse mit dem Subjekt vorkommen können. Der Beispielteil enthält keine Belege zum einwertigen Gebrauch (vgl. BMZ: er betelîche biten kann), zum Genitivobjekt bei Zwei- und Dreiwertigkeit (vgl. BMZ: herre got, nu sende mir den tôt, sît ich sîn bite; als in des sîn herze bat) oder zum Infinitivobjekt mit und ohne zu bei Zweiwertigkeit (vgl. BMZ: ich bat mir sagen mære; bittet iu diu mære baʒ ze sagene). Im Übrigen verzeichnet BMZ weitere Strukturen, die im MWB fehlen, vgl. Subjekt + Präpositionalobjekt mit nach (daʒ ich nâch den habechen bat), Subjekt + Objekt in Form eines Hauptsatzes (ich wünsche ir dar und bite, got ir reinen lîp behüete), Subjekt + Akkusativobjekt + dass-Nebensatz mit Korrelat des (daʒ er si des alle bæte daʒ si […]) und Subjekt + Präpositionalobjekt mit um + Nebensatz mit dass ([…] umb got biten alle, daʒ im der sige gevalle). Das Semem 3 wird wie folgt definiert: 3 ,(bei jmdm.) Fürbitte tun/ Fürsprache einlegen/ eintreten für (über, umbe, vür) jmdn.‘ Im Beispielteil sind keine Belege für das Präpositionalobjekt mit für bzw. um bei Zweiwertigkeit vorhanden (vgl. BMZ: merket swer vür den andern bite. sich selben lœset er dâ mite; der umbe den andern bitet der nert sih selben), desgleichen wird über die Kombinations‐ möglichkeiten der Objekte im Falle von Drei- und Vierwertigkeit nicht explizit informiert (vgl. z. B. zur Vierwertigkeit den Beleg vil tiure sî got bâten […] / umbe ir herrn und umbe ir trôst, […] daz er im sælde und êre […] müese geben im MWB). ‒ Zu Valenzstrukturen in BMZ und ML vgl. auch Korhonen (1986a, 202f.). 1.3 Frühneuhochdeutsch Auf dem Gebiet der fnhd. Valenzlexikografie kann erstens das Lexikon erwähnt werden, das in der Dissertation von V ILM O S Á G E L (1988) enthalten ist. Es beruht 139 1. Historische Valenzlexika und valenzbezogene Informationen in Wörterbüchern auf einer Beschreibung der Valenz ausgewählter Verben (insges. 136) aus den „Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin (1439‒1440)“. Ein Lexikonartikel setzt sich aus folgenden Bestandteilen zusammen: 1. Lemma mit Angabe der Gesamtbelegzahl, 2. Bedeutungsangabe in Satzform, 3. Angabe der ermittelten Ergänzungen, 4. Angabe von Beispielbelegen, 5. Angabe sämtlicher Belegstellen, 6. Auswertung der einzelnen Ergänzungen mit Belegzahl, 7. Angabe der ver‐ tretenen Angabeklassen mit Belegzahl, 8. Anmerkungen. Als Beispiel sei die Darstellung des Verbs begehren zitiert (Ágel 1988, 174): BEGEREN 4 >jmd. will von jmdm. etw.< E1 E5 E4/ E6 E1 E5 E4: 14,7: …vnd dem ward die sach fuergehalden, wes man an in[Krabat] begeriet.; 14,3 E1 E5 E6: 20,35: Vnd mein gnedige fraw die begerat an mich, Ich solt auch iren gnaden gevëtrInn werden.; 23,23 E1(3): man, [fraw], [herren] E5(2): an + N2; [Krabat] >Kroate<, [Pers.] E4(2): gehilfens / [sach] E6(2): IR, NS daz A: EK(1) Erläuterung der Symbole für Ergänzungen und Angaben: E1= Nominativergän‐ zung; E5 = Präpositionalergänzung; E4 = Genitivergänzung; E6 = Ergänzungs‐ satz; N2 = Nominalphrase im Akkusativ; IR = indirekte Rede; NS daz = Nebensatz mit daz; A = (freie) Angabe; EK = erzählkontinuative Partikel; [Pers.] = Per‐ sonenbezeichnung; [sach] = Sachbezeichnung. Die Einklammerungen [fraw], [herren] und [Krabat] bedeuten, dass diese Wörter aus einer koordinierten Proposition erschlossen werden mussten, d. h., es war kein Originalbeleg vor‐ handen, in dem das Wort selbst erscheinen würde oder durch ein Kategorem‐ wort vertreten wäre. ‒ An das eigentliche Lexikon ist ein Glossar angehängt, in dem valenzsyntaktisch unauswertbare Verben aufgeführt sind. Solche Verben wurden u. a. deshalb ausgeschlossen, weil sie nur einmal belegt waren oder weil eine zuverlässige Bedeutungsparaphrase nicht möglich war. Zweitens sei auf Studien hingewiesen, in denen lexikonähnliche Valenzbe‐ schreibungen von Verben und Verbphrasemen anzutreffen sind. Untersuchungs‐ objekt von Simmler (1982) ist die Valenz von achten, bitten, lernen und werfen in einer deutschen Benediktinerregel des 15. Jh. In Korhonen (1978) wurde die Valenz mehrerer Verben, die in aktivischen und passivischen Sätzen vorkommen, in morpho- und semantosyntaktischer Hinsicht dargestellt, vgl. Kapitel D.4.5.3; im Übrigen vgl. Korhonen (1981; 1985; 1986c; 1995a, 372ff.; 2006a). In Korhonen 140 E. Historische Valenz und Lexikografie (1986a) wurde anhand von Belegen aus einem Luther-Korpus ein weiterer Vorschlag für die Gestaltung von Wortartikeln skizziert, vgl. dazu folgenden Ausschnitt aus dem Verbartikel für das Verb sich bekümmern: V1 ,jmd. beschäftigt sich mit jmdm./ etw.‘; ,jmd. müht sich mit jmdm./ etw. ab‘ Sn + pS mitD/ ob/ überD/ vonD Sn [Person]; pS [Person]/ [Konkr]/ [Abstr] …, wenn der Mensch … mit andern sachen sich bekuͤmert … WA [= Weimarer Ausgabe] 22,381 Man hat aber uber diesem Text in den hohen Schulen sich hoch on not bekuͤmert und gefragt … WA 46,666 V2 ,jmd. kümmert sich um jmdn./ etw.‘; ,jmd. sorgt sich um jmdn./ etw.‘ Sn + Sg/ pS halbG/ überD/ umA/ für Bes.: Kombination alternativer Valenzmarker an einer Ergänzung im ersten Beispiel Sn [Person]; Sg, pS [Person]/ [Konkr]/ [Abstr] (Denn weltliche Oberkeyt hat … die unart …), das sie umb Gottes Reych und der Religion sich nicht … bekümmert. WA 52,771 … wir wuͤrden uns nicht viel bekuͤmern uber dem, das die Welt allein hoch und gros achtet, … WA 46,612 V3 ,jmd. betrauert jmdn./ etw.‘ Sn + Sg/ pS halbG/ überD/ umA/ um … willenG Sn [Person]; Sg, pS [Person]/ [Abstr]/ [Geschehen]; Sterben, Tod, Verstorbener … Was wolt jr euch bekomern meines weg gehens? (Jr solt euch viel mehr frewen …) WA 45,630 Jr bekuͤmmert euch umb mein sterben. WA 52,635 Erläuterung der Symbole für Ergänzungen: Sn = Substantiv im Nominativ; Sg = Substantiv im Genitiv; pS = präpositionales Substantiv (hinter dem Symbol erscheint eine Präposition mit dem jeweiligen Kasus außer in den Fällen, in denen er sich nicht ermitteln lässt). Im Anschluss an die semantische Beschreibung der Ergänzungen unter V3 werden einige Lexeme angeführt, die für die lexikalische Besetzung von Sg bzw. pS typisch sind. ‒ In Anlehnung an die Beschreibungsprinzipien in Korhonen (1986a) werden in Breuer (2001) die Verben bekennen und sich bekennen analysiert. Wolf (1985) diskutiert Probleme der Ermittlung der Substantivvalenz am Beispiel der Lexeme Kind und Amt. Zur Darstellung der Valenz von fnhd. Verbphrasemen vgl. Kapitel D.10 und F.2. In Korhonen (2016) werden für die Kasus- und Präpositionalobjekte der fnhd. Phraseme acht geben, acht haben, achten haben, achtung haben, acht 141 1. Historische Valenzlexika und valenzbezogene Informationen in Wörterbüchern nehmen, gewahr werden, inne werden, innen werden und wahr nehmen auch die semantischen Klassen angegeben. Das bedeutendste fnhd. Allgemeinwörterbuch ist das im Auftrag der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen von Ulrich Goebel/ Anja Lobenstein-Reich‐ mann/ Oskar Reichmann herausgegebene Fnhd. Wörterbuch (FWB, auch online; noch nicht abgeschlossen). In Kapitel 15 der von Oskar Reichmann verfassten lexi‐ kografischen Einleitung (vgl. https: / / fwb-online.de/ einleitung/ positionen-des-wo erterbuchartikels-viii-angabe-typischer-syntagmen) heißt es: „Das Frühneuhoch‐ deutsche Wörterbuch ist ein Bedeutungswörterbuch. Es beschreibt die syntagma‐ tische Verwendung von Wörtern deshalb nur so weit, wie dies dazu beiträgt, ihre Bedeutung(en) differenzierter zu verstehen.“ Die syntagmatischen Informationen bestehen aus abstrakten Konstruktionsmustern und/ oder konkreten Wortverbin‐ dungen. Die Ersteren können als Teil der Bedeutungsangabe eines Lexems oder unter der Rubrik „Syntagmen“ zusammen mit den Wortverbindungen erscheinen. Es wird zwischen „Ergänzungspositionen“, d. h. satzobligatorischen Positionen, und „Angabenpositionen“, d. h. satzfakultativen Positionen, unterschieden (die Terminologie ist insofern irreführend, als mit Angaben hier fakultative Ergän‐ zungen gemeint werden). Bei der Gestaltung der Bedeutungsangaben wurde an die Valenz von Verben, Substantiven und Adjektiven gedacht, vgl.: abfügen, V. ,jn. von etw. lösen, trennen‘ abgang […] 11. ,Mangel an etw. […]‘ abhold, Adj. ,jm. nicht gewogen, nicht geneigt […]‘ Diese Art der Kennzeichnung von Valenz ist wie folgt zu verstehen: abfügen ist ein obligatorisch dreiwertiges Verb mit Nominativ-, Akkusativ- und Präpo‐ sitionalergänzung, während abgang ein einwertiges Substantiv und abhold ein einwertiges Adjektiv ist. Entsprechend werden fakultative Ergänzungen dargestellt, stehen aber in Klammern. Das Subjekt bei Verben, der Genitivus subjectivus bei Substantiven sowie übergeordnete Substantive bei Adjektiven werden nicht markiert, wenn dies zur Vereindeutigung der Bedeutungserläute‐ rung nichts beitragen würde. In der Praxis kann von den in den Bedeutungsangaben angeführten Ergän‐ zungen jedoch nicht immer auf die Valenz eines Semems des betreffenden Lexems gefolgert werden, vgl. 1 achten 1. ,etw. bemerken, sinnlich wahrnehmen; etw. feststellen‘. Das Verb achten nimmt in dieser Bedeutung nicht nur eine Akkusativ-, sondern auch eine Genitiv- und eine Satzergänzung in Form eines dass-Satzes zu sich, vgl. daz sú irs růffes nút hortent noch enachtent; man ahtet, daz die redelichen creaturen zemale rüeren zuo der offenbarunge dez gesteltnüsses. Diese Beispiele erscheinen im Belegblock von Semem 1, ohne dass ihnen 142 E. Historische Valenz und Lexikografie Informationen zur Syntax vermittelt werden. Das heißt, die Valenz muss auf der Basis der Belege ermittelt werden. Das Gleiche trifft auf die Sememe 3, 4, 6, 7, 9, 10, 11 und 12 zu. ‒ Demgegenüber folgen der Bedeutungserläuterung bei Semem 2 einmal konkrete Syntagmen, zum anderen etwas abstraktere Konstruktionen, vgl. 1 achten 2. ,auf jn./ etw. achten, jn./ etw. beachten, sich um jn./ etw. kümmern, sich an etw. kehren, auf etw. Wert legen‘: u. a. den pfennig/ des gestankes a.; auf etw. (ser/ lützel) a. Die Syntagmen lassen erkennen, dass achten hier mit einer Akkusativ-, Genitiv- und Präpositionalergänzung mit auf verbunden werden kann. Studiert man den Belegblock genauer, ergibt sich, dass als Ergänzungsklasse auch ein ob-Satz in Frage kommt, vgl. Brinhilt, du achst nit, ob ain hůn | Ain kalten winter bairfůs gaͮt. Eine andere Art und Weise, den Block der Syntagmen zu gestalten, liegt etwa beim Verb pflegen vor. An erster Stelle steht hier eine explizite syntaktische Information, der dann Beispiele folgen, vgl. pflegen 1. ,einer Sache obliegen, sie wahrnehmen‘: vorwiegend mit Gen. d. S., z. B. der demut pf. ,demütig sein‘, des dienstes pf. ,dienen‘ usw. Während diese Beispiele Funktionsverbgefüge darstellen, handelt es sich bei den übrigen Sememen um Kollokationen und nichtphraseologische Ausdrücke, vgl. pflegen 2. ,für jn./ etw. sorgen; sich um jn./ etw. kümmern‘: mit Gen. d. P./ S., z. B. des falken, der gesundheit/ pforte pf. Am Ende des Syntagmenblocks erscheint noch ein zusätzlicher Vermerk zur Syntax: „vereinzelt auch mit Akk. oder präpositionalem Anschluß“; pflegen 3. ,jn./ etw. beaufsichtigen, verwalten, beherrschen, regieren‘: mit Gen. d. P./ S., z. B. des erdreichs/ herzogtums pf.; pflegen 4. ,die Gewohnheit, Sitte haben; gewohnt sein‘: mit Inf., dann auch absolut ohne Ergänzung. An diese Information schließen sich keine Beispiele an, es folgt direkt der Belegblock. Wieder eine andere Darstellungsweise lässt sich beispielsweise bei Semem 2 des Verbs trauen beobachten, vgl. trauen 2. ,etw. annehmen, vermuten, glauben; jm. Glauben schenken; jm. etw. glauben‘: t. (absolut); etw. t., nicht t., das […]; js. (Gen.obj. d. P., z. B. sein)/ e. S. (Gen.obj.) (nicht) t.; dem eid t. Die Reihe der Syntagmen wird durch eine Angabe zum absoluten Gebrauch, d. h. zur Einwertigkeit, eröffnet. Das Syntagma etw. t. bedeutet wohl, dass trauen mit einem Akkusativ der Sache verbunden werden kann. Man hätte hier eher einen Vermerk wie „Akk. d. S.“ erwartet; in dieser Form wäre die Angabe eindeutig und auch konsequent (im Belegblock ist kein Beispiel für trauen + Akkusativ zu finden). Die nächste Konstruktion bezieht sich darauf, dass trauen einen Nebensatz mit dass zu sich nehmen kann. Die Tatsache, dass neben einem dass-Satz auch ein uneingeleiteter Satz möglich ist, bleibt außer Acht (vgl. das Beispiel [der Truchseß] trauet, er hett sein feind angriffen und hett nit unrecht getan im Belegblock). Auffällig ist außerdem, dass im Syntagmenblock 143 1. Historische Valenzlexika und valenzbezogene Informationen in Wörterbüchern anstelle einer Kennzeichnung wie „Gen. d. P./ S.“ (vgl. pflegen 2 und 3 oben) die Abkürzung „Gen.obj.“ begegnet. ‒ Schon die wenigen Beispiele zeigen, dass die Informationen im Syntagmenblock des FWB uneinheitlich, inkonsequent und mangelhaft sein können. Nicht selten muss man den Belegblock sorgfältig durchgehen, um sich ein genaueres Bild von den Valenzbeziehungen eines Lexems verschaffen zu können. 1.4 Neuhochdeutsch Ein historisch angelegtes Valenzlexikon, in dem Texte des (Älteren) Nhd. die Ma‐ terialgrundlage bilden, existiert zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht. Stattdessen können hier einige Untersuchungen erwähnt werden, in denen die Valenz von nhd. Verben und Verbphrasemen dargestellt wird. H A R R Y A NT TILA (1997, 511‒ 555) führt im Anhang seiner Untersuchung ein umfangreiches Verzeichnis der als Prädikate in der Leipziger Zeitung von 1660‒1914 vorkommenden Verben (Simplizia, Derivate, Verben mit trennbarem Zusatz) und Verbphraseme auf. Den in alphabetischer Reihenfolge angeordneten Infinitiven werden die Satzmodelle (in zweifacher Ausfertigung) und das Teilkorpus, in dem das Verb vorkommt, angegeben. Semantische Informationen zum Valenzträger fehlen gänzlich. Vgl. hierzu näher Kapitel D.5.4, siehe auch Kapitel C.3 und D.4.6. ‒ Ansonsten ist auf Arbeiten hinzuweisen, in denen die Diachronie bestimmter Lexeme im Fokus steht und auch die Periode des Nhd. mit einbezogen ist. Dazu zählen z. B. Korhonen (1995b; 2018) und Greule (2014; 2015). Vgl. darüber hinaus die Kapitel D.9, D.10, F.2 und F.3 sowie die Anhänge G.3 und G.4 im vorliegenden Band. Die bedeutendsten Allgemeinwörterbücher, in denen sich die Valenz von Verben, Verbphrasemen, Substantiven und Adjektiven in nhd. Zeit ermitteln lässt, sind das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm (= DWB, auch online) und seine Neubearbeitung (= DWBN, auch online), die die Buch‐ stabenstrecke A bis F umfasst. Da sich aber diese Wörterbücher nicht nur auf das Nhd. beschränken sondern auch das Ahd., Mhd. und Fnhd. mitberücksichtigen und damit das Verfolgen einer diachronen Entwicklung der Valenz ermöglichen, werden sie im nächsten Kapitel genauer betrachtet. 1.5 Diachron Die Valenzdiachronie verschiedener Lexemklassen (Verben usw.) kann noch nicht anhand eines Speziallexikons studiert werden. Im Moment sind jedoch ein umfangreiches Historisch syntaktisches Verbwörterbuch (HSVW) und ein Kleines historisches Valenzlexikon (KHVL) in Vorbereitung. Über das erstere 144 E. Historische Valenz und Lexikografie Vorhaben berichtet der Sammelband Greule/ Korhonen (2016), außerdem wird im Anhang G.3 exemplarisch demonstriert, welche Möglichkeiten sich für eine ausführliche Erfassung der Valenzentwicklung von Verben anbieten. Im KHVL wird der Beschreibungsapparat wesentlich einfacher sein, vgl. dazu Anhang G.4 mit dem entsprechenden Probeartikel. Des Weiteren ist ein Band mit dem Arbeitstitel „Valenzgeschichten“ anzukündigen. Dieser Band, der unter der Leitung von Sandra Reimann herausgegeben werden soll, wird verschiedene Vorschläge zur lexikografischen Darstellung des Valenzwandels enthalten. ‒ Zur Beschreibung der Valenzdiachronie vgl. zusätzlich Korhonen (1995a, 375f.; 1995b, 152f.; 2006b, 1469ff.; 2011a, 49f.; 2018) und Greule (2014; 2015, 22‒26) sowie die Kapitel D.9, D.10, F.2 und F.3 im vorliegenden Band. Das DWB wurde in der Zeit von 1838 bis 1960 bearbeitet. In der Geschichte des DWB können vier Arbeitsphasen unterschieden werden: 1. Phase 1838‒ 1863, 2. Phase 1863‒1908, 3. Phase 1908‒1930 und 4. Phase 1930‒1960. Da sich die Bearbeitung des DWB über einen so langen Zeitraum erstreckt, ist es verständlich, dass in der lexikografischen Konzeption des Wörterbuchs mehrere Änderungen stattgefunden haben. Dies spiegelt sich auch in der Gliederung der Wortartikel wider, deren Gegenstand die historische Entwicklung von Verben und Verphrasemen ist. Die Verbartikel können aber auch in den Bänden der ersten Arbeitsphase unterschiedlich untergliedert sein, vgl. zunächst die Beschreibung von bedanken und dienen: BEDANKEN […] 1) mit acc. der person, ,remunerari, belohnen‘: die schönheit wird allein mit dieser frucht bedanket […] 2) mit dat. der person, acc. oder gen. der sache: so wirt es im bedanket wol […] 3) sich bedanken, ,gratias agere‘ a) mit gen. der sache: […] das er sich schon gegen im widerum erlangter gesundhait bedanket […] b) mit der praep. für: […] wir bedanken uns für alle empfangnen wolthaten […] Die Gliederung ist primär syntaktisch ausgerichtet, wobei Auskunft über die Art des Objekts erteilt wird. Bei 3 a) und b) fehlt die Information, dass neben einem Sachobjekt auch ein Personenobjekt mit der Präposition gegen + Dativ erscheinen kann (in 3 a) kommt das Personenobjekt in einem Belegsatz vor, in 3 b) ist es im Belegteil nicht vorhanden). DIENEN […] 1. da es zu dio, deo ,knecht, servus‘ gehört, so bedeutet dienen, einem dienen ursprünglich ,jemandes knecht oder unterthan sein. daher auch gehorchen, sich unterwerfen, sich demütigen‘ […] 2. gott dienen heiszt ,in dem gefühl der abhängigkeit von ihm nach seinen gesetzen leben, thun wie es ihm wolgefällt, sich ihm hingeben‘ […] 3. ,bösen und verächtlichen richtungen folgen, sinnlichen begierden fröhnen‘ […] 10. nähere bestimmungen werden mit präpositionen hinzugefügt. im mhd. dienen nâch minne, nâch hulde, ûf den wân, umbe wîbe gruoz […] 145 1. Historische Valenzlexika und valenzbezogene Informationen in Wörterbüchern 1 Zum Verhältnis von Semantik und Syntax in Verbartikeln des DWB vgl. z. B. auch Joa‐ chim Bahr (1984a): Das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Stationen seiner inneren Geschichte. In: Sprachwissenschaft 9, 387‒455; ders. (1984b): Eine Jahrhundertleistung historischer Lexikographie: Das Deutsche Wörterbuch, begr. von J. und W. Grimm. In: Werner Besch/ Oskar Reichmann/ Stefan Sonderegger (Hg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 1. Halbband. Berlin/ New York (= Handbücher zur Sprach- und Kommu‐ nikationswissenschaft 2.1), 492‒501; ders. (1985): Grammatik im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. In: Henning Bergenholtz/ Joachim Mugdan (Hg.): Lexikographie und Grammatik. Akten des Essener Kolloquiums zur Grammatik im Wörterbuch 28.‒30.6.1984. Tübingen (= Lexicographica. Series Maior 3), 99‒117 und Korhonen (1986a, 204). Hier liegt eine primär semantische Gliederung vor; bei den meisten Gliede‐ rungspunkten schließen sich den Bedeutungsparaphrasen keine Angaben zur Syntax an. Ausnahmen bilden Punkt 2 und Punkt 10: Der erstere Punkt wird mit einer Kollokation eingeleitet, und der letztere enthält nur eine syntaktische Information. Konsequenter ist der Wortartikel hören aufgebaut, der in der zweiten Arbeits‐ phase angefertigt wurde, vgl.: HÖREN […] II. Bedeutung, 1) hören, ,den sinn des gehörs haben, durchs gehör wahrnehmen können‘ […] 2) hören, ,durchs gehör wahrnehmen, etwas mit dem ohr vernehmen‘; in verschiedenen verbindungen. a) mit sächlichem object […] c) mit acc. der person […] d) das object wird durch ein adjectiv oder particip näher bestimmt […] e) hören, mit einem infinitiv verbunden […] f) hören mit wirklichem acc. cum inf. […] 3) hören, in stärkerer bedeutung, mit aufmerksamkeit hören, ,auf etwas gehörtes achten, anhören‘; wieder in manchen fügungen. a) absolut […] b) mit sächlichem object […] d) mit persönlichem object […] e) statt des accusativs ein genitiv […] f) es folgt ein abhängiger satz […] Es wird von einer bestimmten Bedeutung ausgegangen, der ab Punkt 2 eine syntaktische Untergliederung folgt. Allerdings fällt auch in diesem Artikel eine gewisse Uneinheitlichkeit auf: Bei 2 c) wird der Kasus des Objekts angegeben, bei 2 a) sowie 3 b) und d) dagegen nicht. Außerdem wird bei 3 a) die Einwertigkeit vermerkt, bei 1) wurde eine entsprechende Information weggelassen. Die Rolle der Semantik wird in der Schlussphase der Bearbeitung des DWB noch verstärkt, was sich nicht nur bei der Gestaltung von Verbartikeln be‐ merkbar macht. Der zentrale Gegenstand der lexikografischen Beschreibung sind Wortbedeutungen, d. h., syntaktische Strukturen werden nicht als bedeu‐ tungskonstitutiv angesehen. Damit sind Angaben zur Syntax in diesem Sprach‐ verständnis den Informationen zur Wortbedeutung untergeordnet. 1 146 E. Historische Valenz und Lexikografie Die erste Lieferung des DWBN erschien schon 1965, fünf Jahre nach Ab‐ schluss der Arbeit am DWB. In der Darstellungsweise knüpft die Neubearbei‐ tung an die letzte Arbeitsphase des DWB an, aber zumindest am Anfang können syntaktische Angaben noch relativ allgemein gehalten sein, vgl.: 3 ACHTEN […] A ,etwas (gemeinsam) überlegen, erwägen‘; ,über etwas nach‐ denken, nachsinnen‘ […] B ,taxieren‘; ,erachten‘; ,meinen‘; ,wertschätzen, respek‐ tieren‘. 