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Geschichte in Gedenkstätten

2020
978-3-8385-5143-2
UTB 
Habbo Knoch

Historisches Lernen aus gewaltsamen Vergangenheiten, insbesondere des 20. Jahrhunderts, ist inzwischen untrennbar mit Gedenkstätten verknüpft. Der Band zeichnet ihre Entwicklung nach, führt in die wichtigsten Kontroversen ein und vermittelt einen Überblick zu den Aufgabenfeldern dieser Institutionen des kollektiven Gedächtnisses, die in Europa mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden sind. Seit den 1980er Jahren haben sich Gedenkstätten zunehmend auch in anderen Regionen der Welt zu Einrichtungen entwickelt, die das Gedenken und eine aktive Auseinandersetzung mit dem Geschehen an diesen Orten und ihrer Geschichte verbinden. Zahlreiche Kontroversen - etwa über das Verhältnis von Gedenken und Erinnerung, den musealen Charakter oder den politischen Auftrag von Gedenkstätten - dokumentieren die Bedeutung von Gedenkstätten für die Selbstverständigung von Gesellschaften über vergangene Verbrechen. In der Fülle ihrer Aufgaben liegt eine ständige Herausforderung, angemessene Formen des Umgangs mit Geschichte zu finden und ihren moralischen Auftrag ebenso zu reflektieren wie ihm gerecht zu werden.

,! 7ID8C5-cfbedh! ISBN 978-3-8252-5143-7 Habbo Knoch Geschichte in Gedenkstätten Theorie - Praxis - Berufsfelder Historisches Lernen aus gewaltsamen Vergangenheiten, insbesondere des 20. Jahrhunderts, ist inzwischen untrennbar mit Gedenkstätten verknüpft. Der Band zeichnet ihre Entwicklung nach, führt in die wichtigsten Kontroversen ein und vermittelt einen Überblick zu den Aufgabenfeldern dieser Institutionen des kollektiven Gedächtnisses, die in Europa mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden sind. Zahlreiche Kontroversen-- etwa über das Verhältnis von Gedenken und Erinnerung, den musealen Charakter oder den politischen Auftrag von Gedenkstätten - dokumentieren die Bedeutung von Gedenkstätten für die Selbstverständigung von Gesellschaften über vergangene Verbrechen. Geschichte Geschichte in Gedenkstätten Knoch Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel Public History - Geschichte in der Praxis 51437 Knoch_M-5143.indd 1 51437 Knoch_M-5143.indd 1 20.10.20 10: 04 20.10.20 10: 04 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag / expert verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn transcript Verlag · Bielefeld Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld utb 5143 Public History - Geschichte in der Praxis Herausgegeben von Irmgard Zündorf (Potsdam) und Stefanie Samida (Heidelberg) Prof. Dr. Habbo Knoch lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität zu Köln. Zuvor war er Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten (Celle) und Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Habbo Knoch Geschichte in Gedenkstätten Theorie - Praxis - Berufsfelder Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen Umschlagabbildung: Gedenkstätte Sachsenhausen Besucherinformationszentrum. Foto: Sebastian Pahl (2005), CC BY-SA 3.0. https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Sachsenhausen_BIZ.jpg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Satz: pagina GmbH, Tübingen CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 5143 ISBN 978-3-8252-5143-7 (Print) ISBN 978-3-8385-5143-2 (ePDF) ISBN 978-3-8463-5143-7 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.1 Eine Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.2 Gedenkort - Gedenkmuseum - Denkmal - Erinnerungsort . . . . . . . . . . 11 1.3 Gedenkstätte: Eine kurze Begriffsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.4 Was macht eine Gedenkstätte aus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.1 Erinnerung und Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.2 Geschichtspolitik und Erinnerungskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.3 Kollektivgewalt und Genozid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.4 Opfer und Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.5 Trauer und Trauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.6 Vergessen und Erinnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2.7 Gedenken und Geschichtsbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3 Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3.1 Totenkult und öffentliches Gedenken vor 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3.2 NS-Gedenkstätten als sakrale Gedächtnisorte der Nation . . . . . . . . . . . . . 60 3.3 Die Gedenkstättenbewegung in der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3.4 Geschichtspolitik in der „Berliner Republik“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.5 Gedenkstätten für die Opfer in der SBZ und der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.6 Gedenkstätten in Europa seit 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3.7 Gedenkstätten als globale Institution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4 Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4.1 Sind Gedenkstätten heilige Orte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4.2 Sind Gedenkstätten authentische Orte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 4.3 Sind Gedenkstätten museale Orte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4.4 Sind Gedenkstätten Lernorte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 4.5 Sind Gedenkstätten politische Orte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 4.6 Sind Gedenkstätten universale Orte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 VI I nhaltsverzeIchnIs 5 Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 5.1 Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 5.2 Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 5.3 Vernetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 5.4 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 5.5 Gedenkstätte als Beruf: Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Weblinks zu Portalen, Plattformen und Linksammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Register der Namen und Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 „Ich betrat ein Terrain, auf dem ich genau wusste, wohin ich gehen würde: in eines der Lager, das dort sein musste. (…) Da war Stille. Da war Leere. Da war die Fassungslosigkeit, dass jene Landschaften (…) nun schwiegen. Sie waren verlassen. Aber alles war da: Diese unzähligen Betonpfosten - man konnte sie fast noch stolz und aufrecht stehen sehen, wie bei unserer Ankunft (…). Aber dies war nicht mehr die Metropole des Todes von früher. Es war eine verödete Landschaft. Aber alles war noch da, nur in einer Art Distanz der Verödung. Und dennoch brennend. Brennend wie an jenem Tag.“ (Otto Dov Kulka, Landschaften der Metropole des Todes. Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft, München 2013, S. 20 f.) „Ich spürte das bange Treiben um mich her. Die Erklärungen konnten warten. Ich hatte genug vom Mythos, von den Ideen, von der krankhaften Wissbegier. Ich versuchte zu hören, was sie sagten. Pass auf das Kind auf. Nein, nimm du’s mit. Der Kleine hat furchtbaren Durst. Wann geben sie uns denn was zu trinken. (…) Der Arzt saß zu meinen Füßen und musterte mich besorgt. Man reichte mir eine Wasserflasche. Sie kümmerten sich wirklich um mich. Ich brachte meinen Vortrag zu Ende.“ (Yishai Sarid, Monster, Zürich / Berlin 2019, S. 128 f.) Einführung Als „Zeugnisse eines Zeitbruchs“ hat der Germanist und Gewaltforscher Jan-Philipp Reemtsma vor einigen Jahren Gedenkstätten bezeichnet. Unter dem Titel „Wozu Gedenkstätten? “ konzentrierte er sich dabei auf Orte der nationalsozialistischen Verbrechen. Trotz seiner provokanten Frage stand ihre Existenz für ihn nicht zur Debatte: „Man streitet nicht mehr um das Ob, sondern lebt im Konsens.“ Ohnehin skeptisch gegenüber Konzepten wie dem „kulturellen Gedächtnis“ oder der „kollektiven Erinnerung“, wandte sich Reemtsma entschieden dagegen, Gedenkstätten für nationale Sinnstiftungen zu nutzen, als „Orte der Umkehr“ zu betrachten oder auf Lernzwecke zu reduzieren, für die man sie eigentlich gar nicht bräuchte: Menschen zu diskriminieren und zu quälen, sei auch dann verwerflich, wenn daraus kein Massenmord erwachse, und dass man Menschen nicht anzünde, „lernt man genaugenommen gar nicht, das weiß man“ (Reemtsma 2010: 9). Gerade die letzten Jahre lassen an diesem Optimismus zweifeln. Den Gründungsaktivisten des Dokumentations- und Informationszentrums (DIZ) Emslandlager in Papenburg, das ich kurz nach seiner Gründung 1985 zum ersten Mal betrat, lag nichts ferner als die Frage nach dem Wozu. Die Fronten waren klar: Sie wollten die verdrängte, verleugnete und vergessene Geschichte der nationalsozialistischen Verbrechen am Beispiel der 15 Konzentrations-, Strafgefangenen- und Kriegsgefangenenlager sichtbar machen, die im Emsland und in der Grafschaft Bentheim zwischen 1933 und 1945 bestanden hatten, und darüber im Rahmen einer kritischen, emanzipatorischen Bildungsarbeit aufklären. So brachten sie auch eine fundamentale Kritik an der unzureichenden Aufarbeitung des Nationalsozialismus nach 1945 zum Ausdruck. Sie verstanden ihren Einsatz als unverzichtbaren Beitrag zu einer weiteren - und aus der Sicht vieler: überhaupt noch ausstehenden - Demokratisierung und Liberalisierung der Bundesrepublik. Unter dem in der Nachkriegszeit aufgespannten Integrationsschirm einer konsequenten Tabuisierung und einer selektiven Erinnerung, der die 1960er und 1970er Jahre weitgehend überdauert hatte, war die Bundesrepublik vierzig Jahre nach dem Kriegsende sehr weit von einem erinnerungskulturellen Konsens entfernt und stritt heftig sowie mit offenem Ausgang mehr um das Ob als um das Wie. Bei der Handvoll Gedenkstätten, die es bis dahin in der Bundesrepublik gab, handelte es sich um Mahnmale an historischen Orten mit überschaubaren Ausstellungen, die aber weder über wissenschaftliches Personal verfügten, noch Bildungsarbeit leisten konnten. Nur die KZ-Gedenkstätte Dachau hatte eine wissen- 2 e Inführung schaftliche Leitung - ein bescheidener Tribut an die internationale Bedeutung des Ortes. Die DDR verfügte über deutlich besser ausgestattete Nationale Mahn- und Gedenkstätten in Buchenwald, Mittelbau-Dora, Ravensbrück und Sachsenhausen. Gedenkstätteninitiativen wie das DIZ betrieben seit den 1980er Jahren „Spurensuche“ als zivilgesellschaftliches Projekt. Nicht etwa eine vergangenheitsmoralische Läuterung der Bundesrepublik, sondern der Zusammenbruch des Sozialismus und die Globalisierung einer opferzentrierten Erinnerung haben seit 1990 weltweit eine Vervielfältigung von Gedenkstätten, ihren Ausbau und ihre museale und pädagogische Professionalisierung ermöglicht. Inzwischen sind sie mit mehreren Hundert Einrichtungen, die allein in Deutschland an die Verbrechen im Nationalsozialismus und die SED-Herrschaft in der DDR erinnern, zu einer zentralen Institution des kulturellen Gedächtnisses geworden. Aus der Staatsräson und dem Selbstverständnis der Bundesrepublik - manche sprechen hier wieder von nationaler Identität - ist die Verpflichtung nicht mehr wegzudenken, sich dauerhaft an die Opfer des Holocaust zu erinnern. Sie bildet den Fixstern eines neuen postheroischen Verständnisses der Vergangenheit. Diesen konfliktreichen Prozess habe ich seit den späten 1980er Jahren partiell mitgestaltet und wissenschaftlich begleitet - unter anderem als einer der Verantwortlichen des Trägervereins des DIZ Emslandlager, zeitweise als Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten und Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen sowie als Zeithistoriker, der sich mit der Geschichte der NS-Verbrechen, medialen Repräsentationen von Gewalt und der Erinnerungskultur nach 1945 beschäftigt hat. Für mich stellen die Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus und insbesondere der Holocaust eine historisch exzeptionelle Form kollektiver Massengewalt dar, weil sie mit den Worten von Reinhart Koselleck dazu zwingen, „das Unausdenkliche denken zu müssen, das Unaussprechbare aussprechen zu lernen und das Unvorstellbare vorzustellen versuchen“ (Koselleck 2002: 29). Die Ausführungen in diesem Buch basieren in diesem Sinne auf einer Aporie, die den Kern des „negativen Gedächtnisses“ nach dem Holocaust ausmacht: Wie sich die Systematik, der Hass und die Sinnlosigkeit von Zerstörung und Vernichtung in die Körper der einzelnen Opfer eingeschrieben haben, ist nicht für die Nachlebenden erfahrbar. Dennoch lassen sich aus der Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen kritisch zu reflektierende Perspektiven dafür gewinnen, in welcher gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung wir leben wollen. Gedenkstätten sind Orte, an denen diese Aporie konkret wird. Letztlich kreist deren Geschichte seit 1945 bis in die Gegenwart darum, ob sie durch sinnstiftende, metahistorische Botschaften aufgelöst oder durch multiperspektivische Praktiken bewusst gemacht und reflektiert wird. Schon der Begriff ist schillernd: Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wurden mit Gedenkstätten verdiente Perso- 3 e Inführung nen geehrt oder Soldaten, die ihr Leben „geopfert“ hatten. Weil sich die Bedeutungen des Wortes „Gedenkstätte“ mehrfach verändert haben, werden im ersten Kapitel zunächst grundlegende Begriffe geklärt und wesentliche Merkmale dessen skizziert, was hier als Gedenkstätte verstanden wird. Im zweiten Kapitel wird das begriffliche und damit konzeptionelle Spektrum entfaltet, in dem sich die Diskussion über Gedenkstätten bewegt. Um die gegenwärtige Rolle von Gedenkstätten einordnen zu können, ist es zudem notwendig, ihre Entwicklung seit 1945 zu kennen. Deshalb geht es im dritten Kapitel um die markanten Schübe in den 1960er und den 1980er Jahren sowie um die vielfältigen Veränderungen nach 1989 / 90 für Gedenkstätten in Deutschland, Europa und weltweit. Sechs Themen, die mit einer genaueren Bestimmung von Gedenkstättenmerkmalen verbunden sind, werden im vierten Kapitel behandelt, während das fünfte Kapitel spezifische Aspekte der Arbeit in Gedenkstätten und damit verbundene Kompetenzanforderungen vertieft. Wer wie Reemtsma nach dem Wozu von Gedenkstätten fragt, fragt nicht automatisch nach ihrem Ob und stellt selbst bei einer kritischen Analyse nicht ihr Bestehen und ihre Sinnhaftigkeit in Frage. Genau dies ist aber während des Entstehungsprozesses dieses Buches in erschreckendem Ausmaß zum Bestandteil öffentlicher und politischer Debatten in der Bundesrepublik geworden. In deutschen Parlamenten sitzen Vertreter einer Partei, die einen Bruch mit jenem geschichtspolitischen und erinnerungskulturellen Konsens fordert, von dessen Stabilität Jan-Philipp Reemtsma 2010 noch ausging. Sie hat sich nicht nur wiederholt gegen die staatliche Förderung von NS-Gedenkstätten ausgesprochen, für eine nationalistische Neuausrichtung der Erinnerungskultur plädiert und revisionistische Umdeutungen des Nationalsozialismus proklamiert, sondern bekämpft zugleich ausdrücklich die liberale, weltoffene und humanitäre Prägung der Bundesrepublik - eine Prägung, die erst seit den 1970er Jahren gegen beträchtliche Widerstände an Gestalt gewonnen hat und an der Gedenkstätten und die Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen einen maßgeblichen Anteil hatten. Aber Befunde neuerer Meinungsumfragen, die das Verhältnis der Deutschen zur Erinnerung an den Nationalsozialismus thematisiert haben, lassen sich zu einem beunruhigenden Eindruck bündeln: An die Verbrechen des Nationalsozialismus zu erinnern, wird von einer großen Mehrheit zwar grundsätzlich begrüßt, aber vor allem als eine staatliche Aufgabe gesehen, die auf Druck von außen erfolgt. Die Institutionalisierung von Gedenkstätten („Geschichtskultur“) ist deshalb keineswegs mit einer kritischen Internalisierung ihrer Inhalte und Ziele („Geschichtsbewusstsein“) gleichzusetzen. So dürfte die größte Herausforderung von Gedenkstätten in einer wachsenden Drift zwischen staatlich unterhaltenen oder geförderten Institutionen des Gedenkens und einer immer komplexer werdenden Gesellschaft liegen, die sich zeitlich immer weiter vom Nationalso- 4 e Inführung zialismus, aber auch von der DDR entfernt. Menschen argumentieren, kommunizieren und erleben ihre Welt anders als zu Beginn der „Erfolgsgeschichte“ von Gedenkstätten in den 1980er Jahren; andere Themen bewegen sie, und sie setzen andere Schwerpunkte. Die Welt ist globaler und diverser, schneller und unübersichtlicher, digitaler und mobiler geworden. In der Bundesrepublik scheinen die strukturellen Ursachen und Folgen des Nationalsozialismus überwunden zu sein, während in der westlichen Welt mit großer Wucht über Rassismus, Migration, Ungleichheit und Nachhaltigkeit gestritten wird. Zum Teil reagieren Gedenkstätten bereits auf diese Verschiebungen, vor allem im Rahmen ihrer Bildungsangebote. Zu den drängendsten Fragen gehört dabei, welche Rolle Narration, Anschaulichkeit und immersive Erlebnisse gegenüber der lange vorherrschenden Trias aus Dokumentation, sachlichem Wissen und Reflexivität spielen werden. Angesichts dieser Herausforderungen - des gesellschafts- und geschichtspolitischen Revisionismus im Zeichen eines völkisch-nationalen Populismus, der distanzierten Wahrnehmung von Gedenkstätten als Orten einer staatlichen Wertevermittlung, der gesellschaftspolitischen Konflikte der Gegenwart sowie der Popularisierung und Eventisierung von Geschichte zusammen mit den Möglichkeiten des digitalen Zeitalters - mag Jan-Philipp Reemtsmas Antwort auf die Frage „Wozu Gedenkstätten? “ als Orientierung dienen: An einem Ort wie Auschwitz werde ein „Bewusstsein von der Fragilität unserer Zivilisation“ und eine „bis in die anthropologische Substanz gehende Scham“ erfahrbar (Reemtsma 2010: 9). Um diese Scham erfahren zu können, sind eine wissenschaftliche Aufarbeitung, ein reflektiertes Wissen und eine kritische Einordnung unverzichtbar, aber nicht hinreichend. Dies muss um einen emotionalen Resonanzraum und um einen ethischen Reflexionshorizont ergänzt werden: Was bedeuten diese Orte und das mit ihnen verbundene Gewaltgeschehen für unser heutiges und zukünftiges Verständnis von Menschheit, Humanität und Menschenwürde? Erst wenn Wissen, Emotion und Moral miteinander verbunden werden, treten die historischen Brüche im Gefüge der Zivilität in ihrer jeweiligen Tiefe hervor. Sie muss dabei selbst zum Gegenstand werden. Genau das können Gedenkstätten ermöglichen. Definitionen Mit dem Wort „Gedenkstätte“ assoziieren viele als Erstes Namen wie Auschwitz, Buchenwald oder Dachau - Ortsbezeichnungen, die von den Nationalsozialisten genutzt wurden, um Konzentrationslager zu benennen. Andere denken womöglich an die Berliner Mauer, an Hohenschönhausen oder an Bautzen - an Orte also, die mit dem Herrschaftssystem der SED verbunden sind. Als „Gedenkstätte“ können aber auch Orte bezeichnet sein, die an berühmte Personen erinnern, ebenso besondere Kirchen, Friedhöfe oder Mahnmale, Stätten, an denen Opfern von Katastrophen gedacht wird, sowie Orte von Krieg, Gewalt und Genozid in Europa und weltweit. Der Begriff wird in einer kaum mehr überschaubaren Vielfalt verwendet: Virtuell gibt es Gedenkstätten auch im Internet. Im Folgenden werden Gedenkstätten als Institutionen verstanden, die dauerhaft dazu eingerichtet worden sind, um an Tatorten verbrecherischer und menschenverachtender, insbesondere staatlicher Gewalt in würdiger und würdigender Weise deren Opfern zu gedenken und an sie zu erinnern, Friedhöfe, Gräber und materielle Überreste zu sichern, Quellen zu sammeln und zu erschließen, zur historischen Aufklärung beizutragen und ein gegenwartsorientiertes, reflektiertes Geschichtsbewusstsein zu fördern. Gedenkstätten sind mehr als Orte des Gedenkens, nämlich Überrest, Denkmal, Archiv, Sammlung, Forschungszentrum, Museum und Lernort. Um ihr heterogenes Aufgabenspektrum als eigenständige Institution des kulturellen Gedächtnisses dauerhaft und in der gebotenen Qualität erfüllen zu können, sind Gedenkstätten auf eigenes, insbesondere wissenschaftlich und pädagogisch hinreichend qualifiziertes Personal, auf für ihre Aufgaben ausgelegte Räume, eine Dauerausstellung mit festen Öffnungszeiten, die sich zumindest an den geltenden Standards und Möglichkeiten von Museen orientieren können muss, sowie auf ausreichende Finanzmittel angewiesen, die neben Forschung und Bildung insbesondere die Sicherung und Erschließung der baulichen und dinglichen Überreste zu gewährleisten haben (Knoch 2018). In diesem Sinne haben sich Gedenkstätten erst seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelt (Knigge 2004; Endlich 2009; Schmid 2011). In Polen wurde bereits im November 1944 am Ort des Konzentrations- und Vernichtungslagers Majdanek ein „Staatliches Museum“ gegründet. Damit ging - wie auch kurz darauf für das Stammlager in Auschwitz - eine Selbstverpflichtung des polnischen Staates zum Erhalt des historischen Ortes und seiner baulichen Hinterlassenschaften sowie zum Sammeln und Ausstellen von Objekten und Dokumenten 1 6 D efInItIonen einher. Auch in Belgien mit der Nationalen Gedenkstätte Fort Breendonk (1947), im Krieg ein Gestapo-Auffanglager, in der Tschechoslowakei mit der Gedenkstätte des nationalen Leidens (1947) im ehemaligen Ghetto Theresienstadt und in Österreich mit dem Öffentlichen Denkmal Mauthausen (1949) am Ort des nur noch in Teilen erhaltenen vormaligen KZ gingen frühere Orte der NS-Verfolgung als Gedenkstätten in staatliche Verantwortung über. Während die DDR mit Buchenwald 1958 ihre erste „Nationale Mahn- und Gedenkstätte“ einweihte, entstand eine damit vergleichbare Institution der Bundesrepublik erst im Verlauf der 1960er Jahre mit der KZ-Gedenkstätte Dachau. In den folgenden Jahrzehnten richtete sich in der Bundesrepublik mit dem wachsenden öffentlichen Interesse für die NS-Verbrechen sowie vor allem aufgrund des Engagements von Überlebenden und zivilgesellschaftlichen Gruppen der Blick zunehmend auf die „vergessenen Orte“ der Tat (Garbe 1983). Seit den 1990er Jahren wurden in der Bundesrepublik viele der bis dahin entstandenen Gedenkstätten zur Erinnerung an die NS-Verbrechen ausgebaut und umgestaltet. Ihre Zahl hat sich inzwischen auf über 300 Einrichtungen vervielfacht (Lutz / Schulze 2017). Darunter sind aber auch Orte, die einzelne Kriterien der hier verwendeten Definition nicht erfüllen, weil sie sich zum Beispiel nicht an einem historischen Tatort befinden oder kein dauerhaftes Ausstellungs- und Bildungsangebot aufweisen. Auch über Deutschland und die Orte der NS-Verbrechen hinaus werden das Wort „Gedenkstätte“ oder das englische Pendant „memorial museum“ uneinheitlich verwendet. Im Zuge der politischen Umbrüche, Genozide und Kriege der 1990er Jahre haben sich Orte des Gedenkens als globale Institution des kulturellen Gedächtnisses etabliert (Williams 2007; Sodaro 2018). Sie repräsentieren ein breites Spektrum an Ereignissen und Themen: nicht nur staatliche Gewaltverbrechen und Kriegsverbrechen, sondern auch koloniale Verbrechen, terroristische Anschläge, Umweltkatastrophen oder Verkehrsunfälle. Da auch Denkmäler, Gedenkzeichen, Informationstafeln oder Museen häufig als Gedenkstätte bezeichnet werden, wird deshalb in einem ersten Zugriff herausgearbeitet, was Gedenkstätten ausmacht und wodurch sie sich von anderen Orten des Gedenkens und Erinnerns unterscheiden. Eine Annäherung Wer Hamburg vom Süden aus mit der Bahn erreicht, passiert kurz vor der Einfahrt in den Hauptbahnhof einen Teil der HafenCity. Die Neubauten dieses immensen Stadtentwicklungsprojekts erstrecken sich auf einem weitflächigen Areal früherer Hafen- und Industrieanlagen. Wer genau hinsieht, erkennt einen Park mit einer ungewöhnlichen Gestaltung. Er wird durch eine Boden- 1.1 7 e Ine a nnäherung fuge geteilt, die ihn mit einem etwas tieferliegenden Bereich verbindet. Dort sind Reste alter Gleisanlagen zu erkennen. Beides gehört zu dem 2017 eingeweihten Gedenkort „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“. Wie vergleichbare Projekte - der Erinnerungsort Alter Schlachthof in Düsseldorf und die Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle - erinnert der Hamburger Gedenkort an die von hier aus durchgeführten Deportationen von mehr als 8000 Juden sowie Sinti und Roma zwischen 1940 und 1945 in mehrere Ghettos und Vernichtungslager. Dafür waren auch weitere Gebäude in der Umgebung des Bahnhofs genutzt worden. Als einer von vielen lokalen Tatorten des Holocaust blieb der Hannoversche Bahnhof jahrzehntelang unbeachtet. Von 1906 an wurde er nur noch für den Güterverkehr genutzt, seit 1999 ist er gar nicht mehr in Betrieb. Das historische Empfangsportal wurde 1955 abgerissen, die Seitengebäude verschwanden wenige Jahre später. Mit der Umwandlung des innerstädtischen Hafengebiets zur Hafen- City begann 2001 auch der Rückbau der Gleisanlagen. Bevor der Hannoversche Bahnhof aber in Gänze verschwand, geriet seine Nutzung während des Holocaust in den Blick. Noch 1993 hatten engagierte Bürger lediglich die Anbringung einer Tafel im Hauptbahnhof erreicht, um an die Deportierten zu erinnern. Auf viel mehr wagte kaum jemand zu hoffen. Doch in den 2000er Jahren änderten sich die Bedingungen: Durch das Engagement von Bürgern sowie von Institutionen wie der KZ-Gedenkstätte Neuengamme oder der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg wurden in einem mehr als zehnjährigen Prozess die Grundlagen für die Schaffung eines Gedenkorts gelegt. Bauhistorische Sondierungen, eine temporäre Ausstellung, pädagogische Projekte, ein Wettbewerb für die Freiraumgestaltung des gesamten Parks im Auftrag der HafenCity GmbH und ein 2013 eröffneter „Info-Pavillon“ bereiteten die schrittweise Realisierung vor. Die späte Entdeckung des Hannoverschen Bahnhofs ist ein gutes Beispiel für die Konjunkturen des Vergessens und Erinnerns nach 1945, aber auch für jene Konstellationen, die seit gut drei Jahrzehnten die Einrichtung zahlreicher Gedenkstätten begünstigt haben. Er repräsentiert eine mittlerweile bestehende Vielfalt an unterschiedlichen Themen, dezentralen Orten und solchen mit zentralem Charakter, Gestaltungen und Organisationsformen der Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen. Dabei hat ein Merkmal in den vergangenen Jahren immer größere Aufmerksamkeit erfahren: der konkrete historische Ort - die Tatsache also, dass sich die erinnerte Gewalt genau hier ereignet hat und noch Überreste erhalten sind. So vermittelt der Gleisrest am Hannoverschen Bahnhof nicht nur den Eindruck eines authentischen Bezugspunkts des Erinnerten, sondern weist auch über sich hinaus auf die Topographie der Todesorte, an die Menschen von hier aus transportiert wurden. Das „denk.mal“ wird auch als „Gedenkort“ bezeichnet und besteht aus drei Elementen: An dem erhalten gebliebenen Gleisstück befindet sich ein Mahnmal mit Namenstafeln der Opfer, das auf Drängen von Überlebenden in die Planung 8 D efInItIonen aufgenommen worden ist. Beton, Glas und Metall setzen hier einen nüchternen Akzent, prägen aber auch die Ästhetik der umgebenden Neubauten. Die Fuge als Außeninstallation macht den ehemaligen Bahnhofsvorplatz und den Gleisverlauf im Parkgelände symbolisch nachvollziehbar. Vom Park aus senkt sich der Weg bei gleichbleibend hohen Seitenwänden um etwa vier Meter nach unten ab. Dies „erzeugt Konzentration, wirkt auf die Sinne und verändert die räumliche Wahrnehmung“ (Endlich 2018: 44). In einem der angrenzenden Neubauten hat die Stadt langfristig das Erdgeschoss für ein Dokumentationszentrum mit einer ständigen Ausstellung und Bildungsangeboten wie einer „Lernwerkstatt“ oder einem „Zukunftslabor“ gepachtet. Der Investor hat sich verpflichtet, an der Außenfront des Gebäudes eine Gravur gut sichtbar anzubringen, die auf das Dokumentationszentrum verweist. Auch dauerhaftes Personal ist in der Planung vorgesehen (von Wrochem 2018). Der Gedenkort „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“ weist somit wesentliche Merkmale auf, die heute mit einer Gedenkstätte verbunden werden: einen historischen Ort und zumindest fragmentarische Relikte als Sachzeugnisse; ein namentliches Gedenken an Opfer eines staatlichen Massenverbrechens; eine Verbindung von Überresten, Mahnmalen und Landschaftsgestaltung; eine Dauerausstellung und ein Bildungsangebot mit regelmäßigen Nutzungszeiten und festem Personal; eine Sammlung, eine Bibliothek und andere Informationsangebote; ein Netzwerk aus bürgerschaftlich Engagierten, wissenschaftlichen Experten und staatlich Verantwortlichen. Allerdings: Auch wenn bis zum „Gedenkort“ ein langer Weg und viele Verhandlungen führten, waren mit seiner Entstehung gegenüber früher entstandenen NS-Gedenkstätten wie der KZ-Gedenkstätte Neuengamme deutlich weniger erinnerungspolitische Konflikte verbunden. B eispiel : D ie KZ-G eDenKstätte n euenGamme Zum 60. Jahrestag der Befreiung wurde 2005 auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme im Südosten von Hamburg die neugestaltete Gedenkstätte der Öffentlichkeit übergeben. Sie umfasst eine Fläche von 57 Hektar - das ist mehr als das Elffache der Grünfläche vor dem Berliner Reichstag - mit 17 historischen Gebäuden sowie zahlreichen baulichen Überresten und Bodendenkmälern. Während vom Häftlingslager nur noch wenige Bauten erhalten sind, befinden sich in unmittelbarer Nähe mit dem ehemaligen Klinkerwerk und den früheren Walther-Werken zwei große Baukomplexe, in denen die Häftlinge Zwangsarbeit leisten mussten. Im Zuge der Neugestaltung der Gedenkstätte wurden frühere Standorte der Häftlingsunterkünfte und Teile ihrer Überreste symbolisch sichtbar gemacht und der Appellplatz teilrekonstruiert. An insgesamt fünf Standorten werden dauerhaft Ausstellungen gezeigt, darunter in einem der beiden erhaltenen Massivbauten des Lagergeländes die zentrale Dauerausstellung. Jährlich besuchen mit steigender Tendenz etwa 100.000 Menschen die Gedenkstätte. 9 e Ine a nnäherung Der Weg zu dieser Gedenkstätte war lang und konfliktreich. Das KZ Neuengamme wurde zunächst 1938 als Außenlager des KZ Sachsenhausen eingerichtet. Die SS machte daraus 1940 ein eigenständiges KZ mit schließlich 85 Außenlagern im gesamten Nordwesten Deutschlands, in das bis Kriegsende insgesamt etwa 100.000 Häftlinge verbracht wurden. Bis 1948 diente es als britisches Internierungslager für SS-Angehörige, zivile Funktionsträger des NS-Staats und mutmaßliche Kriegsverbrecher. Kurz zuvor hatte die hamburgische Gefängnisbehörde beantragt, das Gelände für eigene Zwecke nutzen zu dürfen. Während ein Neubau die Holzbaracken des Häftlingslagers ersetzte, wurden große Teile der befestigten Bauten des Konzentrationslagers für Insassen und Personal weitergenutzt. Als 1970 ein weiteres Gefängnis errichtet und zunächst für Jugendliche, dann ab den 1980er Jahren als geschlossene Erwachsenenanstalt verwendet wurde, war endgültig kein Zugang zum ehemaligen Häftlingslager mehr möglich. Es waren zunächst Überlebende, die sich gegen die achtlose Weiternutzung und das lokale Vergessen für ein Gedenken am Ort selbst einsetzten. 1953 erreichten französische Überlebende die Aufstellung einer Gedenksäule auf dem Gelände der ehemaligen Lagergärtnerei, am westlichen Rand des ehemaligen KZ. Für die Überlebenden hat dieser Ort eine besondere Bedeutung: Hier hatte die SS die Asche der im Krematorium verbrannten Leichen verstreuen lassen. Die 1958 als Zusammenschluss der nationalen Verbände ehemaliger Neuengamme-Häftlinge gegründete Amicale Internationale KZ Neuengamme setzte sich für eine würdige Gestaltung dieses Bereichs ein, den sie als Friedhof deklarierte und reklamierte. In den folgenden Jahrzehnten entstand außerhalb des ehemaligen Lagergeländes ein Gedenkhain mit internationalen Einzelgedenksteinen neben der Gedenksäule. 1965 wurde in diesem Areal ein weitläufigeres Mahnmal des Hamburger Senats eingeweiht. Die parkartige Anlage aus einer Stele, einer Steinmauer und einer Skulptur firmierte bereits als „Gedenkstätte“, verfügte aber weder über Personal noch über eine Ausstellung. Abb. 1: Internationales Mahnmal (1965) in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme mit Stele und Ländergedenksteinen 10 D efInItIonen Hatte das Gedenken so einen ersten Ort gefunden, war der Weg zur Erinnerung vor allem im Sinne von Information und Aufklärung auf dem historischen Lagergelände selbst noch weit. Während sich auch in Hamburg zivilgesellschaftliche Erinnerungsinitiativen formierten, beschloss der Senat der Stadt den 1981 fertiggestellten Bau eines „Dokumentenhauses“, um das bestehende Mahnmal mit Informationen vor allem zu den Toten des Lagers zu ergänzen. 1985 wurde im Gedenkhain die bundesweit erste Gedenktafel zur Erinnerung an jene Häftlinge eingeweiht, die als Homosexuelle verfolgt wurden. In diesen Jahren kam es wiederholt zu Protesten gegen Bauentscheidungen der Justizbehörde und den Fortbetrieb ihrer Einrichtungen auf dem ehemaligen Lagergelände. 1989 entschied der Senat, die Justizanstalten zu verlagern. In dieser Zeit nahm die Gedenkstätte als Teil des Museums für Hamburgische Geschichte ihre Arbeit auf und eröffnete 1995 eine erste Dauerausstellung. Vier Jahre später wurde die Gedenkstätte zwar zu einer selbstständigen Einrichtung der Hamburger Kulturbehörde erklärt, aber die geplante Verlagerung der Gefängnisse verzögerte sich. Gleichwohl wurden um den ehemaligen Lagerkern erste der umliegenden Bauten und Geländezeichen für die Gedenkstätte restauriert und nutzbar gemacht. 1999 eröffneten Finanzierungsmöglichkeiten im Rahmen der ersten Gedenkstättenkonzeption des Bundes die substantielle Förderung einer Neugestaltung der Gedenkstätte im Verbund mit Mitteln des Senats. Dem sollte später ihre Übernahme in eine anteilige dauerhafte, institutionelle Förderung des Bundes folgen. Mehrere Beschlüsse der Hamburger Bürgerschaft sahen in dieser Zeit eine kurzfristige Schließung der 1948 eingerichteten Justizvollzugsanstalt vor. Doch der im Herbst 2001 neu gewählte Senat stoppte deren Verlagerung und damit den Ausbau der Gedenkstätte. Heftige Proteste sorgten für eine Rücknahme des Beschlusses. Die ältere Haftanstalt sollte nun doch abgebaut werden. Die Schließung des jüngeren der beiden Gefängnisse wurde hingegen erst 2006 verfügt - ein Jahr, nachdem die neugestaltete Gedenkstätte eröffnet worden war. Erst nach dem Abriss der zweiten Anstalt wurde das gesamte ehemalige Häftlingslager zur Gedenkstätte. An die Gefängnisse erinnern heute bewusst noch einzelne Überreste und ein Wachturm. Das seit den 1950er Jahren entstandene Areal des Totengedenkens wurde in die Gedenkstätte integriert. Es symbolisiert auch die unverzichtbare Bedeutung des langjährigen Engagements zahlreicher Bürger und vor allem vieler Überlebender auf dem hürdenreichen Weg bis zur heutigen Gedenkstätte. Literatur: Wrocklage 1998; Garbe 2006; Klei 2011: 359-574. Der Begriff „Gedenkort“ scheint das denk.mal Hannoverscher Bahnhof insbesondere von KZ-Gedenkstätten abzugrenzen. Er stammt noch aus einer frühen Phase des Projekts. Angesichts der Dimensionen dieses Ortes könnte man versucht sein, einen Unterschied zu den ungleich größeren und anders genutzten KZ-Gedenkstätten machen zu wollen. Doch räumliche Erstreckung, Art und Dauer der historischen Nutzung, Form und Ausmaß der Gewalt oder die Zahl der Opfer sollten keine Kriterien sein, um zwischen einer „Gedenkstätte“ und einem „Gedenkort“ zu unterscheiden. Nicht maßgeblich ist zudem, ob Bauten eigens für die Durchführung von Verbrechen errichtet wurden. Wie beim Hannoverschen Bahnhof 11 g eDenkort - g eDenk museum - D enk m al - e rInnerungsort war das bei vielen Folterstätten, Gefängnissen oder Heilanstalten auch nicht der Fall. Vielmehr bildete die Nutzung vorhandener Infrastrukturen, Gebäude und Verwaltungen ein Wesensmerkmal des NS-Systems wie vieler anderer Gewaltregime. Die Stadt Hamburg bezeichnet den Hannoverschen Bahnhof bereits als Gedenkstätte. Eine offizielle Website (www.gedenkstaetten-in-hamburg.de) informiert über ihn zusammen mit etwa einhundert weiteren unter dem Rubrum „Gedenkstätten“, worunter sich aber auch Gedenktafeln, Gedenksteine, Gedenkplatten, Gedenkstelen, Plastiken und Bildtafeln, Mahnmale und Denkmale finden. Zehn dieser Orte verfügen über Ausstellungen und werden deshalb als „Lernorte“ bezeichnet. Eigenbezeichnungen durch Verantwortliche helfen also nicht immer weiter, wenn es um die Klärung der Frage geht, was eine Gedenkstätte ist. Die Zahl an Gedenkorten im Hamburger Stadtgebiet ist zudem noch weitaus größer: Neben mehr als 5000 „Stolpersteinen“, die an im Nationalsozialismus verfolgte Hamburger Bürgerinnen und Bürger vor ihren letzten Wohnorten erinnern, gibt es 200 weitere Gedenktafeln, die auf private oder kommunale Initiative hin entstanden sind. Gedenkort - Gedenkmuseum - Denkmal - Erinnerungsort Gedenkort soll hier als Oberbegriff für die vielfältige Landschaft materieller Orte zur Erinnerung an Gewaltopfer fungieren: für Gedenkstätten im engeren Sinne, Gedenkmuseen, Gedenktafeln, die historische Orte kennzeichnen, Denk- und Mahnmale, Friedhöfe, Sakralbauten oder Gedenk- und Museumsparks. Die seit den 1990er Jahren entstandenen „Stolpersteine“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig sind in diesem Sinne ebenso Gedenkorte wie die zahlreichen „living memorials“ in den USA, also Baumpflanzungen, Parks oder Wälder, die im öffentlichen Raum zur Erinnerung an Opfer von Katastrophen wie 9 / 11 - oft auf Initiative von Angehörigen, Helfern oder Künstlern - angelegt wurden. Eng verbunden mit dem öffentlichen Gedenken an Menschen als unschuldigen Gewaltopfern sind die zahlreichen improvisierten, temporären Gedenkorte („grassroots memorials“) nach Unfällen, Anschlägen, „mass shootings“ oder an anderen Orten, wo Menschen etwa durch Misshandlung oder Kindesmord ums Leben gekommen sind (Doss 2008; Margry / Sánchez-Carretero 2011). Es ist üblich geworden, auch solche Orte als Gedenkstätte zu bezeichnen. Diese spontane, zugleich aber ausgesprochen ritualisierte, emotionalisierte und medialisierte Gedenkkultur im öffentlichen Raum hat - trotz vieler Vorläufer und kultureller Transfers - durch den Unfalltod von Lady Diana 1997 einen deutlichen Schub erfahren. Vor allem in London und Paris entstanden in kürzester Zeit Orte mit einem Meer aus Blumen, Karten und Erinnerungsobjekten, die zum Vorbild für 1.2 12 D efInItIonen den Umgang mit späteren Ereignissen dieser Art geworden sind. Die bereits 1987 errichtete „Goldene Flamme der Freiheit“ über dem Unfallort in Paris hat sich so zu einem inoffiziellen Lady Di Memorial entwickelt. Nun wird der gesamte Platz nach ihr benannt. Solche Gedenkorte im öffentlichen Raum zeugen von einer neuen Aufmerksamkeitskultur für öffentliche Gefühlsgesten und von einem Bedürfnis, persönliche Emotionen - Erschütterung, Trauer, Angst - an einen sichtbaren, symbolischen, quasireligiösen Ort zu binden, der zunächst keiner institutionalisierten Verantwortung unterliegt. Ebenso nutzen viele sie als Orte der Schaulust und der Teilhabe an einem medialisierten Hype. Geht die Initiative an vielen Orten auch von Personen aus, die zu den Opfern einen persönlichen Bezug hatten, ist ein wesentliches Merkmal dieser öffentlichen, spontanen Praxis eine emotionale Mobilisierung vieler Menschen, die sowohl durch mediale Kommunikation als auch durch reale Begegnungen am Ort des Geschehens entsteht. So wird eine Beziehung zu den Toten und zur temporär sozialen, aber auch imaginären Gemeinschaft der unmittelbar und mittelbar Betroffenen ermöglicht. Gedenkorte dieser Art haben auch eine politische Dimension: Sie sind oft als situativer Protest der Zivilgesellschaft mit Appellen verbunden, die mehr Schutz durch Staat und Politik einfordern; der Besuch eines solchen Gedenkorts durch hochrangige Politiker wird in der Regel erwartet und ist Teil des (Medien-)Rituals, wird aber nicht immer mit Beifall bedacht. Dies zeigt: Gedenkorte, Opfergedenken, Gemeinschaftsbildung und Sinnstiftung angesichts von Ereignissen, die als Einbruch in die funktionale Normalität des Alltags wahrgenommen oder als solche kommuniziert werden, sind nicht auf historische Phänomene beschränkt, sondern einer jener Kontexte, der zur Etablierung von Gedenkstätten als Institutionen des kulturellen Gedächtnisses vor allem seit den 1990er Jahren beigetragen hat. Im Unterschied zu Gedenkstätten im engeren Sinne werden hier Einrichtungen, die zwar an Opfer staatlicher Massengewalt erinnern, sich aber nicht am historischen Ort des verbrecherischen Handelns befinden, als Gedenkmuseen bezeichnet - zum Beispiel die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin, das United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) in Washington oder Yad Vashem in Jerusalem. Yad Vashem wurde 1953 als zentrale „Memorial Authority“ des neuen Staates gegründet und viele Jahrzehnte lang als „The Holocaust Martyrs’ and Heroes’ Remembrance Authority“ bezeichnet. Inzwischen firmiert Yad Vashem unter dem Namen „The World Holocaust Remembrance Center“. Der Begriffswandel zeigt, wie sich Aufgabe und Anspruch von einem stark national bezogenen heroisierenden Gedenken hin zu einer Erinnerungs-, Forschungs- und Bildungsarbeit in internationaler Perspektive erweitert haben. Dennoch dient Yad Vashem immer noch vor allem der israelisch-jüdischen Identitätsbildung (Kurths 2008; Kashi 2012). 13 g eDenkort - g eDenk museum - D enk m al - e rInnerungsort Auf Gedenkmuseen kann hier wie auf viele andere Orte, die zum Gedächtnis an politische Gewaltgeschehen und insbesondere an den Holocaust beitragen, nur am Rande eingegangen werden: Mahnmale, die nicht an historischen Tatorten entstanden sind (wie das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin); Bibliotheken, Sammlungen und Archive, die oft schon früh von Exilierten und Überlebenden eingerichtet wurden (wie die Wiener Library in London, das Centre de Documentation Juive Contemporaine in Paris, das YIVO Institute for Jewish Research in New York oder das Jüdische Historische Institut in Warschau); Forschungseinrichtungen, die häufig auf die frühe Nachkriegszeit zurückgehen wie das Nederlands Instituut voor Oorlogs-, Holocausten Genocidestudies in Amsterdam oder das Instytut Pami ę ci Narodowej (Institut für nationales Gedenken) in Warschau; Stiftungen und vergleichbare Einrichtungen, die sich vornehmlich der Erinnerungsarbeit widmen (wie die Menschenrechtsorganisation Memorial in Moskau oder die im Zuge der späten Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern gegründete Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ). Die Entwicklung von Gedenkstätten ist durch ein zumindest ambivalentes, wenn nicht gebrochenes Verhältnis zur Tradition des Denkmals gekennzeichnet. Im klassischen Sinne ist Denkmal ein Oberbegriff für historisch bedeutsame Bauten, Landschaftsgestaltungen und ihre geschützten Überreste sowie für künstlerisch gestaltete, ortsgebundene Objekte, die an bestimmte Personen oder Ereignisse erinnern. Die Kategorie der staatlich geschützten Bau- und Bodendenkmäler umfasst also weit mehr Objekte als die zu Gedenkzwecken errichteten Denkmäler im engeren Sinne, wie sie vor allem seit dem 19. Jahrhundert entstanden sind. Ein wiederkehrendes Bedürfnis nach verbindlichen Deutungsangeboten im Zuge von Kriegen oder der Gründung von Nationalstaaten hat zur Errichtung zahlreicher öffentlicher Denkmäler geführt. So entstanden vor allem nach den beiden Weltkriegen europa- und weltweit eine Vielzahl von Kriegerdenkmälern. Allein in Deutschland wird ihre Zahl auf über 100.000 geschätzt, die zeitgenössisch vielfach auch als Ehrenmal bezeichnet wurden - ein Begriff, der bis heute Verwendung findet. Weil die Heroisierung des soldatischen Todes nach 1945 in den Hintergrund trat und sich Begriffe wie „Ehre“ nicht mit der Erinnerung an die Kriegsverbrechen und den Holocaust vertrugen, etablierte sich eine besondere Form des Denkmals: das Mahnmal. Dabei handelt es sich um öffentlich zugängliche, meist künstlerisch gestaltete und auf Dauer angelegte Gedenkorte, die eine kritische Besinnung auf die Gewaltdimension eines historischen Ereignisses und dessen Folgen einfordern. Viele Holocaust-Mahnmale entstanden bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs - wie das bereits 1948 eingeweihte „Denkmal der Helden des Ghettos“ in Warschau (Young 1993; Marcuse 2010b). Als ihre Vorläufer können die Grabmale für den unbekannten Soldaten gelten, die kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zuerst in London („The Tomb of the Unknown 14 D efInItIonen Soldier“, Westminster Abbey) und Paris („La tombe du soldat inconnu“, Arc de Triomphe) errichtet wurden. Sie haben das massenhafte, anonyme Sterben im Ersten Weltkrieg zugleich als patriotischen und als tragischen Bestandteil der Nationalerzählung romantisiert. Auch in den meisten Gedenkstätten gibt es mindestens ein Mahnmal, oft aber gleich mehrere, die an verschiedene Häftlingsgruppen erinnern. Bis in die 1980er Jahre haben sie sich an der Formensprache des nationalen Totengedenkens orientiert. Einer der frühesten Gegenentwürfe war der ursprüngliche Siegerentwurf des großen internationalen Wettbewerbs für ein Mahnmal in Auschwitz-Birkenau 1957 / 58. Es sah einen siebzig Meter breiten und einen Kilometer langen, abgesenkten Weg diagonal durch das ehemalige Vernichtungslager bis zu den Krematorien vor. Der abstrakte, moderne Entwurf wurde vor allem deshalb nicht verwirklicht, weil er dem Zweck traditioneller Denkmäler, Identifikation durch eine positive symbolische Repräsentation von Geschichte zu stiften, zu radikal widersprach. Seit den 1980er Jahren lassen sich drei grundlegende Veränderungen der westlichen Denkmalkultur feststellen, in deren Kontext auch die Entwicklung von Gedenkstätten einzuordnen ist: Erstens werden statt ehrender Denkmäler immer mehr Mahnmale errichtet; im Amerikanischen hat sich der Sprachgebrauch dementsprechend von „monuments“ zu „memorials“ verschoben. Statt die Vergangenheit zu heroisieren, adressieren sie vor allem Gefühle wie Scham, Trauer oder Angst. Zweitens repräsentieren sie von der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung bis zu AIDS-Opfern eine große Bandbreite an Themen, die bis dahin nicht im kulturellen Gedächtnis präsent waren. Drittens dominiert ein ästhetischer Minimalismus: Viele Mahnmale sollen durch Elemente wie Reflexion (Wasser, Spiegelflächen), klare geometrische Formen ohne Verzierungen, Spalten („voids“), gelenkte Wegeführungen und gebrochene Blickachsen das Verhältnis des Besuchers zu seiner Welt irritieren. Ihr abstrakter Charakter zielt darauf ab, selbstreflexive, deutungsoffene und subversive Zugänge zu eröffnen (Doss 2012). Vor allem verweigern sich diese Mahnmale dem Anspruch einer identifikatorischen und symbolischen Repräsentation der Vergangenheit. Den Paradigmenwechsel vom heroisierenden „monument“ zum postheroischen „memorial“ markierten in der Bundesrepublik um 1990 zahlreiche „Gegen-Denkmäler“. Die damit zum Ausdruck gebrachte Überzeugung einer ästhetischen Nicht-Repräsentierbarkeit des Holocaust prägte auch die Entwicklung der Gedenkstätten. Sie ist mit einer grundlegenden Skepsis gegenüber ästhetisch-figurativen Darstellungen verbunden, die mehrere Jahrzehnte lang auch die Mahnmale in Gedenkstätten bestimmt hatte. Gleichzeitig führten Mahnmale, die zum Beispiel an die Deserteure des Zweiten Weltkriegs oder an Menschen erinnerten, die als Homosexuelle verfolgt worden waren, zu grundlegenden Konflikten und Verschiebungen öffentlicher Zeigbarkeitsregeln. Allerdings sind Mahnmale im Unterschied 15 g eDenkstätte : e Ine kurze B egrIffsgeschIchte zu Gedenkstätten keine „destinations that explain the significance of an event“ (Williams 2007: 6). Gedenkstätten werden vielfach auch als Erinnerungsort („lieux de memoire“) bezeichnet oder verstanden. Der Begriff hat seit den 1980er Jahren eine erstaunliche Karriere erlebt (Robbe 2009; Siebeck 2017), die mit dem wissenschaftlichen Interesse an kulturellen Gedächtnisformen, aber auch identitätspolitischen Interessen korrespondiert. Ein Erinnerungsort kann dem französischen Historiker Pierre Nora zufolge alles sein, was durch menschlichen Willen zum immateriellen, materiellen oder ideellen Symbol gemeinschaftlicher Erinnerungen geworden ist: geographische Orte, Institutionen wie Museen und gestaltete Artefakte wie Denkmäler, aber auch Topoi, Lieder, Begriffe, Kunstwerke oder Bilder (Nora 1996). Nora betrachtet Erinnerungsorte als „flüchtige Heiligtümer in einer Gesellschaft der Entheiligung“ (Nora 1990: 17). Sie sollen gemeinschaftsstiftend wirken und verbindliche Geschichtsbilder repräsentieren. Einerseits trifft dies durchaus auch auf Gedenkstätten zu, gerade wenn es um nationale oder partikulare Opfergedächtnisse geht. Andererseits ist aus den Ereignissen, die sie repräsentieren, gerade in der Bundesrepublik eine beträchtliche Skepsis gegenüber nationalen Identitätsstiftungen und der Anspruch erwachsen, Identitätsrelevanz und Identitätskritik unlösbar miteinander zu verbinden. Dies soll dazu beizutragen, die „Fluidität und Wandelbarkeit von Erinnerung“ in einer „permanenten Spannung“ zu halten, statt „Meistererzählungen“ der Vergangenheit geschichtspolitisch zu fixieren (Berger / Seiffert 2014: 33). Gedenkstätte: Eine kurze Begriffsgeschichte Bereits im 19. Jahrhundert entstanden unter der Bezeichnung „Gedenkstätte“ an Orten des Lebens und Wirkens berühmter Literaten, Musiker und Künstler wie Schiller oder Goethe personenbezogene Gedenkorte (Bohnenkamp-Renken u. a. 2015). Sie dienten einer hagiographischen Form des verehrenden Angedenkens. Aus diesem Grund wurden auch besondere Kirchen oder Wallfahrtsorte ebenso wie Denkmäler oder Ehrenmäler für bedeutende Feldherrn und lokale Größen als Gedenkstätte bezeichnet. Nachdem die Nationalsozialisten 1934 den neun Jahre zuvor offiziell zum Gedenken an die Weltkriegstoten eingeführten „Volkstrauertag“ in „Heldengedenktag“ umbenannt hatten, wurde der Begriff zunehmend für Orte der Heldenverehrung verwendet. In Hannover diente seit 1935 das Leineschloss mit den Beständen der „Weltkriegssammlung“ als „Heeresgedenkstätte“ einer musealen Kriegsverherrlichung (Schneider 1987). An diese Traditionslinie knüpfte die Bundesrepublik nach 1945 an, wenn auch auf das Wort „Helden“ offiziell weitgehend verzichtet wurde. Der Begriff „Gedenkstätte“ fand 1.3 16 D efInItIonen sich nun vor allem in Verbindung mit Kirchenruinen, die in den 1950er Jahren in einigen Städten - wie in Berlin die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, in Hamburg die ehemalige Hauptkirche St. Nikolai oder in Köln die Kirche Alt St. Alban zusammen mit einem Kriegsgefangenenmahnmal - zu Gedenkorten vornehmlich für die deutschen Opfer des (Luft-)Kriegs umgewandelt wurden. Gedenkorte der beiden Kriege führten jedoch meist die Bezeichnung „Ehrenmal“ oder „Mahnmal“ (Kaiser 2010). Als der polnische Staat 1947 das Staatliche Museum Auschwitz gründete, wollte er mit dieser Bezeichnung bewusst ein weites Aufgabenfeld abdecken, das über ein Gedenken im engeren Sinne hinaus die Bewahrung des ehemaligen Lagergeländes, eine Sammlung der Dokumente und deren wissenschaftliche Erschließung sowie die Vermittlung der Geschichte von Auschwitz einschließen sollte. Das Museum hieß aber von Beginn an auch „Stätte des Gedenkens an das Martyrium des polnischen Volkes“. In den 1970er Jahren rückte die Bezeichnung „Auschwitz-Birkenau“ stärker in den Mittelpunkt. Sechs Jahrzehnte nach der Gründung wurde das polnische Synonym für Gedenkstätte („miejsce pami¸eci“) hinzugefügt. Mit den heute in der englischen Fassung verwendeten Begriffen „Memorial and Museum“ werden verschiedene Funktionen von Einrichtung und Ort deutlich, die weder unter dem Begriff „Gedenkstätte“ noch unter dem des „Museums“ zusammengefasst werden sollen. In der DDR setzte sich der Begriff spätestens mit den Einweihungen der „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten“ in Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück zwischen 1958 und 1961 durch. Er war ebenso positiv wie ideologisch besetzt und wurde weitläufig genutzt: An zahlreichen Orten waren Gedenkplaketten, Denkmäler und museale Einrichtungen verdienten Vertretern des Sozialismus und des politischen Widerstands gegen den Faschismus als „Gedenkstätten“ gewidmet, allen voran Ernst Thälmann, nach dem auch eine Fülle von Straßen, Plätzen, Siedlungen, Schulen, Sportstätten, Brigaden und Arbeitskollektiven benannt wurde (Miethe 1974). Selbst das 1987 eröffnete Bauernkriegspanorama im thüringischen Bad Frankenhausen firmierte als „Gedenkstätte“. In der Bundesrepublik hingegen waren die wenigen frühen begrifflichen Pendants wie die Gedenkstätte für die Opfer der Hitlerdiktatur in Berlin-Plötzensee und die Gedenkstätte Bergen-Belsen, die beide 1952 ohne Ausstellungen oder Personal eingeweiht wurden, kaum präsent. Wie auch die in den 1960er Jahren entstandenen oder umgestalteten Gedenkorte in Dachau, Flossenbürg und Neuengamme waren sie zunächst - anders als in der DDR - keine Orte einer öffentlichen geschichtspolitischen Sinnstiftung, sondern dienten vor allem einer minimierten, religiös-rituellen Memorialisierung. Hingegen erfuhr der infolge des „Schießbefehls“ an der Berliner Mauer am 17. August 1962 erschossene Peter Fechter bereits am Tag danach mit einem provisorischen Holzkreuz und nachfolgenden Kranzniederlegungen eine frühe zivilgesellschaftliche Würdigung im 17 g eDenkstätte : e Ine kurze B egrIffsgeschIchte Westen der Stadt. Vor dem Mauerstück entstand ein kleines Mahnmal als Gedenkort, der heute, nach der Abtragung der Mauer, durch eine Bronzestele symbolisiert wird. Die bundesdeutschen KZ-Gedenkstätten wurden lange Zeit bestenfalls für jährlich wiederkehrende Gedenkakte genutzt und verfügten - mit Ausnahme von Dachau in bescheidenem Umfang - bis mindestens in die 1980er Jahre hinein nicht über wissenschaftliches Personal. Nur vereinzelt gelangten Bergen-Belsen oder Dachau in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens durch Pilgerfahrten oder Protestveranstaltungen ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit. Staatliche Bestrebungen, neben diesen Gedenkstätten andere Erinnerungsorte zu schaffen, um die Identifikation mit der Demokratie zu fördern, waren wenig erfolgreich - wie die 1974 auf Initiative des damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann gegründete Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen der deutschen Geschichte in der Rastatter Bundesfestung, einem wichtigen Ereignisort der Revolution von 1848 (Hertfelder / Lappenküper / Lillteicher 2016). Seit den 1970er Jahren engagierten sich immer mehr zivilgesellschaftliche Initiativen, um die vielen lokalen Orte der NS-Verbrechen ausfindig zu machen. Sie wollten dort Gedenkstätten eines anderen Typs gründen - als Orte der aktiven Aufklärung und Bildungsarbeit mit Gegenwartsbezug, eigenen Räumlichkeiten, Ausstellungen, Vermittlungsangeboten und Mitarbeitern. Um sich von den staatlichen Gedenkstätten abzugrenzen, nannten viele Aktivisten ihre Einrichtungen anders, zum Beispiel „Dokumentations- und Informationszentrum“ oder „Gedenk- und Dokumentationsstätte“. Das stand für den Anspruch, an den Orten der Tat quellenbasiert und insbesondere mit Zeugnissen von Überlebenden so konkret wie möglich über die Verbrechen aufzuklären - statt lediglich Mahnmale zu errichten oder Gedenkfeiern abzuhalten. Diese Suche nach eigenen Bezeichnungen verwundert nicht, denn noch 1989 definierte die Brockhaus-Enzyklopädie ganz im Sinne des 19. Jahrhunderts eine „Gedenkstätte“ als einen „Ort der Erinnerung an ein historisches Ereignis oder an einen bedeutenden Menschen“, wobei es sich um „eine Schlacht, eine besondere Begegnung“ oder um Gebäude, Mahnmale, Grabstätten oder Inschriften handeln könne. Im Vordergrund und im Einklang mit einer langen Denkmaltradition stand immer noch die Ehrung oder Heroisierung einer besonderen, personengebundenen Leistung. So war bereits 1947 in Trier das Karl-Marx-Haus mit einer Ausstellung eröffnet worden, das seit 1968 von der Friedrich-Ebert-Stiftung verwaltet wird. In dieser Tradition stehen auch mehrere Einrichtungen, die an namhafte Politiker erinnern und teilweise auch als „Gedenkstätte“ bezeichnet werden (Hertfelder / Lappenküper / Lillteicher 2016). Nach und nach wurde aber der Begriff „Gedenkstätte“ in der Bundesrepublik auch von den zivilgesellschaftlichen Akteuren der Erinnerung an die NS-Verbrechen reklamiert und neu definiert. 1983 entstand das Gedenkstättenreferat 18 D efInItIonen der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e. V., bald erschien der erste Gedenkstättenrundbrief, und bundesweite Gedenkstättenseminare fanden statt. Einen wesentlichen Beitrag für die nun einsetzende öffentliche Etablierung des Begriffs leistete die von Ulrike Puvogel 1987 erstellte Dokumentation der „Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus“, die auf einer ersten Fassung von 1981 beruhte und von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben wurde. Sie fasste allerdings unter diesem Begriff neben den wenigen Gedenkstätten im engeren Sinne eine Vielzahl von Denkmälern und Hinweistafeln zusammen (Puvogel 1987). Seitdem haben sich Gedenkstätten in mehreren Schüben und vor allem infolge der politischen Umbrüche seit 1989 / 90, des Endes der Apartheid in Südafrika und des Genozids in Ruanda sowie weltweiter Transitionsprozesse nach dem Ende von Gewaltregimen zu maßgeblichen und global verbreiteten Einrichtungen des öffentlichen, sozialen und politischen Umgangs mit staatlichen Massenverbrechen entwickelt. Insbesondere NS-Gedenkstätten und Holocaust-Museen in den USA dienten hierbei als eine wichtige Referenz für die Legitimation und Gestaltung dieser Gedenkstätten. Im Englischen hat sich seitdem der Begriff „memorial museum“ eingebürgert (Williams 2007). Er wird aber - wie beim USHMM in Washington - auch von Einrichtungen verwendet, die sich nicht an einem historischen Ort des Geschehens befinden, an das sie erinnern. Das National September 11 Memorial & Museum in Manhattan wiederum nutzt zwar beide Begriffe, unterscheidet aber - auch räumlich - zwischen Mahnmal und Museum. In der Bundesrepublik wurden wesentliche Merkmale von Gedenkstätten in der ersten Gedenkstättenkonzeption des Bundes von 1999 definiert, die sowohl die NS-Zeit als auch das SED-Regime berücksichtigte (Garbe 2001, 2016; Meyer 2009). Sie wurde zur normativen Klammer, um geförderte Gedenkstätten mit geschichtswissenschaftlichen Prinzipien, musealen Standards und behördlichen Verfahrensweisen in Einklang zu bringen. Eine Einrichtung gilt demnach als förderungswürdige Gedenkstätte, wenn sie sich an einem „Ort von herausragender historischer Bedeutung“ befindet, der im „öffentlichen Bewusstsein exemplarisch für einen bestimmten Verfolgungskomplex“ steht, wenn sie über ein „spezifisches, unverwechselbares Profil“ verfügt, das sich auf die „Authentizität des Ortes“ gründet, und wenn ein „wissenschaftlich, museologisch und gedenkstättenpädagogisch fundiertes Konzept“ vorliegt (Gedenkstättenkonzeption 1999: 3). Gerade bei kleineren, bürgerschaftlich getragenen Einrichtungen stieß diese Definition auf Widerstand, weil sie eine zu starke Normierung ihrer Arbeit befürchteten, auch wenn die Konzeption die „politische Unabhängigkeit“ von Gedenkstätten trotz einer staatlichen Förderung betonte. Im Zuge der Professionalisierung und Institutionalisierung der bundesdeutschen Gedenkstätten seit den 1990er Jahren wurden Standards von Seiten größerer KZ-Gedenkstätten formuliert, die auf eine Verwissenschaftlichung und Entsakralisierung die- 19 g eDenkstätte : e Ine kurze B egrIffsgeschIchte ser Orte abzielten: Ein „zukunftstauglicher Gedenkstättenbegriff“, hieß es 2007 in einer Erklärung der „Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten“, müsse sich der „notwendigen Verbindung von Opfergedenken, kritischer Erinnerung und geschichtswissenschaftlich fundierter historischer Bildung bewusst“ sein (Arbeitsgemeinschaft 2007: 33). Die im letzten Punkt enthaltenen Kriterien der Wissenschaftlichkeit und des ortsbezogenen Detailwissens wurden in diesem Papier gegenüber den anderen genannten und nicht genannten Dimensionen als Voraussetzung einer „modernen“ Gedenkstättenarbeit privilegiert. Solchen Standardisierungsversuchen steht in der Bundesrepublik eine wachsende Vielfalt an Gedenkstätten gegenüber. An das SED-Regime erinnerten nun vor allem Gedenkstätten in ehemaligen Untersuchungshaftanstalten, Gefängnissen oder an Orten der früheren deutsch-deutschen Grenze. Für die NS-Zeit finden sich Gedenkstätten neben den öffentlich bekannteren KZ-Gedenkstätten an Orten ehemaliger Kriegs-, Zwangsarbeiter- und Arbeitserziehungslager, Polizeihaftstätten, Gestapositze und Justizvollzugsanstalten sowie an Stätten des Krankenmords. Als Gedenkstätte werden daneben zum einen auch Orte des Widerstands oder des jüdischen Lebens bezeichnet, zum anderen Einrichtungen, die sich an Orten der Organisation und Verwaltung der Verbrechen befinden. Streng genommen ist zum Beispiel die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin trotz ihrer Bedeutung für die Holocaust-Erinnerung keine Gedenkstätte nach der hier vertretenen Definition, da dort keine physische Verfolgung von NS-Opfern stattgefunden hat (Digan 2014). Andere Orte von nationaler Bedeutung, die nicht an historischen Orten physischer Verfolgung bestehen, aber häufig dem Feld der Gedenkstätten zugerechnet werden, verzichten darauf, sich selbst so zu bezeichnen. Dies gilt insbesondere für Dokumentationszentren in Verbindung mit ehemaligen „Täterorten“. B eispiel : D as ns-D oKumentationsZentrum m ünchen Für bauliche und übertragene Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus werden häufig summarische Umschreibungen wie „dunkle Orte“, „schwieriges Erbe“, „Nazi legacy“ oder „undesirable heritage“ verwendet (Asmuss / Hinz 1999; Macdonald 2009). Sie schließen die Orte der Verfolgung ein, lenken den Blick aber vor allem auf eine Fülle von Bauten, die - wie das NS-Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, der Berghof am Obersalzberg oder das Seebad Prora auf Rügen - in der NS-Zeit entstanden sind oder von den Nationalsozialisten genutzt wurden. Obwohl öffentlich sichtbare NS-Symbole unmittelbar nach dem Kriegsende beseitigt werden mussten, erweist sich der Umgang mit solchen materiellen, teils monumentalen Zeugnissen bis heute als große Herausforderung, bei der zwischen politisch-moralischer Abgrenzung zum Nationalsozialismus, den Zielen und Erfordernissen des Denkmalschutzes und der Implikation eines Verdrängens durch das Beseitigen unliebsamer Objekte abzuwägen ist. Für solche Orte abgrenzend von „Täterorten“ zu sprechen, greift zu kurz, denn auch Konzentrationslager waren „Täterorte“. 20 D efInItIonen Von Gedenkstätten wird auch oft gesprochen, wenn es nicht um staatliche Massenverbrechen geht. Gerade bei Mahnmalen und Erinnerungsorten, die an den Ersten oder Zweiten Weltkrieg erinnern, changieren die Bezeichnungen oder haben sich mit der Zeit geändert. Unter der sowjetischen Besatzungsmacht wurde auf den Seelower Höhen bereits 1945 eine monumentale Statue in Erinnerung an die hier gefallenen sowjetischen Soldaten errichtet. Die DDR baute den Ort 1972 zur Gedenkstätte aus und ergänzte sie um ein Museum mit wehrpropagandistischen Inhalten. Das 1936 eingeweihte Marine-Ehrenmal in Laboe wird seit 1996 als Gedenkstätte bezeichnet. Beim Deutsch-Französischen Historial zum Ersten Weltkrieg am Hartmannswillerkopf, einer im Ersten Weltkrieg strategisch wichtigen Bergkuppe, unterscheiden sich die Bezeichnungen je nach der verwendeten Sprache: Im Französischen wird für diesen Ort nicht von „lieu commémoratif“ gesprochen, sondern die Kategorie „monument national“ verwendet; nur in der deutschen Übersetzung taucht in den Kommunikationsmedien der Einrichtung das Wort „Gedenkstätte“ auf. Massenfriedhöfe für Soldaten oder Ziviltote und Kirchenruinen gelten inzwischen weithin als Orte einer transnational ausgerichteten Mahnung, weitere Kriege zu vermeiden (Thiemeyer 2010). Dennoch werden sie hier nicht den Gedenkstätten zugerechnet. Kriege sind nicht einheitlich geächtet, und es handelt sich um eine andere Form der Gewalt als bei staatlich verantworteter Massengewalt. Damit sind andere Formen ihrer Deutung verbunden. An solchen Kriegsstätten überwiegen Erinnerungsformen, die ein nationales Gedächtnis mitbegründen wollen, nicht zuletzt durch ein ehrendes Heldengedenken. Sie sind Zu dem „schwierigen Erbe“ des Nationalsozialismus gehört auch der Standort des im Zweiten Weltkrieg stark beschädigten und 1947 abgerissenen „Braunen Hauses“ in München, seit 1930 Sitz der NSDAP-Parteileitung. Bis zur Errichtung des 2012 eröffneten NS-Dokumentationszentrums blieb die Fläche ungenutzt. Im Zuge des Neubaus aufgefundene Fundamentreste des ursprünglichen Gebäudes wurden abgetragen. Das NS-Dokumentationszentrum tritt somit symbolisch als Repräsentation einer gelungenen demokratischen Transformation wie auch mit seiner sachlichen Architektur als ästhetischer Kontrapunkt an die Stelle des „Braunen Hauses“, wird aber durch lamellenartige Lichtschlitze in die historische Umgebung mit ihren erhaltenen NS-Bauten eingebettet. Einschließlich der jahrzehntelangen und kontroversen Debatten über die Notwendigkeit und inhaltliche Ausrichtung des NS-Dokumentationszentrums in München repräsentiert es die in den letzten Jahren eingetretene Historisierung früherer NS-Bauten und ihrer Areale. Ihr Aufklärungswert wird einerseits gegenüber möglichen Faszinationseffekten betont und hat andererseits die Oberhand gegenüber Verdrängungswünschen gewonnen. Doch wenn auch an vielen dieser Orte wesentliche Vorarbeiten oder Entscheidungen im Zusammenhang mit den Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes stattfanden, definieren sie sich nicht über das Gedenken an die Opfer und sind deshalb nicht als Gedenkstätten zu bezeichnen. 21 W as m acht eIne g eDenkstätte aus ? eng mit einer bleibenden Faszination für den Krieg selbst, vor allem für seine Technik, Infrastruktur und Strategien, verbunden und stehen dafür, ihn vor Ort „nacherleben“ zu können. Der gesellschaftliche und politische Umgang mit ihnen ist noch immer nicht frei von Formen des geschichtspolitischen Revisionismus. Zudem mangelt es den Soldatenfriedhöfen in aller Regel an einer hinreichenden Infrastruktur, um kritisch aufklären und historisch differenziert bilden zu können - so wünschenswert dies auch wäre, um pauschalen Gleichsetzungen von Verbrechensopfern und Kriegstoten entgegenzuwirken. Häufig werden Denkmäler oder Stätten besonderer Gewaltereignisse als Gedenkstätte bezeichnet, ohne dass sich dort eine museale oder pädagogische Infrastruktur befindet. So tituliert der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. die von ihm betreuten Friedhöfe inzwischen oft als Gedenkstätte. Auch das vor wenigen Jahren in Berlin eingeweihte und von außen nur begrenzt zugängliche „Ehrenmal“ für die im militärischen Einsatz verstorbenen Soldaten der Bundesrepublik firmiert als Gedenkstätte (Naumann 2010). Ebenso werden in jüngerer Zeit entstandene Erinnerungsorte für Katastrophenopfer - so die Mahnmale zur Erinnerung an den Untergang der Fähre Estonia (1994), die Gedenkstätte ICE-Unglücksstelle in Eschede (1998) oder die Gedenkstätte Kaprun zur Erinnerung an die Brandkatastrophe der Gletscherbahn (2000) - Gedenkstätte genannt, obwohl dort keine Ausstellung existiert oder eine aktive Bildungsarbeit stattfindet. Selbst Tourismusverbände sprechen bei allgemeinen Sehenswürdigkeiten und historischen Orten von Gedenkstätten. Vor dem Hintergrund dieser vielfältigen Verwendungen des Begriffs „Gedenkstätte“ hat die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) die Internationale Gedenkstätten-Charta verabschiedet (IHRA 2013). Gedenkstätten werden darin als „Geschichtsmuseen der Gegenwart“ charakterisiert, die sich an historischen Orten von staatlichen Gewaltverbrechen befinden. Sie befassen sich „vorwiegend mit dem Gedenken an Verbrechen gegen Minderheiten“, bedürfen einer zivilgesellschaftlichen Verankerung und haben eine „besondere Verpflichtung zur humanitären und staatsbürgerlichen Bildung“. Ihre Arbeit ist „vorwiegend wissenschaftlichen Charakters“. Sie vermitteln Informationen, um „Mitgefühl mit den Opfern“ zu wecken, beziehen dabei „multiple Perspektiven“ der historischen Kontextualisierung ein und richten ihre Erziehungsarbeit an „universellen Prinzipien“ aus. Was macht eine Gedenkstätte aus? In Gedenkstätten wird an jene Menschen erinnert, die dort als Opfer systematischer, in der Regel staatlicher Gewaltverbrechen gequält oder ermordet worden sind. Sie sind meist auch Friedhöfe und immer Orte der Trauer für Überlebende 1.4 22 D efInItIonen und Angehörige sowie des Gedenkens an die Ermordeten und Verfolgten. Durch die Sammlung ihrer Zeugnisse und den Erhalt der historischen Überreste dienen Gedenkstätten als unverzichtbare Archive der Erinnerung und der Sicherung von Beweisen. Sie mahnen zur Reflexion über Schuld, Verantwortung und Vergebung. Als Lernorte tragen Gedenkstätten zur historischen Bewusstseinsbildung bei und dies insbesondere für Nationen, Gesellschaften und Gruppen, die für die begangenen Taten verantwortlich waren. Dazu werden die Schicksale der Opfer zusammen mit einem forschungsgestützten Wissen über die Verantwortlichen, die Geschichte der Gewaltorte und den unmittelbaren historischen Zusammenhang vermittelt und erarbeitet. Dies geschieht vornehmlich durch Führungen, Ausstellungen, Bildungsprojekte, Publikationen und Veranstaltungen. Indem Gedenkstätten die Verletzbarkeit des Menschen durch politische Machtträger und ihre sozialen wie ökonomischen Komplizen offenlegen, regen sie zur Auseinandersetzung mit den strukturellen Bedingungen und moralischen Grenzen menschlichen Handelns in staatlich verantworteten Gewaltkontexten an. Es geht an diesen Orten um existenzielle Konstellationen wie das Verhältnis von Tätern und Opfern, Macht und Ohnmacht, Unterdrückung und Widerstand, Bürokratie und Willkür, Tod und Überleben, Zerstörung und Bewahrung, Unrecht und Recht - mitsamt aller Zwischenformen und Grautöne. Sie lassen danach fragen, was genau hier geschehen ist, warum und wer verantwortlich war. Wer die Opfer und wer die Täter waren, muss als historisches Geschehen in seinem jeweiligen zeitlichen Zusammenhang so präzise und quellengestützt wie möglich erforscht und angeeignet werden können. Orientierungswissen und reflektiertes Geschichtsbewusstsein lassen sich vertiefen, wenn es gelingt, sinnliche Eindrücke, persönliche Emotionen und sachliche Informationen mit kritischen Reflexionen über das hier Geschehene im Horizont von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft menschenfeindlicher Gewalt in all ihren Facetten zu verbinden. Gedenkstätten sind dabei Ort, Raum und Repräsentation zugleich. Als Ort verkörpern sie materiell ein zeitlich konkretes Geschehen, das dort ebenso wie seine Nachgeschichte lokalisiert werden kann. Ihre Dimension als physischer Raum gewinnen sie durch das Zusammenwirken von topographischen Begrenzungen und baulichen Strukturen mit sozialen wie kommunikativen Praktiken und deren Wahrnehmung. Als materiell konkrete Orte und performativ hergestellte Räume sind Gedenkstätten wiederum eingebettet in Repräsentationen, die vor Ort etwa durch Ausstellungen oder Faltblätter sowie außerhalb der Gedenkstätte durch dokumentarische und durch fiktionale Medien erzeugt werden. Versuchen Gedenkstätten einerseits durch Gestaltungen, Informationen und Deutungen das Zusammenspiel der drei Ebenen in bestimmte Bahnen zu lenken, so können andererseits individuelle Voreinstellungen, Bilder oder Aneignungen der Besucher eigensinnige und gegenläufige Wahrnehmungen hervorbringen. 23 W as m acht eIne g eDenkstätte aus ? Einen wesentlichen Zugang zu den jeweils spezifischen Verhältnissen von Ort, Raum und Repräsentation eröffnet die Auseinandersetzung mit Gedenkstätten als materiellen Gewordenheiten, die mehrere Zeitschichten aufweisen. Konservierung, Verfall und wiederholte Gestaltungsmaßnahmen haben den historischen Ort verändert. Oft sind ganze Bereiche inzwischen unsichtbar geworden oder nur schwer aufzufinden. Zeitspezifische Deutungen haben sich im Umgang mit den baulichen und landschaftlichen Hinterlassenschaften solcher Tatorte niedergeschlagen. Sie waren und sind immer Bestandteil und Ausdruck der Geschichte eines bestimmten Staates, seiner Gesellschaft und ihrer Zeit. Werden historische Orte als Gedenkstätten gestaltet und genutzt, unterliegen ihre Gestaltungen und die ihnen zugeschriebenen Bedeutungen und Aufgaben dem Wandel von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur, die sie zugleich mitgeprägt haben. Abb. 2: Blick durch das Eingangstor zum Häftlingslager des früheren KZ Sachsenhausen auf das zentrale Mahnmal von 1961 (Postkarte, ca. 1967) Inzwischen sind an vielen Orten der Welt Gedenkstätten entstanden. Sie haben sich zu einer neuen, distinkten Institution des kulturellen Gedächtnisses entwickelt. Im soziologischen Doppelsinn dieses Begriffs sind sie zum einen Organisationen, in denen bestimmte Praktiken von gesellschaftlicher Relevanz objektiviert werden. In idealtypischer Weise operieren sie gemäß organisationsspezifischer, generalisierter und transparent gemachter Regeln. Sie weisen klar erkennbare Arbeitsbereiche, Strukturen und Prozesse auf, denen diversifizierte Kompeten- 24 D efInItIonen zen, Ziele und Strategien entsprechen. Außenstehenden treten sie als Organisation klar und deutlich erkennbar gegenüber, unter anderem durch rechtliche Regelungen, ihren Namen und ihren Sitz sowie - gerade im Fall von Gedenkstätten - materielle Besonderheiten. Zum anderen sind Gedenkstätten durch das, wofür sie stehen, Institutionen im Sinne von Normen, Narrativen und Praktiken geworden, die dazu beitragen, geschichtsbezogene Deutungen und Praktiken von Gesellschaften zu regulieren. Gedenkstätten erfüllen die drei dafür wesentlichen Kriterien: Sie strukturieren und gewährleisten gesellschaftlich anerkannte Formen sozialer Praktiken und Kooperationen, sie sind wesentlich an der sinnhaften Ausgestaltung gesellschaftlich relevanter Handlungsfelder, den Selbstdeutungen von Politik und Gesellschaft sowie der sozialen Integration beteiligt, und sie gründen inzwischen auf einer breiten politischen und gesellschaftlichen Anerkennung. So strukturieren sie - wenngleich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien und vielen ortswie themenspezifischen Ausprägungen - in erheblicher Weise das politische, gesellschaftliche und öffentliche Feld des Umgangs mit der mit ihnen verbundenen gewalthaften Vergangenheit. Gedenkstätten stehen für eine kategorische, normative Distanz zu Menschenverachtung, Entwürdigung und verbrecherischer Gewalt. Indem sie verkörpern, was die Zerstörung von Zivilität und Anstand, von Freiheit und Recht bedeuten kann, sind sie Orte einer kognitiven wie emotionalen Annäherung an Grenzen des Sagbaren, an Widersprüche, an Aporien und deren Reflexion. Angesichts dessen, was sich dort ereignet hat, ist das, was herkömmlich unter Erinnerung verstanden wird, nicht einfach auf Gedenkstätten übertragbar: Gemeinschaften und Gesellschaften durch eine Rückbesinnung auf Vergangenes zu einen, ihnen eine Identität zu geben und ihre Werte zu festigen. Vielmehr bestehen Gedenkstätten gerade an solchen Orten, die durch eine gesellschaftlich mitgetragene Politik der verbrecherischen Durchsetzung absoluter Herrschaftsziele, Identitätsansprüche und Zugehörigkeiten entstanden sind. Eine ihrer wesentlichen Aufgaben liegt mithin darin, Identitätskonstruktionen zu reflektieren, Konzepte von Zugehörigkeit und Ausgrenzung zu analysieren sowie Machtordnungen zu hinterfragen. Trotz der Vielzahl an Einrichtungen, die inzwischen an oder in der Nähe von historischen Orten an die Opfer von staatlichen Massenverbrechen erinnern, darf nicht übersehen werden, wie viele historische Orte von Gewalt und Verfolgung nicht bekannt, erhalten oder markiert sind (Pollack 2014). Gedenkstätten repräsentieren historisch variable Bedingungen und Entwicklungen des Erinnerns, seiner Grenzen und damit auch des Vergessens. Sie sind stets Ausdruck selektiver, kontroverser und zeitspezifischer Vergegenwärtigungen sowie Unsichtbarmachungen von Vergangenheit. Ihre Entstehung hängt von einer wesentlichen Voraussetzung ab: Ein vergangenes Geschehen muss politisch, öffentlich und in gewissem Maße auch gesellschaftlich bekannt, lokalisiert und als erinnerungs- 25 W as m acht eIne g eDenkstätte aus ? würdig betrachtet sowie zumindest offiziell als Teil der eigenen Geschichte angenommen werden. Das ist eng mit politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen wie Fragen der Täterverfolgung oder Opferentschädigung, gesellschaftlichen Haltungen zu bestimmten Opfergruppen (und deren Anerkennung oder Nichtanerkennung) und geschichtspolitischen Prioritätensetzungen verbunden. Der Gründung einer Gedenkstätte gehen meist jahrelange Auseinandersetzungen um die Anerkennung solcher Orte und ihrer Opfer voraus: Überlebende gehören hierbei zu den wichtigsten Protagonisten ihrer eigenen Erinnerung. Ob sich zivile oder staatliche Träger der Orte annehmen und sie zu Gedenkstätten entwickeln, ist ein eminent politischer Prozess. Wenn Gedenkstätten in Staaten oder Gesellschaften entstehen, von denen die Verbrechen organisiert oder mitverantwortet wurden, ist die fortdauernde Präsenz von Tatbeteiligten oder den Verantwortlichen und ihrer Nachfahren die größte Hürde für einen kritischen Umgang, gerade auf lokaler Ebene. So steht die Aufarbeitung des politischen Terrors in den jüngeren lateinamerikanischen Diktaturen vielfach noch in den Anfängen, während sie in vormaligen Militärregimen wie Südkorea oder Indonesien - und hier insbesondere für die Massenmorde von 1965 / 66 - noch gar nicht begonnen hat. Besonders im Fall von Massengräbern ist der Aufklärungsbedarf nach wie vor beträchtlich. Die Notwendigkeit des „digging for the disappeared“ (Rosenblatt 2015) reicht weit über den Holocaust hinaus. Weltweit sind zahllose Massengräber bislang unentdeckt oder bedürfen noch aufwändiger forensischer Untersuchungen, um zumindest die Identität der Toten festzustellen (Ferrándiz / Robben 2015). Seit den 1980er Jahren ist - ausgehend von Lateinamerika - ein Netzwerk forensisch tätiger Nichtregierungsorganisationen entstanden. Inzwischen sind sie auch im Auftrag der Internationalen Strafgerichte zu Jugoslawien, Ruanda und Kambodscha tätig. Selbst für das vermeintlich gut erforschte Geschehen des Holocaust sind insbesondere auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion zahlreiche Mordstätten nicht bekannt oder markiert. Die 2004 in Frankreich gegründete Organisation Yahad-in Unum hat sich deren Lokalisierung zur Aufgabe gemacht und in einer Vielzahl von Feldforschungen vor allem Zeitzeugen vor Ort befragt, um Gräber ausfindig zu machen. Das Beispiel zeigt: In Gedenkstätten sind juristischer Beweis, sakrale Bedeutung, historischer Beleg und politische Funktion von Objekten, Erinnerungen und historischen Räumen kaum voneinander zu trennen. Um als multiperspektivische, irreduzible Zugänge wahrgenommen werden zu können, müssen sie in eine Trias aus den primären Zeugnissen der Verfolgten, den sekundären Zeugen (denjenigen, die zuhören und das Gehörte weitertragen) sowie einer moralischen Kultur eingebettet sein oder diese mit herbeiführen, die auf jenen Werten fußt, die zum Zeitpunkt der Kollektivgewalt nicht manifest genug waren oder durch Missachtung außer Kraft gesetzt wurden. 