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Transkulturalität - Prozesse und Perspektiven

2021
978-3-8385-5542-3
UTB 
Jürgen Erfurt

Der Band befasst sich mit kulturellen Verflechtungs- und Austauschbeziehungen. Er geht davon aus, dass sich Gemeinschaften wie Individuen mit ihren Sprachen, Literaturen, Medien nicht in ethnisch abgeschlossenen, sprachlich homogenen und territorial abgegrenzten Räumen konstituieren, sondern durch Verflechtungen, die sich im Wesentlichen aus Migration, Mobilität und Kontakt ergeben. Er geht der Frage nach, was es bedeutet, wenn sich Kulturen in ihrer Verschiedenheit begegnen und der Kontakt zwischen ihnen auf Aushandlungsprozesse angewiesen ist. Anliegen des Buchs ist, einige der für Transkulturalität zentralen Forschungsfelder und Konzepte wie Hybridität, Translatio, migrantisches Schreiben, Erinnerung, Sprachbiographie, Diaspora, Kosmopolitismus u.a. zu diskutieren und hierbei die Bedeutung von Sprache, Sprachen und Mehrsprachigkeit im Kontext von Transkulturalität auszuloten.

Jürgen Erfurt Transkulturalität - Prozesse und Perspektiven utb 5542 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag / expert verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn transcript Verlag · Bielefeld Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld Wochenschau Verlag · Frankfurt am Main Prof. Dr. Jürgen Erfurt lehrte und forschte von 1996 bis 2020 am Institut für Romanische Sprachen und Literaturen der Goethe‐Universität Frankfurt am Main. Jürgen Erfurt Transkulturalität - Prozesse und Perspektiven Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen © 2021 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 5542 ISBN 978-3-8252-5542-8 (Print) ISBN 978-3-8385-5542-3 (ePDF) ISBN 978-3-8463-5542-8 (ePub) Umschlagabbildung: Luftaufnahme der Durchzüge, die durch Linien verbunden sind. Foto: Orbon Alija. Stock-ID: 1180187740 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 9 13 1.1 13 1.2 23 1.3 28 1.4 32 37 2.1 37 2.2 40 2.3 45 2.4 58 2.5 69 2.6 74 2.7 80 2.7.1 80 2.7.2 85 2.7.3 92 2.8 97 105 3.1 105 3.2 107 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 1: Transkulturelle Verflechtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Bahnhofsviertel in Frankfurt am Main: eine ethnografische Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transkulturalität als Prozess und als Perspektive . . . . . . . . Gegenstand und Ziele des Buchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktualität des Buchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement . . . . . . . . . . . . . . Problemskizze, Leitfrage und Argumentation . . . . . . . . . . . Das „Neldesche Gesetz“: Kein Kontakt ohne Konflikt . . . . Was ist Kultur? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bi-, Multi-, Interkulturalität als Konzepte des Konfliktmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im Schatten von Multikulturalismus und Interkulturalität: ‚Kultureller Genozid‘ an der autochthonen Bevölkerung . . Kulturalität und die Kulturalisierungsregimes im Spätkapitalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auf dem Weg zu Transkulturalität: Schlüsselbegriffe . . . . . Ungleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Differenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Emergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transkulturalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 3: Transkulturalität - Migration oder Neuerfindung des Konzepts? Problemskizze und Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fernando Ortiz: Grundlegung aus der Perspektive der Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 110 3.4 114 3.5 118 3.6 121 3.7 127 3.8 130 133 4.1 133 4.2 136 4.3 145 4.4 156 4.5 164 4.6 172 4.7 183 4.8 191 4.9 207 211 5.1 211 5.2 214 5.3 221 5.4 242 5.4.1 243 5.4.2 244 5.4.3 247 5.4.4 248 Ángel Rama und Mary Louise Pratt: Von der Anthropologie zur Literaturwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vice Versa: Transkulturalität als dritter Weg in Québec . . . Wolfgang Welsch: Transkulturalität als philosophisches Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Synoptische Darstellung zur Begriffsgeschichte von Transkulturalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transkulturalität im Paradigma des Spatial turn . . . . . . . . . Transkulturalität als Bedrohung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung . . . . . . . . . . . Gegenstand und Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mischung und Hybridität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diaspora und diasporische Lesart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erinnerung in Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Migrantisches Schreiben - Literaturen ohne festen Wohnsitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachbiografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Generation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Translatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vernetzung der Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit . . . . . . . . . . Problemskizze, Leitfrage und Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache und Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transkulturalität ante litteram und die Sprachen . . . . . . . . Hugo Schuchardts Kreolstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hugó Meltzls komparatistische Studien . . . . . . . . . . . . . . . . Jules Ronjats Untersuchungen zum bilingualen Sprachenlernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uriel Weinreichs Forschungen zu Sprachkontakt und Minderheitensprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 5.5 249 5.5.1 250 5.5.2 265 5.6 281 5.7 287 297 6.1 297 6.2 300 307 348 3 59 36 0 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallstudie 1: Mehrsprachigkeit in Moldova . . . . . . . . . . . . . Fallstudie 2: Sprachliches Lernen in einer frankophonen Grundschule in Vancouver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache und Mehrsprachigkeit in transkultureller Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprachliche Verhältnisse im frühen 21. Jahrhundert . . . . . . Kapitel 6: Entflechtungen von Transkulturalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verflechtungen und Entflechtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operationalisierung transkultureller Forschung . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhalt Vorwort „Sie bombardieren uns hier im Seminar mit immer neuen Forschungsansät‐ zen zu Transkulturalität. Können Sie uns denn nicht ein Buch empfehlen, wo man nachlesen kann, was eigentlich die Grundlagen dafür sind und wie sich diese Ansätze einordnen lassen? “ So vehement, wie eine der Studierenden des Masterstudiengangs „Moving Cultures“ ihre Kritik an diesem Seminar vortrug und andere KommilitonInnen ihr prompt darin beipflichteten, so recht hatte sie mit ihrem Ruf nach Orientierungswissen und so hilflos war ich in dieser Situation, denn ein solches Buch konnte ich ihr weder in Deutsch, noch in Englisch, Französisch oder Spanisch als den anderen Sprachen des Studiengangs empfehlen. Auch irritierte mich nicht wenig die Frage nach einem Buch. Hatten wir nicht im Semester zuvor, im Win‐ tersemester 2016/ 17, als Jan Rupp, anglistischer Literaturwissenschaftler aus Heidelberg, und ich, romanistischer Sprachwissenschaftler an der Goe‐ the-Universität Frankfurt am Main, gemeinsam die Einführungsvorlesung hielten, eine Vielzahl von Materialien bereitgestellt, die unseres Erachtens auch gut zur Orientierung taugten? Aber so recht befriedigen konnte sie dieser Hinweis nicht; und auch nicht jener auf einige nützliche Texte, die meine KollegInnen in diesem Masterprogramm in ihren Lehrveranstaltun‐ gen nutzten. Und erst recht nicht der Hinweis, dass ein solcher Studiengang darauf spekulieren würde, dass sich mit der Zeit aus den unterschiedlichen Forschungsansätzen und Lehrmeinungen in den Köpfen der Studierenden ein Bild davon zusammensetzen würde, was es mit Transkulturalität auf sich habe. Doch zeigt sich in diesem Ruf nach Orientierungswissen auch die Crux eines solchen Fächergrenzen überschreitenden und arbeitsteilig organisier‐ ten Studienprogramms, die immer wieder darin besteht, dass hier ganz unterschiedliche Logiken, Motivationen und Fachkulturen aufeinandertref‐ fen. Und je nachdem, wie intensiv sich die Beteiligten sowohl mit den daraus resultierenden neuen und sie begeisternden Forschungsperspektiven als auch mit den sich in der Lehre abzeichnenden Lücken und Problemen befassen, stellt sich früher oder später, Ermüdung einkalkulierend, auch die Frage danach, auf welches Vorwissen und auf welche bisherigen Positionen rekurriert werden kann - und dies sowohl auf der Seite der Studierenden als auch der der Lehrenden. Dabei ist die Skepsis gegenüber „Kanonwissen“ 1 „Moving Cultures - Transcultural Encounters / Cultures en mouvement - rencontres transculturelles / Culturas en movimiento - encuentros transculturales“, kurz MCTE oder Moving Cultures. mindestens ebenso groß, wie es eine Nachfrage nach Basiswissen, Orien‐ tierungswissen oder Prüfungswissen gibt. Zugleich artikuliert sich darin aber auch die Notwendigkeit, im Sinne einer Kooperation über Fächer und Fachbereiche hinweg, die jeweiligen Anknüpfungspunkte an die Thematik der Transkulturalität dadurch zu identifizieren, dass die Fluchtlinien der Argumentation deutlich herausgearbeitet werden. Diesen Zwiespalt vor Augen, verfolgt dieses Buch zwei Anliegen. Es nä‐ hert sich problemorientiert dem Gegenstand von Transkulturalität, indem es eine möglichst große Breite an philologisch-kulturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Positionen in Betracht zieht und diese in die For‐ schungsfelder zu Transkulturalität einordnet. Eine Voraussetzung dafür war und ist die langjährige Kooperation des Autors mit FachkollegInnen anderer Disziplinen und in anderen Wissenschaftskulturen, die es im Übrigen auch mit sich bringt, sich Rechenschaft über die Reichweite - und Begrenztheit - des eigenen Tuns abzulegen. Hier knüpft das zweite Anliegen unmittelbar an. Als Sprachwissenschaftler geht es mir darum, für LeserInnen, die keine SprachwissenschaftlerInnen sind, die Bedeutung von Sprache im Kontext von transkulturellen Verflechtungen sichtbar zu machen und zu zeigen, wie Sprache, methodisch kontrolliert, in die Analyse transkultureller Prozesse und Strukturen einfließt. Für SprachwissenschaftlerInnen wiederum soll die Beschäftigung mit Transkulturalität sowohl disziplinexterne Sichtweisen und Analyseansätze sichtbar machen als auch Veranlassung dazu sein, die Zusammenhänge von Sprache und Kultur zu reflektieren und insbesondere eine Auseinandersetzung darüber zu führen, wie mit dem Instrumentarium der Sprachwissenschaft kulturelle Verhältnisse durchdrungen werden kön‐ nen und die Sprache selbst als kulturelles Phänomen in ihrer Kulturalität verstanden und analysiert werden kann. Der institutionelle Rahmen, welchem dieses Buch seine Entstehung ver‐ dankt, ist der viersprachige Masterstudiengang MCTE 1 an der Goethe-Uni‐ versität Frankfurt am Main. Von AnglistInnen und RomanistInnen 2012 initiiert, stützt sich das Programm dieses Studiengangs auf eine breite inter- und transdisziplinäre Kooperation mit Lehrenden anderer Institute und Fachbereiche quer durch die Universität. Vieles, was in dieses Buch eingeflossen ist, geht auf Anregungen aus dieser Kooperation zurück. Das 10 Vorwort konkrete Forschungsmaterial freilich stammt aus den Projekten, an denen ich in den letzten zwanzig Jahren gearbeitet habe. So ist es mir ein besonderes Anliegen, den KollegInnen zu danken, mit denen ich gemeinsam diesen Studiengang aufbauen und gestalten konnte und über die Jahre hinweg in wechselnder Besetzung auch die Einführungsvorlesung gehalten habe: Astrid Erll, Frank Schulze-Engler und Roland Spiller. Dank gebührt den MitarbeiterInnen meiner Forschungsgruppe am Insti‐ tut für Romanische Sprachen und Literaturen, in deren Rahmen viele For‐ schungslinien und -details zu Fragen der Mehrsprachigkeit, des sprachlichen Lernens und der Soziolinguistik zur Diskussion standen, die auf die eine oder andere Weise in dieses Buch Eingang gefunden haben: Valérie Fialais, Ludovic Ibarrondo, Atobé Kouadio, Tatjana Leichsering, Marie Leroy, Peter Reimer, Mona Stierwald, Reseda Streb und Anna Weirich. Ebenfalls danken möchte ich KollegInnen, die über die Jahre hinweg die verschiedenen Forschungsprojekte unterstützt und begleitet oder auch das europäische Netzwerk zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuch‐ ses auf dem Feld der Mehrsprachigkeit mitgetragen haben: Klaus Boch‐ mann (Leipzig/ Halle), Gabriele Budach (Luxemburg), Véronique Castellotti (Tours), Christine Hélot (Strasbourg), Georg Kremnitz (Wien) und Danièle Moore (Vancouver). Eine große Hilfe beim Abfassen dieses Buchs waren mir die Anregungen, Einwendungen und Kritiken von Anna Weirich und Helga Bories-Sawala, die frühere Fassungen von fast allen Kapiteln gegengelesen sowie von Astrid Erll, Georg Kremnitz, Marie Leroy, Philine Erfurt Sandhu, Larisa Schippel, Mona Stierwald und Reseda Streb, die eines oder mehrere Kapitel kommentiert haben. Kathrin Heyng vom Verlag Narr Francke Attempto hat als Lektorin den Weg des Manuskripts zum Buch sorgsam und unterstützend begleitet. Joachim Gessinger hat die Abbildungen in die richtige Form gebracht. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank. Und auch hierbei gilt, dass alle im Text verbliebenen Mängel und Fehler einzig dem Autor anzulasten sind. Berlin, im Januar 2021 11 Vorwort 1 Angabe nach https: / / www.handelsdaten.de/ deutschsprachiger-einzelhandel/ travel-retail-t aegliche-anzahl-besucher-reisenden-bahnhoefe (11.8.2020). 2 Detaillierte Angaben finden sich hierzu in Stein 2019, 120-135. 3 Vgl. https: / / statistik.stadt-frankfurt.de/ strukturdatenatlas/ stadtteilprofile/ html/ atlas.ht ml. Die Stadt Frankfurt am Main insgesamt zählte zum 31.12.2019 763.380 Einwohner. Kapitel 1: Transkulturelle Verflechtungen 1.1 Das Bahnhofsviertel in Frankfurt am Main: eine ethnografische Annäherung Hauptbahnhof Frankfurt am Main. Wer hier ankommt, ist eine oder einer von etwa 460.000 Reisenden und Besuchern 1 , die täglich den Bahnhof frequentie‐ ren: Zigtausende PendlerInnen, die in die Stadt kommen oder sie verlassen; Reisende, die hier in die unterirdisch verkehrenden Züge der S- und U-Bahn umsteigen oder sich zu Fuß, per Rad, Bus, Straßenbahn oder Taxi auf den Weg in oder durch die Stadt begeben; Fernreisende, für die der Kopfbahnhof ein Ort des Umsteigens und der Weiterreise ist, zum Flughafen Frankfurt oder an andere Orte. 2 Meist herrscht Gedränge. Besonders groß ist es auf dem Querbahnsteig, wo der Schritt der Eiligen gebremst wird von anderen Reisenden mit großem oder kleinem Gepäck, von Wartenden oder von den KundInnen der zahlreichen Imbissstände. Mobilität und Stau gehören auch hier zusammen. An die weitgespannte Bahnsteighalle schließt sich die große neoklassizistische Empfangshalle an, die - soviel Geschichte sei hier schon einmal eingeflochten - die Bombardements der Stadt im Zweiten Weltkrieg relativ unbeschadet überstanden hat. Nach Osten hin öffnen sich die Türen zum Bahnhofsvorplatz und zu einem Stadtviertel, das als Bahnhofsviertel Sinnbild für urbane Wandelprozesse, soziale Konfliktlagen, kulturelle Diversität und Modernisierungsschübe unterschiedlichster Art ist. Knapp zwei Drittel der Einwohner dieses zweitkleinsten Stadtviertels von Frankfurt am Main, das gerade einmal einen halben Quadratkilometer groß ist, haben Migrationsbiografien, 65 Prozent seiner laut Stadtverwaltung Ende 2019 registrierten 3552 Einwohner. 3 So gering die Einwohnerzahl in diesem Quartier auch sein mag, an Dynamik und Geschäftigkeit steht es dem Kommen und Gehen auf dem Bahnhof kaum nach. Groß ist die Menge der Büro- und Geschäftsflächen, der Praxen und Kanzleien, der Hotels, 4 Wie der Berichterstattung in der lokalen Presse zu entnehmen ist, ist das Großprojekt des von Oktober 2020 bis 2024 geplanten Umbaus des Frankfurter Hauptbahnhofs, des Bahnhofsvorplatzes und der unterirdischen B-Ebene auch von sozialen Konflikten zwischen verschiedenen Milieus motiviert, insbesondere zwischen Geschäftswelt einer‐ seits und den Drogenabhängigen und den Obdachlosen andererseits. In der „Frankfurter Rundschau“ (FR online) vom 10.1.2020 heißt es: „Um die Rückzugsorte für Drogenkon‐ sumenten zu minimieren, will die Bahn fünf Zugänge zur B-Ebene schließen. ]…] Vorge‐ sehen ist, dem Vorplatz, der vielen Reisenden den ersten Eindruck von Frankfurt vermit‐ telt, ein neues Erscheinungsbild zu geben. […] Auf dem Vorplatz entsteht so mehr Platz für „Events“, etwa zur Bahnhofsviertelnacht.“ https: / / www.fr.de/ frankfurt/ frankfurt-u mbau-hauptbahnhofs-beginnt-herbst-13432418.html. Beabsichtigt ist, den Bahnhofs‐ vorplatz und die B-Ebene für Obdachlose, DrogenkonsumentInnen und andere mög‐ lichst unattraktiv zu machen. Am 25.4.2020 berichtet FR online: „Besonders schlimm sieht die heruntergekommene B-Ebene aus. Die weltgewandte Wirtschaftsmetropole begrüßt ihre Gäste dort mit einem unterirdischen Schandfleck […]. Es sind die Folgen von Fehlplanung und Verwahrlosung.“ https: / / www.fr.de/ frankfurt/ frankfurt-hessen-h auptbahnhof-umbau-startet-2020-b-ebene-soll-attraktiver-werden-zr-12216758.html. 5 Umgangssprachlich für die von der Stadtverwaltung im Zuge der Ausarbeitung des „Frankfurter Wegs in der Drogenpolitik“ in den 1990er Jahren eingerichteten Räume, in denen Drogenabhängige mit sauberem Besteck Drogen einnehmen können. Gaststätten, Bars und Cafés, die sich in den vielen Gründerzeithäusern wie auch in den gesichtslosen Lückenbebauungen der 1950er Jahre eingerichtet haben. Die Kaiserstraße, am Ende des 19. Jahrhunderts direkt auf den Bahnhof zuführend mit prachtvollen Häusern bebaut, ist heute, im Zuge von Gentrifizierungsprozessen des Viertels, wieder ein Ort für noble Geschäfte und aufwendige Gebäudesanierungen, darunter auch des Hauptbahnhofs selbst. 4 Wer vom Hauptbahnhof kommend durch die Kaiserstraße in die Innenstadt unterwegs ist, durchquert auf kurzem Weg das Bahnhofsviertel, so wie die vielen Angestellten, die in Business-Kostüm und Anzug in den Bank- und Geschäftstürmen am Rande des Viertels ihrer Arbeit nachgehen und auch die Klientel der umliegenden Gastronomiebetriebe bilden. Seinen bisweilen äußerst zweifelhaften Ruf bezog das Bahnhofsviertel indes‐ sen aus dem Leben in den Parallel- und Seitenstraßen zur Kaiserstraße: nördlich von ihr in der Taunus- und Niddastraße und den Querstraßen der Mosel-, Elbe- und Weserstraße, oder südlich von ihr, in Richtung Mainufer, in der Münchener Straße, der Gutleutstraße und der vielbefahrenen Wilhelm-Leuschner-Straße sowie den Hinterhöfen zwischen diesen Straßenzügen. Das Leben in diesen Straßen ist so vielfältig wie sonst kaum noch einmal in Frankfurt. Und ambivalent noch dazu, so dass sich die verbreiteten Etiketten als „Rotlicht‐ viertel“, als Viertel des Drogenhandels, der Beschaffungskriminalität und der „Drückerstuben“ 5 , als Migrantenviertel, als Szene- und Partyviertel allesamt 14 Kapitel 1: Transkulturelle Verflechtungen 6 Die Abbildung zeigt in leicht modifizierter Form die vom Stadtplanungsamt Frankfurt am Main konzipierte „Nutzungsverteilung“ aus dem Jahr 2005, adaptiert nach: Magistrat der Stadt Frankfurt am Main, Städtebauliches Entwicklungskonzept „Bahnhofsviertel“, Baustein 1/ 07, Stadtplanungsamt, März 2006, S. 16. Entwurf: bb22 architekten und stadtplaner Frankfurt, © Stadtplanungsamt Frankfurt am Main. zwar auf bestimmte soziale Milieus beziehen lassen, das Leben in diesem Viertel aber auch mit ganz anderen Augen gesehen werden kann. Begeben wir uns also auf den Weg durch dieses Viertel. 2005 Heute zeigt sich, dass Banken und Verwaltung den größten Raum einnehmen und sich das Wohnen, einschließlich der sozialen Einrichtungen im Bereich der Münchener Straße behaupten konnte. Der Rotlicht-Bezirk ist dagegen wesentlich kleiner geworden und beschränkt sich nun auf Abschnitte der Moselstraße, Elbestraße und Weserstraße. Das Mainufer konnte sich aufgrund der starken Verkehrsbelastung nicht als Wohnbereich etablieren. Auch zukünftig wird sich der Schwerpunkt des Wohnens um die Münchener Straße entwickeln. Es sollen sich Wohninseln im gesamten Bahnhofsviertel erhalten und entwickeln können (siehe zukünftige Nutzungsstruktur, S.17). WESTEND SACHSENHAUSEN MUSEUMSUFER / STÄDEL MAINZER LANDSTRASSE Main Main STÄDTISCHE BÜHNEN BANKEN DIENSTLEISTUNG ROTLICHT AMÜSEMENT WOHNEN BANKEN VERWALTUNG HANDWERK HOTELLERIE HOTELLERIE HANDEL UND DIENSTLEISTUNG EINZELHANDEL UND DIENSTLEISTUNG HOTELLERIE Soziales Soziales KAISERSTRASSE MÜNCHENER STRASSE GUTLEUTSTRASSE NIDDASTRASSE TAUNUSSTRASSE WILHELM-LEUSCHNER-STRASSE UNTERMAINKAI MOSELSTRASSE ELBESTRASSE WESERSTRASSE Nutzungsverteilung 2005 Hauptbahnhof GALLUSANLAGE TAUNUSANLAGE Abb. 1.1: Bahnhofsviertel Frankfurt am Main 6 15 1.1 Das Bahnhofsviertel in Frankfurt am Main: eine ethnografische Annäherung 7 Vgl. http: / / studios.basis-frankfurt.de. Parallel zur Kaiserstraße, entlang der Münchener Straße konzentrieren sich die Lebensmittelgeschäfte und Supermärkte der Ethnoökonomie, Läden für asiatische Produkte, Schnellrestaurants mit Döner-, Kebab- und anderen Gerichten, Reise- und Touristikagenturen und - Tür an Tür mit ihnen - einige der angesagten Bars und Kneipen der Stadt. Als ich nahe der Ecke Münchener Straße/ Elbestraße ein Bistro besuche, weist ein Plakat am Eingang auf eine Ausstellung im Hinterraum hin. Ausgestellt werden Bilder und Zeichnungen von Frauen, die nach 2015 als Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan nach Frankfurt am Main kamen. Die Flucht aus ihren Herkunftsländern hat bei ihnen traumatische Spuren hinterlassen. Angeleitet von einer Künstlerin und einer Psychotherapeutin reflektierten diese Frauen ihre Erfahrungen im Malen und Zeichnen von Bildern. Kunsttherapie einerseits, Dokumentation globaler Verwerfungen und transnationaler Fluchterfahrungen andererseits, ausgestellt in einer kleinen Galerie im Stehbistro eines türkischen Inhabers im Frankfurter Bahnhofsviertel. Und auch das ist bemerkenswert: Im Gästebuch hatten sich am Tag zuvor SchülerInnen einer benachbarten Schule eingetragen, die sich die Ausstellung ansahen. Von dieser Galerie sind es nur wenige Schritte in der Elbestraße zu dem Ort, an dem die internationale Kunstszene einen ihrer Standorte in Frankfurt etabliert hat, kurz die „Basis“ genannt. Die „Basis“ ist ein Haus voller Ateliers und Arbeitsräume für junge KünstlerInnen und Kreative. Gleich um die Ecke, nur drei Minuten zu Fuß von hier entfernt, in der Gutleutstraße, befindet sich das zweite der vier Atelierhäuser des Vereins „basis e.V.“. Allein an diesen beiden Standorten sind es etwa 100 KünstlerInnen aus der ganzen Welt, die ein Atelier bezogen haben. 7 Seit 2006 stellt die „Basis“ preisgünstige Arbeitsräume zur Verfügung, kuratiert die Ausstellungen der KünstlerInnen und unterhält ein internationales Austauschprogramm. „Vernetzung“ und „Vermittlung“ sind wiederkehrende Schlüsselworte in der Programmatik der „Basis“, Vernetzung innerhalb globaler Kunstprozesse einerseits und Vermittlung künstlerischer Inhalte und der Rolle der Kunst in der Gesellschaft andererseits. In den späten 1990er Jahren, als das Bahnhofsviertel mit Meldungen über Drogen, Prostitution, Kriminalität und Verfall noch immer und immer wieder in den Schlagzeilen stand und die Mieten auch deshalb hier noch erschwinglich waren, zogen die ersten KünstlerInnen und Kreativen in 16 Kapitel 1: Transkulturelle Verflechtungen 8 Welz (2010, 310) spricht von „Aufwertung des Bahnhofsviertels“, die kein klassischer Fall von Gentrifizierung sei. Sie konzediert dem Frankfurter Stadtplanungsamt eine „sozialverträgliche Gentrifizierung, in die auch die Nutzungsansprüche der im Viertel lebenden Bewohner mit eingehen“ zu betreiben. Die Stadt habe erkannt, „dass die Attraktivitätssteigerung des Viertels gerade auch aus der vorgefundenen Vielfalt der Nutzungen und Nutzergruppen und dem ästhetischen Reiz der Brüche und Kontraste [….] ihre mögliche Energie schöpfen kann“ (ebd.). Kulturpolitisch flankiert wird die Steigerung der Attraktivität des Viertels durch Straßenfeste, Stadtteilführungen, darunter auch im Rotlichtbezirk, die Öffnung der Künstler-Ateliers für BesucherInnen und anderes mehr. 9 Vgl. dazu die ausführlichen Angaben in Schupp 2017, 35ff. 10 Das Amt für multikulturelle Angelegenheiten (AmkA) der Stadt Frankfurt am Main wurde 1989 auf Initiative des Grünen-Politikers und damals neu gewählten Stadtrats Daniel Cohn-Bendit gegründet. Zur Geschichte des AmkA, vgl. AmkA 2009. leerstehende Räume ein. Der Magistrat der Stadt griff diese Entwicklung auf und förderte die Nutzung von Immobilien als Arbeits- und Ausstel‐ lungsräume für innovative Gegenwartskunst. Die „Basis“ ist einer der Akteure auf diesem Feld; die Kunstgalerien im Viertel, die nahe gelegene Städel-Kunstschule auf der anderen Mainseite sind weitere. Zielte die Stadtentwicklungspolitik der frühen 2000er Jahre auf eine Aufwertung des Bahnhofsviertels und zeigten sich mit dem „Frankfurter Weg“ Erfolge in der Drogenpolitik und der Kriminalitätsprävention, um nur diese zwei Aspekte zu erwähnen, so drehte sich in den letzten Jahren der Wind im Bahnhofsviertel spürbar in Richtung Gentrifizierung. 8 Für schmale Budgets, nicht nur der jungen Kreativen, wird der Platz zunehmend enger. Mitten im baulich stark verdichteten Bahnhofsviertel, auf halbem Wege zwischen Kaiserstraße und Mainufer, liegt entlang der Moselstraße der Schulhof und das Gebäude der Karmeliterschule, eine Grundschule für die Klassen 1 bis 4, die noch mehr als das Stadtviertel insgesamt von sprachlicher und kultureller Diversität geprägt ist. Wenn in Frankfurt am Main seit Anfang der 2000er Jahre die Zahl der Schulanfänger mit Migrationsbiogra‐ fien jährlich zunächst bei über 50 Prozent und heute bei deutlich über 60 Prozent 9 liegt, so ist dieser Prozentsatz in der Karmeliterschule signifikant höher. Die Karmeliterschule ist deshalb auch einer der ersten beiden Akteure eines Modellprojekts zur Förderung von Mehrsprachigkeit, das unter dem Titel „mitSprache“ vom Amt für multikulturelle Angelegenheiten (AmkA) 10 und dem Staatlichen Schulamt 2001/ 02 aufgelegt wurde. In den folgenden Jahren kommen weitere fünf Grund- und weiterführende Schulen hinzu sowie, von 2009 an, auch fünf Frankfurter Kitas. Das Förderprogramm „mitSprache“ wendet sich an Schulen, in denen 80 und mehr Prozent 17 1.1 Das Bahnhofsviertel in Frankfurt am Main: eine ethnografische Annäherung der SchülerInnen Migrationsbiografien haben und viele dieser Kinder in Familien aufwachsen, in denen kein oder kaum Deutsch gesprochen wird. Für die jeweilige Schule bedeutet das, mit einem hohen Maß an sprachlicher Diversität umgehen zu müssen, für die Kinder wiederum, dass die schuli‐ schen Lernkontexte in Deutsch quer liegen zu ihren familiär praktizierten Herkunftssprachen bzw. den Sprachen der Migration. Genau in diesem Spannungsbogen setzt das Konzept des Modellprojekts „mitSprache“ an. Es legt den Akzent auf ein Bündel von Aktivitäten, die anderes bewirken wollen als dem Prinzip sprachlicher Assimilation - alles was zählt ist die Beherrschung des Deutschen - zu folgen. So wird einerseits die Aneignung des Deutschen als Zweitsprache im Zusammenhang mit der Förderung der Mehrsprachigkeit der Kinder gesehen, andererseits setzt „mitSprache“ auf die Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern sowie auf die Fortbildung des Lehr- und Erziehungspersonals zu Fragen der sprachlichen Diversität und des Lernens in mehreren Sprachen (vgl. AmkA 2007, Küpelikilinc/ Taşan 2012, Leichsering 2009, 2014). Studierende der Goethe-Universität Frankfurt am Main, die in der Karmeliterschule hospitierten, zeigten sich immer wieder beeindruckt vom Engagement und Ideenreichtum der LehrerInnen, von der wertschätzenden und freundlichen Atmosphäre in der Schule und den Lernfortschritten der Kinder. Einige Jahre zuvor hatte das AmkA bereits das Programm „Mama lernt Deutsch“ (1997 ff.) konzipiert, das später um den Zusatz „Papa auch“ erwei‐ tert wurde. Während die Kinder in der Schule sind, so die Grundidee, sollen die Mütter von einem niedrigschwelligen stadteilbezogenen Angebot zur sprachlichen Basisorientierung profitieren können (vgl. Lochmann/ Loreth 2008). Von diesen beiden Programmen, „mitSprache“ und „Mama lernt Deutsch - Papa auch“ gingen starke Impulse für die gesamte Integrations‐ diskussion auf kommunaler Ebene in Deutschland aus. Beide Programme hatten über viele Jahre hinweg in der Karmeliterschule einen festen Platz, bis „mitSprache“ als Modellprojekt, trotz positiver Evaluation und ohne, dass ein entsprechendes Folgeprogramm existierte, 2013 eingestellt wurde. Kehren wir von der Karmeliterschule zurück zum Hauptbahnhof und begeben uns in den von der Kaiserstraße aus nördlich gelegenem Teil des Bahnhofsviertels. Dieser Teil erstreckt sich über die Taunusstraße und die Niddastraße zur Mainzer Landstraße. Die breite sechsspurig befahrene Mainzer Landstraße hebt sich mit ihren Neubauten und Hochhäusern deut‐ lich vom Stadtbild des Bahnhofsviertels ab. Zu beiden Seiten ist sie von den modernen Gebäuden zahlreicher Banken und Dienstleistungsunternehmen 18 Kapitel 1: Transkulturelle Verflechtungen 11 Zum Rotlichtmilieu im Frankfurter Bahnhofsviertel, vgl. die stadtsoziologischen und anthropologischen Untersuchungen in Benkel 2010. gesäumt. Deren Aktivitäten hat der PopArt-Künstler Claes Oldenbourg so fabelhaft ironisch in der Monumentalplastik „Inverted Collar and Tie“, vulgo „Fliegender Schlips“ gespiegelt, die sich vor einem der Bankhochhäu‐ ser befindet. Die Stadtentwicklungsplanung ihrerseits hat dafür gesorgt, dass hier und entlang der Taunusanlage das Bahnhofsviertel und das Ban‐ kenviertel quasi nahtlos ineinander übergehen. Geschäftswelten deutlich verschiedener Art befinden sich seither in direkter Nachbarschaft. In der Taunusstraße wird dies besonders augenfällig. Das Rotlichtmilieu mit seinen zahlreichen Bordellen und Laufhäusern, mit den Bars, Schmuddel- und Zuhälterkneipen und den Etablissements der Sexindustrie 11 reicht bis zur Kreuzung Taunusstraße/ Weserstraße und stößt auf der gegenüberliegenden Straßenseite an die glitzernden Fassaden der Hochhäuser von Banken und von Verwaltungsgebäuden international tätiger Unternehmen. Noch in den 1990er Jahren war für viele in Frankfurt das Bahnhofsviertel gleichbedeutend mit Rotlicht- und Drogenviertel. Es galt als „Nuttenviertel“, wie es auch noch D. Cohn-Bendit zitierte (vgl. AmkA 2009, 13), als er sich vehement für die Gründung des Amtes für multikulturelle Angelegenheiten einsetzte. Über die Jahre hinweg verfolgte dieses Amt eine weitsichtige Integrationspolitik, die zu einer anderen Wahrnehmung der Probleme im Bahnhofsviertel führte. Und wo auch ein Verein wie „Doña Carmen e.V.“, mit Sitz in der Elbestraße, auf seiner Internetseite über Zusammenhänge von Migration, Prostitution und Menschenrechten in Deutsch, Englisch und Spanisch aufklärt. Bedarf an weiteren Sprachen bestünde gewiss. Die Ansiedlung des Rotlichtmilieus im Bahnhofsviertel lässt sich durch‐ aus auch anekdotisch als eine Geschichte transnationaler Verflechtungen erzählen. Frankfurt am Main war im Zweiten Weltkrieg schwer zerstört. Wie die schon erwähnte große Empfangshalle des Hauptbahnhofs blieb jedoch das Bahnhofsviertel insgesamt relativ intakt. Viele der dort befindlichen Hotels wurden durch die US-Besatzungsstreitkräfte zur Unterbringung von Militärpersonal genutzt. Während die Armut unter der Stadtbevölkerung groß war, waren die amerikanischen Soldaten vergleichsweise wohlhabend. Aufgeschlossen für Vergnügungen aller Art, brachten sie nicht nur den Jazz nach Frankfurt (vgl. Schwab 2005), sondern organisierten sich mit ihrem Geld auch das „horizontale Gewerbe“. Doch wie der literarisch und filmisch 19 1.1 Das Bahnhofsviertel in Frankfurt am Main: eine ethnografische Annäherung 12 Vgl. hierzu den ausführlichen und instruktiven Artikel „Pelzhandelszentrum Nidda‐ straße“ auf Wikipedia.de. mehrfach verarbeitete Mord an der Prostituierten Rosemarie Nitribitt zeigt, durchzog die Prostitution auch damals schon alle sozialen Milieus. Im Bahnhofsviertel unterwegs, muss aus jener Zeit noch eine andere Geschichte erzählt werden, deren Schauplatz sich gleich um die Ecke in der Niddastraße befindet. Wieder stellt der Zweite Weltkrieg eine Zäsur dar. Bis zum Zweiten Weltkrieg war Leipzig neben London und New York das führende Zentrum des Welthandels mit Pelzen und Rauchwaren. 12 Die Handelshäuser und Kürschner am Leipziger Brühl, in der Nikolai- und Ritterstraße erwirtschafteten einen erheblichen Anteil an den Steuerein‐ nahmen der Stadt. Als sich bei Kriegsende abzeichnete, dass Leipzig dem sowjetischen Sektor und Frankfurt am Main dem amerikanischen Sektor zugeordnet wird, verlagerten schon im Juni 1945 die ersten Pelzhandels‐ firmen ihren Sitz vom Leipziger Brühl nach Frankfurt am Main. Viele weitere folgten in den späten 1940er Jahren. Anfangs waren die Firmen noch im Bahnhofsviertel verstreut und zogen dahin, wo Geschäftsräume zu finden waren: in der Kaiserstraße, Taunusstraße, Münchener Straße, Mainzer Landstraße. Als Anfang der 1950er Jahre mit der Neubebauung von Grundstücken mehrere Geschäftshäuser in der unteren Niddastraße in Richtung Hauptbahnhof bezogen werden konnten, konzentrierte sich von da an der Pelzhandel an Frankfurts neuem Brühl. Der Marshall-Plan tat sein Übriges, um das Frankfurter Bahnhofsviertel zu einem neuen Zentrum der Pelz- und Rauchwarenindustrie werden zu lassen und Leipzig den Rang abzulaufen. Die Nähe zum Hauptbahnhof erwies sich - nicht anders als für das Rotlichtviertel - als logistischer Standortvorteil, um die Waren auf kurzem Weg versenden zu können. Die räumliche Nähe zu den Banken wiederum galt für eine Branche, die hochwertige Produkte herstellt und vertreibt, als weiterer Standortfaktor, wiewohl die Gebäude mit ihren Höfen und Hinterhöfen, in denen das Geschäft boomte, eher grau und düster aussahen und wenig mit dem Flair zu tun hatten, das den luxuriösen Produkten anhaftete. Anfang der 1980er Jahre kam das Wachstum der Branche zum Stillstand; die Moden begannen sich zu drehen. Tierschützer traten auf den Plan. Die Logistik orientierte sich mehr auf den Frankfurter Flughafen als auf den Hauptbahnhof. Die Herstellung von Pelzwaren der unteren Preissegmente wurde mehr und mehr ins Ausland verlagert. In der Produktion von Pelz‐ 20 Kapitel 1: Transkulturelle Verflechtungen 13 Angaben gemäß Wikipedia-Eintrag „Pelzhandelszentrum Niddastraße“ (8.8.2020). waren des oberen Preissegments hingegen spielten die damaligen „Gastar‐ beiter“ aus Griechenland eine zentrale Rolle. Ein großer Teil von ihnen kam als Pelznäher nach Frankfurt, die eine besondere Technik des Nähens von Nerzen beherrschten und darin den NäherInnen vor Ort deutlich überlegen waren. 1985 gab es in Frankfurt rund 700 in das Handelsregister eingetra‐ gene Pelzbetriebe des Kürschnerhandwerks mit griechischen Wurzeln, die vor allem in dem an das „Pelzdreieck“ angrenzenden Block zwischen Nidda-, Mosel-, Elbe- und Taunusstraße angesiedelt waren. Hier befanden sich 65 bis 70 Prozent aller griechischen Pelzbetriebe Deutschlands, zwei davon waren Niederlassungen aus der griechischen Herkunftsregion Kastoria. Aufgrund ihrer besonderen Leistungsfähigkeit stellten sie mit knapp 90 Prozent das Gros der in Frankfurt für die Pelzindustrie arbeitenden Kürschnereien. Etwa 4000 Angehörige der griechischen Gemeinschaft in Frankfurt am Main arbeitete zu dieser Zeit in der Pelzindustrie. 13 Die wirtschaftliche Dynamik der griechischen Gemeinschaft in Frankfurt am Main und auch Formen der Pendelmigration zwischen Griechenland und Deutschland dürften die wesentlichen Gründe dafür gewesen sein, für die Kinder der griechischen Familien schulischen Unterricht in griechischer Sprache einzufordern. Noch galt es dabei die Widerstände zu umgehen, die aus der dumpfen und realitätsfernen Immigrationspolitik der alten Bundesrepublik einer Anerkennung der Herkunftssprachen von „Gastarbei‐ tern“ im Wege standen. 1977 erreichte die griechische Gemeinschaft in Frankfurt am Main - und damit sehr viel eher als andere Gemeinschaften von ArbeitsmigrantInnen - die Gründung einer sog. deutsch-griechischen Klasse an der staatlichen Holzhausenschule im Frankfurter Nordend, einer Grundschule, in der vom griechischen Konsulat finanzierte LehrerInnen im Anschluss an das tägliche reguläre Schulprogramm Unterricht in grie‐ chischer Sprache erteilten. Die Billigung dieses Konzepts einer frühen Form bilingualen Lernens war im Grunde darauf ausgelegt, die Rückkehr der Familien nach Griechenland dadurch zu erleichtern, dass die Kinder bereits in Frankfurt schulischen Unterricht in Griechisch erfahren hatten. Von einem integrierten Curriculum, von einer Verbindung des Unterrichts in den beiden Sprachen oder von einem wechselseitigen Bezug zwischen griechischer und deutscher Kultur war dieses Konzept allerdings noch weit entfernt. 21 1.1 Das Bahnhofsviertel in Frankfurt am Main: eine ethnografische Annäherung 14 Vgl. Budach/ Erfurt/ Kunkel 2008, Erfurt/ Leichsering/ Streb 2013, Streb 2016. 15 Für die von Pütz (2004) untersuchten Unternehmer türkischer Herkunft in Berlin, die er dem Feld des „Immigrant Business“ zurechnet, stellen kulturelle Traditionen und ethnische Ressourcen zwar auch einen zentralen Aspekt dar, in ökonomischer Hinsicht geht es bei ihnen aber mehr um „Nischenmärkte“ und „offene“ Märkte (vgl. S. 15ff.), als um eine dezidiert transnationale Verflechtung. Erst 1997, als die Mobilisierung der italienischen Gemeinschaft dazu führt, an der Mühlbergschule im Stadtteil Sachsenhausen die erste italie‐ nisch-deutsche Grundschulklasse an einer staatlichen Schule in Frankfurt einzurichten, können wir von einem Schulversuch sprechen, der tatsächlich auf bilinguales und bikulturelles Lehren und Lernen ausgerichtet ist. Das Konzept der ‚reziproken Immersion‘ (vgl. Kap. 5), nach welchem Kinder aus beiden Sprachgemeinschaften vom ersten Schultag an gemeinsam unter‐ richtet werden und beide Sprachen gleichberechtigte Unterrichtssprachen sind, macht seither in Frankfurt Schule. Neben Italienisch und Deutsch auch für Französisch und Deutsch, jeweils von der Grundschule bis zum Abitur. 14 Dass es bislang keine staatliche Schule und kein Curriculum für Türkisch und Deutsch und somit für die Sprachen der größten Migrantengruppe in Frankfurt gibt - das Kurdische hierbei ausgenommen -, lässt sich wohl nur mit dem Widerstand der hessischen Kultusbehörden erklären. Städte wie Berlin, Hamburg oder Köln zeigen, wie es besser geht. Von den griechischen Kürschnereien im „Pelzdreieck“ des Bahnhofsvier‐ tels, den türkischen und marokkanischen Supermärkten sowie den über das gesamte Viertel verteilten chinesischen, italienischen, polnischen oder spanischen Unternehmen lässt sich ein Bogen schlagen zu Fragen der Ethnoökonomie, des transnationalen Unternehmertums oder auch des „Im‐ migrant Business“, wie Pütz (2004) es nennt. Und letztlich auch zu den global agierenden Unternehmen der Finanz- und Dienstleistungsökonomie, die sich in großer Zahl am Rande des Bahnhofsviertels etabliert haben. Transnationale Unternehmer sind nach Ebner/ Wösten (2015, 6) solche mit Migrationshintergrund, die grenzüberschreitend agieren und strategischen Zugriff auf wirtschaftliche Ressourcen im Herkunfts- und Ankunftsland wie auch in Drittländern haben. Transnationales Unternehmertum verbindet sich zugleich mit der wirtschaftlichen und sozialen Integration von Migran‐ tInnen und der unternehmerischen Verwertung von kultureller Diversität. 15 Die das Straßenbild prägenden Supermärkte, Bazare und Reiseagenturen in der Münchener Straße, um nur dies als Beispiel zu nehmen, deren Inhaber transnational tätig sind, werden flankiert von auch im Bahnhofsviertel 22 Kapitel 1: Transkulturelle Verflechtungen ansässigen transnational tätigen Buchhaltungs- und Steuerberatungsgesell‐ schaften, von Anwaltskanzleien, Übersetzungsbüros, Informations-, Kom‐ munikations- und Marketingagenturen, Softwareentwicklern usw., deren Geschäftsmodell ebenfalls auf transnationalem Wissen und transkulturellen Verflechtungen aufbaut. Meist in kleinbetrieblichen Strukturen organisiert, schließen sie an lokale Gemeinschaften wie Familien, ethnische Milieus, Verbände und Vereine an und stellen eine migrantische „Globalisierung von unten“ dar. Nach Ebner/ Wösten (2015, 9) sind sie als Pendant zu den am Rande des Bahnhofsviertels angesiedelten multinational verflochtenen Großunternehmen einer „Globalisierung von oben“ zu betrachten. 1.2 Transkulturalität als Prozess und als Perspektive Welche Anhaltspunkte lassen sich aus dieser Ortsbegehung gewinnen, um den Gegenstand des vorliegenden Buchs über Transkulturalität zu umrei‐ ßen? Der Hauptbahnhof als Ausgangspunkt der Ortsbegehung, zugleich als ein Denkmal der Verkehrs-, Kultur- und Stadtgeschichte, verweist als konkreter Raum auf die Mobilität von Menschen. In seiner Funktion als Verkehrsknotenpunkt repräsentiert er zudem die vielfältigen Vernetzungen und Kontakte zwischen Stadt, Umland, Region, anderen Städten und ande‐ ren Ländern. Damit wäre bereits ein erster Anhaltspunkt gegeben, indem Stichwörter wie Mobilität, Kontakt und Vernetzung von Akteuren und ihren sozialen Milieus, etwa so wie in Abb. 1 schematisch gekennzeichnet, genannt werden. Mobilität, Kontakt und Vernetzung treten ebenso deutlich in den Straßen des Bahnhofsviertels zu Tage. Sich hier zu bewegen, auf die Namen an den Klingelschildern der Haustüren zu schauen, die Sprachenvielfalt unter den Passanten und in den Graffitis und Inschriften zu beobachten, lenkt unweigerlich die Aufmerksamkeit auf die im Viertel allgegenwärtige Migration, sei es in Form der Ethnoökonomie des migrantischen Unterneh‐ mertums, der jungen KünstlerInnen und Kreativen in der „Basis“ oder der kulturellen und sprachlichen Diversität unter der SchülerInnen der Karmeliterschule, die im Bahnhofsviertel ebenso alltäglich sind wie es die pendelnden anzug- und kostümtragenden Angestellten der Banken und Dienstleistungsunternehmen, die Junkies und Dealer, die Kunden der Laufhäuser oder die MitarbeiterInnen der Kanzleien, Praxen, Geschäfte oder Gaststätten sind. 23 1.2 Transkulturalität als Prozess und als Perspektive Doch die Ortsbegehung lenkt die Aufmerksamkeit nicht nur auf Mobilität und Migration und ihre Begleitumstände, sondern auch auf eine sehr viel allgemeinere und auf eine jeder Gesellschaft inhärenten Dynamik, die wir mit Begriffen wie Ungleichheit, Differenz, Diversität, Distinktion und Heterogenität fassen und die in den folgenden Kapiteln noch genauer ausgeführt wird. Die Vielfalt, wie wir sie im Viertel und darüber hinaus überall in der Stadt beobachten können, stellt sich aus der Sicht der Akteure als Spannungsverhältnis dar, das von der Ähnlichkeit und Gleichheit (Iden‐ tität und Homogenität) über Verschiedenheit im Sinne von Distinktion, Diversität oder Differenz bis hin zu Heterogenität reicht, bis zu Phänomenen und Wahrnehmungen also, die nicht nur auf Verschiedenheit, sondern auch auf das hinweisen, was sich nicht zueinander fügt und was nicht zusammenpasst. Somit erweitert sich die Reihe der bereits erwähnten Stichwörter von Mobilität, Migration, Kontakt, Vernetzung und Verflechtung um weitere: erstens, um das Alltägliche bzw. das alltäglich Gewordene an Vielfalt der Lebenspraxen; zweitens, um das Entstehen oder die Herausbildung von Neuem, das mit dem Begriff der Emergenz zu fassen wäre. Letzteres zeigt sich bei der Ortsbegehung in der Herausbildung eines neuen Verständnisses von Schule, von neuen Schulkonzepten und Lernarrangements, in der Ausarbeitung von neuen Wegen in der Drogenpolitik und Kriminalitätsprä‐ vention, in neuen Fertigungsweisen in den Pelzunternehmen bis hin zu neuen Geschäftsmodellen und -praktiken in einer auf kultureller Differenz basierenden Wertschöpfung. Drittens sind es die Begriffe der Ungleichheit, Differenz, Distinktion, Diversität und Heterogenität, mit denen die Auf‐ merksamkeit auf Eigenschaften von Systemen, Akteuren und Phänomenen gerichtet wird. Und viertens stoßen wir fortwährend auf die Dimensionen des Wandels in der Zeit. Verweise auf die Bebauung der Kaiserstraße und die Entstehungszeit des Hauptbahnhofs als einem Großprojekt der Modernisie‐ rung von Verkehrs- und Stadtinfrastruktur Ende des 19. Jahrhunderts, die Zerstörung weiter Teile der Stadt im Zweiten Weltkrieg, dann in der Nach‐ kriegszeit die Ansiedlung von Pelz- und Rauchwarenindustrie einerseits und des Rotlichtmilieus andererseits, seit den 1980er Jahren die Errichtung orientalischer Supermärkte in der Münchner Straße, 2006 die Gründung der „Basis“ und anderes mehr - all dies lenkt den Blick auf historisch Gewordenes, auf Initialakte und vor allem auf Prozesse vielfältigen Wandels. HistorikerInnen haben in den letzten Jahren immer wieder gezeigt, dass Forschungen zu Transkulturalität auch Bohrungen in tieferen Schichten 24 Kapitel 1: Transkulturelle Verflechtungen 16 ‚Verflechtung‘ als einer der zentralen Begriffe transkultureller Forschung wird seit etwa zwei Jahrzehnten vor allem in der deutschsprachigen kulturhistorischen, mediävisti‐ schen und globalgeschichtlichen Forschung verwendet. Neben der gerade genannten Literatur ist auf die Arbeiten von Mersch 2016 und Werner/ Zimmermann 2002 zu verweisen. 17 Giddens 1990, Massey 2005 und andere sprechen von einem ‘high degree of space-time compression’. aushalten. In den Untersuchungen von von Borgolte/ Schneidmüller (2010), Borgolte/ Tischler (2012), Drews/ Scholl (2016) und des Netzwerks „Transkul‐ turelle Verflechtungen“ (2016) bieten das Mittelalter und die frühe Neuzeit zwischen dem 6. und dem 15. Jahrhundert ein fruchtbares Terrain für die Er‐ forschung transkultureller Verflechtungsprozesse 16 , während Osterhammel (2001) vor dem Hintergrund der Herausbildung von Weltreichen, von Ko‐ lonialismen und Nationalismen methodologische Fragen der transkulturell vergleichenden Geschichtswissenschaft diskutiert. Besonders einprägsam führt Ette (2005, 2012, 2017) als Literaturhistoriker vor, was es heißt, Prozesse von Transkulturalität auch schon in den frühen Phasen der Globalisierung, d. h. seit Beginn der kolonialen Eroberungen freizulegen. Und mehr denn je sind diese Prozesse eingebettet in die „progressive Schrumpfung des Raums“ (Rosa 2005, 62), womit der Soziologe Hartmut Rosa die Auflösung des traditionellen Raum-Zeit-Verhältnisses benennt, die mit dem Industrie‐ zeitalter einsetzt und die mit der Wende zum 21. Jahrhundert nochmals einen immensen Beschleunigungsschub erfährt. 17 In Bruchteilen von Sekunden erfahren wir heute von einem Ereignis wie dem Erdbeben und der Havarie des Atomreaktors in Fukushima und sehen, wie darauf fast gleichzeitig die Börsen in Sidney, New York, Paris oder Frankfurt am Main mit Panikver‐ käufen oder Kurssprüngen reagieren. Und schließlich liefert die Ortsbegehung einige Anhaltspunkte dafür, was es mit Kultur auf sich hat, wenn im Weiteren von Transkulturalität die Rede sein wird. Beginnend beim Hauptbahnhof, über das türkische Bistro mit der kleinen Galerie, die Karmeliterschule, die „Basis“, die muslimischen Gebetshäuser in den Hinterhöfen bis zu den Laufhäusern in Taunus- und Elbestraße und den griechischen Kürschnereien im „Pelzdreieck“ haben sich Menschen soziale Räume, Gebäude und Institutionen geschaffen, die nach bestimmten Regeln funktionieren, die für sie einen Zweck - oder auch verschiedene Zwecke - erfüllen und mit Werten, Vorstellungen und Anschauungen verbunden sind. Mal sind es Individuen, wie der Besitzer des Bistros, der seine Galerie für die Bilder der Frauen aus Syrien und 25 1.2 Transkulturalität als Prozess und als Perspektive 18 Eine ausführlichere Argumentation zum Verständnis von „Kultur als Prozess der Aushandlung“ legt im Anschluss an Wimmer 1996, 2005 die Ethnologin Carola Lentz vor, vgl. Lentz 2009, 2016. Afghanistan öffnet, mal sind es Familien und ihre Angestellten, die einen Supermarkt bewirtschaften und mit den von ihnen angebotenen Lebens‐ mitteln die Bedürfnisse ihrer Kundschaft decken, oder es sind komplexe Körperschaften, die eine Vorstellung davon umsetzen, wie ein Bahnhof aussehen und beschaffen sein soll, die aushandeln, was für seinen Bau und für seinen späteren Betrieb an Vorkehrungen und Entscheidungen zu treffen sind. Gemeinsam ist all diesen Akteuren, dass sie nach mehr oder weniger erkennbaren Vorstellungen handeln, dass sie Regeln und Normen erlernen, verfolgen, verinnerlichen oder auch in Frage stellen, dass sie im wechselseitigen Umgang miteinander Routinen ausbilden, sie ihr Handeln gegebenenfalls auch mit anderen verhandeln und gegen konkurrierendes Handeln absichern oder durchsetzen. In diesem Sinne soll Kultur, übergrei‐ fend zu Kultur einer Gemeinschaft, einer Gruppe, Ethnie oder Nation, als das Aushandeln von Bedeutungen 18 verstanden werden und je nachdem, wie sich dieser Prozess materialisiert, in die Errichtung eines Bahnhofs, in das Singen einer Hymne oder in die Veranstaltung eines Stadtteilfests mündet. In Kapitel 2 wird dieses hier noch provisorische Verständnis von Kultur als Aushandlung von Bedeutung wieder aufgenommen. Schließlich Transkulturalität. Auch dieser Begriff soll, ebenfalls noch provisorisch, anhand der Erfahrungen aus der Ortsbegehung bestimmt werden. Der Begriff der Transkulturalität schließt selbstverständlich an den Begriff der Kultur im gerade erwähnten Sinne an. Auch bei Transkulturalität liegt der Akzent auf den Prozessen des Aushandelns. Aber weitergehend als bei Kultur liegt der spezifische Akzent von Transkulturalität auf dem Wandel des Kulturellen, auf den aus der Interaktion resultierenden Veränderungen und Brüchen, auf den Dynamiken der Auf-, Ab- und Umwertung, wie sie sich im Zusammenhang mit - und nun einige der schon mehrfach erwähnten Stichwörter - Mobilität und Migration, Kontakt, Vernetzung und Verflechtung, Distinktion, Differenz und Heterogenität usw. manifestieren. Die Diskussion über Transkulturalität hat ihren Platz da, wo es um kulturelle Verhältnisse, um Kontakte zwischen und Dynamiken innerhalb von Kulturen - hier nun im Plural - und insbesondere um die damit einhergehenden Prozesse des Wandels von kulturellen Praxen und Formen geht. Überall da, wo Menschen als Agenten und Produzenten von Kultur und 26 Kapitel 1: Transkulturelle Verflechtungen 19 Vgl. das Buch der Rechtsanwältin Seyran Ateş (2008) unter dem Titel „Der Multi‐ kulti-Irrtum“. kulturellen Verhältnissen in Kontakt stehen, stellen sich Fragen danach, wie sich die kulturellen Beziehungen, Produkte und letztlich, wie sie selbst sich verändern. Diese Prozesse sind nicht abstrakt, sondern sie ereignen sich in Zeit und Raum, in Macht- und Hierarchieverhältnissen und in den konkreten Formen der Artikulation dieser Verhältnisse: in Alltagsriten und Habitus, bei der Arbeit und in Arbeitsverhältnissen, in der Bildung, in den Wissenschaf‐ ten, in den Literaturen, Religionen, Sprachen, Künsten, in den Anschauun‐ gen über Ernährung, Gesundheit, Kindererziehung, in der Nutzung von Technologien und nicht zuletzt in der Konstruktion von Geschichte und im Umgang mit ihren Artefakten. Insoweit versteht es sich von selbst, dass sich viele Disziplinen und Forschungsfelder für ‚Transkulturalität’ interessieren: Anthropologie, Arbeitswissenschaften, Denkmalpflege, Eth‐ nologie, Erziehungswissenschaften, Genderforschung, Geschichte, Gesund‐ heits- und Pflegewissenschaften, prominent die Kommunikations-, Kultur- und Literaturwissenschaften, Medienwissenschaften, Migrationsforschung, Musikwissenschaft, Philosophie, Politikwissenschaft, Psychologie, Religi‐ onswissenschaft, Soziologie, Sprachwissenschaft, Translationswissenschaft und andere. Es sieht ganz danach aus, dass in diesen Disziplinen ‚Transkulturalität’ hauptsächlich als ein deskriptiver Begriff verstanden wird, um Kultur und Kulturen in ihrer Prozesshaftigkeit zu erschließen, sie in ihrer Emergenz, in ihrer (selektiven) Aneignung, in ihrer Mediation und Übersetzung, ihrer Umdeutung, Neukonfiguration und nicht zuletzt auch in dem zu verstehen, wie sie erinnert und im kulturellen Gedächtnis für die Gestaltung aktueller Prozesse verfügbar gehalten werden. Erkennbar ist weiterhin, dass heute die Kulturkontakte und Wandelpro‐ zesse im Kontext von Migration und Globalisierung im Zentrum stehen und sie hier eine breite empirische Basis finden. Relativ selten wird ‚Trans‐ kulturalität’ als ein normativer Begriff in Stellung gebracht, um mit ihm verwandte Konzepte, insbesondere den Multikulturalismus als ein Konzept des politischen Handelns und der Gesellschaftstheorie, zu kritisieren, wenn nicht gar zu denunzieren. 19 Komplementär zu den Prozessen transkulturellen Wandels geht es in der Forschung immer wieder auch darum, durch eine Veränderung der Blickrichtung, der Theorien und Methoden neue Erkenntnisse zu „alten 27 1.2 Transkulturalität als Prozess und als Perspektive 20 Beck (2002) beschreibt diesen Prozess mit dem Begriff der ‚Kosmopolitisierung‘. Gegenständen“ zu erlangen. So werden unhinterfragte Ausgangsthesen auf den Prüfstand gestellt, der Erkenntnisrahmen verändert, andere Zusam‐ menhänge hergestellt oder bisher Unberücksichtigtes erhält Bedeutung. Transkulturalität als Perspektive der Forschung stellt somit nicht nur ein Korrektiv zu Betrachtungsweisen dar, die von Annahmen der Homogenität, der Abgeschlossenheit, der Stase oder der Fixiertheit des Kulturellen geleitet sind. Transkulturalität als Perspektive bedeutet somit im Umkehrschluss, kulturell eingeübte und verfestigte Betrachtungsweisen und stehende Weis‐ heiten gegen den Strich zu bürsten, um Anderes und Neues entdecken zu können. Ganz in diesem Sinne forderte ein Soziologe wie Ulrich Beck seine Zunft auf, den „methodologischen Nationalismus“ (vgl. Beck/ Grande 2010, Wimmer/ Glick Schiller 2002) aufzubrechen, der es bewirke, Gesellschaft und Politik, das Kulturelle darin eingeschlossen, in einer nationalen Begrifflich‐ keit zu denken, so als wäre es die natürlichste Sache der Welt. 1.3 Gegenstand und Ziele des Buchs Forschungen zur Transkulturalität untersuchen den Wandel des Kulturellen im Zeitalter von Globalisierung, verstanden als eine lange Periode der Geschichte der Menschheit, die mit der Herausbildung von Groß- und Ko‐ lonialreichen einsetzt, die eine Zäsur mit der Herausbildung nationalstaat‐ lichen Denkens und Handelns erfährt und ihren vorläufigen Höhepunkt in der globalen Vernetzung und in der Erosion eindeutiger Grenzen erreicht, die zuvor Staaten, Märkte, Zivilisationen, Kulturen, Lebenswelten und Menschen trennten. 20 Die Chiffre für diesen Wandel des Kulturellen besteht in der wachsenden und sich weiter beschleunigenden Vernetzung und Ver‐ flechtung der Akteure und zugleich in den dabei entstehenden existentiellen globalen Konfrontationen und Verstrickungen. Seine Resultante stellt das Aushandeln von Differenz, Prozesse der Öffnung und Schließung sowie die Emergenz neuer kultureller Formen und Praktiken dar. Die Corona-Pande‐ mie einerseits und die sogenannte „Flüchtlingskrise“ andererseits führen diese Dynamiken nachdrücklich vor Augen. Mit deren Analyse befassen sich vorzugsweise Politikwissenschaft, Soziologie, Gesundheitswissenschaften, Migrationsforschung, Konfliktforschung und andere. Der Gegenstand des vorliegenden Buchs ist jedoch ein wenig anders kalibriert, vor allem weniger 28 Kapitel 1: Transkulturelle Verflechtungen breit. Der Band widmet sich dem Forschungsfeld der Transkulturalität aus einer kulturwissenschaftlichen und philologischen Perspektive. Er geht davon aus, dass I. Gemeinschaften wie Individuen mit ihren Sprachen, Literaturen, Medien und anderen kulturellen Manifestationen sich nicht in ethnisch abge‐ schlossenen, sprachlich homogenen und territorial abgegrenzten Räumen konstituieren, sondern durch (grenzüberschreitende) Verflechtungen, die sich im Wesentlichen aus Kontakt, Migration und Mobilität ergeben; II. Kulturen sich in ihrer Verschiedenheit begegnen und der Kontakt zwischen ihnen auf Aushandlungen angewiesen ist. Damit kommen vielfältige Prozesse der Mischung, der Vermittlung und Übersetzung, der Erosion von Grenzen, der Erinnerung, der Umwertung und der Dynamisierung in Gang, die wiederum in Macht-, Hegemonie- und Verwertungsprozesse eingebunden sind; III. ein Perspektivenwechsel erfolgt: von den Kulturen von Gemeinschaften zu den Individuen und ihren kulturellen Praktiken. Dieser Perspektiven‐ wechsel bedeutet zugleich, anstelle der den Gemeinschaften unterstellten Homogenität den Akzent auf Distinktion, Differenz und Heterogenität innerhalb und zwischen Individuen und Gruppen zu verlagern. IV. in diesen Verflechtungs- und Austauschbeziehungen immer auch uner‐ wartete, unbeabsichtigte und neue kulturelle Formen und Praktiken entstehen. In theoretischer Hinsicht bedeutet das, dass Transkulturalität nicht nur differenztheoretisch (wie bei Bi-, Multi- und Interkulturalität), sondern auch emergenztheoretisch zu modellieren ist. V. unter Rückgriff auf den Begriff der ‚Transkulturation‘, wie ihn der kubanische Anthropologe Fernando Ortiz (1940) - er spricht von ‚transculturación‘ - für den Prozess des Wandels von Kulturen und kulturellen Verhältnissen eingeführt hat, ‚Transkulturalität‘ als Struk‐ turaspekt dieses Prozesses zu verstehen ist; VI. Transkulturalität als Konzept somit auf die rasant anwachsende Vielfalt in den Sozialisationsformen im Zeitalter von Globalisierung, Internet und Computertechnologien einerseits und den „Kulturalisierungsregi‐ mes“ (Reckwitz 2016) im Spätkapitalismus andererseits reagiert und sich in individuellen Mobilitätsprofilen und individuellen Ausdrucks- und Aneignungsformen kultureller Praktiken niederschlägt - zugespitzt formuliert: jedes Individuum hat (s)eine Kultur. 29 1.3 Gegenstand und Ziele des Buchs 21 Vom Römischen Reich über Byzanz und China bis zur Sowjetunion und heute, wenn auch politisch anders konstruiert, bis zur Europäischen Union. Im Zuge der Globalisierungsdiskussion der späten 1990er und der 2000er Jahre gewinnt der Begriff der Transkulturalität rasch an Attraktivität in Eth‐ nologie und Anthropologie, den Erziehungswissenschaften, der Genderfor‐ schung, Philosophie, Geschichte, Musikwissenschaft, Politikwissenschaft, Soziologie und anderen Disziplinen, um die kulturellen Vernetzungs- und Austauschbeziehungen nicht nur im Spätkapitalismus, sondern auch in den verschiedenen Phasen der Globalisierung zu erforschen, die mit der Entste‐ hung von Großreichen 21 und den kolonialen Eroberungen einsetzt. Dafür zentral sind durch die Geschichte hindurch Prozesse des Kulturkontakts, der Migration und Mobilität, die nun, im Spätkapitalismus, vom technolo‐ gischen Wandel des Internetzeitalters und seiner Kommunikationsformen nicht nur flankiert, sondern potenziert werden. Das Ziel des Buchs besteht darin zu zeigen, was die sozialen, kulturellen und wissenschaftlichen Rahmenbedingungen dafür sind, dass transkultu‐ relle Betrachtungsweisen heute einen prominenten Platz in der kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschung einnehmen. Dies schließt ein, die Herausbildung und den Wandel des Konzepts der Transkulturalität seit den 1940er Jahren zu rekonstruieren und es im Verhältnis zu anderen Konzepten des Kulturkontakts und den Strategien des Managements kultureller Kon‐ flikte wie Bikulturalität, Multikulturali-tät/ -ismus und Interkulturalität zu betrachten. Einen Referenzpunkt - und dies gleich in zweifacher Hinsicht - stellt hierbei der Kulturbegriff dar, wie er anlässlich der zweiten Weltkonfe‐ renz der UNESCO 1982 zwischen 129 Staaten ausgehandelt wurde: einerseits im Hinblick darauf, wie zum damaligen Zeitpunkt Kultur und Kulturen definiert wurden, und andererseits, wie sich seither - nach dem Ende des Kalten Krieges (1989/ 90), mit dem Neoliberalismus, der weiteren Beschleu‐ nigung der Globalisierung, der wachsenden Migration, dem Internet - die kulturellen Verhältnisse verändert haben und neue Sichtweisen auf Kultur(en) erfordern. Wenn ein Kultursoziologe wie Reckwitz (2016) die Aufmerksamkeit auf die „Kulturalisierungsregimes“ im Spätkapitalismus lenkt, geht es für Sprach-, Literatur- und KulturwissenschaftlerInnen darum, die dabei in Gang kommenden transkulturellen Prozesse und Praktiken eingehend zu untersuchen. In diesem Sinne ist es ein weiteres Anliegen des Buchs, einige der für Transkulturalität zentralen Forschungsfelder und Konzepte wie Hybridität, 30 Kapitel 1: Transkulturelle Verflechtungen Diaspora, Translatio, migrantisches Schreiben, Erinnerung, Sprachbiogra‐ fien, Generation, Kosmopolitismus u. a. zu diskutieren, bevor der Frage nachgegangen wird, welche Bedeutung Sprache, Sprachen und Mehrspra‐ chigkeit im Kontext von Transkulturalität haben. In struktureller Hinsicht besteht der Band aus sechs Kapiteln. Im An‐ schluss an Kapitel 1, in welchem ein Bogen von einer ethnografisch angelegten Ortsbegehung des Bahnhofsviertels in Frankfurt am Main zu Gegenstand und Zielen des Buchs geschlagen wird, steht in Kapitel 2 die Problematik von Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement im Mittel‐ punkt. Es knüpft, wie das Buch insgesamt, an die Forschungserfahrungen des Autors in Kanada, Frankreich, Deutschland, in Teilen Afrikas und in der Republik Moldau bezüglich des Multikulturalismus, der Interkulturalität und der Transkulturalität an, um anschließend die mit Transkulturalität verbundenen Sichtweisen und Handlungsformen - auch im Unterschied zu Multi- und zu Interkulturalität - herauszuarbeiten. Aufgabe dieses Kapitels ist dabei auch, zum theoretischen Kern der Problematik von Kultur und Transkulturalität vorzustoßen. Er besteht darin, anhand der Konzepte von Ungleichheit, Differenz und Emergenz sowohl die differenztheoretische als auch die emergenztheoretische Dimension von Transkulturalität her‐ auszuarbeiten. Kapitel 3 rekonstruiert die Begriffsgeschichte von Transkul‐ turalität seit den 1940er Jahren unter der Fragestellung, ob es sich dabei um Migration oder um mehrfache Neuerfindung eines Konzepts handelt. In Kapitel 4 werden ausgewählte Schlüsselbegriffe und Forschungsfelder diskutiert, die zum Verständnis transkultureller Prozesse und Perspektiven erforderlich sind: Hybridität, Diaspora, Kulturtransfer, Erinnerungskultu‐ ren, Übersetzung etc. Schließlich geht es in Kapitel 5 um die Beziehung von Transkulturalität und Sprache, indem danach gefragt wird, wie die sprachwissenschaftlichen Zugriffe auf Phänomene der Transkulturalität im Sinne von Kontakt und Mischung, von Sprachenlernen und Mehrsprachig‐ keit in Migrationsgesellschaften aussehen. Abgeschlossen wird der Band mit einer erneuten Perspektivenumkehr und mit Überlegungen dazu, wie sich die Forschung auf dem Feld der Transkulturalität operationalisieren lässt. Standen bisher die Prozesse der Verflechtung im Zentrum, so lenkt Kapitel 6 die Aufmerksamkeit auf methodische Prozeduren der Entflechtung, um auf diese Weise die Elemente der Struktur von Transkulturalität freizulegen und analytisch zugänglich zu machen. 31 1.3 Gegenstand und Ziele des Buchs 22 Zudem unterhalten Verlage einschlägige Schriftenreihen, wie etwa die Reihe „Potsda‐ mer inter- und transkulturelle Texte (POINTE)“ (Tranvia, jetzt bei Olms), „Trans- und interkulturelle Politische Theorie und Ideengeschichte“ (Springer) oder „Transcul‐ tural Research“ (Springer). Das Internet beherbergt elektronische Fachzeitschriften wie „Transcultural Studies: A Journal in Interdisciplinary Research“ (Brill), „Global Networks. A Journal of Transnational Affairs“ (Verlag Wiley & Sons), geschichtswis‐ senschaftliche Informations- und Rezensionsplattformen wie „Sehepunkte“ oder auch die Zugänge zu den ebenfalls transkulturell orientierten Memory Studies an den Uni‐ versitäten Gießen und Frankfurt am Main unter www.memorystudies-frankfurt.com, hier auch viele weiterführende Links. 23 Vgl. https: / / www.uni-heidelberg.de/ de/ forschung/ forschungsprofil/ fields-focus/ field-f ocus-iii (17.9.2020). 24 Vgl. https: / / www.profilfelder.uni-bayreuth.de/ de/ emerging-fields/ kulturbegegnungen -und-transkulturelle-prozesse/ index.html (17.9.2020). 1.4 Aktualität des Buchs Die Erforschung transkultureller Prozesse hat im zurückliegenden Jahr‐ zehnt erheblich Fahrt aufgenommen. In diesem Kontext zeichnen sich zwei Tendenzen ab. Einerseits, sozusagen forschungsimmanent, lässt sich eine rasch wachsende Ausdifferenzierung von Konzepten und Forschungs‐ feldern im Umfeld von Transkulturalität beobachten. So befassen sich große Forschungsverbünde mit Fragestellungen, die sich explizit oder auch implizit auf Transkulturalität beziehen. Zu nennen wäre der an der Universität Bonn angesiedelte Sonderforschungsbereich „Macht und Herrschaft - Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive“, der Sonderforschungsbereich „Verräumlichungsprozesse unter Globalisie‐ rungsbedingungen“ an der Universität Leipzig oder auch, deutlich kleiner, das Graduiertenkolleg „Diversität: Vermittlungsprozesse von Differenz in transkulturellen Räumen“ an der Universität Saarbrücken. 22 Andererseits sieht es ganz danach aus, dass Transkulturalität zu einem Schlüsselkonzept zeitgenössischen Institutionen- und Wissenschaftsvers‐ tändnisses avanciert. Diese Tendenz zeigt sich darin, dass sich inzwischen ganze Universitäten, wie etwa jene in Heidelberg 23 oder Bayreuth 24 , die Er‐ forschung transkultureller Prozesse als profil- und gar exzellenzbestimmend auf die Fahnen schreiben. Es ist nicht davon auszugehen, dass auf diesen unterschiedlichen Ebenen der Institutionalisierung - Universität, Sonderforschungsbereich, Graduier‐ tenkolleg, Forschungsgruppen - ein in sich kohärentes Wissenschaftskon‐ zept von Transkulturalität existierte, und noch viel weniger, dass die betei‐ ligten Akteure - ForscherInnen, WissenschaftsmanagerInnen, Institutionen 32 Kapitel 1: Transkulturelle Verflechtungen der Forschungsförderung etc. - sich gegenseitig auch im Detail verstünden, wenn sie sich miteinander über Transkulturalität austauschten. Dazu sind die Phänomene und Betrachtungsweisen viel zu komplex, die Zugänge zu verschieden und die Dynamik des Wandels viel zu groß. Jedoch entwertet dies den Begriff der Transkulturalität nicht, sondern zeigt im Grunde zweierlei: einerseits, dass ‚Transkulturalität’ wie viele Grundbegriffe der Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften von einer beträchtlichen Un‐ schärfe gekennzeichnet ist, zumal, wenn alltagssprachliche Vorstellungen mit (fach-)wissenschaftlichen ineinanderfließen. Andererseits scheinen ge‐ sellschaftliche Institutionen mit dem Begriff der ‚Transkulturalität’ ein erhebliches Innovationspotential zu verbinden, wenn es darum geht, Ge‐ schichte und Gegenwart anders und besser verstehen zu wollen. Das Andere besteht darin, dass gegenläufig zur Fragmentierung der Welt in immer kleinere und speziellere Teile und auch anders, als es mit dyadischen Begriffspaaren wie global vs. lokal, Mikrovs. Makro-, Ereignis vs. Prozess, Eigen vs. Fremd der Fokus auf die Verflechtungen, die grenzüberschreiten‐ den Rekonfigurationen und Interaktionen und die hierbei entstehenden kul‐ turellen Formen, Praxen und Anschauungen gerichtet wird. Darüber hinaus scheinen sie in dem Befund übereinzustimmen, dass globale Phänomene wie wachsende Migration und Mobilität, wie Strukturwandel in den Ökonomien, Märkten und den internationalen Beziehungen sowie die Möglichkeiten des Internets und der Digitalisierung die Sozialbeziehungen und kulturellen Verhältnisse radikal verändern und daraus auch für die Wissenschaft und ihre Institutionen neue Fragestellungen erwachsen. Transkulturalität stellt dafür offenbar eine entsprechende Perspektive dar. Seine Aktualität bezieht der Band schließlich auch aus der akademischen Lehre. In diesem Bereich soll er auch primär seine Zielgruppe haben: in den Studierenden und Lehrenden in Masterstudiengängen, gegebenenfalls auch in Bachelorstudiengängen an Universitäten und Hochschulen in den deutschsprachigen Ländern. Einen nicht unerheblichen Teil des Materials, das diesem Band zugrunde liegt, hat der Autor forschungsbegleitend in zahlreichen Vorlesungen und Seminaren des viersprachigen Masterstudiengangs „Moving Cultures - Transcultural Encounters / Cultures en mouvement - rencontres transcultu‐ relles / Culturas en movimiento - encuentros transculturales“ (kurz MCTE oder Moving Cultures) an der Goethe-Universität Frankfurt am Main vor‐ getragen und zur Diskussion gestellt. Seit 2012 wird dieser viersemestrige Studiengang gemeinsam von AnglistInnen und RomanistInnen des Fach‐ 33 1.4 Aktualität des Buchs bereichs Neuere Philologien getragen. Das Studienprogramm stützt sich darüber hinaus auf eine breite inter- und transdisziplinäre Kooperation mit Lehrenden anderer Institute und Fachbereiche quer durch die Universität Frankfurt am Main, von der Anthropologie und Ethnologie über die Erzie‐ hungswissenschaften, Humangeografie, Politik- und Sozialwissenschaften bis zur Theologie. Waren es Anfang der 2010er Jahre nur wenige Masterstudiengänge, die ein Studium auf dem Feld der Transkulturalität ermöglichten - „Transkultu‐ relle Studien“ an der Universität Bremen, „Moving Cultures“ in Frankfurt am Main und „Transcultural Studies“ in Heidelberg -, so werden inzwischen an zahlreichen Universitäten einschlägige Bachelor- und Masterstudiengänge angeboten, inzwischen auch als binationale Studiengänge mit Doppelab‐ schlüssen in Deutschland und Frankreich bzw. in Polen. Geplant ist auch ein binationaler deutsch-argentinischer Studiengang. Universität Bezeichnung des Studiengangs Abschluss Konzeption Bonn Transkulturelle Studien/ Kulturanthro‐ pologie Master disziplinär - Anthropologie Bremen Transkulturelle Studien Master transdisziplinäres Pro‐ gramm von Ethnologie, Kulturwissenschaft, Re‐ ligions- und Literatur‐ wissenschaft Duisburg- Essen Kunstwissenschaft und Transkulturalität Master disziplinär - Kunstwissenschaft Düsseldorf Transkulturelle Studien. Sprache, Literatur, Me‐ dien, Kunst Bachelor trans-/ pluridisziplinär - binationaler Studien‐ gang Düsseldorf - Tou‐ louse Erfurt Geschichte transkultu‐ rell Master disziplinär - Geschichte Frankfurt am Main Moving Cultures - Transcultural Encoun‐ ters / Cultures en mou‐ vement - rencontres transculturelles / Cultu‐ ras en movimiento - encuentros transcultura‐ Master transdisziplinär - An‐ glistik, Romanistik in Kooperation mit anderen Disziplinen 34 Kapitel 1: Transkulturelle Verflechtungen Universität Bezeichnung des Studiengangs Abschluss Konzeption les“ (kurz MCTE oder Moving Cultures) Graz Transkulturelle Kommu‐ nikation Bachelor disziplinär - Kommuni‐ kationswissenschaft Heidelberg Transcultural Studies Master PhD transdisziplinär, mit Schwerpunkt auf Süd- und Ostasien; Ge‐ schichte, Religion, Öko‐ nomie und Gesellschaft, Kunst und Kultur; gemeinsames Promoti‐ onsprogramm mit der Universität Venedig Heidelberg Transkulturelle Studien. Literaturen und Sprach‐ kontakte im frankopho‐ nen Raum Master trans-/ pluridisziplinär - binationaler Masterstu‐ diengang mit der Univer‐ sität Montpellier Leipzig Theaterwissenschaft transkulturell. Ge‐ schichte, Theorie, Praxis Master disziplinär - Theaterwissenschaft Oldenburg Transkulturelle interreli‐ giöse Studien Professio‐ nalisie‐ rungspro‐ gramm disziplinär - Theologie Paderborn PopMediaCulture: Transkulturelle argenti‐ nisch-deutsche Pop-Kul‐ tur-Vermittlung Master Anbahnungsphase für die Einrichtung eines bi‐ nationalen Masterstudi‐ engang mit der Universi‐ tät Buenos Aires Tübingen Deutsch-polnische transkulturelle Studien / Polsko-niemieckie studia transkulturowe Master trans-/ pluridisziplinär - mit Doppelabschluss in Tübingen und Warschau, Literatur-, Kultur-, Thea‐ terwissenschaft Wien Transkulturelle Kommu‐ nikation Bachelor disziplinär - Kommuni‐ kationswissenschaft Tab. 1.1: Studiengänge zu Transkulturalität an deutschsprachigen Universitäten Die jeweiligen Studienprogramme lassen im Wesentlichen zwei divergie‐ rende Ausrichtungen erkennen. Erkennbar ist einerseits ein disziplinäres 35 1.4 Aktualität des Buchs Konzept, d. h., dass der Studiengang von einer Disziplin wie Geschichte, Anthropologie, Theologie, Kunstwissenschaft oder von einer Philologie wie Frankoromanistik ausgeht und darin die Gegenstände dieser Disziplin in ihren transkulturellen Bezügen vermittelt werden. Auf der anderen Seite ist die Tendenz erkennbar, dass es sich um pluribzw. transdisziplinäre Studiengänge handelt, die von eigens eingerichteten pluridisziplinären Studien- und Forschungszentren oder von mehreren Instituten/ Disziplinen getragen werden. Die Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, zumal im Zuge von Verfahren der Akkreditierung und Reakkreditierung von Stu‐ diengängen einiges in Bewegung ist. So wurde beispielsweise der 2013 an der Universität Konstanz eingerichtete Studiengang „Transkulturelle Geschichte und Anthropologie“ schon 2016 wieder eingestellt. An einzelnen Universitäten werden die Studiengänge inzwischen von der Einrichtung von Professuren flankiert, wie zuletzt - im Jahre 2020 - in Bremen mit einer „Professur für Ethnologie mit dem Schwerpunkt Transkulturelle Prozesse“, an der Universität für angewandte Kunst in Wien mit einer Professur für „Transkulturelle Studien“ oder an der Martin-Luther-Universität Halle mit einer Professur für „Inter- und transkulturelle Studien”. 36 Kapitel 1: Transkulturelle Verflechtungen 1 Unter anderem die Studien von Böhm 2010, Braun/ Lachenicht 2007, Heinsohn/ Lache‐ nicht 2009, Lachenicht 2015. 2 Seit den frühen 1990er Jahre erfolgte in der Migrationsforschung eine deutliche Hin‐ wendung zur Konfliktperspektive: vgl. Bd. 1 (1996) der IMIS-Schriften, hrsg. von Klaus J. Bade: „Migration, Ethnizität, Konflikt“ und darin die Einleitung von Bade/ Bommes, S. 11-40. Ebenso Hartmut Esser (1996): Die Mobilisierung ethnischer Konflikte, S. 63-87, und mehrere weitere Beiträge in diesem Band. Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 2.1 Problemskizze, Leitfrage und Argumentation In diesem Kapitel liegt der Akzent auf Aushandlungsprozessen, die konsti‐ tutiv für die Bestimmung von Kultur sind und die zugleich erforderlich werden, wenn sich Kulturen begegnen. Die historische Migrationsforschung hat in den letzten drei Jahrzehnten unzählige solcher Situationen unter‐ sucht. Gut erforscht sind beispielsweise die Flucht und Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 und ihrer Ansiedlung in Hessen, Preußen, England, im calvinistischen Teil der Niederlande oder am Kap von Afrika. 1 Für eine Stadt wie Lyon bedeutete der Massenexodus der Hugenotten einen dramatischen Aderlass und den Verlust an Produktivkräften; für Preußen und Hessen hingegen einen wirtschaftlichen und kulturellen Modernisierungsschub. Für die be‐ troffenen Gemeinschaften wiederum, die Hugenotten auf der einen Seite, die Aufnahmegesellschaften auf der anderen Seite, verlangte das - nicht selten auch konfliktbeladene - Zusammenleben vielfältige Aushandlungsprozesse, Transferleistungen und kulturelle Arrangements. 2 Das Beispiel der Huge‐ notten führt uns zu Fragen danach, welche Räume die jeweiligen Kulturen oder/ und Gemeinschaften beanspruchen, welche Entfaltungsmöglichkeiten sich Individuen und Gruppen gegenseitig zugestehen, welche Formen und Vorstellungen des Zusammenlebens sie im Kontakt entwickeln, in welchen Hierarchien und mit welchen Herrschaftsmustern sie sich begegnen. All dies schließt ein zu klären, was unter Kultur verstanden wird und in welche Prozesse dieses Verständnis von Kultur eingebettet ist. 3 Vgl. (La) Commission de vérité et de réconciliation (2015) : Honorer la vérité, réconcilier pour l’avenir. Sommaire du rapport final de la Commission de vérité et réconciliation du Canada. https: / / nctr.ca/ fr/ assets/ reports/ Final%20Reports/ Honorer_la_vérité_récon cilier_pour_l’avenir.pdf. 4 Die einschlägige Literatur ist außerordentlich umfangreich. Im deutschsprachigen Kon‐ text kann zur Orientierung bezüglich der genannten Disziplinen auf Bachmann-Medick 2010, Borgards 2010, Gogolin/ Krüger-Potratz 2010, Kap. 4, Haug 2011, Kohl 3 2012, Reckwitz 2000, Wirth 2008 verwiesen werden. Die Geschichte der Vertreibung und Neuansiedlung der Hugenotten lenkt die Aufmerksamkeit auf Konzepte wie Migration, Mobilität und das Leben in der Diaspora. Doch geht es beim Kontakt von Kulturen nicht nur um Mobilität und Migration. Es stellen sich dabei oft auch Fragen nach der Unterwerfung von anderen Kulturen, wie etwa im Zuge des Kolonialismus, verbunden mit Ideologien und Praktiken der Missionierung, Christianisierung und, um einen Topos der französischen und der britischen Kolonialpolitik des 19. Jahrhunderts, mit dem der Kolonialismus legitimiert wurde, zu erwähnen, der „Zivilisierung der kolonialen Subjekte“. Diese Praktiken sind keineswegs mit der Dekolonialisierung in den 1960er Jahren vom Tisch. Die Auseinandersetzung mit ihnen ist hoch aktuell, zumal sie sich selbst noch hinter dem Rücken einer vermeintlich aufgeklärten Multikulturalismuspolitik ereignen. Die Bestürzung in der Öffentlichkeit war groß, als Ende 2015 die Wahrheits- und Verständigungskommission 3 in Kanada in ihrem Bericht offenlegte, wie noch bis in die 1990er Jahre den Familien vieler autochthoner Völker die Kinder weggenommen wurden, um ihnen alles „Indianische“ auszutreiben. Sich in diesem Kapitel mit dem Begriff von Kultur auseinanderzusetzen, soll nicht bedeuten, ihn in Gänze, in historischer Tiefe und philosophischer Breite ausloten zu wollen. Nicht intendiert ist hierbei eine theoriegeschicht‐ liche Rekonstruktion der Kulturbegriffe, wie sie von FachvertreterInnen der Ethnologie und Anthropologie, später auch der Soziologie und Pädagogik, der Kulturwissenschaften und Kulturphilosophie vorgenommen wurden, um sich Klarheit über Kultur im Verhältnis zum Gegenstand ihrer Disziplin zu verschaffen. 4 Vielmehr heißt es, entlang von sozialer und kultureller Praxis aus der überaus breiten und vielgestaltigen Diskussion darüber, was unter Kultur zu verstehen ist, einige jener Ansätze herauszugreifen, welche geeignet sind, einen Bogen von Kultur zu Transkulturalität zu schlagen. Und dies nicht primär auf einer theoretischen, theoriegeschichtlichen oder dis‐ ziplinären Ebene, sondern in erster Linie auf der Ebene realer Prozesse und 38 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement sozialer Perspektivierungen, eingeordnet in einen Zeitraum von reichlich einem halben Jahrhundert, der von den 1960er Jahren bis 2020 reicht. Die Argumentation in diesem Kapitel verbindet über mehrere Etappen hinweg die Problematik der Kontakte und kulturellen Differenzen zwischen interagierenden Menschen als Ausgangspunkt (vgl. Abschnitt 2.2) mit der Bestimmung des Gegenstandes und des Platzes von ‚Transkulturalität‘ in der Erforschung von kulturellen Verflechtungsprozessen als Endpunkt dieses Kapitels (vgl. 2.8). Um zu verstehen, in welcher Weise sich in diesem Zeitraum das Feld des Kulturellen - das Verständnis von Kultur darin eingeschlossen - verändert hat, wird in Abschnitt 2.3 als Fixpunkt die Weltkonferenz der UNESCO von 1982 gewählt, zu der sich 129 Staaten der Erde auf einen Begriff von Kultur verständigten, der ihre Kulturpolitik fortan leiten sollte. Hierbei wird erkennbar, dass die UNESCO das Feld der Kultur als Raum von Konflikten und den Nationalstaat als Ort des Konfliktmanagements betrachtet. Doch drängt sich hierbei die Frage auf, ob sich diese Position tatsächlich auch im damaligen Begriff von Kultur niederschlägt. Und wie sollte ein Verständnis von Kultur ausgeformt sein, das sich vier Jahrzehnte nach diesem Ereignis in einer nun deutlich veränderten Welt auf der Höhe der Zeit befindet? Wie Abschnitt 2.4 zeigt, stellt eine der relativ erfolgreichen Strategien der Kulturpolitik die Anerkennung kultureller Pluralität und kultureller Differenz dar, die die Grundlage für die Konzepte der Bikulturalität, Multi‐ kulturalität und Interkulturalität bildet und deren Reichweite sich anhand ihrer Praxis in Kanada anschaulich ausloten lässt. Und von wo aus sich weitere argumentative Linien speziell zu Fragen der Interkulturalität erge‐ ben, die auf Feldern wie der Pädagogik und der Kommunikation sowohl für fachliche Neuorientierungen als auch für kontroverse Diskussionen gesorgt haben. Abschnitt 2.5 knüpft an die vorherige Diskussion über Multi- und Inter‐ kulturalität in Kanada in der Weise an, dass die Ende 2015 veröffentlichen Berichte zum „kulturellen Genozid“ an den autochthonen Völkern eine bis dahin öffentlich nur selten diskutierte und in ihrer Dramatik nicht verstandene Seite des Umgangs mit kulturellen Minderheiten erkennen lassen. Auch wenn viele der von der „Wahrheits- und Verständigungskom‐ mission“ dokumentierten Praktiken und Fälle des Umgangs mit Kindern aus autochthonen Familien zeitlich vor dem emphatischen Bekenntnis der kanadischen Mehrheitsgesellschaft zum Multikulturalismus liegen, wird deutlich, dass diese Politik des Multikulturalismus lange Zeit blind war 39 2.1 Problemskizze, Leitfrage und Argumentation für den kulturellen Genozid an den autochthonen Völkern. Auch andere Staaten, die ebenfalls eine Politik des Bi- oder Multikulturalismus vertreten, sehen sich mit ähnlich gelagerten Vorwürfen konfrontiert. Ausgehend von diesen Erfahrungen bereiten die beiden folgenden Ab‐ schnitte die Diskussion zum Konzept der Transkulturalität vor. Zunächst befasst sich Abschnitt 2.6 mit dem veränderten Stellenwert des Kulturellen im Spätkapitalismus auf einer Makroebene gesellschaftlichen Wandels. Mit der Einführung des Begriffs der ‚Kulturalisierung‘ soll der wachsenden Kom‐ plexität kultureller Verhältnisse Rechnung getragen werden. Je komplexer sich die Verhältnisse gestalten, desto größer ist auch das Konfliktpotential zwischen und innerhalb von Gruppen, als dessen Kern sich die soziale und ökonomische Ungleichheit erweist. Nicht selten tritt sie als kulturelle Differenz in Erscheinung oder wird von beteiligten Akteuren als solche inszeniert. Abschnitt 2.7 widmet sich diesen beiden Schlüsselkonzepten sowie dem Konzept der Emergenz. In dem Maße, wie im Spätkapitalismus auch die scheinbar „nicht kulturellen“ Erscheinungsformen einem Prozess der Kulturalisierung unterworfen sind und dadurch die Komplexität der kulturellen Verhältnisse wächst, ist die differenztheoretische Betrachtung allein nicht mehr ausreichend, um Seiteneffekte, Unbeabsichtigtes, Unvor‐ hersehbares, neu Entstehendes beschreiben und erklären zu können. In diesem Zusammenhang wird der Begriff der ‚Emergenz‘ eingeführt und die differenztheoretische um eine emergenztheoretische Betrachtung erweitert. Der hier verwendete Begriff der Emergenz, zusammen mit ‚Ungleichheit‘ und ‚Differenz‘, markiert dann auch einen wesentlichen Aspekt dessen, was Untersuchungen zu ‚Transkulturalität‘ auszeichnet. Die Argumentation in Kapitel 2 läuft schließlich mit Abschnitt 2.8 auf die Leitfrage zu, was unter Transkulturalität zu verstehen ist. Dies schließt ein, den Begriff der Transkulturalität ins Verhältnis zu Multi- und Interkul‐ turalität zu setzen und ihn weitergehend bezüglich seiner Annahmen und Voraussetzungen, seines Gegenstands, seines Verhältnisses zu Ungleichheit, Differenz und Emergenz und seiner Struktur abzuklären. 2.2 Das „Neldesche Gesetz“: Kein Kontakt ohne Konflikt Wer kennt es nicht, dass wir uns an einen Ort begeben, den wir als Gaststätte, Restaurant, Pizzeria, Pub, Beisl, Imbiss, Mensa oder Bistrot bezeichnen, um dort Krautroulade, Schnitzel, Pasta, Sushi, Falafel oder Dumblings zu essen, 40 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 5 Dieses Thema ist weder neu - vgl. Leo Spitzer 1918, „Fremdwörterhatz und Fremdvöl‐ kerhaß. Eine Streitschrift gegen die Sprachreinigung“ - , noch hat es an Aktualität verloren, wenn wir, allerdings im umgekehrten Sinne, an die Debatten über „politische Korrektheit“ denken, die auch Spitzer schon antizipierte. 6 Zum Konfliktbegriff und zur Bedeutung der Konfliktforschung in den Sozialwissen‐ schaften, vgl. den instruktiven Band von Bonacker 2008, der allerdings nicht berück‐ sichtigt, was die Sprachkonfliktforschung an Befunden und Erkenntnissen beizutragen hat. In Bezug auf Kultur und Sprache orientiert sich der Konfliktbegriff im vorliegenden Buch an Pierre Bourdieus konflikttheoretischem Ansatz, wie er ihn im Kontext der Habitustheorie, vgl. „La distinction“ (1979), dt. „Die feinen Unterschiede“ (1982) und der Feldtheorie, u. a. in „Les règles de l’art“ (1998a), dt. „Die Regeln der Kunst“ (1999) ausgearbeitet hat, vgl. hierzu auch Janning 2008. Zur Konflikttheorie, vgl. auch den gegebenenfalls auf der Terrasse, im Patio oder Wintergarten Platz nehmen, anschließend mit einer Kreditkarte statt cash bezahlen und eventuell noch einen Kaffee to go ordern. Was uns hierbei so geläufig wie unschuldig über die Lippen geht, bewegt nicht selten ganze Staatsapparate, die Gesetze auf den Weg bringen, um die Verwendung von Wörtern aus anderen Sprachen, und mehr noch die Nutzung oder das Erlernen von anderen Sprachen, einem strengen Reglement zu unterwerfen. Oder es versetzt den sprachpuristischen Bürgersinn in Rage, der sich die Reinhaltung der Sprache und Kultur auf die Fahnen schreibt und deshalb gegen die vermeintliche „Sprachverderbnis“ durch das Fremde zu Felde zieht. 5 Doch auch andere Regelungen sind hinreichend bekannt, etwa dass Gesellschaften festlegen, dass in ihren Schulen die Kinder ein, zwei oder drei Sprachen lernen sollen, bestimmte Sprachen wohlgemerkt, nicht irgendwelche, auch wenn es sich bei den dabei ausgeschlossenen Sprachen um die Sprachen von großen Gruppen unter den Schulkindern oder in der Gesellschaft handelt. All dies wiederum ins Wissenschaftliche gewendet, führt uns zu einer Systematik, die von dem Sprachwissenschaftler Uriel Weinreich (1953) begründet wurde und darin besteht, den Kontakt von Sprachen als Kontakt zwischen Sprachgemeinschaften, zwischen SprecherInnen und zwischen Kulturen zu verstehen. In diesem Kontext kommt Peter H. Nelde (1940-2007), Gründer und langjähriger Leiter der Brüsseler Forschungsstelle für Mehr‐ sprachigkeit, in die Diskussion, der eine Vielzahl solcher Situationen des Sprachkontakts untersuchte und anlässlich einer der großen Tagungen die‐ ser Forschungsstelle konstatierte: „Fest steht jedenfalls, dass auf allen bishe‐ rigen Tagungen zur Kontaktlinguistik noch keine „konfliktfreie“ Minderheit von der Forschung eingebracht wurde“ (Nelde 1990, V). Diesem „Neldeschen Gesetz“ - kein Kontakt ohne Konflikt 6 - mag man zwar entgegenhalten, dass 41 2.2 Das „Neldesche Gesetz“: Kein Kontakt ohne Konflikt Band von Messmer 2003, in welchem er einen Bogen von der Konflikttheorie zum Konzept der ‚Emergenz‘ schlägt, das weiter unten in Abschnitt 2.7.3 behandelt wird. 7 Beispiele für Entlehnung im Deutschen sind das Wort Sauna aus dem Finnischen, Bankrott aus dem Italienischen, Boykott aus dem Englischen; Beispiele für Lehnbil‐ dungen sind dt. Wolkenkratzer nach engl. skyscraper, Großvater nach frz. grand-père, Fernsprecher nach telephone, téléphone (engl., frz.). es sehr wohl Sprachkontakte in Form von Entlehnungen aus oder Lehnbil‐ dungen 7 nach anderen Sprachen gibt, bei denen eine Konfliktsituation nicht erkennbar ist. Handel, Tourismus, Sport, Wissenschaft, Technik usw. sind Bereiche, in denen vielfältige Sprachkontakte an der Tagesordnung sind und zum Wandel der Sprachen beitragen, auch ohne Konflikt. Das eingangs genannte Beispiel zu unseren Geflogenheiten des Essens illustriert dies auf seine Weise. Aber das ist nicht der entscheidende Punkt: Neldes Blick richtet sich - wie schon bei Uriel Weinreich - auf die SprecherInnen und Gemeinschaften unterschiedlicher Sprachen oder Varietäten von Sprachen, deren Kontakt darin besteht, dass sie sich ihre Lebens- und Kommunikationsräume teilen und ihre Sprachen dabei in der Regel nicht gleichberechtigt sind oder im Sinne von Gleichheit behandelt werden. Außer Frage steht dabei, dass dies Auswirkungen auf die Identifikation der Individuen mit ihren Sprachen und auf die kulturellen Praktiken der Gemeinschaften hat, wenn sie von Erfahrungen der Reglementierung, des Verbots oder der Diskriminierung geprägt sind. Zweitens geht es um mehr als um den Kontakt von Sprachen auf der Ebene des Wortschatzes, sondern um die sehr viel komplexeren Zusammenhänge des Funktionierens von Sprachen in öffentlichen und institutionellen Räumen und wie darin in die Praxis der Sprachen einge‐ griffen wird. Drittens geht es Nelde um Minderheiten und um Sprachen in Minderheitensituationen, was wiederum verbunden ist mit Prozessen der Minorisierung oder der Majorisierung (vgl. Blanchet 2005, Weirich 2014) und ihren Folgen für den Sprachausbau, das Sprachbewusstsein, die Sprachloyalität, die von den Einzelnen wie von den Gemeinschaften als spannungsgeladen und konfliktträchtig erlebt werden. Kein Kontakt ohne Konflikt - für einen Belgier bedarf diese Erkenntnis angesichts der langen Geschichte kultureller Konflikte, die dieses Land schon mehrfach an die Grenze des Zerfalls brachte, eigentlich keiner weiteren Belege. Seit Belgien 1830 als ein französischsprachiger Staat gegründet wurde, reißen die Sprach- und Kulturkonflikte nicht ab. Von Beginn der Existenz dieses Staates an und bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts 42 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 8 Es ist hierbei nicht immer offensichtlich, in welchen Momenten der Auseinanderset‐ zung es sich mehr um einen Religionskonflikt als einen Sprachkonflikt zwischen katholischen Frankophonen bzw. frankophonen KatholikInnen und protestantischen Flamen bzw. flämischen ProtestantInnen handelte. Die Auseinandersetzungen in Bel‐ gien ähneln stark jenen Konflikten zwischen konkurrierenden Nationalismen, die in Kanada im 19. Jahrhundert und bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts aus‐ getragen wurden, basierend auf der trinitarischen Formel von „Sprache-Religion-Rasse“ (langue-religion-race). bedienten sich sowohl die flämische als auch die wallonische Aristokratie und Bourgeoisie gleichermaßen des Französischen als dominanter und prestigereicher Sprache und Kultur. 