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Entwicklung von Nachhaltigkeit beim Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen

2021
978-3-8233-9505-8
Gunter Narr Verlag 
Eva Burwitz-Melzer
Claudia Riemer
Lars Schmelter

Nachhaltigkeit zielt auf Partizipation, Solidarität sowie zukunftsgerichtetes Denken und Handeln. Zunehmend wird Nachhaltigkeit auch bei der Erforschung des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen zum Thema gemacht und dabei mit dem Begriff sowohl auf Inhalte als auch auf Ziele des Fremd- und Zweitsprachenunterrichts verwiesen. Welche Leistungen können fremd- und zweitsprachendidaktische Ansätze mit Blick auf die Nachhaltigkeit des Fremd- und Zweitsprachenunterrichts vorweisen? Wo lassen sich Entwicklungsmöglichkeiten erkennen? Wo und wie können der Zweit- und Fremdsprachenunterricht zum Ziel "Bildung für nachhaltige Entwicklung" beitragen? Und wo liegen die prioritären Forschungs- und Entwicklungsbedarfe? Diese Fragen wurden im Rahmen der 41. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts bearbeitet. Der Band dokumentiert die überarbeiteten Stellungnahmen der Teilnehmer:innen.

Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Eva Burwitz-Melzer / Claudia Riemer / Lars Schmelter (Hrsg.) Entwicklung von Nachhaltigkeit beim Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen Arbeitspapiere der 41. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts Entwicklung von Nachhaltigkeit beim Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho Eva Burwitz-Melzer / Claudia Riemer / Lars Schmelter (Hrsg.) Entwicklung von Nachhaltigkeit beim Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen Arbeitspapiere der 41. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-8505-9 (Print) ISBN 978-3-8233-9505-8 (ePDF) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Inhaltsverzeichnis Vorwort 7 Mark Bechtel: Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht 9 Eva Burwitz-Melzer: Nachhaltigkeit und Fremdsprachunterricht: Zwischen Überforderung und neuen Bildungschancen 21 Bärbel Diehr: Warum Bildung für nachhaltige Entwicklung den Fremdsprachenunterricht braucht 32 Daniela Elsner: Mehrsprachig und interdisziplinär: Bildung für nachhaltige Entwicklung im bilingualen Unterricht Politik und Wirtschaft 43 Christian Fandrych: Nachhaltigkeit im Fremd- und Zweitsprachenunterricht: Sprachkonzeptionelle und sprachenpolitische Desiderate 55 Britta Freitag-Hild: Fremdsprachenunterricht global denken. Impulse aus der Bildung für nachhaltige Entwicklung und der Global Citizenship Education 67 Uwe Koreik: Kulturvermittlung im DaF-/ DaZ-Unterricht unter der Maxime der Nachhaltigkeit 77 Jürgen Kurtz: Nachhaltigkeit als Leitmotiv des schulischen Fremdsprachenunterrichts 89 Christiane Lütge: Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht: Kontexte globalen Lernens als Zukunftsperspektive? 100 Hélène Martinez: Nachdenken über Nachhaltigkeit 107 Nicole Marx: Das Pferd nicht von hinten aufzäumen! Zur Integration des Zweit- und Fremdsprachenunterrichts in BnE 120 Grit Mehlhorn: Spracherhalt - Lernzuwachs - Sprachverlust: Überlegungen zur Nachhaltigkeit aus Spracherwerbsperspektive 131 Claudia Riemer: Entwicklung von Nachhaltigkeit im und durch L2- Unterricht (DaF/ DaZ) 140 Inhaltsverzeichnis 6 Jutta Rymarczyk: Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht: Desiderat, Selbstverständlichkeit oder modische Worthülse? 152 Birgit Schädlich: Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht - Nachhaltiges Sprachenlernen? 164 Lars Schmelter: Le développement durable et l’homme révolté. L’enseignement et l’apprentissage des langues (et leurs recherche) face à l’injustice et l’absurde 175 Torben Schmidt: Transdisziplinärer Fremdsprachenerwerb im Themenfeld „Bildung für Nachhaltigkeit“ in einem digitalen, transatlantischen CLIL-Lernprojekt als Beitrag zur Ausbildung internationaler Partizipationsfähigkeit 187 Carola Surkamp: Bildung für nachhaltige Entwicklung durch kulturelles und literarisches Lernen im Fremdsprachenunterricht 197 Britta Viebrock: Nachhaltigkeit und andere Herausforderungen im fremdsprachendidaktischen Diskurs 209 Karin Vogt: Intercultural citizenship als Ziel nachhaltigen Fremdsprachenunterrichts 217 Nicola Würffel: Prinzip Nachhaltigkeit für das Lehren und Lernen fremder Sprachen 228 Adressen der Beiträger*innen und Herausgeber*innen 239 Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 243 Vorwort „Nachhaltigkeit“ ist in aller Munde. Der Begriff ist zumeist positiv konnotiert und durchdringt alle Lebensbereiche. Die UNESCO-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (2005-2014) und die 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedete „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ haben den Begriff und die mit ihm vorgetragenen 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung noch stärker in den öffentlichen Diskurs gebracht. Doch wie kann die Entwicklung von Nachhaltigkeit beim Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen verstanden und vorgenommen werden? Dies war die zentrale Frage, mit der sich die 41. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts befasste. Im Bereich des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen hat der Begriff „Nachhaltigkeit“ im Sinne der beiden oben zitierten internationalen Zielbekundungen insbesondere im deutschsprachigen Raum zunächt wenig Beachtung gefunden. Erst in den letzten Jahren mehren sich konzeptuelle und auch empirische Auseinandersetzungen mit dem Thema „Nachhaltigkeit“. Ähnlich wie der allgemeine öffentliche Diskurs ist aber auch in der Fremdsprachenforschung die Diskussion und Erforschung von „Nachhaltigkeit“ durch die unterschiedlichen Perspektivierungen und die verschiedenen mit dem Begriff verbundenen Zielsetzungen geprägt. Dies spiegelt sich in den hier zusammengetragenen Beiträgen zur 41. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts wider. Die diesjährige Frühjahrskonferenz fand, wie so vieles andere in den letzten Monaten, unter den Bedingungen und vor dem Hintergrund der weltweiten Herausforderungen der Menschheit durch ein Virus namens Covid-19 statt. Schon früh hatten die Veranstalterinnen und der Veranstalter sich darauf festgelegt, die Tagung nicht wie gewohnt in der Tagungsstätte der Justus- Liebig-Universität Gießen im Schloss Rauischholzhausen stattfinden zu lassen, sondern in einen virtuellen Konferenzraum zu verlegen. An dem ansonsten bewährten Muster, die Diskussion des Themas durch schriftliche Statements zu vorab formulierten Leitfragen vorzubereiten, wurde festgehalten. Die Diskussion dieser Statements am 25. und 26. Februar 2021 erfolgte hingegen wechselweise in kurzen Plenumsphasen und längeren Gesprächen in kleineren Gruppen als Videokonferenz. Die Leitfragen lauteten: 1. Nachhaltigkeit zielt auf Partizipation, Solidarität sowie zukunftsgerichtetes Denken und Handeln, also Schlüsselkompetenzen für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft. Zunehmend wird Nachhaltigkeit auch bei der Erforschung des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen zum Thema gemacht. In die Lehrpläne hat der Begriff spätestens seit den 2010er-Jahren seinen Eingang gefunden. Dabei Vorwort 8 wird mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ sowohl auf Inhalte als auch auf Ziele des Fremd- und Zweitsprachenunterrichts verwiesen. Welchen spezifischen Aspekten des Fremd- und Zweitsprachenunterrichts sollte bei der konzeptuellen Füllung des Begriffs „Nachhaltigkeit“ besondere Aufmerksamkeit zukommen? Wo greift „Nachhaltigkeit“ andere Begriffe und Konzepte auf bzw. erweitert und ersetzt diese? 2. Welche Leistungen können die vorliegenden fremd- und zweitsprachendidaktischen Ansätze mit Blick auf die Nachhaltigkeit des Fremdsprachenunterrichts vorweisen? Wo sehen Sie Entwicklungsmöglichkeiten und -bedarfe? 3. Wo und in welcher Weise können der Zweit- und Fremdsprachenunterricht in spezifischer Weise zum Ziel „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ beitragen? 4. Wo sehen Sie im Zusammenhang von Nachhaltigkeit beim Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen den prioritären Forschungs- und Entwicklungsbedarf? Der vorliegende Band versammelt die nach der Konferenz überarbeiteten Statements der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Gießen, Bielefeld und Wuppertal, im Sommer 2021 Eva Burwitz-Melzer Claudia Riemer Lars Schmelter Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht Mark Bechtel 1 Einleitung Der Begriff der „Nachhaltigkeit“ wird in unterschiedlichen Kontext gebraucht und entfaltet je nach Kontext eine besondere Bedeutung. Bei der Frage, welchen Aspekten bei der konzeptuellen Füllung des Begriffs für den Bereich des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen besondere Aufmerksamkeit zukommen sollte, stehen für mich zum einen das Bildungsziel, zum anderen das Lernen im Mittelpunkt. Im ersten Fall wird Nachhaltigkeit im Sinne der Bildung zur nachhaltigen Entwicklung (BNE) verstanden, einem Bildungsziel, das ökologische, wirtschaftliche, politische, soziale und kulturelle Aspekte und deren Interdependenz in globaler Perspektive beinhaltet und die divergierenden Interessen der Akteure in den Blick nimmt. Hier stellt sich die Frage, welchen Beitrag der schulische Fremdsprachenunterricht (FSU) zur Erreichung dieses Bildungsziels leisten kann. Im zweiten Fall bezieht sich Nachhaltigkeit auf den Lernprozess als solchen, wobei die Bedeutung des Verbs „nachhalten“ im Sinne von „längere Zeit andauern, bleiben“ im Vordergrund steht. Hier stellt sich die Frage, wie Lernen im Fremdsprachenunterricht gestaltet sein müsste, damit eine längere Zeit anhaltende Wirkung erzielt wird. Im vorliegenden Beitrag wird diskutiert, inwieweit bei diesen beiden Aspekten der Begriff der Nachhaltigkeit bestehende Konzepte im Bereich der Fremdsprachendidaktik aufgreift bzw. erweitert und welche Entwicklungs- und Forschungsperspektiven daraus erwachsen. 2 Nachhaltigkeit als Bildungsziel Versteht man Nachhaltigkeit als planetare Aufgabe im Sinne einer BNE, so ist damit eine Entwicklung gemeint, „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen“ (Hauff 1987; vgl. MSB NRW 2019, 8). In ihrer Empfehlung „Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Schule“ (KMK/ DUK 2007) sind gemäß der KMK und der Deutschen UNESCO-Kommission weitreichende Bildungsmaßnahmen nötig, um dieses Ziel zu erreichen. Als Bildungsauftrag wird formuliert, „Schülerinnen und Schüler zur aktiven Gestaltung einer ökologisch verträglichen, wirtschaftlich leistungsfähigen und sozial gerechten Um- Mark Bechtel 10 welt unter Berücksichtigung globaler Aspekte, demokratischer Grundprinzipien und kultureller Vielfalt zu befähigen“ (ebd., 2). In der „Leitlinie Bildung für nachhaltige Entwicklung“ von Nordrhein- Westfalen (MSB NRW 2019) werden sechs Merkmale für BNE genannt: 1. [BNE-Lernprozesse greifen] exemplarisch relevante Fragestellungen bzw. Themen aus dem gesellschaftspolitischen und fachwissenschaftlichen Diskurs in ihrer historischen, gegenwärtigen und potentiell zukünftigen Bedeutung für eine nachhaltige Entwicklung [auf]. 2. [Sie berücksichtigen] mehrere Dimensionen wie die ökologische, ökonomische, soziale, kulturelle sowie die politische Dimension und ihre Interdependenz. 3. [Sie] sind durch multiperspektivische Betrachtungsweisen hinsichtlich unterschiedlicher Denkweisen, fachlicher Zugänge und Narrative, Räume (von lokal bis global), zeitlicher Perspektiven und Interessenlagen gekennzeichnet. 4. [Sie] beruhen auf systemischem Denken und zielen darauf ab, sowohl fachlich als auch überfachlich vernetztes Wissen zu erwerben. Dabei sollte die Begrenztheit (heutigen) Wissens und (heutiger) Erkenntnisse reflektiert und dem Prozesscharakter nachhaltiger Entwicklung Rechnung getragen werden. 5. [Da die] Verwirklichung nachhaltiger Entwicklung […] mit Unsicherheiten, Widersprüchen und Risiken [einhergeht], welche zu Zielkonflikten und zu persönlichen Dilemmata führen können […], zielen BNE-Lernprozesse darauf ab, Erkenntnisse zu gewinnen und zu überprüfen, Diskurse zu führen sowie bei der Entwicklung intelligenter Lösungen kreative Wege zu gehen. 6. BNE beruht wesentlich auf eigenverantwortlichen und partizipativen Lernprozessen. Dies erfolgt mit Methoden und Arbeitsweisen, die zukunftsgerichtete Planungs- und Gestaltungsprozesse fördern (MSB NRW 2019, 14f.; Hervorhebungen i.O.). An diesem langen Zitat wird deutlich, dass es sich um ein äußerst komplexes und anspruchsvolles Bildungsziel handelt, das aktuelle Fragestellungen der Nachhaltigkeit aufgreift, die Vielzahl der Dimensionen eines Themas (ökologische, wirtschaftliche, politische, soziale, kulturelle) und ihre Interdependenz in den Blick nimmt (mehrdimensional), unterschiedliche Wissensbereiche miteinander vernetzt, die Perspektiven und Interessenlagen der einzelnen Akteure berücksichtigt (multiperspektivisch), die daraus entstehenden Konflikte und Dilemmata greifbar macht und sowohl individuelle als auch soziale Lernprozesse beinhaltet. In der „Orientierungshilfe Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Sekundarstufe I“ des BLK-Programms „Transfer-21“ (de Haan 2007) dient BNE der Ausbildung einer sog. „Gestaltungskompetenz“ (ebd., 17ff.). Darunter wird die Fähigkeit verstanden, „Wissen über nachhaltige Entwicklung an- Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht 11 wenden und Probleme nicht nachhaltiger Entwicklung erkennen zu können“ (ebd., 12). Dies impliziert, aus Gegenwartsanalysen und Zukunftsstudien Schlussfolgerungen über ökologische, ökonomische und soziale Entwicklungen in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit ziehen und darauf basierende Entscheidungen treffen, verstehen und individuell, gemeinschaftlich und politisch umsetzen zu können, mit denen sich nachhaltige Entwicklungsprozesse verwirklichen lassen (ebd., 12). „Gestaltungskompetenz“ lässt sich in zehn Teilkompetenzen ausdifferenzieren (de Haan 2007, 17ff.), die nochmals in eine Reihe von Unterkompetenzen aufgeteilt sind. Drei Teilkompetenzen werden aufgeführt, in denen sich die klassische Einteilung in Sach- und Methodenkompetenz, Sozialkompetenz und Selbstkompetenz wiedererkennen lässt. Zur ersten zählen: weltoffen und neue Perspektiven integrierend Wissen aufbauen (T1), vorausschauend denken und handeln (T2), interdisziplinär Erkenntnisse gewinnen und handeln (T3); zur zweiten Teilkompetenz gehören: gemeinsam mit anderen planen und handeln können (G1), an Entscheidungsprozessen partizipieren können (G2), andere motivieren können, aktiv zu werden (G3); die dritte Teilkompetenz beinhaltet: die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren können (E1), selbstständig planen und handeln können (E2), Empathie und Solidarität mit anderen zeigen können (E3), sich motivieren können, aktiv zu werden (E4). Die Komplexität der BNE legt nahe, dass man sich in möglichst vielen Fächern, dazu fachübergreifend und fächerverbindend sowie an außerschulischen Lernorten damit befasst (vgl. KMK/ DUK 2007, 4). In der bereits erwähnten NRW-Leitlinie (MSB NRW 2019) werden zehn Fächer aufgeführt, von Sachkunde über Erdkunde, Geschichte, Politik/ Wirtschaft, Hauswirtschaft, Technik bis hin zu Physik, Chemie, Biologie und Praktischer Philosophie, und für jedes Fach wird ausführlich beschrieben, welchen Beitrag es zur BNE leisten kann (vgl. MSB NRW 2019, 27-37). Verwunderlich ist, dass man in diesem Dokument ein Fach wie Englisch, Französisch oder Spanisch vergebens sucht. Es hat den Anschein, als traue die Bildungspolitik dem Fremdsprachenunterricht in diesem Bereich nicht besonders viel zu. Offensichtlich wurde übersehen, dass es in den fremdsprachlichen Fächern seit über 20 Jahren das Konzept des interkulturellen Lernens (vgl. Bredella 2017) und der interkulturellen kommunikativen Kompetenz (vgl. Freitag-Hild 2017) gibt, mit dem eine Reihe der im Zusammenhang mit BNE für die Sekundarstufe I aufgeführten Teilziele der „Gestaltungskompetenz“ abgedeckt werden können. Spätestens mit der Veränderung des Leitbildes vom native speaker zum intercultural speaker Mitte der 1990er Jahre ist deutlich geworden, dass sich Lernende im Fremdsprachunterricht neben sprachlichen und kommunikativen Kompetenzen auch interkulturelle Kompetenzen aneignen müssen (vgl. Mark Bechtel 12 Schmenk 2017, 144). In seinem Modell der interkulturellen kommunikativen Kompetenz, das auch den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (Europarat 2001) maßgeblich geprägt hat, unterscheidet Byram (1997) fünf miteinander verwobene Teilkompetenzen, die einen intercultural speaker ausmachen (vgl. Freitag-Hild 2017, 147ff.): Die Bereitschaft, mit Neugier und Offenheit kultureller Fremdheit zu begegnen (attitudes), muss verbunden werden mit Wissen (knowledge) über „die Art und Weise, wie Geschichte, Geographie, Politik, gesellschaftliche Institutionen, Sozialisationsprozesse und soziale Unterschiede den Alltag und die Denk- und Wahrnehmungsweisen der Angehörigen der eigenen Kultur und der Kultur des Kommunikationspartners prägen“ (ebd., 148), dazu kommt „die Fähigkeit, fremdkulturelle Dokumente oder Ereignisse zu interpretieren bzw. zu verstehen, zu erklären und mit eigenkulturellen Dokumenten und Ereignissen in Beziehung zu setzen“ (ebd., 148) (interpreting and relating) sowie „die Fähigkeit, sich neues Wissen über eine Kultur und ihre kulturellen Bedeutungen, Konzepte und Praktiken selbstständig zu erschließen […] und zur Bewältigung realer Kommunikations- und Interaktionssituationen einzusetzen“ (ebd., 148) (discovery and interaction). Diese Verbindung aus affektiven, kognitiven und handlungsbezogenen Fähigkeiten soll beim Lernenden zu einer critical cultural awarness führen, die es gestattet, die „eigenen kulturellen Werte und Normen zu relativieren und kritisch zu hinterfragen“ (ebd., 148). Im Folgenden möchte ich zeigen, welche Bezüge zwischen den Teilkompetenzen der interkulturellen kommunikativen Kompetenz, die seit 2004 in den Bildungsstandards für die erste Fremdsprache für den Mittleren Bildungsabschluss curricular fest verankert ist (KMK 2004, 16), mit ausgewählten Aspekten der „Gestaltungskompetenz“ (de Haan 2007, 17ff.) im Sinne einer BNE bestehen. Wenn für die „Gestaltungskompetenz“ beispielsweise die Anforderung festgeschrieben ist, die Schüler*innen „beschreiben und beurteilen Aspekte der Globalisierung und der Perspektiven von Ländern in ihren unterschiedlichen Entwicklungsstadien“ (T.3.6, de Haan 2007, 18), so ist dies im fortgeschrittenen FSU der Sekundarstufe I durch die Anforderung abgedeckt, dass die Schüler*innen „gängige Sicht- und Wahrnehmungsweisen, Vorurteile und Stereotype des eigenen und fremden Landes [kennen] und […] sich mit ihnen auseinander[setzen]“ (KMK 2004, 16). Die Anforderung der „Gestaltungskompetenz“, die Schüler*innen „benennen und analysieren in Gruppen differente Standpunkte zur Nachhaltigkeit auf ihre Hintergründe hin […]“ (G.1.1, de Haan 2007, 18), korrespondiert im FSU mit der Zielvorstellung, „sich in Bezug auf die Befindlichkeiten und Denkweisen in den fremdkulturellen Partner hineinversetzen“ zu können (KMK 2004, 16). Wenn bei der „Gestaltungskompetenz“ schließlich postuliert wird, die Schüler*innen „können Meinungsverschiedenheiten und Konflikte in Bezug auf Fragen der Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht 13 (nicht) nachhaltigen Entwicklung konstruktiv bewältigen“ (G.2.4, de Haan 2007, 19), dann ist auch hier ein Bezug zum Fremdsprachenunterricht zu sehen, wird von den Schüler*innen nach 5 Lernjahren doch verlangt, dass sie „kulturelle Differenzen, Missverständnisse und Konfliktsituationen bewusst wahrnehmen, sich darüber verständigen und gegebenenfalls gemeinsam handeln“ können (KMK 2004, 16). Nachdem gezeigt wurde, inwiefern das Konzept der interkulturellen kommunikativen Kompetenz wichtige Ziele der BNE aufgreift, soll im Folgenden darlegt werden, wo der Begriff der Nachhaltigkeit als Bildungsziel dem aktuellen FSU Impulse geben und damit erweitern kann. Drei Aspekte scheinen mir hier wichtig: a) der Einbezug einer globalen Perspektive, b) die Bedeutung der Thematisierung von Konflikten und c) die Notwendigkeit der Behandlung sachfachlicher Inhalte. a) Einbezug einer globalen Perspektive Ein Blick in die Lehrwerke der Sekundarstufe I zeigt, dass im Französischbzw. Spanischunterricht vorwiegend Frankreich und Spanien im Fokus stehen. Durch die Öffnung hin zu frankophonen Ländern in Afrika oder hispanophonen Ländern in Mittel- und Südamerika könnten die Schüler*innen zum einen anhand geeigneter Dokumente einen Zugang zu lokalen Auswirkungen globaler Probleme (wie z.B. Klimawandel, Müll) bekommen, indem sie sich in verschiedene Innenperspektiven von Bewohner*innen dieser Länder hineinversetzen und somit ein möglichst differenziertes Bild der Interessen und Sichtweisen der Akteure auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene bekommen. Zum anderen eröffnet sich die Möglichkeit, nicht nur die eigene Außenperspektive auf diese Probleme darzustellen, sondern diese im Lichte einer globalen Perspektive zu reflektieren, was wiederum Auswirkungen auf die eigene Innenperspektive haben kann. So könnten die Schüler*innen beispielsweise „die Hintergründe, Formen und Auswirkungen des eigenen Lebensstils und des Lebensstils anderer Personen sowie Gesellschaften auf die Lebens- und Arbeitssituation anderer Menschen sowie auf die Biosphäre [ermitteln und beurteilen]“, wie es eine der Teilkompetenzen der „Gestaltungskompetenz“ fordert (E.1.3, de Haan 2007, 20). b) Bedeutung der Thematisierung von Konflikten Der aktuelle FSU, auch wenn er interkulturell ausgerichtet sei, wird von einigen Fremdsprachenforscher*innen als „‘conflict-free’ zone“ beschrieben (Levine 2020, 77). Als Grund für die Vermeidung der Thematisierung von Problemen und Konflikten im Zusammenhang mit dem Zielsprachenland im FSU führt Levine die verbreitete Auffassung von Lehrkräften an, man dürfe den FSU nicht politisieren, eine solche Thematisierung würde vom Fremdsprachenlernen abhalten, der Motivation abträglich sein und die Lernerorientie- Mark Bechtel 14 rung untergraben, darüber hinaus seien die zu behandelnden gesellschaftlichen Aspekte zu komplex für die begrenzten Fremdsprachenkenntnisse der Lernenden (vgl. ebd.). In seinem Ansatz einer Human Ecological Language Pedagogy spricht sich Levine (ebd.) für die Überwindung eines solchen in seinen Augen apolitischen, banalen, konfliktfreien FSU aus, da er den Schüler*innen den Zugang zu tiefgreifenden Aspekten der Zielkultur, mit denen sich die Menschen, die in dieser leben, in ihrem Alltag auseinandersetzen müssen, verwehre. Hierzu führt er aus, that the instructed language learning setting already is part of the world in which so many sorts of conflicts exist and affect the lives of our students, and that discussing almost any aspect of world in which the learner’s target language is used also implies addressing aspects of conflicts, whether these are wars past or present or contemporary social problems, conflicts or inequities, and that to avoid them, or settle for taking a middle-ground approach, is to deny students access to profound aspects of the cultures and societies with which people who live in those societies must grapple as part of their everyday lives (Levine 2020, 77; Hervorhebung i.O. ). Führt man sich noch einmal die oben erwähnten Merkmale 3 und 5 der BNE vor Augen, ist offensichtlich, dass für das Konzept der BNE Probleme und Konflikte aufgrund konkurrierender Interessen und Perspektiven der beteiligten Akteure auf lokaler und globaler Ebene zur Normalität gehören (vgl. auch G.2.4, de Haan 2007, 19). Durch den Einbezug dieser Normalität könnte der FSU aus meiner Sicht bereichert werden. Dies würde sich darin niederschlagen, dass Probleme und Konflikte der zielsprachlichen Realität nicht verschwiegen, sondern angesprochen, nicht vorschnell gelöst, sondern in ihrer Komplexität betrachtet und als Antrieb für eine Reflexion darüber genutzt werden, wie es zu Veränderungen kommen könnte. Damit könnte der FSU auch einen Beitrag zu einem weiteren Aspekt der „Gestaltungskompetenz“ leisten, nämlich „Meinungsverschiedenheiten und Konflikte auf Fragen der (nicht) nachhaltigen Entwicklung konstruktiv [zu] bewältigen“ (G.2.4, de Haan 2007, 19). c) Einbezug sachfachlicher Themen Damit Schüler*innen zielsprachliche Dokumente, die die verschiedenen Dimensionen eines Nachhaltigkeitsthemas (wie z.B. Klimawandel oder Müll) behandeln, in ihrer Differenziertheit verstehen und an entsprechenden Diskursen in der Fremdsprache teilhaben können, ist es notwendig, sich das themenspezifische Fachwissen und entsprechende fachsprachliche Kenntnisse in der Fremdsprache anzueignen. Dies ist in Form von sachfachlichen Modulen möglich, die in den FSU integriert werden. Nachdem in diesem Abschnitt diskutiert wurde, welchen Beitrag der FSU für Nachhaltigkeit als Bildungsziel leisten kann und wie dies den FSU erwei- Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht 15 tern könnte, geht es im folgenden Abschnitt um Nachhaltigkeit in Bezug auf den Lernprozess als solchen und um die Frage, welche bestehenden Konzepte des FSU hierbei aufgegriffen und ggf. erweitert werden. 3 Nachhaltiges Lernen im FSU Für Stadelmann (2017, 12) darf „Lernen, das nachhaltig sein soll, […] sich nicht auf fixes, unveränderliches, isoliertes, akkumulierbares Wissen beschränken“. Entscheidend für die Nachhaltigkeit des Lernens ist für ihn, „ob das, was gelernt wurde, von den Lernenden in die Praxis transferiert werden kann und dadurch die Handlungskompetenz des Lernenden erweitert“ (ebd., 7) und ob „die Dauerhaftigkeit der Lernresultate im Hinblick auf ihre Bedeutung für zukünftig zu bewältigende Probleme“ (ebd., 7) sichtbar wird. Rihm und Häcker (2007, 204) verstehen den Begriff der „Nachhaltigkeit“ in ähnlicher Weise als „die dauerhafte und sozial verantwortete Wirkung von Bildungs-, Lern- und den damit zusammenhängenden Entwicklungsprozessen“ [Hervorhebung i.O.]. Es gehe darum, „lang andauernde und situationsübergreifende Wirkungen und Lernzuwächse zu erzielen, die auch in anderen Situationen angewendet werden können“ (ebd., 204). An den Zitaten wird deutlich, dass der Begriff der Nachhaltigkeit des Lernens das Konzept der Kompetenzorientierung aufgreift, wenn Kompetenz in einem ganzheitlichen Sinne als die Fähigkeit verstanden wird, komplexe Anforderungen und Aufgaben in einem konkreten Kontext erfolgreich zu bewältigen (vgl. Stadelmann 2017, 7). Durch den Begriff der Nachhaltigkeit erfährt das Konzept der Kompetenzorientierung gleichzeitig aber auch eine Erweiterung, da das Dauerhafte einer Kompetenz stärker betont wird (vgl. Gerdsmeier/ Köller o.J., 2): bei dem*derjenigen, den*die man als kompetent bezeichnet, hatte die Aneignung von Wissen eine dauerhafte Wirkung, da er*sie es in unterschiedlichen Situationen anwenden konnte und auch weiterhin kann. Der Begriff der Nachhaltigkeit greift ein weiteres Konzept des FSU auf, nämlich die Subjektorientierung. Stadelmann (2017, 10) betont, dass „Nachhaltigkeit […] sich immer auf Lernprozesse eines Individuums“ beziehe. Auch Gerdsmeier und Köller (o.J., 3) heben hervor, dass „für nachhaltiges Lernen eine besondere Involviertheit des Lerners in das Lerngeschehen“ kennzeichnend sei, denn erst diese Involviertheit schaffe „die Voraussetzungen für die erforderliche kognitive Aktivität und für die intendierte Intensität bei der Durcharbeitung, Anwendung und Transferierung von Wissen“. In ähnlicher Weise machen Rihm und Häcker (2007, 202) aus subjektwissenschaftlicher Sicht deutlich, dass „Lernprozesse die aktive Übernahme der Lernproblematik durch die Lernenden selbst“ voraussetze und führen dann aus: Eine solche Übernahme kommt aber nur dann zustande, wenn die Lernenden antizipieren, dass die Beschäftigung mit den Lerngegenständen bedeutsam ist, Mark Bechtel 16 aus ihrer Sicht Sinn macht. Sinn machen Lernhandlungen wiederum erst dann, wenn Lernende Anknüpfungsmöglichkeiten bezogen auf ihre jeweils eigenen Perspektiven sehen (Rihm/ Häcker 2007, 202). Das bedeutet, dass die Lernenden mit den Lerngegenständen ein individuelles Lerninteresse verbinden, dass sie sich die Lerngegenstände zu eigen machen, dass sie sie als sinnvoll erleben müssen, damit sie nachhaltig wirken. Das Motiv, d.h. der Beweg-Grund, für die Entscheidung, sich auf diesen Lern- Weg zu begeben, liegt darin, dass Lernende hinsichtlich ihrer Lebensinteressen einen sinnvollen Bezug zu den jeweiligen Lerngegenständen herstellen können. […] Lerninteresse und Lerngegenstand ,passen‘ aus der Sicht der Lernenden so zusammen, dass sie dieses Passungsverhältnis als Lernmöglichkeit an die eigene Lebensperspektive anschließen können (Rihm/ Häcker 2007, 206). Zu ergänzen ist hier, dass sich die Subjektorientierung nicht nur auf die Lerninteressen, sondern auch auf die Lernzugänge und Lernwege bezieht (vgl. ebd., 202-203). Ob Kompetenzorientierung und Subjektorientierung im Sinne eines nachhaltigen Lernens im Einklang stehen, wird vor allem davon abhängen, inwiefern die in Form von Bildungsstandards bzw. Lehrplänen staatlich festgelegten Kompetenzen mit den individuellen Lerninteressen eines Lernenden korrespondieren bzw. er*sie sich diese zu eigen gemacht hat. Ein weiterer wichtiger Faktor nachhaltigen Lernens ist die emotionale Komponente. Riemer (2016, 266) weist darauf hin, dass affektive Faktoren wie Einstellungen, Motivation und Angst nicht nur für die Bereitschaft entscheidend sind, sich auf die herausfordernde Aufgabe des Lernens einer Fremdsprache einzulassen, sondern auch für die Beharrlichkeit, diese über Jahre fortzuführen. Stadelmann (2017, 10) betont, dass „die Art und Tiefe des Lernens, also der Einspeicherung im Gehirn und die Fähigkeit des Erinnerns (bzw. die Resistenz gegen das Vergessen) sehr wesentlich vom emotionalen Zustand während des Lernens und zum Zeitpunkt des Abrufens (Erinnerns) bestimmt werden.“ Stadelmann führt weiter aus, dass die Emotionen von Lernenden bei der Informationsaufnahme und -verarbeitung als eine Art selektiver Filter wirkten. Der Filter sei „durchlässig für Erfahrungen und ‚Lernstoff‘, die mit den Emotionen der Lernenden übereinstimmen, die also nicht auf Indifferenz oder Ablehnung treffen“ (ebd., 11). Bei der Frage, welche fremd- und zweitsprachendidaktischen Ansätze geeignet sind, nachhaltiges Lernen zu fördern, möchte ich im Folgenden auf das aufgabenorientierte Lernen, auf selbstbestimmtes Lernen, Differenzierung und auf das Klassenklima eingehen. Im Zentrum des Ansatzes des aufgabenorientierten Lernens stehen komplexe, realitätsnahe kommunikative Situationen, die die Lernenden in der Fremdsprache bewältigen sollen (vgl. z.B. Bechtel 2015a; Müller- Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht 17 Hartmann/ Schocker 2016). Bei der Bewältigung solcher Lernaufgaben reicht bloßes Wissen (z.B. lexikalisches, grammatisches) nicht aus, es muss in der Verbindung mit kommunikativen Teilkompetenzen (z.B. Leseverstehen und Sprechen) angewendet werden. Es ist anzunehmen, dass der Beitrag zur Nachhaltigkeit des Lernens darin besteht, dass a) den Lernenden bewusst wird, welchen kommunikativen Nutzen die Aneignung von lexikalischem und grammatischem Wissen hat, b) sie eine Kompetenzerfahrung machen, indem sie ihr Wissen in Verbindung mit kommunikativen Fertigkeiten aktiv in Kommunikationssituationen anwenden und damit c) eine Erfahrung machen, auf die sie zukünftig zurückgreifen und auf der sie weiteres Lernen aufbauen können. Neben der Kompetenzorientierung wird bei einer komplexen Lernaufgabe auch der Subjektorientierung Rechnung getragen, da ein Merkmal guter Lernaufgaben darin besteht, dass das Thema für die Lernenden relevant und die Aufgabenstellung für sie bedeutsam ist. Es ist anzunehmen, dass sich insbesondere diese Merkmale gleichsam positiv auf das subjektive Lerninteresse auswirken und sich die Lernenden die Aufgabe zu eigen machen können. Das Konzept des selbstgesteuerten Lernens geht davon aus, dass die Lernenden ihr Lernen selbst in die Hand nehmen (vgl. Schmenk 2016, 368). Versteht man das Konzept des selbstgesteuerten Lernens nicht als Opposition zu einer lehrerseitigen Fremdsteuerung, sondern als eine produktive Verbindung von Selbst- und Fremdsteuerung, bei der immer wieder neu überlegt wird, welche Handlungen und Entscheidungen jeweils den Lernenden und welche den Lehrkräften übertragen werden sollen, können nach Gerdsmeier und Köller (o.J., 5) „die Lernenden zumindest für einen benennbaren Teil des Lernens die Verantwortung übernehmen und die Lehrenden diese Übernahme von Verantwortung unterstützen“. Wenn den Lernenden Raum und Zeit gegeben wird, „sich als Agenten im Lerngeschehen“ zu erfahren (ebd., 5), ist anzunehmen, dass das Lernen tiefere Spuren hinterlässt und dauerhaft wirkt. Das Konzept der Binnendifferenzierung versucht eine Antwort auf die individuellen Unterschiede von Lernenden einer Gruppe in Hinblick auf Leistung, Interesse, Vorwissen, Lernstil, Lerntempo, soziokulturelle Herkunft (vgl. Caspari/ Holzbrecher 2016, 11-12) zu geben, indem sie differenzierende Lernangebote macht, die eine bessere Passung mit den individuellen Lernbedürfnissen gewährleisten sollen. Es ist anzunehmen, dass Binnendifferenzierung zur Subjektorientierung beiträgt, indem sie die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Lernende einen besseren Bezug zum Lerngegenstand bekommen. Angesichts der Bedeutung von Emotionen für nachhaltiges Lernen müssten diese viel stärker als Teil des Klassenklimas bedacht werden. Zum einen geht es hier um die Lehrperson als Bezugsperson. Stadelmann (2017, 11) betont, dass sie von den Lernenden als bedeutsam erlebt werden muss. Sie sollte die Lernenden „‘emotional infizieren’ können“, und zwar durch Begeisterungsfähigkeit, Wertschätzung, Fürsorge, Empathie und fachliche Kompetenz Mark Bechtel 18 (vgl. Stadelmann 2017, 11). Zum anderen geht es um die Lernenden, bei denen die von Horwitz et al. (1986) ausgemachte foreign language classroom anxiety (z.B. Sprechangst, Verstehensangst, Angst vor negativer Bewertung) verringert und eine Lernumgebung geschaffen werden muss, die „ein intensives, möglichst positives Gefühl beim Lernprozess“ (Stadelmann 2017, 11) hervorbringt. 4 Forschungs- und Entwicklungsbedarf Um zu erforschen, welchen Beitrag der FSU zur Umsetzung von BNE leisten kann, bietet sich der Ansatz der Aktionsforschung an, und zwar als Teamforschung, bei der eine Lehrkraft, Studierende und ein*e Wissenschaftler*in zusammenarbeiten (Bechtel 2015b). Ein geeigneter Kontext könnte eine UNESCO-Projektschule sein, die sich der BNE verschrieben hat und einen Austausch mit einer Partnerschule in Mittel- oder Südamerika unterhält. Im Team wird beispielsweise ein Unterrichtskonzept zum Thema „Wald“ erarbeitet, das aus mehreren thematischen sachfachlichen Bausteinen besteht, die a) neben der ökologischen auch die ökonomische, politische, soziale, kulturelle Dimension berücksichtigen, b) die aufgaben- und kompetenzorientiert die Rezeption spanischsprachiger Dokumente und die Sprachmittlung deutscher Dokumente ins Spanische erfordern, die einerseits die Probleme und Konflikte zwischen den Akteuren vor Ort thematisieren, andererseits Zusammenhänge auf globaler Ebene verdeutlichen sowie c) eine direkte bzw. virtuelle Begegnung mit Schüler*innen der Partnerklasse einschließen. Die Begleitforschung könnte untersuchen, welche Auswirkungen der Einbezug der globalen Perspektive, die Thematisierung von Problemen und Konflikten und die sachfachliche Komponente auf die Motivation im Spanischunterricht hat und wie die Schüler*innen die Aufgaben inhaltlich, sprachlich und strategisch bewältigen. Um die Nachhaltigkeit des Lernens im FSU zu erforschen, sind Längsschnittuntersuchungen nötig. Eine Möglichkeit wäre, die Performanz eines*einer Lernenden bei der Bewältigung ein und derselben Aufgabe über mehrere Schuljahre hinweg zu erheben und zu prüfen, wie dauerhaft das Wissen und die Fertigkeiten vorhanden sind. Darüber hinaus könnte in Anlehnung an die Untersuchung von Schüßler (2004, 151) der*die Lernende befragt werden, welche Gründe er*sie retrospektiv für dauerhafte Lernerfahrungen angibt und welchen nachhaltigen Nutzen er*sie aus dem Gelernten für sich zieht. Hierbei könnte der Fokus darauf liegen zu erfahren, welche Rolle die unterschiedlichen Merkmale nachhaltigen Lernens (Kompetenzorientierung, Subjektorientierung, Emotionen) spielen. Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht 19 Literatur Bechtel, Mark (2015a): „Das Konzept der Lernaufgabe im Fremdsprachenunterricht“. In: Bechtel, Mark (Hrsg.): Fördern durch Aufgabenorientierung. Bremer Schulbegleitforschung zu Lernaufgaben im Französisch- und Spanischunterricht der Sekundarstufe I. Frankfurt: Lang, 43-82. Bechtel, Mark (2015b): „Ein Lehrerbildungskonzept zur Entwicklung, Erprobung und Erforschung von Lernaufgaben im Französisch- und Spanischunterricht. In: Bechtel, Mark (Hrsg.): Fördern durch Aufgabenorientierung. Bremer Schulbegleitforschung zu Lernaufgaben im Französisch- und Spanischunterricht der Sekundarstufe I. Frankfurt: Lang, 83-118. Bredella, Lothar (2017): „Interkulturelles Lernen“. In: Surkamp, Carola (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. 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Die Grundlage der Agenda 21 war die Erkenntnis, dass man dringend eine Verbindung zwischen ökologischen Notwendigkeiten, den ungleich verteilten Lebenschancen und entwicklungspolitischen Einsichten formulieren und diese auch in nationale Politik überführen müsse. Ein zweiter wichtiger Schritt in Richtung ‚Nachhaltigkeit‘ wurde auf internationaler Ebene mit dem Dokument Education for Sustainable Development Goals: Learning Objectives (UNESCO 2017) getan, das 17 Ziele von der Bekämpfung der Armut bis zur Friedenserziehung als Grundlagen formuliert hat; diese sollten als neue Kompetenzziele möglichst schnell in den schulischen Unterricht integriert werden. Auch die deutsche Politik und die deutsche Bildungspolitik haben sich seitdem intensiv mit dem Thema ‚Nachhaltigkeit‘ auseinandergesetzt; so haben das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und die Kultusministerkonferenz zwischen 2004 und 2015 einen Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung (Schreiber/ Siege 2016) zusammengestellt, der sich mit dem Beitrag der Schulen (hier Grund- und Sekundarschulen bis zur 10. Klasse und Berufsschulen) zur nachhaltigen Entwicklung beschäftigt. Dieser Orientierungsrahmen richtet sich an alle schulischen Akteure und soll Impulse liefern für die Entwicklung von Lehr-/ Bildungsplänen und schulischen Curricula. Die Begründung für das Dokument zeigt große und anspruchsvolle Bildungslinien auf, die einen lebensweltlich orientierten Realitätsbezug im Unterricht anstreben und auf der Grundlage bestehender Kompetenzformulierungen vermeintlich „ohne eine übermäßige Erweiterung schulischer Anforderungen“ (ibid., 17) erreicht werden sollen. Die Belange der globalen Entwicklung und der ‚Nachhaltigkeit‘ werden - entsprechend dem Grundkonsens der Staaten - im sogenannten Schwerpunkt ‚Bildung für nachhaltige Entwicklung‘ (BnE) zusammengefasst. Dabei besteht trotz der vorsichtigen Formulierungen der Verfasser des Do- Eva Burwitz-Melzer 22 kuments allerdings die große Gefahr, Einzelfächer oder Fächerkooperationen mit den ehrgeizigen Zielen der BnE zu überfrachten. Die Gefahr der Überforderung gilt auch für den Fremdsprachenunterricht, der durch seine Auseinandersetzung mit anderen Nationen und Kulturen seit vielen Jahrzehnten mit seinen ureigenen Konzepten bereits an etlichen Themen der globalen Verständigung arbeitet. Zweit- und Fremdsprachenunterricht haben sich bisher nur wenig systematisch mit dem Thema ‚Nachhaltigkeit‘ auseinandergesetzt, allerdings sollte bei diesem Urteil nicht übersehen werden, dass gerade der Fremdsprachenunterricht zahlreiche Anknüpfungspunkte an die Konzepte der ‚Bildung für nachhaltige Entwicklung‘ bietet. Neben der offensichtlichen inhaltlichen Beschäftigung mit den Themen des Umweltschutzes und der Ökologie, der digitalen Innovation sowie der Globalisierung, sind plausible Verbindungen zwischen BnE und fremdsprachlichen literaturdidaktischen Themen herzustellen, aber auch Mehrsprachigkeitsansätze, neue Konzepte zum Kulturbegriff und der Bildungsbegriff stellen wichtige Zugriffe auf den Nachhaltigkeitsdiskurs dar. Allerdings sollte man einer Integration der Ziele und Ansprüche der BnE nicht einfach vorschnell zustimmen, sondern - um einer Überfrachtung des Fremd- und Zweitsprachenunterrichts mit immer neuen Zielen und Konzepten sinnvoll zu begegnen - genau überprüfen, welche bereits bestehenden Konzepte erweitert und welche bereits operationalisierten Kompetenzbereiche gegebenenfalls angepasst werden können. Der vorliegende Artikel stellt die These auf, dass Nachhaltigkeit mit einem globalen Ansatz ohnehin ein zentrales Anliegen des Fremd- und Zweitsprachenunterrichts darstellt, das heute allerdings systematisch und sinnvoll ausgeschärft werden sollte. Er möchte ergründen, welche Entwicklungslinien es von einigen zentralen Theorien des Fremd- und Zweitsprachenunterrichts Englisch hin zu plausiblen Konzepten der BnE überhaupt gibt und wie man die Konzepte des Fremdsprachenunterrichts sinnvoll erweitern müsste, um die neuen Nachhaltigkeitsziele ohne eine Überforderung aller Beteiligten zu integrieren. Danach zeigt eine kurze Untersuchung des fachbezogenen Angebots im Orientierungsrahmen (Schreiber/ Siege 2016), welche Konzepte und Kompetenzen bisher für die Sekundarstufe I vorgeschlagen werden. 2 Die Erweiterung der Konzepte der kommunikativen und interkulturellen Kompetenz im Sinne der Bildung für nachhaltige Entwicklung Sprache und Kultur sind die Grundbestandteile einer auf globale Kontexte ausgerichteten Bildung; gleichzeitig sind sie die wichtigsten Medien, Inhalte und Themen des Fremdsprachenunterrichts. Sie werden maßgeblich gefasst von zwei basalen Konzepten des FU, der kommunikativen und der interkulturellen kommunikativen Kompetenz, die in allen bundesdeutschen Bil- Zwischen Überforderung und neuen Bildungschancen 23 dungsstandards und Kerncurricula zu finden sind, bereits im Anfangsunterricht gelehrt werden und in der Regel das gesamte Fremdsprachenstudium begleiten. Schmenk (2005, 65f.) verweist darauf, dass Begriffe der kommunikativen Kompetenz deutscher und anglo-amerikanischer Fremdsprachencurricula nicht einfach mit den Konzepten von Hymes und Habermas gleichgesetzt werden könnten, da erstere eine „utilitaristische Auffassung“ von kommunikativer Kompetenz festschreibt, die von Herrschaftsfreiheit im unterrichtlichen Kontext weit entfernt sei (ibid., 67f.). In zahlreichen Rahmencurricula findet sich noch heute die Grundidee der kommunikativen Kompetenz der 70er Jahre (vgl. Piepho 1974) verknüpft mit einem demokratischen Anspruch einerseits und einer funktionalistischen Diskursfähigkeit andererseits. Kritik an diesem einseitigen Konzept gibt es bereits seit einiger Zeit; so warnen Bredella (2005, 47-56) sowie Bonnet und Decke-Cornill (2016, 157f.) elf Jahre später vor einer Trivialisierung des Fremdsprachenunterrichts, der die Teilhabe an kulturellen Prozessen und Bildung nicht ausreichend beachtet. Solche Warnungen erscheinen heute - auch im Zuge einer Neuorientierung der Integration der Bildung für nachhaltige Entwicklung in den Fremd- und Zweitsprachenunterricht - wichtiger denn je, gilt es doch, eine Erweiterung und Ausschärfung des Konzeptes der kommunikativen Kompetenz anzugehen, die mit der Globalisierung, Medialisierung und den neuen Anforderungen an Nachhaltigkeit Schritt halten kann. Im Zuge globalisierter politischer Kontexte und Zielvorstellungen sowie weltumspannender Medien zeichnet sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts deutlich ab, dass sich Kommunikationszusammenhänge, kulturelle Beziehungen und politische Auseinandersetzungen in den letzten dreißig Jahren dramatisch verändert haben und dynamischer sind, als dies vor mehreren Jahrzehnten der Fall war. Im Zeitalter der sozialen Medien, die Fake News verbreiten, Hate-Speak und pejorisierende Sprache zu alltäglichen Instrumenten einer oberflächlichen Meinungsbildung anbieten, ist es daher - ganz im Sinne einer ‚Bildung zur nachhaltigen Entwicklung‘ - wichtig, dass mündige Bürgerinnen und Bürger solche sprachlichen Verletzungsmechanismen und Verzerrungen bei anderen Sprecherinnen und Sprechern aufdecken können und sich selbst auch ihrer sprachlichen Machtpositionen bewusstwerden. Gerade Sprachenlernende und Sprachenlehrende, die sich professionell mit Kommunikation auf einer multinationalen Ebene beschäftigen sollen, müssen in der Lage sein, hinter Formulierungen zu schauen, geschickte Manipulationen zu entdecken, unterschiedlichen (Macht-)Positionen in einer oder auch zwischen Sprachen nachzuspüren, um so schließlich auch zu einer eigenen Position zwischen den von ihnen gesprochenen Sprachen und den Kulturen, mit denen sie in schulischen oder lebensweltlichen Kontakt kommen, zu finden. Wie schwierig es ist, Fremd- und Zweitsprachenlehren mit ethischen Prinzipien und politischen Aspekten in Verbindung zu bringen, zeigt Claire Kramsch in ihrem Buch Language as Symbolic Power (2020), das an ihre bis- Eva Burwitz-Melzer 24 herigen Publikationen zur symbolischen Kompetenz von Fremdsprachenlehrenden und -lernenden anknüpft. Sie weist in der Einleitung darauf hin, dass bisherige Konzepte der strukturalistischen Sprachentheorie, der kommunikativen Kompetenz und der politischen Abstinenz im Sprachenunterricht nicht mehr greifen, weil sie die besonderen Anforderungen der heutigen globalisierten Welt einerseits und der multinationalen Situation in den Klassenzimmern andererseits nicht mehr gewachsen sind. Das Konzept der symbolischen Kompetenz, von Claire Kramsch seit 2006 bewusst neben die beiden Konzepte der kommunikativen und der interkulturellen Kompetenz gestellt und im Laufe der Jahre immer weiter ausdifferenziert, bietet sich für eine Ausweitung im Sinne der ‚Bildung für nachhaltige Entwicklung‘ an und ist als ernstzunehmender Faktor der Bereicherung bisheriger Fremdsprachenkonzepte mehrfach von Kramsch selbst diskutiert worden (Kramsch 1998; 2009; 2020; Riedner 2013, 129-151). Kramsch wendet sich mit ihrem Konzept gegen eine rein funktionale und utilitaristische Nutzung von Sprache und verweist auf die dringende Notwendigkeit, die kulturelle Vielfalt von Äußerungen, ihre Vielschichtigkeit und Komplexität zu beachten und diese auch in die fremdsprachenunterrichtlichen Kontexte zu integrieren. Kramsch legt dar, dass die symbolische Kompetenz aufdecken kann, welche symbolischen Formen und unterschiedlichen kulturellen Gedächtnisse mit unterschiedlichen symbolischen Systemen verknüpft sind, wie auch und gerade bei mehrsprachigen Kontexten eine Sprache alternative Realitäten schaffen, Machtverhältnisse verschleiern und bekannte Ereignisse in unterschiedlicher Rahmung darbieten kann (vgl. Kramsch 2020). Damit hilft Kramsch gerade Sprachenlernenden sich dessen bewusst zu werden, welche Kraft und symbolische Macht in Sprachen steckt, wie diese symbolische Kraft die soziale Realität konstruieren und beeinflussen kann und wie die symbolische Macht der Sprache sich in symbolische Gewalt verwandeln kann (vgl. ibid., 195-200). Auch die Verbindung zu einigen zentralen Nachhaltigkeitszielen der UNESCO lässt sich mit diesem Konzept der symbolischen Kompetenz gut herstellen. Geht es um eine hochwertige Erziehung, die möglichst inklusiv und für alle Nationen erreichbar sein soll, geht es um die Reduktion von Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten, geht es um Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen, die allen gleichermaßen offenstehen, so ist es offensichtlich, dass ein Bewusstsein über Sprachen, die symbolische Macht von Sprachen und Mehrsprachigkeit wichtige Teilzeile auf dem Weg zu einer nachhaltigen Ausbildung sein müssen. Dies gilt umso mehr für Fremd- und Zweitsprachenlehrende, -forschende und -lernende, deren Profession es mit sich bringt, über Sprachen nachzudenken und ihre Macht zu durchschauen. Als Konsequenz ist es heute für einen kritischen Fremdsprachenunterricht wohl unabdingbar, neben die bekannten Konzepte der kommunikativen Kompetenz von Bachman und Palmer (1996), Hymes (1972) sowie Piepho (1974) und anderen auch die symbolische Kompetenz von Sprachen als weg- Zwischen Überforderung und neuen Bildungschancen 25 weisende Kompetenz in mehrsprachigen Gesellschaften in den Grundbestand von Fremdsprachenkonzepten aufzunehmen, zu lehren und zu beforschen. Kramsch erweitert ebenfalls das Konzept der interkulturellen Kompetenz und öffnet es im Sinne eines globalisierten Anspruchs an den Fremdsprachenunterricht. Sie selbst führt in den neunziger Jahren den Begriff des „dritten Orts“ bzw. der „dritten Kultur“ in die Diskussion um eine interkulturelle Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichts ein (Kramsch 2009). Beide stellen eine Metapher für den Aushandlungsprozess zwischen den beteiligten Fremdsprachensprechern dar, die aus verschiedenen Kulturen, durchaus auch hybrider Art, stammen. Dieses Konzept steht ursprünglich in einem sehr engen Bezug zum Fremdsprachenlernen, zur kommunikativen und interkulturellen Kompetenz: The concept of third place […] or third culture was proposed as a metaphor for eschewing the traditional dualities on which language education is based: L1/ L2, C1/ C2, NS/ NNS, Us/ Them, Self/ Other. This place did not propose to eliminate these dichotomies, but suggested focusing on the relation itself and on the heteroglossia within each of the poles. It was conceived as a symbolic place that was by no means unitary, stable, permanent, or homogeneous. Rather it was seen, like all subject positions, as multiple, always subject to change and to the tensions and even conflicts that come from being ‘in between’. […] Since then the concept has been applied to the experience of immigrants and minorities in the US […] (Kramsch 2009, 199-200). Mit fortschreitender Entwicklung des Sprachenlernens und des Fremdsprachenunterrichts, insbesondere aber unter dem wachsenden Einfluss der von Computern unterstützten Kommunikation (computer-mediated communication) und der Bewusstwerdung, dass Sprecherinnen und Sprecher in allen Nationen der Welt zunehmend multilinguale und multikulturelle Sprecherinnen und Sprecher sind, dringt Kramsch auf eine Änderung ihres eigenen Konzepts, hin zu einer dynamischeren Variante, die die neuen Gegebenheiten besser berücksichtigen kann. Dabei sind für Kramsch drei Gründe ausschlaggebend: 1. Die zu statische Qualität der third place-Metapher, die nicht korrekt wiedergeben kann, dass die multilingualen Sprecherinnen und Sprecher zwischen den Sprachen (vgl. Kramsch 2009, 200) und über mehrere kulturelle und historische Grenzen hinweg agieren. 2. Die ihres Erachtens heute unzureichende Qualität der Metapher, die meist auf ein binäres Szenario aus Herkunftsland und Gastland abzielt, wobei bei einer Interaktion vor allem die ideologischen Prinzipien der kulturellen Diversität des Gastlandes berücksichtigt werden. Und 3. die mangelnde Berücksichtigung der symbolisch wirksamen Natur der multilingualen Sprecher, die es durchaus vermögen, die soziale Realität zu verändern, indem sie in mehreren kulturellen, ‚symbolischen‘ Systemen agieren. Eva Burwitz-Melzer 26 Diese multilingualen Sprecher, verfügen durch Herkunft, familiäre Beziehungen oder das Erlernen von Fremdsprachen über wertvolle linguistische Grundlagen in mehreren Sprachen. Sie benötigen zum Analysieren, Bewerten und Agieren in mehrsprachigen Kontexten eine multilinguale symbolische Kompetenz. How can symbolic forms like the sound of a word, the shape of a letter, an intonation contour, or a sudden switch of linguistic code construct attitudes, beliefs, and other psychological realities? How does semiotic power emerge through the use of symbolic form? This question is rarely discussed explicitly in language classes, even though it is easily responded to by politicians, marketing strategists, preachers and language teachers themselves, who all wield symbolic power to influence people’s desires and mover people to action - through language. For learners and users of several languages the question is: what is the nature of the symbolic power that is potentially associated with the knowledge and use of multiple languages? (Kramsch 2009, 199). In seiner Offenheit schreibt dieses Konzept kein binäres Aushandeln mehr vor und bezieht durch den Verweis auf eine „totalizing networked culture“ (ibid., 201) auch die Herausforderungen der computervermittelten Sprache und globalisierten sozialen Netzwerke mit ein. Wissen, Einstellungen und Handeln - die wir aus dem Konzept der Intercultural Communicative Competence bereits gut kennen - werden in diesem Konzept der symbolischen Kompetenz also auf eine globale, multilinguale Ebene erhoben, die aber seine Herkunft, die interkulturelle Kompetenz, nicht verleugnet, sondern neu und zeitangemessen fasst. Kramsch hat auch bereits eine Vorstellung davon, wie eine solche Kompetenz gefördert werden kann. Es überrascht nicht, dass sie seine pädagogische Förderung eng an den Umgang mit Sprachen anbindet, vor allem an einen kreativen Umgang mit ihnen, der dem Aspekt der Imagination im Lernenden eine zentrale Rolle zuweist: If being a multilingual subject means having the choice of belonging to different communities of sign users, resonating to events differently when expressed through different semiotic systems, positioning oneself differently in different languages and ultimately having the words to reflect upon this experience and to cast it into an appropriate symbolic form, then we need to revisit the notion of imagination and its link to language (Kramsch 2009, 201). Kramschs symbolische Kompetenz in das Konzept der kommunikativen Kompetenz so zu integrieren, dass es erkennbar zu einem Lernzuwachs und einem Zuwachs an Sprachen- und Politikbewusstsein führen kann, scheint eine gute Lösung zu sein. Dies erfordert zwar einerseits eine Öffnung des bestehenden Konzepts, bleibt aber andererseits fokussiert auf die innersten Belange der Fremdsprachendidaktik und -forschung, da es bei der symbolischen Kompetenz immer um ein sprachliches Bewusstwerden der Sprecher Zwischen Überforderung und neuen Bildungschancen 27 und Rezipienten der Sprachen sowie um ein mehrperspektivisches Aushandeln miteinander geht. Viele der tagespolitischen Themen, die uns aktuell im Fremdsprachenunterricht bewegen, sei es die Black Lives Matter-Bewegung, die Identitätsdiskussion oder auch die ökologische Bewegung, stellen eine direkte Verbindung zu den Zielen der BnE dar und sind gleichzeitig sprachliche Brennpunkte, die mit Hilfe der symbolischen Kompetenz näher betrachtet werden müssen, um die vielfältigen öffentlichen Diskussionen, die sich um sie herum bilden, zu verstehen. Nur wenn wir den Sprachenlernenden eine kritische Teilhabe an diesen Diskursen gewähren, indem wir ihnen die Werkzeuge der symbolischen Kompetenz an die Hand geben, wird es gelingen, im Fremdsprachenunterricht und mit dem Fremdsprachenunterricht aktuelle soziale und politische Entwicklungen nachhaltig zu integrieren. Kramsch selbst möchte das Konzept der kommunikativen Kompetenz nicht außer Kraft setzen, sie stellt die symbolische Kompetenz daneben und löst nicht das Problem, wie beides eng miteinander zu verbinden sei. So möchte sie die bisherigen fachdidaktischen Praktiken der Fremd- und Zweitsprachenlehrpersonen nicht durch neue ersetzen, sondern ihnen vielmehr eine zusätzliche Perspektive eröffnen, also eine weitere Brille anbieten, durch die die Welt der Sprachen wahrgenommen werden kann (Kramsch 2020, 203). Zu Fragen des Überprüfens und Evaluierens der symbolischen Kompetenz bei Studierenden zeigt sich Kramsch aber zurückhaltend. Sie drückt sehr klar aus, dass traditionelle Methoden wie Multiple Choice oder Cloze Tests diese Kompetenz nicht überprüfen können (ibid., 203), da die symbolische Kompetenz die interpretativen Fertigkeiten, eine hohe Sensibilität zu politischen und ethischen Kontexten sowie die Anerkennung symbolischer Komplexität erfordere (ibid.). Das von ihr vorgeschlagene Szenario zeigt den institutionellen Spagat zwischen Fremdsprachenausbildung und (ethischer und politischer) Bildung, der nicht durch discrete point testing aufzulösen ist. Ihr Konzept der symbolischen Macht von Sprache stößt an empfindliche Grenzen, wenn sie empfiehlt: „Teachers will want to make time to share with them (their students; Anm. der Autorin) during a coffee hour or an informal chat after class the insights they themselves have gained through their own experience as multilingual instructors” (ibid., 204). Auch der gutgemeinte Rat, dass die Sprachenlehrenden das institutionelle Gewissen der Akademia mit den neuen Ansprüchen an das Sprachenlernen vertraut machen sollten, um die zentrale Bedeutung des Zusammenspiels von Linguistik und Literaturunterricht anzuerkennen und zu rekalibrieren, kann nicht wirklich überzeugen. Hier müssen andere Formen des Assessments gefunden werden, die Sprachenlehrenden in der Schule und der Universität die Möglichkeit bieten, die symbolische Kompetenz mit angemessenen Überprüfungsverfahren auch zu evaluieren. Bezogen auf den Kontext der Bildung für nachhaltige Entwicklung muss die Frage aber lauten: Ist es möglich, in einem modernen Fremd- und Zweitsprachen- Eva Burwitz-Melzer 28 unterricht das Konzept der kommunikativen Kompetenz um das Konzept der symbolischen Kompetenz zu erweitern, diese Erweiterung auch inhaltlich und methodisch in das Curriculum zu überführen und einer angemessenen Überprüfung zu unterziehen? 3 Der Fremdsprachenunterricht im Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung (Schreiber/ Siege 2016) Im Orientierungsrahmen finden sich nach allgemeinen konzeptionellen Grundlagen und Beschreibungen der schulischen Rahmenbedingungen für die Primarstufe und die Sekundarstufe I fächerbezogene Angebote für die Bildung für nachhaltige Entwicklung, die sich grundsätzlich an den Kompetenzbereichen des Lernbereichs „Globale Entwicklung“, nämlich Erkennen, Bewerten und Handeln, ausrichten. Festzuhalten ist zunächst, dass die vier Autoren Becker, Börner, Edelhoff und Schröder kein Angebot für die Primarstufe unterbreiten; dies erstaunt umso mehr, als dies eine Ausnahme innerhalb der im Orientierungsrahmen abgebildeten Schulfächer darstellt. Für die Sekundarstufe I werden auf der Grundlage der kommunikativen und kulturellen Kompetenzen zunächst die drei Kompetenzbereiche (im Orientierungsrahmen nennen die Autoren diese Kompetenzen allerdings „Themenkreise“) Erkennen, Bewerten und Handeln auf den Fremdsprachenunterricht und seine Ausrichtung für die Mittelstufe bezogen. Dabei ergibt sich ein geänderter Blick auf Sprache, der Sprache als Medium globaler Auseinandersetzung betrachtet und von Lernenden der Sekundarstufe I erwartet, dass sie sprachliche und kulturelle Einflussnahmen verorten und bewerten können (vgl. Schreiber/ Siege 2016, 158). Diese grundsätzlich berechtigten Ansprüche an den Fremdsprachenunterricht zeigen die Komplexität des Themas Sprache im Zusammenhang mit Globalisierungstendenzen und Nachhaltigkeit. Sie erinnern stark an Kramschs Konzept der symbolischen Kompetenz, ohne dies jedoch zu nennen. Die Autoren des Entwurfs erwarten von den Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufen 5 bis 10 im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung und eines globalen Wirkungsgebiets sprachliche Phänomene z.B. von Manipulationen oder Machtansprüchen zu erkennen, diese zu bewerten und sinnvoll das eigene Handeln mit Sprache so auszugestalten, dass unterschiedliche Kulturen und Sprachen gleichermaßen berücksichtigt werden. Die hochgesteckten Ansprüche lassen sich insgesamt jedoch mit dem Niveau dieser Klassenstufen kaum vereinbaren, auch die Kompetenzfelder der Sekundarstufe I berücksichtigen diese Handlungsfelder nicht, deshalb beziehen die Autoren hier die weitaus komplexeren Kompetenzfelder der Sekundarstufe II in ihre Überlegungen mit ein, die allerdings im Tableau der Bildungsstandards für die Haupt- und Realschule bis Klasse 10 bisher gar nicht auftauchen (vgl. ibid., 157). Dieser unrealistische Übergriff ist dafür verantwortlich, dass auf den nächsten Seiten etwa 40 Deskriptoren aufgelistet werden, die bei Zwischen Überforderung und neuen Bildungschancen 29 genauerer Betrachtung keine Lernniveaus für die Jahrgangsstufen 5 bis 10 des Mittleren Schulabschlusses, sondern ganz unterschiedliche Lernniveaus beschreiben. Dazu sei hier ein Beispiel als Beleg angeführt. Die zweite Teilkompetenz zum Bereich „Erkennen von Vielfalt mit dem Generaldeskriptor die soziokulturelle und natürliche Vielfalt in der Einen Welt“ (Schreiber/ Siege 2016, 159) wird folgendermaßen operationalisiert: 2.1. […] Unterschiede und Ähnlichkeiten in den Lebensverhältnissen eigener und nicht vertrauter Kulturen und Länder durch Beschäftigung mit fremdsprachlichen Texten und in persönlichen Kontakten erkennen. 2.2. […] historische, geografische und ökonomische Gegebenheiten als Ursachen für sprachliche und kulturelle Vielfalt erkennen. 2.3. […] anders-/ fremdsprachliche Äußerungen als kulturspezifisch wahrnehmen (Dialekte, Soziolekte, Lexik) (ibid.). Während 2.1. mit seiner sehr offenen Formulierung durchaus bereits in der Primarstufe durch geeignete Aufgabenbeispiele erfolgreich gefördert werden kann, etwa durch das Lesen englischsprachiger Märchen oder französischsprachiger Bilderbücher, die mit den Märchen oder Bilderbüchern aus den Kulturen der Lernenden verglichen werden können, ist die Teilkompetenz 2.2. ungleich schwieriger zu erreichen, da sie komplexes Hintergrundwissen aus anderen Schulfächern und Disziplinen verlangt, über die oft erst in der Oberstufe sicher in der Fremdsprache verfügt wird. Die Teilkompetenz 2.3. dagegen kann mit geeigneten Hörbeispielen, Filmen und Aufgabenstellungen auf allen drei Niveaubzw. Schulstufen realisiert werden. Die hier dargestellten Inkongruenzen ziehen sich durch den gesamten Modellierungsversuch, der insgesamt als nicht systematisch genug bewertet werden muss. Die sprachlichen und intellektuellen Kompetenzen der Lernenden in den beiden Fremdsprachen Englisch und Französisch sowie die Wissensbestände aus anderen Schulfächern, die zur Bewältigung der Kompetenzen herangezogen werden müssen, sind nicht realistisch genug beurteilt. Obwohl die Teilkompetenzen insgesamt in einer gymnasialen Oberstufe in Grund- und Leistungskursen sicher in ihrer ganzen Bandbreite gefördert und eventuell auch erreicht werden könnten, scheint es im Kontext der Sekundarstufe I nicht angebracht, sie in einer solchen Komplexität vorzuschreiben. Vielmehr wäre es von großem Nutzen gewesen, hier eine niveaustufenartige Staffelung der Teilkompetenzen als Grundlage für spätere empirische Überprüfungen anzubieten, die für die Primarstufe, die Sekundarstufe I und II aufeinander aufbauende Teilkompetenzen modellieren. Insbesondere die Kompetenzbereiche der Sprachbewusstheit sowie der Text- und Medienkompetenz (vgl. KMK 2012) bieten sich hier an. Es wird an diesem Beispiel aus dem Orientierungsrahmen deutlich, wie wenig sich die Fachdidaktik der Fremdsprachen bisher sachkundig gemacht Eva Burwitz-Melzer 30 hat mit der Bildung für nachhaltige Entwicklung und wie wenig es ihr in diesem Dokument gelingt, realistische Operationalisierungen auf einem niedrigen bis mittleren Lernniveau zu formulieren. Fragwürdig ist auch, warum es kein französischsprachiges Lernbeispiel gibt, das unter Berücksichtigung der geringeren Anzahl von Lernjahren versucht, die Nachhaltigkeitsthematik auch für diese Sprache zu erschließen. Da auch die Entwicklung von Mehrsprachigkeit und die Gleichbehandlung aller Sprachen und Kulturen als nachhaltiges Lernziel im Sinne der UNESCO gilt, erscheint dieses Manko im Entwurf des Orientierungsrahmens besonders auffällig. 4 Schlussfolgerungen Die Fremd- und Zweitsprachendidaktik und ihre Forschung haben im Vergleich zu anderen Disziplinen einen späten Start in das Thema ‚Bildung für nachhaltige Entwicklung‘ gehabt. Diese Zurückhaltung kann jetzt aber keine Entschuldigung mehr dafür sein, sich nicht ausführlich und systematisch mit der Integration der BnE zu befassen. Dabei können die Zugriffe sowohl thematisch und inhaltlich wie auch über die ureigenen Konzepte des Fremd- und Zweitsprachenunterrichts erfolgen. Bildung für nachhaltige Entwicklung ist den Fremdsprachdidaktikern, so hat es dieser Artikel zeigen können, nicht fremd, sondern eng verbunden mit der Didaktik von Sprachen und Kulturen. Die bisher erfolgten Vorstöße im Sinne einer Kompetenzmodellierung im Orientierungsrahmen (Schreiber/ Siege 2016) bedürfen aber der Überarbeitung und der Systematisierung in Hinblick auf einen mehrstufigen Kompetenzerwerb und unter einem konsequenten Einbezug der Mehrsprachigkeitsdidaktik. Erst wenn über die Unterrichtsinhalte hinaus auch eine Kompetenzmodellierung der BnE vorliegt, kann evaluiert werden, wie Lernprozesse günstig zu gestalten sind und wie Lernzuwächse erfolgen. Eine empirische Beforschung der Kompetenzmodellierungen ist dann der nächste Schritt zu einer erfolgreichen Integration dieses neuen Lernbereichs in die Fremd- und Zweitsprachendidaktik. Literaturverzeichnis Bachman, Lyle F./ Palmer, Adrian S. (1996): Language testing in practice: designing and developing useful language tests. USA: Oxford University Press. Bonnet, Andreas/ Decke-Cornill, Helene (2016): „Inhalte zur Entwicklung sprachlicher und literarischer Kompetenzen“. In: Burwitz-Melzer, Eva/ Mehlhorn, Grit/ Riemer, Claudia/ Bausch, Karl-Richard/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. 6., völlig überarbeitete und erweiterte Aufl. Tübingen: Francke, 157-162. Bredella, Lothar (2005). „Bildungsstandards, Kernlehrpläne und bildungsrelevante Gegenstände“. 