26 D efInItIonen Im Changieren von Zeugnis, Beweis, Beleg und Objekt die Widerspiegelung einer zerbrochenen Zivilität zu erkennen, liegt die transformative Kraft von Gedenkstätten. Ob aber ein historischer Ort als Gedenkstätte betrachtet wird, hängt sehr davon ab, wer spricht. Für Historiker, Politiker oder Besucher, die keinen persönlichen oder familiären Bezug zu dem Ort haben, bedeutet er etwas ganz anderes als für Überlebende und deren Angehörige. Zu einer Gedenkstätte, so ließe sich deshalb sagen, wird ein historischer Ort systematischer und extremer Kollektivgewalt erst und nur dann, wenn sich die Opfer und ihre Angehörigen dort mit ihren Traumatisierungen, ihrer Trauer und ihren Fragen in den Räumen und Praktiken des Gedenkens und Erinnerns aufgehoben und anerkannt fühlen - auch und gerade über die Lebenszeit der Überlebenden hinaus. Weiterführende Literatur Doss, Erika (2012): Memorial Mania. Public Feeling in America, Chicago. Garbe, Detlef (Hrsg.) (1983): Die vergessenen KZs? Gedenkstätten für die Opfer des NS-Terrors in der Bundesrepublik, Bornheim-Merten. Knigge, Volkhard (2004): Museum oder Schädelstätte? Gedenkstätten als multiple Institutionen, in: Stiftung Haus der Geschichte (Hrsg.), Gedenkstätten und Besucherforschung, Bonn, S. 17-33. Nora, Pierre (1990): Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Berlin. Schmid, Harald (2011): Mehr als „renovierte Überbleibsel alter Schrecken“? Geschichte und Bedeutung der Gedenkstätten zur Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen, in: Katja Köhr u. a. (Hrsg.), Gedenkstätten und Erinnerungskulturen in Schleswig-Holstein. Geschichte, Gegenwart und Zukunft, Berlin, S. 25-53. W as m acht eIne g eDenkstätte aus ? Grundbegriffe Parallel zur Institutionalisierung von Gedenkstätten begann in den 1980er Jahren ein bis in die Gegenwart reichender „memory boom“ (Winter 2001; Macdonald 2013): Mit den Begriffen „Erinnerung“ oder „Gedächtnis“ verbundene Themen, Ereignisse und Orte sind seither in Politik, Öffentlichkeit, Kultur und Forschung besonders intensiv diskutiert worden und in neuen Formen präsent (Pethes / Ruchatz 2001; Gudehus / Eichberg / Welzer 2010). Dabei geht es nicht mehr nur um die nationalsozialistischen Verbrechen und den Holocaust. Vielmehr ist zunehmend ins öffentliche Bewusstsein getreten, wie das gesamte 20. Jahrhundert durch eine Fülle von Konstellationen und Ereignissen geprägt ist, die nicht nur für einzelne Gruppen oder Gesellschaften von Bedeutung sind, sondern untereinander vielfältige historisch-kausale Zusammenhänge und geschichtspolitische Bezüge aufweisen sowie zahlreiche Erinnerungsanlässe und andauernde Konfliktfelder darstellen: Welt-, Staats- und Bürgerkriege, Gewalt- und Kriegsverbrechen, Demokratisierungsprozesse und der Aufstieg sowie das Ende von Diktaturen, die Auflösung imperialer Ordnungen und multiethnischer Staaten wie der westlichen Kolonialherrschaften oder der Sowjetunion sowie die Bildung, Zerstörung oder Verhinderung von nationalstaatlicher Souveränität. Politische Transformationen wie nach dem Ende der sozialistischen Herrschaft 1989 / 90, nationale und ethnische Konflikte, einzelne Ereignisse wie der Völkermord in Ruanda 1994 oder Generationswechsel mit dem Tod der letzten Zeitzeugen gehen mit einer Zunahme historischer Sinnstiftungsprozesse einher, die sich in Gedenktagen, Mahnmalen, Museen oder Gedenkstätten sowie offiziellen Ansprachen, historischen Forschungen, öffentlichen Geschichtskontroversen oder geschichtspolitischen Setzungen äußern. Die historische Erinnerung ist zum pluralistischen Konfliktfeld umkämpfter Deutungen geworden: Mit dem Ende der Ost-West-Konfrontation und der forcierten Globalisierung haben jahrzehntelang wirksame Deutungsmuster des Verhältnisses von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft an Bedeutung verloren. Neue wie alte Nationalstaaten versuchen bestimmte Bilder ihrer Vergangenheit zu verankern, um sich nach innen zu stabilisieren und von anderen abzugrenzen. Neben die Nation sind trans- oder postnationale Geschichtserzählungen getreten, die oftmals auf nicht-staatliche Akteure zurückgehen. Den Erinnerungsboom kennzeichnet eine ausgeprägte Personalisierung. Sie wird durch neue mediale Aufzeichnungsmöglichkeiten von Selbstzeugnissen sowie deren schnellere Verbreitung befördert. Hinzu kommen eine vermehrte 2 28 g runD B egrIffe Visualisierung, die durch virtuelle, immersive Technologien noch einmal verstärkt worden ist, und die Ausbreitung der Digitalisierung, die mit Beschleunigungseffekten und einer Dezentralisierung geschichtsbezogener Kommunikationsakte verbunden ist. Die wachsende Präsenz individueller Schicksale im öffentlichen Raum und eine Geschichte „von unten“ oszillieren und konkurrieren mit staats- oder gruppengebundenen Geschichtsdeutungen „von oben“, in denen zwar immer noch Helden verehrt werden, die Wertschätzung persönlicher traumatischer Erinnerungen von Gewaltopfern aber einen immer größeren Stellenwert eingenommen hat. Auch in Gedenkstätten bestehen nationale, heroisierende und postnationale, postheroische Geschichtsbilder synchron wie diachron mit- und gegeneinander. Der „memory boom“ und die damit verbundene Musealisierung (Beier-de Haan 2005) koinzidieren mit einer Krise der scheinbaren ökonomischen und wohlfahrtsstaatlichen Gewissheiten des Nachkriegsbooms in den 1970er Jahren sowie mit der Liberalisierung und Pluralisierung sozialer Ordnungen, von Selbstdeutungen und Identitätskonzepten. Auch in den Geisteswissenschaften hat sich im Zuge des „cultural turn“ eine kritische Haltung gegenüber „großen Erzählungen“ und ihrem umfassenden Deutungsanspruch durchgesetzt. Unter dem Dach eines neuen kulturwissenschaftlichen Beobachtungsparadigmas widmen sich unter anderem die Memory Studies (Erll 2017; Wüstenberg / Segesten 2017) oder die Public History (Sack 2016; Lücke / Zündorf 2018) der kritischen Analyse historischer Sinnstiftungen in Vergangenheit und Gegenwart sowie deren Akteuren, Artefakten und Praktiken. Erinnerung und Gedächtnis Wie Demenzerkrankungen und Geschichtskonflikte zeigen, sind Menschen wie Gesellschaften auf ein gut funktionierendes Zusammenspiel von Erinnerung und Gedächtnis angewiesen (Moller 2010). Werden beide Begriffe auch häufig synonym verwendet, so lässt sich doch zunächst zwischen dem Gedächtnis („memory“) als passivem Modus, Vergangenes zu speichern, und der Erinnerung („recollection“) als aktiver Form unterscheiden, sich Vergangenes zu vergegenwärtigen. Allerdings hat sich das Modell eines Ablagesystems vermeintlich stabiler Speicherdaten, die originalgetreu reproduziert werden können, für Individuen wie für Kollektive als zu einfach erwiesen. Und je flexibler das Bild des individuellen Erinnerns in den letzten Jahrzehnten geworden ist, desto stärker ist die Fluidität des kollektiven Gedächtnisses betont worden. In den Humanwissenschaften gilt das Modell von Archiv und Abruf inzwischen sogar als obsolet. Dort wird das Gedächtnis anders als zu Beginn der Hirnforschung nicht mehr als eine Art Wachstafel oder als ein Container gesehen, die 2.1 29 e rInnerung unD g eDächtnIs vermeintlich unverändert abrufbare Erinnerungen speichern. Erstens gibt es im Gehirn verschiedene Bereiche und Arten miteinander verwobener Gedächtnisse: neurologisch vor allem den präfrontalen Cortex als zentrale Steuerungsinstanz, den Hippocampus als Relaisstation und die Amygdala zur Angststeuerung; das Kurzzeit-, Arbeits- und Langzeitgedächtnis; das deklarative, also das semantische oder episodische Wissensgedächtnis, und das prozedurale Gedächtnis automatisierter Verhaltensweisen; ein autobiographisches Gedächtnis und für emotionale, auditorische, sensorische oder visuelle Reize zuständige Gedächtnisbereiche. Die verschiedenen neuronalen Gedächtnisareale bilden zweitens ein überaus dynamisches System, das mit permanenten Ein- und Überschreibungen, Säuberungen und Verfestigungen, Strukturbildungen und ihren Zerstörungen einhergeht, vor allem aber das Verhältnis von pragmatischem Vergessen und funktionalem Erinnern auf hochkomplexe Weise steuert. Wahrnehmungen hinterlassen dabei zwar neuronale Spuren (Engramme), die in Sinnstrukturen eingehen, aber in jedem Erinnerungsakt neu wiederhergestellt und rekombiniert werden müssen. Es wird dabei immer weitaus mehr vergessen als erinnert, auch wenn dieser Effekt im Laufe der Zeit abnimmt („Vergessenskurve“). Dem Vergessen unterliegen aber weniger persönlich prägende, vor allem frühe Eindrücke, mit starken Emotionen verbundene Erfahrungen oder Informationen, die kohärent und sinnhaft sind. Ihnen kommt zugleich eine wichtige Filterfunktion für die Zugänglichkeit der Gedächtnisinhalte zu. Dies hat drittens mit der primären Funktion des individuellen Erinnerns zu tun: Es dient vor allem der Orientierung in der Welt der Gegenwart, die auf das Wiedererkennen und Vermeiden von gefährlichen Situationen angewiesen ist, und wird auf die Zukunft hin entworfen. Die zugrundeliegenden Sinnesdaten werden im Moment der Rekonstruktion an die jeweiligen Bedingungen angepasst, nach Bedarf ergänzt und verändert. Das menschliche individuelle Gedächtnis sorgt also nicht für dauerhafte und erlebniskonforme, sondern für funktionale, selektive und prozessuale Versionen der eigenen Vergangenheit, um so viel Stabilität wie möglich und nötig zu erzeugen. Erinnerungen erweisen sich dabei als überaus formbar, unzuverlässig und trügerisch. „False Memories“, also bewusst oder unbewusst gebildete fehlerhafte und Scheinerinnerungen, sind kaum von Erinnerungen an tatsächlich Gesehenes und Erlebtes zu unterscheiden. Sie füllen Lücken, die durch Amnesien, also den Verlust von Erinnerungen, entstanden sind, stiften Kohärenz, indem sie als Erklärungen für Verhaltensweisen in der Gegenwart dienen, oder schreiben sich in das Selbstkonzept ein, weil man die Grenzen der eigenen Wahrnehmung nicht wahrhaben will. Solche Pseudoerinnerungen beruhen auf Familienerzählungen, Suggestivfragen oder Medieneindrücken und können gravierende Folgen haben - etwa vor Gericht oder weil Beziehungen durch sie zerstört werden. Dennoch sind 30 g runD B egrIffe die Erinnerungsversionen nicht beliebig, sondern durch Pfadabhängigkeiten bedingt: Individuen entwickeln ihre eigenen, vor allem autobiographisch geprägten Deutungsrahmen, die wiederum in einem engen Wechselverhältnis zu Formen des sozialen und kulturellen Gedächtnisses stehen. Diesem Verhältnis widmete sich erstmals systematisch der französische Soziologe Maurice Halbwachs (1877-1945). Er stellte das in seiner Zeit vorherrschende Bild des Erinnerns als Akt einer reinen Verinnerlichung radikal in Frage: Jedes individuelle Gedächtnis war für Halbwachs immer eingebettet in und geprägt durch kollektive Gedächtnisse einer oder mehrerer Gruppen; beide sind zwar eigenständig, bedingen einander aber wechselseitig und sind füreinander unverzichtbar. Halbwachs beschrieb als Erster, wie Gesellschaften ein kollektives Gedächtnis sozial konstruieren, indem die Vielfalt individueller Eindrücke homogenisiert und von diesen abstrahiert wird. Wie sein Lehrer, der Soziologe Émile Durkheim (1858-1917), ging Halbwachs von einem „Kollektivbewusstsein“ aus, das moderne Gesellschaften aufgrund des Verlustes traditionaler Orientierungen seit dem Aufkommen der Industriegesellschaft aktiv ausbilden. Ein solches Bewusstsein prägt sich insbesondere als eine geteilte moralische Ordnung aus. Auf diesem kollektiven Gewissen basiert die Bewertung und Sanktionierung individueller und gemeinsamer Handlungen. Kollektives Gewissen - sich als Gruppe für das eigene Tun als verantwortlich zu betrachten - und kollektives Gedächtnis - sich dieses Tuns gemeinsam zu vergegenwärtigen - sind untrennbar miteinander verbunden. Jede Gruppe - sei es eine Dorfgemeinschaft oder eine Nation - entwickelt nach Halbwachs im Laufe der Zeit auch ein kollektives historisches Gedächtnis als ihren „Bezugsrahmen“, mit dem sie eine geteilte Geschichte zur Grundlage ihrer Gemeinschaft macht (Dimbath / Heinlein 2015: 128-143). Halbwachs verstand Gruppen oder Gesellschaften als Gedächtnisgemeinschaften, innerhalb derer individuelle Erinnerungen einerseits nur durch soziale Kommunikationsakte ermöglicht und dabei an die geltenden Bezugsrahmen angeglichen werden; andererseits sind es gerade die „Individuen, die sich als Mitglieder der Gruppe erinnern“ und jeweils einen „Aussichtspunkt“ auf das kollektive Gedächtnis eröffnen (Halbwachs 1985: 31). Halbwachs betonte bei der Gedächtnisbildung gerade das aktive Zusammenwirken der individuellen und kollektiven Strukturen gegenüber abstrakten und statischen „Traditionen“. Das kollektive Gedächtnis ermöglicht und begrenzt den Zugang zur Vergangenheit, schließt Geschehenes ein und aus, akzentuiert und selektiert Deutungen. Neben Narrativen und Praktiken betrachtete Halbwachs vor allem Orte, die von Gruppen mit bestimmten Bedeutungen aufgeladen werden, als wichtige Stabilisatoren des sozialen Zusammenhalts. Die Bedeutung von Orten und Räumen war für Halbwachs nichts Gegebenes oder Eindeutiges, denn „es gibt ebenso viele Arten, sich den Raum zu vergegenwärtigen, wie es Gruppen gibt“ (Halbwachs 1985: 162). 31 e rInnerung unD g eDächtnIs Da Bilder einer gemeinsamen Vergangenheit wiederkehrend in „Einklang mit den herrschenden Gedanken der Gesellschaft“ (Halbwachs 1985: 22 f.) gebracht werden müssen, ist das kollektive Gedächtnis nicht auf Dauer gestellt oder statisch. Vielmehr müssen sich Gesellschaften „immer wieder aufs Neue mit ihrer Vergangenheit in Beziehung“ setzen (Uhl 2010: 5). Wie beim Individuum erfüllen kollektive Gedächtnisse als soziale Realität eine gegenwarts- und zukunftsorientierte Funktion, wobei sich ihre Zeithorizonte weiter erstrecken als bei einer einzelnen Person. In dieser Zeitgebundenheit liegt die Möglichkeit begründet, historische Deutungsordnungen zu verändern, insbesondere wenn sich neue politische Generationen der Vergangenheit und ihren kulturellen Tradierungen aus anderen Blickwinkeln zuwenden. So spricht Jay Winter von einer „generation of memory“, die für den „memory boom“ verantwortlich sei (Winter 2001). Zugleich wirken der grundsätzlichen Gestaltbarkeit von Erinnerungen auf kollektiver Ebene starke Beharrungskräfte oder normative Ordnungen entgegen. Die - oft nur verkürzt rezipierten - Überlegungen von Halbwachs, der 1945 als Widerstandskämpfer im KZ Buchenwald ermordet wurde, haben erst in den 1980er Jahren eine zunehmende Aufmerksamkeit erfahren. Gleichzeitig kam es zu einer weitreichenden Revision der Geschichtsschreibung zur Entstehung von Nationen und Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert im Sinne eines konstruktivistischen Ansatzes. Mythen und Symbole wurden hinsichtlich ihrer sozialen und politischen Funktionen und deren Grenzen untersucht, die Stiftungen nationaler „Wir-Gefühle“ als kommunikative, mediatisierte und performative Prozesse analysiert und damit ein bestimmtes Bild auf den Kopf gestellt: Nationen sind nicht „da“, sondern werden mit Hilfe von historischen Narrativen und deren Repräsentationen „erfunden“ (Hobsbawm 1998). Gemeinschaftsstiftende Metaerzählungen solcher „imagined communities“ (Anderson 1983) waren und sind immer auf kulturelle Formen wie Gedenktage, Gebäude, Denkmäler, Literatur, Zeremonien, Symbole oder Musik angewiesen. Kollektive Gedächtnisse dienen dazu, soziale Einheiten untereinander zu vergemeinschaften und sie gegenüber anderen abzugrenzen. Dies ist mit Kontroversen, Konflikten und Kämpfen verbunden, da es um grundlegende Identitätsbestimmungen geht. Individuelle oder Gruppengedächtnisse müssen mit solchen kollektiven Gedächtnissen keineswegs deckungsgleich sein. Um solche komplexen sozialen Vergegenwärtigungen von Vergangenheit besser analysieren zu können, haben Jan und Aleida Assmann - über Halbwachs hinausgehend - das „kollektive“ zunächst in ein „kommunikatives“ und ein „kulturelles“ Gedächtnis unterschieden (Assmann / Hölscher 1988; Assmann 1992; Assmann 1999). Während das kommunikative Gedächtnis jene Bezugnahmen auf Vergangenheit umfasst, die in der alltäglichen mündlichen Kommunikation eigener Erfahrungen produziert und reproduziert werden, handelt es sich beim kulturellen Gedächtnis um gesellschaftlich sedimentierte und kulturell objektivierte Reprä- 32 g runD B egrIffe sentationen von Vergangenem, die mit Hilfe unterschiedlicher materieller und medialer Träger verfügbar sind und durch deren Nutzung auch von jenen aktiviert werden können, die keine biographische Erinnerung an das historische Geschehen haben. Die Zeithorizonte beider Gedächtnisformen sind unterschiedlich: Das kommunikative Gedächtnis ist Jan und Aleida Assmann zufolge an den Lebenshorizont der Erlebenden sowie der nachfolgenden, mit ihnen emotional und narrativ verbundenen Generationen gebunden. Dagegen ist das kulturelle Gedächtnis dauerhaft institutionalisiert: Es besteht unabhängig von einer aktiven Beteiligung der Mitlebenden über längere Zeiträume hinweg und wird unter anderem durch schriftlich, bildlich oder musikalisch festgehaltene Normen und Erzählungen sowie rituelle Praktiken, Gedenktage, Gebäude oder Symbole tradiert, bedarf aber immer gesellschaftlicher Aktualisierungen. Oft wird mit der Unterscheidung zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis eine zeitliche Abfolge ihrer Genese verbunden. Doch tatsächlich kommt es, wie schon Halbwachs festgestellt hat, zu permanenten Interaktionen und Verflechtungen beider Gedächtnisformen. Die Grenze zwischen der kommunikativen und der kulturellen Dimension ist vor allem im Zeitalter der modernen (audiovisuellen) Massenmedien fließend. Das Bewusstmachen von Vergangenheit mit dem kommunikativen Erinnern von Zeitzeugen beginnen zu lassen, ist bestenfalls idealtypisch möglich. In den meisten Fällen ist nicht nur von einer starken Prägung der Kommunikation von Erlebtem durch den Bezugsrahmen des kollektiven Gedächtnisses auszugehen, sondern auch von der Initiierung des Sprechens über das Erlebte durch Kulturalisierungen der Vergangenheit. Allerdings betont die neuere Psychologie die hohe Bedeutung eines konsistenten autobiographischen Gedächtnisses für die persönliche Identitätsbildung. Kritiker werfen der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung eine unangemessene Übertragung von Konzepten aus der individuellen auf die kollektive Sphäre vor. So hat sich der Historiker Reinhart Koselleck dezidiert dagegen gewandt, von einem kollektiven Gedächtnis zu sprechen. Um einer Vereinnahmung des Einzelnen vorzubeugen, ließ er lediglich „kollektive Bedingungen möglicher Erinnerungen“ gelten. Individuelle Erfahrungen ließen sich, so Koselleck, als „verleiblichte Erinnerung“ weder durch Geschichtsdidaktik noch durch Geschichtspolitik „aus der Welt schaffen“ (Koselleck 2000: 19 f.). Ganz im Sinne dieses Vetorechts individueller Erfahrungen unterscheidet der amerikanische Soziologe Jeffrey Olick zwischen einer „collective memory“ als kultureller Manifestation von Vergangenheitsdeutungen und der „collected memory“ als den diversen individuellen und sozial gebundenen Erinnerungen einer Gruppe, die nicht durch ein kulturelles Gedächtnis determiniert sind (Olick 1999). Der Sozialpsychologe Harald Welzer wiederum spricht lediglich von einem sozialen Gedächtnis (Welzer 2001, 2002). Was faktisch erinnert werde, sei ungleich 33 g eschIchtspolItIk unD e rInnerungskultur formbarer, flüssiger und instabiler, als es das Konzept eines homogenen kollektiven Gedächtnisses nahelege. Alison Landsberg wiederum hat den autonomen Charakter medial produzierter Erinnerungen betont („prosthetic memory“), die sich nicht in den Kreislauf des kommunikativen und kulturellen Gedächtnisses fügen: Sie entstehen nicht durch körperliche Erfahrungen, sondern sind nur als medialisierte Repräsentationen und Erweiterungen der Sinne verfügbar, sind nicht an kulturelle oder politische Grenzen gebunden, sondern austauschbar und werden von Individuen zu ihren jeweiligen Zwecken angeeignet. Sie können der Ausgangspunkt subversiver, anti-kollektiver Gegenöffentlichkeiten sein (Landsberg 2004). Verschiedene Studien haben zudem die teils stark gegenläufigen und autonomen Eigendynamiken des privaten, nicht zuletzt familiären Erinnerns gegenüber offiziellen Geschichtsdeutungen ebenso zur NS-Zeit wie zur Geschichte der DDR belegt, die der Annahme eines integrierten kollektiven Gedächtnisses widersprechen (Welzer / Tschuggnall / Moller 2002; Heß 2014). Inwieweit der postulierte Bedarf und das Konzept bestimmter gruppenbezogener Identitäten nicht selbst ein historisches Phänomen insbesondere im Zusammenhang mit der Nationalstaatsbildung seit dem „langen“ 19. Jahrhundert darstellen, wird gerade in den letzten Jahren unter dem Eindruck postkolonialer und transnationaler Diskurse und Forschungen eingehend diskutiert. Sie richten sich gegen eine Gleichsetzung des kulturellen Gedächtnisses mit homogenisierenden, oft hegemonialen Deutungsmustern einzelner Nationen, Staaten oder Kulturen und befassen sich stattdessen mit zirkulierenden, hybriden, verdrängten oder gruppenübergreifenden Erinnerungen. Damit kommen Geltungsansprüche, Machtstrukturen und Hierarchien in den Blick, über die versucht wird, Geschichtsbilder zu normieren. Dies ist meist - wie beim Streit über neue Denkmäler, historische Interpretationen oder die Anerkennung von Opfergruppen - mit heftigen Kontroversen darüber verbunden, ob etwas und was als kollektives Gedächtnis verankert werden soll. Die Frage, wie die Geschichte von historischer Unterdrückung und bis in die Gegenwart reichender Diskriminierung präsent zu halten ist, führt innerhalb betroffener Gruppen zu heftigen Verwerfungen. Geschichtspolitik und Erinnerungskultur Ob und wie homogen oder pluralistisch das kulturelle Gedächtnis und damit die historischen Sinnstiftungen einer Gesellschaft sind, hängt in hohem Maße von „Diskursen und Handlungen“ ab, mit denen die „Deutung von Geschichte als gegenwärtige öffentliche Repräsentation einer kollektiv relevanten Vergangenheit zu politischen Zwecken betrieben wird“. Dies kann sich in der „Schaffung einer Tradition“, der „Prägung einer kollektiven Identität“ oder der „Generierung politisch-historischer Legitimität“ manifestieren (Schmid 2008a: 78). Für dieses 2.2 34 g runD B egrIffe Feld hat sich der in den 1980er Jahren zunächst aus der Kritik an staatlichen Vorgaben für den Umgang mit der Vergangenheit entstandene Begriff „Geschichtspolitik“ zu einer wissenschaftlichen Analysekategorie entwickelt (Wolfrum 1999; Schmid 2009; Troebst 2014). Geschichtspolitik wird von politischen Institutionen - in der Regel vom Staat und seinen Organen - betrieben und zielt darauf ab, die Vergegenwärtigung von Vergangenheit durch gezielte Maßnahmen und Deutungen zielgerichtet zu beeinflussen und zu steuern. Mittels Institutionen, Symbolen, Praktiken und Narrativen wird das kulturelle Gedächtnis von Staaten oder Gruppen auf bestimmte identitätsstiftende Geschichtsbilder ausgerichtet. Dazu gehören auch die Förderung von Gedenkstätten und Museen sowie die Erinnerung an historische Persönlichkeiten, Ereignisse und Orte durch Denkmäler, Gedenktage oder Reden. Gerade in Transformationsphasen nach Regimewechseln steht Geschichtspolitik in einem wechselseitigen Zusammenhang mit dem Feld der Vergangenheitspolitik. Es schließt neben der Strafverfolgung von Tätern und politischen „Säuberungsmaßnahmen“ auch gegenläufige Bestrebungen ein, durch die Träger und Unterstützer des vormaligen Regimes amnestiert, rehabilitiert und reintegriert werden (Frei 1996). Entsprechende rechtliche Regelungen und politische Diskurse gehen mit dazu kompatiblen, geschichtspolitisch wirkmächtigen Deutungen von Täterschaft, Schuld und Verantwortung einher. Geschichtspolitik wird in Demokratien wie in autoritär verfassten Staaten oder Diktaturen praktiziert. Je mehr staatliche Instanzen für sich ein Deutungsmonopol über die Vergangenheit beanspruchen, desto eher werden Geschichtsbilder verordnet und sind mit machtpolitischen Interessen der Akteure verbunden, eine Gesellschaft von deren Gültigkeit zu überzeugen oder diese als Norm durchzusetzen. Geschichtspolitik dient dann primär herrschaftsaffirmativen Zwecken, für die historisches Wissen und seine Quellen selektiv, herrschaftsfunktional und interessengeleitet genutzt werden. Das kann bis zur Fälschung reichen oder mit Geschichtsgesetzen verbunden sein, die regulieren, was als erinnerungswürdig betrachtet wird und politisch als sagbar gilt. Je demokratischer, reflexiver und geschichtsbewusster Gesellschaften wiederum sind, desto kontroverser, vielfältiger und offener sollten ihre Vergegenwärtigungen von Vergangenheit sein. Bürgerschaftlichem oder zivilgesellschaftlichem Engagement kommt in solchen Prozessen eine wesentliche Rolle zu. Sie bilden - neben der Geschichtswissenschaft und unabhängigen Medien - ein wesentliches Korrektiv gegenüber verordneten oder hegemonialen Geschichtsbildern. Eine demokratisch geprägte Erinnerung ist somit den Prinzipien der Pluralität und des Aushandelns verpflichtet: Geschichtsbilder und historische Identitäten sollten nicht verordnet werden, sondern Inhalte wie Formen von Gruppengedächtnissen sind reflexiv und kontrovers durch die Gesellschaft zu gestalten; es sollten immer verschiedene Akteure beteiligt sein, um multiperspektivische 35 g eschIchtspolItIk unD e rInnerungskultur Zugänge zu ermöglichen. Wo aber schlägt die Setzung geschichtspolitischer Normen von Staat und Politik in eine Beschränkung oder Verhinderung von Pluralität um? Gerade die Bundesrepublik ist aufgrund der an Verwerfungen reichen deutschen Geschichte mit ihren verschiedenen politischen Regimen, der deutsch-deutschen Teilung, den zwei Weltkriegen und dem europäischen Einigungsprozess emblematisch für die Pluralität miteinander verflochtener und nebeneinander bestehender Erinnerungsnarrative und Gedenkorte. Sie lassen sich unter Maßgabe des demokratischen Pluralismus nicht zu einer homogenen, gar teleologischen Nationalerzählung zusammenfassen. Dennoch hat es entsprechende Versuche immer wieder gegeben - nicht zuletzt durch Rekurse auf die vermeintlich „positiven“ Seiten der deutschen Geschichte. Als Pendant zur Geschichtspolitik hat der Begriff „Erinnerungskultur“ seit den 1990er Jahren eine sehr weite Verwendung gefunden. Der Historiker Christoph Cornelißen hat darunter „alle denkbaren Formen der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse“ zusammengefasst, „seien sie ästhetischer, politischer oder kognitiver Natur“ (Cornelißen 2012). Sie kann demnach privat wie öffentlich, staatlich wie nicht-staatlich praktiziert werden und manifestiert sich in einer Fülle von Formen und Medien. Wenn Vergangenheit im Spielfilm zum Thema gemacht wird, handelt es sich genauso um Erinnerungskultur wie bei einem Gespräch mit einer Holocaust-Überlebenden, einer wissenschaftlichen Abhandlung zu einem historischen Thema oder einer Gedenkrede. Ein solch breites Verständnis scheint vom Begriff der Geschichtskultur nach Jörn Rüsen, der in umfassender Absicht neben der kognitiven Ebene der Geschichtswissenschaft eine politische der Geschichtspolitik, eine ästhetische aller Arten von Medien sowie eine religiöse und eine moralische Dimension umfasst (Rüsen 2013), nur durch den Akzent der „bewussten Erinnerung“ unterschieden zu sein. „Bewusst“ bedeutet nach Cornelißen den „funktionalen Gebrauch der Vergangenheit für gegenwärtige Zwecke“, was den Begriff wiederum sehr nah an den der Geschichtspolitik heranrückt. Allerdings tragen zur Erinnerungskultur verschiedene Akteure bei, die nicht im engeren Sinne der Politik zuzurechnen sind, insbesondere Zeitzeugen, Medien, Familien, Wissenschaftler oder Künstler. Umstritten ist, ob die akademische Geschichtswissenschaft als Teil von Erinnerungs- und Geschichtskultur zu betrachten ist oder außerhalb von ihr steht oder stehen sollte. Im Begriff „Kultur“ schwingen zudem eine analytisch-deskriptive (was wird wie und durch wen erinnert? ) und eine moralisch-normative Komponente (wie soll etwas erinnert werden? ) mit. Neuere Disziplinen wie die Memory Studies oder die Public History betonen deshalb ihren dezidiert analytischen, interdisziplinären und unabhängigen Blick auf (öffentliche) Repräsentationen von Vergangenheit. 36 g runD B egrIffe Neben eher offenen Verwendungsformen weist der Begriff „Erinnerungskultur“ aber noch zwei andere Bedeutungsmöglichkeiten auf: zum einen den absichtsvollen Bezug auf eine Vergangenheit mit dem Ziel einer gemeinschaftsbildenden Sinnstiftung, zum anderen nach Aleida Assmann eine Konkretisierung als „ethische Erinnerungskultur“, die sich über eine Betonung der Opferperspektive und eine kritische Haltung zu Staats- und anderen Gewaltverbrechen definiert (Assmann 2016a: 32 f.). Im letzteren Sinn wird hier von Erinnerungskultur gesprochen: als historisch konkrete Form empathisch motivierter Zuwendungen zu Menschen als Opfern systematischer, meist staatlicher und oft extremer Kollektivgewalt und als bewusste Geschichtspraxis, ihren missachteten Rechten, ihrer verletzten Würde und ihrer unterdrückten Individualität wieder Geltung zu verschaffen. Dies setzt eine differenzierte, im Zuge vergleichender Betrachtungen zu gewinnende Kenntnis über die Art der Gewalt voraus, deren Opfer sie wurden. Kollektivgewalt und Genozid Gedenkstätten werden an Tatorten systematischer physischer und psychischer, häufig extremer Kollektivgewalt eingerichtet, die dort in der Verantwortung eines Staates oder anderer Machtträger in Zusammenarbeit mit verschiedenen organisierten wie nicht-organisierten Akteuren, Komplizen und Profiteuren durchgeführt wurde und Menschen zu bloßen Objekten einer ihnen gegenüber nicht mehr durch Selbstbindungen der Täter oder durch Dritte eingehegten Macht wurden. An diesen Orten ereignete sich Kollektivgewalt absichtsvoll und meist geplant in Form eines Ereignisses - wie einem Massaker oder einer Deportation - oder wurde - wie in Lagern, Gefängnissen oder Krankenanstalten - über längere Zeit hinweg verübt. Sie richtete sich - in der Regel im Verbund mit anderen repressiven Maßnahmen - gegen Einzelne, die als Vertreter tatsächlicher oder imaginierter Kollektive gesehen wurden, gegen Gruppen oder ganze Gesellschaften. Stellt Gewalt als „Macht zu töten und (…) Ohnmacht des Opfers“ eine „Option menschlichen Handelns“ dar, die „ständig präsent ist“ (Popitz 1986: 82 f.), so basiert Kollektivgewalt auf der Schaffung gesonderter temporärer oder dauerhafter Strukturen, um die bewusste Schädigung von Menschen frei von moralischen oder rechtlichen Bindungen an Zivilität und Humanität als Herrschaftsmittel einzusetzen. Sie ist auf Orte angewiesen: Gedenkstätten als heutigen Institutionen des kulturellen Gedächtnisses entspricht historisch eine zumindest rudimentäre und zeitweise Institutionalisierung dieser Orte als räumlichen Epizentren einer systematischen Gewaltpraxis. Sie fand dort in variablen Mischungsverhältnissen aus ungesteuerten, willkürlichen und exzessiven sowie 2.3 37 k ollektIvgeWalt unD g enozID gesteuerten, organisierten und regelhaft wiederkehrenden Praktiken statt. Ihr Spektrum reichte vom Entzug des Rechts auf Freiheit und Autonomie sowie elementarer Lebensbedürfnisse (Deprivation) und dem Einsatz zur Zwangsarbeit über Formen psychischer Unterdrückung und die Zufügung physischer Verletzungen etwa durch Folter, Schläge oder Strafen bis hin zur personenbezogenen, gruppenweisen oder kollektiven Ermordung. Mittels solch heterogener Gewaltpraktiken und eines breiten Spektrums von Orten, an denen sie durchgeführt werden, dient systematische Kollektivgewalt einer einseitigen, absoluten und unbegrenzten Durchsetzung macht- und gesellschaftspolitischer, militärischer sowie ökonomischer Ziele und Interessen. Die Machtträger betrachten die von ihnen verübte Gewalt als ihr Recht und legitimieren sie mit einer Weltanschauung, die sie als ihre neue „Moral“ vertreten, mit besonderen Handlungsnotwendigkeiten, die sie zu einem „Ausnahmezustand“ erklären, oder mit dem Gewohnheitsrecht, wenn sie für sich ein Recht auf „Vergeltung“ in Anspruch nehmen. Extreme Kollektivgewalt radikalisiert die absichtsvolle Aufhebung der anthropologischen, rechtlichen und ethischen Gleichheit von Menschen bis hin zur totalen Vernichtung. Eine derartige Ausprägung von Kollektivgewalt kann von Beginn an feststehen, sie kann aber hinsichtlich ihrer Ziele und der eingesetzten Mittel auch zielorientiert oder prozesshaft bis hin zu massenhaftem und systematischem Morden radikalisiert werden. In den geschichtspolitischen Debatten um die Anerkennung von Opfergruppen und Orten ihrer Verfolgung spielen Art, Ausmaß und Systematik der Kollektivgewalt sowie deren Interpretation eine wesentliche Rolle. Da Kollektivgewalt bereits dort beginnt, wo die Handlungsbefugnisse eines (staatlichen) Gewaltmonopols systematisch überschritten werden, ist eine möglichst präzise Differenzierung der Gewaltformen, ihrer Ursachen, Radikalität, Ziele und Folgen, unabdingbar, um pauschale Gleichsetzungen von Gewaltregimen zu vermeiden. Wie die verschiedenen Formen, Grade und Konsequenzen von Kollektivgewalt sowie ihre Abgrenzung gegenüber anderen Gewaltpraktiken bestimmt werden, hängt eng mit der Bereitschaft von Tätergesellschaften zusammen, die Kollektivgewalt als Verbrechen zu thematisieren, aber auch mit postviolenten Identitätsstiftungen der Opfer. Welche Gewalt wird als Verbrechen betrachtet, welche Gruppen werden als Opfer anerkannt, wessen Zeugnisse werden gesammelt, und zu wem wird geforscht, wer erhält Entschädigungen, wird bei Gedenktagen bedacht oder symbolisch durch Mahnmale repräsentiert? Bestimmte Ereignisse extremer Kollektivgewalt haben aufgrund ihrer Dimension oder Bedeutung eigene Namen erhalten, um die historische Bedeutung der jeweiligen Ereignisse zu erfassen. Einige dieser Bezeichnungen werden mit dem Wort „Katastrophe“ ins Deutsche übersetzt - etwa „Aghet“ (armenisch) für den Völkermord an den Armeniern oder das vor allem von israelischen Juden verwendete „Shoah“ für die Ermordung der europäischen Juden während der NS-Herr- 38 g runD B egrIffe schaft. Bevor das Wort „Shoah“ auch außerhalb Israels breitere Verwendung fand (vor allem durch den so benannten Dokumentarfilm Claude Lanzmanns von 1985), war in den 1960er Jahren der Begriff „Holocaust“ (vom griechischen „holókauston“ für „vollständig verbrannt“ oder auch aus dem Substantiv übersetzt als „Brandopfer“) als Bezeichnung für die von den Nationalsozialisten euphemistisch so deklarierte „Endlösung der Judenfrage“ in den Vereinigten Staaten aufgekommen. Seit Ausstrahlung der gleichnamigen TV-Serie 1978 / 79 hat sich dieser Begriff weltweit verbreitet - bis hin zur Verwendung in ganz anderen Zusammenhängen, wenn etwa vom „nuklearen Holocaust“, dem „Holocaust in Kambodscha“ oder bei Abtreibungen vom „silent Holocaust“ die Rede war. Anders als der Begriff „Holocaust“ geht das gerade in Verbindung mit „memorial museums“ außerhalb Deutschlands gebräuchliche Wort „genocide“ (Genozid) als Schöpfung des polnischen Juristen Raphael Lemkin auf die 1940er Jahre zurück. Der Begriff wurde offiziell erstmals durch die Genozid-Charta vom 10. Dezember 1948 als „acts committed with intent to destroy, in whole or in part, a national, ethnical, racial or religious group“ definiert (UN 1948). In Fällen extremer Kollektivgewalt von Genozid zu sprechen, hat sich jedoch erst seit den 1990er Jahren politisch, völkerrechtlich und wissenschaftlich etabliert. Der Begriff hat sich zu einer interessenpolitischen Kategorie entwickelt, die vor allem mit politischen Forderungen und der rechtlichen Anerkennung von Gewalt als Genozid verbunden ist. Sie dient nicht nur als Begründung präventionspolitischer Maßnahmen („genocide watch“), sondern auch, um humanitäre oder militärische Interventionen („responsibility to protect“) zu rechtfertigen. Da der Begriff aber wegen seiner identitätspolitischen Bedeutung einer differenzierten Aufarbeitung der Ursachen, Abläufe und Folgen extremer Kollektivgewalt häufig im Wege zu stehen scheint, begegnen ihm viele Historiker mit Skepsis (Barth 2006). So rückt seine enge Bindung an eine vorausgehende Mordabsicht der Täter eine häufig festzustellende prozesshafte Radikalisierung, die auf mehrere Ursachen und Motivationen wie selbst geschaffene Handlungszwänge oder ökonomische Interessen zurückgeführt werden kann, gegenüber ideologischen Prämissen in den Hintergrund. Die Definition der Charta geht zudem von einer eindeutigen Definierbarkeit und Zuordnung der Gründe und Opfergruppen aus, die sich aber einerseits oftmals einer solch klaren Grenzziehung entziehen, andererseits selbst erst das Produkt von Repression und extremer Gewalt sind. Schließlich sind die Abgrenzungen, Überschneidungen und Wechselbeziehungen verschiedener Gewaltformen häufig schwierig festzumachen. Kritiker des Genozid-Begriffs verbinden mit seiner Verwendung eine ungerechtfertigte Hierarchisierung von Opfergruppen. Eine solche erkennen sie insbesondere mit Blick auf die Behauptung, der Holocaust sei ein singuläres historisches Ereignis gewesen. In der absoluten Variante der Singularitätsthese kommt dem Holocaust eine über die historische Einzigartigkeit hinausgehende Bedeu- 39 o pfer unD t äter tung zu. „Obgleich im konkreten historischen Geschehen verankert“, so der Auschwitz-Überlebende und Historiker Otto Dov Kulka, weise er „über die Sphäre der Geschichte hinaus“ (Kulka 2013: 11). Dan Diner hat diese Position 1988 im Begriff des „Zivilisationsbruchs“ zusammengefasst (Diner 1988): Auschwitz und der Holocaust hätten die bis dahin geltenden Gewissheiten von Moderne, Aufklärung und Humanität für alle Zeiten beschädigt und das Vertrauen in sie dauerhaft in Frage gestellt - in eine die Menschenwürde achtende Vernunft, die Anerkennung der Gleichheit aller Menschen, die Geltung zwischenmenschlicher Solidarität und die Verlässlichkeit staatlicher Institutionen als Schutz vor Gewalt und Willkür. Kurz vor Dan Diner hatte der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas zu Beginn des „Historikerstreits“ die „Singularität von Auschwitz“ betont und sich damit gegen Bestrebungen gewandt, kausale oder relativierende Bezüge zu anderen Gewaltregimen herzustellen (Habermas 1986; Große Kracht 2005: 91-114). Kritiker der Singularitätsthese machen geltend, dass sie andere Gewaltereignisse abwerte, die ebenso als „Völkermord“ zu bezeichnen seien, etwa die Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma im Nationalsozialismus, das Schicksal der Armenier im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs oder der Genozid in Ruanda 1994. Noch weiter reichen Behauptungen, der Holocaust sei nicht singulär, weil sich Ähnliches auch in anderen Gewaltherrschaften ereignet habe. Trotz vielfacher Tendenzen, Gewaltverbrechen verallgemeinernd gleichzusetzen, können erst regimeübergreifende Betrachtungen den Blick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede entlang der Strukturen, Ziele und Ausmaße von extremer Kollektivgewalt eröffnen. Ob ein Mensch in einem lateinamerikanischen Regime „verschwindet“ oder im Rahmen eines Genozids ermordet wird, macht auf der Ebene der individuellen Erfahrung keinen Unterschied, wohl aber im Kontext des Ausmaßes, der Formen und Folgen von Gewalt bis hin zu den Formen ihrer Erinnerung. „Auschwitz“, das nicht ohne den Gesamtkomplex der NS-Verbrechen möglich gewesen wäre, ist dabei ein Synonym für einen dem Tod seitdem „eingekerbten Unterschied“. Den damit verbundenen „Konflikt zwischen Pietät und Reflexivität auszuhalten“, sei, so der Historiker Dan Diner, ein „Preis der Humanität“ (Die Welt, 4. 2. 2006). Opfer und Täter Den immer differenzierteren historischen Kenntnissen über unterschiedliche Fälle von extremer Kollektivgewalt entspricht die besonders eng mit Gedenkstätten verbundene dichotomische Redeweise von „Tätern“ und „Opfern“ vor allem hinsichtlich der Täter nur noch bedingt. Wenn die Begriffe juristisch verwendet werden, sind die Voraussetzungen eindeutig: Ein Schuldspruch stellt 2.4 40 g runD B egrIffe klar, wer „Täter“ und wer „Opfer“ ist. Im Kontext der Erinnerung an Gewaltverbrechen werden die Begriffe hingegen zwar auf der Basis von historischem Wissen und ethischen Normen verwendet, sie müssen aber nicht juristisch validiert sein. Auf der einen Seite gibt es Verantwortliche und Akteure eines Regimes, das illegitime Gewalt praktiziert, auf der anderen Seite Menschen, die ohne ihr Zutun oder den Verstoß gegen eine legitime Rechtsordnung unter dieser Gewalt leiden. „Opfer“ gelten dabei meist als leidend, schwach und beschädigt, „Täter“ als kraftvoll, übermächtig und schädigend. Dieses Bild beruht auf den fundamental asymmetrischen Machtverhältnissen in Gefängnissen und Lagern, bei Massenerschießungen oder an Deportationsorten. Allerdings ist der Gebrauch beider Begriffe schon seit längerer Zeit umstritten. Für den des „Opfers“ gilt dies zunächst vor allem wegen seines religiösen, rituellen und funktionalen Charakters. Opferungen sind eigentlich Handlungen, durch die Beziehungen zu metaphysischen Kräften und Mächten hergestellt und bestätigt werden sollen. Sie dienen, neben einer allgemeinen Verehrung der Sühne und der Reinigung, als Bitte und als Dank. Durch den Akt des Opferns werden gemeinschaftliche Bindungen produziert und reproduziert. Doch was hat extreme Kollektivgewalt mit solchen Praktiken zu tun? Einige religions- und kulturwissenschaftliche Ansätze stellen explizit Zusammenhänge mit Opfertheorien her: René Girard geht davon aus, dass Gesellschaften „Sündenböcke“ brauchen, um das in ihnen immer herrschende Gewaltpotenzial durch deren Opferung regulieren zu können (Girard 1994). Für Giorgio Agamben wurden die Insassen von Konzentrationslagern auf ihr „nacktes Leben“ reduziert: Weil sich der Souverän im „Ausnahmezustand“ des Tötungsakts seiner absoluten Macht bereits ohne den Mord sicher war und jederzeit töten konnte, hatten sie nicht einmal mehr den Wert eines Opfers (Agamben 2002). Allerdings gestaltet es sich schwierig, die mit dem Begriff des „Opfers“ einhergehende Vorstellung von etwas Übernatürlichem, an das es die „Opfernden“ bindet, mit Phänomenen extremer Kollektivgewalt des 20. Jahrhunderts in Einklang zu bringen, die aus säkularisierten Ordnungen heraus begangen wurden. Gegen den Begriff des Opfers spricht aber auch seine Verwendung im Zeitalter der modernen Nationalstaaten (Goltermann 2017). Denn wurde er bis ins 20. Jahrhundert hinein benutzt, diente das - noch ganz im Einklang mit religiösen Opferkonzepten - einer Heroisierung des Kämpfens, indem die Toten als „Gefallene“ der Nation verehrt wurden. Der Topos, sich „für etwas“ geopfert zu haben oder worden zu sein (im Sinne des englischen „sacrifice“), knüpft an die Figur des christlichen Märtyrers als Glaubenszeugen an. Erst im Zuge des Ersten Weltkriegs und in den 1920er Jahren rückten mit der räumlichen und technologischen Entgrenzung der Kriegsführung die Zivilisten - und hier vor allem Frauen und Kinder - als Opfer „von etwas“ ins Blickfeld, nämlich einer Gewalt, 41 o pfer unD t äter auf die sie selbst keinen Einfluss nehmen konnten (im Sinne von „victim“). Aber auch sie wurden für die Nation oder vergleichbare Gemeinschaften vereinnahmt. Verwendungen des Opferbegriffs changierten bis ins letzte Drittel des 20. Jahrhunderts zwischen den beiden Bedeutungen „sacrifice“ und „victim“. Auch unter denjenigen, die den Holocaust und die NS-Verbrechen überlebt hatten, war nach 1945 zunächst eine heroisierende Lesart als Märtyrer weit verbreitet. Bis in die 1960er Jahre blieb der Begriff des Opfers eng mit der Beteiligung am politischen oder bewaffneten Widerstand gegen die Nationalsozialisten und die deutsche Besatzung verbunden. Die Bundesrepublik legte ihrerseits mit dem Bundesentschädigungsgesetz von 1956 fest, wen sie als Opfer betrachtete: Verfolgte aus politischen, rasseideologischen, religiösen und weltanschaulichen Gründen - damit aber zum Beispiel nicht Sinti und Roma, Zwangssterilisierte, sowjetische Kriegsgefangene sowie als homosexuell oder „asozial“ Verfolgte. Nur langsam wurde seit den 1960er Jahren sukzessive vom Stigma der Schwäche oder Krankheit befreit, wer als Opfer galt oder sich zu erkennen gab: Psychische Spätfolgen der Verfolgung konnten nun nicht nur als „KZ-Syndrom“ (Bastiaans 1970) oder als „posttraumatische Belastungsstörung“ anerkannt werden, sondern galten auch immer weniger als Folge einer individuellen, krankhaften Disposition (Goltermann 2009). In den USA bezeichneten sich jüdische Holocaust-Verfolgte nun vermehrt als „survivor“; Terence des Pres untersuchte explizit die Bedingungen des Überlebens im KZ (des Pres 1976). Das lenkte den Blick vom heroischen Widerstandskampf von Wenigen in der Vergangenheit auf das Ringen der Vielen mit den Folgen der Verfolgung in Gegenwart und Zukunft. „Überlebende“ setzten sich nicht mehr primär für eine Entschädigung ihres Leidens ein, sondern für eine gesellschaftliche Anerkennung, ein dauerhaftes Erinnern und die Wertschätzung ihres Umgangs mit den individuellen Belastungen. Erste Interviewprojekte, eine größere Zahl autobiographischer Veröffentlichungen und eine wachsende mediale Präsenz trugen seit den 1970er Jahren dazu bei, vor allem Holocaust-Überlebende als moralische Zeugen („witness“, „testimony“) wahrzunehmen (Sabrow / Frei 2012; Uhl 2012b). Dieser Perspektivwechsel war eng mit einer wachsenden humanitären Sensibilisierung, einem vermehrten Einsatz für die Menschenrechte und einer deutlicheren Verurteilung illegitimer staatlicher Massengewalt verbunden. In der Bundesrepublik gewann mit der Entstehung von „Geschichtswerkstätten“, der „Oral History“ und dem „Geschichtsfernsehen“ die persönliche Lebenserzählung eine bis dahin unbekannte öffentliche Aufmerksamkeit. Mit Beginn dieser „Ära des Zeugen“ (Wieviorka 2006) verschob sich der Blick von der „verstörenden Gewalt“ auf ihre „traumatisierten Opfer“ (Emcke 2013: 23). Aufgrund des Selbstverständnisses von Gedenkstätten standen und stehen die Verfolgten und Ermordeten im Vordergrund ihrer Arbeit. Jedoch ist die tatsächliche Präsenz von Überlebenden in Gedenkstätten im Verhältnis zu ihrer symboli- 42 g runD B egrIffe schen und politischen Bedeutung aus verständlichen Gründen immer schon vergleichsweise gering und vor allem punktuell gewesen, auch wenn an manchen Orten - wie in Auschwitz oder in den Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer des SED-Regimes - viele Überlebende über Jahrzehnte hinweg selbst Führungen gemacht haben oder noch machen. Insgesamt erleben seit den 1990er Jahren „Zeitzeugen“ einen Boom, darunter viele Kinder und Jugendliche der Kriegs- und Nachkriegszeit, Bürger der ehemaligen DDR, Teilnehmer der „68er“-Studentenproteste oder Miterlebende der „Wende“ von 1989 / 90. Ihre Erzählungen versprechen eine große Nähe zum Geschehen, subjektive Anschaulichkeit und eine aus anderen Quellen nicht zu gewinnende „Authentizität“. Indem auch die Opfer der NS-Verbrechen immer häufiger allgemein als „Zeitzeugen“ bezeichnet werden, droht ihre erinnerungspolitische Sprecherrolle als „witnesses“ eines besonderen systematischen Gewaltverbrechens im medialen Sammelbecken individueller Erlebnisse nivelliert zu werden. Lange Zeit diente die Darstellung der Schicksale von Verfolgten in Gedenkstätten vor allem dem Ziel, Empathie hervorzurufen. Mit guten Gründen wurden deshalb Aspekte vermieden, die zu ihrer moralischen Diskreditierung hätten führen können. Hingegen hat der Auschwitz-Überlebende Primo Levi explizit auf eine „Grauzone“ im Verhalten von Häftlingen hingewiesen und sie auf die kategorisch anderen Bedingungen der Extremsituation in Konzentrationslagern zurückgeführt, die gerade nicht mit konventionellen moralischen Kategorien beurteilt werden könnten (Levi 1993). Damit ist die Frage nach konkreten Handlungen der Verfolgten und ihren Bedingungen verbunden: Häftlinge gelangen so nicht nur als passive Opfer, sondern auch als Akteure in den Blick, wenngleich mit extrem begrenzten und meist schwindenden Handlungsmöglichkeiten. Wenn überhaupt, dann wurde auch von „Tätern“ nach 1945 lange Zeit nur sehr schematisch gesprochen. In der Bundesrepublik konzentrierte sich die Öffentlichkeit bei den Verantwortlichen für die NS-Verbrechen auf einen kleinen Führungskreis um Hitler, Himmler und die SS sowie auf strafrechtlich verurteilte Exzesstäter, vornehmlich personifiziert durch besonders brutale und als „Sadisten“ präsentierte KZ-Bewacher. Zwar waren die Arbeitsteiligkeit des Holocaust und die „organisierte Schuld“ (Hannah Arendt) der gesamten deutschen Gesellschaft bereits unmittelbar nach dem Krieg thematisiert worden, aber diese Perspektive gewann erst in den 1960er Jahren mit dem paradigmatisch von Adolf Eichmann verkörperten Typus des „Schreibtischtäters“ an Einfluss. So wandte sich 1967 der Kriminologe Herbert Jäger in seinem wegweisenden, aber lange Zeit wenig rezipierten Buch „Verbrechen unter totalitärer Herrschaft“ gegen die Beschränkung auf „Bestien“ und „Befehlsempfänger“ (Jäger 1982). Nach der Auswertung zahlreicher Gerichtsverfahren sprach er sich bei den meisten Beschuldigten gegen das Bestehen eines „Befehlsnotstands“ oder das Fehlen eines „Unrechtsbewusstseins“ aus. Bis in die Gegenwart ist die Suche nach 43 o pfer unD t äter passenden Begriffen für die Beteiligungsverhältnisse an Kollektivgewalt mit der Frage verknüpft, ob und in welchem Ausmaß die Freiheit des eigenen Willens gerade unter den Bedingungen diktatorischer Herrschaftsformen als Voraussetzung für eine Verurteilung zu gelten hat. Doch was strafrechtlich hinsichtlich der Motivation von grundlegender Bedeutung ist, tritt in der historischen Beurteilung gegenüber der Funktion, Form und Wirkung, die mit der Beteiligung verbunden war, in den Hintergrund. Wo aber beginnt und endet Täterschaft im Zusammenhang mit Kollektivgewalt? Das Strafrecht bietet mit Kategorien wie der unmittelbaren Täterschaft (verantwortliche Durchführung) und der mittelbaren Täterschaft (Veranlassung der Tat) sowie der Mittäterschaft (arbeitsteilige Mitwirkung) und der Teilnahme (unter anderem durch Anstiftung oder Beihilfe) erste begriffliche Möglichkeiten einer differenzierteren Beschreibung an. Sie betreffen aber nur den engeren Kreis der Beteiligten einer konkreten Tat und eignen sich nur bedingt für die organisierte und zugleich diffuse Struktur extremer Kollektivgewalt. Zudem haben erst in den Prozessen gegen John Demjanjuk (2011) und Oskar Gröning (2015) deutsche Gerichte ehemalige SS-Männer wegen Beihilfe zum Mord verurteilt, ohne ihnen eine unmittelbare Tatbeteiligung nachzuweisen. Die genannten Schuldsprüche erfolgten erstmals allein aufgrund der ihnen übertragenen und von ihnen wahrgenommenen Aufgabe, das Massenmorden logistisch und organisatorisch zu unterstützen. Die von ihren jeweiligen zeitlichen Kontexten abhängige Strafrechtspraxis kann also nur bedingt als Maßstab herangezogen werden, um Tatbeteiligte im Kontext historischer Forschung und öffentlicher Erinnerung zu klassifizieren. Den jüngsten Urteilen gegen NS-Verbrecher waren in den 1990er Jahren eine intensive „Täterforschung“ vor allem zum Holocaust, öffentliche Kontroversen über das Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ von Daniel J. Goldhagen (1996) oder die beiden Ausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung zu den Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg sowie Debatten über die Formen der (Mit-)Täterschaft im SED-Regime (unter anderem zur Arbeit für den Staatssicherheitsdienst) vorausgegangen. Sie haben für ein anderes Verständnis von Schuld und Verantwortung sensibilisiert. Neuere Begriffe wie „Tätergesellschaft“ und „Mittätergesellschaft“, aber auch „Volksgemeinschaft“ zeugen davon, dass die Frage nach den Tatverantwortlichen inzwischen Teil der Gesellschaftsgeschichte des Nationalsozialismus und der deutschen Nachkriegsgeschichte geworden ist. Neben den Ausführenden der Nahgewalt - neu war hier vor allem eine genauere Kenntnis über die Massenerschießungen in der besetzten Sowjetunion - sind vermehrt deren Vorgesetzte und Planer, funktional Mitwirkende und Helfer, Profiteure und Komplizen, Mitwisser und Zuschauer in den Blick genommen worden. Denn außer den Sondereinheiten der Gewaltakte waren zahlreiche Behörden und ihre Beamten, Unternehmen sowie viele Privat- 44 g runD B egrIffe personen in die Verbrechen involviert: Weil dadurch das Verhältnis von „Tätern“ und „Gesellschaft“ weniger eindeutig geworden ist, wächst einerseits die Skepsis gegenüber zu engen, andererseits gegenüber zu pauschalen und inflationären Verwendungen des Täterbegriffs. Je mehr KZ-Gedenkstätten zu Lernorten über die Geschichte des Nationalsozialismus geworden sind, desto lauter ist in den letzten Jahren der Ruf geworden, dort auch die Täter als wesentlichen Teil des Gesamtgeschehens zu dokumentieren und sich aktiv mit ihnen auseinanderzusetzen. Zu dieser Öffnung haben Dokumentationszentren und Ausstellungen an Orten beigetragen, die nicht mit der konkreten Verfolgungsgewalt verbunden sind - und die oft verkürzt als „Täterorte“ bezeichnet werden: die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin, die Villa ten Hompel in Münster, das NS-Dokumentationszentrum in München, die SS-Ordensburg Vogelsang in der Eifel oder der Bückeberg als Festplatz der „Reichserntedankfeste“ in der Nähe von Hameln. Fragen, die in der Vergangenheit zur Darstellung von Tätern in Gedenkstätten geäußert worden sind, stellen sich hier jedoch auch: Welche Erzählhaltung ist gegenüber Tätern und politisch Verantwortlichen einzunehmen? Wie weit kann eine Differenzierung gehen, die auch ihre Biographien und Beweggründe thematisiert? Inwieweit kann und muss man das Handeln von Tätern erklären oder gar verstehen? Die neuere Holocaust- und Genozid-Forschung hat herausgearbeitet, wie in der Gewaltpraxis über gewisse Zeiträume hinweg biographische Prägungen, weltanschauliche Haltungen, institutionelle Sozialisationsprozesse und situative Kontexte dynamisch ineinandergegriffen und viele Beteiligte gerade an Handlungskompetenzen und Profitmöglichkeiten gewonnen und keineswegs nur „auf Befehl“ gehandelt haben. Aufgrund des kollektiven Charakters der extremen Gewalt kommen rein biographische Zugänge, die gerade für Verantwortliche jenseits der KZ-Bewacher oft bemüht werden, jedoch rasch an ihre Grenzen. Auch wenn die Dichotomie von „Tätern“ und „Opfern“ ihre Relevanz aufgrund der historischen Evidenz grundsätzlich behält, können nur komplexere Beschreibungen der Interaktionsverhältnisse zu weiterführenden Einsichten in die Gewaltverhältnisse und ihre Bedingungen führen. Trauer und Trauma Trauer bedeutet zweierlei: einen emotionalen Ausnahmezustand und einen Prozess, der zu dessen Überwindung führt. Dieser Zusammenhang unterliegt im Fall mittelbarer und unmittelbarer Gewalterfahrungen vielfältigen Störungen: durch die Gewalt selbst, unklare Informationen, das eigene Leiden als Opfer, die Ungewissheit über die Umstände von Verfolgung und Tod, fehlende Ritu- 2.5 45 t rauer unD t raum a ale der Bestattung, das Fehlen von Gräbern und damit von Orten, an denen sich die Trauer lokalisieren ließe. Zudem wirken gerade in Postkonfliktgesellschaften viele Kräfte einem traueraffinen Umfeld entgegen, aus dem sich Impulse für eine gesellschaftliche Aufarbeitung entwickeln könnten. So haben Alexander und Margarete Mitscherlich für die Bundesrepublik 1967 eine zweifache „Unfähigkeit zu trauern“ diagnostiziert: Weil sich die Deutschen nach 1945 ihre libidinöse Bindung an Hitler nicht eingestanden hätten, seien sie nicht dazu in der Lage gewesen, den Zusammenbruch des NS-Regimes als Verlust zu realisieren. Mittelbar habe genau das eine Aufarbeitung der NS-Verbrechen und die Entwicklung einer empathischen Beziehung zu deren Opfern bei den Deutschen verhindert (Mitscherlich / Mitscherlich 1967). Wie auch immer sich diese These aus heutiger Sicht darstellt, so thematisiert sie doch nach wie vor einen zentralen Punkt: Wie kann die vergangene Asymmetrie vergesellschafteter Kollektivgewalt, an der sich so viele beteiligt haben und die anschließend oft mit der Weigerung einhergeht, sich der eigenen kollektiven Tatverantwortung zu stellen, in eine Anerkennung der Ermordeten, Überlebenden und ihrer Angehörigen verwandelt werden? Gedenkstätten sind Orte einer primären persönlichen Trauer der unmittelbar Betroffenen und einer sekundären historischen Trauer, die vor allem dort greift, wo andere Formen wie Wissenschaft, Ästhetik, Moral oder Politik nicht ausreichen, um dem Bruch mit den „Grundlagen der Humanität“ durch ein historisches Gewaltereignis zu begegnen (Kirsch 2003: 13 ff.). Zudem sind beide Formen eingebettet in eine Kultur der medialen Trauer, die Gefühlskulturen im Umgang mit Gewaltereignissen vor allem durch Bilder prägt (Knoch 2006). Mit der Fähigkeit zu trauern und ihren Grenzen angesichts der Erfahrung von extremer Kollektivgewalt und des Verlusts von Mitmenschen ist das psychologische Konzept des Traumas eng verknüpft. Sein Aufstieg und die Entwicklung von Gedenkstätten sind zeitlich recht parallel seit den 1970er Jahren verlaufen (Goltermann 2017: 197-233). Beide fußen auf einer postheroischen Personalisierung von Opfererfahrungen. Nachdem sich die medizinische Diagnose der individuellen, etwa durch extreme Kriegserfahrungen bedingten „posttraumatischen Belastungsstörung“ seit den 1960er Jahren durchgesetzt hatte, wurde es bald üblich, für soziale Gruppen oder kulturelle Gedächtnisse von Traumatisierungen zu sprechen. Dennoch ist das Konzept des Traumas zunächst individuellen physischen oder psychischen Verletzungen vorbehalten. Traumatische Erfahrungen im Zusammenhang mit Gewalt überfordern das neuronale Steuerungssystem und lassen sich deshalb nicht symbolisieren, also in eine schlüssige autobiographische Narration überführen. Ein Trauma bedeutet, etwas Erlebtem keinen adäquaten Ausdruck verleihen, sondern bestenfalls Deckerinnerungen zulassen zu können. Was als traumatisch Unverarbeitetes in das Gedächtnis eingegangen ist, beeinträchtigt die 46 g runD B egrIffe Erinnerungsleistung als heilenden Mechanismus und bedroht die Stabilität der personalen Identität (Hermann 2003; Kolk 2015). Während das autobiographische Gedächtnis nach Kohärenz strebt, bewirken Traumatisierungen gravierende Störungen („flash-backs“), die mit einer ungesteuerten Rückkehr von Bildern des traumatisierenden Auslösers und manifesten psychischen oder somatischen Erkrankungen einhergehen können. In der Traumaforschung wird inzwischen davon ausgegangen, dass solche individuellen Traumatisierungen bis in die dritte Generation vererbbar sind oder zumindest übertragen werden (Kellermann 2009). Allerdings ist umstritten, wie unmittelbar ein Gewaltereignis ein Trauma zur Folge hat. Es kann nicht von vorherigen Erfahrungen und nachfolgenden Einordnungen abgetrennt werden. Damit spielen Behandlung, Entschädigung und Anerkennung massiver Gewalterfahrungen sowie die Geschichtskultur eine zentrale Rolle dabei, ob aus Verletzungen auch Traumatisierungen werden oder ob sie vermieden werden können. Kritiker bemängeln jedoch, dass man es sich mit der Kategorie des Traumas zu einfach mache: Sie verdecke den Blick auf komplexere Erklärungen des individuellen und sozialen Umgangs mit Gewaltereignissen, indem eine nachträgliche Selbstbeschreibung des Betroffenen übernommen werde. Vor allem seit den 1990er Jahren - etwa im Kontext der Jugoslawienkriege und verschiedener bilateraler Konflikte um staatliche Souveränitätsansprüche wie zwischen Israel und Palästina oder in der Zypern-Frage - ist das Konzept des „kollektiven Traumas“ zu einer Chiffre für die Auswirkungen von Gewaltereignissen auf größere Gruppen geworden. Oft wird darunter sehr allgemein eine gleichzeitige, zerstörende Wirkung massiver Gewalt gegen Teile von oder ganze Gruppen auf deren emotionalen Zustand, ihr Selbstverständnis und ihre kulturellen Repräsentationen verstanden. Diskutiert wird jedoch, ob eine an sich individuelle Kategorie wie das Trauma auf Gruppen übertragbar ist. Befürworter betonen analog zu Einzelpersonen die faktische soziale Einbettung und Resonanz von Gewalterfahrungen, wenn sie größere Teile einer Gruppe in ähnlicher Intensität und zeitlicher Verdichtung betroffen haben. Zunehmend tritt somit die prozessuale und diskursive Dimension individueller und kollektiver Traumatisierungen ins Blickfeld: Erzählungen etwa, die zu bestimmten Zeitpunkten eine kollektivierende Wirkung unabhängig vom tatsächlichen Ausmaß psychischer oder physischer Schädigungen entfalten, oder das Verschweigen und Verdrängen von Gewalterfahrungen. Jeffrey Alexander spricht von einem „cultural trauma“: Es tritt ein, wenn in Gruppen das Gefühl entsteht, gemeinsam einem grauenvollen Ereignis ausgesetzt gewesen zu sein, sie dies artikulieren und dabei eine Störung ihrer Zusammenhänge und Routinen bemerken (Alexander 2004). In ähnlicher Weise hat der Psychoanalytiker Vamik Volkan für Konflikte zwischen Großgruppen vom „chosen trauma“ gesprochen: 47 v ergessen unD e rInnern Kollektive konstituieren sich über ein Reservoir an Narrativen und Symbolen, die massenhafte Gewalterfahrungen als Niederlage, aber auch erfolgreich geführte Kriege speichern, sie zur Grundlage ihres Identitätskonzeptes machen, diese je nach Konfliktsituation aufrufen und durch ihre Wahl verstetigen (Volkan 1999). Kollektive Traumatisierungen beruhen zwar auf realen Gewalterfahrungen, werden aber erst durch deren soziale Deutungen generiert und reproduziert. Vergessen und Erinnern Das kollektive, historisch ausgerichtete Erinnern steht immer im Horizont der Nutzbarmachung historischen Wissens für Deutungen der Vergangenheit durch bestimmte Akteure. Wenn Vergangenes in diesem Sinne erinnert wird, geht es nicht darum, ob das Ergebnis im Sinne intersubjektiver Wahrheitskriterien und größtmöglicher Indexikalität oder Überprüfbarkeit richtig, sondern ob es entsprechend der jeweiligen sozialen und politischen Orientierungsbedürfnisse stimmig und nützlich ist. Zugriffe auf die Vergangenheit sind niemals an ihrer Totalität orientiert, sondern erweisen sich als ebenso selektierendes wie komplexes Zusammenspiel von Vergessen und Erinnern, das unterschiedlich verursacht und motiviert sein kann. Um dieses Feld differenzierter betrachten zu können, hat Aleida Assmann zwischen einem automatischen, verwahrenden, selektiven, defensiven, strafenden, konstruktiven und therapeutischen Vergessen unterschieden (Assmann 2016b). Wie sich Vergessen und Erinnern zueinander verhalten, stellt sich in unterschiedlichen Kommunikationsräumen jeweils anders dar: Familien kommen hier zu anderen Arrangements einer bewusst gemachten, selbst miterlebten Vergangenheit als Berufsgruppen oder offizielle Instanzen eines Staates und deren Repräsentanten. So bestehen in komplexen, national und staatlich verfassten Gesellschaften immer multiple Erzählungen, Repräsentationen und Wissensbestände der Vergangenheit neben- und gegeneinander - und damit je eigene historische Wirklichkeiten und Selektionsmechanismen. Auch Gedenkorte sind als Ausdruck von Erinnerungsprozessen zu analysieren, die immer mit Formen des Vergessens einhergehen. Es gilt für die Moderne geradezu als typisch, zugleich „hypermnesic“ und „post-mnemonic“ zu sein: Sich zu erinnern, erfährt eine hohe Privilegierung, während zugleich Vergangenes systematisch vergessen wird (Connerton 2009: 146 f.). Gerade in Gesellschaften und Staaten, die unter dem Eindruck der von ihren Angehörigen begangenen oder erfahrenen extremen Kollektivgewalt stehen, werden in der Regel zunächst Abwehrmechanismen aktiviert: Verleugnen und Verdrängen, Derealisieren und Relativieren, Vergessen und Beschweigen. Diese „states of denial“, wie sie Stanley Cohen für Südafrika untersucht hat, verweisen 2.6 48 g runD B egrIffe auf das Mitwissen und die Indifferenz von Gesellschaften während der Verbrechen (Cohen 2001). Demgegenüber ist im Verlauf des 20. Jahrhunderts die von innen wie außen geäußerte Erwartung an Staaten und Gesellschaften immer größer geworden, sich der Verbrechen und ihrer Opfer zu erinnern. Denn nicht nur der Charakter und die Folgen von Kriegen insbesondere in Gestalt der beiden Weltkriege, sondern auch das Ausmaß von Kriegsverbrechen, staatlicher Massengewalt und deren kritische Wahrnehmung sowie das Bild der Opfer und ihr völker- und strafrechtlicher Status haben sich deutlich verändert. Zudem hat sich mit dem häufigen Übergang von demokratischen zu autoritären und diktatorischen politischen Ordnungen sowie in umgekehrter Richtung europa- und weltweit wiederholt die Frage gestellt, wie in solchen Transformationssituationen mit vorhergehenden oder auch länger zurückliegenden Verbrechen umzugehen ist. Dafür hat das „Zeitalter der Extreme“ (Eric Hobsbawm) zur Entwicklung neuer Methoden des Umgangs mit belasteten Vergangenheiten geführt. Eine wesentliche Rolle spielen hierbei die seit den 1970er Jahren eingesetzten „Wahrheitskommissionen“, mit denen die Verbrechen autoritärer Regime jenseits herkömmlicher Gerichtsverfahren aufgearbeitet werden sollen - bis hin zur jüngsten Forderung nach einem „Recht auf Wahrheit“ (Brunner / Stahl 2016). Die von vielen Konflikten begleitete Sicherstellung von Dokumenten, Sammlung von Zeugnissen oder Verhandlung von Deutungen der Gewalt und ihrer Ursachen konkurriert mit dem verbreiteten Streben nach einem „sozialen Vergessen“ (Esposito 2002) negativ besetzter Vergangenheiten: So wurde in Spanien die Ära nach dem Tod des Diktators Franco ausdrücklich mit einem jahrzehntelangen „Schweigepakt“ überbrückt, um die gesellschaftliche Stabilität nicht zu gefährden. In der Bundesrepublik sind in den vergangenen Jahrzehnten - den vielfältigen Blockaden eines kritischen Umgangs mit gewalthaften Vergangenheiten zum Trotz - Postulate wie „sich dauerhaft zu erinnern“, eines „Erinnerns für die Zukunft“ oder des „Lernens aus der Erinnerung“ zur offiziellen Norm geworden. Maßgeblich trug zu diesem Paradigmenwechsel die Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985 bei, dessen semantische Umkodierung des kulturellen Gedächtnisses zwar rhetorisch nicht gänzlich neu war, aber einen gewissen Nerv traf, sich von früheren Deutungsmustern zu verabschieden: Statt von einer „Niederlage“ sprach er von einer „Befreiung“. Bezogen auf die NS-Verbrechen erhob er eine damals sehr weitgehende Forderung: „Erinnern heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, dass es zu einem Teil des eigenen Innern wird“ (Weizsäcker 1985). Nicht mehr die vergangenheitspolitische Frage nach Schuld im rechtlichen oder politischen Sinne sollte im Zentrum stehen, sondern die Bereitschaft jedes Einzelnen, sich diesen Teil der deutschen Geschichte zu eigen zu machen. 49 v ergessen unD e rInnern Damit kam von Weizsäcker dem Verständnis des Philosophen Maurice Merleau-Ponty (1908-1961) von Erinnerung recht nahe: „Sich erinnern heißt“, so der französische Phänomenologe, „sich in den Horizont der Vergangenheit (zu) versenken und Schritt für Schritt die in ihm sich verknüpfenden Perspektiven (zu) entfalten, bis die Erfahrungen, die sie enthält, neuerlich an ihrem zeitlichen Ort erlebt sind“ (Merleau-Ponty 1966: 42). Von Weizsäcker verstand Erinnerung normativ: als einen Akt der Bereitschaft zur Versöhnung, als lebendigen Prozess und Zugang, um aus der Geschichte zu lernen, und als emphatisches, wertegebundenes Leitkonzept der deutschen Nation. Sein Verständnis von Erinnerung hatte eine paradoxe Implikation: Ihre zukünftige Notwendigkeit begründete er mit dem Ziel, die Deutschen von jenen Belastungen zu befreien, die der Holocaust bis dahin für sie bedeutet habe. Erinnerung wurde hier gleichsam zum zweiten Akt einer noch nicht abgeschlossenen „Befreiung“ und damit zu einer emotionalen Selbsttherapie der deutschen Gesellschaft erklärt. Ein anderes, eher kognitives Verständnis von historischer Erinnerung hat der Gründervater der modernen Geschichtswissenschaft, Johann Gustav Droysen (1808-1884), vertreten. Erinnerung entstehe, so Droysen, wenn ein Geschehen „aus seiner Äußerlichkeit in den wissenden Geist und in dessen Kombinationen verlegt“ werde (Droysen 1977: 8). Beim Erinnern in diesem Sinne geht es darum, einen Eindruck aus dem Bereich der sinnlichen Wahrnehmung in den Verstand zu transferieren. Ein solches kognitives, reflektierendes und das „eigene Innere“ überschreitende Verständnis von Erinnerung findet sich in Begriffen wie „Auseinandersetzung“, „Aufklärung“ und „Aufarbeitung“ wieder, die in der Bundesrepublik in den 1960er Jahren aufkamen und sich gegen das „Verdrängen“ und „Beschweigen“ der NS-Verbrechen richteten. Die Akteure dieser Bewegung wandten sich kritisch gegen zeithistorische Kontinuitäten in Staat und Gesellschaft sowie einen gerade in dieser Phase befürchteten Rückfall in einen autoritären Staat. Ihre Forderung, sich der Pflicht zur Erinnerung nicht weiter zu entziehen, war mit dem Appell verbunden, aus dem historischen Geschehen etwas Bestimmtes für die Gegenwart zu lernen und diese zumindest im Sinne einer grundlegenden Demokratisierung und Liberalisierung zu verändern. In den folgenden Jahrzehnten hat das Postulat, sich dauerhaft an die NS-Verbrechen erinnern zu müssen, gegen viele Widerstände immer größeren Zuspruch gefunden und ist zum Bestandteil der Staatsräson der Bundesrepublik geworden. „Die Verantwortung aus der Schoah“, so formulierte es der damalige Bundespräsident Horst Köhler 2009, „ist Teil der deutschen Identität.“ Zugleich zeigt sich an dieser staatlichen Erinnerungsnorm ein Wesensmerkmal des öffentlichen, kollektiven Erinnerns überhaupt. Es wird in aller Regel - gerade von Staatsvertretern - mit dem Zweck versehen, aus den Verbrechen der Vergangenheit eine noch bessere Zukunft zu entwickeln: „Diese Vergangenheit in eine Beziehung zur eigenen Gegenwart und Zukunft setzen und Lehren aus ihr ziehen - das ist der 50 g runD B egrIffe Sinn unseres Erinnerns“ (Köhler 2009: 2 f.). Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit geschieht nicht um ihrer selbst willen oder allein (vielleicht auch: primär) wegen der Opfer, sondern immer zweckhaft, vor allem - mit den Worten des ehemaligen Buchenwald-Häftlings Jorge Semprún - um die „demokratische Zukunft Deutschlands zu bereichern“ und zur „Zukunft eines demokratisch wachsenden Europas“ beizutragen (Semprún 1994: 51). Gegenüber diesem in den letzten Jahrzehnten gewachsenen Erinnerungsimperativ war es in historischer Perspektive lange üblich, das Vergessen von Gewaltereignissen wie kriegerischen Auseinandersetzungen offiziell zu proklamieren, um wieder gegenseitige Beziehungen aufnehmen zu können. Der Althistoriker Christian Meier betrachtet die Holocaust-Erinnerung deshalb als „Ausnahme von d(ies)er Regel der Weltgeschichte“. Dennoch müsse die Frage, ob zu erinnern oder vergessen sei, eine fallweise „Güterabwägung“ bleiben (Meier 2010: 13, 97). Auch David Rieff plädiert zugespitzt dafür, Erinnerung an Gewaltvergangenheiten nur als Option, nicht aber als Verpflichtung zu begreifen, weil viele Beispiele zeigten, dass sie keine Gewähr dafür böte, zukünftige Gewalt zu verhindern (Rieff 2016). In der kulturhistorischen Gedächtnisforschung stützen sich ähnliche Positionen unter anderem darauf, dass Individuen vergessen müssten, um funktionsfähig zu bleiben (Dimbath / Wehling 2011). Ein solch pragmatisches Argument lässt aber zum Beispiel die Frage einer Bestrafung von Schuldigen und die Anerkennung von Opfern unberücksichtigt. Einen ähnlichen Pragmatismus hatte bereits 1983 der Philosoph Hermann Lübbe für die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft in Anspruch genommen. Sie habe gut und richtig daran getan, ihr Wissen um die Verbrechen nach 1945 nicht kundzutun und sich im Raum einer „diskreten Stille“ zu reformieren. Dies sei eine unverzichtbare Voraussetzung für die erfolgreiche Demokratisierung (Lübbe 1983) gewesen. Ein solcher Anspruch, vergessen zu dürfen, wenn man es für opportun oder pragmatisch geboten hält, liegt auch neueren rechtspopulistischen und revisionistischen Forderungen zugrunde, die eine radikal andere, nationalistisch-partikulare Neuausrichtung der deutschen Geschichtskultur fordern. Aber auch andere Autoren, die diesem politischen Lager gänzlich fernstehen, haben in den letzten Jahren ein Übermaß an vorgeschriebenem Holocaust-Gedenken als Grundlage einer kollektiven, nationalen Identitätsbildung, eine emotionale Identifikation mit den Opfern als „gefühlte Vergangenheit“ oder die Gefahren eines routinehaften und ritualisierten Erinnerns kritisiert (Knigge 2010; Jureit / Schneider 2011; Welzer 2011). Sie spiegeln zwar auch ein in der Gesellschaft verbreitetes „Unbehagen an der Erinnerung“ wider (Assmann 2016a), sollten aber vor allem zur Reflexion über Blindstellen der Erinnerungskultur animieren, die einem umfassenden Verständnis der gewalthaften Vergangenheiten und ihrer Folgen immer noch im Wege stehen. 