8 Das Französische dieser Oberschicht kontrastierte im nördlichen Teil des Landes, in Flandern, mit den von der Landbevölkerung gesprochenen flämischen Dialekten, und im südlichen Teil, in Wallonien, mit den ebenfalls von den Volksschichten gesproche‐ nen wallonischen, pikardischen und lothringischen Dialekten. Gegen die monokulturelle Imago der frankophonen Oberschicht entfaltete sich eine flämische Emanzipationsbewegung und forderte ihrerseits Räume, Symbole und Institutionen der Einsprachigkeit in Flämisch und die Anerkennung ihrer Sprache als offizielle Sprache im Staat. Aber auch nachdem 1962 das Land durch die Festlegung einer Sprachgrenze in zwei einsprachige Territorien - im Norden mit Flämisch bzw. Niederländisch, im Süden mit Französisch - geteilt wurde und Brüssel als überwiegend französischspra‐ chige Insel im flämischen Sprachgebiet sowie die umliegenden Gemeinden einen Sonderstatus erhielten, waren die Konflikte zwischen Flamen und Wallonen noch längst nicht beigelegt, bis heute nicht (vgl. Erfurt 1992). Flankiert wurden die kulturellen Konflikte von einer Verschiebung des wirtschaftlichen Kräfteverhältnisses, das sich seit den 1960er Jahren deutlich zugunsten Flanderns entwickelte und die Forderungen nach Sezession und Gründung eines eigenen Staates immer lauter werden ließen. Quer zu all diesen Spannungsfeldern lagen noch andere, beispielsweise die der deutschsprachigen Minderheiten im Osten des Landes, auch als Neubelgien bezeichnet, die in den 1970er Jahren als dritte Sprachgemeinschaft - neben den Wallonen und Flamen - anerkannt wurden. Das finstere Kapitel des belgischen Kolonialismus wiederum stand bis in die jüngste Zeit völlig im Schatten der kulturellen Konflikte im Inneren des Landes und ist bis heute lediglich in Ansätzen aufgearbeitet. Zwei Erkenntnisse sind hier festzuhalten. Erstens, dass grundsätzliche Zweifel am „Neldeschen Gesetz“ bislang nicht zu erkennen sind. Eher bestä‐ 43 2.2 Das „Neldesche Gesetz“: Kein Kontakt ohne Konflikt 9 Die oben bereits angesprochenen späteren Regelungen für Brüssel sowie für die deutschsprachige Bevölkerung sind hierbei nicht berücksichtigt. Die Anerkennung bzw. Durchsetzung des Territorialprinzips erwies sich in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund lokaler demografischer Verhältnisse und demografischer Wandelprozesse vor allem in der Peripherie von Brüssel, im Gemeindeverband Les Fourons/ Voeren im Osten Belgiens und Mouscron/ Moeskroen im Westen Belgiens immer wieder als Auslöser für Staatskrisen, über die mehr als nur eine Regierung gestürzt ist. tigt es sich, angesichts von gesellschaftlichen Dynamiken, unter denen die Migration einen prominenten Platz einnimmt und Kultur zu einem Schlüs‐ selelement von gesellschaftlichen und globalen Transformationsprozessen geworden ist, über die im Weiteren noch zu sprechen sein wird. Das heißt auch, dass dem hierbei erforderlichen Konfliktmanagement und den Anforderungen an die Sensibilität der gesellschaftlichen Akteure für Fragen der Diskriminierung, des Ausschlusses, der Auf-, Ab- oder Entwertung von sozialen Gruppen, von Minderheiten und von Individuen und ihren kultu‐ rellen Praktiken, im weitesten Sinne also für Fragen der Kultur, wachsende Bedeutung zukommt. Zweitens, dass in Belgien im Jahre 1962, als vorläufiges Fazit eines etwa einhundert Jahre währenden Dauerkonflikts, das Prinzip der Bikulturalität als eine Strategie des Konfliktmanagements eingeführt wurde. Bikulturalität bedeutet, dass neben der bislang dominanten französischsprachigen Kultur auch die flämischbzw. niederländischsprachige Kultur anerkannt wird und das Land von diesem Zeitpunkt an entlang der Sprachgrenze in zwei einsprachige Territorien geteilt wird. 9 Verwaltet wird das Land fortan nach dem Territorialitätsprinzip, das innerhalb des Staates jeder der beteiligten Gemeinschaften paritätische Vertretung und Machtausübung garantiert. Am Ende der 1960er Jahre - dies sei hier im Vorgriff auf Abschnitt 2.4 bereits eingeführt - wird mit dem Prinzip der Bikulturalität auch der seit der Gründung Kanadas (1867) virulente Konflikt zwischen Frankophonen und Anglophonen befriedet. Allerdings ist dieser Erfolg nur von kurzer Dauer. Er wird sich im Weiteren als problematisch und auf neuerliche Weise konfliktgeladen erweisen. Der Stein des Anstoßes ist die seit 1971 von der kanadischen Bundesregierung praktizierte Politik des Multikulturalismus. 44 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 10 Vgl. www.unesco.de/ sites/ default/ files/ 2018-03/ 1982_Erklärung_von_Mexiko.pdf. 11 Die 31. Generalkonferenz der UNESCO zur kulturellen Vielfalt, die im November 2001 in Paris stattfand, verweist erneut auf den Kulturbegriff, wie er in die Deklaration von Mexiko 1982 Eingang gefunden hat; allerdings ist bemerkenswert, dass in der Fassung von 2001 nur der erste Teil der damaligen Definition zitiert wird, vgl. www.unesco.de / infothek/ dokumente/ unesco-erklaerungen/ erklaerung-vielfalt.html#c887. 2.3 Was ist Kultur? Es ist auch heute noch aufschlussreich sich zu vergegenwärtigen, was sich Anfang der 1980er Jahre auf dem Feld der Diskussion über Kultur und Kulturpolitik ereignete. Eines der in diesem Kontext bedeutenden Ereignisse, das hier etwas ausführlicher in Erinnerung gerufen werden soll, ist die zweite Weltkonferenz der UNESCO zur Kulturpolitik, mit der 1982 in Mexiko die Verhandlungen von 129 teilnehmenden Staaten ihren Abschluss fanden. Mit dem zeitlichen Abstand von heute zu diesem Ereignis ist es möglich, sich mit den Veränderungen, die sich im Verständnis von Kultur in den letzten Jahrzehnten Bahn gebrochen haben, vertraut zu machen. In den Verhandlungen der Weltkonferenz der UNESCO verständigten sich die Staaten auf einen Begriff von Kultur, den sie fortan der Gestaltung ihrer Kulturpolitik zugrunde legen sollten. In der Deklaration heißt es, dass die Kultur in ihrem weitesten Sinne als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen wer‐ den kann, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schließt nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertsysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen; dass der Mensch durch die Kultur befähigt wird, über sich selbst nachzuden‐ ken. Erst durch die Kultur werden wir zu menschlichen, rational handelnden Wesen, die über ein kritisches Urteilsvermögen und ein Gefühl der moralischen Verpflichtung verfügen. Erst durch die Kultur erkennen wir Werte und treffen die Wahl. Erst durch die Kultur drückt sich der Mensch aus, wird sich seiner selbst bewusst, erkennt seine Unvollkommenheit, stellt seine eigenen Errungenschaften in Frage, sucht unermüdlich nach neuen Sinngehalten und schafft Werke, durch die er seine Begrenztheit überschreitet. 10 Der Kulturbegriff der UNESCO 11 trägt zwei Fragen Rechnung. Einerseits ant‐ wortet er darauf: Was ist Kultur? - hierbei handelt es sich um eine inhaltliche Bestimmung. Andererseits geht es um die Frage: Was bedeutet Kultur für den Menschen? - somit rückt eine funktionale Perspektive in den Blick. Hiervon 45 2.3 Was ist Kultur? 12 Da es sich hierbei um ein zentrales Konzept von Disziplinen wie der Anthropologie, Ethnologie, Kulturwissenschaft und Soziologie handelt, fallen die Darstellungen zum Begriff und zur Begriffsgeschichte entsprechend vielfältig und zahlreich aus. Für den deutschsprachigen Raum sei exemplarisch auf die Arbeiten von Bachmann-Medick 2010, Borgards 2010, Kohl 1993, 3 2012, Hahn 2005, Hansen 2000, Reckwitz 2000 und auf die Synthese von Lentz 2009 verwiesen. ausgehend geht es der UNESCO darum zu bestimmen, welche Grundsätze die Kulturpolitik der Staaten leiten sollen. Diese Grundsätze erstrecken sich auf kulturelle Identität, ihre Anerkennung, Wahrung, Förderung und ihren Schutz, auf die kulturellen Dimensionen der Entwicklung, auf Kultur und Demokratie, auf das Kulturerbe, das künstlerische und geistige Schaffen und die Kunsterziehung, auf die Beziehung der Kultur zu Bildung, Wissenschaft und Kommunikation bis hin zur internationalen kulturellen Zusammenar‐ beit. Schließlich mündet die Deklaration der Weltkonferenz in den Aufruf, dass in einer von Konflikten erschütterten Welt, die die kulturellen Werte der verschie‐ denen Zivilisationen bedrohen, […] die Mitgliedstaaten […] ihre Bemühungen um die Erhaltung dieser Werte verstärken und noch wirkungsvollere Aktionen zur Förderung der Entwicklung der Menschheit einleiten [müssen]. Die Aufstellung eines dauerhaften Friedens ist allein für das Bestehen der menschlichen Kultur von Bedeutung. (ebd.) Mit der Deklaration von Mexiko verständigen sich somit die teilnehmenden Staaten unter der Ägide eines suprastaatlichen Akteurs auf ein Konzept von Kultur, das im Kern auf (kollektive) Identitätsbildung, auf Konflikt‐ management und auf Entwicklung ausgelegt ist und dessen Hauptzweck darin besteht, Kulturpolitik zu betreiben. Kultur erscheint hierbei als ein Begriff im Singular: die Kultur einer Gesellschaft oder einer Gruppe. In ihrer Vielheit betrachtet, somit additiv, ergibt diese Summe der Kulturen von Gesellschaften und Gruppen, was oben als „[die] menschliche Kultur“ gefasst wird. Was lässt sich aus heutiger Sicht zu diesem Kulturbegriff sagen? Zunächst sei daran erinnert, dass es 1982 - im alltagssprachlichen Sinne wie in den Kultur- und Sozialwissenschaften - auch noch andere Verwendungsweisen und Bedeutungen des Wortes Kultur gab 12 und dass sich seither die Welt in ihrer Gesamtheit wie in ihren Teilen fundamental verändert hat. Einge‐ bettet ist der Wandel des Verständnisses von Kultur und Kulturen in die 46 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 13 Kleeberg/ Langenohl (2011, 301) verweisen darauf, dass in der deutschsprachigen semanti‐ schen Tradition ‚Kultur‘ und ‚Zivilisation‘ oftmals gegenübergestellt werden: „‚Kultur‘ als das Werkhaft-Schöpferische, aber in der Vergangenheit verankerte, ‚Zivilisation‘ als der zunehmend sich verfeinernde, aber auch identitätsblinde Prozeß“ (ebd.). 14 Vgl. Commission de vérité et réconciliation du Canada (2015), Honorer la vérité, réconcilier pour l’avenir. Sommaire du rapport final. Ottawa, S. 1ff. Veränderungen des Gesellschaftlichen, wie sie in ihren kleinteiligen Formen in Kapitel 1 beschrieben wurden. In ihrer großen bis globalen Form bestehen die Veränderungen in Ereig‐ nissen und Prozessen wie dem Ende des Kalten Kriegs 1989/ 90, den neuen geopolitischen Konflikten um Macht und Einfluss mit den Kriegen in Af‐ ghanistan, Irak, auf dem Balkan oder in Afrika, im Aufstieg Chinas zu einem globalen Akteur, seit den 2000er Jahren im Ausbau des Internets und der Digitalisierung, bis hin zum Klimawandel und den weltweiten Gesundheits- und Ernährungskatastrophen, darunter gegenwärtig die Corona-Pandemie. Ins 19. Jahrhundert zurückreichend, ist in dieser Hinsicht ein Begriff von Kultur zu nennen, der im Plural verwendet wird: die Kulturen. Der Begriff der Kulturen ordnet sich in eine Geschichte der Zivilisationen ein, die vom Werden und Vergehen von Kulturen berichtet. Im Französischen und Englischen deckt sich dieser Kulturbegriff oft mit dem der civilisation(s)/ civilization(s) (vgl. dazu Braudel 1987, auch Netzwerk Transkulturelle Verflechtungen 2016, 38ff.). 13 Verbreitung und öffentliche Aufmerksamkeit gewinnt dieser Begriff der Kul‐ turen, als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der Hochphase der kolonialistischen Expansion europäischer Mächte, Geologen und Ethnologen aufbrechen, um die eroberten Gebiete zu vermessen und ferne („fremde“) Kulturen in Afrika, Asien und Ozeanien zu erforschen. Der Kulturbegriff erhält hierbei eine ethnische Fundierung, indem die kulturellen Praktiken von „Völkern“ und von „Stämmen“, die im Kolonialdiskurs schlicht als „Wilde“ oder „Primitive“ verstanden und den „zivilisierten“ oder „Kulturvölkern“ der Europäer gegenübergestellt wurden, beschrieben werden. Die europäischen Kolonialmächte ihrerseits legitimieren ihre koloniale Expansion als „zivili‐ satorische Mission“ (vgl. Tricoire 2017, 2018). Doch geht man fehl in der Annahme, dass es sich hierbei allein um akademische Übungen und um von Neugier getriebene Praktiken der Forschungsreisenden handelte. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts verfolgten die Kirchen Hand in Hand mit den staatlichen Autoritäten Programme der Assimilation der indigenen Bevölkerungen, die heute nicht anders als „kultureller Genozid“ 14 angesehen werden können (vgl. Abschnitt 2.5). 47 2.3 Was ist Kultur? Genau in diesem Spannungsverhältnis ist das Hauptwerk von einem der Gründungsväter der Ethnologie, des britischen Ethnologen Edward Tylor (1832-1917), angesiedelt. In seinem Buch mit dem doppeldeutigen Titel „Primitive Culture“ (1871) bedeutet das Adjektiv primitive ‚ursprünglich‘, ‚uranfänglich‘, doch zugleich reagiert Tylor damit auf zeitgenössische Dis‐ kurse über die Kultur von „Primitiven/ Wilden“ (vgl. Lentz 2016, 4). An Tylor zu erinnern, drängt sich im vorliegenden Zusammenhang geradezu auf, und dies in zweierlei Hinsicht. Erstens wegen seines Begriffs von Kultur, den er bestimmt als: jenes komplexe Ganze, welches Wissen, Glaube, Kunst, Moral, Recht, Sitte und Brauch und alle anderen Fähigkeiten und Gewohnheiten einschließt, welche der Mensch als Mitglied der Gesellschaft erworben hat. (zitiert nach Kohl 1993, 130) Es ist nicht zu übersehen, dass die Kulturdefinition der UNESCO von 1982 in ihrem ersten Teil noch ganz in der Tradition von Edward Tylors Kulturbegriff steht. Und zweitens, dass sich Tylor wie später auch die UNESCO von einem Kulturverständnis abgrenzen, wonach sich Kultur - nun etwas verkürzt - auf Oper, Theater, Konzert, Literatur und Museen, ge‐ gebenenfalls noch auf Film und gutes Essen erstreckt und der Kulturbegriff damit auf ein Verständnis von „Hochkultur“ verengt wird. Alltagssprachlich ist dieses enge Verständnis von Kultur auch heute noch gegenwärtig und weit verbreitet. Eine Verständigung über den Begriff von ‚Kultur‘ ist aus diesem Grunde keine einfache Angelegenheit. Als ein Wort, das so trivial wie geläufig daher‐ kommt (vgl. Baumann 1973, 1, Haug 2011, 15), gibt es nicht zu erkennen, ob es sich beim Reden über Kultur um ein wissenschaftliches Konzept handelt oder um eine Verwendungsweise, die alltagssprachlich geprägt ist. Man denke nur an die vielen Komposita im Deutschen, in denen Kultur erscheint, wie Alltagskultur, Herkunftskultur, Hochkultur, Jugendkultur, Körperkultur, Mayakultur, Nationalkultur, Nischenkultur, Politkultur, Popkultur, Sprach‐ kultur, Standeskultur, Unternehmenskultur, Wohnkultur, Vereinskultur und Verkaufskultur, oder an Kulturamt, Kulturbeutel, Kulturerbe, Kulturfestival, Kulturfonds, Kulturgut, Kulturhaus, Kulturkampf, Kulturkanal, Kulturraum, Kultursender, Kulturverfall, Kulturvolk, Kulturwissenschaft oder, wieder an‐ ders, an die an das lateinische Wort cultura anschließende Bedeutung und Verwendungsweise in Agrikultur, Obstkultur, Pilzkultur, die auch heute noch die einstige und ursprüngliche Bedeutung von Kultur transportieren. Als ein Fachbegriff, der quasi beständig von den alltagssprachlichen Verwen‐ 48 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 15 In seiner Typologie „sozialtheoretisch wirkungsmächtiger Versionen dessen, was Kul‐ tur bedeuten kann“, unterscheidet Reckwitz (2000, 64 ff.) - hier auch umfangreiche Hinweise zu weiterführender Literatur - vier Kulturbegriffe: a) einen normativen Kulturbegriff (von Cicero bis Alfred Weber); b) einen totalitätsorientierten Kulturbegriff (von Herder bis zur modernen Kulturanthropologie); c) einen differenzierungstheore‐ tischen Kulturbegriff, der Kultur in einem bestimmten Handlungsfeld - sektoral - verortet (von Friedrich Nietzsche bis Talcott Parsons) und d) einen bedeutungs-, sym‐ bol- und wissensorientierten Kulturbegriff (von Ernst Cassirer über den französischen Strukturalismus (de Saussure), den amerikanischen Pragmatismus (Pierce u. a.) und die Sprachphilosophie (Wittgenstein) bis heute. dungsweisen unterwandert wird, riskiert er Missverständnisse in der wis‐ senschaftlichen Diskussion, und umgekehrt ist im Alltag kaum vermittelbar, was sich hinter den fachspezifischen Verwendungsweisen von ‚Kultur‘ verbirgt, wenn zum Beispiel KulturphilosophInnen - auch dieses Wort ist ein Neologismus - von ‚Kulturalisierung‘ anstelle von ‚Kultur‘ sprechen wollen. Auf den Kulturbegriff deshalb zu verzichten, wie es Trouillot (2002) und andere vorschlagen, und ihn durch speziellere Begriffe wie ‚Habitus‘, ‚Diskurs‘, ‚Milieu‘ u. a. zu ersetzen, wäre nur konsequent, schaffte aber die Probleme in der Verständigung über ein so komplexes Phänomen nicht aus der Welt. Zurück zum Kulturbegriff der UNESCO. Bemerkenswert daran ist, dass es sich hierbei nicht um einen Fachbegriff handelt, wie er in den Kreisen von Spezialisten gebraucht wird, sondern um einen ontologisch und anthropolo‐ gisch fundierten Begriff von maximaler gesellschaftspolitischer Reichweite, weshalb ihm auch ein erhebliches Maß an normativer Bedeutung zukommt. Wie bereits erwähnt, bestimmt die UNESCO ‚Kultur‘ - in der Tradition von Tylor (1871) - nach einem inhaltlichen Kriterium (im ersten Teil) und nach einem funktionalen Kriterium (im zweiten Teil), wobei beide Kriterien als zwei Seiten einer Medaille verstanden werden. Auf diese Weise widersteht dieser Begriff älteren Auffassungen von Kultur 15 , z. B. Kultur eines Volkes, Kultur einer Nation oder einer Ethnie oder Kultur im Sinne von „Hochkultur“, zugleich erscheint er aus heutiger Sicht und im kultur- und sozialwissenschaftlichen Kontext in mehrfacher Hinsicht als revisionsbedürftig. Stichwortartig formuliert besteht die Revision in folgenden Aspekten des Kulturbegriffs: ▸ die Annahme von Homogenität, die durch Distinktion, Differenz und Heterogenität zu ersetzen ist, 49 2.3 Was ist Kultur? 16 Dies gilt tendenziell auch für eine sog. Willensnation wie die Schweiz, die heute vier offizielle Sprachen hat. In der Vergangenheit definierte sich die Schweiz als deutschsprachige Nation. Erst unter dem Druck von Napoleons Bajonetten werden Sprache und Kultur der französischsprachigen Schweizer anerkannt, lange danach dann auch das Italienische und das Rätoromanische. Auf der für die Schweizer Demokratie zentralen kommunalen und kantonalen Ebene gilt das Territorialitätsprinzip, das der Einsprachigkeit verpflichtet ist und für die wenigen zweisprachigen Städte und Kan‐ tone minutiös austarierte Regelungen vorsieht. Die Literatur hierzu ist umfangreich, vgl. u. a. Bickel/ Schläpfer 2000, Grin 2014, Lüdi/ Werlen 2005, Knecht 2010. ▸ die inhaltliche und funktionale Bestimmung von Kultur, die um eine relationale zu erweitern ist, ▸ die statische Betrachtungsweise von Kultur, die durch eine dynamische zu ersetzen ist, ▸ die damalige ontologisch und anthropologisch fundierte Auffassung von Kultur, die heute in wissenschaftlichen Diskursen um eine kon‐ struktivistische und handlungstheoretische Bestimmung von Kultur zu erweitern, gegebenenfalls auch zu ersetzen ist, ▸ die Ablösung des Kulturbegriffs von seiner Vereinnahmung durch den Staat als Akteur von Kulturpolitik und seine Situierung in den Macht-, Herrschafts- und Klassenverhältnissen. Mit anderen Worten und in gebotener Kürze: In die Deklaration der UNESCO von 1982 ist erstens ein Verständnis von Kultur eingeschrieben, demzufolge sich Gesellschaften oder Gruppen durch bestimmte Anschauun‐ gen, Werte, Traditionen, Glaubensrichtungen, materielle und ideelle Güter bestimmen. Diese Vorstellung von Einheitlichkeit in Bezug auf die gemein‐ sam geteilten Lebensformen und Lebensstile wird auch als Homogenisie‐ rung bezeichnet. Als prototypisch für die homogenisierende Betrachtung ist das Konzept der Nationalkultur zu nennen, wie es zu Beginn des 19. Jahr‐ hunderts in der Phase der Entstehung der Nationalstaaten entworfen wurde. Wie der Nationalstaat selbst ist auch die Nationalkultur von der Imago des Bürgertums von Einheitlichkeit und Vereinheitlichung geprägt, allen voran der einheitliche Markt, einheitliche Maße und Gewichte, einheitliche Sprache und bis hin zu den nationalen Orten und Mythen der Erinnerung und des Gedenkens. 16 Auf diesem Boden können dann auch die stereotypen Bilder von Völkern und Nationen gedeihen, denen gemäß DIE Franzosen, DIE Deutschen, DIE Russen glauben, fühlen, denken, dass … , arbeiten, essen und trinken gern …. und verhalten sich (wie) ….. 50 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 17 Die Problematik des Postulats der Homogenität von Kultur wird deutlich, wenn es in seiner politischen Dimension betrachtet wird. Verbindet sich die Idee einer homogen verfassten Kultur - und damit von unterscheidbaren, dauerhaften und einmaligen Kulturen - mit der des Nationalismus, dann ist der Schritt von kultureller Homoge‐ nisierung zu Xenophobie und „ethnischer Säuberung“ nur ein kleiner. Die Kriege, militärischen Konflikte und Vertreibungen im Zuge des Zerfalls von Jugoslawien, in der Kaukasusregion seit dem Ende der Sowjetunion, im Nahen und Mittleren Osten, in Myanmar und andernorts sprechen in dieser Hinsicht eine deutliche Sprache. 18 In dieser Hinsicht aufschlussreich ist die von Édouard Glissant (1990) angestoßene poetologische Diskussion, siehe auch Glissant 2005. Wie Bhabha (1994) und andere KulturwissenschaftlerInnen zeigen, sind derartige Zuschreibungen eines gemeinsamen Nenners höchst fragwürdig; nicht anders die Annahme einer Übereinstimmung von Gemeinschaft und Territorium, oder eines von den Angehörigen einer Kultur gemeinsam geteilten Wissens, weshalb grundsätzliche Zweifel am Postulat der Homoge‐ nität angebracht sind. 17 Bekanntermaßen können die Differenzen innerhalb einer Kultur größer sein als beispielsweise die zwischen Personen verschie‐ dener Kulturen. Ganz in diesem Sinne hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass Kultur und Kulturen nicht als homogen, sondern in ihrer Differenz (u. a. Hall 2018, 101 ff.) und mit Begriffen der Distinktion (Bourdieu 1979) und der Heterogenität zu modellieren sind (vgl. Blackledge/ Creese 2014, Castellotti 2017, Dirim/ Mecheril 2018). Ansätze, welche die Differenz und Heterogenität in und von Gemeinschaften zum Ausgangspunkt neh‐ men, sind daher prinzipiell besser geeignet, die soziokulturelle Komplexität, die Vielschichtigkeit, die Verwobenheit in den Griff zu bekommen. Das gilt für die Kultur von Gemeinschaften nicht anders als für die des Individuums. Mischungen und Hybridität (vgl. Kapitel 4) sind sozusagen allgegenwärtig. Dies ist nicht erst als eine Folge der Beschleunigung der Globalisierung zu verstehen, sondern war auch früher schon der Fall (vgl. Borgolte/ Schneid‐ müller 2010). Der zweite Ansatz für die Revision ergibt sich daraus, dass im Kultur‐ begriff von 1982 die relationale Dimension 18 , d. h. die Beziehungen, die zwischen koexistierenden Kulturen stattfinden, auf Interaktion basieren und handlungstheoretisch zu begründen sind, noch keinen Platz hat. Einen exemplarischen Ausdruck findet die Vorstellung von der Vielheit der Kul‐ turen im Konzept der Multikulturalität. Allerdings wird hierbei die Vielheit lediglich in ihrer Addition, in ihrem Nebeneinander oder Nacheinander verstanden, nicht aber als das Miteinander von in Beziehung tretenden Entitäten, Gruppen oder Akteuren und den in diesem Kontext erforderlichen 51 2.3 Was ist Kultur? Formen und Prozessen des Aushandelns von Differenz und von Konflikten. Dass der Kontakt ein Motor der Veränderung ist, kann als ausgemacht gelten. Er manifestiert sich in einer breiten Palette von Prozessen und Be‐ ziehungen der Interaktion von Akteuren und den Resultaten ihres Handelns und Verhandelns. Drittens liest sich der damalige UNESCO-Begriff von Kultur aus heutiger Sicht als statisch, als ein Begriff, der auf Beschreibung eines Zustandes und auf Inventarisierung von Formen und Praktiken ausgelegt ist. Die vielfältigen Prozesse der Veränderung der Gesellschaften, der Gruppen und Individuen, die Diversifizierung dessen, was als Kunst, Kultur und Literatur, und allgemeiner als geistige, materielle, intellektuelle und emo‐ tionale Aspekte überhaupt angesehen und was als Werte, Traditionen und Glaubensrichtungen von den Akteuren wahrgenommen und in ihrer Verwobenheit gelebt wird, verlangen jedoch nach einer anderen als der statischen Betrachtung. Es geht darum, sowohl das So-geworden-Sein der kulturellen Subjekte als auch ihr „Machen“ und ihr „Werden“ zu verstehen. Dies verlangt nach einem dynamischen, an den Prozessen und den Akteuren orientiertem Verständnis von Kultur, wie es auch in diesem Buch zur Diskussion gestellt wird. Ein vierter Ansatz für die Revision knüpft an das ontologisch und das anthropologisch fundierte Kulturverständnis der UNESCO an, wonach das Wesen von Kultur sowohl in der Ordnung der Welt (somit ontologisch) als auch in den handelnden Menschen mit ihren Vorstellungen (Identitäten, Glaube u. a.), Wert- und Wahrnehmungsmustern und Praktiken (somit anthropologisch) besteht, aus heutiger Sicht um eine konstruktivistische Bestimmung zu erweitern ist. Konstruktivismus geht davon aus, dass unser Wissen auf Konstruktionsprozessen basiert, wie auch unsere Wirklichkeit gesellschaftlich konstruiert ist, um an den Titel des Buchs von P. Berger und T. Luckmann (1966) anzuschließen. Eine der zentralen Thesen lautet dabei, dass die Wirklichkeit beobachtungsabhängig ist. Je nach Standpunkt, Interesse, Person usw. sehen wir sie anders und sehen etwas Anderes. Damit einher geht der Zweifel an der Gültigkeit oder Angemessenheit tradierter Vorstellungen von Kultur, womit die Tür für eine Dekonstruktion des Kulturbegriffs weit geöffnet wird. So etwa gegenüber den Kulturkonzepten des bedeutenden französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss oder des amerikanischen Anthropologen Clifford Geertz, die Kultur als umfassendes Symbolsystem betrachten, das alle Ausdrucksformen einer Gemeinschaft prägt, von den Soziabilitätsformen über die Alltags- oder Festtagsriten bis 52 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 19 Zur Problematik des Konstruktivismus, zu kritischen Einwänden wie auch zu den Erkenntnispotenzialen im Kontext von Lernen, Bildung und Kultur, vgl. die Argumen‐ tation des Erziehungswissenschaftlers Kersten Reich, in Reich 2002. Allgemeiner zu neueren Auffassungen des Konstruktivismus und speziell zur konstruktivistischen Theorie in der Politik, vgl. Martinsen 2014. 20 In Kap. 5 wird im Sinne einer Engführung der kulturwissenschaftlichen Diskussion und einer an der Empirie ausgerichteten Sprachwissenschaft gezeigt, wie sich kon‐ struktivistische Zugriffe in der Auffassung von so grundlegenden Konzepten wie dem der Sprache niederschlagen und was diese für die sprachwissenschaftliche Forschung bedeuten. zur Erziehung, und sich als handlungsleitender Code beschreiben lässt. Für den Anthropologen Geertz rückt dabei die identitäre Dimension in den Vordergrund: Die Kultur einer Gemeinschaft […] besteht in dem, was man wissen oder glauben muss, um in einer von den Mitgliedern dieser Gesellschaft akzeptierten Weise zu funktionieren. Und aus dieser Auffassung von Kultur folgt eine ebenso eindeutige Auffassung davon, was es heißt, eine Kultur zu beschreiben: nämlich ein System von Regeln aufzustellen, das es jedem, der diesem ethnographischen Algorithmus gehorcht, möglich macht, so zu funktionieren, dass man (von der physischen Erscheinung einmal abgesehen) als Eingeborener gelten kann. (Geertz 1973, hier zitiert nach Geertz 1983, 17) Gegenüber dieser an der Gemeinschaft orientierten Auffassung von Kultur stellt der Konstruktivismus eine Provokation dar. Zugespitzt formuliert heißt es zum Beispiel bei dem Ethnologen P. Kohl (2013, 20): „Jegliche Annahme von Kultur muss daher als individuell konstruiert angesehen werden“. Als Soziologe kommt H. Griese zu einem ganz ähnlichen Befund, wenn er Kultur als einzigartiges Merkmal eines jeden Individuums betrach‐ tet und schlussfolgert: „Es gibt zumindest so viele Kulturen wie Subjekte“ (Griese 2006, 21). Oder anders formuliert, der Perspektivenwechsel auf die gesellschaftliche Bedingtheit von Kultur, der mit dem Konstruktivismus 19 einhergeht, besteht darin, dass Kultur nicht mehr als das verstanden wird, was eine Gruppe bestimmt und was deren Mitglieder teilen, sondern als das, was den Einzelnen formt und wie er damit umgeht. 20 Von hier aus erschließen sich eine Reihe weiterer Blickrichtungen auf Kultur, die in den beiden folgenden Abschnitten dargestellt werden und der Logik dieses Kapitels folgen, Kultur(en) im Konfliktmanagement zu betrachten. Der fünfte Ansatz, schließlich, geht davon aus, dass ihm Rahmen der UNESCO Staaten bzw. staatliche Akteure den Kulturbegriff für die Zwecke 53 2.3 Was ist Kultur? 21 Für die Gramsci-Rezeption in den deutschsprachigen Ländern von herausragender Bedeutung ist das von Klaus Bochmann und Wolfgang Fritz Haug geleitete Projekt der kritischen Ausgabe der „Gefängnishefte“, erschienen im Argument-Verlag in zehn Bänden von 1991 bis 2002. von staatlicher Kulturpolitik verhandelt haben. Daraus ergeben sich Fragen einerseits nach dem Verhältnis von Staat und Kultur und allgemeiner danach, wie Kultur und Kulturen im Kontext der Macht-, Herrschafts- und Klassenverhältnisse, speziell im Kapitalismus, zu situieren sind und wie sich die „herrschende Kultur“ zu alternativen Kulturen und „Gegenkulturen“ zur „herrschenden Kultur“ verhalten. Andererseits stellt sich die Frage nach der ökonomischen Dimension des Kulturellen, sowohl im Hinblick auf die kapi‐ talistische Kulturindustrie und ihre transnationalen Kapitalverflechtungen und Verwertungsprozesse als auch auf die sozioökonomische Ungleichheit der Menschen und deren Auswirkungen auf kulturelle Praktiken. Diese Zusammenhänge wurden immer wieder von marxistischen oder marxistisch inspirierten KultursoziologInnen, PhilosophInnen und ÖkonomInnen auf‐ gegriffen. Für viele von ihnen, darunter Stuart Hall, Pierre Bourdieu und Wolfgang Fritz Haug, ist für die Ausarbeitung ihrer Theorien und Analysen zu Kultur und kulturellen Verhältnissen die Beschäftigung mit dem Werk von Antonio Gramsci von zentraler Bedeutung. 21 Die Beantwortung der Frage, was Kultur ist, kommt nicht ohne den expliziten Hinweis darauf aus, dass die Antwort davon abhängt, in welchem weiter gespannten historischen Kontext diese Frage gestellt wird. Diesbe‐ züglich verweisen HistorikerInnen darauf, dass einerseits die Geschichte der Nationen, Nationalstaaten und des nation-building von besonderer Relevanz ist und andererseits die Migration, die die Spannung von ‚eigen’ und ‚fremd’, ‚wir’ und ‚die Anderen’ zu grundsätzlichen Fragen der staatlichen Ordnung im Nationalstaat werden lässt. Wenn die Französische Revolution mit ihrer Menschenrechtserklärung von 1789 und der Verfassung von 1791 die ungehinderte, freie Zirkulation zum individuellen Grundrecht erhob, setzten die Nationalstaaten im späteren 19. Jahrhundert ihr Interesse an der Identifikation der eigenen und der anderen Bürger durch. Die Konsequenzen für Migranten bestanden fortan in einem neuartigen Anpas‐ sungsdruck in der Aufnahmegesellschaft. Permanentes, institutionell erfaßtes Fremdsein (Polizei, Paßwesen, Aufenthaltsgenehmigungen, Ein- und Ausreise‐ regelungen, Bedingungen für den Erhalt der Staatsbürgerschaft …) oder („rück‐ standslose“? ) Aufnahme und Assimilation durch Wechsel der Staatsbürgerschaft 54 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement und -angehörigkeit stellten sich fortan als Alternative dar. […] Nachdem sich in der Frühen Neuzeit bis ins 18. Jahrhundert die ständischen und sozialen Schran‐ ken als wirksamer erwiesen haben als Wanderungsbeschränkungen zwischen Territorien, war die nächste Phase, die bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts reicht, von der Sorge um die Loyalität zur Nation gekennzeichnet. Staatliche Migrationspolitik versuchte durch Definition der Staatsbürgerschaft und des Ausländerstatus eine klare Grenze zu ziehen - sei es über die Abstammung, sei es über das Bekenntnis zu den grundlegenden politischen Werten des Staatswesens. (Middell/ Middell 1998, 19 f.) Es zeigt sich fortan, dass sich das Staatsbürgerrecht und das Asylrecht nicht mehr als geeignete Instrumente der Steuerung von Migration erweisen; in dieser Situation stellt die Kultur ein neues Ordnungsraster dar. Indem nicht mehr das Argument der Loyalität zur Nation im Vordergrund steht, sondern Möglichkeiten und Grenzen der kulturellen Integration, werden auch andere räumliche Maßstabsebenen (Stadtteil, Stadt, Dorf, Region…) in die Diskussion einbezogen. […] Es tritt - faktisch in Form einer Verschärfung durch ein scheinbar altes Konzept - die Idee der kulturellen Zugehörigkeit hinzu. [….] In der Idee der kulturellen Differenz lassen sich dagegen die gewünschten Schranken scheinbar effektiver ziehen. (ebd. 21 f.) Die UNESCO als suprastaatliche Agentur greift mit der Deklaration von Mexiko 1982 genau an diesem Punkt in die Diskussion ein. Zwar noch dem „nationalen Paradigma“ verhaftet, strebt sie eine weltweite Konsultation ihrer Mitgliedsstaaten zu Kultur und Kulturpolitik an und lässt auf diese Weise erahnen, dass ein global zu veranschlagendes „kulturelles Paradigma“ auf dem Vormarsch ist. Ihre moralische Legitimation bezieht die damit beförderte Aufwertung der Kultur zu einem Regulativ nicht nur der staat‐ lichen Politik, sondern auch der internationalen Beziehungen, aus den Völkermorden der Shoa, in Kambodscha und in Ruanda, aus den Pogromen, Verfolgungen und Vertreibungen religiöser und anderer Minderheiten, aber auch aus der Bedrohung und Vernichtung indigener Völker im Zuge wirtschaftlicher Ausbeutung von Naturressourcen und politischer Unter‐ drückung. In ihrer Verlängerung geht es heute gesellschaftspolitisch - mehr denn je - darum, die Widersprüchlichkeiten und Konflikte der globalen Gesellschaft als Widerstreit von Kulturalisierungsregimes (vgl. Abschnitt 2.6) zu erkennen. 55 2.3 Was ist Kultur? 22 ‚Soziale Schließung‘ in Anlehung an Max Webers Konzept offener und geschlossener sozialer Beziehungen, vgl. Weber [1922] 2005, § 10, S. 31-33. Wie sich anhand der bisherigen Argumentation zeigt, läuft die Beantwor‐ tung der Frage, was Kultur ist, auf ein Verständnis zu, dass Kultur als einen Prozess der Aushandlung von Bedeutung versteht. Es schließt damit an vorwiegend in Soziologie und Ethnologie geführte Diskussionen (hier vor allem Wimmer 1996, 2005, Lentz 2009) an und berücksichtigt zudem die oben ausgeführten Kritikpunkte am Kulturbegriff der UNESCO von 1982. Wenn also „Kultur(en) nicht durch einen festen, von allen Mitgliedern geteilten Kanon an Weltbildern, Normen und Praktiken [zu] definieren“ (Lentz 2009, 319) sind, was sind dann die zentralen Aspekte des hier zu veranschlagenden Kulturbegriffs? Wimmer (1996) ist zu folgen, wenn er Kultur als einen „offenen und instabilen Prozeß des Aushandelns von Bedeutungen“ (ebd., 407) definiert, für den drei eng miteinander verwobene Aspekte bezeichnend sind: Erstens „die verinnerlichte Kultur eines Individuums“, die sich im An‐ schluss an Bourdieus Konzept des ‚Habitus‘ ausdrückt und als Voraus‐ setzung den Aushandlungsprozess ermöglicht. Hier zeigt sich das sozial konstruierte Kulturelle auf der individuellen und kognitiven Ebene (vgl. ebd., 407, 413). Zweitens nennt Wimmer die „allgemeinen verbindlichen Vorstellungen über die Beschaffenheit der Welt, also das Resultat dieses Prozesses“ (ebd. 407). Hierbei geht es auf der kollektiven und symbolischen Ebene „um die Vorstellungen über die Beschaffenheit der sozialen Welt, über Recht und Unrecht, Heiliges und Profanes, also die kollektiven Repräsentationen“, die von den Akteuren verhandelt werden und die auf die Findung eines Kom‐ promisses zulaufen. Ein „kultureller Kompromiß stellt sich ein, wenn alle in einer Arena aufeinander bezogenen Akteure ihre langfristigen Interessen in der gemeinsamen Symbolik formulieren können“ (ebd., 413). Der dritte Aspekt besteht in „jene[n] kulturellen Praktiken, welche die Grenzen der sozialen Gruppen markieren, innerhalb derer der Aushand‐ lungsprozeß stattfindet“ (ebd., 407). Hierbei geht es um jene Akteure, die an diesem Aushandlungsprozess beteiligt sind, aber auch um jene anderen, welche außerhalb seines Geltungsbereichs stehen, die in einem „Prozeß der sozialen Schließung“ 22 mit Praktiken der Distinktion, der Differenz ausgegrenzt werden. 56 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement Lentz (2009, 320) sieht den Vorzug dieses Ansatzes darin, „dass er die Pro‐ bleme der inneren Variabilität und der Machtgebundenheit von Kultur sowie des kulturellen Wandels zu thematisieren erlaubt. Er ermöglicht auch, die Kulturdiskurse und Abgrenzungsstrategien der Akteure selbst zu themati‐ sieren, ohne ihren Essentialisierungen zu folgen […]“. Allerdings würde „die ‚Aushandlungs‘-Metapher eine ausgeprägte Verbalisierungsfähigkeit und Strategiegeleitetheit gesellschaftlicher Gruppen“ (ebd.) unterstellen, was der Bedeutung nicht verbalisierter Routinen, die Bourdieus Habitusbegriff impliziert, widerspricht. Problematisch an Wimmers Kulturbegriff erscheint mir, dass er ohne jeden Rekurs auf die ökonomischen Verhältnisse und auf Fragen der sozialen Ungleichheit auszukommen versucht, er somit kapituliert vor der „kom‐ merziellen Kulturindustrie mit ihren transnationalen Kapitalverflechtungen und massenhaft verbreiteten Kulturwaren und ihrer im Selbstlauf fast übermächtig sich geltend machenden Tendenz, den Konsum dieser Waren zum Inhalt von ‚Kultur‘ zu machen“ (Haug 2011, 147). Darauf wird in Abschnitt 2.7 noch einzugehen sein. Auch die politische Dimension des Kulturellen erhält auf diese Weise nur wenig Kontur. Dazu sei nochmals auf Haug verwiesen: Dass man sich daher nicht nur vom Staat, sondern vor allem auch von der Kulturindustrie, ganz zu schweigen von der Warenästhetik, ‚abstoßen‘ muss, um die Dimension kultureller Handlungsfähigkeit freizulegen, gibt einen Hinweis auf das Politikum des Kulturellen, das diesen Namen vom Standpunkt der Gesellschaft verdient. Keine der Gruppen und Bewegungen vermag sich allein zu befreien. In dem Maße aber, in dem die alternativen Kulturinitiativen sich vernetzen, ihren Zusammenhang selber gestalten, entwickelt sich ihre Politik des Kulturellen. (ebd.) Weitergehend stellt sich die Frage, wie der von Wimmer im Anschluss an Michel Foucaults Diskurstheorie formulierte Kulturbegriff auf materielle Kulturgüter, Werkzeuge, Bücher, Computer und anderes mehr zu beziehen ist, die sich zumindest auf den ersten Blick mit der Kurzformel „Aushandlung von Bedeutung“ nicht angemessen erfassen lassen. In diese Aufzählung ge‐ hört auch der in Kapitel 1 diskutierte Frankfurter Hauptbahnhof, der - neben dem Singen einer Hymne oder der Veranstaltung eines Stadtteilfestes - als ein kulturelles Artefakt eingeführt wurde. Es bleibt folglich zu klären, ob sich Wimmers Kulturbegriff auch auf diesen Bereich materieller Produkte und Produktion beziehen lässt. 57 2.3 Was ist Kultur? Ein Zugriff ergibt sich, wenn materielle Güter dann als Kulturgüter ver‐ standen werden, wenn sie Symbole für Interaktionsbeziehungen darstellen, denen über einen Wert (im ökonomischen Sinne als Gebrauchswert oder Tauschwert) hinaus auch Werte im ethischen, ästhetischen, kultischen und weitergespannt im ideologischen oder funktionalen Sinne zugeschrieben und sie Gegenstand von Aushandlung werden. In dieser Hinsicht lässt sich ein Bogen von der Errichtung des Hauptbahnhofs in Frankfurt am Main am Ende des 19. Jahrhunderts zum Umbau des Hauptbahnhofs in Stuttgart und das Projekt „Stuttgart 21“ schlagen. Für die Verkehrs- und Infrastrukturgeschichte des Stuttgarter Bahnhofs ließe sich in mancher Hin‐ sicht Ähnliches sagen wie für den Frankfurter Hauptbahnhof, wenn er auch baugeschichtlich aus einer anderen Zeit - vor dem Ersten Weltkrieg geplant und kurz nach diesem Krieg errichtet - stammt. Mit den vielschichtigen Konflikten um das Projekt „Stuttgart 21“ zum Umbau des Bahnhofs lässt sich sehr anschaulich illustrieren, wie ein materielles Gut zum Symbol für eine bis dahin nicht gekannte soziale Mobilisierung und Protestbewegung wird. Dass dieser Bahnhof im Leben vieler Menschen von Bedeutung ist, dass das Unternehmen der Bahn ihm seinerseits eine milliardenschwere Bedeutung innerhalb seiner Modernisierungsstrategie beimisst, dass die Stadt und das Land und die Immobilienbranche jeweils für sich mit dem Umbau bestimmte Bedeutungen verbinden, all das erinnert an die Metapher der Arena, in der sich die Akteure begegnen, um die Bedeutung des Projekts zu verhandeln und um Kompromisse zu erringen. 2.4 Bi-, Multi-, Interkulturalität als Konzepte des Konfliktmanagements Kultur und Kulturen als Gegenstand von Konfliktmanagement - wenn die zweite Weltkonferenz der UNESCO zur Kulturpolitik (1982) dieses Problemfeld aufgreift und zum Gegenstand eines staatenübergreifenden Konsultationsprozesses erklärt, so können, wie am Ende von Abschnitt 2.2 bereits eingeführt, mit Belgien und Kanada zwei konkrete Fälle des Manage‐ ments kultureller Konflikte genannt werden. Die Ausarbeitung des Prinzips der Bikulturalität stellt in beiden Staaten eine Strategie zur Herstellung des sozialen Friedens dar. Die Anerkennung der bikulturellen Verfassung dieser Gesellschaften und die Einführung der offiziellen Zweisprachigkeit sind hierbei die entscheidenden Konzepte staatlichen und zivilgesellschaftlichen 58 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 23 P. E. Trudeau (1918-2000) ist der Vater des heutigen kanadischen Premierministers Justin Trudeau, geb. 1971. 24 Bemerkenswert ist, dass die Bezeichnung dieses Krieges, mit dem die Existenz von „Neu-Frankreich“ endet, und seine Zeitdauer je nach beteiligtem Akteur nicht unerheb‐ lich variieren: ist in der europäischen Geschichtsschreibung vom Siebenjährigen Krieg (1756-1763) die Rede, heißt er im französischsprachigen Kanada Guerre de la Conquête (1754-1763) und in den USA French and Indian War (1754 -1766). 25 Als föderaler Staat gehört Kanada seit 1970 sowie die Provinzen Québec (seit 1971) und Nouveau-Brunswick/ New Brunswick (seit 1977) auch der Organisation internationale de la Francophonie (OIF) bzw. ihrer Vorläuferorganisationen an. Handelns. Das 1968 in Kanada beschlossene Prinzip der Bikulturalität und des Bilinguismus gerät allerdings schon bald auf neue Weise in die Kritik, als der damalige Premierminister Pierre Elliott Trudeau 23 1971 den Multikultu‐ ralismus zum neuen Prinzip der Staatspolitik erklärt. Dieses Ereignis etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, verspricht, Einsichten über den Sitz von Kultur im politischen Handeln von Staaten zu erlangen und gleichzeitig einige der Szenarien des Konfliktmanagements zu erkennen, die den Prozess des nation-building (Anderson 1983, Gellner 1995, 1996) ausmachen. Das heutige Kanada wurde vor gut 150 Jahren von der britischen Koloni‐ almacht gegründet und existiert als Staat damit ähnlich lange wie Italien, 1861, oder Deutschland, 1871 gegründet. Damals, im Jahr 1867, hatte es noch nicht in die Ausdehnung von heute, sondern umfasste zunächst nur die beiden Provinzen Ontario und Québec. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wurden mit der sukzessiven Eroberung und Erschließung des Kontinents im Westen, Osten und Norden weitere Provinzen und Territo‐ rien gegründet und an Kanada angeschlossen. Die kanadische Föderation umfasst heute 10 Provinzen sowie drei Territorien, welche sich über den gesamten kanadischen Norden erstrecken. Die britische Kolonialmacht, die am Ende des Siebenjährigen Kriegs (1756-1763) 24 gegen den Dauerrivalen Frankreich siegreich war, zwang 1763 König Louis XV. im Frieden von Paris zur Abtretung seiner nordamerikanischen Besitzungen. Nach etwas mehr als 150 Jahren endete damit die Geschichte der seit 1608 expandie‐ renden Kolonie von Neu-Frankreich (la Nouvelle-France), nicht aber die ihrer französisch(sprachig)en Bevölkerung. Seit 1763 ist Kanada Teil des britischen Kolonialreichs und bis heute Mitglied des Commonwealth. 25 Erst 1982 entlässt Großbritannien Kanada in die (weitgehende) Unabhängigkeit. Intern sind die Verhältnisse jedoch um einiges komplizierter. Demografisch, wirtschaftlich und kulturell dominiert die anglophone Bevölkerung englischer, irischer, schottischer und auch amerikanischer 59 2.4 Bi-, Multi-, Interkulturalität als Konzepte des Konfliktmanagements 26 Allerdings sind auch viele Nachfahren der anglophonen irischen und schottischen ImmigrantInnen katholisch, was vor allem in den maritimen Provinzen im Osten Kana‐ das immer wieder ein Spannungspotential zwischen Frankophonen und Anglophonen darstellt. 27 Vgl. Statistique Canada 2016, Langue - Faits saillants: www12.statcan.gc.ca/ census-re censement/ 2016. Herkunft von zumeist protestantischer Konfession. In Québec, wie auch in allen übrigen Provinzen, leben die Nachfahren der einstigen französi‐ schen Kolonisten, die frankophon und konfessionell dem Katholizismus 26 verbunden sind, als Minderheiten. Heute stellen sie mit ca. 21 % der 35 Mio. Einwohner (2016) die größte sprachliche Minderheit Kanadas dar. 27 Traditionell, in der Fluchtlinie des Kolonialismus, definieren sich diese beiden Bevölkerungsgruppen - Anglophone und Frankophone - aIs die „Gründernationen“ Kanadas, während die kanadischen Ureinwohner, die Inuit und die zahlreichen amerindianischen Völker, die längste Zeit der Kolonialgeschichte von aller politischen Partizipation ausgeschlossen wa‐ ren. Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts - es ist die Zeit der wirtschaftlichen und infrastrukturellen Erschließung vor allem der großen Prärien und des Westens - kommen viele europäische ImmigrantInnen ins Land: aus Deutschland, Griechenland, Italien, Polen, Portugal, aus den Balkanstaaten und der Ukraine, in Westkanada hingegen mehrheitlich aus China. Viele der ImmigrantInnen, vor allem die aus der Ukraine, sind am Bau der transkanadischen Eisenbahn durch die Prärien und die Rocky Mountains beteiligt. Nach dem Zweiten Weltkrieg und besonders nach 1970 diversifiziert sich die Immigration erheblich. Kanada wird zum Zielland für ImmigrantInnen aus der Karibik, vor allem aus Haiti, aus Mittel- und Südamerika, aus dem Maghreb und dem subsaharischen Afrika sowie später vor allem aus Asien. Für das Verständnis des modernen Kanadas ist ein Ereignis zentral, das als „Stille Revolution“ bezeichnet wird. Anfang der 1960er Jahre brach sich das Aufbegehren der Canadiens français, der frankophonen Kanadier, Bahn, die gegen die britische Vorherrschaft und Vormundschaft protestierten und zugleich gegen die Allmacht der katholischen Kirche Forderungen nach einem säkularen Staat setzten. Bald verbanden sich diese Forderungen mit denen nach Souveränität und nach Unabhängigkeit der überwiegend frankophonen Provinz Québec von Kanada. Mit groben Strichen wäre damit die Situation umrissen, in welcher die Konzepte der Bikulturalität und der Multikulturalität als Instrumente 60 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 28 The Royal Commission on Bilingualism and Biculturalism bzw. La Commission royale d’enquête sur le bilinguisme et biculturalisme, kurz: Commission B&B bzw. Commission Laurendeau-Dunton, nach den Namen der beiden Vorsitzenden. des staatlichen Konfliktmanagements und als Strategien des Umgangs mit kultureller Diversität im öffentlichen Raum entwickelt wurden. Schematisch lässt sich dies folgendermaßen darstellen. 1945 „Two Solitudes“ Kanada seit 1968 Bilinguismus und Bikulturalismus Kanada seit 1971 Multikulturalismus Québec seit den 1980er Jahren Interkulturalität Abbildung 2.1: Chronologie der Einführung von Konzepten des Kulturkonfliktmanagements Abb. 2.1: Chronologie der Einführung von Konzepten des Kulturkonfliktmanagements Wenn in der Nachkriegszeit der Topos von den „Two solitudes“, „Les deux solitudes“ - nach dem Titel des Romans von Hugh MacLennan - in aller Munde war, um das Verhältnis, oder genauer: den Dauerkonflikt zwischen dem anglophonen Kanada und dem frankophonen Kanada oder eben auch ihre wechselseitige Ignoranz zu beschreiben, so führten die Kämpfe der frankophonen Kanadier im Québec der 1960er Jahren zur An‐ erkennung der Politik des Bilinguismus und Bikulturalismus. Auslöser war die gerade erwähnte „Stille Revolution“ in Québec Anfang der 1960er Jahre. Als Emanzipationsbewegung der Frankophonen richtete sich die „Stille Revolution“ gegen die sprachliche, ökonomische, politische, kulturelle und soziale Dominanz der anglophonen Gesellschaft, aber auch, als säkulare Bewegung, gegen die Herrschaftsposition der - mehrheitlich frankopho‐ nen - katholischen Kirche. Im Laufe der 1960er Jahre legte die Königliche Kommission zur Untersuchung des Bilinguismus und Bikulturalismus 28 den Grundstein dafür, dass sich Kanada Ende 1968 zu einem zweisprachigen Staat erklärte und die Politik des Bilinguismus und Bikulturalismus ein‐ führte. Offizielle Zweisprachigkeit heißt jedoch nicht, dass die Einwohner des Landes zweisprachig seien. Zum damaligen Zeitpunkt bedeutete die 61 2.4 Bi-, Multi-, Interkulturalität als Konzepte des Konfliktmanagements 29 Vgl. Chambre des communes, 1971. « Débats de la Chambre des communes : compte rendu officiel », 28e législature, 3e session, vol. 8, 8 octobre, S. 8545. offizielle Zweisprachigkeit Kanadas - etwas vergröbernd formuliert - die Reaktion des Staates auf die zweimalige Einsprachigkeit seiner Bürger und zugleich eine Maßnahme, um die Abspaltung der Provinz Québec abzuwenden. Kaum, dass Kanada 1969 das Gesetz über die offizielle Zweisprachigkeit des Staates mit Englisch und Französisch auf der Ebene des Bundes in Kraft setzte und damit der Forderung der frankophonen Bevölkerung nach Gleichberechtigung und Anerkennung ihrer Sprache und Kultur nachkam, setzte die liberale Bundesregierung unter P. E. Trudeau die Integration der ImmigrantInnen auf die Tagesordnung und führte 1971 offiziell die Politik des Multikulturalismus ein. Auch andere Immigrationsländer wie Großbri‐ tannien und die USA diskutierten in dieser Zeit über Multikulturalismus. Aber nur in Kanada wurde er in offizielle Politik überführt und erhielt gleichzeitig seine besondere Prägung im Rahmen der Zweisprachigkeit des Landes als „zweisprachiger Multikulturalismus“. Begründet wurde diese Politik im Parlament mit den Argumenten, dass es erforderlich sei, 1. die kulturellen Gruppen dabei zu unterstützen, ihre Kultur zu bewahren und zu fördern, 2. die Partizipation an der kanadischen Gesellschaft zu verbessern, 3. den kulturellen Austausch zwischen den Gruppen zu fördern, und schließlich 4. den Immigranten zu erleichtern, mindestens eine der beiden offiziellen Sprachen Kanadas zu erlernen. 29 Die Idee der von Trudeau geführten Bundesregierung, Kanada als eine multikulturelle Gesellschaft zu definieren, hing einerseits mit einer Reihe von Widersprüchen zusammen, die in der B&B-Kommission nicht gelöst werden konnten. Denn andere kulturelle Gemeinschaften als die Anglo‐ phonen und die Frankophonen, wie die der Ukrainer, Juden und der auto‐ chthonen Völker, fühlten sich in ihrer kulturellen Wahrnehmung und ihrer Bedeutung für die kanadische Gesellschaft nicht angemessen berücksichtigt. Andererseits sollte der Diversifizierung der Immigration Rechnung getra‐ gen und der Diskriminierung vor allem der sog. sichtbaren Minderheiten entgegengetreten werden. Nachdem das Prinzip des Multikulturalismus in die Kanadische Verfassung von 1982 - in Art. 27 - Eingang fand, dauerte es noch bis zum Jahre 1988, bis die konservative Regierung von Bryan Mulrony endlich auch das Gesetz über den Multikulturalismus verabschiedete. Seine Aufgabe war und ist es, die „kulturelle und rassische Diversität“ der kana‐ 62 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 30 In Kapitel 3 wird anhand der Zeitschrift „Vice Versa“ (Montréal) gezeigt, dass das Kon‐ zept der Interkulturalität in Québec nicht unwidersprochen bleibt und die Redaktion der Zeitschrift, bestehend aus italienischstämmigen Literaten und Journalisten, das Konzept der Transkulturalität gegen den kanadischen Multikulturalismus wie auch gegen die Quebecer Interkulturalität in Stellung bringen. 31 Auf die Begriffsgeschichte und die Ausdifferenzierung des Konzepts der Interkultura‐ lität gehe ich am Ende dieses Abschnitts sowie im folgenden Abschnitt im Kontext der Diskussion über ‚Differenz‘ ein. dischen Gesellschaft anzuerkennen, Diskriminierung zu reduzieren und das gegenseitige Verständnis der Kulturen zu fördern (vgl. Dewing 2013). Seither verweist die Bundesregierung Kanadas immer wieder auf die positive Wirkung dieses Gesetzes: Kanada habe sich in der Wahrnehmung seiner BürgerInnen zu einer multikulturellen Gesellschaft entwickelt, in der die Respektierung von und das Zusammenleben mit anderen Kulturen weit vorangeschritten sei. Es habe günstige Auswirkungen auf das Bevölke‐ rungswachstum und auf den Wert der kanadischen Staatsbürgerschaft (vgl. ebd.). Wenn die Politik des zweisprachigen Multikulturalismus im anglophonen Kanada verbreitet auf Zustimmung stieß, wurde sie in Québec von Anfang an mit Misstrauen verfolgt und kritisch betrachtet. Die Auffassung, P. E. Trudeau habe sie propagiert, um die mit der Offizialisierung des Bilingu‐ ismus erreichte Anerkennung der französischsprachigen Kultur und die Aufwertung Québecs in der kanadischen Konföderation zu konterkarieren, war weit verbreitet. Zugespitzt formuliert: In der politischen Klasse Qué‐ becs war und wird - bis heute übrigens - die Politik des kanadischen Multikulturalismus als Waffe des kanadischen Nationalismus gegen die Am‐ bitionen des Quebecer Nationalismus und gegen das Projekt der Schaffung einer frankophonen Staatsnation interpretiert. Er stelle, so heißt es immer wieder, den politisch-rechtlichen Status Québecs in Frage und biete keine angemessene Konzeption für die sprachlich-kulturelle Situation Québecs (vgl. Bouchard 1999, 2012, Oakes/ Warren 2009, 30 ff.). Die Reaktionen aller bisherigen Quebecer Regierungen auf den kanadischen Multikulturalismus bestehen unisono darin, dass sie ihn ablehnen und ihrerseits das Konzept der Interkulturalität bzw. des Interkulturalismus dagegensetzen. 30 Doch wie das Konzept der Interkulturalität 31 ausgestaltet und politisch umgesetzt werden soll, bleibt in Québec relativ lange Zeit offen. Vielver‐ sprechend - und zugleich hoffnungsvoll nach einer langen Serie von eth‐ nisch-kulturellen Konflikten in Québec zu Beginn der 2000er Jahre - gestal‐ 63 2.4 Bi-, Multi-, Interkulturalität als Konzepte des Konfliktmanagements 32 Die offizielle Bezeichnung der „Commission Bouchard-Taylor“ (2007-2008) lautet „Commission de consultation sur les pratiques d’accommodement reliées aux différen‐ ces culturelles“. 33 Der Assimilationsdiskurs in Kanada hat eine lange Geschichte. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts verfolgte die britische Krone zunächst die von Verboten kulturel‐ ler Praktiken geleitete Politik der Assimilation der Frankophonen und von 1845 an auch die Assimilation der indigenen Bevölkerung, vgl. „Report on the Affairs of Indians in Canada“ an das britische Parlament (März 1845), zu finden unter: https: / / collections.irshdc.ubc.ca/ index.php/ Detail/ objects/ 9431 sowie zahlreiche an‐ dere Dokumente, die das Centre national pour la vérité et réconciliation (CNVR) an der Universität Manitoba zusammengetragen hat: https: / / nctr.ca. tet sich in dieser Hinsicht der 2007/ 08 breit angelegte Konsultationsprozess der Bevölkerung der Provinz zum Umgang mit kultureller Diversität, der in den Händen des Historikers Gérard Bouchard und des Philosophen Charles Taylor liegt. 32 Doch die Empfehlungen der Kommission, von vielen begrüßt, von anderen gescholten, missfallen der Regierung, die die Kommission selbst eingesetzt hat. Sie distanziert sich demonstrativ von den Empfehlungen, die u. a. eine „offene Laizität des Staates“ vorsahen. Der kanadische Multikulturalismus wie die Quebecer Interkulturalität ge‐ hen beide von kultureller Diversität aus und stimmen weiterhin auch darin überein, dass sie den Assimilationismus 33 und besonders den Rassismus ablehnen. Grundsätzlich verschieden sind sie darin, wie sie den Gestaltungs‐ raum für eine politische und nationale Gemeinschaft ausfüllen, in welchem sich die Diversität entfalten soll: Kanada definiert sich zweisprachig und multikulturell, was jedoch faktisch auf die Dominanz des Englischen und auf die Assimilation der Minderheiten an die dominante anglophone Kultur hinausläuft. Québec seinerseits hat die französische Sprache als einzige offizielle und als gemeinsame Sprache des öffentlichen Raums festgeschrie‐ ben mit dem Ziel, der frankophonen Bevölkerungsmehrheit ein Leben und Arbeiten in französischer Sprache zu garantieren und auf diese Weise eine Zukunft als sprachliche Minderheit in Kanada und Nordamerika zu gewährleisten (vgl. Rocher/ White 2014, 17). Bis heute allerdings hat das Konzept des Interkulturalismus in Québec keinerlei offiziellen Status, etwa in Form eines Gesetzes oder zumindest in Form eines Weißbuchs, wie es schon Rocher/ White 2014 in ihrer Analyse der Interkulturalismusdiskussion in Québec der Regierung empfehlen. In detaillierter Form führen sie aus, dass dieses Konzept in Québec keineswegs unwidersprochen bleibt, wobei die Kritik sich mehr auf den Interkulturalis‐ mus als auf die Interkulturalität bezieht. Den Unterschied sieht Bouchard 64 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 34 Einer der prominenten Kritiker des Multikulturalismus ist der aus Trinidad and Tobago stammende und inzwischen in Québec lebende Schriftsteller Neil Bissoondath, der sich bereits in seinem Essay „Selling illusions“ (1994), frz. Le marché des illusions (1995) (2012, 50 f.) darin, dass sich der Interkulturalismus auf eine makrosoziale (sozietale) Ebene und auf eine Konzeption der ethnokulturellen Verhältnisse bezieht, die in den Orientierungen, Politiken und Programmen in der Verantwortung des Staates und der großen Institutionen einer Gesellschaft oder einer Nation liegen. Auf einer mikrosozialen Ebene hingegen, die die Ebene der Interkulturalität ist, handelt es sich darum, wie kulturelle Verschiedenheit im täglichen Leben öffentlicher oder privater Institutionen und im Leben der Gemeinschaften gestaltet wird: Folglich sei es möglich, die Praxis der Interkulturalität auch außerhalb des Rahmens der Nation zu verorten. Welches Zwischenfazit lässt sich an dieser Stelle ziehen? Beide Kulturkon‐ zepte stellen Antworten auf die vielfältigen und die Geschichte prägenden Kultur- und Sprachkonflikte in Kanada dar: Konflikte zwischen Protestan‐ ten und Katholiken, Engländern/ Anglophonen und Franzosen/ Frankopho‐ nen, zwischen den Angehörigen der beiden ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien und den autochthonen Völkern Kanadas (die ihrerseits von innerem Kolonialismus sprechen, vgl. Abschnitt 2.5) sowie den Migrantengruppen zunächst aus Europa und, seit etwa 1970 besonders zahlreich, aus den anderen Teilen der Welt. Beide Konzepte stellen eine Anerkennung von kultureller Differenz, von pluralistischer Gesellschaft und Demokratie dar und verstehen sich als Instrumente im Kampf gegen Rassismus, Diskriminierung und für Chancengleichheit auch in Hinblick auf sexuelle Orientierung und das Verhältnis der Geschlechter in der Gesellschaft. Ihre Stärken liegen auf dem Feld des Rechts, des demografischen Wandels und letztlich dem der Ökonomie. Schließlich haben beide Konzepte ihren Platz in den Diskussionen über kulturelle und sprachliche Identität von sich ethnisch definierenden Gemeinschaften, wobei das Verhältnis von Mehrheit und Minderheit immer wieder in den Mittelpunkt rückt. Wesentliche Unterschiede bestehen darin, wie die Beziehungen innerhalb und zwischen Gruppen und Gemeinschaften in der Gesellschaft und die Anerkennung gemeinsamer Werte gestaltet werden. Bedient der Diskurs des Multikulturalismus immer wieder das Bild des Mosaiks, in welchem eine Vielzahl von Gruppen nebeneinander leben 34 , propagiert die Interkul‐ 65 2.4 Bi-, Multi-, Interkulturalität als Konzepte des Konfliktmanagements kritisch zum kanadischen Multikulturalismus und der Immigrationspolitik Kanadas äußerte. turalität das Bild des wechselseitigen Austauschs, der Annäherung und des Dialogs im Hinblick auf den Respekt gemeinsamer Werte. Die Quebecer Position - treffender wäre: die Quebecer Positionen - des Interkulturalismus und der Interkulturalität sensibilisieren uns darüber hinaus für die Dynamik von Prozessen der Majorisierung und Minorisierung - in Québec stellen die Frankophonen die Mehrheit dar, in Kanada sind sie eine sprachliche Minder‐ heit - , für den Schutz von Minderheiten und die sprachliche Förderung auf dem Feld der offiziellen Sprachen wie der Herkunftssprachen. Schließlich lenkt die Diskussion die Aufmerksamkeit auf die Unterscheidung verschie‐ dener Handlungsebenen: Multi-/ Interkulturalismus als makrosoziale und gesellschaftsgestaltende Konzepte des Staates bzw. staatlicher Agenturen; Multi-/ Interkulturalität hingegen als mikrosoziale Konzepte der im Alltäg‐ lichen zu gestaltenden kulturellen Diversität, ihrer Normen und Formen, die idiosynkratrischen Formen eingeschlossen. Kanada und Québec haben somit einen anderen Weg eingeschlagen als z. B. Frankreich und Deutschland, die beide, wenn auch in unterschiedlicher Weise, von oben her stark auf Assimilation, Homogenisierung und auf kulturelle Hegemonie der dominanten Gruppen setzen. Diese Feststellung mag paradox erscheinen angesichts von kulturellen Praktiken auf der loka‐ len bzw. kommunalen Ebene in Deutschland wie in Frankreich, angesichts der alltäglichen Erfahrungen von Vernetzung und Mischung wie auch der umfangreichen wissenschaftlichen Diskussion über Interkulturalität, interkulturelle Pädagogik und interkulturelle Kommunikation. Der französische Philosoph und Soziologe Jacques Demorgon gibt zu be‐ denken, dass es nicht nur die gesamte Menschheitsgeschichte über Kontakte, Beziehungen und Austausch, gewollt oder ungewollt, friedlich oder gewalt‐ sam, zwischen Individuen und Gruppen gegeben hat, sondern dass auch das menschliche Handeln per se auf Interaktion und somit auf „Interkulturation“ ausgelegt sei. Das Interkulturelle finde darin seine faktische Dimension. Es stelle die Matrix der Menschheitsgeschichte dar (vgl. Demorgon 2008, 559). Von dem Faktum des Interkulturellen - „l’interculturel factuel“ - hebt er die Perspektive des Interkulturellen ab, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgekommen ist und sich besonders in Bereichen wie den internationalen Beziehungen, der Wirtschaft und des Managements, der Migrations- und Bildungsforschung und auf dem Feld der ästhetischen 66 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 35 Dies stellt die Ausgangsprämisse für die Arbeit von Edward und Mildred Hall dar, die als Begründer des Konzepts der interkulturellen Kommunikation gelten. Aufgrund ihrer früheren ethnologischen Forschungen wurden sie in den 1950er Jahren von der US-Regierung mit dem Training von Diplomaten beauftragt. Ihre Publikationen stellen eine wichtige Referenz für das Fachgebiet der Interkulturellen Kommunikation dar, vgl. Vogt 2018, 189f. und medialen Kreativität entfaltet hat. Die Perspektive des Interkulturel‐ len - er spricht von „l’interculturel volontaire“ (ebd. 557) - hätte es nicht gegeben, wenn nicht unter dem Druck der Globalisierung die individuali‐ sierenden Verschiedenheiten von Personen, Gruppen und Gesellschaften zum Vorschein gekommen wären. Die Perspektive des Interkulturellen ist es, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, einerseits die permanenten und immer auch widersprüchlichen Prozesse der Adaptation der Menschen, ihrer „interculturation“ durch die Geschichte hindurch freizulegen, und andererseits, im Sinne von Konstruktion, Dekonstruktion und Regulation, Interkulturelles entstehen lässt. Demorgons Verständnis von Interkulturalität setzt sich damit deutlich von früheren und anderen Vorstellungen von Interkulturalität ab, in wel‐ chen es um das Management potentieller Konflikte bei interkulturellen Begegnungen und um kulturbedingtes Missverstehen 35 geht, wobei sich eine Kultur A, die das „Eigene“ repräsentiert, in Interaktion befindet mit einer Kultur B, die das „Fremde“ darstellt. Wenn der Akzent auf der Interaktion zwischen den Kulturen - und nicht, wie bei Multikulturalität, auf ihrem Nebeneinander - bei gleichzeitiger Anerkennung von kultureller Differenz liegt, so werden die Kulturen immer noch als in sich weitgehend homogen repräsentiert. Interkulturalität unterstellt zudem, dass sich die Repräsentan‐ tInnen der beiden Kulturen in einer symmetrischen Beziehung befänden und sie das gleiche Maß an Neugier, Offenheit und Toleranz mitbrächten (vgl. auch Langenohl 2017, 55). Eine Konjunktur erfuhr das Konzept der Interkulturalität im pädagogi‐ schen Kontext seit den 1980er Jahren. Sie ging mit Forderungen nach einer interkulturellen Pädagogik, der interkulturellen Öffnung von Bildungs- und Kulturinstitutionen und programmatisch mit der Forderung nach einem respektvollen Umgang mit kultureller Differenz und Fremdheit einher. Die Interkulturelle Pädagogik postuliert die Anerkennung kultureller Differenz als zentrales und vordergründig auch als plausibles Bildungsziel in einer Migrationsgesellschaft, in welcher interkulturelles Lernen eine wichtige Bil‐ dungsaufgabe darstellt. Interkulturelle Erziehung setzt den Akzent darauf, 67 2.4 Bi-, Multi-, Interkulturalität als Konzepte des Konfliktmanagements 36 Auf ähnliche Weise kritisch gegenüber der Interkulturellen Pädagogik fällt die Studie von Gomolla/ Radtke 2002 aus. 37 Vgl. dazu die Beiträge in Hamburger 2009. dass alle Kulturen gleichberechtigt nebeneinander bestehen und der Lern‐ prozess auf allen Seiten stattfinden kann. Das, was vordergründig plausibel erscheint, erweist sich jedoch bei genauerem Hinsehen als problematisch. Für den Erziehungswissenschaftler Paul Mecheril (2014, 13) besteht das Problem darin, wie die Interkulturelle Pädagogik mit ‚kultureller Differenz‘ umgeht. Im Rahmen Interkultureller Pädagogik werde kulturelle Differenz nur als Differenzverhältnis Migrant/ in - Nichtmigrant/ in behandelt, womit „sie eine spezifische Verschiedenheit immer schon voraussetzt“ (ebd.). Die Folge dieser „(Voraus-)Setzung“ sei einerseits, dass Kultur als die zentrale Differenz‐ dimension der durch Migration entstehenden Pluralität wahrgenommen und behandelt würde und deshalb die in ihrer Summe sehr viel komplexeren und eben auch politischen, sozialen, ökonomischen und rechtlichen Dimensionen lediglich auf kulturelle Unterschiede reduziert würden. Dies bedeutet, dass „‘interkulturell‘ zur kulturellen Besonderung von so genannten Menschen mit Migrationshintergrund (MmM), also zu der Erzeugung von Andersartigkeit und Fremdheit bei[trägt]“ (ebd.). 36 Andererseits würde der Ausdruck „kulturelle Differenz“ dazu benutzt, „um zwischen uns und jenen zu unterscheiden, die als kulturell Andere imaginiert werden: die Fremden, die Zuwanderer, die Ausländerinnen, die Migrantinnen“ (ebd.). Im dominanten Diskurs werden sie der kulturellen Differenz bezichtigt, was im Umkehrschluss bedeutet, sich selbst „als nicht besonders, nicht integrationsbedürftig, normal und fraglos am richtigen Ort [zu] verstehen“ (ebd., 14). Inwieweit diese Bestandsaufnahme und Kritik der interkulturellen Päd‐ agogik innerhalb der deutschsprachigen Länder und darüber hinaus ver‐ allgemeinerbar ist, soll hier nicht diskutiert werden. Einen Weg, die Interkulturelle Pädagogik aus dieser Sackgasse 37 herauszuführen, zeigen Gogolin/ Krüger-Potratz (2010) auf, für die in konzeptioneller Hinsicht ‚Heterogenität‘ der zentrale Bezugspunkt sowohl für die Analyse migrati‐ onsgesellschaftlicher Verhältnisse als auch für die Bildungsaufgaben der Interkulturellen ist. Von hier aus lässt sich ein Bogen zurück zu Demorgons Verständnis von Interkulturalität schlagen, das sich von den älteren Vorstel‐ lungen von Interkulturalität dadurch unterscheidet, dass er a) die Machtver‐ hältnisse im Blick hat, b) Kulturen nicht als homogen, monolithisch und 68 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 38 Demorgon 2014, ohne Seitenangabe: „C’est négliger la complexité du réel qui comporte à la fois un multiculturel de séparation, un transculturel d’union, un interculturel d’échange. Tous trois ne cessent d’animer le devenir des personnes, des groupes, des entreprises et des pays. Comment managers et interprètes pourraient-ils ne pas en tenir compte quand il s’agit de l’évolution de pays avec lesquels ils opèrent ? “ auch nicht ethnozentriert auffasst und c) Kultur in ihren Konstitutions-, Aushandlungs- und Transformationsprozessen versteht. Es ist dies zugleich der Horizont, vor dem sich viele Fragen der aktuellen Inter- und Transkulturalitätsdiskussion diskutieren lassen. Vorausgesetzt, man akzeptiert, dass der Austausch und die Aushandlung im Grunde nie zwischen gleichen und gleichberechtigten Gruppen und Individuen erfolgt, sondern im Kontext von Macht- und Herrschaftsverhältnissen, in Hierarchien, in Ghettos oder der Diaspora, oberhalb oder unterhalb einer „gläsernen Decke“ sowie auf Märkten, auf denen die Akteure mit unterschiedlichem Kapital unterwegs sind. In diesem Sinne hat bereits Schulze-Engler (2006) - ähnlich wie Demor‐ gon 38 (2014) - dafür plädiert, neben der Perspektive des Interkulturellen unbedingt auch eine des Transkulturellen einzunehmen, die geeignet sei, die internen Binnendifferenzierungen von Kulturen stärker ins Blickfeld zu rücken, als dies mit dem Konzept eines ‚interkulturellen‘ Austausches zwischen oftmals homogen gedachten Kulturen möglich ist. Schulze-Engler bietet zudem einen fruchtbaren Perspektivwechsel bei der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Kultur und Individuum an, indem er darauf verweist, dass sich mit dem Paradigma der Transkulturalität die „alther‐ gebrachte […] Frage, was unterschiedliche Kulturen mit dem Menschen tun, zur neuen Frage, was unterschiedliche Menschen mit der Kultur tun“ (Schulze-Engler 2006, 46) verschiebt. 2.5 Im Schatten von Multikulturalismus und Interkulturalität: ‚Kultureller Genozid‘ an der autochthonen Bevölkerung Eine Konstante in den Diskursen der kanadischen Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte besteht darin, die Erfolge der Politik des Multikultura‐ lismus zu rühmen. Diversität, Toleranz, Respekt gegenüber Anderen und deren Lebensweisen gelten in der Gesellschaft als hohe Güter, die immer wieder auch öffentlich kommuniziert werden, um das soziale Miteinander 69 2.5 Im Schatten von Multikulturalismus und Interkulturalität 39 La Commission de vérité et réconciliation du Canada (CVR) bzw. The Truth and Reconciliation Commission (TRC). Umfangreiche Dokumentationen zur Arbeit der Kommission sowie die Abschlussberichte finden sich auf der Homepage des an der Universität Manitoba angesiedelten Nationalen Zentrums für Wahrheit und Verständi‐ gung unter: https: / / nctr.ca. 40 Vgl. den Abschlussbericht der Wahrheits- und Verständigungskommission „Honorer la vérité, réconcilier pour l’avenir. Sommaire du rapport final de la Commission de vérité et réconciliation du Canada“ (2015, 1), in welchem die Praktiken des kulturellen Genozids an den autochthonen Völkern Kanadas detailliert dokumentiert und analysiert werden, zu konsultieren in Französisch und in Englisch unter: https: / / nctr.ca. 41 Ich verwende hier die Bezeichnung „autochthone Völker“ oder Autochthone als über‐ greifende Bezeichnung für first nations/ premières nations, Indigene, amerindianische Völker, Métis, Inuits, kolonialistisch abwertend als „Indianer“, „Mestizen“ und „Eski‐ mos“ bezeichnet, ohne auf die Unterschiede einzugehen, die zunächst die koloniale britische Gesetzgebung und später auch die kanadische in Bezug auf einzelne Gruppen oder Völker etabliert hat. Zur Problematik der Bezeichnungen für die autochthonen Völker im Kontext der Schulbücher für das Fach Geschichte Québecs und Kanadas, vgl. Bories-Sawala/ Martin 2020, vol. 3., 36ff. reibungsarm zu gestalten. Zahllos sind daher die Verhaltensgebote und -verbote im öffentlichen Raum. In der schulischen Erziehung werden sie mit Nachdruck vermittelt. Akzeptanz und Kontrolle gehen Hand in Hand. Wenn in einer Migrationsgesellschaft soziale Normen und Werte nicht als selbstverständlich und allgemein bekannt vorausgesetzt werden können, müssen sie mitgeteilt werden, damit sie auch im individuellen Bewusstsein Platz finden und als Regulative des sozialen Handelns wirken können. So weit, so gut. Als jedoch im Dezember 2015 die 2007 eingesetzte Wahrheits- und Verständigungskommission von Kanada 39 ihre Berichte über die Praxis der „indianischen Schulinternate“ (engl. residential schools, frz. les pensionnats indiens) für die Kinder autochthoner Familien in Kanada vorlegte, sah sich die Imago des kanadischen Multikulturalismus bis in die Grundfes‐ ten erschüttert. Die Regierung musste eingestehen, dass Kanada für den ‚kulturellen Genozid‘ 40 an den autochthonen Völkern 41 des Landes verant‐ wortlich ist. Mehr als 6500 Zeugen wurden von der Kommission gehört, mehr als fünf Millionen Dokumente wurden zu diesen Internatsschulen zusammengetragen. Der Abschlussbericht legt auf erschütternde Weise dar, wie über Generationen hinweg den Familien der Autochthonen die Kinder weggenommen wurden, um ihnen in den (meist) kirchlich geführten Internaten alles „Indianische“ auszutreiben. In der Provinz British Columbia, wo die meisten der indigenen Völker leben, wurden die letzten dieser Internate 1986 geschlossen, in anderen Teilen Kanadas gab es sie bis 1996. 70 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 42 Vgl. „Réclamer notre pouvoir et notre place : le rapport final de l’Enquête nationale sur les femmes et les filles autochtones disparues et assassinées“ (2019), 3 Bände, zu konsultieren in Französisch und Englisch unter: https: / / www.mmiwg-ffada.ca/ fr/ final -report (5.10.2020). 43 La Commission royale sur les peuples autochtones, die 1991 vom kanadischen Parlament eingesetzt wurde, legte ihren fünfbändigen Abschlussbericht 1996 vor, vgl. https: / / www.bac-lac.gc.ca/ fra/ decouvrez/ patrimoine-autochtone/ commission-roy ale-peuples-autochtones/ Pages/ rapport.aspx (5.10.2020). Züchtigung, Gewalt, sexueller Missbrauch der Kinder auf der einen Seite, der gezielt herbeigeführte Bruch mit den Sprachen und den anderen kulturellen Praktiken ihrer Familien und Angehörigen andererseits, ja selbst der Bruch der emotionalen Beziehungen zwischen den Kindern und ihren Familien ziehen sich wie ein roter Faden durch die Berichte der Betroffenen. Nur wenig später legte eine weitere nationale Untersuchungskommission einen ebenfalls erschütternden Bericht vor. Dieses Mal ist es der Bericht über Tausende von verschwundenen und ermordeten autochthonen Frauen und Mädchen. 42 Beide Berichte, so tragisch die darin aufgezeichneten Schicksale sind, stellen im Grunde nur die Spitze des Eisbergs dar, gemessen an der Landenteignung der autochthonen Bevölkerung, der Zerstörung ihrer wirtschaftlichen Ressourcen, ihrer Einhegung in Reservaten und ihrer permanenten Diskriminierung, die in der Summe und im Zusammenwirken nichts anderes als „kulturellen Genozid“ darstellen. Von der britischen und französischen Kolonialexpansion führt eine direkte Linie zum inneren Kolonialismus der beiden „Gründernationen“ Kanadas, und von da zu den aktuellen Entscheidungen der kanadischen Bundesregierung, gegen den Widerstand der autochthonen Bevölkerung und gegen alle ökologische Vernunft die Ausbeutung von Ölsandvorkommen in Alberta (2013) und den Bau einer Gaspipeline zur Westküste (2019) durchzusetzen. Einige Jahre zuvor hatte das kanadische Parlament zur Aufarbeitung der „Oka-Krise“ im Sommer 1990, d. h. des bewaffneten Konflikts zwischen den Mohawks und der Quebecer und der kanadischen Regierung, eine Untersuchungskommission zu den autochthonen Völkern 43 eingesetzt. In ihrem Abschlussbericht kommt die Kommission nicht umhin, feststellen zu müssen, dass die Mehrheit der KanadierInnen hinsichtlich der Geschichte der autochthonen Völker und den Beziehungen zwischen Autochthonen und Nicht-Autochthonen in Kanada weitgehend unwissend sei (vgl. vol. 1, 34). Bories-Sawala/ Martin (2018, 2020) gehen ihrerseits dieser Feststellung nach, indem sie die Schulbücher in Québec, speziell jene zur Geschichte 71 2.5 Im Schatten von Multikulturalismus und Interkulturalität Québecs und Kanadas auf die Darstellungen zu den autochthonen Völkern untersuchen. Es zeigt sich dabei, dass über lange Zeit hinweg in der Konstruktion eines „kollektiven Wir“, das die Quebecer und die „Euro-Ka‐ nadier“ umfasst, die „Anderen“, d. h. die Autochthonen, als nicht zu dieser Geschichte gehörend ausgeschlossen wurden (vgl. Bories-Sawala/ Martin 2018, vol. 1, 10 ff.). Lehrbücher und schulische Erziehung sind freilich nicht die einzigen Quellen, um sich über die autochthonen Völker in Kanada zu informieren, aber sie sind zweifelsohne zentral für die Ausbildung eines zivilgesellschaft‐ lichen Bewusstseins, in welchem der Multikulturalismus und die Interkul‐ turalität seit den 1970er Jahren tragende Säulen sind. Mehr noch, nicht nur, dass die Politik des Multikulturalismus lange Zeit blind war für den kulturellen Genozid an den autochthonen Völkern, sie endet offenbar auch da, wo es um die Durchsetzung ökonomischer Interessen geht und der Multikulturalismus als Gesellschaftskonzept im Spätkapitalismus damit auf das zurückgeworfen wird, was er ist: ein Modell der Hegemonie und der Machtausübung, das der schon erwähnte Autor Neil Bissoondath (1994) auch als Konzept der Anglo-Homogenisierung kritisierte. Eines der Kapitel dieser Anglo-Homogenisierung ist eng mit dem ein‐ gangs erwähnten Bericht über die „indianischen Schulinternate“ als Institu‐ tionen der Assimilation der autochthonen Völker verbunden. Diese waren in bemerkenswert unterschiedlicher Weise in Raum und Zeit über das Territorium Kanadas verteilt. Von den 139 Internaten, die überwiegend von 1880 an gegründet wurden, existierten die meisten in den anglophonen Prä‐ rieprovinzen und in Westkanada; lediglich sechs dieser Pensionate befanden sich in Québec, von denen drei nur wenige Jahre innerhalb der Zeitspanne von 1952 bis 1974 existierten. Fünf von ihnen unterstanden katholischen Orden, eines der anglikanischen Kirche (vgl. Bousquet/ Hele 2019, 18 f.). Die Frage, warum im ehemaligen „Neu-Frankreich“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts keine den in den Prärien und in Westkanada vergleichbaren Institutionen der Zwangsassimilierung geschaffen wurden, lässt sich aus der Geschichte heraus mit den Praktiken der Kolonisierung und Missionierung seitens der französischen Krone beantworten: die missionierenden Orden - Recollets, Sulpiciens, Ursulines und andere - hatten bereits im 17. Jahrhundert und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ganze Arbeit geleistet. Entspre‐ chend der aus Frankreich mitgebrachten Tradition war von etwa 1670 an, wo in Frankreich selbst der Grad der Alphabetisierung noch gering war, in die Missionierung und Christianisierung der autochthonen Bevölkerung 72 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 44 Vom kanadischen Parlament 1876 verabschiedetes Gesetz unter dem Titel „Act to amend and consolidate the laws respecting Indians“, frz. „Loi sur les Indiens“. auch die Franzisierung eingebunden, die mit der Vermittlung von Lesen, Schreiben und Singen einher ging (dazu ausführlich Dubois 2020). Diese anderen Verhältnisse und Handlungsweisen bedeuten nicht, dass die eine Kolonialmacht weniger schuldig oder besser sei als die andere, sie zeigen lediglich, dass ein differenzierter Blick auf die historischen Abläufe dringend geboten ist. Bei all dem Leid, dass die autochthone Bevölkerung in Kanada bis in die jüngste Vergangenheit erfahren hat, kann jedoch auch ein anderer Fall geschildert werden. Zu erwähnen ist das Volk der Okanagan in British Co‐ lumbia (B.C.), dessen Eigenbezeichnung Syilx auf ihre Zugehörigkeit zu den Salishvölkern verweist. Zusammen mit sieben weiteren Völkern, die jeweils von einem „Indian Band“ verwaltet werden, bilden sie die Okanagan Nation. Die Syilx leben im unteren Okanagantal, in einem mediterran wirkenden, teils wüstenartigen Tal auf dem Plateau zwischen den Rocky Mountains und den Costal Mountains. Die Talsohle zu beiden Seiten des Okanaganflusses stellt ein außerordentlich fruchtbares Land dar. Die Region gilt heute als eine Art Obstgarten für die gesamte Provinz. Das Zentrum des Reservats ist die Stadt Osoyoos, die unmittelbar an der Grenze zwischen Kanada und den USA bzw. zwischen B.C. und dem US-Bundesstaat Washington liegt. Mit der Einführung des „Indian Act“ 44 wurden die Syilx 1877 dem Regle‐ ment für Reservate unterworfen. Doch anders als in anderen Reservaten gründete Chief Baptiste George 1915 eine eigene Schule für die Kinder der Syilx, so dass sie nicht aus den Familien herausgenommen und in das Internat im fernen Kamloops verschickt wurden. Auch sorgten Chief Georges und ein späterer Lehrer dafür, dass in der Inkameep Day School die eigenen kulturellen Traditionen und Praktiken weitergegeben wurden. Zwar ist im Laufe des 20. Jahrhunderts auch bei den Syilx die Tradierung ihrer Sprache über die Generationen hinweg brüchig geworden, doch seit Ende des vergangenen Jahrhunderts gibt es deutliche Bemühungen um eine Vermittlung der anzestralen Sprache an die heutigen Kinder und um eine zweisprachige Erziehung. Bemerkenswert ist die ökonomische Entwicklung im Reservat seit den 1960er Jahren. Der Osoyoos Indian Band baute zunächst einen Campingplatz, gründete dann ein Bauunternehmen, errichtete Tankstellen, Supermarkt, Hotel und Golfplatz, ließ unter Leitung von Chief Clarence Louie Weinberge pflanzen und ein heute qualitativ 73 2.5 Im Schatten von Multikulturalismus und Interkulturalität 45 NK’Mip - sprich: Inkamip, was in der Sprache der Syilx ‚Untertal‘ bedeutet. 46 Siehe https: / / nkmipdesert.com. hochwertiges Weingut anlegen - der NK’Mip  45 Cellar ist das erste Wein‐ gut in der Hand von Autochthonen in Nordamerika -, dem wiederum Hotel- und Gastronomiebetriebe angeschlossen sind. Das Weingut stellt ein Phänomen transkultureller Art par excellence dar: Das Okanagan Valley bildet zusammen mit dem benachbarten kleineren Similkameen Valley ein interessantes Weinbaugebiet mit bemerkenswerten Weinen, wo sich europäische Weinbautraditionen und -innovationen mit den önologischen Erfahrungen der WinzerInnen in den Weinbaugebieten der Südhalbkugel (Südafrika, Neuseeland, Australien), mit den nordamerikanischen Produk‐ tionsverfahren und mit den Naturgegebenheiten des gebirgigen Hochlands von British Columbia verbinden. Und dies alles, wie im Fall des im Reservat der Syilx gelegenen NK’Mip-Weinguts, in die indigenen Aneignungs- und Produktionsverhältnisse eingebettet ist. 2006 öffnete gleich nebenan das NK’Mip Desert Cultural Center  46 , das als architektonisch und landschaftlich originell angelegtes Interpretationszentrum in die Lebensweise, Kultur und Natur im Reservat einführt. Es stellt zugleich ein Begegnungszentrum für die Kinder und die Erwachsenen der Syilx dar. Man wird in Kanada lange suchen müssen, um einen den Syilx vergleichbaren Fall zu finden. 2.6 Kulturalität und die Kulturalisierungsregimes im Spätkapitalismus Wie die Ausführungen zu Multikulturalismus und Interkulturalität in Ka‐ nada und Québec zeigen, ist der Bezugsrahmen für das Konfliktmanagement der Staat bzw. die jeweils imaginierte Nation. Als Akteure treten staatliche Agenturen, die zivilgesellschaftlichen Organisationen und Institutionen, kulturelle, sprachliche, ethnische Minderheiten sowie ihre und andere In‐ teressenvertretungen in Erscheinung. Gelebt wird das Ringen um kulturelle Arrangements im Alltag, am Arbeitsplatz, in der Schule, im Krankenhaus, im Sportverein, in der Nachbarschaft und natürlich in den Familien. Dass der vom Staat gesetzte rechtliche Rahmen beim Lösen kultureller Konflikte nur bedingt tauglich ist, haben die ethnisch-kulturellen Auseinandersetzun‐ gen in Québec in den Jahren 2001 bis 2007 - vor dem Hintergrund des Multikulturalismus-Interkulturalitätsstreits - mit aller Deutlichkeit gezeigt. 74 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 47 In den angelsächsischen Ländern ist von reasonable accommodation die Rede. Diese Praxis gewinnt zunehmend auch in anderen Ländern, darunter Frankreich und Belgien, an Verbreitung. 