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Daher sind alle Schulformen und alle Schulfächer aufgefordert, den Lernbereich Globale Entwicklung fachspezifisch zu füllen, um BNE fachübergreifend zu fördern. Mit Lernbereich ist dabei nicht ein in den Stundentafeln gesondert zu berücksichtigender Fachbereich gemeint. Es sollen vielmehr die didaktischen Konzepte der Fächer nach und nach neu orientiert, die fachliche Abstimmung erleichtert, fachübergreifende und projektorientierte Unterrichtsformen angeregt und ein Zusammenhang mit außerunterrichtlichen Aktivitäten bzw. mit dem Schulleben hergestellt werden (Schreiber/ Siege 2016, 17; Hervorhebung BD). Diese Neuorientierung birgt die Chance, die Grundidee des Fremdsprachenunterrichts und seine Didaktik zu überdenken, mit neuen Entwicklungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik abzugleichen und gleichzeitig seine Alleinstellungsmerkmale und damit den genuinen Beitrag des Fremdsprachenlernens zur Bildung zu verstärken. Dem Kompetenzmodell des Orientierungsrahmens liegt Schreiber (2016, 87) zufolge das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung zugrunde, das an dem Streben nach weltweiter Gerechtigkeit und Gerechtigkeit zwischen den Generationen ausgerichtet ist. In Schreibers grafischer Darstellung werden um einen nicht näher spezifizierten Kernbereich ‚Kultur‘ vier gesellschaftliche Ziele herumgruppiert: wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit, ökologische Verträglichkeit und demokratische Politikgestaltung (ebd.). Der Orientierungsrahmen weist ausdrücklich auf mögliche Zielkonflikte zwischen den Dimensionen Wirtschaft, Politik, Soziales und Umwelt hin (Appelt/ Siege 2016, 41). BNE soll daher zusätzlich zum Faktenwissen das Verständnis für Spannungsverhältnisse und Interessenskonflikte sowie „die Kompetenz zur Konfliktlösung und Verständigung“ (Schreiber 2016, 92) vermitteln. Warum Bildung für nachhaltige Entwicklung den Fremdsprachenunterricht braucht 33 Verstehen wir Nachhaltigkeit als ein Konzept, dem Interessenskonflikte und Einflussnahme durch Sprache inhärent sind, dann kommt dem kommunikativen Fremdsprachenunterricht mit dem Leitziel der kritischen Diskursfähigkeit eine Schlüsselfunktion in der BNE zu. Schließlich ist es die Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts, sprachliches und kommunikatives Wissen und Können verbunden mit inter- und transkultureller Kompetenz hervorzubringen, also ein Bündel an Fähigkeiten, Fertigkeiten und Haltungen, das für internationale Verständigung sowie Problem- und Konfliktlösungen in globalen Kontexten unverzichtbar ist. 1 Nachhaltigkeit im Spannungsverhältnis von Sprache und Inhalt als Konstituenten des Fremd- und Zweitsprachenunterrichts Zu den distinktiven Merkmalen des Fremdsprachenunterrichts zählt die Doppelwertigkeit der Fremdsprache sowohl als Lerngegenstand als auch als Medium, in dem andere - vorwiegend zielkulturbezogene - Lerngegenstände bearbeitet werden. Daraus folgt, dass dem Unterricht stets die Doppelaufgabe zufällt, Inhalts- und Sprachlernen zu fördern. In jüngster Zeit scheint jedoch die fremdsprachendidaktische Diskussion über fächerübergreifende und allgemeinbildende Aufgaben der Schule wie Inklusion, Digitalisierung, Demokratiebildung und Geschlechtergerechtigkeit zu einer Schwerpunktsetzung auf Inhalte und einer Vernachlässigung der Sprache geführt zu haben. Da auch in der Auseinandersetzung mit der Bildung für nachhaltige Entwicklung und global education eine Inhaltsfokussierung zu beobachten ist, muss die Fremdsprachendidaktik gerade im Zusammenhang mit BNE im Sinne der Doppelaufgabe des Fremdsprachenunterrichts dem sprachlichen Lernen in Verknüpfung mit ausgewählten Inhalten verstärkte Aufmerksamkeit widmen. Um „einen sinnhaften Umgang mit der Sache“ (Bonnet/ Hericks 2020, 170) im Medium der Fremdsprache überhaupt erst möglich zu machen, müssen Fremdsprachenlehrkräfte in der Lage sein, die sprachlichen Voraussetzungen der Lernenden für den Nachhaltigkeitsdiskurs zu schaffen und zu sichern. Sie sollten sich dabei der Herausforderung bewusst sein, dass ein - je nach Lernstand oft beträchtliches - Sprachgefälle zwischen Fremdsprachenlernenden einerseits, und Lehrkräften und versprachlichten Gegenständen andererseits besteht (vgl. Diehr 2018, 82). Die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN (2015), deren thematisches Spektrum von Armut und Hunger über Bildung und Geschlechtergleichheit bis zu Konsum und Klimaschutz reicht, bilden einen geeigneten Ausgangspunkt für die Auswahl von Nachhaltigkeitsthemen und themenorientierte Arbeit (Legutke 2020). Zugleich muss das Prinzip der Inhaltsorientierung im Fremdsprachenunterricht (vgl. Legutke/ Schart 2016, 19) mit dem gleichwertigen Prinzip der Sprachorientierung ausbalanciert werden, weil der Diskurs über Nachhaltigkeitsthemen mithilfe fremdsprachlicher Mittel stattfindet. Hinweise darauf, Bärbel Diehr 34 dass kritische Diskursfähigkeit Kompetenzen erfordert, die jenseits der Fähigkeit liegen, Sprache korrekt zu gebrauchen und Appelle, dass Fremdsprachenlehrkräfte mehr vermitteln sollten als nur sprachliche und kulturbezogene Kenntnisse, dürfen nicht zu der Haltung führen, dass Spracherwerb nebensächlich sei und sich durch engagierten Gebrauch implizit vollzöge. Diese Einstellung würde dem Fremdsprachenunterricht die Verantwortung und Legitimation für Sprachbildung entziehen. 2 Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht: Ansätze für ein sprach- und inhaltsorientiertes Fremdsprachenlehren Die Frage nach geeigneten Ansätzen für BNE im Fremdsprachenunterricht kann nur in Verbindung mit der Frage nach dem angenommenen Bildungsauftrag beantwortet werden. Der vorliegende Beitrag geht davon aus, dass die schulischen Fächer die Bildung der heranwachsenden Generation zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern gemeinsam verantworten. Der Beitrag des Fremdsprachenunterrichts richtet sich dabei an dem Ziel aus, die Bereitschaft und Fähigkeit zu entwickeln, sich mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und Sprachen über epochaltypische Schlüsselprobleme (vgl. Klafki 1994), also drängende komplexe Fragen des Lebens in der globalisierten Welt, in einer Fremdsprache zu verständigen. Ein didaktisches Konzept, das dabei die Beschäftigung mit Phänomenen und Themen priorisieren würde, könnte dem Lernbedarf der Fremdsprachenlernenden und dem oben skizzierten Sprachgefälle nicht gerecht werden. Es könnte zwar zu einem Unterricht mit anspruchsvollen Themen führen, vernachlässigt jedoch das Problem, dass ein solcher Unterricht für die diskursive Verhandlung derselben hoch entwickelte Fremdsprachenkompetenzen als bereits vorhanden voraussetzt (vgl. Kolb 2016, 182). Im Unterrichtsalltag beeinträchtigen sprachliche Lücken und Unsicherheiten die Haltung und Kritikfähigkeit der Lernenden jedoch erheblich: „The general tendency, however, ‘especially for L2 readers’, is an overdeferent stance towards the text“ (Wallace 1992, 61). Um Lernende aller Schulformen und Lernstufen in die Lage zu versetzen, kritische Diskursfähigkeit in der Fremdsprache auszubilden, sollte die Fremdsprachendidaktik ihre Erkenntnisse über Spracherwerb, Sprachwissen, Sprachgebrauch und Sprachbewusstheit verstärkt in die Diskussion über BNE einbringen. 2.1 Lernfeldkonzept und BNE Als besonders fruchtbar für eine gelungene Integration der sprachlichen und inhaltlichen Ziele erweist sich das kompetenzorientierte Lernfeldkonzept, das seit Jahrzehnten in der beruflichen Bildung umgesetzt wird (vgl. KMK 2017). Die Gestaltung der schulischen Bildungs- und Lernprozesse orientiert sich Warum Bildung für nachhaltige Entwicklung den Fremdsprachenunterricht braucht 35 dabei an realen Arbeits- und Geschäftsprozessen, die von den Lehrkräften in fächerübergreifenden didaktischen Jahresplanungen (vgl. z.B. MSB NRW 2017) so aufgearbeitet werden, dass jedes Fach sein Potenzial für die Bewältigung berufsbezogener Situationen und Problemstellungen im Format komplexer Aufgaben konkretisiert. Zudem werden für die fachlichen Lernprozesse die chronologischen Abläufe und Stundenkontingente festgelegt. Um dieses Konzept auf die Bearbeitung eines Nachhaltigkeitsthemas wie z.B. ‚Nachhaltige/ r Konsum und Produktion‘ (Nachhaltigkeitsziel 12 der UN 2015) zu übertragen, könnte die didaktische Planung von Vertreter*innen der Fächer Biologie, Deutsch, Fremdsprachen und Wirtschaft/ Politik vorgenommen werden, die innerhalb des Oberthemas untergeordnete Themen und Konzepte identifizieren, anhand derer die Lernenden ihre Kompetenzen als mündige Verbraucher*innen entwickeln, die zunehmend in der Lage sind, Aspekte der Nachhaltigkeit in Produktions- und Konsumprozessen zu verstehen, zueinander in Beziehung zu setzen und in Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen. Hauptaufgabe der Fremdsprachenfächer wäre es, die kritische Diskursfähigkeit themenspezifisch und mittels Lernsituationen zu schulen - beispielsweise am Phänomen Greenwashing mit ausgewählten Gegenständen und fremdsprachlichen Texten (z.B. zu Fleischproduktion und Fleischkonsum, Fast Fashion oder Urban Mining) - während sie von den anderen Fächern konzeptuell erschlossen werden. Die kritische Diskursfähigkeit wiederum setzt voraus, dass die Lernenden Sprachwissen (z.B. über Euphemismen oder syntaktische und narrative Strategien) erwerben, Sprachkönnen einüben (z.B. Artikulation kontroverser Sichtweisen, kommunikative Herstellung von Kompromissen) und Sprachreflexion praktizieren (z.B. über Registervergleiche und sprachkontrastierende Verfahren). Beispielsweise deckt die Analyse und der Vergleich kurzer Werbeslogans alle drei Sprachdimensionen ab: Während ein großer Möbelkonzern 2002 in Deutschland mit der Frage „Wohnst Du noch oder lebst Du schon? “ Aufmerksamkeit auf sich zog, trägt der englischsprachige Katalog desselben Konzerns 2017 den Slogan „Designed for people, not consumers“. Im Wirtschaft-/ Politik-Unterricht können Zusammenhänge zwischen Möbelproduktion, Möbelkauf und Nachhaltigkeit erarbeitet werden. Aber für eine kritische Stellungnahme zu den Wirkmechanismen der Slogans (hier: zu den Konnotationen der antithetisch angeordneten Verben ‚wohnen‘ und ‚leben‘ sowie den Nomen people und consumers) benötigen Lernende Anleitung durch die Englischlehrkraft. Ein Erfahrungsaustausch zwischen Lehrkräften an allgemein- und berufsbildenden Schulen sowie eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Lernfeldkonzepts für das Fremdsprachenlehren ist für die fachdidaktische Weiterentwicklung dringend zu empfehlen. Bärbel Diehr 36 2.2 Kritische Diskursbewusstheit und BNE Da in Fragen der Nachhaltigkeit stets ökonomische, ökologische, politische und soziale Dimensionen wirksam werden, da Entscheidungen oft von unterschiedlichen Interessens- und Machtkonstellationen geprägt sind und die entsprechenden Aushandlungen Diskurskompetenz erfordern, kommt dem Konzept der Critical Language Awareness (CLA) nach Fairclough (1989; 1992; 1995) für die fremdsprachendidaktische Aufarbeitung der BNE eine zentrale Bedeutung zu (vgl. auch Leonhardt/ Viebrock 2020; Plikat 2017). Gleichzeitig unterstreicht es die Unverzichtbarkeit des Fremdsprachenunterrichts in einem auf BNE ausgerichteten Fächerkanon. CLA erweitert das Konzept der Sprachbewusstheit, mit dem im Zuge der kognitiven Neuorientierung der Fremdsprachendidaktik der Wert von explizitem Wissen über Sprache und von bewusstmachenden Lehr- und Lernverfahren bekräftigt wurde (vgl. z.B. Gnutzmann 2016). CLA rückt in der Sprachbildung das Verständnis für das Verhältnis von Sprache und Macht in den Mittelpunkt. Dazu werden die Analyseverfahren der Kritischen Diskursanalyse (vgl. z.B. Fairclough 1995; Richardson 2007) auf Lehr- Lernkontexte übertragen. Fairclough (1992, 3) bezeichnet CLA als „prerequisite for effective democratic citizenship“. Die Entwicklung von CLA durch schulischen Unterricht erfordert seiner Auffassung nach Kenntnis der sprachlichen Form als Grundlage aufgeklärten Sprachgebrauchs: Part of what is involved here [in the education for critical language awareness, BD] is some explicit understanding of language as a formal system (Fairclough 1989, 241). Da die kritische Diskursanalyse ursprünglich nicht auf fremdsprachige Texte ausgerichtet war, besteht weiterhin ein besonderer Entwicklungsbedarf darin, ihre Verfahren und Prinzipien auf das Fremdsprachenlernen und -lehren zu transferieren. Trotz der o.g. sprachlichen Herausforderungen eröffnet CLA im Fremdsprachenunterricht den Einbezug unterschiedlicher Perspektiven auf die sprachliche Konstruktion von sozialen Beziehungen und den sprachlichen Ausdruck von Interessen und Einstellungen. Für die Fremdsprachendidaktik im deutschsprachigen Raum hat insbesondere Hallet (2017; 2020) deutlich gemacht, dass Diskursfähigkeit das Moment des Kritischen einschließt: Die Fähigkeit, in der Fremdsprache an gesellschaftlich relevanten Diskursen teilzuhaben und sich auch als junger Mensch darin zu positionieren, darf kein abstraktes didaktisches Ziel bleiben. Zu der Fähigkeit, sich äußern zu können, gehören nicht nur die sprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten im engeren Sinne, sondern auch ein kritischer Umgang mit und die Bewertung von Informationen und Meinungen, die Fähigkeit, diese voneinander zu unterschei- Warum Bildung für nachhaltige Entwicklung den Fremdsprachenunterricht braucht 37 den und eine eigene Position im Diskurs zu finden und zu artikulieren (Hallet 2020). Gerade in Nachhaltigkeitsdiskursen, die von rasch anwachsenden neuen Erkenntnissen und gleichzeitig von Falschinformationen und Fake News gekennzeichnet sind, muss die Fähigkeit zum kritischen Umgang mit neuen Informationen verstärkt gefördert werden. Beispielsweise kursieren im Internet zum Thema Climate Action viele Falschmeldungen in englischer Sprache. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass Kinder und Jugendliche trotz ihrer Affinität zu digitalen Medien nicht über eine hinreichende Medienkompetenz - und vermutlich auch Sprachkompetenz - verfügen, um Probleme zu erkennen, Fake News zu identifizieren und ihnen eine gut begründete Position entgegenzusetzen (vgl. z.B. Breakstone et al. 2019; Nature Communications 2017; Wineburg/ McGrew 2017; Wolfstone 2014). Es bedarf daher im Englischunterricht gut durchdachter Unterrichtskonzepte, nicht bloß eines Scaffoldings, um Lernenden critical information literacy (vgl. z.B. Breakstone et al. 2019; Brisola/ Doyle 2019), vor allem Strategien zur kritischen Prüfung von Informationen, zu vermitteln. 3 Sprachkönnen, Sprachwissen und Sprachreflexion - wesentliche Elemente der BNE im Fremdsprachenunterricht Erste Anregungen für eine fremdsprachenspezifische Gestaltung der BNE finden sich im Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung, in dem Becker, Börner, Edelhoff und Schröder (2016, 158) vorschlagen, die BNE-bezogenen Kompetenzen mithilfe dreier großer Themenkreise im Fremdsprachenunterricht zu entwickeln: Erkennen: Was man über Sprachen wissen sollte und wie man sie für den Wissenserwerb einsetzt. Bewerten: Was Sprachen mit den Menschen tun. Handeln: Was Menschen mit Sprachen tun können (Becker et al. 2016, 158). Gemäß dem Lernfeldkonzept (s. Abschnitt 2.1) sind in Absprache mit den anderen schulischen Fächern Themen und Gegenstände auszuwählen, die an den Interessen und Lernbedarfen der Schülerinnen und Schüler ansetzen. Der enge Zusammenhang der Inhalts- und Sprachorientierung sei an einem Beispiel konkreter dargestellt. Bärbel Diehr 38 Abb. 1 Analyse bildungssprachlicher Mittel für ein potenzielles Unterrichtsvorhaben zum Thema Aufforstung im Nachhaltigkeitsziel 13 in Anlehnung an Quehl/ Trapp (2013, 37) Fällt die Wahl z.B. auf das Nachhaltigkeitsziel 13 Climate Action, identifizieren Lehrkräfte gemeinsam die zentralen Konzepte, die für das Verständnis verschiedener Maßnahmen zum Klimaschutz notwendig sind und möglichst mithilfe lokaler Aktionen veranschaulicht werden können. Sollte z.B. ein Aufforstungsprojekt fachlich von den naturwissenschaftlichen Fächern bearbeitet werden, könnte dem Fremdsprachenunterricht dabei die Aufgabe zufallen, ähnliche Maßnahmen aus anderen Ländern, die in der Fremdsprache multimedial präsentiert werden, zu recherchieren, zu bearbeiten und das Thema Afforestation (a unit on SDG 13 Climate Action) Aktivitäten Reading a snapshot description of the programme ‘Plant! ’ (Welsh Government 2019, 28), gathering information, exchanging information and views with learners at home and abroad to evaluate the effectiveness of afforestation as climate action Sprachhandlungen, Mitteilungsbereiche Providing information about ‘Plant! ’, comparing the programme to one in one’s home town or community, discussing the potential effects on climate action Sprachstrukturen The programme aims to … The local / regional / national government suggests … Stakeholders intend to … Commitment was extended to plant … To increase tree planting to … hectares … I could imagine that… I wonder how… / why… Comparing Wales, Uganda, and Germany, I cannot help but notice that … Vokabular nouns/ noun phrases: wood, woodland, forest, broadleaf tree, conifer, deciduous tree, at a rate of …, a recent spike in…, in response to …, pressure to do something verbs/ verb phrases: launch a programme, plant a tree, reforest an area, increase resilience, contribute to a problem/ a solution, improve wellbeing Sprachreflexion lexical choices: e.g. green lung syntax: e.g. several trees were planted - the pupils planted several trees differences in register: e.g. to plant a tree - to reforest an area word formation: forest - afforestation - reforestation Warum Bildung für nachhaltige Entwicklung den Fremdsprachenunterricht braucht 39 heimische Projekt für einen internationalen Adressatenkreis in der Fremdsprache vorzustellen. Das Endprodukt einer komplexen Aufgabe könnte die audiovisuelle Präsentation auf der Schulhomepage sein. Zur Entwicklung der dazu notwendigen Diskursfähigkeit ist eine systematische Planung sinnvoll, die auf die Erweiterung des Sprachwissens und Sprachkönnens sowie auf Sprachreflexion abzielt. Anschauliche Einstiege für den Englischunterricht in Klasse 8 ergeben sich über Sprichwörter, Metaphern und ihre interkulturellen Vergleiche wie z.B. the green lung oder das dem Deutschen lexikalisch und syntaktisch verwandte to not be able to see the wood for the trees. Um nachhaltige Perspektivwechsel anzustoßen, bietet es sich an, themenverwandte Schulprojekte aus einem anderen Land, z.B. Plant! (Welsh Government 2019, 28), zu erarbeiten. Für die Fremdsprachenlehrkräfte sollte die systematische Analyse des bildungssprachlichen Lernbedarfs (s. Abb. 1) Teil der Unterrichtsplanung sein, jedoch im Unterrichtsverlauf gemäß den Mitteilungsabsichten der Lernenden entsprechend erweitert werden. Mit fortgeschrittenen Lernenden am Gymnasium und Berufskolleg sind vertiefende Unterrichtseinheiten zum Klimawandel geeignet, um den kritischen Umgang mit der Flut von online verfügbaren Informationen in der Fremdsprache zu schulen. Beispielsweise könnte eine komplexe Aufgabe darin bestehen, die Glaubwürdigkeit der Internetseite http: / / co2science.org/ mithilfe der Strategie des lateral reading zu prüfen und zu diskutieren (Breakstone et al. 2019) und dabei Verständnis für vested interests im Sinne versteckter Partikularinteressen zu entwickeln. 4 Forschung und Entwicklung für nachhaltigen Fremdsprachenunterricht Forschung und Entwicklung zu Nachhaltigkeitsthemen können nur dann nachhaltig wirken, wenn sie das Bildungssystem und insbesondere den Unterrichtsalltag erreichen. Dazu sollten Lehramtsstudierende, Fremdsprachenlehrkräfte und Fremdsprachenlernende als Mitforschende in Forschungsprojekte einbezogen werden. Die Englischdidaktik ist dabei insofern in einer günstigen Position, als die Verlautbarungen der UN und sogar Unterrichtsmaterialien zu den 17 Nachhaltigkeitszielen auf Englisch verfügbar und im Internet leicht zugänglich sind. Auch die Texte junger Klimaaktivistinnen und -aktivisten sowie regierungsunabhängiger Organisationen sind in der Regel auf Englisch auffindbar. Aufgabe der Fremdsprachendidaktik ist es, Schlüsseltexte zum Themenbereich Nachhaltigkeit, auch literarische, audiovisuelle und digitale Texte, zu identifizieren, einer kritischen Diskursanalyse zu unterziehen und das Potenzial für den Einsatz zur Ausbildung einer kritischen Diskursfähigkeit im Sinne der critical language awareness zu bestimmen. Bärbel Diehr 40 Im Sinne der forschungsorientierten Unterrichtsentwicklung sind zu ausgewählten Texten bildungssprachliche Redemittel systematisch aufzubereiten. Zudem sollten in interdisziplinärer Zusammenarbeit Lernsituationen und komplexe Kompetenzaufgaben entwickelt werden. Sodann zielt eine Erprobung und Weiterentwicklung entsprechender Aufgaben nach den Prinzipien der Designforschung darauf ab, das Material für die Unterrichtspraxis zu verbessern, aber auch die Theoriebildung, in diesem Fall die Rolle der Fremdsprachenkompetenz bei der Modellierung der Bildung für nachhaltige Entwicklung, voranzubringen. Die Forschungsergebnisse und Produkte der Entwicklungsarbeit sollten aber nicht als normative Vorgaben für die Praxis verstanden werden. Vielmehr dienen sie dazu, exemplarisch auf Merkmale von Lexik, Syntax, Pragmatik und Genre in Nachhaltigkeitsdiskursen hinzuweisen, damit sowohl die Lehrenden als auch die Lernenden bei neuen Herausforderungen in der Zukunft ihr Wissen und Können auf neue Diskurse übertragen können. Literatur Appelt, Dieter/ Siege, Hannes (2016): „Konzeptionelle Grundlagen des Orientierungsrahmens“. In: KMK/ BMZ 2016, 21-54. Becker, Thomas/ Börner, Otfried/ Edelhoff, Christoph/ Schröder, Konrad (2016): „Neue Fremdsprachen“. 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Mehrsprachig und interdisziplinär Bildung für nachhaltige Entwicklung im bilingualen Unterricht Politik und Wirtschaft Daniela Elsner 1 Eingangsüberlegungen zur Bildung zur nachhaltigen Entwicklung (BNE) I have learned you are never too small to make a difference (Greta Thunberg, Klimaaktivistin und Initiatorin der Fridays For Future (FFF) Bewegung in ihrer Ansprache auf der United Conference of Parties (COP) 24 Climate Talks, Katowice im Dezember 2018). Nicht erst seit Greta Thunberg setzen sich weltweit junge Menschen für die Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz ein. Bereits 2015 zeigten die Ergebnisse der Shell-Jugendstudie (Albert et al. 2015) sowie 2016 die der Sinus- Jugendstudie (Calmbach et al. 2016), dass die Bereitschaft von Jugendlichen zu umweltbewusstem Verhalten innerhalb der letzten 20 Jahren deutlich gestiegen ist. Dabei stehen Umweltschutz und Nachhaltigkeit für die Jugendlichen in einem engen Zusammenhang mit persönlicher Verantwortungsübernahme und der Frage nach konkreten Handlungsmöglichkeiten, u.a. zur Eindämmung des Klimawandels und zur Rettung der Meere. Die Umsetzung nachhaltiger Entwicklung erfordert jedoch nicht nur Beiträge auf individueller Ebene, sondern vor allem auch Entscheidungen und deren Umsetzung von Systemen, wie Politik, Wirtschaft und Non- Profitorganisationen inklusive gesellschaftlicher Gruppierungen, Vereinen und Interessensverbänden auf lokaler, nationaler, internationaler und globaler Ebene (Herweg et al. 2016). Nachhaltige Entwicklung steht damit im glokalen 1 Spannungsgefüge verschiedener Akteure und deren Interessen. Um unterschiedliche Interessen gegeneinander abzuwägen, Lösungen miteinander abzustimmen und Zielkonflikte kooperativ und konstruktiv zu regeln, muss nachhaltige Entwicklung als kontinuierlicher Aushandlungsprozess verstanden und konzipiert werden. Vor dem Hintergrund eines sozial getragenen Aushandlungsprozesses unter Berücksichtigung diverser Perspektiven nimmt schließlich auch der öffentliche und private Bildungssektor eine zentrale Rolle beim Thema nachhaltige Entwicklung ein, da Bildungsprozesse 1 Der Begriff glocalisation, von dem sich der Begriff glocalities ableitet, geht auf den Soziologen Roland Robertson (1995) zurück. Daniela Elsner 44 einen wesentlichen Aspekt der gesellschaftlichen Gestaltungsaufgaben darstellen. Konsequenterweise wurde der Bereich Bildung in den Zielbereichen zur nachhaltigen Entwicklung in der Agenda 2030 der Vereinten Nationen 2 verankert. Ziel ist es, auf Seiten der Lernenden Denk- und Argumentationsprozesse über Problematiken der nachhaltigen Entwicklung anzuregen und Handlungsoptionen zu eruieren. So sollen junge Menschen dazu befähigt werden, reflektierte und begründete Entscheidungen für die Zukunft zu treffen, und einschätzen können, wie sich die eigenen Handlungen auf nachfolgende Generationen und andere Weltregionen auswirken (vgl. Deutsche UNESCO-Kommission/ BMBF). Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) hat deshalb zwar bundesweit Eingang in die Kerncurricula und Bildungsstandards gefunden (KMK 2012, 3). Einheitliche Standards in Bezug auf die Ausgestaltung liegen jedoch nicht vor. Zwar kann der von der KMK 2015 veröffentlichte „Orientierungsrahmen Globale Entwicklung“ (Schreiber/ Siege 2016) eine erste Unterstützung zur curricularen Einbindung einer Bildung für nachhaltige Entwicklung bieten, wo genau die Nachhaltigkeitsthemen im Unterricht Eingang finden und welche Schwerpunkte gesetzt werden, entscheidet jedes Bundesland bislang für sich. Entsprechend unterschiedlich sind die Herangehensweisen und Umsetzungen in Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit in Schule und Unterricht. Eine Auseinandersetzung mit Themen der nachhaltigen Entwicklung findet häufig in den Fächern Erdkunde, Physik und Chemie statt, doch auch in allen anderen Fächern kann Nachhaltigkeit thematisiert werden, auch im Fremdsprachenunterricht. 2 Fachübergreifender Unterricht zur Entwicklung von Kompetenzen im Bereich NE Inwiefern die Zerlegung der Nachhaltigkeitsthemen in ‚Fächerdosen‘ allerdings zielführend ist, ist fragwürdig. So moniert ein Mitglied der Vereinigung Teachers for Future in einem Beitrag der Deutschen Welle (DW) zum Thema Wissen und Umwelt vom 3.12.2020: Wenn man die Schüler fragt, dann sagen sie zwar so etwas wie‚ ‘In Erdkunde ging es um die schmelzenden Polkappen‘ oder sie erinnern sich, dass auch in Physik über die Erderwärmung gesprochen wurde. Aber die vielfältigen Zusammenhänge des Klimawandels werden ihnen in der Schule nicht vermittelt (Cwienk 2020). Eine Forderung der Teachers for Future lautet deshalb, dass Nachhaltigkeitsthemen fächerübergreifend und interdisziplinär behandelt werden sollten, 2 https: / / www.bmu.de/ themen/ nachhaltigkeit-internationales/ nachhaltigeentwicklung/ 2030-agenda/ (letzter Aufruf 18.08.2019). Mehrsprachig und interdisziplinär 45 eine Forderung, die auch von den Hauptvertretern des Konzepts der Bildung für nachhaltige Entwicklung in Deutschland geäußert wird. Aus ihrer Sicht seien „die Problemfelder nicht nachhaltiger Entwicklung und Perspektiven zukunftsfähiger Veränderungen [...] heute nicht mehr durch eine Fachwissenschaft oder mit einfachen Handlungsstrategien zu bewältigen“ (de Haan 2004, 42). Bereits 2009 forderten Bernie Trilling und Charles Fadel (2009) das Aufbrechen von traditionellen Zeitmodellen und eine Abkehr vom Denken entlang etablierter Schulfächer mit dem Ziel Schule als Ort zu gestalten, der Schülerinnen und Schüler auf die aktive Teilhabe im Zeitalter der „Knowledge Age Economy“ vorbereitet. Eine zukunftsorientierte Bildung, die Lernende zu Gestaltern ihrer eigenen Zukunft befähigen wolle, müsse sogenannte 21st Century Skills fördern. Im Kern umfassen diese Problemlösekompetenzen und Innovationsfähigkeit, Kommunikations- und Kollaborationskompetenz, Kreativität sowie digitale Kompetenzen und ein hohes Maß an Ambiguitätstoleranz (Trilling/ Fadel 2009, 12, 47f.). Jene 21st Century Skills weisen zahlreiche Überschneidungen mit den Kompetenzen auf, wie sie in den bislang vorliegenden Kompetenzmodellen für den Bereich BNE beschrieben werden. Neben dem Kompetenzmodell zu BNE des BLK-Programms (2005), dem Göttinger Modell der Bewertungskompetenz zum Thema nachhaltige Entwicklung (Eggert/ Bögeholz 2006) sowie dem Orientierungsrahmens für den Lernbereich Globale Entwicklung von Schreiber und Siege (2016), zielt auch das Programm Transfer-21 (2007) auf die Entwicklung einer „Gestaltungskompetenz“, welche Komponenten des (Fach-)Wissens, des Beurteilens und des Handelns umfasst und deren Erwerb Schülerinnen und Schüler dazu befähigt, in komplexen Entscheidungssituationen begründete Positionen einzunehmen und Prozesse nachhaltiger Entwicklung aktiv mitzugestalten (AG Qualität & Kompetenzen des Programms Transfer-21 2007, 12). Ebenso wie die Mitglieder der AG Qualität & Kompetenzen erklären auch Trilling und Fadel (2009), dass sich solche Gestaltungskompetenzen bzw. die 21st Century Skills nur in der Bearbeitung interdisziplinärer Thematiken entwickeln lassen, die konsequenterweise auch die Initiation fachübergreifender und zeitlich flexibler Lehr- und Lerngelegenheiten implizieren. „Standards should focus on real-world problems that promote learning across the disciplines using 21st century themes and interdisciplinary issues“ (Trilling/ Fadel 2009, 129). Interdisziplinäres und fächerübergreifendes Lernen lässt sich in einem industriell geprägten Schulsystem, wie dem deutschen, allerdings nur schwer umsetzen. Hier wird Unterricht traditionell in 45 Minuten Einheiten strukturiert, in Fächern organisiert und Leistung durch Schulnoten gemessen, ein Zustand, der nicht nur eine interdisziplinäre Herangehensweise an Themen Daniela Elsner 46 erschwert, sondern auch das zum Lösen komplexer gesellschaftliche Probleme notwendige kreative Denken der Schülerinnen und Schüler hemmt. Kreativität ist eine der wichtigsten Eigenschaften, die die Menschen brauchen, um die globalen Probleme zu lösen. Doch gerade das Denken „out of the box“ wird in den Schulen oft verhindert (Förtsch 2020, 1). Förtsch zufolge entfaltet sich Kreativität vor allem in längeren, unbenoteten und projektorientierten Phasen mit ausreichend Zeit zum Nachdenken, zum Aushandeln und zum selbstbestimmten Arbeiten, ein Rahmen, der dem Fachunterricht kaum zugesprochen werden kann. Folgerichtig wird die Interdisziplinarität der BNE jenseits des Fachspezifischen von einem zweiten Zugang legitimiert, dem der politischen Bildung (vgl. Joppich/ Uhlenwinkel 2017). Nicht nur, weil dem Fach Politische Bildung per se eine Perspektivenvielfalt zugrunde liegt (vgl. Sander 2014, 21), sondern auch, weil in vielen Bundesländern politische Bildung in Kombination mit anderen Fächern wie Geschichte, Wirtschaft, Recht oder Geographie unterrichtet wird, scheint dieses Kombinationsfach ein besonders geeigneter Ort für die Entwicklung von Kompetenzen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung. Der Rahmenlehrplan des Bundeslandes Berlin-Brandenburg z.B. skizziert einen fächerkoordinierenden Unterricht (Politische Bildung, Geographie und Geschichte), innerhalb dessen die Beschäftigung mit vier übergreifenden Themen vorgesehen ist, Europa im Wandel, Armut und Reichtum, Konflikte und Konfliktlösungen, Migration und Bevölkerung (SBJW/ MBJS 2015). Die Anliegen der Bildung für nachhaltige Entwicklung werden im Rahmenplan als „übergreifende Themen“ bezeichnet und über die o.g. Bereiche in den Unterricht integriert. Eine zusätzliche Erweiterung, im Sinne der Interdisziplinarität, könnte ein solcher fachübergreifender bzw. fächerkoordinierende Unterricht aus Sicht der Autorin dieses Beitrags in Form des bilingualen Unterrichts im Bereich der Politischen und Wirtschaftlichen Bildung erfahren, insbesondere dann, wenn dieser Unterricht darüber hinaus gezielt auch zur (trans-)kulturellen Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit anregt und einem mehrsprachigkeitssensitiven Unterrichtsansatz Raum gibt. Im Folgenden soll dies zunächst, am Beispiel des bilingualen Unterrichts in den Fächern Politik und Wirtschaft, wie er u.a. an hessischen Schulen auf Basis des Orientierungsrahmens für den bilingualen Politik- und Wirtschaftsunterricht (Politics, Economics & Culture) (Elsner et al. 2019) durchgeführt wird, theoretisch begründet werden. Wie Themen der nachhaltigen Entwicklung im Rahmen dieses Unterrichts zur Entwicklung von Gestaltungskompetenz i.S. der nachhaltigen Entwicklung im Rahmen eines solchen Unterrichtsansatzes praktisch umgesetzt werden können, wird anhand der im Rahmen des Projekts PoleCulE initiierten Jugendklimakonferenz #climonomics (Nijhawan et al. 2021) exemplarisch aufgezeigt. Mehrsprachig und interdisziplinär 47 3 Ausrichtung, Ziele und Mehrwert des bilingualen Politik- und Wirtschaftsunterrichts (Politics, Economics & Culture) zur nachhaltigen Bildung Der bilinguale Politik- und Wirtschaftsunterricht (Politics, Economics & Culture) verbindet sozialwissenschaftliches und (fremd-)sprachlich kulturelles Lernen miteinander. Ziel des Unterrichts ist die Befähigung der Lernenden a.) politische, ökonomische und kulturelle Systeme und Strukturen, b.) Prozesse und Handlungen sowie c.) deren Akteure (Personen bzw. Institutionen) zu analysieren, zu hinterfragen und schließlich zu beurteilen. Lernende sollen darüber hinaus in die Lage versetzt werden, sinnstiftende Diskurse führen zu können und dabei ihre eigene, begründete politische und ökonomische Position vertreten können (Elsner et al. 2019, 6). Damit weist der bilinguale PoWi Unterricht in seiner Zielsetzung starke Überschneidungen mit den Zielen einer Bildung zur nachhaltigen Entwicklung auf, deren Anliegen es ist, unser alltägliches Verhalten und Handeln zu hinterfragen und daraus ableitend Regelungen einer nachhaltigen Gestaltung des Lebens zu treffen, die die Umsetzung nachhaltigkeitsgerechter Zielsetzungen ermöglichen. Dem bilingualen Anspruch nach, sollen die Schülerinnen und Schüler hierfür sowohl die Fremdsprache (hier Englisch) als auch Deutsch sowie nach Möglichkeit weitere Sprachen, insbesondere ihre Herkunftssprachen nutzen können, was mit Blick auf die nachhaltige Bildung folgende Chancen mit sich bringt: 3 3.1 Multiperspektivität Der Gebrauch der Fremdsprache unter Einbeziehung weiterer Sprachen zur Erarbeitung sachfachlicher Inhalte führt zu einer Perspektivenerweiterung, die allein durch den Zugang in der regulären Schul- und Umgebungssprache nicht möglich ist. Die Fremdsprache selbst ist in ihrem Ausdruck durch die Kultur und Geschichte des Zielsprachenlandes geprägt und bietet folglich bereits im Vergleich mit der Muttersprache eine neue Perspektive (vgl. Albrecht/ Böing 2010). Zusätzlich eröffnen sich durch die neue Sprache auch neue Quellen und Unterrichtswerke, die insbesondere im Vergleich mit dem deutschen Lehr-/ Lernmaterial eine erweiterte Sichtweise ermöglichen. Durch authentisches (fremd-)sprachliches Material und eine Diskursgestaltung in mehreren Sprachen wird der Zugang zu weiteren Auffassungen und Deutungsmustern ermöglicht. Die damit einhergehenden Perspektivwechsel be- 3 Die folgenden Argumente basieren auf einem unveröffentlichten Projektantrag „The Blue Planet“, der von der PoleCulE Arbeitsgruppe der Goethe-Universität (Elsner, Engartner, Nijhawan, Schweitzer-Krah) im Dezember 2020 bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt eingereicht und im März 2021 von dieser bewilligt wurde. Daniela Elsner 48 fördern die kontinuierliche Weiterentwicklung der eigenen ‚nachhaltigen Identität‘ und nachhaltigen Gestaltungskompetenz. 3.2 Aktualität und Originalität Im zukunftsorientierten Bereich der nachhaltigen Entwicklung ist es wichtig, aktuelle Erkenntnisse und Positionen zu berücksichtigen. Wissenschaftliche Aufsätze und Artikel, in denen innovative Ideen formuliert werden, stammen nicht nur aus Deutschland. Meist werden sie in der lingua franca Englisch veröffentlicht, häufig jedoch auch in anderen Sprachen. Bis diese Inhalte Eingang in deutsche Lehrwerke gefunden haben, sind sie meist nicht mehr auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand (vgl. u.a. Rotfeld 2000; Teixeira 2018). Um Schüler und Schülerinnen möglichst schnell gestaltungsfähig im Sinne eines zügigen Wandels zur nachhaltigen Entwicklung zu machen, sollten ihnen sprachlich vorstrukturierte Originalquellen vorgelegt werden. Nur so können sie einerseits lernen, dass Lösungsansätze möglichst zeitnah und über die eigenen Sprachgrenzen hinaus gefunden werden müssen. Andererseits lernen sie, mit Originalquellen zu arbeiten und sich damit auch vor „Fake News“ zu schützen (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2020). 3.3 Kommunikative Kompetenz auf fachsprachlichem Niveau Politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Diskurse zum Thema Nachhaltigkeit bedienen sich häufig einer komplexen Fachsprache, was für das allgemeine Verständnis sehr herausfordernd sein kann. Im Rahmen der zugehörigen Initiativen zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) werden aus diesem Grund explizit auch kommunikative Kompetenzen als angestrebte Kernkompetenzen ausgewiesen (vgl. UNESCO 2017, 10). In zahlreichen Studien konnte nachgewiesen werden, dass bilinguale Unterrichtsarrangements einen besonders positiven Einfluss auf die Entwicklung der Fremdsprache (zumeist Englisch) haben (u.a. Köller et al. 2012). Positive Effekte zeigten sich sowohl in Bezug auf rezeptive und produktive Sprachfähigkeiten sowie die Entwicklung des Wortschatzes in der Fremdsprache i.S. eines präzisen Fachwortschatzes. 3.4 Vertieftes Sachverständnis Durch die Verwendung der Fremdsprache als Arbeitssprache stoßen Lernende zwar schneller an die Grenzen ihrer Ausdrucksfähigkeit, aber gerade wegen dieser fremdsprachlichen Hürde sind verstärkte kognitive Anstrengungen nötig. Diese wiederum führen zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit den Inhalten und zu einer tieferen Themendurchdringung (vgl. u.a. Koch/ Bünder 2006). Mehrsprachig und interdisziplinär 49 3.5 Methodenkompetenzen (Study Skills) Die zusätzliche kognitive, systematische und konzentrierte Arbeit, die im bilingualen Unterricht notwendig wird, unterstützt in der Folge fachspezifische Arbeitsweisen und Lernstrategien, von der insbesondere auch lernschwächere Schüler und Schülerinnen profitieren (vgl. Steinlen/ Piske 2016). Nachhaltiges Verhalten basiert auf autonomen Entscheidungen, Selbstreflexion und der Bereitschaft zur kontinuierlichen Selbstinformierung, Verhaltensweisen und Einstellungen, die im bilingualen Unterricht nachweislich vorangetrieben werden (vgl. Vollmer 2000). 3.6 Empathiefähigkeit Besonders für hiesige Schüler und Schülerinnen, die die Auswirkungen des Klimawandels und der Verschmutzung von Land und Wasser bislang kaum persönlich spüren, ist ein Perspektivenwechsel zur Steigerung der Empathiefähigkeit von zentraler Bedeutung. Welche Katastrophen viele Menschen in weiten Teilen dieser Welt bereits jetzt regelmäßig erfahren, ist für sie wenig greifbar. Unterricht in einer Fremdsprache kann sich begünstigend auf die Entwicklung von Empathie auswirken (vgl. z.B. Kramsch 1998). Authentische Erfahrungsberichte, Zeitungsartikel oder Dokumentationen in verschiedenen Sprachen können dazu beitragen, einen Perspektivwechsel zu fördern, Schülerinnen und Schülern langfristig für Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen zu sensibilisieren und deren unmittelbare Relevanz für das eigene Leben zu erkennen (vgl. Nijhawan 2020a). 3.7 Urteilsrationalität Aus spieltheoretischen Experimenten in der Psychologie wissen wir, dass Urteile in der Fremdsprache rationaler ausfallen als in der Erstsprache (Keysar et al. 2012). Andererseits erlaubt das Zusammenspiel der Fremdsprache mit der Muttersprache, dass Emotionen ebenso rationalisiert werden und damit das Urteil - unter Einbezug von eigenen und Fremdinteressen - mehrschichtiger ausfällt (vgl. Nijhawan 2020b). Das Lernen in zwei Sprachen unterstützt die Persönlichkeitsentwicklung, insbesondere hinsichtlich Ambiguitätstoleranz, Frustrationstoleranz und Resilienz durch die Konfrontation mit unterschiedlichsten Sichtweisen (vgl. Böttger/ Leitz 2016, 272). Im Hinblick auf eine Teilhabe an demokratischen Prozessen in einer transnationalen Zivilgesellschaft ergeben sich daher beachtliche Vorteile einer bilingualen Didaktik für das Nachhaltigkeitslernen (vgl. Skutnabb-Kangas et al. 2009; Stein- Smith 2016). Daniela Elsner 50 4 Bilingualer Powi Unterricht zum Thema nachhaltige Entwicklung in der Praxis: Schülermeinungen zu einer mehrsprachigen Klimakonferenz Dass es im bilingualen PoWi Unterricht gelingen kann, den Lernenden unterschiedliche Standpunkte näherzubringen und dabei neue Perspektiven zu eröffnen, die kosmopolitisches Denken im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung fördern, belegt das nachfolgend beschriebene Unterrichtsbeispiel. #climonomics Im vergangenen Jahr fand, initiiert von und organisiert durch die Projektgruppe PoleCulE der Goethe-Universität Frankfurt am Main, das schul- und klassenübergreifende Planspiel #climonomics statt, an dem ca. 200 Schüler*innen der Sekundarstufen I und II aus Hessen über die Auswirkungen des Klimawandels nicht nur in Deutsch und Englisch, sondern auch in weiteren Sprachen diskutierten, um ein reales Setting des EU-Parlaments zu simulieren. 4 Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen bereiteten sich gemeinsam mit ihren Lehrkräften anhand eines eigens konzipierten, digitalen Konferenzmanuals auf ihre Debattenteilnahme vor (Nijhawan et al. 2021). Der Konferenzreader beinhaltete Hintergrundinformationen und Faktensammlungen zur Klimadebatte, die Aufschlüsselung der zentralen Protagonisten und Konfliktlinien, Anleitungen und Aufgabenpakete für die Plenums- und Kleingruppenphase sowie Argumentationshilfen in beiden Konferenzsprachen. Die abschließende, schriftliche Befragung der Schüler*innen zeigte, dass der mehrsprachige Ansatz in besonderer Weise dazu beitrug, die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden während der Diskussion zu erhöhen, ihr Denken in globalen Perspektiven zu stärken und ihr Engagement in Fragen des Klimaschutzes zu fördern. Gleichzeitig gaben die Lernenden an, dass ihr thematischer Wortschatz zum Thema Nachhaltigkeit in der Fremdsprache Englisch durch die Veranstaltung gewachsen sei. 5 Fazit Nicht nur das Prinzip eines multiperspektivischen Zugangs durch die Verknüpfung von Politik, Wirtschaft und Kultur, sondern insbesondere auch der mehrsprachige Ansatz (Unterricht in der Fremdsprache unter Einbeziehung der Schul- und Umgebungssprache sowie anderen Sprachen, inklusive Herkunftssprachen), befördert die Entwicklung einer glokalen Diskurs- und Gestaltungskompetenz, die Kern der Bildung für nachhaltige Entwicklung dar- 4 vgl. polecule.com/ 2019/ 11/ 05/ climonomics-so-lief-unsere-mehrsprachige-euklimakonferenz-fuer-schuelerinnen-25-10-2019/ Mehrsprachig und interdisziplinär 51 stellt. Eine solche ermöglicht einerseits die produktive Teilhabe an internationalen Diskursen zu politischen, ökonomischen und kulturellen Aspekten der Nachhaltigkeit, zum anderen werden Schülerinnen und Schüler dazu angeregt, auf der Grundlage von Wissen und Erfahrungen, ihre bestehenden Handlungsansätze im Hinblick auf nachhaltige Entwicklung zu hinterfragen und konkrete Handlungsalternativen zu entwickeln. Eine zukünftige Aufgabe der Fach- (inklusive der Fremd- und Zweitsprachen-)didaktiken sollte die gemeinsame, fachübergreifende thematische und inhaltliche Ausgestaltung zur Bildung nachhaltiger Entwicklung im bilingualen bzw. mehrsprachigen Format sein, insbesondere auch unter Einbezug digitaler Technologien. Aus Forschungsperspektive stellt sich hier insbesondere die Frage, ob der bilinguale Unterrichtsansatz zur BNE nicht nur aus der subjektiven Sicht der Schülerinnen und Schüler, sondern auch objektiv messbar zu einem erhöhten glokalen Engagement für nachhaltige Themen und einer verbesserten Urteilsbildung führen kann. Erste Ergebnisse auf diese Frage wird das Projekt The Blue Planet liefern, das seit April 2021 an der Goethe-Universität Frankfurt läuft und durch die Deutsche Bundesstiftung für Umwelt (AZ 37075/ 01) gefördert wird. Literatur AG „Qualität & Kompetenzen“ des Programms Transfer-21 (2007): Orientierungshilfe Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Sekundarstufe I. Begründungen, Kompetenzen, Lernangebote. http: / / www.transfer-21.de/ daten/ mate rialien/ Orientierungshilfe/ Orientierungshilfe_Kompetenzen.pdf (22/ 03/ 2021). Albert, Mathias/ Hurrelmann, Klaus/ Quenzel, Gudrun (2015): 17. Shell Jugendstudie. 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Nachhaltigkeit im Fremd- und Zweitsprachenunterricht Sprachkonzeptionelle und sprachenpolitische Desiderate Christian Fandrych Der vorliegende Beitrag kann naturgemäß nur auf einige wenige Aspekte des Komplexes „Entwicklung von Nachhaltigkeit im Fremd- und Zweitsprachenunterricht“ eingehen. Nach einer kurzen Betrachtung einiger einschlägiger sprachbezogener Konzepte, Begründungen und curricularer Vorschläge formuliere ich thesenartig, welche prioritären Forschungs- und Entwicklungsbedarfe es bezüglich des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen im Kontext von Nachhaltigkeit aus meiner Sicht gibt. Diese sollen insbesondere dazu anregen, die bisher immer noch unzureichend berücksichtigten wirkmächtigen Konzeptionen von Sprache und Sprachen sowie von kommunikativen Praktiken im Sinne einer auf Nachhaltigkeit, Diskursfähigkeit und kritische Teilhabe ausgerichteten Fremdsprachendidaktik stärker in den Blick zu nehmen. Die Sichtung bestehender Dokumente zum Thema Nachhaltigkeit zeigt, dass hier nach wie vor Desiderate bestehen. 1 Annäherung an einige sprachen- und kulturbezogene Konzepte von Nachhaltigkeit in Bildung und Fremdsprachendidaktik Das Verhältnis von L2-Sprachdidaktik und Nachhaltigkeit als übergeordnetem Bildungsziel ist äußerst vielschichtig. Zum einen stellt sich die Frage, auf welche Aspekte von Fremd- und Zweitsprachenlernen „Nachhaltigkeit“ angewendet werden kann und sollte, zum anderen ist zu fragen, welche Lesarten „Nachhaltigkeit“ in den verschiedenen Dokumenten und Konzepten zugeschrieben wird, wie das Wort also konzeptuell gefüllt wird - man könnte auch sagen, wie weit der Bedeutungsumfang des Ausdrucks letztlich ausgedehnt wird. 1.1 Nachhaltigkeit und die Dimensionen des Fremdsprachenlernens Zur ersten Frage ist zu sagen, dass Nachhaltigkeit im Sprachunterricht natürlich prinzipiell auf alle mit (Sprach-)Vermittlung zusammenhängende Dimensionen und Ebenen bezogen werden kann - und auch sollte: Vom nachhaltigen Umgang mit Ressourcen aller Art im Unterricht und in den jeweiligen Institutionen über die Nachhaltigkeit von Strategien, Kompetenzen und Wissensinhalten bezüglich der zu erlernenden Sprachen bis hin zur Thematisierung von nachhaltigkeits- und gerechtigkeitsbezogenen Fragestel- Christian Fandrych 56 lungen im Unterricht - als Teil einer allgemeinen kritischen Diskurs-, Themen- und Medienkompetenz, die letztlich natürlich übereinzelsprachlich ist. Ein weiterer Aspekt eines breiter verstandenen Nachhaltigkeitsbegriffs betrifft den Zugang zu Möglichkeiten des Sprachenlernens, die Wertschätzung von Mehrsprachigkeit und Fragen der Bewertung und des Prestiges von Kompetenzen in unterschiedlichen Varietäten und Sprachen in Sprachvermittlungsinstitutionen und in der Gesellschaft insgesamt. In einer eher begrenzten Lesart (nämlich bezogen auf Ökologie und Umweltschutz als individuelles und gesellschaftspolitisches Thema) spielt das Thema Nachhaltigkeit natürlich schon seit langem eine wichtige Rolle im Sprachunterricht, zumindest im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache; es ist ein Lieblingsthema von Lehrwerken, ein sehr frequenter Diskussionsanlass und Teil von vielen Aufgabenstellungen in schriftlichen und mündlichen Prüfungen. Zur Frage der Nachhaltigkeit von Strategien, Kompetenzen und Wissensinhalten beim Sprachenlernen haben sich viele Regalmeter an Fachliteratur angesammelt, ohne bisher immer überzeugende Antworten zu finden. Wie es um die Nachhaltigkeit der im Sprachunterricht eingesetzten materiellen und energetischen Ressourcen steht, müsste sicherlich erst noch erhoben werden - zu vermuten ist, dass auch der Digitalisierungsschub hier einen nicht zu unterschätzenden ökologischen Fußabdruck hinterlässt. Die letzten beiden oben genannten Aspekte - die kritische Diskurs- und Medienkompetenz sowie der allgemeine Zugang zu Sprachlernmöglichkeiten - und, damit verbunden, ein nicht-diskriminierender Umgang mit Mehrsprachigkeit, sollen im vorliegenden Beitrag im Zentrum der Überlegungen stehen. Sie sind bisher noch nicht in angemessenem Umfang zum Gegenstand des Fachdiskurses geworden. 1.2 Bedeutungsdimensionen von „Nachhaltigkeit“ Bezüglich der zweiten eingangs gestellten Frage wird nach Lektüre einschlägiger Dokumente deutlich, dass der Nachhaltigkeitsbegriff sowohl intensional wie auch extensional zunehmend weit gefasst wird, in sich nicht unbedingt widerspruchsfrei ist und schwer von Nachbarbegriffen abgegrenzt werden kann (so wird teils auch von „Globalem Lernen“ oder „Globaler Entwicklung“ gesprochen, vgl. etwa den „Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung“, der in seiner fremdsprachigen Version dann „Education for sustainable development“ heißt 1 ). Folgt man de Haan (2009), ist mit „Nachhaltigkeit“ zum einen der Erhalt und die Sicherung natürlicher Grundlagen für das menschliche Leben gemeint, zum anderen „sollte dies aber nicht zum Verzicht auf ökonomische Prosperität führen [...], denn damit wären die Chancen der Entwicklungsländer dramatisch eingeschränkt worden, einen 1 Vgl. https: / / www.globaleslernen.de/ de/ orientierungsrahmen-globale-entwicklungor-Neuauflage-des-Orientierungsrahmens (19/ 05/ 2021). Nachhaltigkeit im Fremd- und Zweitsprachenunterricht 57 verbesserten Lebensstandard und Wohlfahrt für alle zu erreichen“ (de Haan 2009, 2). Daraus werden dann u.a. auch sprach- und kommunikationsbezogene Konzepte abgeleitet, etwa bezüglich „der eigenständigen Aneignung und Bewertung von Informationen, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit sowie vorausschauendem Planen in vernetzten Systemen“ (de Haan 2009, 4). Konkret werden dabei die Teilkompetenzen „Interaktive Verwendung von Medien und Tools“, „Interagieren in heterogenen Gruppen“ und „Eigenständiges Handeln“ angesetzt (de Haan 2009, 12-18). Aus sprachdidaktischer Sicht sind besonders Aspekte wie die Kompetenz zur (eigenständigen und kooperativen) Wissensaneignung, zum Wissensmanagement und (Wissens-)Austausch in einer vernetzten digitalen Welt von Interesse: Erst die Perspektive anderer Nationen und Kulturen, aber auch die differenten Perspektiven von Ökonomie, Politik und Zivilgesellschaft zu kennen, zu bewerten und zu nutzen macht es möglich, Interessengegensätze und differente Lösungswege für nachhaltige Entwicklungsprozesse, Hemmnisse und Chancen zu identifizieren (de Haan 2009, 12). Auch die Teilkompetenz „Interagieren in heterogenen Gruppen“ ist aus sprachdidaktischer Sicht von besonderer Relevanz; hierzu wird u.a. Kooperativität, aber auch das Erkennen von Zielkonflikten bei der Reflexion über Handlungsstrategien als wichtige, (auch) sprach- und kommunikationsbezogene Kompetenz gerechnet (de Haan 2009, 14). Und nicht zuletzt geht es bei der Teilkompetenz „Eigenständig planen und handeln können“ zentral auch darum, die „differenten und im akademischen wie politischen und alltäglichen Diskurs oftmals kontrovers diskutierten Varianten einer verteilenden und ausgleichenden Gerechtigkeit zu kennen und kritisch zu diskutieren“, um „naiven Gerechtigkeitsvorstellungen“ zu entkommen (de Haan 2009, 16). Weitere Konkretisierungen des Begriffs „Nachhaltigkeit“ mit Bezug auf den Fremdsprachenunterricht finden sich etwa im „Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung, Teilausgabe Neue Fremdsprachen“ (EG 2017, 18). Hier wird als eine Kernaufgabe formuliert: Die Entwicklung von Kompetenzen im Bereich der sprachlichen und kulturellen Kommunikation zwischen den Regionen und Kulturen, nämlich zwischen Menschen unterschiedlicher sprachlicher und kultureller Zugehörigkeit, ist deshalb eine genuine Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts (EG 2017, 18). 2 Es werden drei „Kompetenzbereiche“ identifiziert: Erkennen, Bewerten und Handeln. Unter „Bewerten“ etwa wird die Fähigkeit genannt, „sprachliche 2 Auffallend ist, dass hier eine homogenisierende und in dieser Form eigentlich überwundene Vorstellung von „sprachlicher und kultureller Zugehörigkeit“ von Sprecher/ -innen verwendet wird, was gerade in programmatischen Dokumenten zur Fremdsprachendidaktik äußerst bedenklich ist. Christian Fandrych 58 und kulturelle Einflussnahmen rational zu bewerten“; hier werden u.a. als mögliche Fragestellungen genannt: Wie geschieht Manipulation durch Sprache, beispielsweise durch Werbetexte, expositorische Texte, fiktionale Texte wie Utopien? Wie geschieht Herrschaft durch Sprache? Welche Formen der Diskriminierung durch Sprache gibt es und wie wirken sie auf die Betroffenen? (EG 2017, 19). Wie deutlich wird, bestehen bei einem weit verstandenen Nachhaltigkeitskonzept viele Anknüpfungspunkte zu Themen und Konzepten, wie sie auch in der Fremdsprachendidaktik diskutiert werden. Allerdings scheinen mir die im Kontext der Nachhaltigkeitsdiskussion erarbeiteten Konzepte zur kritischen Diskursfähigkeit, zu den gesellschaftlichen und sprachenpolitischen Bedingungsgefügen, in denen Sprachunterricht und Bildung verortet sind, und auch zum Sprachbegriff selbst noch zu kurz zu greifen und teils zu unkritisch zu sein. Darauf möchte ich im Folgenden eher thesenhaft eingehen. 2 Kritische Betrachtung einiger Konzepte: Sprache, Diskurskompetenz, Machtverhältnisse Sprachverwendung und auch implizite Sprachauffassungen sind im digitalen Zeitalter einem grundlegenden Wandel unterworfen worden (vgl. Lobin 2018; Marx et al. 2020). Dieser Wandel hat den Charakter von Sprache als soziales Konstrukt wesentlich deutlicher in den Fokus gebracht, als dies in den Jahrzehnten davor der Fall war. Die symbolische, ideologische und gesellschaftliche Wirkmächtigkeit von Sprache und ihre Prägung durch gesellschaftliche und soziale Dynamiken sind immer stärker in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Dies hat auch eine Neubewertung von Medialität und Materialität von Sprache mit sich gebracht. Hat man etwa im Kontext der Rechtschreibreform die Orthographie noch vielerorts als etwas betrachtet, das der Sprache nur „äußerlich“ anhafte 3 , so hat sich dies durch die Digitalisierung und die mit ihr verbundenen neuen semiotischen Verfahren und Möglichkeiten nun in der Sprachwissenschaft und in der breiten Öffentlichkeit fundamental verändert (vgl. etwa Androutsopoulous 2020; Dürscheid 2020). Es bilden sich neue kommunikative Dynamiken und Netzwerke heraus, deren Mechanismen und Strukturierungen fluider und unübersichtlicher, aber doch auch musterhaft sind (vgl. dazu etwa Bucher 2020; Stegbauer 2020). Das hat zur Konsequenz, dass wir die Konzeption von Sprache und Sprachverwendung im Sprachunterricht neu überdenken müssen, wenn wir ernsthaft die neuen Kommunikationsformen und -dynamiken im Unterricht vermitteln wollen. Die Ausprägung der traditionellen Schulsprachen als voll ausgebaute 3 Eine Auffassung, die erst in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts allmählich unter Druck geriet, sich allerdings noch bis weit in die neuere Forschung durchzieht (vgl. dazu Dürscheid 2012, 11-42). Nachhaltigkeit im Fremd- und Zweitsprachenunterricht 59 „Systeme“ mit einem gut definierbaren Standard muss selbst als ein besonderer Fall unter vielen thematisiert werden, der mit historischen und globalen Entwicklungen und Verwerfungen in engem Zusammenhang steht. 2.1 Sprache und gesellschaftliche Verhältnisse Vor diesem Hintergrund scheinen einige der oben dargestellten Konzepte die Rolle von Sprache im Kontext von nachhaltiger, „globaler“ Bildung noch in sehr konventioneller Weise darzustellen. Hier wird Sprache meist als Instrument der Verständigung, der Manipulation, der Perpetuierung oder Infragestellung von Ungleichheit und Macht oder aber auch der „interkulturellen Kommunikation“ gesehen (siehe exemplarisch die oben angeführten Zitate). Außen vor bleibt, dass Sprache selbst unauflösbar mit gesellschaftlichen Machtstrukturen, Differenzverhältnissen und sozialer Positionierung verbunden ist und somit kein neutrales Instrument des Interessensausgleichs oder einer irgendwie ideologiekritischen oder „interkulturellen“ Debatte darstellt. Gerade im Zeitalter von Migration, globalen wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen und Verwerfungen erleben wir jeden Tag, dass Sprachdebatten (etwa um die Sprachkenntnisse und die Varietäten, die bestimmte Menschen oder soziale Gruppen sprechen), zu einem großen Teil [...] Stellvertreterdebatten [darstellen], in denen soziale Konflikte über Sprache ausgetragen werden und Diskurse über Sprache und ,Sprachigkeit‘ als Surrogat, das heißt als Ersatz für gesellschaftlich problematisierte oder tabuisierte Konzepte wie Rasse, Volk oder Kultur fungieren (Busch 2013, 113 f.). Sprache ist gleichzeitig im Zeitalter des zunehmenden Aufbrechens von etablierten sozialen und kommunikativen Ordnungen immer stärker Ausdruck und Mittel zur symbolisch aufgeladenen individuellen, gruppen- und machtbezogenen Positionierung, Identifizierung und Herstellung von Differenz. 2.2 Sprache, Diskurse und „Faktizität“ Dabei gerät in der (kulturbezogenen) Sprachdidaktik wie auch in Teilen der Diskurslinguistik das Verhältnis von „Sprache und außersprachlicher Wirklichkeit“ (Altmayer 2020, 12) in den Fokus der fachwissenschaftlichen Debatte. So postuliert etwa Altmayer, die (gesellschaftlichen) Diskurse und die in ihnen angelegten, je unterschiedlich aktualisierten oder modifizierten Deutungsmuster bzw. „Vordeutungen“ (Altmayer 2020, 31) 4 zum Gegenstand des Deutschunterrichts zu machen, weniger die nur scheinbar objektiv gegebenen „Realia“, womit er sich u.a. gegen Ansätze wendet, die stärker auch histori- 4 Kontext der Diskussion war das Konzept der „Erinnerungsorte“ als Gegenstand einer kulturbezogenen Sprachdidaktik. Christian Fandrych 60 sche Forschung(sergebnisse) und damit Versuche der Rekonstruktion historischer Zusammenhänge heranziehen (vgl. Koreik 2018). Aus meiner Sicht sind aber gerade beide Perspektiven zentral: Diskursorientierung, Diskursfähigkeit und Diskursteilhabe bleiben ohne ernsthafte Versuche der Annäherung an historische oder gesellschaftliche „Faktizität“ - so mehrstimmig, mehrperspektivisch und unabgeschlossen letzteres Konzept auch immer sein mag - wie ein Schiff ohne Anker. „Faktizität“ aber ist selbst auch immer nur über den Zugang zu Diskursen und diskursiv zu verhandeln und zu rekonstruieren, sie ist somit nie objektiv gegeben. Dies wird heutzutage etwa deutlich, wenn man die Debatte um „alternative Fakten“ oder „fake news“ verfolgt. Hierbei muss, wie Kohring und Zimmermann (2020) dies auf kommunikationstheoretischer Basis zeigen, unterschieden werden zwischen der Strategie der „vorsätzliche[n] Herstellung pseudo-journalistischer Falschinformationen“ als Genre einerseits (ebd., 148), der politischen Etikettierung von unliebsamen Berichten oder ganzen Medien andererseits (im Deutschen etwa auch mit dem Etikett „Lügenpresse“). Das Genre selbst bezeichnen Kohring und Zimmermann präziser als „aktuelle Desinformation“. Eine solche Bestimmung ist ohne Konzepte wie „Wahrheitsanspruch“, „Unwahrheit“ und „Unwahrhaftigkeit“ (vgl. Kohring/ Zimmermann 2020, 153-157) schwer zu leisten - rekurriert damit aber eben auf die „Realia“. Wir haben es also, kurz gesagt, heutzutage mit einer ganz grundsätzlichen Infragestellung des Verhältnisses von Wahrheit/ Wirklichkeit, Wahrnehmung, Diskurs, Deutung und Deutungshoheit und damit Machtpositionen zu tun, die auch einen neuen Blick auf Sprache involviert (vgl. auch Schädlich in diesem Band; Viebrock in diesem Band). Diese Überlegungen sollen andeuten, dass zur Entwicklung von Nachhaltigkeit im Sinne einer Herausbildung von sprachlich-kommunikativen Kompetenzen für das 21. Jahrhundert eine viel fundamentalere Thematisierung des Zusammenhangs von Sprachlichkeit, Wissens-, Macht- und Gesellschaftsordnungen und Sprachverhältnissen gehört als das, was wir (zugegebenerweise stark verkürzt dargestellt) in gängigen Beschreibungen finden. Dabei ist es auch nötig, die Prämissen beispielsweise des GER selbst zu hinterfragen, der an vielen Stellen implizit von Normvorstellungen geprägt ist, die anhand voll ausgebauter, bildungssprachlich geprägter Nationalsprachen gewonnen wurden (Fandrych 2008). Es gilt, die sprachideologischen und sprachenpolitischen Prämissen selbst sichtbar zu machen, die unser Bild von Sprachenlernen im schulischen Bereich, aber auch im Bereich der Migration prägen (und häufig verzerren); damit sind die Fragen nach Sprachenrechten, Sprachzuordnungen und -bewertungen, ja von Konzeptualisierung von dem, was eine „Sprache“ eigentlich ist, selbst viel stärker zu thematisieren, als dies in der derzeitigen Sprachdidaktik erfolgt (vgl. dazu auch ausführlicher Krumm 2021). Hier sind dringend Synergien für fächerverbindenden Unterricht erforderlich, etwa im Geschichts-, Sozialkunde- und Geographieunter- Nachhaltigkeit im Fremd- und Zweitsprachenunterricht 61 richt - denn auch diese Fächer sind heutzutage ohne eine Wahrnehmung globaler wie auch regionaler und heterogener Perspektiven nicht mehr zukunftsorientiert zu betreiben. 2.3 Sprache im digitalen Raum Es ist bereits angeklungen, dass sprachliches Handeln zunehmend in digitalen Räumen stattfindet und sich hier neue Kommunikationsmuster und -netze herausbilden, die einerseits fragmentiert und unübersichtlich wirken, in denen sich andererseits durchaus strukturelle Verfestigungen und Dynamiken finden lassen, die teils wohl verschiedene Kommunikationsformen und -formate in ähnlicher Weise prägen. Ein wichtiges Strukturprinzip solcher Netzwerke ist offenbar die Herausbildung einer „Zentrum-Peripherie- Struktur“ (Stegbauer 2020, 166): Kommunikationsteilnehmende im Zentrum sind thematisch und kommunikationsdynamisch die „Treiber“ des Geschehens, beeinflussen überproportional die Normenbildung und besitzen eine Art implizite Autorität und teils auch Prominenz (Stegbauer 2020, 167). „Periphere“ Mitglieder sind zwar ebenfalls an der Aushandlung von Positionen und Stance (vgl. Barton/ Lee 2013) beteiligt, aber ihre kommunikative Reichweite, ihr Einfluss und ihre Möglichkeit zur Normsetzung sind deutlich geringer. Von diesen beiden Gruppen sind noch die reinen Beobachter/ -innen zu unterscheiden („Lurker“, vgl. Stegbauer 2020, 168), die aber ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Überbrückung verschiedener thematischer Netzwerke und Foren spielen können (vgl. ebd.). In bestimmten Netzwerken und Foren können so „Mikrokulturen“ entstehen (Stegbauer 2020, 169), die auf gemeinsam ausgehandelter Vorverständigung und mehr oder weniger festen geteilten Normen und Kommunikationskonventionen beruhen. Allerdings zeigt Vezjak (2021), dass sich diese „Mikrokulturen“ je nach Forenumfeld stark unterscheiden können - während offene Foren etablierter Medien (z.B. artikelbezogene Diskussionsforen von online-Medien wie Zeitungen oder Fernsehsendern) weniger stark zur Bildung von gruppeninterner Homogenisierung und gemeinsamer sozialer Positionierung führen, bilden sich in themenbezogenen Foren (Blogs, thematischen Foren) deutlichere Merkmale von Gruppenkohäsion aus, in denen es auch zu Abgrenzungsdiskursen und zur Vermeidung von gruppeninternen Konflikten kommt. Interessant sind die sprachlich-kommunikativen Strategien, die in den verschiedenen Umfeldern zur sozialen Positionierung herangezogen werden (vgl. etwa Kleinke 2020 zu Positionierungspraktiken in wissensbezogenen Foren). Insbesondere ist es spannend zu beobachten, wie Topoi und argumentative Muster verschiedener gesellschaftlicher Diskursstränge in konkreten Foren- und Diskussionsbeiträgen instrumentalisiert, modifiziert und argumentativ genutzt wer- Christian Fandrych 62 den. 5 Gleichzeitig findet sich hier selbstverständlich auch eine enorm große Stilvielfalt bezüglich der verwendeten Register, sozialen Stile und semiotischmultimodalen Mittel. Es soll hier nur der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen werden, dass diese Kommunikationsroutinen, -muster und Stilmittel keinesfalls „universal“ sind - es bilden sich gruppen- und sprach(raum) spezifische Konventionen heraus, die allerdings von vornherein auch durchlässiger für Einflüsse von kommunikativ dominanten Netzwerken und Sprachgemeinschaften sind, sich häufig auch mehrsprachiger Praktiken und Strategien des Code-Switchings bedienen und so insgesamt fluider und dynamischer sind, als wir dies von traditionellen Textsorten gewohnt sind. Diese Überlegungen sollen nur andeuten, auf welche kommunikativen Herausforderungen wir Sprachlernende vorbereiten müssen, wenn wir sie für die Aufdeckung von diskriminierenden und manipulativen Praktiken sensibilisieren und für die kompetente und kritische Teilhabe an Diskursen in heterogenen Gruppen und in zunehmend unübersichtlichen gesellschaftlichen Kontexten vorbereiten wollen. Nach meinem Eindruck stehen wir bei der Entwicklung von Konzepten einer solchen medien-, diskurs- und herrschaftskritischen Kompetenz und entsprechender sprachlich-kommunikativer Verfahren noch ganz am Anfang. Stattdessen sind die Lehrpläne und Lehrwerke nach wie geprägt von traditionellen Textsorten, Themen und Aufgaben - manchmal erscheinen diese zwar in „neuen Kleidern“ (vgl. Fandrych 2019; Marx 2019), strukturell und kommunikativ bleiben sie allerdings den gewohnten Kommunikationsmustern verhaftet. Auch im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) (Europarat 2001) sowie im Companion Volume (Europarat 2020) werden die mit der Digitalisierung einhergehenden Umbrüche in der Kommunikationskultur, die damit verbundenen neuen Konzeptionen von Sprache, Medialität und Multimodalität sowie die gesellschaftlichen und sozialen Implikationen dieses Wandels nur marginal und unzureichend berücksichtigt (vgl. Steininger 2020, 75-77). So wird in vielen Lehrplänen inzwischen die Nutzung von digitalen Medien im Unterricht befürwortet, allerdings „bleiben die Ziele, die Inhalte und die didaktischen Formen der digitalen Medien meist nur vage formuliert“ (Brocca 2020, 182; hier auf Österreich bezogen). Auch „die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit den digitalen Medien“ ist aus den Lehrplänen nach Broccas Analyse „nicht ersichtlich“ (ebd., 183). Brocca betont insbesondere die Relevanz der kritischen Analyse von medien- und kommunikationsform-typischen Strategien der „impliziten Kommunikation“ (ebd., 185), die auch im GER nur am Rande und erst auf Niveau C1 als Kom- 5 In diesem Zusammenhang stellt das von Vogel initiierte und geleitete Projekt „Diskursmonitor“ eine spannende Ressource dar; es bietet „fachlich fundierte Informationen zu der Frage, wie mit Sprache, Bildern und Medien politische Interessen verfolgt werden“ (vgl. https: / / diskursmonitor.de/ (25/ 05/ 2021)). Nachhaltigkeit im Fremd- und Zweitsprachenunterricht 63 petenz angesetzt wird. Besonders geeignet erscheint hier die Verbindung von Fach- und Sprachunterricht, wie dies schon die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz und der Deutschen UNESCO-Kommission anregten (KMK/ DUK 2009). Brocca zeigt anhand einiger Beispiele, wie schon auf den Niveaus B1/ B2 anhand politischer Twitter-Kommunikation der Umgang mit Präsuppositionen und Implikaturen thematisiert und kritisch behandelt werden kann. Auch klassische Themen der Fremdsprachendidaktik wie Ernährung und Essen können, wenn man die neuen Kommunikationsräume ernst nimmt, zu spannenden, dynamischen und facettenreichen Domänen für sprachliches und diskursives kulturelle Lernen werden, wie Vezjak (2021) dies in ihrer Analyse forenbasierter alimentärer Kommunikation verdeutlicht. Sie zeigt auf, wie sich unterschiedliche Kommunikationsräume mit teils je spezifischen kommunikativen sozialen Praktiken und Positionierungsverfahren verbinden und identifiziert dabei wichtige sprachlich-argumentative Formen und Strategien in deutschsprachigen Foren. So kann auch die Vielfalt kultureller Praktiken in einem deutschsprachigen Diskursraum verdeutlicht werden, gleichzeitig wird anhand solcher Foren auch deutlich, wie sich „Mikrokulturen“ etablieren, dynamisch entwickeln, voneinander abgrenzen oder auch diversifizieren. Solche Analysen sind, wenn sie denn didaktisch produktiv genutzt werden, dazu geeignet, kulturbezogene Thematiken diskurs- und sprachbezogen zum Gegenstand von Fremdsprachenunterricht zu machen und so auch die immer noch häufig anzutreffende Dichotomie von Landeskunde und Sprachunterricht zu überwinden. 