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Fachdidaktik Englisch - Fokus Literaturvermittlung

2021
978-3-8233-9519-5
Gunter Narr Verlag 
Jürgen Meyer

Seit den Lehrplanreformen der frühen 2000er Jahre hat sich der Stellenwert von Literatur im Englischunterricht verändert: Die Vermittlung sprachlich-kommunikativer und handlungsorientierter Kompetenzen ging zulasten der literarischen Interpretation mit ihrem Bemühen um ein Verstehen der Vieldeutigkeit von literarischen Texten. Es zeigt sich, dass das Bemühen um lebensweltliche Bezüge zur Realität der Leser:innen nicht immer zu Umgangsweisen mit Texten führt, die der erfolgreichen Ausbildung von literarischer Kompetenz zuträglich sind. Diese Studie vergleicht Unterrichtsmodule aktueller Lehrwerke (Camden Town, Context, Green Line Oberstufe und Pathway Advanced) und legt an ihnen dar, wie Literatur wieder als Literatur betrachtet werden kann. Thematisch rücken neben Ausschnitten aus Shakespeares Werken vor allem Dystopien und Science Fiction des 20. und 21. Jahrhunderts in den Vordergrund.

Jürgen Meyer Fachdidaktik Englisch - Fokus Literaturvermittlung Eine hermeneutische Analyse von Lehrwerken der gymnasialen Oberstufe Fachdidaktik Englisch - Fokus Literaturvermittlung Augsburger Studien zur Englischdidaktik Edited by Engelbert Thaler (Augsburg) Editorial Board: Sabine Doff (Bremen), Michaela Sambanis (Berlin), Daniela Elsner (Frankfurt am Main), Carola Surkamp (Göttingen), Christiane Lütge (München), Petra Kirchhoff (Erfurt) Volume 2 Volume 11 Jürgen Meyer Fachdidaktik Englisch - Fokus Literaturvermittlung Eine hermeneutische Analyse von Lehrwerken der gymnasialen Oberstufe © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 2367-3826 ISBN 978-3-8233-8519-6 (Print) ISBN 978-3-8233-9519-5 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0335-0 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Digitaler Anhang abrufbar unter www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 7 1 11 1.1 11 1.2 22 1.3 30 1.4 40 1.5 53 2 57 2.1 57 2.2 60 2.2.1 67 2.2.2 69 2.2.3 93 2.2.4 124 2.2.5 138 2.3 168 2.3.1 182 2.3.2 205 2.3.3 234 2.3.4 252 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturvermittlung an Schule und Universität: „Zwei Galaxien“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lehrwerkforschung: Ansätze, Methoden, Ergebnisse und Desiderata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturunterricht in der SEK II: Bildungspolitische/ curriculare Rahmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturdidaktische Problemfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ziele und Aufbau der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltlich-struktureller Aufriss der Lehrwerke . . . . . . . . . . . . . Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturorientierte Aufgabenformate . . . . . . . . . . . . . . Camden Town: Schulen der Zukunft - Zukunft der Schule? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Context: Von Frankensteins Monster zum „Big Brother“ Green Line: Mit Little Brother zum ECHO Boy . . . . . . . . Pathway Advanced: Menschenskinder . . . . . . . . . . . . . . Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? . . . . . . Camden Town: Über die Sonette zum Schauspiel . . . . . Context: Mit Shakespeare aus der Vergangenheit in die Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Green Line: Vom Dramatiker zur Film-Figur . . . . . . . . . Pathway Advanced: Shakespeare als postmoderner Mythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 279 3.1 279 3.2 285 3.3 289 4 291 309 311 Ergebnisse und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturbasierte Wissens- und Kompetenzvermittlung . . . . . Ein bescheidener Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mit der schulischen Text- / Medienkompetenz ins Literatur-Seminar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt Vorwort In dieser Studie plädiere ich dafür, dem diskursiven, reflektierten Umgang mit Literatur einen neuen Ort im Fremdsprachenunterricht der Schule im Fach Englisch einzuräumen. Dies geschieht keineswegs, um die bewährte Kombina‐ tion von affektiven und kognitiven Zugängen vollständig zu beseitigen oder die Arbeit mit neuen, digitalen Medien aus dem Unterricht auszuschließen; gleich‐ wohl soll bewirkt werden, eine bessere Anschlussfähigkeit zwischen schulisch vermittelter literarischer Kompetenz und akademischen Methoden der Text‐ erschließung herzustellen. Damit soll ein weniger starker Bruch zwischen Sekundar- und Tertiärbildung, zwischen dem schulischen Fremdsprachenunter‐ richt Englisch und den Bereichen Literaturwissenschaft/ Literaturdidaktik im Fach Anglistik ermöglicht werden. Es wird hier darum gehen, vor allem zwei per se literaturaffinen Themen in Englisch-Lehrwerken für die gymnasiale Oberstufe besondere Geltung als Literatur zu verschaffen und an ihnen die spezifische Wirkung sprachlicher Kunstwerke erarbeiten zu lassen: „Science, Technology“ (inkl. Utopie und Dys‐ topie) sowie „Shakespeare“. Mit diesen Unterrichtsthemen können zeitgenössi‐ sche und klassische literarische Texte als ästhetische, historische und formale Diskursformationen zu Wort kommen und so zur Geltung gebracht werden, dass sie nach dem Übergang in die akademische Lernumgebung produktiv genutzt werden können. In anderen thematischen Zusammenhängen mit einem höheren Lebensweltbezug, wie z. B. in „Individual and Society“, „Identity“, „Media“ und „Globalization“, erscheint demgegenüber ein höherer Grad von didaktischer Plausibilität gegeben, wenn die Schüler: innen in ihrem Dialog mit literarischen Texten vermehrt auch eigene imaginäre Spielräume konstruieren. Die Studie richtet sich an fortgeschrittene Studierende in den Lehramtsstu‐ diengängen ebenso wie an Referendar: innen und (Hochschul-) Lehrer: innen. Die folgenden kurzen Hinweise mögen als Orientierung für die verschiedene Adressatengruppen dienen. Kapitel 1 und 3 richten sich vor allem an diejenigen Gruppen, die in die gymnasiale Lehramtsausbildung involviert sind: Angespro‐ chen sind hier insbesondere anglistische und amerikanistische Literaturwissen‐ schaftler und Literaturdidaktiker - ersteren sollen zum einen Hinweise gegeben werden, die ihnen bestimmte Dynamiken im gegenwärtigen Lehrbetrieb vieler Seminarveranstaltungen besser zu verstehen helfen; zum anderen soll ihnen hier ein Überblick darüber gegeben werden, mit welchen methodischen Ver‐ fahren im Oberstufenunterricht die englischsprachigen Literaturen an die zu‐ künftigen Studierenden vermittelt werden. Die fachdidaktischen Kolleg: innen wiederum sind eingeladen, aus empirischer Sicht die hier beschriebenen Sym‐ ptome in den schulischen Kursen zu evaluieren, sowie ggf. die Ursachen für die Krise im Umgang mit Literatur schärfer zu erfassen. Die zentrale, vergleichende Lehrwerkanalyse (Kapitel 2) adressiert v. a. gym‐ nasiale Lehrkräfte, die konstruktive Anregungen für den kritischen Einsatz der hier fokussierten Inhalte ‚ihrer‘ schulischen Lehrwerke suchen, wie auch Stu‐ dierende mit praktischer Lehrerfahrung und Referendar: innen, die dies gerade erlernen. Sie sollen erkennen, dass sie die in Lehrwerken angebotenen Materia‐ lien für den Unterricht immer wieder analysieren, beurteilen und verändern bzw. anpassen müssen. Diese Zielgruppen finden jenseits der hier vorgestellten thematisch-methodisch fokussierten Darlegungen in einem digitalen Anhang zu diesem Buch Unterrichtsmaterialien mit Textpassagen, die den Lehrwerks‐ texten als (ihrerseits editierbare und also modifzierbare) Ergänzung zugeordnet sind. Das Ziel dieser Materialien ist es, die textnahe Unterrichtsarbeit mit dem jeweiligen literarischen Werk zu intensivieren. Die Anlage dieses digitalen Anhangs ist so gestaltet, dass ein dynamischer Vorrat an lehrwerksgebundenen Materialien geschaffen wird, der über die Verlags-Website abgerufen werden kann (www.meta.narr.de/ 9783823385196/ digitaler_Anhang.zip). *** Entstanden ist die Idee zu dieser Studie in den Jahren meiner universitären Lehrtätigkeiten als Literaturwissenschaftler. Gestalt angenommen hat sie dann während meiner Professurvertretungen der Englischen Fachdidaktik an den Universitäten Paderborn (2014-16), Bielefeld (2016-19) und Vechta (2019/ 20). In dieser Zeit konnte ich mich, aus dem Arbeitsgebiet der Englischen Literatur- und Kulturwissenschaft kommend, kontinuierlich und systematisch mit den Inhalten der Englischen Literaturdidaktik auseinandersetzen. Dem Reihen-Herausgeber, Prof. Dr. Engelbert Thaler (Universität Augs‐ burg), danke ich vielmals für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe Studies in English Language Teaching. Prof. Dr. Michael Meyer (Universität Koblenz-Landau) war der erste Leser des Manuskripts und lieferte mir mit seinem kritisch-konstruktiven Feedback eine Fülle von wertvollen und sachdienlichen Hinweisen - ein herzlicher Dank geht auch an ihn. Frau Kathrin Heyng und besonders Frau Tina Kaiser vom Verlag Narr Francke Attempto waren für mich in der Phase der Druckeinrichtung stets erreichbare Ansprechpartnerinnen; sie trugen wesentlich dazu bei, dass der Band eine ansehnliche Form erhalten hat. Selbstredend gehen alle verbliebenen Fehler und Unzulänglichkeiten zulasten des Autors. 8 Vorwort Meine innigste Dankbarkeit gilt meiner Familie: Tess und Laura. Sie haben den langwierigen und anhaltenden Prozess der fachlichen und persönlichen Horizonterweiterung mit manchen Ermahnungen, vielen Ermunterungen und unzähligen Ermutigungen geduldig begleitet und mir alle erdenkliche Unter‐ stützung zukommen lassen. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Sennewitz, im Sommer 2021 Jürgen Meyer 9 Vorwort 1 Der britische Bildungspolitiker C.P. Snow verwandte den Ausdruck „two galaxies“ (Snow 2012: 16) in seinem kontroversen Vortrag „The two Cultures“ 1959 als Metapher für die von ihm diagnostizierte Wesensfremdheit, die im Zuge der Industrialisierung zwischen progressiv-modern orientierten Natur- und reaktionär-traditionalistischen Geisteswissenschaften entstand. 2 Dieser Prozess ist längst noch nicht abgeschlossen, und neben äußeren Einflüsse wie die andauernde Pandemie-Situation infolge von SARS-CoV-2 (umgangssprachlich Corona‐ virus), deren globalen Erschütterungen die Welt im Winter/ Frühjahr 2020 erfasst haben, trugen schon zuvor andere, bildungspolitische Faktoren auch im bundesdeutschen Schulalltag zu einer Beschleunigung dieses Prozesses bei. Genannt sei hier zunächst der Digitalpakt.Schule 2019-2024 (BMBF 2019), eine finanzpolitische Vereinbarung des Bundes mit den Ländern zur Errichtung und Sicherung der technischen Infrastruktur, die den Schulen ein Arbeiten im digitalen Raum erst ermöglicht. Schon zuvor veröf‐ fentlichte die Ständige Konferenz der Kultusminister (KMK) ihre Strategie Bildung in der Digitalen Welt (KMK 2016), die auf curricularer Ebene digitale Kompetenzen für Lernende im sekundären und tertiären Bildungsbereich (Schule, Hochschule, Weiterbildung) definierte. Kurz darauf folgte auf EU-Ebene ein ähnliches Papier, das entsprechende Kompetenzen für Lehrkräfte festlegt: Digital Competences for Educators, DigCompEdu (Redecker/ Punie 2017). 1 Ausgangspunkte 1.1 Literaturvermittlung an Schule und Universität: „Zwei Galaxien“? 1 Es ist mittlerweile ein Gemeinplatz zu sagen, dass die zunehmende Digitalisie‐ rung spätestens seit der Verbreitung des Internet in den 1990er und der sozialen Medien in den 2000er Jahren die Gesellschaft in allen Bereichen - Arbeit, Freizeit, Bildung - stark verändert habe. 2 Einen mindestens ebenso einfluss‐ reichen Faktor im Bildungssektor stellt der pädagogische Paradigmenwechsel von einem wissensbasierten, stark lehrerzentrierten und input-orientierten zu einem kompetenzorientierten (Fremdsprachen-)Unterricht mit einem Akzent auf den Ergebnissen und Produkten der Lernenden dar, der sich im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts vollzogen hat - mit einer lernerorientierten Beschreibung von Kompetenzen, die auf Sprachenebene europaweit (CEFR 2001) und auf Bundesebene durch die Festlegung von Bildungsstandards defi‐ niert wurden (zuletzt KMK 2012). In diesem Zusammenhang veränderte sich auch der fremdsprachliche Literaturunterricht mit stark handlungsorientierten, kreativen Umgangsweisen, die die Erfahrung der Lernenden in den Vorder‐ grund stellte (dazu s. die detaillierten Ausführungen Abschn. 1.3 und 1.4). 3 Der CEFR (2001) richtet das Augenmerk auf die sprachlichen Kompetenzstufen von A1 bis C2 und ergänzt diese im CEFR (2018) um Aspekte der Sprachmittlung, in denen auch der Umgang mit kreativen (inkl. literarischen) Texten kategorisiert wird. Die Bil‐ dungsstandards für die erste Fremdsprache (KMK 2012) unterscheiden drei aufeinander aufbauende Kompetenzbereiche: text-/ medienorientierte, funktional-kommunikative, und interkulturelle kommunikative Kompetenzen; zudem Sprachbewusstheits- und Sprachenlernkompetenz. Im Bereich der Text-/ Medienkompetenzen nimmt der Um‐ gang mit Literatur einen untergeordneten Stellenwert ein. Vgl. dazu unten, Abschn. 1.3. Dieser Wechsel wirkte sich wiederum auf den Stellenwert von Literatur im Unterrichtsgeschehen gerade der gymnasialen Oberstufe aus und betraf folglich auch die Konzeption von Lehrwerken mit ihrer Einbettung von literarischen Texten in die geforderten authentischen, lebensweltnahen Themenblöcke und schülerzentrierten Aufgabenstellungen. Beide Prozesse der vergangenen zwei Jahrzehnten - gesellschaftliche Digi‐ talisierung und pädagogische Kompetenzorientierung - haben zu einer grund‐ legenden Veränderung in den Bereichen Lesesozialisation und Leseverhalten innerhalb und außerhalb der Bildungseinrichtungen beigetragen, und sie haben eine Definition von „literarischer Kompetenz“ erforderlich gemacht. Was aber versteht man also darunter und wozu dient diese? Im Gegensatz zu anderen Kompetenzbereichen gibt es hierzu nur recht wenige verbindliche Maßgaben. 3 Eher sind es einzelne Literaturdidaktiker: innen, die sich um eine gewisse Stan‐ dardisierung auf dieser Ebene bemühen. Christiane Lütge benennt hierzu im Anschluss an Wolfgang Hallet vier verschiedene Ebenen: die „Literary Reading Competence“ mit der Befähigung zum analytischen wie empathischen Lesen; die „Literary as Cultural Competence“ samt der Fähigkeit, interkulturelles und historisches Wissen in literarischen Texten zu aktivieren; die „Compe‐ tence of Reflection“, die den in Texten eingeschriebenen, zumeist impliziten Wertesystemen auf den Grund geht und die individuelle reader response auf einer übergeordneten Ebene zu entschlüsseln in der Lage ist; schließlich die „Competence of Foreign Language Discourse“, die in der zielsprachlichen Auseinandersetzung (Rezeption) und Verbalisierung (Produktion) besteht (vgl. Lütge 2012/ 13: 198-199; vgl. dazu auch Hallet 2007). Mit Ralf Weskamp lassen sich, in Antwort auf die zweite Teilfrage nach den Funktionen und Zielen des fremdsprachlichen Literaturunterrichts, diese wie folgt darstellen: 12 1 Ausgangspunkte Bildung die inneren Kräfte des Menschen freisetzen und entwi‐ ckeln zu Freiheit und Autonomie des Menschen beitragen ästhetische Urteilskraft und ästhetisches Bewusst‐ sein entwickeln den Intellekt schulen Kompetenzerwerb zur employability beitragen zu lebenslangem Lernen befähigen zur allgemeinen Lesefähigkeit (literacy) beitragen Input-, Output- und Interaktionsmöglichkeiten beim Fremdsprachenerwerb schaffen Kulturvermittlung die überzeitliche Bedeutung von Literatur deutlich ma‐ chen zeigen, dass Literatur Teil diskursiver Systeme ist, die sich wechselseitig beeinflussen Literatur als Teil des ‚kulturellen Gedächtnisses‘ verstehbar machen einen literarischen Kanon als Orientierungshilfe vor‐ stellen Literatur als Dokument einer Zeit untersuchen die wechselseitige Bedingtheit von Literatur und Geschichte aufzeigen Kognition / Kom‐ munikation zeigen, dass Narrative ein Element des Denkens und eine Form der Kommunikation darstellen die eigene Lebensgeschichte als Narrativ erfahrbar ma‐ chen Literatur als Spiel mit der eigenen Gedankenwelt erleben lassen die sprachliche Form von Literatur als Ursache für ihre ästhetischen und emotionalen Effekte auf‐ zeigen Moralische Bildung zeigen, dass Literatur nicht dazu geeignet ist, ein Modell für ein gutes Leben zu liefern zeigen, dass Literatur analysierbare menschliche Konflikte enthält dazu beitragen, menschliche Verhaltensweisen zu ver‐ stehen Tab. 1: Funktionen und Ziele des Literaturunterrichts (Weskamp 2019: 132-133, Herv. JM) Nimmt man die verschiedenen Parameter, so zeigt sich eine große Diskrepanz zwischen den Ansprüchen an eine fortgeschrittene fremdsprachliche Lesekom‐ petenz (sowohl an der Schule als auch der Hochschule) und der Realität der 13 1.1 Literaturvermittlung an Schule und Universität: „Zwei Galaxien“? 4 Eine Ursache lässt sich auf schon den Sekundarstufenunterricht zurückgeführen: „Ein Problem der mangelnden Berücksichtigung literarischer Texte im Fremdsprachenun‐ terricht der Sekundarstufe I besteht gerade darin, dass literaturbezogene Kompetenzen nicht systematisch aufgebaut werden und Lernende daher nicht genügend auf die Anforderungen der Oberstufe (wie zum Beispiel die selbstständige Analyse und Inter‐ pretation literarischer Texte sowie die kritische Reflexion und Revision des eigenen Textverstehens) vorbereitet werden.“ (Diehr/ Surkamp 2015: 22-23) Doch auch auf Hochschulebene ist zu beobachten, dass für viele zukünftige Lehrkräfte die literatur‐ wissenschaftliche Ausbildung mit dem Ende des Bachelor-Studiengangs erreicht ist und im anschließenden Master of Education nur mehr wenige fachwissenschaftliche Inhalte vermittelt werden. Lernenden. 4 „Fakt ist“, bilanziert Christa Jansohn in einem Beitrag zur Qualität der Lehrerausbildung im Fach Englisch, „dass die Schere zwischen schulischen Anforderungen und universitären Visionen immer weiter auseinandergeht.“ ( Jansohn 2015: 83) In der Tat gelangen viele Studierende der Anglistik nicht nur der ersten zwei Semester rasch an die Grenzen ihrer Lesekompetenz. Lesepensen von mehr als drei Romanen oder Dramen im Semester, oder mit mehr als ein bis zwei Gedichten pro Seminarsitzung werden häufig nicht nur als zeitliche, sondern auch sprachliche Überforderung betrachtet - erst recht im Verbund mit der Sekundärliteratur, die auch Verständnishilfen sein können, aber vor allem zur Reflexion des Gelesenen sowie zur Metareflexion einer methodisch oder theoretisch informierten Texterschließung anregen sollen. Komplexe un‐ eigentliche Schreibweisen wie Ironie und Satire oder stilistische Mittel jenseits von Alliteration, Paarreim und Metapher werden kaum selbstständig erkannt und entsprechend wenig von den Studierenden selbst thematisiert. Stilanalysen erfolgen in der Regel auf rein deskriptive Art - nicht selten in Stichwort- und Tabellenform, die allenfalls eine grobe funktionale Deutung präsentieren, ohne in zusammenhängende Interpretationstexte zu münden. Kritische, historisch und ästhetisch begründete Einsichten über einen komplexen literarischen Text zu formulieren überfordert viele Studierende noch am Ende ihres Erststudiums. In literaturwissenschaftlichen oder -didaktischen Lehrveranstaltungen fällt auf, dass in der Arbeit mit umfangreicheren Werken allmähliche Figurenent‐ wicklungen, achronologisch angeordnete Handlungsstränge oder mehrsträn‐ gige Plot-Konstruktionen immer wieder allzu rigide simplifiziert werden, nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines selbstverständlichen Einsatzes von in der Schule üblichen Recherchetools wie shmoop, sparknotes, nosweatshake‐ speare oder vergleichbaren Informationsplattformen, deren Angebote oft die Primärtextlektüre ersetzen. In Seminardiskussionen wie in wissenschaftlichen Hausarbeiten wird eifrig über die Autorintention spekuliert; dagegen werden Stadien eines ein- oder mehrsträngigen Handlungsverlaufs ebenso wenig be‐ 14 1 Ausgangspunkte rücksichtigt wie Perspektivwechsel in erzähltechnisch anspruchsvollen Texten wahrgenommen. Demzufolge kommt es immer wieder zu textlich begründbaren Missverständnissen bezüglich der Chronologie von Ereignissen, komplexer Charakterzeichnungen und mehrschichtiger Figurenkonstellationen. Häufig werden Hypothesen darüber formuliert, was eine Figur in einer bestimmten Situation zu ihrem Handeln bewegt, ohne dass die entsprechenden Textsignale zuvor oder später zur Kenntnis genommen würden, die über Entwicklungsdy‐ namiken in einer Figurenkonzeption Aufschluss geben könnten. Imaginäre Cha‐ raktere werden entweder identifikatorisch (und weniger empathisch) erfasst, indem Rezipient: innen ihre eigenen Lebenserfahrungen in den jeweiligen Stoff ‚hineinlesen‘. Oder die Studierenden bieten, in Ermangelung dessen, was ange‐ lehnt an ein summarisches Konzept von „Fiktionskompetenz“ (Gschwind 2020) als Fremd-Fiktionskompetenz zu konkretisieren wäre, ihrerseits eine alternative Version zum Handlungsverlauf einer Erzählung bzw. eines Dramas, womit sie sich von einer ästhetisch-analytischen auf eine adaptierend-performative Rezeptionsebene begeben, die aber im Bereich einer literaturwissenschaftlichen Annäherung an Texte äußerst selten eingefordert wird. Ein zentrales Moment der Fremdheitserfahrung insbesondere von Teil‐ nehmer: innen der ersten Studienjahre im Hörsaal oder Seminarraum ließe sich dadurch vermeiden, dass sie nicht länger schon in ihren ersten literaturwissen‐ schaftlichen Veranstaltungen erkennen müssen, dass verschiedene Lerninhalte, v. a. der autorzentrierte Zugang zur Textlektüre - jedenfalls bei fiktionalen Stoffen, die den bei weitem überwiegenden Anteil von literaturwissenschaftli‐ chen Seminaren ausmachen - mindestens als historisch veraltet, wenn nicht gar als konzeptuell irreführend betrachtet wird. Denn die Schüler: innen verlassen die Schule in der sicheren Erwartung, dass Text- / Materialnähe allenfalls für sekundäre Zwecke gefordert ist, und dass Wissenschaft nicht darin liege, divergierende explizite und implizite Sinnstrukturen zutage zu fördern, sondern kreativ etwas ‚Neues‘, ‚Anderes‘ aus dem Vorhandenen zu schaffen. Nicht zuletzt werden viele Inhalte der diskursiv akzentuierten (Selbstlern-) Skill Files in den Lehrwerken v. a. heuristisch, d. h. als definitorische Begriffssetzungen, eingeführt, während dieselben Begriffe im akademischen Kontext zu größeren Begriffssystemen und Theorien aufgebaut, in Beziehung zu konkurrierenden Modellen gesetzt und schließlich jenseits der reinen Definitionsmerkmale theoretisch reflektiert und differenziert bzw. diversifiziert werden. Dadurch bedingt werden im akademischen Diskurs immer wieder signifikante Bedeu‐ tungsverschiebungen gegenüber schulischer Textarbeit erlebt, die seitens vieler Studierender nicht etwa als eine Wissenserweiterung oder -vertiefung aner‐ kannt werden (diese Wahrnehmung wäre positiv besetzt, da bekannte kognitive 15 1.1 Literaturvermittlung an Schule und Universität: „Zwei Galaxien“? 5 Hohwiller konzediert zwar im direkten Anschluss an sein Fazit, dass die „Novizen“ gegenüber den erfahrenen Lehrkräften „anders mit der narrativen Offenheit der Kurz‐ geschichte“ umgingen; der entsprechende Beleg aber deutet auf eine eher emotionale Begründung denn auf die von Hohwiller eingeforderte „philologische Beweisführung“: „Die meisten novice teachers sind […] gerade von der Vieldeutigkeit von [Alison Moores] ‚Small Animals‘ angetan.“ (Hohwiller 2020: 63-64, fett: JM) Schemata wiedererkannt und neue darauf aufgebaut werden), sondern als eine (zu späte) Korrektur von an der Schule gelernten Inhalten. Die Wiederbegegnung mit schulischem Literatur-Wissen in akademisch vertiefendem Kontext wird somit häufig nicht als hermeneutischer Zirkel durchschritten, sondern als Teufelskreis durchlitten, weil die erweiternde Diffe‐ renzierung zum (potenziell schon angelegten) Schulwissen übers Lesen als De‐ gradierung der eigenen Kompetenz, gar des eigenen Leseverhaltens, empfunden wird. Daher wird eine theoretisierend-kritische, sinn- und bedeutungsstiftende Durchdringung der literarischen und literaturwissenschaftlichen (einschließ‐ lich der diskursiv-terminologischen) Inhalte häufig nicht mehr zugelassen. Wenn also in Publikationen um die Jahrtausendwende aus fachdidaktischer Sicht, d. h. vor Einführung der kompetenzorientierten Bildungsstandards und Landescurricula, „die neuphilologische, an Literatur und Landeskunde orien‐ tierte Tradition des Englischunterrichts“ (Tenorth 2001: 157) kritisiert wurde mit der Ermahnung, dieser dürfe „nicht nur eine Hinführung zur Literaturwis‐ senschaft“ (Voss 2001: 255) sein, so liegt es mittlerweile nahe, als wäre daraus eine Schwundstufe mit den zuvor skizzierten Auswirkungen entstanden. Umso auffälliger ist es, dass sich auch auf empirischer Ebene eine ähnliche Tendenz abzeichnet: Im Rahmen einer nicht-repräsentativen Interview-Studie, in der jeweils fünf erfahrene und unerfahrene Lehrkräfte das didaktische Potenzial einer Kurzgeschichte für den Einsatz in der Sekundarstufe II beschreiben sollten (vgl. Hohwiller 2020: 60), ergab sich folgende Einsicht: Fasst man […] das intertextuelle Bewusstsein, die Detailbeobachtungen inklusive der Deutung des Titels sowie den Umgang mit narrativer Offenheit allgemein als philologische Kompetenz zusammen, so kann man festhalten, dass diese bei den fünf expert teachers in fast allen Unterbereichen stärker ausgeprägt ist. Kurzum: Die philologische Beweisführung der erfahrenen Lehrrkräfte übertrifft quantitativ und qualitativ die der Novizen. Die ist insofern überraschend als das Anglistik-Studium der novice teachers, das auch ein literaturwissenschaftliches ist, kurz vor Abschluss steht, während das der Experten zum Teil Jahrzehnte zurückliegt. (Hohwiller 2020: 63; vgl. auch ebd. 109) 5 16 1 Ausgangspunkte 6 Laut Ladenthin wird eine reflexive, theoretisierende Ebene von akademischen Semina‐ rinhalten als jenes lästige „Sonderwissen“ (Ladenthin 2018: 674) abgestempelt, das man schnell wieder vergessen könne, da es in seiner Differenzierung - insbesondere seitens der Studierenden der Primar- und Sekundarlehrämter für den späteren schulischen Einsatz misstrauisch betrachtet - praxisfern erscheint und außerhalb der Sekundarstufe II in seiner Vertiefung nicht benötigt werde. 7 Die Lehrwerke werden hier in ihrer alphabetischen Titel-Reihenfolge aufgeführt. Es gibt zudem Bände für die Einführungsphase (EP): Cornelsen: Context Starter; Klett: Ganz so überraschend ist dieser Befund denn doch nicht: Ein weiterer Blick in die fachdidaktische Praxis der Lehramtsausbildung offenbart, dass „sich [literaturdidaktische, JM] Publikationen, aber auch studentische Seminar- und Staatsexamensarbeiten, kaum mehr mit der literarischen Grundanalyse und Interpretation eines spezifisch zu behandelnden Textes auseinander[setzten]“. Stattdessen wendeten sie „das inzwischen vielfach ausdifferenzierte Methodi‐ krepertoire der kreativen, produktiven, handlungs- und ergebnisorientierten, bisweilen noch analytisch ausgerichteten Verfahrensschritte“ (Volkmann 2017: 217, Herv. JM). Folglich erscheint schon hier die literarische Sachanalyse des zu vermittelnden literarischen Gegenstandes hintangestellt - ein sinnstiftendes Interpretationsverfahren, mit dem Lehramtsstudierende an einen literarischen Text herangehen und dies als fremdsprachliche wie auch hermeneutische Hand‐ lungskompetenz später in den Unterricht einbringen, wird nicht einmal mehr erwähnt. In Konsequenz ist zu erwarten, dass es den zukünftigen Lehrkräften schwerfallen wird, sich selbst auf die Literarizität von ästhetischen Texten ein‐ zulassen und einen Grundbestand an deren spezifischen Merkmalen (Form, Fik‐ tionsmarker, Strukturelemente, Diskurstechniken) später an die Schüler: innen weiterzugeben. Literaturtheoretische Modelle und darauf aufbauende Lektüre‐ verfahren spiegeln die Vielfalt der Möglichkeiten unterschiedlicher Textannähe‐ rungs und -aneignungsformen wieder. Ihre Kenntnis ist daher insbesondere für eine solide Lehramtsausbildung von hoher Bedeutung. Daraus resultiert häufig der Vorwurf einer zu theorielastigen Orientierung literaturwissenschaftlicher Seminare, die ihre Rechtfertigung aber aus der Vieldeutigkeit von literarischen Texten bezieht. 6 Materialauswahl. Als Basis für die folgende Untersuchung dienen vier Bände aus der Lehrwerksgeneration für die Qualifizierungsphase (11.-13. Schuljahr) mit Erscheinungsdaten von 2015 bis 2019. Sie alle fußen auf den Bildungsstandards der ständigen Kultusministerkonferenz ( KMK ) von 2012 und auf dem von 2014 bis 2019 gültigen Kernlehrplan für das Fach Englisch an der Gymnasialen Oberstufe in Nordrhein-Westfalen. Materialien für dieses Bundesland eignen sich - produziert für einen der von Verlagsseite bevorzugten Märkte - besonders für eine Analyse der vorliegenden Art. 7 Es werden im Fol‐ 17 1.1 Literaturvermittlung an Schule und Universität: „Zwei Galaxien“? Green Line Transition; Schöningh: Pathway; Diesterweg: Camden Town (Einführungs‐ phase). Diese Bände werden hier nicht berücksichtigt, weil sie nicht unmittelbar auf den Übertritt zur Hochschule vorbereiten. 8 Camden Town Oberstufe (Qualifikationsphase) erscheint als allgemeine Ausgabe und bietet bis dato (Stand 12.08.2021) lediglich für Bayern eine eigene Version. - Die ISBN-Identifikatoren mögen hier der Erleichterung durch die Navigation einer Vielzahl von Regionalausgaben dienen. 9 Seit 2021 erscheint eine neue Lehrwerksgeneration, für die zurzeit erst ein Angebot vorliegt (Klett, Green Line Oberstufe). Hierzu werden lediglich an gegebener Stelle einzelne Beobachtungen getroffen, aber - mangels Vergleichsmaterials anderer Verlage - keine komplette Analyse vorgelegt. Mit der neuen Lehrwerksgeneration wird auch die KMK Strategie Bildung in der digitalen Welt (KMK 2017) verstärkt umgesetzt. 10 Nicht berücksichtigt werden Themenhefte bzw. solche Zusatzangebote, die in Verbin‐ dung mit der didaktisierten Aufbereitung und Herausgabe einzelner Ganzschriften eigene Hintergrundinformationen zu Romanen und Short Stories bieten und Aufgaben‐ formate für deren Erarbeitung erstellen. genden namentlich Schülerbuch und Lehrer-Handreichungen, verschiedentlich auch das supplementäre workbook für die Analyse herangezogen. Das Untersu‐ chungskorpus setzt sich im Einzelnen aus den folgenden Bänden zusammen: • Diesterweg: Camden Town Oberstufe (Qualifikationsphase), 2019 (ISBN 978-3-425-73644-0) = CT; 8 • Cornelsen: Context, 2015 (ISBN 978-3-14-040161-6) = C; • Klett: Green Line Oberstufe, 2015 (ISBN 978-3-12-530485-7) = GL; 9 • Schöningh: Pathway Advanced, 2017 (ISBN 978-3-06-033482-7) = PA Jenseits der Konzeption der Schülermaterialien und ihrer Ergänzungen werden auch die Lehrerhandreichungen mit ihren thematischen Informationen und methodisch-didaktischen Hinweisen analysiert und kritisch reflektiert: • Camden Town Oberstufe (QP): „Lehrerhandbuch“ = CT-LHB • Context: „Handreichungen für den Unterricht“ = C-HRU • Green Line Oberstufe: „Lehrerband“ = GL-LB • Pathway Advanced: „Lehrerhandbuch“ = PA-LHB 10 Der Blick in diese Lehrwerke zeigt, dass zumindest elementare Begrifflichkeiten von gattungsspezifischen Repräsentationstechniken und von stilistischen / kommunikativen Gestaltungsmitteln in Texten und Medien, seien sie fikti‐ onal oder ein dokumentarisch, den Lernenden prinzipiell zugänglich gemacht werden: Es müsste also in den universitären Einführungsveranstaltungen eigentlich produktive kompetenz-, aber auch wissensbezogene Wiedererken‐ nungsmomente mit schulischem Lernstoff geben. Ebenso stünde es zu erwarten, dass diverse Lese- und Schreibstrategien, die dem Verfassen von schriftlichen as‐ 18 1 Ausgangspunkte 11 Bei diesen Skills Sections handelt es sich um geringfügig erweiterte Kompetenzbe‐ schreibungen, die die Schüler: innen schon aus den Lehrwerken der Einführungsphase kennen. 12 Die Lehrwerke weisen schon ab Jahrgangsstufe 5 umfangreiche Anhänge auf, die die Schüler: innen in den anschließenden Jahrgängen in zunehmendem Maße auf verschiedene textbasierte Lese- und Arbeitstechniken vorbereiten. signments, Klausuren und wissenschaftlichen Hausarbeiten dienen, zur Anwen‐ dung kämen. Gleichwohl kritisiert Hallet, dass aufgrund dieser auch curricular vorgesehenen Trennung von Inhalten und Kompetenzen insbesondere „die Produktion mündlicher und schriftlicher Texte, die doch eigentlich den Kern aller Kommunikation und aller kommunikativer Kompetenzen bilden müsste, aus unerfindlichen Gründen den ‚Methodenkompetenzen‘ zugeordnet [sind]“ (Hallet 2016: 14). Denn jedes Lehrwerk hält einen umfangreichen Apparat mit Kompetenzseiten bereit, 11 die nicht nur als Unterstützung für die Lern-Au‐ tonomie deklariert sind, sondern auch im Unterrichtsgeschehen Verwendung finden: „Verweise im Topic-Teil dienen der Integration der Skills section in den Unterricht.“ (GL-LB 10; Herv.i.Orig.) 12 So findet sich in Pathway Advanced ein substanzieller Anhang zu Competences, Skills & Methods (PA 489-548), während Camden Town und Green Line einen Diff[erentiation] Pool, Intercultural Compe‐ tences, Skills und einen Anhang mit einem Glossar zu literarischen Begriffen sowie einem Kompendium von kooperativen Unterrichtsmethoden anbieten (CT 294-389; GL 276-360). Context liefert seinerseits eine „Reference Section“ mit Language Files, Skill Files und Exam Practice (C 218-348). Die Skill Files der einzelnen Lehrwerke teilen sich in verschiedene Kategorien. So gibt es neben diskursförderlichen (hier: textlich bzw. medial geprägten) auch solche, die die individuelle Sprachproduktion ausbauen sollen - wie z. B. im Bereich der Lese- und Schreibtechniken. Die folgende Tabelle listet in einer Synopse eine Auswahl der verschiedenen Skill Files in allen verglichenen Lehrwerken auf, die jeweils eine Entsprechung in den Vergleichslehrwerken haben - bezogen auf die text- und medienanalytischen Kompetenzen und auf zwei der fünf wesentlichen skills, Schreiben und Lesen. 19 1.1 Literaturvermittlung an Schule und Universität: „Zwei Galaxien“? Camden Town Context Green Line Pathway Advanced Textana‐ lyse (Literari‐ sche Texte) S2 Checklist: Creative writ‐ ing (enthält Angaben zur Gestaltung von Perspektivtech‐ niken) SF19 Analying narrative prose SF36 Writing a text analysis S5 Dealing with narrative texts S8 Narrative perspectives S9 Narrative techniques Focus on skills: Analysis of a ficti‐ onal text S12: Checklist: Analysis: Prose (enthält Hin‐ weise zu Stilfi‐ guren und zur Charakterisie‐ rung) SF17 Analysing stylistic devices S10 Style and stylistic de‐ vices S35 Writing a character pro‐ file S7 Characteri‐ sation Focus on skills: Characterisation of a figure in lite‐ rature S11 How to work with drama SF20 Analysing drama S6 Dealing with poetry and drama Focus on Facts: Drama and theatre S10 How to work with poetry SF21 Analysing poetry Focus on Skills: Analysis of poetry and lyrics Medien‐ analyse (Car‐ toons, Illustra‐ tionen, Spiel‐ filme) S16 Checklist: Analysis of a film scene SF23 Analysing a film S29 Film types and cinematic devices Focus on Facts: Ca‐ mera operations S15 How to describe pic‐ tures SF11 Analysing pictures SF13 Analysing cartoons S 28 Working with visuals Focus on skills: Analysis of visuals Focus on facts: Screenplays and storyboards S17 How to work with car‐ toons Lesen SF14 Reading Strategies S11.1 Skim‐ ming and scanning Focus on skills: Re‐ ading techniques SF15 Marking up a text / Ma‐ king and taking notes S11.2 Taking notes Focus on skills Un‐ derstanding com‐ plex texts 20 1 Ausgangspunkte Schreiben S1 Checklist: Summary SF31 Writing a summary S13 Summary Focus on Skills: Writing an ana‐ lysis S9 How to structure a text SF38 Writing a well-structured text SF 40 Proofrea‐ ding S20 Para‐ graphs, edit‐ ing and check‐ ing S23 How to quote SF39 Quoting a text S19 Term paper and quoting Tab. 2: Skill Files zum schriftlichen Umgang mit Literatur in den vier Lehrwerken Dass die Lehrwerke von Fall zu Fall recht unterschiedliche Akzente für verschie‐ dene Kompetenzbereiche setzen, überrascht nicht so sehr wie die Tatsache, dass Camden Town als einziges der hier verglichenen Lehrwerke auf das komplette Segment „Reading Techniques“, das andernorts durchaus differenziert und eigentlich für Sachtexte zum Einsatz gebracht wird, verzichtet. Hingegen finden sich in allen Lehrwerken mindestens drei Methodenblätter zum Umgang mit den drei großen literarischen Textgenres: (Erzähl-) Prosa, Drama, Lyrik. Essentielle narratologische Kompetenzen wie die Aspekte von Perspektivgestaltung sind wiederum in Camden Town nicht etwa dem Skill File zu deren Analyse, sondern einer „Checklist: Creative Writing“ zugeordnet. Green Line bietet demgegenüber mit den Kategorien „Perspektiv-“ und „Erzähltechnik“ gleich zwei Vertiefungen zum Thema „Erzähltextanalyse“, die in dieser Differenzierung in keinem der anderen Lehrwerke zur Verfügung steht. Auch dem Verfahren der literarischen Charakterisierung ist in Camden Town kein eigenes Methodenblatt gewidmet (knappe Hinweise dazu finden sich im Skill File „Analysis of Prose“), während ihm in den anderen Lehrwerken mehr Raum zugewiesen ist. Einige dieser für die Analyse praxisrelevanten Aspekte, die die anderen Lehrwerke in die Skill Files auslagern, sind jedoch bei Camden Town in die core skills-workshops innerhalb der Unterrichtsmodule integriert. Dieses Lehrwerk stellt zudem die jeweilige Kompetenz in auf maximal drei Seiten begrenzten Abrissen mit gene‐ rellen „Do’s and Don’ts“ oder farblich hervorgehobenen Informationskästen zu einzelnen Textphänomenen vor. Gegenüber diesem stark diskursiven und textlastigen Verfahren verfolgen Context, Green Line und Pathway Advanced eine anschaulichere Strategie und bemühen sich auch vielfach um eine Visua‐ lisierung des zu vermittelnden Inhalts, sei es durch die (typo-)graphische Gestaltung und farbliche Hervorhebung wichtiger Informationen, sei es durch deren Illustration. In Context wird in diversen Skill Files ein Bezug auf konkrete 21 1.1 Literaturvermittlung an Schule und Universität: „Zwei Galaxien“? thematische Gegenstände einer Lerneinheit hergestellt, der für den Gebrauch in anderen Lernzusammenhängen deplatziert wirkt. Deswegen wird hier im Einzelfall abzuwägen sein zwischen dem Nutzen der praktischen Anwendung (mit dem Aufbau auf bekanntem Wissen) und dem Problem der Ablenkung vom gerade diskutierten Inhalt durch die Verankerung des Skill File in einer anderen Lerneinheit. In diesen Anhängen werden auf je ein bis zwei Druckseiten Kenntnisse zum Umgang mit Texten allgemein vermittelt, die als Voraussetzung für die Entwicklung und Förderung von Text- und Medienkompetenzen betrachtet werden. Diese umfangreichen Ergänzungen sind ebenso für das Arbeiten mit den Aufgaben der inhaltlichen Themenbereiche vorgesehen wie die Seiten mit literatur- und filmbezogenen Fachbegriffen, die ebenfalls in den einzelnen Lehr‐ werken angefügt sind. Gerade wenn man zugrundelegt, dass der Stellenwert des Lehrwerks im Oberstufenunterricht - anders als in der Sekundarstufe I - nicht der eines Leitmediums ist (vgl. Thaler 2012: 88), erscheint es sinnvoll, auch die für diesen Bildungsabschnitt konzipierten Lehrwerke einer genaueren Betrachtung zu unterziehen, um zum einen einen Schlüssel zum Verständnis der kompetenzorientierten Arbeit mit literarischen Texten im Englischunterricht der Sekundarstufe II zu erhalten, und zum anderen um daraus Hinweise auf die Mängel in einer nachhaltigen Vermittlung literarischer Kompetenzen zu erhalten. 1.2 Lehrwerkforschung: Ansätze, Methoden, Ergebnisse und Desiderata Vor der eigentlichen Betrachtung der hier zu untersuchenden Englisch-Lehr‐ werke in Kapitel 2 richtet sich im Zuge dieses Einführungskapitels die Aufmerk‐ samkeit in Abschn. 1.2 auf die wichtigsten Aspekte der Lehrwerkforschung und in Abschn. 1.3 auf wichtige Impulsgeber für curriculare Orientierungsraster. Abschn. 1.4 schließt mit den praxeologischen Konsequenzen an, die den Lite‐ raturunterricht seit der Implementierung dieser Orientierungsraster geprägt haben. Hier sind zentrale Konzepte zu erläutern, die für die Analysen in Kapitel 2 von zentraler Bedeutung sind. Abschn. 1.5 liefert abschließend einen inhaltlichen Aufriss der Studie. Ansätze. Auf einer grundlegenden Theorie des (fremdsprachlichen) Lehr‐ werks basiert diese Studie mit ihrem Fokus auf der Vermittlung von Literatur‐ kompetenzen nicht (als Teilmenge der curricular definierten Text- / Medien‐ kompetenzen); nicht zuletzt auch in Ermangelung einer solchen, wie Lies Sercu 22 1 Ausgangspunkte 13 Die Beobachtung gilt durchaus fächerübergreifend, wie z. B. mit Christine Michler zu belegen ist, die aus romanistischer Sicht feststellt, dass „die Grundlagen der Entwicklung von Lehrwerken nach wie vor […] nicht in ausreichendem Maße im Mittelpunkt fachdidaktischer Erörterungen (stehen)“ (Michler 2005: 39); ein Befund, auch aktuell noch gilt: „Wegen der offenkundigen Bedeutung, die Lehrwerke für die Unterrichtsrealität haben, wäre es zu erwarten, dass ausführliche, auf den gesamten Komplex ‚Lehrwerk’ bezogene und an fachdidaktischen Grundsätzen ausgerichtete Analysen von Lehrwerken […] in erheblichem Ausmaß vorhanden sind. Dies ist jedoch nicht der Fall.“ (Michler 2017: 7) Christine Ott, mit Bezug auf „Das Deutsch‐ buch als Forschungsgegenstand“, konzediert zwar, dass in jüngster Zeit zwar Studien erschienen seien, die sich der Lehrwerkserforschung zuwenden, „[a]llerdings findet aus fachwissenschaftlicher wie fachdidaktischer Perspektive keine systematische Be‐ forschung von Deutschbüchern statt […]. Es fehlt also zum einen an der Vermittlung der Forschungsaktivitäten rund ums Deutschbuch in die Schulpraxis hinein, zum anderen bedarf es eines kontinuierlichen Engagements der Schulbuchforschung - oder breiter: Bildungsmedienforschung - im Fach Deutsch, die gerade auch aktuelle Lehrwerke erfasst.“ (Ott 2019: 292) - Zu gesellschaftswissenschaftlichen Fächern vgl. die Ergebnisse der Zürichstudie mit einem multidisziplinären Überblick auf jüngere Arbeiten, die jedoch ihrerseits - isoliert betrachtet - wenige Ansätze zu einer Vielzahl von Perspektiven aufzeigen: „Schulbuchbezogene Forschung ist heutzutage ein breites Feld, das auch deshalb schwer zu vermessen ist, weil die Ansätze sich auf vielen Ebenen unterscheiden können.“ (Fuchs/ Niehaus/ Stoletzki 2014: 24) in ihrem Beitrag zur Routledge Encyclopedia of Language Teaching and Learning formuliert: „there is no universally recognized theory of the textbook“ (Sercu 2004: 626). Sie begründet diesen Sachverhalt u. a. damit, dass über den Umgang der Lehrkräfte mit dem Lehrbuch im Klassenzimmer zu wenig bekannt sei, ebenso wie zur Effizienz der Arbeit mit Lehrwerken, und dass die Einflüsse auf die Konzeption und Gestaltung von Lehrwerken zu vieldimensional seien, als dass sie zu einer solchen führen könnten. Gleichwohl lohnt sich zunächst ein kurzer Blick auf die methodischen Ansätze der Lehrwerkforschung. Diese erscheint aus fachdidaktischem Blick‐ winkel (nicht nur mit Sicht auf den Fremdsprachenunterricht Englisch) trotz neuer Impulse aus dem zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts als ein weitge‐ hend vernachlässigtes Feld. So bilanziert die Anglistin Daniela Elsner noch 2016: „Trotz ihrer Rolle sind Lehrwerke und ihr Einsatz im Fremdsprachenun‐ terricht nur wenig erforscht“ (Elsner 2016: 443). 13 Jedoch ist nicht zu übersehen, dass gerade aus der Anglistik schon früh wichtige Impulse für die aktuelle Lehrwerkkritik kamen. Denn für den deutschsprachigen Raum reichen die Wurzeln der Erforschung des fremdsprachlichen Englischunterrichts mehr als fünf Jahrzehnte zurück (Sauer 1964, Heuer 1973, Bung 1977, Neuner 1979). Die erste Generation von empirischen Studien entstand in der „doppelten Umbruchsituation des Unterrichts in den 1970er Jahren mit der Einführung der 23 1.2 Lehrwerkforschung: Ansätze, Methoden, Ergebnisse und Desiderata 14 Die Schriftenreihe „Lehrwerke und Curriculum im fremdsprachlichen Unterricht“ mit dem im ersten Heft angekündigten „Neuansatz“ (Heuer 1973) kam lediglich auf zwei Ausgaben. Die Zeitschrift Fremdsprachen Lehren und Lernen (FLuL), hervorgegangen aus den Bielefelder Beiträgen zur Sprachlehrforschung (1972-1986), brachte erst 2011 ein Sonderheft zu „Lehrwerkkritik, Lehrwerkverwendung, Lehrwerkentwicklung“ heraus. Darin konstatiert Kurtz den bis dahin bestehenden Mangel an „multiperspektivisch, hermeneutisch und / oder empirisch angelegten Untersuchungen und darauf basie‐ renden Theorieansätzen, die den Zusammenhang von Lehrwerkkritik, Lehrwerkver‐ wendung und Lehrwerkentwicklung […] systematisch aufeinander beziehen, zusam‐ menführen und integrativ weiterzuentwickeln suchen“ (Kurtz 2011: 4). kommunikativen Didaktik und der Gesamtschule“ (Funk 2019: 364), aber aus heutiger Sicht sind sie aufgrund stark veränderter institutioneller, curricularer und methodischer Rahmenbedingungen kaum mehr jenseits historischer Ein‐ ordnungen aussagekräftig. Die Systematische Lehrwerkanalyse (Bung 1977) kann aus heutiger Sicht als Initialzündung für empirische Untersuchungsverfahren in der englischen Fachdidaktik gewürdigt werden, ebenso wie die Aufsatzsamm‐ lung Zur Analyse fremdsprachlicher Lehrwerke (Neuner 1979). Diese älteren Studien weisen die Gemeinsamkeit auf, die Vorzüge des seinerzeit innovativen kommunikativen Ansatzes (Communicative Language Teaching) innerhalb der Fremdsprachendidaktik gegenüber dem bis dahin praktizierten audiolingualen Lehransatz herauszustellen. Damals mussten Lehr‐ werkgestalter also eher auf sich verändernde didaktische Vermittlungsme‐ thoden und reformierte Lern- / Lehrmodelle reagieren, die jedoch in großen zeitlichen Abständen aufeinander folgten: zunächst der Wechsel von der be‐ havioristisch grundierten audiolingualen Lehrmethode zu konstruktivistisch orientierten kommunikativen Ansätzen, die sich in den folgenden Jahrzehnten immer weiter in Richtung handlungsorientierter, aufgaben-basierter, koopera‐ tiver Lernmethoden ausdifferenzierten. Brian Tomlinson setzt eine ernsthafte akademische Auseinandersetzung und die Erschließung von Lehrwerken im internationalen Rahmen, von einigen wenigen Vorläufern abgesehen, überhaupt erst für den Zeitraum seit Mitte der 1990er Jahren an (vgl. Tomlinson 2012/ 13: 343), und Dietmar Rösler ergänzt das Bild mit der Behauptung, „dass die Rezeptionsanalyse, die Lerner- oder Lehrerverhalten beim Umgang mit Lehrwerken oder Teilen von Lehrwerken wie Übungen und Aufgaben oder Textformaten analysiert, recht unterentwickelt ist.“ (Rösler 2016: 474). Wolfgang Gehring wiederum weist auf die befremdliche, aber nach wie vor gültige Tatsache hin, dass Lehrwerke in wissenschaftlichen, selbst fachdidaktischen Zeitschriften nicht einmal rezensiert werden (vgl. Gehring 2012/ 13: 357); 14 eine Haltung, die keineswegs immer bestanden hat. So erinnert Christiane Lehmann daran, dass „zur Zeit der Neusprachlichen 24 1 Ausgangspunkte Reformbewegung regelmäßig Lehrbuchrezensionen verfasst [wurden]“ (Leh‐ mann 2010: 32), allerdings nur bis in die 1950er Jahre. Ein Grund für diese Zurückhaltung einer kritischen Rezeption innerhalb der academic community mag darin liegen, dass Lehrwerke für lange Zeit einen komplexen, mehrstufigen Genehmigungsprozess in den zuständigen Landesbildungs-Ministerien durch‐ laufen mussten, ehe sie zum Druck freigegeben wurden: „Für die Schulen und die Bildungsverlage ist die kultusministerielle Zulassung ein Gütesiegel.“ ( Jürgens 2010: 229; vgl. dazu Fey 2016). Erst im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts rückten die ministeriellen Genehmigungsverfahren wieder in den Hintergrund, teilweise unter einem kompletten Verzicht auf die Begutachtung (vgl. Stöber 2010, Wendt 2010). Mit Jürgen Kurtz lässt sich festhalten, dass mittlerweile aktuelle und jüngere Lehrwerksgenerationen weniger aus spezifisch methodisch-didaktischer Sicht überarbeitet werden müssen, sondern eher aufgrund umfassender, „zeitlich versetzte[r] ‚Materialisierungen‘ gesellschafts-, bildungs- und sprachenpoliti‐ scher, pädagogischer, fachdidaktischer und fachwissenschaftlicher, medientech‐ nologischer und medienpädagogischer, kommerzieller (u. a. m.) Überlegungen“ (2011: 5). In diesem Zusammenhang ist zunächst die Einführung des Gemein‐ samen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) / Common European Framework of Reference for Languages (im Folgenden in der englischen Fassung als CEFR zitiert) zu nennen, der im Jahr 2001 von der europäischen Union verabschiedet wurde. Weitere Impulse erfolgten durch die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die in Deutschland 2009 ratifiziert wurde, und die KMK Strategie Bildung in der digitalen Welt (2016), die zusammen mit dem „DigitalPakt.Schule 2019-2024“ (2019) zum gegenwärtig stattfindenden Generationswechsel im Angebot der Bildungsverlage seit 2020 führten. Entspre‐ chend sind die hier untersuchten Lehrwerke mit ihren Erscheinungsjahren zwischen 2015 und 2019 durch einen erhöhten Grad an Kompetenzorientie‐ rung und Inklusivität geprägt, so dass ein breiteres Differenzierungsangebot gegenüber früheren Ausgaben zur Verfügung steht; hinzu kommt ein höheres Gewicht auf dem verstärkten Einsatz von kooperativen Lernformen. Der Einsatz digitaler Medien mit den Möglichkeiten einer stärkeren Individualisierung des Unterrichts ist jedoch gegenüber den aktuellen Produktlinien stark reduziert. Folglich lässt sich bezüglich der „Halbwertzeit“ von Lehrwerken im Zeitalter der Digitalisierung konstatieren, dass diese sehr viel schneller veralten, als dies für solche der 1960er bis in die 1990er Jahren galt (Funk 2016: 440, nennt einen Zeitraum von nur mehr „3-5 Jahre[n]“ bei Verlagsinvestitionen von sechsstelligen Beträgen; vgl. dazu auch Thaler 2011: 23). Entsprechend beträgt die Dauer, für die eine Schulbuchzulassung gilt, ca. sechs Jahre (vgl. Stöber 2010: 25 1.2 Lehrwerkforschung: Ansätze, Methoden, Ergebnisse und Desiderata 6); sie wird i. d. R. bei der zumeist jahrgangsweise fortschreitenden Einführung neuerer, überarbeiteter Lehrwerksausgaben verlängert, bis diese vollständig vorliegt. Ein maßgeblicher Anteil der Lehrwerkkritik fand lange Zeit, institutionell betrachtet, parallel zu den universitären Fakultäten statt; sie wurde auf admi‐ nistrative, d. h. bildungspolitische bzw. curriculare Ebenen verschoben. Mitt‐ lerweile aber erschiene es insbesondere seitens der Fachdidaktiken geradezu fahrlässig, auf eine intensivere inhaltliche kritische Reflexion der Lehrwerke zu verzichten, da in vielen Fällen ein ministerielles „Gütesiegel“ fehlt und eben keine maximale „Verlässlichkeit“ im Hinblick auf die „fachwissenschaftliche[-] und didaktische[-] Anordnung“ der Inhalte per se gewährleistet ist (Anton 2017: 13; vgl. dazu auch die Ausführungen zum Kriterium der „Korrektheit und Aktualität der Information“ in Lehrmaterialien bei Volkmann 2010: 238). Die Qualitätskontrolle von Lehrwerken rückt somit wieder vermehrt in den Verant‐ wortungsbereich der jeweiligen Fachdidaktik, obgleich in den seltensten Fällen alle Unterrichtsfelder eines Faches analysiert werden. Anders als ein proaktives ministerielles Zulassungsverfahren weist die akademische Lehrwerkanalyse naturgemäß stets eine zeitliche Verzögerung von etlichen Jahren zwischen dem Erscheinen der Untersuchungsgegenstände, ihrem flächendeckenden Ein‐ satz im Unterrichtsgeschehen und der Veröffentlichung der Kritik auf: Die Vertreter: innen dieses Forschungsfeldes unterliegen einer anderen Form des Zeitdrucks als die Redaktionen in Schulbuchverlagen, die innerhalb kurzer Zeit ihre Lehrwerke den veränderlichen curricularen und amtlichen Vorgaben anpassen und zugleich marktorientiert verfahren müssen. Dies betont auch Rösler: „Der mit der Produktion einhergehende Zeitdruck und das Interesse daran, ein entwickeltes Lehrwerk auch an die Lernenden zu bringen, sind Gegenkräfte zu einer ausführlichen Erprobung“ (Rösler 2016: 473): zu nennen sind hier eine intensive interdisziplinäre (lerntheoretisch, lernpsychologisch, fachdidaktisch und fachwissenschaftlich) kompetente Betreuung durch das jeweilige Autoren- und Redaktionsteam. Es sei allerdings nicht bestritten, dass ein Lehrbuch trotz einzelner inhaltlicher Schwächen im Unterricht eine Vielzahl „an fachlichen, didaktischen und methodischen Anregungen“ liefert, die „generell den Unterricht nur verbessern“ (Sandfuchs 2010: 23), statt ihn zu behindern. So betrachtet, sind die jüngeren Forschungsansätze, die sich der kritischen Lehrwerkanalyse zuwenden, als Kontrollinstrumentarien zu begrüßen, zumal zu einer Fundamentalkritik bzw. einer in den 1990er Jahren verbreiteten Verzichtshaltung gegenüber dem Lehrwerk an sich ebenso wenig Anlass besteht (siehe aber, aus konstruktivistischer Sicht, Wolff 2001, sowie 26 1 Ausgangspunkte Freudenstein 2001) wie einer radikalen Ablehnung gegenüber analytischen Textaufgaben (vgl. dazu die Diskussion in Lauber 2004). Aktuelle Tendenzen. Insgesamt lässt sich sehr wohl feststellen, dass die Lehrwerkforschung neuerlich eine gewisse Dynamik entwickelt hat. Vor dem Hintergrund der Studien aus den letzten zwei Jahrzehnten ergibt sich folgendes Bild: Mit Blick auf den Stellenwert des Lehrwerks für den Unterricht besteht wei‐ testgehend Konsens darüber, dass zumindest in der Primar- und Sekundarstufe I Lehrwerke eine weite Verbreitung erreichen und insgesamt ein recht hohes Ansehen genießen; lediglich Grimm/ Meyer/ Volkmann äußern sich reserviert und weisen darauf hin, dass auf eine gute Durchmischung von allgemeinen lehrwerks- und lerngruppenspezifischen Zusatzmaterialen zu achten sei, da ansonsten die Gefahr durch wenig authentische Unterrichtsgegenstände sowie durch stereotypisierende Themenzuschnitte entstehe, die zudem für die Ler‐ nenden oft uninteressant sind und wenig Kreativität zuließen. Im gleichen Maße würden die Lehrenden ‚entlehrt‘, oder „deskilled“ (Grimm/ Meyer/ Volkmann 2015: 250), da ihnen mit den entsprechenden Lehrerhandreichungen alle metho‐ dischen Schritte vorgeschrieben würden. Daher mag Kurtz’ Regel nach wie vor Gültigkeit zugeschrieben werden: „Optimale Lehrwerkverwendung bedeutet nicht maximale Lehrwerkbindung.“ (Kurtz 2001: 43) In der Regel aber vereinen die jüngsten Lehrwerksgenerationen verschiedene Vorzüge, die eine Lehrkraft in mehrfacher Hinsicht unterstützen (können): The new generation of textbooks offer [sic] a variety of different text forms and activities that aim at the integrated practice of language skills […]. They follow the common principles of EFL teaching and learning by incorporating meaningful communicative tasks, catering to different learner styles and offering manifold activities for language practice. Modern textbooks for the secondary classroom embed grammar and vocabulary practice in meaningful contexts and they illustrate and explain the value of learning strategies and techniques, supporting learners in their individual learning processes. With this, textbooks are valuable timesavers in terms of teachers’ preparation times and they offer a secure learning progression that is transparent to students, teachers and parents alike. Given the fact that there is hardly a textbook anymore that does not come with a language learning software for the computer and CDs with texts and songs spoken / sung by native speakers, textbooks are also an effective resource for self-directed learning. (Elsner 2018: 30; Herv.i.Orig.) Gleichwohl gibt es gewisse Vorbehalte gegenüber dem Lehrwerk-Einsatz auf dem Niveau der Sekundarstufe II: „As teachers are more or less free to choose how they want to approach the topics and texts set by curricular guidelines, the use of classical textbooks is not very popular at secondary II 27 1.2 Lehrwerkforschung: Ansätze, Methoden, Ergebnisse und Desiderata 15 Hammer (2012) listet 21 Einträge für solche Arbeiten zwischen 1975 und 2010 auf, von denen immerhin ein Drittel lediglich ein kürzeres (Aufsatz-) Publikationsformat hat. Steiningers (2014) empirische Arbeit setzt ihren Akzent ebenfalls auf die Sekundarstufe I, geht dabei aber nicht auf die Vermittlung von Literaturkompetenzen über das Leitmedium Lehrbuch ein, sondern auf Sammlungen mit (sprachlich und thematisch) authentischen Short Stories. level.” (Elsner 2018: 33) Eine entwicklungspsychologische und fremdsprachener‐ werbs-typische Lernprogression ist hier nämlich gegenüber der Gestaltung von Lehrwerken für die Sekundarstufe I nicht mehr zu erwarten. Da die eigentliche Spracherwerbsphase zu diesem Zeitpunkt als abgeschlossen gilt, werden gram‐ matische Phänomene nicht von Grund auf erarbeitet, sondern zumeist situativ und wiederholend angewendet bzw. vertieft; in den thematischen Modulen werden zudem immer wieder grammatische Strukturen in Gestalt eines „focus on form / language“ eingefügt. Auch sind zu diesem Zeitpunkt verschiedene Lesetechniken mit jeweils eigenen Funktionen thematisiert worden, so dass die vielfältigen Skill Files einer weiteren Automatisierung und Autonomisierung des fremdsprachlichen Lernens und Arbeitens dienen - als (inter-)subjektiver Akt der Informationsbeschaffung und Meinungsbildung, als kognitive Methode der Bedeutungskonstruktion. Somit erscheint es aus fachdidaktischer Sicht insbesondere seit Einführung erstens der inhaltlich offen gestalteten, kompetenzorientierten Bildungsstan‐ dards, zweitens der landesspezifischen Kerncurricula für die Sekundarstufe II und drittens angesichts zunehmender Zentralisierung der Abiturprüfungen mittlerweile durchaus naheliegend, dass Lehrwerke im Sinne einer weitge‐ henden Wissensstandardisierung und Vergleichbarkeit das Rückgrat des Fremd‐ sprachenunterrichts im modernen Klassenzimmer bilden sollten, auf das sich sinnvollerweise auch die schulinternen didaktischen Jahreslehrpläne stützen. Eine Mehrzahl der aktuellen lehrwerkanalytischen und / oder -kritischen Studien aus der Zeit nach 2001 (namentlich Anton 2017, Vali 2015 und Hammer 2012) wendet sich Untersuchungsgegenständen für das Fach Englisch zu, die mittlerweile zur (vor-)vorletzten Generation der Lehr- und Lernmaterialien zu rechnen sind, d. h. die zwar die im CEFR von 2001 vorgesehene Kompetenzori‐ entierung i. d. R. schon erfasst haben, aber noch nicht die seit 2014 erschienenen Lehrwerksreihen untersuchen. Fünf neuere Monographien richten dabei die Aufmerksamkeit auf die Anlage und Entwicklung interkultureller (kommuni‐ kativer) Kompetenzen im Englisch-Unterricht der Primar- (Staab-Schultes 2010, Vollmuth 2004; Brunsmeier 2016; Kirchhoff 2019a) bzw. der Sekundarstufe I (Hammer 2012, Lehmann 2010, Merkl 2002) 15 ; zudem gibt es nur wenige Studien mit einem Fokus auf der Sekundarstufe II: neben Renges (2005) und Eick (2020) 28 1 Ausgangspunkte 16 Diese insgesamt schmale fachdidaktische, anglistisch fokussierte Studiengrundlage wird durch jüngere Aufsatzsammlungen von Rückl (2016) und Fäcke/ Mehlmauer-Lar‐ cher (2017) erweitert, in denen die Fächergrenzen in Richtung einer internatio‐ nalisierten Lehrwerkanalyse zur allgemeinen Fremdsprachendidaktik überschritten werden. Fächerübergreifend verfährt auch die von den bildungswissenschaftlichen Herausgeber: innen Marc Depaepo, Carsten Heinze, Eva Matthes und Werner Wiater be‐ treute Buchreihe „Beiträge zur historischen und systematischen Schulbuchforschung“ (dazu gehören die Bände von Wiater 2003 und von Mattes/ Schütze 2016). Einen sehr großen Anteil an der allgemeinen Schulbuchforschung wird vom Georg-Eckert-Institut (Braunschweig) getragen, das sich allerdings eher im Rahmen der gesellschaftwissen‐ schaftlichen Fächer als in den Fremdsprachen positioniert. sind für dieses Bildungsniveau erneut die Arbeiten von Anton (2017) und Vali (2015) sowie Freitag-Hild (2010) zu nennen. Diese Studien sind ausnahmslos der Vermittlung allgemeiner (ziel- oder inter-) kultureller (kommunikativer) Kompetenzen gewidmet. 16 Desiderata. Demgegenüber besteht noch immer eine empirische For‐ schungslücke bezüglich des schulischen Umgangs mit literarischen Inhalten, die Volkmann auf den „erheblichen argumentativen Legitimationsdruck“ zu‐ rückführt, dem die „Literatur im kommunikativ orientierten Fremdsprachen‐ unterricht“ ausgesetzt ist (Volkmann 2017: 210; vgl. Kirchhoff 2019b: 219). So gibt es zwar eine Fülle von Unterrichtsbeispielen über die Vermittlung von interkulturellen (kommunikativen) Kompetenzen anhand literarischer Texte, doch stehen diese i. d. R. lehrbuchunabhängigen Unterrichtsprojekte in ihrer bei weitem überwiegenden Mehrzahl mit Texten und -materialien parallel zu den Inhalten von Lehrbüchern mit ihren eigenen thematischen Schwerpunkt‐ setzungen (vgl. z. B. Delanoy/ Eisenmann/ Matz 2015, die Beiträge in Teil II von Hallet/ Surkamp/ Krämer 2015; Teil III in Surkamp/ Nünning 2010; Hallet/ Nün‐ ning 2009; oder in Teil IV von Bredella/ Burwitz-Melzer 2004). Es bleiben die Ar‐ beiten von Britta Freitag-Hild (2010) und Ann Kimes-Link (2013) zu erwähnen, die beide aus empirischer Sicht die Literaturaufgaben im fremdsprachlichen Unterricht untersuchen. Während Freitag-Hild ihre Aufgabentypologie speziell für den Literaturunterricht unter interkulturellen Vorzeichen entwickelt, setzt Kimes-Link den Akzent auf die Erarbeitung u. a. von umfangreicheren Ganz‐ texten wie Shakespeares Romeo and Juliet, Carol Matas’ Cloning Miranda und Joyce Carol Oates’ Big Mouth Ugly Girl. Beide Arbeiten lassen die Entwicklung literarischer Kompetenzen im Medium der Lehrwerke unberücksichtigt. Die vorliegende Betrachtung mit ihrem Schwerpunkt auf der Literaturvermitt‐ lung über Englisch-Lehrwerke für die Qualifikationsphase an der gymnasialen Oberstufe und somit an der Schwelle zum tertiären Bildungssektor dringt folglich in ein weitgehend unbekanntes bzw. fremd gewordenes Territorium innerhalb 29 1.2 Lehrwerkforschung: Ansätze, Methoden, Ergebnisse und Desiderata des Gebietes der anglistischen Lehrwerkforschung vor. Sie erweitert den aktuellen Schwerpunkt der Lehrwerkforschung, der sich auf die Vermittlung interkultu‐ reller kommunikativer Kompetenzen konzentriert, um die bislang unzulänglich betrachtete Inhaltsebene: was wird den Schüler: innen wie angeboten bzw. was fordert man von ihnen auf welche Weise ein? In diesem Sinne erinnert Weskamp emphatisch daran, „dass Literaturunterricht nicht nur ‚Unterricht‘ ist, der mit den Methoden der empirischen Forschung beschreibbar ist, sondern dass es auch um Literatur geht, die hermeneutisch betrachtet werden muss.“ (Weskamp 2019: 133) Dazu gehört nicht zuletzt, wie Carola Surkamp eine zentrale „Aufgabe des Literaturunterrichts“ formuliert, dass den „Lernenden Einblicke in die Wirkungs- und Funktionsweisen textueller Strategien zu vermitteln“ seien (Surkamp 2019a: 141). Dementsprechend argumentiert die vorliegende Studie für eine moderate, themenbezogene Re-Philologisierung des gymnasialen Literaturunterrichts und damit für eine intensivierte Betrachtung der Literatur als Literatur. 1.3 Literaturunterricht in der SEK II: Bildungspolitische/ curriculare Rahmungen Nach dem Forschungsüberblick zur Lehrwerkkritik ist nun zum einen dar‐ zulegen, in welcher Hinsicht bildungspolitische Rahmenwerke und Standard‐ formulierungen den praktischen Literaturunterricht beeinflusst haben. Zum anderen werden drei aktuelle Beispiele von Systematisierungen literarischer Kompetenz angeführt, die in kritischer Distanz zu sprachlich-kommunikativen Standard-Setzungen stehen und diese als Korrektive zu optimieren suchen. Für die verschiedenen Kompetenzbereiche gibt es Beschreibungskriterien, die von supranationalen Curricula bis zu schuleigenen Jahreslehrplänen eine Standardisierung der Leistungen leisten sollen. Die Akzentuierung des aktuellen Literatur-Unterrichts an der gymnasialen Oberstufe, wie sie von den jeweils landeseigenen Kernlehrplänen auf der Basis des CEFR 2001 vorgegeben wurde, hatte in den vergangenen zwei Jahrzehnten zur Folge, dass ästhetische Texte nur mehr äquivalent zu referentiellen Gebrauchstexten - oder im unmittelbaren Zusammenhang mit diesen - gelesen werden: „literature is treated in the same way as a factual text“ (Fenner 2012/ 13: 379; vgl. Steininger 2014: 46-47). Das bedeutet nicht nur, dass das Verständnis für den fiktionalen, ästhetischen Cha‐ rakter eines literarischen Textes unterentwickelt bleibt. Es bedeutet darüber hinaus, dass mit dem überhöhten Anspruch auf den fachdidaktisch vielstimmigen Begriff „Authentizität“ (vgl. dazu Abschn. 1.4) im Umgang mit solchen hyperko‐ dierten Texten den Lernenden unter Umständen die grundsätzliche Kompetenz 30 1 Ausgangspunkte 17 Vgl. hierzu auch die verbreitete Kritik, dass nur ganze elf Zeilen im umfangreichen Schriftwerk des CEFR auf die ästhetische Literatur Bezug nehmen und diese Zeilen vor allem die vage Hoffnung zum Ausdruck bringen, der CEFR möge „teachers of literature“ aller Bildungsstufen hinreichende Impulse geben, um die Ziele und Methoden ihres Unterrichts transparenter zu machen (vgl. exemplarisch Lütge 2012/ 13: 193). abhanden geht, zwischen Fakten und Fiktionen, zwischen Realität und Realismus, zu unterscheiden - eine verheerende (und womöglich durch derlei curriculare Ansprüche ungewollt begünstigte) Dynamik gerade in einem postfaktischen Zeitalter. Daher ist zunächst der Blick auf die curricularen Taktgeber zu richten, die den ‚traditionellen‘ Literatur-Unterricht stark beeinflusst und verändert haben. Seit Einführung des CEFR im Jahr 2001 war dem fremdsprachlichen Li‐ teraturunterricht an deutschen Schulen das Dilemma zwischen kommunika‐ tiver Kompetenz und Wissenschaftspropädeutik eingeschrieben. Dieses wurde schon bald nach dessen Einführung von Literaturdidaktiker: innen erkannt und moniert: Hingewiesen wurde dabei auf den marginalisierten Stellenwert von fremdsprachlicher Literatur in einem eher kommunikativ-pragmatisch gewendeten, berufsvorbereitenden Unterricht, der dem Anspruch auf die wis‐ senschaftspropädeutisch ausgerichtete Kursstufe konträr entgegenstehe (vgl. dazu auch Freese 2009: 13). Dieses Dilemma und die damit einhergehende Abwertung der textnahen Erarbeitung von Literatur wurde als „unproduktiver deadlock“ (Surkamp 2012: 79) beschrieben, und Eva Burwitz-Melzer stellte fest: Der Sinn eines Textes, der sich durch seine Analyse und seine Interpretation erschließt, hat [für die Formulierung von Deskriptoren im CEFR, JM] auf den Kompetenzstufen A1 bis C1 noch keine Rolle gespielt. Es kann aber nicht angehen, dass zentrale Kompetenzen wie ‚den Textsinn erschließen‘ erst in der letzten Niveaustufe eingeführt werden, wenn zuvor nicht einmal Vorstufen oder vorbereitende Leistungen auf nied‐ rigeren Niveaustufen erwähnt worden sind. (Burwitz-Melzer 2007: 129; Herv.i.Orig.) 17 „Wissenschaftspropädeutik“? An dieser Stelle ist es sinnvoll, einen kurzen Blick in die aktuellste Fassung der „Vereinbarung zur Gestaltung der gymna‐ sialen Oberstufe und der Abiturprüfung“ seitens der Kultusminister-Konferenz ( KMK ) zu werfen. Dort wird man feststellen, dass gegenüber berufsvorbe‐ reitenden kommunikativen Kompetenzen folgende Kriterien als privilegiert hervorgehoben sind: „vertiefte Allgemeinbildung, allgemeine Studierfähigkeit sowie wissenschaftspropädeutische Bildung“, in deren Verlauf insbesondere der Unterricht der Qualifikationsphase „exemplarisch in wissenschaftliche Fragestellungen, Kategorien und Methoden“ einführt ( KMK 2018: 5). Die Bil‐ dungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch / Französisch) für die Abiturprüfung präzisieren den Ausdruck wie folgt: 31 1.3 Literaturunterricht in der SEK II: Bildungspolitische/ curriculare Rahmungen 18 Gleiches ließe sich mit Blick auf einen filmischen Kompetenzrahmen sagen, der bislang in keinem fremdsprachlichen Referenzwerk Einzug gehalten hat, wie Henseler/ Möller/ Surkamp (2011, 24-31) es mit Recht kritisierten und daher einen solchen vorschlagen. 19 Eine optimistischere Sichtweise vertritt die Romanistin Daniela Caspari, die den CEFR 2001 nicht als bildungspolitischen oder pädagogischen „Sündenfall“ sieht und dieses Dokument in einen Zusammenhang mit anderen, nationalen und landesspezifischen Curricula setzt, namentlich die EPA bzw. späteren Bildungsstandards für die mittleren und höheren Bildungsabschlüsse sowie die Berliner Rahmenrichtlinien. Dabei gelangt sie zu dem Ergebnis, dass auf diesen enger gefassten Ebenen die literarischen Kompetenzen sehr wohl - und, gegenüber älteren solchen Dokumenten, sogar besser mit „tendenziell höheren Anforderungen“ (Caspari 2017: 241) - gefördert werden. Sie sieht die kritische Diskussion um den CEFR und andere standardisierende, kompetenzorientierte Instru‐ mente als ein Schattengefecht, bei dem es „um das Spannungsfeld ‚Zweckfreiheit’ versus ‚Indienstnahme’ geht und damit um die ganz grundsätzliche Frage, ob im Schulunterricht Raum ist bzw. bleibt, Dinge um ihrer selbst willen zu tun.“ (ebd.) Im Unterricht in der gymnasialen Oberstufe geht es darüber hinaus um die Beherr‐ schung eines fachlichen Grundlagenwissens als Voraussetzung für das Erschließen von Zusammenhängen zwischen Wissensbereichen, von Arbeitsweisen zur systema‐ tischen Beschaffung, Strukturierung und Nutzung von Informationen und Materia‐ lien, um Lernstrategien, die Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit sowie Team- und Kommunikationsfähigkeit unterstützen. (KMK 2012: 5) Diese grundlegenden Aspekte werden auf der anschließenden, tertiären Bil‐ dungsstufe laut dem revidierten Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschul‐ abschlüsse von 2017, in deutlicher „Differenzierung zu den Bildungsaufträgen anderer Bildungsbereiche, insbesondere der beruflichen Bildung“ (Bartosch et al. 2017: 4) schon auf dem ersten akademischen Level (Bachelor-Ebene) „wesentlich“ ausgeweitet und in ein „kritisches Verständnis der wichtigsten Theorien, Prinzipien und Methoden“ überführt, ehe auf Master-Ebene die „Be‐ sonderheiten, Grenzen, Terminologien und Lehrmeinungen […] zu definieren und zu interpretieren“ sind ( KMK 2017: 7-8). Die deutlich anti-ästhetische, utilitaristische Einstellung des ursprünglichen CEFR lässt, in Vorwegnahme der folgenden Kritik, das vage Bekenntnis zur Bedeutung von nationalen Literaturen im Unterricht in ihrer Funktion als ‚kulturelles Erbe‘ als Lippenbekenntnis („lip service“, Grimm/ Meyer/ Volkmann 2015: 176) erscheinen. 18 Folgender Abschnitt des Referenzrahmens, „Aesthetic uses of language“, war für viele literaturdidaktische Urteile über den CEFR wesentlicher Stein des Anstoßes: 19 Imaginative and artistic uses of language are important both educationally and in their own right. Aesthetic activities may be productive, receptive, interactive or mediating […], and may be oral or written. They include such activities as: 32 1 Ausgangspunkte • singing (nursery rhymes, folk songs, pop songs, etc.) • retelling and rewriting stories, etc. • listening to, reading, writing and speaking imaginative texts (stories, rhymes, etc.) including audio-visual texts, cartoons, picture stories, etc. • performing scripted or unscripted plays, etc. • the production, reception and performance of literary texts, e. g.: reading and writing texts (short stories, novels, poetry, etc.) and performing and watching/ listening to recitals, drama, opera, etc. This summary treatment of what has traditionally been a major, often dominant, aspect of modern language studies in upper secondary and higher education may appear dismissive. It is not intended to be so. National and regional literatures make a major contribution to the European cultural heritage, which the Council of Europe sees as ‘a valuable common resource to be protected and developed’. Literary studies serve many more educational purposes - intellectual, moral and emotional, linguistic and cultural - than the purely aesthetic. It is much to be hoped that teachers of literature at all levels may find many sections of the Framework relevant to their concerns and useful in making their aims and methods more transparent. Users of the Framework may wish to consider and where appropriate state: • which ludic and aesthetic uses of language the learner will need/ be equipped/ be required to make. (CEFR 2001: 56, Herv.i.Orig.) Es wurden seit 2001 verschiedene Versuche unternommen, die Literaturkom‐ petenzen angemessener zu evaluieren und - falls überhaupt möglich - zu standardisieren. Lothar Bredella hat dies für die Englischdidaktik in einem ausführlichen Beitrag versucht, in dem er verschiedene (entwicklungspsychologi‐ sche) Stadien als Leser: in, die ein/ e Heranwachsende/ r zwischen Grundschulalter und fortgeschrittener Adoleszenz durchläuft, beschreibt. Er postuliert dabei eine Sukzession von mehreren Stufen, ausgehend vom „mythische[n] Verstehen“ im Kleinkindalter über ein identifikatorisches „romantisches Verstehen“, gefolgt von einem distanzierten, beobachtend-kritischen Zugang zur Literatur bis hin zum „philosophischen Verstehen“ bei jungen Erwachsenen, das eine ironisch-subver‐ sive Lesart von literarischen Texten ermöglicht (vgl. Bredella 2004: 81-138). Burwitz-Melzer (2007) macht in ihrer Kritik an den supranationalen und bun‐ desweiten Referenzwerken einen Vorschlag zur Formulierung von schulischen Lesekompetenzen in einem modellhaften Entwurf für die Jahrgangsstufen 12/ 13. Dabei unterscheidet sie, im Gegensatz zu den „nicht begründeten und schwammig 33 1.3 Literaturunterricht in der SEK II: Bildungspolitische/ curriculare Rahmungen 20 Der CEFR grenzt im Zuge seiner Ausführungen zum Verfahren der mediation diese von schriftlicher bzw. mündlicher Übersetzung ab: „Translation and interpretation competences and strategies are an entirely different field.“ (CEFR 2018: 107; vgl. dazu auch die grundsätzliche Relativierung der Deskriptoren, ebd.: 113) formulierten“ Kriterien der drei Anforderungsbereiche (im folgenden: AFB) Com‐ prehension / Analysis / Activities für gymnasiale Aufgabenstellungen, wie sie seit Herausgabe der Einheitlichen Prüfungsanforderungen ( KMK 2003) auch für die neueren Bildungsstandards verbindlich sind ( KMK 2012), fünf unterschiedliche Kompetenzbereiche. Diese lassen sich psycholinguistisch begründen bzw. der Lernprogression und Lesesozialisation folgend organisieren: Es handelt sich um motivationale, kognitive, interkulturelle Kompetenzen sowie solche der Anschlusskommunikation und Reflexion (vgl. Burwitz-Melzer 2007: bes. 139-143). Letztere führen, wie die zuvor genannten Kriterien mit ihren unterschiedlich komplexen Stufen von Sinnkonstitution, zur schriftlichen Textproduktion bzw. zu mündlichen Sprachleistungen der Schüler: innen, die ihrerseits im Unterricht einsetzbar bzw. zu bewerten sind. Im Anschluss an diesen Vorschlag entwickelt Hallet seine vier Kompetenzebenen, die die Lernenden von der „literarischen Lesefähigkeit“ über die „literarische[n] als kulturelle Kompetenzen“ und die „Reflexionsfähigkeit“ bis hin zur „fremdsprachlichen Diskursfähigkeit“ führt (Hallet 2009: bes. 77-85). Es waren all dies Bemühungen, die dazu beitragen sollten, „kulturelle, interkulturelle und transkulturelle Kompetenzen, Lesekompetenzen (vor allem im Bereich des intensiven oder extensiven Lesens), narrative, affektive, imaginative Kompetenzen […] operationalisierbar sowie überprüfbar“ zu machen (Volkmann 2017: 218). Drei aktuelle literaturdidaktische Korrekturvorschläge. Im Jahr 2018 erschien der Companion Volume zum CEFR , der eine deutliche Reaktion auf die zuvor geäußerte Kritik erkennbar werden lässt, insofern ästhetischen (als Subspezies von „kreativen“) Texten und ihrer Betrachtung mehr Platz eingeräumt wird als zuvor. Es gibt im ergänzenden CEFR , analog zu den sprachlichen Kompe‐ tenz-Deskriptoren, auch solche für die Abbildung und Messung literaturbezogener Kompetenzen, die im Bereich der Sprachmittlung („mediation“, vgl. dazu Quetz 2019) und der dabei besonders hervorgehobenen Eigenschaft des „constructing new meaning“ ( CEFR 2018: 103) angesiedelt sind und im Zuge der anschließenden Ausführungen ausführlich erläutert und klassifiziert werden. 20 So wird der Aus‐ einandersetzung mit kreativen Texten und der ästhetischen Literatur in diesem Ergänzungsband zwar mehr Raum innerhalb des Beschreibungsschemas zuteil als im ursprünglichen Rahmenwerk. Eine Definition dessen, was „kreative“ Texte um‐ fasst, liefert der Ergänzungsband hingegen nicht - ob es sich dabei um z. B. ‚witzige‘ Werbetexte, um emotiv-expressive bzw. appellative Texte wie Tagebucheinträge 34 1 Ausgangspunkte 21 Der Bereich A1 wird hier - anders als im Fall der individuellen Textlektüre (vgl. CEFR 2018: 116) - nicht mit abgebildet, weil auf diesem Sprachniveau keine analytischen / evaluativen Kompetenzen im Umgang mit kreativen Texten zu erwarten seien. oder Kommentare oder eben um Texte der sogenannten Höhenkammliteratur handelt, wird nicht konkretisiert. Jedoch unterscheidet das Companion Volume unterschiedlich gerahmte Re‐ zeptionsszenarien. Der persönlich-intuitive Rezeptionsprozess geht gemäß diesen Abschnitten dem analytisch-evaluativen voran. Die Hierarchie führt vom „engagement“ über die „interpretation“ („ascribing meaning or signific‐ ance to aspects of the work including contents, motifs, characters’ motives, metaphor, etc.“, CEFR 2018: 115) zur „analysis“ („of certain aspects of the work including language, literary devices, context, characters, relationships. etc.“, CEFR 2018: 116) und „evaluation“. Die Interpretation ist also als Form der Bedeutungsgebung nominell in der Hierarchie enthalten, ihr kommt aber lediglich ein subordinärer kognitiver Status zu: „Describing a personal reaction and interpretation is cognitively far simpler than giving a more intellectual analysis and / or evaluation.“ ( CEFR 2018: 116) In deutlichem Selbstwiderspruch zu den gerade dargelegten Ausführungen ordnet gleichwohl auch der CEFR 2018 die individuelle literary literacy mit der Befähigung zur Interpretation den höheren und höchsten sprachlichen Stufen zu: Progression up the scale is characterised as follows: At the lower levels the user / learner can say whether he / she liked the work, say how it made him / her feel, talk about characters and relate aspects of the work to his / her own experience, with increased detail at B1. At B2 he / she can give more elaborate explanations, comment on the form of expression and style and give his / her interpretation of the development of a plot, the characters and the themes in a story, novel, film or play. At the C levels, he / she can give broader and deeper interpretations, supporting them with details and examples. (CEFR 2018: 116) Es zeigt sich hier die nach wie vor deutliche Unsicherheit gegenüber der Arbeit mit literarischen Texten und Werken: So werden z. B. gängige Umstellungen im Satzbau (z. B. Inversion, Ellipse, Anakoluth) in unmittelbarer Nachbarschaft zu anderen poetischen Verfahren (Metapher und Ambiguität) als „abnormal syntax“ stigmatisiert. Demgegenüber ließe ein neutraler, deskriptiver Kriterien‐ katalog - als der sich der CEFR doch auch in der Version von 2018 ausgibt - eine weniger wertende Formulierung wie ‚non-standard‘ erwarten. Zur Veran‐ schaulichung seien hier die im neuen CEFR abgebildeten literaturbezogenen Kompetenzniveaus und ihre dazugehörigen Deskriptoren aufgeführt: 21 35 1.3 Literaturunterricht in der SEK II: Bildungspolitische/ curriculare Rahmungen ANALYSIS AND CRITICISM OF CREATIVE TEXTS (INCLUDING LITERA‐ TURE) C2 Can give a critical appraisal of work [sic] of different periods and genres (novels, poems, and plays), appreciating subtle distinctions of style and implicit as well as explicit meaning. Can recognise the finer subtleties of nuanced language, rhetorical effect, and stylistic language use (e.g. metaphors, abnormal syntax, ambiguity), interpreting and ‘unpacking’ meanings and connotations. Can critically evaluate the way in which structure, language and rhetorical devices are exploited in a work for a particular purpose and give a reasoned argument on their appropriateness and effectiveness. Can give a critical appreciation of the deliberate breach of linguistic conven‐ tions in a piece of writing. C1 Can critically appraise a wide variety of texts including literary works of different periods and genres. Can evaluate the extent to which a work meets the conventions of its genre. Can describe and comment on ways in which the work engages the audience (e.g. by building up and subverting expectations). B2 Can compare two works, considering themes, characters and scenes, exploring similarities and contrasts and explaining the relevance of the connections between them. Can give a reasoned opinion about a work, showing awareness of the thematic, structural and formal features and referring to the opinions and arguments of others. Can evaluate the way the work encourages identification with characters, giving examples. Can describe the way in which different works differ in their treatment of the same theme. B1 Can point out the most important episodes and events in a clearly structured narrative in everyday language and explain the significance of events and the connection between them. Can describe the key themes and characters in short narratives involving familiar situations that are written in high frequency everyday language. A2 Can identify and briefly describe, in basic formulaic language, the key themes and characters in short, simple narratives involving familiar situations that are written in high frequency everyday language. Tab. 3: Kann-Beschreibungen für den Umgang mit literarischen Texten (CEFR 2018: 117) In unmittelbarer Reaktion auf die Veröffentlichung des Begleitbandes kritisiert Birgit Schädlich, dass die neuen Deskriptoren kaum dazu angetan seien, den „‚Mehrwert‘ des literarischen Lesens“ abzubilden (Schädlich 2019: 203) und, im Gegenteil, solche Eigenschaften wie die „Literarizität“, „Verfremdung [von Wirklichkeit]“ und „Alterität“ einfach „weg[zu]modellieren“ (Schädlich 2019: 206). Man wird den neuen Deskriptoren jedoch zugestehen können, dass sie in vielerlei Hinsicht jene zentralen Handlungstypologien und Aufgaben-Opera‐ 36 1 Ausgangspunkte 22 Die Frage, ob sich mit Deskriptoren dieser Art überhaupt das Lesen (ver-)messen lässt, wird i. d. R. negiert (vgl. exemplarisch Hallet 2017: 232). Kritisch benannt wird zudem die „Unmöglichkeit der [im Zusammenhang mit Deskriptoren] proklamierten Neutralität, die an irgendeiner Stelle immer auf zumindest implizite Normen verweist“ (Schädlich 2019: 212). - Auch hinsichtlich der vereinheitlichten Operatoren besteht keineswegs eine einhellig zustimmende Haltung: Es wurde schon bald nach ihrer Setzung in den schulpolitischen und curricularen Dokumenten der Verdacht laut, dass viele dieser Handlungsanweisungen in veralteten Literaturtheorien wie dem New Criticism wurzelten (vgl. Burwitz-Melzer 2007: 135); neuerdings kamen auf allgemeinerer Ebene Bedenken auf, dass mit einer ausschließlichen Verwendung von action verbs durch deren direkten und imperativen Gestus insbesondere auf interkulturell-kommunika‐ tiver Ebene eher Schaden als Nutzen verursacht werde (vgl. Hohwiller 2020: 91). toren im Umgang mit Literatur reflektieren, die im fachdidaktischen Diskurs und in den Lehrwerken längst common currency geworden sind. Dies zeigt sich in den Beschreibungen der Aktivitäten in Auseinandersetzung mit Texten, die dieselben Begriffe (z. B. „describe“, „point out“, „evaluate“, „comment on“) aufweisen, die in den Lehrwerken zur Aufgabenformulierung als action verbs (Operatoren) verwendet werden, dort allerdings zusätzlich jeweils einem AFB zugeordnet und entsprechend differenziert sind. 22 Dem Companion Volume seien hier zwei weitere Korrektive zum ursprüngli‐ chen CEFR zur Seite gestellt: zum einen die fremdsprachlichen Literatur-Kom‐ petenzbeschreibungen, die Ivo Steininger vor dem Hintergrund seiner empiri‐ schen Studie zur Modellierung literarischer Kompetenz für die Sekundarstufe I vorgestellt hat, zum anderen die Deskriptoren des Literary Framework for Tea‐ chers in Secondary Education (LiFT-2): Steininger insistiert auf der holistischen Dimension der literarischen Kompetenz und unterscheidet dabei in seinem Kompetenz-Strukturmodell kommunikative, psychosoziale, reflexive, interkul‐ turelle und methodische Teilkompetenzen, die ihrerseits vielfach aufgespalten sind und im Unterricht an geeigneter Stelle mit geeigneten Aufgaben zur synthetisierenden Interaktion gebracht werden müssen: 37 1.3 Literaturunterricht in der SEK II: Bildungspolitische/ curriculare Rahmungen Kommunikative Kompetenzen Kategorien Sprachvermögen Leseverstehen Textproduktion Wortschatz, Reparaturstrategien, Grammatik hierarchie-nieder; hierarchie-höher Sprechen, Schreiben Psycho-soziale Kompetenzen Kategorie Psycho-soziale Fähigkeiten Ästhetische Fähigkeiten Empathievermögen, affektive Mobilisatoren Ästhetisches Lesen Reflexive Kompetenzen Kategorie Weltwissen Sprachwissen Literarisches Wissen Textdeixis, Wissensdeixis Sprachbewusstheit, metasprachliche Fähig‐ keiten Gattungswissen und Genreschemata, symbo‐ lisches Wissen Interkulturelle Kompetenzen Kategorie Soziokulturelles Wissen Fremdverstehen Umgang mit fremdkulturellen Konzepten Einnehmen der Innenperspektive, Einnehmen der Außenperspektive Methodische Kompetenzen Kategorie Textbegegnung Sinnkonstitution Schreibhandeln Aufführung und Vortrag Erwartungshaltung aufbauen, Erwartungshal‐ tung erhalten Textinterpretatorisch orientiert, textanaly‐ tisch orientiert, Eigenständiges (Arbeiten), In‐ formieren Text als Anlass, Text als Modell Präsentation des Textes Präsentation der eigenen performativen Pro‐ dukte Tab. 4: Kompetenzbeschreibungen für den Umgang mit literarischen Texten (im An‐ schluss an Steininger 2014: 393-398) Diesen Kompetenzkategorien sind ihrerseits eigene Deskriptoren zugeordnet, die die jeweilige Kategorie anhand von Handlungsbeschreibungen konkreti‐ sieren, aber nicht im Sinne einer Kompetenzhierachie staffeln. Steininger betont, dass an dieses System anschließend in der Sekundarstufe II, „bedingt durch die Verwendung komplexerer Texte (Gattungsvielfalt, Themenbereiche, Erzählstrukturen, Umfang, sprachlicher Komplexität)[, sich] auch komplexere Handlungen“ (Steininger 2014: 399) initiieren lassen: zu denken ist hier insbe‐ sondere an metasprachliche diskursive Mittel, die Produktion textbezogener 38 1 Ausgangspunkte 23 Die stark (ab-)wertende Kategorie des „indifferenten“ (d. h. emotional unbeteiligten) Lesenden wäre durch eine neutrale Formulierung früherer Lesestadien zu ersetzen, die im Einklang mit dem storytelling gerade Primarstufenkindern einen hohen Grad an Interesse nachsagen. In dieser Hinsicht ist schon Bredella (2004) weiter, wenn er - früheren Ansätzen der Leseforschung folgend - Grundschulkindern im Stadium des „mythischen Verstehens“ die Fähigkeit zur moralischen Bewertung von Figuren und die Möglichkeit zur Versprachlichung diesbezüglicher Stellungnahmen zuerkennt. learning outcomes, sowie an die literaturbezogene Erweiterung der reflexiven und methodischen Kompetenzen (vgl. dazu Kapitel 3.3). Eben solche Erweiterungen werden in einem weiteren Korrektiv zum CEFR genauer ausgeführt. Mit LiFT-2 sind - für die jeweilige schulsprachliche (i. d. R. also die jeweilige L1-) Literatur - zwei aufeinander folgende Kompetenzstufen für 12bis 15jährige und 15bis 18jährige Schüler: innen definiert. Dieses seit 2010 in einem multinational operierenden Forschungsnetzwerk unter Be‐ teiligung von fünf europäischen Nationen erarbeitete Rahmenwerk definiert sechs Niveaustufen literarischer Kompetenz, die als Entwicklung von „indif‐ feren[ten]“ (mit „geringer Übung im Lesen“) zu „fachkundigen“ Lesenden modelliert wird, welche literarische Texte auch metasprachlich erfassen, be‐ schreiben und beurteilen können. 23 Das zu entwickelnde Fachwissen innerhalb der LiFT-2-Matrix übersteigt die Kompetenzmodellierungen des CEFR 2018 erheblich. Denn gegenüber diesem tritt eine Diskursbeherrschung hinzu, derzufolge auf diesem Niveau Konzepte wie Plot, Handlungschronologie, narrative Mehrsträngigkeit, Erzähl‐ perspektive und die Semantisierung von (meta-)literarischen Motiven ebenso verfügbar sind wie die heuristische Deutung stilistischer und rhetorischer Figuren. Die Lernenden „können Literatur aus verschiedenen Perspektiven erschließen (psychologisch, politologisch, soziologisch, philosophisch, kulturell etc.) und interpretieren“ und darüber hinaus „Texte in Bezug zu anderen Schriften oder Künsten setzen (z. Bsp. Filme, bildende Kunst)“ (LiFT-2: Niveau 6 > Schüler(-innen)). Um diese Diskursfähigkeit zu erlangen, gestattet das Framework auch eine ästhetische Kompetenzausbildung der Schüler: innen: • Sie können die Eigenarten verschiedener Kunstwerke erkennen und verglei‐ chen; • unterscheiden zwischen Lektüreansätzen für unterschiedliche Zwecke inner‐ halb und außerhalb des schulisch-institutionellen Kontextes; • vergleichen und synthetisieren unterschiedliche Lesarten eines Textes in einem Studienprojekt; • finden Aspekte des literarischen Diskurses und reflektieren ihn in angemes‐ sener Terminologie (Metasprache); 39 1.3 Literaturunterricht in der SEK II: Bildungspolitische/ curriculare Rahmungen • schließlich erkennen sie anhand „professioneller Kritiken“ (= wissenschaftliche Literatur) „ästhetische Tendenzen“ (LiFT-2: Niveau 6 > Didaktik: „Handlungen der Schüler (-innen)“) Auffällig an der Zusammenstellung dieser Deskriptoren ist die Tatsache, dass hier Aktivitäten im Vordergrund stehen, die eine intensive Auseinanderset‐ zung mit dem konkreten literarischen Text erfordern. So betrachtet lässt sich LiFT-2 im Sinne der vorliegenden Studie als ein Impuls zu einer re-philologi‐ sierenden Unterrichtsgestaltung für ästhetische Texte begreifen (alternativ wird im EFL -Unterricht der Begriff „deskbound approach“ konzeptualisiert, vgl. Eschbach 2019: 66-71), der auf literaturaffine Themen angewendet zu einem höheren Grad an fremdsprachlichem Literatur-Wissen verhelfen könnte. 1.4 Literaturdidaktische Problemfelder Die folgenden Ausführungen setzen sich mit wichtigen Aspekten der Unter‐ richtsparadigmen auseinander, die den fortgeschrittenen gymnasialen Litera‐ turunterricht prägen. Ziel ist es, den didaktischen Stellenwert des Interpretie‐ rens im Umgang mit literarischen Texten neu zu bestimmen und (wieder) aufzuwerten. Dazu müssen im Vorfeld einige Begriffe näher untersucht werden, die für den allgemeinen Fremdsprachenunterricht in sprachdidaktischer Hin‐ sicht zwar hilfreich und notwendig sind, aber insgesamt geradezu den Status von Universalien erlangt haben. Dabei geht es um die Frage, ob das Kriterium von „Authentizität“ auch literaturdidaktisch seine uneingeschränkte Berechtigung hat, und andererseits um das schwierige Verhältnis zwischen literarischem Text und (lernenden) Rezipient: innen - hier geraten kognitive Prozesse wie die immersive Rezeption im unmittelbaren Leseakt ebenso in den Blick wie die (anschließende) Reflexion über das Gelesene. Ein besonderes Augenmerk wird in diesem Zusammenhang auf den Fiktionsstatus literarischer Texte sowie das Phänomen der „Stimmung“ darin gerichtet, die als „atmosphere“ in mehreren der hier untersuchten Lehrwerke thematisiert wird, und die sich als eine zwar ergiebige, aber auch problematische Analysekategorie insbesondere im didaktischen Unterrichtskontext erweist. Aufgabenideal „Authentizität“? In der Analyse der verschiedenen Lehr‐ werke in Kapitel 2 wird sich zeigen, dass in einer Vielzahl von Beispielen die kommunikativen Kompetenzen in einem möglichst „authentischen“ bzw. lebensnahen Unterrichts-setting den Vorzug gegenüber einer allzu lebensfernen bzw. theoretisierenden Umgangsweise mit den literarischen Inhalten erhalten. 40 1 Ausgangspunkte 24 In enger Nachbarschaft zu diesen Bedeutungsebenen steht schließlich eine lernpsy‐ chologische Dimension, insofern jede: r Lernende eine eigene Wahrnehmung dessen hat, was für sie/ ihn sprachlich-kommunikativ, kognitiv und (inter-)kulturell (schon bzw. noch) zu bewältigen ist: Eva Leitzke-Ungerer (2017: 12-13) spricht hier von „Authentisierung“. - In der folgenden Untersuchung wird es in der Regel vor allem um die thematisch-kulturelle Begriffsebene gehen. Die - zumeist erzählenden - Texte werden dabei zum Kommunikationsanlass, ohne hinreichend als ästhetische Kompositionen mit eigenen Merkmalen von Authentizität wahrgenommen zu werden. Dahinter steht der Anspruch, den Schüler: innen ein möglichst hohes Maß an „Authentizität“ während ihres Fremdsprachenunterrichts zukommen zu lassen. Dieser Begriff wird als maß‐ gebliches Kriterium fürs Aufgabendesign verwendet und ist in der Fremd‐ sprachendidaktik von einer schillernden Bedeutungsvielfalt auf linguistischer, lerntheoretischer, und thematisch-kultureller Ebene geprägt. 24 Erstere umfasst die sprachliche Komplexität der Materialien und impliziert, dass diese - anders als z. B. graded readers, d. h. in Vokabular und Grammatik vereinfachte und z.T. neu erzählte Materialien, die insbesondere in der Sekundarstufe I zum Einsatz kommen - nur begrenzt didaktisiert sind, z. B. durch einzelne Worter‐ klärungen. Wo sogar hierauf verzichtet wird, bedeutet das: Die Schüler: innen werden idealiter einem komplexen Spracherlebnis ausgesetzt, wie sie es in einer realen englischsprachigen Umgebung erfahren könnten, selbst wenn es möglicherweise ihre eigenen sprachlichen Kompetenzen überstiege. Damit einher geht auf der Ebene der Lerntheorie die „kommunikative Be‐ deutsamkeit“ (Bonnet/ Decke-Cornill 2016: 158) einer Aufgabe, die z. B. nicht im Vokabel-Drill den aktiven Wortschatz der Lernenden kontext- und damit weitgehend sinnfrei erweitert, sondern auf kontextualisierten, simulativen Alltags-Situationen den Lerneffekt der Schüler: innen positiv beeinflussen soll. Bezogen auf literarische Texte ist der Einstieg in eine Gedichtanalyse über die Bestimmung des Metrums inauthentisch, während ein Rezeptionsgespräch, das den Schüler: innen Raum für eigene, auch affektive Stellungnahmen zum Gedicht gibt, einen sehr viel höheren Grad an Authentizität birgt. Damit erhält der Begriff „Authentizität“ schließlich eine thematisch-kultu‐ relle Bedeutung, die durch die Anschlussmöglichkeit eines Unterrichtsgegen‐ standes an das Weltwissen und die Lebenswelt der Lernenden gekennzeichnet ist. Die KMK -Bildungstandards benennen hier vier unterschiedliche, sehr allge‐ mein formulierte Themenkreise, „die fachlich, motivatorisch und gesellschaft‐ lich relevant sind“ ( KMK 2012: 12): • Themen der Lebens- und Erfahrungswelt Heranwachsender • Themen des öffentlichen Lebens der Bezugskulturen 41 1.4 Literaturdidaktische Problemfelder • Themen des Alltags und der Berufswelt • Themen globaler Bedeutung. (ebd.) Explizit erwähnt werden an dieser Stelle „Werke der Literatur, Filme, thematisch relevante Werke der darstellenden Kunst“, da sie „spezifische Zugänge zu un‐ terschiedlichen individuellen, universellen und kulturspezifischen Sichtweisen“ ermöglichen ( KMK 2012: 12). In diesem Sinne lässt sich „Authentizität“ auch als eine differenzbestimmte Kategorie erfassen, die in interkulturellen (kommu‐ nikativen) Situationen zu bestimmen ist: Die Unterschiede zwischen einem deutschen Lebenslauf und einem britischen CV oder einem amerikanischen resumé sind hier ebenso von Bedeutung wie z. B. die Diskursivierung ähnlicher bzw. unterschiedlicher Feiertage im deutschen und anglophonen Sprachraum (vgl. hierzu auch allgemein Königs 2019: 98-100); wieder auf die Literatur angewendet lassen sich insbesondere race, class und gender in einer ethnisch und sozial heterogenen Lerngruppe „authentisch“ diskutieren, weil hier in einem geschützten Raum biographische Erfahrungen der Schüler: innen im fremdsprachlichen Kommunikationsakt ausgetauscht werden. Problematisch wird der Anspruch auf Authentizität im Literaturunterricht aber dadurch, dass den Schüler: innen allenfalls Bruchstücke aus längeren Texten angeboten werden. Tatsächlich verlieren literarische Textpassagen ihre Authentizität, indem sie nur mehr kontextfrei und isoliert dargeboten werden, und wenn sie überwiegend bzw. ausschließlich auf die Ebene der lebenswelt‐ lichen Erfahrungswelt der Schüler: innen projiziert werden, ohne dass zuvor oder im Anschluss der Versuch gemacht wird, das spezifisch Literarische, das Fingierte mit seinen (auch historisch signifikanten) Konstruktionselementen und Wirkmechanismen zum Ausdruck zu bringen - dies geschieht über das kategorisierende Erkennen und deutende Verstehen von Fiktionssignalen (vgl. Haferland 2014). „Authentizität“ und Walter Benjamins Konzept von einer un‐ verwechselbaren „Aura“ des (literarischen) Kunstwerks rücken hierbei in enge Nachbarschaft. Die Tendenz aber, dem literarischen Text und seiner Auslegung eine eigene Berechtigung auf seiner ästhetischer Ebene zu ignorieren, führt in Konsequenz auch zur Abwertung des Umgangs mit Literatur insgesamt und des Interpretionsvorgangs (s. u., Abschnitt „Interpretation“) und lässt dabei die affektiven, sprachlichen und kognitiven Potenziale vermissen, die es im Literaturunterricht zu fördern gilt: ästhetisches Erleben, sprachlich-kommuni‐ kative Kompetenzsteigerung, Erweiterung des Weltwissens, Befähigung zu Perspektivenwechsel (Empathie) als Förderung der interkulturellen Kompetenz, kritisch-ästhetisches Bewusstsein und Urteilsfähigkeit, u.a.m. 42 1 Ausgangspunkte 25 Der Übertrag von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen auf die nicht-empirirsche Literaturtheorie (in diesem Fall von den Neurowissenschaften auf die cognitive lite‐ rary theory) ist durchaus fragwürdig, da viele dieser Erkenntnisse innerhalb ihrer Leitdisziplin keineswegs unbestritten sind. Gerade die Problematik der sogenannten Spiegelneuronen ist hierfür ein Beispiel, das Bredella (2012: 42-44) als eines von drei kognitiven Fiktionstheorie-Paradigmen anführt (neben Theory of Mind, vgl. Boyd 2009: bes. 141-149, und Mimesis as Make-Believe, vgl. Walton 1990): Diese spezifische Klasse von Neuronen konnte zwar auch bei Menschen nachgewiesen werden, bleibt aber in ihrer Funktion umstritten und hat in vielen Arbeiten zur fiktions-induzierten Leser-Empathie geradezu einen Myth of Mirror Neurons geprägt (zur Kritik daran, vgl. Hickok 2014). Wie der Zustand der Immersion also hirnphysiologisch entsteht, ist eine ganz andere Frage als die Auseinandersetzung damit, dass es ihn gibt und welche ästhetischen bzw. philosophischen Erkenntnisse daraus abzuleiten sind. Rezeptionsfokus: Immersion +/ - Immanenz? Mit einem verabsolutierten didaktischen Anspruch, den literarischen Lernstoff im Fremdsprachen-Klassen‐ zimmer mit der unmittelbaren Lebens- und Alltagswelt der Lernenden passfähig zu machen, schwindet auch die Möglichkeit zur ontologischen Differenzierung der verschiedenen Existenzebenen, so dass das Risiko besteht, einfache inhalt‐ liche Aussagen eines fiktionalen Textes misszuverstehen. Für realistische Texte wie solche, die scheinbar im Hier und Heute bzw. einer nahen Zukunft oder unmittelbaren Vergangenheit spielen und vertraute Gesellschaften z. B. im scheinbar bekannten englischsprachigen Ausland repräsentieren, besteht dabei das Risiko einer vorschnellen Überblendung von gesellschaftlicher Faktizität mit der jeweils repräsentierten fiktiven Welt und dem Verschwimmen historischer Grenzen. Im ‚traditionellen‘ Literaturunterricht, der eher die in der fiktionalen Ontologie entworfenen Seinsbereiche aus dem Text heraus zu erschließen sucht, wird zunächst weniger Gewicht auf eine authentisch-lebensweltlich orientierte Fragestellung gelegt als auf eine inhaltlich-formale Reflexion des inneren Kommunikationssystems Text. Eine solche Differenzierung aber erleichtert den Schüler: innen die ontologische Unterscheidung fiktionaler Welten der Literatur von der kontingenten außertextlichen / ‘realen‘) Welt: Die kategoriale Trennung ist insbesondere an Texten aus dem Bereich der literarischen Fan‐ tastik (inkl. der Science Fiction) zu veranschaulichen; gleiches gilt für viele Shakespeare-Dramen - gleichwohl bieten auch solche Texte den Leser: innen ein hohes Potenzial an Identifikationsangeboten mit Figuren, deren sprachlich, er‐ zählerisch vermittelte Handlungs- und Gefühlsdarstellungen den Erkenntnissen der Hirnforschung zufolge im Rezeptionsakt einer fiktionalen, sprachlichen Handlung die gleichen Großhirnareale neuronal aktivieren wie dies in einer realen Situation geschieht (vgl. Wege 2017: 352): 25 43 1.4 Literaturdidaktische Problemfelder 26 Haferland unterscheidet zwischen kompetenten und inkompetenten Leser: innen, die den Status des Fiktionalen als Konvention erkennen (oder dazu nicht in der Lage sind). Wann, d.h. in welchem entwicklungspsychologischen Stadium aber diese Unterscheidungskom‐ petenz erworben wird, ist nicht bekannt: „Offenbar ist die […] höchst mobile Lesehaltung [d.h. die Fähigkeit zur Immersion bei gleichzeitigem Bewusstsein über die Grenze zwischen Fiktion und Lebenswelt, JM] nur nach und nach herausgebildet worden, und zweifellos kann man sie nicht für jeden Leser veranschlagen.