51 g eDenken unD g eschIchtsB eWusstseIn Gedenken und Geschichtsbewusstsein Lange Zeit dienten Gedenkstätten in Europa dem, wonach sie benannt sind: Sie waren Orte des Totengedenkens. Im Unterschied zur Trauer, die einen persönlichen, auf den sozialen Nahraum bezogenen Vorgang darstellt, ist das Gedenken (im Englischen als „remembrance“ oder „commemoration“ bezeichnet) ein öffentliches, soziales und außeralltägliches Geschehen. Durch gemeinsame, rituell regulierte Handlungen wird eine geteilte und verbindende emotional-affirmative Haltung zu einem vergangenen und für die Gruppe bedeutsamen Bezugsobjekt produziert, zum Ausdruck gebracht und bestärkt. Um zu gedenken, schaffen sich Gruppen eigene institutionalisierte Praktiken wie Wallfahrten, das Abendmahl oder Kranzniederlegungen und dementsprechende Ordnungen aus (heiligen) Orten, Liturgien und Symbolen. Hinzu kommt eine feste und zirkuläre temporale Struktur: So dienen Gedenktage oder Schweigeminuten einer wiederkehrenden Vergegenwärtigung der Bezugsobjekte. Sie folgen geregelten Abläufen, die durch zeichenhafte Tätigkeiten und formelhafte Sprechhandlungen geprägt sind. Gedenken reduziert Komplexität, verdichtet Sinn und mobilisiert Gefühle, indem die Bezugsobjekte aus ihren historisch konkreten Kontexten in mythologische, moralische oder geschichtspolitische Deutungen übersetzt und mit normativen Botschaften verbunden werden. Bereits in der Antike und im Mittelalter waren Gruppen darum bemüht, durch performative, materielle und symbolische Formen eines rituellen Totengedenkens soziale Kontinuität herzustellen. Die im westlichen Kontext bekannteste Form stellt neben dem politisch ehrenden und dem Ahnengedächtnis, wie es unter anderem in Inschriften und Grabmalen überliefert ist, das im Mittelalter ausgebildete und bis in die Gegenwart wirkende christliche Memorialwesen dar. Einzelne Gläubige blieben durch unterschiedliche Praktiken wie Gebete und Messen, Stiftungen und Almosen in hervorgehobener Weise auch über ihren Tod hinaus sichtbar. Mit dem Übergang in die Neuzeit wurde begonnen, diese ursprünglich religiöse Praxis für die sich nun herausbildenden weltlichen Zwecke zu nutzen. Im deutschen Sprachgebrauch erlebte das Wort „Gedenken“ seine erste Blüte im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Es umfasste besondere Akte einer gemeinschaftsstiftenden Identitätspflege: Personen, Ereignissen oder Leistungen wurde ehrenhaft mit Blick auf die Gegenwart und Zukunft einer Gruppe, insbesondere der Nation, gedacht, um eine historische Tradition zu stiften und so den Zusammenhalt zu festigen. Kriegstoter zu gedenken, war eng mit einer Heroisierung des Sterbens, dem Feiern von Siegen und einer Demütigung der Besiegten verbunden. Zumindest hinsichtlich der Formen des Gedenkens knüpften daran nach 1945 die meisten westlichen Staaten an. Die öffentliche Bewusstmachung von Kriegs- 2.7 52 g runD B egrIffe toten und Verbrechensopfern geschah durch „performative Akte (…) als Adaptionen religiös tradierter Deutungsmuster und Praktiken“ (Eschebach 2005: 11). Allerdings wurden die nationalen Narrative komplexer. Sie mussten nun Motive des heroischen Sieges oder Widerstands, eines nationalen Opfergangs, des anonymen, sinnlosen Sterbens, der zivilisatorischen Katastrophe und einer reinigenden oder läuternden Überwindung miteinander verknüpfen. Daraus entwickelte sich schließlich eine neue, postheroische Grundhaltung als „negatives Gedenken“ an den Holocaust. Sie rückt die Opfer der selbst begangenen kollektiven Gewalt ins Zentrum und hebt auf die universale Dimension der Zerstörung von Zivilität ab. Um diesem Gedenken symbolisch Ausdruck zu verleihen, erwies sich die heroisierende Ästhetik des nationalen Kriegstotenkults als zunehmend inadäquat, obwohl es bis in die 1980er Jahre auch in den Gedenkstätten zu keinem radikalen Bruch mit dessen Gestaltungselementen kam (Young 1993). Ganz neu ist das postheroische Gedenken nicht: Bereits seit dem 18. Jahrhundert haben Formen der Anteilnahme die Grenzen der eigenen Gesellschaften und Staaten überschritten, wenn der Opfer räumlich entfernter, medial vermittelter Katastrophen gedacht wurde. Vor allem mit dem Aufkommen der von Risiken und Katastrophen geprägten Industriegesellschaft wurde besonders nach extremen Gewaltereignissen versucht, Verunsicherungen und Brüche durch sinnstiftende Deutungsangebote zu überwinden. Ein solches Gedenken kann seine besondere Kraft gerade an jenen Orten entfalten, wo die Zerstörung menschlichen Lebens als Bruch mit dem Vertrauten und dessen Voraussetzungen zu spüren ist. Dabei verbinden sich ein mythologisch-zyklisches und ein fortschrittlich-lineares Zeitkonzept: Eine regelmäßige Wiederholung des Gedenkens wird als dauernde Bereitschaft zur Mahnung eingefordert, während die Akte selbst zugleich als Weg zur Befreiung von den Folgen des Geschehens betrachtet werden. Einem solchen Gedenken, das auf Erlösung abzielt, wird seit einigen Jahrzehnten mit Skepsis begegnet, nicht zuletzt in den Gedenkstätten selbst. Zwar ist hier zwischen persönlicher Pietät und öffentlichem Gedenken zu unterscheiden, aber viele betrachten Ansprachen, Kranzniederlegungen, liturgische Akte und kollektives Schweigen als ein religiös überformtes, politisch instrumentalisiertes Ritual, das eine tatsächliche Aufklärung der Gewaltereignisse verhindert und oftmals formal erstarrt sowie inhaltlich entleert ist. Tatsächlich sind auch aufgrund dieser wiederkehrenden Kritik heutige Gedenkstätten weit mehr als Orte eines Gedenkens im engeren, gar traditionellen Sinne. Je weiter die Gewaltereignisse zurückliegen, desto stärker treten ihre anderen Aufgaben in den Vordergrund. Volkhard Knigge, der langjährige Direktor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, fordert deshalb seit vielen Jahren, die Leitbegriffe „Gedenken“ oder „Erinnerung“ durch Geschichtsbewusstsein zu ersetzen. Statt nur „emotionalen, rituellen Akten“ zu dienen, sollten Gedenkstätten eine „kritische, 53 g eDenken unD g eschIchtsB eWusstseIn handlungsorientierte Auseinandersetzung mit den negativen Horizonten eigener Geschichte“ ermöglichen. Nur ein „Durcharbeiten historischer Erinnerungen“ auf der Basis einer intensiven Beschäftigung mit Quellen und Überresten befördere die Bildung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins (Knigge 2010: 14, 2013, 2016). Gedenkstätten einem solchen Ziel unterzuordnen, steht ganz im Einklang mit den Grundprinzipien der neueren Geschichtsdidaktik, wie sie sich seit den 1970er Jahren entwickelt haben, und einer demokratieorientierten historisch-politischen Bildungsarbeit: Im Gegensatz zu normativen, statischen und essentialistischen Geschichtsbildern erwächst ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein aus dem „ständigen Um- und Aufbau historischer Vorstellungen“ und der „stets sich erneuernden und verändernden Rekonstruktion des Wissens von der Vergangenheit“ (Jeismann 1977: 12; 1988). Es basiert auf der antimanipulativen Fähigkeit eines jeden Einzelnen, Repräsentationen und Deutungen von Vergangenheit, die sich in Form der Geschichtskultur manifestieren, als zeitbedingte Konstruktionen im Horizont der eigenen Gegenwart analysieren zu können und sich dadurch selbst als mitverantwortlichen Akteur einer gestaltbaren Zukunft zu begreifen. Mit einem Gedenken an die Opfer im engeren Sinne hat die Ausrichtung der Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen auf das Geschichtsbewusstsein jedoch immer weniger zu tun. An die Stelle eines traditionellen Gedenkbegriffs und des ubiquitären Erinnerns ist - paradigmatisch für den Holocaust - das Konzept der autobiographischen und materiellen Zeugenschaft getreten. Der religiösen Bedeutung („Märtyrer“) und seines politischen Fokus („Widerstand“) weitgehend entkleidet, sind die Überlebenden zu Zeugen für eine humanitäre Moral geworden, die erst zusammen mit einer Sensibilisierung von Gesellschaft, Öffentlichkeit und Politik für das „Leiden anderer“ (Susan Sontag) ihre responsive Wirkung entfaltet hat. Weiterführende Literatur Assmann, Aleida (1999): Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kollektiven Gedächtnisses, München. Erll, Astrid (2017): Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung. 3., aktual. u. erw. Aufl. Stuttgart. Feindt, Gregor u. a. (2014a): Entangled Memory. Toward a Third Wave in Memory Studies, in: History and Theory 53 (2014), S. 24-44. Goltermann, Svenja (2017): Opfer. Die Wahrnehmung von Krieg und Gewalt in der Moderne, Frankfurt a. M. Wieviorka, Annette (2006): The Era of the Witness, Ithaca / London. Entwicklungen Die ersten Gedenkstätten zur Erinnerung an Opfer extremer Kollektivgewalt im heutigen Sinne entstanden mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in zuvor vom Deutschen Reich besetzten europäischen Staaten. Zwar errichteten schon vor den NS-Verbrechen gelegentlich Angehörige von Opfern kollektiver Gewaltverbrechen eigene Denkmale an historischen Tatorten - so etwa im Jahr 1903, als Angehörige der Sioux-Indianer am Ort des Wounded Knee Hill Massakers von 1890 auf 43 Ermordete namentlich hinwiesen, die in einem Massengrab bestattet worden waren. Doch bis weit ins 20. Jahrhundert dienten der Begriff „Gedenkstätte“ und Formen des Gedenkens vor allem in Europa einer anderen Traditionslinie des Umgangs mit Gewalt: Sie heroisierte die eigenen Kriegstoten. Vor wie nach dem Ersten Weltkrieg galten neben Denkmälern für Generäle und Offiziere an historischen Schlachtfeldern auch zahlreiche Ehrenmale für gefallene Soldaten als Gedenkstätte. Die Entwicklung der heutigen Gedenkstätten ist deshalb in einen längeren Prozess des gesellschaftlichen Umgangs mit Ehrungen von Toten einerseits, mit massenhafter Gewalt als einem „negativen Gedächtnis“ andererseits einzuordnen. Totenkult und öffentliches Gedenken vor 1945 Zahlreiche Beispiele - von Ehrentafeln in Kirchenschiffen über Kriegergedächtniskapellen bis hin zu Nationaldenkmälern - zeugen noch heute davon, dass das Gedenken an massenhaften gewaltsamen Tod sowohl in längeren religiösen Traditionen steht, als auch seit dem 19. Jahrhundert nationalistisch vereinnahmt wurde. Aber das Erinnern an historischen Orten von Gewaltereignissen und deren sakrale Aufladung reicht noch weiter zurück: So berichteten bereits mittelalterliche Gelehrte über Reisen zu vormaligen Schlachtfeldern, an denen ephemere Zeichen, „Beinhäuser“ oder „Schlachtkapellen“ mit menschlichen Gebeinen an die Kriegstoten erinnerten - eine Tradition, die sich bis ins 20. Jahrhundert hinein findet. Der im westlichen Kulturkreis am weitesten verbreitete Gedenkort sind selbstverständlich Kirchen, in denen unter anderem an den wichtigsten Feiertagen des Christentums des gewaltsamen Todes Jesu gedacht und seine Auferstehung gefeiert wird, aber auch Märtyrer und Heilige mit Hilfe ihrer Reliquien verehrt werden. Im Zuge der Gegenreformation entstand in Norditalien, der Bretagne, nördlich der Alpen und im mitteleuropäischen Raum seit dem 3 3.1 56 e ntWIcklungen 16. Jahrhundert mit den Kalvarienbergen eine besondere Form von Andachtsorten, die in landschaftlich exponierter Lage als Wallfahrtsstätten unter anderem mit lebensgroßen Skulpturengruppen das Leiden Christi vergegenwärtigten. Wurde vielen dieser Orte eine immersive Kraft zugeschrieben, die eine Begegnung mit den Toten ermöglichen sollte, führte der „republikanische Totenkult“ des 19. Jahrhunderts zu einer deutlichen Aufwertung von Orten und Gräbern, die im Zusammenhang mit Kriegsereignissen standen (Koselleck 1979; Koselleck / Jeismann 1994). Neben wenigen Gedenkorten, die bereits während der Befreiungskriege zivilen Besatzungsopfern gewidmet waren, dominierte ein nationalisiertes Gedächtnis an die eigenen toten Soldaten. Um ihrer zu gedenken, etablierte sich im europäischen Raum ein ewiges Ruherecht, das mit dem dauerhaften Erhalt der Gräber einherging. Methoden zur Identifizierung von Leichen und Überresten wurden verbessert, immer mehr Informationen über die Soldaten, ihren Zustand und ihren Verbleib zusammengetragen (Goltermann 2017). Jedoch blieben bis ins 20. Jahrhundert hinein historische Stätten von Krieg und Verbrechen in der Regel von den zugehörigen Gräbern und Friedhöfen, vor allem aber von Denkmälern, Sammlungen und Museen räumlich getrennt. Abseits der Schlachtfelder errichtete Ruhmeshallen, Gedenkkirchen und Gefallenenfriedhöfe waren neben repräsentativen Denkmälern für siegreiche Heerführer in den Städten die vorherrschende Form der öffentlichen Kriegserinnerung. Sie blendeten das Leiden und Sterben der vielen Einzelnen weitgehend aus, heroisierten und ästhetisierten aber ihr Gesamtschicksal. Der gewaltsame Tod einfacher Soldaten wurde sinnstiftend und affirmativ zum überzeitlich wertvollen Opfer für die eigene Nation umgedeutet. B eispiel : D as l eipZiGer V ölKerschlachtDenKmal Am Rande des Areals der Leipziger „Völkerschlacht“ von 1813 entstand bald nach deren Ende auf dem „Monarchenhügel“ zunächst nur ein wenig beachtetes, klassisches Denkmal, das an die Feldherrn und ihren privilegierten Standort erinnerte. Inoffiziell markierte ein Leipziger Bürger dann das gesamte Gelände mit Begrenzungssteinen. Dort gesammelte Gebeine und Schädel präsentierte ein nahegelegenes Ausflugslokal seinen Gästen im späten 19. Jahrhundert sonntags zum Kaffee. Ideen für ein Denkmal, sogar einen ersten Grundstein gab es schon früh, doch erst zum 100. Jahrestag der Schlacht, im nationalistisch aufgeheizten Klima des späten Kaiserreichs, wurde ein monumentales Denkmal im Stil der Zeit eingeweiht: Historisierender Granitporphyr verkleidete den modernen Betonbau. Im Zeichen von Gefallenenkult, Militarismus und Tourismus florierte im Kaiserreich und ganz besonders im damaligen Bürgertum ein Bedürfnis nach Authentizität und einer Nähe zum historischen Ort. Das Denkmal erhebt sich über einem der zentralen Plätze der Schlacht und ermöglicht von seinem 91 Meter hohen Turm aus einen umfassenden Rundblick. Die zentrale Ruhmeshalle ist mit Statuen und Reliefs ausgestaltet, die den Krieg in einer historisierenden Formsprache als tugendhaft 57 t otenkult unD öffentlIches g eDenken vor 1945 idealisieren. Eine von übergroßen Totenwächtern umgebene Krypta erinnert in einer pseudoreligiösen Sakralsprache an mehrere zehntausend Gefallene. Ein großes Wasserbassin vor dem Denkmal soll die Tränen der Trauer um die gefallenen Soldaten symbolisieren. Die massenhafte Gewalt an diesem Ort wurde so unter Verweis auf einen höheren Zweck transzendiert. Religiöse Gedenkorte wie die St. Alexi Gedächtniskirche zur Russischen Ehre oder die im Zuge der Schlacht zerstörte und wiederaufgebaute Gedächtniskirche im Ortsteil Schönefeld komplettieren das Ensemble der Gedenkorte. Das Denkmal selbst wurde während der Weimarer Republik, der NS-Zeit und der DDR immer wieder für politische Veranstaltungen instrumentalisiert. Heute ist es ein beliebtes Ziel für Neonazis und Touristen, während die Bewohner der Stadt es liebevoll „Völki“ nennen und dort Badewannenrennen veranstalten. Literatur: Hoffmann 1994; Keller / Schmid 1995. Abb. 3: Das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig (Postkarte, 1947) Vor allem mit dem „Schlachtfeldtourismus“, der im späten 19. Jahrhundert einsetzte (Samida 2018), wuchs das Interesse an historischen Kriegsstätten und ihrer nationalen Sakralisierung durch teils monumentale Denkmäler. Schlachtfelder und Grenzorte wie die Düppeler Schanzen in Süddänemark (1864), das Schlachtfeld von Woerth (1870), die Frontschauplätze des Ersten Weltkriegs oder der Annaberg in Oberschlesien (1921) wurden in politische Gedenkorte und touristische Reiseziele verwandelt (Brandt 2003; Arand / Bunnenberg 2012). Die politi- 58 e ntWIcklungen sche Memorialisierung und Heroisierung von Kriegstoten erlebte mit und nach dem Ersten Weltkrieg ihren Höhepunkt: Soldatenfriedhöfe wurden zu einer internationalen Gestaltungsaufgabe, auf denen nun auch, wenn möglich, Einzelgräber angelegt und die Namen der Toten genannt wurden (Winter 1995). So war in Frankreich die Anlage von Kriegsgräberstätten seit 1915 eine Angelegenheit von höchstem Staatsinteresse. In würdigen Grabanlagen sollten die Gefallenen nach Möglichkeit einzeln geehrt werden. Bei einem Drittel der etwa 750.000 Toten war dies nicht möglich, weshalb man „Beinhäuser“ errichtete. Der großen Zahl anonymer, nicht-bestattungsfähiger Kriegstoter wurde symbolisch in mehreren europäischen Staaten mit Denkmälern für den „unbekannten Soldaten“ erinnert. Vielerorts verliehen „Kriegerkapellen“ oder „Kriegergedächtniskirchen“ den Schlachtfeldern eine religiöse Aura. Neben zahlreichen kriegsverherrlichenden Denkmälern entstanden aber auch erste Ausführungen, die mit weiblichen Symbolfiguren eine zivile Dimension von Opfer und Trauer betonten. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg waren somit wesentliche Merkmale eines nationalen Totengedächtnisses entwickelt: sakrale Orte eines dauerhaften Gedenkens, das ewige Ruherecht von Gefallenen, ihre Individualisierung durch die Nennung der Namen und patriotische, mit Zukunftsbotschaften verbundene Sinnstiftungen des gewaltsamen Todes. Parallel dazu hatte sich der gesellschaftliche Umgang mit Toten und Gräbern verändert: Das Bürgertum des 19. Jahrhunderts nutzte Beerdigungen zur öffentlichen, individualisierten Würdigung der persönlichen Leistungen von Verstorbenen. Trauer wurde zu einer öffentlich gezeigten und erwarteten Emotion, Bestattungen zu einem kulturell kodifizierten Ereignis, Gräber zum Prestigeobjekt. Davon zeugen die um 1900 entstehenden privaten Mausoleen adeliger und bürgerlicher Familien, in die auch ältere Gebeine und Särge überführt wurden, sowie öffentliche „Ehrengräber“ für bedeutende Personen. Dem entsprach ein politischer Totenkult, der in der antiken Tradition kollektiver Ruhmeshallen wie dem Pantheon stand und zu den ersten Einzelmausoleen für bedeutende Staatsmänner führte - so 1897 mit dem General Grant National Memorial im New Yorker Riverside Park oder dem zwischen 1924 und 1930 entstandenen Lenin-Mausoleum in Moskau. In dieser Zeit florierte auch die Benennung von Geburts- oder Wohnorten berühmter Künstler, Schriftsteller oder Politiker als „Gedenkstätte“. Zum Beispiel errichtete die Berliner Bauverwaltung zwischen 1928 und 1932 auf dem Starthügel des Flugpioniers Otto Lilienthal südlich von Lichterfelde ein noch heute bestehendes Denkmal mit einer Weltkugel im Zentrum als Gedenkstätte. Solche Formen personenbezogener Ehrungen verwandelten die Nationalsozialisten in eine martialische Mythologie des heroischen politischen Opfers. Gerade in den ersten Jahren der NS-Herrschaft wurde vor allem in München, aber auch bei den Reichsparteitagen und im Rahmen vieler anderer Propagandaveranstaltungen ein sakraler Märtyrerkult gepflegt, um die Toten der „Bewegung“ vor 1933 59 t otenkult unD öffentlIches g eDenken vor 1945 zu ehren. Ein von 1934 bis 1937 im niedersächsischen Bookholzberg errichtetes Freiluft-Propagandatheater trug die Bezeichnung „Niederdeutsche Gedenkstätte Stedingsehre“. In einer nachgebauten Kulisse wurde hier bis Kriegsbeginn ein Aufstand der Stedinger Bauern aus dem 13. Jahrhundert nachgespielt. Solche ideologischen Geschichtsepen büßten nach dem Krieg ebenso an Überzeugungskraft ein wie kurz darauf der Versuch, die politische Religion des Heldengedenkens auf die öffentliche Erinnerung an die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten zu übertragen. Die Kriegserinnerung der frühen Bundesrepublik griff auf Gedächtnisformen der Zwischenkriegszeit zurück, darunter die noch auf die Weimarer Republik zurückgehenden und von den Nationalsozialisten beförderten „Totenburgen“ - tempelartige Grabmonumente, die sich massiv über der Landschaft erhoben und das Schicksal toter Soldaten als „Kampf“ und „Opfer“ für die „Gemeinschaft“ heroisierten. Ohnehin wurden nach 1945 viele Weltkriegsdenkmäler weitergenutzt, die zum großen Teil erst im Nationalsozialismus entstanden und entsprechend weltanschaulich überformt waren. Friedensappelle und Internationalismus änderten wenig an der in ganz Europa im Kern streng nationalen und ehrenden Ausrichtung dieser Erinnerung. An vielen Orten entstanden in Kirchen kleinere Gedenkbereiche oder es wurden diejenigen für den Ersten Weltkrieg ausgebaut, um mit teils künstlerisch gestalteten Namenstafeln eigene Räume des Gedenkens zu schaffen. Verzeichnet wurden hier meist die Namen gefallener oder in Kriegsgefangenschaft umgekommener Soldaten. Allerdings berücksichtigten manche lokale Denkmäler, gerade im großstädtischen Kontext, nun in stärkerem Maße das Leiden der Zivilbevölkerung im Krieg. Politisch wurde mit der „Kriegsgräberstätte“ in der Bundesrepublik in den 1950er Jahren eine Sammelkategorie aller Gräber geschaffen, für die das ewige Ruherecht galt. Zu diesen Kriegsopfern wurden offiziell auch die Ermordeten der nationalsozialistischen Verbrechen gerechnet, allerdings standen sie in der offiziellen Gedenkrangfolge weit hinter den deutschen Soldaten und Zivilisten, Kriegswitwen, Flüchtlingen und Vertriebenen. Sie etwa beim jährlichen „Volkstrauertag“ besonders hervorzuheben, bedeutete bis weit in die 1980er Jahre vielerorts einen Tabubruch, auch wenn aus diesem Anlass gerade in einigen größeren Städten bereits in den 1950er Jahren gesonderte Kranzniederlegungen an Gräbern von NS-Opfern stattfanden. Allen entsprechenden Friedhöfen war jedoch gemeinsam, dass Besucher dort weder ausführliche historische Informationen, Ausstellungen und Museumsgebäude noch Historiker und Bildungspersonal antrafen. Vielfach verschwanden Gräber von NS-Opfern in ungepflegten oder peripheren Arealen dieser Sammelanlagen. Das Gedenken in diesen Jahren war darauf ausgerichtet, eine nationale Gemeinschaft der Kriegsopfer zu stiften, die sich im „Volkstrauertag“ symbolisch zusammenfand: Das „Volk“ gedachte vor allem derjenigen, die auch vor 1945 als eigene Opfer betrachtet worden waren, 60 e ntWIcklungen nicht aber der Verfolgten und Ermordeten des Nationalsozialismus, die lange Zeit ausgegrenzt blieben. NS-Gedenkstätten als sakrale Gedächtnisorte der Nation Die erste Phase des Übergangs vom heroisierenden zu einem „viktimistischen Denkmaltypus“ (Martin Sabrow) nach 1945 reichte für die Orte der NS-Verbrechen bis in die 1980er Jahre. Nur sehr wenige der historischen Tatorte wurden in dieser Zeit als Gedenkorte oder gar als Gedenkstätten gestaltet. Bis auf die großen Konzentrations- und Vernichtungslager waren die allermeisten Tatorte deutscher Verbrechen als solche nicht mehr sichtbar - darunter eine Vielzahl von KZ-Außenlagern und Lagern für andere Häftlings- und Gefangenengruppen, Erschießungsstätten oder Ghettos. Zahlreiche Gefängnisse, Heilanstalten oder Arbeitshäuser, die schon vor 1933 bestanden hatten, wurden in gleicher oder ähnlicher Funktion weitergenutzt, ohne auf die Verbrechen hinzuweisen. Viele Gräber blieben ohne Kennzeichnung oder verfielen. Die Nationalsozialisten selbst hatten noch in der letzten Kriegsphase versucht, viele Beweise ihrer Verbrechen zu verwischen. Massengräber wurden bepflanzt oder ausgehoben, um die Leichen zu verbrennen, zahllose Dokumente beseitigt. Während Zehntausende Häftlinge unter mörderischen Bedingungen in Transporten und auf Todesmärschen in das immer kleiner werdende Reichsgebiet verbracht wurden, reichte die Zeit nicht mehr, um die kurz zuvor noch genutzten Konzentrations- und Vernichtungslager gänzlich zu zerstören. Mit der voranschreitenden Besetzung des Reichsgebiets wurden ab April 1945 zunächst recht unterschiedslos größere und kleinere Mordstätten zur Weltnachricht (Knoch 2001). Schnell rückten jedoch einige der zentralen Konzentrationslager wie Bergen-Belsen, Buchenwald und Dachau ins Zentrum der westlichen Aufmerksamkeit. Zu diesem Zeitpunkt waren in Osteuropa längst die Lager Majdanek oder Auschwitz ein Begriff, weniger aber im Westen: Die spätestens zwischen Spätsommer 1944 und Anfang 1945 verfügbaren Informationen über diese Lager aus erster Hand hielten viele für übertrieben und betrachteten sie als kommunistische Propaganda. In einigen europäischen Ländern wie Polen, Belgien oder der Tschechoslowakei entstanden bereits kurz nach der Befreiung auf staatliche Initiative hin einzelne Gedenkstätten, die stellvertretend an das nationale Martyrium während der Kriegszeit erinnern sollten. Zu diesem Zweck stellte die polnische Regierung die Gelände der ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz, Majdanek und Stutthof und deren Überreste kurz nach dem Krieg unter Denkmalschutz. Ehemalige deutsche Vernichtungslager wie Belzec, Sobibor und Treblinka, die nun auf polnischem Staatsgebiet lagen, fanden hingegen in der polnischen wie internationalen Erinnerungskultur und erst recht in der Bundesrepublik lange Zeit nur wenig Aufmerksamkeit. 3.2 61 ns -g eDenkstätten als sakrale g eDächtnIsorte Der n atIon B eispiel : D ie KZ-G eDenKstätte m ajDaneK Die erste Gedenkstätte zur Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg entstand am Ort des ehemaligen „KL Lublin“, das schon zu Kriegszeiten unter der Bezeichnung „Majdanek“ bekannt war. Wenige Wochen nach der Auflösung des Lagers im Juli 1944 erschienen Bildberichte in der internationalen Presse. Bereits im November 1944 wurde in Majdanek eine staatliche Gedenkstätte auf einem Teil des ehemaligen Lagergeländes errichtet. Mehrere Lagergebäude waren bereits vor der Übernahme durch sowjetische Truppen zerstört worden. Abbau, Verfall und Zerstörung hielten bis 1946 an. Schließlich konnten für die Gedenkstätte die Baracken eines Häftlingsbereichs gesichert und restauriert werden. Erhalten gebliebene größere Objekte und von den Nationalsozialisten requirierte Alltagsgegenstände der Opfer dienten als Exponate, das Krematorium wurde teilweise rekonstruiert. Einige der Baracken wurden zu Ausstellungsräumen und als Sitz der Museumsverwaltung umfunktioniert. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen übernahm das Museum gut ein Drittel der originalen Fläche in seine alleinige Verantwortung. Dennoch wuchs erst in den 1960er Jahren auch in Polen das Bewusstsein für die Erhaltungswürdigkeit der historischen Überreste in Majdanek. 1962 wurde eine erste Ausstellung eröffnet, in der die Lagergeschichte ganz im Sinne der kommunistischen Staatsideologie dargestellt und Majdanek als Ort einer nationalen Leidensgeschichte mythologisiert wurde. Im Rahmen eines Gesamtplans entstand 1969 auf der mittleren Achse des ehemaligen Lagergeländes eine monumentale, bis heute bestehende Gedenkanlage. Vom expressiv gestalteten „Ehrenmal des Kampfes und des Martyriums“ führt ein langer Weg zu einem kuppelüberdachten, 15 Meter hohen Bau in der Nähe des ehemaligen Krematoriums, der einer Urne nachempfunden ist. Hier wird, durch eine umlaufende Öffnung sichtbar, Asche der in Majdanek ermordeten Menschen aufbewahrt. Sie war 1947 von Bürgern der Stadt Lublin zusammengetragen worden. Ein Spruch mahnt zur unverzichtbaren Erinnerung an die Toten, um eine Wiederkehr des Vergangenen zu verhindern. Die umfangreichen baulichen und anderen materiellen Überreste stellen für die Gedenkstätte Majdanek wie auch in Auschwitz oder Stutthof eine immense konservatorische, finanzielle und konzeptionelle Herausforderung dar. Zeitlich parallel zu den Neugestaltungen der bundesdeutschen KZ-Gedenkstätten in den 2000er Jahren und gut vier Jahrzehnte nach der letzten größeren Veränderung entschied man sich auch in Majdanek, die Historizität des Geländes, seine Topographie und Überreste zur Grundlage einer Neuausrichtung der Gedenkstätte zu machen. Die Relikte im Außengelände, Biographien von Häftlingen und mobile wie immobile Vermittlungsmedien sollen eine Einheit bilden, um den sakralen Charakter des Ortes durch eine informative, anschauliche und forensische Ebene zu ergänzen. Literatur: Kranz / Olesiuk 2011; Wóycicka 2013. Unmittelbar nach der Befreiung bemühten sich viele Überlebende an ihren Leidensorten um ein würdiges Gedenken. Sie waren für erste Gedenkzeichen und 62 e ntWIcklungen Ausstellungen verantwortlich oder forderten sie von den Besatzungsverwaltungen oder Regierungen ein. Vor allem politisch Verfolgte, nationale Opfergruppen und jüdische „Displaced Persons“ (DPs) verliehen den Erwartungen an ein würdiges Gedenken Nachdruck. Zahlreiche frühe Quellensammlungen, Gedenkbücher und Ausstellungen, die bereits auf Sammlungen während der Kriegszeit zurückgingen, erinnerten an die ermordeten Familien, Freunde und Kameraden. In den Nachkriegsjahren entstanden an vielen Lagerorten erste Mahnmale, oft in der Nähe der ehemaligen Krematorien. In Bergen-Belsen ließ das jüdische DP-Komitee 1945 ein provisorisches, im Jahr darauf ein dauerhaftes Mahnmal errichten, das auch dazu dienen sollte, ein immerwährendes Gedenken und die würdige Gestaltung des Ortes einzufordern (Staats 2014). Bei diesen frühen Gedenkorten standen wie insgesamt bei der Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen Mahnmale und die Gestaltung von Gräbern im Vordergrund (Fibich 1998; Mußmann 2001; Marcuse 2010a). In Dachau wurde 1950 vom bayerischen Staat das „Denkmal des Unbekannten Häftlings“ des Künstlers Fritz Koelle aufgestellt - ein „Antiheros von asketischer Männlichkeit“ (Hoffmann 1998: 60). Es bot einen gewissen Kontrast zu den meisten Bildern befreiter Häftlinge von 1945, die sie als schwach und abgemagert gezeigt hatten. Gleichwohl war die von Koelle zuerst vorgelegte Skulptur zweier einander stützender Überlebender mit dem Titel „Inferno“ abgelehnt worden. Mancherorts erinnern Mahnmale mit kyrillischen Inschriften bis heute an die auf deutschem Boden umgekommenen und ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen, auch wenn viele dieser Denkmäler und erst recht eindeutige politische Zeichen wie Sichel und Hammer in der Bundesrepublik rasch entfernt wurden (Petry / Keller 2016). Während in den nun sozialistisch regierten Ländern Osteuropas vor allem der verfolgten und ermordeten Kommunisten als Widerstandskämpfer gedacht wurde, erschwerte dort die politische Situation die Schaffung würdiger Einrichtungen zur Erinnerung an den Holocaust. Bemerkenswerte Ausnahmen waren das Jüdische Historische Institut in Warschau, das Staatliche Jüdische Museum in Prag oder das Ungarische Jüdische Museum in der Budapester Großen Synagoge, auf dessen Gelände sich zudem ein Massengrab und Gedenkzeichen zur Erinnerung an anderorts ermordete Budapester Juden befinden. Kaum anders war es im Westen, auch wenn jüdische Überlebende in ihren neuen Heimatländern wie in Australien, Kanada oder den USA zumindest einige Mahnmale errichten konnten. Eine Ausnahme stellt Israel dar. Dort befindet sich auf dem Zionsberg in Jerusalem das älteste Gedenkmuseum an den Holocaust, die 1948 entstandenen religiös-zionistischen Martef HaShoah („Keller des Holocaust“). Überlebende des Warschauer Ghettoaufstands von 1943 gründeten sechs Jahres später das Gedenkmuseum Beit Lohamei HaGhetaot („Haus der Ghettokämpfer“) in einem Kibbuz nördlich von Haifa - vier Jahre vor der Einweihung von Yad Vashem, des- 63 ns -g eDenkstätten als sakrale g eDächtnIsorte Der n atIon sen Archiv einen Großteil jener Dokumente und Selbstzeugnisse enthält, die jüdische Verfolgte und Überlebende in Europa gesammelt haben (Bar 2010). In den westlichen Besatzungszonen und der frühen Bundesrepublik wurden bis in die 1960er Jahre nur an einzelnen vormaligen Konzentrationslagern oder Mordstätten - wie in Flossenbürg, Berlin-Plötzensee oder Bergen-Belsen - Mahnmale oder Gedenkanlagen errichtet, teils auf alliierten Druck hin. Dies entsprach dem westdeutschen Umgang mit der NS-Zeit insgesamt (Reichel 1995, 2001; Reichel / Schmid / Steinbach 2009). Auch im österreichischen Mauthausen ging die frühe Einrichtung der Gedenkstätte 1949 unter der Bezeichnung „Öffentliches Denkmal“ auf eine entsprechende Auflage der amerikanischen Alliierten zurück; ein Großteil der Gebäude und Anlagen war bereits zerstört, die übrigen Baracken trug man aus Kostengründen ab. Erst 1970 wurde eine Dauerausstellung eröffnet, nachdem das Gelände zuvor um einen christlichen Weiheraum, einen zivilreligiösen Sarkophag und Friedhöfe ergänzt worden war. Einzelne Städte schufen in der unmittelbaren Nachkriegszeit Gedenkorte für die lokalen Opfer des Nationalsozialismus. Im Februar 1946 wies die Stadt München ein Verkehrsrondell gegenüber dem ehemaligen Gestapogefängnis trotz heftiger Proteste als „Erinnerungsstätte“ und „Platz der Opfer des Nationalsozialismus“ aus. Der Ort blieb unscheinbar, bis er 1985 ein signifikantes Mahnmal mit einer ewigen Flamme erhielt. Die Gestaltung der frühen Gedenkorte in den 1950er und 1960er Jahren wies ähnliche Muster auf: Die Orte wurden sakralisiert, die historischen Relikte minimiert, die Toten als Widerstandskämpfer heroisiert, ihr Leiden als Opfer für eine bessere Zukunft interpretiert. Die Erinnerung bewegte sich weitgehend in Mustern des soldatischen Gefallenengedenkens aus dem 19. Jahrhundert. Man griff auf übliche Elemente wie Obelisken, Sarkophage oder Flammenschalen zurück. Auch „Nation“, „Krieg“ und „Ehre“ blieben zentrale Bezugsgrößen der Gedenksemantik. Dies blendete in der Bundesrepublik (und aus anderen Gründen in der DDR) die Individualität der Opfer und die kollektive Tatverantwortung für die Verbrechen aus. Aber auch in anderen europäischen Ländern wurden die vielfältigen Formen der Kollaboration und Mittäterschaft zugunsten selektiver, nationaler Widerstandsmythen nicht thematisiert. Die weihevolle Symbolik ging mit einer verallgemeinernden Botschaft einher, die den historischen Ort unter anderem mit der Hilfe von Reliquien der Toten transzendierte. So sollte die Gedenkstätte in Berlin-Plötzensee am Ort der Hinrichtung von fast dreitausend Opfern der NS-Justiz gleichzeitig als zentrale Stätte für alle NS-Opfer stehen, symbolisiert durch eine Urne mit Erde aus ehemaligen Konzentrationslagern. In unmittelbarer Nähe entstand zwischen 1960 und 1963 die „Gedächtniskirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933-1945“, in der ebenfalls symbolische und personalisierte Urnen an Opfer der Konzentrationslager erinnern. 64 e ntWIcklungen Neben vielen mythologisch inspirierten Mahnmalen konnte die Symbolsprache wesentlich deutlicher werden, wenn es um deutsche Zivilisten als Kriegstote ging: Seit 1954 erinnert auf dem Würzburger Hauptfriedhof oberhalb eines Massengrabs für die Toten des schwersten Bombenangriffs auf die Stadt das „Ehrenmal des 16. März 1945“ mit der Bronzeskulptur einer Familie in Todesstarre. Im Jahr darauf versinnbildlichte das Relief „Gefangenenlager“ von Fritz Theilmann in der katholischen Heimkehrerkirche in Friedland eine religiöse Opferrhetorik, die Totengedächtnis und Vermisstenmahnung mit der politischen Forderung nach einer Wiedervereinigung verknüpfte. Abb. 4: Gedenkwand und Urne in der Gedenkstätte Plötzensee, Berlin (Postkarte, ca. Mitte 1950er Jahre) Die weitaus meisten der Verbrechensorte verschwanden durch Nachnutzungen, Zerstörungen oder Entwendungen brauchbarer Überreste. Das frühere Konzentrationslager Dachau diente lange Jahre als Flüchtlingslager (Marcuse 2001). In Flossenbürg wurde 1958 auf einem Teil des ehemaligen Lagergeländes eine Wohnsiedlung errichtet (Skriebeleit 2000, 2009). Wo Gedenkorte entstanden, wurden Überreste minimiert, um ihre Bedeutung zu relativieren. Das in den 1950er Jahren oft geäußerte Anliegen von Überlebenden, zumindest die Friedhöfe würdig zu gestalten, wiesen die zuständigen Ämter meist ab. Dagegen ins- 65 ns -g eDenkstätten als sakrale g eDächtnIsorte Der n atIon trumentalisierte die DDR ihre Mahn- und Gedenkstätten in Buchenwald (1958), Ravensbrück (1959) und Sachsenhausen (1961) dezidiert zu politischen Zwecken. Die ehemaligen Konzentrationslager wurden zu Orten des antiwestlichen „Klassenkampfs“ umgedeutet. Sie sollten appellative Botschaften im Sinne einer antifaschistischen und antikapitalistischen Ideologie vermitteln. Das ging mit einer Privilegierung und Mythologisierung des kommunistischen Widerstands einher, marginalisierte andere Opfergruppen und fand seinen demonstrativen Ausdruck in Mahnmalen mit einer ausgeprägten politischen Symbolik, in sakralisierten Räumen für ritualisierte Gedenkveranstaltungen und in politisch instrumentalisierten Ausstellungen (Morsch 1996; Knigge 1998; Haustein 2003). Der Gang durch das von Fritz Cremer gestaltete Mahnmal in Buchenwald, das eine Figurengruppe im Augenblick der Befreiung zeigt, wurde in einer aus Anlass seiner Einweihung veröffentlichten Postkartenserie zunächst als „Weg den Hang hinab in die Nacht und das Grauen des Faschismus“ geschildert, der entlang von Reliefdarstellungen des Widerstandskampfes, „drei riesigen Grabtrichtern“ und Flammenschalen führte, die vom nicht endenden Kampf gegen den Faschismus zeugen sollen, bevor es „aufwärts zu einem Feierplatz für das Glück und eine neue, bessere Zukunft der Menschen“ ging (Kuratorium 1958). Historische Zeugnisse rückten gegenüber diesem gebauten Geschichtsnarrativ in den Hintergrund. Bauliche Überreste der Häftlingslager wurden durch große Freiflächen mit Barackenumrissen ersetzt. Aufklärung fand vor allem im Sinne der herrschenden Ideologie statt. Aus den ehemaligen Lagergeländen wurden Aufmarschplätze für politische Massenveranstaltungen. Die Mahn- und Gedenkstätten in der DDR waren formal stilbildend. Historische Überreste wurden entweder beseitigt oder sakralisiert, um politische und religiöse Sinnstiftungen der Orte zu verdichten. Lagerareale waren nur in Teilen zugänglich und nicht durch Informationen erschlossen. Die Erinnerung wurde auf ein widerstandsorientiertes Totengedächtnis fokussiert und der individuelle Tod national geprägten, generalisierenden Geschichtsdeutungen untergeordnet. Historische Überreste dienten lediglich einer exemplarischen Anschaulichkeit. Unterkunftsbaracken hatten keinen Denkmalwert. Erhaltene Steinbauten, vor allem frühere Verwaltungsgebäude der SS, gingen aus pragmatischen Gründen in die Nutzung der neu geschaffenen Gedenkstätten über. Erhalten, saniert und teils auch rekonstruiert wurden nur bestimmte Artefakte als ikonische Zeichen der Gewalt: Torgebäude, zynische Inschriften, Stacheldraht und Betonpfosten der elektrisch geladenen Zäune, Krematoriumsöfen oder Wachtürme. Dem entsprachen in den ersten, meist eher plakativen als informativen Ausstellungen als anschaulich geltende Objekte, die der Unterdrückung der Häftlinge gedient hatten - darunter Prügelböcke, Peitschen oder Bettgestelle. Auch in anderen Ländern standen Gedenkstätten und Gedenkorte im Zeichen einer nationalen Sinnstiftung, die sich vor allem auf eine patriotische Ide- 66 e ntWIcklungen alisierung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus stützte. So weihte der französische Präsident de Gaulle 1960 in Paris das „Mahnmal des kämpfenden Frankreich“ ein, das die sterblichen Überreste von 16 Widerstandskämpfern beinhaltet und Angehörige der regulären Streitkräfte, kolonialer Truppen und der Resistance zusammen ehrt. Deutlich geringere Aufmerksamkeit erfuhren hingegen zunächst das zwei Jahre später eingeweihte „Mahnmal zur Erinnerung an die Deportierten“ und das „Denkmal für den unbekannten jüdischen Märtyrer“ von 1956. Im Zentrum des nationalen Erinnerns standen Gedenkorte in Paris; dagegen war ein Großteil der Gebäude im ehemaligen Konzentrationslager Natzweiler-Struthof 1954 trotz des bestehenden Denkmalschutzes abgerissen worden. Einige der vormals von Deutschen besetzten Länder errichteten Freiluftmahnmale, die an Kriegsverbrechen erinnerten - wie die Ruinenorte Lidice in Tschechien und Oradour sur Glane in Frankreich, die Märtyrerdörfer in Griechenland in Orten, an deren Bevölkerung die Wehrmacht verheerende Massaker verübt hatte, sowie Gedächtnisparks mit Mahnmalen wie der „Parco Storico di Monte Sole“ im italienischen Marzabotto. Auch hier ging die Ehrung des aktiven Kampfes für die Nation mit selektiven Kriterien einher, wer zu den Opfern gerechnet wurde. Einer der ältesten Gedenkorte, mit dem in Europa an einem historischen Ort an den Holocaust erinnert wurde, und zugleich Ausdruck bürgerschaftlichen Engagements ist das Anne-Frank-Haus in Amsterdam. Das „Hinterhaus“, das Versteck von Anne Frank, ihrer Familie und weiterer Personen in der Prinsengracht 163, wird seit 1960 als Museum genutzt. In den Jahren zuvor stand das Gebäude jedoch kurz vor dem Abriss. Im Zuge des großen Erfolgs der 1955 am Broadway uraufgeführten Theaterfassung des Tagebuchs gründeten Wissenschaftler und Intellektuelle aus Amsterdam zwei Jahre später die Anne-Frank-Stiftung. Unter dem Eindruck der 1959 in den Kinos gezeigten Verfilmung des Tagebuchs konnte mit privaten Spenden, zu denen der Bürgermeister von Amsterdam aufgerufen hatte, sowie mit Geldern von Stadt und Universität der Erhalt des Gebäudes gesichert werden. Das Haus nahm trotz seiner durchaus zwiespältigen Botschaft als Ort der Hilfe für versteckte Juden und ihres - bis heute unaufgeklärten - Verrats einen zentralen Stellenwert in der niederländischen Erinnerungskultur ein und wurde schnell zum Touristenziel: Bereits 1963 wurden mehr als 100.000 Besucher pro Jahr gezählt, 1975 waren es erstmals über eine Viertelmillion. In der Sowjetunion rückte seit Mitte der 1960er Jahre der Zweite Weltkrieg als „Großer Vaterländischer Krieg“ aus dem Schatten des Stalinkults, um den neu propagierten „Sowjetpatriotismus“ zu unterstützen. Zum 20. Jahrestag des Kriegsendes wurden zwölf „Heldenstädte“ ernannt. 1967 folgte die Einweihung der monumentalen Statue „Mutter Heimat“ bei Wolgograd, dem früheren Stalingrad, die den „Helden“ der Schlacht gewidmet war. In Leningrad, seit 1965 „Heldenstadt“, entstand das „Denkmal für die heldenhaften Verteidiger“ mit ange- 67 ns -g eDenkstätten als sakrale g eDächtnIsorte Der n atIon schlossenem Museum zur Erinnerung an die deutsche Belagerung im Zweiten Weltkrieg. Stalins Tod ebnete auch den Weg für ein anderes zentrales Mahnmal in der Sowjetunion: 1965 kam es zu massiven Protesten der armenischen Bevölkerung anlässlich des 50. Jahrestags des Völkermords an den Armeniern. Drei Jahre später wurde auf dem Hügel Zizernakaberd in Jerewan durch einen Obelisken, eine ewige Flamme und eine Inschriftenwand mit den Namen der Wohnorte der Opfer ein Gedenkort geschaffen, der Geschichtspolitik und politische Geographie verband: Auf den in der Türkei gelegenen Berg Ararat ausgerichtet, stellte er eine symbolische Verbindung zum historischen Siedlungsgebiet des armenischen Volkes her. Ein Museum kam jedoch erst in den 1990er Jahren hinzu. Abb. 5: Gedenkstätte am Hügel Zizernakaberd, Jerewan, Armenien (Postkarte, ca. 1960er / 1970er Jahre) In der Bundesrepublik kam es in den 1960er Jahren zur Einrichtung oder Neugestaltung von KZ-Gedenkstätten in Dachau (1960-1968), Bergen-Belsen (1963-1966) und Neuengamme (1965). Dieser erste Schub der Erinnerung an die NS-Verbrechen war unter anderem mit den neuerlichen NS-Prozessen seit Ende der 1950er Jahre, dem Eichmann-Prozess in Jerusalem (1961), den Frankfurter Auschwitz-Prozessen (1963-1965), den Protestbewegungen gegen die geplante Notstandsgesetzgebung und der „68er“-Studentenbewegung verbunden. Demgegenüber fast unbemerkt verpflichtete sich die Bundesregierung 1963 im Rah- 68 e ntWIcklungen men des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags zur Erhaltung der Grabstätten ehemaliger KZ-Häftlinge. In den Jahren zuvor hatte es zwischen beiden Ländern und mit Überlebendenverbänden immer wieder Kontroversen um Friedhöfe und die Überführung von Leichen gegeben. Ohnehin spielten Zusammenschlüsse von Überlebenden oder Organisationen ehemaliger Opfergruppen vor allem in Westeuropa eine zentrale Rolle bei der Entwicklung und Nutzung von Gedenkstätten: Sie machten nicht nur auf Missstände im Umgang mit den Gräbern aufmerksam, sondern führten Gedenkfahrten zu den ehemaligen Lagerstätten und eigene Gedenkveranstaltungen durch. Mit großer internationaler Aufmerksamkeit wurde die Entwicklung der KZ-Gedenkstätte Dachau verfolgt (Hoffmann 1998; Marcuse 2001, 2008; Endlich 2008). Hier waren zwar die frühen Ausstellungen befreiter Häftlinge 1953 beseitigt worden, aber Proteste von Überlebenden konnten zwei Jahre später immerhin den Abriss des Krematoriums verhindern. Über mehrere Jahre hinweg entstand auf dem ehemaligen Lagergelände nun eine zunächst vor allem religiös geprägte und bis heute weitgehend intakte Gedenklandschaft. 1960 wurde im ehemaligen Krematorium ein provisorisches Museum eingerichtet. Im selben Jahr folgten auf der mittleren Achse des ehemaligen Lagergeländes die „Todesangst-Christi-Kapelle“ sowie unmittelbar an das Lager angrenzend das Kloster „Karmel Heilig Blut“. Die im KZ Dachau inhaftierten katholischen Priester erhielten damit eine gemessen an ihrer Zahl überproportionale Aufmerksamkeit als Widerstandskämpfer. Als in Dachau seit 1965 vor allem auf Initiative von Überlebenden das ehemalige Häftlingslager in die Gesamtkonzeption für eine staatliche Gedenkstätte einbezogen wurde, kamen die „Evangelische Versöhnungskirche“ und die „Jüdische Gedenkstätte“ hinzu (Kappel 2010). 1968 wurde die KZ-Gedenkstätte Dachau durch eine Dauerausstellung und das „Internationale Mahnmal“ am ehemaligen Appellplatz komplettiert. Zusammen mit einem symbolischen Grab mit der Asche unbekannter Häftlinge erinnerte eine im Auftrag des Comité International de Dachau erstellte expressive Bronzeskulptur des jugoslawischen Künstlers und Kommunisten Nandor Glid an den Verlauf eines Häftlingsschicksals im Konzentrationslager. Auch die in Bergen-Belsen und in Neuengamme in diesen Jahren ausgebauten oder angelegten Gedenkstätten waren durch sakrale Erlösungsmotive geprägt. Von friedhofsartig eingefassten Massengräbern oder symbolischen Vergegenwärtigungen der Leidenssituation in den Lagern aus lenkten Inschriftenwände und religiöse Zeichen den Blick über Obelisken und aufragende Mahnmale in die Höhe. Die Widmung der 1965 eingeweihten Gedenkanlage in Neuengamme versinnbildlichte das damit verbundene Heilsversprechen: „Euer Leiden, Euer Kampf und Euer Tod sollen nicht vergebens sein“. Auf nationaler Ebene waren die Opfer der NS-Verbrechen im Jahr zuvor nur im Rahmen eines sehr weit gefassten Gedenkens an die „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ repräsentiert - so die 69 ns -g eDenkstätten als sakrale g eDächtnIsorte Der n atIon Inschrift des „Ehrenmals“ im Bonner Hofgarten. Die schlichte Bronzeplatte, die bezeichnenderweise am Vorabend des Gedenktags an den Aufstand des 17. Juni 1953 in der DDR eingeweiht wurde, sollte vor allem bei Staatsbesuchen einen Ort des offiziellen Totengedächtnisses ermöglichen und erinnerte an die Toten beider Weltkriege, der Gewalttaten des Nationalsozialismus, von Flucht und Vertreibung nach 1945 sowie der Flucht aus der DDR (Derix 2009: 143-146; Kirschbaum 2020: 185-212). Die zweite Hälfte der 1960er Jahre kann aufgrund der Neugestaltungen als wichtige Scharnierphase gelten, was sich insbesondere an der Neugestaltung von Auschwitz zum internationalen Gedächtnisort zeigt. Nachdem der polnische Staat das Gelände des Stammlagers 1947 übernommen hatte, beschränkte sich die umgehend aufgenommene Arbeit des Museums zunächst auf diesen einen von insgesamt - neben Auschwitz-Birkenau und den Buna-Werken - drei großen Lagerorten. Es betonte in seinen ersten Ausstellungen das Schicksal der polnischen politischen Häftlinge als nationale Identitätserzählung, wobei sozialistische und katholische Deutungen miteinander konkurrierten. Die in diesem Sinne 1955 neu gestaltete Ausstellung besteht in ihren Grundzügen bis heute (Hansen 2015). Erst im Lauf der 1960er Jahre fand Auschwitz eine größere, über Polen hinausreichende internationale Aufmerksamkeit als zentraler Ort der Massenvernichtung der europäischen Juden (Huener 2003; Wóycicka 2005). Der polnische Staat ermöglichte seit 1960 Nationen, die Auschwitz-Opfer zu beklagen hatten, eigene Ausstellungen - nicht allerdings Verfolgtengruppen wie den Sinti und Roma. Israel wurde eine solche Nationalausstellung zwar untersagt, aber 1968 in polnischer Verantwortung eine „jüdische Ausstellung“ eröffnet, gegen die wiederum Vertreter jüdischer Organisationen protestierten. Allerdings rückte mit der Sicherung des Geländes von Auschwitz-Birkenau Anfang der 1960er Jahre und dem Bau des „Internationalen Mahnmals für die Opfer des Faschismus“ in unmittelbarer Nähe der zerstörten Gaskammern und Krematorien 1967 der Ort der Massenvernichtung stärker in den Fokus der Arbeit des Museums. Dennoch wiesen Holzkreuze ungesicherte Aschegräber der Ermordeten überwiegend jüdischer Herkunft mit christlichen Gedenkzeichen aus. Einige Deutsche nahmen frühe Reisen - unter anderem mit der 1958 gegründeten Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e. V. - nach Auschwitz oder Warschau zum Anlass, um am eigenen Heimatort nach den NS-Verbrechen zu fragen (Garbe 1983; Huener 2001; Petzold 2012). 70 e ntWIcklungen Die Gedenkstättenbewegung in der Bundesrepublik Auf dem langen Weg „vom tabuisierten Schamort zum staatlich geförderten Lernort“ (Schmid 2011: 25) forderten seit den 1970er Jahren in der Bundesrepublik immer mehr bürgerschaftliche Initiativen eine aktive und öffentliche Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen ein. Viele davon gingen - wie auch zahlreiche Gedenktafeln, die Stätten früheren jüdischen Lebens markierten - der wegweisenden Ausstrahlung der amerikanischen TV-Serie „Holocaust“ im deutschen Fernsehen im Januar 1979 voraus, in der erstmals der Mord an den europäischen Juden aus der Sicht der Opfer in einer fiktionalisierten Form erzählt wurde. Gut zehn Jahre, nachdem Studierende unter anderem gegen die lange Prägung der Bundesrepublik durch ehemalige Nationalsozialisten protestiert hatten, bildeten sich nun zahlreiche Initiativen, die nach neuen Wegen des Gedenkens und Erinnerns suchten. Wie die zeitgleich entstehenden Geschichtswerkstätten begaben sich die Erinnerungsinitiativen gemäß dem Motto „Grabe, wo Du stehst“ auf Spurensuche, um Orte der lokalen NS-Verbrechen zu finden und zu dokumentieren, um über die Taten zu informieren, ihre Opfer zu personalisieren und diese Aufklärung mit einer gegenwartsbezogenen, historisch-politischen Bildungsarbeit zu verbinden (Grotrian 2009; Knoch 2010; Wüstenberg 2017). Kontexte und Anlässe, aus dem diese Initiativen schöpften und entstanden, waren jedoch ungleich vielfältiger als der Anstoß durch „Holocaust“: Im Zeichen der neuen „Ostpolitik“ der sozialliberalen Bundesregierung setzten Bundeskanzler Willy Brandt mit seinem Kniefall vor dem Mahnmal des Ghettoaufstands in Warschau 1970 sowie sein Nachfolger Helmut Schmidt mit einer Rede in der Gedenkstätte Auschwitz sieben Jahre später wichtige geschichtspolitische Impulse. Die von 1969 bis 1979 amtierenden Bundespräsidenten Gustav Heinemann und Walter Scheel verankerten die Forderung, „aus der Geschichte lernen“ zu müssen, zumindest im offiziellen Selbstbild der Bundesrepublik - sowohl für den Umgang mit den NS-Verbrechen als auch mit ihren freiheitlich-demokratischen Traditionen. Nach zehn „Krisenjahren der Erinnerungszeichen“ (Kirschbaum 2020: 219) entstanden ab Mitte der 1970er Jahre wieder zahlreiche Mahnmale auf lokaler Ebene, auch wenn schließlich mehrjährige interne Debatten über ein nationales Mahn- und Ehrenmal in Bonn scheiterten, das den nicht-soldatischen Opfern von Krieg und staatlicher Gewalt gewidmet werden sollte (ebd.: 385-422). Unter den frühen Aktivisten der Gedenkstätteninitiativen gab es zahlreiche personelle und inhaltliche Überschneidungen mit dem breiten Feld der neuen sozialen Bewegungen, die sich zum Beispiel gegen Atomkraftwerke, für den Umweltschutz oder für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzten. Staatliche Anti-Terror-Maßnahmen riefen Befürchtungen aus den Debatten über die geplanten Notstandsgesetze in den 1960er Jahren wieder auf, die Bundesrepu- 3.3 71 D Ie g eDenkstättenB eWegung In Der B unDesrepuBlIk blik verwandle sich in einen dem NS-Regime vergleichbaren „Überwachungsstaat“. Überlebende - darunter manche, die selbst als politische Aktivisten tätig waren - hatten ihrerseits schon im Jahrzehnt vor „Holocaust“ den Kontakt zu Jüngeren gesucht und teils eigene Ausstellungen oder Veranstaltungen durchgeführt. Erste Initiativen formierten sich. Einen wesentlichen Schub für die nun einsetzende Gründung von Gedenkstätten in freier Trägerschaft bedeutete aber der Übergang von der sozialliberalen Regierung zur CDU / FDP-Koalition unter Helmut Kohl mit dem Regierungswechsel von 1982. Denn die von Kohl vor seiner Wahl propagierte „geistig-moralische Wende“ war damit verbunden, das Geschichtsbild wieder im Sinne einer „positiven“ deutschen Nationalidentität auszugestalten: „Stolz“ statt „Schuld“ sollte nun im Zentrum stehen. Kohls geschichtspolitische Absichten dokumentierten sich vor allem in seinen umstrittenen Plänen für zwei Nationalmuseen: Das schließlich 1994 eröffnete Haus der Geschichte in Bonn sollte der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik gewidmet sein, das Deutsche Historische Museum im damaligen West-Berlin nationale Traditionen betonen; bedingt durch das Ende der DDR wurde es mit dem Museum der Deutschen Geschichte fusioniert, dessen Gegenstück es ursprünglich war, und erst 2003 eröffnet (Moller 1998; Hertfelder 2016). Für die Erinnerung an die NS-Verbrechen und ihre Opfer war nichts Derartiges vorgesehen. Bei dieser Kontroverse und vielen anderen ging es von konservativer Seite aus darum, den Stellenwert des Nationalsozialismus für das Selbstverständnis der Bundesrepublik zu dezentrieren, ihn durch eine Erfolgsgeschichte nach 1945 zu überschreiben und in einer längeren Nationalerzählung als nur kurze, nicht repräsentative Phase der deutschen Geschichte zu relativieren. Davon zeugte auch Kohls Topos einer vermeintlichen „Gnade der späten Geburt“, der nicht zuletzt deshalb heftig kritisiert wurde, weil er ihn auf einer Israelreise 1984 äußerte. Kohl forderte einen unbefangeneren Umgang mit der deutschen Geschichte - noch ohne dass die NS-Verbrechen überhaupt adäquat erinnert oder aufgearbeitet waren. Diese Einstellung zeigte er im Jahr darauf auch bei seinem gemeinsamen Besuch mit dem US-Präsidenten Ronald Reagan auf dem Soldatenfriedhof Bitburg. Der Besuch wurde zum internationalen Skandal, weil dort auch Angehörige der Waffen-SS bestattet sind. Kohl blieb seiner Linie treu, als er auf die Gestaltung des USHMM in Washington Einfluss zu nehmen versuchte, damit die Bundesrepublik dort nicht in einer Kontinuität zum NS-Regime erschien (Eder 2016b), oder als er 1993 die Neue Wache in Berlin als „zentrale Gedenkstätte“ zur Erinnerung an die „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ umgestalten ließ. Insgesamt aber mündeten diese Vorstöße nicht in einer homogenisierenden Geschichtspolitik. Denn Kohls Pläne und entsprechende geschichtsnationalistische Äußerungen von Intellektuellen wie Michael Stürmer oder Ernst Nolte riefen neben viel 72 e ntWIcklungen Zuspruch auch scharfe Gegenreaktionen hervor. So erklärte Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner historischen Rede zum 8. Mai 1985 so dezidiert wie keiner seiner Vorgänger die Erinnerung an den Holocaust als unverzichtbar für alle Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik. Damit erteilte er Forderungen nach einer „Bewältigung“ oder einem „Schlussstrich“ eine deutliche Absage. Das allein bedeutete keineswegs eine Wende zugunsten einer aktiven Aufarbeitung und Erinnerung der NS-Verbrechen. Vielmehr wurden Vertreter der Gedenkstättenbewegung weiterhin als „Nestbeschmutzer“ diffamiert. Aber ihre Bemühungen erhielten durch diese Debatten und Ereignisse wie die 50. Wiederkehr der Machtübertragung an Adolf Hitler 1983, den 40. Jahrestag des Kriegsendes 1985 oder den 50. Jahrestag der Novemberpogrome 1988 beträchtlichen Auftrieb. Der Skandal um die Rede des Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger bei der zentralen Gedenkfeier im Deutschen Bundestag am 9. November 1988 zeigte, dass sich die Sensibilitäten im Umgang mit der NS-Zeit und deren Verbrechen verschoben. Die Rede führte nach heftiger Kritik im In- und Ausland zu Jenningers Rücktritt (Sack 2016: 141-145). Zwar sprach auch er sich deutlich dafür aus, dass die Erinnerung an den Holocaust für alle Zukunft essentieller Bestandteil der bundesrepublikanischen Identität sein müsse. Doch zeigte er sich seiner eigenen Botschaft, in denen er die Deutschen als Täter ins Zentrum rückte, rhetorisch nicht gewachsen. Sein Auftritt galt als zu kühl und zu sachlich, die Rede enthielt kaum Bezüge zu den Opfern, es fehlte ihr an mitfühlenden Begriffen. Die Auseinandersetzungen in den 1980er Jahren zeigten: Das Reden über die NS-Zeit wurde zur semantischen, noch unentschiedenen Kampfzone einander gegenüberstehender erinnerungspolitischer Lager. Wenn es öffentlich um Verfolgte und Ermordete des Nationalsozialismus ging, wurden nun zunehmend Empathie und Personalisierung erwartet. Zudem sorgten Denkmäler in diesen Jahren für viel Aufsehen und Streit. Sie setzten neue Themen und Formen. So revidierten „Gegendenkmäler“ im urbanen Raum den repräsentativen und identitätsstiftenden Anspruch klassischer Denkmäler. Das „Harburger Mahnmal gegen Faschismus, Krieg, Gewalt. Für Frieden und Menschenrechte“ von Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz versank von 1986 an Stück für Stück im Boden. Den Kasseler Aschrottbrunnen hatte Horst Hoheisel 1987 als negatives Modell in die Erde hinein gestülpt. Zur selben Zeit entstanden erste, bescheidene Deserteursdenkmäler, die vor allem von Anhängern der Friedensbewegung, kritischen Reservisten und Kriegsdienstverweigerern zusammen mit Überlebenden der NS-Militärjustiz initiiert wurden. Der Realisierung des „Denkmals ‚Der unbekannte Deserteur’“ in Bremen (1986) oder einer Gedenktafel für Deserteure in Kassel (1987) gingen wie an anderen Orten mehrjährige Auseinandersetzungen voraus, denn damit wurden die bis dahin als „unehrenhaft“ betrachteten Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz erstmals im öffentlichen Raum gewürdigt (Dräger 2017). 73 D Ie g eDenkstättenB eWegung In Der B unDesrepuBlIk Im Kontext dieser geschichtspolitisch aufgeladenen Phase begann der Ausbau von NS-Gedenkstätten zu Orten eines aktiven Erinnerns. Bestehende Gedenkstätten wie Neuengamme (1981) oder Bergen-Belsen (1985) wurden erweitert. Auch in anderen europäischen Ländern begann sich der Umgang mit Orten der NS-Zeit zu verändern: So wurde in den Niederlanden das Durchgangslager Westerbork, von dem aus 102.000 Juden nach Auschwitz deportiert wurden, als „Herinneringscentrum“ umgestaltet und 1983 eröffnet. Nach dem Krieg war es bis 1971 erst als Internierungs-, dann als Flüchtlingslager genutzt worden. Ein erstes Denkmal zur Erinnerung an die politischen Widerstandskämpfer gab es dort zwar bereits 1949, eines für die jüdischen Opfer aber erst seit 1970. Vor allem entstanden in der Bundesrepublik Anfang der 1980er Jahre erste Gedenkstätten zur Erinnerung an die NS-Verbrechen in bürgerschaftlicher oder kommunaler Trägerschaft, so die Gedenkstätte „Alte Synagoge“ in Essen (1980), das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln im EL-DE-Haus, dem früheren Sitz der dortigen Gestapo (1981), die Gedenkstätte Breitenau bei Kassel (1984), wo während der NS-Zeit ein Arbeitshaus als KZ und Arbeitserziehungslager genutzt worden war, die Gedenkstätte KZ Oberer Kuhberg in Ulm und das Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Emslandlager in Papenburg (beide 1985). Häufig gingen diese Gedenkstätten auf Initiativen von Überlebenden zurück, die sich schon in der frühen Nachkriegszeit in Häftlingsverbänden oder Lagergemeinschaften organisiert hatten. In teils engem Austausch mit ihnen hatten bürgerschaftlich Engagierte in den 1970er Jahren Erinnerungsinitiativen gegründet oder durch besondere Aktionen versucht, das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit zu wecken und die Politik in die Pflicht zu nehmen. Verschiedenste Orte der Verfolgung und der Umgang mit ihnen nach 1945 wurden nun weit über die namhafteren Konzentrationslager ins öffentliche Bewusstsein geholt. B eispiel : D as D oKumentations unD i nformationsZentrum (DiZ) e mslanDlaGer Bereits in den 1960er Jahren hatten die beiden kritischen Lokaljournalisten Gerhard Kromschröder und Hermann Vinke sowie Gewerkschaftsjugendliche - unter anderem 1963 durch einen ungenehmigt aufgestellten Gedenkstein - auf die lokal weitgehend vergessene und verdrängte Geschichte der 15 Emslandlager und besonders auf das Konzentrations- und Strafgefangenenlager Esterwegen aufmerksam gemacht. Die Lagerorte selbst waren bis auf wenige Ausnahmen aufgrund von Nachnutzungen - Esterwegen zum Beispiel wurde in den 1960er Jahren zum Bundeswehrdepot - oder bis auf zufällig erhaltene Relikte verschwunden. Gedenken war nur an insgesamt neun Friedhöfen möglich, die von den ehemaligen Lagern entfernt lagen. Inschriftentexte stellten deren Geschichte verzerrt dar oder verharmlosten sie. Vor allem um den Friedhof Bockhorst / Esterwegen entbrannte ein grundlegender Konflikt. Die Leichen der im KZ Esterwegen zwischen 1933 und 1936 ermordeten Häftlinge waren 1955 von hier aus auf den Lagerfriedhof in Versen umgebettet worden. Nun waren in Bockhorst nur noch Tote 74 e ntWIcklungen bestattet, die als Strafgefangene in die Emslandlager gekommen waren, in der Region aber nicht als erinnerungswürdig galten. Im nahe gelegenen Papenburg nahm das der Ende der 1970er Jahre gegründete „Arbeitskreis Carl von Ossietzky“ zum Anlass, sich für eine umfassende Aufarbeitung der Geschichte der Emslandlager einzusetzen. Ihm standen Wissenschaftler und Studierende der Universität Oldenburg sowie das in der unmittelbaren Nachkriegszeit gegründete, im Ruhrgebiet ansässige „Komitee der Moorsoldaten“ und weitere Überlebende auch aus dem Ausland zur Seite. Dem damaligen niedersächsischen CDU-Innenminister Egbert Möcklinghoff konnten sie das Versprechen abringen, eine Gedenkstätte zu errichten. Was 1981 als offene und ästhetisch lieblose Gedenkhalle auf dem Bockhorster Friedhof mit acht Stelen für die 15 Emslandlager und ohne Hintergrundinformationen realisiert wurde, entsprach aber keinesfalls den Vorstellungen der Bürgerinitiative und Überlebenden von einer „aktiven Gedenkstätte“. Dies beförderte die Gründung des „Aktionskomitees für ein Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Emslandlager e.V.“ noch im selben Jahr. Mit dem Regierungswechsel von 1982 zerschlug sich die Zusage des SPD-Verteidigungsministers Hans Apel an den Verein, auf dem Gelände des ehemaligen KZ Esterwegen eine Gedenkstätte errichten zu können. Eine dreibändige Dokumentation zur Geschichte des Lagersystems, die der Landkreis Emsland in Auftrag gegeben und 1983 veröffentlicht hatte, konnte, obwohl sie so gedacht war, eine ernst gemeinte Gedenkstätte nicht ersetzen. So nahm 1984 das DIZ Emslandlager in Trägerschaft des Vereins und zunächst ohne Fördermittel von Kommune, Land oder Bund seine Arbeit auf - nicht an einem historischen Lagerort, sondern in Papenburg, dem ehemaligen Sitz der Kommandantur aller Emslandlager. Im Mai 1985 wurde die erste Dauerausstellung eröffnet. Das DIZ stellte Selbstzeugnisse der Häftlinge ins Zentrum seiner Arbeit. Ein öffentliches Symposium 1985, intensive Kontakte zu den Überlebenden, zahlreiche Veranstaltungen wie die „Moorsoldatentreffen“ in den 1990er und 2000er Jahren sowie vor allem eine regelmäßige Informations- und Bildungsarbeit, die auch in den lokalen Medien präsent war, machten das DIZ zu einer international anerkannten Einrichtung der Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen. Einen Durchbruch bedeutete das Jahr 1993: Das DIZ konnte seine Arbeit in renovierten Räumlichkeiten mit einer neuen Ausstellung fortsetzen und wurde in die Gedenkstättenförderung des Landes Niedersachsen aufgenommen. Auch der Landkreis Emsland und die Stadt Papenburg beteiligten sich von nun an substantiell an der Finanzierung. Als die Bundeswehr bekanntgab, den Standort Esterwegen auf dem ehemaligen Lagergelände zu räumen, und zugleich Mittel von Land und Bund für den Bau einer Gedenkstätte an diesem Ort in Aussicht standen, nahm sich der Landkreis in Zusammenarbeit mit dem DIZ dieser neuen Möglichkeit an. 2011 wurde die Gedenkstätte Esterwegen eröffnet - in Trägerschaft einer Stiftung des Landkreises, aber in Kooperation mit dem an den neuen Ort gewechselten DIZ. Literatur: Kaltofen / Buck 2013; Schwanzar 2015. Die bürgerschaftlichen Gedenkstätteninitiativen brachten ihr Anliegen eines aktiven Gedenkens mit Begriffen wie „Dokumentationszentrum“ oder „Lernort“ zum Ausdruck. Workcamps, Geschichtswerkstätten und Symposien entspra- 75 D Ie g eDenkstättenB eWegung In Der B unDesrepuBlIk chen Formen der zeitgleichen Bewegung, die verdrängte „Geschichte von unten“ zu entdecken. Die konkrete Erfahrung, vor Ort nach Überresten der Tatorte zu suchen und sich dort mit Zeugnissen von Überlebenden zu befassen, sollte zu einem kritischen Geschichtsbewusstsein beitragen. Erprobt und angestrebt war eine intensive pädagogische Begleitung, um historisch aufklären und Empathie vermitteln zu können. Viele dieser Initiativen wollten einen Beitrag dazu leisten, die politische Kultur der Bundesrepublik insgesamt zu verändern, der sie ein Defizit an Demokratie und Freiheit attestierten. Den Opfern eine Stimme zu geben, wurde zum Lackmustest für eine in ihren Augen noch zu gewinnende Zivilität. Dem entsprach auch die höchst kontroverse Forderung, sich an bis dahin marginalisierte und weit über 1945 hinaus diskriminierte Opfergruppen wie kommunistische Widerstandskämpfer, Homosexuelle, „Euthanasie“-Opfer, sowjetische Kriegsgefangene, Sinti und Roma oder Militärstrafgefangene zu erinnern. So sichtete Anfang der 1980er Jahre eine Forschergruppe der Fachhochschule Frankfurt Akten zu den „Euthanasie“-Morden unter anderem im Rahmen der „Aktion T4“ in der hessischen Landesheilanstalt Hadamar. Unter dem Druck einer ersten Ausstellung von 1983 übernahm der Landeswohlfahrtsverband Hessen die Trägerschaft der Gedenkstätte Hadamar und baute sie aus. Ein Interessenverband der Opfer und ihrer Angehörigen bildete sich hier wie an vergleichbaren Orten wegen der anhaltenden sozialen Stigmatisierung erst spät. Biografien der Opfer sind öffentlich nach wie vor kaum präsent. Erst 2017 entschied die Gedenkstätte, in ihren Ausstellungen und Publikationen nicht mehr nur die Initialen der Ermordeten zu nennen (George u. a. 2006; Schulte 2018). Abb. 6: Garage für die Busse der „Aktion T4“ im Innenhof der heutigen Landesheilanstalt Hadamar Durch viele solcher Initiativen kam nun eine immer größere Zahl neuer Tatorte jenseits der ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager in den Blick. Es 76 e ntWIcklungen prägte sich der bis heute charakteristische dezentrale, thematisch vielfältige und immer noch stark bürgerschaftlich geprägte Charakter der bundesdeutschen Gedenkstättenlandschaft aus. Beispielhaft ist dafür die Erinnerung an die im NS verfolgten Homosexuellen: Nachdem in den ehemaligen Konzentrationslagern Mauthausen (1984), Neuengamme (1985) und Dachau (1985) Gedenktafeln zur Erinnerung an homosexuelle Opfer angebracht worden waren, wurde 1987 in Amsterdam mit dem „Homomonument“ das erste Mahnmal zur Erinnerung an die Verfolgungen von Homosexuellen errichtet; seine Gestaltung ist dem rosafarbenen Winkel nachempfunden, den diese Häftlingsgruppe in den deutschen Konzentrationslagern tragen musste. Es dauerte ein weiteres Jahrzehnt, bis in Deutschland die ersten Mahnmale dieser Art mit dem „Frankfurter Homosexuellenmahnmal“ 1994 und dem „Mahnmal für die schwulen und lesbischen Opfer des Nationalsozialismus in Köln“ 1995 außerhalb von Gedenkstätten folgten, ehe 2008 in Berlin das zentrale „Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen“ eingeweiht wurde. Trotz der dezentralen Differenzierung zeichnete sich bereits in dieser Phase ein neuer Schwerpunkt des Gedenkens in West-Berlin ab. Zu einem wichtigen Ort wurde die 1968 im ehemaligen Bendler-Block, dem Zentrum der Widerstandsgruppe des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944, eingerichtete Gedenkstätte zur Erinnerung an den deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. An diesem Ort war bereits seit 1953 mit einer Bronzeskulptur als „Ehrenmal“ an die Attentäter des 20. Juli und insbesondere an die hier 1944 standrechtlich Erschossenen gedacht worden. In den 1980er Jahren wurde die Gedenkstätte Deutscher Widerstand ausgebaut. Die 1989 eröffnete neue Dauerausstellung deckte erstmals - wie es die neue Dauerausstellung von 2014 bekräftigt - das gesamte Spektrum von Widerstand und Verweigerung ab. Dies spiegelte eine Pluralisierung des Widerstandsbildes seit den 1970er Jahren wider, in das nun auch der Arbeiterwiderstand oder Einzeltäter wie Georg Elser aufgenommen wurden. Daneben befanden sich in diesen Jahren in Berlin weitere Gedenkstätten in der Planung: die Gedenk- und Bildungsstätte im Haus der Wannsee-Konferenz, die Topographie des Terrors am ehemaligen Sitz von Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt sowie ein Mahnmal zur Erinnerung an die Opfer des Holocaust. Ob diese und viele andere Gedenkstättenprojekte ohne die politischen Veränderungen von 1989 / 90 überhaupt realisiert worden wären, ist zwar eine hypothetische Frage. Doch in der Rückschau kann angesichts der verbreiteten Gleichgültigkeit, vieler Widerstände und teils massiver Anfeindungen gegenüber den frühen Vertretern einer Erinnerung an die NS-Verbrechen die mit Beginn der 1990er Jahre einsetzende Phase der Etablierung von NS-Gedenkstätten keineswegs als eine zwangsläufige Entwicklung betrachtet werden. Vor dem damals nicht absehbaren Ende der „Bonner Republik“ war nicht ausgemacht, wer sich durchsetzen würde: die Protagonisten eines „Schlussstrichs“, der mit einer neuen 77 g eschIchtspolItIk In Der „B erlIner r epuBlIk “ nationalhistorischen Sinnstiftung verbunden war, oder diejenigen, die in den deutschen Verbrechen während der NS-Zeit mit dem Begriff von Dan Diner einen „Zivilisationsbruch“ (Diner 1988) sahen und eine angemessene, den Opfern zugewandte und gegenwartsbezogene Erinnerungskultur forderten. Geschichtspolitik in der „Berliner Republik“ Seit den 1990er Jahren trugen einige Entwicklungen zum Ausbau von NS-Gedenkstätten in der Bundesrepublik bei, die angesichts der vorherigen Jahrzehnte mit Detlef Garbe, dem langjährigen Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, von einer „Erfolgsgeschichte mit Gegenwind“ sprechen lassen (Garbe 2015; Siebeck 2015): das Ende des Kalten Kriegs mit dem Zusammenbruch des Sozialismus und der Auflösung der DDR; ein geschichtspolitischer Dominoeffekt, der das Erinnern an das SED-Regime und die NS-Verbrechen gleichermaßen sicherstellen wollte; ein Generationswechsel, mit dem die Präsenz von NS-Tätern und ihren Angehörigen in der deutschen Gesellschaft zurückging, aber die symbolische Bedeutung ihrer Opfer zunahm; Ereignisse wie die Kriege im ehemaligen Jugoslawien und der Genozid in Ruanda, die zu einer globalen Sensibilisierung für Menschheitsverbrechen führten; die Ausbreitung eines massenmedial geprägten Erinnerungsmarktes im Rahmen eines allgemein wachsenden Interesses an populären Geschichtsrepräsentationen. Vor allem mit dem politischen Ende der DDR und den Entwicklungen in Europa insgesamt - wie dem Ende der kommunistischen Herrschaft in Osteuropa und der gleichzeitigen Intensivierung der europäischen Einigung - veränderten sich die geschichtspolitischen Koordinaten der Bundesrepublik und die Topographie sowie die Gewichtung ihrer Erinnerungsorte grundlegend. Erstens galt es nun, beide vergangenen Diktaturen aufzuarbeiten, zu klären, wer Täter und Verantwortliche waren, und ihrer Opfer zu gedenken. Zweitens kam unter anderem mit den früheren Gefängnissen der Staatssicherheit, der Mauer und der innerdeutschen Grenze eine große Zahl potenzieller Erinnerungsorte hinzu, deren Zukunft offen war. Drittens musste die Zuständigkeit für die staatlichen Mahn- und Gedenkstätten neu geregelt werden. In der DDR waren sie Sache des Staates, in der Bundesrepublik aber aufgrund des föderalen Kulturvorbehalts eine Aufgabe der Länder und Kommunen. Eine Klärung war hier besonders dringlich, da die Mahn- und Gedenkstätten aufgrund ihrer politischen Überformung durch den DDR-Sozialismus neugestaltet werden mussten. Viertens war das geschichtspolitische Narrativ der Bundesrepublik den veränderten Bedingungen anzupassen, das neben der Integration nach innen auch die Sorgen der europäischen Nachbarländer vor einem womöglich erstarkenden Nationalismus zu berücksichtigen hatte. 3.4 78 e ntWIcklungen B eispiel : D ie n eue W ache in B erlin 1993 erklärte Bundeskanzler Helmut Kohl die Neue Wache zur „zentralen Gedenkstätte“ der Bundesrepublik. Der Schinkel-Bau war von 1818 an als Militärwache und zur Erinnerung an die in den Befreiungskriegen (1813-1815) gefallenen preußischen Soldaten genutzt worden. Zweimal wurde er seitdem umgestaltet: 1931 zum Gedächtnis an die Toten des Ersten Weltkriegs und 1960 zum Mahnmal für die „Opfer von Faschismus und Militarismus“. Die DDR deutete damit einen wichtigen Ort des heroisierenden Totengedenkens in ihrem Sinne um. Denn in der SED-Ideologie bildeten der Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg und die Befreiung vom Nationalsozialismus eine unlösbare Einheit als epochaler Schritt im Kampf gegen den Kapitalismus. Das brachte die Regierung der DDR 1969 symbolisch in einer weiteren Umgestaltung der „Neuen Wache“ zum Ausdruck. Sie ließ unter je einer Bronzeplatte die sterblichen Überreste eines unbekannten Widerstandskämpfers und die eines unbekannten Soldaten zusammen mit der Erde aus neun Konzentrationslagern und Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs bestatten. Kohl entschied, die beiden symbolischen Gräber unter einer Granitplatte mit der Inschrift „Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“ zusammenzulegen. Dies schrieb Gedenkformeln der 1960er Jahre fort und legte eine Gleichsetzung von Nationalsozialismus und SED-Regime nahe. Das entsprach starken Bestrebungen in den ersten Jahren nach 1990, die Geschichte der DDR im Sinne der Totalitarismustheorie zu deuten. So wurden vor allem strukturelle Gemeinsamkeiten von NS-Regime und SED-Herrschaft betont - bis hin zu geschichtspolitisch bedeutsamen Relativierungen, wenn im Reden von den „beiden Diktaturen“ gravierende Unterschiede der beiden Systeme verdeckt wurden. Die Neugestaltung der „Neuen Wache“ beinhaltete aber noch eine weitere politische Umdeutung der Vergangenheit: Indem die beiden Gräber des Wehrmachtsoldaten und des Widerstandskämpfers zusammengelegt wurden, verschwanden die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Opfer der NS-Verbrechen im engeren Sinne waren ohnehin an diesem Ort nicht präsent. Die Umdeutung von Nationalsozialismus und Weltkrieg in eine gesamtgesellschaftliche Opfergeschichte, in die auch die Soldaten integriert wurden, unterstrich Kohl durch eine stark vergrößerte Kopie der Pietà-Skulptur „Mutter mit totem Sohn“ von Käthe Kollwitz. Die Künstlerin hatte das Werk im Original Ende der 1930er Jahre ausgeführt, um an ihren 1914 im Krieg gefallenen Sohn zu erinnern. Sie hatte keinen Bezug zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus oder dessen Opfer. Kohl hatte die Neugestaltung zudem ohne öffentliche Debatte verfügt. Indem sich die öffentliche Entrüstung gegen die geschichtspolitischen Setzungen wie gegen das Verfahren wandte, zeigte sich Dreierlei: Die bundesdeutsche Gesellschaft war nicht zuletzt durch die Geschichtskontroversen in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre für Fragen der Erinnerungskultur sensibilisiert und verlangte, in solche Prozesse einbezogen zu werden. In der Kritik wurden zudem anhaltende Befürchtungen sichtbar, dass die gerade erst begonnenen, aber keineswegs verankerten Differenzierungen zwischen Diktaturen, Opfern und Tätern im Zuge einer neuen Nationalerzählung wieder nivelliert werden würden. Schließlich wandte sich Kohl mit dem Anspruch einer „zentralen Gedenkstätte“ gegen die entstehende Vielfalt dezentraler, geschichtskontroverser Gedenkorte - letztlich erfolglos. Literatur: Moller 1998. 79 g eschIchtspolItIk In Der „B erlIner r epuBlIk “ Das Konzept einer „zentralen Gedenkstätte“ als Mahnmal ohne Ausstellung oder Bildungsangebot, wie es Kohl mit der „Neuen Wache“ verfolgte, erwies sich nicht mehr als zeitgemäß. 1990 war nach mehrjährigem Drängen der Ausbau der temporären Ausstellung „Topographie des Terrors“ in Berlin zu einem Dokumentationszentrum und im Jahr darauf die Erweiterung des NS-Dokumentationszentrums in Köln entschieden, 1992 die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin eröffnet worden. Hatten zuvor schon einzelne Kommunen lokale Gedenkstätten eingerichtet oder unterstützt, legten nun westliche Bundesländer wie Niedersachen, Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen projektbezogene Förderprogramme für Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen in freier Trägerschaft auf. Langfristig trug dies zur Institutionalisierung zahlreicher „arbeitender“ Gedenkstätten bei. Im ersten Jahrzehnt der „Berliner Republik“ verdichteten sich geschichtspolitische Debatten und die öffentliche Präsenz des Holocaust in besonderer Weise. Mediale Ereignisse bereiteten den Boden für eine auch den Opfern der NS-Verbrechen empathisch zugewandte Erinnerungskultur - so der unerwartete Erfolg von Ruth Klügers Erinnerungen „weiter leben. Eine Jugend“ (1992), die große Resonanz des Spielfilms „Schindlers Liste“ (1994) oder die Veröffentlichung der Tagebücher des Romanisten Victor Klemperer (1995). Wiederholt wurden Gedenkprioritäten der deutschen Geschichtskultur verhandelt, etwa im Rahmen der Gedenkfeiern zum 50. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager 1995, in der vor allem zwischen 1994 und 1999 geführten Debatte über das 2005 eingeweihte „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ in Berlin, bei der Einführung des jährlichen Gedenktags an die Opfer des Nationalsozialismus 1996 oder in der Kontroverse von 1998 zwischen dem Schriftsteller Martin Walser und Ignatz Bubis, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, nachdem Walser sich öffentlich und mit unverkennbarem Zuspruch gegen eine von ihm behauptete „Dauerpräsentation unserer Schande“ verwahrt hatte. Standen dabei Fragen von Täterschaft und Schuld stets im Raum, wurden sie zeitgleich auch explizit und kontrovers diskutiert, vor allem im Zusammenhang mit den beiden Ausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung über die Verbrechen der Wehrmacht zwischen 1995 und 2001 oder in der Debatte über Daniel J. Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ 1996. In der deutschen Geschichtswissenschaft wurden erstmals die Täter der nationalsozialistischen Verbrechen und ihre Strukturen einschließlich der unteren Herrschaftsinstanzen genauer untersucht. Immer deutlicher zeigte sich, wie eng viele Deutsche in das verbrecherische Handeln des NS-Regimes eingebunden waren. Anstelle von „SS-Staat“, „Gestapo-Terror“ oder „Befehlsgehorsam“ ging es nun um die Rolle von Antisemitismus, Handlungsspielräumen und Opportunismus in der deutschen „Tätergesellschaft“. 