1 ,etwas (nach wert, anzahl, größe u. dgl.) abschätzen, taxieren, veranschlagen‘ […] 2 ,etwas, jmdn. erachten, ansehen als .., halten für ..‘; ,einschätzen, beurteilen‘; oft mit wertenden adjektiven, auch mit doppeltem akk. […] a in festen fügungen. α oft achten für .. u. dgl., ,halten für .., erachten für ..‘; […] 3 ,glauben, meinen, annehmen‘; bis ins 18. jh. auch mit a.c.i.; seitdem im ganzen veraltet […] 4 prägnant (vgl. 2); etwas, jmdn. achten ,wertschätzen, ehren, respektieren‘ usw. Aus der Gliederung ist ersichtlich, dass weder A noch B 1 mit Informationen zur Syntax ausgestattet sind. Informativer in syntaktischer Hinsicht ist z. B. der Verbartikel danken, vgl.: DANKEN […] 1 ,sich mit worten bedanken, dank aussprechen, gratias agere‘ […] jmdm., vom 15. bis ins 18. jh. nicht ganz selten, vereinzelt auch mhd. jmdn. danken […] e mit abweichender rektionsweise. α gelegentlich, aber kaum über das 15. jh. hinaus, mit dativischem sachobjekt, das dann gleichsam an die stelle eines persönlichen dankempfängers tritt […] β mit akkusativischem sachobjekt in jmdm. etwas danken oder zu danken haben […] 3 in den verbindungen etwas danken oder zu danken haben soviel wie ,verdanken, zuzuschreiben haben‘ […] mit persönlichem, oft aber auch mit sachlichem subjekt. das, was verdankt wird, steht im 16. jh. vereinzelt noch im gen., bald aber ausschließlich im akk. bzw. akkusativischen objektsatz […] usw. Später im Band 6 kommt die Valenztheorie dann explizit zum Tragen, vgl.: DRÄNGEN […] A ,einen gegenstand in etwas stecken‘, nur sporadisch bezeugt; dreiwertig mit akkusativobjekt und direktiver ergänzung […] B in älterer rechts‐ sprache oder unter ihrem einfluß. ,von einer position des rechts oder der stärke aus druck, zwang ausüben, um vorteile, leistungen u. dgl. zu erreichen‘. 1 ,jmdn. in seinen rechten beeinträchtigen, ihn mit rechtsforderungen bedrängen‘; zweiwertig mit akkusativobjekt […] 2 übertragen, mit nichtpersönlichem subjekt. ,bedrücken, quälen‘ […] 3 gelegentlich einwertig; die bloße tätigkeit des bedrängens […] 4 ,jmdn. aus einer position verdrängen‘, seltener ,jmdn. in eine solche nötigen‘; dreiwertig mit akkusativobjekt und direktiver ergänzung […] C ,etwas nachdrücklich, auch ungeduldig, fordern, zu veranlassen oder zu erreichen versuchen‘. 1 ,jmdn. nach‐ drücklich zur durchführung einer handlung zu bewegen versuchen‘; dreiwertig mit 147 1. Historische Valenzlexika und valenzbezogene Informationen in Wörterbüchern 2 Zur Arbeit mit Valenz in historischer Lexikografie am Beispiel des DWBN vgl. Horlitz (1976); Joachim Bahr (1979): Regeln zur Praxis der historischen Lexikographie. In: Helmut Henne (Hg.): Praxis der Lexikographie. Berichte aus der Werkstatt. Tübingen (= Reihe Germanistische Linguistik 22), 38‒65; Korhonen (1986a, 207f.); Gerhard Strauß (1991): Die Bände I und VI der Neubearbeitung des Deutschen Wörterbuches: Unter‐ schiede in der lexikographischen Bearbeitung. In: Alan Kirkness/ Peter Kühn/ Herbert Ernst Wiegand (Hg.): Studien zum Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Band 2. Tübingen (= Lexicographica. Series Maior 34), 627‒702. akkusativobjekt und präpositionalobjekt (zu) oder infinitivsatz zur bezeichnung der geforderten handlung […] usw. Bemerkenswert ist, dass oben auch das Subjekt berücksichtigt (vgl. B 2) und das Infinitivobjekt als Variante zum Präpositionalobjekt aufgeführt wird (vgl. C 1). Ebenso ist für die Valenzreduktion ein eigener Gliederungspunkt vorge‐ sehen (vgl. B 3). ‒ Der Valenzbegriff wird nur im Band 6 des DWBN auf die Beschreibung von Verben angewendet. Der Vorbemerkung zu diesem Band und den Verbartikeln hinter drücken lässt sich entnehmen, dass auf die Angabe der Valenz verzichtet worden ist. 2 2. Methoden der historischen Valenzlexikografie 2.1 Vom Textkorpus zum (althochdeutschen) Valenzwörterbuch (vor Anwendung des Computers) Der Weg, auf dem die Bearbeiter ausgehend von den ahd. Texten des 9. Jh. zum Eintrag in das entsprechende Syntaktische Verbwörterbuch (Ausschnitt im Anhang G.1) - in der vorcomputativen Phase - gelangten, ist der folgende (Greule 1999, 10‒12): 1. Die Texte des (aus den gedruckten Text-Ausgaben bestehenden) Korpus werden interpretierend und - falls notwendig - rekonstruierend in komplexe und einfache Verbalsätze segmentiert und in einer Satz-Kartei mit rund 40.000 Sätzen gespeichert. Nachdem die Texte digital zugäng‐ lich sind, würde man mit Hilfe des Computers statt einer Kartei eine Satz-Datei anlegen, nachdem die Sätze direkt an den digitalisierten Texten segmentiert und annotiert worden sind. (Vgl. Kapitel E.4) 2. Herstellung einer „Verb-Strecke“, d. h., es werden die Verben aufgelistet, denen im anvisierten Wörterbuch ein Lemma und ein Artikel zugeordnet werden soll. 148 E. Historische Valenz und Lexikografie 3. Auswahl je eines Verbs (V x ) aus Verb-Strecke und Sammlung der Beleg‐ sätze, die das Verb V x als Prädikat enthalten. 4. Jedem Belegsatz mit V x wird interpretativ eine Satzform zugewiesen, d. h., jeder Belegsatz wird in Satzglieder zerlegt und jedes Satzglied wird durch ein morphosyntaktisches Kategorialsymbol (z. B. NP, ADV, NP1 usw.) indiziert. 5. Zusammenfassende Zuordnung der Belegsätze zu einem Semem oder mehreren Sememen (Einzelbedeutungen) des Verbs V x , z. B. weist ahd. geban drei Sememe auf. 6. Endgültige Abstraktion von den konkreten Belegsätzen, indem die Satz‐ formen aller für ein Semem belegten Sätze in einer morphosyntaktischen Formel (= Satzbauplan) zusammengefasst werden. Damit wird auch die originale Serialisierung der Satzglieder aufgehoben. 7. Das Semem oder die Sememe von V x werden einem verbalen Wortfeld zugeordnet, z. B. geban dem Wortfeld der Verben des Besitzwechsels. 8. Ausgehend von je einem Semem wird festgestellt, welche Satzglieder zur Grundprädikation gehören und damit semantische Rollen (Ergänzungen) sind. ‒ Das Subjekt wird nicht eigens als solches bezeichnet, weil das Subjekt in Passivsätzen, die zuvor in Aktivsätze transformiert wurden, ein anderes Satzglied als in Aktivsätzen sein kann. 9. Die Satzglieder, die als Umstandsbestimmung, Modalitäts- oder Negati‐ onsangabe interpretierbar sind, gelten als „zusätzliche Satzglieder“ und nicht als semantische Rollen. 10. Die semantischen Rollen erhalten im Lexikonartikel über die in Verbse‐ meme integrierten Variablen eine semantische Beschreibung, z. B. geban: ‚a gibt b dem c‘; dabei ist a: Mensch, der b der Person c gibt, b: Gegenstand, der c von a gegeben wird, c: Person, der b von a gegeben wird. In Form von semantischen Rollen: Agens (a), Objekt (b), Adressat (c). 11. Formulierung eines Lexikonartikels pro Semem mit dem Lemmaverb an der Spitze - nach fünfgliedrigem Schema: 1) Beschreibung des Semems, 2) Spezifikation der Leerstellen (Ergänzungen), 3) quantifizierte Aufzählung der „zusätzlichen Satzglieder“, 4) Beispielsätze, 5) Belegstellen. Vgl. Kapitel E.1.1 und den im Anhang G.1 abgedruckten Beispielartikel (Greule 1999, 300). 149 2. Methoden der historischen Valenzlexikografie 2.2 Vom Korpus zum digitalen historischen (mittelhochdeutschen) Valenzwörterbuch Das von der Sprachwissenschaftlerin Sandra Reimann und dem Medieninfor‐ matiker Manuel Burghardt ausgearbeitete Modell der elektronischen Aufbe‐ reitung des Historisch syntaktischen Verbwörterbuchs (Burghardt/ Reimann 2016) basiert auf ersten Erfahrungen und Ergebnissen, die mit der Abfassung von Verbartikeln auf der Grundlage des MWB online gemacht wurden. Zur Exemplifikation dient das Verb mhd. antlâzen ‚Ablass erteilen‘, das mit vier Belegsätzen im MWB online präsent ist. Voraussetzung für die technische Umsetzung in ein adäquates XML-Dokumentmarkup sind explizite Annotati‐ onen. Für jeden Lexikonartikel werden grundlegende Metadaten und das zu‐ grunde liegende Korpus dokumentiert. Von konkreten Belegsätzen ausgehend werden dann für jedes Verb systematische Einzelanalysen erstellt. In jedem Belegsatz werden die Satzglieder identifiziert und anhand der drei Parameter „Form“, „(syntaktische) Funktion“ und „Semantik“ (z. B. thematische Rollen) analysiert, wobei der Parameter „Semantik“ ergänzt werden kann durch die beispielsatzbezogene „semantische Spezifikation“ und die beispielübergreifende „semantische Restriktion“. Die Analyse auf der Ebene der einzelnen Belegsätze wird tabellarisch dargestellt. Aus den Einzelanalysen werden schließlich die „generische Valenzinformation“ für das untersuchte Verb induktiv abgeleitet und grundlegende linguistische Informationen (Lemma, Wertigkeit, Verbklasse, Sprachstufe, Wortfeld, Varietät) notiert. Exemplifikation der Methode Burghardt/ Reimann am Verb mhd. brüeten Das MWB online präsentiert die Belege zum Lemma brüeten mit ausführlicher syntaktischer Umgebung des Verbs, gibt pro Beleg die Quelle an und ordnet die gesamte Belegmenge numerisch nach syntaktisch-semantischen Gesichts‐ punkten. Aus den Belegen werden für die Belange eines Mittelhochdeutschen syntaktischen Verbwörterbuchs (MSVW) jene aussortiert, die kein mit brüeten gebildetes Prädikat enthalten, im engen Sinn also keine Sätze sind. So ergeben sich folgende für die Annotation vorgesehene Belegsätze: 1) so salbent si ir diu ougen unt brůtent [fouent] sia, unze si gesehent wirdit JPhys 25,5 2) jz ist deme magin gut wan iz prutet in SalArz 22,25 3) si legit ir eier in die hizze unte brůttet [excoquat] si in der wirme des sunnen JPhys 24,13 150 E. Historische Valenz und Lexikografie 4) siu nimit einer ander perdice ir eier unt brůtet [fouit] siu JPhys 23,7 5) der vogel wont in dem mer und prüett seineu air siben tag BdN 172,6 u. ö. 6) ich brüet mîn eiger […] als mîn geslecht tuot anderswâ Boner 49,49 7) swenn er sîn eiger hât verlorn, / dar ûz er brüetet sîne fruht KvWTroj 34133 8) von imbin ein michil swarn, / der drin durch nisten was gevarn / und hate […] / gebruͤtet drinne honegis vil RvEWchr 20587 9) als ein vogel sîn vogelîn / ammet unde brüetet, / alsô het si dich behüetet, / almeistic an ir arme erzogen Wh 62,27 10) reht als ein huon ir hüenelîn / hât under den vetachen sîn / gezogen und gebrüetet, / also hât si mîn gehüetet EnikWchr 7075; ErzIII 116,3 11) du [Gott] zvhis vnde brůtis, / du sterkis vnde behutis Litan 155 12) alsus enliez sîn gedanc / brüeten deheinen kranc / in sînem reinen herzen LvRegFr 2250 13) dar na sol wir uns hudin, / dat wir die sunden anderwerf brueden Lilie 73,35 14) minn alle tugende brüetet, / sam sîniu kindelîn daz huon KvWTroj 2542 15) er sælic man, / […] der reine schame brüete RvZw 198,12 16) die vogel, die vil hüenl pringent mit ainander, die gepernt oder prüetent gar haimleich BdN 165,32 17) si prüetent auch paideu, er und si, in zwain zeiten BdN 181,1; HvBurg 850 18) do diu krâ ûz [fertig] gebrüetet hât Boner 49,57 19) ich gibe den edelen rat vil guten, / daz sie mit williglichen sinnen brüten / ob ritterschaft und minnen spil [sich ernsthaft darum bemühen], / so daz die wolgemuten / wip freischen reine tat in ir handelunge Frl 11: 14,2. Bevor jeder der 19 Belegsätze annotiert werden kann, müssen aus komplexen Belegsätzen einfache Sätze rekonstruiert werden. Zum Beispiel enthält Beleg‐ satz 3) zwei koordinierte Prädikate (legit unte brůttet). Der zu annotierende rekonstruierte Satz lautet: si [→ diu asida ‚Vogelstrauß‘] <…> brůttet si [→ ir eier] in der wirme des sunnen; in (vier) Satzglieder segmentiert: si / brůttet / si / in der wirme des sunnen. Das ergibt für die Annotation vier Spalten zu den sechs Ebenen: 1. Satzglied, 2. Form, 3. Funktion, 4. Semantik, 5. Spezifikation, 6. Restriktion. Gemäß der von Burghardt/ Reimann vorgeschlagenen Vorgehensweise (s. o.) wird aus den Einzelanalysen der 19 Belegsätze die „generische Valenzinforma‐ tion“ induktiv abgeleitet. „Diese Szene besteht aus einer generischen Paraphrase 151 2. Methoden der historischen Valenzlexikografie der Belegsätze sowie aus Informationen zu den Funktionen und zur semanti‐ schen Interpretation der Ergänzungen“ (Burghardt/ Reimann 2016, 311). Es er‐ geben sich für mhd. brüeten drei „generische Valenzinformationen“ (= Sememe), die sich durch die Generische Paraphrase unterscheiden: Generische Paraphrase 1: a wärmt b a (obligator.) Nominativ Agens Wärmender Tier/ Vogel b (obligator.) Akkusativ affiziert. Objekt Gewärmtes Konkret Belegt in Satz Nr. 1, 2, 3, 4, 9, 10 Generische Paraphrase 2: a brütet (b) (aus) [< durch Wärmen zum Schlüpfen bringen] a (obligator.) Nominativ Agens Brütender Vogel b (fakultativ) Akkusativ affiziert. Objekt (Aus)gebrütetes Eier Belegt in Satz Nr. 5, 6, 11, 16, 17, 18 Generische Paraphrase 3: a bringt b hervor a (obligator.) Nominativ Agens Hervorbringender b (obligator.) Akkusativ effiziert. Objekt Erzeugtes Konkret/ Abstrakt Belegt in Satz Nr. 7, 8, 12, 13, 14, 15, 19 Die Zuweisung der Belegsätze zu den Generischen Paraphrasen muss für Einzel‐ fälle noch erläutert werden. Belegsatz Nr. 11 (unter der Generischen Paraphrase 2), in dem das Agens mit ‚Gott‘ besetzt ist, setzt voraus, dass man sich Gott metaphorisch als „brütenden Vogel“ vorgestellt hat. Belegsatz Nr. 18 (ebenfalls unter der Generischen Paraphrase 2) verdeutlicht durch das Präverb ûz die Perfektivität der Handlung und müsste ein eigenes Lemma ûzbrüeten ‚aus-, fertigbrüten‘ erhalten. Belegsatz Nr. 19 wurde unter die Generische Paraphrase 3 mit Hilfe der Interpretation von brüeten im Zusammenhang mit dem indirekten Fragesatz (ob ritterschaft und minnen spil …) ‚(wie beim Brüten) Gedanken hervorbringen‘ subsumiert. Nachdem alle 19 Belegsätze in der Weise, wie an Belegsatz 3) gezeigt, annotiert und die Generische(n) Paraphrase(n) daraus abgeleitet sind, können 152 E. Historische Valenz und Lexikografie die für die technische Umsetzung gedachten Informationen auch in einen Artikel für ein (gedrucktes) Wörterbuch umgesetzt werden. 2.3 Vergleichend: Althochdeutsch - Frühneuhochdeutsch L AW R E N C E J O HN T H O R NT O N s Untersuchung (Thornton 1984, 220‒493) enthält ein vergleichendes Valenzwörterbuch. Darin wird die Valenz von 253 stammglei‐ chen Verben in Otfrids Evangelienbuch und Luthers Evangelienübersetzung (von ACHT bis ZWING) ausgearbeitet und im Sinne des Valenzwandels ausge‐ wertet. Das Besondere an der Darstellung Thorntons ist die Tatsache, dass er die Valenz nicht nur der Simplizia (z. B. ahd. bergan), sondern auch die Präfixderivate (z. B. ahd. firbergan) erfasst. Artikelgestaltung durch Thornton am Beispiel von BERG (226‒227) Hauptlemma identisch mit der „Wurzel“ BERG Lemmata a) -berg: Otfrid (angeordnet nach Satzbauplan mit Belegsätzen) 01 thaz sie genaz bergen (5,25,67) 015 thiu muater barg mit festi thiu wort in iru brusti (1,13,17) (E5 = in iru brusti) ? 016 thaz min fater so githuang inti innan sinaz dreso barg (5,17,6) (unklar ist der Status von innan sinaz dreso: E5 oder E6? ) b) firberg 01 ni was ther sih firburgi (4,6,22) c) giberg 01 nist burg thaz sih giberge (2,17,13) (gibergan + E0 ist partim reflexiv) thaz sie nan giburgin (5,7,32) 015 thaz dreso thar giburgin (4,35,38) War inan ouh giburgun (5,4,58) d) verberg: Luther 01 welchen ein Mensch fand und verbarg (Mt13.44) aber Jhesus verbarg sich ( Jn8.59) 013 das du solchs den Weisen und Klugen verborgen hast (Mt11.25, Lk10.21) 153 2. Methoden der historischen Valenzlexikografie 014 ‹Jhesus› verbarg sich fur inen ( Jn12.37) Nu ists fur deinen ougen verborgen (Lk19.42) (E4 = Präpositionalobjekt mit der semantisch leeren Präposition fur) 016 ‹ein Weib› verbarg in unter drey scheffel Melhs (Lk13.21) ‹ich› verbarg deinen Centner in die erden (Mt25.25). 3. Projekte zur historischen Valenzlexikografie (HSVW, KHVL, MSVW) 3.1 Das Projekt „Historisch syntaktisches Verbwörterbuch“ (HSVW) Die für die Beschreibung des Valenzwandels vorausgesetzten historischen Valenzwörterbücher sind, abgesehen vom Ahd. (Greule 1999), noch nicht vorhanden. Ein mhd. Valenzwörterbuch ist über das Stadium, ein solches zu fordern, nicht hinausgekommen (Greule/ Braun 2010, 69‒74). Inzwischen liegen die wichtigsten historischen deutschen Wörterbücher (teils noch unvollständig) sowie historische Textkorpora digitalisiert und online vor. Aus den historischen Wörterbüchern und Textkorpora können nun, um den Valenzwandel zu be‐ schreiben, für jedes nhd. Verb auf jeder historischen Sprachstufe die Satzbau‐ pläne einschließlich der Kasusrahmen rekonstruiert werden. Das Ziel wäre, für jede Sprachstufe (ahd., mhd., fnhd., änhd., nhd.) auf gleicher methodischer Basis je ein Verzeichnis der Sememe, Satzbaupläne und Kasusrahmen zu verfassen. Auf dieser Grundlage könnte beschrieben werden, welcher Valenzwandel sich vom Ahd. bis zum Nhd. vollzogen hat. Das Ziel des aufwendigen Verfahrens ist ein einheitliches, syntaktisch orientiertes Wörterbuch der deutschen Verben. Da im Rahmen eines einzigen durch Drittelmittel geförderten, limitierten Projekts unmöglich die Valenzgeschichte aller deutschen Verben auf diese Weise erfasst werden kann, muss eine Auswahl getroffen werden, die sich auf die starken Verben, auf Simplizia oder andere „wichtige“ Verben beschränkt. Die Durchführung des ganzen Projekts wird sich auf den Computer stützen. Vgl. Kapitel E.4 und den Probeartikel im Anhang G.3: befehlen. 3.2 Das Projekt „Kleines historisches Valenzlexikon“ (KHVL) Das KHVL wird ein Spezialwörterbuch sein, das als Nachschlagewerk für sprachhistorisch interessierte Forscher, Lehrer und Studierende der Germanistik 154 E. Historische Valenz und Lexikografie konzipiert ist. Der Zweck des Lexikons ist es, die diachrone Valenzentwicklung ausgewählter Verben und Verbphraseme möglichst übersichtlich darzustellen und leichtverständlich zu erläutern. Als Beschreibungsmaterial sollen Valenz‐ träger dienen, die in allen Perioden der deutschen Sprachgeschichte, d. h. im Ahd., Mhd., Fnhd., Älteren Nhd. und heutigen Deutsch, existieren. Jedes Semem eines Valenzträgers muss nicht die gesamte zeitliche Entwicklung durchgemacht haben: Ein Semem kann z. B. im Laufe der Zeit verschwunden oder erst später als etwa im Ahd. aufgekommen sein. Das Belegmaterial für die Erfassung des Valenzwandels wird zum größten Teil in historischen und gegenwartsbezogenen Wörterbüchern des Deutschen gesammelt werden. Neben den online oder als CD-ROM verfügbaren Wörterbü‐ chern sollen auch einige nur im Druck zugängliche Wörterbücher (z. B. Campe, Henisch, Kramer, Maaler, Sanders und die beiden Luther-Wörterbücher von Ph. Dietz bzw. Renate und Gustav Bebermeyer) benutzt werden. Da sich die Valenz nach unseren Erfahrungen auf der Basis der Beispiele jedoch nicht in allen Wörterbüchern erschöpfend ermitteln lässt (vgl. z. B. Korhonen 1985; 1986a; 1986c; 2016; 2018), wird es erforderlich sein, Belege zusätzlich in Textkorpora zu suchen. Zu diesen Korpora gehören Belegsammlungen, die einmal für eine bestimmte Sprachstufe und zum anderen für mehrere Sprachstufen vorhanden sind. Die meisten für das KHVL heranzuziehenden Korpora stehen online zur Verfügung. Eine Ausnahme bildet das von J A R M O K O R H O N E N zusammengestellte Luther-Korpus, das nicht ins Internet gestellt worden ist. Ein Teil dieses Korpus, und zwar Belege aus der Bibelübersetzung Luthers, liegt nicht in digitaler Form vor; der Rest des Korpus, der Belege aus den Schriften Luthers enthält, wurde digitalisiert (zum Luther-Korpus und zu seiner Digitalisierung vgl. Kapitel E.4). Unter Zugrundelegung der Informationen, die aus den lexikografischen und korpusbezogenen Belegen zu gewinnen sind, wird die Valenz eines Verbs bzw. Verbphrasems in einer bestimmten Bedeutung festgelegt. Alle herausge‐ fundenen Valenzumgebungen eines Lexems werden zu einer sog. Gesamtvalenz zusammengefasst, wobei zwischen quantitativer und qualitativer Valenz un‐ terschieden wird: Erstere bezieht sich auf die Anzahl, Letztere auf die Art der Ergänzungen. Da eine Differenzierung obligatorischer und fakultativer Ergänzungen bei der Untersuchung von Texten älterer Sprachstufen besonders problematisch ist, wird eine entsprechende Markierung bei der Wiedergabe der Gesamtvalenz nicht angestrebt. Stattdessen wird jede Valenzumgebung mit einer bestimmten Anzahl von Ergänzungen notiert. Dabei kommt es nicht selten vor, dass ein Valenzträger in den herangezogenen Quellen einmal mit einer niedrigeren und zum anderen mit einer höheren Anzahl von Ergänzungen begegnet. Falls die Bedeutung des Valenzträgers in solchen Fällen konstant 155 3. Projekte zur historischen Valenzlexikografie (HSVW, KHVL, MSVW) bleibt, kann daraus geschlussfolgert werden, dass in der umfangreicheren Umgebung fakultative Ergänzungen enthalten sind. Die qualitative Valenz wird unter Benutzung von Symbolen und ihren Kombi‐ nationen dargestellt. In den Symbolen kommen sowohl die morphosyntaktische Form als auch die Satzgliedfunktion der Ergänzungen zum Ausdruck. Wenn es sich bei einer Ergänzung um ein Prädikativ oder ein Adverbial handelt, wird dies mit Hilfe tiefgestellter Indizes vermerkt. Beim Adverbial wird nach inhalt‐ lichen Klassen (lokal, temporal usw.) weiter differenziert. Die auf diese Weise determinierten Valenzumgebungen sind als morphofunktionelle Satzmodelle aufzufassen (vgl. dazu schon Kapitel D.4.5). ‒ Die Darstellung der Gesamtvalenz erfolgt ohne semantische Charakterisierung der Ergänzungen. Entsprechende Angaben finden sich bei der Präsentierung der einzelnen Ergänzungsklassen in direktem Anschluss an die Gesamtvalenz. In den Wortartikeln des KHVL erscheinen die Informationen in folgender Reihenfolge: 1. Lemma, 2. Bedeutungsparaphrase in Form eines Infinitivs, 3. Sprachstufe Ahd., 4. Gesamtvalenz Ahd., 5. Semantische Merkmale der einzelnen Ergänzungen, 6. Belege für jede ermittelte Valenzumgebung, 7.