48 Vgl. dazu das Interview von B. Kleeberg und A. Langenohl mit Anil Bhatti (Bhatti et al. 2011). Doch sie mündeten weder in Sprachlosigkeit noch in Gewalt, sondern ließen das Instrument des „accommodement raisonnable“, der „vernünftigen Übereinkunft“ 47 entstehen (vgl. Anctil 2010, Bories-Sawala 2009, Erfurt 2010a, 2010b, Oakes/ Warren 2009, XIII-XXVI, Woehrling 1998, 2007). Dabei handelt es sich um ein juristisches und zivilgesellschaftliches Arrangement zwischen Personen oder beteiligten Gruppen, das dazu beiträgt, kulturel‐ les Selbstbestimmungsrecht, plurale Lebensformen, Mehrheit-Minderhei‐ ten-Verhältnisse und rechtsstaatliche Prinzipien in einer von Migration und Mobilität geprägten Gesellschaft auszutarieren, nicht im Großen und Grundsätzlichen, sondern im Hier und Jetzt, im Konkreten und Aktuellen. Zumindest wird im Konfliktfall der Versuch dazu unternommen: Ausgang ungewiss, Erfolgsquote relativ hoch, Nachhaltigkeit? Folgten diese Arrangements in ihrer Logik noch weitgehend dem „na‐ tionalen Paradigma“ mit seinen Möglichkeiten und seinen Grenzen des Politischen, Ökonomischen, Rechtlichen, Sozialen, Religiösen usw., so ist seit dem Ende des 20. Jahrhunderts ein Paradigmenwechsel im Gang. Anders als zu Zeiten des Industriekapitalismus zeichnet sich im Spätkapitalismus im Zuge von neoliberaler Globalisierung, globaler Vernetzung und der Erosion eindeutiger Grenzen, die zuvor Staaten, Märkte, Zivilisationen, Kulturen, Lebenswelten und Menschen trennten, die Ablösung des „nationalen Para‐ digmas“ durch ein „kulturelles Paradigma“ ab. Auf der diskursiven Ebene zeigt sich dieser Ablösungsprozess darin, dass einerseits sozial- und politökonomische Begriffe wie ‚Klasse‘, ‚Schicht‘, ‚Ausbeutung‘, ‚Unterdrü‐ ckung‘, ‚Dritter Weg‘, ‚(internationale) Solidarität‘, die noch bis in die 1980er Jahre weit verbreitet waren, so gut wie verschwunden sind 48 und dass andererseits ‚Kultur‘ eine Kategorie in Bereichen und Disziplinen wie Politikwissenschaft, Betriebs- und Volkswirtschaft, Psychologie u. a. geworden ist, die bislang nicht in dem Verdacht standen, „kulturalistisch“ zu argumentieren, heute aber selbstverständlich von ‚Anlegerkultur‘, ‚Or‐ ganisationskultur‘, ‚Risikokultur‘, ‚Unternehmenskultur‘, ‚Leitkultur‘ etc. sprechen. Um sich der wachsenden Komplexität kultureller Verhältnisse anzunä‐ hern, lautet der Gegenvorschlag, nicht mehr von Kultur, sondern von 75 2.6 Kulturalität und die Kulturalisierungsregimes im Spätkapitalismus ‚Kulturalität’ zu sprechen, denn es geht vor allem darum, auch die scheinbar „nicht-kulturellen“ Erscheinungen - oben wurde auf betriebswirtschaftli‐ che, volkswirtschaftliche, politische, ökonomische und andere Zusammen‐ hänge hingewiesen -, die im Spätkapitalismus in kulturelle verwandelt werden, in den Griff zu bekommen (vgl. Langenohl 2017, 54). Dies bedeutet, dass tendenziell immer mehr sozialen, ökonomischen oder politischen Phänomenen die Eigenschaft zugesprochen wird, ‚kulturell zu sein‘. Dabei lässt sich mit Kultur Entgegengesetztes bewerkstelligen, wenn, wie Tezcan (2011, 357) argumentiert, „genausogut eine Identitäts‐ politik von Minderheiten“ Begründung findet, wie sich umgekehrt mit Kultur „quasi-rassistische Abgrenzungspolitiken im Namen der kulturellen Andersheit“ etablieren lassen. Und weiterhin, wie oben in Abschnitt 2.3 bereits dargestellt wurde, dass Kultur zum Ordnungsraster für transnatio‐ nale Migrationsprozesse geworden ist. Anstelle der früheren Loyalität zur Nation rückt am Ende des 20. Jahrhunderts die kulturelle Integration in den Mittelpunkt und werden die Grenzen entlang des Kriteriums der kulturellen Differenz bis zu einer räumlichen Maßstabsebene von Stadtteil, Stadt, Dorf oder Region enger gezogen. Mit dem Begriff der ‚Kulturalisierung‘ wird seit einigen Jahren auf die „Hypostasierungen aufmerksam gemacht, die der Diskurs über Kultur produziert“ (ebd.). Und dieser ist so vielgestaltig, dass unter dem Begriff der ‚Kulturalisierung‘ auch ganz verschiedene Phänomene und Prozesse der Inszenierung von bzw. als Kultur subsumiert werden. So unterscheiden Kleeberg/ Langenohl (2011, 285) vier Dimensionen von ‚Kulturalisierung‘: erstens, methodologisch, die „Reperspektivierung wissenschaftlicher Fra‐ gestellungen und Geburt neuer Gegenstände“; zweitens, epistemologisch, „die Idee der kulturellen Konstruktion von Wirklichkeit“; drittens, „die kritische Dekonstruktion herrschender Ontologien oder wissenschaftlicher Universalien“ und schließlich viertens, „die affirmative Essentialisierung von Kultur“ (ebd.) Naheliegend ist daher die wachsende Skepsis in wissenschaftlichen Dis‐ kursen gegenüber einem Begriff von Kultur, wie er beispielsweise noch das Kulturverständnis der UNESCO 1982 prägte und der auf Annahmen wie der Homogenität, der Statik, der Abgrenzung und der Gemeinschaft basierte. Naheliegend ist daher ebenfalls die wachsende Skepsis gegenüber einer Deutung von Kultur, die das Soziale überlagert oder es im Namen eines „kulturalistischen Denkstils“ gar verdrängt. 76 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement Dabei liegt es auf der Hand, dass die Betrachtungen und Erklärungen von Kulturkonflikten andere sein müssen, als sie Samuel Huntington in seinem breit rezipierten Buch „Clash of Civilizations“ (1996, dt. „Der Kampf der Kulturen“, 1998) angeboten hat. Grundsätzliche wie detailbezogene Einwände gegen Huntingtons Thesen formulierten der Ökonom Amartya Sen (2006, dt. 2007) in „Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt“ oder ein Schriftsteller wie Amin Maalouf (2009, dt. 2010) in „Die Auflösung der Weltordnung“. Nicht unumstritten ist der Erklärungsansatz für die Transformationspro‐ zesse im Spätkapitalismus, die der Kultursoziologe Andreas Reckwitz anbie‐ tet. Er geht von dem Befund aus, dass einer der zentralen Widersprüche der globalen Gesellschaft der Gegenwart in der Ambivalenz von Öffnungs- und Schließungsprozessen besteht. Reckwitz beobachtet im globalen Maßstab gegenläufige Entwicklungen. Es finde eine historisch außergewöhnliche kulturelle Öffnung der Lebensformen statt, eine Pluralisierung von Lebensstilen, verbunden mit einer Öffnung und Pluralisierung von Geschlechternormen, Konsummustern und individuellen Identitäten, wie sie vor allem von der globalen Mittelklasse getragen wird und sich in den globalen Metropolen konzentriert. Gleichzeitig beobachten wir an verschiedenen Orten weltweit Tendenzen einer kulturellen Schließung von Lebensformen, in denen eine neue rigide Moralisierung wirksam ist. Das Spektrum solcher Schließungen reicht von den partikularen Identitätsgemeinschaften über einen Neo-Nationalismus bis hin zu den religiösen Tendenzen des Fundamentalismus. (Reckwitz 2016, 1) Aus diesem Befund leitet Reckwitz für die Spätmoderne „eine Kulturali‐ sierung des Sozialen auf breiter Front“ ab, die allerdings zwei sehr unter‐ schiedliche Formen annimmt: „Auf der einen Seite“ - er spricht hier von Kulturalisierung I bzw. von der „Hyperkultur“, in der potenziell alles in höchst variabler Weise kulturell wertvoll werden kann - beobachten wir eine Kulturalisierung der Lebensformen in Gestalt von ‚Lebensstilen‘, die sich nach dem Muster eines Wettbewerbs kultureller Güter auf einem kulturellen Markt zueinander verhalten, also um die Gunst der nach individueller Selbstver‐ wirklichung strebenden Subjekte wetteifern. Auf der anderen Seite lässt sich ein alternatives Regime beobachten, die Kulturalisierung II bzw. der Kulturessen‐ zialismus. Diese Kulturalisierung richtet sich auf Kollektive und baut sie als moralische Identitätsgemeinschaften auf. (ebd., 2) 77 2.6 Kulturalität und die Kulturalisierungsregimes im Spätkapitalismus Letztere würden in der Kultur der „Identitären“ in neuen Nationalismen oder in fundamentalistischen religiösen Bewegungen in Erscheinung treten. Der Kulturessenzialismus „arbeitet mit einem strikten Innen-Außen-Dualismus und gehorcht dem Modell homogener Gemeinschaften, die als imagined communities kreiert werden. Die Spätmoderne ist durch einen Konflikt dieser beiden Kulturalisierungsregimes gekennzeichnet, die in eine wider‐ sprüchliche Konstellation von Öffnung und Schließung münden“ (ebd., 2 f.). Reckwitz‘ These lautet, „dass sich viele der aktuellen globalen Konflikte als solche des Widerstreits zwischen diesen beiden Kulturalisierungsregimes entziffern lassen“ (ebd., 10). Inwieweit dieser Deutungsversuch einer genaueren sozial- und kultur‐ wissenschaftlichen Analyse standhält, wird sich noch zeigen müssen. Denn ob bzw. in welcher Weise die Ausgangsannahme der Ambivalenz von Öffnungs- und Schließungsprozessen - vermutlich gibt es auch noch andere, z. B. transversaler Art, die dann andere Dynamiken hervortreten lassen - oder ob klassenstrukturelle Kategorisierungen wie die einer „neuen globalen Mittelklasse“ oder „einer neuen, post-industriellen Unterklasse“ in Bezug auf die (Re-)Produktion kultureller Verhältnisse tatsächlich tragen, bedarf noch der Prüfung. Aus der Perspektive der soziologischen Ungleichheitsfor‐ schung fällt jedenfalls die Kritik an den Vorstellungen von Reckwitz harsch aus (vgl. Butterwegge 2020, 135 ff.). Ein anderer Erklärungsansatz als der, den Reckwitz mit dem Postulat „einer Kulturalisierung des Sozialen auf breiter Front“ im Auge hat, besteht in dem der Ökonomisierung des Kulturellen im Spätkapitalismus, verstan‐ den als Kommodifizierung von kulturellen Ressourcen und kulturellen Dif‐ ferenzen. Kommodifikation bedeutet das „Zur-Ware-machen“. Der Begriff schließt an die Marxsche Werttheorie von Gebrauchswert, Tauschwert und Mehrwert an. Kommodifikation besteht darin, Phänomene des Kulturellen ökonomisch zu bewerten, ihnen Tauschwert zuzuschreiben und in eine Ware-Geld-Beziehung zu überführen. Dass Kultur „ihren Preis“ hat, ist im Kapitalismus nichts Ungewöhnliches, wie auch die Höhe des Preises für „kulturelle Waren“ neben anderen Faktoren vom marktökonomischen Prinzip von Angebot und Nachfrage bestimmt wird. In der politischen Ökonomie ist von ‚De-Kommodifizierung‘ die Rede, wenn beispielsweise wohlfahrtsstaatliche Verteilungsfragen vom Marktme‐ chanismus entkoppelt werden, während im umgekehrter Sinne und auf einen konkreten Fall bezogen ‚(Re-)Kommodifizierung‘ des Gesundheitswe‐ sens bedeutet, dass es einem Prozess der Ökonomisierung und Kommerzia‐ 78 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 49 Beide Beispiele führt Butterwegge 2020, 264 f. an. 50 Zu der damit verbundenen Problematik der Verdinglichung von Sprache, vgl. die Kritik von Holborow 2015. lisierung unterworfen wird und betriebswirtschaftliche Verwertungsimpe‐ rative in den Vordergrund treten. 49 Dass über die zu kulturellen Waren gewordenen kulturellen Ressourcen hinaus auch anderes, wie die gerade erwähnten kulturellen Differenzen, kommodifiziert werden können, ist erst relativ spät in den Fokus der kultur- und sozialwissenschaftlicher Forschung getreten. Um dies an einem Befund aus der Sprachwissenschaft zu illustrieren: In soziolinguistischen Studien (u. a. Heller 2002, Duchêne/ Heller 2012) der letzten beiden Jahrzehnte spielt das Konzept der Kommodifikation eine Rolle, um den Finger auf neoliberale Strategien der Verwertung von Sprache und sprachlicher Differenz unter Bedingungen der Globalisierung zu legen. Zunächst bestand ein Aspekt dieser Untersuchungen darin, wie Unterneh‐ men bzw. ihre Marketingabteilungen mit sprachlichen Formen - auch mit Formen aus ansonsten marginalisierten oder stigmatisierten sprachlichen Varietäten - Authentizität für Produkte schaffen und wie diese Authentizität als Mehrwert zum Zwecke ihrer besseren Vermarktung eingesetzt wird (vgl. auch Budach/ Roy/ Heller 2003). 50 Ein häufig anzutreffendes Beispiel ist die Verwendung von sprachlichen Varietäten wie Dialekten, die ansonsten im Nationalstaat nicht oder seltener für die großräumige und/ oder schriftliche Kommunikation bestimmt sind, um lokale und soziale Authentizität zu erzeugen und Dienstleistungen und Produkte in Tourismus, Landwirtschaft, Lebensmittel- und Getränkeindustrie usw. besser vermarkten zu können. Weirich (2018) weitet die Untersuchungen zur Kommodifizierbarkeit von sprachlichen Ressourcen aus, indem sie sie rückbindet an die jeweils gege‐ benen sprachlichen und ökonomischen Verhältnisse auf den verschiedenen Ebenen der Gesellschaft. In analytischer Hinsicht geht es ihr darum, die Reichweite sprachlicher Ressourcen von Individuen hinsichtlich ihrer Kom‐ modifizierbarkeit auf dem Arbeitsmarkt in den Griff zu bekommen (ebd., 57 ff., hier S. 74). 79 2.6 Kulturalität und die Kulturalisierungsregimes im Spätkapitalismus 2.7 Auf dem Weg zu Transkulturalität: Schlüsselbegriffe 2.7.1 Ungleichheit Für jede Form des Konfliktmanagements, und so auch, wie oben gezeigt, für die Strategien der Bikulturalität, des Multikulturalismus und der In‐ terkulturalität, ist der Umgang mit Ungleichheit und Differenz zentral. Konfliktmanagement verlangt nach Aushandlungsprozessen. Hierbei ist die Anerkennung von Ungleichheit und Differenz ein wichtiger Schritt. Ob sie anerkannt werden oder auch nicht, Ungleichheit und Differenz sind Kardinalprobleme menschlicher Gesellschaften und Ursachen für vielfältige gesellschaftliche Konflikte. Ungleichheit kennt viele Formen. Individuell sind die Menschen nicht gleich. Sie unterscheiden sich biologisch und sozial, so in ihrer körper‐ lichen Ausstattung und ihren genetischen Dispositionen, in ihren Fähig‐ keiten und Fertigkeiten, Interessen und Neigungen, Lebensformen und Tätigkeiten, Anschauungen, Aktivitäten und vielem mehr. Zum Problem werden diese naturgegebenen oder auf persönlichen Entscheidungen ba‐ sierenden Ungleichheiten, wenn sie, gesellschaftssystemisch begründet, Anhaltspunkte für soziale Ungleichheiten ergeben, diese Ungleichheiten politisch organisiert und legitimiert werden und/ oder sie sich aus den ökonomischen Verhältnissen ergeben. Ist die Gleichheit der Menschen ein allgemeines Gerechtigkeitsideal und gilt Gleichheit vor dem Gesetz als demokratisches Grundprinzip, so sind ökonomische, politische, soziale und andere Ungleichheiten tief im Funktionieren der Klassengesellschaften ver‐ wurzelt. Soziale Ungleichheiten sind überall und alltäglich wahrnehmbar: als Unterschiede zwischen armen oder reichen Menschen, als Unterschiede in ihren Lebensverhältnissen, wenn sie in einer heruntergekommenen Wohnung in einem ebensolchen Viertel oder in einer Penthouse-Wohnung eines noblen Quartiers leben, in den Diskriminierungen, wenn ihnen als Gehbehinderte zu hohe Treppen den Zugang zu öffentlichen Gebäuden und Räumen verwehren oder in den Ausgrenzungen, wenn vor Hunger und Krieg Geflüchteten Schutz, Hilfe und menschenwürdige Behandlung vorenthalten wird. Während soziale Differenzierung sowohl aus gesellschaftlicher Arbeits‐ teilung als auch aus vielen anderen Aspekten individueller und gesellschaft‐ licher Verfasstheit resultiert, „geht es bei der Ungleichheit um Rangunter‐ 80 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement schiede bzw. Statusdifferenzen, die auf privatwirtschaftlichen Eigentums-, Macht und Herrschaftsverhältnissen beruhen“ (Butterwegge 2020, 12; Her‐ vorhebung von mir). Ökonomische Ungleichheit sei der Schlüssel zur Erklärung gesellschaftlicher Verwerfungen unterschiedlicher Art. In Ver‐ teilungskonflikten sieht Butterwegge die grundlegenden Konflikte, denen Beziehungs-, Anerkennungs- und Wertschätzungskonflikte nachgeordnet blieben (vgl. ebd., 13 f.). Nach Berger/ Powell (2009, 15) besteht soziale Un‐ gleichheit dann, „wenn Menschen (immer verstanden als Zugehörige sozia‐ ler Kategorien) einen ungleichen Zugang zu sozialen Positionen haben und diese sozialen Positionen systematisch mit vorteilhaften oder nachteiligen Handlungs- und Lebensbedingungen verbunden sind.“ Soziale Ungleichheit bedeutet demnach nicht notwendig Ungerechtigkeit, vielmehr gäbe es auch Formen legitimer sozialer Ungleichheit. Butterwegge verweist auf Berufe, die ein unterschiedliches Maß an Talent, Engagement und praktischer Routine erforderten, was sich in der Prestige- und Einkommenshierarchie niederschlagen würde (ebd., 15). Kontrovers diskutiert werde, „welche Form sozialer Ungleichheit man als gerecht oder legitim und welche als ungerecht oder illegitim ansehen“ (vgl. ebd.) könne. Strittig sei zudem die Funktionalität der sozioökomischen Ungleichheit, des Reichtums und der Armut für das bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Ungleichheit ist ein konstitutives Merkmal jeder kapitalistischen Gesellschaft, aber für diese auch insofern nützlich, als die Armut wie eine Drohkulisse, ein Druckmittel und ein Disziplinierungsinstrument wirkt, während der Reichtum umgekehrt als Leistungsanreiz, Lockmittel und Belohnung für aufstiegsorientierte Gruppen der Bevölkerung erscheint. (ebd., 17) Von diesen Überlegungen ausgehend, stellt sich die Frage, in welcher Weise Ungleichheit mit dem Verständnis von Kultur und weitergehend auch mit dem von Transkulturalität zusammenhängen. Ungleichheit erstreckt sich ja keineswegs nur auf sozioökonomische Ungleichheit, sondern auch auf Un‐ gleichheiten, die aufs engste konstitutiv für das Kulturelle sind, von denen hier als Formen die Bildungsungleichheit und die sprachliche Ungleichheit erwähnt werden sollen. In diesem Zusammenhang wird auch die Kritik an Wimmers Bestimmung von ‚Kultur‘ in Abschnitt 2.3 präzisiert, die darin besteht, dass er die sozioökonomischen und politischen Dimensionen des Kulturellen zu wenig berücksichtigt. 81 2.7 Auf dem Weg zu Transkulturalität: Schlüsselbegriffe Wie Quenzel/ Hurrelmann (2019, 3) in ihrem Band über „Bildungsarmut“ zeigen, gilt es in der bildungswissenschaftlichen und soziologischen Un‐ gleichheitsforschung als ausgemacht, dass Bildung mittlerweile das vorherr‐ schende Medium zur Produktion und Reproduktion sozialer Ungleichheit darstellt. Bildung wird nicht zuletzt deshalb immer bedeutsamer, weil in modernen Gesellschaften auf der individuellen Ebene der Bedarf an Kompetenzen zur Bewältigung komplexer Anforderungen an die Lebensführung und auf der gesellschaftlichen Ebene die Nachfrage nach analytischen und kommunikativen Qualifikationen stark gestiegen ist (ebd.). Für die Angehörigen der jungen Generation bedeuten die wachsenden Bil‐ dungsanforderungen, dass sie einen immer größeren Teil ihrer Adoleszenz statt mit Lohnerwerbsarbeit für den Besuch von Schulen und Hochschulen nutzen, sich bilden und auf eine berufliche Karriere vorbereiten können. Doch aufgrund sozialer Ungleichheiten, Prozesse der Migration darin ein‐ geschlossen, können längst nicht alle Angehörigen dieser Generation von der Möglichkeit längerer Bildungswege profitieren. Selbst unter jenen, die Schul- und Hochschulabschlüsse vorweisen könnten, sind die „ersten zehn bis fünfzehn Jahre des Erwerbslebens […] quer durch alle Bildungsschichten von befristeten Verträgen, temporärer Arbeitslosigkeit, Teilzeitjobs und Mehrfachjobs geprägt“ (ebd., 14). Vor allem bei den weniger Erfolgreichen bestehen die Konsequenzen in geringerem Selbstwertgefühl, psychischer Belastung, demonstrativem Konsum und deviantem Verhalten, fehlenden Netzwerken, geringeren Erwerbschancen und gesundheitlichen Problemen, während auf der Ebene der Gesellschaft ökonomische Folgen, Folgen für die politische Integration und für den sozialen Zusammenhalt zu Buche schlagen (vgl. ebd., 14-20). Butterwegge (2020) kritisiert das Konzept der ‚Bildungsarmut‘, weil es „zur Reduktion des Armutsproblems auf seine kulturelle Dimension bei[trägt]“. Es suggeriere, dass Armut durch Bildungsdefizite bedingt sei. „Auch weckt der Begriff ‚Bildungsarmut‘ kaum Empathie, Mitgefühl oder Mitleid, sondern dient […] eher der Diffamierung einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen“ (ebd., 227). Einkommens- und finanzschwachen Familien wird auf diese Weise das sie sozial ausgrenzende und stigmatisierende Etikett der „Bildungsferne“ angeheftet. Damit vertauscht man Ursache und Wirkung, denn Armut zieht in einer zunehmend ökonomischen Imperativen gehorchenden, marktförmig bzw. kapitalistisch or‐ 82 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement ganisierten Gesellschaft zwangsläufig mangelnde bzw. mangelhafte Bildung nach sich, während eine gute (Aus-)Bildung heutzutage keineswegs mehr die Gewähr dafür bietet, außerhalb des breiten Niedriglohnsektors zu arbeiten. Bildung garantiert weder den beruflichen und sozialen Aufstieg, noch verhindert sie den wirtschaftlichen Abstieg. (ebd. 230 f.) Wenn höhere oder geringere Bildung kein unmittelbares Korrelat in den Dynamiken von sozialem Auf- oder Abstieg hat, so ist der Zusammen‐ hang zwischen ‚Bildungsungleichheit‘ und der ‚(Re-)Produktion kultureller Verhältnisse‘ dennoch ersichtlich, wie die oben von Quenzel/ Hurrelmann referierten Erkenntnisse zeigen. Sprachliche Ungleichheit wird in diesem Buch in verschiedenen Zusam‐ menhängen behandelt. Einzelne Aspekte von sprachlicher Ungleichheit, hier insbesondere von sprachlicher Diskriminierung großer Gruppen der Bevölkerung in Belgien und in Kanada, wurden bereits in den Abschnitten 2.2, 2.4 und 2.5 angesprochen. Andere Aspekte finden sich in Kapitel 5. Sprachliche Ungleichheit ist wie jede Form von Ungleichheit das Ergebnis von Macht, die ausgeübt wird, um Menschen hierarchisch zu behandeln, sie in Kategorien einzuteilen und sie als Einzelne und Angehörige dieser Kategorien mit Bewertungen zu versehen (vgl. Blommaert 2010, 154). Die AkteurInnen dieser Macht, die Mächtigen oder die von ihnen Ermächtigten, sind nicht nur jene, welche die Macht haben, Befehle zu erteilen und Anweisungen zu geben oder die als SprecherIn von und für Gruppen eigens für diese Rolle legitimiert sind. Im Fall von sprachlicher Ungleichheit sind die AkteurInnen nicht einige Wenige, sondern kurioserweise viele und potentiell alle, die zu einer Sprachgemeinschaft gehören. Sie üben sprachlich symbolische Macht aus, und dies sowohl gegenüber den Angehörigen dieser Gemeinschaft selbst als auch gegenüber anderen, mit denen sie einen Kommunikationsraum teilen, die aber andere Sprachen sprechen. Typische Fälle für Letzteres bestehen in der sprachlichen Ungleichbehandlung von Minderheiten - als autochthone, migrantische oder als genderbasierte Min‐ derheiten - durch die Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft oder durch die Apparate des Staates. Migration geht geradezu zwangsläufig mit dem Anwachsen sprachlicher Diversität in gesellschaftlichen Räumen einher und zieht im Nationalstaat das nach sich, was Coulmas (2005) als ‚Sprachregimes‘ beschreibt. Er versteht darunter ein Bündel von Gewohnheiten, rechtlichen Regulierungen und Ideologien, die je nach sozialem Raum die Praxis der SprecherInnen in 83 2.7 Auf dem Weg zu Transkulturalität: Schlüsselbegriffe der Wahl der sprachlichen Mittel beschränken. Busch (2013, 135) verweist zudem darauf, dass es hierbei nicht nur um normative Regulierungen von Sprache, sondern auch um die Ungleichheit in der Verteilung von Ressour‐ cen und Macht geht. Sprachliche Integration und Partizipation unterliegen den jeweiligen Sprachregimes, die ihrerseits wiederum Einfluss darauf haben, wie sich das sprachliche Repertoire von ImmigrantInnen verändert. Sprachliche Ungleichheit ergibt sich hierbei durch die Hierarchisierung von Sprachen im Rahmen von gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit. Anders verhält es sich mit Formen von sprachlicher Diskriminierung in einer Sprache. Sie entsteht dadurch, dass unsere sprachlichen Handlungen, wenn wir über andere und mit anderen Menschen reden, immer auch Kategorisierungen umfassen: wir teilen Menschen in Kategorien ein und schreiben diesen Kategorien zusätzliche Eigenschaften zu, die nicht selten Bewertungen darstellen oder solche implizieren. Stefanowitsch (2012) diskutiert die Problematik von sprachlicher Un‐ gleichheit an einigen Beispielen, darunter an Aussagen wie „Frauen gehen gern shoppen“ oder „Männer können ihre Gefühle nicht zeigen“. Einer der Mechanismen, die zu Diskriminierung beitragen, besteht darin, dass den Mitgliedern der jeweiligen Kategorie noch weitere und scheinbar allgemein‐ gültige Eigenschaften zugeschrieben werden, ohne Rücksicht darauf, ob dies für die Angehörigen dieser Kategorie zutrifft. Ein anderer Mechanismus setzt an der Relevanz von Unterscheidungen an, beispielsweise beim biologi‐ schen Geschlecht. Stefanowitsch erwähnt hierfür Tätigkeitsbezeichnungen, bei denen nach Geschlecht unterschieden werde (Student/ Studentin, Kran‐ kenpfleger/ Krankenpflegerin), wiewohl das einzig Relevante, was bei der Tätigkeit eine Rolle spielen sollte, die Qualifikation und die Bereitschaft zu dieser Tätigkeit sei. Zwar könne auf die irrelevante Geschlechtermarkierung verzichtet werden, aber sie sei so tief in das Alltagsdenken eingegraben, dass geschlechtsneutralen Formulierungen (Studierende, Pflegekräfte) nicht selten mit Spott oder Unwillen begegnet würde (vgl. ebd., 4). Besonders problematisch seien sprachliche Kategorien, wenn sie nicht nur mit zusätzlichen Bedeutungsaspekten behaftet sind, sondern außerdem historischen Ballast transportieren. Die fast schon verzweifelt anmutende Suche nach einem ‚akzeptablen‘ Wort für ‚Men‐ schen mit dunkler Hautfarbe‘ - von Neger zu Farbiger oder Schwarzer zu Person of Color (PoC) oder dunkelhäutiger Mensch - verstellt nicht nur den Blick auf die Frage, warum man Menschen überhaupt nach ihrer Hautfarbe kategorisiert, 84 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement sondern auch auf die geschichtlichen Zusammenhänge, aus denen diese Katego‐ risierung hervorgegangen [ist] und zu denen sie beigetragen hat. (ebd., 4) In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat die Kritik seitens der feministi‐ schen Bewegung an sexistischem Sprachgebrauch und dem Kolonialismus in der Sprache zu einer deutlichen Sensibilisierung für die Problematik sprachlicher Ungleichheit geführt. Vieles an Veränderungen in Richtung sprachlicher Sichtbarkeit von Frauen und von Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache wurde inzwischen erreicht (vgl. die Studien in Spieß/ Reisigl 2017 und Reisigl/ Spieß 2017). Zugleich zeichnet sich in jüngster Vergan‐ genheit aus der Sicht heutiger Trans-Gendertheorien deutliche Skepsis gegenüber der Verfestigung einer binären Geschlechterordnung ab. Dass wir es hierbei mit einem fundamentalen Wandel nicht nur der Geschlech‐ terkonstruktionen, sondern auch der kulturellen Verhältnisse zu tun haben, sei hier zumindest erwähnt. Im Sinne eines Fazits zur Problematik von Ungleichheit sei auf die Unter‐ suchungen von Haug (2011) verwiesen. Für Haug ist „Kultur […] selbst ein integraler Bestandteil der Macht-, Herrschafts- und Klassenverhältnisse - und diese sind überall und immer kulturell überformt“ (ebd., 38). Mit anderen Worten: Ungleichheit und Differenz sind Haug zufolge zentrale Elemente des Kulturellen. Doch was bedeutet es dann, wenn Geertz (1996) eine seiner Wiener Vorlesungen unter die Frage stellt: „Was ist eine Kultur, wenn sie kein Konsens ist? “ (ebd., 67 ff.). Steht hier eine Ungleichheits- und Konfliktkonzeption gegen eine Konsens- und Ausgleichskonzeption von Kultur? Die Antwort auf die Leitfrage gibt Geertz am Schluss der erwähnten Vorlesung: Kultur bedeutet Umgang mit Differenz. 2.7.2 Differenz Konfliktmanagement verlangt nach Aushandlungsprozessen. Hierbei ist die Anerkennung von Differenz - im Sinne von ‚Unterschied‘ (als Form oder Resultat) und ‚Unterscheidung‘ (als Operation oder Prozess) - ein wichtiger Schritt, der seinerseits zur Voraussetzung hat, dass die Differenz überhaupt erst in die Welt eingeführt und die beteiligten Akteure sich ihrer bewusst sind. Sich der Differenz bewusst zu werden, bedeutet, die Grenze oder Gren‐ zen wahrzunehmen, die die verschiedenen Seiten, Parteien, Interessenlagen usw. voneinander trennen. 85 2.7 Auf dem Weg zu Transkulturalität: Schlüsselbegriffe 51 Umfangreiches Material zur Grenzforschung stellt das an der Viadrina Universität Frankfurt (Oder) angesiedelte Forschungszentrum „B/ Orders in Motion“ bereit, u. a. in Form der Reihe Working Paper und in besonderer Weise auf der digitalen Wissen‐ schaftsplattform zu den Border Studies, vgl. www.border-studies.de. In einem topografischen Sinne sind Grenzen die Orte oder Räume, an denen Entitäten sowohl aufeinandertreffen als auch unterschieden werden, z. B. in Form von Grenzen zwischen Staaten oder Regionen. Als natürliche Gegebenheit stellt ein Fluss für Wanderer oder für eine Gemeinschaft eine Grenze dar, aber eben nur solange, wie es keine Brücke oder keine Fähre gibt, so dass der Fluss allenfalls als ein Hindernis oder als ein Symbol für eine Grenze anderer Art, z. B. die eines Herrschaftsbereichs, wahrgenom‐ men wird. Weshalb Grenzen menschengemachte Konstrukte sind, entlang derer sie sich ihre Ordnungen schaffen und ihre Kategorien und Systeme ausbilden, auch die von Kultur und kultureller Differenz. Die sozial- und kulturwissenschaftliche Grenzforschung (vgl. Lamont/ Molnár 2002, Paasi 2011, Schiffauer et al. 2018) zeigt jedoch, dass die Beziehungen zwischen Differenz und Grenze um vieles komplexer sind, als es eine topografische Wahrnehmung von Grenzen oder die Vorstellung einer Grenze als Linie suggeriert, wie in der sprichwörtlichen „roten Linie“, die nicht überschritten werden darf, ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Oder auch, dass soziale Grenzen als Teil von sozialen Demarkationspraktiken zwischen Gruppen oder Klassen gegebenenfalls nicht sichtbar sind, wie es die Metapher der „gläsernen Decke“ in der Organisationssoziologie ausdrücken will. So richtet die neuere Grenzforschung stattdessen ihr Augenmerk einerseits auf die Praktiken des Umgangs mit Grenzen und die Prozesse des Errichtens, Verteidigens, Durchdringens und Dekonstruierens von Grenzen. 51 Und sie untersucht die Ordnungen, die hierbei zur Disposition stehen. Anderer‐ seits positioniert sie sich in methodologischer Hinsicht, indem sie dem Prinzip „thinking from the border“ Rechnung trägt, d. h. Grenzen nicht als Rand-Phänomen zu betrachten, sondern ihre Komplexität in den Mittel‐ punkt zu rücken (vgl. Bossong/ Gerst/ Kerber et al. 2017, Schindler 2019). In kultur- und sprachwissenschaftlicher Perspektive sind Grenzen sowohl als Praxis der Demarkation als auch als Zonen des Kontakts, als Räume des Übergangs und auch als Bereiche eines Kontinuums mit je eigenen kulturellen und sprachlichen Ausprägungen zu verstehen, in welchen sich in der Interaktion Muster überlagern, Formen mischen und auf diese Weise 86 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement Anderes und Neues entsteht, das selbst wiederum den Referenzpunkt für Differenzierung darstellt. Allerdings, und hier ist erneut auf den Soziologen Pierre Bourdieu zu verweisen, steht der Bewusstwerdung von Differenz und Grenze oft jenes Phänomen entgegen, das er „le pouvoir de violence symbolique“ (in Bourdieu/ Passeron (1970), dt. 1973), d. h. „die Macht symbolischer Gewalt“ nennt. ‚Symbolische Gewalt‘ bedeutet die implizite, nicht sofort sichtbare, in diesem Sinne auch die gesellschaftlich akzeptierte Gewalt, mit der die vorherrschende Sicht auf die soziale Welt legitimiert wird. Bourdieu/ Passe‐ ron betrachten die symbolische Gewalt nicht als rationales Kalkül. Sie wirkt vielmehr durch eine Art Komplizenschaft der Beherrschten, die, um über die Herrschaftsverhältnisse nachzudenken, nur über die Denkkategorien der Herrschenden verfügen und diese verinnerlicht haben. Nicht grundlos haben Bourdieu/ Passeron den Begriff der symbolischen Gewalt im Kontext einer Theorie des Bildungssystems entwickelt. Denn sie wollen zeigen, wie sich das Prinzip der symbolischen Gewalt in einer legitimen gesellschaft‐ lichen Institution - das gilt für das Bildungswesen ebenso wie für das Fernsehen, das Kino, die Zeitungen etc. - entfaltet und sich im Habitus der Akteure verankert. 18 Jahre nach dem Erscheinen von „La reproduction“ (1970, dt. „Grundlagen einer Theorie der symbolischen Gewalt“) kommt Bourdieu erneut auf diese Problematik zurück. In seinem Werk „La domi‐ nation masculine“ (1998b, dt. „Die männliche Herrschaft“ 2005) untersucht er eine besondere Form der symbolischen Gewalt. Er geht der Frage nach, warum zwischen Männern und Frauen eine so große Differenz in der Wahrscheinlichkeit des Zugangs zum öffentlichen Raum besteht und warum Frauen in diesen Räumen systematisch unterhalb der Männer positioniert sind. Dass sich mit dieser Frage in prominenter Weise - sozusagen disziplin‐ konstituierend - die Gender- und Diversitätsforschung befasst, braucht nicht weiter betont zu werden, schon aber der Sachverhalt, dass die der ‚symbolischen Gewalt‘ inhärente Dynamik auch als Konflikt zwischen Kräften der Homogenisierung und der Diversifizierung/ Differenzierung zu analysieren ist, eine Dynamik, die einerseits aus der Nicht-Wahrnehmung von Pluralität und andererseits aus dem Umgang mit Differenz erwächst. Mit welchen lebensweltlichen Konsequenzen dies verbunden ist und welche Erklärungsmodelle dafür entwickelt werden, lässt sich an Untersuchungen im Schnittpunkt von Organisationssoziologie, Betriebswirtschaft und Gen‐ der Studies eindrücklich in Erfahrung bringen. 87 2.7 Auf dem Weg zu Transkulturalität: Schlüsselbegriffe Das Problem ist hinreichend bekannt: Im Zusammenhang mit dem Ver‐ sagen des Managements vieler Großunternehmen in den Finanz-, Banken- und Wirtschaftskrisen der Jahre 2008 bis 2011 konstatierte der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Siemens Peter Löscher: „In der Führungsetage sitzen nur weiße Männer. […] Wir sind zu eindimensional“ (zitiert nach Erfurt Sandhu 2014, 1). Ein anderer Insider des Topmanangements, ein früheres Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom beschreibt „die Füh‐ rungsetagen als ‚tradiertes System eingeschliffener Verhaltensweisen und Sozialmechanismen‘, welche mit ‚einem (oft unbewussten) Immunsystem‘ fremde Einflüsse abwehren“ (ebd,. 3), weshalb Erfurt Sandhu schlussfolgert: Diese Persistenz von Homogenität in oberen Führungsetagen deutet auf rätsel‐ hafte Beharrungskräfte hin, die Veränderungsmaßnahmen im Topmanagement abprallen lassen. Die Unternehmen sind zwar bemüht, Führungsetagen vielfälti‐ ger werden zu lassen, aber ein tatsächlicher Wandel findet nicht statt. Stattdessen reproduziert sich die Homogenität weiter. (ebd., 2) In Zahlen ausgedrückt: 2014 waren knapp 96 Prozent der Vorstandsposi‐ tionen der Top-200-Unternehmen in Deutschland von Männern besetzt. Bis heute (2020) ist eine Veränderung, wenn überhaupt, nur mit dem Mikroskop erkennbar. Um das Problem der Beharrungskräfte und Trägheit in Unternehmen - zumindest - auf einer theoretischen Ebene in den Griff zu bekommen, entwickelten Sydow/ Schreyögg/ Koch (2009) die Theorie der organisationalen Pfadabhängigkeit, die, wie Erfurt Sandhu zeigt, auch einen Ansatz dafür bietet, wie die anhaltende Homogenität in Führungsetagen erklärt werden kann und warum viele der durch diversity management an‐ gestoßenen Veränderungsmaßnahmen scheitern. Zudem geht es ihr darum, „die emergenten Effekte pfadabhängiger Dynamiken“ (ebd., 5) zu beleuchten und schließlich zu ermitteln, wo anzusetzen ist, um Pfade - basierend auf formalen und informellen Selektionsprozessen - in der Rekrutierung von Führungspersonal aufzubrechen und ein höheres Maß an Geschlechter- und anderer Diversität in Führungsetagen zu erreichen. Der Ausschluss von „Unpassenden“, z. B. von Frauen, sei „nicht zwangsläufig durch die einzelnen Führungskräfte intendiert, sondern ein emergenter Systemeffekt auf kollektiver Ebene zur Stabilisierung des Systems“ (ebd., 212). Keine Organisation komme ohne Koordination und Stabilität aus. „Problematisch wird es jedoch für die Anpassungs- und Lernfähigkeit des Systems, wenn die Grenzen des Topmanagements undurchlässig bleiben“ (ebd.). 88 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 52 Vgl. dazu u. a. den Abschnitt „Geschichten der Differenz“ bezüglich des Rassenbegriffs (in Hall 2018, 75-89), oder der Abschnitt „Nationen und Diaspora“ zu Differenz im Kontext von Nation (in Hall 2018, 141-161). 53 Siehe dazu die Ausführungen in Kapitel 4. Von dieser wirtschaftswissenschaftlich und gender-basierten Ausdeutung von Bourdieus Konzept der symbolischen Gewalt und zum Umgang mit Differenz im Kontext dessen, was seit den späten 1980er Jahren als ‚Un‐ ternehmenskultur‘ (vgl. Schreyögg 1989) bezeichnet wird, lässt sich ein Bogen zur kulturtheoretischen Diskussion über Differenz schlagen. Dabei steht außer Frage, dass ein Wandel der Unternehmenskultur unabdingbar die Durchlässigkeit von Grenzen im Auge haben muss. Doch nicht nur die Grenzen in ihrer Spannung zwischen Persistenz und Durchlässigkeit sind hierbei von Bedeutung, sondern auch die Vernetzung von Kulturen und die Anschlussfähigkeit des Tuns der Akteure an gesellschaftliche, demografische und andere Wandelprozesse. Dies alles läuft darauf hinaus, die verschiedenen Aspekte von Differenz und Differenzierung in den Blick zu bekommen. Bekanntermaßen sind es die TheoretikerInnen der Postkolonialismusfor‐ schung und der feministischen und Geschlechterstudien, die mit ihren Dif‐ ferenzkonzepten und -interpretationen ein sehr viel genaueres Verständnis von sozialen Prozessen und Interaktionen erreicht haben und die zeigen, wie binäre Grenz-Logiken - das Eigene vs. das Fremde, innen vs. außen, global vs. lokal, Mann vs. Frau, Identität vs. Alterität usw. - aufzubrechen sind. Seitens der Postkolonialismusforschung liegt ein deutlicher Akzent auf dem Zusammenhang von ‚Kultur‘ und ‚Differenz‘. So sind die Schlüsselbegriffe in Homi Bhabhas Denken ‚Hybridität‘, ‚Dritter Raum‘ und ‚kulturelle Diffe‐ renz‘, während für Stuart Hall „das verhängnisvolle Dreieck“ (Hall 2018), bestehend aus den Konzepten und Vorstellungen von ‚Rasse‘, ‚Ethnie‘ und ‚Nation‘ die Projektionsfläche darstellt, entlang derer er seine differenztheoretischen Betrachtungen entwickelt. 52 Bhabhas Begriff der ‚kulturellen Differenz‘ ist ein Konzept, das sich - um die prägnante Formulierung von Saal (2014, 37) aufzugreifen, „auf das produktive Potential differenter Perspektiven im Rahmen interkultureller Verhandlungen und Austauschprozesse“ bezieht. Der ‚Dritte Raum‘ sei „der Ort, wo diese Verhandlungen stattfinden“, während „Hybridität auf die grundsätzliche Differentialität von Kultur“ (ebd.) referiert. 53 Stuart Hall wiederum lotet verschiedene Zusammenhänge der Dialektik von kultureller 89 2.7 Auf dem Weg zu Transkulturalität: Schlüsselbegriffe 54 Zur Kritik am Konzept der Identität, vgl. Brubaker/ Cooper 2000. Zum Zwecke wis‐ senschaftlicher Analyse erweist sich der Identitätsbegriff als untauglich, vgl. auch Pfaff-Czarnecka 2011, die als Gegenentwurf zu ‚Identität‘ engl. ‚belonging‘ vorschlägt, dt. ‚Zugehörigkeit‘, auch verbunden mit der Konnotation ‚Zusammengehörigkeit‘. Zitierenswert ist die Formulierung, in die Ette seine Kritik am Identitätsbegriff kleidet: „Im Identitätsbegriff wirkt gut geschützt der gefräßige Wurm dessen, was nicht mehr ist und doch niemals aufhören kann zu sein“ (2020, 174 f.). Identität und Differenz aus, die er beide im Sinne eines Produktionsprozesses und einer Nichtabgeschlossenheit betrachtet und aufeinander bezieht. Was dann zur Folge hat, dass bei ihm Identität 54 keinesfalls essentialistisch verstanden wird, wie es ansonsten in Alltags-, in politischen und oft auch in wissenschaftlichen Diskursen immer wieder der Fall ist, sondern bei ihm grundsätzlich als ‚Identifikation‘ zu lesen und durch Dimensionen der Hybridität, Kreolisierung, Entwurzelung und Diaspora geprägt wird. Es soll hier nicht darum gehen, die differenztheoretischen Erkenntnisse der beiden Kulturtheoretiker der Multi- und Interkulturalität im Detail zu referieren. Vielmehr ist es für das weitere Verständnis wichtig, sich auf die Eckpunkte zu konzentrieren, die mit den Begriffen, die das „verhängnis‐ volle Dreieck“ bilden, ziemlich genau den Ort und die Dynamiken dieser Diskussionen markieren. Bezugspunkt ist die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus und dessen Erbe, d. h. mit den Differenzen, Kategorien und Grenzen, die durch dieses Machtsystem etabliert und sich auf lange Zeit in die Gesellschaften und in das Verhalten der Menschen eingeschrieben haben. Wer es genauer wissen will, der lese die Werke des aus Martini‐ que stammenden Vordenkers der Entkolonialisierung, des Psychaters und Schriftstellers Frantz Fanon „Schwarze Haut, weiße Masken“ (frz. 1952, dt. 1980) und „Die Verdammten dieser Erde“ (frz. 1961, dt. 1966) sowie des tunesisch-französischen Soziologen und Autors Albert Memmi „Der Kolonisator und der Kolonisierte. Zwei Portraits.“ (frz. 1957, dt. 1980). Auch für Stuart Hall ist Frantz Fanon eine zentrale Referenz. Für Pierre Bourdieu wiederum, der selbst aus Erfahrung die Mechanis‐ men und Wirkungen des französischen Kolonialismus im Algerien der späten 1950er und früher 1960er Jahre vor Augen hatte, sind es in einem allgemeineren Sinn die Machtverhältnisse in der Gesellschaft zwischen den Herrschenden und Mächtigen, zwischen jenen, die über entsprechend hohes ökonomisches und/ oder symbolisches Kapitel verfügen und jenen anderen, die Beherrschten, Marginalisierten oder Unterdrückten, die über kein sol‐ ches Kapital oder die über tendenziell immer weniger davon verfügen. Seit 90 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 55 In der Soziologie werden die Tendenzen und Ambivalenzen der Individualisierung im Spätkapitalismus seit den 1990er Jahren breit diskutiert, hier vor allem angestoßen durch die Rostocker Habilitationsschrift von Peter A. Berger [1995] 1996, in welcher der Zusammenhang von Individualisierung, Mobilität und sozialer Unsicherheit im Zentrum steht. Eine Art Zwischenbilanz zu dieser Diskussion zieht der Band von Berger/ Hitzler 2010. 56 Langenohl/ Poole/ Weinberg (2015, 14) verstehen Transkulturalität wie Kultur als einen differenztheoretischen Begriff. Eine Erweiterung der Differenztheorie um einen wei‐ teren theoretischen Rahmen, wie eben die Emergenztheorie, ist bei ihnen nicht zu erkennen. den 2000er Jahren trifft letzteres für beträchtliche Teile der traditionellen Mittelschichten in den europäischen Nationalstaaten zu (vgl. Mau 2017). All das behält auch heute seine Gültigkeit, gleichzeitig sind jedoch noch andere Dynamiken in Gang gekommen - transnationale, transareale, digitale -, die die Erosion von Grenzen und Kategorien beschleunigen, die vor wenigen Jahrzehnten noch Staaten, Märkte, Menschen und Kulturen trennten. Bereits erwähnt wurden die starken Tendenzen der Individualisierung 55 im Spätkapitalismus, zugleich die ebenfalls starken Tendenzen der Homo‐ genisierung unter Verhältnissen der Globalisierung (vgl. Beck 1997, 2002). Zu den veränderten Dynamiken gehört die Errichtung von neuen und nicht selten sehr viel weniger durchlässigen kulturellen Grenzen anstelle bishe‐ riger territorialer und sozialökonomischer Grenzen (vgl. Middell/ Middell 1998, Kleeberg/ Langenohl 2011) sowie die dazu nur scheinbar gegenläufigen Prozesse der Kulturalisierung im Spätkapitalismus. In dem Maße, wie im Spätkapitalismus auch die „nicht-kulturellen“ Erscheinungsformen Prozes‐ sen der Kulturalisierung und der Kommodifizierung unterworfen sind und dadurch die Komplexität der kulturellen Verhältnisse wächst, ist ‚Differenz‘ allein nicht mehr ausreichend, denn es heißt auch, die oben erwähnten „nicht intendierten Systemeffekte“, die Seiteneffekte, das unbeabsichtigt und unvorhersehbar neu Entstehende in seiner Eigenschaft als etwas ‚Emergen‐ tes‘ beschreiben und erklären zu können. Für das Verständnis von Trans‐ kulturalität braucht es somit neben der Differenztheorie noch eine andere Theorie, die hier als Emergenztheorie im Hinblick auf Transkulturalität eingeführt werden soll. 56 91 2.7 Auf dem Weg zu Transkulturalität: Schlüsselbegriffe 57 Vgl. den Überblicksartikel von Petzer (2017) zur Emergerzforschung in den Natur‐ wissenschaften, der Philosophie, im IT-Bereich, der Künstlichen Intelligenz und auf weiteren Feldern, der allerdings weder auf soziale noch auf kulturelle Emergenz eingeht. 2.7.3 Emergenz Die als klassisch zu apostrophierenden Felder der Emergenzforschung sind die Naturwissenschaften. 57 Wie Blanchard (2011) ausführt, entstammt der Emergenzbegriff der Biologie und wurde schon im 19. Jahrhundert von Physikern und Chemikern übernommen und weiterentwickelt. Emergenz bezeichnet in den Naturwissenschaften jene Eigenschaften eines Systems, die seine Einzelteile oder seine Agenten nicht besitzen und die erst durch das Zusammenspiel der Teile entstehen. Anders gesagt: die Vernetzung der Einzelteile prägt wesentlich das Gesamtsystem im Sinne des Mottos „Das Ganze ist mehr, oder besser: anderes als die Summe seiner Teile“. Als spektakuläre Beispiele für Emergenz wird oft die Schwarmintelligenz erwähnt, zugleich ein Beispiel für die Selbstorganisation von Agenten. Ohne jede zentrale Steuerung führen lokale Wechselwirkungen zwischen den Agenten zu einem komplexen globalen Verhalten. An Vogel- und Fisch‐ schwärmen und Ameisenstaaten lässt sich dies eindrücklich illustrieren. Die V-Formation von Vogelschwärmen zum Beispiel ist eine Eigenschaft, die die einzelnen Vögel selbst nicht aufweisen. Wie Sawyer (2011, 188) konstatiert, resultiert die V-Formation nicht daraus, dass ein Vogel zum Anführer gewählt wird und die anderen sich hinter ihm einreihen. Vielmehr resultiert das Verhalten der Vögel aus dem Verhalten der ihm benachbarten Vögel. „Die V-Form ist weder geplant noch zentral gesteuert, sie resultiert aus einfachen paarweisen Interaktions‐ regeln“ (ebd.). Emergenz bezieht sich in den Naturwissenschaften somit auf Mikro-Makro-Verhältnisse oder auch Teil-Ganzes-Beziehungen und befasst sich mit der Frage nach der ontologischen Beschaffenheit von Makrosyste‐ men und der Möglichkeit ihrer Reduktion auf Mikrophänomene. Im 20. Jahrhundert hat der Begriff der Emergenz Eingang in die Philo‐ sophie und die Sozialwissenschaften (vgl. Schwarz 2016) gefunden, um komplexe institutionelle Systeme zu analysieren. Der französische Soziologe Émile Durkheim gilt hierbei als Vorreiter. Emergenz lenkt in den Sozialwis‐ senschaften die Aufmerksamkeit auf verschiedene Arten von Prozessen, die emergente Effekte erzeugen, verstanden als das unerwartete Auftreten von Neuartigem. Beide Aspekte, sowohl das Auftreten von Neuartigem als auch 92 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement die Nichtvorhersagbarkeit seien Greve/ Schnabel (2011, 10) zufolge aber noch nicht hinreichend, um das zu kennzeichnen, was unter Emergenz verstanden wird. Konstitutiv für den Emergenzbegriff sei, dass er sich auf das Verhältnis zweier Ebenen bezieht. Wie man sich dieses Verhältnis wie auch die beiden genannten Aspekte - Neuartigkeit und Unvorhersagbarkeit - von Emergenz vorstellen kann, führt Sawyer (2011, 191 ff.) am Beispiel der Aufführung einer Improvisationstheatergruppe in Chicago aus. Die Aufführung der Theatergruppe zeige, wie kreative Produkte aus einer gemeinsamen Gruppeninteraktion hervorgehen können. Dieser Prozess weist dabei die zentralen Merkmale von Emergenz auf: Er ist unvorhersagbar, insbesondere was den Zeitpunkt und das Tempo angeht - die Schauspieler wissen weder, wer als Nächster sprechen wird, noch, wann sie sprechen werden. Folglich kann jeder die nächste konversationale Wende einleiten. […] Der entstehende (emergierende) dramatische Rahmen ist neu, da seine Eigenschaften von den individuellen Schauspielern weder vorhergesehen noch beabsichtigt sind. Und der auftretende dramatische Rahmen ist nicht auf die Absichten und die mentalen Repräsentationen der individuellen Schauspieler reduzierbar. (Sawyer 2011, 193) Im Weiteren arbeitet Sawyer ein viertes Merkmal sozialer Emergenz heraus, das in der Intersubjektivität besteht. Er erklärt Intersubjektivität wie folgt: Im Fall sozialer Emergenz entsteht die Kreativität nicht im Kopf eines Darstellers, wird dann externalisiert und den anderen Darstellern auferlegt, sondern ist im Gruppenprozess zu finden. Die resultierende Darstellung kann nicht mittels der Absichten der Akteure in den einzelnen Gesprächswendungen erklärt werden, denn in vielen Fällen kann der Akteur die Bedeutung seines eigenen Beitrags nicht kennen, bevor die anderen nicht geantwortet haben. Folglich ist Intersubjektivität fundamental sozial, kollektiv und muss ausgehandelt werden. (ebd., 194) Die Analyse von sozialer Emergenz erfordere nach Sawyers die gleichzeitige Wahrnehmung von drei Analyseebenen: der Individuen, der interaktionalen Dynamik und der emergenten sozialen Makroeigenschaften der Gruppe (ebd., 208). Was Sawyers als Soziologe damit in die emergenztheoretische Diskussion einbringt, ist von großem Interesse auch für das Verständnis des Wandels kultureller Verhältnisse und für die Erklärung transkultureller Praktiken. Denn anders als bei anderen Emergenztheoretikern, wie etwa in den ein‐ gangs erwähnten Naturwissenschaften, in Philosophie und Soziologie, die 93 2.7 Auf dem Weg zu Transkulturalität: Schlüsselbegriffe 58 In diesem Sinne auch Auer/ Pfänder 2011, 2. Emergenz im Paradigma von Struktur und von Systemen betrachten, sind seine Überlegungen und Analysen auf Prozesse der Interaktion, auf das individuelle (Aus-)Handeln und auf die Makroeigenschaften der Gruppen ausgelegt. Denn es geht ihm darum, das entstehende Neue, in seiner flüchtigen wie in seiner stabilen Form, dialektisch zu begreifen. In jeder Situation bringen Individuen gemeinsam flüchtige wie stabile Emergentien hervor, und gleichzeitig begrenzen diese, indem sie fortwährend entstehen und sich verändern, als soziale Phänomene den Fluss der Interaktion. Im Beispiel des Improvisationstheaters zeige sich, dass interaktionelle Rahmen auftreten und sich als soziale Tatbestände erweisen, die sich unabhängig von den individuellen Interpretationen charakterisieren lassen. Sobald ein solcher Rahmen entstanden ist, begrenzt er die Handlungs‐ möglichkeiten. Obwohl der Rahmen von den beteiligten Individuen durch ihre kollektive Handlung erzeugt wird, ist er analytisch unabhängig von und hat kausale Kraft gegenüber diesen Individuen. Diesen Prozess bezeichne ich als gemeinschaftliche Emergenz (collaborative emergence). (ebd., 208) Was bedeutet dieser Zugriff auf Emergenz für die Beschreibung und Erklä‐ rung kultureller Praktiken und Prozesse, die der Transkulturalität einge‐ schlossen? Prinzipiell ist davon auszugehen, dass sich Kultur und Kulturen in sozialen Räumen entfalten und dass kulturelle Emergenz immer auch auf die sozialen Verhältnisse verweist und durch diese mitbestimmt wird, ganz im Sinne der von Sawyers dargestellten Interaktion der beteiligten Indivi‐ duen und der sozialen Rahmungen ihrer Handlungen und Handlungsoptio‐ nen. Aufgabe der Theorie ist dabei, Strukturen zu erklären und Prozesse sichtbar zu machen. Wenn die Differenztheorie auf die Beschreibung und Erklärung von Strukturen und Prozessen von Macht und Hegemonie und die durch sie hervorgebrachten Ordnungen referiert, so bezieht sich die Emergenztheorie auf die Beschreibung und Erklärung von Strukturen und Prozessen spontaner Ordnungen, d. h. Ordnungen, die entstehen, ohne vor‐ bedacht oder geplant zu sein, und die aus Handlungen und deren Resultaten bestehen, die, z. B. als Seiteneffekte anderer Handlungen, unbeabsichtigt und unvorhersagbar und somit als nicht teleologisch zu betrachten sind. 58 Emergenz, nun ins Kognitive und zugleich Poetologische gewendet, schließt in dieser Hinsicht an die Idee des ‚archipelischen Denkens‘ des 94 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement Literaten und Philosophen Édouard Glissant an, der darunter folgendes versteht: Eine neue Art des Denkens, das intuitiver, anfälliger, bedrohter ist, dafür aber eingestimmt auf die Chaos-Welt und ihre Unvorhersehbarkeit. Dieses Denken kann sich vielleicht auf die Erkenntnisse der Geistes- und Sozialwissenschaften stützen, es verweist aber auch auf eine Vision des Poetischen und Imaginären auf die Welt. Ich nenne es ‚archipelisch‘, das heißt, es ist nicht-systematisch, sondern induktiv, es erforscht das Unvorhergesehene des Welt-Ganzen. (Glissant 2005, 76) Emergenz heißt in diesem Sinne, dass sich etwas Neues herausbildet - etwas emergiert - , das in seiner Intersubjektivität nicht auf die Absichten der Akteure reduzierbar ist. Wenn also die Strategien des Konfliktmanagements der Bikulturalität, Multikulturalität und Interkulturalität, die an Prozesse und Strukturen von Macht und Hegemonie gebunden sind, weitgehend differenztheoretisch zu erklären sind, verlangt Transkulturation/ Transkulturalität zusätzlich nach einer emergenztheoretischen Erklärung. Die Theorie kultureller Emergenz lässt sich dabei als eine Art übergrei‐ fende Theorie zu Teilaspekten des Soziokulturellen modellieren. Oben wurde bereits die wirtschaftswissenschaftliche Pfadtheorie erwähnt, die sektoriell im betriebswirtschaftlichen und organisationssoziologischen Be‐ reich Strukturen erklärt und Prozesse beschreibt, die im Zusammenhang mit der Rekrutierung des Führungspersonals im Topmanangement stehen. Auch das soziologische Konzept der ‚symbolischen Gewalt‘ hat seinen Platz in einer emergenztheoretischen Betrachtung. Und wiederum sektoriell bzw. als emergenztheoretische Teiltheorie wäre die von dem Sprachwissenschaftler Rudi Keller (1994) ausgearbeitete „Theorie der unsichtbaren Hand“ bzw. die „Invisible-hand-Theorie“ zur Beschreibung und Erklärung von Sprachwan‐ del zu nennen. Kellers Theorie des Sprachwandels - Sprachwandel als eine grundlegende Eigenschaft von Sprache - knüpft in metaphorischer Weise an die Entste‐ hung von Trampelpfaden an, die sich zu Wegen, oder eben zu Sprechweisen ausformen dadurch, dass auch andere Akteure sich sprachlich ebenso verhalten, frei nach dem Motto: „keiner will es, aber alle tun es“ oder auch „alle tun es, aber niemand bemerkt es“. Auch die Sprachpolitik oder die Sprachplanung „von oben“ setzen den Invisible-hand-Prozess nicht außer Kraft. Sie stellen lediglich Faktoren - möglicherweise sehr wirksame oder 95 2.7 Auf dem Weg zu Transkulturalität: Schlüsselbegriffe 59 Einen in gewisser Hinsicht vergleichbaren, wenngleich weniger kontroversen Fall beschreiben Cheshire et al. 2011 anhand des multikulturell geprägten Englischen in London. mächtige Faktoren - „der Ökologie des Handelns der Sprecher dar“ (Keller 1994, 129). Emergenztheoretisch aufschlussreich sind darüber hinaus die sprachli‐ chen Dynamiken in der englischsprachigen Welt, die Mufwene (2010) mit den beiden Polen zwischen „Global English“ und „World English(es)“ bestimmt hat und dessen Darstellung von Mythen und Fakten trefflich ge‐ eignet ist, den naiven neoliberalen Blick auf das Englische als Lingua franca des 21. Jahrhunderts zu hinterfragen (vgl. hierzu auch Watts 2011). An einem Fall wie dem Singlish, auch Colloquial Singaporean English genannt, zeigt sich, wie die Herausbildung einer solchen Kontaktvarietät aus Englisch, Malaiisch, chinesischen und indischen Sprachen, darunter vor allem das Tamoul, immer weitere Verbreitung findet und gleichzeitig, nun schon seit Jahrzehnten, von politischen und Bildungsinstitutionen Singapurs bekämpft wird (vgl. Lim et al. 2010, Forlot 2018). 59 Die Theorie der Emergenz, hier bezogen auf Sprachen oder Varietäten, verknüpft sich in diesem Kontext mit der Theorie sozialer Konflikte. Schließlich, um noch einen dritten Theoriebereich in der Sprachwissen‐ schaft anzuführen, wäre auf die grammatiktheoretische Diskussion im Kontext der Konstruktionsgrammatik hinzuweisen, die ihrerseits einen sub‐ stantiellen Beitrag zur Emergenztheorie erbringt. So lenken Auer/ Pfänder (2011) anhand der Unterscheidung zwischen engl. ‚emergent‘ und ‚emerging‘ die Aufmerksamkeit auf den Unterschied zwischen einer resultativen und einer prozessualen Dimension von Emergenz: ‚emerging grammar‘, als Re‐ sultat, richtet den Blick darauf, wie etwas in der Zeit geworden ist, während ‚emergent grammar‘ auf die Prozessualität eines laufenden, zeitlich struk‐ turierten, unvollendeten Prozess von „languaging“ (dt. Versprachlichung) abstellt (ebd., 5), um dann als Fazit zu formulieren: „Emergent structures are the basis of emerging constructions“ (ebd., 18.). Günthner (2011) befasst sich ihrerseits mit dem Verhältnis von ‚Emergenz‘ und ‚Sedimentierung‘. An die Handlungstheorie von Luckmann (1992, 156) anknüpfend, diskutiert sie die Herausbildung von kommunikativen Routinen und sprachlichen Routineformen (z. B. „was ich eigentlich da‐ mit sagen wollte“, „also was ich wichtig finde“, „die Sache/ das Ding ist (dass)“ usw.) im Spannungsfeld zwischen Sedimentierung und Emergenz. 96 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement Routineformen bilden sich im häufigen Gebrauch heraus und machen als solche, in ihrer sedimentierten Form, die Kommunikation einfacher, berechenbarer, sie vermindern Koordinationsaufwand und das permanente Neuverhandeln(müssen) von Bedeutungen und Formen. Sedimentierung erlaubt ein sich Einrichten in den Gegebenheiten (ebd., 157 f.) und ist auf diese Art selbst auch etwas Emergentes. 2.8 Transkulturalität Die bisherige Argumentation in diesem Kapitel über Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement geht davon aus, dass ▸ Kultur mehr und anderes ist als es mit einem humanistischen - und oft auch alltagssprachlichen - Kulturverständnis und seinem Fokus auf Konzert, Oper, Literatur, Theater, Museum, eventuell auch noch Film und gutes Essen ausgedrückt wird. ▸ Kultur - in Form von Werten und Normen, Sprachen, Religionen, Theaterstücken, Liedern, Tonkrügen, Schuhen, Autos, Dresscodes, Dis‐ kursen, Medien usw. - von Menschen „gemacht“ wird. Daran anknüp‐ fend und im Anschluss an Wimmer (1996) wird Kultur als Prozess der Aushandlung von Bedeutungen verstanden (vgl. Abschnitt 2.3). ▸ zwischen den Akteuren und um deren Kultur(en) soziale Konflikte aus‐ getragen werden, und dies im Großen wie im Kleinen und Alltäglichen. ▸ sich die Vorstellungen, die sich die Menschen von Kultur - ihrer eige‐ nen Kultur, der Kultur(en) der Anderen und den kulturellen Differen‐ zen - machen, historisch stark verändert haben und weiter verändern. In der bürgerlichen Gesellschaft stellt Kultur in ausgeprägter Weise ein Feld sozialer Distinktion (vgl. Bourdieu 1979) dar, seit Mitte des 20. Jahrhunderts fungiert sie im Nationalstaat (auch) als Filter im Migrationsgeschehen, und im Spätkapitalismus avanciert sie in Form der Kulturalisierungsregimes zu einem Ordnungskriterium obersten Ranges in den Gesellschaftsbeziehungen. ▸ im Zuge eines konstruktivistischen Kulturverständnisses sich ein Per‐ spektivenwechsel von der Gemeinschaft/ Gruppe als „Kulturträger“ auf das Individuum vollzogen hat. Kultur ist, was den Einzelnen formt und wie er damit umgeht. 97 2.8 Transkulturalität ▸ der Motor kultureller Dynamik in der Mobilität der Menschen, der Migration und der fortwährenden Neugestaltung ihrer Beziehungen in realen und virtuellen Räumen besteht. Dass Transkulturalität an dieses Verständnis von Kultur anschließt, wurde im Kapitel 1 bereits ausgeführt. Doch ist nun zu klären, was unter Transkul‐ turalität zu verstehen ist. Ein erster Schritt der begrifflichen Klärung besteht darin, ausgehend von den ausführlich diskutierten Begriffen der Bi-, Multi- und Interkulturalität, zu zeigen, in welcher Weise sich Transkulturalität von diesen Konzepten unterscheidet. Ein zweiter Schritt der Schärfung des Konzepts besteht darin, auf dem Weg der Gegenprobe - was ist das Gegenteil von Transkulturalität? - weitere Klarheit zu erreichen, um dann in einem dritten Schritt zu dem in diesem Buch vertretenen Verständnis von Transkulturalität vorzustoßen. In der bisherigen Argumentation in diesem Kapitel sollte deutlich gewor‐ den sein, dass die Konzepte und Strategien des Managements kultureller Konflikte wie Bi-, Multi- und Interkulturalität ganz Unterschiedliches - und dieses unterschiedlich gut - leisten. Der in Deutschland von konserva‐ tiven Kreisen totgesagte Multikulturalismus wird in Kanada von ebenfalls konservativen Kreisen als hohes Gut im Kampf gegen kulturelle und rassische Diskriminierung und im Sinne kultureller Anerkennung und Selbstbestimmtheit gepriesen. Als ob dies in Deutschland nicht auch ein ernstzunehmendes Feld sozialer Wahrnehmungen und politischen Handelns wäre. Und in Kanada wiederum gilt dieser Multikulturalismus aus ebenso nachvollziehbaren Gründen als ein Konzept des anglophon geprägten Na‐ tionalismus und Neoliberalismus, gegen den der frankophone Quebecer Nationalismus sein Konzept der Interkulturalität in Stellung bringt und sich seinerseits wiederum von den Vertretern der Transkulturalität in Québec (vgl. dazu Abschnitt 3.3) - zumindest zeitweilig - herausgefordert sieht. In Konfliktlagen, wie sie der Spätkapitalismus auf die Agenda setzt, wird mit all diesen Konzepten ein Konfliktmanagement von allenfalls kurzer oder mittlerer Reichweite unternommen werden können, so dass wir uns über kurz oder lang auch noch mit anderen Konzepten befassen werden. Ob ein solches Konzept „Hyperkultur(alität)“ heißen wird, wie es gelegentlich schon in der Diskussion ist (vgl. Han 2005, Griese 2006), wird sich noch erweisen. Dieses Buch legt nun den Finger auf Transkulturalität. Als Konzept ist Transkulturalität mit den eben genannten anderen Kulturkonzepten 98 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement verwandt; zugleich unterscheidet sie sich in kategorialer Weise von diesen. Miteinander verwandt sind sie aufgrund einer Gemeinsamkeit, die darin besteht, dass sie sich alle auf Ungleichheit und Differenz beziehen. Auf kategoriale Weise unterschiedlich sind sie dadurch, dass Transkultu‐ ralität - zumindest bislang - erstens, kein Konzept des politischen Handelns und des Managements kultureller Konflikte ist, sondern eines der wissenschaftlichen Beschreibung und der Erkenntnis sozialer und kultureller Prozesse und folglich auch einer anderen Logik verpflichtet ist als ein Konzept des politischen Handelns; zweitens, in zeitlicher und in gegenständlicher Hinsicht, primär retrospektiv und rekonstruierend das Augenmerk auf die Inszenierungsformen und -praktiken kultureller Verflechtungen richtet, damit potentiell aber auch Wissen für künftiges Handeln bereitstellt; drittens, die damit verbundenen Prozesse und Strukturen nicht nur - wie im Falle von Bi-, Multi-, und Interkulturalität - differenztheoretisch, sondern auch emergenztheoretisch zu beschreiben und erklären sind. Um weitere Klarheit darüber zu erreichen, was unter Transkulturalität zu verstehen ist, bietet sich eine Gegenprobe und ein Nachdenken darüber an, was als Gegenteil von Transkulturalität zu verstehen ist. Das Gegentei‐ lige ist jedoch nicht mit einem Begriff zu fassen, sondern erstreckt sich über ein ganzes Spektrum des Nichtzustandekommens, der Vermeidung, Unterdrückung, Auslöschung kultureller Kontakte. Wenn Transkulturalität prinzipiell den Kontakt von Kulturen voraussetzt, welche Szenarien sind dann zu unterscheiden, die nicht zu Transkulturalität führen? a. Kein Kontakt von Kulturen. Transkulturalität kommt nicht in Gang, wenn keinerlei Kontakte zwischen Kulturen stattfinden, wie es für isolierte Inselkulturen oder für völlig abgeschieden lebende Gemein‐ schaften anzunehmen ist. Zwar wandeln sich diese Kulturen auch, aus sich heraus und in Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt, nur ist dies eben kein kontaktinduzierter und somit transkultureller Wandel. b. Zeitlich begrenzter Kontakt mit dem Ziel der Vernichtung, Vertreibung, Auslöschung anderer Kulturen. Auch hierbei ist Transkulturalität keine Option, wie die Politik von „ethnischen Säuberungen“ zeigt. 99 2.8 Transkulturalität c. Zeitlich begrenzter Kontakt mit dem Ziel der Assimilation von Minder‐ heiten an die dominante Kultur oder auch des Bruchs in der Tradierung von kulturellem Wissen und kulturellen Praktiken. Weder die Assimi‐ lation noch der „Kulturwechsel“ erfolgen in der Weise, dass keine kulturellen Spuren zurückbleiben, die ihrerseits wiederum ein Potential für transkulturelle Prozesse darstellen können. Letzteres muss aber nicht zwingend der Fall sein. Für dieses Szenario gibt es unzählige Belege im Zusammenhang mit dem „kulturellen Genozid“ an den indigenen/ autochthonen Völkern (vgl. Abschnitt 2.5). d. Permanenter Kontakt mit Erstarren oder Abbruch transkultureller Pro‐ zesse. Dieses nur scheinbar ungewöhnliche Szenario begegnet uns im Lernen von Zweitsprachen bei Erwachsenen im Kontext von Migration und wird in der Sprachwissenschaft als ‚Fossilisierung‘ bezeichnet. Auch der umgekehrte Fall, dass im Kontext der Migration die Erstspra‐ che „verloren geht“, als ‚Attrition‘ oder ‚Rückbau‘ (im Gegensatz zu ‚Sprachausbau‘) bezeichnet, ist vielfach belegt. e. Latenter und eingeschränkter Kontakt durch Auferlegung eines meist auch repressiven Grenzregimes, wie im Fall von Segregation, Apartheit oder Ghettoisierung. f. Abbruch des Kulturkontakts mit einem traumatisch besetzten Verges‐ sen der Herkunftssprache Deutsch, wie er bei Opfern der Shoa doku‐ mentiert ist (vgl. Schmid 2002, Ben-Rafael/ Schmid 2007). Diese Fälle weisen auf Verschiedenes hin. Wenn davon auszugehen ist, dass Transkulturalität prinzipiell Kulturkontakt zur Voraussetzung hat, so führt Kulturkontakt nicht notwendig zu Prozessen von Transkulturalität. Weiter‐ hin zeigt sich, dass das Ingangkommen von transkulturellen Prozessen nicht auf ein Entweder-oder-Szenario wie bei a), b) und f) zu reduzieren ist, sondern auch andere Szenarien wie die Assimilation in c), die Fossilisierung und der Rückbau in d) oder die Segregation in e) anzunehmen sind. Vor diesem Hintergrund besteht nun der dritte Schritt darin, das in diesem Buch vertretene Verständnis von Transkulturalität weiter auszuformulieren. Es orientiert sich an empirischen Befunden, die hauptsächlich in philolo‐ gisch-kulturwissenschaftlichen Fächern verhandelt werden. Aus der oben getroffenen Unterscheidung zwischen Transkulturalität einerseits und den Konzepten des Managements kultureller Konflikte ande‐ rerseits ist festzuhalten, 100 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 60 Von hier an werden die im Kapitel 1, Abschnitt 1.3 aufgeführten Aspekte des Konzepts der Transkulturalität aufgenommen und etwas ausführlicher dargestellt. 1. dass Transkulturalität als ein Konzept der wissenschaftlichen Beschrei‐ bung auf das Verständnis der kulturellen Dynamiken in Gegenwart und Vergangenheit ausgerichtet ist. 2. Gegenstand der Erforschung von Transkulturalität sind die Prozesse und Strukturen kultureller Austausch-, Aushandlungs- und Verflech‐ tungsbeziehungen, die (vermutlich) die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch zu verfolgen sind und - seit wenigen Jahren zunehmend sys‐ tematisch - von den historischen Wissenschaften wie Anthropologie, Archäologie, Ethnologie, Geschichtswissenschaft, historische Migrati‐ onsforschung, Religionswissenschaften, Sprach- und Literaturwissen‐ schaften, Translationswissenschaft u. a. Stück für Stück retrospektiv und rekonstruierend freigelegt werden. 3. Die philologisch-kulturwissenschaftliche Transkulturalitätsforschung 60 geht ihrerseits davon aus, dass sich Gemeinschaften wie Individuen mit ihren Sprachen, Literaturen, Medien und anderen kulturellen Manifesta‐ tionen nicht in ethnisch abgeschlossenen, sprachlich homogenen und territorial abgegrenzten Räumen konstituieren und bewegen, sondern sie grenzüberschreitend mit anderen Gemeinschaften und Individuen verflochten sind und sich ihre Kontakte im Wesentlichen aus Migration und Mobilität der Akteure ergeben. 4. Transkulturalität unterstellt, dass sich Kulturen in ihrer Verschieden‐ heit begegnen und der Kontakt zwischen ihnen auf Aushandlungen angewiesen ist. Damit kommen vielfältige Prozesse der Mischung (vgl. 4.2, zu Hybridität), der Migration (vgl. 4.3 zu Diaspora und diaspori‐ sche Lesart), des transkulturellen Erinnerns (vgl. 4.4), der Erosion von Grenzen (vgl. 4.5, im Hinblick auf migrantisches Schreiben), der Aneignung und des Konflikts (vgl. 4.6 zu ‚Sprachbiografie‘), der Weitergabe und Umwertung (vgl. 4.7, im Hinblick auf ‚Generation‘) und des Transfers und der Vermittlung (vgl. 4.8 zu ‚Translatio‘) in Gang, die wiederum in Macht-, Hegemonie- und Verwertungspro‐ zesse eingebunden sind. 5. Transkulturalität unterstellt weiterhin, dass sich Kulturen nicht en bloc begegnen, sondern es Individuen und Gruppen mit ihren Normen, Werten, Anschauungen, Sprachen, Religionen usw. sind, die in Kontakt treten. Dies verlangt danach, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen: 101 2.8 Transkulturalität von den Kulturen von Gemeinschaften zu den Individuen und ihren kulturellen Praktiken. Dieser Perspektivenwechsel bedeutet zugleich, anstelle der den Gemeinschaften unterstellten Homogenität den Akzent auf Distinktion, Differenz und Heterogenität innerhalb und zwischen Individuen und Gruppen zu verlagern. 6. Wenn der Gegenstand von Transkulturalität in der Erforschung von Prozessen und Strukturen kultureller Austausch-, Aushandlungs- und Verflechtungsbeziehungen besteht (siehe 2.) und der Akzent auf den Prozessen der Distinktion, Differenz und Heterogenität innerhalb und zwischen Individuen und Gruppen liegt (siehe 5.), dann ist auch da‐ von auszugehen, dass in diesen Verflechtungen und Interaktionen immer auch unvorhersehbare, unerwartete, unbeabsichtigte und neue kulturelle Formen und Praktiken entstehen. In theoretischer Hinsicht bedeutet das, dass Transkulturalität nicht nur differenztheoretisch (wie bei Bi-, Multi- und Interkulturalität), sondern auch emergenztheoretisch zu modellieren ist. 7. Begriffsgeschichtlich geht das Konzept von Transkulturalität auf die Untersuchungen des kubanischen Anthropologen Fernando Ortiz (1940) - er spricht von ‚transculturación‘ - zurück, das er - in Ab‐ grenzung von dem damals in der US-amerikanischen Anthropologie vorherrschenden Begriff der ‚Akkulturation‘ - für den Prozess des Wandels von Kulturen und kulturellen Verhältnissen einführte. Wenn im Anschluss an Ortiz ‚Transkulturation‘ für den Prozess des Wandels steht, so soll im vorliegenden Buch ‚Transkulturalität‘ den Strukturas‐ pekt dieses Prozesses bezeichnen. 8. Die wachsende Verbreitung des Begriffs der Transkulturalität steht im direkten Zusammenhang mit der rasant anwachsenden Vielfalt in den Sozialisationsformen im Zeitalter von Globalisierung, Internet und Computertechnologien einerseits und den Kulturalisierungsregimes im Spätkapitalismus andererseits. In diesem Kontext steht Transkulturali‐ tät für individuelle Mobilitätsprofile und individuelle Ausdrucks- und Aneignungsformen kultureller Praktiken - zugespitzt formuliert: jedes Individuum hat (s)eine Kultur. Aus diesem letzten Aspekt der Bestimmung von Transkulturalität lässt sich schließlich die Frage ableiten, ob Transkulturalität unter die Bedin‐ gungen der Globalisierung einzuordnen ist, Globalisierung verstanden als ein sich über mehrere Jahrhunderte erstreckender Prozess (vgl. Osterham‐ 102 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement mel/ Petersson 2003), der die frühe Neuzeit mit den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts verbindet? Wenn man Globalisierung nicht so weit fassen will, dass darunter auch die Herausbildung von Reichen und Groß‐ reichen seit der Antike zu verstehen ist, in denen es gewiss auch vielfältige transkulturelle Prozesse gegeben hat, so sind darunter auf jeden Fall die mit der frühen Neuzeit einsetzenden Phasen beschleunigter Globalisierung (vgl. Ette 2012, 8-26) zu erfassen. Deren erste Phase setzt mit der kolonia‐ len Expansion europäischer Mächte ein, die zunächst von Spanien und Portugal angetrieben wird. Die zweite Phase der Beschleunigung ergibt sich aus dem Aufstieg von Frankreich und Großbritannien im 18. und 19. Jahrhundert als koloniale Akteure und zugleich als Dauerrivalen im Kampf um Macht und Einflusssphären, verbunden mit neuen Handelssys‐ temen und mit Entdeckungs- und Forschungsreisen. Von England geht die industrielle Revolution aus, von Frankreich die politische Revolution mit ihren Ansprüchen auf Universalität. Ende des 19. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, in der dritten Phase beschleunigter Globalisierung, steigen die USA zu einem globalen Akteur auf und wer‐ den Teil der kolonialen und neokolonialen Verteilungskämpfe. Die beiden Weltkriege setzen immense technische Modernisierungsschübe frei. Neue und sehr viel raschere Kommunikationsmöglichkeiten breiten sich aus. Die vierte und gegenwärtige Phase beschleunigter Globalisierung setzt in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ein, nach dem Ende des Kalten Kriegs, technologisch angetrieben durch die Digitalisierung und das Internet, mit einer Kommunikation rund um den Globus in Echtzeit und mit dem, was die Humangeografie „Raum-Zeit-Kompression“ nennt. In dieser letzten Phase gewinnt das Nachdenken über transkulturelle Prozesse in vielen wissenschaftlichen Disziplinen deutlich an Attraktivität, zeigt sich doch, dass globale Phänomene wie wachsende Migration und Mobilität, wie der Strukturwandel in den Ökonomien, Märkten und den internationalen Beziehungen sowie die Möglichkeiten des Internets und der Digitalisierung die Sozialbeziehungen und kulturellen Verhältnisse radikal verändern. Und dass diese Veränderungen selbst wiederum eine lange Geschichte haben, weshalb sich gerade auch HistorikerInnen auf die Rekonstruktion von Verflechtungs- und Austauschprozessen konzentrieren. Bemerkenswert ist nun, in welcher Weise Ottmar Ette (2012, 8-26) diesen Phasen der Globalisierung ihre je eigenen Bedrohungen und Ängste zuord‐ net. Meist sind es Krankheiten und Epidemien, die Ausdruck bestimmter Kontaktverhältnisse sind und die mit Ängsten vor neuen Kontakten einher 103 2.8 Transkulturalität gehen: Ängste vor der Syphilis in der ersten Phase, das Gelbfieber in der zweiten Phase, die wellenartige Verbreitung der Pocken und der Spanischen Grippe in der dritten Phase und die Ängste vor HIV, Ebola und Corona in der vierten Phase. Diese Krankheiten lösten in der Vergangenheit vielfältige Konflikte aus: Paniken unter den Menschen, Lynchjustiz, Flucht und Vertreibung. Heute gehen sie mit Ausgangssperren und Lockdown des öffentlichen Lebens und Teilen der Volkswirtschaften einher, mit globalen Reaktionen an den Börsen, mit dem Auslösen von Krisenplänen der Weltgesundheitsorganisa‐ tion (WHO), der Europäischen Union, der nationalen Gesundheitsbehörden vieler Länder, mit drastischen Beschränkungen von Grundrechten und der Mobilität der BürgerInnen. In diesem Zusammenhang wird ein Aspekt von Transkulturalität besonders eindrücklich erfahrbar, der allerdings so gut wie nie erwähnt, geschweige denn erforscht wird und folglich auch in diesem Buch nur schlicht genannt werden kann. Es handelt sich um die emotionalen Reaktionen und psychischen Zustände der Individuen unter den ihnen abgeforderten permanenten Anpassungsleistungen, die ein von Mobilität und Migration geprägtes und im permanenten Krisenmodus ge‐ führtes Leben erfordern. Dabei zeigt sich, dass diese Anpassungsleistungen in sozialer Hinsicht keinesfalls gleich verteilt sind und die bestehenden sozialen Ungleichheiten zwischen arm und reich (vgl. Butterwegge 2020) weiter verschärft werden. 104 Kapitel 2: Kultur und Kulturen im Konfliktmanagement 1 Die Idee von Saids Konzept ‚traveling theory‘ wurde Pierre Bourdieu zufolge von Karl Marx formuliert (vgl. Bourdieu 2001, 201), allerdings nennt Bourdieu nicht den genauen Ort im Werk von Marx. Kapitel 3: Transkulturalität - Migration oder Neuerfindung des Konzepts? 3.1 Problemskizze und Argumentation In diesem Kapitel geht es um Fragen danach, woher das Konzept der Transkulturalität kommt, was es bedeutet und - da schon ersichtlich wurde, dass es dazu nicht nur eine Geschichte zu erzählen gibt, sondern mehrere -, warum es in unterschiedlichen Räumen mit verschiedenen Bedeutungen zirkuliert. So lässt sich dann auch die Frage stellen, ob das Konzept der Transkulturalität mehrfach - zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten - erfunden wurde, oder ob es ein Konzept ist, das durch die Zeiten und Räume hindurch gewandert ist. In der neueren kulturwissenschaftlichen Forschung wird die Zirkulation, das Wiederaufgreifen oder die Wanderung von Theorien und Konzepten unter dem Stichwort traveling concepts diskutiert. Edward Saids Aufsatz „Traveling Theory“ (1982, dt. 1997) gilt dabei oft als eine zentrale Referenz. Said geht in seinem Aufsatz der Frage nach, ob eine Idee oder Theorie durch ihre Wanderung von einem Ort zum anderen, von einer Zeit zur anderen an Kraft gewinnt oder verliert und ob sie vielleicht in der einen geschichtlichen Phase und nationalen Kultur zu etwas ganz anderem wird als in einer anderen Phase oder Situation. […] Ein solcher Übergang in eine neue Umgebung geschieht nie reibungslos. Er geht zwangsläufig mit Darstellungs- und Institutionalisierungsprozessen einher, die sich von denen am Ursprungsort unterscheiden. (Said 1997, 263) Said unterstreicht im Weiteren, wie unverzichtbar es ist, bei Theorien und Konzepten die historische Situation ihrer Entstehung und ihrer Rezeption im Auge zu behalten. 1 Dies verlangt nach kritischem Bewusstsein, um Theorien kontextbewusst anzuwenden und sie zu öffnen im Hinblick auf die historische Realität, in der sie ausgearbeitet und in der sie weiterverarbeitet 2 Vogt 2018, 189 f. verweist darauf, dass auch der Begriff der Interkulturalität mehrfach erfunden wurde: 1) von Edward und Mildred Hall, die aufgrund ihrer früheren ethno‐ graphischen Forschungen in den 1950er Jahren von der US-Regierung mit dem Training von Diplomaten beauftragt wurden und deren Publikationen eine wichtige Referenz für das Fachgebiet der Interkulturellen Kommunikation darstellten, 2) schon vor Hall, seit den 1940er Jahren, als es in Staaten Lateinamerikas bei ihrem nation building darum ging, die „staatsinterne Andersheit“ zu überwinden und aus Indigenen, Mestizen und Iberostämmigen eine staatlich gewollte homogene Bürgerschaft zu formen; 3) in Frankreich nach dem Ende des Kolonialismus, wo seit den 1960er Jahren für immer größere Gruppen von Immigranten aus den ehemaligen Kolonien spezifische Bildungskonzepte entwickelt werden mussten. 3 Vgl. die Homepage von Wolfgang Welsch, wo es heißt: „Ein drittes Arbeitsfeld betrifft das 1990 von Welsch begründete Konzept der Transkulturalität. Heutige Kulturen sind nicht mehr homogen und monolithisch (nicht mehr wie Kugeln verfasst), sondern wei‐ sen vielfältige Durchdringungen und Verflechtungen auf (haben Netzwerkcharakter)“, https: / / www.philosophie.uni-jena.de/ Welsch (zuletzt aufgerufen 10.1.2021). werden. Und mit den Worten Saids: „Ich behaupte jedoch, dass wir Theorie dadurch von kritischem Bewusstsein unterscheiden, daß wir sagen, letzteres sei eine Art räumlicher Sinn, eine Art Ortungsvermögen, um die Theorie zu lokalisieren oder zu situieren“ (Said 1997, 284). Ganz in diesem Sinne skizziere ich in den Abschnitten 3.2 bis 3.5 die Ent‐ stehung, Wanderung und/ oder Neuerfindung 2 des Konzepts der Transkul‐ turalität. Erstmals ausgearbeitet wurde es in Kuba von dem Anthropologen Fernando Ortiz (1940) als Gegenentwurf zu dem in der US-amerikanischen Anthropologie der 1930er Jahre verbreiteten Konzept der Akkulturation. Mitte der 1970er Jahre hält das Konzept in die Literaturwissenschaft Latein‐ amerikas Einzug und wird von hier aus Teil der postkolonialen Diskurse über Literatur und Gesellschaft in Nordamerika. Mitte der 1980er Jahre wiederum begegnet es uns in Québec bzw. in Kanada, wo es von program‐ matischer Bedeutung für ein publizistisches und kulturpolitisches Projekt von italienischen Immigranten in Montréal ist. Und wieder anders gestaltet sich der philosophische und kulturtheoretische Diskurs der frühen 1990er Jahre, in welchem der deutsche Philosoph Wolfgang Welsch für sich in Anspruch nimmt, das Konzept der Transkulturalität begründet zu haben. 3 Für Said bedeutet kritisches Bewusstsein „eine Art räumlicher Sinn, eine Art Ortungsvermögen, um die Theorie zu lokalisieren oder zu situieren“. Dieser Idee folgend, soll im Abschnitt 3.6 der Versuch unternommen werden, in Form einer synoptischen Darstellung ein gewisses Maß an Systematisie‐ rung zu Bedeutung, Wanderung und/ oder Neuerfindung des Konzepts der Transkulturalität zu erreichen. In der Gegenwart angekommen, befasst sich 106 Kapitel 3: Transkulturalität - Migration oder Neuerfindung des Konzepts? 4 Vgl. u. a. Moser 2010, Buono 2011, Juneja/ Eibach/ Opitz-Belakhal 2012, Mendívil 2012, Ernst/ Freitag 2014, Spiller 2020. Abschnitt 3.7 mit der Einordnung von Transkulturalität in das Paradigma des Spatial turns, um abschließend in 3.8 die Frage aufzuwerfen, in welcher Weise Prozesse von Transkulturalität ein Bedrohungspotential aufweisen. 3.2 Fernando Ortiz: Grundlegung aus der Perspektive der Anthropologie Die gegenwärtige Transkulturalitätsforschung ist sich weitgehend darin einig, den Ursprung des Konzepts der Transkulturalität in der Studie „Contrapunteo cubano del tabaco y el azúcar“ (1940) des kubanischen Anthropologen Fernando Ortiz Fernández, kurz Fernando Ortiz (1881-1969) zu sehen. 4 In diesem Buch, dessen Titel so viel bedeutet wie „kubanische Debatte über Tabak und Zucker“, behandelt Ortiz die Bedeutung zweier Agrarprodukte für die kulturelle Entwicklung Kubas und zeigt auf, welche Auswirkungen ihr Anbau und ihr Konsum für die kubanische Gesellschaft und ihre Transformationen im Zuge des Kolonialismus, des Postkolonialis‐ mus und der Migration eingenommen haben. Anhand des Tabaks rekon‐ struiert er die vielfältigen sozialen Veränderungen in den Lebensweisen und den Produktionsformen auf Kuba. Die Rolle des Zuckers analysiert er im Kontext des Sklavenhandels, der Produktions- und Lebensformen der afrikanischen SklavInnen auf den Plantagen und in den Zuckerfabriken Kubas sowie des transatlantischen Handels mit Zucker. Dabei untersucht er, welche Veränderungen in den Lebensweisen der Menschen der Anbau, die Verarbeitung und der Konsum von Zucker und Tabak nach sich zogen und welche Auswirkungen dies auf die Organisation von Gesellschaft hatte. Im zweiten Teils des Buches, darin im zweiten Abschnitt, führt er das Konzept der ‚transculturación’ ein, um die vielfältigen und hochkomplexen Phänomene der Veränderungen der Kulturen - er spricht von „las comple‐ jísimas transmutaciones de culturas“ (Ortiz 1987, 93) - und ihrer Lebens‐ weisen begrifflich zu fassen, ohne die die Herausbildung der kubanischen Nation nicht zu verstehen sei. Unter ‚Kulturen’ versteht Ortiz zunächst Menschengruppen wie die autochthonen indianischen und die vielen ande‐ ren aus Afrika, Asien und dem Europa der Kolonialmächte eingewanderten Gruppen und Individuen. Mit ihrer Einwanderung hätten diese Menschen 107 3.2 Fernando Ortiz: Grundlegung aus der Perspektive der Anthropologie ihre kulturellen Praktiken, Ideen und Verhältnisse mit nach Kuba gebracht, man könne auch sagen, ihre Kultur: die Art, wie sie das Land bewirtschaften, das Pferd, den Stier, den Stammeshäuptling, den Priester, das Schießpulver, den Straßenbau, das Eisen, das Buch und die Buchstaben, ebenso das Geld, den Lohn, den Bankier, den Herren, den Sklaven usw. Im Kontakt der Menschen und ihrer Lebensweisen und Produktionsformen sei im Zuge vielfältiger migrationsbedingter Mischungsprozesse das entstanden, was Kuba, die kubanische Nation, das kubanische Volk, die Kubaner ausmache (vgl. S. 94ff.). Ihm als Anthropologen geht es somit um eine Erklärung der (kollektiven) Identität und der kulturellen Praktiken in Kuba aus den Pro‐ duktionsformen, aus den ökonomischen und den Migrationsverhältnissen heraus. Dass sich zur damaligen Zeit ein Anthropologe auf die Erforschung der eigenen und ihn umgebenden kulturellen Verhältnisse einlässt, ist, wissenschaftsgeschichtlich betrachtet, ein überaus bemerkenswerter Vor‐ gang. Denn die wissenschaftliche(n) Disziplin(en) der Ethnologie-Völker‐ kunde-Anthropologie, deren Anfänge in die Zeit der Aufklärung im 18. Jahr‐ hundert, insbesondere in Deutschland und Russland, zurückreichen, ist im 19. und 20. Jahrhundert eng mit dem Kolonialismus der europäischen Kolo‐ nialmächte verbunden. Ihre Aufgabe sah die Ethnologie darin, die Völker und Kulturen, mit denen die Kolonisatoren, die Missionare und Reisenden in Kontakt kamen, zu beschreiben, somit also Wissen zu produzieren über die Andersartigkeit der nicht europäischen Völker und Kulturen, die gemeinhin als vormoderne Kulturen von „Primitiven“, „Wilden“, „Naturvölkern“ und deshalb als von den Europäern zu zivilisierende Völker angesehen wurden. Öffentlichkeitswirksam in der Zurschaustellung „exotischer Völker“ waren besonders in der Zeit zwischen 1870 und 1940 die unzähligen Völkerschauen in Deutschland und anderen Ländern und die großen Weltausstellungen in Paris 1889, Chicago 1893 und Brüssel 1897. Die Arbeitsweise des Ethnologen bestand damals darin, sich als Gelehrter an ferne Orte zu begeben, auf sein Feld der Forschung, und hier den „Wilden“, „Primitiven“, „Eingeborenen“ zu erkunden. Zurück in den Metropolen der Kolonialreiche galt es dann, dieses Wissen publik oder zum Gegenstand universitärer Lehre zu machen. Ortiz, der in Havanna und Barcelona Jura und in Italien Kriminologie studierte und zunächst eine Karriere als Diplomat in Spanien und Frankreich einschlug, erhielt 1909 eine Professur an der Rechtsfakultät der Universität Havanna. Sein wissenschaftliches Interesse galt jedoch in dieser Zeit, und 108 Kapitel 3: Transkulturalität - Migration oder Neuerfindung des Konzepts? 5 Das Konzept der ‚Akkulturation‘ geht auf den österreichischen Ethnologen Richard Thurnwald zurück, der es, Mendívil (2012, 52) zufolge, 1932 einführte. Thurnwalds Verbindungen in die USA - er war in den späten 1920er Jahren als Gastprofessor an der Harvard University tätig und zuvor zu Vorträgen nach Yale eingeladen, wo B. Malinowski lehrte - dürften dafür gesorgt haben, dass sich das Konzept in der US-amerikanischen Anthropologie rasch verbreitete. Einer der Protagonisten dieses Konzepts in den USA war dann auch der gerade erwähnte Anthropologe B. Malinowski, der auch mit Ortiz in Kontakt stand. auch in den folgenden Jahrzehnten, weniger den Fragen des Rechts. Haupt‐ sächlich interessierte er sich für die aus Afrika stammenden Gruppen der kubanischen Bevölkerung, die Afrokubaner. In dieser Hinsicht bewegte er sich zunächst noch in der Tradition der damals etablierten ethnologischen Forschung; sein erstes Buch, „Los negros brujos“ (1906), verfasste er als Beitrag zu einer „etnología criminal“ über die Hexenkulte jener aus Afrika stammenden Kubaner. Archäologische Forschungen zur frühen Besiedlung Kubas, zur Musikethnologie der Völker Kubas, zur Sprache der Afrokubaner und andere Themen schlossen sich an und fügten sich in „Contrapunteo cubano del tabaco y el azúcar“ zu einer bis dahin unbekannten anthropolo‐ gischen Forschungsperspektive. Das Neue und Herausragende an dieser Forschungsperspektive besteht darin, dass er als Anthropologe nicht mehr das Fremde entfernter Kulturen vor Augen hat, sondern das eigene Gewordensein, und dies unter den Verhältnissen des Kolonialismus, der Zeit davor und danach, sowie der Migration. Er bricht somit mit der in der Zeit des Kolonialismus etablier‐ ten Forschungsperspektive der Ethnologie-Völkerkunde-Anthropologie, die von einem Zentrum aus auf periphere Kulturen sieht. In theoretischer Hin‐ sicht setzt er sich dabei mit dem Begriff der Akkulturation auseinander, wie er in den 1930er Jahren 5 in der US-amerikanischen Ethnologie Verbreitung gefunden hatte, und verwirft ihn als unzureichend. Für Ortiz beschreibt Akkulturation nur eine Seite, die der Annahme einer anderen Kultur, nicht aber den Verlust, den Wandel, die neu entstehenden kulturellen Formen und Ausdrucksweisen sowie die damit verbundenen sozialen Folgen (vgl. S. 93, 96). Dagegen zielt der von ihm geprägte Begriff der ‚Transkulturation‘ auf das Verständnis der ganzen Komplexität sozialer und kultureller Transfor‐ mationen, wie sie am Beispiel der Produktion und des Konsums von Tabak nachzuzeichnen sind: ökonomische, institutionelle, juristische, ethische, religiöse, künstlerische, sprachliche, psychologische, sexuelle und andere (ebd.). Dies schließt ein, die kubanische Gesellschaft in ihren Traditionsli‐ 109 3.2 Fernando Ortiz: Grundlegung aus der Perspektive der Anthropologie nien zu verstehen. Diese reichen von den amerindianischen Kulturen, den Kulturen der afrikanischen SklavInnen, den Kulturen der Kolonialmächte bis zu jenen der MigrantInnen aus allen Teilen der Welt, die mit ihrer Ankunft in der Neuen Welt Prozesse der desculturación oder exculturación, aculturación, inculturación (ebd.) und ebenso der neoculturación (S. 96) erlebten, die jeweils Aspekte von transculturación seien. Ortiz verfolgte die Absicht, das Konzept der Transkulturation in der US-amerikanischen Anthropologie zu verankern, indem er den in Yale lehrenden renommierten Anthropologen Bronisław Malinowski um ein Vorwort zu seinem Buch bat. Die beiden kannten sich seit 1929. Malinowski verfasst dieses Vorwort auch und drückt darin seine völlige Übereinstim‐ mung mit Ortiz’ Konzept aus. Auch kündigte er an, es fortan selbst in seinen Arbeiten verwenden zu wollen. Auf diesem Weg wurde er derjenige, welcher Ortiz’ Begriff ins Englische einführte, ohne dass er in der damaligen Zeit auf breiteren Widerhall gestoßen wäre. Übrigens auch bei Malinowski selbst nicht; zumindest lässt sich in seinen späteren Arbeiten eine Verwendung des Konzepts der Transkulturation nicht belegen (vgl. Ernst/ Freitag 2014, S. 6ff.). Modern ist Ortiz aber auch noch in anderer Hinsicht. Er ist der Über‐ zeugung, dass die ganze kulturelle Bandbreite, die Europa in 4000 Jahren hervorgebracht habe, in Kuba in weniger als 400 Jahren durchlebt wurde (vgl. S. 94). Er nimmt damit ein Verständnis von kulturellen Transformati‐ onsprozessen vorweg, das ein Historiker der Globalisierung wie Giddens (1990) oder KulturgeographInnen wie Massey (1994, 2005) oder Jacquemet (2010) mit dem Bild eines „high degree of space-time compression“ (vgl. Abschnitt 3.7) beschreiben und das offenbar, zumindest wenn wir Ortiz folgen, auch schon auf frühere Phasen der Globalisierung als jener des neoliberalen Spätkapitalismus zutrifft. 