“ (Haferland 2014: 47) Leser können beispielsweise Mitleid mit Ophelia haben, die dem Wahnsinn verfällt und ertrinkt, obwohl sie wissen, dass sie es mit einer fiktiven Figur zu tun haben und folglich in Wirklichkeit niemand wahnsinnig wird und stirbt. Das ist erklärungs‐ bedürftig, insofern in anderen Kontexten die Annahme von der Existenz der Person eine Voraussetzung dafür ist, dass wir vernünftigerweise eine entsprechende Emotion entwickeln. (Köppe/ Winko 2008: 305) Ein solcher Zustand momentaner Immersion, des zeitlich limitierten Eintau‐ chens in die fiktive Welt des Textes, ist mit der privaten, individuellen Lektü‐ resituation verbunden und geht mit Perspektivwechseln und Empathie - die Fähigkeit des Gehirns, Zustände zu simulieren (vgl. Lehnert 2011: 19) - aufseiten des/ der Rezipient: in einher. Immersion unterliegt, mit Laura Bieger zu sprechen, „eine[r] Ästhetik des emphatischen körperlichen Erlebens“, statt einer „Ästhetik der kühlen Interpretation“. Sie fügt hinzu: Immersion „ist eine Ästhetik des Raumes, da sich das Eintaucherlebnis in einer Verwischung der Grenze zwischen Bildraum und Realraum vollzieht.“ (Bieger 2011: 75) Dies lässt sich auch auf den semantischen Raum eines Textes übertragen. Im Gegensatz zu der vorher beschriebenen interpretativen Überblendung von fiktionaler Repräsentation und der empirischen Welt ist dies ein durchaus wünschenswerter affektiver Zustand, der jedoch - in didaktischem Kontext - anschließend zu versprachli‐ chen, begründen und am Text belegen ist, um von einem privaten, emotionalen Erlebnis zu einem sozialen, interaktiven Diskurs über die sprachlich-ästhetische Komposition des Textes zu führen. Für die kognitiv ausgerichtete Literaturtheorie mag jede ‚Deutung‘ von hohem fachlichen Erkenntniswert sein (selbst „a misinterpretation of a character’s state of mind is still very much an interpretation“, Zunshine 2006: 25). Im literaturdidakti‐ schen Kontext erscheint es jedoch statthaft und ratsam, hier Vorsicht walten zu lassen. 26 Stattdessen empfiehlt sich ein ausgewogener Zugang: „a balance between educational objectives, the individual ‚realization‘ of a text, and the negotiation of meaning among learners even if it is very difficult to maneuver between pursuing a certain goal and promoting an open process“ (Grimm/ Meyer/ Volkmann 2015: 187, Herv.i.Orig.). Zu diesem Zweck ist es sinnvoll, Kriterien bereitzustellen, die den Übergang vom subjektiven Rezeptionsgespräch zum intersubjektiven 44 1 Ausgangspunkte 27 In seinem begriffs- und philosophiegeschichtlichen Aufriss für das historische Wör‐ terbuch Ästhetische Grundbegriffe erläutert David Wellbery die unterschiedlichen Sinnebenen des Ausdrucks „Stimmung“ und schließt gleichermaßen apodiktisch wie drastisch: „Die Stimmungssemantik, könnte man sagen, ist während der zweiten Hälfte des 20. Jhs. dumm geworden, und auch das wird zu ihrer philosophischen Belanglosig‐ keit beigetragen haben.“ (Wellbery 2003: 713) Gleichwohl lässt Wellbery zumindest den Begriff einer literarischen Atmosphäre als „gestimmten Raum“ (einen von Ludwig Binswanger zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunächst psychiatrisch geprägten Begriff) für die lyrische Situation gelten (vgl. Wellbery 2011: 159). Interpretationsgespräch zu gestalten: Dies kann zunächst über die Betrachtung externer und interner Fiktionssignale erfolgen, die bestimmte Deutungen zulassen und andere ausschließen, und die ihrerseits auch in der kognitiven Literaturwis‐ senschaft aus Sicht der Leser: innen selbstverständlich thematisiert werden. Zu den text-externen Fiktionssignalen gehören paratextuelle Informationen über die Form und Genrezugehörigkeit oder Einleitungen und Rezensionen (die Rede ist hier vom „Beiwerk des Buches“, vgl. Genette 1989); text-interne Signale schließen wie die Prävalenz der uneigentlichen Sprache mit ihren Stilmitteln (z. B. Ironie, Hyperbolik, Bildlichkeit, etc.) und Erzählperspektiven und Figurendarstellungen, Handlungs-Chronologie bzw. deren Repräsentation (z. B. Rückblenden, Voraus‐ deutungen, Zeitsprünge) mit ein. All diese textlichen Signale sind modellhaft - über ihre (fremd-)sprachliche Dimension hinaus - als bottom up-Sinnkonstitution seitens der Leser: innen zu beschreiben. Sie sind stets im Zusammenspiel mit den top down-Bedeutungsstrategien zu sehen, die sich aus ihrer persönlichen Lebens- und Lese-Erfahrung sowie ihren Werten und Vorstellungen speisen (vgl. Zerweck 2002 und, literaturdidaktisch erweitert, Grimm/ Meyer/ Volkmann 2015: 186, Fig. 8.3). Literary atmosphere: Eine sinnvolle literaturdidaktische Kategorie? In der Analyse der hier besprechenden Lehrwerke fällt auf, dass diese in ihren Aufgabenstellungen zur Erschließung literarischer Texte ein besonderes Gewicht auf das Phänomen „Stimmung (engl. mood, attunement, atmosphere)“ (Wellbery 2003: 703; Herv. JM) legen (vgl. Abschnitte 2.2 und 2.3). Dabei sei zunächst erläutert, dass es sich im Wesentlichen um ein allgemein ästhetisches Raum-Konzept handelt, das in der Phänomenologie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wichtige begriffliche Blüte erfahren hat, die auch in jüngeren Arbeiten weiter tradiert, kritisiert und modifiziert werden. 27 Diese fanden Niederschlag in den zahlreichen literatur- und kulturtheoretischen Arbeiten (vgl. dazu den Überblicksartikel von Sasse 2010: 303-304). Als Spezialfall des sogenannten spatial turn in den Literatur- und Kulturwissen‐ schaften ist dem Konzept „Stimmung“ hingegen nur marginal Aufmerksamkeit zuteil geworden (die anglistische Arbeit von Hoffmann 1978 mag noch als Vorreiter gelten, vgl. aber die germanistische Herausgeberschaft von Gisbertz 45 1.4 Literaturdidaktische Problemfelder 28 Der vorliegende Zusammenhang bietet keinen Ort für einen detaillierten Forschungs‐ überblick zum spatial turn in den Humanwissenschaften. Vgl. aber, neben einer Vielzahl von Einzelstudien (inkl. Hallet/ Neumann 2009 und Dennerlein 2009), fürs Orientierungs‐ wissen das interdisziplinäre Handbuch Raum (Günzel 2010) sowie das Lemma „Raum“ im historischen Wörterbuch Ästhetische Grundbegriffe (Ott 2010). 29 Vgl. dazu die kulturwissenschaftliche Betrachtung von Gernot Böhme im Entwurf einer ökologischen und holistischen „neuen Ästhetik“ zu der Auffassung, dass sich der Fokus auf die sprachliche Komposition richte und dies mit der „Wiederkehr rhetorischer Kategorien“ einhergehe: „Die neue Ästhetik wird dem [d. h. dem „Erfassen des Sinns eines Textes“] die Frage nach der sprachlichen Erzeugung von Atmosphären hinzufügen“ (Böhme 1995: 9) und damit eine produktionsästhetische Dimension erhalten. Es sei „wegen der eigentümlichen Zwischenstellung des Phänomens der Atmosphäre zwischen Subjekt und Objekt schwierig, den Status von Atmosphären zu bestimmen und damit die Rede von Atmosphären zu einem legitimen Konzept zu machen.“ (Böhme 1995: 28) 2011, die Essaysammlung des Komparatisten Gumbrecht 2011 sowie die interdiszi‐ plinären Beiträge in Lehnert 2011 und Arburg/ Rickenbacher 2012). 28 Einschlägige Wörterbücher wie das Glossary of Literary Terms tun sich schwer mit dem Begriff und widmen ihm zwar einen Eintrag, deuten damit aber lediglich seine prekäre Stellung zwischen sujet, Text und Rezipient: in an, ohne damit das komplexe Phänomen hinreichend zu erklären: „‘Atmosphere’ is the emotional tone pervading a section or the whole of a literary work, which fosters in the reader expectations as to the course of the events, whether happy or (more commonly) terrifying or disastrous.“ (Abrams/ Halpham 2015: 20) „atmosphere“ wird hier zu einer formalen, generischen Texteigenschaft, da sowohl das Drama als z. B. auch die Gothic Novel sich aus jeweils spezifischen - und demzufolge anscheinend objektivierbaren - ‚Stimmungen‘ speisen (vgl. Abrams/ Halpham 2015: 96, s.v. „drama“, und 152 s.v. „Gothic Novel“). 29 Ein: e Rezipient: in nutze demzufolge die textlich generierte atmosphere lediglich, um dramaturgische Voraussagen über einen Plot und dessen Ausgang zu machen: von immersiven, empathischen Reaktionen auf Figuren oder Ereignisse ist hier keine Rede. Das Dictionary of Literary Terms and Literary Theory stellt immerhin eine ungreifbare - damit auch die unbegriffliche, nicht-diskursive? - Wahrnehmung des Kunstwerks durch die Rezipient: innen stärker in den Vordergrund („the intangible quality which appeals to extra-sensory as well as sensory perception, evoked by a work of art“, Cuddon 2013: 57) und unterscheidet davon Henry James’ Begriff einer Rekonstruktion der Autor-Intention durch die Rezipient: innen: Diese „atmosphere of the mind“ spiegele „what the subjective writer of the novel tries to convey to the reader. After a time we in a sense ‘inhabit’ the writer’s mind, breathe that air and are permeated by his vision.“ (Cuddon 2013: 57) Ein Konsens darüber, inwieweit nun schöpferi‐ scher Prozess, das Kunstwerk als Produkt und Objekt, oder dessen subjektive Wahrnehmung im Rezeptionsmoment von „Stimmung“ gezeichnet sind, wird 46 1 Ausgangspunkte 30 Hans Ulrich Gumbrecht inszeniert ebenfalls text-immanente Lektüreverfahren, die allerdings als „Moment der ästhetischen Erfahrung ein individuelles Erlebnis“ bleiben, „dessen Eintreten sich nicht herbeiführen oder gar garantieren ließe“ (Gumbrecht 2011: 73). Er deutet hiermit eine Verlagerung des Leseaktes und seiner Stimmung ins Situative, Private und (Auto-) Bio‐ graphische an, wie Gumbrechts eigene Lektüren z. B. eines Shakespeare-Sonetts oder eines Janis Joplins-Songs es demonstrieren. Diese Textnähe aber wird überwiegend performativ eingesetzt, anstatt sie analytisch in einem hermeneutischen Argumentationszusammenhang diskursiv zur Geltung zu bringen. Mit seinem rezeptionsästhetischen Akzent auf dem „Stimmung lesen“ wäre Gumbrecht zufolge daher weniger „von der Entfaltung eines neuen ‚Sinnpotenzials‘“ zu sprechen „als von einer intensivierten ästhetischen Faszination, innerhalb deren die Sinndimension sekundär bleibt“ (Gumbrecht 2011: 33). Das wiederum bedeutet in letzter Konsequenz, dass der Begriff der literary atmosphere einem literaturwis‐ senschaftlichen Verfahren fremd wäre, und dass insbesondere die didaktische Arbeit mit dem Text sich daher auf intersubjektiver Ebene als eine äußerst schwierige Aufgabe erwiese. Gerade in der didaktischen Situation des gemeinschaftlichen Lesens im Unterricht würde Gumbrechts - gegen Kritik weitgehend immunisierte, da als essayistischer Ausdruck eines subjektiven literarischen Erlebnisses deklarierte - Stimmungs-Lektüre kaum evaluierbar sein, zumal es keine diskursiven Regeln für das Erzeugen bzw. Erkennen von Stimmungen durch die emotionale Rezeption eines seinerseits emotional gefärbten Textes gibt. Derlei Einschränkungen hätten Auswirkungen für eine unterrichtspraktische Herangehensweise an literarische Texte: Mit der Rückversetzung des Leseaktes ins Private stellt sich die Frage, ob hierdurch nicht solipsistischen, radikal-konstruktivistischen Bedeutungsverfahren der mit diesen Definitionsversuchen nicht erreicht - in dem Begriff konvergieren zu viele „Phänomenbereiche, in denen sich herkömmliche Kategorien überschneiden und sich wechselnde Sinnzuschreibungen ergeben. Stimmungen entziehen sich eindeutigen Kategorisierungen.“ (Gisbertz 2011: 8) Eingedenk dieser Faktoren sei hier an Gerhart Hoffmanns Arbeit erinnert, die den Untersuchungsakzent von der Peripherie des Kommunikationssystems „Text“ (mit dem Einschluss der Rezeptionsebene) auf die innere Repräsentations‐ ebene mit ihren Gestaltungselementen verschiebt und damit, im Einklang mit Böhme (vgl. 1995: 34-39), auf die Ebene der Produktionsästhetik vordringt. Hoff‐ mann, an Ludwigs Binswanger anschließend, sieht im Begriff des atmosphärisch „gestimmten Raumes“ einen für die Rezipient: innen wichtigen „Sinnträger eines epischen Kunstwerks“ (Hoffmann 1978: 51): Im gestimmten Raum sind die Dinge Ausdrucksträger, die eine geschlossene Ausdrucks‐ einheit bilden. Auch Form, Farbe, Größe und andere ‚objektive‘ Eigenschaften haben im gestimmten Raum allein expressiven Charakter: Sie lassen die Dinge traurig oder heiter, sanft oder streng erscheinen, rufen das Erlebnis des Gewaltigen und Erhabenen oder des Zarten und Anmutigen hervor. In ihrer Gesamtheit und in ihrer einmaligen, nicht beliebig auswechselbaren Komposition bilden sie die Atmosphäre des Raums. (Hoffmann 1978: 51) 30 47 1.4 Literaturdidaktische Problemfelder Vorrang gegeben wird, die in der Literaturdidaktik zurecht heftig in die Kritik geraten sind (vgl. hierzu namentlich Bredella/ Burwitz-Melzer 2004). Er ruft im folgenden weitere ‚objektive‘ Eigenschaften wie musikalische Ge‐ räusch und Licht, aber auch andere Lebewesen als Konstituenten von „ge‐ stimmten“ räumlichen Darstellungen auf, die in der Perspektivierung des Er‐ zählten durch ein Medium (Erzähler, Reflektor oder Figur, um Franz K. Stanzels klassische Terminologie zu verwenden) ihre jeweilige Färbung erhalten. Auf dieser „Ebene der sprachlichen Manifestation ist schließlich die Frage des Stils, also etwa der möglichst exakten objektiven Beschreibung der Dingwelt oder der Umsetzung des Eindrucks eines Subjekts in metaphorischen Ausdruck von Bedeutung, weil sich hier die aktive, rational-gedankliche bzw. die passive, emo‐ tional-unbewusste Verarbeitung der optischen Daten […] äußern.“ (Hoffmann 1978: 56) Insgesamt erweist sich der in den hier betrachteten Lehrwerke so prominente Akzent einer schülerzentrierten Herausarbeitung von literary atmosphere so‐ wohl aus literaturwissenschaftlicher als auch aus literaturdidaktischer Perspek‐ tivierung als riskant - weil dieser theoretisch heftig umstrittene Analysefokus ausgerechnet den Unterrichtsmodulen zu „Science / Technology / Utopia / Dys‐ topia“ und „Shakespeare“, die für eine textnahe Herangehensweise an literari‐ sche Kunstwerke prädestiniert wären, vorbehalten bleibt und folglich Lehrende wie Lernende potenziell in prekäre Diskussionssituationen hineinmanövriert. Wie ließe sich damit überhaupt ein Lerneffekt erzielen, der es den Lernenden ermöglichte, die jeweils aktuelle Lektüre auf das Verständnis anderer Texte zu übertragen? Primat der Rezipient: innen? Es ist in diesem Zusammenhang auch auf eine provokative Frage einzugehen, die seinerzeit ein Vertreter der einflussreicheren Rezeptionstheorien, Stanley Fish, gestellt hat: „Is there a Text in this Class? “. Seine Antwort lautete, dass die Leser: innen im Lektüreakt natürlich zunächst individuelle und subjektive Text-Bedeutungen erzeugten, die dann aber im Rahmen einer „interpretive community“ - sei es das Klassenzimmer, sei es der Seminarraum - intersubjektiv verhandelt werden (vgl. Fish 1980). Auf die Literaturdidaktik für die Sekundarstufe I angewendet bedeutet dies: Die verstehende Auseinandersetzung beginnt bei der Interaktion zwischen Leser und Text, die sich aber zu einer Interaktion zwischen Leser und Leser im Unterricht wan‐ delt, bei der Reaktionen auf das Gelesene, Inferenzen und Hypothesen kommunikativ ausgetauscht und verhandelt werden. Aus dieser kommunikativen Verhandlung in der Interpretationsgemeinschaft entsteht der Textsinn. (Steininger 2014: 419) 48 1 Ausgangspunkte 31 Beispielhaft sei hier Harald Weisshaars Analyse (2015) der Fortsetzungsgeschichte „The End of World Time“ genannt, die in Green Line 1 (Ausgabe 2014) ab Unit 4 abgedruckt ist: über die Auseinandersetzung mit dem Stoff sei ein systematischer Aufbau von Literaturkompetenzen gewährleistet. 32 So enthält z. B. allein Pathway Advanced volle 39 Auszüge aus literarischen Texten, von denen nur 13, also ein Drittel der Gesamtanzahl, literarische Kurzformen wie Gedichte oder Songs sind. Das bedeutet, dass immerhin 26 Texte bleiben, die die Genres Roman, Kurzgeschichte, Drehbuch oder Drama repräsentieren. Es gibt unter diesen nur zwei Überlappungen, insofern als neben dem in Lernmodul „Utopia/ Dystopia“ gedoppelten Stoff (The) Children of Men nur noch Ol Parkers Drehbuch The Best Exotic Marigold Hotel (die Verfilmung von Deborah Moggachs Romanvorlage These Foolish Things) sowohl unter dem Thema „India“ (PA 111) als auch unter dem Thema „Economy, Energy, Efficiency“ (PA 301) behandelt wird. Das bedeutet, dass sich das Wissen über die jeweiligen Texte stets nur auf die im Lehrwerk isolierten Passagen beschränkt - dass sie kaum einen bleibenden Eindruck bei den Schüler: innen hinterlassen können, ist eine naheliegende Folge dieses fragmentarischen Literaturangebots. Ein solches Verfahren der gemeinschaftlichen Sinnkonstitution wird jedoch am ehesten in Kenntnis des gesamten Textes zu angemessenen Ergebnissen führen, was für die meisten im Unterricht der Sekundarstufe I behandelten literarischen Formen wie Gedicht und Kurzgeschichte gilt. 31 Mit der Lektüre von isolierten Passagen aus umfangreicheren Werken im Unterricht der Sekundarstufe II, wie sie in den Lehrwerken angeboten werden, müssten hingegen nach einer solchen gemeinschaftlichen Sinnkonstitution bestimmte Lesarten eines Textes im Zweifelsfall modifiziert, vielleicht sogar ‚korrigiert‘ werden - mit Hinweis auf den Situationscharakter der jeweils behandelten Passage, oder durch Lektüre von weiteren Textausschnitten, die eine differenzierte Sicht auf komplexere Anlage des Werkes zulassen. Denn, und hierin liegt eine weitere Gemeinsamkeit der hier betrachteten Lehrwerksgeneration, die Schüler: innen werden aktuell nur mehr mit einbis zweiseitigen snippets aus umfangreicheren Erzähl- und Dramentexten konfrontiert und sollen, 32 ohne hinreichende (Er-)Kenntnisse über das literarische Werk als Ganzes, einen Satz Aufgaben von der bloßen Zusammenfassung über die Erfassung der Atmosphäre und der Figuren-Cha‐ rakterisierung bis zu kreativen Transformationen des Gelesenen bearbeiten. Nicht selten stellt sich bei einer solchen Sicht auf einen umfangreicheren Text angesichts der learning outcomes die Frage: „What happened to the text in this learning environment? “ Einem weiteren wichtigen Rezeptionsforscher, Wolfgang Iser, zufolge setzt die Vorstellungskraft angesichts einer hohen Zahl von „Leerstellen“ nicht nur einen imaginativen Ergänzungsvorgang ersten Grades frei (im Sinne der „good continuation“, die Iser aus der Wahrnehmungs‐ psychologie entlehnt; vgl. Iser 1976: 287): Vielmehr verursache die Vorstellungs‐ kraft angesichts der „Leerstelle“ im Text eine „verstärkte Kompositionsaktivität 49 1.4 Literaturdidaktische Problemfelder des Lesers, der nun die kontrafaktisch, oppositiv, kontrastiv, teleskopierend oder segmentierend angelegten Schemata - oftmals gegen eine entstehende Erwartung - kombinieren muß“ (Iser 1976: 288), um fehlerhafte Voraussagen (und also Füllungen früherer Leerstellen) zu korrigieren. Derartige komposi‐ torische „Leerstellen“ haben sich im Lehrwerk angesichts der (notwendigen) Fragmentierung von literarischen Texten nunmehr zu inhaltlichen Lücken gewandelt, die in Unkenntnis des Textganzen von den Lernenden aufgefüllt werden sollen. Sie können zwar von den Schüler: innen auf der Ebene der „Vorstellungen ersten Grades“ gefüllt, aber nicht auf der komplexeren Ebene zu „Vorstellungen zweiten Grades“ erweitert werden (Iser 1976: 290). Damit nicht genug: Durch die per Lehrwerk fragmentarisch vermittelte Textkenntnis wird den Schüler: innen die Erfahrung der Selbstkorrektur im fortschreitenden Lesen genommen; stattdessen stützen sie ihre Aussagen und Meinungen nur auf jene minimalen, selten hinreichend kontextualisierten Textpassagen. Schon die Herausgeber: innen des Bandes Texte zur Theorie der Autorschaft mahnen in ihrer Einführung: „Wird die Verfügungsgewalt des Lesers im Umgang mit literarischen Texten zu weit getrieben, schlägt sie in fruchtlose Beliebigkeit um.“ ( Jannidis et al. 2000: 24). Auch Bredella, ohne kreative Aufgabenformate rundweg abzulehnen, wendet sich aus literaturdidaktischer Sicht gegen Forde‐ rungen, interpretative Textzugänge ganz abzuschaffen und durch handlungs‐ orientierte zu ersetzen (vgl. Bredella 2007: 65-66). Dementsprechend setzt Ann Klimes-Link sich am Ende ihrer empirischen Untersuchung zur Erarbeitung literarischer Texte für eine Kombination von „analytische[n] und handlungsori‐ entierte[n] Verfahren“ ein, da sie „geeignet sind für ein ‚ins-Gespräch-kommen‘ mit dem Text“ (Kimes-Link 2013: 361; vgl. dazu aus methodischem Blickwinkel Surkamp/ Nünning 2010). Sie hebt hervor: Textanalytische Verfahren zur Identifizierung von Stil- und Strukturmerkmalen sind zwar sinnvoll, wenn sie das Verhältnis von Form, Bedeutung und Wirkung auf den Rezipienten beleuchten und ein vertieftes Textverständnis vorantreiben, nicht aber, wenn sie zum Selbstzweck werden und sich vom jeweiligen Text entfernen. (Kimes-Link 2013: 362) Die Verfasserin führt allerdings nicht aus, was sie mit dem polemischen Schlag‐ wort „Selbstzweck“ meint - eine vom Textsinn entkoppelte Metrikanalyse würde diesem sicherlich eher entsprechen als das Bemühen, unterschiedliche mögliche Bedeutungen eines Textes herauszuarbeiten. Die Ausführungen in Kapitel 2 zu den literarischen Texten, die in den Lehr‐ werken zur Erarbeitung angeboten werden, lassen zudem deutlich werden, dass es häufig gerade die handlungsorientierten Aufgaben sind, die zu einem „Selbst‐ 50 1 Ausgangspunkte 33 Zu berücksichtigen ist hier die Tatsache, dass der Operator „interpret“ per se nicht gleichzusetzen ist mit dem Zieltextformat einer literarischen Interpretation. Es ist jedoch auffällig, dass dieses Zieltextformat in den Kompetenzanhängen der Lehr‐ werke durchweg als „Writing an analysis“ bezeichnet wird. Mit ihnen werden die Schüler: innen instruiert, nach einer Textlektüre die wesentlichen Inhaltspunkte zu‐ sammenzufassen („comprehension“), sprachliche Stilmittel des Textes funktional zu bestimmen („analysis“) und schließlich mit einer eigenen Stellungnahme zu schließen („commentary/ evaluation“). Diese Arbeitsschritte sind zudem im Rahmen von amtli‐ chen Bewertungsrichtlinien so zu gewichten, dass die (zumeist punktuelle) Analyse den höchsten Faktor erhält, gefolgt von der Überprüfung des reinen Textverständnisses - die synthetische Leistung einer umfassenderen Sinnkonstitution, in der Text- und Rezipientenperspektiven ineinander fließen, bleiben am wenigsten honoriert. zweck“ werden und dazu tendieren, „sich vom jeweiligen Text zu entfernen“ oder diesen unkenntlich werden zu lassen. Dies ist schon deshalb naheliegend, weil solche Aufgabentypen dazu dienen, „Lernende dazu an[zuregen], das Gelesene auf ihre Lebenswelt zu beziehen und mögliche Konsequenzen zu reflektieren, sodass handlungs- und produktionsorientierte Verfahren nicht nur grundlegende Aspekte literarischer Kompetenz, sondern auch Selbst- und Fremdverstehen zu fördern vermögen“ (Kimes-Link 2013: 363). Legitim wird dieser Übertrag auf die Lebenswelt mit seiner unvermeidlichen Entfernung vom Text eigentlich jedoch erst dann, wenn auch - entweder zuvor oder danach - das innere Zeichen- und Kommunikationssystem des Textes selbst im Zuge einer ausführlichen Lektüre in den Vordergrund der Betrachtung rückt. Who’s afraid of … Interpretation? Wie schon in Abschn. 1.3 dargelegt wurde, findet sich im überarbeiteten CEFR 2018 noch immer eine prekäre Hal‐ tung gegenüber der kognitiven Aktivität des Interpretierens, die auch im schu‐ lischen Kontext lediglich innerhalb des AFB II „Analysis“ ihren Platz zugewiesen bekommen hat. 33 Höhere Wertschätzung erhalten subjektiverende Verfahren der Textaneignung wie Bearbeitungen (z. B. Umschreiben eines Textfragments aus einer anderen Figurenperspektive; Vervollständigen eines offenen Hand‐ lungsendes), generische Transformationen (z. B. einer Romanpassage in ein Drehbuch oder in einen Tagebucheintrag) oder expressive Kommentare, die alle AFB III zugeordnet sind. Derlei kreative Aktivitäten sollen sich zudem aus Gründen der Kreativitätsförderung vom literarischen Text maximal entfernen dürfen, wobei Defizite im Hinblick auf die Förderung diskursiver und kritischer Kompetenzen im reflektierten Umgang mit ästhetischen Texten hingenommen werden. Ein literarischer Text(-ausschnitt) wird unter den gegenwärtigen Gegeben‐ heiten, die die Lehrwerke in Abstimmung auf die Kerncurricula schaffen, häufig zum primär kommunikativen Impulsgeber, auf den die Lernenden Bezug 51 1.4 Literaturdidaktische Problemfelder 34 Dabei ist unbestritten, dass einem learning outcome zu dieser Aufgabe implizit eine solide Figureninterpretation zugrunde liegen mag. Sie wäre dann in einem ähnlichen intertextuellen Verhältnis zum Drama zu sehen wie Tom Stoppards Rosencrantz and Guildenstern are dead als Hamlet-Bearbeitung: Stoppards Theaterstück (bzw. Filmskript) liegen ebenfalls Interpretationsansätze über Hamlet und die beiden Höflinge zugrunde. Hier wird dem Publikum die Interpretation implizit und kreativ im Sinne einer parodistischen Text-Transformation vermittelt (d. h. als Theaterstück / Film), aber nicht explizit und kritisch im Sinne eines interpretativen Paratextes (z. B. als mögliche Lesart von Hamlet mit Akzentuierung der Figuren Rosencrantz und Guildenstern). nehmen können, als wären sie selbst Teil der fiktiven Handlung, bzw. als wären die literarischen Figuren Teil ihrer eigenen Lebenswelt (s. o., „Authentizität“). Aus dieser Vermischung bzw. Analogisierung unterschiedlicher Ontologien entstehen (nicht zuletzt auf die subjektive „Stimmung“, s. o., bezogen) proble‐ matische Arbeitsaufträge. Beispielhaft genannt sei hier die Anregung zum Formulieren einer „suicide note“ aus der imaginären Feder Juliets vor ihrem - zunächst bekanntermaßen nur vorgetäuschten - Freitod, wie es in einem muttersprachlichen Materialband zu Shakespeares Romeo and Juliet gefordert wird (vgl. McNeilly 2009: 65). Eine Aufgabe wie diese setzt zum einen ein hohes Maß an schülerseitigem Einfühlungsvermögen in die Gefühlswelt einer imaginären Figur in einer existenziellen Extremsituation voraus, das jedoch nicht diskursiv als (inhaltlich und / oder historisch zu kontextualisierende) Interpretation des Dramentextes zum Ausdruck gebracht wird. Zudem evoziert die Aufgabe eine anachronistische, pseudo-authentische Überlagerung von Figur und realer Person. 34 Die Problematik der Aufgabe, die Schüler: innen einen Abschiedsbrief Juliets verfassen zu lassen, besteht maßgeblich darin, dass für die zugrundeliegende Figurenanalyse, die für ein solches learning outcome notwendig ist, kein dis‐ kursiver Raum bleibt und somit auch die historisch-rekonstruktive, kritische Auseinandersetzung mit dem Stück oder der Figur in den Hintergrund tritt. Zweifellos aber sind einflussreiche literarische Interpretationen, die sich einem Text unter Einschluss seiner zeitgebundenen Episteme und mit einer Kontrastie‐ rung zu aktuellen Einstellungen annähern, in Argumentation und Fazit ebenso ‚originell‘ wie solche Verfahren der Textproduktion, bei denen die Lernenden sich vom überlieferten Text entfernen und diesen als Vorlage für eine eigene imaginative Bearbeitung verwenden. Resümierend bleibt an dieser Stelle festzuhalten, dass die Vermittlung von Literatur über die Lehrwerke allein nicht ausreicht, um das Sinn-Potenzial von Texten unter Verabsolutierung der Schülersicht hinreichend zu erarbeiten. Die für die Lehrwerke ausgewählten Passagen ermöglichen jedoch einen ersten Schritt in Richtung einer fortgeschrittenen Ganztextlektüre, zumal sie mit den 52 1 Ausgangspunkte Querverweisen auf die Kompetenzseiten wichtige Hilfestellungen geben. Die fragmentierten und isolierten Textauszüge, die in den Lehrwerken als Arbeits‐ grundlage angeboten werden, können kaum valide Einsichten über breiter angelegte Plotmuster, subtile und konplexe Charakterentwicklungen oder ka‐ tegorisierende Genre-Typologien vermitteln; stattdessen besteht anhand dieser Textbeispiele die Gelegenheit, die Verfahren der literarischen Textanalyse mit anschließender Sinnkonstitution, die bewusst auf Generalisierungen verzichtet, einzuüben - Verfahren, die in der Ganztextanalyse erneut zur Anwendung gebracht und dort im Hinblick auf die genannten Makrostrukturen vertieft werden. Gleichwohl werden die lehrwerkanalytischen Abschnitte in Kapitel 2 deutlich machen, dass die Textauszüge immer wieder als repräsentative Aussagen über einen Roman, ein Drama, eine Situation oder eine Figur überan‐ sprucht werden. Die Limitation der formalen und ontologischen Aussagekraft eines Textabschnitts wird nicht erkannt bzw. vermittelt. 1.5 Ziele und Aufbau der Studie Der letzte Abschnitt dieser Einleitung wendet sich den Zielen der Studie zu und umreißt knapp ihren Aufbau. Die Untersuchung der hier ausgewählten Lehrwerke gibt Aufschluss darüber, welche literarischen Inhalte und literaturbe‐ zogenen Kompetenzen im Oberstufenunterricht Englisch am Ende des zweiten und zu Beginn des dritten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts vermittelt werden könnten - der Konjunktiv ist hier deswegen angebracht, „da die Qualität von Lehrwerkkomponenten nur begrenzt Rückschlüsse auf die damit zu erreichende Unterrichtsqualität ermöglicht“ (Funk 2019: 366). Gleichwohl ist dem Lehrwerk ein hohes Maß an inhaltlicher Qualität und fachlicher Verlässlichkeit abzuver‐ langen, soll es im Unterricht eine prozess-förderliche Rolle einnehmen. Es bedarf daher in der Unterrichts-Konzeption und Produktion sowie auf der Ebene der Verwendung stets einer kritischen Haltung gegenüber den Lehrwerksinhalten, bzw. den Mut und die fachliche Kompetenz zur Modifikation dieser Inhalte seitens der individuellen Lehrkraft, die die Arbeit mit dem Lehrwerk oder anderen Materialoptionen verantwortet. Die beiden für die folgenden Kapitel ausgewählten Themenkreise „Science / Technology / Utopia / Dystopia“ und „Shakespeare“ sind Gegenstände, die sich in der vorliegenden Untersuchung besonders für eine gründliche Litera‐ turerarbeitung im Fremdsprachenunterricht Englisch eignen und die zudem - vor allem im Fall des erstgenannten Themas - auch sehr gut in bilingualen Zusammenhängen, z. B. in Verbindung mit den Sachfächern Geschichte, Bio‐ 53 1.5 Ziele und Aufbau der Studie 35 Dies ist nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher Diskurstraditionen in den Bereichen Gentechnologie und Wissenschaftsgeschichte im englischsprachigen Raum gegenüber Deutschland von besonderem Vorteil, um jenseits der Mehrsprachigkeitskompetenz auch den Aspekt der interkulturellen Handlungsfähigkeit zu fördern (vgl. beispielhaft den - knappen, aber informativen - Hinweis zur genetischen Reproduktionstechno‐ logie: „Currently, saviour siblings are not allowed in Germany, in contrast with [sic] the UK, France and the United States“, C-HRU 62; Herv.i.Orig., vgl. auch zum selben Thema den „Vergleich zwischen der Situation in Großbritannien und Deutschland“, GL-LB 333). logie oder Ethik, gewinnbringend einzusetzen sind. 35 Eine der wesentlichen Vermittlungsstrategien ist der Versuch seitens der Lehrwerke, „auf unterschied‐ liche Weise Anknüpfungsmöglichkeiten an die Welt der S[chüler: innen] [zu] bieten“ (C-HRU 95). Auch der Unterrichtsgegenstand „Shakespeare“ wird in den Lehrwerken zumindest im Anspruch schülernah konzipiert, was sich aufgrund der historischen wie kulturellen Distanz seiner Werke als besondere Herausforderung gestaltet (vgl. Schmidt 2006). Die hier vertretene These besagt demgegenüber, dass dabei die Aufmerksamkeit für die Texte als Literatur zu kurz kommt, so dass anhand dieser beiden Themen die Gelegenheit genutzt werden sollte, spezifische literarische Kompetenzen zu fördern. Unterrichtsmethodisch wird in allen hier untersuchten Bänden eine schüler‐ zentrierte und handlungsorientierte Inszenierung des Geschehens im Klassen‐ zimmer angestrebt, die in hohem Maße kommunikativ ist und sich folglich um sprachliche Authentizität, diskursive Alltagstauglichkeit und lebensweltliche Anwendbarkeit bemüht. Verändert gegenüber früheren Lehrwerksgenerationen und den Bänden der Sekundarstufe I sind in der vorliegenden Dichte aber textlich komplexe Unterrichtseinheiten, die nicht nur jeweils dem AFB-Drei‐ schnitt aus „Verstehen“, „Analyse“ und „Beurteilung / Bearbeitung“ folgen, sondern die auf die balancierte Beherrschung von mündlichen, schriftlichen und medial basierten Textstrategien sowie der Anwendung von Zieltextfor‐ maten abzielen. Gemäß einer einschlägigen Methodentypologie wäre hier also in zunehmendem Maße von „Text-Based Instruction“ (Richards/ Rogers 2014, 200-213) zu sprechen, die jedoch eine stärkere Fokussierung auf den literatur‐ spezifischen Diskurs inkl. seiner Fachsprache erfordert, als dies aktuell in der Regel gewährleistet ist. Ziele. Die vorliegende Studie untersucht mit ihrem lehrwerkanalytischen Ansatz verschiedene kompetenzorientierte Schulbücher auf Methoden und Modelle der Literaturvermittlung. Natürlich eignet diesem Verfahren eine ge‐ wisse Subjektivität in Betrachtung und Ergebnissen: Im Vordergrund steht eine konzeptionelle und inhaltsorientierte Untersuchung der Lehrwerke. Sie steht damit in Gegensatz zu einer prozessorientierten empirischen Studie, mit der die Anwendung und Rezeption im praktischen Unterrichtsgeschehen abzubilden 54 1 Ausgangspunkte 36 Als Grund sei hier auf den Publikationsabstand der einzelnen Lehrwerke verwiesen: Mit Diesterwegs Camden Town liegt ein Lehrwerk vor, das erst zum Schuljahr 2019/ 20 eingeführt wurde und also noch keine empirisch gesicherte Datengrundlage zur schulpraktischen Rezeption im Unterricht liefern kann, die aktuell einen Vergleich zu den älteren der hier untersuchten Lehrwerken mit deren Erscheinungsjahren seit 2015 sinnvoll erscheinen ließe. wäre. 36 Die Lehrwerke werden im Folgenden daraufhin betrachtet, inwieweit sie für die Lernenden Angebote schaffen, literarische Texte auf ihre textinterne Kompositions- und Kommunikationsstrukturen hin zu untersuchen und deren Implikationen im Verfahren der Interpretation zu deuten. Erörtert werden muss dabei die Frage, inwieweit diese dem Anspruch genügen, die curricular angestrebte Wissenschaftspropädeutik und Allgemeinbildung auf dem Gebiet der Text- und Medienkompetenzen zu erreichen: als eine Balance von starker Kompetenzorientierung mit der darin implizierten sprachlich-kommunikativen Handlungsfreiheit im beruflichen Alltag hier und der Perspektivierung auf ein mögliches (Fremd-)Sprachenstudium dort. Aufbau. Das für die Lehrwerkanalyse zentrale Kapitel 2 im Anschluss an diese einleitenden Abschnitte ist wie folgt gestaltet: Zunächst werden die vier Lehrwerke aus der Vogelperspektive betrachtet, um einen Eindruck darüber zu vermitteln, welchen allgemeinen Stellenwert literarische Texte darin im Einzel‐ fall einnehmen (Abschnitt 2.1). Abschn. 2.2 wendet sich anhand des Themas „Science / Technology / Utopia / Dystopia“ den spezifischen Lernaufgaben mit Bezug auf die für die unterschiedlichen Lehrwerke ausgewählten literarischen Textpassagen zu. Wie auch im Shakespeare-Kapitel (Abschn. 2.3) wird es dabei in verschiedenen Fällen notwendig sein, das jeweils zugrunde liegende Werk insgesamt in Augenschein zu nehmen und inhaltliche bzw. kontextuelle Aspekte zu berücksichtigen. Es folgt dann eine Auseinandersetzung mit den dazugehörigen Aufgabenformaten sowie, am Ende der jeweiligen Diskussion, konstruktiven Vorschlägen weiterer Textpassagen als Ergänzung zu denen im Lehrbuch. Mit diesen Ergänzungen, die im digitalen Anhang zu diesem Band zugleich die Textbasis für die Kopiervorlagen darstellen, soll für Studierende und Lehrkräfte die Möglichkeit geschaffen werden, ein genaueres und stimmigeres Bild vom Gesamttext zu erhalten, bzw. mit diesen Passagen den Schüler: innen ein solches zu vermitteln. Kapitel 3 „Ergebnisse und Perspektiven“ schließlich wird noch einmal auf die Ziele einer funktional differenzierenderen Vermittlung von Literatur im Schulunterricht eingehen und dabei für eine Pflege rezeptionstheoretischer, kommunikativer Anteile ebenso argumentieren wie für die Re-Etablierung ästhetischer und textzentrierter Aspekte der Literatur, so dass insgesamt ein 55 1.5 Ziele und Aufbau der Studie höherer Grad an wissenschaftspropädeutischem Kompetenzstandard erreicht wird, der es den Studierenden gleichermaßen wie den Hochschullehrkräften erlaubt, die bislang häufig abrupten Phasenübergänge von der Sekundarstufe zur Tertiärbildung als Kontinuum zu erkennen und damit leichter zu bewältigen. 56 1 Ausgangspunkte 1 Für die jüngste Generation von Lehrwerken wird der Schritt in die digitale Welt noch deutlicher: Hier sind die Lehrwerksinhalte digital verfügbar und auch von der Lehrkraft editierbar. Anders als in der hier untersuchten Generation, wo Digitale Unterrichts‐ assistenten es zuließen, bestimmte Seiteninhalte am Smartboard abzudecken, sind hier auch inhaltliche Ergänzungen möglich, wie z. B. Aktualisierungen der jeweiligen Unterrichtsmaterialien, die auf die einzelne Lerngruppe abgestimmt werden können. Die Lehrkraft kann unterschiedliche Materialien für verschiedene Lernerbedürfnisse anpassen und an die Endgeräte der Schüler: innen senden. Dadurch soll der Unterricht noch stärker individualisierbar sein als dies zuvor der Fall gewesen ist. Beispielhaft sei hier der „e-course“ (Klett) genannt, der allerdings für den Oberstufenunterricht Englisch bislang nicht vorliegt. 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 2.1 Inhaltlich-struktureller Aufriss der Lehrwerke Auf allgemeiner Ebene erscheinen alle hier zu betrachtenden Lehrwerke der Qualifikationsphase (QP) inhaltlich miteinander vergleichbar: Die Schülerbände unterteilen sich, in abweichender Reihenfolge, in einzelne Lernmodule sowie in ihrerseits noch einmal untergliederte Anhänge. Die Lernmodule entsprechen den im jeweils länderspezifischen Kernlehrplan (KLP) vorgegebenen Themen‐ blöcken. Medial weitgehend hybridisiert, sind sie in der Mehrzahl mit digitalen Datenträgern ausgestattet - im Falle von Pathway Advanced ist dies eine DVD mit Filmsequenzen, die den Inhalten der verschiedenen Lernmodule im Schü‐ lerband zugeordnet sind, sowie spezifisch entwickelte Film-Analysetools. Green Line und Camden Town lagern die Audio-Dateien zu den einzelnen Lernmodulen in eine CD-ROM aus, die dem Workbook beiliegt: Green Line (2015) integriert in diesen Datenträger zusätzliche Vokabellisten, deren Entsprechungen Camden Town und Context zusammen mit Video-Ausschnitten oder Audio-Dateien in Form von Webcodes in der jeweils verlagseigenen Internet-cloud bereithalten. 1 In Abgrenzung zum Grundkurs-Niveau sind sowohl in Camden Town als auch in Green Line Seiten mit „Advanced Texts“ für die „erhöhten Anforderungen“ des Leistungskurses hinzugefügt. Pathway Advanced stellt für derartige Zwecke das Piktogramm eines Doktorhutes voran; in Context erfolgt die Differenzie‐ rung in den Lehrerhandreichungen über die Kennzeichnung von Texten als „basic, intermediate bzw. advanced“ (C-HRU 7) und im Schülerband durch den Hinweis das Signalwort „Challenge“. Die folgende Tabelle listet den Lernstoff der QP-Bände in der jeweiligen Abfolge auf: Camden Town Context Green Line Pathway Advanced The Individual and Society Modern Media - Tools or Tyrants? Globalization Shaken, Not Stirred? ! - The U.K. Between Tradition and Mo‐ dernity Science and Technology Science - Enhan‐ cing Life? India India The Media Visions of the Fu‐ ture - Utopias and Dystopias The United Kingdom The American Dream - Reveries and Reali‐ ties Globalization The Power of Words - from Shakespeare to Today Migration and di‐ versity Democracy: Politics, Polls & Protesters Britishness The UK - a Kingdom United? The media Economy, Energy, Ef‐ ficiency - The World Going Global The American Ex‐ perience India - a Kaleido‐ scope The US then and now Science (Fiction) & Technology: To‐ wards a Better World? ! Postcolonial Ex‐ periences The USA - Still the Promised Land? The individual and society Communication of Confusion? - English Around the World Shakespeare Beyond the Nation - Europe and the Globalized World Science and Utopia Modern Media - Social, Smart and Spying? ! -- Work and Business - Careers and Per‐ spectives The world of work Shakespeare: Such Stuff As Dreams Are Made On… -- -- Shakespeare Starting off and Star‐ ting out - Learning, Studying and Work‐ ing -- -- The Englishes -- Tab. 5: Thematische Synopse der vier untersuchten Lehrwerke mit Platzierung der relevanten Unterrichtseinheiten 58 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Aus dieser Synopse ergeben sich fünf übergeordnete Themenblöcke: 1. Individuum / Gesellschaft / Politik (inkl. Medien) 2. die globalisierte englischsprachige Welt (inkl. UK / USA / Indien) 3. die Vielfältigkeit der englischen Sprache in Geschichte und Gegenwart 4. die Geschäfts- und Arbeitswelt (Ausnahme: Camden Town) 5. die englischsprachigen (v. a. britische, amerikanische) Literaturen Der letzte Schwerpunkt ist ein horizontaler, der alle anderen Module mitein‐ ander verbindet und prägt - und somit dem Wesen von Literatur entspricht, prinzipiell alle Seinsbereiche des menschlichen Lebens abzudecken und zu spiegeln. Die zwei hier untersuchten Themenkomplexe erhalten ein besonderes Gewicht durch ihre Gestaltung als Einzelkapitel, und sie sind mit hohen originär literarischen Anteilen im jeweiligen Schülerband sowie in den dazugehörigen Hinweisen der Begleitbände für Lehrkräfte ausgestattet. Sie rücken durch ihre Genrezugehörigkeit (Utopie / Dystopie / Science Fiction) bzw. aufgrund ihrer (literatur-)geschichtlichen Bedeutung (Shakespeare) in den Vordergrund, insofern sie in der Qualifikationsphase im Wesentlichen als Vorbereitung für ein anschließendes Studium eingesetzt werden. In den stärker an die aktuelle Lebenswirklichkeit gebundenen Unterrichtseinheiten wird literarischen Stoffen weniger Aufmerksamkeit in ihrer ästhetischen Funktion als Literatur zuteil, als dass sie für eine Diskussion lebensweltlicher bzw. weltanschaulicher Kommu‐ nikationsanlässe instrumentalisiert werden. Alle hier untersuchten Lehrwerke bieten in ihren Unterrichtsmodulen so‐ genannte workshops, die bestimmte Kompetenzen in einem thematisch gebun‐ denen Zusammenhang vermitteln. Diese methodisch überwiegend als aufga‐ benorientierte konzipierte workshops sind in die einzelnen Lernmodule / Kapitel integriert, wo sie anhand eines bestimmten Themas erarbeitet und (gegenüber den Inhalten der Einführungsstufen-Bände) vertieft werden. Generell werden hier verschiedene kommunikative Lernsituationen in Anlässe für Sprachpro‐ duktionen verwandelt, die die Schüler: innen in ihrer mündlichen bzw. schrift‐ lichen Fremdsprachenkompetenz voranbringen sollen. In allen Lehrwerken finden sich die Aufgabenformate gestaffelt nach den AFB I-III; der jeweilige inhaltliche Schwerpunkt wird unter der Überschrift „Awareness“ eingeführt und es gibt verschiedentlich zu den Aktivitäten noch sprachdidaktische Inhalte („Grammar / Language“). Gegenüber Camden Town, Context und Green Line stellt Pathway Advanced stets mehrere Aufgaben inner‐ halb eines AFBs, so dass schon hier ohne umständliches Hin- und Herblättern zu einem „Diff[erentiation] Pool“ eine deutliche Binnendifferenzierung erfolgt. 59 2.1 Inhaltlich-struktureller Aufriss der Lehrwerke Die meisten Aufgaben in diesen Lehrwerken werden per pre- / while- / post-reading Dreischritt konzipiert; seltener findet sich das Global to Detail-Ver‐ fahren der Textannäherung, das aber vor allem in der Vermittlung von Hör‐ texten Anwendung findet (wie z. B. in der Hörverständnisaufgabe zur Audio‐ fassung von Cormac McCarthys The Road, PA 373, Aufgabe 2). Die pre-reading Phase besteht in der Regel darin, für die Schüler: innen eine motivationale oder kognitive Verbindung zum nachfolgenden Thema eines Textes herzustellen; im zweiten Schritt folgt die analytische Herangehensweise an das im jeweiligen Lehrbuch vorgestellte Material. Die Auswertung dieser Beobachtungen besteht in der Regel aus recht kurzen Schlüssen, die nur selten zu einer kohärenten Textinterpretation führen, sondern eher zu listenartigen oder tabellenförmigen Zuordnungsversuchen anregen, in denen Textzitate, Funktionsbestimmungen und Deutungsversuche vereint werden. Schließlich folgen häufig kreative Auf‐ gabenformate, in denen die Schüler: innen ihr Verständnis vom Textausschnitt durch bestimmte eigene Formen der Textproduktion mit darin eingebetteten Herausforderungen darlegen sollen: sei es durch das Umschreiben eines Textes aus einer veränderten Figuren-Perspektive, sei es durch die imaginäre Kommu‐ nikation mit Autor: innen oder deren fiktiven Gestalten, und anderes mehr. Eingestreut sind zudem Aufgaben, die die sprachliche Dimension einer Text‐ vorlage ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken - z. B. mit Fokus auf das sprachliche Register, oder durch die Lenkung der Aufmerksamkeit auf den spezifischen Gebrauch zentraler Begriffe in einem Text, usw. Mit der kompetenzorientierten Ausrichtung der Aufgaben einher gehen auch, zur Förderung der kommunikativen fremdsprachlichen Kompetenzen, Anre‐ gungen zum kooperativen Lernen. Insbesondere Methoden wie „Think - Pair - Share“, „4 Corners“, „Gallery Walk“, „Bus Stop“, „Placemat“, „Jigsaw-Puzzle“ und „Panel Discussion“ werden den Lernenden im Anhang der Schülerbände anhand einzelner Beschreibungen dargelegt; in den Lehrerhandbüchern finden sich weitere Hinweise zur kooperativen Unterrichtsgestaltung in den Durch‐ führungs- und Lösungsvorschlägen zu einzelnen Aufgaben. 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff Es lässt sich bezüglich des ersten hier zu untersuchenden Themas in den hier besprochenen Lehrwerken folgende Matrix erstellen: 60 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Camden Town Oberstufe-QP Context Green Line Pathway Ad‐ vanced Theme 2: Science and Technology. Introduction Unit 2: Science - Enhancing Life? Lead-in. Unit 8: Science and Utopia Introduction Unit 6: Science (Fiction) & Tech‐ nology - Towards a Better World? Start-Up Activities Part A: Chances and Risks Part A: The Ge‐ netic Engineering Debate. “Texts” A The privacy de‐ bate B Donate yourself Genetic Enginee‐ ring: Between Ge‐ nius and Gambling? Part B: Literary Visions of the Future Part B: Modifying Mankind. “Advanced texts” C Artificial Intelli‐ gence Science & Techno‐ logy: Man Between Molecules and Ma‐ chines -- Part C: Quenching the thirst for Energy. “Advanced texts” D Genetics - hopes and fears E Visions of the future Utopia and Dys‐ topia: Between Eu‐ phoria and Disaster -- Unit 3: Visions of the Future: Uto‐ pias and Dysto‐ pias - Lead in. -- -- -- Part A: Entertain me. -- -- -- Part B: Give me sta‐ bility in the commu‐ nity. -- -- -- Part C: Watch over me. -- -- Tab. 6: Thematischer Aufbau der untersuchten Kapitel in den vier Lehrwerken Obwohl Context diesem Themenkomplex zwei eigenständige Kapitel widmet, die in den beiden anderen Lehrwerken in einem einzelnen zusammengefasst sind, ergibt sich hier mit insgesamt 41 Seiten (C 30-51 und 52-71) ein nur wenig größerer Gesamtumfang als in Pathway Advanced, in dem Kapitel 6 mit insgesamt 38 Seiten ausgestattet ist (PA 340-378). Camden Town sieht für das zweite Unterrichtsmodul in 27 Seiten vor (CT 46-73); Green Line präsentiert das entsprechende Thema in Kapitel 8 gar auf lediglich 23 Seiten (GL 180-203). Während Context und Green Line zu Beginn des jeweiligen 61 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff Kapitels transparente Lernziele formulieren und am Ende eine komplexe, eher projektartige Lernaufgabe stellen, ist ein solcher Aufbau in Camden Town und in Pathway Advanced nicht erkennbar. Gleichwohl erfolgt in letzterem Lehrwerk der Einstieg über reichhaltige Impulse und motivierende Aufgabenstellungen; am Ende der Einheit wird das thematische Vokabular auf einigen Doppelseiten zusammengefasst. Camden Town und Context verfahren in dieser Hinsicht anders und stellen das wichtigste Kernvokabular schon zu Beginn einer Unit in redaktionellen Texten zusammen („Wordpool“ in CT, „Words in context“ in C), um den Lernenden zentrale lexikalische Elemente, die eine gewisse Diskurskompetenz erst ermöglichen, schon hier zur Verfügung zu stellen. Green Line wiederum lagert die Modul-Vokabellisten auf die dem Schülerband beigefügte CD-ROM aus und verfolgt ansonsten einen eher situativen Ansatz innerhalb der einzelnen Themenblöcke, mit verschiedenen Spots on facts, z. B. zur Frage „What can we do with genetics? “ (GL 194), oder mit einem Spot on vocabulary für die Erhöhung der Sprechkompetenz: „Talking about science and technology / Talking about science fiction“ (GL 202). Die folgende Tabelle veranschaulicht, dass alle Lehrwerke den Schüler: innen in unterschiedlichem Maße Anregungen für anspruchsvolle Lektüren im Sinne eines extensiven Lesens zu geben suchen; darüber hinaus führt die Beschäf‐ tigung mit Verfilmungen idealiter zu einer stärker reflektierten und besser informierten Medienrezeption. Camden Town hebt sich von allen anderen Lehrwerken durch einen intensivierten Lektüreansatz ab; insbesondere Kazuo Ishiguros Never Let Me Go wird ausführlich mit der Analyse mehrerer Passagen behandelt. Mit dem Abdruck der kompletten Kurzgeschichte aus Vonneguts frühem œuvre ist zudem ein Kontrapunkt gegenüber der verlagsübergreifenden Strategie zur Präsentation von Kurzpassagen aus längeren Werken gesetzt: Hier werden die Schüler: innen - leider nur als absolute Ausnahme - mit einem Ganztext aus dem Genre der flash fiction bekannt gemacht. Dem gegenüber verfolgt Context am deutlichsten den wide reading-Ansatz, insofern hier fünf Roman(stoff)e, darunter eine Verfilmung, sowie ein Theaterstück im Schüler‐ band und ein weiterer Romanauszug im workbook zur Diskussion stehen. 62 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Camden Town Context Green Line Pathway Ad‐ vanced Caroline Wein‐ roth, “Insights from a Telescope” (2016), Gedicht (SB) Nick Dear, Franken‐ stein (2011), Thea‐ terstück (SB, Kap. 2) Cory Doctorow, Little Brother (2008), Roman (SB) H.G. Wells, The Time Machine (1895), Roman (SB) Kazuo Ishiguro, Never Let Me Go (2006), Roman (SB) M.T. Anderson, Feed (2002), Roman (SB, Kap. 3) Alex Garland, Never Let Me Go (2011), Drehbuch (SB) Matt Haig, ECHO Boy (2014), Roman (SB) Ernest Cline, Ready Player One (2011), Roman (SB) Gary Ross (dir.), The Hunger Games (2008), Film-Trailer und drei Szenen (SB, Kap. 3) Matt Haig, ECHO Boy (2014), Roman (SB + WB) P.D. James, Children of Men (1992), Roman (SB) Kurt Vonnegut, „Harrison Ber‐ geron“ (1961), Kurzgeschichte (SB) Dave Eggers, The Circle (2013), Roman (SB, Kap. 3) -- Thomas More, Utopia (1516), Staatsphilosophi‐ sche Fiktion (SB) Alex Garland (dir), Ex Machina (2011), 3 Szenen (SB) Margaret Atwood, Oryx and Crake (2003), Roman (SB, Kap. 3) -- Alfonso Cuarón, et al., The Children of Men (2011), Dreh‐ buch (SB) -- George Orwell, Ni‐ neteen Eighty-Four (1949), Roman (SB, Kap. 3) -- Cormac McCarthy, Joe Penhall, The Road (2011), Dreh‐ buch / Hörbuch (SB) -- Graham Gardner, Inventing Elliott (2003), Roman (WB) -- -- Tab. 7: Werksynopse der untersuchten Lehrwerkseinheiten In den betrachteten Lehrwerken ist die Auseinandersetzung mit literarischen Gattungen nahezu ausschließlich auf die erzählende Prosa bezogen; das Genre Drama wird weitestgehend (mit Ausnahme von Dears Frankenstein in Context) durch Drehbücher ersetzt. Die Lyrik wird mit zwei Sonetten allein in Camden Town, freilich in einem referentiellen Zusammenhang zur Künstlichen Intel‐ ligenz thematisiert (mit der Frage nach einer Nicht-Unterscheidbarkeit von menschlicher oder maschineller Sprachproduktion). Aufgrund der Tatsache, 63 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 2 In ähnlich reduzierter Weise wird in Green Line auch ein intertextueller Verweis auf Aldous Huxleys Brave New World eingesetzt (vgl. GL 199). Beide Hinweise in GL veranschaulichen den Schüler: innen, dass Texte in unterschiedlichem Maße auf‐ einander Bezug nehmen können - sei es wie im Falle von Doctorows Little Brother durch einen ironisch auf Orwells allgegenwärtige Überwachungstechnik „Big Brother“ verweisenden Romantitel; sei es im Zusammenhang von Haigs und Huxleys Zukunfts‐ szenarien, um den Stellenwert von Wissenschaft zu diskutieren. dass englischsprachige Theateraufführungen an deutschen Bühnen die Aus‐ nahme darstellen, während Drehbücher über Filmdatenbanken wie die Interna‐ tional Movie Database (IMDb) leicht erhältlich und die dazugehörigen DVDs mit mehreren fremdsprachigen Tonspuren ausgestattet sind, ist dieser Wechsel innerhalb der performing arts als zeitgemäß zu erachten. So gesehen, bleiben die Shakespeare-Kapitel in der Überzahl der gegenwärtigen Lehrwerke die maßgebliche Basis für die Vermittlung von Literaturkompetenzen hinsichtlich anderer Genres als dem erzählenden (vgl. Abschn. 2.3). Ausnahme ist hier erneut Camden Town, das in anderen Einheiten immer wieder Gedichte, in der Regel folkloristischer Prägung und indigener Herkunft, auch in nicht-literari‐ schen Zusammenhängen einstreut, um so die kulturelle Prägung verschiedener postkolonialer Ethnien, die dem Commonwealth of Nations angehören, hervor‐ zuheben. Auffällig an diesem Textmaterial, aber angesichts fehlender curricularer Vorgaben nicht überraschend, ist die Tatsache, dass es zwischen den Lehrwerken nur wenige Überschneidungen in der Textauswahl gibt: Green Line und Pathway Advanced stellen unterschiedliche Auszüge aus Haigs ECHO Boy vor (vgl. GL 198-199 und PA 362-363) und lassen die Drohnentechnologie mit identischem Bildmaterial erörtern (vgl. den entsprechenden Cartoon in GL 182 und PA 359); Green Line thematisiert zumindest in einem marginalen Fact File Orwells Dystopie Nineteen Eighty-Four (vgl. GL 188), 2 die in Context mit einem Text‐ ausschnitt vorgestellt wird (C 70). Camden Town und Context präsentieren mit Ishiguros Never Let Me Go denselben erzählerischen Stoff, allerdings in unterschiedlicher medialer Gestaltung als Roman bzw. als Drehbuch. Green Line und Context geben überdies ausschließlich an die Lehrkräfte Hinweise auf Jodi Picoults Roman My Sister’s Keeper (vgl. C-HRU 62 und GL 191), der die künstliche Erschaffung menschlichen Lebens aus wissenschaftlichem Interesse beschreibt und darin eine vergleichbare medizinethische Problematik behandelt wie Shelleys Frankenstein und Ishiguros Never Let Me Go. In diesem Lehrwerk-übergreifenden Literaturkanon werden drei ‚klassische‘ Texte in Auszügen vorgestellt (George Orwell, Nineteen Eighty-Four; H.G. Wells, The Time Machine, sowie Thomas More, Utopia), von denen allerdings 64 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced nur Orwells Dystopie zu den Schultexten gehört, die schon lange vor der kommunikativen Wende in den 1970er Jahren als Ganztext gelesen worden sind. Vergleicht man diese Befunde mit einer „Hitliste“ der zehn meistgelesenen Schultexten früherer Generationen der 1950er Jahre bis die 1990er Jahre, so zeigen sich auch hier nur wenige Überschneidungen und stattdessen ein hohes Maß an Willen zur Innovation: Rang Verfasser Titel 1 William Golding Lord of the Flies 2 Aldous Huxley Brave New World 3 George Orwell Animal Farm 4 J.D. Salinger Catcher in the Rye 5 George Orwell Nineteen Eighty-Four 6 Bernard MacLaverty Cal 7 Scott Fitzgerald The Great Gatsby 8 Ray Bradbury Fahrenheit 451 9 John Steinbeck The Pearl 10a Alan Sillitoe The Loneliness of the Long Distance Runner 10b Harper Lee To Kill a Mockingbird Tab. 8: Standardlektüren in Sekundarstufe II, ca. 1960-1990 (Thaler 2008: 100) Die Ausschnitte aus Erzähl- und Dramentexten bzw. Hör- und Drehbüchern in den hier betrachteten Lehrwerken sind nahezu ausnahmslos der Gegenwarts‐ literatur zuzurechnen (lediglich P.D. James‘ Children of Men erschien schon 1991). Im Hinblick auf dieses auffällige Bemühen um thematische Aktualität der meisten dieser Werke argumentiert Frauke Matz: If we take the dystopian genre seriously in its entire social critique and employ both its authority and popularity to raise students’ political engagement, then we have to use current texts that are based on contemporary issues. Thus, from a purely content-oriented viewpoint, the classical dystopia has become redundant, unless it is being used purely to teach the origins and development of the genre or the shift in political concerns. (Matz 2015: 268) 65 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff Die Literaturauszüge der Lehrwerksgeneration seit 2015 lassen es den Lehr‐ kräften zudem einerseits einfacher erscheinen, anders als z. B. im Fall Shake‐ speare ‚unbelastet‘ von der Produktivität einer ganzen Forschungsindustrie an die Lehrmaterialien zu gehen. Andererseits fehlt es ihnen dabei an modellbild‐ enden Vorlagen für Lektüren durch literatur- / kulturwissenschaftliche Beiträge - allerdings sind derartige deutende, Bedeutung stiftende Zugänge schon in curricularer Hinsicht stark marginalisiert, weil kommunikative Kompetenzen wie das Sprechen über den literarischen Stoff (anders als der im close reading ermöglichte Dialog mit dem Text) im handlungsorientierten Unterricht favori‐ siert sind. Was die ästhetische Qualität und gesellschaftliche Aktualität aller Texte betrifft, so lässt sich feststellen, dass sie überwiegend anspruchsvoll auch für fortgeschrittene Leser: innen sind und in ihrer Thematik ein hohes kognitives und affektives Wirkungspotenzial auf die Lernenden bereithalten. Auffällig erscheint schließlich insbesondere in Green Line und Pathway Ad‐ vanced die Tatsache, dass die verschiedenen Materialien und Medien keine ak‐ tuellen Bezüge zu den Technologien herstellen, die heutige Schüler: innen täglich nutzen und die im weiteren Verlauf des Kapitels so sehr in den Vordergrund rü‐ cken. Die Erfinder oder Repräsentanten großer Software- oder Internetkonzerne bleiben unberücksichtigt und es ist geradezu, als gäbe es in den Naturwissen‐ schaften und in der Technologiegeschichte keine weiblichen Persönlichkeiten. Mit Verweis auf Ada Lovelace (Computergeschichte), Marie Curie (Radiologie) oder Lise Meitner (Kernphysik) böte sich hier eine Gelegenheit, zumindest einige Frauen als wichtige Beiträgerinnen zur MINT-Geschichte (hier: Medizin / Ingenieurwesen / Naturwissenschaft / Technologie) in den Vordergrund zu stellen und damit zugleich den möglichen Eindruck zu entkräften, dass es auf den folgenden Seiten ein exklusives ‚Jungenthema‘ zu diskutieren gelte. Dieses einseitige gendering verstärkt sich noch dadurch, dass auch von allen Textausschnitten des „Science“-Kapitels in Green Line nur einer von einer Frau verfasst ist: Fiona Maecraes kritischer Zeitungsbeitrag zur Gentechnik für die Daily Mail (GL 195). So werden schließlich auch mehrere Bildimpulse gesetzt, die suggerieren, dass am Steuer eines Elektroautos und an Überwachungskameras stets ein Mann säße (vgl. GL 186 und 188), bzw. die Welt der Artificial Intelligence nur eine Männer-Welt sei (Szenenfoto aus Robocop, GL 192). Weibliche Figuren finden sich ausschließlich in solchen Zusammenhängen, wo sie als Objekt bzw. als naiv dargestellt werden: Das Gesicht der bekannten Schauspielerin Keira Knightley (in ihrer Rolle als Klonkind Ruth) auf dem Filmcover von Never Let Me Go (2011, GL 190) sowie ein anonymes, vervielfachtes Frauengesicht auf dem Foto einer Bildagentur als ikonischer Stellvertreter für eine geklonte Person (GL 194); schließlich die einfältige Frau im satirischen Cartoon von Guy & Rodd, 66 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 3 Die neueste Ausgabe von Green Line Oberstufe ist in dieser Hinsicht sensibler gestaltet und bringt auf einer Zeitleiste (GLO 2021: 210) wissenschaftliche und technologi‐ sche Fortschritte der Jahre 1956 bis 2019 und darüber hinaus („20? ? “) zur Ansicht; dabei werden v. a. aktuelle Tendenzen aus Raumfahrt (Sputnik, Apollo 11, ISS), Ro‐ botronik (Google-car), Digitalisierung (WWW, Smartphones, Bitcoin, Virtual Reality) und Gentechnologie (Klonen, DNA-editing) erwähnt. Auf diese Weise erhöht sich der Authentizitätscharakter der Darstellung für die Schüler: innen, da mehr Themen aufgenommen sind, die im Bereich ihres Erlebnishorizontes angesiedelt sein dürften. Auch hinsichtlich des gendering ist festzustellen, dass Wissenschaft nicht nur von Männern ‚geschrieben‘ und ‚gemacht‘ wird: So erscheinen die Guardian-Autorin Sarah Baxter als Wissenschaftsjournalistin mit einem Text zum Thema virtual reality (GLO 2021: 217-218), die Science Fiction-Autorin Debra Dizra mit einem Auszug aus ihrem Roman MILA 2.0 (2013) (ebd.: 225-226) und die Nobelpreisträgerinnen für Medizin, Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier, als Wissenschaftlerinnen (ebd.: 227). die ihrem Arzt im Genlabor den Wunsch mitteilt, er möge dem zukünftigen Katalogkind doch einen kleinen Defekt einfügen („a touch of astigmatism“), weil sie Brillenkinder „sooo cute“ finde (GL 195). 3 Insgesamt ergibt sich so der Eindruck nicht nur eines unreflektierten und veralteten, sondern geradezu ultrakonservativen Geschlechter-Rollenbildes in der Behandlung des Themas „Science / Technology“, das weder in der gesamt‐ gesellschaftlichen Realität eine Entsprechung findet noch durch bildungspoliti‐ sche Zielsetzungen gedeckt wird. Dort wird selbstverständlich eine Erhöhung des Frauenanteils in den MINT-Fächern als Maßnahme zur Beseitigung des aktuellen Fachkräftemangels in technischen Berufen gesehen und gefördert. Das starke gendering des Themas „Science / Technology / Utopia / Dystopia“ zu Ungunsten von Identifikationsangeboten für junge Frauen könnte darüber hinaus zu einem affektiven Hindernis gegenüber dem Lernstoff werden, ebenso wie die allgemein skeptizistische, wenn nicht gar technophobe Haltung gegen‐ über Wissenschaft und Technologie, die über das entsprechende Kapitel im jeweiligen Lehrwerk vermittelt wird. Es stellt sich somit die drängende Frage, welche unterschiedlichen Möglich‐ keiten nun seitens der verschiedenen Lehrwerke angeboten werden, um die zwei hier ausgewählten literaturaffinen Themen für einen schülerzentrierten Unterricht aufzubereiten und sie Lernenden wie Lehrenden ‚schmackhaft‘ zu machen, d. h. sie zugleich inhaltlich frag-, also diskussionswürdig und kommu‐ nikativ motivierend erscheinen zu lassen. 2.2.1 Literaturorientierte Aufgabenformate In den folgenden Abschnitten werden nun aus jeder der zuvor aus Vogelper‐ spektive betrachteten Unterrichtseinheit zu „Science / Technology / Utopia / 67 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff Dystopia“ die literaturbezogenen Aufgaben untersucht. Es wird dabei in beson‐ derem Maße auf die lerntheoretische Authentizität hinsichtlich der Vermittlung der Text- / Medienkompetenzen, insbesondere der Literaturkompetenzen ge‐ achtet. Der Anspruch an die Aufgabenstellungen in den Lehrwerken besteht darin, eine zuverlässige und nachhaltige Vorbereitung auch für diejenigen zu gewährleisten, die jenseits eines persönlichen oder berufsorientierten Interesses an englischsprachigen Kulturen und allgemein kommunikativen Fremdspra‐ chenkompetenzen tatsächlich ein Sprachen- und Literaturstudium aufnehmen und dort häufig mit der Erwartung konfrontiert werden, dass sie hinreichende Fähigkeiten und Kenntnisse in Text-Analyse und Terminologie aus der Schule mitbrächten, die es im Studium systematisch, historisch und theoriegelenkt zu erweitern gilt (vgl. dazu Abschn. 1.1). Die einzelnen Abschnitte wenden sich, von Lehrwerk zu Lehrwerk fortschrei‐ tend, den darin behandelten Texten zu und den Aufgabenformaten, die dazu ge‐ stellt werden. Besondere Aufmerksamkeit wird zudem darauf gerichtet, welche methodisch-didaktischen und inhaltlichen Hinweise die jeweiligen Lehrerhand‐ reichungen als Lösungsvorschläge dazu anbieten, bzw. welche weiterführenden sachdienlichen Informationen über die Texte und deren Hintergründe sie den Lehrkräften bereitstellen. Denn man kann nicht selbstverständlich davon ausgehen, dass die angebotenen Textpassagen in ihrem Kontext oder in Gänze bekannt sind; nur wenige davon werden an der Universität gelehrt. Es ist daher sinnvoll, jenseits einschlägiger Web-Informationskanäle mit oft detaillierten Inhaltsangaben zu den Texten auch Hintergrundanalysen heranzuziehen, wie sie z. B. in Bänden wie Dystopia, Science Fiction, and Post-Apocalypse: Classics, New Tendencies, Model Interpretations (Voigts / Boller 2015) zu einer Vielzahl von an Schulen eingesetzten Stoffen zu erhalten sind: Neben Analysen zu den aktuellen Lehrwerkstoffen - Atwoods Oryx and Crake, Ishiguros Never Let Me Go und McCormacs The Road und James’ Children of Men - finden sich dort auch Modellanalysen jener klassischen Dystopien, die schon seit Jahrzehnten im ‚traditionellen‘ englischsprachigen Literaturunterricht eingesetzt worden sind, wie z. B. zu Bradburys Fahrenheit 451, Huxleys Brave New World und Orwells Nineteen Eighty-Four. In den meisten Fällen werden die Texte historisch bzw. generisch kontextualisiert sowie in Bezug zu ihren Verfilmungen gesetzt, so dass insgesamt ein hoher praktischer Nutzen für die fachwissenschaftliche Erarbeitung der Texte entsteht, wenngleich die hier gesammelten Einzelstudien über das hinausgehen, was im Unterricht der gymnasialen Oberstufe vermittelt werden kann. Sie liefern jedoch insbesondere den Lehrkräften sinnvolle Ana‐ lyse-Kriterien und Interpretationsansätze, die für eine stoffnahe Vermittlung im schulischen Unterricht zuträglich sind. 68 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 2.2.2 Camden Town: Schulen der Zukunft - Zukunft der Schule? Anders als die Vergleichswerke nähert Camden Town sich zunächst im Lern‐ modul „Science and Technology“ mit einem vergleichsweise intensiven Lektü‐ reansatz den fiktionalen Texten an. Statt maximal zwei Textauszüge stehen in „Part B“ nicht weniger als vier Passagen mit zumeist mehr als 800 Wörtern aus Kazuo Ishiguros Dystopie Never Let Me Go zur Diskussion (CT 62-67), die sati‐ rische Kurzgeschichte „Harrison Bergeron“ von Kurt Vonnegut als „Advanced Text“ wird zudem als Ganztext dargeboten (CT 70-73). Eingeschoben - mit dem Ziel der autonomen Arbeit am Text unter dem Anspruch auf die Anwendung der zuvor erworbenen Kompetenzen - findet sich der Auszug aus Ernest Clines Ready Player One als Abschluss der Texte für das Grundkurs-Niveau (CT 68-69). Kazuo Ishiguro, Never let me go (2006). Ein lesefördernder Workshop umfasst vier Textpassagen aus dem Roman. An ihnen sollen die Schüler: innen den problematischen ästhetischen Begriff „Stimmung“ (mit seinen englischen Entsprechungen atmosphere oder mood) erarbeiten (vgl. dazu Kap. 1.4). Als eine Kategorie, die gewissermaßen auf der Grenze zwischen Text und Rezipient verläuft, bekommt der Begriff „Stimmung“ auch im literaturdidaktischen Dis‐ kurs seine Signifikanz. Die generelle Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist jedoch, wie man den Schüler: innen ein Gespür für die Plausibilität des Begriffs als Beschreibungsinstrument für einen literarischen Text vermitteln kann. Dies versucht Camden Town schon zu Beginn des „Science and Techno‐ logy“-Moduls mit einem Schaubild, das den ersten „Preview“ zu Beginn des Kapitels ergänzt. Es stellt dar, aus welchen repräsentationalen Kategorien sich dieser Begriff zusammensetzt: aus dem setting (darunter werden Zeit, Raum, Wetter, Dinge und die Handlungssituation gefasst), den Charakteren (ihrem äußeren Erscheinungsbild, dem Verhalten, ihrer Sprache und ihrer Interaktion mit anderen Figuren), sowie der Erzählerstimme (Stil, Bildlichkeit, Vorausdeu‐ tungen und Rückblenden). Die Symbolik in den Darstellungsformen und ihr Einfluss auf die Lesersteuerung werden im Schaubild (Abb. 1) graphisch her‐ vorgehoben. Es fällt daran auf, dass sich die einzelnen Untersuchungskategorien eng an der Konzeption den in Hoffmann (1978, s. o. Abschnitt 1.4) genannten Kriterien orientiert, mit denen er den „gestimmten Raum“ als symbolisches Konstrukt eines narrativen Textes erfasst, in dem äußerliche Beschreibungen im Konzert mit Figurencharakterisierungen und Erzählerstimme eine „Atmo‐ sphäre“ erzeugen, die dann von den Rezipient: innen empathisch erfasst und - im didaktischen Kontext - diskursiv-rational nachvollzogen werden muss. 69 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff The beginning of a novel sets the tone for what is to follow and introduce the reader to the setting, the characters and the issue the novel deals with, as well as the atmosphere characteristic of the world the action is set in. In order to come to a better understanding of how the readers‘ expectations are guided, in this Workshop you are going to analyse both the language oft he novel and the atmosphere it helps to create. Many aspects, as illustrated in this diagram, contribute to the atmosphere in a novel. appearance behaviour language interaction how they add to the atmosphere characters atmosphere setting/ circumstance the place the time weather objects (e.g. houses, plants, artefacts) the situation its concrete as well as symbolic meaning, connotations, etc. choice of words use of imagery, contrasts and other devices allusions (e.g. also to previous/ future events) guiding the reader’s understanding of the scene narrator’s voice Abb. 1: Schema in Camden Town, Unit 2, Part B, Workshop „Analysing Atmosphere“, CT 63 Bevor die Schüler: innen den Beginn von Ishiguros Roman lesen, werden sie anhand der ersten Szene der Verfilmung (2010, Regie: Mark Romanek) in einer pre-reading Phase darauf vorbereitet. Schon hier werden sie in Aufgabe 1b) dazu aufgefordert, auf solche Details zu achten, die speziell dem filmischen Code zur Verfügung stehen: „[…] describe the atmosphere with reference to music, camera work and lighting“ (CT 62). Dabei bleibt zunächst einmal unberücksichtigt, dass für die cineastische Erzeugung von „Atmosphäre“ ganz andere, multimediale Mittel eingesetzt werden, als dies in literarischen Texten auf erzählerischer und erzähltechnischer Ebene der Fall ist: Die Aufgabe eignet sich insbesondere dann, wenn schon in vorhergehenden Unterrichtseinheiten die Prinzipien der Filmanalyse zur Geltung gekommen ist (was schon seit den mittleren Jahrgängen der Sekundarstufe I durchaus der Fall ist). Nichtsdestotrotz erscheint der Hinweis im Lehrerhandbuch sinnvoll, diese Aufgabe arbeitsteilig durchführen zu lassen, so dass einige Schüler: innen die Musik, andere die Kame‐ raeinstellungen und die dritte Gruppe die Beleuchtung betrachten (im Verfahren des split viewing) bzw. mehrere aufeinander folgende viewings einplanen (vgl. CT-LHB 69). Entsprechend liefern die Hinweise auf eine Unterstützungs-Seite (CT 298) und ein Skill File (CT 366) weitere Instrumente, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. Erstere bietet eine Auswahl an Formulierungshilfen (scaf‐ folding), indem in einer Tabelle mit drei Spalten eine einleitende Wortgruppe in Subjektfunktion mit einer Verbalphrase und einem Inhaltssatz verbunden 70 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 4 Konkretere und spezifische „topoi of eugenic dystopias”, die auch in der Arbeit mit dem Text zur Geltung gebracht warden können, benennt folgende Aufzählung: „the focus on bodies and reproduction, a state-implemented eugenic program effecting social segregation, hope of escape through love, the protagonists’s revelatory meeting with the authorities, and the internalisation of euphemistic language.” (Glaubitz 2015: 324) werden, wobei die kombinatorischen Möglichkeiten der zu bildenden Satzteile sehr hoch ist, aber jeweils einen sinnvollen Ausdruck ergibt. Nicht jedes dieser Ergebnisse ergibt einen vollständigen Satz, so dass die Lernenden gefordert sind, ihre eigenen Formulierungen (Beobachtungen, Urteile) anzuschließen, z. B. „The use of dark colours / The lack of direct conversation | reveals / points out | that the story is set in a society that seems to be characterized by | … / that something … is about to happen, namely …“ (CT 298). Wenn die Lösungsvorschläge zu dieser Aufgabe allerdings nur eine einzelne Kameraeinstellung aus der Sequenz der Verfilmung herausgreifen - „The me‐ dium shot of Tommy’s body on the operating table draws the viewer’s attention to the fact that Tommy is covered in scars, suggesting the donations that are mentioned are of organs” (CT-LHB 69) -, dann dürften die Schüler: innen aufgrund der allgemeinen Formulierung der Aufgabe weitaus vielfältigere Ergebnisse zutage fördern. Der Lösungsvorschlag benennt die vielleicht wich‐ tigste, aber bei weitem nicht einzige erwähnenswerte Kameraeinstellung. Auch andere Erwartungen sind sehr eindimensional formuliert bzw. können kaum von den Schüler: innen erfüllt werden: So greift die Antwort auf die Aufgabe 1a) „Speculate on what the film and the novel are about“ (CT 62) auf den WordPool zurück, in dem in einem Satz die relevanten literarischen Genres in allzu knapper Weise definiert werden: „Simply put, if these predictions [of the future] are positive, they are called UTOPIAS; if they envision a dark, threatening future, they are DYSTOPIAS“ (CT 48; Herv.i.Orig.). Insofern geht die Formulierung im Lehrerhandbuch über das mögliche Wissen der Schüler: innen hinaus, soweit es keine weiteren Informationen zu dem Stoff gibt: „The opening scene suggests that the film and novel are about a dystopian alternative world“ (CT-LHB 69). 4 Tatsächlich klingt eine solche Formulierung eher nach einer zusammenfassenden - oder auch ergänzenden - Bilanz dessen, was die Schüler: innen an Einzelbeobachtungen beitragen, als dass sie eine angemessene kognitive Voreinstellung der Lernenden anbietet. Nach der pre-reading-Phase folgt ein inhaltlicher Vergleich der Eröffnungs‐ szene des Films mit den ersten Abschnitten des Romans (CT 62-63), die ihrerseits gegenüber dem Originaltext um einige Absätze verkürzt sind (vgl. Ishiguro 2016: 9-12). Ziel der ersten Arbeitsphase ist eine Lektüre des Textes, nachdem die entsprechende Szene schon mehrfach angeschaut und diskutiert worden ist. 71 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff Die Schüler: innen sind gehalten, in Partnerarbeit die Kompetenzen des zuvor beendeten Teils A anzuwenden (d. h. sich gegenseitig eine Zusammenfassung des Textausschnitts zu liefern, Aufgabe 2a), um dann den eigentlichen Vergleich vorzunehmen (Aufgabe 2b) und sich über die Ergebnisse auszutauschen (Auf‐ gabe 2c). Die Zuordnung zum Anforderungsbereich I („Comprehension“) ist durchaus diskutabel, denn ein Vergleich ist in der Regel auf einem komplexeren (kognitiven) Anforderungsniveau zu verorten als eine einfache Zusammenfas‐ sung; nicht zuletzt auch deswegen, weil - wie es das Lehrerhandbuch vorschlägt - die Schüler: innen eigenständig Kriterien entwickeln sollen, die den interme‐ dialen Vergleich zwischen Film und Text ermöglichen bzw. plausibel werden lassen (vgl. CT-LHB 70). Der Textpassus beginnt mit der Vorstellung der Ich-Erzählerin Kathy H., die ihre Leser durch den Roman führt. Sie beginnt mit Schilderungen ihrer Tätigkeit zum Zeitpunkt des Erzählens und blickt dabei auf ihre Vergangenheit als Schülerin des Internats von Hailsham zurück, in dem Klone auf ihren späteren einzigen Lebenszweck, das Leben anderer Menschen durch Organspenden zu retten, vorbereitet wurden. Im Zentrum ihrer Ausführungen steht ihre Arbeit als Pflegerin von anderen Spenderinnen und Spendern, die sie in den Tod begleitet, der in der Regel nach der dritten oder vierten Organentnahme eintritt. Obwohl von anderen Klonen aufgrund ihrer Bildungsheimat als privilegiert wahrgenommen, versucht Kathy eine Zeitlang, Hailsham hinter sich zu lassen. In diesen ersten Abschnitten erwähnt Kathy auch ihre Freundin Ruth, mit der sie ihre Kindheit in Hailsham geteilt hat und die eine signifikante, gleichwohl ambivalente Rolle in ihrem Leben spielen wird: Diese stellt sich zwischen Kathy und Tommy, einem weiteren Hailsham-Klon, für den Kathy eine tiefe Zuneigung verspürt - was in dem Klon-System weder vorgesehen ist noch gefördert wird, zugleich aber die menschliche Natur der Kinder wiederspiegelt. Ruth beansprucht jedoch Tommy für sich, solange die Heranwachsenden noch zu‐ sammenleben. Erst kurz vor ihrem eigenen Tod gibt sie ihn ‚frei‘, als sich die drei wiederbegegnen, nachdem sie sich jahrelang aus den Augen verloren hatten: Tommy und Ruth haben, anders als Kathy, ihren Weg als Organspender längst eingeschlagen und nur noch wenig Lebenszeit zur Verfügung. Die Irrungen und Wirrungen der Heranwachsenden und jungen Erwachsenen werden in der rückblickenden Vorstellung Kathys zu Beginn des Romans nur leise in der Formulierung angedeutet, „all our differences - while they didn’t exactly vanish - seemed not nearly as important as all the other things: like the fact that we’d grown up together at Hailsham, the fact that we knew and remembered things no one else did“ (CT 62; entspr. Ishiguro 2016: 11). Am Ende dieses ersten Textpassus steht der nostalgische Blick auf die Vergangenheit: „That was when 72 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 5 Für einen schulischen Kontext dürfte eine Auseinandersetzung um die Funktion der Kamera im Medium Film zu weit von der hier gesetzten thematischen Fokussierung fortführen, bzw. bedarf es einer stärker filmanalytischen Ausrichtung der Erarbeitung dieser Filmszene, um die medientheoretischen Streitpunkte um diese Frage zu erfassen. Vgl. dazu den Artikel „Narration in Film“ im Living Handbook of Narratology (Kuhn/ Schmidt 2014). I understood, really understood, just how lucky we’d been - Tommy, Ruth, me, all the rest of us.“ (CT 63; entspr. Ishiguro 2016: 12). Im Gegensatz dazu zeigt die Eingangsszene der Verfilmung den Zeitpunkt, da Kathy im Begriff steht, Tommy, den sie bis zu dessen Ende pflegen durfte, durch einen weiteren Eingriff zu verlieren. Auch hier sinniert Kathy, die als Erzählerin aus dem off spricht, in episodischen Rückblenden über ihre gemein‐ same Vergangenheit im Internat Hailsham und über das Leben als Pflegerin, die ihre Zukunft und letzte, letale Erfüllung („completion“) als Organspenderin erst noch vor sich hat. Die Aussage in den Handreichungen, die Filmsequenz sei weniger narrativ gestaltet („much less narrative description“, CT-LHB 70), kann nur mit Einschränkungen stehen gelassen werden - denn wie im Roman erzählt Kathy zunächst von ihrer Arbeit als Pflegerin; parallel zu ihrer Erzählung wird Tommy in den Operationssaal geschoben und die Kameraeinstellungen wechseln zwischen ihrem Blick durch eine trennende Fensterscheibe auf ihn und seinem Blick zurück auf sie. Dieser perspektivische Wechsel symbolisiert nichts weniger als einen stummen Abschiedsdialog zwischen den beiden, der sich über den stockenden Monolog von Kathys Erinnerungen legt. An dieser Szene lässt sich zeigen, inwieweit man behaupten kann, dass die Kamera vieles davon ‚erzählt‘, was das Verhältnis der beiden zueinander charakterisiert - und sie stellt zugleich die nüchtern-kühle Krankenhaus-Sze‐ nerie dar, vor der sich diese Momente ereignen. 5 Die scheinbar emotionsarm vorgetragenen Erinnerungen Kathys werden durch den visuell und symbolisch aufgeladenen Erzählstrang der Kamera konterkariert. Daher ist auch der zweite Lösungsansatz in den Handreichungen, „the beginning of the novel focuses on Kathy, while the opening scene of the film focuses on Tommy“ (CT-LHB 70) unbefriedigend, da er zu viele (insbesondere filmische) Details vernachlässigt: Um die Komplexität der filmischen Komposition herauszuarbeiten, eignet sich hier in besonderem Maße das Verfahren des split viewing (d. h. der getrennten Präsentation von Bild und Tonspur), da die Informationen der Tonspur (Kathys Rückschau aus dem off) sich in markanter Weise von der Kameraerzählung des gegenwärtigen Moments abhebt. Während Kathys Stimme aus dem off eine erhebliche Zeittiefe erzeugt, generieren die Bildschnitte einen geradezu klaustrophobischen Effekt, insofern mit der Enge des Überwachungsraums, aus 73 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff dem Kathy in den Operationssaal blickt, und mit Tommys Unerreichbarkeit die Ausweglosigkeit und Vorherbestimmtheit der beiden Figuren zum Ausdruck gebracht wird. Nach dem eher deskriptiven Zugang zu einem Vergleich der beiden Eingangs‐ szenen in Roman und Verfilmung bleibt auch die Beschreibung der erzähltech‐ nischen Verfahren jeweils auf ein Mindestmaß reduziert. Es folgt auf den ersten Aufgabenblock ein zweiter, stärker analytisch ausgerichteter, der allerdings nur mehr den Romantext berücksichtigt. Die Schüler: innen sollen anhand einzelner Wörter die Funktionsweise von Euphemismen herausarbeiten, bei denen die Alltagsbedeutung und ihre Verwendung im Text auseinanderklaffen. Wie sehr diese Aufgaben vom Prinzip der Induktion geprägt sind, zeigt sich an der Tatsache, dass nur in den Lehrerhandreichungen der Begriff „Euphemismus“ erwähnt wird (CT-LHB 70). Den Schüler: innen obliegt es, ausgewählte Vokabeln bzw. Phrasen wie „carer“, „donor“, „agitated“, „donation“, „calm“ und „close to completing“ ggf. mit einem Wörterbuch zu erarbeiten und in einem weiteren Ar‐ beitsschritt deren Bedeutung innerhalb des Textzusammenhangs zu erschließen, dann beides zu vergleichen und schließlich in Aufgabe 3d) zu erklären: „Explain how this choice of words may influence the atmosphere created by the narrator“ (CT 63). Als Hilfestellung sind im Schülerbuch die entsprechenden Fundstellen unterlegt, so dass z. B. auch über die Häufigkeit der Verwendung eines Wortes Schlüsse gezogen werden könnten: „carer“ und „donor“ kommen dabei sehr viel häufiger vor als die anderen Wörter. Implizit rücken mit der Gestaltung der beiden Aufgabenblöcke die Katego‐ rien, die im „Preview“ schematisch dargestellt sind, ins Zentrum: Während die drei Aufgaben zum Medienvergleich maßgeblich das setting und die Figuren zum Betrachtungsgegenstand werden lassen, rückt in der Aufgabe, die explizit das Sprachbewusstsein der Lernenden erhöhen soll, die Erzählerstimme des Romans in den Vordergrund und dabei vor allem Kathys nostalgisch verbrämte Art ihres Erzählens. Weniger zur Geltung kommt die diskursive Dimension der Zeitlichkeit, die hier wie in jeder retrospektiven Erzählung, bei der erzählendes Ich und erzähltes Ich eine große Zeitspannen voneinander trennen, paradox in Szene gesetzt ist: Einerseits wird deutlich, dass die gesamte Romanhandlung ein Akt der Erinnerung ist und somit einen Gedächtnisraum ausfüllt, anderer‐ seits ist es Kathy dadurch möglich, immer wieder atmosphärische An- und Vorausdeutungen auf Momente einzustreuen, deren Bedeutung für die Leser erst sehr viel später im Erzählzusammenhang genauer erkennbar wird. Dieses Auseinanderklaffen von Erzählerstimme und erzähltem Ich, das im Film eine Analogie in der oben beschriebenen Diskrepanz von Ton und Bild erhält, wird in keinem der beiden Aufgabenblöcke thematisiert, obgleich dies für die narrative 74 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 6 Die zu dieser Textpassage analoge Szene aus Alex Garlands Drehbuch zur Verfilmung des Romans wird in Green Line zur Diskussion gestellt. Zur Aufgabengestaltung dort vgl. unten in Abschn. 2.2.4. Gestaltung ebenso wie die Verwendung der genannten Begriffe mit ihrer für die Erzählung spezifischen Umdeutung einen recht hohen Stellenwert einnähme. Bis zu diesem Zeitpunkt in der Erarbeitung der Romanpassage sind die Schüler: innen noch nicht eingeladen, eigene Interpretationsansätze - sei es zu den Figuren oder zur Handlung - zu entwickeln. Angesichts der Tatsache, dass eine einzelne Textstelle ohnehin zu knapp bemessen sein dürfte, um Aussagen über eine Figur oder die Handlung eines ganzen Romans zu treffen (die folgenden Abschnitte zu den Vergleichs-Lehrwerken innerhalb dieses Kapitels werden dies immer wieder vor Augen führen), sind daher die anschließenden Schritte zur Erarbeitung von drei weiteren Textausschnitten sinnvoll und gerechtfertigt. Dabei handelt es sich zunächst um die Szene in Kapitel 7, in der eine Lehrerin am Internat, Miss Lucy, ihren Schützlingen deren trübe Zukunftsperspektive als Organspender vor Augen führt: Während natürlich gezeugte Kinder viele verschiedene Zukunftsoptionen erträumen bzw. planen dürfen, sind die Klone sehr viel stärker funktional und instrumentell determi‐ niert und entsprechend ihrem Zweck aller beruflicher Perspektiven beraubt. Denn ihnen stellt sich nicht die Frage, ob sie nach Amerika gehen, um dort eine Schauspielerkarriere einzuschlagen, oder ob sie auch nur im lokalen Supermarkt arbeiten möchten (vgl. CT 64; entspr. Ishiguro 2016: 86-88), da ihre gesellschaftliche Daseinsberechtigung sich allein aus ihrer Funktion als Organspender ableitet. 6 An dieser Stelle rücken nun die atmosphärischen Details, die im „Preview“ visuell dargestellt werden und die in den vorigen Aufgabenblöcken implizit erarbeitet wurden, in den Blickpunkt. Die Textpassage eignet sich deswegen so gut für eine textnahe Analyse des „gestimmten Raums“, weil die inneren Spannungen, die Kathy an Miss Lucy und ihrer Klasse schildert, auch durch andere Textsignale wie z. B. den Regen, der draußen niedergeht, kommentiert bzw. illustriert werden. Die Schüler: innen werden angeleitet, mithilfe einer sinnentnehmenden Lesetechnik - einhergehend mit dem farblichen Hervor‐ heben einzelner Wörter oder Textpassagen - die verschiedenen Kategorien „setting“, „characters“ und „the narrator’s voice“ zu markieren, um diese in eine Tabelle einzufügen, in der auch über die Sammlung von Zitaten und ihrer Identifikation als Stilmittel hinaus die Interpretation samt Erläuterung des Effekts einer Fundstelle gefragt ist (vgl. CT 65). Einige der Stilmittel werden in einer „Checklist“ erwähnt, so die Bildhaftigkeit (als Symbol oder Metapher) von Gegenständen oder Umständen, des Weiteren auch die Anspielungen auf 75 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff vergangene oder zukünftige Ereignisse im Handlungszusammenhang, zudem Antithesen / Kontraste: Es wird aber nicht ausbleiben, dass für eine solche Aufgabe auch das Glossary of Literary Terms am Ende des Schülerbandes konsultiert wird. Als Beispiel dafür, was die Schüler: innen mit der Tabelle leisten sollen, gibt das Buch folgende Einträge vor, die zudem per Webcode auch als portable document format (pdf) herunterzuladen sind und den Schüler: innen eine vorformatierte Template liefern, in die sie mit einem Computer ihre Lösungen ergänzen können (CT 65, Herv.i.Orig.): quotation type of device interpretation concrete func‐ tion / effect „She was leaning over the rail at the front, peering into the rain, like she was trying to see right across the playing field.” (ll. 17-20) The symbolic meaning of the weather Miss Lucy appears to be absent-minded and focused on what she wants to tell the stu‐ dents, which is as un‐ pleasant as the rain. The narrator con‐ trasts the weather and Miss Lucy’s behaviour on the one hand with the students’ carefree behaviour on the other. The reader feels that some‐ thing important is about to happen. Tab. 9: Camden Town, Anweisung zu Unit 2, Part B, Aufgabe 5b (CT 65) Deutlich zeigt die Modell-Interpretation der zitierten Zeilen, dass es sich bei der Aufgabe eigentlich nicht um eine paraphrasierende Wiedergabe des darge‐ stellten Inhalts handelt, sondern um dessen Deutung auf der kognitiven Ebene des mind-reading, bei dem das Textzitat (linke Spalte) in der Spalte „Interpreta‐ tion“ durch eine charakterlich-psychologische Spekulation über die innere Be‐ findlichkeit von Miss Lucy kommentiert wird. Die Spalte „type of device“ ordnet der Beschreibung des Wetters eine Funktion („symbolic“) zu - hier wäre noch zu erfassen, worin denn die Symbolik des Wetters besteht, z. B. in der sinnbildlichen Spiegelung von Gefühls- oder Bewusstseinszuständen in Naturphänomenen. Die rechte Spalte (irreführenderweise mit dem Etikett „concrete function and effect“ versehen) synthetisiert diese beiden, an sich voneinander unabhängig erscheinenden Beobachtungen zur eigentlichen Interpretationsleistung: Hier werden zum einen die Erzähler- und Figurenperspektive deutlich voneinander unterschieden, zum anderen das Wetter und die Befindlichkeit der Figur in Beziehung gesetzt, und schließlich eine mögliche Wirkung dieser Deutung auf den: die Rezipienten: in beschrieben. 76 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Auf diesen synthetischen Aspekt des Interpretierens richtet auch das zugehö‐ rige Skill File S12 „Checklist: Analysis - Prose“ die Aufmerksamkeit und fordert die Schüler: innen auf: „Do not just consider the content, but always examine the language used by the author and explain what it reveals about the narrator or a character or what effect it is supposed to have on the reader.” (CT 352) Explizit wird in weiteren Hinweisen folgende Mahnung formuliert: „Don’t speculate - your evidence must be based on the text.“ (CT 352) Durch die Vorgabe im Schema ist gewährleistet, dass die Schüler: innen hinreichend nah am Textmaterial (d. h. mit Zitaten) arbeiten und zugleich ermutigt werden, ihren eigenen Deutungs‐ horizont auszuloten, ohne in womöglich zu nah am eigenen Erlebnis- und Erfahrungshorizont orientierte Spekulationen dirigiert zu werden. Am Ende sollen die Lernenden zu dieser Passage Stellung beziehen: „Miss Lucy is the first one to tell her students openly about their future. Discuss whether she does the right thing and whether she uses the right strategy to confront the students with their fate.“ (CT 65) Hierfür sieht das Lehrerhandbuch eine Schreibkonferenz vor (CT-LHB 73), also eine stumme Diskussion der Schüler: innen in Kleingruppen, in denen sie nicht nur Stellung zur Textvorlage beziehen und Argumente für ihre Position bringen, sondern auch auf Deutungsansätze ihrer Mitschüler: innen reagieren können. Gegenüber den Vergleichswerken, die sehr viel offener mit textfernen Spekulationen umgehen, sind solche Hinweise im Sinne einer wis‐ senschaftspropädeutischen Funktion des Literaturunterrichts keineswegs als nebensächlich zu beurteilen, sondern stellen ein wichtiges Korrektiv innerhalb des gegenwärtigen Unterrichtsparadigmas dar (vgl. Abschn. 2.4). Die letzten zwei Textausschnitte aus Never Let Me Go stammen aus dem Ende von Kapitel 3 und aus Kapitel 15 des Romans (Ishiguro 2016: 42-43 und 184-186). In dem kürzeren der beiden reflektiert Kathy über ihr Anderssein und die fast feindliche Reaktion anderer, biologisch gezeugter Menschen auf die Klone, während der längere abschließende Passus zeigt, wie Tommy und Kathy über ein Geheimnis von Hailsham spekulieren: In ihrer Zeit dort war immer wieder die Rede von einer Galerie außerhalb des Internats, für das eine Schulinspektorin, respektvoll nur „Madame“ genannt, die besten der im Kunst‐ unterricht angefertigten Zeichnungen und Malereien auswählte und mitnahm. Tommy schenkt dem Gerücht Glauben, dass einige wenige Klone, die eine solch tiefe Liebe zueinander spürten wie Tommy und Kathy zum späten Zeitpunkt ihres Wiedersehens nach langen Jahren, einen Aufschub erwarten könnten, um ihnen mehr Zeit füreinander zu geben - und als Beleg für die Liebe diente das Urteil der „Madame“: Madame’s got a gallery somewhere filled with stuff by students from when they were tiny. Suppose two people come up and say they’re in love. She can find the art they’ve 77 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff done over the years and years. She can see if they can go. If they match. Don’t forget, Kath, what she’s got reveals our souls. She could decide for herself what’s a good match and what’s a stupid crush. (CT 67; entspr. Ishiguro 2016: 186) Natürlich erweist sich Tommys Idee nicht nur aufgrund seiner Argumentation als eine Illusion, sondern Ishiguro lässt später jede Hoffnung auf ein verlängertes Leben mit Kathy ersterben, indem er Ruth als Wiedergutmachung für ihr früheres Verhalten den beiden die Adresse der Madame verschaffen lässt. Tommy und Kathy suchen sie eines Tages auf, nur um zu erfahren, dass es ein solches Selektionsprinzip nie gegeben hat und sie müssen bei ihrer Begegnung mit der Madame einsehen: „So there’s definitely nothing. No deferral, nothing like that.“ (Ishiguro 2016: 278) Glaubitz kommentiert diese Szene wie folgt: What is striking in this treatment of the ‘doomed lovers topos’ is how Ishiguro suggests the extent to which the protagonists have internalised heteronomy: Even though love gives rise to the desire to survive longer in the first place, it becomes an emotion to be certified by the authorities in order to grant a deferral of (not escape from) certain premature death. (Glaubitz 2015: 328) Obwohl beide Passagen im Schülerband noch dem workshop „Analysing At‐ mosphere“ zuzurechnen sind, gehen sie weit über diesen Aspekt hinaus. Während der erste Passus mit der Reflexion Kathys über ihr Anderssein als pre-reading activity für die Lektüre der längeren Passage verwendet wird, sollen die Schüler: innen nach einer Zusammenfassung dieses letzten Abschnitts aus dem Roman weitgehend autonom eine komplexe Analyse erstellen: „Ana‐ lyse the atmosphere and the use of the language in this extract.“ (CT 66). Dieser sehr allgemein gehaltene, lakonisch formulierte Arbeitsauftrag wird in der Diff[erentiation] Section durch Leitfragen ergänzt, an denen sich die lernschwächeren Schüler: innen orientieren können, mit Bezug auf die Figuren, das setting und den Stil (CT 300). Hier bleibt der Zugang allerdings ebenfalls an der beschreibenden Oberfläche, ohne dass eine Interpretation seitens der Lernenden eingefordert würde. Auch in den Handreichungen kommt diese rein beschreibende Vorgehensweise zum Ausdruck. Die drei vorgesehenen Antworten für die paraphrasierende Erfassung der Atmosphäre lauten wie folgt (CT-LHB 75): • It is clear from the beginning of the extract that the pair are not in a “carefree” mood anymore, but instead have become silent and reflective, as Tommy is “lost in his thoughts” (ll. 2-4) 78 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced • The description that Tommy “slowed to a dawdle” (l. 16) suggests he is both hesitant and nervous about bringing up this topic, but that he wants to nonetheless • The description of the setting as a nice spot for an “ordinary family” to sit creates a contrast between Tommy and Kathy, and “ordinary” families, showing again that the pair are not considered normal (ll. 11-13) Nicht zur Sprache kommt bis zu diesem Zeitpunkt die ethische Dimension des Romans, die Ishiguro in Szene zu setzen sucht. Denn Kathy thematisiert zunächst die gesellschaftliche Ausgrenzung, der sie als Klon von anderen Menschen ausgesetzt ist: „[…] there are people out there, like Madame, who don’t hate you or wish you any harm, but who nevertheless shudder at the very thought of you - of how you were brought into this world and why - and who dread the idea of your hand brushing against theirs“ (CT 66; entspr. Ishiguro 2016: 43). Diese Gefühlskälte, die den Klonen entgegenschlägt, weil ihnen in ihrer Funktion als menschliche Ersatzteillager im sozialen Diskurs keine Individualität, geschweige denn ein selbstbestimmtes Leben zugestanden wird, führt zu einer impliziten Hinterfragung dessen, was mit Klonen erreicht werden könnte. Die letzte Textstelle führt zu der Einsicht, dass komplett ausgebildete menschliche Klone (unabhängig von den Individuen, aus deren Genmaterial sie erzeugt werden) über die gleichen Fähigkeiten und Gefühle verfügen werden, die jeder andere Mensch auch entwickeln kann: die Fähigkeit zur Kunst oder auch Poesie ebenso wie die Fähigkeit zu lieben oder, wie Kathy und Ruth, in Rivalität zueinander zu stehen - „things like pictures, poetry […] revealed what you were like inside. […] they revealed your soul“ (CT 67 / Ishiguro 2016: 185, Herv.i.Orig.). Ishiguro demonstriert mit dieser Unterhaltung zwischen Tommy und Kathy, welches Unrecht man den Klonen mit einer solchen Haltung zufügt, und dass sich hinter einer scheinbar humanitären, lebensrettenden Idee (denn es gibt ja Patienten, deren Leben durch die Organspenden der dafür vorgesehenen Klone gerettet werden können) in Wahrheit ein Zusammenbruch jeglicher ethischer und zivilisatorischer Werte verbirgt: The outer world wants these children to exist because it’s greedy for the benefits they can confer, but it doesn’t wish to look head-on at what is happening. We assume - though it’s never stated - that whatever objections might have been raised to such a scheme have already been overcome: By now the rules are in place and the situation is taken for granted - as slavery was once - by beneficiaries and victims alike. (Atwood, in Ishiguro 2016: 306) Wie jede Fiktion im Als-Ob angesiedelt, extrapoliert Ishiguros Roman die biotechnischen Möglichkeiten unserer Zeit, in der es schon gelungen ist, höhere 79 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 7 Der einführende Abschnitt lautet: „The cloning of macaque monkeys in China makes human reproductive cloning more conceivable. At the same time, it confirms how difficult it would be to clone a random adult - Adolf Hitler, say - from a piece of their tissue. And it changes nothing in the debate about whether such human cloning should ever happen.