3 Fazit Als Fazit ist festzuhalten, dass eine zukunftsorientierte und die Lernenden kommunikativ ermächtigende Sprachdidaktik die Praktiken moderner Kommunikation ernst nehmen, ihre Rolle in der Herstellung von gesellschaftlicher und globaler Differenz kritisch thematisieren muss. Dies aber erfordert auch eine grundsätzliche Reflexion überkommener Vorstellungen von Standardsprachlichkeit, Variation und Mehrsprachigkeit sowie den Mut, sich auch auf kommunikative Räume einzulassen, die dem traditionellen Kanon nicht entsprechen. Dabei kann man nicht einfach überkommene Textsorten und Aufgaben durch scheinbar äquivalente neue Kom munikationsformate ersetzen. Die Fremdsprachendidaktik und die bildungsbezogene Linguistik haben hier wichtige Aufgaben vor sich, die aus meiner Sicht praktisch noch gar nicht in Angriff genommen worden sind. Dazu gehören Fragen wie: Welche sprachlich-kommunikativen Formate und Praktiken sind für bestimmte Gruppen von Lernenden besonders relevant - für den (institutionellen und nicht-institutionellen) Lernprozess selbst sowie für die anzustrebende kom- Christian Fandrych 64 munikativ-diskursive Kompetenz der Lernenden in der L2? Welche sprachlichen, stilistischen, kommunikativ-medialen Praktiken sind mit diesen Sprachereignissen verbunden? Wie sind diese in gesellschaftliche, (sub-)kulturelle und soziale Praktiken eingebunden? Welche Lernziele lassen sich mit diesen Praktiken sinnvollerweise verbinden, welche Fertigkeiten und Kompetenzen sind involviert? Wie ordnen sich diese Praktiken in das Varietätenspektrum und in Mehrsprachigkeitspraktiken ein? Welche medien-, herrschafts- und diskurskritischen Dimensionen sind mit diesen Praktiken verbunden, und wie lassen sich diese exemplarisch aufzeigen? Wie kann mit solchen Formaten in einem institutionellen Kontext gearbeitet werden, der weitgehend standardisierte Prüfungsformate und Sprachkompetenztests vorsieht? Wie können Lehrende auf die Arbeit mit Kommunikationsräumen vorbereitet werden, die multipolar, fluide, variationsreich, fragmentiert und von „Mikrokulturen“ geprägt sind, deren soziale und gesellschaftliche Einbettung teils unübersichtlich und komplex ist? Diesen und weiteren Fragen muss sich eine auf Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit orientierte Fremdsprachendidaktik aus meiner Sicht dringend stellen. Literatur Altmayer, Claus (2020): „,Erinnerungsorte‘ im Kontext von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache - aus der Sicht einer kulturwissenschaftlich transformierten ,Landeskunde‘“. 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Während z.B. im Geografieunterricht das fachliche Selbstverständnis maßgeblich durch die Idee der Nachhaltigkeit und der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) geprägt ist (vgl. für Berlin und Brandenburg LISUM 2015), gelten im Fremdsprachenunterricht die Entwicklung interkultureller Handlungsfähigkeit und fremdsprachlicher Diskursfähigkeit als zentrale Zielsetzungen. Globale Themen wie Migration oder Globalisierung sowie Themen der Nachhaltigkeit (u.a. Natur und Umwelt) gehören zwar zum Themenkanon des Fremdsprachenunterrichts- die fachlichen Diskurse des fremdsprachlichen und interkulturellen Lernens sind allerdings lange unabhängig von Nachhaltigkeitsdiskursen oder dem Ansatz des globalen Lernens geführt worden und werden erst seit ein paar Jahren explizit miteinander verknüpft (vgl. z.B. Basseler 2014; Lütge 2015; Bastkowski 2019; Freitag-Hild 2019). Aus diesem Grund ist die Frage nach der Relevanz von BNE im Kontext des Fremdsprachenunterrichts berechtigt und stellt sich derzeit verstärkt im Zusammenhang mit der Agenda 2030 sowie den im Jahr 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten 17 Sustainable Development Goals (SDGs), die Bildung für ‚nachhaltige Entwicklung‘ zu einer zentralen Zielsetzung im gesamten Bildungsbereich erklärten. Mit der Agenda 2030 wurden auf nationaler und internationaler Ebene eine Vielzahl an Maßnahmen und institutionalisierten Prozessen angestoßen, um Bildung für nachhaltige Entwicklung im Bildungssystem zu verankern und zu stärken. In Deutschland entstand u.a. der Orientierungsrahmen für den Lernbereich globale Entwicklung (KMK 2016), der BNE als Querschnittsaufgabe schulischer Bildung versteht und die Implementierung entsprechender Inhalte und Ziele in die länder- und fachspezifischen Curricula unterstützen soll. Die im Orientierungsrahmen definierten Kompetenzbereiche und fächerübergreifenden Kompetenzbeschreibungen für das globale Lernen betreffen alle Fächer und damit auch den Fremdsprachenunterricht. In diesem Sinne ist auch die Fremdsprachendidaktik aufgerufen, sich in dem Diskurs zu positionieren und darüber nachzuden- Britta Freitag-Hild 68 ken, wie sich fachübergreifende Kompetenzen des globalen Lernens und der BNE zu den fachspezifischen Inhalten und Zielsetzungen des Fremdsprachenunterrichts verhalten bzw. welchen spezifischen Beitrag die Fremdsprachendidaktik für den fächerübergreifenden und -verbindenden Ansatz leisten kann. Neben dem Ansatz zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), die im englischsprachigen Kontext als Education for Sustainable Development (ESD) bezeichnet wird, werden im Folgenden der Bereich der Global Citizenship Education (GCE) beleuchtet und Anschlussmöglichkeiten für die Fremdsprachendidaktik skizziert. Abschließend werden Implikationen für den Fremdsprachenunterricht bzw. seine Inhalte und Ansätze erörtert und Desiderate für die fremdsprachendidaktische Forschung und die Lehrerbildung im Bereich der Fremdsprachen aufgezeigt. 1 Shifting the frame: Was bedeutet Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht? Was bedeutet ‚nachhaltige Entwicklung‘? Einem Papier der UNESCO zufolge zielt BNE im Kern auf das Erlernen einer nachhaltigen Lebensweise, auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene. Dabei geht es einerseits um die Entwicklung eines Bewusstseins für die Auswirkungen unseres Handelns im Hier und Jetzt auf das Leben von Menschen in anderen Ländern oder das Leben zukünftiger Generationen. Andererseits geht es um die aktive Mitgestaltung gesellschaftlicher Prozesse nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit. Als Individuen und Gesellschaften müssen wir demnach lernen, Verantwortung für uns, für andere und für unsere Umwelt zu übernehmen, soziale Ungleichheiten auszuräumen, politische Gestaltungsmöglichkeiten zu schaffen und zu nutzen sowie Frieden zu sichern: With a world population of 7 billion people and limited natural resources, we, as individuals and societies need to learn to live together sustainably. We need to take action responsibly based on the understanding that what we do today can have implications on the lives of people and the planet in future. Education for Sustainable Development (ESD) empowers people to change the way they think and work towards a sustainable future (UNESCO 2020, o.S.). Der Ansatz der BNE orientiert sich am Leitbild der ‚nachhaltigen Entwicklung‘, das u.a. in den UN-Beschlüssen von Rio 1992, Johannesburg 2002, Rio+20 2012 entwickelt wurde und sich in der von den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen unterzeichneten Agenda 2030 mit den Sustainable Development Goals manifestiert. Die grundlegende Idee, die darin zum Ausdruck kommt, bezieht sich auf die Erkenntnis, dass für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaften verschiedene Dimensionen berücksichtigt und vor dem Hintergrund möglicher Zielkonflikte miteinander abgestimmt wer- Fremdsprachenunterricht global denken 69 den müssen: Soziales, Wirtschaft, Politik und Umwelt (vgl. KMK 2017, 34). Um das Recht von Gesellschaft(en) auf Entwicklung gerecht - d.h. sowohl weltweit als auch unter Berücksichtigung heutiger und zukünftiger Generationen - wahrnehmen zu können, sind demnach auf lokaler, regionaler und globaler Ebene (1) soziale Gerechtigkeit, (2) wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, (3) demokratische Politikgestaltung und (4) ökologische Verträglichkeit als Zieldimensionen gesellschaftlichen Zusammenlebens im Blick zu behalten. Die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele soll demnach gewährleisten, dass Menschen in Sicherheit und Frieden miteinander leben können, dass Menschenrechte, Grundfreiheiten und kulturelle Vielfalt geachtet und gewahrt werden und der nachhaltige Umgang mit natürlichen Ressourcen sichergestellt wird. Lernende müssen daher Kompetenzen erwerben, die es ihnen ermöglichen, relevante und lebensweltnahe Probleme und Herausforderungen auf lokaler und globaler Ebene zu erforschen, Zielkonflikte zu erkennen, unterschiedliche Akteure und ihre Perspektiven kennen zu lernen, Konflikte auszuhandeln, Lösungs- und Handlungsmöglichkeiten abzuwägen und fundierte Urteile und Entscheidungen zu treffen (vgl. KMK 2017, 7ff.). Im Kern geht es BNE um die Entwicklung von Handlungs- und Gestaltungskompetenz im Sinne von Engagement und gesellschaftlicher Partizipation der Lernenden, um verantwortungsvolles Handeln und die Befähigung, zukunftsgerichtete Entscheidungen auf lokaler und globaler Ebene und auf der Grundlage eines ethischen Wertesystems zu treffen (vgl. LISUM 2019, 5). Was bedeutet nun Nachhaltigkeit aus fremdsprachendidaktischer Sicht? Wenngleich BNE als Querschnittaufgabe schulischer Bildung betrachtet wird und damit in der Verantwortung aller Fächer liegt, ist für den Fremdsprachenunterricht die Frage nach der Anschlussfähigkeit an die fachspezifischen Inhalte und Zielsetzungen zu klären: Die erste Leitfrage der diesjährigen Tagung fragt danach, inwiefern ‚Nachhaltigkeit‘ fachspezifische Begriffe oder Konzepte aufgreift, erweitert oder ersetzt. Meine Überlegungen richten sich dabei zunächst auf die fachspezifischen Inhalte und Themen: So z.B. legt das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung eine Erweiterung der Perspektive bzw. des Blickwinkels nahe, aus dem heraus gesellschaftliche und kulturelle Phänomene im Fremdsprachenunterricht betrachtet, analysiert und reflektiert werden. Während im Englischunterricht die Auseinandersetzung mit anglophonen Kulturen und Sprachverwendungszusammenhängen konstitutiv ist, verlagert sich der neue Blickwinkel im Sinne eines shifting the frame in Richtung der Weltgesellschaft bzw. in Richtung globaler Themen und Herausforderungen. Der neue Blickwinkel, der auch für die Global Citizenship Education gilt (Wintersteiner et al. 2014), führt aber nicht nur zur Beschäftigung mit globalen Themen, sondern bemüht sich vielmehr um eine „Verbindung von Globalem und Lokalem zum Glokalen“ (ebd., 4), so dass die Themen des Fremd- Britta Freitag-Hild 70 sprachenunterrichts aus der Perspektive von BNE und GCE stets in ihrer lokalen, regionalen und in ihrer globalen Dimension betrachtet und reflektiert werden müssen. Aus fremdsprachendidaktischer Sicht ist es dafür vorteilhaft, dass im Fremdsprachenunterricht bei der Auswahl relevanter Themen und Inhalte eine große Offenheit besteht, die für die Integration von Nachhaltigkeitsthemen genutzt werden kann (vgl. UNESCO MGIEP 2017): Die übergeordneten Themenfelder des Fremdsprachenunterrichts - Individuum und Lebenswelt, Gesellschaft und öffentliches Leben, Kultur und historischer Hintergrund, Natur und Umwelt (vgl. LISUM 2015, 33ff.) - lassen sich in geeigneter Weise mit den Inhalten der sog. SDGs verbinden. Dadurch ergeben sich zusätzlich vielfältige Möglichkeiten für eine fächerübergreifende bzw. fächerverbindende Betrachtungsweise. Zudem werden globale Themen wie Migration und kulturelle Vielfalt, internationale Beziehungen, Globalisierung oder auch Natur und Umwelt ohnehin als relevante Inhalte für den Fremdsprachenunterricht betrachtet, weil Lernende durch die Entwicklung fremdsprachiger kommunikativer Kompetenzen befähigt werden, an den relevanten Diskursen auf globaler Ebene zu partizipieren. Aber auch die eher lokal verorteten Themen aus der unmittelbar erlebten Lebenswelt der Lernenden - Familie, Freunde, Freizeit, Wohnort, Berufswahl, Mode - lassen sich stets in ihren globalen Bezügen reflektieren und mit Fragen der Nachhaltigkeit verbinden. Der eigene Schulweg oder die eigene Wohnsituation kann dann z.B. mit den Lebensrealitäten von Kindern in anderen Ländern oder Regionen verglichen werden, so dass die Lernenden diese Lebenswelten kennen lernen und ein stärkeres Bewusstsein von der eigenen Situation und Position entwickeln können (vgl. z.B. die Unterrichtsvorschläge in Strobel 2019; Freitag-Hild 2021a). 2 Language as a power tool: Die politische Dimension sprachlichen und kulturellen Lernens im Fremdsprachenunterricht Der Blick auf die Weltgesellschaft, die Verbindung des Lokalen mit dem Globalen und die Orientierung am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung gehen einher mit den ethischen Werthaltungen der Friedenspädagogik und der Menschenrechtsbildung. Dem Konzept des world citizenship entsprechend besteht ein übergeordnetes Ziel von BNE und GCE darin, Lernende zur „politischen Anteilnahme und Teilhabe am (weltpolitischen) Geschehen“ (Wintersteiner et al. 2014, 4) zu befähigen. Das sprachliche und kulturelle Lernen im Fremdsprachenunterricht erhält damit zugleich eine politische Funktion, weil es Lernenden ermöglicht, sich als verantwortungsvolle global citizens im privaten, beruflichen und zivilgesellschaftlichen Bereich für die nachhaltige Gestaltung der Gesellschaft einzusetzen. Worin besteht nun der besondere Beitrag des Fremdsprachenunterrichts zum Ziel der Bildung für nachhaltige Entwicklung? Wir nutzen Sprache in Fremdsprachenunterricht global denken 71 erster Linie um miteinander zu kommunizieren - diese Funktion von Sprache steht auch im Fremdsprachenunterricht an erster Stelle: Fremdsprachenlernende erwerben die kommunikativen Fähigkeiten, die es ihnen ermöglichen, Informationen zu erhalten und weiterzugeben, Erfahrungen mit anderen zu teilen, sich über unterschiedliche Sichtweisen auszutauschen und zu verständigen. Auf diese Weise schafft der Fremdsprachenunterricht die Voraussetzungen, um sich über globale Herausforderungen auszutauschen, um sich Wissen zu global issues anzueignen und sich über unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten auszutauschen. Neben der Entwicklung kommunikativer Kompetenzen als Voraussetzung für Interaktion, Austausch und Verständigung lassen sich aber zwei weitere Funktionen benennen, die der Fremdsprachenunterricht im Rahmen von Bildung für nachhaltige Entwicklung übernehmen kann: Zum einen kann er durch seine Möglichkeiten zur Sprachreflexion einen Beitrag dazu leisten, Sprache als „power tool to create a peaceful, just and ecological sustainable world“ (UNESCO MGIEP 2017, 159) bewusst wahrzunehmen. Zum anderen ermöglicht der Fremdsprachenunterricht den Zugang zu Literatur, die kritisches Denken und Wertebildung fördert, die Entwicklung von Empathie und Perspektivenübernahme, aber auch von Zukunftsvisionen unterstützt. Während die kommunikative Funktion von Sprache in einem kommunikativen, aufgabenbasierten und kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht bereits angemessen berücksichtigt wird, verdienen m.E. sowohl die Idee von language as a power tool als auch die Rezeption von Literatur mit Blick auf die globalen Themen verstärkte Aufmerksamkeit. Gerade der Fremdsprachenunterricht mit seinen Möglichkeiten zur Sprachreflexion sowie zum kulturellen und literarischen Lernen sollte dazu beitragen, die politische Macht der Sprache bewusst zu machen und darüber nachzudenken, wie Sprache unsere Wahrnehmung von der Welt prägt und zugleich unser Zusammenleben in der (Welt-)Gesellschaft mitgestaltet: Je nachdem, welche Worte wir wählen oder meiden, welche Geschichten wir erzählen oder nicht erzählen, welche Sichtweisen wir berücksichtigen oder ausschließen - Sprache produziert kulturelle Bedeutungen, gestaltet unsere Beziehungen; sie kann begeistern, überzeugen oder ermutigen, aber auch manipulieren; sie kann inklusiv wirken, aber auch andere ausschließen; sie kann Visionen einer nachhaltigen, sozial gerechten Welt ermöglichen oder aber verhindern. Die Frage, wie wir z.B. über Menschen sprechen, welche Begriffe wir nutzen und welche Geschichten wir über sie erzählen, ist nicht nur eine Frage des Wortschatzes und der sprachlichen bzw. kommunikativen Kompetenzen zum Erzählen einer Geschichte. Vielmehr kommt es auch darauf an, die Frage der sprachlichen Repräsentation sowie die kulturellen und ggf. historischen Kontexte der Geschichte(n) zu reflektieren: Wer z.B. Menschen auf der Flucht nicht als migrants oder refugees, sondern als illegal immigrants bezeichnet, Britta Freitag-Hild 72 erkennt ihnen zugleich (bewusst oder unbewusst) das internationale Recht auf Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention ab. Genauso unangemessen ist die Bezeichnung von Menschen, die während des atlantischen Sklavenhandels als Sklaven nach Amerika verkauft wurden, als ‚workers‘ (vgl. Wong 2015): Die Problematik, die mit solchen Bezeichnungen verbunden ist, besteht in der Umdeutung leidvoller menschlicher Erfahrungen, die in diesen Fällen mit Flucht einerseits bzw. mit Sklavenhandel andererseits einhergehen. Damit wir als Sprecher einer (fremden) Sprache eine bewusste Wortwahl treffen können, müssen wir daher Kategorisierungen wie Black und White oder refugee vs. migrant in ihren historischen, gesellschaftlichen und auch politischen Bedeutungen verstanden haben. Erst dann kann in einer Gesprächs- oder Kommunikationssituation eine bewusste Entscheidung über die Verwendung von refugees oder migrants getroffen oder auch verstanden werden, welche Bedeutungen in einer Aussage eines Gesprächspartners oder z.B. politischer Akteure mitschwingen. Neben der gemeinsamen Reflexion über die politische Macht von Sprache kann aber auch der Zugang über Literatur und ihre Inszenierung von (fiktionalen) Einzelschicksalen und Perspektivenwechseln den kritischen Blick auf gesellschaftliche Machtstrukturen lenken und die Entwicklung von kritischer Reflexionsfähigkeit im Sinne einer critical literacy fördern (zu critical literacy vgl. auch Freitag-Hild 2021b). Mit Blick auf die Entwicklung von critical literacy bietet zudem der Ansatz der Global Citizenship Education neue Impulse für den bislang stark auf die Förderung interkultureller kommunikativer Kompetenzen ausgerichteten Fremdsprachenunterricht: Werner Wintersteiner et al. (2014, 9ff.) unterscheiden zwei unterschiedliche, idealtypische Ausprägungen von Ansätzen der Global Citizenship Education: zum einen den individuell-humanitären Ansatz, der den Fokus stärker auf das Individuum und die Entwicklung der erforderlichen Kompetenzen eines global citizen legt (sog. ‚individueller Kosmopolitismus‘), zum anderen den strukturell-politischen Ansatz, der die Aufmerksamkeit stärker auf die gesellschaftlichen Strukturen und Hindernisse legt, die verändert werden müssen, um der Idee von global citizenship ein Stück näher zu kommen (‚struktureller Kosmopolitismus‘), auch wenn sie eine Utopie bleibt bzw. bleiben muss (vgl. ebd., 13). Die Autoren plädieren für das Paradigma des global citizenship-Ansatzes, ohne jedoch die Bedeutung der Entwicklung von Kompetenzen eines global citizen aus dem Blick zu verlieren. Aus ihrer Sicht darf jedenfalls der Fokus auf die Rolle des Individuums bzw. der Lernenden als verantwortungsvoll handelnde Weltbürger nicht von den strukturellen Problemen wie z.B. den gesellschaftlichen Machtverhältnissen ablenken, die der Idee des global citizenship entgegenstehen (vgl. ebd., 11f.). Global Citizenship Education ist dabei als ‚transformative Bildung‘ zu verstehen, die Lernenden nicht nur die erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen eines Weltbürgers vermittelt, son- Fremdsprachenunterricht global denken 73 dern ihnen konkrete Partizipationsmöglichkeiten aufzeigt und damit aktives Handeln und Teilhabe als ‚agents of change‘ ermöglicht (vgl. ebd., 23f.). Für den Fremdsprachenunterricht, in dem die Ausbildung interkultureller kommunikativer Kompetenzen der Lernenden derzeit ein übergeordnetes Lernziel darstellt, beinhaltet die Auseinandersetzung mit dem Ansatz der Global Citizenship Education eine stärkere Fokussierung auf gesellschaftliche Strukturen und die politischen Voraussetzungen, als es das Konzept der interkulturellen Kompetenz bisher vorsieht. Damit wird die Aufmerksamkeit deutlicher als zuvor auf Fragen der weltweiten Verteilung von Macht, Reichtum, Lebens- und Bildungschancen gelenkt. Diese Dimensionen gilt es in der problemorientierten Auseinandersetzung mit BNE-Themen und Inhalten im Fremdsprachenunterricht zu berücksichtigen, wenn die politische Dimension sprachlichen und kulturellen Lernens stärker einbezogen werden soll. 3 The road ahead: Forschungs- und Entwicklungsbedarfe für BNE und GCE im Fremdsprachenunterricht Die Auseinandersetzung der Fremdsprachendidaktik mit den Ansätzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung und der Global Citizenship Education hat gerade erst begonnen. Zwar gibt es innerhalb der Kulturdidaktik mit den Konzepten zum inter- und transkulturellen Lernen, zu den Cultural Studies im Fremdsprachenunterricht sowie auch zum globalen Lernen etablierte Ansätze, die anschlussfähig an Inhalte und Zielsetzungen der BNE und GCE sind. Allerdings ist die Frage nach den theoretischen Grundlagen eines an BNE und GCE orientierten Fremdsprachenunterrichts mit wenigen Ausnahmen bislang nur vereinzelt, nicht aber systematisch erörtert oder angegangen worden. Hier fehlt es sowohl an einer Aufarbeitung relevanter theoretischer Bezugspunkte und Konzepte, die den fremdsprachendidaktischen Diskurs mit den Ansätzen einer fachübergreifend verstandenen Bildung für nachhaltige Entwicklung in Beziehung setzen, als auch an einer Erörterung des fachspezifischen Beitrags bzw. den fachspezifischen Kompetenzen, die im Fremdsprachenunterricht mit Blick auf sprachliches, kulturelles und literarisches Lernen gefördert werden können. Im Zusammenhang mit der Agenda 2030 und den SDGs sowie der Veröffentlichung des Orientierungsrahmens für den Lernbereich globale Entwicklung sind außerdem vielfältige Lehr-Lern-Materialien entstanden, die über die UNESCO, über NGOs und digitale Plattformen als Open Educational Resources für Lehrkräfte verfügbar sind. Für den Englischunterricht bieten diese Angebote eine Fülle an authentischem, englischsprachigen Material und Aufgabenstellungen. Allerdings entlastet die Vielzahl der Angebote kaum von der Verantwortung, für die eigene Lerngruppe geeignete Themen, Materialien und Aufgabenstellungen zu finden und dem fremdsprachlichen Niveau der Lernenden anzupassen. Zumeist sind Materialien für den Einsatz von Eng- Britta Freitag-Hild 74 lisch als Erst- oder Zweitsprache, nicht aber für den Fremdsprachenunterricht gedacht und müssen entsprechend adaptiert werden. Da auch Lehrwerke die Ansätze der BNE und GCE kaum systematisch aufgreifen, ergeben sich hier ebenfalls Entwicklungsbedarfe für die Fremdsprachendidaktik, um Lehr-Lern-Materialien für den Einsatz im Fremdsprachenunterricht und auch für die Stärkung der politischen Dimensionen (siehe Abschnitt 2.) anbieten zu können. Dies betrifft in ähnlicher Weise die Erweiterung des Literaturkanons mit Blick auf BNE-Themen und die stärkere Berücksichtigung englischsprachiger Weltliteratur, die die geforderte Erweiterung der Perspektive auf die Weltgesellschaft ermöglicht. Außerdem ist es im Rahmen der Bildung für nachhaltige Entwicklung nicht nur sinnvoll, sondern geradezu geboten, Themen bzw. Inhalte - wie z.B. Migration, Stadtentwicklung, nachhaltiger Konsum oder natürliche Ressourcen und Klimaschutz - stärker fächerübergreifend zu denken und Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Materialentwicklung anzugehen, um geografische, politische und wirtschaftliche, historische, soziokulturelle und fremdsprachliche Dimensionen angemessen berücksichtigen zu können. Gerade die globalen Themen und Inhalte, die auch in den Nachhaltigkeitszielen erfasst sind, lassen sich in ihrer Komplexität nur angemessen durchdringen, wenn unterschiedliche fachliche Perspektiven betrachtet und reflektiert werden. Es liegt auf der Hand, dass die Ansätze der BNE und GCE nicht nur fachspezifische Kompetenzbeschreibungen für den Fremdsprachenunterricht erfordern, sondern auch spezifischer Lehrerkompetenzen bedürfen, die es bereits in der Lehrerbildung an der Universität zu entwickeln gilt. Daraus entsteht der Bedarf, entsprechende Inhalte in den Studiengängen und Studienordnungen zu verankern und hochschuldidaktische Konzepte und Formate zu entwickeln, um angehende Fremdsprachenlehrkräfte angemessen auf diese Aufgabe und BNE-Inhalte vorzubereiten. Gerade im Kontext von Digitalisierungsmaßnahmen und virtuellen Austauschformaten (u.a. Erasmus+, COIL- Programme, DAAD-Projekte) ergeben sich hier Möglichkeiten, um Lehramtsstudierende mit Studierenden aus anderen Ländern, kulturellen Kontexten und ggf. anderen Disziplinen miteinander zu vernetzen. Insbesondere die thematische Ausrichtung auf ein globales Thema im Bereich der SDGs, das in den jeweiligen geografischen und politischen Kontexten der Studierenden sehr unterschiedlich wahrgenommen und diskutiert wird, kann hier den Blick auf die Komplexität der globalen Thematik, aber auch auf die eigene, zumeist von politischen Diskursen im nationalen Kontext geprägten Sichtweise eröffnen. Für die Entwicklung von BNE-relevanten Kompetenzen auf Seiten der angehenden Lehrkräfte scheint in diesem Format ein großes Potenzial zu liegen. Bislang gibt es in der Fremdsprachendidaktik in Deutschland erst vereinzelte Initiativen, so dass sich hier ein großer Bedarf für die Weiterentwicklung solcher hochschuldidaktischen Formate und die Erforschung von Lehrerkompetenzen ergibt. Fremdsprachenunterricht global denken 75 Literatur Basseler, Michael (2014): „Environmental Learning. Ökodidaktische Konzepte für den Englischunterricht“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 129, 2-8. Bastkowski, Martin (2019): „Global Goals im Englischunterricht. Wie die Global Goals entstanden und was sie für den Unterricht bedeuten“. In: Englisch 5-10 47, 28-31. Freitag-Hild, Britta (2019): „Seeking Refuge. Globales Lernen zum Thema Flucht, Vertreibung, Migration“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 159, 2- 7. Freitag-Hild, Britta (2021a): „On the way to school. 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Während es bei der Forstwirtschaft noch darum ging, dass nicht mehr Holz geschlagen werden sollte, als auch zugleich geplant neu angepflanzt wurde, ging es beim rasanten Aufstieg des Begriffs zunächst um einen schonenden Umgang mit den Ressourcen unserer Erde, wobei die Veröffentlichung des Club of Rome von 1972 mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ eine weltweite Signalwirkung hatte. Inzwischen hat der Begriff eine Ausweitung erfahren und zugleich an definitorischer Schärfe verloren. Er kann sowohl in der Politik wie auch bei Wirtschaftsunternehmen als Verkaufsargument verwendet werden und dient in einem allgemeinen Verständnis einem möglichst solidarischen auf Zukunft ausgerichtetem Denken und Handeln. Die letztlich unaufhaltsame Erfolgs- und Verbreitungsgeschichte des Begriffs ist vor allem aber der Tatsache geschuldet, dass immer größere Teile der Weltbevölkerung zur Kenntnis nehmen mussten (und müssen), dass ein menschengemachter Klimawandel ohne heftige Einschnitte in eine Klimakatastrophe münden wird. Maßgeblich für die Bedeutung, die dieser Begriff, vor allem auch in der englischen Variante „sustainability“, erhalten hat, sind vor allem Veröffentlichungen und Beschlüsse der UN und der UNESCO. „Humanity has the ability to make development sustainable to ensure that it meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs“ (United Nations 1987, o.S.). Und 2017 wird Ausbildung und Bildung als ein Schlüsselinstrument für das Erreichen einer nachhaltigen globalen Entwicklung gesehen: Uwe Koreik 78 All educational institutions - from preschool to tertiary education and in nonformal and informal education - can and should consider it their responsibility to deal intensively with matters of sustainable development and to foster the development of sustainability competencies (UNESCO 2017, 7). So kann es auch nicht verwundern, dass der Begriff inzwischen auch in Forschung und Lehre angekommen ist und damit auch für den Fremdsprachenunterricht Bedeutung erlangt hat oder noch stärker bekommen soll. Daraus entsteht die Frage, wie vor allem im Rahmen der Kulturvermittlung, oder traditionell ausgedrückt durch den Landeskundeunterricht, Inhalte und vielleicht auch Werte vermittelt werden können, die zu einem kritischen Denken beitragen und Kenntnisse vermitteln, die zu Partizipation in der Gesellschaft und mit Blick auf die Zukunft zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit Menschen und Umwelt führen. Das könnte im besten Fall eine Bildung für nachhaltige Entwicklung ermöglichen, auch wenn das recht pathetisch klingen mag. 2 „Pendelschwünge“ in der Kulturvermittlung im Fremdsprachenunterricht Hans Simon-Pelanda hat vor fast zwei Jahrzehnten folgendes festgestellt: Die ›Landeskunde-Diskussion‹ könnte man seit ihren Anfängen als Abfolge exklusiv behaupteter Ansätze kennzeichnen, als ›Pendelschwungbewegungen‹ von realistischen zu idealistischen Zielen, von anwendbarem Wissen zu individueller Bildung, von Fertigkeiten zu Fähigkeiten, von pädagogisch zu politisch legitimierten oder gesetzten Zielen - und vice versa (Simon-Pelanda 2001, 48). Der Topos „Pendelschwünge“ vermittelt allerdings ein falsches Bild, da ein ausschlagendes Pendel immer wieder am Tiefpunkt ankommt, was so jedoch für die „Landeskundediskussion“ nicht stimmt (vgl. Koreik 2011, 582). Veränderungen im Fachdiskurs müssen durchaus auch die Rückbesinnung auf frühere Argumentationslinien und auch Korrekturen erlauben. Wenn in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts emanzipatorische Bildung als Ziel des Fremdsprachenunterrichts deklariert wurde, wird man daran erinnert, wenn man den folgenden Ankündigungstext von Claire Kramsch (2020) zu einer Vorlesung liest: Never before have language teachers been so challenged to rethink what it means to learn and use a new language in an era of reality TV, social media and digital algorithms […]. In the name of communicative competence, foreign language educators have let the communication experts define the pragmatic goals of language learning. But today, drawing on insights from linguistic anthropology and sociolinguistics within a post-structuralist perspective [… ] many are seeking ways to recapture the symbolic, historical and political Kulturvermittlung im DaF-/ DaZ-Unterricht 79 dimensions of language and the role of language as discourse in the current culture wars (EKVV, Universität Bielefeld, WS 2020/ 2021). Die aktuellen Verwerfungen in der gesamten Weltpolitik gerade auch mit Blick auf den Klimawandel, lassen tatsächlich Überlegungen angeraten sein, in welcher Weise auch im Fremdsprachenunterricht Verantwortung für die Zukunft übernommen werden kann. 3 Zur jüngeren Geschichte der Kulturwissenschaft und der damit verbundenen Kulturvermittlung im Fremdsprachenunterricht Kulturvermittlung im Fremdsprachenunterricht kann nicht getrennt werden von der Entwicklung in den Kulturwissenschaften, die sich zunächst ganz grob auch mit dem Schlagwort cultural turn wenigstens etikettieren lässt. Unter dem Titel „Ein Vierteljahrhundert neue kulturwissenschaftliche Forschung und Lehre in Deutschland“ führt Eugen Kotte (2017b) in einem Tagungsband (Kotte 2017a) einführend aus, wie sich seit Beginn der neunziger Jahre ausgehend von den USA, Großbritannien und Frankreich die Kulturwissenschaften selbst und damit auch in den Philologien verändert hätten. Mit Verweis auf den aus den USA kommenden linguistic turn „mit dem die Grenzen des Denkens als durch die Sprache gezogen angenommen wurden, hinter denen keine Wirklichkeit einholbar“ erscheine (Kotte 2017b, 8) konstatiert er, dass als Kritik an der einseitigen Auslegung von „Kultur als Text“ der iconic oder pictoral turn „[…] auf die wirklichkeitsreflektierende wie -gestaltende Ausdruckkraft visueller Artefakte verwiesen“ habe (ebd.). Die Kulturwissenschaften seien geprägt gewesen von permanenten Auseinandersetzungen über „den ihnen zugrundeliegenden Kulturbegriff, das radikalkonstruktivistische Wirklichkeitsverständnis, die noch unscharfe Konturierung, konfligierende Selbstverständnisse, die Prioritätensetzung (Perspektive oder Gegenstandswahl) […]“ (Kotte 2017b, 9). Er stellt zudem fest, dass „das didaktische Defizit der Kulturwissenschaften augenfällig [ist], wenngleich es differenziert zu betrachten ist, denn es sind zweifellos unmittelbare Auswirkungen der kulturalistischen Wende auf didaktische Konzeptionen in den Didaktiken einzelner Fächern [! ] festzustellen“ (Kotte 2017b, 15). Für die Anglistik konstatiert Wiemann: Cultural Studies wurden (anstelle der traditionellen „Landeskunde“) nahezu flächendeckend als verbindliche Komponente des regulären Anglistikstudiums etabliert […] (Wiemann 2017, 56). Dabei erweise schon ein kursorischer Blick auf die selbstkritischen Bestandsaufnahmen in den deutschen Cultural Studies eine grassierende Entpolitisierung der Disziplin als ein beständiges Leitmotiv (Wiemann 2017, 57). Wiemann betont deswegen die rhetorische Frage von Gesa Stedman, ob „wir noch an dem politischen Impetus teilhaben, den die Cultural Studies- Uwe Koreik 80 Aktivisten der ersten Generation in ihren Arbeiten betont haben“ (Wiemann 2017, 57). Der Slawist Christoph Gartska (2017), der aufgrund einer verstärkten Hinwendung zu einer sehr stark theoretisch ausgerichteten Kulturwissenschaft die Zukunft der Slawistik bedroht sieht, weil dadurch wesentliche Grundelemente einer grundständigen Ausbildung verloren gehen, die eine gehaltvolle Auseinandersetzung auf der Basis grundständiger Wissensbestände überhaupt erst ermöglichen, verweist auf Matthias Freise, den er mit dieser weitsichtigen Aussage zitiert: Den Verfechtern der Kulturstudien schwebt offenbar eine Art universale Kultursemiotik vor, in der alle bewertenden Hierarchien aufgehoben und jede Art von Zeichen ein gleiches Recht auf Deutung beansprucht. Darin liegt natürlich der Anspruch auf eine enorme Kompetenzerweiterung, dem kein Wissenschaftler gerecht werden könnte (Freise 2001, 30). Hier deutet sich an, welche Grundprobleme bereits früh im wissenschaftlichen Diskurs über Kulturwissenschaft erkannt wurden, und zugleich ist deutlich, welche Implikationen das für eine Umsetzung in die Kulturvermittlung im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts haben könnte. Klar ist jedenfalls, dass die Kulturvermittlung im fremdsprachlichen Unterricht sich im Zuge der Diskussionen in der Kulturwissenschaft zunehmend von dem Ziel einer wie auch immer gearteten Informationsvermittlung entfernt hat und dann zugleich im Rahmen der Kompetenzorientierung des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens zusätzlich in der Ausrichtung beeinflusst wurde. Altmayer (2017, 15f.) weist sehr klar darauf hin, dass die seinerzeit von Hans-Jürgen Krumm geäußerte Befürchtung, dass vom Referenzrahmen ein Backwash-Effekt auf die Gestaltung von Curricula und Lernmaterialien ausgehen könne, Realität geworden sei, weil immer deutlicher sei, dass nur noch das berücksichtigt werde, „was durch die Kann-Bestimmungen fixiert und abprüfbar wird“ (ebd.). Dies verdeutliche die „Tendenz, Bildung und Lernprozesse nicht mehr von den Inhalten, sondern deutlich stärker von den outcomes her zu denken und diese wiederum nur noch als operationalisierbare und mittels standardisierter Tests überprüfbare Kenntnisse und Fertigkeiten zu beschreiben“ (Altmayer 2017, 15f). „Kulturbezogene Inhalte“, so Altmayer (ebd.), „die sich nur schwer oder gar nicht in operationalisierbare Kompetenzen übersetzen lassen, finden so entweder gar keine Berücksichtigung mehr oder werden so stark simplifiziert, dass sie mit Hilfe standardisierter Verfahren doch messbar werden.“ Die Prüfungsorientierung, die Kompetenzorientierung, eine Ausrichtung der Kulturwissenschaft(en), die vor dem Hintergrund eines theoretisch stark auch durch den Konstruktivismus beeinflussten Gesamtwahrnehmungsgefüges geprägt war(en), und eine politische Euphorie nach dem „Mauerfall“ und Kulturvermittlung im DaF-/ DaZ-Unterricht 81 den ersten Entwicklungen danach, haben zu Entwicklungen geführt, die zu überdenken sind. 4 Die Auseinandersetzung um „Daten, Zahlen und Fakten“ Die reine Behandlung von „Daten, Zahlen und Fakten“ gilt im Fach DaF mehrheitlich als ein überholtes Relikt aus vergangenen Zeiten einer traditionellen Landeskundevermittlung, der schon lange niemand im Fach mehr das Wort redet. Gleichwohl vertreten immer mehr Vertreter*innen des Fachs DaF die Position, dass ein auf rein „diskursive Landeskunde“ ausgerichteter kulturbezogener Fremdsprachenunterricht an den weltweit gegebenen Realitäten vorbeigehe. Luiza Ciepielewska-Kaczmarek, Sabine Jentges und Marjon Tammenga-Helmantel (2020) verdeutlichen dies in ihrem Werk „Landeskunde im Kontext“ und betonen: Ein globaler Einsatz dieses Kulturvermittlungsansatzes ist zweifelsohne wünschenswert, dürfte aber entsprechend der realen Rahmenbedingungen vor Ort, in der jeweiligen schulischen Lernsituation, häufig nicht möglich sein, wie auch Fornoff/ Koreik [2020] konstatieren: »Es scheitert [u. a.] am mehrheitlich erreichten zu niedrigen Sprachniveau, es scheitert am oft von Lernenden nicht ausreichend mitgebrachten Weltwissen. Und es scheitert nicht selten auch an der durch in Heimatländern nicht vermittelten allgemeinen Diskurskompetenz« (Ciepielewska-Kaczmarek u.a. 2020, 63). Die Tatsache, dass wir in den letzten zwei Jahrzehnten, vor allem aber in den letzten Jahren im Fremdsprachenunterricht verstärkt davon abgekommen sind, Informationen zu vermitteln und kritische oder diskussionswürdige Themen in den Lehrwerken zu behandeln, wird von Claus Altmayer folgendermaßen beschrieben: Ein Blick in neuere Lehrwerke für Deutsch als Fremdsprache bestätigt diesen Trend. Die noch vor wenigen Jahren zum Kernbestand mehr oder weniger aller Lehrwerke gehörenden kulturspezifischen oder landeskundlichen Themen werden offenbar zunehmend zugunsten vermeintlich universaler und vor allem weniger konfliktträchtiger Inhalte aus den Themenkatalogen der Lehrwerke verdrängt (Altmayer 2017, 16). Für die Tendenz auch in DaF, verstärkt auf kulturbezogene Inhalte zu verzichten, dürfte auch die Rolle des Englischen als erste Fremdsprache der Welt von großer Bedeutung sein. Masako Sugitani (2004) verdeutlicht dies bereits früh an der Folgewirkung der dominierenden Fremdsprache Englisch auf die weiteren in Japan gelehrten Fremdsprachen. Sie zitiert Larry Smith mit der bereits aus dem Jahr 1983 (7) stammenden Aussage: „When any language becomes international in character, it cannot be bound to any culture […]“. Sugitani leitet aus dieser Feststellung die Erkenntnis ab, „dass Englisch weniger als eine Fremdsprache, die mit der Zielkultur und mit Kulturwerten ver- Uwe Koreik 82 bunden ist, sondern eher als kulturneutrales Verständigungsmittel“ gesehen werden muss (Sugitani 2004, 69). Zwar hat sie 2004 noch die Hoffnung, dass es für das Deutsche als Fremdsprache in Japan einen besonderen Weg geben wird, auf dem Deutsch zwar auch mit der Globalisierung zusammenwächst, aber weiterhin „mit den soziokulturellen Aspekten der Zielkultur und den Kulturwerten eng verbunden vermittelt“ wird (Sugitani 2004, 70). Diese Hoffnung mag für Japan allenfalls begrenzt erfüllt worden sein, der Blick in ein neu erschienenes exemplarisch gewähltes DaF-Lehrwerk bestätigt jedoch die von Altmayer konstatierte Tendenz. Nehmen wir das neu im Hueber-Verlag erschienene Lehrwerk „Vielfalt, B2.2“, auch weil es mustergültig aktuellen Ansprüchen hinsichtlich der medialen Umsetzung und vielfältiger interaktiver Möglichkeiten entspricht. Hier ließe sich noch viel mehr loben, aber schauen wir uns die Inhalte an. In der Lektion 1 geht es um „Das Leben neu gestalten“, und auf der Basis eines Magazinartikels zu Thema soll ein Kommentar zum Thema Veränderungen im Leben verfasst werden. In Lektion 2, „Ein neues zu Hause finden“, sollen Migrationsgeschichten verstanden und eine eigene evtl. „fiktive“ Migrationsgeschichte entworfen werden. Lektion 3, „Stadtführungen mal anders“, führt nach Wien und Tokio und regt dazu an, das Thema Mein Lieblingsort zu bearbeiten. Lektion 4, „In die Fußstapfen der Eltern treten“, regt zur Auseinandersetzung mit dem Generationenkonflikt an. Lektion 5, „Das eigene Profil schärfen“, soll zu einer verbesserten Selbstdarstellung führen. Lektion 6, „Chefsache“, hat agiles Management zum Thema. Lektion 7, „Leben ist Bewegung“, handelt von Sport und Gesundheit. In Lektion 8, „Alles unter Kontrolle“, geht es um Ernährung und Selbstoptimierung. Lektion 9, „So tickt unsere innere Uhr“, behandelt wissenschaftliche Entdeckungen und auch das eigene Verhältnis dazu und hat als Zusatz die Thematik Stellenanzeigen. In Lektion 10, „Erfolgreich scheitern“, geht es um Kundenbewertungen und um Stärken und Schwächen im Beruf. Lektion 11, „Weniger ist mehr“, behandelt kritisch das Thema Konsum und Besitztümer unter dem Schlagwort Minimalismus. Und in Lektion 12, „Auf gute Nachbarschaft“, geht es um Gespräche und Streitgespräche mit Nachbarn und netzwerkgestützte Projektideen. Damit spiegelt dieses Lehrwerk exakt den Zeitgeist wider, wie es auch an Lehrwerken aus anderen Verlagen hätte verdeutlicht werden können. Offensichtlich ist allerdings, dass es an keiner Stelle mehr um irgendeine tiefer gehende Art von Informationsvermittlung geht. Es geht letztlich, wenn auch oft mit durchaus kritischen Ansätzen, um die auch sprachliche (Selbst)Optimierung in einer durch Jahrzehnte (nicht ganz zutreffend so bezeichneten, aber sich begrifflich durchgesetzt habenden) neoliberalen Wettbewerbsgesellschaft - man könnte auch formulieren, in dem Kapitalismus, der sich seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts etabliert hat. Dieses Lehrwerk verdeutlicht damit auch exemplarisch die den Verlagen aufgezwungene enge Anlehnung an den GER und die damit einhergehende Orientierung an die Kulturvermittlung im DaF-/ DaZ-Unterricht 83 vorgegebene Kompetenzorientierung. Thielmann (2019, 30) wirft dem GER vor, fast vollständig kontinentaleuropäische sprachtheoretische Erkenntnisse ignoriert zu haben und wird noch deutlicher, wenn er feststellt, dass der „Gemeinsame europäische Referenzrahmen […] ein Produkt britischer Kolonialgeschichte [sei]“ (Thielmann 2019, 31). Man wird diesen harten Äußerungen Thielmanns aber nur gerecht werden können, wenn man seinen gesamten Artikel liest. Der im GER nicht berücksichtigte Kenntnisstand betrifft allerdings auch die Erkenntnisse in der Kulturvermittlung in einem besonderen Maße. Die mit dem exemplarischen Lehrbuchbeispiel verdeutlichte Kritik ist offensichtlich: Wir vermitteln im Fremdsprachenunterricht - ganz generell gesagt - kaum noch Kenntnisse, die die Basis für eine mündige eigene Meinungsbildung herausbilden. Ein Plädoyer für wieder mehr substantielle Inhalte in unseren Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache hat auch zu tun mit den (gesellschafts)politischen Entwicklungen der letzten Jahre. Diese führten u.a. dazu, dass „das von der Gesellschaft für Deutsche Sprache ausgewählte Wort des Jahres 2016 postfaktisch“ ist und die Redaktion des Oxford English Dictionary bereits im November 2016 „post-truth“ zum internationalen Wort des Jahres 2016 erklärt hat“ (Koreik 2018, 40). Dieser Entwicklung, bei der in gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen Fakten immer weniger eine Rolle spielen, gilt es etwas entgegen zu setzen. Das hat sich im Rahmen der Corona-Pandemie weltweit umso deutlicher gezeigt, als das Ausmaß der sehr weit verbreiteten Verschwörungstheorien und -ideologien selbst die Annahmen oder Befürchtungen skeptischer Beobachter*innen weltpolitischer und einzelgesellschaftlicher Entwicklungen bei weitem übertroffen hat. Im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ist man sich seit Jahren weitgehend einig, dass es im Bereich der Landeskunde keine reine Faktenvermittlung mehr geben darf. Dieses Diktum traf vor allem auch deswegen auf eine mehrheitliche Akzeptanz, weil mit einer reinen Faktenvermittlung auch keine kommunikativen Spracherwerbsziele im Unterricht erreicht werden können. Hinzu kommt, dass es eine seit langem viel zitierte Erkenntnis ist, dass sich die Totalität der gesellschaftlichen Wirklichkeit sowieso nicht abbilden lässt. Damit ist das Problem der Auswahl der in den Lehrwerken behandelten und in den weltweit sehr unterschiedlichen Unterrichts- und Lehrsituationen gegeben, das die Fachdiskussion schon viele Jahre beschäftigt hat und letztlich ungelöst ist, wenn man sich nicht ausschließlich auf die mehr oder weniger aktuellen Diskurse im deutschsprachigen Raum beschränken möchte. Als maßgebliche Zielsetzung kann weiterhin diese Stellungnahme gelten: In einem modernen, in den Sprachunterricht integrierten Landeskundeunterricht wird auch in Zukunft folgendermaßen unterrichtet werden müssen: ad- Uwe Koreik 84 ressatenspezifisch und in Abhängigkeit von Lehrzielen und den jeweiligen Curricula sowie den damit verbundenen Prüfungen und Tests […]. Immer entsteht eine Gratwanderung zwischen informierendem, kommunikativen und zur Lernerautonomie hinführendem, auf Interaktion setzendem und auf interkulturelle Lernziele hinarbeitenden Unterricht, dessen Schwerpunktsetzung (im Rahmen von institutionellen Vorgaben) maßgeblich von der jeweiligen Lehrkraft vorgenommen werden muss (Koreik 2013, 182). Einlösbar ist diese Zielsetzung aber nur, wenn man dem kulturbezogenen Fremdsprachenunterricht auch weiterhin so etwas wie eine informative Vermittlungsaufgabe zubilligen möchte, wenn man schon nicht von einer Informationspflicht sprechen möchte, die gegeben wäre, wenn man dem kulturbezogenen Fremdsprachenunterricht immer noch etwas wie ein aufklärerisches Potenzial und damit der Möglichkeit von Nachhaltigkeit zubilligen will. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass wir angesichts des offensichtlich jederzeit im Internet abrufbaren Wissens zu sehr in die Position verfallen, Wissensbestände und Wissensvermittlung in Ausbildung und Unterricht weniger ernst zu nehmen, wobei aber andererseits sehr klar ist, dass Wissensbestände im Internet nur dann abgerufen werden können, wenn man weiß, wonach man fragen will oder vielleicht auch sollte. Die zunehmende Medialisierung unserer Welt ist schon länger Thema in den Fremdsprachendidaktiken, muss aber zukünftig noch stärker unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden. Auch in der Englisch-Didaktik scheint sich eine Entwicklung anzubahnen, die wieder mehr auf Inhaltsvermittlung setzt. Stefan Alexander Eick (2020) kommt auch angesichts seiner begründeten Thematik „Den Thatcherismus lehren“ zu der Erkenntnis, dass Inhalte im Fremdsprachenunterricht seit längerem zu kurz gekommen sind. 5 Plurale Kulturvermittlung Roger Fornoff und ich favorisieren den Begriff plurale Kulturvermittlung (Fornoff/ Koreik, in Vorb.), was keine große Neuerung ist, wenn man an die Publikation von Lutz Küster (2003) mit dem Titel Plurale Bildung im Fremdsprachenunterricht denkt. Dabei gehen wir davon aus, dass zum landeskundlichen Unterricht auch gezielte Informationsvermittlung gehört. Dabei muss selbstverständlich dem Kenntnis- und Wissensstand der Lerner*innen Rechnung getragen werden. Uns geht es dabei nicht um eine herkömmliche, umfassende Faktenvermittlung, sondern um das gemeinsame Erarbeiten von Kenntnissen, die in einer Zeit der medial verbreiteten „fake-news“ überaus bedeutend sind und einen Umgang damit im besten Fall erleichtern können. Und dabei werden wir auch weiterhin nicht umhinkommen, uns weiterhin mit dem Thema „Nation(en)“ zu beschäftigen, wobei auch weiterhin Klischees und Stereotypisierungen entgegengearbeitet werden muss. Es besteht Einigkeit darin, dass wir nicht mehr von homogenen Nationen ausgehen Kulturvermittlung im DaF-/ DaZ-Unterricht 85 können, sondern die immer schon existierende Migration, die sich gegenwärtig lediglich weltweit verstärkt hat, sowie die Auswirkungen der Globalisierung dazu führen, dass Gesellschaften weltweit immer heterogener geworden sind und noch werden. Aber auch, wenn man Nationalstaaten zu Recht als Konstrukte auffasst, bleibt zu konstatieren, dass sie vor allem im 19. und 20. Jahrhundert eine Wirkmächtigkeit erfahren haben, die deutlich bis in die Gegenwart hineinreicht. Trotz globalisierungsbedingter Angleichungsprozesse ist nicht anzunehmen, dass Nationalstaaten in naher Zukunft ausgedient hätten (vgl. Fornoff/ Koreik 2020, 43 und Assmann 2020, 88), wie nicht zuletzt auch jüngste Entwicklungen im Kontext der Corona-Pandemie verdeutlichen. Damit wäre nun aber nicht nur dafür argumentiert, dass weiterhin im Fremdsprachenunterricht auch Informationen über Länder und Nationalstaaten vermittelt werden dürfen und unter bestimmten Gesichtspunkten sogar sollen, sondern es ist damit auch ausgedrückt, dass dazu auch eine Informationsvermittlung gehört, die Entstehungs- und Veränderungsprozesse von Gesellschaften beleuchten, wobei die damit verbundenen Einstellungen und die daraus entwickelten Werte Grundthemen darstellen. Aus der DaF-/ DaZ-Praxis hat die erfahrene Lehrerin und Lehrwerkautorin Angelika Lundquist-Mog folgende „Zielescheibe“ entwickelt (Abb. 1). Im äußeren Ring werden „Lernziele“ formuliert, die u.a. von „Faktenwissen über D-A-CH“ (Deutschland, Österreich, Schweiz) über „Empathie entwickeln“, „Umgang mit Stereotypen“, „Diskursfähigkeit“ bis zu „plurikulturelle und plurilinguale Kompetenz“ reichen. Im zweiten, mittleren, Ring werden Methoden benannt, bei denen u.a. „Bilder im Kopf abfragen“, „Rollenspiele“ oder „Bedeutungserschließung und -vergleich angeführt werden. Im inneren Kern finden sich dann zahlreiche wichtige Inhalte, die weit mehr umfassen als „Daten, Zahlen und Fakten“. Die Fachwissenschaft sollte diese Anregung aufnehmen und das für unser Fach bedeutsame Wechselspiel zwischen Theorie und Praxis ernst nehmen. Und uns diesem Zielekatalog in unseren Fachdiskussionen erneut zu stellen, wird die Aufgabe in nächster Zeit sein, wenn nicht nur das Ziel der Nachhaltigkeit im DaF-/ DaZ-Unterricht tatsächlich ernsthaft angegangen werden soll. Uwe Koreik 86 Abb. 1: Lundquist-Mog, Angelika (2020, 3) Almut Hille hat bereits 2012 in einem für das Thema „Nachhaltigkeit“ maßgeblichen Artikel das Potenzial deutlich benannt: Aber auch ein Systembewusstsein, ein Bewusstsein für den Zustand des Planeten und das eigene Involviertsein in dessen Entwicklung können im Fremdsprachenunterricht erweitert werden (Hille 2012, 62). Die von ihr angeführten Beispiele für den Unterricht lassen sich allerdings erst auf einem höheren Sprachniveau realisieren. Es wird zukünftig im Fach DaF (aber auch in anderen Fremdsprachenphilologien) wieder verstärkt darum gehen müssen, Kenntnisse oder eben auch Wissen zu vermitteln. Roger Fornoff hat dazu in Anlehnung an das von Ingeborg Schüßler in der Erwachsenpädagogik entwickelte „Modell des Deutungslernens“ prägnant folgendermaßen festgehalten: Wissensvermittlung bezeichnet demnach einen Vorgang, bei dem defizitäre Alltagswissensbestände durch die Zuführung von wissenschaftlich fundierten Informationen erweitert und gewissermaßen „aufgeklärt“ werden sollen (Fornoff 2016, 265). Kulturvermittlung im DaF-/ DaZ-Unterricht 87 Und genau darum geht es! Wenn wir im Fremdsprachenunterricht Ziele im Sinne einer Nachhaltigkeit erreichen wollen, werden wir uns die Frage nach einer sinnvollen Informations- und Wissensvermittlung neu stellen und wenigstens teilweise auch die thematische Ausrichtung unserer Lehrwerke neu beeinflussen müssen. Literatur: Altmayer, Claus (2017): „Landeskunde im Globalisierungskontext. Wozu noch Kultur im DaF-Unterricht? “. In: Haase, Peter/ Höller, Michaela (Hrsg.): Kulturelles Lernen im DaF/ DaZ-Unterricht. Paradigmenwechsel in der Landeskunde. Göttingen: Universitätsverlag, 3-22. Assmann, Aleida (2020). Die Wiedererfindung der Nation. Warum wir sie fürchten und warum wir sie brauchen. München: Beck. Carlowitz, Hans Carl von (Hannß Carl von Carlowitz) (1713): Sylvicultura oeconomica. Anweisung zur wilden Baum-Zucht. Leipzig: Braun. Ciepielewska-Kaczmarek, Luiza/ Jentges, Sabine/ Tammenga-Helmantel, Marjon (2020): Landeskunde im Kontext: die Umsetzung von theoretischen Landeskundeansätzen in DaF-Lehrwerken. Göttingen: V&R unipress. Eick, Stefan Alexander (2020): Den Thatcherismus lehren. Die Vermittlung britischer Kultur im gymnasialen Unterricht. Frankfurt a.M.: Peter Lang. Fornoff, Roger (2016): Landeskunde und kulturwissenschaftliche Gedächtnisforschung. Erinnerungsorte des Nationalsozialismus im Unterricht Deutsch als Fremdsprache. Eine theoretisch-empirische Studie. Baltmannsweiler: Schneider. 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Abrufbar unter: https: / / www.geisteswissenschaften.fuberlin.de/ we04/ institut/ mitarbeiter/ 03_Downloads/ daf-werkstatt_Globales- Lernen-im-Unterricht-DaF.pdf Koreik, Uwe (2011): „Zur Entwicklung der Landeskunde bzw. der Kulturstudien im Fach DaF/ DaZ. Was haben wir erreicht, mit welchen Widersprüchen kämpfen wir und wie geht es weiter? “. In: Informationen Deutsch als Fremdsprache 38/ 6, 581-604. Koreik (2013): „Landeskunde“. In: Ahrenholz, Bernt/ Oomen-Welke, Ingelore (Hrsg.): Deutsch als Fremdsprache (= Deutschunterricht in Theorie und Praxis, Band 10) Baltmannsweiler: Schneider, 178-186. Uwe Koreik 88 Koreik (2018): „Das deutsche ,Wirtschaftswunder‘, Mythos, Legende oder ein Erinnerungsort - Die Relevanz für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache“? In: Schiedermair, Simone (Hrsg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache & Kulturwissenschaft, Zugänge zu sozialen Wirklichkeiten. München: iudicium, 27-46. Kotte, Eugen (Hrsg.) 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Nachhaltigkeit als Leitmotiv des schulischen Fremdsprachenunterrichts Jürgen Kurtz Einleitung und Problemaufriss Nachhaltigkeit ist im 21. Jahrhundert zu einer Leitidee des Umdenkens und der umfassenden Neuorientierung avanciert, zugleich aber auch zu einer vielfach in Anspruch genommenen Vermarktungsstrategie (sustainable/ green marketing), die bereits einiges zur Verwässerung, Verzerrung oder Verengung des Nachhaltigkeitsdenkens, hier in erster Linie zum Zwecke der Beeinflussung des Konsumverhaltens und der Ertragsmaximierung, beigetragen haben mag. Die profitorientierte Instrumentalisierung des Nachhaltigkeitsgedankens, wie sie in der allgegenwärtigen, über die modernen Massenmedien verbreiteten Werbung in Form diverser Bekenntnisse und Versprechen zum Ausdruck kommt, selbst in Bezug auf Produkte und Dienstleistungen, die nicht den Anspruch erheben können, nachhaltig zu sein (greenwashing), stellt den Bildungssektor, der sich längst auch an marktbzw. betriebswirtschaftlichen Prinzipien orientiert, vor einige Herausforderungen. Es besteht zumindest die Gefahr, dass Nachhaltigkeit in Fragen der schulischen Bildung (noch stärker als bisher) auf Angebots-Nutzungs-Überlegungen hin interpretiert wird, die - in sog. Schulleistungsstudien überprüft - der zunehmend auf Investitions- Ertrags-Erwägungen fokussierten Bildungspolitik dann als Indikator oder Maßstab für effizientes, effektives und nachhaltiges Lernen oder gar nachhaltige Bildung dienen. Bezugnehmend auf die Leitfragen der diesjährigen Frühjahrskonferenz erscheint es vor diesem Hintergrund zunächst wichtig in den Blick zu nehmen, dass Nachhaltigkeit heute, jenseits manch vielversprechender und zum Teil trügerischer Werbebotschaften, mit einem breiten Spektrum von mehr oder weniger eng und überzeugend aufeinander bezogenen, teils wissenschaftlich begründeten, teils ideologisch motivierten, teils auch schon programmatisch konturierten Sinngebungen, Wertvorstellungen, Orientierungen, Ansprüchen und Forderungen verbunden wird. Hierzu gehören u.a. ökologische, ökonomische, demografische, gesundheitliche, kulturelle, soziale, politische, technologische und rechtliche. Im Kern geht es in den facettenreichen Nachhaltigkeitsdiskursen der heutigen Zeit um existenzielle Problemlagen, Fragen und Herausforderungen, insbesondere um rücksichtsvolle, verantwortungsbe- Jürgen Kurtz 90 wusste und langfristig tragfähige Lebensentwürfe und Lebensweisen, um Fragen der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit, um geeignete Partizipations-, Interventions- und Gestaltungsmöglichkeiten sowie - damit eng verbunden - um die Bedeutung von Lernen, Bildung, Schule und Unterricht in weltumspannender Orientierung. Es stellt sich die Frage, welche Bedeutung dem Lehren und Lernen fremder Sprachen in diesem vielschichtigen, hier nur grob angerissenen Kontext zukommt bzw. wie das schulische Lehren und Lernen von und mit Sprachen im Sinne eines lifelong learning möglichst ‚nachhaltig‘ anzulegen wäre. Zu berücksichtigen ist hierbei einerseits, • dass globale Nachhaltigkeitsdiskurse heute in der Regel auf Englisch geführt werden, • dass diese englischsprachigen Diskurse jedoch auf regionale, in vielen verschiedenen Sprachen erfolgende Auseinandersetzungen zurückgehen, die kulturell (zumindest in Teilen) unterschiedlich geprägt sein können, • dass es in Anbetracht des technologischen Wandels im Bereich der maschinellen Spracherkennung, Sprachverarbeitung und Übersetzung in naher Zukunft womöglich obsolet erscheinen könnte, sich mit der Aneignung fremder Sprachen zu befassen, • dass Sprachen gleichwohl und grundsätzlich als kulturelle Güter und Mittel der gegenseitigen Verständigung zu betrachten sind und dass dem Erlernen fremder Sprachen bzw. der ‚Mehrsprachenkompetenz‘ von daher eine herausragende Bedeutung für den Erhalt sprachlichkultureller Vielfalt zukommt (vgl. Rat der Europäischen Union 2019, C189/ 15 (5)), • dass Mehrsprachigkeit (individuell / gesellschaftlich) auf dem Wege zu einem durch Respekt, Offenheit und Toleranz geprägten, friedvollen Umgang miteinander eine zentrale Nachhaltigkeitsressource darstellt, die es zu bewahren, zu fördern und zu nutzen gilt (vgl. KNU Hamburg 2020). Zu berücksichtigen ist andererseits, dass der schillernde Begriff der Nachhaltigkeit seit einiger Zeit bereits Eingang in curriculare Verlautbarungen und Regelungen gefunden hat. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf den sog. LehrplanPLUS für die allgemeinbildenden Schulen in Bayern verwiesen (Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung; ISB 2020). Hier stehen zwei Orientierungen im Vordergrund, die als fächerübergreifende Querschnittaufgaben zum allgemeinen schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrag gezählt werden: a) nachhaltiges Lernen, b) Bildung zu einer nachhaltigen Lebensführung. Bezogen auf die ‚Fächergruppe Moderne Fremdsprachen‘ wird Nachhaltigkeit gar als ein „Wesensmerkmal“ des Unterrichts in den modernen Fremdsprachen ausgewiesen (ISB 2020, o.S.). Nachhaltigkeit gehöre letztend- Nachhaltigkeit als Leitmotiv des schulischen Fremdsprachenunterrichts 91 lich zum „Selbstverständnis“ der ‚Fächergruppe Moderne Fremdsprachen‘ (ebda., o.S.). Zum übergreifenden Bildungs- und Erziehungsauftrag der Gymnasien in Bayern wird im Sinne von nachhaltigem Lernen konkret ausgeführt: Unverzichtbar für nachhaltiges Lernen ist ein dauerhaft verfügbares und anschlussfähiges Wissen, das durch permanentes, variantenreiches Üben und Wiederholen gefestigt wird. Auf dieses grundlegende Wissen sollen die Schülerinnen und Schüler zurückgreifen können, um Problemstellungen angemessen zu lösen sowie vernetzt und kreativ zu denken. Dieses Wissen in immer wieder neuen Lern- und Anwendungssituationen fruchtbar zu machen, ist wesentliche Voraussetzung für den nachhaltigen Erwerb grundlegender Kompetenzen (ISB 2020, o.S.). […] Durch die Wiederholung und Vertiefung bereits erworbener Wissensbestände und die kontinuierliche Weiterentwicklung und Anwendung bereits angeeigneter Kompetenzen wird nachhaltiges, kumulatives Lernen gefördert“ (ebda., o.S.). Speziell in Bezug auf das gymnasiale Lehren und Lernen fremder Sprachen wird in diesem Sinne hervorgehoben: Für nachhaltigen Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler sind […] regelmäßiges Arbeiten, individuelles Wiederholen und die Umsetzung von Sprachlernstrategien von besonderer Bedeutung (ebda., o.S.). Fest verankert sind im ‚LehrplanPLUS‘ auch bereits die Dimensionen ‚Bildung für eine nachhaltige Entwicklung‘ (hier insbesondere Umweltbildung und Soziales Lernen) sowie ‚Bildung zu einer nachhaltigen Lebensführung‘ (hier u.a. Alltagskompetenz, Verbraucherbildung). Dazu ist beispielsweise zu lesen: Im Rahmen einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung entwickeln Schülerinnen und Schüler Kompetenzen, die sie befähigen, nachhaltige Entwicklungen als solche zu erkennen und aktiv mitzugestalten. Sie entwickeln Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt und erweitern ihre Kenntnisse über die komplexe und wechselseitige Abhängigkeit zwischen Mensch und Umwelt. Sie gehen sorgsam mit den ökologischen, ökonomischen und sozialen Ressourcen um, damit Lebensgrundlage und Gestaltungsmöglichkeiten der jetzigen und der zukünftigen Generationen in allen Regionen der Welt gesichert werden. (ebda., 2020, o.S.) Wenn man alle Lehrpläne der allgemeinbildenden Schulen in Bayern und die dazugehörigen Serviceteile (illustrierende Aufgaben, Erläuterungen, Materialien, Querverweise) mit der auf der LehrplanPLUS-Webseite zur Verfügung gestellten Suchmaschine (vgl. ISB 2020, o.S.) im Hinblick auf das Wort ‚nachhaltig‘ durchsucht, ergibt sich das folgende Trefferbild: Jürgen Kurtz 92 Leitlinien (2) Bildungs- und Erziehungsauftrag (28) Übergreifende Bildungs- und Erziehungsziele (3) Fachprofile (702) Grundlegende Kompetenzen (Jahrgangsstufenprofile) (62) Fachlehrpläne (274) Hilfe (9) Dieses Ergebnis lässt die herausragende Bedeutung erkennen, die der Verwendung des Wortes ‚nachhaltig‘ im bayerischen LehrplanPLUS beigemessen wird. Ob und wie sich der hohe Anspruch an Nachhaltigkeit, der auf diese Weise zum Ausdruck gebracht wird, in Schule und Unterricht (und damit auch in den fremdsprachlichen Unterrichtsfächern) wird einlösen lassen, bleibt abzuwarten. In den Registern des Handbuch Fremdsprachendidaktik (Hallet/ Königs 2010) und des Handbuch Fremdsprachenunterricht (Burwitz-Melzer/ Mehlhorn/ Riemer/ Bausch/ Krumm 2016) sowie im Artikelverzeichnis des Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik (Surkamp 2017) werden die Begriffe ‚nachhaltig‘ oder ‚Nachhaltigkeit‘ hingegen nicht ausgewiesen. Bedeutet dies, dass nachhaltiges Lernen und nachhaltige Bildung nicht zum ‚Selbstverständnis‘ der wissenschaftlich betriebenen Fremdsprachendidaktik gehören? Im Folgenden sollen hiervon ausgehend einige Überlegungen zu einem differenzierten, der Forschung zugänglichen und in der Alltagspraxis des Fremdsprachenunterrichts zugleich tragfähigen Verständnis von Nachhaltigkeit zur Diskussion gestellt werden. Auf der Grundlage meiner bisherigen Kenntnisse und ersten Ausführungen hierzu, die allerdings schon einige Jahre zurückliegen (vgl. Kurtz 2008; 2010), erscheint es mir derzeitig vorläufig angebracht zu sein, fünf übergreifende, eng miteinander verbundene Dimensionen von Nachhaltigkeit in Bezug auf das Lehren und Lernen im schulischen Fremdsprachenunterricht in den Blick zu nehmen: a) nachhaltig zu lernen, b) nachhaltig lernen zu lernen, c) nachhaltig leben zu lernen, d) lebenslang lernen zu wollen und e) Lernerträge nachhaltig zu sichern. 