3.3 Ángel Rama und Mary Louise Pratt: Von der Anthropologie zur Literaturwissenschaft Erst in den frühen 1990er Jahren gewinnt der Begriff der Transkulturation bzw. Transkulturalität in US-amerikanischen und europäischen Arbeiten an Verbreitung, nachdem der uruguayische Autor und Literaturkritiker Ángel Rama in den 1970er Jahren das Konzept von Ortiz aus der Versen‐ kung geholt hatte. Rama publizierte 1974 einen Aufsatz unter dem Titel 110 Kapitel 3: Transkulturalität - Migration oder Neuerfindung des Konzepts? 6 Zur Entstehungsgeschichte des Buchs und zur Entwicklung des Konzepts der transcul‐ turación bei Rama, vgl. Sobrevilla 2001. 7 Rama 1982, 39: „ […] pérdidas, selecciones, redescubrimientos e incorporaciones. Estas cuatro operaciones son concomitantes y se resuelven todas dentro de una reconstruc‐ ción general del sistema cultural, que es la función creadora más alta que se cumple en un proceso transculturante.“ „Los procesos de transculturación en la narrativa latinoamericana“, den er kurz vor seinem Tod zu dem Buch „Transculturación narrativa en América latina“ (1982) erweiterte. 6 In dessen drittem Kapitel „Transcultu‐ ración y genero narrativo“ (S. 32-56) entwickelte Rama, ausgehend vom anthropologischen Ansatz von Ortiz, ein in dreierlei Hinsicht erweitertes und verändertes Konzept von Transkulturation. Rama übertrug es a) vom nationalen Raum Kubas auf den subkontinentalen - und damit sehr viel stärker heterogenen sozialen Raum - Lateinamerikas, und b) von einem anthropologischen Konzept zu einem der Literaturwissenschaft. Für Ramas Untersuchungen zu den lateinamerikanischen Literaturverhältnissen war die Umstrukturierung des literarischen Feldes im Zuge von Kolonialismus und postkolonialer Auseinandersetzung zentral. Um das Konzept für die Zwecke literaturwissenschaftlicher Analyse brauchbar zu machen, schlug er c) seine Operationalisierung vor, indem er vier Prozesse der transkulturellen literarischen Verarbeitung identifizierte: Verlust, Auslese/ Aussonderung, Wiederentdeckung und Inkorporation. 7 Wie Ortiz auch, nahm Rama die Perspektive der vom Kolonialismus unterworfenen Kultur ein, indem er der „cultura originaria“, der ursprünglichen Kultur, „la cultura externa“, die von außen kommende Kultur, gegenüberstellte und diese Opposition auf die literarischen Werke übertrug. Es ging ihm im Speziellen darum zu zeigen, wie im Kontakt der Kulturen/ Literaturen besonders die Prozesse der Auslese/ Aussonderung (la selectivitad) und der Wiederentdeckung (la invención), die von Ortiz eher weniger betrachtet wurden, zu verstehen sind, um auf diese Weise zu einer Neubewertung der postkolonialen lateinameri‐ kanischen Literaturen zu gelangen. Ramas Studien zu transkulturellen Prozessen in den lateinamerikanischen Literaturen stellten wiederum einen Referenzpunkt für die Untersuchungen der in den USA tätigen anglokanadischen Literaturwissenschaftlerin und Lateinamerikanistin Mary Louise Pratt dar, die in „Imperial Eyes. Travel Writing and Transculturation“ (1992, 2 2008) ihre Analysen von den Räumen des Kulturkontakts im spanischen Kolonialreich in Lateinamerika auf jene des britischen Kolonialismus und Postkolonialismus in Afrika ausweitete. 111 3.3 Ángel Rama und Mary Louise Pratt: Von der Anthropologie zur Literaturwissenschaft 8 Die beiden anderen, weniger prominent ausgearbeiteten Begriffe sind „‚anti-conquest’ […] to refer to the strategies of representation whereby European bourgeois subjects seek to secure their innocence in the same moment as they assert European hegemony” (vgl. Pratt, 2008, 8 f.) und ‚autoethnography’ oder ‘autoethnographic expression’: „This term […] refers to instances in which colonized subjects undertake to represent themselves in ways that engage with the colonizer’s terms” (S. 9). Der Nutzen des Konzepts der Transkulturation bestand für Pratt darin, die Wechselseitigkeit des Kulturtransfers auch in Situationen asymmetrischer Machtverteilung, wie sie keineswegs nur für die kolonialen Verhältnisse bezeichnend waren, in den Blick zu bekommen. Auf Ortiz und Rama verweisend, führt Pratt aus, dass [e]thnographers have used this term [transculturation] to describe how subordi‐ nated or marginal groups select and invent from materials transmitted to them by a dominant or metropolitan culture. While subjugated peoples cannot readily control what the dominant culture visits upon them, they do determine to varying extents what they absorb into their own, how they use it, and what they make it mean. (2008, 7) Für Pratt ist das Konzept der Transkulturation mit Fragen danach verbun‐ den: „What do people on the receiving end of empire do with metropolitan modes of representation? How do they appropiate them? How do they talk back? “ Und als Wissenschaftlerin schließt sie notwendig noch die folgende Frage an: „What materials can one study to answer those questions“ (ebd.). Einer ihrer drei Leitbegriffe 8 für die Untersuchung transkultureller Prozesse ist der der ‚Kontaktzone’. Transkulturelle Prozesse entfalten sich in Kontaktzonen, d. h. in sozialen Räumen, in denen „disparate cultures meet, clash, and grapple with each other, often as colonialism and slavery, or their aftermaths as they are lived out across the globe today“ (ebd.). Auf ihren Untersuchungsgegenstand, die kolonialen und postkolonialen Literaturverhältnisse in Lateinamerika und im Süden Afrikas zugeschnitten, ist eine Kontaktzone a space of imperial encounters, the space in which peoples geographically and historically separated come into contact with each other and establish ongoing relations, usually involving conditions of coercion, radical inequality, and intrac‐ table conflict. […] The term ‚contact’ foregrounds the interactive, improvisational dimensions of imperial encounters so easily ignored or suppressed by accounts of conquest and domination told from the invader’s perspective. (2008, 8) 112 Kapitel 3: Transkulturalität - Migration oder Neuerfindung des Konzepts? An den Kontaktbegriff in der Sprachwissenschaft (Kontaktlinguistik) an‐ gelehnt, der bei SprecherInnen verschiedener Sprachen zum Zwecke der Verständigung eine lingua franca, ein Pidgin und, wenn dieses Pidgin zur Muttersprache wird, eine Kreolsprache entstehen lässt (vgl. S. 8), verortet sie den Kontaktbegriff entlang der colonial frontier. ‚Kontakt‘ bedeutet für Pratt, den Akzent darauf zu setzen, wie die Subjekte durch ihre Beziehungen mit anderen zu dem geworden sind, was sie sind. ‚Kontakt’ als auslösendes Moment für Transkulturation heißt dann: It treats the relations among colonizers and colonized, or travelers and „travelees”, not in terms of separateness, but in terms of co-presence, interaction, interlocking understandings and practices, and often within radically asymmetrical relations of power. (ebd.) Von der Publikation des Buchs von Fernando Ortiz bis zur ersten Auflage des Buchs von Mary L. Pratt vergeht ein halbes Jahrhundert. Ortiz scheint mit seinen Ideen zur Transkulturation in seiner Zeit einmalig gewesen zu sein. Vermutlich wäre sein Werk dem Vergessen anheimgefallen - zumal die von den USA erzwungene politische Isolation Kubas nach der Revolution den Zugang zu seinem Werk nicht erleichterte -, wenn der uruguayische Literaturwissenschaftler Ángel Rama in den 1970er Jahren nicht erneut die Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet hätte. Und, wenn nicht der Boom der Lateinamerikastudien an amerikanischen und europäischen, darunter auch an zahlreichen deutschsprachigen Universitäten, seit den späten 1970er und 1980er Jahren zu einer breiten Rezeption lateinamerikanistischer Themen geführt hätte, darunter besonders der Literatur und Literaturkritik, der Theologie der Befreiung oder der Pädagogik des Brasilianers Paolo Freire. 500 Jahre nach Kolumbus’ Griff nach der neuen Welt gehört M. L. Pratt zu je‐ nen Intellektuellen in den USA, die der imperialen Geschichtsschreibung mit dem verbreiteten Topos der Überlegenheit der Kulturen der europäischen Kolonialmächte, wie er in mannigfacher Variation in den Reiseberichten von Europäern in die überseeischen Kolonien überliefert ist, ein anderes Narrativ entgegensetzen. ‚Transkulturalität‘ im gerade beschriebenen Sinne ist hierbei ein Schlüsselkonzept. Für die Rezeption des Konzepts der ‚Transkulturation‘ von Ortiz durch Rama und später durch Pratt lässt sich die Metapher der Wanderung oder der „Metamorphosen eines wandernden Konzepts“ verwenden, wie es Moser (2010) in einem brillanten Aufsatz vorgeschlagen hat. Gemeinsam ist den drei AutorInnen - Ortiz, Rama, Pratt - die Situierung des Konzepts in 113 3.3 Ángel Rama und Mary Louise Pratt: Von der Anthropologie zur Literaturwissenschaft der Analyse von kolonialen und postkolonialen Verhältnissen, bei Pratt verlängert bis in die Analyse gegenwärtiger kultureller Prozesse in Impe‐ rialismus und neoliberaler Globalisierung. Der Erkenntnisrahmen von Ortiz als kubanischem Anthropologen ist auf die Beschreibung und Erklärung der eigenen kulturellen Ressourcen der Individuen und ihrer kulturellen Transformationspotentiale fokussiert, insoweit lässt sich dieser Erkennt‐ nisrahmen als autofokussiert bezeichnen. Rama weitet diesen Erkenntnis‐ rahmen aus und interpretiert ihn zugleich um: von Kuba auf die noch sehr viel komplexeren Verhältnisse Lateinamerikas, vom anthropologischen Begriff zum einem der literaturwissenschaftlichen Analyse. Als in Uruguay und später in Venezuela lebender Autor analysiert er sowohl die eigenen kulturellen Ressourcen als auch die der unter anderen Verhältnissen arbei‐ tenden AutorInnen in anderen Räumen Lateinamerikas, die er heranzieht, um das Verständnis für das Eigene zu befördern. Der Erkenntnisrahmen stellt sich bei ihm somit als autofokussiert und zugleich heterofokussiert dar. Hingegen ist der Erkenntnisrahmen von M. L. Pratt, als in den USA lehrende und aus dem anglophonen Ontario (Kanada) stammende Latein‐ amerikanistin, deutlich weiter gespannt als bei Rama. Für sie als Kanadierin, die in den 1950er und 1960er Jahren selbst noch mit den Auswirkungen des britischen Kolonialismus in Kanada konfrontiert war (vgl. Kap. 1 in Pratt 2008) und diese selbstreflexiv - oder sollte man ihr Konzept der ‚autoethnography’ auch auf sie selbst beziehen? - als Ausgangspunkt für ihre Recherchen nimmt, richtet sich das Forschungsinteresse nicht nur auf das von Spanien und Portugal kolonisierte Lateinamerika, sondern auch auf den von Großbritannien beherrschten Teil des südlichen Afrikas. In der zweiten Auflage des Buchs von 2008 ( 1 1992) dreht sie in gewisser Weise den Spieß auch noch um, indem sie andere Mobilitätsmuster und Prozesse von Transkulturation erschließt, nämlich die von Akteuren, die aus der Diaspora in den Exkolonien in die Metropolen zurückkehren sowie von jenen anderen, die die Erfahrungen von Mobilität in Zeiten neoliberaler Globalisierung verarbeiten. Der Erkenntnisrahmen der Autorin wäre somit hauptsächlich heterofokussiert. 3.4 Vice Versa: Transkulturalität als dritter Weg in Québec „Vice Versa“ ist der Titel einer von 1983 bis 1996 in Montréal erscheinen‐ den Literaturzeitschrift, die den Untertitel „Magazine transculturel“ trägt 114 Kapitel 3: Transkulturalität - Migration oder Neuerfindung des Konzepts? 9 Vgl. dazu Ferraro 2013. und aus den „Quaderni culturali dell’Associazione di cultura popolare italo-quebecchese“ (Montréal, 1980-1982) hervorgegangen ist. 9 Herausgege‐ ben wurde diese dreisprachige in Französisch, Englisch und Italienisch erscheinende Zeitschrift von den italo-quebecer Intellektuellen Fulvio Cac‐ cia, Lamberto Tassinari, Bruno Ramirez et Antonio D’Alfonso. Später kam die in Montréal lebende französische Historikerin und Autorin Régine Robin (1939-2021) als Mitherausgeberin hinzu. „Vice Versa“ wurde zu einer Zeit gegründet, als in Kanada die Wogen hochschlugen in der Auseinanderset‐ zung über Multikulturalismus und Interkulturalität (vgl. Kap. 2). Es war die Zeit, als in Québec infolge des Gesetzes 101 (1977) das Französische als einzige offizielle Sprache durchgesetzt wurde und die Französisierung der Gesellschaft die Agenda der Politik bestimmte. Es war eine Zeit höchster politischer Anspannung, in der der souveränistische Diskurs auf das erste Referendum über die Unabhängigkeit Québecs (1985) zusteuerte und die nationalistischen Diskurse sich von ihrer identitär-essentialistischen, ethni‐ schen und exklusiven Orientierung zu einer mehr identitär-relationalen, inklusiven und republikanischen Orientierung wandelten. In dieser span‐ nungsreichen Situation setzte „Vice Versa“ die Akzente anders, nicht auf Multikulturalität à la canadienne, nicht auf Interkulturalität à la québécoise, sondern auf Transkulturalität. Es gibt keinerlei Hinweise dafür, dass die Herausgeber von „Vice Versa“ in irgendeiner Weise an die Transkulturalitätsdiskussion in Lateinamerika angeknüpft hätten. Erst später, wie der Mitherausgeber F. Caccia (2010, 194) einräumt, entdeckt „Vice Versa“ die nach Kuba und Südamerika weisenden Vorläufer des Konzepts von Transkulturalität (vgl. auch Moser 2010, 48). Erfunden wurde dieses Konzept in der italienischen Diaspora in Montréal von italo-quebecer Journalisten und Schriftstellern, die, wie viele andere Mi‐ grantInnen in Kanada in den 1970er Jahren, mit dem „Schock der Migration“, mit den Grabenkämpfen zwischen den majoritären Gruppen der Nachfahren der „Gründernationen“, d. h. zwischen Anglophonen und Frankophonen, wie auch mit den Ausschlussmechanismen der damaligen katholisch-fran‐ kophon geprägten Québecer Gesellschaft klarkommen mussten. Der unmit‐ telbare Bezugspunkt für „Vice Versa“ war die Polarität des kanadischen Multikulturalismus und der Québecer Interkulturalität, gegen die sich die italo-quebecer Transkulturalität als ein subversiver Diskurs verstand und mit jeder Ausgabe der Zeitschrift auch umsetzte, beginnend damit, dass sie 115 3.4 Vice Versa: Transkulturalität als dritter Weg in Québec 10 Übersetzung ins Deutsche: „Der Terminus Transkulturell hat eine politische Dimension, denn das Wort impliziert die Durchquerung einer einzelnen Kultur und gleichzeitig ihr Überschreiten. Die Einheitlichkeit, die in diesem Wort mitschwingt, klingt anders als in den Begriffen ‚Interkulturell’ oder ‚Multikulturell’. Diese verweisen auf ein Zusammenspiel und markieren dessen Raum und Zeit, während das Transkulturelle nicht begrenzt ist. Es ist zugleich die Querung und das völlige Ineinanderaufgehen von und jenseits von Kulturen.“ 11 Vgl. Tassinari, Lamberto in: Mossetto 2006, 17. 12 Übersetzung ins Deutsche: „Dieses Projekt entfaltet seine Reichweite, wenn es die Sphäre von Politik und Wirtschaft besetzt. Das Transkulturelle erzeugt eine gesell‐ schaftliche Ordnung frei von Diskriminierung […], aber es sollte kein Zweifel daran bestehen, dass der transkulturelle Diskurs ein Diskurs über die Macht ist. Im äußersten Fall steht das Funktionieren der Gesellschaft zur Disposition. […] Die Transkultur besitzt ein utopisches Potential, das die traditionelle Basis der Gesellschaft in Frage stellt.“ mit ihrer Dreisprachigkeit die politisch korrekte Einsprachigkeit in Franzö‐ sisch unterlief. 1985 formulierte F. Caccia das Leitkonzept der Zeitschrift wie folgt: Le terme transculturel a une dimension politique car ce mot implique la traversée d’une seule culture en même temps que son dépassement. L’unité qu’il sous-tend n’a pas la même résonance que celle qu’évoquent le termes « inter-culturel » ou « multi-culturel ». Ceux-ci définissent un ensemble et le circonscrivent dans un espace et un temps, alors que le transculturel ne possède pas de périmètre. C’est le passage et l’implication totale à travers et au-delà des cultures. 10 (Caccia 1985, 299) Auch wenn es Lamberto Tassinari 11 zufolge unter den HerausgeberInnen niemals einen Konsens darüber gegeben habe und jeder von ihnen Trans‐ kulturalität nach seinen Vorstellungen ausgefüllt hätte, bekennt F. Caccia an anderer Stelle: Ce projet se manifestera dans sa plénitude lorsqu’il investira la sphère politique et économique. Le transculturel travaille une gestion de la société dépourvue de discrimination […], mais il n’en demeure pas moins que le discours transculturel est au fond un discours sur le pouvoir. À la limite, il remet en question le fonctionnement de la société. […] La transculture possède un ressort utopique qui remet en question la base traditionnelle de la société. (Caccia 1985, 303-304) 12 Von „Vice Versa“ ausgehend, entwickelt sich in der Literaturwissenschaft Québecs eine breite Diskussion über die „écriture(s) migrante(s)“, welche zur Projektionsfläche sowohl für kulturelle Identifikationsprozesse in ei‐ 116 Kapitel 3: Transkulturalität - Migration oder Neuerfindung des Konzepts? ner Migrationsgesellschaft als auch für Prozesse transkulturellen Wandels wird (vgl. Harel 2005, Dumontet 2014). Wenn Moisan/ Hildebrand (2001) mit dem Blick auf die zahlreichen neo-quebecer AutorInnen chinesischer, haitianischer, italienischer etc. Herkunft von „Ces étrangers du dedans“ sprechen, dann stellt sich immer auch die Frage danach, wie die dominante Gesellschaft mit den Stimmen, den Erzählungen, den Utopien und den Frustrationen dieser AutorInnen umgeht und wie diese die Gesellschaft verändern (vgl. Moisan 2008, 104, Wilson 2012). In Kanada und in Québec, wo Multikulturalismus und Interkulturalität als gesellschaftsgestaltende Politikkonzepte verhandelt werden und über die politische Praxis zur Herausbildung kollektiver Identitäten beitragen, befindet sich das Konzept der Transkulturalität in einem gänzlich ande‐ ren, nämlich deutlich politischeren Referenzsystem, als beispielsweise in europäischen und anderen Ländern, wo das Konzept bislang (nur) in aka‐ demischen Diskursen einen festen Platz hat. Und zugleich ist es selbst ein politisches Konzept, entworfen von Personen, die nicht nur die Stimmen und Kulturen von Minderheiten repräsentieren, sondern mit der Formulierung einer provokanten politischen Utopie in den Stellungskrieg der Akteure der beiden staatlichen Nationalismen eingreifen. Der Begriff der Transkulturellen bei „Vice Versa“ ordnet sich somit in ein Koordinatensystem ein, dessen Achsen anders beschaffen sind als bei den vorher genannten AutorInnen. Auch die Auseinandersetzung über Prozesse kulturellen Wandels unter kolonialen und postkolonialen Verhältnissen klingt nicht an. Wohl aber jene, die mit den Machtverhältnissen im Prozess des nation-building zwischen den dominanten Gruppen - die Anglophonen in Kanada, die Frankophonen in Québec - und zwischen diesen dominanten Gruppen und den Minderheiten, darunter die Gruppen der italienischen ImmigrantInnen und ihrer Nachfahren, verbunden sind. Das Angstszenario, das seit dem 18. Jahrhundert das Verhältnis zwischen diesen Fraktionen prägt, ist das der Assimilation: die Angst der Frankophonen vor der Assi‐ milation durch die dominante Kultur der britischen Kolonialmacht, und später die Angst der Minderheiten vor der Assimilation und dem Verlust ihrer kulturellen Identität, gegen die die Zeitschrift ihre Stimme erhebt. Der Erkenntnisrahmen des Projekts von „Vice Versa“ ist hierbei als auto- und heterofokussiert zu verstehen. 117 3.4 Vice Versa: Transkulturalität als dritter Weg in Québec 13 Vgl. die fundierte Auseinandersetzung von Schöfthaler 1984 mit den Konzepten von multikultureller und transkultureller Erziehung, oder die Forschungen des Wiener Eth‐ nologen Gerhard Kubik in Afrika und Brasilien, z. B. Kubik 1981 bzw. als Monographie 1991, oder auch die Göttinger Dissertation von Husmann 1984. 3.5 Wolfgang Welsch: Transkulturalität als philosophisches Konzept Ein Name, der in der neueren deutschsprachigen Literatur zur Transkultu‐ ralität oft wiederkehrt, ist der des Philosophen Wolfgang Welsch, dem nicht selten auch die Vaterschaft für das Konzept der Transkulturalität zugespro‐ chen wird bzw. die er selbst auch reklamiert (vgl. Abschnitt 3.1). Welsch hat seit 1992 mehrere Aufsätze publiziert. Einzelne seiner Beiträge wurden mehrfach in unterschiedlichen Sammelbänden publiziert, was die Vermu‐ tung bestärkt, dass seinen Überlegungen besonderes Gewicht zuerkannt wird. Welsch ist aber keineswegs der erste, der sich im deutschsprachigen Raum mit Transkulturalität befasst. Bereits Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre zirkulierte das Konzept in den Erziehungswissenschaften und in der Ethnologie. 13 In seinem Aufsatz, „Was ist eigentlich Transkulturalität“ aus dem Jahre 2010 erklärt Welsch, dass er seinen ersten Aufsatz (vgl. Welsch 1992) aus dem Unbehagen heraus geschrieben habe, dass der traditionelle Kulturbegriff nicht mehr auf die gegenwärtigen Kulturen und kulturellen Verhältnisse passe und demzufolge durch ein anderes, zeitgemäßes Verständnis von Kultur(en) ersetzt werden müsse. Wenn dieser Befund seither von vielen KulturwissenschafterInnen geteilt wird, so zeigt sich jedoch, dass Welschs historische Herleitung seiner Kritik auf einem nicht erheblichen Irrtum basiert. Darauf wird gleich noch einzugehen sein. Welschs Anliegens ist es, eine neue Konzeptualisierung von ‚Kultur’ zu erarbeiten, die auf die Verhältnisse des 21. Jahrhunderts angewendet werden kann. Dafür findet er mit der Metapher des ‚Geflechts’ ein (altes) neues Leitbild, das er auf verschiedenen Ebenen und Extensionen von Kultur und kulturellen Verhältnissen mit dem Ziel dekliniert, ein „Modell von Durchdringungen und Verflechtungen“ (2010, 39) zu entwerfen. Kultur sei heute „permeativ und nicht separatistisch verfasst“ (ebd.). Ausgangspunkt ist für ihn die Unterscheidung einer inhaltlichen Bedeutung von einer extensionalen Bedeutung von ‚Kultur’. Unter der inhaltlichen Bedeutung versteht er die Praktiken, durch welche die Menschen ein menschentypi‐ 118 Kapitel 3: Transkulturalität - Migration oder Neuerfindung des Konzepts? sches Leben führten, also Alltagsroutinen, Kompetenzen, Überzeugungen, Umgangsformen, Sozialregulationen, Weltbilder und dergleichen. Unter der Extension von Kultur versteht er die geographische oder nationale oder ethnische Ausformung dieser Praktiken. „‚Kultur’ bezieht sich hier auf die Ausdehnung derjenigen Gruppen (oder Gesellschaften oder Zivili‐ sationen), für welche die betreffenden kulturellen Inhalte bzw. Praktiken charakteristisch sind“ (ebd., 39 f.). Die begriffliche Revision von ‚Kultur‘, die Welschs Konzept der Transkulturalität vorschlägt, bezieht sich vor allem auf ihre extensionale Bedeutungsdimension. Er unterscheidet dabei eine Makroebene von einer Mikroebene. Auf der Makroebene seien heutige Kulturen durch externe Vernetzung und internen Hybridcharakter sowie durch die Vieldimensionalität des Wandels geprägt, bedingt durch Migrati‐ onsprozesse, technologische Entwicklungen und innere Differenzierungen in den Gesellschaften. Auf der Mikroebene gehe es um die transkulturelle Prägung der Individuen und darum, dass die interne Transkulturalität, u. a. in Form von Patchwork-Identitäten, den Umgang mit der externen Transkulturalität erleichtere. Welschs Konzept von Transkulturalität steht, bezogen auf die Entwürfe der in 3.2, 3.3 und 3.4 genannten AutorInnen, in einem anderen Referenzsys‐ tem. Er spricht als Philosoph über Kultur und Transkulturalität, als solcher ist sein Denken darauf bezogen, die Welt und die menschliche Existenz zu ergründen, zu deuten und zu verstehen. Transkulturalität wird bei ihm von 1992 an zu einem philosophischen Begriff ausgeformt, um zu beschreiben, warum und in welcher Weise „[w]ir Menschen […] wesentlich Kulturwesen“ sind, wie es im ersten Satz des Beitrags von 2010 heißt. Als philosophischer Begriff ist Transkulturalität auf Plausibilität angewiesen. Fragen nach der Konsistenz der Daten und nach den Methoden, die zur Datenanalyse und zur Theorie-/ Begriffsbildung herangezogen werden, wie es in empirischen Wis‐ senschaften wie Ethnologie, Geschichtswissenschaft, Sprachwissenschaft und anderen Disziplinen unumgänglich zum fachlichen Selbstverständnis gehört, stellen sich für ihn nicht. Welschs methodischer Zugriff besteht in der Kontrastierung: er stellt der Wahrnehmung heutiger Lebensformen der Menschen ein der Übergangszeit von Aufklärung zur Romantik zugeschrie‐ benes Kulturverständnis gegenüber - „Kultur als Kugel“ -, um sich eine argumentative Kontrastfolie in Form eines „traditionellen Kulturbegriffs“ zu schaffen, die es ihm erlaubt, den Wandel der kulturellen Praktiken seit Ende des 20. Jahrhunderts mit einem neuen Begriff, eben Transkulturalität, zu betrachten. 119 3.5 Wolfgang Welsch: Transkulturalität als philosophisches Konzept 14 Siehe dazu auch die sehr viel ausführlichere Diskussion in Netzwerk Transkulturelle Verflechtungen 2016, 30 f., 74. Die Kritik an Welschs Konzept der Transkulturalität entzündet sich einer‐ seits an der historischen Herleitung seiner Argumentation und andererseits an der wohl kaum anders als reduktionistisch zu nennenden Betrachtung der konkurrierenden oder auch komplementären Konzepte von Multi- und Interkulturalität. Welschs historischer Referenzpunkt ist das philosophische Werk von Jo‐ hann Gottfried Herder (1744-1803). Welsch schreibt Herder ein Verständnis von Kultur zu, das darin bestehe, sich Kultur als eine Kugel vorzustellen. Zu diesem Bild von Kultur als Kugel gehöre das Gebot der Homogenität nach innen und die strikte Abgrenzung nach außen. Jede Kultur solle, als Kultur eines Volkes, von den Kulturen anderer Völker spezifisch unterschieden und distanziert sein (vgl. Welsch 2010, 40). Doch wie Löchte (2005), Saal (2014) und auch das Netzwerk „Transkulturelle Verflechtungen“ (2016) nachgewiesen haben, hat Herder zwar die Kugelmetapher tatsächlich ver‐ wendet, sie aber, anders als Welsch behauptet, nicht auf ‚Kultur’, sondern auf die ‚Nation’ bezogen (Transkulturelle Verflechtungen 2016, 29 ff.). Welsch selbst zitiert Herder mit den Worten: „Jede Nation hat ihren Mittelpunkt der Glückseligkeit in sich, wie jede Kugel ihren Schwerpunkt“ (Welsch 2010, 40). Welsch argumentiert zweitens damit, dass Herder, von der Kugelmetapher für Kultur ausgehend, Kulturen als hermetisch abgeschlossene Sphären und autonome Inseln angesehen habe. Doch auch hierbei ist Widerspruch angezeigt: Denn im Gegensatz zu Welschs Behauptung erkennt Herder vielmehr an, „dass es zu kulturellen Vermischungsprozessen kommt, die dann wiederum Neues hervorbringen“ (Transkulturelle Verflechtungen 2016, 29). Und drittens stellt sich die Frage, warum sich Welsch überhaupt auf Herder bezieht, wo es doch in Weimar auch dessen Gegenspieler Johann Wolfgang von Goethe gab, der seinerseits ein Konzept von ‚Weltliteratur‘ und ‚Weltverkehr‘ (vgl. auch Abschnitt 5.1.2) vertrat, das offen für Kultur‐ kontakt und kulturellen Austausch war, wie es im Übrigen auch von Herder selbst so gesehen wurde. 14 Kritik sieht sich Welschs Konzept der Transkulturalität auch noch von anderer Seite ausgesetzt. Welsch betont, dass sein auf Prozesse orientiertes Transkulturalitätskonzept große Unterschiede zu den Konzepten der Multi- und Interkulturalität aufweise, die noch immer am alten Kugelmodell festhielten. „Der Unterscheid zwischen beiden ist nur, dass der Multikul‐ 120 Kapitel 3: Transkulturalität - Migration oder Neuerfindung des Konzepts? 15 Vgl. Antor 2006; in diesem Sinne auch Schulze-Engler 2006, der für eine Gleichzeitigkeit von inter- und transkulturellen Perspektiven plädiert. turalismus dies im Blick auf Verhältnisse innerhalb von Gesellschaften, die Interkulturalisten hingegen im Blick auf die Verhältnisse zwischen Gesellschaften tun“ (ebd., 46). Welsch sieht sich mit dieser Auffassung der Kritik seitens der Interkulturalitätsforschung ausgesetzt, die ihm vorwirft, nicht auf der Höhe der aktuellen Diskussionen zur Interkulturalität zu sein. 15 Ernst/ Freitag (2014, 16) weisen zudem darauf hin, dass in frühen Arbeiten von Welsch die Machtfrage weitgehend unbeleuchtet bleibt. Welschs Konzept der Transkulturalität zielt darauf ab, die uns - hier‐ zulande - umgebenden und formenden Vernetzungen und Mischungen der kulturellen Praktiken zu modellieren, weshalb der Erkenntnisrahmen als autofokussiert zu beschreiben ist. In diesem Zugriff mag auch die Begründung liegen - neben der philosophischen Diskussion zu Kultur und kulturellem Wandel -, dass Welschs Konzept der Transkulturalität in den deutschsprachigen Ländern auf breite Resonanz gestoßen ist. 3.6 Synoptische Darstellung zur Begriffsgeschichte von Transkulturalität Die Synopse bildet den Zeitraum von einem dreiviertel Jahrhundert ab. Die Erscheinungsdaten der darin aufgeführten Studien erstrecken sich über mehrere große historische Zäsuren wie das Ende des Zweiten Weltkriegs und des Aufbaus der Nachkriegsordnung; das Ende des Kolonialismus - je nach Kolonialmacht und Region Ende der 1950er oder Mitte der 1970er Jahre -, die Zeit des Kalten Kriegs mit den zahlreichen heißen Kriegen in Korea, Vietnam und im Nahen Osten; das symbolträchtige Jahr 1968; die Neuordnung der internationalen Verhältnisse nach dem Ende der So‐ wjetunion und der mit ihr verbündeten Staaten; der Aufstieg Chinas zur Weltmacht und die weitere Beschleunigung der Globalisierung. Die Kon‐ zepte der Transkulturalität von Ortiz, Rama und „Vice Versa“ liegen vor dem Epochenumbruch des wiederum symbolträchtigen Jahres 1989 und referie‐ ren zentral auf die kolonialen und postkolonialen Verhältnisse. Pratt knüpft hier an, kann aber weitergehen und die Transkulturationsprozesse unter globalisierten Verhältnissen in den Blick nehmen. Für Welsch wiederum sind Kolonialismus und Postkolonialismus keine wirklichen Bezugspunkte; 121 3.6 Synoptische Darstellung zur Begriffsgeschichte von Transkulturalität für ihn sind es die kulturellen Verhältnisse im Spätkapitalismus und die Globalisierung. Aus der folgenden Synopse sowie der vorherigen Beschreibung der Konzepte von Transkulturalität in 3.2 bis 3.5 ergeben sich somit von selbst auch Antworten auf die eingangs gestellte Frage: handelt es sich um Migration eines Konzepts oder um (s)eine mehrfache Erfindung? Wie die Synopse erkennen lässt, ist beides der Fall: Sowohl die Migration des Konzepts durch Fachkulturen, Räume und Akteursgruppen hindurch als auch, in je spezifischen historischen und begrifflichen Konstellationen, die Neuerfindung. Beide Prozesse sind Emergenzszenarien (vgl. Abschnitt 2.7), die in dem Maße aufeinander zulaufen, wie mit dem Aufkommen des Spätkapitalismus die Kulturalisierung nahezu aller Sphären von Gesell‐ schaft, Markt und Individualität auf die Tagesordnung tritt, und gleichzeitig die Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse aus der Zeit des Kolonialismus nachwirken und - häufig in ganz sublimen Formen - noch immer präsent sind. 122 Kapitel 3: Transkulturalität - Migration oder Neuerfindung des Konzepts? F. Ortiz Á. Rama Vice Versa M. L. Pratt W. Welsch Disziplin Anthropologie Literaturwissen‐ schaft, Lateiname‐ rikanistik Literaturkritik/ Pub‐ lizistik Lateinamerikanistik, vergleichende Literatur‐ wissenschaft Philosophie Jahr der Pu‐ blikation 1940 1974, 1982 1983-1996 1992/ 2 2008 1992ff., 2010 Land/ Herkunft Kuba Uruguay, seit 1977 Venezuela Angehörige der italienischen Min‐ derheit in Mont‐ réal/ Québec In den USA tätige anglokanadische Auto‐ rin/ Wissenschaftlerin. Deutschland Historischer Kontext der Forschung (Post-)koloniale Gesellschaft Ku‐ bas. (Post-)koloniale li‐ terarische Verhält‐ nisse Lateinameri‐ kas. Konflikte des Nation Building in Kanada und Québec; Immi‐ gration. Imperialismus und Globalisierung in Ge‐ schichte und Gegen‐ wart; Fokus auf (post-)koloniale Ver‐ hältnisse Lateinameri‐ kas und Südafrika. Globalisierung, Mi‐ gration. Herleitung des Konzepts Wissenschaftli‐ che Auseinan‐ dersetzung mit und Gegenent‐ wurf zum Kon‐ zept der Akkul‐ turation. Ortiz Gegenentwurf zu den politikgestalten‐ den Konzepten sowohl des ka‐ nadischen Multikul‐ turalismus als auch der Québecer Inter‐ kulturalität. Die Studien von Rama und von Ortiz. Ein J. G. Herder fälschlicher‐ weise zugeschriebe‐ nes Konzept von ‚Kultur als Kugel‘. 123 3.6 Synoptische Darstellung zur Begriffsgeschichte von Transkulturalität F. Ortiz Á. Rama Vice Versa M. L. Pratt W. Welsch Analysefokus Individuum in der Gesellschaft. Anwendung auf die von Immigra‐ tion geprägte (post-) esklavisti‐ sche und Planta‐ gengesellschaft Kubas. Literarische Pro‐ zesse; literarische Verarbeitung ge‐ sellschaftlicher Brüche in den la‐ teinamerikani‐ schen Literaturen. Marginalisierungs‐ erfahrung von Ge‐ meinschaft(en) von ImmigrantInnen in der kanadischen Ge‐ sellschaft. Literarische/ ästhetische Verarbeitung von Mobi‐ lität und Migration un‐ ter Verhältnissen von Kolonialismus, Post- und Neokolonialismus und neoliberaler Globa‐ lisierung. Individuum und Ge‐ sellschaft(en). Kontaktphä‐ nomenologie Mischung/ Kreo‐ lisierung im Zuge von Immi‐ gration. Kontakt von kolo‐ nialen und auto‐ chthonen Literatu‐ ren. Abgrenzung/ De‐ markation gegen‐ über den kanadi‐ schen und Québecer Nationalismen. An den Kontaktbegriff in der Sprachwissen‐ schaft angelehntes Kon‐ zept der Kontaktzonen. ‚Vernetzung’ nach außen; ‚Hybridisie‐ rung’ nach innen: „wir sind kulturelle Mischlinge“; patch‐ work-Identität(en). Motiv Erklärung der (kollektiven) Identität und der kulturellen Prak‐ tiken in Kuba aus den Produktions‐ formen, den öko‐ nomischen und Machtverhältnis‐ sen. Verarbeitung kolo‐ nialer Erfahrungen. Begründung der Unabhängigkeit, Originalität und Re‐ präsentativität der lateinamerikani‐ schen Literaturen, letzteres im Verhält‐ nis zur ethnischen Heterogenität in den Ländern Latein‐ amerikas. Subversiver Diskurs und Entwurf einer politischen Utopie gegenüber dem Kon‐ fliktmanagement staatlicher Akteure. Analyse des Imperia‐ lismus, seiner kolonia‐ len, neokolonialen und nicht-kolonialen Herr‐ schaftsformen und des‐ sen Deutungsmacht über Vorstellungen und Wissen. Auflösung der Ho‐ mogenitätsfiktion; Kritik (mono-)kultu‐ reller Hegemoniean‐ sprüche („Leitkul‐ tur“). 124 Kapitel 3: Transkulturalität - Migration oder Neuerfindung des Konzepts? F. Ortiz Á. Rama Vice Versa M. L. Pratt W. Welsch Funktion des Konzepts Begriff der ‚Transkulturati‐ on’ als Gegenent‐ wurf zum damals in der US-ameri‐ kanischen Eth‐ nologie verbrei‐ teten Konzept der Akkultura‐ tion. Überbegriff zu (Teil-) Prozes‐ sen der descultu‐ ración, excultura‐ ción, aculturación, in‐ culturación, neo‐ culturación. Revision des Kon‐ zepts von Ortiz und Ausrichtung auf die Analyse li‐ terarischer Pro‐ zesse und Erzähl‐ formen. Operationalisie‐ rung des Begriffs in Form von vier Prozessen trans‐ kultureller literari‐ scher Verarbei‐ tung: Verlust, Auslese/ Ausson‐ derung, Wieder‐ entdeckung und Inkorporation. Als Gegenkonzept zu (kanadischem) Multikulturalismus und zu (Québecer) Interkulturalität. Analyse der Repräsen‐ tationen und Prozesse von Aneignung und Un‐ terwerfung in Kontakt‐ zonen unterschiedlich mächtiger Kulturen. Als Gegenbegriff zu Multikulturalismus und Interkulturali‐ tät. Transweist auf Sphären jen‐ seits des traditionel‐ len Verständnisses von Kultur: Ökono‐ mie, Demographie, gesellschaftliche Re‐ produktion bzw. auf Prozesse der Kultur‐ alisierung im Spät‐ kapitalismus. Sprachkon‐ zept/ Refe‐ renz auf sprachliche Verhältnisse Spanisch, afrika‐ nische und indi‐ gene Sprachen; Prozess der Kre‐ olisierung. Kastilisch und/ vs. indigene und Kre‐ olsprachen. Konzept von Mehrsprachigkeit als mehrfache Ein‐ sprachigkeit in Italienisch, Franzö‐ sisch, Englisch. Mehrsprachigkeit der ImmigrantIn‐ nen in Québec. Sprachliche Natio‐ nalismen der jeweili‐ gen Mehrheitsgesell‐ Kontakt- und Mi‐ schungsprozesse zwi‐ schen Sprachen der europäischen Kolonial‐ mächte und Sprachen der indigenen Kulturen in Lateinamerika und im Süden Afrikas; Sprachkontakt nach dem Muster von lingua franca und Pidginspra‐ Kein expliziter Be‐ zug auf Sprache (n). Periphere Er‐ wähnung von gesellschaftlicher Vielsprachigkeit vs. Englisch als lingua franca der Globali‐ sierung. 125 3.6 Synoptische Darstellung zur Begriffsgeschichte von Transkulturalität F. Ortiz Á. Rama Vice Versa M. L. Pratt W. Welsch schaft (anglophones Kanada; frankopho‐ nes Québec) vs. Mar‐ ginalisierung der Sprachen und Kultu‐ ren der ImmigratIn‐ nen. che. Datenbasis besteht in schriftlich tradierten Texten, Archivmateria‐ lien, Berichten etc. Erkenntnis‐ rahmen autofokussiert auto- und hetero‐ fokussiert Auto- und heterofo‐ kussiert; politische Utopie als Alternative zu und Provokation von staatlicher Realpoli‐ tik. heterofokussiert autofokussiert Tab. 3.1: Synoptische Darstellung zur Begriffsgeschichte von Transkulturalität 126 Kapitel 3: Transkulturalität - Migration oder Neuerfindung des Konzepts? 3.7 Transkulturalität im Paradigma des Spatial turn Transnationalismus, Transstaatlichkeit, Transregionalität, Translokalität, und eben auch Transkulturalität, Transmedialität, Transgender: ganz offen‐ sichtlich hat das Präfix trans- Konjunktur. Dabei fällt auf, dass sich die Wortbildungen mit transheute auf andere Bedeutungsfelder erstrecken, als wir sie aus älteren Bezeichnungen wie Transsibirische Eisenbahn, Trans‐ canada-Highway oder aus Adjektiven wie transalpin oder transgalaktisch kennen, in denen sich transauf mehr oder weniger umgrenzte topographi‐ sche oder physikalische Räume bezieht, entweder im Sinne von ‚hindurch‘ oder ‚jenseits von‘. In Transnationalismus, Transkulturalität, Transgender, Transmedialität ist die Bedeutung von transeine andere: transkonnotiert sowohl eine Grenze zwischen Entitäten, die überschritten oder überquert wird, als auch die Umformung oder Gestaltveränderung der jeweiligen En‐ titäten. Diese Bedeutungsveränderung ist maßgeblich, um die gewachsene Komplexität und Mehrdimensionalität des sozialen Wandels zu verstehen. Wie gleich noch zu zeigen sein wird, erklärt sich die Konjunktur von ‚Trans’-Begriffen aus dem, was seit etwa zwei Jahrzehnten als Spatial turn bezeichnet wird. Unter Spatial turn verstehen die Kultur- und Sozialwissenschaften einen Paradigmenwechsel, der ‚Raum’ - anders als in geographischen oder phy‐ sikalischen Zusammenhängen - als kulturelle, sozial konstruierte Größe wahrnimmt (vgl. Middell 2005). Zugleich drückt Spatial turn aus, dass nicht mehr allein die ‚Zeit’, wie dies in der Moderne der Fall war und geradezu exemplarisch von F. Braudel (1958) in der longue durée beschrieben wurde, im Zentrum kulturwissenschaftlicher Betrachtungen steht. Um zu illustrieren‚ was es bedeutet, Raum als eine kulturelle Größe zu verstehen, lässt sich beispielsweise fragen, ob ein kulturelles Phänomen wie Sprache einen Raum oder ein Territorium hat. Sibille (2013, 53) gibt auf diese Frage zwei Antworten. Sprache hätte a priori kein Territorium; der einzige Ort, den sie habe, sei das Gehirn des Menschen. Die andere Antwort sagt genau das Gegenteil: Sprachen haben notwendig ein Territorium, allerdings vermittelt über ihre SprecherInnen, die SchreiberInnen und LeserInnen eingeschlos‐ sen: Das Territorium einer Sprache ist jener Raum, in welchem die Menschen leben, die ihre Sprachen sprechen. Aber auch diese Antwort kann noch nicht befriedigen. Seit es den Buchdruck, seit es den Tonfilm, das Radio, das Fernsehen und - in qualitativ und quantitativ völlig neuer Weise - das Internet als einen virtuellen Raum gibt, sind Sprachen im wachsenden Maße 127 3.7 Transkulturalität im Paradigma des Spatial turn entterritorialisiert. Sprachliche Artefakte wie Bücher, Zeitungen und andere Schriften zirkulieren über Grenzen hinweg und werden selbst in entlegenen Räumen gelesen; Rundfunk und Fernsehen, die zunächst nur eine lokale Reichweite hatten, sind heute via Internet global präsent. Kommunikation in Echtzeit rund um den Globus ist inzwischen Realität geworden. Das Internetzeitalter seinerseits hat nicht nur neue und den Informati‐ onsaustausch immens beschleunigende Kommunikationsformen wie Email, Chat, Blog, soziale Netzwerke etc. hervorgebracht, sondern auch die Ver‐ breitung von Sprachen befördert, sofern die jeweiligen Sprechergruppen die Mittel zur Partizipation an dieser Kommunikation haben. Analog zur me‐ dialen Entgrenzung der Sprachen und zur Vernetzung ihrer SprecherInnen haben Migration und Mobilität unter den Menschen enorm zugenommen, was nach Giddens (1990), Massey (1994, 2005) u. a. einen „high degree of space-time compression“ zu Folge hätte. This compression has transformed the geography of social relations and com‐ munication, leading many scholars to focus their studies on the transnational nature of late-modern communicative environments. This studies have linked the emergence of transnationalism with the post-industrial wave of migration, a wave characterized by people able to forge and sustain multistranded social relations across geographic, cultural, and political borders. ( Jacquemet 2010, 50) Mit dem Spatial turn wird der Raum vor allem als ‚Beziehungsraum‘ wahr‐ genommen, der in besonderer Weise von Mobilität - von Personen, Waren, Ideen, Dienstleistungen etc. - und der Dynamik von Be-/ Ent-/ Aus-/ Ab-/ Eingrenzungsprozessen bestimmt wird, und somit von einer Dynamik, die nicht im Selbstlauf, einfach so, passiert. Diese Dynamik wird angetrieben von Akteuren, die ihrerseits die Beziehungsräume nach ihren Interessen, mit ihren kulturellen Mustern und Formen, in Reaktion auf geographische, öko‐ logische, politische und andere Gegebenheiten auszugestalten versuchen. In einer transkulturellen Perspektive sind diese Beziehungsräume die Orte transkultureller Verflechtungen. Die Frage, um die es hier geht, ist also die nach dem Verhältnis von Transkulturalität und jenen anderen oben genannten ‚Trans’-Begriffen, insbesondere zu Transnationalität bzw. Transnationalismus und zu dem bislang noch nicht eingeführten Konzept des Transfers, der im folgenden Kapitel behandelt wird. Mit der begrifflichen Neufassung von ‚Raum’, wie sie mit dem Spatial turn einhergeht, schlagen die Kulturwissenschaften eine Brücke zu jener 128 Kapitel 3: Transkulturalität - Migration oder Neuerfindung des Konzepts? ebenfalls in den 1980er Jahren aufkommenden Betrachtung von sozialen Prozessen, die die Grenzen von Nationen bzw. Nationalstaaten überschrei‐ ten, somit trans-national oder trans-staatlich sind und seither unter dem Label des Transnationalismus erforscht werden. Soziologie, Geschichtswis‐ senschaften, Migrationsforschung und Politikwissenschaften, für die die Nation bzw. der Nationalstaat eine zentrale Kategorie darstellt, verwenden den Terminus ‚transnational’ häufig synonym zu ‚grenzüberschreitend’ und sehen Transnationalisierung nicht selten als „eine Art ‚Globalisierung von unten’, als Entwicklung zunehmender grenzüberschreitender sozialweltli‐ cher Beziehungsnetzwerke und bewegungsorientierter Aktionsbündnisse“ (Pries 2013, 881). Einer noch engeren Definition von Transnationalismus zufolge geht es um eine spezifische Form der Internationalisierung von Vergesellschaftungsprozessen im Sinne von relativ dauerhaften sozialen Be‐ ziehungen, sozialen Netzwerken und Sozialräumen, die lokal in verschiede‐ nen Nationalstaaten verankert sind und kein einheitliches organisierendes Zentrum aufweisen (vgl. ebd., 882). In diesem Sinne soll das Konzept der Transnationalisierung von anderen Formen grenzüberschreitender Phänomene und Prozesse abgrenzt werden, die mit Ter‐ mini wie Globalisierung, Mondialisation, Kosmopolitismus, Diaspora-Bildung, Supranationalisierung oder Glokalisierung charakterisiert werden. (ebd.) Aber so einfach scheint diese Abgrenzung nicht zu sein, zumindest nicht, wenn es um Transkulturalität geht. Wie empirische Studien aus der transnationalen Migrationsforschung zeigen, die sich mit grenzüberschreitenden Kommuni‐ kationspraktiken und Lebensorientierungen befassen, z. B. von polnischen MigrantInnen in den USA oder von türkischen Familien in Deutschland, greifen transnationale und transkulturelle Fragestellungen kaum trennbar ineinander und stellen komplementäre, manchmal auch identische Betrachtungsweisen dar. Für beide Ansätze zentral ist die Mobilität der Akteure. In der Tendenz scheint es jedoch so zu sein, dass unter dem Etikett der Transnationalisierung ein viel breiteres Spektrum sozialer Prozesse der ökonomischen, politischen, kulturellen und sozialen Verflechtung von Menschen auf lokaler, regionaler, nationaler, glokaler, globaler Ebene betrachtet werden und von transnationalen Arbeitsprozessen bis zu transnationaler Kriminalität von Steuerflucht, Men‐ schen- und Waffenschmuggel reicht, während es bei Transkulturalität mehr um die Transformationen kultureller Praktiken und ihren Zuschreibungen so‐ wie um das Zurechtfinden der Menschen in einer immer komplexer werdenden Welt geht. 129 3.7 Transkulturalität im Paradigma des Spatial turn 3.8 Transkulturalität als Bedrohung? Bereits im Jahre 2006 warf der Soziologe Hartmut Griese die Frage auf, ob es sich bei dem Konzept des ‚Transkulturalität‘ nicht um ein Herrschafts‐ instrument handele, das „globale Integration“ unter dem Aspekt der Trans‐ kulturalität meint (Griese 2006, 22). Weiter müsse gefragt werden: Was ist mit jenen Menschen, die nicht zu transkulturellen Transformations‐ leistungen befähigt sind, keine „Transkulturalitätskompetenz“ haben und keine transkulturellen Identitäten ausbilden (können)? In anderen Worten: Ist das Kon‐ zept der Transkulturalität und damit einer transkulturellen Pädagogik nicht ein elitäres (bildungsbürgerlich-kosmopolitisches) neues Herrschaftsinstrument - gut gemeint, aber die Realität der sozialen Ungleichheiten negierend? Werden in diesem Konzept gesellschaftliche Konflikte und Probleme, wird „strukturelle Gewalt“ (als soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit) ausgeklammert, werden (subkulturelle) Heterogenitäten und soziale Minderheiten nach dem Maßstab der Transkulturalität exkludiert? (ebd.) Dass diese Fragen keineswegs von der Hand zu weisen sind, ergibt sich auch aus den Befunden anderer Beobachter gesellschaftlichen Wandels und kultureller Konflikte. Zumal wir über Transkulturalität in einer Zeit reden, in der die allgemeinen Verunsicherungen ökologischer, sozialer, sanitärer und wirtschaftlicher Art, die Schere von Arm und Reich, der Statusverlust von Teilen der Mittelschichten und insgesamt „die Fliehkräfte des Sozialen“ (Mau 2017) seit Ende der 1980er Jahre größer geworden sind denn je. Zugleich sind sie sozial sehr unterschiedlich verteilt. Jene sozialen Milieus, die sich kosmopolitisch orientieren können, die hohes Bildungskapital haben, sehen in Transkulturalität kaum etwas „Angstbesetztes“, sehen darin Chancen, während andere Milieus, und keineswegs nur die „Verlierer der Globalisierung“, einen „national-identitären Anker“ suchen, wie sich am Zulauf zu rechtspopulistischen Parteien zeigt. Deren Vorstellungen des Nationalen sind ein Angebot der gesellschaftlichen Selbstaufwertung, das ein kollektives Wir erhöht und ihm eine neue Bühne bietet. Diese Art der Kulturalisierung arbeitet oftmals mit einem essentialistischen Kulturbegriff, der auf den Ausschluss und die Abwertung der „Anderen“ zielt oder bewusst in Kauf nimmt. (Mau 2017, 302) Transkulturalität als Bedrohung? - ja, durchaus, doch für wen und in wel‐ cher Form? Als erkenntnisleitendes Konzept, als Perspektive auf geschicht‐ 130 Kapitel 3: Transkulturalität - Migration oder Neuerfindung des Konzepts? liche Vorgänge der Verflechtung und des Austauschs, als …. - in dieser Hinsicht sind die Gedanken frei, wenn es darum geht, Transkulturalität als Perspektive auf die allgegenwärtigen Prozesse und Formen kulturel‐ len Wandels zu verstehen. Doch zugleich sensibilisiert die Transkulturalitätsperspektive dafür, welche Prozesse mit Globalisierung verbunden sind, welche Dynamiken mit transarealen Migrationsprozessen in Gang kommen und welche Konflikte mit der wachsenden globalen Vernetzung und Ver‐ flechtung und zugleich mit den globalen Verteilungskämpfen verbunden sind. Denn wenn das Konzept in der Weise verstanden wird, wie es Mary L. Pratt (vgl. 3.3) vorgezeichnet hat, dann kommen gerade jene Personen, Verhältnisse und Prozesse „on the receiving end of empire“ in den Blick, zu denen wohl auch diejenigen gehören, welche H. Griese im obigen Zitat im Auge gehabt haben könnte. Aber auch noch andere, zumal Prozesse der Globalisierung, anders als manche glauben mögen, keineswegs nur Chancen und erweiterte Aktionsräume bieten. Denn der Strukturwandel und die Vernetzungen und Verflechtungen in der glokalisierten Welt, die De-Nationalisierung und die wachsenden sozioökonomischen Ungleichhei‐ ten erfolgen ja nicht im Selbstlauf, sondern sie haben vielfältige Akteure, zumal der gesellschaftliche Umbau zur postindustriellen Ökonomie eine rapide Erosion der klassischen Angestelltenkultur und der Industriearbei‐ terschaft zur Folge haben. Gleichzeitig differenziert sich die Mittelschicht weiter aus, es wächst die Individualisierung und bilden sich Gruppen von hochqualifizierten urbanen Akteuren, die ihre Bildungs- und Wissensanstrengungen durch die Wahrnehmung exklusiver Bildungsangebote weiter intensivieren, was die Kluft zu Gruppen der alten Mittelschicht immer größer werden lässt (vgl. Mau 2012, 47 ff., zu sozialen Ungleichheiten auf globaler Ebene, vgl. Weiß 2017). Transkulturalität steht in diesem Kontext für Vergesellschaftungsdynamiken, die um einiges komplexer sind als jene, die im Nationalstaat als Auseinandersetzung um das Primat von Politik gegenüber Ökonomie oder von Ökonomie gegenüber Politik geführt wurden und die den vielfältigen Prozessen der Kulturalisierung und der Diversifi‐ zierung der individuellen kulturellen Praktiken Rechnung tragen. 131 3.8 Transkulturalität als Bedrohung? Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 4.1 Gegenstand und Einordnung Zu Beginn des Buchs, in Abschnitt 1.3, wurde Transkulturation als Prozess des kulturellen Wandels und die Transkulturalität als der Strukturaspekt dieses Prozesses eingeführt. Ziel des vierten Kapitels ist es, diese Struktur genauer auszuleuchten. In diesem Sinne sollen im Weiteren jene Eigen‐ schaften und Elemente von Transkulturalität eingeführt und diskutiert werden, die in prominenter Weise Gegenstand der transkulturell orien‐ tierten philologisch-kulturwissenschaftlichen Forschung sind: Hybridität, Diaspora und diasporische Lesart, Erinnerung in Bewegung, migrantisches Schreiben, Sprachbiografie, Generation und Translatio. Andere Felder als die der philologisch-kulturwissenschaftlichen Forschung bleiben in diesem Kapitel weitgehend unberücksichtigt, so etwa die transkulturell inspirierten Untersuchungen auf Feldern wie der Denkmalpflege (vgl. Falser/ Juneja 2013), der Religion ( Juneja/ Pernau 2008) oder auch von Medizin, Gesundheit und Pflege, wie sie in Nordamerika breit entfaltet sind und bei Recherchen zum Stichwort transcultur* eine hohe Trefferzahl ergeben. Das Sprachliche in seinen transkulturellen Bezügen wird ausführlich im Kapitel 5 behandelt. Die genannten Konzepte haben als Gemeinsamkeit, dass sie auf Prozesse und Strukturen kultureller Praktiken verweisen, die sich aus den Verflech‐ tungen, Querungen und Neuordnungen kultureller Ausdrucksformen im Zuge von Kontakt, Migration und Mobilität ergeben. Die gegenwärtige Phase der Globalisierung ist dafür der Ausgangspunkt. Die Chiffre für diesen Wandel des Kulturellen besteht in der wachsenden und sich beschleunigen‐ den Verflechtung von Akteuren und letztlich in der Neudimensionierung des Kulturellen, wie sie den Prozess des Übergangs von Kultur zu Kulturalität (vgl. Kap. 2) bestimmt. Aufgabe des vierten Kapitels ist es zu zeigen, welche Zugänge speziell die Sprach-, Literatur-, Translations- und Kulturwissen‐ schaften zum Feld transkultureller Prozesse und Praktiken wählen. Wenn im Weiteren von ‚Feld’ oder von ‚Feldern’ die Rede ist, dann schließt die Darstellung an den Feldbegriff des französischen Soziologen Pierre Bour‐ dieu an. Die Theorie des Feldes hat Bourdieu in seiner ganzen Komplexität insbesondere im Hinblick auf das kulturelle bzw. literarische Feld entwickelt. Anhand von Flauberts Roman „L’éducation sentimentale“ arbeitet er in „Les reglès de l’art. Genèse et structure du champ littéraire“ von 1992 (erweiterte Fassung 1998a) die Theorie des Feldes zu einem analytischen Instrument der Produktion und Reproduktion kultureller Verhältnisse und Produkte aus, indem er der Frage nachgeht: „En quoi Flaubert écrivain est produit par ce qu’il contribue à produire? “, frei übersetzt: in welcher Weise ist Flaubert als Schriftsteller ein Produkt dessen, was er selbst mit produziert? Bourdieus Begriff des ‚Feldes’ und hier speziell des kulturellen Feldes bezieht sich auf die Produktion und Zirkulation kultureller Güter und auf die Herstellung kultureller Verhältnisse, die auch Machtverhältnisse sind. Die Beziehungen, Regeln und Gesetzmäßigkeiten, die in einem Feld herrschen, sind veränderlich und zeitlich und räumlich beschränkt. Bestimmend für ein Feld ist die Verfügungsmacht, mit der die AkteurInnen auf dem jeweiligen Feld ausgestattet sind. Bourdieu spricht von verschiedenen Feldern, in denen sich die Gesellschaft organisiert: das ökonomische Feld, das politische, das kulturelle, das künstlerische, das literarische oder das religiöse. Die Grenzen zwischen den einzelnen Feldern stehen nicht von vornherein fest. Die entscheidenden Trennlinien, und so auch die Trennlinien von Macht und Einfluss, verlaufen nach Bourdieu nicht zwischen diesen Feldern, sondern innerhalb der einzelnen Felder selbst, so z. B. zwischen der production de masse (Massenproduktion) und der production restreinte (elitäre Produktion), die sich vor allem durch ein unterschiedliches Maß an symbolischem Kapital unterscheiden. Indem Bourdieus kultursoziologischer Feldbegriff die Auf‐ merksamkeit auf Genese und Struktur des Kulturellen lenkt, stellt er somit auch einen zentralen Bezugspunkt für die Untersuchung transkultureller Prozesse und Strukturen dar. Die Reihenfolge der Abschnitte dieses Kapitels ergibt sich aus Überle‐ gungen zur Struktur von Transkulturalität im Kontext philologisch-kultur‐ wissenschaftlicher Forschungen. Am Anfang steht der Abschnitt über Mi‐ schung und Hybridität (4.2). Mischungen und Mischungsprozesse als Folge von Kontakt sind - wie Transkulturation insgesamt - allgegenwärtig. Sie erfolgen oft unbewusst, wie sie auch, von den AkteurInnen unbemerkt, Teil der gegebenen und vorgefundenen kulturellen Verhältnisse sind. In anderen Fällen wiederum sind sie umkämpft und konfliktgeladen, je nachdem, ob und wie sich in ihnen Machtverhältnisse repräsentieren oder ggf. auch reproduzieren. Innerhalb der Elemente der Struktur von Transkulturalität 134 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung stellt ‚Hybridität‘ den Gegenpol zu ‚Translatio‘ (4.8) dar. Translatio als Ober‐ begriff für Prozesse des Transfers und der Translation steht als Konzept für den kontrollierten und meist auch professionalisierten Umgang mit differen‐ ten kulturellen Formen und für bewusste und gezielte grenzüberschreitende Vermittlungs- und Übertragungsprozesse zwischen AkteurInnen. Dies zeigt sich auch in den Tätigkeiten der Translation, des Übersetzens und des Dolmetschens als Praktiken des kontrollierten Umgangs mit sprachlicher und kultureller Diversität, wobei Transkulturalität weniger auf der Ebene der Formen, sondern vor allem auf der Ebene des Wissens anzunehmen ist. Diese beiden Konzepte - Hybridität und Translatio - bilden eine Klammer für die Anordnung der übrigen Strukturelemente. Auf die Ausführungen zu Mischung und Hybridität folgt der Abschnitt über ‚Diaspora‘ und ‚diasporische Lesart‘ (4.3). Diaspora als spezieller Fall steht pars pro toto für die allgemeinen Prozesse von Migration und Mobilität, die zugleich der Motor von Transkulturalität sind. Ansonsten sind Migration und Mobilität eine Konstituente von allen der in diesem Kapitel dargestellten Elementen der Struktur von Transkulturalität. Im Kontext von Migration und Diaspora nehmen Positionierungsaktivi‐ täten von Gruppen und Individuen einen zentralen Platz ein, die mit dem Konzept von ‚Erinnerung in Bewegung‘ (4.4) gefasst und als transkulturelles Gedächtnis beschrieben werden. Erinnerung in Bewegung ist ihrerseits konstitutiv für die Probleme, die in den beiden folgenden Abschnitten behandelt werden. Da in diesem Buch sprachliche, literarische und mediale Phänomene von Transkulturalität im Mittelpunkt stehen, bilden die beiden Abschnitte über ‚migrantisches Schreiben‘ (4.5) und ‚Sprachbiografie‘ (4.6) auch das Zentrum dieses Kapitels, ohne allerdings auf diese Weise eine Priorisierung der Gegenstände zu suggerieren, denn das Hauptanliegen ist und bleibt, Verflechtungen und Querungen so gut wie möglich sichtbar zu machen, auch anhand der Beispiele, die in allen Abschnitten den Bereichen von Sprachen, Literaturen und Medien entnommen sind. Der Abschnitt über ‚Generation‘ (4.7) steht im engen Zusammenhang nicht nur mit dem vorausgehenden Abschnitt zu Sprachbiografie, sondern auch mit dem zu ‚Erinnerung in Bewegung‘. ‚Generation‘ ist hier nicht primär als biologisches Konzept, sondern vielmehr als Ort, Milieu oder Diskursraum der Auseinandersetzung über Tradierung, Reichweite oder Verwerfung von kulturellen Praktiken, Werten und Anschauungen zu verstehen. Der Begriff ist auf diese Weise auch als Strukturelement von 135 4.1 Gegenstand und Einordnung Transkulturalität zu betrachten, das auf vielfältige Weise in Diskursen, Literaturen und Medien reflektiert wird. 4.2 Mischung und Hybridität Über Mischungsprozesse und die Mischung von Sprachen hat bereits am Ende des 19. Jahrhunderts der Romanist und Kreolsprachenforscher Hugo Schuchardt viel Grundsätzliches geschrieben, was auch heute noch Bestand hat (vgl. Abschnitt 5.4.1). Heutzutage ist allerdings mehr von Hybridität als von Mischung die Rede. Das Wort hybrid, als Adjektiv, als Substantiv oder als Bestandteil in Komposita, begegnet uns in vielen Situationen: Autos fahren mit Hybridmotoren, Computer funktionieren mit Hybridfestplatten, im Bauwesen werden Verbundbaustoffe wie Stahlbeton als Hybride bezeich‐ net. Von lateinisch hybrida für ‚Mischling’, ‚Bastard’, auch ‚frevelhaft’ (aus griechisch hýpris) abgeleitet, bezieht sich ‚hybrid‘ auf ‚Vermischtes’, ‚Gekreuztes’ oder ‚Gebündeltes’. In der Zoologie gilt ein Maulesel, der durch Kreuzung aus Pferd und Esel entstanden ist, als Hybride. Aus der Vererbungs-, Kreuzungs- und Rassenbiologie des 19. Jahrhunderts geht der Begriff im Laufe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nun stark negativ konnotiert, in die nationalsozialistische „Rassenhygiene“ ein. Eine Um- und Aufwertung erfährt er Jahrzehnte später, insbesondere in der Kolonialismuskritik und den Studien der Postkolonialismusforschung, wo er zunächst von dem in Mexiko tätigen argentinischen Anthropologen Néstor García Canclini (1989) erneut aufgegriffen und von Forschern wie Edward Said und vor allem von Stuart Hall und Homi Bhabha in den 1990er Jahren weiter verbreitet wird (Bhabha 1994, Hall 1994, 2003, 2018). Seither gehören Hybridität und Hybridisierung zu den Leitbegriffen in postkolonialen Theorien und in Diskussionen über multiple Modernitäten und die Komplexität von Kulturkontakten und kulturellen Dynamiken. Der Begriff ‚Hybridität’ bezieht sich auf den Zustand des Gemischtseins, ‚Hybridisierung’ wiederum benennt den zu hybriden Merkmalen führen‐ den Prozess. Literaturen und Sprachen, Esskulturen, Kleidung und Mode, Architektur, die darstellenden und angewandten Künste sind Felder, auf denen sich durch die Geschichte hindurch zahlloses Anschauungsmaterial für kulturelle Mischungsprozesse und von Hybridität/ Hybridisierung finden lässt. 136 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 1 Wie es klingt, wenn Sprachen gemischt werden und, so wie in diesem Chanson, „ineinanderlaufen“, verfolgt man am besten anhand des Videos von „A Moncton“ im Internet. Erschienen ist der Titel auf der CD „Comme de la musique“ von Marie-Jo Thério, bei Gestion, son image 1995. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Phänomenen von Hybridität hat nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher fachlicher Traditionen und der Nichtwahrnehmung des Forschungsstandes anderer Disziplinen als der eigenen (vgl. dazu Burke 2009, 34) dazu geführt, dass wir es heute mit einer großen Vielfalt an einschlägigen Konzepten und sich nicht selten überlap‐ penden Phänomenen zu tun haben, weshalb sich Burke (2009) veranlasst sieht, sich mit Begriffen wie den folgenden auseinanderzusetzen: accomo‐ dation, acculturation, adaptation, amalgamation, appropriation, assimilation, borrowing, corruption, creolization, dialogue, digestion, ecotype, exchange, fusion, globalization, glocalization, heterogenization vs. standardization, he‐ teroglossia, hybridity, imitation, interpenetration, localization, melting pot, métissage, mixing, negotiation, plagiarism, polyphony, the stew, syncretism, transculturation, transfer und translation (ebd., 34-65). Zur Illustration dessen, wie man sich kulturelle Mischungen, hier in Form von sprachlichen Mischungen, vorstellen kann, sei der Text des Erfolgschansons von Marie-Jo Thério „A Moncton“ 1 angeführt. Auch ohne vertiefte Kenntnisse des Französischen, des Englischen und speziell der Sprachformen des Chiac, um das es hier geht, ist erkennbar, wie in diesem Liedtext verschiedene Sprachen „ineinanderlaufen“. Gisèle j’te callais ienque de même à cause c’est boring à soir pis et qu’y a rien qui va on à Moncton c’est weird pareil pour un samedi soir à Moncton Gisèle j’te callais ienque de même I hope j’te bother pas I guess que j’faisais rien J’avais des histoires à t’conter J’ai coaxé Mike at least trois fois pour qu’il vienne watcher un movie avec moi but y veut rien savoir si qu’le High School pouvait ienque finir : well on s’rait ben à « Parlee Beach » au soleil Gisèle quoi c’est qu’toi tu fais c’t’été ? I guess qu’t’as déjà trouvé une job fulltime un boyfriend pour t’embrasser Gisèle moi j’feel ben stuck icitte on dirait que j’peux pu bouger mais que l’automne seye là well j’serai déjà long gone ! But à soir j’te callais ienque de même à cause c’est boring pis qu’y a rien qui va on à Moncton pis quand c’que j’start à penser aux années qui s’en v’nont well j’sais pas trop y’où c’est que j’vas fitter dans la vie pis watch moi ben quand j’aurai pris la go ben stallée dans des pensées de Moncton. 137 4.2 Mischung und Hybridität 2 Lexikalisch und diskursiv betrachtet, ist die Mischung aus Französisch und Englisch auffällig: Neben Diskurspartikeln wie well und Konjunktionen wie but gehören zum Repertoire von Chiac-SprecherInnen Nomina wie High School, movie, boyfriend, job etc., Adjektive/ Adverbien wie weird, boring, stuck, idiomatische Calques wie ‚rien qui va on’, Verben wie call, guess, hope, watch usw., wobei diese Verben in das morphologische System des Französischen integriert sind: j’ai coaxé, je te callais, j’start à penser usw. 3 Um nur einige Belege zu nennen: j’vas, icitte, à soir, ben, ienque, pis, pu, v’nont (3. P. Pl. Pr. von venir), wobei die hier genannten Formen durchaus auch in anderen Varietäten des Französischen in Kanada zu finden sind. An der Schnittstelle von Morphologie und Phonologie fällt weiterhin eine Form wie seye (neufranzösisch ‚soit’) auf, die die in der Acadie bzw. in der kanadischen Frankophonie verbreitete Aussprache des Diphthongs <oi> [wɛ] abbildet und damit auf die Lautung des Französischen in Frankreich bis zum 18. Jahrhundert zurück verweist. 4 Zu verweisen ist u. a. auf Perrot 1995, Chevalier/ Doucette 2005, Budach 2005 und Wiesmath 2006. 5 Zur Frankophonie in Kanada und den frankophonen Gemeinschaften in Nordame‐ rika sowie zum Verhältnis von kanadischer und internationaler Frankophonie, vgl. Erfurt 2010c, 2018a, 2018b. Die aus der ostkanadischen Region Acadie stammende Sängerin Marie-Jo Thério singt ihr Chanson in Chiac, in einer Mischvarietät aus Französisch, akadischem Französisch und kanadischem Englisch, so, wie diese Varietät in der Stadt Moncton und darüber hinaus im Südosten der Provinz Nouveau-Brunswick/ New Brunswick verbreitet ist. Selbst ohne detailliert die sprachliche Struktur dieses Textes zu analysieren, wird augenfällig, dass das Chiac, syntaktisch gesehen, weitgehend der Grammatik des Französischen folgt, in der Lexik jedoch unübersehbar vom Englischen geprägt ist. 2 In der Lautung und in der Morphologie klingt die akadische Varietät des Französischen an. 3 All diese verschiedenen Sprachformen laufen in diesem Text ineinander und verschmelzen zu einer sprachlichen Varietät 4 und einer ästhetischen Form, in der sich offenbar - der Erfolg dieses Chansons zeigt es - viele Menschen in dieser Region und weit darüber hinaus in der kanadischen Frankophonie wiedererkennen und angesprochen fühlen. 5 Wie lässt sich dieser Text, der als ein Beispiel für Hybridität angeführt wird, deuten? Er verweist auf zwei Dimensionen: erstens, auf die soziale Situierung des Chiacs entlang der Sprachgrenze von Französisch und Englisch, die in der Acadie bzw. in Kanada zugleich eine Grenze innerhalb von sozialen Hierarchien ist, mit Französisch als margi‐ nalisierter Minderheitensprache und Englisch als dominanter Sprache; 138 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 6 Anschauliche Belege finden sich hierfür in dem Dokumentarfilm von Michel Brault „Éloge du chiac“ (1969), zu finden auf der Seite des Office national du film du Canda (ONF) unter: www.onf.ca/ film/ eloge_du_chiac/ . 7 Wobei es sich hier um eine Situation handelt, die nicht auf die des Chiac begrenzt ist und die an vielen Orten der Welt wiederkehrt, beispielsweise auch als gängiger Selbstvorwurf von MoldauerInnen, weder Russisch noch Rumänisch richtig zu sprechen, vgl. dazu Abschnitt 5.5. zweitens, auf eine Varietät im urbanen und semiurbanen Milieu in Stadt‐ vierteln von Moncton, die als ‚milieux défavorisés’, als arm, benachteiligt, bildungsfern gelten und in denen sich nicht selten frankophone Zuwan‐ derer aus anderen Regionen von Nouveau-Brunswick bzw. der Acadie niederlassen. Chiac zu sprechen galt lange Zeit - und gilt auch heute noch - als sozia‐ les Stigma. 6 Denn Chiac zu sprechen bedeutet, gegen die sprachlichen Normen und die sozialen Konventionen der Sprachbeherrschung, wie sie von den Bildungsinstitutionen vertreten und von anderen sprachpoliti‐ schen Akteuren wie Medien, Buch- und Zeitschriftenverlagen verbreitet werden, zu verstoßen, und dies sowohl im Französischen als auch im Englischen. 7 Und umgekehrt, wer Chiac spricht und wer die Sprachen auf diese Weise „malträtiert“, der zeige, dass er weder die eine noch die andere Sprache beherrscht und ungebildet ist, wie einer der weit verbreiteten Vorbehalte gegenüber dem Chiac lautet. Ausgerichtet ist dieser Vorbehalt an der Vorstellung von Einsprachigkeit und dem ‚guten Gebrauch’ („le bon usage“) der Sprache, die im Zentrum einer Sprachideologie stehen, die spätestens seit der Französischen Revolution eine der tragenden Säulen des sprachlichen Nationalismus darstellt. Diese Ideologie bedient sich dabei nicht zuletzt des Mythos, dass seit biblischen Zeiten die Einsprachigkeit des Menschen der Normalfall sei. Auf ihr lastet, als göttlicher Fluch, die Mehrsprachigkeit, die aus der Sprachverwirrung seit dem Turmbau zu Babel resultiere. Die Einsprachigkeitsideologie geht mit der Vorstellung von der Reinheit der Sprache und mit Bewertungen wie „gute Sprache“ im Gegensatz zu „schlechter“, „verdorbener“ oder eben vermischter Sprache einher, wofür das Chiac als Paradebeispiel genannt werden kann. Dessen stark negativem Image zum Trotz enga‐ gieren sich seit den 1990er Jahren akadische SchriftstellerInnen und MusikerInnen, darunter Marie-Jo Thério und der von ihr verehrte Lyriker und Sänger Gérald Leblanc (1945-2005) dafür, dieses Bewertungsmuster, das vor allem in den Mittelschichten verbreitet ist, infrage zu stellen und 139 4.2 Mischung und Hybridität 8 Eine detailliertere Darstellung von Formen und Praktiken sprachlicher Mischungen findet sich in Kap. 5. umzukehren, indem sie ihrerseits Gedichte, Lieder und Romane in dieser Mischvarietät verfassen. In ihren Texten drückt sich das Potential von devalorisierten Varietäten, wie es das Chiac und wie es hybride Formen im Allgemeinen sind, für die politische Mobilisierung von marginalisier‐ ten Gemeinschaften aus, „um eine Gegenposition zum Herrschaftsdiskurs aufzubauen und die dominante Norm in Frage zu stellen“ (Budach 2005, 41). Oder auch, nun stärker ins Reflexive gewendet, um das „bestehende Spannungsverhältnis zwischen sprachlicher Norm und nicht-normierten Varietäten“ zu nutzen, „um soziale Zusammenhänge und Widersprüche sichtbar zu machen und um auszuloten, was Hybridität […] zur selten widerspruchsfreien Verortung von Individuen in ihrem gesellschaftlichen Umfeld beitragen kann“ (ebd.). Sprachliche Mischungen wie die im Chiac sind vielfältig und finden sich in allen möglichen Kontaktverhältnissen wieder. Besonders häufig sind sie bei SprecherInnen in von Mehrsprachigkeit geprägten Grenzregionen und im urbanen Milieu. 8 In der langen Reihe von Beispielen für derartige Sprachmischungsprozesse und Mischsprachen findet sich das Yanito (Lla‐ nito) in Gibraltar als Mischung aus britischem Englisch, Kastilisch und andalusischem Spanisch. Ebenfalls den Kontakt von Englisch und Spanisch betreffend, doch sehr viel weiter verbreitet als an der Südspitze der ibe‐ rischen Halbinsel, sind die Mischungen in der Sprachpraxis bilingualer hispanics in den USA, die oft, wenn auch nicht ganz zutreffend, als Spanglish bezeichnet wird. Im Grenzgebiet von Brasilien, Uruguay und Argentinien ist das Portuñol oder Fronterizo als Mischvarietät aus argentinischem Spanisch und brasilianischem Portugiesisch verbreitet. Das Mitchif wiederum gilt als Mischvarietät aus Französisch und der Sprache der Cree und wird von den Métis („Mestizen“) in den kanadischen Provinzen Manitoba und Saskatchewan gesprochen. Die Migration von Italienern nach Argentinien hat ihre Spuren im Cocoliche hinterlassen, die Migration ihrer Landsleute nach Kanada im Italiese, wie es in Montréal heißt, bzw. im Italianese, wie dieses gemischtsprachliche Sprechen in Toronto genannt wird. Im Nouchi in Abidjan und in anderen Städten der Elfenbeinküste kreuzen sich verschiedene afrikanische Sprachen, Französisch und das français populaire 140 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 9 Vgl. die Untersuchungen von Atobé Kouadio (2018) zur Praxis des Nouchi in der Elfenbeinküste sowie von ivorischen MigrantInnen in Deutschland. ivoirien zu einer neuen Sprache. 9 In das Spektrum dieser Sprachmischung gehört im slavischen Kontext das Suržyk als russischbasierte Mischvarietät in der Ukraine (vgl. Voss 2013) und, um ein letztes Beispiel zu nennen, auch die Kanak Sprak - so die Bezeichnung des Schriftstellers Feridun Zaimoğlu -, wie sie vorwiegend von zweisprachig aufwachsenden TürkInnen der zwei‐ ten und dritten Einwanderungsgeneration in Deutschland praktiziert wird. Anhand dieser Beispiele ist bereits zu erkennen, dass es sich bei diesen Varietäten um mündliche, seltener auch um verschriftete Artikulationsfor‐ men, um Prozesse des „Gemischtsprechens“ handelt, bei denen die Spreche‐ rInnen aus einem mehrsprachigen Repertoire schöpfen (vgl. Auer 1999, Hinnenkamp/ Meng 2005, Rampton 1995) und „Multi-Sprech“-Varietäten kreieren (vgl. Erfurt 2003). Das Spektrum reicht dabei von ad hoc-Bildun‐ gen mehrsprachigen Sprechens bis zu einer Sprachpraxis, deren Formen wiedererkennbar und sprachlich relativ verfestigt sind, wie dies beim Chiac oder beim Nouchi der Fall ist. García Canclini (1989), der, wie oben bereits angedeutet, das Begriffs‐ feld von Hybridität und Hybridisierung maßgeblich prägte, greift damit zunächst in die Modernisierungstheorie der lateinamerikanischen Gesell‐ schaften im späten 20. Jahrhundert ein. Hierbei geht es ihm darum, eine Methode zum Verständnis der neuen kulturellen Prozesse auf diesem Sub‐ kontinent zu entwickeln. Ein Subkontinent, auf dem sich die Widersprüche und Konflikte in den ökonomischen, kulturellen und demografischen Ver‐ hältnissen immens zugespitzt und Migration und Urbanisierung rasant zugenommen haben, wo Elitekultur und Populärkultur, autochthone Kul‐ turen und McDonaldisierung aufeinanderprallen und wo Kulturformen entstehen, die sinnvoll weder in den Kategorien der einen noch der anderen Kulturform verstanden werden können. Im Unterschied zu dem viel zitierten Homi Bhabha sind die Untersuchungen des Anthropologen García Canclini auf konkreten Feldern angesiedelt und erstrecken sich insbesondere auf Hybridisierungsprozesse im Zuge von Urbanisierung. Er analysiert, wie MigrantInnen aus ländlichen Räumen in den Städten ihr traditionelles Wissen und ihre handwerklichen Erfahrungen an moderne städtische Produktionstechnologien anpassen, oder wie indigene Bewegungen ihre Forderungen im Kontext transnationaler und ökologischer Politikkonzepte reformulieren und dabei lernen, für ihre Ziele die modernen Medien zu 141 4.2 Mischung und Hybridität 10 An Versuchen zur Rekonstruktion der Begriffsgeschichte von Hybridität mangelt es gewiss nicht, wobei diese Rekonstruktionen vielfach von disziplinären oder auch themenbezogenen Erkenntnisinteressen geleitet sind und allein schon deshalb recht unterschiedlich ausfallen. Das gilt selbstredend auch für die in diesem Abschnitt skizzierte Lesart. Andere, darunter auch einige ähnlich gelagerte Rekonstruktionen, finden sich in Acheraïou 2011, Ackermann 2012, Arens 2000, Benalil/ Przychodzen 2006, Borgolte/ Schneidmüller 2010, Bronfen/ Marius 1997, Budach 2005, Burke 2009, Erfurt 2005, Ette/ Wirth 2014, Gugenberger 2010, Gugenberger/ Sartingen 2011, Ha 2010, Hall 2003, Kron 2015, Peterson 2010, Pöll/ Schafroth 2009, Standke 2008, Steffen 2000, Stockhammer 2012, de Toro 2009, Ueckmann 2009, Voss 2013, um nur einige der einschlägigen Arbeiten zu nennen. nutzen. Hybridisierung bezieht sich auf Phänomene, die in der Interaktion, und nicht selten in der Konfrontation verschiedener Kulturen entstehen und auf Mischung basieren. Mischung bedeutet für García Canclini vor allem eine Verschiebung von Grenzen; sie kommt zustande durch eine Erosion alter Identifikationsmuster. Aber auch der umgekehrte Fall ist in Betracht zu ziehen, nämlich dass die Verschiebung von Grenzen der Motor für Mischungsprozesse ist. Es sind nicht nur Menschen, die sich über Grenzen bewegen und auf diese Weise mit anderen in Kontakt treten, sondern oft auch Grenzen, die sich über Menschen bewegen, denken wir an Regionen wie das Elsass, die Bukowina, Galizien, oder an die territorialen und so auch kulturellen Neuordnungen nach dem Ende des Kolonialismus in Afrika, in Südostasien (Indochina) oder nach dem Zerfall Jugoslawiens (vgl. die Beiträge in Kratochvil et al. 2013). Das Thema der Mischungsprozesse, wie es mit dem Begriff der Hybridität/ Hybridisierung abgebildet wird, ist in seiner kulturanalytischen und eman‐ zipatorischen Dimension keineswegs neu. 10 Als métissage spielt es bereits im anti- und postkolonialen Diskurs der afrikanischen und karibischen Kulturdiskussion der sechziger Jahre eine Rolle, wie es später auch in Form des Konzepts der creolité/ créolisation unter karibischen Literaten und Intel‐ lektuellen (vgl. Confiant/ Ludwig/ Poullet 2002) das Spannungsverhältnis von kolonialer Geschichte, lokaler kultureller Identität und Globalisierung, hier verstanden als eine Art neuer kultureller Homogenisierung (Kolonia‐ lisierung? ), absteckt. War métissage zunächst im Kolonialismus stark mit der Vorstellung von „Rassenvermischung“ verbunden, löste sich der Begriff in der postkolonialen Zeit von dieser problematischen Bedeutungsebene und avancierte zu einem Konzept, das die Multidimensionalität und die Komplexität kultureller Mischungsprozesse zu beschreiben versucht. 142 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 11 Auch in anderen Disziplinen finden diese Konzepte zur Erforschung von kulturellen Dynamiken und zur Mischung kultureller Ressourcen breiten Widerhall, in Deutsch‐ land vor allem in erziehungswissenschaftlichen Studien zur Problematik von Ethnizität und Mehrsprachigkeit, u. a. Gogolin 1994, Mecheril/ Quehl 2006, Dirim/ Mecheril 2018. In theoretischer Hinsicht wird vor allem in der literaturwissenschaftli‐ chen Forschung zur Hybridisierung auf Michail Bachtins kultursemiotisches Konzept rekurriert. In der sprachwissenschaftlichen Rezeption von Bachtin wird dieser im Zusammenhang mit Begriffen wie double voicing bzw. double voice writing zitiert, d. h. jenem Verständnis von der Redevielfalt im Roman, die aus ihm ein ‚synkretistisches Gebilde’ macht. Die verschiedenen Sprechweisen, aus denen nach Bachtin ein Roman komponiert ist, formen das textuell Hybride als dialogisches Spiel „auf der Grenze zwischen dem Eigenem und dem Fremden“ (Bachtin 1979, 185). 11 In den letzten Jahren hat in den Kulturwissenschaften und nicht weniger umfangreich in literarischen und literaturwissenschaftlichen Diskursen - in prominenter Weise in den Forschungen des Romanisten Ottmar Ette (u. a. 2005, 2010, 2012) - eine Auseinandersetzung über die sozialen Identi‐ fikationsprozesse und die Querungen im Spannungsfeld von Lokalität und Globalität stattgefunden, in deren Verlauf eine „Perspektivumkehrung“ hin‐ sichtlich der kulturellen Asymmetrien und der Bewertung von Mischung/ Kreuzung zu konstatieren ist. So gilt in den minorisierten Kulturen wie etwa im karibischen kreolophonen Raum (vgl. Confiant/ Ludwig/ Poullet 2002) Hybridität neben créolité/ créolisation als ein emanzipatorisches Konzept und drückt einerseits regionale Identifikation gegenüber der Dominanz eines Nationalsprachenmodells - hier des französischen - aus, das als re‐ pressiv wahrgenommen wird. Andererseits gilt das Regionale bzw. Insuläre nicht als das Singuläre und Isolierte, sondern vielmehr, so zumindest in den karibischen Räumen, als Kreuzungspunkt weltweiter Kulturkontakte und Migrationsbewegungen. Hybridität als ein Konzept im Rahmen von kultureller Heterogenität gilt zumindest da, wo sich die in einer Minder‐ heitensituation befindlichen Gemeinschaften nicht auf neue Weise in das Fahrwasser des Nationalismus begeben, als eine alternative, bisweilen auch als widerständige Kulturkonzeption. Auch für die Mediävistik, die Archäologie und die Geschichtswissenschaft ist das Konzept von Hybridität/ Hybridisierung attraktiv, wie sowohl die Beiträge in Stockhammer (2012), die Untersuchungen des Netzwerks Trans‐ kulturelle Verflechtungen (2016) als auch die Beiträge in Drews/ Scholl 143 4.2 Mischung und Hybridität (2016) eindrucksvoll zeigen. In diesen Bänden wird der Hybridisierung einerseits ein Platz unter den kulturellen Interaktionsformen zugewiesen und erscheint somit in unmittelbarer Nachbarschaft oder Verwandtschaft mit Konzepten des Kulturtransfers, der histoire croisée, des Netzwerks, des Palimpsests und anderen. Andererseits, und darin liegt der eigentliche Reiz, wenden sich die AutorInnen einer großen Vielfalt von mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Verflechtungen von Religionen, Heilsgeschichten, litera‐ rischen Motiven, Schriftgestaltungen, Malerei-Techniken und -traditionen usw. zu, die es erlauben, den Erkenntniswert der Konzepte an konkreten empirischen Befunden darzustellen. In den letzten Jahren mehren sich die Stimmen, die sich kritisch zum Konzept der Hybridität äußern, die ihm eine nur kurze Halbwertszeit zuge‐ stehen und die eine Phase der „Post-Hybridität“ eingeläutet sehen wollen. In dieser Hinsicht aufschlussreich sind einige der Beiträge in Ette/ Wirth 2014. Wiemann (2014) trägt darin aus der Sicht des anglistischen Literaturwissen‐ schaftlers die Argumente von Kritikern von Bhabhas Hybriditätskonzept zusammen. Schon in den 1990er Jahre bündele sich die Kritik an Bhabhas Konzept in dem Vorbehalt, dass es, so Wiemann, „hinter dem eigenen Rücken jene Essentialismen, kulturellen Reinheitsgebote und identitären Ideologien und Praktiken perpetuiere“ (ebd., 170), gegen die es überhaupt erst entworfen wurde. Spätestens seit der Jahrtausendwende sei an die Stelle dieser Kritik eine andere getreten. Ausgangspunkt dieser neuen Kritik seien die strukturellen Affinitäten zwischen postmoderner Flexibilisierung und den Vorstellungen über Hybridität. Aufschlussreich wird dieser Zusammen‐ hang von Ha (2010) diskutiert, indem er zeigt, wie Hybridität „zum Inbegriff unbegrenzter Flexibilität, Innovations- und Wandlungsfähigkeit stilisiert“ und zum „Leit- und Strukturprinzip urbaner Industriegesellschaften erho‐ ben“ (Ha 2010, 217) wird. War Hybridität in früherer Zeit noch „mit der Aura subversiver und transformatorischer Energie umgeben, erscheint sie nun nicht nur ihres dissidenten Potentials beraubt, sondern als kulturelle Isomorphie eines selbst auf Hybridität basierten globalen Kapitalismus“, weshalb das Hybriditätskonzept seinen Gegner verloren habe und offene Türen einrenne (Wiemann 2014, 171). Es stellt sich die Frage, wie weit diese Kritik an der Hybridität tatsächlich trägt und ob das Einläuten einer Phase der „Post-Hybridität“ nicht vielmehr Ausdruck einer gewissen enthistorisierenden Verselbstständigung kulturtheo‐ retischer Debatten in der jüngeren Vergangenheit ist. Denn viel zu oft lässt sich in der kaum mehr überschaubaren kulturtheoretischen Diskussion über Hyb‐ 144 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 12 Zur Entwicklung des Konzepts der ‚Diaspora‘, vgl. die Einleitung von R. Poole und die nachfolgende Textauswahl in Langenohl/ Poole/ Weinberg 2015, 21-95. 13 Die von Cohen 2008 genannten vier Phasen der Entfaltung der Diaspora-Forschung bestehen in a) der Annahme einer prototypischen Diaspora der Zerstreuung der Juden als klassischer Fall einer Opfer-Diaspora (vgl. S. 2ff.), b) der Erweiterung und Diversifizierung des Konzepts in Auseinandersetzung mit dem Bezug auf „Heimatland“, ridität/ Hybridisierung eine Rückbindung der Theorie sowohl an die Methoden und die Daten der Forschung als auch an eine sozial situierte und historische konkrete Empirie nicht (mehr) erkennen. Stattdessen werden viele Kräfte mit ausschließlich theoretischen Erwägungen gebunden. Sinnvoll erweisen sich hingegen Analysen wie die von Ha (2010) über die Verortung und Funktion von Hybridität in der Geschichte der Technik, der Biologie, der kolonialen Rassen‐ theorie und schließlich in der Reproduktion globalkapitalistischer Verhältnisse. In ihrer historisch konkreten Perspektivierung knüpfen sie an das an, was García Canclini bereits vorgemacht hat, wenn er in die Prozesse und Formen sozialen Wandels hineingeht und an Quellen und Material bislang unbekannte Aufschlüsse zu kulturellen Dynamiken ermöglicht. In dieser Hinsicht ist das Erkenntnispotential, das sich mit dem Konzept der Hybridität/ Hybridisierung verbindet, längst noch nicht ausgereizt. 4.3 Diaspora und diasporische Lesart ‚Diaspora‘ als griechischer Begriff für ‚Zerstreuung‘ ist eng mit der jüdischen Geschichte verbunden und bezog sich lange Zeit so gut wie ausschließlich auf die außerhalb des Landes Israel verstreut in der Welt lebenden jüdi‐ schen Gemeinden. 