“ (CT 66 / Bell 2018) In diesem Aufmacher werden plausible Einwände (die Schwierigkeiten des reproduktiven Klonens betreffend) und irrationale Bedenken nebeneinander gestellt (die Frage, ob ein Klon nicht nur genetisch identisch, sondern auch charakterlich diesem gleich sei - mit Adolf Hitler als „random adult“-Zellspender). - Der komplette Artikel steht den Schüler: innen als Webcode zur Verfügung (vgl. CT-LHB 76). Organismen wie Schafe oder Makaken Affen zu klonen, und wirft zentrale Fragen im Umgang mit (dem) Klonen auf: Ishiguro anatomises […] the elements out of which contemporary notions of indivi‐ duality are composed. In Never Let Me Go, he raises the questions on which grounds individuality and difference are construed - according to which criteria are the clones classified as human or less than human? In which terms do they conceive of themselves, which categories does society employ? In that respect, Ishiguro has shifted the focus of eugenic dystopia from an inquiry into the possible consequences of technically feasible modes of genetic manipulation towards the condition of possibility of eugenic thought itself - to the preliminary conceptual decisions that inform ideas of segregation on genetic or biological grounds. (Glaubitz 2015: 328) An diesem Punkt und im gleichen Zusammenhang macht das Lehrbuch einen Schritt von der reproduzierenden, beschreibenden Analyse zum meinungs‐ starken Kommentar und führt die Schüler: innen unvermittelt aus der fiktiven Welt Ishiguros in die Medienwelt der jüngsten Vergangenheit. Mit einem Video-Ausschnitt aus einem Interview des in Chicago ansässigen Internet-Nach‐ richtenportals wttw.com, das im Januar 2018 erschien, wird Bezug genommen auf die Nachricht, dass es chinesischen Wissenschaftlern gelungen sei, zwei Makaki-Äffchen aus dem fötalen Gewebe eines anderen zu erzeugen. Ein Beitrag zum britischen Blatt The Guardian von Philip Bell, aus dem das Lehrbuch im weiteren Verlauf ein Zitat zur Diskussion stellt, 7 präzisiert, dass die beiden Primaten die Überlebenden einer ganzen Versuchsreihe von 79 Embryonen gewesen seien, aus denen nur sechs Schwangerschaften bei 21 Leihmuttertieren entstanden. Bell stellt in seinen Ausführungen eine Analogie zu dem Verfahren der in vitro-Befruchtung her, mit dem seit 1977 Tausende von Kindern künstlich gezeugt wurden, für die aber ihre natürliche Herkunft aus genetisch unter‐ schiedlichen Stammzellen unzweifelhaft ist, so dass hier im Gegensatz zu Klonen keine Fragen zu Elternschaft, Identität und legalem Status aufkommen (vgl. Bell 2018). 80 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Der abrupte Wechsel von Medium und Material, vom fiktionalen Text zum journalistischen Nachrichteninterview bzw. Wissenschaftskommentar, lässt die thematische Verbindung zunächst in den Hintergrund treten - sie wird erst in der zweiten Hälfte des Videos erkennbar, als die Frage aufgeworfen wird, ob das Klonen dazu genutzt werden könnte, Organspender für medizinische Notfälle zu heranzuziehen. Im weiteren Zusammenhang kommen Fragen nach der Individualität bzw. den familiären Verhältnissen zwischen biologischer Verwandtschaft und Klon auf, die sowohl rechtlich als auch ethisch bislang ungeklärt sind. Für leistungsschwächere Schüler: innen dürfte es schwierig sein, dem Inter‐ view mit der Direktorin des Northwestern Centre for Genetic Medicine (Chicago), Elizabeth McNally, ohne Transkript zu folgen, auch wenn als pre-viewing activity einige zentrale Vokabeln geklärt werden sollen. Die Aufgabe für die Schüler: innen zum Hörsehverstehen lautet, die Bedeutung dieses wissenschaft‐ lichen Erfolgs für Entwicklungen mit menschlichem Genmaterial zu erfassen und die ethischen Bedenken im Zusammenhang mit diesem Forschungszweig zu notieren. Die letzte workshop-Aufgabe lässt die Schüler: innen die (ihnen bekannten Versatzstücke aus Ishiguros) Romanhandlung im Zusammenhang mit diesen Fragestellungen aus Video und Zeitungskommentar erörtern. Die Lösungsvor‐ schläge liefern leider einige der „invalid reasons for human cloning“, die Bell in seinem Artikel mit Recht moniert: „most obviously, the vanity of imagining that one is somehow creating a ‘copy’ of oneself and thereby prolonging one’s life“ (Bell 2018). So listen die Handreichungen nach der vorhergehenden Diskussion dieser Aspekte nicht nur die ethisch fragliche “possibility of creating a clone to provide organ donations“ (und übernehmen dabei mit dem Ausdruck „dona‐ tions“ die euphemistische Sprache des Klon-Diskurses, da den Klonen selbst die mit einer Schenkung einhergehende Wahlmöglichkeit und Freiwilligkeit abgesprochen wird). Sie benennen auch die illusionistisch-sentimentale Haltung als „opportunity“, dass Menschen als Klon fortexistieren: „people may be able to live on after death through their clone, which may provide support to bereaved loved ones“ (CT-LHB 76). Gerade ein Roman wie Never Let Me Go führt anhand der zentralen Figuren Kathy, Ruth und Tommy in einer Vielzahl von Zusammenhängen vor, wie sich die Klonkinder zu eigenständigen Individuen entwickeln, die - all ihrer Naivität und sozialen Isolation von „natürlichen“ Menschen zum Trotz - zu eigenständigen Individuen reifen, mit ganz anderen Identitäten als ihre Zellspender. Persönlichkeit ist keineswegs allein durch die Genetik bestimmt, sondern eine Textur aus biologischen, anatomischen, physiologischen, kognitiven und nicht zuletzt sozialen Komponenten. Daher 81 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 8 Die Frage nach ihrer Herkunft beschäftigt auch Kathy, die in ‚gebrauchten’ Pornomaga‐ zinen blättert - nicht im Bestreben nach sexueller Stimulation und Selbstbefriedigung, sondern weil sie darin nach ihrem „possible“ forscht (vgl. Ishiguro 2016: 143-145 und 192). ist auch der letzte Eintrag in den Lösungsvorschlägen, wenngleich als [rheto‐ rische? ] Frage formuliert, irreführend: „[A]re cloned people and clones the same people with the same personalities? “ (CT-LHB 76) Die künstliche, d. h. genetische Replikation eines Menschen mag eines Tages zwar möglich sein, aber die charakterliche Disposition wird durch die anderen Faktoren so weit mitbestimmt, dass ein Klon allenfalls starke äußerliche Ähnlichkeiten aufweisen wird - hierzu gibt es in der Biographie-Forschung über räumlich und zeitlich voneinander getrennte eineiige Zwillinge hinreichend Belege, dass selbst in dieser physiognomischen Hinsicht Umwelteinflüsse prägend sind. Auch der Roman geht auf diesen Sachverhalt ein, denn Kathy und ihre Freunde haben Schwierigkeiten, auf ihrer Suche nach Ruths ‚Original‘ (bezeichnenderweise von den Klonen stets als „[someone’s] possible“ bezeichnet) absolute Sicherheit zu erzielen: The woman was around fifty, and had kept her figure pretty well. Her hair was darker than Ruth’s - though it could have been dyed - and she had it tied back in a single ponytail the way Ruth usually did. She was laughing at something her friend in the red outfit was saying, and her face, especially when she was finishing her laugh with a shake of her head, had more than a hint of Ruth about it. (Ishiguro 2016: 168) Die Jugendlichen folgen der unbekannten Frau durch die Straßen Norfolks, doch je länger sie sie betrachten, desto größer werden die Zweifel: “And the more we heard her and looked at her, the less she seemed like Ruth. It was a feeling that grew among us almost tangibly.“ (Ishiguro 2016: 172) Am Ende steht die Einsicht: “Well, I think we’re agreed, aren’t we? That isn’t Ruth.” (Ishiguro 2016: 173) Für Ruth ist dies eine schwere Erfahrung, denn jemandes „possible“ zu identifizieren gibt den Klonen ein trügerisches Gefühl von Gewissheit darüber, woher sie kommen. 8 Dieses Gefühl wird enttäuscht und führt zu Ruths frustriertem Ausbruch: Nicht eine solch wohlgekleidete, kunstinteressierte Dame aus besten Verhältnissen wie jene, der sie zuvor gefolgt sind, wäre ihr Ursprung, sondern sicher eher eine sozial Ausgegrenzte. We’re modelled from trash. Junkies, prostitutes, winos, tramps. Convicts, maybe, just so long as they’re no psychoes. That’s what we come from. […] If you want to look for possibles, if you want to do it properly, then you look into the gutter. You look in 82 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced rubbish bins. Look down the toilet, that’s where you’ll find where we all came from. (Ishiguro 2016: 175-176, Herv.i.Orig.) Rückblickend auf den workshop „Analysing Atmosphere“ lässt sich festhalten, dass er den Schüler: innen diverse Hinweise dazu gibt, wie der Begriff mit nicht nur deskriptiven Analyseschritten, sondern auch punktuellen Interpretations‐ leistungen an Substanz gewinnt. Wichtig ist hierfür - wie Camden Town es vorführt - die kategoriale Unterscheidung von Erzählerstimme, Figurenzeich‐ nung, Sprachstil und setting. Insbesondere für den einführenden Medienver‐ gleich zwischen Verfilmung und Roman-Vorlage sowie für die ersten beiden Textpassagen wird den Lernenden beigebracht, diese Aspekte in einer Analyse zu unterscheiden; die Hinweise aus dem zugeordneten Skill File tragen hierzu ein Übriges bei. Der Medienwechsel vom ästhetisch geformten Romantext zu referentiellen Texten, der hier inhaltlich zu begründen ist, wird hingegen im Zusammenhang mit einer Analyse der Stimmung, die einen literarischen Text prägt, nicht hinreichend motiviert. Dass am Ende der Arbeit mit den Romanauszügen und der Filmszene von den Schüler: innen erwartet wird, sie könnten zum (gesamten! ? ) Plot des Romans Never Let Me Go vor dem aktuellen Hintergrund von Ergebnissen aus der empirischen Genforschung kritisch Stellung beziehen, erscheint allerdings ohne weitere Zwischenschritte mit der Lektüre von anderen Passagen aus dem Text kaum möglich. Um die inhaltlichen Korrespondenzen zwischen den journalistischen Medien mit den darin aufgeworfenen Fragen hier und der fiktiven Ontologie der Romanhandlung dort plausibel herauszustellen, wäre ein noch intensiverer Umgang damit notwendig. Die Art, wie hier beides einander gegenübergestellt wird, dürfte seitens der Schüler: innen als inhaltlich / formaler Bruch und eher als Überforderung denn als Lernangebot wahrgenommen werden. Ernest Cline, Ready Player One (2011). Einhundertzwanzig Zeilen Lehr‐ buchtext können natürlich keinen repräsentativen Eindruck des 579 Seiten starken Werks vermitteln. Das Exzerpt (CT 68-69) enthält eine Montage von unterschiedlichen Passagen aus den Romankapiteln „0002“ bis „0004“ (Cline 2011: 45-47, 72-74 und 78-79). Darin liefert der achtzehnjährige Ich-Erzähler Wade Watts einen kurzen Einblick in seine zurückliegende Schulkarriere, die er bis zur 6. Klasse in der realen Welt hinter sich brachte. Seither lässt sich in der virtuellen Parallelwelt OASIS - Akronym für „Ontologically Anthropocentric Sensory Immersive Simulation“ (Cline 2011: 87) - bilden, weil er dort die früheren Alltagsprobleme (v. a. das soziale Mobbing anderer) nicht länger ertragen muss. Auch empfindet er die Lehrer als sehr viel engagierter, wohl deswegen, weil sie sich besser auf ihren Unterrichtsstoff konzentrieren können: 83 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff All of my teachers were pretty great […], probably because they didn’t have to spend half their time acting as babysitters and disciplinarians. […] It was also a lot easier for online teachers to hold their students’ attention, because here in the OASIS, the classrooms were like holodecks. Teachers could take their students on a virtual field trip every day, without ever leaving the school grounds. (CT 68; entspr. Cline 2011: 72) OASIS bietet neben vielen anderen virtuellen Orten einen eigenen Schulpla‐ neten, „Ludus“ (entlehnt aus lateinisch ludus und analog zu griechisch paidos = Spiel; der Name des Planeten ist somit ein sprechender und evoziert seine semantische Verbindung zur Pädagogik). Der Nachteil, den Wade schnell erlebt, besteht darin, dass zwar der Zugang zu der virtuellen OASIS gratis ist, dass aber alle Abenteuer und Unternehmungen innerhalb dieser Simulationswelt kostenpflichtig sind, mit Ausnahme des Schulbesuchs. Wade muss erkennen: „I was stranded on Ludus, the most boring planet in the entire OASIS“ (CT 69; entspr. Cline 2011: 74). Um Geld für Unterhalt(ung) in diesem Kosmos zu verdienen, möchte Wade sich für Gelegenheitsjobs in der realen Welt verdingen, aber die herrschende globale wirtschaftliche Lage ist „The Great Recession“ und dauert nun schon, mit einer sehr hohen Arbeitslosigkeit, das dritte Jahrzehnt an. Anspruchsvolle Tätigkeiten in der Software-Industrie gibt es nicht, nicht einmal einfache Arbeiten sind verfügbar: „Even the fast food joints in my neighborhood had a two-year waiting list for job applicants.“ (CT 69; entspr. Cline 2011: 79) Implizit dient diese Textmontage dazu, bei den Schüler: innen eine Verfesti‐ gung genre-spezifischen Wissens zu erlangen: Im Vorfeld kann auf die Definitionen von utopia und dystopia zurückgegriffen werden, z. B. auf S[chüler]B[uch] Seite 48. Ausgehend von diesen Definitionen können Kriterien bzw. generische Merkmale dystopischer Texte herausgearbeitet werden, die grundlegend für die Entscheidung der S[chüler: innen] sind, ob es sich bei der Welt in Ready player one um utopia oder dystopia handelt. (CT-LHB 78; Herv.i.Orig.) Auf der genannten Seite finden sich ferner knappe Angaben dazu, dass Thomas More das Genre begründet habe und dass der Begriff „Utopie“ sich aus dem Griechischen herleite. Darüber hinaus gebe jedoch es nur wenige generische Merkmale für Utopien / Dystopien - abgesehen von deren unterschiedlichen positiven und negativen ‚Ladungszuständen‘. Dies lässt sich durch die Tatsache bestärken, dass viele Utopien, inklusive Mores eigenem staatsphilosophischen Traktat, schon in ihrer Darstellung den Kern ihrer eigenen Dystopie in sich tragen („freedoms are heralded, only to shrink in the course of the description“, Greenblatt 1980: 41), während viele Dystopien mit einem Hoffnungsschimmer auf eine bessere Zukunft enden. 84 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced In einer pre-reading activity sollen die Schüler: innen ihre eigenen Zukunfts‐ erwartungen für das Jahr 2044 (das Jahr, in dem ein Teil der Romanhandlung spielt) formulieren; die Ergebnisse werden im weiteren Verlauf an der Tafel gesammelt, kategorisiert und diskutiert. Erst dann erfolgt die Zuwendung zum Text: In Abstimmung mit dem gerade abgeschlossenen workshop zu Ishiguros Never Let Me Go sollen die Schüler: innen eine Charakterskizze Wades anfertigen und sich zu den Bedingungen, unter denen er lebt (also zum setting), äußern. In der post reading-Phase arbeiten die Schüler einen „Comment“ (Zieltextformat) aus und entscheiden, ob der Roman bzw. die darin beschriebene Gesellschaft als Utopie oder Dystopie zu bezeichnen sind. Allerdings stehen einer fixen Zuordnung im Text Argumente für beide Pole des Spektrums entgegen, was auch die Lösungsvorschläge hervorheben (vgl. CT-LHB 78). Insofern wird die Aufgabenstellung 3 „Assess whether the society in the novel can be described as a utopia or a dystopia“ (CT 69) mit ihrem verabsolutierenden „entweder - oder“ nicht dem Text gerecht, sondern müsste adäquater - im Sinne Greenblatts - auf ein differenzierendes „sowohl - als auch“ abzielen. Dieser Aspekt wird auch in den eingangs zitierten Lösungsvorschlägen, die lediglich die Kontrastierung der ontologischen Ebenen von virtueller Utopie und realer Dystopie als Maßgabe kennzeichnen, übersehen: „[OASIS] is […] only utopian online, while in real life society is experiencing a recession, with no jobs or opportunities, and therefore the online world can be seen as a form of escapism from a dystopian world.“ (CT-LHB 78) Diese Sichtweise ist scheinbar vom Romantext gestützt, in dem mehrfach thematisiert wird, wie schlecht es um die analoge Welt steht, in der Wade lebt und die von Kriegen, Krankheiten und Klimakatastrophen bestimmt ist: „We’d been born into an ugly world, and the OASIS was our happy refuge.“ (Cline 2011: 52; vgl. auch 2) Tatsächlich wird Wade jedoch auch in der simulierten Welt erneut zum Außenseiter, der er zuvor in der realen (Schul-)Welt allein wegen seiner sozialen Herkunft, seines übergewichtigen Äußeren und wegen seiner begrenzten Ausdrucksfähigkeit war. Denn im Kern bedeutet das Simulacrum OASIS, das die finanzkräftigen Mitschüler virtuell bereisen, für Wade nichts anderes als einen Ort des neuerlichen Gefangenseins, und der Aufenthalt dort wird zur seiner persönlichen Dystopie: „So I remained stuck at school [on planet Ludus in the simulation game OASIS]. I felt like a kid standing in the world’s greatest video arcade without any quarters, unable to do anything but walk around and watch the other kids play.“ (CT 69; entspr. Cline 2011: 79) Kein Wunder also, dass am Ende seiner Abenteuer ein frustrierter Wade Watt beschließt: „I had absolutely no desire to log back into the OASIS.“ (Cline 2011: 579) 85 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 9 Die Corona-Krise des Jahres 2020 bietet aufgrund des über mehrere Wochen andau‐ ernden Schließung des gesamten öffentlichen Lebens, inkl. des Erziehungswesens, sowie der Verlagerung der Bildung in den virtuellen Raum viele Anknüpfungspunkte, mit denen insbesondere die betroffenen Schüler: innen und Lehrkräfte dieses Thema aus einer erfahrungsbasierten Sicht mit Inhalt füllen können. Im Anschluss an die oben zitierte Kommentaraufgabe erfolgt ein neigungs‐ differenzierter schriftlicher Arbeitsauftrag, bei dem die Schüler: innen nunmehr zwischen zwei Zieltextformaten wählen können: Entweder verfassen sie einen Artikel für ein online-Jugendmagazin oder eine Rede für eine Jugendkonferenz. Beide fokussieren das Thema „Zukunft der Bildung“ und die Frage, inwieweit der Einsatz moderner Technologien positive oder negative Folgen für die Bildung haben könnten (CT 69). Dies schließt folglich eher an die pre-reading Aufgabe mit einer deutlichen Schülerfokussierung an als an den Romanauszug. 9 In einem zweiten Arbeitsschritt erfassen die Lernenden, inwieweit das Text‐ format Inhalt, Form und Ausdruck bestimmt. Mit diesen beiden Aufgaben wird zwar der Roman als Quellentext zurück gelassen, denn die erste der beiden Teilaufgaben ist nur mehr wenig an die Inhalte von Wade Watts Erlebnissen und Reflexionen gekoppelt, während die zweite auf einer Metareflexionsebene angesiedelt ist und die Ergebnisse der Schüler: innen in den Blick nimmt. Mit diesem zweiten Schritt aber erhält die Aufgabe ein Momentum, durch das sie reichhaltiges Potenzial als Vorbereitung auf Genre- und Textsorten-ausgerich‐ tete Themen in akademischen Lehrveranstaltungen bereithält. Damit ist neben den Reflexionen über die textlichen Eigenschaften von spekulativer Fiktion ein weiteres, zentrales Element von text-based instruction in den Unterricht eingebaut. Dies wird auch in den Lehrerhandreichungen als Vorschlag für einen Tafelanschrieb angemessen wiedergegeben (CT-LHB 79, Herv. i.Orig.): How the text type may influence your way of writing • the speech should address the audience directly, while the article is likely to reach out to the reader but in a less direct way • the speech may begin with an attention-grabbing statement, while the ideas of the article will build up gradually and logically • the article will probably contain more information, while the speech will centre around two or three key themes How the text type may influence your way of writing • the speech should address the audience directly, while the article is likely to reach out to the reader but in a less direct way 86 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced • the speech may begin with an attention-grabbing statement, while the ideas of the article will build up gradually and logically • the article will probably contain more information, while the speech will centre around two or three key themes Mit diesen Überlegungen endet in Camden Town die Einheit über „Literary Visions of the Future“, wie sie für den Grundkurs konzipiert ist. Es schließt daran ein letzter Abschnitt mit Materialien für das erhöhte Anforderungsniveau des Leistungskurses an: eine Kurzgeschichte als Ganztext mit einem Umfang von 280 Druckzeilen, gefolgt von einem informativen Video zum Thema und drei Szenen aus Garlands SF-Film Ex Machina. Kurt Vonnegut, „Harrison Bergeron“ (1961). Bei dieser satirischen Kurz‐ geschichte geht es um ein Ehepaar in einer totalitär geführten Gesellschaft, das in einer Fernsehübertragung den Tod des eigenen Sohnes anschaut. Das politische System ist daraufhin ausgerichtet, dass die mentalen und physischen Fähigkeiten aller Individuen auf das niedrigste gemeinsame Niveau ‚gestutzt‘ werden. Wer innerhalb dieses universellen Referenzrahmens auf einer höheren Stufe verortet wird, bekommt zwangsweise eine künstliche Behinderung ver‐ ordnet, ein „handicap“, das unter drakonischer Strafandrohung nicht entfernt werden darf. Im Zentrum der Erzählung steht ein Ehepaar, George und Hazel Bergeron, deren 14jähriger Sohn Harrison aufgrund seiner Athletik und seines Genies vom Staat gefangengesetzt worden ist. Während Hazel keines äußerli‐ chen „handicap“ bedarf, hat George ein Gerät am Ohr installiert, das alle 20 Sekunden ein lautes Geräusch aussendet und auf diese Weise jeden kompexeren Gedanken unter- und abbricht; zudem trägt er eine Art Schandflasche um den Hals, wie sie im Mittelalter Verwendung fand: Allerdings hat er nichts anderes verbrochen, als über eine mehr als durchschnittliche körperliche Fitness zu verfügen, die so prokrustesartig auf den vorgesehenen Standard ‚normiert‘ wird. Die Eltern sehen im Fernseher mit an, wie ein Fahndungsaufruf nach Harrison gesendet wird, kurz darauf wird die Übertragung einer seichten Ballett-Auffüh‐ rung unterbrochen: Der schwer mit „handicaps“ Beladene betritt das Studio mit der Botschaft, die Regierung stürzen und sich als Kaiser eine Herrscherin nehmen zu wollen. Er wählt dazu eine Ballett-Tänzerin aus, beide entledigen sich ihrer „handicaps“ und tanzen miteinander. Herein stürmen die Brigaden des „United States Handicapper General“, einer Polizei, deren Anführerin die beiden umstandslos abschießt und so den Aufstand im Keim erstickt. Der Bildschirm der Bergerons wird schwarz, und die vor Rührung, nicht Trauer weinende Hazel stellt fest, dass George diese letzten Momente nicht gesehen hat, weil er sich gerade ein Bier holen gegangen war. Auf die Frage, warum sie weine, kann sie nicht antworten, da sie sich nicht mehr an Details erinnert, sondern nur daran, 87 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 10 Die knapp 2200 Wörter umfassende Kürzestgeschichte wurde mehrfach, z.T. experi‐ mentell, verfilmt. Die einzige im regulären Spielfilmformat weitet natürlich die im Text geschilderte Handlung episch aus: Schon im Jahr 1995 führte Bruce Pittman Regie (Atlantis Films, 99 mins). Es folgten erste Kurzfilme: die Produktionen der Regisseure Patrick Horne („Speak It! “ Pictures 2006, 30 min) und Chandler Tuttles 2081 (Moving Pictures Institute, 25 min). Im Jahr 2013 produzierte ein low-budget Projekt der Queen Mary College Creative Productions unter Regie von Carla Steinberg einen weiteren Kurzfilm (7: 31 min, URL www.youtube.com/ watch? v=F4xYWjt88Ig), der im Wesentlichen die Dialoge der beiden Eheleute vor dem Fernseher wiedergibt, in dem der Tanz von Harrison mit der Ballerina in einer kurzen Begegnung im Freien (statt in einem TV-Studio) angedeutet wird. Das tragische Ende der beiden wird nur in der schwarzen Mattscheibe des Fernsehers angedeutet. Gleichwohl wird die story aus Vonneguts Vorlage wiedergegeben, v. a. gelingt die Zeichnung des debilen Zustands der beiden Eheleute. dass da etwas sehr Trauriges geschehen sei: Solch traurigen Dinge müsse sie vergessen, rät George ihr. Ein neuer lauter Ton erschallt in seinem Ohr, den auch Hazel (wie schon mehrfach zuvor) mit ein wenig neidischer Bewunderung als besonders laut registriert und kommentiert, was George mit den Worten bestätigt, das könne man wohl sagen - was Hazel als Aufforderung versteht und prompt noch einmal tut. Die Ereignisse im Fernsehen sind vergessen, die Trauer verflogen, die Geschichte am Ende. 10 Der Einstieg in die Erarbeitung dieser flash fiction erfolgt über eine Betrach‐ tung der ersten drei lakonisch-ironischen Sätze, die in Aufgabe 1 vom restlichen Text abgehoben sind: „The year was 2081, and everybody was finally equal. They weren’t only equal before God and the law. They were equal every way which was.” (CT 70) Analog zur Spekulation über das Leben im Jahr 2045 im Zusammenhang mit Clines Roman Ready Player One werden die Schüler: innen erneut über ihre Zukunftserwartungen über den Zustand der Gesellschaft im Jahr 2081 befragt. Wurden für den früheren Text noch grundlegend optimisti‐ sche Lösungsvorschläge geliefert (Krebs als heilbare Krankheit, Möglichkeiten der Teleportation, Roboter als Verrichter „of menial services“, CT-LHB 77), die in Gegensatz zu der Vision dessen stehen, die Cline seine Figur Wade Watt vom Zustand seiner Welt berichten lässt, so wird hier auf die grundsätzliche ambivalente Natur von Utopien hingewiesen: Einerseits ist die Gesellschaft, die Vonnegut mit seinem allwissenden Erzähler beschreibt, von allen Unterschieden in sozialer Klasse und intellektuellen Habitus befreit; dieses utopische Element aber wird konterkariert durch die allgegenwärtige physische, institutionelle und strukturelle Gewalt, mit der diese Gleichheit für alle von den qua constitutio und de jure befugten staatlichen Kräften durchgesetzt wird, u. a. gehören dazu (CT-LHB: 81): 88 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced • […] to handicap everyone who is above average in some way • “mental handicaps”: sporadic buzzing/ ringing sounds placed in the ear of people with above-average intelligence • physical handicaps of “sashweights and bags of birdshot” ([CT 70] l. 42) on dancers to stop them appearing more graceful than anyone else (CT-LHB 80) • George and Hazel Bergeron have had their son taken away from them, because he is seen as too ‘dangerous’ for being naturally gifted • George Bergeron isn’t allowed to properly mourn the loss of his son, because he is forced to wear the mental handicap which disrupts his thought process • George isn’t allowed to remove any of his handicap after a long day at work • Harrison Bergeron looks like “a walking junkyard” ([CT 72] l. 172) because of how heavy his handicaps have to be in order to compensate for his natural talents • dancers and musicians aren’t allowed to express themselves properly because of their handicaps In einer zweiten Unteraufgabe (3b) wird nach sprachlichen und formalen Elementen („the author’s use of language and elements of the plot“, CT 73) ge‐ sucht, die die Leserwahrnehmung im Hinblick auf die Gesellschaftsdarstellung beeinflusst. Diese Aufgabe ließe sich mit einem generalisierenden Hinweis auf die dramaturgische Gestaltung vieler Kurzgeschichten erkenntnisförderlicher bearbeiten, als dies im vorliegenden Fall geschieht. Hilfreich wäre dann ein Verweis auf das Skill File S11 „How to Work with Drama“ (CT 350-351), das mit solch einer polyvalenten Verwendung besser als „Analysing a Plot: Drama / Narrative“ zu betiteln wäre. Das Schülerbuch sieht dergleichen genre-übergrei‐ fenden Hilfsmittel nicht vor (auch die entsprechende Differenzierungsseite, CT 300, gibt eine Tabelle mit Textstellen vor, deren Effekt auf die Leserschaft die Schüler: innen darlegen sollen), und die Lehrerhandreichungen verfahren ebenfalls nacherzählend, d. h. mit einer Auswahl von inhaltlichen Details, die aber nicht als Indikatoren für den Aufbau und die innere Architektur der Erzählung systematisiert werden (CT-LHB 81). Der vierte und letzte Aufgabenblock lässt die Kurzgeschichte weitgehend unkommentiert und semantisch unhinterfragt zurück. Die Schüler: innen sollen stattdessen, um ihren eigenen lebensweltlichen Bezug zum Thema „Umgang mit gesellschaftlicher Diversität“ herzustellen, zuerst herausarbeiten, welche staatlichen Maßnahmen in der heutigen westlichen Gesellschaft („our society“) ergriffen werden, um Menschen „with a different ethnic background / disabi‐ lity / etc.“ (Aufgabe 4a, CT 73) zu unterstützen; danach (4b) gibt es in Klein‐ gruppen eine Diskussion mit einer kritischen Evaluation der Maßnahmen, und 89 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff am Ende werden in Aufgabe 4c) die Ergebnisse der einzelnen Gruppen im Plenum verglichen. Die provokative Natur des satirischen Textes wird nach der Analyse und den inhaltlichen Befunden aus Aufgabe 3) vollkommen außer Acht gelassen. An diesem Beispiel könnten - immerhin wird die Geschichte für das erhöhte Anforderungsniveau angeboten - ebenfalls naheliegende Themen wie „poli‐ tical (in-) correctness“, Frauenfeindlichkeit, die Wirkungsmechanismen von satirischen Texten und die Legitimität von künstlerischer Freiheit diskutiert werden. Damit würden die Kompetenzen der Schüler: innen ansatzweise auf ein elementar literaturkritisches Niveau gebracht. Stattdessen bleibt eine rein be‐ schreibende Erfassung inhaltlicher Details der Textoberfläche im Vordergrund; entsprechend werden die ontologischen Konstituenten der Geschichte zum kommunikativen Gesprächsanlass, der dann schnell - ob passend oder nicht - künstlich in die Lebenswelt der Schüler: innen zurückgebogen wird. In Vonneguts Karikatur dieser fiktiven Gesellschaft werden z. B. als Nach‐ richtensprecher nur Menschen mit „a serious speech impediment“ ausgewählt. In der konkreten Situation kommt der aufgeregte Sprecher binnen einer halben Minute über die Anrede „Ladies and Gentlemen“ nicht hinaus, gibt auf und reicht seine Nachricht an weitere Anwesende im Studio: „‘That’s all right -’ Hazel said of the announcer, ‘he tried. That’s the big thing. He tried to do the best he could with what God gave him. He should get a nice raise for trying so hard.’“ (CT 71) Die erste Frage, die sich hier stellt, ist die, ob der auktoriale Erzähler - oder gar der Autor, analog zur Fragestellung 3b „Explain how the author’s use of language as well as the elements of the plot influence the reader’s perception of the society presented in the story“ - die (offenbar angeborene) Sprachbehinderung des Nachrichtensprechers in unangemessener, politisch inkorrekter Weise darstellt. Hierzu wäre im Rückgriff auf solche Kategorien wie showing und telling zu erkennen, dass der Autor die Option wählt, diesen Sprachfehler durch den Erzähler nur mittelbar repräsentieren zu lassen und nicht in einer Weise vorgeht, die Behinderung szenisch und durch wörtliche Rede wiederzugeben. Eine solchermaßen mimetische und dadurch womöglich Sprachbehinderte verletzende Darstellung liegt also nicht vor. Auch bleibt die Benennung des Sprachfehlers so unspezifisch, dass erst die individuelle Vorstellung des Lesers, ganz im Sinne Wolfgang Isers, diese Leerstelle füllen lässt. Die zweite Frage richtet sich auf die Darstellung der weiblichen Figuren. Her‐ vortreten außer Hazel noch die Anführerin der Handicapper General-Truppen, Diana Moon Glampers, und zwei namenlose Ballerinas, deren eine den Nach‐ richtensprecher erlöst und deren zweite Glampers vom Studiohimmel herunter‐ 90 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced schießt. Während Glampers die brutale Staatsgewalt verkörpert (die zudem mit ihren Vornamen geradezu erhabene Assoziationen zu Figuren der klassischen Mythologie wie zur Jagdgöttin Diana und zur Mondgöttin Luna, der Unsteten, evoziert), stehen die Ballerinas für natürliche Schönheit und Grazilität, die durch absurde „handicaps“ in ihr Gegenteil verkehrt werden müssen. Die eine wie die anderen stehen für negative und positive Perfektion, aber auch Mrs. Bergeron ist ein satirisch invertiertes ‚Ideal‘: „Hazel had a perfectly average intelligence, which meant she couldn’t think about anything except in short bursts.“ (CT 70, Herv. JM) Ganz ohne künstliches „handicap“ steht sie für die kleinbürgerliche Stumpfheit und Blödheit, die diese dystopischen United States als Norm setzen. Intellektuell unbedarft, saugt sie vollkommen unreflektiert alle arbiträren me‐ dialen Reize vom Fernseher und von Georges Störsender-Implantat auf. Was ihm alle 20 Sekunden leidvoll eine kognitive Störung ist, gibt ihr den Anlass zum Staunen über diese Signale. Eine thematisch fokussierte Unterhaltung der beiden Eheleute ist unmöglich, weil Geräusche aus dem Implantat jedes Mal ihre Aufmerksamkeit binden und alle ernsthaften Themen in Vergessenheit geraten lassen. Wie beschränkt Hazel tatsächlich ist, zeigt sich nicht nur in ihrer unkritischen Reaktion auf den Nachrichtensprecher, sondern auch am Ende der Geschichte, als sie Georges dahingesagte Bestätigungs-Floskel für die zuvor gemachte Bemerkung („‘You can say that again’“) wörtlich nimmt und wiederholt: „‘Gee - […] I could tell that one was a doozy.’“ (CT 73) Diese Karikatur lässt keinen Raum für die Zeichnung mütterlicher Gefühle wie Sorge oder Trauer um ihren Sohn, sondern ist rein sentimental auf das Geschehen auf der zweidimensionalen Mattscheibe begrenzt - sie erinnert sich Sekunden nach den übertragenen Ereignissen lediglich an „something real sad on television“, aber: „‘It’s all kind of mixed up in my mind’.“ (CT 73) Somit kann die Darstellung von Frauen und insbesondere Hazels nicht als misogyn gewertet werden: Vonnegut nutzt stilistische Mittel der Übertrei‐ bung und Ironie, um die entstellenden Wirkungen der fiktiven staatlichen governance deutlich nicht nur an den „handicaps“ der Figuren, sondern auch an ihrem mindset herauszustellen. Auf dem Höhepunkt der Geschichte, in der Schilderung von Harrisons rebellischen Tanz mit seiner Auserwählten, kann der Erzähler auch seine Tonlage ändern und wechselt von der nüchternen, distanzierten Durchschnittstonlage in einen geradezu blumig-pathetischen Stil, der die Schönheit des Tanzes und die Ekstase der Tänzer nicht nur in Wortwahl und Bildlichkeit, sondern auch im asyndetischen Satzbau zum Ausdruck bringt: „And then, in an explosion of joy and grace, into the air they sprang! Not only were the laws of the land abandoned, but the law of gravity and the laws of 91 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff motion as well. They reeled, whirled, swiveled, flounced, capered, gamboled and spun. They leaped like deer on the moon.“ (CT 72) Den Schüler: innen die satirische, warnende Funktion eines solchen Textes und seine subtil, maßgeblich stilistisch erzeugte Leser-Manipulation vorzuent‐ halten erscheint, mit dem unhinterfragten Übertrag des Themas „Umgang mit gesellschaftlicher Diversität“ aus der Fiktion (Aufgabe 3) in die Lebenswelt (Aufgabe 4), im Hinblick auf die Ausbildung von kritischer Text- und Medien‐ kompetenzen bedauerlich. Obwohl es wahrscheinlich ist, dass junge Leser: innen durchaus heftig auf die karikierende Darstellung der fiktiven Welt und ihrer Figuren Stellung beziehen (möchten), wird seitens des Lehrwerks einer solchen Lese-Reaktion - sei es in Form einer mündlichen Diskussion, eines schriftlichen Kommentars bzw. einer Rezension - kein Raum gegeben. Wie zuvor im Fall des workshop zu Ishiguros Never Let Me Go macht Camden Town auch hier einen unvermittelten Sprung aus der Fiktion in die Realität, hier sogar die Lebens‐ wirklichkeit der Schüler: innen, ohne deren ethische und / oder interpretative Kommunikationsanliegen im Hinblick auf den jeweiligen Text zuzulassen. Das bedeutet aber auch, dass den Lernenden keine derartigen erzählkritischen und generischen Kategorien an konkreten Textbeispielen vermittelt werden - sie werden dem Primat einer alltagsnahen Kommunikation geopfert, bei der ein Text lediglich zum thematischen Aufhänger, aber nicht zum kritischen oder reflexiven Gegenstand einer Diskussion wird. Alex Garland, dir., Ex Machina (2015). Mit dem letzten Unterrichtsgegen‐ stand kehrt das Lehrwerk an den Ausgangspunkt des Themas zurück - die Frage nach der Unterscheidbarkeit von natürlicher und künstlicher Intelligenz. Ausgangspunkt ist ein informatives Video über „The Turing Test: Can a Com‐ puter Pass for a Human? “ (4: 46 min), das das von Alan Turing ursprünglich als Gedankenexperiment formulierte Problem erläutert. In diesem Zusammenhang ist eine der vorentlastenden Aufgaben wichtig, derzufolge die Schüler: innen die „basic idea“ des Turing Tests ergründen soll. Die Lehrerhandreichungen formulieren die Lösung zu Aufgabe 1d) wie folgt: „The Turing Test focuses not on how ‘intelligent’ a machine is, but instead how ‘human’ a machine is able to appear, and therefore in this definition artificial intelligence should imitate natural intelligence.“ (CT-LHB 83) Die Aufgaben zu diesem fiktionalen Stoff kehren nicht nur zum überge‐ ordneten Thema der Unterrichtseinheit, sondern auch zu dem kompetenz‐ orientierten Ausgangspunkt des Teils B zurück: der Analyse von literarisch gestalteter „Atmosphäre“. Am Ende der Lerneinheit haben die Schüler: innen ihr Rezeptionsvermögen im Umgang mit literarischen Stoffen so erweitert, dass sie vor diesem Hintergrund die Atmosphärengestaltung in Ex Machina 92 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 11 Analytische Kategorien zu Postproduktions- und Editiertechniken (v. a. Tonspuren und Schnittfolge) werden hier - anders als in den Vergleichslehrwerken - jenseits der bloßen Erwähnung nicht entwickelt („In films, cinematic devices such as camera work, editing and lighting are used to convey a certain atmosphere“, CT 86, Herv. JM), obwohl sie für die Ausbildung eines kritisch-reflektierten Medienverständnisses von hoher Bedeutung sind. Vgl. dazu Surkamp 2011: 49. im Analogieverfahren mit komplexeren Antworten versehen können. Es fehlt für eine vertiefte cinematographische Erfassung dieses Aspektes jedoch noch an entsprechenden Beschreibungskriterien, wie Produktions- und Editiertech‐ niken (z. B. Kameratechnik, Schnittfolge, Soundtrack). 11 Daher wird ein mess‐ barer Erkenntnis- und Kompetenzgewinn für die Schüler: innen zwischen Ein‐ stiegsimpuls und Themenausklang möglicherweise nur anhand der literarisch erarbeiteten Kategorien (setting und Figurensprache) erkennbar sein, während die cineastische Ebene nahezu unberücksichtigt bleibt. Resümee. Anders als die restlichen Lehrwerke, die in dieser Untersuchung betrachtet werden, bietet Camden Town den Schüler: innen mehrere, z.T. auch längere Textausschnitte aus ein- und demselben Werk, um mit ihnen die literarischen Kompetenzen zu entwickeln und zu fördern. Der Vorteil ist, dass die Schüler: innen dadurch einen insgesamt umfangreicheren Eindruck des zu‐ grundeliegenden Werks erhalten. Mit dem Komplettabdruck der Kurzgeschichte „Harrison Bergeron“ von Vonnegut erhalten die (Leistungskurs-)Schüler: innen die Möglichkeit, ihre Kompetenzen in Kenntnis eines gesamten Handlungsver‐ laufs zu erproben - was die lerntheoretische Authentizität der aufeinander aufbauenden Unterabschnitte erhöht. Hinsichtlich des Einsatzes audiovisueller Medien ist für dieses Lehrwerk insgesamt festzuhalten, dass lernschwächere Schüler: innen durch die Video‐ clips, seien sie informativ oder unterhaltend, schnell überfordert werden. An‐ dere Lehrwerke stellen die kompletten Transkripte der Dialoge immerhin in den Lehrermaterialien zur Verfügung (Context im Unterrichtsmanager, Pathway Advanced als Transkript-Bändchen zu den Lehrwerk-CDs), so dass die Schüler: innen damit ihr Seh-Hör-Verständnis sicherstellen können. 2.2.3 Context: Von Frankensteins Monster zum „Big Brother“ In der Behandlung literarischer Texte verfährt Context strukturell anders als die Vergleichslehrwerke, insofern hier eine deutliche Unterteilung fiktionale und nichtfiktionale Texte erkennbar ist. Die Unit 2 „Science - Enhancing Life? “ präsentiert Materialien mit einem höheren Referenzgehalt und Wirklich‐ keitsbezug, als diese in Unit 3 „Visions of the Future“ mit fiktionalen Stoffen 93 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 12 In diese Auszüge aus Romanen eingebettet sind Trailer und Filmszenen von The Tributes of Panem, Pt. 2: Catching Fire (2013), das zwar auf Suzanne Collins’ The Hunger Games bezogenes paratextuelles Material präsentiert, aber ohne eine Diskussion einer literarischen Textgrundlage aus Roman oder Drehbuch - der Stoff bleibt aus diesem Grund in der Folge unberücksichtigt. 13 Es handelt sich dabei um die Produktion aus dem Jahr 2011 unter der Regie von Danny Boyle und Tim van Someren, in der Benedict Cumberbatch und Jonny Lee Miller an unterschiedlichen Aufführungsterminen jeweils abwechselnd die beiden Hauptfiguren, aus den Gattungen „Utopia / Dystopia“ bzw. „speculative fiction“ zur Geltung kommen. Statt diese Grenze innerhalb eines Kapitels zu ziehen (vgl. dazu die Ausführungen zu Pathway Advanced, Abschn. 2.2.5), verläuft diese also zwi‐ schen zwei eigenständigen Lerneinheiten. Die Ausnahme zu dieser Regel ist im zweiten Lernmodul die Einbeziehung des romantischen Frankenstein-Mythos, die daher im Folgenden an den Anfang der Betrachtungen rückt. Die bei weitem überwiegende Anzahl von Aufgaben zu fiktionalen Stoffen findet sich jedoch in Unit 3 und führt in die Gegenwartsliteratur, mit einem thematischen Akzent auf der Darstellung von computererzeugter virtueller Realität und der Darstellung von Figuren auf der Suche nach „Extremformen menschlicher Unterhaltung“ (C-HRU 100). Die thematische Klammer, die hier aufgespannt wird, ist also eine andere als das Motiv des „Turing Test“ in Camden Town, sondern eine literaturgeschicht‐ liche, insofern mit einer modernisierten Fassung von Frankenstein und Nineteen Eighty-Four zwei kanonische Stoffe den Anfang und das Ende einer fokussierten Erschließung literarischer Texte definieren. Diese beiden Klassiker umrahmen andere, thematisch und zeitlich den Lernenden näherstehende Beispiele: M.T. Andersons Feed (2002), Dave Eggers’ The Circle (2013) und Margaret Atwoods Oryx and Crake (2003), dem ersten Teil ihrer MaddAddam-Trilogy. 12 Mit dem Focus on Skills („Reading for Analysis“, C 64) werden die Kompetenzen der Lernenden in der Romanlektüre geschult. Nick Dear, Frankenstein (2011). Die Einbettung des literarischen Stoffes in die aktuelle medizinethische Diskussion um die künstliche Erzeugung menschlichen Lebens in Unit 2 hat zur Folge, dass den Lernenden nur ein kurzer Textabschnitt zur Verfügung gestellt wird. Während die Ausschnitte aus Sachtexten in Unit 2 jeweils knapp unter 500 Wörter umfassen, beträgt der Umfang der zitierten Passage aus Dears Theaterstück - abgedruckt ist aus dem Beginn von Szene 24 die Situation, da Frankenstein seiner Schöpfung erstmals begegnet und von ihr zur Rede gestellt wird - ganze 292 Wörter. Visuell unterstützt wird dieser kurze, zumeist überwiegend stichomythisch gehaltene Textauszug im Lehrbuch mit einem Szenenfoto aus der Produktion des National Theatre (C 36-37; entspricht Dear 2017: 53-54). 13 Die Handreichungen begründen 94 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Frankenstein und das Monster, verkörperten (vgl. C-HRU 65). Vgl. dazu auch die Website der Produktion „National Theatre at Home: Frankenstein“, https: / / www.natio naltheatre.org.uk/ shows/ nt-at-home-frankenstein, die unter „learning materials“ ein zum Download angebotenes PDF-Dokument mit Informationen zur Produktion und eine Link-Liste mit möglichen Diskussionsthemen bereithält. 14 Dear vermeidet für Frankensteins Geschöpf im Sekundärtext (Regieanweisungen, Nebentext) solch negativ besetzte Wörter wie „daemon“ oder „monster“ aus Shelleys Vorlage - ein Aspekt, über den sich in einem didaktischen Rahmen trefflich diskutieren ließe. 15 Dies entspricht im Roman der Beschreibung aus Sicht des (Binnen-)Erzählers Fran‐ kenstein, wenngleich dessen Urteil durch die Akkumulation von negativ besetzten Begriffen wie „catastrophe“, „wretch“, „infinite pains“, „horrid“, „shriveled complexion“ in der Betrachtung seines Projekts viel deutlicher als in der Dramatisierung zutage tritt: “How can I describe my emotions at this catastrophe, or how delineate the wretch whom with such infinite pains and care I had endeavoured to form? His limbs were in proportion, and I had selected his features as beautiful. Beautiful! - Great God! His yellow skin scarcely covered the work of muscles and arteries beneath; his hair was of a lustrous black, and flowing; his teeth of pearly whiteness; but these luxuriances only formed a more horrid contrast with his watery eyes, that seemed almost of the same die Textauswahl damit, dass „[d]ie Analyse des Wissenschaftlers zu seiner Schöpfung […] genutzt werden kann, um die Erkenntnisse aus den anderen A-Teilen [Zeitungstexte zum Thema genetic engineering] unter einem neuen Blickwinkel zu reflektieren“ (C-HRU 65). Als Kompetenzziel wird darüber hinaus angegeben, dass die Schüler: innen die „Charakterisierung von Figuren“ (ebd.) erlernen sollen. Es ist allerdings schnell ersichtlich, dass der Textauszug kaum für eine komplexe Charakterisierung der beiden gezeigten Figuren ausreicht, da er lediglich zwei unvereinbare Positionen gegenüberstellt: die Sicht von Creature, 14 der auf sein Lebensrecht pocht, gegenüber der Sicht des Wissenschaftlers Frankenstein auf seine Schöpfung, in der er zunächst ausschließlich einen Mörder und die Verkörperung des Bösen sieht. Die in Context abgedruckte Szene aus Dears Theaterstück beginnt mit einer kurzen anatomischen Begutachtung Creatures durch seinen Schöpfer, der sich selbst für seine Leistung lobt, obwohl in Frankensteins rhetorisch recht inkohärentem Gutachten auch die Ambiguität bezüglich seines Wesens mit der sprichwörtlichen Nähe von beredtem Genie und unartikuliertem Wahnsinn deutlich wird: My God! Muscular coordination - hand and eye - excellent tissue - perfect balance! And the sutures have held! I failed to make it handsome, but I gave it strength and grace. […] What an achievement! Unsurpassed in scientific endeavour! God, the madness of that night - the heat, the sweat, the infusions, the moment when I saw it crawl towards me, and I - and I - (C 36, Z. 4-10; entspr. Dear 2017: 53, Z. 9-15) 15 95 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff colour as his dun-white sockets in which they were set, his shriveled complexion and straight black lips.” (Shelley 1992: 56; vgl. dazu auch Dear 2017: 101). Frankenstein lässt sich aber, ganz im Sinne der Romanvorlage, just von diesem seinen Wesen im Laufe der weiteren Szene dazu bewegen, mit ihm einen Pakt einzugehen und dem Drängen Creatures nach der Erschaffung einer weiteren, nunmehr weiblichen Kunstfigur nachzugeben: „My God, what a challenge! If I could make something immaculate, something that I could - exhibit? Not a demon but a - a goddess! “ (Dear 2017: 58) Diese auch der Eitelkeit Frankensteins geschuldete Wendung gäbe weiteres Material für eine dynamische Charakterisierung der beiden Figuren (denn auch Creature ändert sein Verhalten gegenüber Frankenstein von bedrohlich fordernd zu freudig erregt und dankbar), als dass dies in den wenigen Zeilen der abgedruckten Passage ersichtlich wäre. Die Schüler: innen sollen zunächst im Bereich der „comprehension“ lediglich die Situation der Szene beschreiben, um ihr Textverständnis nachzuweisen; darüber hinaus werden sie in der while reading-Phase der „analysis“ mit einer halboffenen Aufgabe konfrontiert, anhand einer vor der Lektüre in Partnerarbeit erstellten Liste zu prüfen („examine“), ob Frankenstein sich als Wissenschaftler verantwortungsvoll oder verantwortungslos zeigt. Mit der zusätzlich berück‐ sichtigten Perspektive von Creature in Aufgabe 3 werden schließlich nicht nur die wissenschaftskritischen, sondern allgemeine ethische und juristische Frage‐ stellungen aufgeworfen, die sich allerdings kaum mehr vor dem Hintergrund des knappen Textpassus diskutieren lassen: „Creature or human? Comment on this question taking into consideration ethical and legal aspects and the character of the Creature. Discuss the consequences the decision will have for the Creature and for possible punishments regarding William’s [i.e. Frankenstein’s brother’s] death.“ (C 37) Dabei ist schon die einleitende Alternative der Begriffe „creature or human“ problematisch, wo doch eigentlich auf die binäre Opposition zwischen artificial vs natural life angespielt wird. Aufgrund ihrer thematischen Komple‐ xität ist diese post-reading Aufgabe klassifiziert als „Challenge“ unter der Rubrik „Beyond the text“; allerdings verbergen sich hinter den Operatoren „comment“ und „discuss“ weniger textbezogene als kommunikative Aktivitäten: Impliziert sind hier solche Handlungen wie „speculate“ bzw. „hypothesize“. Da die bestehende Einheit zu dem Dialog in Dears Theaterstück einen hohen Anteil von Sprechaufgaben für die Schüler: innen enthält („Discussing statements“, C 37; „Practising speaking“, C 38; hier mit Querverweis auf das Skill File 27 „Having a discussion“), läge eine vorbereitende schriftliche Aus‐ einandersetzung mit Shelleys Vorlage eine passende Hinführung zu diesen 96 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 16 Die altertümliche Sprache des romantischen Originals stellt, bezüglich der morpholo‐ gischen Struktur und der Verwendung archaischer Wörter wie „thou“ oder „hath“ kein Hindernis dar, insofern dies Wörter sind, die auch im Zugriff auf Shakespeares noch weiter zurückreichendes Frühneuenglisch häufig auftauchen. Kompetenzen im Medium der Schrift. 16 Eine Umkehrung der unterrichtsprakti‐ schen Abfolge vom schriftlichen Argumentieren als Vorstufe zum mündlichen Diskutieren erscheint angesichts der Komplexität des Themas sinnvoll, um den Schüler: innen die Gelegenheit zu geben, zunächst ohne den Zeitdruck zu arbeiten und die Argumente aus dem Erzähltext zusammenzustellen, ehe sie durch eigene Ergänzungen und Meinungen erweitert werden. Vor dem Hintergrund der darüber gewonnenen diskursiven Sicherheit ließe sich im zweiten Schritt die mündliche Diskussionskultur weiter ausbauen. Über eine tieferreichende Textanalyse gehen die Aufgaben an dieser Stelle jedoch hinweg; stattdessen werden der vorgestellten Annäherungseise an den Text hauptsächlich mündliche kommunikative Kompetenzen ins Zentrum des Unterrichts gestellt. Während der literarische Text als bloßer Impulsgeber und Kommunikationsanlass rasch in den Hintergrund rückt, liegt der eigentliche Aufgabenfokus auf dem Versuch, einen Meinungsbildungsprozess bei den Ler‐ nenden zu initiieren, für den allerdings die inhaltliche Grundlage mit dem kurzen Dramenausschnitt nur recht begrenzte Mittel zur Verfügung stellt. Eine stärker textzentrierte Betrachtung ließe das narrative Korrelat der Passage aus Dears Theaterstück in Shelleys Frankenstein heranziehen (vgl. Shelley 1993, 96-98). Der entsprechende Passus und mündet schließlich, nach deren Ende, in die Einwilligung Frankensteins, seiner Schöpfung ein weibli‐ ches Pendant zu erschaffen (vgl. Shelley 1993, 143). Für einen solchen verglei‐ chenden, textbasierten Zugang eignet sich eine solche Gegenüberstellung von Roman-Passus und Dramenauszug hervorragend. Es zeigt sich dabei, dass Dear den Wortwechsel der beiden Figuren um ein Vielfaches beschleunigt. Bevor Creature sein zentrales Anliegen, den Wunsch nach einer ebenfalls künstlich erschaffenen Partnerin, vorbringt, stellt er Frankenstein drei Fragen: „Why did you abandon me? […] Why then did you create me? […] So you make sport with my life? “ (C 37, Z. 19-27) In dem Dialog sind die Antworten Frankensteins auf diese Fragen denkbar knapp; lediglich die letzte Frage erscheint einer Erklärung angemessen: „In the cause of science! You were my greatest experiment - but an experiment that has gone wrong. An experiment that must be curtailed! ” (C 37, Z. 28-30) In Shelleys Roman bleibt das Geschöpf nach seiner unfreund‐ lichen Begrüßung des Wissenschaftlers („Devil“, „vile insect“) bei der ersten Begegnung zunächst erstaunlich gelassen, da es empathisches Verständnis für die Ablehnung seitens der Menschen aufbringt: „‘I expected this reception,’ said 97 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff the daemon. ‘All men hate the wretched; how, then, must I be hated, who am miserable beyond all living things! […]’“ (Shelley 1993: 96) Im Folgenden wendet das ‚Monster‘ sich jedoch gegen Frankenstein und klagt ihn an, nicht nur sein Leben ermöglicht zu haben, sondern auch danach zu trachten: „‘Yet you, my creator, detest and spurn me, thy creature, to whom thou art bound by ties only dissoluble by the annihilation of one of us. You purpose to kill me. How dare you sport thus with life? ’“ (Shelley 1993: 96) Das Monster erklärt die Forderung nach seinem Recht auf Leben, appelliert an Frankensteins Rechtsempfinden und seine Milde, und verbindet dies mit einem Handel - des Monsters Glück, in das Frankenstein investieren muss, zum Preis seiner eigenen Tugendhaftigkeit: “But I will not be tempted to set myself in opposition to thee. I am thy creature, and I will be even mild and docile to my natural lord and king, if thou wilt also perform thy part, the which you owest to me. Oh, Frankenstein, be not equitable to every other and trample upon me alone, to whom thy justice, and even thy clemency and affection, is most due. Remember, I am thy creature; […] Make me happy, and I shall again be virtuous.” (Shelley 1993: 97) Wie in den Tipps zum Skill File 34 „Argumentative writing“ (C 18) angedeutet wird, lassen sich hier rationale, somit tatsachenbezogene, von plausiblen, erfahrungsbezogenen Argumenten ebenso unterscheiden wie (die hier nicht ge‐ nannten) von moralischen und / oder normativen: „Your arguments will appear more convincing if you 1. Quote authorities, experts, or statistics; present facts; 2. Refer to your personal experience whenever possible“ (C 295). In Shelleys Text nun argumentiert das Monster vor allem per rhetorischer Fragestellung aus seinem Erfahrungsblickwinkel („Have I not suffered enough? “), aber auch aus einem des pragmatisch-existenziellen Menschenverstandes, gegen den zu argumentieren Frankenstein unmöglich ist: „Life is dear to me, and I will defend it.“ (Shelley 1993: 97) Mit dieser Proposition beansprucht Creature sein moralisches Recht auf Leben, das in der zivilrechtlichen Gesetzgebung verankert ist; im weiteren Verlauf erweitert es diesen Anspruch auf eine Existenz, die (auch) von Freude („joy“) und Glück („happ[iness]“) geprägt ist. Der Passus endet mit zwei weiteren Plausibilitäts-Argumenten, indem Creature sein Exis‐ tenzrecht zunächst mit seinem Dasein begründet und schließlich Frankensteins eigene Argumentationslinie antithetisch gegen diesen wendet: „You accuse me of murder, and yet you would, with a satisfied conscience, destroy your own creature.“ (Shelley 1993: 97). Problematisch an der Konzeption in Context erscheint nicht allein die Tat‐ sache, dass dem Dramentext Dears - lediglich als Kommunikationsanlass - nur wenig Aufmerksamkeit zukommt und dass die zugrundeliegende argumentative 98 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 17 Vgl. dazu auch die Einleitung zur differenzierenden Zusatzaufgabe für lernstarke Schüler: innen, einen (inneren? ) Monolog aus der Sicht Creatures zu verfassen und dabei seine Gefühlslage zum Ausdruck zu bringen: „Nick Dear has chosen to give the Creature a voice and to show his conflict with Frankenstein from his perspective.“ (C-HRU 66; Herv.i.Orig.) Struktur des Dialogs zwischen Creature und Frankenstein, anders als in den anderen nicht-fiktionalen Texten desselben Kapitelteils, nicht im Einzelnen betrachtet wird. Ausgerechnet die Lehrer-Handreichungen liefern zudem eine drastische Fehlinformation, die der Romanvorlage jene psychologische Kom‐ plexität und charakterliche Ambivalenz abspricht, welche Dear mit seiner performativen Gegenüberstellung von Frankenstein und Creature im Vergleich zu Shelleys ebenfalls die Vorstellungskraft evozierendem Romantext allenfalls deutlicher, aber keinesfalls in einzigartiger Weise illustriert: „[U]nique about Dear’s production of Frankenstein: in contrast to the novel it gives the Creature a voice.“ (C-HRU 65, Herv.i.Orig.). 17 Dem ist entgegenzuhalten, dass schon in Shelleys Frankenstein das „Monster“ eine tragende Stimme hat, denn hier erzählt es detailliert über nicht weniger als 50 Druckseiten verteilt seine Erlebnisse in Form einer Binnenerzählung bei der Begegnung mit seinem Schöpfer in den Alpen (vgl. Shelley 1993, vol. II., Kapitel 3-8). Schon Frankensteins eigene Perspektive ist - wie die epistolarischen Paratexte des Romans verdeutlichen - nur eine gebrochene Filterung innerhalb der schriftlichen Aufzeichnungen Cpt. Waltons, die dieser im Nachgang zu Frankensteins Erzählung auf seinem Schiff während einer Polarexpedition angefertigt hat (vgl. Shelley 1993: 29). Die Romanversion des Stoffes als metafiktionale und multiperspektivische Verschachtelung unterschiedlicher Erzählstränge ist somit ungleich komplexer als der dramaturgisch spannend gestaltete, aber linear angeordnete Mythos „ex machina“, den Dear und Boyle aus Shelleys Vorlage kreiert haben. Vor allem diese formale Komplexitätsreduktion der Stoffgestaltung mag - neben der Aus‐ blendung der großen historisch-ontologischen Distanz zu einer Gedankenwelt des frühen 19. Jahrhunderts - aus schülerorientierter Sicht ein wohl begründetes Argument für die Wahl dieses Gegenwartstextes sein. M.T. Anderson, Feed (2002). Vor der Annäherung an den ersten Roman innerhalb des dritten Unterrichtsmoduls gibt es eine ausführliche und stark autorzentrierte pre-reading activity, mit dem Auszug aus der „Author’s Note“, die M.T. Anderson seinem Roman angehängt hat (C 56; entspr. Anderson 2002: 305-309, bes. 305-306). Diese Anmerkung liefert einige Hinweise zur Schreibmotivation, die Anderson als Begründung für die Konstruktion der Handlung gibt. Er stellt sie als ein Gedankenexperiment dar, demzufolge in einer fernen Zukunft alle durch äußere Geräte und Apparate empfangenen Signale 99 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff aus der Werbung durch Schnittstellen im Rückenmark ins Hirn eingespeist werden - die Menschen, die es sich leisten können, werden dadurch zu Cyborgs und verlieren an Individualität: „unit“ bzw. - ironisch verballhornt - „unette“ rufen sich die Figuren daher einander in ihrem Jugendslang, statt „bro[ther]“ oder „sis[ter]“; die Anbieter kommerzieller Produkte beeinflussen somit direkt Wahrnehmung und Reflexionsfähigkeit der Implantatträger, zumal sie deren Wünsche durch individuelle Algorithmen bestimmen und die Subjekte damit - letztlich auch physisch - steuern können. Die Schüler: innen sollen anhand des Ausschnitts aus dieser „Author’s Note“ zunächst erklären, wie Anderson aus seiner konsumkritischen Haltung heraus zum Schriftsteller wurde, und - im Zuge einer Neigungsdifferenzierung - inwieweit sie die kurzen Passagen aus diesem Paratext zum Lesen veranlassen (oder eben auch nicht), bzw. ob sie einer konsumkritischen Aussage aus der Anmerkung zustimmen. Die Handlung von Feed ist in einem Zeitalter situiert, da interplanetarische Reisen alltäglich sind: Reisen zum (von Amerika just annektierten) Mond sind ebenso selbstverständlich wie Ausflüge zur Venus, zum Mars oder zum Jupiter. Hauptfiguren sind der Ich-Erzähler Titus, der schon seit frühester Kindheit ein solches feed-Implantat trägt, und die aus ärmlicheren Verhältnissen stam‐ mende, zunehmend systemkritische Violet, deren Vater sich zunächst gegen ein solches Implantat gesperrt und sich erst (zu) spät im Leben seiner Tochter für eine solche Operation entschieden hat. Dabei hat er das Produkt eines Billigherstellers, „FeedTech“, gewählt, das im Zuge der Handlung immer mehr Fehler aufweist und schließlich zu Violets Tod führt. Die Informationen zum Roman im Lehrerhandbuch fassen die Handlung wie folgt zusammen: To fight the feed, [Violet] creates, for example, nonsense consumer profiles. One day, her feed breaks down and cannot fully be restored, which causes not only memory loss, but also severe health problems. Since her family cannot afford repairs, they ask FeedTech for financial support. When they refuse help on the grounds that Violet’s user profile is erratic, Violet’s body begins to slowly fall apart. (C-HRU 102; Herv.i.Orig.) Nebenfiguren sind einige Freunde Titus’, die eine rein hedonistische und hyper‐ konsum-orientierte Gesellschaft repräsentieren und sich um eine nachhaltige, verantwortungsvolle Resourcenschonung nicht kümmern (bis hin, wie im Falle eines der Mädchen in Titus’ Freundeskreis, zur völligen Selbstverstümmelung des eigenen Körpers durch modische Hautoperationen). Bei ihrem Party-Besuch auf dem Mond werden die Jugendlichen von einem Widerstandskämpfer, einem ‚Hacker‘, berührt, so dass ihre Feed-Geräte durch einen Neustart reaktiviert 100 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced werden müssen. Lediglich im Fall Violets geschieht dies aufgrund der minderen Qualität des Implantats nicht einwandfrei. Der Handlung in dieser dystopischen Welt bleibt das Happy End verwehrt; der einleitenden Darstellung einer eupho‐ rischen Mond-Party steht Violets Tod am Ende des Romans gegenüber. Geprägt durch den kommerzialisierten Materialismus und eine fortgeschrit‐ tene Umweltzerstörung kennen diese Jugendlichen keine andere Welt als Himmelskuppeln über Wohngebieten, die mit künstlichen Wolken vor der brennenden Sonne geschützt werden („Clouds TM “), und zwischen denen sich verstrahlte Landschaften befinden, die an einen toten Ozean grenzen. Erde und Mond sind nahezu austauschbar geworden: in dem Maße, da die Erde als Lebensort nur mehr künstlich erhalten werden kann, ist nun auch der Mond mit künstlichen Vergnügungsstätten besiedelt. Ausnahmslos alle Kinder werden auf künstlichem Wege erschaffen, da eine natürliche Zeugung aufgrund der Bodenstrahlung nicht mehr möglich ist; einige von ihnen - wie Titus’ Freund „Link“ Arwalker - sind auch Klone, die in einem nationalen Zeugungsprogramm aus den genetischen Überresten von Blutstropfen Abraham Lincolns generiert werden und nicht nur diesen präsidialen Namen evozieren, sondern ebenso deutlich auch auf die Star Wars-Figur Luke Skywalker anspielen. Die in Context abgedruckte Textpassage von 389 Wörtern Umfang ist dem Beginn des Romans entnommen - noch bevor Titus Violet auf dem Mond kennen lernt. Der Passus schildert die Reise einer Jugend-Clique zum Mond und zeigt einerseits die Unbekümmtheit einiger Jungen bzw. andererseits die etwas reservierteren Gedanken Titus’, der aber doch mit der Einsicht schließt: „You need the noise of your friends, in space“ (C 57, entspr. Anderson 2002: 4). Zunächst steht eine sehr globale Verständnisfrage nach dem Inhalt im Vor‐ dergrund, d. h. die Schüler: innen sollen acht vorgebene Ein-Wort-Überschriften den sechs Abschnitten im kurzen Textausschnitt zuordnen und auf diese Weise ihre Fähigkeit dokumentieren, komplexe sprachliche Darstellungen sinngemäß zu verkürzen. Die daran anschließende Aufgabe betrachtet unter dem Fokus des Sprachbewusstseins den kolloquialen Stil Titus’, zu dem Entsprechungen im formalen Register gefunden werden sollen. Die dritte Aufgabe wendet sich den allgemeinen Genre-Charakteristika des Romans zu, die an diesem Textaus‐ schnitt zu belegen sind: So entscheiden die Schüler: innen anhand der kurzen Passage, welche utopischen und welche dystopischen Gestaltungselemente darin nachweisbar sind. Den Lehrkräften wird als Lösungsvorschlag folgende Tabelle angeboten: 101 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff Feed by M.T. Anderson Utopian elements Dystopian elements excitement, joy (ll. 10-14) boredom (ll. 2-6) friendship, proximity (ll. 23-25) damaged environment (moon = rubbish dump, ll. 18-20) feeling of belonging (ll. 26-end) feeling of loneliness (ll. 21-22, l. 26) Tab. 10: Lösungsvorschlag zu Context, Unterrichtseinheit 3, Part A, Aufgabe 3a (C-HRU 57) Problematisch daran ist, dass es sich hierbei weniger um genrespezifische Elemente als um die Wiedergabe der gemischten Gefühlslage Titus’ handelt, die er beim Landeanflug auf dem Mond empfindet und die einer Momentaufnahme seines psychologischen Zustands in dieser Situation entspricht. D.h. es handelt sich um Angaben, die als Materialsammlung für eine Figuren-Charakterisierung dienen könnten, für deren höhere Aussagekraft jedoch weitere Textstellen als Informationsgrundlage für die Schüler: innen notwendig wären. Lediglich der Hinweis auf die Umwelt mit der Gleichsetzung von Mond und Müllhalde deutet auf das dystopische Szenario hin, das im Romantext kreiert wird. In einem zweiten Teil zur Aufgabe 3 analysieren die Schüler: innen die Erzähltechnik, namentlich die Erzählperspektive, des Textausschnitts. Dazu werden ihnen auf der dazugehörigen support page (C 204) die Merkmale einer Ich-Erzählung in Erinnerung gerufen (die verschiedenen Erzählperspektiven sind seit dem Ende der Mittelstufe Gegenstand des Literaturunterrichts). Die darauf aufbauende Aufgabe mit ihrer Neigungswahlmöglichkeit fordert von den Schüler: innen, in 4a) die Situation der Mondbesucher aus der Sicht eines „third-person narrator“ zu präsentieren und entsprechend umzugestalten; 4b verlässt die Textvorlage und iniitiert die schriftliche Formulierung eines inneren Monologs aus der Sicht einer/ s anderen Jugendlichen aus dem Umfeld Titus’, der mit einem solchen Feed-Implantat ausgestattet ist (C 57). Über die konkreten Hinweise und Beispiele im support hinaus werden Querverweise zu den Skill Files gesetzt, die u. a. zum allgemeinen SF19 „Analysing narrative prose“ (C 269-70) führen: Dort werden, neben den Aspekten „Character constellation or relationships“, „Plot“, „Setting and Atmosphere“ auch wichtige Informationen zur Identifikation des Erzählers bzw. einer Perspektivenstruktur („narrator or narrative perspective“) in einem Erzähltext gebündelt, die ihrerseits an die Textbeispiele rückgekoppelt werden müssen. 102 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 18 Es wird bei der Aufgabe nicht spezifisch gefordert, dass es sich - nach Stanzels Terminologie (vgl. Fludernik 2010: 104-113) - um einen allwissenden Erzähler oder um einen Reflektor handeln solle. Allerdings legen die Lösungsvorschläge nahe, die Schüler sollten die „indirekte Rede“ („indirect speech“) verwenden, womit die Konstruktion einer Reflektorfigur suggeriert wird, die allerdings innere Bewusstseinsvorgänge durch „erlebte Rede“ („free indirect discourse“) wiedergibt. Es erscheint fragwürdig, dass diese einschlägige terminologische Differenzierung schon für Lehrkräfte ignoriert wird. Auf diese Weise sollen die Lernenden einerseits wesentliche Gestaltungs‐ charakteristika literarischer Erzähltexte eigenständig analytisch erfassen und andererseits zugleich kreativ damit umgehen, um den Transfer von Ich-Erzäh‐ lung in die 3. Person zu leisten. 18 Gleiches gilt für die Umformung in einen inneren Monolog, bei dem alle Schilderungen von äußerlichen Vorgängen um ihn herum, die der Erzähler Titus liefert, in die Darstellung von gedanklichen und sensorischen Informationen zu übersetzen sind. In beiden Fällen muss der / die Schüler: in die entsprechenden Textsignale und Erzählermerkmale nicht nur erkennen (kognitive Leistung), sondern auch hinreichendes Abstraktions- und Empathievermögen für einzelne Figuren besitzen, um - bei Allwissenheit der solchermaßen neu erschaffenen Erzählerinstanz - deren Gedankenberichte darzustellen (kreative Leistung). Der Hinweis im Originaltext auf die „feeds [which] were burbling all sorts of things about where to stay and what to eat“ (C 57, entspr. Anderson 2002: 3) erfordert eine eigene Betrachtung. Diese ständigen Interferenzen der Werbebotschaften mit den Gedankenprozessen der Figuren sind eine be‐ sondere Art des stream of [non-]consciousness, insofern diese von außen in die mentalen Vorgänge der Jugendlichen eingeblendeten Werbebotschaften unbeeinflussbar sind. Die typographische Gestaltung des Textes weist aber diesen feeds ebenso die Kursivschrift zu wie den online chats, mit denen die Jugendlichen sogar in Echtzeit miteinander kommunizieren können, ohne laut sprechen zu müssen: feeds und chats sind implantierte Schnittstellen zwischen (intrawie inter-)individueller Gedankenebene und anonymer Datenwolke. Die feeds finden sich zunächst am Übergang von einem Kapitel zum nächsten (vgl. Anderson 2002: 26-27) und im weiteren Handlungsverlauf in die Darstellungen einzelner Ereignisse integriert, wie z. B. in der Schilderung des ausgelassenen Freudentanzes von Titus und seinen Freunden nach dem erfolgreichen Neustart ihres Implantats (vgl. Anderson 2002: 70-72). Neben der figurenperspektivischen Analyse eignet sich im Umgang mit diesem Text insbesondere die metanarrative Funktionalität bei der Verwendung von unterschiedlichen Schriftbildern, die dem Wechsel von ‚normaler‘ zur Kursivschrift eingeschrieben ist. Die typogra‐ 103 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff phische Vielfalt hat auch eine semantische und narratologische Bedeutung, die hier augenfällig wird. Dave Eggers, The Circle (2014). In Part B1 des Unterrichtsmoduls kommen Passagen aus längeren Erzähltexten zur Geltung; es sei hier das Augenmerk auf die Erarbeitung des über 850 Wörter zählenden Ausschnitts aus Eggers’ The Circle (2013) gerichtet. Dieser kapitalismuskritische Roman wird aus der Sicht der naiven Mitarbeiterin eines fiktiven, eponymischen Internet-Konzerns, Mae Holland, präsentiert, die den Hang des Konzerns zur totalen Überwachung nicht erkennt oder ignoriert: „Mae wird schnell zur Vorzeigemitarbeiterin und Ideen‐ geberin für die Unternehmensspitze und reagiert verständnislos auf die kritische Haltung zum Circle, die ihm außerhalb [und auch zunehmend innerhalb, JM] der Firma entgegengebracht wird.“ (C-HRU 116) In einem längeren ersten Abschnitt folgt der Leser der gerade neu eingestellten Mae bei ihrem ersten Rundgang durch diese Arbeitswelt; der zweite, kürzere Abschnitt erläutert, in Gestalt ihres Abteilungsleiters Dan, die Philosophie des Konzerns. Die Handreichungen bieten als „Info“ eine knappe Zusammenfassung der wichtigsten Elemente des Plots (vgl. C-HRU 116), die von einer Lehrkraft übernommen werden kann. Lediglich einige Ergänzungen mit Blick auf das Ende des Romans wären statthaft, weil hier die vollendete Umwandlung der Welt in eine Dystopie gestaltet wird: Die Ergänzung des Anfangsbuchstabens im Firmennamen, und die dadurch erzielte Transformation des „C“ zu „O“, wird als Losung die komplette Erfüllung („completion“) ausgegeben und symbolisiert die totale Überwachung der Nutzer, die sich dann nicht mehr freiwillig registrieren, sondern nunmehr auch ihre zivilrechtliche Identität mit den Nutzerdaten erhalten (im gleichen Zuge ist mit der darüber erfolgenden governance seiner Bürger auch der Staat als Institution von einem kommerziellen Unternehmen weitgehend abgelöst). Derartige Zusatzinformationen könnten auch der Lehrkraft, die den kom‐ pletten Text nicht kennt, das „ganze Bild“ des Romans vor Augen erscheinen lassen. Zugleich wäre es ihr anheimgestellt, aus den bereitgestellten Handlungs‐ elementen diejenigen auszuwählen, die als Motivation der Schüler: innen zur extensiven Lektüre (des ganzen Textes) dienen könnten: Mae befreundet sich mit dem enigmatischen „Kalden“, hinter dem sich einer der Köpfe des Triumvi‐ rats von drei Firmengründern, Tyler („Ty“) Gospodinov, verbirgt. Dieser warnt sie vor der total(itär)en Überwachung, die die beiden anderen Aufsichtsräte im Lauf der Handlung und nicht zuletzt mit Hilfe von Maes ignoranten, aber publikumswirksamen Slogans „Secrets are lies“, „Sharing is caring“ und „Privacy is theft“ aufbauen. 104 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 19 Etwa zeitgleich mit dem Lehrwerk (2017) erschien auch die Verfilmung des Romans, u. a. mit Emma Watson (als Mae) und Tom Hanks (in der Rolle Tom Stentons, eines der Firmengründer) in den Hauptrollen (The Circle; Regie James Ponsoldt). Das Drehbuch dazu wurde gemeinschaftlich vom Regisseur und dem Romanautor verfasst. Der Film liefert eine gute Ausgangsposition für einen Vergleich beider Medien, insofern die Handlung auffällige dramaturgische Reakzentuierungen setzt (so ist die Offenbarung Kaldens als Firmengründer Gospodinov am Ende des Romans im Film vorweggenommen, die rasch wechselnden Männerbekanntschaften Maes (mit Kalden, einem weiteren Circle-Mitarbeiter Francis und, als Rückblende, ihrem Jugendfreund Mercer) werden reduziert und folglich ‚entlastet’. Zugleich aber wird das Ende des Films mit einem subversiv-ironischen twist ausgestattet, insofern Mae hier mit einer system-getreuen Perfidität, die ihr im Roman nicht zu Eigen ist, die Geheimnisse der beiden aktiven Firmengründer aufdeckt und diese ebenfalls der „Transparency“ ausliefert, der sie selbst sich zuvor nach einem Bagatell-Vergehen nolens-volens hatte verschreiben müssen: ihrem nur vermeintlich heimlichen „Ausleihen“ eines Kajaks, mit dem sie eine nächtliche Tour durch die Francisco Bay macht, die aber durch die überall installierten SeeChange Kameras aufgezeichnet und schließlich von der Polizei beendet wird. Demgegenüber werden mit Hilfe ihres Verbündeten Ty alle Emails, Geschäftskontakte, Machenschaften und alle Korrespondenzen der beiden Firmenvorstände offengelegt, so dass offen bleibt, ob die „Completion of the Circle“ im Film von Dauer ist oder letzten Endes einen Kollaps und die Abschaffung des Systems, wie die Roman-Figur Ty dies vergeblich anstrebt, verursachen wird. Im Zuge einer „schlimmstmöglichen Wendung“ (Friedrich Dürrenmatt) scheint Mae im kürzesten und letzten Teil des Romans zunächst auf Kaldens / Tys Warnungen einzugehen, liefert ihn aber tatsächlich den anderen beiden aus und sorgt somit dafür, dass er kaltgestellt und die angestrebte „completion“ Wirklichkeit wird. Mae lädt damit nicht nur die Verantwortung für die tödliche öffentliche Hatz auf ihren Ex-Freund Mercer infolge der globalen Verbreitung der SeeChange Kameras auf sich, sondern sie ignoriert auch die Wesensverän‐ derung ihrer Freundin Annie, die sich vom System so ausnutzen lässt, dass ihre Einsicht in dessen allesfressende Zerstörungskraft zu spät kommt und sie am Ende in ein Erschöpfungskoma verfällt - mit einer gefühlskalten Mae an ihrem Bett, die nicht etwa den Zustand ihrer Freundin bedauert, sondern lediglich die Tatsache, dass man (noch) keinen Zugriff auf ihre Träume habe. 19 Der Einstieg in die beiden Textabschnitte erfolgt zunächst über zwei prereading activities, deren eine in der Anfertigung einer Liste von den Schüler: innen bekannten Internet-Konzernen besteht; die zweite - wieder in Erweiterung der Kompetenzen im Diskutieren und Argumentieren - wägt zwi‐ schen Vor- und Nachteilen ab, die man als Angestellte: r eines solchen Konzerns in Kauf nehmen müsste, und spekuliert über einen gewöhnlichen Arbeitstag in einem solchen Unternehmen. Gemäß den Handreichungen erarbeiten die Schüler: innen dann den Text im individuellen, stillen Lesen (vgl. C-HRU 117). 105 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 20 Das Dictionary of Literary Terms and Literary Theory definiert „theme“ wie folgt: „Properly speaking, the theme of a work is not its subject but rather its central idea, which may be stated directly or indirectly. For example, the theme of Othello is jealousy.“ (Cuddon 2013: 721) Demzufolge wäre das übergeordnete Thema des ersten Textausschnittes mit der Lehrwerk-Überschrift identisch: „A utopian workplace” (C 62); dem unterzuordnen wären verheißungsvolle Maßnahmen zur ‚work-life balance’ (erzielt durch Freizeitmöglichkeiten auf dem Firmengelände, arbeitnehmerfreundliche Die erste Verstehensaufgabe ist eine, die die Kompetenz zur Mediation schult; vorausgesetzt wird dabei, dass die Schüler: innen das Zieltextformat eines Internet-Blogs beherrschen, in dem sie in deutscher Sprache Maes Erlebnisse an ihrem ersten Tag im neuen Betrieb skizzieren („outline“, C 63). Problematisch - aus fiktionstheoretischer wie literaturdidaktischer Sicht - erscheint an dieser Mediations-Aufgabe die Überblendung von realen und fiktiven Erfahrungen, die die Darstellung von Maes erstem Arbeitstag auf dieselbe ontologische Stufe stellt wie die Erlebnisschilderung. Der fiktiven Schilderung Maes wird damit ein höherer Grad an lebensweltlicher Authentizität zugemessen als dies legitim wäre; die Grenze zwischen fiktiver und realer Ontologie verwischt damit - was für die Ausbildung literarischer Kompetenzen, zu denen ja gerade diese Unterscheidungsfähigkeit gehört, wenig zuträglich ist. Die zweite Aufgabe wendet sich dem Sprachbewusstsein zu und fordert zunächst dazu auf, den Blick auf die Bildung von Komposita im Text zu richten. Diese Aktivität führt dann zu der Option im Sinne einer Neigungsdifferenzie‐ rung, entweder an der Gestaltung eines Werbeplakats für eine „utopian com‐ pany, school or political party“ (C 63) mitzuwirken oder eine kurze Beschreibung eines utopischen Arbeitsplatzes mit Hilfe von Komposita aus dem Text und neu gefundenen zu verfassen (Querverweis auf Skill File 37 „Doing a creative writing task“). Jede dieser Teilaufgaben nutzt die beiden Textpassagen folglich zwar als Ausgangspunkt für weitere Aktivitäten, lässt die Schüler: innen sich aber rasch davon kognitiv und motivational entfernen, insofern im Resultat outcomes hervorgebracht werden, die den Text marginalisieren. Bis zu diesem Punkt empfehlen die Handreichungen mithin ausdrücklich, auf eine intensive Textanalyse zu verzichten (vgl. C-HRU 117), da diese mit dem „Focus on Skills: Reading for Analysis (Novel Extract)“ (C 64) als Einübung einer „abiturrelevanten Kompetenz“ (C-HRU 118) am selben Textmaterial durchge‐ führt wird. Es folgt ein Blick auf das setting, besonders die atmosphärische Ge‐ staltung eines Textes (zur Problematik dieses Analyseakzentes vgl. Abschn. 1.4), und auf dessen Schlüsselthemen. Die Definition des Begriffs „Thema“ erscheint dabei, insbesondere für literarische Texte, unglücklich formuliert: „The theme of a text is the message the author is trying to get across to the reader“ (C 64); 20 dies 106 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Unterbringung) und zugleich die dadurch erfolgende Abschottung gegenüber der Außenwelt. 21 Es sei hier allerdings unbestritten, dass gerade anhand expressiver, referentieller Texte wie Zeitungskommentare, Reportagen u.dgl. eine Autor-Intention erarbeitet werden kann; gleichwohl ließe sich auch dies eleganter als ‚Text-Funktion’ oder ‚Text-Wirkung’ formulieren. In Context geschieht dies z. B. in Kap. 7 („The US - Still the Promised Land? “), Part D, wo der Ausschnitt aus einem Magazinartikel unter der Frage nach „The author’s bias“ diskutiert wird (C 154). Es wäre wichtig, diese funktionale Differenz von Autorschaft und Perspektivstruktur in literarischen und Sach-Texten an der Schule zu erarbeiten. lässt die Fokussierung auf der Rekonstruktion einer Autorintention naheliegen, wenngleich doch die jüngere Literaturdidaktik die (sozial-)konstruktivistische, partizipatorische Sinnstiftung seitens der Rezipient: innen in den Vordergrund gerückt hat (vgl. exemplarisch Bredella/ Burwitz-Melzer 2004: 1-23) - und die von Context auch weitestgehend eingeholt wird: So fordern die Aufgaben im Focus on Skills eine Stellungnahme der Schüler: innen zum ersten Auszug von The Circle, welche Wirkung die Beschreibung der Werkstour auf sie als Leser: innen habe („as a reader“, C 64); zudem sind diese gehalten, das Ende des ersten Abschnittes als Ausgangspunkt für die Entwicklung eigener Erwartungen zum weiteren Verlauf des Romans zu nehmen. Die soeben problematisierte Autorzentrierung ist in Context kein Einzelfall, wie sich schon am Text / Medien-Kompetenzziel hinsichtlich des ersten in diesem Unterrichtsmodul thematisierten Textausschnitt von M.T. Andersons Feed zeigen lässt: Dort wird anlässlich einer Stellungnahme des Autors zu seinem Roman die Devise ausgegeben, „[d]ie Autor-Intention verstehen“ (C-HRU 100). Zwar lassen sich mit dem abgedruckten Ausschnitt aus der paratextuellen „Author‘s Note“ dessen Schreibmotivation für Feed und seine Kapitalismus-kritische Ein‐ stellung erkennen; die Wirkung des literarischen Textes als bedeutungsoffenes semiotisches System aber geht weit über diese Aspekte hinaus. Es steht außer Frage, dass Selbstäußerungen von Autor: innen zu ihren Werken aussagekräftig für das Verständnis eines Textes sein mögen, allerdings ist einer Verabsolutierung dieser Autorintention gerade in der Diskussion literarischer Texte Vorschub zu leisten, da von hier der Schritt in Richtung auf die schon von den New Critics angefochtene „intentional fallacy“ naiv psychologisierender Lesarten naheliegt. Daher wäre in schulischen Lehrwerken der Verzicht auf solche Formulierungen im Zusammenhang mit der Diskussion literarischer, fiktionaler Texte angeraten, die Spekulationen über die mögliche Gedankenwelt des / der Verfasser: in eines solchen Textes zulassen oder gar ins Zentrum rücken. 21 Stattdessen wäre das Augenmerk wieder konsequenter auf den Kompositionsbzw. Wirkungscharakter zu lenken - so wie dies in der Evaluationsaufgabe zu Dans ideologischem Exkurs in The Circle geschieht, als eine doppelte Fokussierung auf die Wirkung seiner Ausführungen 107 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 22 Letztere Losung erscheint wie ein intertextuelles Eco auf die Trias „Community - Identity - Stability“ in Brave New World (Huxley 1994: 1). auf Mae und auf den Leser gerichtet wird: „Read Dan’s final speech again […]. Evaluate the effect this speech has on Mae and is supposed to have on you as the reader.” (C 64, Aufgabe 4). Mit dieser Aufgabe wird eine stereoskopische Sicht auf den Text erzeugt, an dem die Perspektive Maes anhand ihrer Replik herausgearbeitet werden kann, während zugleich beim Rezipienten die Alarmglocken klingeln sollten und schon zu diesem frühen Zeitpunkt der Romanhandlung die Möglichkeit einer Differenz zwischen naiver Figur und kritischen Leser: innen erzeugt. Letztere werden schnell einige von Dans Ausdrücken für Dinge, die ihm wichtig im Sinne der Firmenideologie erscheinen, als Warnsignale deuten: So steht der Begriff „pet issue“ für sein Projekt, die Arbeitnehmer mit Hinweisschildern an ihre Menschlichkeit zu erinnern („Humans Work Here“), und die tatsächliche Konzernstrategie einer maximalen Menschenbindung in paradoxalem Gegen‐ satz zueinander. Denn die Arbeitnehmer werden in Wahrheit ihrer Freiheit und Selbstbestimmung beraubt und wie unmündige Haustiere gehalten. Zugleich legt Dan offen, dass ihm die nicht nur betriebsinterne Steuerung der Kommu‐ nikation ein wichtiges Konzern-Anliegen („mission of the company“) ist, dem er persönlich sogar mit noch größerer Besessenheit („obsession of mine“) nacheifert: „With the technology available, communication should never be in doubt. […] You might say it’s the mission of the company - it’s an obsession of mine, anyway. Communication. Understanding. Clarity.“ 22 Während Mae diese Selbstwidersprüche und Warnsignale nicht kommentiert, bilden sie für eine: n kritische: n Leser: in eine Möglichkeit, nicht nur Dans internalisierte, inhumane Firmenideologie zu erkennen, sondern auch Maes Naivität, bzw. ihre Ignoranz und den sich ankündigenden Opportunismus („That’s what I’m here for“) zu erkennen. Diese Stereokopie, der eine Schichtung von (figürlicher) Wort- und (semiotischer) Verweisungsebene zugrunde liegt, ist eine komplexe kognitive Fähigkeit, die bei den Schüler: innen gefördert werden kann; sie entspricht einem fortgeschrittenen Lesestadium, das Bredella mit dem Begriff „philosophisches Verstehen“ beschreibt (Bredella 2004: 111-112). Margaret Atwood, Oryx and Crake (2003). Mit diesem Roman, dem ersten Teil einer Trilogie (gefolgt von The Year After the Flood, erschienen 2009, und MaddAddam von 2013, zu den einzelnen storylines vgl. Mohr 2015), soll an das Unterthema des Unterrichtsmoduls, „Give me stability in the community“ und die Schreckensvision einer total überwachten, immer von außen gefährdeten Gesellschaft anschließen, das mit Eggers’ The Circle schon ausführlich vorbe‐ 108 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced reitet wurde. Aufgrund seiner auch erzähltechnisch anspruchsvollen Struktur erscheint es angemessen, diesen Roman zunächst etwas ausführlicher vorzu‐ stellen, ehe auf die Impulse des Lehrwerks einzugehen und anschließend das literaturdidaktische Potenzial zu skizzieren ist. Laut Dunja Mohr lässt sich dieser Werkausschnitt Atwoods, dem Oryx and Crake angehört, mit seiner Verortung im Bereich der dystopischen speculative fiction wie folgt skizzieren: „The MaddAddam trilogy explores the tension and intersection of culture and biogenetics, arguing that the arts, story-telling in particular, are part of our evolutionary nature and thus an indestructible (genetic? ) advantage even a future science genius cannot eradicate“ (Mohr 2015: 298). Die Handlung des Romans spielt an der Ostküste Nordamerikas: Der wichtigste geographische Hinweis auf die durch den Klimawandel zerstörte Zivilisation findet sich mit der Nennung von „New New York“ (Atwood 2003: 72 und 338), das nach der Überflutung des für die Leser bekannten topographischen Fixpunktes New Yorks errichtet wurde. Der Roman stellt eine Rückschau des Protagonisten dar, der aus einem post-apokalyptischen Moment heraus auf sein zunächst behütetes Leben im väterlichen compound und seinen mittelmäßigen Bildungsweg zurückblickt: „Once upon a time, Snowman wasn’t snowman. Instead he was Jimmy.“ (Atwood 2003: 17) Eine zentrale Rolle spielen bei dieser Rückblende sein Jugendfreund Glenn, der sich schon früh das Pseudonym Crake gibt, und die Liebe zu einer anonymen, wohl aus einem südost-asiatischen Menschenhandels-Milieu stammenden Frau, die sich Oryx nennen lässt. In einer romanzenhaften Dreiecks-Konstellation ist er Oryx verfallen, die zwar dem enthaltsamen Crake ‚anhängt‘, aber anscheinend nur zu Jimmy eine sexuelle Affäre unterhält, der sich deswegen seiner eigenen Rolle in diesem Beziehungsgeflecht nicht gewiss ist. In ihrer letzten dramatischen Begegnung zu Dritt tötet Crake zuerst Oryx und wird dafür von Jimmy erschossen (Atwood 2003: 385) - es handelt sich hierbei um Crakes „manipulative act [of] extended suicide“ (Mohr 2015: 291), den dieser im Angesicht der von ihm herbei‐ geführten Apokalypse zu vollziehen sucht. Nach einer gemeinsam verbrachten schulischen Jugend hatten sich die Wege von Jimmy und Crake zunächst getrennt. Der genialische Crake wird zu einem Genforscher, der das Präparat „Blysspluss“ entwickelt, das zugleich Potenz- und Verhütungsmittel ist, vor allem aber einen zunächst latenten, nach Ausbruch der Seuche letalen Krankheitserreger enthält, der nach dem globalen Vertrieb große Teile der menschlichen Bevölkerung pandemisch erfasst und auslöscht. Zugleich hat er mit Hilfe der Gentechnik in einem Geheimprojekt eine neue Menschenrasse erschaffen, die gegen Krankheiten immun ist, sich vegetarisch ernährt und eine friedliche Existenz führt: Es handelt sich bei diesen Gestalten um die von Jimmy so bezeichnete Kunstspezies der „Crakers“. Für die Erziehung 109 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 23 Es wird an dieser inhaltlichen Wiedergabe deutlich, dass der Roman eine extrem hohe intertextuelle Evokationskraft besitzt, die implizite wie systemische Bezüge zu einer Vielzahl von dystopischen, philosophischen und mythologischen Texten zutage treten lässt (vgl. dazu summarisch Mohr 2015: 286-289): Ebenso wichtig wie der Frankenstein-My‐ thos (vgl. Staels 2006) mit Crake als demiurgischem mad scientist erscheint, mit der global wütenden Pandemie, Mary Shelleys The Last Man (vgl. Korte 2008); daneben sind auch Referenzen auf H.G. Wells’ Island of Dr. Moreau (die Flucht des Erzählers vor den verwilderten Tier-Hybriden, vgl. Barzilai 2013) sowie auf Aldous Huxleys Brave New World (mit den archaischen, chaotischen „pleeblands“ in Analogie zu Huxleys „malpais“=Badlands). Abgesehen von diesen Dystopien werden, was wenig berücksichtigt wird, auch aufklärerische Texte explizit aufgerufen, wie z. B. Alexander Popes Essay on Man. Die Namensgebung des Schutzraums als „paradice“ und der „Lebensbaum“ Jimmys sowie die Apotheose von Oryx und Crake gegenüber den Crakers bergen wiederum biblische Referenzen, wenngleich - pace Stephen Dunning - die Parallele zur christlichen Trinität zu forciert wirkt: „Crake assumes the role of Father […] Snowman, that of sacrificial Son and immanent Logos […] and Oryx, that of Spirit]” (Dunning 2005: 95; zitiert nach Mohr 2015: 291). Selbst die im Lehrwerk abgedruckte Passage mit dem Gleichnis der compounds und den mittelalterlichen Ritterburgen birgt eine intertextuelle Qualität, insofern ein scheinbar vergangenes Zeitalter der Drachen heraufbeschworen wird, das mit den künstlich erschaffenen Kreaturen ironischerweise wieder reaktiviert wird. dieser Kreaturen ist zunächst Oryx zuständig; nach ihrem und Crakes Tod verschleiert Jimmy ihnen diese Tatsache, nimmt sich ihrer an und mythisiert das Verschwinden von Oryx und Crake. Das Firmengelände, auf dem Crake tätig ist und insgeheim seinen Anschlag auf die gesamte Menschheit plant, trägt die ironische Bezeichnung „RejoovenEsence“. Dessen innerster Bereich „Paradice“, Forschungslabor und Zeugungsstätte der Crakers, ist besonders geschützt. Da Jimmy von Crake kurz vor dem Ausbruch der künstlich erzeugten Pandemie als Werbefachmann engagiert wird, hat er die Möglichkeit, die Katastrophe im „Paradice“ zu überstehen. Nachdem einige Zeit seit der tödlichen Szene vergangen ist, führt Jimmy die Crakers hinaus in die ‚Freiheit‘ zur Küste, wo sie alle Lebensbedingungen vorfinden, um selbstständig zu überleben. Dort harrt Jimmy mit ihnen einige Zeit aus und wird von ihnen als „Snowman“ verehrt. Als er diese Gruppe von künstlichen Menschen verlässt, um im nahegelegenen, zerstörten Firmengelände neuen Konserven-Proviant und andere (Über-) Lebensnotwendigkeiten zu holen und zurückkehrt, stellt er fest, dass diese begonnen haben, ihn (wie zuvor schon Oryx und Crake) primitivistisch zu mythisieren - nicht ohne sein idolisches Ebenbild anzubeten. In dem zuvor geschilderten Verhalten der Crakers zeigt sich, dass eines der essentiellen Ziele Crakes, mit einer rein materiell und a-philosophisch ausgerichteten Existenzform Konflikte zu vermeiden, misslungen ist und auch die neu geschaffene Menschheit den Auslöser für Konflikte und Kriege schon in sich trägt (vgl. Mohr 2015: 292). 23 110 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Die Erzählung bricht in dem Moment ab, da eine Begegnung mit drei Überlebenden von Snowmans/ Jimmys menschlichen „Artgenossen“ („his own kind“, Atwood 2003: 431) ermöglicht ist, so dass das Ende zwar offen, doch überwiegend pessimistisch erscheint: Denn entweder stirbt er noch während seiner Suche nach diesen Überlebenden an seinem wundinfizierten Fuß, den er sich auf seinem Weg zum Firmenkomplex verletzt hat, oder die Überlebenden sehen in ihm eine Bedrohung und töten ihn deswegen, oder sie sind selbst schon mit dem zerstörerischen Virus infiziert und daher zum Tode verurteilt, oder sie alle werden früher oder später Opfer der ausgewilderten, gentechnisch erzeugten Hybrid-Tiere wie den intelligenten Allesfressern, den „pigoons“ (eine genetische Kreuzung aus Schwein und Waschbär) oder den jagenden „wolvogs“ (Wolfshunden). Der Roman schließt mit den vieldeutigen Worten, die gleichermaßen eine neue Zeitrechnung einläuten wie metaphorisch den Tod ankündigen: „Zero hour, Snowman thinks. Time to go.“ (Atwood 2003: 433) Bei der Lektüre zeigt sich, dass die gesamte Romanhandlung aus einer Kette von ineinander verschachtelten, nicht-chronologisch angeordneten Erzählst‐ rängen besteht, die nicht nur die Rückblenden in Jimmys Biographie während seiner - im Präsens formulierten - Wanderung nach „Paradice“ und zurück zu seinem Baum nachzeichnen, sondern auch seine Sicht auf den Karriereweg Crakes und auf seine Erinnerungen an die verschiedenen Lebensstationen von Oryx präsentiert, die diese ihm bei verschiedenen Gelegenheiten erzählt hatte. Schließlich gibt es eine fragmentierte Erzählung von seinen Eltern und insbesondere Jimmys Mutter, die ihre Familie in seiner Kindheit verlassen hat, als Rebellin untergetaucht ist und eines Tages als Terroristin hingerichtet wird - was Jimmy am Fernseher zufällig miterleben muss (Atwood 2003: 303-304). „Paradice“ erweist sich im Erzählverfahren als Stätte der letzten Begegnung der drei Hauptfiguren und als Ort der Erkenntnis ( Jimmy erfährt erst hier von Oryx die tatsächliche Wirkung des Präparats und die Ursache der globalen Pandemie: „It was in those pills I was giving away, the ones I was selling. It’s all the same cities, I went there. Those pills were supposed to help people! “, Atwood 2003: 380). Die eingebetteten Erzählstränge sind also nur scheinbar assoziativ-erratisch angeordnet, verlaufen tatsächlich aber nach einem teleologischen Muster, das alle drei Hauptfiguren in „Paradice“ zusammenführt, während die Rahmen‐ handlung mit Snowmans Wanderung einen zyklischen Charakter erhält: der Abschied von den Crakers, die Zwischeneinkehr am Ort der Katastrophe und die Rückkehr zu den künstlichen Wesen. Als Coda folgt der endgültige Abschied von ihnen, mit ungewissem Ausgang. Die Romanhandlung lässt sich chronologisch rekonstruieren: Beginnend mit Rückblenden in die Kindheit präsentiert sich 111 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff nahezu die gesamte fiktionale Biographie Jimmys bis zum mutmaßlichen Ende seines Lebens, das ihn aufgrund der infizierten Fußwunde und in Reichweite anderer Überlebender erreicht. Es wird an folgendem Schema ersichtlich, wie wenig die folgende, im Lehr‐ werk ausgewählte Textpassage sowie die dazu formulierten Aufgaben zur story within a story dem komplexen Erzählverfahren und der metafiktionalen Qualität des Textes gerecht wird, das in Oryx and Crake zur Anwendung kommt. Denn in die Haupterzählungsstränge sind weitere Binnenerzählungen eingebettet: bis zu solch kurzen Fragmenten wie die Ritter-Analogie von Jimmys Vater innerhalb der Kindheitserinnerungen Jimmys auf einer noch weiter untergeordneten Ebene. Rahmenhandlung: Snowmans Wanderung zurück von Paradice zum Baum Binnenerzählung: Imaginäre Reise durch Jimmys Erinnerung, von seiner Kindheit nach Paradice führend; zusammenlaufende Nebenstränge: v.a. Jimmy, Crake, Oryx Rahmenhandlung: Physische Wanderung Snowmans von seinem Baum nach Paradice Coda: Snowmans endgültiger Abschied Erzählungsskern: Paradice als Ort der Zerstörung der alten Welt und Schöpfung eines neuen Menschentyps Abb. 2: Erzählstruktur in Oryx and Crake *** Die voranstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass den Roman Oryx and Crake mit seinen ineinander verschachtelten Erzählsträngen eine hohe formale Komplexität kennzeichnet, so dass für ein didaktisch erfolgreiches Arbeiten mit einzelnen Textausschnitten die Auswahl möglicher Passagen ein wichtiges Kriterium ist. 112 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced In Context wird den Schüler: innen eine recht früh im Roman platzierte Rückblende in Jimmys früheste Kindheit und die ‚Märchenstunde‘ mit dem Vater zur Diskussion gestellt. Diese Rückblende ergibt sich im Zusammenhang mit der Beschreibung des väterlichen Arbeitsplatzes, der sich in einem gentechnischen Labor des „OrganInc compound“ befindet - einem Unternehmen, das solche genetischen Tierzüchtungen wie „pigoons“ und „wolvogs“ verantwortet. Darin lernt der Junge den Unterschied zwischen den hyperurbanen „pleeblands“ (gebildet aus einer Verballhornung von lat. plebs) und jener firmeneigenen Ar‐ beitsstadt, die ein abgetrenntes Areal ist: eine gated community, bzw. im Roman als compound bezeichnete Arbeits- und Wohnsiedlung, die mit einer autarken hochzivilisatorischen Infrastruktur ausgestattet ist. Verschiedene Unternehmen konstruierten ihre eigenen compounds mit je unterschiedlichen Ausstattungen - immer jedoch erzeugten sie auch eine Trennung zwischen Chaos / Ordnung, Schmutz / Reinheit, Gewalt / Sicherheit. Zwischen pleebland und compound gibt es also nicht nur eine räumliche und physische Grenze, sondern auch eine soziale Ausgrenzung aller Außenseiter, die zugleich auch gegen die jeweils anderen compounds gerichtet wird. Der Zwang zur corporate identity wird zum verbindlichen Gruppenmerkmal. Jimmy wächst in dieser isolierten Firmenblase auf. Fernab jeder größeren Stadt kennt er diesen ungeschützten, anders „ge‐ stimmten Raum“ allenfalls aus dem Fernsehen: endless billboards and neon signs and stretches of buildings, tall and short; endless dingy-looking streets, countless vehicles of all kinds, some of them with smoke coming out of the back; thousands of people, hurrying, cheering, rioting. […] Compound people didn’t go to the cities unless they had to […] Despite the fingerprint identity cards now carried by everyone, public security in the pleeblands was leaky: there were people cruising around in those places who could forge anything and who might be anybody, not to mention the loose change - the addicts, the muggers, the paupers, the crazies. (C 66; entspr. Atwood 2003: 31) Jimmys Vater erklärt dem Jungen den Unterschied zwischen Stadt und com‐ pound mit folgender, scheinbar altersgerechten Analogie, die dem Kind zugleich seine eigene privilegierte Position verdeutlicht: Long ago, in the days of knights and dragons, the kings and dukes had lived in castles, with high walls and drawbridges and slots on the ramparts so you could pour hot pitch on your enemies, said Jimmy’s father, and the Compounds were the same idea. Castles were for keeping you and your buddies nice and safe inside, and for keeping everybody else outside. (C 67; entspr. Atwood 2003: 32) 113 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 24 Am Ende des Romans stellt sich heraus, dass es außer Jimmy noch mindestens drei weitere Überlebende der Apokalypse in seiner unmittelbaren Umgebung gibt (Atwood 2003: 431); zudem empfängt ein intaktes, durch eine Drehkurbel aktivierbares Radio das Signal eines fremdsprachigen Senders („some language that sounds like Russian“) und auch der integrierte CB-Funk empfängt eine schwache Stimme in weiter Entfernung (Atwood 2003: 321). Der Passus von ca. 600 Wörtern Umfang wird seitens des Lehrwerks kaum in den größeren Zusammenhang gestellt - es werden keine Angaben jenseits der unmittelbaren Situation und des allgemeinen settings („the North American con‐ tinent“, C 66) geliefert. Nur die Lehrhandreichungen werden etwas konkreter: Der Roman Oryx and Crake (2003) von Margaret Atwood entwirft ein Szenario, in dem Konsum, Globalisierung und das Streben nach Macht die Welt in einen hoffnungslosen Ort verwandelt haben. Klimaveränderungen haben die Erde zum Teil verwüstet, so dass der Nahrungsbedarf der Menschen durch Fleisch von geklonten Tieren und genmanipulierte Lebensmittel befriedigt werden muss. Der Roman enthält eine Reihe von Rückblenden, in denen die Hauptfigur Jimmy in die Vergangenheit zurückblickt; in dem vorliegenden Auszug in seine Kindheit. (C-HRU 123) Zudem werden den Lehrkräften für den Einstieg in die pre-reading activity einige weitere Stichwörter zum Roman als Informationen präsentiert, die sie den Schüler: innen anbieten sollen: • setting: a postapocalyptic world • protagonist: Snowman, who is fighting for survival in a world where he might be the last human being • novel: deals with his journey of continually looking for supplies and with flash-backs of his life as a child when he used to be called Jimmy and lived in privileged surroundings. (C-HRU 123) Derlei gemischte Hinweise, mit einer inhaltlichen Verortung des Textes auf öko‐ kritischer Interpretationsebene sowie punktuellen, willkürlich erscheinenden Erläuterungen zu diskursiven und generischen Aspekten, dürften eher Ver‐ wirrung stiften als bei der Rezeption des Textausschnittes helfen. Denn jen‐ seits eines intuitiven Verständnisses hinsichtlich des Begriffs „postapocalyptic world“ als einer Welt nach ihrer globalen Zerstörung sind hier die weiteren diskursiven Implikationen nicht unerheblich. Was die Erwähnung von Jimmys mythographischen Namen „Snowman“, mit dem er zu Romanbeginn eingeführt wird, betrifft, so ist diese im abgedruckten Passus ebenso dysfunktional (sein Alias findet in dem Passus keine Erwähnung) wie die inhaltlich verzerrende Angabe „he might be the last human being“. 