1 Nachhaltig lernen ‚Nachhaltig‘ bedeutet „sich auf längere Zeit stark auswirkend“ (Dudenredaktion 2020, o.S.). Fremdsprachendidaktisch verweist der Begriff im engeren Sinne zunächst auf Fragen des Behaltens und Vergessens, im weiteren Sinne auf die möglichst langfristige Verfügbarkeit und Verwendbarkeit fremdsprachlicher und interkultureller Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kenntnisse sowie auf möglichst dauerhafte, positive Lernerfahrungen und Einstellungen zum Lernen fremder Sprachen in transkultureller Dimensionierung. Der Rat der Europäischen Union (2019) weist diesbezüglich auf einige gravierende Probleme hin: Nachhaltigkeit als Leitmotiv des schulischen Fremdsprachenunterrichts 93 Fast die Hälfte aller Europäerinnen und Europäer gibt an, dass sie nicht in der Lage sind, eine Unterhaltung in einer anderen Sprache als ihrer Erstsprache zu führen (C 189/ 15 (7)). Nur vier von zehn Lernenden in der Sekundarschulbildung erreichen in der ersten Fremdsprache das Niveau der ‚selbstständigen Sprachverwendung‘, was bedeutet, dass sie in der Lage sind, eine einfache Unterhaltung zu führen. In der zweiten Fremdsprache erreicht nur ein Viertel dieses Niveau (C 189/ 17 (8)). In Anbetracht dieser Befunde erscheint es geboten, die Bemühungen um eine longitudinal angelegte fremdsprachendidaktische Forschung zu verstärken, die nicht vorrangig darauf abhebt, die Wirkungen schulischen Fremdsprachenunterrichts gegen Ende der Sekundarstufe I kompetenzorientiert zu messen. Es bedarf auch und insbesondere einer Forschung, die sich um das tiefgreifende Verstehen der Bedingungen und Ursachen offenbar wenig nachhaltigen fremdsprachlichen Lernens in unterrichtlicher, außerunterrichtlicher, schulischer und nachschulischer Perspektivierung bemüht. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf zwei jüngere empirische Studien zum Grundschulenglischunterricht verwiesen, die zwar einige Fragen hinsichtlich seiner längerfristigen Wirkungen und Lernerträge sowie seiner möglichst kontinuierlichen Weiterführung in der Sekundarstufe I aufwerfen (vgl. Jaekel/ Schurig/ Florian/ Ritter 2017; Baumert/ Fleckenstein/ Leucht/ Köller, O./ Köller, J. 2020), jedoch nur wenig zu einem tiefgreifenden Verständnis der vom Rat der Europäischen Union (2019) festgehaltenen Probleme beitragen (vgl. hierzu die Stellungnahme von Böttger/ Schlüter 2019 zur Studie von Jaekel et al. 2019). Hoch problematisch sind die bildungspolitischen Entscheidungen, die (voreilig) aus der selektiven Wahrnehmung und Interpretation einzelner, fremdsprachendidaktisch fragwürdiger Studien gezogen wurden, insbesondere hinsichtlich des späteren Beginns des Englischunterrichts in der Grundschule (vgl. hierzu die von zahlreichen Vertreter/ -innen der Fremdsprachenforschung mitgezeichnete Stellungnahme zur Rückverlegung des Englischunterrichts in die Klasse 3 in NRW zum Schuljahr 2021/ 2022 von Bartosch/ Frisch/ Kötter/ Reckermann 2020). Um die länger- und langfristigen Wirkungen und Nebenwirkungen des Lehrens und Lernens von Sprachen in der Schule und darüber hinaus besser zu verstehen, wird es noch etlicher weiterer, vor allem auch qualitativ-empirisch ausgerichteter Untersuchungen bedürfen, die aus nachvollziehbaren Gründen (gegenstandsbezogene, finanzielle, personelle, u.a.) vorrangig als explorative, mehrperspektivische Fall- oder Mehrfachfallstudien angelegt sein müssen. Die unlängst veröffentlichten Untersuchungen von Fritz (2020) und Bonnet/ Hericks (2020) lassen sich als Schritte in diese Richtung begreifen. Jürgen Kurtz 94 2 Nachhaltig lernen lernen Der Aneignung von Sprachlernstrategien wird in den heutigen fremdsprachenunterrichtlichen Steuerungsinstrumenten, insbesondere in den Bildungsstandards für die Sekundarstufen I und II (KMK 2020), eine große Bedeutung zuerkannt. Gegenwärtige, großenteils in Deutschland entwickelte und verwendete Lehrwerke versuchen dem zu entsprechen. Zumindest beinhalten sie einige Teile, die darauf abheben, den in den Bildungsstandards als methodische Kompetenzen ausgewiesenen Ansprüchen an die Vermittlung von bzw. die Sensibilisierung für Lernstrategien bzw. Lern- und Arbeitstechniken zu genügen. Es scheint in Anbetracht des heutigen Stands der Forschung gerechtfertigt zu sein anzunehmen, dass es wichtig ist, im Sinne eines lebenslangen, auch nach der Schule noch lebendigen Interesses am Lernen von und mit Sprachen Wert auf die Befähigung und Motivation zum zunehmend eigenständigen Sprachenlernen zu legen. Der Vermittlung von Sprachlernkompetenz bzw. von Sprachlernstrategien und der individuell zugeschnittenen Sprachlernberatung wird unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten eine wichtige, noch weiter zu erforschende Bedeutung zukommen (vgl. das Kapitel XII des Handbuch Methoden im Fremdsprachenunterricht; Hallet/ Königs/ Martinez 2020, 331- 365). Inwiefern dies jedoch mit dem Konzept eines zielsprachig geführten, kommunikativen Fremdsprachenunterrichts noch vereinbar ist, bedarf der weiteren Klärung. 3 Nachhaltig leben lernen Ein auf die Befähigung zur interkulturellen Partizipation und Verständigung ausgerichteter Fremdsprachenunterricht darf sich vor den Kernthemen und den globalen Problemen des 21. Jahrhunderts nicht verschließen. Wer verstehen, mitreden oder mitgestalten will (lokal - regional - global - regional - lokal), muss über fundierte thematische Kenntnisse und kritisch-reflexive Fähigkeiten sowie hinreichende fremdsprachliche Kompetenzen, vor allem auch englischsprachliche, verfügen können. UNESCO, UNICEF und WHO sprechen in diesem Zusammenhang von essential life skills bzw. von life skills and citizenship education (vgl. hierzu weitergehend Kurtz 2008). Seit vielen Jahren wird dieser Ansatz in den vier Dimensionen learning to know, learning to do, learning to be und learning to live together verfolgt und international immer weiter ausdifferenziert, in den Zielsetzungen zusammenfassend dargestellt in der folgenden Grafik: Nachhaltigkeit als Leitmotiv des schulischen Fremdsprachenunterrichts 95 Abb. 1: Dimensionen von life skills and citizenship education (UNICEF 2020, o.S.) Wie sich dieser Ansatz in die Theorie und Praxis des Fremdsprachenunterrichts einbetten ließe, habe ich in Kurtz (2008) in einigen Details diskutiert und am projektorientierten Unterrichtsbeispiel school vandalism für den Englischunterricht zu konkretisieren versucht. Die in der Grafik zusammengeführten Zielsetzungen von essential life skills and citizenship education stellen allerdings keine grundsätzlichen Neuorientierungen dar. Vielmehr gehört die Auseinandersetzung mit ihnen im Großen und Ganzen bereits zu den Grundpfeilern der didaktischen Unterrichtsanalyse, vor allem im Anschluss an Klafkis Forderung nach einer schulischen Bildung mit Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsbezug, die sich vor den epochaltypischen Schlüsselproblemen unserer individuellen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Existenz nicht verschließen darf (vgl. Klafki 1998). Jüngere Diskurse zum Thema global citizenship education im Fremdsprachenunterricht lassen Bezüge zur bildungstheoretischen bzw. kritisch-konstruktiven Didaktik vermissen, obwohl diese für Generationen von angehenden Englischlehrkräften in Deutschland (insbesondere in der zweiten Phase der Lehrerbildung) vielfach von Orientierung gebender Bedeutung war und ist. Jürgen Kurtz 96 4 Lebenslang lernen wollen Im Kontext der ersten Leitfrage wird darauf verwiesen, dass Nachhaltigkeit auf Partizipation, Solidarität sowie zukunftsgerichtetes Denken und Handeln, i.e. auf Schlüsselkompetenzen für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft zielen bzw. abheben sollte. Wie wichtig es ist, diesem Verständnis von Nachhaltigkeit Gewicht zu geben, zeigt sich in der gegenwärtigen Situation, in der wir uns alle befinden. So erweist sich das Verhalten nicht weniger Menschen in der aktuellen Coronavirus-Pandemie als wenig solidarisch und rücksichtsvoll. Zumindest werden einige fragwürdige, teilweise ignorante, teilweise die Gefahrenlage verharmlosende Haltungen und Verhaltensweisen sichtbar, die Anlass zu einer verstärkten wissenschaftlichen Beschäftigung mit motivationalen und volitionalen Fragen des lebenslangen Lernens geben. Fremdsprachendidaktisch erscheint es aus dieser Perspektive geboten, die Forschung in Richtung ‚Motivation‘, ‚Selbst- und Fremdkonzepte‘ sowie ‚Identität‘ (vgl. als Überblick Dörnyei/ Ryan 2015) zu verstärken, um zu untersuchen, welchen Beitrag der Fremdsprachenunterricht zum ‚lebenslang lernen wollen‘ bzw. zu einer anhaltenden Lernbereitschaft leisten kann. 5 Lernerträge nachhaltig sichern Ob und inwieweit die Kompetenz-, Standard- und Evidenzorientierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts geeignet ist, ‚Lernerträge‘ nachhaltig zu sichern, ist nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung noch offen. Nach wie vor kaum untersucht sind die negativen lehrerseitigen Compliance- Effekte (teaching to the test), die einem dauerhaft angelegten, d.h. nicht lediglich auf die nächste Klassenarbeit ausgerichteten Lernen und der Bereitschaft, in lebenslanger, mehrsprachiger und interkultureller Perspektivierung lernen zu wollen, entgegenlaufen könnten. Nachhaltigkeit zielt auf eine langfristig angelegte, transformative Bildung, nicht auf die tradierte, etappenartig angelegte und durch die derzeitige Kompetenz-, Standard- und Evidenzorientierung womöglich noch verstärkte Überprüfung von (Teil-)Kompetenzen, die sich am besten bewerten und benoten lassen. In ihrer empirischen Studie zu den Möglichkeiten und Grenzen kooperativen Lernens im gymnasialen Englischunterricht der Sekundarstufe I arbeiten Bonnet/ Hericks (2020) detailliert heraus, welche Probleme sich ergeben können, wenn sich die „allgegenwärtige Progressions-, Prüfungs- und Bewertungsorientierung“ (ebd., 413) im Lehrerdenken und Lehrerhabitus zu einer lehrwerkgebundenen, frontal-instruktivistischen „Durchprozessierungslogik“ (ebd., 416) verdichtet und in der Folge in eine linear angelegte, rigide abgeprüfte unterrichtliche Alltagspraxis mündet, die sich über weite Strecken auf die „Orientierung auf Grammatik, Wortschatz und wenig komplexe Sprachhandlungen“ (ebd., 436) reduziert. Nachhaltigkeit als Leitmotiv des schulischen Fremdsprachenunterrichts 97 6 Schlussbemerkung In ihrer abschließenden Analyse „[z]ur (Un-)Möglichkeit fremdsprachlicher Bildung in der Prüfungsschule“, so der Untertitel ihrer Untersuchung, heben Bonnet/ Hericks (2020) unter Bezugnahme auf Peukert (2000) hervor: Wenn die Strukturen der Welt nicht länger überlebenstauglich sind, wenn Wissenschaft, Wirtschaft und Politik nicht Lösungen für globale Probleme vermitteln, sondern partiell längst Teil des Problems sind, dann kann Bildung […] nur noch bedeuten, diese Strukturen zu transformieren. […] Durchprozessierungslogik, Testorientierung und Standardisierung aber verhindern das. Vor dem Hintergrund selbstdestruktiver Tendenzen der globalen Gesellschaft ist die Prüfungsschule dysfunktional geworden. Auch sie ist Teil des Problems, weil sie das Entstehen des Neuen blockiert. Professionalisierte Lehrpersonen werden daher stets - vielleicht sogar nur dort - zu finden sein, wo diese Form von Schule selbst zur Disposition gestellt wird (Bonnet/ Hericks 2020, 442). Dieser Sichtweise möchte ich mich anschließen und die Sinnhaftigkeit der gegenwärtigen Implementierung der Kompetenz-, Standard- und Evidenzorientierung, mitsamt der damit verbundenen Hoffnung, die historisch gewachsene und verkrustete, vielfach kleinschrittig lehrwerk- und lehrerzentrierte Praxis fremdsprachenunterrichtlicher Beschulung auf diese Weise reformieren zu können, (erneut) infrage stellen. Nachhaltigkeit wird als Leitmotiv des Fremdsprachenunterrichts wohl erst dann in der Unterrichtspraxis greifen können, wenn es gelingt, den kleinschrittigen Bewertungsdruck, der von einer Lehrerin in der Studie von Bonnet/ Hericks (2020, 231) mit dem Begriff der „Messbarkeitsphobie“ umrissen wird, in ein flexibleres, ganzheitlich verstandenes, den langfristigen Prozesscharakter des Lernens besser würdigendes Konzept der Bewertung und Benotung von im Fremdsprachenunterricht erbrachten Lernleistungen und damit verbundenen Entwicklungspotenzialen zu überführen. Literatur Bartosch, Roman/ Frisch, Stefanie/ Kötter, Markus/ Reckermann, Julia (2020): Stellungnahme von Vertreter*innen der Fremdsprachenforschung zur Rückverlegung des Englischunterrichts in Klasse 3 in NRW zum Schuljahr 2021/ 2022. https: / / anglistik2.phil-fak.uni-koeln.de/ sites/ englsem2/ user_upload/ Stellung nahme_zum_Masterplan_Grundschule_NRW_Nov2020.pdf (27/ 03/ 2021). Baumert, Jürgen/ Fleckenstein, Johanna/ Leucht, Michael/ Köller, Olaf/ Köller, Jens (2020): „The long-term proficiency of early, middle, and late starters learning English as a foreign language at school: A narrative review and empirical study“. In: Language Learning 70/ 4, 1091-1135. Jürgen Kurtz 98 Bonnet, Andreas/ Hericks, Uwe (2020): Kooperatives Lernen im Englischunterricht. Empirische Studien zur (Un-)Möglichkeit fremdsprachlicher Bildung in der Prüfungsschule. Tübingen: Narr. Böttger, Heiner/ Schlüter, Norbert (2019): Englischunterricht in der Grundschule doch effektiv - Gegendarstellung zur Untersuchung von Jäkel/ Ritter. https: / / www.researchgate.net/ publication/ 331703008 (29/ 12/ 2020). Burwitz-Melzer, Eva/ Mehlhorn, Grit/ Riemer, Claudia/ Bausch, Karl-Richard/ Krumm, Hans-Jürgen (Hrsg.) (2016): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 6., völlig überarbeitete und erweiterte Aufl. Tübingen/ Basel: Francke. Dörnyei, Zoltán/ Ryan, Stephen (2015): The Psychology of the Language Learner Revisited. New York and London: Routledge. Dudenredaktion (o.J.): nachhaltig. https: / / www.duden.de/ rechtschreibung/ nach haltig (29/ 12/ 2020). Fritz, Julia (2020): Fremdsprachenunterricht aus Schülersicht. Eine qualitative Untersuchung zum Unterrichtserleben von Französisch- und Spanischlernenden am Ende der Sekundarstufe I. Tübingen: Narr. Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G. (Hrsg.) (2010): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber: Klett-Kallmeyer. Hallet, Wolfgang/ Königs, Frank G./ Martinez, Hélène (Hrsg.) (2020): Handbuch Methoden im Fremdsprachenunterricht. Hannover: Klett-Kallmeyer. Jaekel, Nils/ Schurig, Michael/ Florian, Merle/ Ritter, Markus (2017): „From early starters to late finishers? A longitudinal study of early foreign language learning in school“. In: Language Learning 67/ 3, 631-664. 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Der Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung definiert: Das übergeordnete Bildungsziel im Lernbereich Globale Entwicklung besteht darin, grundlegende Kompetenzen für eine zukunftsfähige Gestaltung des privaten und beruflichen Lebens, für die Mitwirkung in der Gesellschaft und die Mitverantwortung im globalen Rahmen zu erwerben (Schreiber/ Siege 2016, 18). Diese recht breit gefassten, im wahrsten Wortsinne „globalen“ Formulierungen bedurften und bedürfen der Konkretisierung durch die Fremdsprachendidaktik. Anknüpfungspunkte sind zum einen über das interkulturelle Lernen und die Entwicklung von ICC (intercultural communicative competence) möglich. Die Erfahrung einer globalen Perspektive ist für Schüler aus verschiedenen Kulturkreisen wichtig, weil sie nicht nur die Unterschiede betont, sondern auch Gemeinsamkeiten. Zweitens eröffnet der bilinguale Sachfachunterricht den Zugang zu global issues, denn Themenkomplexe zu ökologischen und ökonomischen Inhalten lassen sich häufig fächerübergreifend erschließen, z.B. global warming. Schließlich ist auch im fremdsprachlichen Literaturunterricht mit der Auswahl einschlägiger Texte eine neue - globale - Perspektive denkbar, z.B. mit Kurzgeschichten zu human rights oder fictions of migration. Nun ist Nachhaltigkeit als Passepartoutbegriff ähnlich wie Inklusion oder global education so breit gefasst, dass er als Projektionsfläche für die verschiedensten konzeptionellen Vorstellungen dienen kann. Anders als die beiden anderen genannten Begriffe ist er zudem im alltags- und umgangssprachlichen Sinne so bekannt - und noch dazu positiv konnotiert -, dass dies der wissenschaftlichen Diskussion übrigens nicht nur zuträglich ist. Kontexte globalen Lernens als Zukunftsperspektive? 101 Nachhaltigkeit mag zudem auch gerade in einer globalisierten und digitalisierten Welt einen nostalgischen und innovationskritischen Impuls bedienen. In Verbindung mit ressourcenschonenden und ökologisch motivierten Grundideen ist der Begriff politisch auf verschiedenen Ebenen schon eingeführt. Die bildungspolitische Diskussion, die dies auch kritisch reflektiert, entwickelt den Bereich BNE innerhalb des größeren Lernbereichs Globale Entwicklung (so etwa im oben bereits genannten Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung; Schreiber/ Siege 2016). Der Begriff Globales Lernen bezeichnet einen Ansatz in der Fremdsprachendidaktik, der den „Globalisierungsdiskurs auf Ziele und Konzepte des Fremdsprachenunterrichts bezieht“ und die Wahrnehmung globaler Zusammenhänge und ein Verständnis für die Komplexität inter- und transnationaler Themen, Dynamiken und Wertvorstellungen (Lütge 2012) und umfasst dabei nach Kip Cates (2004) Peace education, Development education, Environmental education, Human rights education. Nachhaltigkeit ist mit einer Reihe von Herausforderungen für den Fremdsprachenunterricht verbunden. 1. Inhaltlich-thematisch: Nachhaltigkeit ist nicht gleichzusetzen mit ökologischen Themen, auch wenn diese eine wichtige Rolle spielen. Nachhaltigkeit (sustainability) ist in ganz unterschiedlichen Kontexten bedeutsam, auch mit Blick auf eine Verbindung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte. Für den Fremdsprachenunterricht besteht eine Herausforderung darin, sprachlich jeweils angemessene Texte einzusetzen, die eine Ausgewogenheit und Differenziertheit der Themenbereiche und Inhalte ermöglichen. 2. Methodisch und medial: Materialien und Webseiten internationaler Organisationen und Portale, aber auch Filme, podcasts oder blogs können einschlägige Informationen liefern. Um eine Bildung für nachhaltige Entwicklung und globale Handlungskompetenz auszubilden, sollten kooperative Lernformen und extra-curriculare Aktivitäten integriert werden. 3. Fächerübergreifend: Nicht nur für bilingualen Sachfachunterricht, sondern für auch fächerübergreifende Projekte eignen sich globale Themen - und fordern diese geradezu ein. Auch weitergehende Vernetzungen (zwischen Schulen, auf geeigneten Portalen und über Blogs) sind denkbar. 2 Der Blick über den Tellerrand: die globale Perspektive Ansätze rund um ökodidaktische Konzepte aus den Kulturwissenschaften werden zunehmend auch für die Fremdsprachendidaktik erschlossen. Bereits 2006 legten Mayer und Wilson mit ihrem Band Ecodidactic Perspectives on English Language, Literatures and Cultures eine Aufsatzsammlung vor, die die Christiane Lütge 102 Thematik für die fremdsprachendidaktische Perspektive erweiterte. Bartosch und Grimm haben 2014 mit Teaching Environments - Ecocritical Encounters diesen Ansatz aufgegriffen, der sich teilweise auch in Diskussionen um global education (vgl. Lütge 2015) wiederfindet und von zahlreichen Themenheften der einschlägigen Zeitschriften aufgegriffen wurde. Dabei wird die Herausforderung durch das Papier der Vereinten Nationen zu den 17 Zielen nachhaltiger Bildung (sustainable development goals, SDG) besonders mit Blick auf Ziel Nr. 4 stark fokussiert: all learners acquire the knowledge and skills needed to promote sustainable development, including, among others, through education for sustainable development and sustainable lifestyles, human rights, gender equality, promotion of a culture of peace and non-violence, global citizenship and appreciation of cultural diversity and of culture’s contribution to sustainable development (UNESCO 2018). Entwicklungspotentiale bestehen in konzeptionell-strategischer Hinsicht einerseits, wenn Nachhaltigkeit nicht nur wie ein (wünschenswerter) Zusatz erscheinen soll, gleichsam eine weitere Forderung im Erwartungskanon von Bildungspolitiker*innen oder Universitätslehrenden verschiedenster Facetten wie Inklusion, Interkulturelles Lernen und Digitalisierung. Wie alle Querschnittsthemen, die über den Tellerrand einer Fachdisziplin hinausgehen, sind diese von vornherein „bedroht“, weil ihre Integration als schwierig, manchmal auch als unzumutbar empfunden wird. Es wird also weiter zu bestimmen sein, wie Nachhaltigkeit innerhalb schon bestehender Konzepte wie BNE (Bildung für nachhaltige Entwicklung) und als bildungspolitisches Großkonzept integrativ behandelt werden kann. Dabei ist die Reflexion der normativen Dimension des Konzepts aus meiner Sicht von dezidiertem Interesse, insbesondere, weil es darum gehen muss, kein ideologisch einseitiges eco-preaching zu betreiben und etwa Ideen zu „greening the classroom“ nicht zur Spielwiese politischer Kampfbegrifflichkeiten werden zu lassen rund um politische (In)Korrektheiten. Entwicklungspotentiale bestehen ebenso in Anknüpfungspunkten an Paulo Freire und die Humanisierung von Bildung, die den Diskurs der Nachhaltigkeit im Kontext von Demokratisierung und Befreiung von diversen Zwängen sehen. Greg Misiaszek liest die Arbeiten von Freire vor einem Hintergrund kritischer Pädagogik, aus dem sich Ansätze wie ecopedagogy natürlich entwickeln: Reinvented from the work of Paulo Freire (2004, 2000), ecopedagogy is grounded on action-oriented teaching through democratic dialogue to better understand how environmental ills oppress people, societies, populations, ad everything on the planet (Misiaszek 2018, 19). Misiaszek stellt seine Arbeiten rund um die Thematik sustainability in den citizenship-Diskurs, z.B. Educating the Global Envrionmental Citizen - under- Kontexte globalen Lernens als Zukunftsperspektive? 103 standing ecopedagoy in local and global contexts (Misiaszek 2018) und Ecopedagogy: Critical Environmental Teaching for Planetary Justice and Global Sustainable Development (Misiaszek 2020). International ist mit den Begriffen Environmental Education (EE) und Education for Sustainable Development (ESD) hier bereits ein breiter Diskurs angelegt, der den Anspruch hat, tiefer zu gehen, als sich nur in einer inhaltlichen Perspektive zu erschöpfen. So führt Misiaszek aus: Ecopedagogical literacy emerges from multiple, diverse theories together forming theoretical frameworks that help reading within and beyond traditional geopolitical borders (Misiaszek 2018, 189). In diesem Kontext wird Nachhaltigkeit mit Globalisierung (global environmental citizen) sowie mit planetarischen Perspektiven in einen Kontext gestellt: What is crucial is that GCE (Global Citizenship Education, ChL) and ESD teach to deepen and widen socio-environmental reflections of students for actions toward achieving the SDGs and critical analysis of needs beyond the goals. This is where ecopedagogical teaching and research are indispensable. Ecopedagogical teaching are essential in GCE and ESD models to more fully understand the reasons for acts of environmental violence occuring by both widening our perspectives through planetary lenses and deepening perspectives to better know local contexts of citizenships, developments, and sustainability that is inclusive of all of Earth (Misiaszek 2018, 195f.). Demzufolge ist Nachhaltigkeit als eine Facette innerhalb des Diskurses rund um Global Citizenship zu sehen und wird innerhalb dieser auch in der Fremdsprachendidaktik vertretenen Ansätze weiterentwickelt (Lütge/ Merse/ Rau- schert 2021). Aus meiner Sicht ist die internationale Perspektive und somit die Einordnung in globale Kontexte unabdingbar für eine Etablierung als Forschungsfeld. Die internationale Perspektive und der Blick über den disziplinären Tellerrand sind aber auch deshalb wichtig, weil aus meiner Sicht nur so die Engführung auf einen Diskurs im jeweiligen nationalen politischen Bezugsrahmen - beispielsweise im Kontext grüner Parteipolitik - vermieden werden kann. Eine solche Engführung und Reduzierung der Thematik schiene mir in ihrer Normativität tatschlich kontraproduktiv und für Kontexte schulischen Lernens auch fragwürdig. 3 „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ - welchen Beitrag leisten Zweit- und Fremdsprachenunterricht? Zum Beitrag, den die neuen Fremdsprachen im Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung leisten können, ist innerhalb des Orientierungsrahmens für den Lernbereich Globale Entwicklung (Schreiber/ Siege 2016) eine Reihe von fachbezogenen Kompetenzen dargestellt worden, die sich an den Dimensio- Christiane Lütge 104 nen sprachlichen Lernens im Bereich Globaler Entwicklung orientieren, nämlich Erkennen, Bewerten, Handeln. Diesen Dimensionen werden die Leitfragen „Was man über Sprachen wissen sollte“, „Was Sprachen mit den Menschen tun“ und „Was Menschen mit Sprachen tun können“ zugeordnet (Becker/ Börner/ Edelhoff/ Schröder 2016, 156-175). Im anschließenden Kapitel werden 21 Themenbereiche vorgeschlagen, von denen einige explizit Aspekte nachhaltigen Lernens zugeordnet werden können, z.B. Waren aus aller Welt: Produktion, Handel und Konsum, Landwirtschaft und Ernährung, Schutz und Nutzung natürlicher Ressourcen und Energiegewinnung, globale Umweltveränderungen. Als kompetenzorientiertes Unterrichtsbeispiel, bei dem fächerverbindende und fächerübergreifende Projekte möglich werden, wird das „Adivasi Tea project“ als Vorschlag für die Jahrgangsstufe 9/ 10 mit einem ausführlichen Kompetenzraster vorgestellt, bei dem interkulturelles Lernen am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung erschlossen wird. Nachhaltigkeit wird dabei zumeist als Thema - und dies insbesondere in einer Verengung auf ökologische Nachhaltigkeit - diskutiert. Eine thematische Weiterentwicklung, die Nachhaltigkeit auch unter Einbeziehung ökonomischer und sozialer Aspekte betrachtet, ist dafür erforderlich und kann beispielsweise über das BNE-Portal erschlossen werden, herausgegeben von der Deutschen UNESCO-Kommission, denn es bietet Grundlegendes zum Themenbereich „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, Lehrmaterial für verschiedene Fächer sowie Informationen über Aktionen und Projekte rund um die Thematik (www.bne-portal.de), ähnlich wie auch die UNESCO- Hauptseite www.unesco.org eine Fülle von Informationen zu Education for sustainable development (ESD) bereithält. Literatur- und filmdidaktische Ansätze sind besonders gut geeignet, um die Komplexität der Thematik multiperspektivisch zu verhandeln. Sowohl in picturebooks wie DiOrios (2010) What Does It Mean To Be Green? oder Kelseys (2010) Not Your Typical Book About the Environment finden sich dabei Ansatzpunkte, um Themen rund um Nachhaltigkeit auch schon mit jüngeren Englischlernenden zu behandeln. Im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur sind beispielsweise mit Werken wie Jennifer Cowans (2009) Earthgirl wird die Thematik rund um Ernährung, Umweltverschmutzung und mit Bezügen zu den sogenannten ecowarriors durch die 16jährige Protagonistin in Verbindung mit digitalen Diskursen in sozialen Netzwerken gesetzt. Das Medium Film ist gut geeignet, um globale Themen im Fremdsprachenunterricht im Unterricht einzuführen. Als globale Kulturprodukte mit einem internationalen Adressatenkreis eignen sich Filme häufig, um aktuelle Themen aufzugreifen. Dokumentarfilme sind hier besonders zu nennen. Die folgende Filmauswahl zeigt bereits das breite Themenspektrum auf: Kontexte globalen Lernens als Zukunftsperspektive? 105 1. Black Gold (2006, dir. Marc und Nick Francis): globaler Handel am Beispiel von Kaffee 2. Food, Inc. (2008, dir. Robert Kenner): moderne Landwirtschaft und industrielle Lebensmittelproduktion 3. Garbage Warrior (2007, dir. Oliver Hodge): nachhaltige Architektur durch Müllverwertung 4. WALL-E (2008, dir. Andrew Stanton): Umweltverschmutzung, die Zukunft der Menschheit 4 Forschungs- und Entwicklungsbedarf beim Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen im Zusammenhang von Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit als pädagogische Antwort auf Internationalisierung und Globalisierung aller Lebensbereiche wird in der Schule der Zukunft vermutlich eine größere Rolle spielen, um die zukünftigen „global citizens“ mit Fragestellungen, Problemen, aber auch Perspektiven vertraut zu machen, die für alle Menschen weltweit von Bedeutung sind. Kritische Fragen bei einer Verortung im Bildungskontext entstehen hinsichtlich der Funktion von Nachhaltigkeit als möglichem Innovationsgenerator - sowohl für die Erweiterung thematischer Möglichkeiten im Fremdsprachenunterricht als auch in der Entwicklung weiterer Kompetenzprofile. Um den Begriff nicht als Leerformel, aber auch nicht als ideologisch überfrachtete Anforderung an die Unterrichtspraxis zu empfinden, der sich möglicherweise auch zur Innovationsbremse gegenüber der Digitalisierung erweist, ist m.E. eine Kontextualisierung innerhalb des globalen Lernens und im Zusammenhang mit citizenship-Konzepten erforderlich. Diese wäre auch deswegen unbedingt nötig, um konzeptionell einen größeren Rahmen aufzuspannen und damit dem komplexen Konstrukt Nachhaltigkeit einen adäquaten Gesamtzusammenhang zu geben, als dies in rein ökologisch fokussierten thematischen Ausrichtungen gelingen kann. Erst danach - und nicht vorher (! ) - sollte man sich mit empirischen Zugängen der Erforschung oder gar daraus abgeleiteten Kompetenzkatalogen beschäftigen. Letztlich sind es die Kontexte globalen Lernens, die eine Zukunftsperspektive auch für den Fremdsprachenunterricht öffnen werden. Nachhaltigkeit als ein Teil des globalen Lernens kann darin eine Rolle spielen, aber aus meiner Sicht nur als eine vieler verschiedener Facetten und ohne vorschnelle Normierungen. Literatur Bartosch, Roman/ Grimm, Sieglinde (Hrsg.) (2014): Teaching Environments: Ecocritical Encounters. Frankfurt a.M.: Lang. Christiane Lütge 106 Becker, Thomas/ Börner, Otfried/ Edelhoff, Christoph/ Schröder, Konrad (2016): „Neue Fremdsprachen (Englisch, Französisch, Spanisch)“. In: Schreiber, Dieter/ Siege, Hannes (Hrsg.): Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. Ergebnis des gemeinsamen Projekts der Kultusministerkonferenz (KMK) und des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Berlin: Cornelsen, 156-175. Cates, Kip (2004): „Becoming a Global Teacher: Ten Steps to an International Classroom“. In: The Language Teacher 28/ 7, 30ff. https: / / jalt-publications.org/ tlt/ articles/ 694-becoming-global-teacher-ten-steps-international-classroom (10/ 03/ 2021). Cowan, Jennifer (2009): Earthgirl. Toronto: Groundwood Books DiOrio, Rana (2010): What Does It Mean To Be Green? San Francisco: Little Pickle Press. Kelsey, Elin/ Hanmer, Clayton (2010): Not Your Typical Book About the Environment. Toronto: Owlkids Books. Lütge, Christiane (2012): „Globales Lernen“. In. Praxis Fremdsprachenunterricht 5/ 12, 16. Lütge, Christiane/ Merse, Thorsten/ Rauschert, Petra (Hrsg.) (2021 i.V.): Global Citizenship Education - Concepts, Contexts, Competences. New York/ London: Routledge. Lütge, Christiane (Hrsg.) (2015): Global Education. Perspectives for English Language Teaching. Münster: LIT. Mayer, Sylvia/ Wilson, Graham (Hrsg.) (2006): Ecodidactic Perspectives on English Language, Literatures and Cultures. Trier: WVT. Misiaszek, Greg (2018): Educating the Global Environmental Citizen. Understanding Ecopedagogy in Local and Global Contexts. Routledge: New York/ London. Misiaszek, Greg (2020): Ecopedagogy - Critical Environmental Teaching for Planetary Justice and Global Sustainable Development. London: Bloomsbury. Schreiber, Dieter/ Siege, Hannes (Hrsg.) (2016): Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. Ergebnis des gemeinsamen Projekts der Kultusministerkonferenz (KMK) und des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Berlin: Cornelsen. UNESCO (2018): Global Citizenship Education: Taking it local. http: / / unesdoc.unesco.org/ images/ 0026/ 002654/ 265456e.pdf (11/ 03/ 2021). Nachdenken über Nachhaltigkeit Hélène Martinez 1 Einführung Ökologische, menschengemachte Katastrophen, gewalttätige Konflikte, rassistische Übergriffe auf Bürgerinnen und Bürger in unserer globalisierten Gesellschaft und vieles mehr lassen keinen Zweifel an der Notwendigkeit der Aktionen zu „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) (KMK/ DUK 2007; KMK 2017). Fremdsprachenunterrichtliche Ansätze zur Förderung interkultureller und mehrsprachiger Kompetenzen leisten sicherlich bereits einen wichtigen Beitrag zum Umgang mit beispielsweise Diversität, zum Auf- und Ausbau von cultural awareness, Empathie etc. und somit auch zur Nachhaltigkeit. Im Sinne des Goals 4 des Framework for Action for the implementation of Sustainable Development 1 „Ensure inclusive quality education and promote lifelong learning opportunities for all“ erscheint es mir allerdings wichtig, die Frage nach Nachhaltigkeit unter der Perspektive eines nachhaltigen Fremdsprachenunterrichts zu stellen. Dies ist umso relevanter, als Bildung als ein Schlüssel für eine zukunftsfähige Gesellschaft im Zeichen der Globalisierung verstanden wird. 2 Nachhaltigkeit: Versuch einer Annäherung Die quantitativ angelegte MES-Studie zur Erhebung von Schülereinstellungen bezüglich Mehrsprachigkeit hat gezeigt, dass ca. die Hälfte der Lernenden das Fach Französisch nach zwei Jahren aufgibt (Meißner et al. 2008). Bereits seit vielen Jahren lassen sich deutliche Verluste in Bezug auf die Französisch- und Spanischlernerzahlen in der Sekundarstufe II feststellen. Diese verursachen u.a., dass viele Leistungskurse nicht zustande kommen. Fritz (2020) hat in ihrer qualitativen Studie zum Unterrichtserleben von Französisch- und Spanischlernenden Gründe für die Abwahl des Französischen und Spanischen am Ende der Sekundarstufe I erforscht. Bemängelt wird von den Schülerinnen und Schülern in der Regel der fehlende Bezug zu außerschulischen Lernorten, die überwiegend dominante Rolle der Lehrkraft und die motivationalen Interferenzen zwischen der zweiten Fremdsprache und dem Englischen. 1 http: / / uis.unesco.org/ sites/ default/ files/ documents/ education-2030-incheonframework-for-action-implementation-of-sdg4-2016-en_2.pdf (16/ 07/ 2021) Hélène Martinez 108 Darüber hinaus erleben die Schülerinnen und Schüler den Französischunterricht als „eine Herausforderung“ (ebd., 134) und das stupide und monotone Einüben von sprachlichen Mitteln sowie ausstehende Unterrichtserfolge als Motivationshindernisse (vgl. auch Meißner et al. 2008). Für viele Schülerinnen und Schüler bleibt das Französische bzw. das Spanische lediglich ein Schulfach ohne Lebensweltbezug. Mangelnder Lernzuwachs und fehlendes positives Feedback sowie nicht vorhandene Identifikationsmöglichkeiten mit den Inhalten des Französisch- und Spanischunterrichts und die Dominanz der Vermittlung von Sprachwissen führen zu Frustration und letztendlich zu Ablehnung und Abwahl des jeweiligen Fachs. Diese Ergebnisse weisen auf die entscheidende Rolle des Unterrichtserlebnisses hin und korrelieren leider mit vielen Studien aus der Lernerperspektive. Warum mit derartigen Gegenbeispielen für Nachhaltigkeit beginnen? Mit dem Rückgriff auf die o.g. empirischen Studien soll versucht werden, sich dem Konzept von Nachhaltigkeit in Bezug auf das Lernen und Lehren fremder Sprachen anzunähern. In der pädagogischen und fachdidaktischen Literatur taucht der Begriff immer häufiger auf, ist aber nicht ausreichend definiert. Nachhaltigkeit verbindet sich oft mit der Frage nach der Wirksamkeit und Qualität von Bildungsprozessen (z.B. Lehrerbildung) und -settings. Nachhaltigkeit bezeichnet die Qualität von (Weiter-)Entwicklungen im Rahmen von Schule und Unterricht. Gerdsmeier und Köller (o.J., 3) haben vier Bedeutungsschichten nachhaltigen Lernens herausgearbeitet, die für eine Konzeptualisierung von Nachhaltigkeit hilfreich erscheinen: „1. Aspekt von Dauerhaftigkeit, Kultivierung und Anschlussfähigkeit“: Diese Dimension zielt auf den Aspekt der Langfristigkeit: Etwas Gelerntes wird langfristig genutzt. Damit etwas Gelerntes langfristig genutzt werden kann, muss es kontinuierlich ‚kultiviert‘ werden und ist somit auch immer eine Grundlage zum Weiterlernen. „2. Aspekt von Nutzung, Literacy und Transfer“: Diese Dimension fokussiert auf die Übertragung schulischen Lernens auf die Wirklichkeit außerhalb der Schule. „3. Aspekt von strategischen und metastrategischen Konzepten“: Diese Dimension verweist auf die Reflexion über das Gelernte und die Bildung von metakognitivem Wissen und Strategien als notwendige Grundlage für das Weiterlernen. „4. Aspekt von Lernerfahrungen und Haltungen“: Die Reflexivität und die damit verbundene Wahrnehmung des eigenen Lernerfolgs/ der eigenen Selbstwirksamkeitserfahrungen sind von Bedeutung für das Entstehen (intrinsischer) Motivation - was wiederum für langfristiges Lernen entscheidend ist. Nachdenken über Nachhaltigkeit 109 Analysiert man die Ergebnisse der empirischen Studie von Fritz (2020) nach den vier o.g. Dimensionen, so lässt sich leider feststellen, dass das Erlernen des Französischen und Spanischen als zweite Fremdsprache nach Englisch leider kaum als nachhaltig bezeichnet werden kann. Die Sequenzialität der Lehr- und Lernprozesse wird für viele Schülerinnen und Schüler zum Verhängnis: „Gelingt es den SchülerInnen nicht, der Progression im Unterricht zu folgen, und damit Lernerfolge zu erzielen, entstehen erhebliche Wissensbzw. Könnensdefizite, die eine Partizipation am Unterrichtsgeschehen be- und verhindern“ (ebd., 260). Darüber hinaus gelingt es vielen Schülerinnen und Schülern nicht, die erlernte Fremdsprache im Rahmen und außerhalb des Unterrichts im zielsprachlichen Land anzuwenden. Sie erleben sich nicht als kompetent. Des Weiteren fehlt dem Unterricht in der Wahrnehmung der Lernenden jede Grundlage zur Entwicklung von Strategien oder Entfaltung selbstorganisierten Weiterlernens. Fritz kommt zu dem Schluss, dass sich der fehlende Fortschritt, das Gefühl des Nicht-Verstehens oder Nicht-Könnens und die damit einhergehende Unzufriedenheit und sinkende Motivation bedingen (ebd., 259). Sie spricht von einer „Verschlechterung der Motivation“ (ebd., 256) im Laufe der Sekundarstufe I, die mit einem mangelnden Kompetenzerleben und fehlenden Selbstwirksamkeitserfahrungen einhergeht und zur Abwahl der Fremdsprache Französisch oder Spanisch führt. Nachhaltigkeit greift für mich Konzepte der Selbststeuerungskompetenz bzw. -regulation auf. Im Fremdsprachenunterricht begegnet man den Begriffen der Lernerorientierung und Lernerautonomie, welche seit den 1980er Jahren in der fremdsprachendidaktischen Forschung etabliert sind (vgl. Holec 1980). Diese haben zu der Implementierung und Entfaltung unterschiedlicher Lehr- und Lernarrangements geführt, die das Lernen als individuelle und selbstbestimmte Aktivität des lernenden Subjekts ermöglichen sollen. Holzkamp (1993) schlussfolgert: Im Gegensatz zur bildungstheoretischen Position stellt die lerntheoretische Perspektive den subjektiven Lernprozess und damit verbundene langanhaltende Wirkungen ins Zentrum ihrer Betrachtung. Die Nachhaltigkeit des Gelernten lässt sich zum einen differenzieren in Bezug auf das Lernverhalten selbst, welches überhaupt erst die Bereitschaft und Fähigkeit zum lebenslangen Lernen grundlegt. Zum anderen bezieht sich die ‚Nachhaltigkeit des Gelernten‘ darauf, ob das, was vermittelt wurde, von den Lernenden überhaupt so in die Praxis transferiert werden kann, dass dadurch die eigene Handlungskompetenz erweitert wird. Nachhaltiges Lernen in dem hier verstandenen Sinne verweist somit auf die Dauerhaftigkeit der Lernresultate im Hinblick auf ihre Bedeutung für zukünftig zu bewältigende Handlungsproblematiken (Holzkamp 1993, 189; zitiert nach Schüßler 2004, 150). Die Dimension der „Nachhaltigkeit des Gelernten“ im Zitat Holzkamps verweist auf eine weitere Schwierigkeit, die Problematik des durch traditionelle (schulbezogene) instruktivistische Vermittlungsverfahren generierten Schul- Hélène Martinez 110 wissens bzw. die des trägen Wissens (school knowledge), welches nicht in Handlungswissen (action knowledge) umgesetzt und daher nicht benutzt werden kann: School knowledge is the knowledge which someone else presents to us. We partly grasp it, enough to answer the teacher’s questions, to do exercises, or to answer examination questions, but it remains someone else’s knowledge, not ours. If we never use this knowledge we probably forget it. In so far as we use knowledge for our own purposes however we begin to incorporate it into our view of the world, and to use parts of it to cope with the exigencies of living. Once the knowledge becomes incorporated into that view of the world on which our actions are based I would say that it has become ‚action knowledge’. (Barnes 1976, 81) Die Umwandlung des Schulwissens in (eigenes) Handlungswissen erfordert eine aktive Auseinandersetzung mit dem ‚Wissen‘ und die Übernahme der Verantwortung für das eigene Lernen seitens der Lernenden. Nachhaltigkeit als Thema in der fremdsprachendidaktischen Forschung bedeutet folglich eine neue Perspektivierung auf den Gegenstand ‚Lehren und Lernen fremder Sprachen‘, welche mir vor dem Hintergrund aktueller empirischer Ergebnisse (s.o.) unerlässlich erscheint und zugleich auch eine kritische Infragestellung der aktuellen fremdsprachlichen Lehr- und Lernpraxis mit sich bringt. Für mich ergeben sich in diesem Zusammenhang drei Ebenen, die in einer Wechselbeziehung stehen und unterschiedlich adressiert werden können: • Ebene des Lernens (Lernende und Lehrende) • Ebene des Unterrichts/ der Bildung (Lernarrangements) • Ebene der Gesellschaft/ Weltgemeinschaft (Bildung für Menschen weltweit) (vgl. Deutsche UNESCO-Kommission) 2 Ich gehe in diesem Beitrag auf die zwei ersten Ebenen ein. 3 Persönliche, soziale und Lernkompetenz: aktuelle fremdsprachendidaktische Ansätze und Entwicklungsmöglichkeiten in Bezug auf Nachhaltigkeit Der Paradigmenwechsel von der Inputzur Outputorientierung und die Fokussierung auf zu erwerbende Kompetenzen lässt sich als Beitrag zur Nachhaltigkeit des Fremdsprachenunterrichts einordnen. Kompetenzen zur Entwicklung lebenslanger Handlungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler rücken dabei in den Mittelpunkt der bildungspolitischen und fachdidaktischen Diskussion um Kompetenzorientierung. Die in diesem Zuge entstandene Modellierung von ‚Sprachlernkompetenz‘ in den Bildungsstandards für 2 https: / / www.unesco.de/ bildung/ agenda-bildung-2030 (06/ 06/ 2021) Nachdenken über Nachhaltigkeit 111 die Sekundarstufe II (vgl. Martinez/ Meißner 2017) trägt der Beobachtung Rechnung, dass die Fähigkeit und Bereitschaft, das eigene Lernen zielgerichtet zu steuern (KMK 2012, 22) und die damit verbundene lernerseitige Regulierungsfähigkeit die Grundlagen für lebenslanges (Fremdsprachen-)Lernen bilden. Das Konzept von Sprachlernkompetenz greift auf die Autonomie- und Strategien-Diskussion der letzten 40 Jahren zurück und bedient sich einer Reihe von Ansätzen, die das Subjekt und den Lernprozess fokussieren. Ein Blick in die Entstehungsgeschichte der Lernerautonomie belegt eine enge Verbindung des Konzepts zur Nachhaltigkeit. Ein besonders wichtiger Aspekt von Lernerautonomie ist dezidiert politischer Natur: Lernerautonomie wird betrachtet als […] an adaptive ability, allowing learners to develop supportive structures within themselves rather than to have them erected around them. ‘Vertebrate rather than a crustacean’ (Trim 1977) would be more appropriate to societies with democratic structures and to the demands of constantly changing situations in adult life (Esch 1996, 37). Darüber hinaus wurzelt das Konzept in dem Gedankengut des pädagogischen Bildungsmodells für Erwachsene, der éducation permamente, die die Hauptprinzipien selbstgesteuerten Lernens entwickelte. Die éducation permanente ist/ war „une conception éducative nouvelle, dont la finalité est de préparer les hommes pour des types de sociétés qui n’existent pas encore“ (Faure et al. 1972, 14; zitiert nach Holtzer 1995, 69). Es handelt sich um ein alternatives - und utopisches - Bildungskonzept (modèle éducatif), das auf einer Entschulung der Bildung und einer durchgehenden Bildungsmöglichkeit (éducation permanente) für alle Bürgerinnen und Bürger beruht und Chancengleichheit, Inklusion etc. verfolgt. Die Veränderung der Gesellschaft - die durch die Bildung und die Transformation der Bildungssysteme möglich ist - geht mit der Schaffung eines neuen Menschen einher, der autonom und verantwortungsbewusst ist: „Nous nous sommes fixés, comme l’un des objectifs essentiels, le développement d’un homme autonome et responsable“ (Schwartz 1973, 165). Autonomie wird so zum Hauptziel der Bildung: Si l’on voit, dans le système éducatif, une sorte de milieu de vie en réduction, où la personne […] ‘simule’ les comportements qu’elle transférera […] dans la vie courante (c’est bien l’hypothèse que l’on fait lorsque l’on dit que l’école doit préparer à la vie), la meilleure façon de développer l’autonomie est bien déjà de remettre à chacun la responsabilité de sa propre formation. En conséquence seul un système basé systématiquement sur l’entraînement à l’autoformation peut répondre à notre objectif (ebd., 166). Aktuell ist allerdings diese bildungspolitische Prägung des Konzepts von Lernerautonomie in der praktischen Umsetzung kaum noch zu erkennen. Die Diskussion um ‚Lern(er)strategien‘ hat vielfach zu einer Reduktion auf die Hélène Martinez 112 Beherrschung einer Reihe ‚guter‘ Lernstrategien als grundlegendes Prinzip autonomen Lernverhaltens geführt. So wird in vielen Lehrwerken z.B. das Lernen des Lernens durch ein Angebot von meist unreflektierten Tipps gefördert. Im Zuge der Pädagogisierung fand also eine Entpolitisierung und eine Verengung des Konzepts statt. Neuere Ansätze scheinen aber wieder die Bedeutung von unterrichtlicher Bildung für eine aktive Teilhabe und Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger an gesellschaftlichen Prozessen zu schätzen. Die aktuelle Empfehlung der Europäischen Union zum lebenslangen Lernen (vgl. Rat der Europäischen Union 2018) verweist auf interessante Aspekte in Bezug auf Nachhaltigkeit mit der Nennung teilweise neuer Schlüsselkompetenzen. Neben der Lese- und Schreibkompetenz, Mehrsprachenkompetenz, der mathematischen Kompetenz und Kompetenzen in Naturwissenschaften, der Informatik und Technik, der digitalen Kompetenz etc. zählt jetzt auch die sogenannte ‚persönliche, soziale und Lernkompetenz‘ (the Personal, Social and Learning to Learn competence) zu den Schlüsselkompetenzen für das lebenslange Lernen. Sie wird definiert als „die Fähigkeit, sich selbst zu reflektieren, mit Zeit und Informationen effizient umzugehen, konstruktiv mit anderen zusammenzuarbeiten, resilient zu bleiben und seinen Bildungs- und Berufsweg selbst in die Hand zu nehmen“ (Rat der Europäischen Union 2018, 10). Dabei wurde das Konzept des Lernens des Lernens gegenüber der Vorgängerempfehlung von 2006 um zwei weitere Komponenten ergänzt: social development und personal development. Zugleich wird angenommen, dass wesentliche Kenntnisse, Fertigkeiten und Einstellungen im Zusammenhang mit dieser persönlichen, sozialen und Lernkompetenz verbunden sind: Diese Kompetenz beruht auf einer positiven Einstellung gegenüber dem persönlichen, dem sozialen und dem körperlichen Wohlergehen sowie dem lebenslangen Lernen. Sie basiert auf der Bereitschaft zur Zusammenarbeit, auf Selbstsicherheit und auf Integrität. Dazu gehören die Achtung der Verschiedenheit anderer Menschen und ihrer Bedürfnisse und die Bereitschaft, Vorurteile zu überwinden und Kompromisse einzugehen. Der Einzelne sollte in der Lage sein, Ziele zu erkennen und zu formulieren, sich selbst zu motivieren und Resilienz und Selbstvertrauen zu entwickeln, um ein ganzes Leben lang erfolgreich weiter zu lernen. Eine problemlösungsorientierte Einstellung kommt sowohl dem Lernprozess als auch der Fähigkeit des Einzelnen zugute, mit Hindernissen und Veränderungen umzugehen. Sie beinhaltet den Wunsch, auf früheren Lern- und Lebenserfahrungen aufzubauen, und die Neugier, neue Lernmöglichkeiten zu suchen und sich in zahlreichen Lebensbereichen weiterzuentwickeln (vgl. Rat der Europäischen Union 2018, 10). Die persönliche, soziale und Lernkompetenz ist in einem eigenständigen Referenzrahmen - dem LifeComp-Framework - wissenschaftlich modelliert und mit Deskriptoren konkretisiert worden. Der LifeComp-Framework ist Nachdenken über Nachhaltigkeit 113 ein innovatives Instrument zur Konzeptualisierung des Lernens des Lernens. Letzteres wird verstanden als eine bereichsübergreifende Schlüsselkompetenz, die mit anderen Schlüsselkompetenzen (z.B. digitale Kompetenz, Sprachen, MINT-Kompetenz, Bürgersinn) verknüpft ist und deren Entwicklung entscheidend vorantreibt. Sie umfasst relevante Fähigkeiten und Fertigkeiten, die von allen Bürgerinnen und Bürgererworben werden sollten, um eine aktive Teilnahme an der Gesellschaft und der Wirtschaft zu gewährleisten 3 (vgl. Caena 2019, 3). LifeComp is made up of three intertwined competence areas: ‘Personal’, ‘Social’, and ‘Learning to Learn’. Each area includes three competences: Selfregulation, Flexibility, Wellbeing (Personal Area), Empathy, Communication, Collaboration (Social Area), Growth mindset, Critical thinking, and Managing learning (Learning to learn Area). Each competence has, in turn, three descriptors which generally correspond to the ‘awareness, understanding, action’ model. These are not to be understood as a hierarchy of different levels of relevance, whereby some are prerequisites for others (Sala et al. 2020, 8). Interessant dabei ist, dass die Lernenden als ganzheitliche Person in den Blick genommen werden und die Entwicklung des Lernens des Lernens nicht auf eine kognitive Dimension reduziert wird. Der LifeComp-Framework berücksichtigt die zunehmende Bedeutung nicht-kognitiver, ‚weicher‘ Fähigkeiten in sich schnell verändernden globalen Kontexten (vgl. Caena 2019, 3). Der LifeComp-Framework ist ein neues Instrument, das in die Praxis implementiert und u.U. optimiert werden muss. Die Bereiche müssen an die jeweiligen Lehr- und Lernsituationen adaptiert und sicherlich auch als eine Aufgabe aller Fächer verstanden werden. Der Referenzrahmen macht deutlich, wie unentbehrlich die sogenannten ‚weichen‘ Kompetenzen und eine Repolitisierung autonomiefördernder Maßnahmen für das Lehren und Lernen im Sinne von Nachhaltigkeit sind. In diesem Sinn kann der Ansatz als eine Weiterentwicklung des Referenzrahmens für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (vgl. Candelier 2009) verstanden werden mit einem besonderen Fokus auf savoir-apprendre. Bedarf sehe ich für die Zukunft in der Entwicklung und Implementierung von adäquaten (selbst-)reflexiven Lernsettings sowohl für die Lernenden als auch für die Lehrkräfte. Awareness, Reflexion und die damit verbundene Eva- 3 „Additionally, implementing LifeComp through education may contribute to achieving the United Nations’ Target 4.7 of Sustainable Development Goals. That is to ensure that “all learners, by 2030, acquire the knowledge and skills needed to promote sustainable development, including, among others, through education for sustainable development and sustainable lifestyles, human rights, gender equality, promotion of a culture of peace and non-violence, global citizenship and appreciation of cultural diversity and culture’s contribution to sustainable development“ (Sala et al. 2020, 13). Hélène Martinez 114 luation und Regulierung des eigenen Handelns - in den drei o.g. Bereichen - scheinen mir zentral für nachhaltige Entwicklungen sowohl der Lernenden als auch der Lehrenden. Diese gilt es systematisch zu unterstützen und zu fördern. Die Perspektive der Lernenden wurde in den letzten Jahrzehnten dominant diskutiert - wenn auch weniger in Bezug auf die weichen Kompetenzen. Mir scheint allerdings die Frage der Nachhaltigkeit vor diesem Hintergrund auch aus der Perspektive der Lehrenden und der Lehrerbildung wichtig und dringlich zu sein. An anderer Stelle habe ich mich für die Entwicklung einer Lernkompetenz von angehenden Lehrkräften ausgesprochen, welche ihnen ermöglichen soll, sich lebenslang weiterzuentwickeln (vgl. Martinez 2018). Ich möchte daran anknüpfen und zwei Aspekte herausarbeiten, die mir in Bezug auf Nachhaltigkeit wichtig erscheinen: 1) Reflexion muss als Kompetenz verstanden werden, welche ‚erlernbar‘ ist. 2) Personenbezogene Kompetenzen (adaptabilité professionelle). Zu 1): Reflexivität als Kompetenz zu verstehen impliziert, dass Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen Elemente von Reflexivität sind, die sich beschreiben und somit operationalisieren lassen. Es wird angenommen, dass Reflexion durch geeignete Aufgaben bzw. Lernszenarien gefördert werden kann. Allerdings scheint auch erwiesen, dass für den Auf- und Ausbau reflexiver Kompetenzen die Einstellungen und Haltungen eine größere Herausforderung darstellen (vgl. von Aufschnaiter et al. 2019). Zu 2): Die Annahme, dass Lehrkräfte mit Momenten der Ungewissheit konfrontiert sind und Strategien des Umgangs damit aufbauen, ist Bestandteil der Beschreibung von Lehrerprofessionalität. Sie greift die Reflexionsfähigkeit der Lehrkräfte auf. In der pädagogischen Fachliteratur wird von Adaptivität gesprochen - in der französischsprachigen Fachliteratur von „adaptabilité professionelle“. Damit ist ein „ensemble de savoirs et savoir-faire pluriels et adaptables“ gemeint. Adaptabilité professionelle bezeichnet le fait de réfléchir sur ses propres pratiques dans un contexte donné, d’être capable d’examiner d’un œil critique les différents paramètres de la classe de langue étrangère et leurs modifications possibles dans d’autres situations d’enseignement/ apprentissage afin d’envisager des alternatives pédagogiques contextualisés (Causa 2009, 43). Sucht man nach diesem Begriff, so stellt man fest, dass adaptabilité professionelle zu den Soft-Skills in der Wirtschaft gehört. Damit sind folgende Verhaltensweisen verbunden: • être constructif dans ses critiques, ses décisions, etc. ; • aborder les challenges avec une énergie positive et une rapide proactivité ; • travailler en équipe : utiliser le collectif pour mieux avancer ; Nachdenken über Nachhaltigkeit 115 • attitude positive face au changement ; • capacité à modifier ses plans, décisions, projets ; • remise en question permanente et constructive ; • accueil enthousiaste de la nouveauté ; • ouverture à la formation ou coaching : être conscient de ses limites et être ouvert à l’amélioration, demander et recevoir de l’aide si besoin… ; • bonne gestion de son stress : contrôle des émotions négatives et du stress ; • réaction positive face aux évolutions technologiques et autres évolutions organisationnelles : intégrer rapidement les nouveaux outils et trouver sa place dans une nouvelle équipe/ organisation/ service… Diese Einstellungen und Haltungen stehen in einer Wechselbeziehung zu weiteren Teilkompetenzen wie Selbsterkenntnis („la connaissance de soi“), Aufgeschlossenheit und Neugier („l’ouverture d’esprit et la curiosité“), Selbstbewusstsein und Selbstbehauptung („l’affirmation de soi“) und Lernkompetenz („la capacité d’apprendre à apprendre“), welche als personenbezogene Kompetenzen bzw. Attitüden bezeichnet werden. 4 Der Rückgriff auf dieses Konzept betont - auch für die Lehrkräfte - die Bedeutung personenbezogener bzw. weicher Kompetenzen und die Notwendigkeit, diese gezielt zu fördern. 4 Professionalisierungsforschung - Wege zu einer nachhaltigen Lehrer(aus)bildung? Lipowsky und Rzejak (2019) haben im Rahmen einer Metaanalyse Merkmale nachhaltiger Lehrerfortbildung herausgearbeitet. Interessanterweise unterscheiden sich diese Merkmale von Charakteristika nachhaltigen Fremdsprachenunterrichts nicht wesentlich. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Verschränkung von Input-, Erprobungs-, Feedback- und Reflexionsphasen; • Inhaltlicher Fokus und Orientierung an den fachlichen Lernprozessen der SuS; • Gelegenheit zum Erleben eigener Wirksamkeit; • Lerngemeinschaften; • Feedback und Bedeutung von Coaching-Elementen. Damit sind solche Lernarrangements gemeint, die den Prozess der Fortbildung längerfristig begleiten und Reflexionsanlässe auf verschiedenen Ebenen schaffen. Feedback und Beratungselementen - als individuelle Unterstützung - kommt in diesen Arrangements eine verstärkte Rolle zu und sie erfahren damit auch für das Lernen von Lehrkräften eine erhebliche Relevanz. 4 https: / / www.myconnecting.fr/ formation/ adaptabilite-professionnelle-soft-skill/ (06/ 06/ 2021) Hélène Martinez 116 Vor diesem Hintergrund erscheint es mir besonders interessant, Beratungs-/ Coachingformate bereits in die Lehrerausbildung zu implementieren und ihre Wirksamkeit zu erforschen. Ansätze zur Implementierung von Sprachlernberatung in der Gießener Lehrerausbildung (Romanistik) sowie erste Berichte im Rahmen von Praktika - flankiert mit Portfolioarbeit - deuten bezüglich Nachhaltigkeit auf interessante und vielversprechende Ergebnisse (vgl. Boos et al. 2020; Donnelly/ Moering 2019). Zu fragen wäre beispielsweise: • Inwieweit ist Beratung bzw. Coaching eine sinnvolle Ergänzung bei der Entwicklung einer forschenden und selbstreflexiven Grundhaltung in der Lehrerbildung? • Inwieweit ist Beratung/ Coaching eine Hilfe zur Selbsthilfe auch in Bezug auf die eigene Professionalisierung? • Inwieweit stellt Beratung/ Coaching als Instrument zur Selbstreflexion eine (nachhaltige) Strategie für (Selbst-)Regulierung des eigenen Handelns dar? Folgende Prämisse liegt diesen Überlegungen zugrunde: Beratung oder Coaching adressieren die ganze Person mit ihren Kognitionen und Emotionen und machen sie zu Akteurinnen und Akteure ihrer eigenen (Aus-)Bildung. 5 Schlussfolgerung und Ausblick Die Auseinandersetzung mit der Frage des nachhaltigen Lehrens und Lernens von fremden Sprachen hinterlässt neben einigen im Beitrag aufgezeigten Lösungsansätzen noch eine Reihe von Desideraten, mit denen sich eine fremdsprachendidaktische Forschung nachhaltig auseinandersetzen müsste: • Viele Beobachtungen zeigen, dass der Sprachunterricht (nicht nur in Französisch oder Spanisch) den Forderungen nach Nachhaltigkeit im fremdsprachendidaktischen Sinne ungenügend nachkommt; • Beobachtungen zeigen auch, dass viele Lehrerinnen und Lehrer nicht in der Lage sind, den Lernenden notwendige Kompetenzen (nachhaltig) zu vermitteln; • was vermuten lässt, dass sie die dazu notwendigen professionellen Kompetenzen in ihrer Ausbildung an den Universitäten womöglich nicht in ausreichender Weise erworben haben; • was damit zusammenhängen könnte, dass die Fachdidaktiken teilweise fach- oder disziplinfremd besetzt sind und als Fachdisziplin über ein immer noch relativ geringes Gewicht verfügen; • ebenso zeigt sich, dass Ansätze wie die Aktionsforschung, ein brauchbares Instrument zur unterrichtlichen Problemerkennung und -behandlung, selten nachhaltig eingesetzt werden. Nachdenken über Nachhaltigkeit 117 Auch zur Frage nachhaltiger Weiter- und Fortbildung und zur Wirksamkeit des Referendariats im Bereich Fremdsprachen wären weitere Forschungsbemühungen sicher von Nutzen (vgl. Gerlach/ Steiniger 2016). Literatur Barnes, Douglas (1976): From communication to curriculum. Hardmondsworth Middlesex: Penguin. Boos, Maria/ Dziak-Mahler, Myrle/ Wendland, Sandra (2020): „Coaching und Mentoring als Reflexionsräume“. In: Hesse, Florian/ Lütgert, Will (Hrsg.): Auf die Lernbegleitung kommt es an! Konzepte und Befunde zu Praxisphasen in der Lehrerbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 185-205. Caena, Francesca (2019): Developing a European Framework for the Personal, Social & Learning to Learn Key Competence (LifEComp). Literature Review and Analysis of Frameworks. Luxembourg: Publications Office of the European Union. Candelier, Michel (Hrsg.) (2009): Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen. Graz: Europäisches Fremdsprachenzentrum. 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Zur Integration des Zweit- und Fremdsprachenunterrichts in BnE Nicole Marx 1 Verzahnung von BnE mit den Fremdsprachendidaktiken Kaum ein Programm der internationalen Bildungspolitik hat in den letzten Jahren einen rhetorischen Einfluss wie das von der UNESCO entwickelte und explizierte Konzept von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BnE, https: / / en.unesco.org/ themes/ education-sustainable-development), das u.a. auf die 17 Ziele der nachhaltigen Entwicklung (GSD, Goals for Sustainable Development, vgl. https: / / sustainabledevelopment.un.org/ focussdgs.html; s.a. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2021) zurückgreift. Und gleichzeitig scheint kaum ein Konzept potentiell so stark gefährdet zu scheitern wie dieses. Denn BnE erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichsten Ebenen und Akteur: innen des Bildungssystems und der Gesellschaft, die in einer auf nationalstaatlichen bzw. (in Deutschland) förderalistischen Interessen ausgerichtet ist. Ziel des Beitrags ist weder, die Genese und die zentralen Ziele von BnE zu beleuchten, noch über deren Sinn zu evangelisieren. Das Erste lässt sich nachschlagen 1 , das Zweite ist, mangels gesicherter empirischer Unterstützung, eher Glaubensfrage. Gerade dieser Umstand - das weitgehende Fehlen von empirischen Beiträgen zum spezifischen Thema BnE in der Fremdsprachenforschung und der Fremdsprachendidaktik - nehme ich zum Anlass, mögliche Voraussetzungen und Potentiale für den Zweit- und Fremdsprachenunterricht im Rahmen von BnE zu fokussieren. Ziel dieses Statements ist somit v.a. zu fragen, welche Unterstützung durch die Fremd- und Zweitsprachendidaktik zu leisten ist, und welche Voraussetzungen insbesondere in diesem Feld erfüllt werden müssen, um das Konzept curricular erfolgreich umzusetzen. Dabei werden die Fächer Deutsch als Zweitsprache (DaZ) und Deutsch als Fremdsprache (DaF) besonders in den Blick genommen. 1 Zur besseren Leser: innenorientierung erscheint dennoch bei der Ersterwähnung jedes Ziels der nachhaltigen Entwicklung der jeweilige Kurztitel. Das Pferd nicht von hinten aufzäumen! 121 2 Ein erster Einblick: Warum „Thema Umweltschutz“ ≠ BnE Mehr als nichtfremdsprachliche Fächer greift insbesondere der moderne Fremdsprachenunterricht Aspekte der Nachhaltigkeit i.S.v. Umweltschutz und Umweltbewusstsein auf. Dies ist besonders lobenswert, werden doch spezifische Tendenzen in Deutschland im Einklang mit einigen Zielen der nachhaltigen Entwicklung gesetzt. Eine Bildung für nachhaltige Entwicklung ist dies allerdings noch längst nicht, und eine Neuetikettierung solcher Einheiten als „BnE“ trägt nur schwerlich zur Entwicklung des Programms bei. Ein kurzer Blick in Lehrwerke für Deutsch als Fremdsprache erlaubt eine Erklärung dieses Problems. Zunächst wird deutlich, dass kaum ein Lehrwerk ab ca. dem GeR-Niveau A2 ohne ein Kapitel zum Thema Umweltbewusstsein auskommt. Ob es sich um das „Umweltproblem Single“ (Aspekte neu, B1, S. 154), um „Fahrradfahren ist in“ (Menschen, B1.2 Kursbuch, S. 67-69) oder um „Umwelt und Energie“ (Berliner Platz neu 3, S. 100-108) handelt - in Lehrwerken wird über den Umweltschutz (be)lehrt. Dies ist an sich weder verkehrt noch verwerflich. Jedoch fallen dabei stets zwei Beobachtungen auf. Erstens wird die Umwelt thematisiert. Fokussierte und positiv hervorgehobene Handlungen sind z.B. die Trennung von Müll, der Verzicht auf ein Auto und der persönliche Beitrag zum Klimaschutz durch die Pflege eines Schrebergartens. Den weiteren Zielen von BnE wird nur selten Aufmerksamkeit geschenkt. Zweitens sind die Themen nicht i.S. der Nachhaltigkeit aufgeführt: Lernende und Lehrkräfte werden nicht darin unterstützt, die Bedeutung der Ziele für den eigenen Lebensraum zu reflektieren. Vielmehr stehen Sprachlernziele im Vordergrund, ein Bezug zur Lebenswelt außerhalb des Klassenzimmers, falls hergestellt, wirkt künstlich. Diese zwei Probleme deuten darauf hin, warum zunächst ein Umdenken erforderlich ist, bevor der Fremdsprachenunterricht zielgerichtet zur BnE beitragen wird. Die erforderlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration des Fremdsprachenunterrichts in BnE werden im nächsten Kapitel thematisiert. 3 BnE - ein Gemeinschaftsprojekt Trotz der o.g. Eingrenzungen, die die derzeitige Beziehung von FSU und BnE kennzeichnen, besteht viel Potential. Insbesondere spielt der fächerübergreifende bzw. fächerverbindende Unterricht eine Rolle, bei dem der FSU zu beteiligen ist. M.E. kann allerdings der Unterricht eines Faches - wie z.B. eines Sprachenfaches - nicht in spezifischer Weise zur BnE beitragen. Es wäre geradezu kontraproduktiv, BnE losgelöst von den fächerübergreifenden, institutionellen und gesellschaftlichen Strukturen in den Lehrplan einzubinden, wäre damit gerade gegen die Ziele nachhaltiger Entwicklung gehandelt. Gerade das Nachhaltigkeitsziel 17 („Partnerschaften zur Erreichung der Ziele“, Nicole Marx 122 engl. „Strengthen the means of implementation and revitalize the global partnership for sustainable development“) mahnt dazu, dass Alleingänge - ob durch Einzelpersonen, Einzelinstitutionen oder Einzelfächer - nicht Teil eines erfolgreichen Nachhaltigkeitsplans sein können. Gerade in institutionellen Bildungssituationen wird dies deutlich. Denn Bildungskonzepte, die auf eine nachhaltige Entwicklung zielen, haben auf allen betroffenen Ebenen zwei Voraussetzungen zu erfüllen. So sind erstens Strukturen für deren Implementation innerhalb und auch außerhalb des Klassenzimmers und der agierenden Bildungsinstitution notwendig. Und zweitens ist eine Zusammenarbeit auf Mikrowie auf Makroebene erforderlich. Daraus ergeben sich im Kontext Schule drei Beziehungsebenen, die stets aktiviert werden müssen und einerseits eher horizontaler Natur (d. h. fächerübergreifend, „Fach - Fach“), andererseits eher vertikaler Natur sind (sowohl institutionell, „Fach - Schule“ als auch überinstitutionell, „Fach - Gesellschaft“). Diese beiden Voraussetzungen und drei Beziehungsebenen sollen nun mit drei (kurzen) negativen Beispielen illustriert werden. Daraufhin werden einige Ansätze aus den Fächern DaF und DaZ beleuchtet, die exemplarisch aufzeigen, wie BnE für den Zweit- und Fremdsprachenunterricht richtungsweisen sein kann. 3.1 Wenig zukunftsträchtige Vorgehensweisen und erste Lösungen Zentral für den langfristigen Erfolg von BnE ist die Beachtung des 17. Nachhaltigkeitsziels, also die Herstellung und Pflege von Kooperationen auf allen Ebenen. Dies gilt insbesondere für schulische Situationen und beginnt mit fächerübergreifenden Kooperationen (Ebene „Fach - Fach“). So ist BnE im Zweit- und Fremdsprachenunterricht wenig zukunftsträchtig, wenn ein spezifisches Thema, z.B. Geschlechtergleichheit (Nachhaltigkeitsziel 5), nicht sowohl im Sprachenunterricht als auch - gleichzeitig - im Unterricht der anderen Fächer aufgegriffen wird, ist sie ja fächerübergreifend von Relevanz. Dies erfordert ein höheres Maß an Dialog zwischen den Fächern, als oft hergestellt wird, und ermuntert u.a. zu Ansätzen wie Projektarbeit, in der mehrere Fächer aus unterschiedlichsten Perspektiven ein Thema reflektieren. Im DaF- oder DaZ-Unterricht wäre z.B. gendergerechte Sprache ein offensichtliches Thema, das mit der Darstellung von Machtpersonen in öffentlichen Medien (Politik) in Verbindung gesetzt werden kann, während naturwissenschaftliche Fächer die Geschlechterdiskrepanzen in u.a. der Entwicklung von Medikamenten für „den Durchschnittsmann“ und Gesellschaftskunde den (derzeit besonders stark diskutierte) gender pay gap thematisieren könnten. Solche Themen könnten problemlos klassenstufenübergreifend, ggf. zyklisch, einbezogen werden, um sie als für Bildung und Gesellschaft relevante Themen in Das Pferd nicht von hinten aufzäumen! 