80 e ntWIcklungen Im Kontext dieser Geschichtsdebatten kam es zu einer grundlegenden Transformation der Gedenkstättenlandschaft in der Bundesrepublik insgesamt und der NS-Gedenkstätten im Besonderen. Auch aus Sorge, die Bundesrepublik würde die ehemaligen Mahn- und Gedenkstätten nicht weiter unterhalten, verabschiedete das Europäische Parlament 1993 eine Resolution für den Erhalt und Schutz von KZ-Gedenkstätten. In der Bundesrepublik entbrannten zur selben Zeit heftige Konflikte über die Deutungen von Nationalsozialismus und SED-Herrschaft: Betroffene ehemalige DDR-Bürger kämpften um ihre Anerkennung als Opfer. Politiker, Historiker und Intellektuelle stritten darüber, ob sich beide Regime unter dem Dach des Totalitarismus strukturell gleichsetzen ließen. Kritiker dieses Ansatzes sahen vor allem die Singularität des Holocaust relativiert und die strukturellen Unterschiede der beiden Herrschafts- und Gesellschaftsordnungen in Frage gestellt. Beispielhaft ist - bis heute - die Verwendung des Begriffs „Unrechtsstaat“: Je nach Definition kann er dazu beitragen, das jeweilige Verhältnis von Recht und Unrecht in nicht-demokratischen Staaten zu differenzieren oder zu einer typologisch begründeten, pauschalisierenden Gleichsetzung politischer Ordnungen verleiten. Eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags zum zukünftigen Umgang mit der Geschichte der DDR arbeitete von 1992 bis 1994 zwar Grundmerkmale des diktatorischen Charakters der SED-Herrschaft heraus, ließ aber deren Verhältnis zum Nationalsozialismus und die Gestaltung einer zukünftigen Erinnerungskultur weitgehend offen (Beattie 2008; Krüger 2011). Bereits 1993 übernahm der Bund jedoch die Verpflichtung, sich an den Neugestaltungs- und laufenden Kosten der ehemaligen Mahn- und Gedenkstätten der DDR in Buchenwald, Mittelbau-Dora, Ravensbrück und Sachsenhausen zur Hälfte zu beteiligen, wobei die andere Hälfte durch die jeweiligen Länder erbracht werden musste. Eine Förderung von Gedenkstätten in den westlichen Bundesländern wurde von der CDU-/ FDP-Regierungskoalition ausdrücklich ausgeschlossen. Die neue Verantwortlichkeit des Bundes und ein damit verbundenes, nach außen gerichtetes Repräsentationsinteresse zeigten sich nicht zuletzt bei den Gedenkfeiern: Waren diese bis dahin meist weitgehend unbeachtet von Medien und Öffentlichkeit durchgeführt worden, verstärkten Politikerreden, Medienübertragungen und Überlebendenbesuche die Bedeutung von Gedenkstätten als zentralen Erinnerungsorten des nationalen Gedächtnisses. Kritiker wiesen auf die Gefahren einer Ritualisierung, Verstaatlichung und Instrumentalisierung des Gedenkens hin. Die vielen offenen Fragen der ersten Enquete-Kommission machten 1995 eine zweite erforderlich. Ihr Abschlussbericht schrieb drei Jahre später nach intensiven Debatten wesentliche Eckpunkte für den öffentlichen Umgang mit der so bezeichneten „zweifachen Vergangenheit“ fest, ohne die kontroversen Ansprüche befrieden zu können: Erstens wurde das Ziel einer „demokratischen Erinnerungskultur“ unter intensiver Beteiligung der Zivilgesellschaft propagiert. Zweitens 81 g eschIchtspolItIk In Der „B erlIner r epuBlIk “ wurde einerseits die Übertragung der Bundesförderung auch auf Gedenkstätten in der alten Bundesrepublik, andererseits die Gründung einer „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ vorgeschlagen, zu der es allerdings kein Pendant für die NS-Zeit geben sollte. Drittens vereinbarte man als (geschichts-) politische Richtschnur einen „antitotalitären Konsens“, innerhalb dessen die Besonderheiten von NS- und SED-Regime in ihrem jeweiligen zeitgeschichtlichen Kontext betrachtet werden sollten. Die Enquete-Kommission empfahl dabei auf der einen Seite, Gedenkstätten für beide Diktaturen als gleichwertige Erinnerungsorte des nationalen Gedächtnisses zu betrachten. Auf der anderen Seite sollte eine auf den Historiker Bernd Faulenbach zurückgehende Kompromissformel den Unterschied beider Verbrechenskomplexe festhalten: „Die Erinnerung an das kommunistische Unrecht darf nicht zu einer Nivellierung der NS-Verbrechen führen, die Erinnerung an die Verbrechen unter der sowjetischen Besatzung und SED-Herrschaft aber soll nicht unter Hinweis auf das NS-Unrecht bagatellisiert werden“ (Schlussbericht 1998: 240). Die „Faulenbach-Formel“ ließ letztlich unbestimmt, worin die Unterschiede beider Regime bestanden und ob sie grundsätzlicher Natur waren. Auch die historischen Kausalitäten und Abfolgen blieben unausgesprochen. Vielmehr konnte sich eine bestimmte Form der vergleichenden Betrachtung bestätigt sehen, nach der die Frage, ob es sich bei der DDR um eine Diktatur gehandelt habe, durch die strukturelle Gleichsetzung mit dem NS-Regime beantwortet wurde. Die Formel löste keinen der Deutungskonflikte, legte aber beide erinnerungspolitischen Lager darauf fest, den Opfern des jeweils anderen Regimes mit Respekt zu begegnen. Ihre Umsetzbarkeit wurde unter anderem in phasenweise schärfsten Konflikten an Orten wie Buchenwald und Sachsenhausen verhandelt, wo nach 1945 in „Speziallagern“ auch zahlreiche Menschen als Opfer kommunistischer Herrschaft litten, umgebracht wurden oder umkamen. Die 1993 zunächst nur temporär festgelegte Beteiligung des Bundes an der Finanzierung von NS-Gedenkstätten in der ehemaligen DDR wurde über die beiden „Gedenkstättenkonzeptionen“ des Bundes von 1999 und 2008 auf Dauer gestellt und auf die alten Bundesländer erweitert. Das diente auch einem außenpolitischen Zweck: Den skeptisch auf die erweiterte Souveränität der Bundesrepublik blickenden Nachbarn und Partnern demonstrierte die Bundesrepublik eine Selbstverpflichtung zur dauernden Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkstätten waren in der Bundesrepublik zu Orten einer aktiven staatlichen Geschichtspolitik geworden - und haben diesem Umstand ihre bemerkenswerte Entwicklung seit den 1990er Jahren zum großen Teil zu verdanken. 1999 erklärte der Bund erstmals dauerhaft seine volle oder anteilige Zuständigkeit für einige Gedenkmuseen und Denkmäler in Berlin und übernahm für weitere Gedenkstätten zum NS-Regime und zur SED-Herrschaft anteilig die institutionelle Förderung; andere Einrichtungen hatten zumindest die Möglich- 82 e ntWIcklungen keit, eine befristete Unterstützung für Projekte zu erhalten. Die damit einhergehenden Förderkriterien hatten eine zweischneidige Wirkung. Sie unterstützten durch ihren wissenschaftlichen Charakter eine museale Professionalisierung der Gedenkstätten, reproduzierten aber bestehende Unterschiede: Viele Einrichtungen konnten den Kriterien und Ansprüchen aufgrund ihrer Voraussetzungen nicht gerecht werden oder wollten dies aufgrund eines anderen Selbstverständnisses nicht. Zudem brachte es die Förderkonstruktion mit sich, dass Gedenkstätten zur NS-Zeit und zur DDR-Geschichte miteinander um Mittel, Aufmerksamkeit und Bedeutung konkurrierten. Ausgehend von den Enquete-Berichten und Gedenkstättenkonzeptionen sollte insbesondere die „Aufarbeitung der SED-Vergangenheit“ in erheblicher Weise unterstützt werden. Davon profitierten nicht nur die wissenschaftliche Forschung, sondern auch zahlreiche Orte des Herrschafts- und Verfolgungsapparates der DDR, die fast paritätisch in die institutionelle Förderung des Bundes für Gedenkstätten an Orten der Verfolgung aufgenommen wurden. Die deutlich gewachsenen finanziellen Spielräume stießen aber auch in den bestehenden NS-Gedenkstätten beträchtliche Professionalisierungsprozesse an. Zunächst wurden alle großen KZ-Gedenkstätten seit Mitte der 1990er Jahre in mehrphasigen und bisweilen über ein Jahrzehnt dauernden Projekten umfassend neugestaltet. Die nach Standards für zeithistorische Museen entwickelten Neubauten, Sanierungen überlieferter Gebäude und modern gestalteten Ausstellungen sowie der Umgang mit den historischen Überresten standen unter einem Paradigma, das historiographische Genauigkeit mit gestalterischer Zurückhaltung verband. Die jahrzehntelang vernachlässigten oder mehr als Staffage einer nachträglichen Gesamtinszenierung des historischen Ortes genutzten Überreste wurden auf wissenschaftlicher Grundlage als Großexponate erschlossen, gesichert und lesbar gemacht (Klei 2011; Klei / Stoll / Wienert 2011). Dies geschah in erklärter Abgrenzung zu jenen politischen oder religiösen Botschaften und plakativen Inszenierungen, die Gedenkstätten vor 1990 in beiden deutschen Staaten geprägt hatten. Vor allem die staatlich geförderten Gedenkstätten sahen sich einem politischen Neutralitätsgebot verpflichtet und konzentrierten sich auf die Verbesserung ihrer Wissensgrundlagen und Vermittlungsarbeit. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten konnten sie nun erstmals anstreben, möglichst konkret, quellennah und anschaulich über die Ereignisse vor Ort zu informieren. Biographische Details, historiographische Quellengenauigkeit und eine zurückhaltende Sprache in Darstellung und Interpretation entwickelten sich zu Eckpunkten des professionellen Selbstverständnisses. Die normative wie faktische Orientierung an Standards der akademischen Geschichtswissenschaft und des zeitgenössischen Museumswesens führte aber auch zu Spannungen mit einem emotionalen, auf Empathie abzielenden Verständnis von Gedenken und Erinnern, wie es sich in den 1980er Jahren entwickelt hatte. 83 g eschIchtspolItIk In Der „B erlIner r epuBlIk “ So wurden trotz - und auch wegen - des pädagogischen Primats von Gedenkstätten als „Lernorten“ bestimmte Praktiken problematisiert, die „Gedenken“, „Betroffenheit“ oder „Trauer“ verpflichtet waren. Darin erkannten viele nun eine Überwältigungsgefahr: Emotionalisierung verhindere, so die sich ausbreitende Grundhaltung, ein wissensbasiertes, reflektiertes Geschichtsbewusstsein. Gedenkstätten orientierten sich an den Standards historischer Museen, ohne jedoch deren Hinwendung zu Erlebnisorten zu teilen. Dem entsprach der wachsende Einfluss von Architekten, Landschaftsgestaltern und Ausstellungsdesignern. Aber selbst diese von dezidierten ideologischen Botschaften freien musealen Gestaltungskonzepte begründeten neue, die Wahrnehmung lenkende Umgebungen und Sinnstiftungen: Die Musealisierung der deutschen Gedenkstätten in den vergangenen zwanzig Jahren stellt eine weitere Schicht der Deutung, Veränderung und Versinnlichung der historischen Tatorte dar. Mit ihren Neugestaltungen und der begleitenden politischen Kommunikation haben Gedenkorte und Gedenkstätten zu den Verbrechen des Nationalsozialismus und zur Geschichte der DDR ein immer größeres Gewicht in der bundesdeutschen Geschichtskultur gewonnen. Sie stehen seither unter dem Leitbegriff der „demokratischen Erinnerungskultur“ im Zentrum des kollektiven Gedächtnisses der Bundesrepublik. Besonders deutlich wurde dies in den Debatten um das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ (Kirsch 2003; Thünemann 2005). Mit der Einweihung des Denkmals 2005 endete eine fast zwei Jahrzehnte währende Geschichte öffentlichen und politischen Ringens und Diskutierens um den Umgang mit der NS-Vergangenheit. Eine 1988 von Prominenten wie der Journalistin Lea Rosh und dem Historiker Eberhard Jäckel initiierte Bürgerinitiative konnte 1994 den Bund und das Land Berlin davon überzeugen, einen Gestaltungswettbewerb für einen Standort in unmittelbarer Nähe zum Brandenburger Tor durchzuführen. Dessen Ergebnis - der Vorschlag, eine monumentale, schräg aus dem Boden aufragende Platte mit der sukzessiven Eingravierung aller Opfernamen - wurde nicht zuletzt von Bundeskanzler Helmut Kohl abgelehnt. Ein zweites Verfahren und die Realisierung des Siegerentwurfs nahm ein weiteres Jahrzehnt in Anspruch. In den Debatten um das Denkmal ging es erstens um das Verhältnis eines solch geographisch und politisch zentralen Ortes zu den dezentralen NS-Gedenkstätten an den historischen Orten der Verfolgung. Die Kontroverse wurde zwischenzeitlich noch durch das Vorhaben eines zentralen Holocaust-Museums befeuert; trotz des Widerstands des Architekten des Mahnmals wurde zwar kein Museum, aber der heutige „Ort der Information“ realisiert. Zweitens kristallisierte sich an der Widmung des Denkmals allein für die ermordeten europäischen Juden eine Opferkonkurrenz heraus, da auch andere Opfergruppen des Nationalsozialismus für sich eine vergleichbare Würdigung einforderten. Für einige davon sind inzwischen eigene Mahnmale errichtet worden: das „Denkmal 84 e ntWIcklungen für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen“ (2008), das „Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas“ (2012) und der „Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen ‚Euthanasie’-Morde“ (2014). Aktuell werden zudem weitere Denkmale für sowjetische Kriegsgefangene, für die polnische Zivilbevölkerung und für die osteuropäischen Opfer insgesamt diskutiert. Drittens waren Dimension und Anspruch des Denkmals von der Sorge begleitet, die neue Bundesrepublik wolle damit einen „Aufarbeitungsstolz“ demonstrieren und - im Widerspruch zum zukunftsoffenen Aufklärungsgebot vor allem der bürgerschaftlichen Gedenkstätten - einen „Schlussstrich“ anderer Art als in den 1950er und 1960er Jahren unter die Aufarbeitung des Nationalsozialismus ziehen. Tatsächlich dienten die Debatten um das sogenannte Holocaust-Mahnmal - was die Schärfe der Auseinandersetzungen erklärt - auch einer „Neudefinition nationaler Identität“ (Kirsch 2003: 125). Viertens gingen von dem Denkmal und seiner politischen wie öffentlichen Rezeption gerade keine unmittelbaren Impulse für eine weitere kritische Aufarbeitung des Holocaust und vor allem der Frage der Täterschaft aus, sondern vielmehr eine sakral eingehegte und von der postulierten Identifikation mit den Opfern getragene „Selbstgewissheit“ (Thünemann 2005: 290), nun über eine repräsentable Erinnerungskultur zu verfügen. Die Staatsräson der Bundesrepublik wurde neu ausgerichtet. Ihre politischen Verantwortungsträger bekundeten die Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen als unverzichtbaren Bestandteil der nationalen Identität. Neben dem Fokus auf große KZ-Gedenkstätten und zentrale Gedenkorte vor allem in Berlin erfuhr nun auch die dezentrale, zivilgesellschaftlich getragene Erinnerungskultur eine gewisse materielle Unterstützung aus den Ländern und Kommunen. Bundespräsident Roman Herzog forderte 1999 am „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ mehr „Orte der konkreten, historischen Erinnerung“, um die „fremder werdende Geschichte als tatsächliche Realität“ greifbar werden zu lassen (Herzog 1999). An vielen Orten ehemaliger und teils noch heutiger Straf- oder Heilanstalten, in früheren Gestapozentralen oder an Lagerorten für Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter konnten - zumeist bürgerschaftlich getragene - Initiativen Gedenkstätten eröffnen. Damit ging eine Pluralisierung der erinnerten Opfergruppen einher. Insbesondere die gesellschaftlich jahrzehntelang tabuisierten Opfer der „Euthanasie“, als homosexuell Verfolgte oder sowjetische Kriegsgefangene wurden sichtbarer. Diese Entwicklung wurde von heftigen geschichtspolitischen Debatten über Forderungen nach einer anderen Gewichtung der nationalen Erinnerungskultur begleitet. Neben einer angemessenen Aufarbeitung der Verbrechen in der SBZ und der DDR ging es dabei um zwei Gruppen, denen nach 1945 über lange Zeit hinweg zusammen mit den Soldaten der Wehrmacht eine deutlich höhere Aufmerksamkeit geschenkt worden war als den Opfern der NS-Verbrechen: zivile 85 g eschIchtspolItIk In Der „B erlIner r epuBlIk “ Opfer des Zweiten Weltkriegs, insbesondere von Bombenangriffen, von denen um 2000 vor allem eine als „Kriegskinder“ bezeichnete Generation ihren Erfahrungen öffentlich viel Geltung verschaffte, sowie Flüchtlinge und Vertriebene aus den früheren östlichen Regionen des Deutschen Reiches. In der langen Tradition revisionistischer und nationalistischer Forderungen der Vertriebenenverbände führte das 1999 vom Bund der Vertriebenen vorgestellte Projekt eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ zu heftigen nationalen und internationalen Auseinandersetzungen. Die Kritik richtete sich gegen eine primär nationale Betrachtungsweise, die sich vor allem am geplanten Ort des Zentrums in Berlin, der fehlenden Kooperation mit den von der NS-Besatzung in Osteuropa betroffenen Ländern und einer Entkopplung des historischen Zusammenhangs zwischen den NS-Verbrechen und den europäischen Zwangsmigrationen nach 1945 niederschlug. Trotz der Gründung der bundesunmittelbaren Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung 2008 und der inhaltlichen Anbindung an das Deutsche Historische Museum ist bis heute keine überzeugende Lösung gefunden worden, wie die Geschichte der Flucht und Vertreibung von Deutschen in ihrem europäischen Kontext museal erzählt werden kann, ohne historischen Relativierungen oder nationalem Revisionismus Vorschub zu leisten. Das Spektrum der als „Gedenkstätte“ bezeichneten Einrichtungen in der Bundesrepublik ist gegenüber den ersten vier Jahrzehnten nach 1945 beträchtlich gewachsen. Dabei scheint sich nicht nur angesichts der zahlreichen DDR-Gedenkstätten der längere Zeit herausgehobene Status von KZ-Gedenkstätten zu relativieren. Als Gedenkstätte firmieren so unterschiedliche Orte wie das „Memorium“ am Ort der Nürnberger Prozesse, das „Ehrenmal“ der Bundeswehr in Berlin oder die 2007 eingerichtete „Deutsch-polnische Gedenkstätte für Flucht, Vertreibung und Neuanfang“ in der Gedenkkirche Rosow. Die staatliche Gedenkstättenförderung erstreckt sich inzwischen auch auf Orte, die - wie die ehemalige SS-Ordensburg Vogelsang oder das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg - Ausbildungs-, Macht- oder Repräsentationszwecken des Nationalsozialismus dienten und damit nicht unmittelbar Tatorte waren (Manka 2008). Die Förderung von Museen an historischen Orten des NS-Apparates unter dem Dach der Gedenkstättenkonzeption leitet der Bund aus einer Erweiterung seiner „Gedenkpolitik“ ab. Sie beinhaltet demnach auch die Aufklärung über die NS-Herrschaft insgesamt und darauf bezogene „historisch-politische Lernorte“ wie das NS-Dokumentationszentrum in München. Während solche Neubauten und viele Umgestaltungen zur musealen Professionalisierung beigetragen haben, entstehen immer wieder innovative Formen eines dezentralen, nicht-staatlichen Erinnerns. Dazu gehören insbesondere die „Stolpersteine“. Begründet als Kunstprojekt zur Erinnerung an den letzten Wohnort späterer Opfer, haben sie sich innerhalb weniger Jahre zu einer in Deutschland und anderen europäischen Ländern weit verbreiteten Form von Boden- 86 e ntWIcklungen mahnmalen entwickelt. Viele von ihnen gehen auf Bürgerinitiativen und deren Recherchen zu den Lebenswegen von Verfolgten zurück. Als „Witnessstones“ erinnern in den USA inzwischen ähnliche Gedenkzeichen an das Schicksal ehemaliger Sklaven. Hier lebt eine Form des Erinnerns fort (oder auf), die spontaner, emotionaler und plakativer ist, als es viele ihrer Protagonisten mit den meisten der heutigen Gedenkstätten verbinden. Auch andere künstlerische Aktionen im öffentlichen Raum, Markierungen von Deportationsorten, Ausstellungen oder Erinnerungswege auf den Spuren von Herrschaftsorten und Verbrechen machen Topographien der Tat in der Alltagswelt sichtbar und erzeugen temporäre Gedenkorte vor allem durch performative Akte. Gedenkstätten für die Opfer in der SBZ und der DDR Auch an die Opfer sowjetischer Verbrechen auf deutschem Boden und diejenigen des SED-Regimes erinnert inzwischen eine große Zahl von Einrichtungen an historischen Orten (Kaminsky 2007). Ihre Genese seit 1990 war mit massiven Auseinandersetzungen verbunden, in denen sich grundlegende Debatten über das historische und erinnerungskulturelle Verhältnis von Nationalsozialismus und SED-Herrschaft entlang der Begriffe „Gleichsetzung“ oder „Hierarchisierung“ widerspiegelten. Dabei überkreuzten einander nun in einem Staats- und Diskursraum drei Erinnerungsparadigmen, die sich vor 1990 herausgebildet hatten: eines, das als „Antifaschismus“ und mit dem Fokus auf den kommunistischen Widerstand nicht nur die Erinnerungskultur der DDR geprägt, sondern seine eigene Bedeutung in der westdeutschen Gedenkstättenbewegung entfaltet hatte, ein weiteres, mit dem führende Politiker und Intellektuelle aus Ost und West an die Totalitarismustheorien anknüpften und nicht systematisch zwischen Nationalsozialismus auf der einen, Stalinismus und DDR-Sozialismus auf der anderen Seite unterschieden, und schließlich die Erinnerung an den Holocaust, die in der alten Bundesrepublik von zentraler Bedeutung, in der ehemaligen DDR offiziell erst seit den 1980er Jahren zum Thema gemacht worden war. Weil sowohl ehemalige NS-Verfolgte als auch die Opfer des SED-Regimes forderten, politisch und öffentlich anerkannt zu werden, entstand ein erhebliches Konfliktpotenzial. Die Auseinandersetzungen trugen unter anderem zur Etablierung wissenschaftsbasierter Verfahren in der Entwicklung von Gedenkstätten bei. Sie sollten die Überparteilichkeit der historischen Forschung garantieren, betonten aber auch die Individualität und Differenzierung der Verfolgten gegenüber kollektiven Zuordnungen und Vereinnahmungen. Historikerkommissionen, Expertenbeiräte, Gestaltungsverfahren, die Einbeziehung von Häftlingsverbänden und Opferorganisationen sowie die Gründung von Stiftungen, die keiner direkten ministeriellen Weisung unterliegen, sollten nach innen wie außen 3.5 87 g eDenkstätten für DIe o pfer Des s ozIalIsmus dazu beitragen, wissenschaftlich fundierte Inhalte über politische Botschaften zu stellen. Sie wurden für die Entwicklung in den „alten“ Bundesländern zum Modell bei der Neugestaltung von Gedenkstätten. Auch die Politik wurde über solche Verfahren mit in die Pflicht genommen, ihre eigenen Festlegungen demokratisch transparent und argumentativ nachvollziehbar zu treffen. So legte das vom thüringischen Landesparlament 2003 beschlossene Gesetz zur Gründung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora fest, was die Experten schon 1992 empfohlen hatten: In der Gedenkstätte Buchenwald sei die Geschichte der Konzentrationslager „vorrangig“ zu behandeln, aber auch die der Internierungslager in „angemessener Form in die wissenschaftliche Arbeit“ einzubeziehen (SGBM 2003: 175). Doch galt dies nicht überall: 2004 zog sich der Zentralrat der Juden in Deutschland aus den Gremien der Stiftung sächsische Gedenkstätten zurück, andere Verbände folgten. Salomon Korn, der Vertreter des Zentralrats, warf der Stiftung eine „Waagschalen-Mentalität“ vor, die zwischen dem Holocaust und kommunistischen Verbrechen nicht mehr grundsätzlich unterscheide, sondern sie in relativierender Absicht gleichsetze (Rudnick 2013). Einen bemerkenswerten staatlichen Eingriff in diese florierende, aber wenig professionalisierte Landschaft der Erinnerung an die SBZ / DDR stellten 2006 die im Auftrag des Bundes erarbeiteten Empfehlungen einer Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbunds „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ dar, die für thematische Leitachsen, eine Straffung der Erinnerungskultur und eine museale Professionalisierung votierten (Sabrow u. a. 2007). Hinsichtlich der Erinnerung an die Verbrechen des SED-Regimes sieht die Infrastruktur der Tatorte anders aus als für die NS-Zeit. Zunächst überwiegen Gedenkstätten an Orten, die in den meisten größeren und einigen Provinzstädten an den staatlichen Apparat der politischen Repression erinnern. Sie wurden vom Ministerium für Staatssicherheit als Untersuchungshaftanstalten oder von der DDR-Justiz als Gefängnisse und Zuchthäuser genutzt (Aris 2013). Da sie bis zum Ende der DDR in Gebrauch waren, sind hier - anders als bei vielen Orten der NS-Verfolgung - noch umfangreiche historische Infrastrukturen und Ausstattungsobjekte erhalten. Sie haben eine eigene Sprache der Dinge, deren historische Echtheit von den DDR-Gedenkstätten als Alleinstellungsmerkmal besonders betont wird - Haftzellen mit originalen Pritschen, Vergitterungen der Zellenfenster, Bewachungs- und Verhöreinrichtungen oder Inschriften von Inhaftierten. Historisch und geschichtspolitisch dokumentieren sie einen wesentlichen Unterschied zwischen dem NS-System und dem SED-Regime: In der DDR wurden etablierte „totale Institutionen“ (Erving Goffman) für Unrechtsmaßnahmen genutzt, aber keine neuen Topographien der Gewalt geschaffen. 88 e ntWIcklungen Abb. 7: Zellengang in der ehemaligen Haftanstalt Bautzen II (1906-1992) In einigen Fällen dokumentieren Gefängnisbauten mehrere Epochen deutscher Geschichte, wenn sie - wie im Fall der Gedenkstätte Zuchthaus Brandenburg-Görden, der Gedenkstätte Bautzen oder der Gedenkstätte Roter Ochse Halle - bereits im Kaiserreich errichtet und auch vom nationalsozialistischen Staat genutzt worden sind. Langjährige Kontroversen gab es um das Gedenken in Torgau: Im heute noch als Justizvollzugsanstalt genutzten Fort Zinna befanden sich nacheinander ein Gefängnis der NS-Militärjustiz, ein sowjetisches Speziallager und ein Gefängnis der DDR-Justiz. Torgau bildete zudem während der NS-Zeit ein Zentrum der Militärjustiz, da hier zeitweise auch das Reichskriegsgericht ansässig war; zur DDR-Zeit bestanden in der Stadt bis 1963 ein Jugendgefängnis und anschließend ein Geschlossener Jugendwerkhof. Das Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Torgau widmet sich der NS-Militärjustiz, den „Speziallagern“ und dem DDR-Strafvollzug. Die zwischen 1996 und 2004 entstandenen drei Teile der Dauerausstellung und der wenige Jahre später eingeweihte Gedenkort spiegeln ein Bestreben wider, die verschiedenen Gewaltordnungen und Opfergruppen der beiden Regime zumindest stark anzunähern und wesentliche Aspekte der NS-Zeit auszublenden, da die NS-Militärjustiz lediglich nachrangig behandelt wird. Eine Besonderheit waren in der DDR die „unsichtbaren“ Untersuchungshaftanstalten in ehemaligen Behördengebäuden der Staatssicherheit, die in den 1950er Jahren oder später erbaut wurden. Neben der Gedenkstätte Berlin-Ho- 89 g eDenkstätten für DIe o pfer Des s ozIalIsmus henschönhausen erinnert eine weitere prominente Gedenkstätte an einen dieser „unsichtbaren“ Orte: das heutige „Stasimuseum“ in Berlin. Es geht auf die Proteste von Bürgerrechtlern und die Besetzung der Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in der Normannenstraße in Berlin zurück, durch die unter anderem Akten vor ihrer Entsorgung gerettet werden sollten (Rudnick 2011: 433 ff.). Die dort am 7. November 1990 gegründete Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße befindet sich noch heute in Trägerschaft eines Vereins, der Antistalinistischen Aktion Normannenstraße e. V. Sie arbeitet - insbesondere bei der Erstellung der 2015 eröffneten Dauerausstellung - eng mit der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) zusammen, deren Archiv im selben Gebäudekomplex untergebracht ist und die inzwischen auch über eine Dauerausstellung verfügt. Seit 2012 wird von der Behörde die Idee verfolgt, den zu einem großen Teil leerstehenden Gebäudekomplex der ehemaligen Stasizentrale für einen „Campus der Demokratie“ zu nutzen, um an einem zentralen Ort an die Geschichte der DDR und deren Überwindung zu erinnern. Neben den Orten zur Erinnerung an die Repression durch Stasi und Justiz stehen noch zahlreiche Grenzmuseen wie die Gedenkstätte Berliner Mauer für ein anderes zentrales Thema der DDR-Geschichte: den Mauerbau und bewehrte Grenzverläufe, die eine Flucht in den Westen verhindern sollten. Die Arbeitsgemeinschaft Grenzmuseen verzeichnet etwa fünfzig solcher Einrichtungen unterschiedlicher Größe von lokaler Bedeutung bis hin zu mehreren bundesgeförderten Gedenkstätten wie der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn in Sachsen-Anhalt und dem Deutsch-Deutschen Museum Mödlareuth in Oberfranken. Ihre Selbstbezeichnungen reichen von „Heimatmuseum“ über „Grenzlandmuseum“ bis zu „Gedenkstätte“. An der „Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde“, der zentralen Anlaufstelle für DDR-Flüchtlinge in Berlin, lässt sich im Zeitraffer ablesen, wie aus einer Initiative von Bürgern und Wissenschaftlern, die unmittelbar nach dem Ende der DDR mit der Sammlung von Objekten begonnen hatten, eine Einrichtung in staatlicher Trägerschaft geworden ist: Der Ort ist seit 2009 Teil der von Bund und Land Berlin getragenen Stiftung Berliner Mauer. Zu diesem Bereich der Erinnerung an die deutsch-deutsche Teilung gehört auch das Gedenken an die „Mauertoten“. Es war seit den 1990er Jahren mit vielen Kontroversen um ihre Zahl, den juristischen Umgang mit den Verantwortlichen (vor allem den Grenzsoldaten) und die Art des Gedenkens verbunden. Auch hier engagieren sich - auf westlicher Seite bereits seit 1961 - verschiedene Bürgerinitiativen. Der Berliner Bürger-Verein ließ für jeden Toten ein Holzkreuz entlang der Mauer aufstellen. Zehn Jahre später wurde die Gedenkstätte „Weiße Kreuze“ eröffnet, die in leicht veränderter Form 2003 ihren heutigen Standort gegenüber der Südseite des Reichstagsgebäudes erhielt. Die Gedenkstätte Berliner Mauer am letzten weitgehend vollständig erhaltenen Stück der Maueranlagen in der Bernauer Straße sowie das private Museum am ehemaligen Checkpoint Charlie zäh- 90 e ntWIcklungen len zu den bekanntesten touristischen Attraktionen der Hauptstadt (Harrisson 2011; Fenn / Passens 2019). Abb. 8: Installation „Fenster des Gedenkens“ in der Gedenkstätte Berliner Mauer Hinzu kommen weitere Orte, die an Ereignisse oder Verfolgte des Widerstands gegen das DDR-Regime und der politischen Repression erinnern. Mit vielen der DDR-Gedenkorte sind neben der Repression auch Narrative und Symbole der Überwindung der SED-Herrschaft verbunden. Manche der ehemaligen Bürgerrechtler, nicht selten vor 1989 / 90 selbst politisch Verfolgte, verteidigen an und mit diesen Orten eine Lebenserzählung, in deren Zentrum der eigene Beitrag zur Befreiung vom Sozialismus steht. Dessen Bedeutung wird aufgewertet, wenn der Eindruck struktureller Gleichheit und historischer Kontinuität zur NS-Zeit erzeugt wird, wie dies im „Menschenrechtszentrum Cottbus e. V.“ am Ort des dortigen ehemaligen Zuchthauses unter anderem mit einer Dauerausstellung unter dem Titel „Karierte Wolken. Politische Haft im Zuchthaus Cottbus 1933-1989“ geschieht (Zündorf / Marten 2019). Die Anerkennung von Verfolgung und Widerstand in der DDR ist inzwischen ein zentraler und gut ausgestatteter Bestandteil der bundesdeutschen Erinnerungskultur. Das 2007 vom Bundestag beschlossene „Freiheits- und Einheitsdenk- 91 g eDenkstätten für DIe o pfer Des s ozIalIsmus mal“ vor dem Berliner Stadtschloss soll zudem an zentraler Stelle an die „friedliche Revolution“, die Vereinigung von Bundesrepublik und DDR sowie an andere freiheitliche Ereignisse der deutschen Geschichte erinnern. Obwohl sich die Realisierung des Entwurfs „Bürger in Bewegung“ wiederholt verzögert hat, zeigt dieses Projekt zusammen mit vielen weiteren Ausstellungen, Museen und Gedenkstätten in privater, kommunaler und Landesträgerschaft, dass sich in den letzten dreißig Jahren ein vielfältiges Spektrum an Gedenkorten und Institutionen zur Erinnerung an die Opfer, Verfolgten und Oppositionellen des SED-Regimes entwickelt hat. Vom zentralen Mahnmal über staatliche Gedenkstättenstiftungen bis hin zu dezentralen, zivilgesellschaftlich getragenen Einrichtungen und der besonderen Rolle von Opferverbänden weist die Institutionalisierung dieses Erinnerns viele Gemeinsamkeiten mit dem Bereich der Erinnerung an die NS-Verbrechen auf. Doch gibt es auch Unterschiede: Erstens ist eine erhebliche Unzufriedenheit über die historische Aufarbeitung der DDR zu erkennen. Über Politik, Gedenkstätten und zivilgesellschaftliche Initiativen hinweg äußert sie sich immer wieder in der Kritik, die Geschichte von Repression, Verfolgung und Opposition in der DDR werde wie ein „Stiefkind“ behandelt (Kaminsky 2005). Dies geht zweitens mit Klagen über einen unzureichenden Kenntnisstand der Bevölkerung über die Geschichte der DDR einher, dem gerade die Gedenkstätten durch ihre Bildungsarbeit begegnen müssten. Damit wird auch begründet, warum die vorhandenen Überreste und Zeitzeugen oft dezidiert als einander verstärkende Authentifizierung genutzt werden müssten, um eine unmittelbare Emotionalisierung zu erreichen. Drittens haben die Opferverbände ein stärkeres, öffentlich sichtbares Gewicht in ihrem konkreten Einfluss auf die Entwicklung von Gedenkorten, als dies bei den NS-Gedenkstätten in der Bundesrepublik über lange Zeit hinweg der Fall war, zumal die Opferverbände selbst mit beträchtlichen Mitteln gefördert werden. Viertens werden Erinnern und Gedenken an das SED-Regime von einem Netzwerk gleich mehrerer staatlich geförderter Institutionen oder Strukturen der Dokumentation und Forschung mit getragen: der BStU; der 1998 gegründeten Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die neben einer Fülle eigener Informationsveranstaltungen, Publikationen und Forschungen über Projektförderungen, Stipendien und Kooperationsprogramme eine erhebliche Breiten- und Tiefenwirkung erreicht, für die es im Bereich der NS-Erinnerung auf Bundesebene kein Pendant gibt; dem Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, das einen Arbeitsschwerpunkt in der Geschichte der DDR und des Kommunismus hat, sowie dem Hannah-Arendt-Institut in Dresden; der 2018 von der Bundesregierung aufgenommenen Finanzierung von Forschungsverbünden zur DDR-Geschichte, die deren wissenschaftliche Bearbeitung besser an den Universitäten verankern und deren Zusammenarbeit mit Gedenkstätten, Erinnerungs- 92 e ntWIcklungen initiativen und Opferverbänden stärken soll - auch dies eine Initiative, für die es im Bereich der NS-Gedenkstätten keine Entsprechung gibt. Und fünftens: Für die NS-Gedenkstätten hat sich weitgehend als Norm herausgebildet, auf eine „Überwältigung“ der Besucher und vor allem von Jugendlichen durch eine Dramatisierung der Originale, Zeitzeugenaussagen oder Gräber zu verzichten und die Konfrontation mit dem Ort nicht unmittelbar mit politisch-moralischen Botschaften zu verschränken. Daher rührt auch eine Skepsis gegenüber direkten Bezügen zu Demokratie oder Menschenrechten als Lernzielen. Anders sieht es zumindest in einigen DDR-Gedenkstätten aus. Ähnlich wie in vielen osteuropäischen Gedenkorten sind die Menschenrechte und Begriffe wie „Unrechtsstaat“ eine zentrale Referenz. Das hat auch mit der Geschichte des Kampfes gegen den Sozialismus zu tun, denn Dissidenten und Bürgerrechtler formierten sich seit den 1970er Jahren im Lichte eines globalen Aufschwungs der Politik der Menschenrechte. Zudem stehen diese Gedenkstätten dem historischen Geschehen noch näher und nutzen im Widerspruch zum „Überwältigungsverbot“ nicht selten Orte wie Zeitzeugen, um ein Nacherleben von Verhör- oder Haftsituationen zu suggerieren. B eispiel : D ie G eDenKstätte B erlin -h ohenschönhausen Die erste Initiative zur Schaffung einer Gedenkstätte in der zentralen Untersuchungshaftanstalt des Staatssicherheitsdienstes („Stasi“) der DDR in Berlin-Hohenschönhausen ging vom Westen aus: Ein Jahr vor dem Mauerfall wandte sich ein Kreis von SPD-Politikern und ehemaligen Stasi-Häftlingen an Erich Honecker mit dem Ziel, im Zeichen der „Perestroika“ ein Mahnmal außerhalb der als geheim behandelten Haftanstalt zu errichten. Seit Anfang der 1950er Jahre hatte die Stasi ein ehemaliges Fabrikgelände, das in der NS-Zeit von der „Volkswohlfahrt“ und als Kriegsgefangenenlager genutzt worden war, für ihre Zwecke übernommen - von der sowjetischen Besatzungsmacht, die hier in einem Sperrgebiet eines ihrer „Speziallager“ und zudem ein „Kellergefängnis“ eingerichtet hatte. Die Stasi baute den Ort für ihre Zwecke aus, unter anderem mit einem neuen Gefängnisbau, einem geheimen Haftarbeitslager und ihrem „Zentralen Haftkrankenhaus“. Von hier aus wurden alle Gefängnisse der Stasi verwaltet, wichtige Einheiten des Ministeriums für Staatssicherheit hatten in dem Komplex ihren Sitz. In Berlin-Hohenschönhausen setzte die Stasi systematisch in den 1950er Jahren physische Misshandlungen ein, danach ihre berüchtigte „operative Psychologie“ (auch als „weiße“ Folter bezeichnet) im Rahmen einer Vielzahl von Verhören gegen politisch Verdächtige. Gut 10.000 Gefangene wurden innerhalb der vier Jahrzehnte, in denen die Haftanstalt bestand, den dortigen Prozeduren unterzogen. Noch in der Endphase der DDR versuchte die neue Regierung 1989 / 90, die Stasi und Hohenschönhausen umzustrukturieren, während Bürgerinitiativen bereits auf die Einrichtung einer Gedenkstätte drängten. Erst kurz zuvor war das Bestehen dieser Haftanstalt, die auf offiziellen Stadtplänen nicht eingezeichnet war, überhaupt öffentlich geworden. Nach dem Übergang der Zuständigkeit an den Berliner Senat im Oktober 1990 und einem zwischenzeitlichen Belegungs- 93 g eDenkstätten für DIe o pfer Des s ozIalIsmus stopp wurde zunächst eine Weiternutzung als Haftanstalt vorgesehen. Zugleich nahmen aber die Forderungen zu, diesen Ort als Gedenkstätte zu nutzen, zumal sich dort die Zentralkartei des Stasi-Strafvollzugs befand. In den folgenden Jahren rangen Bürgerinitiativen, Intellektuelle und Politiker mit Bezirksamt, Senat und Bund um Form und Größe der Gedenkstätte, die schließlich am 1. Dezember 1995 als gemeinsame Einrichtung von Bund und Land Berlin formell gegründet wurde. Allerdings setzten sich die intensiven Debatten - auch im Kontext der zweiten Enquete-Kommission des Bundes zur Frage des Umgangs mit der DDR-Geschichte - über Organisation, Finanzierung, Ausrichtung und Personal der Gedenkstätte fort. Umstritten war, wofür der Ort stehen konnte und sollte: für die DDR-Geschichte im Ganzen, für „Opposition und Widerstand“, nur für die politischen Opfer des Regimes im engeren Sinne - oder, wie manche es sich erhofften, für eine Abrechnung mit dem Kommunismus insgesamt. Zugleich waren sich die politischen Vertreter in der Debatte uneins darüber, welcher Einfluss den Opferverbänden eingeräumt werden sollte. Auf der Basis einer von Historikern erarbeiteten Rahmenkonzeption verabschiedete das Berliner Abgeordnetenhaus im Jahr 2000 schließlich ein Gesetz zur Überführung der Gedenkstätte in eine Stiftung. Überlegungen zur Zentralisierung der Berliner Gedenkstätten oder zur Angliederung von Hohenschönhausen an die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur wurden nicht umgesetzt. Doch die Kontroversen rissen nicht ab: 2006 eskalierte die Kritik ehemaliger Funktionäre des Ministeriums für Staatssicherheit an der Gedenkstätte. Einige von ihnen sprengten eine Podiumsdiskussion aus Anlass der Markierung des früheren Sperrgebiets durch vier Gedenktafeln. Sie kritisierten die Zeitzeugenberichte als unkritisch übernommene Übertreibungen, verwiesen auf das DDR-Recht als Grundlage ihrer Arbeit und prangerten unzulässige Gleichsetzungen zwischen der DDR, der Sowjetunion und dem Nationalsozialismus an. Zur Gedenkstätte gehören umfangreiche Liegenschaften des früheren Stasikomplexes, die seit 1992 unter Denkmalschutz stehen und mit deren baulicher Teilsanierung 2000 begonnen worden ist. Aber erst von 2011 bis 2013 wurden Bestandsräume zu musealen Grundeinrichtungen wie einem Filmraum, einer Cafeteria und einem neuen Empfangsbereich umgebaut. Die Zahl der Besucher hat sich in den vergangenen zehn Jahren auf etwa 450.000 fast verdoppelt. Das Gelände ist nur im Rahmen von Führungen zugänglich, die zu einem großen Teil von ehemaligen Inhaftierten durchgeführt werden. Letzteres stößt auf Kritik - zum einen, weil Führungen mit dezidiert tagespolitischen Aussagen verknüpft werden, zum anderen, weil Guides nicht nur aus der eigenen Opferrolle heraus sprechen, sondern manche als besonderes Erlebnismoment auch das Bewachungspersonal imitieren oder sensorische Eindrücke durch zuschlagende Stahltüren oder das Stehen in Zellen vermitteln wollen. Unnötig dramatisiert wird die Geschichte dieses Ortes auch, wenn er als „deutsche Lubjanka“ mit dem berüchtigten Moskauer Gefängnis des KGB gleichgesetzt wird. Literatur: Jones 2011; Neiss 2011; Erler 2012; Buckley-Zistel 2014. 94 e ntWIcklungen Gedenkstätten in Europa seit 1990 Gedenkstätten für Opfer von Gewaltverbrechen des 20. Jahrhunderts und insbesondere KZ-Gedenkstätten finden sich in fast allen Ländern Europas. Die Häftlinge des NS-Regimes kamen seit Kriegsbeginn aus allen Teilen Europas und waren in einem sich über ganz Europa erstreckenden Lagerkosmos untergebracht. Darin spiegelt sich die Unterdrückung vieler besetzter Staaten und ihrer Bevölkerung durch das NS-Regime wider. Vor allem in Österreich und Italien stehen die Gedenkorte an die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs in einem komplizierten Überlagerungsverhältnis von Mittäterschaft und Besatzung. In Italien gab es zwar frühe Mahnmale an einigen Orten der Massenerschießungen in der letzten Kriegsphase, doch erst seit den 1970er Jahren einzelne kleinere Widerstandsmuseen. Im Zuge des „memory boom“ kam es zu Neugestaltungen wie in Sant’Anna di Stazzema mit der Eröffnung eines Historischen Museums (1991) und eines Friedensparks (2000). In Österreich konzentriert sich die Erinnerung im Wesentlichen auf das ehemalige KZ Mauthausen. Die Ausstellung von 1970 wurde 2003 um ein Besucherzentrum ergänzt und zehn Jahre später, zusammen mit einer archäologisch begleiteten Grundsanierung der baulichen Überreste, durch zwei neue Dauerausstellungen ersetzt (Rupnow / Uhl 2011; Perz 2013; Allmeier 2016). Auch im übrigen Westeuropa lässt sich nach einer ersten Initialisierungsphase zwischen 1945 und den 1960er Jahren ein ähnlicher Entwicklungsschub wie in Deutschland ausmachen: So wurde in den Niederlanden in den 1990er Jahren die Gedenkstätte Westerbork neugestaltet und 1999 ein neues Besucherzentrum eröffnet; in Vught (1990 / 2002) und Amersfoort (1995 / 2004) folgten neue Gedenkstätten, die vorhandene Nationaldenkmäler ergänzen. In Frankreich wurden mit einer leichten Verzögerung in den 2000er Jahren Neugestaltungen und Neuinstallationen in Natzweiler-Struthof, Drancy und Gurs vorgenommen. In beiden Ländern kam es seit den 1990er Jahren zu intensiven Debatten über den bis dahin heroisierten Widerstand gegen die Besatzung und sein Verhältnis zum Holocaust, zu Kollaboration und Mittäterschaft. Sie waren jeweils mit heftigen Kontroversen über die Kolonialherrschaft beider Staaten verbunden. Lange gepflegte Dichotomien von Siegern und Besiegten, Opfern und Tätern lösten sich auf. Im belgischen Mechelen, wo zwischen 1942 und 1944 in der Dossin-Kaserne ein Durchgangslager für Juden und Roma bestand und später nach der Räumung der Kaserne durch die belgische Armee Wohnungen eingerichtet worden waren, wurde erst 1995 - aufgrund der Initiative jüdischer Organisationen und Holocaust-Überlebender - in einem Teil des Gebäudes das Jüdische Deportations- und Widerstandsmuseum eingerichtet. Angeregt durch dessen Erfolg engagierten sich die flämische Regierung und verschiedene Kommunen. 2012 wurde 3.6 95 g eDenkstätten In e uropa seIt 1990 in ihrer Verantwortung ein Neubau als professionelles Museum eröffnet und die Kaserne zum Großexponat. Im Zentrum des Konzepts stehen jetzt vergleichende Perspektiven auf andere Genozide und im Bildungsbereich die Behandlung von Menschenrechten. Insbesondere Vertreter der Opferverbände kritisieren diese Verallgemeinerung. In Osteuropa missachtete ab 1945 die sowjetische Hegemonie das Recht auf nationale Autonomie im östlichen Teil Europas; sozialistische Regime unterdrückten die Freiheit ihrer Bevölkerungen. Mit dem Ende der Sowjetunion wurden die beiden Herrschaftserfahrungen der NS-Besatzung und der sozialistischen Herrschaft seit den 1990er Jahren zugunsten neuer nationaler Legitimationsnarrative als Kontinuität des Unrechts und kollektiven Leidens gedeutet. Es wuchs auch der Bedarf, gemeinsame, West- und Osteuropa verbindende Deutungen von Herrschaft, Gewalt und Vernichtung im 20. Jahrhundert zu entwickeln. Erste Revisionen der sozialistischen Geschichtspolitik hatten jedoch früher eingesetzt: So konnte bereits im Dezember 1980 das monumentale „Denkmal für die gefallenen Werftarbeiter von 1970“ in Danzig errichtet werden, das an Streikende erinnert, die im Rahmen von gewaltsam niedergeschlagenen Streiks und Protesten auf dem Gelände der Lenin-Werft umgekommen waren. Im Jahr darauf ließ die polnische Regierung das „Denkmal des Posener Aufstands“ in Posen zu, um der Toten der antikommunistischen Erhebung von 1956 zu gedenken. Es handelte sich dabei zwar nicht um Gedenkstätten im engeren Sinne, wohl aber um wichtige Kristallisationspunkte der politischen Opposition. Der Sturz des Sozialismus in Osteuropa wurde - nicht selten gegen Widerstände der Bevölkerung und alten Staatsvertreter - durch Akte symbolischer Gewalt im Sinne einer „damnatio memoriae“ bekräftigt: der „Verdammung“ des vom vorherigen Regime gepflegten Andenkens und ihrer Symbole. Ihren greifbarsten Ausdruck fand dies in der Demontage von Statuen des KGB-Chefs Dzerzinskij in Warschau und Moskau, des Hoxha-Denkmals in Tirana oder des Lenin-Denkmals in Berlin. Der Stadtrat von Budapest beschloss 1991, Dutzende Denkmäler und Gedenktafeln zu entfernen, die an die Niederschlagung des Aufstands von 1956 oder anderweitig positiv an die sowjetische Armee erinnerten. Das war auch von dem Bestreben getragen, eine idealisierte nationale Vergangenheit der vorsozialistischen Zeit wiederzubeleben. An einigen Orten wie in Moskau oder Budapest wurden die abgetragenen Statuen als Zeichen des überwundenen Sozialismus in dafür neu angelegte Freiluftmuseen überführt. Das Berliner Lenin-Denkmal landete nach seinem Abriss im Boden eines Köpenicker Waldes. Gleichwohl: Die Bundesregierung sicherte 1992 im Rahmen der Einigungsverhandlungen in einem bilateralen Abkommen der damaligen Sowjetunion zu, die sowjetischen Kriegsgräberstätten in der Bundesrepublik zu erhalten und zu pflegen. Dazu gehört auch das vom SED-Regime vielfach für Aufmärsche und Versammlungen genutzte Ehrenmal im Treptower Park 96 e ntWIcklungen in Berlin von 1949, eine weitläufige symbolische Grabanlage im Zentrum eines Soldatenfriedhofs, mit der an die 80.000 in der Schlacht um Berlin 1945 gefallenen sowjetischen Soldaten erinnert wird. Überragt von einer monumentalen Statue und ganz im Stil des stalinistischen Heldenkults gestaltet, reiht sich das Ehrenmal in die verschiedenen Sehenswürdigkeiten des Parks ein. In Russland selbst war nach dem Ende der Sowjetunion zunächst das Interesse an einer Aufarbeitung des Stalinismus gestiegen, doch spätestens unter dem 2000 erstmals gewählten Staatspräsidenten Wladimir Putin galt dies zunehmend als unpatriotisch. Stattdessen entwickelte sich eine heroisierende Kontinuitätsstiftung mit antiwestlicher Stoßrichtung, die einen nationalen, russischen Identitätskern weit über das 20. Jahrhundert hinweg betonte und den Stalinismus relativierte. Zwar bestehen in Moskau mit dem Staatlichen Museum der Geschichte der Gulag und der „Mauer der Trauer“ seit kurzem eigenständige Gedenkorte, die an die Opfer des Lagersystems erinnern. Durch den starken Fokus auf individuelle Lebensgeschichten und die zeitliche Begrenzung auf den Stalinismus wird das Gedenken aber von strukturgeschichtlichen Fragen und Kontinuitäten weitgehend abgelöst - und somit versucht, es als historisches Geschehen zu entpolitisieren, zumal die Staatsführung entsprechenden Gedenkfeierlichkeiten in der Regel fernbleibt. Immerhin erinnern mehrere hundert, meist aber verborgen gelegene Gedenkzeichen, Gräber und Mahnmale an das System der sowjetischen Arbeitslager. Allerdings gibt es nur drei Gedenkstätten und Gedenkmuseen, die sich zudem teilweise in einer äußerst prekären Lage befinden. Das noch bis 1987 genutzte sowjetische Arbeitslager Perm-36 am Rande des Ural wurde seit 1995 von einer regionalen zivilgesellschaftlichen Initiative als Gedenkstätte zur Erinnerung an die Opfer des Gulag unterhalten. Es musste aufgrund behördlicher Obstruktionen aber 2014 einem staatlichen Museum Platz machen, das sich einer eindeutigen Verurteilung der stalinistischen Verbrechen entzieht. Mangelnde finanzielle Ausstattung und politisch begründete Personalwechsel dokumentieren, wie abhängig die Gedenkstätte von staatlichen Direktiven nun ist - eine kritische und aktive Erinnerungsarbeit wird dadurch weitgehend verhindert (Seifert 2014; Dubina 2015). In Osteuropa zielten viele Projekte für Gedenkstätten, Museen oder Denkmäler darauf ab, nationale Geschichtsbilder zu verankern, neue Staaten oder Gesellschaftsordnungen zu legitimieren und die Historisierung des Zweiten Weltkriegs sowie das Ende des Sozialismus erinnerungspolitisch nachzuvollziehen. Es lassen sich in diesem Zusammenhang mehrere Tendenzen feststellen: Erstens sind mit dem Ende hegemonialer Geschichtsbilder, die sich nicht unwesentlich über das Beschweigen der eigenen Mitschuld und Verantwortung formiert hatten, zahlreiche gesellschaftliche Konfliktlinien aufgebrochen, bislang verdrängte historische Episoden sichtbar geworden und neue zwischen- und innerstaatliche Kon- 97 g eDenkstätten In e uropa seIt 1990 stellationen für die Aushandlung von Geschichtsdeutungen entstanden. In vielen osteuropäischen Ländern hat zum Beispiel der Holocaust lange Zeit und zum Teil bis heute keinen angemessenen Ort in den Erinnerungskulturen. War nach 1945 das Schicksal von Juden an Gedenkorten und in Gedenkstätten oft nivelliert worden oder unbenannt geblieben, gab es nun Widerstände, den Holocaust im Kontext der eigenen, neuen Nationalgeschichte zu behandeln - auch, weil dies lange verdrängte Fragen der Kollaboration aufwarf. Zweitens haben sich die historischen Bezugsebenen und das Mythenreservoir der Erinnerungspolitik deutlich erweitert, indem nicht mehr nur der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg, sondern die stalinistische und sozialistische Epoche ebenso wie länger zurückreichende nationale Traditionslinien einbezogen werden (Bauerkämper 2012). Dazu gehören auch umstrittene historische Identifikationsfiguren, auf die neu entstandene Nationen zurückgreifen. Einer der bekanntesten Fälle ist sicherlich der ukrainische Nationalist und Partisanenführer Stepan Bandera - von der Regierung als „Held der Ukraine“ geehrt und mit zahlreichen Denkmälern im Westen des Landes bedacht, wird er vor allem von jüdischer, polnischer und russischer Seite als verbrecherischer und für viele Morde mitverantwortlicher Nazi-Kollaborateur angesehen. Neben den Deutungen hat sich drittens auch die Topographie der Erinnerung in Europa seit den 1990er Jahren beträchtlich verändert, denn die neuen Narrative sind immer mit eigenen historischen Orten oder deren Umdeutung verbunden: Eine große Zahl von Gedenktafeln und Denkmälern ist inzwischen dem millionenfachen Hungertod vor allem in der Ukraine 1932 / 33 („Holodomor“), dem sowjetischen Terror von 1937 / 38, dem Ungarischen Aufstand von 1956 oder dem Prager Frühling von 1968 gewidmet. Vielerorts wird die Epoche der kommunistischen Herrschaft durch Gefängnisse und Folterstätten der staatlichen Geheimdienste, Stätten von Aufständen und Demonstrationen oder Grenzorte baulich oder symbolisch konkret, auch wenn es dort häufig noch keine Gedenkstätten gibt. Inzwischen sind mehr als 6000 Gedenkzeichen und Gedenkstätten ausgewiesen, die der Erinnerung an die Opfer des Kommunismus gewidmet sind. Gerade die darunter versammelten musealen Einrichtungen sind viertens stark durch geschichts- und nationalpolitische Interessen geprägt. Gedenkmuseen wie das Jüdische Museum in Moskau oder das Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau und das Holocaust-Museum in Budapest sind nationale und städtische Prestigeprojekte mit klaren identitätspolitischen Botschaften. In Kiew eröffnete 2008 das Nationale Museum zur Erinnerung der Opfer des Holodomor mit einer ausgedehnten Gedenklandschaft. Es dient nicht zuletzt dazu, den Begriff „Holodomor“, der per Gesetz das massenhafte Sterben und Morden in den 1930er Jahren als Völkermord an der ukrainischen Nation klassifiziert, als einen Identitätskern vor allem gegenüber Russland zu etablieren. Das Okkupations- und Freiheitsmuseum Vabamu im estnischen Tallinn oder 98 e ntWIcklungen das Lettische Okkupationsmuseum in Riga fokussieren stärker auf die längere Geschichte der zweiten Besatzungszeit nach 1945 und setzen sie dabei in einen Bezug zur vorhergehenden deutschen Besatzung und zum Holocaust, so dass diese tendenziell relativiert werden. Das Haus des Terrors in Budapest oder das Museum des Warschauer Aufstands in Warschau sind identitätspolitische Orte, die einen in der eigenen Kultur begründeten Mut zu Freiheitskampf und Heldentum mythisch überhöhen. Effektvoll setzen sie vermehrt auf inszenatorische und immersive Elemente statt auf eine differenzierte Aufarbeitung von Quellen und materiellen Überresten. Gedenkorte für eine nationale Identitätspolitik zu nutzen, hat zudem in den vergangenen Jahren Gedenkstätten und Geschichtsmuseen an Orten entstehen lassen, mit denen äußerst umstrittene Geschichtsdeutungen, Verdrängungen und Tabuisierungen verbunden sind. Im Wald des russischen Dorfes Katyn wurde 2000 das neu gestaltete Memorial Katyn eingeweiht. Der jahrzehntelang abgeschirmte Friedhof verkörpert wie kaum ein anderer die schmerzhafte polnische Erinnerung an den Stalinismus. Er repräsentiert insgesamt 25.000 vom sowjetischen Geheimdienst 1940 an mehreren Stätten ermordete Polen. Der Gedenkort besteht aus zwei getrennten Bereichen: In einem Teil wird an die hier exekutierten mehr als 4300 polnischen Offiziere erinnert. Wie komplex solche Orte sein können, zeigt sich im zweiten Bereich: Hier wird etwa gleich vieler sowjetischer Opfer gedacht, die von Deutschen ermordet worden waren. Die Gestaltung des kulturellen Gedächtnisses ist für viele Themen und Orte der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts noch längst nicht abgeschlossen und hängt fünftens sehr von den jeweiligen politischen Entwicklungen ab. In Budapest ließ die rechtsgerichtete Regierung unter Viktor Orban ohne öffentliche Debatte 2014 am Freiheitsplatz ein Denkmal für die Opfer der deutschen Besatzung errichten. Ungarn wird hier kollektiv zum Opfer stilisiert. Kritiker wandten sich dagegen, auf diese Weise Kollaboration und Mitverantwortung von Ungarn auszublenden. Viele Bürger haben ihrem Protest in Form eines „lebendigen“ Denkmals mit individualisierten Objekten und Dokumenten zu Verbrechen, an denen auch Ungarn beteiligt waren, Ausdruck verliehen - ein Symbol auch des Eintretens für die in Ungarn bedrohten liberalen und demokratischen Bürgerrechte. Geschichtspolitische und erinnerungskulturelle Konflikte gerade in den postsowjetischen Staaten weisen derzeit noch eine besondere Intensität auf. Da sie ihre Erfahrung der sozialistischen Herrschaft angemessen gewürdigt wissen wollen, werden bestimmte Themen und Opfergruppen bevorzugt: die jahrzehntelange Unterdrückung der politischen Unabhängigkeit und persönlicher Freiheiten nach 1945, das Leiden der Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg oder die Erinnerung an nationale Widerstandshelden als Identifikationsfiguren. Demgegenüber ist der Holocaust meist nur unzureichend in die neu entstehenden Nar- 99 g eDenkstätten In e uropa seIt 1990 rative integriert oder ganz aus ihnen ausgegliedert. Seine Singularität wird oft bestritten. Das dient auch dazu, den Antisemitismus der eigenen Gesellschaften und deren Kollaboration nicht thematisieren zu müssen. Allerdings führt das ebenfalls verfolgte Ziel, sich aus politischen Gründen in eine europäische Gedächtnisgemeinschaft einzuschreiben, die den Holocaust ins Zentrum gerückt hat, an einzelnen Orten wie der KZ-Gedenkstätte Jasenovac zur widersprüchlichen Überlagerung verschiedener Geschichtsnarrative. B eispiel : D ie KZ-G eDenKstätte j asenoVac (K roatien ) Unter dem Begriff „KZ Jasenovac“ werden fünf größere und drei kleinere Lager sowie eine Hinrichtungsstätte mit einem der größten Gräberfelder in Europa verstanden. Die Lager wurden im Frühherbst 1941 vom wenige Monate zuvor entstandenen Unabhängigen Staat Kroatien in Funktion genommen. Zu dessen Gebiet gehörte unter anderem auch das heutige Bosnien-Herzegowina. Wie das kroatische Kollaborationsregime insgesamt, so unterstanden die Lager der 1929 gegründeten faschistischen Ustascha-Bewegung. Sie herrschte in Jasenovac mit größter Brutalität und machte die Lager zu einem zentralen Ort ihrer Herrschaft und ihrer Vernichtungspolitik. Der Komplex diente der Inhaftierung oppositioneller Kroaten, als Arbeits-, Sammel- und Durchgangslager sowie als Mordstätte für Serben, Juden und Roma. Insgesamt sind derzeit etwa 85.000 Todesopfer namentlich belegbar. Darunter befinden sich gut 50.000 Serben, die weder Juden noch Roma waren: Das Ustascha-Regime verfolgte von Beginn an eine Politik der „ethnischen Säuberung“, die sich vor allem gegen die starke serbische Minderheit richtete. Seriöse Schätzungen gehen von insgesamt 100.000 bis 120.000 Opfern dieses Lagerkomplexes aus - in der serbischen Geschichtsschreibung ist jedoch bis heute von allein 600.000 bis 700.000 in Jasenovac ermordeten Serben die Rede. Die Ustascha zerstörte die Lager im April 1945, so dass nur wenige Spuren erhalten sind. Das historische Areal befindet sich auf beiden Seiten des Flusses Sava, der heutigen Grenze zwischen Kroatien, wo sich der Lagerkomplex, und Bosnien-Herzegowina, wo sich die Hinrichtungsstätte befand und heute noch die Massengräber liegen. Die Gräber blieben sichtbar, verfielen aber und wurden erst 1988 zur Gedenkstätte erklärt. Auf der kroatischen Seite der Sava wurde zehn Jahre nach Kriegsende das Gelände provisorisch gesichert und das größte der Hauptlager 1966 zu einer der zentralen Gedenkstätten in Jugoslawien umgestaltet. Nach einem Entwurf des serbischen Architekten Bogdan Bogdanovic entstand ein Landschaftspark mit symbolischen Bodenerhebungen und dem monumentalen Mahnmal der „Steinernen Blume“, ergänzt um ein kleines Museum. Bogdanovic war bis Anfang der 1980er Jahre für gut zwanzig Mahnmale und Gedenkorte im Auftrag der jugoslawischen Staatsführung verantwortlich, zog sich dann aber aus Protest gegen die großserbische Ausrichtung der jugoslawischen Geschichtspolitik von seinen offiziellen Aufgaben zurück. In diesen Jahren nahmen mit der zunehmenden Nationalisierung der jugoslawischen Teilrepubliken auch die geschichtspolitischen Kontroversen zu. In der serbischen wie kroatischen Propaganda wurde der Gegenseite jeweils unter Bezug auf die Ustascha-Herrschaft vorgeworfen, in der Gegenwart erneut Massaker und einen Völkermord zu planen. Noch vor Beginn der Jugoslawien- 100 e ntWIcklungen kriege 1991 vereinnahmte die serbische Seite Jasenovac mit deutlich überhöhten Opferzahlen als Ort eines Genozids an den Serben in kroatischer Verantwortung. Der spätere Gründungspräsident des unabhängigen Staates Kroatien, Franjo Tudjman, relativierte wiederum die Verbrechen an den Serben in Jasenovac und wollte dort vor allem der kroatischen Opfer gedacht wissen - während er gleichzeitig beträchtliche Sympathien für das Ustascha-Regime zeigte und den politischen wie populären Gebrauch ihrer Symbole zuließ. Im Zuge des kroatisch-serbischen Kriegs zwischen 1991 und 1995 wurde die „Steinerne Blume“ von kroatischen Truppen als Symbol serbischer Dominanz zerstört und erst gut ein Jahrzehnt später wieder restauriert. Die frühere Nutzung der Lager, ihre Bezeichnung und die Opferzahlen von Jasenovac sind Gegenstand heftiger identitätspolitischer Kontroversen. Während die serbische Seite vom „balkanischen Auschwitz“ spricht, hat die kroatische Führung Jasenovac lange relativierend als „Arbeitslager“ bezeichnet und die Zahl der Todesopfer minimiert. Allerdings wird dies inzwischen durch die Forschungen der Gedenkstätte Jasenovac zu den Todeszahlen selbst korrigiert. Eine Erinnerung an die kroatische Verantwortung für die Massenverbrechen auf dem eigenen Territorium während des Zweiten Weltkriegs steht allerdings nicht hoch im Kurs, da sich die Identitätspolitik nach der Unabhängigkeit 1991 auf eine positive Umdeutung der Ustascha-Herrschaft und auf antiserbische Geschichtsdeutungen stützt. Letztere gehen ihrerseits - allerdings ohne Quellenbelege - von einem Abb. 9: Gelände des ehemaligen KZ Jasenovac, im Hintergrund das Mahnmal „Steinerne Blume“ von 1966 101 g eDenkstätten als gloBale I nstItutIon Nicht nur der Umgang mit dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus oder Sozialismus führt in Europa zu geschichtspolitischen Kontroversen, sondern auch die Erinnerung an andere europäische Diktaturen. So legte das spanische Parlament 2007 in einem „Erinnerungsgesetz“ fest, das 1959 zu Ehren des Diktators Franco eingeweihte Nationaldenkmal im „Tal der Gefallenen“ zu entpolitisieren: Die Wallfahrten der Franquisten wurden verboten; ein Mahnmal oder Dokumentationszentrum für die Opfer des Franco-Regimes ist aber nicht vorgesehen. In Griechenland hat die wissenschaftliche Aufarbeitung der Besatzungsverbrechen der Achsenmächte, des blutigen Bürgerkriegs in den 1940er Jahren und der griechischen Militärdiktatur von 1967 bis 1974 erst in den letzten Jahren begonnen, weil die Erinnerungskultur entlang politischer Frontstellungen gespalten war. Auf europäischer Ebene ist man somit weit von einem homogenen Gedächtnis entfernt, das sich manche wünschen. Politische Setzungen, „overlapping histories“ und „conflicting memories“, werden die Erinnerungskultur in Europa noch auf längere Sicht prägen. Gedenkstätten als globale Institution Über dem Ort eines Massakers an 75 Schülern in Bujumbura in Burundi erhebt sich eine stilisierte Rundhütte aus unterbrochenen Stelen und nach oben hin sich verjüngenden Ringen. Eine von ihnen trägt die Inschrift „Nie wieder! “ in französischer Sprache: Weltweit nutzen inzwischen Gedenkorte für Gewaltopfer eine nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene, globalisierte Symbolik und Semantik, auch wenn sie nicht im Zusammenhang mit einem antidemokrati- 3.7 „kroatischen Holocaust“ und insbesondere von Massakern durch Serben nach 1945 in Jasenovac aus, das zu diesem Zeitpunkt jedoch gar nicht mehr als Lager existierte. In der kroatischen Geschichtspolitik trat an die Stelle des jugoslawischen Mythos eines gemeinsamen antifaschistischen Kampfes ein antiserbischer Nationalismus, der mit dem Antikommunismus verschmolz. Im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen nahmen auf offizieller Seite die positiven Bezugnahmen auf das Ustascha-Regime ab. Von dieser Orientierung an europäischen Erinnerungsnormen ist auch die 2006 eröffnete Ausstellung in der Gedenkstätte Jasenovac geprägt: Sie rückt Opferbiographien so sehr in den Vordergrund, dass die Lagergeschichte und der Bezug zum historischen Ort in den Hintergrund treten. Die Verbrechen an den Serben werden kaum thematisiert, wohl aber die Ermordung der Juden, womit sich Kroatien in die Erinnerung an den Holocaust als negativen Gründungsmythos der EU einschreibt. Täter werden in der Ausstellung kaum erwähnt. Die staatspolitische Deutung von Jasenovac ist dadurch sowohl mit den außenpolitischen Interessen Kroatiens als auch mit der anhaltenden Verharmlosung der Ustascha kompatibel. Literatur: Radonic 2010; 2012, 2014. 102 e ntWIcklungen schen Gewaltregime oder Staatsverbrechen stehen. Gegenüber den spärlichen Anfängen nach 1945, als nur wenige Orte zur Erinnerung an die staatlichen Massenverbrechen des Nationalsozialismus umgestaltet wurden, haben sich Gedenkorte und Gedenkstätten inzwischen zu einer global verbreiteten, durch transnationale Transfers verflochtenen Institution des kulturellen Gedächtnisses entwickelt. Während für Deutschland und Europa die 1990er Jahre einen Wendepunkt in der Entwicklung von Gedenkstätten markieren, gab es außerhalb Europas Gedenkorte für kollektive Gewalterfahrungen durchaus schon früher. Meist waren es Überlebende, Exilierte und Ausgewanderte, die sich in ihrer neuen Heimat um die Erinnerung bemühten. Zu den frühesten Ereignissen, an die auf diese Weise gedacht wurde, gehört die von 1845 bis 1852 grassierende „Irish Famine“. Vor allem Einwanderungsmetropolen wie New York repräsentieren schon seit Jahrzehnten mit Mahnmalen und einzelnen Gedenkmuseen für solche Ereignisse die Vielfalt ihrer Zuwanderer. Allerdings entstanden - vor allem in Irland selbst - die meisten Denkmäler und erste Gedenkstätten nicht vor 1995. Anlass war der 150. Jahrestag des Einsetzens der Hungersnot. Ein vergleichbares Muster findet sich für die Erinnerung an die „First Nations“ in den USA, den Völkermord an den Armeniern oder den „Holodomor“ in der Ukraine. Der älteste nicht-europäische Erinnerungsort, der einer Gedenkstätte des europäischen Typs am nächsten kommt, ist das Hiroshima Peace Memorial Museum in Japan. Mit dem Wiederaufbau der Stadt zwischen 1948 und 1964 wurde jener Stadtteil, über dem die Atombombe am 6. August 1945 detoniert war, als „Friedenspark“ mit zahlreichen Mahnmalen und Gedenkzeichen angelegt. Seit 1955 gibt es dort ein Museum. In den 1960er Jahren haben die städtischen Behörden das einzige noch bestehende Gebäude gesichert: den „A-Bomb Dome“, eine Ruine, die an einen Kirchenbau erinnert. Der als Naherholungsgebiet angelegte Park sollte die Verheißung einer lebensfrohen Zukunft gegenüber den Leiden der Zerstörung betonen. Das Trauma zu überwinden, war wichtiger als eine genaue historische Aufklärung der Kriegszeit. Daran hatten weder Japan als faschistischer Aggressor noch die USA als langjährige Besatzungsmacht ein besonderes Interesse. Allerdings wurde das Museum in den 1990er Jahren erweitert und neugestaltet. Zudem hat die Stadtverwaltung wieder den heiligen Charakter des Parks betont, unter anderem durch Konzertverbote. Angesichts der weltweit wachsenden Zahl von Gedenkstätten und Gedenkmuseen hat die amerikanische Wissenschaftlerin Erika Doss exemplarisch für die USA eine „memorial mania“ diagnostiziert: Immer mehr historische Stätten seien zu Orten des Gedenkens erklärt worden, um Anerkennungsansprüche marginalisierter und diskriminierter Gruppen im öffentlichen Bewusstsein sichtbar zu machen (Doss 2012). Auch in Amerika hat dies zu einem Wandel vom heroisierenden Denkmal zum opferbezogenen Mahnmal und von offiziellen „monolithic 103 g eDenkstätten als gloBale I nstItutIon master narratives“ zu „multiple publics“ geführt (Doss 2008: 5). Der Historiker Paul Williams spricht von einem „global rush to commemorate atrocities“ (Williams 2007). Neben dem Holocaust wird inzwischen an zahlreiche andere Ereignisse kollektiver Gewalt, an politische Repression oder an Kriegsverbrechen, aber auch an terroristische Anschläge und Naturkatastrophen erinnert. Ein Indikator und zugleich Katalysator dieser Globalisierung war die Aufnahme von Gedenkstätten in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes: Sie erfolgte 1978 für die „Maison des Esclaves“ auf der senegalesischen Insel Gorée, im Jahr darauf wurde Auschwitz zum Weltkulturerbe ernannt (in erweiterter Form erneut 2007), 1996 der „A-Bomb Dome“ in Hiroshima und drei Jahre später Robben Island in Südafrika. Die 1972 eingeführte Auszeichnung der „World Heritage Sites“ umfasst somit nicht mehr nur Kirchen und Bauten der Hochkultur. Zudem spielen auch andere internationale Organisationen, unter anderem der International Council of Museums (ICOM), eine wichtige beratende Rolle bei der Entwicklung neuer Gedenkorte oder sorgen für den Transfer professioneller Erfahrungen. Für den Globalisierungsschub seit den 1990er Jahren lassen sich mehrere Gründe benennen: Erstens eröffnete im Bewusstsein des bevorstehenden Abschieds von den Überlebenden 1993 das USHMM. Es sollte schnell zum nationalen wie internationalen Referenzmodell der Holocaust-Erinnerung werden (Linenthal 1995; Shenker 2015). Allein in den USA entstanden innerhalb weniger Jahre etwa dreißig weitere Holocaust-Museen. Ähnliche Einrichtungen finden sich in Argentinien, Australien, Kanada oder Südafrika. Oft gehen sie auf die Initiative und finanzielle Unterstützung von Überlebenden oder deren Kinder zurück und haben viele Vorläufer in der symbolischen Stiftung von Gedenkgemeinschaften durch Mahnmale und Erinnerungsverbände. Zweitens setzte mit dem Völkermord in Ruanda nach 1994 eine nachhaltigere Beschäftigung mit staatlichen Massenverbrechen und der Prävention von Genoziden ein. Weltweit sind Staaten, Überlebende oder zivilgesellschaftliche Organisationen im Zeichen einer „globalen Opferschaft“ (Bonacker 2012) nun bestrebt, die Anerkennung von Opfern und ihren Rechten herbeizuführen. Dabei werden unter anderem Symbole, Semantiken und Praktiken genutzt, die im Bereich der Holocaust-Erinnerung erfolgreich waren. Bezüge, Vergleiche und Gleichsetzungen mit dem Holocaust sollen den Schrecken der jeweiligen Orte und Ereignisse verdeutlichen, teils auch dramatisieren. Allerdings gehen in die einzelnen Gedenkorte meist eigene Traditionen mit ein, was zu hybriden Arrangements verschiedener Erinnerungstechniken führt. So entstanden in Ruanda nach dem Genozid im ganzen Land in relativ kurzer Zeit Hunderte Gedenkorte an den Tatorten der Massaker. Acht davon sind inzwischen als nationale Gedenkstätten anerkannt. Die größte ist das 2004 eröffnete Kigali Memorial Center in Gigozi, wo die Überreste von insgesamt mehr als einer 104 e ntWIcklungen viertel Million ermordeter Tutsi aus der Hauptstadtregion zusammengelegt wurden. Neben Ausstellungen zum Völkermord in Ruanda und anderen Genoziden weltweit umfasst die Gedenkstätte ein Archiv, ein Bildungszentrum und eine Kindergedenkstätte - Bausteine einer Gedenkstätte, wie sie aus Europa geläufig sind. Charakteristisch ist für Kigali wie für andere ruandische Gedenkorte jedoch die offene Präsentation von Gebeinen, Schädeln und Kleidungsstücken bis hin zu mumifizierten Leichen. Sie werden als materielle Beweise verstanden, befördern aber auch einen „atrocity tourism“ (Sodaro 2018: 84-110). Abb. 10: Ausstellungsobjekte im Kigali Memorial, Ruanda Drittens stellte sich vielerorts im Zusammenhang mit politischen und sozialen Transformationsprozessen in Postkonfliktgesellschaften die Frage, wie mit den Orten und Überresten als Beweisen der Taten umgegangen werden sollte. Allerdings stoßen entsprechende Maßnahmen innerhalb der betroffenen Gesellschaften vielfach auf starken Widerstand, machen sie doch drängende Probleme der (Mit-)Täterschaft sichtbar. Vor allem in Ländern, in denen die politische Situation lange Zeit keine Aufarbeitung der Vergangenheit oder unabhängige Gedenkstätten zugelassen hat oder diese immer noch erschwert ist, spielt das zivilgesellschaftliche Engagement eine entscheidende Rolle. So machten die „Mütter der 105 g eDenkstätten als gloBale I nstItutIon Plaza de Mayo“ in Buenos Aires durch ihre öffentlichen Mahnwachen bereits während der von 1976 bis 1983 dauernden Militärdiktatur auf das ungeklärte Schicksal der Vermissten und Ermordeten aufmerksam. Seit 2002 ist das „zwangsweise Verschwindenlassen“ zwar ein Straftatbestand des Internationalen Strafrechts und kann als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ geahndet werden. Dennoch könnte ohne das Insistieren zahlreicher Menschenrechtsorganisationen ein zentraler Ort der Verfolgung in Buenos Aires, die Escuela de Mecánica de la Armada, nicht seit 2007 teilweise als Gedenkstätte genutzt werden. Die Escuela, eine ehemalige Ausbildungsstätte der argentinischen Marine, war die mit Abstand größte von fast 500 Folterstätten in Argentinien. Während von offizieller Seite vor allem die Bedeutung von Archiv, Dokumentation und Menschenrechtsbildung betont werden, drängen Opferverbände darauf, die Orte der Folter selbst so authentisch wie möglich zu präsentieren, die Schicksale der vielen immer noch Verschwundenen ins Zentrum zu stellen und den Ort stellvertretend für das argentinische politische und soziale System im Ganzen zu betrachten. „Historisierung“ und „Politisierung“ des historischen Ortes prallen hier nicht zuletzt deshalb aufeinander, weil nach wie vor der Verbleib von Ermordeten und Vermissten unklar ist sowie Recherchen nach den Verantwortlichen unmittelbar die argentinische Gesellschaft und ihre heutige Elite betreffen. Viertens spielen Konjunkturen geschichtspolitischer Debatten eine wichtige Rolle, in denen Gedenkstätten von Regierungen als Instrument eingesetzt werden. Nachdem von japanischer Seite insbesondere das Massaker von Nanjing 1937 / 38 wiederholt verleugnet worden war, kam es in den 1980er Jahren zu einer Neuausrichtung der chinesischen Geschichtspolitik. Bis dahin waren für den Zeitraum des Zweiten Weltkriegs Tote nur als Märtyrer der kommunistischen Revolution geehrt worden. Nun wurde begonnen, der Ermordeten des Nanjing-Massakers als Opfern eines japanischen Staatsverbrechens zu gedenken, darunter viele Frauen und andere Zivilisten. 1985 errichtete die chinesische Regierung am Ort eines der Massengräber die Nanjing Massacre Memorial Hall. Seitdem ist der Gedenkort mehrfach erweitert worden. Seine Botschaft ist eindeutig gegen Japan gerichtet: In einem chinesischen Tribunal war 1947 die Zahl der Toten auf 300.000 festgelegt worden; sie wird weiterhin in der Gedenkstätte kommuniziert, ist allerdings überhöht. Die Gestaltung der Gedenkstätte verwendet vor allem expressiv-realistische Darstellungsformen des konkreten Gewaltgeschehens, blendet aber die politischen Kontexte weitgehend aus: Skelettfunde, drastische Bilder, Belege für japanischen Kannibalismus und skulpturale Nachbildungen der Gewalttaten sollen Japan zu einer offiziellen Entschuldigung bewegen. Vor allem dient das neue Paradigma dazu, das Anrecht Chinas als aufsteigende Großmacht mit einem historischen Viktimisierungsnarrativ zu begründen. So ist Nanjing innerhalb kurzer Zeit von einem nahezu vergessenen 106 e ntWIcklungen Ort zum symbolischen Kristallisationspunkt patriotischer Sinnstiftung geworden (Fengqi 2009). Abb. 11: Porträtwand von Überlebenden der Nanjing-Massaker von 1937 / 38 in der Nanjing Massacre Memorial Hall Fünftens tragen zur globalen Musealisierung von Gewaltereignissen Phänomene wie der „heritage tourism“, die „tourists of history“ (Sturken 2007; 2011) und der seit den 1990er Jahren so bezeichnete „thanatourism“, „death tourism“ (Sion 2013) oder „dark tourism“ (Stone 2006; Sharpley / Stone 2009) bei. Für viele, wenn nicht für die meisten Besucher ist eine Gedenkstätte eher „Erlebnisort“ als „Lernort“ (Pampel 2007: 349), von dem eine Faszination des Grauens ausgeht. Steht dies in einer längeren Tradition des 19. Jahrhunderts, als „unnatürliche“ Tode bereits ein reges Medieninteresse fanden, so hat sich daraus eine eigene kommerzielle Branche entwickelt, die Schlachtfelder, Gefängnisse, Hinrichtungsstätten oder Aufstandsorte erlebnisorientiert gestaltet. Unverkennbar ist der Einfluss des Tourismus aber auch in vielen NS-Gedenkstätten: Auschwitz, Buchenwald oder Dachau besuchen jährlich zwischen einer dreiviertel und 1,5 Millionen Menschen (Skriebeleit 2005; Podoshen 2017). 107 g eDenkstätten als gloBale I nstItutIon Vor allem in nicht-westlichen Ländern geht die Zunahme von Gedenkorten an Kollektivgewalt explizit mit Zielsetzungen der Tourismusförderung einher. Kommerzielle, nicht selten ausländische Entwickler musealer Infrastrukturen setzen auf eine starke Erlebnisorientierung; Reiseführer, Taxifahrer oder gastronomische Anbieter profitieren von den Besuchern. Um diesen touristischen Interessen gerecht zu werden, nehmen manche der neuen Gedenkstätten mehr und anders gewichtete Aufgaben als ihre europäischen Vorläufer wahr. Das Robben Island Museum in Südafrika ist für die gesamte ehemalige Strafinsel, auf der unter anderem Nelson Mandela inhaftiert war, einschließlich der touristischen Infrastruktur und aller Bauten sowie der Natur verantwortlich. Im „Mission Statement“ des Museums ist das Gedenken an die Opfer gar nicht als eigene Aufgabe benannt. B eispiel : s-21 unD c hoeunG e K (K amBoDscha ) Besonders ausgeprägt ist der Gedenktourismus in Kambodscha: Ein Besuch der „killing fields“ gehört fast zu jedem organisierten Reiseprogramm und wird den westlichen Touristen vor Ort offensiv angeboten. Als eines der ärmsten Länder der Welt, das vier Jahrzehnte nach dem Ende der Herrschaft der Roten Khmer noch immer massiv unter den Folgen von Krieg, Bürgerkrieg und Genozid leidet, ist Kambodscha auf Einnahmen aus dem Tourismus dringend angewiesen. So werden Täter und Opfer des Genozids zwischen 1975 und 1979 erfolgreich vermarktet, während sich die Aufarbeitung der Verbrechen und eine Versöhnung von Tätern, Komplizen und Opfern äußerst schwierig gestaltet. Beschränkungen von Bürgerrechten gefährden in den letzten Jahren zivilgesellschaftliche Bemühungen um Forschung und Aufklärung. Zu den meist frequentierten Sehenswürdigkeiten des Landes gehören die Gedenkstätten des Gefängnisses S-21 in Phnom Penh und das nahe der Hauptstadt gelegene „killing field“ Choeung Ek. Sie werden nach wie vor von zahlreichen Überlebenden und ihren Angehörigen besucht, die dort mit vielen (westlichen) Touristen zusammentreffen. Bereits wenige Monate nach dem Sturz der Roten Khmer durch den Einmarsch vietnamesischer Truppen wurde im August 1979 von der Besatzungsmacht das vormalige zentrale Sicherheitsgefängnis S-21 in Phnom Penh als Museum eröffnet. Der bauliche Zustand des ehemaligen Schulgebäudes vor allem mit seinen Arrestzellen, Folterinstrumenten und Blutflecken wurde bis heute weitgehend beibehalten. Selektive Ausstellungselemente bieten rudimentäre Informationen, adressieren aber vor allem - auch durch Ergänzungen wie ausgestellte Schädel und Knochen von Opfern - die Emotionen der Besucher durch Objekte, Bilder und Raumeindrücke. Täter wie Opfer bleiben wie in Choeung Ek weitgehend anonym und homogen; die spezifische Funktion von S-21 als Gefängnis vor allem für Funktionäre, die als besondere „Verräter“ angesehen wurden, wird den Besuchern nicht vermittelt. Der Ort steht somit pars pro toto, kaum differenziert und sehr expressiv für die Verbrechen während der Herrschaft der Roten Khmer insgesamt. Kambodschaner wie Touristen können den Ort gleichermaßen mit einem universellen Schreckensgefühl verlassen, das die Tat auf die repräsentierte Brutalität reduziert und so auf Distanz hält. 108 e ntWIcklungen Die Globalisierung von Gedenkstätten wird sechstens durch situative Gewaltereignisse wie Naturkatastrophen oder terroristische Anschläge befördert, die durch ihre globale Medialisierung zu kollektiver Anteilnahme führen. Temporäre Gedenkorte bilden eine Zwischensituation, die sich zu dauerhaften Formen verstetigen kann; auch Gedenkstätten oder Gedenkmuseen entstehen in besonderen Fällen. So wurde bereits fünf Jahre nach dem großen Erdbeben in der chinesischen Region Sichuan 2017 das 5.12 Wenchuan Earthquake Memorial Museum als eines von mehreren Museen und Mahnmalen errichtet, die an dieses Ereignis erinnern. Das hochmoderne Museum ist politisch motiviert: Es rühmt die Hilfsbereitschaft der chinesischen Bevölkerung und die staatlichen Rettungsbemühungen. Die politische Verantwortung für den verheerenden Zustand der öffentlichen Gebäude vor dem Erdbeben wird jedoch nicht thematisiert. Nicht erst seit 9 / 11 gehört in das Spektrum von Gedenkorten auch die Memorialisierung von Terroranschlägen. An vielen solcher Orte steht zunächst im Vordergrund, eine angemessene Form des Umgangs mit den bei Anschlägen oder Massakern zerstörten Bauten und ihre Einbeziehung in Mahnmale als authentische Relikte zu finden. Erst ein Jahr vor dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 hatte US-Präsident Bill Clinton das Oklahoma City National Memorial für die Opfer des Bombenattentats von 1995 eingeweiht. Unter anderem wurde eines der beschädigten Gebäude teilsaniert, um als Dokumentationszentrum genutzt zu werden. In New York war neben zahlreichen persönlichen Gedenkzeichen an das Attentat vom 11. September 2001 auf das World Trade Center bereits parallel Allerdings besteht seit 1995 in Phnom Penh auch das Documentation Centre Cambodia (DC-Cam). In den ersten Jahren wurde es durch eine Anschubfinanzierung der US-Regierung getragen und als Ausgründung des Yale Cambodian Genocide Program ermöglicht. Inzwischen ist das DC-Cam ein unabhängiges Forschungsinstitut, das weder im Auftrag der Regierung noch der Ermittlungsbehörden des internationalen Tribunals tätig ist. Seine Arbeit als wichtigste und größte Einrichtung zur Sammlung und Erschließung von Quellen zur Herrschaft der Roten Khmer und des Genozids in Kambodscha wird durch private und staatliche Unterstützung aus dem Ausland ermöglicht. Das DC-Cam versteht sich als Einrichtung, die über die laufenden juristischen Ermittlungen hinaus vor allem die Quellenbestände sichert. Seine Ziele sind aber weiter gesteckt: Es geht um Erinnerung, Versöhnung, Aufklärung und Prävention. 