24 Die implizite Einordnung des 114 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Romans als Quest ist zutreffend, verfehlt aber eine deutlichere Charakterisie‐ rung der metafiktionalen Anlage des Textes, da die Rückblenden in Jimmys Kindheit nur den Ausgangspunkt seiner Lebensgeschichte wiedergeben und die beiden anderen, eponymischen Figuren vernachlässigen. Insgesamt sind diese zusätzlichen Hinweise folglich keineswegs voraussetzungslos, wirken aber ohne weitere Kontextualisierung sowohl lerntheoretisch wie thematisch alles andere als authentisch und daher wenig motivationsförderlich. Die inhaltlich-thematische Verbindung zu der Darstellung einer solch abge‐ schotteten und zugleich totalitären Gemeinschaftsform, wie sie auch in Eggers’ The Circle kennzeichnet und wie sie anhand der ausgewählten Textpassage über den „OrganInc compound“ aus Atwoods Roman im Lehrbuch deutlich wird, ist durch den Auftrag der pre-reading activity gewährleistet: „Imagine that you are the planner or architect of a gated community; i. e. one that is fenced in and guarded. Note down a few ideas or make a sketch of the layout“ (C 66). Als visuelle Stütze mag den Schüler: innen für diesen Arbeitsauftrag eine Skizze dienen, die in den Text eingebettet ist und im Vordergrund eine grüne, parkähnliche Kulturlandschaft zeigt, die sich von einer grauen, durch eine Mauer abgegrenzten Megapolis mit unzähligen Wolkenkratzern im Hin‐ tergrund abhebt. Den Schüler: innen in der Rolle als Stadtplaner: innen kann diese Illustration allerdings auch nur als einzige Anregung dienen. Erst in der Verständnisaufgabe wird der Akzent dabei auf die topographi‐ sche Darstellung des technischen Fortschritts gelegt, den die Schüler: innen in ihren Stadtplan als Verständnisnachweis einfügen sollen: so in der Darstellung von Fortbewegungsmitteln wie „bullet trains“, Übergangseinrichtungen wie „transport corridors“ und Unterbringungsmöglichkeiten wie „modules“, bzw. der Abgrenzung zu den „pleeblands“ (C 67). Ein gallery walk beendet diese Aufgabe, so dass den Schüler: innen die Ergebnisse der anderen zur Verfügung gestellt werden - eine diskursive Auseinandersetzung mit dem Text, seinem Stil, seinen Sinnstrukturen, seiner Einbettung in die Rahmenhandlung wird hier nicht angestrebt. Im Vordergrund der Textarbeit steht die Erarbeitung des sozialen Konzepts „gated community“, für die auch ein sozialkritischer Sachtext zu verwenden wäre. Gleichwohl wird in einem zweiten Arbeitsschritt die Aufmerksamkeit auf das formale Gestaltungsmittel der Binnenerzählung gerichtet, und zwar anhand der „Rittergeschichte“ des Vaters („A story within a story“, C 67): Hier erschließen die Lernenden den Sinn und die Bedeutung der Analogie zwischen mittelalter‐ lichen Ritterburgen und den hypermodernen compounds. Zunächst sollen die Schüler: innen den Akzent auf die sozialpolitische „message“ der eingebetteten Geschichte des Vaters setzen. Die Lösungshinweise verweisen auf die Analogie 115 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 25 Das Genre-Etikett „Märchen“ in den Lösungsvorschlägen zur Aufgabe 2 („fairy tale“, C-HRU 123, mit den Signalwörtern „knights, dragons“) für diesen eingeschobenen Passus ist unpassend, denn Jimmys Vater beginnt mit einem märchen-untypischen incipit, „Long ago“, das man eher in Sagen oder mittelalterlichen Romanzen findet. - Ganz anders der Beginn der Rückblenden Snowmans auf sein Leben als Jimmy, der mit der Märchen-Formel „Once upon a time“ der gesamten Romanhandlung ein starkes Fiktionssignal einschreibt (Atwood 2003: 17). zwischen den mittelalterlichen Schlössern und den Firmengeländen, die Jimmy aus seiner Kindheit kennt - beide seien abgetrennt von ihrer Außenwelt und böten den Einwohnern Schutz vor Außenseitern bzw. „dem Anderen“; zudem seien die Präsentation der Analogie im Gestus eines „fairy tale“ (Märchen) besonders kindgerecht (vgl. C-HRU 123). 25 Anschließend unterscheiden die Schüler: innen in Aufgabe 3 zwischen uto‐ pischen und dystopischen Darstellungselementen des Textes und werden in einer letzten neigungsdifferenzierenden Aufgabe angeregt, in 200 Wörtern entweder den Arbeitstag eines durchschnittlichen pleeblanders zu skizzieren oder, etwas näher am Text bleibend, einen Ausflug Jimmys in dieses fremde Territorium als Tagebucheintrag zu formulieren (C 67). Einblick in das Leben eines individuellen pleeblanders gibt der Roman zwar nicht; als Richtschnur für alternativen Aufgabenteil kann den Lehrkräften jedoch die naive, stereo‐ typengelenkte Sichtweise Jimmys gelten, ausgehend von der Beschreibung eines Ausflugs mit Crake, die eine genaue Vorstellung der pleeblands, deren Bewohner, und der gesundheitlichen Gefahren, die dort lauern, ermöglicht. Ein stärker literatur-orientiertes Vorgehen ließe zunächst den Blick auf die verschachtelte Anlage des hier präsentierten Textausschnitts und damit auf die Metafiktionalität des Romans richten: Die durchaus wichtige Frage nach der strukturellen Einbettung von Binnengeschichten in den Haupterzählstrang ist anhand der wenigen Sätze, die den Inhalt der Argumentation von Jimmys Vater wiedergeben, ein zwar nur kleines, aber doch wichtiges Textmerkmal, das in seinem geringen Umfang die verschachtelte, multiperspektivische Anlage des Romans repräsentiert. Insofern wäre es für die Schüler: innen wesentlich, an dieser Stelle einen noch genaueren Blick auf den Einsatz dieses erzähltech‐ nischen Merkmals zu richten: z. B. die zwar unbestimmte zeitliche, aber auf die Vorvergangenheit verweisende Angabe wie „When Jimmy was really little, they’d lived in …“ (C 66) zu Beginn der Textpassage, die somit den folgenden Passus rahmt und deren Status als Rückblende innerhalb einer übergeordneten Erzählebene - perspektiviert durch Jimmys a.k.a Snowmans Erzählgegenwart - zu erkennen gibt. Demgegenüber führt die auf einer noch weiter untergeord‐ 116 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced neten Ebene eingebettete „Ritter-Geschichte“ des Vaters diesen als zweiten Binnenerzähler ein: „‘Long ago, in the days of knights and dragons…’“ (C 67). In Ergänzung zur der Schilderung der Anlage aus Jimmys Kindheit lassen sich im Unterricht weitere Textpassagen mit einer detaillierteren Beschrei‐ bung des compound „RejoovenEsense“ und der darin befindlichen Abteilung „Paradice“ (Kapitel 12.2 „BlyssPluss“ und 12.3 „MaddAddam“) einsetzen, die vergleichend hinzuzuziehen wären: Gegenüber den slumartigen pleeblands ist RejoovenEsense gegenüber anderen compounds nicht nur durch seine Sterilität, sondern auch besonders durch Reichtum bis hin zum Kitsch markiert: Everything was sparkling clean, landscaped, ecologically pristine, and very expensive. The air was particulate-free, due to the many solar whirlpool purifying towers, discreetly placed and disguised as modern art […] [There was] marble everywhere, colonnades, cafés, ferns, takeout booths, roller-skating path, juice bars, a self-energizing gym where running on the treadmill kept the light bulbs going, Roman-look fountains with nymphs and sea-gods. (Atwood 2003: 343) Im nächsten Schritt lernt Jimmy die Sicherheitszone „Paradice“ kennen, in sich dem Crakes speziell abgeschottetes Forschungslabor befindet, das man durch eine Sicherheitsschleuse wie ein Raumschiff betritt - es soll laut dem zynischen Crake geschützt sein gegen “Hostile bioforms, toxin attacks, fanatics. The usual.” (Atwood 2003: 351) Insofern diese Formulierung eine Vorausdeutung auf die weitere Handlung und die globale Vernichtung der Menschheit durch Crake ist, lässt sich in ironischer Brechung, erzeugt durch den Nachsatz „the usual“, festhalten, dass die Sicherheitsmaßnahmen nicht nur ein Schutz des „Paradice“-Areals ist, sondern auch ein Schutz der Außenwelt vor demselben. Eine weitere Möglichkeit, einzelne Elemente des Erzählstrangs produktiv zum Einsatz zu bringen, bietet sich mit einem Rückbezug zum romantischen Frankenstein-Mythos, der schon in Kapitel 2 des Lehrwerks zum Einsatz kam. Das „Paradice Project“, das Jimmy vor seinem Engagement für das Unternehmen vorgeführt bekommt, lässt sich mit der Beschreibung des Monsters in Mary Shelleys Roman vergleichen. Damit wäre ein weiterer, vertiefender Rückbezug zu einem zuvor erarbeiteten Text gewährleistet und würde mit der Thematik die moderne Perspektive auf die ethischen Fragen bezüglich der künstlichen Produktion von Menschen verdeutlichen: Crake led Jimmy along and round; then they were standing in front of a large picture window. […] That was his first view of the Crakers. They were naked, but not like the Noodie News: there was no self-consciousness, none at all. At first he [Jimmy] couldn’t believe them, they were so beautiful. Black, yellow, white, brown, all available skin 117 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff colours. Each individual was exquisite. “Are they robots, or what? ” he said (Atwood 2003: 358). Es stellt sich heraus, dass diese Wesen die Schöpfung Crakes sind, die dieser zu einem kommerziellen Verkaufsschlager machen und unter die Leute‘ bringen will: „Very soon, RejoovenEsense hoped to hit the market“ (Atwood 2003: 359). Ziel ist es, vegetarisch lebende Kreaturen zu schaffen, die nicht krank werden, nach einer vorbestimmten Zeit qualfrei sterben, und die keine der sozialen, rassischen oder sonstigen Ungleichheiten mehr kennen, die bisher das Leid der Welt verursachten: It was amazing - said Crake - what once-unimaginable things had been accomplished by the team here. What had been altered was nothing less than the ancient primate brain. Gone were the destructive features, the features responsible for the world’s current illnesses. For instance, racism […] had been eliminated in the model group, merely by switching the bonding mechanism: the Paradice people simply did not register skin colour. Hierarchy could not exist among them, because they lacked the neural complexes that would have created it. Since they were neither hunters nor agriculturalists hungry for land, there was no territoriality: the king-of-the-castle hard-wiring that had plagued humanity had, in them, been unwired. They ate nothing but leaves and grass and roots and a berry or two; thus their foods were plentiful and always available. Their sexuality was not a constant torment to them, not a cloud of turbulent hormones: they came into heat at regular intervals, as did most mammals other than man. […] They would have no need to invent any harmful symbolism, such as kingdoms, icons, gods, or money. (Atwood 2003: 358-359) Hier lassen sich erneut utopische von dystopischen Darstellungselementen deutlich voneinander unterscheiden bzw. deren Ambivalenz nachweisen, so dass auf diese Art die Textkompetenz der Schüler: innen im Hinblick auf eine Bestimmung solch generischer Merkmale in einem Roman geschult und vertieft werden kann: Fast jede scheinbar positive Änderung birgt ihr nega‐ tives Äquivalent (z. B. Unsterblichkeit = verkürzte Lebensdauer; Schönheit als künstliches Gen-„customizing“ statt natürlicher Anlage; Gelehrigkeit = zivile Unterwürfigkeit; Ur-Kommunismus = anti-Intellektualismus). Wie schon in der einleitenden Inhaltsangabe angedeutet, birgt auch diese Utopie den Kern einer dystopischen Entwicklung - im Sinne eines degenerativen Prozesses, der die ursprüngliche Anlage der „Crakers“ aushebelt: Die Mythisierung der Schöpferfigur Crake, veranlasst durch Jimmy, zieht die eigenständige Mystifi‐ zierung Snowmans durch die Kunstgeschöpfe selbst nach sich. Dies impliziert eine Hierarchisierung von (spiritueller) Absenz und (physischer) Präsenz und bedeutet eine im Kern religiöse Unterscheidung existenzieller Zustände, die 118 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced ihrerseits bei fortschreitender Differenzierung zu Orthodoxien und Häresien führen kann, mit entsprechendem Konfliktpotenzial, das Crake eigentlich aus dem Genprogramm der ‚neuen Menschen‘ zu löschen gemeint hatte. Eine weitere Möglichkeit, diese Textstelle im Zusammenhang mit dem in Context abgedruckten Passus in einem literaturnahen Unterricht einzusetzen, ergibt sich aus der erzählerischen Zeitstruktur, die auch hier eine wichtige Rolle spielt. Der Passus enthält Vorausdeutungen („he discovered later“) und Rückblenden wie die - erneut eingeschobene - retrospektive Erzählung von Crake über die gentechnische Erzeugung der neuen Menschenrasse, sowie seine Zukunftsvisionen vom ausstehenden kommerziellen Erfolg des „Paradice Project“ („Very soon, RejoovenEsense hoped to hit the market…“) und von der vorbestimmten, potenziellen Lebensweise der neuen Menschen („there would never be anything like…“). Mit einer Analyse derartiger Signalphrasen unter Berücksichtigung ihrer Einbettung in die präsentische Rahmenhandlung wäre den Schüler: innen der Unterschied zwischen story time und discourse time und ihnen damit zentrale erzähltechnische Kategorien zu vermitteln. Im Bereich der Ausbildung des Sprachbewusstseins schließlich eignet sich diese Textpassage im vergleichenden Rückgriff auf die vorherige Erarbeitung des Abschnitts aus Eggers‘ The Circle, an dem die Funktionsweise von Kompo‐ sita zu erfassen war. Im Zusammenspiel mit der hier diskutierten Passage aus Oryx and Crake lässt sich erarbeiten, welche Unterschiede zwischen den Neo‐ logismen in The Circle und den Kunstwörtern in Oryx and Crake im Hinblick auf ihre Konstruktionsmechanismen und die damit erzeugten Bedeutungsebenen bestehen: „OrganInc“ evoziert zunächst den Begriff „organic“ (das britische Label für ‚grüne‘ Produkte) und enthält als verkürztes Kompositum aus „Organ Inc[orporation]“ mit Assoziationen zu „ink“ einen deutlichen Fiktionsmarker; „RejoovenEsense“ verbindet eine Vielzahl von assoziationsreichen Wörtern wie „rejuvenation“, „oven“, „essence“ und „sense“; „Paradice“ kombiniert den theologischen Begriff „Paradise“ mit einem aus dem Bereich des (Glücks-)Spiels, „dice“, und spielt somit ironisch auf den Albert Einsteins bekannten Spruch an, mit dem dieser gegenüber Niels Bohr seine Zweifel am probabilistischen Quantenuniversum äußerte: „God does not play dice“. In Bezug auf die dahinter stehende linguistische Technik lässt sich mit dem blending ein wichtiges lin‐ guistisches Verfahren fürs branding in der Werbesprache erfassen; in Bezug auf die Hybridisierungsverfahren, die auf Handlungsebene des Romans an Tieren wie Menschen durchgeführt werden, wäre auch der im Text immer wieder verwendete, metaphorische Begriff „splicing“ aus dem Vokabular der Gentechnik passend. Die semantische Schnittstelle, ‚Fuge‘, wird in mehreren Fällen durch den Großbuchstaben im Wort indiziert. Schließlich ist der Titel 119 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff der gesamten Roman-Trilogie, MaddAddam, ein palimpsestisches Kompositum aus „mad“ („verrückt“, „wütend“), „dad“ und dem biblischen Namen für den ersten Menschen, „Adam“. Im Roman bezeichnet der Ausdruck die Gruppe von Wissenschaftlern um Crake, die im „Paradice Project“ an der Erzeugung der Crakers beteiligt sind. George Orwell, Nineteen Eighty-Four (1949). Ein Auszug aus diesem Klassiker beendet die Auswahl der dystopischen Texte, die im vorliegenden Context-Kapitel behandelt werden. Dessen Positionierung vor der kapitelab‐ schließenden Chapter Task, in der die Schüler: innen eine eigene utopische oder dystopische Erzählung verfassen sollen, und die besonders pessimistische Darstellung des totalitären Staates Oceania gibt der Passage einen besonderen Stellenwert. Den Schüler: innen wird ein Passus aus dem zweiten Teil des Romans vor‐ gestellt, in dem Winston Smith und seine Geliebte Julia darüber sprechen, inwiefern ihre Beziehung zueinander von „der Partei“ bzw. Big Brother geduldet wird. Winston ist pessimistisch und entwirft alle möglichen Szenarien, in denen die beiden Liebenden gezwungen werden, einander zu verraten; Julia hingegen trotzt seinen Befürchtungen und beweist ihren rebellischen Geist, indem sie Winston recht unbekümmert daran erinnert, dass der Staat zwar alle Mittel zur äußerlichen Gewalt hat, aber ihrer Ansicht nach nicht ins Innere des Menschen vordringen kann: „They can make you say anything - ANYTHING - but they can’t make you believe it. They can’t get inside you.“ (C 69; entspr. Orwell 1990: 173) Dies führt zu einer Reflexion Winstons, wiedergegeben in erlebter Rede, in der er zum gleichen Schluss kommt: But if the object was not to stay alive but to stay human, what difference would it make? They could not alter your feelings: for that matter you could not alter them yourself, even if you wanted to. They could lay bare in the utmost detail everything that you had done or said or thought; but the inner heart, whose workings were mysterious even to yourself, remained impregnable. (C 70; entspr. Orwell 1990: 174) In dieser Textpassage liegt somit der Kern des Irrtums und der Hybris der beiden Liebenden in ihrem tragischen Aufbegehren gegen das System, dem sie schließ‐ lich unterliegen. Denn Winston muss im Folgenden nach der Festnahme und Trennung von Julia erkennen, dass ‚sie‘ ihn schließlich mit behavioristischen Methoden der instrumentellen Konditionierung („reward“ / „punishment“) doch vollständig zu beherrschen verstehen und dass er am Ende des Romans seine menschliche Würde vollkommen verliert: „He loved the Big Brother.“ (Orwell 1990: 311) 120 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Im Vergleich zu den inhaltlichen Informationen, mit denen die Schüler: innen auf Oryx and Crake eingestimmt werden, ist in diesem Fall ein sehr viel aussagekräftigeres abstract den Aufgaben vorangestellt, das nicht nur das setting beschreibt, sondern auch den anschließenden Textabschnitt kontextualisiert: Nineteen Eighty-Four is a dystopian novel George Orwell published in 1949. It is set in Oceania where “Big Brother”, the tyrannical ruler of the state, observes everyone at all times with the help of the telescreen. The protagonist, Winston Smith, secretly hates the government and dreams of rebellion against Big Brother. He has a secret love affair with his co-worker Julia, who is also against the government, and he is afraid they will be found out. (C 59, Herv.i.Orig.) Den Lehrkräften werden einige zusätzliche Merkmale vermittelt: „Dieser [Roman] zeichnet eine düstere, dystopische Zukunft, in der Manipulation, Denunziantentum, Folter und die totale Überwachung den tristen Alltag der Menschen beherrschen. Im vorliegenden Textausschnitt geht es um die Freiheit von Gedanken und Gefühlen in einem totalitären Staat.“ (C-HRU 130) Diesen Staat anhand der Informationen aus Einleitung und zitierter Textpassage zu skizzieren ist das Ziel der ersten Verstehensaufgabe, gefolgt von der Frage, wovor die beiden Liebhaber sich am meisten fürchten - die Ironie, die in diesem Passus als inverse Vorausdeutung auf das Ende des Romans angelegt ist, muss natürlich den Lernenden ohne das entsprechende Inhaltswissen entgehen. Nach zwei weniger komplexen Arbeitsaufträgen erfragt eine textanalytische Aufgabe Winstons vermeintliche Siegesstrategie: die zu erwartende subjektive physische Bestrafung durch das System dem überindividuellen, idealistischen Wert von Humanität unterzuordnen. Diese Strategie lässt sich zwar anhand des Textausschnitts bearbeiten; im Hinblick auf ihr Scheitern im weiteren Verlauf der Handlung sind jedoch die zu erwartenden Ergebnisse nicht mit der Werkaussage des Romans zu vereinbaren und verzerren somit in ihrer am Ende hoffnungsvollen Disposition dessen inhaltliche Gestaltung. Den semanti‐ schen „room for hope“, der sich in der Textpassage öffnet und der auch im folgenden Aufgabenabschnitt „beyond the text“ thematisiert wird, dekonstruiert der restliche Handlungsverlauf des Romans, so dass die Fokussierung auf diesen Aspekt eine starke inhaltliche und semiotische Verzerrung des Romaninhalts mit seiner Aussage verursacht. Auch die kontextuellen Informationen, die Schülerband und Lehrerhandreichungen vorsehen, reichen nicht aus, um eine solche Verzerrung zu vermeiden; den Schüler: innen wird damit ein Eindruck vom Roman suggeriert, der sowohl auf Handlungswie auf Bedeutungsebene sehr viel komplexer und zugleich pessimistischer angelegt ist. Wie schon an den anderen Beispielen aufgezeigt, sendet ein solch verkürzender Textzugang 121 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff für die literaturpropädeutische Auseinandersetzung ein irreführendes Signal an die Schüler: innen, die sich im Glauben wiegen, dass schon ein Bruchteil der Information über einen komplexen Roman ausreiche, um sich ein valides Bild von dessen Handlung zu machen. Zwei Aufgaben beschließen die Auseinandersetzung mit Orwells Roman: Aufgabe Nr. 5 stellt einen vagen intertextuellen Bezug zu Suzanne Collins’ Hunger Games her und richtet dabei die Aufmerksamkeit besonders auf den As‐ pekt der totalen Überwachung der Teilnehmer: innen innerhalb der als hybrider, physisch-digitaler Raum gestalteten Arena. Lediglich anhand eines kurzen Zitats von Peeta, der als ‚er selbst‘ sterben möchte, wenn es dazu käme, werden Querbezüge zu Smiths Wert des Mensch-Bleibens ermöglicht. Mit dieser Auf‐ gabe wird wiederum ein wichtiger Charakter literarischer Werke angedeutet, nämlich die intertextuelle Verweisungsstruktur zwischen generisch ähnlichen Texten, die ihrerseits ganz unterschiedliche Handlungsstränge beschreiben können und dennoch sowohl auf thematisch-motivischer als auch auf formaler Ebene vergleichbar sind. Aufgabe 6 schließlich kann an lebensweltliche Kenntnisse der Schüler: innen über die jüngere Medienwirklichkeit anknüpfen. Hier werden sie mit dem Reality TV-Format „Big Brother“ konfrontiert und sollen zunächst die Frage diskutieren, worin die Ähnlichkeiten und Unterschiede dieser Serie zu den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen, wie sie im Roman dargestellt werden, bestehen, um danach zu entscheiden, ob der Vergleich in dieser Form möglich und angebracht ist. Die Handreichungen verweisen mit Recht darauf, dass das TV-Format v. a. der Unterhaltung und „der Quote“ dient (vgl. C-HRU 133), somit einen kommerziellen Charakter trägt, während im Roman das ‚Auge des Staates‘ über Sein oder Nichtsein der Subjekte entscheidet. Eine solche Fragestellung, die das (post-)moderne Medienphänomen „Big Brother“ thematisiert, lässt sich auch produktiv als Einstieg in die Erarbeitung des Orwell-Textausschnitts verwenden, insofern es auch in Beziehung zu dem Komplex der Datenüberwachung gestellt werden kann, der eingeschoben als lebensweltliches Phänomen zwischen den beiden literarischen Texten von Atwood und Orwell platziert ist und somit in der Diskussion dieser Stoffe ein gewisses Maß an Lebensbezug für die Schüler: innen gewährleisten soll. In einer Einstimmungsaufgabe mit einer Frage, welche Assoziationen die Schüler: innen mit dem Begriff „Big Brother“ verbinden, kann erwartet werden, dass sie mehrheitlich das Reality TV-Programm erwähnen und beschreiben; als Ziel kann dann ausgegeben werden, das zugrundeliegende Konzept der Phrase im litera‐ rischen Text nachzuweisen und zugleich die Unterschiede in kultureller Präsenz und Signifikanz zu verdeutlichen (hier: aktuelles pop-kulturelles, kommerziali‐ 122 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced siertes, zeitlich limitiertes Medienphänomen vs. kanonisierte, da historisch und weltanschaulich zu kontextualisierende Nachkriegs-Höhenkammliteratur). Resümee. Die hohe Dichte von Auszügen aus fiktionalen Stoffen unter‐ schiedlicher Autor: innen im Verlauf des Kapitels 3 - im Gegensatz zu dem eher sachtextlich ausgerichteten zweiten Unterrichtsmodul mit nur einem fiktionalen Werkbezug (Dears Dramatisierung von Shelleys Frankenstein) - kennzeichnet, dass auch hier, wie schon am Beispiel von Camden Town darge‐ stellt, die Analyse grundlegender narratologischer Elemente wie das setting einer Erzählung, die Charakterisierung von Figuren sowie die Bestimmung von literarischen Motiven und Themen in fiktionalen Texten geschult werden soll. Deutlich wird auch, dass das Unterfangen, mit kurzen Textpassagen aus mehreren Werken deren Inhalte repräsentativ zu vermitteln, kaum gelingen kann - nachhaltiger erscheint es, mit verschiedenen Textpassagen aus wenigen Werken zu arbeiten, um auf Plot- und Charakterentwicklungen hinweisen zu können. Es zeigt sich zudem, dass zu viele Aufgaben von den Textinhalten fortführen bzw. Bezüge zur empirischen Erfahrungswelt der Schüler: innen hergestellt werden, die die Konventionalisierung dessen, was als Fiktion wahr‐ zunehmen wäre, unterlaufen. Es ist sinnvoll, sich gerade im Kontext der (nicht nur fremdsprachlichen) Literaturdidaktik folgendes zu vergegenwärtigen: Leser bringen unterschiedliche Voraussetzungen mit; einige von ihnen mögen noch gar nicht wissen, was eine Fiktion ist und wie mit ihr umzugehen ist. Im Fall einer unausgebildeten Fiktionskompetenz wird ein Vertrag noch nicht abgeschlossen. Der inkompetente Leser nimmt die Fiktion zu Teilen für Wirklichkeit. (Haferland 2014: 54) Für die Ausbildung literarischer Kompetenzen und auch im Sinne einer allge‐ meinen Urteilskraft über die Aussagen schriftlicher Medien erscheint es gerade in einem didaktischen Umfeld unabdingbar, die ontologische Grenze zwischen Fiktion und empirischer Wirklichkeit als eine prinzipielle anzuerkennen - was nicht bedeutet, dass Bezüge zwischen der einen und der anderen Ebene herzustellen nicht zulässig wären, aber dass ihrer unkritischen Überblendung Vorschub zu leisten ist. Die hier vorgeschlagenen Erweiterungen durch zusätzliche Textpassagen dienen dem Ziel, die Literarizität der behandelten Werke, sowohl in Bezug auf ihre formale Anlage (Metafiktionalität) und somit aus erzähltheoretischer Sicht als auch im Hinblick auf die sprachliche Komposition und Artifizialität (Diskursivität) ein erhöhtes Bewusstsein für diese Aspekte zu schaffen. Zugleich bilden diese Ergänzungen inhaltliche Korrektive zu Verzerrungen, die durch die Singularität der Lehrwerks-Textausschnitte und durch mehrfach irreführende Lehrerhandreichungen erzeugt werden. Gleichwohl ist mit ihnen kein Ersatz für 123 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 26 Context geht in dieser Hinsicht durch die Stellung der kreativ zu gestaltenden Chapter Task noch einen Schritt weiter. Darin werden die Schüler: innen aufgefordert, einen eigenen utopischen oder dystopischen Text zu auszuformulieren, wobei ihnen in Bezug auf die Textkomposition - individuell oder kooperativ in Partnerbzw. Gruppenarbeit - freigestellt ist. Auch das Thema und das Genre sind frei wählbar (vgl. C 59). die noch tiefere Texterschließung mittels einer Ganztextlektüre zu erschaffen, die aber auch in der Lehrwerksarbeit nur in einem vorläufigen und vorberei‐ tenden Sinne angestrebt werden kann: Jedoch werden hiermit die notwendigen Voraussetzungen für solche ausführlicheren Lektüren gelegt. 2.2.4 Green Line: Mit Little Brother zum ECHO Boy Auch Green Line nähert sich im Lernmodul „Science and Utopia“ dem Bereich der spekulativen Literatur über eine mehrheitlich dystopische Auswahl an. So geht es im Fall von Cory Doctorows Little Brother um das Thema einer Möglichkeit zur Wahrung von Privatsphäre in einer total überwachten ‚Sicher‐ heitsgesellschaft‘ und im Fall von Alex Garlands Drehbuch zu Never Let Me Go um das Leben von Kindern, die lediglich zu dem Zweck geklont wurden, anderen Menschen durch Organspenden das Leben zu retten (für allgemeine inhaltliche Hinweise, vgl. Abschn. 2.2.2). Anders als in Context, in dem die Verfilmung von Suzanne Collins‘ Trilogie Hunger Games ohne die Berücksichtigung eines Abschnitts aus der Romanvorlage und stattdessen über Paratexte und einen Filmtrailer zur Diskussion stellt, lässt sich in Green Line der Vergleich zwischen Romantext und Drehbuch in den Vordergrund stellen, so dass an gegebenem Orte auf beide Stoffversionen einzugehen sein wird. Lediglich Matt Haigs Science Fiction Thriller ECHO Boy wird ohne eine text- oder themenbezogene pre-reading activity vorgestellt; hier wird stärker auf den zuvor erworbenen Kompetenzen und Analyseschritten aufgebaut. Dieser Text wird damit, ähnlich wie der Auszug aus Orwells Nineteen Eighty-Four in Context, zu einem Experi‐ mentierfeld für die Schüler: innen, auf dem sie ihre erlernten genre-orientierten und analytischen Kompetenzen unter Beweis stellen können. 26 Cory Doctorow, Little Brother (2008). Zwei schriftliche Analyseaufgaben stehen als while-reading tasks im Zusammenhang mit der Passage aus diesem dystopischen Text über ein San Francisco, das durch einen Terrorakt - in Ausmaß und Symbolkraft vergleichbar der Dimension von 9/ 11 - erschüttert wird: zum einen, unter Hinweis auf das Skill File S7 „Characterisation“ (GL 315), die kurze Untersuchung („brief characterisation“, GL 188) des 17jährigen Ich-Erzählers Marcus Yallow, a. k. a. „W1n5t0n“ / Winston, a. k. a. „M1k3y“ / Mikey, zum anderen eine sprachliche Analyse des Darstellungsstils, erweitert 124 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced um die Frage nach persönlicher Stellungnahme: „Do they [i.e, the style and language of the passage] appeal to you? “ (GL 188) Die Schüler: innen erhalten mit S7 in knappen Definitionen verschiedene literarische Figurentypen und Charakterisierungsmodalitäten dargelegt. Des Weiteren wird ihnen mit diesem Skill File eine Anleitung zur Planung, Materialsammlung und zum Verfassen einer Charakterisierung gegeben, inkl. diverser idiomatischer Unterstützung durch Formulierungshilfen (scaffolding). Darin steht für „protagonist / hero / heroine“ die Erklärung „(main character)“ (GL 315, Herv.i.Orig.); in Doctorows Text aber wird „hero“ zudem sogar einmal alltagssprachlich als Ausdruck der Anerkennung verwendet: „I wanted to tell him he was a hero and shake his hand“ (GL 187, Z. 38-39). Ohne den Hinweis darauf, dass manche dieser Fachbegriffe auch im Alltag verwendet werden und dort eine weniger spezi‐ fische Bedeutung annehmen können (außer für den Begriff „Held“ gilt dies besonders für den Ausdruck „Katastrophe“) führen aber die solchermaßen knapp gehaltenen Erklärungen aufseiten der Lernenden zu Verwirrung bzw. in die Beliebigkeit. Die genre-übergreifende Verwendbarkeit für die Charakterisie‐ rung von Figuren in epischen oder dramatischen Texten ist ein Vorteil in diesem Skill File, wenngleich eine Trennung von Alltagsbegriffen und fachsprachlichen Konzepten ratsam erscheint. Marcus’ wiederholtes Martyrium in den Händen seiner Gegner, der parami‐ litärischen Organisation des Department of Homeland Security (im Folgenden DHS) und seiner Repräsentant: innen, ist jedoch nur die eine Seite seines Charakters. Auf der anderen Seite macht er sich in mehrfacher Hinsicht strafbar, indem er seine Computerkenntnisse schon vor dem Terrorakt und der anschlie‐ ßenden Verschärfung der öffentlichen Überwachungsmaßnahmen zu teilweise kriminellen hacks verwendet. So betrachtet, vereint er in seinem Handeln Schuld (als Kleinkrimineller) und Unschuld (als Terrorverdächtiger). Da er als Individuum in nahezu aussichtsloser Opposition zur Staatsmacht tritt und zudem von seinen wichtigsten Freunden nach und nach in seinem Kampf gegen das System verlassen wird, erfüllt er auch in dieser Hinsicht ein wesentliches Kriterium klassischer Heldenkonstruktionen. Diese wird allerdings durch die Tatsache aufgehoben, dass Marcus zwar sein Leben zu opfern bereit wäre, aber - anders als ein tragischer Held - nicht stirbt; die ultimative Konfliktlösung erfolgt zudem schließlich in der und durch die Erwachsenenwelt: Zwar schwört er sich, die Machenschaften des DHS notfalls im Alleingang zu stoppen, indem er diese Institution aus einem asymmetrischen Machtverhältnis heraus vernichten will, aber umsetzen kann er seinen Eid nicht. Als er sich seinen Eltern gegenüber ge‐ öffnet hat, kontaktieren diese eine mit ihnen zufällig befreundete investigative Journalistin. Erst diese deckt seinen Fall sowie die weiter verzweigten illegalen 125 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 27 In S7 wird den Schüler: innen dazu gleichwohl weitere erzähltechnische Begriffe, in diesem Fall aus E.M. Forsters Aspects of the Novel (1929), ohne weitere Kontextualisie‐ rung als „basic vocabulary“ vorgestellt: „flat character (does not change, has no depth)“ vs. „round character (changes, is presented in detail)“ (GL 315, Herv.i.Orig.). Machenschaften im Machtzirkel des DHS auf und sorgt für Konsequenzen bis in die politische Sphäre. Das vorgestellte Textmaterial besteht aus einem kurzen Dialog zwischen der Hauptfigur und einem Cafébesitzer, der seinem jungen Kunden sein neues Misstrauen gegenüber Kreditkarten erläutert und dabei auf die datenbasierte Möglichkeit einer staatlichen Kontrolle des Alltagslebens verweist: „Now they can monitor every time you use your card. I say no. […] What is the problem with government knowing when you buy coffee? Because it’s one way they know where you are, where you been. […] Where you have government always spying on the people, is no good.“ (GL 168, entspricht Doctorow 2018: 93) Insgesamt dürfte dieser Abschnitt aus Kapitel 6 des Romans, das diese paar Augenblicke im Stammcafé an Marcus’ erstem Schultag nach der Freilassung aus seiner fünftägigen Leidenszeit beim DHS wiedergibt (ebd., entspricht Doctorow 2016: 93-94), kaum ausreichen zu bestimmen, ob eine der Figuren (Marcus? der türkische Cafébesitzer? ) nun statisch oder dynamisch sei und auf welche Textsignale man zu achten habe, um diese Bestimmung vorzunehmen. In der Tat aber suggeriert die Heranführung an diesen Textausschnitt, dass eine solche knappe Darstellung zu einem Gesamturteil über die Figur ausreiche; komplexere Entwicklungen werden dabei jedoch übersehen bzw. ignoriert. 27 Erst in der dritten Aufgabe, einer speaking task, kommt das ursprüngliche Thema dieses Textes - „Privacy“ - wieder zur Geltung, indem die Schüler: innen mündlich im Think-Pair-Share-Verfahren Stellung dazu beziehen sollen, inwie‐ weit sie die Hauptargumente von Marcus’ Gesprächspartner, dem türkischen Café-Besitzer, stützen: Er beabsichtige mit seiner Weigerung, Kreditkarten als Zahlungsmittel zu akzeptieren, seine Kunden vor unangemessenem staatlichen Datenzugriff, der durch die jüngste Anti-Terror-Gesetzgebung infolge des fik‐ tiven Attentats legislativ als „Patriot Act II“ ermöglicht wurde, zu schützen. Eine Evaluationsaufgabe beschließt die Auseinandersetzung mit diesem Text, indem nun ein - aus dem Romankontext isoliertes - Orwell-Zitat mit der Be‐ vorzugung vom Glücklichsein der Masse gegenüber der Freiheit des Einzelnen, wie es O’Brien in Nineteen Eight-Four formuliert, mit Little Brother in einen Zusammenhang gebracht wird. Der kurze Textpassus aus Doctorows Roman präsentiert neben der Haupt‐ figur eine sehr blasse Nebenfigur, die in keiner anderen Szene nochmals in Erscheinung tritt. Dass der eine Dialogpartner, Marcus, einen sehr umgangs‐ 126 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced sprachlichen Sprechgestus hat und der andere ein internationales Englisch mit Akzent spricht, soll von den Schüler: innen entdeckt (GL 188, Aufgabe 2b) bzw. durch eine penible Fehlerkorrektur des türkischen Migranten (vgl. GL-WB 77) verbessert werden. Angesichts des Abrückens von einer einzelnen, idealisierten Sprachvarietät (wie in früheren ESL-Paradigmen verabsolutierten Queen’s English und Received Pronunciation) und der Zuwendung zu einem von vielen regionalen und sozialen (insbesondere mündliche) Sprachvarietäten im Global English erscheint dies kaum als ein angemessener Text-, geschweige denn Sprachzugang. Denn in Bezug auf beide Figuren spiegelt sich in einer stark kulturell wie linguistisch stereotypisierenden Darstellung das von Vielfalt geprägte sub- und multikulturelle Feld, durch das der jugendliche Marcus sich bewegt. Mit der Aufgabe werden gerade interkulturelle Werte wie Toleranz und linguistische Vielfalt einem idealisierten Sprachkonservatismus preisgegeben - zugleich wird auch die sprachliche Authentizität der Szene diesem normativen Anspruch untergeordnet. Mit Hilfe anderer Passagen ließe sich die Charakterisierung Marcus‘ um weitere Details ergänzen; hinzu kommt die ironisch-freche Tonlage auch in der (retrospektiven) Beschreibung von Extremsituationen, sowie Marcus’ Beherrschung des ‚Computerese‘, die es ihm ermöglicht, mit sehr einfachen Formulierungen komplexe Informationstechnologie-Phänomene zu erklären. Alle diese Sprachregister zieht der Ich-Erzähler in ganz unterschiedlichen Situationen - bis zu dem Punkt, dass er in politischen Diskussionen, nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch am heimischen Esstisch und in Verhörsituationen, einen Passus aus der amerikanischen Verfassung immer wieder zitiert und als Rechtfertigung für seine subversiven Handlungen verwendet: Governments are instituted among men, deriving their just powers from the consent of the governed, that whenever any form of government becomes destructive of these ends, it is the right of the people to alter and abolish it, and to institute new government, laying its foundation on such principles, and organizing its powers in such form, as to them shall seem most likely to effect their safety and happiness (Doctorow 2018: 182). Mit diesem Passus stellt Marcus die Legitimation der Bundesregierung in Wa‐ shington infrage, insofern sie von der Bevölkerung diese nicht mehr unterstützt wird. Marcus beansprucht für sich, diesen Nachweis mit seinen Handlungen zu erbringen, da sie die Macht und Willkürlichkeit des DHS, deren paramilitärische Mitglieder ihn und seine Freunde Vanessa (Van), Jolu ( Joe Louis) zusammen mit Hunderten anderer Unschuldiger unmittelbar nach den Terroranschlägen für mehrere Tage festgehalten haben bzw. einen von ihnen (Darryl) für mehrere 127 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff Monate in einem Hochsicherheitstrakt versteckt halten, aufdecken und mit denen er die Legitimität der politisch Verantwortlichen in den höchsten Regie‐ rungskreisen anfechten sollen. Für eine angemessenere Lektüre mit dem Ziel einer komplexen Figuren-Cha‐ rakterisierung unter dem übergeordneten Thema „Privacy“ wäre eine Auswahl von Textpassagen sinnvoll, die einerseits Marcus’ eigene Einstellung dazu liefert und zum anderen auch andere Stimmen aus seinem sozialen Umfeld zur Geltung bringt, so dass ein enges Beziehungsgeflecht zwischen einzelnen Figuren und ihren Standpunkte entsteht. Die im Lehrbuch abgedruckte Passage böte somit die nötigen Vergleichskriterien. So wird aus den ersten zwei Kapiteln, die vor dem Terrorakt auf die San Francisco Bay Bridge und das Transportsystem der U-Bahn situiert sind, deutlich, dass Marcus’ Schule „Cesar Chavez“ schon ein weitgediehenes Überwachungssystem installiert hat, das zuerst eine Gesichts‐ erkennungssoftware enthielt, die aber aufgrund juristischer Bedenken wieder deinstalliert werden musste. Stattdessen gibt es Bewegungskameras, die den Gang jedes Menschen, der sich durchs Suchfeld der Kamera bewegt, speichert und einem Individuum zuordnet. Dieses Überwachungssystem überwindet Marcus, indem er sich Kieselsteine in die Schuhe legt und dadurch seinen Gang verändert; zudem legt er die Software des Systems lahm. Im Vergleich mit der Szene im Coffeeshop zeigt sich hier, dass beide Figuren, Marcus und der aus der Türkei eingewanderte Ladenbesitzer, eine ähnlich ablehnende Einstellung gegenüber staatlichen Überwachungssystemen haben. Der Café-Inhaber verzichtet daher auf ein weit verbreitetes Zahlungsmittel, aber dieser Verzicht ist eine weitgehend passive Maßnahme, die allenfalls sein eigenes Geschäft stört, und die daher von der Strategie in Marcus’ Verhalten weit entfernt steht. Denn dieser geht aktiv gegen die Software vor, weil er weiß, auf welchen Prinzipien sie basiert, und er kennt Mittel und Wege, dieses System zu unterlaufen. Seine Kenntnisse als Computer-hacker erlauben es ihm, in anderer Hinsicht nicht nur in seinem Verhalten gegen die Funktionalität der Software zu arbeiten, sondern Software auch zu verändern. So baut er mittels einer Spielkonsole ein paralleles, virales Computernetz zum regulären Internet auf - ein Darknet. In diesem „Xnet“, das über eine Spielkonsole aktiviert und gesteuert wird, organisiert Marcus seine Mitstreiter im Kampf gegen den totalen Überwachungsstaat, der in der Folge der Terror-Akte um die Bay Bridge errichtet wird; zugleich ist er stets bemüht, seine Identität vor Infiltration durch Gegenspieler zu schützen. Aufgrund seiner Untergrund-Aktivität im Xnet, wo Marcus unter dem Codename „M1k3y“ rasch eine Führungsposition mit celebrity-Status erreicht, überwirft Van sich mit ihm, da sie nicht wie Marcus nur an ihre persönlichen Ziele denkt, sondern auch die Gefährdung anderer 128 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 28 Auch Jolu wird Marcus später in seinem Kampf verlassen, dies jedoch nicht aus moralischen Gründen wie Van, sondern deswegen, weil er als Farbiger im Falle eines Scheiterns mit schärferen Sanktionen zu rechnen hätte (vgl. 160-161). realisiert. Denn Marcus plant einen massenhaften digitalen Identitätstausch im Zuge eines flashmobs, um alle Überwachungssoftware zum Absturz zu bringen. Dabei missversteht er Vans erste Reaktion auf seinen Vorschlag als Zustimmung, was seine Grenzen in der direkten face-to-face Kommunikation mit anderen verdeutlicht: “Seriously. We can do this. We can mess up the profiles easily. Getting people pulled over is easy.” She sat up and pushed her hair off her face and looked at me. I felt a little flip in my stomach, thinking that she was really impressed with me. “It’s the […] cloners”, I said. “They’re totally easy to make. Just flash the firmware on a ten-dollar Radio Shack reader/ writer and you’re done. What we do is go around and randomly swap the tags on people, overwriting their Fast Passes and FasTracks [i.e., digital tickets for public transport] with other people’s codes. That’ll make everyone skew all weird and screwy, and make everyone look guilty. Then: total gridlock.” Van pursed her lips and lowered her shades and I realized she was so angry she couldn’t speak. “Good bye, Marcus,” she said, and got to her feet. Before I knew it, she was walking away so fast she was practically running. “Van! ” I called, getting to my feet and chasing after her. “Van! Wait! ” She picked up speed, making me run to catch her. “Van, what the hell,” I said, catching her arm. She jerked it away so hard I punched my hand in the face. “You’re psycho, Marcus. You’re going to put all your little Xnet buddies in danger for their lives, and on top of it, you’re going to turn the whole city into terrorism suspects. Can’t you stop before you hurt these people? ” (Doctorow 2018: 127-128, Herv.i.Orig.) Vanessa erscheint hier zum wiederholten Mal als Stimme der Vernunft (zur ersten Szene dieser Art vgl. Doctorow 2018: 116-117), die Marcus in seinem subversiven Kampf gegen einen übermächtigen Feind Einhalt zu gebieten und von solchen kriminellen Aktionen abzulassen sucht, die dann auch unbeteiligte civilians gefährden könnten; Marcus jedoch insistiert auf seinem Plan und beide nehmen in Kauf, sich dauerhaft zu zerstreiten. Ungeachtet dessen wird Van noch einmal kurz von Ende der Handlung aktiv und erklärt sich bereit, juristisch wichtige Beweise und Erkenntnisse über DHS an die mit den Marcus’ Eltern befreundete Journalistin durchzustecken. 28 129 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff Die zwei Passagen, die hier in Ergänzung zu der im Lehrbuch abgedruckten Szene ausgewählt wurden, geben einen Eindruck von der quichotischen Ein‐ stellung Marcus’ in seinem aussichtslosen Kampf gegen das mächtige Überwa‐ chungssystem. Vor allem aber ermöglichen sie, mit entsprechenden Worterklä‐ rungen, die auch in der didaktisierten Ganztextausgabe enthalten sind, einen sehr viel detaillierteren Zugriff auf die Charakterisierungstechniken, die im Text zur Anwendung kommen. Marcus, der Ich-Erzähler des Geschehens, präsentiert sich mit eigenen Haltungen und Einstellungen, die durch die Fremdcharakteri‐ sierungen der anderen Figuren und deren Verhalten kontrastiert bzw. ergänzt werden. Besonders interessant aus didaktischer Sicht ist die Tatsache, dass im Anschluss an eine solche vielschichtige Figuren-Analyse auch inhaltliche Fragen aufwirft: insbesondere die nach dem Wert von „Privacy“ hier und der Schwierigkeit dort, eigenen Ziele mit allen Mittel zu verfolgen und dabei auch die Bereitschaft einzugehen, viele andere Menschen zu gefährden. An diesem Punkt lässt sich der Weg zurück von der deutenden Texterarbeitung zu einem kommunikativen Lernansatz vollziehen. Alex Garland, Never Let Me Go (2011). Auch der Umgang mit dem Dreh‐ buch zur Literaturverfilmung von Ishiguros Roman bietet die Chance, einen Akzent auf eine enggeführte Textarbeit zu richten. Den Schüler: innen wird ein Passus als Lesetext angeboten, der zunächst einmal hohen authentischen Cha‐ rakter birgt: Die Handlung gibt eine schultypische Situation wieder, die jedoch vom Alltagserleben deutscher Durchschnittsschüler: innen in erheblichem Maße abweicht (mit einer englischen boarding school als Ort) und somit ein kulturelles Fremdheitserlebnis bzw. eine interkulturelle Reflexion darüber ermöglicht. Die Zöglinge im Internat von Hailsham sehen sich mit der Frage von Miss Lucy konfrontiert, wie sie ihre Zukunft gestalten möchten. Die junge Lehrerin ist diejenige unter den Lehrkräften, die als einzige die Klon-Kinder - entgegen allen schulinternen Bestimmungen - über ihre Zukunft als menschliche Ersatz‐ teillager aufklärt und ihnen folglich jeden Berufswunsch und Zukunftstraum als Illusion aufzeigt. Im Hinblick auf die Textpassage aus dem Drehbuch werden die Schüler: innen zunächst aufgefordert, die Erklärungen von Miss Lucy zusammenzufassen und die Reaktionen der Schüler und Schülerinnen darauf zu beschreiben. Die zweite Aufgabe wendet sich der Analyse der Stimmung bzw. der Atmosphäre während der aufklärenden Rede von Miss Lucy zu. Das Drehbuch liefert hierzu allerdings recht wenige direkte Hinweise über den Wind hinaus, der die Szene durchweht, und jenseits des Schweigens, mit dem auf Miss Lucy reagiert wird. So heißt es eingangs: „There is an odd electricity in the air. The children don’t know what MISS LUCY is about to say. But they sense it is seismic.” (GL 190, Herv.i.Orig.) 130 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 29 Camden Town, 64-65, veranschaulicht, in welch produktiver Weise nahezu derselbe Passus im Unterricht eingesetzt werden kann. Vgl. dazu Abschn. 2.2.2. Diese beschreibenden Details als Informationsgrundlage führen noch zu keinen differenzierten oder anspruchsvollen Sprachproduktionen; gleiches gilt für die lakonisch-stichwortartige, uniforme Darstellung der Reaktionen der Kinder auf die Rede von Miss Lucy: „Stunned. Not certain what to say, or do. Except remain locked to their seats, and wait for the moment to go away.” (GL 191, Herv.i.Orig.) In Auseinandersetzung mit Kapitel 7 von Ishiguros Roman könnte der ent‐ sprechende Passus erheblich mehr Raum für Sprechanlässe der Schüler: innen bieten, da die Rede von Miss Lucy (Ishiguro 2016: 88, Z. 2-23) verbal als Kulmi‐ nationspunkt der zuvor sich entwickelnden Krisensituation gekennzeichnet ist. Im Gegensatz zum Drehbuch, das seinerseits mit wenigen Textformulierungen als unspezifischen emotiven Signalen als Regieanweisungen an die Schauspieler arbeitet („odd electricity“; „seismic“), die diese expressiv und performativ in Handlung, Mimik und Gestik übersetzen müssen, erzeugt der Prosatext einen „gestimmten Raum“ (vgl. Abschnitt 1.4) mit seiner verdichteten Atmosphäre und der ausführlichen Darstellung unterschiedlicher Sichtweisen der anwe‐ senden Schüler: Die Erinnerung Kathys an das dunkle, muffige Klassenzimmer, mit der die Filmszene ihren Ausgang nimmt, während es draußen regnet, wird im Roman als eine ebenfalls verregnete Veranda des Internats in Hailsham verortet. Mit den folgenden Betrachtungen soll kein Urteil im Sinne einer grundsätz‐ lichen Überlegenheit des Mediums Text gegenüber dem Medium Film gebildet werden, sondern im Sinne der didaktisch gesteuerten Auseinandersetzung mit einem komplexen literarischen Text darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Informationsvergabe hier auf verbaler und imaginativer Ebene, vermittelt wird. Während im Film der visuelle und akustische Code den Rezeptionsvorgang zusätzlich beeinflussen, hat das knappere Drehbuch gegenüber der Romanvor‐ lage tatsächlich Nachteile. 29 Anders als das klaustrophobische Klassenzimmer, in dem die Klasse im Film ihre ausweglose Situation geschildert bekommen, ist die Veranda im Roman ein liminaler Raum zwischen Schutz und Exposition, Nässe und Trockenheit, psychischem Innen und physischem Außen, in dem sich die pädagogische Krise einer Lehrerin, Miss Lucy, vollzieht und die existenzielle Krise der Kinder ihren Ausgang nimmt. Die Lehrkraft führt Aufsicht über die etwa 15-jährigen munteren Jugendlichen, und Kathy erinnert sich, dass ihre Lehrerin eines Tages einen sehr angespannten Eindruck auf sie gemacht hat. Von hier ausgehend beginnt die Schilderung der Szene, die die Kinder über ihren einzigen Lebens‐ 131 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff zweck aufklären wird: Hier werden mit der Beschreibung der Körpersprache der Figuren deren emotionale Reaktionen ebenso verbalisiert (Anspannung, Befremden) wie im Anschluss an Miss Lucys Ansprache die Spekulationen der Schülerinnen und Schüler darüber, wer oder was den Anlass für ihren Ausbruch gegeben hat und wozu er diente. Kathy positioniert sich retrospektiv zu all diesen Reaktionen und listet diese z.T. detailliert auf, indem sie Tommys Spekulation als „conspiracy theory“ beurteilt, zugleich aber darüber verwundert ist, wie erfolgreich das System von frühester Kindheit der Klone an diesen eingetrichtert hat, zu welchem Zweck sie bestimmt sind. Die beiden Ergänzungszitate aus dem Romantext legen dar, wie viel mehr Information dieser gegenüber den knappen Formulierungen im Filmskript zu der Aufgabe bereitstellt, die Rede von Miss Lucy und die Reaktionen der Kinder zusammenzufassen (Operatoren: „sum up […] and describe […]“, GL 191). Gleiches gilt für die Aufgabe aus dem Analyse-Teil, „Examine how atmosphere is created“ (GL 191). Im Lehrerband zu Green Line findet sich bezüglich der Analyse-Aufgabe folgende Tabelle, die den Erwartungshorizont darstellt: Description Analysis “Rain blows through the half open window.” (l. 11) rain - sadness “It [map] shudders in the wind.” (l. 13) shaking movement - cold / frightened “There is an odd electricity in the air.” (l. 16) tension; element of danger “They sense it is seismic.” (l. 17) allusion to earthquakes, i. e. violent shaking of the surface “The wind … blows a couple of papers off the desk.” (l. 20) strong movement which upsets the routine; possible reference to the out‐ side world which is hostile. Beat repeated pauses; Miss Lucy speaks slowly, the children remain silent colours: mainly grey and brown underline the gloomy atmosphere Tab. 11: Lösungsvorschlag zu Green Line, Topic 8B, Aufgabe 2 (GL-LB 332) Hier werden allerdings nicht nur die Textpassagen aus dem Skript aufgezählt, sondern in der Spalte „Analysis“ auch deren funktionale und hermeneutische Deutungsansätze, so dass der Spaltentitel mit verschiedenen Kategorien auch unterschiedliche Arbeitsschritte vermischt. Bei den Einträgen handelt es sich 132 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced immer wieder um Textbeschreibung, Worterklärungen und Funktionszuwei‐ sungen, die jedoch nur mittelbar Aufschluss über die Bedeutung (im Sinne einer signification) in ihrem spezifischen fiktionalen Zusammenhang geben. An dieser Stelle wird auch die metaphorische Verwendung des Wortes „seismic“ unpassend auf rein wörtlicher Ebene erklärt als „allusion to earthquakes, i. e. violent shaking of the surface“. Da z. B. der Ausdruck „seismic“ im Drehbuch als figurative Beschreibung der Wirkung von Miss Lucys Rede dient, wäre ein erklärender Kommentar zum übertragenen Sinn des Wortes in diesem Zusammenhang angebracht. Schließlich folgt auf den Passus im Filmskript eine kreative Schreibaufgabe, mit der Schüler: innen die Perspektive von Miss Lucy als inneren Monolog („while she is making her speech“, GL 191, Herv.i.Orig.) darstellen sollen. D.h. die Schüler: innen werden hier aufgefordert, die unmittelbare Textebene zu verlassen und diesen zwar als Vorlage zu nehmen, aber einen eigenen Text zu verfassen. Als Ergänzung zur Analyse der Atmosphärendarstellung im Drehbuch erscheint die kreative Aktivierung der Schüler: innen wenig passend, da dies in keinem synthetisch erschließbaren Zusammenhang zum zuvor Erarbeiteten steht. Wäre dieser kreative post reading-Auftrag zu einer analytischen while-reading activity modifiziert, schlösse er besser an eine Formulierung aus dem Romantext an: „my impression was that she was continuing to say things inside her head“ (Ishiguro 2016: 88, Z. 24-25). Ein solch modifizierter Arbeitsauftrag, unter Einsatz der Romanpassage, machte auch deutlich mehr Sinn für diejenigen leistungsstärkeren Schüler: innen, die zum Diff[erentiation] Pool verwiesen werden, wo Miss Lucy ins Zentrum der Betrachtung der Drehbuchszene rückt: „Characterise Ms Lucy.“ (GL 284, Aufgabe 3; Herv.i.Orig.): Dazu müssen die Schüler: innen nicht nur direkte und indirekte Charakterisierungstechniken erfassen, sondern auch einen Blick auf die Möglichkeiten zur erzählerischen Gestaltung durch den Einsatz der verschiedenen Perspektivtechniken (stream of consciousness) richten können, die der Romantext unterhalb der Filterung durch Kathy H. bereithält. Der Aufgabe selbst käme unstrittig eine hohe Bedeutung als textbasierte Lernaufgabe zu - jedoch liefert dafür der Drehbuchauszug allein zu wenig substanzielle Informationen über Miss Lucy, während sich der entsprechende Passus im Roman sehr viel besser für eine genauere Figurenanalyse eignete. Das größte Problem in diesen Aufgabenstellungen besteht darin, dass das zugrundeliegende Material, der Textpassus aus dem Filmskript, kaum eine erzählerische Gestaltung von Atmosphäre oder Figurenkonzeption enthält, während diese am Romantext sehr viel deutlicher zu belegen sind. Auch wenn die Drehbuch-Szene als Film-Clip gezeigt würde, bestünde hier ein erhebliches Entgegenkommen gegenüber den Schüler: innen, die dann mit Hilfe von wie‐ 133 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff derum (film-)analytischen Verfahren Auskunft darüber geben könnten, wie die wenigen Textinformationen aus dem Drehbuch in Szene gesetzt und cineastisch dargestellt werden. Matt Haig, ECHO Boy (2014). Der Zugang zum Romanbeginn stellt metho‐ disch in Green Line die Ausnahme zur p/ w/ p-Regel dar; hier erfolgt als Einstieg zunächst, außer der Situierung im Romangeschehen (das „opening“ umfasst Auszüge aus Kapiteln 1, 2 und den Beginn von 3, wobei die Kapitelgrenzen nicht angezeigt werden) lediglich eine basale Information zum Roman: „The narrator, 15-year-old Aubrey Castle, tells us about life in the 22nd century.“ (GL 198, Herv.i.Orig.) ECHO ist das Akronym für „Enhanced Computerized Humanoid Organism“ und beschreibt so die intelligenten, anthropomorphen Haushalts-Ro‐ boter, die in diesem Roman beschrieben werden; eines dieser Wesen mit Namen Alissa, wie auch das Titel-Akronym, stellt somit lautliche Assoziationen zu den Sprachassistenten eines bekannten amerikanischen Medienkonzerns her. Eine besondere Herausforderung liegt in Aufgabe 2 die Vertiefung des Bewusstseins für literarische Formen, die schon im Zusammenhang der thematischen Einfüh‐ rung in das Kapitel angelegt sind: In contrast to utopian and dystopian stories, which focus on future societies, science fiction […] stories primarily deal with scientific or technological advances and their effects on society and private lives. The main technique of sci-fi writers is extrapola‐ tion, i. e. they predict believable future developments from current trends in science and technology. Science fiction usually mixes advanced technology (e.g. time travel, spaceflights), non-human characters (e.g. aliens, robots, humanoid computers) and action-packed plots (e.g. the invasion of the earth, technology out of control). (GL 183). Mit Hilfe dieser Informationen soll der generische Charakter des Romans mit dem Skill File S5.1 „Understanding narrative text types and typical features“ (GL 311) weiter erschlossen werden: „2a) Make a list with elements showing that the novel is set in the future. Explain how life seems to have developed. 2b) Which features in the excerpt are typical for other genres? Explain their functions.“ (GL 199, Herv.i.Orig.). An dieser Stelle zeigt sich, dass in Einzelfällen die Verwendung der Aufgabenoperatoren nicht unproblematisch ist. Die beiden Aspekte aber, die hier zu „erklären“ sind, beinhalten ganz verschiedene kogni‐ tive Leistungen. Während es kaum möglich ist, Erklärungen bezüglich einer fingierten Entwicklung des Lebens auf der Erde im 22. Jahrhundert zu liefern, ist die Funktionsweise von Genres durchaus zu erfassen - zumindest dann, wenn genügend Hintergrundinformation dazu vorhanden ist bzw. zur Verfügung gestellt wird (z. B. per Websearch). 134 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Inwieweit jedoch eine reine Zuordnungstabelle mit der Gegenüberstellung von „Important sub-genres of the novel“ und die darin erwähnten Titel von Beispieltexten den Schüler: innen helfen können, die Frage nach typischen Form‐ merkmalen von literarischen Texten zu beantworten, ist fraglich: Denn das ge‐ nannte Skill File mit der als „Tip“ bezeichneten Literaturliste übersteigt einerseits den fremdsprachlichen Lesehorizont von Schüler: innen; andererseits bietet es den Lernenden mit seinem Informationsgehalt keine konkreten Anhaltspunkte, mit denen die Frage nach literarischen Formen und deren Funktionen inhaltlich zu beantworten wäre (GL 311, Herv.i.Orig.): • Important sub-genres of the novel with examples • coming-of-age: To Kill a Mockingbird by Harper Lee • crime: Sherlock Holmes by Arthur Conan Doyle • dystopia: Fahrenheit 451 by Ray Bradbury • family saga: White Teeth by Zadie Smith • fantasy: Lord of the Rings by J.R.R. Tolkien • fictional diary: Adrian Mole by Sue Townsend • Gothic or horror: Frankenstein by Mary Shelley • historical: The Eagle of the Ninth by Rosemary Sutcliffe • philosophical / psychological: The Ambassadors by Henry James • romance: Sense and Sensibility by Jane Austen • science fiction: Cloud Atlas by David Mitchell Die Schüler: innen finden dennoch eine Hilfestellung zu diesen Aspekten in ihrem Band, da eine Tabelle im Diff-Pool die wesentlichen Gattungsmerkmale von „coming of age fiction“ und „crime fiction“ auflistet, deren Kennzeichen im Textauszug nachgewiesen werden sollen: Genre Typical features Coming-of-age fiction focuses on the psychological, moral and emotional growth of a protagonist the protagonist is confronted with the challenges of growing up (transition from youth to adulthood) usually involves life-changing event (initiation into society, the loss of security, etc. Crime fiction suspense created by plot-structure and narrative techniques (e.g., the reader knows more than the protagonist) usually involves a mystery to be solved (e.g., crime, murder) and/ or a protagonist in danger Tab. 12: Hilfestellung für Genrezuordnungen, Green Line, „Diff-Pool“ zu Topic 8E, Aufgabe 6 (GL 284, Herv.i.Orig.) 135 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff Dieses inhaltlich präzisierte Verfahren gegenüber dem Skill File erscheint sinnvoller, um den Lernenden nachvollziehbare Kategorien für eine generische Zuordnung an die Hand zu geben. Mit ihnen soll es ermöglicht werden, dass die Schüler: innen bestimmte formale Text-Charakteristika von inhaltlichen Textinformationen zu unterscheiden. Die Hinweise im Diff-Pool erweisen sich daher an dieser Stelle als zielführender gegenüber den plakativen Zuordnungen im Skill File. Deswegen wird hier ein hoher Grad an Intervention und Lenkung durch die Lehrkraft erforderlich sein. Denn ein Blick in die Handreichungen für den Unterricht zeigt schließlich, dass den Schüler: innen ein ausführliches Unterrichtsgespräch dazu dient, das Wesen und die Funktion unterschiedli‐ cher Erzählgattungen zu bestimmen und in einem Tafelbild zu kategorisieren. Dabei wird als Lösungsvorschlag, wie im Schülerbuch auch auf den Seiten des Diff-Pool, eine Tabelle mit den Kennzeichen von „autobiographical novel“, „crime fiction“, „diary / journal“, „thriller“ und „coming-of-age fiction“ geliefert, die allerdings über die in dem Kapitel behandelten literarischen Textauszüge hinausgehen bzw. die die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Unterrichtsgegen‐ stand ablenken - zumal hier erneut weitere Texte ohne jedes inhaltliche Detail genannt werden: Genre Definition Characteristics Autobiographical novel hybrid genre which com‐ bines fiction and non-fic‐ tion; an author decides to give a fictional account of a real life experience usually written like a me‐ moir; first-person narrator; the protagonist is modelled after the author; the plot line mirrors events in his or her life Examples: Jeannette Win‐ terson, Oranges are not the only Fruit, Kathryn Stockett, The Help; Sherman Alexie, The Absolutely True Diary of a Part-Time Indian Crime fiction deals with criminal inves‐ tigations, criminals and their motives a significant crime sets off the action; the hero usually tries to solve the crime; the criminal is somebody interes‐ ting who is introduced at the beginning of the story Examples: Edgar Alan [sic] Poe, Murders in the Rue Morgue; Arthur Conan Doyle, Sherlock Holmes, PD James, Death in Holy Orders 136 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Diary (also called a journal) a record (originally in handwritten format) with entries arranged by date which reports on what has happened over a certain period of time focus on important or less important everyday occur‐ rences with self-reflection; emotional experience and personal impressions Examples: Samuel Pepys, Diary; Anne Frank, The Dia‐ ries of a Young Girl […] […] […] Tab. 13: Musterlösung zu Green Line, Topic 8E, Aufgabe 2b (GL-LB 344) Aufgabe 4 im Zusammenhang mit Haigs ECHO Boy schließlich widmet sich, analog zur Transferaufgabe zu Doctorow mit dem Bezug auf Orwell, der Intertextualität von ECHO Boy zu Huxleys Brave New World und insbesondere dem Zitat des world controller Mustapha Mond: „I am interested in truth, I like science. But truth’s a menace, science is a public danger. As dangerous as it’s been beneficient. … But we can’t allow science to undo its own good work. That’s why we so carefully limit the scope it researches.“ (GL 199, ‚Auslassung‘ im Original; entspr. Huxley 1994: 207-208) Über dieses Zitat hinaus erhalten die Schüler: innen eine minimale Referenztext-Kenntnis mit Hilfe eines Fact File, das ihnen eine kurze, wertende Genre-Zuordnung zu Huxleys Roman („most famous example[-] of dystopian fiction“) liefert und eine knappe Inhaltsskizze am Seitenrand vermittelt. Mit dem Zitat aus dem Referenztext wird eine philosophisch-ethische Diskussion über Nutzen oder Schaden ‚der‘ Naturwis‐ senschaft initiiert, über die die Schüler: innen eher intuitiv als am Text orientiert Bedeutungen ‚aushandeln‘ sollen. Dabei böte auch hier ein Vergleichstext aus Brave New World mit der ausführlichen Argumentation Mustapha Monds im Gespräch mit John the Savage hinreichend Material, um die Sichtweise der beiden Kontrahenten zu erarbeiten und in vergleichenden Bezug zu ECHO Boy zu setzen. Die Aufgabe lässt es auch erforderlich scheinen, auf zuvor diskutierte Sachtexte aus dem Kapitel zurückzugreifen; insbesondere die Einführung ins Thema (GL 180-181) und die anschließende Spots on Facts-Doppelseite sind hierfür geeignet, aber auch ein wiederholter Blick auf solche Hinweise, die im workshop und in einigen der „Advanced texts“ gegeben werden. Ähnlich wie in Camden Town ergibt sich auf diese Weise eine thematisch-diskursive Abrundung des Komplexes „literarische Utopie“, die zugleich den Schüler: innen eine Gelegenheit zur Selbstreflexion über den individuellen Lernfortschritt und Kompetenzzuwachs gibt. 137 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff Resümee. Insgesamt bleibt der Schluss, dass Green Line im analytischen Bereich dieselben methodischen Schwierigkeiten auf Schülerebene erzeugt, wie dies an den anderen Lehrwerken oben diskutiert wurde. Die Herausarbei‐ tung der atmosphärischen Gestaltung einer fiktionalen Welt (hier: die Welt in Never Let Me Go) unter Zuhilfenahme eines Drehbuchs, das sehr viel weniger stilistische Mittel dafür bereitstellt als der entsprechende Prosatext. Auch erweist sich das abschließende Bemühen, in dieser Unterrichtseinheit tiefere Kenntnisse über literarische Genres zu vermitteln, als wenig aussichtsreich, da die Informationen für die Schüler: innen weder aus thematischer noch aus lerntheoretischer Sicht nachvollziehbar aufbereitet werden. Lediglich Werktitel und einige wenige Charakteristika listenförmig zu präsentieren (oder auch schrittweise als Tafelbild zu entwickeln) wird kaum Lernerfolge zeitigen, da die Genre-Kategorien und -kriterien weitgehend deduktiv im Lehrervortrag dargestellt werden müssen, ohne dass die exemplarischen Werktitel konkrete Anhaltspunkte dafür liefern könnten. 2.2.5 Pathway Advanced: Menschenskinder Bezüglich der inhaltlichen Gewichtung innerhalb des Lernmoduls „Science (Fiction) & Technology: Towards a Better World? “ ist der lebensweltliche Bezug des ersten Abschnitts unter der Überschrift „Genetic Engineering“ (PA 342-354) der in Pathway Advanced am stärksten akzentuierte. Demgegenüber fällt anschließend der zweite Abschnitt „Science and Technology: Man Between Molecules and Machines“ (PA 355-362) quantitativ auch gegenüber den anschlie‐ ßenden fiktionalen Stoffen ab, die mit einem Auszug aus Matt Haigs ECHO Boy zum letzten Thema der Einheit, „Utopia and Dystopia: Between Euphoria and Disaster“, überleiten (PA 362-375). In Pathway Advanced beginnt die Zuwendung zu literarischen Texten also mit dem Werk, das in Green Line den Endpunkt der Lerneinheit zu „Science and Utopia“ darstellt. Gegenüber den anderen Lehrwerken fällt hier zudem die verstärkt multi- und intermediale Herangehensweise an fiktionale Stoffe auf; es wird nicht immer ein Textauszug aus Romanvorlage oder Drehbuch als ma‐ terielle Grundlage für die Aufgabenstellung zugrunde gelegt, sondern es kann auch ein Hörbuch-Auszug sein, der in Bezug zum Filmskript gesetzt wird. Das Medium Film steht vor allem im Zusammenhang mit dem Stoff (The) Children of Men im Zentrum: Hier ist deutlich der punktuell verfahrende, selektive clip approach identifizierbar (zur Definition vgl. Thaler 2014: 151), insofern lediglich zwei Sequenzen diskutiert werden, von denen die eine (redaktionell betitelt als „Waiting for Syd“) auf der lehrwerkseigenen filmanalytischen Software 138 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced zugänglich ist, während die andere über das Drehbuch und ein Szenenfoto präsentiert wird. Die mit dem Schülerbuch gelieferte Lernsoftware bietet verschiedene Bear‐ beitungstools, die die Schüler: innen in Eigenregie und Einzelarbeit benutzen können. Es lassen sich mit der Software über die Reiter „Funktionen“ Tabellen einfügen, Notizen machen, ‚eigene‘ Medienelemente (z. B. Screenshots) hinzu‐ fügen oder farbliche Hervorhebungen in den Textdokumenten gestalten. Der Reiter „Kurse“ stellt die Liste aller Projekte auf, die im Zuge des Buches anhand verschiedener Filme zu bearbeiten sind; der Reiter „Materialien“ alle Videose‐ quenzen auf der DVD mit den dazugehörigen Transkriptionen u. a. m.; ein dritter Reiter gibt den Zugriff auf ein integriertes cinematographisches Lexikon frei mit der Möglichkeit, einzelne Begriffe zu suchen oder aus einer alphabetischen Liste die einzelnen Begriffserklärungen aufzurufen. Ein Hilfsmenü rundet die Software ab. Abb. 3: Preview für Pathway Advanced, Film Analysis Software: „Waiting for Syd“ (The) Children of Men. Der Analyse von Aufgaben zu diesem Stoff in Pathway Advanced ist zunächst voranzustellen, dass die Verfilmung die Handlung des 139 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 30 Ebenso möglich wäre eine Einordnung der Verfilmung als „stofforientierte Transfor‐ mation“ (Henseler/ Möller/ Surkamp 2011: 235). Romans von P.D. James in Aussage und Bedeutung zwar nachgestaltet, in der inhaltlichen Freiheit aber eher als „analogue“ denn als „appropriation“ im Sinne von Cartmell/ Whelehans Klassifikation (1999: 24) zu bezeichnen wäre: 30 „Clearly, in making Children of Men, Cuarón did not aim at a ‘literal’ adaptation of James’ novel; the changes are substantial and intentional. In the process, the film has become more action-packed and much more ‘spectacular’ than the book.“ (Petzold 2015: 343). Als Resultat fungieren beide plots als Umsetzung derselben story im Sinne einer eigenständigen Komposition. Hier wie dort geht es um die Andeutung der Überwindung einer existenziellen Bedrohung der Menschheit durch eine über 20 Jahre anhaltende globale Zeugungsunfähigkeit. Die zum Zeitpunkt der Romanveröffentlichung 1991 schon verfügbaren oder perspektivisch absehbaren medizinischen Verfahren als Ersatz für die natürliche Fortpflanzung werden in der Romanhandlung nicht erwähnt: weder die seit den 1970er Jahren erfolgreich praktizierte in-vitro-Fertilisation noch der sich abzeichnende Durchbruch auf dem Gebiet des cloning Mitte der 1990er Jahre (mit dem Schaf Dolly als erstem auf diesem Weg erzeugten Säugetier). Das zeitliche setting, von 1990 aus betrachtet, ist im jeweiligen Medium um wenige Jahrzehnte in die Zukunft verschoben. Sehr viel bedeutsamer und funktional relevanter sind jedoch die verschieden gestalteten Handlungsstränge mit ihren einzelnen Episoden, Figuren und der Atmosphäre. In Pathway Advanced wird zunächst die Welt des Romans mit einigen aus‐ führlichen Passagen aus dem geheimen Tagebuch des Protagonisten, Theodore Faron, im ersten Kapitel eingeleitet (PA 365-367; entspr. James 1993: 3-11). Un‐ terbrochen von einer kurzen Reflexion zum Genre der literarischen Utopie mit einer Passage aus Thomas Mores diskursstiftendem Text (PA 368-369) leitet das Schulbuch zum Drehbuchauszug mit einer späten Szene aus der Filmhandlung über (PA 370-371), dem schließlich noch ein Szenenbild hinzugefügt wird (PA 372). Jegliche Hinweise sowohl im Schülerband als auch im Lehrerhandbuch zu Pathway Advanced gehen allerdings über die wesentlichen narrativen und dramaturgischen Unterschiede in den Fassungen von (The) Children of Men hinweg, so dass der Eindruck für Lehrkräfte wie Schüler: innen entstehen kann, die Auszüge aus den unterschiedlichen Medien bildeten einen kausalen und linearen Zusammenhang. Die historischen Bezugspunkte des Romans, u. a. die Verschärfung des britischen Immigrationsrechts während der Regierung Margaret Thatcher in den 1980er Jahren, benennt Petzold (2015: 338-339); 140 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced aktuelle politische Bezüge aus Sicht der Jahre 2020/ 21 ließen sich insbesondere anhand der Verfilmung herstellen: mit ihrer Darstellung von Internierungs‐ lagern für Migrant: innen aus allen Teilen der Welt, als Vorausdeutung auf ein (Post-)Brexit-England, oder als Kommentar zum Terrorismus und dessen Bekämpfung als Form der asymmetrischen Kriegsführung. Sowohl die unterschiedlichen Konfigurationen der story in beiden Medien als auch deren jeweiliges emplotment sowie die Erzählweise sind jedoch so verschieden, dass sie bei ungeübten Rezipient: innen, die ohne weitere Vorberei‐ tung und Reflexion ein engeres Verhältnis zwischen Vorlage und Bearbeitung erwarten, für Verständnisschwierigkeiten bzw. Frustrationserlebnisse sorgen können. Als Folge wecken sie nicht etwa das Interesse, um ggf. weiteren Unterschieden auf die Spur zu kommen, sondern lassen den Stoff womöglich als inkonsistent und rezipienten-unfreundlich erscheinen. Mit einer sorgfältigeren inhaltlichen Aufbereitung für Lehrende und Lernende gleichermaßen wäre die Möglichkeit gegeben, auch einen Impuls für eine gewinnbringende Ganztextlek‐ türe zu setzen und damit das extensive Lesen durch intensive Lektüre zu fördern. Zudem bietet sich ein Vergleich der beiden medialen Stoff-Umsetzungen an, mit dem die verschiedenen Codes auf narrativer und cineastischer Ebene herauszu‐ arbeiten wären. Wegen der genannten inhaltlichen Unterschiede erscheint hier zunächst eine ausführliche Analyse des Unterrichtsgegenstandes - ein Vergleich von Roman und Film - angebracht, ehe auf die verschiedenen didaktischen Aufgabenformate im Lehrwerk und in der filmanalytischen Software näher eingegangen wird. Theo Faron ist hier wie dort der Protagonist; im Roman wechselt der Tagebuch schreibende Ich-Erzähler ab mit dem focalizer, der die Ereignisse des Geschehens in der 3. Person und auf Theos Sicht beschränkt vermittelt. Roman und Film enden mit einer scheinbar optimistischen Note, insofern die mirakulöse Geburt eines Babys die erste ist seit dem Zeitpunkt der bis dahin letzten Geburten im „Year Omega“, das auf das Jahr 1997 datiert ist (vgl. PA 366; entspr. James 1993: 3); der Film nennt das Jahr 2009 als Entsprechung (vgl. Cuarón 2007: 0: 01: 31). Während aber der Roman mit Julian (aus „Juli Ann“, vgl. James 1993: 57) eine Widerstandsaktivistin zeigt, deren Schwangerschaft vermutlich die Folge eines Seitensprungs mit ihrem Mit-Aktivisten Luke ist (vgl. James 1993: 263), präsentiert der Film die Figur der Kindsmutter als eine dunkelhäutige, illegale Einwanderin aus Jamaika namens Kee, die den Vater des Kindes nicht kennt. Die Vaterschaft des Kindes ist also strittig (Roman) bzw. unklar (Film), was als konstitutives Element von mythisch-religiösen Narrativen gilt, in denen es um die Vereinigung von Göttlichem und Menschlichem im ἱερòς γαμός, einer ‚heiligen Hochzeit‘, geht (vgl. Maier 2011). P.D. James 141 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff sucht in ihrem Roman mit der Geburt das spirituell überhöhte Wunder der wiedererlangten Zeugungsfähigkeit und damit die ‚Erlösung‘ einer melancho‐ lisch-hedonistischen Alters-Zivilisation darzustellen, während Cuarón im Film die bedrückende Allgegenwart von militärischer und ziviler Gewalt, den Unter‐ schied von Armen und Reichen, bzw. Integrierten und Isolierten akzentuiert. Hier geraten Theo und Kee zwischen die Fronten der Terror-Miliz namens „The Fishes“, die das Kind für ihre eigene politischen Zwecke beanspruchen, und der brachialen Staatsgewalt. Auch im Roman ist der einzige ‚echte‘ Gegner der Aktivisten ein moderner, von Überwachungstechnologien und drakonischer Gesetzgebung geprägter Staat. Die Flucht der „Five Fishes“ und Theos mit der hochschwangeren Julian bringt einige ‚Kollateralschäden‘ auf ziviler Seite mit sich, z. B. ein altes Ehepaar, das Theo um seinen aufgetankten Wagen und saubere Bettwäsche für die anstehende Geburt beraubt. Durch sein Auftreten und Handeln verursacht Theo, im Schulbuch voreilig als „archetypal everyman who becomes a saviour“ (PA 370) charakterisiert, den Herzinfarkt des gefesselten Besitzers und führt auch den Tod der an ihrem Knebel erstickenden wehrlosen alten Frau herbei ( James 1993: 283-293). Im Film korreliert dieser Blutzoll mit der Szene, da Theos Freund Jasper, der den Flüchtigen für kurze Zeit ein Versteck vor der Terrorgruppe bieten konnte, sich deren Suchtrupp opfert - zu einem Zeitpunkt, der andeutet, dass er ohnehin vorhatte, seinem Leben und dem seiner dementen Frau ein Ende zu setzen (Cuarón 2007: 0: 57: 43-1: 00: 00). Hierin liegt zugleich die cinematographische Kondensation des im Roman sehr viel ausführlicher gestalteten Motivs eines staatlich organisierten, aber (angeblich) freiwilligen und für die Hinterbliebenen prämierten Massen-Selbstmords „Quietus“, der sowohl in idealisierter politischer Funktion (vgl. James 1993: Kapitel 12) als auch in praktisch-gewaltsamer Durchführung beschrieben wird (vgl. James 1993: Kapitel 9). Somit ist hier wie dort die Geburt des Kindes von Figuren begleitet, die seinetwegen sterben oder sich zu seinem Schutz opfern, wie auch Luke und Miriam es im Roman tun: Indem es mit der Schuld anderer in der eigenen Unschuld beladen wird, nimmt das Neugeborene die Leerstelle der eigentlichen Erlöserfigur ein. Es entsteht folglich die Möglichkeit einer allegorischen (spirituellen) Lesart des Romans, und zwar im Sinne eines eschatologischen second coming, in dem diese schuldig-unschuldige Erlösergestalt als Zukunftsversprechen dafür steht, dass die endzeitlich gestimmte Menschheit aus ihrer verzweifelten Lage befreit wird - ob und inwieweit damit auch eine posittive Wendung der politischen Verhältnisse einhergeht, deutet das Ende des Romans nicht an. Eher zeigt sich in der abschließenden Schilderung der Machtergreifung Theos eine pessimistische 142 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Deutung: Zwar wird Xan Lyppiatt, „dictator and Warden of England“ ( James 1993: 4), der mit seinem Cliquen-ähnlichen Zirkel von Vertrauten regiert (zu ihnen gehörte einst Theo selbst bis zu seinem selbstgewählten Rücktritt), gestürzt, aber dieser (spontane, nicht geplante) Umsturz spült Theo als Usur‐ pator an die Spitze des Staates. In den letzten Szenen der Handlung vereint er alle politische und spirituelle Macht auf sich allein, indem er das zentrale Insignium, den Herrscherring, von Lyppiatts Finger zieht und ihn sich selbst, in gedanklicher Doppel-Anspielung auf die biblische Geschichte des Brüderpaars Abel und Kain bzw. die mythischen Gründer Roms, Romulus und Remus, ansteckt: „Theo thought: It begins again, with jealousy, with treachery, with violence, with murder, with this ring on my finger.“ ( James 1993: 340) Der Film dagegen inszeniert das Ende noch offener. Denn Kee mit ihrem Baby und ein im Häuserkampf verwundeter, lebloser Theo sind in all ihrer Kreatürlichkeit und Wehrlosigkeit dem Schicksal auf hoher See ausgeliefert. Ob nun der herannahende Trawler „Tomorrow“ tatsächlich die ersehnte Hoffnung auf eine bessere Zukunft unter der Ägide des mysteriösen „Human Project“, für das die Terrormiliz „Fishes“ zu kämpfen vorgibt, sein wird, bleibt im imaginativen Ermessen der Rezipient: innen. Die weiter unten folgende Synopse mit der Auswahl von Schlüsselszenen aus Roman und Film dient der Veranschaulichung von Theos Motivationen im jeweiligen Medium, die Widerständler um Julian bzw. Kee zu unterstützen, sowie einem weitergehenden Szenenvergleich, der deutlich vor Augen führt, wie frei der Film im Vergleich zum Roman konzipiert ist. Zugleich soll damit angezeigt sein, welch großes didaktisches Potenzial im Umgang mit Roman und Verfilmung als „analogue“ im vorliegenden Lehrwerk verschenkt wird. Denn an diesem Material lassen sich die unterschiedlichen Möglichkeiten narrativer Textkonstruktion darlegen und zudem zeigen, dass Verfilmungen nicht in einem epigonalen Verhältnis zu einer Roman-Vorlage stehen, sondern als eigenständige und im besten Fall gleichermaßen valide, aussagekräftige Kunstwerke zu gelten haben. Der knapp eine Doppelseite umfassende Auszug aus Timothy J. Sextons Drehbuch zu The Children of Men in Pathway Advanced hat seinerseits keine akkurate dialogische Entsprechung zur Filmsequenz. Der abgedruckte Passus verweist zwar auf Teile von Kapitel 18 der Film-DVD (Cuarón 2006); die Dialoge sind jedoch durchgängig anders gestaltet und allenfalls als sinngemäß zu bezeichnen, bis hin zu größeren Abweichungen in der Szenengestaltung. So hält einer Drehbuch-Sequenz zufolge der Terrorist Patric [sic] seine Pistole an Theos Kopf und lässt erst von ihm ab, als er das Neugeborene in Kees Arm realisiert: „in stunned disbelief “ (PA 371, Z. 56-61, hier 58-59). Im Film gibt es stattdessen einen 143 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff kurzen Dialog zwischen dem als an einem Fenster positionierten Scharfschützen eingesetzten Luke und Theo; hier ist es schließlich ein Moment der Ablenkung von außen, den Theo nutzen kann, um sich mit Kee aus der Schusslinie des Terroristen zu bringen (Cuarón 2006: 1: 30: 16-1: 30: 18) und ihnen durch das von Flüchtlingen und Militärs belagerte Treppenhaus unbehelligt einen Weg hinaus ins Freie zu bahnen (vgl. dazu Petzold 2015: 342). Die Materialien zum Stoff (The) Children of Men werden in Pathway Advanced somit über zwei generisch unterschiedliche schriftliche Texte (Roman und Drehbuch) sowie über einen Bildimpuls (Film-Szenenfoto) vermittelt; sugge‐ riert wird dabei ein linearer Handlungsaufbau von P.D. James einleitendem Kapitel über das Drehbuch zu einem Szenenbild aus einer späten Sequenz des Films. Tatsächlich stehen alle drei Textauszüge jedoch in ganz verschiedenen Handlungsrealisationen zueinander, so dass hier eine ausführliche Erklärung erforderlich erschiene. Denn auch auf der Verweisungsebene von Roman und Film ergeben sich durch die unterschiedliche emplotments erhebliche Bedeu‐ tungsverschiebungen, die unkommentiert zu lassen sowohl im Hinblick auf das Material als auch den Schüler: innen gegenüber ungerechtfertigt ist. 144 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Roman: Theos Verhältnis zu Julian und „The Five Fishes“ Film: Theos Verhältnis zu Julian und Kee politische Motivation zur Unterstützung der „Five Fishes“: Gewalt‐ samkeit in der Ausführung des freiwilligen, organisierten Selbst‐ mords „Quietus“; unmenschliche Behandlung von Kleinkriminellen wie Julians Bruder auf der Gefängnisinsel Man lang zurückliegendes Verhältnis zu Julian* als emotionale Moti‐ vation, mit der Terror-Miliz „The Fishes“ zu kooperieren Theos Flucht mit Kee vor „The Fishes“, weil diese planen, sie beide zu töten und das Kind als politisches Instrument zu missbrauchen emotionale Motivation: unterdrückte Romanze in der zuneh‐ menden Rivalität um Julian zwischen ihrem Partner Rolf und Theo prozessartiger Verlauf des Vertrauensaufbaus zwischen Kee und Theo, der ihn zu ihrem Beschützer werden lässt Theos distanziertes Verhältnis zur Politik in Erinnerungen an die eigene, längst aus freien Stücken aufgegebene Position im innersten Machtzirkel der Regierung / kein Korrelat/ Technik: Wechsel in der Erzählperspektive zwischen Autodiegese Theos und Heterodiegese eines auktorialen Erzählers Technik: äußere Fokalisierung Theos Handlungssynopse Episode Roman Kap., S. Szene Film Kap./ Spielzeit in h: min: sec Besuch beim „Warden“, Theos Cousin Xan Lyppiatt, und seinem „Council“, um dort die Anschuldigungen anzusprechen und vergeblich um Erleichterungen für Julians Bruder zu erwirken: Symbolik für Selbst‐ gerechtigkeit der Mächtigen Kap. 12, 131-141 Theos Besuch beim „Warden“ Nigel und dessen krankem Sohn Alex: Symbolik ver‐ anschaulicht anhand der Vater-Sohn-Be‐ ziehung die soziale Kälte und krankhafte Selbstbezogenheit der politischen Kaste. Kap. 4 / 0: 19: 07-0: 20: 50 „The Five Fishes“: defensiv, politisch naiv agierendes Quintett: Julian, Gascoigne, der frühere Priester Luke, Julians herrsch-süchtiger und cholerischer Mann Rolf und die ehemalige Hebamme Miriam. Kap. 8, 77-80 „The Fishes“: kompromisslose, gewaltbe‐ reite, multiethnische Untergrundorganisa‐ tion, die für ein international aktives NGO-Netzwerk namens „Human Project“ kämpft. Nach dem tödlichen Attentat auf Kap. 7/ 8 145 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff Julian wird der Intrigant Luke zum neuen Anführer der „Fishes“ ernannt. „Omegas“: letzte auf natürlichem Wege geborene Generation, genießen weitgehende Sonderrechte in der Zivilgesellschaft und nutzen diese in tribalen Gewaltexzessen aus, in deren Verlauf Luke zum Opfer wird. Kap. 1, 13-16 Kap. 27, 257-260 kein Korrelat, allerdings durchgängige Zeichnung einer von Gewalttaten ver‐ rohten Gesellschaft: Sprengstoffanschläge gehören zum Alltag; Menschen (Flücht‐ linge) werden in Käfigen interniert; ver‐ gitterte Züge werden auf der Fahrt von Hooligans mit Steinen beworfen, etc. Kap. 1/ 2 / kein Korrelat/ Julian als erstes Todesopfer, erschossen von einer Gruppe marodierender Gangster (sie gehören zu den „Fishes“), die das Auto mit der schwangeren Kee aus einem Wald heraus angreifen.** Kap. 6 / 0: 28: 20-0: 29: 15 Miriam verhilft dem Kind auf die Welt und wird, sich als Köder für die Suchkräfte der Regierung opfernd, am Geburtsort getötet Kap. 32, 322-323 Theo als Geburtshelfer für Kee in einem desolaten Zufluchtsort, einem zerschos‐ senen Gebäude in einer desolaten Hafen‐ anlage, die als Abschiebelager für Flücht‐ linge genutzt wird Kap. 14 / 1: 13: 56-1: 15: 40 Theo erschießt „Warden“ Xan Lyppiatt, um Julian und ihr Neugeborenes vor dem Zugriff durch die höchste Staatsmacht zu schützen, zieht das Symbol dieser Macht, einen Rubinring, vom Finger seines toten Cousins und wird so selbst zum Machthaber - eine ironische Umkehrung seiner Absichten. Kap. 33, 341 / kein Korrelat / / kein Korrelat/ Häuserkampf der staatlichen Armee gegen Aufständische (inkl. „The Fishes“), mitten‐ drin Theo und Kee nach der Geburt des Kindes; der Anblick des Kindes bringt vor‐ übergehend alle Waffen zum Verstummen Kap. 18 / 1: 30: 20-1: 33: 37 = Korrelat zu PA-Drehbuch‐ auszug 146 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Geschlossenes Ende: Theo macht das Zeichen des Kreuzes auf der Stirn des neugeborenen Jungen und tauft ihn auf Julians Geheiß - nun endgültig alle weltliche und religiöse Macht an sich reißend - auf den Namen Luke Theo. Kap. 33, 342 Offenes Ende: Szene mit einem Ruderboot auf offener See: Theo nach seiner Schuss‐ verletzung leblos, während Kee und ihre Tochter von dem herannahenden Trawler „The Tomorrow“ im treibenden Ruderboot entdeckt werden. Kap. 19 / 1: 38: 32-1: 39: 36 * Der Film zeichnet Theo und Julian als Eltern eines früh verstorbenen Sohnes Dylan (Cuarón 2006, Kap. 7, 0: 36: 21). Auf diese Weise trägt die Film-Julian auch Züge von Theos geschiedener Frau Helena im Roman, mit der er eine Tochter, Nathalie, hatte und die er 1994 versehentlich mit dem Auto überfuhr ( James 1993: 40), was die Ehe in die Brüche gehen ließ (vgl. James 1993: 100). ** Die Attacke auf das Auto mit Julian, Theo, Kee und Miriam stellt sich später als gezielte, von Luke geplante Aktion und Mordanschlag auf Julian heraus, auf den auch noch die Liquidation Theos hätte folgen sollen (vgl. Cuarón 2006, Kap. 9, 0: 43: 12-0: 43: 49). Tab. 14: Synopse der Unterschiede zwischen (The) Children of Men, Roman und Film 147 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 31 Hilfreich wäre zudem der Hinweis auf das Verzeichnis der „Literary Devices“; dort wird „metaphor“ wie folgt erklärt: „poetic comparison without using like or as (e.g. an ocean of love)“ (PA 542). Im vorliegenden Fall fehlt jedoch die Kennzeichnung „metaphoric language“ in der Aufgabenstellung mit einem Asterisk, die in anderen Fällen auf dieses Verzeichnis hinweist. P.D. James (1993), Children of Men. Drei Aufgaben zum Textverständnis suchen über den Handlungsbeginn die Welt Theos zu erfassen. Im Zuge der vertiefenden Analyse wird die Entschlüsselung der Metaphorik in dem zitierten Passus genutzt, um nach der Erzeugung von erzählerischer Gestimmtheit des Geschehens („the tone of the text“ (PA, 368) = „Atmosphäre“) zu fragen. Dabei listen die Lösungsvorschläge im Lehrerhandbuch disparate Einzelbeob‐ achtungen auf, die zu einem Gesamteindruck zusammengeführt werden: „The metaphorical language creates a tone of desperation and reflects the feeling of finality and hopelessness felt by the entire human race. It also helps to capture the epic proportion of the situation.“ (PA-LHB 517) Hier wird ein großer Schritt von der Textbeschreibung zur summarisch deutenden Generalisierung gemacht, obwohl eigentlich zuvor eine Analyse der einzelnen Bildbereiche für das Verständnis der metaphorischen Funktionsweise angemessen wäre. 31 Mit dem „Focus on Skills: Analysis of Fictional Texts“ (PA 500) soll anschlie‐ ßend untersucht werden, inwieweit Theos erster Tagebucheintrag auch eine Kritik an den im Roman bestehenden politischen Verhältnissen impliziere. Zu dieser Aufgabe liefert das Lehrerhandbuch folgenden Lösungsvorschlag: Criticism of politics the narrator’s memories criticism of European and world politics the united efforts under the aegis of the United Nations came to nothing (ll. 105 f.) research became secret, nations’ efforts a cause of fascinated, suspicious attention. … The European Centre for Human Fertility cooperated, at least overtly, with the United States (ll. 107 ff.)… … across continents, national and racial bounda‐ ries, we watched each other suspiciously, obsessi‐ vely, feeding on rumour and speculation. The old craft of spying returned. (ll. 120 ff.) most of the concern was less about a falling popu‐ lation than about the wish of nations to maintain their own people, […], to breed sufficient young to maintain their economic structures. (ll. 172 ff.) possibly criticizes the United Na‐ tions for being an ineffective or‐ ganization criticizes countries’ tendencies to work and act out of self-interest rather than cooperatively and for the common good criticizes selfishness of countries and ethnic/ racial/ national fav‐ ouritism; criticizes valuing eco‐ nomic systems more than human life Tab. 15: Musterlösung zu Pathway Advanced, “Utopia & Dystopia”, “Children of Men”, Aufgabe 6 (PA-LHB 516) 148 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Dieses Verfahren wird im Lösungsvorschlag für Aufgabe 6 fortgesetzt, z. B. in der Deutung des Passus „the voice on the State Radio Services announces the news ‘without emphasis (…) in a non-committal voice’“, dem einige suggestive Entschlüsselungsfragen gegenübergestellt sind, die als „Aushandlung- und Partizipationsfrage“ (Freitag-Hild 2010: 121) formuliert sind: „One wonders why the newscaster must be so careful, does he fear repression if he says something that the government thinks is wrong? “ (PA-LHB 518) Bezogen auf die Medienrealität, die die Schüler: innen alltäglich wahrnehmen können, gehört in der realen Welt allerdings eine solche neutrale Artikulation zu professionellen Nachrichtensprecher: innen - der Lösungsvorschlag vermittelt also ein zweifelhaftes Berufsbild. Am Text lässt sich diese Frage allerdings ohnehin nicht aushandeln, denn der erwähnte Nachrichtensprecher rückt zu keinem Zeitpunkt in den näheren Blickwinkel der erzählerischen Betrachtung. Die von Theo beschriebene Stimme liefert folglich keinen Aufschluss über die aktuelle emotionale oder affektive Disposition des Nachrichtensprechers oder -sprecherin, sondern ist allenfalls ein Indiz neben vielen anderen für den defizitären Zustand der gesamten Gesellschaft (und damit, stilistisch betrachtet, ein pars pro toto): „commitment“ für das, was man tut, ist den Individuen im aktuellen System weitestgehend abhanden gekommen - lediglich die „Five Fishes“ und Theo haben ein Motiv, sich füreinander einzusetzen. Deutlich wird an diesem Beispiel aus den Lehrerhandreichungen, dass Pathway Advanced zwar immer wieder Versuche unternimmt, mit textnahen Methoden zu arbeiten; allerdings zeigen die Lösungsvorschläge, dass dies nicht immer in zielführender Weise gelingt. Thomas More, Utopia (1516). Wie zu Beginn dieses Unterkapitels ange‐ deutet, wird die Sequenz mit Materialien aus den zwei unterschiedlichen Stoffrealisationen (The) Children of Men durch einen Focus on Documents mit dem Blick auf einen Auszug aus dem Urtext aller neuzeitlichen Utopien und Dystopien voneinander getrennt: Zur Diskussion steht hier eine Passage aus Raphe Robinsons erster Übersetzung in Englische von Mores Utopia (im Lehrbuch illustriert mit dem Holzstich der lateinischen Erstausgabe 1516). Der Exkurs zu Utopia wirkt daher nicht nur als Fremdkörper in der größeren Anlage des Kapitels „redundant“ (vgl. Matz 2015: 268), er ist, wie die folgenden Ausführungen zeigen, auch aus Sicht der Texterschließung zweifelhaft: Nach der Bearbeitung einer ersten Analyseaufgabe (Nr. 8a), in der anhand des Textexzerpts aus Mores Traktat die Anlage der Städte und die Beschreibung der Gesellschaft der Utopier herausgearbeitet werden, folgt in Aufgabe 8b) eine Fragestellung, inwieweit die Darstellung der Gesellschaft tatsächlich eine ideale sei, oder eine, die von inneren Widersprüchen geprägt ist: „What do you think 149 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 32 Dass der kritische Umgang seitens der Lernenden mit Lösungsvorschlägen sich auf den Kompetenzerwerb positiv auswirkt, ist aus der Mathematik bekannt (vgl. Wellenreuther 2015: 72-84) und wäre mit Gewinn auch auf die fremdsprachenpraxis zu übertragen (vgl. Hohwiller 2020: 80). Im vorliegenden Fall könnte die Lehrkraft entscheiden, nur den Lösungsvorschlag des Lehrwerks den Schüler: innen zur „Korrektur“ bzw. Gegendarstellung vorzulegen, oder ihn mit dem hier konstruierten Alternativansatz zu vergleichen und erörtern zu lassen. the social position of the ‘bondmen’ in this ‘utopian’ world is? Can a society which has slaves be called a utopia - or is the description of Thomas Morus’ Utopia just window dressing (Augenwischerei)? “ (PA 369) Während der Option „window dressing“ in den Lehrerhandreichungen kein argumentativer Raum gegeben wird, simuliert der Lösungsvorschlag dazu eine Schülerantwort, die im Sinne der intentional fallacy davon ausgeht, dass der / die Schüler: in die Gedanken des Autors lesen könnte („he [truly] believed“): In my opinion, Thomas Morus’ Utopia is not just window dressing, he truly believes that his vision is a utopia. In comparison to the common treatment of slaves at the time Utopia was printed, in 1516, slavery was prevalent in many areas around the world, and these slaves were treated very badly. The bondsmen (slaves) in Thomas Morus’ perfect society would be treated well, because they would be under the care of a “good man and good wife” (l. 17) who are “sage, discreet and ancient” (l. 18). Thus, one can assume that they would treat their bondsmen well and justly. I assume that, in light of the political climate at that time, having two bondsmen on each farm was perfectly acceptable to Thomas Morus, because he believed that they would basically be treated like the other workers - they just would not be free. (PA-LHB 520 / 144 words) Bei einer solch komplexen Fragestellung, die ebensogut auch eine kritische Haltung evozieren kann, erschiene es angebracht, diesen Lösungsvorschlag verbatim den Schüler: innen vorzulegen und sie dessen Problematik heraus‐ arbeiten zu lassen. 32 Denn der vorgegebene Lösungsentwurf reduziert das mögliche Antworten-Spektrum auf eine affirmative, aber naive Argumentation und enthält Elemente, die weder einer Lehrkraft noch den Schüler: innen als modellhaft gelten sollten. Die hemdsärmelige Formulierung „they just would not be free“ lässt die Frage nach dem Wert des unveräußerlichen Grundrechts auf individuelle Freiheit stellen, der in dieser ‚Schülerantwort‘ mitschwingt. Die folgenden Zeilen simulieren daher eine kritischere Sicht auf Mores Text: „More’s narrator overtly describes slavery as a common thing in a state which he declares as ideal. However, an ideal state - seen from today - must respect every individual’s human rights, such as freedom (or liberty), along 150 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced with people’s ethnic / social / sexual egality and dignity. With the oppression of others by some who claim to be rulers, without having been elected by the people, the relation between husbands and bondsmen is apparently precarious, even if the bondsmen interpret their status as protection. Their’s is a mentally internalized surrender to “the rule and order of the good man and the good wife of the house”, who, as “very sage, discreet and ancient persons” (l. 18), represent an extremely conservative political system. Since their rule is unquestioned, the system remains stable and reproduces its injustice from generation to generation. In More’s text, the implications of this social hierarchy are not questioned. Therefore, in my opinion his euphemistic description may be considered as window-dressing.