123 ihren unterschiedlichen Facetten und unterschiedlichen Tiefen zu untersuchen. BnE wird ebenfalls kaum längerfristig eine Wirkung zeigen, wenn es sich um eine reine Informationsübertragung ohne Gelegenheit zur Umsetzung innerhalb der Bildungsinstitution handelt (Ebene „Fach - Schule“). Dies passiert z.B., wenn Lernmaterialien relevante Daten und Informationen zur Umweltverschmutzung präsentieren und Handlungen wie Mülltrennung diskutieren, solche Handlungen in der Schule jedoch nicht praktiziert werden. Solche Widersprüche sind gehäuft in Sprachlernmaterialien z.B. für Deutsch als Fremdsprache zu finden, wie oben bereits thematisiert. Hier steht das Thema „Umweltschutz“ v.a. im Dienste der Sprachvermittlung, hat jedoch kaum Bezug zum direkten Lebensraum der Lernenden. Wird die Mülltrennung für den eigenen Raum nicht nachvollziehbar, enden inhaltliche Bestrebungen in der (formalen) Spracharbeit und werden nicht weiter reflektiert. Eine Lösung solcher Situationen ist dennoch leicht möglich, wenn Lehrkräfte über das vorgegebene Material hinaus das Thema aufgreifen. So könnten z.B. Lernende bei den entsprechenden Stellen (Schulleitung, Stadt) vorstellig werden und um Möglichkeiten der Mülltrennung bitten, sie können Informationsveranstaltungen für Schule und Eltern organisieren oder auch im eigenen Klassenzimmer die Mülltrennung durchführen und überlegen, wie Müll reduziert werden kann. Solche Aktivitäten haben darüber hinaus den Vorteil, Lernende in ihren Zielen und Handlungen zu bestärken (engl. empowerment), sie also in ihren Entwicklungsprozess zur gesellschaftlichen Mündigkeit zu begleiten. Schließlich wird das Potential von BnE eingedämpft, wenn Strukturen der Mehrheitengesellschaft nicht im Einklang mit behandelten Konzepten im Unterricht sind (Ebene „Fach - Gesellschaft“). Im Fach DaF und DaZ wird hier z.B. oft eine „Erziehung zur Demokratie“ erzielt, die im Rahmen des Nachhaltigkeitsziels 16 (Starke und transparente Institutionen fördern) wiederzufinden ist. Schwer zu vertreten wird das Thema allerdings, wenn Schüler: innen mit Zuwanderungsgeschichte demokratische Grundprinzipien internalisieren sollen, während ihre Eltern trotz mehrjährigem Aufenthalt im deutschen Staat kein demokratisches Stimmrecht erhalten. 2 3.2 Zwei richtungsweisende Projekte aus DaF und DaZ Wie kann BnE zur Entwicklung des Zweit- und Fremdsprachenunterrichts beitragen? Mit sehr wenigen Ausnahmen (z.B. Hoiss 2019; Horst/ Pearce 2010; Jodoin 2020; Zygmunt 2016) besteht ein offenbares Defizit an BnE-basierten 2 Wer sich einmal über das Wahlrecht für europäische und nichteuropäische Ausländer: innen in Deutschland sowie die Zusammensetzung der kommunalen Integrationsräte informiert hat, wird hier das Problem gut nachvollziehen können (s.a. Vierus/ Ziller/ Marx i.V.). Nicole Marx 124 Konzepten für den (Fremd-)Sprachenunterricht; dennoch folgen einige, auch frühere, Lehrkonzepte bereits dem Ansatz. Im Folgenden wird beispielhaft jeweils ein Konzept aus dem institutionellen DaF-Unterricht und aus dem außerbildungsinstitutionellen DaZ-Lernbereich aufgegriffen, um das Potential von BnE für die weitere Entwicklung dieser Fächer darzustellen, bevor ein Konzept des institutionellen DaZ-Unterrichts besonders fokussiert wird. So wurde bereits vor zehn Jahren für den DaF-Unterricht in den USA ein Curriculum entwickelt, das auf die amerikanischen K-16 Articulation Guidelines - also Kompetenzempfehlungen für den Fremdsprachenunterricht vom letzten Vorschuljahr bis hin zum Bachelorabschluss - basiert und sich insbesondere dem Thema Umweltschutz widmet. Dieses Green German Projekt (Kautz/ Melin/ Oberlin/ Schmitt 2011; Melin 2013; 2019) bezieht sich, vielmehr als sonstige CLIL-Ansätze, nicht nur auf diverse Fächer (Ebene „Fach - Fach“), sondern nimmt Nachhaltigkeit in Form von Umweltbewusstheit und -aktion als zentrales Thema aller Bildungsphasen in den Blick (vertikale Zusammenarbeit; Ebene „Fach - Institution“). Die hier entstandenen Materialien greifen sämtliche auf Umweltaktion bezogene Nachhaltigkeitsziele auf, inkl. Ziel 6 (Wasser in bester Qualität), 7 (saubere Energie), 11 (nachhaltige Städte und Gemeinden), 12 (nachhaltige Produktion und Konsum), 13 (Klimaschutz), 14 (Schutz von Leben unter Wasser), 15 (Schutz von Leben an Land) und 17 (Partnerschaften für Nachhaltigkeit). Das Ergebnis ist ein „sustainability‐ and foreign language‐infused curricula that make a valuable contribution to the liberal arts undergraduate education as a whole“ (Melin 2013: 185). Jahrgangsübergreifend ist also Nachhaltigkeit zentrales Thema, in dessen Rahmen der Deutschunterricht gemeinsam mit weiteren Unterrichtsfächern stattfindet. Ein auf BnE basierendes, für den außerinstitutionellen DaZ-Unterricht entwickeltes Projekt ist der „Sprachspinat Garten“ (SPRACHe - SPIel - NA- Tur, Eisenbeiß o.J.). Ähnlich wie beim Green German Projekt bindet das Projekt bewährte Sprachlernkonzepte in ein Basisbestreben BnE ein. Es sollen „natürlich vielfältige Anlässe für Sprachbildung, Sprachförderung, Naturbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung“ möglich werden (Eisenbeiß o.J.). Dabei wird Nachhaltigkeit sowohl i.S.v. Umweltbewusstsein als auch von Gleichstellung und Integration (insbesondere die Ziele 2, 3, 5 und 13) erzielt. Das Projekt wird seit 2020 in einem Kölner Stadtteil mit hohem Migrationsanteil durchgeführt. Der Anbau und die Pflege eines gemeinsamen Kräutergartens schafft Anlässe zum gemeinsamen Arbeiten im Stadtviertel, zur Sprachreflexion und zum Spracherwerb bei neu zugewanderten Kindern und Erwachsenen. Online erhältliche Fördermaterialien ergänzen die praktische Arbeit und werden von freiwilligen Mitarbeitenden mit den Beteiligten zu entsprechenden Anlässen bearbeitet. Das Pferd nicht von hinten aufzäumen! 125 4 BnE und der institutionelle Unterricht für neu zugewanderte Schüler: innen: ein curricularer Versuch Besonders im institutionellen Unterricht für neu zugewanderte Schüler: innen (Vorbereitungsklassen, DaZ-Klassen) können die Ziele der BnE gewinnbringend zu Grunde gelegt werden. Dies liegt an drei günstigen Voraussetzungen: 1. Nach wie vor bestehen kaum curriculare Richtlinien für den Unterricht in Vorbereitungsklassen und kaum Lehrmaterialien, obwohl z.B. Schüler: innen der Sekundarstufe I je nach Bundesland bis zu 2.000 Unterrichtsstunden in diesen vorbereitenden Maßnahmen verbringen, bevor sie vollständig in den Regelunterricht eingegliedert werden. In den letzten Jahren wird dieses Vakuum durch die erhöhte Anzahl an Migrant: innen besonders deutlich (vgl. Gamper/ Marx/ Röttger/ Steinbock 2020). 2. Teilnehmer: innen an Vorbereitungsklassen sollen vorbereitet werden - auf den anschließenden Regelunterricht und auf ihre eigenen Wirkungsmöglichkeiten in Deutschland. Hierfür eignet sich insbesondere ein inhaltsbasierter Unterricht, wo Sprache nicht alleine im Zentrum steht, sondern wo zielgerichtet Lernende dazu befähigt werden, die nächsten Schritte im Bildungsverlauf zu bestehen. Ein auf BnE basierender Unterricht kann die Verbindung mehrerer Fächer in Rahmenthemen integrieren und gleichzeitig die Nachhaltigkeitsziele 5 und 16 (s. o.) sowie der Ziele 4 (hochwertige Bildung) und 10 (weniger Ungleichheiten) angehen. 3. Schließlich soll die Orientierung im neuen Lebensraum und die Integration neu zugewanderter Schüler: innen durch den Bezug auf gesellschaftlich und kulturell relevante Themen unterstützt werden, die auf allen Ebenen des privaten und öffentlichen Lebens relevant sind und für die effektive Handlungsstrategien erdacht und umgesetzt werden können. Ein mit den Zielen der BnE verbundenes Curriculum für die Vorbereitungsklassen der 5.-8. Jahrgangsstufen wurde Anfang 2018 in Bremen vorgelegt (Marx/ Gill/ Reichert/ Rick 2018; Reichert/ Rick/ Gill/ Marx 2020). Die besondere Beschulungssituation neu zugewanderter Schüler: innen in Deutschland erfordert ein sehr flexibles Unterrichtsgeschehen, das in diesem Entwurf durch ein jahrgangs- und sprachniveauübergreifendes, spiralförmiges Curriculum bedacht wird. Das Curriculum greift fünf zentrale Schulfächer auf und situiert den Deutschunterricht innerhalb dieser Fächer. Dabei wird jedes Fach im zweiwöchigen Rhythmus mit bis zu vier Unterrichtsstunden und integriertem Sprachunterricht täglich belegt; die weiteren Unterrichtsstunden sind für den teilintegrativen Unterricht reserviert, der je nach Schule und Stundenplan z.B. die Fächer Sport, Kunst, Englisch oder Musik betrifft. Nach Abschluss jedes zweiwöchigen Zyklus wird ein anderes Fach thematisch fokussiert. Innerhalb von zehn Wochen werden entsprechend fünf Hauptfächer mit jeweils Nicole Marx 126 einem Thema bearbeitet. Im kompletten Schuljahr - ca. 30 Unterrichtswochen - wird somit jedes Fach dreimal intensiviert. Das Curriculum ist zudem so aufgebaut, dass kontinuierliche Zu- und Abgänge möglich sind, so dass auch neu Eingetroffene ohne Deutschkenntnisse gemeinsam mit Schüler: innen beschult werden können, die das GER-Niveau B1 anstreben. Um dies trotzdem für Lehrende handhabbar zu gestalten, wird jedes Thema auf drei unterschiedlichen Sprachniveaus angeboten. Dadurch lernen alle Schüler: innen gleichzeitig das fokussierte Thema, jedoch mit unterschiedlichen sprachlichen und fachlichen Vertiefungsmöglichkeiten. Zentral für die Auswahl der Themen sind die Leitlinien der BnE. So behandelt zum Beispiel im Themengebiet „Natur, Umwelt, Mensch“ (Fach „Naturwissenschaften“) das zweiwöchige Thema „Plastik im Ozean“ (Ziele 12, 13, 14) die Prävalenz von Kunststoff und Kunststoffmüll im privaten und schulischen Umfeld bis hin zu den Müllinseln im Meer, während im Themengebiet „Zusammenleben“ (Fächer Geschichte und Politik) das Thema „Demokratie und Debatte“ (Ziele 5, 9 (Industrie, Innovation, Infrastruktur), 11 und 16) Fragen der Gesprächsbeteiligung im Klassenzimmer bis hin zum demokratischen Stimmrecht in Deutschland bearbeitet. Einen kurzen Eindruck in das Curriculum geben die Materialien zum Thema „Plastik im Ozean“ (umfassendere Darstellung in Raveling/ Reichert/ Marx 2021; Unterrichtsmaterialien auf Anfrage erhältlich). Das zweiwöchige Thema bezieht didaktisierte Materialien aus dem UN Clean Seas Project (UN Environment Programme o.J.), die auch in mehreren Sprachen erhältlich sind, aber auch Artikel aus den deutschsprachigen Jugendzeitschriften Fluter und Galileo sowie einen Kurzfilm von ZDF logo! ein - allesamt Quellen, die auch im Regelunterricht vorzufinden sind. Die damit verbundenen Aufgaben erzielen eine fachliche Auseinandersetzung, die ungeachtet des Sprachniveaus eine möglichst altersgerechte kognitive und fachliche Entwicklung unterstützen, und gleichzeitig sprachspezifische Themen, insbesondere zum Umgang mit Text, einbeziehen. So wird z.B. am 4. Unterrichtstag „Weniger ist mehr“ ein Maßnahmenkatalog zur Reduktion von Plastik - dem Clean Seas Project entnommen und leicht überarbeitet - besprochen und je nach Sprachniveau mit unterschiedlichen sprachlichen Aufgaben versehen. Das Thema soll zu einer erhöhten Reflexion des eigenen Handelns (zu Hause, im Klassenzimmer, auf dem Schulhof) sowie des Handelns weiterer Personen und Organisationen (Stadt, Industrie, Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace) und der möglichen Konsequenzen der Aktionen dieser führen. Zudem soll es - wie jedes Thema - zu einer Zusammenarbeit und Sichtbarkeit der Vorbereitungsklassen innerhalb der Schule führen, indem klassen- und jahrgangsstufenübergreifende Aktionen gestartet werden und Raum für einen Dialog mit den Regelklassen oder der Schulleitung geschaffen wird. Als eine Lernumgebung, in der Schüler: innen mit diversen Bildungserfahrungen lernen und im Vergleich zu autochthonen Lernenden deutlich niedri- Das Pferd nicht von hinten aufzäumen! 127 gere Chancen auf gleichwertige Schulabschlüsse haben, liegt dem gesamten Curriculumskonzept das Nachhaltigkeitsziel 4 (inklusive und gleichwertige Bildungschancen für alle) zu Grunde. Erste Schritte Richtung dieses Ziels sind (1) der Bezug auf für die involvierten Jahrgänge relevante Fachinhalte, (2) unter gezieltem Einbezug von Materialien in den Erstsprachen, wodurch erwartbare kognitive und fachliche Anforderungen eher bearbeitet werden können, und (3) die gleichzeitige Fokussierung auf solche sprachlichen Inhalte, die insbesondere im institutionellen Rahmen relevant sind (literale Strukturen). Schließlich geht das Curriculum die ungünstige Situation fehlender curricularer Richtlinien an, wodurch (4) eine Strukturierung der Kurse mit dezidierten fachlichen und sprachlichen Inhalten und Zielen ermöglicht wird. Das Gemeinschaftsprojekt BnE (Ziel 17) ist dabei bei allen Themen mitbedacht. Dies erfolgt insbesondere durch Wochen- und Themenprojekte, die jeweils den Abschluss der Wochenzyklen bilden. Um das Zusammenwirken individueller und gesellschaftlicher Handlung zu erarbeiten, wird in der ersten Woche eines jeden Themenkomplexes insbesondere Themen aus dem persönlichen Lebensraum aufgegriffen. In der zweiten Woche werden darauf aufbauend Themen eingeführt, die über den Alltag hinausgehen und eine gesellschaftliche Relevanz verdeutlichen. Dabei wird stets das persönliche Handeln in Verbindung mit weiteren Begebenheiten gebracht. Je nach behandeltem Thema ist eine Zusammenarbeit auf schulischer Ebene (Präsentation der Projekte, ggf. Änderungen auf schulischer Ebene wie z.B. Pläydoyer durch die Schüler: innen für eine plastikreduzierte Kantine) sowie womöglich auf städtischer Ebene vorgesehen. Im Sinne von BnE sollen Schüler: innen in Vorbereitungsklassen letztlich auch in ihren neuen Rollen in Deutschland eine eigene Wirkungskraft erleben. Dies ist nicht nur explizites Ziel von BnE, sondern auch dem Konzept von Positive Education (vgl. Seligman 2018, 279-294; Seligman/ Ernst/ Gillham/ Reivich/ Linkins 2009 sowie die Beiträge der Frühjahrskonferenz 2020 (Burwitz-Melzer et al. 2020)). Dieses Ziel ist durch das Ermöglichen von potentiell wirksamen Handlungen anzustreben: Empowering people to be ‘global citizens’ who engage and assume active roles, both locally and globally, to face and to resolve global challenges and ultimately to become proactive contributors to creating a more just, peaceful, tolerant, inclusive, secure and sustainable world. (UNESCO o.J.) 5 Zukünftiger Forschungs- und Entwicklungsbedarf Wie oben sowie in weiteren Beiträgen in diesem Sammelband problematisiert, bestehen kaum Forschungsprojekte zur Rolle von BnE für den Fremdsprachenunterricht. M.E. zeigt dies allerdings keine Misslage, denn ein solch umfangreiches Konzept lässt sich kaum empirisch erfassen, und die Bedeu- Nicole Marx 128 tung der Prinzipien von BnE, wenn sie als politische Agenda akzeptiert werden, dürfte deutlich sein. Umso mehr besteht dafür Entwicklungsbedarf, der insbesondere institutionelle Ebenen betrifft. So dürfte durch die vorherige Diskussion deutlich geworden sein, dass BnE kein Forschungsthema per se ist, und für die Sprachlehr- und -lehrforschung eher uninteressant sein könnte. Die Entwicklung sprachlicher Kompetenzen im Rahmen von BnE-Konzepten dürfte genauso gut (oder genauso schlecht) wie in jedem anderen Versuch sein, bei dem thematische Aspekte im Vordergrund stehen. BnE sollte langsam, aber hoffentlich stetig, zu einem besseren Umgang mit unser aller Lebensraum führen, aber Änderungen werden bestenfalls auf Gruppenebene und nach längerem Zeitraum bemerkbar. M.E. gehört BnE daher zu den Konzepten, die nicht erforscht, sondern erlebt und gelebt werden können und sollen. Hieraus ergibt sich der Entwicklungsbedarf. Denn die expliziten Ziele von BnE werden m.E. bislang nur punktuell anstatt global verstanden und eingesetzt. Liegt BnE der Unterrichtsplanung zu Grunde, wird nicht (nur) auf fremdsprachendidaktischer Ebene agiert. BnE, wie Positive Education, ist ein holistisches Unterfangen, das nicht von einzelnen Fächern ausgehen kann, sondern mindestens auf der Ebene der gesamten Bildungsinstitution und im weiteren Umfeld entwickelt werden muss. BnE zeigt ihr Potential, wenn schulische, politische und gesellschaftliche Bestrebungen sich treffen und einigen. Werden dagegen Nachhaltigkeit als Bildungsziel und Nachhaltigkeit als Lebenspraxis getrennt, führt dies bestenfalls zu einem Wissenserwerb ohne Handlungsänderung; schlimmstenfalls zu einer erlernten Hilfslosigkeit der Bildungsteilnehmenden, die frustriert jegliche Nachhaltigkeitsbestrebung aufgeben. Für den Erfolg von BnE stehen also gleichzeitig Interdisziplinarität und (bildungs-)politischer Wille und Unterstützung als prioritärer Entwicklungsbedarf im Zentrum. Der Fremdsprachenunterricht kann dies nicht (allein) leisten. 6 Schlusswort Nachhaltige Entwicklung und entsprechende Bildungslandschaften sind sicherlich von zentraler globaler Bedeutung. Allein ihre Priorisierung durch die UNESCO zeugt von der internationalen politischen Bedeutung des Themas. Sollte BnE aber in die Unterrichtspraxis nachhaltig einschlagen und die erklärten Ziele „Partizipation, Solidarität sowie zukunftsgerichtetes Denken und Handeln“ (Leitfragen der Frühjahrskonferenz 2021) angehen können, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens müssen myoptische, einzelfachinterne Perspektiven zugunsten einer fächerübergreifenden Diskussion und Umsetzung auf institutioneller, lokaler und regionaler Ebene weichen. Das Umfeld muss also Partizipation zulassen und die Zusammenarbeit aller Akteur: innen fördern. Und zweitens müssen alle Akteur: innen „skin in the ga- Das Pferd nicht von hinten aufzäumen! 129 me“ haben. 3 Es obliegt allen Involvierten - der Schüler: innenschaft, den Lehrenden, den Institutionen, der Region, der Nation -, sich für die Themen einzusetzen, und alle sollen davon profitieren können (oder etwas zu verlieren haben, wenn die Ziele nicht erreicht werden). In diesem Rahmen kann der Zweit- und Fremdsprachenunterricht beitragen - als kleines Puzzleteil unter vielen. Literaturverzeichnis Burwitz-Melzer, Eva/ Riemer, Claudia/ Schmelter, Lars (Hrsg.) (2020): Affektivemotionale Dimensionen beim Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen. Arbeitspapiere der 40. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr Francke Attempto. Eisenbeiß, Sonja (o. J.): SPRACHe - SPIel - NATur. https: / / www.sprache-spielnatur.de (21/ 05/ 2021). Gamper, Jana/ Marx, Nicole/ Röttger, Evelyn/ Steinbock, Dorothée (Hrsg.) 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Nicole Marx 130 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (2021): Nachhaltigkeitsziele verständlich erklärt. https: / / www.bundesregierung.de/ breg-de/ themen/ nach haltigkeitspolitik/ nachhaltigkeitsziele-verstaendlich-erklaert-232174 (11/ 01/ 2021). Raveling, Anne/ Reichert, Marie-Christin/ Marx, Nicole (2021): „Curriculare Überlegungen für die Förderung schriftsprachlicher Fähigkeiten in Vorbereitungsklassen der Sekundarstufe I“. In: Freudenberg-Findeisen, Renate/ Harsch, Claudia/ Middeke, Annegret/ Wegener, Anke (Hrsg.): Zur gesellschaftlichen Integration neu Zugewanderter - eine Bilanz. Göttingen: Universitätsverlag. Reichert, Marie-Christin/ Rick, Bettina/ Gill, Christian/ Marx, Nicole (2020): „Sprachliche Integration neu zugewanderter Schüler/ innen in den Regelunterricht der Sekundarstufe I am Beispiel eines Curriculumsentwurfs für Vorkurse“. In: Informationen Deutsch als Fremdsprache 47/ 4, 443-458. Seligman, Martin E. P. 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Spracherhalt - Lernzuwachs - Sprachverlust: Überlegungen zur Nachhaltigkeit aus Spracherwerbsperspektive Grit Mehlhorn Von Lehramtsstudierenden während ihres Studiums verfasste Sprachlernbiografien zeigen, dass bereits junge Erwachsene Anzeichen von Sprachverlust bei schulischen Fremdsprachen bemerken, die sie längere Zeit nicht mehr verwendet haben. Ein zum Abiturzeitpunkt attestiertes B2-Niveau ist bei fehlendem Kontakt zur Zielsprache ein Jahr später möglicherweise nicht mehr nachweisbar. Kenntnisse darüber, unter welchen Bedingungen Sprachen nachhaltig gelernt werden, erscheinen mir insbesondere aufgrund der geringen Kontaktzeit, die im Unterricht der zweiten und Folgefremdsprachen zur Verfügung steht (vgl. Caspari 2020), für die curriculare Gestaltung von Sprachunterricht relevant. In diesem Beitrag konzentriere ich mich daher auf Nachhaltigkeit als Ziel des Sprachenlernens und Fremdsprachenunterrichts im Sinne der Wirksamkeit von Sprachlernaktivitäten. Dies schließt auch Forschung zu Spracherhalt und Sprachverlust ein. 1 Nachhaltigkeit beim Sprachenlernen Lernzuwachs, Sprachlernerfolg, Wirksamkeit oder Effizienz von Sprachlernanstrengungen bzw. Unterricht sind Begriffe, die Nachhaltigkeit des Sprachenlernens implizieren. Für die Sprachlehrforschung ist von Interesse, was im Fremdsprachenunterricht bzw. unter welchen Erwerbsbedingungen tatsächlich gelernt wird, wie intensiv Sprachenlernen und damit eine Verankerung im Langzeitgedächtnis erfolgt, inwieweit einmal Gelerntes später noch abrufbar ist und als erworben gelten kann bzw. auch bis zu welchem Grad zeitweise Vergessenes wieder reaktivierbar ist. Die Sprachen eines Individuums entwickeln sich dynamisch. In Abhängigkeit von Zeit und Aufmerksamkeit, die man einer Sprache widmet, bleibt sie über einen längeren Zeitraum stabil oder wird nach und nach vergessen. Um eine Sprache kommunikativ vital zu halten, sind Sprachlernanstrengungen erforderlich. Fehlende Anwendung führt langfristig zu Sprachkorrosion und schrittweisem Sprachverlust. Dieser Prozess verläuft meist unbemerkt, v.a. in den frühen Stadien, da er sich zunächst nur in einer selteneren Performanz äußert. Das Dynamische Modell des Multilingualismus (vgl. Herdi- Grit Mehlhorn 132 na/ Jessner 2002) betrachtet Attrition als natürlichen sprachlichen Prozess bei Mehrsprachigen. Wechselwirkungen von Motivation und Sprachlernerfolg (vgl. Riemer 2020) stehen in einem engen Zusammenhang und werden auch in der Attritionsforschung untersucht (vgl. u.a. Mehotcheva/ Mytara 2019 sowie Abschnitt 2). Einen weiteren Aspekt von Nachhaltigkeit sehe ich in den affektivemotionalen Dimensionen des Sprachenlernens (vgl. Burwitz-Melzer/ Riemer/ Schmelter 2020), etwa prägende Erlebnisse mit der Zielsprache, Begegnungen mit Vertreter/ inne/ n der gelernten Sprache, dem wahrgenommenen Sprachprestige - Aspekte, die zu bestimmten Gefühlen und Einstellungen in Bezug auf die Zielsprache führen und über weitere Investitionen in diese Sprache mitentscheiden. Interessant ist in diesem Zusammenhang bspw., was von einer seit Jahrzehnten nicht mehr verwendeten Schulfremdsprache bleibt. 1 2 Faktoren für Sprachverlust Arbeiten zur Attrition in der L2 sind rar gesät. Sie fokussieren in der Regel im institutionellen Kontext gelernte Fremdsprachen in L1-sprachiger Umgebung (zu einem Überblick über Studien der letzten zwanzig Jahre vgl. Mehotcheva/ Köpke 2019). Es existieren wesentlich mehr Untersuchungen zu Sprachverlust der Erstsprache im L2-Kontext, in den letzten Dekaden auch mit einem starken Fokus auf Herkunftssprachen (vgl. u.v.a. Protassova 2007; Olfert 2019; Montrul/ Polinsky 2019; Brehmer/ Treffers-Daller 2020). Für die Untersuchung von Sprachverlust ist neben der Erwerbsphase (Zeitraum zwischen Beginn und Ende des Sprachenlernens) die sog. Inkubationsphase relevant, d.h. die Zeit zwischen dem Beginn des Nichtgebrauchs der Zielsprache und dem Einsetzen von Tests in dieser Sprache. Frühere Vorstellungen von der Regressionshypothese, der zufolge es sich bei Sprachverlust um einen spiegelbildlichen Prozess zum Spracherwerb handelt, wurden inzwischen als zu vereinfacht zurückgewiesen. Tatsächlich zeigen jedoch Studien, dass komplexere Strukturen, die zuletzt erlernt wurden, nach einer gewissen Zeit auch zuerst vergessen werden (vgl. u.v.a. Hansen 2011). Zudem bleibt das, was am intensivsten gelernt und am häufigsten wiederholt wurde, am längsten erhalten (vgl. ebd.). Unterschiedliche Verläufe von Vergessenskurven zeigen, dass es eine kritische Schwelle gibt, die erreicht werden muss, damit Informationen länger immun gegen Sprachverfall sind (vgl. Neisser 1984). So kann man zwischen language attrition (unwiderruflichem Vergessen) und language retention (Spracherhalt oder Verbesserung der Sprachkompetenz) unterscheiden. In Abhängigkeit vom erreichten Kompetenzni- 1 Z.B. können Menschen, die mehrere Jahre Russisch in der DDR (als erste Fremdsprache ab Klasse 5) gelernt haben, nach dreißig Jahren des Nichtgebrauchs noch ,lesen‘ bzw. kyrillische Aufschriften entziffern, erinnern sich an gelernte Lieder und einige wenige - häufig dieselben - russischen Wörter. Spracherhalt - Lernzuwachs - Sprachverlust 133 veau zum Ende des Sprachenlernens setzen Vergessenskurven nicht sofort ein, sondern verlaufen in Form eines Plateaus anfangs für längere Zeit gleichbleibend und fallen erst später ab. Bei einigen Studien konnte sogar nachträgliches Lernen (residual learning) nach dem Ende von Sprachlernaktivitäten festgestellt werden, sodass - u.a. durch kognitive Reifungsprozesse und Lernerfahrung im akademischen Kontext - später noch Lernzuwachs eingetreten ist (vgl. Feuerhake/ Fieseler/ Ohntrup/ Riemer 2004, 6). Die Intensität des Kontakts mit der Zielsprache stellt demzufolge nicht den einzigen Faktor für L2- Verlust dar. Auch die erreichte Sprachkompetenz, die Lerndauer und das Alter spielen eine wichtige Rolle für langfristige Lernerfolge. Jüngere Kinder vergessen wesentlich schneller als ältere Kinder, Jugendliche oder Erwachsene (vgl. Mehotcheva/ Köpke 2019, 337). Eine weitere Variable, die insbesondere in der Herkunftssprachenforschung eine Rolle spielt, ist die Literalisierung. Sie erlaubt „a more rapid establishment of the language in human memory through the creation of orthographic coding“ (vgl. Mehotcheva/ Mytara 2019, 361). Wer keine ausreichenden literalen Kompetenzen in der Zielsprache entwickeln konnte, ist anfälliger für Sprachverlust. Diese Ergebnisse belegen die Notwendigkeit einer stärkeren Differenzierung der jeweils betroffenen Sprachbereiche. Rezeptive Fertigkeiten bleiben wesentlich länger erhalten als produktive (vgl. Mehotcheva/ Köpke 2019, 336). Grammatik und Wortschatz sind recht anfällig für Sprachverlust. Erste Anzeichen für Attrition zeigen sich in einer langsameren Sprechgeschwindigkeit, häufigen und längeren Sprechpausen, einem verminderten Zugriff auf das Lexikon sowie Lücken bei der korrekten Anwendung grammatischer Regeln (vgl. ebd.). Motivation stellt einen weiteren wichtigen Faktor für Spracherhalt dar. So konnten die Arbeiten von Robert Gardner und Kollegen zeigen, dass eine hohe Motivation eine höhere Lernbereitschaft und häufigere Sprachanwendung fördert und dass positive Einstellungen zur Sprache und Zielkultur L2- Spracherhalt bzw. geringeren L2-Verlust bewirken (vgl. u.a. Garner/ Lalonde/ Moorcroft/ Evers 1987). In ihrer retrospektiven Querschnittsstudie zum Sprachverlust in der L2 Französisch bei Studierenden haben Feuerhake et al. (2004) einen beträchtlichen L2-Sprachverlust festgestellt, den sie v.a. mit der äußerst geringen Motivation zum Französischlernen gegen Ende des Lernprozesses während der Schulzeit in Verbindung bringen (ebd., 23). Nach Einschätzung der befragten Studierenden war ihre Sprechfertigkeit am stärksten von Sprachverlust betroffen, während das Ausmaß für das Leseverstehen weniger gravierend war (ebd., 18). Diejenigen Befragten, die länger Französisch gelernt hatten, schätzen ihre erhaltenen Kenntnisse tendenziell besser ein. Stärker integrativ und instrumentell orientierte Französischlernende waren ebenfalls in geringerem Maße von L2-Verlust beim Sprechen betroffen (ebd., 21). Die Studie zeigt, wie wichtig es ist, zwischen unterschiedlichen Motivationskonstrukten zu Grit Mehlhorn 134 differenzieren. Die Autorinnen vermuten, „dass Lernende, die sich am Ende eines Sprachprogramms optimistisch hinsichtlich ihrer L2-Kompetenz einschätzen, sich auch in der L2-Inkubationsphase stärker Möglichkeiten der L2- Verwendung suchen werden und weniger L2-Verlust erleiden“ (ebd., 24). 2 Neben Spracheinstellungen 3 stellt Sprachähnlichkeit von L1 und L2 bzw. Sprachverwandtschaft zwischen mehreren gelernten Fremdsprachen (linguistic proximity, vgl. Mehotcheva/ Köpke 2019, 337f.) einen weiteren Faktor für Spracherhalt dar. Im Bereich rezeptiver Kompetenzen erleichtern nahverwandte Sprachen den Zugriff - eine Tatsache, die bei der Interkomprehension gezielt genutzt wird. Bei der Sprachproduktion kommt es auch zu hemmenden Effekten. 4 Mehotcheva und Mytara (2019) begründen die begrenzte Erklärkraft einzelner Variablen in der bisherigen Sprachverlustforschung mit der engen Wechselwirkung mit weiteren Variablen und schlussfolgern, dass eine isolierte Untersuchung einzelner Spracherwerbsfaktoren problematisch ist, da alle Faktoren - Alter, Erwerbskontext, Einstellungen und Motivation, Lerndauer bzw. Aufenthaltsdauer, Sprachkontakt und -verwendung, erreichte Sprachkompetenz, Sprachlerneignung, Literalität und Bildungsniveau - eng miteinander interagieren. 5 Sie plädieren für die Erforschung von Spracherhalt im Rahmen der Dynamic Systems Theory und der Berücksichtigung der Faktorenkomplexion durch die Untersuchung von cluster factors (ebd., 351f.). 3 Leistungen sprachdidaktischer Ansätze für die Nachhaltigkeit des Lernens In verschiedenen fremdsprachendidaktischen Ansätzen sind unterschiedliche Lernertypen erfolgreich. So kommen mit der Grammatik-Übersetzungs- Methode (GÜM) insbesondere Lernende gut zurecht, die einen eher analyti- 2 In der Studie kamen neben einem Fragebogen sog. Verlustbiografien (in Analogie zu Sprachlernbiografien) zum Einsatz. 3 Die von Julia Fritz (2020) in ihrer Dissertation untersuchten Spanisch lernenden SuS berichteten von einer höheren Lernbereitschaft im Unterricht muttersprachlicher Lehrkräfte (ebd., 267f.). Überzeugungen dieser Art, die offensichtlich auf subjektiven Theorien beruhen, sind auch unter Russisch-Lehramtsstudierenden verbreitet (vgl. Kurz 2015; Mehlhorn 2020). 4 Weltens (1988) konnte in einer Studie mit 150 ehemaligen Französischlernenden (L1 Niederländisch) zeigen, dass sprachliche Ähnlichkeit (z.B. Kognaten) Spracherhalt erleichtern. Hansen (2011) hat den fördernden Einfluss von sprachlicher Ähnlichkeit auf den Spracherhalt von Wortschatz nachgewiesen. Wang (2010) schreibt den dramatischen Sprachverlust im Englisch von chinesischen Studierenden der typologischen Distanz der beiden Sprachen zu. 5 Die Inkubationsdauer scheint die einzige Variable zu sein, die nicht mit den anderen Faktoren interagiert und isoliert untersucht werden kann. Sie ist jedoch nicht ausreichend, um Sprachverlust zu erklären (vgl. Mehotcheva/ Mytara 2019, 362). Spracherhalt - Lernzuwachs - Sprachverlust 135 schen, reflexiven Lernstil aufweisen, denn dieser hilft ihnen, ein Verständnis für die Grammatik und das Funktionieren von Sprache zu entwickeln und sich Texte rezeptiv zu erschließen. Erfolgreich mit der GÜM sozialisierte Lernende zeigen gute Ergebnisse in den Bereichen Leseverstehen und Sprachbewusstheit. Gleichzeitig versagt diese Methode bei der Textproduktion und scheint sogar zu Sprechhemmungen und Vermeidungsstrategien zu führen. Ein kommunikativer, handlungsorientierter Ansatz kommt hingegen Lernenden entgegen, die einen eher globalen, impulsiven Lernstil ausgeprägt haben und auch mit begrenzten sprachlichen Mitteln kommunikativ erfolgreich agieren können. Teilweise bleibt hier jedoch die Sprachbewusstheit auf der Strecke und es kann auch zu Fossilisierungen im Bereich der Sprachkorrektheit kommen. In diesem Zusammenhang wäre es interessant, die Effekte von Fehlerkorrektur bei verschiedenen Lernertypen und die Wirksamkeit von Korrektur im Rahmen verschiedener fremdsprachendidaktischer Ansätze zu untersuchen. Der Verbalaspekt ist ein sehr komplexes grammatisches Phänomen in den slawischen Sprachen, das in der L1 vergleichsweise spät erworben wird, im Russischen etwa im Alter von 6-7 Jahren (vgl. Anstatt 2011). Auch nach sieben Jahren schulischen Russischunterrichts beherrschen sehr gute Fremdsprachenlernende den Verbalaspekt nicht. Selbst Slawistikstudierende zeigen zum Ende ihres Studiums immer noch Unsicherheiten in diesem Bereich. Offensichtlich wird die kritische Schwelle für den Spracherhalt in Bezug auf den Verbalaspekt wesentlich seltener erreicht als bei anderen grammatischen Strukturen. In diesem Zusammenhang wären empirische Studien dazu hilfreich, was in den wenigen zur Verfügung stehenden Unterrichtsstunden der zweiten und dritten Fremdsprachen mit einem bestimmten Ansatz sprachlich überhaupt erreichbar ist. Das könnte zu der Erkenntnis führen, dass die sporadische Thematisierung dieses grammatischen Phänomens in einem kommunikativen Unterricht wenig nachhaltig ist, sodass man diesbezügliche Lernziele hinterfragen und neu justieren müsste. Sollte sich herausstellen, dass bestimmte grammatische Lernziele unrealistisch sind, müsste man sich der Frage zuwenden, wie man dieses Defizit sprachlich und strategisch kompensieren kann. Tests haben bekanntermaßen Auswirkungen auf die Art und Weise, wie gelernt wird, und somit auch auf die Nachhaltigkeit von Sprachlernerfolgen (zum sog. Washback-Effekt vgl. u.a. Grotjahn/ Kleppin 2015, 165). So zeigte eine kürzlich durchgeführte Pilotstudie zum Wortschatzlernen im Französischunterricht - trotz der Affinität von SuS in Bezug auf den Einsatz digitaler Medien - keine Vorteile der Verwendung einer Vokabel-App wie Quizlet gegenüber der herkömmlichen Abdeckmethode, wenn isolierte Einzelwörter abgefragt wurden (Schlaak/ Vogel 2020). Aber auch die Existenz von Prüfungen an sich kann im Sinne einer extrinsischen Motivation Lernbereitschaft und somit Sprachlernerfolge positiv beeinflussen. Grit Mehlhorn 136 4 Forschungs- und Entwicklungsbedarf im Zusammenhang mit nachhaltigem Sprachenlernen Die Erforschung von L2-Sprachverlust gestaltet sich methodologisch herausfordernd, da es zum Untersuchungszeitpunkt meist schwierig ist, nicht abgeschlossenen Erwerb von Attrition zu unterscheiden. Anders als bei L1- Sprachverlust sind monolinguale Sprecher/ innen im Zielsprachenland nicht als Vergleichsbasis geeignet; stattdessen kommen nur L2-Lernende auf verschiedenen Kompetenzniveaus als Vergleichsgruppen infrage (vgl. Mehotcheva/ Köpke 2019, 331). Da eine einheitliche Methodologie und standardisierte Datenerhebungsmaterialien fehlen, gibt es in diesem Bereich kaum Large-scale-Untersuchungen; es überwiegen Querschnittsstudien mit kleinen Gruppengrößen sowie longitudinale Einzelfallstudien. Bei retrospektiven Untersuchungen muss man sich in Bezug auf das erreichte Sprachniveau zu Beginn der Inkubationsphase zwangsläufig auf die Selbstauskünfte der Proband/ inn/ en verlassen. Die Diversität der Erhebungsinstrumente, elizitierten Daten und untersuchten Kompetenzen erschweren Vergleiche der Studienergebnisse (vgl. ebd., 335). Unter Berücksichtigung der in Abschnitt 2 aufgeführten Variablen für nachhaltiges Sprachenlernen sollten Untersuchungen zur Wirksamkeit früh beginnenden Fremdsprachenunterrichts nicht auf die Frage nach dem Lernbeginn ab Klasse 1 oder 3 verkürzt werden (vgl. etwa die Studie von Schwandtke 2020), sondern auch die Faktoren Literalisierung und die Anzahl der erteilten Wochenstunden in den Blick nehmen. Dies gilt auch für zusätzlichen herkunftssprachlichen Unterricht, der in einigen Bundesländern mit 60 oder 90 min pro Woche angeboten wird. Quantitative Studien, die lediglich die Teilnahme an Unterricht in der Herkunftssprache als binäres Merkmal (Teilnahme/ Nichtteilnahme) erfassen, könnten schnell zu dem Schluss kommen, dass dieser Unterricht wenig bringe, wenn Faktoren wie die Dauer, Stundenzahl und Regelmäßigkeit des Besuchs nicht erfasst werden. In einer longitudinalen Studie zu den Sprachkompetenzen bilingualer Jugendlicher in der Sekundarstufe I über einen Zeitraum von vier Jahren konnte gezeigt werden, dass Unterricht in der Herkunftssprache nur unter bestimmten Bedingungen sichtbare Lernerfolge zeitigt, nämlich wenn der Unterricht durch die Nutzung der Herkunftssprache im familiären Kontext gestützt wurde, mehrere Unterrichtsstunden pro Woche umfasste, kontinuierlich über mehrere Jahre erteilt wurde und gezielt den Ausbau der schriftsprachlichen Kompetenzen gefördert hat (vgl. Brehmer/ Mehlhorn 2018, 289). Positive Effekte von Unterricht treten also nicht automatisch, sondern nur unter bestimmten Bedingungen ein. Für eine stärkere Nachhaltigkeit von Sprachenlernen sollten die Anwendungsmöglichkeiten von Tertiärsprachen erweitert und begleitend untersucht Spracherhalt - Lernzuwachs - Sprachverlust 137 werden, u.a. die Auswirkungen von Aufenthalten im Zielsprachenland, Austauscherfahrungen, Begegnungen sowie das Potenzial außerschulischer Lernorte. Auch das selbstgesteuerte (autodidaktische) Sprachenlernen außerhalb eines institutionellen Rahmens ist vergleichsweise wenig erforscht, obwohl die Ergebnisse spannende Erkenntnisse zum Fremdsprachenerwerb versprechen würden. In Bezug auf die digitalen Herausforderungen des Sprachenlernens ist bisher noch zu wenig erforscht, was das Lernen am Notebook, Laptop oder Smartphone bspw. für das Textverständnis oder die Wahrnehmung sprachlicher Strukturen bedeutet. Gold (2020) spricht von einem „Bildschirmunterlegenheitseffekt“ beim Lesen von Sachtexten in der L1. In der Fremdsprache ist die Gefahr des flachen Lesens vermutlich noch höher. Auch wie sich das fremdsprachige (Schreiben)Lernen mithilfe von deepL, Google-Translator und anderen Hilfsmitteln im Internet entwickelt, ist noch weitgehend ungeklärt. Dass der digitale Raum neben Lösungswegen auch Irrwege und sachfremde Ablenkungen bereithält, ist inzwischen bekannt. Zur Wirksamkeit verschiedener Sprachlern-Apps, v.a. jedoch zum strategischen Umgang mit Webtools gibt es bisher nur vereinzelte Studien. Darüber hinaus halte ich die Strategien bei der Reaktivierung von teilweise verschütteten Sprachkenntnissen für untersuchenswert. Wie gestaltet sich das erneute Lernen einer Sprache nach einer mehrjährigen Pause (relearning)? In dieser Situation befinden sich viele Herkunftssprecher/ innen zu Beginn eines Russisch-Lehramtsstudiums (vgl. Mehlhorn 2020) und Menschen, die nach einer längeren Zeit in der Immigration in ihr Herkunftsland zurückkehren (vgl. Flores 2019). Und schließlich: Wie meistern Mehrsprachige, die im beruflichen Kontext mehrere Fremdsprachen parallel am Leben erhalten müssen, diese Herausforderung? Inwiefern können verwandte Zielsprachen kommunikativ erfolgreich verwendet werden, ohne sich gegenseitig zu hemmen? Literatur Anstatt, Tanja (2011): „Sprachattrition. Abbau der Erstsprache bei russischdeutschen Jugendlichen“. In: Kempgen, Sebastian/ Reuther, Tilmann (Hrsg.): Slavistische Linguistik 2010. Referate des XXXVI. Konstanzer Slavistischen Arbeitstreffens in Bamberg, 6.-10. September 2010 (= Wiener Slawistischer Almanach 67). München: Sagner, 7-31. Brehmer, Bernhard/ Mehlhorn, Grit (2018): „Unterricht in den Herkunftssprachen Russisch und Polnisch - Einstellungen und Effekte“. In: Mehlhorn, Grit/ Brehmer, Bernhard (Hrsg.): Potenziale von Herkunftssprachen. Sprachliche und außersprachliche Faktoren. 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Die Frage, inwieweit Nachhaltigkeit ein Thema/ Inhalt sowie Ziel - und vielleicht sogar ein neu auszuformulierendes Unterrichtsprinzip - ist, das stärker berücksichtigt werden sollte und so zur Entwicklung „nachhaltiger“ Einstellungen der Lerner*innen (und Lehrer*innen) auch außerhalb von Klassenzimmer und L2-Unterricht beitragen könnte, führt zur Reflexion von Bildungszielen und mittelbar auch zu Fragen der Legitimierung des L2-Unterrichts. Mit Blick auf den Ertrag von Lehr-/ Lernprozessen erinnert uns der Nachhaltigkeitsdiskurs daran, dass auch die Lernergebnisse nachhaltiger, also langfristig im mehrsprachigen Repertoire von Lernenden verfügbar sein sollten. Fragen wie diese deuten an, wie breit der Begriff der Nachhaltigkeit verfasst ist, was auch bei den aktuell zentralen Konnotationen des Begriffs „nachhaltige Entwicklung“ der Fall ist. Nachhaltige Entwicklung umfasst (angelehnt an die 17 Ziele der UNESCO 2017) zukunftsorientierte, gesamtgesellschaftliche, globale Dimensionen der ökologischen Nachhaltigkeit, sozialer und Generationengerechtigkeit, Demokratisierung (democratic citizenship), wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden der breiten Weltbevölkerung. Bildung wird hierfür eine Schlüsselrolle zugesprochen, „[to] foster the right types of values and skills that will lead to sustainable and inclusive growth, and peaceful living together“ (vgl. UNESCO 2017, 7; Hervorheb. CR). Fragen der Globalisierung, ökologischer Nachhaltigkeit, sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit sowie nachgelagert der sog. „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (im Folgenden: BNE) werden seit Jahrzehnten bearbeitet, in großen zwischenstaatlichen Gipfeltreffen, Resolutionen und Projekten von UN, UNESCO, Europarat etc. diskutiert und dokumentiert. Sie haben in der Entwicklung von Nachhaltigkeit im und durch L2-Unterricht (DaF/ DaZ) 141 gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung in Zusammenhang mit dem Klimawandel in den letzten Jahren erheblich an Aufmerksamkeit gewonnen. Nachhaltigkeit und dabei insbesondere die derzeit stark im Fokus stehende ökologische Nachhaltigkeit sind bislang nicht per se Teil des Professionsverständnisses von Fremdsprachenforscher*innen und/ oder Fremdsprachenlehrer*innen. Dies ändert sich derzeit (s. die Anmerkungen zu kritischen Wissenschaften in Abschnitt 3), denn die mit den 17 Nachhaltigkeitszielen der UNESCO verbundenen Diskurse gesellschaftlicher Entwicklung betreffen letztlich sämtliches - auch berufliches - Handeln, sei es in der Fokussierung von Forschungsgegenständen, sei es in forschungsmethodologischen und forschungsethischen Entscheidungen, sei es im hochschulischen und unterrichtlichen pädagogischem Handeln. Aber auch fachspezifisch mit Blick auf die Bedeutung von Bildung und Sprache gerät das Fremd- und Zweitsprachenlernen und -lehren recht schnell in den Fokus möglicher Beiträge für die Entwicklung nachhaltiger Entwicklung bzw. gesellschaftlicher Transformation. So wird zum Beispiel in einem zentralen Dokument der UNESCO, das sich der Verankerung der Nachhaltigkeitsziele in Bildungsmaterialen/ Schulbüchern widmet, ganz allgemein Sprache zum „effective tool for making a better world“ (UNESCO/ MGIEP 2017, 157) erhoben, mit Hinweisen auf sprachwissenschaftliche und kulturwissenschaftliche Theorien, kritische Angewandte Linguistik und postkoloniale Ansätze. KMK und BMZ haben für Deutschland die Herausforderungen und nationalen sowie zwischenstaatlichen Entwicklungen der BNE für das deutsche Bildungssystem aufgegriffen und durch entsprechende Projekte einen Orientierungsrahmen für die Schulfächer entwickeln lassen, darunter für die Fremdsprachen Englisch, Französisch und Spanisch für die Sek. I. Dort werden Konsequenzen für die Verortung von Themen/ Inhalten (z.B. globale Erwärmung, Kastensystem in Indien, Kinderarbeit, Flüchtlingskrise) und für zu entwickelnde (sehr anspruchsvolle) Kernkompetenzen beschrieben (vgl. Schreiber/ Siege 2016, 156-175). 2 Fremd-/ Zweitsprachendidaktische Prinzipien im Spiegel des Nachhaltigkeitsdiskurses Im Folgenden werde ich Anknüpfungspunkte aus der Fremdsprachendidaktik sowie Sprachlehr- und -lernforschung zu unterschiedlichen Facetten von „Nachhaltigkeit“ suchen und dabei versuchen, die Frage zu beantworten, ob und inwiefern auf der einen Seite Nachhaltigkeitsthemen und -ziele in den L2-Unterricht zu integrieren sind. Auf der anderen Seite werde ich aber vorschlagen, dass im Zuge eines sich als kompetenz- und handlungsorientiert verstehenden L2-Unterrichts neben der Entwicklung von Kommunikationskompetenz und interkultureller Kompetenz auch die Entwicklung weiterer Claudia Riemer 142 Schlüsselkompetenzen als integriertes und damit gleichrangiges Ziel zu verankern ist. Die Fremdsprachendidaktik und Sprachlehr-/ -lernforschung kann unterschiedliche Beiträge liefern, die ich im Folgenden exemplarisch auf Aspekte des Lehrens und Lernens von DaF/ DaZ beziehen werde. Konstitutiv ist dabei für mich die Frage, inwiefern akademische Diskussionen eine Chance haben, Beiträge für die Bewältigung konkreter Herausforderungen in der Realität des Sprachenlernens in der Welt und im praktischen L2-Unterricht liefern zu können. 2.1 Durch Inhaltsorientierung zu Nachhaltigkeit Im Sinne eines auf multimediale und multimodale Diskursfähigkeit abzielenden L2-Unterrichts hat die Inhaltorientierung (vgl. Breidbach 2016; Hallet 2009) in der Fremdsprachendidaktik eine Neubewertung erfahren. Hier können auch kulturelle Lernziele und Prozesse kulturellen Lernens angedockt werden, wie sie z.B. für DaF/ DaZ von Altmayer (2015) und Koreik (in diesem Band) für eine - kontrovers diskutierte - „diskursive Landeskunde“ bzw. „plurale Kulturvermittlung“ vorgeschlagen werden. Themenfelder aus dem spezifischen Spektrum von BNE könnten im Rahmen von Textarbeit, Lernaufgaben und Projekten in den L2-Unterricht integriert werden. Dass (schulischer) DaF-Unterricht auch übersprachlichen Zielen gesellschaftlicher Entwicklung verpflichtet ist, ist z.B. in einem Land wie Kamerun, das postkoloniale Prozesse durchläuft, unbestritten (vgl. exemplarisch Nyemb 2017). Gerade in Regionen, in denen Deutsch eine im vielfältigen Sinne distante Sprache darstellt und oft als (nicht immer freiwillig gewähltes) schulisches Wahlpflichtfach angeboten wird, Lerner*innen aber kaum kurz- und langfristige Chancen haben, die gelernten Sprachkenntnisse über schulische Anforderungen und Prüfungen hinaus praktisch zu erproben (soziale Medien jetzt einmal ausgespart, die auch Zugang zu Technologie und dafür nötige finanzielle Ressourcen voraussetzen), könnte damit der DaF- Unterricht mit neuer und lebensnaher Relevanz versehen werden. Dies umfasst die Behandlung von und Auseinandersetzung mit Themen gesellschaftlicher Entwicklung, die für die Schüler*innen und ihre Gegenwart und Zukunft von Bedeutung sind. Drei Einschränkungen sind hierzu allerdings mindestens zu machen. Zum einen darf nicht übersehen werden, dass DaF-Unterricht (sowie DaZ- Unterricht im Integrationskurssystem) in weiten Feldern zunächst die Aneignung von Sprachkenntnissen im Anfangsbereich bedeutet, was Rösler (2013) als „Sprachnotstandsgebiet A“ bezeichnet hat. Für DaF und besonders auch für den Integrationskursbereich DaZ müssen grundlegende sprachliche Kompetenzen zunächst einmal erworben werden, die für die Partizipation an gesellschaftlichen Diskursen erforderlich sind, wenn sie denn in der Zielspra- Entwicklung von Nachhaltigkeit im und durch L2-Unterricht (DaF/ DaZ) 143 che geführt werden sollen. Koreik und Fornoff (2020, 597) sowie Fornoff (2018) haben ausgeführt, dass dies auch für den Bereich des kulturellen Wissens gilt - notwendiges sprachliches und kulturelles (Welt-)Wissen kann nicht einfach vorausgesetzt werden. Die zweite Einschränkung betrifft die Themenwahl und die Frage, wie unkritisch es innerhalb lokaler Bildungssysteme für Lehrer*innen ist, bestimmte Inhaltsdiskurse (z.B. Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit, Demokratie) in den Fremdsprachenunterricht einzubringen. So weist Schart (2020, 181) zurecht darauf hin, dass es für Lehrer*innen gravierende (bis hin zu strafrechtlichen) Konsequenzen haben kann, wenn sie Themen behandeln, die im jeweiligen politischen System nicht opportun sind. Die dritte Einschränkung betrifft den Bereich der Emotionen und ihre Bedeutung für erfolgreichen L2-Erwerb (s. die Beiträge in Burwitz- Melzer/ Riemer/ Schmelter 2020). Dazu zählen neben affektiven Faktoren wie Motivation sowie positiven Einstellungen zur Zielsprache und zum Sprachenlernen insbesondere auch positive Emotionen, wie z.B. die Lernfreude und Begeisterung für die Zielsprache. An BNE-Zielen orientierter L2-Unterricht kann die häufig geforderte Lebensnähe des Unterrichts verbessern, Zusammenarbeit über Fächergrenzen hinaus fördern und vielleicht sogar dabei mithelfen, den Stellenwert eines fremdsprachlichen (Wahlpflicht-)Fachs zu verbessern. Es scheint aber auch der Hinweis angebracht, dass die Behandlung BNE-naher, ernster Themen nicht zwangsläufig auf Begeisterung bei jugendlichen Lerner*innen stoßen muss. Allerdings ist gerade die Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen besonders sensibel bzgl. zukunftsorientierter Themen und Fragen der Generationengerechtigkeit. Es wird also darauf ankommen, den L2-Unterricht so zu gestalten, dass er - adressat*innengerecht und die (Diskurs-)Interessen der (realen) Lerner*innen berücksichtigend (s. Lernerautonomie) und den sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten entsprechend (s. Einbezug von Mehrsprachigkeit) - tatsächlich Partizipation an Diskursen anbahnen kann, an denen sich die Lerner*innen auch beteiligen möchten: also L2-Unterricht nicht als paternalistische politische Belehrung daherkommt, die durch eine Generation erfolgt, die den kommenden Generationen ein schwieriges Erbe hinterlässt. 2.2 Mehr Nachhaltigkeit in der (Sprach-)Kompetenzorientierung Wie oben bereits ausgeführt, wird zur Umsetzung der postulierten BNE-Ziele Bildung als Schlüssel zu einer nachhaltigen Welt betrachtet (vgl. UNESCO 2017; Hoffmann/ Gorana 2018). Herkömmliche Ziele der Fremd- und Zweitsprachendidaktik mit Blick auf die Entwicklung von Sprachkompetenz für Austausch, interkulturelle Begegnung sowie Partizipation in Einwanderungsgesellschaften können hier gut angeschlossen werden - betrachtet man die angestrebte L2-Kompetenz selbst als zentrale Schlüsselkompetenz für diese Claudia Riemer 144 Nachhaltigkeitsprozesse, was konkreter impliziert, sich mithilfe vorhandener Mehrsprachigkeit in diese Diskurse einbringen zu können. Ich möchte hier noch eine andere (fachspezifische) Dimension von Nachhaltigkeit ins Spiel bringen: die Nachhaltigkeit des Spracherwerbs selbst, d.h. die Verhinderung von Stillständen in der fremd-/ zweitsprachlichen Entwicklung und von L2-Sprachverlust (vgl. auch Mehlhorn in diesem Band). Denn für alle oben genannten großen Ziele ist Voraussetzung, dass die sich entwickelnde L2-Kompetenz erst einmal für sich betrachtet bei den Lerner*innen nachhaltig ist, d.h. aufrechterhalten und (im Sinne lebenslangen Lernens) weiterentwickelt wird. Hört man auf Berichte aus der Praxis und denkt an Diskurse in der Fremd-/ Zweitsprachendidaktik zum teaching and learning to the test, so verfolgen L2-Lerner*innen (und wer will es ihnen verdenken) häufig instrumentelle Ziele, die auf kurzfristige Leistungserbringung bei standardisierten Tests abzielen (z.B. TestDaF, um einen Studienplatz in Deutschland zu erhalten; Deutschtest für Zuwanderer/ DTZ für die Einbürgerung in Deutschland). Nachhaltigkeit anzustreben würde bedeuten, die allgemeine Testeritis im L2-Unterricht zurückzudrängen, indem z.B. kommunikativere Prüfungsformate eingeführt würden, die wahrscheinlich teststatistisch gesehen deutlich weniger reliabel, dafür aber lebensnaher und augenscheinvalider wären. Diese Forderung ist sehr weitreichend und hätte bedeutende Auswirkungen auf Sprachangebote und die gesamte Testindustrie. Sie würde aber kritische Impulse aufnehmen, die längst zu den standardisierten, am GeR angelegten Tests im Rahmen von Einwanderungsgesellschaften diskutiert werden (vgl. exemplarisch Shohamy 2009 und die Beiträge in Beacco/ Krumm/ Little/ Thalgott 2017) und zeigen, dass diese Tests - so betrachtet - Zielen von Nachhaltigkeit (durch die Verletzung von Menschenrechten) in sich widersprechen. 2.3 Durch Lernenden- und Handlungsorientierung zu Nachhaltigkeit Oben habe ich bereits die Rolle von Emotionen erwähnt. Damit ist ein weiteres großes fremd-/ zweitsprachendidaktisches Prinzip angesprochen: die Lernendenorientierung. Eine Orientierung an BNE-Zielen impliziert, dem Wohlbefinden der Lerner*innen mehr Beachtung und vielen damit verbundenen Dimensionen im L2-Unterricht große Aufmerksamkeit zu schenken: der Lehrer*in-Lerner*in-Beziehung, der Förderung des Gruppenzusammenhalts, dem Unterrichtsklima, der Förderung von Lernfreude, dem wertschätzenden und vertrauensfördernden Umgang untereinander. Hier rückt die Person der Lehrer*in als Ausgestalter*in der Interaktion im Unterricht, der Motivierung, Ermöglichung von (mehr) Lernerautonomie und als Verantwortliche*n für die Prozessqualität des Unterrichts in den Blickpunkt. Allein die Förderung der Lernendenautonomie und damit insbesondere die Ermöglichung von mehr Mitwirkung und Mitbestimmung an der konkreten Unter- Entwicklung von Nachhaltigkeit im und durch L2-Unterricht (DaF/ DaZ) 145 richtsgestaltung und Themenwahl stellt zweifellos angesichts häufig feststehender Curricula, Lernziele (Lernerfolgserwartungen), Progressionen und Themenangebote durch festgelegte Lehrwerke eine besondere Herausforderung dar. Lehrer*innen als Coach*innen und „Ermöglichende“ zu betrachten ist für den fremdsprachendidaktischen Diskurs nicht neu. Lehrer*innen darüber hinaus, mit Delavan (2020, 19-20) gesprochen, als „discursive strategists“ zu begreifen, stellt hohe Anforderungen an die methodischen Kompetenzen, die Rolle und die Haltung der Lehrkraft, wenn es Ziel sein soll, integrierte Schlüsselkompetenzen der Lerner*innen im Fremd-/ Zweitsprachenunterricht zu entwickeln. Hier ist zunächst die Beherrschung des breiten Spektrums der Fremdsprachenmethodik anzusprechen (wie es jüngst z.B. in den Beiträgen in Hallet/ Königs/ Martinez 2020 zusammengestellt wurde). Und es geht dann darum, den L2-Unterricht so zu gestalten, dass die übergreifenden Kompetenzen mitentwickelt werden, die als Schlüsselkompetenzen für nachhaltige Entwicklung gelten: Kompetenz zum kritischen Denken, Kompetenz zum vernetzten Denken, Kompetenz zum vorausschauenden Denken, normative Kompetenz, Kompetenz zur integrierten Problemlösung, strategische Kompetenz, Kooperationskompetenz sowie Selbstkompetenz (vgl. UNESCO 2017, 10, zit. nach der Übersetzung in Hoffmann/ Gorana 2018, 4). Die Förderung dieser Schlüsselkompetenzen ist angesichts schon länger beobachteter Wandlungstendenzen und Qualifikationsanforderungen in Wirtschaft und Gesellschaft auf die Bildungssysteme und damit auch auf das Sprachenlernen rückzubeziehen. Dies bedeutet, Lehr-/ Lernformate einschließlich Aufgabentypen und Sozialformen besonders in den Blick zu nehmen, die Reflexions-, Analyse- und Problemlösungskompetenz sowie die Fähigkeit zur Zusammenarbeit unterstützen (und die aus spracherwerblicher Sicht auch den Spracherwerb selbst voranbringen). Mit Blick auf die bekannten fremdsprachendidaktischen Prinzipien der Aufgaben-, Handlungs- und Projektorientierung ist dies vertrautes Terrain, bedeutet es doch, zielsprachliches Handeln der Lerner*innen mit relevanten Lerngegenständen und Inhalten im Rahmen möglichst authentischer, komplexer und lebensnaher Situationen im Unterricht zu ermöglichen. Dass diese leicht dahingeschriebenen Empfehlungen mit großen Anforderungen an die Lehrer*innen und die Rahmenbedingungen des L2-Unterrichts verbunden sind, möchte ich an einem Beispiel wiederum aus dem distanten DaF-Unterricht (hier: DaF in Kamerun) illustrieren. Dass Änderungsprozesse bei der Person der Lehrkraft, ihrer Rollenwahrnehmung und Haltung sowie ihrer Ausgestaltung des Lehrer*in-Lerner*in-Verhältnisses und in der direkten zwischenmenschlichen Kommunikation beginnen, hat im Rahmen eines Aktionsforschungsprojekts Toumi Njeugue (2020) herausgestellt und in seinem allgemeinen und sicherlich auch für andere Zielsprachen zutreffenden Schluss zusammengefasst: „Wenn DaF-Lehrende ihren Unterricht effektiv Claudia Riemer 146 verändern wollen, müssen sie sich erst einmal selbst verändern“ (Toumi Njeugue 2020, 357). In seiner in der Professionsforschung zu verortenden Studie betont Toumi Njeugue die Entwicklung von Reflexionsfähigkeit bei den Lerner*innen durch die regelmäßige und habitualisierte Einforderung reflexiven Feedbacks durch die Lehrperson (die hierfür aber u.a. strikt hierarchische Verhältnisse und angsteinflößendes Verhalten im Unterricht überwinden muss). Der Lehrer*in Feedback zu geben, gebe den Lerner*innen Anregungen, sich in den Unterricht aktiv einzubringen und schrittweise zu lernen, vom konkreten Lerngegenstand und Mikroprozess zu abstrahieren, sich selbst (und andere) nach anderen Kriterien zu beobachten, Bedürfnisse/ Wünsche/ Sorgen und damit auch eigene Ziele zu identifizieren und zu verbalisieren, mit Meinungsverschiedenheiten konstruktiv umzugehen, konstruktives Feedback zu geben und sich so stärker als Teil einer Lerngemeinschaft von Lern- und Kommunikationspartner*innen zu verstehen. Solche Prozesse unterstützen Toumi Njeugue zufolge direkt die BNE-Ziele: Durch Feedbackarbeit lernen die Schüler*innen einerseits, dass Meinungsunterschiede aus Mitmenschen (z.B. Mitschüler*innen und Lehrperson) - also Mitbürger*innen - keine Feinde machen, und andererseits konstruktive Kritik zur Verbesserung der eigenen Leistung sowie der der Lehrkräfte - genauso wie der Leistung der Regierenden - beitragen kann. Dadurch, dass Jugendliche ihren Lehrkräften konstruktive Rückmeldungen geben und sowohl positive als auch verbesserungswürdige Aspekte des Unterrichts ansprechen, lernen sie, die eigene Leistung und die Leistung der anderen Menschen wertzuschätzen. Es ist leider festzustellen, dass der Umgang mit Kritik und Meinungsverschiedenheit in Kamerun - und in vielen frankophonen Ländern Afrikas - nicht konstruktiv ist und zu zahlreichen sozio-politischen Krisen führt. Wenn Jugendliche durch Feedbackarbeit im DaF-Unterricht diese Reflexionskompetenz entwickeln, kann der DaF-Unterricht somit seinen bescheidenen Beitrag zur Bildung für nachhaltige Entwicklung in Kamerun leisten. (Toumi Njeugue 2020, 358-359) Hier wird die Ausbildung von Reflexionsfähigkeit als Voraussetzung von Kritikfähigkeit und gesellschaftlicher Veränderung verdeutlicht. Solche Beispiele zeigen, dass die Entwicklung von Demokratiebewusstheit bzw. Demokratisierung in der zwischenmenschlichen Kommunikation und Reflexion der eigenen Ziele im (fremdsprachenunterrichtlichen) Alltag beginnt. Wer im Kleinen, also auf lokaler Ebene, u.a. im L2-Unterricht, gelernt hat, zukunftsorientierte Themen zu reflektieren und (dabei) allgemeine Schlüsselkompetenzen (im Beispiel: Kooperations- und Selbstkompetenz) auszubauen, wird die großen Themen und gesellschaftlichen Herausforderungen auf globaler Ebene besser erfassen können. Und dies betrifft alle Akteur*innen im Feld des Fremd-/ Zweitsprachenlernens und -lehrens. Entwicklung von Nachhaltigkeit im und durch L2-Unterricht (DaF/ DaZ) 147 3 Die Rolle der Sprachen und des L2-Lernens und L2-Lehrens neu denken? Wie sich die Ziele, Inhalte und Methoden des L2-Unterrichts insgesamt zum Thema Nachhaltigkeit verhalten und fundamental verändern, ist im wissenschaftlichen Diskurs ein Thema, das gerade dabei ist, in Anknüpfung an kritische Diskurse in den Applied Linguistics (s. zusammenfassend Pennycook 2010), und dabei insbesondere an die kritische Diskursanalyse (s. Fairclough 2010), in die zentralen Fachdiskurse aufgenommen zu werden. Unter dem Titel einer „Human Ecological Language Pedagogy“ hat die angesehene Zeitschrift Modern Language Journal 2020 in einem Zusatzheft prominent eine sprachen-/ bildungspolitische Monographie veröffentlicht (Levine 2020). In einem kürzlich mit Fokus auf Englisch als L2 publizierten Sammelband, in dem sustainability mit starkem Bezug auf ökologische Nachhaltigkeit bearbeitet wird, führt im Vorwort Canagarajah (2020) aus: Environmental sustainability is not business as usual in ELT anymore. Our understanding of the natural environment cuts into our very understanding of how knowledge and communication work. The natural world is not another issue or theme, but has fundamental epistemological significance. We have to rethink how language competence, proficiency, and learning work when we adopt an earth-centered orientation to knowledge and communication (Canagarajah 2020, X). Mit Kramsch (2021) gesprochen, ist Sprache in jeglichem Bedeutungszusammenhang hinsichtlich ihrer symbolischen Macht zu hinterfragen. Sprachen, Sprachenlernen und Sprachlehren haben in kritischen Diskursen der Applied Linguistics keinen neutralen Status als „effective tool for making a better world“ (UNESCO/ MGIEP 2017, 157; s.o.), sondern sie sind gemäß Goulah und Katunich (2020, 4) hinsichtlich ihrer Rolle zu befragen, wie sie die Welt zu dem haben werden lassen, als das sie sich heute darstellt: In particular, in addressing the cultural bases of the sustainability crisis, the field of TESOL requires sustained excavation of how the work of English language teaching has been a necessary infrastructure for projects of neoliberalism and the globalization of labor […] (Goulah/ Katunich 2020, 4). Auf der Basis gesellschaftskritischer Wissenschaftsdiskurse unter Einbezug sprachen-, bildungs- und migrationspolitischer Perspektiven ist nicht nur für Englisch als L2, sondern genauso auch für DaF/ DaZ und andere Sprachen von Einwanderungsgesellschaften und Industrienationen zu hinterfragen, welche Mittäterschaft die Sprachenverbreitung, das Sprachenlernen und -lehren, gespielt hat und weiter spielt. Eine zweite Frage wäre, wie man sich als Wissenschaftler*in und Lehrer*in in einem komplexen Feld verorten kann, in dem (durch Testsysteme geprüfte) Sprachkompetenzen (mitunter teuer erkaufte und in jeglicher Hinsicht mühsam erworbene) verwertbare Claudia Riemer 148 Ressourcen für die globalisierte Wirtschaft und die Verbesserung individueller Lebenschancen sind, während für weite Teile der Welt soziale, politische, ökonomische und ökologische Benachteiligung und Krisen bestehen bleiben. Die gern von der deutschen auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik euphemistisch als „Brückenbauer“ titulierten weltweiten DaF-Lehrkräfte drohen zu Gatekeepern einer Migrations- und Integrationspolitik zu werden, die auf Auswahl geeigneter Fachkräfte für die deutsche Wirtschaft und das Gesundheitssystem zielt. So stellt die z.B. von Gulah (2018, zit. nach Gulah/ Katunich 2020, 3) geäußerte Aufforderung „Frage nicht nur, was und wie wir lehren, sondern warum! “ 1 eine erhebliche Herausforderung an das Rollenbild von DaF- und DaZler*innen dar. Denn das bedeutet nichts weniger, als ethische Fragen sämtlichen anderen Fragen der Fremd- und Zweitsprachenvermittlung voranzustellen. Wie oben ausgeführt, entwickeln sich die Applied Linguistics zu Critical Applied Linguistics. Auch in der deutschen Fremdsprachenforschung formt sich derzeit eine „Kritische Fremdsprachendidaktik“ (s. die Beiträge in Gerlach 2020), in der die im L2-Unterricht vermittelten Haltungen und Werte ins Zentrum rücken. Auch empirische Arbeiten der soziokulturellen DaZ- Forschung (vgl. exemplarisch Wernicke 2020) liefern vielfältige Anknüpfungspunkte. Von solchen Beiträgen ist der Weg zu einer Integration des Nachhaltigkeitsdiskurses nur ein kurzer Weg. Es wird sich zeigen, ob der sprachenpolitisch-machtkritische Diskurs (vgl. exemplarisch die Beiträge in McCarty/ May 2017) mit dem auf die Rolle der Sprachen orientierten Nachhaltigkeitsdiskurs zusammenfließt oder ob beide Diskurse eher separat nebeneinander verlaufen werden. Mein Plädoyer ist, darauf zu achten, dass sich die Fremdsprachenforschung nicht zu einer zu normativ und eher theoretisch ausgerichteten Konzeptwissenschaft entwickelt, sondern die empirische Erforschung genau der im L2-Unterricht angestrebten Kompetenzentwicklungsprozesse als zentrale Aufgabe betrachtet wird. (Im Sammelband von Gerlach 2020 wird gezeigt, welche größeren oder kleineren Schritte hierfür zu gehen sind.) Nach einer Dekade, in der die Lehrperson und ihr Professionalisierungsprozess stark ins Zentrum der Forschungsaufmerksamkeit gerückt war, sollten m.E. die For- 1 Hier die Herleitung dieser Aufforderung: „He [Gulah 2018] concludes that the amplifying predicaments of the Anthropocene ‘are intimately entangled with issues central to language education, including geocultural dynamics of race, class, gender, ethnicity, spirituality, religion, economy, politics, power, geography, militarization, security, technology, and (un)documented transborder flows’ (Goulah, 2018, p. 453). Thus, as TESOL moves into the Anthropocene, these developing predicaments and entanglements ‘are implicated in language, culture, and identity, [and force] us to reconsider not just what and how we teach in [ESL and EFL] classrooms, but why’ (Goulah, 2018, p. 453)“ (Gulah/ Katunich 2020, 2-3). Entwicklung von Nachhaltigkeit im und durch L2-Unterricht (DaF/ DaZ) 149 schung im L2-Unterricht und die Kompetenzentwicklung der Lerner*innen (hier: Erwerb von Schlüsselkompetenzen beim L2-Erwerb) ins Zentrum gerückt werden. Allein die pädagogisch-methodische wie forschungsmethodische Operationalisierung dieser Kompetenzen dürfte eine größere Herausforderung sein. Stärker partizipative Ansätze der Aktionsforschung und Educational Design Research würden sich hierfür besonders anbieten, um - unter Beachtung des herausfordernden Spektrums forschungsethischer Erwägungen (s. exemplarisch den Ethik-Kodex der DGFF 2019) - entsprechende Unterrichtskonzepte zu entwickeln, zu erproben und Teil fremdsprachendidaktischer Theorieentwicklung zu werden. Literatur Altmayer, Claus (2015): „Sprache/ Kultur - Kultur/ Sprache. Annäherungen an einen komplexen Zusammenhang aus der Sicht der Kulturstudien im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache“. 