‒10. Sprachstufe Mhd., Fnhd., Nhd., Gegenwartsdeutsch entsprechend dem Ahd. Wenn das Lemma mehrere Teilbedeutungen besitzt, wird jedes Semem in der oben angeführten Reihenfolge (2. bis 10.) abgehandelt. Weist eine Ergänzung in einer bestimmten Umgebung eine unterschiedliche semantische Besetzung auf, wird dies zwar vermerkt, aber aus Platzgründen wird es nicht möglich sein, alle semantischen Klassen mit Beispielsätzen zu veranschaulichen. Am Ende des gesamten Wortartikels findet sich ein Kommentar, in dem die diachrone Entwicklung der Valenz des Lexems zusammengefasst ist. Vgl. den Probeartikel im Anhang G.4: danken. 3.3 Das Projekt „Mittelhochdeutsches syntaktisches Verbwörterbuch (MSVW)“ Ein seit langem in Analogie zum Althochdeutschen Valenzwörterbuch (Greule 1999) geplantes Mittelhochdeutsches syntaktisches Verbwörterbuch ist über einzelne Beiträge hinaus nicht weiter gediehen (Greule 2003; 2005; 2016; 2018; Greule/ Lénárd 2004; Greule/ Braun 2010, 69‒74; Rapp/ Reimann 2016). Der Forschungsbericht, der die aktuelle Situation der das Mhd. betreffenden Valenzforschung, die als durchaus lebendig eingeschätzt werden kann, zusam‐ menfasst, geht ausführlich auf die Nutzung von mhd. Wörterbüchern als Quellengrundlage ein und endet mit der Feststellung: Das seit 2006 auch online zugängliche, neue „Mittelhochdeutsche Wörterbuch“ (MWB online) 156 E. Historische Valenz und Lexikografie von Gärtner/ Grubmüller/ Stackmann 2006‒2014 wurde bislang noch nicht in die Valenzforschung einbezogen. Es wird nach den ersten Erfahrungen für die historische Valenzforschung vor allem dank der umfänglichen Belege, aufgrund derer die Valenz herausgearbeitet werden kann […], zu einer wichtigen Belegquelle (Greule 2016, 112‒115). Ein mhd. Verbvalenzwörterbuch wäre im Rahmen eines entsprechenden Projekts gewissermaßen als Anhang zu dem Mittelhochdeutschen Wörterbuch (online) leicht zu erstellen (vgl. schon Ehnert 1982, 103‒105: Artikelentwurf zu mhd. behalten und Maxwell 1982b, 17‒23: Zum Aufbau eines mhd. Valenzlexikons auf der Grundlage des Nibelungenlieds) (Probeartikel siehe Anhang G.2). 4. Historische Valenz und Digital Humanities Der erste Forscher, der die automatische Datenverarbeitung zur dependenziellen und valenziellen Analyse eines umfangreichen sprachhistorischen Textes - es handelt sich um Martin Luthers Sermon „Von den guten Werken“ - heranzog, ist J A R M O K O R H O N E N . Er beschreibt genau das Kodierungssystem von Satzmodellen, Speicherung und Verwertungsmöglichkeiten der Daten und die technische Realisierung (Korhonen 1978, 14‒24; ausführlich dazu Kapitel D.4.5). Anfang der 1980er-Jahre hat Korhonen im Luther-Archiv der Universität Tübingen ein umfangreiches Korpus mit valenzbezogenen Belegen aus den Luther’schen Schriften zusammengestellt, später wurde dieses Korpus in Finnland um Belege aus der Bibelübersetzung Luthers ergänzt. Im Ganzen umfasst das Korpus 300 verschiedene Verben und Verbphraseme, und die Gesamtzahl der Belege beträgt rund 38.000. Im Jahr 2015 wurde das Tübinger Korpus im MultiMedia- Zentrum der Universitätsbibliothek Regensburg digitalisiert. Beide Korpora stehen sowohl dem Historisch syntaktischen Verbwörterbuch als auch dem Kleinen historischen Valenzlexikon zur Verfügung. Die Textgrundlage, die W E R N E R W E G S T E IN und N O R B E R T R I C HA R D W O L F ihrer Untersuchung der Valenz fnhd. Verben und Verbalabstrakta zugrunde legten (es handelt sich um Vertreter der „neuen“ geistlichen Prosa des 13. und 14. Jh., darunter die Legenda aurea, vgl. Kapitel D.8.2), wurde im Rechenzentrum der Universität Würzburg auf Band gespeichert, so dass von ihnen Computer-In‐ dizes zur Verfügung stehen, die es ermöglichen, in relativ kurzer Zeit eine große Textmenge zu bearbeiten (Wegstein/ Wolf 1982, 112). Ähnlich äußert sich R O L F E HN E R T , der auf der Grundlage von sieben mit‐ telhoch- und mittelniederdeutschen Kochbuchtexten den Kontext der Verben erfasst. Die dabei anfallenden großen Textmengen (65.630 Wortformen, davon 157 4. Historische Valenz und Digital Humanities 2686 Verbformen) wurden mit dem Einsatz von EDV am Sprachenzentrum der Universität Bielefeld bewältigt (Ehnert 1982). Auch H A R R Y A NTTILA (1997, 141‒153) setzte, um die Satzmodelle und ihre Frequenzen in den vier Teilkorpora des Gesamtkorpus Leipziger Zeitung 1660‒ 1914 zu ermitteln, den Computer ein. Er beschreibt das Vorgehen so: „Bei der sprachlichen Analyse der zu untersuchenden Texte wurden die Werte der Variablen zunächst in die Analysematrix eingetragen, um mit dem Com‐ puter bearbeitet werden zu können. Als eine […] geeignete Software hat sich das SPSS für Windows -Programm (Statistical Package for the Social Sciences) erwiesen.“ Jeweils eine Zeile der SPSS-Matrix wird einem „Fall“, d. h. Valenz‐ träger, mit seinen als Variablen einzutragenden Eigenschaften zugeordnet. Die Variablen sind: 1. Codenummer, die sich auf die laufende Nummerierung der analysierten Textstellen bezieht, 2. Lexem, 3. Teilkorpus, 4. Textsorte, 5. Thema, 6. Genus Verbi, 7. Tempus und Modus, 8. Struktur des Prädikats, 9. Präfix, 10. Valenzträgergrad, 11. Fremd-/ Erbwort, 12. Reflexivität, 13. Präposition, 14. Objektsemantik, 15. Satzmodelle nach Repräsentationsformen, 16. Subjekt‐ semantik, 17. Satzgliedstellung, 18. Satzmodelle nach Ergänzungsklassen, 19. Anmerkungen. Die insgesamt 4000 Fälle sind als eine SPSS-Datei gespeichert. Durch die Eingabe der adäquaten Bedingungen und die Auswahl angemessener Statistikprozeduren wurden Häufigkeiten, Verzeichnisse und Tabellen erstellt. Die Daten wurden einer entsprechenden Interpretation unterzogen und sind die Grundlage für die dargestellten Ergebnisse. Das Historisch syntaktische Verbwörterbuch (HSVW) - digital. Die Idee zu einem Historisch syntaktischen Verbwörterbuch (HSVW) (vgl. Greule/ Kor‐ honen 2016) wird befördert durch die Zusammenarbeit mit der Medieninfor‐ matik im Rahmen von Digital Humanities. Das heißt, der PC steht sowohl am Anfang der Auswertung der historischen Wörterbücher online und digitaler Belegrepositorien (Prinz 2016) als auch am Zielpunkt, insofern die Ergebnisse der Valenzanalysen in Datenbanken zur Verfügung gestellt werden sollen (Burg‐ hardt/ Reimann 2016). Vorgesehen ist dabei folgende ganz auf den Computer konzentrierte Vorgehensweise: Aus den online verfügbaren und zugänglichen Wörterbüchern des Ahd., Mhd., Fnhd. und Älteren Nhd., dem das Goethe-Wör‐ terbuch zugeordnet ist, wird die Valenz eines nhd. Verbs im diachronen Verlauf herausgearbeitet und als Word-Dokument abgespeichert. Der Signifikant dieses Verbs wird dabei als im Verlauf der Sprachgeschichte konstant angesehen bzw. kann durch regelmäßigen Lautwandel erklärt werden (Probeartikel siehe Anhang G.3). 158 E. Historische Valenz und Lexikografie F. Valenzwandel und Valenzentwicklung 1. Valenzwandel: Satzglied- und Attributklassen 1.1 Einleitendes Der Darstellung der historischen Entwicklung von Valenz anhand von Satzglie‐ dern und Attributen kann z. B. der Beschreibungsmodus in Korhonen (2006b) zugrunde gelegt werden. Werden Verben, prädikative Adjektive und abstrakte Substantive als Valenzträger gewählt, so sind ihre Ergänzungen bezüglich der syntaktischen Funktion einmal Satzglieder (Subjekt, Akkusativobjekt usw.), zum anderen Attribute (Genitivattribut, Präpositionalattribut usw.). Unten wird der Valenzwandel von Verben in verschiedenen Sprachperioden im Vordergrund stehen, danach wird kurz gezeigt, wie sich adjektiv- und substantivabhängige Ergänzungen entwickelt haben. Am Ende des Kapitels wird dargelegt, welche Tendenzen für den Valenzwandel von Verben, Adjektiven und Substantiven ausschlaggebend waren bzw. welche Erklärungsmöglichkeiten in diesem Zu‐ sammenhang in Betracht gezogen werden können. 1.2 Verbabhängige Ergänzungen 1.2.1 Subjekt In morphosyntaktischer Hinsicht kann das Subjekt nominal, pronominal oder verbal (als Infinitiv oder Satz) realisiert werden. Bei der nominalen Repräsenta‐ tion bezieht sich der Valenzwandel auf das Genitivsubjekt, das früher einerseits in partitiver Bedeutung und andererseits in negativen Sätzen verwendbar war: mhd. des glastes under diu verswant; got. ni was im rumis. Sowohl der partitive Genitiv, der noch im Älteren Nhd. begegnet (vgl. den Beleg seines Gesanges erschallet noch bei Klopstock), als auch der negationsbezogene Genitiv sind inzwischen praktisch untergegangen. Für den letzteren Genitivtypus kann höchstens auf erstarrte Reste wie Es war vielmehr deines Bleibens nicht zu Hause (Th. Mann) hingewiesen werden (ursprünglich ist der Genitiv hier von der Negation nicht abhängig). Das pronominale Subjekt konnte im Ahd. oft noch fehlen; die Setzung eines Subjektspronomens war fakultativ, weil Person und Zahl in der Verbalendung ausgedrückt wurden. Das Subjektspronomen kam jedoch schon in den ältesten Glossen vor, weshalb sich das Fehlen in nicht wenigen Fällen wohl mit einem lateinischen Einfluss erklären lässt. Der Gebrauch des Subjektspronomens nahm in ahd. Zeit zu, und so stellte die Setzung des Pronomens in der 1. und 2. Person Singular und Plural bereits die Norm dar. Dagegen konnte das Pronomen der 3. Person zumindest in Hauptsätzen häufig fehlen. Im Mhd. wurde es dann Regel, das Subjektspronomen zu setzen, und gegenwärtig ist das Fehlen des Pronomens nur noch in wenigen Fällen (vorwiegend in der gesprochenen Sprache) möglich. - Ein Bereich, wo das Subjektspronomen anfangs fehlte, war der imperativische Konjunktiv, vgl. ahd. petôêm; singêm. Im Mhd. sind die Formen mit und ohne wir anzutreffen: nû binden ûf die helme (Nibelungenlied); gên wir zuo des meien hôchgezîte (Walther v. d. Vogelweide). Während des Mhd. wurde das Subjekt hier immer häufiger, und seitdem gilt die Setzung von wir als Regel. Ein Vertreter des Pronominalsubjekts ist auch das formale es. Dieses Pro‐ nomen tritt in verschiedenen unpersönlichen Konstruktionen auf, von denen die Verben der Naturerscheinungen die älteste Gruppe bilden. Das Formalsubjekt es wird seit dem Ahd. regelmäßiger verwendet, im Got. ist es noch nicht vorhanden: rigneiþ; ahd. iʒ snîwit; iʒ âbandêt. Noch im Fnhd. lassen sich Fälle ohne es belegen: vnd regent nit in dreyen iaren (Luther). Im Mhd. kommt ein unpersönlicher Gebrauch bestimmter Verben auf, die gewöhnlich ein lexikalisch austauschbares Subjekt zu sich nehmen (es handelt sich um sog. okkasionelle Impersonalia): es klingelt/ klingt/ klopft/ kracht/ läutet usw. Einer der frühesten Belege für diese Verwendungsweise findet sich bei Hartmann v. Aue: dâ sluoc er an, daʒ eʒ erhal, und daʒ eʒ in die burc erschal. Eine weitere Gruppe von Ausdrü‐ cken mit dem formalen es stellen Verben der Empfindungen und Gedanken dar, bei denen entweder ein Akkusativ- oder Dativobjekt als Ergänzung erscheint. Im Ahd. fehlte es bei diesen Verben noch ganz, im Mhd. kommt es vereinzelt am Satzanfang vor: ahd. inan hungarta; mir swintilôt; mhd. eʒ troumte […] dem künege (Walther v. d. Vogelweide). Viele der früher unpersönlich verwendeten Verben sind im Laufe der Zeit zu persönlicher Konstruktion übergegangen; dies betrifft insbesondere Verben der körperlichen und seelischen Empfindungen. Dabei wurde bei einwertigen Verben aus dem Akkusativ- oder Dativobjekt ein Nominativsubjekt: Neben dem Typus mich hungert steht schon im Ahd. die persönliche Konstruktion ich hungere, allgemein gebräuchlich werden die neuen Konstruktionen aber erst im Nhd. Zu dieser Entwicklung kann der Umstand beigetragen haben, dass der Nominativ und Akkusativ z. B. bei neutralen Substantiven zusammenfallen (ahd. daʒ kind hungarit usw.). Bei zweiwertigen Verben wiederum tritt das 160 F. Valenzwandel und Valenzentwicklung Nominativsubjekt an die Stelle eines alten Genitivobjekts. Dieser Übergang wurde dadurch ermöglicht, dass die Laute ʒ und s im Mhd. zusammenfielen und eine Neutralisierung von Nom./ Akk. eʒ und Gen. es bewirkten. So konnte sich beispielsweise aus der mhd. Konstruktion mich verdriuʒet es (Gen.) die Konstruktion es (Nom.) verdrießt mich entwickeln. Bei einigen Verben blieb jedoch der alte unpersönliche Gebrauch im Nhd. lange lebendig: den Haupt‐ mann jammerte des Mannes (Mörike); gleichwohl wundert ihn des schwarzen Ritters (Wieland). - Auf der anderen Seite lassen sich in der historischen Syntax des Deutschen auch Belege für den Übergang von persönlicher zu unpersönlicher Konstruktion anführen. Ein Beispiel dafür ist das Verb mangeln, dessen ursprüngliche Ergänzungen ein Nominativsubjekt der Person und ein Genitivobjekt der Sache waren: thaʒ ih ni mangolo thes (Otfrid, Hartm. 6). Unpersönliche Konstruktionen tauchen im Nhd. auf, zuerst mit Genitiv- und später mit Präpositionalobjekt: dem des Brotes mangelt; es mangelt ihm an Mut. Von den beiden verbalen Realisationen Infinitiv und Satz hat die erstere eine Änderung erfahren. So konnte früher in Konstruktionen, in denen der Infinitiv über eigene abhängige Bestimmungen verfügte, die Partikel zu fehlen: vil grœʒlîche danken wart dâ niht verdeit (Nibelungenlied); jeder Leidenschaft ohne allen Widerstand nachgeben ist niedrig (Schiller). Später hat sich in solchen Fällen der Infinitiv mit zu durchgesetzt, und der einfache Infinitiv erscheint heute meistens nur noch in bestimmten Sprichwörtern und einigen anderen Phrasemen. 1.2.2 Akkusativobjekt Der Akkusativ kann bei einbis vierwertigen Verben als Objekt stehen. Einige Verben wie beten, klagen, trauern, weinen und zürnen konnten in der älteren Sprache einerseits einwertig, d. h. mit Nominativsubjekt, und andererseits zwei‐ wertig mit einem Akkusativobjekt verwendet werden: thie inan beton wollent (Otfrid 2,4,89); ich mac wol klagen mîn schœne wîp (Hartmann v. Aue); traure mein verlornes Glück (Goethe). Hier hat sich der Valenzwandel in zweierlei Weise vollzogen: Entweder wurden die Akkusativobjekte beibehalten und die entsprechenden Verben präfigiert (anbeten, beklagen, beweinen usw.), oder die Akkusativobjekte wurden durch Präpositionalobjekte ersetzt (z. B. um jmdn. klagen, über/ um jmdn. weinen). Bei einwertig verwendeten Verben, die körperliche und seelische Empfin‐ dungen ausdrücken, stellte der Akkusativ im Ahd. die Repräsentationsform des Objekts dar: mih durstit/ hungirit/ lustit usw. Im Älteren Nhd. dringt hier auch der Dativ ein: mir dürstet/ hungert/ jammert/ kümmert/ [ge]lüstet usw., vgl. irrenden Rittern kümmert es nie (Tieck); Belege dafür finden sich aber schon im 161 1. Valenzwandel: Satzglied- und Attributklassen Fnhd.: Der suchet, was jm geluͤstet (Luther-Bibel). Heute steht bei diesen Verben das Akkusativobjekt, bei einigen anderen herrscht immer noch Schwanken zwi‐ schen Akkusativ und Dativ: mir/ mich graut; mich/ mir schaudert; mir/ mich schwindelt. Allerdings gibt es gewisse Unterschiede in der Häufigkeit, sodass z. B. der Akkusativ bei grauen und schwindeln als seltenere Repräsentationsform des Objekts anzusehen ist. Bei zweiwertigem Gebrauch haben das Akkusativ- und Dativobjekt in einigen Fällen miteinander konkurriert. So verlangten z. B. betten, rufen und schirmen früher den Dativ: man bette dem helde sân (Wolfram v. Eschenbach); dô begund im schirmen der gast (Nibelungenlied); wer ruft mir (Goethe). Hier wurde der Dativ vom Akkusativ verdrängt, bei Verben wie begegnen, helfen, folgen und schmeicheln blieb er jedoch ohne Erfolg. Die regelmäßige Objektform bei helfen war im Ahd. der Dativ, im Mhd. war der Akkusativ häufiger, und noch im Älteren Nhd. standen im Falle eines Sachsubjekts beide Formen gleichberechtigt nebeneinander: was helfen mich tausend bessere Empfindungen (Schiller); Was hilft es nun also dem Dichter, daß […] (Lessing). Im Fnhd. und Älteren Nhd. findet man bei folgen und schmeicheln vereinzelt den Akkusativ: das wir alle werk und wort unsers herrn Christi folgen möchten (Luther); es hat mich übrigens sehr geschmeichelt (Lessing). Bei begegnen taucht der Akkusativ im 17. und 18. Jh. oft auf: wo bist du das Gewissen so geschwind begegnet (Goethe). Der zunehmende Gebrauch des Akkusativs geht nicht selten darauf zurück, dass ein intransitives Verb mit Hilfe eines Präfixes (be-, er-, durch-, verusw.) transitiv gemacht wird. Besonders im Nhd. lässt sich eine Tendenz zur Akkusativierung des Personenobjekts feststellen: Neben Verben wie liefern und schenken treten Verben mit dem Präfix be-, wobei anstelle des früheren Dativobjekts ein Akkusativobjekt und anstelle des früheren Akkusativobjekts ein Präpositionalobjekt erscheint: jmdm. etw. liefern/ schenken vs. jmdn. mit etw. beliefern/ beschenken. Diese Neuerungen bringen einige syntaktische Vorteile wie z. B. die Möglichkeit der Bildung eines persönlichen Passivs mit sich, vgl. Sie wurde mit Blumen beschenkt. Mehrere Verben, die früher mit einem Akkusativ der Person und einem Akkusativ der Sache verbunden wurden, sind zu dem geläufigeren Typus Dativ der Person und Akkusativ der Sache übergegangen. Dies betrifft vor allem Verben mit dem Präfix an-, bei denen im Mhd. zwei Akkusative üblich waren: (er) bôt sî die herberge an (Hartmann v. Aue). Bei lehren existiert der Dativ seit dem 17. Jh., bei kosten seit dem Mhd. neben dem Akkusativ der Person. Im Fnhd. und Älteren Nhd. kam der doppelte Akkusativ auch bei Verben wie bereden, hören, unterrichten und unterweisen vor: und was ich nicht weis, das 162 F. Valenzwandel und Valenzentwicklung unterweiset mich (Luther-Bibel). Später wurde das akkusativische Sachobjekt durch ein Präpositionalobjekt ersetzt. 1.2.3 Dativobjekt Der Dativ hat sich besonders bei einfachen Verben gut erhalten. In einigen Fällen wie etwa bei genügen und trotzen hat der Dativ über den früheren Akkusativ gesiegt: mhd. mich genüeget; mich zu trotzen (Lessing). Dagegen hat der Dativ bei unpersönlichen Empfindungsverben wie dürsten und hungern ohne Erfolg mit dem Akkusativ konkurriert. Bei begegnen, folgen, helfen und schmeicheln konnte sich der Dativ gegen den Akkusativ behaupten, bei betten, rufen und schirmen aber nicht. Heute ist für einige zweiwertige Verben eine Konkurrenz von Dativ- und Präpositionalobjekt zu notieren, z. B. jmdm./ auf jmdn. vertrauen. Bei präfigierten Verben mit Dativ als einzigem Objekt ist der Valenzwandel deutlicher zu beobachten. Präfixe, die im Älteren Nhd. bei einem Verb eine Dativkonstruktion ermöglichen, sind u. a. ent- und nach: wie einem Traum entwachend (Wieland); ich habe der Seele nachgedacht (Goethe; heute über etw. nachdenken); diesem habe ich nie nachgefragt (Schiller; heute nach etw. fragen). Auch Präfixverben mit zu und einem dativischen Sachobjekt waren früher weiter verbreitet als jetzt: vier Reuter kommen dem Hause zu (Hensler). Bei bestimmten Verben mit ein hat der Dativ den Akkusativ verdrängt: Do viel mich ein grozze freude ein (Steinhöwel). Das Dativobjekt hat auch bei dreiwertigen Verben sein ursprüngliches Gebiet erweitern können. Dies trifft auf Verben zu, die früher mit zwei Akkusativob‐ jekten (u. a. anbieten, kosten, lehren) oder mit einem Akkusativ der Person und einem Genitiv der Sache verbunden wurden (z. B. gewähren, versichern; bei letzterem Verb ist auch die alte Konstruktion heute noch gebräuchlich). Demgegenüber ist das Dativobjekt in einigen Fällen einer Konkurrenz durch ein Präpositionalobjekt ausgesetzt: jmdm./ an jmdn. einen Brief schreiben; jmdm./ zu jmdm. etw. sagen. 1.2.4 Genitivobjekt Der Gebrauch des Genitivs als Objektkasus nahm bis ins Mhd. zu, ging aber seit dem Fnhd. rasch zurück und ist in der Gegenwartssprache als Restklasse zu bezeichnen. Dieser Rückgang liegt in der Abschwächung der vollen Endvokale am Ende der ahd. Zeit und in bestimmten Umbildungen der nominalen Flexion im Ausgang des Mhd. begründet. Infolge solcher Änderungen fiel der Genitiv oft mit anderen Kasus zusammen. Dazu kommt die Neutralisierung der Opposition zwischen ʒ und s im Mhd., die Indifferenzformen wie es entstehen lässt. 