“ (162 Wörter) Beide Kommentare sind ganz aus der heutigen Perspektive verfasst und re‐ agieren insofern anachronistisch auf den frühneuzeitlichen Politiker und Rechts‐ gelehrten Thomas More, für den ein feudalistisches Herrschaftssystem besser war als jede Tyrannei. Sind die Kommentare aber, aus heutiger Sicht, gleicher‐ maßen valide Interpretationen? Oberflächlich ließe sich mit ihrer unmittelbaren Gegenüberstellung das Phänomen der Vieldeutigkeit literarischer Texte und damit das Wesen von Literatur an sich erklären: Beide Argumentationen zitieren dieselben Phrasen aus Mores Text, aber sie legen sie unterschiedlich aus. Zudem machen beide ‚Verfasser: innen‘ ihre Subjektivität deutlich, so dass sie sich - als Ich-Aussagen - gegen andere Meinungen ‚immunisieren‘. Die Lehrwerk-Antwort unterscheidet aber nicht zwischen More und der Perspektive seines Ich-Erzählers Raphael Hythloday, der die fiktive Insel in Form einer berichtartigen Darstellung beschreibt (dass Hythloday in der Textpassage des Lehrbuchs nicht in Erschei‐ nung tritt, ist dabei irrelevant). Aus formaler, erzähltechnischer Sicht - in Bezug auf den Nachweis der schülerseitigen Literaturkompetenzen - wäre daher die zweite Lösung vorzuziehen. Die Problematik des Anachronismus betrifft hingegen beide Antworten: Hier kommen historische staatstheoretische Konzepte wie „Sklaverei“ oder „Lehnsherrschaft“ und aktuelle bürgerrechtliche Schemata „Freiheit“ bzw. „Menschenrechte“, die in die Antworten projiziert werden, zur Geltung, wie sie erst nach den Revolutionen in Frankreich und Amerika seit dem späten 18. Jahrhundert entwickelt wurden und zumindest in Westeuropa nach dem 2. Weltkrieg weitgehend politische Realität wurden. Festzustellen ist, dass sich die erste Simulation einer Schülerantwort auf dünnem Eis bewegt, insofern sie bestimmte ‚gute‘ Formen von Sklaverei als legitim erachtet, während die zweite Antwort den aktuellen freiheitlich-grundrechtlichen demokratischen 151 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 33 An einem solchen Vergleich wäre, auch aus Sicht der Lehrer(aus)bildung, mithin zu demonstrieren, an welcher Stelle Schülerantworten nicht nur aus literaturdidak‐ tischer Sicht zu beurteilen sind, sondern wo der Literaturunterricht auch im Sinne einer politischen Bildung legitimiert ist, den Schüler: innen - wie der CEFR und alle nachrangigen Curricula vorgeben - eine „preparation for democratic citizenship a priority educational objective“ (CEFR 2001: 5) zukommen zu lassen. Werten Ausdruck gibt und den Text in seinen Implikationen wertend ein‐ ordnet. 33 Aufgrund der Zwischenstellung dieses Textausschnitts wird es weder zeitlich möglich noch thematisch sinnvoll sein, historische Aspekte wie das Lehnswesen im ausgehenden Mittelalter zu diskutieren, die es ermöglichen würden, solche Aussagen wie die durch die Aufgabe fokussierten angemessen zu perspekti‐ vieren - es dürfte Lehrkraft wie Schüler: innen ohnehin ausgesprochen schwer fallen, sich nach dem Sprung aus dem Gegenwartsroman von James mental in die Zeit Mores zu katapultieren, nur um direkt danach zurück in die Aktualität der - ihrerseits im Verhältnis zur Vorlage keineswegs unproblematischen - Romanverfilmung versetzt zu werden. Ob dieser Exkurs in die More-Passage aus didaktischer Sicht als „authentisch“ (lerntheoretisch und lebensweltlich überzeugend, vgl. Abschnitt I.4) zu vermitteln ist, bleibt daher insgesamt fraglich. Alfonso Cuarón / Timothy J. Sexton, The Children of Men (2006). Im Hinblick auf das Filmskript sollen die Schüler: innen zunächst anhand eines Passus (PA 370-371) darüber spekulieren, in welcher Situation Theo und Kee sich befinden, und wie das setting gestaltet ist. Die letzte dieser Verständnisfragen lautet: „How do people react to the ‘trinity’ of Theo, Kee and the baby? “ (PA 371) Dies impliziert schon a priori, d. h. vor jeder Textuntersuchung, eine theologische Verweisungsebene des Textes mittels eines irreführenden Hinweises auf die Dreifaltigkeit (der Begriff impliziert die dogmatische Einheit von Gottvater, Sohn und heiligem Geist), die im Drehbuchtext (PA 370-371) und in dem Szenenbild (PA 372; entspricht etwa Cuarón 2007: 1: 33: 23) angedeutet sei. Korrekt wäre ein solcher Hinweis allenfalls mit dem Begriff holy family ( Josef, Maria, Christus), wenn man den allegorischen Charakter der Inszenierung herausarbeiten möchte - es ist aber mit Recht darauf hingewiesen worden, dass dieser allegorische Charakter im Film selbst dekonstruiert wird, da Kee ihren Status als ‚Jungfrau Maria‘ als Witz widerruft (vgl. Petzold 2015: 343). Allerdings wird im Filmskript die religiöse Ebene in der Reaktion der Figuren 152 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 34 In diesem Zusammenhang wäre es gerechtfertigt, den Schüler: innen auch Internet-Re‐ chercheaufträge zur Namensgebung zu verteilen, da die Namen einiger wichtiger Figuren biblischen Ursprungs sind und eine sprechende bzw. symbolische, über sich hinausweisende Bedeutung haben (z. B. der Roman-Priester „Luke“ als Name eines der vier Evangelisten; der Name der früheren Hebamme „Miriam“ erscheint in Verbindung mit der Prophetin, einer Schwester Moses’, im Buch Exodus); andere Figuren tragen eine mythisch aufgeladene Bedeutung: „Theo“ übersetzt sich aus dem Griechischen für ‚Gott’, sein voller Name im Roman („Theodore“) bedeutet ‚Gottesgabe’; der volle Vorname des Film-Helden hingegen lautet „Thelonius“ (Cuarón 2006: 0: 24: 54), die latinisierte Form von ahd. „Thilo“. verschiedentlich auf die Begegnung mit dem Trio angedeutet (vgl. hierzu PA-LHB 521), 34 u. a. • in Form eines spanischen Ave Maria („Dios te salve Maria, Ilena eres de gracia, el senor es contigo, bendita eres entre la mujeres“, PA 370, Z. 22-24) • durch eine sterbende Frau, die laut Regieanweisung im Drehbuch mit dem Babygeschrei schon einen Engelsgesang hört („she has heard the song of an angel“, PA 370, Z. 33-34), • sowie durch das biblische Bild mit dem Exodus der Israeliten durch das Rote Meer im Regietext: „the ocean of soldiers parts like the Red Sea“ (PA 371, Z. 98; vgl. Moses 5, 1-3, 13,18). Es ließe sich also festhalten, dass der Film zwar auf Figurenebene die allegorische Verweisung auf religiöse Deutungsansätze subvertiert, dass aber das Drehbuch in auffälliger Weise diese Bedeutungsebene stützt. Der an diese (per se schon stark suggestiven) Verständnisfragen anschließende Auftrag zur sprachsensi‐ tiven Analyse des Dialogs im Film ist in keiner Weise zielführend im Hinblick auf ein weiteres Plot-Verständnis und die Erschließung von weiteren Deutungs‐ ebenen. Denn hier wird nunmehr nach der Sprechweise der Figuren gefragt, um daraus auf soziale Hintergründe zu schließen: Die Aufgabe zielt weniger auf eine Analyse der soziokulturellen Umstände der Figuren als auf den funktio‐ nalen kommunikativen Kompetenzbereich der Schüler: innen. Erzeugt werden dabei allerdings lediglich krude kulturelle Stereotypien. Denn angesichts der Tatsache, dass in dem Auszug alle Figurenreden quantitativ auf ein Wort („THEO: Shit“, PA 370, Z. 6, Herv.i.Orig.) bis maximal fünf Wörter („SOLDIER: Hold positions and hold fire! “, PA 371, Z. 70) begrenzt sind, erscheinen Aufgabe und Erwartungshorizont im Hinblick auf das Analysematerial gleichermaßen unangemessen. Der Einsatz von Kraftausdrücken sowie Kontraktionen von Hilfsverben in dieser Extremsituation geben keinen verwertbaren Hinweis darauf, dass eine Äußerung als Soziolekt gedeutet werden könnte bzw. welchen sozialen Status die verschiedenen Sprecher: innen haben, wie es das Lehrerhand‐ 153 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff buch im Kommentar formuliert: „Kee: uses profanity (‚Fucker shot you‘, l. 8) and colloquial language (‚I wanna walk‘, l. 84), which might be indicative of a lower class or less educated background“ (PA-LHB 522). Demgegenüber wird Theo sehr viel apologetischer als Mann aus der ‚Mitte der Gesellschaft‘ gezeichnet: uses profanity (‘Shit’, l. 6) and an authoritative, pragmatic tone when giving short orders (e. g. ‘We gotta move’, l. 12). Again, profanity and the use of more colloquial expressions is not particularly out of place when one has just been shot in a war zone, but it may nonetheless be a sign of an urban or lower-class upbringing. (PA-LHB 522) Die jeweilige Zuordnung der Figur zu einem sozialen Hintergrund erfolgt nicht etwa argumentativ, sondern über ein redaktionelles Axiom („but it may nonetheless be a sign of…“). Beide Figuren verwenden ganz selbstverständlich die Umgangssprache. Letztlich ist dies aber eine Szene, die schon im Hinblick auf die minimalen quantitativen Redeanteile keinerlei linguistischen Aufschluss im Sinne eines Prof. Higgins aus G.B. Shaws Pygmalion über die soziale und regionale Herkunft der Figuren gibt. Vielmehr evoziert die sprachliche Gestal‐ tung der Szene einen hohen Grad an Empathie bei den Rezipient: innen, denn sie ist folgenden Faktoren geschuldet (die auch die Lehrer-Handreichungen konzedieren): Die Figuren stehen unter • starkem physischen Schmerz: Theos gerade erlittene Schussverletzung; Kee unmittelbar nach der Geburt ihrer Tochter • enormer psychischer Anspannung: sie befinden sich zunächst in einer scheinbar ausweglosen Situation im Zentrum eines Gefechts zwischen Armee und Terror-Miliz • hohem zeitlichem Druck: ihr Ziel ist eine Boje im Meer, die sie zu einem verabredeten Zeitpunkt erreichen müssen, um dort vom Trawler „Tomorrow“ aufgegriffen zu werden. Zwei letzte activities zu dem Stoff (The) Children of Men zielen schließlich darauf ab, zum einen in Gruppenarbeit die Sprache des Drehbuchs in grafische Bilder zu übersetzen und dabei mit Hilfe eines Skill File (PA 495) ein Storyboard zu erschaffen; zum anderen soll in Einzelarbeit ein innerer Monolog aus Sicht einer der Figuren des Szenenbildes verfasst werden. Zusammenfassend lässt sich kritisch festhalten: Problematisch am Umgang mit den beiden unterschiedlichen Texten ein- und desselben Stoffes in Pathway Advanced erscheint zunächst die Tatsache, dass zum einen das Drehbuchende implizit in eine narrative Kontinuität zum Romanbeginn gesetzt wird, ohne die Schüler: innen auf die wesentlichen Unterschiede in der plot-Gestaltung der beiden Werke hinzuweisen. Eine der analytischen Aufgabenstellungen zum 154 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 35 Die DVD enthält insgesamt sieben solcher „Kurse“ zu unterschiedlichen Spielfilmen, die im Verlauf des Lehrwerks thematisiert werden. Jeder dieser Kurse unterteilt sich in mehrere „assignments“, die ihrerseits zumeist einen handlungs-beschreibenden und damit rekonstruktiven Charakter haben. Einige der Assignments richten die Aufmerk‐ samkeit zudem auf filmtechnische Details wie Kameraführung oder Schnitttechnik. Drehbuchtext hat sich zudem inhaltlich als weitgehend unergiebig erwiesen, da das textliche Material zu wenig Aufschluss über die Figuren gibt, die in der Aufgabe charakterisiert werden sollten (Sprachregister): Die didaktischen Hinweise fördern hierzu letztlich kulturelle Stereotypien, die ein informierter Unterricht mit seiner Fokussierung auf interkultureller Kommunikation doch gerade versuchen sollte zu vermeiden. Schließlich ist auch die Abstimmung von Aufgaben auf die didaktischen Hinweise für Lehrkräfte nicht immer hilfreich, da einige Aufgaben zu komplex angelegt sind, als dass sie im Rahmen einer zweistündigen Unterrichtseinheit zu lösen wären (hier ist besonders die Umgestaltung vom Drehbuch in ein Storyboard zu nennen). Filmbearbeitungs-Software. Den Weg zurück vom Exkurs über Mores Utopia zum stofflichen Hauptgegenstand des Unterrichtsmoduls schlägt das Buch über die begleitende filmanalytische Software-DVD ein. Diese kann sowohl für die Arbeit im (entsprechend ausgerüsteten) Klassenraum als auch au‐ ßerhalb desselben vom autonom Lernenden eingesetzt werden. Dafür sind allen Aufgaben Lösungen zugeordnet, die den entsprechenden Erwartungshorizont wiedergeben. Eine activity, die im Schülerband einen Vergleich der Informati‐ onsvergabe in James’ Roman und Cuaróns Film vornimmt und nach den in beiden Werken gelieferten Hinweisen auf die Ursachen des Unfruchtbarkeit fragt (Aufgabe 9, PA 368), lenkt schließlich die Aufmerksamkeit der Lernenden auf die Filmbearbeitungs-Software: „Watch the scene Waiting for Syd on the CD-ROM and compare, what Miriam, the former midwife tells Theodore [sic] about the infertility problem to the excerpt from the novel.“ Wird die Software aktiviert, erscheinen am linken Bildschirmrand die Klick‐ points für ein Ausklappmenü, das erst bei Berührung mit dem Mauszeiger vier Gruppen von assignments zu diesem „Kurs“ 35 auflistet. Zwei dieser Gruppen mit insgesamt fünf Aufgaben wenden sich noch einmal der Textarbeit zu (Theodores Tagebuchausschnitt wird hier nochmals in Teilen zugänglich gemacht); zwei weitere assignments bereiten den Weg zur filmanalytischen Betrachtung der Sequenz mit zwei Aufgaben, die im folgenden Ausführungen betrachtet werden. Die erste richtet die Aufmerksamkeit auf die Bildkomposition, die zweite auf die Kameraführung. Die für die Bearbeitung der Aufgabe 9 ausgewählte Szene zeigt die ehemalige Hebamme Miriam, wie sie im Klassenzimmer eines verfallenen Schulgebäudes 155 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff Thelonius ihre Vergangenheit und die ersten Monate der globalen Unfrucht‐ barkeit schildert (Cuarón 2007: 1: 01: 20-1: 03: 33). Die Lernsoftware enthält fünf inhaltlich orientierte Arbeitsaufträge und zwei filmanalytische. Im Verlauf der erstgenannten sollen die Anwender: innen durch den Vergleich mit einer Text‐ passage und Miriams Darstellung zu der Ansicht geführt werden, dass Roman und Film unterschiedliche Akzente in der Ursache für die Zeugungsunfähigkeit der menschlichen Rasse setzen. So wird als Lösungsmöglichkeit für die letzte Aufgabe folgender Abschnitt formuliert: In the novel, men are described as being the biological cause of infertility because their sperm is no longer fertile. This happens seemingly “overnight” (l. 26). In contrast to the novel, the midwife in the film excerpt states that women and their inability to carry children to term are the cause of the problem. She speaks of frequent miscarriages which the novel does not mention at all. Both the novel and the film describe mankind's great despair when hope to find a cure is lost. (PA, Film Analysis Software, Kurs Children of Men, Assignment 5, „Solutions“) Die Schüler: innen sollen anschließend die Sequenzen der Filmszene gezielt nach filmanalytischen Kriterien untersuchen und dabei das setting bestimmen (ein verlassenes und verfallenes Schulgebäude, in dessen Korridoren noch Überreste kindliche Zeichnungen aus dem Kunstunterricht hängen): „What kind of building is Theo entering? Use the screen capture tool to cut out visual hints that prove your assumption and arrange them on the left side oft he empty table.“ (PA, Film Analysis Software, Unit 8, „Waiting for Syd“, Assignment „Film Analysis I“, Aufgabe 1). Mit dem spezifischen Schneide-Tool besteht die Möglichkeit, punktgenau eine Kameraeinstellung zu fixieren, daraus einen bestimmten Ausschnitt zu definieren, dann per drag and drop-Funktion in dem vorgesehenen weißen Feld abzulegen und dieses zu speichern (Abb. 4 zeigt den Lösungsvorschlag der Software zur zitierten Fragestellung): 156 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Abb. 4: PA, Film Analysis Software, Lösungsvorschlag zum Projekt-Assignment „Waiting for Syd: Film Analysis I - Visual Hints (Ausschnitt)“ In einer Folgeaufgabe werden die Verfremdungseffekte mit demselben Schnei‐ dewerkzeug herausgearbeitet und in die rechte Hälfte der vorgegebenen Tabelle eingefügt. Anzumerken ist hier die Tatsache, dass beide Aufgaben und die dazugehörigen Lösungsvorschläge auf der Ebene der Beschreibung verharren - ein interpretativer Zugang der Lernenden wird hier nicht eingefordert; lediglich der Grund für den Zustand des Gebäudes im Zusammenhang des „Omega“-Phä‐ nomens wird in einer dritten, schriftlich zu formulierenden Erklärung abgefragt (Aufgabe 3). Die Symbolik des Klassenraums als Ort der Bildung für eine nachfolgende Generation, als (in Dämmerlicht gehüllter) Ort der Aufklärung, an dem Miriam ihre Erinnerungen und ihr Wissen über den Ausgangspunkt der globalen Krise mitteilt, zur Labyrinth-Metapher, die durch die Korridor-Fahrten der Kamera erzeugt wird: diese und andere mögliche Deutungsansätze werden nicht thematisiert. Es zeigt sich hier zudem erneut, dass der Roman einen anderen Akzent als der Film setzt, wenn Theo gleich zu Beginn seiner Tagebuchaufzeichnungen die pan‐ demische Ursache für die Unfruchtbarkeit der Menschheit darlegt; der Filmanfang hingegen setzt auf eine kritische Darstellung dieser Gesellschaft in einer Zeit von Flucht, Vertreibung und Elend, die sich aus diesem Zustand heraus entwickelt 157 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 36 Die ‚fortschreitende’ Handlung von Vater und Sohn auf ihrem Quest erhält einen eigenen Rhythmus aus räumlichen Fixpunkten im Kontinuum der Straße; diese Fixpunkte sind zumeist verlassene Häuser, in denen die beiden Protagonisten für einige Zeit Unterkunft suchen, weil sie dort Verpflegung und Zuflucht finden und Kraft für das Weitergehen schöpfen können: So findet der Vater das Haus seiner Eltern; später entdecken sie eines, in dem sie mehr Essensvorräte vorfinden als sie verzehren und mitnehmen können; schließ‐ lich - schon an der Küste angelangt - durchsucht der Vater einen gestrandeten Trawler, in dessen Inneren er wiederum Vorräte und eine Signalpistole vorfindet. Lediglich das zweite Haus, das die beiden aufsuchen, erweist sich als Gefängnis für Menschen, die von einer Bande bewaffneter Krimineller dort gehalten werden und diesen möglicherweise als Opfer kannibalistischen Treibens dienen: Helfen können sie ihnen nicht, überlassen sie ihrem Schicksal und folgen der Straße weiter in Richtung ihres Ziels. hat. Die biologische Erklärung wird hier erst viel später im Handlungsverlauf in der ausgewählten Szene durch Miriam geliefert, die allerdings als Zeugin und Fachfrau noch größere Glaubwürdigkeit hat als dies für den Roman-Chronisten Theo zutrifft. In der Filmanalyse hingegen bleibt die Raumsymbolik unhinterfragt: als Sinnbild einer zerstörten Zukunftsperspektive der Menschheit, die keiner Schulen mehr bedarf, da es keine nachwachsende Generationen mehr gibt, während zugleich die (westlich-aufgeklärte humanistische) Bildung der letzten Überlebenden verwildert ist - wie sich an anderen Filmszenen augenfällig zeigen ließe. Erneut wird stattdessen auf rein beschreibender Ebene als Lösungsvorschlag für den Auftrag „Write down what kind of building this is and how it is related to the Omega phenomenon“ festgestellt: „Due to the Omega phenomenon, there have been no pupils for a long time, so that the building has become a ruin. Plants are growing inside the corridors, water is leaking in and even wild animals have conquered the place.“ (PA, Film Analysis Software, Kurs Children of Men, Assignment Film Analysis I, Aufgabe 3 „Solutions“) Cormac McCarthy, The Road (2011). In der Erarbeitung dieses Stoffes kommt der Primärtext nur in drei Audio-Files zum Einsatz (deren - leicht gekürzten - Vorlagen finden sich nur als Lehrermaterial in PA-CD4, Tracks 1-3, Transkript S. 37-38). Darüber hinaus erhalten die Schüler: innen die entspre‐ chenden Passagen aus dem Beginn des Drehbuchs zur gleichnamigen Verfilmung (Regie Joe Penhall, 2010) als Materialien (PA 375), zusammen mit drei Szenenfotos (PA 372 / 374). Verdeutlicht wird mit diesem multimedialen Zugang, dass die Romanvorlage als Text eine von mehreren möglichen Realisationen des Stoffes ist, wie dessen Adaptionen in ein Hörbuch bzw. einen Film und die textliche Transposition vom epischen ins dramatische Genre im Filmskript veranschauli‐ chen. Die Lehrerhandreichungen geben einige Informationen über die Darsteller und Produzenten preis, aber keine konkreten Details zum Handlungsverlauf mit seinen Stationen, 36 die die beiden anonymen Protagonisten, Vater und Sohn auf 158 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced ihrem Fußmarsch durch eine komplett verwüstete Landschaft in Amerika durch‐ laufen, an dessen Ende der Vater stirbt. Am Ziel, der Westküste, angekommen, wird der Junge von einer Gruppe anderer Überlebender, zwei Erwachsenen und zwei Kindern, aufgenommen, die - anders als nahezu sämtliche Begegnungen mit anderen Menschen zuvor - nichts erkennbar Böses im Schilde führt und damit für den Jungen zu „den Guten“ gehört. Wie am Ende von The Children of Men die Bedeutung des Rettungsschiffes Tomorrow für die schutzlose Kee im steuerlos treibenden Ruderboot auf hoher See fraglich ist, so bleibt auch hier offen, ob diese letzte Begegnung des Jungen mit einer Familie als ein uneingeschränktes happy ending zu deuten ist oder als eines, das die Weiterentwicklung im Ungewissen lässt. Dabei geht es weniger um die Frage, ob die Familie dem Jungen schließlich doch noch gefährlich wird - hierfür gibt es keine Andeutungen im Text. Vielmehr steht die Frage des Überlebens der gesamten Menschheit zur Diskussion, denn der letzte Absatz verändert die Erzählperspektive (vgl. hierzu auch Machat 2013: 187-189): Der letzte, epilogische Absatz des Romans erscheint nämlich aus einem post-humanen Blickwinkel geschrieben und schildert übergangslos zu allem Vorherigen das Treiben von Bachforellen in einem munteren Bergfluss, auf deren Körpern das (ewige? ) Werden und Vergehen der Welt in schillernden Mustern eingeschrieben steht: „patterns that were maps of the world in its becoming. Maps and mazes. Of a thing which could not be put back. Not be made right again. In the deep glens where they lived all things were older than man and they hummed of mystery.” (McCarthy 2011: 203) Nun liegt - anders als im Fall von The Children of Men - der Hauptakzent der Erarbeitung dieses Stoffes in Pathway Advanced nicht auf den späten Entwicklungen der Handlung, so dass die dramaturgisch wenig überzeugende „Rettung“ des Jungen und die Frage nach dem verrätselnden Romanende gar nicht ausführlich thematisiert werden muss. Vielmehr setzt das Schülerbuch die Schwerpunkte einerseits auf die genre-typologischen Bestimmung des Romans (vgl. dazu Hollm 2015); andererseits auf den thematischen Akzent ihrer atmosphere - der düsteren Stimmung, die das post-apokalyptische Szenario der gesamten Erzählung kennzeichnet (vgl. dazu oben, Abschn. 1.4); und schließlich auf der Symbolik verschiedener Bildbereiche. Schon zu Beginn der Auseinandersetzung wird der Film als Verarbeitung von McCormacs “dystopian novel“ klassifiziert (PA 372). Vor diesem Hintergrund erscheint es redundant, die Schüler: innen anhand des ersten Szenenfotos, das die beiden Hauptfiguren per Totale in einer Trümmerlandschaft zeigt, in einer pre-listening-Aufgabe nicht nur einen Plot mit dystopischem Charakter erfinden zu lassen, sondern auch einen mit utopischen Elementen (vgl. PA 159 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 373). Zu sehr sind wegen der vorherigen Informationen an diesem Punkt die Wahrnehmungen und Erwartungen der Schüler: innen schon auf das Genre Dystopie kalibriert, zumal auch der Bildimpuls selbst wenig Vorstellungsraum für einen utopischen Handlungsverlaufs lässt. Vor der punktuellen Stofferarbeitung erscheint es hier sinnvoller, eine wei‐ tere generische Klärung vorzunehmen, da neben „Dystopia“ auch der Begriff „post-apocalyp[se] (Endzeit)“ (PA 373) fällt, für dessen Verständnis nicht zu‐ letzt die religiöse, eschatologische Bedeutungsdimension zur Sprache gebracht werden sollte. Der Begriff wird aber in den Vokabel-Seiten, die der Unter‐ richtseinheit folgen (PA 376-377) nicht eigens erklärt; wohl aber „apokalyptic literature“ als „literature which deals with the end of the world“ (PA 377). Der Vieldimensionalität des Begriffs „post-apocalyptic“ wird die missverständliche Worterklärung als „Endzeit“ nicht gerecht. Einige einschlägige Bemerkungen z. B. aus der Einleitung zu Karolyn Kinanes und Michael H. Ryans Sammelband End of Days geben ein differenzierteres Bild und lassen dabei den Ursprung im religiösen Kontext der heilsgeschichtlichen Endzeiterwartung erkennbar werden (Kinane/ Ryan 2009b: 2-3). Darüber hinaus tragen Jan Hollms Ausfüh‐ rungen zum Verständnis des literarischen Genres in seiner Abgrenzung von der literarischen Dystopie bei (Hollm 2015: 379): Während die definitorische Auseinandersetzung in Pathway Advanced nur eine unpräzise Konzeptualisierung eines literarischen Genres erlaubt, setzt das Lehrwerk einen zweiten, materialgestützten Akzent durch die Beschäftigung mit der „atmosphere“ (PA 574), die die drei im Buch abgedruckten film stills erzeugen. Zunächst sollen die Schüler: innen, in Gruppen aufgeteilt, den Buch‐ titel und eine Betrachtung des ersten Szenenfotos zum Anlass nehmen, in einer „awareness“-Aufgabe über Handlung und Funktion bzw. Bedeutung der titelge‐ benden Straße sowie deren Ziel zu spekulieren. In den Lösungsvorschlägen wird unter dem Stichwort „atmosphere“ eine enge Korrelation zwischen Bildinhalt und ihrer Wirkung hergestellt: • under decay, in disrepair, crumbling (the power lines are toppling, the train crossing signs are broken, there is a plundered car in the middle of the road) • catastrophic (large flames and smoke in the background) • empty and bare (there are no large plants) (PA-LHB 526) Mittels einer Analyse der Hörbuch-Transkripte (diese liegen einem gesonderten Audio-Paket mit allen Hörtexten zum Lehrwerk bei) wird der Romanbeginn auf seine atmosphärischen Signalwörter und -phrasen untersucht, wie sich in 160 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced folgendem close reading zeigt, das den Lösungsvorschlägen im Lehrerhandbuch zugrunde liegt: • the atmosphere is dark and cold: dark, cold night (l. 1), very dark (ll. 2 - 3), grey days (l. 3), no sunrise (l. 6 - 7), grey light for the sky (l. 34) • the man protects the child (l. 2) • the protagonists are destitute: dirty clothes and blankets (l. 6) • the situation is so scary, that the man has an odd dream (ll. 7 - 20) • nature is dying: barren, silent, godless (ll. 22 - 23), still grey river (ll. 31 - 32), dead plants (l. 32) • people have disappeared: empty road (l. 31) (PA-LHB 528) Allerdings geschieht dieses Erfassen der Stimmung in Bild und Drehbuchaus‐ schnitt weniger durch eine induktive, lernerzentrierte Methodik, sondern viel‐ mehr deduktiv über die Aufgabenstellung, die erneut schon in der Formulierung vorwegnimmt, was die Lernenden herausarbeiten sollen: „Explain how the screenplay creates the ghostly atmosphere depicted in the novel“ (PA 374, Task 4b, Herv. JM) und „Analyse the narrative perspective of the excerpt from the screenplay […] and explain how it underlines the depressing atmosphere“ (PA 374, Task 5, Step 1, Herv. JM). Ein schlichtes Fortlassen des jeweils her‐ vorgehobenen Adjektivs wäre dem induktiven Ansatz zuträglich, insofern die Schüler: innen dann selbstständig die in den Lösungsvorschlägen benannten Stichwörter und Formulierungen herausarbeiten und die Charakteristik dieser Stimmung als eigenen Erkenntnisgewinn verbuchen könnten. Die folgenden Bemerkungen erweitern das Bildmaterial des Lehrwerks um Textpassagen, die anhand von Figurenzeichnungen den dystopischen Charakter des Romans stärker hervortreten lassen. Zudem erlauben sie einen zusätzlichen Rückbezug auf die Deutungsebene von Children of Men innerhalb derselben Lerneinheit, so dass mit einem Vergleich der Darstellungstechniken die Mög‐ lichkeiten einer christologischen Auslegung an zwei ganz unterschiedlichen Stoffen stärker begründet und somit besser plausibilisiert wird. Die Konfigura‐ tion in The Road besteht aus wenigen Figuren, unter denen als Protagonisten Vater und Sohn hervorstechen. Ihre seltenen Begegnungen mit anderen Men‐ schen sind jedoch stets sehr aussagekräftig, nicht zuletzt durch die stark betonte Dialogführung der beteiligten Figuren in ihrer szenischen Darstellung, die sich von den primär erzählenden Passagen des ausgewählten Hörbuchausschnitts stark unterscheiden (vgl. PA-CD4, Transkripte, 37-38; entspr. McCarthy 7-9, §§ 1, 2 und 5). Zwei dieser Begegnungen sind besonders auffällig, da sie dazu führen, dass die beiden Hauptfiguren darin nicht nur anderen begegnen, 161 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff 37 Das Zitat gibt die Schreibweise von Kontraktionen von Hilfsverb und Negationspartikel in der Weise wieder, die McCarthy für den Roman gewählt hat, sowohl in indirekter Rede als auch in diegetischen Passagen: Das Apostroph wird dabei ausgelassen. Machat sieht darin, sehr unspezifisch, „something which moves from the story-world of the characters beyond the narrative dimension of the implied narrator and beyond there to the physical level of the book itself ” (Machat 2013: 143). Dieses verrätselnde „something“ lässt sich konkreter erfassen als die Zerstörtheit nicht nur der erzählten Welt, sondern auch als Gestörtheit des Erzähldiskurses, der diese Welt repräsentiert. Nicht nur solche orthographisch-morphologischen Details sind hierfür zu nennen: dazu zählen auch die bis zum äußersten getriebene Lakonik des Erzählstils, dessen sondern auch sich selbst, so dass sie ihr eigenes Verhältnis zueinander neu definieren müssen: der misstrauische Umgang vor allem des Vaters mit einem rätselhaften alten Mann (McCarthy 2011: 116-125, §§ 234-238) und später die Bestrafung eines Diebes, der sich all ihrer verbliebenen Sachen bemächtigt, während der Vater gerade in einem gestrandeten Schiffsrumpf nach Verpfle‐ gung und nützlichen Gegenständen sucht (McCarthy 2011: 181-185, §§ 355-358). Während jede Begegnung durch ein hohes gegenseitiges Misstrauen der Figuren geprägt ist, fokussiert die erste das Gespräch des Vaters mit dem alten Mann. Der Junge hat Mitleid für den zerbrechlich wirkenden Alten und möchte ihn an der Hand führen, was ihm der Vater verbietet; dieser lässt sich aber dazu überreden, dem Fremden ein warmes Essen und einen Kaffee zu bereiten. Im Gespräch, das der Vater wie ein Kreuzverhör führt, gibt der Greis sich zunächst als stark sehbehinderter Ely aus - es ist der einzige Eigenname, den eine Figur in dem Roman für sich zumindest zeitweise beansprucht. Ely kann als Kurzform für den Namen des Propheten Eliah gedeutet werden: Er bedeutet „Mein Gott ist Jahwe“ und verweist so auf die quasi-religiöse Thematik, über die die beiden Erwachsenen sich auszutauschen bemühen. Gleichwohl widerruft Ely später dieses und andere Persönlichkeitsmerkmale, mit denen er sich zunächst vorgestellt hatte: die Frage des Vaters, ob er tatsächlich so heiße, verneint der Greis (vgl. McCarthy 2011: 123); auch seine Al‐ tersangabe von 90 Jahren stellt sich gleich als Vorwand heraus, bei Marodeuren Mitleid zu erreichen, vgl. McCarthy 2011: 120), selbst sein Sehvermögen ist in jeder Hinsicht zweifelhaft - denn obwohl Ely sagt, er könne nicht gut sehen, lässt dies den Vater in erlebter Rede fragen: „God knows what those eyes saw.“ (McCarthy 2011: 122). Auf die Frage, warum Ely seinen wahren Namen nicht preisgeben wolle, erklärt dieser: „I couldnt trust you with it. I dont want anybody talking about me. To say where I was or what I said when I was there. I mean, you could talk about me maybe. But nobody could say that it was me. I could be anybody. I think in times like these the less said the better.“ (McCarthy 2011: 123) 37 So hilflos der Alte auch erscheint, ist er von demselben fatalistischen 162 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced knappe Beschreibungen kurze, oft elliptische Hauptsätze aneinander reihen, und die geradezu stichomythisch (Zeile für Zeile) gesetzten Dialoge mit ihren häufigen Ein‐ wort-Sätzen und Echo-Phrasen, die ohne die üblichen Gestaltungsmittel auskommen (Anführungszeichen für wörtliche Rede, Sprecherzuordnungen bzw. „speech tags“ / „inquit-Formeln“ usw.; vgl. auch hierzu Machat 2013: 137-140). Die Sprache des Romans reicht dem Erzähler zur Beschreibung und den Figuren zur Kommunikation, aber sie ist im Wortsinn beschädigt und wirkt dadurch verstörend. Durchhaltevermögen gezeichnet wie Vater und Sohn: „What’s done is done. Anyway, it’s foolish to ask for luxuries in times like these. […] Nobody wants to be here and nobody wants to leave. […] I wouldnt have even come this far but I was hungry. […] I’m just on the road as you are. No different.” (McCarthy 2011: 122-123) Als der Sohn beim Abschied durchsetzt, dass der Vater dem Alten ein paar ihrer wenigen Konservendosen aus der letzten ‚Versorgungsstation‘ mitgibt, kommt nicht einmal ein Dankeschön, sondern lediglich die gleichermaßen überraschte wie verständnislose Übereinkunft zwischen den beiden Männern, sie hätten nicht so selbstlos gehandelt wie der Junge. So lässt zunächst der Vater keinen Zweifel daran: „I wouldnt have given you anything“, und auch der Greis bekräftigt, nach einer Begründung für die Motivation des Jungen suchend: „I wouldnt have given him mine. […] Maybe he believes in God. […] He’ll get over it.“ (McCarthy 2011: 124-125) Damit projiziert er auf die zukünftige Entwicklung des Jungen die eigene zuvor geäußerte Desillusion: „I’m past all that now. Have been for years. Where men cant live gods fare no better. You’ll see.“ (McCarthy 2011: 124) Insgesamt hat das Gespräch zwischen den beiden Männern längst eine Wendung hin zur (Un-)Möglichkeit einer transzendentalen Macht genommen, die der Alte jedoch nur als zynisches Paradox zu fassen weiß: „There is no God and we are his prophets.“ (McCarthy 2011: 122) Was diese Propheten der Immanenz allerdings voraussagen sollten, bleibt ungewiss und ohne Zukunftsperspektive. Der Greis präsentiert sich als Apokalyptiker, der die posthumane Welt mit dem Verweis aufs „tomorrow“ vorwegnimmt: „I knew this was coming. […] People were always getting ready for tomorrow. I didnt believe in that. Tomorrow wasnt getting ready for them. It didnt even know they were there.“ (McCarthy 2011: 121) Mehr als solche kryptischen Andeutungen gibt der alte Mann nicht preis; vieles von dem, was er sagt, bleibt daher für den Vater ein Buch mit sieben Siegeln - dieser gibt aber auch keine weiteren Informationen über seinen Sohn und sich selbst preis: Er stellt dem Greis weder sich noch den Jungen namentlich vor und verrät auch nichts über ihre Herkunft, ihr Ziel, ihre Vergangenheit oder ihre Pläne. Die Kommunikation der beiden verläuft somit ausgesprochen 163 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff schleppend, aber inhaltlich parallel. In der Dialoggestaltung wird dies durch viele wörtliche Echos und das Wechselspiel von Frage und Gegenfrage zum Ausdruck gebracht, so dass das Gespräch sich ähnlich langsam vorwärts windet wie die Protagonisten auf ihrem Weg - ein echter Informationsaustausch ist den Beteiligten fremd geworden. Der Kommunikationsfluss wird somit zum phatischen Abbild der physischen Bewegung: ohne konkretes Ziel, ohne the‐ matische Kohärenz, aber mit einigen diskursiven Versatzstücken, die unter den Bedingungen vor der Katastrophe möglicherweise noch zu einer Unterhaltung über Gott und die Welt hätten werden können. Gegenüber der Begegnung mit Ely rückt in der Szene mit dem Dieb der Junge stärker in den Vordergrund. Schon im Umgang mit dem Greis zeigte er sein selbst- und bedingungsloses Mitleid für diesen; nun veranlasst er seinen Vater wieder zu mäßigendem Verhalten, das dieser von sich aus nicht an den Tag gelegt hätte. Der Dieb bringt jedoch beide zunächst in eine prekäre Situation, stiehlt er doch den zerbeulten Einkaufswagen, in dem die beiden Protagonisten ihr ganzes Hab und Gut transportieren: ihre Kleidung, ein paar Decken gegen die Kälte, Essensvorräte und ein paar Werkzeuge. Entsprechend unnachsichtig ist der Vater, als sie den Dieb stellen - er lässt ihn sich nackt ausziehen und nimmt ihm seine Kleidung. Der Dieb wird in seinem Äußeren detaillierter vom Erzähler beschrieben als zuvor der Greis: Seine Waffe ist ein Schlachtermesser, das allerdings gegenüber der Pistole des Vaters unterlegen ist. Obwohl es längst kein übergeordnetes staatliches Rechtswesen mehr gibt, sondern nur mehr lokale, selbstermächtigte Gemeinschaftsverbünde, trägt der Dieb Spuren einer drakonischen Bestrafung für frühere Vergehen: „He was an outcast from one of the communes and the fingers of his right hand had been cut away. He tried to hide it behind him.“ Er erscheint „[s]crawny, sullen, bearded, filthy. His old plastic coat held together with tape. […] They could smell him in his stinking rags.“ (McCarthy 2011: 182) Selbst die Schuhe, die er am Ende seiner Bestrafung ausziehen muss, erweisen sich als nicht mehr denn „rotting pieces of leather laced to his feet” (McCarthy 2011: 182). Für den Jungen ist der Akt der Bestrafung ein traumatischer Moment; er wendet sich ab und hält sich die Ohren zu, um nicht die Befehle des Vaters an den Dieb mit anhören zu müssen (vgl. McCarthy 2011: 182). Vergeblich versucht er, Einfluss auf den Vater zu nehmen und ihn milder zu stimmen; als sie sich wieder auf den Weg machen und den Dieb in seiner Blöße zurücklassen, weint er. Erst einige Zeit später lässt der Vater sich zur Umkehr umstimmen, aber sie finden den Mann nicht mehr und lassen seine Sachen zu einem Bündel verschnürt für ihn zurück - in der sicheren Annahme des Jungen: „we did kill him“ (McCarthy 2011: 185). Auffällig ist hierbei, dass der Junge die Schuld nicht beim Vater allein sucht, obwohl 164 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 38 Zu weiteren christologischen Deutungsansätzen vgl. Machat 2013: 180-182 und Hollm 2015: 385-386. dieser die Handlungsmacht während der Szene innehatte, sondern dass er diesen Schuldspruch auch auf sich nimmt. Er tut dies, obwohl er die ‚Gerechtigkeit‘, die der Vater durch seine harte Haltung herstellen will und dabei nicht nur auf Ausgleich drängt, sondern auch Genugtuung einfordert, als übertrieben empfindet - statt ihn zu bestrafen, sähe er es lieber, dem Dieb zu helfen. Dies kommt für den Vater nicht in Frage, stattdessen ermahnt er ihn schließlich: „You’re not the one who has to worry about everything“, was der Sohn mit der trotzigen Antwort quittiert: „Yes I am, he said. I am the one.“ (McCarthy 184) Wie schon in der Szene zuvor zeigt der Junge sein Empathievermögen für andere, die sich in womöglich noch schlimmeren Lagen befinden als sein Vater und er selbst - er versucht, den beiden Fremden zu helfen (vgl. auch seine Reaktion auf einen vom Blitz getroffenen Schwerverletzten, McCarthy 2011: 40, § 82) und verzeiht dem Dieb die Tat trotz der Gefahr für Leib und Leben, die sie für ihn und seinen Vater bedeutet hätte, wäre der Mann mit der Beute entkommen. Während der Junge sich selbst in seiner Haltung gegenüber anderen in beiden Situationen treu bleibt und dadurch sein kindlich-unschuldiges Wesen demonstriert, ist beim Vater eine Dynamik zu erkennen, die zeigt, dass er der Versuchung von Macht und Gewalt durchaus erliegt und damit Schuld auf sie beide lädt. Denn in dem Fall des Diebes ist der Moment der Notwehr nicht mehr gegeben, sobald der Fremde den Einkaufswagen freigibt und sein Messer ablegt (anders als zuvor, da der Vater einen der marodierenden Kannibalen erschießt, der sich des Jungen bemächtigen will, vgl. McCarthy 2011: 51, § 102). Wie schon in der Szene mit Ely zeigt der Vater sein unbedingtes Misstrauen und seine Unnachgiebigkeit im Umgang mit anderen - so wie er in keiner Situation des Romans Zweifel daran lässt, dass er den Sohn und sich selbst vor allen Fremden bis zum Letzten schützen und verteidigen würde, sollten diese sich feindlich verhalten. Der Roman evoziert immer wieder christologische Bilder, insofern der Vater seinen Sohn regelrecht vergöttert: „If he is not the word of god, then God never spoke.“ (McCarthy 2011: 8) In den ausgewählten Textbeispielen fragt der Vater den alten Ely einmal: „What if I said he was a god? ”, was dieser wie folgt kommentiert: „I hope it’s not true what you said because to be on the road with the last god would be a terrible thing so I hope it’s not true.” (McCarthy 2011: 124) Umgekehrt zu seinem Vater sieht der Junge sich als einen Auserwählten, der nach dem Tod des Vaters zu diesem wie zu einem Gott betet: „The woman […] would talk to him sometimes about God. He tried to talk to God but the best thing was to talk to his father […]. The woman said that was all right.” (McCarthy 2011: 203). 38 165 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff Aus mythopoetischer Sicht wird der Junge indes auch gegen den Horizont der griechischen Mythologie als Prometheus-Figur verständlich. Er deklariert sich in seinem Konflikt mit dem Vater anlässlich der Behandlung des Diebs als ‚Vordenker‘ (so die wörtliche Bedeutung des Namens Prometheus): „I am the one [who has to worry about everything]“ (McCarthy 2011: 184). Er scheint geradezu besessen von der Idee, dass die „Guten“ und Gerechten, zu denen er sich zählt, ein (inneres) Feuer weitertragen müssten („carrying the fire“). Dieses innere Feuer verweist auf das prometheische Feuer, mit dem der griechische Halbgott seinen Ton-Kreaturen, den Menschen, Leben einhauchte bzw. das er ihnen gegen den Willen der anderen Götter brachte, um so zu ihrem Kulturstifter bzw. Helfer zu werden. Der Alte wiederum, der sich Ely nennt aber nicht ist, wird auch als „starved and threadbare buddha“ (McCarthy 2011: 121) beschrieben. Während die Be‐ zeichnung „buddha“ eher eine in sich ruhende, Weisheit ausstrahlende (‚er‐ leuchtete‘) Pose des Greises evoziert, widersprechen die beiden vorangestellten Attribute in ironischer Weise den gängigen Konzepten einer Buddha-Figur, die in der Regel alles andere als ausgehungert und seicht erscheint. Wie alle diese paradigmatischen Versatzstücke aus metaphysischen Zusam‐ menhängen zeigen, ist der Romantext mit mehr oder minder subtilen Anspie‐ lungen angereichert, die auf die jüdisch-christliche Religion oder gar den Buddhismus, subtiler noch auf die griechische Mythologie verweisen: Einen ‚letzten‘ Sinn ergeben sie alle nicht, aber man könnte davon sprechen, dass die synkretistische Sprache des Romans eine solche metaphysische Sinnsuche initiiert und somit den vergeblichen Quest von Vater und Sohn nach einer besseren Existenz auf der Handlungsebene ebenso ironisiert wie dies auf der Darstellungsebene der eingangs besprochene Romanschluss aus der post-hu‐ manen Perspektive tut. Beide Passagen lassen somit einerseits die Charakterisierungstechniken deutlich hervortreten - seien sie durch die Erzählerstimme oder figural vermittelt, seien sie Selbst- oder Fremdcharakterisierungen, oder seien sie bezogen auf das Äußere oder innere Einstellungen der Figuren. In einer didaktischen Situation lassen sich diese, z. B. in Gruppenarbeit mit dem Fokus auf jeweils einer Figur, anhand der entsprechenden Textpassagen gewinnbringend herausarbeiten - unter Umständen ließe sich dies mit einem Blick auf die entsprechenden Filmszenen erweitern. Auch eine begründete Zuordnung der Charaktere im Blick auf ihre Lesbarkeit als Repräsentanten unterschiedlicher metaphysischer Weltvorstellungen ließe sich erzielen, wenn sie über eine entsprechende Wortfeldarbeit initiiert wird: Hierbei ist zu beachten, dass den Lernenden die Möglichkeit vermittelt wird, dass die Anspielungen nicht konsistent sind und aufgrund der Vielfalt von mög‐ 166 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced lichen Deutungsansätzen eine einzelne Deutung auf dieser Verweisungsebene nicht durchgängig belastbar ist: Der Text bleibt in dieser Hinsicht zwar offen und vieldeutig, aber er eignet sich gerade wegen dieser Offenheit auch für eine Diskussion in einem fächerübergreifenden Zusammenhang, z. B. im Dialog mit den Fächern Ethik und / oder Religion. In einem weiteren Schritt können die Schüler: innen dazu angehalten werden, die Dialoggestaltung sprachlich zu untersuchen (vgl. dazu Machat 2013: 137-143), um auf die gestörte Qualität von Darstellungs- und Figurensprache aufmerksam zu machen - im Hinblick auf eine solche Analyse wäre denkbar, alternativ (als Neigungsdifferenzierung) eine kreative Umschrift einer Dialog‐ passage in eine ausführlichere, episierende Kommunikation anzuregen, in der die direkte Rede mit Angaben über den jeweiligen Sprecher, dessen Tonlage und Artikulation, aber auch Mimik und Gestik beschrieben wird. Die Dialogpassagen eignen sich dafür in besonderer Weise, weil McCarthy ihnen soviel imaginären Gestaltungsraum lässt, indem er auf explizite Schilderungen verzichtet - zu‐ gleich fordert er von den Rezipient: innen ein hohes Maß an Aufmerksamkeit ab, damit diese den jeweiligen Sprecher identifizieren. Seine Dialoge sind durch einen hohen Grad an Plastizität und Lebensnähe gekennzeichnet, die es den Lernenden vereinfachen, ihre Lakonik in einen Erzählmodus zu überführen, der - je nach stilistischen Vorlieben - ebenso expressiv-empathisch wie neutral und distanziert gehalten sein kann. Resümee. Eine konkrete Erarbeitung von Texten erfolgt vor allem im Um‐ gang mit drei Passagen, von denen die umfangreichste James’ Romananfang entnommen ist. Der eingeschobene Textpassus aus Mores Utopia wird lediglich oberflächlich abgehandelt, weil eine Vertiefung hierzu nicht vorgesehen ist; die zwei verbleibenden Texte entstammen den Drehbüchern zu den Literaturverfil‐ mungen von The Children of Men und The Road. Die voranstehenden Analysen sowohl der Primärmedien als auch der Art und Weise, wie Pathway Advanced daraus didaktisches Material schöpft und im Unterricht einzusetzen vorschlägt, haben gezeigt, dass das Lehrwerk insbesondere auf lerntheoretischer Ebene dazu neigt, einzelne Arbeitsschritte auf wenig authentische Weise aufeinander folgen zu lassen. So wird der Auszug aus dem frühneuzeitlichen Gründungstext utopischer Literatur, Thomas Mores staatsphilosophischer Traktat, als Trennung zwischen zwei medialen Realisationen ein- und desselben dystopischen Stoffes, (The) Children of Men, verwendet. Nicht nur der historische Abstand beider Texte, sondern auch deren Genrezugehörigkeit widersprechen einer solchen Kontextu‐ alisierung zumindest an dieser im Lehrwerk vorgeschlagenen Bruchstelle. Der Brückenschlag zurück zum Stoff (The) Children of Men erfolgt anhand einer einzelnen Szene aus Cuaróns Film, die jedoch nur bedingt ein Korrelat zum 167 2.2 Science / Technology / Utopia / Dystopia: Annäherungen an einen vielseitigen Stoff Romantext enthält; der ausführlichen Beschäftigung mit einer Drehbuchpassage im weiteren Verlauf hingegen folgt keine Analyse der entsprechenden Filmszene. Die Arbeit mit McCarthys The Road wird dadurch unnötig erschwert, dass der als Hördatei präsentierte Romanbeginn zwar als Text analysiert wird, dass dieser Text aber lediglich in Lehrermaterialien, die also für Schüler: innen erst zugänglich gemacht werden müssen, abgedruckt ist. Davon abgesehen liegt der Akzent des Umgangs mit diesem Stoff maßgeblich auf visuellen und auditiven Eindrücken vom Beginn der Erzählung; folgende Episoden (und Entwicklungen) werden ebenso wie tiefgründigere Sinnschichten nicht thematisiert, da die Auf‐ gaben unmittelbar vom Text fortführen in Spekulationen über die Handlung. Die hier präsentierten Alternativen mit der Analyse zweier wichtiger Begegnungen der beiden Protagonisten mit anderen Überlebenden der globalen Katastrophe sollen dazu beitragen, den Romantext in den Vordergrund zu stellen und seine inhaltlichen, diskursiven sowie semiotischen Konstruktionsmerkmale stärker zu würdigen und dabei auch das intensive, somit nicht allein sinnentnehmende, sondern auch bedeutungsstiftende Lesen der Schüler: innen zu schulen. 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? Das vorliegende Kapitel wendet sich der Materie zu, die sich an der Schule aufgrund ihrer historischen, kulturellen und lebensweltlichen Distanz zur Ent‐ stehungszeit der zu behandelnden Werke den Lernenden wohl am schwersten vermitteln lässt. Vermutlich deswegen ist das Arbeiten mit Shakespeares Werken in der Mehrzahl der neueren länderspezifischen Kerncurricula in den Hintergrund gedrängt worden: Im nordrhein-westfälischen KLP für die Sekundarstufe II werde Shakespeare zwar, so Jan Eschbach, als „literary giant“ bezeichnet, aber: „it now prescribes that the works of William Shakespeare be discussed merely by reading extracts from a play in the Leistungskurs, and by watching scenes (! ) from a film adaptation in the Grundkurs“ (Eschbach 2019: 58 - Herv.i.Orig.; vgl. schon Merkl 2014: 67). Es besteht auch mit den Shakespeare-Lerneinheiten die Gelegenheit, die Ausbildung literaturanalytischer Kompetenzen in noch intensiverem Maße zu fördern, als dies in anderen Kapiteln des jeweiligen Lehrwerks geschieht. Es soll hier gezeigt werden, ob und in welcher Hinsicht sich - aus gleichermaßen fachwissenschaftlicher wie fachdidaktischer Sicht - diese Erwartungen im Einzelfall bestätigen lassen. Wie die Arbeitsschritte der einzelnen Lehrwerke nahelegen, werden sich in der Betrachtung vieler Texte von Shakespeare stets auch Fragen nach (Geschlechter-) Identitäten, nach sozialen Machtverhältnissen 168 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced und anderen kulturgeschichtlichen Aspekten stellen. Unter Zuhilfenahme „‘pro‐ fessionelle[r] Kritiken’ (= wissenschaftliche[r] Literatur)“ werden „ästhetische Tendenzen“ und Standpunkte zu bestimmten Aspekten im Zusammenhang mit Shakespeare abgeleitet; darüber hinaus wird den Schüler: innen vermittelt, was den Unterschied „zwischen Lektüreansätzen für unterschiedliche Zwecke innerhalb und außerhalb des schulisch-institutionellen Kontextes“ macht (alle Zitate aus LiFT-2; vgl. dazu Abschn. 1.3). Anders als im vorigen Kapitel zu „Science / Technology / Utopia / Dystopia“, wo eine Fokussierung auf literatur‐ bezogene Inhalte vorgenommen wurde, steht daher an dieser Stelle die Anlage der jeweils gesamten Lerneinheit zur Diskussion. Vor der Einzelanalyse bietet es sich jedoch auch hier an, unter zwei Stichwör‐ tern die Herausforderungen anzusprechen, denen eine Lerneinheit zu Shake‐ speares Werken begegnen muss. Dabei stellt sich zum einen die Frage nach dem Verhältnis heutiger Leser: innen zu diesem Autor, und zum anderen steht der kulturgeschichtliche Moment seiner Rezeption in einem postfaktischen Zeitalter unter besonderen Vorzeichen. So vertraut wie fremd. Allein der Begriff „Shakespeare“ - kulturelle Ikone, brand name einer ganzen Kultur- und Publikationsindustrie sowie Name einer historischen Persönlichkeit - ruft bei Generationen von Ober‐ stufen-Schüler: innen Assoziationen mit hehren Konzepten wie „Weltliteratur“ und „Allgemeinbildung“ hervor: er löste zudem lange Zeit eher Respekt als Neugier aus (vgl. Volkmann 1997: 32). Daraus aber eine „quasi-predestined existential dread of the Bard“ zu konstruieren, wäre grundfalsch und hätte nur eine Folge: „An intellectual paralysis is thus prediagnosed.“ (Eschbach 2019: 63) Das berühmte bonmot Ben Jonsons über Shakespeare als „a man not of an age, but for all time“ auf die heutige Zeit übertragend, zitiert Green Line im Schülerband einen Artikel aus dem Time Magazin, in dem Yasmin Alibhai-Brown auf die aktuelle globale und interkulturelle Bedeutung der Werke Shakespeares hinweist: Shakespeare captivates audiences in the West, and resonates profoundly in postcom‐ munist nations. But he is most alive for people of color. South Asians and Arabs and their diasporic peoples are Elizabethans still. In their world are parental possessions, marriages arranged, personal autonomy frowned upon. (GL 246) Ein größeres Hindernis sind jedoch eher die sprachlichen Schwierigkeiten als die Bedenken, seine Stücke könnten auf heutige Schüler: innen langweilig wirken (vgl. Schmidt 2004: 146). Context argumentiert in einem Redaktionsar‐ tikel des Lehrbuchs treffend: „Since Shakespeare’s time, the English language has developed considerably, while the themes of his plays have remained 169 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 39 An umfangreicheren und einflussreichen Sammelbänden, die aus der schulischen Be‐ schäftigung mit Shakespeare hervorgegangen sind bzw. dafür konzipiert wurden, sind vor allem folgende hervorzuheben: Ahrens 1978, Küpper 1982, Mosner 2000, Schmidt 2004, Petersohn/ Volkmann 2006b (2 Bde.), Eisenmann/ Lütge 2014 und Eisenmann 2019. 40 Wenn eine fachliche Entlastung des Literaturunterrichts dahingehend geltend gemacht wird, dass „an deutschen Schulen Shakespeare mehr im Deutschunterricht als im Englischunterricht gelesen“ (Voss 2001: 254) werde, so ist dem entgegen zu halten, dass die Vermittlung dann - ähnlich wie im Falle von Verfilmungen - stets durch die Linse von Übersetzungen gebrochen wird (z. B. Schlegel/ Tieck; Fried). relevant up to this day.“ (C 74) Dazu tragen insbesondere populäre neuere Film- und Theaterproduktionen bei, die entweder William Shakespeare als Figur in den Vordergrund stellen oder seine Stücke in kulturgeschichtlich und medial naheliegendere settings versetzen (s. u.). Die große Herausforderung für die Lehrkräfte liegt, wie bei der Vermittlung aller ‚klassischen‘ Werke, darin, kleine Ausschnitte aus den Werken dieses Autors didaktisch so aufzubereiten, dass einerseits die universelle, scheinbar zeitlose Gültigkeit vieler der darin verhandelten Themen - z. B. Liebe, Tod, Eifersucht, Machtgier - schülergerecht, d. h. methodisch wie inhaltlich zeitgemäß in Erscheinung tritt, und dass ande‐ rerseits die historisch begründete Fremdheit in der Darstellung dieser Themen zu gleichem Recht kommt. Auch für die Sonette lässt sich schlüssig festhalten, „dass sie verbreitete menschliche Erfahrungen tiefgründig thematisieren und daher auch als Einzeltexte Bestand haben“ ( Jarfe 2006: 269), so dass ihr Einsatz im Unterricht seine Berechtigung hat. Laurenz Volkmann liefert weitere triftige Gründe für ihren Platz im Oberstufenunterricht: The golden age of Shakespeare’s sonnets in the EFL classroom may well be over, with literature fighting an uphill struggle in the current atmosphere of standard and competence-orientation with regard to practically applicable communicative skills. Yet, new concepts such as those of ‘symbolic competence’ comprise a valuable and strong argument for reintegrating Shakespeare’s sonnets, or sonnets of the Elizabethan age, into a classroom which aims at filling content-devoid demands for communicative competence with meaningful knowledge and skills. (Volkmann 2014: 32) Wie aber lässt sich nun ein gut 400 Jahre altes literarisches Werk vor dem Hintergrund eines auch auf dem Gebiet der Fachdidaktik 39 unüberschaubaren Forschungshorizontes so vermitteln, dass es den Schüler: innen des 21. Jahr‐ hunderts ansprechend - ‚relevant‘ und also ‚authentisch‘ - genug für eine interessierte und engagierte Auseinandersetzung damit erscheint? Hierzu postuliert Isolde Schmidt mit Recht, dass man Shakespeare den Schüler: innen erst einmal „nahebringen“ müsse, bevor man die Werke genauer untersuchen könne (Schmidt 2004: 43). 40 In der Regel folgen die hier unter‐ 170 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced suchten Lehrwerke diesem Anspruch, mit Ausnahme von Pathway Advanced (dazu s. u., S. 178-182). Die überwiegende Auseinandersetzung mit dem drama‐ tischen Werk ist dann am performance approach Rex Gibsons orientiert: Dieser geht von der Natur der überlieferten Texte Shakespeares als Bühnenfassungen aus (als playscripts), die daher stets als „noch unfertig, ausbaufähig“ (Schmidt 2004: 47) zu betrachten sind und entsprechende Freiräume für die Schüler: innen eröffnen: Denn ein script ist „sozusagen eine vorläufige Version, die erst noch dramaturgisch umgesetzt werden muss, wozu es der Vorstellungskraft und Fantasie ebenso wie der Kreativität bedarf “ (Schmidt 2004: 47). Neuere Unterrichtshinweise, die auf Gibsons Ansatz beruhen, allerdings primär für muttersprachliche Lernende konzipiert sind, liefert Banks (2014); zudem liegen - speziell für deutsche Leistungskursschüler von Globe Education Shakespeare herausgegeben - zwei Bände mit Texteditionen von Romeo and Juliet (Banks 2011) und Macbeth (Banks/ Shuter 2012) vor, die dazu ermutigen, beide Stücke aus einer primär aufführungspraktischen Herangehensweise zu erarbeiten (für den akademischen Unterricht in der Lehramtsausbildung vgl. dazu Sharp 2019). Die Vorzüge des script-Ansatzes liegen Schmidt zufolge in der holistischen Zugangsweise, die „die affektive, die kognitive, die psycho-motorische und die kreative Dimension der Schüler“ anspricht (Schmidt 2004: 49). Nachteile ergäben sich daraus, „dass bei einer einseitigen Ausrichtung im Klassenzimmer der eigentliche Text aus dem Blickfeld gerät“ (Schmidt 2004: 50). Es zeigt sich beim genaueren Blick in die Lehrwerke, dass kein einziges Theaterstück Shakespeares, ja nicht einmal eine komplette Szene daraus, in toto gelesen wird (dies gilt sogar für die wenigen Zeilen von Macbeth 1.1 in GL, Part B). Auf diesen Umstand gehen auch Daniela Anton/ Julia Hammer und Mathias Merkl im Hinblick auf die aktuellen Curricula ein. Die ersten beiden Verfasserinnen konstatieren: „In most […] preparatory schools [gemeint ist die gymnasiale Oberstufe], the obligatory ‘Shakespeare-Unit’ […] is placed between the written and oral exams of grade 12 and includes many quotes from Shakespearean plays, some excerpts from a Midsummer Night’s Dream or Macbeth and a little background knowledge about the Globe Theatre.“ (Anton/ Hammer 2014: 258) Während hier die Randständigkeit der Auseinandersetzung und die Fragmentierung weniger Werke in einzelne, unzusammenhängende Textpassagen moniert werden, kritisiert Merkl besonders den letzten Aspekt, der zu Ungunsten des ästhetischen Zusammenhangs und unter Verlust des literarischen Eigenwerts zu sehen ist: „teaching and learning principles have made the ‚genuine‘ Shakespeare obsolete. At the same time, adaptations and interpretations have inherited the role of depicting facets of the target culture.” (Merkl 2014: 68) Ob aus dieser punktuellen und häufig anachronistischen 171 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 41 Zum möglichen Einsatz der Verfilmungen von Wise, Zeffirelli und Luhrmann im Englisch-Unterricht vgl. Kern-Stähler 2006; fachwissenschaftlich informativ ist die umfangreichere Studie von Lehmann (2010). Lütge stellt zudem eine nützliche Liste mit häufig im Unterricht zum Einsatz kommenden Verfilmungen von Shakespeares Stücken zusammen (vgl. Lütge 2012: 93). 42 Romeo and Juliet rückt, zumindest in Auszügen und unter Betonung des Generationenkonf‐ likts, zunehmend in den Bereich der Sekundarstufe I vor. Vgl. z. B. Rosiak-Nolting/ Scherer Annäherung eine ausführlichere Ganztextlektüre erwächst, steht somit ganz im Ermessen von Lehrkraft und Lerngruppe. Die Tatsache, dass Shakespeare ‚auf allen Kanälen‘ (Text, Bild, Audio, Video, Internet inkl. social media) präsent ist bzw. dort (re-)präsentiert wird, lässt es zumindest einfach erscheinen, einen multimedialen Zugang zu seinem Werk zu finden und neben gedruckten Texten extensiv auf Film- und Audiodateien zu‐ rückzugreifen (vgl. Petersohn/ Volkmann 2006: 10). Die Schwierigkeit, auch für die Lehrwerksgestalter, liegt in der schieren Fülle des zur Verfügung stehenden Materials. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird man vermutlich weniger auf filmhistorisch und -ästhetisch antiquiert anmutende costume dramas zugreifen (z. B. Orson Welles, Macbeth, 1948, oder Franco Zeffirelli, Romeo and Juliet, 1969) und stattdessen eher solchen Produktionen Raum geben, die Shakespeares Werke in die heutige Zeit oder zumindest jüngere geschichtliche Epochen versetzen (wie z. B. Loncraine, Richard III, 1995; Luhrmann, Romeo + Juliet, 1997; Almereda, Hamlet Connection, 2000; und die BBC Miniserie ShakespeaRetold mit Neuverfilmungen von A Midsummer Night’s Dream, Macbeth, Much Ado About Nothing und The Taming of the Shrew, alle 2005). 41 Es stellt sich also zunächst die Frage, welches Lehrwerk welche Material‐ auswahl vornimmt. Denn bei aller Offenheit gegenüber lernerzentrierten, fä‐ cherübergreifenden und multimedialen Unterrichtsansätzen empfehlen auch Petersohn/ Volkmann die Notwendigkeit traditioneller, textbasierter Erschlie‐ ßungsmethoden - oder des „much-despised desktop approach“ (Eschbach 2019: 57) - lange vor der Einführung der aktuellsten Kerncurricula und Lehrwerke: „die Kompetenzen im textanalytischen Bereich sind im Prinzip in allen Studien- und Lebensbereichen gefragt und notwendig - eine wichtige Tatsache, die auch im Medienzeitalter nicht vergessen sein sollte“ (Petersohn/ Volkmann 2006a: 12). Das vorliegende Kapitel wirft folglich die Frage auf, wieviel Lernerzentriertheit und -autonomie im Umgang mit „Shakespeare“ dem Wissens- und Kompetenzerwerb der Schüler: innen zuträglich ist. Auffällig ist zunächst die Tatsache, dass die drei Lehrwerke nicht so sehr „The Great Four“ (d.h. die Tragödien Hamlet, Othello [GL], Macbeth [C, GL] und King Lear) und Romeo and Juliet [CT] 42 oder etablierte Schul-Klassiker wie Julius Caesar ins 172 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 2017, aber auch, mit Blick auf eine Synthese der Fächer Darstellendem Spiel und Englisch an einer Realschule in Baden-Württemberg, Passon 2014. Zentrum der Aufmerksamkeit stellen, sondern auch Komödien wie Love’s Labour’s Lost [PA], A Midsummer Night’s Dream [GL] oder Much Ado About Nothing [GL], zudem Historien wie Henry V [CT, PA] oder Richard III [C, PA] und solche problem plays wie Cymbeline [GL], The Tempest [PA] oder The Taming of the Shrew [CT, GL, PA] berücksichtigen. Hinzu kommt der exemplarische Blick ins lyrische Werk Shakespeares, namentlich auf die Sonette - deren Auswahl weit von einem Konsens entfernt ist, denn es werden in lehrwerkübergreifender Betrachtung nicht nur die beiden wohl bekanntesten, No. 18 „Shall I compare thee to a summer’s day“ und No. 130 „My mistress’ eyes are nothing like the sun“, angeboten. Diese finden sich, zusammen mit No. 66 „Tired with all these, for restful death I cry“ und No. 116 „Let me not to the marriage of true minds“, in Camden Town. Pathway Advanced bietet den Schüler: innen allein No. 73 „That time of year thou mayst in me behold“ (PA 455), Green Line favorisiert demgegenüber No. 91 „Some glory in their birth, some in their skill“ (GL 243). Green Line ist in der Konzeption des Unterrichtsmoduls dasjenige Lehrwerk, das ausschließlich Shakespeares Werke in den Vordergrund stellt und darauf eingeht, wie diese mit historischen und aktuellen Medien umgesetzt werden. Pathway Advanced richtet zumindest im Bereich der Lyrik auch den Blick auf die modern(isierend)e Übersetzung des Sonetts No. 73 in der Fassung von Wolf Biermann, sowie auf John Donnes Gedichte „The Good Morrow“ und (über einen Webcode) „The Flea“. Weitere Texte innerhalb des Kapitels schließen Auszüge von - nicht immer aktuellen - akademischen Studien und publizistischen Artikeln ein. Selbiges Lehrwerk stellt auch über die Materialien im gedruckten Schülerbuch hinaus ein reichhaltiges online-Angebot zur Verfügung. Insgesamt 12 Internetadressen ergänzen das Unterrichtsmodul, von denen einige auf YouTube hinterlegte Kino-Trailer oder Filmszenen bzw. Live-Mitschnitte von Shakespeare-Travestien führen, andere bieten - wie im Fall von „The Flea“ - ein zusätzliches, von Verlagsseite editiertes frühneuzeitliches Gedicht. Context wie‐ derum stellt Shakespeares Werke in einen extensiv angelegten (auch sprach- / literatur-)geschichtlichen Überblick: Das Kapitel spannt den Bogen von Shakespeares Dramen und Sonetten bis zur englischsprachigen Lyrik des 21. Jahrhunderts. Es kann als „Shakespeare Schnupper‐ kurs", zur Vorbereitung auf die Lektüre eines längeren Originaltexts von Shakespeare oder schwerpunktmäßig zur Einübung des Umgangs mit moderner Lyrik eingesetzt werden. (C-HRU 129) 173 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 43 Pathway Advanced setzt in seinen online-Ergänzungen ein Weblink auf ein YouTube‐ Video, das ein Mitglied der Shakespeare Hip Hop Company, Kingslee Akala Daley, bei einem TedX-Talk zeigt. Daley zeigt dabei nicht nur die von ihm postulierte ‚Familien‐ ähnlichkeit’ zwischen Shakespeares Sonetten und der Sprache der HipHop-Kultur auf, sondern stellt auch die kritische Frage nach der Deutungshoheit bzw. dem Anspruch aller „custodians of knowledge“. Vgl. dazu Daley 2011. Es sei hier vorweggenommen, dass es sich dabei eher um eine Gegenüber‐ stellung von Shakespeares Werken mit einzelnen Beispielen zeitgenössischer (Pop-)Lyrik handelt; der weite Bogen, den Context zu schlagen beansprucht, wird also lediglich mit den beiden historischen Ausgangs- und Endpunkten aufgespannt. Die Epochen dazwischen lassen sich in einer Unterrichtseinheit natürlich ebenso wenig abbilden wie die Vielfalt lyrischer Formen, die inner‐ halb dieses Bogens zu verorten wäre. Auch Pathway Advanced folgt diesem Ansatz einer Ver-Gegenwärtigung Shakespeares für die Lernenden durch die kontrastive Gegenüberstellung vor allem seiner Sprache und gegenwärtigen, performance-orientierten Vertretern der Pop-Kultur, die ihrerseits ihre eigene Nähe zu Shakespeare beanspruchen: „Performance poetry can be said to create a link between Shakespeare’s drama in verse and poetry in the 21st century“ (C 74). 43 D.h. Shakespeares Werke werden in erster Linie als Aneignungen aus heutiger Sicht und mit der damit einhergehenden sprachlich-kulturellen Differenzerfahrung betrachtet, aber erst in zweiter Linie aus einer diskurs- und genre-orientierten Perspektive, die ihrerseits innerhalb einer Ganztextlektüre größeren Raum einnehmen könnte. Context positioniert sich im Hinblick auf die transparente Formulierung di‐ daktischer Ziele, wie das obige „Schnupperkurs“-Zitat zeigt, sehr viel expliziter wissenschaftspropädeutisch als die Vergleichslehrwerke. Green Line legt einen konzentrischen Entwurf an, in dem die Modernität der Werke Shakespeares - vor allem durch modernisierende Bühnenproduktionen oder Verfilmungen - betont wird, aber genügend Einblicke in die vergangene Kultur gewährt werden. Die recht unterschiedlichen Konzeptionen der Unterrichtseinheiten in den verschiedenen Lehrwerken bringen ihrerseits ebenso unterschiedliche An‐ näherungen an das Thema und seinen Stoff wie die dazugehörigen Textkorpora zur Geltung, wie eine Synopse vor Augen führt. 174 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Camden Town Context Green Line Pathway Advanced Lead-in Bühnenphotos aus unterschiedli‐ chen Produktionen Zuordnung von Zitaten zu Shake‐ speare oder Gegenwarts-Rapper Sprachliches Erbe Audiofile mit „To be or not to be“-Phrasierung Lead-in Shakespeares sprachliches Erbe (Wort-/ Phrasenprägungen) Zitate aus moderner Lyrik, die im Kapitel thematisiert wird. Lead-in Moderne Produktionen: Kinoplakat (Luhrmann), Bühnenphotos Bühnengeschichtlicher Aufriss: Globe Theatre Lead-in Einstieg über humoristische Pik‐ togramme zu Shakespeares Tra‐ gödien, Cartoon, Audiofile mit Th. Platters Tagebucheintrag zum Leben in London Rubrik „Wordpool“: „A Giant of Li‐ terature“, „Shakespearean Drama“, Shakespeare’s Continuing Impor‐ tance“ (Texte: Redaktionsartikel) Rubrik “Words in Context”: “The Power of the Spoken Word” - ‘The Importance of the Spoken Word in Shakespeare’, ‘Shakespea‐ re’s Themes and Language of our Time’, ‘Poetry as Drama' (Texte: Redaktionsartikel) Spot on Facts: “Shakespeare’s Life and Times” - ‘The Renaissance’, ‘The Elizabethan Age’, ‘Shakespeare: An Extraordi‐ nary Life’, ‘The World’s a Stage’ (Texte: Redaktionsartikel) [Part A] “Mr Shakespeare: On Stage, Please! ” John Orloff, Anonymous (Film‐ skript, 2011) John Russell Brown, “Onstage and Backstage (The Art of “Bewitching” an Audience)” (Text: Buchauszug, 1982) Facts: Shakespeare and the World that made him Life Political Background Elizabethan World View (Texte: Redaktionsartikel) Part A “Shakespeare’s Power of Language”: Focus on Skills: Shakespeare, Macbeth 1.7 (Text) Shakespeare, Richard III 1.2 (Text) Core Skill Workshop: “Analyzing a Scene from a Play” Shakespeare, The Taming of the Shrew 2.1 (Text, Audio) Shakespeare, A Midsummer Night’s Dream 1.1 (Text, Audio) Shakespeare, Much Ado About Not‐ hing 2.1 (Text, Audio) Shakespeare, Othello 3.3 (Text, Audio) Focus on Facts: “Shakespeare’s Stage” “Drama and Theatre” (Texte: Redak‐ tionsartikel) Part A: „Workshop: Analyzing a Shakespearean Sonnet“ Pop Sonnets Modernizing Shakespeare’s sonnets Discussion of Sonnet 66 Part B “Shakespeare’s Words Up‐ dated”: Shakespeare, The Taming of the Shrew 2.1 (Text, Video) Shakespeare, “Sonnet No. 116” (Text) James Simmons, “Marital Sonnet 4” (Text) Part A “On the Stage”: Bill Bryson, Shakespeare (Text: Buchauszug 2008) [Part B]: “Dreams and Demons” Shakespeare, Richard III 1.2 (Text, Audio) Shakespeare, Macbeth 5.5 (Text, Audio) Shakespeare, The Tempest 4.1 (Text, Audio) 175 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? Shakespeare, “Sonnet No. 73” (Text, Audio) Wolf Biermann, “73” (Text) Kenneth Brannagh, “Explosionen im Gehirn” (Text: Auszug aus Zei‐ tungsartikel 2014) Ulrich Matthes, „Man kann nur scheitern“ (Text: Auszug aus Zei‐ tungsartikel 2014) Part B: Shakespearean Drama “The Theatre in Shakespeare’s Time” “Workshop with Shakespearean Drama” Romeo and Juliet (Text) The Taming of the Shrew (Video, Text) Anne Tyler, The Vinegar Girl (Text) Shakespeare for Managers: Henry V (text) Part C “The Powerful Words of Tod‐ ay’s Poets”: Benjamin Zephaniah, “Dis Poetry” (Video) Hollie McNish, [“What do You Want to Be”] (Video) Imtiaz Dharker, “The Right Word” (Text, Audio) William Marr, “You should’ve Stopped There” (Text) Part B “The Way to Success”: Shakespeare/ McDonald, Macbeth I.1 (Text: Graphic Novel-Panel, Audio) Shakespeare, Othello I.1 (Text) [Part C: ] “Dreams and Desires” Shakespeare, Love’s Labour’s Lost 4.3 (Text, Audio) Henry V 5.2 (Text, Audio) John Donne, “The Good Morrow” (Text, Audio) Marc Norman / Tom Stoppard, Shakespeare in Love (Text: Auszug aus Filmskript) -- Chapter Task: “Writing a Review” Part C “Shakespeare in Film”: Marc Norman, Tom Stoppard, Shakespeare in Love (Text: Film‐ skript) Focus on Language: “Shakespeare’s Language” -- -- Part D “Insights in to the Human Mind” (Advanced Texts): Shakespeare, Macbeth 1.7 (Text, Audio, Video) Shakespeare, Othello 2,3 (Text, Audio) -- -- -- Part E “Shakespeare - Fame and Fortune? ” (Advanced Texts): Stephen Greenblatt, Will in the World (Text: Buchauszug, 2004) -- 176 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Shakespeare, “Sonnet No. 91” (Text, Audio) Shakespeare, Cymbeline (Text, Audio) E.O. Scott, Shakespeares Autor‐ schaft - (Text: Auszug aus Film‐ kritik 2011) -- -- Part F “Not for an age, but for all time” (Advanced Texts) Yasmin Alibhai-Brown, Globale Rezeption (Text: Auszug aus Ma‐ gazin-Artikel 2008) -- -- -- “Spot on Language”: Understanding Shakespeare’s English -- -- -- “Spot on Vocabulary”: Talking about theatre and drama -- -- -- Topic Task: “Filming a Scene from Shakespeare” -- Tab. 16: Struktur der Shakespeare-Lerneinheiten in den vier Lehrwerken 177 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 44 Green Line zitiert eine Filmrezension von A.O. Scott zu Emmerichs Film Anony‐ mous als Diskussionsgegenstand und nennt in einem kurzen Einleitungstext dazu die Namen verschiedener kulturgeschichtlicher Zweifler an der Urheberschaft Shake‐ speares an seinen Werken: „Sigmund Freud, Mark Twain or Orson Welles“ (GL 245, Herv.i.Orig.). Allerdings sind dies Namen kultureller Ikonen, die sich den teils verwegenen Argumentationen der eigentlichen Begründer dieser Autorschaftstheorien angeschlossen haben, ohne zu deren Inhalt signifikant beizutragen. Entsprechend unpassend erscheint die Aufgabe 20a) in Green Line, die zudem rezeptionsgeschichtlich verzerrend die „Ansprüche“ anderer Kandidaten diesen selbst zuschreibt und nicht die Urheber dieser Thesen benennt: „Choose one of these candidates and find arguments that support their claim.“ (GL 245, Herv.i.Orig.) 45 Neben de Vere gibt es allerdings verschiedene andere zeitgenössische „Kandidaten“, u. a. Francis Bacon und weitere Köpfe der Shakespeare-Zeit. Vgl. dazu den hinreichend konzisen Abschnitt II.E „Verfassertheorien“ im Shakespeare Handbuch (Schabert 2000: 185-193). Die Autorschaftsfrage: Ein „nahebringender“ Unterrichtsgegenstand? Anders als Camden Town und Context greifen Pathway Advanced und Green Line auch die Diskussion nach der Autorschaft hinsichtlich der Werke Shakespeares auf. Während in Green Line diese Frage erst gegen Ende des Kapitels und vor der Evaluation der rezeptionsgeschichtlichen Bedeutung des Werkes aufgeworfen wird, 44 sucht Pathway Advanced darüber gar den Einstieg ins Thema der Lern‐ einheit. Ausgangspunkt ist hier eine Position, die ihren Beginn im 18./ 19. Jahr‐ hundert hat, in der sogenannten Oxford-Theorie ihren Höhepunkt fand und zuletzt in Roland Emmerichs pseudo-historischem Polit-Thriller Anonymous kulminierte, mit dessen Filmskript zum „Prolog auf dem Theater“ das Lehrwerk einsetzt (PA 444-45, entspricht Emmerich 2011: 0: 00: 17-0: 03: 00). Demzufolge sollten Edward de Vere, Earl of Oxford, als dem ‚wahren‘ Verfasser die Werke Shakespeares zugeschrieben werden. Besonders aufwendig vertreten wurde diese These 1920 von J. Thomas Looney, der sie mit viel publizistischem Auf‐ wand und kryptographischen Spitzfindigkeiten weit über den amerikanischen Markt verbreitete. In Deutschland setzte zu Beginn des zweiten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert, aus dem medialen Dunstkreis des Emmerich-Film an die Feuilleton-Oberfläche befördert, Kurt Kreiler seine Marke als einer der beharr‐ lichsten Vertreter dieser These. Er trat mit einer Buchpublikation über Edward de Vere: Der Mann, der Shakespeare erfand (Kreiler 2011) an die Öffentlichkeit. 45 Die Problematik zeigt, dass ein Wegducken vor der Autorschaftsfrage gerade in der aktuellen universitären Lehrerausbildung kein Mittel der Wahl ist, wie Sonja Fielitz es noch vorschlägt (vgl. Fielitz 2013: 11), um kurz darauf zumindest ansatzweise auf die Ursache für derlei Theorien einzugehen: 178 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 46 Die Lehrerhandreichungen scheinen die Verfasserfrage umgehen zu wollen: „Bei der Diskussion der Awareness-Aufgabe muss darauf geachtet werden, dass nicht die Frage im Mittelpunkt steht, ob Shakespeare tatsächlich der Autor der ihm zugeschriebenen Werke ist, sondern ob es überhaupt wichtig ist, dies heute noch zu diskutieren.“ (PA-LHB 617) „Wen kümmert’s, wer spricht? “ (Foucault 1988: 31), wäre dann mit einem gründlich missverstandenen Michel Foucault zu fragen. Entzündet haben sich diese Spekulationen um Shakespeares Autorschaft immer wieder an der (scheinbaren) Diskrepanz von der einfachen Herkunft William Shake‐ speares als einem ‚Jungen vom Lande‘ und dem hohen Grad an Bildung, der aus seinen Werken spricht und ein Universitätsstudium für deren intellektuellen Gehalt unabdingbar erscheinen lässt. (Fielitz 2013: 17) Eben weil viele Studierende zu Schulzeiten auf diese Verfasserfragen gestoßen werden, ohne dass ihnen aussagefähige Materialien zu dieser Problematik bereitgestellt werden, scheint in dieser Frage eine schlüssigere ‚Parade‘ als die Diskursverweigerung notwendig. Von den Schüler: innen zu Beginn einer Shakespeare-Unterrichtseinheit zu verlangen, wie es in Pathway Advanced geschieht, ohne Kenntnis der einzelnen Positionen zu entscheiden, ob die Au‐ torfrage „merely a debate among brainy scholars or […] of eminent importance“ (PA 444) sei, wird bar jeder Kontextualisierung kaum erkenntnisbringende Antworten generieren: Eine Diskussion dieser Art, die ohne weitere Zusatz‐ materialien initiiert wird, kann nur in einen Spekulations-Modus führen, der letztlich dem Diskurs innerhalb des Klassenzimmers dienen mag (und damit dem Ziel der fremdsprachlichen Kommunikation), aber keinem wissenschaftspropä‐ deutischen Mehrwert. 46 Der maßgebliche Unterschied zwischen den Argumentationen der soge‐ nannten „Oxford-These“ und den von weitesten Teilen der academic community akzeptierten „Stratfordians“ liegt im oft expliziten und absoluten Wahrheitsan‐ spruch, mit dem die eine Seite für sich wirbt, gegenüber einer - hier von John Keats entlehnten - „negative capability“ bezüglich des Mangels an historischer Dokumentation, den die andere Seite aushält bzw. in biographischen Rekon‐ struktionen deutlich als (notwendige historische) Hypothesenbildung markiert. So gesteht Stephen Greenblatt gleich zu Beginn seiner Shakespeare-Biographie Will in the World (2004) ein: „there are huge gaps in knowledge that make any biographical study of Shakespeare an exercise in speculation“ (Greenblatt 2004: 18; zitiert auch in GL 242). Der „Prolog“ im Film Anonymous nun bezieht sich explizit auf Looneys Theorie: Nicht nur im Filmskript, mit dem Pathway Advanced in das Thema „Shakespeare einsteigt, kommt die Verfasserfrage zum Ausdruck, sondern auch in der DVD-Featurette „Who was the real Shakespeare? “ (Dauer 10: 14min). Dort fasst der Drehbuchautor John Orloff 179 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? die Argumentation Looneys in wenigen Sätzen zusammen, die hier (wie das Original) vom Modus des subjunctive und dem Adverb „probably“ geprägt sind, ehe am Ende der Gleichung mit vielen Variablen die „Entdeckung“ mit einem komplexen Autorprofil steht, das nach Ansicht der Anhänger dieser „Oxford-These“ nur ein Adliger erfüllen könne: The true author would have to have these qualities: He would have spoken Greek, he would have spoken Latin, he would have spoken French, he would have probably gone to Italy, because so many plays take place in Italy. He probably was a nobleman, because in most of his plays the characters are noblemen, he was probably a lawyer, because a lot of the law, in fact all of the law in the plays is quite accurate for 16 th -century, Elizabethan England […] And so he [i.e. Looney] took all of these things and he tried to figure out who matched these qualities, and he discovered that this man was Edward de Vere, the 17 th Earl of Oxford, and so he wrote this book, and that was in 1910 [sic]. (03: 25-04: 10, 140 Wörter) Voraussetzungslos kann die zugrunde liegende Frage am allerwenigsten ent‐ schieden werden. Entweder steigt man in die für den Fremdsprachenunterricht an der gymnasialen Oberstufe allerdings ungeeignete, da literaturtheoretisch zu stark befrachtete Problematik von Autorschaft ein, in Anlehnung z. B. an Michel Foucaults Autorfunktion oder an Roland Barthes’ längst wieder in Frage gestellte Totsagung ‚des Autors‘ (vgl. Jannidis et al. 2000). Oder man liefert zur konkreten Frage von Shakespeares Autorschaft Original-Materialien zu dieser Diskussion, wie z. B. ein Exzerpt aus Looneys für Anti-Stratfordianer einflussreichem Buch Shakespeare Identified (1920). Darin überschreibt Looney das aus seiner Sicht überkommene Narrativ mit dem wohlhabenden ‚Rentner‘ Shakespeare, der die letzten Jahres seines Lebens ab ca. 1612 wieder in Stratford verbrachte. Dem entgegen hält Looney sein von „poetic [! ] realism“ (Looney 2020: 368) getragenes oxfordianisches Bild entgegen: Es ist das Portrait des Künstlers als unglücklicher Held und zeichnet Edward de Vere, Earl of Oxford, als den wahren „Shakespeare“, mit dem Stift in den Fingern sterbend: The picture of a great soul, misunderstood, almost an outcast from his own social sphere, with defects of nature, to all appearances one of his life’s colossal failures, toiling on incessantly at his great tasks, yet willing to pass from life’s stage having no name behind him but a discredited one: at last dying, as it would seem, almost with the pen between his fingers, immense things accomplished, but not all he had set out to do […] (Looney 2020: 368) Wenn aber 1604 der Zeitpunkt für den Tod des Autors der Werke Shakespeares zu sehen wäre, müsste nicht nur dessen Werk-Chronologie neu konstruiert, 180 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced sondern die gültige Geschichtsschreibung über die späte Tudor-Zeit insgesamt verändert werden (vgl. dazu Shapiro 2010). Die voranstehenden Ausführungen sollten zeigen, dass eine Menge an zusätzlich kontextualisierendem Material literaturwissenschaftlicher Provenienz notwendig wäre, um die Schüler: innen sachlich-inhaltlich abgesichert an die Fragestellung heranzuführen. Die öko‐ nomische Bilanz von Aufwand und Ertrag für ein Unterrichtsthema dieses Zuschnitts wäre jedoch verheerend: Denn die Ausgangsfrage in Pathway Ad‐ vanced, ob es einen Unterschied mache zu wissen, dass Shakespeare der Ver‐ fasser der unter seinem Namen berühmt gewordenen Werke gewesen sei, kann gerade zu Beginn der Unterrichtseinheit kaum zu Ergebnissen führen, die einer kulturgeschichtlichen und literaturwissenschaftlichen Prüfungs standhielten - zumal dann, wenn eine der Aufgaben für die Schüler: innen darin besteht, einen Gazettenartikel als Zieltextformat zur „Shakespeare conspiracy“ zu verfassen (PA 446, Aufgabe 7). Über Shakespeare ließe sich hingegen mit Gewinn reflektieren, wenn die Perspektivierung nicht auf die Rätsel um die historische Person William Shake‐ speare, sondern auf das kulturgeschichtliche Narrativ „Shakespeare“ gerichtet wird. Dabei muss man nicht zwangsläufig auf die historischen Konstruktions‐ elemente und Ursachen für dieses Narrativ eingehen, sondern es ist hinreichend, die kommodifizierte Vielgestaltigkeit Shakespeares als ikonisches Artefakt der Populärkultur anhand von Zeugnissen zu demonstrieren. Um die zunehmende Mythifizierung des Renaissance-Autors darzulegen, hätte sowohl ein Zugang zu Emmerichs pseudobzw. kontra-historiographischen Film als auch zur älteren Komödie Shakespeare in Love (1997, Regie: John Madden; behandelt in GL und PA) einen erkenntnisfördernden Platz, ebenso die Punk Cinema-Farce über Shakespeares „Lost years“ Bill (2015, Regie: Richard Bracewell). Weiterhin zu nennen wären auch Biopics wie das über den Sonette-schreibenden Dichter, A Waste of Shame: The Mystery of William Shakespeare and his Sonnets (2005, Regie: John McKay) oder wie das melancholische, kammerspielartige über den alten Shakespeare an seinem Lebensabend in Stratford, All is True (2018, Regie: Kenneth Branagh). Im Gegensatz zu Emmerichs Film, dem an und für sich ein durchaus hoher Unterhaltungswert zukommt, der zugleich aber mit seinem verfehlten expliziten Anspruch als „alternative history“ auf tönernen Füßen steht, versuchen all diese Produktionen auf stets offen konstruierte, teilweise parodistisch-humoristische Weise, sich an den vielen Leerstellen im historisch-biographischen Wissen über Shakespeare abzuarbeiten und das kulturelle Narrativ ‚Shakespeare‘ cineastisch weiter- und auszuspinnen. Mit Peter Holland gelangt man zu der Schlussfolgerung: „the appetite for fictional 181 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 47 Lediglich Skill File S11 „How to work with drama“ (CT 350-351) stellt wichtige generische und formale Strukturelemente von Dramen vor, z. B. „Types of plays“ (mit Tragödien, Komödien, Historien und dem Theater des Absurden), „Structure“ (mit Shakespeare is almost as strong as for Shakespeare’s fictions“ (Holland 2016: 837; vgl. auch Franssen 2016). 2.3.1 Camden Town: Über die Sonette zum Schauspiel Camden Town bereitet das Thema „Shakespeare“ in mehrfacher Hinsicht anders auf als die anderen hier untersuchten Schulbücher. Dazu gehört, dass hier die Analyse seiner Werke mit einer Auswahl mehrerer Sonette und damit kurzer, aber in sich geschlossener Texte beginnt („Part A“), um in „Part B“ mit einem schon recht umfassend angelegten Fundus an sprachlichen und stilistischen Kenntnissen auf verschiedene Passagen aus den Dramen einzugehen. Den Schüler: innen wird somit ein Textzugang ermöglicht, der hinsichtlich der So‐ nette authentisches, da weitgehend unverändertes Material zur Verfügung stellt. Erst im Anschluss daran werden exemplarische Szenenausschnitte thematisiert, für deren Verständnis insbesondere wesentliches Hintergrundwissen nun schon angelegt ist: Diese Reihenfolge hilft, die unausweichliche sprachliche Fremd‐ heitserfahrung angesichts eines nur moderat modernisierten frühneuenglischen Schriftbildes abzufedern und den Lernenden den Umgang mit Auszügen aus den längeren Dramentexten zu erleichtern. So sinnvoll diese Abfolge erscheint, so fragwürdig ist aus motivationaler Sicht der Einstieg ins Thema. Die Lehrerhandreichungen schlagen vor, noch vor der Arbeit mit dem Lehrwerk mit Einstiegen zu starten, die das Vorwissen der Schüler: innen über Shakespeares Werke aktivieren bzw. ihre Einstellungen dazu dokumentieren. Dazu gehört ein Blitzlicht mit kurzen Angaben der Schüler: innen zu dem, was ihnen zu William Shakespeare einfällt (CT-LHB 363). Alternativ wird folgender Vorschlag unterbreitet: Eine vorbereitende Ko‐ piervorlage benennt im Zuge einer Wörtersuche alle Titel(-stichwörter) seiner Dramen (die in verschiedene Teile untergliederten Königsdramen sind durch dabei nur durch die Namen der Titelfiguren wiedergegeben, auch gibt es keine Unterscheidung zwischen den verschiedenen gleichnamigen Königen, so dass lediglich „Henry“ und „Richard“ als Lösungen erscheinen). Die resultierende Liste von 24 Werken schließt allerdings auch weniger bekannte Titel wie Pericles oder Cymbeline ein, und es ist fraglich, welche Relevanz die anschließende, deduktiv vermittelte historische Unterscheidung des First Folio mit Komödien, Tragödien und Historien für die Schüler: innen haben sollte, da diese auch später nicht mehr aufgegriffen wird. 47 Zwar werden nunmehr die beiden Richards und 182 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced dem fünfteiligen Spannungsbogen, der auf Gustav Freytag zurückgeht), „Dramatic devices“ (wichtigen Begriffen, z. B. „dramatic irony“, „comic relief “, „reported action“ sowie die Unterscheidungen von „monologue“ bzw. „soliloqui“ und „dialogue“ bzw. „aside“). Schließlich gibt dieses Skill File Aufschluss über einzelne Analysekategorien wie Handlung, Figuren und andere gestalterische Mittel (Figurensprache, Prosodie, Informationsfluss auf der Bühne ggü. Informationsvergabe zum Publikum). Problema‐ tisch an diesem Skill File erscheint, dass die meisten der dort aufgeführten Gegenstände und Termini in den folgenden Analyseschritten (maßgeblich in „Part B“) kaum aktiv durch Arbeitsaufträge zum Einsatz gebracht werden. die vier Henrys voneinander differenziert, aber die Unterteilung der Stücke Henry IV, Henry V, Henry VI und Henry VIII bleibt auch hier unberücksichtigt (vgl. CT LHB 363). Abgesehen von der mangelnden didaktischen Relevanz wird somit auch aus inhaltlicher Sicht ein verzerrter Werküberblick vermittelt, da in der Aufstellung der Lehrerhandreichungen lediglich 28 der 37 Stücke aus Shakespeares Werkkanon erscheinen. Ein letzter Einstieg lässt die Lehrkraft den Erwartungshorizont der Lernenden bzw. ihre Motivation mit einer Umfrage erheben, in der sieben zumeist als Vorurteil („Shakespeare is old stuff. His plays have no relevance today“) oder Ablehnung formulierte Aussagen gelistet sind („I’m sure would not enjoy a Shakespeare play“), während die meisten anderen z.T. historisch mindestens fragwürdige Haltungen zum Ausdruck bringen, die aber für die meisten Schüler: innen keine erfahrungsbasierten Urteile wieder‐ geben dürften: „Shakespeare’s plays were meant for the upper-class intellectuals of the time“ und „People can’t appreciate Shakespeare because the language his characters use is so different from our own.“ Weitere Antwortmöglichkeiten verweisen auf die Rezeptionsschwierigkeiten (ohne Anmerkungen kein Ver‐ ständnis möglich) bzw. auf die Historizität der Dramen. Schließlich wird auf institutionellen Druck verwiesen: „Shakespeare should be required reading at school“ (alle Zitate CT-LHB 364). Keine der insgesamt sieben Antwortmög‐ lichkeiten deutet auf positive Haltungen der Schüler: innen im Umgang mit dem Thema, so dass dieser Ansatz einer empirischen Erhebung bestenfalls den Rang einer selbsterfüllenden Prophezeiung einnehmen wird und damit aus didaktischer Sicht ebenso problematisch ist wie die wenig authentische zweite Option. Das Shakespeare-Kapitel im Lehrwerk beginnt mit einer multimodal gestal‐ teten „Intro“-Doppelseite, die den Einstiegen der Vergleichsprodukte durchaus ähnelt, insofern in der oberen Hälfte eine Kollage mit Szenenfotos aus acht Stü‐ cken zusammengestellt ist. In der unteren Hälfte der Doppelseite sind vier Auf‐ gaben gestellt, die die Schüler: innen sprachlich und inhaltlich auf das Folgende vorbereiten. Eine erste Aufgabe listet zehn Zitate aus Shakespeares Werken und aus Songtexten des New Yorker Rappers Tupac (1971-1996). Hier sollen 183 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 48 Die Netflix-Serie The Crown (Staffel 3, 2019) spielt auf diese Vergangenheit Charles’ als Schauspieler an. In der Folge „Olding“ (Season III.1) ist der junge Prince Charles ( Josh O’Connor) als Student auch in der Rolle als Richard II zu sehen; allerdings gilt es als unwahrscheinlich, dass die Dryden Society dieses Shakespeare-Historiendrama mit Charles in der Hauptrolle tatsächlich einstudiert hat. die Schüler: innen entscheiden, welches Zitat von welchem der beiden Verfasser kommt. Die anschließende Aufgabe macht sich die Szenenfotos der oberen Sei‐ tenhälfte zunutze, bei der die Schüler: innen interessegeleitete Gruppen bilden, um zum jeweiligen Drama eine Inhaltsrecherche anzustellen und schließlich eine Präsentation dazu zu geben. Als Hilfe werden in den Lehrerhandreichungen solche Websites wie www.sparknotes.com und www.cliffsnotes.com empfohlen (vgl. CT-LHB 365), die für schulische Zwecke einen hohen Informationswert haben. Die dritte Aufgabe zielt auf das Sprachbewusstsein, insofern sechs weitere Shakespeare-Zitate mit bildlichen Formulierungen zur Auswahl gestellt werden, die die Schüler: innen in eigene Worte fassen und zu deren Inhalt sie sich positionieren sollen. Schließlich geben die Lernenden einen Webcode auf der Verlagshomepage ein, mit dem sie Zugriff auf den Video-Mitschnitt eines BBC-Bühnensketches anlässlich des 400. Todestages von William Shakespeare am 23.04.2016 erhalten, in dessen Verlauf sieben verschiedene Schauspieler und Schauspielerinnen (Sir Ian McKellen, Benedict Cumberbatch, Dame Judi Dench u. a.) sowie, als ‚Krönung‘, HRH Prince Charles die berühmteste Zeile aus Hamlet, „To be or not to be, that is the question“ intonieren. Die Lehrerhandreichungen geben zu diesem Sketch zwar eine hinreichende Kontextualisierung über dessen Anlass und Entstehung (vgl. CT-LHB 367), unterlassen es aber, auf die abgründige Doppelbödigkeit des Erscheinens von Prince Charles hinzuweisen. Denn natür‐ lich ist er im ganz wörtlichen Sinne ein ‚Prinz im Wartestand‘, dem der fiktive Hamlet als abwartender, sich als legitimen Erben seines Vaters betrachtender Thronfolger gegenübersteht. Ein solcher Kontrast verleiht den von Charles / Hamlet gesprochenen Zeilen eine ganz neue Dimension, da sich fiktive und reale Ontologie zumindest zum Teil überlagern. Darüber hinaus hat Charles tatsächlich eine Vergangenheit als Schauspieler, war er doch Teil der Dryden Society zu seinen Studienzeiten Anfang der 1970er Jahre (vgl. die Bildstrecke in Hallemann 2019). Damit ergibt sich eine doppelte Berechtigung mit einer starken (selbst-)ironischen Brechung für seinen seinerzeit überraschenden, aber gefeierten ‚Starauftritt‘ des Prince of Wales im BBC-Sketch. 48 Die anschließende Seite unter der Rubrik „WordPool“ stellt einige redaktionell verfasste Informationen zur allgemeinen Bedeutung der Werke Shakespeares für die englische Literatur („A Giant of Literature“), zu Shakespeares Dramen 184 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced im Besonderen und zur aktuellen Rezeption („Shakespeare’s Continuing Im‐ portance“) zur Verfügung (CT 270). Diese kurzen Texte sind mit literatur‐ wissenschaftlicher Terminologie durchsetzt, denen in einer ersten Aufgabe die passenden Definitionen zugewiesen werden sollen (CT 271). Auch die anderen Aufträge beinhalten weitestgehend Zuordnungsaufgaben, mit deren Hilfe ausgewähltes Fachvokabular (z. B. „soliloqui“, „blankvers“) und relevantes Begriffsinventar (z. B. „chain of being“, „adaptation“) für die anschließenden Erarbeitungen und Diskussionen vorentlastet wird: „Wichtig ist“, so heben die Lehrerhandreichungen hervor, „dass die S[chüler: innen] die Bedeutung der Wörter sauber verwenden, um eventuelle Missverständnisse später zu vermeiden.“ (CT-LHB 368) Mit derlei Vokabular und auf den Autor bezogenen Informationen ausge‐ stattet können die Schüler: innen die anschließende Doppelseite „Facts: Shake‐ speare and the world that made him“ bearbeiten. Diese enthält weitere redak‐ tionelle Ausführungen und präsentiert dabei auch eine kurze biographische Skizze Shakespeares, stellt aber vor allem das englische Renaissance-Zeitalter mit seinem politischen Hintergrund (die Regenten Elizabeth I und James I) und dem damaligen Weltbild in den Vordergrund: „The Elizabethan Worldview“ veranschaulicht mit einer Illustration der sogenannten Chain of Being aus Didacus Valades’ Rhetorikschule (1579) samt der Korrelation von Mikro- / Makrokosmos und dem Hinweis auf die zeitgenössische Psychologie, die hip‐ pokratisch-galenische Säftelehre, wichtige Aspekte, die den Hintergrund für anspruchsvolle Textanalysen aufspannen. Um dies zu gewährleisten, müsste allerdings in den Aufgabenstellungen - z. B. anlässlich der Charakterisierung Romeos als Choleriker in „Part B“ - deutlicher auf diese Facts-Seite eingegangen werden, um diesen Informationen mehr als den Rang von unzusammenhän‐ genden factoids zu verleihen. Der methodische Einsatz dieser Doppelseite sieht lt. Handreichungen vor, dass sie entweder als Hausaufgabe vorbereitet oder in Gruppen während des Unterrichts erarbeitet wird. Die Leitfragen dazu, mit denen das Text- und Leseverständnis nachgewiesen wird, stellt die Lehrkraft, die den Schüler: innen zur vertiefenden Recherche zu den einzelnen Themen auch einen Webcode mit mehreren Internet-Links zur Verfügung stellt. Dieses noch recht stark lehrergesteuerte Verfahren erhält eine prozessorientierte Al‐ ternative, derzufolge die Schüler: innen eigene Fragen formulieren und diese zur Diskussion stellen. In einem dritten produktorientierten Ansatz ist vorgesehen, dass Kleingruppen ein Poster mit relevanten Informationen aus Text und Extramaterial erstellen (vgl. CT-LHB 369). Sonetts. Im Anschluss an diese Präliminarien erstreckt sich ein vierseitiger workshop, in dessen Verlauf Schritt für Schritt eine Analyse von Sonett Nr. 18 185 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? „Shall I compare thee to a summer’s day“ vorgestellt wird. Der Zugang erfolgt hier über das Global to detail-Verfahren, wobei das erste Lesen bei Bedarf zusätzlich durch ein Audiofile gestützt wird, das die Lernenden per Webcode über das Internet abrufen können (der Sprecher des Gedichts ist hier der Schauspieler David Tennant). Die Handreichungen betonen, dass es zunächst um das Erfassen des Inhalts geht, der im Gedicht anhand des darin enthaltenen „train of thought“ dargelegt wird (vgl. CT-LHB 371). Dieser argumentativen Struktur gehen die Schüler: innen nach, bevor sie die rhetorischen Einzelheiten herausarbeiten. Eingebettet in die verschiedenen Teilaufgaben sind mehrere Infokästen, die sich den Besonderheiten von Shakespeares Sprache zuwenden, hierbei insbesondere den Anredeformen „you“ und „thou“ (CT 274), darüber hinaus gibt es eine umfangreiche Liste mit Definitionen stilistischer Merkmale (CT 275). Eine detaillierte Form- und Metrikanalyse des Sonetts 18 folgt nach der inhaltlichen Erschließung an letzter Stelle: „Analyse the structure of the sonnet. Consider the following: *number of lines *rhyme scheme *stanzas *turning point *rhythm“ (CT 276, Aufgabe 6). Anders als die anderen Lehrbücher wird dieser Aspekt lediglich als Beschreibungsmerkmal in einer Tabelle mit Begriffen, Definitionen und Beispielen aufgelistet. Diese Tabelle macht zwar eine begriffliche Unterscheidung zwischen „metre“ („the pattern of stressed and unstressed syllables“) und „rhythm“ („the pace or ‘movement’ of a poem; the rhythm is determined by the metre and by the length of sentences“), aber diese Unterscheidung ist wenig hilfreich für die praktische Analyse, weil keine Beispiele jenseits eines jambischen Fünfhebers mitgeliefert werden. Dieser, gewissermaßen en passant eingeführt, wird anhand einer Zeile aus dem Sonett 71 dargestellt, neben der an dieser Stelle (Fokus „Sonnets“) eher unpassenden Definition des „blank verse“ [sic, CT 276]; ein Gegenstand, der an späterer Stelle anlässlich einer Infobox aufgegriffen und mittels eines Erklärvideos noch vertieft wird (CT 284, Aufgabe 5 und Weblink). Ebenfalls aufgelistet ist hier der „free verse“ („poetry without a regular rhythm or rhyme“), ein anachronistisches Phänomen v. a. modernistischer Lyrik. Damit zeigt sich, dass Camden Town letzten Endes eine Ungenauigkeit in der begrifflichen Unterscheidung zwischen (schriftlichem) Metrum und (gespro‐ chenen) Rhythmus gelten lässt, wie sie auch in den anderen Lehrwerken nachzu‐ weisen sein wird. Dass diese Unterscheidung schwierig ist, sei unbestritten, aber sie lässt sich definitorisch mit geeigneten Hilfsmitteln lösen. Die dritte Auflage der Princeton Encyclopedia of Poetry and Poetics argumentiert zwar im Sinne der Lehrwerke, dass in der Lyrik der Rhythmus dem Metrum übergeordnet sei („all metre has rhythm, but not all rhythm has metre“, Preminger/ Brogan 1993: 772), 186 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced aber das Nachschlagewerk bietet doch folgende Unterscheidungsmöglichkeiten an, aus der sich ableiten lässt, dass das Metrum am ehesten im schriftlichen Medium des Textes darstellbar ist, während der Rhythmus am ehesten im mündlichen Vortrag zutage tritt: M[eter] is a binary system based on only one phonological feature, while linguistic (phonological) rhythm in its fullest sense embraces pitch or intonation patterns, stressing, vowel lengths, timing, and juncture. At the level of linguistic rhythm, the Eng[lish] iambic pentameter may contain only 4, or 3, or even 6, 7, or 8 stresses […]. At the level of m[eter], it contains only 5 ictuses - no more, no less. (Preminger/ Brogan 1993: 773) Der oben (im Zuge der „Intro“) erwähnte BBC-Sketch spielt übrigens mit dieser rhythmischen Freiheit im Hamlet-Vers und führt sie durch die jeweils sich ändernden Satzakzente durch die einzelnen Sprecher ad absurdum. Für eine anschauliche Unterscheidung von Metrum und Rhythmus wäre daher an dieser Stelle ein analytischer Zugriff auf das schon bekannte Video des BBC-Sketches von Vorteil. Die weiteren Aufgabenstellungen folgen dem Aufbau vom allgemeinen Textverständnis (Lesen / Hören = AFB I, Aufgaben 1-3) über die inhaltliche und stilistische Analyse (AFB II, Aufgaben 4-6) bis zu einer neigungsdifferen‐ zierenden Bearbeitung (AFB III, Aufgabe 7), in der die Schüler: innen das conceit des Gedichts, also das Schlussreimpaar, kommentieren sollen oder eine eigene „declaration of love“ in gebundener Sprache als Gedicht, Lied, Rap, o. ä. verfassen und an einen beliebigen Adressaten (Person, Gegenstand oder Konzept) richten dürfen. Überraschend, da im Vergleich mit den verschiedenen Lehrwerken einzigartig, ist der Vorschlag, das Sonett 18 auswendig lernen zu lassen (CT 276, Aufgabe 8) und entweder zwei Gedichtvorträge am Anfang jeder der darauf folgenden Sitzungen einzufordern - was das Gedicht in der Erinnerung verstetige - oder in einem „Dichterwettstreit“ den besten Vortrag zu würdigen (CT-LHB 377). Um lernschwächeren Schüler: innen eine produktive Auseinan‐ dersetzung mit dem Sonett zu ermöglichen, gibt es im Anhang des Buches eine speziell für die Gedichtanalyse zugeschnittene Diff[erentiation] section mit Formulierungsvorschlägen, die den Schüler: innen nicht nur sprachliche, sondern auch strukturelle / thematische Hilfestellungen zur Aufgabenbearbei‐ tung geben. Ob allerdings die für die eigene Liebeserklärung angebotene, recht umfangreiche Liste mit v. a. emotiven Phrasen und Wörtern hilfreich ist, sei da‐ hingestellt: Viele der 100 dort aufgeführten englischen Wörter bedürfen gerade für die Schüler: innen mit Differenzierungsbedarf der weiteren, zeitintensiven Vokabelarbeit (z. B. „disgrace“, „resentment“, „yearning“, „deceitful“, „frantic“, 187 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? „remorseless“, u. a., CT 322). Zudem gibt es in der Skills section eine umfangreiche Liste mit Kriterien zur Lyrikanalyse (CT 347-349). Während diese ersten drei workshop-Seiten mit vielen Informationen und einem überschaubaren Maß an Aufgabenstellungen das Sonett 18 in den Vorder‐ grund stellen, ist seine letzte Seite eine praktische Anwendung anhand einer in Gruppenarbeit durchgeführten Analyse eines weiteren Sonetts. Dieses kann von den Teilnehmer: innen im Sinne einer Neigungsdifferenzierung gewählt werden - die Alternative besteht dabei aus den bekannten Sonetten Nr. 116 „Let me not to the true marriage of minds…“ und Nr. 130 „My mistress’ eyes are nothing like the sun…“. Erneut wird den entsprechend formierten Schülergruppen zu jedem der beiden Gedichte die Möglichkeit eines multimedialen Rezeptionserlebnisses angeboten, dessen Rezitation durch eine*n bekannte*n Schauspieler*in auf YouTube zu verfolgen ist (Lesungen von Juliet Stevenson und Stephen Fry). Die Diskussion, die nach einer Einlesephase initiiert werden soll, geschieht lt. den Lehrerhandreichungen mündlich und mit verteilten Funktionsrollen (Mo‐ derator: in, Protokollant: in, ‚Sprachpolizist: in‘, u. a., vgl. CT-LHB 378). In dieser Phase sollen die Schüler: innen sich vor dem eigentlichen Analyseverfahren Gedanken zum ausgewählten Gegenstand machen und dabei schon eine recht umfangreiche Menge an Details erarbeiten, und zwar mit inhaltlich orientierten wh-Leitfragen wie z. B. den folgenden: „What is your general impression of what this sonnet is about? / Who is speaking? To whom? / Which words, phrases and lines appeal to you most? ” (CT 277) Im Anschluss an diese Herangehens‐ weise mit der daraus resultierenden Materialsammlung erfolgt die eigentliche Analyse. Hier sollen die Schüler: innen in wenigen Sätzen den Hauptgedanken des ausgewählten Gedichts formulieren und anschließend jede Zeile mit ihren eigenen Worten paraphrasieren bzw. auf sprachliche Mittel hin untersuchen („Paraphrase and examine the sonnet line by line.