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Die Autoren gehen von fünf „Leitorientierungen sozialer Nachhaltigkeit“ aus (ebd., 47ff.), von denen die zu „Chancengleichheit“ für unseren Kontext kritisch betrachtet werden sollte: Denn nur wenn für alle Gesellschaftsmitglieder der Zugang zu den grundlegenden gesellschaftlichen Ressourcen und Einrichtungen gewährleistet ist, kann ein nachhaltiger Entwicklungsprozess auf einer breiten gesellschaftlichen Basis angestoßen und getragen werden. Einerseits kommt dabei einer gerechten Einkommensverteilung eine Schlüsselfunktion zu, andererseits muss die Nutzung zentraler gesellschaftlicher Ressourcen und Einrichtungen (Bildung, Gesundheitsversorgung, Rechtssicherheit usw.) unabhängig vom verfügbaren Einkommen möglich sein. (ebd., 51) Auf den ersten Blick scheinen unsere Schulsysteme Chancengleichheit zu bieten. In allen europäischen Staaten besteht Schulbzw. Unterrichtspflicht (vgl. European Commission 2020) und ein breites Bildungsangebot bietet verschiedene Schullaufbahnen, um unterschiedlichen Lernergruppen gerecht werden zu können. Das Erlernen von Sprachen ist dabei im Elementar- und Schulbereich fest verankert (vgl. Rymarczyk/ Vogt, 2016, für den deutschsprachigen Raum). Ein genauerer Blick auf soziodemographische Merkmale von Lernenden wirft allerdings Fragen auf. So entscheiden sich Studierende aus bildungsfernen Familien deutlich seltener für ein Studium im Ausland als Studierende aus bildungsnahen Familien. Während im Jahr 2012 nur 10 % deutscher Studierender mit sozialschwächerem bzw. bildungsfernem Hintergrund einen Teil ihres Studiums im Ausland verbrachten, waren es bei den Studierenden aus sozialstärkeren bzw. bildungsnahen Familien etwa 16 % (vgl. Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V. 2015, 36). Es ist also festzuhalten, dass herkunftsspezifische Einflüsse zu sozialen Disparitäten Desiderat, Selbstverständlichkeit oder modische Worthülse? 153 führen, eine echte Chancengleichheit an dieser Stelle folglich mitnichten gegeben ist. Ein zweites Schlaglicht sei an dieser Stelle auf Lernende mit Migrationshintergrund geworfen. Laut Statistischem Bundesamt (2021) hatten 2019 fast 4,3 Millionen der 5bis 20-Jährigen und somit 37,5 % dieser Altersspanne in Deutschland einen Migrationshintergrund. Es muss davon ausgegangen werden, dass aufgrund der Flüchtlingswellen der vergangenen Jahre eine vergleichsweise hohe Zahl dieser Gruppe ohne oder mit nur geringen Deutschkenntnissen in deutsche Schulen kam. Für die 2019 in Deutschland lebende ausländische Bevölkerung, für die Aussagen zum Einreisealter vorliegen, ergibt sich, dass 1,4 Millionen in der Lebensaltersspanne von sechs bis 18 Jahren nach Deutschland kamen. Für Kinder und Jugendliche mit einer afrikanischen oder asiatischen Familiensprache bzw. mit Russisch als Herkunftssprache, die einen Großteil der ausländischen Bevölkerung darstellen (ebd.), sind nicht zuletzt wegen anderer Schriftsysteme als dem lateinischen Probleme mit der Schulsprache Deutsch nicht auszuschließen (vgl. Rymarczyk 2013a, 259). Ausgehend von den vorangegangenen Darlegungen zu den Bereichen internationale Mobilität und andere Sprachen als Deutsch in der aktuellen Schülerschaft ergeben sich sprachenpolitische Desiderate, sofern soziale Nachhaltigkeit ernst genommen wird: 1. Die Förderung der internationalen Mobilität aller Studierenden und die damit verbundene Chancengleichheit im Hinblick auf eine vertiefte fremdsprachliche und zielkulturelle Kompetenz kann durch verpflichtende Auslandspraktika - vor allem in den fremdsprachlichen Lehramtsstudiengängen - erzielt werden, die in Abhängigkeit von den Einkommensverhältnissen der Eltern staatlich gefördert werden. 2. Die Situation insbesondere neu zugewanderter Schüler*innen ohne oder mit nur unzureichenden Deutschkenntnissen, die bislang trotz diverser Förderprogramme oftmals stark submersive Züge aufweist (vgl. Rymarczyk 2013a; Hempel/ Kötter/ Rymarczyk 2017 für die Primarstufe), kann durch eine verstärkte systematische Implementierung bilingualer Module entschärft werden. In dieser Unterrichtsform können Kinder mit Migrationshintergrund ihre bisherigen Sprachlernerfahrungen positiv einbringen oder zumindest sprachlich den Mitschüler*innen gleichgestellt am Unterrichtsgeschehen teilnehmen. Das Gleiche gilt für einen Beginn des Fremdsprachenunterrichts ab Klasse 1. Mit Rückbezug auf den Titel dieses Beitrags bleibt zu konstatieren, dass die sprachenpolitische Füllung des Begriffs „Nachhaltigkeit“ von Desideraten geprägt ist. Jutta Rymarczyk 154 2 Wo greift „Nachhaltigkeit“ im Bereich des Fremdsprachenunterrichts andere Begriffe und Konzepte auf bzw. erweitert und ersetzt diese? Ein Blick in die Bildungspläne verschiedener Bundesländer zeigt auf, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ auch im Fach Englisch berücksichtigt wird. So wird im baden-württembergischen Bildungsplan der Sekundarstufe I für Englisch als erste Fremdsprache der Bildungswert des Faches u.a. an seinem Beitrag zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) festgemacht (MKJS BW 2016, 4): Bildung für nachhaltige Entwicklung […] erfolgt im Fach Englisch über die Auseinandersetzung mit den ausgewiesenen nachhaltigkeitsrelevanten Themen, die in den höheren Klassen in einen zunehmend globalen Kontext gestellt sind. Dazu gehören auch Fragestellungen, die im Rahmen aktueller Anlässe im Unterricht beleuchtet werden können. Auf diese Weise wird das Bewusstsein der Schülerinnen und Schüler für die Notwendigkeit eines sozial und ökologisch verträglichen Handelns gefördert (MKJS BW 2016, 4). Konkret umgesetzt ergibt sich hieraus ein Thema für die Klassen 7 - 9 aus dem Bereich „Soziokulturelles Orientierungswissen“, in dessen Kontext die Lernenden ihre interkulturellen, sprachlichen und medialen Kompetenzen anwenden sollen: „die Rolle des Individuums in seinem Lebensraum, auch unter Berücksichtigung historischer Entwicklungen (z.B. unterschiedliche Lebensformen, Stadt/ Land, Konsumverhalten, Umgang mit Natur)“ (ebd., 34). Sowohl aus der Erläuterung des Beitrags des Faches Englisch zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (vgl. oben) als auch aus dem soeben vorgestellten Thema selbst wird allerdings ersichtlich, dass es sich bei der Berücksichtigung des Begriffs „Nachhaltigkeit“ zu einem gewissen Grad um alten Wein in neuen Schläuchen handelt. Themen mit globalem Kontext, „Fragestellungen [...] im Rahmen aktueller Anlässe“, Bewusstseinsschulung „für die Notwendigkeit [...] sozial und ökologisch verträglichen Handelns“ gehören ebenso wie die Gegenstände „unterschiedliche Lebensformen, Stadt/ Land, Konsumverhalten, Umgang mit Natur“ (vgl. oben) seit langem zum Standardrepertoire eines zeitgenössischen kommunikativen und inhaltsorientierten Fremdsprachenunterrichts. Die hier aufgestellte These wird untermauert durch die Tatsache, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ in manchen Bildungsplänen bis in die jüngste Vergangenheit überhaupt nicht explizit gebraucht wurde. So nannte beispielsweise der Lehrplan Schleswig-Holsteins, der noch bis zum Schuljahr 2018/ 19 Gültigkeit besaß, für Englisch auf der Sekundarstufe II lediglich die konkreten Inhalte, die in den Bedeutungskontext von „Nachhaltigkeit“ fallen: „Planet Desiderat, Selbstverständlichkeit oder modische Worthülse? 155 Earth and Beyond“ und „Exploiting and preserving nature“, jedoch nicht den Begriff selbst (MBWFK LSH 2014, 41). Ferner ist anzumerken, dass interkulturelle kommunikative Kompetenz als übergeordnetes Ziel von Fremdsprachenunterricht (KMK 2012) wie auch diverse Grundprinzipien wie z.B. Lernerorientierung oder Authentizität von Themen und Inhalten zwar im weitesten Sinn, jedoch nichtsdestotrotz klar auf Nachhaltigkeit abzielen. Während interkulturelle kommunikative Kompetenz die globale Interaktion zu ökologischen, ökonomischen und sozialen Themen sowie Partizipation an globalen Entscheidungsprozessen überhaupt erst ermöglicht, sichert die Authentizität von Themen und Inhalten den realen Bezugsrahmen für Fremdsprachenunterricht und Lernerorientierung geht auf die soziale Diversität und somit Chancengleichheit der Lernenden ein. Wie hier exemplarisch gezeigt wurde, greift der Terminus „Nachhaltigkeit“ also eine ganze Reihe anderer Begriffe und Konzepte des fremdsprachendidaktischen Diskurses auf. Die Erweiterung dieser Begriffe und Konzepte liegt eher im Umgang mit ihnen bzw. findet auf der Metaebene statt, wenn Nachhaltigkeit konkret umgesetzt wird durch das Aufstellen von Zielvorgaben und mit Hilfe von Indikatoren überprüft wird, ob beispielsweise die internationale Mobilität Studierender zugenommen hat, um letztlich das Ziel interkultureller kommunikativer Kompetenz weiterauszubilden. Auch das genaue Hinsehen und ggf. Nachbessern einflussnehmender Faktoren wie z.B. der Hilfe durch Lehrende für Studierende bildungsferner Schichten allgemein oder - um bei dem hier gewählten Beispiel zu bleiben - die Hilfe akademischer Auslandsämter in der Vermittlung von Auslandsaufenthalten (vgl. Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft 2019, 53 u. 63) fällt unter den Gesichtspunkt der Erweiterung des bisherigen Verständnisses früherer Begriffe und Konzepte. Überprüfungen und Nachbesserungen, um Zielvorgaben zu erreichen und benötigte Transformationen sicherzustellen, gehörten m.E. vor Inkrafttreten der Agenda 2020 nicht in dem Umfang zu den selbstverständlichen Aktivitäten, die das Geschehen im Bildungssektor in der Form prägten, wie es heute der Fall ist (vgl. hierzu z.B. Stand der bis 2020 zu erreichenden Zielvorgaben, United Nations 2020, 60). Es ist allerdings selbst heute noch zu beklagen, dass Ergebnisse empirischer fremdsprachendidaktischer Forschung zahlreicher Wissenschaftler*innen auf politischer Ebene nicht zur Kenntnis genommen werden, sofern sie nicht in die Gesamtrichtung der jeweiligen Landesregierung passen (vgl. die Bemühungen von Fremdsprachendidaktiker*innen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zwischen 2017 und 2020, um die Rückverlegung des Beginns von Fremdsprachenunterricht von der Jahrgangsstufe 1 auf 3 zu verhindern). So wie das Aufgreifen und Erweitern der Begriffe und Konzepte der Fremdsprachendidaktik durch „Nachhaltigkeit“ durch die bisherigen Ausführungen nachgewiesen werden konnte, so wird an dieser Stelle aber gewarnt vor einem ebenfalls in der ersten Leitfrage angesprochenen Ersetzen der ein- Jutta Rymarczyk 156 schlägigen Begriffe und Konzepte unserer Disziplin. Konzepte wie „Mehrsprachigkeitsdidaktik“, „Interkomprehensionsmethode“ oder „Sprachmittlungskompetenz“, denen die Affinität zu sozialer Nachhaltigkeit über das Ermöglichen von Partizipation gemein ist, sollten nicht verwässert werden, sondern ihre explizit fremdsprachenbezogene Spezifik in der Bezeichnung bewahren. Es sollte vielmehr herausgestellt werden, dass Nachhaltigkeit in der Fremdsprachendidaktik sowohl als Inhalt als auch als Ziel eine Selbstverständlichkeit ist. Mehr noch - auch die mit ihr verbundene Tätigkeit des Erhaltens von Wissen und Fertigkeiten ist über Üben (vgl. Burwitz-Melzer et al. 2016) und die Auseinandersetzung mit Gedächtnis- und Sprachverarbeitungsstrategien (vgl. Schramm 2020) genuin mit unserer Disziplin verbunden und somit selbstverständlich für die Fremdsprachendidaktik und -methodik. 3 Leistungen fremd- und zweitsprachendidaktischer Ansätze zur Nachhaltigkeit des Fremdsprachenunterrichts Die Erhaltung von Minoritäten- und Muttersprachen ist zwar nicht das Kerngeschäft von Fremd- und Zweitsprachenunterricht, kann aber nicht außer Acht gelassen werden, wenn Nachhaltigkeit in Verbindung mit Sprache diskutiert wird. Über Mehrsprachigkeitsforschung, Spracherhaltungsprogramme oder Zwei-Wege-Immersionsprogramme lässt sich sowohl das Bemühen um aussterbende Sprachen (language revitalization) als auch das Ziel der gesellschaftlichen Integration und Gleichbehandlung von Minoritätengruppen mit Fremd- und Zweitsprachenunterricht (vgl. Skutnabb-Kangas/ Heugh 2012 zu „sustainable diversity work“) verbinden. Die Anerkennung sprachlicher Diversität ist durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 2, in unserer Gesellschaft verankert: „Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion …]“ (Vereinte Nationen 1948, 2; Kursivsetzung J.R.) und die UNESCO bringt diese Diversität mit Nachhaltigkeit in Verbindung, wenn man liest: „UNESCO believes in the importance of cultural and linguistic diversity for sustainable societies“ (UNESCO 2020, o.S.). Gleichzeitig warnt die UNESCO aber auch vor dem anhaltenden Sprachensterben: „Linguistic diversity is increasingly threatened as more and more languages disappear“ (ebd.). Tatsächlich ist hier höchste Eile geboten, da bereits zur Jahrtausendwende 90 % der ca. 6000 uns bekannten Sprachen als vom Aussterben bedroht betrachtet wurden (Crystal 2000). Und obwohl in Deutschland elf Sprachen betroffen sind - u.a. Saterländisch und Nordfriesisch, die als ernsthaft gefährdet gelten (Moseley 2010) -, fehlte die Erwähnung von Sprache, als sich die Bundeszentrale für politische Bildung 2018 zum Gedenken des 70. Jahrestag auf den Artikel 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bezog: „Sie [die Erklärung, J.R.] gilt gemäß Artikel 2 unabhängig von Rasse, Ge- Desiderat, Selbstverständlichkeit oder modische Worthülse? 157 schlecht oder Religion für jeden Menschen“ (Bundeszentrale für politische Bildung 2018, o.S.). „Sprache“ wurde herausgekürzt. Auch in der praktischen Umsetzung zeigt sich, dass Sprachen de facto vernachlässigt werden. Denn auch wenn das Europäische Parlament im Jahr 2018 eine Entschließung zum Schutz und zur Nichtdiskriminierung von Minderheiten in den Mitgliedstaaten der EU billigte (ABl. C 463 vom 21.12.2018, S. 21.) und die Europäische Kommission aufforderte, die Vermittlung von Regional- und Minderheitensprachen intensiver zu fördern (Hériard 2019), so ist doch festzuhalten, dass die tatsächliche Umsetzung dieser Entscheidungen in den schulischen Einrichtungen einzelner Bundesländer sehr unterschiedlich ausfällt. Coulmas zeigt die Handhabung sehr deutlich auf, indem er darauf verweist, dass Nordrhein-Westfalen im Jahr 2016 über 50 Millionen Euro für muttersprachlichen Unterricht für Migranten ausgab (die Jahresgehälter für 860 zusätzliche Lehrkräfte für 12 zusätzliche Sprachen), während andere Bundesländer keinerlei Anstrengungen in dieser Richtung unternommen hatten (Coulmas 2018, 108). Coulmas formuliert ferner sehr klar, dass „[w]ithout official support for strong [= additive, J.R.] bilingual education across the whole age range […] the school cannot create social conditions that reduce prejudices about a language’s ‘inferiority’ and low utility“ (ebd., 106). Coulmas sieht das Problem für regionale Minoritätensprachen ebenso wie für Migrantensprachen „[b]ecause the prestige hierarchy of languages mirrors social stratification, language choice is entangled with value judgements, which is one of the reasons why bilingual education is often politically contentious” (ebd.). Als letztes Argument, warum die Erhaltung und Förderung von Minoritätensprachen umstritten ist, wird der Versuch einer Kosten-Nutzen-Rechnung angeführt. Aufgrund der Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Variablen sowie des Umstands, dass sich etliche Variablen der sozialen und der intellektuellen Ebene wie das Bewahren von Traditionen, soziale Harmonie, intellektuelle Flexibilität und metasprachliche Bewusstheit der Messung weitgehend entziehen, könne keine klare Entscheidung für oder gegen die Förderung sprachlicher Vielfalt getroffen werden (ebd., 107). Fest steht, dass sprachliche Vielfalt nicht kostenneutral zu haben ist, und dass es politische Entscheidungen sind, die einen Grad an Willkür aufweisen, „[…] it is a question of political priorities following the zeitgeist“ (ebd., 108). Nachhaltige Sprachförderung mit dem Ziel einer Mehrsprachigkeit, die auch Minoritätssprachen einschließt, ist also bestenfalls punktuell anzutreffen, wird aber vermutlich meist nicht in Erwägung gezogen. Die Vernachlässigung von (Fremd- und Zweit-)Sprachen zeigt sich auch auf einer sehr viel höheren Ebene. Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung von 2015 umfasst 169 Ziele, von denen 21 bis Ende 2020 zu erreichen gewesen wären. 12 dieser 21 Ziele sind mit Biodiversität verknüpft (vgl. United Nations 2020), was eindeutig darauf hinweist, dass soziale Nachhaltigkeit als weniger wichtig empfunden wird als ökologische. Innerhalb des Bereiches Jutta Rymarczyk 158 der sozialen Nachhaltigkeit erfährt aber Sprache wiederum nur wenig Aufmerksamkeit. Die einzige bereits 2020 einzulösende Vorgabe zu Ziel 4 „Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern“ (United Nations 2020, 9) bezieht sich auf die Erhöhung der Zahl der Stipendien für Entwicklungsländer, also auf die Verfügbarkeit von Bildung allgemein und keineswegs konkret auf Sprache (ebd., 61). Resümierend ist hier festzuhalten, dass es gilt die Wichtigkeit der Sprachen ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Gesellschaft und Politik dürfen Fremd- und Zweitsprachen und damit auch ihre Didaktik nicht länger nur als Werkzeug sehen, um andere, für sie wesentlichere Dinge, erreichen zu können. Allerdings ergibt sich an dieser Stelle ein Problem. Egal, ob ein postkommunikativer Fremdsprachenunterricht kulturelle Inhalte neben das traditionelle Vermitteln kommunikativer Fertigkeiten setzte (vgl. Kramsch 1995, 83) oder mit bilingualem Sachfachunterricht fremdsprachliche Ziele neben inhaltliche (Rymarczyk 2003, 36ff.), die Inhalte entstammten anderen Disziplinen. Sie entstammten den Gesellschaftswissenschaften und Naturwissenschaften bzw. deren Didaktiken, neben denen sich die Fremd- und Zweitsprachendidaktik heute behaupten muss, sofern ihr eine relevante Rolle in der Nachhaltigkeitsdebatte zukommen soll. Die Frage nach den Leistungen vorliegender fremd- und zweitsprachendidaktischer Ansätze zur Nachhaltigkeit des Fremdsprachenunterrichts ist somit nur an eine Bedingung geknüpft zu beantworten. ‚Wenn‘ Fremd- und Zweitsprachen als wesentlich im Kontext von Nachhaltigkeit gesehen werden, können die vorliegenden Ansätze - und hier zuallererst die Mehrsprachigkeitsdidaktik - im Zusammenspiel mit anderen Disziplinen wertvolle Leistungen erbringen. Ohne das (bildungs)politische Zugeständnis an Fremd- und Zweitsprachen im Hinblick auf ihr Potenzial für BNE bzw. das Anerkennen ihrer Relevanz für soziale Nachhaltigkeit gerät der Begriff der Nachhaltigkeit in der fremdsprachendidaktischen Theoriediskussion jedoch zur modischen Worthülse. 4 Der Beitrag von Zweit- und Fremdsprachenunterricht zum Ziel „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ Trotz der Bemühungen im internationalen Bildungssektor sind Zielvorgaben nachhaltiger Entwicklung im Bereich Bildung weder auf der Makroebene der weltweiten Bildungspolitik noch auf der Nanoebene der Schülerschaft bislang hinreichend eingelöst worden. So ist beispielsweise dem Bericht 2020 der Vereinten Nationen zu entnehmen, dass die oben bereits erwähnte Erhöhung der Zahl an Stipendien für Entwicklungsländer bis Juni 2020 nicht ausreichte, um die Zielvorgabe zu erfüllen (vgl. United Nations 2020, 60). In Bezug auf Lernende in Bildungsprozessen, hier als Nanoebene bezeichnet, wird konsta- Desiderat, Selbstverständlichkeit oder modische Worthülse? 159 tiert, dass keine nennenswerten Verhaltensänderungen in Richtung Nachhaltigkeit aufzuzeigen seien (Krämer 2018, 13). Schumann (in Arbeit) nennt mehrere mögliche Ursachen dieses Umstands wie beispielsweise die Tatsache, dass „eine wissens- und inhaltsorientiert argumentierend ausgerichtete BNE- Bildung [sic! ] nicht die mentalen Strukturen erreicht, aus denen heraus Menschen handeln“ und mit Bezug auf Holfelder (2017, 96), dass „motivationale und affektive Aspekte in BNE-Konzepten bzw. allgemein in BNE-Kompetenzdebatten häufig vernachlässigt werden“. Ferner moniert Schumann unter Rückgriff auf Schmidt (2009, 69), dass „Naturerfahrung und ästhetischer Erfahrung innerhalb der BNE tendenziell wenig Relevanz beigemessen [und] ein distanzierteres Verhältnis zur Natur, das von Kognitionen bestimmt ist, bevorzugt“ wird. Schließlich referiert Schumann mit Bezug u.a. auf Zirfas (2011), dass ethische, sozialwissenschaftliche und künstlerische Perspektiven zwar wichtig, jedoch unterrepräsentiert seien. Das Manko an affektiven Aspekten, an Naturerfahrung, an ästhetischer Erfahrung sowie an künstlerischen Perspektiven in der Wissensvermittlung zu nachhaltigem Handeln vermag der Fremd- und Zweitsprachunterricht zu beheben. Wie oben bereits erwähnt, ist es das Zusammenspiel mit anderen Disziplinen, durch das wertvolle Leistungen erbracht werden können. Sofern bilinguale Module und andere Arten fächerübergreifenden Unterrichts BNE- Inhalte aus einem weiten Kanon an Sachfächern in den Fremdsprachenunterricht hineintragen, können sowohl Naturals auch ästhetische Erfahrungen über die fremdsprachliche Unterrichtssprache häufiger ermöglicht bzw. verstärkt werden. Ähnlich verhält es sich mit bilingualem Sachfachunterricht, da auch für eine Naturwissenschaft wie beispielsweise Chemie und Mathematik gilt, dass kulturelle Lernziele einzulösen sind bzw. tatsächlich über den Gebrauch der Fremdsprache leichter eingelöst werden können (vgl. die Beiträge zu den entsprechenden Fächern in Hallet/ Königs 2013, 265ff.). Ein weiterer Gewinn, den die Fremdsprachen für die Gebiete generieren können, die Schumann als in der BNE vernachlässigt auflistet (Schumann, in Arbeit), ist das zunehmende Interesse der Fremdsprachendidaktik an außerschulischen Lernorten (Burwitz-Melzer et al. 2015; Rymarczyk 2013b; 2020). Neben Lernorten für künstlerische Perspektiven auf BNE wie Museum, Kino, Theater und Konzert, die in der Diskussion zu außerschulischen Lernorten inzwischen als etabliert betrachtet werden können (ebd.), sei hier ein Beispiel genannt, das auf den Kernbereich von Nachhaltigkeit abzielt, nämlich Biodiversität und ökologische Verantwortung. Mit der „Waldschule für biologische Vielfalt“ des sog. „Bergwaldprojekts“ ist es Lerngruppen möglich, in heimischen Ökosystemen zentrale Nachhaltigkeitsfragen „hands-on“ zu begreifen und Natur einmal ganz anders zu erfahren. In bester reformpädagogischer Tradition können Schulgruppen sich hier im Zuge eines Naturschutz- Arbeitseinsatzes einbringen und Naturerfahrungen gewinnen (Bergwaldprojekts e.V. 2018). Die Angebote des Bergwaldprojekts e.V. umfassen auch Jutta Rymarczyk 160 Einsätze für inklusive Lerngruppen sowie für DaF- und Englischlernende (mündliche Kommunikation 2020). Mit dem Wahrnehmen von außerschulischen Lernorten und dem Intensivieren ihrer Integration in den Fremd- und Zweitsprachenunterricht ist es möglich, BNE fester zu verankern. So ruft etwa der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE), ein Beratungsgremium mit Mandat der Bundesregierung, dazu auf, regionale BNE-Netzwerke aufzubauen, um so den Austausch außerschulischer Bildungsanbieter mit Bildungseinrichtungen und BNE-Unterstützungsprogramme zu fördern (RNE o.J.). Als letzter Bereich, mittels dessen Zweit- und Fremdsprachenunterricht zur BNE beitragen kann, sei hier nun ein Kerngebiet unserer Disziplin genannt, und zwar das der Literaturdidaktik. Wie kaum ein anderes Feld vermag die Literaturdidaktik die oben genannten Aspekte von Motivation und Emotion bis hin zu künstlerischen Perspektiven in den Schnittmengen mit Film- und Dramapädagogik einzubringen (Hallet et al. 2020, 267ff.). BNE- Lernziele lassen sich vorrangig über die Themen der Texte einlösen, aber auch durch deren Form, wie es beispielsweise bei mehrsprachiger Literatur der Fall ist (zu englisch-spanischer Chicano Kinder- und Jugendliteratur vgl. Martinez/ Stamenković 2020, 446ff.) oder bei vernakulärer Literatur, mit der Regio- und Soziolekte von Slang bis Creole zum Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts werden können (zu „Rotten English“ vgl. Ahmad, 2007). 5 Zum prioritären Forschungs- und Entwicklungsbedarf im Zusammenhang von Nachhaltigkeit beim Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen Prioritär erscheint m.E. der Bedarf an Studien in unterschiedlichen Unterrichtsszenarien, die sich auf die bereits vorhandene Mehrsprachigkeit unserer Schülerinnen und Schüler bezieht. Dies kann zum einen der direkte Einbezug der Herkunftssprachen sein (vgl. hierzu z.B. Koonj/ Memon/ Shah 2020), wobei in diesem Kontext aber realistischerweise die oben dargelegten Überlegungen von Coulmas zu den Kosten-Nutzen-Rechnungen der Förderung von Minoritätssprachen nicht ignoriert werden sollten. Zum anderen, und hier liegt m.E. ein sehr wesentlicher Punkt, ist die weitere systematische Erforschung von frühem Fremdsprachenunterricht (möglichst ab Klasse 1) und von Angeboten fremdsprachlich geführten Unterrichts ab der Primarstufe erforderlich. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund sollten im Sinne sozialer Nachhaltigkeit nicht nur in Übergangs- und Submersionsprogrammen, die tatsächlich bislang immer noch den Großteil unseres schulischen Angebots für diese Lerngruppe bilden, unterrichtet werden müssen. Dass Fremdsprachenunterricht und bilinguale Angebote bei Grundschüler*innen mit Migrationshintergrund zu positiven Ergebnissen führen können, belegen aktuelle Forschungsergebnisse wie die von Anja Steinlen (2021). Desiderat, Selbstverständlichkeit oder modische Worthülse? 161 Interessant wäre aber auch Forschung zu der Frage, warum (Fremd)Sprachen, ihre Kenntnis und ihre Vermittlung ein so vergleichsweise geringes Prestige in der Gesamtbevölkerung und der Politik besitzen. Forschungsergebnisse hierzu könnten, vor allen Dingen, wenn sie mittels Citizen Science- Forschung erzielt würden, zu dem Verstehen beitragen, dass Fremdsprachen zum Erlangen globaler Verständigung zu Fragen von ökologischer, ökonomischer und sozialer Relevanz unabdingbar sind. Sie tragen international zum Erkenntnisgewinn bezüglich Bildungs- und Entscheidungsprozessen im Bereich Nachhaltigkeit bei und ermöglichen ihn transnational. Die Beziehung von Nachhaltigkeit und Fremdsprachen ist also sowohl Desiderat als auch Selbstverständlichkeit, zur modischen Worthülse sollte sie nicht verkommen. Literatur Ahmand, Dohra (Hrsg.) (2007): Rotten English. A Literary Anthology. W.W. Norton & company Inc.: New York. Bergwaldprojekt e.V. 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Dabei können Nachhaltigkeit und affine Themen wie Bildung für nachhaltige Entwicklung oder Globalisierung einerseits zum Gegenstand der Fremdsprachenfächer werden; andererseits lassen sich Fragen der Nachhaltigkeit des Sprachenlernens in institutionellen Kontexten stellen: Inwieweit trägt Fremdsprachenunterricht zu nachhaltigen sprachlichen Lernprozessen bei? Im vorliegenden Text werden exemplarische Spannungsfelder nachgezeichnet, die bei der Lektüre zentraler Texte zum Thema reflektiert wurden. Zunächst (Leitfrage 1) werden für den Fremdsprachenunterricht zentrale Referenztexte vorgestellt, die sich eher auf Nachhaltigkeit als Gegenstand beziehen. Im zweiten Abschnitt (Leitfrage 2) werden ökologische Perspektiven der Linguistik und Sprachlehr-/ -lernforschung als mögliche Herangehensweise an die Frage des nachhaltigen Sprachenlernens referiert. Im zentralen Abschnitt (Leitfrage 3) werden vor den Überlegungen der ersten Leitfragen an zwei Beispielen Dilemmata und offene Fragen diskutiert und im Ausblick (Leitfrage 4) mit Forschungsfragen verbunden. 1 Leitfrage 1: Rahmentexte zu ‚Nachhaltigkeit‘ In den Rahmentexten, die für das Thema relevant sind, erscheinen Nachhaltigkeit im Sinne einer ‚Bildung für nachhaltige Entwicklung‘ und ‚Global Education‘ durchweg eng zusammenhängend, da Nachhaltigkeit per se eine globale Tragweite hat (vgl. auch Alter/ Wehrmann erscheint). Zentrale Referenzen sind Texte der UNESCO, prioritär das Dokument „L’Education en vue des objectifs de développement durable. Objectifs d’apprentissage“ (UNSESCO 2017). 2020 hat die UNESCO eine „Feuille de route“ (UNESCO 2020) herausgegeben, welche die „Education au développement durable“ erneut konkretisiert und eine Art Maßnahmenkatalog („actions concrètes“ - UNESCO 2020, iii) für die Transformation der Bildungssysteme vorschlägt. Hier zeigt sich die in der Leitfrage angesprochene Doppelfunktion, Nachhaltigkeit sowohl als Gegenstand für den (Fremdsprachen-)unterricht wie auch als Maßgabe für dessen Steuerung zu begreifen, sodass Bildungsprozesse Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht - Nachhaltiges Sprachenlernen? 165 selbst den „principes du développement durable“ (UNESCO 2020, 28) entsprechen können. Für das deutsche Bildungssystem hat die Kultusministerkonferenz mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung den Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung (Schreiber/ Siege 2016; im Folgenden Orientierungsrahmen) herausgegeben, der die UNESCO-Ziele transformiert und konkretisiert. Dazu wurden Expertisen aus Didaktik und Lehrkräftebildung eingeholt sowie Arbeitskreise mit der Ausarbeitung fachbezogener Spezifizierungen betraut. Für die Neueren Fremdsprachen beinhaltet der Orientierungsrahmen ein eigenes Kapitel (vgl. Schreiber/ Siege 2016, 156-175). 2 Leitfrage 2: Ökologische Perspektiven auf das Sprachenlernen Unabhängig von den Rahmentexten ist es auch möglich, sich dem Zusammenhang von Nachhaltigkeit und Fremdsprachenunterricht aus der Perspektive fremd- und zweitsprachendidaktischer Theorien zu nähern, die gegebenenfalls Antworten auf die Frage bereithalten, wie das Sprachenlernen selbst unter Aspekten von Nachhaltigkeit zu verstehen wäre. Ins Interesse gelangen hierbei vor allem ökologische Perspektiven in Linguistik und Sprachlerntheorie (z.B. van Lier 2004; Stibbe 2015). Ökolinguistische Ansätze tragen zur didaktischen Differenzierung bei, indem sie beispielsweise Instrumentarien kritischer Sprachanalyse entwerfen, die unterrichtlich ‚angewendet‘ werden können, also die Art des Sprachenlernens bestimmen können (vgl. Stibbe 2015). Gleichzeitig ermöglichen sie es auch, einige Grundprämissen und Forderungen von Dokumenten wie dem Orientierungsrahmen zu hinterfragen und das - vor allem institutionalisierte - Sprachenlernen konzeptionell anders zu rahmen und neue Forschungs- und Entwicklungsperspektiven zu eröffnen (vgl. van Lier 2004). Ecolinguistics definiert Stibbe als „studies of how words in a language relate to objects in the local environment“ (Stibbe 2015, 8). Ecocriticism 1 arbeitet mit der Grundannahme der Verbundenheit menschlicher Kulturen mit der physikalischen Welt und basiert auf dem Interesse dafür, wie beide Sphären einander beeinflussen (Stibbe 2015, 7). Es geht hier gerade nicht um ein Sprechen über eine physikalisch gegebene Welt, sondern um mögliche Einflüsse, die das Sprechen auf diese materielle Welt haben kann: Wer beispielsweise den Klimawandel leugnet oder sprachlich herunterspielt, trägt vermutlich zu dessen (faktisch-physikalischen) Fortschritt bei. Stibbes Arbeiten erscheinen 1 Vgl. zur Verortung des Konzepts auch die von Stibbe gezeichneten Linien innerhalb dessen, was er den Ecological Turn (Stibbe 2015, 7) nennt, dem er affine Theorien wie ecocriticism, ecopoetics oder ecofeminism zuordnet. Birgit Schädlich 166 für das Thema Nachhaltigkeit von übergeordnetem Interesse, weil die Analysen zu Sprache und Ökologie „stories we live by“ (Stibbe 2015, 3) abstrahieren, die globale Probleme wie Ungleichheit, Überkonsum und Umweltzerstörung immer gebunden an Narrative, die mehr sind als eine (vermeintlich) neutrale Faktenbeschreibung, verstehen helfen. Die Tragweite der Probleme erfordert Maßnahmen, die über „small technical fixes such as more efficient cars“ (Stibbe, o.J., 1) hinausgehen. Diese basieren vor allem darauf, die „stories we live by“ zunächst einmal als solche zu erkennen, um sie durch andere Narrative ergänzen oder ersetzen zu können. Zentral sind die ‚prosperity story‘ (Wachstum als Telos moderner Gesellschaften) und die ‚story of human centrality‘, die Stibbe als „the most dangerous story we live by“ (Stibbe o.J., 1) bezeichnet. Mit seiner Typisierung von Narrationen („ideologies, framings, metaphors, evaluations, identities, convictions, erasure and salience“ (Stibbe o.J., 1) knüpft Stibbe (2015, 9) an Verfahren kritischer Diskursanalysen (Fairclough 2001; van Dijk 1993) sowie der Metaphernforschung kognitiv linguistischer Ausrichtung (Lakoff/ Johnson 1980) an. Dadurch erscheint der Ansatz als brauchbare Ausdifferenzierung von Ansätzen wie critical cultural awareness (Byram 1997) oder kritischer Sprachbewusstheit (vgl. Gnutzmann 2010, 117 ebenfalls mit Bezug auf die Arbeiten Faircloughs), die in fremdsprachendidaktischen Kontexten bereits verankert sind. Für den Fremdsprachenunterricht ist das Interesse für den Nexus Sprache-Umwelt insofern relevant, als Sprachenlernen sich immer in bestimmten (institutionellen) Umwelten vollzieht, die ihrerseits Sprachgebrauchsweisen vorherbestimmen und sich durch diese realisieren (und gegebenenfalls verändern). Als Beispiel sei hier die Arbeit von Kramsch und Zhang (2018) genannt, die Stibbes Ansatz als Analyseheuristik für ihre Studie zu mehrsprachigen Lehrkräften genutzt haben. Es geht ihnen um die Frage, wie Lehrkräfte kulturelle und historische Inhalte im Fremdsprachenunterricht verhandeln und wie diese Prozesse von der eigenen Sprachen- und Sprachlernbiographie, von lernkulturellen und spracherwerbstheoretischen Überzeugungen geprägt sind und daher zwangsläufig mit der Umwelt der jeweiligen Bildungssysteme interagieren. In der Studie wird Stibbes Analyseinstrumentarium genutzt und gleichzeitig das Sprachenlernen und -lehren selbst als ökologisches und soziokulturelles Geschehen erforscht, wobei Kramsch und Zhang sich auf die Arbeiten von van Lier (z.B. 2004) beziehen. Sprachenlernen als kontextgebundenes Geschehen wird in van Liers Perspektive in und durch narrativ erinnerte(n) Geschichten vollzogen. „The ecology of schooling and of language learning takes into account both the narrative (or discursive) and the institutional structures of education“ (van Lier 2004, 2). Language is part of other message systems that are tied up with all our sensory systems, and all our memories, and all the stories we construct to create and nurture our identity. It is not possible to sever language from all those ties and Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht - Nachhaltiges Sprachenlernen? 167 yet have education make sense. This observation is the key to linking language to both ecology and semiotics (van Lier 2004, 1). Zentral ist die Annahme der narrativ-diskursiven Verfasstheit des Nexus von Sprache und Umwelt, die auch Stibbes Ansatz prägt. Ökolinguistische Ansätze können im Unterricht dilemmatische Strukturen erforschen helfen und das eigene Handeln problematisieren. Als Beispiele können hier Thematisierungen zum so genannten greenwashing genannt werden (z.B. Alix et al. 2020) oder ökologische Initiativen, die gezielt Kinder und Jugendliche als ‚verantwortungsvolle Akteure‘ ansprechen und sich explizit auf die 17 UNESCO-Ziele beziehen (siehe beispielsweise die Debatte um die „gute Schokolade“, vgl. Fischer/ Knuth 2020). Auch der Komplex ‚Arbeit im digitalen Raum‘ als mögliche ‚Lösung‘ der Klimakatastrophe eignet sich zur Aufdeckung dilemmatischer Strukturen: An der einen Stelle wird durch Einschränkungen von beispielsweise Reisetätigkeiten CO 2 eingespart, an der anderen Stelle benötigen digitale Geräte, die ortsunabhängige Kooperationen ermöglichen, unendliche Strommengen und der Abbau so genannter ‚Konfliktrohstoffe‘ befördert massive Konflikte in den Ländern, die über diese Ressourcen verfügen (vgl. Sühlmann-Faul/ Rammler 2018) 2 . 3 Leitfrage 3: Zwei Beispiele zur Frage pluraler Repräsentationen von ‚Nachhaltigkeit‘ Der Beitrag sprachlicher Bildung zu ‚nachhaltiger Entwicklung‘ besteht vor allem darin, die sprachliche Verfasstheit von Themen des Feldes ‚Nachhaltigkeit‘ und auch des Konzepts selbst mehrsprachig und mehrperspektivisch analytisch verstehen zu können und im Zusammenhang zum individuellen und kollektiven Handeln zu reflektieren. Im Folgenden werden beispielhaft zwei Aspekte diskutiert, die zunächst einmal die Auseinandersetzung der Autorin mit dem Thema widerspiegeln, gleichzeitig aber auch im Fremdsprachenunterricht thematisiert werden können. Zwei Passagen des Orientierungsrahmens (vgl. Leitfrage 1) sollen hinsichtlich der Spannungsfelder, auf die sie verweisen, analysiert werden, wobei eine sprachökologische Perspektive eingenommen wird (vgl. Leitfrage 2): In welchen Umwelten werden welche Framings, Narrative und Ideologien für Elemente des Nachhaltigkeitsdiskurses relevant gemacht? 2 Siehe auch einen Vortrag von Sühlmann-Faul (2020) an der Universität Göttingen zum Thema zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit: https: / / www.unigoettingen.de/ de/ dokumentation/ 632125.html. Birgit Schädlich 168 3.1 Nachhaltiges Sprachenlernen in Vielfalt? Die Rolle des Englischen (nicht nur) als Schulfremdsprache Die bisweilen unhinterfragte Wichtigkeit des Englischen in globalen Kontexten und für Bildungsprozesse kann durchaus als „story we live by“ im Sinne Stibbes (s.o.) gelten. Dilemmatisch erscheint sie, weil die immer wieder betonte bildungspolitische Forderung nach Sprachenvielfalt plausibel dargelegt wird, gleichzeitig aber das Englische als Bezugspunkt deutlich dominant bleibt und damit auch Marginalisierungen anderer Sprachen einhergehen können. Der Orientierungsrahmen beispielsweise akzentuiert: „Sprache, Kultur und Kommunikation selbst sind globale Phänomene“ (Schreiber/ Siege 2016, 157) und postuliert „[s]prachliche Vielfalt als Garant vielfältiger Denkungsweisen“ (Schreiber/ Siege 2016, 158). Verbunden wird dies mit Motiven des ‚Fremdverstehens‘ (vgl. Schreiber/ Siege 2016, 157) und des Spracherhalts: „[…] müssen die Sprachen der Welt erhalten werden, um die Kulturen der Welt erhalten zu können. Denn Sprache ist Wort gewordene Kultur.“ (Schreiber/ Siege 2016, 157). Gerade vor sprachenökologischen Horizonten, die ausdrücklich nach den Wechselwirkungen und der Art und Weise, wie die ‚Wortwerdung‘ von Kultur sich vollziehen würde, fragen, erscheinen Formulierungen wie die der „Sprache als Wort gewordene[n] Kultur“ (Schreiber/ Siege 2016, 157) überdenkenswert. Dass Nachhaltigkeit und Globalisierung als untrennbar miteinander verbunden verstanden werden, wird im Orientierungsrahmen auch daran erkennbar, dass die konkretisierenden Beispiele nicht nur den Englischunterricht fokussieren (vgl. Schreiber/ Siege 2016, 162f.), sondern auch mit der Frage verbunden werden, welche Themen hier besonders lohnend erscheinen. Der Versuch dürfte exemplarisch zu verstehen sein und an die - allerdings implizit bleibende - Aufforderung gebunden, für andere Fremdsprachenfächer parallele Themen zu konstruieren. Der Transferversuch wirft allerdings die Frage auf, ob bestimmte Themen vielleicht in anderen sprachlichkulturellen Kontexten andere Diskurse berühren und andere Gestalt annehmen - also global gedacht andere Benennungen erfordern würden (z.B. der Bereich „Geschichte der Globalisierung: vom Kolonialismus zum Global Village“ (vgl. Schreiber/ Siege 2016, 162). Zusammenfassend bleiben die Vorschläge hier stark einem monolingualen Verständnis von Sprachenlernen verbunden, die Forderung nach Vielfalt wird in eine ‚Umwelt‘ nach wie vor monolingual bearbeiteter Themen eingebettet. Wäre es nicht auch denkbar und - im Sinne einer auch unterrichtlich realisierten ‚Vielfalt‘ - angemessen, gerade nicht mehr nur Beispiele für den Englischunterricht zu präsentieren, dann Parallelen für den Französisch-, Spanisch-, Russisch- oder Arabischunterricht zu suchen, sondern Mehrsprachigkeit und damit auch die pluralen Diskursstränge, die global relevant sind, direkt stärker integrativ zu denken Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht - Nachhaltiges Sprachenlernen? 169 und dabei über den alleinigen Verweis auf fächerverbindenden Unterricht hinauszugehen? 3.2 Definitionen von ‚Nachhaltigkeit‘ im globalen Kontext Für eine unterrichtliche Thematisierung von Nachhaltigkeit erscheint auch die Frage relevant, wie der Begriff ‚Nachhaltigkeit‘ selbst im globalen Kontext konstituiert ist, welche Narrative mit ihm verbunden sind, ob diese als solche in ihrer Perspektivität kenntlich gemacht werden und welche Hierarchisierungen gegenüber anderen Konzepten damit gegebenenfalls einhergehen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die bereits in Leitfrage 1 aufgeworfene Suche nach affinen Begriffen oder Konzepten oder sogar einer Definition (siehe hierzu beispielsweise die verschiedenen Sprachversionen und Übersetzungen in der Onlineenzyklopädie Wikipedia sowie die Verweise auf verbundene Inhalte, die dort vorgenommen werden). Im Orientierungsrahmen wird die konzeptionelle Entscheidung für das - vermeintlich neutrale - Konzept ‚Nachhaltigkeit‘ zwar thematisiert, die Art der Thematisierung ist aber selbst von Nicht-Neutralität geprägt: Es fällt dazu eine Box auf, die mit „Buen vivir und nachhaltige Entwicklung“ überschrieben ist (vgl. Schreiber/ Siege 2016, 25) und auf die der Fließtext verweist: Die durchgehende Orientierung am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung beruft sich auf einen weitgehenden Konsens der Staatengemeinschaft seit mehr als 20 Jahren. Im Einklang mit dem Grundsatz der Multiperspektivität werden auch hierbei vielfältige Sichtweisen auf die Zukunftsgestaltung einbezogen (s. BOX 2) (Schreiber/ Siege 2016, 24). In der entsprechenden Box (vgl. Schreiber/ Siege 2016, 25) wird Buen Vivir als Beispiel für Definitionsprobleme beschrieben: In einer kürzlichen Sitzung der Mitglieder des Suma-Uta-Netzwerkes von Gemeindevorständen, wo es darum ging, Sichtweisen über Buen Vivir oder Suma Jakana („aufrechtes Gehen“ auf Aymara) auszutauschen, präsentierte jeder der 15 Teilnehmenden, Frauen und Männer, eine andere Version der charakteristischen Merkmale (Schreiber/ Siege 2016, 25) 3 . Buen Vivir wird in der Box zugeschrieben, trotz der Uneinigkeit übergreifende Merkmale aufzuweisen, mit denen sich alle an der Konferenz Beteiligten einverstanden erklärt haben. Das Konzept wird schließlich als kompatibel mit Nachhaltigkeit beschrieben, jedoch auch als lokale Besonderheit, nämlich als Konzept der südamerikanischen Andenregionen (vgl. Schreiber/ Siege 2016, 25). 3 Autor der Box ist Jorge Ishizawa, Koordinator des Projekts PRATEC (Proyecto Andino de Tecnologias Campesinas). Birgit Schädlich 170 Der Hinweis auf Buen Vivir 4 als anderes, aber dennoch affines Konzept unter dem Aspekt der Mehrperspektivität ist untrennbar damit verbunden, dass die eigene Setzung der UNESCO - nämlich zur Beschreibung der Zielvorstellung eines besseren, gerechteren Lebens auf der Erde - übergreifend von Nachhaltigkeit zu sprechen und nicht von einem anderen Konzept wie z.B. Buen Vivir - umso deutlicher hervortritt. Es werden genau die Hierarchisierungen, die der Orientierungsrahmen problematisiert, eben auch vollzogen. Die Hierarchisierung wird im Orientierungsrahmen sprachlich und typographisch hervorgebracht: Sprachlich dadurch, dass zunächst von „einbeziehen“ die Rede ist (vgl. Schreiber/ Siege 2016, 24), was suggeriert, es gäbe ein globales, homogenes Ganzes (nämlich ‚das‘ Konzept der Nachhaltigkeit), in das ein anderes - als lokal und eben nicht global qualifiziertes - Konzept einbezogen wird. Dies wird in der Box selbst auch wieder thematisiert, indem auf die „Abwesenheit des Buen Vivir im dominanten Entwicklungsdiskurs“ (Schreiber/ Siege 2016, 24) verwiesen wird. Das zweite Hierarchisierungsmoment ist die typographische Verortung in einer Box, deren optische Wirkung durchaus auch als Gegenteil von ‚einbeziehen‘ gelesen werden kann, steht sie doch gleichsam abgegrenzt neben dem ‚eigentlichen‘ Text, der die (dominant bleibende) ‚Umwelt‘ für die Box darstellt. Während der Orientierungsrahmen das Verbindende von Nachhaltigkeit und Buen Vivir herausstellt, akzentuieren andere Texte eher Inkompatibilitäten. So hat z.B. die Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Papier von Eduardo Gudynas 5 herausgegeben, in dem Buen Vivir anders gerahmt wird 6 , wobei direkt auf die Schärfe des Machtgefälles verwiesen wird, das gegebenenfalls für die Schwierigkeit eines „Einbezugs“, von Buen Vivir in den Nachhaltigkeitsdiskurs mitverantwortlich ist: Der Plurikulturalismus geht davon aus, dass alle Kulturen gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Im Fall Lateinamerikas trifft dies praktisch nicht zu und ist daher nur von geringem Nutzen (Gudynas 2012, 20). Der Begriff der Nachhaltigkeit wird in dieser Darstellung selbst mit dem Anspruch einer „optimaleren“ Ausbeutung der Natur“ (Gabbert 2012, 1) assozi- 4 In der Typographie dieses Textes soll durch die punktuelle Kursivierung von ‚Nachhaltigkeit‘ und ‚Buen Vivir‘ an dieser Stelle die Frage aufgeworfen werden, wie auch textliche Markierungen die Wahrnehmungen von Selbstverständlichem und Abweichendem gegebenenfalls lenken. 5 Gudynas ist Direktor des Centro Latino Americano de Ecolgía Social (CLAES, Uruguay) und Gastwissenschaftler an der Münchener Ludwig-Maximilians- Universität. 6 An dieser Stelle wäre die vergleichende Analyse weiterer Dokumente mit ähnlicher Funktion interessant, beispielsweise der Text von Fatheuer (2011), herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung, vor der Frage, wie parteinahe Stiftungen Buen Vivir repräsentieren und es dabei mit den eigenen politischen Überzeugungen und Interessen verbinden. Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht - Nachhaltiges Sprachenlernen? 171 iert und problematisiert, indem Konzepte wie ‚Fortschritt‘, ‚Wachstum‘ und ‚Entwicklung‘ hinterfragt werden: ‚Entwicklung‘ im Sinne von Wachstumsförderung als übliche Strategie zur ‚Bekämpfung‘ von Armutsproblemen (z.B. in Südamerika) widerspricht geradezu dem Anspruch der Bewahrung der Natur im Buen Vivir. Aus dessen Perspektive ist ‚Entwicklung‘ gerade keine Hilfe, sondern die historische Verlängerung eines zerstörerischen Umgangs mit der Natur. Die Kosmovision indigener Andenvölker ist in Gudynas‘ Darstellung also nur sehr bedingt oder gar nicht kompatibel mit ‚westlichen‘ Konzepten. Gleichzeitig ist sie in sich auch alles andere als homogen, was spätestens im Moment des Transfers in politische Handlungszusammenhänge sichtbar wird. Innere Differenzen werden beispielsweise in der Art und Weise deutlich, in welcher Repräsentationen von Buen Vivir in die Verfassungen Ecuadors und Boliviens aufgenommen wurden. 4 Leitfrage 4: Ansätze für Forschungsarbeiten zum nachhaltigen Fremdsprachenlernen Angesichts des ‚Think big‘ der 17 UNESCO-Ziele bleibt die fachdidaktische Konkretisierung beispielsweise im Orientierungsrahmen vergleichsweise eng gedacht. Wäre hier nicht auch eine Gelegenheit, Sprachenlernen grundsätzlich zu überdenken und dabei globale Probleme, die sich in der Struktur der Sprachenfächer und ihrer nach wie vor deutlich monolingualen Ausrichtung gerade nicht widerspiegeln, zumindest als Denkraum einmal zu skizzieren? Oder die - vielleicht gerade nicht besonders nachhaltige - Verfasstheit des Fremdsprachenunterrichts zu hinterfragen? Eine zentrale Forschungsfrage dabei wäre, ob althergebrachte Sprachlerntheorien weiterhin angemessen erscheinen, nachhaltiges Sprachenlernen zu erklären und letztlich auch bildungspolitisch sowie fachdidaktisch zu steuern, also zusammenfassend die Frage, was überhaupt unter ‚nachhaltigem Sprachenlernen‘ zu verstehen wäre. Es liegen bereits zahlreiche mögliche Bausteine vor, die in Forschungsarbeiten hinsichtlich eines nachhaltigen Sprachenlernens zusammengebracht werden könnten. Dies wären zum Beispiel ökologische Perspektiven auf (vor allem institutionalisierte) Umwelten des Sprachlernens (siehe Leitfrage 2) und damit verbunden ein stärkeres Bemühen, schulische Sprachenfolgen und spezifische Profile für Sprachen außer Englisch zu entwickeln (vgl. Leitfrage 3) 7 . Mehrsprachigkeitsorientierte, diskurs- und sachfachbezogene didaktische 7 Vgl. hierzu beispielsweise die Tagung zum Thema an der Universität Dresden (https: / / tu-dresden.de/ gsw/ slk/ romanistik/ das-institut/ professuren/ juniorproffachdidaktik-nn/ tagung-april-2019-schulfremdsprachen) sowie Mayer/ Plikat (2019). Birgit Schädlich 172 Konzepte (z.B. Plikat 2017; Altmayer 2017; García García 2020) sowie die Auseinandersetzung mit Digitalisierung (vgl. Burwitz-Melzer et al. 2019) erscheinen als lohnende Anknüpfungspunkte, die in Rahmentexten wie dem Orientierungsrahmen allerdings kaum erkennbaren Widerhall finden. Notwendig erscheinen weiterhin Arbeiten, die im Sinne einer Selbsterforschung fragen, inwieweit Entwicklungen des Bildungswesens und der eigenen Disziplin gegebenenfalls selbst bereits Teil des Problems sind: beispielhaft können hier die Analysen von Altmayer (2017) zu Repräsentationen globalisierter kultureller Inhalte in Lehrwerken gelten. Für das kulturelle Lernen beobachtet er beispielsweise Nivellierungstendenzen an der Stelle, wo landeskundliche Themen durch vermeintlich universale - und damit weniger konfliktträchtige - Inhalte ersetzt werden (vgl. Altmayer 2017, 16). Ähnlich sieht auch Block (2017) im Personal von Englischlehrwerken Homogenisierungstendenzen: Im Zentrum stehen „Neoliberal Citizens“, die als scheinbar klassenlose Individuen repräsentiert werden und andere soziale Gruppen aus den Lehrwerken nach und nach verdrängt haben (vgl. Block 2017, 8). Hier wird globale Vielfalt also gerade nicht repräsentiert, sondern eher nivelliert, sodass Fremdsprachenlernende kaum auf die Probleme, die dem Nachhaltigkeitsdiskurs zugehörig sind, aufmerksam werden. Der Geographiedidaktiker Alex Standish (2012) beispielsweise nennt Globales Lernen ein „falsches Versprechen“ und kritisiert die vorrangig ökonomische und moralische Natur dieses ‚Bildungsanspruchs‘. Er analysiert in Rahmentexten und Unterrichtsmaterialien die Selbstreferenzialität globaler Ethik, die Diversität, Toleranz, Empathie, Frieden, Umwelt- und soziale Gerechtigkeit nicht länger als Ziel, das über Bildungsprozesse zu erreichen wäre, postulieren, sondern selbst zu Inhalt und Ziel werden und dabei ‚eigentliche‘ Bildungsinhalte aushöhlen (vgl. Standish 2012, 132). Emotionalisierende Unterrichtsverfahren, die er als vorherrschend erkennt, qualifiziert er letztlich sogar als antidemokratisch, weil sie das ‚verantwortungsvolle‘ Handeln des Einzelnen - und dazu sollen die Programme seiner Ansicht nach ‚erziehen‘ - so stark akzentuieren, dass kollektive politische Verantwortung verlagert oder gar negiert wird: Because global ethics reject the public realm in favor of personal actions it lacks a theory of social change […]. Children are being disingenuously coaxed into believing that by tweaking their lifestyle they are magically redirecting ‘global processes’ […] (Standish 2012, 154). Es stellt sich als Forschungsperspektive die Frage, ob Standishs Beobachtungen in alle (europäischen) Bildungssysteme übertragbar sind 8 , und ob bzw. wie sie sich in Konzepten und Materialien für den Fremdsprachenunterricht 8 Seine Analysen beziehen sich auf US-amerikanische und britische Dokumente und Expertisen. Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht - Nachhaltiges Sprachenlernen? 173 nachvollziehen lassen. Es wäre lohnend, seine Analysen mit den Gegebenheiten des deutschen Bildungssystems abzugleichen. Um zum Beginn des Beitrags zurückzukommen: Die Frage, ob Nachhaltigkeit ein Thema des Fremdsprachenunterrichts ist oder eher die Frage des nachhaltigen Sprachenlernens berührt, lässt sich - das sollten die Ausführungen zu den Leitfragen deutlich machen - nur in Interdependenz beantworten. Ohne die Frage nach grundlegenden spracherwerblichen Rahmungen und Zielsetzungen mit einem deutlichen Akzent auf Pluralität, Mehrsprachigkeit und kritischer Sprachbewusstheit erscheint eine Beschäftigung mit Nachhaltigkeit als Thema im Fremdsprachenunterricht zu kurz gegriffen. Literatur Alix, Christophe/ Schaub, Coralie/ Coulaud, Aurore/ Massiot, Aude (2020): „Les géants de la tech - sont-ils aussi écolos qu’ils le prétendent? “ In: Libération. https: / / www.liberation.fr/ terre/ 2020/ 12/ 14/ les-geants-de-la-tech-sont-ils-aussi -ecolos-qu-ils-le-pretendent_1807665 (14/ 12/ 2020). Alter, Grit/ Wehrmann, Jürgen (erscheint): „Auf dem Weg zu einer Kulturdidaktik des globalen Lernens. Konzeptionelle Überlegungen zu fachexternen Impulsen und fremdsprachendidaktischen Entwicklungen“. In: König, Lotta/ Schädlich, Birgit/ Surkamp, Carola (Hrsg.): unterricht_kultur_theorie: Kulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht gemeinsam anders denken. Stuttgart: Metzler. 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Il doit réparer dans la création tout ce qui peut l’être. Après quoi, les enfants mourront toujours injustement, même dans la société parfaite. Dans son plus grand effort, l’homme ne peut que se proposer de diminuer arithmétiquement la douleur du monde. Mais l’injustice et la souffrance demeureront et, si limitées soient-elles, elle [sic] ne cesseront pas d’être le scandale (Camus 1951, 378). 1 quidquid agis, prudenter agas et respice finem Das Konzept „Nachhaltigkeit“ berührt nahezu alle Bereiche menschlichen (Zusammen-)Lebens und zeichnet mit normativen Wertansprüchen als Handlungsmaximen und Zielvorstellung ein ideales Bild des intergenerationell verantwortungsvollen Umgangs mit den irdischen Ressourcen sowie des solidarischen, gerechten und friedvollen Miteinander. Beide gilt es zu entwickeln und auf Dauer zu ermöglichen. Mit dem Konzept „Nachhaltigkeit“ soll darauf hingewirkt werden, dass alles menschliches Handeln diesen Zielen gerecht wird, ihnen dient. Insofern hat sich die 41. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts ein in vielerlei Hinsicht herausforderndes Thema gewählt. Nachhaltigkeit ist zudem ein Thema dessen Zugehörigkeit zum breiten Feld des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen sich nicht Lars Schmelter 176 ohne weiteres erschließt. Aber wenngleich es im Fremd- und Zweitsprachenunterricht nicht unmittelbar darum geht, z.B. den durch unser Wirtschaften bedingten Weltverbrauch so zu reduzieren, dass er mit Blick auf die aktuelle und die zukünftige Weltgemeinschaft gerechter wird und menschliches Leben für möglichst lange Zeit noch erträglich macht, und wenngleich der Unterricht von Fremd- und Zweitsprachen - sieht man einmal vom Ziel einer chancengerechten und hochwertigen Bildung ab - keines der 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (UN 2015) direkt adressiert, so könnten Fremd- und Zweitsprachenunterricht doch zumindest mittelbar zu einer solchen - je nach Sprache als „nachhaltig“, „sustainable“ oder „durable“ bezeichneten - Entwicklung beitragen; zumindest suggeriert das Konzept „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, dass Bildungsprozesse, zu denen das Lernen von Fremd- und Zweitsprachen wohl zweifellos gehört, eine zentrale Rolle beim Erreichen der von der UN verabschiedeten Entwicklungsziele spielen. Doch ist dem so? El-Mafaalani (2020, 21) kommt aufgrund seiner Analyse zu dem Ergebnis, dass Bildung „als Allheilmittel für fast alle gesellschaftlichen Missstände“ gelte, ohne dass dabei in der Regel klar werde, was unter Bildung zu verstehen sei. Er selbst arbeitet sich an drei Deutungen des Begriffs ab: „Bildung als Humankapital“, „Bildung als umfassende Persönlichkeitsbildung, bei der der Mensch seiner selbst und der Welt bewusst wird“ (ebd., 21), und schließlich „Bildung als klassenspezifische Prägung“ (ebd., 42), da - so El-Mafaalani - die beiden ersten Bildungsbegriffe „weitgehend blind für soziale Ungleichheiten seien“ (ebd., 21). Alle drei Begriffsverständnisse seien daher „für ein umfassendes Verständnis sinnvoll und wichtig“ (ebd., 21). Aber: „In keinem Fall ist Bildung die Lösung, sondern eher ein eigenständiges Problemfeld“ (ebd., 21). Wie verhält es sich vor diesem Hintergrund mit dem UN-Programm „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (vgl. DUK 2015). Ist „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ eventuell gar keine Lösung für das grundlegende Menschheitsproblem, dass eventuell schon kurzfristig, wahrscheinlich mittelfristig, sicher jedoch langfristig die Lebensgrundlagen des Planeten Erde für Menschen wie uns so erschöpft bzw. verändert sein werden und damit menschliches Leben, so wie wir es kennen und für unsere Vorfahren bis hin zu unseren evolutionären Ursprüngen aus materiellen Überresten rekonstruieren, zuende gehen wird? Die Armut vieler Menschen, ihr Hunger, die ungleiche Verteilung von Wohlstand und Lebenschancen, menschenunwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Zerstörung unser aller Lebensgrundlagen, Kriege, Ungerechtigkeit und viele skandalöse Missstände auf der Erde sind, wenn überhaupt dann ganz sicher nicht allein und an erster Stelle durch Bildung zu lösen. Wenn Bloms (2017) These stimmt, dass klimatische Veränderungen im 16. und 17. Jahrhundert ein, möglicherweise sogar der entscheidende Auslöser für die tiefgreifende Veränderung des Verhältnisses des europäischen Menschen zur Welt und ihren Ressourcen, zu seiner Verantwortung für sich Le développement durable et l’homme révolté 177 und andere Menschen war, dann sind die aus der „kleinen Eiszeit“ erwachsenen leitenden Weltvorstellungen, Gesellschafts- und Wirtschaftsordnungen und die mit ihnen einhergehende Unterwerfung der Welt durch die europäischen Gesellschaften und ihre Normen und Werte ein aus der Vergangenheit in die Gegenwart reichendes, das zukünftige Zusammen- und Überleben bedrohendes Problem. Dann ist aber zugleich anzunehmen, dass nicht allein Bildung, sondern möglicherweise nur ein erneuter radikaler Wandel der äußeren Lebensbedingungen dazu führen wird, dass die bestehenden sozialen, wirtschaftlichen, machtpolitischen Verhältnisse grundlegend neu und in diesem Zuge vielleicht gerechter, sozialer und ressourcenschonender gestaltet werden. Insofern mag Bildung eine Antwort auf aktuelle und zukünftige Probleme sein, aber sie wir vermutlich nicht allein in ein sozialeres, verantwortungsvolleres und gerechteres Miteinander aller Menschen führen. 1 Denn trotz der zumeist positiven Konnotationen, die mit dem Begriff und Konzept „Nachhaltigkeit“ einhergehen, sollte nicht übersehen werden, dass Nachhaltigkeit nicht nur in „den Niederungen der Gesellschaftspolitik [...] eine umkämpfte Kategorie [ist], um deren Geltung sich gesellschaftliche Konfliktlinien organisieren und politisch-kulturelle Polarisierungen entstehen“ (Neckel 2020, 83). Aber Bildung mag helfen, den Zustand der Welt, der Macht- und Wirtschaftsverhältnisse, die Ungerechtigkeiten, etc. zu erkennen, sie zu benennen und sie kooperativ und gerecht - wie Diamond (2006, 498) hofft - aktiv zum Positiven zu verändern. Möglicherweise hilft Bildung sogar, trotz der Absurdität der Welt und trotz ihrer fortbestehenden Ungerechtigkeit nicht zu verzweifeln, sondern weiter dagegen zu revoltieren. 2 Nachhaltigkeit und globales Lernen als Inhalt des Fremdsprachenunterrichts Spätestens mit dem UN-Programm „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ ist Nachhaltigkeit im Sinne einer idealen Vorstellung des globalen menschlichen Miteinanders auch - zumindest potenziell und in den curricularen Vorgaben und Orientierungshilfen - zum Gegenstand von schulischem Fremdsprachenunterricht in Deutschland geworden. Sieht man einmal davon ab, dass der Fremdsprachenunterricht nicht nur in der Fremdsprachenforschung als Ort betrachtet wird, der in besonderer Weise zur Ausbildung interkultureller Kompetenzen beitragen kann, weil er z.B. schon allein mit seinen kulturellen und literarischen, historischen und geographischen und soziologischen 1 Bojanowski (2014, 8) geht sogar soweit, den Begriff „Nachhaltigkeit“ in diesem Zusammenhang aufzugeben: „Der Begriff „Nachhaltigkeit“ verschleiert die komplexen Zusammenhänge in der Natur und die zwischen Umwelt und Gesellschaft. Er liefert keine Antwort, sondern wirft Fragen auf. Der Begriff ist schädlich. Überlassen wir ihn listigen Verkäufern.“ Lars Schmelter 178 sowie tagesaktuellen Inhalten, an denen die Sprache gelehrt und gelernt werden soll, die Lernerinnen und Lerner dazu herausfordert, sich neues, nicht nur sprachliches Wissen anzueignen, dabei neue Perspektiven kennenzulernen, zu wechseln, miteinander zu verschränken und kritisch gegeneinander abzuwägen, dann bleibt dennoch die Frage, inwiefern Fremdsprachenunterricht verschiedene Themen und Aspekte Nachhaltiger Entwicklung als Inhalt heranziehen kann und sollte. Bilinguale Angebote, also Unterricht in Fächern wie Biologie, Erdkunde, Geschichte oder Wirtschaft, der unter systematischem und koordiniertem Einbezug von und Rückgriff auf mindestens zwei Sprachen erfolgt, sind hierzu aus zweierlei Gründen prädestiniert. Zum einen wird dieser Unterricht in der Regel von fachlichen Experten erteilt, so dass von einer fachlich angemessenen Vermittlung der Inhalte und Auseinandersetzung mit ihnen auszugehen ist. Zum anderen liegen für bilinguale Angebote zahlreiche erprobte methodische Konzepte vor, die dazu beitragen können, die (fremd-)sprachlichen und (fremd-)kulturellen Herausforderungen bei der Auseinandersetzung mit fachlichen Inhalten aus mindesten zwei Perspektiven und unter Einbezug fremder Sprache(n) vorzubereiten und zu bewältigen. Der Fremdsprachenunterricht allein kann fachliche Aspekte von Nachhaltigkeit schon aus sprachlichen Gründen nur sehr bedingt zum Inhalt machen. Denn er ist mit den fachlichen Ansprüchen ggf. überfordert. Betrachtet man beispielsweise die Beiträge im jüngst erschienen Heft der Zeitschrift Französisch heute 2 , die sich alle mit ökologischen Herausforderungen beschäftigen, dann stellt man einerseits fest, dass hier wie auch in vielen anderen fremdsprachendidaktischen Publikationen zu nachhaltiger Entwicklung vor allem fortgeschrittene Lerner angesprochen werden. Zum anderen stellt man fest, dass fremdsprachliches Lernen nur sehr bedingt durch die vorgestellten Unterrichtsvorschläge systematisch angeleitet wird. Zugleich kann die ästhetisch-kreative und kritische Auseinandersetzung mit den ökologischen Themen kaum an das inhaltlich-fachliche Niveau heranreichen, dass im entsprechenden Fachunterricht erarbeitet werden würde. 