2014 wurden die Pläne für das Sleuk Rith Institute in Phnom Penh nach einem Entwurf der Architektin Zaha Hadid vorgestellt, das als repräsentatives Gedenkmuseum umfangreiche Räume für Forschung, Bildung und Ausstellungen bieten soll. Lage, Größe und Gestaltung, die Elemente der kambodschanischen Bau- und Symbolkultur mit modernster Technik vereint, sollen ein Zeichen setzen, aber das Projekt konnte bislang nicht realisiert werden. Literatur: Williams 2004; Sion 2011; Williams 2019. 109 g eDenkstätten als gloBale I nstItutIon zu den Aufräumarbeiten begonnen worden, Spenden für ein Mahnmal zu sammeln. Nach kontroversen Debatten über die Gesamtgestaltung des Gedenkorts im Verhältnis zur kommerziellen Nutzung von Neubauten auf dem zerstörten Areal konnten das National September 11 Memorial & Museum erst zehn Jahre nach der Prämierung des Entwurfs „Reflecting Absence“ von Daniel Libeskind realisiert werden. In die Umrandungen von zwei Bassins, die den Grundrissen der Twin Towers entsprechen und aus denen Wasser in zwei Stufen weit in die Tiefe stürzt, sind die Namen aller identifizierten Opfer gefräst. Darunter befinden sich Gedenkräume und das Museum (Eder 2016a; Sodaro 2018: 138-161). Im balinesischen Kuta wurde bereits zwei Jahre nach dem Anschlag von 2002 auf eine Bar das Bali Bombing Memorial eingeweiht. Den früheren Eingang symbolisiert ein hinduistisch gestaltetes Monument. Während auf der norwegischen Insel Utøya ein kleines, in die Waldlandschaft integriertes Mahnmal seit 2015 mit eingravierten Namen auf einem frei hängenden Stahlring an die Opfer des Attentats von Anders Breivik vier Jahre zuvor erinnert, wird seit Jahren über verschiedene offizielle Mahnmalprojekte in Oslo und auf Utøya gestritten; 2019 wurde in der norwegischen Hauptstadt immerhin ein stilisiertes Rosenmeer eingeweiht, das an die Anteilnahme der Bürger erinnern soll. Mehrere gemeinsame Elemente prägen diese Gedenkorte: ihr Erhalt als Beweis; eine ästhetische Einfassung der zerstörten Orte und ausgewählter Überreste; die Arbeit mit „voids“, also symbolischen Schneisen oder Lichtschlitzen; die Individualisierung der Opfer durch Namen, Porträts und Gedenkobjekte; relativ kurz gehaltene Erläuterungen zum historischen Geschehen, die eher den Charakter von Inschriften oder Objektbeschriftungen haben. Die Beispiele zeigen, wie sehr sich eine opferzentrierte Gestaltung, die sowohl die Authentizität des jeweiligen Ortes als auch die Individualität der Toten betont, als Form des Gedenkens über den Westen hinaus etabliert hat. Mit der Globalisierung von Gedenkstätten sind historische Themen, geographische Räume und zeitliche Phasen verbunden, die weit über das meist auf Europa begrenzte Feld der Diktaturen, Kriegsverbrechen und Genozide des „Jahrhunderts der Extreme“ (Eric Hobsbawm) hinausreichen. So werden erst in jüngster Zeit - nach einer gewissen Inkubationszeit in den 1970er und 1980er Jahren - Gedenkorte realisiert, die insbesondere im Kontext von Sklaverei und Kolonialismus an Massaker und Stätten der Gewalt seit der Frühen Neuzeit erinnern. Exemplarisch für die wachsende Vielfalt solcher „places of pain and shame“ steht ein Sammelband, der den pazifischen Raum in den Blick nimmt (Logan / Reeves 2009). Darunter findet sich das Myall Creek Massacre Memorial in Australien am Ort eines Massakers von 1838 an den Aborigines, eine Höhle im Shuiyuan Village, in der taiwanesische Frauen von japanischen Besatzungssoldaten missbraucht wurden, das Comarca Balide in Timor Leste, ein Gefängnis, in dem insbesondere von der indonesischen Besatzungsmacht Menschenrechtsverbrechen 110 e ntWIcklungen begangen wurden, das Hoa Lo Museum in Hanoi, das in einem erhaltenen Rest des früheren Kolonialgefängnisses an die französische Herrschaft erinnert oder das Kew Lunatic Asylum in Melbourne. An den meisten der genannten Orte bestehen noch keine Gedenkstätten. Die mit den historischen Orten und Mahnmalen verbundenen Ereignisse und Themen sind häufig verdrängt worden, heftig umstritten und im Einzelnen teils wenig erforscht. Meist bemühen sich nur die Opfer selbst oder Nachfahren, Vertreter von Opfergruppen oder andere zivilgesellschaftliche Gruppierungen um eine Sicherung oder Kenntlichmachung historischer Tatorte. Standard, Ausstattung und Sichtbarkeit sind jedoch meist in einem prekären Zustand. Dies gilt nicht zuletzt für Orte historischer Menschheitsverbrechen in den USA. Erste Gedenkorte mit Informationszentren und Ausstellungen an historischen Orten erinnern zwar an die Sklaverei wie das 2007 in Lower Manhattan eingeweihte African Burial Ground National Monument oder seit 2018 das National Memorial for Peace and Justice in Montgomery, Alabama, in einem Gebäude, das für Sklavenauktionen genutzt worden war. Aber weder an die Massaker an den Native Americans noch an das weit verbreitete „lynching“ im 19. und frühen 20. Jahrhundert oder an die Internierung der Amerikaner japanischer Herkunft im Zweiten Weltkrieg wird an den Tatorten in Form repräsentativer Gedenkstätten erinnert. Allerdings ist die Aufmerksamkeit für diese Orte in den vergangenen Jahren gestiegen. So hat der National Park Service seit den 1990er Jahren die Aufgabe, sich um einige Gedenkstätten an Orten von Gewaltverbrechen zu kümmern, insbesondere die Manzanar National Historic Site (1992) und das Tule Lake National Monument (2008) an Orten früherer Internierungslager für Amerikaner japanischer Herkunft sowie die 2007 eröffnete National Historic Site am Ort des Sand Creek Massakers von 1864 zu kümmern. An diesen Orten finden Besucher außer einem Gedenkstein, einem Pfad durch das Gelände sowie Einweisungen durch das Parkpersonal jedoch nicht die Infrastruktur einer Gedenkstätte vor. Besonders die Verbrechen westlich geprägter Kolonialherrschaften und „Frontier“-Regime an der indigenen Bevölkerung finden seit einigen Jahren - auch im Zuge der Restitutionsdebatten von Objekten in europäischen Museen und Sammlungen (Habermas 2019) - eine wachsende Aufmerksamkeit. So wird in Großbritannien kontrovers über ein „memorial museum“ in London diskutiert, das an die britische Kolonialherrschaft und deren Verbrechen erinnern soll. Gegenüber der Erinnerung an postdiktatorische Regime weist dieser Themenkomplex mehrere Besonderheiten auf: Er reicht erstens zumindest bis ins 18., wenn nicht bis ins 15. Jahrhundert zurück. Durch die Dekolonialisierung seit der Mitte des 20. Jahrhunderts sind zweitens neue politische und institutionelle Bedingungen für kulturelle Gedächtnisräume der unabhängigen Staaten entstanden. Drittens stellt in den westlichen Staaten das koloniale Erbe einen noch 111 g eDenkstätten als gloBale I nstItutIon weitgehend unkritisch betrachteten Bestandteil der jeweiligen nationalen Identitäten dar. Im Zuge der postkolonialen Unabhängigkeitsbewegungen und Staatsbildungen wurden zunächst viele Denkmäler und Benennungen von Gebäuden, Institutionen oder Straßen beseitigt, die an die koloniale Herrschaft und ihre Repräsentanten erinnerten. Eine der ältesten Gedenkstätten zur Erinnerung an Kollektivgewalt überhaupt entstand mit der „Maison des Esclaves“ (Haus der Sklaven) bereits Anfang der 1960er Jahre auf der kleinen Insel Gorée vor Dakar, der Hauptstadt der kurz zuvor unabhängig gewordenen Republik Senegal. Nachweislich wurden von hier aus seit dem 18. Jahrhundert Sklaven deportiert. Das Museum und die „Pforte der Wiederkehr“ am vermeintlichen Ort des Besteigens der Schiffe zählen zu den wichtigsten touristischen Attraktionen des Landes. Allerdings hat die Forschung inzwischen die Behauptung widerlegt, die Insel sei einer der Hauptorte des Sklavenhandels gewesen. In Verbindung mit Jahrestagen der Staatsgründung entstanden vielerorts Denkmäler und teils auch Museen, die den antikolonialen Widerstand, seine Helden und Opfer, aber auch mythisch überhöhte Staatsgründer oder ihre Nachfolger ehren. Eines der frühesten wurde 1982 in Algier enthüllt. Das „Monument der Märtyrer“ - eine mehr als neunzig Meter hohe Betonskulptur, die auf den Fundamenten einer ehemaligen Befestigungsanlage steht und eine ewige Flamme umschließt - erinnert an die Toten des Unabhängigkeitskriegs. Solche neuen Erinnerungskulturen greifen in starkem Maße sowohl auf westliche wie auf sozialistische Gedenkformen zurück. Sie werden als Teil einer patriotisch-nationalen Sinnstiftung meist von oben herab angeordnet und unterliegen kaum gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen. Fester Bestandteil ist ein personalisiertes Gedenken an wenige, heldenhaft herausgehobene Männer, mit denen das Erfolgsnarrativ einer Wiederauferstehung Afrikas verbunden wird. Im 1990 unabhängig gewordenen Namibia orchestriert die Regierung seit Anfang der 2000er Jahre eine landesweite Topographie aus Gedenkorten und Museen, in der sich einheimische und sozialistische Formsprachen mit der Ästhetik eines vom Staat beauftragten nordkoreanischen Unternehmens verbinden. Frühere Opfergruppen wie die Herero oder Nama kritisieren, nicht ausreichend beteiligt und repräsentiert worden zu sein. Im umstrittenen Independence Memorial Museum, einem 2014 in Windhoek eröffneten, weithin sichtbaren Gedenkmuseum mit einem plastisch-effektvollen, auf den Erfolg der Unabhängigkeit ausgerichteten Gesamtnarrativ der Geschichte des Landes (Laufer 2014), erinnern ein Denkmal am Eingang des Museums und „Chambers of Horror“ als Teil der Ausstellung an den von Deutschen verübten Völkermord an den Herero und Nama (1904-1907). Devotionalien des Kampfes und personenbezogene Darstellungen werden durch für westliche Besucher ungewöhnlich realistisch-dramatische Darstellungen kolonialer Repressionen und Massaker ergänzt. Eine 112 e ntWIcklungen eigene Gedenkstätte allein für diesen ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts gibt es bislang jedoch weder in Namibia noch in Deutschland, wenngleich an den Friedhöfen der wichtigsten Schlachtfelder Gedenkfeiern stattfinden und Gräber afrikanischer Aufstandshelden Landansprüche symbolisieren (Krüger 1999; Förster 2010). In Tansania erinnert seit den 1980er Jahren das Maji-Maji-Museum in Songea an den gleichnamigen Krieg (1905-1908). Das dortige Massengrab von Deutschen erhängter Kämpfer hatten deren Angehörige bereits kurz nach dem Ereignis markiert und den Toten einen Schrein gewidmet. Da insbesondere eine umfassende Diskussion über den Umgang mit dem kulturellen Gedächtnis der Kolonialzeit unter den ehemaligen Kolonialmächten erst in den letzten Jahren begonnen hat, lässt sich die Globalisierung des Gedenkens an vergangene Menschheitsverbrechen bisher nicht als „Erfolgsgeschichte“ erzählen. Gerade außerhalb Europas steht die Entdeckung „vergessener“ Gewaltorte in vielen Ländern und die Anerkennung ihrer Opfer erst am Anfang. Dies ist vor allem dort der Fall, wo sich - wie in Nordamerika, Australien oder Indonesien - koloniale Siedlergewalt mit genozidaler Tendenz gegen indigene Völker richtete. Jede einzelne Sicherungsmaßnahme versteckter, verfallener und fortgenutzter Bauten oder von informellen Gedenkorten ist dort ein Politikum. Im Vergleich zur Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen geht es deshalb in globaler Perspektive noch weitaus stärker um grundsätzliche Fragen moralischer Anerkennung, historischer Wahrheit, um die elementare Sicherung von Bauten, Objekten und Quellen, um Entschädigung, Vergebung und Trauer. Weiterführende Literatur Bauerkämper, Arnd (2012): Das umstrittene Gedächtnis. Die Erinnerung an Nationalsozialismus, Faschismus und Krieg in Europa seit 1945, Paderborn. Reichel, Peter / Schmid, Harald / Steinbach, Peter (Hrsg.) (2009): Der Nationalsozialismus. Die zweite Geschichte. Überwindung, Deutung, Erinnerung, München. Skriebeleit, Jörg (2009): Erinnerungsort Flossenbürg. Akteure, Zäsuren, Geschichtsbilder, Göttingen. Williams, Paul (2007): Memorial Museums. The Global Rush to Commemorate Atrocities, Oxford / New York. Young, James E. (1993): The Texture of Memory. Holocaust-Memorials and Meaning, New Haven / London. Themen Sind Gedenkstätten heilige Orte? „Ach Erde, verdecke mein Blut nicht“: Mit diesem Satz aus dem biblischen Buch Hiob versahen 1946 jüdische Überlebende des Konzentrationslagers Bergen-Belsen einen dort von ihnen errichteten Obelisken. Sie mahnten damit nicht nur eine universale, würdige Gestaltung ihres Leidensortes mit seinen anonymen, noch ungestalteten Massengräbern an, sondern erklärten ihn zugleich zu einer der wichtigsten Stätten eines partikularen Totengedächtnisses, zum jüdischen Friedhof. Auf diese Weise wurden die Ermordeten, deren Namen nicht mehr dokumentiert waren, weil die SS die entsprechenden Listen zerstört hatte, symbolisch für alle Zeit in die jüdische Gemeinschaft eingeschlossen. Religiöse Praktiken wie das Sprechen des Kaddisch bei Gedenkfeiern, die Denkmalsetzungen wie diese immer wieder erneuern, stiften zwischen Überlebenden, Angehörigen und den Abwesenden eine besondere, affektive Bindung. Erinnerungszeichen können zusammen mit entsprechenden Praktiken und Deutungen dazu beitragen, „traumascapes“ (Tumarkin 2005) oder „traumatische Orte“, die sich einer „affirmativen Sinnbildung versperren“ (Assmann 1999: 328), in heilige oder sakrale Orte zu verwandeln: Orte einer vergangenen, verstörenden Gewalt, an denen Menschen ihre Rechte, Freiheit und Würde, ihre Unversehrtheit und ihr Leben genommen wurde, werden zu Orten einer in die Zukunft gerichteten, wenn auch gerade für die Überlebenden prekären Form des Erinnerns. Lässt sich dem nackten Sterben ein lebensstiftender Sinn abgewinnen? Eine Antwort wurde nach 1945 darin gesucht, sich der Heiligkeit des Lebens und der „Sakralität der Person“ (Joas 2011) zu vergewissern. Im Zeichen von Krieg und Gewaltverbrechen hat sich dafür das universale Konzept der Menschenwürde etabliert, dessen religiöse Wurzeln aber bis heute unverkennbar sind. In diesem Sinne beruhen Gedenkstätten neben verschiedenen religiösen und anderen partikularen Formen des Gedenkens auf einem normativen Konsens über die Grenzen dessen, was Staaten oder vergleichbare Akteure mit Menschen tun dürfen. Auf Seiten der Opfer steht ein solcher Konsens in der Regel außer Frage. Doch muss er gerade in Postkonfliktgesellschaften, wenn Täter und Opfer zusammenleben müssen, politisch, gesellschaftlich und kulturell hergestellt werden. Hier kommt Gedenkstätten und mit ihnen verbundenen Ritualen in jüngster Zeit eine wesentliche Rolle zu, um dem Postulat historischer Gerechtigkeit („transitional justice“) zu entsprechen und zur Versöhnung („reconcilia- 4 4.1 114 t hemen tion“) verfeindeter gesellschaftlicher Gruppen beizutragen (Buckley-Zistel / Schäfer 2014). Umstritten ist jedoch, wie sich das Moment des Heiligen oder Sakralen sowie damit verbundene rituelle Praktiken und religiöse Botschaften zu den Zielsetzungen einer historisch-politischen Bildung an diesen Orten verhalten, die historisches Wissen, reflektiertes Geschichtsbewusstsein und gegenwartsbezogene Reflexion betonen. Besonders Konzepten wie „Erlösung“, „Reinigung“ oder „Vergebung“, die versprechen oder beabsichtigen, individuelle wie kollektive traumatische Folgen der Tat durch ein gemeinsames Gedenken zu überwinden oder Menschen durch einen Besuch dieser Orte zu läutern, begegnen viele mit Skepsis, weil sie damit verbunden sein können, Unterschiede zwischen Tätern und Opfern zu nivellieren oder eine historisch fundierte Urteilsbildung zu verhindern. Außeralltägliche Orte In vielen Kulturen wird Orten, die als „heilig“, „sakral“ oder „spirituell“ bezeichnet werden, eine eigene Wirkmacht zugeschrieben, die aus ihnen spricht (Kinder 2012). Im engeren Sinne gelten Orte als heilig, wenn Menschen dort, so 1912 der französische Soziologe Émile Durkheim (1858-1917), als Teil eines kollektiven Erlebnisses mit „außerordentlichen Mächten“ in Verbindung treten können (Durkheim 1994: 300), sei es eine Welt der Götter, eine kosmische Ordnung oder ein monotheistischer Gott. Der Kontakt wird über Körper, Objekte und Rituale affektiv hergestellt. Gemeinschaften reproduzieren auf diese Weise ihre Verbindungen mit mythischen Ursprüngen, gedachten Ordnungen oder früheren Generationen. Ganze Landschaften können durch miteinander verbundene heilige Orte geprägt sein (Schramm 2011). In einer kosmologischen Ordnung, wie sie etwa in Timor-Leste den Umgang mit den Toten der indonesischen Besatzungsherrschaft bestimmt, bedeuten die anonymen Bestattungen und der unbekannte Verbleib vieler Ermordeter eine anhaltende Störung des heiligen Kreislaufs von Natur, Leben und Tod. Seit jeher haben sich kulturelle Praktiken des Umgangs mit dem Tod in außeralltäglichen Orten verdichtet, die mit besonderen Bedeutungen aufgeladen sind. Stätten, an denen Menschen zu Tode gekommen sind, Gräber, Friedhöfe oder Kirchen dienen einem religionsübergreifenden Bedürfnis, Tote symbolisch präsent zu halten, ihr Andenken dauerhaft zu sichern und soziale Kontinuität zu stiften. Solche Orte sind von ihrer profanen Umgebung abgegrenzte Raum-Zeit-Zonen. In den Ländern der westlichen Moderne werden sie durch signifikante Gestaltungsmerkmale wie Bauweisen, Grabsteine, Erinnerungszeichen, Altäre oder Bildprogramme aus der zukunftsorientierten Zeitordnung des Alltags herausgehoben. Zeichen, Deutungen und Praktiken sollen die Erinnerung an Abwesende(s) her- 115 s InD g eDenkstätten heIlIge o rte ? vorrufen und die dabei entstehenden Gefühle zugleich durch bestimmte Rahmungen einordnen. Sakrale Räume weisen eine jeweils besondere symbolische Ordnung auf („spacing“), deren gedachte oder andere Wirkungen durch Praktiken und Wahrnehmungen erzeugt werden (Lefebvre 1991; Löw 2001). So nutzen Nationalstaaten und andere kulturelle, ethnische oder religiöse Gruppen außeralltägliche Orte zusammen mit Fahnen, Hymnen, Gedenktagen oder Symbolen, um Zugehörigkeiten, Abgrenzungen und Selbstbestimmungen emotional zu stiften und zu reproduzieren. Für nicht-demokratische Staaten wird hier von „politischen Religionen“ gesprochen, in Demokratien von „Zivilreligionen“. Sinnliche Eindrücke oder spirituelle Erlebnisse sollen gemeinschaftliche Bindungen stärken und soziale Ordnungen stabilisieren. Von zu diesem Zweck errichteten „Ausdrucksgestalten“ (Beyer 2008: 201) unterscheiden sich Gedenkstätten allerdings grundsätzlich, weil sie nicht für sakrale Zwecke geplant oder primär genutzt wurden. Elemente des Sakralen sind ihnen erst durch ihre Nachgeschichte zugewachsen. Abb. 12: Reihengrab, Feierplatz und ehemaliges Krematorium in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück (Postkarte, 1968) Angesichts einer verbreiteten Verdrängung extremer Kollektivgewalt und ihrer Spuren müssen deren Tatorte zunächst als außeralltägliche Orte des Gedenkens gesellschaftlich und politisch anerkannt, umgewidmet und hergestellt werden (Eschebach 2019). Dies geschieht erstens durch Diskurse: Gerade für die Orte des 116 t hemen Holocaust wird häufig betont, dass sie sprachlos machen und sich rationalen Erklärungen entziehen. So gibt es dem Anthropologen Jonathan Webber zufolge „keine Kategorie in unserer Sprache, mit der wir ausdrücken können, was Auschwitz für ein Ort ist“ (Webber 1995: 6). Je mehr auf diesen Topos der Undarstellbarkeit Bezug genommen wird, desto größer wird die Distanz zum Profanen und Rationalen und umso größer die dem historischen Ort zugeschriebene (über-)historische Bedeutung. Zweitens sind Gedenkstätten durch bestimmte Gestaltungselemente als außeralltägliche Orte erkennbar. Dazu gehören Gräber, Mahnmale, Gedenkzonen oder sakrale Gebäude wie Kirchen, Kapellen, Klöster und „Räume der Stille“. In den Mahn- und Gedenkstätten der DDR wurden im Zentrum der ehemaligen Lagergelände oder als Teil einer räumlichen Dramaturgie außerhalb davon große Areale geschaffen, um politische Gedenkveranstaltungen abhalten zu können (Eschebach 2005). Allerdings wird Gedächtnisritualen durch die extreme Kollektivgewalt oft ihre wesentliche Grundlage genommen: Viele Leidens- und genaue Todesorte sind nicht bekannt, lokalisierbar, gestaltet oder zu erreichen; es gibt gar oft keine persönlichen oder individualisierbaren Gräber. Ermordete wurden in Massengräbern verscharrt oder verbrannt, ihre Asche und Reste ihrer Gebeine finden sich vielerorts noch heute. B eispiel : D ie G eDenKstätten c hatyn unD m aly -t rosteneZ (W eissrusslanD ) Orte der Wehrmachts- und Besatzungsverbrechen in der Sowjetunion sind in der deutschen Erinnerungskultur kaum präsent. Auch vor Ort sind nur wenige der Mordstätten und Friedhöfe durch Mahnmale offiziell gekennzeichnet oder sichtbar. Doch bereits 1969 wurde 60 Kilometer nördlich von Minsk die Gedenkstätte Chatyn im heutigen Weißrussland eingeweiht. Deutsche Truppen hatten das Dorf am 22. März 1943 im Rahmen einer „Vergeltungsaktion“ niedergebrannt und 149 Menschen in einer Scheune ermordet. Die Gestaltung der Gedenkstätte weist verschiedene sakralisierende Elemente auf, die allerdings im Unterschied zu anderen Mahnmalen in der Sowjetunion dieser Zeit die Opfer nicht als heldenhafte Märtyrer repräsentieren. Die Standorte der zerstörten Holzhäuser wurden durch kniehohe, aschgraue Betonbalken symbolisiert. Die Nennung der Namen der Ermordeten und ihres Alters an den stilisierten Eingängen individualisiert das Gedenken vor Ort. Aufragende Stelen mit Glocken symbolisieren die Schornsteine der früheren Häuser. Die Glocken erklingen in dem weitläufigen Gelände gleichzeitig alle dreißig Sekunden. Das Dach der ehemaligen Scheune wurde in schwarzem Marmor nachgebildet. Den zentralen Ort der Gedenkstätte bildet eine Bronzeplastik von Leonid Lewin, die den überlebenden Schmied des Dorfes als Trauernden mit seinem toten Sohn auf den Armen zeigt. Später wurde der Gedenkort zur zentralen Gedenkstätte für alle NS-Verbrechen auf weißrussischem Boden ausgebaut, die 5295 Orte betrafen. In Chatyn wird auf einem stilisierten Friedhof durch 185 einzelne grabähnliche Flächen an jene Dörfer erinnert, die verbrannt wurden und heute nicht mehr bestehen. Jede Grabfläche beinhaltet eine Urne mit Erde aus dem jeweiligen Ort und trägt dessen 117 s InD g eDenkstätten heIlIge o rte ? Der außeralltägliche Charakter von Gedenkstätten wird drittens durch das Zusammenspiel von räumlichen Dispositionen, normativen Erwartungen und Besucherreaktionen konstituiert. Nutzungsregeln und Verhaltenshinweise gebieten ein dem Ort „angemessenes“ Verhalten. Um die Totenruhe und die Würde des Gedenkens zu bewahren, sind zum Beispiel erlebnispädagogische Angebote, wie sie aus Museen bekannt sind, nicht vorgesehen. Sind viele Ausstellungen auch inhaltlich um Sachlichkeit bemüht, werden persönliche Objekte von Häftlingen durch eine besondere Ästhetik häufig als etwas Unberührbares auratisiert. Museale Räume macht dies zu einem „sacred secular space“ (Alba 2015). Viertens sind es die Besucher selbst, die den historischen Ort sakralisieren oder ihn zumindest zu einem „ethical space“ machen (Clark 2013). Viele suchen Tatorte extremer Kollektivgewalt zwar im Rahmen von touristischen Praktiken auf, verstehen dies aber als Akt eines mahnenden, präventiven Gedenkens. Oft geht ein Aufenthalt mit intensiven Gefühlen wie Verlust oder Trauer, Empathie oder Schock, aber auch religiösen Empfindungen einher. „Warum? “ ist eine der am häufigsten gestellten Fragen, auf die historische Erklärungen oft nicht als Namen. Die Namen von mehr als 400 wiederaufgebauten Ortschaften werden an symbolischen „Bäumen des Lebens“ genannt. Eine „Mauer des Gedenkens“ erinnert an die 260 größten Stätten der Vernichtung in Weißrussland. Von besonderer symbolischer Bedeutung ist ein Viereck aus drei Birken und einer ewigen Flamme, die dafür steht, dass ein Viertel der weißrussischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg durch die deutschen Verbrechen umgekommen ist. Nicht weit von Chatyn entfernt, kurz vor Minsk, ist in den letzten Jahren der Gedenkort Maly Trostenez neugestaltet worden. In diesem Lager wurden unter anderem Zehntausende deutsche Juden aus dem Ghetto von Minsk ermordet. Der 1963 errichtete Obelisk ließ die Juden als Opfergruppe ganz im Einklang mit der vorherrschenden sowjetischen Erinnerungskultur unerwähnt. Unterstützt von deutschen und österreichischen Initiativen wurde 2015 am ehemaligen Lagergelände ein „Weg der Erinnerung“ und im angrenzenden Waldgebiet 2018 ein - wie in Chatyn - auf einen Entwurf von Leonid Lewin zurückgehender „Weg des Todes“ eingeweiht, der auf das Areal der Massengräber zuführt. Materielle Spuren sind hier kaum überliefert - das SS-Sonderkommando 1005 hatte große Teile des Lagers beseitigt, nach Kriegsende wurde das Areal nicht geschützt. Eine ausgeprägte Symbolsprache - unter anderem mit monumentalen Menschenskulpturen am ehemaligen Lagereingang oder stilisierten Eisenbahnwaggons entlang des „Weges des Todes“ - prägt damit beide Gedenkorte in besonderer Weise. Darin drückt sich auch eine expressivere Kultur des Totengedenkens aus, das deutliche Anleihen bei religiösen Formen, inzwischen aber auch bei melodramatischen Medienformaten nimmt. Bei der jüngsten Einweihungsfeier loderten Flammen auf einer Leinwand, man ließ weiße Tauben fliegen und spielte die Titelmusik aus dem Kinofilm „Schindlers Liste“. Literatur: Ganzer 2014. 118 t hemen ausreichende Antwort betrachtet werden. Wissenschaftler deuten solche affektiv besetzten Formen des Erinnerns als Ausdruck eines menschlichen Grundbedürfnisses nach Übergangszonen, die eine prägende Erfahrung von etwas Außeralltäglichem, Numinosem versprechen. Gedenkstätten affizieren mithin eine anthropologische Sehnsucht nach Überwältigungserfahrungen. Schließlich tragen bestimmte Akteure dazu bei, den Charakter von Gedenkstätten als außeralltäglichen Orten zu fördern: Kirchen, Geistliche und andere religiöse Körperschaften oder christlich geprägte Verbände haben die Arbeit von NS-Gedenkstätten vielerorts mit geprägt - nicht zuletzt als Unterstützer und Mitwirkende der Gedenkstättenbewegung, aber bis heute rituell wie institutionell durch religiöse Zeremonien, den Unterhalt von Gedenkkapellen oder eigene Gedenkstättenbeauftragte. Überreste oder Reliquien? In der langen Tradition heiliger Orte, die besonderen Verstorbenen oder Ereignissen gewidmet wurden, spielen körperliche Überreste von Toten oder Gegenstände, die mit ihnen in Berührung standen, eine zentrale Rolle. Sie haben als Reliquien heilige Orte begründet oder sind in Form von Grabstätten in sakral gestaltete Gedächtnisorte eingegangen. So dienen viele Kirchen seit dem Mittelalter aufgrund von Grablagen und körperlichen Überresten wichtiger geistlicher und weltlicher Würdenträger als Erinnerungsorte oder als Pilgerstätten zum Gedenken an Heilige, Märtyrer und Wunder. An diese Räume gebundene Gottesdienste, Trauermärsche oder Wallfahrten wurden durch mobile Erinnerungsträger wie Gedenkmünzen, Votivtafeln oder Heiligenbilder weitergetragen. Tatorte extremer Kollektivgewalt und vor allem personenbezogene Artefakte können als mythische Kontaktzone zur Vergangenheit wahrgenommen werden, weil sie unmittelbarer als andere Quellen und mit allen Sinnen erfahrbar sind. Noch mehr als mobile Artefakte in Museumsräumen vermitteln Überreste am historischen Ort den Eindruck einer „Kontinuität der Dauer“ (Assmann 1999: 299). Sie scheinen dabei zu helfen, die zeitliche Distanz zur Vergangenheit durch die Möglichkeit einer sinnlichen Teilhabe zu überbrücken. In einem „semiotischen Kreislauf“ (Pomian 1990: 42) wachsen ihnen Bedeutungen und Funktionen zu, die weit über ihren Informationswert hinausgehen. Unter anderem dienen sie dazu, Darstellungen des Geschehens und deren Quellen auf einer transrationalen Ebene zu beglaubigen. In Gedenkstätten nimmt der Umgang mit körperlichen Überresten einen besonderen Stellenwert ein. Nach der Befreiung der Konzentrationslager wurden die Ermordeten, soweit dies möglich war, zwar im Rahmen christlich-jüdisch geprägter Totenrituale, aber meist in Massengräbern bestattet. Während Urnen mit Asche und Erde aus Konzentrations- und Vernichtungslagern dort wie an 119 s InD g eDenkstätten heIlIge o rte ? vielen anderen die Vernichtung symbolisierten (Eschebach 2011), wurden manche der früheren Lagerareale ganz oder in Teilen Friedhöfen gleichgestellt und somit de facto zu heiligen Orten erklärt. Das führt immer wieder zu Konflikten: Archäologische Grabungen sind, wenn überhaupt, nur unter äußerster Rücksichtnahme durchführbar, um die vor allem nach dem jüdischen Religionsgesetz streng geregelte Totenruhe nicht zu stören. Ihren Wert zeigen jedoch unter anderem die jüngsten Ausgrabungen in Treblinka und Sobibor. Die Funde lassen teilweise erstmals eine genaue Rekonstruktion der Topographie der Lager zu und haben in Sobibor, wo der Standort der ehemaligen Gaskammer lokalisiert werden konnte, wesentlich zur Entscheidung beigetragen, ein Museum einzurichten (Sturdy Colls 2012, 2014; Majewski 2015; Ganzenmüller / Utz 2016; Lehnstaedt 2017). Im europäischen Kontext wird inzwischen weitgehend darauf verzichtet, physische Überreste von Ermordeten zu präsentieren. Eine Ausnahme stellen die seit der frühen Nachkriegszeit hinter Glas exponierten Mengen abgeschnittener Haare in der Dauerausstellung im Museum der Gedenkstätte Auschwitz dar. Gerade bei ihnen stellt sich nicht nur das Problem des angemessenen restaurativen Umgangs (Kozub 2011), sondern - wie in der postkolonialen Restitutionsdebatte - auch die Frage, wem diese Objekte eigentlich gehören (Lingen 2012). Aber auch persönliche Gebrauchsgegenstände gewinnen in Ausstellungen einen reliquialen Charakter, wenn auf ihren Besitz und damit ihre Berührung durch benennbare Opfer hingewiesen wird und sie entsprechend inszeniert werden (Saupe 2017b). An vielen nicht-westlichen Orten zur Erinnerung an Kollektivgewalt wie in Ruanda und Kambodscha werden menschliche Knochen und Schädel oder Kleidungsstücke unmittelbar am historischen Ort belassen oder ausgestellt. So werden auf dem ehemaligen „killing field“ in Choeung Ek in der Nähe von Phnom Penh mehrere Tausend nicht identifizierte Schädel und Knochen in einer traditionellen, 1988 errichteten Stupa aufbewahrt, einem begehbaren buddhistischen Reliquienschrein. Sie zeigen deutliche Spuren der Gewalt, da ein Großteil der Opfer erschlagen wurde. Die Massengräber sind unversiegelte Areale, aus denen Kleidungsstücke herausragen. Immer wieder werden Knochenreste vom Regen aus dem Boden gespült. Diese Überreste im Besucherbereich zu belassen, wird einerseits mit ihrer forensischen Bedeutung für die laufenden internationalen Strafprozesse, andererseits mit dem heiligen Charakter des Bodens begründet, weil die Ermordeten nicht - wie es im Buddhismus üblich ist - eingeäschert werden konnten (Lesley 2015). 120 t hemen Abb. 13: Massengräber auf dem Gelände des „killing field“ Choeung Ek bei Phnom Penh, Kambodscha Ritual oder Reflexion? In Gedenkstätten und ihren Gedenkveranstaltungen verdichtet sich eine Form der liturgischen Kanonisierung des Erinnerns, die religiöse Praktiken beinhaltet oder ihnen nachempfunden ist. Die Verantwortlichen der Gedenkstätten kooperieren hier unter anderem mit Vertretern von Religionen, Konfessionen und Opfergruppen. Für solche Gedenkfeiern gibt es im Jahresverlauf verschiedene Anlässe, aber zumindest in den KZ-Gedenkstätten hat sich der Tag der „Befreiung“ des jeweiligen Lagers als zentraler Gedenktag etabliert. Andere Gelegenheiten - wie der 27. Januar, der 1. September oder der 9. November - sowie besondere Daten, die mit einzelnen Opfergruppen verbunden sind, spielen eine unterschiedlich große Rolle. Auch Einweihungen neuer Ausstellungen, Gebäude und insbesondere von Gedenkzeichen sind oft selbst zeremonielle Akte oder werden mit einer Gedenkfeier verbunden. Befreiungsfeiern in den KZ-Gedenkstätten haben seit den 1980er Jahren - vor allem bei runden und halbrunden Jahrestagen - eine zunehmende politische und öffentliche Aufmerksamkeit erfahren. Bis heute werden sie meist unter Beteiligung von Überlebenden durchgeführt, die oft auch aktiv mitwirken - durch Reden, das Niederlegen von Kränzen, durch Gesang und Gebete. Indem diese Möglichkeit schwindet, ändert sich der Charakter von Gedenkfeiern, etwa 121 s InD g eDenkstätten heIlIge o rte ? durch die Einbeziehung von Jugendlichen, die selbst ein memoriales Motiv der Weitergabe an die kommende Generation verkörpern. Dennoch bleiben diese Veranstaltungen durch wiederkehrende Merkmale geprägt: weihevoll gehaltene Ansprachen, getragene Musik, das Verlesen der Namen von verstorbenen Überlebenden, Gebete und Segnungen, das Niederlegen von Kränzen, Schweigeminuten. Die Choreographien werden neben den Staatsvertretern und Vertretern von Überlebendenorganisationen durch Geistliche, Rabbiner und gelegentlich Vertreter anderer Religionen mitgestaltet. Viele Gruppen verbinden ihre Besuche in Konzentrations- und Vernichtungslagern mit eigenen Liturgien, in denen ein personalisiertes Gedächtnis an Ermordete in religiöse Traditionen und nationale Symboliken eingebettet wird. Am bekanntesten ist in dieser Hinsicht der seit zwei Jahrzehnten jährlich international für junge Juden aus aller Welt organisierte „Marsch der Lebenden“, der vom Stammlager Auschwitz zum Vernichtungslager Birkenau führt. Er ist Teil einer zehntägigen Tour zum israelischen Shoah-Gedenktag im Frühjahr, die den Jugendlichen einen breiten Einblick in das frühere jüdische Leben in Polen und dessen Vernichtung vermitteln soll. Eigene israelische Programme ermöglichen jährlich Zehntausenden Schülern und Soldaten eine Reise nach Polen. Sie haben inzwischen einen festen Ort in der offiziellen Geschichtspolitik des Staates Israel; sie dienen der nationalen Identifikation und sollen die Wehrhaftigkeit mobilisieren. Gerade Überlebende sowie Angehörige der „zweiten Generation“ sehen in solchen Reisen ein unverzichtbares Bindeglied, um das Gedächtnis an die Ermordung der europäischen Juden in einer Gesellschaft weiterzutragen, die sich zeitlich immer weiter davon entfernt und immer diverser geworden ist (Feldman 2008; Lehrer 2013). Die gezielte Emotionalisierung und nationalreligiöse Sinnstiftung stoßen auch bei Israelis auf viel Kritik, weil die Shoah so als etwas Mystisches und Nicht-Erklärbares - als ein „Monster“ (Sarid 2019) - vermittelt und für eine unkritische Bindung an den israelischen Staat instrumentalisiert werde. In eine solche Richtung weisen auch zivilreligiöse Normierungen, wie sie etwa die Bundesgedenkstättenkonzeption von 2008 formuliert hat. Gedenkstätten seien, so heißt es dort, als das Ergebnis von „Lehren“ zu fördern und zu nutzen, die nach 1945 aus den NS-Verbrechen gezogen worden seien - Menschenwürde, Freiheit, Demokratie - und die „jeder Generation (…) immer wieder neu vermittelt“ werden müssten. Einerseits wird so die enge Wechselwirkung von Gedenkstätten mit einer postheroischen Kultur politischer Grundwerte bekräftigt, die das Leiden von Menschen anerkennt, die Opfer staatlicher Verbrechen geworden sind, und sich menschenfeindlichen Denkweisen und Handlungen widersetzt. Andererseits entzieht man die Wahrnehmung und Deutung von Gedenkstätten der Kontroversität und damit einer wichtigen Dimension des reflektierten Geschichtsbewusstseins, weil bestimmte Lehren als gegeben und überzeitlich gültig angenommen werden (Thünemann 2018). 122 t hemen Angesichts vielfältiger geschichtspolitischer und identitätspolitischer, aber auch religiöser Indienstnahmen von Gedenkstätten und der immer wieder auftauchenden Erwartung an eine kathartische, reinigende Wirkung von Besuchen an den Orten von Kollektivgewalt setzen weite Teile der Gedenkstättenpädagogik - zumindest in der Bundesrepublik - auf Aufklärung durch Information und Reflexion. Da aber religiöse Empfindungen und sakrale Praktiken für Gedenkstätten charakteristisch sind, besteht eine der größten Herausforderungen ihrer Arbeit darin, der emotionalen Komplexität an diesen Orten gerecht zu werden und sie mit kognitiv-reflexiven Zugängen zu verknüpfen. Sind Gedenkstätten authentische Orte? Gedenkstätten werden in den letzten Jahren zunehmend als „authentische Orte“ bezeichnet. Im Unterschied zu medialen Geschichtsbildern oder geschichtswissenschaftlichen Darstellungen wird ihnen dadurch zugeschrieben, „echt“, „ursprünglich“ und „unvermittelt“ zu sein (Hoffmann 2002). Die Bedeutung reicht häufig noch weiter: Dem Historiker Wolfgang Benz zufolge ermöglicht der historische Ort es sogar, das „Grauen zu spüren“ (SZ, 1. 6. 2016). Mehrere Momente wirken dabei zusammen: Gedenkstätten sind verbürgte Orte eines Gewaltereignisses und des damit verbundenen menschlichen Leidens. Mit diesen Orten liegt eine materielle Überlieferung zu einem Gewaltereignis vor. Weitere Quellen und hier insbesondere persönliche Berichte beglaubigen das Geschehen. Ein gestalterisch-museales Arrangement verbindet Raum, Objekte und Zeugnisse zu einem glaubwürdigen Gesamtnarrativ. Bestimmte Praktiken vor Ort etwa durch Guides oder die Besucher selbst evozieren die Dimension einer sinnlichen, emotionalen Erfahrung. Der Verweis auf die Authentizität von Gedenkstätten ist zum festen Bestandteil ihrer Legitimation geworden. Insbesondere der Stellenwert baulicher und anderer dinglicher Überreste hat deutlich zugenommen, wie zahlreiche Tagungen und Sammelbände dokumentieren (Klei / Stoll / Wienert 2011; Hammermann / Riedel 2014; Allmeier u. a. 2016; Drecoll / Schaarschmidt / Zündorf 2019). Allerdings wird kritisch diskutiert, was genau „authentisch“ meint und wie tragfähig der Begriff ist (Assmann 2002; Siebeck 2011, 2013; Uhl 2012a; Saupe 2018). So betrachtet der Gedenkstättenpädagoge Matthias Heyl das Reden von der „Authentizität“ oder „Aura“ historischer Tatorte lediglich als das „Ergebnis und Erzeugnis normativer Besetzungen“ (Heyl 2013: 244). Er sieht sie keineswegs in einem intrinsischen, also den Dingen innewohnenden und unvermittelten Wirkungspotenzial begründet. In diesem Sinne hat die Auschwitz-Überlebende Ruth Klüger kritisiert, die „Sammlung renovierter Überbleibsel alter Schrecken“ in den Gedenkstätten befördere einen „KZ-Kitsch“, der die Verbrechensorte durch „Sentimentalität“ und „Klischees“ banalisiere (Klüger 1992: 76). 4.2 123 s InD g eDenkstätten authentIsche o rte ? Authentizität Von Authentizität zu sprechen, ist seit den 1970er Jahren - parallel zur Institutionalisierung von Gedenkstätten - zum „Sehnsuchtsort historischer Selbstvergewisserung“ geworden (Saupe 2017a). Damit ist das verbreitete Bedürfnis nach Echtheit als einem besonderen, sinnlichen Schlüssel zur Vergangenheit gemeint. Im engeren Sinne ist dies an eine beglaubigte Ursprünglichkeit gebunden: Objekte sind zeitlich und räumlich verlässlich und so konkret wie möglich in jener Vergangenheit verortet, als deren Repräsentationen sie gelten sollen. Darüber hinaus werden zunehmend auch Simulationen, Kopien oder Rekonstruktionen als „authentisch“ bezeichnet, wenn sie ein stimmiges Gefühl historischer Unmittelbarkeit vermitteln (Saupe 2017a). Dem dient ein breites Spektrum teilweise miteinander verbundener Formen, das von wissenschaftlichen Authentifizierungen historischer Objekte über Praktiken „inszenierter Authentizität“ (Samida 2014) - etwa durch Reenactments an historischen Orten - bis hin zu virtuellen Immersionsangeboten reicht. Unter dem wissenschaftlichen Begriff „Authentizität“ wird analysiert, wie etwas als echt, unmittelbar oder unverändert präsentiert und damit konstruiert, aber auch rezipiert wird. Die vermehrte Hinwendung zu Museen, Objekten und historischen Orten hat der Ethnologe Gottfried Korff auf eine „Konträrfaszination des Authentischen“ zurückgeführt (Korff 1995: 24). Dank eines ihnen zuerkannten intrinsischen Geschichtswerts stellen materielle Überlieferungen demnach das Gegenstück zu einer nur noch vermittelt zugänglichen, medialisierten Wirklichkeit dar. Ein solcher sinnlicher Zugang zur Vergangenheit, der durch museale Inszenierungseffekte betont wird, kommt besonders zur Geltung, wenn ihre Echtheit historisch erwiesen ist, sie also - im besten Falle mit wissenschaftlichen Methoden - „authentifiziert“ worden sind. Authentifizierungsstrategien finden sich aber auch im Bereich kultureller Fiktionalität, wenn in Spielfilmen dokumentarisches Bildmaterial eingesetzt, an historischen Orten gedreht oder diese nachgebaut sowie Augenzeugenberichte zugrunde gelegt werden. Wird Authentizität nicht als unvermittelte Echtheit eines materiellen Objekts verstanden, sondern konstruktivistisch als ein kommunikativer Prozess, lassen sich drei miteinander verknüpfte Dimensionen unterscheiden: Erstens ist unter Authentizität - objektbezogen - der möglichst entstehungsgetreue Zustand eines Ortes oder eines Sachzeugnisses zu verstehen, wobei dies nicht an eine unveränderte, materielle Originalität im engeren Sinne gebunden ist. Von besonderer Bedeutung ist hier, was Historiker, Archäologen, Denkmalpfleger und andere Experten als authentisch bestimmen. Gilt der historische Echtheitswert als gesichert, fungieren Orte und Dinge als materielle Stellvertreter einer spezifischen historischen Zeit oder eines Geschehens. Weil Objekte jedoch über Zeit zahlreichen Veränderungen unterliegen, wird inzwischen das Wort „original“ vermie- 124 t hemen den. Zweitens wird Authentizität - subjektbezogen - durch Wahrnehmungen von Repräsentationen eines vergangenen Geschehens konstituiert, wenn sie (im schwächeren Sinne) als historisch zutreffend nachvollzogen oder (im stärkeren Sinne) so nachempfunden werden, als ob man sich tatsächlich in der Vergangenheit befindet. Die dritte Dimension bilden museale, mediale oder narrative Techniken, mit denen die objekt- und die subjektbezogene Dimension von Authentizität in Kongruenz zueinander gebracht werden, um den Eindruck einer unmittelbaren sinnlichen Begegnung mit der Vergangenheit zu vermitteln. Wird eine solche kommunikative Herstellung von Authentizität zwischen Objekt, Arrangement und Rezipient von vielen - unter anderem aus museumspädagogischen Gründen - sehr begrüßt, kritisieren andere eine damit verbundene Überformung des historischen Wissens oder eines reflektierten Geschichtsbewusstseins durch Sinneseindrücke, Stimmungen und Emotionen. Sie hinterfragen museale Inszenierungstechniken dahingehend, ob Objekte und Orte als Sachquellen kritisch analysiert werden: Werden Brüche und Uneindeutigkeiten kommuniziert, Gebrauchsspuren und Zerstörungen beseitigt, Datierungsprobleme transparent sowie bei Sanierungen und Rekonstruktionen die Eingriffe, Ergänzungen und Reproduktionen dauerhaft sichtbar gemacht? Oder wird davon abgesehen, um eine möglichst ungebrochene, essentialistische Authentizitätsempfindung hervorzurufen? Wie wichtig im Bereich von Gedenkstätten die materielle Überlieferung seit dem bürgerschaftlichen Projekt der „Spurensuche“ in den 1980er Jahren geworden ist, lässt sich beispielhaft am Anne-Frank-Haus in Amsterdam beobachten: Bei der Eröffnung 1960 standen die historischen Räume des Hinterhauses auf Wunsch von Otto Frank weitgehend leer - ganz so, wie er sie nach seiner Rückkehr vorgefunden hatte. Doch bereits ein Jahr nach der Eröffnung veranschaulichten Modelle, wie die Zimmer eingerichtet waren. Seit 1986 sind zudem die Originaltagebücher ausgestellt, seit 2010 auch die gesamten Schriftwerke von Anne Frank. Zuletzt ging das Anne-Frank-Haus noch weiter: Besucher können bei einem interaktiven Virtual-Reality-Rundgang digital (re-)konstruierte Gegenstände „berühren“. B eispiel : D ie t opoGraphie Des t errors Exemplarisch für den Bedeutungsgewinn baulicher Überreste ist die Geschichte der Topographie des Terrors in Berlin: Ohne sie gäbe es dort wohl heute keine Gedenkstätte. Von der ersten Sichtbarmachung von Spuren des ehemaligen zentralen Gestapo-Sitzes in Berlin bis zu dessen adäquater Musealisierung dauerte es mehr als 25 Jahre. Nach dem Krieg waren die Bauten abgerissen worden. Ende der 1970er Jahre gab es erstmals Diskussionen um den Umgang mit dem brachliegenden, am Rand der Mauer zu Ost-Berlin gelegenen Gelände, als der geplante Bau einer über das Gelände führenden Straße abgewendet werden konnte. Verfolgtenverbände und Bürgerinitiativen 125 s InD g eDenkstätten authentIsche o rte ? machten vehement auf dessen historische Bedeutung aufmerksam. Der Berliner Senat reagierte: Ein „Gedenkpark für die Opfer des Nationalsozialismus“ sollte angelegt werden, doch ohne Bodensondierungen oder ein Museum. Im Jahr darauf konnten jedoch gegen behördlichen Widerstand erste archäologische Grabungen realisiert werden. Die Funde - darunter Reste des ehemaligen „Hausgefängnisses“ der Gestapo, ihres Folterkellers - wurden in den folgenden Jahren immer mehr zum Faustpfand, um das Ziel der Realisierung einer Gedenkstätte an diesem Ort nicht einschlafen zu lassen. 1987 konnten die Überreste erstmals im Rahmen der 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin zusammen mit einer provisorischen Ausstellung präsentiert werden. Ein 1990 verabschiedetes wissenschaftliches Gestaltungskonzept für eine Gedenkstätte rückte den Erhalt der Überreste ins Zentrum der Planung. Nach zwei Gestaltungswettbewerben und einer mehr als zehnjährigen Verzögerung der Realisierung wurde die neugestaltete Topographie des Terrors 2010 eröffnet. Neben einem neu errichteten Dokumentationszentrum prägen die freigelegten Kellerreste als „Ausstellungsgraben“, diverse weitere Außenobjekte aus der NS-Zeit sowie ein zweihundert Meter langes Reststück der Berliner Mauer den Ort. Seit 2006 ist die Stiftung „Topographie des Terrors“ auch für das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide zuständig. An seiner Entstehung zeigt sich der veränderte Status von historischen Überresten. In Schöneweide bestand ab 1943 ein Lager für NS-Zwangsarbeiter; es war einer von mehr als 3000 Orten zu deren Unterbringung allein in Berlin. Zwölf der Häftlingsbaracken wurden nach 1945 zu verschiedenen Zwecken weitergenutzt. Die Hälfte davon stand ab 1995 leer. Gut ein Jahrzehnt später beschloss der Berliner Senat, hier eine Gedenkstätte einzurichten. Innerhalb kurzer Zeit wurden zwei Baracken saniert, um sie unter anderem für eine Dauerausstellung zu nutzen. Das Sanierungskonzept sieht unterschiedliche Ziele im Umgang mit den erhaltenen Gebäuden vor. Insgesamt wurde der Fläche des ehemaligen Lagers wieder die Anmutung eines kargen, geometrisch geordneten Raumes verliehen, aber nur die „Baracke 13“ hat aufgrund der im Vergleich geringsten Veränderungen - trotz vielfältiger Nutzungen als Materiallager, Werkstatt und Antiquitätendepot - nach 1945 den Charakter eines begehbaren Großexponats bekommen. Hier erinnern unter anderem Wandinschriften von italienischen Militärinternierten an die unmenschlichen Bedingungen. Nach Aufnahme des Gedenkstättenbetriebs wurden weitere Baracken saniert. Eine dient nun als Begegnungsstätte: Jugendliche übernachten heute dort, wo im Krieg Zwangsarbeiter untergebracht waren. Es handelt sich um die einzige Gedenkstätte in der Bundesrepublik, an der mit einem solch umfänglich erhaltenen Baubestand an die NS-Zwangsarbeit erinnert wird - ein Thema, das erst in den 2000er Jahren durch die Debatten um die ausstehenden Entschädigungen für die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zum Politikum geworden war. Verglichen mit der „Topo“ gelang die Einrichtung des Dokumentationszentrums in Schöneweide zügig, hat aber ihre Grenzen: Die von ihm nicht genutzten Baracken werden weiterhin für ganz andere Zwecke genutzt - als Sauna, Kindertagesstätte, Autowerkstatt und Kegelcenter. Literatur: Till 2005; Nachama 2009. 126 t hemen Trotz einer verbreiteten Skepsis gegenüber sinnlichen Überwältigungen durch den historischen Ort und seine Relikte versuchen auch Gedenkstätten häufig, den Eindruck eines unmittelbaren Bezugs zur Vergangenheit zu unterstützen. Dies geschieht auf verschiedene Weise: Es wird von „Sachzeugnissen“ gesprochen und der sakrale Charakter des Ortes betont. Auf dem ehemaligen Lagergelände werden Informationsmittel sowie materielle oder digitale Rekonstruktionen zurückhaltend oder gar nicht eingesetzt. Guides zitieren Berichte von Ermordeten und Überlebenden bei Führungen über das Gelände. Erhaltene Objekte werden besonders exponiert und beglaubigen pars pro toto den gesamten Ort als „authentisch“. Der persönliche Wert von Gegenständen wird museal inszeniert. Berichte von Überlebenden stehen im Zentrum von Ausstellungen. Der historische Ort wird mit der musealen Präsentation von Objekten in Einklang gebracht. Während solche Praktiken bei vielen Besuchern von Gedenkstätten eine ohnehin bestehende Originalitätserwartung bestärken (Haug 2015a, 2015b; Mehr 2016; Lutz 2019), sind dort allerdings auch Zugänge verbreitet, die eher einen forensischen Umgang mit der materiellen Überlieferung betonen. Objekte dienen dabei als Ausgangspunkt, um sich kritisch mit dem Verhältnis zwischen materieller Überlieferung und historischem Geschehen auseinanderzusetzen (Heyl 2010). Besucher bewegen sich somit in einer „oscillation between immediacy and hypermediacy“ (Erll / Rigney 2009: 3): Auf der einen Seite tritt der historische Ort als Objekt und Medium hinter den Eindruck einer unvermittelten Nähe zur Vergangenheit zurück, auf der anderen Seite dieses Spannungsbogens wird seine mediale Funktion quellenkritisch betont und dekonstruiert. Räumliche Palimpseste In Gedenkstätten steht einer Kongruenz von Wissen und Empfindung, die auf Authentizität und Immersion setzt, neben dem Gegenstand selbst ihre komplexe Überlieferung entgegen. An vielen Orten ist nichts oder nur wenig von der früheren Bausubstanz überliefert. Die meisten ehemaligen Verbrechensorte sind durch vielfältige nachträgliche Eingriffe, Gestaltungen, Rekonstruktionen, Baumaßnahmen und nicht zuletzt durch klimatische Einwirkungen erheblich verändert worden. Kaum etwas ist im Zustand seiner historischen Nutzung erhalten geblieben. Bezogen auf ihre Vergangenheit als Tatort sind sie leere Orte: Wo überhaupt noch Bauten oder Fundamente erhalten sind, ist ihr früherer Funktionszusammenhang kaum mehr unmittelbar zu erkennen. Zudem befinden sich die meisten Gedenkstätten nur auf einem Teil des historischen Lagergeländes. Nachträgliche Überformungen des historischen Ortes haben lange Zeit oft mehr in symbolisierender Absicht auf die vergangene Gewalt verwiesen, als eine historisch präzise Erschließung des Geländes und seiner Gebäude zu leisten. Auch moderne Museumsbauten, Reliktsanierungen und Außeninszenierungen verhal- 127 s InD g eDenkstätten authentIsche o rte ? ten sich keineswegs neutral zum historischen Ort oder sind nur Lesehilfen der historischen Überlieferung. Gedenkstätten stellen deshalb ein komplexes, meist widerspruchsvolles Gebilde dinglicher Bedeutungsträger aus mehreren Zeitschichten dar. Ihr Zustand ist das „Resultat voraussetzungsvoller Entscheidungs- und Aushandlungsprozesse erinnerungskultureller, gedächtnispolitischer und pragmatischer Art“, deren „Kriterien (…) nicht umstandslos nachvollziehbar sind“ (Siebeck 2014: 219). Sie sind als historisch gewachsene Repräsentationssysteme zu betrachten, die zwischen ihrer Vergangenheit als Verbrechensorten, ihren Transformationen in Erinnerungsorte sowie den Interpretationshorizonten von Gegenwart und Zukunft vermitteln. Es handelt sich um räumliche Palimpseste und kulturelle Artefakte: Nutzungen, Gestaltungen, Deutungen und Repräsentationen haben sich als Schichten über den historischen Ausgangszustand gelegt, die es freizulegen und aus ihrer jeweiligen Zeit heraus zu verstehen gilt (Busch 2014; Skriebeleit 2016; Knoch 2016). Deshalb hat der amerikanische Kulturwissenschaftler James E. Young davor gewarnt, die Materialität in Gedenkstätten mit dem historischen Geschehen selbst zu verwechseln, um nicht einer falschen „Magie“ dieser Orte zu erliegen (Young 1993). Aleida Assmann hat gefordert, die „Illusion einer unmittelbaren Anschauung“ zu „zerstören“, um Gedenkstätten nicht zu „verfälschenden Erlebnisorten“ werden zu lassen (Assmann 2006: 224). Diesbezüglich hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Das lange Zeit bei der Gestaltung der Gedenkstätten vorherrschende Grundkonzept des Friedhofparks unter Missachtung topographischer Merkmale oder baulicher Überreste ist mittlerweile durch die systematische Einbindung von Bauten und Bodenrelikten abgelöst worden. Die historische Topographie wird an vielen Orten durch rekonstruierende Eingriffe, Gestaltungsmaßnahmen und Informationsangebote wieder sichtbar gemacht. Dingliche Überlieferungen werden als wissenschaftliche Objekte und forensische Belege der Verbrechen und Geschehnisse betrachtet. Masterpläne integrieren die Gestaltung von Gebäuden, Ausstellungen und Gelände. Historische Orte und Spuren werden archäologisch erschlossen, kommentiert, kontextualisiert und so in ein musealisiertes Gesamtensemble verwandelt (Klei 2011). Durch die Verwissenschaftlichung des Umgangs mit der materiellen Überlieferung verändert sich der Blick auf das Territorium des Lagers, seine Räume und Orte, so dass die historische Entwicklung der Lagerorte und ihre räumliche Erstreckung differenzierter beschrieben und dargestellt werden können. Zudem ist durch die Erforschung von Arbeitskommandos, Außenlagern, Häftlingstransporten und Todesmärschen das Bewusstsein für die komplexe und weit ausgreifende topographische Verflechtung der zentralen Lagerbereiche gewachsen. Materielle Überreste werden durch Informationsträger oder digitale Angebote historisch konkret eingeordnet. Gegenüber einem Unmittelbarkeits- 128 t hemen anschein wird ihre Funktion als exemplarische Sachzeugnisse betont, die forensisch, archäologisch und museologisch erschlossen werden müssen. Wesentliche Grundlagen sind dafür archäologische Sondierungen, konservatorische Maßnahmen und reliktspezifische Recherchen (Hirte 1999; Theune 2014; Sturdy-Colls 2014). Auf dieser Basis nutzen Gedenkstätten das Anschaulichkeitspotenzial der Überreste unterschiedlich. Das Spektrum reicht von minimalistischen, reversiblen Grundsanierungen über die museale Betonung als Teilexponat durch Sichtfenster bis hin zu künstlerisch inspirierten „Übersetzungen“ oder zu Rekonstruktionen nicht mehr vorhandener, bestimmender Merkmale der ehemaligen Lager, teils unter Einbindung baulicher Überreste wie Wachtürmen, Lagertoren oder Zäunen. Immersion durch Rekonstruktion? Die lange Vernachlässigung historischer Überreste scheint sich derzeit ins Gegenteil zu wenden: Ob auratisiert, ästhetisiert oder forensisch analysiert - sie rücken immer mehr ins Zentrum der Gedenkstättenarbeit. Im Umgang mit materiellen Überresten stellt sich die Frage, was noch als Erhaltungsmaßnahme, was als weiterreichende Sanierung und was als Rekonstruktion gilt. Wenn zudem Anschaulichkeit immer bedeutsamer und in 3D-Anwendungen „virtuell“ erfahrbar wird - dürfen und sollten nicht Baracken oder ganze Lagerstrukturen vor Ort originalgetreu wiederaufgebaut werden? Die Betreiber des Robben Island Museum in Südafrika etwa sind stolz darauf, die Gefängniszellen in einem besseren, nämlich blitzsauberen Zustand zu präsentieren als zur Zeit ihrer Nutzung. Seit den 1980er Jahren hat sich in den bundesdeutschen NS-Gedenkstätten als weitreichender Konsens etabliert, auf Rekonstruktionen von Gewaltszenarien zu verzichten. Reenactments, wie sie an anderen historischen Orten, auch oder gerade von Gewalt, gepflegt werden, sind verpönt. Die Besucher sollen nicht durch die unmittelbare, emotionale Konfrontation mit Gewaltpraktiken oder deren Imagination und Nachempfindung überwältigt werden. Damit geht auch eine Ablehnung musealer Inszenierungen und Präsentationseffekte einher. Allerdings: Im ehemaligen Kriegsgefangenenlager Sandbostel haben umfangreiche Sanierungsmaßnahmen die erhaltenen, aber im Laufe von Jahrzehnten verfallenen Baracken wieder in die Nähe ihres Originalzustands gebracht, auch wenn die Nachbesserungen noch erkennbar sind (Ehresmann 2014). Im niederländischen Westerbork werden im Zuge einer umfänglichen Neugestaltung gezielt Rekonstruktionen ehemaliger Gebäude erstellt. Einige Gedenkstätten in Deutschland greifen inzwischen auf neue Medien zurück, um besonders eindrückliche Effekte zu erzielen. In der Gedenkstätte Bautzen wurde 2015 ein „Hörgang“ eröffnet, der als „akustisches Erlebnis“ einen „unmittelbaren Eindruck“ davon vermitteln soll, was Inhaftierung und Isola- 129 s InD g eDenkstätten authentIsche o rte ? tion an diesem Ort bedeuteten. In der Gedenkstätte am Ort des ehemaligen Stasi-Gefängnisses Berlin-Hohenschönhausen werden neben „Zeitzeugenführungen“ auch Rollenspiele eingesetzt, in denen die Teilnehmenden als Täter oder Opfer agieren (Neiss 2011). Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ in Leipzig wirbt auf ihrer Website explizit mit „authentischen“ Elementen, die „Geschichte sicht- und greifbar“ machen sollen: „originalen Arbeitsutensilien“ der in diesem Gebäude ansässigen Bezirksverwaltung der Stasi, dem „charakteristischen Geruch“ der Arbeitsräume sowie dem erhaltenen Fußboden aus Linoleum oder den „gelbbraunen Tapeten“. Durch den Nachbau einer Zelle aus der an einem anderen Ort gelegenen früheren Untersuchungshaftanstalt der Stasi entsteht der unzutreffende Eindruck, sich an einem Ort der Opfer zu befinden: Eine scheinbare Authentizität begründet somit die Selbstbezeichnung als „Gedenkstätte“ (Gundermann 2019). Auch in vielen Gedenkmuseen werden die Sinne schon seit längerer Zeit durch auratisierte Objekte, Inszenierungen, multimediale Formate und Erlebnisarrangements angesprochen. Da der historische Ort fehlt, nutzen sie die affektive Wirkung von Dingen, die als „authentisch“ präsentiert und inszeniert werden - von zeitgenössischen Eisenbahnwaggons, deren Einsatz bei den Deportationen oft nicht belegt ist, über Rekonstruktionen historischer Szenerien bis hin zu Nachstellungen der historischen Situation zumindest als digitale Version. Dinge Abb. 14: Sanierte und teilrekonstruierte Baracken des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers Sandbostel 130 t hemen treten in die Rolle als Stellvertreter ein, die Geschichte über einen sinnlichen Eindruck verdichten, wie es in ähnlicher Weise auch für Fotografien bekannt ist. Derart inszenierte Objekte sollen zu einer Immersion in die erzählte Geschichte beitragen, indem sie komplexe Sachverhalte exemplarisch repräsentieren und die Ausstellung zugleich mit einem medialen Reservoir vertrauter Bilder kommunizieren lassen (Köhr 2012: 175-196). Immersionsfördernde Technologien werden als eine Erweiterung bisheriger Formen der „prosthetic memory“ (Landsberg 2004) verstärkt Einzug in Gedenkstätten halten. Sie versprechen, die wachsende zeitliche und moralische Distanz zur Vergangenheit virtuell zu überbrücken. Doch was spricht dagegen, an den früheren Tatorten mit Nachbauten oder Techniken zu arbeiten, die das Geschehen für die Besucher anschaulich, erlebbar und immersiv werden lassen? Ein wesentliches Argument gegen solche Angebote des unvermittelten Eintauchens in die Vergangenheit ist die Tatsache, dass die Gewalterfahrungen ebenso wie die Lebensumstände an diesen Orten nicht nachvollziehbar sind und es insbesondere die Gewalthandlungen der Täter nicht sein sollen. Inszenierungen oder Akte des Nacherlebens verwischen eine kategorische Grenze zwischen heutigen und damaligen Erlebnisräumen. Sie überführen die Auseinandersetzung mit der Gewalterfahrung in den Bereich des Unterhaltungserlebnisses. Wie lässt sich hier aber eine klare Grenze zur sinnlichen Erfahrung einer Gedenkstätte insgesamt ziehen, die - ob gewollt oder nicht - eine hohe Erlebnisaffinität aufweist? Gedenkstätten sind nicht zuletzt deswegen besondere Orte, weil sich an ihnen ein historisches Ereignis manifestiert hat, das durch die überlieferten Spuren Ungläubigkeit hervorruft. Besucher betrachten die ehemaligen Lagergelände oft so, als seien sie „im KZ“. Um einer solchen Essentialisierung des historischen Ortes entgegenzuwirken, sollte der Authentizitätseindruck materieller Überlieferungen zunächst historisch validiert und kontextualisiert werden. So können sie einen wichtigen Schlüssel für das Verständnis von Topographie, Funktionen und Praktiken der historischen Tatorte bilden (Bernbeck / Pollock 2013; Bernbeck 2017; Sturdy Colls 2014). Will man die Erinnerung durch ein differenziertes Wissen und Bewusstsein fundieren, müssen dingliche Überreste, Spuren der Lagertopographie und die Zeitschichten historischer Orte im Verbund mit anderen Quellen in ihrer Komplexität als Beweis, Zeugnis und Symbol lesbar gemacht werden. Erst dadurch tritt jener Zeugniswert von Sachquellen in seiner Ganzheit und Komplexität hervor, der sich durch ihren Bezug zum Leiden von Menschen ergibt. 131 s InD g eDenkstätten muse ale o rte ? Sind Gedenkstätten museale Orte? „Gedenkstätte“ ist ein deutscher Begriff und nur schwer zu übersetzen. Er enthält - anders als der inzwischen geläufige englische Ausdruck „memorial museum“ - keinen Bezug zur ungleich länger etablierten kulturellen Gedächtnisinstitution des Museums. Darin spiegeln sich unterschiedliche Memorialkulturen wider: Während zum Beispiel in Polen oder Frankreich die ersten Gedenkstätten nach 1945 als „Museum“ bezeichnet wurden, betonte man in beiden deutschen Staaten begrifflich zunächst in Abgrenzung dazu eine Eigenheit dieser Orte im Umfeld von Denkmälern. In der Bundesrepublik wurden ihnen zunächst auch keine musealen Aufgaben zugewiesen - also Sammlungen anzulegen, Objekte und Themen wissenschaftlich zu erforschen oder ein aktives Ausstellungs- und Bildungswesen zu entwickeln. Seitdem aber immer mehr museale Elemente in die Gedenkstätten Einzug gehalten haben und - zumindest für die NS-Gedenkstätten - der zeitliche Abstand zum historischen Geschehen wächst, stellt sich die Frage, ob zwischen Gedenkstätten und Museen noch grundsätzlich unterschieden werden sollte (Heitzer u. a. 2016). Bildung oder Unterhaltung? Unter einem Museum werden recht verschiedene Architekturen, Konzepte und Organisationsformen verstanden. Gemäß einer jüngeren Definition handelt es sich um eine „dauerhafte Einrichtung, die keinen Gewinn erzielen will, öffentlich zugänglich ist und im Dienst der Gesellschaft und deren Entwicklung steht. Sie erwirbt, bewahrt, beforscht, präsentiert und vermittelt das materielle und immaterielle Erbe der Menschheit und deren Umwelt zum Zweck von Studien, der Bildung und des Genusses“ (ICOM 2007). Teile dieser Definition lassen sich auch auf Gedenkstätten anwenden: Gerade angesichts ihrer oft finanziell und manchmal auch politisch prekären Situation sind die benannten Aspekte der Gemeinnützigkeit, Dauerhaftigkeit und Zugänglichkeit höchst relevant. Gedenkstätten übernehmen mittlerweile auch das Sammeln und Bewahren von lange Zeit wenig beachteten oder nicht sorgsam genug behandelten materiellen Überresten auch an Orten von Staatsverbrechen. Doch zum einen erfasst diese Definition nicht die ursprüngliche Kernfunktion von Gedenkstätten als opferzentrierten Erinnerungsorten. Zum anderen: Ist die Kategorie „Genuss“ für Gedenkstätten angemessen, sollen sie Orte der Unterhaltung und des Vergnügens sein? Selbst im Museumsbereich ist dabei seit Jahren umstritten, was „Genuss“ bedeutet und ob die Betonung dieses Ziels nicht zu sehr zu Lasten der Aufgaben des Sammelns und Bildens geht. Die jüngste Expansion der Museumslandschaft hat ein Spannungsverhältnis zwischen dem öffentlichen Auftrag von Museen, 4.3 132 t hemen den verfügbaren staatlichen Mitteln und einem Etatbedarf entstehen lassen, der immer stärker private oder unternehmerische Finanzierungen verlangt. So betonen vor allem große Häuser „Events“ und „Erlebnisse“: Die Ästhetik von Gebäuden und Ausstellungen wird immer wichtiger, Museen konkurrieren um prominente und einfallsreiche Objekte oder Themen, Wechselausstellungen, Cafés, Shops und Kinderführungen lassen die eigentliche Dauerausstellung in den Hintergrund treten. Für Gedenkstätten birgt es große Herausforderungen für ihr Selbstverständnis und ihre Praxis, wenn sie sich an dieser Entwicklung von Museen orientieren, daran gemessen werden oder mit den dadurch geprägten Besuchererwartungen konkurrieren: Wie viel und welche „Erlebnisse“ müssen und wollen sie bieten - oder tun sie dies bereits, weil die Besucher den Ort (ganz) anders wahrnehmen, als es viele der für ihn Verantwortlichen für richtig halten? Deshalb ist nach dem Bildungsbegriff zu fragen, der jeweils verfolgt wird. Als Museen in den 1970er Jahren zu „Lernorten“ erklärt wurden, war damit mehr als ein vermittlungsbasiertes Lernen gemeint, nämlich die Befähigung zu einem reflektierten Umgang mit Objekten, zu einer kritischen Analyse ihrer Präsentation und zu Multiperspektivität. Bildung in diesem Sinne nicht als nationale oder kulturelle Identitätsbildung, sondern umfassend als Menschenbildung zu verstehen, die auf Freiheit, Mündigkeit und Autonomie abzielt, lag insbesondere der bundesdeutschen Gedenkstättenbewegung zugrunde. Gedenkstätte oder Museum? Die Gedenkstätteninitiativen der 1980er Jahre sahen in Museen und Denkmälern meist den Ausdruck einer ritualisierten, traditionellen und staatskonformen Geschichtskultur, die vor allem den persönlichen Erinnerungen der Verfolgten des Nationalsozialismus keinen Raum bot. Dagegen wollten sie die Überreste an den Tatorten aktiv erkunden, historisch-informative Ausstellungen erarbeiten und eine partizipatorische Bildungsarbeit mit einer gegenwartskritischen Auseinandersetzung verbinden. Waren seinerzeit trotz der Reformbestrebungen der 1970er Jahre die meisten Museen noch auf ihre Sammlungen und deren Präsentation beschränkt, sind inzwischen auch dort pädagogische Aufgaben kaum noch wegzudenken. Gedenkstätten weisen wiederum immer mehr Überschneidungen mit Museen hinsichtlich ihrer Gestaltung, ihrer Arbeitsweisen und ihres Selbstverständnisses auf. Bereits 1993 wurde diese Annäherung von Gedenkstätten an Museen offiziell bekundet: Die vormalige Nationale Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen wurde in Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen umbenannt. Zum einen war das mit dem Anspruch verbunden, für Gedenkstätten eine professionelle Ausstattung zu erreichen, die derjenigen größerer Museen entsprach und Aufgabenbe- 133 s InD g eDenkstätten muse ale o rte ? reiche wie das Sammeln, Konservieren und Ausstellen in angemessener Weise ermöglichen sollte. An Orten des Gedenkens sollten Ausstellungen und Arbeitsformen entwickelt werden, um über das dortige Geschehen in historisch fundierter Weise, mit Hilfe anschaulicher Sachobjekte und durch eine bedarfs- und gegenstandsgerechte technische Ausstattung informieren zu können. Selbst in den 1990er Jahren und auch danach war das längst keine Selbstverständlichkeit. Zum anderen hieß „Gedenkstätte und Museum“ aber auch, das eine nicht durch das andere ersetzen zu wollen. Dauerausstellungen und pädagogische Betreuung („Museum“) kommentieren auf der Basis wissenschaftlich gewonnener Kenntnisse den historischen Ort („Gedenkstätte“). Die neue Nähe zum Begriff „Museum“ verweist auf eine generelle Zunahme des institutionalisierten sinnstiftenden Umgangs mit Vergangenheit im öffentlichen Raum. Museen haben seit den 1980er Jahren eine erstaunliche Renaissance erlebt. Parallel zu diesem Museumsboom hat sich die Professionalisierung von Gedenkstätten an Arbeitsweisen des Museums orientiert: Sie verfügen - zumindest in westlichen Ländern - über heterogene und einmalige Sammlungen aus Sachgegenständen, Selbstzeugnissen und Dokumenten. Ausstellungen, Gebäude und Geländegestaltungen werden nach musealen Standards entwickelt. Fachliche Netzwerke gewährleisten seit vielen Jahren einen fundierten Erfahrungsaustausch und tragen zur Standardisierung bei. Die Arbeit von Gedenkstätten wird wissenschaftlich beraten. Grundlegende Bedeutung hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten auch die Zusammenarbeit mit professionellen Architekten sowie Ausstellungs- und Landschaftsgestaltern gewonnen. Zahlreiche Neubauten in Gedenkstätten für museale Zwecke sind seit den 1990er Jahren von herausragenden Museumsbauten wie dem Jüdischen Museum Berlin beeinflusst worden. Vor diesem Hintergrund hat vor einigen Jahren Wulff E. Brebeck eine „bewusste Musealisierung“ von Gedenkstätten gefordert (Brebeck 2001). Als Leiter des Kreismuseums Wewelsburg - einer mittelalterlichen Burg, die von der SS zu ihrer zentralen Kultstätte mit einem angegliederten KZ ausgebaut wurde - war Brebeck für den Museumsbereich im Kreis Paderborn genauso zuständig wie für die Gedenkstätte. Im Rückblick auf das erste Jahrzehnt nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten konstatierte er, dass die seitdem entstandenen Dauerausstellungen in den KZ-Gedenkstätten durch den Einsatz von Objekten, Medien und Design in weit stärkerem Maße als zuvor museale Techniken nutzten. Allerdings vermisste er einen entsprechenden Bewusstseinswandel, da immer noch an einer aufklärerisch und emanzipatorisch wirkenden Unmittelbarkeit des „authentischen“ Ortes und seiner „emotionalen“ Effekte festgehalten werde (was viele Museen aber gerade wieder betonen). Im Sinne Brebecks hat es sich etabliert, von Gedenkstätten als „zeithistorischen Museen mit besonderen Aufgaben“ zu sprechen (Morsch 2007: 13). Dies spiegelt auch die Internationale Gedenkstätten-Charta von 2012 wider (IHRA 134 t hemen 2013). Gedenkstätten werden hier zwar als „Geschichtsmuseen der Gegenwart“ definiert, wesentliche ihrer Merkmale aber gerade im Unterschied zu Museen benannt: Gedenkstätten sollen sich „vorwiegend mit dem Gedenken an Verbrechen gegen Minderheiten“ befassen, bedürfen einer zivilgesellschaftlichen Verankerung und haben eine „besondere Verpflichtung zur humanitären und staatsbürgerlichen Bildung“. Sie sollen Informationen vermitteln, um „Mitgefühl mit den Opfern“ zu wecken, und dabei „multiple Perspektiven“ der historischen Kontextualisierung einbeziehen sowie ihre Erziehungsarbeit an „universellen Prinzipien“ ausrichten. Sachlichkeit oder Erlebnis? Inszenierungen, die eine eigene Aussagekraft entfalten, werden in deutschen KZ-Gedenkstätten vermieden; ihre Gestaltungen sollen sachlich sein. Bei genauerer Betrachtung ist aber die Abgrenzung weniger eindeutig: Auch Gedenkstättenausstellungen wollen bei aller Betonung des Historischen und seiner kognitiven Dimension durch ein sinnliches Gesamtarrangement auf den Besucher einwirken. Architekturen, Raumgestaltungen und Präsentationsdesigns vermitteln mit einem eigenen ästhetischen und damit deutenden Anspruch zwischen dem historischen Ort, seinen Relikten und seiner Stimmung einerseits, den Quellen, Informationen und Deutungen andererseits. Die Grenze zur Auratisierung, Emotionalisierung und Inszenierung von Ort, Geschichten und Objekten ist nicht immer trennscharf zu ziehen oder gezogen. Ein Paar selbst gestrickter Handschuhe aus der Lagerzeit in einem exponierten Glaskasten, verglaste Bodenvitrinen für Fundamentreste, der offene Ton einer Goebbels-Rede, die abgedunkelte Raumatmosphäre mit Informationsblöcken als hervorgehobenen Lichtinseln - weder persönliche Objekte noch der Einsatz neuer technischer Elemente lassen die Sinne und Emotionen der Besucher unberührt. Dennoch unterscheiden sich deutsche KZ-Gedenkstätten durch die Kombination aus Sachlichkeitsprimat und Informationsanspruch von Museen, die nicht nur als Bildungs-, sondern zunehmend auch als Erlebnisorte konzipiert sind. Allerdings greifen vor allem Gedenkmuseen, die nicht an historischen Tatorten entstanden sind, und einige jüngere Gedenkstätten verstärkt auf immersive, atmosphärische und sinnesorientierte Elemente zurück. Rauminszenierungen reproduzieren hier oft ikonische Szenen der Verfolgung und Vernichtung. So zitiert das USHMM in seinem Hauptgebäude durch Stahlkonstruktionen architektonische Leitmerkmale von NS-Konzentrationslagern (Pieper 2006). Museale Großexponate wie rekonstruierte Lagertore und Haftzellen oder historische Objekte wie Reichsbahnwaggons, Panzer oder Polizeiwagen reproduzieren kollektive Schlüsselbilder von Unterdrückung und Verfolgung. 135 s InD g eDenkstätten muse ale o rte ? B eispiel : D ie G eDenKstätte B erGen -B elsen 2009 wurde das zwei Jahre zuvor eröffnete Dokumentationszentrum der Gedenkstätte Bergen-Belsen mit dem Museumspreis der Niedersächsischen Sparkassenstiftung ausgezeichnet. Als die Gedenkstätte 1952 eingeweiht wurde, hatte sie nichts mit einem Museum gemeinsam. Sie entsprach vielmehr einer Forderung der britischen Militärregierung vom 30. September 1945 an die deutsche Zivilverwaltung, die Massengräber angemessen zu gestalten und um ein Denkmal zu ergänzen. In den folgenden sieben Jahren wurde nur ein kleinerer Teil des ehemaligen Lagergeländes als Gedenkstätte gestaltet. Erinnern und Vergessen lagen sehr nah beieinander: Die verbliebenen baulichen Überreste wurden abgetragen oder verfielen; das historische Gelände außerhalb der vom Land getragenen Gedenkstätte übernahm die Bundeswehr, ohne es jedoch aktiv zu nutzen. Im Bereich der Massengräber erinnern ein Obelisk und eine Inschriftenwand als traditionelle Gedenkzeichen an die Ermordeten. Unweit davon befanden sich zunächst Parkplätze - mitten auf dem ehemaligen Lagergelände. Hier parkte auch Bundeskanzler Adenauer bei seinem Besuch 1960. Bei dieser Gelegenheit wurde der schlechte Zustand der vernachlässigten Gedenkstätte augenfällig. Im Zuge der anschließenden Umgestaltung wurde der sakrale Charakter des Gedenkorts als heideartiger Friedhofspark unterstrichen, indem die Massengräber mit erhabenen Sandsteinquadern eingefasst, die Parkplätze entfernt und geschwungene, befestigte Wege angelegt wurden. Nun kamen wesentliche Elemente des frühen, aber zunächst nicht realisierten Entwurfs eines vor 1945 auch für die SS tätigen Architekten zum Tragen, der die Massengräber in der Tradition von „Ehrenhainen“ und „Totenburgen“ monumental einfassen wollte - um ihr Vergessen zu verhindern. Nichts wies mehr auf die historische Lagertopographie hin. Allerdings vermittelte ein kleines, 1966 eröffnetes „Dokumentenhaus“ erste Informationen zu Teilaspekten der Lagergeschichte. Erst mit der nächsten Umgestaltung zwei Jahrzehnte später wurden Lagermodelle auf dem Außengelände aufgestellt. Ein Neubau mit einer grundlegenden Ausstellung informierte die zahlreichen Besucher. Erste Mitarbeiter kümmerten sich um den Aufbau einer Sammlung, um Wissenschaft und Pädagogik. Ehrenamtlich organisierte Jugendworkcamps legten Überreste der früheren Barackenfundamente in dem inzwischen überwaldeten Bereich des ehemaligen Lagergeländes frei. Auch die lange Zeit unbeachtete Geschichte von Bergen-Belsen als Kriegsgefangenenlager wurde nun thematisiert und der angrenzende Massenfriedhof in die Arbeit der Gedenkstätte einbezogen. Wer heute die Gedenkstätte Bergen-Belsen von ihrem großen Parkplatz aus betritt, begegnet nicht nur der Geschichte ihrer Gestaltung nach 1945, sondern auch einem großen, 2007 eröffneten Museumsbau. Beträchtliche Förderungen von Bund und Land haben eine grundlegende Neugestaltung der Gedenkstätte durch das neue Dokumentationszentrum mit einer 1500 Quadratmeter umfassenden Dauerausstellung und die Sichtbarmachung des gesamten ehemaligen Lagergeländes durch landschaftsgestalterische Maßnahmen ermöglicht. Gebäude, Ausstellung und Gelände bilden eine Einheit; auf Rekonstruktionen wurde verzichtet. Vom Ausstellungsgebäude gelangen die Besucher über einen Betonweg, der einer historischen Straßenachse folgt, in die Mitte des ehemaligen Lagergeländes, dessen räumliche Erstreckung mit der Neugestaltung wieder sichtbar gemacht worden ist. 136 t hemen Viele der neueren Gedenkmuseen setzen Analogien zur Dramaturgie von Theatern ein oder werden von Szenographen mitgestaltet, die Raum, Objekt, Ton und Bild als integriertes Ensemble sinnlicher Eindrücke und Effekte realisieren. Im Bereich des neueren musealen Umgangs mit Krieg und Gewalt setzte die 1990 im Imperial War Museum in London eröffnete „Trench Experience“ erstmals auf szenografische und bühnentechnische Elemente wie Licht, Sound und Bewegung, um in einem nachgebauten Schützengraben die Frontsituation sensorisch nacherlebbar zu machen. Auch der 2014 neu eröffnete Ausstellungsteil des Museums zum „Great War“ verschiebt erneut die Maßstäbe: Die Besucher werden in einen immersiven Erlebnisraum versetzt, der neben Granatbeschuss und anderen Kriegsgeräuschen als offenem Ton gleichberechtigt eine Fülle von Objekten und digitale Vertiefungsangebote über Touchscreens präsentiert. Solche erlebnisorientierten Arrangements audiovisueller und dinglicher Quellen laden zu einer „construction of historical knowledge in a sensory way“ ein, um ein präreflexives „affective engagement with the past for the sake of memory“ zu befördern (de Jong 2018b: 90, 100). Originale, reproduzierte und künstliche Tonspuren, Geräusche und Klangeffekte bilden eine eigene „soundscape“. Zwischen originalen und nachträglich erstellten Sinnesangeboten können Besucher kaum mehr unterscheiden. Zu dieser musealen „sentimental education“ gehört auch eine kontrastive Stille, wo Tod und Gedenken assoziiert werden sollen. Die Inszenierungen sollen nicht nur die Aufmerksamkeit der Besucher binden, sondern sie sensorisch und affektiv für die geschichtspolitischen Botschaften des Museums gewinnen. Umstritten ist, ob und wo genau hier eine Grenze für die Musealisierung in Gedenkstätten gezogen werden kann. Im Kopfbereich des neuen Gebäudes, der von der ehemaligen Lagergrenze an einige Meter weit über dem Boden schwebt, öffnet sich den Besuchern durch raumhohe Fensterfronten ein Panoramablick auf das heutige Gelände. Bis dahin verläuft der Weg entlang von Bodenfunden, die in ebenerdig eingelassenen Vitrinen ausgestellt sind, mehreren Bildschirmsäulen mit Überlebenden-Interviews und umfangreichen Informationswänden. Die sachliche Kommentierung des Ortes ist eingebettet in eine Erzählhaltung, in der die Opfer im Zentrum stehen. Räumlich im Zentrum des Gebäudes und nicht mehr wie zuvor am Anfang der Ausstellung werden Film- und Fotoaufnahmen der Befreiung präsentiert. Von den Bildern dieser von Zeitgenossen als „Inferno“ beschriebenen Situation des Massensterbens führt eine Treppe hinauf in den Ausstellungsbereich zur Geschichte der jüdischen und polnischen „Displaced Persons“, die bis 1950 in der benachbarten Kaserne untergebracht waren. Architektur und Ausstellungsnarrativ bilden ein zentrales Motiv ihrer Zeit in Bergen-Belsen nach der Befreiung ab: „redemption“ (Erlösung). Literatur: Schmid 2011: 30-39; Wiedemann / Wolschke-Bulmahn 2011; Knoch / Rahe 2012. 