“). In einem dritten Schritt wird ein Vergleich zum zuvor gemeinsam erarbeiteten Sonett Nr. 18 angestellt und abschließend eine Antwort auf die folgende Frage gefunden: „Explain why this [Nr. 116 oder 130] is / is not a typical sonnet / love poem“ (CT 277). In einem letzten Schritt werden die Gruppenarbeits-Ergebnisse der Klasse mündlich präsentiert: als Vortrag, Dialog oder Rollenspiel (vgl. CT-LHB 378). Abgesehen von diesen recht konkreten methodischen Vorgaben sind auch die Erwartungshorizonte / Lösungsvorschläge innerhalb der Handreichungen detailliert ausformuliert - dies ist für die Lehrkraft einerseits hilfreich, anderer‐ seits aber entsteht hier jenes „de-skilling“, das einen gegen Lehrwerke pauschal formulierten Einwand beschreibt (vgl. Grimm/ Meyer/ Volkmann 2015: 250, siehe dazu oben, Abschn. 1.2): Denn je mehr solcher Vorgaben in den Handreichungen zu finden sind, desto mehr steigt das Risiko, dass eine Lehrkraft selbst auf die 188 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 49 Der in den Lehrerhandreichungen zu Camden Town angegebene Webcode (CT-LHB 381) funktioniert nicht (mehr), aber das offizielle Musikvideo der Künstlerin kann auf YouTube abgerufen werden (Swift 2012). Auseinandersetzung mit dem Primärtext verzichtet und keine eigenen analyti‐ schen oder deutenden Schritte unternimmt, um angemessen auf die Angebote und Ergebnisse der Lernenden eingehen zu können. Auffällig ist, erneut im Gegensatz zu den folgenden Betrachtungen der anderen Lehrwerken, die die Erstbegegnung der Schüler: innen mit Shakespeare über eine Metrikanalyse von Dramenpassagen gestalten, dass in dieser Gruppenarbeit die metrische Form des jeweiligen Gedichts keine Rolle spielt; stattdessen werden inhaltliche, also semantische Aspekte der Analyse in den Vordergrund gestellt, die für die Lernenden von sehr viel höherer Bedeutung sind als die Bestimmung formaler Details - zumal die Texte der folgenden Doppelseite, als Abschluss der Auseinandersetzung mit der Untereinheit zu „Shakespeares Sonnets“, deren Trajektorien in die Gegenwart nachziehen. So zeigt Camden Town anhand eines Popsongs der Country-Folk-Sängerin Taylor Swift, „We are never ever getting back together” (aus ihrem Album Red, 2012), 49 auf welch originelle Weise der amerikanische IT-Ingenieur und Shakespeare-Parodist Erik Didriksen diese (freien) Song-Verse in ein „Shakespearean sonnet“ transformiert. Hierzu sollen die Schüler: innen, nach einer kurzen Zusammenfassung von Original und Parodie eine Stellungnahme (wahlweise einen Kommentar) darüber verfassen, wie überzeugend dies gelingt - ein Urteil, das selbstverständlich durch eine vorherige intensive Textanalyse evoziert werden müsste. Die pragmatische Funktion und Wirkungsweise dieser „[incredibly close] adaptation“ (so die wertende Bezeichnung des Transformationsverfahrens in den Lehrerhandreichungen, CT-LHB 381) oder die Parodie als literarische Form aber wird in den Lehrerhandreichungen gar nicht thematisiert. Es wird keine Frage dazu gestellt, welchen Effekt auf die Rezipient: innen diese anachronisti‐ sche und antiquiert anmutende Sprache im Vergleich zur Pop-Lyrik von Taylor Swift haben könnte: Gibt es ein Ziel der Parodie, etwa die scheinbare Banalität eines modernen Beziehungsdramas, die der Song übertrieben pathetisch zum Ausdruck bringt, und in Gestalt eines Sonetts folglich eine viel ‚erhabenere‘, poetische Qualität erhält? Oder ist es das bloße (An-)Erkennen des sprachlichen Witzes in der Parodie, der die Schüler: innen besonders anspricht, weil der Song‐ text auch als Sonett ‚funktioniert‘, formal wie inhaltlich? Die Ambivalenz einer Parodie als ambivalentes poetisches Konstrukt („uniformly subversive, even when affectionate“; „a comic imitation of a serious poem“, Preminger/ Brogan 1993: 882) ließe sich an einem solchen Text gut nachweisen und vermittelte dann den Schüler: innen ein größeres Gefühl von Sinnhaftigkeit (wodurch 189 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 50 Brusberg-Kiermeier/ Helbig (2010) sammeln verschiedene Beiträge zu transmedialen Transformationen und historischen wie zeitgenössischen Adaptionen der Werke Shakespeares, die seither (nicht nur) auf dem Gebiet der Höreinspielungen der Sonette sowie der entsprechenden Websites selbstverständlich um ein Vielfaches erweiterbar sind. erreicht der Text seine Wirkung? ) als die kommentarfreie, rein deskriptive und dadurch für die Schüler: innen wenig authentische Zitatenliste, die in den Lehrerhandreichungen vorgestellt wird (CT-LHB 381). Als Abschluss für die Beschäftigung mit den Sonetten ist vorgesehen, dass die Schüler: innen ihr eigenes Gedicht verfassen, indem sie wie Didriksen verfahren und einen Pop‐ song ihrer Wahl umdichten. Alternativ dazu ist es ihnen erneut freigestellt, ein Shakespeare-Sonett in ein/ en Popsong / Rap / modernes Gedicht umzuwandeln. Die letzte Seite in Camden Town, die sich den Shakespeare-Sonetten zu‐ wendet, ist dem erhöhten Anforderungsniveau („Leistungskurs“) vorbehalten und stellt eine weitere der unzähligen vielen (post-)modernen Bearbeitungen von Shakespeares Sonetten unter dem Titel „Relating Shakespeare’s sonnets to the place you live“ vor. 50 Im Vordergrund steht dabei die Auseinandersetzung mit dem per Webcode präsentierten Material, der auf das Projekt des New York Shakespeare Exchange unter der Leitung von Ross William führt. Hier soll nach Fertigstellung des Projekts jedes der Sonette von professionellen Schauspielern in einem urbanen Raum vorgetragen und auf diese Weise modernisiert sein - in der Absicht, diesen lyrischen Komplex für ein heutiges Publikum und eine aktuelle Leserschaft zu veranschaulichen und somit durch das Sonnet Project NYC begreifbar zu machen. Bislang ist zwar ein Großteil produziert, es sind aber gegenwärtig noch nicht alle Texte als Kurzfilm eingespielt (Stand: 12.08.2021). Die Website des Projekts legt nahe, was die Verfilmung erreichen soll: „Each film is its own expansive, narrative work of art. By finding a contemporary expression of his poems, the project attempts to reach into the heart of what Shakespeare can reveal to us, and about us.“ (Shakespeare Globe Trust 2020) Die Schüler: innen werden aufgefordert, einige der Videos dieses Projekts anzu‐ schauen und dann zu planen, wie sie selbst ein Shakespeare-Sonett (oder ein Gedicht ihrer Wahl) in einer ihnen vertrauten Umgebung inszenieren würden. Hierzu sehen die Lehrerhandreichungen vor, dass die Lernenden eine Tabelle als Storyboard anlegen: Hier sollen Szene skizziert werden, die bestimmten Sonett-Zeilen zuzuordnen sind; zusätzlich wird die Kameratechnik festgelegt (Position, Winkel, Bewegung) und ein musikalischer Soundtrack bestimmt (vgl. CT-LHB 382). Anschließend soll dieser Entwurf mit dem Smartphone oder Tablet filmisch umgesetzt werden. 190 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Schließlich kehren die Lernenden mit dem (in Deutschland durch unzählige Übersetzungen bekannten) Sonett Nr. 66 „Tired with all these, for restful death I cry“ (CT 279) zu einem Originaltext Shakespeares zurück. Dass dieses offen‐ sichtlich kein Liebesgedicht ist, sollen die Schüler: innen anhand einer Aufgabe herausarbeiten, indem sie das Gedicht lesen und dessen Thema („Weltschmerz“) bestimmen. Erst in der letzten Zeile sieht der Sprecher, dass auch ein (Frei-? )Tod nicht die richtige Lösung sein kann, weil er dann an dieser Welt Mitschuld trüge: „Tired with all these, from these would I be gone / Save that, to die, I leave my love alone“ (CT 279). Die Schüler: innen paraphrasieren den Text und stellen dann Überlegungen zu der Frage an, inwieweit die im Gedicht aufgeworfenen Kritikpunkte wie z. B. Armut, (soziale) Ungerechtigkeit, Werteverlust, Zensur, Wahrheitsverzerrung auch heute noch Gültigkeit besitzen. In gewisser Weise erscheint die Herangehensweise an Sonett Nr. 66 an‐ tiklimaktisch, insofern viele der Kompetenzen in der Texterarbeitung hier nicht mehr angewendet werden müssen: Es wird kein Augenmerk auf die listenartige Gedichtform gerichtet, die einen ganz anderen Eindruck auf die Leserschaft ausübt als der logisch-argumentative Aufbau, wie er im Sonett Nr. 18 inhaltlich herausgearbeitet wird und mit der formalen Struktur des Sonetts belegt werden kann: insbesondere dem turn vor dem Paarreim, analog zur volta im petrarkistischen Gedicht zwischen Oktave und Sextett. Auch der anaphorisch-antithetische Duktus des Gedichts wird nicht weiter kommentiert; selbst mögliche historische Bezüge zur frühen Stuart-Zeit und der Eskapismus des Sprechers ins Private werden nicht hergestellt, so dass das Gedicht letztlich nur als Folie zur gegenwärtigen (politisch-sozialen) Großwetterlage dient: We still live in a world that supports war and accepts famine; a world that favours the rich and frowns upon the poor, as proven by tax cuts for rich people rather than poor people. In the USA, President Donald Trump calls any news he doesn‘t like ‘fake’ and therefore silences artists and journalists alike with his “authority” (l. 9). The last two lines of the sonnet also still hold true today. The love for our friends and family and for our ‘loves’ (cf. l. 14) sustains us and helps us through difficult times. (CT-LHB 383) Damit wird der Bogen beschrieben, den dieser „Part A“ der Shakespeare-Einheit vollzieht, nämlich von einer gegenüber anderen Lehrwerken vergleichsweise textnahen und inhaltsbezogenen zu einer primär schülerzentrierten und damit authentisch wirkenden Erarbeitung der Sonette. An mehreren Stellen, und weit vor den „Advanced Texts“ für das erhöhte Leistungsniveau, werden die Schüler: innen auf sehr ambitionierte Weise herausgefordert, wenn sie im Sinne aktueller didaktischer Strategien, die die sprachliche Autonomie und Persön‐ lichkeit fordern und fördern sollen, als „risk-taker“ (Richards/ Rogers 2014: 187, 191 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? Herv.i.Orig.) eingeladen sind, ihr eigenes (Liebes-) Gedicht zu verfassen. Zur schülernahen Vermittlung trägt auch die Präsentation der Sonette nicht nur in ihrer Textform, sondern in der audiovisuellen Ergänzung als Video-Dateien bei, so dass unterschiedliche Wahrnehmungskanäle aktiviert werden. Dieses Verfahren setzt sich auch in „Part B“ fort, in dem die Schüler: innen die alten Texte stets durch moderne Inszenierungen dargeboten bekommen, was die historische Distanz verringert und zugleich eine gewisse affektive Nähe - damit auch Nachvollziehbarkeit - erzeugt. Solange Shakespeares Sonette noch im Vordergrund stehen (bis CT 277), werden diese als Einzeltexte behandelt und nicht in den Zusammenhang der Gesamtausgabe der Sonnets von 1609 gestellt; damit werden sowohl editorische Probleme (Anordnung) als auch formale Diskussionspunkte (die narrative Struktur) und inhaltliche Probleme (die immanenten Adressaten unterschied‐ licher Sonettgruppen) ausgeblendet. Dadurch, dass vor allem inhaltliche und thematische Akzente gesetzt werden, während formale (v. a. generische, strophi‐ sche, metrische) Eigenschaften eher nachgeordnet zur Diskussion stehen, bleibt der Anspruch auf eine schülergerechte Vermittlung dieser Texte weitestgehend gewahrt. Romeo and Juliet - Prologue / Akt 2.5 / 3.1 / 1.5. Im Anschluss an die Erarbeitung der insgesamt vier Shakespeare-Sonette folgt „Part B“ der Unterrichtseinheit. Dieser Teil nimmt nun das dramatische Werk auf und enthält seinerseits eine vorbereitende Seite mit „Facts: Shakespearean drama“ (CT 280), die inhaltlich mit vier kurzen Informationstexten zu Spielorten, Zuschauern, den theatre companies und Akteuren an die historischen Informationen des einführenden „Wordpool“ (CT 270) und die Facts-Seite zu Shakespeare (CT 272-273) zu Beginn der Shakespeare-Einheit anknüpft. Es folgen ein weiterer intensiver workshop „Working with Shakespearean Drama“ (CT 281-287) und eine Vertiefungsseite zu Romeo and Juliet (CT 288). Überzeugend erscheint die Textauswahl bis hierhin deswegen, weil der workshop-Beginn und die Vertie‐ fung durch zwei Sonette aus Romeo and Juliet gestaltet sind, so dass also das in „Part A“ erworbene Wissen mit seinen analytischen Kompetenzen synthetisch erweitert wird. Als vorbereitende Maßnahme im Sinne wissenschaftlichen Arbeitens mag auch der nicht-chronologische Zugang zu den Szeneninhalten gelten. Verstärkt wird gegenüber dem eher textorientierten Zugang zu „Part A“ die handlungsorientierte, stärker schülerzentrierte Vermittlungsmethode im Sinne Gibsons, die im Zuge der Erarbeitung auch Elemente des „dramatic reading“ und des darstellenden Spiels vorsieht. Das Schülerbuch weist darauf mit der Workshop-Aufgabe 3 ebenso deutlich darauf hin (vgl. CT 281) wie die Lehrerhandreichungen: 192 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 51 Der performance- und handlungsorientierte Zugang wird hier noch einmal betont; allerdings in einer verabsolutierenden Art und Weise, die spezielle Formen wie das Lesedramen (closet drama) unberücksichtigt lässt, welche primär für die individuelle Lektüre verfasst wurden (z. B. John Miltons Samson agonistes (1671) oder Lord Byrons Manfred: A dramatic poem (1817)) 52 Zur Rezeption dieser Verfilmung als „post-modern razzmatazz“ bzw. „postmodern tom‐ foolery“ vgl. Lehmann (2010: 168). Lehmann selbst hält dem Regisseur dagegen zugute: „True to postmodern form, Luhrmann introduces us to William Shakespeare’s Romeo + Juliet in a manner wholly attuned to a consumers’ appetite for a world transformed into sheer images of itself and for pseudo-events and ‘spectacles’.” (Lehmann 2010: 170-171) Diese Bemerkung mit ihrer Akzentuierung der Bildlastigkeit der gesamten Verfilmung ist eine treffende Beschreibung schon des Prologs und lässt sich dazu gut in Beziehung setzen. Die Textsorte Drama bzw. Dramenauszug bietet viele Bearbeitungsmöglichkeiten. Im Unterschied zu Romanen, Kurzgeschichten oder Gedichten, in denen oft die Gefühle und Stimmungen der Figuren im Vordergrund stehen, stehen im Drama (altgriech. drama: ,Handlung‘) die Handlungen der Figuren im Mittelpunkt. Daher sollten bei der Behandlung von Dramen immer auch szenische und handlungsorientierte Aufgaben‐ formate berücksichtigt werden. Dramen sind keine Lesetexte. (CT-LHB 387) 51 Der Einstieg in den workshop erfolgt über den Prolog zur Tragödie Romeo and Juliet, dessen Sonettform die Schüler: innen vorm Hintergrund ihres zuvor erworbenen Wissens wiedererkennen, nachdem zunächst sie die inhaltlichen Informationen über das Stück, die mit diesem Prolog preisgegeben werden, aufgezeichnet haben: Auch hier wird wie im vorangegangenen workshop dem Inhalt, d. h. den bedeutungsgebenden Elementen, Vorrang gegenüber einer de‐ skriptiven Formanalyse eingeräumt. Analog zum Vorgehen mit den „Advanced Texts“ in „Part A“ sollen die Schüler: innen in der darauf folgenden Gruppenauf‐ gabe 2 „Consider how you would film the prologue“ (CT 281) ein Storyboard zu diesem Prolog erarbeiten, in dem sie ihren Vorstellungen zu setting, casting, Kostümen und musikalischer Untermalung Ausdruck geben. Im Anschluss an diese Kreativaufgabe sehen sie den verdoppelten Prolog der Tragödie aus Baz Luhrmann’s kontroverser Verfilmung Romeo + Juliet (1997): 52 Zunächst sind darin die drei Quartette des Sonetts als TV-Nachrichten‐ sendung inszeniert und werden von einer weiblichen Darstellerin gesprochen, die aus einem heranzoomenden Monitor zum Betrachter spricht. Dieser ersten Präsentation folgt ein Sprecherwechsel zu einer männlichen Stimme aus dem off, deren Vortrag der ersten 4 Zeilen durch eine ‚Presseschau‘ mit Blick auf die Titelseiten fiktiver Tabloids gestützt wird: Deren reißerische Überschriften sind aus Versfragmenten des Textes zusammengesetzt und mit pseudo-doku‐ mentarischen Fotos über die Auswirkungen des Bandenkrieg unterlegt. In zwei 193 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 53 Kern-Stähler schlägt eine ähnliche Aufgabenkonstruktion in Zusammenhang mit Akt I.5 vor: „[…] vielfältig sind die Möglichkeiten, den Moment zu inszenieren, in dem Romeo und Juliet sich erstmals erblicken. Bei ihrer eigenen Inszenierung müssen Schülerinnen und Schüler unter anderem die folgenden Punkte klären: In welche Zeit versetzen sie die Handlung und damit auch das Fest? Welche Musik und welche Tänze wählen sie aus […]? Wie gestalten sie den Moment, in dem Romeo Juliet zum ersten Mal sieht? Erblicken sich die beiden gleichzeitig oder nimmt einer der beiden den anderen zuerst wahr? [… ] Wie also lenken sie die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf den Blick Romeos und / oder Juliets bzw. auf die Blicke, die die Liebenden wechseln? Dehnen sie die Tanzszene zeitlich aus? Wird die Atmosphäre szenisch untermalt (etwa durch Musik)? “ (Kern-Stähler 2006: 65-66) Kameraeinstellungen mit Zeile 6 „A pair of star-cross’d lovers | take their life“, in fetter weißer Serif-Schrift auf tiefschwarzem Hintergrund abgebildet, kulminiert die so erzeugte visuelle Dramatik des Vortrags. Es folgt eine cineas‐ tische Sequenz, in der mit harten Kameraschnitten und vor dem Hintergrund des auch musikalisch dramatisierten Klangteppichs einige der (Neben-)Figuren vorgestellt werden - analog zu credits am Beginn oder im Abspann eines traditionellen Films. Anstatt jedoch Schauspielernamen und ihre Filmrollen zu benennen, werden den Figuren ihre familiären bzw. politischen Rollen zugeordnet. Schließlich folgt in den letzten zehn Sekunden dieses Vorspanns die chaotische Abfolge einer Vielzahl von Bild-Einstellungen und Textphrasen, die jeweils nur Bruchteile von Sekunden sichtbar sind. Die zunehmende audio‐ visuelle Reiz- und Informationsdichte, die diesen Vorspann kennzeichnet, ist durch diese Steigerung von kohärentem Text mit zitat-unterlegten Bildern zu einem musik-unterlegten Bild-Kaleidoskop eine sehr hohe; nach dem Hören dessen, was die „Nachrichtensprecherin“ sagt, folgt der zweite Durchgang mit einer sich stetig beschleunigenden Abfolge von bildlich-akustisch aufgeladenen Details, die (medienanalytisch ungeübte) Rezipient: innen innerhalb kürzester Zeit aufnehmen und verarbeiten müssen: Immerhin dauert dieser gedoppelte, um das rhyming couplet gekürzte Prolog bei Luhrmann nicht einmal zwei Minuten. Die Schüler: innen sollen nach der Rezeption dieses Vorspanns vor allem notieren, was sie daran überraschend finden, und sie vergleichen diese beispiel‐ hafte Verfilmung mit ihren eigenen Ideen, die sie zuvor als Gruppe zu einer möglichen audiovisuellen Umsetzung des Prologs erarbeitet haben - dabei stellt sich die interessante Frage, inwieweit die Schüler: innen den Versuch unter‐ nehmen, eine aus ihrer Sicht historisierende Form der filmischen Umsetzung an‐ zustreben, und ob sie sich überhaupt ‚trauen‘, diesen Prolog in ihre eigene Welt herüberzuholen: 53 so wie es im letzten Teil des vorangehenden Sonett-workshop (allerdings bezogen auf die „Advanced Texts“) schon als legitimes Verfahren 194 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced der Textaneignung im Fall des New York City Sonnet Project gezeigt wurde. Die Lehrerhandreichungen machen keine weiteren inhaltlichen Vorgaben, schlagen aber mehrere Möglichkeiten vor, methodisch an das Material heranzugehen: Zunächst werden die Schüler: innen gehalten, den Vorspann als Gesprächsanlass für eine Diskussion zu nehmen. Verstärkt wird diese Methode über den Hinweis, ein split viewing durchzuführen, in dem der einen Gruppe nur der Soundtrack und der anderen Gruppe nur das Bild gezeigt wird - in Partnerarbeit sollen sich dann jeweils zwei Vertreter der beiden Gruppen über die Inhalte austauschen und so das Gehörte / Gesehene ergänzen. Als Lösungsvorschläge für den Aspekt der Überraschung werden in den Lehrerhandreichungen folgende fingierte Schüler-Beobachtungen formuliert: I find it surprising that the play is set in the modern day, but that they still use the original Shakespearean English and have not adapted it to modern English. I also find it surprising that the film is set in the USA and not in Italy. They seem to have made it into an action film, which again I find very surprising. (CT-LHB 388) Diese Äußerungen lassen allerdings die vielfältigen filmanalytischen Aspekte außer Acht, obwohl gerade die (unvollständige) Wiederholung der gespro‐ chenen Prologzeilen bemerkenswert und diskussionswürdig sein dürfte. Zu hö‐ herer Geltung kommen diese Aspekte jedoch in einer alternativen Verfahrens‐ weise, die die Lehrerhandreichungen ebenfalls skizzieren: Hierzu sollen sich die Schüler: innen als Vorarbeit ihre filmtechnischen Kenntnisse in Erinnerung rufen, um sie für das wiederholte viewing anzuwenden. In einer Plenarphase werden dann die Ergebnisse zusammengetragen und wie folgt in einem Tafelbild festgehalten, das allerdings insofern Nachteile birgt, als Beobachtung („First impressions“) und Fazit identisch sind, so dass hier ein Zirkelschluss konstruiert wird: Analysing the film version of the prologue First impressions • hectic • tense atmosphere • dangerous Cinematic devices used in the film • the camera zooming in and out • a fast sequence of shots …→ hectic and tense atmosphere Tab. 17: Musterlösung zu Camden Town, Lerneinheit 8B, Aufgabe 2b (CT-LHB 388) Bevor im nächsten Schritt die Balkonszene (161 Zeilen aus Romeo and Juliet, 2.2) am Text erarbeitet wird, geben die Lehrerhandreichungen vor, dass die 195 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? Lehrkraft den Inhalt des ersten Akts referiert. Dann schauen die Schüler: innen als pre-reading activity, mit einem starken Akzent auf dem Hörsehverstehen, per Weblink zweimal eine gefilmte Theateraufführung dieser Szene (es handelt sich um eine Produktion der Royal Shakespeare Company von 2010, dargeboten im Courtyard Theatre Stratford, mit Sam Troughton als Romeo und Mariah Gale als Juliet), um erst ein Rezeptionsgespräch darüber zu führen und anschließend die möglichen äußeren Konflikte, inneren Dilemmata und Lösungsstrategien der beiden Figuren herauszuarbeiten. Die Sicherung des Textverständnisses - d. h. die Erschließung der wörtlichen Bedeutungsebene - wird hier über mehrere Wahrnehmungskanäle gestaltet, insofern der eigentlichen (stillen) Lektüre die audiovisuelle Rezeption vorge‐ schaltet ist und anschließend durch die szenische Umsetzung im Klassenzimmer ergänzt wird. Um es den Schüler: innen zu ermöglichen, nach der Textlektüre des Szenenausschnitts ihr eigenes Verständnis nachvollziehen zu können, sind dem Passus sechs Aussagesätze vorangestellt, die in die richtige Reihenfolge zu bringen sind und dann eine Inhaltsangabe bilden. Im Anschluss daran erfolgt die Vorbereitung eines „dramatic reading“, das zum einen durch ein Erklärvideo der Royal Shakespeare Company mit Hinweisen zur artikulatorischen Umsetzung des jambischen Pentameters und zum anderen mit Hilfe einer Info-Box gesteuert wird. In letzterer erhalten die Schüler: innen Tips dazu, welche Aspekte berück‐ sichtigt werden könnten, wenn man eine solche Produktion plant. An dieser Stelle kommt die Unterrichtseinheit dem script-Ansatz Gibsons am nächsten, weil hier tatsächlich die performative Gestaltung des Dialogs eingeholt wird, was den Schüler: innen einerseits große Freiräume eröffnet und andererseits eine genaue Textkenntnis und ein ebensolches Textverständnis erfordert. Die beiden anschließenden Aufgaben sind wieder eher analytischer Natur, insofern hier die Bildlichkeit in der Sprache Romeos und Juliets zunächst einzeln erarbeitet und miteinander verglichen wird (CT 285, Aufgabe 6), ehe die beiden Figuren charakterisiert werden. Dazu gibt der Schülerband eine Liste mit 25 Adjektiven vor, die den Figuren zugesprochen werden sollen. Diese Zuordnungen sind am Text zu begründen. Schließlich werden Romeo und Juliet vor dem formalen Gesamtzusammenhang des Stückes betrachtet, v. a. soll an der Textstelle gezeigt werden, inwieweit Romeo hier schon Züge des tragischen Helden verrät, und es sollen Textstellen für die Hypothese gefunden werden, dass Juliet die reifere Figur der beiden sei (CT 285, Aufgabe 7a-c). Die Handreichungen stellen für beide Aufgaben umfangreiche Antworten-Kataloge vor, die für die Lehrkräfte zugleich Stütze wie Hindernis sein können; letzteres nämlich, wenn man die Offenheit gegenüber den Schülerbeiträgen verliert und in den Lösungsvorschlägen die zu erreichende Norm eher als einen möglichen 196 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 54 Impulsivität und Ungestüm, die madness des „liebeskranken Melancholikers“ Romeo, sind allerdings nicht sein schwerstes Fehlverhalten, das ihn zusammen mit Julia - in dieser Hinsicht analog zur klassizistischen Dramentheorie - ‚unschuldig schuldig’ werden lässt und so den tragischen Handlungsverlauf erst ermöglicht (zur zitierten Charakterisierung Romeos und zur formalen Hybridität des Stücks mit Elementen aus Tragik und Komik vgl. Kern-Stähler 2005: 61-63). Die Motivation für die Tragik liegt schon in der geheimen Hochzeit der beiden Liebenden am Ende von Akt II, da diese ohne das väterliche Einverständnis Juliets durchgeführt wird. Dieser unbedingte Wille der zwei Liebenden, ihre Gefühle ungeachtet aller sozialen und familiären Normen auszuleben und ihr sich darin manifestierender Stolz ist die eigentliche Hybris, die das tragische Moment erzeugt. So ist auch die heftige patriarchalische Reaktion von Juliets Vater in III.5 zu erklären, als er von der Weigerung seiner Tochter erfährt, Paris zu heiraten: „How, how, how? Chopp’d logic? What is this? / ‘Proud’ and ‘I thank you not’ / And yet ‘not proud’? Mistress minion you / Thank me no thankings nor proud me no prouds, / But fettle your fine joints ‘gainst Thursday next / To go with Paris to Saint Peter’s Church, / Or I will drag thee on a hurdle thither. […] Speak not, reply not, do not answer me. / My fingers itch.” (Shakespeare 2000: 1030; R&J 3.5.149-164) Antwortenhorizont sieht. Die letzten beiden Arbeitsaufträge mit dieser Szene als Lern- und Bezugsmaterial sind wieder kommunikativer Natur. Zunächst sollen die Schüler: innen in einem an der Methode des „Kugellagers“ ausgerichteten Verfahren wechselnden Partner Fragen aus der Sicht einer der beiden Figuren stellen und am Ende den- / diejenige auswählen, die sie am überzeugendsten fanden. Schließlich haben sie die Wahl zwischen zwei neigungsdifferenzierten Schreibaufträgen: Entweder einen Brief an einen Regisseur zu schreiben, der darlegt, weswegen man selbst sich besonders für die Rolle Romeos oder Juliets eigne; oder einen Kommentar zu Ben Jonsons berühmten Urteil zu verfassen, dass Shakespeare „not of an age, but for all times“ gewesen sei. Dieses Urteil soll, auf die Balkonszene bezogen, begründet werden. Anders als die in den folgenden Kapiteln besprochenen Lehrwerke setzt Camden Town die im workshop begonnene Erarbeitung dramatischer Texte mit einem weiteren Auszug aus demselben Werk fort, das schon in den Schritten zuvor mit dem Prolog und der Balkonszene im Zentrum gestanden hat. Dadurch wird ein höherer Grad an inhaltlicher Kohärenz hergestellt, der zudem durch eine kurze Inhaltsangabe der wichtigsten Handlungsdetails gewährleistet ist: In der folgenden Szene geht es um den Höhepunkt des Dramas, der mit Tybalts Tod durch Romeos Racheschwert erreicht wird. Hierzu sollen die Schüler: innen auf ein Szenenbild im Schülerband Bezug nehmen, das den vorangehenden Kampf zwischen Mercutio und Tybalt zeigt und in den Romeo sich gerade einmischt. Diese Einmischung ist der Grund, dass Mercutio einen Moment später die tödliche Wunde von Tybalt erhält und daher Romeo zu seinem Rächer wird. 54 197 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? Der Arbeitsauftrag zum dem Bild lautet: „Look at this picture from a produc‐ tion of the play. Romeo is in the centre. Describe his role.“ (CT 286; hier: Abb. 5) Abb. 5: Romeo and Juliet, Szenenfoto (CT 286) Die Lehrerhandreichungen liefern den dazugehörigen Lösungsvorschlag: „Ro‐ meo’s role in this picture / scene looks like that of a peacemaker. He is wearing white between two men in black who are fighting. It looks as though he is trying to stop the fight.“ (CT-LHB 398) Problematisch an diesem die Lektüre der Szene vorentlastenden Impuls ist die Tatsache, dass die Deutung der zentralen, weißgekleideten Figur als Friedensstifter in diesem von großer physischer Dynamik geprägten Bild etwas ist, das über eine reine Beschreibung weit hinausgeht und letztlich schon auf der (Vor-)Kenntnis des Zusammenhangs beruht. Eventuell wird man mit einer Nachstellung des Szenenbildes als freeze frame verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten auf die Spur kommen. Die Passage mit den anschließenden Ereignissen aus der umfangreichen Szene des 3. Aktes umfasst noch einmal 87 Druckzeilen und stellt damit erneut einen vergleichsweise ausführlichen Textausschnitt dar, der den Schüler: innen reiches Untersuchungsmaterial gibt. Nach der Sicherung des globalen Textvers‐ tändnisses durch eine Zusammenfassung (CT 286, Aufgabe 2) bzw. durch Leitfragen der Lehrkraft (vgl. CT-LHB 398) wendet sich die analytische Auf‐ 198 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 55 Die zuvor in den Handreichungen abgebildete Tabelle mit der Auflistung von Romeos unterschiedlichem Verhalten zu Beginn und am Ende des Passus (vgl. CT-LHB 399) fügt dem Lösungsvorschlag einen zwar sinnvollen Arbeitsschritt hinzu, der aber aus der Aufgabenstellung im Schülerband nicht hervorgeht und daher dem methodischen Inventar der Lehrkraft zuzurechnen ist. gabenstellung implizit dem soziologischen, auf Erving Goffmans Ansatz zu‐ rückführbaren Rollen-Konzept zu, das sich in der Figur Romeos in diesem Passus erkennen lässt (vgl. Goffman 1990). Demzufolge übernimmt man (nota bene: Goffman beschreibt reale Menschen) in einer durch wechselnde soziale Interaktion definierten Umwelt verschiedene Rollen und Masken (lat. personae), anstatt stets als dieselbe, unveränderliche Persönlichkeit in Erscheinung zu treten. Romeos mehrfacher Rollenwechsel ist hier gut ablesbar und wird in den Lehrerhandreichungen mit den Etiketten „pacifist - peacemaker - aggressor“ (CT-LHB 400) bezeichnet. Diese Entwicklung, die Romeo zu einer komplexen Figur werden lässt, ist mit konkreten Hinweisen auf Textstellen herauszuarbeiten, 55 und lernschwächere Schüler: innen erhalten hierzu in der Diff[erentiation] section weitere Hinweise mit exemplarischen Textstellen: Hier werden einleitend ebenfalls konkrete, wenngleich etwas anders akzentuierende Etiketten für Romeo geprägt („lover and peacemaker versus […] a loyal but impulsive friend“, CT 324) - mit „lover“ und „friend“ sind allerdings zwei eher private, zwischenmenschliche Beziehungen erfasst, die nicht mit den zuvorgenannten sozial-politischen Attributen kongruieren, so dass hier ein Hinweis auf die Vieldeutigkeit eines solchen Bildimpulses ebenso wie auf die Polyfunktionalität von sozialen Rollen angebracht wäre. Im Lehrwerk erhalten die Schüler: innen zudem einen Hinweis auf das Skill File S11 „How to work with drama“ (CT 350-351). Fraglich ist, ob und inwieweit diese Zusatzangaben für die Bearbeitung der Aufgabe zielführend sind. Denn die Anfertigung einer Charakteranalyse stellt in diesem Skill File nur einen unter‐ geordneten Punkt dar, mit eher unspezifischen Leitfragen zur Darstellung einer Figur auf der Bühne, ihrer Sprache, ihrer Interaktion mit anderen Figuren und ihrer Dialogführung (vgl. CT 351). Eine formbzw. dramentheoretisch gelenkte Charakterisierung wird dabei nicht angestrebt, so dass den Schüler: innen die für die Bearbeitung der Aufgabe konkrete Beschreibungskriterien wie innere vs. äußere Merkmale, roundness / complexity vs. flatness / simplicity, Selbstvs. Fremdcharakterisierung, direkte vs. indirekte Charakterisierung nicht zur Verfügung stehen (vgl. dazu Baumbach/ Nünning: 109), obgleich sie zumindest in indirekter Weise als Formulierungsvorschläge im Skill File S12 „Checklist: Analysis - Prose“ genannt werden (CT 353). Stattdessen liegt der Akzent im Skill File S11 eher auf generischen Aspekten wie „Types of plays“, „Structure“ 199 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? und „Dramatic devices“ im Vordergrund (inkl. terminologisch wichtiger Begriffe wie die Unterscheidung von „monologue“ und „soliloqui“, die Definitionen von „dramatic irony“ und „comic relief “, u. a.), die jedoch für die bisherigen Arbeits‐ schritte keine Rolle spielen und auch in den folgenden Arbeitsaufträgen zu weiteren Shakespeare-Materialien allenfalls punktuell zur Geltung zu bringen sind. Insofern enthält das der Dramenanalyse zugeordnete Skill File für die gegebene Aufgabe nur wenig praxisrelevante (und damit für die Schüler: innen kaum förderliche) Informationen, insofern die ansonsten wichtigen Aspekte selten auf diese oder andere Aufgaben übertragbar sind. So wird bei der Struktur das auf Gustav Freytags Spannungspyramide beruhende fünfteilige Schema von exposition - rising action - climax - falling action - resolution als Bogen dargestellt (CT 350), aber in den Aufgaben zu Romeo and Juliet wird an keiner Stelle die Position der jeweiligen Szene innerhalb dieses Verlaufs thematisiert, obwohl sich ein Hinweis auf den Höhepunkt der Handlung, der mit Tybalts Tod erreicht wird, als ‚point of no return‘ in der Dramaturgie des Geschehens, anböte. Die letzte workshop-Aufgabe schließt diesen im Sinne einer Neigungsdiffe‐ renzierung ab und stellt es den Schüler: innen frei, entweder Romeos Selbstcha‐ rakterisierung als „fortune’s fool“ (CT 287, Z. 85) zu kommentieren oder sich in ihn hineinzuversetzen und Juliet einen Brief schreiben zu lassen, in dem er die Ereignisse aus seiner Sicht darstellt. Auch diese beiden Aufgaben können implizit eine Charakterisierung Romeos als outcome erwarten lassen, wie sie aus den unterschiedlichen Informationen des Prologs, der Balkonszene und der hier verhandelten Szene ermöglicht wird. Hier fehlt jedoch der Hinweis auf das schon angesprochene Skill File S12; stattdessen werden auch im Folgenden immer wieder Anleitungen für andere Kompetenzen und Zieltextformate emp‐ fohlen: namentlich die Skill Files S2 „Creative Writing“ (CT 331), S6 „How to write a discussion / comment“ (CT 338) und S20 „How to listen / watch effecti‐ vely“ (CT 366), so dass zugunsten des Zieltextformats der dramenanalytische Fokus in den Hintergrund rückt. Die wortspielerische Überschrift „Love at first sonnet“ steht einer abschlie‐ ßenden Vertiefung im workshop voran (CT 288). Sie zitiert eine Formulierung der Shakespeare-Forscherin Marjorie Garbers aus einem Erklärvideo, das der anschließenden Texterarbeitung zugeordnet ist. Wie zuvor in „Part A“ steht hier ein Text zur Diskussion, an dem die Schüler: innen ihre neu erworbenen Kompetenzen anwenden sollen. Das Sonett, das hier im Vordergrund steht, ist das erste von zweien aus Akt 1.5, das Romeo und Juliet bei ihrer ersten Begegnung während des Maskenballs der Capulets sprechen - und das durch seine reichhaltige Metaphorik aus dem Religiösen, speziell dem Pilgerdasein, 200 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced gekennzeichnet ist. Vor der Lektüre dieses Sonetts wird auch hier wieder der Einstieg über einen Bildimpuls gesucht; diesmal handelt es sich um ein Szenenbild aus Luhrmanns Verfilmung (hier Abb. 6), das Claire Danes als Julia und Leonardo DiCaprio als Romeo zeigt. Abb. 6: Szenenfoto aus Luhrmanns Verfilmung Romeo+Juliet (CT 288) Die Schüler: innen haben den Auftrag zu beschreiben, wie sie die Gefühle der beiden Figuren wahrnehmen; sie erhalten dazu den Hinweis auf das Skill File S15 „How to describe pictures“ (CT 358). Die Arbeitsanweisung geht allerdings weit über eine Bildbeschreibung hinaus, insofern sie weniger die Aufmerksamkeit auf äußere, im Bild erkennbare Details richtet als auf die inneren Zustände der beiden Charaktere. Die Schüler: innen sind eher dazu aufgefordert, sich in die Figuren hineinzuversetzen und deren Gedanken zu ‚lesen‘, nicht aber das Bild in seiner Kompositionsweise und als Kameraeinstellung wahrzunehmen. Dem‐ entsprechend erscheint auch der Lösungsvorschlag der Lehrerhandreichung besonders in Bezug auf Romeos Mimik und Körpersprache unterkomplex: Romeo looks intense, as though he has something important to tell Juliet. Maybe he feels that he has to speak with her urgently. Juliet looks surprised, but not displeased. Her expression is a little curious. She has her face turned towards Romeo and her body turned away, so maybe she feels like she needs to be careful, or she doesn’t know what to expect from this man. (CT-LHB 401, Herv. JM) Diese ‚Beschreibung‘ berücksichtigt weder das Äußere der Figuren (v. a. Juliets durch einen weißen Flügel angedeutetes Engelskostüm, in dem sich eine ikonische Vorausdeutung auf ihren tragischen Tod verbirgt) noch die Tatsache, 201 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 56 In Pathway Advanced findet sich einem Focus on Skills gar ein ganzer Eintrag, der den „Reading Techniques“ zugeordnet ist, unter der Überschrift „Recognizing the author’s purpose / intention - drawing inferences / using background knowledge“. Im Vordergrund stehen dabei funktionale Analysefragen („Does the author want to inform, entertain, reflect on or share an important idea? “; „Determine the effect […] words and phrases have regarding the function of the texts (e.g. appeals à persuasion, facts à accuracy, etc.”), aber auch jene psychologisierenden Elemente wie „Underline or highlight words and phrases in the text that reflect or indicate the author’s intention.” (alle Zitate PA 494) dass Romeo schon Juliets Hand ergriffen hat. Diese Geste verweist darauf, dass hier schon seine körperliche Annäherung und physische Dominanz ihr gegenüber visuell in Szene gesetzt wird: Romeo wird als der Agierende gezeigt, Juliet als die Reagierende - ganz in Entsprechung zum Schluss des Sonetts, als Romeo nach dem letztem Vers Juliet küsst, nachdem diese Möglichkeit immer wieder von Romeo offensiv ins Spiel gebracht und von Juliet ebenso bestimmt wie spielerisch pariert wurde. Bildlich-metaphorisch nehmen die beiden Sprecher immer wieder Bezug auf die Repliken des Vorredners, so dass der Wortwechsel auch die Qualität eines combat of wit hat und die Grenze zwischen Religion (pilgrimage) und Erotik auslotet, ehe Romeo diese schließlich durch einen sinnlichen Akt von Körperlichkeit, den Kuss, einreißt und so die verbal thematisierte Vereinigung nun symbolisch auf gestisch-physischer Ebene besiegelt. Die Schüler: innen lesen den Text und folgen dann den Ausführungen, die ein Erklärvideo des amerikanischen Public Broadcasting Service Learning Media (PBS) liefert. Neben Shakespeare-Forscher: innen und Schauspieler: innen, die dort zu Wort kommen, wird auch eine darstellerische Umsetzung der Szene gezeigt. Im Anschluss daran sollen die Schüler: innen die pilgrimage-Metaphorik des Sonetts analysieren, so dass hier der Text wieder in den Vordergrund rückt. Eine in den Lehrerhandreichungen vorgeschlagene Erweiterung zu dieser analytischen Aufgabe enthält demgegenüber sowohl aus methodischer als auch aus pädagogischer Sicht einigen Modifikationsbedarf: Einsteigend mit der Lehrerfrage „L: Why do you think Shakespeare uses a sonnet for the first meeting between Romeo and Juliet? “ sollen „die S-Antworten […] auf Folie / an der Tafel gesammelt und als Überprüfungsformat für das Video genutzt werden, sozusagen als right / wrong-sentences.“ (CT-LHB 401) Damit wird wiederum der Blick auf die Autorintention gerichtet, die eigentlich schon aus formalistischen wie rezeptionstheoretischen Gründen längst keinen Raum mehr in der schulischen Erarbeitung literarischer Texte haben sollten - ein Grundsatz, der in allen der hier besprochenen Lehrwerken immer wieder durchkreuzt wird. 56 Eine wenig aufwendige Reformulierung würde diesen intentionalisti‐ 202 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced schen Ansatz vermeiden und könnte stattdessen die Funktion dieses Sonetts im dramatischen Gefüge zu erklären helfen: „Why is the form of a sonnet particularly adequate in this exchange of the two lovers at their first meeting? “ Ob die entsprechenden Antworten dann als „Überprüfungsformat für das Video“ zu verwenden sind, ist fraglich, weil dadurch dem Erklärvideo ein hoher Normierungsfaktor zugewiesen wird - zumal mit solchen Entscheidungen, die dann einzelne Schüleräußerungen als „richtig“ / „falsch“ beurteilen. Gerade im Hinblick auf die Formulierung in den Lehrerhandreichungen sind solche Bewertungen nicht angemessen, insofern lt. Aufgabenstellung ohnehin vor allem Spekulationen über Shakespeares Absichten vorgebracht werden. Und auch unter dem formalen Blick sind durchaus plausible Überlegungen denkbar, die sich nicht mit den Aussagen der Interview-Partner im PBS-Erklärvideo decken müssen und trotzdem Gültigkeit haben können. Gerade weil die komplette Handlung der Tragödie hier nicht zur Diskussion steht, ist das mögliche Antwortspektrum der Schüler breiter als es vielleicht vor dem Hintergrund einer Ganzschriftlektüre wäre. Die Diskrepanz zwischen den bekannten, erarbeiteten Textstellen aus Romeo and Juliet und dem gesamten Handlungsverlauf macht auch den ersten Teil der dritten Aufgabe zu diesem Sonett problematisch: „At the end of the play, the two lovers die. Do you know what exactly happens? Talk about it in class.“ (CT 288) Die Schüler: innen sollen über die weitere dramatische Entwicklung der beiden Liebenden reden, obwohl keineswegs gesichert ist, dass in einer Lerngruppe alle den Text bis ins Detail kennen, wenn nicht zuvor das Drama schon erarbeitet worden ist - dann wäre allerdings die Sinnhaftigkeit des workshop in Frage gestellt. Auch die Funktion der Zeile „Thus from my lips, by thine, my sin is purged“ (CT 288, Aufgabe 3b) als Vorausdeutung („foreshadowing“) ist wenig ergiebig ohne eine genauere Kenntnis des Gesamtzusammenhangs, die über die Information hinausgehen sollte, dass am Ende der Tragödie die beiden Liebenden tot sind. Hierzu wäre als Hintergrund zumindest ein weiterer Textauszug aus Szene V.3 wichtig, in der die Symbolik des Kusses aufgegriffen und mit dem Todeskuss in dem Moment variiert wird, da Romeo, nachdem er verspätet aus Mantua zurückgekehrt ist und seinen Rivalen Paris am Grab der Capulets getötet hat, die durch einen Schlaftrunk betäubte Juliet erblickt: Darin wird der Kuss mit verschiedenen Bildern in seiner Ambivalenz als todbringende und juristische Liebesgeste gesehen. In Romeos Monolog sind dies die allegorischen Bilder von „Death hath suck’d the honey from your breath“, „a righteous kiss [to seal] a dateless bargain to engrossing Death“, und dem finalen „Thus with a kiss I die“, worin sich der erste Kuss Romeos (am Ende des Sonnets in Szene 1.5) spiegelt, insofern auch hier Romeo die Initiative ergreift. Somit lässt sich, unter 203 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? Verwendung dieser Zeilen, das Konzept der Vorausdeutung veranschaulichen. Gleichwohl bleibt bei alledem das eigentliche Konzept der „tragedy of their love“, wie die Handreichungen es andeuten, unerklärt: The line “Thus from my lips, by thine, my sin is purged” foreshadows the tragic end of the story because it is almost with a kiss that the two lovers die. Romeo finds Juliet in her drugged state and thinks she is dead, so he drinks some poison. After drinking it, he leans in and kisses Juliet for a last time, saying the famous line: “Thus with a kiss I die.” (Act 5, Scene 3). When Juliet awakens and finds Romeo dead, she kisses him too, then says her famous final line: “Then I’ll be brief. O happy dagger. This is thy sheaf ” (Act 5, Scene 3), before stabbing herself. Thus their last meeting, where Juliet kisses Romeo, mirrors their first meeting and love sonnet, where he kisses her, and the tragedy of their love is heightened. (CT-LHB 402) Zur Klärung dieser Tragik ist es notwendig, auf die geheime Hochzeit der Liebenden und das fehlende Einverständnis des Brautvaters einzugehen, der an späterer Stelle seiner Tochter im Falle ihrer Verweigerung gegenüber der arrangierten Ehe mit dem Verstoß aus der Familie droht („God had lent us but this only child; / But now I see this is one too much, / And that we have a curse in having her.“ (Shakespeare 2000: 1030; R&J 3.5.165-167). Letztlich liefern also die beiden Aufgabenteile zwar spekulative Kommunikationsanlässe, vermitteln aber keine weiteren Analysekompetenzen; zudem bleiben die Lehrerhandrei‐ chungen hinter den Anfordernissen eines genre-orientierten Zugangs, wie er im Schlusssatz der oben zitierten Erwartungen mitschwingt, zurück. Miszellen: As you like it 2.7 / Taming of the Shrew 5.2 / Henry V 3.1. Den Abschluss der Materialeinheit bilden mehrere kurze „Advanced texts“ (CT 289-293), vorwiegend Auszüge aus Shakespeares Werken in Gegenüberstellung mit deren neueren Bearbeitungen. Hier stehen drei Monologe im Vordergrund: Zunächst Jaques’ Sinnieren über die sieben Altersabschnitte des Menschen aus As You Like it, Akt 2.7 (ohne Textvorlage im Schülerband als cinemato‐ graphischer Vortrag mit Benedict Cumberbatch als Jaques). Hieran schließt, als Übung zum Hörverstehen und ebenfalls ohne Text bzw. Transkription, ein Ausschnitt aus einem Interview mit Sir Patrick Stewart: Darin wird die spekulative Frage aufgeworfen, welche Chancen Shakespeare als Autor im heutigen Hollywood-Geschäft hätte. Diesem folgt, in 51 Druckzeilen, Kates Schlusswort mit ihren neugewonnenen Ansichten zum Dasein als ‚gezähmte‘ Ehefrau am Ende von Taming of the Shrew (Szene 5.2; audiovisuell unterstützt mit der Szene aus der BBC ShakespeaRetold-Verfilmung, Regie: David Richards, 204 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 2005). Komplementär dazu gibt es einen kurzen Passus aus Anne Tylers Roman Vinegar Girl (2016), einer Auftragsarbeit für die 2012 begonnene „Hogarth Shakespeare“-Serie aus der Verlagsgruppe Random House - mit demselben Ziel, das wenige Jahre zuvor die BBC mit ihrer Miniserie von Neuverfilmungen verfolgte: die Stücke Shakespeares in einen zeitgemäßen modernen Kontext zu versetzen und neu zu erzählen, um nunmehr nicht nur das heutige Fernseh-Pu‐ blikum, sondern auch eine jüngere Leserschaft besser zu erreichen. Am Ende dieser Textauswahl steht ein Auszug aus der Ansprache Henrys an seine Ritter vor der Schlacht von Agincourt (entspricht der Szene Henry V, 3.1), die in Bezug gesetzt zum Sachbuch Inspirational Leadership (erstmal erschienen 2001), in dem der Verfasser Richard Olivier darlegt, mit welchen rhetorischen Strategien moderne Manager ihre Teams in einer kompetitiven Arbeitswelt mit der beständigen Bedrohung des ökonomischen Scheiterns zu Höchstleistungen motivieren könnten. In der Mehrzahl werden die Textpassagen aus den Shakespeare-Dramen nicht mehr im Detail diskutiert, geschweige denn genre-spezifisch untersucht, sondern in der Regel in Bezug auf heutige Bearbeitungen intertextuell bzw. intermedial erfasst. Der dabei geförderte kommunikative Diskurs generiert methodisch eher die Analogie- und Hypothesenbildung als eine Analyse- und Interpretationskompetenz. Gleichwohl ist festzuhalten, dass beide workshops eigentlich eine gute Grundlage dafür schaffen, lyrische und dramatische Texte mit hermeneutischen Lektüreverfahren zu erarbeiten. Befremdlich erscheint al‐ lerdings, dass ein Hilfsmittel wie das Skill File S11 „How to work with drama“ (CT 350) nur an einer Stelle - und hier weitgehend in thematisch dysfunktionalem Zusammenhang - zum Einsatz kommt, ansonsten aber weder durch Arbeits‐ aufträge noch durch Querverweise in z. B. den dramen- / theatergeschichtlichen Abschnitten der Fact Files genutzt wird. In dieser Hinsicht vergibt die Konstruk‐ tion dieses Unterrichtsmoduls einiges an Potenzial, das ungenutzt bleibt und den Schüler: innen keinen Mehrwert im Sinne eines zusätzlichen literaturbezogenen Erkenntnisgewinns oder analytischen Kompetenzzuwachses bietet. 2.3.2 Context: Mit Shakespeare aus der Vergangenheit in die Gegenwart Context liefert, wie die Tabelle im einführenden Abschnitt zur Einheit „The Power of Words - From Shakespeare to Today“ zeigt (s. o., S. 160/ 161), die umfangreichste Textauswahl innerhalb des sprach- und kulturgeschichtlich angelegten Unterrichtsmoduls. Diese breite Akzentuierung wird schon im Titel deutlich. Die erste Doppelseite zum Thema mit der Funktion des „Lead-in“ un‐ 205 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? terscheidet sich von der Mehrzahl andere solcher Einstiege des Lehrwerks durch ihre Wortlastigkeit bzw. die weitgehende Abwesenheit von Bild-Impulsen. Lediglich das sehr kleinformatig reproduzierte „Cobbe Portrait“ im unteren linken Seitenquadranten steht sechs Textbeispielen gegenüber, die im Duktus von Zeitungsüberschriften im darüberliegenden (C 72) und ebenso vielen, farblich unterlegten Zitaten aus heutigen Gedichten (C 73) im rechten oberen Quadranten platziert sind. Die Aufgabenstellungen stellen das Thema „Shakespeare“ zunächst in den Hintergrund; allein Aufgabe 3 wirft die Frage nach der historischen Persönlich‐ keit auf („Who was William Shakespeare? “) und schlägt hierbei die Methode des brainstorming vor, mit der die Aktivierung des Vorwissens der Schüler: innen einhergehen soll. Der in den Handreichungen formulierte Erwartungshorizont dazu ist ausgesprochen rudimentär, wenn man berücksichtigt, dass vielfach schon in Sekundarstufe I in unterschiedlichen Zusammenhängen ein Blick auf Shakespeares Werk oder seine Zeit gerichtet wird: „lived in the 16/ 17th century [sic] (1554-1616), famous author of many plays (e.g. Macbeth, Romeo and Juliet) and sonnets“ (C-HRU 137). Erweiternde Kontextualisierungsfragen, wie die Handreichungen sie vorschlagen, verlassen die Methode des brainstorming und wären sicherlich besser als einführende Referatsthemen geeignet, um über bloßes name-dropping und isolierte factoids als Lösungsvorschläge in den Hand‐ reichungen hinauszugehen: „Queen Elizabeth I (succeeded by James I), Mary Stuart (executed), defeat of the Spanish Armada in 1588, Sir Francis Drake’s circumnavigation of the world, Sir Walter Raleigh’s voyages to the New World …“ (C-HRU 137). Die Handreichungen schlagen zudem vor, schon hier ggf. auf das Fact File zu Shakespeare (C 76) vorzugreifen (vgl. C-HRU 138), das seinerseits die wichtigsten der dokumentarisch gesicherten biographischen Informationen darlegt. Im Zuge der Lerneinheit werden zudem unterschiedliche historische Portraits zur Sprache gebracht: neben dem erwähnten Cobbe Portrait auch das Chandos Portrait (C 76), eine modernisierte ‚gemorphte‘ Version des Cobbe Portraits (C 84), sowie die grafische Verfremdung des First-Folio Stichs von Martin Droeshout, die sich auf einem modernen merchandize-Artikel in Form eines T-Shirts findet (C 86). Auf diese Weise erkennen die Schüler: innen die zunehmende Kommodifizierung und Ikonisierung der historischen Persönlich‐ keit. Die zweite Teilaufgabe zu dieser Aufgabe 3 lässt die Schüler: innen in eine weitere Hypothesenbildung laufen: „Speculate why phrases that he coined became well-known“ (C 72); als Erwartungshorizont wird hier angeboten: Shakespeares „words have been repeated on stage so frequently in the past 400 years that they have become part of everyday language“ (C-HRU 138). Diese 206 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Lösung lässt allerdings außer Acht, dass Shakespeare seinerseits eine Vielzahl geflügelter Worte und Gemeinplätze seiner Zeit aufnahm und sie in seinen Werken verwendete (vgl. Tilley 1950). Die restlichen Aufgaben des „Lead-In“ richten die Aufmerksamkeit überwie‐ gend auf allgemeine sprachlich-stilistische Aspekte des modernen Englisch. So wird verlangt, dass die Schüler zunächst die bildhaft formulierten Zeitungs‐ überschriften aus dem Englischen ins Deutsche übersetzen und dann zwei von ihnen auswählen, um sie auf ihre sprachliche Ausdruckskraft hin zu bedenken: „Take turns explaining to each other what is so powerful about them that they are still being used in modern English“ (C 72, Aufgabe 1). Hierbei ist anzumerken, dass nicht nach den seinerzeit innovativen Wortschöpfungen Shakespeares gesucht werden soll (die Überschriften enthalten figurative Wörter bzw. Phrasen wie „lackluster“, „wild goose chase“, „sorry sight“, „strange bedfellows“, „fair play“ und „break the ice“) - auch den Lehrkräften wird die für diese Mediati‐ onsaufgabe eigentlich wichtige Information nicht gegeben, aus welchen Shake‐ speare-Texten und Zusammenhängen diese Phrasen stammen. Stattdessen werden ihnen die nicht immer geglückten Übersetzungen präsentiert, an denen verdeutlicht wird, dass im Englischen zum Teil ähnliche, zum Teil andere (oder keine) Bilder als im Deutschen verwendet werden. Aufgabe 2 veranlasst die Schüler: innen, diese Überschriften zu eigenen kurzen Texten zu erweitern: erneut geht es um einen rein sprachlich-funktionalen Produktionsauftrag, der wenig Bezug zur thematischen Auseinandersetzung mit Inhalten herstellt. Der letzte „Lead-in“-Arbeitsauftrag wendet sich Zitaten aus Gedichten zu, die im Zuge des Unterrichtsmoduls erarbeitet werden und somit in Teilen vor‐ entlastet werden: Sie „sollen den S[chüler: innen] einerseits zum Wiederholen poetischer Sprachmittel dienen und sie andererseits neugierig auf die Gedichte in Part C machen“ (C-HRU 138; Herv.i.Orig.). Drei Unteraufgaben stehen unter der Überschrift „Thinking about poetic word power“. Wie schon an anderer Stelle und zu einem anderen Lehrwerk bemerkt, ist hier die Aufgabenstellung in einer Weise formuliert, dass sie nur scheinbar ein induktiver, schülerorientierter Charakter auszeichnet; tatsächlich steht jedoch ein deduktives Verfahren im Hintergrund, da in der ersten Teilaufgabe die Proposition (ihr poetischer Ur‐ sprung) in Aufgabenteil a) enthalten ist: „Read the lines above, which are taken from poems that you will find in this chapter.“ (C 73) Die Schüler: innen sollen vor dem Hintergrund dieser Information das poetische Element in kontextfrei präsentierten Formulierungen nachweisen (v. a. anhand von Alliterationen, z. B. „kissed like Kim Kardashian“ oder „dark and dense“, oder die Akkumulation von stilistischen Elementen, z. B. dem Vergleich plus Konsonanz plus figura etymologica in „a riddim dat shoots like shots“, oder Sprachbilder wie der 207 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? Metapher in der Zeile „surprized to hear sudden silence explode in ours ears“, alle C 73), was einem Zirkelschluss gleichkommt. Anspruchsvoller und für die Schüler: innen interessanter wäre es, ohne diese Hintergrundinformation über die Herkunft der Zeilen zu verfahren und sie ohne Umwege, entsprechend dem Aufgabenteil b), eigenständig entscheiden zu lassen, was die besondere stilistische Qualität der Formulierungen ausmacht: „decide what it is about the phrases [that makes them specific / that draws attention to them]“ (C 73, Ergänzung JM). Die nächste Doppelseite unter der Rubrik Words in Context, die regelmäßig in dem Lehrwerk auf das jeweilige „Lead-in“ folgt, richtet die Aufmerksamkeit auf „The power of the spoken word“. Hier wird in drei kurzen aufeinanderfol‐ genden Redaktionstexten (C 74) erstens auf das bühnentechnische Spezifikum der verbal / word scenery in frühneuzeitlichen Dramentexten hingewiesen, zweitens auf die Aktualität von Shakespeares Themen in der heutigen Zeit und drittens auf die scheinbare Nähe moderner Performance-Künstler zu Präsenta‐ tionsformen in der frühen Neuzeit (allerdings ohne historisierende Hinweis auf das Patronage-System und die Dichterzirkel / coterie). Diese Texte werden, laut Handreichungen, zuerst als Audio-File abgespielt und dann in Stillarbeit v. a. sprachdidaktisch erschlossen. Das übergeordnete Ziel ist die Information der „S[chüler: innen] über die Bedeutung des gesprochenen Wortes in Shakespeares Dramen bis in unsere Zeit hinein, in der Mündlichkeit eine zunehmende Rolle in der Lyrik spielt (vgl. Poetry Slams)“ (C-HRU 139). Für die Aufgaben, die zu diesen kurzen Texten zu finden sind, spielt der Inhalt kaum eine Rolle; statt‐ dessen werden Arbeitsaufträge erteilt, die die Sensibilisierung der Schüler für Shakespeares Sprache erhöhen sollen: So werden aus den Texten Kollokationen, phrasal verbs und Wortfamilien herausgearbeitet. Der letzte Arbeitsauftrag innerhalb dieser Rubrik besteht darin, die Schüler: innen eine Email verfassen zu lassen, in der sie ihren Korrespondenzpartnern darlegen, weswegen sie sich auf den Theaterbesuch und die dargebotene Shakespeare-Produktion freuen (oder auch nicht). Somit lässt sich bilanzieren, dass Context in das Unterrichtsmodul, das Shakespeares Werke schwerpunktmäßig in den Blick nimmt, mit einer gera‐ dezu homöopathischen Dosis dieses zentralen Inhalts einsteigt. Demgegemüber ist festzuhalten, dass nicht der alleinige Fokus der Unterrichtseinheit auf Shakespeare gerichtet ist, sondern auch auf die Entwicklung der Sprache und deren Wirkmächtigkeit. Der Akzent auf der gegenwärtigen Sprachstufe des Englischen erhöht das linguistische Differenzbewusstsein für die folgenden Arbeitsschritte. Es gibt in den Redaktionstexten verschiedene Hinweise auf Shakespeares kulturelles Erbe, aber eine inhaltliche Begegnung mit dem Werk 208 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced und der Sprache Shakespeares steht bis zu diesem Zeitpunkt noch aus. So betrachtet, ist die abschließende Zieltextformat-Aufgabe die Möglichkeit für die Lehrkraft, sich ein Stimmungsbild innerhalb der Lerngruppe darüber zu ver‐ schaffen, inwieweit die Basis für eine intensivere Auseinandersetzung zunächst mit „Shakespeare’s power of language“ geschaffen ist. Macbeth, 1.7. Vor der Hinwendung zur Szene selbst erhalten die Schüler: innen ein kurzes Fact File mit biographischen Angaben zu Shakespeare; ggf. kam dieses schon in Aufgabe 3 des „Lead-in“ zum Einsatz, als nach dem Orientierungswissen über Shakespeare gefragt wurde. Die Schüler: innen haben den Auftrag, entweder in Einzelarbeit (als Hausaufgabe) oder in Gruppenarbeit (im Klassenzimmer) den Inhalt eines der drei in den folgenden Modul-Seg‐ menten behandelten Dramen per Internetrecherche zu erfassen und kurze Zusammenfassungen davon zu formulieren; als Richtschnur wird dabei ein Umfang von 200 Wörtern gesetzt (vgl. C-HRU 141). Die Synopsen werden zu Beginn der Besprechung der einzelnen Szenen im Plenum vorgetragen; auf diese Weise findet eine schülerorientierte Kontextualisierung der jeweiligen Szene statt. Um darüber hinaus ein Unterrichtsgespräch im Klassenraum zu initiieren, formulieren die Schüler: innen jeweils zwei Fragen zu den beiden Stücken, deren Inhalte sie selbst nicht recherchiert haben (vgl. C 76). Mit diesem Verfahren bestätigt sich Merkls oben zitierte Kritik daran, dass im aktuellen Englisch-Unterricht nur mehr mittelbar der Inhalt von Shakespeares Dramen erarbeitet werde, ihnen aber der eigentliche („genuine“) Shakespeare vorenthalten sei (vgl. Merkl 2014: 67). Erneut zeigt sich an dieser Aufgabe, wie hoch der Stellenwert der ‚reinen‘ Kommunikation über einen beliebigen Gegenstand (Norm: CEFR ) im Vergleich zur Vermittlung bzw. Erarbeitung von inhaltlich fundiertem Wissen ist (vgl. Abschn. 1.3). In den Lehrer-Handreichungen steht im Zusammenhang mit dieser vorent‐ lastenden Aufgabe noch der Verweis auf das Context Workbook, in dem es ein Arbeitsblatt „A8 Reading for Analysis (Drama)“ gibt (C-WB 21-22), das den Schüler: innen zur (differenzierenden? ) Vorbereitung der folgenden Text‐ passagen im Schülerbuch dienen soll. Das Arbeitsblatt nimmt insbesondere die Kategorien setting und Figuren-Charakterisierung in den Blickpunkt, aller‐ dings an zwei Kürzestpassagen aus Alfred Uhry’s Driving Miss Daisy (1987) mit zwei Szenenfotos aus der Verfilmung. Anders als im Schülerbuch, wo Skill File No. 35 „Writing a Character Profile“ zumindest implizit zwischen direkter und indirekter, auktorialer und figuraler, Selbst- und Fremdcharak‐ terisierung unterscheidet (vgl. C 296), liefert das Workbook keine Hinweise dieser Art. Inwieweit dieses Arbeitsblatt sinnvoll auf die Textanalysen in Teil A des Shakespeare-Kapitels zielführend eingesetzt werden könnte, geht aus 209 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 57 Diese Einzelbeobachtung lässt sich leider an mehreren Details nachweisen; nicht nur die Lernenden werden durch das Workbook verwirrt, sondern auch die Lehrenden. So enthalten die HRU für den Aufgabenblock 1 „Comprehension“ einen Hinweis auf A18 im Workbook (vgl. C-HRU 136; korrespondierend mit C 77), das sich allerdings mit der Zusammenfassung nicht-fiktionaler Texte befasst (C-WB 43-44). Die korrekte Angabe wäre A 17 (C-WB 41-42), wo ein Passus aus Graham Gardners Roman Inventing Elliot (2003) für eine modellhafte Zusammenfassung angeboten wird. Die Schüler haben darauf zu achten, welche Informationen aus dem Quelltext in die Zusammenfassung einfließen - dabei fällt auf, dass wörtliche Rede generell nicht detailliert wiedergegeben wird, sondern der Akzent auf den diegetischen narrativen Text-Informationen liegt. Für die Zusammenfassung einer dramatischen Passage ist jedoch die wörtliche Rede das Wesentliche, so dass auch hier die Arbeit mit dem Workbook keine zielgerechte Verfestigung des prozeduralen oder methodischen Wissens erzielt. den Lehrer-Handreichungen nicht hervor - zumal im Schülerbuch direkt im Anschluss an die Passage aus der Macbeth-Szene ein „Focus on Skills: Reading for Analysis (Drama Extract)“ folgt (C 78), der in Aufgabenstellung und Vorge‐ hensweise thematisch sehr viel enger auf diese Passage abgestimmt ist. Damit bietet das Workbook keinen didaktischen oder inhaltlichen Mehrwert zum Thema, an dessen Anfang die Schüler: innen sich befinden. Es liegt auf der Hand, dass die Schüler: innen durch die Zuwendung zu einem Text der amerikanischen Postmoderne mit Fokus auf der segregation in Georgia und anderen Südstaaten von der Auseinandersetzung mit dem Fact File zu Shake‐ speares Biographie im Schülerbuch und mit dem folgenden Macbeth-Excerpt erheblich abgelenkt werden. Hinzu kommt, dass die Analyse-Kriterien, die darin behandelt werden, für die Analyse der nachfolgenden Shakespeare-Texte keine Rolle spielen: So gibt es weder im Macbeth-Exzerpt selbst Regieanweisungen noch in den redaktionellen Paratexten Hinweise aufs setting, oder eine Figure‐ naufstellung des Dramas (dramatis personae), wie sie anhand von Driving Miss Daisy in A8 vorgestellt werden. Dieses Arbeitsblatt erscheint demzufolge im Zusammenhang mit dem Shakespeare-Kapitel im Schülerbuch methodisch-di‐ daktisch deplaziert und inhaltlich dysfunktional. Sehr viel konstruktiver wäre demgegenüber schon hier ein Hinweis auf das Workbook-Blatt B21 „Analysing stylistic devices“ (C-WB 100-101), das eine Auswahl verschiedener phonetischer und semantischer Stilfiguren anhand einzelner Beispiele vermittelt und das so die Aufmerksamkeit der Schüler: innen auf die Literarizität der drei Textpas‐ sagen in Teilen A und B.1 des Shakespeare-Kapitels lenken könnte. Auf dieses Arbeitsblatt wird jedoch allein in Ergänzung zum genannten Focus on Skills verwiesen. 57 Mit den drei Szenen, deren ersten zwei den Teil A des Kapitels bilden und die letzte Teil B.1 definiert, wird der Kontakt der Schüler: innen zu Shake‐ speares Dramen erneut vor allem auf sprachlich-sprachgeschichtlicher denn auf 210 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced inhaltlicher Ebene hergestellt. Die Handreichungen formulieren die jeweiligen Groblernziele wie folgt: „Der Schwerpunkt des Parts [A] liegt auf genauem, analytischem Lesen, das die Augen der S[chüler: innen] für die nachhaltige Sprachkraft von Shakespeare öffnen soll.“ (C-HRU 141) In Teil B wird demgegen‐ über die Aufmerksamkeit auf die „Möglichkeiten der modernen Adaption und den damit gegebenen Vergleichsmöglichkeiten gelenkt. […] Skills-Schwerpunkt in diesem Kapitelteil ist die Analyse und Evaluation einer modernen, auf einem Shakespeare-Stück beruhenden Filmszene.“ (C-HRU 149, Herv.i.Orig.) Die erste Textpassage von 405 Wörtern Umfang, in der im Zuge dieser Unterrichtseinheit die Schüler: innen erstmals ‚Shakespeare‘ begegnen, setzt an dem Punkt ein, da Macbeth gerade zuvor den bekannten Monolog gesprochen hat, in dem er vielseitige Bedenken dagegen zum Ausdruck bringt, seinen King Duncan zu töten: „He’s here in double trust: / First, I am his kinsman and his subject, / Strong both against the deed; then, as his host, / Who should against his murtherer shut the door, / Not bear the knife myself.“ (Shakespeare 2001: 779) Lady Macbeth unterbricht ihn bei seinen zögerlichen Gedanken und fordert ihn im Zuge der im Schülerbuch abgedruckten Passage auf, den Mord um seiner eigenen Stellung willen zu begehen und dabei alle moralischen Bedenken in den Wind zu schlagen. Um die Schüler: innen an das frühneuzeitliche Englisch zu gewöhnen, werden nach einer Zusammenfassung des Textes und der Erarbeitung der unterschied‐ lichen Standpunkte beider Figuren zunächst die archaischen Sprachformen aus dem Dialog herausgefiltert. Hierzu erhalten die Schüler: innen eine weitere Info-Box mit einem Fact File (C 77), in dem die pragmatisch-funktionalen Unterschiede in der Verwendung der Anreden „thou“ und „you“ ebenso erläutert werden wie die archaische Morphologie von Verbflexionen in der zweiten bzw. dritten Person Singular (-(e)st bzw. -(e)th). Diese Formen werden in einem analytischen Aufgabenteil im Text besonders markiert; die Schüler sollen dabei auf den Wechsel der Anreden achten und ihn funktional vorm Hintergrund der Informationen im Fact File erläutern. Eine weitere Aufgabe richtet den Blick auf die Grammatik der Fragestellungen, die in dem Textpassus nicht, wie im heutigen Englisch zu erwarten, mit to do umschrieben werden: z. B. „Know you not he hath? “ (C 76, Z. 2) soll dann in modernes Englisch transformiert werden: „Don’t you know he has? “ (C-HRU 143). Die erste Begegnung der Schüler: innen mit Shakespeares Werken legt den Akzent auf die sprachgeschichtliche Dimension und erlaubt ihnen somit, eine Fremdheitserfahrung auf funktional-grammatischer Ebene zu erleben, um sie produktiv zu überwinden. Dieser pragmatische Zugang hilft dabei, auch die anschließenden Textpassagen leichter zu bewältigen, obwohl die größere Kom‐ 211 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 58 Auch Camden Town verwendet, allerdings nur in den Lehrerhandreichungen (vgl. CT-LHB 390), zur Veranschaulichung die lautmalerische Form, die zudem auch im Informationsvideo zum iambischen Pentameter auftaucht. Jedoch bleibt dort deutlich, dass dies lediglich als mnemotechnisches und onomatopoetisches Hilfsmittel dient, während die terminologische Integrität des Begriffs unbeschadet bleibt. plexität der Sprache auf den Ebenen von Bildlichkeit und Stil liegt. Dafür ist mit diesem Zugang die Möglichkeit geschaffen, die sprachliche Schwelle als eine hinreichend niedrige zu begreifen, weswegen die folgende Seite mit dem Focus on Skills in eine literarische Textannäherung übergehen kann. Hier werden die Schüler: innen angehalten, noch einmal die Passage auf ihre Form, Rhetorik (Stil und Bildlichkeit) sowie die Charaktere zu untersuchen. Analog zu den workshops in anderen Lehrwerken führt der Blick vom Metrum der Textpassage über stilistische Mittel und sprachliche Bilder zur Charakterisierung; erst darin kommen die zuvor entwickelten Fertigkeiten zur Geltung. In einem weiteren Fact File wird zudem der Blankvers erklärt, zunächst mit dem angemessenen technischen Vokabular („iambic pentametres“, C 78), dann lautmalerisch: „dah DUM“ ist in dem anschließenden Hinweis der Begriffsersatz, der die Fachter‐ minologie aushebelt: „Note: Shakespeare’s rhythm is varied, lively and never monotonous, because his characters are saying important things. That is why not all lines in the excerpt can be spoken in the ‘dah DUM’ rhythm.“ (C 78) 58 Nun gibt es kaum eine sicherere Methode, in Schüler: innen jeden Motivati‐ onsfunken für die Annäherung an einen lyrischen Text zu ersticken, als sie vor jeder inhaltlichen Bedeutungserschließung eine metrische Analyse daran durchführen zu lassen. Genau dies passiert aber mit dem Focus on Skills, in dem die Schüler: innen als erstes angehalten werden, den Streit des Ehepaars Macbeth metrisch zu untersuchen. Die Aufgabe 1 „Reading Aloud: The Rhythm of the Text“ macht jedoch eben keinerlei terminologische Unterscheidung zwischen festem Metrum und freierem Sprech-Rhythmus, wie die Teilaufgabe a zeigt: „Read the text aloud to get a feeling for its metre“ (C 78). „Rhythm“ und „metre“ werden hier - wie auch in Camden Town (s. o., Kap. 2.3.1) - synonym verwendet. Aufgrund der für Lernende keineswegs offensichtlichen Kontraktionen und Elisionen, mit denen im Mündlichen das geschriebene Wort moduliert und variiert werden kann, wird diese scansion der ersten 22 (von 53) Druckzeilen den Schüler: innen jedoch in der Regel schwerfallen und birgt demzufolge hohes Frustrationspotenzial. Dabei wäre ihnen schon damit geholfen, wie in allen handelsüblichen Shakespeare-Ausgaben, wenn solche Zeilen, die metrisch einen Langvers bilden, aber verschiedenen Sprechern zugeordnet sind, auch im Druckbild mit entsprechenden Einrückungen versehen wären. Bei dem im Schulbuch gedruckten Passus liegt diese typographische Hilfe jedoch nicht vor: 212 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced M A C B E T H : Hath he asked for me? L A D Y M A C B E T H : Know you not he has [sic]? (C 76, Z. 2-3) Schon in M.H. Abrams Glossary of Literary Terms wird die seltene Möglich‐ keit einer ‚objektiven‘ Bestimmung des Metrums hervorgehoben: „There is considerable dispute about the most valid way to analyze and classify English metres.“ (Abrams 1999: 160) Die im Lehrwerk abgedruckten Passagen geben ein anschauliches Beispiel dafür: Die syllabischen Akzente werden hier nicht als regelmäßig gesetzte erkennbar und die Lehrer-Handreichungen beschreiben beide Repliken als „Half a line, first syllables spoken as one“ für den ersten Teil und „Completing half; begins with a stressed syllable“ für den zweiten (C-HRU 144, Lösungstabelle zu Aufgabe 1). Abgesehen von der Unmöglichkeit, die ersten (beiden? ) Silben tatsächlich als eine einzige auszusprechen, ließe auch eine Omission des Aspiranten in „he“ (= „hath’e“) den Wortakzent auf der ersten Silbe ruhen; zudem wird man „asked“ zum Satzakzent „ask’d“ zusammenziehen müssen, während das „for me“ mit deutlich verringertem Silbenwert verschliffen auszusprechen wäre („fə ´mɪ: “). Kurz, beide Halbzeilen addieren sich nicht zum Blankvers. Einfacher, da offensichtlicher für die Schüler: innen zu erkennen bzw. zu markieren wäre dies im Druckbild mithilfe von Akzenten: M A C B E T H : Háth he ásk’d for mé? L A D Y M A C B E T H : Knów you nót he háth? (Shakespeare 2000: 779; MAC 1.7.29-30; Akzente hinzugefügt) Auch die anschließende Aufgabe 2a „Read Lady Macbeth’s speeches and identify which form of punctuation appears a lot“ (C 78) dürfte wenig Begeisterung für Shakespeares Werke und ihre Sprache wecken, zumal hier zu beachten ist, dass die Interpunktion der Texte in verschiedenen Ausgaben variiert und durch editorische Eingriffe (Emendationen) immer wieder verändert worden sind: Der Auftrag ist somit für Schüler: innen gar nicht sinnvoll zu bearbeiten. Es stellt sich hier zum einen die grundsätzliche Frage, welchen Zweck ein solch formalistischer Zugang zum Text überhaupt in einer solch frühen Unterrichts‐ phase erfüllen soll, wenn es diesem an schülerorientierter Authentizität und Bedeutsamkeit mangelt? Zum anderen mag man sich als Lehrkraft die Frage stellen, ob man sich mit den Schüler: innen auf den von Abrams angesprochenen Disput einlassen möchte; immerhin können sie mit einem hohen Berechtigungs‐ grad auf ihre eigene subjektive Leseleistung verweisen. Die Bestimmung des Metrums stellt sicherlich, relativ betrachtet, eine fortgeschrittene Kompetenz im Umgang mit dramatischen oder lyrischen Texten dar, doch sollte sie keinem Selbstzweck dienen oder nur mit Hinweis auf die Prüfungsrelevanz gerechtfer‐ tigt werden. Insbesondere in einem kontrastiven Zusammenhang ließe sich 213 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? nämlich die Wirkmächtigkeit des Metrums plausibel vermitteln, wenn gebun‐ dene und nicht gebundene Sprache (Metrum / Prosa) nebeneinanderstehen und dadurch augenfällig sind. In einer solchen Gegenüberstellung wäre auch eine dramatische Kategorie wie die neoklassizistische Ständeklausel anhand der Konfiguration einer Szene zu begründen. So wäre die Funktion der Verwendung eines Versmaßes den Schüler: innen sinnvoll darzustellen, es bedürfte dazu aber der Lektüre mindestens einer weiteren Beispielszene wie die „Porter“-Szene (Akt 2.3) in der Mordnacht als Vergleichsgegenstand. Im Zusammenhang der ausgewählten Passage aus Macbeth hat dieser Ar‐ beitsschritt jedoch nur einen schülerfernen Selbstwert. Wichtiger erschiene zu diesem frühen Zeitpunkt der Annäherung an Shakespeare, den Schüler: innen die inhaltliche, bildliche Sprachgewalt der ausgewählten Textpassagen zu ver‐ mitteln, wie sie mit den Analyse-Kategorien imagery und situationsbezogener characterisation sehr viel schneller zu motivierenden Erfolgserlebnissen geführt werden können (vgl. C 78 sowie die dort eingefügten Querverweise auf die entsprechenden Skill Files No. 20 „Analyzing Drama“ bzw. No. 35 „Writing a Character Profile“ (vgl. C 271-272 bzw. 296-297). Denn in diesen Schritten geht mit der Bestimmung der jeweiligen Textphänomene und deren Deutung ein hoher sprachlicher wie kognitiver Erkenntnisgewinn einher, der von der Lehrkraft am Ende einer solchen Analyse entsprechend positiv hervorgehoben werden kann. Dies erzeugt in der Regel eine höhere Motivation bei den Schüler: innen als das scheinbar willkürliche Setzen von metrischen Regeln und deren Ausnahmen in einer metrical scansion. King Richard III, 1.2. Die zweite Szene von 660 Wörtern Umfang, in der die Schüler: innen mit Shakespeares Sprache konfrontiert werden, enthält die zynische Werbung Richards, Duke of Gloucester, um die trauernde Lady Anne am Grab ihres Ehegatten, des gestürzten Königs Henry VI, der durch Richards Hand ermordet wurde. Ihr Hass stellt kein Hindernis für ihn dar, sie in einer geradezu perversen Gefühlsspielerei weich zu stimmen: Richard bezeichnet dieses Wortgefecht als „keen encounter of our wits“ (PA 79, Z. 18; entspr. Shakespeare 2000: 705; R III 1.2.119). Die Schüler: innen wenden sich nach einer kurzen Inhaltserfassung der Analyse rhetorisch-stilistischer Details zu: Zunächst soll untersucht werden, wie die beiden Kontrahenten in ihrem combat of wit einzelne Sprachbilder voneinander aufgreifen; danach sind diese mithilfe der Randanmerkungen und des Kontextes zu erklären. Ob hierbei mehr als ein Katalog von Text-Paraphrasen mit einzelnen Bildern entsteht, ist fraglich; zudem fordert eine support-Seite im Anhang (C 206) die Schüler: innen lediglich dazu auf, eine Assoziationskette zu ihren Beziehungen zu bilden („mental images“), statt die Bilder funktional zu deuten und ihr Sinnangebot zu erfassen. 214 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Anspruchsvoller wird die anschließende Aufgabenstellung, in der die Schüler: innen mit konkreten Formulierungen einerseits die Überredungskünste Richards und andererseits ihre Wirkung auf Anne belegen sollen; schließlich wird der theatralische Höhepunkt der Szene ebenfalls wirkungsästhetisch untersucht: „Explain the effect of Gloucester offering Lady Anne his sword to kill him on the spot.“ (C 81) Wie zuvor anhand der Szene aus Macbeth wird nach der Figuren-Charakterisierung Richards und Annes die Aufmerksamkeit auf die von ihnen verwendeten Anredeformen gerichtet, so dass in (fast) allen zuvor erarbeiteten Bereichen die zuerst gewonnenen Erkenntnisse und Kompetenzen vertieft und erweitert werden. Die Erwartungshorizonte, die in den Handreichungen zu diesen Aufgaben formuliert sind, stimmen in der Reihenfolge nicht miteinander überein, zudem ist das Modell für die Lösung der Charakterisierungsaufgabe (Nr. 5 in C, Nr. 6 in C-HRU) dahingehend enttäuschend, als sie keine der Kriterien, die im Skill File 35 „Writing a Character Profile“ veranschaulicht werden, terminologisch anwendet. Der Lösungsvorschlag lautet wie folgt: Gloucester’s wooing reveals: he’s not a person who uses words well, he usually says the wrong thing, which annoys her. In the face of her emotions, he must remain calm. When his words fail, he offers to let her kill him. à He’s more a man of action than of communication; in the end successful. Lady Anne is more emotional: confronted by the murderer of her husband and his father; twists everything he says against him; wants revenge, says he would tear out her beauty and kill him, but does not act. Her words = anger, not plans. Lady Anne’s only action: spits on him. à Gloucester has power and she has none. (C-HRU 148, Herv.i.Orig.) Richard als Mann der Taten eher als der Worte zu charakterisieren ist aus Sicht des gesamten Textes geradezu abenteuerlich und ignoriert sein sicherstes Mittel zum politischen Ziel seiner Machtergreifung: Ist es doch gerade seine Fähigkeit, Gegner richtig zu ‚lesen‘ und rhetorisch scheinbar auf sie einzugehen, die ihn so erfolgreich in seinen Manipulationen ganz unterschiedlicher Figuren werden lässt. Anne ist in (aus moderner psychologischer Sicht verständlich) emotionalem Aufruhr, als der Mörder ihres Mannes die Dreistigkeit besitzt, sich ihr - ins Trauerkleid gehüllt - auf diese Weise anzubiedern. Die melodra‐ matische Schwertszene ist kein Beweis eines Eingeständnisses in seine verbale Ohnmacht, sondern setzt seinem Schauspiel lediglich die Krone auf. Es zeigt sich auch an diesem Beispiel, dass eine zwar paradigmatische, aber doch isolierte Textstelle zu wenig ist, um Figuren einem Werk angemessen charakterisieren und einschätzen zu können. Eine zur Vorsicht gemahnende Relativierung der Lösungsvorschläge fehlt aber in den Handreichungen, so dass die Gefahr für die 215 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? Lernenden besteht, eine verzerrte Sichtweise auf die Figur zu erhalten. Zu lösen wäre dieses Problem, indem eine weitere Textpassage ein abgerundeteres Bild generieren könnte, wie im Folgenden dargelegt werden soll. Der Lösungsvorschlag in den Handreichungen liefert über die angesprochene Problematik hinaus nur wenige Ansätze zu einer Charakteranalyse, wie sie unter erneuter Zuhilfenahme des Skill File No. 35 zu erwarten wären. Zunächst ist auf dessen Basis eine Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Charakterisierungstechniken herzustellen: Benannt werden im Grunde ledig‐ lich indirekte Merkmale, die aufgrund „language, attitude, behaviour, [and] relationships to other characters“ (C 296; Herv.i.Orig.) aus dem Text abzuleiten sind. Verzichtet wird jedoch auf die Bedeutung der zuvor herausgearbeiteten direkten, oft bildhaften Charakterisierungen, wie v. a. Anne sie auf Richard abfeuert und die nicht nur seinem Verhalten, sondern auch seinem abstoßenden Äußeren geschuldet sind: z. B. Metaphern aus dem realen Tierreich, vorzugs‐ weise mit Arten geringen Ansehens, wie „hedgehog“ (C 79, Z. 3), „toad“ (C 80, Z. 55), oder aus der Mythologie („basilisks‘ [eyes]“, C 80, Z. 58). Diese Beleidigungen, diametral gespiegelt in Richards heuchlerischem Respekt gegen‐ über Anne („gentle Lady Anne“, C 79, Z. 17; „fair creature“, Z. 35) und seiner Verachtung für den besiegten Rivalen (z. B. „[Henry VI] was fitter for that place [i.e. heaven] than earth“, Z. 8), sind ihrerseits als Fremdcharakterisierungen zu klassifizieren, während einzelne Repliken der beiden Figuren in dieser Szene ihr eigenes Selbstbild offenlegen. So wehrt Anne sich gegen die bloße Vorstellung von Richards Vorstoß, ihr beizuschlafen, mit den Worten: „If I thought that, I tell thee, homicide, / These nails should rend that beauty from my cheeks.“ (Z 28-29) Um eine Selbstcharakterisierung von einer Fremdcharakterisierung deutlich zu unterscheiden, bietet sich an dieser Stelle der Einsatz von Richards Monolog zu Beginn des Dramas an, in dem er selbst seine charakterliche ‚Widernatürlich‐ keit‘ und physische Deformation als vorgegebenes Naturell in eindrucksvollen Worten beschreibt: […] I, that am not shaped for sportive tricks, Nor made to court an amorous looking-glass; I, that am rudely stamp’d, and want love’s majesty To strut before a wanton ambling nymph: I, that am curtail’d of this fair proportion, Cheated of features by dissembling Nature, Deform’d, unfinish’d, sent before my time Into this breathing world scarce half made up - And that so lamely and unfashionable 216 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced That dogs bark at me, as I halt by them - Why, I, in this weak piping time of peace, Have no delight to pass away the time, Unless to spy my shadow in the sun, And descant on mine own deformity. And therefore, since I cannot prove a lover, To entertain these fair well-spoken days, I am determined to prove a villain, And hate the idle pleasures of these days. (Shakespeare 2000: 703; R III 1.1.14-31; Herv. JM: kursiv = physisch; unterstrichen = charakterlich ) Mit einer Materialsammlung und der Auflistung von Fundstellen auch zur äu‐ ßeren Charakterisierung Richards, die aus der im Schülerbuch zitierten Passage weniger deutlich hervorgeht (aber eine unmittelbare Motivation für Annes Beleidigungen darstellt), wäre in einem zweiten Schritt mit deren Auswertung zu beginnen: Diese könnte in einen Interpretationsaufsatz überführt werden, in dem die verschiedenen Einsichten in die Figurenzeichnung mit Zitaten aus dem Text zu unterlegen sind (vgl. die Hinweise zur Strukturierung eines solchen Aufsatzes in Skill File No 35, C 297). Es zeigt sich somit, dass dieses Skill File sehr viel mehr terminologisch fixierte Analysekriterien aufstellt, als dies durch den oben zitierten Lösungsvorschlag der Handreichungen reflektiert wird. Die dort präsentierten Informationen geben der Lehrkraft keine sichere Handhabe für eine kriteriengelenkte Erarbei‐ tung und Bewertung der learning outcomes, die die Schüler: innen mit Hilfe des Skill File produzieren, und umgekehrt sind die skizzenhaften Charakterisie‐ rungen in einer solch verzerrenden Weise formuliert, dass sie den Schüler: innen ebenso wenig als Modell dienen können, um eine dem Plot angemessene Aus‐ sage über die Figurenkonstellation in der Szene zu treffen. Wie sich schon an frü‐ heren Beispielen gezeigt hat, wird auch im hier kritisierten, relativ ausführlichen Lösungsvorschlag auf jede Form von terminologischer Präzision, geschweige denn Klassifizierung verzichtet. Stattdessen sollen die Schüler: innen die beiden Figuren in mehr oder minder alltagssprachlicher Weise beschreiben - und zwar, obwohl im relevanten Skill File 35 des kompetenzorientierten Anhangs die erforderliche Terminologie weitgehend schlüssig und anschaulich eingeführt wird. Die abschließende Aufgabe zur Analyse der abgedruckten Textpassage akti‐ viert die Schüler: innen auf einer kreativen Handlungsebene; sie bildet somit ei‐ nerseits einen willkommenen Kontrapunkt zu der vorangegangenen intensiven Textarbeit an den zwei Passagen aus Macbeth und Richard III und schlägt ande‐ rerseits eine gelungene Brücke zur Arbeit an dem dritten Textauszug, in dem 217 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? die performative Seite von Shakespeares Werken anhand der Verfilmung von The Taming of the Shrew (Regie: David Richards) aus der ShakespeaRetold-Mi‐ niserie (BBC 2005) beleuchtet wird. Zuvor sollen die Schüler: innen jedoch in Dreiergruppen Möglichkeiten erarbeiten, wie die Werbungsszene aus Richard III zu spielen sein könnte - unter Einsatz von „appropriate emphasis and gestures“ (C 81). Ein: e Schüler: in tritt dabei als Regisseur: in in Erscheinung und soll die anderen beiden bei der performativen Umsetzung als Darsteller: innen anleiten: „Die Funktionen innerhalb der Gruppe können in der Übungsphase mehrfach wechseln, bis eine zufriedenstellende Lesung erarbeitet worden ist.“ (C-HRU 148) Der Reiz dieser Aufgabe liegt darin, die gewonnenen Erkenntnisse über die Figuren aus der Textanalyse in eine szenische Lesung oder ein darstellendes Spiel zu übertragen; zugleich bedeutet eine solche Aufführung die Übersetzung der kriteriengelenkten Analyse in einen darüber hinausgehenden performativen Interpretationsansatz - hier gehen möglicherweise die individuelle kognitive Leistung der Schüler: innen und ihr kreativer Umgang mit der Textvorlage eine glückliche Synthese ein. Wiederum günstig für die Vorbereitung dieser Aufgabe ist es daher, den Schüler: innen auch die oben zitierte umfangreiche Selbstbeschreibung Richards in der ersten Szene des Dramas zugänglich zu machen. The Taming of the Shrew, 2.1. Teil B des Context-Moduls steht unter der Überschrift “Shakespeare’s Words Updated” und wendet sich verschiedenen Modernisierungen von Shakespeares Werken zu. Dieses Unterrichtssegment fällt wiederum in zwei Teile; davon ist der erste die sprachlich akzentuierte Annäherung an einen dramatischen Textpassus und dessen Verfilmung in Abschnitt B1, während B2 sich dem Sonett 116 und dessen moderner Spiegelung zuwendet. Als übergeordnetes Thema sind hier also verschiedene Verfahren der adaptation zu identifizieren: im einen Fall die transmediale und stofforientierte (vom Dramentext in Filmcode, vgl. Henseler/ Möller/ Surkamp 2011: 235), im an‐ deren Fall die intertextuelle (Systemreferen (Sonett-Form) mit nicht-markierter Einzelreferenz (Thema), vgl. Broich/ Pfister 1985). Nicht allein die filmanalyti‐ schen Kompetenzen werden hier in den Vordergrund gestellt, sondern auch zum Textvergleich wird angeregt. Denn neben dem naheliegenden Vergleich der beiden Sonette in B.2 unter dem Aspekt „Liebe“ liegt zusätzlich auch der thematische Rückbezug auf A.2 (die Werbungsszene in Richard III) und B.1 (die Werbungsszene in Taming of the Shrew) im Bereich der Möglichkeiten. Die Handreichungen zeigen den thematischen Bezug in der Werbungsszene zwischen Petruchio und Katharina zu ihrem Äquivalent in Richard III auf, inso‐ fern „es auch hier um Brautwerbung gegen den Willen der Frau geht. Allerdings ist der Ton leichter, es geht eher um ein Machtspiel zwischen Mann und Frau 218 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced als um Gefühle wie Hass oder Liebe“ (C-HRU 149). Der auf 52 Zeilen gekürzte Textausschnitt (437 Wörter) wendet sich Petruchios dominanter Rede und den gelegentlichen Repliken der Katharina so zu, dass zwei recht eng miteinander verwandte kreative Aufgaben am Anfang („Comprehension“) und am Ende („Beyond the Text“) der Auseinandersetzung mit der Passage stehen. Aufgabe 1 „Understanding the dialogue“ ist allerdings mit einer Neigungsdifferenzierung für die Schüler: innen verbunden; d. h. sie dürfen wählen, ob sie den Passus (a) in Form einer Bildergeschichte („a cartoon or a comic strip“) wiedergeben oder (b) ihn, gekürzt, in modernes Englisch übertragen. Auf diese Weise wird im Aufgabenteil (1a) den visuell geprägten Schüler: innen die Möglichkeit zu geben, ihr Verständnis des Passus darzustellen; diejenigen, die eher kommunikativ ver‐ anlagt sind, können dies in ihrer ‚Strichfassung‘ tun, die die unterschiedlichen Repliken auf eine stilistisch von allen rhetorischen Feinheiten entlastete Version verkürzt. Der Lösungsvorschlag der Lehrerhandreichungen hierzu lautet wie folgt: Petruchio: You’re Kate, I hear. Katharina: That’s Katharina to you. Petruchio: I think you’re Kate, and I’ve come to tell you I want to marry you. Katharina: Go away! I wouldn’t think of marrying somebody like you! (She strikes him.) Petruchio: You’d better not try that again, or I’ll hit you back! Katharina: Now that would show what kind of gentleman you are! Petruchio: I was told that you were disagreeable, but you’re not at all, you’re nice! And I’m absolutely sure that we’ll get married. (C-HRU 144, Herv.i.Orig.) Als Illustration des kommunikativen Austauschs zwischen beiden Figuren mag diese Lösung ein hinreichendes und aussagekräftiges Mittel sein; jedoch wird die stilistische Qualität des dramatischen Textes der heutigen Alltagsprosa untergeordnet, so dass auch seine Literarizität schwindet. Für die Sicherung des Textverständnisses ist dieses Vorgehen angemessen; als spezifisch ästhetisch geformtes, literarisches Konstrukt wird demgegenüber der Text an dieser Stelle nicht weiter gewürdigt. Dies gilt auch für die anderen Aufgaben, die ihrerseits darauf abzielen, die Kernideen der Aussagen zwar zu verdeutlichen, aber stets unter dem Blickwinkel der Vereinfachung und Dekontextualisierung (besonders gilt dies, wie unten zu zeigen sein wird, für Aufgabe 3). Mit Aufgabe 2 („Compare the way Petruchio woos Katharina to the way Richard woos Anne […]. Evaluate what each man reveals about himself and how effectively they each use words to achieve their aims“, C 83) springt das Niveau von AFB I (Verständnis) zum AFB III (Evaluation), ohne einer echten 219 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? Analyse bzw. textnahe Interpretation Raum zu geben, insofern es sich bei den verwendeten Operatoren um post reading-Aktivitäten handelt. Petruchio’s ‘wooing’ of Katharina clearly shows that he does not take her seriously, and that all he wants is for her to give in to him. Katharina has never heard of him before, and so has very little sympathy for his attempts to woo her. Compared to that, Gloucester’s wooing of Anne is a far more serious affair: Anne’s doesn’t want to marry Richard because she hates him for killing her husband. She is the one who twists words around in this dialogue; Richard shows he can play the same game, while at the same time trying to appease her: he actually wants to win her over, even if his reasons have nothing to do with love. → his wooing will probably be more successful. (C-HRU 144, Herv.i.Orig.) Petruchios Antrag ist geradezu eine Parodie dessen, was eine spätmoderne, post‐ romantische Leserschaft mit ihrem affektiven Begriff von gegenseitiger Liebe versteht. Shakespeares Zeitgenossen erkannten darin hingegen primär eine Bre‐ chung des Petrarkismus, der sich seit dem mittelalterlichen Minnesang und mit der italienischen Sonett-Tradition durch seine Vielzahl von stilistischen Mitteln als literarische Konvention auch in England etabliert hatte: Ein üblicherweise unerreichbares Ziel ist dabei, dass der männliche Sprecher die gesellschaftlich höherstehende weibliche Adressatin von seiner Zuwendung überzeugt und diese sich auf ihn einlässt. In der affirmativen Ausgestaltung eines solchen Spiels wird die gelobte und in ihrer Schönheit gepriesene, aber gefühlskalte Adressatin auf den Werbungsversuch prinzipiell abschlägig antworten; in der frühneuzeitlichen anti-petrarkistischen Variante, die mit der Szene vorliegt, macht der Sprecher sich über die Unzulänglichkeiten der nunmehr mit nega‐ tiven Attributen beschriebenen Angesprochenen lustig, nicht ohne sich am Ende doch zu ihr zu bekennen (wie z. B. in Shakespeares Sonett No. 130). Zwar liegt in den Redeanteilen Petruchios, denen ein Element wie ein regelge‐ rechter Schönheitskatalog (blazon) fehlt, kein ‚schulbuchmäßiger‘ (Anti-)Petrar‐ kismus vor, deutlich bedient sich der Sprecher aber des euphuistischen Stils, den Shakespeares Vorgänger John Lyly in den 1570er Jahren zunächst mit seinem Prosa-Werk Euphues geschaffen hat. Der darin verwendete manieristische Stil ist von Vergleichen, Gegensätzen, Wiederholungsfiguren, Aufzählungen sowie einer sehr verschachtelten Satzstruktur und einem hohen Grad an rhetorischer Ironie geprägt, die auch sich an Petruchios Sprache nachweisen lassen: 220 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 59 Bei dem Austausch zwischen Richard und Anne um einen sehr ernsthaften combat of wit, den üblicherweise derjenige mit der besten Geistesgegenwart gewinnen wird. Gerade dieser wit Annes lässt sie ihm gegenüber lange standhaft erscheinen - und erst als Richard erkennt, dass er sie mit Worten nicht überzeugen kann und sie weiterhin ihre ursprüngliche Ablehnung zum Ausdruck bringt, mahnt er sie: „Teach not thy lips such scorn, for they were made / For kissing, lady, not for such contempt“ (C 80, Z. 67-69). In der Folge wechselt er aus einem verbalen Code in einen gestischen und bietet Anne wiederholt an, an ihm mit seinem eigenen Schwert Rache zu nehmen; wohlwissend, dass sie dies nicht tun wird. For thou art pleasant, gamesome, passing courteous, Akkumulation But slow in speech, yet sweet as spring-time flowers: Antithese Thou canst not frown, thou canst not look askance, Parallelismus Nor bite the lip, as angry wenches will, Anapher, Vergleich Nor hast thou pleasure to be cross in talk, Paradox But thou with mildness entertain’st thy wooers, Antithese, Ironie With gentle conference, soft and affable. (C 82, Z. 34-40; Herv.+Kommentar JM; vgl. Shakespeare 2000: 1053; TotS 2.1.240-246) Tab. 18: Rhetorische Stilmittel in Petrucchios Werberede an Kate Die wenigen Hinweise auf diese kultur- und literaturgeschichtlichen Tradi‐ tionen zeigen schon, wie ähnlich - bei allen inhaltlichen Unterschieden - die beiden Werbungsversuche des wettbegeisterten Petruchio in der Komödie und des machthungrigen, intriganten Politikers Richard im Historienspiel sind. Es ist dieser strategische Umgang mit rhetorischem, emotionalem, moralischem und physisch-psychischem Exzess, der die beiden Protagonisten erfolgreich sein lässt - Richard schon im Zuge ‚seiner‘ Szene, 59 Petruchio im Laufe der Handlung. Es ist nun sicher nicht notwendig, dass im fremdsprachlichen Oberstufen‐ unterricht detaillierte Informationen über solch sprachlich komplexen literari‐ schen Traditionen wie Petrarkismus oder Euphuismus eingeflochten werden; was aber - nicht zuletzt im Sinne einer Ausbildung eines literarisch informierten Sprachbewusstseins - ins Zentrum rücken könnte, sind die Konzepte des Sprachwitzes und der Geistesgegenwart (pun / wit), die in beiden Textpassagen eine zentrale Rolle spielen. Daher ist es wenig zielführend, allein aus funk‐ tional-grammatischer Sicht den Dialog zwischen Petruchio und Katharina zu analysieren, wie es der anschließende Aufgabenkomplex 3 „Playing with words“ in Bezug auf Zeilen 7-31 verlangt: „3a: […] Describe the changes in meaning, grammar or form that occur to certain words“ (C 83) und wie die Handrei‐ chungen es vorschlagen: „[Die] L[ehrkraft] sollte [die] S[chüler: innen] daran erinnern, dass es sich hier um eine Übung zur Sprachbewusstheit handelt, bei 221 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? der inhaltliche Interpretationen wie in Aufgabe 2 keine Rolle spielen.