3 Der Beitrag des schulischen Unterrichts von (2. und 3.) Fremdsprachen zu nachhaltiger Entwicklung In dem oben (Abschnitt 1) skizzierten Sinne trägt das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen dennoch zur Entwicklung von Nachhaltigkeit bei. Denn wenn die schon von der sog. Brundlandt-Kommission (1987) eingeforderten internationalen Verständigungen und Kooperationen zur nachhaltigen Entwicklung beitragen sollen, dann setzt dies auf allen Ebenen Kommunika- 2 Jahrgang 51, Heft 4/ 2020, Défis écologiques Le développement durable et l’homme révolté 179 tion, Verständnis und Verständigung über Sprachen und Kulturen hinweg voraus. In der Regel zielt ein auf fremdsprachige kommunikative Kompetenz oder Handlungs- oder Diskurskompetenz ausgerichteter Fremdsprachenunterricht - unabhängig von der Institution, in der dieser Unterricht stattfindet - u.a. darauf ab, die Lernerinnen dazu zu befähigen, das eigene Leben, Handeln auch in fremdsprachigen Kontexten (und damit sind immer auch fremdkulturelle Konstellationen mitgemeint) so eigenständig wie möglich, d.h. im Umkehrschluss so unabhängig wie möglich von Dolmetschern, Übersetzerinnen, Sprachmittlern, digitalen und anderen materiellen wie personalen Hilfsmitteln zu gestalten. Ein so verstandener Fremdsprachenunterricht beabsichtigt folglich die Befähigung zur Teilnahme und -habe und somit zur Gestaltung von Diskursen in anderen als den bislang beherrschten Sprachen. Fremdsprachenunterricht ist daher in meinen Augen per se auf Partizipation und zukünftiges Handeln in weiteren als den bisher eigenständig zugänglichen Sprach- und Kulturräumen ausgerichtet. Die notwendigen Aushandlungsprozesse zwischen Menschen, Generationen, Schichten, Klassen, Gesellschaften, Religionen und Wertesystemen sowie Staaten, in und mit denen sie leben, und damit über Grenzen nicht nur von Möglichkeiten der materiellen Weltverfügung, sondern auch von Sprachen und Kulturen hinweg, können im Fremdsprachenunterricht nicht nur durch die Vermittlung der entsprechenden sprachlichen und kulturellen Kenntnisse und Kompetenzen unterstützt, sondern auch durch andere Inhalte und Zielsetzungen, die u.a. eine (kritische) Sprachbewusstheit und eine kritische Diskurskompetenz anstreben, erfolgsversprechender gemacht werden. Hier kommt dem Lehren und Lernen von 2. und weiteren Fremdsprachen eine besondere Bedeutung zu, da sie es erstmals ermöglichen, eine Sprache, deren Gebrauch und ihr Erlernen nicht nur mit der bzw. den durch Sozialisation erworbene(n) Erstprache(n) zu vergleichen. Ihre besondere Rolle bei der Entwicklung von Nachhaltigkeit kommt den 2. und 3. Fremdsprachen u.a. auch deshalb zu, weil durch die zusätzlichen Vergleichsmöglichkeiten die Vermittlung bzw. Aneignung von Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz vielfältiger befördert werden kann (vgl. u.a. die entsprechenden Beiträge in Fäcke/ Meißner 2019). Ein solcher Unterricht und das durch ihn vermittelte Lernen können ihrerseits als „nachhaltig“ bezeichnet werden, wenn Lerner auch jenseits des Unterrichts, d.h. parallel und auch nachdem sie nicht mehr am Unterricht teilnehmen, die Fremdsprache dauerhaft nutzen können und tatsächlich nutzen (wollen). Zur Nachhaltigkeit des Fremdsprachenunterrichts gehört es dann auch, dass Lernerinnen die unterrichtlich vermittelten fremdsprachigen und -kulturellen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Handlungspotenziale auch über das Ende des Unterrichts hinaus allein und mit der Hilfe anderer Personen oder Materialien weiterauf- und -ausbauen, damit sie diese für „Prob- Lars Schmelter 180 lemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll“ (Weinert 2001, 27f.) nutzen (können). Der Fremdsprachenunterricht pflanzt folglich den Wald, den die Lerner ganz im Sinne von von Carlowitz (1713) durch „beständige und nachhaltende Nutzung“ (von Carlowitz 1713/ 2013, 216; zitiert nach Bauchmüller 2014, 3) auch zu einem späteren Zeitpunkt noch als Grundlage des Wirtschaftens erhalten und nutzen können. Nachhaltigkeit kann aber auch als leitendes Prinzip des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen selbst verstanden werden: Ein Fremd- und Zweitsprachenunterricht, der mit den zumeist endlichen Ressourcen, die für das Lehren und Lernen von Sprachen zur Verfügung stehen, reflektiert, möglichst effizient und sparsam damit umgeht, weil er seine Folgen für die involvierten Personen und Gesellschaften antizipierend mitdenkt und seine Ziele entsprechend überlegt formuliert, könnte dem entsprechend als ‚nachhaltig‘ bezeichnet werden. Dies betrifft sowohl methodische Aspekte (Hallet/ Königs/ Martinez 2020) als auch (gesamtsprachen-)curriculare Aspekte (u.a. Hufeisen 2019) Das hier skizzierte Verständnis des Nachhaltigkeitsbegriffs schlägt sich auch in den curricularen Vorgaben für den schulischen Fremdsprachenunterricht nieder. So heben die Bildungsstandards für die erste Fremdsprache für den Mittleren Schulabschluss (KMK 2004, 6) die Bedeutung des Erwerbs kommunikativer und interkultureller Kompetenzen in anderen Sprachen als „wichtige Voraussetzung erfolgreicher Kommunikation, auf der nicht zuletzt persönliche Weiterentwicklung und persönlicher Erfolg in immer stärkerem Maße basieren“, hervor. Sprachenlernen sei somit „eine der wesentlichen Herausforderungen, die mit dem Auftrag des lebenslangen Lernens auf die Gesellschaft, auf die Bildungssysteme und auf den Einzelnen zukommen“ (KMK 2004, 6). Daher ist es nur logisch, dass die Bildungsstandards der KMK diverse sog. methodische Kompetenzen, wie z.B. das selbstständige und kooperative Sprachenlernen, als „Grundlage für den Erwerb weiterer Sprachen, für das lebenslange (Sprachen-)lernen und den Ausbau der mutter- und fremdsprachlichen Kompetenzen“ (KMK 2004, 6) einfordern. Die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache auf dem Wege zur Allgemeinen Hochschulreife (KMK 2012) formulieren unter dem Begriff „Sprachlernkompetenz“ konzeptuell präziser. Auch hier werden dem Fremdsprachenunterricht Wirkungen zugeordnet, die über den Erwerb funktionalkommunikativer Kompetenzen hinausgehen. So trage der Fremdsprachenunterricht „zu einer bewussten Lebensgestaltung und zur gesellschaftlichen Teilhabe junger Erwachsener sowie deren Handlungsfähigkeit im internationalen Kontext bei“ (KMK 2012, 9). Konkret als Standard formuliert heißt es: Die Schülerinnen und Schüler können ihre sprachlichen Kompetenzen und ihre vorhandene Mehrsprachigkeit (Erstsprache, ggf. Zweitsprache, Fremdsprachen) selbstständig und reflektiert erweitern. Dabei nutzen sie zielgerich- Le développement durable et l’homme révolté 181 tet ein breites Repertoire von Strategien und Techniken des reflexiven Sprachenlernens (KMK 2012, 25). Die hier skizzierten, curricular eingeforderten Nachwirkungen des Fremdsprachenunterrichts können wohl auch jenseits des schulischen Fremdsprachenunterrichts in Deutschland Gültigkeit haben und werden nicht auf allzu viel Widerstand anderenorts treffen. Und auch die Forderung nach entsprechenden Kompetenzen für zukünftige Lehrpersonen, wie sie beispielsweise in den „[l]ändergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung“ (KMK 2019) formuliert werden, dürfte - sieht man von der anachronistischen Formulierung einmal ab - weitgehend Konsens sein. Diesen Kompetenzvorgaben zufolge verfügen Lehrpersonen am Ende ihrer universitären Ausbildung und Vorbereitung auf den Schuldienst „über ein vertieftes Sprachwissen und ‚nativnahes‘ Sprachkönnen in der Fremdsprache; sie sind in der Lage, ihre fremdsprachliche und interkulturelle Kompetenz auf dem erworbenen Niveau zu erhalten und ständig zu aktualisieren“ (KMK 2019, 44). Inwiefern allerdings jeder Fremdsprachenunterricht allerorten, d.h. jenseits der allgemeinbildenden Schulen (also z.B. an den Volkshochschulen, in den privaten Sprachschulen oder auch in anderen Ländern) und jederzeit neben der sprachlichen Autonomie auch die soziale, gesellschaftliche und kulturelle Autonomie und Mitwirkungsbereitschaft zu seinem expliziten Ziel hat bzw. haben sollte, wurde und wird bis heute kontrovers diskutiert (siehe u.a. Schmenk 2005; vgl. auch Marx in diesem Band; Riemer in diesem Band). Als Ziel der allgemeinbildenden Schulen wird in diesem Sinne verstandene Mündigkeit in den Schulgesetzen festgeschrieben. So heißt es im hier nur beispielhaft herangezogenen Schulgesetz für Nordrhein-Westfalen: Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung. Die Jugend soll erzogen werden im Geist der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen, zur Verantwortung für Tiere und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und zur Friedensgesinnung (§ 2(2) Schulgesetz NRW). Angesichts der übrigen Sätzen des gleichen Paragraphen, die alle einen sehr eindeutigen Bildungsauftrag für nordrhein-westfälische Schulen formulieren, stellt sich die Frage, worin das Besondere einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung liegt, zu der der Fremdsprachenunterricht beitragen soll (MSB 2019b), geht es doch in der Schule grundsätzlich um die Bildungsziele, die auch in der auf Bildung für Nachhaltige Entwicklung abzielenden Leitlinie des Ministerium für Schule und Bildung des Landes NRW (MSB 2019a) festgeschrieben werden. So heißt es dort u.a. Lars Schmelter 182 [Bildung für Nachhaltige Entwicklung] zielt darauf ab, dass Kinder und Jugendliche daran mitwirken können, Zukunft im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu gestalten, d.h. dazu beitragen können, eine sozial gerechte, wirtschaftlich erfolgreiche, ökologisch verträgliche, kulturell vielfältige und demokratische gesellschaftliche Entwicklung zu befördern und heute lebenden ebenso wie nachfolgenden Generationen ein chancengerechtes und selbstbestimmtes Leben in Frieden zu ermöglichen (MSB 2019a, 14). Die Schule habe daher die Aufgabe entsprechende fachliche und überfachliche Kenntnisse und Kompetenzen zu vermitteln, um die Schüler dazu zu befähigen, dass sie die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt reflektieren, verstehen und eigenverantwortliche, zukunftsfähige Entscheidungen treffen können - für die eigene Person und die Gesellschaft, auch im Wissen um deren globale Auswirkungen (MSB 2019a, 14). Dies scheint mir sowohl mit Blick auf Schülerinnen und Schüler als auch mit Blick auf den Fremdsprachenunterricht eine zu umfangreiche Forderung. Angesichts der komplexen Zusammenhänge des Weltgeschehens, von denen wir nie vollständig Kenntnis haben können, aber vor dem Hintergrund des vom MSB (2019a) formulierten Ziels haben müssten, und angesichts der möglichen Rückkoppelungseffekte, die wir vorab auch aufgrund der eventuell globalen Reichweite unseres Tuns nicht bedenken können, habe ich Zweifel an unseren menschlichen Möglichkeiten, ob wir die sicherlich wünschenswerten Ziele erreichen können. Angesichts der weitreichenden Ziele, die mit dem Begriff Bildung für Nachhaltige Entwicklung verfolgt werden, stellt sich mir daher die Frage, ob hier nicht wie Neckel (2020, 83) schreibt unter Bezug auf die Sustainable Development Goals „eine Art Wunschkonzert für alles [komponiert wird], was man in der Welt von heute für verbesserungswürdig hält“; ohne dabei konkret etwas verändern zu müssen. Denn schon der schulische Fremdsprachenunterricht ist im weiten Verständnis der UN nicht nachhaltig. Weder mit Blick auf sein Angebot, noch mit Blick auf seine Ergebnisse. So kann angesichts der wenigen Schülerinnen und Schüler, die auf der Sekundarstufe II die Fächer Französisch bzw. Spanisch fortführen, zumindest die positive Wirkung des schulischen Fremdsprachenunterrichts auf die Motivation zum lebenslangen Fremdsprachenlernen in Abrede gestellt werden (vgl. hierzu u.a. Caspari 2020; Fritz 2020). Inwiefern die im Rahmen der Schule erworbenen fremdsprachlichen Kompetenzen auch nach fünf, zehn oder zwanzig Jahren noch ausreichen, um aktiv an fremdsprachigen Diskursen mitzuwirken, dazu liegen nur wenige Erhebungen vor (siehe u.a. Mehlhorn in diesem Band; Riemer in diesem Band). Le développement durable et l’homme révolté 183 4 Nachhaltige Fremdsprachenforschung für die nachhaltige Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts? In den letzten Jahren hat sich die Sprachlehr- und -lernforschung mehrfach mit ihrer eigenen Nachhaltigkeit beschäftigt (vgl. u.a. Bausch u.a. 2011; Königs 2013; Riemer 2015; Rösler 2013; Vollmer 2015). Verschiedentlich wird dabei darauf hingewiesen, dass sich die Sprachlehr- und -lernforschung mit einem zunehmend breiterem Themenfeld auseinandergesetzt hat und dass sie insbesondere ihrem Gründungsanspruch treugeblieben sei, auf der Basis forschungsmethodologisch und -methodisch begründeter empirischer Forschung Vorschläge für die Weiterentwicklung des Fremdsprachenunterrichts zu machen. Zugleich seien aber nach und nach zentrale Aspekte des Lehrens und Lernens von Sprache, von denen noch nicht gesagt werden könne, dass die ihnen zugehörigen Forschungsfragen abschließend beantwortet und die gewonnen Erkenntnisse sicher in der unterrichtlichen Praxis implementiert seien, in den Hintergrund geraten. Königs (2013) hebt hier insbesondere den Bereich der Grammatikvermittlung und die Lehrenden hervor, Rösler (2013) fokussiert den Anfangsunterricht. Vor dem Hintergrund eigener Studien (u.a. Göbel u.a. 2021) und den dabei gewonnenen Einblicken in schulischen Fremdsprachenunterricht und seinen innovationshemmenden Rahmenbedingungen und angesichts der durch rekonstruktive Studien für den Englischunterricht gewonnenen Erkenntnisse, dass schulischer Fremdsprachenunterricht ein stark durch habitualisiertes Handeln strukturiertes System bildet, in dem die agierenden Personen u.a. durch äußere Vorgaben (Lehrwerk) und Zwänge (Formen der Leistungsbewertung) in ihren Erwartungen gelenkt werden (Bonnet/ Hericks 2020), stellt sich mir die Frage, wie die Erkenntnisse der Sprachlehr- und -lernforschung nachhaltiger, i.S. von ressourcenschonend, effizient und mit möglichst langfristiger Wirkung in schulischen Fremdsprachenunterricht gelangen können. Wir, d.h. die Sprachlehrforscherinnen und -lernforscher haben seit der 1. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts, die vom 26. bis 28. Februar 1981 im Haus der Werner-Reimers- Stiftung in Bad Homburg stattfand (Bausch u.a. 1981) in vielen Formaten einiges an Beschreibungswissen zum Fremdsprachenunterricht generiert, können mit unseren Erkenntnisse durchaus das ein oder andere an Hintergründen und Problemen, die es beim fremdsprachlichen Lernen gibt, erklären und haben schließlich in kleineren Projekten im Paradigma der Handlungsforschung oder des Design-Based-Research Handlungswissen generiert. Aber viele unserer Erkenntnisse, die z.B. für die Ebene der Bildungssteuerung durch Curricula durchaus von der Administration genutzt werden, kommen auf der unterrichtlichen Ebene nicht an. Hier die Ursache allein bei den Lehrpersonen zu suchen, wäre der falsche Weg, in und mit der Sprachlehr- und -lernforschung mehr Nachhaltigkeit zu erzielen. Einen auch für die Lars Schmelter 184 Sprachlehr- und -lernforschung vielversprechenden Weg hat man m.E. im Deutschen Zentrum für Lehrerbildung Mathematik (DZLM) 3 gefunden. Ausgehend von den impliziten und expliziten Fragen bei Königs (2013), Riemer (2015) und Vollmer (2015) zur Gesamtverantwortung eines jeden Sprachlernforschers, einer jeden Sprachlehrforscherin für das Fach stelle ich mir folglich die Frage, ob ein vergleichbares Zentrum und eine ähnlich wie in der Mathematik verfolgte Strategie 4 , die auch darin besteht, Forschungs- und Fortbildungsressourcen an mehreren Standorten zu bündeln und zu koordinieren, nicht auch ein Ansatzpunkt für eine nachhaltigere Erforschung des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen und damit auch nachhaltige Sicherung der Disziplin wäre. Dabei habe ich u.a. im Blick, dass Sprachlehr- und -lernforschung spätestens seit der Veröffentlichung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (Europarat 2001; 2020) und den Bildungsstandards (KMK 2003ff.) zwar einerseits durch bildungspolitische Themen und Diskussionen - ich will nicht sagen getrieben, aber doch - beansprucht worden ist. Sie hat aber andererseits immer wieder mit vielen interessanten Themen und Neuerungen aufgewartet. Es mehren sich jedoch für mich sowohl die anekdotischen als auch die empirischen Befunde, dass als dies nur zufällig auch zu Veränderungen in der Praxis führt. Insofern wird nachhaltige Entwicklung durch Fremdsprachenunterricht durch nachhaltige Sprachlehr- und -lernforschung nötig sein, damit ernsthaft nicht-sprachlich-kulturelle Inhalte der Bildung für nachhaltige Entwicklung auch Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts werden können. Insofern würde ich für den Zugewinn an qualitativer Freiheit in der Forschung plädieren, der durch eine Einschränkung der quantitativen Freiheit bei der Themenwahl etc. erkauft wäre (Dierksmeier 2020). Literatur Bauchmüller, Michael (2014): „Schönen Gruß aus der Zukunft“. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 64(31-32), 3-6. Bausch, Karl-Richard/ Burwitz-Melzer, Eva/ Königs, Frank G./ Krumm, Hans- Jürgen (Hrsg.) 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Barack Obama (2020, xvi) Der Fremdsprachenunterricht (FSU) befindet sich stets im Spannungsfeld zwischen Kompetenz- und Standardorientierung einerseits und pädagogischen und gesellschaftlichen Forderungen nach individueller Förderung, Inklusion und einer Orientierung an bedeutungsvollen Inhalten und Werten, die eine aktive Lebensgestaltung, gesellschaftliche Teilhabe und Handlungsfähigkeit im internationalen Kontext ermöglichen, andererseits (Council of Europe 2018; KMK 2012, 11; Schröder 2018). Solch ein Lebensweltbezug kann durch die Überbrückung von formalem, informellem und nonformalem Lernen erreicht werden, durch die Bearbeitung realer Probleme und die dafür notwendige Öffnung des Klassenzimmers, um fremdsprachliche und fachsprachliche Diskurskompetenz praktisch erfahrbar zu machen. Problembasiertes Lernen ist durch Situiertheit, Relevanz und Komplexität gekennzeichnet und überschreitet per Definition die Grenzen einzelner Disziplinen. Lösungsansätze erfordern gleichsam Kompetenzen unterschiedlicher Schulfächer. Im Sinne des Global Education-Ansatzes in der Fremdsprachendidaktik (Cates 1990; Lütge 2015; Volkmann 2015) kann der FSU diese Inhalte an die Konzepte des bilingualen Sachfachlernens mit dem Ziel der Ausbildung einer doppelten Fachliteralität (Vollmer 2005) sowie einer inter- und transkulturellen kommunikativen Kompetenz anschließen und so die Rolle einer Fremdsprache wie Englisch als Transmitter globaler Thematiken gewinnbringend ins Bewusstsein rücken. Torben Schmidt 188 Für die Behandlung in einem wünschenswert stärker transdisziplinären FSU, der fachübergreifend oder zumindest fachverbindend an wie im Eingangszitat verdeutlichten mehrperspektivischen, nicht-linearen globalen Problemen und Themen arbeitet und die über Fachgrenzen hinweg nötige Erschließung komplexer sozialer, kultureller, wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen aus verschiedenen Perspektiven und ihrem Zusammenhang ganzheitlich ermöglichen und fördern soll, sind die mit dem Bereich Nachhaltigkeit und dem Konzept Bildung für Nachhaltige Entwicklung (Education for Sustainable Development, nachfolgend ESD) verbundenen Inhalte besonders lohnenswert. Hier können die Lernenden in der systematischen Verbindung von fremdsprachlichem und fachlichem Lernen, dem Erleben der Fremdsprache und der fremdsprachlichen Fachsprache in einem vielschichtigen, transdisziplinären, globalen Inhalts- und Diskursbereich entdecken, dass mehrdimensionales sachfachliches Wissen und Kompetenzen stets an linguistisch-diskursive Kompetenzen geknüpft sind (Böwing/ Hallet 2017). Aus der sachfachlichen Perspektive heraus ist die fachgebundene Diskurskompetenz, wie sie im Content and Language Integrated Learning (CLIL) adressiert wird, eine notwendige Voraussetzung, damit Lebensweltbezug und Handlungsorientierung im sachfachlichen Lernen gewährleistet werden können (Vollmer/ Thürmann 2010). So wird in den Bildungsstandards der naturwissenschaftlichen Fächer die Kommunikationsfähigkeit zu den Grundfertigkeiten fachlicher Bildungsziele gezählt, also die Fähigkeit, Informationen sach- und fachbezogen zu erschließen und auszutauschen. Diese fachsprachliche Kompetenz beinhaltet die zielgerichtete Beherrschung der Sprache des Faches selbst, der Sprache des effektiven Lernens im Fach und die notwendige sprachliche Kompetenz, sich an realweltlichen (international überwiegend in englischer Sprache geführten) und fachlichen Diskursen zu beteiligen (Vollmer/ Thürmann 2010). Ziel des vorliegenden Beitrags ist zunächst (Kap. 2) die Entwicklung eines differenzierten und situierten Verständnisses des Beitrags des FSU - und hier bereits etablierter Zugänge und Methoden - zum überfachlichen Lernziel und Querschnitts-Konstrukt Learner Agency, also zur soziopolitischen Partizipationsfähigkeit und lebensweltlichen Gestaltungskompetenz von Schüler_innen in einer zunehmend durch Globalisierung gekennzeichneten Gesellschaft. Bezugnehmend auf Ansätze wie ESD und Global Citizenship Education (GCE) (UNESCO 2018) soll herausgearbeitet werden, wie ein trandisziplinärer, digital vielfältig angereichter CLIL-FSU, dabei bezogen auf den Literacies-Ansatz, den Erwerb inter- und transkultureller, fremd- und mehrsprachiger Diskurs- und Sachkompetenz fördern und somit die nötigen Kompetenzen für eine diskursive, reflektierte Bearbeitung lebensweltlicher und damit überfachlicher, globaler wie lokaler Fragestellungen ermöglichen kann. In Kap. 3 soll dann darauf basierend das seit 2014 mit mittlerweile insgesamt über 3000 Schüler_innen durchgeführte Deutsch-Amerikanische Blended Learning- Fremdsprachenerwerb und internationale Partizipationsfähigkeit 189 Projekt „Going Green - Education for Sustainability“ als ein möglicher Realisierungsrahmen eines transdisziplinären FSU als Lern- und internationale Telekollaborationsumgebung skizziert werden, der die Entwicklung von Learner Agency ins Zentrum rückt. Der Beitrag schließt mit einer Diskussion von nötigen Entwicklungsschritten und Schwerpunktsetzungen für die Fremdsprachenforschung und Lehrkräftebildung. 2 Auf dem Weg zu Global Citizenship Education und partizipativer Diskursfähigkeit - Entwicklung von Learner Agency als Schlüsselkompetenz Themen wie Klimawandel, Migration, extreme Armut, die Sicherung von Frieden und übergeordnet die Frage, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen, stellen die Weltgemeinschaft vor große Herausforderungen, die nur mit gemeinsamen Anstrengungen bewältigt werden können. ESD und GCE stellen hierbei unterrichtsfachübergreifend zwei zentrale, eng miteinander verbundene Denkrahmen und Ansätze dar, die Lernenden aller Altersgruppen und Bildungsinstitutionen Wissen und Fähigkeiten vermitteln sollen, ihr eigenes Handeln in globalen Zusammenhängen zu betrachten, verantwortungsvolle Entscheidungen für eine nachhaltige Gegenwart und Zukunft zu treffen, globale Herausforderungen zu verstehen und ihnen auch im Sinne einer politischen Teilhabe aktiv zu begegnen und so eine aktive Rolle in der Gesellschaft zu übernehmen, um einen lokal oder global aktiven Beitrag zu leisten zum Aufbau von friedlichen, sozial gerechten, toleranten, inklusiven und ökologisch nachhaltigen Gesellschaften (UNESCO 2018). GCE ist transformativ in dem Sinne, dass sie Lernende darin unterstützt, ein Gefühl für ihre gesellschaftlichen Rollen und Identitäten auf lokaler, nationaler und globaler Ebene (und im Wechselspiel von lokal und global) zu entwickeln und sich auf diesen miteinander verbundenen Ebenen mit Hilfe ihrer kognitiven, sozio-affektiven und verhaltensbezogenen Fähigkeiten zu beteiligen. Learner Agency steht im Zentrum dieser Fähigkeiten und partizipativen Ebenen. Sie beinhaltet Initiative und Selbstregulation des Lernenden, sein Bewusstsein und seine Verantwortung für das eigene Handeln gegenüber der soziokulturellen Umwelt (van Lier 2008) und ist häufig eine Eigenschaft sozialer Gruppen, die aus gegenseitigem Engagement entsteht (Wertsch et al. 1993). Learner Agency bezieht sich auf das bei Weinert (2001) explizit angelegte funktionale Verständnis des Kompetenzbegriffs, der neben Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten auch motivationale, soziale und volitionale Komponenten einschließt, welche in situierten und erfahrungsbasierten Lernarrangements zum Tragen kommen. Das Konzept Agency meint aber ebenso die systematische Gestaltung der Lern- und Lebensumgebung durch die Lernenden selbst sowie deren aktive Partizipation an soziokulturellen Prozessen. In der englischsprachigen Literatur wird Agency daher definiert als „the soci- Torben Schmidt 190 oculturally mediated capacity to act“ (Ahearn 2001, 112) sowie als „the capability of individual human beings to make choices and act on these choices in a way that makes a difference in their lives“ (Martin 2004, 135). Agency steht dabei in engem Zusammenhang mit Konzepten wie Motivation, Lernerautonomie, Lernstrategien und Selbstregulation. Mercer (2012) beschreibt Agency daher als eine Kombination aus dem Willen, der Absicht und der Handlungsfähigkeit eines Lernenden innerhalb der soziokulturellen Umgebung, die nicht nur den Hintergrund für die Lernaktivitäten im Klassenzimmer bildet, sondern das Geschehen im Klassenzimmer maßgeblich beeinflussen kann und ihrerseits von diesen Lernprozessen beeinflusst werden kann. Das Konzept ist theoretisch verankert im soziokulturellen Ansatz nach Vygotsky (1978) sowie im Dialogismus nach Bakhtin (1981): Agency wird sozial vermittelt und entwickelt sich in der Auseinandersetzung in sozialen Gruppen (Deters et al. 2015, 3; Wertsch et al. 1993, 337). Sprache, verstanden als sozialer Prozess, ist ein zentraler Vermittler und Mechanismus von Agency (Deters et al. 2015, 3). In der Fremdsprachenforschung führt van Lier (2004; 2008) Agency als Analysekategorie für die Untersuchung von Unterrichtsinteraktion ein und zeigt, dass auf der Ebene der fremdsprachlichen Interaktion Agency durch Selbstregulation und Initiative der Lernenden, Einflussnahme auf das Lernumfeld und Verantwortungsübernahme gegenüber der sozialen Lernumgebung gekennzeichnet ist (van Lier 2008, 172). Es stellt somit eine Schlüsselkompetenz zur Ausbildung partizipativer Diskursfähigkeit in der Fremdsprache dar (Hallet 2006; Hallet/ Legutke 2013) sowie zur ‚Entkünstlichung‘ des FSU (Schmidt 2011), indem Lernende an authentischen fremdsprachlichen Diskursen außerhalb des Klassenzimmers teilnehmen und dabei als selbstbestimmtes Ich zu Wort kommen (vgl. Graves 2008). Mit Blick auf die informellen fremdsprachlichen englischen Kommunikationspraxen von Lernenden außerhalb des Klassenraums mithilfe digitaler Medien gewinnt diese Zielsetzung an Dringlichkeit. Im nachfolgenden Kapitel soll nun das „Going Green“-Projekt als ein prototypischer Realisierungsrahmen eines schulischen Blended Learning-Projekts vorgestellt werden, das die zuvor beschriebenen Lernziele und Kompetenzbereiche adressiert, systematisch zusammenführt und dabei den Beitrag des Fachs Englisch zur Erreichung des überfachlichen Bildungsziels Learner Agency in den Mittelpunkt stellt. Dabei soll auch beleuchtet werden, wie transdisziplinäres Fremdsprachenlernen an der Schnittstelle zu ESD und im Kontext telekollaborativer Lernszenarien soziokulturelle Partizipationsfähigkeit modellieren und fördern kann. Fremdsprachenerwerb und internationale Partizipationsfähigkeit 191 3 „Going Green - Education for Sustainability“: Einblicke in ein englischsprachiges deutsch-amerikanisches Blended Learning- Projekt Seit 2014 haben insgesamt über 3000 Schüler_innen und über 150 Lehrkräfte aus dem ganzen Bundesgebiet zusammen mit Partnerklassen aus den USA (mehr als 50 Kurspartnerschaften) am jährlich stattfindenden, in Zusammenarbeit von der Leuphana Universität Lüneburg (Bereich Englischdidaktik, Schmidt & Kaliampos), dem Berliner Bildungsverein eXplorarium LIVE e.V. und der Amerikanischen Botschaft in Berlin entwickelten Moodle-basierten Blended Learning-Projekt „Going Green - Education for Sutainability“ 1 teilgenommen. 2 In über 70 Fortbildungsveranstaltungen in ganz Deutschland wurden Lehrkräfte für die Durchführung des Projekts inhaltlich und methodisch weiterqualifiziert. Passend zu den im Vorfeld analysierten Lehrplänen aller Bundesländer ist „Going Green - Education for Sustainability“ für die Zielgruppe der Schüler_innen ab Klasse 11 und je nach Bearbeitungstiefe und Projektumfang eine Gesamtbearbeitungszeit von ca. 16-24 Schulstunden ausgelegt. Didaktisch und methodische Eckpfeiler des Projekts sind dabei das aufgaben- und projektorientierte Fremdsprachenlernen, Modelle des inter- und transkulturellen Lernens sowie des computergestützten Fremdsprachenlernens. Strukturell ist das Projekt dabei wie folgt aufgebaut (vgl. Abb. 1): In der Einführungsphase (Concept Phase) und als Ausganspunkt für die komplette Unterrichtseinheit und das Projekt aktivieren und vertiefen die Lernenden zunächst ihr Vorwissen zu verschiedenen Nachhaltigkeitskonzepten. Anschließend setzen sie sich angeleitet durch einen Fragebogen zum Thema „Attitudes towards sustainability“ mit persönlichen, aber auch aus ihrer Sicht in den USA und Deutschland überwiegend vorherrschenden Einstellungen und Praktiken zu Nachhaltigkeit und Umweltthemen auseinander, äußern dabei Assoziationen und Vorurteile in Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung im Ländervergleich, beschäftigen sich mit typischen Stereotypen und nutzen insgesamt die gesammelten Ergebnisse dieser Befragung für eine einführende Thematisierung und kritische Reflexion. Hierauf aufbauend folgt dann die zentrale inhaltliche Vertiefungsphase (Discourse Phase), in der die Lernenden nach eigenen Präferenzen in einem von vier CLIL-Modulen (Recycling von Plastik, Stadtentwicklung und Mobilität, Ernährung und Mode) sich intensiv und durch vielfältige multimediale Materialien unterstützt mit 1 Das Projekt wurde 2015 im Wettbewerb „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen“ vom Bundespräsidenten ausgezeichnet. 2 „Going Green - Education for Sustainability“ ist Teil der Bildungsinitiative "Teach About US", gefördert von der US-Botschaft Berlin (Federal Assistance Grant ID S- GE210-18-CA-0002). Torben Schmidt 192 einer Thematik auseinandersetzen und sich in einer Forschungsaufgabe vertiefend mit einer themenspezifischen, transnationalen Problematik und den öffentlichen Diskursen dazu beschäftigen (z.B. den riesigen Müllansammlungen im Pazifik). Diese Forschungsaufgabe wird dann weiter kontextualisiert durch lokale Fallstudien mit Bezug auf die USA, die sich z.B. auf den Ansatz einer ausgewählten US-Gemeinde zur Bekämpfung des Problems konzentrieren, wie das Verbot von Einweg-Plastiktüten in mehreren kalifornischen Gemeinden. Um das erworbene Wissen auf einen neuen Kontext - nämlich ihr eigenes Leben, ihre Schule, Gemeinde etc. - zu übertragen und Ansätze für eine direkte gesellschaftspolitische Beteiligung zu realisieren, wird das Thema als Abschluss der Discourse Phase im Rahmen von Eco Challenges vertieft. Die Lernenden orientieren sich dabei an der Leitfrage „What are challenges that your community (family, friends, school, town/ city) faces concerning the module topic? ”, führen z.B. Befragungen durch und diskutieren die Ergebnisse. Als Abschluss des Projekts entwickeln die Lernenden schließlich im Rahmen der Action Phase ihre eigenen Sustainability Action Plans. Hierbei werden lokale Strategien zur Förderung nachhaltiger Entwicklung auch im Austausch mit dem transatlantischen Partner eigenverantwortlich konzipiert, pilotiert und in vielen Fällen schließlich in die Tat umgesetzt und auch verstetigt. Seit 2014 sind so über 70 multimediale, englischsprachige, lokale Aktionspläne und tatsächlich durchgeführte Maßnahmen als Wettbewerbsbeiträge eingereicht, in vielen Fällen im Austausch mit den amerikanischen Partnerklassen reflektiert, auf der Projekt-Website 3 dokumentiert und im Rahmen der jährlichen Abschlusskonferenz vorgestellt worden. Dabei reicht 3 Online unter: https: / / www.teachaboutus.org/ mod/ glossary/ view.php? id=17504 (27/ 02/ 2021) Abb. 1: Projektstruktur und Themenbereiche Fremdsprachenerwerb und internationale Partizipationsfähigkeit 193 die Bandbreite von kreativen Präsentationen, um auf ein Thema aufmerksam zu machen (z.B. ein Videotutorial zur Herstellung von Öko-Kosmetik, eine Social-Media-Kampagne unter Einbeziehung von Facebook, Instagram, Twitter usw.), der Organisation von öffentlichen Veranstaltungen (z.B. Bildungsworkshops, Upcycling-Events, Reden), politischem Aktivismus und Kontaktaufnahme mit politischen Entscheidungsträgern (lokal oder auf Bundeslandebene mit Ministeriumsvertretungen), Entwicklung und Einführung eines neuen Produkts (z.B. eine App für die Suche nach lokalen Lebensmitteln, eine Tragetaschen-Kollektion, wiederverwendbare und recycelbare Lunchboxen) bis hin zur Weiterentwicklung und Anreicherung des schulischen Bildungsprogramms und der Infrastruktur (z.B. Car-Free-Day, Einführung von Nachhaltigkeitsbotschafter_innen, Installation von kostenlosen Trinkwasserspendern, Verbesserung des Mülltrennungssystems). Die Wirkung der Projekte reicht folglich von der individuellen Ebene oder der Familie über Veränderungen innerhalb der eigenen Klasse und Schulgemeinschaft bis hin zu außerschulischen Initiativen im kommunalen Rahmen, auf Bundeslandebene oder sogar in internationaler Kooperation. Ein jährlich stattfindender Wettbewerb und die öffentliche Präsentation der Ergebnisse schließen das Projekt ab. Alle Phasen des Projekts werden von vielfältigen sprachlichen und methodischen Übungsgelegenheiten flankiert, die vom Einüben relevanten Fachvokabulars bis zur Anleitung zur Erstellung einer Political Cartoon Analyses reichen. Resümierend zeigt das „Going Green“-Projekt, wie verschiedene fachliche und überfachliche Kompetenzen in Theorie und Praxis verknüpft werden können. Im Umgang mit aktuellen, bedeutungsvollen und authentischen Lernmaterialien sowie durch die Nutzung der digitalen Lernplattform wenden Lernende fremdsprachliche Diskurskompetenz und digitale Medienkompetenz situiert an. Die Rahmung in der GCE eröffnet dabei neue Möglichkeiten des sprach- und inhaltsintegrierten Fremd- und Fachsprachenlernens, indem sie die Behandlung von globalen Themen unabhängig von nationalen Grenzen, politischen Systemen oder sprachlichen und soziokulturellen Kontexten multiperspektivisch und transdisziplinär ermöglicht und dabei die Bedeutung von Englisch als internationale Lingua Franca in technologievermittelten, kommunikativen und kollaborativen Umgebungen in den Vordergrund stellt. Die im Projekt stattfindende Kommunikation und Kooperation mit Projektpartner_innen und die Auseinandersetzung und Analyse von lokalen wie globalen Facetten der Themen erfordert dabei umfangreiche inter- und transkulturelle Kompetenzen, die durch das Projekt gezielt gefördert werden (vgl. Kaliampos 2016; 2020). Die Verknüpfung von Fremdsprachenlernen und ESD auf der Inhalts- und Handlungsebene betont die sprachliche Gebundenheit allen fachlichen Wissens und Handelns und fördert die Fokussierung der fachsprachlichen Kompetenz in der Fremdsprache Englisch. Diese Fertigkeitsbereiche werden schließlich funktional im Kontext der Entwicklung und Durchführung von lokalen Nachhaltigkeitsprojekten integriert, d.h. Torben Schmidt 194 hier wird die für ESD zentrale Gestaltungskompetenz, Learner Agency, als sprachliche, pädagogische, soziopolitische und wirtschaftliche Partizipationsfähigkeit realisiert. 4 Ausblick für Fremdsprachenforschung und Lehrkräftebildung GCE ist transformativ in dem Sinne, dass sie den Lernenden ermöglicht, ein Gefühl für ihre gesellschaftlichen Rollen und Identitäten auf lokaler, nationaler und globaler Ebene zu entwickeln und sich auf diesen miteinander verbundenen Ebenen mit ihren kognitiven, sozio-affektiven und verhaltensbezogenen Fähigkeiten zu beteiligen. Eine zentrale Aufgabe der Fremdsprachenforschung sowie der Aus- und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrkräften wird es zukünftig sein, Ansätze wie GCE und ESD in stärkerer Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen als ganzheitliche, transdisziplinäre Orientierung, Bezugsrahmen und Perspektive systematisch mit den etablierten Ansätzen der Fremdsprachendidaktik (insbesondere CLIL, technologiegestütztes Fremdsprachenlernen, inter- und transkulturelles Lernen) inhaltlich wie methodisch zu vernetzen (und in Forschungsprogramme und Ausbildungscurricula verbindlich zu integrieren), um den potenziell sehr großen Beitrag der fremdsprachlichen Fächer und Kompetenzen zur Ausbildung von Kompetenzen im Umgang mit globalen - ökologischen, ökonomischen, kulturellen, politischen und sozialen - Herausforderungen im Detail zu beforschen und gezielt weiterzuentwickeln. Learner Agency als sprachlich vermittelte Partizipations- und Handlungsfähigkeit, die verschiedene Kompetenzbereiche und Literacies, wie im Projekt „Going Green“ in Kap. 3 verdeutlicht, zusammenführen kann, muss hierbei im Rahmen der Fremdsprachenforschung nun gezielt ergründet und empirisch fundiert werden. So gilt es etwa im Rahmen einer durch vielfältige Unterrichtsforschung untermauerten pädagogischen Modellierung Handlungsstrategien zur systematischen Ausbildung speziell von Learner Agency zu entwickeln, sowohl mit Blick auf Unterrichtsinteraktion, Aufgabendesigns, die Materialauswahl, den gezielten Technologieeinsatz, die Ausbildung fremdsprachlicher, sachfachlicher und fachsprachlicher Kompetenzen in ihrem Zusammenspiel und schließlich die Lernwegunterstützung (Scaffolding und adaptives Handeln der Lehrkraft). Im Zuge einer fachspezifischen diagnostischen Modellierung von Learner Agency gilt es, empirisch Parameter zur Beschreibung (ggf. auch von Kompetenzstufen) und Messung abzuleiten und zu definieren. Resümierend bleibt festzuhalten, dass die Fremdsprachendidaktik als Forschungs- und Entwicklungsfeld und der Fremdsprachunterricht als Praxisrahmen aufgrund der zahlreichen fundierten Ansätze und Methoden grundsätzlich hervorragend aufgestellt sind, um sich der zentralen Querschnittsaufgaben GCE und ESD anzunehmen und Lernende in global bedeutungsvollen, inhaltsstarken Projekten und Aufgabenzyklen zu fremdsprachlich und inhaltlich kompetent und reflektiert han- Fremdsprachenerwerb und internationale Partizipationsfähigkeit 195 delnden Personen auszubilden. Durch die Orientierung an eben diesen Querschnittszielen und der Orientierung an Learner Agency als vielfältig verschränkte Querschnittskompetenz kann es jedoch - wie das „Going Green“- Projekt zeigt - besonders gut gelingen, diese Ansätze, Methoden und Kompetenzbereiche stärker integrativ zu denken und als einen Gesamtansatz für einen zeitgemäßen FSU neu zu denken. Literaturangaben Ahearn, Laura M. (2001): „Language and agency“. In: Annual Review of Anthropology, 109-137. Bakhtin, Mikhail Mikhailovich (Hrsg.) (1981): The dialogic imagination. Four essays. Austin, TX: University of Texas Press. Böwing, Corinna/ Hallet, Wolfgang (2017): „Aufgabenorientierter Bilingualer Fachunterricht“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 148, 2-8. Cates, Kip A. (1990): „Teaching for a better world. Global issues in language education“. In: The Language Teacher 14/ 5, 3-5. Council of Europe (2018): Common European Framework of Reference for Languages. Learning, Teaching, Assessment. 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Bildung für nachhaltige Entwicklung durch kulturelles und literarisches Lernen im Fremdsprachenunterricht Carola Surkamp Bildung spielt bei den siebzehn Sustainable Development Goals (SDGs), die 2015 von den Vereinten Nationen in Form der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet wurden, eine wichtige Rolle (vgl. UNESCO 2017). Zunächst ist Bildung selbst ein explizites Nachhaltigkeitsziel: Mit „Quality Education“ (SDG4) soll sie hochwertig, inklusiv und gleichberechtigt gestaltet werden (ebd., 18ff.). Gleichzeitig wird Bildung als ein wesentliches Instrument für nachhaltige Entwicklung insgesamt angesehen (vgl. ebd., 7), also für das übergeordnete Ziel der Weltgemeinschaft, heutigen und zukünftigen Generationen ein wirtschaftlich erfolgreiches, umweltfreundliches, sozial gerechtes und gleichberechtigtes, sicheres und friedliches Leben zu ermöglichen. Um dieses Globalziel zu erreichen, müssen Kompetenzen erworben werden, die Menschen in die Lage versetzen, im Hinblick auf ökonomische, ökologische, soziale und politische Fragen zu verantwortungsbewussten Entscheidungen zu kommen und an lokalen wie globalen Entwicklungsprozessen teilzuhaben: Education for Sustainable Development aims to develop competencies that enable and empower individuals to reflect on their own actions by taking into account their current and future social, cultural, economic and environmental impacts from both a local and a global perspective. It requires individuals to act in complex situations in a sustainable manner - to explore new ideas and approaches and participate in socio-political processes (Leicht et al. 2018, 39). Das Zitat verdeutlicht die Komplexität der Anforderungen, die an nachhaltige Entwicklung geknüpft sind. In den letzten Jahren sind in Deutschland Konzepte entworfen worden, um nachhaltige Entwicklung in Curricula zu verankern und den Beitrag einzelner Fächer zu einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) zu verdeutlichen. Besonders prominent erscheinen in diesem Zusammenhang die Fächer Geografie, Biologie, Politik und Wirtschaft. Für den Fremdsprachenunterricht steht diese Diskussion hingegen noch aus. Zwar wird angeführt, dass der globale Nachhaltigkeitsdiskurs zu großen Teilen auf Englisch als lingua franca geführt wird und die Ausbildung sprachlicher Kompetenzen daher Partizipationsmöglichkeiten schafft und wichtige Voraussetzung für gemeinschaftliches Handeln in der internationalen Staatengemeinschaft ist. Eine systematische Auseinandersetzung mit der Frage, welche Bedeutung dem Fremdsprachenunterricht (auch über Englisch hin- Carola Surkamp 198 aus) für eine Bildung für Nachhaltige Entwicklung zukommt, hat bislang allerdings nicht stattgefunden. Es ist daher auch noch nicht genügend im Blick, welchen Beitrag neben dem sprachlichen auch das kulturelle und literarische Lernen leisten können. Dies zu ergründen ist das Ziel des vorliegenden Artikels. 1 Ziele und Kompetenzbeschreibungen von BNE Als Leitbild für Umwelt- und Entwicklungspolitik auf internationaler wie nationaler Ebene hat Nachhaltige Entwicklung seit den 1960er Jahren schon eine lange Geschichte (vgl. Grunwald/ Kopfmüller 2012). Durch sie wird erklärbar, wie es zu dem weiten Verständnis von Nachhaltigkeit gekommen ist, das auch bildungspolitischen Dokumenten heute in der Regel zugrunde liegt und demzufolge Nachhaltigkeit neben einer ökologischen und ökonomischen Dimension auch eine politische und soziale umfasst. Da diese Dimensionen im Widerstreit miteinander stehen können, sind zur Bearbeitung globaler Fragen sowie zur Umsetzung des übergreifenden Ziels, für alle Menschen eine bessere Zukunft zu gestalten, immer Aushandlungsprozesse notwendig. Bildung gilt dabei als der relevante Faktor, um die für diese Prozesse notwendigen Fähigkeiten, Denk- und Handlungsmuster zu entwickeln sowie verbindende Werte zu schaffen. Die Verankerung der Ziele nachhaltiger Entwicklung in Bildungsplänen soll daher über die Beschäftigung mit global relevanten Inhalten hinausgehen. Im Vordergrund steht die Formulierung von Kompetenzen, die es Lernenden ermöglichen, zukunftsfähig zu denken und zu handeln (vgl. Leicht et al. 2018, 41). So formuliert die UNESCO (2017) für jedes SDG spezifische Lernziele, die jeweils in kognitive, sozioemotionale und verhaltensbezogene Ziele untergliedert sind. Für SDG 5, „Gender Equality“, sollen Lernende z.B. nicht nur Konzepte wie ‚gender‘ und ‚gender equality‘ kennen, sondern verschiedene Vorstellungen von Geschlechterrollen auch kritisch reflektieren und sich gegen Gender-Diskriminierung einsetzen können (vgl. ebd., 20). Darüber hinaus wird die Notwendigkeit einer Förderung von Schlüsselkompetenzen gesehen, die Menschen benötigen, um mit den Herausforderungen der Globalisierung zurechtzukommen und die Anforderungen einer nachhaltigen Lebensweise zu erfüllen. Diese übergreifenden Kompetenzen umfassen u.a. die Fähigkeit zum vernetzten und vorausschauenden Denken, zur Reflexion unterschiedlicher Normen und Werte, zu Perspektivenübernahme und Empathie, zur eigenen Positionierung, zu kollaborativer Problemlösung sowie zum Umgang mit Veränderungen und zum Aushalten von Unsicherheiten (vgl. ebd., 10). Zentrales bildungspolitisches Dokument für nachhaltiges Lernen an Schulen in Deutschland ist der Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung, der als gemeinsames Projekt von KMK (Kultusministerkonfe- Bildung für nachhaltige Entwicklung durch kulturelles und literarisches Lernen 199 renz) und BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) 2007 zum ersten Mal erschienen ist und seit 2016 in einer erweiterten Auflage vorliegt (vgl. Schreiber/ Siege 2016). Durch die Formulierung von elf Kernkompetenzen in den drei Bereichen des ‚Erkennens‘, ‚Bewertens‘ und ‚Handelns‘ soll nachhaltiges Lernen für den Fachunterricht anschlussfähig gemacht werden (Schreiber 2016, 99): 1. Erkennen: Informationsbeschaffung und -verarbeitung, Erkennen von Vielfalt, Analyse des globalen Wandels, Unterscheidung von Handlungsebenen. 2. Bewerten: Perspektivenwechsel und Empathie, kritische Reflexion und Stellungnahme, Beurteilung von Entwicklungsmaßnahmen. 3. Handeln: Solidarität und Mitverantwortung, Verständigung und Konfliktlösung, Handlungsfähigkeit im globalen Wandel, Partizipation und Mitgestaltung. Vieles hiervon ist schon lange Bestandteil der Zielvorstellungen für den Fremdsprachenunterricht - allen voran die Fähigkeiten zu Perspektivenwechsel und Empathie sowie von Offenheit, Toleranz und Solidarität geprägte Haltungen. Diese Teilaspekte stellen den Kernbereich interkultureller Kompetenz dar und sollen Lernende als Vorbereitung auf die Begegnung mit anderen in die Lage versetzen, fremde Wirklichkeitsvorstellungen nachzuvollziehen und eigene Sichtweisen zu reflektieren. Des Weiteren finden sich im Orientierungsrahmen Kompetenzbeschreibungen, die für Global Education schon seit den 2000er Jahren diskutiert werden und für die Ausweitung des interkulturellen Lernens zum globalen Lernen auch für den Fremdsprachenunterricht relevant geworden sind (vgl. Cates 2002; Lütge 2015). Zentral ist die Befähigung zur Analyse von global issues wie Migration, Klimawandel oder fast fashion aus unterschiedlichen Perspektiven, d.h. unter Berücksichtigung verschiedener Werte, lokaler und globaler Auswirkungen sowie mit Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (vgl. Selby 2000). Dadurch können Handlungsebenen differenziert und eine perspektivenreiche Mitgestaltung bei der Bearbeitung globaler Probleme angeregt werden. Nicht zuletzt kommt im Bereich des Handelns der Kommunikationsfähigkeit im Orientierungsrahmen eine wichtige Funktion zu. Diese umfasst als Teilkompetenzen, „sich wirkungsvoll mitzuteilen, aber auch zuhören zu können, im medialen Austausch, im Dialog und in Diskussionen nach zukunftsfähigen Lösungen zu suchen, eigene Rechte und Interessen, aber auch die anderer verteidigen zu können“ (Schreiber 2016, 92). All dies sind Teilkompetenzen, die auch Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts sind - und zwar sowohl auf das direkte Gespräch in der Fremdsprache als auch auf medial vermittelte Kommunikationsformen bezogen. Carola Surkamp 200 2 Die Rolle des Fremdsprachenunterrichts im Kontext von BNE Schon angesichts dieser offensichtlichen Schnittstellen zwischen den Zielen von BNE und denen eines Fremdsprachenunterrichts, der auf kommunikatives, interkulturelles und globales Lernen hin ausgerichtet ist, ist es erstaunlich, dass die sprachlichen Fächer in der Diskussion um BNE bislang kaum berücksichtigt werden. In der ersten Auflage des Orientierungsrahmens fehlten die Fremdsprachen sogar völlig (vgl. Appelt/ Siege 2007); für die zweite Auflage wurden sie mit den Fächern Deutsch, Musik und Kunst in ein ‚sprachlich-literarisch-künstlerisches Aufgabenfeld‘ integriert. Im Rahmen dieses Aufgabenfeldes werden die drei Kompetenzbereiche des Erkennens, Bewertens und Handelns mit Blick auf die Fremdsprachen folgendermaßen ausbuchstabiert (vgl. Becker et al. 2016, 158): 1. Erkennen: Was man über Sprachen wissen sollte und wie man sie für den Wissenserwerb einsetzt. 2. Bewerten: Was Sprachen mit den Menschen tun. 3. Handeln: Was Menschen mit Sprachen tun können. Der Fokus bei der Bestimmung des Beitrags, den der fremdsprachliche Unterricht für BNE leisten soll, liegt auf dem sprachlichen Lernen. So sollen Schüler*innen z.B. bewerten können, wie durch Sprache Macht ausgeübt wird. Ein weiteres Ziel ist die Förderung der Fähigkeit zum sprachlichen Handeln, wobei hier die Fähigkeit zur sprachlichen Einflussnahme auf Veränderungen in Globalisierungsprozessen gemeint ist (vgl. ebd.). Wie Alter und Wehrmann (2021) bezüglich der zweiten Auflage des Orientierungsrahmens als positiv herausstellen, scheint damit gesehen zu werden, „dass im Zentrum nachhaltigen Handelns und zukunftsfähiger Entwicklung der Mensch steht, der Lösungsstrategien vor allem kommunikativ und kulturübergreifend bzw. transnational aushandelt“. Allerdings sind dafür nicht nur sprachliche, sondern auch kulturelle Fähigkeiten notwendig. So erfolgt z.B. die Bewertung von nachhaltigen Maßnahmen auch in Abhängigkeit von Sichtweisen, die kulturell geprägt sind. Dafür müssen Menschen sensibilisiert werden, und sie müssen lernen, wie sie damit in globalen Aushandlungssituationen umgehen. Der OECD (2016) zufolge besteht globale Kompetenz daher in der Fähigkeit, to analyse global and intercultural issues critically and from multiple perspectives, to understand how differences affect perceptions, judgments, and ideas of self and others, and to engage in open, appropriate and effective interactions with others from different backgrounds on the basis of a shared respect for human dignity (OECD 2016, 4). In den Beschreibungen des Orientierungsrahmens für den Fremdsprachenunterricht finden sich allerdings nur Formulierungen zu sprachlichkommunikativen Kompetenzen; kulturelle Kompetenzen spielen keine expli- Bildung für nachhaltige Entwicklung durch kulturelles und literarisches Lernen 201 zite Rolle. Nahezu unberücksichtigt bleiben zudem textuelle und literarische Kompetenzen, zu deren Förderung der Fremdsprachenunterricht maßgeblich beiträgt. Lernende benötigen diese Kompetenzen auch im Kontext von BNE und zwar sowohl für die Erschließung als auch für die Analyse und Diskussion globaler Problemstellungen. In den Beschreibungen für den Fremdsprachenunterricht ist jedoch ein funktionales Textverständnis vorherrschend: Texte sollen vor allem zur Informationsbeschaffung genutzt werden. Ihr Potenzial zur Sensibilisierung für die Wirkmacht von Sprache, zur Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven, zur kritischen Reflexion eigener Sichtweisen sowie zur Entwicklung von Empathie wird nicht berührt (vgl. auch Alter/ Wehrmann 2021). Der Fremdsprachenforschung kommt daher im Rahmen bildungspolitischer Diskussionen um nachhaltige Entwicklung die wichtige Aufgabe zu, die Relevanz des Lehrens und Lernens im Fremdsprachenunterricht und damit sprachlicher ebenso wie kultureller und literarischer Bildung für BNE umfassend herauszuarbeiten. Erste Ideen hierzu mögen die folgenden Überlegungen liefern. 3 Potenziale der Kulturdidaktik für BNE Die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel gehört zu den fünf Leitideen des Lernbereichs Globale Entwicklung (vgl. Appelt/ Siege 2016, 24) und gilt auch in verschiedenen Dokumenten von UNESCO und OECD als eine Schlüsselkompetenz. Um nachhaltige Entwicklung mit gestalten zu können, bedarf es allerdings mehr als der Fähigkeit zu „kultursensible[r] Kommunikation“ (Alter/ Wehrmann 2021). Gefordert sind das Verstehen komplexer Zusammenhänge in ihren kulturellen Bedingtheiten, die Fähigkeit zum Dekodieren kultureller Zeichen, die Toleranz gegenüber Ambiguitäten sowie die Kompetenz zu verantwortungsvollem Handeln. Die besondere Bedeutung, die kultureller Handlungsfähigkeit dabei zukommt, reflektieren auch Formulierungen im Dokument der UNESCO (2017) zu den SDGs. Hier ist in Bezug auf einzelne Nachhaltigkeitsziele z.B. davon die Rede, dass Lernende kulturelle Annahmen, die unterschiedlichen Konzepten von Armut, Gender oder Konsum zugrunde liegen, erkennen können (vgl. ebd., 12; 20; 34). Unklar bleibt allerdings oft - und dies betrifft den gesamten Nachhaltigkeitsdiskurs -, von welchem Kulturbegriff ausgegangen wird; verschiedentlich wird er mit Nation gleichgesetzt (vgl. ebd., 28). Innerhalb der Fremdsprachenforschung wird ein solcher nationenbezogener Kulturbegriff schon seit einigen Jahren kritisch diskutiert. Hauptgrund für Kritik sind mit dem Begriff einhergehende essenzialisierende und dichotomisierende Vorstellungen, durch die Kulturen als stabile, homogene, in sich geschlossene und dadurch klar voneinander abgrenzbare Entitäten angesehen werden. Zum einen wird dies der durch grenzüberschreitende Kommunikati- Carola Surkamp 202 ons- und Konsumformen, Reisen und Migration hervorgerufenen Diversifizierung kultureller Einflüsse in globalisierten Gesellschaften nicht gerecht; zum anderen werden durch die Gegenüberstellung von ‚eigen‘ und ‚fremd‘ vor allem Differenzen betont, was nicht selten zu kultureller Hierarchisierung und Diskriminierung führt. Als Alternativen werden in der Fremdsprachenforschung semiotische und performative Kulturkonzepte fruchtbar gemacht. In Kramschs (2006; 2020) ‚symbolischer Kompetenz‘ bzw. ‚symbolic power‘ wird Kultur z.B. nicht als etwas Gegebenes, sondern als durch Sprache und andere symbolische Formen Erzeugtes angesehen. Weitere neue Ansätze zum kulturellen Lernen verstehen Kultur im Sinne von ‚doing culture‘ (Hörning/ Reuter 2004) als soziale, lebensweltliche Praktik (vgl. König/ Schädlich/ Surkamp 2021b). Damit rückt die Frage in den Mittelpunkt, „wie durch wen über Sprache welche Art von Kultur hergestellt wird“ (ebd.). Legt man solche Kulturbegriffe auch für BNE zugrunde, kann dies dazu beitragen, Lernende auf die kommunikativen Anforderungen in einer globalisierten Welt vorzubereiten. Sie lernen dann nicht nur, in Verständigungsprozessen Bedeutungen zu vermitteln, sondern auch, dass Bedeutungen aktiv hergestellt werden und dass semiotischen Zeichen dabei eine wichtige Funktion zukommt. Dies wird auch von Kramsch (2006, 251) betont: „Today it is not sufficient for learners to know how to communicate meanings; they have to understand the practice of meaning making itself.“ Über die rezeptive Dimension der Fähigkeit zur Reflexion kultureller Bedeutungsherstellung hinaus hat symbolische Kompetenz zudem eine produktive Dimension, denn Lernende sollen symbolische Formen auch für das eigene Handeln nutzen können: „In the late modern stance offered by an ecological perspective, symbolic competence is both semiotic awareness [ ... ] and the ability to actively [ ... ] shape one’s environment on multiple scales of time and space.“ (Kramsch/ Whiteside 2008, 667) Die Zusammenführung von reflexiven und produktiven Fähigkeiten in einer Kompetenz zur aktiven Teilhabe an kulturellen Bedeutungsaushandlungen findet sich auch im Konzept der Diskursfähigkeit (vgl. Hallet 2017). Dieses geht auf den Diskursbegriff von Foucault zurück, demzufolge jenseits einzelner Äußerungen übergreifende, thematisch kohärente Redezusammenhänge bestehen, die „das in einer Gesellschaft vorhandene Wissen und vorherrschende politische und ethische Vorstellungen repräsentieren“ (ebd., 48). In ‚Diskursfähigkeit‘ ist somit „der Zusammenhang von sprachlich-diskursiven Fähigkeiten und inhaltlich-thematischer Verhandlung über die Welt enthalten“ (Hallet 2011, 54). Altmayer (2017, 12) sieht daher im Erwerb fremdsprachlicher Diskursfähigkeit eine Erweiterung der „Fähigkeiten und Möglichkeiten zu globaler Interaktion“, so dass dieses Ziel des Fremdsprachenunterrichts für ihn „ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung einer global citizenship“ (ebd.) ist. Bildung für nachhaltige Entwicklung durch kulturelles und literarisches Lernen 203 Durch die Konzepte der ‚symbolischen Kompetenz‘ und der ‚fremdsprachlichen Diskursfähigkeit‘ werden sprachliches und kulturelles Lernen eng miteinander verknüpft. Kultur ist dabei nicht in Form von Wissen über ein fremdes Land objektiv vermittelbar, sondern wird auf das Subjekt bezogen konzipiert sowie plural, offen und dynamisch gedacht. Gegenstände kulturellen Lernens sind daher vor allem sprachliche und andere symbolische, auch multimodale Praktiken, mit denen Wirklichkeit Bedeutung zugeschrieben wird. Dadurch rückt das (sprachlich) handelnde, kulturelle Bedeutungen dechiffrierende und produzierende Individuum in den Fokus des Lernens (vgl. Surkamp/ Freitag-Hild 2021), so dass auch neue methodische Ansätze wie das ethnografische Forschen, durch das Lernende eigene und fremde Lebenswelten beobachten und analysieren, Eingang in den Fremdsprachenunterricht finden (vgl. König 2020a). Auch transkulturelle Ansätze im Fremdsprachenunterricht sind stärker auf die Subjekte kulturellen Handelns und damit auf Lernende als kulturelle Akteur*innen ausgerichtet, die ihre eigenen Stimmen in Diskurse einbringen und Kultur somit immer auch mit erzeugen. Sie erweitern das interkulturelle Paradigma insofern, als sie der Hybridisierung von Gesellschaften und der Komplexität von Identitätsentwürfen durch einen Unterricht Rechnung tragen, der von der vielstimmigen Repräsentation von und Beschäftigung mit Kultur(en) bestimmt ist (vgl. Freitag-Hild 2017). Dadurch sollen neben Überschneidungen auch Brüche zwischen Kulturen sicht- und erfahrbar gemacht werden (vgl. ebd.). Dass transkulturelle Ansätze daher Potenziale gerade auch für BNE innehaben, wurde schon herausgestellt (vgl. z.B. Volkmann 2014; Bartosch 2019). Alter und Wehrmann (2021) betonen das kreative Potenzial transkulturellen Lernens zur Förderung von Imaginationsfähigkeit und zum Durchspielen von Zukunftsszenarien, da der Konstruktcharakter kultureller Praktiken enthüllt werde und damit „utopische Perspektiven auf eine ‚third culture‘ (Kramsch 1993, 235) [eröffnet würden], die es im Kontext Globalen Lernens weniger als Entwurf individueller Identität, sondern vor allem als Möglichkeit politischer (Mit-)Gestaltung zu denken gilt“ (ebd.). Kritisch betrachtet wird in fremdsprachendidaktischen Publikationen allerdings, dass der Ansatz des transkulturellen Lernens gesellschaftliche Machtverhältnisse und ungleiche Bedingungen unberücksichtigt lässt. Diese Aspekte können aber gerade für Nachhaltigkeitsfragen (z.B. in Bezug auf Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit) relevant sein, denn nicht jede*r kann sich seine kulturellen Bezüge für Identitätsbildungsprozesse frei aussuchen und auch Zugangsmöglichkeiten zur Diskursteilhabe sind nicht gleichberechtigt verteilt. Fäcke und Plikat (2021) problematisieren Transkulturalität daher als „elitäres Konzept für Menschen […], die sowieso die Möglichkeiten und den Willen haben, sich frei zwischen Kulturen und geographischen Räumen zu bewegen“. Ein weiteres Problem wird darin gesehen, dass Transkulturalität zu Nivellierungen von gewollt sichtbar gemachten kulturellen Carola Surkamp 204 Unterschieden führen kann. So fragen Fäcke und Plikat auch, was Transkulturalität für indigene Völker bedeutet, „deren Identität im Erhalt der eigenen Kultur und damit zwangsläufig in der Abgrenzung zu anderen Kulturen besteht“ (ebd.). Gefordert wird daher innerhalb der Fremdsprachendidaktik zunehmend die Einbeziehung einer machtkritischen Perspektive in den Kulturunterricht (vgl. z.B. König 2020b), was auch für BNE essenziell ist. 4 Potenziale des Literaturunterrichts für BNE Der Literaturunterricht kann vor allem deshalb einen wichtigen Beitrag für BNE leisten, weil literarische Texte als kulturelle Ausdrucksträger fungieren und kulturelle Konzepte dort nicht nur aufgegriffen, sondern auch reflektiert und weiterentwickelt oder gar erst entworfen werden (vgl. Altmayer 2014, 33). Romane, Gedichte, Songs und Filme illustrieren z.B., wie wir das Verhältnis des Menschen zur Natur bestimmen und welches Verständnis von Umwelt wir haben. Wie der literaturwissenschaftliche Ansatz des Ecocriticism zeigt, können solche kulturellen Annahmen und Orientierungen historisch, länder-, regionen- und gruppenspezifisch unterschiedlich ausfallen (vgl. Bühler 2016). Über literarische Texte können sie im Unterricht zugänglich gemacht und verhandelbar werden. Da das, was wir über globale Themen erfahren, vielfach medial vermittelt ist, gilt es, Texte nicht nur inhaltlich, sondern auch entsprechend ihrer Sprache und Machart kritisch zu reflektieren. Auch dies ist Gegenstand (fremd) sprachlich orientierter Fächer: Schüler*innen lernen, Texte zu dekodieren und zu untersuchen, wie kulturelle Konzepte in ihnen repräsentiert und verarbeitet werden. Symbolische Kompetenz wird daher mit literarischen Texten lehr- und lernbar, weil die Vielschichtigkeit von Symbolsystemen am konkreten Beispiel sichtbar gemacht werden kann (vgl. Dobstadt/ Riedner 2011, 8). Dazu gehört auch der Umgang mit Ambivalenzen, denn ästhetische Sprachverwendung zielt auf die Verfremdung von Wahrnehmung ab (vgl. ebd., 7). Dobstadt und Riedner sind daher sogar der Auffassung, „dass es einem an der Literatur geschulten Blick leichter fällt, die Realität in ihrer Widersprüchlichkeit, Vielfältigkeit und Vielschichtigkeit wahrzunehmen und mit ihr zurechtzukommen“ (ebd., 12). Neben sprachlichen Aspekten können formale Besonderheiten von Literatur, wie z.B. die Bauformen des Erzählens, zur vielstimmigen und mehrschichtigen Aushandlung kultureller Themen beitragen. Verschiedene Handlungsstränge mit Ereignissen an unterschiedlichen Orten oder zu unterschiedlichen Zeiten können ebenso wie multiperspektivische Erzählverfahren die Komplexität eines global issue inszenieren und verdeutlichen, dass die Betrachtung eines Themas unterschiedlich ausfallen kann, je nachdem, welcher Maßstab an die Auseinandersetzung mit dem Thema anlegt wird (vgl. Bartosch 2019). Dadurch werden zum einen die verschiedenen Ebenen, die Bildung für nachhaltige Entwicklung durch kulturelles und literarisches Lernen 205 für die Behandlung globaler Themen relevant sind und die der Orientierungsrahmen in „Individuum, Familie/ Kleingruppe, Gemeinde, Region, Nation/ Staat, transnationale Einheit, Welt“ (Appelt/ Siege 2016, 36) unterteilt, voneinander unterscheidbar und in ihren Beziehungen zueinander besser verstehbar. Zum anderen können Widersprüchlichkeiten der globalen Welt verdeutlicht werden. Durch das auf diese Weise geförderte holistische Denken können Lernende unterstützt werden, sich bei der Reflexion von globalen Themen über deren komplexe Vernetztheit bewusst zu werden, sich nicht mit einfachen Erklärungen zufrieden zu geben und zu einer ausgewogenen Position zu gelangen. Für den Literaturunterricht bedeutet dies auch ein Überdenken seiner Ziele und Methoden. Verfremdungseffekte durch ästhetische Sprachverwendung, Irritationsmomente durch ungewohnte Perspektiven, Komplexitätsproduktion durch multiperspektivische Textarrangements, Unsicherheitsempfinden durch widersprüchliche Erklärungsmuster - all dies ist für BNE wichtig, läuft aber, wie Dobstadt und Riedner (2011, 7) feststellen, einem Unterricht entgegen, „der den Erwerb einer möglichst reibungslosen kommunikativen (Alltags-)Kompetenz zum Ziel hat“. Für die Förderung systematischen und kritischen Denkens bedürfe es aber einer Fokussierung auf die Literarizität von Texten (vgl. Dobstadt 2010) - also textanalytischer Verfahren - sowie der Aushandlung von Ambiguitäten und eines Umgangs auch mit dem Nichtverstehen (vgl. Bartosch 2019, 40). Dies soll allerdings nicht bedeuten, dass kreative, lernendenorientierte Verfahren kein Potenzial im Kontext von BNE haben (vgl. auch Volkmann 2015). Literatur zu globalen Themen gewährt Einblicke in persönliche Geschichten und kann denjenigen eine Stimme verleihen, die in globalen Diskursen sonst nicht gehört werden. Das Einfühlen in andere Sichtweisen im Sinne der inter- und transkulturellen Literaturdidaktik ist also weiterhin als wichtiges Ziel für den Literaturunterricht anzusehen. Texte mit offenen Perspektivenstrukturen können zudem im Rollenspiel handlungsorientiert bearbeitet werden. Eine auszuagierende Dilemma-Situation könnte sich z.B. auf die Frage beziehen, „wie Rechte, Güter und Chancen in bestimmten Situationen verteilt und genutzt werden sollen“ (Alter/ Wehrmann 2021). Auf diese Weise würde das ‚empathische Lesen‘ in ein für globales Lernen ebenso wichtiges ‚politisches Lesen‘ überführt, „das Figuren und Erzähler/ Sprecher nicht in erster Linie als Welt konstruierende Instanzen, sondern als handelnde, körperliche, in kulturelle und natürliche Umwelten eingebettete Lebewesen imaginiert“ (ebd.). Insbesondere utopische und dystopische Texte regen zudem zur Auseinandersetzung mit der Frage an, wie unsere Zukunft aussehen könnte und wie wir leben möchten. Dadurch kann zur Förderung vorausschauenden Denkens beigetragen werden - eine Schlüsselkompetenz für nachhaltige Entwicklung. Carola Surkamp 206 5 Fazit Kulturelles und literarisches Lernen weisen also in vielfältiger Weise Potenziale für BNE auf. Kultur- und literaturdidaktische Ansätze aus der Fremdsprachendidaktik sind nicht nur anschlussfähig an BNE, sondern können dazu beitragen, kulturelle Aspekte in der Diskussion um BNE wesentlich zu präzisieren. Es sollte daher nicht primär um die Frage gehen, wie neben vielen anderen neuen Herausforderungen auch noch BNE im Fremdsprachenunterricht bewältigt werden kann. Sicherlich finden durch BNE aktuelle, globale Themen Eingang in den Fremdsprachenunterricht und eröffnen neue Möglichkeiten für eine stärkere Inhaltsorientierung fremdsprachlichen Lernens. Aber durch seine genuine Ausrichtung auf sprachliches, kulturelles und literarisches Lernen eröffnet der Fremdsprachenunterricht ebenfalls wertvolle Bildungsmöglichkeiten für nachhaltige Entwicklung. Seine Orientierung an neuen Kulturbegriffen, die Formulierung erweiterter kulturbezogener Ziele, die enge Koppelung von Sprache und Kultur sowie die Beschäftigung mit literarischen Texten tragen zur fachbezogenen Förderung vieler Kompetenzen bei, die auch für globales, nachhaltiges Lernen wichtig sind. Es ist daher höchste Zeit, den Fremdsprachenunterricht noch offensiver und deutlicher in den Lernbereich Globale Entwicklung und das Weltprogramm BNE zu integrieren. Literatur Alter, Grit/ Wehrmann, Jürgen (2021): „Auf dem Weg zu einer Kulturdidaktik des Globalen Lernens: Konzeptionelle und unterrichtspraktische Überlegungen.“ In: König/ Schädlich/ Surkamp (Hrsg.) (im Druck). Altmayer, Claus (2014): „Zur Rolle der Literatur im Rahmen der Kulturstudien Deutsch als Fremdsprache“. 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Welche Potenziale hält es bereit? Wo zeigen sich die Grenzen seiner Eignung? Zur Diskussion dieser Fragen soll zunächst eine Definition des Begriffs der Nachhaltigkeit vor dem Hintergrund verwandter Terminologien vorgenommen werden, bevor kritische Stimmen gegenüber dem Konzept aufgegriffen werden. Grundsätzlich plädiert der vorliegende Beitrag für die Beibehaltung einer fachunterrichtlichen Struktur und die Nutzung transversaler Konzepte als Fokussierungsinstrument für die Auswahl relevanter Unterrichtsthemen aus den Kernbereichen des Fremdsprachenunterrichts (Sprache, Literatur, Cultural Studies). Das Schlüsselproblem der Nachhaltigkeit wird beispielsweise in Ansätzen wie ecolinguistics, ecocriticism und ecodidactics aufgegriffen und fachspezifisch perspektiviert. Im vorliegenden Beitrag nicht behandelt werden hingegen Fragen der Nachhaltigkeit im Hinblick auf methodische Ansätze der Fremdsprachenlehrerbildung (einschließlich Fortbildung) oder auf spezifische schulische Unterrichtskonzepte und -methoden, auch wenn diese Themenbereiche zweifelsohne ebenfalls lohnende Kontexte darstellen, über die Tragfähigkeit des Konzeptes und nachhaltige Ansätze zu reflektieren. 