137 s InD g eDenkstätten muse ale o rte ? Personalisierung der Opfer, Dämonisierung der Täter? Gedenkstätten und Gedenkmuseen sind - im Unterschied zu Museen - Orte einer starken opferbezogenen Personalisierung. Neben der Sammlung persönlicher Objekte und Berichte haben angesichts des seit einigen Jahren beschworenen „Abschieds von der Zeitgenossenschaft“ (Frei 1998) viele Gedenkstätten mit Überlebenden und Angehörigen systematisch Audio- oder Videointerviews geführt; vielfach prägte das den Beginn ihrer Arbeit. Auch wenn es erste Aufzeichnungen bereits direkt nach Kriegsende gab, nahmen größere Projekte nicht vor den späten 1970er Jahren ihren Anfang. Dienten sie zunächst vor allem dem Erhalt von Kenntnissen und Erfahrungen, die unwiederbringlich zu verloren gehen drohten, haben sie sich - im Zuge einer allgemeinen Medialisierung des Zeitzeugen vor allem im Fernsehen (Keilbach 2008) - als ein Erinnerungsmedium mit spezifischen medialen und digitalen Eigenschaften etabliert (Apostolopoulos / Barricelli / Koch 2017; de Jong 2018a). Ein wichtiger, wenn auch hinsichtlich der verwendeten Methoden umstrittener Katalysator war das zwischen 1994 und 1998 entstandene Visual History Archive der Shoah Foundation in Los Angeles mit etwa 50.000 Interviews von Holocaust-Überlebenden. Durch die weltweite Nutzung dieser Videos ist eine wirkungsmächtige, mit den Gedenkstätten interferierende „virtuelle Sphäre“ entstanden (Bothe 2019). Das Archiv hat wesentlich dazu beigetragen, Videointerviews mit Überlebenden in das Zentrum der Holocaust-Erinnerung zu rücken. Meist nur in Auszügen verwendet, scheinen sie unmittelbarer, subjektiver und vielfältiger zu sein als dokumentarische, analytische Geschichtsdarstellungen. Damit fügen sie sich nicht nur in das Authentizitätsparadigma ein, sondern haben es wesentlich mitbegründet. Aufnahmeformen, Redeweisen, Emotionalitätssteuerung, Schnitttechniken und Präsentationsformen sind wesentliche Techniken zur Herstellung eines Authentizitätsgefühls, denen gegenüber eine quellenkritische Betrachtung oft zurücktritt. Doch ist zu berücksichtigen, dass Erzählungen und Interviews bestimmten medialen und kontextuellen Kodierungen oder Rahmungen unterliegen. Die Erzählenden werden über Auszüge aus Videointerviews analog zu materiellen Objekten musealisiert (de Jong 2013; 2018a). Ihre Berichte sollten deshalb als Quelle biographischer Verarbeitungsformen und kultureller Sagbarkeitsordnungen interpretiert werden. Allerdings werden Videointerviews von vielen - auch in Gedenkstätten - als Mittel gesehen, um die zukünftige Abwesenheit von Überlebenden und Verfolgten zu kompensieren. Je näher zum Beispiel der Zeitpunkt rückt, an dem die letzten Überlebenden des Holocaust gestorben sein werden, desto größer wird offenbar das Bedürfnis, sie und ihre Erfahrungen durch avancierte technologische Hilfsmittel verfügbar zu halten, als ob sie nie entschwinden könnten (Shandler 2017). Inzwischen können sogar einzelne Überlebende in 138 t hemen Form virtueller, algorithmisch gesteuerter „Hologramme“ als simulierte Anwesende befragt werden. Auch andere Ausstellungstechniken wie Porträtfotografien und Opferbiographien unterstützen das Prinzip einer opferbezogenen Personalisierung. Seit seiner Gründung händigt das USHMM seinen Besuchern individuelle Biographiekarten aus, mit denen sie Lebensläufe von Opfern in der Ausstellung verfolgen können, die ihnen in Alter, Geschlecht und Herkunft entsprechen. Der Identifikation dienen neben Zitaten aus Augenzeugenberichten, die oft zugleich die einzige Quelle für bestimmte Vorgänge und Perspektiven sind, auch personalisierte Vitrinen mit narrativierten Objekten oder audiovisuelle Biographiestationen, in denen Videoaufzeichnungen von Überlebenden in Verbindung mit Informationen zu deren Lebensläufen angeboten werden - meist mit geschlossenem Ton über Kopfhörer, um eine besondere Versenkungssituation entstehen zu lassen. Thematisch verwandte Museen greifen zudem bereits auf Techniken der Fiktionalisierung zurück: Das In Flanders Fields Museum der Stadt Ypern setzt Filme mit historisch gekleideten Schauspielern ein, die in der Ausstellung erwähnte Personen spielen. Vergleichbare Elemente nutzen auch Gedenkstätten und Gedenkmuseen, die seit den 1990er Jahren dem Themenkomplex des weißen Rassismus und den Folgen der entsprechenden Gewaltordnungen gewidmet sind. Um sich in die Situation der Opfer hineinzuversetzen, werden Besucher des Apartheid-Museums in Johannesburg mit ihrem Eintrittsticket einer der offiziellen Klassen des rassistischen Systems zugeordnet. Sie betreten das Museum durch eine der entsprechend gekennzeichneten Türen. Im Vorraum der Dauerausstellung hängen 131 Stricke von der Decke, die sich auf dem Boden spiegeln. Sie erinnern an vom Regime gehängte Opfer. Der Besucher wird durch diese Inszenierung in die Rollen des Henkers, des Gehängten und des Zuschauenden versetzt (Fink 2010). Das im April 2018 eröffnete National Memorial for Peace and Justice in Montgomery, Alabama, nutzt expressive Skulpturen, symbolische Grabsteine mit Namenslisten von gelynchten Schwarzen und in der Ausstellung Glasgefäße mit der Erde von Lynchstätten aus dem gesamten Land, um das Schicksal der etwa 4400 nachgewiesenen Hingerichteten zwischen 1870 und 1950 zu symbolisieren. Das Museum befindet sich im Gebäude eines ehemaligen „slave warehouse“, in dem Sklaven vor den Auktionen zusammengesperrt waren. Erklärtes Ziel des Museums ist es, mit einem „emotionalen Storytelling“ unter Einsatz modernster audiovisueller, digitaler und anderer atmosphärischer Techniken eine Identifikation mit den Opfern zu erreichen. Die Verantwortlichen wollen auf diese Weise Eindrücke der fortdauernden Ungerechtigkeit und ihrer Geschichte emotional verankern, damit sich Menschen für deren Veränderung einsetzen. Dies erinnert entfernt an frühe bundesdeutsche Gedenkstätten in bürgerschaftlicher Trägerschaft, die über die Identifikation mit den Opfern deren 139 s InD g eDenkstätten muse ale o rte ? Schicksal überhaupt erst in das Gedächtnis der Gesellschaft einschreiben wollten. Gegenüber den Opfern standen die Täter dabei anfänglich nicht im Zentrum der Arbeit. Ihre Erwähnung traf immer wieder auf den Widerstand von Überlebenden, die darin das Andenken der Opfer beschädigt sahen. Im Zuge der jüngeren Neugestaltungen haben sich die Gewichte jenseits von Biographien, der Organisationsgeschichte oder besonders exponierten SS-Männern kaum in Richtung einer umfangreichen Darstellung der Täter verschoben. Zudem besteht die andauernde Sorge vor ungewollten Faszinationseffekten durch Täterbiographien. Als Ausweg sind in einzelnen Fällen - wie in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme - gesonderte Ausstellungen zu den Lagerwachmannschaften entstanden, die sich in der musealen Gestaltungswertigkeit von der Dauerausstellung unterscheiden (Lutz 2009; Pearce 2011). Die Skepsis gegenüber Täterrepräsentationen in Gedenkstätten ist nicht unbegründet, denn welche Erzählhaltung ist gegenüber den Tätern im engeren und Verantwortlichen im weiteren Sinne einzunehmen? Letztlich dämonisierende Impressionen, die den Blick auf Exzesstaten verengen, reichen für ein fundiertes historisches Verständnis nicht aus. Wie können aber komplexe Sachverhalte - zum Beispiel die Bedeutung weltanschaulicher Prägungen oder situativer Faktoren - gerade angesichts der knappen Verweildauer in Gedenkstätten hinreichend differenziert herausgearbeitet werden? Je mehr KZ-Gedenkstätten als „Lernorte“ konzipiert werden, desto wichtiger wird es, unter einem erweiterten Täterbegriff vielschichtige Verantwortungskonstellationen zu berücksichtigen, wie sie von der neueren Diktatur- und Genozidforschung und hier insbesondere für die Gesellschaftsgeschichte des Nationalsozialismus, aber auch für das SED-Regime betont werden. Anders als Museen Angesichts der hier skizzierten Entwicklungen steht die Frage der Bezeichnung von Gedenkstätten als „zeithistorische Museen“ vor neuen Herausforderungen. Die Diskussion ist zum einen bezüglich des Dispositivs einer zurückhaltenden, sachlichen Gestaltung zu führen: Reicht sie zukünftig noch aus, um Besucher zu gewinnen - oder gelten für Gedenkstätten grundsätzlich andere Bedingungen und Kategorien, die bestimmten Erlebnistechnologien Grenzen setzen? Zudem ist zu erwägen, was noch gewonnen ist, wenn Gedenkstätten sich als Museum bezeichnen, wo sie doch bereits als eine eigenständige Institution kultureller Gedächtnisbildung etabliert sind. Vor einigen Jahren war es sicherlich angezeigt, den expliziten Bezug zu Museen herzustellen - allein schon, um auf die ganz unterschiedlichen Standards der Ausstattung und Finanzierung hinzuweisen. Inzwischen könnte es wichtiger sein, die Besonderheiten von Gedenkstätten herauszuarbeiten. 140 t hemen Der Gedenkstättenpädagoge Gottfried Kößler hat einige grundlegende Unterschiede benannt: Museen sind ihm zufolge vor allem auf Vermittlung und Unterhaltung angelegte Orte, die ihre Objekte schlüssig und in einer geordneten Erzählung präsentieren. Eine Gedenkstätte hingegen betrachtet er als „Assoziationsraum“ mit vielen „kognitiven und affektiven Bezügen“ sowie „komplexen Überlagerungen“, die nicht konsistent und widerspruchsfrei sind (Kößler 2015). Anders als im Museum besteht, so Kößler, in Gedenkstätten eine konstitutive Unvereinbarkeit zwischen dem Geschehenen und den angebotenen Erzählungen oder Deutungen. Denn Relikte und Zeugnisse, die an das Gewaltschicksal von Menschen erinnern, ermöglichen zwar den Aufbau einer empathischen Beziehung, lösen aber zugleich immer wieder Verstörungen angesichts des Geschehenen aus. Gedenkstätten offerieren keine abgeschlossenen historischen Antworten. Sie sind mit der Gegenwart und deren Rahmenbedingungen kultureller Selbstverständigung auch nicht so kompatibel, dass sich aus ihrer Geschichte moralische Botschaften einfach ableiten oder auf heutige Probleme übertragen ließen. Zudem gründet die Besonderheit von Gedenkstätten im Unterschied zu Museen neben dem konkreten Ortsbezug darin, als Archive der Erinnerung an Menschen, die hier gelitten haben, einen humanitären Auftrag - unter anderem durch die Begleitung von Opfern und ihren Angehörigen sowie durch die Klärung von Schicksalen - zu erfüllen und einen geschützten Raum für Trauer, Gedenken und Anerkennung zu bieten. Es handelt sich um singuläre Tradierungsräume, in denen verstreute und nur teilweise materiell dokumentierte Bezeugungen der Tat bewahrt und eingeordnet werden, zirkulieren und zugänglich sind. Gedenkstätten adaptieren zwar museale Techniken für ihre spezifischen Zwecke, es gelten aber hinsichtlich der Objekte und erst recht des Themas besondere Herausforderungen: Die Zeugnisse von Überlebenden sind eben keine gewöhnlichen „Museumsdinge“ (Korff 1995), zeugen sie doch neben der Gewalt selbst vom systematischen Versuch der Täter, die Möglichkeit, an die Verfolgten und Ermordeten zu erinnern, mit ihnen auszulöschen. Darum bleibt die Suche nach dem historischen Wissen vor Ort immer durch die vergangene Präsenz eines unrepräsentierbaren Schmerzes der Opfer geprägt. Sind Gedenkstätten Lernorte? Gedenkstätten werden aus vielen Gründen aufgesucht - von Angehörigen und Überlebenden, um zu trauern, von historisch Interessierten, um sich zu informieren, von Urlaubern, die einer Empfehlung ihres Reiseführers folgen, oder von Menschen, die einen weiteren Ort auf ihrer Landkarte des „dark tourism“ (Stone u. a. 2018) besichtigen wollen. Dennoch hat zur gesellschaftspolitischen Etablie- 4.4 141 s InD g eDenkstätten l ernorte ? rung von Gedenkstätten seit den 1980er Jahren maßgeblich beigetragen, dass sie von der Politik und vielen Gedenkstättenakteuren zu „Lernorten“ erklärt wurden (Haug / Kößler 2009; Haug 2015a). Oft wird darunter mehr als nur ein historisches Lernen oder ein Beitrag zur historisch-politischen Bildung verstanden: Ein Gedenkstättenbesuch soll zur Persönlichkeitsbildung beitragen und vor antidemokratischen oder menschenfeindlichen Einstellungen schützen. Dennoch wird einer expliziten Gedenkstättenpädagogik immer noch mit Vorbehalten begegnet: Die Orte sprächen für sich selbst, die Ausstellung erkläre alles, die eigene Emotionalität der Besucherbegleiter sei der Schlüssel zum Bildungserfolg. Doch die Professionalisierung der Gedenkstätten erstreckt sich auch auf ihre Bildungsarbeit. Projekte, Tagungen und Arbeitskreise von Gedenkstätten haben vor allem seit den 2000er Jahren wichtige Impulse zu Grundfragen wie dem Umgang mit Emotionen, zu Lernformen, Diversität und Gegenwartsbezug gegeben. Ein erstes Handbuch der Gedenkstättenpädagogik spiegelt ein durchaus heterogenes Spektrum von Ansätzen wider (Gryglewski u. a. 2015). Es gibt einen regen Austausch mit der akademischen Geschichtsdidaktik und den Bildungswissenschaften, die wesentlich zu einer kritischen Reflexion beitragen (Körber 2010; Schreiber 2013; Thünemann 2018). Konzeptionelle Überlegungen werden dabei häufig im Licht von „Herausforderungen“ entwickelt, die auf den immer noch bestehenden Legitimationsbedarf von Gedenkstätten verweisen (Heyl 2015; von Wrochem 2015a). Weitgehend konsensual werden inzwischen die Notwendigkeit von Adressatenorientierung, Eigenaktivität und Multiperspektivität, Ansätze der erkundenden Projektarbeit und des exemplarischen Lernens, die Reflexion der eigenen Voraussetzungen und Erfahrungen, eine Historisierung des Tatorts einschließlich seiner Nachgeschichte, die Einbeziehung des Täterhandelns und eine Problematisierung der Relevanz und gegenwärtigen Bedeutung von Gedenkstätten betont (Kaiser 2011). Gedenkstätten in diesem Sinne als „Lernort“ zu bezeichnen, beschränkt sie jedoch nicht nur auf eine ihrer multiplen Aufgaben, es wirft auch eine grundlegende Frage auf: Wie können Orte, die Ausdruck einer außeralltäglichen, extremen oder historisch singulären Gewalteskalation sind, zu Orten eines in die Zukunft gerichteten Lernens werden? Was kann hier - und wofür - überhaupt aus dem „Grauen“ gelernt werden (Zülsdorf-Kersting 2006)? Gedenkstättenpädagogen müssen dabei mit grundlegenden Spannungsverhältnissen umgehen, die ihre Arbeit in einem „geschichtspolitisch imprägnierten Feld voller Aporien und Widersprüche“ (Thünemann 2018: 32) kennzeichnen, etwa zwischen sehr weitreichenden Erwartungen an einen Gedenkstättenbesuch und der Realität meist nur kurzzeitpädagogischer Maßnahmen, zwischen der Wahrung des Opfergedenkens und den Standards historischer Wahrheit und Quellenkritik oder zwischen dem Anspruch kritischer Reflexion und der Vermittlung grundlegender Werte. Wie verhalten sich Konzepte wie „Gedenken“, 142 t hemen „Trauer“ und „Empathie“ zu kognitiven Lernzielen? Welche Rolle spielen Emotionen für die Vergegenwärtigung des historischen Geschehens? Wie frei und kontrovers kann historisches Lernen an diesen Orten sein? „Betroffenheit“ oder „Verunsicherung“? Gedenkstättenbesuche werden von Politikern, Lehrern oder Eltern häufig unterstützt und durchgeführt, weil sie sich von dem als authentisch betrachteten, sinnlichen Charakter des Ortes eine einmalige Verknüpfung aus Wissensgewinn, Emotionalisierung und moralischem Lernen versprechen, die so im normalen Schulunterricht und Leben nicht möglich erscheint. Die Konfrontation mit dem Ort, so wünschen es sich viele, soll zu „Betroffenheit“ führen, die Beschäftigung mit den Opfern zu „Empathie“. Doch durch solche normativen Besetzungen werden Gedenkstätten zu überdeterminierten Erwartungsräumen: Jugendliche müssen an diesem Ort nicht nur etwas über ein Gewaltgeschehen lernen, sondern auch ein dem Ort angemessenes Verhalten zeigen (darf ich hier essen? ), sich auf die Besonderheit der emotionalen Herausforderung des Ortes einlassen (was soll ich fühlen? ), dem Lernerfolg Ausdruck verleihen (wie zeige ich Mitgefühl, wie machen es die anderen? ) und sich als für eine demokratische Zukunft gerüstet erkennen. Tatsächlich eröffnen Gedenkstätten einen intensiven und multisensorischen Zugang zur Geschichte. Er weist einen Eigensinn gegenüber kognitiven und reflexiven Zugängen auf. Die meisten Besucher sind durch das herausgefordert, was sie sehen, hören und lesen, aber auch spüren und fühlen. Was sie hier wahrnehmen, steht im Widerspruch zu normativen Prämissen der Gegenwart, es kann Skepsis gegenüber dem früheren Verhalten der eigenen Familie und deren Erzählungen auslösen, eigene Erfahrungen von Diskriminierung und Gewalt aufrufen und im Kontrast zu übernommenen Geschichtsdeutungen stehen: Gedenkstätten sind Orte einer kognitiven, sinnlichen und emotionalen „Verunsicherung“ (Thimm / Kößler / Ulrich 2010: 9). Bei welchem Anteil der Besucher und mit welchen Folgen dieser Effekt tatsächlich eintritt, ist unklar, weil Besucherstudien oft nur den Moment des Besuchs unter dem Eindruck eines sozial erwünschten Sprechens erfassen. Dokumentarfilme weisen in konträre Richtungen: Während „Austerlitz“ mit filmischen Mitteln eine weitgehende Regungslosigkeit von Gedenkstättenbesuchern suggeriert, kritisiert „#uploading_holocaust“ die Hyperemotionalisierung israelischer Jugendlicher durch Gedenkstättenreisen nach Polen (Seider 2018). Die „Sphäre der Verunsicherung und Befangenheit“ schafft in jedem Fall eine „Rahmung für einen Gedenkstättenbesuch“, die selbst bereits viel Aufmerksamkeit „absorbiert“ (Heyl 2013: 246). Vor allem Gedenkstättenbesuche von Schulklassen sind von Seiten aller Beteiligten - der Lehrkräfte, der Schüler, der Eltern 143 s InD g eDenkstätten l ernorte ? und des pädagogischen Personals in den Gedenkstätten - mit vielen emotional besetzten Vorerwartungen und Bildern, aber auch mit Ängsten und Abwehrhaltungen verbunden. Da inzwischen von Lehrern erwartet wird, Gedenkstättenbesuche durchzuführen, ist längst nicht ausgemacht, dass sie ihren Zweck affirmativ an die Schüler weitergeben oder ihn aktiv unterstützen. Die Vertreter von Gedenkstätten erschweren die Ausgangslage womöglich, wenn sie die moralische Bedeutung des Besuchs und den „authentischen“ Charakter der Orte betonen. Sie werden mit „auratischen Erwartungen besetzt, um (…) eine Sphäre des besonderen Respekts zu schaffen und abzusichern“ (Heyl 2013: 244). Schüler bringen wiederum eigene emotionale Praktiken mit, die im Widerspruch zu den Gepflogenheiten an diesen Orten stehen oder so wahrgenommen werden: Zeigt sich in Selfies eine selbstbezogene, respektlose Hypermedialisierung des Alltags oder sind sie Ausdruck einer neuen Gedenkkultur, zeugen sie von einer emotionalen Überforderung oder von mangelndem Interesse? Gerade Jugendliche sehen sich in Gedenkstätten oftmals mit einer Mischung aus Konformitätsdruck und diffusen Gefühlen, normativen Lernzielen und sozial erwünschten Verhaltenswie Redeformen konfrontiert. Viele bringen aus ihren Familien ungeklärte Geschichten und Widersprüche mit. Ihre medial geprägten Bilder und Voreinstellungen entsprechen meist nicht dem, was sie vorfinden - oder sie deuten, was sie sehen, im Sinne von Vorbildern, die sich so festigen. Auch eine latente Faszination an dem „Anderen“ der Gewalt bis hin zur Suche nach „Erlebnissen“ und „Kicks“ können Barrieren zwischen den Bildungszielen der Gedenkstätten und ihren Besuchern entstehen lassen. Nicht Emotionalität im Sinne von Empathie oder Mitgefühl muss deshalb ihre erste Reaktion sein, sondern sie können auf die ungewohnte Situation auch ganz anders reagieren: mit Rationalisierung und Distanzierung, mit Abwehr und Übersprungshandlungen. Zugleich haben sie eigene Formen, um ihren Emotionen Ausdruck zu verleihen und sich den Ort anzueignen: Einträge in Gästebücher, das Niederlegen selbst gestalteter Gedenkzeichen oder das Verfassen von Gedichten. Ein Besuch kann aber nicht nur durch die Komplexität des Ungewohnten zu Überforderungen führen, sondern auch als Realitätskontrast zu omnipräsenten Filmbildern oder Faszinationserwartungen mit Enttäuschungen verbunden sein: Zu sehen ist eben eine Gedenkstätte und kein Konzentrationslager, wie es sich imaginär - bei jüngeren Besuchern meist aus dem Spielfilm „Schindlers Liste“ - verdichtet hat (Solterbeck 2010). Einzelne qualitative Studien weisen ein hohes Maß an recht stabilen, „verinnerlichten“ Voreinstellungen aus, die insbesondere Schüler mit in die Gedenkstätte bringen und tendenziell durch eine „vereindeutigende“ Rezeption von Informationsangeboten bestätigen (Zülsdorf-Kersting 2007, 2009, 2011). Als unreflektierte Filter führen sie zu Komplexitätsreduktionen, die recht nahtlos mit moralischen Wertungen verbunden sind und zum Beispiel zu - wenn 144 t hemen auch widersprüchlichen - Exkulpationen von Tätern führen können. Konkretheit, Umfang und Identifizierbarkeit dieses medial-visuellen Vorwissens über diese Orte sollten dabei weder überschätzt noch vorab pejorativ bewertet werden (Schönemann / Thünemann / Zülsdorf-Kersting 2010). Über Zeit scheint aber mangelndes Wissen zusammen mit kommunikativ präsenten Werturteilen zu beträchtlichen Fehleinschätzungen zu führen: 2018 ergab eine Umfrage, dass ein etwa gleich hoher Anteil von 18 Prozent der Befragten angab, in der eigenen Familie habe es einen „Täter“ oder einen „Helfer“ gegeben. Noch überraschender war aber, dass mehr als jeder Zweite angab, in der eigenen Familie habe es „Opfer“ des Nationalsozialismus gegeben (Die Zeit, 3. 3. 2018). Als in die Gedenkstätten mitgebrachte Voreinstellungen können solche Geschichtsbilder dem Ziel im Wege stehen, überhaupt zunächst vielfältige und womöglich kontroverse Perspektiven auf den Ort zu eröffnen, um die Selbstreflexion zu fördern. Ob ein Besuch in diesem Sinne gelingt, hängt in hohem Maße von den konkreten Rahmenbedingungen ab - wie der Vorbereitung, der Zeitplanung, dem Guide oder dem Wetter. Intensiv und nachhaltig scheinen Besuche am ehesten bei jenen zu wirken, die bereits eine Sensibilisierung für den Ort, historische Kenntnisse und entsprechende moralische oder emotionale Einstellungen mitbringen. Bei aller Problematik von Besucherbefragungen - vor allem hinsichtlich langfristiger Wirkungen und der Repräsentativität der Befragten - gibt eine Studie zur KZ-Ge- Abb. 15: Persönliche Erinnerungszeichen im „Haus der Stille“, Gedenkstätte Bergen-Belsen 145 s InD g eDenkstätten l ernorte ? denkstätte Dachau interessante Anhaltspunkte: Im Gesamtsample kamen jeweils zwei Drittel der befragten Erwachsenen aus dem Ausland und in einer Gruppe; verschiedene Altersgruppen waren vertreten. Sechs von zehn Besuchern sahen Erinnerung und Gedenken als wichtigste Funktion der Gedenkstätte, aber nur etwas mehr als jeder Vierte die Wissensvermittlung (Mehrfachantworten waren möglich). Jeder zweite Befragte konstatierte für sich, „neue emotionale Erfahrungen“ gemacht zu haben, mehr als siebzig Prozent, „Anregungen zum Nachdenken“ erhalten zu haben; bei den befragten Jugendlichen waren dies zwei Drittel. Dass die Effekte des Besuchs recht unspezifisch erscheinen, dürfte nicht nur an den gestellten Fragen gelegen haben: Lediglich einer von fünf Erwachsenen schätzte den Besuch für sich als „persönlich relevant“ ein (Burger / Ribarek 2015). Bildungsziele Die oftmals von politischer Seite geäußerte Erwartung einer „reinigenden“, moralisch „imprägnierenden“ und besonders gegenüber politisch extremistischen Einstellungen „präventiven“ Wirkung von Gedenkstätten wird dort selbst eher kritisch betrachtet. Im Sinne des „Beutelsbacher Konsenses“ von 1976 wird eine „Überwältigung“ durch Gedenkstättenbesuche abgelehnt. Auch explizit nationalpolitisch oder ideologisch ausgerichtete Bildungsziele wie der „Antifaschismus“ in der früheren DDR sind in dieser Form obsolet. Stattdessen hat sich in der Bundesrepublik als gedenkstättenpädagogischer Leitansatz das Prinzip einer exemplarischen, wissensorientierten und auf Reflexion abzielenden Auseinandersetzung mit dem konkreten Ort, seinen Objekten und Quellen etablieren können. Bei genauerem Hinsehen changieren die mit Gedenkstätten verbundenen Bildungsziele jedoch beträchtlich - zwischen einer emotional-moralischen Persönlichkeitsbildung, der Förderung eines gegenwartsbezogenen reflektierten Geschichtsbewusstseins und einer im Sinne der Demokratieerziehung kollektiv eingebetteten Identitätsbildung als verantwortlicher Staatsbürger. s tichWort : D er „B eutelsBacher K onsens “ Der „Beutelsbacher Konsens“ ist ein Text aus dem Jahr 1976, der als knappe Zusammenfassung einer Arbeitstagung wissenschaftlicher Vertreter der politischen Bildung auf Einladung der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg zustande kam. Er wurde nie formell verabschiedet, entwickelte sich aber rasch zu einer wichtigen Leitlinie der historisch-politischen Bildung, auf die sich auch in der Gedenkstättenarbeit viele Akteure beziehen. Die Tagung diente dem Zweck, angesichts politisch kontroverser Vorstellungen über die Inhalte der politischen Bildung eine neutrale Formel zu finden, um sie von jeglicher „Indoktrination“ abzugrenzen. Gemeint waren damit von den Initiatoren vor allem Positionen der politischen Linken, die in dieser Zeit in der Bundesrepublik an Einfluss gewannen. 146 t hemen Die Pädagogin Verena Haug hat drei Leitziele der Bildungsarbeit von Gedenkstätten herausgearbeitet: erstens die Erweiterung der Empathiekompetenz durch die Beschäftigung mit dem Leiden der Opfer, zweitens die Verbesserung des Wissens über die Verbrechen und den konkreten Ort sowie drittens Transfereffekte im Sinne der „Entwicklung einer politisch-moralischen Handlungsorientierung“ (Haug 2015a: 68-83) und historischen Reflexionskompetenz. Umstritten ist, wie affirmativ oder kritisch sich Gedenkstätten zu den Prinzipien und Praktiken der demokratischen Ordnung verhalten sollen. Nicht wenige sehen inzwischen das von ihnen mit Gedenkstätten verbundene „kritisch-reflexive Projekt“ durch die regulierende Macht staatsdemokratischer Sinnstiftungen und eine wissenschaftliche „Expertenhegemonie“ in Gefahr (Siebeck 2014: 227, 2015). Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen „politisch-moralischer Handlungsorientierung“ und „kritisch-reflexivem Projekt“ geht es vor allem um drei Fragen. Erstens: Sind Gedenkstätten Orte der „Demokratieerziehung“? Sie verkörpern zunächst einmal die Staatsräson einer Verpflichtung auf die Erinnerung, nach der sich jede Generation das Vergangene wieder und neu aneignen muss. So sind Gedenkstättenbesuche inzwischen Teil vieler Schulcurricula, auch wenn sie in der Bundesrepublik - mit Ausnahme von Bayern - nicht verpflichtend sind. In den Gedenkstätten wird einem für alle Schüler verpflichtenden Besuch überwiegend mit Skepsis begegnet, weil es keine hinreichenden Ressourcen für eine Der „Beutelsbacher Konsens“ besteht aus drei Prinzipien: Schüler sollen nicht mit Inhalten „überrumpelt“ werden, um „erwünschte Meinungen“ zu produzieren (Überwältigungsverbot). Kontroverse Aspekte müssen behandelt werden (Kontroversitätsgebot). Schüler sollen zur aktiven Meinungsbildung und Mitwirkung motiviert werden (Partizipationsgebot). Seither wird immer wieder diskutiert, wie diese Prinzipien mit einer eigenen politischen Meinung von Lehrkräften, politischen Bildnern und Einrichtungen der historisch-politischen Bildung vereinbar sind. Da der Konsens aber ausdrücklich dazu dienen sollte, die demokratische Kultur zu stärken, sind die Prinzipien nicht mit einer Wertneutralität zu verwechseln. Vor allem das „Überwältigungsverbot“ ist eine Art innere Richtschnur für Ausstellungen, Geländegestaltungen und die Bildungsarbeit in den meisten Gedenkstätten geworden: Zum einen sollen Darstellungen der Verbrechen nicht durch Gewaltbilder oder ein Übermaß an Emotionen „überwältigen“, zum anderen Besuchern keine dogmatischen Botschaften vermittelt werden, die sie an einer individuellen Auseinandersetzung hindern. Auch die beiden anderen Gebote des „Beutelsbacher Konsenses“ sind für Gedenkstätten relevant: Wie weit kann an diesen Orten die Kontroversität - also das Aushandeln voneinander abweichender Standpunkte gehen? Welchen Stellenwert kann Partizipation ganz konkret in der Bildungsarbeit einnehmen, wo doch immer noch ein Großteil der Standardangebote auf Führungen angelegt ist? Und bedeutet ein Ernstnehmen des „Beutelsbacher Konsenses“ nicht auch, die Deutungen über die Geschichte der Orte und die Hoheit von Gedenkstätten über sie zur Diskussion und zur Disposition zu stellen? 147 s InD g eDenkstätten l ernorte ? ausführliche Betreuung aller Schüler gibt und vor allem, weil die Besuche nicht als Indoktrination oder Zwangsveranstaltung wahrgenommen werden sollen. Gleichwohl sind Gedenkstätten in der Bundesrepublik zu wichtigen Orten einer historisch-politischen Bildung geworden, die auf eine Stärkung demokratischer Grundwerte und die Grundlagen der bestehenden Staatsordnung abzielt, wie sie zum Beispiel im Grundgesetz festgeschrieben sind. Der Nexus von heutiger, liberaler Demokratie und Gedenkstätten als Bildungsorten wird dabei aus guten Gründen vorausgesetzt. Aber dürfte er an diesen Orten explizit in Frage gestellt werden? Und bedeutet „Demokratieerziehung“ eher eine Wertevermittlung im Sinne der Grundrechte oder eine kritische Reflexion verschiedener Modelle und Wirklichkeiten von Demokratie und Gesellschaft? Zweitens: Sollen Gedenkstätten universale Botschaften vermitteln? Viele Gedenkmuseen und Gedenkstätten stellen sich explizit in den Horizont universal verstandener Werte, die als Lehren aus der Geschichte verstanden werden - etwa die Vermeidung von Diskriminierung, Rassismus und Gewalt, die Bewahrung von Menschenrechten und humanistischen Werten, den Einsatz für Demokratie und Freiheit. Wie verhalten sich solche Botschaften zu dem Anspruch historischer Differenzierung und einem reflektierenden Umgang mit der Vergangenheit und ihrer Deutung? Wie groß sind an diesen Orten die Spielräume, um kontroverse Fragen der Gegenwart zu verhandeln, etwa zur politischen Verantwortung für Flüchtlinge oder zum israelisch-palästinensischen Konflikt? Plädoyers für eine dezidierte Menschenrechtsbildung in Gedenkstätten (Eckmann 2012) wird angesichts der Gefahr einer normativen Überformung des konkreten historischen Lernens mit beträchtlicher Skepsis begegnet (von Wrochem 2015b). Ähnliches gilt für den Ansatz der „Holocaust Education“. s tichWort : „h olocaust e Ducation “ „Holocaust Education“ hat sich zu einem Sammelbegriff für weltweite pädagogische Programme entwickelt, die den Mord an den europäischen Juden ins Zentrum stellen. Seit in den 1980er Jahren der Holocaust in den USA zum universalisierbaren Bildungsgegenstand wurde, hat sie sich als Feld transnationaler Ansätze, Akteure, Fortbildungsangebote und Handreichungen etabliert. Zur Verbreitung der „Holocaust Education“ haben einige international agierende Organisationen beigetragen. Eine der frühesten von ihnen, Facing History and Ourselves, hat in Form und Deutung ein weithin beachtetes Modell entwickelt: Der Holocaust wird anhand Empathie fördernder Geschichten von Opfern und Überlebenden personalisiert, von dort aus aber auch als Prozess in seinen Grundstrukturen vermittelt. Die Adressaten sollen als Handelnde durch konkrete Entscheidungssituationen angesprochen werden, um ihr Moralverständnis in der Auseinandersetzung mit Tätern wie mit Widerstandskämpfern und „Rettern“ weiterzuentwickeln. Eine zentrale Kritik an solchen Zugängen ist, dass der Holocaust hier nicht als historisches Geschehen, sondern als tendenziell enthistorisierte Referenz ohne Tiefenstruktur diene, Quellen oft kon- 148 t hemen Drittens: Gehören Gegenwartsfragen zum Aufgabenspektrum von Gedenkstätten als Lernorten? Gerade in der Tradition des „Nie wieder! “ der unmittelbaren Nachkriegszeit wird oft eine explizite, nicht selten politische Gegenwartsorientierung in der Bildungsarbeit von Gedenkstätten gefordert. Dies findet dort mindestens so viel Zuspruch wie Widerstand, insbesondere wenn darunter tagespolitische Stellungnahmen oder richtungspolitische Äußerungen verstanden werden. Gedenkstättenpädagogische Studien haben eine gewisse Skepsis gegenüber einer engen Verkopplung von historischer Aufklärung und politischen Gegenwartsfragen genährt. Die Risiken historischer Verkürzungen, kognitiver Überforderungen und unreflektierter Ableitungen erscheinen als zu groß (Kößler / Thimm / Ulrich 2011). Dennoch wird aufgrund ihrer besonderen Verpflichtung zum Gedenken an die Opfer von menschenverachtender Gewalt eine der Aufgaben von Gedenkstätten darin gesehen, gegenwartskritische Bezüge zu eröffnen und eine gesellschaftliche Wächterfunktion wahrzunehmen, wenn die Grundlagen von Humanität und Zivilität in Frage gestellt werden. Sind viele dieser Fragen bereits seit den 1980er Jahren intensiv diskutiert worden, so haben sich die thematischen und methodischen Herausforderungen der Bildungsarbeit in Gedenkstätten in den vergangenen Jahren deutlich verändert und erweitert. Mit der Institutionalisierung und Professionalisierung von Gedenkstätten sind die Erwartungen von Politik, Schulen und Öffentlichkeit an die Lerneffekte von Gedenkstättenbesuchen immer größer geworden. Vor allem hat sich aber der nationale Referenzrahmen relativiert, innerhalb dessen Gedenkstätten meist noch operieren, obwohl sie immer stärker als Orte von universaler Bedeutung und im Horizont transnationaler Fragestellungen betrachtet werden. Dies liegt nicht zuletzt in der veränderten Zusammensetzung vor allem von Schulklassen begründet, deren heterogene kulturellen, historischen und textfrei verwendet würden und das Geschehen einem primär moralischen Lernen diene. Beispiele, Quellen und Erzählformen sind dem Ziel dieser ethischen Orientierungsleistung entsprechend ausgewählt und aufbereitet. Hinzu kommt, dass die heutige Werteordnung mit der damaligen gleichgesetzt wird, Bedingungen und Strukturen von staatlicher Massengewalt der Gegenwart als analog zu denjenigen der Vergangenheit angenommen werden und Geschichte durch die Perspektive der angestrebten moralischen Empfindung und Urteilskompetenz geformt wird. In einer kritischen Weiterentwicklung solcher Konzepte im Kontext der Menschenrechtsbildung betont das Weiterbildungsangebot „Konfrontationen“ des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts gerade die Differenz zwischen der heutigen und der damaligen Situation, um ausreichend Raum für die Auseinandersetzung mit Emotionen zu geben. Das Programm ist auch hinsichtlich der Opfergruppen breiter angelegt als die „Holocaust Education“, indem es neben dem Holocaust auch die politisch Verfolgten, die „Euthanasie“ und den Völkermord an den Sinti und Roma berücksichtigt (Kößler 2004). 149 s InD g eDenkstätten l ernorte ? moralischen Erfahrungen eine zentrale Herausforderung der Gedenkstättenpädagogik darstellen (Georgi 2003; Gryglewski 2016; Würker 2016; Messerschmidt 2016; Steinbacher / Knigge 2019). Damit rücken Themen wie Zwangsmigration, Kriegsgewalt und Heimatverlust sowie deren biographische und familiäre Verarbeitung, unterschiedliche Geschichtsbilder, trans- und interkulturelle Wertekonflikte sowie Rassismus, Diskriminierung und Integrationserfahrungen vermehrt ins Blickfeld der Gedenkstättenarbeit, aber auch zum Beispiel die geschichtspolitische Verknüpfung der NS-Verbrechen mit Kriegen, Genoziden und staatlichem Unrecht in Zeitgeschichte und Gegenwart. Umso wichtiger sind partizipatorische Lernformen, offene Diskurse und multiperspektivische Zugänge, um Repräsentationen und Deutungen der Vergangenheit im Sinne eines reflektierten Geschichtsbewusstseins hinsichtlich ihrer Grundlagen, Entstehungsbedingungen und Standortgebundenheit analysieren zu können. Kann dies vor pauschalen politischen oder moralischen Urteilen bewahren, lässt sich eine historisch fundierte Kenntnis über das Ausmaß der Zerstörung von Humanität und Moral nur anhand konkreter Handlungssituationen gewinnen, die in ihrem Kontext zu historisieren und damit auch auf die Gegenwart zu beziehen sind. Emotionen Gedenkstätten als Lernorte zu verstehen, rückt sie in den Kontext eines wissensbasierten, gleichwohl komplexen Erkenntnisprozesses, der ihre religiösen, emotionalen und politischen Konnotationen zu dominieren beansprucht. Dieser Rationalisierungsprozess steht für einen wachsenden zeitlichen Abstand zu ihrer Entstehung, aber auch in einem gewissen Widerspruch zu den damit verbundenen Erwartungen von Überlebenden. Denn viele Gedenkstätten sind gerade aus heftigsten Emotionen heraus entstanden - aus Trauer und Wut, Schock und Empörung. Viele Begriffe wie „Täter“ oder „Opfer“ stehen noch in dieser Tradition, die eine partikulare Identifikation mit den Leidenden einfordert. Sie lebt fort, wenn mit Gedenkstätten das Ziel einer dreifachen „Verschmelzung“ zwischen „Vergangenheit und Gegenwart“, „äußeren Spuren und inneren Bildern“ sowie „fremdem Leiden und subjektivem Nacherleben“ verbunden wird (Assmann / Brauer 2011: 94; Brauer 2016b). So nehmen einerseits in den letzten Jahren nicht nur die Forderungen nach mehr Anschaulichkeit, Partizipation und Inklusion, sondern auch nach einer stärkeren Berücksichtigung von Emotionen als Faktor des historischen Lernens erkennbar zu (Brauer / Lücke 2013; Ya’ir 2014). Aber verstellt andererseits der Fokus auf individuelle Leidensgeschichten und eine angestrebte Identifizierung mit den Opfern womöglich bestimmte Lernprozesse und Reflexionsmöglichkeiten wie den Blick auf Strukturen des Gewaltgeschehens? Kritiker einer „opferzen- 150 t hemen trierten Erinnerungskultur“ heben hervor, dass diese nicht nur eine unzulässige emotionale Zumutung darstelle, sondern als „Illusion der Vergangenheitsbewältigung“ (Jureit / Schneider 2010: 10) vor allem einer umfassenden Auseinandersetzung mit den Tätern im Wege stehe (Welzer 2011; Welzer / Giesecke 2012). Wird in der wenig entwickelten Besucherforschung in Gedenkstätten nach Gefühlen gefragt, zeigt sich eine Mischung aus dominierenden negativen Emotionen wie Abscheu, Schock und Traurigkeit mit positiven wie Mitleid, Interesse, Dankbarkeit oder Faszination (Nawijn / Fricke 2015; Nawijn u. a. 2017). Das Gefühlsspektrum ist mithin weitaus größer und komplexer, als es pädagogische Zielbegriffe wie „Betroffenheit“ oder „Empathie“ nahelegen. Somit sollte es bei Gedenkstättenbesuchen darum gehen, Emotionen im gesamten Spektrum von Abwehr und Überwältigung, Traurigkeit und Gewaltfaszination zuzulassen und in den Bildungsprozess aufzunehmen. Gedenken und Reflexion, Emotion und Wissen schließen sich hierbei nicht aus, sondern bedingen einander. Als gedenkstättenpädagogischer „Königsweg“ hat sich das Konzept der „Empathie“ etabliert (Brauer 2013: 75, 2016a). Allgemein ist damit die Fähigkeit gemeint, sich in eine andere Person und hier insbesondere in deren Gefühle hineinversetzen zu können. Empathie soll ein menschenfreundliches soziales Verhalten begründen. Doch was bedeutet dies für historische Subjekte? Handelt es sich darum, die Gefühle der Opfer nachzuempfinden, und kann dies überhaupt gehen, oder ist Empathie ein kognitives Moment des historischen Denkens, indem man sich das Leiden der Opfer aus ihrer Perspektive heraus vergegenwärtigt? Die Kritik am Empathieansatz zielt im Bereich der Holocaust-Erinnerung vor allem auf vier Punkte: Der Anspruch, so zu empfinden wie ein Opfer oder gar dessen Rolle zu übernehmen, relativiert erstens die Ausnahmesituation seines Leidens. Es bedeutet zweitens - gerade für Jugendliche - eine Überforderung, weil sie einerseits nicht trennscharf zwischen Vergegenwärtigen, Nachempfinden und Identifizieren unterscheiden können, andererseits die Übernahme der Opferrolle als übergriffig abwehren. Drittens handelt es sich bei dem, was für die Gefühle anderer gehalten wird, eher um in sie hineinprojizierte Emotionen. Schließlich haben viele Überlebende in ihren Augenzeugenberichten auf unüberbrückbare Distanzen zwischen ihren Erfahrungen, der verfügbaren Sprache und der Wirklichkeit ihrer Rezipienten hingewiesen. In diesem Sinne können Gedenkstätten „Lernorte“ vor allem dann sein, wenn sie wie andere Repräsentationen traumatisierender Kollektivverbrechen als kulturelle Kompensationsleistungen für etwas begriffen werden, das uns an die Grenzen unserer Ausdrucksformen und Wahrnehmungsmöglichkeiten heranführt, wenn nicht darüber hinaus. 151 s InD g eDenkstätten polItIsche o rte ? Sind Gedenkstätten politische Orte? 1945 versammelten sich viele Überlebende der nationalsozialistischen Konzentrationslager und des Holocaust unter der Parole „Nie wieder! “, oft verbunden mit „Krieg“ oder „Faschismus“. Oder sie wählten vergleichbare Formulierungen: Der „Schwur von Buchenwald“ gab als „Losung“ die „Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“ aus und rief dazu auf, den Kampf fortzusetzen, „bis der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht“. Auch wenn die Mehrheit der Überlebenden nicht als politische Gegner des Nationalsozialismus verfolgt worden waren, sollten solche Formulierungen eine symbolische Gemeinschaft stiften, die ihre Erfahrungen bei der Gestaltung zukünftiger Gesellschaften geltend machen sollte. Diesem hohen Auftrag wollten und konnten viele nicht folgen; nicht wenige aber führten ihr weiteres Leben im Zeichen dieses Kampfes: Die meisten jener Bundesbürger, die in den 1950er Jahren wegen prokommunistischer Aktivitäten strafrechtlich belangt wurden, waren bereits zwischen 1933 und 1945 aufgrund ihrer politischen Überzeugung verfolgt worden oder in Konzentrationslagern inhaftiert gewesen. Abb. 16: Gedenkanlage der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald (Postkarte, ca. 1966) Aus der Forderung des „Nie wieder! “ wurden unterschiedliche politische Ziele und Gedenkformen abgeleitet: in der DDR etwa der Kampf für den Sozialismus und gegen den Kapitalismus oder in Israel die Verteidigung des neu gegründeten 4.5 152 t hemen Staates. Ihr universales Moment - eine Gesellschaft des Friedens und der Menschlichkeit - erfüllte sich unter den Bedingungen des Kalten Kriegs und auch später jedoch nicht. Die Formel „Nie wieder! “ blieb. Sie wurde in den folgenden Jahrzehnten vor allem dann aufgerufen, wenn das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus damit verbunden wurde, bestehende gesellschaftliche und politische Ordnungen zu kritisieren oder vor der Wiederkehr des Nationalsozialismus zu warnen. So forderte Theodor W. Adorno in seinem Beitrag „Erziehung nach Auschwitz“ 1966, „daß nie wieder Auschwitz sei! “ (Adorno 1970), und in der KZ-Gedenkstätte Dachau wurde das zwei Jahre später eingeweihte Internationale Mahnmal mit einer Inschriftentafel oberhalb einer Urne mit der symbolischen Asche eines „unbekannten Häftlings“ eingeweiht, auf der sich die Worte „Nie wieder“ in fünf Sprachen eingraviert finden. Sie sind bis heute ein fester Bestandteil von Gedenkreden, aber darauf nicht beschränkt: Auf dem „Kosovo-Sonderparteitag“ der „Grünen“ rechtfertigte der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer 1999 den ersten deutschen militärischen Einsatz der Bundeswehr nach 1945 unter Verweis auf ein moralisches Dilemma mit den Worten „nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz“ (Der Spiegel, 13. 5. 1999). Die Frage, ob Gedenkstätten „politische Orte“ sind, ließe sich vor diesem Hintergrund schnell bejahen. Doch was meint „politisch“? Verfolgten die Überlebenden dieselben Ziele, wenn sie von einem „Nie wieder“ sprachen? Wie stellt sich das Verhältnis von Erinnerung und Politik konkret in Bezug auf Gedenkstätten und deren Entwicklung dar? Daraus lassen sich drei Dimensionen des Politischen ableiten, die für Gedenkstätten relevant sind: Dort werden erstens identitätspolitische Fragen der Anerkennung von Opfergruppen sowie von Täterschaft oder Mitverantwortung verhandelt, die an vielen Orten ein beträchtliches, nicht zuletzt lokales Konfliktpotenzial mit sich bringen. Gedenkstätten verkörpern zweitens in und durch ihre Gestaltungen, Legitimationen und Praktiken geschichtspolitische Deutungen und deren Entwicklungen als Teil staatlicher und öffentlicher Sinnstiftungsprozesse. Schließlich können Gedenkstätten drittens eine wichtige Rolle mit Blick auf die gesellschaftspolitischen Konstellationen spielen, in denen sie stehen. Identitätspolitik Von zentraler Bedeutung für die Entwicklung von Gedenkstätten war der öffentliche und politische Einsatz von Überlebenden für die Erinnerung der NS-Verbrechen. Er war eng mit dem Kampf um die Anerkennung als Verfolgte und als Opfergruppe, mit Schuld und Verantwortung, aber auch mit Entschädigungsfragen verbunden. Seit 1945 versuchten viele der in Europa und Nordamerika angesiedelten Verbände immer wieder, die Orte und Verbrechen gegen Vergessen, Ignoranz und Widerstand zum Thema zu machen; in der DDR oder in der Bundesrepublik spielten zunächst vor allem Organisationen der vormals politisch Verfolgten eine 153 s InD g eDenkstätten polItIsche o rte ? wichtige Rolle (Neumann-Thein 2014; Doerry / Kubetzky / Seybold 2014). Zusammen mit bürgerschaftlichen Initiativen und vielen Einzelpersonen konstituierte sich in der Bundesrepublik vor allem seit den 1970er Jahren ein zivilgesellschaftliches Netzwerk als Voraussetzung einer dezentralen Erinnerungskultur. Es hat maßgeblich zu jenem wachsenden Druck beigetragen, der staatliche Stellen wie Bund, Länder und Kommunen schließlich bewogen hat, Gedenkstätten finanziell zu unterstützen oder in eigener Verantwortung zu betreiben. Wie sich allerdings das „Nie wieder! “ am besten erreichen ließ und was es meinte, war je nach politischer Richtung bereits 1945 umstritten. Innerhalb kurzer Zeit verflog die Utopie einer Gemeinschaft der Überlebenden: Ein Mosaik aus Verbänden, Gruppierungen und vielen Nichtorganisierten entstand, teils schon in der Nachkriegszeit, teils Jahrzehnte später. Verbände bildeten sich je nach Herkunft, Verfolgungsgrund oder Haftstätte, abhängig von nationalen Erinnerungskulturen, politischen Einstellungen und geschichtspolitischen Möglichkeiten; viele Opfer hatten die Möglichkeit dazu aus politischen Gründen gar nicht. In der Bundesrepublik konkurrierte das Streben der NS-Verfolgten nach Anerkennung von Beginn an mit einer offiziellen und gesellschaftlich hegemonialen Erinnerung an die Toten des Zweiten Weltkriegs, die im Zuge von Kampfhandlungen, des Luftkriegs oder von Flucht und Vertreibung umgekommen waren (Kaiser 2010). Dominierte in Europa (wenn auch nicht in der Bundesrepublik) neben den jüdischen Opfern der NS-Verfolgung bis 1990 das Bild des KZ-Überlebenden als national vereinnahmtem, politischem Widerstandskämpfer, haben sich seitdem immer mehr Überlebende als Opfergruppen organisiert und ihre späte öffentliche Anerkennung als Verfolgte gefordert: Sinti und Roma, als homosexuell oder „asozial“ Verfolgte, Opfer von „Euthanasie“ und Zwangssterilisierung, religiös Verfolgte wie die „Zeugen Jehovas“, Deserteure, sowjetische Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter. Zuletzt ist noch das lange vernachlässigte Schicksal der Zivilbevölkerung in den von der Wehrmacht und der SS besetzten Ländern - vor allem in Osteuropa - hinzugekommen. Unübersichtlicher und umstrittener ist das Gesamtbild durch Opfergruppen geworden, die unter der sozialistischen Herrschaft gelitten haben und seit 1990 auf ihre Anerkennung pochen. Dabei dienen auch historisch unzutreffende Gleichsetzungen von Ungerechtigkeit und Verfolgung als ein politisches Mittel, um Anerkennung zu erlangen, wo historische Differenzierung notwendig wäre, um Relativierungen zu vermeiden. 154 t hemen B eispiel : D ie G eDenKstätten B uchenWalD unD s achsenhausen nach 1990 Nach dem Ende der DDR bestand ein weitgehender politischer Konsens: Die Mahn- und Gedenkstätten in Buchenwald, Sachsenhausen, Ravensbrück und Mittelbau-Dora mussten neu gestaltet und von der ideologischen Überformung als politisierte Leidensorte und säkularisierte Pilgerstätten befreit werden. Bereits 1992 wurden Eckpunkte ihrer Neugestaltung durch eine Expertenkommission festgelegt: Die vorhandenen architektonischen und künstlerischen Gestaltungsmaßnahmen sollten kritisch überprüft werden, die Gedenkstätten nun auch Bereiche außerhalb der Häftlingslager umfassen und die Topographie sowie die Funktionen der Lager zum Ausgangspunkt gemacht werden. Vor allem wandten sich die Experten gegen eine politische Instrumentalisierung dieser Orte. Sie forderten die Neugestaltung aller Ausstellungen. Die KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Sachsenhausen wurden in diesen Jahren zu den sichtbarsten Arenen einer konfliktreichen Aushandlung des Geschichtsbilds der neuen Bundesrepublik. Wer den symbolischen Ausdruck des Antifaschismus in der Gestaltung der KZ-Gedenkstätten bewahrt wissen wollte, empfand die Empfehlungen zum Umgang mit ihnen als Zumutung. Gleichwohl war gerade nicht pauschal empfohlen oder beschlossen worden, die nach 1945 entstandenen Anlagen und Mahnmale einfach zu entfernen, auch wenn sie unübersehbar eine bestimmte politische Geschichtsdeutung und Staatsideologie verkörperten. Vielmehr sollten die in der DDR-Zeit entstandenen Anlagen - wie die Mahn- und Gedenkanlage in Buchenwald oder der den europäischen Widerstandskampf heroisierende „Turm der Nationen“ in Sachsenhausen - den Besuchern in ihrer historischen Gewordenheit als Quellen nahegebracht werden. Angesichts dieser Entscheidung, die Mehrschichtigkeit der historischen Orte grundsätzlich beizubehalten, kam Ausstellungen, Informationsmedien und Publikationen eine grundlegende Bedeutung zu. Legenden waren anzugehen, die oft mit verdienten und geehrten Personen verbunden waren; Quellen mussten neu erschlossen werden; Grundlagenforschung war zu organisieren, für die in der Regel nur dank neu zu gestaltender Ausstellungen Ressourcen bereitstanden. Die Geschichte dieser Orte war in weiten Teilen neu zu schreiben. Der dokumentarische Quellenwert der historischen Überlieferung aus der KZ-Zeit und die wissenschaftliche Transparenz der Erkenntnisgewinnung wurden in besonderer Weise betont. So präsentierte die Gedenkstätte Buchenwald in ihrer Dauerausstellung von 1995 zahlreiche Objekte in Vitrinen, die Sammlungsschränken nachempfunden waren. Die Gedenkstätte Sachsenhausen machte mit einem modularen Konzept den Fortgang der Forschung zur Grundlage ihrer Dauerausstellung. Die Neugestaltungskonzepte sahen für die Zeit nach 1945 jeweils eigene Ausstellungen vor. Dies führte zu heftigsten Kontroversen, ging aber auf die Empfehlung der Expertenkommission von 1992 zurück, die Geschichte der Konzentrationslager vorrangig gegenüber der Phase der „Speziallager“ zu behandeln und beide Bereiche räumlich voneinander zu trennen. In der Sowjetischen Besatzungszone gab es zwischen 1945 und 1950 insgesamt zehn solcher „Speziallager“, in denen mindestens 150.000 Menschen inhaftiert waren. Zu achtzig Prozent handelte es sich um Deutsche, die im Zuge der sowjetischen Besetzung als NSDAP-Mitglieder, Funktionäre oder jugendliche „Werwölfe“ als verdächtig galten und inhaftiert wurden oder im Zuge ihrer Verfahren vor dem Sowjetischen Militärtribunal hierher kamen. Allerdings variierten Zwecke, Zusammensetzung und Zustände je nach 155 s InD g eDenkstätten polItIsche o rte ? Die Anerkennung von Opfergruppen sowie die Auseinandersetzungen darum können in Gedenkstätten vielfach präsent und durch sie verstärkt werden: in der Vertretung von Überlebendenverbänden in den Gremien einer Gedenkstätte sowie in deren Zusammensetzung und Mitspracherecht; in der Gewichtung von Opferschicksalen in Dauerausstellungen, aber auch in der Bildungsarbeit und im Selbstbild oder der Bezeichnung einer Gedenkstätte; in Förderentscheidungen, öffentlichen Stellungnahmen und der Präsenz staatlicher Vertreter, aber auch in den Beratungen durch wissenschaftliche Expertengremien und deren Zusammensetzung; schließlich bei Gedenkfeiern - von der Auswahl der Redenden bis zur Organisation der Kranzniederlegungen. Konflikte um eine angemessene Repräsentation von Opfergruppen werden von Teilen der Öffentlichkeit skeptisch betrachtet und vielfach als „Opferkonkurrenz“ bezeichnet. Der Begriff dient allerdings nicht selten als Chiffre für eine pauschale und revisionistische Kritik an Art und Umfang der öffentlichen Erinnerungskultur. Opfergruppen sollen als Akteure dargestellt werden, die nur auf Zeit und Ort beträchtlich. Vertreter der sich nach 1990 bildenden kommunistischen Opferverbände behaupteten vehement, dass in diesen Lagern zum allergrößten Teil unschuldige Opfer als politische Regimegegner der Sowjetunion und der DDR inhaftiert worden seien. Es war nicht nur offen, wie an diesen Orten der früheren „Speziallager“ im Verhältnis zu den NS-Verbrechen gedacht werden sollte, sondern auch, wie man sie bezeichnen sollte. Handelt es sich um Orte einer „doppelten“ Vergangenheit, was die Tendenz einer Gleichsetzung des NS und der SBZ beinhaltet, oder um Orte einer „zweifachen“ Vergangenheit, weil es sich um zwei verschiedene, je für sich zu betrachtende Geschichten handelt, die zu schreiben sind? Wer hatte hier die Deutungshoheit, und worauf konnte diese sich angesichts des eklatanten Mangels an Forschung überhaupt stützen? Mit den darüber entbrennenden Kontroversen verschob sich das Zentrum der politischen und öffentlichen Aufmerksamkeit für Gedenkstätten: Waren vor 1989 / 90 die Gedenkstätten Bergen-Belsen und Dachau als zentrale Gedächtnisorte der Bundesrepublik wahrgenommen worden, traten nun die Gedenkstätten Buchenwald und Sachsenhausen an ihre Stelle. Mit den Deutungen dieser Lager vor und nach 1945 wurden exemplarische Sprechweisen für die gesamtdeutsche Geschichtspolitik erprobt und manifestiert. Die Debatten bildeten als Stellvertreterkonflikt auch richtungspolitische Lagerbildungen der neuen Bundesrepublik ab. Von verschiedensten Seiten sahen sich die Leiter der Gedenkstätten Buchenwald und Sachsenhausen - besonders intensiv in den 1990er Jahren - heftigen Angriffen, Diffamierungen und juristischen Klagen ausgesetzt. Konsens gab es kaum: Ästhetische Lösungen wie die Gestaltung der Gräber des ehemaligen „Speziallagers“ in Buchenwald oder das für diesen Themenbereich neu errichtete Ausstellungsgebäude in Sachsenhausen wurden von den einen als äußerst gelungen gewürdigt, von den anderen als würdelos und emotionsfrei kritisiert. Literatur: Morsch 1999; Haustein 2006; Knigge 2012; Pearce 2015; Beattie 2016. 156 t hemen ihre bessere Positionierung in der Erinnerungskultur bedacht sind, um sie auf diese Weise moralisch zu desavouieren. Inzwischen werden auch identitätspolitische Forderungen, die von einzelnen Gruppen aus ihren Verfolgungserfahrungen abgeleitet werden, unter Berufung auf essentialistische Kategorien wie „Volk“ und „Gemeinschaft“ kritisiert und abgelehnt. Damit steht ein politisches Wesensmerkmal von Gedenkstätten zur Disposition: durch ihre Arbeit dem historisch an diesen Orten versagten Recht auf Freiheit, Individualität und Differenz in der Gegenwart zur Geltung zu verhelfen. Geschichtspolitik Historische Orte massenhafter Gewalt stellen für geschichtspolitische Akteure eine besondere Herausforderung dar. Denn während Geschichtspolitik in der Regel darauf abzielt, imaginierte Gemeinschaften durch einheitsstiftende historische Narrative, Symbole und Praktiken herzustellen, werfen die räumlichen Zeugnisse systematischer Kollektivgewalt immer wieder Fragen auf, die mit Deutungskonflikten und vergangenheitsmoralischen Kontroversen einhergehen - über die Reichweite von Täterschaft und Mitwirkung, die Anerkennung von Opfern und den Stellenwert des Gewaltgeschehens im Verhältnis zu anderen Epochen und Ereignissen der Vergangenheit. Dies gilt erst recht, wenn größere Teile der Bevölkerung wie etwa in Deutschland, Südafrika oder Ruanda an den Verbrechen beteiligt waren, sich die Machtverhältnisse in einem Gemeinwesen nur wenig geändert haben und nach einem Regimewechsel ehemalige oder auch wieder Verfolgte Teil derjenigen Gesellschaft sind, deren Mitglieder zu großen Teilen das Schicksal der Verfolgten mit zu verantworten hatten. Gedenkstätten sind deshalb seit ihren Anfängen herausragende Orte geschichtspolitischer Maßnahmen, die der nationalen Identitätsbildung und der Legitimation des eigenen Staates und seiner Gesellschaftsordnung dienen. Sie wirken häufig als „Katalysatoren geschichtspolitischer Konflikte“ (Beattie 2016), mit denen anerkennungsrelevante Frontlinien, nationale Autonomieansprüche und zwischenstaatliche Antagonismen verhandelt werden. Dazu gehört ein indifferenter Umgang mit den historischen Orten ebenso wie ihre selektive Bewahrung und die Zurichtungen, Glättungen oder Verkürzungen ihrer historischen Komplexität, wenn die Verbrechen in bestimmte Deutungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eingefügt werden. Nach 1945 standen Gedenkstätten in Europa dabei jahrzehntelang im Zeichen geschichtspolitischer Kräftefelder, die durch den Gegensatz von Antikommunismus und Antifaschismus, von Schulddebatten und Versöhnungsbemühungen sowie von Universalismus und Partikularismus geprägt waren. Seit 1989 / 90 steht die Geschichtspolitik in der Bundesrepublik zwar unter anderen politischen Vorzeichen als zuvor, aber das Bedürfnis, mittels Gedenkstätten die Deutung der Gewaltvergangenheiten des 20. Jahrhun- 157 s InD g eDenkstätten polItIsche o rte ? derts im Sinne bestimmter Werte wie Freiheit und Menschenwürde zu lenken sowie innen- und außenpolitisch integrativ zu wirken, hat auch das vergangene Vierteljahrhundert geschichtspolitisch geprägt. Die intensive staatliche Förderung von Gedenkstätten und deren Neugestaltungen sollen dabei auch die geschichtspolitische Botschaft vermitteln, dass die Bundesrepublik und ihre Gesellschaft die richtigen „Lehren“ aus ihrer Vergangenheit gezogen hat. Negative historische Prozesse oder Fragen von Schuld und Kontinuität werden so in Erzählungen des Lernens, des Überwindens und der moralischen Zugehörigkeit zu einer demokratisch-humanitären Wertegemeinschaft transformiert. Akten des öffentlichen Gedenkens von Staatsvertretern an den Orten der Verbrechen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Sie werden in der Regel nicht für eine kritische Reflexion über die Grenzen der Aufarbeitung genutzt, sondern zur affirmativen Selbstbestätigung erinnerungskultureller Leistungen. Insbesondere der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg mit seinen Folgen werden bei solchen Gelegenheiten inzwischen nicht mehr primär unter der Perspektive der politischen und gesellschaftlichen Rechenschaft für die Tat betrachtet, sondern die Erinnerung als gemeinsame Verantwortung im Horizont eines gesamteuropäischen Schicksals postuliert, aus dem universale Lehren für die Gegenwart gezogen worden sind. Doch die historischen Orte von Gewaltverbrechen sind immer auch Bezugspunkte, Schnittstellen und Arenen für vielfältige individuelle Erinnerungen sowie für sub-, inter- oder transnationale Gruppen - etwa für die lokale und regionale Bevölkerung oder für unterschiedliche Opfergruppen aus einer Vielzahl von Ländern. Damit verdichten sich in Gedenkstätten - am sichtbarsten in Gestalt von Mahnmalen und bei Gedenkfeiern - unterschiedliche geschichtspolitische Deutungen. Angesichts dieser Vielfalt besteht in den Gedenkstätten der Bundesrepublik eine starke Skepsis gegenüber ihrer staatlichen Indienstnahme für kollektive Geschichtsbilder - auch wenn dies nicht bedeutet, die „topographies of suffering“ nur noch im Sinne einer allein subjektiven, emotionalen Aneignung zu betrachten (Rapson 2015). Als Orte einer geteilten, multidirektionalen Verunsicherung bilden Gedenkstätten vielmehr Arenen der Pluralität, Diversität und Heterogenität von kollektiven und individuellen historischen Identitätsstiftungen. Sie können einen Raum bieten, um sich mit verschiedenen normativen Deutungen des Geschehens vor Ort kritisch auseinanderzusetzen. Deshalb ist bereits an der konkreten Gestaltung und der Praxis von Gedenkstätten zu prüfen, inwieweit sie den Ort und die Wahrnehmung ihrer Besucher im Sinne von geschichtspolitischen Deutungen orchestrieren, welche Dispositive des Erinnerns mit ihnen verbunden sind und in welchem Maß sie partizipatorische, kontroverse Aneignungsprozesse der Vergangenheit erlauben und fördern. 158 t hemen Gesellschaftspolitik Gegen viele Widerstände haben sich Gedenkstätten in der Bundesrepublik durch die Förderung von Bund, Ländern und Kommunen zu „staatstragenden Einrichtungen mit einem öffentlichen Bildungsauftrag“ (Haug 2015a: 9, 45) entwickelt. Damit ist eine deutliche Tendenz verbunden, Gedenkstätten als ein staatliches oder staatlich alimentiertes Instrument zur Bestätigung und Stärkung des Wertesystems der Bundesrepublik und ihrer politischen Ordnung zu betrachten. Nicht wenige Akteure der Gedenkstättenarbeit betrachten das als Verlust, weil darüber system- und gesellschaftskritische Ansprüche abhandengekommen sind, die viele von ihnen mit diesen Orten gerade in den 1980er Jahren verbunden hatten. Zudem ist die Institutionalisierung von Gedenkstätten nicht selten mit einer Verdrängung bürgerschaftlicher Initiativen oder Träger der Erinnerungskultur einhergegangen. Die Schwächung und bisweilen Marginalisierung der jahrelang starken zivilgesellschaftlichen Beteiligung liegt allerdings nicht nur am zunehmenden staatlichen Einfluss. Verwissenschaftlichung, Professionalisierung und Expertengremien haben hohe Standards gesetzt. Auch macht sich das Schwinden der Überlebenden und ein in der Regel abnehmender Elan ihrer Verbände trotz eines durchaus anhaltenden Engagements der zweiten und dritten Generationen bemerkbar. Nach Jahrzehnten der aktiven Gedenkstättenarbeit ziehen sich im Bereich der NS-Gedenkstätten viele Ehrenamtliche zurück. Zudem können die wichtigsten Ziele der Gedenkstättenbewegung als erreicht gelten: eine weitreichende Sicherung vieler ehemaliger Verbrechensorte und die Schaffung dauerhafter Institutionen des Erinnerns, Forschens und Lernens. Als jedoch die zweite Enquete-Kommission in ihrem Schlussbericht die Gedenkstätten zu „Stützpunkten der demokratischen Erinnerungskultur“ (Schlussbericht 1998: 241) erklärte, war damit die Forderung nach einer engen Verflechtung von Gedenkstätten mit der Zivilgesellschaft und bürgerschaftlichem Engagement verbunden. Offen blieb, wie genau dies aussehen kann. Welches Maß an Beteiligung und Mitentscheidung wird Überlebenden und ihren Verbänden, Gedenkstättenvereinen, Erinnerungsinitiativen oder Körperschaften und Organisationen des öffentlichen Lebens wie Kirchen oder Gewerkschaften zugestanden? Insgesamt ist unverkennbar, dass die Gestaltungsmacht der institutionellen Strukturen und des Personals von Gedenkstätten, von staatlichen Instanzen auf Bundes-, Landes und kommunaler Ebene und von wissenschaftlichen Experten gegenüber einer breiten Einbindung und Partizipation gesellschaftlicher Kräfte vor allem in den größeren Einrichtungen überwiegt. Welche Konsequenzen diese Entwicklung hat, muss an einem weiteren Postulat der „demokratischen Erinnerungskultur“ gemessen werden: Gedenkstätten haben unabhängig von regierungs- oder parteipolitisch motivierten Interessen 159 s InD g eDenkstätten polItIsche o rte ? oder Inhalten zu sein. Jegliche Form der Indoktrination, Lenkung oder Instrumentalisierung ist mit den Grundprinzipien von Gedenkstätten nicht vereinbar, wenn sie der vorbehaltlosen und gegenwartsbezogenen Aufklärung über die Ursachen und Folgen undemokratischer Herrschaftsformen gewidmet sein sollen. Statt geschichtspolitische Leitlinien umzusetzen, müssen sie das eigenständige Mandat und die Möglichkeiten haben, sich mit diesen kritisch auseinanderzusetzen. Dabei agieren sie politisch in einem demokratischen Sinne, wenn sie - was in der Regel ein fester Bestandteil der Arbeit ist - unterschiedlichen Interessen, Erwartungen, Interpretationen und Praktiken ein Forum zum Austausch bieten und diese mit ihren jeweiligen Vertretern im Licht der institutionell entwickelten Standards aushandeln. Auch aufgrund dieser Scharnierfunktion sind Gedenkstätten zu einem festen Bestandteil des Modells der deliberativen Demokratie in der Bundesrepublik geworden. Dazu trägt bei, dass sie nicht zentralistisch gesteuert werden, sondern sich auf mehreren Ebenen eine dezentrale, stark föderal und regional geprägte sowie thematisch differenzierte Struktur erhalten hat, die sich auch in der Selbstorganisation insbesondere der NS-Gedenkstätten niederschlägt: Es gibt keinen einheitlichen Lobby- oder Fachverband, sondern mehrere Arbeits- und Interessengemeinschaften. Trotz einer unverkennbaren Hierarchie unter den Gedenkstätten nach Bedeutung und Wahrnehmung hat sich eine gewisse Vielstimmigkeit innerhalb und außerhalb der Einrichtungen erhalten. Dies ist - zumal angesichts der öffentlichen und damit ebenfalls politischen Bedeutung von Gedenkstätten - mit Gratwanderungen zwischen Reflexivität und Kontroversität auf der einen, Angriffen und Skandalisierungen auf der anderen Seite verbunden. Bei vielen wichtigen gesellschaftspolitischen Themen gehörten Gedenkstätten zu Vorreitern und Wegbereitern einer Liberalisierung der bundesrepublikanischen Gesellschaft. So verlief die Anerkennung der im Nationalsozialismus als homosexuell Verfolgten auch durch ihre Präsenz in den Gedenkstätten nicht nur zeitlich parallel zur wachsenden gesellschaftlichen Akzeptanz und Sichtbarkeit von Homosexualität nach 1945 in der Bundesrepublik; beide Prozesse waren der Sache und den Personen nach eng miteinander verbunden. Ähnliches gilt für die Sinti und Roma: Die erste ihnen gewidmete, internationale Gedenkkundgebung in der Gedenkstätte Bergen-Belsen am 27. Oktober 1979 und ein Hungerstreik in der KZ-Gedenkstätte Dachau im April des Folgejahrs verknüpften die Forderung nach der Anerkennung als Opfer der rassistischen NS-Vernichtungspolitik mit dem Kampf gegen rechtliche, bürokratische und soziale Diskriminierungen nach 1945. Sie bahnten den Weg für ein geschichtspolitisch wichtiges Datum: Kurz nach der Gründung des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma erkannte Bundeskanzler Helmut Schmidt im März 1982 die NS-Verbrechen an dieser Gruppe erstmals für die Bundesrepublik als „Völkermord“ an - ein wichtiger politischer Baustein auf dem langen Weg hin zu dem 2012 in Berlin unweit 160 t hemen des Reichstagsgebäudes eingeweihten „Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas“. Abb. 17: Gedenkfeier zur Erinnerung an die Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus in der Gedenkstätte Bergen-Belsen, 26. 10. 1979 Neben der gesellschaftlichen Anerkennung einzelner Gruppen ergeben sich aus dem Selbstverständnis von Gedenkstätten weitere Themen von gesellschaftspolitischer Bedeutung, mit denen sie eng verbunden sind. Dies betrifft insbesondere Fragen der sozialen und kulturellen Inklusion sowie einen sensiblen Umgang mit Herkunftsdiversität. Hegemoniekritische Ansätze der Sozial- und Bildungswissenschaften spiegeln sich in Ansätzen einer auf Partizipation, Empowerment und Multiperspektivität angelegten Bildungsarbeit wider. Dies beinhaltet auch Themen wie Barrierefreiheit, „leichte Sprache“ oder Mehrsprachigkeit. Antidiskriminierungsarbeit, die kritische Behandlung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, von Antisemitismus und Rassismus in der Gegenwart oder die Integration von Flüchtlingen spielen gerade in den letzten Jahren eine zunehmende Rolle. Leider erreichen diese Ansätze aufgrund der Betreuungsstrukturen nur einen kleinen Teil der Besucher von Gedenkstätten. Grundsätzlich unstrittig ist in Politik und Öffentlichkeit ein spezifisches gesellschaftspolitisches Mandat von Gedenkstätten: die Bekämpfung extremistischer Gegner der Demokratie, insbesondere für die NS-Gedenkstätten der Einsatz gegen den Rechtsextremismus. Dies beinhaltet auch die klare Abgrenzung 161 s InD g eDenkstätten polItIsche o rte ? von neurechten oder rechtspopulistischen Positionen, die sich auf essentialistische Konzepte wie „Volk“, „Gemeinschaft“ oder „Rasse“ stützen oder eine grundlegende Revision der Liberalisierung und der mit ihre verbundenen demokratischen Gesellschaft anstreben. Nicht zu vergessen ist dabei, dass die ehemaligen Tatorte auch für diese Gruppen „politische“ Orte in ihrem Sinne sind. Holocaust-Leugner, Neonazis, Rechtsradikale und Angehörige der Neuen Rechten suchen Gedenkstätten auf, um zu provozieren; Besuche dienen als Mutprobe, um sich zu outen. Immer wieder kommt es zu rechten Provokationen, Schmierereien und Sachbeschädigungen. NS-Gedenkstätten haben Regelungen dafür, wie sie mit verbalen oder symbolischen rechtsextremen Bekenntnissen zum Nationalsozialismus, Revisionismus oder mit Fällen von Holocaust-Leugnungen umgehen, die neben dem Aussprechen von Hausverboten auch Strafanzeigen oder, wenn es geboten ist, didaktische Maßnahmen einschließen. Parteien, die rechtsextremes Gedankengut verbreiten und im Gegensatz zu den Zielen von Gedenkstätten stehen, werden von Veranstaltungen oder aus Gremien ausgeschlossen. So hat die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora aus Anlass des Gedenktags für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2019 die Vertreter der Alternative für Deutschland von ihren Gedenkveranstaltungen ausgeschlossen, „solange sie sich nicht glaubhaft von den antidemokratischen, menschenrechtsfeindlichen und geschichtsrevisionistischen Positionen in ihrer Partei distanzieren“ (zit. n. Der Tagesspiegel, 25. 1. 2019). Strittig ist jedoch, ob Gedenkstätten über dieses Kernthema hinaus ein gesellschaftspolitisches Mandat wahrnehmen sollen und wie weit ein solches reicht. Es gibt immer noch eine stark durch das zivilgesellschaftliche Milieu der frühen Gedenkstättenbewegung geprägte Auffassung, nach der Gedenkstätten öffentlich zu gegenwartspolitischen Fragen Stellung beziehen sollen, wenn es einen deutlichen Bezug zu Aufgaben und Selbstverständnis von Gedenkstätten gibt. Bei rechtsextremistischen Gewalttaten und Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus und der Relativierung des Nationalsozialismus oder des Unrechtscharakters des SED-Regimes macht niemand Gedenkstätten ein Recht streitig, sich dazu zu äußern. Allerdings wehren sich die Gedenkstätten oft selbst dagegen, auf die Aufgabe einer Prävention vor antidemokratischen Haltungen reduziert zu werden. Weniger eindeutig sind die Antworten, wenn es um Fragen der allgemeinen geschichtspolitischen Entwicklung, um tagespolitische Themen wie die Migrationsdebatte und den Rechtspopulismus oder um die Reflexion der demokratischen Grundlagen und gesellschaftspolitischen Prämissen im Rahmen des in der Gedenkstättenbildung angestrebten Geschichtsbewusstseins geht. Hier sind auch die Meinungen innerhalb der Gedenkstätten keineswegs einheitlich. Viele wollen im Zuge der Professionalisierung ihrer Arbeit zwischen den Kernaufgaben ihrer Institution und darüber hinausgehenden politischen Äußerungen 162 t hemen unterscheiden. Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass die erkennbare Zurückhaltung in gesellschaftspolitischen Fragen der genannten Art gerade bei den von Bund und Land geförderten Gedenkstätten auch mit ihrer Einbettung in ein behördliches und politisches Kommunikationsgefüge zu tun hat. Ist zumindest mit Blick auf die NS-Gedenkstätten die Frage einer aktiven Einbindung in vergangenheits- und gesellschaftspolitische Themen auch durch die Historisierung ihres Gegenstands und die Professionalisierung ihrer Arbeit geprägt, so haben sich in globaler Perspektive Gedenkstätten insbesondere dort zu einer wichtigen Säule der Gesellschaftspolitik entwickelt, wo Transitionsgesellschaften noch an den Anfängen der Aufarbeitung ihrer Gewaltgeschichte stehen. Staaten wie Ruanda oder Südafrika streben nach Regimewechseln oder dem Ende von Gewaltakten die Einrichtung von Gedenkorten an, um einerseits dem innergesellschaftlichen Ausgleich zu dienen, andererseits ihre Zugehörigkeit zur humanitären Weltgesellschaft zu demonstrieren. Sie werden dort als Orte einer auf Aufklärung und Versöhnung angelegten Politik verstanden, die idealerweise von Staat und Gesellschaft, oft auch von Opfern und Tätern gemeinsam getragen werden soll. Doch eine rasche und aufwändige, vor allem symbolische Überführung von Orten des Verbrechens in Stätten eines nationalen historischen Erbes, die zu Lasten anderer Aspekte der Aufarbeitung geht, steht nicht selten im Widerspruch zu den Vorstellungen vieler Bürgerrechtsgruppen und Opfervertreter, die politische und juristische Maßnahmen fordern: nämlich Bestrafung, Entschädigung und Sühne anstelle repräsentativer Museen. Wo - wie etwa in Südafrika - die gravierenden langfristigen Folgen rassistisch geprägter postkolonialer Gewaltkulturen die Gegenwart in hohem Maße prägen, werden die Grenzen dessen sichtbar, was Gedenkstätten unter solchen Bedingungen politisch leisten können. Dieser Eindruck wird - wie auch in der Bundesrepublik - durch die Sorge vor den Folgen einer Routinisierung und Ritualisierung des Gedenkens genährt. Sind Gedenkstätten universale Orte? Seit einigen Jahren steht die Erinnerung an die Gewaltverbrechen im Europa des 20. Jahrhunderts und vor allem diejenige an den Holocaust im Zeichen von Schlagworten wie „Europäisierung“, „Globalisierung“ und „Universalisierung“ (Kroh 2008; Eckel / Moisel 2008; Feindt 2014b). Das wirft eine grundlegende Frage auf: Einerseits scheint mit den genannten postnationalen Konzepten die enge Bindung kultureller Gedächtnisse an den Container der „Nation“ als dem vorherrschenden politischen und imaginären Erinnerungsraum überwunden werden zu können. Andererseits sind mit den Begriffen wiederum neue gedachte Ordnungen verbunden, die nicht von sich aus Vielfalt zulassen, sondern auch 4.6 163 s InD g eDenkstätten unIversale o rte ? mit homogenisierenden Wertvorstellungen und Geschichtsbildern verbunden sein können. Um beide Formen der Engführungen des kulturellen Gedächtnisses zu überwinden, betonen neuere Ansätze der Memory Studies die Vielfalt transnationaler und transkultureller Erinnerungen. Sie öffnen so den Blick auf „travelling memories“ als ein vielschichtiges Spektrum von Narrativen, Symbolen und Praktiken, die nicht an territoriale oder nationale Grenzen gebunden sind (Erll 2011). In diesem Sinne handelt es sich bei Gedenkstätten grundsätzlich um vielfältige und polyvalente „mnemonic signifier“ oder „Deutungsträger“ (Feindt u. a. 2014a: 43; 2014b: 14). So besteht für den Sozialanthropologen Jonathan Webber die „Einmaligkeit von Auschwitz“ in „einer Vielzahl von Wirklichkeiten, einer Vielzahl von Bedeutungen, Perspektiven und Herangehensweisen, die (dort) alle gleichzeitig vorhanden sind, auch wenn sie sich im Gegensatz zueinander befinden“ (Webber 1995: 6). Gedenkstätten sind mithin Kristallisationspunkte von Erinnerungen, die sich lokal, regional, national und global wie international, europäisch und universal oder transnational, transkulturell und postnational formieren. Internationale Orte waren Gedenkstätten bereits seit der frühen Nachkriegszeit. Dazu trugen vor allem Einzelbesuche von Überlebenden, sporadische oder regelmäßige internationale Häftlingstreffen aus Anlass von Gedenktagen, Führungen im Rahmen von Schüleraustauschen, Gedenkstättenfahrten kirchlicher und politischer Träger, Touristen aus dem Ausland oder internationale Jugendworkcamps bei. Auch Staatsbesuche und diplomatische Akte der zwischenstaatlichen Aussöhnung waren nach 1945 wiederholt mit Gedenkorten von Krieg und Verbrechen verbunden. Europäisierung Wenn in den letzten Jahren zunehmend von KZ-Gedenkstätten als europäischen Erinnerungsorten gesprochen wird, hat das zwei Bedeutungen: Zum einen wird damit auf die Zusammensetzung der Häftlinge Bezug genommen, die in der Kriegszeit aus vielen Ländern Europas auch in die Lager auf deutschem Boden deportiert wurden. Zum anderen spielen viele Gedenkstätten inzwischen eine zentrale Rolle in einer europäischen Geschichtskultur, die den politischen und ökonomischen Integrationsprozess fundiert. Gerade an diesen Orten wird jedoch das „Verhältnis gemeinsamer und trennender Erinnerungen“ ebenso sichtbar, wie sie auf ein „gemeinsames Geschichtsbewusstsein“ hoffen lassen (Faulenbach 2004, 2006). Das daran anknüpfende normative Ziel einer Europäisierung des historischen Erinnerns an die Gewaltereignisse des 20. Jahrhunderts ist eng mit dem International Forum on the Holocaust verbunden, das im Januar 2000 in Stockholm auf 164 t hemen Einladung des schwedischen Ministerpräsidenten stattfand. Zu der Konferenz entsandten 46 Länder ihre Delegierten, auch zahlreiche Regierungschefs nahmen teil. Zuvor schon hatten das Europäische Parlament und der Europäische Rat in den 1990er Jahren durch mehrere Resolutionen wesentliche Anstöße für einen Ausbau des Erinnerns an den Holocaust im europäischen Rahmen gegeben. Obwohl der Holocaust jahrzehntelang nicht im Zentrum von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur in Europa gestanden hatte, wurde er nun zum negativen Gründungsmythos der europäischen Einigung erhoben. Vor diesem Hintergrund konnte aber vor allem die Pazifizierung, Demokratisierung und Liberalisierung des westlichen Europa seit den 1950er Jahren als Erfolgsgeschichte in den Prozess der Erweiterung der Europäischen Union eingeschrieben werden. Sich zum Primat der Holocaust-Erinnerung und den damit verbundenen Werten zu bekennen, wurde zu einer Art Eintrittskarte in die europäische Wertegemeinschaft. Wie umstritten die Frage eines europäischen Geschichtsbewusstseins jedoch ist, zeigen die Debatten um den „23. August“ als europaweiten Gedenktag. Initiiert wurde er als Gegenprojekt zum „27. Januar“. In der Bundesrepublik wird seit 1996 der 27. Januar, das Datum der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, als „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ begangen; er ist allerdings kein Feiertag. 