163 1. Valenzwandel: Satzglied- und Attributklassen Eine wichtige semantische Funktion des Genitivobjekts in der älteren Sprache war der Ausdruck von Partitivität. Das partitive Genitivobjekt war früher ein geläufiges Teilobjekt bei Verben, die auch mit einem Totalobjekt im Akkusativ verwendet werden konnten (essen, trinken, geben, nehmen, bringen, finden, haben, kaufen usw.). In dichterischem Sprachgebrauch sind Belege für den partitiven Genitiv noch bei den Klassikern vorhanden: getrunchin sô suoʒes waʒʒeres (Notker); ich wil im mînes brôtes geben (Hartmann v. Aue); so müßt ihr meiner Würscht auch essen (H. Sachs); du sandtest deiner Krieger hin (Klopstock). Das Genitivobjekt wurde hier vom Akkusativobjekt abgelöst, das z. B. dann Partitivität ausdrücken kann, wenn es ohne Artikel erscheint (vgl. etwa sie haben Brot vs. das/ ein Brot gegessen). Zum Teil wurde das Genitivobjekt durch das Präpositionalobjekt mit von ersetzt, was sich im Falle des Plurals mit einem starken französischen Einfluss im 18. Jh. erklären lässt: wo ihr von unsern zerstreuten Knechten findt (Goethe). Bei Stoffbezeichnungen geht das Präpositionalobjekt mit von auf die ahd. Periode zurück: iʒʒit fon thesemo brote (Tatian 82,10; hier ist allerdings ein lateinischer Einfluss in Betracht zu ziehen). Eine weite Verbreitung wies das Genitivobjekt in früheren Sprachperioden auch in negativen Sätzen auf. Einerseits wurde das Genitivobjekt in Verbindung mit der einfachen Negationspartikel ni auch bei solchen Verben verwendet, bei denen es in einem positiven Satz nicht vorkam. Dieser Genitivtypus begegnet im Gotischen häufig, im Deutschen jedoch selten, vgl. noh tu nehabis kiscirres (AWB). Andererseits tauchte der Genitiv in Sätzen mit der erweiterten Negati‐ onspartikel nicht auf, die ursprünglich ein Substantiv war (ahd. niowiht, mhd. ni[e]ht); damit handelte es sich eigentlich um einen von nicht abhängigen, adnominalen Genitiv. Er trat im Ahd. und Mhd. regelmäßig auf, starb aber im Nhd. bald aus: nieht nîdes habentiu (Notker); sô brich ich mîner triuwe niht (Wolfram v. Eschenbach); ich kenne deiner nicht (Uhland). Größere semantische Gruppen zweiwertiger Verben mit Genitivobjekt in der älteren Sprache sind u. a. folgende: 1. Verben aus der Bedeutungsgruppe ‚bitten, fragen, warten, wünschen‘, 2. Verben der geistigen Teilnahme, 3. Verben der Bewachung und Sorgfalt, 4. Verben des Verfehlens, 5. Verben seelischer Empfindungen. In der ersten Gruppe wurde das alte Genitivobjekt häufig sowohl durch das Präpositionalals auch durch das Akkusativobjekt ersetzt: um etw. bitten; nach etw. fragen; auf etw. warten; etw. begehren; etw. erwarten. Bei harren hat sich der Genitiv erhalten (gelegentlich auch auf etw. harren). In der zweiten Gruppe führen das Akkusativ- und das Präpositionalobjekt den früheren Genitiv weiter: auf etw. achten; an etw. denken; etw. erwähnen. Der Genitiv ist heute noch fest bei gedenken (in der Schweiz ist der Dativ anerkannt) und reflexiven Verben wie sich annehmen, sich befleißigen und sich rühmen. 164 F. Valenzwandel und Valenzentwicklung Bei Verben der dritten Gruppe hat sich das Akkusativobjekt durchgesetzt, vgl. u. a. hüten, pflegen, schonen, wahren, warten ,pflegen‘. Der Genitiv beschränkt sich heutzutage auf Phraseme wie Rats pflegen und der Ruhe pflegen. Auch bei Verben der vierten Gruppe hat sich der Akkusativ weitgehend eingebürgert: [ver-]missen, verfehlen, vergessen usw. Im gegenwärtigen Deutsch kommt das Genitivobjekt noch bei bedürfen, ermangeln und z. T. bei entbehren vor, ebenso bei reflexiven Verben wie sich entäußern und sich enthalten. In der fünften Gruppe wurde das Genitivobjekt vom Präpositionalobjekt verdrängt: über jmdn., etw./ vor jmdm., etw. erschrecken; sich an jmdm., etw./ auf/ über jmdn., etw. freuen; über etw. lachen. Bei dreiwertigen Verben wurde der Genitiv im älteren Deutsch als Sachobjekt neben einem akkusativischen Personenobjekt verwendet. Diese Verbindung hat sich am besten bei Verben des Beschuldigens erhalten: jmdn. einer Sache anklagen/ beschuldigen/ bezichtigen. Anstelle des Genitivs lässt sich heute in be‐ stimmten Fällen eine Präpositionalkonstruktion mit wegen belegen. Die Gruppe der Verben des Befreiens ist viel kleiner geworden: Bei Verben wie befreien, entlassen und erlösen erscheint im heutigen Deutsch ein Präpositionalobjekt (je nach Verb aus oder von). Ein Lexem, bei dem sich das Genitivobjekt behaupten konnte, ist entheben. Bei den Verben des Sagens hat sich der Valenzwandel wie folgt vollzogen: 1. der Akkusativ der Person wurde durch den Dativ, der Genitiv der Sache durch den Akkusativ ersetzt (jmdm. etw. berichten), 2. der Genitiv wurde durch eine Präpositionalkonstruktion ersetzt (jmdn. von etw. überzeugen). Das Genitivobjekt konnte früher auch mit einem Dativ- oder Präpositional‐ objekt verbunden werden. Bei den Verben mit Dativobjekt steht heute entweder ein Akkusativ- oder ein Präpositionalobjekt: jmdm. etw. gestatten; jmdm. für etw. danken. Die Verben mit Genitiv- und Präpositionalobjekt sind in andere Modelle übergewechselt, vgl. z. B. sich beklagen, das jetzt mit zwei Präpositionalobjekten konstruiert wird: sich bei jmdm. über etw./ wegen einer Sache beklagen. 1.2.5 Präpositionalobjekt Das Präpositionalobjekt existierte als verbabhängige Ergänzung bereits im Ahd. und Mhd.: dâhta ich an die alten daga (Notker); thia zit eisgota er fon in (Otfrid 1,17,43); umb sie begunde sorgen wîp und man (Nibelungen‐ lied). Die ursprünglichen Präpositionalobjekte lassen sich auf die semantische (adverbiale) Bedeutung der jeweiligen Präposition zurückführen: bei seinem Entschluss bleiben; vor jmdm., etw. fliehen; unter etw. leiden usw. In seinen früheren Entwicklungsstadien wies das Präpositionalobjekt nicht selten eine gewisse Variation von Präpositionen auf, im Nhd. ist aber eine weitgehende 165 1. Valenzwandel: Satzglied- und Attributklassen Stabilisierung eingetreten, vgl. z. B. trachten + auf/ nach/ um/ zu → trachten + nach. Die Präpositionalfügungen in der Rolle eines Objekts erlebten im Fnhd. eine rasche Zunahme. Wie aus den Kapiteln 1.2.1 und 1.2.4 hervorgeht, wurde von den alten Kasusobjekten vor allem das Genitivobjekt bei zwei- und drei‐ wertigen Verben durch das Präpositionalobjekt verdrängt. Zur Bevorzugung des Präpositionalobjekts hat der Umstand beigetragen, dass der Genitiv in bestimmten Fällen morphologisch nicht eindeutig markiert ist. Dies trifft auf das Indefinitpronomen, das substantivierte Adjektiv (z. B. sich an nichts Besseres erinnern), undeutliche Formen des Demonstrativpronomens (z. B. sich an dieses und jenes erinnern) und das artikellos gebrauchte Substantiv im Plural zu. Ein weiterer Vorteil des Präpositionalobjekts besteht in der Möglichkeit der Ausklammerung. - Das Akkusativobjekt wurde vom Präpositionalobjekt in den Fällen ersetzt, in denen ein normalerweise einwertig verwendetes Verb mit einem Akkusativ verbunden werden konnte, z. B. um jmdn. klagen; über/ um jmdn. weinen. Im Falle des Dativobjekts ist es bei einigen Verben zu einem Nebeneinander von Dativ und Präpositionalgruppe gekommen, vgl. jmdm./ an jmdn. schreiben. 1.2.6 Infinitivobjekt Der Valenzwandel bezieht sich hier auf das Vorkommen der Partikel zu auf der einen Seite und eines Präpositionaladverbs als Korrelat auf der anderen Seite. Es ist eine allgemeine Tendenz, dass der Infinitiv mit zu in der Funktion eines Objekts im Laufe der Zeit an Boden gewinnt. Bereits im Ahd. war er häufiger als der einfache Infinitiv. Im Ahd., Mhd. und vereinzelt noch im Älteren Nhd. war bei Verben des Anfangens und Aufhörens der einfache Infinitiv anzutreffen: stuont si sorgên iro scôni (Notker); er begunde mit sinnen werben schœniu wîp (Nibelungenlied); Doch laß ich dise red all stan | Vnd fah die geuchmat schriben an (FWB). Später wurde die Infinitivpartikel obligatorisch, Belege mit zu gibt es aber schon aus dem Mhd.: ze vrâgen er begunde (Wolfram v. Eschenbach). Ebenso kamen die beiden Infinitivtypen früher bei vielen anderen Verben vor, u. a. bei denjenigen des Planens, Beabsichtigens, Hoffens und Fürchtens, wo heute nur der Infinitiv mit zu möglich ist: daʒ vorhte sie verliesen (Nibelungenlied); wir vormessen uns ym gefallen (Luther). - Der einfache Infinitiv war bei den Modalverben zwar immer die Regel, im Mhd. erschien aber bei mögen und müssen und im Älteren Nhd. bei dürfen gelegentlich auch der Infinitiv mit zu: thaʒ ih ne mah ze vrumene (Rolandslied); du darfst kein Kundschaft darumb z’bestellen (Nikl. Manuel). 166 F. Valenzwandel und Valenzentwicklung In der älteren Literatur konnte ein Präpositionaladverb als Korrelat vor einem Infinitiv häufig fehlen, wo es heute notwendig ist: dan so viel und weit es dienet, das fleisch und seine lust zudempffen odder todten (Luther; jetzt dazu); Geschwätz, das nur abzielen kann, näheren Untersuchungen vorzubauen (Lessing; jetzt darauf). 1.2.7 Satzobjekt Zu den Typen des Satzobjekts gehören der dass-Satz, der entsprechende kon‐ junktionslose Nebensatz, der abhängige Fragesatz und der generalisierende Nebensatz (mit w-Frage). Die Konjunktion dass geht auf den Nominativ bzw. Akkusativ Singular Neutrum (das) des Demonstrativpronomens zurück. Das Pronomen war ursprünglich ein Bestandteil des Hauptsatzes und bezog sich auf den Inhalt des folgenden Nebensatzes: Ich weiß das: sie kommt. → Ich weiß, dass sie kommt. Allmählich vollzog sich eine Verschiebung in der Auffassung der Zusammengehörigkeit der Satzteile: Das Pronomen wurde in den Nebensatz hinübergezogen und als dessen Einleitewort betrachtet. Als Konjunktion ist dass bereits im Hildebrandslied zu finden: wela gisihu ih in dînêm hrustim, dat du habês hême hêrron gôten. Es gibt aber im Ahd. auch Fälle, in denen die Versgliederung zeigt, dass thaʒ noch im Hauptsatz auftaucht: joh gizalta in sar thaʒ, / thiu salida untar in was (Otfrid 2,2,8). Wie der Beleg aus dem Hildebrandslied erkennen lässt, fungiert der dass-Satz als Äquivalent eines Akkusativobjekts. Darüber hinaus stellte der dass-Satz schon in der frühesten Zeit ein Objekt von Verben dar, die eine genitivische Ergänzung verlangen: batun tho ginuagi, thaʒ man ịnan irsluagi (Otfrid 4,23,17). Sehr verbreitet war dies im Mhd., z. B. bitet iuwer degene, daʒ si iu ze helfe kumen (Nibelungenlied), ebenso im Fnhd., z. B. […] das du Pharao erinnerst, das er mich aus diesem hause füre (PHD 1, 573). Auch im heutigen Deutsch sind diese Konstruktionen sehr häufig. Vor dem dass-Satz können die Pronomina das (im Akkusativ und Genitiv) und es sowie ein Präpositionaladverb als Korrelate stehen, vgl. u. a. dat sagêtun mi sêolîdante […], dat inan wîc furnam (Hildebrandslied); vile harte vorhte ich mir des,/ daz eteliche scelten […] (MWV); Jch achte dessen nicht/ daß er von höhern Stamme/ Als ich/ gebohren ist (DWDS: Paul Fleming 1642); nu frewen sih es alle …, thaz wir Kriste sungun in unsera zungun (AWB); denn der HERR wils nicht gestatten / das ich mit euch ziehe (Luther-Bibel); vñ denckẽ nymer dran das wir vnser kinder in der forcht gotis zeugtẽ (FWB); […], die sich auch also konnen rhuͤmen und frewen nicht davon, das sie grosse schetze von golt und silber […] haben, […] (Luther). Das Korrelat konnte auch fehlen, vgl. Mein hertz frewet sich, das du so gerne hilffest 167 1. Valenzwandel: Satzglied- und Attributklassen (Luther-Bibel). Heute muss das Korrelat im Hauptsatz stehen, wenn er dem Nebensatz folgt: Dass wir uns schon mal getroffen haben, dessen/ daran erinnere ich mich genau. Im Älteren Nhd. finden sich noch Belege, in denen das Korrelat nicht vorhanden ist: dass dem nicht also sei, wünschte ich Sie zu überzeugen (Goethe). - Auch konjunktionslose, d. h. hauptsatzförmige Nebensätze kommen bereits im Ahd. und Mhd. vor und können mit und ohne Korrelat verwendet werden: er vürhtet, im gebreste der spîse (ML); thaz … inan es gilusti, er mennisgon firthuasbti (AWB); daʒ ich des sêre fürhte, eʒ müg uns werden leit (BMZ). Es gibt heute noch Verben, bei denen das Korrelat vor einem konjunktionslosen Nebensatz fakultativ ist, vgl. Der Junge fürchtet sich ständig (davor), die Mitschüler könnten ihn wegen seines Sprachfehlers auslachen (E-VALBU). Die Abhängigkeitsbeziehung wird oft durch die Konjunktivform des Prädikatsverbs im Nebensatz ausgedrückt, der Indikativ ist aber auch nicht selten: Ich sehe, sie will nicht.; Ich glaube, er ist aufrichtig. Als Einleitungswort abhängiger Fragesätze diente schon im Ahd. und Mhd. die Konjunktion ob: koron uuolda sin god, ob her arbeidi so iung tholon mahti (AWB); si vrâget in mære, ob im iht kunt wære (BMZ). Im Hauptsatz kann ein Korrelat erscheinen: der klingeler .. soll ouch altzit […] daruf lůgen […], obe yemans unküscheit dete (DWB); Ich zweifle [daran], ob das gelingen wird. Früher konnte das Korrelat auch bei vorangestelltem Nebensatz fehlen: ob für die Horen etwas damit zu machen sein wird, zweifle ich wieder (Schiller). Auch für Nebensätze mit w-Frage lassen sich Belege mit und ohne Korrelat anführen: ne sal ik fortan uuad duo mir man (AWB); […] die das mer ansehent und sich voerhtent, wie si úber komen soellent (MHDBDB: Mechthild von Magdeburg); […], Das wir […] uns selbs des erinnern und vermanen, wie Christus Philippum straffet: […] (Luther); […], Denn yhr […] verstehets, wie mans mit zeenen zu reysset und ym leibe verdewet als fleisch aus den scherren. (Luther); Denck nimmer dran/ was dir ist thon (GH 678); daß sie nur allein darauff gedencken / wie sie sich rechtschaffen auffmutzen (FWB). Das Korrelat war früher nicht so üblich wie jetzt: ohne sich zu bekümmern, was ihnen gefallen sollte (Lessing). Vereinzelt sind abhängige Fragesätze ohne Einleitungswort nachweisbar. Dann ist die indirekte Frage der direkten Frage gleich geworden: […] nicht weiß ich verwundert er sich auch wie ich […] (Grimmelshausen). 1.2.8 Prädikativ Die Klasse des Prädikativs lässt sich zunächst in die beiden Subklassen Subjekts‐ prädikativ und Objektsprädikativ unterteilen (erstere Subklasse bezieht sich auf das Subjekt, letztere auf das Akkusativobjekt). Die morphosyntaktische 168 F. Valenzwandel und Valenzentwicklung Repräsentation des Prädikativs ist reich und umfasst neben nominalen Einheiten mit und ohne Präposition verbale Einheiten in Infinitiv-, Partizip- und Satzform. Zu den Realisationen des Prädikativs, die von Valenzänderungen betroffen sind, gehören u. a. das Adjektiv sowie das Substantiv im Genitiv und Akkusativ. Im Ahd. und Mhd. konnte das adjektivische Subjektsprädikativ sowohl endungslos als auch stark flektiert erscheinen: disiu buzza ist so tiuf (AWB); ther lichamo ist ju fuler (Otfrid 3,24,83); sie sint […] wisduames folle (Otfrid 1,1,112); thie ziti sint so heilag (Otfrid 1,22,3); iuwer jâmer ist alze fester (Hartmann v. Aue). Im Mhd. war die endungslose Form von einigen Ausnahmen abgesehen bereits die Regel bei sein und werden, und im Nhd. hat sie sich überall zur Norm entwickelt. Das adjektivische Objektsprädikativ dagegen wurde im Ahd. beinahe durchgängig flektiert. Im Mhd. waren die endungslosen Formen ebenso häufig wie die flektierten: jâ frumte er manegen helt tôt (Nibelungenlied); si gewan ir Hartmuoten holden (Kudrunlied). Das Nhd. kennt auch hier nur unflektierte Formen. Das genitivische Subjektsprädikativ, das eine Eigenschaft ausdrückt, war im Ahd., Mhd. und Fnhd. häufiger als heute: ir sît hôher mære (Walther v. d. Vogelweide); wîʒ und swarzer varwe er schein (Wolfram v. Eschenbach); selig sind die reines hertzen sind (Luther-Bibel). Ähnliches gilt für das possessive Genitivprädikativ: allaʒ sines fater was (Otfrid 2,3,32); die Rache ist nicht des irdischen Richters (Goethe). Nicht mehr vorhanden ist das frühere partitive Genitivprädikativ: er wânde, er wære der vînde (Kudrunlied). Das genitivische Objektsprädikativ seinerseits kann im Mhd. und noch im Älteren Nhd. für Verben wie erkennen, halten, machen, tun und wissen belegt werden: diu mære tuot mich hôhes muotes (Mai u. Beaflor); weil ich es meines Amtes hielt (E. T. A. Hoffmann). Das akkusativische Objektsprädikativ war in den älteren Sprachperioden wesentlich weiter verbreitet als im gegenwärtigen Deutsch. Es trat u. a. bei vielen Verben der Bedeutungsgruppen ‚einschätzen, beurteilen‘ und ‚zu jmdm., etw. machen‘ auf: wer sol mich ritter machen (Wolfram v. Eschenbach); wie sie […] sich […] from leut achten (Luther); der sich nicht den besten hielte (Goethe). Heute erscheint bei diesen Verben ein Prädikativ mit als, für oder zu. Die Realisation mit zu begegnet schon im Ahd., für die anderen lassen sich Belege z. B. aus dem Fnhd. nachweisen: her teta thaʒ uuaʒar zi uuine (Tatian 55,1); Sie werden […] jr Gold als einen vnflat achten (Luther-Bibel); das sie […] achten jhn fur einen narren (Luther). 169 1. Valenzwandel: Satzglied- und Attributklassen 1.2.9 Adverbial Subklassen des Adverbials, bei denen sich ein Valenzwandel bemerkbar macht, sind u. a. der adverbiale Akkusativ, Genitiv und Infinitiv. Beim Akkusativ geht es um ein lokales Adverbial; es wird das Gebiet bezeichnet, wo eine Bewegung stattfindet: fuar er […] hohe berga (Otfrid 2,4,81); mit baren füeʒen streich er walt und bruoch (Hartmann v. Aue). Heute werden dafür Präpositionalkonst‐ ruktionen mit durch und über verwendet. Auch dem adverbialen Genitiv kommt eine lokale Funktion zu: Er bezeichnet entweder das Ziel einer Bewegung oder die Strecke, über der eine Bewegung stattfindet. Die erstere Verwendungsweise ist selten und wurde durch Präpositionalkonstruktionen ersetzt: ili […] thes iro heiminges (Otfrid 1,21,8). Selten war auch die letztere Verwendungsweise im Mhd., im Älteren Nhd. dagegen ganz gewöhnlich: do er quam der selbin vart (Nikolaus v. Jeroschin); für alle Wandrer, die des Weges fahren (Schiller). Reste dieses lokalen Genitivs sind im Gegenwartsdeutschen in Ausdrücken wie er ging seines Weges erhalten. Im Unterschied zum Akkusativ und Genitiv erscheint der Infinitiv als Reali‐ sation des finalen Adverbials (es handelt sich um die Bezeichnung des Zwecks einer Bewegung). In der älteren Sprache konnten sehr viele Verben mit einem adverbialen Infinitiv ohne zu verbunden werden: die vuoren sehen vrouwen (Gottfried v. Straßburg); daʒ er reit […] suochen âventiure (Hartmann v. Aue). Heute ist der einfache Infinitiv nur noch bei gehen und kommen üblich. Schon in der frühesten Zeit konkurrierte mit dem einfachen Infinitiv der Infinitiv mit zu: giengut ir mit suerton inti mit stangon mih zi fahanne (Tatian 185,7). Im heutigen Deutsch steht in solchen Fällen meistens eine Konstruktion mit um zu + Infinitiv, wobei sie jedoch eher als Vertreter der freien Angaben zu betrachten ist. 1.3 Adjektivabhängige Ergänzungen Die nominale Ergänzungsklasse von Adjektiven, die die meisten Valenzände‐ rungen erfahren hat, ist das Genitivobjekt. Ähnlich wie bei den Verben war das Genitivobjekt im Ahd. und Mhd. sehr häufig, wurde aber im Nhd. immer seltener. Adjektive, zu denen früher ein Genitivobjekt trat, waren u. a. folgende: was thes gisiunes filu fro (Otfrid 3,20,174); werden rîcha des unwehsallîchen kuotes (Notker); alles arges frî (Kudrunlied); lasters arm (Wolfram v. Eschen‐ bach); Sie sind vol süsses Weins (Luther-Bibel); gierig der Arbeit (Goethe); sie wurden beide des Schlusses einig (Wieland). Bei den ehemaligen Adjektiven mit Genitiv wurde meistens ein Präpositionalobjekt eingeführt, vgl. arm an, einig über, frei von, froh über, gierig nach, reich an. Einige wenige Adjektive, z. B. los 170 F. Valenzwandel und Valenzentwicklung und satt (die in Verbphrasemen wie etw. los/ satt sein vorkommen), haben das Genitivobjekt mit einem Akkusativobjekt ersetzt. Bei bestimmten Adjektiven hat die Akkusativrealisation ihren Ausgangspunkt bei der Pronominalform es. Infolge des lautlichen Zusammenfalls von ʒ und s im Spätmhd. wurde die alte Genitivform es als Akkusativ umgedeutet, wonach der akkusativische Gebrauch auf weitere Pronomina übertragen wurde (das bin ich zufrieden; ich bin alles/ dieses zufrieden). Bei einigen Adjektiven ist der Akkusativ auf pronominale Repräsentationsformen des Objekts beschränkt, bei anderen kann auch das Substantiv im Akkusativ stehen. Geht das Akkusativobjekt bei Adjektiven auf das alte Genitivobjekt zurück, so ist das Dativobjekt bei mehreren Adjektiven eine ursprüngliche Erscheinung und seit dem Ahd. nachweisbar. Im Nhd. steht das Dativobjekt bei Adjektiven wie angenehm, hinderlich, nützlich und schädlich mit dem Präpositionalobjekt mit für in Konkurrenz. Auch das Präpositionalobjekt ist nicht erst im Zusam‐ menhang mit dem Rückgang des Genitivobjekts entstanden, sondern erscheint schon im Ahd. und Mhd. als adjektivabhängige Ergänzung, vgl. z. B. inti uuis heil fon thineru suhti (AWB). Allerdings ist der Bereich des neueren Präposi‐ tionalobjekts viel größer als der des ursprünglichen. Das Infinitivobjekt tritt seit der ältesten Überlieferung als Ergänzung eines Adjektivs auf. Bereits im Ahd. begegnen sowohl der einfache Infinitiv als auch der Infinitiv mit zu als Realisationen dieser Objektklasse: mahtîg ist got, fon thesen steinun aruuekkan Abrahames barn (Tatian 13,14); ih pin garo zehuotenne dines kebotes (AWB). Später setzte sich der Infinitiv mit zu immer mehr durch, bis er seinen Konkurrenten im Mhd. völlig verdrängte. ‒ Auch der Nebensatz kommt schon sehr früh als Ergänzung eines Adjektivs vor. Es finden sich Belege sowohl mit als auch ohne Korrelat vor dem Nebensatz: Desses was de Vossynne seer vro […] Dat er vader sus was vorheven (Reynke de vos); der nicht wirdig bey mir geacht, das ich an in denken wolt (Luther). 