“ (C-HRU 145) Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Schüler: innen bis hierher in lediglich sehr begrenztem Maße angehalten werden, sich auf die inhaltliche oder wirkungsästhetische Seite des dramatischen Texts zu konzentrieren. Anstelle einer weiterführenden analytischen und dann hermeneutisch verfahrenden Auseinandersetzung mit naheliegenden gender-Implikationen erstellen die Ler‐ nenden einen Vergleich zur Werbeszene in Richard III und werden dann vor jeder Möglichkeit zur Formulierung eines Deutungsansatzes in eine „Übung zur Sprachbewusstheit“ überführt. Gerade der Akt des Interpretierens als dem Zwischen-den-Zeilen-Lesen ist aber in einer Aufgabe, die sich so sehr dem Sprachwitz mit seiner Viefalt von semantischen Konnotationen und pragmatischen Vieldeutigkeiten zuwendet, von hoher Relevanz - ein Aspekt, der in den Handreichungen jedoch weitge‐ hend marginalisiert wird. Denn Sprachwitz in diesen Shakespeare-Dialogen dient auch keinem selbstreferentiellen, rein sprachlichen Zweck, sondern dazu, die Charaktertiefe der jeweiligen Figur durch ihre linguistische performance auszuloten und um ihre Einstellungen wie Heiterkeit, Überlegenheit, Zynismus, Sarkasmus und Ironie an Profil gewinnen zu lassen. Die Aufgabe wäre also durch eine (auf die Situation bezogene eher als verallgemeinernde) Charakterisierung noch erweiterbar und könnte den Eindruck, der mit der in Modul-Segment A.1 erfolgten Analyse von inneren und äußeren, direkten und indirekten Merk‐ malen erarbeitet worden war, anhand zusätzlicher textlicher (und sprachlich be‐ legbarer! ) Details vertiefen. Erneut zeigt sich somit an diesem Aufgabenbeispiel, wie zum einen die literarische Qualität des Ausgangstextes vernachlässigt und zum anderen eine wichtige Text-Kompetenz, die Charakterisierung, innerhalb des Moduls nicht hinreichend ausgebaut wird. Aufgabe 4 „Modernizing the play“ geht in ihrer Zweiteilung über den ersten Arbeitsauftrag um einiges hinaus, denn hier sollen die Schüler: innen entweder ein passendes setting entwerfen und aus dem Text solche Informationen her‐ vorheben, die für ihre Inszenierung wichtig sind. Oder sie sollen, als „Challenge“ markiert, ein Storyboard für die gerade entworfene Szene entwerfen. Es zeigt sich in diesen beiden Aufgaben 1 und 4 insgesamt also das deutliche Bemühen um die Integration unterschiedlicher Lerntypen in die Erarbeitung des Textes, die durch derartige Visualisierungen wie in 1a) und 4b) angesprochen werden und die gegenüber der sehr kognitiven textzentrierten Auseinandersetzung in den beiden Textpassagen (aus Macbeth und Richard III) und in den Aufgaben 2 und 3 zu The Taming of the Shrew eine holistische Kompensation darstellen. Gleichwohl wird die Neigungsdifferenzierung aus Aufgabe 1 in Aufgabe 4 einer Leistungsdifferenzierung gegenübergestellt, insofern die Visualisierung 222 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 60 So taucht Lady Macbeth aus ihrer krankhaften Machtgier in den Wahnsinn ab, und ihr Einfluss auf ihren Mann verschwindet mit fortschreitendem Handlungsverlauf, bis ihr Tod vermeldet wird. Katherina verwandelt sich von einer shrew in eine Frau, die - im Gegensatz zu ihrem forschen Auftreten in der im Lehrbuch abgedruckten Szene - am Ende des Stücks einer natürlichen Unterordnung des weiblichen Geschlechts gegenüber dem männlichen das Wort redet, so besonders deutlich in diesen (ihrerseits in ihrer Absolutheit zu hinterfragenden) Zeilen: „Thy husband is thy lord, thy life, thy keeper, Thy head, thy sovereign; one that cares for thee, And for thy maintenance; […] Such duty as the subject owes the prince Even such a woman oweth to her husband. And when she is froward, peevish, sullen, sour, What is she but a foul contending rebel, And graceless traitor to her loving lord? “ (Shakespeare 2000: 1069; TotS 5.2.147-161) über das Storyboard einer möglichen Inszenierung den stärkeren Schüler: innen anheim gestellt wird, während die schwächeren sich den diskursiven Aspekten einer szenischen Umsetzung zuwenden sollen: dem setting, dem casting und drafting (dem Erstellen der Strichfassung des Textes, vgl. C-HRU 146). Die Frage, die sich hierbei stellt, ist die nach der Vergleichbarkeit der beiden Arbeitsaufträge. Denn die Visualisierung erfordert zwar ein ausdrucksvolles zeichnerisches, aber nicht notwendigerweise im selben Maße sprachliches Formulierungsgeschick, wie es für die Bearbeitung der Komplementäraufgabe erforderlich ist. Vollkommen ausgeblendet wird mit der Herangehensweise des Lehrbuchs und der Fokussierung auf lediglich eine einzelne Szene, die repräsentativ für das jeweilige Stück zu sein hat, dass die beteiligten Figuren ganz unterschiedliche charakterliche Veränderungen durchlaufen. 60 Die anschließenden Aufgaben wenden sich mit einem Focus on Skills „Eva‐ luating a Modern Shakespeare Adaptation“ (C 84) der BBC-Verfilmung des Regisseurs David Richards (2005) zu; im Besonderen der Entsprechung der oben besprochenen Dialogszene. Shirley Henderson als Katharina und Robert Sewell als Petruchio dominieren die Szene, die zunächst in einem Korridor zu einer Etagenwohnung und dann in einem defekten Lift mit verklemmten Türen spielt. Sie endet damit, dass die Tür sich endlich doch Parterre zum Foyer des Gebäudes öffnen lässt. Im Zuge einer vorentlastenden Aufgabe werden die Schüler: innen before viewing angehalten, über mögliche Modernisierungs-Strategien zu spekulieren, die diese Verfilmung in der Darstellung dieser Szene anwendet - sie sollen dies auch im Rückgriff auf die Lösungsansätze zur leistungsdifferenzierten Aufgabe tun, die den Endpunkt der Auseinandersetzung mit der Vorlage des Shakespeare-Textes bildet Für die Schüler: innen, die sich für die Alternative 223 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? entschieden hatten, kann dies eine Erschwernis darstellen. Die Illustration aus einer modernisierenden Theaterproduktion, die dem Textausschnitt beiseitege‐ stellt ist (C 82), gibt zumindest einen visuellen Impuls für alle, aus dem sich wichtige Modernisierungs-Kategorien wie Sprache, Gestik/ Mimik, setting und Kleidung ergeben. Im Anschluss an diese Vorentlastung verfährt Context mit dem clip-approach, bei dem eine einzelne, in ihrer Dauer überschaubare Szene zur Diskussion steht. Es handelt sich um das filmische Korrelat zur gerade behandelten Braut‐ werbung. Die Szene von knapp fünf Minuten Länge wird zunächst ohne Tonspur gezeigt, so dass die Schüler: innen das Augenmerk auf setting und mood, die Ortssymbolik und auf die Mimik, Gestik und Körpersprache der Schauspieler richten sollen. Auf diese Weise richtet sich der Blick auf die Semiotik des visuellen Codes in dieser Szene: „From what we see, the woman seems to be full of anger and bitterness, while the man is relaxed and jokey“ (C-HRU 148). In einem zweiten viewing, nun mit Ton (und für die Schüler: innen zum erleichterten Hörverständnis mit einem Transkript des Dialogs aus der zum Lehrwerk gehörigen Video-DVD), geht es einerseits um den Film-Dialog, der mit den zuvor erarbeiteten Ergebnissen aus Shakespeares Drama verglichen wird, und andererseits um die Effekte der musikalischen Untermalung. Beim dritten und letzten Anschauen wird die Kameratechnik mit den verschiedenen Einstellungen und Schwenks untersucht und in einem viewing log festgehalten. Die Schüler: innen erhalten dazu den Hinweis auf das Skill File 23 „Analyzing a Film“ (C 276-277) bzw. auf das Workbook A11 (C-WB 27-28); in beiden Hilfsmit‐ teln sind die (möglichen) Bedeutungskonventionen von Kameraeinstellungen (Winkel, Fokus, Bewegung) erläutert. Die letzte Aufgabe zu dieser Filmszene lautet schließlich: „Evaluate how successful the director has been in adapting the material. Name the elements that were changed and the effect the scene has on you.“ (C 84) Wichtig ist hier, dass nach den vorbereitenden Analyseschritten die Schüler: innen nun die Möglichkeit erhalten, ihre eigene Auffassung zur Verfilmung (und dem Text) zu formulieren. Das Zieltextformat hierfür ist das Verfassen einer Rezension. Als scaffolding erhalten sie dazu aus den Handreichungen eine Kopiervorlage mit Leitfragen und Formulierungshilfen speziell zum Schreiben einer Shake‐ speare-Rezension. Problematisch erscheint daran allerdings, dass ein Wort wie „successful“ in der Aufgabenstellung ein Werturteil generiert, das die mediale Eigenständigkeit der Verfilmung vernachlässigt und im Text den absoluten Standard sieht; zu bevorzugen wäre daher das Kriterium der Angemessenheit, das die Kopiervorlage unter Punkt d) verwendet: „Say whether you think the modern film scene is a suitable adaptation of a Shakespearean scene.“ (C-HRU 224 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 61 Hutcheon spricht von „adaptations as adaptations“ (2011: 6); als Kriterium einer Verfilmung wird das Verhältnis im Wechselspiel von „repetition and change“ (Hutcheon 2011: 9) im Umgang mit Vorlage/ n genannt, aber nicht notwendigerweise das Kriterium „Werktreue“ („fideliy“). 367) Doch welche Kriterien für eine „suitable adaptation“ zu erfüllen wären, geht weder aus dem Lehrwerk noch aus den Lehrerhandreichungen hervor. Erneut findet sich hier ein Beispiel, bei dem die Schüler: innen aufgefordert werden, instinktiv ein Urteil über etwas zu fällen, ohne für das Urteil zuvor Bewertungskriterien zu entwickeln - d. h. die Kriterien für eine „angemessene“ und daher gute Verfilmung als mediale Transformation der Vorlage werden hier nicht hinreichend reflektiert. 61 Zwar wird den Schüler: innen der Film als eigenständiger semiotischer Code durchaus vermittelt: nicht zuletzt auf der support-Seite (C 207), wo diese Kategorien als „extras“ aufgeführt werden und „lighting, music, noise“ einschließen. Es fehlt aber auch hier an einem weiteren, deutenden Schritt und damit an einer konzeptuellen Dimensionierung der Code-Analyse: virtually all films screened for the purpose of entertainment are fictional narratives which invoke not only visual codes but auditory codes, narrative codes, fictional codes, and a rhetoric of figuration. Interpreting and integrating these codes into the single signifying system of a given film surely requires as much conceptual initiative and agility as interpreting the verbal (and narrative and fictional and figural) signifying system of a given novel. Images may be precepts, but the fictional narratives that overwhelmingly draw audiences into movie theaters are not. (Leitch 2003: 156) Aus einer Leseverständnis-fördernden Sicht wäre es daher sinnvoll, den Ab‐ schluss der Szenen-Analyse in einer Weise zu gestalten, die die Lernenden zu einer abschließenden Synthese der zuvor gelernten Kompetenzen führen könnte. Dazu gehört weniger das Verfassen einer Rezension zur letzten Text‐ passage, die in dem dargestellten, aggressiven Werbeverhalten Petruchios nahezu diametral dem nachfolgenden Sonett 116 „Let me not to the marriage of true minds“ gegenübersteht und hierzu einen kontrastiven Gegenpol zu bilden scheint. Eine sinnvolle Synthese wäre z. B. durch eine Überblicksaufgabe möglich, die die drei Textpassagen aus Macbeth, Richard III und The Taming of the Shrew im Hinblick auf die Darstellungen der verschiedenen Frauen oder mit dem Fokus auf die Repräsentation konfliktreicher Beziehungen zwischen Männern und Frauen untersucht. Allerdings geht damit auch die Möglichkeit einher, dass Shakespeare aus einem zeitgemäßen Betrachtungswinkel heutiger Schüler: innen mit den vom Lehrwerk bereitgestellten Texten ein wohl eher zweifelhafter Fremder 225 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 62 Einen möglichen Gegenpol zur im Schülerband zugrundegelegten BBC-Verfilmung stellen die Handreichungen her: Hier führt ein Link zur Plattform vimeo auf den von Amateurdarstellern produzierten Minifilm „Shrew’d: A Snippet from William Shakespeare’s The Taming of the Shrew“. Dort ist sogar das Ende der Szene die Vorwegnahme des Komödien-Endes: die ‚Widerspenstige‘ gibt sich schon hier, im setting einer College-Bibliothek, dem langen Kuss Petruchios hin. bleibt, dessen Aussagen man im einzelnen, bei aller überzeitlichen Gültigkeit vieler seiner Werke, mit Misstrauen begegnen sollte. Alle drei Frauenfiguren agieren entweder als Anstifterin zu einem ‚unnatürlichen‘, d. h. die göttliche Ordnung störenden Verbrechen (Lady Macbeth), oder sie werden als zu mä‐ ßigende Objekte gewaltsamen männlichen Herrschaftsgebarens gezeichnet (Lady Anne und Katharina), die trotz oder gerade wegen ihrer schwachen Position unsympatisch und widerspenstig erscheinen. 62 Alles in allem erscheint die Auswahl farcenhaft-misogyner Darstellungen dreier Frauenfiguren vom heutigen Standpunkt betrachtet so kontrovers und diskussionsbedürftig, dass es geradezu fahrlässig erscheint, eine solch kritische Aufarbeitung wichtiger Bedeutungsdimensionen des Textes nicht zu initiieren. So könnte ein vorbe‐ reitendes Schüler-Referat oder eine lehrergesteuerte Internet-Recherche mit entsprechenden Weblinks im Klassenzimmer hilfreich sein - dies eröffnet der Lerngruppe die Möglichkeit, die Erkenntnis und Bewältigung der historischen Distanz dafür zu nutzen, Texte wie die im Lehrwerk präsentierten als zeitge‐ bundene literarische Äußerungen zu verstehen, die man zwar zu modernisieren versuchen kann, deren inhaltlichen Konzepte sich aber binnenkulturell (d. h. bezogen auf den mehrheitlichen Erfahrungsraum der Schüler: innen) überwie‐ gend als Veränderliche und nicht als Konstante erweisen. Im Sinne einer propädeutischen Vorgehensweise ließen sich gerade im Hinblick auf Taming of the Shrew unterschiedliche Sichtweisen auf das Verhältnis der Geschlechter zueinander kontroverse kritische Stimmen darlegen: Zum einen George Bernard Shaws ‚progressives‘, protofeministisches Urteil von 1897, das Hans-Werner Ludwig seinen Betrachtungen zu „Gender Reconstructions in Shakespeare’s Taming of the Shrew“ als Motto voranstellt; zum anderen die apologetische Darstellung Manfred Pfisters im Shakespeare-Handbuch: 226 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Unfortunately, Shakespeare’s own immatu‐ rity … made it impossible for him to keep the play on a realistic plane to the end; and the last scene is altogether disgusting to mo‐ dern sensibility. No man with any decency of feeling can sit it out in the company of a woman without feeling extremely ashamed of the lord-of-creation moral implied in the wager and the speech put into the woman’s own mouth. (zit. nach Ludwig 2014: 129; Auslassung und Herv.i.Orig.) So wird Petruchio bei aller Drastik seiner Erziehungsmethoden nie gegen Kate selbst gewalttätig und teilt willig alle Drangsale und Mühen, die er Kate wäh‐ rend dieses Erziehungsprozesses zumutet. Wenn er auch seine Strategie explizit im Bild der Falkenzähmung beschreibt […], verbirgt sich doch hinter seinem ruppigen Auftreten eine wirkliche Zuneigung zu Kate. (in Schabert 2000: 393) Beide Sichtweisen erfordern - im Sinne der LiFT-2 Deskriptoren (vgl. Abschn. 1.3) - nicht nur eine intensive Auseinandersetzung mit dem literarischen Text, sondern erlauben auch eine Hinführung zu Stellungnahmen gegenüber wissen‐ schaftlichen Positionen und damit eine Förderung des kritischen Umgangs damit, die ihrerseits die Vieldeutigkeit von Texten und deren zeitgebundene Lesart verdeutlichen. Es bedarf allerdings bis zum Erreichen einer solch kri‐ tisch-reflexiven Erkenntnisstufe im Wesentlichen über die Kompetenzorientie‐ rung hinaus wissensbasierte Ankerpunkte wie eine breitere Textkenntnis als eine einzelne Szene. Diese ist im Vorfeld durch die breite Vermittlung von Text in der Interaktion zwischen Lehrkraft und Lerngruppe zu entwickeln und sollte nicht nur zu einer stark subjektivierten, meinungsgeprägten Haltung veran‐ lassen, sondern im Zuge einer intensiven Auseinandersetzung der Schüler: innen mit dem literarischen Text und durch historisierende Überblicksinformationen zur begründeten Urteilen führen. Die lineare Progression durch die drei Textpassagen, wie sie im Lehrwerk vorgegeben wird, führt in Modulteil B2 „Responding to a Sonnet“ zu einer Annäherung an Shakespeares Lyrik, die mit dem Sonett 116 paradigmatisch erfasst wird; zugleich ist dieses Gedicht der Endpunkt der Auseinandersetzung mit Shakespeares Werken und bildet in der Kontrastierung mit James Simmons’ „Marital Sonnet No. 4“ (1971) die Überleitung zur modernen Lyrik (vgl. C 85). Beide Gedichte sind in ihrer Aussage gegensätzlich, insofern Shakespeares die Unveränderlichkeit und Unvergänglichkeit der Liebe als Ideal hervorhebt („Love’s not Time’s fool, though rosy lips and cheeks / Within his bending sick‐ le’s compass come“, Z. 9/ 10): Demgegenüber stellt Simmons’ eine Reifeprozess dar, der beide Liebespartner einst „famished for the mutual kiss“ (Z. 2) zeigt und sie mittlerweile als „replete“ (Z. 12) darstellt - um zum Schluss die Umkehrung 227 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 63 Das Skill File No. 21 „Analysing poetry“ dürfte sich beim Verständnis von Simmons’ Sonett leicht als hinderlich erweisen, insofern es dort einen modernes Gedicht als Beispieltext gibt, die - anders als Simmons’ - das Auseinanderleben zweier ehemaliger Liebender im Sinne einer „sachlichen Romanze“ (Erich Kästner) erfasst: Gavin Ewert, „Ending”, das mit den desillusionierten Worten schließt: „Romance, expected once to stay, / has left a note saying gone away.“ (C 273) von Shakespeares Proposition zu formulieren: „Let’s call this love, that alters when it finds / alteration, the marriage of two minds.“ (Z. 13/ 14). Nach einer pre-reading activity, in der die Schüler: innen gruppenweise über das Konzept „Liebe“ diskutieren, lesen sie die beiden Gedichte und fassen ihre Hauptaussagen zusammen. Eine zweite Aufgabe erfordert eine genauere Lektüre und initiiert einen Vergleich: „Compare the two sonnets. Examine structure, development of the idea, and style.“ (C 86) Auf der support-Seite (C 207) erhalten die Schüler: innen weitere präzisierende Hinweise, unter wel‐ chen Leitaspekten die Aufgabe zu lösen sei. Auch hiermit geht eine eher beschreibende als deutende Herangehensweise einher, die in Aufgabe 3 in einen Schreibauftrag mündet. Nun sollen die Lernenden eine individuelle Antwort auf eines der beiden Gedichte verfassen: als Email, als Brief, als Kommentar, oder als eigenes Gedicht. Die Auseinandersetzung mit dem Text endet somit auf einer deskriptiven Ebene im Bereich einer Materialsammlung, die weder eine Funktionsanalyse der sprachlichen Bilder noch eine darauf basierende Sinnkonstitution einfordert. Auch wird der Sachverhalt nicht thematisiert, dass Shakespeares Sonett dialogisch an einen (männlichen) Anderen gerichtet ist, während Simmons’ Gedicht - ein „Marital Sonnet“ - sich als eines darstellt, das aus der längst erfolgten und vergangenen, aber anhaltenden Vereinigung im „we“ verfasst ist. Ist Shakespeare’s Liebe a priori ein spirituelles, metaphysisches Ideal, so betont Simmons diese überzeitliche Idealität ebenfalls, allerdings a posteriori, weil die einst dominante physisch-sexuelle Dimension im Alter längst abhandengekommen sein mag. 63 Bis zu diesem Punkt besteht die Textauswahl des Lehrwerks vor allem aus solchen Beispielen, die den Schüler: innen unterschiedliche, z.T. ausgesprochen provokante Darstellungen des Themas „Liebe“ präsentieren. Handelt es sich bei den dramatischen Texten überwiegend um - insbesondere aus heutiger Sicht - problematische und machthierarchisch bestimmte, so sind in den beiden So‐ netten eher positiv besetzte, idealistische Konzeptionen von Liebe beschrieben. Mit Simmons‘ Gedicht zieht Context auch eine aktuellere historische Dimension ein und zeigt damit die Relevanz von Shakespeares Gedichten für moderne Autor: innen auf. 228 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Es folgt in Modul-Teil C1 „The Powerful Words of Today’s Poets“ die Einbet‐ tung zweier (zwar als Transkript verfügbarer, aber als Hörtext eingeführter) Gedichte der Performance-Künstler Benjamin Zaphaniah, „Dis Poetry“, und Hollie McNish, „Famous for What? “: Damit einher geht eine aus literatursozio‐ logischer Sicht wiederum unkritische Parallelisierung von der zahlenmäßig auf wenige Teilnehmer begrenzten coterie-Kultur in einer respublica litteraria der Frühneuzeit, in der im Dichterwettstreit um die Gunst der Mäzene geworben wurde, mit der Event-Kultur der Spätmoderne und ihrer „music for the masses“. Diese, als ein Produkt aus der Kommodifizierung von Lyrik und Musik sowie der Professionalisierung von Künstlern und Kulturschaffenden, ist jedoch etwas ganz anderes als die Suche nach (höfischer) Gunst und politischem Einfluss, für die das Spiel mit Sprache und Dichtung in einer coterie der Frühneuzeit stand. Dieser historische Unterschied wäre zumindest in Ansätzen zu thematisieren, wenn nicht gar vertiefend zu erarbeiten. Gleichwohl kann mit den beiden Kunstwerken die sprachliche Experimentierfreudigkeit in dieser schriftlich keineswegs einheitlich fixierten, d. h. von Aufführung zu Aufführung veränder‐ lichen (aber rechtlich autorisierten) Form von Dichtung das Wesen mündlich vorgetragener Lyrik bestimmt werden. Zudem geht die Auswahl der Texte an dieser Stelle über das Thema „Liebe“ hinaus und führt anhand von Zephaniahs ein poetologisches Werk vor, das die Dichtung und den Autor selbst zum Thema werden lässt. Demgegenüber lässt das von Hollie McNish betont nüchtern vor‐ getragene „Famous for what? “ eine besonders hohe Identifikationsmöglichkeit für die Schüler: innen zu, insofern es in diesem Gedicht um Zukunftspläne von Jugendlichen geht und diese kritisch beleuchtet. Imtiaz Dharker, „The Right Word“. Die zwei letzten Texte des Moduls wenden sich in Teil C2 der psychologischen Kraft in Wörtern („The Psycholo‐ gical Power of Words“) zu. Zur Diskussion stehen hier erneut zwei moderne Gedichte, nämlich Imtiaz Dharkers „The Right Word“ (C 89) und William Marrs „You should’ve stopped there“ (C 90). Bezüglich des ersten geht es um eine Sprecherin, die einen Menschen vor seiner Haustür erblickt und ihn mit verschiedenen Stereotypien in den ersten fünf Strophen als „terrorist“, „freedom fighter“, „hostile militant“, „guerrilla warrior“ und „martyr“ beschreibt (Z. 3,7,10,15,18). Dieser erweist sich aber in den letzten vier Strophen erst als ein orientierungsloses „child“ (Z. 24), dann als ein „boy“ (Z. 28), so dass die Sprecherin ihren Irrtum erkennt und den Jungen als Gast ins eigene Haus zum Essen bittet: „The child steps in / and carefully, at my door, / takes off his shoes.“ (Z. 33-35) Dharkers Gedicht wird über den Global to detail-Ansatz erschlossen; so sollen die Schüler: innen in Aufgabenblock 1 „Giving an initial reaction“ nach einem 229 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 64 In den Handreichungen für die Lehrkräfte ist der Sachverhalt richtig formuliert: „Bei Imtiaz Dharker geht es um die unterschiedliche Bezeichnung für einen jungen Mann, der draußen vor der Tür steht und beängstigend wirkt. Das Gedicht zeigt auf, welche Auswirkungen diese unterschiedlichen Bezeichnungen auf unser Handeln diesem Menschen gegenüber haben.“ (C-HRU 159) Es ist umso bedauerlicher, dass diejenigen, die an den Text herangeführt werden sollen, mit der Aufgabenstellung in ihrer Bedeutungskonstruktion auf eine falsche Fährte gesetzt werden. allgemeinen „Lead in“ zu Situationen, in denen Wörter eine entscheidende Rolle spielen, das Gedicht in Partnerarbeit aus ihrer Sicht diskutieren und versuchen, seinen Inhalt in einem Satz zu erfassen: „Agree on one sentence that states the message of the poem“ (C 89). Nach diesem einleitenden Rezeptions‐ gespräch setzt die genauere Lektüre ein („Now read the poem“) und verspricht in Aufgabenblock 2 ein Verständnis der „general idea“, obwohl es sich um Arbeitungsaufträge handelt, die eine wiederholende, informationsentnehmende Lektüre erfordern: Teilaufgabe 2a (wie auch eine Kopiervorlage, die sich mit der Fokussierung von „mental images“ im Leser bezieht) setzt dabei eine auch inhaltlich falsche Proposition, da sie verschiedene Beschreibungen nicht dem einen Jungen, sondern mehreren Personen zuordnet: „List the different descriptions of the people standing outside the speaker’s door.“ (C 89) Die Fragestellung nach diesen „Leuten“ aber ist irreführend, weil die Sprecherin die eigene Wahrnehmung eines einzelnen Menschen dort draußen reflektiert und korrigiert: 64 „Is that the wrong description? “ (Z. 4), „I haven’t got this right“ (Z. 8), und die Sprecherin erschrickt angesichts ihrer eigenen Vorurteile, die ihr zu‐ nächst vorgaukeln, dass sie womöglich einen Märtyrer erblickt, bei dem es sich nach heutigem, islamophobem Verständnis wohl um eine Selbstmordattentäter hätte handeln können (vgl. Z. 18): Es wird aber im gesamten Gedicht keine einzige Waffe erwähnt. Ihre Reaktion - entweder der Schrecken über die Gestalt „da draußen“ oder über die eigene Wahrnehmung - führt zu einem Stoßgebet („God help me“, Z. 16) und der Einsicht „No words can help me now“ (Z. 20). Alle Äußerlichkeiten, die die Sprecherin von dem Jungen liefert, verschwimmen zu den genannten kulturelle und politische Stereotypen und münden in dadurch evozierte Gewaltphantasien (hiernach fragt die Aufgabe 2b „Add connotations that go with each description as well as the mental image it conveys“). Erst als die Sprecherin das Gesicht des Verdächtigen erblickt, erkennt sie darin zunächst ein Kind („a child who looks like mine“, Z. 23) und dann den Jungen („a boy who looks like your son“, Z. 28), der ihre spontane Einladung zum Essen annimmt und im Hausflur höflich die Schuhe auszieht. Wenn die Lehrerhandreichungen diesem Jungen jedoch folgendes Biogramm zuschreiben, gehen sie weit über den Text und seine Informationen hinaus: 230 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Dort wird die Möglichkeit in den Raum gestellt, der Junge sei „a boy who has been forced to fight and does not know what he is doing.“ (C-HRU 160) Dass er als Kämpfer oder Kindersoldat missbraucht worden wäre, erscheint laut den Handreichungen als eine weitere mögliche Auslegung der Zeilen „his hands too steady, / his eyes too hard“ (Z. 25, 26). Weder die Innensicht („does not know“) noch die Vergangenheit des Jungen gehen aber aus dem Text hervor, da nur seine vieldeutige Präsenz im Moment der Betrachtung geschildert wird: Die Be‐ trachtung lässt in der Sprecherin die genannten Assoziationen aufkommen, und seine vermeintliche Gefühlskälte („no human feelings […]“, C-HRU 160) kann ebenso den ‚coolen‘ Habitus eines Heranwachsenden andeuten. Die wechselnde Betrachtungsweise des Jungen seitens der Sprecherin lässt eher Rückschlüsse auf sie selbst als auf ihn zu, da sie in einer unverdächtigen Alltagssituation verschiedene Gewaltszenarien imaginiert und sich dadurch als womöglich traumatisierte Stimme präsentiert, die allerdings zur Selbsterkenntnis imstande ist und demzufolge daraus erwachsene Vorurteile korrigiert. In der drittletzten Strophe wird man schließlich auch als Rezipient: in in das poetische Argument mit einbezogen und somit zum (Bedeutung aus)handelnden Akteur im Lesevorgang - dem Text ist (mit Iser zu sprechen) eine „Appell‐ struktur“ eingeschrieben. Diese tritt besonders deutlich mit dem Wechsel des Personalpronomens zutage, das bis Z.23 ausschließlich das Verhältnis zwischen der Sprecherin und dem Kind beschreibt („I“, „a child who looks like mine“). Dann adressiert sie in der endgültigen, summarischen Beschreibung des Fremden auch ihre (implizierten) Leser: innen: „Outside my door, his hands too steady, his eyes too hard, / is a boy who looks like your boy, / too.” (Z. 24-29, Herv. JM) Die trügerische Fehlwahrnehmung der Sprecherin, evoziert durch eigene „mental images“ (C 89) bzw. Zuschreibungen in den ersten fünf Strophen und durch die damit einhergehenden, medial und kulturell geprägten Angstreaktionen („connotations“, C 89), nach denen Aufgabe 2b die Leser: innen befragt, dient ihr als ausdrückliche Warnung an die Leser: innen („One word for you“) und soll diese vor einer solchen voreingenommenen Etikettierung von Unbekannten bewahren. Mit Aufgabe 2c folgt schließlich eine nahezu exakte Wiederholung der Aufgabe 1b, mit dem Unterschied, dass nun das Sprecher-Ich in die Aussage des Gedichts einbezogen wird: „In one sentence, state the idea that the speaker is developing in the course of the poem.“ (C 89) Hierzu bieten die Handrei‐ chungen einen Lösungsvorschlag, der die Unmöglichkeit einer zutreffenden Charakterisierung von Menschen bezeichnet: „It is not possible to find the one correct description of a human being because any number of different descriptions might apply depending on your point of view.“ (C-HRU 160) Al‐ 231 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? lerdings vollzieht das Lehrwerk den möglichen Wechsel von Sprecher-Ich zu Leser-Du nicht mit. Denn die Selbstbezüglichkeit der Sprecherin inklusive der Relativierung und Vieldeutigkeit ihrer eigenen Beobachtungen erfordert von den Leser: innen im Sinne von Byrams savoir ȇtre (Byram 2021: 44, Fig. 2.1) ein Zeugnis ihrer interkulturellen Kompetenz zur Selbstrelativierung sowie den Nachweis ihres literatur- und kulturkritischen Vermögens, das sie im Sinne von Bredellas philosophischem Lesen kulturelle Texte wie Haltungen, Posen und Kleidungen ironisch hinterfragen lässt (Bredella/ Melzer 2004: 121-122) und damit eine vorgefasste einheitliche bzw. offensichtliche Deutungsstruktur aufbricht. Im Zuge von Aufgabenteil 3 zu Dharkers Gedicht, „Analysis and Inter‐ pretation“ sollen die Schüler: innen nach ihrer Analyse von Struktur und Bildlichkeit des Gedichtes eine i. d. R. zu begründende Beurteilung abgeben. Es wird dabei ein besonderes Augenmerk auf die Umschreibung von „Wör‐ tern“ mit der Phrase als „waving, wavering flags“ (Z. 12) gerichtet; die Interpretation soll dann eine Entscheidung darüber treffen, ob die Sprecherin den richtigen Begriff (zur Beschreibung des Jungen) gefunden habe. Der Erwartungshorizont in den Handreichungen lässt erkennen (vgl. C-HRU 160), dass der erste Aufgabenteil von wiederholender Natur ist und über die in Aufgabe 2 erarbeiteten Ergebnisse eigentlich nur marginal hinausgeht. Die „evaluat[ion]“ kennzeichnet das Bild von Wörtern als „waving, wavering flags“ sehr allgemein als „something instable“, und der dritten Aufgabenteil bietet als Lösung an, dass die Sprecherin zwar nicht das richtige Wort gefunden hat, aber: „[she] has found a good word for her interaction with the person outside her door“ ( C-HRU 160). Deutlich ist, dass diese Formulierungen selbst recht unpräzise gesetzt sind; denn die Bildlichkeit der Wörter als wehende Fahnen bezieht sich einerseits natürlich auf ihre schwankende, vom Kontext abhängige Bedeutung, die in den Handreichungen betont wird. Die Möglichkeit zur ‚absoluten‘ Beschrei‐ bung von jemandem oder etwas wird in dem Gedicht ausgeschlossen; das Bild der Fahnen aber stellt zudem noch einen möglichen Kontext her, der das setting des Gedichts betrifft und die Gegenwart des Jungen vorm Haus der Sprecherin zu motivieren imstande ist: Derartige Fahnen („Transparente“) werden bei Demonstrationen geschwenkt - dort aber werden Wörter aber nicht in ihrer „instability“ verwendet, sondern ihre Bedeutung gefriert zur ideologischen Parole. Das Sprachbild der „flags“ ist somit seinerseits mehr‐ deutig; auf diesen Aspekt müsste eine ambiguitätssensitive Analyse stärker hinarbeiten. 232 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced William Marr, „You should’ve stopped there“. Bei diesem Gedicht handelt es sich um einen dramatischen Monolog, in dem der Sprecher einen vergangenen Streit mit dem / der Adressat: in Revue passieren lässt und zu dem Entschluss gelangt, dass es im Vorfeld besser gewesen wäre, zu schweigen anstatt zu reden. Wie schon zuvor zu beobachten war, vermeidet das Lehrwerk auch hier die passende literaturanalytische Terminologie in der folgenden Beschreibung der Handreichungen. Statt den Begriff „dramatic monologue“, der speziell für die Lyrik verwendet wird, wird den Lehrkräften folgende In‐ formation an die Hand gegeben: „Mit diesem Text lernen [die] S[chüler: innen] ein dramatisches Gedicht kennen, das die explosiv-zerstörerische Kraft von Worten im Streit ausdrückt. Es ist eine Art innerer Monolog des Sprechers, in dem szenisch der Verlauf eines (Beziehungs-) Streits und dessen Folgen als Ansprache an einen Partner / eine Partnerin präsentiert wird.“ (C-HRU 161, Herv. JM) Nach der Einstiegsfrage (das Gedicht soll in einem Satz zusammengefasst werden) analysieren die Schüler: innen die zwei tragenden Sprachbilder („the two main images“) und arbeiten deren Gemeinsamkeiten heraus: Gemeint ist die erste Strophe, die das vorangegangene Geschehene selbst verbal und visuell (typographisch) als Drucktext markiert („black words all UPPERCASE and bold“, Z. 2,3), und die zwei folgenden Strophen, in denen der Sprecher den Streit mit Wörtern und den anschließende Versöhnungsversuch Revue passieren lässt, indem er die Bildlichkeiten von Waffen, Munition und Zerstörung bzw. Wiederaufbau verwendet. Erneut wird hier rasch die literarische Textbzw. Sprachebene verlassen - zugunsten der folgenden Frage: „Drawing on your personal experience, discuss whether you find the imagery appropriate.“ (C 90) Es ist in dieser Aufgabenstellung ein Bemühen um Authentizität erkennbar, gleichwohl darin zwei inkommensurable Ebenen miteinander vermischt werden: die interpre‐ tative, textimmanente Auswertung der Analyse von sprachlichen Bildern mit ihrer übertragenen Bedeutung hier sowie der rezeptive, schüler-eigene Erfahrungshorizont dort. In zwei abschließenden, aktivierenden Aufgaben, die die Schüler: innen nach Neigung differenziert bearbeiten dürfen, sind kreativ angelegt. Entweder verfassen sie selbst ein Gedicht, das eine ähnliche Situation wie die im Text beschriebene darstellt, oder sie schmücken den vorhandenen lyrischen Text noch weiter mit dramaturgischen Details aus, so dass eine ‚echte‘ dramatische Szene (inkl. Bühnenanweisungen) entstehen soll. Hierbei schmücken sie die narrativen Details des Textes (z. B. „dark and dense words“) mit wörtlicher Rede aus. Es zeigt sich hier, dass die eigentliche 233 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? Textebene nur oberflächlich - in der Herausarbeitung der Bilder - erschlossen wird. Die Art und Weise, nach der Context vorgeht, ist in der Gesamtschau weder aus konstruktivistischer noch aus rezeptionstheoretischer Sicht hinreichend bedeutungskonstitutiv, da die Aufgaben vor allem auf eine weitgehend a-his‐ torische Betrachtungsweise der kommunikativen Funktion von Shakespeares Dialogen ausgerichtet sind und die Beschreibung stilistischer Elemente maß‐ geblich zu deren Unterstützung dient. Eine Reflexion der Literarizität einer dramatischen Textpassage als ästhetische Konstruktion findet dabei ebenso wenig statt wie die Möglichkeit zur Distanzierung gegenüber frühmodernen und zeitgenössischen Konzepten (gender, Macht), die sich hinter diesen Text-Konstruktionen und ihren gestalterischen Umsetzungen verbergen. 2.3.3 Green Line: Vom Dramatiker zur Film-Figur Green Line setzt den Akzent bei der Vermittlung des Themas „Shakespeare“ auf einen hohen Grad an Multimodalität im Layout des Schülerbandes, Medi‐ eneinsatz in der Unterrichtsgestaltung und auf eine performative Aktivierung der Schüler: innen - besonders in diesem letzten Punkt hebt sich das Lehrbuch von den Vergleichsgegenständen geringfügig ab. Der Einstieg erfolgt, indem einer Auswahl visueller Impulse kurze Texterläuterungen beigegeben sind, die zudem durch Video-Clips multimedial erweitert werden. Dabei verbinden die Bildimpulse ein zeitgenössisches Portrait des Schauspielers Richard Burbage mit einer historisierenden Illustration, zwei Szenenbildern moderner Theater‐ aufführungen, einem DVD-Cover von Baz Luhrmanns Romeo + Juliet und dem dem grafischen Querschnitt eines frühneuzeitlichen „indoor theatre“ (vgl. GL 228-229). Letztere beiden Abbildungen sind gegenüber den anderen durch ihre Größe hervorgehoben und betonen den multimedialen Akzent des Shake‐ speare-Moduls: die Umsetzungen seiner Stücke from page to stage (Drama / Theater) und from script to screen (Film). Zu diesen visuellen Impulsen im Schülerband kommen noch zwei kurze informative Videoclips, mit denen den Schülern: innen die Fremdheit der elisabethanischen Zeit, zugleich aber auch die Modernität vieler Werke Shakespeares verdeutlicht wird. Darüber hinaus stellt die Doppelseite, hierin der Einstiegsseite in Context vergleichbar, einen Kasten mit ausgewählten Phrasen und Redewendungen zur Diskussion, mit denen Shakespeare die englische Sprache nachhaltig geprägt hat. Mit Hilfe von fünf Aufgaben, von denen nur zwei sich unmittelbar auf die Bild- / Text-Inhalte dieser Doppelseite beziehen, wird der Einstieg erarbeitet. Die Schüler: innen beginnen mit der Konstruktion eines mind map, indem sie 234 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 65 Eine ähnliche Aufgabe findet sich nochmals gegen Ende der Unterrichtseinheit im „Spot on Language: Understanding Shakespeare’s English“ in einer Liste mit Phrasen, die Shakespeare erfunden bzw. in den allgemeinen Sprachgebrauch überführt hat, z. B. mit Redewendungen wie „He broke the ice by complimenting her on her dress“ (GL 248, Nr. 3). Anders als in Context wird hier keine Übersetzung ins Deutsche gefordert, sondern die Schüler: innen sollen englische Alternativen zum markierten Ausdruck finden. mittels der Methode des brainstorming ihr Vorwissen über den Epochenbegriff „Renaissance“ zusammentragen, und betrachten danach die zwei Videoclips, vor deren Hintergrund das ursprüngliche mind map ergänzt werden soll. Dieses wiederum ist als dynamisches Projekt angelegt, denn es wird auch an späterer Stelle wieder zum Einsatz gebracht und wächst folglich im Zuge der Einführung zu einem Hilfsmittel an, auf das die Schüler: innen wiederholt zurückgreifen: „Die Aufgabe [i.e., das brainstorming] wird in Einzelarbeit erledigt und die Ergebnisse danach gemeinsam zusammengefasst - idealerweise als speicherbarer Whiteboard-Anschrieb, mit dem später weitergearbeitet werden kann (s. Aufgabe 2 in Spot on facts).“ (GL-LB 388; Herv.i.Orig.). Schon hier wird zum einen sehr schülerzentriert das Vorwissen der Lerngruppe abgerufen, wie es aus dem Geschichtsunterricht oder in Grundzügen aus dem Englischunterricht der Sekundarstufe I angelegt sein kann (so ist die englische Monarchie in Geschichte und Gegenwart auch in Jahrgang 8 ein Lehrwerk-Thema); zum anderen wird deutlich, dass es dieses Orientierungswissen in seiner Vorläufigkeit zu erweitern gilt. Die beiden Videos geben den Schüler: innen im ersten Teil Hinweise auf den frühneuzeitlichen Theaterbetrieb und das damalige Bildungswesen; der zweite Teil beschreibt den größeren zeitgeschichtlichen Kontext und die Rolle Londons als sozio-kultureller Schmelztiegel und Begegnungszentrum im elisabethanischen Zeitalter, in dem die Menschen „neu“, d. h. modern zu denken begannen und überkommene „Wahrheiten“ in Frage stellten. Aufgabe 3 wendet sich einer Beschreibung der oben beschriebenen visuellen und textlichen Impulse auf der Einstiegsseite zu, während der vierte Arbeitsauftrag darin besteht, die Textbox mit den Shakespeare-Zitaten zu analysieren und für die einzelnen Phrasen mögliche Kontexte, in welchen diese geäußert werden, zu konstruieren bzw. deren Bedeutung zu erschließen (z. B. „fight fire with fire“, „cold comfort“, „brave new world“). 65 Schließlich werden die Schüler aufgefordert, analog zu dem Recherche-Auftrag in Context (vgl. das Fact File, C 76) die Zusammenfassung eines Shakespeare-Dramas ihrer Wahl zu finden und den Inhalt der Klasse zu präsentieren. War in Context an dieser Stelle eine Verschriftung des Inhalts mit einer Obergrenze von 200 Wörtern gefordert, 235 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 66 Als Unterstützung im Umgang mit der überwältigenden Informationen zu Shake‐ speare stellen die Handreichungen den Lehrkräften eine Auswahl von unterschied‐ lichen zuverlässigen Websites zur Verfügung, die einerseits auf renommierte Insti‐ tutionen wie die Folger Library und die BBC mit deren online-Ressourcen verweisen, andererseits aber auch inhaltlich wie informationstechnisch weniger zuverlässig abgesicherte Websites wie www.timelines.tv anbieten (vgl. GL-LB 394; weitere Zusammenstellungen von Weblinks finden sich überwiegend in den farblich abge‐ setzten, Sachinformations-Kästen auf GL-LB 398/ 299, 400, 412 sowie 420). Zudem ist zu berücksichtigen, dass ein Großteil der Website-Angaben, die in den Lehrwerken aufgelistet sind, rasch veraltet und nach einigen Jahren i. d. R. nicht mehr aktuell ist. Das bedeutet nicht, dass die Informationen nicht mehr abrufbar wären, aber man muss sich darauf einstellen, dass die Anbieter neue Server mit veränderten Domänen arbeiten und ihre Informationen dorthin migrieren - was auf der früheren Adresse i. d. R. zur Meldung „404 - page not found“ führt; oder im Fall der Royal Shakespeare Company zu der humorigen Selbstbezichtigung „We are indeed an ass-head, and a coxcomb, and a knave, a thin-faced knave, a gull! “ (www.rsc.org.uk/ e xplore/ shakespeare/ ). Dieser Effekt ist im Zusammenhang der umfangreichsten Liste, die im Shakespeare-Modul angeboten wird, immerhin (Stand 12.08.2021) für fünf von neun Einträgen nachweisbar. Daraus ergibt sich anhand qualitativ unterschied‐ licher Ergebnisse zu ein- und demselben Stoff nicht zuletzt die medienpädagogisch wertvolle Gelegenheit, im Sinne des Computer-Assisted Language Learning (CALL), eine Diskussion über die Zuverlässigkeit in häufig nicht oder unzureichend editierten Internet-Quellen zu führen. so sollen die Schüler: innen hier eine mündliche Präsentation von 3 Minuten Dauer erstellen. 66 Die Handreichungen liefern den Lehrkräften überwiegend sachlich richtige Hilfestellungen und in vielerlei Hinsicht wichtige Zusatzinformationen, die durch grün unterlegte Informationskästen von anderen methodischen Hin‐ weisen und Lösungsvorschlägen hervorgehoben sind. So werden die einzelnen Textbausteine, die im Schülerbuch die Illustrationen erläutern, durch weitere Informationen ergänzt. Es findet sich z. B. die Aussage im Schülerband, dass die elisabethanischen Schauspieltruppen mit zeitgenössischen eher als histori‐ schen, oft genug auch kostbaren Kostümen ausgestattet waren. Der Lehrerband ergänzt diese Informationen mit Angaben darüber, woher diese stammten, bzw. dass es den Schauspielern verboten war, diese Kostüme außerhalb von Aufführungen zu tragen: „Theatre costumes in Elizabethan times were often bought off of servants who had inherited them from their masters, and the costumes were extremely valuable. So wearing a costume outside the theatre was severely fined.“ (GL-LB 388) An dieser Stelle ließe sich ein Hinweis auf die mit der Ständeordnung einhergehende Kleiderordnung einfügen, der deutlich macht, dass das Verbot nicht allein der Kostbarkeit der Kleider geschuldet war (und der Sorge davor, dass sie durch ungünstige Witterungseinflüsse Schaden nehmen könnten, vgl. Egan 2016: 92), sondern dass Kleidung den Zeitgenossen 236 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced vor allem einen ikonischen Hinweis auf den sozialen Status des/ der Gekleideten gab und damit auf deren Zugehörigkeit zu einem der vier Stände, der „four degrees“: Highest were “gentlemen”, including titular nobility, knights, and squires who are characterized as “those whom their race and blood or at least their virtues do make noble and known”. Next down the social scale were citizens and burgesses who because of their occupation possessed freedom of the city in which they practiced their trades. Third were country yeomen, either freeholders of land to the value of forty shillings or farmers to gentlemen. At the bottom of the ladder were commoners: day laborers, husbandmen, artificers, and servants, or those who had “neither voice nor authority in the commonwealth, but are to be ruled and not to rule other.” Each class was marked by income, residence, diet and dress […]. (Kinney 2000: 4) Lösungsvorschläge zu den Aufgaben sind im Lehrerhandbuch recht ausführlich dargestellt. So liefern diejenigen zu Aufgabe 3 des Lead in („Speaking: Describe the pictures on these two pages“, GL 229) sachlich-inhaltliche Bildbeschrei‐ bungen und verdeutlichen, dass hier keine kreativen oder spekulativen Ansätze erwartet werden, da auch die Begleittexte zu den verschiedenen Illustrationen eher informativ als expressiv sind. Beispielsweise wird die historisierende Buchillustration mit dem Schwertkampf, der im erläuternden Text in einen Zusammenhang mit Romeo and Juliet gebracht wird, im Lehrerhandbuch wie folgt dargestellt: Picture 6 (p. 2, bottom right) • two men in Renaissance costume are fighting • one is jumping forwards and jabbing at his opponent, who has just lost his sword and is bending back to avoid being stabbed • third man is at the point of stepping in, as it seems because his hand is raised as if to calm the two fighters. (GL-LB 390) Die Antworten zum ersten Videoclip erfassen alle relevanten Aspekte, die vom Erzähler genannt werden; es wird damit ein Gerüst erstellt, das im Falle von ausbleibenden Schüler-Antworten im Klassengespräch errichtet oder ergänzt werden kann; darüber hinaus bieten sie der Lehrkraft hinreichend Anhaltspunkte dafür, ob eine Schülerantwort ein wesentliches Detail des Textes erfasst. Es lassen sich vor diesem Hintergrund weitere Antworten ergänzen, falls die Schüler: innen nur wenige oder andere Details erfasst haben: 237 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? The Globe: • replica of an old Elizabethan theatre, The Globe Theatre • original Globe burnt down almost four hundred years ago • thatched roof, oak timbers with plaster • galleries with seats for the gentry and richer people • standing room in the pit for the groundlings, apprentices, tradesmen, women • entrance fee one pence • plays performed written by Shakespeare Education in Shakespeare’s day • schools no longer only in the church’s [sic! ] hand • Stratford school founded by the town’s guildsmen • scholarships for the poor, fees for the better off • education for the boys only • rigorous education: a lot of Latin, study of the great classical philosophers, historians, natural scientists due to the renewed interest in classical literature, arts and philosophy. (GL-LB 389) Da es sich bei den Videos um Clips von 4: 50 min bzw. 2: 50 min Dauer handelt, macht eine weitere Unterteilung in noch kleinere Segmente kaum Sinn, obgleich dies zumindest im Fall des ersten Teils mit der thematischen Unterscheidung von „Globe Theatre“ und „Education“ möglich wäre. Das Lehrerbuch gibt hierzu keine methodischen Vorgaben, jedoch liegt nicht zuletzt wegen der durchaus auf die gesamte Lerngruppe erweiterbaren Vokabel-Vorentlastung im Diff[erentiation] Pool (GL 286) der Global to detail-approach mit mehreren aufeinanderfolgenden viewings nahe. Als weitere Differenzierungsmöglichkeit sind die Transkripte der Videos zu verwenden, insofern sie es den Schüler: innen mit Schwierigkeiten im Hör-Sehverstehen erlauben, die präsentierten Inhalte verbal nachzuvollziehen: umgekehrt ist das Medium Video für diejenigen ein motivationaler Impuls, die sich mit dem Lesen schwertun. Der multimediale Zugang zu Shakespeare setzt sich auf den Folgeseiten fort (GL 230-231). Den Schüler: innen wird eine Audio-Datei vorgespielt, in dem sich zwei Schauspieler über die anhaltende Modernität und Aktualität von Shakespeares Werken unterhalten. Dann lesen sie vier redaktionelle Texte, die in einer thematisch sinnvollen Reihenfolge vom europäischen (Makro-)Maßstab zum elisabethanischen Theaterbetrieb als Mikroebene fortschreiten. Diese Texte von jeweils ca. 200 bis 300 Wörtern Umfang liefern Informationen, die dem schon zuvor erstellten mind map hinzuzufügen sind, aber zugleich laut dem Erwartungshorizont im Lehrerhandbuch per Recherche weiter zu vertiefen 238 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 67 Es handelt sich bei diesem Bild um einen computer-generierten screenshot aus Roland Emmerichs Film Anonymous, der in einer Bildergalerie auf der Film-DVD ebenso wie von der schweizerischen Film-Datenbank Out Now abrufbar ist (URL: https: / / outnow. ch/ Movies/ 2011/ Anonymous/ Bilder/ 007#view). 68 Green Line rückt mit dem „Spot on Language: Understanding Shakespeare’s English“ die sprachgeschichtliche Dimension der Shakespeare-Texte ganz ans Ende des gesamten Unterrichtsmoduls. D.h. die Schüler: innen müssen im Umgang mit den vorangehenden Textpassagen des Moduls gegenüber den grammatischen oder pragmatischen Fremd‐ heiten tolerant sein und erhalten diese sprachgeschichtlichen Erklärungen nachge‐ reicht: „Old forms like thee [ðɪ: ] / thou [ðɐʊ]/ thy / thine co-existed with the newer you and your, and we find all these forms in Shakespeare’s plays.“ (GL 248, Herv.i.Orig.) und ergänzen sind. So finden sich diverse Namen von Entdeckern und Natur‐ philosophen der europäischen Renaissance nicht im Text, sondern es werden lediglich deren Errungenschaften vorgestellt: „One such invention was the telescope, which dealt a deathblow to geocentric cosmology, another one was the printing press, which made it possible to provide the masses […] with information and literature.“ (GL 230) Entsprechende Ergänzungsvorschläge im Lehrerhandbuch erwähnen wichtige Namen der europäischen respublica litteraria wie Johannes Gutenberg, Galileo Galilei, Johannes Kepler, Leonardo da Vinci u. a. m. (vgl. GL-LB 394). Zur Illustration erhalten die Schüler: innen die Abbildung einer 3D-Computersimulation des zeitgenössischen London mit der bebauten Towerbridge als markantem Orientierungspunkt, 67 das Chandos-Por‐ trait Shakespeares sowie eine Luftaufnahme des New Globe Theatre in London. War bis zu diesem Zeitpunkt von Shakespeare nur mittelbar die Rede, so kommt er mit einigen Kürzest-Textpassagen in einem core skill-workshop „Analysing a Scene from a Play“ (GL 232-234) direkt zu Wort. Zunächst wird die Textualität des Dramas gegenüber der Performativität des Theaters in Erinnerung gerufen (vgl. dazu auch Platz-Waury 1999: 46, und Baumbach/ Nün‐ ning 2009: 58-62). Erläuterungen wie die folgenden Sätze bereiten auf diesen formalen, genre-bezogenen Akzent vor: „Whereas in a short story or novel all the relevant information can be found in the text itself, in drama much of it is conveyed through acting. This means content can be provided both verbally and non-verbally.“ (GL 232) Gerade dieser Hinweis auf die nonverbale Ebene des Theaters verdeutlicht die Unterscheidung zwischen dem dramatischen Text Shakespeares mit seiner für heutige Leser: innen unzeitgemäßen Sprache („how now, dame? “, GL 232, Text 1, Z. 12) 68 und unterschiedlichen modernen theatralischen Aufführungspraktiken mit z.T. greller, (pseudo-) historisierender Kostümierung und z.T. moderner Kleidung, wie sie die Bilder veranschaulichen. Zudem erhalten die Schüler: innen in dieser kurzen Vorbemerkung generelle Anweisungen zum analytischen Umgang mit einem dramatischen Text: „You 239 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? should determine the relation between the characters. Who is on stage? What emotional situation are they in? Are there stage directions to tell the actors what to do, or to describe the scene? “ (GL 232) Der erste Zugang zu Shakespeares Werken in Green Line erfolgt über Teil A „Examining the context“ des workshop mit zwei Aufgabenblöcken („1 Visuals“ und „2 Comprehension“). Drei Szenenfotos fokussieren als visuelle Impulse die Aufmerksamkeit auf folgende Textpassagen: The Taming of the Shrew (15 Zeilen aus Akt 2.1), A Midsummer Night’s Dream (ein Vierzeiler aus der Eröffnungsszene) und Much Ado about Nothing (zehn Zeilen aus Akt 2.1) (alle GL 232-233). Auch in dieser Herangehensweise ist die schon in der Analyse von Context beschriebene ‚homöopathische Dosierung‘ erkennbar (vgl. Abschn. 2.3.2); nur Othello (Akt 3.3) in Teil C „Interpreting a Scene“ erhält mit 28 Druckzeilen etwas mehr Raum und einen eigenen Aufgabenblock (GL 234). Implizit erneut unter Anwendung des Global to detail-Verfahrens werden die Schüler: innen aufgefordert, die drei Szenenbilder den einzelnen Textpassagen aus den Komödien zuzuordnen; dafür ist eine kursorische Lek‐ türe (skimming) erforderlich. Erst im nächsten Schritt werden diese Passagen von den Schüler: innen detailliert per scanning auf konkrete Informationen untersucht, d. h. zunächst mit einer Bestimmung der beteiligten Figuren, ihrer Konstellation zu einander (relationship), der daraus erwachsenden Stimmung (mood) und ihren Handlungen (action). Die dafür anzufertigende Tabelle ist jedoch rein deskriptiv und führt zu keinem tieferen Verständnis jenseits der reinen Informationsentnahme. Gerade im Hinblick auf die Kategorie der „Stage directions“ sind in den zitierten Passagen allenfalls die Auf- und Abgänge bzw. die Anreden unterschiedlicher Charaktere seitens einer Figur markiert. Alles andere - emotionaler Ausdruck, Gestik / Mimik - bleibt der Lektüre und Inter‐ pretation des Haupttextes vorbehalten. Hierfür also eine eigene Tabellenzeile anlegen zu lassen, erscheint daher, zumal unter Berücksichtigung der Kürze der Textpassagen, wenig aufschlussreich. Denn Shakespeares Werke sind mit dem First Folio (1616) als Bühnentexte überliefert und zeichnen sich gerade durch den sparsamen Einsatz von derlei Sekundärtext aus. Damit heben sich von den auch als Lesetexte verfasste, z.T. episierend-narrative, z.T. minutiös ‚choreographierte’ Aufführungsanweisungen späterer Epochen und Autoren (z. B. George Bernard Shaw oder Samuel Beckett) radikal ab: Das in Shakespeares Texten weit wichtigere Verfahren einer Anleitung zum Spielen ist die verbal scenery enthalten die Dialoge selbst, die über bestimmte performative Aspekte Auskunft geben bzw. improvisatorische Umsetzung erfordern. In Teil B des workshop „Understanding the Language“ rückt in Green Line der Akzent auf die die Prosodie der kurzen Abschnitte - und wie in den 240 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 69 Der Hinweis auf das Skill File 10.2 „Stylistic Devices“ soll den Schüler: innen bei der Identifikation entsprechender sprachlicher Mittel helfen. Mit einem starken Akzent auf einer induktiven Herangehensweise bleiben allerdings viele der sprachlichen Mittel ohne Definition und werden nur auf der Grundlage von Beispielen ohne unterstützende Intervention veranschaulicht. Besonders augenfällig wird dies an folgendem Eintrag, bei dem die Aufmerksamkeit nicht explizit auf die Vergleichspartikel „like“ gelenkt wird, um Vergleich und Metapher kategorial voneinander zu unterscheiden: „simile / metaphor: … like a bull in a china shop. She’s a little monkey.“ (GL 318, Herv.i.Orig.). Neben dem Skill File wird auch die von Fall zu Fall erforderliche, wiederholte Konsul‐ tation des „Glossary of Literary Terms“ im Anhang des Buches (GL 254-358) notwendig sein. Vergleichswerken Camden Town und Context mit einer Vermischung von Rhythmus und Versmaß: „When examining the language of a scene, pay particular attention to / : rhythm (Is there a regular metre? Where does the stress pattern change? ) / *rhetorical devices“ (GL 233). 69 Die Aufgaben 3-5 wenden sich diesem Aspekt der sprachlichen Gestaltung zu, wobei in diesem Fall auch der Unterschied zwischen gebundener und nicht gebundener Sprache herausgearbeitet wird. Der Akzent liegt eher auf einer performativen denn analytisch-diskursiven Auseinandersetzung mit den Textfragmenten. So sollen in Aufgabe 3a („Listening“) die wenigen Zeilen aus A Midsummer Night’s Dream zunächst als - übrigens stark didaktisierte, überakzentuierend vorgetragene und daher wenig bühnenauthentische - Hördatei rezipiert werden, ehe die Schüler: innen sich in zwei größeren Gruppen (Richtwert 10 Teilnehmer: innen) einfinden und anschließend „wie Schauspieler auf einer Bühne stehend“ (GL-LB 396) die vier überwiegend aus monosyllabischen Wörtern zusammengesetzte Zeilen vortragen, indem jede/ r exakt eine Silbe ausspricht: Lysander: How now, my love! Why is your cheek so pale? How chance the roses there do fade so fast? Hermia: Belike for want of rain, which I could well Beteem them from the tempest of my eyes. (GL 233) Ziel ist es, die Expressivität der Sprache und ihrer Bilder durch weitere perfor‐ mative Elemente zu ergänzen („gestures and facial expressions“; „tone and emphasis“, GL 233). Darüber hinaus sollen die Schüler: innen (Aufgabe 5b) mit einem derartigen ‚Körpereinsatz‘ experimentieren: „How can non-verbal information change the meaning of the lines? Experiment with different ways of acting out the dialogues and discuss the effects achieved.“ (GL 233) Erst die letzten beiden Aufgabenteile rücken die Textfragmente in den Vordergrund: Hier sind nun diejenigen Stichworte („clues“, GL 233) herauszuarbeiten, die dem Gesagten den gemeinten Sinn geben, und es richtet sich die Aufmerksamkeit 241 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? auf die Metaphern, die in den kurzen Szenenausschnitten verwendet werden. Die abschließende Aufgabe 6 soll den Schüler: innen eine Möglichkeit geben, mit ihrer eigenen Vorstellungskraft die „stories“ hinter den kurzen Textpassagen zu beschreiben - ein Verfahren, das zwar ein hohes Maß an Sprachproduktion zulässt, allerdings einen weiten Schritt weg von Shakespeares Werken und seiner Sprache macht. Man kann daher dem workshop, Teil B, zugutehalten, dass er den Schüler: innen anhand von sehr praxisorientierten Unterrichtsme‐ thoden demonstriert, wie sich die sprachlichen Zeichen eines Dramentextes im Medium des Theatralischen gestisch und mimisch ganz unterschiedlich inszenieren lassen - die unterschiedlichen Aufgaben sind allerdings weitgehend funktional-deskriptiv und damit sprachlich-prosodisch ausgerichtet, ohne einen Eindruck von der Vieldeutigkeit eines Textes zu geben. Dazu bei trägt auch der Umstand, dass die einzelnen Passagen aus dem Zusammenhang gerissen sind und über die inhaltlichen Eigenheiten der jeweiligen Stücke nicht viel aussagen können. Erst mit Teil C „Interpreting a Scene“ (GL 234) findet der core skill-work‐ shop einen textanalytischen Endpunkt in einer Szene aus einer der großen Charaktertragödien, die - wie Norbert Lennartz herausstellt - lange Zeit im Kanon der Schullektüren keinen Platz fand: Othello. Womöglich noch stärker als das v. a. gendertheoretisch geprägte Taming of the Shrew gilt für Othello, dass dessen „Sprache mit den heutigen Diskursen über Rassismus, Xenophobie und Weiblichkeit vehement kontrastiert“ (Lennartz 2006: 87). Der Lehrerband zu Green Line richtet die Aufmerksamkeit in einer Hintergrundinformation insbesondere auf den Rassismus und stellt dabei Shakespeare fast in den Rang eines heutigen NGO-Aktivisten: When he [i.e. Shakespeare] wrote Othello […], the general attitude towards foreigners had changed […]. Since 1601 several bills against foreigner had been passed, and in 1602 plans were made public to transport them out of the country. Shakespeare had supported foreigner’s rights before, and it is likely that Othello was written in protest to the racist attitudes prevailing in the English government at the time. (GL-LB 399) Demgegenüber betont Maria Eisenmann, dass der Rassismus vor allem durch die Stereotypien in den Reden zweier Figuren, Iago und Roderigo, zum Ausdruck gebracht werde und dass der eigentliche Bösewicht im Stück ein Weißer, man möchte hinzufügen: ein Untertan, sei: Iago, „an insider of white society and Western Christian culture“ (vgl. Eisenmann 2014: 221-222) Der Schülerband skizziert die komplexe Handlung von Othello in folgenden drei Sätzen: „Othello (a “noble Moor”) is a black Venetian general. After talking with his beloved wife Desdemona, he speaks to Iago, one of his most loyal soldiers - or so 242 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 70 Der Schulbuchtext folgt hier dem Wortlaut Othello aus der First Quarto-Ausgabe. Spätere Ausgaben sehen in den ersten zweieinhalb Zeilen, die im obigen Zitat als ein an die Zuschauer gerichtetes aside voraussetzen, eher eine direkte Wendung an Iago: so in den Second Quarto und First Folio-Ausgaben: „By heaven, thou echo’st me / As if there were some monster in thy thought / Too hideous to be shown.“ (Shakespeare 2000: 958; OTH 3.3.109-111) Solche textlichen Varianten lassen sich produktiv thematisieren, um sowohl die dramaturgische Funktionalität solcher Unterschiede (Zuschauervs. Figurenansprache) zu demonstrieren als auch auf die vielseitigen Änderungen hinzu‐ weisen, denen ein frühneuzeitliches Werk erst durch Setzer / Drucker und später durch Eingriffe seitens der Herausgeber ausgesetzt war. Othello thinks. But Iago is full of hatred for Othello because the general has promoted Michael Cassio to be his lieutenant instead of Iago.“(GL 234, Z. 1-4) Diese Beschreibung ist notwendigerweise sehr reduktionistisch, vor allem was Iagos Motivation für seinen Hass auf Othello betrifft. Während dessen exzessive Eifersucht und das daraus resultierende tragische Handeln schnell mit seiner ebenso exzessiven Liebe zu Desdemona beschrieben zu sein scheint, weisen Rüdiger Ahrens und Julia Hammer auf die zugrundeliegenden Strömungen von Iagos Eifersucht hin (beruflich, weil ihm Cassio vorgezogen wird; privat / sexuell, weil er seine Frau Emilia des Ehebruchs mit Othello verdächtigt), aber sie behalten auch die Rollenvielfalt im Blick, mit der Iago sich ständig verwandelt: Als skrupelloser Schurke, als machiavellistischer Intrigant, als personifiziertes Übel und als Erz-Heuchler (vgl. Ahrens/ Hammer 2014: 203-210). Der erste im Schülerband abgedruckte Dialog aus der Tragödie setzt in dem Moment ein, da Desdemona gerade die Szene verlassen hat und Othello ihr hinterher blickt, von seinen Gefühlen für sie ebenso wie von seiner Verlustangst überwältigt: „Excellent wretch! Perdition catch my soul, / But I do love thee! and when I love thee not, / Chaos is come again.“ (GL 234, Z. 5-7; entspr. Shakespeare 2000: 958; OTH 3.3.90-92) Unmittelbar darauf tritt Iago hinzu und sät in Othello neue Zweifel, indem er seinem Vorgesetzten scheinbar ganz beiläufig von Cassios vorehelichem tête-à-tête mit Desdemona berichtet (vgl. Shakespeare 2000: 958; OTH 3.3.93-95). Kommunikativ ist diese Passage insofern interessant, als Iago einige Schlüsselwörter, die Othello verwendet, wiederholt (z. B. „indeed“, „honest“, „think“) und ihnen auf diese Weise eine umso größere Bedeutung verleiht. Othello bemerkt dies ungeduldig: […] By heaven, he echoes me, As if there were some monster in his thought Too hideous to be shown. 70 Thou dost mean something: I heard thee say even now, thou likedst not that, When Cassio left my wife: what didst thou not like? 243 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? (…) if thou dost love me, Show me thy thought. (GL 234, Z. 26-32; entspr. Shakespeare 2000: 959; OTH 3.3.109-118) Die hieran anschließenden Aufgabenstellungen gehen den üblichen Dreischritt vom Textverständnis über eine Analyse hin zu einer kreativen Aufgabe sowie einer Projektion der Szene innerhalb des weiteren, den Schüler: innen unbe‐ kannten Kontexts. Der Einstieg erfolgt maßgeblich über eine schriftliche Zu‐ sammenfassung der wichtigsten inhaltlichen Details, die über Iago und Othello an dieser Stelle zu erfahren sind: Besonders verfehlt erscheint allerdings die erste Teilaufgabe mit dem Arbeitsauftrag, mithilfe einer Tabelle, wie sie schon für die vorigen Textpassagen aus den drei Komödien angefertigt wurde, den Zusammenhang der Szene zu erfassen („determine the context“, GL 234, Auf‐ gabe 7a). Denn erwartet werden hierfür die Analyse der Konfiguration beider Charaktere mit ihrer jeweiligen Disposition; die Einbettung der Szene in ihren dramaturgischen Kontext aber dürfte aufgrund der wenigen Informationen jenseits von Spekulationen kaum möglich sein. In der weiteren Analyse („Explain the aim Iago pursues and how he achieves it“, GL 234, Aufgabe 8) wird das Augenmerk auf die geschickte Kommunika‐ tionstaktik Iagos hingewiesen und auf den hohen Grad an rhetorischer und dramatischer Ironie, der seinen vagen Äußerungen und besonders der letzten Zeile des abgedruckten Passus innewohnt: „My lord, you know I love thee“ (GL 234, Z. 33). Die Lösungen zu dieser Aufgabe werden entsprechend den Handreichungen im Unterrichtsgespräch als Tafelanschrieb entwickelt: Characters Iago and Othello are in the scene Stage directions There are none Relationship They are probably friends. Mood It changes from happy and carefree to impatient and slightly annoyed Action Iago reminds Othello that Cassio knew of his courtship with Desdemona, but Iago refuses to lay bare his thoughts, which terribly annoys Othello Tab. 19: Lösungsvorschlag zu Green Line, Lerneinheit 10, CSW, Part C, Aufgabe 8 (GL-LB 399) Der anschließende Arbeitsauftrag ist erneut ein kreativer, der die Methode des darstellenden Spiels nutzt. Demzufolge sollen die Schüler: innen in Partnerarbeit 244 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 71 Es zeigt sich, dass ähnlich wie in Context der inhaltliche Nutzen solch kurzer Textaus‐ schnitte wie dem in Green Line verwendeten an enge Grenzen stößt; vor allem werden die Schüler: innen durch die Aufgaben nicht in eine intensivere Auseinandersetzung mit der dramatischen Handlung geleitet, sondern im Gegenteil vom Text weggeführt: So auch mit Aufgabe 10 und dem Auftrag, dass die Schüler: innen sich eine Unterredung zwischen Othello und Desdemona überlegen mögen: „Imagine Othello meets Desde‐ mona after his conversation with Iago. Write the dialogue between them.“ (GL 234) Es geht darum, die Schüler: innen selbst mit dem reichhaltigen Beleidigungsvorrat der elisabethanischen Sprache experimentieren zu lassen: „Es gibt Internetseiten, die bei der Erstellung von Dialogen in Shakespeare-Englisch hilfreich sein können […]“ (GL-LB 400), es werden dazu verschiedene - wiederum z.T. mittlerweile inaktive - Websites genannt, unter ihnen ein „Insult generator“. Natürlich sind dies spielerische Annähe‐ rungen, aber es ist fragwürdig, das Verhältnis zwischen Othello und Desdemona auf die sprachliche Ebene von komischen Figuren wie fools und rustics herunterzudimmen. zwei Standbilder erarbeiten, die Iago und Othello zu Beginn bzw. am Ende der Szene zeigen. Vorab identifizieren die Schüler: innen einen Moment des Stimmungswandels in Othello, sie sollen diesen gestisch / mimisch an Othello und Iagos Reaktion darstellen. Genauer betrachtet, finden sich eher zwei als nur ein solches Moment: Othello durchschreitet eine Entwicklung vom smitten lover über den beunruhigten Verlobten, der einen Rivalen fürchten muss, bis hin zum gereizten Choleriker, der trotz aller Eifersüchtelei von seinem ‚Freund‘ Iago einen eindeutigen Beweis für Desdemonas Untreue fordert (und diesen in Form des Taschentuchs zu einem späteren Zeitpunkt auch erhält, wie er denkt). 71 Eine in den Handreichungen aufgezeigte Erweiterung zur Aufgabe 6 ist ohne Kenntnisse über den Handlungsverlauf des Stückes kaum zu lösen, selbst mit dem Rückverweis auf die einleitenden Bemerkungen: „Discuss how a subordinate can make a person of such standing doubt himself. What might be going on in his mind? “ (GL-LB 400) Als Lösungsvorschlag wird hierzu folgende Charakterisierung angeboten: The students might argue that despite his [i.e. Othello’s] rank and the esteem in which the Venetians probably hold him (after all, they made him their general), he is full of self-doubt. He might question Desdemona’s love for him because he sees himself as an outsider and as someone who does not really belong because of the colour of his skin. The discrimination he might have suffered in former times has undermined his self-confidence to such an extent that some seemingly innocuous remarks by Iago suffice to make him doubt the truthfulness of Desdemona’s feelings for him. (GL-LB 400) Hier wird eine Menge mind reading seitens der Schüler: innen verlangt, wie sie wohl selbst kaum mit Hilfe weiterer Informationen gelänge. Der Lösungs‐ vorschlag ist ein Spiegel von übergeordnetem Inhaltswissen über die Figur Othello und ihre charakterliche Disposition. Insbesondere der in den Lösungs‐ 245 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? vorschlägen erwähnte Blick auf zurückliegende Erfahrungen mit rassistischer Diskriminierung lässt sich aufgrund einer Analyse der Szene kaum nachweisen. Auch das durchaus gespannte Verhältnis zwischen Othello und der veneziani‐ schen Obrigkeit, in dem Hautfarbe zunächst noch eine untergeordnete Rolle spielt, lässt sich nicht ohne weitere Informationen rekonstruieren. Denn Bra‐ bantio ist es, der Othello in der dritten Szene des 1. Aktes des Animismus bezichtigt und schließlich von Desdemona behauptet, sie hätte ihn nur gegen ihre Natur und gegen ihren Willen geheiratet (vgl. Shakespeare 2000: 946-947; OTH 1.3.58-74). Der Senat verhält sich zunächst in dubio pro reo und fordert Beweise, die Brabantio nicht bringen kann. Man lässt daher Othello selbst seine eigene Sicht der Dinge darlegen: Othello. Most potent, brave, and reverend seigniors, My very noble and approved good masters, That I have ta’en away this old man’s daughter It is most true; true, I have married her. The very head and front of my offending Hath this extent, no more. Rude I am in speech And little blest with the soft phrase of peace, For since these arms of mine had seven years’ pith Till now some nine moons wasted, they have used Their dearest action in the tested field, And little of this great world can I speak More than pertains to feats and broil and battle, And therefore little shall I grace my cause By speaking for myself. Yet, by your gracious patience, I will a round unvarnished tale deliver Of my whole course of love, what drugs, what charms, What conjuration and what mighty magic - For such proceeding I am charged withal - I won his daughter. (Shakespeare 2000: 947; OTH 1.3.77-94) Auf die Nachfragen der Senatoren, ob er tatsächlich ohne Zaubermittel zu Desdemonas Einverständnis gekommen sei, lässt Othello diese schließlich als Zeugin rufen - was ihm gewährt wird. Mit einer solchen längeren Passage wie dieser ließe sich das Verhältnis der Figuren zueinander plausibel erfassen. Zunächst einmal sind mehrere Figuren an der Szene mittelbar (die abwesende Desdemona) oder unmittelbar beteiligt, zudem ist darzulegen, welche Anschul‐ digungen Othello schnell beseitigen kann, um schließlich dennoch die Gründe 246 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced für Desdemonas Liebe zu ihm darzulegen. Das Verhältnis der Figuren zuein‐ ander ist geprägt von • dem Respekt vor dem Admiral, den der Duke Othello entgegenbringt; • dem Respekt vor dem senior citizen, mit dem der Duke Brabantio würdigt; • der Demut Othellos vor den Senatoren und dem Herzog; • dem Misstrauen und die Verachtung, mit der Brabantio Othello begegnet; • der Verletzung, die der Vater Brabantio seitens der Tochter empfindet, da diese sich ungefragt mit Othello verheiratet hat (was die beiden nicht minder zu „star cross’d lovers“ macht als Romeo und Juliet dies mit ihrer heimlichen Heirat werden) • dem sachliche Gebaren Othellos gegenüber Iago, • von dem zugleich deutlich wird, dass er am Besten über den Aufent‐ haltsort Desdemonas Bescheid weiß. Die Stimmungen reichen von Brabantios Empörung und Melancholie zu Beginn bis hin zu Othellos feierlichem Gelübde am Ende der Passage, die dazwischen von wohlwollendem aber insistierendem Beharren der Senatoren auf Hinter‐ grundinformationen zum Verhältnis zwischen Othello und Desdemona geprägt ist - die Beschuldigungen Brabantios allein reichen ihnen zur Wahrheitsfindung nicht. All diese Informationen über das Verhältnis der Figuren zueinander werden nun gerade nicht über Regieanweisungen vermittelt, sondern in der Art und Weise, wie die Figuren einander ansprechen: ob mit Epithet, wie „valiant Othello“, „gentle signior“, „most potent, grave and reverend signiors / My very noble and approved good masters“, oder, dem Ernst der Situation entsprechend, ohne derlei schmückendes Beiwerk - zweimal reden die Ratsmitglieder den Protagonisten nur mit seinem Namen „Othello“ an. Der Passus enthält zudem eine Vielzahl rhetorischer Tropen in den Repliken: z. B. Othellos Bescheiden‐ heitstopos „Rude am I in my speech / And little blessed with the soft phrases of peace“, der zugleich mit der Inversion zu Beginn seine spätere Aphasien im Zorn und in der Eifersucht vorausdeutet; seine akkumulierende Metaphorik, die seine Liebe zu Desdemona figurativ umschreiben und dabei Brabantios Verdacht ironisch zurückwirft: „[with] what drugs, what charms, / What conjurations and what mighty magic / […] I won his daughter“; nicht zuletzt die selbstgerechte Hyperbolik, mit der er sein Leben aufs Spiel setzt, um sich die Begebenheiten von Desdemona bezeugen zu lassen (sie wird umgekehrt später Desdemona das Leben kosten und dann sein eigenes): „let your sentence / Even fall upon my life“ (Shakespeare 2000: 947; OTH 1.3.120-121). Die an den core skills-workshop anschließenden Teile A-F des Green Line-Mo‐ duls vertiefen die zuvor entwickelten Kompetenzen; allerdings stiftet die 247 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? Abfolge der einzelnen Teile kaum Kohärenz. Aus dem dramenanalytischen workshop gewissermaßen entlassen, werden die Schüler: innen nun wieder in den historischen Kontext zurückverwiesen: Teil A „On the stage“ wendet sich Bill Brysons Darstellung zum elisabethanischen Theaterbetrieb zu (GL 235-236) und schließt damit thematisch an den entsprechenden redaktionellen Text „All the world’s a stage“ auf der „Spot on Facts“-Seite (GL 231) an. Anschließend folgt Teil B „The way to success“ mit zwei weiteren Textausschnitten aus Macbeth (als Graphic Novel) und Othello (GL 238 237-238), ehe Teil C „Shakespeare in film“ einen Auszug aus Tom Stoppards Drehbuch zu Shakespeare in Love bietet (GL 239). An diesem Punkt endet die Auseinandersetzung der Schüler: innen des Grundkurs-Niveaus mit Shakespeare; sie haben bis dahin sechs kurze Passagen aus vier Werken gelesen, davon eine graphische Adaption und einen Drehbuchauszug aus einer fiktionalen, pseudo-biographischen Filmproduktion. Danach beginnen die „Advanced texts“ für das erhöhte Anforderungsniveau. So werden in Teil D „Insights into the human mind“ wiederum Passagen aus Macbeth und Othello in Beziehung zueinander gesetzt (GL 240-241). Teil E „Shakespeare - fame and fortune? “ wendet sich der rätselhaften Biographie Shakespeares aus der (stratfordianischen) Sicht Stephen Greenblatts zu und fährt dann mit Sonett 91 fort, über das die Schüler: innen sinnieren sollen, inwieweit sich hier Informationen über Shakespeare als historische Persönlich‐ keit ableiten lassen. In diesem Zusammenhang soll zusätzlich eine Textstelle aus Shakespeares Cymbeline untersucht werden, ehe A.O. Scotts Filmrezension über Emmerichs Anonymous (vgl. dazu oben die einführenden Überlegungen zu Abschn. 2.3) den Abschluss dieses Teils bildet (GL 242-245). Es folgt der thema‐ tische Schlussakkord mit Teil F „Not for an age, but for all time“ und ein weiterer Sachartikel, in diesem Fall ein Essay der Journalistin Yasmin Alibhai-Brown über die globale Bedeutung Shakespeares in der Politik der neueren Geschichte (GL 246-247). Gegenüber dem Grundkurs-Niveau kommen hier also insgesamt drei weitere Textstellen aus Shakespeares Dramen sowie ein Sonett und drei Sachtexte hinzu, davon einer von akademisch-populärwissenschaftlicher und zwei von journalistischer Provenienz. Zweifellos werden die Schüler: innen in vielfältiger Weise jenseits rein textanalytischer Arbeitsaufträge vor allem handlungsorientiert-performativ aktiviert; die Lehrerhandreichungen ergänzen die Informationen z. B. zum frühneuzeitlichen Theaterbetrieb noch durch weitere Hinweise wie den fol‐ genden. Anlässlich der Schauspielertruppen wird auf deren Verbindungen zum histrionischen Gauklerwesen verwiesen: The theatre companies had their origin in companies of wandering acrobats, come‐ dians and actors. They travelled with cartloads of gear (costumes, some props and 248 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced food) from town to town. Whenever there was an event that drew large crowds, such as markets or church festivals, they would be there setting up their stage on the village green, in inn yards or in baiting arenas. It was only by the beginning of the 16 th century that these travelling entertainers started to act in plays - stories containing several characters and not only dealing with texts from the bible or other religious issues. (GL-LB 401) Gängige zeitgenössische Theaterpraktiken werden gar durch eine Kopierfolie (GL-LB 435: KV 3) im Klassenzimmer ermöglicht: Darin ist ein Dialog so abge‐ druckt, dass er wie die scrolls der damaligen Schauspieler ein „cue“ einer Figur mit der anschließenden Replik einer anderen Rolle verbindet: Den einzelnen Schauspielern lagen nicht die kompletten Texte vor, sondern lediglich die Auszüge der Passagen, die sie selbst zu spielen hatten. Insgesamt ergibt sich aus dieser Materialauswahl des Moduls ein Mosaik von Facetten, die auch das kaleidoskopartige öffentliche Bild von „Shakespeare“ prägen: das eines Dramatikers, der in seinen Werken grundlegende menschliche Eigenschaften so darzustellen versteht, dass sie heute noch Gültigkeit jenseits der traditionellen Medien Text und Theater auch in Internet, Film, Graphic Novels oder im Hip-Hop beanspruchen können. Zugleich zeigt das Mosaik die vielen Leerstellen in seiner historischen Darstellung, die ihn zugleich zum Gegenstand pseudo-historiographischer Romanzen wie Shakespeare in Love werden lassen. Der performative Ansatz, mit seiner Akzentuierung von Einzelbeobachtungen, geht jedoch zulasten sowohl eines detaillierten Werkwissens: Den Schüler: innen kann nicht die Entwicklung der zentralen Figuren und ihrer Handlungen / Handlungsmotivationen dargelegt werden, sondern es werden lediglich Mo‐ mentaufnahmen aus dem größeren Ganzen vermittelt: Wie am Beispiel des Verhältnisses zwischen Othello und Desdemona gezeigt, geschieht dies nicht zuletzt unter der Preisgabe werkangemessener Aufgabenstellungen. Inwieweit die kurzen Textpassagen aus The Taming of the Shrew und aus A Midsummer Night’s Dream, die im workshop vorgestellt werden, nachhaltigen Eindruck auf die Lernenden hinterlassen, ist eine weitere (rhetorische) Frage, die im Sinne einer stärkeren Fokussierung auf weniger Texte zu beantworten ist. Schaut man zudem auf die Lehrerhandreichungen, so sei an mehreren Beispielen deren nicht immer geglückte Konzeption dargelegt. Wie auch Context versucht auch Green Line den Blankvers auf paralinguistisch eingängige Weise mit der (schwachen) Analogie zum Herzschlag zu veranschaulichen, ohne allerdings in der Folge die Fachterminologie aufzugeben: The overwhelming majority of Shakespeare’s verse is unrhymed iambic pentameter (blank verse), a rhythm that resembles the human heartbeat - de dum, de dum, de 249 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 72 Im Zusammenhang mit dem Komplex „rhythm / meter“ bilden die Green Line-Lehrer‐ handreichungen einen unglücklichen Vergleich des Blankvers mit anderen Metren wie dem fälschlich so bezeichneten „iambic tetrametre“ (GL-LB 396), der sich als vierhebiger Trochäus mit iambischer Inversion am Zeilenende erweist: „Húmpty Dúmpty sát on a wáll…“ (GL-LB 396). dum - and just as the heartbeat is not mechnical [sic], but has its variations and irregularities, so iambic pentameter can be adapted to the mood and meaning of speech by varying the weight of each stress or the length of pauses and spaces in a line. (GL-LB 396) 72 Die Handreichungen erscheinen diese nicht immer abgestimmt auf die Textvor‐ lage im Schülerbuch. Verschiedene „Antworten“ benennen Details, die aus der Aufgabe nicht hervorgehen. So wird zu Beginn des Teils B „The Way to Success“ wird im Zuge des p/ w/ p-Zugangs zu den Eröffnungsszene in Macbeth und Othello die vorbereitende Frage gestellt, wie Zuschauer im Verlauf einer Aufführung mental und affektiv ‚bei der Stange gehalten‘ werden können: „What is it that keeps your attention in a film or book? What makes you go on watching after the first few scenes, or go on reading after the first page? ” (GL 237). In den Lehrerhandreichungen wird in einer Infobox die Aufmerksamkeit auf frühneuzeitliche special effects gerichtet, die darin enthaltenen Ausführungen beginnen ihrerseits mit der Frage: „Neither bell, nor curtain, nor lights indicated to the audience that a play was about to start - so how did they know? “ Das sicherste Kennzeichen war die gehisste Flagge über dem Theatergebäude: „Plays would begin, heralded by a flag waving from the top of the playhouse and a trumpet call to announce its commencement, usually either two or three o’clock in the afternoon, depending on the season, and ended well before dark.“ (Gurr 2016: 70) Statt solch eine Antwort zu liefern, fährt die Information fort mit der Feststellung, dass unter den damaligen Bedingungen nur sehr limitierte Spezialeffekte möglich gewesen sind - ein Zusammenhang zum vorher erfragten Aspekt besteht dabei nicht, vielmehr werden im Folgenden bühnentechnische Vorrichtungen wie Falltüren und Flaschenzüge genannt, bzw. Harz als Rauchentwickler (vgl. GL-LB 404): Mittel und Gegenstände also, die mit der ursprünglichen Fragestellung nach dem Beginn einer Aufführung nichts zu tun haben, sondern eher bühnenhistorische Konventionen und Möglichkeiten darlegen. Es deutet sich hiermit an, dass einige der Lösungsvorschläge zwar als infor‐ mative Erweiterungen der Schülermaterialien dienen, jedoch korrelieren sie nicht immer mit den Fragestellungen. Eher ergänzen sie ihrerseits die redaktio‐ nellen Texte der Handreichungen mit zusätzlichen Hintergrundinformationen, die eine Lehrkraft an unterschiedlichen Stellen des Unterrichtsgeschehens 250 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 73 Für eine umfassende Charakterisierung Iagos ziehen Ahrens/ Hammer nicht weniger als 11 Textpassagen aus allen fünf Akten heran, mit denen sich eine Entwicklung nachweisen lässt. in Form von Lehrervorträgen einfließen lassen kann, oder die als mögliche Stichwort-Vorgabe für weiter auszuarbeitende Schülerreferate dienen. *** Die vorangegangenen Ausführungen zum Unterrichtsmodul „Shakespeare“ in Green Line legen dar, dass hier in manchen Aspekten enge Parallelen zum ent‐ sprechenden Context-Modul festzustellen sind, insbesondere was die reduzierte Exposition der Schüler mit authentischen Texten aus den Werken Shakespeares betrifft. Der schon zuvor angesprochene stoffliche Minimalismus steht hier wie dort im Zusammenhang mit den kompensatorischen Versuchen, einzelne Plots intuitiv zu rekonstruieren, d. h. durch schülerzentrierte Hypothesenbildung eine fokussiertere Textanalyse (mit einem Werk als Untersuchungsgegenstand) zu ersetzen. Aus wissenschaftspropädeutischer Sicht ist dies ein unzureichendes Verfahren, da den Schüler: innen auf diese Weise nicht die Gelegenheit gegeben wird, sich vertiefend mit den (inhaltlich keineswegs immer unhinterfragbaren) Stoffen auseinanderzusetzen; stattdessen entwickeln sie allenfalls eine sehr schwammige, keineswegs immer zutreffende Vorstellung der dramatischen Texte. So wird an keiner Stelle die Begründung dafür geliefert, warum in der Auswahl der Passagen aus Othello eher Iago als die Personifikation des Bösen in den Vordergrund rückt, anstatt das Eifersuchtsdrama zwischen Othello und Desdemona zu untersuchen. Warum das Stück den Titel Othello trägt, wenn scheinbar doch Iago - übrigens auch in aufführungsgeschichtlicher Perspektive - der interessantere der beiden Hauptcharaktere ist, wird ebenfalls nicht thematisiert. Eine zentrale Frage stellt sich hier in dem Sinne, wie viel oder wie wenig „Shakespeare“ den Schüler: innen der Qualifikationsphase innerhalb der gymnasialen Oberstufe wohl zuzumuten sei? Aufgrund der Komplexität von Handlung und Figuren (nicht nur Othello und Iago), die in Bezug zum elisabe‐ thanischen Weltbild mit seinen „belief systems, values, behaviours, history and culture“ zu setzen ist, halten Ahrens / Hammer dafür, mit einem Ganztext eher als mit snippets zu arbeiten: „content and culture in Shakespeare’s literature is not presented in a trivial way but through specific complexities that cannot be founded in graded readers“ (Ahrens/ Hammer 2014: 211), und diese Schlussfol‐ gerung mag in besonderem Maße angesichts der wenigen - im Falle von Macbeth und Othello: jeweils drei kurzen, zwischen vier und 56 Druckzeilen umfassenden - Passagen und der daraus resultierenden problematischen Gesamtsicht auf die behandelten Stücke in Green Line gelten. 73 251 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 2.3.4 Pathway Advanced: Shakespeare als postmoderner Mythos Die gesamte Shakespeare-Moduleinheit in Pathway Advanced ist mit einer Formulierung aus dem Monolog Prosperos im Anschluss an die Aufführung des mythologischen Spiels-im-Spiel, das in The Tempest aufgeführt wird (Akt 4.1), überschrieben: „Such Stuff as Dreams are Made on”. Auch die einzelnen Segmente der Einheit tragen anspielungsreiche Überschriften. Der erste Teil, „Mr. Shakespeare: On Stage, Please“, erstreckt sich über drei Doppelseiten (PA 442-449), ehe eine weitere Doppelseite einen Focus on Facts liefert (PA 450-451), in dem vor allem theater- und bühnengeschichtliche Hintergründe erläutert werden. Die erste werkbasierte Materialeinheit mit Auszügen aus Shakespeares Texten steht unter dem Motto „Dreams and Demons: Death, De‐ vils … Dissolution“ (PA 452-459), eine zweite widmet sich eher romanzenhaften „Dreams and Desires: Love, Lust … Elysium“ (460-468), während die letzte Seite einen themenabschließenden „Focus on Language: Shakespeare’s Lang‐ uage“ präsentiert (PA 469). Hier sind die wesentlichen sprachgeschichtlichen Eigenheiten in Shakespeares Werken, die die Bildhaftigkeit seiner Sprache, den Blankvers, die Wortschöpfungskraft und bestimmte grammatische Phänomene (Anredepronomen, morphologische Besonderheiten für Verben in der 2. Pers. Plural) erklären, zusammengefasst hintangestellt: sei es, dass dies hier wie dort der Methodik des Task-Based Language Teaching geschuldet ist, demzufolge der „Focus on Form [i.e., Grammatik, Sprache]“ erst am Ende einer Einheit erfolgt (vgl. Müller-Hartmann/ Schocker-v.Ditfurth 2014: 47), sei es, dass diese Seite immer wieder als Nachschlageort für sprachlich ungewohnte bzw. unverständ‐ liche Formulierungen verwendet werden mag. Die beiden werkbasierten Hauptabschnitte entsprechen den workshops in Camden Town und Green Line, sind jedoch - wie an gegebener Stelle unten zu erläutern sein wird - aufgrund einer viel ausgeprägteren Vermittlungsstrategie ganz unterschiedlich zu diesen konzipiert. Anders als die restlichen Einheiten des Lehrwerkes gibt es am Ende zu diesem Modul keine thematisch zusammen‐ gestellte Vokabelliste; gleichwohl gibt es ein Äquivalent mit einem allgemeinen „Focus on Language: Literary Terms“ im Anschluss an den Skills-Anhang des Bandes, besonders die Seiten mit Begriffen zur Analyse literarischer Texte, PA 538-541). Den Einstieg in das Thema dominieren zwei humoristische Bildelemente, die beide die Darstellung von Gewalt in Shakespeares Stücken karikieren: Auf der linken Doppelseitenhälfte wird in einem um zwei Dramentitel gekürzten Piktogramm-Poster von Cam Magee und Caitlin S. Griffin (PA 442), das den Titel „Shakespeare’s Tragedies: Everybody dies“ trägt, die Todesursache der verschiedenen Figuren in Romeo and Juliet, Hamlet, Othello, Macbeth, Antony 252 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 74 Der Begriff „Leitmotif “ erscheint hier nicht angemessen verwendet, da dieser eine wiederkehrende stilistische oder bildliche Figur in einem (zumeist auch längeren) Text impliziert; hier sind jedoch eher gemeinsame oder vergleichbare Handlungsanlässe gemeint, die die verschiedenen Stücke kennzeichnen. Es entsteht zudem an dieser Stelle eine inhaltliche Doppelung mit der Focus on Facts-Seite, wo ebenfalls bestimmte „topics and leitmotifs of Shakespeare’s plays“ (PA 450) aufgelistet sind. and Cleopatra, Julius Caesar und King Lear durch jeweils ein Piktogramm je Figur dargestellt und verbal in Frakturschrift erläutert. Eine weitere, kleinfor‐ matige Illustration im rechten oberen Quadranten der Doppelseite, entworfen vom prominenten amerikanischen Karikaturisten Mike Peters, zeigt ein Paar wohlsituierter elisabethanischer Theatergänger vorm Globe Theatre mit den Spielplan-Ankündigungen King Lear, Romeo and Juliet und Macbeth. Angesichts dieser Titel bekundet die Frau Unmut und Empörung gegenüber ihrem Mann: „I’M SICK OFIT… ANOTHER FALL LINEUP OF SEX AND VIOLENCE, SEX AND VIOLENCE…” (PA 443; Herv.i.Orig.) Diese beiden dominanten visuellen Impulse werden erst in Aufgabe 3 unter dem Aufhänger „[…] discuss the lady’s complaint: Are Shakespeare’s plays a line-up of ‘sex and violence’? “ (PA 443) zur Sprache gebracht; hier sollen die Schüler: innen den Aspekt der Gewaltdarstellung in Shakespeares Tragödien zunächst in Gruppenarbeit diskutieren. Dazu werden allgemeine Kenntnisse über Shakespeare und seine Werke zusammengetragen, und als Vorbereitung auf die Gewalt-Diskussion wird jedes der in dem Piktogramm-Poster erwähnten Stücke per Internet-Recherche inhaltlich erarbeitet, und zwar in Bezug auf seine Handlung, die Figuren, die Figurenkonstellation sowie Stoffe und Motive („topics and relevant leitmotifs“, PA 443, Internetrecherche-Aufgabe 2@). 74 Die dazu erforderlichen Informationen stellen die Lehrkräfte mit ausgewählten Websites zur Verfügung, die die entsprechenden Informationen enthalten: Zum einen eine Seite der Lernplattform „thought.co“, zudem eine weitere aus der „no sweat digital“-Informationsbasis, die unter der Rubrik „Shakespeare > Types of Plays“ ihrerseits das komplette Piktogramm der Tragödien unter Einschluss von Titus Andronicus, Coriolanus und - als „Bonus“ - The Winter’s Tale zeigt. Die zum Teil sehr umfangreichen Inhaltsangaben (PA-LHB 612-616) in den Lehrerhandreichungen verweisen ihrerseits mit „sparknotes.com“, „nosweat‐ shakespeare.com“ und „Wikipedia.org“ auf informatives Material. Die Ergebnisse werden schließlich in Form von Präsentationen vor-, und mit Hilfe einer umfangreichen Handreichung sowie unter Verwendung der Illustra‐ tionen nachhaltig dargestellt. Sie sind zugleich der Maßstab zur Diskussion um die Frage nach der Gewalt in Shakespeares Dramen, und die Lehrerhand‐ reichungen differenzieren zwar in einer Hinsicht, stellen aber fest: „Love seems 253 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? to play a big role in several of the plays. However, ‘sex’ does not seem to be an explicit topic. Violence and murder, on the other hand, seem to be extremely common in Shakespeare’s tragedies.“ (PA-LHB 616) Die beiden letzten Aufgaben des Einstiegs wenden sich schließlich der zeitgenössischen Theaterszene zu und nutzen dazu eine Audiodatei, die Eindrücke von der Londoner ‚Freizeitkultur‘ wiedergibt, die der Schweizer Reisende Thomas Platter 1599 in seinem Tagebuch festhielt, und spekulieren abschließend über die Frage, warum London zu dem kulturellen Zentrum im frühneuzeitlichen Europa werden konnte, das es war. Die an den beschriebenen Details sichtbare Tendenz zur Distanzierung (bzw. Dekonstruktion) von Shakespeare als einem Über-Autor wird auch auf der folgenden Doppelseite fortgesetzt, nämlich mit den einleitenden Bemerkungen zur Verfasserfrage in diesem Kapitel (siehe dazu auch die Ausführungen im einleitenden Abschnitt zu Kap. 2.3). Hier erhalten die Schüler: innen eine kurze Kontextualisierung des Films Anonymous (2011, Regie: Roland Emmerich) sowie die ersten Einstellungen, die in John Orloffs Drehbuch den gerahmten Einstieg in die Filmhandlung vorbereiten: maßgeblich den personifizierten Prolog, im Film dargeboten von Derek Jacobi, der einige der anti-stratfordianischen Ar‐ gumente zur Verfasserfrage vorbringt und metatheatralisch zur Filmhandlung überleitet (PA 444-445). Weitere visuelle Materialien stehen den Schüler: innen zur Bearbeitung der folgenden Aufgabenblöcke in einem Webcode zur Verfü‐ gung, der seinerseits auf den Anonymous-Trailer und andererseits auf zwei Fotogalerien mit Szenenbildern aus dem Film hinführt. Im „Comprehension“-Teil steht die Auseinandersetzung mit diesen Materi‐ alen im Vordergrund, vor allem mit Fragen zur Atmosphärengestaltung in den (metadramatischen) Anfangssequenzen des Films, aber auch zur Darstellung der Elisabethaner und ihrer Zeit, die dabei angedeutet werden. In zwei Aufgaben zur „Analysis“ steht zunächst eine neuerliche Zuwendung zu dem Trailer vor; es soll nun anhand erzählerischer und kameratechnischer Repräsentationsmittel herausgefunden werden, wie der Film sein Publikum erreichen kann. Eine zweite Aufgabe bringt einen Cartoon von Sidney Harris ins Spiel, in dem die Frage der Autorschaft ebenfalls in den Vordergrund rückt. Allerdings geht es in diesem Fall, wie die Lehrerhandreichungen darlegen, weniger um die Frage, wer anstelle von William Shakespeare dessen Stücke geschrieben habe (und damit also weniger um eine explizite Negation seiner Verfasserschaft) als um die Unsicherheit, die solche Stücke wie Macbeth - bzw. einzelne Passagen darin, die auf eine spätere Hinzufügung der späteren Hexenszenen durch Thomas Middleton - oder andere Ko-Autorenschaften umgibt: „The cartoon offers no definitive answer to the question. However, the fact that the Globe Theatre audience first assumes that ‘Will’ was the author suggests that he very well 254 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced could be, even though he does not confirm this. The screenplay, on the other hand, has a much more definitive view, namely that Shakespeare was definitely not the author.” (PA-LHB 619, Herv.i.Orig.). Trailer und Szenenfotos werden auch für die anschließenden Aufgabenblöcke erneut eingesetzt; in activities, um nach weiteren (inhaltlichen? ) Recherchen zu Anonymous anhand eines Szenenfotos der jeweils dargestellten Figur einen inneren Monolog oder einen Dialog zuzuschreiben und dieses Ergebnis dann aufzuführen. Danach sollen die Schüler: innen den Leitartikel einer fiktiven Zeitung zu einer „Shakespeare Conspiracy“ verfassen. Problematisch an dieser paradoxal anmutenden distanzierten „Annäherung“ an den historischen Shakespeares in diesem ersten Modulteil ist die Tatsache, dass der anti-stratfordianischen Sichtweise nahezu unhinterfragt Wort und Raum gegeben wird: Zwar wird die Verfasserfrage insgesamt eingangs als „merely a debate among brainy scholars“ marginalisiert, dennoch richten die hier eingesetzten Materialien fast die alleinige Aufmerksamkeit auf den Versuch, diese Frage im Sinne von Emmerichs Films, fußend auf J. Thomas Looneys Ausführungen, zu beantworten (so in dem per Webcode aufrufbaren Erklärvideo mit Emmerichs Gründen gegen Shakespeares Autorschaft, „Ten Reasons why Shakespeare was a Fraud“, Emmerich 2011b). Diese Gewichtung wird lediglich, ebenfalls über Webcode abrufbar, durch einen Verriss in einer Filmrezension für die Zeitschrift The Guardian konterkariert (Shapiro 2011). Darin weist James Shapiro als einem Vertreter des academic establishment nicht nur auf die jeweils neu anzupassenden Daten der allgemeinen englischen Geschichtsschreibung hin, die Looneys Thesen notwendig erscheinen lassen und nun zu Emmerichs Neudeutung führen, sondern er bezweifelt in seinem Artikel auch die intellek‐ tuelle, politische und persönliche Integrität Looneys, und hinterfragt damit die autoritative Selbstermächtigung von Emmerichs Hauptquelle. Bedenklich erscheint in dieser Material- und Gemengelage, dass die Schüler: innen die im akademischen Diskurs stigmatisierte Position nicht nur als etwas vermittelt bekommen, von dem man (vielleicht? ) einmal gehört haben sollte, sondern dass sie angehalten werden, diese verschwörungstheoretische Mythographie um Shakespeare eigenhändig weiter zu gestalten und ‚kreativ‘ fortzuschreiben, anstatt z. B. im Zuge einer Erörterung unter Verwendung der Focus on Facts-Seite „Basic Types of Non-Fictional Texts“ (PA 492) die unterschiedlichen Positionen gegeneinander abzuwägen. Insgesamt erhalten die Schüler: innen weit mehr Argumente gegen Shakespeare als Verfasser seiner Werke geliefert als dafür, womit sie über das Lehrbuch in eine sehr zweifelhafte, wissenschaftlich höchst umstrittene Diskursebene manövriert werden. 