12 In der Religion des Judentums konnotierte der Begriff ‚Diaspora‘ die unfreiwillige Verbannung der Juden aus dem mythologisch bedeutsamen Gelobten Land. Die Bezeichnung Diaspora steht für einen speziellen Fall von Migration und des Lebens in der Fremde. Wenn als „klassische“ Fälle für Diasporen immer wieder die Juden, die Griechen und die Armenier genannt werden (vgl. Safran 1991) und sich das Verständnis von ‚Diaspora‘ bis in die 1980er Jahre sozusagen paradigmatisch an diesen Fällen orientierte (vgl. Tölölyan 1996), so hat sich seither, im Zuge eines sprunghaft gestiegenen Forschungsinteresses, die semantische Spannweite von ‚Diaspora‘ erheblich erweitert. Cohen (2008) erkennt über die Jahre hinweg vier sich mehr oder weniger deutlich voneinander unterscheidende Phasen der Diasporaforschung 13 und des begrifflichen Wandels von ‚Dia‐ 145 4.3 Diaspora und diasporische Lesart wie sie sich Anfang der 1990er Jahre mit der Gründung der Zeitschrift „Diaspora. A journal of transnational studies“ und den Fallstudien zur chinesischen, indischen, ukrainischen, italienischen, deutschen etc. Diaspora manifestiert (vgl. S. 4ff.), c) der sozialkonstruktionistischen Kritik am Konzept der Diaspora, die sich in der Infragestel‐ lung von Schlüsselelementen von Diaspora wie ‚Heimat‘, ‚Herkunft‘, ‚Identität‘, u. a. ausdrückt (vgl. S. 8ff.), und d) der Konsolidierungsphase, die in einer nun komplexeren Interpretation der Beziehung von ‚Heimat‘ und ‚Zerstreuung‘ in der Mobilisierung von Diasporen für unterschiedliche Zwecke sowie der Rückkopplung mit der Postkolonia‐ lismusforschung besteht (S. 12). spora‘, während Brubaker (2010, 292) zu bedenken gibt, dass die immer weitere Ausdehnung des Begriffs ‚Diaspora‘ seine Brauchbarkeit für die wissenschaftliche Beschreibung in Frage stelle; die „Universalisierung des Diasporabegriffs [ginge somit], paradoxerweise, mit dem Verschwinden von Diaspora einher“ (ebd., 292; in diesem Sinne auch schon Tölölyan 1996, 30). Brubakers Analyse der Forschungen über ‚Diaspora‘ und Diasporen legt den Finger auf zwei Entwicklungen: a. Während klassischerweise ‚Diaspora‘ ein Kollektiv beschreibt, hätten sich inzwischen abstraktere Termini etabliert, die einen Prozess aus‐ drücken (engl. diasporization, de-diasporozation, re-diasporization), ein Untersuchungsfeld (diasporology oder diasporitics) oder einen Zustand (diasporicity oder diasporism). Zudem drücke das Adjektiv diasporic oder diasporan eine Einstellung oder Modalität aus, z. B. in diasporic identity, diasporic nationalism, u. a. (vgl. Brubaker 2010, 294). b. Ungeachtet der „Ausfaserungstendenzen“ (ebd., 294) könnten drei Kernelemente identifiziert werden, die als konstitutiv für ‚Diaspora‘ gelten: erstens, die Verteilung (dispersion) im Raum, d. h. Diasporen sind ethnische Gemeinschaften, die durch Staatsgrenzen getrennt sind (ebd., 295); zweitens, die Orientierung an der Heimat im Sinne kollektiver Erinnerung an die Heimat; die Überzeugung, dass die Heimat der eigent‐ lich lebenswerte Ort sei, den es im Sinne von Identität und Solidarität zu erhalten gilt (ebd., 295); drittens, der Grenzerhalt (boundary-main‐ tainence), d. h. das Fortbestehen von Aus- und Abgrenzung, entweder durch selbst gewählte Isolation oder aber „als nichtintendierte Folge sozialer Schließungsprozesse von Seiten der Mehrheitsgesellschaft“ (ebd., 296), wodurch die Diaspora als ein Kollektiv verstanden wird, „das durch Solidarität und enge Beziehungen über Grenzen hinweg zusam‐ mengehalten wird. Mit diesem Nicht-Aufgehen in der Mehrheitsgesell‐ 146 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 14 Allerdings ist auch die Umkehrung dieses Verhältnisses in Betracht zu ziehen, wenn die Mehrheitsgesellschaft den Heimatdiskurs instrumentalisiert, um Diasporen auszu‐ grenzen, wie es mit dem Band „Eure Heimat ist unser Albtraum“ (2019), herausgegeben schaft lässt sich auch der Begriff einer ‚transnationalen Gemeinschaft‘ legitimieren (ebd., 296). Ausgehend von diesen begrifflichen Bestimmungen von ‚Diaspora‘ und den Tendenzen in der Diasporaforschung, wie sie Cohen und Brubaker nachzeichnen, stellen sich mehrere Fragen. Da wäre zunächst die Frage, was sich in diesem hier vorgestellten soziologischen Verständnis von ‚Diaspora‘ ausdrückt. Oder anders gefragt: Wenn es im Weiteren darum geht, ‚Dia‐ spora‘ und Diasporen aus der Perspektive der Geistes- und Kulturwissen‐ schaften zu betrachten, reichen dann die bei Brubaker und Cohen genannten Forschungsansätze und Kriterienbündel aus? Wie ersichtlich ist, legen die oben erwähnten soziologischen und ethnologischen Ansätze besonderen Wert auf Klassifikation und auf Unterscheidung. In dieser Hinsicht steht außer Frage, dass die Bestimmung von Kernelementen von ‚Diaspora‘, wie sie Brubaker aus der Sicht des Soziologen ermittelt, sinnvoll und wichtig sind, um etwa das Phänomen der Diaspora von dem der Migration oder auch von anderen Phänomenen wie Kosmopolitismus unterscheiden zu können. Allerdings haben diese auf Klassifizierung orientierte Zugriffsweise und die Griffigkeit des Kriterienbündels ihren Preis. Denn es zeigt sich, dass sie sehr bald reduktionistisch und simplifizierend wirken, wenn es um konkrete Aspekte von Diaspora geht, wie sie gerade in einer kultur- und geisteswissenschaftlichen Beschäftigung mit Diaspora in den Mittelpunkt rücken. Um nur einige Phänomene zu nennen: die Binnendifferenzierungen in den Gruppen und deren kulturelle Artikulationen; die individuellen Ar‐ rangements mit den Binnenverhältnissen sowie mit den Außenverhältnis‐ sen gegenüber der Mehrheitsgesellschaft; die literarische und künstlerische Verarbeitung von Diasporaerfahrungen; die sprachlichen Praktiken inner‐ halb und zwischen Gruppen. Im Übrigen erweist sich das Kriterienbündel auch in der soziologischen Betrachtung selbst als reduktionistisch, wenn die Kriterien einzeln und im Kontext konkreter Fälle betrachtet werden. Der Bezug zur Heimat, zum Herkunftsland, zu homeland zum Beispiel. William Safran hat bereits 1991 auf die Problematik dieses Kriteriums hingewiesen: ‚Heimat‘, die für nicht wenige ethnische Gruppen bzw. Diasporen keine real existierende, sondern eine imaginierte bzw. mythische Heimat ist, in die zurückzukehren oder mit der sich zu solidarisieren keine Option sein kann. 14 147 4.3 Diaspora und diasporische Lesart von Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah zum Ausdruck kommt. Den Hinweis auf dieses Buch verdanke ich Anna Weirich. Ebenso problematisch stellt sich das Kriterium des Grenzerhalts, der Ab- und Ausgrenzung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft dar, verbunden mit der Frage nach den Identifikationsprozessen einerseits, der Kontinuität bzw. der Aushandlung von Grenzziehungen andererseits. Brubaker weist selbst auf die Problematik dieses Kriteriums hin: Denn obwohl das Bestehen einer Identität, die sich von der Mehrheitsgesell‐ schaft abhebt, gewöhnlich als wichtiges Kriterium für Diasporen gilt, gibt es auch die gegenläufige Tendenz, Hybridität, Verflüssigung sowie Kreolisierung und Synkretismus stärker zu betonen. […] Daher gibt es mittlerweile in der Fachliteratur eine Spannung zwischen Grenzerhalt (boundary-maintainence) und Grenzauflösung (boundary-erosion). (Brubaker 2010, 296 f.) Zweifelsohne ist die hier erwähnte Spannung zwischen ‚Grenzerhalt‘ und ‚Grenzauflösung‘ von anderer Natur als das Überschreiten der Grenzen von Staaten und/ oder Nationen, wie es zum Grundverständnis einer trans‐ nationalen Perspektive gehört, in welcher sich das Gros der Forschungen zu Diaspora ansiedelt. Mit Hybridität, Verflüssigung, Kreolisierung und Synkretismus liegt der Akzent nun offensichtlich auf Manifestationen und Prozessen genuin transkultureller Art. Die Frage ist folglich, in welcher Weise das Konzept der ‚Diaspora‘ in einer auf Transkulturalität ausgerichteten Forschung Berücksichtigung findet. Konkrete Anhaltspunkte, wie dieser Problematik beizukommen ist, fin‐ den sich in der Diskussion über die Literatur der indischen Diaspora in Südafrika seit dem Ende des Apartheid-Regimes. In ihrem Buch „Afrindian Fictions“ schreibt die in Baton Rouge (Louisiana) lehrende Literaturwissen‐ schaftlerin Pallavi Rastogi (2008) dazu: Indians desire South African citizenship in the fullest sense of the word, a need for national anchorage that is a consequence of their erasure in both the apartheid and postapartheid consciousness. This longing for belonging is asserted through an „Afrindian“ identity. The term suggests both an Africanization of Indian selfhood and an Indianization of South Africa. The former is achieved by an affiliation with the indigenous population and an attachment to the African land, while the latter is demonstrated through tracing the changes wrought in South Africa by the Indian presence. Changing oneself as well as being an agent of 148 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 15 Meine Übersetzung: „Inder wünschen die südafrikanische Staatsbürgerschaft im vollsten Sinne des Wortes, ein Bedürfnis nach nationaler Verankerung, das eine Folge ihrer Auslöschung sowohl im Apartheidals auch im Postapartheid-Bewusstsein ist. Diese Sehnsucht nach Zugehörigkeit wird durch eine „afrikanische" Identität bekräftigt. Der Begriff suggeriert sowohl eine Afrikanisierung des indischen Selbstverständnisses als auch eine Indisierung Südafrikas. Ersteres wird durch die Zugehörigkeit zur indigenen Bevölkerung und die Verbundenheit mit dem afrikanischen Land erreicht, während Letzteres durch das Nachvollziehen der Veränderungen, die die indische Präsenz in Südafrika bewirkt hat, demonstriert wird. Sich selbst zu verändern und gleichzeitig ein Akteur des Wandels zu sein, um eine südafrikanische nationale Identität zu beanspruchen, ist die zentrale Dialektik, die der indischen Fiktion in Südafrika zugrunde liegt.“ Den Hinweis auf Pallavi Rastogis Arbeit und überhaupt auf die vielschichtigen Diskussionen innerhalb der neuen englischsprachigen Literaturen verdanke ich Frank Schulze-Engler. 16 Meine Übersetzung: „Im Fall der südafrikanischen Literatur ist das „Mutterland" zwar eine Ikone, die mit mythischen Resonanzen aufgeladen ist, aber es besteht selten der Wunsch, auch nur in einem „spirituellen" Sinne zurückzukehren. Indien existiert also als ein leeres Symbol. Die Proklamation einer südafrikanischen nationalen Identität sowie die Artikulation einer dauerhaften Bindung an ein alltägliches Südafrika und nicht an ein imaginiertes Indien dominieren die thematischen Anliegen der südafrika‐ nischen indischen Fiktion. Die in diesem Buch nachgezeichnete kritische Genealogie des indischen Schreibens bekräftigt vor allem die indische Zugehörigkeit zu Südafrika“. change in order to claim a South African national identity is the central dialectic underpinning Indian fiction in South Africa. (Rastogi 2008, 1-2) 15 Und im Hinblick darauf, wie die Kriterien von Diaspora der Rückkehr in die Heimat bzw. des Bezugs zum Land der Herkunft - hier des „Mutterlan‐ des“ - und des Grenzerhalts auf andere Weise zu verstehen sind als oben eingeführt, führt Rastogi folgendes aus: In the case of South African fiction, even though the „Mother Country“ is an icon charged with mythic resonances, there is rarely a desire to return even in a „spiritual“ sense. India, then, exists as an empty symbol. The proclamation of a South African national identity, as well as the articulation of a permanent bond with an everyday South Africa rather than with an imagined India, dominates the thematic concerns of South African Indian fiction. The critical genealogy of Indian writing traced in this book asserts, above all, the Indian allegiance to South Africa. (ebd., 10) 16 Wendet man das Beispiel der afroindischen Literatur in Südafrika, wie es Rastogi analysiert, stärker ins Kulturtheoretische und Kulturpolitische, führt kein Weg an den Arbeiten des britischen Kulturwissenschaftlers Stuart Hall (1932-2014) vorbei, auf dessen differenztheoretische Ansätze bereits in Kapitel 2 eingegangen wurde. Wie ein roter Faden durchzieht die Auseinan‐ 149 4.3 Diaspora und diasporische Lesart 17 Deutschsprachige Ausgabe unter dem Titel „Das verhängnisvolle Dreieck. Rasse, Ethnie, Nation“ Berlin: Suhrkamp 2018. dersetzung mit den globalisierungsbedingten kulturellen Konfliktlagen seit dem Aufkommen des Kolonialismus seine wissenschaftliche Arbeit, zuletzt in den posthum veröffentlichen „Du Bois Lectures“ von 1994 an der Harvard University, die 2017 unter dem Titel „The Fateful Triangle. Race, Ethnicity, Nation“ 17 erschienen. Hall befasst sich darin in prominenter Weise - und darin tut er es seinen Kollegen Paul Gilroy oder Homi Bhabha gleich, deren Biografien auf ebenso unmittelbare Weise von Migration und den Folgen des Kolonialismus markiert sind - mit der Problematik kultureller Differenzen, mit den Verhältnissen zwischen ‚Nation‘, ‚Rasse‘ und ‚Ethnie‘, mit ‚Alten und Neuen Ethnizitäten‘ und so auch mit dem Begriff der ‚Diaspora‘. ‚Diaspora‘ unter den Verhältnissen des 21. Jahrhunderts verbindet sich für Hall mit dem „Gefühl pausenloser Bewegung“, wie Gates jr. im Vorwort zu dieser Ausgabe schreibt (Hall 2018, 15-16). Hall versteht Diasporen als eine Metapher für die diskursive Herstellung neuer, aus dem langen Prozess der Globalisierung hervorgehender interstitieller Räume, in denen reale physische Bewegungen und Verdrängungen Kernelemente unserer Gegenwart und außer‐ dem für die weitergehenden Folgen globaler Vernetzungen und Trennungen symptomatisch sind. (ebd., 176 Damit setzt er die Akzente anders als die frühere Forschung: weniger auf die Gruppe oder das Kollektiv, weniger auf die Abgeschlossenheit, dafür mehr und vor allem auf den diskursiv konstruierten Raum, auf den Kontakt (‚interstitiell‘) und somit auch auf die Machtbeziehungen im Aushandeln kultureller Differenzen. Mit Blick auf die Ausdifferenzierung diasporischer Verhältnisse heißt es bei Hall: Zu den rassifizierten Diasporen, die für die frühen Phasen der Globalisierung charakteristisch waren - von denen die Sklaverei die wichtigste Episode dar‐ stellt - , ist seither eine Vielzahl weiterer absichtsvoller und unbeabsichtigter Zerstreuungen hinzugekommen. Diese verschiedenen Historien konstituieren das gegenwärtige Feld jener sich ausbreitenden, unter der Bezeichnung „kultu‐ reller Differenz“ rangierenden Antagonismen, das die angestammten Selbstver‐ ständnisse aller nationalen Kulturen grundlegend ins Wanken bringt. (ebd., 176) Für ihn ist es gleichermaßen selbstverständlich wie unausweichlich, dass „Diasporakulturen - von Macht einberufen und geformt durch symbolische 150 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 18 Erschienen im Lyrikband Mangoes and Bullets, London: Serpent’s Tail, 1985. Siehe auch die Performance von John Agard in dem im Internet zugänglichen Video. und materielle Gewalt - immer und unweigerlich synkretisiert“ (ebd., 178) sind, sie somit also Prozessen der kulturellen Hybridisierung, Kreolisierung und des Synkretismus unterworfen sind. Mit der Akzentuierung des Prozesshaften, der Bewegung, der Konstruktion läuft seine Argumentation gleichzeitig darauf hinaus, den Begriff der ‚Diaspora‘ umzudeuten und ihn im Sinne von ‚Diaspo‐ risierung‘ (ebd., 174ff.) und ‚diasporischer Lesart‘ (ebd.) zu verstehen. Von Stuart Halls kulturtheoretischer Argumentation zu ‚Diaspora‘, ‚Di‐ asporisierung‘ und ‚diasporischer Lesart‘ ausgehend, lässt sich nun ein weiterer Schritt in Richtung einer Analyse transkultureller Praktiken auf dem Feld von Literatur und Sprache gehen. Bereits hingewiesen wurde auf die Analysen von Pallavi Rastogi zur afroindischen Literatur. Sehen wir uns nun zwei literarische Texte aus anderen Räumen an. Der erste Text ist ein Gedicht von John Agard mit dem Titel „Listen Mr Oxford Don“ (1985). Agard, 1949 in Georgetown, British-Guyana geboren, ist afrokaribischer Herkunft und lebt seit 1977 in Großbritannien. John Agard Listen Mr Oxford Don 18 Me not no Oxford don me a simple immigrant from Clapham Common I didn’t graduate I immigrate But listen Mr Oxford don I’m a man on de run and a man on de run is a dangerous one I ent have no gun I ent have no knife but mugging de Queen’s English is the story of my life I dont need no axe to split/ up yu syntax 151 4.3 Diaspora und diasporische Lesart 19 Die Angaben sind ihrer Homepage entnommen, vgl. https: / / www.dragicarajcic.ch/ bio. Zu ihrer Biografie als Schriftstellerin gibt sie an: „Dragica Rajčić begann Anfang der Siebzigerjahre mit dem Schreiben, zuerst in ihrer Muttersprache. Seit ihrem ersten Aufenthalt in der Schweiz entstanden auch Gedichte, Kurzprosa und Theaterstücke in deutscher Sprache. Rajčić pflegt in ihren deutschsprachigen lyrischen Werken I dont need no hammer to mash/ up yu grammar I warning you Mr Oxford don I’m a wanted man and a wanted man is a dangerous one Dem accuse me of assault on de Oxford dictionary/ imagine a concise peaceful man like me/ dem want me serve time for inciting rhyme to riot but I rekking it quiet down here in Clapham Common I’m not a violent man Mr Oxford don I only armed wit mih human breath but human breath is a dangerous weapon So mek dem send one big word after me I ent serving no jail sentence I slashing suffix in self defence I bashing future wit present tense and if necessary I making de Queen’s English accessory/ to my offence Der zweite Text ist ein Gedicht der kroatischen Schriftstellerin Dragica Rajčić, die 1959 in der jugoslawischen Teilrepublik Kroatien geboren wurde und 1978 in die Schweiz migrierte, von wo sie 1988 nach Jugoslawien zurückkehrte. Nach Ausbruch der Jugoslawienkriege floh sie 1991 mit ihren Kindern erneut in die Schweiz, engagierte sich hier in der Friedensarbeit und studierte anschließend in Luzern. Sie lebt heute in Zürich und Innsbruck. 19 152 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung häufig einen bewusst an das so genannte „Gastarbeiterdeutsch“ angelehnten, an der Oberfläche rudimentär-fehlerhaft wirkenden Stil.“ 20 „Brief an Verwandshaft“, erschienen in Kummer, Irmela, Elisabeth Winiger, Kurt Fendt (Hrsg. 1987), Fremd in der Schweiz. Texte von Ausländern. Muri bei Bern, Ed. Francke im Cosmos-Verlag. Den Hinweis auf diesen Text verdanke ich Georges Lüdi. Siehe auch Lüdi 2005, 181-182. Dragica Rajčić Brief an Verwandshaft 20 In mitte des Bogen’s ein Riss - Ich lasse Euich gruzen Herz und lich wo ist mein Fuss begraben Kopf ist anderswo entflogen Es blüehen einige Kirschbaume in Nachbargarten idillische Zeiten nachmittags bei Garten pflegen Hier ist alles Herz und los habe kein Fleck Erde für Hände fur was auch Erde ohne Baum. So unterschiedlich die beiden Gedichte in Inhalt, Form, Stil und Sprache auch sind, weisen sie doch eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf. In der Ich-Form geschrieben, ist der Adressat der poetischen Rede jeweils ein fiktiver Anderer, ein „Mr. Oxford Don“ bzw. eine nicht näher bezeichnete „Verwandshaft“. In beiden Texten reflektiert das literarische Ich die Erfah‐ rungen von Migration und des Lebens in einem anderen Land - in der Diaspora (? ) - als Erfahrung von Marginalisierung und Ausschluss, von Un‐ behagen, Verlorenheit und - im zweiten Gedicht stärker als im ersten - auch von Wehmut gegenüber der früheren „erdverbundeneren“ Lebensweise („Hier ist alles Herz und los/ habe kein Fleck Erde/ für Hände“). Im Fall des ersten Gedichts paart sich zudem die Marginalisierungserfahrung mit der Ansage von Protest und Widerstand gegen den sprachlichen Habitus und 153 4.3 Diaspora und diasporische Lesart 21 Hierbei einmal unterstellt, dass diese Verwandten nicht alle in deutschsprachige Räume emigriert und einsprachig in Deutsch sozialisiert sind. Denn in einer Situation kommunikativer Nähe ist es wenig wahrscheinlich, dass das literarische Ich seine Gefühle in einer ‚Lernersprache‘ artikuliert, wenn im Kreis der Verwandten auch andere Sprachen für die nähesprachliche Kommunikation zu Verfügung stehen. Zu ‚Sprache der Nähe‘ vs. „Sprache der Distanz‘, vgl. Koch/ Oesterreicher 1986, 2011. Dazu kritisch Maas 2016. die Ausschlusspraktiken der gesellschaftlichen Eliten gegenüber Migranten und Minderheiten, verbunden mit einer gehörigen Portion Komik. Auf bemerkenswerte Weise „leben“ beide Texte von einem hoch kreativen Experimentieren auf der Ebene der Sprache und mit den sprachlichen Formen. So setzt die sprachliche Inszenierung des Gedichts von John Agard die Lautung, die grammatischen, lexikalischen und prosodischen Strukturen des von Vielsprachigkeit geprägten karibischen Englischs in Szene, während der Text von Dragica Rajčić all die Unsicherheiten, Experi‐ mente und Regelverstöße in einer Zweitsprache als ‚Lernersprache‘ (engl. interlanguage) einfängt und auf diese Weise die sprachliche Form selbst zum biografischen Gegenstand des Gedichts werden lässt. Dass sie ihren „Brief an Verwandshaft“ auf Deutsch schreibt und nicht, wie es bei einem Brief an die zurückgebliebenen Anderen-Eigenen im Land der Herkunft zu erwarten gewesen wäre, in einer der Sprachen ihrer Herkunftsgesellschaft, verweist auf die Funktion des fiktiven Anderen. 21 Der Andere ist gewissermaßen der Spiegel, vor dem sie sich ihrer eigenen Befindlichkeiten in der Situation relativer emotionaler und sozialer Isolation, doch eben auch in der Sprache ihrer Umgebung vergewissert. Ette nennt dies die „Technik oszillierender Spiegel“ (vgl. Abschnitt 4.5 zum migrantischen Schreiben), die hier auf einen Aspekt dessen verweist, was Stuart Hall unter dem Begriff der „diasporischen Lesart“ in die Diskussion gebracht hat. Ein anderer Aspekt dieser diasporischen Lesart zeigt sich im Gedicht von John Agard. Wieder ist die sprachliche Form des Gedichts der Bezugspunkt, dieses Mal allerdings ist es nicht die Differenz zwischen den Sprachen - Her‐ kunftsprache(n), Lernersprache, Sprache(n) des Migrationsziellandes u. a. -, sondern es sind die Differenzen innerhalb einer Sprache oder genauer: zwischen den Varietäten und den Praktiken in einer Sprache. Agard lässt sein literarisches Ich in Englisch sprechen, das sich in dieser Sprache an „Mister Oxford Don“ wendet, in einem Englisch allerdings, das in stark markierter Weise die sozialräumliche Herkunft des Ichs - und des Autors - in Szene setzt. Agard thematisiert auf diese Weise die soziale Marginalisierung des 154 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 22 Zum Verhältnis von Kreolisierung, Diaspora und Generation, vgl. Cohen/ Sheringham 2013, Chivallon 2013. Immigranten, die Sprachbarrieren und sprachlichen Ausschlussmechanismen und somit auch die Machtverhältnisse innerhalb einer in kultureller Hinsicht aristokratisch („Queen’s English“) und bildungsbürgerlich („Oxford dictio‐ nary“, „Mr Oxford Don“) geprägten Gesellschaft. In dieser Gesellschaft sucht das immigrierte Ich einen Platz, und es sucht Anerkennung, was notwendig auf eine Infragestellung der vorherrschenden Normen und Konventionen hinausläuft. Agards lyrisches Ich opponiert gegen die Oberhoheit des „reinen“, „richtigen“, kanonischen „Queen’s English“ und Oxford-Englisch mit hybri‐ den sprachlichen Formen. Es bedient sich dabei der Komik, der Imitation oder eben auch der „Kreolisierung“ 22 , wenn auch in einem übertragenen Sinne, um auf subversive Weise die Prestigenorm des Englischen zu attackieren und im Überfall auf das Englische der Queen die Geschichte seines Lebens sieht - „mugging de Queen’s English is the story of my life“. Was die diasporische Lesart dieses Gedichts freilegt, das sind sowohl die Brüche in den Biografien und in den Gesellschaften als auch die Konflikte und Reibungen zwischen den Kulturen und schließlich die Strategien der Akteure, deren Handeln auf Neuformung, Transformation und Hybridisie‐ rung zuläuft. Ein weiterer Beleg hierfür folgt in Abschnitt 4.5 mit der Studie zur kubanischen Diaspora in Paris (Gremels 2014). Wenn hier in diesem Abschnitt zwei singuläre Texte von zwei AutorInnen vorgestellt werden, dann kann die Interpretation dieser Texte für sich genommen nur im sehr eingeschränkten Maße in Anspruch nehmen, diasporische Verhältnisse zu beleuchten. Die serielle Untersuchung von Texten und Biografien, wie sie Gremels anhand der in Paris lebenden kubanischen AutorInnen vorlegt, kommt diesem Anspruch sehr viel näher. Grundsätzlich aber liegt das lite‐ raturwissenschaftliche Erkenntnisinteresse nicht auf der Migration großer Gruppen, auf den Unterschieden zwischen den Diasporen oder auf der Prüfung einzelner oder der jeweiligen Kriterien von Diasporen, sondern darauf, was der diasporische Blick oder die diasporische Lesart an Facetten von autochthonen, indigenen, migrantischen u. a. Konstruktionen freilegt. 155 4.3 Diaspora und diasporische Lesart 4.4 Erinnerung in Bewegung Zahlreich sind die Filme, die das Erinnern und das kollektive Gedächtnis zum Thema haben. Drei Beispiele seien erwähnt. 1959 kam „Hiroshima, mon amour“ des französischen Regisseurs Alain Resnais in die Kinos, der ein Filmklassiker geworden ist. Vierzehn Jahre nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima geht es in diesem Film um die Erinnerung an dieses Ereignis. Und zugleich geht es um Erinnerungen ganz anderer, ganz persönlicher Art. Die Protagonistin des Films ist eine namenlose französische Schauspielerin. Sie reist nach Japan und sieht sich mit der Erinnerung an den Abwurf der Atombomben konfrontiert, denn es fließen in dieses Erinnern ihre eigenen Erinnerungen an die Liebesbeziehung mit einem deutschen Besatzungssol‐ daten in ihrer Heimatstadt Nevers in Frankreich ein und wie sie daraufhin als Kollaborateurin geächtet wurde. Der kanadisch-armenische Regisseur Atom Egoyan wiederum befasst sich in seinem Film „Ararat“ (2002) anhand des Völkermords an den Arme‐ niern im Osmanischen Reich mit den Schwierigkeiten des individuellen und des kollektiven Erinnerns. Ein junger kanadischer Regisseur, selbst Nachfahre von Überlebenden dieses Genozids, kehrt in Egoyans Werk von Filmaufnahmen in der Türkei nach Kanada zurück. Bei seiner Einreise wird er von einem Zollbeamten, der in den Filmrollen Rauschgift vermutet, verhört. Bei dem Verhör kommt es zu einem sehr grundsätzlichen Gespräch über Armenien und den verdrängten Völkermord an den Armeniern. In verschiedenen Strängen der komplex verwobenen Handlung lotet Egoyan dabei die filmische Darstellbarkeit des Erinnerns mit den Mitteln des Kinos aus. Und schließlich sei der Film „Am Ende kommen Touristen“ (2007) von Robert Thalheim erwähnt. In diesem Film reist ein junger Berliner als Zi‐ vildienstleistender für ein Jahr in die Gedenkstätte des früheren nationalso‐ zialistischen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Dort angekommen, übernimmt er die Aufgabe, einen betagten polnischen KZ-Überlebenden zu betreuen, den er auch bei Vorträgen begleitet, die der ehemalige Häftling als Zeitzeuge vor Schulklassen hält. Mit diesem Film greift Thalheim die Erinnerung an die Opfer des Holocaust auf und zeigt, wie dieses Erinnern das kollektive Gedächtnis der Gegenwart prägt, in einer Zeit, in welcher immer weniger Zeugen der Naziverbrechen noch am Leben sind. Diese drei Filme - und es könnten noch viele andere hinzugefügt wer‐ den - befassen sich mit dem Erinnern und dem individuellen und kollektiven 156 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung Gedächtnis im Medium des Films. So unterschiedlich die Zugriffsweisen dieser Filme auf dieses Thema auch sind, gemeinsam ist ihnen, dass sie sich mit der Erinnerung an Ereignisse befassen, die ganze Generationen als trau‐ matisch erfahren haben und die in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben sind. Gemeinsam ist ihnen zweitens, dass sie sich mit der Spannung von Erinnerung und Vergessen im individuellen Erinnern befassen. Als weitere Gemeinsamkeit ist drittens bemerkenswert, dass in diesen Filmen die Erin‐ nerung eingebettet ist in das Reisen der Protagonisten und deren Mobilität durch Räume und Zeiten, einer Mobilität, die sie über Grenzen hinweg durch andere Länder und in andere Kulturen führt. Und schließlich viertens, dass es in diesen Filmen immer Dialoge sind, in denen Erinnerung ausgelöst oder angestoßen wird, in denen Fragen danach aufgeworfen werden, was vom kollektiven Gedächtnis auch individuell geteilt wird und wie sich das kollektive Gedächtnis verändert. Auf diese vier Gemeinsamkeiten wird am Ende dieses Abschnitts nochmals einzugehen sein. In ihrem Buch „Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen“ (2017) wirft Astrid Erll einleitend die Frage auf, warum zu dem bestehenden Begriffsrepertoire in den Kulturwissenschaften - Mentalitäten, Identitäten, Symbole, Diskurse, Texte - nun noch das ‚Gedächtnis’ hinzugefügt und Gesellschaftsformationen, historische Prozesse, Literaturen, Künste und Medien in dieser Perspektive ausgeleuchtet werden sollen (vgl. S. 1). Sie begründet diese Erweiterung des kulturwissenschaftlichen Kanons um die Konzepte des ‚Gedächtnisses‘ bzw. des ‚Erinnerns‘ auf dreifache Weise: erstens, dass Gedächtnis als gesamtkulturelles Phänomen in verschiedenen Bereichen der kulturellen Praxis eine bedeutende Rolle spiele. Erinnern und Vergessen werden in der zeitgenössischen Literatur und Kunst inszeniert, Gedächtnis sei ein mediales Topthema und zugleich ein kontroverser Dis‐ kussionsgegenstand in Politik und Öffentlichkeit. Zweitens sei Gedächtnis als interdisziplinäres Phänomen im Lauf der vergangenen zwei Jahrzehnte zu einem ‚Leitbegriff ’ der Kulturwissenschaft geworden. Altertums- und Reli‐ gionswissenschaften, Soziologie, Politologie und Geschichtswissenschaft, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte, Medienwissenschaft, Pädago‐ gik, Psychologie und die Neurowissenschaften beteiligten sich an der Erforschung des Zusammenhangs von Kultur und Gedächtnis. Drittens sei die Beschäftigung mit Gedächtnis ein internationales Phänomen und kei‐ neswegs auf Deutschland beschränkt. Im französischen Kontext sei Pierre Noras einflussreiches Konzept der ‚Erinnerungsorte‘ (les lieux de mémoire) entstanden, das schnell Nachfolger in anderen Ländern fand. Ereignisse wie 157 4.4 Erinnerung in Bewegung der Elfte September zeigten schließlich, dass es dabei keineswegs mehr allein um das nationale Gedächtnis ginge. Religion, Ideologie, Ethnie, Generation und Geschlecht gehörten heute zu den zentralen Koordinaten kollektiven Erinnerns in zunehmend transkulturellen und transnationalen Formationen (vgl. ebd.). Für Erinnerung und Gedächtnis ist - im Unterschied zu anderen Denk- und Vorstellungstätigkeiten - die Dimension der Zeit zentral. Sie beziehen sich auf frühere Ereignisse, Diskurse, Wahrnehmungen und Gedanken. Beim Erinnern ist die Sicht auf die Vergangenheit immer von der Gegenwart und von der Perspektive der beobachtenden Person geprägt, weshalb es auch für zukünftiges Handeln bedeutsam ist. Erinnerungen sind Konstruktionen, es sind keine objektiven Abbilder von vergangenen Ereignissen oder Wahr‐ nehmungen. Sie sind subjektiv und hochgradig selektiv. Berücksichtigung findet, was für die Gegenwart relevant ist. ‚Erinnern‘ soll hier verstanden werden als ein Prozess, ‚Erinnerung‘ als das Ergebnis dieses Prozesses, während ‚Gedächtnis‘ eine neuronale, kognitive und körperliche Fähigkeit von veränderlicher Struktur ist, so wie es in Begriffen wie Kurzzeitgedächt‐ nis, Langzeitgedächtnis, episodisches Gedächtnis, Gedächtnisverlust oder, mit explizitem Bezug auf die Körperlichkeit, in ‚Schmerzgedächtnis des Kör‐ pers’ anklingt. Erinnerung und Gedächtnis gelten als zentrale Phänomene von Identifikationsprozessen und Konstruktionen von Geschichte und Ge‐ schichten. Sie nehmen deshalb, über das hinaus, was die Neurowissenschaf‐ ten daran interessiert, eine Schlüsselposition in den Kulturwissenschaften ein. Seit den Untersuchungen des französischen Soziologen Maurice Halb‐ wachs (1877-1945), die sich von dem Buch „Les cadres sociaux de la mémoire“ (1925) zum posthum veröffentlichten Band „La mémoire collective“ (1950) erstrecken, nimmt der Begriff des ‚kollektiven Gedächtnisses’ einen zentra‐ len Platz in der Mentalitätsgeschichte ein. Er bedeutet, dass jede Erinnerung ein kollektives Phänomen in dem Sinne ist, dass jeder Mensch in materielle, mentale und soziale Bezugsrahmen, die cadres sociaux, eingebunden ist und damit an einer kollektiven symbolischen Ordnung teilhat. An das Konzept des kollektiven Gedächtnisses von M. Halbwachs knüpfen in Frankreich exemplarisch Mentalitätshistoriker wie Jacques Le Goff und Pierre Nora an. Einflussreich ist in dieser Hinsicht das Konzept der ‚Gedächtnisorte’, der ‚lieux de mémoire’, das Pierre Nora (1984) in dem gleichnamigen Band und einer Reihe von Folgepublikationen ausarbeitete. Gedächtnisorte sind Stätten oder Räume, im geografischen wie im symbolischen Sinne, an 158 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 23 Vgl. u. a. Koselleck/ Jeismann 1994; Band 15/ 16 der Zeitschrift Quo Vadis Romania“ mit dem Einleitungsbeitrag von Durand/ Röseberg 2000; zu den Erinnerungsorten im frankophonen Nordamerika, vgl. Kolboom/ Grzonka 2002. 24 Zu Erinnerung im Kontext der „Oral History“-Forschung und zur Abgrenzung von Erinnerung gegenüber Geschichte, wie sie P. Nora versteht, sowie weiterführend auch zu den Diskussionen über Erinnerungskulturen und -orte in Frankreich, vgl. Bories-Sawala 1997. 25 Deutlich in Richtung transkulturelles Erinnern weist bereits der Beitrag von Pfänder 2000, der sich die Frage stellt, ob Noras Konzept der Erinnerungsorte auf (franko)kari‐ bische Areale übertragbar sei und dazu die Problematik von Erinnerung und Vergessen im Kontext der karibisch-kreolischen Kulturen diskutiert. denen Gedächtnisinhalte vergegenwärtigt werden: Monumente, Museen, Kunstwerke, wissenschaftliche Texte, Wörterbücher, Feiern und Feiertage mit ihren Reden, Fahnen und anderen Riten, die die Erinnerungsbilder der französischen Nation aufrufen. Den sozialen Rahmen der Gedächtnisorte stellt bei Nora und in den sehr zahlreichen sich auf Nora berufenden Studien jeweils die Nation dar. Von Nora ausgehend, entfaltet sich eine breite Diskussion über Erinnerung und Vergessen, über Gedächtnisorte und Denkmäler. 23 Diese Forschungen zeigen, dass das Gedächtnis des Indi‐ viduums - vermittelt über und im Medium von Sprache, Kommunikation und soziale(r) Interaktion - maßgeblich durch die Gesellschaft und die kulturellen Traditionen geprägt wird und dass inhaltlich und strukturell individuelles und soziales Gedächtnis nicht trennbar sind, sondern sich in einer Wechselbeziehung befinden. 24 An die Erkenntnisse von Halbwachs zum kollektiven Gedächtnis an‐ schließend, verweist Aleida Assmann (1998, 31) darauf, dass Erinnerungen nicht nur die Gruppe stabilisieren, sondern die Gruppe auch die Erinnerung stabilisiert. Löst sich die Gruppe auf, verlieren die Individuen jenen Teil an Erinnerungen aus ihrem Gedächtnis, über den sie sich als Gruppe vergewisserten und identifizierten. Etwa um das Jahr 2010 zeichnet sich in den Memory studies ein ganzes Bündel von Veränderungen in den Sichtweisen auf Gedächtnis ab, die heute als Transcultural turn bezeichnet werden. Den Anstoß dafür geben Daniel Levy und Natan Sznaider mit ihrem Buch „Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust“ (2007), in welchem sie eine Erinnerungspraxis in den Mittel‐ punkt rücken, die ganz anderer Natur als beispielweise die Erinnerungsorte (lieux de mémoire) in einer Nationalkultur im Sinne Noras ist. 25 Nach dem Ende des Kalten Krieges und unter dem Eindruck sich beschleunigender Globalisierung befasst sich das Buch anhand des Erinnerns an den Holocaust 159 4.4 Erinnerung in Bewegung 26 In dieser Hinsicht einschlägig ist der Band von Spiller/ Mahlke/ Reinstädler 2020. mit den Spannungen zwischen nationalen Erinnerungen und der Entste‐ hung kosmopolitischer Gedächtniskulturen. Die beiden Autoren gehen der Frage nach: „Wie kann der national und ethnisch eingestellte Blick, der territoriale und dadurch nationalstaatliche Begriffshorizont für die Frage nach dem ‚entorteten‘, ‚transnationalen‘, sich ‚globalisierenden‘ und damit letztlich ‚kosmopolitischen‘ Gedächtnis geöffnet werden? “ (Levy/ Sznaider 2007, 9 f.). Im Zeitalter der Globalisierung könne, so die These der Autoren, kollektive Erinnerung nicht mehr auf einen territorial und national fixierten Ansatz reduziert werden. Stattdessen zeigen [sie], wie sich kosmopolitische Ge‐ dächtniskulturen an universalen Symbolen, etwa der ‚Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte‘ oder dem Begriff des ‚Verbrechens gegen die Menschlichkeit‘, orientieren. (ebd.) Für die beiden Autoren stellt sich die Erinnerung an den Holocaust als Kosmopolitisierung des kollektiven Gedächtnisses, als Herausbildung eines kosmopolitischen Gedächtnisses, als vergangenheitsbezogene wie zukunfts‐ weisende Erinnerung dar. 26 Die rezente Forschung transkulturellen Zuschnitts bringt zudem als grundlegend das Konzept der ‚Multi-Skalarität‘ von Erinnerung in Anschlag. Das bedeutet, dass „viele Erinnerungen zugleich individuellen, familiären, regionalen, urbanen, nationalen und transnationalen Gedächtnisrahmen zuzuordnen sind“ (Erll 2017, 124), somit also die von Halbwachs angenom‐ menen cadres sociaux transzendieren, sie sich überschneiden und mischen und „damit jede Form der abschließenden Kategorisierung sprengen“ (ebd.). Dieses Transzendieren, Überschneiden und Mischen von Gedächtnis‐ rahmen und Erinnerungspraktiken zeigt sich erstens an den von unter‐ schiedlichen Akteuren geteilten Erinnerungsorten, die durch Reise und Handel, durch Kolonialismus und andere Formen des kulturellen Kontakts entstanden sind. Zweitens zeigt es sich in der Heterogenität nationaler Erinnerungskultur, die je nach den verschiedenen Klassen, Generationen, ethnischen Gruppen, Religionsgemeinschaften und Subkulturen „allesamt verschiedene, doch in vieler Hinsicht miteinander verwobene Erinnerungs‐ kulturen hervorbringen“ (ebd., 125). Und drittens lenkt es die Aufmerksam‐ keit auf die „Relevanz, die Formationen jenseits des Nationalstaates für kulturelle Erinnerung haben: die weltweite Umma, der Katholizismus, die europäische Linke, aber auch Fußball, Musikkultur und Konsumkulturen“ 160 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung (ebd., 125). Zu Recht weist Erll darauf hin, dass es nicht nur um die Denkfigur von ‚nationaler zu postnationaler Erinnerung‘ geht, was einer Gedächtnisforschung mit kurzem Gedächtnis entspräche, sondern auch andere Rahmungen und Verflechtungen zu berücksichtigen sind. Was bedeutet nun dieser transkulturelle turn für die kulturwissenschaftli‐ che Erforschung von Prozessen des Erinnerns und des kollektiven Gedächt‐ nisses? Er bedeutet zunächst, dass die Annahme von sozialen Rahmen wie etwa jenes Rahmens, der durch die Nation gestiftet wird, vielen Erinne‐ rungsprozessen nicht gerecht wird, wie es oben unter Verweis auf die ‚Multi-Skalarität‘ schon erwähnt wurde. So erweist sich einerseits die Kritik der feminist memory studies in dieser Hinsicht als erhellend. Sie zeigt, wie die hegemonialen Erinnerungspraktiken, z. B. die Erinnerungskultu‐ ren an Großereignisse, Mächtige und Kriegsherren den Blick versperren auf andere oder gegenläufige Erinnerungspraktiken von marginalisierten oder minorisierten Gruppen, wie sie beispielsweise in der Geschichte der Frauenbewegung oder von autochthonen Völkern vielfach aufzuspüren sind (vgl. Reading 2014). Andererseits bedeutet die Hinwendung zum Transkulturellen, dass auch die Orte der Erinnerung, die lieux de mémoire, die als eine Art Fixpunkte in den Landschaften des Erinnerns gegolten haben, eine Erweiterung oder auch Umdeutung dadurch erfahren, dass im Zuge der Kosmopolitisierung des Gedächtnisses die Orientierung an universalen Symbolen an Bedeutung gewinnt, wie es Levy/ Sznaider (2007) betonen. Und schließlich ergeben sich maßgebliche Veränderungen aus der Einsicht, dass für das Gedächtnis von besonderer Bedeutung die Medien sind, in welchen Erinnerung geformt, gespeichert, verfügbar gehalten und verfügbar gemacht wird. Auf die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern und das Medium des Buchs ist in diesem Zusammenhang vielfach hingewiesen worden. Mit der Digitalisierung und dem Internet erleben wir jedoch einen radikalen Umbruch. Seit Informationsströme (quasi) weltweit zirkulieren und sich vernetzen, seit Speicherplatz geradezu unbegrenzt zur Verfügung steht und im Grunde alles archiviert werden kann, seit es Algorithmen gibt, die über Suchmaschinen das Archivierte durchforsten und dabei vielfältige neue Ordnungen stiften, erscheinen Erinnerung und Gedächtnis in neuen Dimensionen. Und dies nicht mehr (nur) an festen Orten, sondern zunehmend entlokalisiert, mobil und im virtuellen Raum. Die Leerstelle in der Erinnerungsforschung, die von Forschungsansätzen des Transcultural Turn in prominenter Weise besetzt wird, besteht darin, 161 4.4 Erinnerung in Bewegung Prozesse des transkulturellen Erinnerns in ihrer ‚Bewegung‘ bzw. im Kon‐ text von ‚Mobilität‘ zu beschreiben. Es geht darum, Erinnerung in Form von Geschichten, Ritualen, Bildern, Praktiken, die das kulturelle Gedächtnis ausmachen, in ihrer Dynamik zu verstehen. In gewisser Analogie zu den ‚Literaturen ohne festen Wohnsitz‘ geht es auch beim transkulturellen Erinnern zentral um die Kategorie von Bewegung/ Mobilität, um „travelling memory“, wie es bei Erll (2011) heißt. Hierbei lässt sich nun wieder an die Argumentation von Erll anknüpfen, die davon ausgeht, dass sich das Gedächtnis zu allererst durch die Bewegung von Menschen und Medien [konstituiert]. Aus dieser transkulturellen Perspektive geraten nicht so sehr die Orte der Erinnerung (lieux de mémoire) in den Blick, sondern die ‚Reisen‘ oder die Bewegungen der Erinnerung (voyages oder mouvements de mémoire) (ebd., 125). In analytischer Hinsicht lässt sich nach Erll ‚Erinnerung in Bewegung‘ in fünf Dimensionen aufspalten: Menschen, Medien, Inhalte, Formen und Praktiken (vgl. ebd., 126). Im Einzelnen geht es um Folgendes: ▸ Menschen, im Sinne der Akteure von Erinnerung in Gestalt von Mi‐ grantInnen, HändlerInnen, TouristInnen und allgemein von Reisenden, wie es mit den Personen in den eingangs genannten Filmen bereits angesprochen wurde. ▸ Medien, im Sinne von zirkulierenden Texten, Objekten, Bildern in zu‐ nehmend globalen und digitalen Medienkulturen, denken wir zunächst an Fotos aus der Kindheit oder an Tagebücher, dann an die massenme‐ diale Verbreitung von Fernsehbildern und Zeitungsberichten, wie etwa jene zu 9/ 11 oder der Atomreaktor-Katastrophe von Fukushima, die nun auch auf vielfältig ver- und bearbeitete Weise im Internet zirkulieren, und schließlich an die digitale Mobilisierung der Menschen im „Arabi‐ schen Frühling“ als einer Art „Twitter-Revolution“. Und all dies findet Eingang in literarische Texte, Theaterstücke, Filme, Choreografien und andere Ausdrucksformen und wird mit den jeweils zur Verfügung stehenden Mitteln erzählt und global bzw. transkulturell erinnert. ▸ Inhalte, neudeutsch memory content, im Sinne von wandernden Bildern und Geschichten über die Vergangenheit und ihre mediale Inszenierung, ihrer ‚Remediation‘. Der Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich ist in diesem Sinne eingangs schon erwähnt worden. Ein anderes Beispiel ist der Fall der ‚Berliner Mauer‘ als ein Ereignis, das in den ver‐ schiedenen sozialen und politischen Milieus in Deutschland, aber auch 162 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung in Polen, Frankreich, Russland, Großbritannien, den USA etc. erinnert wird, nicht selten auch mit merkwürdig ambivalenten Interpretationen angesichts der Errichtung neuer Mauern, wie in Israel oder an der Südgrenze der USA. ▸ Formen, im Sinne von Topoi, Narrativen und Ikonen. Hierfür als Bei‐ spiel erwähnt Erll den Topos never again/ nunca mas, der von der Holocaust-Erinnerung nach Argentinien und von dort nach Spanien „gewandert“ sei. Und schließlich ▸ Praktiken, im Sinne von wandernden Ritualen, die das ‚Wie‘ des kol‐ lektiven Erinnerns aufrufen. Zu denken wäre an das Instrument und die Praxis der Wahrheitskommissionen, die in den 1980er und 1990er Jahren zunächst in Bolivien, dann in Argentinien und Chile, Ende der 1990er Jahre in Südafrika und von 2007 an auch in Kanada eingerichtet wurden, um Aufklärung von politischen Strafangelegenheiten, Wieder‐ gutmachung und Versöhnung zu erreichen. Zurück zu den eingangs erwähnten drei Filmen, an die erinnert wird, um einen Abschnitt über „Erinnerung in Bewegung“ und das kollektive Gedächtnis in seinen transkulturellen Bezügen einzuleiten. Dass in diesen Filmen die Zusammenhänge von Mobilität, Erinnerung und Dialog so prominent heraus‐ gearbeitet werden, erlaubt es, die gerade erwähnten fünf Dimensionen als Analyseraster für das zu verstehen, was sich erinnernder Weise bewegt und transkulturell wandert: Menschen, Medien, Inhalte, Formen und Praktiken. Für das Gedächtnis ist die Mobilität von Menschen und das dialogische Prinzip geradezu konstitutiv. Auch unterstreichen diese Filme, dass Erinnern auf fundamentale Weise ein transkultureller und interaktiver Prozess ist. Die Filme ihrerseits, als Medium betrachtet, zirkulieren. Sie wandern durch die Kulturen hindurch, synchronisiert oder untertitelt als Akte von Translatio (siehe 4.8), wie auch die ProtagonistInnen in diesen Filmen, anhand derer die Erinnerungs‐ praxis inszeniert wird, Akteure in Bewegung sind. Und sie stehen für die Bedeutung der Medien bei der Konstitution des kollektiven Gedächtnisses, hier speziell als Medium transkulturellen Erinnerns. Als Formen bedienen sich diese Filme verschiedener Typen von Narrationen. Vergangenheit wird erzählt und dabei immer auch, von der Gegenwart aus, als Erinnerung konstruiert. Vergangenes, an das sich die ProtoganistInnen erinnern, unterliegt einem Selektionsprozess - auch im Sinne von Erinnerung und Vergessen - der oft assoziativ und durchaus auch spontan und unfreiwillig erfolgt, wie es schon in Marcel Prousts Suche nach der verlorenen Zeit und der „mémoire involontaire“, 163 4.4 Erinnerung in Bewegung der unfreiwilligen Erinnerung, ein Thema war, ausgelöst durch den Biss in ein Stück Gebäck namens Madeleine. Das Gesagte lässt sich mit der Feststellung von Brunow (2015, 99) zusammenfassen: „Transculturality is defined by the routes, not the roots of cultural memory. Its various translations and appropriations turn cultural memory into transcultural memory.“ Es liegt auf der Hand, dass die eingangs erwähnten Filme nicht nur für das Medium des Films, dem sich auch Brunow widmet, stehen, sondern sich von hier aus ein Bogen schlagen lässt zur Literatur mit den ihr gegebenen Mitteln der sprachlichen Ausformung und ästhetischen Ver- und Bearbeitung des kulturellen Gedächtnisses, wie es im folgenden Abschnitt über migrantisches Schreiben und die „Literaturen ohne festen Wohnsitz“ ausgeführt wird. Ein Beispiel stellt die Untersuchung von Andrea Gremels (2014) über die im Pariser Exil lebenden kubanischen AutorInnen dar. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf die aus einer Position der Marginalität und der Machtlosigkeit erfolgende „Gegen-Erinnerung“ dieser AutorInnen - gegen die offizielle Geschichtsschreibung und Geschichtsaus‐ legung in Kuba - und untersucht die konkurrierenden memoria-Inhalte, die den Kern von „kulturellen Überlebensstrategien“ (ebd., 36) darstellen. Im Spannungsfeld von Exil, Diaspora und transkulturellen Erfahrungen lotet sie anhand von Lyrik und Prosa dieser in Paris lebenden AutorInnen die Bezie‐ hungen zwischen Sprachverlust und Wortergreifung und von Heimatverlust und Weltengewinn aus. Im Sinne von „travelling memory“ bedeutet dies, dass diese AutorInnen in ihrer Literatur das Exil als Rückwärtsbezogenheit und die Transkulturalität als Vorwärtsgewandtheit imaginieren. Auf diese Weise wird auch deutlich, dass unter den heutigen Gegebenheiten der Erinnerung im globalen Zeitalter auch die Problematik der Diaspora neu zu denken ist, worauf oben in Abschnitt 4.3 bereits eingegangen wurde. 4.5 Migrantisches Schreiben - Literaturen ohne festen Wohnsitz Mit der Figur des Léon l’Africain im gleichnamigen 1986 erschienenen Roman ruft Amin Maalouf, ein 1949 in Beirut geborener und in Frankreich lebender Autor, das Leben und Wirken einer historischen Persönlichkeit ins Gedächtnis. Geschrieben als Autobiografie fiktiven Zuschnitts, lässt Maalouf gleich zu Beginn des Textes seinen Protagonisten sich mit den Worten vorstellen: 164 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 27 Maalouf, Amin, Léon l’Africain, Paris: Jean-Claude Lattès 1986, S. 9; hier zitiert nach der deutschen Übersetzung unter dem Titel „Leo Africanus. Der Sklave des Papstes“ von Bettina Klingler und Nicola Volland, München: edition meyster 1988, 7. Ich, Hassan, Sohn von Mohammed, dem Waagemeister, ich, Johann Leo von Medici, beschnitten von der Hand eines Barbiers und getauft von der Hand eines Papstes, werde heute Africanus genannt, doch komme ich nicht aus Afrika, noch aus Europa oder Arabien. Man nennt mich auch den Granader, den Fassi, den Zayyati, doch bin ich aus keinem Land, aus keiner Stadt, von keinem Stamm. Ich bin ein Sohn der Straße, meine Heimat ist die Karawane und mein Leben ist eine Reise voller Überraschungen. […] Aus meinem Munde kannst du Arabisch, Türkisch, Kastilisch, die Sprache der Berber und die Sprache der Juden, Latein und die italienische Volkssprache vernehmen, denn an allen Sprachen, allen Gebeten habe ich Anteil. Ich dagegen bin Teil von nichts und niemandem. Ich bin nur Gottes und der Erde, und zu ihnen werde ich eines nicht mehr fernen Tages wieder zurückkehren. 27 Die historische Figur, die im Mittelpunkt des Romans von Maalouf steht und vermutlich wenige Jahre vor oder nach dem Fall von Granada 1492 in der bis dahin noch verbliebenen letzten Insel und Hauptstadt des mau‐ rischen Nasridenreichs auf der iberischen Halbinsel geboren wurde, ging in die Geschichte tatsächlich unter verschiedenen Namen ein: in Arabisch als al-Hassan ibn Mohammad al-Zayyātī al-Fāsī al-Wazzān, latinisiert als Iohannes Leo Africanus und Iohann Leo de Medici, italienisiert auch Giovan Leone Affricano. Als Diplomat im Dienst verschiedener arabisch-nordafri‐ kanischer Herrscher durchquert er den Maghreb und das subsaharische Afrika, führt Missionen in Kairo und Konstantinopel aus, wird entführt und gelangt nach Rom, wo er von Papst Leo X. persönlich getauft wird und er dessen Namen annimmt. Er lehrt in Bologna Arabisch, verfasst hier auch ein medizinisches Wörterbuch arabisch-hebräisch-lateinisch und bleibt der Nachwelt als herausragender Kenner Afrikas und Autor der zunächst in Arabisch geschriebenen, dann 1530 in Latein publizierten Cosmographia de Affrica in Erinnerung, die wenige Jahre später auch in Toskanisch (Descrit‐ tione dell’Africa) und in Französische (Description de l’Afrique) veröffentlicht wird. Maalouf erschafft aus dieser Person ein Roman-Ich, das Wanderer zwi‐ schen den Welten, Reisender in ständigem Aufbruch, Bewohner einer Zwischenwelt zwischen Orient und Okzident ist. Diese Zwischenwelt ist kein eigener Raum, sondern eine Bewegung, ein ständiges Oszillieren, wie 165 4.5 Migrantisches Schreiben - Literaturen ohne festen Wohnsitz es bei Ottmar Ette heißt. Das Ich entziehe sich gleich zu Beginn von Léon l’Africain jeglicher Territorialisierung, jeder Rückbindung an eine territorial verwurzelte Zuordnung und Identität. „Seine Genealogie entspringt der Bewegung, sein Leben ist nicht Verortung sondern Querung, sein Vaterland der rastlose Zug einer Karawane“ (Ette 2010, 129). Für den Literaturwissenschaftler Ottmar Ette stellt dieser Roman - wie das gesamte bisherige Werk des Autors Amin Maalouf - einen muster‐ gültigen Beleg für das Konzept der ‚Literaturen ohne festen Wohnsitz’ dar. Dieses Konzept siedelt sich auf einem Forschungsfeld an, das die Literaturwissenschaft seit Anfang der 1990er Jahre mit Begriffen wie ‚Mi‐ grantenliteratur(en)‘, ‚migrantisches Schreiben‘, ‚écriture croisée’ ( vgl. u. a. Moisan/ Hildebrand 2001) zu bestimmen versucht. In Frankreich findet auch das Etikett einer ‚littérature beure‘ bzw. ‚le roman beur‘ für die Werke von AutorInnen der zweiten Generation arabischer ImmigrantInnen (vgl. u. a. Laronde 1993) Verwendung, ohne dass damit in begrifflicher Hinsicht ausgeschöpft wäre, was Ettes Konzept der ‚Literaturen ohne festen Wohn‐ sitz’ alles und zugleich in besonderer Weise erfassen will. Denn wenn die Diskussionen über Migrantenliteraturen, migrantisches Schreiben und littérature beure den Eindruck aufkommen lassen, es handle sich hierbei um ein Phänomen der gegenwärtigen Phase der Beschleunigung der Glo‐ balisierung, so kann Ette anhand seines Kronzeugen Maalouf und dessen Protagonisten Hassan eine Literatur ohne festen Wohnsitz auch schon in der Zeit des Renaissancehumanismus, der Anfänge der kolonialen Eroberung der Neuen Welt und somit in der Frühphase von Globalisierungsprozessen verorten. Transterritoriale Mobilität war unter den Gelehrten jener Zeit an der Tagesordnung, wofür ihnen ihre Mehrsprachigkeit die Räume öffnete, durch die sie wanderten. Wir sehen dies, um nur ein Beispiel zu nennen, im Werkzyklus von François Rabelais über die beiden Riesen Gargantua und Pantagruel. Und nicht umsonst trägt ein heutiges europäisches Mobi‐ litätsprogramm für Studierende den Namen Erasmus, nach Erasmus von Rotterdam, der ein ebenso polyglotter wie mobiler Zeitgenosse des Johannes Leo Africanus war. Was stellen diese ‚Literaturen ohne festen Wohnsitz’ dar, die sich einer Bestimmung sowohl als Exilliteratur als auch als Diasporaliteratur entziehen und die quer liegen zu dem, was sich Anfang des 19. Jahrhunderts als Nationalliteratur zu etablieren beginnt? Der im Libanon aufgewachsene Amin Maalouf, der das Land im Zuge der Gewaltausbrüche in den 1970er Jahren als Erwachsener in Richtung Frank‐ 166 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 28 Vgl. auch die hierzu einschlägigen Studien in Leroy/ Leroy 2014. reich verlässt, wehrt sich verschiedentlich gegen die ihm vom Marketing der Verlage zugeschriebene Kategorie des Literaten im Exil und seiner Literatur als Exilliteratur. Exil sei für ihn „ein Gefühl, eine Haltung, ich würde sagen ein Hirngespinst“ (zitiert nach Ette 2010, 117). Ja, er habe sein Land im Krieg verlassen müssen, um sich in einem anderen Land niederzulassen, was er als einen Weg verstehe, ein anderes Land zu entdecken und sich eine zusätzliche Zugehörigkeit und eine weitere Kultur anzueignen. Maalouf sagt von sich: Ich folge dem Lauf meines Lebens mit all seinen Umleitungen, die es im Lauf jedes Lebens eben geben kann, aber ich mag den Begriff des Exils nicht besonders, denn er setzt voraus, dass es ein Land gibt, dem man zugehörig sein sollte, so dass man notwendig entwurzelt wäre, sobald man woanders ist. Nein, der Mensch hat seine Wurzeln im Himmel. (ebd., 117 f.) Bei den ‚Literaturen ohne festen Wohnsitz’ geht es „weniger um die Frage des Exils als bipolarer und asymmetrisch geprägter (da an einem verlorenen Zentrum ausgerichteter) Struktur“, und auch nicht „um Strukturen einer Diaspora […], die ihrerseits trotz einer weltweiten Vernetzung freilich sehr wohl auf bipolaren Aus- und Abgrenzungsmechanismen beruhen kann und oftmals auch beruht“ (ebd., 122). Vielmehr zeichnet sich diese Literatur durch Bewegung aus, ist Literatur in Bewegung, Literatur, die nicht territorial fixiert ist und deren AutorInnen sich nicht auf eine Sprache festlegen lassen. 28 Maalouf, der sich schreibend im Arabischen ebenso wie im Französischen bewegt, stellt keinen Sonderfall dar. Im Gegenteil: Mehrsprachigkeit in der Literatur ist, wie wir seit den Untersuchungen von Georg Kremnitz (2015) wissen, weit verbreitet und die Wahl von individuellen Literatursprachen von vielen Faktoren abhängig. Kremnitz unterscheidet in seiner kommu‐ nikationssoziologischen Betrachtung der Sprachenwahl von AutorInnen einerseits die Migration von Gruppen, insbesondere im Zuge von Arbeits‐ migration, und andererseits die individuelle Migration, die ein weitgehend zeitloses Phänomen sei. Johannes Leo Africanus, Erasmus von Rotterdam und eben auch Amin Maalouf können für letztere als Beispiele angeführt werden. Im deutschsprachigen Raum hat zunächst die damals so bezeichnete „Gastarbeiterliteratur“, die in der Folge der massiven Arbeitsmigration der 1960er bis 1980er Jahre entstand, Interesse auf sich gezogen. Allerdings ist das Phänomen dieser kollektiven Migration weit älter, denken wir an 167 4.5 Migrantisches Schreiben - Literaturen ohne festen Wohnsitz 29 Zur aktuellen Situation der Migration aus dem subsaharischen Afrika nach Europa und der Praxis afrikanischer Sprachen in Europa, vgl. Erfurt/ Reimer 2021. die Neuansiedlung der aus Frankreich vertriebenen Hugenotten in Hessen, Berlin und Brandenburg sowie in anderen Regionen Europas und in Übersee. Migrationsliteratur entstand auch in kolonialen und postkolonialen Migra‐ tionsprozessen, die, Kremnitz zufolge, zur Entstehung von Literatur in den Herkunftssprachen in den Migrationszielländern führte, wie die deutsch- oder dänischsprachige Literatur in Argentinien. Dem entsprechende Er‐ scheinungen sind in den USA, Kanada und in anderen Migrationszielländern in großer Vielfalt zu konstatieren (vgl. S. 173). Häufig sind es nicht die MigrantInnen der ersten Generation, sondern die der zweiten, mitunter auch der dritten Generation, „welche eine ihnen entgleitende Sprache und Kultur bewahren wollen“ (ebd.). Darauf nimmt nicht zuletzt das Konzept der Diasporaliteratur Bezug (siehe auch Abschnitt 4.3). Eine Wanderungsbewegung anderer Art zeichnet sich in Europa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ab. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wie auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs öffneten sich einige europäische Länder gegenüber ihren Kolonien, sei es, dass billige Arbeitskräfte aus den Kolonien angeworben, sei es, dass in den Zentren der Kolonisation dem intellektuellen Nachwuchs aus den Kolonien in begrenz‐ tem Maß der soziale Aufstieg über Bildung und Beruf gestattet werden sollte. Für Frankreich lassen sich als prominente Beispiele der Dichter Léopold Sédar Senghor, nach der Unabhängigkeit auch Staatspräsident des Senegal, und Aimé Césaire aus Martinique nennen. Für die Literatur der Arbeitsmigration, hier nach Großbritannien, wäre Samuel Selvon als Beispiel zu nennen, der mit seinem Roman „The Lonely Londoners“ (1956) das englisch basierte Kreol der Karibik als Erzähl- und Dialogsprache in die anglophone Literatur einführt. Im selben Jahr publiziert der senegalesische Autor Ousmane Sembène in Frankreich den Roman „Le docker noir“, in welchem er seine Erfahrungen als (illegal eingereister) Hafenarbeiter in Marseille verarbeitet. 29 Mit der Diversifizierung der Arbeitsmigration aus Italien, Griechenland, Spanien, Portugal, der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien seit den 1960er Jahren fächern sich in der Folgezeit auch die Migrationsliteraturen weiter auf. Kremnitz sieht einen Grund dafür darin, dass die frühen Auto‐ rInnen zunächst in ihrer Herkunftssprache schreiben und erst allmählich in eine andere Sprache wechseln, in den deutschsprachigen Ländern ins 168 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung Deutsche, im Zuge der Migration nach Frankreich zunehmend oder gänzlich ins Französische (vgl. auch Mathis-Moser 2012). Damit gehen bedeutsame Veränderungen einher: „[S]ie schreiben nicht mehr für Leser „zu Hause“, sondern sie wenden sich nun an das Publikum des Aufnahmelandes, dem sie Anderes erklären müssen/ wollen, als den eigenen Landsleuten“ (Kremnitz 2015, 176). Für diese Umorientierung des Schreibens führt Kremnitz exemplarisch den aus Italien stammenden Autor Franco Biondi (geb. 1947 in Forlì) an, ein gelernter Elektroschweißer und Feinmechaniker, der 1965 als Industrie‐ arbeiter nach Deutschland kommt, auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur erlangt, in Frankfurt am Main Psychologie studiert und in den 1970er Jahren seine ersten literarischen Texte veröffentlicht. Als einer der ersten Vertreter der „Gastarbeiterliteratur“ - ein Terminus, den Biondi selbst in seinen Gedichten und Texten ideenreich karikiert (vgl. Amodeo 2010) - engagiert er sich im „Polynationalen Literatur- und Kunstverein“ (auch PoLiKunst-Verein; 1980-1987), dessen Mitbegründer er ist und der einen wichtigen symbolischen Beitrag für die Schaffung eines Selbstbewusstseins dieser AutorInnen leistet. Die Ausgangspunkte seiner überwiegend auf Deutsch verfaßten Texte sind existentielle Situationen, die mit Auswanderung, Fremdheit, sprachlicher Vielfalt, mit dem Aufenthalt auf Widerruf und dem Pendeln zwischen verschiedenen Ländern und Kulturen zusammenhängen. Biondi beläßt es jedoch nie bei einer einfachen inhaltlichen Verarbeitung seiner Themen, er hat vielmehr literarische Verfahren entwickelt, mit deren Hilfe er die existentielle Situation ins Ästhetische übersetzt. Seine Texte zeichnen sich durch eine labyrinthische, teilweise brüchige, immer vielschichtige Schreibweise, durch eigenwillige Metaphorik und eine themenadäquate Sprache aus. (Amodeo 2010) Aus dieser Einschätzung ergeben sich bereits einige wichtige Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage, worin sich Literaturen ohne festen Wohn‐ sitz von der Literatur jener AutorInnen unterscheidet, die, vereinfacht formuliert, als autochthon zu kategorisieren sind und deren Schreiben nicht von Erfahrungen der Migration auf die Probe gestellt wurde. Ette formuliert einen der Unterschiede folgendermaßen: Das Schreiben in und aus der Zwischenwelt ist nicht allein mit der Ablösung des Ichs vom Territorium und mehr noch vom Territorialen verbunden: Es löst und erlöst den Schreibenden auch von einer exklusiven, andere Sprachen 169 4.5 Migrantisches Schreiben - Literaturen ohne festen Wohnsitz 30 Den Hinweis auf das Buch von Sezgin (2011) verdanke ich Anna Weirich. ausschließenden Zugehörigkeit zu einer einzigen, zu einer allein „identitätsstif‐ tenden“ Sprache. Nicht nur die Territorien, auch die Sprachen werden in dieser traversée gequert. Eine transterritoriale wird durch eine translinguale Dimension ergänzt, die der Muttersprache im Raum der Literatur keinen privilegierten, keinen beherrschenden Ort mehr zuweist. (Ette 2010, 130) Was dies im Einzelnen für die AutorInnen und für ihre Arbeit an Sprache bedeutet, wird hier freilich unterschlagen, weshalb es wichtig ist, neben der Ablösung des Ichs vom Territorialen und den damit verbundenen Zugehörigkeiten einen zweiten Unterschied zu benennen. Dieser lässt sich daran festmachen, welche Auseinandersetzungen und Konflikte in die Sprachbiografien der AutorInnen eingeschrieben sind. Denn die Territorien, die sie durchqueren sind keine neutralen Räume, sondern soziale und ökonomische und damit solche, die unter den gegebenen Verhältnissen von sozioökonomischer Ungleichheit, von systemischem Rassismus und den Machtverhältnissen auf dem Markt der Literatur markiert sind. Es sind Räume, in denen die Mehrheitsgesellschaft ihre Vorstellungen von Normalität und von legitimer Sprache festgezurrt hat und auf diese Weise Menschen mit anderen Biografien zu „Anderen“, „Fremden“ oder eben zu MigrantInnen macht. Sie weist ihnen die Rollen zu, die sie als AutorInnen, soweit sie überhaupt Zugang zum literarischen Markt haben, auf diesem spielen dürfen: meist sind es die in ethnisierten Nischen. Die oben zitierten Texte von Dragica Rajčić und John Agard belegen dies auf ihre Weise. Amin Maalouf als Erfolgsautor vermochte es, sich gegen die ihm vom Marketing der Verlage zugedachte Rolle des libanesischen Exilliteraten zu wehren. Die meisten seiner KollegInnen verfügen jedoch nicht oder nicht in gleicher Weise über dessen symbolisches Kapital, um erfolgreich am literarischen Markt partizipieren zu können. In dem 2011 publizierten „Manifest der Vielen. Deutschland erfindet sich neu“ sind es 30 AutorInnen, die mit ihren Biografien und Texten ein Signal gegen Ausgrenzung und Rassismus sowie für das „Eigenrecht gelebten Lebens“ setzen, wie es Hilal Sezgin, die Herausgeberin des Bandes nennt. 30 Ein dritter Unterschied besteht in dem, was Ette die „Technik oszillie‐ render Spiegel“ nennt. Diese Technik „oszillierender Spiegel“ bedeutet einen ständigen Blickwechsel, „eine perspektivische Spiegelung von der anderen Seite“ (ebd. S. 128). Amodeo (s. o.) erkennt ihrerseits bei Biondi 170 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 31 Das Substantiv patrie (fem.) bedeutet Vaterland, das Verb partir (weg-/ fort-)gehen, -fahren. „eine labyrinthische, teilweise brüchige, immer vielschichtige Schreibweise“ und eine „eigenwillige Metaphorik“. Von grundsätzlicher Bedeutung ist die „perspektivische Spiegelung“ für das Verstehen gesellschaftlicher Dynami‐ ken und individueller Erfahrungen der Ein- und Ausgrenzung, der Auf- und Abwertung, der Anerkennung oder Missachtung kultureller Praktiken seitens und innerhalb der dominanten Gesellschaft, wofür sich bei Biondi oder, wie am Beispiel von John Agard und Dragica Rajčić schon erwähnt, einschlägige Texte finden. Der Gesellschaft den Spiegel vorhalten, ist auch das Anliegen des Bandes „Eure Heimat ist unser Albtraum“ (2019), heraus‐ gegeben von Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah, in welchem vierzehn SchriftstellerInnen ihre Erfahrungen mit Rassismus und Antisemi‐ tismus in Deutschland zur Sprache bringen. Vor dem Hintergrund kommunikationssoziologischer Untersuchungen zur Sprachenwahl von AutorInnen, wie sie Kremnitz (2015) vorgelegt hat, soll abschließend der Blick erneut auf den Anfang dieses Abschnitts gerich‐ tet werden, auf Maaloufs Léon l’Africain und Ettes Konzept der ‚Literaturen ohne festen Wohnsitz’, für das sich zahllose weitere Schriftstellerbiografien anführen lassen. Sieht es nicht ganz danach aus, so lässt sich fragen, dass Maalouf in Hassan eine Person sprechen lässt, die wir heute als Kosmopoliten, als Weltbürger bezeichnen würden? Jemand, der sich frei macht von lokalen, territorialen und gemeinschaftlichen Fixierungen, der weltläufig ist und sich an und in der Welt orientiert, jemand, der dafür auch das Kapital, materiell wie symbolisch, zur Verfügung hat und einen Lebensstil praktiziert, der von Offenheit, Neugier und Toleranz geprägt ist? Und nicht zuletzt jemand, der auch die sprachlichen Kompetenzen hat, um sich quer durch die Kulturen orientieren und verständigen zu können? Verkörpert nicht auch Maalouf selbst, zumindest seit er der hoch dekorierte Erfolgsautor ist, den Typ des Kosmopoliten, wenn er bekennt, er habe ein starkes „Bedürfnis, anderswo zu sein“ und habe zugleich „zutiefst das Gefühl, dass [s]ein Vaterland das Schreiben ist“ und er „gegen die Vereinnahmung durch eine patrie […] trotzig ein partir  31 “ (Ette 2010, 118 f.) setzt? Nationale Beschränktheit ist seine Sache gewiss nicht, die Öffnung zur Welt hingegen schon. Ob aus Maaloufs Inszenierung seines Léon l’Africain allerdings auch schon ein Kosmopolitismus spricht, der sich distanziert zu westlichen Universalismus- und Hegemonialvorstellungen verhält, wie 171 4.5 Migrantisches Schreiben - Literaturen ohne festen Wohnsitz 32 Herausgegeben von Barbara Czernilofsky und Georg Kremnitz, Wien, Edition Praesens 2003. es die Postkolonialismusforschung seit geraumer Zeit problematisiert (vgl. Bischoff/ Komfort-Hein 2018, 480 f.), bleibt jedoch offen. 4.6 Sprachbiografie Der Abschnitt über Sprachbiografie knüpft an die Ausführungen über Erinnerung und Gedächtnis (Abschnitt 4.4) an. Ein maßgeblicher Aspekt von Sprachbiografie - wie jede biografische Reflexion, die ein Individuum oder eine Gemeinschaft unternimmt - besteht in Erinnerungsarbeit. Doch verbinden sich mit Sprachbiografie auch noch ganz andere Aspekte als jene, die bereits im Zusammenhang mit Erinnerung und Gedächtnis ausgeführt wurden. In dem Band „Trennendes - Verbindendes. Selbstzeugnisse zur individu‐ ellen Mehrsprachigkeit“ 32 berichtet eine Frau, 1978 in Mödling unweit von Wien geboren, aus ihrer Kindheit: Für meine Eltern war es nicht ganz einfach, zu entscheiden, welche Sprache sie mit uns Kindern als erstes sprechen sollten. Meine Mutter hat als Muttersprache Rumänisch, mein Vater Französisch, ich bin aber schon in Österreich geboren. Eines stand fest: Deutsch konnten meine Eltern damals nicht gut genug reden, als dass sie es uns weitergegeben hätten. Schließlich wurde zunächst nur Französisch gesprochen, da meine Familie nach Frankreich zurückkehren wollte. Für meine Mutter, die in Rumänien unter anderem Französisch studiert hatte, war es nicht schwierig dieses Vorhaben zu verwirklichen, obwohl sie dadurch ihre eigene Kultur und Sprache vernachlässigte. Nur auf einigen Gebieten prägte sich mir von klein auf das Rumänische ein. Vor allem bei Kinderliedern, bei Märchen und Geschichten schnappten wir Rumänisch auf […] Trotzdem redeten wir Zuhause ausschließlich Französisch, weshalb ich diese Sprache auch heute als meine Muttersprache ansehe. Doch schon bald lernten wir - wiederum passiv - auch Rumänisch sprechen, denn mit vielen Verwandten, die wir oft besuchten, war Rumänisch die einzige Kommunikationsmöglichkeit. […] Als ich im Kindergartenalter war, entschieden sich meine Eltern bewusst für einen Deutschsprachigen […]. Deutsch war die dritte Sprache, die ich passiv lernte, diesmal jedoch gezwungenermaßen. Ich kann mich nicht erinnern, ob es mir 172 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung schwergefallen ist oder nicht, ich weiß nur, dass ich es in meiner Not so schnell wie möglich gelernt habe, um nicht mehr Außenseiter zu sein, denn das ist man in einem solchen Fall immer. Diese Tatsache nagte sehr an mir, war es doch überhaupt nicht in meiner Natur, still zu sein und zuzuhören. Trotzdem äußerte sich mein Unbehagen in Schüchternheit und Stille. […]. (S. 151) Und an anderer Stelle ihrer sprachbiografischen Erinnerungen schreibt sie: Nicht zuletzt die Schule, vor allem aber die Tatsache, dass ich sehr viel Deutsch sprach, beeinflusste auch meine Muttersprache, zumindest zu Hause. Es ist nicht einfach, die Sprache zu wechseln, kaum dass man nach Hause kommt. […] Oft sah es so aus, dass meine Mutter mich etwas auf Französisch fragte und ich auf Deutsch antwortete. Ich tat es nicht bewusst, konnte es aber kaum vermeiden. Mit der Zeit mischte ich dann die zwei Sprachen, es kam also zu Überlappungen und Mischformen. Es war fast so, als hätten wir eine neue Sprache erfunden, wir nannten sie auch zum Spaß „franco-allemand“. Beispiele für solche Mischformen und „Deutschismen“ könnte ich unzählige nennen […]. Es ging so weit, dass es uns zu Hause gar nicht mehr auffiel, nur Freunde, die solche Sätze hörten, fanden sie sehr komisch. Heute ist die Situation etwas besser, denn wir bemühen uns alle, wirklich nur Französisch zu reden, denn Deutsch reden wir außerhalb des Hauses sowieso genug. […] Das, was mir allerdings im Rumänischen fehlt, ist die schriftliche Kompetenz. Im Gegensatz zum Französischen habe ich Rumänisch weder schreiben noch lesen gelernt, was allerdings eine Kommunikation nicht beeinträchtigt. (S. 153) Erste Anhaltspunkte dafür, in welcher Weise das Thema der Sprachbiografie mit dem der Transkulturalität verschränkt ist, ergeben sich bereits aus diesen beiden Textsequenzen, in denen von Migration der Eltern und von Mobilität und Kontakten im Kreise der Verwandten, von Lebenssituationen und Anpassungsleistungen, von sprachlichen Erfahrungen und Räumen der Kommunikation, von Selbst- und Fremdwahrnehmungen und anderem mehr die Rede ist, die wohl unzählige Menschen so oder ähnlich - oder vielleicht auch ganz anders - berichten können. Auf jeden Fall aber ist das Aufwachsen in einer Familie mit zwei oder mehreren Sprachen und das sich Bewegen in verschiedenen kulturellen Räumen ein weit verbreitetes Faktum. Auch die Verunsicherungen und das Unbehagen des Kindes in Situationen, in denen dem eigenen Handeln und der Partizipation an Gemeinschaftlichkeit durch Sprachbarrieren Grenzen gesetzt sind, werfen Schlaglichter auf individuelle und emotionale Aspekte von transkulturellen 173 4.6 Sprachbiografie Prozessen. Zum Ausdruck kommt weiterhin die Dynamik der Entstehung und des Verwerfens kultureller Muster, wenn es um sprachliche Mischun‐ gen, das Wechseln zwischen den Sprachen und das sich Herausbilden einer familieninternen Sprechweise geht. Und schließlich lenkt die sprachbio‐ grafische Erinnerung die Aufmerksamkeit auf verschiedenartige Prozesse des Sprachausbaus in den einzelnen Sprachen, speziell im Sprechen und Verstehen einerseits und im Lesen und Schreiben andererseits. Zum Ende des Textauszugs tritt deutlich zu Tage, dass sich die Spracheinstellung dieser Frau am Modell der Einsprachigkeit und der Sprachentrennung orientiert. Ihre eigene und zugleich die familiale Mehrsprachigkeit versteht sie als mehrfache Einsprachigkeit, wenn sie in ihren Erinnerungen bezüglich der Phase der Sprachmischungen vermerkt: „Heute ist die Situation etwas besser, denn wir bemühen uns alle, wirklich nur Französisch zu reden, denn Deutsch reden wir außerhalb des Hauses sowieso genug“. All dies sind Phä‐ nomene, die in viele Biografien von Personen mit Migrationserfahrungen, und hier speziell von einer Person der zweiten Generation von migrierten Eltern, eingeschrieben sind. Was die Frau aus Mödling an sprachbiografischer Reflexion vorführt, lässt sich im Sinne einer begrifflichen Klärung der Bedeutungen von Sprachbio‐ grafie nutzen. Sie erinnert sich an Ereignisse in der Familie, im Kindergarten, in der Schule und im Freundeskreis, sie ordnet sie ein in die Geschichte und die Sprachpraktiken ihrer Eltern und der engeren und weiteren Familie und Verwandtschaft. Sie erinnert sich an Wahrnehmungen und Gefühle, an Konfliktsituationen, an Wege und Auswege. Kurzum: Sprachbiografie in diesem Sinne bedeutet - in individueller Hinsicht - eine erzählende bzw. beschreibende Rekonstruktion gelebter Geschichte von sprachbiogra‐ fisch relevanten Ereignissen und Erfahrungen des Individuums, die - in sozialer Hinsicht - in soziale Sinnschemata und sprachlich-kommunikative Ordnungsstrukturen eingebettet sind oder auch aus diesen abgeleitet wer‐ den. Tophinke (2002) unterscheidet hierbei in Sprachbiografie als gelebte Geschichte, wenn es darum geht, die individuelle gelebte Geschichte der Aneignung von Sprache(n) und Sprachvarietäten, der Sprachpraxis und der Einstellungen zu (den) Sprachen darzustellen. Davon grenzt sie die Sprachbiografie als erinnerte Geschichte ab, d. h. die „erinnernde (rein kognitive) Rekonstruktion sprachbiografisch relevanter Ereignisse und Er‐ fahrungen“ (ebd., 2), die von sozialen Sinnschemata beeinflusst ist, aber als kognitive Rekonstruktion sozial-kommunikativ nicht präsent sei (ebd.). Von diesen beiden Bedeutungen von Sprachbiografie setzt sie eine dritte 174 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 33 Auf andere Handlungsaspekte wie Adressierungen, Begründungen, Rechtfertigungen oder Solidarisierungen soll hier nicht eingegangen werden. Beispiele für diese Hand‐ lungsformen finden sich u. a. in den weiter unten erwähnten Untersuchungen von Thoma 2018. Bedeutung ab: Sprachbiografie als sprachliche Rekonstruktion der Geschichte, wie sie beispielsweise anhand von Erinnerungen, Quellen oder Zeugnissen mündlicher oder schriftlicher Art Gegenstand der Biografieforschung in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, der Sprachwissenschaft, der Psychologie, der Sprach- und Psychotherapie ist. Alle drei Konzepte von Sprachbiografie verbinden sich jeweils mit einer individuellen und mit einer sozialen Betrachtungsweise, wenn es einerseits um das individuelle Erleben und andererseits um die soziale Situierung der Ereignisse, die sprachlich gestalteten Beziehungen zwischen den Akteuren und die in Sprache gefassten Repräsentationen und Sinnschemata geht. Anhand der beiden zitierten sprachbiografischen Textsequenzen zeigt sich jedoch auch, dass die theoriegeleitete Darstellung von Tophinke einer Revision und Erweiterung bedarf, denn in Sprachbiografien sind nicht nur der individuelle und der soziale Aspekt eingeschrieben, sondern auch ein Handlungsaspekt. Dieser Handlungsaspekt drückt sich auf unterschiedliche Weise aus, z. B. in Positionierungsaktivitäten, wenn es heißt „dass ich es in meiner Not so schnell wie möglich gelernt habe, um nicht mehr Außenseiter zu sein“, als Handlungsschemata, z. B. „dass meine Mutter mich etwas auf Französisch fragte und ich auf Deutsch antwortete“, oder als Handlungsroutinen, z. B. „(m)it der Zeit mischte ich dann die zwei Sprachen“, um nur auf diese drei der in Sprachbiografien häufig wiederkeh‐ renden Handlungsaspekte zu verweisen. 33 175 4.6 Sprachbiografie 34 Adaptierte und erweiterte Fassung von Tabelle 1 in Tophinke 2002, 2. INDIVIDUELLER ASPEKT SOZIALER ASPEKT HANDLUNGS- ASPEKT SPRACHBIO‐ GRAFIE ALS GELEBTE GESCHICHTE Individuelle gelebte Ge‐ schichte der An‐ eignung von Sprache(n) und Sprachvarietä‐ ten, der Sprach‐ praxis und der Einstellungen zu (den) Sprachen. Vollzieht sich im Kontext von Sprachen und Sprach-varietäten, sozialen Sinnsche‐ mata und Ord‐ nungsstrukturen, gesellschaftlichen Relevanzsetzungen und sprachlichen Anforderungen. Lernen, Reflektieren von Sprache(n) im Zuge der Partizipa‐ tion an und Aus‐ einandersetzung mit sprachlichen Verhält‐ nissen und sprachbi‐ ografisch relevanten Ereignissen. (Sprachliches) Sich‐in‐ Beziehung‐setzen und Vernetzen mit anderen Akteuren. SPRACHBIO‐ GRAFIE ALS ERINNERTE GESCHICHTE Erinnernde Re‐ konstruktion sprachbiogra‐ fisch relevanter Ereignisse und Erfahrungen. Ist beeinflusst von sozialen Sinn‐ schemata; tritt als kognitive Rekonstruktion so‐ zial-kommunikativ nicht hervor, ist aber die Voraussetzung für die sprachliche Repräsentation und die sprachbiografi‐ sche Schilderung. Erzählen, Beschrei‐ ben, Darstellen, Inter‐ pretieren, Selektieren usw. - für Andere und für sich selbst; Transfer von Wissen und Erfahrung. SPRACHBIO‐ GRAFIE ALS SPRACHLICHE REKONSTRUK‐ TION DER GE‐ SCHICHTE Sprachliche Re‐ konstruktion einer Sprachbio‐ grafie unter Re‐ kurs auf Erinne‐ rungen, Quellen, Zeugnisse. Erfolgt unter funk‐ tionaler Einbindung in ein sozial-kom‐ munikatives Gesche‐ hen. Beschreibung und Analyse von sprach‐ lichen Verhältnissen und der individuellen Arrangements der Ak‐ teure, ggf. auch im Rahmen von Sprach- und Psychotherapie. Tab. 4.1: Sprachbiografie 34 176 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 35 Zur bibliografischen Orientierung empfiehlt sich die von der Sektion Biografiefor‐ schung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie zusammengestellte Leseliste unter https: / / soziologie.de/ fileadmin/ sektionen/ biographieforschung/ LeselisteSektion BiographieforschungStand2019.pdf (11.5.2020). Allerdings bleiben darin die Forschun‐ gen zu Sprachbiografien so gut wie unberücksichtigt. 36 Einen detailreichen Überblick über die kontroversen Diskussionen zur Zwei-/ Mehr‐ sprachigkeit im 19. und frühen 20. Jahrhundert gibt Tabouret-Keller 2011. Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein galt Mehrsprachigkeit verbreitet, aller empirischen Evidenz nicht nur unter höher Gebildeten und sozialen Eliten zum Trotz, als Grund für Sprach- und Ausdrucksstörungen und, wie es der Psychologe und Sprachwissenschaftler Izhac Epstein 1912 formuliert, als „soziale Wunde“ [„la polyglossie est une plaie sociale“, S. 210]. Epstein selbst wuchs mit Jiddisch, Russisch und Französisch auf. Wenn die Biografieforschung 35 in Soziologie und den Bildungswissenschaf‐ ten - und mit der Entdeckung der Oral history auch in der Geschichtswissen‐ schaft - im Zuge der Hinwendung zu qualitativen Methoden seit den 1980er Jahren einen beträchtlichen Aufschwung erlebt, zieht die Beschäftigung mit Sprachbiografien erst um die Jahrtausendwende wachsendes Interesse auf sich (vgl. u. a. Fix et al. 2000, Franceschini 2001, Franceschini/ Miecznikowski 2004, Meng 2001, Treichel 2004). Der hauptsächliche Grund dafür, sich mit sprachbiografischer Forschung zu befassen, besteht von Anfang an in der Bedeutung der lange Zeit gering geschätzten Zwei-/ Mehrsprachigkeit für die sprachliche Entwicklung des Kindes (u. a. Ronjat 1913) 36 und später auch für die sprachliche Sozialisation von Jugendlichen und Erwachsenen im Kontext von Migration (Werlen 1986) und Sprachkonflikten (u. a. Gumperz 1982, Wildgen 1988). Wie ein roter Faden zieht sich seither der Nexus von Migration, Mobilität und Mehrsprachigkeit durch die sprachbiografische Forschung. Seit die Mehrsprachigkeit von einem randständigen zu einem gesell‐ schaftspolitisch und wissenschaftlich zentralen Thema geworden ist, hat sich die sprachbiografische Forschung weiter diversifiziert. Um zwei Seiten dieser Diversifizierung zu benennen, sei zunächst auf die Studie von Thoma (2018) verwiesen. Sie setzt mit ihrer bildungswissenschaftlich ausgerich‐ teten Untersuchung zu „Sprachbiografien in der Migrationsgesellschaft“ den Akzent auf GermanistikstudentInnen in Österreich mit eigener oder familialer Migrationsbiografie. Die sprachbiografischen Erzählungen die‐ ser angehenden GermanistInnen ließen erkennen, dass sie sich im Ger‐ manistikstudium auf eine „doppelte Weise nicht-dominant positioniert“ (S. 14) sehen: einerseits wird ihnen die Rolle als „migrantisch positionierte 177 4.6 Sprachbiografie 37 Vgl. dazu auch Baena 2005. Germanistik-Student*innen“ zugeschrieben, andererseits als „migrantisch positionierte zukünftige Deutschlehrer*innen und/ oder Expert*innen für Deutsch“ (S. 14) und somit auf einem Feld, auf dem Deutsch nicht nur Bildungssprache, sondern auch Gegenstand fachlicher Auseinandersetzun‐ gen sei. Die Autorin arbeitet heraus, wie die Positionierungen der Un‐ tersuchungsteilnehmerInnen gegenüber den eigenen und den familialen Sprachgeschichten auf ihrem Weg durch die Sozialisierungs- und Bildungs‐ institutionen bis hin zur Universität verlaufen. Sie zeigt, wie sie sich mit sprachlichen Hierarchisierungen und Kategorisierungen konfrontiert sehen und sie letztlich um ihre sprachliche Legitimation ringen müssen (vgl. S. 276ff.), ohne dabei allerdings in ihrer Mehrsprachigkeit wahrgenommen zu werden. Sprachbiografieforschung ist in diesem Kontext sowohl als Reflexionsebene und Zugang für Prozesse sprachlicher Bildung angelegt als sie auch in ihren transgenerationellen und transnationalen Bezügen entfal‐ tet wird. Dass Sprachbiografieforschung aufschlussreich für das Ausloten des Spannungsfelds von Einsprachigkeit und Mehrsprachigkeit ist, gehört zu den Ausgangsprämissen dieser Forschung. Hierfür ist der Begriff des sprachlichen Repertoires zentral, wie er in der neueren Forschung für die Gesamtheit der sprachlichen Ressourcen eines Individuums Verwendung findet (vgl. dazu Kapitel 5). Dass Sprachbiografieforschung darüber hinaus den Zugang zu Fragen von ‚Anerkennung‘ und ‚Legitimität‘ erlaubt, wie es der Band von Thoma (2018) zeigt, und sie sich als Biografieforschung damit an der Nahtstelle zu Schlüsselkonzepten der Politikwissenschaft und Bildungswissenschaften situiert, unterstreicht einmal mehr ihre Bedeutung für das Verstehen von Mikroprozessen im Kontext von Transkulturalität und sozialem Wandel. 37 Die Diversifizierung der Forschung zu Sprachbiografien, und damit sei eine zweite Seite angeführt, zeigt sich auch in ihrer Entfaltung als Methode kultur-, bildungs- und sprachwissenschaftlicher Forschung. Auf die Methode des Erzählens bzw. des narrativen Rekonstruierens biografi‐ scher Ereignisse wurde bereits am Anfang dieses Abschnitts eingegangen. Im Abschnitt 4.4 „Erinnerung in Bewegung“ ging es u. a. um Methoden der filmischen Inszenierungspraxis wie das Verknüpfen von Bildern und bildlichen Assoziationen mit narrativen Strukturen sowie um die Methode des Interviews bzw. des Gesprächs im Allgemeinen, darunter auch in ihrer institutionellen Sonderform als Verhör. Im Abschnitt 4.5 „Migrantisches 178 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 38 Vgl. North 1993, online zugänglich https: / / rm.coe.int/ 0900001680707cde [05.05.2020]. Dazu kritisch Coste 2021. 39 Vgl. https: / / www.coe.int/ fr/ web/ portfolio/ the-language-biography. Schreiben - Literaturen ohne festen Wohnsitz“ ist von der Methode der perspektivischen Spiegelung die Rede und auch von der Technik oszillieren‐ der Spiegel. Dieser Faden soll hier aufgenommen werden, um in gebotener Kürze weitere Methoden sprachbiografischer Forschung in den Blick zu nehmen. An der Schnittstelle von Sprachpolitik und Sprachdidaktik wäre hier zunächst das Europäische Sprachenportfolio des Europarats zu nennen, das erstmals 1991 anlässlich des Symposiums von Rüschlikon 38 , unweit von Zürich, diskutiert und Anfang der 2000er Jahre europaweit eingeführt wurde (vgl. Little/ Goullier/ Hughes 2011). Es besteht aus drei Teilen: Sprachbiogra‐ fie, Sprachenpass und Dossier. Letzteres wird im schulischen Kontext oft auch als „Schatztruhe“ bezeichnet. Sprachbiografie 39 im Kontext des Euro‐ päischen Sprachportfolios bedeutet sowohl Methode als auch Instrument: Methode, wenn es darum geht, die eigenen sprachlichen Ressourcen und Erfahrungen und das eigene sprachliche Lernen zu reflektieren und eine Selbsteinschätzung von Lernfortschritten vorzunehmen; Instrument, wenn das Konzept der Sprachbiografie Anhaltspunkte dafür bereitstellt, wie das Sprachenlernen strukturiert und evaluiert werden kann. Andere Forschungsansätze der Sprachdidaktik arbeiten seit den 1990er Jahren mit der Methode des Sprachenportraits. Entwickelt wurde sie zu‐ nächst, um die Sprachbewusstheit von Kindern in multilingualen Grund‐ schulklassen zu fördern (Krumm 2001). Wie Busch (2013, 36 ff.) zeigt, hat sich diese auf multimodale Darstellungsformen aufbauende Methode auch international als eigenständiger Zugang zu Sprachbiografien etabliert. Dabei werden die Beteiligten eingeladen, über ihre sprachlichen Ressourcen, Ausdrucks- und Kommunikationsmöglich‐ keiten nachzudenken, die in ihrem Leben eine Rolle spielen, und sie - ihren Bedeutungen entsprechend - mit farbigen Filzstiften in Beziehung zu einer vorge‐ gebenen Körpersilhouette […] zu setzen. Die Zeichnungen werden anschließend von den Zeichnerinnen mit einer Legende versehen und erläutert (ebd., 36). 179 4.6 Sprachbiografie 40 Sprachenportrait eines Schülers an einem Gymnasium in Klagenfurt nach Busch 2013, 41. Abb. 4.1: Sprachenportrait eines Schülers 40 Wenn das Zeichnen des Bildes der Selbstreflexion und auch der Distanz‐ nahme gegenüber den beim Erzählen mitunter vorschnell geäußerten Erin‐ nerungen Raum bietet, ist das Bild selbst Ausgangspunkt und Referenzpunkt für die sich anschließenden Interpretationen, in die auch die Körper- und die Farbmetaphorik einfließen. Nach Buschs Erfahrungen werden bei diesen Erzählungen die sprachlichen Ressourcen tendenziell weniger in der Reihenfolge ihres Erwerbs dargestellt, sondern in ihren Beziehungen 180 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung zueinander und in der Spezifik ihrer Funktion innerhalb des sprachlichen Repertoires der Person (vgl. ebd., 37). Dass es bei Sprachbiografien als narrative Rekonstruktionen von sprach‐ biografisch relevanten Ereignissen und Erfahrungen immer auch um Identi‐ fikationsprozesse und die Frage nach der sprachlichen Identität geht, wurde bislang noch nicht explizit ausgeführt. Dabei ist das Erzählen der Lebensge‐ schichte eine der wichtigsten Formen, die eigene Identität darzustellen und sich ihrer zu vergewissern. Zu vergewissern auch in dem Sinne, dass sich gerade mehrsprachige Personen und solche mit einer Migrationsgeschichte häufig mit konkurrierenden, nicht selten auch miteinander ausschließenden nationalen und individuellen Identitätsdiskursen konfrontiert sehen. Die schon eingangs zitierte Frau aus Mödling bei Wien kommt genau auf diesen Punkt zu sprechen, den sie als ein Dilemma wahrnimmt: Wenngleich ich die französische Staatsbürgerschaft habe, also rechtlich Französin bin, fühle ich mich nicht als solche. Denn fragt man mich in Frankreich, woher ich komme, so sage ich (stolz) aus Österreich. Hier fühle ich mich (schon allein durch meinen Namen) allerdings auch nicht als Österreicherin, weil ich in jedermanns Augen Französin bin. In Rumänien wird es noch komplizierter, so dass meine jetzige Antwort auf die Frage, wer ich bin (in Bezug auf Staatsbürgerschaft und Sprache) „österreichische Französin“ wäre. (Auch bei dieser Kompromisslösung liegt ein Dilemma vor: vielleicht sollte ich ja „französische Österreicherin“ sagen? ). (in Czernilofsky/ Kremnitz 2003, 154) Die Form biografischer Erinnerung dieser Frau besteht in einem autobio‐ grafischen, schriftlich ausformulierten und monologisch verfassten Text. In Form und Struktur unterscheidet sich dieser Text von den oben genannten Sprachenportraits, in denen eine bildliche und eine sprachliche Darstellung die Grundlage für eine Erzählung abgeben, die sich im Dialog mit einer kopräsenten anderen Person entwickelt. Der Text dieser Frau unterscheidet sich damit ebenfalls von Sprachbiografien, die nach der Methode der sprach‐ biografischen Interviews erarbeitet werden. Die Sprachbiografie ist hierbei das Ergebnis eines - in der Regel mündlich ablaufenden, seltener eines per Email schriftlich verfassten - Interaktionsprozesses von ForscherIn und TeilnehmerIn. Diese Interaktion ist markiert von den Gesprächsrollen und Partnerbeziehungen, von der Gesprächssituation und von wechselsei‐ tigen Wahrnehmungen und Reaktionen. Von den Forschenden wird sie in der Regel zunächst transkribiert, dann diskursanalytisch aufbereitet und schließlich interpretiert. 181 4.6 Sprachbiografie Wäre - und nun rein hypothetisch - mit der Frau aus Mödling ein sprachbiografisches Interview geführt worden, hätten das in ihren monolo‐ gisch verfassten Text eingeschriebene implizite Entweder-Oder, das offene Weder-noch und die monolithische nationalstaatliche und monolinguale Kategorisierung als ‚Österreicherin‘ oder als ‚Französin‘ durchaus proble‐ matisiert und hinterfragt werden können. Wie dem auch sei, die Macht von nationalen und kollektiven Identitätsdiskursen und der darin verankerten Stereotypen und Topoi in Bezug auf die individuellen Identitätskonstruktio‐ nen ist keineswegs von der Hand zu weisen (vgl. Wodak et al. 1998), auch und vor allem in sprachlicher Hinsicht nicht, wenn es sich um Identitätsdiskurse in Gesellschaften handelt, in denen Sprachkonflikte offen ausgetragen werden und Prozesse der sprachlichen Individuation im Gang sind. Entlang seiner eigenen Forschungen über Sprachkonflikte, Minderheiten und Sprachpolitik in vielen europäischen Nationalstaaten, versteht Klaus Bochmann in diesem Zusammenhang unter ‚Individuation‘ „die Prozesse des Bewusstwerdens der (realen und/ oder fiktiven) distinktiven Merkmale des eigenen und des fremden Diskurses, der eigenen Varietät und derjenigen der Anderen“ (Bochmann 2007, 22). Als soziolinguistische Individuation bezeichnet er in Anlehnung an den französischen Sprachwissenschaftler Jean-Baptiste Marcellesi den Vorgang, in dessen Verlauf sich das Individuum über seine sprachliche Identität Rechenschaft ablegt bzw. diese erkennt […]. Identität entsteht und verändert sich durch eine Kette von Individuationsvorgängen. Individuation und Identität sind somit komplementär in dem Sinne, dass Identität das (immer vorläufige) Ergebnis von Individuationen ist, die tagtäglich stattfinden (können) und in denen sich das Individuum seiner Stellung und Funktionen in den Kommunikationsverhältnissen bewusst wird. (ebd., 22-23) Ein so verstandener biografischer Ansatz, der den Finger auf die Indivi‐ duationsprozesse legt, würde nicht nur das Dilemma einer ins Statische zurückfallenden Be- (und Fest-)schreibung von Identität vermeiden, wie sie im Rahmen von Nationalstaaten mit Vorstellungen über Nationalsprache, Einsprachigkeit oder mit den Forderungen gegenüber ImmigrantInnen bezüglich ihrer sprachlichen Integration weit verbreitet sind. Er erscheint auch, wie Bochmann hervorhebt, als optimaler Zugang dafür, Identitätskon‐ struktion und Individuation zu dokumentieren (ebd., 23) und damit besser zu verstehen, dass die sprachlichen Repertoires der Individuen unter Verhält‐ nissen der Mobilität längst nicht mehr auf die Homogenitäts- und Unifor‐ 182 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 41 Mit Karl Mannheim (1928) ist aus soziologischer Sicht das Phänomen der Generation durch drei Aspekte zu bestimmen: die ‚Generationslagerung‘, der ‚Generationszusam‐ menhang‘ und die ‚Generationseinheit‘. 