2002 erklärte der Europarat den Tag zum „Day of Remembrance of the Holocaust and Prevention of Crimes against Humanity“, dessen Durchführung in den Schulen ihrer Länder die jeweiligen Bildungsminister vereinbarten. Drei Jahre später folgten die UN und riefen den Jahrestag der Befreiung zum „International Holocaust Remembrance Day“ aus. Während der Gedenktag in der Bundesrepublik so angelegt war, vor Ort der unterschiedlichen Verfolgtengruppen zu gedenken, und die Gedenktage in Europa je eigene, nationale Färbungen haben, steht der globale Gedenktag ganz im Zeichen der Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden (Schmid 2008b). Am 4. April 2009 stimmte das Europäische Parlament mit überwältigender Mehrheit für die Einführung eines neuen europäischen Gedenktags: den „Europäischen Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus“ am 23. August (EP 2009). Auf dieses Datum war 1939 der einen Tag später vollzogene Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts festgelegt worden, der dem Deutschen Reich bei einem Angriff auf Polen die sowjetische Neutralität zusicherte und in einem geheimen Zusatzprotokoll der Sowjetunion Ostpolen und weite Teile des Baltikums zusicherte. Die Einführung des Gedenktags wurde durch mehrere engagierte, parteiübergreifende Aufrufe von Politikern, Historikern und Intellektuellen zustimmend begleitet; er war und ist aber bis heute als geschichtspolitischer Setzungsakt umstritten (Morsch 2010; Lutz 2012). Das Europäische Parlament erklärte in seiner Resolution, es sei für die Einigung Europas unverzichtbar, „zu einer gemeinsamen Sicht seiner Geschichte 165 s InD g eDenkstätten unIversale o rte ? zu gelangen, Kommunismus, Nazismus und Faschismus als ‚gemeinsames Vermächtnis’ anzuerkennen und eine ‚ehrliche und tiefgreifende Debatte’ über sämtliche totalitären Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts zu führen“ (EP 2009). Damit wurden - ganz im Sinne der Initiatoren - die Absicht und das Bemühen für gescheitert erklärt, die europäische Erinnerung seit der Stockholmer Konferenz von 2000 im Zeichen des Holocaust zu einen. Eine ebenfalls geforderte „gesamteuropäische Gedenkstätte für die Opfer aller totalitären Regime“ ist bislang nicht realisiert worden. Die Resolution versuchte die in historischer Sicht problematische „Erhebung einer politischen Theorie“, einer bestimmten Lesart des Totalitarismus, „in den Rang einer für Europa verbindlichen, konkurrierende Erklärungsmodelle verdrängenden Meistererzählung“ (Morsch 2010: 9). Sie betonte die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Regime stärker als ihre Unterschiede und relativierte so die Bedeutung und Systematik unterschiedlicher Gewaltverbrechen. Mit dem Gedenktag wurde eine neue Periodisierung und damit Kausalität für den Verlauf der europäischen Geschichte avisiert: Nicht der 1. September als Datum des deutschen Überfalls auf Polen und die damit verbundene imperialistische, revisionistische und zerstörerische Aggression des Deutschen Reiches, sondern der Nichtangriffspakt und damit die (Mit-)Verantwortung Stalins sollten ins Zentrum der Ereignisse gestellt werden. Zudem blieben andere Komplexe der europäischen Gewaltgeschichte wie die Diktaturen in Spanien, Portugal und Griechenland oder der westliche Kolonialismus unberücksichtigt. Aus Sicht der ostmitteleuropäischen Staaten spricht einiges für die Forderung, sich in ganz Europa verstärkt mit dem Stalinismus und der kommunistischen Herrschaft auseinanderzusetzen, da für sie damit über Jahrzehnte hinweg Gewalt, Diktatur und der Verlust der vollen nationalen Souveränität verbunden waren. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, riefen die Ministerpräsidenten Tschechiens, Polens und Ungarns 2011 die Platform of European Memory and Conscience ins Leben. Sie soll einer Lesart der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts mehr Gewicht verschaffen, die Kommunismus und Nationalsozialismus als gleichförmige Herrschaftssysteme ansieht. Am 2017 eröffneten Haus der europäischen Geschichte in Brüssel kritisiert die Plattform deshalb, den Kommunismus nicht ausreichend zu verurteilen und statt dessen das Christentum sowie die „Idee der Nation als Wurzel allen Übels“ zu desavouieren (Die Zeit, 2. 5. 2018). Stärker auf die Konfliktbearbeitung des europäischen Geschichtsbewusstseins zielt das 2005 von den Kultusministern Deutschlands, Polens, Ungarns und der Slowakei ins Leben gerufene European Network Remembrance and Solidarity. Es widmet sich den divergenten Geschichtsbildern über Kriege, Diktaturen und Massenverbrechen in Europa, um damit verbundene oder darauf beruhende Konflikte zu überwinden. 166 t hemen Die Grenzen einer Europäisierung des Geschichtsbewusstseins zeigen sich besonders dort, wo versucht wird, mit Hilfe einer „Meistererzählung“ eine homogene europäische Geschichtsgemeinschaft zu stiften. Nach wie vor führen nationale Interessenlagen und heterogene Erfahrungszusammenhänge zu grundlegenden Kontroversen über Fragen von Schuld und Verantwortung sowie über die jeweilige Relevanz von Krieg, Verbrechen und politischer Unterdrückung für die einzelnen Staaten und zwischen ihnen. Zudem bestehen ausgeprägte Spannungen zwischen den vielfältigen partiellen, sub- und transnationalen Geschichtserzählungen und dem Versuch, bestimmten historischen Ereignissen eine unverrückbare und fundamentale Bedeutung für das historische Bewusstsein zuzuweisen. Steuerungsversuche einer Europäisierung „von oben“, die immer auch die Unabhängigkeit von Einrichtungen wie Gedenkstätten oder Geschichtsmuseen bedrohen, sehen sich zudem einer schwindenden Bedeutung staatlicher Institutionen und nationaler Bildungsimpulse gegenüber, zumal transnationale Vernetzungen und interaktive Kommunikationsformen im digitalen Zeitalter immer bedeutsamer werden. Globalisierung Der Zweck des Stockholmer Forums reichte über Europa hinaus. Schon die dort verabschiedete Erklärung verband den europäischen Gedanken mit einer universalen Moral. Der Holocaust habe in seiner „Beispiellosigkeit“ die „Grundfesten unserer Zivilisation“ erschüttert, „Grauen“ und „Heldentum“ könnten jedoch helfen, die „menschliche Fähigkeit zum Guten wie zum Bösen zu verstehen“ (SIF 2000). Der so kodifizierte Prozess zielt darauf ab, in globaler Perspektive gegen Relativierungen und Leugnungen des Holocaust einen einheitlichen Erinnerungsrahmen zu entwickeln und politisch zu verankern. Er steht in engem Zusammenhang mit Strategien im weltweiten Kampf gegen den Antisemitismus und politisch motivierte Leugnungen des Holocaust unter anderem im Kontext des Nahostkonflikts. Dazu war bereits 1998 die Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance, and Research gegründet worden. Sie ist seitdem, nunmehr als International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), zu einer der wichtigsten internationalen Organisationen der Holocaust-Erinnerung geworden. Unter ihrem Dach erarbeiten Politiker, Historiker und Bildungsexperten aus zahlreichen europäischen Ländern, den USA und Israel universale Leitlinien der Holocaust-Erinnerung und Handreichungen zur pädagogischen Arbeit und zu strategischen Themenschwerpunkten. Die Förderung von Erinnerungsprojekten soll zur multilateralen Zusammenarbeit und einem Transfer von Ansätzen und Erfahrungen beitragen. 167 s InD g eDenkstätten unIversale o rte ? Die IHRA will die Selbstverpflichtung von Staaten sicherstellen, die Erinnerung an den Holocaust zu bewahren und durch Bildungsmaßnahmen in ihren Gesellschaften zu verankern. Jugendliche sollen durch die Erinnerung an den Holocaust für Menschenrechtsverletzungen und die Genozidprävention sensibilisiert werden. Auch wenn die IHRA über keine Instrumente zur unmittelbaren Durchsetzung auf Regierungsebene verfügt, wirkt sie über andere internationale Organisationen wie die UNESCO oder die EU in die einzelnen Staaten hinein. So unterstützt die UNESCO im Rahmen ihrer „Global Citizenship Education“ die „Holocaust Education“ mit dem Ziel, die Menschen zu „kritischen“ und „mündigen Bürgern“ der „Weltgemeinschaft“ zu machen. Dies soll dazu dienen, die „Massengewalt in anderen Weltregionen zu analysieren, die Wertschätzung für die Menschenrechte zu fördern und zur Mitgestaltung einer friedlichen Gesellschaft zu motivieren“ (UNESCO 2018). Kurz nach der Konferenz von Stockholm veröffentlichten Daniel Levy und Natan Sznaider ihre Thesen zur „Erinnerung im globalen Zeitalter“. Die Autoren betrachten darin die Globalisierung als umfassenden Prozess, der zur Schwächung nationaler Deutungsrahmen der Vergangenheit zugunsten der Ausweitung einer „universalen“, im besten Fall auch „kosmopolitischen Erinnerung“ geführt habe (Levy / Sznaider 2001). Sie konstatierten eine „Entortung der Erinnerung“: In der globalisierten Gesellschaft erlebten die Menschen Ort und Zeit nicht mehr als kontinuierlichen Zusammenhang. Der so verloren gegangene „normative Horizont“ werde durch die Erinnerung an den Holocaust gefüllt. Sie sei zu einer medialisierten globalen „Chiffre“, zum „Archetyp“ und „Paradigma“ geworden, das die Repräsentation anderer Gewaltereignisse in vielfacher Weise präge und dafür als Vorbild diene. Statt um das konkrete historische Geschehen gehe es vor allem um eine „Universalisierung des Bösen“ und daraus abzuleitende allgemeine Lehren. Die Globalisierung der Holocaust-Erinnerung machen Levy und Sznaider vor allem an Medienereignissen mit großer internationaler Reichweite fest. Sie habe bereits mit der Erinnerung an Anne Frank in den USA und Westeuropa in den 1950er Jahren und dem Eichmann-Prozess (1961) begonnen. 1962 warnten in einem frühen Akt globaler Erinnerungspolitik im Schatten der nuklearen Krise Vertreter des Hiroshima Peace Memorial Museum und der Gedenkstätte Auschwitz vor den Gefahren eines Atomkriegs: Sie tauschten dabei Asche, Knochenreste und individuelle Zeugnisse aus. Seit der TV-Serie „Holocaust“ (1978 / 79) nahm die weltweite Verbreitung der Holocaust-Erinnerung zu. Erstmals wurde das Schicksal der verfolgten und ermordeten Juden in personalisierter und populärkultureller Weise massenmedial präsentiert. Die fiktionale und filmisch dramatisierte Darstellung veranlasste eine bis heute nachwirkende Debatte über ein „Bilderverbot“. Auch der Besuch von Papst Johannes Paul II. in Auschwitz 1979 war ein globales Medienereignis. Er lenkte erstmals mit großer Reichweite den 168 t hemen Blick auf diesen Ort. Der Papst proklamierte zwar eine universale Botschaft, validierte aber - auch durch seine Herkunft aus Polen - gegenüber sozialistischen oder jüdischen Sichtweisen eine christlich überformte Lesart von Auschwitz. Die Bedeutung der medialen Globalisierung des Holocaust zeigt sich darüber hinaus auch in Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ aus dem Jahr 1993. Vor allem bestimmte Sequenzen des dokudramatischen Films haben sich in das ikonographische Holocaust-Gedächtnis eingeschrieben. So gelten die Aufnahmen des KZ Plaszow bei Krakau inzwischen als exemplarische Bilder für die nationalsozialistischen Konzentrationslager, obwohl es für den Film vollständig neben dem kaum erhaltenen Originalgelände rekonstruiert wurde. Auch wegen solcher Effekte war der Film Anlass zu einer kritischen Debatte über eine „Amerikanisierung des Holocaust“ in Wissenschaft und Feuilletons (Flanzbaum 1999; Krankenhagen 2001: 163-220). Zusammen mit dieser Medialisierung hat sich im Zuge der parallelen Destabilisierung der Weltordnung sowie des Genozids in Ruanda und den Jugoslawienkriegen der Holocaust zum „Inbegriff der Massenverbrechen“ entwickelt (Eckel / Moisel 2008: 11). Was sich als kulturelles Gedächtnis an die Ermordung der europäischen Juden etabliert hat, dient als Referenzrahmen und Erfolgsmodell für Erzählungen, Repräsentationen und Deutungen vieler anderer Gewaltereignisse. B eispiel : D ie G eDenKstätte p otocari / s reBrenica Ohne internationale Protektion gäbe es diese Gedenkstätte wohl nicht: Seit 2003 werden auf dem Gelände des Srebrenica Genocide Memorial in Potocari nach und nach die sterblichen Überreste von Opfern des Massakers von Srebrenica bestattet. Für die Angehörigen hat dieser Ort eine besondere Bedeutung, denn hier haben viele die später Ermordeten zum letzten Mal gesehen. 20.000 Bosnier hatten in Potocari Schutz vor den Milizen der bosnischen Serben gesucht, die am 11. Juli 1995 die von Flüchtlingen überfüllte Kleinstadt Srebrenica eingenommen hatten. Dies war der Auftakt zu einem genozidalen Akt „ethnischer Säuberung“. Mehr als 8000 bosnisch-muslimische Jungen und Männer wurden umgebracht, allerdings nicht in Potocari. Denn von hier aus wurden sie zu den Tötungsstätten abtransportiert. So ist bis heute weitgehend unbekannt, dass Stadt und Gedenkstätte nicht deckungsgleich mit den Tatorten sind: Es gab mehr als ein Dutzend größerer Exekutionsstätten, und viele Leichen wurden später von den „primären Massengräbern“ an mehr als vierhundert andere Stellen verbracht. Erst durch aufwändige, bereits 1995 begonnene Exhumierungen und forensische Untersuchungen Tausender Leichen und Körperteile aus bislang über einhundert Massengräbern konnten durch die International Commission for Missing Persons etwa 7000 der Ermordeten identifiziert werden. Seit 2004 betriebene Recherchen ergaben die Namen von fast 8500 Menschen, die insgesamt dem Massaker zum Opfer fielen. Auf einem symbolischen Grabstein ist die Zahl „8327“ eingraviert. Auf dem Friedhof werden bei den jährlichen Gedenkveranstaltungen neue individuelle Gräber von identifizierten Toten geweiht; die Namen werden auf großen liegenden Tafeln genannt. Zu den eigentli- 169 s InD g eDenkstätten unIversale o rte ? chen Mordstätten, die auf dem Gebiet der bosnisch-serbischen Republik Srpska liegen und großenteils zunächst nicht bekannt waren, hatten viele Angehörige der Opfer keinen Zugang. Von 1996 an forderten die „Mütter von Srebrenica“ bei den jährlichen Gedenkfeiern einen würdigen Gedenkort. Mit internationaler Hilfe wurde er seit 2000 realisiert. Drei Jahre später setzte der US-Präsident George W. Bush bei der Gedenkfeier zur Eröffnung ein Zeichen, als er die mit Srebrenica verbundenen Taten als „Völkermord“ bezeichnete. Der Gedenkfriedhof wurde 2007 auf britische Initiative und in Kooperation mit dem Imperial War Museum in London um einen Gedenkraum ergänzt. Innerhalb eines Jahrzehnts ist so aus dem Deportationsort Potocari die zentrale nationale Gedenkstätte der muslimischen Bosniaken geworden. Doch immer noch ist die Erinnerung an den Genozid umstritten. Die Gedenkstätte liegt auf von bosnischen Serben kontrolliertem Gebiet, die dort bald nach dem Krieg eigene Denkmäler aufgestellt hatten. Sie präsentierten sich als Opfer und ließen sich als Märtyrer feiern. Von den früheren Tätern wird nach wie vor geleugnet, relativiert und bestritten, dass in Srebrenica, wie es der Internationale Strafgerichtshof befunden hat, ein Völkermord stattgefunden hat. Auch deshalb ist die Gedenkstätte weiterhin auf internationale Unterstützung angewiesen, unter anderem durch den britischen Holocaust Memorial Trust, das USHMM oder die Charity-Organisation „Remembering Srebrenica“. Bereits 2009 hat die Europäische Union den 11. Juli zum Srebrenica-Gedenktag erklärt. Während die Identifizierung von Leichen weitergeht und Potocari ein umstrittener Ort der postjugoslawischen und europäischen Geschichtspolitik bleibt, hat die Kulturalisierung des Gedächtnisses schon lange begonnen: Ausstellungen finden statt, Augenzeugenberichte werden gesammelt, Abb. 18: Blick auf die Gräberanlage der Gedenkstätte Srebrenica / Potocari 170 t hemen Die Globalisierung der Gedenkorte hat jedoch ihre Kehrseiten: Manche sind zu beliebten touristischen Zielorten geworden. Eine Gedenkstätte wie Auschwitz kann der massiven Nachfrage nur durch ein rigides Anmeldungssystem und strikt getaktete Führungen begegnen, wird ihr aber kaum Herr. In Ländern, die Schwierigkeiten haben, den Unterhalt für diese Stätten und ihre Infrastruktur sicherzustellen, wird das Interesse von Touristen an solchen Orten zu einer wichtigen Einnahmequelle. Manche dieser Gedenkorte können von Bewohnern oder Angehörigen von Opfern aus Kostengründen nicht mehr besucht werden. Gleichzeitig droht sich die Gestaltung der Orte immer mehr von lokalen Formen zu entfernen, je stärker Touristen zu ihren primären Adressaten werden. Traditionelle Deutungen, Rituale und Tabus werden angeglichen oder als kulturelle Fremdheitserfahrung inszeniert. Universalisierung Bereits das „Nie wieder! “ der 1945 befreiten Häftlinge verstand sich als universale Botschaft - als etwas für alle Menschen Geltendes in Abgrenzung zu dem, was nur partikular für bestimmte Gruppen gilt. Mit der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 hat sich vor allem seit den 1970er Jahren eine politische Kultur ausgebreitet, in der die individuellen Menschenrechte ein zwar längst nicht einhellig geteilter, aber doch ein immer stärkerer Faktor geworden sind, an dem die Legitimität und Legalität staatlicher Handlungen bemessen wird. Zeitgleich beförderte dies die Forderung nach einer Anerkennung und Personalisierung von Opfern staatlicher Gewalt und ihrer Rechte. Die Etablierung einer menschenrechtlichen Moralpolitik und von Gedenkstätten als globaler Institution des kulturellen Gedächtnisses bedingten einander wechselseitig. So wurde in den letzten Jahren die globalisierte Grundnorm der Transitional Justice von einer großen Zahl betroffener Staaten nach Regimewechseln, Bürgerkriegen oder Formen staatlicher Kollektivgewalt übernommen. Häufig angeleitet oder unter dem Monitoring von Vertretern internationaler Organisationen und westlicher Staaten, umfasst Transitional Justice die strafrechtliche Verfolgung von Tätern, die historische Aufklärung von Verbrechen, die Entschädigung von Opfern sowie die Schaffung von Orten und Anlässen des Gedenkens (Buckley-Zistel / Oettler 2011; Krüger 2013; Buckley-Zistel / Schäfer 2014). Gedenk- Filme entstehen. In den letzten Jahren haben sich vermehrt die Kinder von Opfern des Massakers an der Erinnerungsarbeit beteiligt. Potocari bleibt eine Gedenkstätte im Werden und ein wichtiges Scharnier in den anhaltenden Debatten um die Deutung des postjugoslawischen Kriegsgeschehens und seiner Verbrechen. Literatur: Mehler 2014. 171 s InD g eDenkstätten unIversale o rte ? stätten spielen in diesen Prozessen inzwischen eine zentrale Rolle, weil sich dort Geschichtsnarrative und die Reichweite der symbolischen Anerkennung von Opfern kristallisieren. Doch sind viele der Maßnahmen umstritten: Gerade vielen Opfern und ihren Angehörigen sind Verfahren wie die „Wahrheitskommissionen“ zu sehr auf Versöhnung und Integration statt auf eine Bestrafung der Schuldigen ausgerichtet. Angesichts ausbleibender oder geringer Entschädigungszahlungen und sozialer Notlagen werden Denkmäler oder Gedenkstätten als geschichtspolitisches Alibi kritisiert, die nicht zuletzt den Unwillen verschleiern sollen, frühere Herrschaftsstrukturen zu verändern. Der Umgang mit Epochen staatlicher und anderer Formen von Massengewalt geschieht jedoch anders als zu früheren Zeiten im Horizont einer universalen Norm, die Versöhnung, Aufarbeitung und Erinnerung einfordert. Im Kontext von Gedenkstätten und Erinnerungskulturen meint Universalisierung den Anspruch, aus dem dort repräsentierten negativen Geschehen verallgemeinerbare und für die Menschheit insgesamt geltende Lehren für die Gegenwart abzuleiten. Das kann damit verbunden sein, dem historischen Geschehen selbst eine überhistorische Bedeutung zuzuschreiben. Es wird in Deutungszusammenhänge gerückt, die mit geschichtsübergreifenden Fragen von Identitäten und Werten zu tun haben: Welche universellen Lehren lassen sich aus staatlichen Massenverbrechen für die Zukunft ableiten? Wie kann angesichts von Genoziden und Kriegsverbrechen des 20. Jahrhunderts eine weltgesellschaftliche Moral aussehen? Gerade Gedenkmuseen, die nicht an historischen Orten bestehen, setzen auf universale, moralische Botschaften (Köhr 2012). Auch viele Gedenkorte, die nicht den nationalsozialistischen Verbrechen gewidmet sind, stellen ihre Arbeit explizit in den Horizont universal verstandener Werte. Unter einem solchen Dach vereint die 1999 gegründete International Coalition of Sites of Conscience inzwischen 275 Mitglieder in 65 Staaten. Im Unterschied zur engeren Definition von Gedenkstätten oder „memorial museums“ gelten als eine „Stätte des Gewissens“ potenziell alle historischen Orte, Museen oder Mahnmale, die für Menschenrechtsverletzungen in der Neuzeit stehen. Die damit verbundene thematische und institutionelle Vielfalt wird durch einen allgemein formulierten, geschichtspolitischen Auftrag gebündelt: Die Mitglieder verstehen sich als Orte der Aufklärung über Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverletzungen. Sie bündeln und stärken zivilgesellschaftliche Projekte gegen das Vergessen und Verdrängen von Gewalterfahrungen. Ihre besondere Aufgabe sehen sie in der Vermittlung humanitärer und demokratischer Werte und im Einsatz für die Wahrung der Menschenrechte. Trotz dieser weiten Verbreitung universaler Einbettungen von Gedenkstätten sind drei Schwierigkeiten der Universalisierung zu benennen. Erstens kann von Institutionen des kulturellen Gedächtnisses, die in der Regel national begründet sind, das jeweilige Gewaltgeschehen nicht unabhängig von diesen Kontex- 172 t hemen ten erzählt werden. Universalität ist zumindest an bestimmte Sehepunkte, wenn nicht Standpunkte und politische Interessen gebunden. So ist es ein wesentliches Ziel des USHMM, den Staatsbürgern der USA „American values“ wie Demokratie, Freiheit oder Toleranz zu vermitteln. Diese Werte werden zugleich als universal gültig postuliert und unter anderem der weltweiten Genozidprävention zugrunde gelegt, an der sich das USHMM aktiv beteiligt. Im Museum wird die Geschichte des Holocaust wiederum stark durch Perspektiven geprägt, die von Relevanz für das nationale Geschichtsbewusstsein sind, insbesondere die Befreiung der Konzentrationslager 1945. Auch der eindeutige Fokus auf die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen ist wesentlich durch die Entstehungsgeschichte des Museums im Kontext der US-Politik und seine enge Verflechtung mit der amerikanischen jüdischen Gemeinschaft bedingt. Rückt die Vermittlung universaler Werte als Ziel von Gedenkstätten in den Vordergrund, stellen sie zweitens einen sehr stark prägenden Rahmen dar, durch den das historische Geschehen interpretiert wird. Das kann dazu führen, die Vielfalt und Komplexität des historischen Ereignisses zu nivellieren. Je größer die Dimension der Kollektivgewalt ist, so scheint es, desto eher wird nach anthropologischen statt nach konkreten historischen Erklärungen gesucht - die Annahme des „Bösen“ oder einer „natürlichen“ Gewaltbereitschaft des Menschen stehen dafür beispielhaft. Zudem stellt sich, was oberflächlich - moralisch oder anthropologisch - sehr ähnlich zu sein scheint (das Leiden von Menschen etwa), bei genauerer Kenntnis der jeweiligen historischen und gegenwärtigen Umstände hinsichtlich der verursachenden Strukturen und ihrer Folgen als höchst unterschiedlich heraus. Gegenüber universalen Werten und Lehren als primärer Rahmung wird in der bundesdeutschen Gedenkstättenkultur insbesondere die quellengebundene, konkrete Herausarbeitung von Ereignissen, Prozessen und Strukturen des Gewalthandelns betont. Die Geltungskraft moralischer Wertungen muss immer wieder neu aus dem konkreten historischen Fall gewonnen werden, statt sich der trügerischen Gewissheit vermeintlich überzeitlicher Lehren aus historischen Ereignissen anzuvertrauen, die schon vorab zu universalen Paradigmen erklärt werden und für die das historische Geschehen dann nur noch als Beleg dient. Dazu gehört auch, die postulierten Lehren selbst als das Ergebnis eines historischen Prozesses transparent zu machen. So sind weder die Menschenrechtserklärung von 1948 noch der erste Artikel des Grundgesetzes der Bundesrepublik allein aus rein moralischen Erwägungen angesichts der Verbrechen des Nationalsozialismus entstanden. Tatsächlich spielten hierbei viele Akteure, politische Interessen und zeithistorische Bedingungen eine wichtige, sogar entscheidendere Rolle. Drittens wird an der Universalisierung von Lehren aus den Gewaltverbrechen, insbesondere des Holocaust, kritisiert, dass auf diese Weise partikulare Wertehorizonte und der kulturelle Eigensinn bei der Verarbeitung von Gewalt und Mas- 173 s InD g eDenkstätten unIversale o rte ? senmord nicht ausreichend zur Geltung kommen können. Es bedarf vor allem einer Verständigung darüber, was eine universale Moral im Verhältnis zu partikularen Wertordnungen bedeutet, die mit bestimmten politischen und sozialen Ordnungen verbunden sind. Ist Demokratie eine universalisierbare Konsequenz aus den Gewaltverbrechen des 20. Jahrhunderts - und wenn ja, welche? Wie sieht es mit Freiheit aus, wenn gerade hier in globaler Perspektive gravierende, kulturell oder religiös bedingte Unterschiede bestehen? Universalisierung sollte deshalb nicht von der Vorstellung einer für alle geltenden, von einer höheren Instanz aus bestimmten oder sich etwa gleichsam automatisch mit der Globalisierung einstellenden Moral ausgehen. Dennoch liegt es nahe, angesichts der rekurrierenden Erfahrung von Menschheitsverbrechen im 20. und 21. Jahrhundert zumindest ein moralisches Minimum zu formulieren und damit auch einem Orientierungsbedürfnis zu entsprechen, das viele Besucher an Gedenkstätten herantragen. Der israelische Philosoph Avishai Margalit hat - auch im Lichte der jüngeren Geschichte extremer Kollektivgewalt und der Skepsis gegenüber Wertesystemen mit universalen Ansprüchen - ein solches Minimum als negative Definition einer „anständigen Gesellschaft“ vorgeschlagen. Er unterscheidet zwischen einer zivilisierten Gesellschaft, in der die Menschen einander nicht demütigen, und einer anständigen Gesellschaft, in der die Institutionen die ihrer Autorität unterstehenden Menschen nicht demütigen. Im besten Falle ist eine Gesellschaft anständig und zivilisiert, aber da dies nicht zwingend so sein muss, betont Margalit die „makroethische“ Bedeutung von (staatlichen) Institutionen, weil sie einen Rahmen für die „Mikroethik“ zwischenmenschlicher Beziehungen setzen (Margalit 2012: 13). Demütigung versteht Margalit als normative Kategorie, nicht als psychologisches Gefühl: Sie kann vorliegen, auch wenn man sie nicht empfindet, und man kann etwas als Demütigung empfinden, ohne dass es sich um eine solche handelt. Demütigung definiert er als „Verletzung der Selbstachtung eines Menschen“. Eine Gesellschaft begreift Margalit als „anständig, wenn ihre Institutionen die Menschen nicht demütigen“ (Margalit 2012: 21). Da es sich bei Kollektivgewalt in der Regel um staatliche Verbrechen handelt, denen die Verletzung der grundsätzlichen Anerkennung von Menschen zugrunde liegt, weil ihnen alle Rechte bis hin zum Status des Menschseins abgesprochen worden sind, lässt sich das Gebot institutioneller Anständigkeit im Sinne Margalits ebenso, wenn sie fehlt, als eine wesentliche Ursache der Verbrechen wie auch als ein maßgebliches Instrument für ihre zukünftige Vermeidung verstehen. Gedenkstätten können auf der Basis eines solchen Rahmens aufzeigen, wohin historische Konstellationen führen, in denen der zivilisatorisch gewachsene Schutzanspruch von Menschen gegenüber Institutionen verloren geht, wenn „innere“ und „äußere“ Feinde imaginiert und zu unbedingten Zielen einer illegitimen Staats- und sich radikalisierenden Vernichtungsgewalt erklärt werden, 174 t hemen an der sich weite Teile der Bevölkerung beteiligen. Angesichts einer gegenwärtig immer weiter verbreiteten Bereitschaft, sich wieder vermehrt an partikularen Kategorien wie „Nation“, „Volk“ oder „Rasse“ zu orientieren, gewinnt die Sicherung der Geltungskraft zumindest eines menschheitsbezogenen, universalen Minimums an grundlegender Bedeutung, das alle Menschen vor institutionellen Demütigungen zu bewahren trachtet. Ohne Zweifel kann eine Gesellschaft, die im Licht der Gewalterfahrungen des 20. Jahrhunderts und insbesondere des Holocaust anständig und zivilisiert sein will, dabei nicht stehen bleiben. Weiterführende Literatur Hoffmann, Detlef (2002): Authentische Orte. Zur Konjunktur eines problematischen Begriffs in der Gedenkstättenarbeit, in: Gedenkstättenrundbrief Nr. 110, S. 3-17. Jong, Steffi de (2018a): The Witness as Object. Video Testimonies in Memorial Museums, New York. Kößler, Gottfried (2015): Aura und Ordnung. Zum Verhältnis von Gedenkstätte und Museum, in: Elke Gryglewski u. a. (Hrsg.), Gedenkstättenpädagogik, S. 67-81. Levy, Daniel / Sznaider, Natan (2001): Erinnerung im globalen Zeitalter. Der Holocaust, Frankfurt a. M. Siebeck, Cornelia (2014): „The universal is an empty place“. Nachdenken über die (Un-)Möglichkeit demokratischer KZ-Gedenkstätten, in: Hansen, Imke (Hrsg.), Ereignis & Gedächtnis. Neue Perspektiven auf die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Berlin, S. 217-253. Praxis Organisation Trotz vieler Gemeinsamkeiten unterscheiden sich Gedenkstätten im nationalen wie im internationalen Vergleich beträchtlich nach Themenschwerpunkten, Größe, Ausstattung und Aufgaben, aber auch hinsichtlich des Selbstverständnisses und ihrer Organisationsformen. Da Gedenkstätten in der Bundesrepublik den Bereichen Kultur und Bildung zugeordnet werden, unterliegen sie zunächst der grundgesetzlich festgeschriebenen föderalen Hoheit der Länder und einer hohen Eigenverantwortung der Kommunen. Hat seit den 1980er Jahren die Rolle des Bundes als „Impulsgeber“, „Förderer“ und „Betreiber“ im Bereich gesamtstaatlich als relevant betrachteter Kultureinrichtungen insgesamt deutlich zugenommen, so gilt dies im Konkreten auch für Institutionen, die der Geschichte und insbesondere der Zeitgeschichte gewidmet sind (Hütter 2012). So wird die Arbeit der Gedenkstätten zu beiden deutschen Diktaturen von geschichtskulturellen Bundesmuseen wie dem Haus der Geschichte in Bonn mit seinen Außenstellen (wie dem Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig), dem Deutschen Historischen Museum in Berlin, dem Jüdischen Museum Berlin oder dem Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden ergänzt. Die Unterschiede zwischen den bundesdeutschen Gedenkstätten sind neben ihrer Geschichte, Größe und historischen Bedeutung vor allem durch ihre Finanzierung und Trägerschaft bedingt. Die Finanzierung von Gedenkstätten wird neben staatlichen Zuwendungen des Bundes, der Länder und von Kommunen durch Einnahmen aus der Besucherbetreuung oder aus dem Verkauf von Publikationen sowie durch Spenden und Mitgliedsbeiträge ergänzt. Die beiden letzteren Posten fallen anteilig aber nur bei kleineren, bürgerschaftlich getragenen Einrichtungen deutlicher ins Gewicht. Die Erträge reiner Fördervereine sind - etwa im Vergleich zu den Zuwendungen an vergleichbare Einrichtungen in den USA - in der Regel eher spärlich. Auf Eintritte wird meist verzichtet und nur für Führungen oder vertiefende Bildungsangebote ein Entgelt erhoben. Trotz deutlicher Verbesserungen der finanziellen Ausstattung in den vergangenen Jahren - gerade im Bereich bundes- und landesgeförderter Einrichtungen - ist die Situation keineswegs so zufriedenstellend, dass alle Aufgaben von Gedenkstätten in der gebotenen Weise geleistet werden können. Deshalb kommen sie ohne projektbezogene Finanzierungen nicht aus. Zum einen betrifft dies teils sehr umfangreiche, mehrjährige Neugestaltungsprojekte, die mit erhebli- 5 5.1 176 p ra xIs chen Baumaßnahmen und neuen Dauerausstellungen verbunden sind. Staat, Land und Kommunen, teils auch Stiftungen ermöglichen die Durchführung dieser Projekte mittels temporärer Zuwendungen. Zum anderen müssen für wichtige Tätigkeiten im Bereich von Sammlung, Forschung und Bildung zusätzliche Mittel von staatlicher Seite, Stiftungen oder der Wissenschaftsförderung eingeworben werden. Meist ist im Nachgang zu diesen Maßnahmen die Frage der weiteren Beschäftigung des Projektpersonals ungeklärt und stellt gerade hinsichtlich der Sicherung neu aufgebauter Kompetenzen ein großes Problem der Personalplanung in Gedenkstätten dar. Hinsichtlich der Trägerschaft lassen sich in der Bundesrepublik drei Typen unterscheiden: Gedenkstätten in staatlicher, kommunaler und bürgerschaftlicher Trägerschaft; teilweise kommt es zu Mischformen. Zum ersten Typus der staatlichen Gedenkstätten gehören Einrichtungen wie die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora oder die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, aber auch die Stiftung „Topographie des Terrors“ oder die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz. Sie werden ausschließlich aus Bundes- und Landesmitteln in unterschiedlichen Größenverhältnissen finanziert. Nachdem für die frühen staatlichen Gedenkstätten der 1960er Jahre wie Dachau oder Neuengamme nur in bescheidenem Umfang Landesmittel eingesetzt wurden, intensivierten die meisten Bundesländer und der Bund ihr Engagement seit den 1990er Jahren. Bei den staatlich geförderten Einrichtungen sind in der Regel der Bund und das jeweilige Sitzland als Geldgeber beteiligt, in einzelnen Fällen - wie der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas - ist allein der Bund, in anderen allein das Land zuständig. Die Bundesförderung richtet sich nach den Kriterien der Bundesgedenkstättenkonzeption von 1999 und ihrer Fortschreibung von 2008. Die Einrichtungen werden demnach aufgrund ihrer besonderen staatlichen und nationalen Bedeutung finanziert. Sie verfügen über eine museale Infrastruktur, zahlreiche Mitarbeiter und haben einen hohen Anteil an Einzel- und Familienbesuchern, viele davon aus dem Ausland. KZ-Gedenkstätten sind häufig zugleich für frühere Außenlager oder andere Stätten der Verfolgung unmittelbar oder mittelbar zuständig. Die staatliche Finanzierung dieser Einrichtungen geht meist nicht mehr mit einer unmittelbaren Trägerschaft durch den Bund oder das Land einher: Seit den 1990er Jahren hat zunächst für die von Bund und Land geförderten Einrichtungen das Modell einer Stiftung öffentlichen Rechts immer weitere Verbreitung gefunden. Eine solche Stiftung wird per Gesetz gegründet. Organisatorisch besteht eine enge Verbindung zu den sachzuständigen Ministerien, aber sie ist nominell - insbesondere hinsichtlich ihrer fachlichen Ausrichtung - dem direkten Zugriff von Regierung und Parlament entzogen. Eine solche Stiftung verfügt über unabhängige Organe wie einen Vorstand und einen Direktor sowie fachli- 177 o rganIsatIon che und gesellschaftliche Beiräte, die nicht richtungspolitisch weisungsgebunden, sondern allein den gesetzlich festgelegten Zielen der Stiftung verpflichtet sind. Meist sind mit diesem Typus von Gedenkstätten auch verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure wie Überlebendenverbände, gemeinnützige Vereine oder engagierte Einzelpersonen verbunden. Nicht in allen Bundesländern gibt es solche Stiftungen - in Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz oder dem Saarland vor allem deshalb nicht, weil sich dort keine KZ-Gedenkstätten in anteiliger Bundesförderung befinden. In diesen Fällen übernehmen häufig weiterhin die Landeszentralen für politische Bildung eine koordinierende oder unterstützende Funktion. In Sachsen und Sachsen-Anhalt haben die Stiftungen einen besonderen Zuschnitt, weil sie jeweils für verschiedene Gedenkstätten zur NS-Verfolgung und zum SED-Regime verantwortlich sind. Insbesondere in Sachsen sind in den vergangenen Jahren immer wieder Konflikte entbrannt, weil der grundsätzliche Unterschied zwischen beiden Verbrechenskomplexen in Frage gestellt wurde. Einen zweiten Typus bilden Gedenkstätten, die allein oder maßgeblich von Kommunen finanziert und getragen werden. Vor allem in einigen nordrhein-westfälischen Städten wie Dortmund, Düsseldorf oder Köln ist dies der Fall, aber auch in Landkreisen wie Paderborn oder dem niedersächsischen Emsland. Teilweise bestehen solche Einrichtungen schon seit Jahrzehnten, basierend auf dem langjährigen Engagement von privaten Trägervereinen. Insgesamt hat das Engagement von Kommunen bis hin zur Gründung eigener Gedenkstätten, Dokumentationszentren oder Lernorten in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich zugenommen. Kirchen und Religionsgemeinschaften wie die Jüdischen Gemeinden sind zwar wichtige, aber meist nur symbolische Unterstützer von Gedenkstätten. Sie beteiligen sich nur in Ausnahmefällen - wie im Fall der KZ Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund in Schleswig-Holstein - direkt an ihrer Trägerschaft. Kommunal getragene Gedenkstätten spielen vor allem innerhalb der lokalen und regionalen Erinnerungskultur - trotz ihrer oft auch internationalen Ausrichtung - eine wichtige Rolle. Sie werden dabei oft wie kommunale Museen und als Teil von deren Organisationswesen behandelt. Es gibt einzelne Fälle der gemeinsamen Verantwortung von Staat, Kommune und bürgerschaftlichen Vereinen. So tragen in Stuttgart das Land Baden-Württemberg und die Stadt den 2018 im ehemaligen Gestapo-Sitz eröffneten Erinnerungsort Hotel Silber gemeinsam und kooperieren dabei eng mit einer lokalen Initiative, die sich für den Ausbau zu einem Dokumentations- und Lernzentrum eingesetzt hatte. Einen besonderen Status haben Gedenkstätten an Orten, die noch heute als Justizvollzugs- oder psychiatrische Anstalten genutzt werden. Dort ist - wie in der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel oder der „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg - die Zusammenarbeit mit den Trägern und Leitungen der jeweiligen Institutionen unverzichtbar. 178 p ra xIs Drittens gibt es eine große Zahl meist kleinerer Gedenkstätten, die sich in der Trägerschaft gemeinnütziger Vereine befinden. Viele gehen auf Gründungen von Bürgerinitiativen in den 1980er Jahren zurück. Aber auch in den folgenden Jahrzehnten sind zahlreiche nicht-staatliche Gedenkstätten entstanden. Ihre Besucher kommen zu einem großen Teil aus einem regionalen Einzugsbereich und angrenzenden Gebieten, es handelt sich mehr um Schulklassen oder andere Gruppenbesucher als um Einzelbesucher. Aufgrund von Projekt- oder quasi-institutionellen Förderungen der öffentlichen Hand (Land und Kommunen), die zum Teil schon über viele Jahre gewährt werden, sind vielerorts Mischformen der Finanzierung entstanden: Vereinsmittel aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden, Sachzuwendungen oder Stellenmittel aus kommunaler oder Landeshand sowie Drittmittel - Förderungen also, die zum Beispiel von kulturfördernden Stiftungen einmalig für bestimmte Projekte wie Ausstellungen oder größere Veranstaltungen ausgeschüttet werden. Akteure Abgesehen von wenigen und zumeist eher kleinen Gedenkstätten, die kaum über festes Personal verfügen, ist für die meisten anderen eine vollständige oder beträchtliche, ebenso dauerhafte wie projektbezogene Finanzierung aus staatlichen und kommunalen Mitteln unverzichtbar geworden. Damit ist die Frage der regierungs- und geschichtspolitischen Überparteilichkeit von Gedenkstätten und ihren Beschäftigten verbunden. Sie konzentriert sich besonders in der Frage der Besetzung, der Unabhängigkeit der Amtsführung und dem Aufgabenbereich von Direktoren oder Leitern von Gedenkstätten. Gerade bei den staatlichen Gedenkstätten werden diese Positionen meist nur befristet besetzt. Um die Unabhängigkeit von staatlichen und politischen Vorgaben, Interessen und Weisungen zu gewährleisten, kommt einer vielfältigen Organisationsstruktur große Bedeutung zu. Das Stiftungsmodell hat sich hier insgesamt als vorteilhaft erwiesen, aber vor allem ist eine ausgewiesene professionelle Expertise des Personals ebenso unabdingbar wie eine unabhängige wissenschaftliche Fachberatung und die aktive Einbindung eines breiten Spektrums bürgerschaftlicher Gruppen sowie von Überlebenden und ihren Organisationen. Überlebende Zu den wichtigsten Akteuren bei der Entstehung von Gedenkstätten gehören nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in Ländern wie Polen, Frankreich, Italien oder der DDR, wo sich frühzeitig der Staat beteiligte oder die Verantwortung übernahm, Überlebende - in Gruppen und Verbänden organisiert, zusammen mit ihren Familien oder als Einzelpersonen. Viele haben sich hier 5.2 179 a kteure bereits seit der unmittelbaren Nachkriegszeit engagiert. Sie wirkten später als Initiatoren, Ideengeber und Erinnerungslobbyisten, berichteten über ihre Erfahrungen, stellten Quellen zur Verfügung, vermittelten Kontakte, übernahmen Führungen und arbeiteten in Gremien mit. Gerade viele der NS-Gedenkstätten erwuchsen seit den 1970er Jahren aus der Zivilgesellschaft und wurden durch Trägervereine von Gedenkstätten oder Erinnerungsinitiativen ins Leben gerufen, an denen Überlebende beteiligt waren. Diese Kooperation und ein damit verbundenes Selbstverständnis prägen viele der lokalen Gedenkstätten gerade in der „alten“ Bundesrepublik bis heute. Oftmals bis ins hohe Alter hinein sind Überlebende in Gedenkstätten präsent. Vertretungen von Überlebenden der NS-Verbrechen entstanden bereits mit der Befreiung der Konzentrationslager. Auf alliierte Anordnung hin wurden in allen Besatzungszonen Ausschüsse für die „Opfer des Faschismus“ gegründet. Sie organisierten Gedenktage, Hilfsleistungen und unterstützten die Alliierten bei der Verfolgung von NS-Verbrechern. Gerade in den ersten Jahren verstanden sich viele Überlebende als politische Zeugen, verfassten Berichte über ihre Verfolgungserfahrung und sagten vor Gericht aus - nicht ohne eine wachsende Enttäuschung über das mangelnde Interesse der Öffentlichkeit und den fehlenden Respekt vor ihren Erfahrungen. Um vor allem ihre Entschädigungsansprüche vertreten zu können, organisierten sich in beiden Teilen Deutschlands viele Überlebende zunächst parteiübergreifend in der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN). In der DDR 1953 aufgelöst, besteht sie in der Bundesrepublik trotz einiger Verbote bis heute. Mit einer ausgeprägten Nähe zu antikapitalistischen und antimilitaristischen Positionen hat die zeitweise in enger Verbindung zur DDR stehende VVN über ihre Landesverbände und Ortsgruppen immer wieder den unhaltbaren Zustand an ehemaligen Tatorten skandalisiert und würdige Gedenkstätten gefordert. Zwei Ende der 1940er Jahre entstandene Abspaltungen von der VVN repräsentierten Verfolgte mit eher christdemokratischer Zuordnung (Bund der Verfolgten des Nationalsozialismus) und sozialdemokratischem Hintergrund (Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten). Auf nationaler wie internationaler Ebene findet sich eine große Zahl an Verbänden und verschiedenen Dachorganisationen, die teils nach Verfolgtengruppen, teils nach den Verfolgungsorten oder nach beidem gegliedert sind. Internationale Vereinigungen gehen - wie das Comité International de Dachau oder das Internationale Lagerkomitee Buchenwald - vielfach auf die Befreiung der Konzentrationslager oder sogar auf die Lagerzeit selbst zurück. Andere - wie die Amicale Internationale KZ Neuengamme oder das Internationale Ravensbrück-Komitee - entstanden in den späten 1950er und 1960er Jahren. Mit der politischen Neuordnung Osteuropas nach 1990 bildeten sich eine Reihe weiterer Verbände und Gruppierungen, die bis dahin ihre Interessen nicht gesondert artikulieren 180 p ra xIs durften. Als internationaler Dachverband besteht seit 1951 die Fédération Internationale des Résistantes. Ihr Name spiegelt das frühe Bewusstsein vieler Überlebender als politische Widerstandskämpfer wider, das gegenüber der Erinnerung an den Holocaust zunächst deutlich im Vordergrund stand. 1952 wurde das Internationale Auschwitz-Komitee gegründet. Wie die anderen Verbände setzte es sich intensiv für die Entschädigung von Überlebenden und für die Verfolgung von NS-Tätern ein. Die in New York ansässige Jewish Claims Conference ist zwar keine Überlebendenorganisation im engeren Sinne, vertritt aber seit 1951 die Wiedergutmachungsforderungen der jüdischen Holocaust-Überlebenden gegenüber der Bundesrepublik. Alle Organisationen, die von Überlebenden der NS-Verbrechen gegründet wurden oder für sie arbeiten, sehen sich seit geraumer Zeit mit der Frage konfrontiert, wie es nach dem Ableben der Zeitzeugen mit ihnen weitergeht. Vielfach haben Angehörige der zweiten oder dritten Generation die Verantwortung übernommen, aber weder liegt in dieser Option eine Gewähr für das dauerhafte Bestehen der Verbände, noch ist es einhellige Meinung, dass diesen Vertretungen eine vergleichbare moralische Autorität wie den Überlebenden zukommt. Für den Bereich des SED-Regimes fungiert die 1992 gegründete Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft als Dachverband von etwa vierzig Vereinigungen, die ehemalige politische Gefängnisinsassen, Speziallagerhäftlinge und Opfer anderer Zwangsmaßnahmen und Repressalien vertreten. Die Union repräsentiert zugleich Deutschland in der Internationalen Assoziation ehemaliger politischer Gefangener und Opfer des Kommunismus. Ein Hauptanliegen der Verbände ist die Anerkennung der individuellen politischen Verfolgung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zwischen 1945 und 1990 sowie die Durchsetzung entsprechender Entschädigungsleistungen. Auf die Entwicklung von Gedenkstätten zur SBZ / DDR haben Opferverbände und ehemalige Bürgerrechtler einen starken geschichtspolitischen Einfluss genommen und tun dies nach wie vor, allerdings ging der Institutionalisierung von Gedenkstätten keine längere Phase bürgerschaftlichen Engagements voraus; bereits zeitnah zum Ende der DDR griffen staatliche Fördermaßnahmen und Trägerschaften. So geht die Gedenkstätte Bautzen auf entsprechende Forderungen ehemaliger Gefangener zurück, sie ist aber seit ihrer Gründung 1992 eine Institution des Landes Sachsen (Thomas 2013). In einigen Fällen erwuchsen Gründungen von Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer des SED-Regimes unmittelbar aus dem Engagement von Bürgerrechtlern oder dem Bemühen um eine Sicherung von Beweisen des Unrechtssystems 1989 / 90 - so im Fall der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ in Leipzig oder der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau. Opfer des SED-Regimes bilden den Kern des erst 2007 gegründeten Vereins, der das Menschenrechtszentrum Cottbus trägt. Er konnte 2011 das ehemalige Zuchthaus Cottbus mit staatlicher Unterstützung erwerben, 181 a kteure ist aber für einen nennenswerten Teil der laufenden Finanzierung und für die inhaltliche Arbeit selbst verantwortlich. Mitarbeiter und Zivilgesellschaft Die Organisationskultur vieler NS-Gedenkstätten in der Bundesrepublik wird bis heute von den gesellschaftspolitisch engagierten Angehörigen der „Generation Aufarbeitung“ (Knigge 2010) geprägt, deren berufliche und Lebensgeschichte eng mit der Nachgeschichte des Nationalsozialismus verbunden ist. Viele wurden durch Begegnungen mit Überlebenden nachhaltig geprägt und motiviert. Auslöser ihres Engagements war nicht selten die Entdeckung eines lokalen Ortes der NS-Verfolgung, verbunden mit der Empörung über das gesellschaftliche Schweigen und dem Ziel, die konkrete Geschichte der Verfolgung durch Protest, Information und Bildung öffentlich zu machen. Zugleich verdichteten sich für viele an diesen Orten grundsätzliche politische Fragen über die Ordnung der Gesellschaft. „Gesiegt haben letztlich“, so hat Wulff E. Brebeck, ein Protagonist der frühen Gedenkstättenbewegung, resümiert, „die Orte (…), das große Weltbild und die gesellschaftlichen Systemfragen zerbröselten“ (zit. n. Behrens / Ciupke / Reichling 2013: 8). Die Arbeitsbedingungen der ersten hauptamtlichen Mitarbeiter waren gerade in der Anfangsphase der NS-Gedenkstätten und in vielen kleineren Einrichtungen mit nur ein oder zwei Beschäftigten durch viel Improvisation, Mangel und überlange Arbeitszeiten geprägt. Vergleichbare Einrichtungen gab es im Kulturbereich nicht. Vielerorts mussten die wenigen Hauptamtlichen als „Einzelkämpfer“ ein breites Spektrum unterschiedlicher Aufgaben wahrnehmen. Ein Berufsbild, ein klares Rollenmodell oder gar eine Ausbildung existierten nicht. Durchaus produktive Mischformen wie freigestellte Lehrkräfte, Gedenkstättenpastoren oder Beauftragte von Jugendverbänden machen Gedenkstätten hinsichtlich der Zuständigkeiten und Hierarchien komplex. Vieles davon gilt noch heute. Zugleich ist eine neue Generation von Gedenkstättenmitarbeitern herangewachsen, die über andere Prägungen und Qualifikationen verfügen: Viele haben bereits während ihrer wissenschaftlichen Ausbildung praktische Erfahrungen in Gedenkstätten gesammelt. Sie profitieren von den auf hohem Niveau geführten Debatten über die fachliche, pädagogische und konzeptionelle Ausrichtung von Gedenkstätten, einer breit gefächerten historischen Forschung zur Geschichte und Nachgeschichte der NS-Verbrechensorte und von einem gewachsenen Interesse in der Geschichtsdidaktik, den Memory Studies oder vom neuen akademischen Feld der Public History. Zudem gibt es erste Fortbildungen für Gedenkstättenmitarbeiter wie das Projekt „Verunsichernde Orte“ des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt oder Qualifizierungsangebote von Gedenkstättenstiftungen für Volontäre. 182 p ra xIs Das Tätigkeitsprofil gerade in den größeren Gedenkstätten hat sich erweitert und differenziert: Es gibt Forschungs- und pädagogische Abteilungen, Zuständige für Öffentlichkeitsarbeit, Publikationen und vermehrt auch für digitale Medien sowie eine Verwaltung, deren Aufgaben von den Finanzen über das Personal bis zu Baumaßnahmen reichen. Weiterhin ist jedoch für Gedenkstätten charakteristisch, dass bei einem zwar wachsenden Anteil von dauerhaft Beschäftigten immer noch viele Aufgaben durch Honorarkräfte, befristete Angestellte und ehrenamtliche Mitarbeiter abgedeckt werden. Dies gilt vor allem für Führungen, Ausstellungsprojekte und Neugestaltungen oder die Betreuung von Gästen. Das Angebot von Gedenkstätten wird wiederum durch - oft langjährig etablierte - eigenständige Veranstaltungen aus der Zivilgesellschaft und von Bildungsträgern erweitert, die nicht in der Hoheit der Gedenkstätte liegen. Lange zurückreichende Kooperationen bestehen hier mit Volkshochschulen, Gewerkschaften, Kirchen und deren Bildungseinrichtungen. Eigenständig oder in anderer Trägerschaft erweitern Jugendbegegnungsstätten das Bildungsangebot. Hinzu kommen - besonders an touristisch affinen Orten wie Dachau oder Sachsenhausen - kommerzielle Anbieter, die Besuche in Gedenkstätten kostenpflichtig durchführen. Einen wesentlichen Anteil der erforderlichen Arbeiten in vielen Gedenkstätten in gemeinnütziger Trägerschaft erbringen nach wie vor Ehrenamtliche, ohne dafür eine materielle Entschädigung zu erhalten. Bereits seit den 1980er Jahren waren NS-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Teil von Netzwerken, in denen sich zunächst vor allem nicht-staatliche Akteure engagiert haben. Dem eher staats- und gesellschaftskritischen Charakter dieser Gruppierungen, die vergangenheitspolitische Versäumnisse und ein Demokratiedefizit beklagten, entsprach die Herkunft der Hauptakteure für den Aufbau und die Entwicklung der NS-Gedenkstätten in der Bundesrepublik: engagierte Bürger, die vielfach durch die Erfahrungen der Protestbewegungen der 1960er und 1970er Jahre und den damit verbundenen gesellschaftskritischen Aufbruch motiviert worden waren (Sturm 2012; Behrens / Ciupke / Reichling 2013; Schwanzar 2015). Je stärker Musealisierung und Professionalisierung in den vergangenen Jahren Einzug in Gedenkstätten gehalten haben, desto größer sind die Anforderungen an eine aktive Mitarbeit von Ehrenamtlichen geworden. Eine größere finanzielle Sicherheit von Gedenkstätten durch die Selbstverpflichtung der öffentlichen Hand, die Trägerschaft von Gedenkstätten und ihre Finanzierung zu übernehmen, geht meist mit einem Bedeutungsverlust bürgerschaftlicher Träger einher. Gerade für die inhaltliche Unabhängigkeit der Gedenkstättenarbeit von staatlichen oder politischen Weisungen ist aber das zivilgesellschaftliche Engagement unverzichtbar. Doch lange Zeit aktive Vorstandsmitglieder werden älter, ehrenamtlicher Nachwuchs für eine längerfristige Vereinsarbeit lässt sich immer schwieriger finden. Für nicht wenige Vereine stellen sich damit existenzielle Fra- 183 a kteure gen: Wer soll zukünftig die Verantwortung für die Gedenkstätte tragen - sowohl personell als auch institutionell und finanziell? Was geschieht mit den über viele Jahre hinweg aufgebauten Sammlungen? Wie kann eine Weitergabe des akkumulierten Wissens erfolgen, das in aller Regel nicht schriftlich festgehalten ist? Erforderlich ist eine zukunftssichere, professionelle Verstetigung dieser Institutionen, insbesondere von Personalstellen und Sammlungen. Neben der Möglichkeit, sich ehrenamtlich zu engagieren, um diesen Übergang mitzugestalten, gibt es immer wieder Projekte zur Digitalisierung, Erschließung und Publizierung von Sammlungsbeständen, für die Mitarbeiter gesucht werden. Staat und Politik Auch wegen ihres pädagogischen Ansatzes erfuhren NS-Gedenkstätten in der Bundesrepublik bereits früh die Unterstützung einzelner staatlicher Stellen - unter anderem durch Landeszentralen und die Bundeszentrale für politische Bildung. Auf kommunaler Ebene gelang es vielen Initiativen, durch ihre Aktivitäten, die sich gegen starken Widerstand oder langjährige Ignoranz auf konkrete Orte der NS-Verbrechen richteten, allmählich politische Vertreter oder zumindest einzelne Ratsfraktionen zu gewinnen; in einigen Fällen konnten Landtagsabgeordnete und deren Fraktionen davon überzeugt werden, die alternative Erinnerungsarbeit zu unterstützen. Ein stärkeres Engagement von Staat und Kommunen ließ allerdings bis in die 1990er und 2000er Jahre auf sich warten. Im staatlichen Bereich sind auf der Bundesebene mehrere Institutionen für die Gedenkstättenarbeit von besonderer Bedeutung: Neben der Bundeszentrale für politische Bildung, in der es seit den frühen 1980er Jahren einen kleinen Arbeitsbereich zu Gedenkstätten gab, entstanden die derzeit größten Institutionen in den Jahren um 2000: 1998 wurde im neu geschaffenen Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) ein Referat für Gedenkstätten der NS-Zeit und der SED-Diktatur eingerichtet, das insbesondere für die im Rahmen der Gedenkstättenkonzeption des Bundes bereitgestellten institutionellen und projektbezogenen Fördermittel für national bedeutsame Gedenkstätten zuständig ist. Zwar sind unter den Beamten der zuständigen Ministerien auch Historiker, aber aufgrund anderer Qualifizierungswege sind die Aussichten gering, als Fachwissenschaftler mit einem Interesse für Gedenkstätten in diesem Bereich tätig werden zu können. Dem BKM direkt unterstellt ist die faktisch seit 1990 bestehende, 1992 formell geschaffene BStU, die Aktenbestände des Staatssicherheitsdienstes der DDR für personenbezogene Anfragen und für Forschungszwecke verwaltet und archiviert. Im selben Jahr wie das BKM wurde die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gegründet. Sie hat in den ersten zwanzig Jahren ihres Bestehens mehr als 3000 Projekte gefördert und dient insbesondere der Durchfüh- 184 p ra xIs rung dezentraler, zivilgesellschaftlich verantworteter Maßnahmen, um an die verbrecherische Seite der DDR zu erinnern. Zudem verantwortet sie eigene thematische Schwerpunkte und ist für ein umfangreiches Forschungsprogramm zur Geschichte des Kommunismus verantwortlich. Vertreter der NS-Gedenkstätten weisen seit längerer Zeit daraufhin, dass eine vergleichbare Organisation wie die Bundesstiftung für ihren Bereich fehlt. Zwei Institutionen sind jedoch auf Bundesebene mit wesentlichen Themenbereichen der NS-Verbrechen befasst. Zur Errichtung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas wurde im Jahr 2000 eine bundesunmittelbare Stiftung gleichen Namens gegründet. Durch die Verantwortung für den „Ort der Information“ unterhalb des Denkmals, eigene Bildungsangebote und die Zuständigkeit für weitere Denkmale ist die Stiftung zu einer zentralen Instanz der Geschichtspolitik geworden. Im selben Jahr wurde im Zusammenhang mit der Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ (EVZ) gegründet. Nach dem Auslaufen der Entschädigungszahlungen liegt die Hauptaufgabe der EVZ in der Förderung internationaler Begegnungs- und Bildungsprojekte, die der Auseinandersetzung mit der NS-Verfolgung dienen. Im Zuge der Etablierung von Gedenkstätten haben die Kontakte in den politischen Raum deutlich zugenommen. Dies betrifft vor allem drei Ebenen: Erstens sind Abgeordnete sowie Bürgermeister, Landräte oder Minister von Kommunen, Land und Bund nicht nur wichtige Ansprechpartner, sondern auch selbst wichtige Akteure, indem sie über Finanzen entscheiden, über Organisationsformen mitbestimmen sowie bei Veranstaltungen mitwirken. Zweitens haben vor allem für die vom Bund beziehungsweise den Ländern regelmäßig geförderten Einrichtungen die Kontakte zu den Ministerialverwaltungen zugenommen, die teilweise eigene Referate für Erinnerungskultur eingerichtet haben; auf kommunaler Ebene gilt dies für die meisten Gedenkstätten mit Blick auf die entsprechenden Behörden. Hierbei geht es um zuwendungsrechtliche und Verfahrensfragen, um finanzielle Bedarfe und Handlungsspielräume der Gedenkstätten. Eine dritte Ebene bilden die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Beratungsgremien von Gedenkstätten und Stiftungen. In Fachgremien sind Wissenschaftler, Museums- und Bildungsexperten ein wichtiges Scharnier in die Politik und die Öffentlichkeit hinein. Werden durch zusätzliche Beiräte die Zivilgesellschaft, die Überlebendenverbände und das Netzwerk an Kooperationspartnern abgebildet, sind auch sie politisch relevante Gesprächspartner und Multiplikatoren für die Belange von Gedenkstätten. Insbesondere für Gedenkstättenleiter stellt die Komplexität der politisch relevanten Akteure eine dauernde Herausforderung dar, die nach außen ein hohes Maß an Kontaktpflege, Überzeugungsarbeit und Beharrungsvermögen verlangt, nach innen mit einer nicht immer konfliktfreien Vermittlung und Aushandlung der vielen Auflagen und Erwartungen einhergeht. 185 v ernetzung Vernetzung Bereits in den Anfängen der zivilgesellschaftlichen Gedenkstättenarbeit in der Bundesrepublik in den 1980er Jahren war die selbstorganisierte Vernetzung ein wichtiges Element des fachlichen Austauschs und zur Herstellung von geschichtspolitischer Sichtbarkeit. Wegweisend war eine hauptamtliche Koordinationsstelle für Gedenkstättenarbeit bei der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e. V. ab 1983, die zehn Jahre später von der Topographie des Terrors übernommen wurde und seither in Gestalt von Thomas Lutz als Gedenkstättenreferat firmiert. Bereits im Mai 2001 erschien die 100. Ausgabe des „Gedenkstättenrundbriefs“, einer Fachzeitschrift mit inzwischen mehr als 200 Ausgaben, die seit vielen Jahren einen breiten Überblick zu neuen Ausstellungen und Gedenkstätten, Grundlagenthemen und historischen Fragen bietet. Das Gedenkstättenreferat ist durch die Organisation von Tagungen und Workshops sowie durch Information, Beratung und nationale wie internationale Vertretungsaufgaben unverzichtbar für den wissenschaftlichen und geschichtspolitischen Austausch unter den Gedenkstätten. Bundesweite Gedenkstättenseminare, die vom Gedenkstättenreferat in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung und mit lokalen Gedenkstätten oder Erinnerungsinstitutionen seit Jahrzehnten kontinuierlich ausgerichtet werden, bieten ein unverzichtbares Forum des Austauschs zwischen hauptamtlichen Gedenkstättenmitarbeitern, Vertretern von Erinnerungsinitiativen, professionellen Historikern, ehrenamtlich Forschenden und Pädagogen aus Schulen, Gedenkstätten und anderen Einrichtungen der historisch-politischen Bildungsarbeit. Sie stehen nach Anmeldung allen Interessierten offen und bieten damit auch Studierenden die Möglichkeit, dort erste Kontakte zu knüpfen. Auf Landesebene finden sich zahlreiche entsprechende Seminare, die von Gedenkstättenstiftungen, Interessengemeinschaften oder den Landeszentralen für politische Bildung veranstaltet werden. Mit einer vergleichbaren Zielsetzung und einem strukturell ähnlichen Teilnehmerkreis organisiert für den Bereich der Erinnerung an den europäischen Kommunismus die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur federführend jährlich unter anderem das Ost-West-Europäische Gedenkstättentreffen. Seit den 1990er Jahren haben sich verschiedene Interessenvertretungen von NS-Gedenkstätten gebildet. Nicht nur zur fachlichen Vernetzung, sondern gerade hinsichtlich der öffentlichen Finanzierung von Gedenkstätten und in geschichtspolitischen Auseinandersetzungen spielen sie eine wichtige Rolle. Zunächst schlossen sich die von Bund und Land geförderten Einrichtungen in der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland zusammen. Nachfolgend entstanden mehrere Zusammenschlüsse auf Landesebene, so der Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten in NRW e. V., die Interessengemeinschaft 5.3 186 p ra xIs niedersächsischer Gedenkstätten und Initiativen zur Erinnerung an die NS-Verbrechen und die Landesarbeitsgemeinschaften von Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Seit kurzer Zeit kooperieren diese Verbände auch auf der Bundesebene stärker miteinander. Eine Gesamtorganisation, wie sie im Museumsbereich existiert, gibt es bislang nicht. Zudem bestehen mehrere thematische Netzwerke, die sich mit Archiven, Bibliotheken oder gedenkstättenpädagogischen Fragen befassen, sowie Arbeitsgemeinschaften zu einzelnen Verfolgtengruppen. So geht der Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation auf Forschungstreffen zurück, die seit 1983 durchgeführt werden. Neben den Gedenkstätten sind darin auch zahlreiche interessierte Einzelpersonen unterschiedlicher Disziplinen vertreten. Die dezentrale, multithematische und zivilgesellschaftliche Prägung der NS-Gedenkstätten bildet sich in ihrer Vernetzungspolitik weiterhin deutlich ab. International verfügen die meisten Gedenkstätten zur Erinnerung an die NS-Verbrechen über intensive Kontakte - nicht nur zu Überlebenden und ihren Familien, sondern auch im Rahmen von Staatsbesuchen, Anfragen oder internationalen Jugendbegegnungen von Kommunen, Schulen, Kirchen oder anderen Trägern sowie im Austausch mit anderen Gedenkstätten. In den größeren KZ-Gedenkstätten nimmt die Pflege dieser Beziehungen einen wesentlichen Raum ein, weil die Mehrzahl der Häftlinge aus dem besetzten europäischen Ausland stammte. Während Besuche aus west- und nordeuropäischen Ländern auf die 1950er Jahre zurückgehen, konnten die Kontakte nach Osteuropa erst seit 1990 deutlich ausgebaut werden. Vielen Überlebenden aus diesen Ländern war es vorher nicht möglich, an die Orte ihrer früheren Verfolgung zu reisen. Neben Einzelbesuchen übernehmen viele national organisierte Überlebendenverbände hierbei eine wichtige Funktion, indem sie zum Beispiel Aufenthalte im Rahmen von Gedenkfeiern organisieren. In Verbindung mit den jeweiligen Themenschwerpunkten gibt es vielfältige inter- und multinationale Kooperationen zwischen NS-Gedenkstätten. Eine gemeinsame internationale Organisation existiert jedoch nicht. Allerdings bestehen zwei wichtige fachliche Netzwerke: 2003 wurde das International Comittee of Memorial Museums in Remembrance of the Victims of Public Crimes (ICMEMO) gegründet, das Internationale Komitee für Gedenkstätten für Opfer staatlicher Gewaltherrschaft. Es ist eine Untergliederung des International Council of Museums (ICOM), der in verschiedenen Arbeitsbereichen die Fachvertreter von Museen organisiert. Dem ICMEMO gehören weltweit mehrere Leitungskräfte und Mitarbeiter von Gedenkstätten staatlicher Massengewaltverbrechen an. Bildet sich darin ab, dass geschichtspolitische Fragen auf globaler Ebene auch in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnen, so kann das 187 a ufgaB en ICMEMO doch keine internationale Interessenvertretung der NS-Gedenkstätten ersetzen. Mit der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) besteht seit 1998 eine zwischenstaatliche Organisation mit inzwischen mehr als 30 Mitgliedsstaaten, die der Erforschung, Vermittlung und Erinnerung des Holocaust gewidmet ist. Im Rahmen von Drittmittelförderungen sind in den vergangenen Jahren zudem eine Reihe von meist temporären Forschungs- und Projektverbünden entstanden, in denen mehrere Gedenkstätten untereinander, aber auch mit Gedenkmuseen, Bibliotheken, Forschungseinrichtungen und Archiven zusammenarbeiten. So hat es sich das EU-geförderte Netzwerk European Holocaust Research Infrastructure (EHRI) seit 2010 zur Aufgabe gemacht, neben der Verbesserung der Kooperation von Holocaust-Forschern die Zugänglichkeit von Quellen zu verbessern, die sich vor allem in schwer erreichbaren und schlecht erschlossenen Archiven und Sammlungen befinden. Dazu wurde ein Online-Portal entwickelt, an dem sich bis 2019 fast 2200 Einrichtungen mit mehr als 340.000 Einträgen beteiligt haben. Da zahlreiche wichtige Träger der Holocaust-Erinnerung für EHRI verantwortlich sind, ist eine Verstetigung zu erwarten. Das EHRI-Portal eröffnet Studierenden zum Beispiel die Möglichkeit, für wissenschaftliche Arbeiten und Studienprojekte nach Beständen einzelner Gedenkstätten oder ortsübergreifend zu bestimmten Themen zu recherchieren. Aufgaben „Wahrheit“, „Heilung“, „Bildung“: Unter diesen Begriffen lassen sich die Aufgaben von Gedenkstätten und Gedenkmuseen in globaler Perspektive zusammenfassen (Sodaro 2018). „Wahrheit“ umfasst die Sicherung und Erschließung von Sachzeugnissen und anderen Quellen sowie deren Erforschung, um eine gesicherte Wissensbasis über die Gewaltverbrechen zu erlangen. „Heilung“ verweist auf den Bereich der Trauer, des Gedenkens und der Aussöhnung, dem gerade in Postkonfliktgesellschaften eine besondere gesellschaftspolitische Bedeutung zukommt. „Bildung“ meint das Mandat, das vergangene Geschehen in Lernprozesse einzubringen, die das reflexive Vermögen und moralische Fundament einer sich ihrer Gewaltgeschichte bewussten Gesellschaft festigen. Um diesen Bereichen gerecht zu werden, nehmen Gedenkstätten viele Aufgaben wahr, die in ähnlicher Weise auch in Museen anfallen, vor allem das Sammeln, Ausstellen und Vermitteln auf der Basis der historischen Überlieferung. Doch ergibt sich das Gesamtprofil einer Gedenkstätte durch spezifische Tätigkeiten, von denen einige im Folgenden skizziert werden. Hat sich einerseits eine starke Differenzierung von Aufgabenfeldern besonders in größeren Gedenkstätten ergeben, die mit speziellen Kenntnissen und Qualifikationen verbunden ist, 5.4 188 p ra xIs so bestehen zwischen den verschiedenen Bereichen enge Beziehungen und Wechselverhältnisse, die im Kern immer die Frage berühren, wie mit dem Vermächtnis der Opfer und der Erinnerung an sie adäquat umgegangen wird. In der alltäglichen Praxis geht die Spezialisierung von Aufgaben zugleich mit der Notwendigkeit einher, sie in engen Abstimmungsprozessen zu integrieren und aufeinander abzustimmen. Trauern und Gedenken Gedenkveranstaltungen Gedenkstätten sind Orte, an denen Menschen mit individuellen traumatischen Erfahrungen, aber auch mit gruppenbezogenen und kulturellen Traumatisierungen zusammenkommen. Deshalb müssen Symbole und Praktiken sowie das vermittelte Wissen die mit den Betroffenen präsenten Verletzungen aufnehmen und ihnen einen angemessenen Raum geben, um trauern und gedenken zu können. Besonders relevant ist dies für die wiederkehrenden öffentlichen Gedenkfeiern, die Gedenkstätten meist in Verbindung mit zentralen historischen Ereignissen wie der Befreiung ausrichten. Daneben verantworten Überlebendenverbände und andere Gruppen in Abstimmung mit den Gedenkstätten eigene Gedenkfeiern, die entweder regelmäßig, einmalig oder als Teil von Besuchen und Projekten stattfinden. Gedenkakte unterschiedlicher Größe spielen somit eine wichtige Rolle in der alltäglichen Arbeit von Gedenkstätten. Nachdem in den wenigen frühen Gedenkstätten in der Bundesrepublik bis in die 1980er Jahre Gedenkveranstaltungen nur eine begrenzte, meist lokale Aufmerksamkeit erfahren hatten, hat sich dies seit 1985 geändert. Mit der Einladung prominenter nationaler und internationaler Staatsvertreter und einer größeren Zahl von Überlebenden haben insbesondere Gedenkveranstaltungen der größeren KZ-Gedenkstätten ein beträchtliches Medienecho gefunden, zumal zu Anlässen wie dem 50. oder 60. Jahrestag der Befreiung. Sie dienen damit auch der öffentlichen Legitimation von Gedenkstätten. Obwohl sie viele Elemente früherer Pilgerfahrten der Überlebenden an ihre Verfolgungsorte beinhalten, haben sich Gedenkveranstaltungen zu einer regelmäßigen Institution des öffentlichen Erinnerns entwickelt, mit der die ausrichtenden kollektiven Gedächtnisträger sich und anderen die Erinnerungsfähigkeit und Lernbereitschaft von Staat und Gesellschaft demonstrieren. Gerade große Gedenkveranstaltungen sind mit einem hohen organisatorischen Aufwand verbunden: Die Finanzierung muss gewährleistet werden, wobei die Planungen oft bereits beginnen müssen, bevor entschieden ist, wie viel Geld zur Verfügung steht. Die Einladung von Überlebenden und ihrer Angehörigen aus vielen Ländern der Welt muss gut koordiniert und ausgewogen sein, damit 5.4.1 189 t rauern unD g eDenken die verschiedenen Häftlingsgruppen hinreichend repräsentiert sind. Das Programm und die Festlegung der Redner bedürfen langfristiger Planung und vielfältiger Abstimmungen, wobei neben den Worten von Überlebenden die Beiträge von Vertretern aus Staat, Politik und öffentlichem Leben einen wichtigen Raum einnehmen. Die Betreuung der Eingeladenen ist besonders anspruchsvoll, weil nicht nur individuelle Wünsche und Gesprächsbedürfnisse, sondern auch das Alter und der Gesundheitszustand zu berücksichtigen sind. Zudem reisen inzwischen oft gleich mehrere Generationen an, was mit eigenen familiären Erinnerungsdynamiken verbunden ist. Reden müssen verfasst und Entwürfe oder Themen zwischen den Beteiligten abgestimmt werden. Für rituelle Gedenkhandlungen wie die Niederlegung von Kränzen oder das Sprechen von Gebeten sind ebenso wie für die Sitzordnungen oder die Reihenfolge sowie Länge von Ansprachen unter anderem religiöse und protokollarische Regeln mit gewachsenen Praktiken und Erwartungen von Überlebenden in Einklang zu bringen. Um dem Vorwurf der Ritualisierung zu begegnen, werden zunehmend kreative Formen und Beiträge von Jugendlichen in das Programm aufgenommen. Medien und Journalisten sind - nicht zuletzt auch durch den Hinweis auf besondere Redner, Gäste oder Maßnahmen - zu gewinnen und zu informieren. Zahlreiche Gäste müssen versorgt werden, was in der Regel über die vorhandene Infrastruktur einer Gedenkstätten-Cafeteria hinausgeht, so es diese gibt. Alle Beschäftigten einer Gedenkstätte sind zusammen mit vielen ehrenamtlichen Helfern und Honorarkräften über einen längeren Zeitraum eingebunden und dabei auch gefordert, flexibel Aufgaben zu übernehmen, die nicht in ihrem Arbeitsvertrag stehen oder vereinbart sind. Schicksalsklärung Gedenkstätten erinnern an Menschen, die an Orten staatlich verantworteter und gesellschaftlich mitgetragener Gewalt gelitten haben. Lebens- und Leidensgeschichten von Opfern werden dort dokumentiert, erforscht und didaktisch aufbereitet. An solchen Orten extremer Kollektivgewalt kommt der Klärung von Schicksalen angesichts zahlreicher nicht identifizierter Opfer und anonymer Grablagen eine grundlegende Bedeutung zu. Die Verantwortlichen für die Verbrechen haben vielfach wichtige Dokumente zerstört, aus denen sich die Namen der Verfolgten hätten erschließen lassen, oder diese sind nicht adäquat zugänglich. In vielen Fällen von Verschleppungen, Massenerschießungen und genozidaler Gewalt wurde nicht registriert, wer ermordet wurde. Überlebende begannen bereits während des Holocaust, die Namen der Ermordeten festzuhalten, entsprechende Dokumente zu sammeln und nach Vermissten mit Unterstützung der Alliierten zu suchen (Borggräfe / Höschler / Panek 2020). 