2 Nachhaltigkeit und verwandte Begrifflichkeiten ‚Nachhaltigkeit‘ ist eines der zahlreichen buzz words, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten Eingang in den erziehungswissenschaftlichen Diskurs und in der Folge in fachdidaktische Debatten, so auch die fremdsprachendidaktische, gefunden haben. Dabei steht Nachhaltigkeit in Verbindung mit einer ganzen Reihe von Begriffen, die ähnliche Ansätze, Konzepte und Zielsetzungen beschreiben, aber jeweils unterschiedliche Schwerpunkte in den Mittelpunkt stellen und somit auch verschiedene Hierarchisierungen vornehmen. Toumi et al (2008, 3) beispielsweise fassen unter dem übergeordneten Terminus World Citizenship Education folgende Begriffe zusammen, die wiederum miteinander in enger Verbindung stehen: Human Rights Education, Education for Equality, Peace and Media Education, Education for Intercultural Britta Viebrock 210 Understanding, Education for Sustainable Development, International Education, Intercultural Education, Cosmopolitan Citizenship Education and Global Education. Jeder einzelne dieser Begriffe ist anschlussfähig an die von den Vereinten Nationen im Jahr 2000 eingeführten Millenium-Entwicklungsziele, die 2016 durch die Ziele für nachhaltige Entwicklung erweitert wurden und Nachhaltigkeit als zentrale Kategorie im Bildungskontext verankern (United Nations 2015; 2017), es werden aber jeweils unterschiedliche Schwerpunkte adressiert. Allen gemein ist eine globale Perspektive. Die einzelnen Dimensionen und Zielsetzungen für nachhaltige Entwicklung sind interdependent und umfassen Ambitionen, den Welthunger zu überwinden und eine nachhaltige Landwirtschaft zu unterstützen, weltweit eine qualitativ hochwertige Bildung zu ermöglichen, erschwingliche und saubere Energie bereitzustellen sowie einen ressourcenschonenden Verbrauch und eine verantwortungsvolle Produktion zu fördern. Die lokalen Umsetzungen dieser Zielvorstellungen können je unterschiedlich ausfallen, sie behalten aber die globale Verantwortung im Blick. Vor diesem Hintergrund lässt sich Nachhaltigkeit als ausgewogenes Verhältnis zwischen wirtschaftlicher Nutzung, Umweltschutz und sozialer Inklusion definieren, wobei gleichzeitig die Bedürfnisse der Gegenwart erfüllt werden, ohne die Lebensgrundlage künftiger Generationen zu beeinträchtigen. Mit diesem Definitionsansatz wird zugleich das grundsätzliche Spannungsfeld markiert, welches die Zielsetzungen für nachhaltige Entwicklung in den Blick nehmen, nämlich auf der einen Seite die Welt (zum Besseren) zu verändern und sie auf der anderen Seite zugleich zu bewahren. Blickt man aus einer engen disziplinspezifischen Perspektive auf das Konzept der Nachhaltigkeit, mag man sich in der Tat fragen, was Fremdsprachenunterricht und Fremdsprachendidaktik mit ihrer traditionellen Fokussierung auf die Kategorien Sprache, Literatur und Kultur/ Cultural Studies zur Bearbeitung der Ziele nachhaltiger Entwicklung beitragen kann. Darauf lässt sich mit übergreifenden Argumenten antworten, z.B. mit den von Klafki (1991, 50f.) identifizierten „epochaltypischen Schlüsselproblemen“, die als zentraler Bezugspunkt jeglicher unterrichtlicher Anstrengungen zu verstehen sind. Ein im Kern ähnliches Argument hatte bereits Rivers (1976, 96) formuliert, als er schrieb: „As language teachers we are the most fortunate of teachers, all subjects are ours. Whatever [our learners] want to communicate about, whatever they want to read about, is our subject matter.“ Auf der Basis eines solchen Verständnisses kann im Englischunterricht jedes Thema relevant sein, das es im täglichen Leben auch ist, und somit wird auch Nachhaltigkeit zu einem wichtigen Thema der fremdsprachlichen Fächer. Eine ausschließliche Orientierung an Schlüsselthemen und -problemen kann allerdings auch dazu führen, dass entweder bestimmte fachliche Perspektiven (zu) dominant werden bzw. diese als solche nicht mehr erkennbar sind und damit eine unzureichende und unterkomplexe Durchdringung einhergeht. Nachhaltigkeit im fremdsprachendidaktischen Diskurs 211 Fachspezifische Perspektiven und Argumente werden insbesondere an den Schnittstellen der zentralen fachlichen Inhaltsbereiche und transversaler Aufgaben, wie es eine Erziehung zu nachhaltiger Entwicklung sein kann, sichtbar. So bildet beispielsweise ein fundamentales Verständnis der Bedeutsamkeit von Sprache für die Konstruktion und Darstellung sozialer Strukturen - auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit - die Grundlage der Ökolinguistik (ecolinguistics, vgl. Stibbe 2015), welche seit den 1990er Jahren als Weiterentwicklung soziolinguistischer Ansätze untersucht, in welche ökologischen Kontexte und physischen Umwelten Sprache eingebettet ist. In ähnlicher Weise finden sich in der Literaturwissenschaft und den Cultural Studies ökokritische Ansätze (ecocriticism) als Reaktion auf die Trennung von Natur und Kultur im westlichen Denken und die Überhöhung der Rolle des Menschen (vgl. für einen Überblick Heise et al. 2017). Während diese Ansätze im Gegensatz zu der oben knapp skizzierten weiten Definition von Nachhaltigkeit möglicherweise auf ökologische Fragen in einem etwas engeren Sinne fokussieren, so wird doch deutlich, dass Themen von übergreifender Bedeutung - wie nachhaltige Entwicklung - sich in den linguistischen Repräsentationen, kulturellen Artefakten und literarischen Darstellungen zeigen, die immer schon Gegenstand des fremdsprachlichen Unterrichts gewesen sind. Mag auch Nachhaltigkeit keine genuin fremdsprachendidaktische Kategorie sein, so haben sie und mit ihr zusammenhängende Themenbereiche doch vielfältig Eingang in aktuelle Diskurse zum Fremdsprachenunterricht gefunden, z.B. in Mathewmans (2011) Monographie zu ökokritischen Ansätzen im Fremdsprachenunterricht sowie dem ähnlich fokussierten Sammelband von Bartosch/ Grimm (2014). Eine etwas breitere Perspektive hinsichtlich der unterrichtlichen Anwendungskontexte nimmt Lütges (2015) Sammelband zur global education ein. In Qualifikationsarbeiten werden sowohl konzeptionelle als auch empirische Erkenntnisse zur Eignung des Konzepts diskutiert (vgl. Hammer 2012; Freudenthal 2018). Nachhaltigkeit bildet also eine gesellschaftlich höchst relevante Perspektive ab, die zur Auswahl und Priorisierung unterrichtlicher Themen auch im Fremdsprachenunterricht herangezogen werden kann und aktuelle gesellschaftliche und globale Herausforderungen auch aus fachlicher Perspektive gleichsam unter ein Brennglas legt: Adopting a sustainability mindfulness for language and culture learning means, among other things, having a lens to give sight and vision, to zoom in and capture the angles to critically examine and engage in complex issues, events and dilemmas in terms of human meanings, connections and consequences (Galloway 2015: 104). Britta Viebrock 212 3 Kritische Stimmen und Entwicklungsbedarfe Angesichts dieser affirmativen Darstellung könnte man versucht sein, einfach einen weiteren Kompetenzbereich zu definieren - Stibbes (2015) Vorschlag diesbezüglich lautet ‚sustainability literacy‘, zu dem auch der Fremdsprachenunterricht seinen Beitrag zu leisten hat. Allerdings bleibt an dieser Stelle zu überlegen, wie viele Kompetenzen oder literacies es noch geben soll, welche im Fremdsprachenunterricht auszubilden oder zu fördern sind, und ob es wirklich damit getan ist, jede neue Anforderung als Kompetenz zu definieren und mit einem thematisch qualifizierenden Begriff zu versehen. Es darf nicht aus dem Blick geraten, dass dem Nachhaltigkeitsdiskurs auch grundsätzliche kritische Stimmen entgegenstehen, die sich nicht nur an der Beliebigkeit des Nachhaltigkeitsbegriffs stören oder an seiner Nutzung als politischer Kampfbegriff. Anstelle einer Operationalisierung eines (weiteren) transversalen Themas (neben beispielsweise Digitalisierung, Inklusion u.a.) sollte möglicherweise stärker um die Frage der Neuausrichtung und Rekonzeptionalisierung von Bildung an sich gehen. Jickling und Sterling (2017) vereinen in ihrem Sammelband Beiträge, die sich kritisch mit der Frage auseinandersetzen, was die Ansätze der Sustainability Education bzw. der Erziehung zur Nachhaltigkeit bisher geleistet haben und was sie konzeptionell ablösen wird. Die Autoren zeigen dabei zum einen die Probleme sloganisierter akademischer (Post-)Konzepte (vgl. hierzu auch Breidbach et al. 2018) auf und zum anderen die Grundprobleme neoliberaler Einflüsse auf das Bildungssystem, die sich in einer zunehmenden Instrumentalisierung dessen, was sich Bildung nennt, ausdrücken. Die Fragen, die an dieser Stelle erlaubt sein müssen, sind, ob eine Diskussion von Nachhaltigkeitsfragen im fremdsprachendidaktischen Diskurs also (noch) sinnvoll ist, ob wir uns nicht auch mit Überlegungen beschäftigen sollen, was unsere zentralen zukünftigen Konzepte sind oder sein sollten und wie grundlegende Fachinhalte und transversale Themen, die zudem eine große Dynamik entwickeln, sich zueinander verhalten. Mit Blick auf das Zusammenwirken von Universität und Schule im Hinblick auf Unterrichtsqualität und -entwicklung kommt noch ein weiteres Argument hinzu: Der universitäre Arbeitskontext ist von einem schnelllebigen Zyklus der Umwälzung und Erneuerung geprägt, was sich beispielsweise in einer starken Zunahme von Projekt- und Publikationsaktivitäten ausdrückt und einer rapiden Entwicklung immer neuer Ideen auch für schulische Unterrichtskontexte. In diesem Zusammenhang lässt sich die Frage der Nachhaltigkeit auch noch einmal im Hinblick auf das eigene Wirken reflektieren. „[…] Eile ist heute das Signum des Fortschritts, auch und gerade in der Wissenschaft“, schrieb Lenk (2006, 48) schon vor mehr als einer Dekade, Erneuerung scheint bisweilen um ihrer selbst willen zu geschehen. Es ist sicher fraglich, ob das ein vernünftiger Umgang mit den eigenen Ressourcen ist, der einem Nachhaltigkeitsanspruch genügt. Hinzu kommt die Frage, wie sich die Nachhaltigkeit im fremdsprachendidaktischen Diskurs 213 Logik des gegenwärtigen Wissenschaftsbetriebs mit den Anforderungen von Schule und Unterricht verträgt, in denen Innovationsmöglichkeiten anderen Parametern unterliegen. Wie schnell und zugleich nachhaltig können neue Konzepte unterrichtlich wirksam werden? Wieviel Innovation und Neuperspektivierung innerhalb welcher Zeiträume ist - auch auf der Ebene des Fachunterrichts und/ oder der einzelnen Lehrkraft - realistisch? 4 Thematische Fokussierung auf Nachhaltigkeitsthemen im Kontext des Fremdsprachenunterrichts Unabhängig von Fragen der Begriffseignung und von einer kritischen Reflexion des Konzepts haben Nachhaltigkeitsthemen Eingang in fremdsprachendidaktische Überlegungen im engeren Sinne gefunden. Dabei lässt sich ein Übergewicht von literatur- und kulturdidaktischen Ansätzen ausmachen (vgl. z.B. Küchler 2014; Rainbow 2014; Volkmann 2012; 2016; Guanio-Uluru 2019), während sprachdidaktische Ansätze nur sehr viel beiläufiger zu finden sind (z.B. Galloway 2015). Die grundsätzliche Überzeugung, dass sich Literatur zur Thematisierung und Reflexion bedeutsamer Themen des Alltags oder grundsätzlicher Herausforderungen des Menschseins im Kontext des Fremdsprachenunterrichts eignet, wird dabei auch als Argument für ihre Verwendung im Hinblick auf Nachhaltigkeitsthemen in Anschlag gebracht: Literary texts are useful points of departure for raising environmental awareness because literature presents the reader with constructed environments and actions, and in children’s and young adult literature, these environments are specifically shaped in order to socialise children and young adults into ways of being and behaving (Guanio-Uluru 2019, 6). Inwieweit eine vertiefte unterrichtliche Auseinandersetzung mit thematisch einschlägiger fremdsprachlicher Literatur tatsächlich zu einem im Hinblick auf Nachhaltigkeitsfragen erwünschten Verhalten führt, wäre dabei eine interessante Frage, deren vertiefte Untersuchung lohnen würde. Denn auch wenn man die Arbeit mit Literatur als eine Möglichkeit betrachtet, die Repräsentation der Dimensionen Natur/ Umwelt und Kultur/ Mensch sowie deren Zusammenhänge zu analysieren und reflektieren, bliebe dennoch zu klären, wie eine solche Geistesübung mit konkreten, gesellschaftlich relevanten Handlungen zusammenhängt. Die Frage, wie sich ein Verständnis bestimmter Problematiken in notwendige Handlungen überführen lässt, kann auch an die sprachdidaktischen Vorschläge Galloways (2015) herangetragen werden. Sie plädiert in erster Linie für die vergleichende Betrachtung von Nachhaltigkeitsaspekten anhand des Gebrauchs von Metaphern in den unterschiedlichen Sprachen und zeigt an Beispielen auf, wie die - einer anthropozänen Sichtweise entspringenden - westliche Metapher der Bewahrung der Natur („conservation of nature“) in Britta Viebrock 214 anderen Sprachen alternative Ausdrucksmöglichkeiten findet, die stärker auf die prinzipielle Gleichwertigkeit und Verbundenheit aller Organismen zielen und somit als „conversing with nature“ (ibid., 102) zu bezeichnen wären. Wenngleich sich aus diesen Einsichten nicht notwendigerweise unmittelbare Handlungen oder Adaptionen bisheriger Praktiken ableiten, so scheint der Entwurf alternativer Metaphern und sprachlicher Kodifizierungen doch ein wichtiger Schritt zur Entwicklung neuer Sichtweisen auf uns selbst und die Welt, einer kritischen und selbstreflexiven Haltung und einer Überzeugung, dass eine spezifische Art der Formulierung bestimmten Perspektiven, Optionen und Begrenzungen unterliegt. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang eine kritische Betrachtung des Nachhaltigkeitsdiskurses selbst, der ebenfalls dem benannten perspektivierten und limitierten Sprachgebrauch unterliegt: Indeed, perhaps nowhere are we more deceived by translation than in the seemingly neutral language of sustainability itself. The language of sustainability contains some powerful words, not just for the explicit sense we think they have, but for their implicit association and cultural charge. What is meant by developed and developing? What do we imply about ourselves and others by the use of these words? (Galloway 2015, 105). Ein Ansatz, der thematische Fokussierung und sprachliche Kodifizierung gemeinschaftlich betrachtet, steht in enger Verbindung zu den zentralen Zielvorstellungen und komplexen Konzepten, die aus einer fachspezifischen Perspektive heraus formuliert worden sind. Dazu gehören beispielsweise kommunikative Kompetenz, im Sinne ‚fremdsprachlicher Diskursfähigkeit‘ (Plikat 2017) oder auch Ansätze einer kritischen Fremdsprachendidaktik (Gerlach 2020). Sie allesamt zielen auf ein vertieftes Verständnis von komplexen Zusammenhängen, eine tiefgreifende Einsicht in mögliche Konsequenzen spezifischer Entscheidungen (auch der Sprachverwendung) und ethischer Verantwortlichkeiten sowie auf eine Bewusstheit zugrunde liegender Machtgefüge. Mit dieser Zielsetzung entziehen sie sich einer vereinfachenden Operationalisierung in funktionale Kompetenzbestandteile und widersprechen einem instrumentalistischen Bildungsverständnis. 5 Zusammenfassung Im vorliegenden Beitrag wurde das Konzept der Nachhaltigkeit hinsichtlich seiner Eignung diskutiert und vor allem im Hinblick auf spezifische Inhaltsbereiche des Fremdsprachenunterrichts betrachtet. Die Analyse hat gezeigt, dass die Verwendung des Begriffes im spezifischen fachlichen Kontext einerseits hilfreich zur thematischen Fokussierung ist und andererseits problematisch, da sie Sloganisierungstendenzen unterliegt und zudem selbstreflexiv hinsichtlich ihrer begrifflichen Grundlagen und konzeptionellen Annahmen Nachhaltigkeit im fremdsprachendidaktischen Diskurs 215 aufzuklären ist. Ein Blick auf die disziplinspezifisch gerahmten Verwendungskontexte des Nachhaltigkeitskonzepts in ökolinguistischen, ökokritischen und ökodidaktischen Ansätzen belegt seine Nähe nicht nur zu alternativen Begriffen im Nachhaltigkeitsdiskurs, sondern gerade auch zu aktuellen fremdsprachendidaktischen Ansätzen und Begriffen, denen es um die Analyse der Verbindungen von Inhalten, Kontexten, Sprache und Macht geht. Ein solches Bildungsverständnis sollten wir - unter Verwendung eines kritischen Nachhaltigkeitsbegriffs - fördern und nicht der Versuchung unterliegen, uns in immer neuen, kleinteiligen Kompetenzanforderungen zu verlieren! Literatur Bartosch, Roman/ Grimm, Sieglinde (Hrsg.) (2014): Teaching Environments: Ecocritical Encounters. Frankfurt a.M.: Lang. Breidbach, Stephan/ Küster, Lutz/ Schmenk, Barbara (Hrsg.) (2018): Sloganizations in Language Education Discourse. Clevedon: Multilingual Matters. Freudenthal, Cynthia. 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Intercultural citizenship als Ziel nachhaltigen Fremdsprachenunterrichts Karin Vogt 1 Nachhaltigkeit, BNE und Fremdsprachenunterricht Der Begriff der Nachhaltigkeit, aus dem 17. Jahrhundert aus der Forstwirtschaft kommend, hat seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert mit dem Bericht an den Club of Rome 1972 und der Aktivitäten der Brundtland- Kommission eine erstaunliche Prägung erfahren (Hardtke/ Prehn, 2001; Bormann 2011). Alltagsassoziationen des Begriffs beziehen sich jedoch eher auf umwelt- und klimaschutzorientierte Kontexte - Organisationen und Unternehmen bemühen sich, etwa klimaschädliche Produktionsprozesse umzuwandeln in solche, die die Umwelt nicht belasten und den Raubbau an natürlichen Ressourcen nicht weiter vorantreiben. Nachhaltigkeit als eine Form des ökologischen und ökonomischen Handelns soll die Lebensbedingungen zukünftiger Generationen durch eine sorgsame Verwendung von Ressourcen sichern und hat damit auch eine zeitliche Dimension, berücksichtigt die Begrenztheit von Ressourcen bzw. deren umsichtige Verwendung und nimmt das Ziel des Fortbestands in den Blick. Eine einheitliche Definition gibt es aufgrund seiner Interdisziplinarität und der vielfältigen bis inflationären Verwendung nicht, jedoch fasst Carnau (2011, 14) die Grundidee des Begriffs zusammen als einer „[…] einfachen Einsicht, dass ein System dann nachhaltig ist, wenn es selber überlebt und langfristig Bestand hat“. Die dazugehörige Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE), die die nachwachsende Generation befähigen soll, zukunftsfähig zu denken und zu handeln (BNE-Portal o.J.), ist wiederum eng verbunden mit den 17 Sustainable Development Goals, die 2015 von der Generalversammlung der UN verabschiedet wurden, als universelle Agenda für alle Länder gelten und eine Perspektive des lebenslangen Lernens einnehmen (Deutsche UNESCO- Kommission et al. 2017). Nachhaltigkeit in vielfältigen Situationen in Form eines handlungsleitenden Prinzips insbesondere für politisches, wirtschaftliches und ökologisches Handeln umzusetzen (Carnau 2011), ist orientiert auf Themenbereiche, die vermeintlich näher sind an den Natur- und Gesellschaftswissenschaften als an den Zweit- und Fremdsprachen. Der Zusammenhang zwischen Fremdsprachendidaktik und Nachhaltigkeit bzw. BNE existiert und zwar in dem Maße, dass der Aspekt des globalen Karin Vogt 218 Lernens Eingang gefunden hat in die Lehrpläne der Bundesländer (z.B. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016), auf der Grundlage des Orientierungsrahmens der KMK und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (KMK/ BMZ 2016). Im Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung formuliert die KMK (KMK/ BMZ 2016, 18) als Bildungsziel, „grundlegende Kompetenzen für eine zukunftsfähige Gestaltung des privaten und beruflichen Lebens, für die Mitwirkung in der Gesellschaft und die Mitverantwortung im globalen Rahmen zu erwerben“. Auf den Orientierungsrahmen komme ich später noch einmal zurück. Auch die Selbstverpflichtung der UN, bis zum Jahr 2030 die siebzehn Sustainable Development Goals (SDGs) im Anschluss an eine Dekade der Nachhaltigkeit zu realisieren (Deutsche UNESCO et al. 2017), ist zumindest theoretisch an eines der Ziele, SDG 4 (Quality of education), gebunden, das selbstverständlich den Fremd- und Zweitsprachenunterricht miteinschließt. So ist Nachhaltigkeit ein weiteres transversales Ziel des Fremdsprachenunterrichts (im Folgenden soll es vornehmlich um Englisch als Fremdsprache gehen, aber die Übertragung auf andere Sprachen ist sicherlich gegeben), neben Inklusion oder Digitalisierung, bisweilen auch in Kombination bearbeitet (Bartosch/ Köpfer 2019; Schick/ Schnuch 2019). Der kritische Umgang mit Themen wie Globalisierung, Kinderarbeit, genveränderten Lebensmitteln, fast fashion, um nur einige Beispiele zu nennen, ist seit langem Gegenstand insbesondere des fortgeschrittenen Fremdsprachenunterrichts, allerdings häufig aus einer Perspektive des globalen Nordens. BNE wird in der Fremdsprachendidaktik subsumiert als Teil von global education (Lütge 2015; Lütge in diesem Band), allgemein charakterisiert von Kirkwood (2001, 3; in Lütge 2015, 9) als „education that brings the world into the classroom“. In diesem Zusammenhang wurden ökodidaktische Ansätze aus den Kulturwissenschaften aufgegriffen für den Fremdsprachenunterricht (Alter 2015; Bartosch/ Grimm 2014; Römhild 2021), u.a. als Teil von global education. Nachhaltigkeit als Konzept ist über die thematische Ebene von Fremdsprachenunterricht hinaus (folgend der Dualität von Zielen und Inhalten, für Englisch vgl. Vollmer/ Vogt 2021) auch methodisch-konzeptionell verankert über den Bereich der ecodidactics und global education, aber auch die fremdsprachendidaktischen Ziele der interkulturellen bzw. transkulturellen Kompetenz. Im Zusammenhang mit der Grundidee von Nachhaltigkeit scheint mir ein wichtiger genuiner Bildungsgehalt von Fremdsprachenunterricht der Bereich des trans-/ interkulturellen Lernens (u.a. Blell/ Doff 2014; Byram 2021) zu sein, insbesondere sprachliche und kulturelle Bildung eingebettet in das übergeordnete Ziel der Friedenserziehung (z.B. Byram et al. 2017; Diehr 2007), weil dieser Bereich möglicherweise die Frage beantwortet, welchen genuinen fremdsprachenspezifischen Beitrag die Fremdsprachenforschung zur Entwicklung von BNE im Fremd- und Zweitsprachenunterricht Intercultural citizenship als Ziel nachhaltigen Fremdsprachenunterrichts 219 leisten kann. Auch in den Curricula bzw. dem 2016 von der KMK und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung herausgegebenen Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung im Rahmen einer BNE (KMK/ BMZ 2016, 156ff.) spielt dieser Bereich für den Fremdsprachenunterricht eine wichtige Rolle. Der emergente fremdsprachendidaktische Arbeitsbereich der intercultural citizenship als einer Amalgamierung von language education und den (global/ democratic) citizenship-Konzepten etwa des Europarats (Council of Europe 2018) und der UNESCO (Bernecker/ Grätz 2017; UNESCO 2014), auch digital transformiert als digital global citizenship (Porto et al. 2018; Lütge/ Surkamp 2021), hat großes Potenzial für eine Diskussion von Nachhaltigkeit mit fremdsprachendidaktischer Provenienz, auf der Basis von relevanten Bildungsge- und -inhalten von Fremdsprachenunterricht. Zahlreiche Arbeitsbereiche der Fremdsprachendidaktik sind sehr gut kompatibel mit der Nachhaltigkeitsthematik und der BNE, werden aber im Mainstream des BNE-Diskurses wenig wahrgenommen, wie etwa die genannte ecodidactics sowie praktische Projekte in diesem Zusammenhang (vgl. Schmidt in diesem Band), aber auch Inklusion im Fremdsprachenunterricht als ein neueres, aber bereits etabliertes Forschungsfeld (z.B. Bartosch/ Köpfer 2019; Bongartz/ Rohde 2015; Chilla/ Vogt 2017; Dose 2019; Roters et al. 2018), bei dem es in Übereinstimmung mit dem SDG 4 um die Qualität von Bildung für alle geht, fremdsprachliche Bildung eingeschlossen. Die Fremdsprachendidaktik als Disziplin kann hier einen substantiellen Beitrag leisten. Im Folgenden soll exemplarisch am Beispiel von Interkulturellem Lernen gezeigt werden, wie ein fremdsprachendidaktischer Zugriff auf BNE erfolgen kann. 2 Critical cultural awareness und BNE Typische Themenfelder von Nachhaltigkeit in Verbindung mit kritischem kulturellem Bewusstsein (critical cultural awareness, Byram 2021) sind schon lange Themenfelder des Fremdsprachenunterrichts, sowohl in Bezug auf Sachthemen (z.B. Globalisierung), bilingualem Sachfachunterricht, Literatur (z.B. Saci Lloyds The carbon diaries) oder Film (Dokumentarfilme zu fast fashion). Die Themenfelder sind vertreten in den von der KMK/ BMZ (2016) dargelegten Themen der globalen Entwicklung im Fremdsprachenunterricht im Orientierungsrahmen für den Bereich Globale Entwicklung (ebd., 162f.). Somit ist die Thematisierung von Aspekten der Nachhaltigkeit im Fremdsprachenunterricht auf der Ebene der Inhalte als langjährige Praxis insbesondere des fortgeschrittenen Englischunterrichts einzustufen. Auf der Ebene der Ziele findet sich Nachhaltigkeit in curricularen Dokumenten des Fremdsprachenunterrichts in Lehr-/ Bildungsplänen aller Länder (KMK 2017, 4). Flächendeckend verfolgt der Orientierungsrahmen für den Bereich Globale Entwicklung im Rahmen einer BNE (KMK/ BMZ 2016: 84) das Ziel, Lernenden Karin Vogt 220 eine Orientierung in einer zunehmend globalisierten Welt als Grundlage für das lebenslange Lernen in diesem Bereich zu bieten. Das Kompetenzmodell besteht aus Kernkompetenzen in den Domänen Erkennen, Bewerten und Handeln, die in fachbezogene Kompetenzen überführt werden (ebd., 159ff.). Der fremdsprachendidaktische Bezug ist dabei mehr oder weniger in den Kann-Beschreibungen ausgeprägt. Das exemplarische Aufgabenbeispiel (ebd., 164ff.) für Englisch zum Adivasi-Teeprojekt hat den Anspruch, die bestehenden curricularen inhaltlichen Vorgaben der Länder mit den ausformulierten Kernkompetenzen zu vereinbaren. Explizit stehen die Kompetenzen „Informationsbeschaffung und -verarbeitung“, „Unterscheidung von Handlungsebenen (vom Individuum zur Weltebene mit ihrer Funktion für Entwicklungsprozesse) aus „Erkennen“, „Kritische Reflexion und Stellungnahme“ aus „Bewerten“ und „Partizipation und Mitgestaltung“ aus „Handeln“ im Vordergrund und werden sowohl thematisch als auch qualitativ ausdifferenziert (ebd., 165). Mit einer dreiteiligen Struktur bietet das aufgabenorientierte Unterrichtsprojekt für den Englischunterricht der 9./ 10. Klasse zwei Vorschläge für Target tasks, nämlich eine Handlungsstrategie zu entwerfen für die indigene Bevölkerungsgruppe der Adivasi in Indien oder eine Ausstellung über das Adivasi tea project an der Schule durchzuführen, neben einer völlig freien Wahl der Aufgabe. In Hinblick auf die fremdsprachentypische interbzw. transkulturelle Kompetenz werden zwar interkulturelle Kompetenzen als Teil des Kompetenzmodells der Bildungsstandards für die Sekundarstufe I (KMK 2003) genannt, jedoch erfolgt eine Konzeptualisierung des Kulturbegriffs höchstens implizit und bleibt vage („Sprache ist Wort gewordene Kultur“, KMK/ BMZ 2016, 157), obwohl es sich um einen wichtigen Beitrag der Fremdsprachendidaktik handelt. Zwar ist das Tea project sinnvoll in einem typischen BNE-Themenfeld angesiedelt, dem Spannungsfeld zwischen der Bewahrung der ursprünglichen Lebensräume der indigenen Adivasi und der wirtschaftlichen Entwicklung der Region, die auf Tourismus für die Generierung von zusätzlichem Einkommen für die Community neben dem Teeanbau setzt, was eine Reihe von Problemen mit sich bringt. In der Darlegung der fachbezogenen Teilkompetenzen erhalten Aspekte wie „Erkennen von Vielfalt“ (ebd., 159), „Perspektivenwechsel und Empathie“ (ebd.) und „Verständigung und Konfliktlösung“ (ebd.) Raum, die auch kritischer kultureller Kompetenz in Byrams (2021) Modell der Interkulturellen Kommunikativen Kompetenz zugeordnet werden könnten. Byram (2021) definiert dieses zentrale Ziel als „[a]n ability to evaluate, critically and on the basis of a systematic process of reasoning, values present in one’s own and other cultures and countries“ (ebd., 90; Hervorhebung KV). Das kritische Element innerhalb des Modells von Byram geht allerdings konzeptuell weit über die Teilkompetenzen des Orientierungsrahmens Globale Entwicklung hinaus. Intercultural citizenship als Ziel nachhaltigen Fremdsprachenunterrichts 221 Genau dieses kritische Element scheint aber in dem Beispiel nicht immer systematisch berücksichtigt zu sein. Einige der Formulierungen in den angebotenen Texten sind auf der interkulturellen Ebene als wichtiger Zielebene des Fremdsprachenunterrichts problematisch, da sie Gefahr laufen, einseitig eurozentrischen bzw. dem globalen Norden entspringenden Argumentationsweisen bzw. Perspektiven Vorschub zu leisten. Dies könnte geschehen, wenn z.B. im Hauptteil, der der Recherche der Adivasi-Kultur und ihren Lebensbedingungen gewidmet ist, als eine Teilaufgabe ein „historischer Überblick“ anzufertigen ist. Auf der angegebenen Startseite der Recherche (Wikipedia) wird etwa das Wort „rebellion“ bezogen auf die Adivasi für kolonialhistorische Ereignisse aus der Perspektive der colonizers verwendet. Diese Perspektive könnte unkritisch übernommen bzw. nicht zur kritischen Diskussion gestellt werden. Die Möglichkeit, mit Peers im Projekt (per E-Mail und Telefon (! )) Kontakt aufnehmen zu können, in einer anderen Teilaufgabe ist wiederum positiv als Bemühen um Begegnung auf Augenhöhe zu bewerten. Bezogen auf Byram (2021) entsteht hier die Möglichkeit, in der Begegnungssituation ein Erklärungssystem von kulturellen Praktiken zu erwerben und zu vermitteln und dabei die Fähigkeit zu üben, das eigene kulturelle Referenzsystem nicht als einzigen Maßstab zu nehmen (ability to decentre, Byram 2021, 45). Auf der Handlungsebene sollen die Lernenden in der dritten Phase der kritischen Reflexion Handlungsmöglichkeiten eruieren, wobei einer der Vorschläge darin besteht, Hilfestrategien zu erarbeiten. Grundsätzlich korrespondiert diese bewusste Handlungsebene mit dem politischen Engagement, das kritisches kulturelles Bewusstsein impliziert. Die angegebene Webseite zum Start der Ideensuche ist aber ausgerechnet eine typische Entwicklungshilfeseite, die um Spenden bittet und damit eine stereotypisierende ethnozentrische Perspektive verstärkt und dem Ziel einer unvoreingenommenen Begegnung in postkolonialen Zusammenhängen diametral entgegensteht. Eine Begegnung auf Augenhöhe, wie sie in Byram (ebd.) unter der Komponente „Einstellungen“ als Voraussetzung für erfolgreiche Interaktion betont wird, wird so kaum stattfinden. Obwohl das Aufgabenbeispiel einen Themenbereich der BNE gut für den Englischunterricht umsetzt, sind anders als z.B. auf der Webseite des Adivasi Teeprojektes Formulierungen sowie die Textauswahl bisweilen einseitig eurozentrisch orientiert und lassen damit die kritische Komponente außer Acht, die sich für den fremdsprachendidaktischen Beitrag zur BNE in kritischer Diskursfähigkeit und in kritischem kulturellem Bewusstsein darstellen kann. Die Entwicklung einer Fähigkeit zum kritischen Umgang mit (kulturellen) Informationen auch in sprachlicher Hinsicht sowie der Vollzug eines Perspektivenwechsels für eine multiperspektivische Sichtweise wären deutlicher herauszuarbeiten bzw. im Sinne von handlungsleitenden Prinzipen auszuführen, um die kritische und machtreflexive Dimension der kulturellen Informa- Karin Vogt 222 tion und deren Umgang damit auf der (fremd)sprachlichen Ebene im Fremdsprachenunterricht im Sinne einer BNE fremdsprachendidaktischer Provenienz im Beispiel zu berücksichtigen. Es braucht Multiperspektivität auch i.S.v. Dekolonialisierung des Curriculums und Modernisierung der Aufgabenstellungen und Produkte. Die digitale Komponente erschöpft sich in zu recherchierenden Webseiten und (vorgeschlagener) E-Mail Korrespondenz - hier wären die Fortschritte in der digitalen Transformation mit einzubeziehen, bspw. in der Nutzung von zeit- und altersgemäßen Kommunikationsformen. 3 Intercultural citizenship und BNE Ein Konzept von Nachhaltigkeit, das eingebettet in citizenship-Konzepte die interkulturelle Komponente in den Vordergrund stellt und einen Schwerpunkt auf der politischen bzw. der Demokratiebildung hat, ohne den expliziten Bezug zu fremdsprachlicher Bildung zu vernachlässigen, ist das der intercultural citizenship (Byram 2008; 2021) als Kombination von fremdsprachlicher Bildung und demokratischer Erziehung/ citizenship education. Ähnliche Ziele, aber überfachlich orientiert, verfolgt das vom Europarat veröffentlichte Reference Framework of Competences for Democratic Culture (Council of Europe 2018) mit Frieden, inklusiven Gesellschaften und Demokratie als wichtigen Zielperspektiven. Thematisch enger an die BNE gebunden, weist die UNESCO mit dem Konzept der Global Citizen Education (GCE) das Zielkonzept des Weltbürgers aus und definiert GCE als „(…) a framing paradigm which encapsulates how education can develop the knowledge, skills, values and attitudes learners need for securing a world which is more just, peaceful, tolerant, inclusive, secure and sustainable“ (UNESCO 2014, 9). Zwar finden sich mit dem Verständnis für multiple Identitätsebenen, kritischen Denken, aber auch einer multiperspektivischen Herangehensweise an Themen durchaus Parallelen zu fremdsprachendidaktisch geprägten Konzepten von interkulturellem Lernen. Einen expliziten Einbezug zweit- oder fremdsprachlicher Bildung sowie Bezüge zu den SDGs hat nur Byrams Modell des intercultural citizenship, das auf der Grundlage des Modells von interkultureller kommunikativer Kompetenz die dezidiert fremdsprachendidaktische Perspektive verbindet mit einer global ausgerichteten Handlungsebene ähnlich wie der der BNE. Den Bildungsgehalt von fremd- und zweitsprachlicher Bildung macht neben kritischer Diskursfähigkeit in der Zielsprache (vgl. Gerlach 2020), die Teilhabe an Kommunikation ermöglicht, die Entwicklung von Verstehen von (und Verständnis für) andere auf einer international-globalen Ebene aus. Letztere spiegelt sich in unterschiedlichen fachdidaktischen Ansätzen interbzw. transkulturellen Lernens (Bredella 2010; Byram 2021; Matz et al. 2014), jeweils auf der Basis einer kritischen Haltung. Intercultural citizenship als Ziel nachhaltigen Fremdsprachenunterrichts 223 Das vierte Nachhaltigkeitsziel der Agenda 2030 der UN wird in Ziel 4.7 (Education for sustainable development and global citizenship, Deutsche UNESCO-Kommission et al. 2017) folgendermaßen spezifiziert: Bis 2030 sicherstellen, dass alle Lernenden die für nachhaltige Entwicklung notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben, u.a. durch Bildung für nachhaltige Entwicklung, für nachhaltige Lebensweise, für Menschenrechte, für Gleichberechtigung der Geschlechter, durch Förderung einer Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit, durch Global Citizenship Education, Wertschätzung kultureller Vielfalt und den Beitrag der Kultur zu nachhaltiger Entwicklung (Deutsche UNESCO-Kommission et al. 2017, 8). Für die interkulturelle Dimension des Fremdsprachenunterrichts sind die Wertschätzung kultureller Vielfalt als Ziel maßgeblich sowie das Konzept des Weltbürgertums, das vergleichbar ist mit dem der intercultural citizenship. Barrett (2017, vii) definiert den Begriff als interkulturelle Interaktion und Reflexion mit einem bürgerschaftlichen oder politischen Engagement als Ergebnis. Byram et al. (2017) verbinden mit education for intercultural citizenship den Ansatz der politischen Bildung mit dem der fremdsprachlichen Bildung (vgl. auch Hosack 2018). Die politische Bildung (citizenship education) postuliert als Ziel, dass Lernende auf der Grundlage des Gelernten sogleich aktiv werden und sich in ihrer Lebenswelt engagieren, jedoch gibt es keine internationale oder globale Dimension einer Handlungsebene bzw. eine internationale Gemeinschaft, in der sich das Engagement verortet. Fremdsprachliche Bildung hingegen adressiert eine globale Gemeinschaft, jedoch führt ein kritisches kulturelles Bewusstsein als übergeordnetes Ziel von interkultureller kommunikativer Kompetenz nicht automatisch zu einer Handlung bzw. zu Engagement in der Lebenswelt der Lernenden. Die Kombination der beiden Ansätze führt zur Entwicklung der Kompetenzen des interkulturellen Bürgers (intercultural citizen). Intercultural citizenship als Zieldimension hat drei Orientierungen, auf denen jeweils fremdsprachliche Bildung mit politischer Bildung zusammengeführt werden (Byram 2008, 180ff.), nämlich • die evaluative Orientierung, die die Einstellungen und kritisches kulturelles Bewusstsein aus der fremdsprachlichen Bildung zusammenführt mit einer affektiven bzw. moralischen Haltung aus der politischen Bildung • die kognitive Orientierung, die die Wissensdimension aus der fremdsprachlichen Bildung mit den Inhalten der politischen Bildung verbindet • die komparative Orientierung, die aus der Fähigkeit zu interpretieren und in Beziehung zu setzen (Byrams (2021) skills of interpreting and relating) besteht Karin Vogt 224 Hinzu kommt die kommunikative Dimension, die dezidiert fremdsprachliche Kompetenzen (linguistische, soziolinguistische und Diskurskompetenzen) umfasst. Durch die globale Ausrichtung des Konzeptes, den kritischen Zugang und die Ausrichtung am Dienst an der Gesellschaft auf einer globalen Ebene ergeben sich zahlreiche Anknüpfungspunkte an eine qualitativ hochwertige BNE, die Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigt, jedoch auf der Basis der Prinzipien der fremdsprachlichen Bildung in sprachlicher Hinsicht (kritische Diskursfähigkeit) und in kultureller Hinsicht (critical cultural awareness). 4 Ausblick Arbeitsbereiche aus genuin fremdsprachendidaktischen Feldern können verknüpft werden mit den Anliegen von BNE bzw. tragen dazu bei, wie etwa inter-/ transkulturelles Fremdsprachenlernen. Hier gilt es, den bereits vorhandenen Beitrag der Fremdsprachenforschung, der sich problemlos in Themenfelder und Ziele der BNE einpassen lässt, sichtbarer zu machen vor allem für Wissenschaftler/ innen außerhalb der Fremdsprachenforschung. Als Desiderat kann festgehalten werden, dass BNE in der Wahrnehmung und in den Themenbereichen noch deutlich interdisziplinärer ausgerichtet werden muss. Dass Fremdsprachenforschende aktiv Bezüge zu BNE bei ihrer eigenen Forschung herstellen, wäre ein erster Schritt in der Sichtbarmachung des Beitrags der Fremdsprachenforschung für BNE. Dabei können citizenship-Konzepte fremdsprachendidaktischer Provenienz in globaler Dimension eine Schlüsselrolle spielen. Literatur Alter, Grit (2015): „Greening the EFL classroom - environmental agency as an education for sustainable living.“ In: Lütge, Christiane (Hrsg.), 57-91. Barrett, Martyn (2017): „Foreword.“ In: Byram, Michael/ Golubeva, Irina/ Hui, Han/ Wagner, Manuela (Hrsg.): From principles to practice in education for intercultural citizenship. Bristol: Multilingual Matters, vii-x. Bartosch, Roman/ Grimm, Sieglinde (Hrsg.) (2014): Teaching environments: Ecocritical encounters. Frankfurt a.M.: Lang. Bartosch, Roman/ Köpfer, Andreas (Hrsg.) 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Prinzip Nachhaltigkeit für das Lehren und Lernen fremder Sprachen Nicola Würffel 1 Das Prinzip Nachhaltigkeit und die Bildung für eine nachhaltige Entwicklung „In Deutschland wurde das Prinzip Nachhaltigkeit 1994 als Staatsziel im Grundgesetz verankert“ (BMU 1997, 10). Mit diesem Prinzip bzw. der Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung wurde auf die sich verstärkenden ökologischen Krisenphänomene sowie auf eine starke Ungleichverteilung von Lebenschancen der Menschen in der ganzen Welt reagiert. Eine nachhaltige, zukunftsfähige und umweltgerechte Entwicklung sollte den Weg weisen aus „der Falle von Ungerechtigkeit, riskanter Natur verbrauchender und zerstörender Prosperität und der Notwendigkeit von ökonomischer wie sozialer Entwicklung“ (de Haan 2009, 4). Während recht schnell ein weltweiter Konsens über die Sinnhaftigkeit eines Leitbildes Nachhaltigkeit erzeugt werden konnte, wird die Diskussion über die genaue Ausgestaltung dieses Leitbildes sowie über das Erreichen des Leitbildes äußerst kontrovers geführt. Einig ist man sich hier wiederum nur im Anerkennen der immensen Herausforderung, die die nötigen Transformationsprozesse für alle Gesellschaften weltweit darstellen, da weitreichende Modifikationen von Lebensweisen sowie Planungs- und Entscheidungsprozessen nötig sind (vgl. ibid.). Die Herausforderungen bei der Konzipierung des Begriffs der Nachhaltigen Entwicklung zeigen sich deutlich an den vielfältigen Modellen, die inzwischen entwickelt worden sind. Sie reichen von Modellen mit einer Säule (Ökologische Perspektive), drei Säulen (Ökologie, Ökonomie und Soziales) bis hin zu solchen mit vier oder mehr Säulen (zusätzlich noch eine kulturelle, institutionelle oder institutionell-politische Säule). Die Zunahme der Säulen zeigt die Ausweitung der Bereiche, auf die sich das Konzept Nachhaltige Entwicklung beziehen soll; diese Ausweitung führt aber zu einer immer stärkeren Verwässerung des Begriffs. Zudem besteht die Gefahr, dass immer breitere Ziele und Interessen (je nach Konzeption) einfließen und das Gesamtkonzept damit zum Teil auch inkonsistent wird. Ein weiteres Problem der Modelle und des Konzepts insgesamt ist die Vermischung von Gegenstandsbereichen und normativen Setzungen. Letztere werden häufig nicht explizit benannt und können damit auch nur schwer hinterfragt werden. Hier setzen integrative Modelle (wie z.B. das aus einem Projekt der Hermann-von-Helmholtz- Prinzip Nachhaltigkeit für das Lehren und Lernen fremder Sprachen 229 Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren zum Thema „Global zukunftsfähige Entwicklung“ entstandene) an, die nicht nur die konzeptionelle Füllung des Begriffs zum Ziel haben, sondern auch der Konkretisierung und Umsetzung des entwickelten Leitbildes dienen wollen. Deshalb werden Strategien und Maßnahmen nicht isoliert für jede einzelne Säule analysiert, sondern dimensionsübergreifend entwickelt. Das Konzept des HGF-Projekts setzt zudem offensiver bei den Zielsetzungen bzw. Normen an (Gerechtigkeit, Globalität und Anthropozentrik) und umfasst deshalb sowohl eine normative als auch eine kontextuale und eine strategische Ebene (vgl. Renn et al. 2009, 34ff.). Schon früh wurde erkannt, dass die für das Erreichen eines - wie auch immer konzeptionell gefassten - Leitbildes Nachhaltige Entwicklung nötigen Transformationsprozesse nur gelingen können, wenn die Menschen weltweit über Kompetenzen verfügen, die ihnen die konstruktive Beteiligung an solchen Prozessen ermöglichen. In den 1990er Jahren begann man deshalb, Überlegungen für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) angestellt: Um wirksam zu sein, soll sich eine umwelt- und entwicklungsorientierte Bildung / Erziehung sowohl mit der Dynamik der physikalischen / biologischen und der sozio-ökonomischen Umwelt als auch mit der menschlichen (evtl. auch einschließlich der geistigen) Entwicklung befassen, in alle Fachdisziplinen eingebunden werden und formale und nonformale Methoden und wirksame Kommunikationsmittel anwenden (BMU 1997, 261). Eine Schwierigkeit der BNE bestand von Beginn an in der Gefahr der Überfrachtung: Es erwies sich als problematisch, einen Rahmen abzustecken bzw. die notwendigen Inhalte und Zielsetzungen zu bestimmen und eine Priorisierung in den spezifischen nationalen Curricula vorzunehmen. Die Herausforderung besteht weiterhin, was u.a. auch mit der ungebremsten hohen Dynamik des Nachhaltigkeitsdiskurses zusammenhängt, der zudem vor allem politisch vorangetrieben wird. Das führt aber dazu, dass der Diskurs insgesamt und damit auch die BNE in ihrer theoretischen und empirischen Basis viele Desiderate aufweist. Um nur ein im Zusammenhang dieses Artikels wichtiges Beispiel zu nennen: Bei den Kompetenzkatalogen für die BNE ist häufig gar nicht klar, auf welche Modelle von Nachhaltiger Entwicklung sich die Kataloge beziehen und wie (bzw. sogar ob) die darin entwickelten Kompetenzbereiche theoretisch fundiert modelliert worden sind (vgl. Kapitel 2). Es erscheint deshalb durchaus problematisch, der Fremdsprachendidaktik nun die Aufgabe zu stellen, sich an einer konzeptuellen Füllung des Begriffs der Nachhaltigen Entwicklung zu beteiligen und/ oder eigene Konzepte in Übereinstimmung mit Zielen einer nachhaltigen Entwicklung zu bringen. Denn dies kann bedeuten, dass man Nicola Würffel 230 • sich erst einmal aktiv an der allgemeinen Theoriebildung im Nachhaltigkeitsdiskurs beteiligen sollte (sich aber nicht mehr primär mit dem Gegenstand Fremdsprachenlehren und -lernen beschäftigt); • sich an der politischen Debatte beteiligt (was angesichts der Dringlichkeit von Transformationsprozessen auch durchaus gerechtfertigt erscheint) und dabei die theoretischen Unschärfen einfach ignoriert; • Vorschläge für die Fremdsprachendidaktik entwickelt, die dann aber wahrscheinlich in Teilen daran kranken, dass die theoretischen Grundlagen (noch) nicht ausreichend ausgearbeitet sind oder • an Themen innerhalb der Fremdsprachendidaktik weiterarbeitet, deren Bedeutung aufgrund ihrer Schnittmenge mit dem Leitbild Nachhaltiger Entwicklung noch einmal stärker betont werden könnten/ sollten. Im Rahmen dieses Artikels werde ich mich zunächst den letzten beiden Wegen zuwenden: Ich werde zunächst aufzeigen, wie sich die Fremdsprachendidaktik an das Leitbild Nachhaltige Entwicklung angenähert hat und welche Vorschläge für eine BNE innerhalb des Fremdsprachenunterrichts (FU) entwickelt worden sind (Kapitel 2). Anschließend werde ich ausführen, von welchen Erkenntnissen bestimmter Bereiche innerhalb der Fremdsprachendidaktik die BNE (mehr) profitieren könnte und sollte (Kapitel 3). Wie dünn die Forschungslage zur Integration der BNE im FU bislang noch ist, werde ich in Kapitel 4 ausführen, ehe ich dann im abschließenden Kapitel 5 trotz oder vielleicht auch gerade wegen dieser noch unbefriedigenden theoretischen und empirischen Fundierung des Themas einen eher politisch motivierten, normativen Vorschlag unterbreiten werde: die Aufnahme des Prinzips Nachhaltigkeit in den Prinzipienkatalog für das Lehren und Lernen fremder Sprachen. 2 Annäherung der Fremdsprachendidaktik an das Leitbild Nachhaltige Entwicklung und die BNE Die Breite des Leitbildes Nachhaltige Entwicklung bzw. die vielfältigen Themen im Nachhaltigkeitsdiskurs machen diesen sehr anschlussfähig; das gilt auch für die Fremdsprachendidaktik und den FU. Schon eine kurze Literaturrecherche zeigt vielfältige Anschlussmöglichkeiten, die entwickelt worden sind: • Nachhaltigkeit als ein inhaltliches Thema im FU (vgl. für einen Überblick u.a. Feigl/ Rössler 2018; für eine Kopplung mit einem inhaltsorientierten Ansatz Hauschild/ Poltavtchenko/ Stoller 2012; mit einem Bezug auf bestimmte Zielgruppen z.B. Lohe 2019 für die Grundschule). Hierzu gibt es inzwischen auch viele konkrete Unterrichtsmaterialien (vgl. u.a. die Materialien bei Lehrer Online, z.B. zu typischen Themen Prinzip Nachhaltigkeit für das Lehren und Lernen fremder Sprachen 231 wie Kinderarbeit, Klimawandel und Umweltschutz 1 ) und Austauschprojekte (z.B. bei eTwinning, vgl. Pateraki et al. 2020); • Nachhaltigkeit bzw. Umwelterziehung in Zusammenhang mit (ökologischen) Erinnerungsorten (vgl. Freudenthal 2018 oder den Unterrichtsvorschlag von Denni/ Nessler 2015); • Nachhaltigkeit und Medienbildung im FU (u.a. Förderung der Fähigkeit, soziale Netzwerke kritisch zu lesen), um auf diese Weise eine integrative und demokratische Gesellschaft und damit die Nachhaltigkeit zu unterstützen (vgl. Brocca 2020); • Nachhaltigkeit als eine Möglichkeit, das Lehren kontroverser Themen zu unterstützen (vgl. Divéki 2018); • Nachhaltigkeit, globale Erziehung und Literaturdidaktik (vgl. Hille u.a. 2012) oder themenorientierte Literaturdidaktik mit kulturökologischer Ausprägung (vgl. Sippl 2020); • Nachhaltigkeit und Umweltthemen in Lehrwerken (vgl. Kirova 2018). Viele der entwickelten Vorschläge sind aus Bereichen der Fremdsprachenvermittlungsforschung im breiten Sinne (wie der Literaturdidaktik, der Kulturstudien o.a.) heraus entstanden und scheinen sehr vielversprechend für das Fremdsprachenlehren und -lernen (auch wenn es noch nicht ausreichend Forschung dazu gibt, vgl. Kapitel 4). Einige Vorschläge bedürfen allerdings einer besseren konzeptionellen Ausarbeitung. Dies gilt vor allem für den sehr beliebten Ansatz der thematischen Integration, denn die hier angeführten Begründungen für eine Einbettung des Themas Nachhaltiger Entwicklung in den FU erscheinen häufig doch sehr dünn, wenn nicht sogar erschreckend unreflektiert angesichts der Komplexität des Themas. Das verwundert oder enttäuscht umso mehr, als die dahinterstehenden Projekte und entwickelten Materialien zum Teil durchaus spannend sind. Beispielhaft für diese Tendenz kann ein Zitat aus Feig und Rössler (2017) stehen: Das Erlernen einer Fremd- oder Zweitsprache bietet ausgezeichnete Möglichkeiten, das Themengebiet der Nachhaltigkeit zu erkunden, denn fast jeder Mensch hat eine eigene Meinung dazu. Da jede/ r unterschiedliche Sichtweisen dazu einbringt, können interessante Rede- und Schreibanlässe geschaffen werden. Dadurch eignet sich Nachhaltigkeit perfekt zum Sprachenlernen und kann einfach in den Sprachunterricht eingebaut werden. Die Aneignung einer Sprache ist ja eine bereichernde und lebensbejahende Erfahrung, wobei die Sprache der Nachhaltigkeit wichtigen und vielfältigen Unterrichtsstoff etwa für die Themen Gesundheit, günstiges Wohnen oder Umgang mit Technik im 1 https: / / www.lehrer-online.de/ fokusthemen/ dossier/ do/ bildung-fuer-nachhaltigeentwicklung/ (21.01.2021). Nicola Würffel 232 Haushalt bietet, die für Lernende mit Sicherheit im Alltag von Nutzen sind (Feig/ Rössler 2017, 161). Die Klimakatastrophe als interessanter Rede- und Schreibanlass? Eine solche Einverleibung des Themas in den reichhaltigen und manchmal auch zu beliebigen Themenkatalog des FU wird der Bedeutung und der Komplexität des Themas nicht gerecht. Es erscheint deshalb dringend nötig, neben der Entwicklung methodischer Ansätze stärker über die anzustrebenden Kompetenzen und auf dieser Grundlage dann über die kompetenzorientierte Auswahl von Inhalten zu sprechen. Ansätze dazu wie der Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung mit der fächerorientierten Teilausgabe für Neuere Sprachen (Schreiber/ Siege 2016) bieten zwar erste Grundlagen, sie werfen aber eigentlich mehr Fragen auf als sie Antworten geben (Solidarität und Partizipation als Kompetenzen? Vgl. ebd., 161) und bedürfen sehr dringlich einer grundlegenden theoriebasierten und kritischen Überarbeitung. Dabei gilt es auch zu bedenken, dass wiederum der FU auch nicht der Ort sein kann, wo alle gesellschaftlich wichtig erscheinenden Themen mühelos integriert werden können, weil man dort über alles reden kann. Bei der Aufnahme immer neuer Kompetenzfelder in die Curricula des FU besteht die Gefahr, dass die (sprachlichen) Kernkompetenzen nicht mehr mit ausreichend Zeit behandelt werden können oder dass die zusätzlichen Kompetenzbereiche so kurz und oberflächlich verhandelt werden, dass man sie auch gleich weglassen könnte. Die Fremdsprachendidaktik sollte also nicht immer gleich „Hier“ rufen, sondern sorgfältig prüfen, welche Teilkompetenzen einer BNE enge Bezüge zu den Kernkompetenzen aufweisen. Auf der Grundlage dieser Überlegungen könnte nicht nur der Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung mit der fächerorientierten Teilausgabe für Neuere Sprachen weiterentwickelt und zugespitzt, sondern es könnte auch der GER um Teilkompetenzen eines nachhaltigen Fremdsprachenlernens ergänzt werden. 3 Beiträge der fremdsprachendidaktischen Theoriebildung und Forschung für die Konzeptentwicklung für die BNE Die Überarbeitung des fachbezogenen Kompetenzrahmens für den Erwerb einer fremdsprachenbezogenen globalen Kompetenz erscheint mir als eine gute Möglichkeit, wichtige Erkenntnisse der fremdsprachendidaktischen Theoriebildung und Forschung für die BNE, aber auch für die theoretische Weiterentwicklung bestimmter Teilgebiete des Nachhaltigkeitsdiskurses zu nutzen. Tatsächlich überrascht es nämlich, wie wenig wichtige Erkenntnisse aus den Teilgebieten der fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Forschung zu Fremdsprachen im Diskurs zur Nachhaltigkeit wahrgenommen werden. Beispielhaft zu nennen ist hier z.B. die lange Forschungstradition zu Themen wie Fremdverstehen, Perspektivenwechsel, interkulturelles Lernen Prinzip Nachhaltigkeit für das Lehren und Lernen fremder Sprachen 233 (vgl. nur die vielfältigen Publikationen zu diesen Themenkomplexen im Umfeld des Graduiertenkollegs „Didaktik des Fremdverstehens“, z.B. für eine frühe Publikation Bredella/ Christ 1995): Wir haben hier einen hohen Grad an Theoriebildung und eine breite empirische Erkenntnislage entwickelt, die auch dazu geführt haben, dass diese Themen in der Überarbeitung des GER noch einmal besser ausgearbeitet werden konnten. Es überrascht deshalb, dass in Publikationen z.B. zum Thema Perspektivenwechsel im Rahmen der Diskussion um Nachhaltigkeit (vgl. exemplarisch Asbrand/ Martens 2013) keine einzige Publikation aus unserer Disziplin genannt wird. Ein anderer Bereich, der sich stark entwickelt hat und für die Weiterentwicklung der BNE insgesamt, vor allem aber auch für die BNE im Rahmen der Fremdsprachenbildung noch fruchtbarer genutzt werden könnte, ist der der Kulturstudien und damit (auch) die Auseinandersetzung mit dem Begriff „Kultur“. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Tatsache, dass hier aktuell sehr kontrovers diskutiert wird (vgl. z.B. Fornhoff/ Koreik 2020), hängt aus meiner Sicht auch damit zusammen, dass man, wenn sich kulturwissenschaftliche Fragestellungen mit didaktischen Zielsetzungen und Umsetzungen verbinden, sehr schnell bei der Frage landet, welche Inhalte bzw. welche Kompetenzen behandelt werden sollen und wie die getroffene Auswahl begründet werden kann. Dass das häufig auf der Grundlage normativer Setzungen passiert bzw. passieren muss (oder eigentlich nicht passieren sollte, sondern stärker empirisch fundiert), darüber diskutieren einige Forschende in den Kulturstudien intensiv. Wenn diese Diskussion in einem größeren Rahmen geführt werden würde, könnten hieraus (noch weitere) wichtige Impulse auch für die Diskussion um die BNE entstehen. 4 Forschung zur Integration des Konzepts Nachhaltige Entwicklung im Fremdsprachenunterricht Die Forschungslage zur BNE insgesamt, vor allem aber zur Integration einer BNE in das Fremdsprachenlehren ist noch sehr dünn. Sucht man international, dann findet man zu letzterem vor allem kleinere Studien, die bei angehenden Lehrenden deren Einstellung zu der Integration des Themenkomplexes Nachhaltige Entwicklung in den FU bzw. deren eigene Einschätzung ihrer Kompetenz zur Behandlung dieses Themas im FU (sowohl auf der Ebene des Wissens als auch der didaktisch-methodischen Ansätze) abfragen. Die Ergebnisse ähneln sich: Lehrende halten das Thema meist für sehr relevant; sie sind aber der Meinung, dass sie zum einen selbst über zu wenig Wissen verfügen und dass zum anderen gängige fremdsprachenmethodische Ansätze der Integration des Themas in den FU entgegenstünden (vor allem: Grammatikorientierter Unterricht). Als besonders sinnvoll werden stattdessen aufgabenorientierte Ansätze erachtet, die aber in vielen Institutionen wegen hindernden Rahmenbedingungen nicht so einfach umgesetzt werden können. Schließlich Nicola Würffel 234 wird die fehlende Einbettung des Themas in die Curricula der Lehrendenausbildung bemängelt (vgl. u.a. Gürsoy/ Sağlam 2009; Nkwetisama 2011; Basarir 2017; Hamdan Alghamdi/ El-Hassan 2019). Fächerübergreifende Studien wie die Erhebung im Rahmen des nationalen Monitorings der Arbeitsstelle des wissenschaftlichen Beraters des UNESCO-Weltaktionsprogramms BNE kommen in Bezug auf die Einstellung der Lehrenden, aber auch der Lernenden zu ähnlichen Ergebnissen hinsichtlich der hohen Relevanz, die Lehrende wie Lernende dem Thema zumessen. Lernende bemängeln, dass dieBNE insgesamt viel zu wenig (und wenn dann nur in wenigen Fächern) eine Rolle spielen würde, Lehrende, dass Curricula die von ihnen in hohem Maße erwünschte Integration von der BNE erschweren und sie zudem im Studium nicht ausreichend bis gar nicht für die BNE ausgebildet worden wären (vgl. Grund/ Brock 2018a; 2018b). Dringend benötigte Unterrichtsforschung zur Umsetzung der oben angesprochenen methodischen Ansätze, zur Integration von einer BNE in den FU im Allgemeinen sowie zur Vermittlung und zum Erwerb der im Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung mit der fächerorientierten Teilausgabe für Neuere Sprachen angesprochenen Kompetenzen im Besonderen gibt es dagegen bislang noch so gut wie nicht. Sie stellt deshalb ein wichtiges Desiderat dar. 5 Prinzip Nachhaltigkeit für das Lehren und Lernen fremder Sprachen Die ungeheure Breite der Möglichkeiten zur Einbeziehung des Themas in den FU führt an vielen Stellen zu Banalisierungen, zur Beliebigkeit der Schwerpunktsetzungen und zu dem Eindruck, dass häufig wenig wirklich neuartige Vorschläge durch die hohe Bedeutung des Themas aufgewertet werden sollen. Man fragt sich, ob hier nicht wieder einmal die scheinbar hohe Anschlussfähigkeit des FU für jegliche Themen mit gesellschaftlicher Relevanz (aber nur oder vor allem mit dem Ziel, Redeanlässe zu schaffen) zum Tragen kommt. Diese Entwicklung ist aus einer wissenschaftlichen Perspektive heraus als problematisch anzusehen. Trotzdem erscheint die Forderung, auch den FU zu nutzen, um eine nachhaltige Entwicklung voranzubringen, politisch sehr gerechtfertigt. Neben der systematischen Weiterentwicklung von Ansätzen der Fremdsprachenforschung, die für die BNE fruchtbar sind, der Arbeit an einer theoretisch und empirisch fundierten Überarbeitung des Orientierungsrahmens für BNE für Fremdsprachen und einer möglichen Erweiterung des GER gibt es aus meiner Sicht noch einen weiteren möglichen Schritt, um das für uns alle bitter nötige Vorankommen in den Fragen einer nachhaltigen Entwicklung auch im Bereich des Fremdsprachenlehrens und -lernens zu unterstützen. Dieser Schritt wäre stärker politisch-normativ ausgerichtet als systema- Prinzip Nachhaltigkeit für das Lehren und Lernen fremder Sprachen 235 tisch-wissenschaftlich: Ich unterstütze den Vorschlag, in unseren Katalog der didaktisch-methodischen Prinzipien das Prinzip eines auf Nachhaltigkeit ausgerichteten und globalen Lehrens und Lernens mitaufzunehmen (vgl. Cates/ Jakobs 1999; für aktuellere Publikationen Grimstein/ Hille 2018 oder Wanning 2019) und in unsere Kompetenzkataloge den einer transformative literacy (vgl. Wanning 2019, 301). Nach Schneidewind (2013, 83) macht sich die transformative literacy „daran fest, welche Informationen über soziale Veränderungsprozesse adäquat gelesen, interpretiert und genutzt werden, um sie in politische und ökonomische Entscheidungen einzubringen.“ Eine adäquate Rezeption, Interpretation und Nutzung von Informationen für die Gestaltung von Transformationen beruht dabei auf einem Einbezug von vier Dimensionen, nämlich der technologischen, ökonomischen, kulturellen und institutionellen Dimension (vgl. ebd., 83-84). So kritisch ich als fremdsprachendidaktische Wissenschaftlerin unser Konstrukt der didaktisch-methodischen Prinzipien (wegen seines hohen normativen Charakters und seiner wissenschaftstheoretischen Vagheit) auch sehe, so sehr die Prinzipien auch immer in der Gefahr stehen, zu Slogans zu verkommen und der Verwässerung anheim zu fallen, so bewirken sie doch fast immer eine stärkere Sichtbarkeit des angestrebten „Prinzips“, und stoßen - ganz pragmatisch gesehen - fast immer Entwicklungen im Bereich der Lehr- und Lernmedien, in der Forschung und der Praxis an. Gestützt werden sollte der Einbezug des Prinzips Nachhaltigkeit und globales Lernen aber durch Forschungsprojekte: In Design-Based-Research-Projekten könnten Forschende, Lehrende und Verlage zunächst zusammen Lehrwerk-Lektionen so weiterentwickeln oder neugestalten, dass dass in ihnen das neue Prinzip umgesetzt und eine tranformative literacy gefördert wird. Anschließend würde der Einsatz der Lehrwerk-Lektionen im Unterricht erforscht und auf der Grundlage der Ergebnisse die Neugestaltung der Lehrwerke unter Gesichtspunkten der nachhaltigen Entwicklung und des globalen Lernens verbessert werden. Gleichzeitig könnten auf diese Weise Erkenntnisse zur Sinnhaftigkeit der Übernahme des Prinzips Nachhaltigkeit und globales Lernen für das Fremdsprachenlehren und -lernen gewonnen werden. 6 Literatur Asbrand, Barbara/ Martens, Matthias (2013): „Qualitative Kompetenzforschung im Lernbereich Globale Entwicklung: Das Beispiel Perspektivenübernahme“. In: Overwien, Bernd/ Rode, Horst (Hrsg.): Bildung für nachhaltige Entwicklung: Lebenslanges Lernen, Kompetenz und gesellschaftliche Teilhabe. Opladen: Budrich, 47-68. Basarir, Fatma (2017): „Examining the Perceptions of English Instructors Regarding the Incorporation of Global Citizenship Education into ELT“. In: International Journal of Languages Education 4, 409-425. 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Krumm (Hrsg.): Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung als Ausbildungs- und Forschungsdisziplinen. Arbeitspapiere der 17. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1997. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Kognition als Schlüsselbegriff bei der Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 18. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1998. Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 245 K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Die Erforschung von Lehr- und Lernmaterialien im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 19. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1999. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Interaktion im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 20. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2000. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Neue curriculare und unterrichtsmethodische Ansätze und Prinzipien für das Lehren und Lernen fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 21. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2002. K.-R. Bausch/ H. Christ/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Arbeitspapiere der 22. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2003. K.-R. Bausch/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenlehrerausbildung. Konzepte, Modelle, Perspektiven. Arbeitspapiere der 23. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2003. K.-R. Bausch/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Mehrsprachigkeit im Fokus. Arbeitspapiere der 24. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2004. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfstand. Arbeitspapiere der 25. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2005. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Aufgabenorientierung als Aufgabe. Arbeitspapiere der 26. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2006. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Textkompetenzen. Arbeitspapiere der 27. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2007. Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 246 K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenlernen erforschen: sprachspezifisch oder sprachenübergreifend? Arbeitspapiere der 28. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2008. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht im Spannungsfeld von Inhaltsorientierung und Kompetenzbestimmung. Arbeitspapiere der 29. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2009. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachen lehren und lernen: Rück- und Ausblick. Arbeitspapiere der 30. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2011. K.-R. Bausch/ E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen: Forschungsethik, Forschungsmethodik und Politik. Arbeitspapiere der 31. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2011. E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ H.-J. Krumm (Hrsg.): Sprachenbewusstheit im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 32. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2012. E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ C. Riemer (Hrsg.): Identität und Fremdsprachenlernen. Arbeitspapiere der 33. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2013. E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ C. Riemer (Hrsg.): Perspektiven der Mündlichkeit. Arbeitspapiere der 34. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2014. E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ C. Riemer (Hrsg.): Lernen an allen Orten? Die Rolle der Lernorte beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen. Arbeitspapiere der 35. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2015. E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ C. Riemer/ L. Schmelter (Hrsg.): Üben und Übungen beim Fremdsprachenlernen. Arbeitspapiere der 36. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2016. Bisher erschienene Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz 247 E. Burwitz-Melzer/ F. G. Königs/ C. Riemer/ L. Schmelter (Hrsg.): Inklusion, Diversität und das Lehren und Lernen fremder Sprachen. Arbeitspapiere der 37. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2017. E. Burwitz-Melzer/ C. Riemer/ L. Schmelter (Hrsg.): Rolle und Professionalität von Fremdsprachenlehrpersonen. Arbeitspapiere der 38. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2018. E. Burwitz-Melzer/ C. Riemer/ L. Schmelter (Hrsg.): Das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen im digitalen Wandel. Arbeitspapiere der 39. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Gunter Narr Verlag 2019. E. Burwitz-Melzer/ C. Riemer/ L. Schmelter (Hrsg.): Affektiv-emotionale Dimensionen beim Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen. Arbeitspapiere der 40. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr Francke Attempto 2020. Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik Nachhaltigkeit zielt auf Partizipation, Solidarität sowie zukunftsgerichtetes Denken und Handeln. Zunehmend wird Nachhaltigkeit auch bei der Erforschung des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen zum Thema gemacht und dabei mit dem Begriff sowohl auf Inhalte als auch auf Ziele des Fremd- und Zweitsprachenunterrichts verwiesen. Welche Leistungen können fremd- und zweitsprachendidaktische Ansätze mit Blick auf die Nachhaltigkeit des Fremd- und Zweitsprachenunterrichts vorweisen? Wo lassen sich Entwicklungsmöglichkeiten erkennen? Wo und wie können der Zweit- und Fremdsprachenunterricht zum Ziel „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ beitragen? Und wo liegen die prioritären Forschungs- und Entwicklungsbedarfe? Diese Fragen wurden im Rahmen der 41. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts bearbeitet. Der Band dokumentiert die überarbeiteten Stellungnahmen der Teilnehmer: innen. ISBN 978-3-8233-8505-9