1.4 Substantivabhängige Ergänzungen Eine zentrale Valenzträgerklasse von Substantiven stellen die abstrakten (u. a. deverbalen und deadjektivischen) Nomina dar. Sie nehmen vor allem Genitivatt‐ ribute als Ergänzungen zu sich, wobei eine Einteilung in einen subjektiven und einen objektiven Genitiv möglich ist. Beide Subklassen lassen sich bereits in den ältesten deutschen Sprachdenkmälern belegen: der subjektive und der objektive Genitiv beim Nomen Actionis, der objektive beim Nomen Agentis. Bei Nomina Actionis, die auf ein Verb mit Akkusativobjekt zurückgehen, ist der objektive Genitiv immer häufiger gewesen als der subjektive. Bei bestimmten Verbal‐ 171 1. Valenzwandel: Satzglied- und Attributklassen substantiven wurde jedoch der früher gebräuchliche objektive Genitiv vom subjektiven Genitiv zurückgedrängt. Dies gilt u. a. für Furcht, Hass und Liebe, bei denen der objektive Genitiv vom Ahd. bis zum Älteren Nhd. vorkommt: thes hereren forahta (Otfrid 4,6,12); durch ir sunes liebe (Nibelungenlied); fur furcht der vberkeit (Luther); Liebe des Vaterlandes (Lessing); Haß der Tyrannei (Schiller). In solchen Fällen wurde der objektive Genitiv durch eine Präpositionalverbindung ersetzt (es heißt heute Furcht vor, Hass gegen, Liebe zu usw.). ‒ Früher konnten der subjektive und der objektive Genitiv gleichzeitig bei einem Verbalsubstantiv erscheinen, wenn dies auch relativ selten war: in die wîten erkantnüsse unsers herzen dîner gotlichen süeʒe (Mystiker). Heute steht anstelle des subjektiven Genitivs eine Präpositionalkonstruktion mit durch. Eine geläufige Ergänzungsklasse abstrakter Substantive ist auch das Präpo‐ sitionalattribut, dessen Gebrauch im Zuge der Erweiterung des Gebiets des verbabhängigen Präpositionalobjekts stark zugenommen hat. Das Vorkommen eines Präpositionalattributs bei einem abstrakten Substantiv ist aber schon eine ahd. Erscheinung; allerdings konnte die Präposition des Attributs in früheren Zeiten eine andere sein als heute: hier begin ih einna reda umbe diu tier (Älterer Physiologus); einen wolgefallen […] in got (Luther). Die Attribute weisen manchmal auch Präpositionen auf, die bei einem entsprechenden Verb nicht üblich sind: ir vorhte z’ir herren (Nibelungenlied); gruoʒ gein iu (Wolfram v. Eschenbach). Der Infinitiv als Attribut eines abstrakten Substantivs ist bereits im Gotischen nachweisbar: atgaf izwis waldufni trudan ufaro waurme. Früher konnte der Infinitiv in dieser Funktion zwar ohne zu gebraucht werden, aber der Infinitiv mit zu war schon im Ahd. und Mhd. weitverbreitet: […] habet giuualt in erdu zi furlaʒenne sunta (Tatian 54,7); er het ze vliehenne ein gereiten muot (Hartmann v. Aue). Vereinzelte Beispiele für den einfachen Infinitiv gibt es noch aus dem Fnhd.: das volck von Israel hatt synn stroffen die sün Benyamyn (Sebastian Brant). ‒ Wie der Infinitiv, ist auch der Nebensatz als Attribut schon früh belegt: he im giwalt fargaf, that sie mostin helean halte endi blinde (Heliand). Häufiger wurde die attributive Verwendung des Nebensatzes bereits im Mhd.: dô het er zwîvel genuoc, daʒ in der lewe wolde bestân (Hartmann v. Aue). 1.5 Tendenzen und Erklärungsmöglichkeiten des Valenzwandels Bei der Suche nach Gründen und Erklärungsmöglichkeiten für den Valenz‐ wandel kann zwischen generellen und spezifischen Entwicklungstendenzen unterschieden werden. Als eine generelle Tendenz ist zunächst das Streben nach 172 F. Valenzwandel und Valenzentwicklung Zweigliedrigkeit im Satzbau anzusehen. Das bedeutet, dass ein Satz aus einem Nominalbzw. Subjektsteil und einem Verbalbzw. Prädikatsteil besteht. So wurden das pronominale Subjekt und das formale Subjekt es seit dem Ahd. bzw. Mhd. immer häufiger, und für bestimmte unpersönliche Konstruktionen mit Akkusativ- oder Dativobjekt entstanden Parallelformen mit Nominativsubjekt (z. B. mich hungert; ich hungere). Eine generelle Tendenz mit großer Tragweite ist die Entwicklung von synthetischen zu analytischen Strukturen. Für den Valenz‐ wandel macht sich das u. a. darin bemerkbar, dass Kasuskonstruktionen (z. B. ein Dativ- oder Genitivobjekt) durch Präpositionalfügungen ersetzt werden. Eine Erklärungsmöglichkeit mit genereller Geltung ist weiterhin die Tendenz, schwerfällige Konstruktionen zu vermeiden, also das Prinzip der Sprachöko‐ nomie. Nicht selten sind bestimmte grammatische Beziehungen in einer Sprache übercharakterisiert. Dann kann ein Bedürfnis entstehen, die entsprechenden mehrfachen Ausdrucksmittel zu verringern, was teilweise den Rückgang des Genitivobjekts erklären dürfte. Ebenso kann man die syntaktische Kürzung im Zusammenhang mit Satzgliedverschiebungen, bei denen ein Satzteil eingespart wird, als Beispiel für Sprachökonomie betrachten, vgl. etwa Der Eimer (anstatt Das Wasser im Eimer) läuft über und den Hasen abziehen anstatt dem Hasen das Fell abziehen. Wie im Bereich der Phonologie, Morphologie und weiterer linguistischer Teildisziplinen, spielt auch in der Syntax der analogische Wandel eine bedeu‐ tende Rolle. Ein Beispiel für die Wirkung der Analogie in der Valenzsyntax ist die Einführung der Agensbestimmung in Konstruktionen mit lassen: Er lässt die Brücke von den Soldaten bauen < Die Brücke wird von den Soldaten gebaut. Bei Luther z. B. kommt neben einem Agens mit von noch ein Akkusativobjekt vor: Last euch von niemant vorpflichten zu yrgend einem feyrtag und so laß dich dein stand, ordenn, gute werck odder gebet nit vorfurenn. Eine besondere Art der Analogie auf dem Gebiet der Syntax stellt die Kontamination dar. So lässt sich eine Konstruktion wie mich freut deines Mutes als Mischung von ich freue mich deines Mutes und mich freut dein Mut und der Ausdruck das lohnt sich der Mühe aus das lohnt sich und das lohnt der Mühe erklären. Allerdings tauchen solche Konstruktionsmischungen zumindest in der geschriebenen Standardsprache gewöhnlich nur vorübergehend auf. Ein Valenzwandel kann auch durch fremdsprachliche Konstruktionen her‐ vorgerufen werden. Eine Erscheinung, die oft als lateinischer Einfluss erklärt wird, ist der Akkusativ mit Infinitiv besonders bei Verba dicendi. Diese Kon‐ struktionen kommen in der ahd. Übersetzungsliteratur und im Humanisten‐ deutsch des 16. und 17. Jh. vor, in der mhd. Dichtung lassen sie sich jedoch kaum finden. Auf der anderen Seite dürfte es nicht abwegig sein, den a.c.i. als eine vom 173 1. Valenzwandel: Satzglied- und Attributklassen strukturellen System des Deutschen zugelassene Möglichkeit aufzufassen, von der unter fremdem Einfluss häufiger Gebrauch gemacht wird (es ist denkbar, dass das Ahd. den Akkusativ mit Infinitiv vom Germanischen ererbte, denn im Altisländischen, das keinen lateinischen Einfluss aufweist, ist er vorhanden). Ein lateinischer Einfluss auf die Valenzsyntax des Deutschen kann auch für die Bibelübersetzung und Texte, die in ihrem Umkreis entstanden sind, angenommen werden. So verwendet Luther beim Verb trauen anstelle eines Dativobjekts ein Präpositionalobjekt mit in, wenn es sich um ein Bibelzitat handelt (u. a. Selig sein die in yn trawen). Möglicherweise hat er sich hier von einer lateinischen Vorlage beeinflussen lassen, da z. B. in der Vulgata an der entsprechenden Stelle auch die Präposition in begegnet. Später ist bei Luther für trauen eine weitere Valenzänderung festzustellen; in der Fassung der Bibelübersetzung von 1545 heißt es: […] die auff Jn trawen. Eine spezifische Entwicklungstendenz in der deutschen Syntax ist der starke Rückgang des Genitivobjekts seit dem Fnhd. Als Gründe für diese Entwicklung werden oft die Abschwächung der Flexionsendungen im Ausgang des Ahd. und gewisse Umbildungen der nominalen Flexion am Ende des Mhd. angeführt. Desgleichen ist auf die Aufhebung der Opposition zwischen ʒ und s im Spätmhd. hinzuweisen. Im Zuge solcher Änderungen kam es häufig zu einem Zusam‐ menfall des Genitivs mit anderen Kasus bzw. zu einer Umdeutung der alten Genitivform es als Akkusativ; danach wurde die akkusativische Verwendung auf weitere Pronomina und später auch auf Substantive übertragen. Zur allmählichen Beseitigung des Genitivobjekts hat wohl auch die Tatsache beigetragen, dass der Genitiv mit vielen syntaktischen und semantischen Funktionen überlastet war. Außer als Objekt wurde er früher als Subjekt, Prädikativ, Adverbial und Attribut verwendet, er kam in Sätzen mit Negation vor, und im Bereich der Semantik konnte er einerseits Partitivität, andererseits zusammen mit bestimmten Verben als äußeres Objekt eine mediale Bedeutung zum Ausdruck bringen. Beim Genitivobjekt fand also eine Funktionsentlastung statt, und der Schwerpunkt des Genitivgebrauchs verlagerte sich auf die Sub‐ stantivgruppe. Nicht zuletzt lässt sich die Verdrängung von Genitivkonstruktionen mit einer Tendenz zur Verdeutlichung syntaktischer Funktionen erklären. Hier sind Prä‐ positionalfügungen ein brauchbares Mittel; mit solchen analytischen Formen lässt sich überhaupt eine größere Anschaulichkeit vermitteln. Als Beispiel dafür sei folgende Textstelle zitiert: unnd geht sehr ab der lieb und ehre gegen die eltern (Luther). Es wurde ein Genitivattribut durch ein Präpositionalattribut ersetzt, weil dadurch die objektive Relation zwischen Liebe bzw. Ehre und Eltern deutlicher zum Ausdruck kommt. An diesem Beleg zeigt sich zugleich, dass sich 174 F. Valenzwandel und Valenzentwicklung der Rückgang des Genitivs nicht nur auf das verb- und adjektivabhängige Objekt beschränkt. Betroffen ist auch der nominale Bereich mit abstrakten Substantiven und ihren genitivischen Attributen. 2. Entwicklung der Valenz ausgewählter Verben und Verbphraseme vom Althochdeutschen bis zum heutigen Deutsch 2.1 Valence Shift Beschreibung des Valenzwandels durch den schematisch dargestellten Vergleich der bei Otfrid und Luther vorkommenden Verbstämme und ihrer Präfixbil‐ dungen (Thornton 1984, 494‒578). Beispiel: das Verb BERG (Thornton 1984, 500) Linke Spalte Otfrid - rechte Spalte Luther. In der linken Spalte stehen berg 01, 015, ? 016, firberg 01 und giberg 01, 015. Die Satzbaupläne werden durch unterschiedliche Linien mit den in der rechten Spalte stehenden Satzbauplänen von verberg 01, 013, 014fur, 016 verbunden. Das Schema ist folgendermaßen zu lesen: 1) Eine durchgezogene Linie verbindet firberg01 mit verberg01 und deutet an, dass Bedeutung, Präfix und Valenz von Otfrid bis Luther konstant sind. 2) Unterbrochene Linien zwischen berg01 und giberg01 bei Otfrid und ver‐ berg01 bei Luther zeigen die Differenz beim Präfix, aber die Identität der Bedeutung und der Valenz an. 3) Ebenso fungiert eine weitere unterbrochene Linie, die berg? 016 bei Otfrid mit verberg016 bei Luther verbindet. 4) Eine Pfeilspitzenlinie (>>>) verbindet berg015 (Otfrid) mit verberg016 (Lu‐ ther), um anzuzeigen, dass das Otfrid-Verb sich im Präfix vom Luther-Verb unterscheidet, die Bedeutung aber gleich bleibt. 5) Keinerlei Entsprechungen bestehen zwischen giberg015 (Otfrid) und ver‐ berg013, 014fur (Luther). Die Ergebnisse der Untersuchung von sich entsprechenden Verben fasst Thornton (1984, 587‒612) unter dem Aspekt des Valenzwandels (Valence Shift) in folgenden Kategorien zusammen: 175 2. Entwicklung der Valenz ausgewählter Verben und Verbphraseme 1) „Continuous Roots“. Die meisten der untersuchten Verben zeigen Konti‐ nuität der Valenz von Otfrid bis Luther, z. B. TAUF mit E0 und E01 in beiden Corpora. 2) „Discontinuous Roots“. Bei Verben wie z. B. LIEB wiederholt sich der Satzbauplan bei Otfrid in Luthers Evangelienübersetzung nicht (valence discontinuity). Die Ursache der Valenzdiskontinuität ist bei einigen Verben (z. B. -GELT) im Wandel der Bedeutung begründet; bei anderen Verben ist kein Bedeutungswandel zu erkennen, und es besteht trotzdem Valenzdis‐ kontinuität, z. B. -FUEHL bei Otfrid E02, bei Luther jedoch E01. 3) Die Valenzwandel-Arten, die er von Otfrid zu Luther feststellt, fasst Thornton (1984, 593‒609) - gruppiert nach den Ergänzungskategorien - systematisch zusammen. Er konstatiert, dass die E2 (Genitivergänzung) die aktivste Ergänzungsklasse beim Valenzwandel ist. Bei mehreren Verben wird die E2 (bei Otfrid) ersetzt durch E1 bei Luther, z. B. -PFLEG, wenn das Verb ‚etwas zu tun haben mit‘ bedeutet. Bedeutet es ‚sorgen für‘, wird die E2 beibehalten. Am meisten wird die E2 durch eine E4 ersetzt, z. B. -FRAG bei Otfrid E2, bei Luther E4um oder E4von. 2.2 Synchrone Valenzdifferenzierung und diachrone Valenzänderung (am Beispiel von heischen) Die historischen Entsprechungen des schwachen Verbs heischen sind mhd. heischen und eischen, ahd. eiscōn. Das Verb ist nur in den alten westgermanischen Sprachen vorhanden (außerhalb des Hochdeutschen: altsächsisch ēskian, alteng‐ lich ascian, altfriesisch āskia) und wird auf eine westgermanische Ausgangsform *aiskōjō-n ‚fragen, fordern‘ zurückgeführt. Das Verb ist eine Ableitung von dem femininen Nomen westgermanisch *aiskō (vgl. ahd. eisca ‚Forderung‘). Nach Ausweis der Belege sind bereits im Westgermanischen für das Verb zwei Sememe nachgewiesen, nämlich: (1) ‚jemand verlangt etwas‘ und (2) ,jemand erkundigt sich nach etwas (bei jemandem)‘. Semem (1) mit dem zweistelligen SBP: P / / ‚Agens‘ → NGnom / / ‚Patiens‘ → NGakk. Semem (2) mit dem dreistelligen SBP: P / / ‚Agens‘ → NGnom / / ‚Inhalt‘ → NGgen/ NGakk/ PräpG / / ‚Adressat‘ → NGakk/ PräpG. Beide Sememe stehen bis in die ahd. Zeit (9. Jh.) in Variation miteinander. Unterschiede gibt es bei der Belegung einer Ergänzung. Bei Semem (2) ‚sich erkundigen‘ wird die Rolle ‚Inhalt‘ nur dann mit NGakk besetzt, wenn diese das 176 F. Valenzwandel und Valenzentwicklung Sem ‚abstrakt‘ enthält, z. B. Tatian 55,7 Tho / / eisgota / / hér (= Herodes) / / thie zit / / zi in (die Weisen): SBP: P / / ‚Agens‘ → NGnom / / ‚Inhalt‘ → NGakk ‚abstrakt‘ / / ‚Adressat‘ → PräpG zi Ist die Rolle ‚Inhalt‘ aber mit einer NG, die das Sem ‚konkret‘ aufweist, besetzt, ist die Bedeutung stets ‚verlangen‘, z. B. Tatian 31,7 ni eisco (thu) siu (= Besitz, Geld usw.): SBP: P / / ,Agens‘ → NGnom / / ,Inhalt/ Patiens‘ → NGakk Mehr als 100 Jahre später ist die Variante ‚sich erkundigen nach‘ nicht mehr belegbar. Bei Notker existiert nur das (obligatorisch) zweiwertige Verb eiscōn mit der Bedeutung ‚verlangen‘ und dem SBP P / / NGnom / / NGakk. Die mor‐ phosyntaktische Besetzung mit NGgen oder PräpG anstelle von NGakk ist nicht mehr möglich. (Krisch 1982, 212‒216) 2.3 Valenzwandel und Phraseologie Eine umfassende diachrone Beschreibung der Valenz von Verbphrasemen, die sich über alle Sprachstufen des Deutschen erstreckt, wurde bislang nicht geleistet. Stattdessen wird die Valenzentwicklung im Bereich der Phraseologie hier zuerst anhand einer kleinen Auswahl von Verbphrasemen dargestellt; dabei handelt es sich um Phraseme der Aufmerksamkeit und des Wahrnehmens (vgl. Kapitel D.10). Es werden nur die Valenzträger berücksichtigt, die sich in unveränderter Bedeutung bis zur Gegenwart erhalten haben. Solche Einheiten sind Acht geben, Acht haben, gewahr werden, innewerden und wahrnehmen (Acht nehmen kommt heute äußerst selten vor und wird deshalb ausgeschlossen). Die in historischen und modernen Wörterbüchern und ausgewählten Korpora ermittelten Ergänzungsklassen können mit Hilfe von Abkürzungen als Gesamt‐ valenz wie folgt zusammengefasst werden: Acht geben Althochdeutsch (keine Belege) Mittelhochdeutsch (keine Belege) Frühneuhochdeutsch: Nn; Nn+Ng/ pNaufA Neuhochdeutsch (1650‒1950): Nn; Nn+Ng/ pNaufA/ NSdass/ daraufNSdass/ NSob/ NSw-/ daraufNSw- 177 2. Entwicklung der Valenz ausgewählter Verben und Verbphraseme Gegenwartsdeutsch: Nn; Nn+Nd/ pNaufA/ pNvorD/ INFzu/ daraufINFzu/ NSdass/ daraufNSdass/ NSob/ daraufNSw- In der quantitativen Polyvalenz hat sich nichts geändert: Das Phrasem wird seit dem Fnhd. sowohl einals auch zweiwertig verwendet; im einwertigen Gebrauch ist das Subjekt (Nn) die betreffende Ergänzung. Während das Geni‐ tivobjekt (Ng) im Fnhd. und noch im Nhd. begegnet, ist es im gegenwärtigen Deutsch nicht mehr vorhanden. Dafür steht heute das Präpositionalobjekt mit auf + Akkusativ (pNaufA), das bereits fnhd. neben das Genitivobjekt tritt. Die für das Nhd. belegten Nebensatzobjekte mit dass, ob und w-Frage (NSdass usw.) sind im Stellenplan von Acht geben heute noch erhalten. Als Korrelat erscheint nhd. nur darauf (und nicht etwa auch dessen), obwohl der Genitiv bei den Nomina als Objektkasus anzutreffen ist. Eine weitere Objektrealisation im Gegenwartsdeutschen ist das Infinitivobjekt mit zu (mit und ohne Korrelat; INFzu bzw. daraufINFzu). Das Dativobjekt (Nd) und das Präpositionalobjekt mit vor + Dativ (pNvorD) sind sicherlich keine typischen Ergänzungsklassen von Acht geben. Acht haben Althochdeutsch (keine Belege) Mittelhochdeutsch: Nn+Ng/ pNaufA/ pNum Frühneuhochdeutsch: Nn; Nn+Na/ Ng/ pNaufA/ pNvorA/ NSdass/ da‐ raufNSdass/ NSw-/ daraufNSw- Neuhochdeutsch (1650‒1950): Nn; Nn+Na/ Ng/ pNaufA/ NSdass/ daraufNSdass/ NSob/ daraufNSw- Gegenwartsdeutsch: Nn+Ng/ pNaufA/ INFzu/ NSw- Obwohl der einwertige Gebrauch von Acht haben nur für das Fnhd. und Nhd. registriert werden konnte, ist er auch für das Mhd. und Gegenwartsdeutsche denkbar. Das Genitivobjekt hat seinen Platz in der Gesamtvalenz dieses Phra‐ sems bis heute behauptet, das Gleiche gilt für das Präpositionalobjekt mit auf + Akkusativ. Das Akkusativobjekt (Na) im Fnhd. und Nhd. sowie das Präpositio‐ nalobjekt mit um im Mhd. und das Präpositionalobjekt mit vor im Fnhd. sind als seltene Erscheinungen zu betrachten. Die satzförmigen Objekte im Fnhd. und Nhd. haben mehrere Gemeinsamkeiten, im heutigen Deutsch dagegen stellt der Nebensatz mit w-Frage die einzige entsprechende Objektrealisation dar. In der gegenwartsbezogenen Valenzumgebung von Acht haben taucht zwar ein Infinitivobjekt mit zu als eine spezifische Ergänzung auf, aber im Ganzen ist die Gesamtvalenz deutlich geringer als im Fnhd. und Nhd. Dies dürfte sich daraus erklären, dass Acht haben als Ausdruck der gehobenen Stilebene heute nicht mehr so häufig vorkommt wie früher. 178 F. Valenzwandel und Valenzentwicklung gewahr werden Althochdeutsch: Nn+Ng/ NSdass; Nn+Na+INF Mittelhochdeutsch: Nn+Na/ Ng/ pNum/ HS/ NSdass/ desNSdass/ desNSob/ NSw- Frühneuhochdeutsch: Nn; Nn+Na/ Ng/ NSdass/ desNSdass/ esNSdass/ NSob/ NSw-; Nn+Na+INF Neuhochdeutsch (1650‒1950): Nn+Na/ Ng/ pNaufA/ NSdass/ NSw-/ dessenNSw- Gegenwartsdeutsch: Nn+Na/ Nd/ Ng/ INFzu/ NSdass/ NSob/ NSw-; Nd+NSdass/ NSw- Die quantitative Polyvalenz umfasst einen ein-, zwei- und dreiwertigen Ge‐ brauch, aber das Vorkommen ohne Objekt wie im Fnhd. bzw. mit zwei Objekten, d. h. mit Akkusativ und Infinitiv ohne zu (INF) wie im Ahd. und Fnhd., gehört nicht zu den typischen Valenzeigenschaften von gewahr werden. Das aus dem Ahd. stammende Genitivobjekt ist bis heute erhalten geblieben, auch wenn es bereits seit dem Mhd. das Akkusativobjekt als Konkurrenten hat. Das im Gegenwartsdeutschen auftauchende Dativobjekt sowie das mhd. Präpositional‐ objekt mit um und das nhd. Präpositionalobjekt mit auf sind eher Ausnahmen in der Gesamtvalenz von gewahr werden, ebenso dürfte das für das heutige Deutsch belegte Infinitivobjekt mit zu keine übliche Ergänzungsklasse sein. Dass auch ein Hauptsatz (HS) als satzförmige Ergänzung auftreten kann, zeigt sich in der mhd. Valenzumgebung von gewahr werden. Wenn vor dem Nebensatz ein Korrelat erscheint, steht es im Genitiv (mhd. und fnhd. des, nhd. dessen), fnhd. auch im Akkusativ (es). Die Konstruktion Dativobjekt + Nebensatzsubjekt (Nd+NSdass/ NSw-) im gegenwärtigen Deutsch ist wohl keine häufige Valenzrealisation, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass sie nicht lexikografisch kodifiziert ist. innewerden Althochdeutsch (innana werdan): Nn+Ng Mittelhochdeutsch (inne[n] werden): Nn+Ng/ HS/ NSdass/ desNSdass/ NSw- Frühneuhochdeutsch (inne[n] werden): Nn; Nn+Na/ Ng/ NSdass/ dasNSdass/ esNSdass/ NSob/ NSw-/ esNSw- Neuhochdeutsch (1650‒1950): Nn+Na/ Ng/ HS/ NSdass/ esNSdass/ NSob/ NSw-/ esNSw- Gegenwartsdeutsch: Nn+Na/ Ng/ pNüberA/ NSdass/ dessenNSdass/ NSw- Die Einwertigkeit (vgl. fnhd. Nn) ist keine normale Valenzeigenschaft von innewerden, sondern geht auf kontextuelle Gegebenheiten zurück. Trotz der Konkurrenz durch das Akkusativobjekt seit dem Fnhd. bleibt das Genitivobjekt 179 2. Entwicklung der Valenz ausgewählter Verben und Verbphraseme bis heute ein Bestandteil der Gesamtvalenz von innewerden. Entsprechend lässt sich der Genitiv als Korrelat noch im gegenwärtigen Deutsch (vgl. dessenNSdass) belegen. Im Mhd. lautete das Korrelat des, im Fnhd. und Nhd. steht es auch im Akkusativ (das bzw. es). Das Präpositionalobjekt mit über in der heutigen Valenzumgebung von innewerden ist als eine seltene Ersatzform des Genitivs anzusehen. wahrnehmen Althochdeutsch: Nn+Ng/ NSw- Mittelhochdeutsch: Nn; Nn+Na/ Ng/ HS/ NSdass/ desNSdass/ NSob/ desNSob/ NSw-/ dazuNSw- Frühneuhochdeutsch: Nn+Na/ Ng/ pNaufA/ HS/ NSdass/ daraufNSdass/ NSob/ daraufNSob/ NSw-/ desNSw- Neuhochdeutsch (1650‒1950): Nn+Na/ Ng/ NSdass/ esNSdass/ NSw-; Nn+Na+INF Gegenwartsdeutsch: Nn+Na/ NSdass/ NSob/ NSw- Der objektlose Gebrauch (vgl. mhd. Nn) ist untypisch für wahrnehmen, desglei‐ chen kann die Dreiwertigkeit (vgl. nhd. Nn+Na+INF) zu den Ausnahmen gezählt werden. Als nominales Objekt erscheint der Genitiv in den Sprachstufen Ahd., Mhd., Fnhd. und Nhd., seit dem Mhd. steht neben ihm der Akkusativ. Der Kasus des vor dem Nebensatz stehenden Korrelats ist im Mhd. und Fnhd. Genitiv, im Nhd. Akkusativ. Mit dem Akkusativbzw. Genitivobjekt konkurriert im Fnhd. das Präpositionalobjekt mit auf, das im Präpositionaladverb darauf als Korrelat vor dem Nebensatz seine Entsprechung hat. Ein weiteres Korrelat des Nebensatzes ist dazu, das nur für das Mhd. nachweisbar ist. In Korhonen (2018) wurde die Valenzentwicklung des Verbphrasems sich gelüsten lassen ,begehren‘, für das im Ahd. noch keine Belege vorhanden sind, verfolgt. Im Folgenden wird die valenzspezifische Diachronie dieses Verbphra‐ sems wie oben dargestellt, zusätzlich werden die einzelnen Kombinationen der Ergänzungen für jede Sprachstufe mit Belegsätzen veranschaulicht. sich gelüsten lassen Mittelhochdeutsch: Nn+Ng: du la dich