190 p ra xIs Gedenkstätten sind daher oft auf die mühselige Erschließung sekundärer Überlieferungen angewiesen - auf demographische Daten und personenbezogene Angaben, Transportlisten, Nachkriegsdokumente zum Verbleib von Überlebenden, Prozessakten, die Überlieferung von Überlebendenverbänden, Zeitzeugenaussagen und Schriftwechsel mit ehemaligen Verfolgten. Ein gravierendes Problem jeder historischen Rekonstruktion des Tatgeschehens ist nicht nur die Ermittlung der einzelnen Namen von Verfolgten und Ermordeten, sondern die darauf beruhende Bestimmung von Gesamtzahlen und Zahlenangaben zu bestimmten Zeitpunkten - zumal es sich hier um ein geschichtspolitisch immer wieder umstrittenes Thema handelt. Nachdem zum Beispiel der Zugang zu den immensen personen- und ortsbezogenen Beständen des International Tracing Service (Internationaler Suchdienst) in Bad Arolsen lange Zeit kaum möglich war, sind dessen Archivbestände in den vergangenen Jahren auch Forschungszwecken und Gedenkinstitutionen zugänglich gemacht worden. Das spiegelt sich in dem 2019 eingeführten neuen Namen wider: Arolsen Archives - International Center on Nazi Persecution. Eine mit der Schicksalsklärung eng verbundene humanitäre Kernaufgabe von Gedenkstätten besteht in ihrem Kontakt zu Überlebenden und deren Angehörigen sowie zu Familien von Verfolgten und Ermordeten. Teilweise kann dies materielle Hilfen für Überlebende bedeuten, deren Lebensgrundlage oder Gesundheitsversorgung nicht gesichert ist. Doch stoßen Gedenkstätten hier in der Regel an die Grenzen des ihnen Möglichen. Mittelbar können solche Hilfen durch die Unterstützung von Überlebendenverbänden geleistet werden, aber auch sie können aufgrund unzureichender Entschädigungsregelungen entstandene Versorgungsdefizite nicht decken. Vor allem bieten Gedenkstätten den Überlebenden und Angehörigen idealerweise einen geschützten Raum der Trauer und des Gedenkens, aber auch der Anerkennung - gerade in Ländern und Gesellschaften, wo diese umstritten ist, und besonders dort, wo die Verbrechen noch nicht so lange zurückliegen wie diejenigen des Nationalsozialismus. Nicht wenige Gedenkstätten haben gerade bei NS-Opfergruppen, die um ihre Anerkennung lange kämpfen mussten, eine wichtige Rolle im Rahmen von Entschädigungsforderungen gespielt - häufig in enger Zusammenarbeit mit Organisationen wie dem Bundesverband für Information und Beratung für NS-Verfolgte e. V. oder der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e. V. Vermehrt sind im Bereich der NS-Gedenkstätten in den vergangenen Jahren Kontakte zu Angehörigen der zweiten und dritten Generation entstanden, die nach Informationen über das Schicksal ihrer Verwandten suchen. Dies ist zum Beispiel für die Kinder und Enkel von sowjetischen Kriegsgefangenen der Fall, deren Verbleib und Tod in Deutschland in der Sowjetunion verschwiegen wurde, oder für Familien, von denen einzelne oder mehrere Mitglieder im Rahmen der „Euthanasie“-Aktionen ermordet wurden. Ob individuelles Erzählen 191 B eWahren unD s a mmeln oder das Sprechen vor Ort in familiären Zusammenhängen - die Rückkehr an oder die Begegnung mit dem Ort des Leidens und Verlustes, der oft auch das Schicksal engster Familienangehöriger, Freunde und Nachbarn betrifft, ist mit massiven seelischen Belastungen verbunden und kann akut zu starken Emotionen bis hin zu Zusammenbrüchen führen. Dies verlangt eine besonders enge, manchmal auch psychologische und medizinische Betreuung und damit eine große Umsicht aller Beschäftigten und Verantwortlichen von Gedenkstätten. Nicht wenige Überlebende kehren dennoch regelmäßig an die Orte ihrer Verfolgung zurück. Der Kontakt zu Überlebenden und Angehörigen ist aus vielen Gründen zeitintensiv und psychologisch herausfordernd; er verlangt von den Mitarbeitern neben Zuwendung, Offenheit und Sachkenntnis auch die Fähigkeit, das eigene Selbst vor den bedrückenden Schilderungen zu schützen und dennoch empathisch zuhören zu können. Viele Begegnungen können mit besonderen Erfahrungen persönlicher Nähe und einem engen Vertrauensverhältnis verbunden sein, die als Bereicherung und Motivation empfunden werden. Sie gehen oftmals mit der Erwartung an Gedenkstättenmitarbeiter einher, das Gedenken auch über die Lebenszeit der Überlebenden hinaus zu sichern. Angesichts dieser Herausforderungen überrascht, dass es für diesen Aufgabenbereich keine eigenständige Ausbildung gibt, wenngleich im Rahmen interner Fortbildungsangebote darauf eingegangen wird. Manche Gedenkstätten bieten psychologische Beratungen oder individuelle und kollektive Supervisionen an, andere erörtern solche Belastungen mit Seelsorgern, die an einigen Orten von Kirchen eingesetzt werden. Eine professionell reflektierte Empathie sollte nicht zur Routine erstarren, aber ihre Grenzen haben. Bewahren und Sammeln Materielle Überlieferungen Gedenkstätten sind vielschichtige Quellen mehrerer Zeitschichten. Dazu gehören insbesondere Überreste der historischen Orte, oftmals auch Friedhöfe und Gedenklandschaften, in denen Relikte, Gräber, Mahnmale und topographische Gestaltungen an die Toten und Verfolgten erinnern. Gedenkstätten sind für die Bewahrung und Sichtbarmachung aller materiellen Überlieferungen an diesen Orten zuständig. Vor allem die Sachzeugnisse der Gewaltphasen haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Durch die Zunahme an Fördermöglichkeiten und des Bewusstseins für den Wert der materiellen Überlieferung konnten zahlreiche Gebäude, Fundamente und andere Objekte gesichert werden. Allerdings reichen die finanziellen Möglichkeiten selbst in den etablierten Gedenkstätten für eine umfassende Erhaltung und Erschließung meist nicht aus. 5.4.2 192 p ra xIs Aufgrund der wachsenden Aufmerksamkeit für bauliche und andere Objekte wird eine entsprechende Expertise vor Ort immer wichtiger. Dabei sind vor allem bei Gebäuden, aber auch bei Bodenobjekten wie Fundamentresten Erkenntnisse und Auflagen verschiedener Disziplinen zu berücksichtigen, unter anderem der Archäologie, des Denkmalschutzes, der Materialkunde, Landschaftsgestaltung, baulichen Ästhetik und Kunstgeschichte. Gerade bei weitläufigen Arealen spielen Sicherheitsbelange und Fragen der Zugänglichkeit eine wichtige Rolle. Da an vielen Tatorten die Planungen wie die zeitgenössische Dokumentation stark durch Improvisation geprägt waren, liegt meist keine geschlossene Überlieferung zur baulichen und topographischen Entwicklung vor. Die Recherche nach Quellen wie Bauunterlagen, historischen Fotografien oder Zeitzeugenbeschreibungen stellt eine große Herausforderung dar, um die bauliche Entwicklung dieser Orte verlässlich beschreiben zu können. Durch solche Erkenntnisse hat sich aber zum Beispiel das Wissen um Bau- und Nutzungsphasen von Konzentrationslagern in den letzten Jahren grundlegend erweitert und präzisiert. Bauliche Überlieferungen und andere materielle Zeugnisse werden zudem für die pädagogische Arbeit nutzbar gemacht. Sie lassen sich als vielschichtige forensische, aber auch emotional wirkende Spuren der Tat und ihres Erlebens durch die Opfer nahebringen und können dazu beitragen, individuelle und kollektive Einstellungen zu verändern, indem sie zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der jeweiligen Gewaltgeschichte dieser Orte anregen (Heyl 2010, 2015; Kalinna 2013). Allerdings ist das Wissen über die Sachzeugnisse häufig nicht eindeutig oder verlässlich belegt, oft sind mehrere Deutungen möglich. Der Archäologe Reinhard Bernbeck spricht deshalb von einer „framed ambiguity“: Innerhalb eines bestimmten Kontextes eröffnen Dinge mehrdeutige Interpretationen, die von Kausalannahmen oder Alltagsroutinen abweichen, um den Blick für „Handlungspotenziale“ der Verfolgten zu öffnen (Bernbeck 2015). Sammlungen In den Sammlungen von Objekten, Dokumenten und Zeugnissen der Gedenkstätten - alternativ auch Dokumentationen oder Archive genannt - spiegeln sich die Erfahrungen heterogener Opfergruppen, das Handeln der Täter, die Entwicklung der Orte und ihre Nachgeschichte einschließlich der Geschichte der Gedenkstätte wider. Auf einem primär opfer- und ortsbezogenen Sammlungsinteresse, das weder einem Aktenplan noch staatlichen Archivierungszwängen oder Provenienzprinzipien folgen muss oder kann, gründet die besondere Qualität von Gedenkstättensammlungen als einer unverzichtbaren, singulären Grundlage der Informations-, Forschungs- und Bildungsarbeit an diesen Orten. Denn Sammlungen bilden den Kern einer quellen- und wissenschaftsbasierten Gedenkstättenarbeit, um neue Forschungserkenntnisse, Ausstellungen, Materi- 193 B eWahren unD s a mmeln alien für die Bildungsarbeit zur möglichst breiten Kontextualisierung des Ortes und einer Beantwortung der zahlreichen Anfragen von Besuchern und von außen zu ermöglichen (Wenge / Holdt 2014). Gedenkstätten ergänzen aufgrund der Alleinstellungsmerkmale ihrer Bestände insbesondere staatliche und kommunale, oft lückenhafte Überlieferungen. Gerade durch die Schicksalsklärung und die vielfältigen Kontakte zu Überlebenden und Angehörigen sind hier einmalige Quellenbestände und detaillierte Kenntnisse entstanden, ohne die nicht zuletzt viele Schicksale namen- und geschichtslos geblieben wären. Angesichts der fragmentierten und zeitlich gebrochenen, oft erst mit der Bildung von Gedenkstätten oder Erinnerungsinitiativen neu einsetzenden Überlieferung, des heterogenen Sammlungsguts und der in beträchtlichem Maße personenbezogenen Quellen sind unter den Mitarbeitern besondere Kenntnisse und Kompetenzen erforderlich und gewachsen, die sich nicht zuletzt einem engen und vertrauensvollen Kontakt zu den Überlebenden und ihren Angehörigen verdanken. Die in Gedenkstätten vorhandenen Bestände weisen eine große Heterogenität auf, gelangen auf unterschiedlichen Wegen in die Gedenkstätten und liegen in vielfältigen Formaten und Qualitäten vor: Es finden sich von Zeitzeugen oder anderen Bürgern überlassene Originale, Fundstücke vom Gelände sowie Ankäufe, Kopien staatlich archivierter Unterlagen oder Duplikate von Augenzeugenberichten aus anderen Erinnerungseinrichtungen, selbst erstellte Interviews mit Überlebenden in Schrift-, Audio- und Videoformaten, aber auch das Schriftgut der Einrichtung selbst, zu dem oft umfangreiche Schriftwechsel mit Überlebenden und Angehörigen sowie die Beantwortung von historischen Anfragen und Nachlässe gehören. Neben den schriftlichen Quellen befinden sich viele persönliche Zeugnisse und Sachgegenstände, Bildquellen wie Zeichnungen, Gemälde, Filme, Fotografien, Plakate oder Postkarten sowie Ton- und Videokassetten als Aufzeichnungsmedien ebenso wie digitale Trägermedien in den Beständen. Hinzu kommen zeitgenössische Publikationen, Zeitungen und Zeitschriften. Die Quellen können als Original, Kopie, Repro oder digital vorhanden sein, was mit unterschiedlichen - internen oder externen - Nutzungsrechten, Vorlagequalitäten und damit verbundenen Verwendungsmöglichkeiten einhergeht. Diese vielschichtigen, oft über Jahrzehnte gewachsenen Bestände haben keinen der Sache nach passenderen Ort als die Gedenkstätten, auch wenn die personellen und materiellen Ressourcen hier oftmals nicht ausreichen, um dem Material vollauf gerecht zu werden. Staatliche Archive würden sich für vieles als nicht zuständig erklären; ihre Kassationsregeln unterliegen zudem anderen Prinzipien als die Sammlungen der Gedenkstätten, die von einer besonderen Sensibilität gerade für persönliche Zeugnisse und das Wissen um deren besonderen Kontext geprägt sind. Grundsätzlich sollten sich die Sammlungen von Gedenkstätten jedoch an den Standards der staatlichen Archive orientieren (können), 194 p ra xIs was die Verzeichnung, Erschließung, Lagerung oder Bereitstellung der Bestände angeht. Manche Aufgabenbereiche - etwa der Bereich der Medien oder die Pflege von Sachzeugnissen - gehen wiederum weit über klassische Archive hinaus und ähneln eher dem Profil von Museen. Für Johannes Ibel, den langjährigen Archivar der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, entspricht der „wilde“ Charakter von Entstehung, Zusammensetzung und Erschließung der Bestände an diesen Orten deren besonderem Zweck eines engen Austauschs mit internen und externen Nutzern. Statt sie zu einem „Elfenbeinturm archivalischer Verzeichnung“ zu machen, seien die „Spezialarchive“ der Gedenkstätten wie eine „Destillierapparatur“ zu betrachten, mit der „die wertvollsten Ingredienzen gefiltert zusammengeführt und punktgenau an den authentischen Orten verfügbar“ gemacht würden (Ibel 2014: 12). Zugleich stehen die spezifischen Anforderungen von Ausstellungsproduktionen und der eigenen Bildungsarbeit einer systematischen Archivierungspraxis im Weg: Kurzfristige und sehr spezielle Bedarfe zu erfüllen, kostet viel Zeit, die für die Einarbeitung neuer Bestände und für die Sicherstellung wissenschaftlicher Referenzen beim Einsatz in der Bildungsarbeit oft fehlt. Die Priorisierung grundständiger Archivaufgaben steht somit in einem gewissen Widerspruch zu jenen Zwecken der Sammlung, die sich aus anderen Arbeitsbereichen ergeben, bildet aber zugleich deren unverzichtbare Basis, um wissenschaftliche Standards einzuhalten. Zumindest in den größeren Einrichtungen haben sich die technischen Standards der Sicherung, Verzeichnung und Erschließung des Sammlungsgutes und der dokumentarischen Quellen in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich verbessert: Es gibt eigene Sammlungsräume, moderne Archivsoftware und spezialisiertes Personal. Deutlich prekärer ist oft die Situation in kleineren, bürgerschaftlich getragenen Einrichtungen: Die innere Struktur der Sammlung und des Archivs bildet sich nicht unbedingt in nachvollziehbaren Hilfsmitteln oder gar detaillierten Erschließungen ab. Nicht immer sind alle baulichen Anforderungen zum ausreichenden Schutz der Quellen und Objekte gewährleistet. Die Sicherung dieser einmaligen Bestände bleibt eine bisher weitgehend ungelöste Herausforderung. Zudem droht in den ehrenamtlich getragenen NS-Gedenkstätten durch einen Generationswechsel der Mitarbeiter ein beträchtlicher Informationsverlust. Aber auch viele Anforderungen der Digitalisierung - unter anderem regelmäßige Updates von Datenbanken oder die Digitalisierung von Quellen selbst - können nicht geleistet werden. Trotz des unterschiedlichen Professionalisierungsgrads teilen Gedenkstätten zahlreiche Probleme bezüglich ihrer Sammlungen: Für eine aktive Recherche gerade nach international zu lokalisierenden und recherchierenden Quellen fehlen Zeit und Geld. Klimatisierte Sammlungsräume sind keine Selbstverständlichkeit. Erhalt und Restaurierung von Sachzeugnissen sind nicht in vollem Umfang möglich. Es gibt keine einheitlichen Standards für die Verzeichnung, zumal die 195 f orschen unD p räsentIeren Provenienzen, also die Strukturen der Ausgangsüberlieferung, sehr heterogen sind. Die weitaus meisten Augenzeugenberichte liegen bislang nur in ihrem jeweiligen Ausgangsmedium vor - als Druck, Tonkassette, Video oder in digitaler Form - und sind nicht hinreichend transkribiert, erfasst oder verschlagwortet. Verbesserungen sind oft nur durch Großprojekte wie Neugestaltungen oder zusätzliche, aber kaum zu erhaltende Förderungen möglich. Die Grundlagenarbeit der Sammlung gehört nicht zur politisch als relevant betrachteten „Schauseite“ dieser Einrichtungen. Obwohl es einen langjährigen Austausch der Archivare und Dokumentare vieler NS-Gedenkstätten gibt, sind Kooperation und Erfahrungstransfer zwischen den Einrichtungen sowie die Zusammenarbeit mit anderen Archiven noch nicht zufriedenstellend. Durch das Pilotprojekt EHRI ist ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz geleistet worden, denn viele Gedenkstätten geben - zumindest im Internet - kaum detailliert Auskunft über ihre Bestände. Das ist eine Folge der Bestandsherkunft, aber auch ihrer stark personengebundenen Genese, die den Archivar oder Dokumentar als besten Kenner zum Nadelöhr eines jeden Zugangs macht. Ein „offenes Archiv“ wie in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ist deshalb die Ausnahme, die Bezeichnung aber auch irreführend, da nur eine kommentierte und vorstrukturierte Auswahl aus den Beständen zugänglich gemacht wird. Obwohl die Aufgabe von Gedenkstätten und ihrer Sammlungen gerade in einer möglichst umfassenden Nutzung liegen sollte und dies auch ihrem öffentlichen Auftrag entspräche, sind sie von einem Open-Access-Modell oder zumindest von einer systematischen, öffentlich zugänglichen Erschließung und Vernetzung ihrer Bestände meist noch weit entfernt. Aufgrund der vielfältigen historischen Bezüge der Verbrechensorte würden solche Maßnahmen auch ganz neue Forschungsperspektiven eröffnen. Forschen und Präsentieren Forschung Gedenkstätten sind Institutionen des wissenschaftlichen Recherchierens, Forschens und Publizierens. Sie bilden dadurch ein wichtiges Korrektiv zu Mythen, Verzerrungen und Leugnungen historischer Sachverhalte. Die konkreten Ereignisse an den jeweiligen Orten werden in den Zusammenhang der jeweiligen historischen Ursachen, Täterschaften und Folgen von Gewaltereignissen eingeordnet und im Horizont der Gegenwart interpretiert. Ergebnisse werden in Form von Ausstellungen, Publikationen und Tagungen öffentlich präsentiert und diskutiert. Gedenkstätten sind mit nationalen und internationalen Forschern an Universitäten und Instituten vernetzt, suchen aber auch den Kontakt zu nicht-universitären Forschern, die zum Teil über beträchtliche eigene Sammlungen und 5.4.3 196 p ra xIs themenbezogenes Spezialwissen verfügen. Die Erkenntnisse dieser Arbeit und ihre Präsentation sind geschichtspolitisch von hoher Bedeutung, zumal sie als Wahrheitsressource zur Unabhängigkeit der Gedenkstätten von politischen Direktiven beitragen. Von grundlegender Bedeutung und eine Folge der besonderen Aufgaben von Gedenkstätten ist dabei die Anlage und Pflege von Quellensammlungen und Datenbanken zu den Verfolgten und Ermordeten. Aufgrund der häufigen Zerstörung wichtiger Quellen stellt sich jegliche personenbezogene Forschung oft als Puzzle dar, weil ganz verschiedene Ressourcen und Quellengattungen miteinander kombiniert werden müssen. Zusammenhänge zwischen verstreuten Quellen, Ereignissen und Personen werden oftmals erst durch einen konkreten Forschungsanlass hergestellt und führen zu neuen Erkenntnissen. Dies gilt gerade für lokalgeschichtliche Kontexte, wie die Recherchen des NS-Dokumentationszentrums in Köln zu Transporten von Juden zeigen, die schließlich in Trostenez bei Minsk erschossen wurden (Fings / Matuszewski 2016). Personenbezogene Datenbanken stellen einerseits eine Quintessenz wesentlicher Aufgaben von Gedenkstätten dar, weil für sie und in ihnen zusammengeführt wird, was über die einzelnen Opfer bekannt ist. Andererseits erfordern diese Datenbanken in allen Arbeitsschritten ein Höchstmaß an Sensibilität - beginnend mit der Recherche nach multiplen Quellen, der Erfassung und dem Abgleich der Daten, den Schreibweisen von Namen und Orten, dem Verständnis von Zusammenhängen etwa von Familien oder Transporten - bis hin zur Frage, ob, in welcher Form und mit welchen Angaben eine Datenbank veröffentlicht wird: als Totenbuch der Ermordeten oder als Gedenkbuch an alle Verfolgten, vollständig und um Dokumente und Abbildungen online erweitert, somit recherchierbar, oder auf einzelne biographische Daten reduziert als Printausgabe. Besondere Achtsamkeit verlangen Datenbanken zu Opfergruppen, die gesellschaftlich auch nach dem Ende ihrer Verfolgung stigmatisiert wurden oder es weiterhin sind. In der Bundesrepublik gilt dies zum Beispiel besonders für als homosexuell Verfolgte oder Opfer der Krankenmorde, so dass die Veröffentlichung personenbezogener Daten auch jenseits von bestehenden Forschungsdesideraten nur verzögert oder gar nicht möglich ist. Darüber hinaus decken die Forschungen in Gedenkstätten alle Aspekte der ortsbezogenen Vorgeschichte, ihrer Nutzung und ihrer Nachgeschichte ab. Dies schließt die Geschichte der Gedenkstätte selbst mit ein. Recherche und Forschung erstrecken sich im Kern auf alle Dimensionen des historischen Gewaltgeschehens und sollten dazu dienen, die Einzelschicksale in möglichst umfassende Kenntnisse über den historischen Ort einzubetten. Früh schon spielten Selbstzeugnisse in schriftlicher und audiovisueller Form eine wesentliche Rolle, auch ihre wissenschaftliche Erschließung und Nutzbarmachung in Ausstellungen, Forschungsarbeiten und Dokumentationen. Von hier aus zeigt sich die Erfor- 197 f orschen unD p räsentIeren schung der Alltags- und Sozialgeschichte der fluiden Häftlingsgesellschaften als ein zentraler Arbeitsbereich von Gedenkstätten. Hinzu kommen die Organisations- und Strukturgeschichte sowie die funktionelle, ökonomische und infrastrukturelle Entwicklung von Verbrechensorten sowie die Einbettung in die lokalen Gesellschaften. Mit der materiellen Überlieferung an Bodenfunden, Bauten und anderen Sachzeugnissen ist in den vergangenen Jahren ein dritter Forschungsbereich hinzugekommen, der Spezialkenntnisse verlangt und dazu beiträgt, viele Fragen hinsichtlich Datierungen, topographischer Veränderungen und Praktiken zu klären. Zu vielen Themenbereichen sind aus den Gedenkstätten oder in enger Kooperation mit ihnen profunde, eigenständige historische Forschungsleistungen entstanden und in eigenen Reihen veröffentlicht worden. Neue Ergebnisse der Arbeiten werden regelmäßig auf Workshops und Tagungen diskutiert. Einige Gedenkstätten haben sich in der Konkurrenz um Drittmittel der öffentlichen Forschungsförderung erfolgreich behauptet. Die behandelten Themen weisen eine erstaunliche methodische und disziplinäre Breite auf, die über die Geschichtswissenschaft in Felder der Archäologie, der Religionswissenschaft oder der Psychologie hinausgreifen. Andererseits fehlen vor allem in kleineren Einrichtungen oftmals die Kapazitäten, um über den Alltagsbedarf hinaus zu forschen oder Desiderate zu beheben. Ausstellungsprojekte können das bis zu einem gewissen Punkt leisten, werfen aber nicht selten mehr neue Fragen auf, als - häufig aufgrund der Quellenlage - beantwortet werden können. Zwei weitere Einschränkungen kommen hinzu: Die Bundesgedenkstättenförderung und auch die Fördermaßnahmen der Länder sehen keine expliziten Ressourcen für eine von konkreten (Ausstellungs-)Projekten unabhängige Grundlagenforschung vor, auch um Konkurrenzen zu den Universitäten und anderen Wissenschaftseinrichtungen zu vermeiden. In den Gedenkstätten geht dies nicht selten mit einer gewissen Distanz zur Berücksichtigung neuerer empirischer und methodischer Forschungsansätze der Geschichtswissenschaft einher, weil ein positivistischer Modus überwiegt, um das Gewaltgeschehen überhaupt verlässlich ausweisen zu können. Aufgrund des spezifischen Forschungsprofils in Gedenkstätten hat sich die Zusammenarbeit mit Universitäten und insbesondere der Geschichtswissenschaft lange Zeit als durchaus sperrig erwiesen. Deren Vertreter haben einen grundlegenden Unterschied zwischen beiden Institutionen betont, der auch heute noch die Beziehungen prägt: Staatliche Gedenkstätten und ihre Mitarbeiter unterliegen nicht dem Primat der Freiheit von Forschung und Lehre. Sie verfügen trotz aller wissenschaftlichen Qualität nicht über die Ressourcen und Standards, um Grundlagenforschung zu betreiben. Ihre Forschung ist weitgehend anlassbedingt und empirisch auf Recherchen ausgerichtet (Sabrow 2017). Trotz wissenschaftlicher Kooperationen, Abschlussarbeiten und Lehraufträge, die von 198 p ra xIs Gedenkstätten aus übernommen und betreut wurden, aber auch der insgesamt vielfältigen Beteiligung von Historikern an Beiräten, Tagungen und Fachdiskussionen besteht der Eindruck dennoch nicht zu Unrecht, dass die meiste konkrete orts- und personenbezogene Forschung aus den Gedenkstätten selbst stammt oder teils auch von „Amateurhistorikern“ wahrgenommen wird. Aus dem Auftrag von Gedenkstätten ergeben sich besondere Aspekte, die bei der Forschung zu berücksichtigen sind. Der Persönlichkeitsschutz für Überlebende kann dazu führen, bestimmte Erkenntnisse über Berichte und das Leben der Verfolgten nicht zu veröffentlichen, wenn etwa Widersprüche oder Fehler ihre Aussagen anfechtbar erscheinen lassen. Gedenkstätten sind zudem aufgrund ihrer komplexen geschichtspolitischen Einbindungen nicht frei, alle Themen ungeachtet der Rücksichtnahme insbesondere auf Opfergruppen zu behandeln oder damit verbundene Konflikte öffentlich zu führen. Das bedeutet nicht, dass diese Fragen und Themen nicht in den Gedenkstätten bewusst wären und diskutiert würden, wohl aber, dass im Verhältnis von Empathieprinzip und autonomer Forschung manchmal kaum lösbare Aporien entstehen. Keineswegs impliziert dies automatisch, die „kritische Aufklärung“ einer „affirmativen Sakralisierung“ zu opfern (Sabrow 2017: 10), kann aber dazu führen, dass sich Gedenkstätten mehr als erforderlich auf die Geschichte ihres eigenen Ortes beschränken. Ausstellungen Die Musealisierung von Gedenkstätten ist an den Neugestaltungen der vergangenen Jahre gut abzulesen. Es handelt sich um komplexe und kontroverse Prozesse, in denen Bauaufgaben für museale, Bildungs-, Funktions- und Gedenkräume, die Realisierung neuer Ausstellungen und der gestalterische Umgang mit historischen Gebäuden, Geländebereichen und Gräbern zu bewältigen sind. Hier verdichten sich ästhetisch-symbolische mit historischen, didaktischen und geschichtspolitischen Fragen, aber auch mit ganz pragmatischen Problemen, die eine solche publikumsorientierte Infrastruktur mit sich bringt. Sie gewinnen in Gedenkstätten schnell eine besondere Aufmerksamkeit, wie zum Beispiel die Lage und Größe der Cafeteria, die Gestaltung von Hinweisschildern oder die Handhabung von Nutzerordnungen. Das Bestreben dieser oft mehrjährigen Prozesse ist es, zu einer einheitlichen und schlüssigen Gesamtgestaltung für den jeweiligen Ort zu gelangen. Dauerausstellungen müssen für ein bis zwei Jahrzehnte Bestand haben; es braucht mehrere Jahre, um sie zu konzipieren und umzusetzen. In der Bundesrepublik hat sich dabei als Standard etabliert, den Ort nicht durch neue symbolische und politische Deutungen überformen, sondern dokumentarisch erschließen und aus einer opferempathischen Erzählhaltung zugänglich machen zu wollen. Die Durchführung aufwändiger Gestaltungswettbewerbe und Vergabeverfahren ist 199 f orschen unD p räsentIeren inzwischen selbstverständlich. Dennoch ist ein einigermaßen begrenztes Angebot von Architekten und Gestaltern entstanden, die sich durch vergleichbare Projekte ausgewiesen und mit bestimmten Stilen etabliert haben. Gerade im Zuge der Neugestaltung von KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik hat sich eine gewisse Homogenität architektonischer Lösungen, der Möblierung von Ausstellungen bis zur Farbgebung im Innenbereich eingestellt: Sichtbeton, glattflächige, symmetrische Einbauten in kühlem Design und Grautöne dominieren, auch wenn in jüngster Zeit ein Trend in Richtung des Einsatzes dezenter Farben zu erkennen ist. Dienen die Gestaltungsprozesse insgesamt dazu, auf die historischen Orte der Verfolgung und ihre Aufgaben zugeschnittene Lösungen zu finden, die Gedenken, Information und Bildung miteinander verbinden, so gilt dies in einer eigenen Weise für die Dauerausstellungen (Lutz 2009; Skriebeleit / Fritz 2012; Geissler 2015). Dabei tritt eine Besonderheit hervor: Während Museen aus einer Fülle gesammelter Objekte und dem Bedürfnis der an sie gebundenen Identitätsstiftung erwachsen sind, verfügen Gedenkstätten aufgrund der Geschichte ihrer Orte und der systematischen Vernichtung von Menschen und Dingen eher über relativ wenige Objekte und basieren für wesentliche Themen auf nachträglich entstandenen Quellen wie den Selbstzeugnissen von Überlebenden. Die offiziellen Dokumente sind oft nicht vollständig, weil die Verantwortlichen selbst die Spuren ihrer Tat zerstört haben. Mit dieser gebrochenen Überlieferungslage geht die Frage einher, ob überhaupt eine Repräsentation der Tat in jener herkömmlichen Weise möglich ist, die Geschichte als zusammenhängenden und erklärbaren Ablauf oder zumindest als sinnhaftes Gefüge nachvollziehbar zu machen versucht. Typologisch lässt sich für Ausstellungen mit Thomas Lutz zwischen einer „narrativen“ und einer „dokumentierend-argumentierenden“ Form unterscheiden (Lutz 2009: 149 ff.). Die narrative Variante - sie kann chronologisch oder nach Themen geordnet sein - stellt historische Objekte in den Zusammenhang einer übergeordneten Erzählung oder politisch-moralischen Botschaft; die Zeugnisse dienen neben, aber vor allem mit ihrem Eigensinn als Belege für eine geschlossene Repräsentation. Bei dokumentierend-argumentierenden Ausstellungen werden Objekte genutzt, um ausgehend von einer Beschäftigung mit ihnen Fragen nach dem Gesamtkomplex des historischen Geschehens zu stellen, sie mit weiteren Erkenntnissen zu verbinden und zu eigenen Deutungen zu gelangen. In den letzten Jahren haben sich verschieden gewichtete Mischformen beider Ausstellungstypen entwickelt. Die Sorge, mit einem Zuviel an Narration wieder in einen Modus der geschichtspolitischen Belehrung überzugehen, der die Zeit vor 1990 geprägt hat, ist dem Anspruch gewichen, sich stärker an didaktischen Bedürfnissen zu orientieren. Ereignisse und Strukturen werden nicht nur aus einer mit den Opfern empathischen Erzählhaltung präsentiert, sondern Zusam- 200 p ra xIs menhänge auch vermehrt wertend exponiert oder eingeordnet. Unabhängig von den konkreten Repräsentationsformen herrscht jedoch eine Erzählhaltung vor, die in den Gedenkstätten Archive des Erinnerns an die Opfer und Überlebenden sieht. Deshalb sind - als aktiv nutzbares, vor Ort zugängliches Depot - eine Bibliothek, die Sammlung und digitale wie didaktische Angebote ein integraler Bestandteil der Ausstellungskonzepte. Neuere internationale Gedenkmuseen folgen dem narrativen Prinzip noch stärker und verstehen sich explizit nicht als neutral, was sich auch in ihren Namen widerspiegelt: In Santiago de Chile erinnert seit 2010 das Museo de la Memoria y los Derechos Humanos (Museum für Erinnerung und Menschenrechte) an die Diktatur unter Augusto Pinochet nach 1973 und im peruanischen Lima seit 2015 das Lugar de la Memoria, la Tolerancia y la Inclusión Social (Ort für Erinnerung, Toleranz und soziale Inklusion) an die gewaltsamen Konflikte während der Präsidentschaft von Alberto Fujimori von 1980 bis 2000 (Andermann 2012; Estefane 2013; Arellano Cruz 2018). Die Ausstellungen haben hier mehr oder weniger explizit die Funktion, einen erfolgreichen geschichtspolitischen Umgang der jeweiligen Länder mit diesen Gewaltvergangenheiten zu belegen und zugleich von den Überlebenden und Angehörigen der Opfer als wichtiger Schritt für ihre Anerkennung wahrgenommen zu werden. Information und Reflexion Besucherbetreuung Gedenkstätten spielen vielerorts eine zentrale Rolle für die historisch-politische Bildung und die Entwicklung eines kritischen Bewusstseins des Zusammenhangs von Vergangenheit und Gegenwart. Gedenken und historisches Lernen können dabei zu einer Einheit verwoben werden, die dazu beiträgt, heutige Formen sozialer Ausgrenzung, politischer Verfolgung und der Zerstörung von Bürger- und Menschenrechten wahrzunehmen, kritisch zu reflektieren und sich der Stärken wie Gefährdungen von Zivilität und Menschlichkeit zu vergewissern. Dafür sollen Gedenkstätten zu Bildungsprozessen anregen und anleiten, in denen Empathie, Menschenrechte und humanitäre Grundwerte eine zentrale Rolle spielen. Durch Ausstellungen, Forschungsergebnisse, Bildungsangebote und Veranstaltungen tragen sie aber zunächst einmal dazu bei, konkretes Wissen über das durch sie repräsentierte Gewaltgeschehen zu gewinnen und es in seinen historischen sowie gegenwärtigen Zusammenhängen zu reflektieren. Über die Adressaten dieser Arbeit liegen - verglichen etwa mit Museen - wenig systematische Informationen vor (Pampel 2007, 2011). Eine regelmäßige Besucherforschung, die Hintergrund, Motivationen und Wirkungen untersucht, gibt es selbst in größeren Gedenkstätten nicht. In den einzelnen Einrichtungen vari- 5.4.4 201 I nform atIon unD r eflexIon ieren die Besucherzahlen und ihr Profil beträchtlich. Gedenkstätten mit einem eher lokalen und regionalen Einzugsbereich haben einige Tausend bis mehrere Zehntausend Besucher. Sie werden überwiegend auf Anmeldung von Gruppen und hier vor allem von Schulklassen aufgesucht. Größere KZ-Gedenkstätten wie Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau oder Sachsenhausen haben hohe sechsstellige Besucherzahlen, darunter zahlreiche ausländische Einzelbesucher, viele kommen spontan und ohne große Vorbereitung. Die Topographie des Terrors in Berlin verzeichnet mit etwa einer Million die meisten Besucher in Deutschland; anders als die KZ-Gedenkstätten, die eine eigene Anreise erfordern, gehört die „Topo“ zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten im Zentrum der deutschen Hauptstadt: Sie liegt gleichsam „auf dem Weg“. Die vielfältigen Betreuungsangebote für Besucher beginnen mit grundlegenden, meist mehrsprachig angebotenen Informationen, die vorab oder vor Ort in seine Geschichte einführen und als Wegweiser fungieren. Auf das Bedürfnis nach weitergehendem Grundlagenwissen wird mit Broschüren, Katalogen und anderen Publikationen wie Zeitzeugenberichten reagiert, die in der Regel in den Gedenkstätten zusammen mit weiterer themenbezogener Literatur erworben werden können. Im Zentrum der inhaltlichen Information vor Ort stehen jedoch Ausstellungen und pädagogische Angebote. Dauerausstellungen - oft gesondert für die Zeit während der Nutzung als Tatort und dessen Nachgeschichte - sowie Wechselausstellungen zu Teilaspekten richten sich an alle Besucher. Sie sind meist auf Einzelbesucher zugeschnitten, die ohne weitere Betreuung eine Gedenkstätte besuchen. Durch ergänzende Hilfsmittel werden Ausstellungen auch für Gruppen erschlossen. Das Standardformat der Betreuung von Besuchern sind Führungen. Kürzere Angebote von ein bis zwei Stunden richten sich vor allem an Einzelpersonen oder Kleingruppen wie Familien, aber auch an Erwachsenengruppen, die den Besuch im Rahmen eines Reiseprogramms absolvieren. Gedenkstättenpädagogische Angebote jenseits solcher kürzeren Formate adressieren Gruppen, deren Besuch im Zusammenhang mit anderen Bildungseinrichtungen steht: Schulklassen, Jugendgruppen, Angehörige bestimmter Berufe wie Lehrer, Polizisten, Soldaten, Juristen oder Angehörige des Gesundheitswesens. Solche Angebote reichen von mehrstündigen Rundgängen mit Einführung und Diskussion über ein- oder mehrtägige, meist themenorientierte Seminare bis zu Projektformaten. Jede Gedenkstätte hat zwar ihre eigenen Prioritäten, aber für Schulklassen hat sich ein etwa dreibis vierstündiges Programm als Standard etabliert. Bewährt haben sich thematisch spezieller zugeschnittene Studientage, an denen einzelne Biographien, Verfolgtengruppen oder Ereignisse intensiver, eigenständiger und quellenorientiert bearbeitet werden (Bohra 2018). Einige Gedenkstätten bieten Arbeitsformen aus den Bereichen der bildenden Kunst oder der The- 202 p ra xIs aterpädagogik an, um gezielt dazu anzuregen, sich mit den eigenen Emotionen auseinanderzusetzen. Die meisten Gedenkstätten verfügen neben hauptamtlichen pädagogischen Mitarbeitern über weitere Besucherbetreuer, wobei Begriffe wie „Führung“ oder „Führer“ vermieden und von „Guides“ oder „Rundgangsbegleitern“ gesprochen wird. In der Bundesrepublik stellen viele Bundesländer einzelne Lehrkräfte zur Wahrnehmung pädagogischer Aufgaben in Gedenkstätten von einem Teil ihres schulischen Stundendeputats frei. Daneben sind Gedenkstätten auf Honorarkräfte angewiesen, die Führungen und Studientage durchführen. Befinden sich Gedenkstätten in der Nähe von Universitätsstädten, werden hierfür oft Studierende engagiert. Sie werden von den Einrichtungen eingewiesen und fortgebildet, eine engmaschige inhaltliche Begleitung ist allerdings aufgrund sozialrechtlicher Regelungen erschwert worden, weil sie nicht wie Arbeitnehmer, sondern als Selbstständige behandelt werden müssen. Einzelne Gedenkstätten wie Sachsenhausen haben sich für kommerzielle Anbieter als attraktiv erwiesen; um der großen Zahl von Gruppen gerecht zu werden, die auf diesem Wege in die Gedenkstätte kommen, werden Lizenzen für Guides erteilt. Als Guide zu arbeiten, stellt häufig einen Einstieg in die professionelle Gedenkstättenarbeit dar. Dennoch wird dieses Arbeitsfeld in der gedenkstättenpädagogischen Fachliteratur erstaunlich wenig behandelt. Das überrascht vor allem angesichts der Bedeutung von Führungen als performativer Schnittstelle zwischen den Einrichtungen und ihren Besuchern. Guides transportieren Wissen zum historischen Ort und seine Deutungen in einem Spannungsfeld institutioneller Narrative, musealer Dispositive wie der Ästhetik oder der Wegeführung und individueller Aneignungen. Sie müssen Besucher motivieren und ihre Aufmerksamkeit auf den Ort, das historische Geschehen und das Schicksal der Menschen lenken. Dies geschieht unter keineswegs immer optimalen räumlichen, klimatischen oder zeitlichen Bedingungen. Guides orchestrieren einen Gedenkstättenbesuch, der für die meisten Besucher in dieser Form der erste und letzte ist, als emotionale Praxis, die sie nicht nur durch ihre Informationen, sondern auch durch ihr Sprechen, ihre Mimik, ihre Körpersprache und die Interaktion mit den Besuchern wesentlich mitgestalten (Frenkel 2018). Idealerweise „beziehen (sie) sich auf den historischen Ort“, „nehmen die Rundgangsteilnehmer als Subjekte wahr“ und gestalten die Rundgänge als „individuelle Prozesse der aktiven Wissensaneignung“ (Scharnetzky 2015: 244). Doch gehen die meist aus der Opferperspektive gewonnenen Erzählungen oft mit Dramatisierungen, Überwältigungen und Sakralisierungen einher, während das Bild der Täter vage bleibt (Gudehus 2006). Gerade im kurzen Zeitraum eines Rundgangs verdichtet sich die Paradoxie von Gedenkstätten, Botschaften vermitteln und zum kritischen Nachdenken anregen zu wollen. 203 I nform atIon unD r eflexIon Die Besucherbetreuung muss sich - exemplarisch für die Arbeit in den meisten Gedenkstätten insgesamt - einigen Herausforderungen stellen: Die Besucherzahlen steigen seit Jahren, dennoch ist der Anteil des fest angestellten pädagogischen Personals nicht entsprechend dieser Nachfrage und dem Bedarf an vertiefenden, differenzierenden Bildungsangeboten mitgewachsen. Nicht immer sind ausreichend Räume vorhanden; es kann zu Engpässen in diesen und anderen Bereichen der Infrastruktur kommen. Der organisatorische Aufwand - von der Anmeldung über konkrete Absprachen bis zur Abrechnung - für jede einzelne Gruppe ist hoch, besonders wenn individuelle Wünsche berücksichtigt werden sollen. Der zeitliche Abstand und damit der Grad an Historisierung wächst; Gedenkstätten werden eher als Museen denn als vergangenheitspolitische Orte wahrgenommen. Wenn Bildungsangebote, wie es an vielen Orten praktiziert wird, vor allem gegenüber dem Standardangebot des Rundgangs für verschiedene Zielgruppen von Flüchtlingen bis Rechtsextremisten vertiefend, individuell, inklusiv, divers, integrativ, interkulturell, partizipativ und dialogisch-reflexiv angelegt sein sollen, ist dies mit einem beträchtlichen Aufwand verbunden (Mischok 2010). Zugleich verändern sich die Kommunikationspraktiken im digitalen Zeitalter durch die wachsende Bedeutung sozialer Medien (Kansteiner 2014) und eine „global memory“, die zumindest medialer, partizipativer, beschleunigter und transnationaler funktioniert als bis in die 1990er Jahre. Diese „memory of the multitude“ geht womöglich mit einem „end of collective memory“ überhaupt einher (Hoskins 2018). Trotz des Einsatzes verschiedener digitaler Techniken im Bereich von Datenverarbeitung, Bildmedien und Ausstellungselementen fehlt es in den meisten Gedenkstätten aber noch an einer integrierten Strategie eines digital erweiterten historischen Lernens. Dies betrifft vor allem vier Bereiche - teils aus grundsätzlichen Erwägungen, um nicht die Bedeutung der historischen Orte zu schmälern, teils aus einem Mangel an Ressourcen: die Präsenz von Gedenkstätten in den sozialen Medien, um dadurch auch den zunehmenden Entstellungen und Umdeutungen der NS-Vergangenheit aktiv entgegenwirken zu können; den Einsatz visueller Repräsentationsformen, die unter Verwendung von virtuellen 3D-Techniken die Anschaulichkeit ortsbezogener Informationen erhöhen, ohne das Ziel einer authentischen oder immersiven Rekonstruktion verfolgen zu müssen; die Bereitstellung digitalisierter Quellenbestände und Datenbanken, um individuelle oder gruppengebundene Auseinandersetzungen vor oder nach einem Gedenkstättenbesuch anzuregen; den Ausbau digital gestützter Selbstlernformate bis hin zur Entwicklung themenadäquater Computerspiele, die eine kritische Befassung mit Handlungsspielräumen konkreter Individuen unterstützen (Kansteiner 2018; Knoch 2019). 204 p ra xIs Forschendes Lernen Die Bildungsarbeit in NS-Gedenkstätten orientiert sich im Allgemeinen an Prinzipien des forschenden Lernens am konkreten Ort, das eine multiperspektivische Betrachtung sowie eine Reflexion der eigenen Vorannahmen und Erkenntnisse ermöglichen soll. Es folgt in der Regel dem „Überwältigungsverbot“, um eine gezielte Emotionalisierung oder das Erzeugen von „Betroffenheit“ zu vermeiden. Dennoch basiert die Arbeit von Gedenkstätten auf der Annahme einer besonderen Wirkung dieser historischen Orte. Verena Haug hat beobachtet, dass diese „Besonderheit“ meist erst „in den gedenkstättenpädagogischen Arrangements interaktiv (…) als gemeinsame Grundlage erzeugt“ wird. Dazu tragen narrative Strukturen bei, die Führungen, aber auch Ausstellungen prägen: Geschichten laden die Orte mit „Bedeutungen auf, die nicht nur das historische Geschehen erläutern, sondern auch zu bestimmtem Verhalten bewegen, Aufmerksamkeit erzeugen oder zum Durchhalten motivieren können“ (Haug 2015a: 176, 290). So bilden narrativ erzeugte Besonderheit und forschendes Lernen zwei Pole der Gedenkstättenpädagogik. Gerade in der Arbeit mit Schulklassen müssen sich Gedenkstättenmitarbeiter mit drei weiteren Herausforderungen auseinandersetzen: Die Vermittlung kognitiven Wissens unterliegt erstens beträchtlichen Einschränkungen aufgrund begrenzter Vorkenntnisse, der begrenzten Zeit des Besuchs und der Komplexität des Gegenstands. Zweitens sehen sie sich Erwartungen und Zielen der politischen Bildung gegenüber, die Gedenkstätten als Orte einer politisch-moralischen Wertevermittlung ansehen, was aber im Widerspruch zu reflexiven, ergebnisoffenen und autonomen Lernprozessen stehen kann. Die Bildungsarbeit in Gedenkstätten wird drittens von außen vielfach als Beitrag zu einer nationalen Identitätsbildung gesehen, während die Gedenkstätten wie auch die Geschichtsdidaktik dem Postulat eines individuellen, historisch fundierten und zugleich reflektierten Geschichtsbewusstseins folgen. Vertiefende Bildungsformate und insbesondere mehrtägige Programme werden in einigen Gedenkstätten neben den pädagogischen Abteilungen durch Internationale Jugendbegegnungsstätten oder die ständige Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen realisiert. In Buchenwald steht die Arbeit der dortigen Begegnungsstätte unter dem Motto „Sehen - Begreifen - Reflektieren - Kommunizieren“ (Lüttgenau 2009). Einen Schwerpunkt der Arbeit bilden modulare, projektförmig organisierte Wissensangebote, die über frontal gehaltene Führungen hinausgehen. So kann unterschiedlichen Interessensschwerpunkten innerhalb größerer Gruppen mit mehr Zeit für eine Fokussierung auf bestimmte Fragestellungen entsprochen werden. Ein weiterer Akzent liegt bei solchen mehrtägigen Vertiefungsangeboten zum Beispiel auf der konkreten Arbeit mit Sachzeugnissen, der fotografischen Erkundung der Gedenkstätte oder der Befassung mit ihren verschiedenen Sammlungen in Kleingruppen, deren Ergebnisse in diskur- 205 g eDenkstätte als B eruf : v oraussetzungen siven Formen gesichert und reflektiert werden. Werkstattformate sollen verdeutlichen, wie verlässliches Wissen über den historischen Ort, seine Täter, Opfer und ihre Handlungskontexte entsteht, es sollen aber auch Fragen offen bleiben und Grenzen des Erklärens und Verstehens erreicht werden. Dabei muss die Gedenkstättenpädagogik auf einige grundlegende Veränderungen reagieren: Erstens werden Fragen der Täterschaft und strukturelle Zusammenhänge der gesellschaftlichen Verantwortung für die Verfolgungsgewalt wichtiger. Zweitens nehmen NS-Gedenkstätten als Institutionen historischer Bewusstseinsbildung zunehmend eine singuläre Rolle für die Vermittlung von gesichertem Wissen über den Nationalsozialismus ein, weil Bedeutung und Umfang dieses Gegenstands an Universitäten, in Schulen und in den Medien abnimmt; dies trifft vergleichbar auch für Gedenkstätten zur SBZ / DDR zu. Drittens verschieben sich die Referenzthemen, in die sich die Arbeit von Gedenkstätten einfügt. So sind in den letzten Jahren Fragen nach Migration und ihren Folgen, nach Pluralität und Diversität von Gesellschaften sowie nach gegenwärtigen Formen von Menschenfeindlichkeit, Rechtspopulismus und völkisch-essentialistischen Identitätskonzepten immer stärker in den Blick gerückt. Für solche neuen Schwerpunkte müssen entsprechende Angebote - teils für gänzlich neue Zielgruppen wie Geflüchtete oder verurteilte Rechtsextremisten - und auf Seiten der Mitarbeiter zusätzliche Kompetenzen entwickelt werden. Diese Verschiebungen erfordern zusammen mit der historischen und materiellen Komplexität der Orte, den hohen Ansprüchen an die Bildungsarbeit, der Vielfalt der Besucher und ihrer Erwartungen sowie den genannten Herausforderungen ein gedenkstättenpädagogisch qualifiziertes Personal, für das die von den Gedenkstättenträgern bereitgestellten Mittel nach wie vor nicht ausreichen. Zwischen einer quantitativ möglichst umfänglichen Besucherbetreuung, auf die seitens der politischen Geldgeber oft großer Wert gelegt wird, und einer vertiefenden, auf Reflexion abzielenden gedenkstättenpädagogischen Arbeit besteht ein Konflikt, der häufig nur in Form von Projektfinanzierungen überbrückt werden kann. Sie erlauben thematische Innovationen, personelle Erweiterungen und neue Bildungsformate, befördern aber - wie in anderen Bildungseinrichtungen - eine problematische Verschiebung von einer verlässlichen Grundlagenfinanzierung zu einer kompetitiven Drittmittellogik. Gedenkstätte als Beruf: Voraussetzungen Die Zahl wissenschaftlicher Dauerstellen in Gedenkstätten hat mit deren Vergrößerung und Ausweitung in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich zugenommen. Sich auf diesen Bereich zu spezialisieren, ist dennoch aufgrund der begrenzten Möglichkeiten nicht ohne Risiko. Gleichzeitig gehört es zu den Beson- 5.5 206 p ra xIs derheiten von Gedenkstätten, dass ein persönliches Profil mit einer mehrjährigen Vertrautheit mit diesen Einrichtungen, ihren Themen und ihren Aufgaben ein wesentliches Einstellungskriterium darstellt, auch wenn (oder gerade weil) es sich - anders als im Bereich von Museen oder Medien - um ein vergleichsweise schmales und zudem kaum reguliertes oder zertifiziertes Berufsfeld an der Schnittstelle von Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik handelt. Denn auch nach mehr als dreißig Jahren „aktiver“ Gedenkstättenarbeit in der Bundesrepublik sind die Wege und Qualifikationen, die in diese Institution des kulturellen Gedächtnisses hineinführen, ebenso wenig standardisiert wie die Wege, die sich in ihnen ergeben können. Die grundlegenden Voraussetzungen für eine berufliche Tätigkeit in einer deutschen Gedenkstätte sind - mit Ausnahme der Verwaltung - in der Regel ein wissenschaftliches Studium, vorzugsweise mit einem Abschluss im Bereich der Neueren und Neuesten Geschichte, und profunde Kenntnisse zur Geschichte des jeweiligen Herrschaftssystems (NS- oder SED-Regime), der Geschichte des 20. Jahrhunderts sowie seiner Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. Aber auch Abschlüsse in Studiengängen der Politik-, Sozial-, Kultur- und Bildungswissenschaften werden bei einer entsprechenden individuellen Schwerpunktsetzung als äquivalent anerkannt. Der berufliche Einstieg erfolgt in der Regel auf der Basis eines Masterabschlusses; thematisch einschlägige Promotionen sind durchaus für die Besetzung von Leitungspositionen relevant. Je nach Stellenprofil sind andere oder weitere als die genannten Studienqualifikationen erforderlich, zum Beispiel im Bereich der Archäologie, des Archiv- oder Dokumentationswesens, der Geschichtsdidaktik, der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung oder der Öffentlichkeitsarbeit. Bei entsprechend geringerer Vergütung, die vor allem in den Arbeitsfeldern Dokumentation und Führungen abhängig von der Tätigkeit in vielen Gedenkstätten zum Tragen kommen, können BA- oder äquivalente Abschlüsse als Voraussetzung genügen. Gerade Einstiege im Bereich des Besucherdienstes auf Honorarbasis sind durchaus auch ohne einen Masterabschluss möglich. Einen Studiengang, der zielgerichtet auf Tätigkeiten in einer Gedenkstätte ausgerichtet ist, gibt es an deutschen Universitäten bislang nicht. Masterstudiengänge oder Schwerpunkte im Bereich der Public History, wie sie unter anderem in Berlin, Bochum, Köln oder Heidelberg angeboten werden, erlauben aber eine individuelle Schwerpunktsetzung insbesondere durch Pflichtpraktika. Das private, aber staatlich akkreditierte Touro College in Berlin bietet mit dem MA in Holocaust Communication and Tolerance einen Studiengang an, der fachlich und im praktischen Bereich enge Bezüge zur Gedenkstättenarbeit mit zahlreichen Berliner Kooperationspartnern aufweist. Für Tätigkeiten in Holocaust-Gedenkstätten im engeren Sinne können Studiengänge der (neueren) Jüdischen Geschichte zu einer individuellen Profilbildung beitragen. 207 g eDenkstätte als B eruf : v oraussetzungen Wie im Museumsbereich sind zunächst projektbefristete Tätigkeiten etwa im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Dauerausstellungen oder im Rahmen größerer Bildungsprojekte nicht unüblich. Größere Gedenkstätten verfügen über ein bis zwei Volontariatsstellen, die über einen Zeitraum von zwei Jahren Einblick in verschiedene Arbeitsbereiche oder die intensive Mitarbeit an einem Projekt ermöglichen. Wer in einer Gedenkstätte als wissenschaftlich qualifizierter Mitarbeiter tätig werden möchte, ist gut damit beraten, dort frühzeitig praktische Erfahrungen zu sammeln. Dafür bieten sich neben einer ehrenamtlichen, temporären oder anlassbezogenen Mitarbeit vor oder während des Studiums sowie Tätigkeiten als Honorarkraft im Bildungsbereich vor allem Praktika an, die von den meisten Gedenkstätten angeboten werden und in der Regel zwischen vier und zwölf Wochen dauern. So können Einblicke in die hier angesprochenen Besonderheiten von Gedenkstätten gewonnen werden, die in der akademischen Ausbildung nicht hinreichend berücksichtigt werden. Tätigkeiten oder Praktika bei ausländischen Gedenkstätten oder Gedenkmuseen sind zwar wertvoll, bedeuten aber nicht automatisch einen Qualifizierungsvorteil. Wie insgesamt gilt auch hier, dass es bei allen, die in Gedenkstätten dauerhaft arbeiten wollen, auf ein schlüssiges persönliches Gesamtprofil ankommt, das den besonderen Anforderungen der dortigen Aufgaben entspricht. Individuelle Schwerpunktsetzungen von Studienthemen und Abschlussarbeiten sind dabei sinnvoll: Wenn Gedenkstätten historisches Wissen als Grundlage des Erinnerns vermitteln sollen, ist dies auch für die wissenschaftlichen Mitarbeiter von Gedenkstätten eine unverzichtbare Grundlage. Zugleich ist ein breites Spektrum interdisziplinärer Kenntnisse hilfreich, das geschichtsdidaktische Elemente beinhaltet, sich auf die Memory Studies stützt oder die Museums- und Ausstellungsforschung berücksichtigt. Da die Arbeitsfelder in den größeren Gedenkstätten eine zunehmende Ausdifferenzierung erfahren haben, ist es je nach persönlicher Ausrichtung wichtig, sich darauf mit speziellen Studiengängen oder Fortbildungen vorzubereiten. Im Zuge der Institutionalisierung von Gedenkstätten sind auch einzelne Aufgabenfelder entstanden, für die qualifizierte Personen mit entsprechenden Tätigkeiten eingestellt werden, die sie außerhalb von Gedenkstätten gewonnen haben - etwa im Bereich des Projektmanagements, der Öffentlichkeitsarbeit oder der Bildungsarbeit. Quereinstiege, zumal in späteren Lebensphasen, sind in den inhaltlich geprägten Aufgabenbereichen von Gedenkstätten nach wie vor jedoch eher selten. Dies hat mit Qualifikationen zu tun, die meist, wenn auch nicht nur in der Gedenkstätte selbst erworben werden können: Neben Sachkenntnis und Methodensicherheit setzt Gedenkstättenarbeit ein hohes Maß an emotionaler Belastbarkeit und kognitiver Differenzierungsfähigkeit sowie eine ausgeprägte Sensibilität für die Erfahrungen und Wahrnehmungen von Überlebenden, ihren 208 p ra xIs Angehörigen und Interessenvertretern voraus. Hinzu kommen eine reflektierte Kenntnis geschichtspolitischer und erinnerungskultureller Fragestellungen und öffentlicher, fachlicher wie interner Debatten über Gedenkstätten und ihre Gegenwartsbedeutung sowie die Fähigkeit zur internen, interdisziplinären und sozialen Kommunikation von Aufgaben, Zielsetzungen und Ergebnissen. Zu den größten Herausforderungen gehören jene Momente, die bei der Arbeit in Gedenkstätten zugleich in besonderer Weise belastend wie außerordentlich motivierend sein können: durch die Auseinandersetzung mit Gegenstand, Arbeit und Begegnungen erfahrene Überschreitungen der eigenen professionellen und persönlichen Fähigkeiten, sie zu verarbeiten. Persönliches Ethos muss dann oft fehlende Routinen der Ausbildung, des Handelns und der Verarbeitung kompensieren. Daraus resultierende Unklarheiten beruflicher Rollenbilder können durch Tätigkeitsbeschreibungen oder den Gewinn von Routine kaum verhindert werden. Dieses Oszillieren spiegelt nichts anderes als das wider, worum es an diesen Orten geht. Um dies für sich als bereichernd wahrnehmen und konstruktiv in Arbeitsprozesse einbringen zu können, ist es entscheidend, wissenschaftliche Expertise, berufliche Begeisterung und persönliche Empathie in ein ausgewogenes und reflektiertes Verhältnis zueinander zu bringen. Die Gedenkstätte zum Beruf zu machen, setzt die Bereitschaft voraus, sich einer wiederkehrenden Sprachlosigkeit angesichts menschenverachtender Gewalt und eines den eigenen Erfahrungen nicht zugänglichen Leidens stellen zu wollen. Wie bei den Besuchern gilt für Beschäftigte in Gedenkstätten in übertragener Weise: Emotion ohne Wissen reicht ebenso wenig aus wie Kompetenz ohne Empathie. Weinen bildet, wenn es die Unverzichtbarkeit der kritischen Reflexion unserer Gegenwart erkennen lässt. Weiterführende Literatur Bothe, Alina (2019): Die Geschichte der Shoah im virtuellen Raum. Eine Quellenkritik, Berlin. Gryglewski, Elke u. a. (Hrsg.) (2015): Gedenkstättenpädagogik. Kontext, Theorie und Praxis der Bildungsarbeit zu NS-Verbrechen, Berlin Klei, Alexandra (2011): Der erinnerte Ort. Geschichte durch Architektur. Zur baulichen und gestalterischen Repräsentation der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bielefeld. Sturdy Colls, Caroline (2014): Holocaust Archaeologies. 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Stiftungen) https: / / www.bundesregierung.de / breg-de / bundesregierung / staatsministerinfuer-kultur-und-medien / aufarbeitung-und-gedenken / gedenken-an-die-ns-op fer / kz-gedenkstaetten Linksammlung zur Erinnerung an die NS-Verbrechen (umfangreiche Datenbank mit Links zu Gedenkstätten und anderen Gedenkorten, Erinnerungs- und Forschungsprojekten, Überlebendenverbänden, Fördervereinen, Zusammenschlüssen von Gedenkstätten auf Landesebene, Online-Ressourcen) Gedenkstättenreferat, Stiftung Topographie des Terrors https: / / www.gedenkstaettenforum.de / nc / linksammlung/ 210 W eBlInks zu p ortalen , p lattformen unD l Inksa mmlungen Gedenkstättenforum (Informations- und Kommunikationsplattform der NS-Gedenkstätten im deutschsprachigen Raum) Gedenkstättenreferat, Stiftung Topographie des Terrors https: / / www.gedenkstaettenforum.de Gedenkstättenrundbrief (Fachorgan der NS-Gedenkstätten zur Geschichte der historischen Orte und der aktuellen Gedenkstättenarbeit) Gedenkstättenreferat, Stiftung Topographie des Terrors https: / / www.gedenkstaettenforum.de / nc / gedenkstaettenrundbrief/ Orte der Repression in SBZ und DDR (Internetportal zu Gedenkstätten, Museen und historischen Orten) Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland https: / / www.orte-der-repression.de Linksammlung zu Gedenkstätten und Museen zur Geschichte der DDR (Links zu Gedenkstätten zur Erinnerung an Opposition, Widerstand und Verfolgung in der DDR sowie zu Grenzmuseen) Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur https: / / www.bundesstiftung-aufarbeitung.de / de / erinnern / museen-und-gedenk staetten / linkliste Politikergedenkstiftungen des Bundes (Portal der sechs bundesgetragenen Stiftungen früherer Reichs- und Bundeskanzler) Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung http: / / politikergedenkstiftungen.de ICMEMO: Institutionelle Mitglieder (Links zu Institutionen, die weltweit Mitglied im ICMEMO-Netzwerk zur Erinnerung an „public crimes“ sind) International Comittee of Memorial Museums in Remembrance of the Victims of Public Crime http: / / icmemo.mini.icom.museum/ 211 W eBlInks zu p ortalen , p lattformen unD l Inksa mmlungen International Coalition of Sites of Conscience: Mitglieder (Liste der über 275 eingetragenen Mitgliedsorganisationen in 65 Ländern) International Coalition of Sites of Conscience https: / / www.sitesofconscience.org / en / members / members-list/ European Holocaust Research Infrastructure (EHRI) (Datenbank und Informationsplattform zu Archiven und Forschungsressourcen zur Geschichte des Holocaust) EHRI, c / o NIOD Institute for War, Holocaust and Genocide Studies https: / / www.ehri-project.eu Evidence: The Map of Holocaust by Bullets (Datenbank mit Zeitzeugeninterviews zu Holocaust-Tötungsstätten im Bereich der früheren Sowjetunion) Yahad-In Unum https: / / yahadmap.org/ #map/ Lernen aus der Geschichte (Plattform zur historisch-politischen Bildungsarbeit in Gedenkstätten der Bundesrepublik) Agentur für Bildung - Geschichte, Politik und Medien e. V. http: / / lernen-aus-der-geschichte.de Clio Guide: Museen und Gedenkstätten (Beitrag von Irmgard Zündorf und Stefan Zeppenfeld zu digitalen Ressourcen für die Geschichtswissenschaften) https: / / guides.clio-online.de / sites / default / files / clio / guides/ 2016 / Zuendorf-Zep penfeld_Museen-und-Gedenkstaetten_2016.pdf D ank Dank An den Orten der nationalsozialistischen Verbrechen stehen wir vor den Trümmern einer Geschichte, die seit der Aufklärung auf Vernunft und Freiheit gegründet worden war. In diesem Sinne sind in den vorliegenden Band vielfältige Impulse aus Begegnungen mit Überlebenden eingegangen, die mich an ihren Erfahrungen und ihrem Umgang damit teilhaben ließen. Darunter haben mir insbesondere Yehuda Blum, György Denes, Wilhelm Henze und Alexandra Sekowska ausnehmend viel von ihrer Zeit geschenkt. In Gesprächen mit zahlreichen Kollegen aus der Gedenkstättenarbeit habe ich Grundlegendes über verschiedene Zugänge zu ihrer Arbeit und diesen Orten gelernt. Zunächst fanden diese im Kontext von bürgerschaftlich getragenen Gedenkstätten statt, hier vor allem mit Fietje Ausländer, Werner Boldt, Bruno Brückner, Kurt und Marianne Buck, Sabine Mithöfer und allen anderen Mitarbeiterinnen des DIZ Emslandlager und den Mitgliedern des Vorstands seines Trägervereins sowie - stellvertretend für andere niedersächsische Gedenkstätten - mit Andreas Ehresmann, Dietmar Sedlaczek und Elke Zacharias. Mit Dietfrid Krause-Vilmar verbindet mich neben dem Plädoyer für eine dezentrale und demokratische Erinnerungskultur, wie er den Schaffner eines verspäteten ICE auf dem Weg zu einem Gedenkstättentreffen von der Notwendigkeit eines „außerordentlichen“ Halts überzeugen konnte. Während meiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten habe ich nicht nur von der Zusammenarbeit mit den Beschäftigten der Gedenkstätten Bergen-Belsen und Wolfenbüttel sowie der Abteilung Gedenkstättenförderung immens profitiert, sondern auch vom Austausch mit den Leitern anderer Stiftungen und Gedenkstätten, vor allem mit Insa Eschebach, Gabriele Hammermann, Günter Morsch, Jörg Skriebeleit und Jens-Christian Wagner. Thomas Lutz hat mich durch seine Beharrlichkeit beeindruckt, mit der er die Vereinbarkeit von Professionalität und Dezentralität gefordert und moderiert hat. Insbesondere Detlef Garbe und Oliver von Wrochem sind ebenso stete wie anregende Gesprächspartner geblieben. Diese wie auch andere langjährigen Freundschaften vor allem mit Peter Fischer und Paul Verschure sind seither nicht zuletzt mit der Frage verbunden gewesen, welche gesellschaftspolitischen Aufgaben die Erinnerung an die NS-Verbrechen in Gegenwart und Zukunft hat. Aus meinem universitären Umfeld ist die Zusammenarbeit mit Steffi de Jong hervorzuheben, deren Arbeiten zur Zeugenschaft und transdisziplinärer Blick gerade in der Konzeptionsphase des Buches von großem Gewinn für mich waren. 214 D ank Mit Wulf Kansteiner konnte ich intensiv über die Perspektiven des Erinnerns im digitalen Zeitalter diskutieren. Holger Thünemann und Bernd Weisbrod haben nicht nur das Manuskript gelesen und wertvolle Hinweise gegeben, sondern wie auch Andrew Beattie, Gudrun Gersmann, Ralph Jessen, Inge Marßolek, Peter W. Marx, Miriam Rürup und Georg Wamhof das Projekt auf verschiedene Weise mit in Gang gebracht und gehalten. Die Herausgeberinnen der Reihe „Public History“, Stefanie Samida und Irmgard Zündorf, haben den Band angeregt und durch ihre Überlegungen zum Konzept und Vorschläge zum Manuskript bereichert. Valeska Lembke und Corina Popp haben den Band verlagsseitig so geduldig wie umsichtig begleitet. Bei allen Genannten und denjenigen, die aus verschiedenen Gründen nicht namentlich erwähnt worden sind, möchte ich mich sehr herzlich bedanken. Gerade die immer noch bestehenden unterschiedlichen Ansätze in der Gedenkstättenarbeit, die auch in diesem Band durchscheinen, zeigen, dass Erinnerung nach wie vor ein demokratisches Projekt ist. Das sollte so bleiben: Verstehen wir eine demokratische und liberale Gesellschaft seit 1945 als Antwort auf die nationalsozialistischen Verbrechen und andere Diktaturen, so dient die von einem breiten gesellschaftlichen Engagement getragene, dezentrale und pluralistische Erinnerungsarbeit als wesentliches Momentum, um die realistische Gefahr einer Wiederkehr der Zerstörung von Freiheit, Selbstbestimmung und Würde zu bannen. c lIo g uID e : m useen unD g eDenkstätten Abkürzungsverzeichnis BKM Beauftragte / r der Bundesregierung für Kultur und Medien BStU Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen DC-Cam Documentation Centre Cambodia DIZ Dokumentations- und Informationszentrum DPs Displaced Persons EHRI European Holocaust Research Infrastructure EVZ Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ ICMEMO International Comittee of Memorial Museums in Remembrance of the Victims of Public Crime ICOM International Council of Museums IHRA International Holocaust Remembrance Association IHRA International Holocaust Remembrance Alliance KGB Komitet Gossudarstwennoi Besopasnosti (Komitee für Staatssicherheit) SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SGBM Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora T4 Tiergartenstraße 4 (Zentraldienststelle zur Koordination der systematischen Ermordung von Kranken im Nationalsozialismus) UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization USHMM United States Holocaust Memorial Museum VVN Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes YIVO Yidisher visnshaftlekher institut (Jiddisches Wissenschaftliches Institut) Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Iris Groschek (KZ-Gedenkstätte Neuengamme, ÖA) Abb. 2, 3, 4, 5, 12, 16: Sammlung Postkarten Erinnerungsorte (Habbo Knoch) Abb. 6: Volker Thies, 2008, CC BY-SA 3.0. https: / / commons.wiki media.org / wiki / File: Hadamar_Gedenkst%C3%A4tte_ Schuppen.JPG Abb. 7: Stephen C. Dickson, 2019, CC BY-SA 4.0. https: / / commons. wikimedia.org / wiki / File: Cells_in_Bautzen_II.jpg Abb. 8: Inhiber, 2011, CC BY-SA 3.0. https: / / commons.wikimedia. org / wiki / File: Fenster-des-Gedenkens-Berlin.jpg Abb. 9: Modzzak, 2009, CC BY-SA 3.0. https: / / commons.wikime dia.org / wiki / File: Jasenovac_2-2009.JPG Abb. 10: Adam Jones, 2012, CC BY-SA 3.0. https: / / commons.wiki media.org / wiki / File: Skull_and_Belongings_of_Geno cide_Victims_-_Genocide_Memorial_Center_-_Kigali_-_ Rwanda.jpg Abb. 11: Kevin Dooley, 2013, CC BY 2.0. https: / / commons.wikime dia.org / wiki / File: Photos_of_survivors_in_Nanjing_Mas sacre_(flickr9 106 319 989).jpg Abb. 13: Habbo Knoch, 2015 Abb. 14: Dr. Karl-Heinz Hochhaus, 2015, CC BY 3.0. https: / / com mons.wikimedia.org / wiki / File: 2015_10_15_Gst_Lg_ Sandbostel_hint_B_3_IMG_4392_P.JPG? uselang=fr Abb. 15: Losch, 2011, CC BY-SA 3.0. https: / / commons.wikimedia. org / wiki / File: Gedenkst%C3 %A4tte_KZ_Bergen-Belsen_ IMG_8411.jpg Abb. 17: Friedrich Stark, 1979, Alamy Stock Photo. Image ID: P9E9XB Abb. 18: Mazbln, 2008, CC BY-SA 3.0. https: / / commons.wikimedia. org / wiki / File: Srebrenica_Graveyard.JPG Literaturverzeichnis Adorno, Theodor W. (1970): Erziehung nach Auschwitz (1966), in: ders., Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmuth Becker 1959-1969, Frankfurt a. M., S. 92-109. Agamben, Giorgio (2002): Homo Sacer. Die Souveränität der Macht und das nackte Leben, Frankfurt a. M. Alba, Avril (2015): The Holocaust Memorial Museum. Sacred secular space, London. Alexander, Jeffrey C. (2004): Towards a Theory of Cultural Trauma, in: ders. u. a., Cultural Trauma and Collective Identity, Berkeley, S. 1-30. Allmeier, Daniela u. a. (Hrsg.) (2016): Erinnerungsorte in Bewegung. Zur Neugestaltung des Gedenkens an Orten nationalsozialistischer Verbrechen, Bielefeld. Andermann, Jens (2012): Showcasing Dictatorship: Memory and the Museum in Argentina and Chile, in: Journal of Educational Media, Memory & Society 4, S. 69-93. 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Register der Namen und Orte 5.12 Wenchuan Earthquake Memorial Museum, Sichuan 108 A A-Bomb Dome, Hiroshima 103 Adenauer, Konrad 134 Adorno, Theodor W. 152 African Burial Ground National Monument, New York 110 Agamben, Giorgio 40 Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. 18, 69, 185 Alexander, Jeffrey 46 Alt St. Alban, Köln 16 Amersfoort 94 Amicale Internationale KZ Neuengamme 9, 179 Annaberg, Oberschlesien 57 Anne-Frank-Haus, Amsterdam 66, 124 Anne-Frank-Stiftung 66 Antistalinistische Aktion Normannenstraße e.V. 89 Apartheid-Museum, Johannesburg 138 Apel, Hans 74 Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland 185 Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten 179 Arbeitsgemeinschaft Grenzmuseen 89 Arbeitskreis Carl von Ossietzky 74 Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten in NRW e.V. 185 Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen Euthanasie und Zwangssterilisation 186 Arendt, Hannah 42 Arolsen Archives - International Center on Nazi Persecution 190 Aschrottbrunnen, Kassel 72 Assmann, Aleida 31, 36, 47, 127 Assmann, Jan 31 Auschwitz 5, 14, 16, 39, 60, 61, 69, 70, 103, 106, 119, 121, 164, 168, 170 B Bad Frankenhausen 16 Bali Bombing Memorial, Kuta 109 Bandera, Stephan 97 Bautzen 5, 88, 128, 180 Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien 183 Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen 89, 91, 183 Beit Lohamei HaGhetaot, Haifa 62 Belzec 60 Benz, Wolfgang 122 Bergen-Belsen 2, 16, 17, 60, 62, 63, 67, 68, 73, 113, 134, 160, 201 Berghof, Obersalzberg 20 Berliner Bürger-Verein 89 Berliner Mauer 5, 89 Berlin-Hohenschönhausen 5, 89, 92, 129 Berlin-Plötzensee 16, 63 Bogdanovic, Bogdan 99 Brandenburg-Görden 88 Brandt, Willy 70 Brebeck, Wulff E. 133, 181 Bubis, Ignatz 79 Buchenwald 2, 5, 6, 16, 31, 60, 65, 80, 81, 87, 106, 154, 201, 204 Bückeberg, Emmerthal 44 Bujumbura, Burundi 101 Bund der Verfolgten des Nationalsozialismus 179 Bund der Vertriebenen 85 Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 91, 183, 185 Bundesverband für Information und Beratung für NS-Verfolgte e.V. 190 Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e.V. 190 Bundeszentrale für politische Bildung 18, 185 Bush, George W. 169 C Centre de Documentation Juive Contemporaine, Paris 13 Chatyn 116 Choeung Ek, Phnom Penh 107, 119 Clinton, Bill 108 Cohen, Stanley 47 Comarca Balide, Timor Leste 109 Comité International de Dachau 68, 179 Cornelißen, Christoph 35 Cremer, Fritz 65 234 r egIster Der n a men unD o rte Dachau 1, 5, 6, 16, 17, 60, 62, 64, 67, 68, 76, 106, 152, 160, 176, 182, 201 Demjanjuk, John 43 Demnig, Gunter 11 Denkmal der Helden des Ghettos, Warschau 13, 70 Denkmal Der unbekannte Deserteur, Bremen 72 Denkmal des Posener Aufstands, Posen 95 Denkmal für den unbekannten jüdischen Märtyrer, Paris 66 Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin 13, 79, 83 Denkmal für die gefallenen Werftarbeiter von 1970, Danzig 95 Denkmal für die heldenhaften Verteidiger, Leningrad 66 Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas, Berlin 84, 160 Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, Berlin 76, 84 Denkmal für die Opfer der deutschen Besatzung, Budapest 98 Deutsch-Deutsches Museum Mödlareuth, Töpen 89 Deutsches Historisches Museum, Berlin 71, 85, 175 Deutsch-polnische Gedenkstätte für Flucht, Vertreibung und Neuanfang, Rosow 85 Diner, Dan 39, 77 Documentation Centre Cambodia, Phnom Penh 108 Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Emslandlager, Papenburg 1, 2, 73, 74 Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Torgau 88 Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Berlin-Schöneweide 125 Doss, Erika 102 Dossin-Kaserne, Mechelen 94 Drancy 94 Droysen, Johann Gustav 49 Düppeler Schanzen, Südjütland 57 Durkheim, Émile 30, 114 Dzerzinskij-Denkmal, Moskau 95 Dzerzinskij-Denkmal, Warschau 95 E Ehrenmal, Bonn 69 Ehrenmal der Bundeswehr, Berlin 85 Ehrenmal des 16. März 1945, Würzburg 64 Ehrenmal im Treptower Park, Berlin 95 Eichmann, Adolf 42, 67, 168 Elser, Georg 76 Erinnerungsort Alter Schlachthof, Düsseldorf 7 Erinnerungsort Hotel Silber, Stuttgart 177 Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle 7 Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen der deutschen Geschichte, Rastatt 17 Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde, Berlin 89 Escuela de Mecánica de la Armada, Buenos Aires 105 Esterwegen 74 European Holocaust Research Infrastructure 187, 195 European Network Remembrance and Solidarity 166 Euthanasie-Gedenkstätte Lüneburg 177 F Facing History and Ourselves 148 Faulenbach, Bernd 81 Fechter, Peter 16 Fédération Internationale des Résistantes 180 Fischer, Joschka 152 Flossenbürg 16, 63, 64, 194 Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Hamburg 7 Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße, Berlin 89 Franco, Francesco 48, 101 Frank, Anne 66, 124, 168 Frankfurter Homosexuellenmahnmal 76 Frank, Otto 124 Freiheits- und Einheitsdenkmal, Berlin 91 Friedhof Bockhorst / Esterwegen (Gedenkhalle) 74 Friedrich-Ebert-Stiftung 17 Fritz-Bauer-Institut 148, 181 G Garbe, Detlef 77 Gedenkort denk.mal Hannoverscher Bahnhof, Hamburg 6, 7, 8, 10 Gedenkstätte Alte Synagoge, Essen 73 Gedenkstätte Breitenau, Guxhagen 73 Gedenkstätte des nationalen Leidens, Theresienstadt 6 Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin 76 Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn, Sommersdorf 89 Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau 180 Gedenkstätte Hadamar 75 Gedenkstätte ICE-Unglücksstelle, Eschede 21 Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel 177 Gedenkstätte Kaprun 21 235 r egIster Der n a men unD o rte Gedenkstätte KZ Oberer Kuhberg, Ulm 73 Gedenkstätte Museum in der Runden Ecke, Leipzig 129, 180 Gedenkstättenreferat, Topographie des Terrors 185 Gedenkstätte Potocari / Srebrenica 168 Gedenkstätte Weiße Kreuze, Berlin 89 Gedenktafel für Deserteure, Kassel 72 Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin 12, 19, 44, 76, 79, 176 Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen Euthanasie-Morde, Berlin 84 General Grant National Memorial, New York 58 Gerz, Jochen 72 Girard, René 40 Glid, Nandor 68 Goethe, Johann Wolfgang von 15 Goldhagen, Daniel J. 43, 79 Gröning, Oskar 43 Gurs 94 H Habermas, Jürgen 39 Hadid, Zaha 108 Halbwachs, Maurice 30, 31 Halle 88 Hamburger Institut für Sozialforschung 43, 79 Hannah-Arendt-Institut 91 Harburger Mahnmal gegen Faschismus, Krieg, Gewalt, Hamburg 72 Haug, Verena 146 Hauptkirche St. Nikolai, Hamburg 16 Haus der europäischen Geschichte, Brüssel 166 Haus der Geschichte, Bonn 71, 175 Haus des Terrors, Budapest 98 Heeresgedenkstätte, Leineschloss, Hannover 15 Heimkehrerkirche, Friedland 64 Heinemann, Gustav 17, 70 Herzog, Roman 84 Heyl, Matthias 122 Hiroshima Peace Memorial Museum 102, 168 Historial, Hartmannswillerkopf 21 Hoa Lo Museum, Hanoi 110 Hobsbawm, Eric 48, 109 Hoheisel, Horst 72 Holocaust Memorial Trust 170 Holocaust-Museum, Budapest 97 Homomonument, Amsterdam 76 Hoxha-Denkmal, Tirana 95 I Ibel, Johannes 194 Imperial War Museum, London 136, 170 Independence Memorial Museum, Windhoek 111 In Flanders Fields Museum, Ypern 138 Instytut Pami ę ci Narodowej 13 Interessengemeinschaft niedersächsischer Gedenkstätten und Initiativen zur Erinnerung an die NS-Verbrechen 186 International Coalition of Sites of Conscience 171 International Comittee of Memorial Museums in Remembrance of the Victims of Public Crimes 186 International Commission for Missing Persons 169 International Council of Museums 103, 131, 186 Internationale Assoziation ehemaliger politischer Gefangener und Opfer des Kommunismus 180 Internationales Auschwitz-Komitee 180 Internationales Lagerkomitee Buchenwald 179 Internationales Ravensbrück-Komitee 179 International Holocaust Remembrance Alliance 21, 167, 187 International Tracing Service 190 J Jäckel, Eberhard 83 Jäger, Herbert 42 Jasenovac 99 Jenninger, Philipp 72 Jewish Claims Conference 180 Johannes Paul II. 168 Jüdisches Historisches Institut, Warschau 13, 62 Jüdisches Museum Berlin 133, 175 Jüdisches Museum und Zentrum für Toleranz, Moskau 97 K Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Berlin 16 Karl-Marx-Haus, Trier 17 Katyn 98 Kew Lunatic Asylum, Melbourne 110 Kigali Memorial Center, Gigozi 103 Klemperer, Victor 79 Klüger, Ruth 79, 122 Knigge, Volkhard 52 Koelle, Fritz 62 Köhler, Horst 49 Kohl, Helmut 71, 78, 83 Kollwitz, Käthe 78 Komitee der Moorsoldaten 74 Korff, Gottfried 123 Korn, Salomon 87 Koselleck, Reinhart 2, 32 236 r egIster Der n a men unD o rte Kößler, Gottfried 140 Kromschröder, Gerhard 73 Kulka, Otto Dov 39 L Ladelund 177 Lady Di Memorial, Paris 12 Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Hessen 186 Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen zur NS-Zeit in Rheinland-Pfalz 186 Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen in Baden-Württemberg 186 Landesarbeitsgemeinschaft Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein 186 Landeswohlfahrtsverband Hessen 75 Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg 146 Landsberg, Alison 33 Lanzmann, Claude 38 La tombe du soldat inconnu, Arc de Triomphe, Paris 14 Lemkin, Raphael 38 Lenin-Denkmal, Berlin 95 Lenin-Mausoleum, Moskau 58 Lettisches Okkupationsmuseum, Riga 98 Levi, Primo 42 Levy, Daniel 167 Lewin, Leonid 116, 117 Libeskind, Daniel 109 Lidice 66 Lilienthal-Gedenkstätte, Berlin 58 Lübbe, Hermann 50 Lugar de la Memoria, la Tolerancia y la Inclusión Social, Lima 200 Lutz, Thomas 185, 199 M Mahnmal des kämpfenden Frankreich, Paris 66 Mahnmal für die schwulen und lesbischen Opfer des Nationalsozialismus in Köln 76 Mahnmal zur Erinnerung an die Deportierten, Paris 66 Maison des Esclaves, Gorée Island 103, 111 Majdanek 5, 60, 61 Maji-Maji-Museum, Songea 112 Maly-Trostenez 116 Manzanar National Historic Site, Kalifornien 110 Margalit, Avishai 173 Marine-Ehrenmal, Laboe 20 Martef HaShoah, Jerusalem 62 Mauer der Trauer, Moskau 96 Mauthausen 63, 76, 94 Meier, Christian 50 Memorial Katyn 98 Memorial, Moskau 13 Memorium, Nürnberg 85 Menschenrechtszentrum Cottbus e.V. 90, 180 Merleau-Ponty, Maurice 49 Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, Dresden 175 Mitscherlich, Alexander 45 Mitscherlich, Margarete 45 Mittelbau-Dora 80, 154 Möcklinghoff, Egbert 74 Monument der Märtyrer, Algier 111 Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, Santiago de Chile 200 Museum der Deutschen Geschichte, Berlin (Ost) 71 Museum der Geschichte der polnischen Juden, Warschau 97 Museum des Warschauer Aufstands, Warschau 98 Museums für Hamburgische Geschichte 10 Mütter der Plaza de Mayo 105 Mutter Heimat, Wolgograd 66 Mütter von Srebrenica 169 Myall Creek Massacre Memorial, New South Wales 109 N Nanjing Massacre Memorial Hall, Nanjing 105 Nationale Gedenkstätte Fort Breendonk 6 Nationales Museum zur Erinnerung der Opfer des Holodomor, Kiew 97 National Memorial for Peace and Justice, Montgomery / Alabama 110, 138 National Park Service 110 National September 11 Memorial & Museum, New York 18, 109 Natzweiler-Struthof 66, 94 Nederlands Instituut voor Oorlogs-, Holocausten Genocidestudies, Amsterdam 13 Neuengamme 7, 8, 16, 67, 68, 73, 76, 139, 176, 195 Neue Wache, Berlin 71, 78 Niederdeutsche Gedenkstätte Stedingsehre, Bookholzberg 59 Nolte, Ernst 71 Nora, Pierre 15 NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln 73, 79, 196 NS-Dokumentationszentrum München 20, 44, 85 237 r egIster Der n a men unD o rte NS-Reichsparteitagsgelände, Nürnberg 20 O Öffentliches Denkmal Mauthausen 6 Okkupations- und Freiheitsmuseum Vabamu, Tallinn 97 Oklahoma City National Memorial 108 Olick, Jeffrey 32 Oradour sur Glane 66 P Parco Storico di Monte Sole, Marzabotto 66 Perm-36, Ural 96 Platform of European Memory and Conscience 166 Platz der Opfer des Nationalsozialismus, München 63 Pres, Terence des 41 Putin, Wladimir 96 Puvogel, Ulrike 18 R Ravensbrück 2, 16, 65, 80, 154 Reagan, Ronald 71 Reemtsma, Jan-Philipp 1, 3, 4 Reichsparteitagsgelände, Nürnberg 85 Remembering Srebrenica 170 Rieff, David 50 Robben Island Museum, Südafrika 128 Robben Island, Südafrika 103, 107 Rosh, Lea 83 Rüsen, Jörn 35 S S-21, Phnom Penh 107 Sabrow, Martin 60 Sachsenhausen 2, 9, 16, 65, 80, 81, 133, 154, 182, 201, 202 Sandbostel 128 Sand Creek Massacre National Historic Site, Colorado 110 Sant’Anna di Stazzema, Lucca 94 Scheel, Walter 70 Schiller, Friedrich 15 Schmidt, Helmut 70, 160 Seebad Prora, Rügen 20 Seelower Höhen, Seelow 20 Semprún, Jorge 50 Shalev-Gerz, Esther 72 Shoah Foundation 137 Shuiyuan Village, Hsinchu 109 Sleuk Rith Institute, Phnom Penh 108 Sobibor 60, 118 Soldatenfriedhof Bitburg 71 SS-Ordensburg Vogelsang, Schleiden 44, 85 Staatliches Jüdisches Museum, Prag 62 Staatliches Museum der Geschichte der Gulag, Moskau 96 Stasimuseum, Berlin 89 Stiftung Berliner Mauer 89 Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas 176, 184 Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft 13, 184 Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung 85 Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora 87, 161, 176 Stiftung niedersächsische Gedenkstätten 176 Stiftung sächsische Gedenkstätten 87 Stiftung Topographie des Terrors 125, 176 Stürmer, Michael 71 Stutthof 60, 61 Sznaider, Natan 167 T Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance, and Research 167 Thälmann, Ernst 16 Theilmann, Fritz 64 The Tomb of the Unknown Soldier, Westminster Abbey, London 14 Topographie des Terrors, Berlin 76, 79, 124, 185, 201 Treblinka 60, 118 Tudjman, Franjo 100 Tule Lake National Monument, Kalifornien 110 U UNESCO 167 Ungarisches Jüdisches Museum, Budapest 62 Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft 180 United States Holocaust Memorial Museum, Washington 12, 18, 71, 103, 136, 138, 170, 172 Utøya 109 V Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes 179 Villa ten Hompel, Münster 44 Vinke, Hermann 73 Volkan, Vamik 46 Völkerschlachtdenkmal, Leipzig 56 Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. 21 Vught 94 W 238 r egIster Der n a men unD o rte Walser, Martin 79 Webber, Jonathan 116, 163 Weizsäcker, Richard von 48, 49, 72 Welzer, Harald 32 Westerbork 73, 94, 128 Wewelsburg 133 Wiener Library, London 13 Williams, Paul 103 Winter, Jay 31 Woerth 57 Wounded Knee Hill, South Dakota 55 Y Yad Vashem, Jerusalem 12, 62 Yahad-in Unum 26 Yale Cambodian Genocide Program 108 YIVO Institute for Jewish Research, New York 13 Young, James E. 127 Z Zeitgeschichtliches Forum Leipzig 175 Zentralrat der Juden in Deutschland 79, 87 Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam 91 Zizernakaberd, Jerewan 67 ,! 7ID8C5-cfbedh! ISBN 978-3-8252-5143-7 Habbo Knoch Geschichte in Gedenkstätten Theorie - Praxis - Berufsfelder Historisches Lernen aus gewaltsamen Vergangenheiten, insbesondere des 20. Jahrhunderts, ist inzwischen untrennbar mit Gedenkstätten verknüpft. Der Band zeichnet ihre Entwicklung nach, führt in die wichtigsten Kontroversen ein und vermittelt einen Überblick zu den Aufgabenfeldern dieser Institutionen des kollektiven Gedächtnisses, die in Europa mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden sind. Zahlreiche Kontroversen-- etwa über das Verhältnis von Gedenken und Erinnerung, den musealen Charakter oder den politischen Auftrag von Gedenkstätten - dokumentieren die Bedeutung von Gedenkstätten für die Selbstverständigung von Gesellschaften über vergangene Verbrechen. Geschichte Geschichte in Gedenkstätten Knoch Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel Public History - Geschichte in der Praxis 51437 Knoch_M-5143.indd 1 51437 Knoch_M-5143.indd 1 20.10.20 10: 04 20.10.20 10: 04