42 Vgl. die historisch und konzeptuell breit angelegte Untersuchung von Parnes/ Ved‐ der/ Willer 2008, in der der Generationsbegriff zunächst im genealogischen Denken, seit dem 19. Jahrhundert auch im biologischen Denken und seit den 1920er Jahren als Gegenstand kultursoziologischer und kulturhistorischer Theorien rekonstruiert wird. mitätsannahmen im Nationalstaat zu reduzieren sind. Blommaerts (2010, 154-173) eindrückliche soziolinguistische Analyse des Falls eines jungen Asylsuchenden aus Ruanda in Großbritannien führt diese Problematik in ih‐ rer Komplexität vor Augen. Er zeigt, wie die ethnischen Konflikte in Ruanda, wie transnationale Migration innerhalb Afrikas und wie Verschleppung und Vertreibung das sprachliche Repertoire eines Jugendlichen geformt haben und wie dieser Jugendliche sich im Rahmen eines Asylverfahrens mit den „Normalitätsannahmen“ zu Sprache und Mehrsprachigkeit von Akteuren der britischen Einwanderungsbehörden konfrontiert sieht. Diese Betrachtungen abschließend, sei von der sprachbiografischen Erin‐ nerung der Frau aus Mödling noch eine weitere Brücke zu einem anderen Konzept geschlagen. In ihrem Text spricht sie vom Sprachverhalten und den Sprachen ihrer Eltern, sie spricht von sich selbst sowie - im Zitat nicht erwähnt - von ihrem Bruder, kurzum: von der Generation der Eltern und von der Generation der Kinder von Eltern, deren Leben von Migrationserfahrung geprägt war. Wie schon in den vorhergehenden Abschnitten zu „Erinnerung in Bewegung“ und zum „Migrantischen Schreiben“ kehren auch hier Pro‐ zesse des Kulturkontakts und des Wandels in den Sprachpraktiken wieder, die sich als generationelle Phänomene verstehen lassen. 4.7 Generation Das Konzept der Generation, wie es bereits Karl Mannheim 41 bestimmt hat, ist ein immer wieder zu veranschlagendes Ordnungskonzept im Kontext der Tradierung von und der Auseinandersetzung mit kulturellen Praktiken, aber auch ihrer Brüche und Verwerfungen. 42 In Hinblick auf die kulturellen und sprachlichen Verhältnisse gilt ‚Generation‘ sowohl als Modell als auch als Modus. Als Modell verweist die Generation auf die Übertragung im genealogischen Sinne, es repräsentiert als solches einerseits Kontinuität. Generation stellt andererseits ein Modell des Konflikts dar und steht für 183 4.7 Generation Auseinandersetzungen zwischen den Generationen. Als Modus wiederum verweist das Konzept der Generation auf Identifikationsprozesse von In‐ dividuen und somit auf sie Verbindendes bzw. auf von ihnen geteilte Erfahrungen (vgl. Parnes/ Vedder/ Willer 2008, 219 ff.). Ins öffentliche Bewusstsein gelangte der Begriff der Generation erstmals in der Zeit des Ersten Weltkriegs mit der Bezeichnung „Kriegsgeneration“ sowie mit einer auch pazifistische Konnotationen implizierenden „verlore‐ nen Generation“ (vgl. Erll 2014, 396) bzw. im Englischen mit dem Ausdruck „the lost generation“ (ebd., 390). Seither ist von Generation in vielen Kontex‐ ten die Rede, neben denen in Technik, Technologie oder Biologie vor allem im Bereich sozialer Ordnungen, wenn ‚Generation‘ für Menschen steht, die bestimmte Erfahrungen teilen, z. B. die „Generation von Überlebenden“, die Lebensstile verkörpern, z. B. die „Generation der 68er“, bis zu hin zu jenen Menschen, die bestimmten Alterskohorten angehören, z. B. die „Generationen X, Y (sprich: why) und Z“. Doch was folgt auf eine Generation, was passiert nach ihr? Die Frage, was eine Generation mit der nächsten verbindet, was eine Generation an die nächste weitergibt und worin sich aufeinanderfolgende Generationen von‐ einander unterscheiden, rückte Mitte der 1960er Jahre ins Blickfeld sowohl der Psychoanalyse, die sich mit den Folgen des Holocausts auseinander zu setzen hatte, als auch der Sprachwissenschaft, wo es um das Verstehen von sprachlichen Akkulturationsprozessen im Kontext von Migration ging. Auf beide Forschungsansätze soll hier eingegangen werden, stehen sie doch im direkten Zusammenhang mit Aspekten von Transkulturalität. Zwei Jahrzehnte nach dem Holocaust, Mitte der 1960er Jahre, identifizier‐ ten die kanadischen Psychoanalytiker Vivian Rakoff und John Sigal bei Kindern von Holocaust-Überlebenden das Problem der transgenerationellen Übertragung traumatischer Erinnerungen. Erll (2014) verweist darauf, dass das, was zunächst in Kanada als transgenerationelles Trauma erkannt wurde, bald auch PsychoanalytikerInnen in den USA und in Israel in Familien von Holocaust-Überlebenden feststellten. Weil diese Traumata bei den Kindern in diesen Familien auftraten, galten sie als Probleme, von denen die „Zweite Generation“ betroffen war. Die „Zweite Generation“ stand fortan als Figur für die langfristigen Auswirkungen von extremer Gewalt und grauenhaften Ereignissen nicht nur des Holocaust, sondern auch von weiteren Ereignissen, wie sie beispielsweise „the second generation of Hibakusha“, die zweite Generation der japanischen Überlebenden der Atombombenabwürfe betrafen. 184 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 43 Auf die Studie von Levy/ Sznaider 2007 wurde bereits in Abschnitt 4.4 Bezug genommen. Einen Überblick zur deutschsprachigen Literatur gibt Kramer 2019 auch unter Berück‐ sichtigung generationeller Aspekte transnationaler Erinnerung. Für Lateinamerika ist der Band von Spiller/ Mahlke/ Reinstädler 2020 aufschlussreich. 44 Damit ist das von Ashcroft/ Griffiths/ Tiffin 1989 in der postkolonialen Theorie so bezeichnete „Writing back“ gemeint. Erinnerungsforschung wie Literaturwissenschaft interessieren sich heute aus ihren jeweiligen Blickwinkeln für diese Langzeitwirkungen der Shoa in den Folgegenerationen. 43 In ihrer Studie „Generation in Literary History: Three Constellations of Generationality, Genealogy, and Memory“ zeichnet Erll (2014) drei Etappen des Generationsverständnisses nach, beginnend mit der Zeit des Ersten Weltkriegs und dem Topos der „verlorenen Generation“ in Remarques Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“, dann mit der Literatur über die durch die Shoa ausgelösten transgenerationellen Über‐ tragungen und schließlich drittens, die Konstellation von Generation und postkolonialer Migration innerhalb des Commonwealth und nach Großbri‐ tannien, verbunden mit Prozessen, die u. a. als Hybridisierung verstanden werden. Erll schlussfolgert daher, dass „generation is not a given, but a discursive constellation, or an assemblage, in which politics, different forms of knowledge, technologies, and cultural practices interact” (ebd., 404). Der Literaturwissenschaftler und Anglist Frank Schulze-Engler (2019) befasst sich ebenfalls mit dem Konzept der Generation, richtet aber den Blick auf Afrika und auf das „Third Generation Writing“ von afrikanischen Autorinnen und Autoren, die seit Beginn der 2000er Jahre als neue literari‐ sche Gruppe und eben als „Dritte Generation“ afrikanischer AutorInnen wahrgenommen werden. Zu dieser dritten Generation gehören die nigeria‐ nischen SchriftstellerInnen Helon Habila, Adaobi Tricia Nwaubani und Chimamanda Ngozi Adichie. Wie Schulze-Engler ausführt, könnten deren Romane und Texte nicht länger als Ausdruck eines ‚Zurückschreibens‘ 44 an die ehemaligen Zentren kolonialer Macht verstanden werden, sondern bilden Teil einer multidirektionalen litera‐ rischen Vermessung Afrikas, die ebenso durch panafrikanische transnationale Bezüge, neue Formen virtueller Transnationalität sowie Transmigrationserfah‐ rungen geprägt ist. (ebd., 373) Diese Literatur der „Dritten Generation“ steht für Schulze-Engler in einer Reihe mit Texten der asiatisch-britischen Literatur und der Maori-Litera‐ tur in Neuseeland, so dass er schlussfolgern kann, dass die anglophonen 185 4.7 Generation Literaturen in den verschiedenen Regionen der Welt „längst zu einem selbstreflexiven Medium der Auseinandersetzung mit lokalen Modernitäten und deren transnationalen und transkulturellen Dimensionen geworden“ (ebd., 381) sind. Sprachbiografische Reflexionen gehen hierbei in literari‐ scher Kreativität bei der Schaffung einer Vielzahl von Formen hybrider Indigenität, der Neuverhandlung von diasporischen Identitäten und in den Geschichten von transnationalen Verknüpfungen und transkulturellen Transformationen auf. Zeitgleich mit den oben erwähnten Untersuchungen von Psychoanaly‐ tikerInnen in Kanada und den USA zu Phänomenen der transgeneration‐ ellen Übertragung von Traumata Mitte der 1960er Jahre befasste sich der US-amerikanische Sprachwissenschaftler Joshua Fishman mit einem anderen Aspekt von Transgenerationalität. Ihn interessierte die Frage der Weitergabe der Sprachen von MigrantInnen von einer Generation zur nächsten. Anhand der Daten zur Immigration in die USA entwickelte Fishman (1966) ein Mobilitätsmodell des Sprachenwechsels, das auch als Drei-Generationen-Modell bezeichnet wird. Die Daten, die diesem Modell zugrunde liegen, sind Zensusdaten zur Migration von EuropäerInnen in die USA vom Ende des 19. Jahrhunderts bis Mitte des 20. Jahrhunderts. Als Modell steht es für den sich über drei Generationen ersteckenden Übergang von der Einsprachigkeit in der Herkunftssprache A in die Einsprachigkeit in Sprache B im Zielland USA. Zweisprachigkeit wird hierbei vor allem für die zweite Generation angenommen. Dieses Modell repräsentiert sowohl die Assimilationspolitik der USA als auch, auf Seiten der ImmigrantInnen, die sprachliche Akkulturation an die dominanten Verhältnisse. Fishmans Ausarbeitung des Drei-Generationen-Modells kann als Erfolgs‐ geschichte erzählt werden, wenn man in Betracht zieht, dass dieses Modell über Jahrzehnte hinweg kritiklos rezipiert und ihm im Kontext von Migra‐ tionsprozessen geradezu naturwüchsige Gültigkeit zuerkannt wurde. Erst Ende der 1990er bzw. Anfang der 2000er Jahre, im Zuge von Forschungen zu Sprachbiografien, Mehrsprachigkeit und Migration in Europa, zeichnete sich ab, dass hinter dieses Modell ein Fragezeichen zu setzen ist und es in Hinblick auf die jeweils konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse, die beteiligten Akteure und die Spannungen zwischen den Generationen revidiert werden muss. Im Ergebnis seiner Forschungen zu Migrationsprozessen in und nach Deutschland reformulierte Utz Maas (2008, 22, 554 ff.) das Modell folgen‐ dermaßen: die erste Generation kann das ökonomische Überleben nur 186 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung bewerkstelligen, wenn sie Kompromisse mit den habitualisierten Lebens‐ gewohnheiten macht und sich zumindest eine „Überlebensvarietät“ in der Landessprache aneignet („Gastarbeiterdeutsch“). Die zweite Generation wächst unter landesspezifischen Bedingungen auf; sie hat die Umgangsspra‐ che des Landes schon habitualisiert und partizipiert mehr oder weniger erfolgreich an deren Ausbau in der Schule. In dem Maße, wie sich die Angehörigen dieser Generation erfolgreich mit den neuen Lebensverhält‐ nissen arrangieren, verlieren für sie die Diasporaverhältnisse der Eltern an Gewicht. Sie werden zu einem Konfliktterrain in der Auseinandersetzung mit der elterlichen Kontrolle. Hier gewinnen die Heiratsmigration, aber auch Au-pair-Situationen an Bedeutung; sie stabilisieren die sprachlichen Verhältnisse in der Familie auch für die folgende Generation. Die dritte Generation ist dem Diasporakonflikt weitgehend enthoben. Mit Eltern, die sich um die Integration in die Einwanderungsgesellschaft bemühen, gehören sie mehr oder weniger erfolgreich zu dieser dazu. Sie erfahren aber häufig diskriminierende Zurücksetzung, durch die ihr Blick nahezu zwangsläufig wieder auf die Herkunft bzw. die Diasporasituation gelenkt wird; mit der Konsequenz, dass sie sich um Attribute der Herkunftskultur bemühen (vgl. ebd., 554). Die neuere Migrationsforschung richtet zunehmend den Blick auf die Bre‐ chung der Integrationsverläufe, bei denen transnationale bzw. transkultu‐ relle Organisationsformen in den Blick kommen. Das „Seiteneinsteiger-Syn‐ drom“ kehrt heute in allen Generationen wieder. Gleichzeitig weigern sich die Kinder, zu Hause eine andere Sprache zu sprechen als die, die sie mit ihren Freunden in der Schule sprechen: es entstehen alle möglichen Formen von „Querungen“, so auch innerfamilial verankerte Konflikte. Das Drei-Generationen-Modell des Übergangs zur Sprache des Einwanderungs‐ lands findet zwar immer wieder Bestätigung. Aber das ist eben keineswegs bei allen Angehörigen der dritten Generation so (ebd., 555). Und es ist offensichtlich auch nicht das einzige und allein gültige Modell. Wie Wyssmüller/ Fibbi 2009 anhand ihrer Untersuchungen in der Schweiz zeigen, ist für die dritte Generation der aus Italien und Spanien eingewan‐ derten Familien von einem „soliden funktionalen Bilinguismus“ (S. 38) auszugehen, weshalb sie zu der Schlussfolgerung kommen, dass sich „die schweizerische bzw. europäische Dynamik bei der intergenerationellen Sprachverschiebung tendenziell von derjenigen im nordamerikanischen Kontext unterscheidet - sie lässt sich jedenfalls mit dem three-generation model of language assimilation nicht treffend beschreiben“ (ebd.). 187 4.7 Generation 45 Ein Modell für Transmigration ergibt sich beispielsweise aus Migrationsverläufen von MigrantInnen aus Afrika nach und in Europa: Land-Stadt, Stadt-Land (Süden), Land (Süden)-Land (Nord), Land (Nord)-Land (Nord), vgl. Tovares/ Kamwangamalu 2017, Dombrowsky-Hahn et al. 2021. Mit der eingangs gestellten Frage, was eine Generation mit der nächsten verbindet, was eine Generation an die nächste weitergibt und worin sich aufeinanderfolgende Generationen voneinander unterscheiden, befassen sich neben der Psychoanalyse und der Sprachwissenschaft auch sozialge‐ schichtliche und migrationssoziologische Forschungen, die die Akzente notwendig anders setzen. Ein Historiker wie Pierre Noiriel (1984, 1988, 2002) untersucht die Generationenfrage im Zusammenhang mit dem Gesell‐ schaftsmodell, das die jeweiligen Nationalstaaten - so das in Frankreich praktizierte republikanische Modell der Integration im Unterschied zum Integrationsmodell multikulturellen Zuschnitts in Großbritannien und den USA - verfolgen und betrachtet zudem detailliert die sozioökonomische Situation der ImmigrantInnen. Hinsichtlich des Erhalts der Herkunftsspra‐ chen und der Religionen würden sich die Integrationsverläufe über die Generationen hinweg nicht wesentlich zwischen diesen Gesellschaftsmo‐ dellen unterscheiden (vgl. Noiriel 2002). In Frankreichs republikanischem Modell stelle aber die Klassenfrage ein besonderes Konfliktpotential für die zweite Generation dar. Wiewohl sie als Kinder mehrheitlich proletarischer ImmigrantInnen in Frankreich geboren seien und auch die französische Staatsbürgerschaft besäßen, sei ein Teil von ihnen, insbesondere jener aus der maghrebinischen Immigration, in den Klassenverhältnissen gefangen und werde Opfer einer Segregation, die zwar nicht juristischer, aber eben administrativer, ökonomischer, sozialer und kultureller Art sei (ebd., 5). Folgt das Drei-Generationen-Modell in seiner ursprünglichen Fassung dem Muster der Assimilation bzw. der Einebnung von Differenz, so kommen die in einem ‚transnationalen Rahmen‘ angesiedelten Untersuchungen von Glick Schiller et al. (1992) zu anderen Einsichten. Dieser Rahmen geht davon aus, dass die MigrantInnen, anders als früher beobachtet, nicht mehr mit ihrer Herkunftskultur ganz oder weitgehend brechen. Sie unterhalten weiterhin substantielle Bindungen zu ihrem Herkunftsland und sind grenz‐ überschreitend transnational unterwegs, in einem Vor und Zurück oder auch Hin und Her. Pendel- und Heiratsmigration, Au-pair-Situationen, Transmig‐ ration, d. h. die mehrmalige Verlagerung der Lebensmittelpunkte in andere kulturelle Verhältnisse und Länder 45 , in technischer Hinsicht flankiert von 188 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung satellitengestützter Kommunikation, Internet und der Nutzung der neuen Medien, gelten inzwischen als „harte“ Faktoren im Migrationsgeschehen. Dies bleibt nicht ohne Folgen für das Konzept der ‚Generation‘ selbst, das nun auch Kontinuitäten wie Brechungen in den Migrationsverläufen, Seiten-Einsteiger in jeder Generation und innerfamiliäre Erfahrungen von Migration selbst von Personen, die nicht migriert sind, zu berücksichtigen hat (Berg/ Eckstein 2009, 6 f.). Im Zuge von Veränderungen im Migrationsgeschehen geht auch die Forschung zu Generationen andere Wege. Sie hinterfragt bisherige Katego‐ risierungen, stützt sich auf andere Methoden und stellt bislang nicht oder nicht ausreichend berücksichtige Zusammenhänge her. Untersuchungen, die über Statistik hinaus sehr viel differenzierter auf die Vielfalt an kultu‐ rellen, psychosozialen und sozioökonomischen Aspekten schaut, erzwingen eine deutliche Relativierung sowohl der Modelle von Migration als auch des Konzepts der Generation. Dies auch, weil sich - zumindest in der europäischen Wahrnehmung - seit den 1990er Jahren in verschiedener Hinsicht die ‚Generationslagerungen‘ im Sinne Karl Mannheims gegenüber den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts deutlich verändert haben: Folgte früher bei vielen Kindern unmittelbar im Anschluss an die Pubertät und die Volksschule das Erwerbs- und Erwachsenenleben, wird heute im Gegensatz dazu das Alter der Adoleszenz bis etwa Mitte 30 veranschlagt; auch sind heutzutage Eltern bei der Geburt ihrer Kinder häufig älter als 40 Jahre. In Hinblick auf Sprachbiografien ist dies zumindest insoweit relevant, als es einmal mehr unterstreicht, dass tradierte Konzepte wie ‚Generation‘ und generationelle Weitergabe von Sprache auf ihre Erklärungskraft und Angemessenheit zu überprüfen sind und andere Konzepte, wie Netzwerke, Verflechtung oder Sequenzierung, wie sie im Kontext von Theorien über soziale Mobilität und kulturelle Identifikation auch dazu verwendet werden, krisenhafte Verläufe und Brüche zu reflektieren, sehr viel größere Bedeu‐ tung erlangen. Besonders aufschlussreich sind in dieser Hinsicht die Untersuchungen von Anna Weirich (2018), die mit den Konzepten der ‚Erreichbarkeit‘ und der ‚Reichweite‘ sprachlicher Ressourcen (vgl. S. 58ff.) eine sozioökonomi‐ sche Fundierung sprachlicher Repertoires und damit auch einen Zugriff auf transgenerationelle Phänomene im Auge hat. In ihren Fallstudien zu Personen in einem dominant ukrainischsprachigen Dorf und in einem italienischsprachigen Call-Center in der Republik Moldau liegt der Fokus auf der Sprachbiografie dieser Personen, die, da es sich um Erwachsene han‐ 189 4.7 Generation delt, immer auch als Berufs-, Bildungs-, Migrations- und Arbeitsbiografie angelegt ist. Ihr sprachliches Repertoire wird folglich aus den sozioökono‐ mischen Anforderungen und den individuellen Arrangements in einer von vielfältigen Brüchen markierten Gesellschaft hergeleitet. Ausgangspunkt der sprachbiografischen Rekonstruktion ist die familiäre Sprachpraxis, die zeigt, welche sprachlichen Ressourcen seitens der Eltern bei den Kindern angelegt werden. Von hier aus verfolgt Weirich, wie die untersuchten Personen ihre sprachlichen Ressourcen ausbauen, welche Reichweite die von ihnen genutzten Ressourcen haben und welche anderen sprachlichen Ressourcen in welchen sozialen Zusammenhängen ihres Lebens - in der Partnerbeziehung, mit den eigenen Kindern, im weiteren Familien- und Freundeskreis, in der Arbeit, in der beruflichen Qualifikation etc. - für sie erreichbar oder gegebenenfalls auch nicht erreichbar werden. Am Beispiel von Natalia, einer Angestellten in einem italienischsprachi‐ gen Call-Center in der moldauischen Hauptstadt Chişinău, lässt sich sowohl das Spannungsfeld von Reichweite und Erreichbarkeit sprachlicher Ressour‐ cen als auch die damit möglich werdenden Erklärungen nachvollziehen. Weirich leitet die Analyse des sprachlichen Repertoires ihrer Protagonis‐ tInnen, darunter auch das von Natalia (vgl. ebd., 460-509), mit einer der Orientierung dienenden Kurzbiographie ein. Im Falle Natalias entsteht hierbei folgendes Bild: Natalia stellt den prototypischen Fall einer Univerconnect-Angestellten von Typ 1 dar, die im Rahmen der Arbeitsmigration nach Italien in einem L2-dominanten sozialen Kontext ausschließlich in informellen Lernumgebungen Italienisch ge‐ lernt hat. Nach vielen Jahren ist sie nach Moldova zurückgekehrt und ist auf das Call-Center gestoßen, das italienischsprachige Operator*innen suchte. Sie gehörte zur ersten Generation von moldauischen Migrant*innen in Italien, blieb für einen relativ langen Zeitraum dort und hatte in Erwägung gezogen, auf Dauer dazubleiben. Wie die meisten moldauischen Frauen in Italien lebte und arbeitete sie zunächst für und im Haushalt von Familien mit Kindern, fand dann aber mit einer Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung ein Arbeitsverhältnis mit regelmä‐ ßigeren Arbeitsbedingungen, wo sie am Telefon Kund*innengespräche führte. Zu ihrer transnationalen Migrationserfahrung kommt diejenige der Binnenmigra‐ tion aus einem Dorf in Südmoldova nach Chişinău, die über die Arbeitsmigration nach Italien finanziell erst möglich wurde. Sie hat ausgebaute Rumänisch- und Russischkenntnisse, nimmt sich selbst als koordiniert zweisprachig wahr und hat eine positive Einstellung gegenüber Mehrsprachigkeit inklusive dem Russischen. 190 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung Ihr Italienisch ist nach zehn Jahren Leben und Arbeit in Italien auch im formellen Register flüssig, sie verfügt aber mangels Gebrauch kaum über Erfahrungen mit Schriftpraxis […]. (ebd., 460) Wenn bei den nachfolgenden detaillierten Analysen die Sprachbiografien der Individuen im Mittelpunkt stehen, so erlaubt dieser Zugriff sowohl einen Einblick in die transgenerationellen Problemlagen als auch - und darin besteht ein wesentlicher Unterschied zu den oben genannten Arbeiten - eine systematische Rückbindung der sprachlichen Ressourcen der Individuen an die sozioökonomischen Verhältnisse. Im Fall von Natalia, nicht anders als bei den anderen untersuchten Personen, sind diese Verhältnisse durch Mo‐ bilität und Migration als Faktoren bestimmt, die ihrerseits die sprachlichen Ressourcen und Praktiken der Individuen maßgeblich formen. Anders als bei der Ausarbeitung von Modellen zum Sprachwechsel über die Generationen hinweg, die in der Regel von der Einsprachigkeit der Individuen ausgehen oder auf diese zulaufen, zielt eine transkulturelle Theorie darauf ab, der Vielfalt kultureller Praktiken, und hier speziell den Formen individueller und sozialer Mehrsprachigkeit, Rechnung zu tragen. 4.8 Translatio Die Stadt Sète an der französischen Mittelmeerküste beherbergt seit mehr als zwanzig Jahren das „Festival de poésie“. Bei hochsommerlichen Tempe‐ raturen finden jedes Jahr im Juli auf Plätzen und in Höfen, in Gassen, Parks und am Hafen der Stadt Hunderte von Lesungen und Präsentationen zeitgenössischer Poesie statt. Für Liebhaber der Poesie ist das Festival „Voix vive de méditerranée en méditerranée“ eine Art Mekka, das unzählige BesucherInnen und eine große Zahl von KünstlerInnen aus den Ländern rund ums Mittelmeer und inzwischen auch weit darüber hinaus anzieht. Zu diesem Festival, und das dürfte seine Besonderheit zusätzlich unterstreichen, finden sich seit einer Reihe von Jahren immer wieder auch gehörlose Menschen ein. Nicht alle, aber viele der Lesungen werden deshalb in die französische Gebärdensprache gedolmetscht. Doch was in die eine Richtung geht, geht auch in die andere Richtung. Im Juli 2018 war es Erwan Cifra, der als gehörloser Dichter und Performer Gast des Festivals war und seine Poesie in französischer Gebärdensprache 191 4.8 Translatio 46 Im Internet können Videos aus Erwan Cifras Show „Visual Vernacular“ aufgerufen werden. 47 Eine Wortschöpfung Goethes, in der er velocitas (Eile) mit dem Teufel luzifer verbindet, in J. W. Goethe, Maximen und Reflexionen, vgl. dazu den Essay von Osten 2003. präsentierte. 46 Begleitet wurde er von einer Dolmetscherin, die für das anwesende hörende Publikum aus der Gebärdensprache simultan in die französische Lautsprache dolmetschte. Die Performance von Erwan Cifra - und nicht anders die seiner ebenfalls gehörlosen KollegInnen zu früheren oder späteren Editionen des Festivals der Poesie - führt vor Augen, dass die Gebärdensprache als Erstsprache von (nativen) Gehörlosen und Taubstummen wie jede andere natürliche Sprache auch für die Artikulation von Poesie taugt, so wie in den Gebärdensprachen potentiell eben auch alles ausgedrückt werden kann, was kommunikativ erforderlich ist. Als Gebärdensprachler sensibilisiert uns Erwan Cifra indes noch für anderes, nämlich dass die wissenschaftlichen Begriffe, die zur Be‐ schreibung seiner Performance zu Verfügung stehen, wie auch die Begriffe für das, was die Dolmetscherin leistet, gründlich überdacht werden müssen. Denn die gängigen sprachwissenschaftlichen und translationswissenschaft‐ lichen Dualismen, wenn von gesprochener und von geschriebener Sprache ausgegangen wird, erweisen sich als unzureichend für die Beschreibung dessen, was diese beiden Akteure - Cifra und die Dolmetscherin - uns an sprachlichen Handlungen vor Augen führen und zu Gehör bringen. Dazu gehört auch das in der Translationswissenschaft vorherrschende Denken in Sprachenpaaren. Darauf wird noch ausführlicher einzugehen sein. Der Begriff der ‚Translatio‘, wie er als Überschrift zu diesem Abschnitt und zugleich als ein Feld für die Analyse transkultureller Prozesse Verwen‐ dung findet, hat eine lange Geschichte: ‚translatio imperii‘ als mittelalterliche politische Theorie der ‚Übertragung des Reichs‘ bzw. der Abfolge und Ablösung der Großreiche seit der Antike, oder als ‚translatio studii‘, bezogen auf die Weitergabe der Gelehrsamkeit vom Orient über die Griechen zu den Römern, und von diesen weiter in die mittelalterlichen Gesellschaften. Doch inzwischen wissen wir, dass diese linear konstruierte Abfolge von Macht‐ zentren oder von Hochburgen des Wissens um andere Betrachtungsweisen von translatio zu erweitern und gegebenenfalls auch zu ersetzen ist. Mit dem Konzept des ‚Weltverkehrs‘ und auch der ‚Weltliteratur‘ hatte J. W. v. Goethe nicht mehr nur die Linearität in der Zeit von translatio vor Augen, sondern auch schon die vielfältigen Übertragungen und Verflechtungen im globalen Raum, wobei er mit seiner Bemerkung „alles veloziferisch“ 47 zugleich auch 192 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung ein Merkmal der sich immer rasanter beschleunigenden Moderne benennt (vgl. Knauth 2007). Rezente wissenschaftsgeschichtliche Untersuchungen für den Zeitraum von 1000 bis 1800 zeigen eindrücklich die Dynamik und Vielgestaltigkeit von Translationsprozessen speziell auf der Ebene des Wissens (vgl. Manning/ Owen 2018). An diese Begriffsgeschichte anknüpfend, soll im Kontext transkulturel‐ ler Betrachtungsweisen‚Translatio‘ als ein Oberbegriff für Prozesse und Konzepte verwendet werden, die heutzutage oft mit Transfer, insbeson‐ dere Kulturtransfer, mit Übersetzung, Übertragung, Translation oder auch Transformation bezeichnet werden und die jeweils einzelne Aspekte oder Teilbereiche von Translatio erfassen. Mit Translatio einher geht immer auch die Frage nach der Aneignung: wer eignet sich von wem und wie welche kulturellen Praktiken an, wer übernimmt von wem in welcher Weise und zu welchem Zweck welches Wissen? Die Frage nach der Aneignung impliziert zugleich verschiedene Aspekte der Überlieferung: die Überlieferung „von Mund zu Mund“, von Generation zu Generation, von Gemeinschaft zu Gemeinschaft, aber auch die Brüche in der Überlieferung und gegebenenfalls die spätere Wiederentdeckung, was bis hin zur Rolle von Archiven im Prozess des Überlieferns und auch des Erinnerns reicht (vgl. auch Abschnitt 4.4). Und schließlich hat Translatio eine materielle und mediale Seite in den Produkten und Artefakten, den Texten und Formen mit den in sie eingeschriebenen kulturellen Codes. So nehmen die Geschichten, „die das Leben schreibt“, die Form von Erzählungen an, die in medialer Hinsicht ganz unterschiedlich ausgestaltet werden, etwa als Comic, und somit in der Verbindung von Zeichnung bzw. Bild und sprachlicher Äußerung. Oder sie werden als Hörspiel oder als Spielfilm inszeniert, als Theaterstück auf die Bühne gebracht oder als Choreografie getanzt, um nur diese Produkte und einige ihrer medialen, transmedialen und so auch ästhetischen Transforma‐ tionen zu erwähnen. Seit einigen Jahrzehnten ist es in der Sprachwissenschaft Usus, mehr oder weniger konsequent und systematisch zwischen gesprochener Sprache und geschriebener Sprache zu unterscheiden, um auf diese Weise einerseits ihre Zusammenhänge besser verstehen zu können, und um andererseits den Blick auf die sie unterscheidenden Strukturen und Praxisformen nicht durch unangemessene Terminologien zu verstellen. Letzteres tritt in besonderer Weise zu Tage, wenn es um indigene und als solche oftmals auch bedrohte Sprachen geht. Für viele von ihnen sind die orale Praxis und ihre mündliche Tradierung charakteristisch. Zwar liegen für viele indigene Sprachen auch 193 4.8 Translatio Schriftsysteme vor, die vielfach von weißen Missionaren ausgearbeitet wurden und die ihrerseits auch einzelne Texte in diesen Sprachen - meist sind es biblische Texte - verfasst haben. Eine der Folgen von Missionierung und Kolonialismus besteht jedoch darin, dass die SprecherInnen dieser Sprachen, wenn sie schreiben, auf andere Sprachen zugreifen (müssen), in der Regel auf die Schriftsprachen der Kolonisatoren bzw. auf die jeweiligen National- oder Staatssprachen, die zugleich auch die Sprachen sind, in denen das öffentliche Schulwesen organisiert ist. Zu den grundsätzlichen Bestimmungen von gesprochener Sprache gehö‐ ren ihre Linearität in der Abfolge von Lauten, somit also ihre Eindimen‐ sionalität sowie ihre ephemere Erscheinung: einmal geäußert, verhallt gesprochene Sprache im Raum, wenn nicht technische Apparaturen sie aufzeichnen. Ihre kognitive Verarbeitung stößt rasch an die Grenzen des Gedächtnisses. Geschriebene Sprache hingegen ist in der Fläche, im zweidi‐ mensionalen Raum des Blattes, des Bildschirms oder auf welchem Träger auch immer organisiert, verbunden mit vielfältigen Möglichkeiten des erneuten Lesens, des Verweisens, des Korrigierens und der Herstellung von intertextuellen Bezügen und hypertextuellen Verknüpfungen. Gegenüber diesen Bestimmungen fällt Erwan Cifras sprachliches Han‐ deln buchstäblich aus dem Rahmen. Er artikuliert seine Geschichten nicht im ein- oder zweidimensionalen, sondern im dreidimensionalen Raum. Zudem sind es die Bewegungen, auch die Bewegungsrichtungen seiner Finger, Hände und Arme, seines Kopfes, Mundes und der Augen, seiner Gesichts‐ züge und des Oberkörpers insgesamt, die bedeutungskonstituierend sind. Was er präsentiert, ist poetische Sprache durch Bewegung und in Bewegung. Er gebärdet sie in den Formen, die es anderen Gebärdenden der langue des signes française erlauben, sie als poetische Texte zu verstehen. Und die es der Dolmetscherin erlauben, sie - so gut es eben beim Dolmetschen möglich ist - in die Lautsprache, in diesem Fall in gesprochenes Französisch zu übertragen. Noch immer wirken heute die Vorbehalte auf Seiten der „hörenden“ Mehrheitsgesellschaft gegenüber den Gebärdensprachen nach. Die Einord‐ nung von Gehörlosigkeit als Krankheit zementierte die sprachliche Ideologie eines auf die Lautsprache ausgerichteten Monolinguismus, aus der heraus die Gebärdensprachen als der falsche Weg zu deren Heilung eingestuft und sie deshalb lange Zeit kategorisch abgewertet wurden. Das Schlüsselereignis hierfür war der Kongress von Mailand 1880, ein internationaler Kongress, der sich dem Titel nach der Verbesserung des Schicksals von Gehörlosen ver‐ 194 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung schrieb. Infolge der Empfehlungen dieses Kongresses wurde in Frankreich die Gebärdensprache in der Schule verboten. Weniger strikt ausschließend, in der Praxis aber in ähnlicher Weise abwertend, folgten auch andere Länder den Empfehlungen des Kongresses von Mailand und versagten den Gebärdensprachen ihre Anerkennung (vgl. Encrevé 2008, Delamotte 2016). Die USA folgten diesen Empfehlungen nicht, weshalb sich dort auch die Forschung zu den Gebärdensprachen sehr viel eher und auf breiterer Basis etablieren konnte als in Europa und in anderen Räumen. Erst 2005 wurde in Frankreich dieses Verbot aufgehoben und die langue des signes française staatlicherseits anerkannt. In Deutschland erfolgte die Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache erst 1998 bzw. mit dem Behindertengleichstel‐ lungsgesetz von 2002, während die Österreichische Gebärdensprache 2005 als Minderheitensprache anerkannt und in die Verfassung aufgenommen wurde, um nur diese wenigen Beispiele nationalstaatlicher Regelungen zu erwähnen. In Zeiten der Corona-Pandemie vergeht kaum ein Tag, an dem im öf‐ fentlich-rechtlichen Fernsehen GebärdensprachendolmetscherInnen nicht zu sehen sind, wie sie Ansprachen, Nachrichtensendungen oder Pressekon‐ ferenzen aus der Lautsprache in die Gebärdensprache dolmetschen und auf diese Weise das Gesagte für gehörlose oder hörbehinderte Personen zugänglich machen. Der umgekehrte Fall, das Dolmetschen aus der Gebär‐ densprache in die Lautsprache, den die Dolmetscherin von Erwan Cifra repräsentiert, ist hingegen deutlich seltener zu verfolgen. Betrachtet man zudem, was sie dolmetscht, so ist dieser Fall ungewöhnlich noch dazu, denn sie dolmetscht Texte der Poesie. Lyrik zu übersetzen oder nachzudichten ist eine seit langem etablierte Praxis, sie aber zu dolmetschen, zumal von einer Gebärdensprache in eine Lautsprache, ist zweifelsohne ein spezieller Fall, mit dem die Translationswissenschaft sich meines Wissens noch nicht befasst hat. Gerade weil dieser Fall so speziell ist, ist er geeignet, um über die Problematik von Translatio, Translationswissenschaft und Transkultu‐ ralität in einem allgemeineren Sinne nachzudenken und so auch der Frage nachzugehen, ob Translation, d. h. ob Übersetzen und Dolmetschen per se transkulturelle Prozesse sind? Von dem Zeitpunkt an, als sich die Translationswissenschaft vor allem ge‐ genüber der Sprachwissenschaft und partiell auch gegenüber der Literatur‐ wissenschaft Ende des 20. Jahrhunderts emanzipierte und als eigenständige Disziplin etablierte, gingen von ihr vielfältige Impulse für das Verständnis der Kulturalität von Sprache, der Aushandlung von kultureller Differenz 195 4.8 Translatio 48 Vgl. hierzu u.a. Reiß/ Vermeer 1991, Vermeer 1992, 2006, Prunč 1997. 49 Vgl. hierzu Bassnett/ Lefevere 1998. 50 Vgl. hierzu u. a. den Sammelband von Bassnett/ Trivedi 1999, Tymoczko 1999. 51 Vgl. hierzu u. a. Simon 1996, Bassnett 2012. 52 Vgl. hierzu u. a. Tymoczko 2007, Kremmel/ Richter/ Schippel 2020. 53 Vgl. hierzu u. a. Gouanvic 1999, Vorderobermeier 2014. und letztlich auch zum Verständnis von Transkulturalität aus. Folgt man der Darstellung, die Prunč (2012) von der fachgeschichtlichen Entwicklung der Translationswissenschaft seit den 1970er Jahren zeichnet, dann stellen dafür mehrere z.T. grundlegende konzeptuelle Neuorientierungen die Vorausset‐ zung dar: ▸ der Abschied vom Kriterium der Äquivalenz zwischen Ausgangs- und Zieltext und seine Ersetzung durch das Kriterium der kommunikativen Adäquatheit der Translation (vgl. ebd., 186ff.), darin eingeschlossen auch die handlungstheoretische Fundierung des Übersetzens und Dolmetschens als Handeln innerhalb bzw. in Bezug auf Handlungsrahmen (ebd., 182ff.); beides ist Teil der sog. Skopostheorie 48 in der Translationswissenschaft, die die Frage nach den Finalitäten und Zwecken der translatorischen Handlungen in den Mittelpunkt stellt (vgl., ebd., 152ff.); ▸ die fortschreitende Ausformulierung des Prinzips der Kulturalität von Sprache, das Verständnis von Translation als kultureller Prozess 49 sowie die Rolle von Übersetzung und ÜbersetzerInnen in der Konstruktion von Kulturen im Zuge der Rezeption postkolonialer 50 und feministischer 51 Diskurse zum Übersetzen (vgl. ebd., 285 ff.), bis hin zur Herstellung von Sichtbarkeit der früher in der Regel unsichtbaren ÜbersetzerInnen und DolmetscherInnen 52 ; ▸ das an Bourdieus Soziologie der symbolischen Formen orientierte trans‐ lationssoziologische Denken, das die Translation in sozialen Räumen und auf den Feldern der Macht verortet 53 (ebd., 315 ff.); zentrale Kon‐ zepte sind die auch an anderer Stelle in diesem Buch angesprochenen Begriffe des Feldes, des Kapitals und des Habitus‘. Wenn in der einflussreichen Arbeit von Prunč (2012) immer wieder von Translation als ‚transkultureller Kommunikation‘ und als ‚transkulturellem Handeln‘ die Rede ist, stellt sich die Frage, was er unter Transkulturalität versteht und ob er Translation per se als transkulturellen Vermittlungs‐ prozess ansieht. Da sich in diesem Buch und auch in früheren Arbeiten des Autors (z. B. Prunč 2002) kein expliziter Hinweis auf die begriffliche 196 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 54 Dieses Postulat stößt allerdings auf das Problem der sprachlichen Variation, insbeson‐ dere dann, wenn der Text in Sprache A in topografischer Hinsicht, d. h. dialektal oder regiolektal, und/ oder in sozialer Hinsicht, d. h. soziolektal markiert ist. Fassung von Transkulturalität findet, auch nicht in dem Abschnitt über „Dolmetschen als transkulturelles Handeln“ (Prunč 2012, 182 ff.), bleibt nur, den Versuch einer Rekonstruktion seiner Argumentation zu unternehmen. Ausgangspunkt für diese Rekonstruktion sind die in der Translationswis‐ senschaft allgemein geteilten drei Prämissen: erstens, die binäre Struktur, d. h., dass jede Translation zwischen zwei Sprachen im Sinne von Ausgangs‐ text in Sprache A und Zieltext in Sprache B erfolgt (Kade 1968, Prunč 2012, 29 ff.) 54 ; zweitens, der Nexus von Sprache und Kultur, wie er auf Giambatista Vico zurückgehend vor allem von Wilhelm von Humboldt ausformuliert wurde (vgl. Abschnitt 5.2) und der im Sinne der Kulturgebundenheit von Sprache auch in die Translationswissenschaft Eingang gefunden hat; und drittens, die Kulturgebundenheit translatorischer Prozesse, wie sie Eugene A. Nida, ausgehend von seinen Erfahrungen in der amerikanischen Gesell‐ schaft zur Bibelübersetzung, formulierte (Nida 1964; vgl. Prunč 2012, 103). Je nachdem, wie diese drei Prämissen im Einzelnen gewichtet werden, ergeben sich unterschiedliche Betrachtungen: Prämisse 1 zielt auf die Ver‐ mittlungsprozesse zwischen zwei Entitäten im Sinne eines inter-lingual bzw. inter-kulturell verlaufenden Prozesses. Die Prämissen 2 und 3 zielen beide auf die Kulturgebundenheit sowohl der Sprachen als auch des Prozesses. Sie gehen somit von Grenzziehung zwischen den Sprachen/ Kulturen aus und führen zu einer Betrachtung von Translation als grenzüberschreitender Handlung, ausgedrückt durch das Präfix trans-. Der Unterschied zwischen der Bedeutung von ‚interkulturell‘ und ‚transkulturell‘ bestünde somit darin, dass mit ‚inter-‘ auf die zwei Entitäten eines Sprachenpaares Bezug genom‐ men wird, während mit ‚trans-‘ Sprachgrenzen überschreitend auf mehr als eine Sprache Bezug genommen wird. Bei Prunč selbst stehen in einem früheren Beitrag (Prunč 2004) beide Betrachtungsweisen nebeneinander, wenn er „Translation als Sondersorte der inter- und transkulturellen Kom‐ munikation … [die] überkulturell jede konventionalisierte, interlinguale und vermittelte Interaktion“ bezeichnet (zitiert nach Prunč 2012, 30). Für beide Betrachtungsweisen von Translation, sowohl aus der Perspek‐ tive des Interkulturellen als auch des Transkulturellen, gibt es empirisch betrachtet anschauliches Material. Larisa Schippel (2011) verweist auf die frühen Übersetzungen der Arbeiten des französischen Philosophen Michel 197 4.8 Translatio Foucault ins Deutsche. 1976 erschien im Westberliner Merve-Verlag der kleine Band „Mikrophysik der Macht“ mit einigen Übersetzungen von Texten Foucaults. Als Übersetzer agierten interessierte Wissenschaftler wie der Wiener Philosoph Walter Seitter oder der deutsche Publizist und Mentalitätsforscher Ulrich Raulff. Veranlassung für die Übersetzung sei das Interesse an Foucault und der Wunsch gewesen, dieses aufregende Denken in der deutschsprachigen Wissenschaft und den deutschsprachigen Gesell‐ schaften heimisch werden zu lassen. Schippel konstatiert diesbezüglich: Der Übersetzung sieht man deutlich an, wie mühsam sie sich ihren Weg in die deutsche Sprache bahnt. Der Diskurs ist einfach noch nicht vorhanden, es existiert noch keine Konvention der Textkonstitution. Die Übersetzung sucht ihren Weg und begründet ihn gleichzeitig. Der Text (auch der übersetzte Text) sucht sich sein Publikum. (ebd.) Schippel richtet mit dem Beispiel der Foucault-Übersetzung das Augenmerk auf eine Dimension des transkulturellen Vermittlungsprozesses, die sie als die „Anschlussfähigkeit in der Zielkultur“ (ebd., 12) bezeichnet. Übersetzun‐ gen erweisen sich in vielfältigen Kontaktsituationen als ein Motor für die Modernisierung und Professionalisierung von Diskursen und Sprachen, indem bewusst und gezielt auf Wissen und auf sprachliche Formen anderer Kulturen zurückgegriffen wird. Ein Legende gewordenes Beispiel für transkulturelle Vermittlungspro‐ zesse ist die „Übersetzerschule“ von Toledo im 12. und 13. Jahrhundert. Sie hatte die Aufgabe, das Wissen und die philosophischen, wissenschaftlichen und rechtlichen Texte aus der Antike sowie aus den Sprachen der damaligen Hochkulturen der Araber, der Juden und der Griechen ins Lateinische und später ins Kastilische zu übertragen, in eine Sprache also, die bis dahin kaum geschrieben wurde und die es für die Zwecke der höfischen Verwaltung, des Rechts und der Wissenschaften zu modernisieren und auszubauen galt. Im Zuge der wechselseitigen Durchdringung von in Griechisch, Arabisch, Hebräisch und Latein niedergelegten Wissensbeständen beförderten die Übersetzer sowohl den Kultur- und Wissenstransfers als auch den sprach‐ lichen Ausbau des Kastilischen. Sie schufen vor allem an das Arabische angelehnte neue Terminologien und die Textsorten des Rechts, der Philoso‐ phie und der Wissenschaften in spanischer Sprache, die es zuvor nicht gab und die fortan ihr Eigenleben führten, nun auch im kulturellen Kontakt mit den romanischsprachigen Nachbarn und mit dem Katholizismus als machtpolitisch oberster Instanz. 198 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 55 Vgl. Pratt 2008 [1992]), siehe dazu auch Kap. 3; die postkoloniale Neuausrichtung der Übersetzungswissenschaft kündigt sich mit den Beiträgen in Bassnett 1990 an. Wenn, wie oben bereits angesprochen, von der literaturwissenschaftli‐ chen Postkolonialismusforschung der 1990er Jahre wichtige Anstöße für eine sich neu ausrichtende Translationswissenschaft ausgingen, um beim Übersetzen auch die „Imperial Eyes“ 55 mitzudenken, seien auch aus diesem Bereich zwei Beispiele angeführt. Birgit Scharlau stellt sich in dem von ihr herausgegebenen Band „Übersetzen in Lateinamerika“ (2002) die Frage, wie die Neuausrichtung der Übersetzungsdiskussion um das Jahr 2000 herum aussieht und welche Rolle dabei die Diskurse in Lateinamerika zum Über‐ setzen spielen. Scharlau richtet ihr Augenmerk auf das Übersetzen zwischen den indigenen und nichtindigenen Lebenswelten. Sie konstatiert dabei eine kulturelle Differenz, „die in der Vergangenheit auf Kosten der indianischen Seite verdrängt, verwischt oder übersetzerisch geglättet wurde“ (ebd., 19). Es müsse aber darum gehen, die Übersetzung als ein Medium zu verstehen, das entgegen aller negativen eurozentristischen und kolonialzeitlichen Erfahrungen „eine Rekonstruktion der Differenzqualität des Indianischen zu gewährleisten vermag“ (ebd., 18). Unschwer ist darin die Verbindung der Übersetzungsfrage mit der Alteritätsdiskussion zu erkennen und überhaupt die Auseinandersetzung über unterschiedliche Konzeptualisierungen und Kontextualisierungen in den Kulturen, die weiter zu fassen sind als mit dem Verweis auf die Differenz von oraler Tradition vs. schriftbasierter Tradition. Als aufschlussreich bezeichnet Scharlau in dieser Hinsicht das Projekt, Teile der kolumbianischen Verfassung in die indigenen Sprachen des Landes zu übersetzen. Damit wird ein Problem angesprochen, das sich so oder ähnlich auf Minderheitensprachen weltweit beziehen lässt, ohne die Spezifik der indigenen Sprachen in Südwie in Nordamerika und auch in anderen Räumen wie Australien zu verwischen. Ein zweites Beispiel besteht in der Zuspitzung des kolonialismuskriti‐ schen Diskurses zum Übersetzen als einer Form der Auseinandersetzung mit den kolonial geprägten Machtverhältnissen. Eines seiner markantesten Merkmale ist die Konzeptualisierung von Übersetzung als bidirektionaler Prozess, als konfliktivem Hin und Her zwischen Kolonisator und Kolonisiertem. Der Kolonialherr assimiliert - übersetzend - die Einheimi‐ schen. Diese unterlaufen - ebenfalls übersetzend (nur anders) - die Assimilation und modellieren ihre Spuren in die fremden Texte. (ebd., 20) 199 4.8 Translatio 56 Vgl. dazu auch die Homepage https: / / bushie.weebly.com, auf der auch die Serie „Bush Mechanics“ in weitere Zusammenhänge eingeordnet wird. 57 Den Hinweis verdanke ich Frank Schulze-Engler, der das Beispiel der Warlpiri sowie weitere Belege aus dem ostafrikanischen und neuseeländischen Kontext in unserer gemeinsamen Vorlesung „Moving Cultures“ im Wintersemester 2018/ 19 an der Goe‐ the-Universität Frankfurt/ M. diskutierte. 58 Persönliche Information sowie Schippel 2019b. Dieses Unterlaufen der kolonialistischen Diskurse, wie es Scharlau anhand lateinamerikanischer Beispiele ausführt, lässt sich um Beispiele auch aus anderen kulturellen Kontexten erweitern. Künstlerische Projekte der aus‐ tralischen Aborigines, speziell der Warlpiri in Zentralaustralien, bedienen sich mit der von der Fernsehstation Walpiri Media Association produzierten Videos „Bush Mechanics“ 56 der Karikatur und der Satire, um die Verein‐ nahmungspraktiken des postkolonialen Machtgefüges mit ihren Mitteln bloßzustellen. 57 Auf andere Art fügt sich hier die in Kap. 3 vorgestellte drei‐ sprachige Zeitschrift Vice Versa, die von italienischen Immigranten in Mont‐ réal gegründet wurde, in dieses Bild ein. Deren Form des Unterwanderns herrschender Diskurse besteht in der Formulierung von gesellschaftlichen Utopien, die vorgegebene binäre Denkschemata aufbrechen und mit dem Konzept des Transkulturellen alternative Sichtweisen auf die Translatio sich vererbender Konfliktlagen ins Bewusstsein rufen. In den genannten Beispielen stehen Betrachtungsweisen des Interkultu‐ rellen und des Transkulturellen in der Translation bisweilen kaum unter‐ scheidbar nebeneinander, so wie es bereits oben anhand der Diskussion zu Prunč (2012) ausgeführt wurde. Für Klärung sorgt in dieser Hinsicht Larisa Schippel 58 , die hervorhebt, dass Translation üblicherweise bilateral betrachtet wird, basierend auf der Logik der Sprachen, der Ausgangssprache und der Zielsprache, die Eigenes und Fremdes repräsentieren. In dieser Hinsicht sei Translation der Logik des Interkulturellen verhaftet. Transkul‐ turell wird die Translation erst durch die Aufhebung der bilateralen oder interkulturellen Perspektive. Aufgehoben wird diese Perspektive durch die Logik des Wissens, die nicht interkulturell, sondern transkulturell zu veran‐ schlagen ist. Sie führt dies an einem übersetzungsgeschichtlich bedeutsamen Fall aus, an den Übersetzungen, die zunächst Georg Foster vom Reisetage‐ buch der Expedition von James Cook (1772-1775) angefertigt hat, dessen Übersetzungen ins Englische und Deutsche wiederum die Vorlagen für die französischen, schwedischen, niederländischen und russischen Fassungen darstellten (Schippel 2019a, 208 ff.): 200 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung 59 Einen Überblick zur Kulturtransfer-Forschung aus der Perspektive der Geschichtswissen‐ schaft geben Drews/ Scholl 2016 und Middell 2016, aus kultur- und literaturwissenschaft‐ licher Sicht Lüsebrink 4 2016. Zum Verhältnis von ‚Kulturtransfer‘ und ‚histoire croisée‘, vgl. Werner/ Zimmermann 2002 und Middell 2016. 60 Für einen Forschungsüberblick zu den Anfängen der Kulturtransferforschung, vgl. Mid‐ dell/ Middell 1994. Aufschlussreich sind zudem die knapp 30 Bände umfassende Reihe „Transfer - Deutsch-französische Kulturbibliothek“, hrsg. von Michel Espagne, Etienne François, Werner Greiling und Matthias Middell im Leipziger Universitätsverlag sowie Die Tatsache, dass ein reichliches Jahrzehnt nach Cooks Expedition das dort gesam‐ melte Wissen in sechs europäischen Sprachen vorliegt […], lässt uns schlussfolgern, dass damit ein Raum entstanden ist, innerhalb dessen auf dieses Wissen Bezug genommen werden kann, dass dieses Wissen den Referenten bildet, auf den mit Hilfe sprachlicher Zeichen referiert werden kann […]. Die Reichweite des Wissens ist ganz wesentlich von den Übersetzungsprozessen abhängig. Man könnte also mit Walter Benjamin schließen, dass die Übersetzung das „Fortleben des Originals“ sichert und es zugleich quasi ‚transkulturalisiert‘ wird. (ebd., 208-210) Schippels translationswissenschaftliche Position der Transkulturation des Wissens ist mit Positionen der kulturhistorischen Forschung mit dem Konzept des ‚Kulturtransfers‘ kompatibel, das seinen Ausgangspunkt in den 1990er Jahren in der Erforschung der Geschichte der französisch-deutschen Kultur‐ kontakte hatte. 59 Ein Referenzpunkt für die Ausarbeitung dieses Konzepts in der Geschichtswissenschaft bestand in der Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen der Komparatistik als Methode der Kulturgeschichtsforschung, wie sie von Michel Espagne und Michael Werner in den 1980er Jahren in Frankreich angestoßen wurde (vgl. Espagne 1994, Werner/ Zimmermann 2002). Ein anderer und sehr viel weitergesteckter Referenzpunkt zeigte sich in der teilweisen Neuorientierung der Geistes- und Sozialwissenschaften als Kulturwissenschaften. Diese Neuorientierung erfolgte im Zusammenhang mit einer theoretischen Bewältigung der Ambivalenzen von Identifikations‐ prozessen, wie sie im Zuge wachsender Globalisierung, von weltweiten Migrationsströmen, von kulturellen Interferenzen durch mediale Vermittlung, von geteilten Symbolwelten sowie durch das Hineingreifen von Fremden, „ausländischen“ Akteuren in die Erfahrungswelten des Alltags erheblich an Bedeutung gewonnen haben (Middell 2000, 12). In diesem Kontext richtet „die Untersuchung des Kulturtransfers das Augenmerk auf die Aneignung fremder Kulturgüter und Kulturtechniken sowie die Benutzung der Fremdheit als Argument, um die eigene Kultur unter Veränderungsdruck zu setzen“ (ebd., 13). 60 Wie Middell/ Middell in ihrem Forschungsüberblick von 1994 201 4.8 Translatio die von Michel Espagne und Jacques Le Rider gegründete und heute von Michel Espagne herausgegebene OpenEdition-Zeitschrift „Revue germanique internationale“. 61 Vgl. dazu den in vieler Hinsicht einschlägigen Band von Charle/ Lüsebrink/ Mix 2017. betonen, rückt das Konzept des Transfers die vielfältigen Durchdringungs- und Rezeptionsvorgänge zwischen den Kulturen in den Mittelpunkt. „Transfer einer Kultur deutet nicht auf deren Expansionismus hin, sondern auf die Bedürfnisse der Rezipienten, die gezielt Elemente in ihre Wirkungsfelder übernehmen“ (ebd., 110). Die Theorie des Kulturtransfers erfasst die spezifische Konstellation der Ausgangs- und der Zielkultur und den Prozeßcharakter der ablaufenden Vorgänge. Sie zielt auf die Untersuchung der Rolle des ‚kulturellen Gedächtnisses‘ für Identifikationsprozesse, besonders sei‐ nes Anteils fremder, im Zug des Transfers angenommener kultureller Praktiken und Werte. (ebd., 110) Lüsebrink (2001) verweist zudem darauf, dass Transferprozesse nicht nur die Ausgangs- und Zielkulturen betreffen, sondern für ihr Gelingen auch die Vermittlungsinstanzen - Übersetzer, Mediatoren, Verlage und Verleger, Agenten und Agenturen, im englischsprachigen Kontext ist von ‚culture brokers‘ die Rede - in den Blick genommen werden müssen. Wenn in der Forschung zum Kulturtransfer zunächst das Hauptaugenmerk auf den Beziehungen zwischen den Nationalkulturen, vor allem von Deutschland und Frankreich 61 , weiterhin auch auf dem triangulären Transfer von Eng‐ land/ Großbritannien, den USA und Russland oder von Frankreich, Deutsch‐ land und Russland lag, wendete sich die Forschung in der Folge zunehmend der Ebene unterhalb des Nationalstaats zu. Sie öffnete sich für den Transfer auf der Ebene von Regionen wie Sachsen oder Lothringen sowie den vielfältigen Praktiken des Kulturtransfers in Bereichen wie Buchgeschichte, Musikgeschichte, Verwaltungsgeschichte, Symbolgeschichte oder Wissen‐ schaftsgeschichte (vgl. Middell 2000, 14). Unstrittig ist, dass das Konzept des Kulturtransfers in der kulturgeschicht‐ lichen Forschung seine Produktivität unter Beweis gestellt hat (vgl. dazu auch Netzwerk transkulturelle Verflechtungen 2016, 58 ff., Middell 2016). Doch gilt dies auch, so wäre zu fragen, in gleicher Weise für die philo‐ logisch-kulturwissenschaftliche Forschung? Augenfällig ist, dass explizite Hinweise in diesem Kontext deutlich geringer ausfallen. Sieht man einmal von der geringeren Frequenz ab, so steht die Produktivität der Kulturtrans‐ ferforschung dennoch außer Frage. Untersuchungen zur Migration der 202 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung Hugenotten und ihrer Sprachpraxis und sprachlichen Akkulturation, wie sie Böhm (2010) zu Berlin und Brandenburg vorlegte, zeigen auf theoretisch wie empirisch ausgefeilte Weise, wie auch im sprachwissenschaftlichen Kontext und auf der Ebene von Mikroprozessen, z. B. in der Schriftgestaltung, Transferprozesse zu verstehen sind. Um die Betrachtungen zum Konzept der Translatio weiterzuführen und abzuschließen, sei noch einmal das zu Beginn des Abschnitts angespro‐ chene Phänomen der Poesie in französischer Gebärdensprache und ihre Translation in die Lautsprache des Französischen aufgegriffen, um zwei Problemkreise des Konzepts der Transkulturalität zu identifizieren. Der erste Problemkreis lässt sich entlang der Frage entwickeln, wie das Dolmetschen der Dolmetscherin von Erwan Cifra verstanden und eingeord‐ net werden kann. Die Tätigkeit des Dolmetschens (vgl. u. a. Kutz 2010/ 2012, Pöchhacker 2000) ist vielgestaltig und lässt sich je nach Situation bei‐ spielweise als Begleit-, Flüster-, Gebärdensprachen-, Gerichts-, Gesprächs-, Kommunal-, Konferenz-, Konsekutiv-, Simultan-, Telefon-, Theater- oder Verhandlungsdolmetschen verstehen. All diese Formen des Dolmetschens unterscheiden sich in ihren spezifischen Dolmetschtechniken (simultan, konsekutiv, bilateral etc.), den Handlungsrahmen und -zusammenhängen, in die sie einbettet sind (Gericht, Konferenz, Theater, Verhandlung etc.), den Sprachen (Lautsprachen und Gebärdensprachen) oder dem Grad der Professionalisierung der TranslatorInnen, der von BerufsdolmetscherInnen über gelegentlich dolmetschende mehrsprachige Fachleute bis zu Laien‐ dolmetscherInnen reicht, wenn es, wie bei Letzteren, um Formen des Kommunaldolmetschens im Migrationskontext oder von Angehörigen von gehörlosen Menschen geht. Rein technisch betrachtet, lassen sich diese Kriterien auch auf die Tätig‐ keit der Dolmetscherin auf dem „Festival der Poesie“ in Sète anwenden, doch was und wie sie dolmetscht, will sich in die gängigen Kategorien nicht einfügen. Als relativ unproblematisch erweist sich die Einordnung als konsekutives Dolmetschen, partiell auch als simultanes Dolmetschen. Als Gebärdensprachendolmetscherin dolmetscht sie nicht aus der Lautsprache in die Gebärdensprache, wie es den Regelfall z. B. bei Konferenzen oder bei im Fernsehen eingeblendeten DolmetscherInnen darstellt, sondern aus der Gebärdensprache in die Lautsprache. Dieser Unterschied ist erheblich. Beim Dolmetschen aus der Lautsprache in die Gebärdensprache stellt die eindi‐ mensionale Linearität der Rede der sprechenden Person den Ausgangstext dar. In umgekehrter Richtung und bezogen auf die konkrete Situation ist 203 4.8 Translatio 62 Zum Kommunaldolmetschen, gelegentlich auch als Diskursdolmetschen, engl. Com‐ munity Interpreting oder Public Service Interpreting bezeichnet, vgl. Pöchhacker 2000, 183 ff., Prunč 2012, 327ff. es hingegen die im dreidimensionalen Raum angesiedelte Performance des Gebärdensprachendichters, dessen Poesie sich in der Variation der Gesten durch variierende Bewegungsgeschwindigkeit, das Ausnutzen des Raums und die Expressivität von Gestik und Mimik ausdrückt und die es gilt, sozusagen aus dem Stehgreif in ein poetisch geformtes Französisch zu übertragen. Des Weiteren entzieht sich die Dolmetschhandlung der Einord‐ nung in einen der bekannten Handlungsrahmen wie Konferenz-, Begleit- oder Verhandlungsdolmetschen. Etwas näher käme wohl das Kommunal‐ dolmetschen 62 , weil es hierbei auch darauf ankommt, Gestik und Mimik bei der Translation zu berücksichtigen. Doch das Dolmetschen poetischer Kommunikation, zumal aus der Gebärdensprache in die Lautsprache, ist noch etwas anderes und scheint von der Translationswissenschaft noch nicht berücksichtigt zu sein. Wie dem auch sei, auf jeden Fall eignet sich das Beispiel der Gebärden‐ sprachendolmetscherin auf dem „Festival der Poesie“ in Sète dazu, die trans‐ kulturelle Dimension von Translatio im Allgemeinen und der Translation im Besonderen nochmals aufzugreifen. Zu fragen wäre, wo beginnt bei Transla‐ tion und Translatio die transkulturelle Dimension? Schippels oben erwähnte Kritik an translationswissenschaftlichen Positionen zum Übersetzen und Dolmetschen bestand darin, dass sie in der Regel einer binären Denkweise folgten, die die Logik von Sprachen in Form von Sprachenpaaren und von Ausgangs- und Zieltexten vor Augen hätten und somit eher einer interkultu‐ rellen Perspektive entsprächen. Aufgehoben würde diese Perspektive durch die Logik des Wissens, die nicht interkulturell, sondern transkulturell zu veranschlagen sei. Mit anderen Worten heißt das, dass die transkulturelle Perspektive an die interkulturelle anschließt, wo es um das Überschreiten von Grenzen und das Aushandeln von Bedeutung im Kontext von kultureller Differenz geht. Hierbei handelt es sich um Prozesse des kontrollierten und meist auch professionalisierten Transfers auf der Ebene der sprachlichen Formen, wie sie das Übersetzen und Dolmetschen zwischen zwei Sprachen kennzeichnen. Überwunden wird die interkulturelle Perspektive, wo die binäre Ordnung eine Öffnung hin zur Zirkulation des Wissens erfährt, wo Pluralität in der Verarbeitung von Wissen ermöglicht und das Wissen auf diese Weise transkulturiert wird. Zu beachten ist hierbei, dass das Verhältnis 204 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung zwischen der Sprachform und dem Wissen kein dichotomisches Verhältnis, sondern ein skalares ist. Die Beispiele zu den frühen Übersetzungen der Texte von Foucault oder zur Übersetzerschule von Toledo zeigen, dass der Austausch und die Weiterverarbeitung des Wissens mehr oder weniger eng verbunden ist mit sprachlicher Kreativität und der Herausbildung von neuen Textsorten, sprachlichen Mustern und neuen Terminologien. Der zweite Problemkreis von Transkulturalität weist in umgekehrte Richtung und lenkt die Aufmerksamkeit darauf, was in der Forschung zu Transkulturalität aus dem Blick zu geraten droht. Er schließt da an, wo Rozmysłowicz (2019) einen in der Translationswissenschaft „systematisch erzeugten blinden Fleck“ (ebd., 21 f.) erkennt. Das Phänomen, um das es hierbei geht, ist die inzwischen alltäglich gewordene maschinelle Überset‐ zung und die niedrigschwellige Verfügbarkeit von computer- und internet‐ basierten Übersetzungsprogrammen. Vor wenigen Jahren noch wegen ihrer „Fehlleistungen“ belächelt, sind heute leistungsfähige Übersetzungsmaschi‐ nen per Mausklick auf Computer und Smartphone verfügbar und in die Online-Kommunikationstechnologien vorgedrungen. So fundamental, wie die maschinelle Übersetzung die translatorische Praxis bereits verändert hat, so rigide hat sich die Translationswissenschaft gegenüber dieser Tech‐ nisierung abgeschottet und das Feld der maschinellen Übersetzung anderen Disziplinen wie der Informatik und Computerlinguistik überlassen. Die Gründe für dieses Auseinanderdriften sieht Rozmysłowicz in der Geschichte der Disziplin im Zuge ihrer Emanzipation gegenüber der (System-)Lingu‐ istik und der (frühen) Translationslinguistik und als Gegenentwurf zu einem mechanistischen Verständnis von Translation, das sich schlicht als Umkodierung verstand und dabei keinerlei Rücksicht auf die zielkulturellen Bedingungen nahm. Mit der handlungstheoretischen Fundierung des Trans‐ lationsbegriffs trat der Mensch als translatorisches Handlungssubjekt in den Mittelpunkt der Translationswissenschaft, weshalb sie Fragen der maschi‐ nellen Übersetzung, die ein „a-soziales Translationsverständnis“ (ebd., 26) repräsentierten, fortan ausgrenzte. Der handlungstheoretisch begründete Translationsbegriff versperrte damit den Blick auf die gesellschaftlich immer relevantere […] Translationsform der maschinellen Übersetzung. Deshalb stellt die Unterscheidung zwischen mensch‐ licher und maschineller Übersetzung bzw. zwischen Mensch und Maschine eine Unterscheidung von besonderer Bedeutung für die gegenwärtige Translations‐ wissenschaft dar: Es handelt sich um eine disziplin- und gegenstandskonstitutive 205 4.8 Translatio 63 Vgl. hierzu die Untersuchungen von Bozdağ 2013, Stehling 2015. Unterscheidung. Sie legt fest, dass nur solche Phänomene als Translationsphäno‐ mene in Frage kommen, denen ein translatorisches Handlungssubjekt zugeordnet werden kann. (ebd., 26 f.) Das Dilemma von der „empirischen Wiederkehr des theoretisch Verdräng‐ ten“ (ebd.) in Gestalt der maschinellen Übersetzung bzw. der Beziehung von Mensch und Maschine, mit dem sich die Translationswissenschaft konfrontiert sieht, stellt zugleich ein Problem dar, mit dem sich auch die Forschung zur Transkulturalität auseinander zu setzen hat. Bislang gehört der Verweis auf die Bedeutung von Computer, Internet und Smarthone für Prozesse des transkulturellen Wandels zu den stehenden Wendungen, auch in diesem Buch. Was dies im Einzelnen aber heißt und welche Kon‐ sequenzen technische Innovationen für transkulturelle Prozesse haben, bedarf der weiteren Forschung auch über den Bereich der Medien 63 hinaus, wo erste Untersuchungen vorliegen. Es wird vor allem darum gehen zu klären, welchen Platz die Künstliche Intelligenz (KI) in der Forschung zu Transkulturalität einnehmen wird. In den hierbei - zumindest zur Zeit noch - zur Anwendung kommenden sprachanalytischen Verfahren geht es um sehr viel mehr als um das, was im Bereich des maschinellen Übersetzens praktiziert wird. Bisherige KI-Systeme waren darauf trainiert, spezielle kommunikative oder translatorische Anforderungen zu erfüllen. Inzwischen gehen die Anforderungen weit darüber hinaus und erstrecken sich auf sogenannte „starke Künstliche Intelligenz“, auch wenn die aktuell verfügbaren Computerprogramme diesbezüglich nur mehr Spuren von „allgemeiner Intelligenz“ repräsentieren (vgl. Drösser 2020). Doch wenn der britische Mathematiker und Computerpionier Alan Turing (1912-1954) einen Computer dann als intelligent verstand, wenn der Mensch, der mit ihm schriftlich kommuniziert, nicht mehr einschätzen kann, ob er es mit einem Mitmenschen oder mit einem Computerprogramm zu tun hat, zeigt sich heute, dass ein solcher Test längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Neueste Programme könnten inzwischen täuschend menschlich kohärente Small Talks über Alltagsthemen mit - wohlgemerkt englischsprachigen - Menschen führen. Auch wenn die Computer dabei immer wieder dumme Fehler machten und sich Skeptiker deshalb in ihrer Kritik an der „Lern‐ fähigkeit“ der Maschinen bestätigt sehen, erscheint es angebracht, sich der Skopostheorie in der Translationswissenschaft zu besinnen, die Wert 206 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung darauf legt, die Frage nach den Zwecken und Finalitäten der Texte in den Mittelpunkt zu rücken. 4.9 Vernetzung der Konzepte In den Abschnitten 4.2 bis 4.8 wurden zahlreiche Konzepte der Forschung zu Transkulturalität vorgestellt, wie sie in den Sprach-, Literatur- und Transla‐ tionswissenschaften angesiedelt sind. Diese Konzepte werden als Elemente der Struktur von Transkulturalität betrachtet. Die Liste der Konzepte, wie sie in diesem Kapitel besprochen wurden, ist keinesfalls abgeschlossen. Die Struktur von Transkulturalität ist offen, und sie ist vor allem in Bewegung, wie dies schon verschiedentlich in den einzelnen Abschnitten zum Ausdruck kam, denken wir nur an „Erinnerung in Bewegung“ oder an „Literaturen ohne festen Wohnsitz“. Weitere begriffliche Kandidaten für Forschungen zu Transkulturalität, von denen in diesem Kapitel mangels eigener Forschungserfahrungen aller‐ dings nur am Rande die Rede war, sind beispielsweise ‚Indigenität‘ - vgl. dazu die Ausführungen von Schulze-Engler (2019) zur Maori-Literatur in Neuseeland oder die Studie von Allen (2012) zur ‚Transindigenität‘ - oder zum ‚Kosmopolitismus‘. Letzteres ist ein Konzept, das vor allem in der Soziologie eine große Rolle spielt, aber auch im literatur- und sprachwissen‐ schaftlichen Kontext seine Relevanz hat, wie es oben in den Abschnitten über ‚migrantisches Schreiben‘, über ‚Sprachbiografie‘ und ‚Diaspora‘ schon angedeutet wurde. Der Begriff des ‚Kosmopolitismus‘ referiert dabei auf ein breites Spektrum an Phänomenen, Kriterien und Sichtweisen, die unter‐ schiedlicher kaum sein könnten. Um dies anhand von drei Positionen zu illustrieren: Beck (2002) fragt nach der „kosmopolitischen Gesellschaft“ und bestimmt dabei ‚Kosmopolitisierung‘ als „internal globalization, globaliza‐ tion from within the national societies“ (ebd., 17). Falzon (2009) wiederum beschreibt die pakistanische Bevölkerungsgruppe der Sindhi, die als Händler und Arbeiter über den ganzen Globus verbreitet in Diasporasituationen lebt, als kosmopolitisch („Sindhis today form a truly cosmopolitan ethnic group“ (S. 41). Und schließlich lenkt Peterson (2010) die Aufmerksamkeit auf ägyptische „upper class“-Unternehmer und versteht dabei Kosmopolitismus als „ein Bündel von Praktiken“, durch die sich Angehörige dieser Gruppe als transnationale Eliten konstruieren, „whose unequal control over Egypt’s economic and political resources is justified by their modernity, and whose 207 4.9 Vernetzung der Konzepte modernity is in turn revealed by their cosmopolitanism“ (ebd., 227). So unterschiedlich diese drei Betrachtungsweisen zu Kosmopolitismus - und es hätten noch viele andere angeführt werden können - auch sind, sie haben einen gemeinsamen Nenner. Im Spannungsfeld von ‚global‘ und ‚lokal‘ sind Migration und Mobilität, Kontakt und Verflechtung der Akteure, ihrer Ideen und ihrer Praktiken entscheidende Faktoren für die Transformation der kulturellen Verhältnisse und die Herausbildung neuer kultureller Formen, weshalb Kosmopolitismus als ein weiteres Element der Struktur von Trans‐ kulturalität anzusehen ist. Die nachfolgende Übersicht stellt noch einmal die in diesem Kapitel disku‐ tierten Konzepte und Forschungsfelder dar und zeigt in der Art eines Netzwerks die Beziehungen auf, in denen sie sich zueinander befinden. Sie stellen aus Sicht der sprach-, literatur- und kulturwissenschaftlichen Forschung wesentliche Strukturelemente von Prozessen der Transkulturation dar. Abbildung 4.2: Netzwerk von Konzepten zur Erforschung von Transkulturalität Migrantisches Schreiben Diaspora Sprachbiografie/ Repertoire Translatio Erinnerung in Bewegung Mischung/ Hybridität Kosmopolitismus Indigenität Generation Abb. 4.2: Netzwerk von Konzepten zur Erforschung von Transkulturalität Der Erkenntniswert dieser Abbildung zu Konzepten und Forschungsfeldern in Form eines Netzwerks, in dem vieles, aber längst nicht alles miteinander in Beziehung steht, ist relativ begrenzt. Er erstreckt sich im Wesentlichen auf eine Visualisierung der behandelten Strukturelemente. Ihren Erkennt‐ niswert bezieht diese Abbildung vielmehr aus jenen Strukturierungen und Differenzierungen, die in den einzelnen Abschnitten dargestellt werden. Ei‐ 208 Kapitel 4: Konzepte und Felder transkultureller Forschung nes sollte jedoch mit Blick auf dieses Netzwerk hervorgehoben werden: Bei Netzwerk und Vernetzung im kulturwissenschaftlichen Sinne liegt der Ak‐ zent auf den Akteuren, deren Interaktion und Kreativität sowie auf den da‐ mit zusammenhängenden Aushandlungsprozessen, Handlungsformen und -resultaten. Ist im kulturwissenschaftlichen Sinne von Netzwerken die Rede, geht es um Fragen der wechselseitigen Verbindung und Durchdringung, wie es oben im Kontext der einzelnen Konzepte schon ausgeführt wurde. In Kapitel 6 werden diese Konzepte im Hinblick auf methodische Überlegungen zur Erforschung von Transkulturalität nochmals aufgegriffen. 209 4.9 Vernetzung der Konzepte Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 5.1 Problemskizze, Leitfrage und Thesen In der bisherigen Argumentation in diesem Buch, in den Kapiteln 1 bis 3, liegt der Akzent auf dem Kulturellen, auf Kulturalität und den Konzepten der Multi-, Inter- und Transkulturalität. In Kapitel 4, in welchem kulturwissen‐ schaftlich und philologisch ausgerichtete Forschungsfelder und Konzepte der Erforschung von Transkulturalität im Mittelpunkt stehen, werden Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Aspekten des Kulturellen mit denen der Sprache hergestellt, ohne allerdings bislang das diesem Buch zugrundeliegende Verständnis von Sprache genauer ausgeführt zu haben. Aufgabe des fünften Kapitels soll es daher sein, den Begriff der ‚Sprache‘ auszuleuchten und das Sprachliche in seinen transkulturellen Bezügen darzustellen. Wie ‚Kultur‘ ist auch ‚Sprache‘ ein Wort der Alltagssprache, die wir mit all den Unschärfen und der flexiblen Unbestimmtheit, die der alltäglichen Kommunikation eigen sind, verwenden. Unter Sprache und Kultur können wir uns ohne Weiteres etwas vorstellen, wir können darüber reden und uns über sie verständigen. Dazu müssen wir nicht wissen, dass zum Beispiel das Wort Sprache sehr viel älter ist als das Wort Kultur oder dass im frühen 18. Jahrhundert erstmals ein Zusammenhang zwischen Sprache und Kultur hergestellt wurde. In dem Maße jedoch, wie die beiden Ausdrücke Gegen‐ stand einer wissenschaftlichen Betrachtung werden, die ihrerseits nach Eindeutigkeit, nach präziser Bestimmung der Bedeutung strebt, muss es darum gehen, die spezifischen Verwendungsweisen der Ausdrücke und ihre Beziehungen genauer zu reflektieren. Gegenstand dieses fünften Kapitels soll deshalb der Zusammenhang von Sprache und Kultur, weitergehend dann auch von Sprache, Mehrsprachigkeit und Transkulturalität sein. Sprache und Sprachen, nicht anders als Kultur und Kulturen, entziehen sich einer monolithischen disziplinären Verortung. Dafür sind einerseits diese Phänomene viel zu komplex und, umgekehrt betrachtet, konstruieren sich andererseits die Disziplinen mit den ihnen eigenen Logiken als viel zu rigide, um sich der Komplexität stellen zu können. Zahlreiche Diszipli‐ nen wie Anthropologie, Erziehungswissenschaften, Ethnologie, Geografie, Geschichte, Philosophie, Psychologie, Rechtswissenschaft oder Soziologie befassen sich aus ihren jeweiligen Perspektiven sowohl mit Phänomenen der Kultur als auch mit jenen der Sprache. Sie fokussieren dabei ihrerseits Kultur und Sprache, separat oder auch in ihrem Zusammenhang, nicht selten anders als jene Disziplinen, die sich in prominenter Weise - nomen est omen - zu ihrer Erforschung berufen fühlen: die Kulturwissenschaft(en) und die Sprachwissenschaft(en). Doch auch innerhalb der beiden zuletzt genannten Fächer gibt es keinen Konsens zu den Grundbegriffen des eigenen Fachs. Die beiden folgenden Abschnitte zeigen das anhand der divergierenden Positionen innerhalb der Sprachwissenschaft zur Beziehung von Sprache und Kultur und zum Sprachbegriff selbst. Die Leitfrage für dieses fünfte Kapitel soll sein: Wie sehen die sprach‐ wissenschaftlichen Zugriffe auf Sprache, Kultur und Transkulturalität im Kontext von Kontakt, Mobilität, Mischung, Vernetzung und Lernen in Mi‐ grationsgesellschaften aus? Die Beantwortung dieser Frage schließt ein, aus verschiedenen Perspektiven der Sprachwissenschaft einerseits die Grund‐ begriffe des Fachs - Sprache und Sprachen - und andererseits die Konzepte von Kultur, wie sie uns in sprachwissenschaftlichen Forschungen begegnen, zu diskutieren. Nicht zu übersehen ist dabei, dass viele Sprachwissenschaft‐ lerInnen reichlich - und nicht selten auch grundsätzliche - Probleme mit einer kulturanalytischen Betrachtung des Sprachlichen haben und sie Kultur deshalb systematisch aus der Sprachreflexion ausgrenzen. Wenn Sprache an den Prozessen des kulturellen Wandels und der Trans‐ formation kultureller Ausdrucksformen zumindest beteiligt, wenn nicht sogar ein zentrales Medium ist, in welchem sich transkulturelle Prozesse und Strukturen artikulieren, so mag es verwundern, dass ausgerechnet in der Sprachwissenschaft sehr viel weniger als in anderen Disziplinen von Transkulturalität die Rede ist. Dafür gibt es meines Erachtens zwei Erklärungen, die ich thesenhaft benennen möchte. Erstens: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich der sprachwissenschaftli‐ che Mainstream, angefangen bei den Junggrammatikern und bis hin zur heute den akademischen Markt dominierenden Theorie der Generativen bzw. Universalgrammatik reichend, systematisch gegenüber der Vielfalt der sprachlichen Realität abgeschottet. Die Motive sind dabei ganz unter‐ schiedlicher Art. Sie reichen von - auch die Wissenschaft prägenden - 212 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit Nationalismen, über Theorie- und Methodenfetischismus bis zu theoretisch begründeten Idealisierungen des Gegenstands, weshalb das vermeintlich Unreine, Falsche, Schädliche, Idiosynkratische, Unvollständige etc., kurzum die sprachliche Realität in ihren vielfältigen Ausformungen weitgehend ausgeblendet wurde. Zweitens: Gegenläufig zum sprachwissenschaftlichen Mainstream haben innerhalb und außerhalb der Sprachwissenschaft immer auch Forschungen stattgefunden, die sich im Nachhinein als außerordentlich innovativ erwie‐ sen haben. Sie brachten Forschungskonzepte hervor, die, lange bevor die Perspektive der Transkulturalität auf die Tagesordnung trat, ebensolche Prozesse und Formen mit einer eigenen Terminologie beschrieben haben und eigenständige Forschungen und Forschungstraditionen begründeten. In Kontaktlinguistik, Kreolistik, Interaktionslinguistik, Migrationslinguistik, in den Forschungen über Mehrsprachigkeit und Minderheitensprachen usw. wurden in prominenter Weise transkulturelle Prozesse und Strukturen untersucht, ohne dass sie als solche auch benannt wurden. Maßgeblich ist hierbei die Positionierung der Forschenden und ihre Bereitschaft zum Blick über den „Tellerrand“, was sie im Übrigen dann auch als Gesprächspart‐ nerInnen für andere Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen interessant macht(e). An diese Forschungsansätze anzuknüpfen und die dabei untersuchten Phänomene für das Verständnis transkultureller Prozesse und Strukturen nutzbar zu machen, ist Aufgabe dieses Kapitels. Eine erste begriffliche Klärung muss folglich den Zusammenhang von Sprache und Kultur (5.2) zum Gegenstand haben und den Sprachbegriff selbst (5.3) unter die Lupe nehmen. Der darauffolgende Abschnitt 5.4 geht der Frage nach, welche früheren Studien in Zeiten, als von Transkulturalität noch keine Rede war, als Anfänge transkulturell ausgerichteter Sprachforschung verstanden werden können. Die hier ausgelegten Fäden zu Prozessen des Kontakts und der Mischung von Sprachen, zu Mehrsprachigkeit und Mehrschriftigkeit, zu Sprachen in Minderheitensituationen und unter Verhältnissen der Diaspora und insbesondere zum Lernen und der Praxis von mehreren Sprachen, al‐ lesamt Schlüsselbegriffe transkultureller Betrachtungsweisen, durchziehen dann zwei Fallstudien, die im Abschnitt 5.5 vorgestellt werden. In den Ab‐ schnitten 5.6 und 5.7 wird der Diskussionshorizont noch einmal ausgeweitet, um zunächst der Frage nachzugehen, wie sich die Prozesse des sprachlichen Ausbaus und der Restrukturierung der sprachlichen Repertoires in eine 213 5.1 Problemskizze, Leitfrage und Thesen 1 Vgl. www.peterlang.com/ view/ 9783653983500/ ch02.html. transkulturelle Perspektive einordnen (5.6). Im Abschnitt 5.7 liegt, das Kapitel abschließend, der Akzent auf den sprachlichen Verhältnissen und der Mehrsprachigkeit im frühen 21. Jahrhundert. 5.2 Sprache und Kultur Wie verhalten sich Sprache und Kultur zueinander? Dass das Verhältnis von Sprache und Kultur in Fachdiskussionen immer wieder mit einem Fragezeichen versehen wird, mag irritieren, denn im alltagsweltlichen Sprachgebrauch werden beide Begriffe sozusagen selbstverständlich aufein‐ ander bezogen: Sprache gilt als Teil von Kultur; Kulturen drücken sich durch Sprache und in ihren Sprachen aus. Sprachen ihrerseits tragen zur Unterscheidung von Kulturen bei. Je nach dem Grad des Ausbaus von Sprachen können schriftlose Kulturen von Schriftkulturen unterschieden werden. Immer noch im Bereich des Alltagsweltlichen finden wir auf dem Feld von Sprachkritik und Sprachpflege ein Konzept, in welchem die Wörter Sprache und Kultur zu einem Kompositum verschmelzen. Als ‚Sprachkultur‘ offenbart dieses Kompositum selbst eine bestimmte sprachkulturelle Ver‐ fasstheit, nämlich jene der deutschen Sprache, was deutlich wird, wenn wir versuchen, für ‚Sprachkultur‘ ein Äquivalent im Französischen, Englischen oder in manch anderer Sprache zu finden. Kein einfaches Unterfangen, wie sich leicht feststellen lässt. Verlassen wir den Raum alltagsweltlicher Sprachreflexion, um uns wissenschaftlichen Diskursen zuzuwenden, so wird die Verunsicherung über den Zusammenhang von Sprache und Kultur ungleich größer. Beginnen wir mit einem Beispiel. Auf der Homepage eines internationa‐ len Wissenschaftsverlags findet sich folgendes Statement: „Dass zwischen Sprache und Kultur ein enger, ja unauflöslicher Zusammenhang besteht, gehört von je her zu den Grundüberzeugungen der Fremdsprachenwissen‐ schaften im Allgemeinen und des Faches Deutsch als Fremdsprache im Besonderen.“ 1 Einer der führenden Vertreter dieses Faches, der Germanist Konrad Ehlich, sieht dies offensichtlich anders. Den Blick auf die Geschichte wie auf die aktuelle Verfassung der Sprachwissenschaft gerichtet, konsta‐ tiert er „die Vertreibung der Kultur aus der Sprache“ (Ehlich 2006). Nicht, dass Ehlich nicht vom Nexus zwischen Sprache und Kultur überzeugt wäre. 214 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit Ganz im Gegenteil. Für ihn steht fest, dass das Nachdenken über den Zusammenhang von Sprache und Kultur mit Giambattista Vico (1668-1744) einsetzt, mit Johann Gottfried Herder (1744-1803) in programmatischer Weise ausgearbeitet und mit Wilhelm von Humboldt (1767-1835) in eine erste kritische Synthese überführt wird. Vielfältig seien die Gründe, so Ehlich, die in der Sprachwissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts impli‐ zit oder explizit zur Vertreibung der Kultur aus der Sprache beigetragen hätten: Gründe ideologischer Art, u. a. mit ihren Verwurzelungen in den Kolonialismen und den Nationalismen des 19. Jahrhunderts. Limitierte Forschungskapazitäten, die einer umfassenden Empirie zu kultur- und sprachbezogenen Konzepten entgegenstanden. Die fortschreitende Profes‐ sionalisierung und Ausdifferenzierung von Fächern wie der Philologie und den Philologien einerseits, der Volks-/ Völkerkunde und anderer verwandter Disziplinen andererseits. Besonders nachhaltig wirkend, so Ehlich weiter, sei die Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende Biologisierung der Sprache im Gefolge der neuen Leitdisziplin der Abstammungslehre Darwins gewesen. Die aktuellen Diskussionen in der Sprachwissenschaft „sowohl innerhalb der gewundenen Geschichte des Chomskyanismus wie auch mit Blick auf die Nutzung neurowissenschaftlicher Erkenntnisse [setzten] diesen Prozeß fort“ (ebd., 58). Die Verdrängung der Kultur aus der Sprache, „ihre deklarierte Nichtigkeit für das linguistische Geschäft“ (ebd., 60) erledigt die Thematik des Nexus zwischen Sprache und Kultur freilich nicht. Zum einen sind es Forschungen außerhalb der Linguistik, die sich dem unauflöslichen Zusammenhang von Sprache, Kultur und Denken widmen, so in wegweisenden Arbeiten der Psychologen Karl Bühler, Friedrich Kainz, Lew Vygotsky, von Philosophen wie John Austin, John Searle und von Altmeister Ludwig Wittgenstein, von Sprachanthropologen wie John Gumperz und Dell Hymes, um nur einige zu nennen. Zum anderen wäre es ein Irrtum anzunehmen, dass SprachwissenschaftlerInnen generell nicht über die Beziehung von Sprache und Kultur nachgedacht hätten und nachdenken würden. Ähnlich wie Konrad Ehlich kommt auch Penelope Brown (2006) zu der Auffassung, dass viele LinguistInnen in ihren Forschungen mit Kultur nichts anfangen könnten und sie Kultur für ihr Feld als nicht relevant betrachteten. Doch gibt es auch andere und eben jene, die sehr wohl den Zusammenhang von Sprache und Kultur im Auge haben. Allerdings müsse man genauer hinsehen, in welchem Sinne sie von Kultur sprechen und was für sie Kultur bedeutet. In ihrem Forschungsüberblick konstatiert Brown 215 5.2 Sprache und Kultur in den Arbeiten von LinguistInnen fünf mehr oder minder verschiedene Verwendungsweisen von ‚Kultur‘ (vgl. Brown 2006, 66 ff.), die, da sie für das Verständnis des Gesamtzusammenhangs von Kultur/ Transkulturalität und Sprache instruktiv sind, in knapper Form referiert werden sollen. Position 1: Kultur als ethnische oder sprachliche Gruppe. Personen, die eine bestimmte Sprache verwenden, werden als Angehörige einer sozialen/ eth‐ nischen Gruppe betrachtet. Diese Position findet sich in alltagssprachlichen Äußerungen wieder, wenn wir z. B. über eine Kultur X im Unterschied zu einer Kultur Y sprechen und diesen Unterschied an den verwendeten Sprachen festmachen. Doch schlägt sich diese Position auch in wissenschaft‐ lichen Diskursen nieder, in denen sie auf eine Gleichsetzung von Kultur mit Sprache zuläuft. Die Problematik dieser Position zeigt Brown anhand des Beispiels, dass ein Englisch sprechender australischer Ureinwohner nach dieser Auffassung nicht mehr als Ureinwohner angesehen werden könne. Aus Sicht der Soziolinguistik sei eine solche Gleichsetzung naiv (vgl. Brown 2006, 67). Position 2: Kultur als mentales Modul. Diese Position wird von einigen Anhängern von Chomskys Universalgrammatik vertreten, ansonsten ist in dieser Sprachtheorie für Kultur nicht der geringste Platz. In der Univer‐ salgrammatik wird Sprache als mentales Modul betrachtet, das universell, biologisch verankert und dem Menschen angeboren sei. Einer der promi‐ nenten Vertreter dieser Theorie ist (bzw. war) Steven Pinker, Autor des Buchs „The Language Instinct“ (1994,) der das Bild des mentalen Moduls von der Sprache auf die Kultur ausdehnte, letztlich mit dem Anspruch zu zeigen, dass alle menschlichen (Sub-) Gruppen ein Set von gemeinsamen Charakteristika hätten. Diese Position finde sich nach Brown auch bei vielen VertreterInnen der Kognitionswissenschaften wieder. Diese postulierten the existence of universal abstract traits of Culture analogous to those of Language, while redirecting attention to the mental underpinnings of Culture; from this perspective the difference between cultures are trivial. […] In fact, all the universalists who take Stance 2 are painfully naïve about the extent and significance of cultural and linguistic variation. (Brown 2006, 70) Position 3: Kultur als Wissen. Ähnlich wie bei den Positionen 1 und 2 basiert die Kultur-als-Wissen-Position auf einer Gleichsetzung: eine Kultur kennen ist wie eine Sprache kennen. Ankerpunkte sind hierbei die Semantik bzw. die Bedeutungskategorien der Sprache. Kultur und Wissen basierten beide 216 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 2 Genau heißt es bei Brown: „Culture as process, emergent in interaction“ (S. 73). 