des niht gelusten! (MHDBDB: Neidhart-Lieder) Das Phrasem ist im Mhd. sehr selten, was auch daran erkennbar ist, dass es in historischen Wörterbüchern nicht verzeichnet ist. Frühneuhochdeutsch: Nn; Nn+Na/ Ng/ pNnach/ INFzu: Du solt dich nicht lassen geluͤsten. (Luther); LAs dich nicht gelüsten deines Nehesten Weib. (Luther-Bibel); LAs dich nicht gelüsten deines Nehesten Weibs / noch 180 F. Valenzwandel und Valenzentwicklung seines Knechts / noch seiner Magd / noch seines Ochsen / noch seines Esels […] (Luther-Bibel); […] las dich nicht geluͤsten nach des nehesten Weibe, gut, ehre, […] (Luther); haben die von Diffenhart sich gelusten lassen, […] in die wustenung Zen‐ hausen zu faren (FWB) Soweit das Phrasem in Wörterbüchern und Korpora auftaucht, hat es als zweite Ergänzung zumeist entweder ein Akkusativ- oder ein Genitivobjekt bei sich. Das Präpositionalobjekt mit nach und das Infinitivobjekt mit zu lassen sich in den Quellen jeweils nur einmal nachweisen. Neuhochdeutsch (1650‒1950): Nn; Nn+Na/ Ng/ pNnach/ INFzu/ NSdass: du soltest dich lassen geluͤsten? (MK 1, 980); Der Kranke läßt sich oft schädliche Dinge gelüsten ( JA); nie maszt ich fremdes gut mir an, ja kaum liesz ich des eignen gutes mich gelüsten. (DWB); Lasset Euch nach diesen Tieren nicht gelüsten. (DWDS: Die Zeit 21.4.1961 [Friedrich de la Motte Fouqué 1813]); Laß dich nicht gelüsten, mir ungehorsam zu seyn ( JA); Noch läst ein Sterblicher zum offtern sich gelüsten/ Daß vor des Himmels Schloß er wehlt der Erden Ball. (DWDS: Heinrich Mühlpfort 1686) Das Präpositionalobjekt mit nach und das Infinitivobjekt mit zu sind im Nhd. wesentlich häufiger als im Fnhd. anzutreffen. Der Nebensatz mit dass wird in historischen Wörterbüchern nicht registriert, dafür aber in DWDS. Gegenwartsdeutsch: Nn; Nn+pNnach/ INFzu: du sollst dich auch nicht ge‐ lüsten lassen und töten schon gar nicht (DWDSWB); Wann hat ein deutscher Politiker zuletzt gewagt, es sich nach den leuchtenden Augen der Ju‐ gend gelüsten zu lassen? (DWDS: Berliner Zeitung 27.8.1998); Laß Dich nicht gelüsten, ein Richter zu sein (DWDS: Die Zeit 31.8.1962 [Verweis auf die Bibel]) Im heutigen Deutsch begegnet das Phrasem nur noch selten. So wurde es mit Ausnahme von DWDSWB nicht in moderne Wörterbücher aufgenommen, wohingegen DWDS Belege für den zweiwertigen Gebrauch mit einem Präpo‐ sitionalobjekt bzw. einem Infinitivobjekt als zweiter Ergänzung aufweist. Im Ganzen lässt sich für den zweiwertigen Gebrauch auch hier der Rückgang des 181 2. Entwicklung der Valenz ausgewählter Verben und Verbphraseme Genitivs als Objektkasus feststellen. Im Falle des zweitletzten Beispielsatzes ist darauf hinzuweisen, dass das Pronomen sich in der Infinitivkonstruktion als Dativ und nicht als Akkusativ zu interpretieren ist. In weiteren Studien (Korhonen 1995b, 152f.; 2011a, 49f.; Komenda-Earle 2015, 209ff., 217-225, 264, 269, 281ff., 348-354) wurden diachrone Valenzänderungen einzelner Verbphraseme am Beispiel der Entwicklung vom Fnhd. bzw. Nhd. bis zum heutigen Deutsch untersucht. Die hier festgestellten Änderungen beziehen sich einmal auf die quantitative, zum anderen auf die qualitative Valenz, d. h. auf die Anzahl bzw. Art der Ergänzungen. Für die quantitative Valenz zeigt sich erstens, dass die Anzahl der Ergänzungen steigen kann, es liegt also eine Valenzerhöhung vor. So wurde das Phrasem hinter dem Berg halten im Fnhd. noch ohne Objekt verwendet, seit dem Nhd. lautet die Nennform mit etw. hinter dem Berg halten. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich für das synonyme hinter dem Busch halten beobachten: Im Nhd. kommt das Phrasem ohne Objekt vor, heute ist das Präpositionalobjekt mit etw. als eine obligatorische Ergänzung einzustufen. Bei auf den Leim gehen wiederum ist ein fakultatives Dativobjekt hinzugekommen; in nhd. Wörterbüchern wurde bei diesem Phrasem kein Objekt angegeben, heute stellt [jmdm.] auf den Leim gehen eine adäquate Nennform dar. Zweitens kann die Anzahl der Ergänzungen im Laufe der Zeit kleiner geworden sein. Mit einer Valenzreduktion zwischen dem Nhd. und dem Gegen‐ wartsdeutschen hat man es bei jmdm. den Star stechen zu tun: Im Nhd. konnte bei diesem Phrasem das Präpositionalobjekt über etw. stehen, heute nicht mehr. Für jmdm./ bei jmdm. durch die Finger sehen ist folgende Entwicklung zu registrieren: Das Phrasem war im Fnhd. sowohl zweials auch dreiwertig, heute dagegen nur zweiwertig. Beim dreiwertigen Gebrauch verlangte das Phrasem neben dem Subjekt ein Personen- und ein Sachobjekt, wobei das Letztere eine Akkusativ- oder eine Präpositionalergänzung mit mit oder zu war, z. B. […] daß Käyser Rudolff […] den Protestierenden […] nur zu viel durch die Finger sahe […] (DWDS: Sigismund Friedrich Wartmann 1650); […] man wölle […] vns zu allen Sünden durch die Finger sehen […] (DWDS: Michael Eichler 1585). Als eine Besonderheit kann die Valenzreduktion bei im Sack kaufen betrachtet werden. Dieses Phrasem war im Fnhd. zweiwertig (etw. im Sack kaufen), wurde aber oft auch ohne Akkusativobjekt verwendet. Im Nhd. wurde die Akkusativstelle fest mit dem Substantiv Katze besetzt, was zur Entstehung des einwertigen Phrasems die Katze im Sack kaufen führte. Änderungen in der qualitativen Valenz können in zweierlei Weise vor sich gehen. Einerseits taucht neben einer älteren Ergänzung eine neue Ergänzungs‐ klasse auf oder eine frühere Ergänzungsklasse wird durch eine neue ersetzt, 182 F. Valenzwandel und Valenzentwicklung andererseits verschwinden ältere alternative Ergänzungen, d. h., die Polyvalenz wird abgebaut. Ein Beispiel dafür, dass bei einem Verbphrasem heute zwei Ergänzungsklassen konkurrieren (und damit Polyvalenz vorhanden ist), ist jmdm./ für jmdn. den/ die Daumen halten/ drücken; in historischen Wörterbüchern ist für das Nhd. nur die Dativergänzung verzeichnet. Die Ersetzung einer Ergänzungsklasse durch eine andere zeigt sich u. a. bei den Phrasemen die Augen vor etw. verschließen (nhd. gegen etw.) und jmdm. Brief und Siegel auf etw. geben (nhd. über/ von etw.). Im Vergleich mit diesen Änderungen ist der Abbau der Polyvalenz eine viel häufigere Erscheinung, die anhand der Stabilisierung der Valenz von sich kein Gewissen aus etw. machen veranschaulicht werden kann. Wenn man die Polyvalenz im Fnhd. und Nhd. zusammen betrachtet, so war sie hier reich entfaltet. Dabei konnte als Objekt eine Genitivergänzung oder eine Präpositionalergänzung mit aus, in, ob, über mit Akkusativ oder Dativ, um oder von erscheinen, z. B. wo sie […] vns christen heimlich fluchen, gifften oder schaden thun können, des machen sie jnen kein gewissen (PHD 2, 119); er macht ihm kein gew. darausz (DWB); Vber solche grewliche Abgötterey / vnd andere Sünden / macht sich dieser Mann kein Gewissen; […] (DWDS: Joachim Lütkemann 1652); Machen jhnen vber solcher Apostasia gar kein Gewissen […] (DWDS: Johann Olearius 1597). Das bereits im Nhd. belegte Präpositionalobjekt mit aus hat sich allmählich durchgesetzt und stellt heute die einzige Realisation des Objekts dar. - Beispiele für die Stabilisierung des Valenzanschlusses sind ebenfalls die Phraseme bei jmdm. ins Fettnäpfchen treten (nhd. jmdm./ bei jmdm.), jmdn. Mores lehren (nhd. jmdn./ jmdm.) und die Nase über jmdn., etw. rümpfen (fnhd. über jmdn./ jmdm., etw.). Die Änderungen im Bereich der qualitativen Valenz beschränken sich jedoch nicht nur auf die Form, sondern können auch den Inhalt der Ergänzungen betreffen. Während das Objekt bei viel Aufhebens machen im Nhd. nur eine Sachbezeichnung war, kommt daneben heute auch eine Personenbezeichnung vor (Nennform viel Aufheben[s] von jmdm., etw. machen). Anhand der Phraseme jmdm., einer Sache nichts anhaben können, für jmdn., etw. in die Bresche springen und nicht viel Federlesen[s] mit jmdm., etw. machen ist zu sehen, dass der Inhalt des Objekts durch eine Sachbezeichnung erweitert wurde (fnhd. jmdm. nichts anhaben können, nhd. für jmdn. in die Bresche springen und nhd. nicht viel Federlesen[s] mit jmdm. machen). Die Entwicklung bei jmdm./ bei jmdm. durch die Finger sehen wiederum lässt erkennen, dass dieses Phrasem im zweiwertigen Gebrauch im Fnhd. entweder ein Personen- oder ein Sachobjekt haben konnte: vnd das volck im lande durch die finger sehen würde dem menschen, der […] (PHD 1, 667); Er selbst ließ sich also an/ daß man wol merckte/ wie er entschlossen/ der Religion durch die Finger zusehen/ […] (DWDS: Sigismund 183 2. Entwicklung der Valenz ausgewählter Verben und Verbphraseme Friedrich Wartmann 1650). Heute ist eine Sachbezeichnung als Objekt äußerst selten, vgl. Die Herrschaften sehen aber solchem Unfuge gern durch die Finger: […] (DWDS: Die Zeit 3.6.1988). Bedeutungsveränderungen können auch beim Subjekt stattgefunden haben. Im Fnhd. war z. B. bei zu Boden gehen das Subjekt entweder eine Personen- oder eine Sachbezeichnung: sie habens vbermacht, darumb müssen sie zu boden gehen; damit gehet der glaube zu boddem (PHD 1, 327). Heute wird das Phrasem nur mit einer Personenbezeichnung als Subjekt verwendet, was auch mit einer Bedeutungsveränderung des Valenzträgers verbunden ist. Die fnhd. Bedeutung kann mit ‚zugrunde gehen‘, die heutige mit ‚niederstürzen‘ (Boxsprache) para‐ phrasiert werden (vgl. auch Korhonen 1982b, 190; 2006a, 1495). Zur Valenzentwicklung weiterer Lexeme siehe den Anhang G.3+4. 3. Valenzgeschichte(n) Während es Thornton (1984) (siehe Kapitel F.2.1) gelingt, die Konstanz bzw. Divergenz der Valenz wurzelgleicher deutscher Verben in Otfrids Evangelien‐ buch und in Luthers Übersetzung der Evangelien schematisch darzustellen, versucht A L B R E C HT G R E U L E (z. B. Greule 2014, 61f.) in einer sogenannten „Valenz‐ geschichte“ die Entwicklung jeweils eines Verbs über die historischen Sprach‐ stadien bis zum Nhd. unter Berücksichtigung der Ergänzungen/ Komplemente - semanto- und morphosyntaktisch - zu beschreiben. Fallbeispiel: Valenzgeschichte von nhd. gelüsten Um darzustellen, welche interessanten Einsichten in den syntaktischen und semantischen Wandel einzelner Verben vom Ahd. zum Nhd. zu gewinnen sind, greifen wir exemplarisch das Verb gelüsten heraus. Es gilt zu zeigen, welche Erkenntnisse zur Diachronie sich aus dem Material, wenn es für ein Valenzwörterbuch aufbereitet wird, ergeben (vgl. auch die Analyse von gelüsten in Korhonen 2018, 202‒209). Die Verwendung dieses Verbs in der Gegenwart macht den Eindruck eines sehr gehobenen Stils, und es ist wahrscheinlich in der Kompetenz jüngerer Sprecher/ innen des Deutschen aktiv nicht mehr vorhanden. In der passiven Kompetenz wird es gestützt durch die Substantive Gelüste und Lust. Dieser sub‐ jektive Eindruck vom Gebrauch des Verbs gelüsten hängt sicherlich mit seiner komplizierten Syntax zusammen. Das Duden-Universalwörterbuch vermerkt dazu, dass das Verb „unpersönlich“ ist, und verzeichnet die semantische - fast unverständliche - Paraphrase ,jemanden ein Gelüst/ Lust verspüren lassen‘, z. B. 184 F. Valenzwandel und Valenzentwicklung mich gelüstet es nach Obst. Man würde dazu heute einfach sagen: Ich habe Lust auf Obst. Formulieren wir den Beispielsatz Mich gelüstet es nach Obst als morphosyn‐ taktische Formel: es gelüstet: Nakk + pNnach Das bedeutet: Das nicht referierende Subjektspronomen es wird zum („unper‐ sönlichen“) Verb bzw. zum Prädikat gerechnet. Das reflexive Pronomen mich vertritt aber keine echte Reflexivität, sondern ist substituierbar, weil man auch formulieren könnte: Meine Mutter gelüstete es nach Obst. Es liegt also heute ein zweiwertiges Verb vor. Darüber hinaus scheint auch die Paraphrase im Duden-Universalwörterbuch falsch zu sein. Sie lautet ,jemanden ein Gelüst/ Lust verspüren lassen‘ und signalisiert permissive Kausativität. Das ist falsch: das Verb es gelüstet ist nicht kausativ! Vielmehr muss das Semem des Verbs es gelüstet wie folgt paraphrasiert werden ‚a hat Lust auf b‘. Dabei steht a für die Rolle des Experiencers, also des auf Menschen restringierten Empfindungsträ‐ gers, und b für die (semantisch nicht restringierte) Rolle des Objekts der Lust. Auf ein zweidimensionales Satzmodell umgeschrieben: es gelüstet 2-wertig: a = ,Experiencer‘ → Nakk - b = ,Objekt‘ → pNnach Wie konnte es kommen, dass die Bezeichnung einer derartig elementaren menschlichen Emotion wie „Lust auf etwas haben“ durch ein einfaches, in der ganzen deutschen Sprachgeschichte gebräuchliches Verb heute so gut wie vor dem Verschwinden steht? Kann dafür der Blick in die Geschichte des Verbs, besonders in seine Valenzgeschichte Aufschluss geben? Um diese Fragen zu beantworten, muss man aus den Informationen, die zum Verb gelüsten zu gewinnen sind, zunächst Sprachstadium für Sprachstadium die zweidimensionalen Satzmodelle der historischen Entsprechungen von nhd. es gelüstet herausarbeiten. Althochdeutsch: gilusten Beispielsatz: […] inan es (des Brotes) gilusta ‚er hatte Verlangen/ Lust auf Brot‘ *gilustit 2-wertig: a = ,Experiencer‘ → Nakk - b = ,Objekt‘ → Ngen / INF / S 185 3. Valenzgeschichte(n) Für die Besetzung der Objektrolle gab es mehrere syntaktische Möglichkeiten, der Genitiv stand aber in Anbetracht der Quantifizierung der Belege im Vorder‐ grund. Mittelhochdeutsch: gelusten/ gelüsten Beispielsätze: 1) des in doch wênc geluste, 2) gelusten […] muoz mich nâch rôselehten wangen gelustet/ gelüstet 2-wertig: a = ,Experiencer‘ → Nakk ‒ b = ,Objekt’ → Ngen / INF / NS / pNnâch Auch im Mhd. stand der Genitiv als Kasus des ‚Objekts‘ noch im Vordergrund. Zum ersten Mal tritt aber eine Präpositionalgruppe mit der Präposition mhd. nâch auf. Frühneuhochdeutsch: gelusten/ gelüsten Beispielsätze: 1) Mich hat deines Diensts nicht gelust […], 2) den(n) nach Gottes zorn […] gelüstet, 3) was jm gelüstet, 4) nach dem es etlichen gelustet. gelusten/ gelüsten 2-wertig: a = ,Experiencer‘ → Nakk/ Ndat ‒ b = ,Objekt’ → Ngen / INF / NS / pNnach Zwei Neuheiten stehen hier im Vordergrund: Erstens kann die Rolle des Experiencers auch durch den Dativ markiert sein, zweitens tritt mehrfach das Subjektspronomen auf und das besonders in der Wendung es/ was mich gelüstet. Neuhochdeutsch Im Älteren Nhd. begegnet nach der Auflistung noch der Dativ (neben dem Akkusativ) als Kasus für den Experiencer; der Genitiv als Kasus des ‚Objekts‘ wird seltener, an seine Stelle tritt die Präpositionalgruppe mit der Präposition nach. Dieser Vorgang verläuft anscheinend parallel zum Auftauchen des Sub‐ jektspronomens. Es verfestigt sich also der oben festgelegte nhd. Kasusrahmen: es gelüstet 2-wertig: a = ,Experiencer‘ → Nakk ‒ b = ,Objekt‘ → pNnach Die Valenzgeschichte von gelüsten kann demnach so beschrieben werden: Sieht man davon ab, dass es an einigen Stellen im Verlauf der Sprachgeschichte zur Valenzminderung kommt, wobei die Rolle ‚Objekt‘ nicht besetzt ist, ändert 186 F. Valenzwandel und Valenzentwicklung sich an der Zahl der Rollen nichts. Auch wenn die Bedeutungsbeschreibungen in den Wörterbüchern schwanken, ändert sich auch an der Struktur des Semems ‚a hat Lust auf b‘ nichts. Veränderungen sind vor allem zu beobachten bei der Form der Rolle ‚Objekt‘, wo der Genitiv beginnend im Mhd. durch die Präpositional‐ gruppe mit der Präposition nach ersetzt wurde. Wichtig ist das Aufkommen des Subjektspronomens. Nicht durchsetzen konnte sich der in den fnhd. Belegen auftretende Dativ als Kasus des ‚Experiencers‘ an der Stelle des Akkusativs. Wie und wann sich aus der ursprünglich einfachen morphosyntaktischen Valenz die komplizierte Struktur eines unpersönlichen Verbs heraus entwickelt hat, kann die diachrone Perspektive verdeutlichen. Sie macht auch deutlich, dass es im Verlauf der Sprachgeschichte trotz eines Versuchs bei Christoph Martin Wieland und anderen Autoren (vgl. Korhonen 2018, 206f.) nicht gelungen ist, den ‚Experiencer‘ in die Position des Subjekts zu überführen bzw. ihn als Nnom zu standardisieren. Und dies, obwohl es sich um den verbalen Ausdruck einer wichtigen, elementaren menschlichen Regung handelt. 187 3. Valenzgeschichte(n) G. Lexikografischer Anhang 1. Ausschnitt aus dem Syntaktischen Verbwörterbuch zu den althochdeutschen Texten des 9. Jahrhunderts (Greule 1999, 300) (Zur Methode vgl. Kapitel E.2.1) WUOFAN / WUOFEN 1. weinen, trauern: a weint / trauert wegen b. 2. a: NP1 b: NP2 / NP5 (obar / ubar) a: Mensch, der wegen jemandem / etwas trauert. b: Mensch / Grund, wegen dem a trauert. 3. temp: ADV / NS / PZS1 (8) grad: ADV (1) loc sit : ADV (1) qual: PZS1 (1); neg: ADV (2) mod: ADV (1) 4. MH 1,5: egypt uuafta starchlicho chindo chrimmiu reuuir Ägypten trauerte tief über die schrecklichen Gräber der Kinder. T 188,6: Inti uzgangenti Petrus uuiof bittaro Und während Petrus hinausging, weinte er bitterlich. 5. MF 19,6; MF 23,20; MH 1,5; MH 19,1; O 3,24,45; O 4,18,39; O 5,6,47; T 10,3; T 22,10; T 23,3; T 49,3; T 60,12; T 64,12; T 116,6; T 135,19; T 135,21 (3x); T 145,19; T 174,4; T 188,6; T 201,1; T 201,2 (2x); T 221,1; T 221,2 (2x); T 221,3; T 223,4. (29 Belege) ⁕ Nicht berücksichtigt wegen abweichender Bedeutung: wiaf „(er) sehnte sich“ (O S. 38). 2. Probeartikel zum Mittelhochdeutschen syntaktischen Verbwörterbuch (MSVW) (Zur Methode vgl. Kapitel D.4.2 und D.4.3) GELPFEN Auf der Grundlage des MWB online ausgearbeiteter Wörterbuchartikel zur Valenz des Verbs gëlfen, gëlpfen stV. (IIIb) Stammformen: galf, gulfen, gegolfen 1 intr. 1.1 von Tieren, ‘bellen, heulen, brüllen’ SBP/ TKR: NGnom/ Agens (Tiere) 1. sin bracke begunde gelfen W O L F D D 798,1. 822,1; sin bracke: NGnom/ Agens ( Jagdhund) 2. funff hundert hunde, / di machten ungefugen schal: / diser galph, diser pal H V N S T A P 8795; diser: NGnom/ Agens (Hund) 3. kumt aber nicht der louwe sinem welfe / mit siner stimm in rechter stund zu helfe, / ab er ouch darnach [später] gelfe, / das hilfet nicht, es blibet tot M ÜG E L N 278,11; Er: NGnom/ Agens (Löwe), darnach: ADV/ Zeit/ A 1.2 von Menschen [1.2.1 ‘schreien, rufen’, subst. Inf.: Jesus schrei mit lûter stimme […], / daz gelfen in di hôhe brach J V F R S T 10125. 6028; F R S C HW 5306] 1.2.2 ‘prahlen, übermütig reden’ 4. si [Feinde] gelfent nie sô vaste, / ich wil ez mînem gaste / volbringen an sîn êre [dass ich den Kriegszug nicht, meinem Gast zu Ehren, durchführen würde] B IT 5147; 190 G. Lexikografischer Anhang si: NGnom/ Agens (Menschen), nie: ADV/ Zeit/ A, sô vaste: AdvG/ mod/ A 5. ich sol noch mit iu gelfen [Reizworte wechseln] / und vehten V I R G 891,6. - ich: NGnom/ Agens, noch mit iu: PräpGmit/ Adressat [subst. Inf.: din gelfen / ist mir ein wint P A S S III 679,86; H E S L N I C 3460; so gelaub ich deiner wort gelffen F R S C HW 4258] 2 tr. 2.1 ‘etw. laut aussprechen, ein Lied laut singen’ 6. und darnach [nach einer Vision] do kam sy wider, und sait mit beschaidnen wortten alles das sy vor gezaiget [mit Gebärden angedeutet] hat und das sy nit gelfen mocht S TA G E L 68,22; das: NGakk/ Inhalt, sy: NGnom/ Agens, nit: ADV/ Negation/ A 7. [Maria,] der lob […] ich gelfe M ÜG E L N 157,11; Der lob: NGakk/ Inhalt, ich: NGnom/ Agens 8. wê mir dis gedœnes / daz mir dur den lîp / und dur diu ôren dringet: / […] si gelfent sînen [des Schenken] sanc tac unde naht / in dirre gazzen KLD: U V W 4: 1,9; si: NGnom/ Agens, sînen sanc: NGakk/ Inhalt, tac unde naht: NGakk/ Zeit/ A, in dirre gazzen: PräpGin/ Ort/ A 2.2 ‘etw. (wâfen, direkte oder indirekte Rede) rufen’ 9. ich pring dich hie in todes pein, / das du must waffen gelfen V I R G (S T ) 738,6; du: NGnom/ Agens, waffen: NGakk/ Inhalt 10. ir maug unnd man gunden gelffen / ‘wir seyen von hertzen fro […].’ F R S C HW 5096. ‒ 191 2. Probeartikel zum Mittelhochdeutschen syntaktischen Verbwörterbuch (MSVW) ir maug unnd man: NGnom/ Agens (Menschen), NS/ Inhalt [subst. Inf.: wir erhůben ain ander gelffen: / er solt mit uns keren zů lannd F R S C HW 1808; hoͤr meiner wort gelffen: / durch dich trag ich mein leben fail ebd. 4308] 3 refl., ‘über etw. (Gen.) fröhlich sein’ 11. ir list si [Ratte] nuͤt konde helffen. / dez sich der her gelffen / […] gar froͤlich begunde. / sterben muost do duͤ ratte R AT T E 34; dez: NGgen/ Grund, der her: NGnom/ Agens, gar froͤlich: AdjG/ mod/ A Zusammenfassung Mhd. gëlfen, gëlpfen Semem: ‚a (Mensch) äußert sich laut prahlend mit den Worten b‘ SBP/ TKR: NGnom (Mensch) / Agens, (NGakk, NS / Inhalt) Beispiel: a) si [Feinde] gelfent nie sô vaste b) [Maria,] der lob […] ich gelfe Nicht berücksichtigt: sich gelfen ‚sich freuen über etwas‘. 3. Probeartikel zum Historisch syntaktischen Verbwörterbuch (HSVW) (Zum Projekt HSVW vgl. Kapitel E.1.5, E.3.1 und E.4) BEFEHLEN Ahd. bifel(a)han, mhd. bevelhen, fnhd. befelen: Präfixbildung mit ahd. bizum einfachen Verb ahd. fel(a)han ‚zusammensetzen, aufschichten; kunstvoll bear‐ beiten; aufbewahren, in Verwahrung geben‘, got. filhan ‚verbergen, begraben‘, germ. *felha- (vgl. Elmar Seebold 1970: Vergleichendes und etymologisches Wörterbuch der germanischen starken Verben. The Hague/ Paris, 191‒193). 