255 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? Der nächste Arbeitsschritt wendet sich einem Auszug aus John Russell Browns 1982 erschienener Monographie Shakespeare and His Theatre zu (PA 447-448) - einer plastischen Schilderung des frühneuzeitlichen Theaterbetriebs, die wesentliche Begriffe wie „verbal / word scenery“, Ausdrücke aus der bühnentechnische Terminologie und bestimmte Aufführungspraktiken eher situativ als systematisch darstellt. Wissenschaftlich seit den archäologischen Ausgrabungen am Standort des Rose Theatre in den frühen 1990er Jahren und durch die Eröffnung des originalgetreu rekonstruierten New Globe Theatre seit 1997 überholt, werden zentrale theatergeschichtliche Konzepte mithin anschaulich erläutert, jedoch nicht gebündelt in Form z. B. einer eigenen Wör‐ terliste festgehalten, so dass zum einen die Präzision des Ausdrucks fehlt und zum anderen eine mentale Verfestigung dieser Begrifflichkeiten nicht gewähr‐ leistet ist, woraus den Schüler: innen wiederum ein diskursiver Nachteil bei der mündlichen wie schriftlichen Sprachproduktion erwächst. In Zusammen‐ hang mit diesem Text erhalten die Schüler: innen einen grafischen Querschnitt durch ein frühneuzeitliches Theater (PA 449), mit Zuschauerrängen, vertikalen Bühnenelemente (heavens, world, hell) sowie backstage-Bereich (Garderobe, Requisitenraum, Bühnentechnik). Veranschaulicht werden soll den Schüler: innen vor dem Hintergrund der Textinformationen und der Illustration die Bedeutung der sprachlichen Illu‐ sionskraft, die das frühneuzeitliche Theater auszeichnete und die von den Schauspielern Höchstleistungen einforderte (vgl. Baumbach/ Nünning 2009: 158). Zugleich erkennen die Lernenden die enge, z.T. auch kommunikative Verbindung zwischen Darstellern und Publikum in einem Theater, das die ‚vierte Wand‘ der Guckkastenbühne des Theaters im 19. Jahrhundert noch nicht kannte. Nach mehreren Arbeitsschritten, die das Textverständnis im Zusammenhang mit dem Auszug aus Browns Studie sichern und dann die Illustration analysieren, kulminiert die Beschäftigung mit diesen beiden Infor‐ mationsquellen in einer Prüfung der Vor- und Nachteile des frühneuzeitlichen Theaters gegenüber heutigen Darstellungsweisen; festgehalten werden diese in einer Gegenüberstellung, die die Lehrerhandreichungen als Tafelbild unter der Überschrift „Acting in the Globe“ vorgeben: 256 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Advantages disadvantages • the audiences faced the stage from three different directions • actors could only be seen frontally by everybody when seen standing at the very back of the stage • the actors had to constantly change the direction so that the different audience members could see them → advantage: constant motion and change on stage makes the action more interesting and varied and holds the au‐ dience’s attention • there will always be some audience members who cannot see very well • having to “play the whole house” might lead to overacting and “hammy” performances • sometimes a more subtle performance is more convincing • sitting in a lighted audience and being very close to the stage can break the illusion of the performance Tab. 20: Musterlösung zu Pathway Advanced, Theme „Shakespeare - John Russell Brown: ‚Onstage and Backstage‘“, Aufgabe 6 (PA-LHB 622, Herv.i.Orig.) Gerade der letzte Nachteil würde durch einen Hinweis auf die frühneuzeitli‐ chen Theaterfeinde im elisabethanischen London weiter erhellt werden - dass es sich bei der Illusionsbrechung nicht nur um einen technischen ‚Fehler‘ handelte, sondern dass sie ganz im weltanschaulich-theologischen Sinne der vielfach puritanischen, theaterfeindlich gestimmten Magistraten im Rat der Stadt London war. Diese betrachteten - anders als die meisten Höflinge und adligen Patrone für die Schauspielertruppen - alles illusionistische Gewerbe vor und neben der Bühne, inklusive der Verbreitung fiktionaler Schriften, mit misstrauischen Augen: Theater waren verrufen als Orte des gesellschaftlichen Chaos (Darstellung von Gewalt und Intrige; Auflösung der sozialen und natür‐ lichen Ordnung - der „Great Chain of Being“, in der jeder noch so kleine Teil der göttlichen Schöpfung seinen vorherbestimmten Platz hat). Beispielhaft sei hier ein kurzer Auszug aus der Übersetzung eines lateinischen Dialogs, verfasst von John Case im Jahr 1588, in dem Positionen pro und contra die elisabethanische ‚Unterhaltungsindustrie‘ abgewogen werden, zitiert - hier spricht die Stimme contra theatrum: Games, dances and plays are said […] to be of little use. Therefore they should not be permitted. Furthermore they often corrupt morals, they expend money, they direct the minds of the citizens away from necessary things towards trivia. Therefore they should be prohibited. […] they are so unnatural as to display men dressed in women’s clothes acting as women and dancing disgracefully with others in circles, these things should not be tolerated. Moreover in the primitive church the fathers prohibited these games, defining them as nothing other than rising from tables to games, which was 257 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? expressly forbidden by God’s word. Lastly, we have six hundred other better forms of recreation, such as singing hymns, reading moral stories and encouraging bird-like singers along with St. Ambrose. (zit. nach Kinney 2000: 899 / 126 Wörter) Weitere Kritikpunkte beinhalteten z. B. die offene Darstellung unchristlichen Lasters (unmoralische Liebe und heidnische Erotik); hohe Kriminalitätsraten in den Zuschauerrängen sowie die Gefahr der Ausbreitung ansteckender Krank‐ heiten (v. a. durch mangelnde Hygiene). Für derlei Aspekte bieten auch die folgenden Focus on Facts-Seiten Möglichkeiten zur Anschlusskommunikation, insofern die dort formulierten redaktionellen Informationstexte über „Shake‐ speares Stage“ mit dieser theaterfeindlichen Haltung einsteigen: „Through the 1580s and 1590s London’s Lord Mayors tried to have plays banned because they were thought to be profane and ungodly. Moreover, plays took apprentices and workmen away from their jobs, since they were performed in daylight each afternoon.” (PA 450) Ein letzter Aufgabenblock zu diesem bühnengeschichtlichen Komplex wendet sich einem weiteren wichtigen Aspekt des frühneuzeitlichen Dramas in England zu: Wird in Russells Text einerseits immer wieder auf die Bedeutung der Illusionskraft durch das Wortmaterial hingewiesen, so hängt andererseits ein Großteil der Illusion auch von den Schauspielern und ihrem Vermögen zur gestischen und mimischen Darstellung von Aktionen und Emotionen ab: Die Pantomime war ein wichtiges Element auf der frühneuzeitlichen Bühne. Des‐ wegen sind die Schüler: innen hier angehalten, selbst pantomimisch in Aktion zu treten und Szenen aus ihrem Alltag mit so wenigen Hilfsmitteln wie möglich darzustellen - um den Lernenden Impulse zu geben, hält der Schülerband einige Beispielsituationen bereit: zum einen die Reklamation eines Gastes in einem Restaurant, da sein Essen zu kalt / zu warm / zu fad / zu versalzen ist; zum anderen eine Schulsituation, derzufolge sich die Schüler: innen gegenüber einer ‚Lehrkaft‘ für ihre schlechten Noten rechtfertigen müssen und dabei Zeitmangel und Schwierigkeitsgrad der Aufgaben anführen (PA 448, Aufgabe 7). Unglücklicherweise verwendet das Schulbuch in der Aufgabenstellung für beide Situationen Wörter für „sprechen“ („talk“ / „tell“), die dem Format einer Pantomime unpassend gewählt sind. Dessen ungeachtet bietet diese Aufgabe die Möglichkeit, nach einer umfang‐ reichen Sequenz von Analysen und der Erarbeitung des (bühnen-) geschichtli‐ chen Hintergrundwissens vorübergehend aktiv zu werden und selbst einige der erlernten Theaterkonventionen anzuwenden - als Schüleraktivierung ist dies eine passende Maßnahme, die auch vor dem Anspruch zu sehen ist, den Schüler: innen das Theater als Medium „nahezubringen“. Dies geschieht also nicht allein vor dem Hintergrund einer Dekonstruktion von Shakespeares 258 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Nimbus als Weltschriftsteller und literarische Autorität, sondern auch mit Hilfe einer aktiven Annäherung an den Diskurs des Darstellenden Spiels. Gibsons script-Ansatz wird hiermit also Genüge geleistet, denn zwar sind bislang noch keine Original-Szenen aus Shakespeares Werken Gegenstand des Spiels, aber die Richtung auf eine solche auf Performativität beruhende Stoffvermittlung hin ist mit dieser Aufgabe vorgegeben. Die folgenden beiden Focus on Facts-Seiten schließen die Einführung in das Thema ab; zum einen reicht der Redaktionstext „Shakespeare’s Stage“ (PA 450) einige der zentralen theater- und bühnentechnischen Begrifflichkeiten nach, die in Russells Ausführungen nur als Umschreibung vorkamen. Die hier mitgeteilte Information ist allerdings wiederum eher idiosynkratisch geordnet und führt über eine (imaginäre) Gedankenkette von der zeitgenössischen Theaterkritik über die Namen der beiden wichtigsten Schauspielertruppen zu Shakespeares Zeit (Lord Chamberlain’s Men / Lord Admiral’s Company), den Spielorten in Southwark bis zu ihren nach sozialer Hierarchie gestaffelten Eintrittspreisen. Darauf folgt ein kurzer Aufriss der Bühne samt ihrer vertikalen Aufteilung in „Hell“ und „Balcony“ / „Heaven“ sowie die hochfrequente Produktivität der elisabethanischen playwrights. Eine Liste mit „topics and leitmotifs“ schließt diesen Focus ab, unmittelbar gefolgt von einem weiteren, betitelt mit „Drama and Theatre“ (PA 451). Hier begegnen die Schüler: innen zunächst grundlegenden text-basierten Begrifflichkeiten über die Binnenstrukturierungselemente (in „act“ und „scene“), zentrale Figuren („protagonist“ / „antagonist“), Figurenrede („mono‐ logue“, ohne Differenzierung ggü. soliloqui / „dialogue“) sowie „stage directions“; zudem kommen aufführungs-basierte Ausdrücke wie „setting“, „scenery“, „props“ und „sound“ bzw. „lighting“ zur Geltung. Zwei Grafiken veranschaulichen die Spannungsbögen der „traditional tragedy“ und „traditional comedy“, inklusive der Abfolge der einzelnen Strukturelemente von exposition bis resolution im Sinne der Freytagschen ‚Pyramide‘. Beide Focus on Facts-Seiten werden den Schüler: innen unkommentiert und ohne Aufgaben zur autonomen Erarbeitung präsentiert; fett hervorgehobene Wörter und Phrasen signalisieren ihnen die wesentliche Termi‐ nologie. Eine in der unteren Seitenhälfte abgebildete Bühne schließlich zeigt eine Guckkastenbühne mit weiblicher Darstellerin, Seitenlogen und Orchestergraben und ist somit, fürs eliabethanische Theater, ein Anachronismus (es handelt sich um die Illustration einer Restaurationsbühne), an dem nochmals verschiedene Begriffe aus der Theaterwelt illustriert werden. Zusammenfassend sei festgehalten, dass sich in diesen Einführungsseiten erneut die Problematik des Einstiegs in den thematischen Gegenstand zeigt: Gegenüber dem Bemühen um den Abbau von zeitlicher Distanz bei gleichzeitiger Dekonstruktion des kulturellen Symbols ‚Shakespeare‘ kommt, wie sich an der 259 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 75 Die Bezeichnung „Prospero’s Epilogue“ im Schulbuch (PA 454) ist hier ohne weitere Kontextualisierung insofern irreführend, als The Tempest tatsächlich einen solchen Epilog im Anschluss ans Ende der Handlung in Akt V.1 aufweist. Dort kündigt Prosperos seine Rückkehr in die natürliche Welt an und richtet seinen Appell an die Zuschauer, nun auch ihn - nachdem er selbst seine übernatürlichen Geister schon in die Freiheit entlassen hat - gehen zu lassen: „As you from crimes would pardoned be, / Let your indulgence set me free.“ (Shakespeare 2000: 1095; TEMP 5.1.19-20) Pathway Advanced stellt den Illusionscharakter der binnenfiktionalen masque zur Debatte: „We are stuff / As dreams are made on; and our little life / Is rounded with a sleep.“ (PA 454, Z. 9-11; entspr. Shakespeare 2000: 1090; TEMP 4.1.156-158) Materialauswahl mit humoristischen Bildimpulsen zu Beginn, dem Drehbuch‐ auszug aus dem pseudobzw. kontrahistoriographischen Film, einem nicht mehr aktuellen Sachtext zur Bühnengeschichte und dem abschließenden Bildimpuls er‐ kennen lässen, einer möglichen wissenschaftspropädeutischen Perspektivierung in diesem Teil des Shakespeare-Moduls eine untergeordnete Bedeutung zu. Richard III, 1.2 / Macbeth 5.5 / The Tempest 4.1 / Sonnet No. 73. Der erste Kontakt mit Shakespeares Texten erfolgt in der Materialsammlung, die unter der als Motto phrasierten Überschrift „Dreams and Demons… / Death, Devils … Dissolution“ steht. Hier werden zunächst drei Auszüge aus den Dramen Richard III, Macbeth und The Tempest erarbeitet, denen das Sonett Nr. 73, „That time of year thou mayst in me behold“, und dessen Übersetzung (Wolf Biermann, 2005) beiseitegestellt wird. Nach einer kurzen Plot-Skizze des Historiendramas im Abschnitt „Awareness“ folgen Teile der Werbungsszene zwischen Richard of Gloucester und Anne, die auch in Context erarbeitet wird (s. o. Abschn. 2.3.2). Hier wird ein längerer Ausschnitt dieser Szene von 110 Zeilen Umfang verwendet (PA 452-454), aber anders als in Context nicht bis zu dem Moment, wo Richard am Leichnam des von ihm selbst ermordeten Henry VI sich unter vermeintlicher Preisgabe seines eigenen Lebens Anne scheinbar unterwirft, sondern nur bis zu ihrer ersten, instinktiv brüsken Abweisung seines Werbungversuchs. Der Auszug aus Macbeth enthält die Reaktion der der Titelgestalt auf die Nachricht vom Tod seiner Frau sowie die anschließende Reflexion über den (Un-)Sinn des Lebens („life’s but a walking shadow“): Dieser umfasst lediglich 14 Zeilen, während „Prospero’s Epilogue“ 75 aus The Tempest gar nur mit 11 Zeilen auskommt (PA 454, entspr. Shakespeare 2000: 1090; TEMP 4.1.148-158). Die Schüler: innen bearbeiten dieses Material jeweils in unterschiedlichen Gruppen. Per Internetrecherche arbeiten sie im Zuge der „Comprehension“, wie schon auf den Einstiegsseiten, Handlungsstruktur, Themen, Leitmotive und Figuren des jeweiligen Dramas heraus. Im darauffolgenden Schritt, einer Phase des informationsentnehmenden Lesens, suchen sie solche Begriffe aus dem ihnen zugewiesenen Passus, die in Verbindung zu den Stichwörtern der 260 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Abschnitts-Überschriften stehen („e.g. dreams, demons, death, devils, etc.“, PA 455), ehe sie mit Hilfe der Methode des Jigsaw-Puzzle neue Arbeitsgruppen-Kon‐ stellationen bilden, in denen die ‚Spezialisten‘ einer der vorherigen Gruppe die Mitglieder der anderen Gruppen über das jeweils erarbeitete Stück informieren. Entstehen soll dabei, laut Lösungsvorschlägen, etwa folgende Tabelle: Richard III Macbeth Prospero the corpse of King Henry VI devil, hell mortal body, soul butcheries, wounds, blood inhuman villain, curses evils dead, devilish homicide the queen … is dead … died last syllable of recorded time dusty death walking shadow heard no more nothing revels … ended … spirits vision dissolve insubstantial pageant faded dreams … sleep Tab. 21: Musterlösung zu Pathway Advanced, Theme Shakespeare „Dreams and Demons… / Death, Devils … Dissolution“, Task 1, Step 3 (PA-LHB 627) Man erkennt an dieser Tabelle nur bedingt den Bezug auf die vorhergehenden Arbeitsschritte, insofern hier zwar einzelne Wörter und Formulierungen aus den unterschiedlichen Textpassagen aufgeführt sind, aber es werden weder die zu recherchierenden Strukturelemente noch die Konfiguration von Charak‐ teren der Stücke erfasst. Insofern bleibt der Lösungsvorschlag weit hinter den Erfordernissen der inhaltlichen Erarbeitung zurück. Wenig plausibel erscheint auch, dass die drei Textpassagen eine solche unterschiedliche Länge von 160 Zeilen gegenüber 11 bzw. 14 Zeilen haben - daraus ergibt sich eine praxisferne Gestaltung der Vermittlung dieser Passagen. Denn dass der Zeitaufwand für die rein inhaltliche Erarbeitung des Dialogs zwischen Richard und Anne wesentlich höher sein dürfte als der für die anderen beiden Auszüge, liegt auf der Hand; entsprechend sind auch die zu erwartenden Ergebnisse nach der Phase des skimming for detailed information wesentlich ergiebiger als dies aus der Tabelle hervorgeht. Schließlich ist fraglich, welchen Lerneffekt die Schüler: innen hin‐ sichtlich der Plotkenntnis der Stücke haben, wenn ihre Informationen dazu maßgeblich auf den Informationen ihrer Mitschüler: innen beruhen. Auf diese Phase einer inhaltlichen Erarbeitung folgt die ausführlichere Untersuchung der Textpassagen, nunmehr unter Einschluss des Sonetts Nr. 73 („Analysis“). Auch hier verfolgt das Lehrwerk eine intransparente, wenig Authentizität erzeugende Arbeitsphasierung. So werden erneut Schülergruppen 261 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 76 Im Falle des Sonetts sollen die Schüler: innen zudem eine Strukturanalyse vornehmen („Describe and explain…“, PA 457), wobei der Aufbau eines Shakespeare-Sonetts direkt unter dem Aufgabenblock zu diesem Gedicht inklusive der Terminologie dargestellt ist. Die ‚Beschreibung’ erscheint demzufolge ein unglücklich gewählter Arbeitauftrag angesichts der im Wortsinn naheliegenden Lösung; für die ‚Erklärung’ hingegen fehlt der Hinweis, dass diese anhand inhaltlicher Details belegt werden sollte. Die Lehrerhandreichung sehen dafür folgende Lösung vor (PA-LHB 631): „Each quatrain gebildet, die sich jeweils mit einem der zuvor erarbeiteten Texte bzw. dem Sonett befassen - wobei das Sonett bislang noch gar nicht inhaltlich erfasst worden ist. Allen Gruppen wird per CD (Lehrkraft-Material) neben dem ge‐ druckten Dramen-Passus auch die entsprechende Vertonung zur Verfügung gestellt und im Falle des Auszugs aus Macbeth zudem noch, per Webcode im Schülerbuch, eine Filmszene (aus Macbeth, Regie: Rupert Goold, 2010, mit Sir Patrick Stewart in der Hauptrolle). In allen Analysen liegt ein Schwerpunkt auf der Bestimmung der darin enthaltenen sprachlich-rhetorischen Mitteln: Den Schüler: innen werden im Falle des Dialogs zwischen Richard und Anne bestimmte Termini vorgegeben, die sie anhand des „Focus on Language: Literary Terms“ im Anhang erläutert bekommen und nun am jeweiligen konkreten Text ‚untersuchen‘ sollen. Im Falle der beiden Monologe und des Sonetts und lautet die Frage schlicht nach den verwendeten Sprachbildern, die die Schüler: innen ‚analysieren und interpretieren‘ (Macbeth), ‚erklären‘ (Tempest) bzw. ‚herausarbeiten und erklären‘ (Sonett) sollen. Anschließend unterstützen die Ergebnisse die Schüler: innen dabei, die Fi‐ guren Richard und Macbeth sowie den Sonett-Sprecher zu charakterisieren. Zur Charakterisierung Richards erhalten die Lernenden den Querverweis auf den Focus on Skills „Analysis of a Fictional Text“ im Anhang, wo sie unter dem Stichwort „characters“ einzelne Kriterien erhalten: „flat / round characters, protagonist vs. antagonist, minor character(s), hero(ine), anti-hero, outward appearance, behaviour, relationship to other characters, direct or indirect characterisation“ (PA 500). In der Auseinandersetzung mit Macbeths Monolog bzw. dem Sonett erhalten die Schüler: innen ebenfalls zusätzliches Material, freilich nicht zur Vertiefung der Texterarbeitung, sondern zum vergleichenden Arbeiten: Im Zusammenhang mit Macbeth soll ein Vergleich der unterschiedli‐ chen Wirkungen im Rezitationsmodus der Audiodatei und in Stewarts Darstel‐ lung herausgearbeitet werden; dem Sonett wird die Biermann-Übersetzung zur Seite gestellt und ebenfalls ein Vergleich evoziert, nunmehr auf inhaltlicher Ebene. Hierbei stehen die (unterschiedlichen) Bildlichkeiten, zudem aber auch Atmosphäre und Stimmung sowie das Sprachregister der beiden Gedichte im Vordergrund. 76 Für die verschiedenen Sprachanalysen bieten die Lehrerhandrei‐ 262 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced focuses on a single metaphor for aging / approaching death: --lines 1 - 4: autumn / fall ; --lines 5 - 8: the end of the day ; --lines 9 - 12: a fire going out.“ chungen umfangreiche Tabellen an: mit der Aufstellung von Textzitaten, deren Zuordnung als stilistisch-rhetorisches Mittel und einer Funktionsbestimmung. Diese Zusammenstellungen erscheinen als nützliche Hilfsmittel für das moni‐ toring der Gruppen bzw. einzelnen Schüler: innen durch die Lehrkraft, allerdings bewegen sie sich - wie dies auch schon den bei anderen Lehrwerken festgestellt wurde - auf einem primär deskriptiven, geradezu positivistischen Niveau und repräsentieren eine umfangreiche Materialsammlung, die erneut die Vorstufe zu einer umfassenderen literarischen Interpretation liefern könnte: Quote line(s) Device effect petty pace dusty death poor player 589 Alliteration Emphasis à negative images; everything is worthless, bad Brief candle Life’s … a walking shadow, a poor player … it is a tale told by an idiot 89ff. Metaphor Life is compared to a candle, a shadow, an actor, a story à not real Tab. 22: Musterlösung zu Pathway Advanced, Theme „Shakespeare: Dreams and Demons, Text 2 ‚Macbeth, King of Scotland‘, Aufgabe 2 (PA-LHB 629) Dieser weitere Schritt in Richtung einer textbasierten Sinnstiftung der Schüler: innen im Umgang mit dem literarischen Material ist aber nur in einem einzelnen Fall als Arbeitsauftrag vorgegeben: in der Auseinandersetzung mit Macbeths Monolog. Es bestätigt sich damit die Tendenz, die schon in verschiedenen Zusammenhängen an den Herangehensweisen an literarische Texte anderer Lehrwerke zu erkennen war: dass die Analyse zwar gründlich und auch immer wieder mit elementaren Funktionserklärungen erfolgt, dass aber auf diese Weise nicht mehr als Materialsammlungen entstehen. Diese nehmen allenfalls den Charakter eines Zeilenkommentars an, ohne zu einem zusammenhängenden Eindruck über die Verhältnisse der Figuren zueinander oder der Situation, in der ein die jeweilige Passage stattfindet, zu führen, oder bei dem Wichtiges von Unwichtigem gelöst und zugunsten einer bestimmten (subjektiv festlegbaren, aber textzentrierten) Deutung erweitert wird. Insgesamt ist auch an diesem Abschnitt, wie schon bezüglich des Einstiegs in das Thema „Shakespeare“, festzustellen, dass die Aufgaben zu sehr disparaten 263 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 77 Da die beiden Szenenfotos mit Spacey als Richard, Duke of Gloucester, noch keinen hinreichenden Eindruck der Bühnenproduktion vermitteln, könnte dem Interview mit Spacey auch Richard Loncraines Verfilmung der Historie mit Sir Ian McKellen als Protagonist gegenübergestellt werden: Loncraine siedelt das Drama im frühen 20. Jahrhundert an und erinnert in Bildsymbolik und Setting an die Repräsentation tota‐ litärer Regimes. Vgl. dazu Loncraine 1995, „Grieving Widow“, bes. 0: 14: 40-0: 20: 14. - Im Zusammenhang eines Fokus auf dem Darstellenden Spiel ist auch die Dokumentation einer Erarbeitung des Dramas in Al Pacino’s Looking for Richard (Pacino 1996) immer wieder eine sinnvolle Ergänzung, insofern hier die professionellen Schauspieler: innen sehr kleinschrittig ihre subjektive wie kommunikativ-interaktionale Annäherung an ihre Rollen beschreiben. Auch an dieser Produktion ist Spacey beteiligt, allerdings in der Rolle als Richards Steigbügelhalter und kingmaker, dem Earl of Buckingham. Schritten (Beschreibung, Erklärung, Interpretation) und Ergebnissen (Figuren- / Sprecher-Charakterisierungen, Text-Vergleich, Formanalyse) führen müssen, ob‐ wohl sie von einem gemeinsamen methodischen Impuls ausgehen: einem close reading der jeweiligen Textpassage. Für die Lehrkraft dürfte es jedoch schwierig sein, hier den Überblick zu behalten, zumal keine Aufgabenstellung die verschie‐ denen Fäden zusammenführt: Die jeweiligen Gruppen arbeiten weitestgehend voneinander isoliert. Dies bedeutet letzten Endes, dass die learning outcomes inkompatibel sind, so dass diejenigen Schüler: innen, die sich mit dem Sonett und seiner Übersetzung auseinandersetzen, sich ganz andere Inhalte und Kompetenzen aneignen als diejenigen, die sich mit der Werbeszene Richards, oder Macbeths Monolog, oder Prosperos Rede befassen. Infolgedessen wird innerhalb einer Lern‐ gruppe der Stoff fragmentiert und hielte auch nur wenig Austauschmöglichkeiten im Sinne einer abschließenden Diskussionsrunde bereit, die vom Lehrbuch im Übrigen gar nicht vorgesehen ist. In einem weiteren Aufgabenblock „Activities“ erhalten die Schüler: innen u. a. Gelegenheit, kreativ an die drei Texte heranzugehen und - so in Aufgabe 6 - den Dialog zwischen Richard und Anne weiterzuspinnen und z. B. mit neu erfundenen Figuren wie den Geistern von Annes Ehemann oder Richards Bruder Clarence die Szene umzugestalten, um sie anschließend aufzuführen. Als Hilfsmittel wird ihnen per Weblink ein „Insult Generator“ angeboten, mit dem die Figuren Richard beschimpfen und beleidigen können. Dass Shakespeares Stück über eine ähnliche Szene verfügt, nämlich in Form von Richards Traum während der Nacht unmittelbar vor der Schlacht von Bosworth (Akt V.3), in dem ihm alle seine Mordopfer erscheinen und ihn verdammen, bleibt auch in den Handreichungen unerwähnt. Eine letzte Aufgabe lässt die Schüler: innen vor dem Hintergrund eines per Webcode verfügbaren Interviews mit dem Richard-Darsteller Kevin Spacey diskutieren, inwieweit die Themen der Histo‐ riendramen für ein heutiges Publikum noch aktuell sein können. 77 264 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Zwei andere Arbeitsaufträge, die diesen kreativen und kommentierenden Fragen noch vorangestellt sind, beziehen sich auf die Sonette und wenden sich zunächst einer eher beobachtenden als analytischen Formanalyse zu, an denen die Eigenschaften des jambischen Pentameters verdeutlicht werden. Hierzu liefert ein Info-Kasten einige wesentliche Informationen, unter anderem mit einem Hinweis auf die Ständeregel und der Unterscheidung von „blankvers [sic]“ und „rhyming verse“ (PA 454). Anhand einer Tabelle, die die erste Zeile aus Sonett Nr. 18, „Shall I compare thee to a summer’s day? “ analysiert, wird eine Metrikanalyse illustriert. Dabei sind die einzelnen Silben der Zeile nummeriert, und jedem Silbenpaar ist ein „foot“ zugeordnet, dem ein graphisches Symbol als Betonungszeichen zugeordnet ist („x“ für die unbetonte Silbe, „\“ für den Iktus). Als lautmalerische Stütze wird hier jedem Versfuß das oben schon mehrfach erwähnte Lautmuster „de-DUM“ zugeordnet (vgl. Abschn. 2.3.1). Im Gegensatz zu anderen Lehrwerken, in denen die informelle Beschreibung den fachsprachlichen Begriff ersetzt, wird hier tatsächlich eine sinnvolle akustische Ergänzung zur Visualisierung gebildet, die den Stellenwert des Begriffs unan‐ getastet lässt. Die nachgestellte Thematisierung des Metrums innerhalb der Unterrichts-Einheit erscheint sinnvoll, da im Vorfeld verschiedene Bedeutungen (bzw. Deutungsmöglichkeiten) der Texte zumindest ansatzweise erfasst worden sind. Im Anschluss an diese Erarbeitung unterschiedlicher Textstellen aus Shake‐ speares Werken folgt, diesen ersten Workshop abschließend, eine Mediationsauf‐ gabe mit zwei Texten in deutscher Sprache, die sich den ganz unterschiedlichen Eindrücken widmen, welche Shakespeares Werke auf heutige Schauspieler bzw. Regisseure erzeugen. Präsentiert werden die Sichtweisen Kenneth Brannaghs und Ulrich Matthes’, die - jede für sich - den Nimbus von „Shakespeare“ als unerreichbarem Übervater des Theaters betont und somit erneut die Paradoxie von Distanz und Nähe zum Ausdruck bringt: Denn natürlich hat jeder dieser beiden und der verschiedenen anderen Schauspieler: innen, die in dem Shake‐ speare-Spezial der Ausgabe von der Wochenzeitschrift Die Zeit („Shakespeare, der Größte“, 10. April, 16/ 2014) zu Wort kommen, einen Teil zur aktuellen Bühnengeschichte der Werke Shakespeares beigetragen. Für die Bearbeitung dieser Texte wird den Schüler: innen zunächst die anhaltende Diskussion darüber ins Bewusstsein gerufen, ob und wie Shake‐ speares Werke im fremdsprachlichen Englischunterricht einzusetzen seien. Diese Prämisse gerät aber nur indirekt in den Blick; die Frage „what should be done / changed in order to make Shakespare’s complex works more accessible to young audiences / readers“ (PA 459) könnte die Möglichkeit zur schüler‐ orientierten Reflexion und Evaluation des vorliegenden Unterrichtsmoduls 265 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? eröffnen, jedoch erhält diese Möglichkeit zum Feedback keinen Raum in den folgenden Aufgaben. Die eigentliche Mediation der beiden Texte mit ihren ähnlichen Standpunkten erfolgt im Zuge eines simulierten Online-Forums mit internationalen Englischlernenden. Die Schüler sollen in Partnerarbeit die beiden Standpunkte Brannaghs und Matthes’ herausarbeiten und dem Forum darlegen. Eine zweite Frage lässt die Aufmerksamkeit auf die von Brannagh erwähnten Stücke King Lear und Hamlet richten, für die Schüler: innen schon am Beginn der Einheit Inhaltsangaben erstellt hatten. Hier wird die Frage nach der Relevanz bestimmter Themen in diesen Stücken speziell für 16jährige gestellt. Die Lehrerhandreichungen liefern dazu den Entwurf für das folgende Tafelbild: Shakespeare and teenagers 16-year-olds failure growing up learning new things, making mistakes death confrontation with death among family or friends humour always important loneliness new friends and relationships, loss of old relationships domestic quarrels the search for a new role in life upsets other family members foolishness experiments with new things (sex, drugs, relationships) sadness emotional instability due to age and development vulnerability social pressures and less reliance on / support from adults Abb. 7: Tafelbild zu PA 459, Aufgabe 1 (PA LHB 633) Eine dritter Arbeitsauftrag spannt den Bogen zurück auf die Zusammenstellung von Themen und Motiven in Shakespeares Stücken, die auf der Seite mit dem „Focus on Facts: Shakespeare’s Stage“ (PA 450) gelistet sind. Auch hier sollen die Schüler: innen einschätzen und beurteilen, welche Bedeutung die dort genannten Stichwörter für den heutigen Alltag bzw. ein weltweites Publikum von Heranwachsenden hat. Für eine abschließende activity erhalten sie einen Webcode zur gezielten Internetrecherche, der seinerseits eine Liste mit vier 266 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Links zu Produktionen aus dem Zirkel der Londoner „Hip-Hop Shakespeare Company“ um Kingslee „Akala“ Daley führt. Es lässt sich vorläufig festhalten: Die im Titel des Abschnitts erzeugte thematische Verbindungslinie von „Dreams and Demons, Death, Devils and Dissolution“ erscheint insgesamt zu disparat: Richards ausgedehnter Dialog mit Anne im Kontrast zu den konzisen meta-dramatischen Reflexionen Macbeths und Prosperos über den Illusionscharakter der vergänglichen Wirklichkeit ist stark konstruiert, wirkt wenig plausibel und kann keine für die Schüler: innen re‐ levante Bedeutsamkeit („meaningfulness“) entfalten. Angemessener erschiene es, die Textauswahl um die „Demons“ und „Devils“ zu entlasten, so dass anstelle der Werbungs-Szene aus Richard III sich hier in besonderem Maße der berühmte Monolog Jaques’ in As You Like It, Akt 2.7, anböte. Denn wie in den Zeilen Macbeths und Prosperos wird hier die Theatralität des menschlichen life cycle auf begrenztem Raum ausgeführt, so dass eine sehr viel engere thematische, bildliche und formale Kohärenz zwischen allen drei Textpassagen gewährleistet wäre - der Umfang von immerhin noch 28 Zeilen ist damit auch quantitativ den anderen beiden Monologe angepasst (insbesondere dann, wenn man diese hinreichend kontextualisiert): All the world’s a stage, And all the men and women merely players. They have their exits and the entrances, And one man in his time plays many parts, His acts being seven ages. (Shakespeare 2000: 173; AYLI 2.7.139-143) Die anschließende melancholische Reflexion über die Vergänglichkeit des (menschlichen) Leben fokussiert allein die männliche Sichtweise, verfolgt aber den geradezu standardisierten Lebenslauf eines wohlsituierten Mannes vom hilfsbedürftigen Kleinkind über die ‚Rollen‘ des lernunwilligen Schuljungen, liebeshungrigen Liebhaber, pflichtbewussten Soldaten, wohlgenährten Richter und langsam abbauenden Ruheständler bis zum dementen Senior. Für die Schüler: innen interessant ist an dieser Stelle herauszuarbeiten, welchen Allge‐ meinheitsanspruch Jaques mit seinem Lebensphasen-Modell verbindet; spricht er doch von „all the men and women“, um dann jedoch lediglich einen ex‐ emplarischen Verlaufstypus zu beschreiben, der nur einen geringen Teil der elisabethanischen Gesellschaft abbildet: Nicht nur, dass insbesondere sozial höher gestellte Frauen in dem Gesellschaftsportrait keinen Platz hatten (wie sie auch in der Öffentlichkeit nur selten prominent in Erscheinung traten); Jacques beschreibt in seinen Zeilen den säkularen Typus eines vor-bürgerlichen 267 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? Aufsteigers, der sich von bescheidenen Anfängen kommend erfolgreich in Amt und Würden hochdient, um dann nach einem erfüllten Leben in Zivilisation und Wohlstand seine Existenz ausklingen zu lassen. Landwirtschaftliche, kirchliche oder höfische Sphären und ihre jeweiligen Existenzformen gehören nicht in den gesellschaftlichen Horizont, in dem Jaques sich bewegt. Es scheint der erzwun‐ gene Aufenthalt im Wald, fern der Zivilisation, der ihm seine melancholischen Überlegungen abringt; zugleich sind diese aber in einem ironischen Ton vorge‐ tragen, der die einzelnen Phasen trotz ihrer unausweichlichen Vorbestimmung („second childishness and mere oblivion, / Sans teeth, sans eyes, sans taste, sans everything“, Shakespeare 2000: 173; AYLI 2.7.165-166) in einem durchaus heiteren, ‚altersgemäßen‘ Licht zeigt. Wollte man das metatheatralische Motiv der Welt als Illusionsbühne um einen weiteren kurzen Text (mit der Möglichkeit, kleinere Gruppen zu bilden) ergänzen, so wäre hier ein Sonett von Edmund Spenser aus der Sammlung Amoretti, Nr. 54 (1594), eine mögliche Wahl: Darin beschreibt der Sprecher seinen vergeblichen Versuch, seine Verehrte im imaginären Auditorium für sich zu gewinnen. Im Vergleich zu Shakespeares Text ist hier allein die Lebensphase des Liebhabers abgebildet: „the lover / Sighing like furnace, with a woeful ballad to his mistress“ (Shakespeare 2000: 173; AYLI 2.7.145-146). Das Gedicht veran‐ schaulicht die typische petrarkistische Aufführungssituation, in der das leidende Sprecher-Ich seine mistress in einem öffentlichen Raum (hier: die Bühne) zu gewinnen sucht und stets von ihr, regelkonform im Sinne petrarkistischer Sonette, abgewiesen wird: Of this world’s theatre in which we stay, My love like the spectator idly sits Beholding me that all the pageants play, Disguising divers’ly my troubled wits. Sometimes I joy when glad occasion fits, And mask in mirth like to a comedy: Soon after when my joy to sorrow flits, I waile and make my woes a tragedy. Yet she beholding me with constant eye Delights not in my mirth nor rues my smart: But when I laugh she mocks, and when I cry She laughs and hardens evermore her heart. What then can move her? If nor mirth nor moan, She is no woman, but a senseless stone. (NAEL, vol. B: 986-987, modernisierte Schreibweise / 109 Wörter) 268 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 78 Fokussiert man an dieser Stelle die Struktur der beiden Sonett-Formen, so lässt sich unter dieser Perspektivierung der formale Unterschied bezüglich des Reimschemas innerhalb der englischen Sonettdichtung demonstrieren: Sind die Quartette in Shake‐ speares Sonetten einzelne Einheiten (abab cdcd efef gg), so sind sie in Spensers Sonetten durch den Reim zwischen Zeilen 4/ 5 und 7/ 8 miteinander verbunden (abab bcbc cdcd ee), was die Anforderungen an den Dichter erhöht, der mit mehr Reimpartnern auskommen muss. Fraglich bleibt, inwieweit dieser Aspekt deklarativen Wissens für die Schüler: innen von wesentlicher Bedeutung ist, weswegen in den obigen Ausfüh‐ rungen der Akzent auf thematischen und motivischen, d. h. stärker hermeneutischen Eigenschaften gesetzt wurde. An diesem Text lassen sich die Wortfelder „Theater / Schauspiel“ und „Emo‐ tionen“ gut herausarbeiten - ersteres sammelt Begriffe für die Handlungen des Sprechers, der vergeblich alles unternimmt, um die Adressatin zu einer ihm wohlgeneigten Reaktion zu bewegen; letzteres kontrastiert seine („my troubled wits“, Z.4) und ihre unterschiedlichen Gefühlslagen („she delights not in my mirth“, Z. 10; „she mocks“, Z. 11; „She […] hardens evermore her heart“, Z. 12). Aufgrund dessen kommt der Sprecher in dem conceit zu dem Schluss, dass die Angeredete wohl keine Frau sein könne, sondern nur ein empfindungsloser Stein. Gleichwohl bleibt sie, „with constant eye“, Z. 9) stets ruhig in Anbetracht dessen, was der Sprecher an Aktionismus unternimmt - und widerspricht damit dem zeitgenössischen Stereotyp des charakterlich schwachen, gefühlsschwank‐ enden weiblichen Geschlechts, das in Hamlets generalisierter Kritik an seiner Mutter mit den Worten zum Ausdruck kommt: „Frailty, thy name is woman“ (Shakespeare 2000: 296, H 1.2.146). In (selbst-)ironischer Verkehrung präsentiert sich in Spensers Gedicht der ungestüme Sprecher als die wahre „drama queen“. Im Zusammenhang mit Shakespeares Sonett Nr. 73 über Alter bzw. Ver‐ gänglichkeit bildet Spensers humoristisches Sonett über das menschliche Lie‐ besdrama auch eine thematische Brücke zum anschließenden Abschnitt des Kapitels, in dem es um die Darstellung von Liebe und Erotik in Shakespeares Stücken geht: „Dreams and Desires: Love, Lust … Elysium“. 78 Es ließe sich mit einer solchermaßen veränderten Materialauswahl ein höherer Grad an inhalt‐ licher Kohärenz herstellen, die für die Schüler: innen eine besser erkennbare Sinnhaftigkeit und Transparenz bedeutet. Love’s Labour’s Lost, 4.3 / Henry V, 5.2 / John Donne: „The Good Morrow“. Die zweite Arbeitseinheit „Dreams and Desires…: Love, Lust … Elysium? “ in der Shakespeare-Textsammlung verschiebt den Fokus der Auf‐ merksamkeit von tragischen zu komischen bzw. erotischen Aspekten in zwei Dramen; zusätzlich wird noch John Donnes Gedicht aus dem breiten Kanon der „Metaphysical Poetry“ vorgestellt. Zu diesen drei Texten gibt das Lehrwerk nicht weniger als 24 Aufgaben vor, die von unterschiedlicher Komplexität sind, 269 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? aber keinesfalls im Handumdrehen zu lösen sind. Damit handelt es sich bei diesem Abschnitt um denjenigen, der sich lehrwerksübergreifend, quantitativ betrachtet, mit Abstand am ausführlichsten einer Analyse der verschiedenen Texte zuwendet - sowohl aus inhaltlicher als auch aus formaler (stilistisch-rhe‐ torischer, prosodischer) Sicht. Anders als in dem vorangehenden Abschnitt „Dreams and Demons…“ liegt der Fokus methodisch laut Lehrerhandreichungen auf zeitlich ausgedehnte Unterrichtsphasen mit Plenumsdiskussionen - für Rezeptionsgespräche sowie lehrerzentriertes entwickelndes Fragen - und Abschnitten für Partnerarbeit (vgl. PA-LHB 636). Laut pre-reading-Arbeitsanweisung im Schülerband (PA 460) bilden die Lernenden jedoch erneut Gruppen (hier spezifiziert mit jeweils 3-4 Teilnehmer: innen) und bearbeiten die drei Texte parallel zueinander, trotz erneut großer Differenzen im Umfang von 45 : 90 : 21 Zeilen. Dennoch erscheint dieses Verfahren angesichts der Fülle von Aufgaben angemessener, zumal eine konsekutive Bearbeitung der Aufgabenblöcke „Comprehension“, „Analysis“ und „Activities“ einen steten Wechsel von Love’s Labour’s Lost über Henry V zu „The Good Morrow“ bedeuten würde, gefolgt von der Rückkehr zur Komödie und einem neuen Aufgabenzyklus in der nächsthöheren Kategorie. Ein solches Verfahren machte ein kohärentes Verständnis und eine konzentrierte Bearbeitung der drei Texte unmöglich. Anders als zu Beginn des Unterrichtsmoduls, als verschiedene Dramen per Internet-Recherche inhaltlich ausskizziert wurden, sollen die Schüler: innen nun zunächst in einer pre-reading activity über einen Bildimpuls an die Thematik herangeführt werden: Darin abgebildet ist ein Darsteller in einer experimen‐ tellen Aufführung von Love’s Labour’s Lost am New Globe Theatre, die allein mit Zeichensprache vorgetragen wurde (vgl. dazu Annand 2012). Dieses Bild beschreiben die Schüler: innen und stellen allgemeine Hypothesen darüber an, welche Figur der Darsteller repräsentieren könnte und was seine Geste ausdrücken könnte. Nachdem sie sich, ohne Zusammenhang zur vorigen Aktivität, ihre Kennt‐ nisse über die Struktur einer Komödie vergegenwärtigt haben (PA 460, Aufgabe 2a), schaffen die Lernenden neue Assoziationen, indem sie einen möglichen Handlungsverlauf zu dem Szenenfoto entwerfen: „sketch out a possible storyline (main characters, plot, etc.) on a poster“ (PA 460, Aufgabe 2b). Das Ergebnis wird schließlich vor der Klasse präsentiert. Zu diesem Zeitpunkt haben die Schüler: innen noch keinen der hier zum Gegenstand gemachten Textauszüge zur Kenntnis genommen, dennoch soll die Bildinterpretation die Voraussetzung dafür schaffen, die drei anschließenden Lektüren zu bewältigen. In gleicher 270 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Weise wie im Abschnitt zuvor werden die Texte sowohl leise gelesen als auch über Hördateien zugänglich gemacht. Im Folgenden werden die Aufgaben zu den Texten in der Reihenfolge, wie die Schüler: innen sie in ihren jeweiligen Gruppen erarbeiten, vorgestellt. So sollen in der „Comprehension“ die Schüler: innen aus dem Monolog Lord Berownes zunächst die Textsignale für „the power of love“ (PA 463) und in einem zweiten Schritt herausarbeiten, welche Gründe er dafür liefert, seinen zuvor geleisteten Schwur zu brechen, demzufolge er und seine Freunde sich für drei Jahre von Frauen fernhalten müssen. Für die „Analysis“ folgen vier Aufgaben, die sich dem Aufbau des Monologs und Berownes Argumentation zuwenden. Anschlie‐ ßend sollen die Schüler: innen die wichtigsten Stichwörter und Wortgruppen hervorheben und eine Auswahl von stilistisch-rhetorischen Mitteln am Text nachweisen (z. B. Bildfiguren wie Metaphern und Übertreibungen, Wiederho‐ lungsfiguren wie Parallelismen, Stellungsfiguren wie Chiasmus, u. a. m.). Im Rückgriff auf die Info-Box zum jambischen Pentameter und Blankvers (PA 454) skizzieren die Schüler: innen die Umsetzung dieses Versmaßes in Berownes Mo‐ nolog und stellen Überlegungen über den Gebrauch von metrisch gebundener Sprache bei einem solch emotional aufgeladenen Thema wie „Liebe“ an. Schließ‐ lich soll eine Diskussion initiiert werden, ausgehend von Berownes Worten „women’s eyes … are the books, the arts, the academes, that show, contain and nourish all the world“: Diese Diskussion reflektiert einerseits das Frauenbild, das Lord Berowne in seinem Monolog vermittelt, und andererseits steht die gesellschaftliche Funktion der Künste und der Literatur im Mittelpunkt: „Are art and literature feminine rather than masculine interests? “ (beide Zitate PA 465, Aufgabe 11) Mit dieser Aufgabe wird der Abschluss der Auseinandersetzung mit Love’s Labour’s Lost erreicht; eine kreative oder evaluative activity jenseits dieser Diskussion, die überdies im Plenum geführt werden soll, gibt es nicht. Für die Passage aus Henry V wird erst mit Beginn der „Comprehension“-Auf‐ gaben eine Situierung der Szene in die Handlung des Stücks geliefert, verbunden mit einer weiteren pre-reading activity und dem Szenenfoto aus einer Auffüh‐ rung, so dass zusätzlich zur Erarbeitung des umfangreichen Textauszugs noch ein Foto hinzukommt, das während einer Aufführung des Stückes am Harlem Theater (New York) entstand und die Darsteller von Henry und Katherine in der Werbeszene zeigt (PA 461; entspr. Sovonsky 2011, vgl. dazu PA 464, Aufgabe 5). In der eigentlichen Auseinandersetzung mit dem Dialog zwischen Princess Katherine, ihrer Zimmerdame Alice und Henry sollen nach einem vorgegebenen Fragenkatalog Informationen zum Verhältnis der drei Figuren zueinander herausgearbeitet werden. Im Verfahren der peer correction tauschen verschiedene Teams ihre Ergebnisse miteinander aus und ergänzen einander 271 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? bzw. stellen ggf. Dinge richtig. Sechs Aufträge im „Analysis“-Aufgabenblock wenden sich an erster Stelle der klassischen Dramenstruktur zu und lassen Gründe herausarbeiten, ob Henry V als Komödie oder Tragödie zu gelten habe (in der einleitenden Kontextualisierung wird das Stück, gemäß der üblichen triadischen Genre-Vielfalt von Shakespeares Dramen als „history play“ etiket‐ tiert); zudem werden kritische Stellen in dem Dialog identifiziert, an denen sich das Stück in die oder andere generische Richtung entwickeln könnte. Eine Aufgabe, markiert mit dem Zeichen für einen erhöhten Schwierigkeitsgrad, wendet sich dem Gebrauch der Ironie und der parodistischen Elemente zu, die in dem Passus angelegt sind, sei es im Dialog oder in der non-verbalen Kommunikation. Hierauf folgt die Anweisung, eine Charakterisierung Henrys zu verfassen (mit Hinweis auf den entsprechenden Abschnitt im „Focus on Skills: Characterisation of a Figure in Literature“, PA 509). Die beiden letzten Aufgaben sind erneut als anspruchsvoll markiert: Bezüglich des Verhaltens von Princess Katherine soll nun entschieden werden, ob sie aus Natur schüchtern und zurückhaltend sei, oder ob dies ihrem kulturellen Hintergrund geschuldet sei. Eine besondere Herausforderung dürfte in der Frage liegen, warum gesell‐ schaftlich hoch positionierte Figuren wie Henry und Katherine - entgegen der neoklassizistischen Ständeklausel - in ihrem Dialog durchgängig in Prosa sprechen. Den Abschluss der Beschäftigung mit dieser Passage bilden zwei „Activities“, deren eine darin besteht, die Szene zur Aufführung zu bringen und einen Filmclip davon zu erstellen, während die andere vorschlägt, die bekannte Szene weiter auszugestalten und entweder ein werk-konformes Ende zu finden, oder abweichend dazu einen alternativen Verlauf der Handlung zu entwerfen. Donnes Wecklied (aubade) „The Good Morrow“ schließlich wird zunächst in unterschiedliche Tonlagen („descriptive and emotive“, PA 464) unterteilt, ehe die daraus resultierenden Wortgruppierungen in thematische Felder eingeteilt werden. Auch hier werden wieder konkrete Anhaltpunkte gegeben: „e.g. love, desire, religion, geography, beauty, time, etc.“ (PA 464). Am Ende soll eine Überschrift für jede einzelne der drei Strophen gefunden werden. Die „Analysis“ besteht aus drei Aufgaben, in deren erster die Schüler: innen das Konzept von „Liebe“ in diesem Gedicht herausarbeiten und es in Bezug zu den Kernbegriffen des Unterkapitels („Love, Lust … Elysium“) setzen. Im Anschluss daran erfolgt eine Charakterisierung des Sprechers, in der die zuvor herausgearbeiteten Wortfelder und Stilmittel Berücksichtigung finden. Schließlich sollen Form- und Inhaltsanalyse in Einklang gebracht werden: „Explain how metre, rhythm and verse emphasize the speaker’s intention [sic] and the mood of the poem.“ (PA 465). Die Lehrerhandreichungen geben hierzu eher unzureichende Lösungshin‐ weise. Zum einen wird nicht auf den regelmäßigen Wechsel von jambischen 272 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced Fünf- und Vierhebern hingewiesen, sondern es finden in einer vagen Verallge‐ meinerung lediglich die bekannten Fünfheber Erwähnung: „the poem is mostly written in iambic pentameter“ (PA-LHB 642). Der zusätzliche, standardmäßige Hinweis auf das Herzschlag-Muster des Versmaßes und die Verbindung zur Liebesthematik wirkt hier ebenso wenig plausibel wie zuvor in der Metrikana‐ lyse von Berownes Monolog, und auch der vergleichende Bezug zur Sonettform, selbst als Abweichung davon, mit der Kombination von kreuzreimendem Quartett + Triplett in jeder der drei Strophen, ist eher kontraproduktiv. Die zwei abschließenden activities sind zum einen eine inhaltliche Wiederholung der ersten analytischen Aufgabe zu dem Gedicht (eine Rückbindung an drei Titelstichwörter des workshop, nunmehr variiert als „Love … lust … desires“, PA 466), die als Unterrichtsgespräch verlaufen soll. Zum anderen erweitert der letzte Arbeitsauftrag, durchführbar als Hausaufgabe, die Perspektive auf die anderen Texte innerhalb dieses Materialteils und ermuntert die Schüler: innen, Donnes Gedicht oder einen ausgewählten Passus aus Shakespeares Dramen laut zu lesen und vorzutragen, einen solchen in einen Rap o. ä. moderne lyrische Form umzuschreiben und musikalisch zu untermalen, oder ein eigenes Sonett zu verfassen. Aus dem zu erarbeitenden Material ließen sich im Sinne der Motivanalysen, die im vorangehenden Abschnitt ins Zentrum gestellt waren, unterschiedliche philosophische, politische und literarische Konzepte von „Liebe“ entwickeln, die in der Renaissance im Rückgriff auf mittelalterliche und antike Vorbilder breit rezipiert wurden: • der furor amoris, den Lord Berowne in Love’s Labour’ Lost als Untersu‐ chungsobjekt für seine zwei Freunde, Lords Dumaine und Longaville, beschreibt, • die primär politisch-strategische Verbindung, wie sie der siegreiche Henry V und seine zukünftige französischen Gattin Katherine nach der Schlacht von Agincourt eingehen werden und • den Unterschied zwischen körperlichem ἠρως, sozialer φίλια und spiri‐ tueller αγαπή, den John Donnes Sprecher in seiner aubade zum Ausdruck bringt. Die Lehrerhandreichungen reduzieren dies in einer Materialübersicht allein auf „romantic love“, womit eigentlich die postromantische, selbstbestimmte Entscheidung eines Individuums in der Wahl seines Lebenspartners gemeint ist (PA 610) - und das der Renaissance weitgehend fremd ist. Diese auf Gefühl und Verantwortung beruhende Vorstellung ist daher in keiner der Passagen aufzuzeigen, da auch das antike Konzept des furor amoris die Liebenden gerade 273 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? ihrer intellektuellen und emotionalen Freiheit beraubt und sie als ‚verrückt‘ in den Augen der Unbeteiligten erscheinen lässt. Insgesamt zeigt sich an dieser Skizzierung der verschiedenen Aufgabenfor‐ mate erneut, dass die Einheit inhaltlich überfrachtet ist, was dazu führt, dass zu wenig Augenmerk auf inhaltliche Details gerichtet wird. Hinzu kommt, dass sie auch methodisch uneinheitlich gestaltet ist, weil eine solche Aufgabe wie die letztgenannte voraussetzt, dass die Texte zuvor von allen Schüler: innen erarbeitet worden sind. Dies wiederum kann aber in der Mehrzahl der Aufga‐ benstellungen und ihrer parallel ablaufenden Gruppen- / Partnerarbeit kaum der Fall sein, da auch die Lehrerhandreichungen keinen Hinweis auf die nötigen Zusammenführungen der unterschiedlichen Ergebnisblöcke geben; eine konse‐ kutive Abarbeitung der verschiedenen Aufträge aber führt, wie oben erläutert, dazu, dass eine sinnstiftende Erarbeitung der Texte kaum möglich ist. Marc Norman / Tom Stoppard, Shakespeare in Love (1997). Mit einem weiteren Auszug aus einem Film-Drehbuch endet die Einheit und rahmt so spiegelbildlich die frühe Phase der Auseinandersetzung mit Shakespeare, in der Emmerichs Film Anonymous im Zentrum stand. Hier ist es der Block‐ buster-Spielfilm Shakespeare in Love, aus dem den Schüler: innen ein kurzer Auszug von 67 Zeilen Länge geboten wird. Um eine Phase mangelnder dichte‐ rischer Inspiration zu bewältigen, sucht der fiktive William Shakespeare (im Film gespielt von Joseph Fiennes) seinen ‚Psychoanalytiker‘ avant-la-lettre auf, Dr. Moth (Anthony Sher), der dem auf einer Couch liegenden Patienten (laut Filmscript: „What we have here is the false dawn of analysis“, PA 467, Z. 8-9; entspr. Norman/ Stoppard 2000: 13, Z. 16-17) die scheinbare Ursache für die Schreibhemmung entlockt. Es ist das verkümmerte Liebesleben, das nun magisch - auch außerhalb des Ehestands - reaktiviert werden soll: „DR. MOTH: Here’s a bangle found in Psyche’s temple on Olympus - cheap at four pence. Write your name on a paper and feed it in the snake. […] The woman who wears the snake will dream of you, and your gift will return. Words will flow like a river.” (PA 467, Z. 58-65; entspr. Norman/ Stoppard 2000: 16, Z. 1-8). Zunächst sollen die Schüler: innen durch sinnentnehmendes Lesen den Inhalt des Passus erfassen und dann in einer kurzen Zusammenfassung beschreiben; darüber hinaus beschreiben sie anhand eines Szenenfotos (PA 466), welchen emotionalen Gesichtsausdruck Joseph Fiennes in seiner Rolle als Shakespeare aufsetzt, als er den Armreif betrachtet. Nach diesem mind reading folgen zwei analytische Aufgaben: So sollen in Partnerarbeit die doppeldeutigen Formulie‐ rungen dem Text entnommen werden, die nicht nur eine direkte Beschreibung von Shakespeares Problem enthalten, sondern darüber hinaus als Ausdruck von 274 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced 79 An dieser Stelle wird zusätzlich ein weiteres metaphysisches Gedicht von John Donne herangezogen: „The Flea“, ‚nur’ per Webcode bereitgestellt und nicht im Schülerband abgedruckt, enthält ebenfalls eine ‚gewagte’ erotische Bildlichkeit. Aufgrund der Tat‐ sache aber, dass dieses Gedicht mit seinen drei Strophen seinerseits zunächst inhaltlich erschlossen werden muss, ehe die bildlich ausgedrückten Bedeutungen verständlich erscheinen, dürfte es nur bei einem sehr großzügig bemessenen Zeithaushalt als Untersuchungsgegenstand zur Geltung kommen. Impotenz gedeutet werden können. 79 Wie schon die Texte zu Beginn der Einheit veranschaulicht die Auswahl dieser Szene das Bemühen um eine - hier ironisch - distanzierte Verkörperung des ‚Barden‘. Mit zwei activities wird ein Bogen zwischen Anfang und Ende der Shake‐ speare-Einheit geschlagen. Zunächst hören die Schüler: innen ein weiteres Mal die Audiodatei mit Thomas Platters Tagebucheintrag über das kulturelle Leben in London (PA 443) und sollen darüber eine Diskussion führen, warum außer historischen und philosophischen Themen auch „sex and violence“ und bodenständiger Witz in frühneuenglischen Dramen wichtig waren. Danach wird anhand der ersten kurzen Sequenz von 8 Sek. Dauer unmittelbar vor Beginn der „Weekly Confession“ aus Shakespeare in Love das Bild des elisabethanischen London beschrieben, der Rest der Szene (Dauer: 2: 15 min) spielt sich in der schummerig beleuchteten ‚Praxis‘ des Dr. Moth ab. Andere cinematographische Aspekte wie Kameraführung, Schnittfolge und Soundtrack werden in dieser Aufgabe nicht berücksichtigt. Es wiederholt sich hier, was schon im Abschn. 2.2.5 zu bemerken war: Dass eine wesentliche Interpretationsmöglichkeit schon in die Aufgabenstellung eingebettet wird, weswegen der eigentliche Akt des Zwischen-den-Zeilen-Lesens vorweggenommen bzw. reduziert wird. Den Schüler: innen wird so die Gelegenheit vorenthalten, die Deutung eigen‐ ständig zu entdecken oder zu entwickeln; sie werden ihrerseits auf diese Weise „de-skilled“. Zugleich wird damit auch das Deutungsspektrum im Umgang mit einem vieldeutigen Text stark eingeschränkt, denn durch den Fokus allein auf die verborgenen erotischen Sinnstrukturen (das innuendo) werden die parodis‐ tischen Textsignale vernachlässigt. Hierzu gehören insbesondere die deutlich erkennbaren Fiktionssignale, die dem Drehbuch Shakespeare in Love z. B. als Anachronismus eingeschrieben sind („false dawn of [psycho-] analysis“) und die einen markanten Unterschied zum ernst gemeinten, alternativgeschichtlichen Anonymous darstellen bzw. jeden Wahrheitsanspruch zurücknehmen. Ebenso wichtig für das Verständnis des Spielfilms erscheinen die Interdiskursivität von mittelalterlicher katholischer Praxis (Beichte), frühneuzeitlicher alchimis‐ tischer Magie (die physiologische Wirkung des exotischen Armbands) sowie moderner ‚wissenschaftlicher‘ Psychoanalyse. Dabei wird das Beichtgeschehen 275 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? ironisch verkehrt, weil Dr. Moth in seiner Doppelrolle als ‚Beichtvater‘ bzw. ‚Analytiker‘ seinem Patienten nicht etwa die Absolution für zurückliegende Sünden erteilt, sondern die Erlaubnis für dessen anstehenden Ehebruch gibt (in der Romanze mit Viola Lesseps, gespielt von Gwyneth Paltrow). All dies sum‐ miert sich zu einem vielschichtigen semiotischen System, das wesentlich durch den Materialvergleich der beiden Filmausschnitte, durch die Verdeutlichung der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in Shakespeare in Love und durch hintergründige Anspielungen auf geschichtliche Fakten geprägt ist. Eine letzte Aufgabe aktiviert die Schüler: innen abschließend auf kreativer Ebene, allerdings unter dem formalen Aspekt „Grammar / Language“. Hier sollen sie, neigungsdifferenzierend, entweder unter Verwendung von möglichst viel indirekter Rede Dr. Moths mündlichen Bericht über seine Sitzung mit Shakespeare verfassen oder ein Gespräch mit einem Fachkollegen über mög‐ liche Therapien für seinen Patienten entwerfen. Die Lehrerhandreichungen allerdings entwerfen eher einen informellen Brief ohne jede Verwendung dialogischer Elemente jenseits der Anrede „Dear colleague“ (PA-LHB 646). Zusammenfassend lässt sich über das Shakespeare-Unterrichtsmodul in Pathway Advanced folgendes festhalten: Getragen ist die Einheit von dem Impuls, den ‚Barden‘ nicht als genialisch überhöhten Dichterfürsten zu zeigen, sondern ihn - wie in der Filmszene aus Shakespeare in Love dargestellt - allenfalls als einfachen, in Anonymous sogar debilen Durchschnittsmenschen zu repräsentieren, der in seinem Berufsleben und in seinem privaten Alltag vor ökonomischen, emotionalen oder existenziellen Krisen nicht geschützt ist. Hinter den beiden Videosequenzen, die die Hauptteile des Kapitels einrahmen, lässt sich darüber hinaus erkennen, dass eine zunehmende Mythisierung der historischen Persönlichkeit Shakespeares, über die (zu) wenig historisch Ver‐ lässliches bekannt ist, bereits in vollem Gang ist und zu einem öffentlichen Streit um Deutungshoheiten führt. Denn die unterschiedlichen und wider‐ sprüchlichen Facetten, die die Schüler: innen von diesem Autor präsentiert bekommen, führen zu der Erkenntnis, das eigentlich alle Shakespeare-Bilder in der Hauptsache geschichtliche Konstruktionen sind: Als solche beansprucht jede ihre Berechtigung, allerdings zirkulieren sie alle mit unterschiedlichen Graden von Wahrheitsansprüchen und verschieden aufwendigen bzw. plausi‐ blen Begründungszusammenhängen - und bedauerlicherweise wird gerade dieser Konstruktcharakter von Shakespeare als „Shakespeare“ nicht auf die Erkenntnisebene der Schüler: innen gehoben. Trotz der beiden Texte von Kannagh und Matthes, die den hohen (elitären? ) Anspruch in der performativen Umsetzung der Werke Shakespeares betonen, zeigt das Lehrbuch, dass dieser Autor auch einem modernen, jungen Publikum 276 2 Vier Lehrwerke: Camden Town - Context - Green Line - Pathway Advanced auf unterschiedlichen medialen Kanälen nahegebracht werden kann: Voraus‐ setzung dafür ist, dass man sich auf seine Sprache und Stoffe einlässt, weniger die Altertümlichkeit des Ausdrucks als Hindernis begreift und vielmehr die Modernität der Ideen als Chance betrachtet. Zugleich ist in dieser filmischen Rückkopplung an jenes kontroverse Material, das zu Beginn der Einheit zur Diskussion stand, auch eine formale Abrundung dieser insgesamt von ironischer Distanz geprägten Annäherung an Shakespeare zu erkennen. Die Tatsache, dass zusammen mit Thomas Platters Diary und Roland Emmerichs Anonymous auch die beiden einführenden grafischen Bildimpulse noch einmal in Betracht gezogen werden und nun vor dem Hintergrund des mittlerweile erworbenen Wissens über Shakespeares Dramen erneut ‚verhandelt‘ werden, ist ein probates didaktisches Mittel, um den eigenen Lernfortschritt für die Schüler: innen als hermeneutischen Zirkel im Sinne Gadamers messbar und transparent zu machen. Dennoch birgt das Modul große planerische und organisatorische Herausforderungen für Lehrkräfte wie Schüler: innen. Im Rahmen der parallel angelegten Vermittlungstruktur der einzelnen Textinhalte ergibt sich aus dem Lehrwerk für die Lernenden kein Moment der Synthese oder Synopse von Ergebnissen, aufgrund dessen sie ihre Einsichten miteinander austauschen und darüber kommunizieren. Die jeweiligen Gruppen, die sich mit einem der Textausschnitte beschäftigten, bleiben unter sich in ihrer weitgehend kontin‐ genten Zusammensetzung - entsprechend erweisen sich die Erkenntnisse als voneinander isolierte ‚Augenblicke‘ ohne eine bilanzierende Zusammenführung der Themen und Motive, die unter der jeweiligen Teilkapitel-Überschrift in den Textpassagen erarbeitet werden. 277 2.3 Shakespeare im Lehrwerk: Zeitgenosse oder Zombie? 3 Ergebnisse und Perspektiven 3.1 Literaturbasierte Wissens- und Kompetenzvermittlung Die folgenden Ausführungen sollen die funktionale Trennung unterschiedlicher Bereiche literarischer Kompetenz genauer skizzieren und erläutern. Insbeson‐ dere der lehrwerksgestützte Umgang mit Literatur an Schule und Universität scheint sich in eine Sackgasse manövriert zu haben, was die Förderung von literarischen Kompetenzen (als wichtigem Teil der in den KMK-Bildungsstan‐ dards definierten Text- und Medienkompetenzen) aufseiten der Lernenden betrifft. Gegenwärtig ist die lehrwerkgestützte Erarbeitung literarischer Texte im fremdsprachlichen Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe wie folgt zu charakterisieren: Durch 1. hohe Textfragmentierung: eine große Anzahl von längeren Texten (Ro‐ mane, Dramen) wird über Schulbücher lediglich in weitgehend unzu‐ sammenhängenden Bruchstücken vermittelt, wodurch inhaltliche und formale Zusammenhänge verloren gehen; 2. Ungleichgewichtung von Anforderungen: kognitivierende Verfahren der literarischen Interpretation werden gegenüber anderen, zumeist subjek‐ tiven Sprachproduktionen (als Kommentar, als Umschrift / Fortsetzung o. ä.) oder durch einen handlungsorientierten, performativen Umgang mit dem literarischen Text (durch z.T. vor-diskursive Verfahren wie Standbilder, Rollenspiele) abgewertet; 3. den Primat der Schülerperspektive: der Fokus auf die Generierung subjek‐ tiver Sprachproduktionen reduziert Literatur auf einen kommunikativen Sprechanlass und wird ihren vielfältigen persönlichkeitsbildenden, kul‐ turverbindenden und ästhetischen Einsatzmöglichkeiten nicht gerecht. Es liegt nach der voranstehenden Diskussion literaturbezogener Aufgaben zu zwei inhaltlich voneinander völlig unabhängigen, aber jeweils für sich stark literaturaffinen Unterrichtseinheiten „Science / Technology / Utopia / Dystopia“ und „Shakespeare“ in den vier Lehrwerken Camden Town, Context, Green Line und Pathway Advanced nahe, dass ein großer Teil des eingangs skizzierten Verlustes von Lesekompetenz bei fortgeschrittenen Schüler: innen (als den späteren Studierenden) nicht zuletzt auf drei Ebenen zu verorten ist: zu nennen sind die Aufbereitung von Lehrwerksinhalten, die Anordnung der Kompetenzbereiche und damit auch die Lehrwerkskonzeption. Dabei bleibt festzuhalten, dass auch die Lehrerhandreichungen nicht frei von Mängeln sind - so hilfreich viele der darin gelieferten Hinweise und Hilfsmittel (inhaltliche Vermittlungsvorschläge, Kopiervorlagen, Tafelbilder, usw.) als modifizierbare bzw. editierbare Szenarien auch sein mögen: Es ist aus akademischer Sicht bedauerlich, dass hier verschiedentlich eine Abwertung des wissenschaftlichen Diskurses mit seiner differenzierten Terminologie zutage tritt. Wenn zudem in mehreren Handreichungen eines Lehrwerks die Verlässlichkeit der Information bezüglich einer zuverlässigen Vermittlung der Stoffe infrage steht, kann dies seinerseits zu verheerenden Konsequenzen in Stundenplanung und Unterrichts‐ organisation führen. Gleichwohl gilt, was Engelbert Thaler lapidar aber zutreffend feststellt: „Das Lehrwerk ist nur ein Mittler und Produkt. Entscheidend sind Prozess und Lehrer.“ (2011: 25) Unbestreitbar ist also, dass es sehr auf pädagogische und fachliche Kompetenzen der Lehrkräfte ankommt, was wiederum eine hohe Verantwortlichkeit aufseiten der literaturdidaktischen Lehrerbildung erzeugt (sowohl in ihren ersten zwei Phasen, Studium und Referendariat, als auch in der berufsbegleitenden Lehrerfort- und -weiterbildung). Dies bedeutet insbesondere die Befähigung zum kompetenten kritischen, zielgruppenbewussten Umgang mit vorgefertigten Materialien - neben Lehrwerken und ihren Angeboten sind dies selbstverständlich auch im Internet zirkulierende Unterrichtshilfen. Zur Dimension der Aufbereitung von Inhalten. Grundsätzlich ist in allen Lehrwerken zu erkennen, dass die Auswahl der literarischen Texte nach hohen qualitativen Maßstäben getroffen ist. Solche Texte, die wie M.T. Andersons Feed, Ernest Clines Ready Player One oder Cory Doctorows Little Brother eher der Jugendliteratur und damit einer altersmäßig eng definierten, oft zudem stark ‚gegenderten‘ Rezipientengruppe zuzurechnen sind, erweisen sich als anspielungsreiche, auf vielfältige Weise ironische und gesellschaftskritische Erzählungen, die für die Schüler: innen Herausforderungen zur Entschlüsselung bereithalten und zu einem kritischen Textzugang führen können. Andere Werke der Gegenwartsliteratur wie Margaret Atwoods Oryx and Crake, Dave Eggers’ The Circle und Kazuo Ishiguros Never Let Me Go sprechen wichtige gesellschaftliche Themen an. Neben anspruchsvollen Perspektivstrukturen bzw. Plot-Strukturen und Handlungs-Chronologien halten sie auch Möglichkeiten zum fächerverbindenden Kulturtransfer zwischen literarischen und naturwis‐ senschaftlichen bzw. ethischen Fragestellungen bereit, die durch eine intensive Beschäftigung mit den Texten zu ebenso textanalytischen wie kommunikativen Erfolgserlebnissen bei den Rezipient: innen führen werden. Schon Werke wie die Romane von John Steinbeck, Ray Bradbury, William Golding und J.D. 280 3 Ergebnisse und Perspektiven 1 Die Verlage haben didaktisch aufbereitete fremdsprachliche ‚Bibliotheken’ im Pro‐ gramm, die für die Erarbeitung von Romanen und Dramen herangezogen werden können. Vereinzelt finden sich darin auch Anthologien von Gedichten oder Short Stories. 2 Ein solches Verfahren erfordert in der Praxis Mut, denn in gewisser Weise impliziert eine solche Modifikation / Korrektur der von den Schüler: innen erarbeiteten Ergebnisse und Erkenntnisse die Verlässlichkeit des an der Schule vermittelten Wissens. Anderer‐ Salinger waren ihrerseits in den 1960er Jahren Gegenwartsliteratur und haben es in der Folge auch zumindest zeitweise in den weiteren, gesellschaftlich eher als pädagogisch definierten literarischen Kanon ‚geschafft‘; gleiches gilt seit den späten 1980er Jahren für Autor: innen wie Margaret Atwood, Toni Morrison oder Nick Hornby. Insofern kann den aktuellen Lehrwerken mit ihren Textausschnitten eine wichtige gesellschaftliche Funktion zugestanden werden: „Als einer Hauptinstanz der Kanonisierung kommt der Schule eine eminente Bedeutung zu, denn in dieser ersten institutionell gesteuerten Lesesozialisation formt sich ein Verständnis der künftig erwachsenen Leser über lesenswerte literarische Texte aus.“ (Kirchhoff 2019b: 225). Zugleich bedeutet dies aber auch eine sehr dynamische Formation von Kanonbildung, da sich mit der Textauswahl von Lehrwerkgeneration zu Lehrwerkgeneration die schulische Lesesozialisation weitgehend ändert (vgl. zur Geschichte englischsprachiger Schulkanones in Deutschland: Surkamp 2013). Die Frage ist, ob und welche literaturbezogenen Kompetenzen und Prägungen den Schüler: innen mit solch kurzen, fragmentarischen Textausschnitte wie denen der Lehrwerke vermittelt werden können, oder ob diese Kurzpassagen an ihnen mehr oder minder spurlos ‚vorbeigehen‘ bzw. notwendigerweise die Ganztextlektüre zur Vertiefung erfor‐ dern. Ein unübersehbares Hindernis, sowohl inhaltlich wie methodisch, für eine nachhaltige und erfolgreiche Form der literarischen Textvermittlung ist somit der (zu) geringe Umfang, mit dem solch längere Werke wie ein Roman oder ein Drama in den Lehrwerken wiedergegeben werden. Ein vollständiger Abdruck ist darin naturgemäß nicht möglich, so dass die abgedruckten Passagen besten‐ falls den Status eines Anreizes für eine anschließende Ganzschriftlektüre er‐ halten können. 1 Zugleich werden, wie in Abschn. 1.4 angedeutet, gerade solche Aufgaben in den Lehrwerken problematisch, die mit ihren Vorlagen zu überwie‐ gend die sprachliche Kommunikation fördernde Spekulationen einladen, bzw. eigentlich die Kenntnis eines gesamten Textes voraussetzen (Plotgestaltung, Chronologie, Figurenentwicklung, -konstellation und -charakterisierung). In der derzeitigen Form generieren Lehrwerke dadurch, werkbezogen, viele unter‐ komplexe Antworten, die im Einzelfall sogar korrekturbedürftig sind. 2 281 3.1 Literaturbasierte Wissens- und Kompetenzvermittlung seits wäre es unethisch, die notwendigerweise limitierten Einsichten über einzelne Passagen oder Szenen zu verabsolutieren. Im Sinne einer nicht nur berufsvorbereitenden, sondern auch wissenschafts‐ propädeutischen Ausrichtung des kompetenzorientierten Englischunterrichts wäre es demnach angezeigt, den Schüler: innen mehr Einblicke in Handlungs‐ strukturen und Konstruktionselemente zu geben als dies, bezogen auf das Thema „Shakespeare“, beispielsweise acht exemplarische Textbausteine aus fünf dramatischen Werken sowie ein Sonett leisten können. Durch diese Vielzahl entsteht nicht zuletzt die Gefahr der Demotivation von Schüler: innen, da stets in dem Moment, wo eine Textstelle bearbeitet ist, ein Passus aus einem weiteren Text folgt, der allenfalls thematisch im Zusammenhang mit dem vorangehenden Ausschnitt steht. Natürliche Lese-Reaktionen wie Spannung oder Neugier auf die weitere Entwicklung einer Szene, eines Aktes, einer Handlung oder einer Figur werden so im Keim erstickt. Der Förderung des extensiven Lesens erscheint damit der Anspruch an ein wide reading im Literaturunterricht eher hinderlich. Camden Town als das neueste der hier analysierten Lehrwerke strebt demgegenüber mit der Auswahl mehrerer Sonette und eines zentralen Dramas (Romeo and Juliet) einen Kompromiss zwischen Textvielfalt und Sinnkohärenz an; eine ähnliche Richtung schlägt Green Line Oberstufe (2021) mit insgesamt reduziertem literarischen Textmaterial und etwas breiter gefächerten Aufgaben‐ stellungen ein. Wenn nicht einmal die kleinsten formalen Einheiten von Roman oder Drama an geeigneter Stelle in einer Textdiskussion plausibel und verständlich gemacht werden (also Kapitel oder Szenen), dann ergibt sich daraus ebensowenig ein Verständnis von generischen, mithin funktionalen Eigenschaften eines Textes wie von handlungsrelevanten kommunikativen Zusammenhängen, geschweige denn von der Bedeutung inhaltlicher Strukturmerkmale für einen Plot und die Figuren. Fast schon gezwungenermaßen macht daher in allen Lehrwerken nahezu jeder Umgang mit ästhetisch geformten und semantisch überkodierten Texten in der Aufgabenstellung auf einer deskriptiven, vor-interpretatorischen Ebene halt. Die aus den Aufgaben resultierenden Materialsammlungen, die (wie schon die Handreichungen zu den einzelnen Lehrwerken zeigen) häufig nicht konsequent zwischen Textwiedergabe und Deutungsansatz unterscheiden, lassen sich zudem kaum für inhaltlich begründete Sinnkonstruktionen der Schüler: innen verwenden. So dient die Auseinandersetzung mit einzelnen Textpassagen am ehesten einer oberflächlichen „Evokationserfahrung“ (vgl. dazu Delanoy 2007: 116-118) als der Gelegenheit zur Entwicklung und Kon‐ struktion hermeneutischer Interpretationsansätzen zusammen mit der darin 282 3 Ergebnisse und Perspektiven 3 Dieses Defizit verführt geradezu dazu, ersatzweise die Zusammenfassungen, wie sie auf verschiedenen Internetplattformen und -foren zu literarischen Werken aller Art geboten werden, als hinreichend für ein ‚Gesamtverständnis‘ eines literarischen Werkes zu erachten - und diese Art der mittelbaren (und also im Wortsinne ‚medialen‘) Text-Rezeption als Arbeitsgrundlage in die literaturwissenschaftlichen Seminare an die Universität ‚hinüberzuretten‘. Denn dieses Verfahren erweist sich später in aka‐ demischen Zusammenhängen als eine in vielen Fällen habitualisierte Methode der Texterarbeitung, die der individuellen Lektüre des Primärtextes vorgezogen wird - mit vorhersehbaren schweren Konsequenzen für Seminarverlauf und studentischen Kompetenzzugewinn. 4 Die auffällige Trennung von Sachtexten und Belletristik im „Science (Fiction) & Technology“-Modul in Pathway Advanced mag vor diesem Hintergrund ein Versuch sein, einer solch unkritischen Übertragung dieser Sichtweise von den fiktionalen Texten auf die Realität schon in der Anordnung der Texte im Lehrwerk Vorschub zu leisten und dem jeweils eigenen Wert der Textbeispiele als (Sach- oder Unterhaltungs-)Literatur gerecht zu werden. Green Line Oberstufe (2021) führt zu den anderen Kompetenzen eine neue Kategorie ein, die 21-Century Skills, unter denen auch die des „critical thinking“ aufgeführt werden. verknüpften Doppelhandlung aus werkgerechter Bedeutungserschließung und individueller Sinnstiftung. 3 Schließlich ist bemerkenswert, dass in manche Aufgabenstellungen der jeweils gewünschte Deutungsansatz eingeschrieben ist und somit als vermeintlich textimmanentes ‚Faktum‘ deduktiv vorgegeben wird, ohne dass die Lernenden eine Gelegenheit hätten, verschiedene mögliche Interpretationsansätze induktiv, sei es selbstständig, sei es in kooperativen Arbeitsformen, aber stets im Dialog mit dem Text herauszuarbeiten. Das Risiko eines durch die beschriebenen Faktoren verursachten Abbaus von ‚Fremd-Fik‐ tionskompetenz‘ steigt schließlich vor allem dadurch, dass gleichermaßen fiktionale wie nichtfiktionale Textpassagen in überwiegend lebensweltlich aus‐ gerichtete Themen der Unterrichtsmodule eingebettet sind. Hierdurch werde eine „bloß informationsentnehmende und landeskundlich akzentuierte Lektüre“ gefördert, warnt Freese: Schließlich seien doch „Romane mehr als erzählerische Fallstudien zu bestimmten Themen“ (Freese 2009: 24). Der psychologische Realismus als mimetisches Darstellungsprinzip (seinerseits missverstanden als kulturelle „Authentizität“) in solchen Romanen wie Never Let Me Go, (The) Children of Men oder The Circle - alles Werke, die in einer nahen Zukunft und daher in einer vertraut scheinenden Welt spielen - führt weiterhin dazu, in ihnen keine Warnung vor eventuellen gesellschaftlichen oder politischen Fehl‐ entwicklungen im imaginären Raum des Als-Ob zu erkennen. Stattdessen wird diese fiktionale Literatur im Zusammenhang mit den Sachtexten eines Kapitels als Analogie bzw. sogar als faktennahe Zustandsbeschreibung gegenwärtiger Verhältnisse erfasst. 4 283 3.1 Literaturbasierte Wissens- und Kompetenzvermittlung 5 Stichprobenartige und informelle Abfragen bei Studierenden, die mit den hier unter‐ suchten Lehrwerken ihren Englischunterricht in der gymnasialen Oberstufe gearbeitet haben, bestärken diesen Eindruck, der jedoch einer Validierung in einer breit angelegten empirischen Untersuchung bedürfte. Zur Dimension der Lehrwerkskonzeption. Es lässt sich festhalten, dass ein großes Dilemma in der Trennung von spezifischen Themeninhalten und allgemeinen Methoden- / Kompetenzblättern besteht. Zwar dienen die work‐ shops zur Integration letzterer in die Lerneinheiten, da mit ihnen bestimmte Kompetenzbereiche am thematisch ausgerichteten Material in den Vordergrund rücken und in denen sich daher besonders viele Querverweise auf die Skill Files in der Referenzsektion des Schülerbandes finden. Ansonsten gilt aber für die Bearbeitung der Aufgaben jenseits der workshops, dass die Schüler: innen zwi‐ schen den Aufgaben, den Differenzierungs- und Unterstützungsseiten, unter‐ schiedlichen Skill Files und ggf. noch dem jeweiligen Glossary of Literary Terms vor- und zurückspringen müssen, um Begriffsdefinitionen nachzuschlagen, formalen Hinweise auf bestimmte Arbeitsschritte nachzugehen und schließlich dieses alles miteinander im learning outcome zu integrieren. Dadurch ist für Lernende wie Lehrende eine transparente Verbindung zwischen Inhalts-, Dif‐ ferenzierungs- und Kompetenz-/ Referenzabschnitten gewährleistet, zugleich wird diese Anordnung aber gerade den Schüler: innen zum Nachteil, die den höchsten Unterstützungsbedarf haben. Es lässt sich bei allen Unterschieden der verglichenen Lehrwerke festhalten, dass die in den Bänden zur Qualifikationsphase vorgestellten Skill Files quanti‐ tativ nahezu deckungsgleich und inhaltlich identisch mit denen der jeweiligen Bände zur Einführungsphase sind. Das bedeutet, dass den Schüler: innen über die Zeit ihres Besuchs der gymnasialen Oberstufe diese Skill Files kontinuierlich zur Verfügung stehen, und sie können sie in den unterschiedlichsten Zusam‐ menhängen wiederholt einsetzen, so dass prinzipiell aufseiten der Lehrwerke eine habituelle Anwendung dieser Anhänge angestrebt wird. Möglicherweise kommen die Skill Files aber nur unzureichend im eng getakteten schulischen Alltagsunterricht zum Einsatz - und werden von Lehrkräften wie Schüler: innen eher als Anhängsel betrachtet denn als Anhang mit essentiellen Lehr- und Lern‐ mitteln ernst-, geschweige denn zur Kenntnis genommen. 5 Zudem verlassen sich die Verlage und Lehrkräfte zu sehr auf die (lehrplangemäß vorausgesetzte) intrinsische Motivation der Schüler: innen und appellieren, im Einklang mit bildungstheoretischen Setzung und curricularen Forderungen, an ihre Lern-Au‐ tonomie und Eigenverantwortlichkeit: Green Line Oberstufe (2015) betont ex‐ plizit, „in besonderem Maße der Forderung nach selbstständiger Erarbeitung der Unterrichtsinhalte Rechnung“ zu tragen (GL-LB 10; vgl. auch Punkt 7 in der 284 3 Ergebnisse und Perspektiven 6 Wirtschaftliche Kalkulationen sind hier natürlich kein Gegenstand der vorliegenden Überlegungen, wenngleich zu erwarten wäre, dass die eigenständige Veröffentlichung eines solchen Referenzwerkes für die Verlage durchaus attraktiv sein könnte. Zum einen würden die Produktionskosten für Schülerbände jahrgangsübergreifend in mehreren Fächern sinken, und zum anderen entstünde mit dem Referenzwerk ein eigenes Pro‐ dukt. Zudem würde ein solches Referenzwerk dem modularen Charakter der modernen Lehrwerksgestaltung entgegenkommen und wäre insbesondere als online-Material von hohem Nutzen. Liste zu den „Neuerungen des Kernlehrplans“, PA-LHB 12). In praxi stellt sich diese Forderung nach autonomem Lernen aber in vielen Fällen selbst noch an der Universität als eine Überforderung der Lernenden heraus. Eine Möglichkeit zur Lösung dieses Dilemmas bestünde darin, die Schü‐ lerbände eines Lehrwerks zu ‚entschlacken‘ und von den Referenz- / Kom‐ petenzteilen zu lösen, deren letztere - analog zu naturwissenschaftlichen Formelsammlungen - entweder gedruckt oder online unabhängig von den Schü‐ lerbänden und gegebenenfalls sogar (sprachen-) fächerbzw. jahrgangsüber‐ greifend von den Klassenstufen 10-13 zu nutzen wären. Eine solche Auslagerung brächte den Vorteil, beim Verzicht aufs Lehrwerk und im Falle der alleinigen Nutzung eines Themenheftes bzw. der Lektüre einer Ganzschrift dennoch einen einfachen Zugriff auf die Kompetenz-Hilfen zu erhalten. Insbesondere für förderbedürftige Schüler: innen könnte dies eine wesentliche Erleichterung bringen, die im Schülerband vorgesehenen Unterstützungsangebote tatsächlich parallel nutzen zu können, während zugleich leistungsstärkere Schüler: innen auf das nicht-lineare Arbeiten mit unterschiedlichen Arten von (online und offline-)Materialien in einer akademischen Lernumgebung vorbereitet werden. 6 3.2 Ein bescheidener Vorschlag Mit einer themenbezogenen, gewissermaßen lokalen Rückbesinnung auf stärker am Text gestützte hermeneutische Leseverfahren in besonders literaturaffinen Unterrichtsmodulen wie den hier untersuchten kann ein kognitivierender, wissensbasierter Zugang zur Literatur als Grundlage für darauf aufbauende Lektüreverfahren re-legitimiert werden. Es stellt sich dabei die Frage, inwieweit ein Großteil der schulischen Erarbei‐ tung von Texten eine Gelegenheit schafft, eine intensive Auseinandersetzung mit diesen Texten im Sinne von Fragestellungen zu initiieren, mit denen die Schüler: innen an literarische Texte herantreten können, um diese auch aus sich heraus zu verstehen und die Literarizität von Texten zu erkennen: d. h. ihre Fiktionalität, aber ggf. auch ihre Geschichtlichkeit; ihre Geformtheit, ihre 285 3.2 Ein bescheidener Vorschlag Vieldeutigkeit, die zugleich auch eine Einladung zur intersubjektiven Sinnkon‐ struktion ist. Schulische Absolvent: innen lernen bislang vor allem, über (zu viele, zu knappe) literarische Textausschnitte zu sprechen und Informationen aus den Formulierungen zu entnehmen (sinnentnehmendes Lesen). Alternativ dazu ermöglichen die Lehrwerke einen stark subjektivierenden, Sinn aushandelnden Umgang mit literarischen Texten durch kreative Aufgabenformate: Hier tritt der Ausgangstext schnell in den Hintergrund und wird lediglich zum kommunika‐ tiven Anlass - was im Sinne einer sprachdidaktischen Ausrichtung sinnvoll ist, jedoch die Literarizität eines Textes überlagert. Was weder mit dem sinn-ent‐ nehmenden Lesen noch mit einem primär kommunikativen Zugang erreicht wird, ist ein Dialog der Lernenden mit Texten, der auch die Sinnpotenziale literarischer Werke zwischen den Zeilen zur Geltung brächte. Zumindest für diejenigen Unterrichtsmodule in einem Lehrwerk, in denen literarische Stoffe thematisch in den Vordergrund rücken (dies gilt namentlich für die hier in Kap. 2 behandelten Einheiten), liegt es daher nahe, diese vermehrt auf ihren semiotischen, kulturellen und historischen Eigenwert hin zu untersuchen und im Sinne eines literaturpropädeutischen „Schnupperkurs[es]“ (C-HRU 129) zu betrachten. Insbesondere die hier untersuchten Unterrichtsmodule lassen einen re-philologisierten, ästhetische Texte als Literatur betrachtenden Zugang für die Schüler: innen authentisch wirken. Gestützt wird eine solche funktionale Lektüre-Differenzierung vom überar‐ beiteten CEFR , in dem die Rezeption „kreativer“ Texte wie folgt unterschieden wird: als informelle individuelle Unterhaltungslektüre („Reading as a leisure ac‐ tivity“ und „Expressing a personal response to creative texts (including literature)“, CEFR 2018: 115-118; Herv.i.Orig.) bzw. als institutionell gebundener sozialer Lektüreakt mit jeweils spezifischen Rezeptionsmodi („Analysis and criticism of creative texts (including literature)“ und „Facilitating collaborative interaction with peers“, CEFR 2018: 118-120; Herv.i.Orig.). Diese binäre Struktur lässt sich in rezeptionsmethodischer Hinsicht weiter unterteilen in textzentrierte und kulturorientierte Lektüreformen im institutionellen Rahmen, und auch die vom CEFR so bezeichnete Freizeitlektüre kann im Unterrichtsgeschehen zumindest thematisiert werden. Natürlich lässt sich der private, auf Unterhaltung gerich‐ tete Leseakt in einem solchen institutionellen Rahmen nicht simulieren, aber er kann reflektiert und analysiert werden - zumal es vielen Schüler: innen schwer fällt, die Grenze zwischen dieser privaten und der institutionellen Lektüre zu ziehen. Während aber für die private Lektüre subjektivistische und identifikatorische Deutungen legitim sind, gilt für die institutionellen Lektüre‐ formen ein kritischer, kriteriengelenkter Ansatz. Hier gilt es, intersubjektiv verhandelbare Deutungspositionen zu erarbeiten, die kontextuell (historisch, 286 3 Ergebnisse und Perspektiven politisch, weltanschaulich) und / oder textzentriert (formalistisch, narratolo‐ gisch) beschreibbar sind. Mögen die institutionellen, primär schulischen bzw. universitären Rezeptionsverfahren zunehmend Einfluss auf den individuellen Lektürehabitus nehmen, so ist dieser unbestrittenermaßen eine grundsätzlich eigene, valide Kategorie in der Auseinandersetzung mit literarischen Texten: „[…] es ist gerade das Wechselspiel zwischen Situationen im Unterricht und dem sich dabei entfaltenden individuellen Potential in konkreten Handlungen, das aus didaktischer Sicht interessant ist.“ (Steininger 2014: 72) In den Lehrwerken lassen sich diese drei Rezeptionstypen thematisch wie folgt anordnen: 1. Auf der elementaren Ebene liegt der Lektürefokus in den auf dem subjektiven, auch privaten Leseakt. Hier spielt die Distanzierung vom Text, wie sie die anderen Rezeptionsmodi dominieren, keine tragende Rolle, stattdessen rücken kreative, informelle Verarbeitungsmuster in den Vordergrund. (= „Rezipientenorientierung“, vgl. zu diesem und den folgenden Begriffen Surkamp 2019b: 76-77) 2. Diejenigen Lerneinheiten in einem Lehrwerk, die eher (fremd-)kulturell und gesellschaftlich oder politisch orientiert sind, können als Gelegenheit dienen, mittels literarischer Werke Einblicke in kulturwissenschaftliche Lektüreverfahren (namentlich ideologie- und gesellschaftskritische bzw. kulturvergleichende) zu geben. Dabei lassen sich - in Übereinstimmung mit dem bisherigen Unterrichtsdesign - mit handlungsorientierten Lite‐ raturaufgaben Empathievermögen und Toleranz fördern. (= „Themenorientierung“) 3. Anhand von Lehrwerk-Texten, die den literaturaffinen Lerneinheiten wie den im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zugeordnet sind, wären zunächst die Vermittlung von formalen und funktionalen Phänomenen wie erzählerische Multiperspektivität, Brüche und Krisensituationen im plot, Veränderungen der (sozialen) Atmosphäre und der Charakterisie‐ rungstechniken, sowie die diskursive Beschreibung der Darstellung von Raum und Zeit als elementare repräsentionale Kategorien ins Zentrum zu stellen. (= „Textorientierung“) Die Aspekte lassen sich mit folgender Tabelle visualisieren, die zusätzlich eine Matrix mit Kriterien im Bereich der Rezeption und mit Zieltextformaten im Bereich der fremdsprachlichen Produktion aufführt: 287 3.2 Ein bescheidener Vorschlag Funktion privates Lesen institutionelles Lesen Form Literatur als Aus‐ druck subjektiven Daseins Literatur im Spiegel von Gesellschaft und Geschichte Literatur als Lite‐ ratur reading input Rezeption Identifikation: Handlung, Atmo‐ sphäre, Figuren Perspektiv‐ struktur-Analyse Sympathielenkung Spannung … Kontextualisie‐ rung: historisch, weltan‐ schaulich (kultu‐ relles Gedächtnis) gesellschaftliche Rollenbilder (race, class, gender) Kategorisierung: Perspektivstruktur Differenz Fremdes / Eigenes Empathie … Kategorisierung: Stil, Form, Funktion Perspektivstruktur Plot, Atmosphäre, Figurenkonstella‐ tion Sympathielenkung Vergleich (von Texten, Plots, Fi‐ guren) Kenntnis ästheti‐ scher Richtungen (s. o. Abschn. 1.3, LiFT-2) … Produktion kreativ: spekulative Fortset‐ zung der Textvor‐ lage performative Vi‐ sualisierung (Pan‐ tomime, u. a.) evokativer Fokali‐ sierungs- / Perspek‐ tivwechsel informelles Re‐ gister … kognitiv / kreativ: adaptive Bearbei‐ tung der Textvor‐ lage Anwendung fach‐ sprachlichen Wis‐ sens (Terminologie) Fokalisierungs-/ Perspektiven‐ wechsel … kognitiv: kritische Auseinan‐ dersetzung mit der Textvorlage Anwendung fach‐ sprachlichen Wis‐ sens (Terminologie) … learning outcomes Zieltext‐ format Lesetagebuch „Letter to the au‐ thor / editor“ … Poster Rollenspiel Konzeption von Storyboard / Dreh‐ buch … Kommentar Rezension Essay, Facharbeit, literarische Inter‐ pretation … Tab. 23: Von der Text-Rezeption zur zieltextorientierten Schriftproduktion Die Tabelle zeigt, dass Schüler: innen mit der Kenntnis unterschiedlicher Lek‐ türe-Formen und ihrer Funktionen eine größere Sicherheit dafür entwickeln können, welche Art von produktivem learning outcome bzw. Zieltextformat man von ihnen in den verschiedenen Bildungszusammenhängen erwartet. Wenn den Schüler: innen diese dreifache Unterscheidung transparent vermittelt wird, ist ihnen auf diese Weise die Legitimität verschiedener Rezeptionsverfahren im 288 3 Ergebnisse und Perspektiven Umgang mit literarischen Texten plausibel dargelegt. Dies ließe sich besonders gut dadurch erreichen, dass in verschiedenen thematischen Bereichen mehrere Ausschnitte ein- und desselben literarischen Textes zur Diskussion gestellt werden: Gerade durch die diskursive und thematische Vielfalt von längeren Texten lassen sich die unterschiedlichen Lektüreansätze stets in authentischer Weise praktizieren. Eine solche Verteilung von mehreren Textpassagen über ein Lehrwerk ist in der Generation ab 2015 die seltene Ausnahme (vgl. Abschn. 2.1); eine stärkere Kalibrierung des verwendeten Textmaterials innerhalb eines Lehrwerks könnte aber zu einer erhöhten Aufmerksamkeit und zu einem verbesserten Differenzbewusstsein seitens der Schüler: innen für die spezifisch ästhetischen Eigenheiten eines literarischen Textes führen. Von einer solch differenzierenden Texterarbeitungskompetenz ausgehend (sie werden durch die Arbeits- und Lesetechniken mit nicht-literarischen Texten ergänzt) sind auf der Ebene des tertiären, akademischen Bildungsabschnitts im Bereich der Literatur- und Kulturwissenschaft die weiterführenden theoretischen und -ge‐ schichtlichen Deutungsebenen zu erschließen. Diese werden ihrerseits aus fach‐ didaktischer Perspektive mit lerntheoretisch und methodisch abgesicherten, unterrichtsvorbereitenden Vermittlungsparadigmen der Literaturdidaktik un‐ terfüttert. Den Lehramtsstudierenden sind diese Kriterien gleichermaßen zu vermitteln, aber im Unterschied zu den Schüler: innen der gymnasialen Oberstufe nicht als theoretisches Kompetenz- und Lernziel, sondern als ein praxeologisches Handlungsspektrum im Umgang mit Texten, das es im eigenen Unterricht, für unterschiedliche Bildungsniveaus und Schulformen inhaltlich abgestimmt, zu vermitteln und anzuwenden gilt. Anders gesagt: Was Schüler: innen inhaltlich ‚mit Texten zu machen‘ lernen, müssen die zukünftigen Lehrkräfte sich erst als methodisches Instrumentarium erarbeiten, so dass an diesem Punkt schulische und akademische Kompetenzen konvergieren und sich gegenseitig ergänzen. 3.3 Mit der schulischen Text- / Medienkompetenz ins Literatur-Seminar Die vorliegende Studie soll nicht zuletzt eine Reflexion über die Vermittlungs‐ problematik der in den schulischen Lehrwerken und Lernmaterialien angebo‐ tenen literarischen Inhalte vor dem Übergang von Schule zur Universität anregen. Bislang hat dieser Übergang, der bildungsbiographisch als ebenso wichtig wie derjenige von Grundschule zur weiterführenden Schule erscheint, wenig Aufmerksamkeit erhalten. Wiebke v. Bernstorff und Kerstin Böhm 289 3.3 Mit der schulischen Text- / Medienkompetenz ins Literatur-Seminar argumentieren zwar aus germanistischer Sicht, dass „[f]ür einen Zugang in die Wissenschaft von der Literatur […] die Literatur zunächst einmal fremd gemacht werden [müsse], damit sie sich dann neu erschließen [lasse].“ (Bernstorff/ Böhm 2020: 143) Für die fremdsprachlichen Literaturen erscheint dieser entfremdende Zugang jedoch wenig geeignet: Zwar erscheint ein deutlicher Schnitt beim Übergang von der Schule zur Hochschule durchaus attraktiv, um das Neue gegenüber dem Bekannten zu akzentuieren; in der Regel aber erscheint unter lernpsychologischer Betrachtung eine synthetische Stufung von einfacherem zu komplexerem Wissen leichter vermittelbar. Gerade weil aber, wie die voran‐ stehenden Ausführungen gezeigt haben, in der gymnasialen Oberstufe keine wirklich „einfachen“ Lesestoffe zur Diskussion stehen, sollte hier die Möglich‐ keit zur inhaltlichen, historischen, methodischen und theoretischen Vertiefung im Sinne des Kontinuitätsgedankens genutzt werden. Zu befürworten wäre die themengebundene Akzentuierung textzentrierter Methoden für die Literaturvermittlung in der gymnasialen Oberstufe - so‐ wohl im Grundals auch im Leistungskurs; sie könnte letztlich auch zu höherer Anschlussfähigkeit schulischer Lernstoffe nicht nur an die Inhalte eines fremdsprachlichen Lehramtsstudiums führen. Statt der oben in Abschn. 1.1 beobachteten Trennung in binäre Bildungswelten sollten praxisbezogene Konvergenzen zwischen dem fortgeschrittenen Literaturunterricht im Schul‐ fach Englisch und dem universitären Studienfach Anglistik / Amerikanistik mit seinen literaturwissenschaftlichen und fachdidaktischen Spezialgebieten aufgezeigt werden. Sie definieren je eigene Räume für unterschiedliche An‐ sprüchen und Methoden, weisen aber doch in der Sache weitgehende Verbin‐ dungslinien auf, die insbesondere für Lehramtsstudierende bedeutsam sind: Die wissenschaftspropädeutische Dimension der schulischen Literaturvermittlung in der gymnasialen Oberstufe (insonderheit deren Qualifikationsphase) und die anschließende akademische, literaturwissenschaftliche wie literaturdidak‐ tische Vertiefung ist für die Lehrerbildung wesentliche Voraussetzung, um die zukünftigen Lehrkräfte mit dem Methodenwissen auszustatten, das ihnen im Schuldienst eine kompetenzorientierte Literaturvermittlung ermöglicht. Kann gegenwärtig aber von einem literaturbasierten Kontinuum, das Schule, Hochschule und die verschiedenen Phasen der Lehrerausbildung miteinander verbände, noch keine Rede sein, so ist doch auf den verschiedenen Gebieten ein weitreichender „common ground“ (Hallet 2020) zu erkennen, der einen hohen Grad von konzeptuellem und theoretisch-methodischem Transfer ermöglicht und somit auch die Übergangsproblematik für die Studierenden nach ihrem Wechsel von der Schule an die Universität und zurück erleichtern sollte. 290 3 Ergebnisse und Perspektiven 4 Bibliographie Lehrwerke Camden Town Oberstufe (Qualifikationsphase). (Allgemeine Ausgabe, 2019). Claussen, Stephanie et al. Schülerband: Lehrerfassung. Print. + Digitaler Unterrichtsassistent: BiBox 2.0 (inklusive „Lehrerhandbuch“). Braunschweig. Context (Ausgabe NRW, 2015/ 2017). Anette Leithner-Brauns; Ingrid Becker-Ross; Hellmut Schwarz, Hgg. Schülerband: Lehrerfassung. Print. + Unterrichtsmanager. DVD-ROM. „Inklusive Handreichungen für den Unterricht“. Berlin. Green Line Oberstufe: Grund- und Leistungskurs (Ausgabe NRW, 2015). Ellen Butzko et al. Schülerband: Lehrerfassung. Print. + Digitaler Unterrichtsassistent Plus 2.0 (NRW). DVD-ROM (inklusive „Lehrerbuch“). Stuttgart. Green Line Oberstufe (Bundesausgabe 2021). Daniel Becker et al. Schülerband. Print. + Digitaler Unterrichtsassistent Plus 2.0. Download (inklusive „Lehrerbuch“). Stuttgart. Pathway Advanced: Lese- und Arbeitsbuch für die gymnasiale Oberstufe. Qualifikations‐ phase Sekundarstufe II (Ausgabe NRW, 2017). Iris Edelhoff, Hg. Schülerband mit Filmsoftware. Print/ DVD. + Digitaler Unterrichtsassistent: BiBox 2.0. Inklusive „Leh‐ rerhandbuch“. Paderborn. Andere Lehr- / Lernmaterialien (bei digitalen Dokumenten letzter Aufruf: 12.08.2021) Annand, Simon (2012): „Love’s Labour’s Lost (in sign language).“ Production Photography: Globe to Globe - International Season at Shakespeare’s Globe. Web. 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JM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Tab. 2: Skill Files zum schriftlichen Umgang mit Literatur in den vier Lehrwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Tab. 3: Kann-Beschreibungen für den Umgang mit literarischen Texten (CEFR 2018: 117) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Tab. 4: Kompetenzbeschreibungen für den Umgang mit literarischen Texten (im Anschluss an Steininger 2014: 393-398) . . . . . . . . . . 38 Tab. 5: Thematische Synopse der vier untersuchten Lehrwerke mit Platzierung der relevanten Unterrichtseinheiten . . . . . . . . . . . . 58 Tab. 6: Thematischer Aufbau der untersuchten Kapitel in den vier Lehrwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Tab. 7: Werksynopse der untersuchten Lehrwerkseinheiten . . . . . . . . 63 Tab. 8: Standardlektüren in Sekundarstufe II, ca. 1960-1990 (Thaler 2008: 100) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Tab. 9: Camden Town, Anweisung zu Unit 2, Part B, Aufgabe 5b (CT 65) 76 Tab. 10: Lösungsvorschlag zu Context, Unterrichtseinheit 3, Part A, Aufgabe 3a (C-HRU 57) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Tab. 11: Lösungsvorschlag zu Green Line, Topic 8B, Aufgabe 2 (GL-LB 332) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Tab. 12: Hilfestellung für Genrezuordnungen, Green Line, „Diff-Pool“ zu Topic 8E, Aufgabe 6 (GL 284, Herv.i.Orig.) . . . . . . . . . . . . . . 135 Tab. 13: Musterlösung zu Green Line, Topic 8E, Aufgabe 2b (GL-LB 344) 136 Tab. 14: Synopse der Unterschiede zwischen (The) Children of Men, Roman und Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Tab. 15: Musterlösung zu Pathway Advanced, “Utopia & Dystopia”, “Children of Men”, Aufgabe 6 (PA-LHB 516) . . . . . . 148 Tab. 16: Struktur der Shakespeare-Lerneinheiten in den vier Lehrwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Tab. 17: Musterlösung zu Camden Town, Lerneinheit 8B, Aufgabe 2b (CT-LHB 388) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Tab. 18: Rhetorische Stilmittel in Petrucchios Werberede an Kate . . . . 221 Tab. 19: Lösungsvorschlag zu Green Line, Lerneinheit 10, CSW, Part C, Aufgabe 8 (GL-LB 399) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Tab. 20: Musterlösung zu Pathway Advanced, Theme „Shakespeare - John Russell Brown: ‚Onstage and Backstage‘“, Aufgabe 6 (PA-LHB 622, Herv.i.Orig.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Tab. 21: Musterlösung zu Pathway Advanced, Theme Shakespeare „Dreams and Demons… / Death, Devils … Dissolution“, Task 1, Step 3 (PA-LHB 627) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Tab. 22: Musterlösung zu Pathway Advanced, Theme „Shakespeare: Dreams and Demons, Text 2 ‚Macbeth, King of Scotland‘, Aufgabe 2 (PA-LHB 629) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Tab. 23: Von der Text-Rezeption zur zieltextorientierten Schriftproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 312 Tabellenverzeichnis Studies in English Language Teaching Augsburger Studien zur Englischdidaktik Herausgegeben von Engelbert Thaler Aktuelle Bände: Band 1 Engelbert Thaler (Hrsg.) Shorties Flash Fiction in English Language Teaching 2016, 203 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-8233-6997-4 Band 2 Engelbert Thaler (Hrsg.) Short Films in Language Teaching 2017, 191 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-8233-8098-6 Band 3 Stephanie Schaidt Ugandan Children’s Literature and Its Implications for Cultural and Global Learning in TEFL An Extensive Reading Project Study 2018, 517 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8168-6 Band 4 Engelbert Thaler (Hrsg.) Singer-Songwriters Music and Poetry in Language Teaching 2018, 209 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-8233-8238-6 Band 5 Engelbert Thaler (Hrsg.) Lit 21 - New Literary Genres in the Language Classroom 2019, 187 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-8233-8307-9 Band 6 Doris Kocher Fremdsprachliches Lernen und Gestalten nach dem Storyline Approach in Schule und Hochschule Theorie, Praxis, Forschung 2019, 700 Seiten €[D] 128,- ISBN 978-3-8233-8303-1 Band 7 Dorottya Ruisz / Petra Rauschert / Engelbert Thaler (Hrsg.) Living Language Teaching Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien im Fremdsprachenunterricht 2019, 261 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-8319-2 Band 8 Kathrin Thomson (Hrsg.) Classroom Discourse Competence Current Issues in Language Teaching and Teacher Education 2021, ca. 200 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-8233-8374-1 Band 9 Jennifer Schilitz Lernen mit Bewegung und Lernen in Entspannung Effekte auf die Wortschatzaneignung im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe 2021, 237 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-8233-8508-0 Band 10 Engelbert Thaler (Hrsg.) Teaching Transhumanism 2021, 173 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-8233-8495-3 Band 11 Jürgen Meyer Fachdidaktik Englisch - Fokus Literaturvermittlung Eine hermeneutische Analyse von Lehrwerken der gymnasialen Oberstufe 2021, 312 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8519-6 ISBN 978-3-8233-8519-6 Seit den Lehrplanreformen der frühen 2000er Jahre hat sich der Stellenwert von Literatur im Englischunterricht verändert: Die Vermittlung sprachlich-kommunikativer und handlungsorientierter Kompetenzen ging zulasten der literarischen Interpretation mit ihrem Bemühen um ein Verstehen der Vieldeutigkeit von literarischen Texten. Es zeigt sich, dass das Bemühen um lebensweltliche Bezüge zur Realität der Leser: innen nicht immer zu Umgangsweisen mit Texten führt, die der erfolgreichen Ausbildung von literarischer Kompetenz zuträglich sind. Diese Studie vergleicht Unterrichtsmodule aktueller Lehrwerke (Camden Town, Context, Green Line Oberstufe und Pathway Advanced) und legt an ihnen dar, wie Literatur wieder als Literatur betrachtet werden kann. Thematisch rücken neben Ausschnitten aus Shakespeares Werken vor allem Dystopien und Science Fiction des 20. und 21. Jahrhunderts in den Vordergrund. www.narr.de