3 Browns Blick richtet sich vor allem auf die Forschungen im US-amerikanischen und angelsächsischen Raum, in welchem bestimmte europäische Traditionen und Vorreiter für diese Position erst allmählich erschlossen werden, so die Arbeiten von L. Vygotsky oder K. Bühler. auf mentalen Realitäten. Eine Kultur beschreiben ginge folglich so, wie eine Sprache beschreiben. Die Bedeutung ist im Kopf des Menschen verankert, sie wird jedoch strukturiert durch kulturell geprägte Erfahrungen in Form von ‚Rahmen‘ oder ‚Schemata‘, die das kulturelle Verstehen organisieren und ermöglichen. Diese Position findet sich bei VertreterInnen der kognitiven Linguistik und bestimmten Richtungen der Semantik bis hin zur kognitiven Anthropologie (vgl. ebd., 71). Position 4: Kultur als Kontext bzw. als Rahmung der sprachlichen Praxis. Diese Position ist in Forschungen zur Ethnografie des Sprechens verankert und versteht Kultur als die Basis für die kontextspezifische Ausprägung von Sprache und Sprachpraxis. Kultur ist das, was uns die Sprache je nach Kontext differenziert verwenden lässt, rückgebunden an Variablen wie Ge‐ schlecht, Alter, ethnische Gruppe, soziale Situation usw. Dieses Verständnis von Kultur wurde vor allem von Dell Hymes seit den später 1960er Jahren entwickelt. Es findet sich bis heute in vielen Arbeiten von SoziolinguistInnen und SprachanthropologInnen wieder, die sich mit der Sprachpraxis in konkreten kulturellen Kontexten befassen, wie der Kommunikation im Klassenraum, vor Gericht oder am Arbeitsplatz. Auch in Arbeiten, die sich mit den Kontexten befassen, die beispielsweise Begrenzungen für das Wechseln von einer Sprache in eine andere darstellen, beim Codeswitching also, findet sich dieses Verständnis von Kultur als Kontext wieder. Das hierbei entfaltete Verständnis von Kultur und von Sprache ist grundsätzlich verschieden von den oben genannten Positionen 1 bis 3. Im Zentrum steht die Sprache im Gebrauch. Die kommunikative Kompetenz ist der zentrale Gegenstand dieser Forschung. Mentale oder kognitive Prozesse werden dabei nicht vordergründig erforscht (vgl. ebd., 72). Position 5: Kultur als Prozess der Interaktion 2 . Diese Position wurde in den letzten drei Jahrzehnten von SprachwissenschaftlerInnen, Anthropolo‐ gInnen und PsychologInnen ausgearbeitet 3 , die ihrerseits an die Ethnome‐ thodologie und die Konversationsanalyse anschließen und das Interaktions‐ verhalten der Menschen in seiner kulturellen Verwobenheit untersuchen. Kultur umfasst hierbei beides, sowohl Wissen und Einstellungen als auch 217 5.2 Sprache und Kultur Gegenstände der materiellen Welt, soziale Interaktionen und kommunika‐ tives Verhalten. Kultur ist, was die Verhältnisse, in die die Kinder mit ihrer biologischen Ausstattung hineingeboren werden, formt und die Gerüste für ihre Entwicklung bereitstellt. Bei aller Verschiedenheit unter den Vertrete‐ rInnen dieser Position besteht eine Gemeinsamkeit darin, dass sie den in der sozialen Interaktion begründeten emergenten Charakter des Denkens, der Bedeutung und der Kultur betonen. Um die Emergenz von Bedeutung, Denken und Kultur zu erforschen, so eine weitere von ihnen geteilte Über‐ zeugung, ist es erforderlich, mit Daten aus realer sozial situierter Interaktion zu arbeiten (vgl. ebd., 73). Prominente VertreterInnen dieser Position sind u. a. J. Gumperz und S. Levinson; im deutschsprachigen Raum plädieren in diesem Sinne neben dem oben erwähnten K. Ehlich auch zahlreiche andere LinguistInnen für eine „realistische Sprachwissenschaft“, um eine in prominenter Weise von Peter Auer (2005) vertretene Position zu nennen. In ihrer Komplexität und Historizität wird diese Position von Utz Maas (u. a. Maas 1985, 1989, 2003, 2008, 2016) entwickelt, der in herausragender Weise das Thema einer kulturanalytischen Sprachwissenschaft seit den 1970er Jahren verfolgt und immer wieder - empirisch breit aufgefächert - auf die Agenda der Forschung gesetzt hat. Blicken wir von Browns Analyse aus dem Jahr 2006 einige Jahre weiter, so stellen wir fest, dass die Diskussion zum Verhältnis von Sprache und Kultur deutlich an Fahrt gewinnt, was sich an einer Vielzahl von Publikationen ablesen lässt. Auf vier dieser Publikationen, jeweils in renommierten Verla‐ gen und unter Beteiligung einer großen Zahl von ForscherInnen erschienen, sei hier mehr oder weniger knapp eingegangen. Unter Leitung von Farzad Sharifian (Monash University, Australien) er‐ schien 2015 „The Routledge Handbook of Language and Culture“. In diesem Band werden in 32 Kapiteln auf vielfältige Weise sowohl die Beziehungen von Sprache und Kultur unter spezieller Berücksichtigung von Aspekten wie Gender, Kontext, Höflichkeit, Interaktion, Übersetzung etc., als auch weitergehend von Sprache, Kultur und Denken sowie Fragen der ange‐ wandten Forschung, insbesondere im Bereich des Sprachenlernens und der interkulturellen Kommunikation ausgelotet. Wollte man die in diese Kapitel eingeschriebenen Positionen als repräsentativ für die aktuelle Forschung betrachten, so käme man zu der Einsicht, dass kognitionslinguistische bzw. kognitionsanthropologische Modellierungen und Zugriffsweisen im Sinne der oben beschriebenen dritten Position - Kultur als Wissen - das Feld 218 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 4 „[…] ‚cultural schemas‘, ‚cultural categories‘, and ‘cultural metaphors’. These analytical tools allow cultural conceptualizations to be examined systematically and rigorously. Furthermore, they enable the analysis of features of human languages in relation to the cultural conceptualizations in which they are entrenched” (Sharifian 2015, 477). bestimmten. In vielen Kapiteln, so eben auch im Schlusskapitel des Band‐ herausgebers Farzad Sharifian zu „Cultural linguistics“ geht es zentral um Fragen der kulturell konstruierten Konzeptualisierungen, in analytischer Hinsicht vor allem um ‚kulturelle Schemata‘, ‚kulturelle Kategorien‘ und ‚kulturelle Metaphern‘, die als Werkzeuge zum Verstehen der kulturellen Konzeptualisierungen angesehen werden. Sie ermöglichten die Analyse der Eigenschaften der menschlichen Sprachen im Verhältnis zu den kulturellen Konzeptualisierungen, in welchen sie verfestigt sind. 4 Wenn von ‚kognitiver Wende‘ in den Sozial- und Kulturwissenschaften die Rede ist, dann repräsen‐ tiert dieser Band zweifelsohne diesen Forschungstrend. Allerdings ist dieser Trend bislang wenig hilfreich, um den in den Beziehungen von Sprache und Kultur inhärenten Konfliktlagen, z. B. in Form unterschiedlicher Kon‐ textualisierungen von Sprachpraktiken und sprachlichen Erfahrungen, wie sie Akteure im Migrationsgeschehen ständig machen, empirisch basiert auf den Grund zu gehen. In einer transkulturellen Perspektive geht es sowohl um Mikroprozesse der Differenz, Varianz und Emergenz von sprachlichen Formen, Strukturen und Mustern als auch um Makroprozesse, wie sie aus den Machtverhältnissen unter den Kulturalisierungsregimes (vgl. Kap. 2) resultieren. Zu deren Verständnis und Analyse tragen viele der in diesem Band vertretenen Positionen aufgrund ihrer Fokussierung auf das Kognitive wenig bei. Kurze Zeit nach Erscheinen von „The Routledge Handbook of Language and Culture“ legte der Verlag De Gruyter Mouton den von Ludwig Jäger et al. herausgegebenen Band „Sprache - Kultur - Kommunikation/ Language - Culture - Communication. Ein internationales Handbuch zu Linguistik als Kulturwissenschaft / An International Handbook of Linguistics as a Cultural Discipline“ ( Jäger et al. 2016) vor. Wieder ein umfangreiches Werk, das in seinen vier Teilen mit insgesamt 97 Kapiteln auf andere Weise als der zuvor genannte Band aufschlussreich ist. Der Ausgangspunkt, den die Her‐ ausgeberInnen einleitend formulieren, deckt sich im Grunde mit dem zehn Jahre zuvor dargestellten Befund von K. Ehlich, wird allerdings deutlich weniger pointiert formuliert, wenn es heißt, dass die Kulturalitätsdimension von Sprache seit dem 19. Jahrhundert „ein randständiges Dasein“ friste 219 5.2 Sprache und Kultur und „die Sprachwissenschaft als Disziplin an kultur- und medienwissen‐ schaftlichen Debatten der Geistes- und Sozialwissenschaften nur zögerlich und insgesamt zu wenig teilgenommen“ (ebd., 1) habe. Weiterhin, dass in sprachtheoretischer Hinsicht „eine programmatische, kulturalistische Inte‐ gration etwa der soziolinguistischen, gesprächsanalytischen, mentalitäts- und kulturgeschichtlichen, textlinguistischen und sprachtypologischen An‐ sätze […] noch nicht stattgefunden“ (ebd., 2) habe. Ziel des Bandes sei es daher, „die kulturwissenschaftliche ‚Lücke‘ in der Sprachwissenschaft in ihrer wissenschaftshistorischen und systematischen Genese zu reflektieren sowie einen Beitrag zu ihrer Schließung zu leisten“ (ebd., 2 f.). Der Band gliedert sich in vier Teile: 1. Sprache - Wissenschaft - Kultur: Begriffsklärungen und Disziplinengeschichte mit Beiträgen zum Selbstver‐ ständnis der Sprachwissenschaft; 2. Kulturalität von Sprache: Beiträge aus den Nachbardisziplinen; 3. Kulturen der Kommunikation; 4. Sprachwissen‐ schaft als Kulturwissenschaft. Auf den ersten Blick sieht der Band ganz danach aus, als sei keine Facette der Beziehung von Sprachwissenschaft, Sprache, Kultur und Kulturwissenschaft unberücksichtigt geblieben. Eine serielle Durchsicht der Beiträge zeigt jedoch, dass die meisten Artikel die Kulturalität der Sprache aus einer Perspektive der Einsprachigkeit und Monokulturalität betrachten. Lediglich zwei Beiträge ziehen die Mehrspra‐ chigkeit oder einzelne Aspekte von ihr in Betracht, so der Beitrag von J. Gessinger über „Kulturwissenschaftliche Orientierung in der Sprachge‐ schichtsschreibung“ sowie der Beitrag von F. Balke „Sprache und Politisie‐ rungen von Kulturbegriffen“ und somit unter einer Überschrift, die einen solchen Akzent nicht vermuten lässt. Vergebens sucht man darüber hinaus Ausführungen zur Beziehung von Sprache, Migration und Mehrsprachigkeit sowie zum sprachlichen Lernen im Migrationskontext. Auf sprachliche und kulturelle Mischungsprozesse geht nur der Beitrag „Hybridisieren“ von R. Winter ein. Die Beziehung von Sprache und Generation sowie der große Bereich von Sprachkontakt und Kontaktlinguistik wird ebensowenig berührt wie die Problematik von Diaspora- und Minderheitensprachen und -kulturen. Laut Index gibt es für das Stichwort Transkulturalität nur eine Fundstelle auf den knapp 1000 großformatigen Seiten. Vieles, was zur Kulturalität von Sprache zu sagen wäre, ist längst bekannt, auch wenn es von den HerausgeberInnen und den AutorInnen dieser beiden großen Handbücher nicht berücksichtigt oder nicht zur Kenntnis genommen wird. Es findet sich vielmehr in Bereichen wieder, wo der Druck zur kritischen Reflexion sozusagen mit der Hand zu greifen ist, wo sprachliche und kulturelle 220 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit Heterogentität großen Handlungsdruck erzeugen, wo Konfliktmanagement an der Tagesordnung ist, nämlich in der Sprachpolitik und in der Sprach‐ didaktik. Davon zeugen sowohl der Band „Guide pour le développement et la mise en œuvres des curriculums pour une éducation plurilingue et interculturelle“, herausgegeben von Jean-Claude Beacco et al. (2016) und zuletzt das von Christiane Fäcke und Franz-Josef Meißner herausgegebene „Handbuch der Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik“ (2019). Pluralität und Differenz, Migration und Mobilität, individuelles Lernen und soziale Interaktion sind darin Schlüsselbegriffe, die in der einen oder anderen Form zum Grundverständnis der Beziehungen von Sprache und Kultur und eben von Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität gehören. Das Problem dieser beiden zuletzt genannten Bände ist wiederum, dass sie sich nicht als Orte oder als Rahmen verstehen, wo eine theoretische Diskussion darüber zu führen wäre, welches Verständnis von Kultur und Kulturalität, von Mehroder/ und Interkulturalität, von Sprache und Mehr‐ sprachigkeit hinter den einzelnen Beiträgen und Positionen auszumachen ist. Auch wollen oder können sie nicht der Raum sein, in welchem Diskus‐ sionen über die Kulturalitätsdimensionen von Sprache und über kulturanalytische Sprachwissenschaft geführt werden. 5.3 Sprache und Sprachen Das Verhältnis von ‚Sprache‘ und ‚Sprachen‘ ist mehr und anderes als das eines Nomens im Singular und im Plural. Es lässt sich je nach Erkenntnisziel auf verschiedene Weise darstellen, die jeweils abhängig ist von definitorischen Setzungen. Iwar Werlen (2016, 75), zum Beispiel, formuliert vier Kriterien für die Unterscheidung von ‚Sprache‘ und ‚Sprachen‘: 1. Sprache im weiten Sinn als Terminus für alle möglichen Ausdruckssysteme (oder Semiotiken, Hjelmslev 1961, 107), 2. Sprache im engeren Sinn als Kategorie für alle natürlichen Sprachen, 3. Sprache als Fähigkeit des Menschen und deren Relation zu Einzelsprachen und 4. Abgrenzungen, Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten von Einzelsprachen. Als weitere mögliche definitorische Setzungen führt er an: empirischer versus theoretischer Zugang, Außensicht (etisch) und Innensicht (emisch) sowie individuelle versus soziale Natur der Sprachen. Das Verhältnis von ‚Sprache‘ und ‚Sprachen‘ und ihre jeweiligen Bedeu‐ tungen, wie sie Gegenstand des vorliegenden Buchs sind, soll anhand 221 5.3 Sprache und Sprachen 5 Die Transkription dieser Gesprächssequenz ist stark vereinfacht und orientiert sich an orthografischen Regeln, um das Er-Lesen des Textes zu vereinfachen. eines Belegs entwickelt werden. Es handelt sich um eine Gesprächssequenz zwischen einem Kind und seiner Mutter in London. Rosa (R.), 4 Jahre, hat ein deutsches Buch auf dem Schoß. Die Mutter ( J.) kommt hinzu: R: Giulia [Rosas Kindergärtnerin] can’t read the book J: warum? R: because it’s in German J: kannst du es lesen? R: no I don’t have a Brille Der Beleg zeigt, wie sich Rosa und ihre Mutter miteinander verständigen. 5 Für Rosa, wie für ihre Mutter, ist es offenbar kein Problem, dass die sprachlichen Formen in diesem Dialog verschiedenen Sprachen, Englisch und Deutsch, zuzuordnen sind. Beide Sprachen sind für beide Personen erreichbar. Rosa wächst zweisprachig auf, wobei in diesem Dialog die Mutter ihre beiden Fragen in Deutsch artikuliert, während Rosa quasi nahtlos darauf zunächst in Englisch reagiert und im zweiten Schritt, mit ihrer schelmischen Erklärung in einer - von außen betrachtet - sprachlich hybriden Form „I don’t have a Brille“ antwortet. Ontogenetisch betrachtet geht es hierbei um zwei begrifflich zu trennende Dimensionen von Sprache. Es geht um Sprache (im Singular) im Sinne des Sprachvermögens, um Sprache als Ressource des Menschen, im Unter‐ schied zu Sprachen (im Plural) im Sinne von Sprachverschiedenheit, von (Einzel-)Sprachen und sprachlicher Variation - siehe die oben von Werlen eingeführten definitorischen Setzungen in 3, indirekt auch in 2. - bzw. und um mit U. Maas zu sprechen, um die Idiomatisierung in Form von einzelnen Sprachen. Die Sprachfähigkeit des Menschen und so auch die Spracherwerbsfähigkeit des Kindes, ist genetisch bestimmt, aber die Sprache ist eine soziale Tatsache: die Sprache ist die Sprache der anderen, die im sozialen Verkehr gelernt wird, als Entfaltung („Ausbau“) der genetisch angelegten Sprachfähigkeiten […]. Zur Umwelt […] gehören auch die kulturellen Vorgaben, darunter das Sprachsystem, das in der sozialen Umgebung praktiziert wird: über die Partizipation daran wird das Sprachvermögen idiomatisiert: er‐ worben wird eine spezifische (Einzel-) Sprache. (Maas 2011, 131) 222 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 6 Das Attribut ‚gebrauchsbasiert‘ deckt sich begrifflich mit der von Langacker (1988) u. a. eingeführten Modellierung von Sprache als „usage-based“, was aber nicht bedeutet, Sprache und Sprachpraxis lediglich synchron und damit abgelöst von ihrer historischen und prozessualen Dimension zu interpretieren. Der gebrauchs- und erfahrungsbasierte Ansatz, wie er zuvor in Kapitel 4 auch schon im Zusammenhang mit Sprachbiografie und mit Erinnerung ausgeführt wurde, basiert auf der Geschichtlichkeit von Sprache. Von dem Beleg und der daran aufgezeigten Unterscheidung zwischen Sprache und Sprachen ausgehend, lassen sich die Eckpunkte der hier vertretenen gebrauchs- und erfahrungsbasierten Sprachauffassung 6 etwas genauer darstellen: a) Sprache in der Ontogenese, b) Sprachen, sprachlicher Ausbau und sprachliches Repertoire, c) sprachliches Handeln, d) sprachli‐ ches Wissen und sprachliche Erfahrungen und e) Mehrsprachigkeit und Mehrschriftigkeit. Doch bevor diese Eckpunkte etwas genauer beschrieben werden, sei darauf hingewiesen, um welches Verständnis von Sprache es hierbei nicht geht. Wie in 5.1 bereits angedeutet, hat der Mainstream der Linguistik insbe‐ sondere seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine problematische Entwicklung insoweit genommen, als er den Blick für die Komplexität von Sprache auf rigide Art verstellt hat. Um den Preis des Gewinns von Erkenntnissen auf der Ebene der Sprachtheorie hat die von N. Chomsky be‐ gründete Generative Grammatik, später auch Universalgrammatik genannt, das Erkenntnisobjekt Sprache auf die Re-Konstruktion eines idealisierten, universellen Regelapparats zugeschnitten. Das in separate Module zerlegte Objekt Sprache wird dabei losgelöst von allen kommunikativen, funktiona‐ len, soziokulturellen und medialen Zusammenhängen betrachtet. Ausgangs‐ prämisse ist die Idee der Sprache als angeboren und somit biologisch im Menschen verankert. Im Mittelpunkt steht die Suche nach universalgram‐ matischen Strukturen und die Annahme, dass allen Sprachen dieselben grammatischen Systeme zugrunde lägen. Im Spracherwerb müssen so nicht mehr die in einer Sprache enthaltenen grammatischen Prinzipien erlernt werden (denn diese sind immer gleich und das Wissen darüber ist angeboren), sondern es muss nur noch die Ausprägung bestimmter sprachlicher Parameter erkannt werden. Die von den VertreterInnen der Universalgrammatik betriebene Reduktion auf das Systematische an der Sprache ging und geht mit einer Enthistorisierung und Entkulturalisierung des Sprachbegriffs und wissenschaftspraktisch mit einer weitgehenden Vernachlässigung der Methodologie und vielfach auch der Empirie der 223 5.3 Sprache und Sprachen Sprachforschung einher. Kommen wir nun zu den Eckpunkten der hier vertretenen Sprachauffassung. a) Sprache in der Ontogenese Auf die Frage, wie kommt der Mensch zur Sprache und umgekehrt, wie kommt die Sprache zum Menschen, hat der Anthropologe und Primaten‐ forscher Michael Tomasello (u. a. 1999, 2009) überzeugende Antworten gegeben. Er hat zugleich deutlich gemacht, dass die Hypothese der Uni‐ versalgrammatik und die damit verbundene Biologisierung der Sprache ungeeignet ist, um zu erklären, wie der Mensch zur Sprache kommt, oder eben wie Kinder Sprache und Sprachen lernen (Tomasello 2007, 35). Nach Tomasellos Auffassung besteht die Alternative darin, sich vorzustellen, daß Menschen schon früh in ihrer Ontogenese ihre arttypischen kognitiven, sozio-kognitiven und kulturellen Lernfähigkeiten einsetzen, um die Sprachkonstruktionen zu verstehen und sich anzueignen, die ihre jeweiligen Kulturen über einen historischen Zeitraum durch Prozesse der Soziogenese geschaffen haben. (Tomasello 2002, 174) Für Tomasello ist das Lernen von Sprache eingebettet in den Prozess der kulturellen Evolution des Menschen, die ihrerseits wiederum auf so funda‐ mentalen Prinzipien wie der Imitation und der Kooperation basiert. Kinder werden in soziale und sprachliche Verhältnisse hineingeboren, in denen sie ihre Sprachfähigkeit, die zur genetischen Ausstattung des Menschen gehört, entfalten, indem sie an diesen Verhältnissen zu partizipieren lernen. Wenn Kinder mit etwa einem Jahr beginnen, die sprachlichen Konventionen ihrer Gemeinschaft zu erwerben, haben sie bereits einige Monate an diesen partizipiert: zunächst im Mutterleib in der Wahrnehmung von Stimmen und nach der Geburt in der stimmlichen und gestischen Kommunikation mit ihren Bezugspersonen, um etwas zu verlangen und auf etwas hinzuweisen. Die Aneignung von Sprache erfolgt in der Interaktion mit der Gemeinschaft, die das Kind umgibt. Tomasello und seine MitarbeiterInnen haben die dabei ablaufenden Prozesse und Strukturen der Sprachaneignung detailliert untersucht: die ersten Sprachkonstruktionen, Holophrasen, Verbinselkonst‐ ruktionen, abstrakten Konstruktionen bis hin zu Erzählungen von Kindern (vgl. Tomasello 1999, 173 ff.). Das Kind erfährt die Sprache(n), die seine Bezugspersonen sprechen, es imitiert sie und eignet sie sich Schritt um 224 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 7 Diese Auffassung ist nicht neu. Hugo Schuchardt, von dem weiter unten in Abschnitt 5.4.1 die Rede sein wird, drückt dies in der Bemerkung „wie die Kindersprache auf der Ammensprache beruht“ (Schuchardt 1909, 443) aus. Schritt an. 7 Es lernt situativ. Wie die Gesprächssesequenz zwischen Rosa und ihrer Mutter zeigt, müssen mehrsprachig aufwachsende Kinder jedoch erst noch lernen, dass die Formenunterschiede auch verschiedene Sprachen anzeigen, die von anderen, dritten Personen womöglich nicht verstanden werden. Die Sprachentrennung setzt später ein und ist sozial markiert, indem das Kind lernt, die sprachlichen Formen den Personen zuzuordnen. In diesem Sinne sind Sprachgrenzen in erster Line soziale Grenzen, die für die sprachliche Kreativität mehrsprachig aufwachsender Kinder kein Hindernis darstellen. b) Sprachen, sprachlicher Ausbau und sprachliches Repertoire Um sich vorzustellen, was mit sprachlichem Ausbau gemeint ist, sei an alltagssprachliche Verwendungsweisen des Wortes erinnert, wenn vom Ausbau einer Wohnung oder eines Hauses, oder auch, partiell fachsprach‐ lich, vom Ausbau des Weins die Rede ist. Hierbei geht es darum, dass etwas Vorhandenes - eine Wohnung, ein Haus - anderen oder neuen Bedürfnissen und Erfordernissen seiner Bewohner oder auch des Wohnungsmarktes entsprechen soll und die Wohnung oder das Haus erweitert, vergrößert oder umgebaut wird. Beim Ausbau des Weins geht es darum, dass der Winzer oder die Winzerin den vergorenen Traubensaft geschmacklich entwickelt und qualitativ verfeinert. Maas (2008, 2016a) hat den Ausdruck des Ausbaus, den früher auch schon der Anthropologe Arnold Gehlen (1940) und der Sprachwissenschaftler Heinz Kloss (1952, 1969) mit Bezug auf Sprache und Sprachen verwendeten, zu einem zentralen Konzept der sprachwissenschaftlichen Forschung ausgearbeitet. Die zentrale Bedeutung dieses Konzepts ergibt sich daraus, dass in ihm Sprache und Sprachenlernen, Sprachstruktur und Sprachverschiedenheit, Mündlichkeit und Schriftlich‐ keit, Einsprachigkeit und Mehrsprachigkeit, sprachliche Erfahrung und sprachliches Handeln zu einer dynamischen Betrachtung sprachlicher Ver‐ hältnisse zusammenlaufen (vgl. Maas 2016, 63). In einer soziogenetischen Perspektive geht es beim sprachlichen Ausbau um die Anforderungen der sozialen Praxis, an der der/ die Einzelne parti‐ zipieren lernen muss. In einer kleinen, womöglich auch noch isolierten Gemeinschaft erfolgt dies offensichtlich anders als in funktional differen‐ 225 5.3 Sprache und Sprachen zierten Gesellschaften mit vielfältigen Domänen der Sprachpraxis und entsprechend ausdifferenzierten sprachlichen Formen, die als sprachliche Register zu fassen sind und, durchaus vergröbernd, in intimes (familia‐ les), informell-öffentliches und formelles Register eingeteilt werden (ebd., S. 15ff.). Der Sprachausbau hat, biografisch betrachtet, seinen Ausgangspunkt in der sprachlichen Sozialisation des Kindes, das in der Interaktion mit Eltern, Geschwistern und anderen Bezugspersonen deren Sprache lernt. Diese Familiensprache ist für das Kind die biografisch erste Form von Sprache. Die in der Familie praktizierten und erlernten Sprachformen versteht Maas als das ‚intime Register‘, in welchem auch mehrsprachige Praktiken keine Schranken darstellen. Der Ort des ‚informellen öffentlichen Registers‘ ist der öffentliche Raum der Straße, des Marktes, der Freundeskreise etc. Im informellen öffentlichen Register „kehrt sich die soziale Wertigkeit der Sprache um: Sprache ist hier nicht (mehr) die der anderen, die es zu replizieren gilt, sondern eine Ressource, um Beziehungen zu anderen aufzubauen“ (Maas 2016, 18). Mit anderen Worten: Angetrieben wird der weitere Ausbau zum informellen Register durch das Streben des Kindes nach Autonomie. Im Motorischen zeige sich dieses Streben nach Autonomie „mit dem aufrechten Gang, dem Sich-Lösen von der Hand der Eltern, dem ‚Fremdeln‘“ (ebd., 17). Sprachlich weitet sich dabei das intime Register zum öffentlich-informellen: „in dem Maße, wie das Kind die von ihm genutzten sprachlichen Formen kontrolliert, kann es mit ihnen selbst soziale Kontakte herstellen“ (ebd., 18.). Das ‚formelle Register‘ ist gemäß des Ausbaukonzepts von Maas in einem gänzlich anderen Koordinatensystem definiert, nämlich „durch das Überschreiten des situativ (‚kommunikativ‘, interaktionell) beschränkten Horizonts. Das formelle Register stellt nicht mehr auf Personen als Gegen‐ über ab, sondern auf einen generalisierten Anderen“ (ebd.), wie er für jede Art der institutionellen Kommunikation konstitutiv ist und seinen Ausdruck in der schriftlichen Ausarbeitung und der Nutzung der Potenziale der Schriftlichkeit findet. Der Ausbau erfolgt sowohl innerhalb der Register als auch von einem zum anderen Register im Sinne der Überschreitung von sprachlichen und sozialen Grenzen. Sprachlicher Ausbau ist somit in seiner gesellschaftlichen wie in seiner transkulturellen Dimension zu betrachten. Sprachlicher Ausbau ist kein linearer Prozess. Vielmehr trifft zu, was Blommaert/ Backus (2013, 16 ff.) als ein „learning by degree“ bezeichnen und dabei auf die vielen verschiedenen Wege und Modi sprachlichen Lernens in 226 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 8 „informal learning environments - the family, peer groups, media and popular culture or just life experiences“ (Blommaert/ Backus 2013, 16). 9 „formal learning environments: schools and colleges, but also formal training sessions, evening courses, self-study on the basis of set curriculum and so on“ (ebd.) informellen 8 und formellen 9 Lernumgebungen Bezug nehmen, insbesondere unter Verhältnissen urbaner Dynamiken von Vielsprachigkeit, von Vertovec (2007) als ‚Superdiversität‘ bezeichnet. Lernmodi, die auf eine elaborierte Sprachpraxis zulaufen, sind nach Blommaert/ Backus die folgenden: ▸ „’Comprehensive’ language learning“, das den Zugang zu institutionel‐ len Lernumgebungen voraussetzt und eine breite Skala von informel‐ len Lernumgebungen einschließt; es mündet in ein „’maximal’ set of resources: different language varieties, different genres, styles and registers, distributed over oral as well as literate modes of production and reception“ (ebd., 17); ▸ „’Specialized’ language learning“ als ein Lernmodus, den Blomma‐ ert/ Backus anhand des Lernens von Fachsprachen und fachbezogenen Textsorten, z.B im Rahmen eines Studiums, illustrieren und der eine entsprechende Fachkommunikation, z. B. in einer Zweitsprache ermög‐ licht, nicht aber in den Textsorten und Registern des Alltagslebens außerhalb der Universität oder in einer Arztpraxis. Daneben gibt es andere Lernmodi, die mehr ephemer und begrenzt sind und auf zeitweilige oder punktuelle Anforderungen reagieren. Sie unterscheiden hierbei: ▸ „‘Encounters’ with languages“, bei denen es um Lernmodi minimaler Art geht: Einzelne Wörter und Äußerungen in anderen Sprachen, Grußformeln, Schimpfwörter, hier auch solche, die von bestimmten Altersgruppen verwendet werden. ▸ „‘Embedded’ language learning“ als eine Art des Sprachenlernens in lebenspraktischen Zusammenhängen, in denen auf andere Sprachen rekurriert wird, z. B. bei einem Gespräch in Französisch oder in Deutsch über ein Computerproblem, bei dem einzelne Wörter aus der englisch‐ sprachigen Computerterminologie verwendet werden, oder bei Freizeit- oder Sportaktivitäten wie Yoga, Karate u. a., wenn spezifische Wörter aus anderen Sprachen gelernt werden. 227 5.3 Sprache und Sprachen 10 Zur Restrukturierung sprachlicher Repertoires, vgl. die ausführliche Darstellung in Weirich 2018. Es gibt folglich viele Wege und Modi im Laufe eines Lebens, das sprachliche Repertoire, verstanden als die Gesamtheit der verfügbaren sprachlichen Res‐ sourcen des Individuums (Sprachen, Dialekte, Stile, Routinen, Codes etc.), zu erweitern und die sprachlichen Register auszubauen (vgl. auch Lüdi/ Py 2009, Castellotti/ Moore 2010). Nur darf man sich all diese Prozesse weder als frei von Konflikten, harmonisch, positiv etc. noch als Prozesse vorstellen, die die Individuen selbst „in der Hand hätten“, die sie frei und nach Belieben steuern könnten. Sowohl die Forschungen zu Gebärdensprachen (Delamotte 2016, Maas 2011, 14 ff.) als auch, auf andere Weise, die Forschungen zur Praxis indigener Sprachen (u. a. Lambert 2014, Vowel 2016, Younging 2018) zeigen, in welcher Weise tradiertes Herrschaftswissen den Blick für die Spezifik der jeweiligen kulturellen Praktiken und sprachlichen Artikulationsformen versperrt. Und dies auch in dem Sinne, dass der Ausbau des formellen Registers nicht an die formale Handhabung von Schrift zu binden ist. Sowohl die Praxis der gerade erwähnten Gebärdensprachen (vgl. auch Abschnitt 4.8), also gestisch-mimisch, als auch die Dichtungen und Gesänge der Griots, fem. Griottes in Westafrika, mit denen traditionelles Wissen mündlich überliefert wird, zeigen, dass das Register in gewisser Weise auch mit anderen Gestaltungsmitteln als der Schrift ausgebaut werden kann. Im Kontext der Migration, aber keineswegs nur hier, ergibt sich eine breite Skala von Konfliktfeldern, von Barrieren und Blockaden, von Traumata und Brüchen in den Sprachbiografien, die bis zum „Vergessen“ einer Sprache reichen können, die einst als Muttersprache erlernt wurde. Die Dynamik der Lern- und Ausbauprozesse stellt sich in diesem Zusammenhang als Restrukturierung 10 des sprachlichen Repertoires dar. Restrukturierung des Repertoires bedeutet, dass - im Zuge von Migration, von gesellschaftlichen Brüchen (wie etwa nach dem Zerfall der Sowjetunion) oder anderen ein‐ schneidenden Ereignissen - die bisherigen sprachlichen Ressourcen nur noch eingeschränkt oder nicht mehr für die Bewältigung der Lebensanfor‐ derungen ausreichen und Lernprozesse erforderlich werden, um an den neuen Gegebenheiten sprachlich partizipieren zu können. In der Regel trifft die Restrukturierung des Repertoires nicht auf alle Register gleicher‐ maßen zu. Im Kontext von Migration können die bisherigen sprachlichen Ressourcen des intimen/ familiären Registers weiterhin funktional sein, während jene für die Domänen der informell öffentlichen Kommunikation 228 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 11 In der wissenschaftlichen Diskussion wird dafür das Konzept von ‚language attrition’, vgl. Herdina/ Jessner 2013, Leeuw/ Opitz/ Lubińska 2013 verwendet. und des formellen Registers unter den neuen Verhältnissen nicht mehr funktional und weitgehend entwertet sind. In der Sprachpraxis von Paaren mit verschiedenen Erstsprachen wiederum zeigt sich, wie sich gerade im intimen/ familiären Register sehr individuelle und neue Formen ausprägen. Personen mit schriftkulturellen Kompetenzen verfügen indes über eine Ressource, die als Brücke genutzt werden kann, um sich unter den neuen Gegebenheiten orientieren und um andere Schriftsprachen (leichter) erler‐ nen zu können. Die Restrukturierung des sprachlichen Repertoires erstreckt sich somit über eine Art Kontinuum. Während sich an einem Pol die Reduzierung bzw., um im Bild zu bleiben, der ‚Rückbau‘ der Ausdrucksmöglichkeiten 11 bis hin zum „Verlust“ einer - und selbst der früher dominanten - Sprache verortet, liegt am anderen Pol der maximale Ausbau der einzelnen Register und Sprachen. Dieses Kontinuum wird von den Brüchen markiert, die die Praxis der Sprachen/ Varietäten, der Register und das Lernen von Sprachen in ganz unterschiedliche Richtungen lenken können. Die Restrukturierung des sprachlichen Repertoires erstreckt sich nicht nur auf den Gebrauch oder Nichtgebrauch von sprachlichen Formen, sondern - und dies geht bereits aus der bisherigen Argumentation hervor - ebenso auf das sprachliche Wissen, auf die Einstellungen zu Sprachen und auf die Kenntnis von und den Umgang mit sprachlichen Konventionen und Normen. In funktionaler Hinsicht fokussiert die Theorie des Sprachausbaus den Menschen als mehrsprachig, der über ein sprachliches Repertoire verfügt, in welchem die Register auf verschiedene Weise ausgebaut sind. Mehrspra‐ chigkeit heißt ja nicht die Spiegelung der Register der Sprache A in den Registern der Sprache B, was soviel bedeuten würde wie Mehrsprachigkeit = ‚mehrmalige Einsprachigkeit‘. Bei Mehrsprachigkeit geht es in der Regel um eine funktionale sprachen-/ varietätendifferente Verteilung im Ausbau der Register. D.h., dass bei vielen mehrsprachigen Personen das formelle Regis‐ ter bzw. der schriftsprachliche Ausbau in einer anderen Sprache/ Varietät erfolgt als im intimen oder/ und informellen Register. Zwei Beispiele sollen das illustrieren. In der deutschsprachigen Schweiz wachsen die meisten Kinder mit der am jeweiligen Ort gesprochenen Varietät des Schwyzertüt‐ schen oder mit anderen Sprachen wie Albanisch, Arabisch, Kroatisch oder Türkisch auf. Wenn die Kinder in die Schule kommen, erlernen sie eine 229 5.3 Sprache und Sprachen andere Sprache, die in der Schweiz Schriftdeutsch genannt wird und die sodann das dominante Medium für das Hineinwachsen in die Nutzung der Schriftlichkeit wie für die mündliche Praxis in der Institution Schule und in anderen institutionellen Zusammenhängen ist. Wenn also das intime und das informell öffentliche Register vom Schwyzertütschen oder von anderen Familiensprachen bestimmt ist, erfolgt der Ausbau des formellen Registers im Standarddeutschen und zunehmend auch in Englisch, das in einer wachsenden Zahl von Kantonen der deutschsprachigen Schweiz - sehr zum Verdruss der anderssprachigen EidgenossInnen - seit Anfang der 2000er Jahre vor den anderen Sprachen der Schweiz gelernt wird. Von anderer demolinguistischer Größenordnung stellen sich die Verhält‐ nisse des Sprachausbaus auf dem gesamten afrikanischen Kontinent dar. Von singulären/ individuellen Fällen abgesehen, werden im Intimbereich und in der informellen Öffentlichkeit dialektales Arabisch, Berbersprachen oder afrikanische Sprachen verwendet. Im Kontext formeller Öffentlich‐ keit jedoch, die von den Anforderungen der Schriftpraxis bestimmt ist, dominieren andere Sprachen: das Hocharabische bzw. klassische Arabisch im Norden, im Maghreb gegebenenfalls auch das Französische, im sub‐ saharischen Afrika sind es die vormaligen Kolonialsprachen, davon in Ostafrika überwiegend Englisch, in Westafrika überwiegend Französisch, im kleinen Äquatorialguinea auch Spanisch, im Süden, mit Angola und Mozambique, das Portugiesische und - auch über die Zeit der Apartheid in Südafrika hinaus - das niederländisch basierte Afrikaans. Nur relativ wenige afrikanische Sprachen sind bislang für die Zwecke der Schriftlichkeit ausgebaut worden. Mit anderen Worten: für viele Millionen Menschen auf dem afrikanischen Kontinent erfolgt der Registerausbau für die Zwecke des Lesens und Schreibens in einer anderen Sprache als jener oder jenen, die sie ansonsten in der Familie, an der Arbeit oder in ihren Sozialbeziehungen praktizieren. c) Sprachliches Handeln Wenn jemand einer anderen Person etwas verspricht, oder wenn jemand eine Taufhandlung vornimmt und damit einem Kind oder einem Schiff einen Namen gibt, oder, um ein drittes Beispiel zu nennen, wenn jemand eine andere Person beschimpft, dann besteht die Handlung darin, dass eine sprachliche Äußerung vollzogen und damit eine Absicht, ein Zweck oder ein Ziel verbunden wird. Das gilt zwar nicht absolut - es müssen bestimmte Handlungsrahmen und entsprechende Konventionen oder Riten 230 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 12 In der Sprechakttheorie von J. Searle werden drei Handlungsebenen unterschieden: was gesagt wird, d. h. die Lokution oder der lokutionäre Akt, was mit dem Gesagten erreicht werden soll, d. h. die Illokution oder der illokutionäre Akt, und das, was tatsächlich mit dem Gesagten erreicht wird, d. h. die Perlokution oder der perlokutionäre Akt. 13 Beispiele für ‚direkte Sprechakte‘ wurden bereits genannt. Ein ‚indirekter Sprechakt‘ wäre z. B. die feststellende Äußerung „Hier zieht‘s“, um mit dieser Feststellung jemand auf indirekte Weise zu veranlassen/ aufzufordern/ zu ermahnen/ zu bitten, das Fenster oder die Tür zu schließen. Die Äußerung kann aber auch eine zugempfindliche Person vor dem Luftzug warnen, wie sie auch, je nach Situation, als eine Begründung oder Rechtfertigung von jemandem formuliert sein kann, der zum offensichtlichen Missfallen anderer, kommentarlos ein Fenster schließt oder geschlossen hat. gegeben sein -, aber als Illustration dessen, was in einer ersten Annäherung sprachliches Handeln bedeutet, taugen diese Beispiele allemal. Die Reihe dieser sogenannten Sprechakte 12 (vgl. Austin 1962, Searle 1969) lässt sich mit weiteren Beispielen verlängern, denken wir an Äußerungen vom Typ: jemandem eine Absage erteilen, jemand zu etwas auffordern, eine Ankündigung machen, Loben und Tadeln, einen Termin vereinbaren, ein Verbot aussprechen. Sprechakte der direkten und der indirekten Art 13 sind zahlreich, aber genau genommen stellen sie nur einen Spezialfall dessen dar, was es mit dem sprachlichen Handeln aus der Perspektive von Ontogenese und Soziogenese auf sich hat. Sprachliches Handeln ist in diesem Zusammenhang als soziales Handeln sehr viel weiter zu fassen als die Theorie der Sprechakte es im Sinn hat. Sprachliches Handeln als soziales Handeln bedeutet die Praktiken der Menschen mit und im Medium von Sprache zum Be- und Verarbeiten sozialer Realitäten und Anschauungen sowie ihrer Geschichten und Lebensweisen insgesamt (vgl. Wunderlich 1972, Maas/ Wunderlich 1972, Rehbein 1977). Zum Begriffsfeld des sprachlichen Handelns gehören zahlreiche weitere Konzepte: ‚sprachliche Tätigkeit‘, ‚sprachliche Praxis‘ und ‚sprachliche Ver‐ hältnisse‘, ‚sprachliche Variation‘ und ‚Varietäten von Sprache‘, ‚Sinn‘, ‚Sinn‐ stiftung‘ oder ‚Sinnherstellung‘, ebenso wie ‚sprachliche Handlungsmuster‘ und ‚Prozeduren sprachlichen Handelns‘, selbstredend auch die ‚Situatio‐ nen‘, die ‚Akteure‘, die Zwecke und die Funktionen des Handelns, Prozesse wie ‚Interaktion‘, ‚Kooperation‘ und ‚Koordination‘ als Grundkonzepte der kulturellen Evolution des Menschen, weiterhin auch ‚sprachlicher Wandel‘, ‚sprachliches Lernen‘ und ‚Sprachenlernen‘ bis hin zu Begriffen wie ‚Dis‐ kurs‘, ‚Text‘ und ‚Äußerung‘, ‚Mündlichkeit‘ und ‚Schriftlichkeit‘, ‚Gestik‘ und ‚Mimik‘, ‚Einsprachigkeit‘ und ‚Mehrsprachigkeit‘ - und dies ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit der Auflistung und ohne Benennung der 231 5.3 Sprache und Sprachen 14 Auch heute noch aufschlussreich für die handlungsorientierte sprachwissenschaftliche Bearbeitung sozialer Konfliktlagen und sprachlicher Lernprozesse auf dem Feld von Migration und Zweitsprachenlernen in der BRD ist der Band 22 der „Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie“ (OBST), hrsg. von Januschek/ Stölting (1982). Beziehungen, die zwischen dem sprachlichen Handeln und dem jeweiligen Konzept bestehen. All diese Konzepte mit den ihnen zugrundeliegenden Daten sind Gegenstand einer breit gefächerten Forschung, die von der Ethnomethodologie zur Pragmatik, von der linguistischen Anthropologie zur Diskursanalyse, von der interaktionalen Linguistik bis zur Konstruk‐ tionsgrammatik reichen, die Soziolinguistik, Varietätenlinguistik und die Mehrsprachigkeitsforschung eingeschlossen. 14 Im Kern geht es bei der hier zur Diskussion stehenden Dimension des Sprachbegriffs als sprachliches Handeln darum, die funktionale, kommunikative, soziale Bestimmtheit von Sprache im Kontext des allgemeinen Tätigseins der Menschen nicht nur im Auge zu behalten, sondern auch für die Analyse sprachlicher Formen und Strukturen parat zu halten. Eine Sprachtheorie wie die von K. Ehlich und J. Rehbein begründete Funktionale Pragmatik zeigt auf ihre Art, wie dies geht, wenn sie in systematischer Weise das Verhältnis von sprachlichen Mitteln und sprachlichen, d. h. sprachinternen und sprachexternen Zwecken rekonstruiert (vgl. Redder 2008, 12). In den verschiedenen Ansätzen der Diskurslinguistik und der sprachwis‐ senschaftlichen Diskursanalyse (vgl. Wrana et al. 2015, Busse 2015) geht es wiederum darum, wie gesellschaftliche Verhältnisse und Sachverhalte (z. B. Migration, Rassismus, Klimawandel, Populismus, Geschlechterkonstruktio‐ nen, Kolonialismus etc.) von gesellschaftlichen Akteuren sprachlich „in Szene“ gesetzt bzw. diskursiv konstruiert werden. Eine zentrale Frage ist dabei, wie - vielfach unter Rückgriff auf die Diskurstheorie von Michel Foucault und deren Nexus von Macht und Wissen - in und mit Diskursen Macht, Hegemonie oder andere Formen der Einflussnahme ausgeübt werden. Schließlich, um lediglich einen dritten Zugang zu erwähnen, sei auf die soziolinguistische Forschung verwiesen. In ihrer frühen Phasen, in den 1960er und 1970er Jahren, standen vielfach Untersuchungen zum Status und den Funktionen von Sprache in der Gesellschaft im Mittelpunkt, die sich in methodischer Hinsicht an den W-Fragewörtern orientierten: Wer spricht welche Sprache/ Varietät wie und wann mit wem unter welchen sozialen Umständen und mit welchen Absichten und Konsequenzen? Dazu komple‐ mentär, allerdings nicht immer in einer handlungsorientierten Perspektive, 232 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit konzentrierte sich die Forschung auf die Variation von Sprachen, indem danach gefragt wurde: Wie variiert die Sprachpraxis von Personen/ Gruppen in Abhängigkeit von sozialen Parametern wie Geschlecht, Alter, Bildung oder Beruf. Deutlich weiter gespannt waren die soziolinguistischen Frage‐ stellungen in der von Jean-Baptiste Marcellesi und Bernard Gardin (1974) geprägten Forschung in Frankreich, in der das sprachliche Handeln von Akteuren auf Feldern wie der Sprachpolitik, der Minderheitensprachen, der politischen Diskurse oder der Mehrsprachigkeit in den Mittelpunkt rückte (vgl. dazu Blanchet 2018). Neuere Entwicklungen, in welchen das sprachliche Repertoire der Individuen verstärkt Berücksichtigung findet, fokussieren die Sprachpraxis und das sprachliche Handeln unter den Be‐ dingungen von Globalisierung, Migration und Mobilität, elektronischer Kommunikation und Internet (u.a. Blommaert 2010, 2018), woraus sich un‐ mittelbare Zusammenhänge mit transkulturellen Fragestellungen ergeben. d) Sprachliches Wissen und sprachliche Erfahrungen Das Nachdenken über sprachliches Wissen hat eine lange Tradition, die in der Sprachphilosophie von Aristoteles bis Wittgenstein und über letzteren hinaus bis in die Gegenwart reicht. Seit einigen Jahrzehnten ist sprachli‐ ches Wissen in prominenter Weise Gegenstand einer breiten kognitions‐ wissenschaftlichen Forschung. Eine erste Annäherung daran, was unter sprachlichem Wissen verstanden wird, lässt sich durch die Verwendung verschiedener Präpositionen zwischen ‚Wissen‘ und ‚Sprache‘ erreichen: Wissen von Sprache, Wissen über Sprache und Wissen durch Sprache. Dabei versteht es sich von selbst, dass Wissen immer an menschliche Tätigkeit gebunden ist, in der Interaktion geteilt, geschaffen, ausgehandelt, vermehrt, verworfen, von Einzelnen oder von vielen in Frage gestellt, in Bibliotheken archiviert und über Generationen weitergegeben wird, um nur einige der hier relevanten Aspekte zu erwähnen. Mit dem Ausdruck ‚Wissen von Sprache‘ wird auf die Bedeutung von Wörtern, grammatischen Formen und anderen sprachlichen Ausdrücken verwiesen, wenn wir z. B. die Bedeutung eines Wortes dadurch erklären, dass wir nach anderen Wörtern mit ähnlicher Bedeutung oder auch mit gegensätzlicher Bedeutung suchen oder indem wir eine Ersetzungsprobe anhand einer ähnlichen Form durchführen. Beim ‚Wissen über Sprache‘ geht es um das metasprachliche Wissen, so z. B., dass ‚klengen‘ ein Verb ist und als solches die Fachsprache der Forstwirtschaft zu erkennen gibt, wo es die Vermehrung des Samens von 233 5.3 Sprache und Sprachen 15 Über den Zusammenhang von Spracherleben und traumatischem Erleben im Kontext von Flucht und Migration, vgl. Busch 2016. Nadelhölzern bedeutet. Wissen über Sprache wäre auch, dass das Rumäni‐ sche lange Zeit mit kyrillischem Alphabet geschrieben wurde oder dass das Französische nicht die einzige Sprache Frankreichs ist, sondern in Frankreich noch (mindestens) weitere 75 Sprachen verbreitet sind und zum kulturellen Erbe gehören (vgl. Cerquiligni 1999, Kremnitz 2020). Schließlich ‚Wissen durch Sprache‘. Hierbei handelt es sich um kogni‐ tive Operationen wie Begriffsbildungen, Kategorisierungen, Ableitungen, Analogien, Verallgemeinerungen, um sprachliche Operationen also, die wesentliche Bestandteile des Denkens und seiner Versprachlichung sind. Nicht grundsätzlich vom sprachlichen Wissen zu trennen sind sprachliche Erfahrungen bzw. das ‚Spracherleben‘ im Sinne von Busch (2013, 2017), wie es jede/ r von uns von Kindesbeinen an macht, wenn unsere Ausdrucksweise von anderen Personen korrigiert wird, wenn sich Kinder und Jugendliche an den Sprechweisen ihrer Peers orientieren oder wenn es um Erfolg oder Misserfolg, Gelingen oder Nichtgelingen von Äußerungen in der verbalen Interaktion geht. Nicht selten sind es Erfahrungen der Missachtung, des Spottes oder auch des Unbehagens, wenn wir uns durch die Rede Ande‐ rer brüskiert oder vereinnahmt fühlen. Sprachliche Erfahrungen machen wir auch, wenn unsere Sprache verrät, was wir bewusst oder unbewusst gegenüber anderen verbergen oder freiwillig oder unfreiwillig von uns preisgeben. Für Sprecherinnen von Minderheitensprachen, aber keineswegs nur für diese, bestehen sprachliche Erfahrungen oft im Ausschluss, in der Abwertung oder gar in der Stigmatisierung ihrer Sprachen. 15 Für das Individuum ist sprachliches Wissen in dieser Hinsicht ein aus sozialen Erfahrungen gewonnenes Wissen. Didier Eribons Buch „Rückkehr nach Reims“ (frz. 2010, dt. 2016) bietet in dieser Hinsicht aufschlussrei‐ che Szenarien sprachlicher Erfahrungen in sozialen Milieus und des sich „Ein-Sozialisierens“ in andere Milieus, bei ihm auch verbunden mit selbst‐ kritischen Erkenntnissen zum eigenen verächtlichten Blick zurück auf das provinzielle und proletarische Milieu seiner Eltern und Familie. Sprachliche Erfahrungen sind insofern vom sprachlichen Wissen zu unterscheiden, als sie mit Emotionen eng verbunden sind. In Victor Klemperers „LTI“ heißt es: 234 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 16 Zur Beziehung von Sprache und Emotion, vgl. u. a. Schwarz-Friesel 2007, Lüdtke 2012. 17 Auch als ‚Auto-Odi‘ bezeichnet, vgl. Kremnitz 1994, 63-67. Aber Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen, je selbstverständlicher, je unbewußter ich mich ihr überlasse. (Klemperer [1947] 1970, 24) Emotionen erstrecken sich über eine breite Skala des Sprachlichen 16 , die von Gefühlen des sich Berauschens an Sprache, über klangästhetische Wahrnehmungen („Italienisch klingt so melodiös“, „Französisch ist eine schöne Sprache“) und sprachlich-kulturelle Identifikationen („wenn ich meinen Dialekt höre, fühle ich mich zu Hause“ oder auch „ich kann diesen Dialekt/ diese Stimmen nicht ausstehen“) bis hin zu Gefühlen der Scham und, noch stärker, des sprachlichen Selbsthasses 17 am anderen Ende der Skala reichen. Emotionen gelten als zentraler Motor, Mediator und Regulator der Sprachverarbeitung (Lüdtke 2012, 9). Gerade im institutionalisierten Sprachenlernen sind Emotionen ein viel zu oft unterschätzter Faktor, denn sie können Lernprozesse ungemein beflügeln, aber eben auch schmerzlich blockieren, je nachdem, welche Art von Gefühlen und Erfahrungen beim Lernen ins Spiel kommen (vgl. Arnold/ Holzapfel 2008, Pavlenko 2005). Sprachliche Erfahrungen sind ein konstitutiver Bestandteil von Sprach‐ biografien. Sprachbiografie bedeutet in dieser Hinsicht sowohl gelebte Geschichte, bezogen auf die individuellen Erfahrungen des Lernens von und des Umgangs mit Sprache(n) und Varietäten und den diesbezüglichen Einstellungen, als auch erinnerte Geschichte, wenn es um die erinnernde Rekonstruktion von sprachbiografisch relevanten Ereignissen und Erfah‐ rungen geht (siehe Abschnitt 4.4 zu Erinnerung und 4.6 zu Sprachbiografie). Wie oben im Abschnitt zu Sprache und Kultur (5.2) bereits dargestellt, kommen moderne Sprachtheorien ohne den Wissensbegriff nicht aus. Am Ende dieses Abschnitts über sprachliches Wissen und unter Rückgriff auf die vorherigen Ausführungen lassen sich aus einer kognitiven Perspektive die folgenden Prinzipien zur Definition von Sprache beitragen, die auch von kognitionslinguistischen Ansätzen geteilt werden: (i) Sprache beruht auf allgemeinen kognitiven Fähigkeiten, sie ist dem‐ nach nicht isoliert zu betrachten. (ii) Sprachliches Wissen ergibt sich aus dem Sprachgebrauch. (iii) Grammatische Strukturen sind das Ergebnis menschlicher Konzeptu‐ alisierungsprozesse (vgl. Ziem & Lasch 2013, 2). 235 5.3 Sprache und Sprachen In Erfurt/ De Knop (2019) werden diese Prinzipien im Kontext moderner Sprach- und Grammatiktheorie und speziell der Konstruktionsgrammatik und ihres Verhältnisses zur Mehrsprachigkeit diskutiert. Hierbei treten zwei Fragen in den Vordergrund: (i) Was kann die Mehrsprachigkeitsforschung gewinnen, wenn sie sich auf Konstruktionsgrammatik einlässt? Und (ii): Wie muss die Konstruktionsgrammatik gedacht werden, wenn sie gemäß dem Postulat der Gebrauchsbasiertheit von Sprache (siehe oben, Abschnitt 5.3) tauglich sein soll für die Modellierung und Beschreibung der Sprachpraxis mehrsprachiger Personen und deren sprachlicher Repertoires? (ebd., 15). Wie sich anhand der mehrsprachigen sprachlichen Daten, die den Studien in diesem Band zugrunde liegen, zeigt, gibt es bezüglich dieser beiden Fragen vielfältige Überlegungen, wie der Komplexität aus sozialen, kognitiven und interaktionalen Dimensionen von Sprache und Mehrsprachigkeit beizukom‐ men ist. Der Schnittpunkt dieser Überlegungen besteht im sprachlichen Lernen. Für die Konstruktionsgrammatik bedeutet die Hinwendung zur Mehrsprachigkeit eine immense theoretische Erweiterung, wenn sie zeigen kann, dass ihre Postulate nicht nur für die Einsprachigkeit gelten, sondern sie auch Konzepte zur Beschreibung des sprachlichen Repertoires von mehr‐ sprachigen Personen bereitstellt. Für die Mehrsprachigkeitsforschung bietet die Konstruktionsgrammatik einen theoretisch konsistenten begrifflichen Apparat, um sowohl das Konstruktikon der Individuen in seinen Elementen als auch die Prozesse zu beschreiben, die für das sprachliche Lernen von zentraler Bedeutung sind (vgl. ebd., 20). e) Mehrsprachigkeit und Mehrschriftigkeit Diese Form des Zugriffs auf Sprache schließt an die obigen Ausführungen zum sprachlichen Repertoire unter b) an und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Schriftdimension von mehrsprachigen Personen. „Mehrsprachigkeit ist von einem Randthema zu einem zentralen Thema geworden, sowohl gesellschaftlich-politisch aus auch wissenschaftlich betrachtet. Lange Zeit wurde Einsprachigkeit als Normalfall angesehen, Zwei- oder Mehrsprachig‐ keit - ob es um einzelne Sprecher_innen, Regionen oder Länder ging - als Sonderfall“ - konstatiert Busch (2013, 7) einleitend zu ihrem Buch über Mehrsprachigkeit. Mehrsprachigkeit gilt heute als ein „Alltagsphänomen“ (ebd.), und vermutlich hat es sie die gesamte Menschheitsgeschichte hin‐ durch immer gegeben, auch wenn die Sprachwissenschaft sich „[l]ange Zeit […] überhaupt gescheut [hat], das Problem der Zwei- oder Mehrsprachigkeit genauer zu betrachten“ (Kremnitz 1990, 21). Inzwischen jedoch füllt die 236 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 18 Zumal das Spektrum der Schriftpraxis von professionellen SchreiberInnen auf der einen Seite bis zu funktionalen AnalpabetInnen und illiteraten Personen sehr breit ist. Ende der 1990er Jahre hat die UNESCO die sog. Millenium-Ziele des Programms „Education for all“ (EFA)/ „Education pour tous“ (EPT) für den Zeitraum 2000-2015 formuliert. Diese Ziele sahen bis 2015 eine Halbierung der Analphabetenraten vor. In vielen Ländern wurden sie nicht erreicht, in einigen Ländern des subsaharischen Afrika lag die Senkung der Analphabetenrate bei gerade einmal 1-2%, vgl. https: / / fr.unesco.org/ themes/ alphab etisation-tous; https: / / www.france-education-international.fr/ sites/ default/ files/ atoms / files/ focus-education-pour-tous-1990-2015.pdf. Literatur über Mehrsprachigkeit ganze Bibliotheken. Dass mehrsprachige Personen nicht nur im Medium der Mündlichkeit kommunizieren, sondern auch im Medium der Schriftlichkeit, blieb allerdings die längste Zeit weit‐ gehend unbeachtet. Der Terminus der ‚Mehrschriftigkeit’ ist relativ neu. Das Phänomen hingegen ist weit verbreitet und seit langem bekannt. Geradezu augenfällig ist es bei SchriftstellerInnenn, WissenschaftlerInnen und anderen Intellek‐ tuellen, die ihre literarischen und wissenschaftlichen Werke in mehreren Sprachen verfassen oder/ und in anderen Sprachen als in ihrer Erstsprache schreiben. Die Reihe der AutorInnen ist lang und prominent zugleich: Jorge Semprún, Samuel Beckett, Maryse Condé, Mircea Eliade im 20. Jahrhundert, Alexander und Wilhelm von Humboldt, Karl Marx oder Adalbert von Chamisso im 19. Jahrhundert, und weiter zurück über Rabelais und Erasmus von Rotterdam bis Dante und Alfons X., auch der Weise genannt (dazu ausführlich Kremnitz 2015). Ihre Mehrschriftigkeit zeigt, dass ein virtuoser Umgang mit mehreren Sprachen und die Entstehung großer Literatur nicht bedenkenlos an ein muttersprachliches Sprachgefühl zu binden sind und eben auch in Zweit- oder Drittsprachen von AutorInnen bedeutende Werke entstehen können. Doch die Mehrschriftigkeit von kulturellen Eliten soll hierbei nicht das Maß der Dinge sein. 18 Schulkinder in Japan, Indien oder Georgien machen es uns vor. Sie erlernen ohne größere Mühe nacheinander mehrere Alphabete bzw. Schriftsysteme, um darin eine Sprache zu schreiben, wie sie diese Schriftsysteme gleichzeitig für das Schreiben und Lesen anderer Sprachen zu nutzen lernen. Dies wäre eine Seite von Mehrschriftigkeit. In der oben skizzierten Perspektive des Sprachausbaus tritt als andere Seite die Erwei‐ terung des Inventars an sprachlichen Formen, das die Kinder sich aneignen, hinzu, im Schriftlichen wie im Mündlichen, in einer Sprache wie in weiteren Sprachen. Und sie lernen, im Idealfall, wenn der Unterricht tatsächlich 237 5.3 Sprache und Sprachen 19 Vgl. u. a. Leroy 2019 zur Mehrsprachigkeit in Südtirol. 20 Vgl. http: / / www.cal.org/ twi/ directory/ index.html (15.11.2020.) 21 Vgl. http: / / www.cde.ca.gov/ sp/ el/ ip/ index.asp (15.11.2020). 22 Ausnahmen davon sind u. a. die Leonardo da Vinci Gesamtschule Wolfsburg für Italienisch und Deutsch oder das Netzwerk der Staatlichen Europa-Schule Berlin mit insgesamt 33 Schulen und zehn Partnersprachen. https: / / www.berlin.de/ sen/ bildung/ s chule/ besondere-schulangebote/ staatliche-europaschule/ . auf die Förderung von Mehrsprachigkeit kalibriert ist, die Kenntnisse in der einen Sprache für das Lernen der anderen Sprache zu nutzen und Transferwissen zur Optimierung von Lernprozessen auszubilden. Dass dies nicht nur Theorie ist, zeigen viele Schulprojekte, die gleicher‐ maßen auf Förderung von Minderheitensprachen und Landessprachen oder von MigrantInnensprachen und offiziellen Sprachen ausgerichtet sind. 19 Die kanadischen Immersionsprogramme für Anglophone, die ihre Kinder in minderheitensprachliche französischsprachige Immersionsschulen geben, sind ein vielzitiertes Beispiel. In diesen Klassen finden sich in letzter Zeit, gerade in Westkanada, immer mehr asiatische Kinder wieder. Viele von ihnen sprechen zu Hause Kantonesisch, lernen in der community school in Mandarin schreiben, bewegen sich außerhalb der Familie in Englisch und in der Schule in einer Klasse der immersion française (vgl. Moore/ Sabatier 2010). In den USA sind die Dual Language-Programme und die Two-Way Bilingual Immersion-Programme 20 sehr erfolgreich, die größte Zahl von ihnen in Englisch und Spanisch. Allein in Texas und in Kalifornien 21 sind es viele Hundert Schulen. In Deutschland fällt die Zahl dieser Two-Way Immersion-Programme, auch ‚reziproke Immersion‘ genannt, weit geringer aus. Sie verfügen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, meist nur über den Status als Schulprojekt. 22 Wichtige Anstöße dafür, die Schriftlichkeit im Kontext der Mehrsprachig‐ keitsforschung genauer zu untersuchen, gingen von empirischen Forschun‐ gen in unterschiedlichen Kontexten aus: ▸ von den Literacy Studies sowie den New Literacy Studies in Großbri‐ tannien (Street 1984, 1993, Cope/ Kalantzis 2000, Kress 2003, Barton 2007, Barton/ Papen 2010); ▸ von Studien zum Sprachausbau anhand von Daten aus illiteraten und li‐ teraten Verhältnissen (Maas/ Mehlem 2005, Rosenberg/ Schroeder 2016); ▸ von den Untersuchungen zur migrationsbedingten sprachlichen He‐ terogenität und Mehrsprachigkeit im Klassenraum (Hornberger 1989, García/ Bartlett/ Kleifgen 2007, Budach/ Erfurt/ Kunkel 2008, Hélot/ Be‐ 238 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 23 Historisch betrachtet fallen Lesen und Schreiben nicht zusammen, sondern waren sozial unterschiedlich verteilt: In der sozialen Hierarchie höher stehende Personen erscheinen als Leser, während die Schreiber - schreibende Sklaven, in den Skriptorien kopierende Mönche, bis hin zur Sekretärin, die zum Diktat gerufen wurde - niedrige(re) soziale Positionen einnahmen, vgl. u. a. Haarmann 1990, Maas 1992. nert/ Ehrhardt et al. 2008, García 2009, Coste et al. 2013) und zur reziproken Immersion/ two-way Immersion (Wong Fillmore 1976, Go‐ golin/ Neumann 2008); ▸ von kritischen Auseinandersetzungen mit dem in den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen eingeschriebenen Konzept der „plurilingualen und plurikulturellen Kompetenz“ (Coste/ Moore/ Za‐ rate 1997/ 2009; Castellotti/ Moore 2010). Mehrschriftigkeit bedeutet das Schreiben von/ in mehreren Sprachen oder Schriftsystemen. Im Zentrum steht dabei das Konzept des Sprachausbaus, wie es oben bereits in seiner strukturellen Dimension als Registerausbau und in seiner funktionalen Dimension als sprachendifferenter Ausbau der Regis‐ ter eines mehrsprachigen Individuums eingeführt wurde. Im Hinblick auf Mehrschriftigkeit sind diese beiden Dimensionen noch um die systemische Dimension zu erweitern. Die folgende Darstellung in Abbildung 5.1 zum systemischen Ausbau fokussiert die Mehrsprachigkeit aus der Perspektive des Schreibens und der Schriftsysteme und setzt zwei Koordinaten in Bezug: Auf der horizon‐ talen Achse geht es um das Übergangsfeld von der Einsprachigkeit zur Mehrsprachigkeit; auf der vertikalen Achse geht es um die Systeme im Sinne der Nutzung von alphabetischen, syllabischen oder logografischen Schriftsystemen, darin eingeschlossen auch die Nutzung von Zeichen zur grammatischen Gliederung in Form von Interpunktion sowie von Zahlen‐ symbolen. Auch die unterschiedlichen medialen Ausformungen spielen hierbei eine Rolle: Schreiben mit der Hand, Schreiben mit dem Computer bzw. Umgang mit Handschrift und Umgang mit Druckschrift (vgl. Böhm/ Gätje 2014, Weingarten 2014). Die vertikale Achse reicht somit von illiterat, d. h. keinerlei oder kaum mehr als rudimentäre Praxis im Umgang mit Schriftsystemen, über das Schreiben in einem Medium (monografisch) bis zur bi-/ plurigrafischen Praxis (vgl. Coulmas 2003), d. h. der Umgang mit zwei oder mehreren Schriftsystemen für die Zwecke des Lesens und/ oder des Schreibens. 23 239 5.3 Sprache und Sprachen 24 Die Grafik findet sich in leicht modifizierter Form in Erfurt 2017; hier auch noch weiterführende Ausführungen zur Mehrschriftigkeit. •• • • • • ••• • • • • • •• •• • • ••• • ••• • • • • •• • • ••• • • • • •• • • •• • • • • •• • • •• • • •• •• • •• •• • • • •• • • •• • • •• • • ••• • • ••• • •• • ••• • • ••••••• • • • •• ! • ! ! "#$! %&'(#)! (#*+$,! -#./ ! #*! 0$#./ ,! 12+#(#3#$&,$&! 42&1! #*! 5&(6&,! 789: ; ! / #$&! '6./ ! *2./ ! <$#,$&(=/ &$*+$! >6-(=/ &6*? $*! 36&! @$/ &-./ &#(,#? )$#,A! ! ! "#$ %&'()*"+ ,-*'$ %&'()*"+ ./ #/ $ +'(&*"%)* 0"$1&23'"$ +'(&*"%)* 4-%%/ 3')-# 56%7-.1,-8"3. "22"7-'(7 4-%%/ 3')-# 56%7-.1,-8"3. 56%7-.1,-8"3. 56%7-.1,-8"3. +'(&*"%)* +'(&*"%)* 9: ; 9<; 9=; 9>; Abb. 5.1: Systemische Dimension des Sprachausbaus des Individuums aus der Perspek‐ tive der Schriftlichkeit 24 Um vier Beispiele zu geben, wie diese Darstellung zu lesen ist: [1] Japani‐ sche Kinder lernen für die Schreibung des Japanischen drei oder gar vier Zeichensysteme: auf der horizontalen Achse bedeutet dies Einsprachigkeit in Japanisch. Auf der vertikalen Achse geht es um plurigrafische Praxis: JapanerInnen erlernen das System der Kanji-Zeichen, die Schriftsysteme der Hiragana, der Katakana und schließlich auch das lateinische Alphabet, wenn Englisch oder eine andere schulische Fremdsprache auf dem Programm steht. Das lateinische Alphabet wird darüber hinaus für die Schreibung, ge‐ nauer: für die Transkription japanischer Zeichen - nach dem Hepburn- oder nach dem Kunrei-System - verwendet, wenn JapanerInnen ihre Sprache mit dem Computer schreiben wollen. Bei [2] ist an Personen zu denken, die an den sprachlichen Verhältnisse in Marokko mit dialektalem Arabisch, Berberisch, Hocharabisch und Fran‐ zösisch partizpieren. Hierbei handelt es sich auf der horizontalen Achse 240 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 25 Dieses Beispiel abstrahiert allerdings von der medial und didaktisch durchaus bedeut‐ samen Unterscheidung zwischen Handschrift der Kinder und der Maschinenschrift in den Lehrmaterialien oder beim Schreiben am Computer, Tablet oder Smartphone. 26 Zum Beispiel <maïs> [ma-is] im Unterschied <mais> [mɛ]. um Mehrsprachigkeit und auf der vertikalen Achse, die Alphabetisierung dieser Personen vorausgesetzt, um bi-/ plurigrafische Praxis, die mit dem arabischen und dem lateinischen Alphabet in Druckschrift und in Hand‐ schrift korrespondiert. Fall [3] soll etwas ausführlicher kommentiert werden. Für die Mehrspra‐ chigkeit auf der horizontalen Achse und die Nutzung nur eines Schriftsys‐ tems 25 , in diesem Fall des lateinischen, stehen beispielsweise die bilingualen Schulprogramme vom Typ der reziproken Immersion (two-way-immersion) in Deutsch und Italienisch, Deutsch und Französisch, die wir in den letzten Jahren in Frankfurt/ M. untersucht haben (vgl. Budach et al. 2008, Erfurt et al. 2013, Streb 2016). Dass Kinder dabei mit den grafischen Differenzen auch innerhalb eines Schriftsystems umzugehen lernen, zeigt sich beim Lernen in Deutsch und Italienisch. Problematische Fälle sind Grafeme bzw. Bi- oder Trigrafe wie <ch>, <sc> und <sch>. Sie repräsentieren im Deutschen und im Italienischen nicht nur unterschiedliche Lautungen, sondern auch unterschiedliche silbische Segmentierungen, wenn der Trigraf <sch> als [sk] vs. [ʃ] gesprochen wird, vgl. it. mas-chera (Maske), ris-chio (Risiko) und über zwei Silben verteilt ist, während er im Deutschen in einer Silbe als [ʃ] wie in Fi-scher ausgesprochen wird. D. h., <sch> vor -e/ i oder <sc> vor -a/ o/ u wird im It. [pes-care] (fischen), also silbensegmentierend ausgesprochen, während <sc> vor -e/ i , zum Beipiel in it. il pesce (der Fisch) als [pe-ʃe] ausgesprochen wird. (vgl. Streb 2016). Die gleichzeitige Alphabetisierung der Kinder in beiden Sprachen, die einen zentralen Aspekt reziproker Immersion darstellt, befördert mit der Auseinandersetzung über die sprachlichen Differenzen bei diesen Grafien deutlich die sprachanalytischen Fähigkeiten und das Sprachwissen der Kinder. Darüber hinaus stellen sich bei Deutsch, Italienisch und Französisch, so wie auch bei vielen anderen Sprachen und ihren Schriftsystemen, die Probleme der diakritischen Zeichen. Das Trema zum Beispiel markiert im Deutschen Umlaute; im Französischen hat es eine ganz andere Funktion. Es zeigt die Segmentierung von Vokalen in der Aussprache an und markiert den Vokal am linken Silbenrand. 26 Seit der Orthografiereform von 1990 zeigt es 241 5.3 Sprache und Sprachen 27 Mit der Orthografiereform von 1990 wird ambiguë zu ambigüe. zudem die Aussprache eines Vokals an. 27 Auch andere diakritische Zeichen wie die Akzente oder die Cedille werden im lateinischen Schriftsystem vieler Sprachen mit ganz unterschiedlichen Funktionen verwendet (vgl. Bunčić 2011). Fall [3], ebenso wie Fall [4], ersteckt sich über die Nutzung eines Grafie‐ systems hinaus auch auf eine andere Situation, die des Analphabetismus bzw. des Illettrismus, d. h. das Unvermögen von Erwachsenen, Wörter und Texte zu lesen und zu schreiben. Wenn seit Ende des 19. Jahrhunderts die Alphabetisierung weltweit erheblich zugenommen hat, so weisen Insti‐ tutionen wie die UNESCO immer wieder auf erhebliche Probleme beim Lesen- und Schreibenlernen nicht nur in Ländern Afrikas und Asiens, sondern auch in den reichen und weit entwickelten Industriestaaten wie den USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und anderen hin. Anal‐ phabetismus und Illettrismus sind auch in diesen zuletzt genannten Ländern weit verbreitet und betreffen einsprachige wie mehrsprachige Personen, solche, die in diesen Ländern aufgewachsen sind wie MigrantInnen, die als AnalphabetInnen in diese Länder eingewandet sind. Schließlich wäre noch Fall [4] zu nennen, der den klassischen Fall in den sich in der Regel einsprachig konstruierenden europäischen Nationalstaaten repräsentiert, wie auch in vielen jener Länder, die aus den Kolonialreichen der europäischen Kolonialmächte hervorgegangen sind: in den Ländern Nord-, Mittel- und Südamerikas bis nach Australien und Neuseeland. 5.4 Transkulturalität ante litteram und die Sprachen In der Einleitung zu Kapitel 5, insbesondere in der zweiten der dort for‐ mulierten Thesen, heißt es, dass es seit dem 19. Jahrhundert und gegen‐ läufig zum jeweiligen sprachwissenschaftlichen Mainstream immer auch Forschungen gegeben hat, die sich im Nachhinein als innovativ erwiesen haben und Forschungskonzepte hervorbrachten, die in Richtung einer kul‐ turanalytischen, transkulturell ausgerichteten Sprachwissenschaft weisen. Im Folgenden werden einige diese Ansätze in knapper Form vorgestellt. 242 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 28 Vgl. Spitzer 1928, 15-50. 29 Zitiert nach Leo Spitzer 1928, 154. 30 Ebd., S 193. 5.4.1 Hugo Schuchardts Kreolstudien Hugo Schuchardt „zeigt als Einzelner eine ungewöhnliche Breite der Inter‐ essen, die weniger systematisch als an bestimmten Fragen ausgerichtet erscheint“ (Kremnitz 2019, 216). 1842 in Gotha geboren und 1927 in Graz gestorben, gilt Schuchardt als einer der Begründer der Kreolistik. Als studierter Romanist und Sprachforscher von überragender Produktivität - sein Schriftenverzeichnis umfasst 770 Einträge 28 - arbeitete er zunächst sprachvergleichend in der Tradition der romanischen Philologie von Fried‐ rich Diez, bevor er sich der Sprachgenealogie und der Sprachgeografie widmete und von ca. 1880 an das Studium von Pidgin- und Kreolsprachen betrieb. Seine Gegnerschaft zum sprachwissenschaftlichen Mainstream der sich an den Naturwissenschaften orientierenden Junggrammatiker drückte sich darin aus, dass er eine dezidiert gesellschaftlich und soziologisch orientierte Sprachwissenschaft vertrat. Im Laufe seiner Forschung kam er zu der Einsicht, dass alle Sprachen Mischsprachen und dass Mischungsprozesse zwischen Sprachen allgegenwärtig seien. So schrieb Schuchardt im Jahre 1884: Die Möglichkeit der Sprachmischung hat nach keiner Seite hin eine Grenze; sie geht bis zum Maximum wie zum Minimum der Sprachverschiedenheit […] Mischung […] ist auch bei steter räumlicher Kontinuität vorhanden. 29 Und, um lediglich ein zweites Zitat - dieses aus der Endphase seines Schaffens - anzuführen: Mischung durchsetzt überhaupt die Sprachentwicklung; sie tritt ein zwischen Einzelsprachen, zwischen nahen Mundarten, zwischen verwandten und selbst ganz unverwandten Sprachen. 30 Mit anderen Worten: Schuchardt erteilte Konzeptionen von Sprache, wie der einer ‚reinen’ Sprache, einer monokulturellen Verfassung von Sprachen oder von Sprache als einem homogenen System eine Absage. Er richtete den Blick auf Prozesse, speziell auf die mit der Kreolisierung verbundenen Kontakte von Sprechergruppen und den daraus resultierenden Mischungsprozessen der Sprachen, die zur Entstehung von neuen Varietäten und Sprachen füh‐ ren. Auch die Metapher des Verwebens von Sprachen findet sich in seinen 243 5.4 Transkulturalität ante litteram und die Sprachen Texten, so in dem berühmen Aufsatz „Die Lingua franca“ (Schuchardt 1909) als ein Beitrag, der auch als Beispiel für Schuchardts sprachtheoretische und methodologische Positionen angeführt werden kann, wenn er die Heraus‐ bildung einer Lingua franca, wie jener in den Häfen des Mittelmeerraums, mit der Herausbildung von Kreolsprachen kontrastiert. Von Hugo Schuchardts Forschungen lässt sich über die spätere Kreolistik hinaus eine - wenn auch keine direkte - Linie zu den ProtagonistInnen der créolité-Bewegung in Martinique und Guadeloupe in den 1980er Jahren ziehen. Édouard Glissant ist mit seinem Werk „Le discours antillais“ (1981) einer ihrer geistigen Väter. Maßgebliche Bedeutung für die Formierung dieser Bewegung haben literarische Werke wie « La chronique des sept misères » (1986) von Patrick Chamoiseau und « L’éloge de la créolité » von Jean Bernabé, Patrick Chamoiseau und Raphaël Confiant (1989). Die créo‐ lité-Bewegung basiert auf der historischen Reflexion der durch den Kolo‐ nialismus erzwungenen Kulturkontakte auf den Antillen. Sie zielt auf die Bewahrung und Aufwertung des mündlichen kollektiven Gedächtnisses der antillanischen Kreolgesellschaften, auf die Anerkennung des anthropologi‐ schen Wertes der Kreolsprache(n) und einer identité mosaïque als adäquatem Weg einer modernen Selbstfindung. Sie bezieht somit nicht nur Stellung gegen die von den Kolonialmächten erzwungene kulturelle Assimilation der BewohnerInnen der Antillen, sondern sie sieht in den historischen Erfahrungen von Kolonialismus und Migration einen exemplarischen Wert für die Gesellschaften der modernen Welt (vgl. Ludwig 2008). Mit dem Konzept der créolité stellen die VertreterInnen dieser Bewegung ein auch literarisch ausgeformtes Schlüsselelement transkulturellen Denkens bereit. 5.4.2 Hugó Meltzls komparatistische Studien Als eine Art literaturwissenschaftliches und volkskundliches Pendant zu Schuchardts Kreolstudien können die komparatistischen Studien des poly‐ glotten siebenbürgischen Gelehrten Hugó Meltzl von Lomnitz angesehen werden. Nahezu zeitgleich und ebenso rastlos wie Schuchhardt, der von Graz aus seine zahlreichen Informanten in den kreolischsprachigen Gebieten brieflich kontaktierte, verfolgte Hugó Meltzl im siebenbürgischen Klausen‐ burg (heute rumän. Cluj-Napoca) sein Projekt einer kulturvergleichenden und kulturvermittelnden Zeitschrift. Er kontaktierte seinerseits viele der damals führenden europäischen Philologen und Volkskundler, um sie als Mitarbeiter eines ambitionierten Zeitschriftenprojekts zu gewinnen. Unter 244 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 31 Die Zeitschrift wurde zunächst von 1877 bis 1879 unter ihrem ungarischen, deutschen und französischen Titel publiziert: Összehasonlító Irodalomtörténeti Lapokat / Zeitschrift für vergleichende Litteratur/ Journal d’histoiredes littératures comparées. Von 1879 an erschien sie unter dem lateinischen Haupttitel Acta Comparationis Litterarum Univer‐ sarum sowie den sprachlichen Äquivalenten in den weiteren Publikationssprachen. dem lateinischen Titel Acta Comparationis Litterarum Universarum - der vollständige Titel der Zeitschrift besteht aus dem lateinischen Titel und den Äquivalenten dieses Titels in zehn weiteren Sprachen, die auch die zehn Publikationssprachen der Zeitschrift 31 sind - gibt Meltzl die Zeitschrift von 1877 bis 1888 in Klausenburg heraus. Gegründet wird die Zeitschrift von zwei Personen, von Meltzl und von seinem deutlich älteren Klausenburger Kollegen Samuel Brassai (1800-1897), eine Art Universalgelehrtem mit umfangreichen Kontakten in vielen Ländern, der über sein Berufungsgebiet hinaus, die vergleichende Philologie, auch als Mathematiker, Botaniker und Theologe in Erscheinung getreten ist. Altersbedingt zieht sich Brassai nach wenigen Jahren aus der Redaktion zurück. Hugó Meltzl, 1846 in Szászrégen (Ungarn) geboren und 1908 in Nagyvárad (Österreich-Ungarn, heute Oradea, Rumänien) gestorben, hatte zunächst von 1872 den Lehrstuhl für Germanistik an der damals neugegründeten Franz-Josef-Universität in Klausenburg inne. Später, und bis zu seinem Tod, war er zudem als Ordinarius für Französisch und Italienisch tätig. Mit der Zeitschrift Acta Comparationis verfolgte er programmatisch das Anliegen, gemäß Goethes Begriff von Weltliteratur als Summe aller Literatu‐ ren, möglichst viele Literaturen als einander ebenbürtig zu untersuchen und miteinander nach gleichen Maßstäben zu vergleichen. Für Literaturen, deren Rezeption an Sprachgrenzen stößt, sieht Meltzl die Übersetzung als probaten Weg an, um sie in den am häufigsten verwendeten Publikationssprachen der Zeitschrift (Deutsch, Ungarisch, Englisch, Französisch, Italienisch) be‐ kannt zu machen. Die Acta Comparationis richten ihr Hauptaugenmerk auf poetische Werke aus den unterschiedlichsten Kulturräumen, darunter dem skandinavischen, romanischen, germanischen, ungarischen, balkani‐ schen und japanischen, aus denen die etwa 130 Mitarbeiter der Zeitschrift Gedichte zusammentragen, übersetzen, kommentieren und vergleichen (vgl. die analytische Bibliografie in Fassel 2005, 161 ff.). Daneben zeigen Meltzl und seine Schüler besonderes Interesse für die Erforschung der kulturellen Vielfalt in Siebenbürgen, das Teil des damaligen Königreichs Ungarn ist. Die Erforschung und Verbreitung der ungarischen Kultur, insbesondere der Dichtung Petöfis, ist eine Konstante in Meltzls editorischer Arbeit, der 245 5.4 Transkulturalität ante litteram und die Sprachen Übersetzungen von Petöfis Gedichten in 32 Sprachen zu verdanken sind (vgl. Damrosch 2012, 18). Ebenso bemerkenswert ist das Interesse der Zeitschrift an der Erfor‐ schung der regionalen Kulturverhältnisse. Dass Meltzl dabei den Versuch unternimmt, die literarischen Beiträge auch der Siebenbürger Rumänen, der Siebenbürger Sachsen, der Sinti und Roma, der Armenier und anderer ethnischer Gruppen ausführlich zu betrachten, ist zu jener Zeit im König‐ reich Ungarn ungewöhnlich genug. Vor allem Meltzls Schüler Heinrich von Wlislocki, späterhin einer der führenden Tsiganologen, aber auch er selbst, publizieren in den Acta Comparationis Übersetzungen von Volksliedern und Gedichten aus der Sprache der transsilvanischen Rrom ins Deutsche und ins Ungarische. Auch die Dichtung und Volkskunde der kleinen Minderheit der Armenier in Siebenbürgen findet in der Zeitschrift Berücksichtigung. Autor der Übersetzungen und der Kommentare von armenischen Sprichwörtern und Liedern ist Meltzls Schwager Wilhelm Berger, der in Leipzig unter anderem Armenistik und Nordistik studiert hatte. Meltzl darf ohne Weiteres als ein früher Vertreter transkultureller For‐ schung betrachtet werden, und dies in mehrfacher Hinsicht. Als Komparatist interessiert ihn, wie sich unterschiedliche Kulturen in von ihnen geteilten Räumen in Gedichten, Liedern und Sprichwörtern artikulieren, so beispiels‐ weise in Siebenbürgen. Dass er mit seiner Zeitschrift herrschende politische Verhältnisse unterwandert, indem er, Goethes Vorstellung von Weltliteratur folgend, allen Literaturen, auch denen der gesellschaftlich marginalisierten Völker und Gemeinschaften, Aufmerksamkeit schenkt und sie für den Vergleich heranzieht, ist für sich genommen ein besonders bemerkenswertes Faktum. Auf der Ebene der kulturellen Formen und Motive interessiert ihn, wie sich diese durch die Poesie der verschiedenen Kulturen hindurchziehen, was er selbst anhand der vielfältigen Darstellungen des Motivs der Hochzeit von Sonne und Mond untersucht (vgl. Fassel 2010, 132). Und schließlich versteht er sich als Kultur(-ver-)mittler, der, wenn die eigenen sprachlichen Fähigkeiten nicht ausreichen, um die Texte der anderen Völker zu verstehen, die Übersetzung als wichtigste Methode betrachtet, um die Popularisierung fremder Literatur zu gewährleisten und um alle nationalen Literaturen in möglichst vielen Sprachen bekannt zu machen. Auch in dieser Hinsicht kann Meltzl als ein Vordenker der später unter dem Dachbegriff der Trans‐ latio (siehe Kap. 4, Abschnitt 4.8) betriebenen transkulturellen Forschung betrachtet werden. 246 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 32 Vgl. die vorzüglich kommentierte und annotierte Neuausgabe des Buchs von Ronjat im Verlag Peter Lang (2014) durch Pierre Escudé mit der grafischen Transkription durch Hervé Lieutard anlässlich des 100. Jahrestages seiner Ersterscheinung. 5.4.3 Jules Ronjats Untersuchungen zum bilingualen Sprachenlernen Der französische Sprachwissenschaftler Jules Ronjat, 1864 in der Stadt Vi‐ enne im Rhônetal geboren und 1925 in Lyon gestorben, ein studierter Jurist, der zunächst als Rechtsanwalt in Lyon tätig war, machte sich einen Namen als aktiver Kämpfer für die okzitanische Kultur und Sprache in Frankreich. Bevor sein Hauptwerk, die monumentale vierbändige „Grammaire Istorique [sic] des Parlers Provençaux Modernes“ (1930-1941) erschien, legte er 1913 seinen „Essai de syntaxe des parlers provençaux“ vor, in welchem erstmals das Konzept der ‚Interkomprehension‘ von Sprachen, d. h. ihrer wechselseitigen Versteh- und Erschließbarkeit, insbesondere von Sprachen einer Sprachfamilie, formuliert wird. Für Ronjat ist die Interkomprehension ein Prinzip des wechselseitigen Verstehens und Lernens von Sprachen über Sprachgrenzen hinweg. Erwähnung verdient Jules Ronjat in unserem Zusammenhang mehr noch wegen anderer Forschungen. Aus der Ehe mit seiner deutschen Frau Ilse Loebl ging 1908 der Sohn Louis hervor, den die beiden zweisprachig erzogen. Die Mutter sprach mit dem Kind konsequent Deutsch, der Vater konsequent Französisch. Ronjat beobachtete und notierte minutiös, wie Louis über die Jahre hinweg beide Sprachen erlernte und wie er mit seinen Eltern und mit dem Dienstmädchen, das ebenfalls deutschsprachig war, kommunizierte. Die Eltern und das Dienstmädchen praktizierten in der Erziehung des kleinen Louis erstmals ein Prinzip, dass später als eines der Grundprinzipien bilingualen Lernens gelten sollte: „eine Person - eine Sprache“ (une personne - une langue). Als die Aufzeichnungen und Analysen von J. Ronjat 1913 unter dem Titel „Le développement du langage observé chez un enfant bilingue“ 32 kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs erschienen, zeigten sich die damals einflussreichen und nationalistisch gesinnten Fachkollegen hoch empört darüber, wie jemand sein Kind zweisprachig und noch dazu in der Sprache des Erzfeindes erziehen könne. Zweisprachigkeit galt nicht nur einflussrei‐ chen Zeitgenossen wie dem Psychologen I. Epstein (1912) als Gift (dazu ausführlich Tabouret-Keller 2011), Zweisprachigkeit war zugleich allen Nationalisten ein Dorn im Auge, weil sie die Formel „eine Nation - eine Sprache“ in Frage zu stellen schien. Während des Krieges musste Ronjat 247 5.4 Transkulturalität ante litteram und die Sprachen ins Exil in die Schweiz. Sein Buch, von wenigen Weitsichtigen sehr positiv rezensiert, geriet allerdings rasch in Vergessenheit. Sein Prinzip für zwei‐ sprachige Erziehung „une personne - une langue“, das ihm von dem damals bedeutenden Sprachwissenschaftler Maurice Grammont ans Herz gelegt wurde (vgl. Ronjat 1913/ 2013, § 2), ging als „one person - one language“ um die Welt und in die Geschichte der mehrsprachigen Erziehung ein, auch wenn es heute durchaus kritisch bewertet werden muss: weniger das Prinzip selbst, als seine unreflektierte Übertragung vom Raum der Familie und der familiären Sprachpraxis auf den Raum institutionalisierten Sprachenlernens in der Schule, das mit ganz anderen Gegebenheiten und Anforderungen des Ausbaus der sprachlichen Register verbunden ist als das Sprachenlernen im familiären Raum (vgl. García 2009, Hélot 2014, Fialais 2018; siehe auch Abschnitt 5.3, Absatz e). Denn Ronjats Prinzip „eine Person - eine Sprache“ ist in erster Linie nicht als ein Plädoyer dafür zu sehen, Sprachen/ Kulturen zu separieren, oder - wie es verbreitete Praxis in den nationalstaatlichen Ideologien ist - den Menschen monolingual zu denken. Ganz im Gegenteil. Er situiert das Sprachenlernen in einer Institution und einem sozialen Raum, in der Familie, in welcher unterschiedliche Kulturen sich begegnen und das Prinzip der Erziehung darauf ausgelegt ist, dass das Kind die gegebene Vielfalt als Ressourcen für sein sprachliches Repertoire aufnehmen und es in der weiteren sprachlichen Erziehung ausbauen kann. 5.4.4 Uriel Weinreichs Forschungen zu Sprachkontakt und Minderheitensprachen Uriel Weinreich, geboren 1926 in Wilna, 1967 in New York gestorben, wuchs in Litauen in einer jüdischen Familie auf. Sein Vater war der prominente Sprachwissenschaftler Max Weinreich (1894-1969). Nach den antisemiti‐ schen Pogromen in Litauen gelang es der Familie 1939, in die Emigration nach New York zu gehen, wo Uriel Weinreich an der Columbia University bei europäischen Emigranten wie Roman Jakobson und André Martinet studierte. Im Kontext dieses Kapitels ist Weinreich in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Zum einen aufgrund seiner Forschungen über Sprachkontakt, die späterhin einen Forschungszweig in der Sprachwissenschaft begründen und den Begriff des Kontaktes auch für andere Disziplinen interessant machen (vgl. Abschnitt 3.3 und 3.6), zum anderen als Vertreter der Judaistik mit seinen Forschungen zum Jiddischen und zur jüdischen Diaspora. 248 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 33 „Language and Culture Atlas of Ashkenazic Jewry” (LCAAJ). Die Interviews wurden zwischen 1959 und 1972 geführt. Nach Weinreichs Tod 1967 führte Marvin Herzog die Arbeiten weiter. Die Publikation erfolgt 1992/ 1995, vgl. Baviskar/ Herzog/ Weinreich 1992, Baviskar/ Herzog 1995. Nach seinem Studium führte Weinreich 1949-50 Feldforschungen im Schweizer Kanton Graubünden zu den rätoromanischen Varietäten, zum Deutschen und Italienischen durch. Die daraus hervorgegangene und 1951 fertig gestellte Dissertation „Languages in contact“ wird ein Meilenstein der Forschung zu Sprachkontakt und Mehrsprachigkeit und ein Grundla‐ genwerk moderner Sprachsoziologie. Darin arbeitet er u. a. den Begriff der Interferenz für die wechselseitige Beeinflussung und Durchdringung von Sprachen aus. Zum anderen ist Weinreich, der in Litauen mit Jiddisch und Deutsch aufwächst, ein herausragender Vertreter der Judaistik. 1952 erhält er eine Professur für Jiddisch und übernimmt die Leitung der Jiddisch-Abteilung an der Columbia University. In der Folgezeit trägt er die Daten zu den in der Diaspora verstreuten Überlebenden des Holocausts der osteuropäischen Juden zusammen, die in sein Hauptwerk, den „Sprach- und Kulturatlas des ashkenasischen Judentums“ einfließen. 33 Die anhand des Jiddischen dokumentierten vielfältigen Sprach- und Kulturkontakte stellen ein Korpus par excellence nicht zuletzt für transkulturelle Studien zur Diaspora dar. In Weinreichs Verständnis sind Sprachräume quasi definitionsgemäß Kul‐ turräume und als solche auch zu analysieren. Dies bedeutet jedoch keine Gleichsetzung von Sprache und Kultur; es bedeutet vor allem, die in die sprachlichen Verhältnisse eingeschriebene Diversität und Heterogenität sichtbar zu machen, statt sie als Störfaktor für eine quasi naturhaft autark verlaufende Entwicklung auszublenden, wie es Kugel- oder Organismusmo‐ delle des Kulturellen nahelegen. 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires Wenn in diesem Kapitel ein besonderer Akzent auf den Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires (vgl. Abschnitt 5.3) gesetzt wird, dann deshalb, weil sich in diesen beiden Prozessen zentrale trans‐ kulturelle Dimensionen der Sprache artikulieren. Der Leitgedanke dieses 249 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires 34 Der offizielle rumänischsprachige Staatsname ist Republica Moldova. Im Deutschen ist überwiegend von Republik Moldau die Rede, vgl. Bochmann et al. 2012, die ältere Bezeichnung aus der Stalinzeit ist ‚Moldawien‘. Im Weiteren verwende ich ohne Unterschied in der Bedeutung die Bezeichnungen (Republik) Moldova und (Republik) Moldau, aus Gründen der Textökonomie überwiegend die Kurzform ‚Moldova‘. Abschnitts besteht darin, verschiedene Facetten der Transkulturalität von Sprache anhand empirischer Befunde greifbar werden zu lassen. Mit der ersten Fallstudie soll die Problematik der Mehrsprachigkeit in der Republik Moldau beleuchtet werden. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Restrukturierung sprachlicher Repertoires als ein Prozess, der quasi zwangsläufig mit den gesellschaftlichen Brüchen, mit Migration und mit den kulturellen Transformationen in diesem Land verbunden ist. Restruk‐ turierung sprachlicher Repertoires bedeutet, dass - im Zuge von Migration oder/ und gesellschaftlichen Brüchen - die bisherigen sprachlichen Ressour‐ cen nicht mehr für die Bewältigung der Lebensanforderungen ausreichen und Lernprozesse erforderlich werden, um an den neuen Gegebenheiten sprachlich partizipieren zu können. Anhand einer zweiten Fallstudie zum sprachlichen Lernen in einer frankophonen Grundschule in Vancouver in der kanadischen Provinz British Columbia liegt der Akzent auf sprachlichen Ausbauprozessen im Zuge des institutionalisierten Sprachenlernens von mehrsprachigen Kindern in einer Minderheitensituation. 5.5.1 Fallstudie 1: Mehrsprachigkeit in Moldova Die gesellschaftlichen Brüche, um die es im vorliegenden Fall geht, resul‐ tieren aus dem Zerfall der Sowjetunion und den darauf folgenden dramati‐ schen Entwicklungen und Ereignissen, die im Zeitraum zwischen 1989 und 1991 zunächst die politische Landkarte Osteuropas und von Teilen Asiens und nachfolgend massiv die Lebensverhältnisse der Menschen in diesen Ländern veränderten. Einer der neu entstandenen Staaten ist die Republik Moldau 34 , die 1991 ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion erlangte. Bereits 1992 wurde das Land durch den Transnistrienkrieg erschüttert und ist als Staat seither geteilt; östlich des Flusses Nistru/ Dnestr spaltete sich die international nicht anerkannte und mehrheitlich von russischsprachiger Bevölkerung besiedelte „Transnistrische Moldauische Republik“ von der Republik Moldau ab. Weitere Spannungen mit der im Süden des Landes lebenden turksprachigen Bevölkerung der Gagausen mündeten 1995 in die 250 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 35 Gagausien [gagaˈuːziən] (gagausisch Gagauz Yeri oder Gagauziya; russisch Гагаузия; rumänisch Găgăuzia) ist ein autonomes Gebiet im südlichen Teil der Republik Moldau. 36 Die Ethnisierungspolitik im Zuge der neuen Nationalismen läuft darauf hinaus, dass die bulgarische Minderheit in Moldova ihren „Schutzpatron“ im bulgarischen Staat, die gagausische Minderheit in der Türkei, die ukrainische Minderheit in der Ukraine, die russische Minderheit in Russland usw. sucht. Die sich daraus entwickelnden Folgen sind komplex und nicht selten konfliktgeladen. In den meisten Fällen besteht in kultureller Hinsicht ein Spannungsverhältnis zwischen der eigenen Situation als Minderheit und den damit verbundenen Arrangements von individueller und gesellschaftlicher Mehr‐ sprachigkeit in Moldova einerseits und der oftmals idealisierten monokulturellen und prestigebezogenen Imago der jeweilgen Titularnation andererseits. In welcher Weise die Beziehungen zwischen Angehörigen einer Minderheit, d. h. auf individueller Ebene, und der jeweiligen Titularnation ausgeprägt sind, bedarf der Prüfung im Einzelfall. Aus der Fallstudie im Dorf U. in Weirich 2018, Kap. 5, spricht eher eine schwache Bindung. 37 Es handelt sich um das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt „Sprachliche Dynamik im multiethnischen Nationalstaat: Fallstudie Moldova“, welches unter der Leitung von Jürgen Erfurt (Goethe-Universität Frankfurt/ M.) von 2010 bis 2013 in Kooperation mit der Historischen Fakultät der Staatlichen Universität Moldovas durchgeführt wurde. Diesem Projekt gingen seit 1997 mehrere von Klaus Bochmann geleitete und von der VolkswagenStiftung finanzierte Kooperationsprojekte von deutschen, moldauischen, rumänischen und ukrainischen WissenschaftlerInnen zur Sprachpolitik, zur sprachlichen Variation und gesprochenen Sprache, zur sprach‐ lichen Individuation und Mehrsprachigkeit in der historischen Region Moldau und der Republik Moldau voraus, vgl. u. a. Bochmann 2000, Bochmann/ Dumbrava 2007, Bochmann et al. 2012. Bildung der autonomen Region Gagausien 35 mit Comrat als Hauptstadt. Infolge des Beitritts Rumäniens zur NATO (1997) sah sich die Republik Moldau mit der Situation eines neuen „Eisernen Vorhangs“ zwischen die‐ sen beiden rumänischsprachigen Staaten konfrontiert. Und, um lediglich ein weiteres Schlaglicht auf die nahezu vollständige Transformation aller Bereiche des Lebens zu werfen, seien die neuen Nationalismen erwähnt, die auf Ethnisierungspolitik und auf Allianzen zwischen den einzelnen Bevölke‐ rungsgruppen des Landes mit ihren „Titularnationen“ - Rumänien, Türkei, Russland, Ukraine, Bulgarien etc. - setzten. 36 Die Sprachen, in Moldova auf ähnliche Weise politisiert und symbolisch aufgeladen wie in den baltischen Staaten, in den Staaten des vormaligen Jugoslawiens, in Katalonien oder in Kanada und Québec, sind in diesem Transformationsprozess sowohl Indikator als auch Katalysator für vielfältige Konflikte und Prozesse des gesellschaftlichen Wandels. Die Fallstudie zur Mehrsprachigkeit in Moldova basiert auf Daten, die in den Jahren 2010 bis 2013 erhoben wurden. 37 Gegenstand der Untersuchun‐ gen waren einerseits die individuelle Mehrsprachigkeit unter den sprach‐ 251 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires 38 Das kyrillische Alphabet wurde in der Sowjetunion nicht nur für die Schreibung des Russischen verwendet, sondern auch für die Schreibung anderer Sprachen, darunter das Moldauische bzw. das Rumänische. In Rumänien wurde das Rumänische bis Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem kyrillischen Alphabet geschrieben. Das Grafiesystem der moldauischen Sprache wurde 1989 zum dritten Mal - nach der Zeit zwischen 1924 und 1929 sowie von 1933 bis 1937 - vom kyrillischen auf das lateinische Alphabet umgestellt (vgl. Bochmann 2015, Haarmann 1997). lichen Minderheiten der Ukrainer, Russen, Gagausen und Bulgaren bei gleichzeitiger institutioneller Einsprachigkeit z. B. im Militär, andererseits die Mehrsprachigkeit im Kontext von Arbeit. Dazu haben wir Daten im Gesundheitswesen erhoben, vor allem im autonomen Gebiet Gagausien, weiterhin im Militär (Militärakademie in Chişinău und in zwei Kasernen), in einer Schule in einem ukrainischen Dorf ganz im Norden des Landes sowie in einem Call-Center in Chişinău, der Hauptstadt Moldovas, in welchem vor allem moldauische Remigranten aus Italien Dienstleistungen für italienische Firmen in italienischer Sprache erbrachten. Das Projekt zielte darauf, Erkenntnisse über den sprachlichen Ausbau und die Restrukturie‐ rung der sprachlichen Repertoires im Kontext von sozialer Mobilität, von interner und transnationaler Migration und von Arbeit zu gewinnen (vgl. Erfurt/ Weirich 2013, Weirich 2013, 2014, 2015, 2018). Um die im Folgenden zu diskutierenden sprachlichen Befunde besser zu verstehen, sollen zunächst einige sprachpolitische Prozesse und Maßnah‐ men dargestellt werden, die in die Zeit der Sowjetunion zurückreichen. Im August 1989 wurde auf Druck breiter Kreise der Bevölkerung der Moldaui‐ schen Sowjetrepublik die Verfassung geändert und mit dem neuen Artikel 70-1 das bis dahin stark marginalisierte Moldauische zur offiziellen Sprache der Unionsrepublik erklärt. Für die Schreibung des Moldauischen wurde das lateinische Alphabet eingeführt und das bis dahin verwendete kyrillische Alphabet, das sowohl für die Schreibung des Russischen als slawischer Spra‐ che wie auch des Moldauischen als romanischer Sprache verwendet wurde, abgelöst. 