192 G. Lexikografischer Anhang DUDEN Universalwörterbuch 1. a. den Befehl, den Auftrag geben, etwas zu tun; etwas gebieten: Den Soldaten wurde befohlen, die Brücke zu sprengen. Er befahl mir strengstes Stillschweigen. Satzbauplan: Nn - P - Nd - IK b. zu einem bestimmten Zweck an einen bestimmten Ort kommen lassen, beordern: Er wurde zum Rapport befohlen. Satzbauplan: Nn - P - Na - (pNzu) 2. die Befehlsgewalt haben; gebieten: über eine Armee befehlen. Satzbauplan: Nn - P - pNüber 3. (gehoben veraltet) unter jemandes Schutz stellen, anbefehlen, anvertrauen: Ich befehle meinen Geist in deine Hände (bibl.) Satzbauplan: Nn - P - Na - pNin Helbig/ Schenkel (1973, 284): befehlen Sn, Sa/ NS daß, w / Inf, (Sd) Sn: 1. Hum, 2. Abstr (als Hum) Sa: 1. Abstr, 2. Act NS: Act Inf: Act Sd: Hum Sommerfeldt/ Schreiber (1996, 152f.): befehlen - Befehl (Feld der Mittei‐ lung/ Sprachproduktion) A ‒ Täter / Mensch, Institution: Sn B ‒ Adressat / Mensch, Institution: Sd C ‒ Thema / Geschehen: Sa/ NS (daß)/ Inf Kommentar: Die historische Entwicklung des Verbs befehlen ist geprägt durch die Ausbildung einer Polysemie (neben ‚anvertrauen‘ bildet sich ‚befehlen‘ heraus) und die Verdrängung der ursprünglichen Bedeutung ‚anvertrauen‘ durch ‚befehlen‘, die im Nhd. die Oberhand gewonnen hat und die Bedeutung ‚anvertrauen‘ als „gehoben, veraltet“ verdrängt. Die Ausbildung der Polysemie kann an den ahd. Belegen gezeigt werden: Sie geschieht dadurch, dass die Position der Rolle ‚Objekt‘ (Anvertrautes) nicht mehr nur mit Menschen, Sachen 193 3. Probeartikel zum Historisch syntaktischen Verbwörterbuch (HSVW) oder Abstraktem besetzt ist, sondern mit einem (mitgeteilten) Inhalt, den der Adressat mitteilen soll. Damit verändert sich nicht die quantitative Valenz, das Verb bleibt bis heute dreiwertig, aber es wird auch zu einem Verb der Mitteilung, und die Rolle ‚Inhalt‘ kann nicht mehr nur mit einem Nomen im Akkusativ besetzt werden, sondern der mitgeteilte Inhalt erhält Gewicht, indem er als Nebensatz oder als Infinitivkonstruktion ausgedrückt wird. Dass sich die Verhältnisse zugunsten der Bedeutung ‚befehlen‘ umkehren, wird erstmals im Frühneuhochdeutschen Wörterbuch registriert, wo dieses Semem an der Spitze des Artikels steht. Die fast völlige Verdrängung der Ursprungsbedeutung kann aus der syntaktischen Umgebung von befehlen kaum erklärt werden. Es dürften realgeschichtliche Gründe eine der Ursachen sein (z. B. Befehlen wird in der Frühen Neuzeit wichtiger als Anvertrauen); möglicherweise drängen sich allgemein die Verben der Mitteilung in den Vordergrund, und ‚befehlen‘ als Verb der Mitteilung drängte das polyseme Pendant ‚anvertrauen‘ an den Rand. Historische Satzbaupläne Das Goethe-Wörterbuch listet unter befehlen die beiden Sememe ,jemandem einen Auftrag erteilen‘ und ‚jemandem etwas anvertrauen‘ auf. Semem 1 ,jemandem einen Auftrag erteilen‘ ist in drei Sub-Sememe spezifiziert und weist vier Satzbaupläne bzw. Kasusrahmen auf: 1.1 NGn - IK bzw. Agens(Hum) - Inhalt(Konkr) Bey dem Steuerwesen macht man hier [Karlsbad] nicht viel Abschätzungs-Um‐ stände; der Kaiser befiehlt die Auflage auf ’s Bier, anstatt in Papier, künftig in Silber zu zahlen B33,5,6 August 30.4.[20] 1.2 NGn - NSdaß bzw. Agens(Hum) - Inhalt(Konkr) nach Tafel befahl die Kayserinn [von Österreich] auf die anmuthigste Weise daß ich sie [Gedichte] vorlesen sollte B23,43,16 Christiane 19.7.12 1.3 NGn - NGd - NSdaß bzw. Agens(Hum) - Adressat(Hum) - Inhalt(Konkr) er [König] befahl mir [m’impose], daß ich zwölf Modelle zu silbernen Statuen machen solle 44,43,22 Cell III 4 131,136 NachspIffland, Hagstolzen 6 [G/ Peucer] 1.4 NGn - NGd bzw. Agens(Hum) - Adressat(Konkr) sie hat den Winden befohlen 11,190,18 Stella 194 G. Lexikografischer Anhang Semem 2 ‚jemandem etwas anvertrauen‘ 2.1 NGn - NGa - NGd bzw. Agens(Hum) - Patiens(Konkr, Hum) - Adressat(Hum) [Reineke zum Widder Bellyn: ] Er [Lampe] soll euch folgen, sobald ich | Einige Sachen von Wichtigkeit ihm vertraut und befohlen ReinF VI 344. Das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch unterscheidet unter befelen acht Sememe. Die Sememe 1‒2 fallen unter die Grundbedeutung ‚gebieten, befehlen‘ (entspricht GWB Semem 1), die Sememe 3+6 haben die Bedeutung ‚anvertrauen‘ (entspricht GWB Semem 2). Die Sememe 4, 5 und 8 gehören der juristischen Fachsprache an. Das nur einmal belegte Semem 7 ist ein Phrasem: der erde befolhen werden ‚bestattet werden‘. Satzbaupläne/ Kasusrahmen (3-wertig): Semem 1: NGn - NGd - NSdas bzw. Agens(Hum) ‒ Handlung ‒ Adressat(Gott) ‒ Inhalt Semem 2: NGn - (NGd) - NSdas bzw. Agens(Hum) ‒ Handlung ‒ (Adressat) ‒ Inhalt Semem 3: NGn - NGd - NGa bzw. Agens(Hum) ‒ Handlung ‒ Adressat(Hum) ‒ Patiens(Hum) Semem 6: NGn - NGa - NGd bzw. Agens(Hum) ‒ Handlung ‒ Objekt(Konkr) ‒ Adressat(Hum) Semantisch unterscheiden sich die beiden Semem-Gruppen dadurch, dass die Sememe der Grundbedeutung ‚gebieten, befehlen‘ die semantische Rolle ‚Inhalt‘ aufweisen, die morphosyntaktisch durch NSdas besetzt ist. Die Sememe der Grundbedeutung ‚anvertrauen‘ weisen neben ‚Agens‘ und ‚Adressat‘ als dritte Rolle ‚Patiens(Hum)‘ oder ‚Objekt(Konkr)‘ auf, morphosyntaktisch als NGa markiert (keine Änderung gegenüber GWB Semem 2). Das Mittelhochdeutsche Wörterbuch unterscheidet unter bevelhen ‒ wie das GWB ‒ zwei Hauptsememe: 1. ,übergeben, anvertrauen, in Obhut geben‘ und 2. ,jmdm. auftragen, befehlen, etw. zu tun‘ - mit dem Unterschied, dass aufgrund der Belegmenge das Semem ‚anvertrauen‘ vor das Semem ‚befehlen‘ an die Spitze des Artikels gestellt wurde. Semem 1 ‚anvertrauen‘ Satzbaupläne/ Kasusrahmen: 1.1 NGn - NGa - NGd bzw. Agens(Hum) - Objekt(Hum) - Adressat(Hum) do bevalch er die guoten [Maria] / sante Johanne, si beidiu ein andere A VA LJ 154,8; 195 3. Probeartikel zum Historisch syntaktischen Verbwörterbuch (HSVW) 1.2 NGn - NGa - pNan bzw. Agens(Hum) - Objekt(Hum) - Ort(Konkr) er bevalch sîn liut und sîn lant / an sînes marschalkes hant T R 465 1.3 NGn - NGa - NGd bzw. Agens(Hum) - Objekt(Hum) - Ort(Konkr) dem tiefen sê / bevel ich ê / mîn houbet und mînen fuoz SM: G L 1: 6,6 1.4 NGn - NGa - pNzû bzw. Agens(Hum) - Objekt(Konkr) - Ort(Konkr) der nam den heiligin lîchamin unt bivalch in zû der erdin P R M D (J) 349,31 1.5 NGn - NGa - NGd bzw. Agens(Hum) - Objekt(Konkr) - Adressat(Hum) dóh ích mînen uuîngarton beuólehan hábe dén uuînzurnelon W IL L 146,1; Die Satzbaupläne 1 und 5 unterscheiden sich nur dadurch, dass die Rolle ‚Objekt‘ auf Hum bzw. Konkr restringiert ist. Demgegenüber referiert die dritte Rolle in den Satzbauplänen 2‒4 auf einen Ort, der morphosyntaktisch durch einen Dativ oder eine Präpositionalgruppe markiert ist. Semem 2 ‚befehlen‘ Die beiden Satzbaupläne/ Kasusrahmen unterscheiden sich nur in der morpho‐ syntaktischen Besetzung der Rolle ‚Inhalt‘ und werden daher zusammengefasst als: 2.1 NGn - NGd - NSdaz/ IK bzw. Agens(Hum) ‒ Adressat(Hum) ‒ Inhalt an mîne sêle bevalch er mir / daz ich den gürtel gæbe dir W I G 1371 biz […] ime ein unrechter herre beualh / ze hutene di bosen swin L ITAN 1202 Dies entspricht ‒ in anderer Notation ‒ dem nhd. Satzbauplan bei Helbig/ Schenkel: Sn, Sa/ NS daß, w / Inf, (Sd) und dem Kasusrahmen bei Sommerfeldt/ Schreiber: Täter / Mensch, Institution: Sn ‒ Adressat / Mensch, Institution: Sd ‒ Thema / Geschehen: Sa/ NS (daß)/ Inf Das Althochdeutsche Wörterbuch unterscheidet unter dem Lemma bifel(a)han zehn Sememe, von denen fünf syntaktisch aber nicht beurteilt werden können. An der Spitze des Artikels steht die Bedeutung (1.) ‚anver‐ trauen‘ mit sechs Sub-Sememen. Es folgen: (4.) ‚eine Aufgabe übertragen‘, (5.) ‚empfehlen, preisen, auszeichnen‘, (9.) ‚begraben‘ und (10.) ‚sich jmdm. empfehlen‘. 196 G. Lexikografischer Anhang Semem 1 (Nr. 1) ‚anvertrauen‘ Satzbaupläne/ Kasusrahmen: 1.1 NGn - NGd - NGa bzw. Agens(Hum) ‒ Adressat(Hum) ‒ Objekt(Hum/ Konkr) der (der Kaiser) Dioteriche ze sinen triuuon daz lant peualh . unde die liute Nb 29,22 [33,9] 1.2 NGn - NGd - NGa bzw. Agens(Hum) ‒ Adressat(Hum) ‒ Objekt(Hum) bifalah ther sun guater (Jesus) themo (einem Jünger) sina muater O 4,32,8 1.3 NGn - NGd -NGa bzw. Agens(Gott) ‒ Adressat(Hum) ‒ Objekt(Abstr) in zuein (Moses u. Aaron) beualh er (Gott) diu uuort . unde diu arende sinero zeicheno unde sinero uuundero p o s u i t in eis verba signorum suorum et prodigiorum NpNpw 104,27 1.4 NGn - NGa - pNin bzw. Agens(Hum) ‒ Objekt(Abstr) ‒ Adressat(Ort) fater, in thino henti biuiluhu ih minan geist pater, in manus tuas c o m ‐ m e n d o spiritum meum T 208,6 1.5 NGn - NGa - NGd bzw. Agens(Hum) ‒ Objekt(Konkr) ‒ Adressat(Konkr) ube du dero erdo dinen samen beuulehist . so uuagist tu be note guotiu iar . unde vbeliv si c r e d e r e s semina arvis . pensares inter se . feraces annos . et steriles Nb 56,29/ 30 [64,23] 1.6 NGn - NGa(refl) - NGd bzw. Agens(Hum) ‒ Objekt(Hum) ‒ Adressat(Gott‐ heit) tu beuulehe dih Fortunę . daz si din flage d e d i s t i te regendum Fortunae Nb 57,1 [64,27] Die sechs Satzbaupläne zum Semem ,anvertrauen‘ lassen sich in einem Satzbau‐ plan bzw. Kasusrahmen mit drei Ergänzungen zusammenfassen: NGn - NGd/ pNin - NGa(auch refl) bzw. Agens(Hum/ Gott) ‒ Adressat(Gott/ Hum/ Konkr/ Ort) ‒ Objekt(Hum/ Konkr/ Abstr). Semem 2 (Nr. 4) ‚eine Aufgabe übertragen‘ kann mit dem Kasusrahmen Agens(Hum) ‒ Adressat(Hum) ‒ Objekt(Inhalt) und mit dem (zusammenge‐ fassten) Satzbauplan 2.1 NGn - NGa/ IK - NGd daz sie behuoton siniu urchunde unde siniu gebot . diu er in beuolehen habeta custodiebant testimonia eius . et praecepta quae d e d i t illis Np 98,7; 197 3. Probeartikel zum Historisch syntaktischen Verbwörterbuch (HSVW) sito uuas ze Romo … daz man demo allero gesprachesten beualh taz sigelob . zetuonne in Capitolio Nb 74,30 [84,5] als metaphorisch zum Semem ‚anvertrauen‘ gerechnet werden, indem die Rolle ‚Objekt‘ mit einem (mitgeteilten) Inhalt (NGa siniu urchunde unde siniu gebot, IK taz sigelob zetuonne in Capitolio) besetzt ist und das Prädikat zu einem Verb der Mitteilung wird. Semem 3 (Nr. 5) ‚empfehlen, preisen, auszeichnen‘. Der Satzbauplan 3.1 NGn - NGa ist aus dem Passivsatz: saligiu uuituuua, du uone gote in allen dingen so piuolehen uuirdest oh quam beata es, vidua, quae in omnibus taliter c o m m e n d a r i s a domino! S 156,4 rekonstruiert und wird nicht weiter berücksichtigt. Semem 4 (Nr. 9) ‚begraben‘. Der einzige Belegsatz: peuelehet den toten, helfet demo nothaften S 162,23 mit dem Satzbauplan (NGn) - P - NGd kann als Phrasem den toten bifelehen ‚die Toten begraben‘ gelten, vgl. aber das fnhd. Phrasem der erde befolhen werden ‚bestattet werden‘. Semem 5 (Nr. 10) ‚sich jmdm. empfehlen‘ nu bifilu ih mih hiar then beziron allen in war, allen gotes theganon mit selben Kristes seganon O 5,25,87, Satzbauplan NGn - NGa(refl) - NGd, kann zu Satzbauplan 1.1 gerechnet und mit ‚anvertrauen‘ übersetzt werden - mit dem Unterschied, dass die Rolle Objekt/ NGa reflexiv besetzt ist. Nachtrag aus: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Neube‐ arbeitung, 4. Band, 4. Lieferung, Stuttgart 2010, Sp. 484‒489 (Schrader) 1 anvertrauen, übergeben, überlassen a jmdn., sich, etwas einer person, macht, institution, speziell der gnade gottes […] anvertrauen, in obhut geben, etwas hinterlegen. Ältester Beleg: gilampf thir zi bifelahanne minan scaz munizzerin (Tatian 149,7) b jmdm. etwas (ein amt, eine würde, eine herrschaft oder gerichtsbarkeit, ein land u. dgl.) übertragen, überantworten, zuteilen, ihm jmdn. unterstellen. ambahti imu pifolohanaz (Benediktinerregel 237,29) c jmdn., etwas einer person (über-, mit-, bei)geben; jmdn. einer person, einem gericht u. ä. überstellen. 1160 daz obiz si (Eva) ezzen began, si befalcte ez dem man (hochzeit 74,4 M) d jmdn., sich, etwas einer person zur (wohlwollenden) beachtung, erinnerung u. ä. nahebringen, empfehlen; geläufig sich etwas befohlen sein lassen. nu bifilu ih 198 G. Lexikografischer Anhang mih hiar then beziron allen in war, allen gotes theganon mit selben Kristes seganon (O 5,25,87) e einen leichnam der erde, dem feuer u. ä. übergeben, jmdn. begraben, bestatten. peuelehet den toten, helfet demo nothaften (Steinmeier 162,23) f jmdn., sich, etwas einer person, sache überlassen, anheimgeben, ausliefern, etwas jmdm. (zur entscheidung, handhabung) anheimstellen. tu beuulehe dih Fortunę . daz si din flage (Notker 1,57,1 P) g phraseologisch: jmdn., sich gott befehlen, gott befohlen. 2 auferlegen, gebieten, (be)ordern a etwas (jmdm.) zu tun auferlegen, auftragen, etwas gebieten, anordnen; älter auch, seit dem frnhd. meist ‚(jmdm. aufgrund von autorität, rang, macht mit der forderung von gehorsam) verbindlich anweisung erteilen, etwas zu tun‘; bes. militärisch ohne akk. d. sache i. s. v. ‚anweisung(en) geben‘. manegem ist pifolahan…ubarmuteo ‚committitur…[non] superbiat‘ (Benediktinerregel 279,4) b jmdn. (zu einem geschehen, in ein amt, an einen ort u. ä.) beordern, schicken, kommen lassen, jmdn. beauftragen. Deutlich faßbar erst seit d. 16. jh. 1240 der aber mich ez lêrte, dar umbe waere ich hie / bevollen ze einem jâre, daz ich ez rehte kunde (Kudrun 5,358 M./ Sch.) c etwas (jmdm.) in auftrag geben, anfordern, bestellen, wünschen; bes. zum formel‐ haften ausdruck von höflichkeit, dienstfertigkeit gegenüber einem (potentiellen) auftraggeber. 1331/ 5 …do si die dinc bevolen / hatte sust durch ihr gemach,.. (Daniel 7526 DTM) d (über jmdn.) die herrschaft, entscheidungs-, insbes. die militär. kommandogewalt haben, jmdn. anführen, befehligen. …daß du gubernator…bist. …du hast zu be‐ fehlen, und wer dir unter augen kompt, muß dir gehorsamen (Grimmelshausen, Simplicissimus, 124) 4. Probeartikel zum Kleinen historischen Valenzlexikon (KHVL) (Zum Projekt KHVL vgl. Kapitel E.1.5 und E.3.2) DANKEN 1. ,jmdm. seinen Dank für etw. aussprechen‘ Althochdeutsch: Nn+Nd; Nn+Nd+Ng/ NSdass Nn: Hum/ Abstr als Hum; Nd: Hum/ Abstr als Hum; Ng: Abstr; NSdass: Act Nn+Nd: vbe uuir gote nieth danchon in demo trvbesali (AWB) 199 4. Probeartikel zum Kleinen historischen Valenzlexikon (KHVL) Nn+Nd+Ng: thes sculun wir gote thankon (AWB) Nn+Nd+NSdass: Christiani danchont sus Christo . daz er sie geuuehselot habet (AWB) Mittelhochdeutsch: Nn+pNum; Nn+Na+Nd; Nn+Na+Ng; Nn+Nd+Ng/ pNum/ NSdass Nn: Hum; Na: Hum/ Abstr; Nd: Hum/ +Anim/ Abstr als Hum/ Abstr; Ng: Abstr; pNum: Abstr; NSdass: Act Nn+pNum: mit flisse er danket umb das (MWB) Nn+Na+Nd: swaz si gesprechen kan gein mir,/ daz sol ich allez danken ir (DWBN) Nn+Na+Ng: danke in der minnen (DWBN) Nn+Nd+Ng: du solt mir danken miner milten gaben (MWB) Nn+Nd+pNum: daz se im dancte umb sîn komn (MWB) Nn+Nd+NSdass: do begonde sie gote danken, / daz her ire in wider hatte gegeben (MWB) Frühneuhochdeutsch: Nn; Nn+Na/ Nd; Nn+Ng/ pNfür/ pNvon/ pNvorA/ NSdass/ darumNSdass; Nn+Na+Nd; Nn+Nd+Ng/ pNfür/ pNob/ pNüberA/ D/ pNum/ pNum … wegen/ pNum … willen/ pNvon/ pNvorA/ NSdass/ dafür‐ NSdass/ darüberNSdass/ darumNSdass/ dazuNSdass/ desNSdass Nn: Hum/ Abstr als Hum; Na: Hum/ Abstr; Nd: Hum/ Abstr als Hum; Ng: Abstr; pNfür: Hum/ ‒Anim/ Abstr als Hum/ Abstr; pNob: Abstr; pNüberA: Hum; pNüberD: Abstr; pNum: Hum/ Abstr; pNum … wegen: Hum; pNum … willen: Abstr; pNvon: Abstr; pNvorA: Abstr; NSdass/ dafürNSdass/ darüberNSdass/ darumNSdass/ dazuNSdass/ desNSdass: Act Nn: am morgen czogen die geste weg und danckten nit gar sehr (DWBN) Nn+Na: wir dich .. werden zu danken haben (DWBN) Nn+Nd: Nu wil ich dem HERRN dancken (Luther-Bibel) Nn+Ng: […] und gleych wie wyr dancken sollen der gnade, die wyr gehabt haben, […] (Luther) Nn+pNfür: Was solte ich denn verlestert werden vber dem da fur ich dancke? (Luther-Bibel) Nn+pNvon: […], das er […] rhuͤmet und dancket nicht von der Gnade, sondern von seinem fasten und guten Wercken, […] (Luther) Nn+pNvorA: du wuͤrdest den gerne vor den friede dancken […] (Luther) Nn+NSdass: Vnd die Feinde […] danckten / das die […] sich nicht an jnen recheten (Luther-Bibel) Nn+darumNSdass: […], die […] sind fro und dancken druͤmb, das sie zum rechten verstande komen (Luther) 200 G. Lexikografischer Anhang Nn+Na+Nd: dise menschen danckent Cristo sin liden ǒch al zů mole nv́t (DWBN) Nn+Nd+Ng: si dankten im der rede ser (FWB) Nn+Nd+pNfür: SO dancke ich auch dir mit Psalterspiel fur deine Trewe (Lu‐ ther-Bibel) Nn+Nd+pNob: […], das du Christum erkennen und got drob dancken magist […] (Luther) Nn+Nd+pNüberA: […], alßo ists auch eyn seltzam hohe werck, gott tzu dancken ubir denselben Christum […] (Luther) Nn+Nd+pNüberD: Alhie dancket und preiset er Gott uber der herrlichen wolthat, gnade und barmhertzigkeit, […] (Luther) Nn+Nd+pNum: […] darinnen man Got vmb seine wolthaten dancken […] soll (FWB) Nn+Nd+pNum … wegen: Aber umb des Sons wegen wil Jch dir dancken in ewigkeit (Luther) Nn+Nd+pNum … willen: Jch dancke dem HERRN vmb seiner gerechtigkeit willen (Luther-Bibel) Nn+Nd+pNvon: […], davon yhr Gott billich dancken und loben solt […] (Luther) Nn+Nd+pNvorA: Nach diesem / begaben sich beyde Parteyen wieder anheim / dankten ihren Bundsgenossen vor die huͤlfe (FWB) Nn+Nd+NSdass: er danket gote, daz er in dâ vor bewart hât (FWB) Nn+Nd+dafürNSdass: […], das sie lernen […] Gott dafür dancken, das er so grosse Herrn dazu verordnet hat, […] (Luther) Nn+Nd+darüberNSdass: JCH dancke dir darüber / das ich wünderbarlich ge‐ macht bin (Luther-Bibel) Nn+Nd+darumNSdass: […], wie wir Got drumb sollen dancken, das er Vater und Mutter […] uns gibt, […] (Luther) Nn+Nd+dazuNSdass: […] das du solch werck von hertzen gerne thetest und Gott dazu danckest, das du solcher gnaden wird bist (Luther) Nn+Nd+desNSdass: got, des sei dir gedanket, daz dû armuot nie versmæht hâst (FWB) Neuhochdeutsch (1650‒1950): Nn; Nn+Na; Nn+Nd; Nn+pNfür; Nn+Na+Nd; Nn+Nd+Ng/ pNfür/ pNüberA/ pNum/ pNvor/ NSdass/ dafür‐ NSdass/ esNSdass Nn: Hum; Na: Hum/ ‒Anim/ Abstr; Nd: Hum/ Abstr als Hum; Ng: Abstr; pNfür: Hum/ Abstr; pNüberA: Abstr; pNum: Abstr; pNvor: Abstr; NSdass/ dafür‐ NSdass/ esNSdass: Act Nn: Danken möchten wir, | Und sind undankbar, […] (GWB) 201 4. Probeartikel zum Kleinen historischen Valenzlexikon (KHVL) Nn+Na: so dankte er den schließer (DWBN); wie wilt du die grosze güte des herrn genug danken (DWB) Nn+Nd: Könnt’ ich, ohn’ Schranken, | Allen euch danken! (GWB) Nn+pNfür: […] und in der Freiheit meines Herzens dank’ ich […] für die glücklichen Stunden (GWB) Nn+Na+Nd: Grüse Fritzen ich dancke ihm seinen Brief (GWB) Nn+Nd+Ng: die […] ihm des segens danken (DWB) Nn+Nd+pNfür: Friederike dankte mir für die Aufmerksamkeit gegen den Vater (GWB) Nn+Nd+pNüberA: über dies wunder gott danken (DWB) Nn+Nd+pNum: allwo ich gott um meine bekehrung dankte (DWB) Nn+Nd+pNvor: danken wir gott davor (DWB) Nn+Nd+NSdass: Dankt Gott mit jedem Morgen | Daß ihr nicht braucht für’s Röm’sche Reich zu sorgen! (GWB) Nn+Nd+dafürNSdass: (Stifter) kann gott dafür danken, daß er an einem manuskript noch rechtzeitig verbesserungen anbringen darf (DWBN) Nn+Nd+esNSdass: Ich dank’s meinem Vater daß er mich auf die Welt gesetzt hat, […] (GWB) Gegenwartsdeutsch: Nn; Nn+Nd; Nn+pNfür; Nn+Nd+pNfür/ INFzu/ NSdass/ dafürNSdass Nn: Hum/ Abstr als Hum; Nd: Hum/ Abstr als Hum; pNfür: ‒Anim/ Abstr; INFzu: Act; NSdass/ dafürNSdass: Act Nn: Das Publikum dankte mit warmem Applaus. (E-VALBU) Nn+Nd: Auf der Weihnachtsfeier dankte die Firma Müller ihren langjährigen Mitarbeitern. (E-VALBU) Nn+pNfür: Der russische Kaiser dankte für den freundlichen Empfang. (E-VALBU) Nn+Nd+pNfür: Ich danke dir für das Geschenk. (E-VALBU) Nn+Nd+INFzu: Für Caulder hinterlässt er eine Nachricht, in der er diesem dankt ihn gelehrt zu haben, dass […] (E-VALBU) Nn+Nd+NSdass: "Ich habe Ihnen noch gar nicht gedankt, dass sie mich gerettet haben", […] (E-VALBU) Nn+Nd+dafürNSdass: […], um Gott dafür zu danken, "dass man dieses herrliche Bier trinken" dürfe. (E-VALBU) 2. ,jmdm./ einer Sache etw. verdanken‘ Althochdeutsch: Nn+Nd; Nn+Nd+Ng Nn: Hum/ Abstr; Nd: Hum/ Abstr als Hum/ Abstr; Ng: ‒Anim/ Abstr 202 G. Lexikografischer Anhang Nn+Nd: du hebis mir ze danchonne (AWB); noh tien after nahchomenten (Ge‐ schehnissen) nehabet si (die göttliche Macht des Wissens) zedanchonne (AWB) Nn+Nd+Ng: iih imo (Gott) ouh dinero guottato . so . daz du iro imo danchoest (AWB) Mittelhochdeutsch: Nn+Nd+Ng/ esNSdass Nn: Hum; Nd: ‒Anim/ Abstr; Ng: Abstr; esNSdass: Act Nn+Nd+Ng: nu ist dîn hant des worden bote / daz ichs danke dîme prîse (MWB) Nn+Nd+esNSdass: ich dankes mînem heile, daz ich dem tiuvel entran (MWB) Frühneuhochdeutsch: Nn+Na/ Ng+Nd Nn: Hum/ Abstr als Hum; Na: Abstr; Nd: Hum/ Abstr als Hum; Ng: Abstr Nn+Na+Nd: […] das hat sie zu danken gehabt dem Eliæ (FWB) Nn+Ng+Nd: Erstlich muͤgen wir niemand auff erden dancken solchs unradts und auffruhrs, denn euch Fuͤrsten und herrn […] (Luther) Neuhochdeutsch (1650‒1950): Nn+Na+Nd; Nn+Nd+esNSdass Nn: Hum/ ‒Anim/ Abstr als Hum/ Abstr; Na: Hum/ Abstr; Nd: Hum/ ‒Anim/ Abstr als Hum/ Abstr; esNSdass: Act Nn+Na+Nd: Deinem sanften Blicke | Dank’ ich all mein Glücke, | Mein Leben dank’ ich dir! (GWB) Nn+Nd+esNSdass: ich danke es seiner arznei, dasz ich wieder gesund bin (DWB) Gegenwartsdeutsch: Nn+Na+Nd; Nn+Nd+esINFzu/ NSdass/ esNSdass Nn: Hum/ ‒Anim/ Abstr; Na: Abstr; Nd: Hum/ ‒Anim/ Abstr als Hum/ Abstr; esINFzu: Act; NSdass/ esNSdass: Act Nn+Na+Nd: Diesem Arzt danke ich mein Leben. (E-VALBU) Nn+Nd+esINFzu: Ich danke es Herrn Müller, erfahren zu haben, dass […] (E-VALBU) Nn+Nd+NSdass: Dass sie alle nach Berlin gekommen sind, dankt "Young Euro Classic" nicht nur zahlreichen Geldgebern […] (E-VALBU) Nn+Nd+esNSdass: Der Tabellenletzte konnte es dem Erfahrenen Roussel danken, dass er in Berlin nicht ein Debakel erlebte. (E-VALBU) 3. ,jmdm. etw. vergelten, entlohnen‘ Althochdeutsch: Nn+Nd; Nn+Nd+Ng; Nn+Nd+ADVAm; Nn+Nd+Ng+ pNAi Nn: Hum; Nd: Hum; Ng: Abstr; pNAi: Abstr; ADVAm: Mod Nn+Nd: Ih meino danchon guoten (AWB) 203 4. Probeartikel zum Kleinen historischen Valenzlexikon (KHVL) Nn+Nd+Ng: mit thiu giwerkon, thaz thu uns es muazis thankon (AWB) Nn+Nd+ADVAm: nu habent sie dir ubelo gedanchot (AWB) Nn+Nd+Ng+pNAi: e danchotest du mir des uuillen mit abalaze (AWB) Mittelhochdeutsch: Nn+Nd; Nn+ADVAm; Nn+Nd+Ng; Nn+Nd+ADVAm; Nn+Ng+ADVAm; Nn+Nd+Ng+pNAi/ ADVAm Nn: Hum/ Abstr als Hum; Nd: Hum/ Abstr als Hum; Ng: Abstr; pNAi: Abstr; ADVAm: Mod Nn+Nd: daz myr got danken muoze (MWB) Nn+ADVAm: ich hân ir (der welt) gedienet vil, und wolte ir gerne dienen mê, wan daʒs übel danken will (BMZ) Nn+Nd+Ng: got iu des danken müeze (MWB) Nn+Nd+ADVAm: […] daz er im danke und lône alsô (MWB) Nn+Ng+ADVAm: sît man rehter stæte gerne danken sol (BMZ) Nn+Nd+Ng+pNAi: daʒ ich dirs iemer danke mit mînem gebet (BMZ) Nn+Nd+Ng+ADVAm: wie hastu des gedankchet mir? (MWB) Frühneuhochdeutsch: Nn+Na/ Ng+Nd; Nn+Nd+ADVAm/ damitNSdass; Nn+Nd+Ng+pNAi; Nn+Nd+pNAi+ADJAm Nn: Hum/ Abstr als Hum; Na: Abstr; Nd: Hum/ Abstr; Ng: ‒Anim/ Abstr; pNAi: Abstr; ADJAm: Mod; ADVAm: Mod; damitNSdass: Act Nn+Na+Nd: […], das mir das auch meine feind haben missen dancken (Luther) Nn+Nd+Ng: Symon, dins mals deß danck dir gott (FWB) Nn+Nd+ADVAm: wie sie (die ketzerverfolger) .. unserm euangelio auch dancken und lohnen […] (DWBN) Nn+Nd+damitNSdass: unde nu der konig Adolff om dormete danckte, das her .. hynderte on unde beschedigete on wo her mochte (DWBN) Nn+Nd+Ng+pNAi: und wurden mir des mit fluchen danken (DWB) Nn+Nd+pNAi+ADJAm: […], wyl ich üch frintlich danken mit dem gotzwortt (DWBN) Neuhochdeutsch (1650‒1950): Nn+pNinD/ ADJAm; Nn+Na+Nd; Nn+Nd+pNAi/ ADVAm; Nn+Na+Nd+ADVAm Nn: Hum/ Abstr als Hum; Na: Abstr; Nd: Hum; pNinD: Abstr; pNAi: Abstr; ADJAm: Mod; ADVAm: Mod Nn+pNinD: Julie .. dankte (Antoni) in einer herzlichen Umarmung (GWB) Nn+ADJAm: Ich […] werde thätig danken (GWB) Nn+Na+Nd: […], weil fromme Seelen diesem Patron und der Santissima Vergine die Befreyung von der Pest danckten (GWB) 204 G. Lexikografischer Anhang Nn+Nd+pNAi: Dir kann ich nicht dancken als mit meinem ganzen selbst (GWB) Nn+Nd+ADVAm: […], wie soll ich dir danken? (DWBN) Nn+Na+Nd+ADVAm: wie dankt ers (die auszeichnung) ihm? (DWBN) Gegenwartsdeutsch: Nn+Na+Nd; Nn+Na+pNAi; Nn+Nd+esNSdass; Nn+Na+Nd+pNAi/ ADVAm/ dadurchNSdass/ damitNSdass/ NSindem Nn: Hum/ +Anim/ ‒Anim/ Abstr als Hum; Na: Abstr; Nd: Hum; pNAi: +Anim/ ‒Anim/ Abstr; ADVAm: Mod; dadurchNSdass/ damitNSdass/ esNS‐ dass/ NSindem: Act Nn+Na+Nd: Niemand wird dir deine Mühe danken. (VALBU 289) Nn+Na+pNAi: Gute Pflege dankt die Zimmerlinde durch hübsche, reinweiße Trugdolden, […] (E-VALBU); Hunde danken eine gute Behandlung mit Anhäng‐ lichkeit und Treue. (E-VALBU) Nn+Nd+esNSdass: Der alte Mann hat es seiner Tochter nicht gedankt, dass sie ihn gepflegt hat. (E-VALBU) Nn+Na+Nd+pNAi: Frau Müller umsorgt ihren Mann rund um die Uhr, und er dankt es ihr mit den wenigen Gesten der Zuneigung, die er noch ausführen kann. (E-VALBU) Nn+Na+Nd+ADVAm: Wie soll ich Ihnen Ihre Güte jemals danken? (E-VALBU) Nn+Na+Nd+dadurchNSdass: Er dankte seinen Freunden die frühere Hilfe dadurch, dass er sie jetzt immer wieder förderte. (E-VALBU) Nn+Na+Nd+damitNSdass: […], und das Parteivolk dankte es ihr damit, dass es seine unverwüstliche "Maggie" triumphal feierte. (E-VALBU) Nn+Na+Nd+NSindem: Die Partei dankte es ihrem Vorsitzenden, indem sie ihn vor zwei Jahren mit 97 Prozent wiederwählte. (E-VALBU) Diachrone Entwicklung Für das Semem 1 zeigt sich, dass danken einbis dreiwertig verwendet werden kann (mit Ausnahme des Ahd. und Mhd., für die der einwertige Gebrauch nicht belegt werden konnte). Mit dem Dativobjekt konkurriert im Mhd., Fnhd. und Nhd. das Akkusativobjekt; laut DWBN komme das Akkusativobjekt im Mhd. vereinzelt vor, vom 15. bis ins 18. Jh. sei der Akkusativ nicht ganz selten. Der Gebrauch des Genitivs als Objektkasus reicht vom Ahd. bis zum Nhd., neben ihm taucht aber schon im Mhd. ein Präpositionalobjekt mit um auf. Diese Präposition, die sich bis zum Nhd. erhält, hat schon im Fnhd. mehrere Konkurrenten, und zwar für, ob, über, um … wegen, um … willen, von und vor. Die Präpositionen im Nhd. sind (außer um) für, über und vor, heute wird im Präpositionalobjekt nur für verwendet. Die frühere Vielfalt der Präpositionen kommt auch bei den Korrelaten des dass-Satzes zum Vorschein: Im Fnhd. erscheinen die Präpositionaladverbien dafür, darüber, darum und dazu als 205 4. Probeartikel zum Kleinen historischen Valenzlexikon (KHVL) Korrelate. Weitere Korrelate des dass-Satzes sind das fnhd. des und das nhd. es, im gegenwärtigen Deutsch wiederum ist dafür die einzige Repräsentationsform des Korrelats. Anstelle des dass-Satzes ist heute der Infinitiv mit zu möglich, entweder mit oder ohne Korrelat (allerdings wird im E-VALBU kein Beispiel für eine Infinitivkonstruktion mit dafür als Korrelat angeführt). ‒ Eine Besonderheit stellt im Mhd., Fnhd. und Nhd. die Valenzumgebung Subjekt + Akkusativobjekt + Dativobjekt dar. Hier ersetzt das Akkusativobjekt entweder das Genitiv- oder das Präpositionalobjekt. Im Falle des Semems 2 nimmt danken normalerweise drei Ergänzungen zu sich (das Ahd. bildet hier mit seinen zwei Belegen für die Zweiwertigkeit eine Ausnahme). Die dritte Ergänzung ist im Ahd. und Mhd. ein Genitivobjekt, im Fnhd. daneben ein Akkusativobjekt, das im Nhd. und Gegenwartsdeutschen die Norm darstellt. Erscheint anstelle eines Akkusativobjekts ein Nebensatz mit dass, steht vor ihm das Pronomen es als obligatorisches Korrelat, wenn der Satz hinter dem Prädikat steht. Geht der Nebensatz dem Prädikat voraus, muss das Korrelat wegfallen (vgl. die Belege im Mhd., Nhd. und heutigen Deutsch). Beim Semem 3 besteht die quantitative Valenz von danken aus zwei bis vier Ergänzungen; dabei ist der drei- und vierwertige Gebrauch für alle Sprachstufen nachweisbar. Das Sachobjekt steht im Ahd. und Mhd. im Genitiv, im Fnhd. ist der Kasus entweder Akkusativ oder Genitiv, seit dem Nhd. nur Akkusativ. Das Verb kann mit einem modalen und/ oder instrumentalen Adverbial verbunden werden. Die Realisationsformen des modalen Adverbials sind das Adjektiv und das Adverb, das instrumentale Adverbial realisiert sich als Substantiv mit den Präpositionen durch bzw. mit, als dass-Nebensatz mit Korrelat oder als Nebensatz mit der Konjunktion indem. 206 G. Lexikografischer Anhang Literatur zur Historischen Valenz Admoni, Wladimir (1984): Valenzausgerichtete Erforschung der Geschichte des deut‐ schen Sprachbaus. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 103, 420-430. 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Sommerfeldt, Karl-Ernst/ Schreiber, Herbert (1996): Wörterbuch der Valenz etymologisch verwandter Wörter. Verben, Adjektive, Substantive. Tübingen. 2. Korpora DWDS = Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute. www.dwds.de/ r MHDBDB = Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank. http: / / mhdbdb.sbg.ac.at MWV = Elektronisches Belegarchiv des Mittelhochdeutschen Wörterbuchs. http: / / www.mhdwb-online.de/ lemmaliste.php? buchstabe=A Luther-Korpus von Jarmo Korhonen 224 Verzeichnisse Verfasser- und Quellenregister (Erfasst werden nur Verfasser und Texte, die im vorliegenden Buch ausführlich analysiert sind, nicht die in den Probeartikeln, siehe Kapitel G, zitierten Quellen.) Althochdeutsche Gebete 36, 135 Althochdeutsche Rezepte und Zaubersprüche 36 Althochdeutscher Isidor 36, 103ff. Althochdeutscher Tatian 103f., 128f., 133, 164, 169-172, 177, 198 Bruder Bertholds „Rechtssumme“ 36, 53, 81 Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin 36, 140 Einheitsübersetzung der Hl. Schrift 125ff. Evangelienbuch siehe Otfrid von Weißen‐ burg Frühneuhochdeutsche Benediktinerregel 36, 140 Goethe, Johann Wolfgang von 19f., 27, 158, 161-164, 168ff., 194 Gotische Bibel 36, 93 Gottfried von Straßburg, Tristan und Isolde 15, 123, 170 Grimm, Jacob und Wilhelm 20, 29, 108, 117, 144, 146, 148, 198 Hartmann von Aue 15, 36, 160ff., 164, 169f., 172 Heinrich von Morungen 36, 51ff., 76, 137 Hildebrandslied 22, 36, 44, 133, 167 Legenda aurea 36, 53, 157 Leipziger Zeitung 36, 69, 144, 158 Luther, Martin 9, 16f., 27, 29, 35f., 41, 54f., 71ff., 78-82, 84, 97ff., 101, 114ff., 141, 153, 155, 157, 160, 162, 166-176, 180f., 184, 200f., 203f. Luther-Bibel 16f., 36, 78, 81, 97, 101, 115f., 155, 157, 162f., 167-170, 180f., 200f. Meister Eckhart 16, 106f. Mittelhochdeutsche/ Mittelniederdeutsche Kochbuchtexte 36, 136, 157 Nibelungenlied 15, 35f., 45, 51, 122f., 137, 157, 160ff., 165ff., 169, 172 Notker III. 14, 22, 164ff., 170, 177 Österreichische Reimchronik 36, 137 Otfrid von Weißenburg 9, 22, 24, 35f., 40, 49f., 71f., 95f., 101, 103f., 124f., 128f., 133, 153, 161, 165, 167, 169f., 172, 175f., 184 Schiller, Friedrich von 19, 27, 161ff., 168, 170, 172 Wieland, Christoph Martin 19, 161, 163, 170, 187 Wolfram von Eschenbach, Parzival 15, 123, 130, 162, 164, 166, 169f., 172 Sachregister absolut 135, 143, 146 Adressat 74ff., 124f., 149, 176f., 191, 193- 197 Adverbgruppe 40 Adverbial 35, 50, 62, 68, 72, 77, 79, 84f., 113, 136ff., 156, 165, 170, 174, 206 Adverbphrase 31 Agens 33, 45, 54, 62, 68, 73-76, 103, 109, 121-125, 127, 131f., 149, 152, 173, 176f., 190ff., 194-197 Akkusativergänzung 33, 51, 107, 128 Akkusativ mit Infinitiv 88, 173f. Akkusativobjekt 33f., 77-84, 87, 89f., 109, 114ff., 118, 120, 137, 139, 147f., 159, 161-168, 171, 173, 178f., 182, 205f. Akkusativprädikativ 80, 84 Aktant 32ff., 37, 45 Aktiv 37, 39, 57, 59, 107 aktivisch 39, 41, 56, 61-64, 69, 77, 85f., 140 Althochdeutsch 13f., 25, 36, 49, 73, 94, 102, 111, 133-136, 148f., 153, 156, 177-180, 185, 189, 196, 199, 202f. Altsächsisch 13, 16, 22, 25, 176 Analogie 173 analytisch 173f. anaphorisch 128f. Angabe 32ff., 37, 44, 46, 50, 53ff., 57, 63, 72f., 127, 134, 137, 140, 142, 170 Angabe, 2. Grades 61 Angabeklasse 140 Angabesatz 55, 59 Argument 31f., 45, 137 Argumentstrukturkonstruktion 131 asyndetisch 128 Attribut 77, 82f., 107, 123, 136, 159, 172, 174f. Attributsatz 44, 59 Basisverb 105, 107f. Bedeutungsveränderung 82, 91, 93-102, 184 Dativattribut 81 Dativergänzung 33, 104, 113, 183 Dativobjekt 33, 41, 43, 78, 80-85, 87, 119f., 160, 162f., 165f., 171, 173f., 178f., 182, 205f. Dativprädikativ 79 deadjektivisch 171 Dependenz 35, 90 Dependenzgrammatik 31 Derivat 144 deverbal 124f., 171 diachron 9, 22, 29, 35, 44, 71, 92, 100, 144, 155f., 158, 176f., 182, 187, 205f. dreigliedrig 80, 83f. dreistellig 75, 77, 110, 176 dreiwertig 32, 106, 111, 113, 115, 118, 122, 136, 142, 147, 163, 165f., 179, 182, 194, 205 Dreiwertigkeit 139, 180 Einfachsatz 36, 43ff., 50 eingliedrig 78, 80f., 89f. Einheitsplural 84, 102 Einheitssingular 84, 102 Einordnungsergänzung 33, 40 einstellig 73, 76, 84, 110 einwertig 78, 108, 115, 117, 121f., 135, 139, 142, 147, 160f., 166, 178, 182, 205 Einwertigkeit 143, 146, 179 Elementarsatz 86 Ergänzung 10, 32ff., 37, 39f., 45f., 50-53, 55-61, 68-71, 73, 75-82, 84f., 91ff., 99f., 105ff., 109-114, 116ff., 120, 122f., 126f., 131, 133f., 137, 140-143, 147, 149, 152, 155f., 159ff., 165, 167, 170f., 176, 178- 184, 197, 206 1. Grades 39, 81 2. Grades 40, 81 fakultative 37, 50, 91, 109, 113, 137, 142, 152, 155f. obligatorische 37, 50, 91, 136f., 155, 182 Ergänzungsklasse 33, 51, 55, 78, 80f., 117f., 137, 143, 156, 158, 170, 172, 176-179, 182f. Ergänzungssatz 40, 140 Ersatzkompetenz 37, 45f., 48, 109, 132 Ersetzungsprobe 31 Existenzialsatz 89f. Experiencer 185ff. Experiens 33 fakultativ 37, 41, 50, 109, 113, 135, 137, 142, 156, 159, 168, 182 Formalsubjekt es 160 Frühneuhochdeutsch 13, 16, 26f., 53, 73, 77-85, 97, 105, 114, 139f., 142, 153, 177- 180, 186, 194f., 200, 203f. Funktion lokale 170 semantische 164, 174 syntaktische 40, 60, 77, 111, 150, 159, 174 Funktionsverb 121, 124f. Funktionsverbgefüge 32, 37, 111, 121, 124, 143 Gegenwartsdeutsch 80, 92, 100, 118-121, 156, 170, 178-182, 202f., 205f. Genitiv objektiver 171f. subjektiver 171f. Genitivattribut 81f., 89, 106f., 159, 171, 174 Genitivergänzung 33, 112, 128, 140, 176, 183 Genitivobjekt 33, 37, 78-85, 87, 90, 112, 114, 117ff., 139, 161, 163-166, 170f., 173f., 178-181, 206 Genitivprädikativ 77, 79, 169 Genitivsubjekt 159 Genitivus objectivus 81, 107 subjectivus 81, 142 Genus Verbi 37, 59, 158 Gesamtvalenz 155f., 177-180 Gliedsatz 41, 44, 57, 61, 77, 91 Grundvalenz 126 Hauptlemma 133f., 153 Hauptmodell 39, 56f., 61-64, 67 Hauptsatzobjekt 112 Haupt-Valenzträger 57, 61 Hilfsverb 32, 52, 57 Idiom 111 inchoativ 124 Infinitiv einfacher 79, 161, 166, 170ff. mit zu 68, 79, 161, 166, 170ff., 206 Infinitivattribut 172 Infinitivkonstruktion 31, 57, 91, 105, 119, 134, 182, 194, 206 Infinitivobjekt 77, 79, 111, 115, 118ff., 139, 148, 166f., 171, 178f., 181 Infinitivpartikel 166 Infinitivsatz 134, 148 ingressiv 88, 124f. Inhalt 63, 74f., 91, 99, 104, 111, 123, 176f., 183, 191f., 194-198 intransitiv 86, 90, 107, 162 Isotopie 125ff. Junktor 52f. Kasusobjekt 33, 80, 82, 141, 166 Kasusrahmen 34, 124, 154, 186, 194-197 227 Sachregister Kasussynkretismus 84, 102 kataphorisch 129 kausativ 54, 88, 109, 121f., 127, 185 Klassem 50, 125ff. kohärent 125, 130 Kollokation 111, 143, 146 Kommutation 31 Komplement 32ff., 109f., 184 Konstruktionsgrammatik 131 konstruktionsgrammatisch 132 Kontamination 173 Kontext 34, 53, 157 Kopula 81, 87f., 90 Koreferenz 125, 128 Korrelat 57, 68, 79, 91, 112, 114-117, 119f., 137, 139, 166ff., 171, 178ff., 205f. Kotext 102, 106, 134 Leerstelle 31, 33, 50, 111, 131, 149 Lemma 50ff., 133, 140, 148, 150, 152f., 156, 196 logisch-grammatischer Satztyp 86-90 Mittelhochdeutsch 13-16, 26, 51, 76f., 96f., 105ff., 112ff., 136-139, 150-153, 156f., 177-180, 186, 190ff., 195f., 200, 203f. Mittelniederdeutsch 13, 16, 26, 157 Modalitätsangabe 134, 149 Modalverb 32, 57, 60, 63, 88, 166 Modalwort 33f. Morphem 52, 91, 102 morphosyntaktisch 11, 34, 40, 44, 46, 49f., 52, 55f., 60, 63, 71, 73, 77, 82, 92, 103, 133ff., 137, 149, 156, 159, 168, 177, 184f., 187, 195f. Morphosyntax 49 Nebenmodell 39f., 56f., 63 Nebensatzattribut 172 Nebensatzobjekt 40, 112, 115f., 119f., 178 Nebensatzsubjekt 120, 179 Negationspartikel 55, 58, 72, 164 nektiert 60f. Nektion 114 Nennform 113f., 182f. Neuhochdeutsch 13, 18-22, 27f., 116ff., 144, 177-181, 186f., 201, 203f. Älteres 18f., 27, 69ff., 85f., 110, 129, 144, 155, 158f., 161ff., 166, 168ff., 172, 186 Jüngeres 18ff. Nomen Actionis 171 Nomen Agentis 171 Nominalgruppe 22, 34, 40, 43f., 51, 73, 86, 105, 107 Nominalphrase 31, 133f., 137, 140 Nominativergänzung 51, 135, 140 Nominativprädikat 87 Nominativsubjekt 77-81, 83-89, 160f., 173 Nukleus 31, 61 nullwertig 37 Oberflächenkasus 33 Objekt 35, 40f., 62, 68, 77, 82, 85ff., 89f., 103, 105, 107, 111-116, 118, 120, 128, 136, 138f., 145f., 149, 152, 161, 163, 166f., 171, 174f., 178ff., 182-187, 193, 195-198 direktes 87, 90 indirektes 87 Objektergänzung 112, 119f. Objektklasse 111-116, 139, 171 Objektsprädikativ 53, 136, 168f. obligatorisch 37, 41, 50, 79, 91, 106, 115, 136f., 142, 155, 166, 177, 182, 206 okkasionelle Impersonalia 160 Ort 67, 103f., 126f., 137, 191, 193, 196f. Partikel 52, 91, 102, 104, 140, 161, 166 partitiv 79, 87ff., 129, 159, 164, 169 Partitivität 129, 164, 174 Partizipialkonstruktion 31 Passiv 37, 49, 59, 90, 162 passivisch 39, 41, 56f., 61ff., 67, 85, 138, 140 Patiens 33f., 40, 45, 74ff., 103, 121f., 127, 228 Sachregister 131f., 176f., 195 Permutation 31 Personenbezeichnung 120, 140, 183f. Personenobjekt 145, 162, 165 Phrase 31, 40 Phrasem 58, 92, 111, 114ff., 119, 134, 141, 161, 165, 177f., 180-184, 195, 198 Platzhalter 57 polysem 99, 194 Polysemie 193 Polyvalenz formale 82f., 91f., 94-102, 111f., 116 inhaltliche 91ff., 95f., 98-101 qualitative 91, 113 quantitative 91-94, 96f., 100ff., 113, 178f. Posttext 129 Prädikat 31ff., 39ff., 44f., 50f., 53f., 58, 69- 73, 77, 85f., 89f., 105f., 111, 121ff., 125ff., 131f., 144, 149ff., 158, 185, 198, 206 prädikativ 40, 56ff., 60f., 77, 81, 87ff., 136, 159 Prädikativ 35, 40, 62, 68, 77, 79, 82, 84f., 89f., 156, 168f., 174 Prädikatsverb 39, 57, 59f., 71f., 78, 86, 104, 106f., 128, 168 Präfigierung 102-105 Präfix 52, 78, 90, 102ff., 158, 162f., 175 Präpositionaladverb 59, 68, 79, 91, 114, 166f., 180, 205 Präpositionalattribut 77, 81ff., 107, 159, 172, 174 Präpositionalergänzung 33, 106, 112, 140, 142f., 182f. Präpositionalfügung 166, 173f. Präpositionalgruppe 41, 43f., 51, 70f., 104, 111, 134, 166, 186f., 196 Präpositionalobjekt 33, 41, 43, 58f., 78-85, 87, 112-120, 137, 139, 141, 148, 154, 161-166, 170ff., 174, 178-183, 205f. Präpositionalphrase 31 Präpositionalprädikativ 84 Prätext 128f. projektionistisch 131 Pronomen es 57, 78, 91, 206 Pronominalphrase 31 reflexiv 90, 123, 153, 164f., 185, 198 Reflexivität 158, 185 Reflexivpronomen 57, 79, 107, 123 Regens 131 Resultat 54, 74, 109f., 128 Rezipient 131f. rhematisch 127ff. Richtungsadverbial 79, 81 Richtungsergänzung 137 Sachbezeichnung 140, 183f. Sachobjekt 80, 83, 145, 147, 163, 165, 182f., 206 Satzadverb 33f. Satzbauplan 34, 39ff., 43ff., 49ff., 53, 71ff., 76, 86, 90, 108, 110, 118, 124f., 131, 144, 149, 153f., 157f., 175f., 185, 193-198 aktivischer 39, 56, 61-64 morphofunktioneller 40, 55f., 59-62, 68, 156 passivischer 39, 56f., 61ff., 67 Satzergänzung 137, 142 Satzform 40, 149 Satzgefüge 44, 68 Satzglied 31ff., 35, 40f., 43ff., 50f., 53f., 71ff., 77, 86, 90, 103, 106, 122, 127, 149ff., 159 Satzgliedfunktion 56, 156 Satzgliedklasse 62, 77, 82, 159-171 Satzgliedmodell 40, 54, 60, 62 Satzmodell siehe Satzbauplan Satzmuster siehe Satzbauplan Satzobjekt 167f. 229 Sachregister Satzperiode 44 Satzreihe 44, 128 semantisches Merkmal 63f., 69, 71, 124f., 137, 156 semantosyntaktisch 34, 63, 109, 140 Semem 50, 53, 133, 135f., 138f., 142f., 149, 152, 154ff., 176, 185, 187, 192, 194-198, 205f. Simplex 57, 59, 78, 103ff., 133, 144, 153f. Sprechakt 130 stabil 39, 80 Stabilisierung 85, 102, 166, 183 Stellenplan 33, 178 Subjekt 31, 33, 35, 40f., 43, 53, 57, 62, 64, 68, 70, 72-78, 80ff., 86-90, 102, 105, 107, 109, 111, 115, 118, 120f., 135, 137ff., 142, 147ff., 159ff., 168, 173f., 178, 182, 184, 187, 206 Subjektergänzung 106 subjektlos 33, 79, 83 Subjektsprädikativ 168f. Subjektspronomen 159f., 185ff. Sublemma 133 Supplement 32f., 44 synchron 9, 35, 85, 92, 100, 111, 176f. synthetisch 173 Teilobjekt 129, 164 Teilsatz 72, 128 thematisch 128f. Tiefenkasus 33, 68f., 137 Tiefenkasusrahmen 34, 45, 131 Tiefenkasusrolle 45, 63f. Totalobjekt 164 transitiv 107, 138, 162 unpersönlich 88, 160f., 163, 173, 184f., 187 Ursprungsort 76, 134 Valence Shift 175f. Valenz logisch-semantische 32, 46 pragmatische 31, 129f. qualitative 92, 113, 155f., 182f. quantitative 84, 91, 113, 155, 182, 194, 206 semantische 33, 39, 126, 149 syntaktische 137 Valenzänderung 123, 169f., 174, 176f., 182 valenzbedingt 10, 56, 58, 60, 63, 77, 79, 83f., 93, 99f., 134, 136 Valenzbegriff 12, 31, 148 Valenzentwicklung 9, 83, 145, 155, 159, 177, 180, 184 Valenzerhöhung 84, 110, 121, 182 valenzgebunden 32, 55, 91 Valenzgeschichte 11, 145, 154, 184-187 Valenzgrammatik 35, 51 Valenzlexikografie 9, 139, 148-157 Valenzlexikon 9, 40, 45, 50f., 133, 135f., 144, 154-157, 199-206 Valenzmarker 82, 91, 94-102, 141 Valenzminderung 37, 186 Valenzreduktion 91, 108, 121, 148, 182 Valenzstruktur 55, 103ff., 108, 135, 139 Valenzsyntax 36, 38, 52, 173f. Valenzträger 40, 51, 54, 56-64, 69ff., 77-85, 91f., 111, 121, 131, 144, 155f., 158f., 177, 184 1. Grades 81 2. Grades 81 Valenzwandel 9, 35, 132, 145, 153ff., 159- 184 Valenzwörterbuch 12, 28, 32, 35, 43, 51f., 132, 148-154, 156f., 184 Variation 63, 82-85, 91f., 99f., 102, 110, 124, 165, 176 Verb trennbares 52, 57, 78, 102, 105, 108, 144 untrennbares 108 Verb-Aktanten-Konstellation 34, 39ff., 230 Sachregister 43ff., 73-76, 109 Verbalabstraktum 105-108, 157 Verbalsubstantiv 171f. Verbphrasem 111-114, 116, 118, 140f., 144, 155, 157, 171, 175, 177, 180, 182f. Verbzusatz 40, 52, 57, 59, 102, 104f. Verschiebeprobe 31 Verweislemma 133 vierstellig 73, 76, 110 vierwertig 32, 136, 161, 206 Vierwertigkeit 136, 139 Vorerwähntheit 128f. Vorgangsträger 54, 73, 109f. Wertigkeit 31, 37, 52, 106, 123, 150 Wortfeld 35, 109ff., 131, 149f. Ziellokativ 124 Zustandsträger 45, 73ff. zweigliedrig 81, 83ff. zweistellig 74, 76, 84f., 110, 176 zweiwertig 32, 45, 85, 106, 111, 115, 118f., 121ff., 126, 136, 147, 160-164, 177f., 181ff., 185 Zweiwertigkeit 139, 206 231 Sachregister ISBN 978-3-8233-8478-6 Das Interesse für die Anwendung der Valenztheorie auf die deutsche Sprachgeschichte besteht seit etwa fünfzig Jahren. Hierdurch lassen sich Grundlagen für ein besseres Verständnis der historischen deutschen Texte schaffen: Wenn die historischen Texte der Valenzanalyse unterzogen werden, fördert die Beobachtung der semantischen und morphosyntaktischen Umgebung von Verben Erkenntnisse zutage, die in lexikalische Verzeichnisse Eingang finden. Damit stehen syntaktisch untersuchte Verben aller Sprachperioden bereit und bieten sich zum historischen Vergleich an. Aus diesem spezifischen Blickwinkel wird der Sprachwandel erfasst und erklärt. Diese Einführung gibt einen Überblick über die Forschungsaktivitäten im Bereich der deutschen Sprachgeschichte, die auf valenztheoretischer Grundlage ausgeübt werden, z.B. in den Bereichen Syntax, Phraseologie, lexikalische Semantik und Lexikografie.