38 Beide Akte - die Offizialisierung des Moldauischen und die Einführung der lateinischen Grafie - waren von weitreichender Bedeutung, symbolisch, sprachpolitisch, ökonomisch, kulturell, sozial usw. Symbolisch und politisch galten diese Akte als Zeichen für Prozesse der Abkehr von der bis dahin hegemonialen russischsprachigen Kultur, der Distinktion gegenüber der bisherigen kulturellen Praxis sowjetischer Prägung und zugleich der Identifikation mit der Sprache des Nachbarlands Rumänien. In sprachpolitischer Hinsicht bedeutete die Offizialisierung des Moldauischen 252 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 39 Zu den sprachpolitischen Grundpositionen und den Diskursen der einzelnen Akteure im Glottonymstreit, vgl. Weirich 2015, hier auch mit umfangreicher weiterführender Literatur. nicht nur eine Zäsur für jenen Teil der Bevölkerung, welcher bis dahin nur oder überwiegend russischsprachig war. Auch für die gesamte übrige Bevölkerung, die sich ihre Bildung überwiegend in Russisch angeeignet hatte, stellte dies einen Bruch dar. In ökonomischer und sozialer Hinsicht bedeutete die Umstellung der Grafie auf ein anderes Schriftsystem ein kostspieliges und zugleich langwieriges Unternehmen. Alle Schulbücher mussten neu geschrieben, alle offiziellen Dokumente des Staates und der Gesellschaft neu gedruckt, die Beschriftungen im öffentlichen Raum, die Warenauszeichnungen und Produktbezeichnungen mussten fortan verän‐ dert werden. Für die Bürgerinnen und Bürger endete mit der Umstellung der Grafie auf das lateinische Alphabet de jure, nicht aber de facto die bisherige Mehrfachnutzung der kyrillischen Grafie für die Verschriftung der unterschiedlichen Sprachen des Landes. Von der Gründung der Republik Moldau an stellten die Sprachen dieses vielsprachigen Landes eine Projektionsfläche für die Konflikte zwischen den Nationalismen im Kampf um gesellschaftliche Orientierungen - promoldau‐ isch, prorussisch, prorumänisch etc. - dar. Eines der die rumänischsprachige Mehrheitsgesellschaft spaltenden Konfliktfelder bestand im sog. Glotto‐ nymstreit, d. h. der Frage, ob die offizielle Sprache des Landes Moldauisch oder Rumänisch heißen soll, was so viel bedeutet wie die Frage danach, ob das Moldauische etwas anderes ist als das Rumänische. 39 Im Zuge der Offizialisierung des Moldauischen wurde dem Russischen als der vormals dominanten Sprache der - im Vergleich zu anderen Minderheitensprachen - immer noch privilegierte Status einer Sprache der „interethnischen Kommu‐ nikation“ mit bestimmten Sonderrechten zugewiesen: auch dies war und ist ein Feld voller Konflikte, zumal in der Wirtschaft, in den Medien, im Militär und anderen Bereichen das Russische auch nach dessen Zurückstufung eine wichtige Vehikular- und Arbeitssprache blieb. In den Sprachbiografien nahezu aller Personen, die wir im Laufe der Feldstudien getroffen haben, spielte das Russische eine zentrale Rolle als Bildungs- und als Arbeitssprache, vielfach auch als Familiensprache oder Sprache der sozialen Mobilität, bei den Männern immer auch als dominante Sprache in der Militärzeit in der Roten Armee. Nach der Erklärung des Moldauischen zur offiziellen Sprache erlangte in den Bildungsinstitutionen 253 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires vom Kindergarten bis zur Universität die neue Staatssprache eine rasch wachsende Bedeutung. Seit Anfang der 1990er Jahre spielte die Terminolo‐ giearbeit eine große Rolle, weil die fachsprachlichen Terminologien nahezu ausschließlich in Russisch, nicht aber in Moldauisch/ Rumänisch existierten. In den Jahren 1994/ 95 stellte der moldauische Staat das Gesundheitsweisen von Russisch auf Moldauisch um; 1998 wurde das Russische auch als Kommando- und Arbeitssprache des Militärs durch das Moldauische ersetzt. Doch was heißt das für eine Ärztin oder für einen Offizier, die ihre gesamte Bildungs- und berufliche Karriere in Russisch absolvierten, wenn innerhalb einer biografisch kurzen Zeitspanne genau diese Sprache zurückgestuft und tendenziell entwertet wird? Und was bedeutet dies für Personen, die Moldauisch/ Rumänisch bislang gar nicht oder nur für informelle Zwecke verwendeten, wenn sie sich in Situationen wie im Krankenhaus, bei der Ar‐ beit oder in Behörden wiederfinden, in denen nun das formelle Register des Rumänischen unumgänglich geworden ist? Die folgenden Ausführungen illustrieren einige Facetten dieser Problematik. Im Zuge unserer Feldforschungen sind wir in einem dörflichen Gesund‐ heitszentrum im Norden von Moldova mit einem Familienarzt zum Ge‐ spräch verabredet. Er führt uns durch die Praxis und nimmt sich Zeit für unsere Fragen. Er ist etwa 50 Jahre alt und erzählt lebendig und anschaulich von seiner Arbeit und über das Dorf, in dem er aufgewachsen und in das er inzwischen wieder zurückgekehrt ist. Die Kommunikation im Dorf erfolge fast ausschließlich in Moldauisch/ Rumänisch. In der Umgebung gäbe es einige Dörfer und Kleinstädte mit bedeutendem Anteil an ukrainischspra‐ chiger Bevölkerung, mit der er als Familienarzt auch in Kontakt sei. Sein Medizinstudium, das er 1985 beendete, habe er gänzlich in russischer Spra‐ che absolviert. Nach dem Studium sei er als Arzt zunächst in verschiedenen Regionen des Landes tätig gewesen und habe in dieser Zeit in Russisch praktiziert. Als aber 1994/ 95 das Gesundheitssystem der Republik Moldau per Gesetz auf die neue Staatssprache Moldauisch/ Rumänisch umgestellt wurde, habe auch er sich sprachlich komplett umstellen müssen, da fortan die gesamte Dokumentation der Behandlungen und die Abläufe in der Klinik in Moldauisch/ Rumänisch erfolgen mussten, ebenso wie die regelmäßig stattfindenden obligatorischen Fortbildungen für das ärztliche Personal. Im Interview beschreibt er den Wechsel vom Russischen zum Rumänischen wie folgt: 254 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 40 Das Interview wurde von Vasile Dumbrava (VD) und Jürgen Erfurt ( JE) geführt. 41 Anmerkung zur Transkription: Die Transkription folgt der orthografischen Konven‐ tion, um ein einfacheres Lesen zu ermöglichen. Allerdings wird der Punkt nicht als Satzzeichen verwendet, sondern als Pausenzeichen. Ein Punkt bedeutet eine kurze Pause bis etwa eine Sekunde, zwei Punkte stehen für eine längere Pause von 2 Sekunden und länger. Die eckigen Klammern bedeuten Auslassung. Übersetzung der Sequenz ins Deutsche: Arzt: ich habe komplett auf Russisch studiert . ausschließlich . von A bis Z . jegliche Information habe ich auf Russisch bekommen . die russische Schule […] die haben wir durchlaufen . weil niemand dir damals die europäische Schule beibrachte wir wussten noch nicht einmal was das ist . so ist es . heute ist das selbstverständlich . Computer und Internet helfen mir sehr . vor allem in den Jahren 1994-95 habe ich Rumänisch gelernt . diese ganze Nomenklatur VD: Termini Arzt: Termini . ja . Termini in rumänischer Sprache . medizinische . und jetzt lernen wir auch mehr die . von . mehr die europäische Schule die mir besser gefällt als die russische. JE: Und Sie haben gesagt, dass die ganze Dokumentation jetzt in der Staatssprache erfolgen muss . war das für Sie in einem bestimmten Zeitraum ein Problem? Arzt: Ungefähr zwei, drei Jahre lang war das ein Problem am Anfang jetzt ist es gar kein Problem .. alles ist jetzt . in der Staatssprache . absolut alles . die russische Sprache die mal war existiert nirgendwo mehr. [Interviewausschnitt 1] 40 Arzt: am studiat tot în limba rusă . absolut tot . de la A până la Ja . absolut totul toată informaţia am primit-o în limba rusă . şcoala rusască […] am trecut pe atuncea . fiîndcă nimeni nu te învăţa atunci şcoală europeană nici nu ştiam ce este . şi ce-i asta . acuma e de sinestătător . mă ajută mult calculatorul internetul . am învăţat pe anii 94-95 în primul rând româna . tot nomenclatura asta VD: termene Arzt: termene . da . termene în limba română . medicali . şi acuma primim şi absorbim tot de . din . mai mult şcoala europeană care-mi place mai mult ca acea rusească. […] JE: Şi aţi spus că toata documentaţia trebuie să fie facută în limba de stat . pentru dumneavoastră a fost o problemă într-un anumit timp? Arzt: Pe parcursul a doi-trei ani a fost o problemă de la început acum nu e nici o problema .. totul se duce . în limba de stat . absolut totul . limba de .. rusasca ceea ce a fost nu există nicăieri 41 „Alles ist jetzt in der Staatssprache, absolut alles, die russische Sprache, die mal war, existiert nirgendwo mehr“. Zu dem Zeitpunkt, als wir das Interview mit dem Arzt führten, war uns noch nicht klar, dass der Arzt seine eigenen 255 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires Erfahrungen generalisierte, auch über den lokalen Kontext hinaus. Doch, wie gleich noch zu sehen ist, stellen sich die sprachlichen Verhältnisse in anderen Teilen des Landes und für viele seiner Einwohner noch sehr viel komplexer dar. Nicht wenig überrascht waren wir dann auch, als wir kurze Zeit später an einem anderen Ort auf Dokumente wie dieses stießen. Abb. 5.2: Formular zur Laboruntersuchung des Blutes Es handelt sich um ein Blatt aus einer Krankenakte vom Dezember 2005 aus einer Klinik im Süden des Landes, in der Stadt Comrat, die seit 1995 256 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit die Hauptstadt der Autonomen Region Gagausien ist. Die Abbildung zeigt im oberen Teil ein Formular in russischer Sprache, wie es für Laborun‐ tersuchungen des Blutes verwendet wird. Im unteren Teil sehen wir die handschriftliche Notiz der Krankenschwester S. vom 22.12.2005, ebenfalls in russischer Sprache. Sie schreibt: Zeile 1 22 XII 05 Активно 22.12.05 Aktiv Zeile 2 Жалоб нет Keine Beschwerden Zeile 3 Реакции на прививку Reaktionen auf die Impfung Zeile 4 ВМ 2 не было WM2 kein Befund Zeile 5 M/ s [Медсестра] S. Krankenschwester S. Ein weiteres Blatt der Krankenakte datiert aus dem Jahr 2011. Auch hier ist die Sprachenwahl bemerkenswert. Das Formular zur Laboranalyse ist nun nicht mehr einsprachig in Russisch, sondern zweisprachig in Rumänisch und Russisch verfasst, wobei die ‚Staatssprache’ - größer gedruckt - hervorge‐ hoben erscheint. Auch der hinzugefügte Ausdruck der Laborwerte vom 9.12.2011 ist mit lateinischem Alphabet in Rumänisch (oder handelt es sich hier um Englisch? ) verfasst; die Handschrift hingegen verweist weiterhin auf das Russische bzw. Kyrillische. Der Klinik ist nun offensichtlich ein Schritt in Richtung jener Sprachgesetzgebung zu konzedieren, die der Familienarzt schon in den ersten Jahren nach 1994/ 95 durchgesetzt sieht. 257 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires Abb. 5.3: Formular zur Laboruntersuchung des Urins Wenn diese beiden Formulare als Zeugnisse einer seriellen und institutionel‐ len Praxis gelesen werden können, so lassen die handschriftlichen Notizen auf eine individuelle Nutzung der sprachlichen Ressourcen schließen. Im Falle der Krankenschwestern ist es 2005 wie 2011 das Russische, das sie innerhalb der Institution und für die Kommunikation mit dem anderen medizinischen Personal verwenden. Was lässt sich anhand der sprachbiografischen Darstellung des Familien‐ arztes im Interviewausschnitt 1 und der Sprachenwahl auf den Formularen in Abbildung 5.2 und 5.3 erkennen? Diese drei Dokumente weisen auf Veränderungen hin, die als Brüche und als Ambivalenzen in den sprachli‐ 258 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit chen Verhältnissen gedeutet werden können. Sie sensibilisieren uns für institutionelle Wandelprozesse, darin eingeschlossen auch die Brüche und die Veränderungen in den jeweils individuell einzigartigen Sprachbiografien sowie für Prozesse des sprachlichen Lernens. Das Beispiel der Klinik, die ihre Formulare 2005 nur in Russisch und 2011 zweisprachig in Rumänisch und Russisch benutzt, steht für eines dieser Arrangements. Ein zweiter Aspekt, der mit diesen drei Belegen verbunden ist, besteht darin, dass diese Dokumente als Zeugnisse für die Persistenz von kulturellen Praktiken des Schreibens von mehrsprachigen Personen sowie für indivi‐ duelle Arrangements der Akteure mit den sprachlichen und kulturellen Verhältnissen anzusehen sind, die in den jeweiligen beruflichen Zusammen‐ hängen durchaus auch funktional sein können. Der Familienarzt beschreibt eine - und seine - Form des Arrangements. Die gesellschaftlichen Brüche erzwingen bei ihm einen Bruch in der Nutzung und zugleich einen Um- und Ausbau seines sprachlichen Repertoires. Die Schrift- und Sprachpraxis der Krankenschwester weist in eine andere Richtung, in die der Verharrung oder der Persistenz von bisherigen Praktiken. Doch was dies im Einzelnen bedeutet, bedarf einer weitergehenden Klärung. Sehen wir uns den folgen‐ den Textausschnitt an: Eu lucrez asistenta medi-(cală) PP V-1.P.S. N-Obj. Adj. (Dt. Ich arbeite (als) Assistentin medi-(zinisch)) Abb. 5.4: Textausschnitt aus dem Bericht einer Arzthelferin in Comrat Dieser Ausschnitt zeigt die erste Zeile aus einem Text, in welchem eine Arzthelferin in der Klinik in Comrat im Jahre 2013 ihre beruflichen Aufgaben beschreibt. Das Schriftbild sieht kyrillisch aus, aber sie schreibt nicht in Russisch, sondern in ihrer Erstsprache Moldauisch/ Rumänisch, wie die Transliteration ohne Weiteres zu erkennen gibt. Knapp zweieinhalb Jahr‐ zehnte nach der Einführung des lateinischen Alphabets schreibt sie den Text nicht mit lateinischen Buchstaben, sondern mit dem kyrillischen Alphabet, so, wie sie es in ihrer Schulzeit und ihrer Ausbildung gelernt hat, so, wie 259 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires es auch heute noch vor allem ältere Menschen in Moldova regelmäßig schreiben, und so, wie es in der Klinik, in der in den Arbeitsabläufen das Russische und die kyrillische Grafie nach wie vor einen festen Platz haben, immer noch funktional ist: Sie schreibt in einer Weise, wie es andere, für die sie schreibt, auch lesen können. Als Arzthelferin gehört sie keinesfalls zur Gruppe der schriftfernen Menschen, die keine Routinen im Umgang mit der Schrift ausbilden; ganz im Gegenteil: Schreiben ist für sie in ihrem Beruf eine alltägliche Tätigkeit. Doch anders als beim Familienarzt im Norden Moldovas, der für seine Umstellung zwei bis drei Jahre angegeben hat, müssen für das Krankenhaus in Comrat andere sprachliche Verhältnisse in Anschlag gebracht werden, die im Wesentlichen mit einer sehr viel größeren sozialen Reichweite des Russischen in dieser Region und damit auch der kyrillischen Grafie verbunden sind. Der Textausschnitt in Abbildung 5.4 lenkt die Aufmerksamkeit auf die Differenz, die zwischen der individuellen Praxis und Nutzung des einmal Gelernten, und der öffentlichen und gesellschaftlich kontrollierten Praxis, die inzwischen durch die lateinische Grafie bestimmt wird, besteht. Doch offenbar gilt dies unter den lokalen Verhältnissen im Krankenhaus nicht. Die Arzthelferin schreibt - nur oder vorzugsweise - in Kyrillisch; beim Lesen aber wird sie mit größter Wahrscheinlichkeit mit Texten zu tun haben, die sowohl mit kyrillischen als auch mit lateinischen Zeichen geschrieben sind. In der informellen und individuellen Praxis ist der Übergang zur offizialisierten Form auch nach mehreren Jahrzehnten noch nicht abschlie‐ ßend vollzogen. Diese Praxis weist darauf hin, das derartige Prozesse des individuellen Lernens und der Nutzung von sprachlichen Ressourcen nicht von heute auf morgen zu ändern sind, sondern sowohl Phänomene der longue durée als auch der Differenzierung und der Professionalisierung der Sprachpraxis sind. Von dem eingangs vorgestellten Arzt wissen wir, dass er mehrsprachig ist. Sein sprachliches Repertoire setzt sich aus dem Moldauischen/ Rumänischen, Russischen, Ukrainischen und eventuell noch aus Formen und Strukturen weiterer Sprachen zusammen, wie dem Lateinischen als Basissprache für me‐ dizinische Terminologie und aus schulischen Fremdsprachen wie Französisch oder Englisch. Wie der Familienarzt sind so gut wie alle GesprächspartnerIn‐ nen, mit denen wir Interviews führen, mehrsprachig. Dass mehrsprachige Personen nicht nur mündlich kommunizieren, son‐ dern auch im Medium der Schriftlichkeit, das strukturell andere Ressourcen erfordert, ist erst relativ spät in der Mehrsprachigkeitsforschung zur Kennt‐ 260 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit nis genommen worden (vgl. Erfurt/ Amelina 2008, Hornberger/ Skilton-Syl‐ vester 2003, Maas 2008, 2010, Maas/ Mehlem 2005). Wenn das Schreiben von/ in mehreren Sprachen oder Schriftsystemen eine an sich schon sehr alte Praxis ist, so ist die Mehrschriftigkeit als Konzept erst vor relativ kurzer Zeit auf die Agenda der Mehrsprachigkeitsforschung getreten. Gegenüber den Untersuchungen zu Mehrsprachigkeit sind die Untersuchungen zu den schriftkulturellen Verhältnissen im Kontext von Mehrschriftigkeit si‐ gnifikant unterrepräsentiert. In der Mehrsprachigkeitsforschung basieren nahezu alle Theorien und Modelle auf Daten der gesprochenen Sprache, den‐ ken wir nur an Konzepte wie Sprachkontakt, Codeswitching, Codemixing, Crossing, Translanguaging etc. Und umgekehrt befasst(e) sich wiederum die Schriftlinguistik (u. a. Dürscheid 4 2012) nicht mit Fragen individueller Mehrschriftigkeit. Vor diesem Hintergrund bestand ein weiteres Format der Datenerhebung darin, die TeilnehmerInnen zu bitten, in allen Sprachen, die sie sprechen, etwas zu schreiben. Für viele TeilnehmerInnen war die Aufforderung, in ihren Sprachen wie Gagausisch, Bulgarisch, Romanes oder Ukrainisch etwas zu schreiben, außerordentlich ungewöhnlich oder sogar befremdlich. Dies unterstreicht, dass Schriftpraxis in anderen Koordinaten zu verorten ist als eine Sprache zu sprechen. Die beiden folgenden Belege zeigen Ausschnitte aus den Texten einer mehrsprachigen Ärztin, die auf Rumänisch und auf Russisch nacheinander je ein Ereignis aus ihrer beruflichen Praxis beschrieben hat. Abb. 5.5: Textausschnitte aus den Berichten einer Ärztin, links in rumänischer und rechts in russischer Sprache (siehe vergrößerte Ansicht S. 361) 261 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires Aus dem Fragebogen, den die Ärztin ergänzend zu dieser Schreibaufgabe ausgefüllt hat, geht hervor, dass sie in der Familie mit Moldauisch aufge‐ wachsen und in Moldauisch auch die Grundschule besucht hat. Es sei die Sprache, die sie auch heute am besten beherrsche und in der Familie ständig gebrauche. Die weiterführende Schule und das Medizinstudium absolvierte sie auf Russisch, das auch den überwiegenden Teil ihrer Berufspraxis als Ärztin in der Klinik bestimme. Für das Ausfüllen des zweisprachigen Fragebogens in Rumänisch und Russisch wählt sie ebenfalls das Russische. In der Familie und im Krankenhaus ist die dritte Sprache, mit der sie häufig in Kontakt sei, das Gagausische, das sie zwar nicht oder nur selten spreche, dafür aber gut verstehen und es auch lesen und schreiben könne. Auch im Radio und Fernsehen verfolge sie Sendungen in Gagausisch. Ihre Englischkenntnisse aus der Schulzeit schätzt sie insgesamt als schwach ein. Für die mündliche Kommunikation, für das Sprechen und Verstehen, taugten sie nicht, aber das Lesen und Schreiben in Englisch erlaubten sie. In vereinfachter Form lässt sich ihr sprachliches Repertoire anhand der Angaben im Fragebogen wie folgt darstellen: mündlich schriftlich Sprechen Verstehen Lesen Schreiben Moldauisch/ Rumänisch x x x x Russisch x x x x Gagausisch x x x Englisch x x Tab. 5.1: Sprachliches Repertoire einer Ärztin in Comrat Sehen wir uns die beiden Textausschnitte aus Abbildung 5.5 etwas genauer an. In der nachfolgenden Darstellung werden die handschriftlich verfass‐ ten Texte - der rumänischsprachige Text in lateinischer Grafie und der russischsprachige Text in kyrillischer Grafie - Zeile für Zeile aufgeführt und jeweils darunter mit einer Transliteration sowie in einer weiteren Zeile mit einer interlinearen Arbeitsübersetzung ins Deutsche versehen. Auf eine detaillierte Analyse der morphologischen und morphosyntaktischen Strukturen und Beziehungen kann verzichtet werden; was für die Argumen‐ tation erforderlich ist, erschließt sich im Wesentlichen aus der interlinearen Übersetzung. 262 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit Rumänisch 1 / J„i,<z, - 0 ibt' ' / "1 f 2,0t-rA wt µ, Tntr-o zi, dupa program mi Eines Tages, nach der Arbeit Dat-PP g - Q, Cl o/'lß. !, a. f 0 r"i.2rilli vrl iJ-J u! � s-a adresat 0 pacienta 'in varsta hat sich an mich gewandt eine Patientin im Alter d"R_ J-'f (f Cl 0/4 <9-"'- 12, e Af;;., '[flf 0" lz,/ , ,e4, de 24 ge i ani CU schija 'in partea von 24 Jahren d,e, � w !l O<de sus a von unten des P O..Jv1' ß ".) 0._ 0, Pacienta a mit einem Splitter im Teil f ; @ i' o �u .' Jri"ef 1. piciorului drept. rechten Fußes. S uj,e '1,1/ Wt suferit un "'�1tiof,e (,( f accident k la Die Patientin hat erlitten einen Unfall im &,a"�f"__ cLe 4 C\ v1"' " u 2 1-«<l uv<L,' LYf'�!f,J vvt varsta de 4 ani 'in urma ii unei explozii Alter von 4 Jahren in Folge einer Explosion o/ ,e A MN,· rt. C\.., 'i" ...i "- " (20,..'2,«.,'a. :S ,' - "- ,? ,'e�'[/4,fde mina iii, 'in urma caruia si iv -a pierdut von (einer) Mine, in deren Folge sie hat verloren � J"eo..rfi �( 5, 'l o .&� t'ß sd!.'J--e / i'vill"""mana dreapta si v s-a ales cu schije die rechte Hand und hat abbekommen Splitter fli. foo. fa. !, LIr 'W,. f �f': Oc e,-02 1 u...eu,··. pe toata suprafata corpului. über die ganze Fläche des Körpers. fo,<E..; .e 1.,t.fa. a@L/ 1"°'-of�1 rvz ri.e,. ,t:o� ; ,e.., 6"-'<f' Pacienta acuta durere la piciorul Die Patientin (hatte) akute Schmerzen im Fuß 1h...erf �., """"" 'c,U,0 "'f . d sa.. 0 '71-uf. In.. drept si viii ma ix rugat sa 0 ajut. Tn rechten und hat mich gebeten ihr zu helfen. In ,l,'f �"'-.. ".....e d ,'c-0 ,&u. • ., a._ f'>...Qtu. ,'!- .g;{ lipsa medicului, a trebuit Sa x Abwesenheit eines Arztes, musste ich [ ... ] Zeile 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Russisch f:> _,W(),Ce{ / 'l,-/ --vttr::.vlM-'t ? ,C ,F c,.-l. ./4 ���� V moej praktike byl takoj In meiner Erfahrung gab es einen solchen CL,L'rf � f:j O /U, U{t?(L 35 .,e"u �y a(t' slucaj: Bol'soj 35 let muz. Fall: Erwachsener, 35Jahre Mann. 00�6/"-/A{ )L eß, Obratilsja Sprach von ,Z,/ Ml 11 tvoß, gripom, an Grippe, tM,€,/ ti, ,w f' tel'noe e ,Ue<::l, A-Or)tr<: />o"e_e ,e "_ " s faloby: boleet 5 dnej Beschwerden: ist erkrankt (seit) 5 Tagen [i o/CU ff u)P -&"' e, / ('.eo 1;;u"Utboli V pravoe uxo. Znaci- Schmerzen im linken Ohr. Wesentwo v<M = ee vUA ,r "1f "1 ( I - & (J /U,( ponizenie sluxa, boli liehe Abnahme des Gehörs, Schmerzen uj"vA '1(-' v( /z;j� lradiiruscaja (v) ausstrahlend (in die) � � ß 10. v_ ' golovy. des Kopfes «;w-;t;r� pravuju rechte V ;;c� �/ , /, polovinu Hälfte j,J1M- Ovt,We tw i,U,( L{ �{;<. 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Alphabet) | ii statt: urmă | iii mină | iv şi-a | v şi | vi krovenosnyx | vii sosud | viii şi | ix m-a | x să Tab. 5.2: Analyse der Ausschnitte aus den Texten einer Ärztin in Rumänisch und in Russisch (siehe vergrößerte Ansicht S. 362f.) 263 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires Rumänisch 1 / J„i,<z, - 0 ibt' ' / "1 f 2,0t-rA wt µ, Tntr-o zi, dupa program mi Eines Tages, nach der Arbeit Dat-PP g - Q, Cl o/'lß. !, a. f 0 r"i.2rilli vrl iJ-J u! � s-a adresat 0 pacienta 'in varsta hat sich an mich gewandt eine Patientin im Alter d"R_ J-'f (f Cl 0/4 <9-"'- 12, e Af;;., '[flf 0" lz,/ , ,e4, de 24 ge i ani CU schija 'in partea von 24 Jahren d,e, � w !l O<de sus a von unten des P O..Jv1' ß ".) 0._ 0, Pacienta a mit einem Splitter im Teil f ; @ i' o �u .' Jri"ef 1. piciorului drept. rechten Fußes. 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Alphabet) | ii statt: urmă | iii mină | iv şi-a | v şi | vi krovenosnyx | vii sosud | viii şi | ix m-a | x să Tab. 5.2: Analyse der Ausschnitte aus den Texten einer Ärztin in Rumänisch und in Russisch (siehe vergrößerte Ansicht S. 362f.) 263 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires Aus der Gegenüberstellung der beiden Texte der Ärztin wird ersichtlich, dass sie in den beiden Sprachen auf bemerkenswerte Art verschieden schreibt. Wichtige Unterschiede zeigen sich auf den Ebenen von Lexik, Syntax und Stil. Der russischsprachige Textausschnitt besteht aus sechs Hauptsätzen, wobei die Sätze 1 und 2 (Zeile 1-4) jeweils aus zwei durch Doppelpunkt getrennten Teilsätzen bestehen und die Sätze 5 und 6 (Zeile 11-12) elliptisch formuliert sind. Die Sätze insgesamt, als Hauptsätze ohne jeden Nebensatz, sind mehrfach ohne Subjekt formuliert. Die Syntax dieser Sätze weist zudem keine Konjunktionen auf. Die Sätze folgen parataktisch gereiht nacheinander, ohne eine sie verbindende sprachliche Form zu enthalten. Ein Zusammenhang ergibt sich einzig auf der kognitiven Ebene dadurch, dass einleitend die Schilderung eines Falls angekündigt wird. Der Text enthält viele medizinische Fachtermini zur Anamnese, Diagnose und Verordnung. Die Art der Formulierung stellt das dar, was man einen Nominalstil nennt. Auf der Informationsebene erscheint der Text aufgrund der Fülle an Fach‐ termini inhaltlich stark verdichtet. Er enthält keine sprachlichen Formen zur Situationsdarstellung und -einbettung. Er fokussiert sich auf die sachliche und rein medizinische Seite des Verhältnisses zwischen Ärztin und Patient. Der rumänische Text besteht aus drei(-einhalb) ausgeformten Sätzen, be‐ stehend aus Haupt- und Nebensätzen, die durch Konjunktionen verbunden sind (vgl. Zeile 7, 11). Der Anteil an fachsprachlicher Terminologie ist gerin‐ ger als im russischsprachigen Text. Deutlich ist im rumänischen Text anhand der zahlreicheren Verben und der Sequenzierung des Handlungsablaufs der Duktus des Beschreibens und des Erzählens erkennbar. Der Textausschnitt lässt in Form der Bitte (Z. 11) auch eine interaktionale Beziehung zwischen Patientin und Ärztin erkennen. Das Geschehen wird zugleich in einen situationalen Handlungsrahmen, bestehend aus dem Zeitpunkt und den Umständen des Ereignisses (Zeile 1 und 12), eingebettet. Diese Befunde lassen sich als Anhaltspunkte dafür interpretieren, dass die schriftsprachlichen Ausbauprozesse des formellen Registers der Ärztin in beiden Sprachen unterschiedlich ausfallen. In sprachbiografischer Hinsicht zeigt sich, dass bei ihr das Russische eng verbunden ist mit den sachorientier‐ ten akademischen Ausbauprozessen und mit der auf Funktionalität ausge‐ richteten medizinischen Kommunikation im Krankenhaus. Das Rumänische wiederum praktiziert sie von Kindesbeinen an, spricht und schreibt es, wobei die Kommunikation im intimen und informellen Register - auch die des Erzählens, der situativen Beschreibungen und des Dialogs - überwiegen. Zu den beiden Sprachen Moldauisch und Russisch kommt bei ihr das 264 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit Gagausische hinzu, das sie vermutlich im Kontakt mit Familienangehörigen, NachbarInnen und PatientInnen gelernt hat, seit sie in Gagausien lebt, wobei bemerkenswert ist, dass sie sich auch darum bemüht hat, diese Turksprache lesen und schreiben zu lernen. Was zeigen die Belege in dieser Fallstudie zur Sprachpraxis und Mehrspra‐ chigkeit von Angehörigen des Gesundheitswesens in Moldova? Beginnend mit den Ausführungen des Familienarztes stellen die gesellschaftlichen Umbrüche nach dem Ende der Sowjetunion den Erklärungszusammenhang für die Restrukturierung der sprachlichen Repertoires dar. Mehrsprachig waren all diese Personen auch schon in der Sowjetzeit. Was sich aber ändert, das sind einerseits die politischen und kulturellen Referenzsysteme für die Sprachpraxis der AkteurInnen, angefangen beim Grafiesystem, dann die Auf-, Ab- und Umwertungen von Sprachen sowie die sprachlichen Ideologien, wie sie u. a. im Glottonymstreit zum Ausdruck kommen, und andererseits die mit den Umbrüchen erforderlich werdenden sprachlichen Ausbauprozesse vor allem im Rumänischen, aber auch in anderen Sprachen wie Ukrainisch und Gagausisch, die zumindest partiell in die beruflichen und sozialen Welten der TeilnehmerInnen hineinreichen. Die Prozesse des Wandels der sprachlichen und kulturellen Verhältnisse, wie sie von den sprachpolitischen Akteuren angestoßen wurden, verlaufen jedoch keines‐ wegs linear, wie es nicht zuletzt an der Persistenz individueller Schriftprak‐ tiken des Rumänischen mit kyrillischem Alphabet abzulesen ist. Einen Erklärungsansatz für die Prozesse der Restrukturierung der sprachlichen Repertoires hat Anna Weirich (2018) in vorbildlicher Weise ausgearbeitet, wenn sie mit den Konzepten der ‚Reichweite‘ und der ‚Erreichbarkeit‘ sprachlicher Ressourcen nicht nur die Ambivalenzen dieser Prozesse im Verhältnis zu den Lebensentwürfen der Individuen darstellt (vgl. ebd., 586-606). Sie eröffnet damit auch einen Zugang zum besseren Verständnis der transkulturellen Dimensionen von Sprache(n), wie sie bereits in Kapitel 4 im Zusammenhang mit den Konzepten der Sprachbiografie, partiell auch der Diaspora sowie in Abschnitt 5.3 speziell zur Restrukturierung sprachlicher Repertoires eingeführt wurden. 5.5.2 Fallstudie 2: Sprachliches Lernen in einer frankophonen Grundschule in Vancouver Als ich eines Tages im Juni 2019 das geräumige Foyer der französischsprachi‐ gen Schule im Norden von Vancouver betrete, in der ich - wie schon zuvor 265 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires 42 Der Name ist geändert. im Jahre 2012 - meine Feldforschungen zum Sprachenlernen durchführe, steht dort ein großes Tipi. Davor sitzen zwei Personen, eine Frau mittleren Alters und ein etwa gleichaltriger Mann, der, mein Interesse bemerkend, sich als Angehöriger eines Volkes der „Prärie-Indianer“ in Saskatchwan vorstellt, aber seit einigen Jahren in Vancouver leben würde. Auch ich stelle mich vor und erzähle kurz von meinem Forschungsprojekt. Wenig später werden wir uns an gleicher Stelle wiedersehen. Ich setze meinen Weg zum Raum der dritten Klasse fort. Die Kinder sitzen zum Nachmittagsunterricht bereit. Monsieur Hervé 42 , der Klassenlehrer, beginnt den Unterricht mit einer Entspannungsphase im abgedunkelten Raum „pour reposer le cerveau“, um dem Gehirn eine Ruhepause zu gönnen, wie er sagt. Er schlägt einen Gong, die Kinder sollen sich auf den Nachklang konzentrieren. Für ein paar Minuten ist es still, nur zwei Jungen flüstern sich kurzzeitig etwas zu, dann wieder Stille. Zur Einstimmung in den Unterricht erzählt Monsieur Hervé etwas zum Esperanto und dessen Erfinder Ludwik Zamenhof. Auf dem Tablet sollen zwei Kinder in den Wikipedia-Einträgen über Zamenhof in verschiedenen Sprachen recherchieren, wobei sie feststellen, dass die Einträge je nach Sprache deutlich unterschiedlich ausfallen. Monsieur Hervé verteilt an die Kinder einen Text über das Esperanto, den sie der Reihe nach laut vorlesen und zu dem sie dann drei Fragen schriftlich beantworten. Eine Schulsekretärin kommt in die Klasse und teilt mit, dass die 3. Klasse an der Reihe sei, das Tipi zu besichtigen und die Kinder die Möglichkeit hätten, sich über die Lebensweise der autochthonen Völker zu erkundigen. Diszipliniert und leise geht die Klasse ins Foyer und wird vor dem Tipi von dem besagten Mann, der sich nun als Tony vorstellt, auf Englisch begrüßt. Sein Volk - und die „Prärie-Indianer“ in Saskatchwan überhaupt - wohnten in Tipis, die Salish-Völker hingegen und die anderen „indianischen Küstenvölker“ bewohnten Langhäuser. Er lädt die Klasse ein, nach der Art seines Volkes das Tipi zu betreten, d. h. im Uhrzeigersinn im Tipi im Kreis zu gehen und dann auf den Fellen Platz zu nehmen. Tony begrüßt uns im Tipi erneut, nun mit einem rituellen Gesang, zu dem er, wie er erklärt, im Rhythmus seines Herzschlags die Handtrommel schlägt. Ein anderer älterer Mann tritt hinzu und erzählt von der Bauweise des Tipis, dass es wetter-, erdbeben-, sturm- und feuerfest sei, dass die Luftzirkulation von unten nach oben die Ausbreitung von Keimen verhindere und für gute Luft im Tipi sorge, anders als dies in einem quaderförmigen Raum der Fall sei. 266 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 43 Vgl. https: / / www12.statcan.gc.ca/ census-recensement/ 2011/ as-sa/ 98-314-x/ 2011003/ tb l/ tbl31-6-fra.cfm (16.11.2020). 44 Vgl. https: / / www.csf.bc.ca/ csf/ historique/ (16.11.2020). Ebenfalls auf Englisch stellen die Kinder im Anschluss sehr viele Fragen und bekommen sie anschaulich von den beiden Männern beantwortet. Nur ein Junge bleibt stumm, der kleine Guillaume, der zwei Monate zuvor mit seinen Eltern von Frankreich nach Vancouver gezogen und im Englischen noch längst nicht angekommen ist. Nach einer Stunde gehen wir zurück in den Klassenraum. Sobald die Kinder den Raum betreten, sprechen sie Französisch. Auch - soweit ich es verfolgen kann -untereinander. Der Klassenlehrer nimmt den Faden wieder auf und setzt den Unterricht bis zum Klingelzeichen um 15 Uhr fort. Dass es in Vancouver und in der kanadischen Provinz British Columbia (B.C.) französischsprachige Schulen und ein staatliches Schulwesen in französischer Sprache gibt, bedarf der Erklärung. Die kleine Minderheit der Frankophonen in der Provinz British Columbia zählt ca. 70.600 Personen, die etwa 1,6 Prozent der Gesamtbevölkerung darstellen. 43 Knapp 30.000 jener Personen mit Französisch als Muttersprache leben in Vancouver, dem urbanen und kosmopolitischen Zentrum der Provinz. Die Einrichtung eines staatlichen Schulwesens in französischer Sprache resultiert aus der spra‐ chenrechtlichen Situation Kanadas. Französisch ist seit 1969 eine der beiden offiziellen Sprachen der kanadischen Föderation, weshalb nach dem Prinzip der Linguistic duality/ dualité linguistique die sich jeweils in der Minderheit befindliche offizielle Sprache - das Englische in der französischsprachigen Provinz Québec sowie das Französische in den anglophonen Provinzen - staatlich gefördert werden. Für den Bereich der Schule ist in B.C. der Conseil scolaire francophone zuständig, dem gegenwärtig (2020) 45 Schulen mit einem Curriculum von der ersten bis zur zwölften Klasse unterstehen. 44 Die Schule, in der ich mich zu Forschungszwecken aufhalte, wird auf der Homepage der staatlichen Schulverwaltung als École francophone - Immersion en français bezeichnet, als französischsprachige Schule und als Schule für die Immersion ins Französische. Dabei handelt es sich eigentlich um zwei verschiedene Konzepte, die im frankophonen Minderheitenmilieu lange Zeit heftig umkämpft waren. Die ‚écoles francophones’ waren als einsprachige Räume in Französisch konzipiert, in welchen die Kinder der Angehörigen der frankophonen Gemeinschaften in ‚ihrer’ Sprache unter‐ richtet werden sollten. Für die Frankophonen Kanadas galt die Einrichtung 267 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires 45 Zusammen mit Danièle Moore (Simon Fraser University) habe ich zu Beginn des Schuljahres 2012 mit SchülerInnen der dritten Klasse (8-9 Jahre) eine erste Fallstudie durchgeführt. Die Datenerhebung erstreckte sich über das hier vorgestellte Format hinaus auch auf teilnehmende Beobachtung, Gespräche und Interviews mit den Schüle‐ rInnen und dem Klassenlehrer sowie auf Dokumentenanalyse, worauf hier jedoch nicht eingegangen wird. Für andere Untersuchungen in diesem Kontext, vgl. Litalien/ Moore/ Sabatier 2012 und Moore/ Sabatier 2010. Eine zweite Fallstudie, in welcher das Verhältnis von Mehrsprachigkeit und Mehrschriftgkeit im Mittelpunkt stand, führte ich 2019 durch. und der Unterhalt dieser Schulen das gesamte 20. Jahrhundert über als eine zentrale sprachpolitische Forderung und immer wieder auch als Gradmesser dafür, wie ernst es die Bundesregierung mit dem Gesetz über die offiziellen Sprachen Kanadas nimmt. Die mittlerweile deutlich zahlreicheren Schulen der ‚immersion en français’ definieren sich in Bezug auf die Unterrichtsspra‐ che zwar auch als französischsprachig, aber für die SchülerInnen, die diese Schulen besuchen, ist das Französische nicht die Erstsprache. In den meisten Fällen besuchen diese Schulen die Kinder aus anglophonen Familien oder aus Familien von ImmigrantInnen mit anderen Erstsprachen, was andere sprachdidaktische Konzeptionen verlangt als in den écoles francophones. Zudem bleibt die gesellschaftlich dominante Sprache des Englischen auch in diesen Schulen prominent. Die Eltern jener Kinder aus frankophonen Familien, die mangels einer école francophone in das Immersionsmodell eingeschult wurden, beklagen vielfach die unzureichende Sprachpraxis in Französisch in diesen Schulen sowie die fortschreitende sprachliche Assimilation ihrer Kinder durch die Dominanz des Englischen. 2012, zum Zeitpunkt der ersten Datenerhebung in dieser Schule, hatte Monsieur Hervé wenige Tage zuvor als Einstimmung auf die bevorstehende Datenerhebung mit den Kindern über das Gehirn und die Sprachen gespro‐ chen. Im Rahmen unserer Datenerhebung 45 sollten die SchülerInnen ein Bild zeichnen, um darzustellen, welche Sprachen sie gelernt haben und welche für sie wichtig sind. Der zweite Teil der Aufgabe bestand darin, einen Text zur Interpretation ihres Bildes zu schreiben. Und so zeichneten viele Kinder, darunter auch Anne, die Form eines Gehirns, in welchem sie ihre Sprachen anordneten. Anne nennt als ihre Sprachen das Französische, Englische und Spanische. Anne war eines der wenigen Kinder in dieser Klasse, das mit Französisch als Erstsprache aufgewachsen und dessen Familiensprache auch das Fran‐ zösische ist, „parce que mes parents viennent du Québec“, weil die Eltern 268 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 46 Übersetzung: „Ich habe viele Dreiecke für das Französische gemacht“. 47 Übersetzung: „Das Französische ist die wichtigste Sprache in meinem Herzen weil ich es liebe“. aus Québec kommen. Und so überwiegen in der Zeichnung ihres Gehirns auch die Dreiecke, die das Französische symbolisieren: „J’ai fait beaucoup de triangles pour le français“  46 . Ihre Darstellung des Gehirns ergänzt Anne durch eine zweite Zeichnung in Form eines stilisierten Herzens, in welchem die drei Sprachen in gleicher Verteilung aufgeführt sind. Das Herz drückt im Unterschied zum Gehirn ganz offensichtlich ihre emotionale Bindung zum Französischen aus, dem sie eine Liebeserklärung widmet: „Le Francais c’est la langue la plus inportente dans mon cœur parce que je l’aime“. 47 Abb. 5.6: Selbstdarstellung der Sprachen von Anne Die Bildbeschreibung zeigt, dass Annes Schriftsprachenlernen gut vorange‐ schritten sind: Die Genus-, Numerus-Tempus-Konkordanzen schreibt sie normgerecht. In syntaktischer Hinsicht gliedert sie die Aussagen in Haupt- und Nebensätze; der Text enthält zwei mit <parce que>, mit weil eingeleitete 269 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires 48 Übersetzung: „um zu zeigen, welche Sprache am meisten gesprochen wird“ 49 Übersetzung: „das ist schwer, richtig schwer“. 50 Übersetzung: Griechisch „ist nicht so schwer“. Nebensätze. Einzig die syntaktisch-semantische Analyse in der Aufzählung der Sprachen und die Schreibung <un espagnol> statt ‚en espagnol’ sowie die Schreibung <inportente> statt ‚importante’ lassen auf ein Problem bei der Zuordnung von homophonen lautlichen und den entsprechenden morphologischen bzw. grafematischen Strukturen schließen. Fast alle Kinder in dieser Klasse haben andere Sprachen als Französisch als Erstsprache, und alle wachsen mehrsprachig auf. Darunter ist Jiu, ein Mädchen, das in (Süd-)Korea geboren wurde. Anstelle eines Gehirns, wie es die meisten Kinder gezeichnet haben, wählt sie bezeichnenderweise einen Schwamm, vgl. Z. 1 <sponche> (für engl. ‚sponge’/ fr. ‚éponge’). In diesem Schwamm räumt sie den Sprachen Französisch, Englisch, Koreanisch, Grie‐ chisch und Arabisch einen Platz ein, wenn auch nicht erkennbar wird, welchen persönlichen Bezug sie zu den beiden zuletzt genannten Sprachen hat. In diesen Schwamm zeichnet sie Pfeile ein, die zum Englischen, Franzö‐ sischen und Griechischen führen, „pour montrer quel langue se parle le plus“ 48 . Gleichzeitig kategorisiert sie ihre Sprachen nach „Einfachheit“. Englisch und Französisch schätzt sie als einfach ein, Koreanisch hingegen als „dur, c’est vraiment dur“ 49 , während Griechisch „n’est pas si dur“ 50 sei. Links vom Bild des Schwamms zeichnet auch sie ein Herz, um ihren emotionalen Bezug zum Koreanischen als Sprache ihres Herkunftslandes auszudrücken. 270 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit Abb. 5.7: Selbstdarstellung der Sprachen von Jiu 271 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires 51 ‚Celui-là’ In transliterierter Form lauten die einzelnen Textsequenzen wie folgt: Oben/ Mitte 1 J’ai dessiner la forme d’un sponche. 2 J’ai fait 5 lange. Un Français, Anglais, Ko- 3 rein, Grec et l’arabe. Unten/ links 4 Je parle le français 5 parce que mon père 6 savait le français. Unten/ rechts 7 Les flèches sont pour montrer quel 8 langue se parle le plus. Le te dis que 9 c’ette langue est facile. Se luilà 51 que se 10 n’est pas si dur. Le c’est dur et 11 c’est vraiment dur. Links 12 le korein c’est le plus important 13 car je suis née on corée Aus der Perspektive des Sprachausbaus von Jius Repertoire sind vor allem die Zeilen 7-11 aufschlussreich, in welchen sie sowohl Angaben zur Häufig‐ keit dieser Sprachen in ihrem Lebensumfeld macht, als auch die Sprachen nach dem Schwierigkeitsgrad beim Lernen kategorisiert. Sie bedient sich dabei sowohl der Schrift als auch - in der Zeichnung wie im Text - dreier grafischer Formen, die sie in den Zeilen 8-10 erklärt, allerdings ohne sie durch entsprechende Nomina zu versprachlichen, wie es in einem weiter fortgeschrittenen Stadium des Ausbaus des formellen Registers erforderlich wird. Auffällig ist dabei, mit welchen deiktischen Strukturen sie dabei Textkohärenz herstellt und wie sie den „gedachten Anderen“ verbalisiert: vgl. Z. 8, hinweisender bestimmter Artikel <Le> + Grafik als Thema und <te dis que> als dialogisch konzipierter Übergang zum Rhema, und dazu kon‐ strastierend Z. 9 <Se luilà> (für ‚celui-là’) + Grafik, um die beiden Formen, 272 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit die die unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade der Sprachen symbolisieren, voneinander abzusetzen. Sie fährt dann wiederum mit dem bestimmten Artikel + Grafik fort, um die Bedeutung der dritten grafischen Form, die das Koreanische repräsentiert, zu erläutern und rhetorisch noch dadurch zu verstärken, dass sie in Z. 11 die Aussage wiederholt und akzentuiert, indem sie ihr durch <vraiment> noch Nachdruck verleiht. Ähnlich verhält es sich mit dem adjektivischen/ adverbialen Intensivierungsmarker <si> in Z. 10, der ebenfalls für eine gewisse Virtuosität von Jiu im Ausdruck kommunikativer Dynamik spricht. Das nun folgende dritte Beispiel lenkt die Aufmerksamkeit auf ein noch immer selten untersuchtes Phänomen, das der Mehrschriftigkeit. Es handelt sich hierbei um einen Beleg aus dem Datensatz von 2019. Wie schon bei der vorhergehenden Untersuchung, wachsen alle Kinder dieser dritten Klassen mit mehreren Sprachen auf. Eines von ihnen, Radu, soll hier genauer vorstellt werden. Radu ist eines von vier Kindern in seiner Klasse, die den Text zur Inter‐ pretation des Bildes nicht nur in der Schulsprache Französisch geschrieben haben, sondern dafür auch eine weitere Sprache ihres Repertoires nutzten. Aus Radus Bild erfahren wir, dass sich sein sprachliches Repertoire aus F - Französisch, E - Spanisch, R - Rumänisch und A - Englisch zusammensetzt; weiterhin, dass er englischsprachige Freunde hat, einmal pro Woche am Spanischunterricht teilnimmt, in der Schule Französisch und mit seinen Eltern Rumänisch spricht. Und schließlich erwähnt er in seinem Text noch das Italienische, das er allerdings so gut wie nicht sprechen würde. 273 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires F - Français | E - Espagnol | R - Roumain | A - Anglais Abb. 5.8: Selbstdarstellung der Sprachen von Radu Transliteration (I) 1 amis angles 1 class despaniole a la semaine 2 Je parle à l‘école franciait 3 mes parents parle avec moi le roumain 274 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit Abb. 5.9: Text von Radu in Französisch und Rumänisch Transliteration (II) 1 Le mardi 25 juin 2019 2 J’aime le Roumin beaucoup car je le parle beaucoup. J’aime le 3 françait un peut moins que le roumin mes c’est ma desieme langue 4 prèferai. et l’espaňiol un peut moin que le françait car je le 5 parle moin. Je détest l’anglez car je le parle très peut .j’aime pas le 6 litalin car je le parle presque pas 7 Ămi place Romăneştele pentrucă el vorbesc totimpul. Ămi place 8 francesa pentrucă o vorbesc mult la şcoală. Ăm place spaniola 9 unpic mai puţin decăt francesa pentrucă o vorbesc mai puţin 10 Nu ămi place engleza pentrucă no vorbesc atăta. 11 ştiu un pic de litatiana. 275 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires Rumänisch bezeichnet Radu - in einer Logik der Häufigkeit der Sprachver‐ wendung - als seine Lieblingssprache, weil er sie viel spricht. Französisch, das er ebenfalls liebt, ist für ihn seine zweite Sprache, die er etwas weniger häufig spricht. Wiewohl er englischsprachige Freunde hat, bekennt er in Zeile II/ 5, dass er Englisch nicht mag - „je détest l’anglez“ - und angibt, es nur wenig zu sprechen. Der Text ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Radu schreibt den ersten Teil (Z. II/ 1-6) in Französisch und den zweiten Teil (Z. II/ 7-11) in Rumänisch. Das Erlernen der Schriftsysteme und -konventionen beider Sprachen ist relativ weit fortgeschritten. Der Text gibt Hinweise auf drei Problemkreise: a) die grammatische Analyse von homophonen Strukturen, hier insbesondere die Schreibung von stummen Konsonanten im Wortaus‐ laut, b) die Schreibung von diakritischen Zeichen und c) Phänomene des Transfers von Orthografiewissen von einer Sprache auf die andere. Für Kinder dieser Jahrgangsstufe bereitet die grammatische Analyse von homophonen Strukturen immer wieder Probleme. In den Zeilen II/ 3 und 4 schreibt er <un peut>, <très peut> statt ‚un/ très peu‘, angelehnt an die Schreibung der 3. Person Singular des Verbs pouvoir ‚il/ elle peut‘, weiterhin in Zeile I/ 2 <franciait> und II/ 3, 4 <françait> anstelle von ‚français‘. Bei <moin> in den Zeilen II/ 4, 5 hingegen fehlt das stumme s am Wortende. In Zeile II/ 3 allerdings verwendet er die korrekte Form, was als Anhaltspunkt für noch nicht ausgeprägte Konsistenz in der Schreibung zu interpretieren ist. Wir sehen dieses Inkonsistenzproblem auch in der alternierenden Schrei‐ bung des auslautenden Nasals in <roumain> (Z. I/ 3) und <roumin> (Z. II/ , 3). Als ein anderes Problem erweist sich die Schreibung der diakritischen Zeichen im Französischen und Rumänischen, wobei zu konstatieren ist, dass ihm die Schreibung von Grafemen mit diakritischen Zeichen im Rumänischen wie ă ş ţ geläufig ist. Einzige Auffälligkeit dabei ist, dass er die Brevis (rumän. semi-cerc) bei ă generalisiert und nicht zwischen dem Zirkumflex bei â (und î) und der Brevis bei ă unterscheidet. Im Französischen ist die Inkonsistenz größer als im Rumänischen. Korrekte Schreibungen in <très> und <détest> in Zeile II/ 5 alternieren mit inkorrekten Schreibungen in <desieme> (deuxième) und <prèferai> (préférée) (Z. II/ 3, 4). Bemerkenswert ist drittens seine Schreibung des französischen Wortes <espaňol> in Zeile II/ 4, wo er sich bei der Verschriftung des Lautes [ŋ] an die spanische Schreibung mit der Tilde <ñ> anlehnt. 276 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit Ebenfalls im französischen Text fällt die Schreibung des Wortes <anglez> (Z. II/ 5) bzw. <angles> (Z. I/ 1) auf, wobei er ganz offensichtlich einen Transfer von der rumänischen Schreibung <englez(ă)> zur Verschriftung des Französischen vornimmt. Mit der heutigen Terminologie der Mehr‐ sprachigkeitsforschung lassen sich diese Schreibweisen als Transfer von Orthografiewissen oder auch als translanguaging-Praxis interpretieren. Als eine singuläre Form, die hier ebenfalls nur knapp kommentiert werden soll, fällt im rumänischen Text die Schreibung <el> in Zeile II/ 7 auf. Hierbei handelt es sich nicht um das Personalpronomen 3. Person Singular, sondern um die zwar grammatisch korrekte Setzung des Akkusativprono‐ mens îl (fem. o, vgl. Z. II/ 8, 9, 10), ohne allerdings auf der grafematischen Ebene schon die entsprechende Differenzierung zwischen <el> und <îl> vorgenommen zu haben. Welche Erkenntisse lassen sich aus diesen Analysen ableiten? Ausgehend von einer Systematisierung zum sprachlichen Repertoire der drei Kinder (vgl. Tabelle 5.3), stellt sich in einem ersten Schritt die Frage nach der institutionellen Rahmung des Sprachenlernens und nach den Dynamiken des Sprachausbaus. In einem zweiten Schritt, der in Abschnitt 5.6 folgt, sollen diese Erkentnisse mit den Erkentnissen aus der vorherigen Fallstudie zur Mehrsprachigkeit in Moldova zusammengeführt und in Hinblick auf die Diskussion über Transkulturalität interpretiert werden. Anne Jiu Radu Erst-/ Familien‐ sprachen Französisch Koreanisch (Französisch, Englisch? ) Rumänisch Zweitsprachen mündlich (Selbsteinschät‐ zung) Englisch Spanisch Französisch Englisch Griechisch Arabisch Französisch Spanisch Englisch Italienisch Schulsprache(n) Französisch Französisch Französisch Spanisch - als Fremd‐ sprache, ggf. Englisch - z. B. Interaktion im Tipi Vehikularspra‐ chen, Umwelt (Vancou‐ ver) Englisch, vielsprachig Englisch, vielsprachig Englisch, vielsprachig 277 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires Anne Jiu Radu Sprachausbau schriftlich Französisch weit fortge‐ schritten fortgeschritten fortgeschritten Sprachausbau schriftlich in wei‐ terer Sprache Rumänisch, fortgeschritten Emotionale Be‐ züge zum Französischen Koreanischen Rumänischen und Französischen; Ablehnung des Engli‐ schen Sprachmischung und Transfer von Sprachwissen Englisch-Fran‐ zösisch: lexika‐ lisch (<sponche>), morphologisch: <on corée> Rumänisch-Franzö‐ sisch-Spanisch: grafe‐ matisch (<espaňiol>, morphologisch: <ang‐ lez> ; Englisch-Spa‐ nisch-Französisch-Ru‐ mänisch: <1 class despaniole> Sprachliche Varia‐ tion Im rumänischen Text: kindersprachlich mar‐ kierte Form der Sub‐ stantivierung des Ad‐ verbs româneşte zur Form <Romăneştele> (‘das Rumänische’) Tab. 5.3: Systematische Darstellung des sprachlichen Repertoires der Kinder Unter den in Vancouver gegebenen Bedingungen des Französischen als Sprache der offiziell anerkannten Minderheit, die somit auch über ein eigenes staatliches Schulsystem verfügt, arbeitet die Schule in Form eines Hybridmodells, indem sie eine Schule für die Kinder der Angehörigen der französischsprachigen Minderheit ist. Diesen Fall repräsentiert Anne. Ihre französischsprachigen Eltern sind aus Québec nach Westkanada migriert und haben hier die Möglichkeit, ihr Kind in eine nach dem Prinzip der institutionellen Einsprachigkeit funktionierenden französischsprachigen Schule zu geben, was für sie wie für Anne bedeutet, dass die Erst- und Familiensprache auch die Sprache ist, in der das Kind Lesen und Schreiben lernt und ihm alle Wege zum Ausbau des formellen Registers in Französisch 278 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit zur Verfügung stehen. Insgesamt betrachtet ist die Zahl der Personen, die sich der frankophonen Minderheit zurechnen, im Großraum Vancouver relativ gering, weshalb der Betrieb eigener Schulen nicht als gesichert betrachtet werden kann. Es es sei denn, die Schulen öffnen sich für andere nicht-frankophone Eltern, die Interesse daran haben, ihr Kind „einem Bad in französischer Sprache“ auszusetzen, wie das Immersionsmodell - „immersion en français“ bzw. „french immersion“ - gemeinhin umschrieben wird. Mit Jiu und Radu sehen wir zwei Kinder, deren Eltern sich entschieden haben, von diesem in Kanada weit verbreiteten Modell zur Förderung der staatlichen Zweisprachigkeit zu profitieren. Französisch als Sprache der zahlenmäßig größten Minderheit in Kanada - nicht aber in der Pro‐ vinz British Columbia, wo andere Minderheitensprachen signifikant mehr SprecherInnen haben - erfährt durch das Immersionmodell eine Stützung dadurch, dass auch Kinder aus Familien mit der Mehrheitssprache Englisch oder mit anderen Sprachen die Möglichkeit erhalten, auf intensive Weise das Französische als (eine) Zweitsprache zu entwickeln. Dieser Schultyp wurde in den frühen 1960er Jahren für Kinder der (sozial dominanten) anglophonen Minderheit in Montréal eingeführt, bevor er später als Erfolgsmodell in ganz Kanada eingerichtet wurde (vgl. Lambert/ Tucker 1972, Rebuffot/ Lyster 1996, Cummins 2014). Im Fall der Grundschule in Vancouver, die Anne, Jiu und Radu besuchen, wird das Modell der Immersion in Französisch für Kinder mit sehr heterogenen sprachlichen Ressourcen geöffnet, ohne dass dabei auf die gesellschaftlich dominante Sprache, das Englische, rekurriert wird. Die Bilder und Texte der Kinder liefern einige Anhaltspunkte dafür, wie sich mehrsprachige Kinder schriftsprachliches Wissen aneignen, hier speziell in Französisch, und in welcher Weise dabei andere Sprachen präsent sind. Die Kinder repräsentieren ihre Sprachen grafisch als Teil ihrer Persön‐ lichkeit, und gleichzeitig reflektieren sie darüber, wie sich die Verhältnisse zwischen den Sprachen darstellen, wie leicht oder schwer es ihnen fällt, diese Sprachen zu lernen und was die Umstände und Motive sind, dass sie sie gelernt haben. Zum Ausdruck kommen hierbei metasprachliches Wis‐ sen, Aspekte der Sprachbewusstheit und der sprachlichen Einstellungen. Obwohl die Schule dem einsprachigen Modell verpflichtet ist, wird die Mehrsprachigkeit der Kinder nicht aus der Unterrichtspraxis ausgegrenzt, sondern für Sprach- und Kulturvergleiche und für den Aufbau von Sprach‐ wissen genutzt. Gleichzeitig geben die Texte darüber Auskunft, wie die grammatischen Formen des Französischen, die erlernt werden müssen, um 279 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires 52 Ausführlicher wird dies in einer anderen Studie dargestellt (vgl. Erfurt 2017), in welcher weitere Daten und Befunde aus dieser Fallstudie in Hinblick auf die Konzepte von Mehrsprachigkeit und Mehrschriftigkeit diskutiert werden. Texte so zu schreiben, dass sie von anderen Personen er-lesen werden kön‐ nen, ausgebaut sind. Es handelt sich folglich um den Ausbau des formellen Registers und das Erlernen seiner Strukturen mit den Gestaltungsmitteln der schriftkulturellen Praxis. Dass dies ein - unter Umständen langwieriger - Lernprozess ist, bei dem es um ein wachsendes Maß an Situationsentbindung der sprachlichen Formen geht, zeigt sich an Jius Text (vgl. Z. 7-11). Sie übernimmt die situational gebundenen grafischen Elemente wie Halbkreise und Dreieck in ihre Beschreibung, ohne sie zu versprachlichen und den schriftsprachlichen Erfordernissen anzupassen. 52 Anhand von Radus Texten ergeben sich Anhaltspunkte für die Proble‐ matik der Mehrschriftigkeit wie auch für Sprachmischungsprozesse und den Transfer von Sprachwissen. Er schreibt, wie nicht anders zu erwarten, den ersten Teil der Texte in der Schulsprache Französisch, die für ihn eine Zweitsprache ist. Dass er auch in seiner Erstsprache Rumänisch schreiben kann, ist keineswegs selbstverständlich. Rein quantitativ betrachtet, nutzt die Mehrheit der mehrsprachigen Menschen für die Zwecke des Schreibens nicht ihre Erst- oder Muttersprache, sondern eine Zweitsprache. Sehr oft, wie in großen Teilen Afrikas, in Teilen Asiens und Ozeaniens, in Nord- und Südamerika sind das die Sprachen der ehemaligen Kolonialmächte. Oder es sind die Sprachen der Migrationszielländer, in denen die Kinder Lesen und Schreiben lernen, während in ihren Familiensprachen das schriftsprachliche Register für sie nicht oder nur schwer erreichbar ist. Radu schreibt in beiden Sprachen altersgemäß, mit den Inkonsistenzen, die auch bei anderen Kindern anzutreffen sind. Unklar ist, wie und unter welchen Umständen er gelernt hat, in Rumänisch zu schreiben. Zu Radus sprachlichem Repertoire gehören neben dem Französischen und Rumäni‐ schen auch Spanisch, Englisch und Italienisch. Für das Spanische erwähnt er den schulischen Unterricht, für das Erlernen des Italienischen gibt es keine Anhaltsspunkte. Möglicherweise resultieren diese Kenntnisse aus den Erfahrungen von Interkomprehension zwischen SprecherInnen des Rumänischen und Italienischen vor dem Hintergrund des eigenen und des familiären Umgangs mit mehreren Sprachen. Das von ihm so wenig gewür‐ digte Englisch, das er selbst nur wenig sprechen würde, reicht dennoch direkt in seine Schriftpraxis hinein - zumindest in minimaler Weise, wenn er 280 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit schreibt <1 class despaniole>. Weitere Anhaltspunkte für den Transfer von Sprachwissen von einer Sprache zur anderen ergeben sich aus den folgenden Belegen: aus der Schreibung von <l’espaňiol> im französischen Teil seines Textes, wo er sich für die Verschriftung des Lautes [ŋ], im Französischen mit dem Grafem <gn> repräsentiert, an die spanische Schreibung mit der Tilde <ñ> anlehnt oder wenn er, ebenfalls im französischen Teil seines Textes, in Anlehnung an rumänisch englez, -ă (dt. Englisch) im Französischen <l’anglez> schreibt. Diese Formen, wie auch im Text von Jiu das Substantiv <sponche> anstelle von franz. éponge, sprich [epɔ̃ʒ], engl. sponge, lassen sich durchaus auch als Sprachmischung verstehen, ohne hier auf die damit nicht auszuschließenden Probleme in der sprachwissenschaftlichen Terminologie näher eingehen zu wollen. Auch wenn es anhand der vorgestellten Beispiele nicht erkennbar wird, so ist bei den Kindern dieser Schule noch eine andere Dimension der Erweite‐ rung ihres sprachlichen Repertoires mitzudenken. Denn die Schule, in der sie Lesen und Schreiben in Französisch lernen, funktioniert als einsprachige Schule im frankophonen Minderheitenmilieu, in der auf den sprachlichen Ausbau in der gesellschaftlich dominanten Sprache Englisch in den ersten Schuljahren verzichtet wird. Es liegt somit in der Verantwortung der Eltern, die ihrerseits mehrheitlich dem Mittelstand zuzurechnen sind bzw. die soziale Aufwärtsmobilität verkörpern, ihren Kindern auch den Zugang zu den schriftkulturellen Erfordernissen des Englischen und eventuell auch zu den anderen Sprachen ihres Lebensumfeldes zu ermöglichen, wofür anderweitige Lernarrangements erforderlich werden. 5.6 Sprache und Mehrsprachigkeit in transkultureller Perspektive Das Beispiel der französischsprachigen Schule in Vancouver lenkt die Auf‐ merksamkeit auf eine weitverbreitete Situation in Migrationsgesellschaften. Der Vielsprachigkeit in diesen Gesellschaften stehen einsprachig verfasste Bildungsinstitutionen gegenüber. Ihre Aufgabe ist es, zumindest im Regel‐ fall, den Kindern einen Zugang zur Geschäftssprache des Landes und ihres formellen Registers zu vermitteln. Das Besondere des hier gezeigten Falls besteht jedoch darin, dass die Schulsprache nicht die gesellschaftlich dominante Sprache ist, sondern eine Minderheitensprache, deren Funktio‐ nalität außerhalb der Schule stark eingeschränkt ist. Die Sprachpolitik der 281 5.6 Sprache und Mehrsprachigkeit in transkultureller Perspektive Schule bezieht ihre Legitimation aus föderalen Regelungen zum Schutz der frankophonen Minderheit, für die es darum geht, in ihrer Sprache leben, lernen und arbeiten zu können, was nach einer entsprechenden schulischen Erziehung verlangt. Für die Mehrheit der Kinder in dieser Klasse - oder genauer: für deren El‐ tern - ist allerdings noch ein anderes Motiv in der Wahl dieser einsprachigen Schule in Französisch in Rechnung zu stellen. Für sog. allophone und für anglophone Kinder bietet das zeitige schulische Lernen in Französisch eine erfolgversprechende sprachliche Qualifikation, die auch den Weg in eine spätere Karriere in den Institutionen des bilingualen Staatsapparats öffnet, für die eine elaborierte Praxis des Französischen Grundvoraussetzung ist. Dabei gehen Schule, Eltern und Kinder noch von einer weiteren, allerdings nicht explizit formulierten Voraussetzung aus, denn wie kann ein solches Minderheitensprachenmodell im Hinblick auf das Erlernen der gesellschaft‐ lich dominanten Sprache und ggf. auch der Herkunftssprachen der Kinder funktionieren? Implizit in die Rahmenbedingungen des Lernens in dieser Schule ist somit das Engagement der Eltern eingeschrieben, für ihre Kinder außerhalb des schulischen Curriculums die Wege zum Erlernen der Schriftsprache des Englischen zu bereiten und ggf. auch noch die Mittel und die Zeit aufzu‐ bringen, damit ihre Kinder das formelle Register der Herkunftssprachen erlernen. Wie wir an den Zeichnungen und Texten der Kinder gesehen ha‐ ben, verfügen sie über ein breites sprachliches Repertoire. Als Schulsprache dominiert Französisch, die anderen Sprachen sind in Form von Phänomenen des Sprachkontakts und als narrative Elemente der Sprachbiografien in den Bildern und französischen Texten präsent. Die Mehrschriftigkeit bleibt für jedes Kind implizit in den ökonomischen und organisatorischen Rahmenbe‐ dingungen des Besuchs dieser Schule verankert; das Minderheitensprachen‐ modell stellt unter diesen Bedingungen eine Art Stimulus für eine erweiterte schulische Bildung und für den Transfer sprachlichen Wissens zum Ausbau des formellen Registers in anderen Sprachen dar. Wie dies gelingt und ob überhaupt, kann allerdings anhand des gewählten Forschungsdesigns nicht untersucht werden, von singulären Fällen und Plausibilitätsannahmen zum sprachlichen Ausbau einmal abgesehen. Die beiden Fallstudien situieren sich in gewisser Weise an den entgegen‐ gesetzten Polen eines sprachpolitischen Konfliktfelds. Bei der ersten Fall‐ studie in Moldova geht es nicht um Kinder und um das Sprachenlernen in der Schule, sondern um Erwachsene und um deren berufliche Praxis. Reflektiert 282 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit die Fallstudie in Vancouver die Situation einer Minderheitensprache, deren sprachliche Agenten sich dem Sog des die sprachliche Assimilation beför‐ dernden Multikulturalismusmodells und der Omnipräsenz des Englischen zu widersetzen versuchen, ist die erste Fallstudie in sprachlichen Verhältnis‐ sen angesiedelt, die hochgradig politisiert, polarisiert und heftig umkämpft sind. Es handelt sich um Verhältnisse, in denen die politischen Konkurrenten bei faktischer Mehrsprachigkeit nahezu der gesamten Bevölkerung jeweils Modelle der Einsprachigkeit in Rumänisch (seitens der zentralstaatlichen Akteure) oder in Russisch (seitens lokaler Autoritäten, z. B. in Gagausien, aber auch in Unternehmen oder unter den Minderheiten selbst) propagieren und die Räume für das Lernen und die Praxis der Sprachen wie auch die Toleranz ihnen gegenüber nicht stabil sind. Auch dieser Fall verträgt in bestimmter Weise eine Verallgemeinerung, denken wir an die vielen Situationen des inneren und äußeren sprachlichen Kolonialismus auf allen Kontinenten oder/ und an Sprachkonfliktsituationen wie in Katalonien, Korsika oder Québec, in denen zugleich die Migration ein sprachpolitisch relevanter Faktor ist. Gemeinsam ist beiden Fallstudien, dass sie Szenarien der individuellen Positionierung zu Verhältnissen der Mehrsprachigkeit ausloten und den Fokus auf die Schriftpraxis und die schriftkulturellen Verhältnisse richten. In dieser Hinsicht ist die erste Fallstudie sehr ergiebig, lassen sich an ihr in empirischer Hinsicht verschiedene Facetten von Mehrschriftigkeit ausloten. Dabei zeigt sich, dass mehrsprachige Personen, wenn sie in der Lage sind, ihre Sprachen auch zu schreiben, in diesen Sprachen auf recht unterschied‐ liche Weise schreiben. Wie Fallstudie 1 zeigt, geht es dabei nicht nur um die sofort auffälligen Unterschiede auf der Ebene von Skripts, wenn mit lateinischem oder kyrillischem Alphabet (oder auch mit beiden) geschrieben wird, sondern um die im Kontext von Mehrschriftigkeit noch deutlich komplexeren Phänomene, nämlich die auf der Ebene der grafematischen und orthografischen Konventionen und Praxen und die auf der Ebene der sprachlichen Register und der Texte. In theoretischer Hinsicht bieten beide Fallstudien Anhaltspunkte für die Diskussion von Mehrschriftigkeit im Rahmen einer Theorie des sprachli‐ chen Ausbaus sowie für Einsichten in die Restrukturierung sprachlicher Repertoires. Während bei Fallstudie 2 die Migration der Familien nach Vancouver das zentrale Moment für die (Re-)Strukturierung der Repertoires darstellt, sind es bei Fallstudie 1 zunächst die gesellschaftlichen Brüche seit dem Zerfall der Sowjetunion, später auch die binnen- und transnationale 283 5.6 Sprache und Mehrsprachigkeit in transkultureller Perspektive Migration und Remigration, die den über die Register der Sprachen verteil‐ ten Umbau des Repertoires erforderlich machen (dazu ausführlich in Weirich 2018). Beide Fallstudien illustrieren jeweils auf ihre Art, wie transkulturelle Dynamiken im Bereich des Sprachlichen zu verstehen sind - und umgekehrt, was spachwissenschaftliche Empirie und Analyse zur Ausformung des Konzepts der Transkulturalität beitragen kann. Erinnern wir uns, wie in Abschnitt 1.3 Transkulturalität im Kontext von kulturwissenschaftlich-phi‐ lologischer Forschung bestimmt wurde. In i) heißt es, dass sich Gemeinschaf‐ ten wie Individuen mit ihren Sprachen, Literaturen, Medien und anderen kulturellen Manifestationen nicht in ethnisch abgeschlossenen, sprachlich homogenen und territorial abgegrenzten Räumen konstituieren, sondern durch (grenzüberschreitende) Verflechtungen, die sich im Wesentlichen aus Kontakt, Migration und Mobilität ergeben; in ii), dass sich Kulturen in ihrer Verschiedenheit begegnen und der Kontakt zwischen ihnen auf Aushandlungen angewiesen ist und damit vielfältige Prozesse der Mischung, der Vermittlung und Übersetzung, der Erosion von Grenzen, der Erinnerung, der Umwertung und der Dynamisierung in Gang kommen, die wiederum in Macht-, Hegemonie- und Verwertungsprozesse eingebunden sind; und in iii), dass ein Perspektivenwechsel erfolgt: von den Kulturen von Gemein‐ schaften zu den Individuen und ihren kulturellen Praktiken. Für die in i) bis iii) genannten Aspekte von Transkulturalität bieten die Fallstudien zahlreiche Befunde. Migration, Mobilität und Kontakt, in Fallstudie 1 vor allem die Erfahrung gesellschaftlicher und biografischer Brüche, stellen für beide Fallstudien den Rahmen dar. Als Phänomene seien in Erinnerung gerufen: Die Schule und den Klassenraum als einsprachige Räume in Französisch haben die Kinder als Option quasi verinnerlicht. Wir sahen es, als die Kinder vom Besuch des Tipis in den KIassenraum zurück‐ kehrten und die Gespräche sofort wieder in Französisch geführt wurden, nachdem die Kinder zuvor im Tipi ihre Fragen in Englisch gestellt hatten. Diese Art des „Grenzregimes“ hat mit Sprachentrennung und dem Modus der Einsprachigkeit im Kontext von individueller und gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit zu tun. Letztere erkennt die Schule an und nutzt sie auch, um die SchülerInnen zu befähigen, Sprach- und Sachwissen von einer Sprache zur anderen zu transferieren. In sprachlicher Hinsicht kommen hierbei kulturelle Praktiken ins Spiel, die auf anderes als auf Homogenität verweisen, wenn die Kinder lernen, in Wikipedia zum Eintrag unter Ludwik Zamenhof in verschiedenen Sprachen zu recherchieren und dabei erkennen, 284 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit dass die Reichweite ihres sprachlichen Repertoires dazu taugt, dass je nach Sprache unterschiedliches Wissen erreichbar wird. Transkulturell stellt sich weiterhin der Transfer von sprachlichem Wissen im Zuge von Mehrschriftigkeit dar, wenn Radu zur Lösung eines Verschriftungsproblems, hier des französischen Lautes [ŋ] bzw. <gn> sein anhand des Spanischen gewonnenes Wissen einsetzt. Aspekte des Kulturkontakts und der Aushandlung von Verschiedenheit kommen in der Schule ins Blickfeld, wenn die Kinder im Tipi mit Musik, Sprache, Lebensweise, Siedlungsform etc. eines der autochthonen Völker Kanadas konfrontiert werden. Konfrontiert in dem Sinne, dass in allen Schulen British Columbias seit der Veröffentlichung des Berichts über die „Internate für die Kinder der indigenen Völker“ (vgl. Abschnitt 2.5) Ende 2015 die Verbrechen von Staat und Kirche an den autochthonen Völkern ein Thema sind. Heftige Kritik wurde dabei an der weit verbreiteten Unwissenheit der Mehrheitsgesellschaft über die autochthonen Kulturen geübt. Die Schule zeigt nun, wie sie dieser Unwissenheit begegnet und sich dafür öffnet, konkrete Erfahrungsräume für die SchülerInnen zu schaffen. Auch Fallstudie 1 zur Mehrsprachigkeit in Moldova bietet in dieser Hinsicht Erkenntnisse, wenn der Familienarzt darstellt, was es für ihn und seine Sprachpraxis bedeutete, als 1994/ 95 das Gesundheitsweisen von Russisch auf Rumänisch umgestellt wurde. Für den dritten Aspekt, den Perspektivenwechsel von den Kulturen von Gemeinschaften zu den Individuen und ihren kulturellen Praktiken, kann sowohl auf das Beispiel des gerade erwähnten Familienarztes verwiesen werden als auch auf die Mehrsprachigkeit und die Mehrschriftigkeit der Ärztin im Krankenhaus von Comrat. Die Analysen zur Mehrschriftigkeit zeigen, wie unterschiedlich sie die Texte in Rumänisch und in Russisch schreibt, was die Frage danach aufkommen lässt, wie diese Unterschiede zu erklären sind. Unterschiede in der sprachlichen Sozialisierung in ver‐ schiedenen Phasen des Lebens sind als ein Erklärungsansatz zu nennen, die sprachlichen Anforderungen eines auf Funktionalität ausgerichteten Klinikbetriebs mit Russisch als dominanter Sprache stellen einen weiteren Erklärungansatz dar. Aus dieser Rekapitulation einiger analytischer Befunde der beiden Fall‐ studien zum Sprachenlernen und zur Mehrsprachigkeit folgt nun, die Bedeutung des Sprachausbaus und der Restrukturierung sprachlicher Re‐ pertoires als weitere sprachwissenschaftliche Konzepte der Erforschung von Transkulturalität nochmals hervorzuheben. In Kapitel 4 wurden bereits die 285 5.6 Sprache und Mehrsprachigkeit in transkultureller Perspektive Konzepte der Translatio, der Sprachbiografie und der Hybridität eingeführt und einige der dazugehörigen sprachlichen Prozesse und Strukturen disku‐ tiert. Die anderen Konzepte wie ‚Erinnerung in Bewegung‘, ‚migrantisches Schreiben‘, Kosmopolitismus‘, ‚Indigenität‘ oder ‚Generation‘ kommen zwar ebenfalls ohne Sprache nicht aus, haben aber stärkere Bindungen an litera‐ tur- und kulturwissenschaftliche Fragestellungen. Im Abschnitt 5.4 wurden die historisch zu nennenden Forschungen zu sprachlichen Mischungsproz‐ essen, die Sprachen von Minderheitenkulturen und die Übersetzung, die zweisprachige Erziehung, der Sprachkontakt und die sprachlichen Aspekte von Diaspora aufgerufen, die in mancher Hinsicht auch der heutigen For‐ schung zum Sprachausbau, zur Restrukturierung sprachlicher Repertoires und zur Mehrschriftigkeit vorausgehen, aber eben auch eigenständige Forschungsfelder z. B. in der Translationswissenschaft oder den Memory Studies gefunden haben. Die Konzepte des sprachlichen Ausbaus und der Restrukturierung sprach‐ licher Repertoires stehen im Zusammenhang mit den Aspekten iv) bis vi) von Transkulturalität. Auf das Entstehen neuer sprachlicher Formen und Strukturen, für die sich über eine differenztheoretische Erklärung hinaus eine emergenztheoretische Betrachtungsweise anbietet, wurde bereits ver‐ schiedentlich hingewiesen, u. a. in den Abschnitten 2.7 und 4.2. Schwieriger ist es mit dem Verhältnis von Prozess und Struktur, wie es in v) eingeführt wird. Auch wenn die beiden Fallstudien beabsichtigen, Prozesse des Ausbaus und der Restrukturierung zu beschreiben, so bildet die Forschungssituation de facto nur Momentaufnahmen ab, die zwar einen Zugriff auf Strukturelles erlauben, aber das Prozessuale nur eingeschränkt - zum Beispiel durch Rekonstruktion der Vorgeschichte, durch Kombination mit anderen Daten‐ sätzen, durch Vergleiche von verschiedenen Momentaufnahmen - in den Griff bekommen. Langzeitstudien wären hierzu die Methode der Wahl, doch verlangt dies nach Forschungskapizitäten, die meist nur punktuell zur Verfügung stehen. Eines der seltenen Projekte dieser Art stellt die Untersuchung von Streb (2016) dar, die über einen Zeitraum von vier Jahren minutiös das bilinguale Sprachenlernen und die Sprachpraxis von italienischen und deutschen GrundschülerInnen in einem Schulprojekt zur reziproken Immersion (two-way-immersion) in Deutsch und Italienisch in Frankfurt am Main untersucht hat. Der sechste Aspekt von Transkulturalität, d. h. die individuellen Mobili‐ tätsprofile und individuellen Ausdrucks- und Aneignungsformen kultureller Praktiken, berührt das Kerninteresse der Mehrsprachigkeitsforschung, wie 286 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit sie mit den Konzepten des sprachlichen Ausbaus und des sprachlichen Repertoires bearbeitet werden. Die Fallstudien in diesem Kapitel wie auch die Ausführungen im Kapitel 4 zu Sprachbiographie, partiell auch jene über Hybridität, Diaspora und Translatio, illustrieren die transkulturellen Dimensionen sowohl der individuellen sprachlichen Ausdrucks- und Aneig‐ nungsformen im Speziellen als auch von Mehrsprachigkeit im Allgemeinen. 5.7 Sprachliche Verhältnisse im frühen 21. Jahrhundert In den bisherigen Ausführungen der Kapitel 4 und 5 wurden bereits eine Reihe von Prozessen und Manifestationen transkultureller Sprachpraktiken dargestellt: sprachliche Mischungen, verbunden mit Konzepten wie Hyb‐ ridität oder Codeswitching, Prozesse der Translation und des Transfers sowie die Restrukturierung sprachlicher Repertoires, um nur diese drei in Erinnerung zu rufen. In diesem Abschnitt geht es nun darum, die Fäden, die in der bisherigen Argumentation ausgelegt wurden, erneut aufzugreifen und in dem Sinne zu bündeln, dass die Potenziale transkultureller Ansätze für die Sprachwissenschaft sichtbar gemacht werden sollen. Dabei steht außer Frage, dass auch im 21. Jahrhundert viele Menschen in räumlichen und sprachlichen Verhältnissen leben, die sich gut und gern als monokulturell und monolingual verstehen lassen, zumal, wenn sie in kleinen, isoliert lebenden Gemeinschaften verkehren. Aber auch für Angehörige von Mehr‐ heitskulturen ist das (vermeintlich) Monokulturelle und die Einsprachigkeit ein unumstößliches Faktum, solange es Nationalstaaten oder auch andere institutionelle Rahmungen gibt, die genau diese Imago - zumindest für einen Teil ihrer Angehörigen - aufrechterhalten. An der Reproduktion dieser Wahrnehmung als monokulturell und als einsprachig hat(te) die Wissenschaft ihren Anteil, indem sie, ihrem fachli‐ chen Selbstverständnis folgend, ihre Gegenstände entlang von Grenzen konstruierte und darin die Sprachen als abgeschlossene Systeme und die Menschen als einsprachig erscheinen (ließ). Und dies auch noch lange über die Zeit hinaus, als einzelne ForscherInnen die sprachliche Ordnung der Welt bereits in anderen Koordinaten zu betrachten begonnen hatten. Als Kronzeugen dieser anderen Sichtweisen lassen sich H. Schuchardt, H. Meltzl, J. Ronjat, U. Weinreich u. a. anführen. Mit den beiden Fallstudien im Abschnitt 5.5 wurden deren Konzepte sozusagen auf die Verhältnisse des frühen 21. Jahrhunderts übertragen und auf die Beschreibung von neuen 287 5.7 Sprachliche Verhältnisse im frühen 21. Jahrhundert Gegebenheiten der Sprachpraxis und der sprachwissenschaftlichen Analyse bezogen. Davon zeugen a. die sprachbiografischen Zugriffe, b. die Betrachtung von sprachlichen Repertoires von Individuen und die Restrukturierung der Repertoires im Zuge von Mobilität und Migration, c. die Auswirkungen von Machtverhältnissen auf die Minorisierung/ Ma‐ jorisierung von Sprachpraktiken, d. die systematische Berücksichtigung der Modi des sprachlichen Han‐ delns in Form von Mündlichkeit, Schriftlichkeit und Mehrsprachigkeit, weniger explizit, aber keineswegs weniger relevant, auch der Gebär‐ den(-sprachen) und der Translation, und schließlich e. der Akzent auf dem Kontakt und der Interaktion von sprachlichen Akteuren, auf deren Praktiken des Sprachkonfliktmanagements, u. a. im Kontext der oben beschriebenen Strategien des Multikulturalismus, der Interkulturalität, neuerdings auch der Mediation, um an die weitsichtige Argumentation von Coste/ Cavalli 2015 anzuschießen. Wenn also von Prozessen und Perspektiven von Transkulturalität auf dem Feld der Sprachwissenschaft und der Sprachpraxis die Rede ist, dann finden sich in den gerade genannten Punkten a) bis e) nicht nur die empirischen Daten für die jeweiligen Prozesse, sondern auch Anhaltspunkte dafür, in welcher Weise sprachwissenschaftliche Untersuchungen konkrete Befunde zum Verständnis des Zusammenhangs von Sprachen und Kulturen sowie von transkulturellen Dynamiken bereitstellen. Doch damit ist das Potenzial sowohl von sprachwissenschaftlichen An‐ sätzen zur Erforschung von Transkulturalität als auch von transkulturellen Ansätzen für die Sprachwissenschaft noch längst nicht ausgeschöpft. In epistemologischer Hinsicht erweist sich die „Dynamisierung“ von Analy‐ seperspektiven und Konzepten als eine unumgängliche Aufgabe, denn schließlich geht es bei Transkulturalität/ Transkulturation immer auch um Prozesse, die das Mobile, das Flüchtige, oft auch das Heterogene und Brüchige im Zuge von Vernetzung und Wandel kultureller Praktiken im Auge haben. Nicht zu vergessen ist dabei, dass all diese Prozesse der kognitiven Bewältigung seitens der Akteure bedürfen, wofür die Sprache die entscheidende Ressource darstellt. Mit anderen Worten: über die in a) bis e) erwähnten Zugriffe hinaus muss es darum gehen, 288 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 53 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung in Erfurt/ Hélot 2016. f. der kognitiven Dimension Rechnung zu tragen und auf die Begrün‐ dung einer Position hinzuarbeiten, die als Sprache-Kultur-Denken-Wis‐ sen-Praxis-Zusammenhang verstanden werden soll. Worum geht es bei der kognitiven Bewältigung von Lebensanforderungen seitens der Akteure, wofür die Sprache eine maßgebliche Ressource dar‐ stellt? Die Beantwortung dieser Frage ergibt sich in gewisser Weise schon aus den Ausführungen in Abschnitt 5.2 zum Sprachbegriff. Auf Stichwörter verkürzt sei an Sprache in der Ontogenese und der Soziogenese erinnert, an Sprachausbau, sprachliches Handeln, sprachliches Wissen und sprachliche Erfahrungen. Und dies alles hat seinen Platz in der individuellen und gesellschaftlichen Reproduktion, in der Arbeit und den Lohn- und Erwerbsverhältnissen, in den Soziabilitätsstrukturen der sozialen und digitalen Netzwerke, deren zentrales Moment die Mobilität der Akteure darstellt. Mobilität im Raum und in der Zeit, innerhalb sozialer Ordnungen und durch diese hindurch; Mobilität aufwärts, abwärts oder auch seitwärts, so auch im Zuge von Migration und den damit verbundenen kulturellen Kontakt- und Fremdheitserfahrungen, die erlebt und kognitiv verarbeitet sein wollen. Zentral für die kognitive Bewältigung dieser Anforderungen sind hierbei Wissen und Erfahrung, von Resilienz, d. h. der Fähigkeit, widrigen Umständen zu widerstehen und aus den Krisen „noch etwas zu machen“, einmal abgesehen. Stärker ins Sprachwissenschaftliche gewendet und damit an die Ausfüh‐ rungen zu sprachlichem Wissen und sprachlichen Erfahrungen in 5.2 an‐ knüpfend, lässt sich die Dynamisierung der Konzepte anhand der Diskussion von und über Mehrsprachigkeit und die Rolle des Wissens in modernen Sprach- und Grammatiktheorien illustrieren. Wenn die Praxis der Mehrsprachigkeit alt ist, wohl ebenso alt wie das Erfordernis und die Fähigkeit von Individuen, zwischen Personen oder Gruppen, die sich in unterschiedlichen Sprachen ausdrücken, zu vermitteln, so ist das Wissen über Mehrsprachigkeit erst relativ rezenten Datums. 53 Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, als die wissenschaftliche Beschäftigung der Mehrsprachigkeit einsetzte, hat es sich immens verändert. Deutsche, fran‐ zösische und Schweizer Psychologen und Sprachwissenschaftler begannen sich zunächst für die „Kindersprache“ von bilingual aufwachsenden Kindern zu interessieren (u. a. C. und W. Stern 1907, Ronjat 1913). Der Psychologe 289 5.7 Sprachliche Verhältnisse im frühen 21. Jahrhundert Epstein (1912), der selbst mehrsprachig aufwuchs und Jiddisch, Russisch, Französisch und Hebräisch sprach, sah in der ‚Polyglossie‘ eine „soziale Wunde“ („une plaie sociale“, 1912, 210) und betrachtete sie als Gift für die Entwicklung des Kindes, womit er einen Topos begründete, der sich nicht nur unter Medizinern noch lange halten sollte (vgl. Tabouret-Keller 2011). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren es Sozialpsychologen wie Elisabeth Peal und Wallace Lambert (1962), Sprachwissenschaftler wie Einar Haugen (1953) und Uriel Weinreich (1953), die sich systematisch und auf breiter empirischer Basis mit Mehrsprachigkeit befassten. John Gumperz, der in den späten 1950er Jahren in Nordindien forschte, dann auch in Norwegen und im österreichischen Kärnten, legte zahlreiche einflussreiche Publikationen zur Mehrsprachigkeit vor, wie auch Joshua Fishman (1965), William Mackey (1967) und andere. Über die Jahrzehnte der Nachkriegszeit hinweg war diese Forschung vor allem anglophon geprägt. Als bemerkens‐ werte Ausnahmen fallen in dieser Forschungslandschaft die in Deutsch publizierte und stark autoreflexiv geprägte Studie des Romanisten Wilhelm Theodor Elwert (1960) „Das zweisprachige Individuum“ und besonders die des schwedischen Samischforschers Nils Erik Hansegård (1968) „Två‐ språkighet eller halvspråkighet? “ [dt. Zweisprachigkeit oder Halbsprachig‐ keit? ] auf. Letzterer leitete damit eine weit über die konkrete Situation der samisch-schwedischen Zweisprachigkeit hinausreichende sprach- und bildungspolitische Diskussion darüber ein, wie Zweisprachigkeit zu model‐ lieren ist und welche institutionellen Anforderungen an das Sprachenlernen und die kulturellen Praktiken sich daraus ergeben. Das Neue an all diesen Forschungen ist, dass sie gegen eine (auch) in der Sprachwissenschaft dominierende Festlegung auf das Monolinguale und die Konstruktion des Menschen als einsprachig antreten. Gegen das tradierte Modell des einsprachigen Menschen und den darauf basierenden Begriffsbildungen sprechen mehrere sprachsoziologische Ein‐ sichten der letzten Jahrzehnte, die hier nur genannt und nicht im Einzelnen diskutiert werden sollen, dass ▸ die Mehrheit der Menschen weltweit in mehrsprachigen Verhältnissen lebt und in den jeweiligen Lebenskontexten wie Familie, Schule, Ge‐ meinschaft, Arbeit und Gesellschaft unterschiedliche Sprachen prakti‐ ziert; 290 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit ▸ im Zuge von Migration und sozialer Mobilität immer mehr Erwachsene und Kinder mit anderen sprachlichen Verhältnissen konfrontiert sind und damit umzugehen lernen (müssen); ▸ sich bislang relativ homogene sprachliche Räume und besonders die urbanen und die medialen Räume in vielsprachige Räume verwandeln; ▸ mehrsprachige Praktiken unter globalisierten Lebensverhältnissen wei‐ ter an Verbreitung gewinnen; ▸ in immer mehr Schulen bilinguale Schulprogramme angeboten werden, in denen gleichzeitig zwei (und selbst mehrere) Sprachen als Unter‐ richtssprachen, als Medium der Kommunikation und zur Aneignung von Wissen fungieren. Und schließlich, dass ▸ Mehrsprachigkeit völlig unzureichend verstanden wird, wenn sie - dem Einsprachigkeitstopos folgend - als mehrfache Einsprachigkeit abgebildet wird. Diese empirischen Fakten, auf welche die Mehrsprachigkeitsforschung seit längerer Zeit hinweist (u. a. Grosjean 2010, Bickes/ Pauli 2009), sind in ge‐ wisser Weise unabhängig von der sprachtheoretisch motivierten Diskussion darüber zu betrachten, wie Sprache und wie Mehrsprachigkeit definiert wer‐ den sollen: Ob zum Beispiel der Wechsel zwischen einer dialektalen Varietät und einer standardsprachlichen Varietät als Mehrsprachigkeit anzusehen ist, oder ob das Erlernen von Sprachen, die in Schulen als Fremdsprachen angeboten werden, als Anhaltspunkt für (gelebte) Mehrsprachigkeit gelten soll. Aus einer sprachtheoretischen Perspektive betrachtet, die einerseits die sprachliche Variation und andererseits die gerade erwähnten Fakten ernst nimmt, wäre jede Person als mehrsprachig zu betrachten, die sich multilektal durchs Leben bewegt. Vieles muss übersprungen werden, um sich der Makroperspektive auf Mehrsprachigkeit zu nähern, wie sie auf europäischer Ebene seitens des Europarats verfolgt wird. Zu denken ist dabei vor allem an die 1992 verab‐ schiedete „Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen“ und an den „Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen“ (GeR) von 2001, die beide, jeweils für ihren Geltungsbereich und mehr noch in ihrer Summe, Zäsuren in der Geschichte der kulturellen Verhältnisse in Europa darstellen. Anfang der 1990er Jahre begannen die Vorarbeiten für den GeR. Eine bedeutende Etappe war dabei die Ausarbeitung des Konzepts der „mehrsprachigen und plurikulturellen Kompetenz“, wie es von Coste/ Moore/ Zarate (1997/ 2009) ausführlich begründet wurde. Sie richten 291 5.7 Sprachliche Verhältnisse im frühen 21. Jahrhundert 54 CLIL steht für Content and Language Integrated Learning, gleichbedeutend mit EMILE, das für Enseignement d’une Matière par l’Intégration d’une Langue Etrangère. Beide sind Entsprechungen zum Konzept des ‚Bilingualen Sachfachunterrichts‘, das in den frühen 1970er Jahren im Rahmen der Deutsch-Französischen Kooperation in Schulen der Bundesrepublik Deutschland eingeführt wurde. mit diesem Konzept die Aufmerksamkeit auf das kulturelle Kapital, das sich Menschen im Laufe eines Lebens aneignen, sowie auf das komplexe und individuell einzigartige sprachliche Repertoire aus biografischen Erfahrun‐ gen. Der Ansatz der mehrsprachigen und plurikulturellen Kompetenz hat sich seither als sehr produktiv erwiesen, vor allem im Hinblick darauf, was im Kontext schulischen Sprachenlernens möglich ist, um diese Kompetenz zu fördern. Schulen, Universitäten, Unternehmen und andere Institutionen verwenden heute beinahe selbstverständlich und nicht selten mit einem quasi-normativen Anspruch die Kategorien des GeR. Weil aber die Schule als Institution im Nationalstaat immer wieder der Entfaltung der mehrsprachi‐ gen und plurikulturellen Kompetenz entgegenwirkt, geht es Coste/ Moore/ Zarate auch darum, das Augenmerk auf das Lernen und die sprachlichen Erfahrungen in anderen sozialen Kontexten zu richten: von der Familie über die Peergroup bis zu Unternehmen, in den Medien, auf Reisen etc. Überall da also, wo sich die Individuen auf die Pluralität von Sprachen und Kulturen einlassen und sie beginnen, sich diese Pluralität verfügbar zu machen (ganz ähnlich argumentieren auch Blommaert/ Backus 2013). In anderer Weise zeigt sich die Produktivität dieses Konzepts auf dem Feld der Sprachdidaktik, wo in den letzten Jahren vielfältige Innovationen dazu beigetragen haben, das Lehren und Lernen von Sprache als Schulfach und als Fremdsprache durch andere Unterrichtsformen und Konzepte zu ersetzen. Dieser Perspektivenwechsel findet seinen Ausdruck in einer ganzen Palette von Konzepten, die von a) der Sensibilisierung für andere Sprachen und für die Mehrsprachigkeit, prominent vertreten durch das Konzept „Evlang - Éveil aux langues“ (Candelier 2003), b) die Nutzung von Potenzialen der Interkomprehension von Sprachen und die Entwicklung der rezeptiven Sprachkompetenzen (Klein 2004, Escudé/ Janin 2010), bis c) zur Praxis von anderen Sprachen in einzelnen Unterrichtsfächern nach den Prinzipien von CLIL/ EMILE 54 bzw. des bilingualen Sachfachunterrichts reichen. Auf sprachpolitischer Ebene, in prominenter Weise auf der des Europarates, findet diese Orientierung in der Ausarbeitung eines „Referenzrahmens für 292 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 55 https: / / carap.ecml.at/ Documents/ tabid/ 2668/ language/ de-DE/ Default.aspx (17.7.2020). 56 Vgl. https: / / carap.ecml.at/ Keyconcepts/ tabid/ 2681/ language/ de-DE/ Default.aspx. plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen“ 55 Ausdruck (vgl. Candelier 2010). Unter pluralen Ansätzen zu Sprachen und Kulturen umfasst dieser Referenzrahmen die Sensibilisierung für Sprachen, integrative didaktische Ansätze, Interkomprehension zwischen verwandten Sprachen sowie inter‐ kulturelle Ansätze. Im Unterschied zum GeR, der auf das Lernen von und die Kompetenzen in einzelnen Sprachen ausgerichtet ist, zielt das Konzept der ‚Pluralen Ansätze zu Sprachen und Kulturen‘ auf Lehr- und Lernverfah‐ ren, die durch mehrere Sprachen und Kulturen und einen übergreifenden Kompetenzbegriff bestimmt sind. Den pluralen Ansätzen stehen traditionell einzelzielsprachliche Konzepte gegen‐ über. Diese fokussieren nur auf eine einzige Zielsprache und/ oder eine bestimmte Zielkultur. Solche einzelzielsprachlichen Ansätze stehen nicht im Einklang mit der lernerseitig vorhandenen Mehrsprachigkeit des mentalen Lexikons. 56 Die Mehrsprachigkeitsdidaktik formuliert hiermit eine Kritik, die, wie oben bereits ausgeführt, in geradezu fundamentaler Weise das Geschäft der Sprach- und Grammatiktheorie des 20. Jahrhunderts trifft, in welcher die einzelsprachliche Ausrichtung systemlinguistischen Zuschnitts dominiert. Um nur zwei Beispiele zu nennen, ausgewählt aus einem Bereich, der an sich zwar „mehrsprachigkeitsaffin“ ist, aber eben die Grenzen einzelsprachlicher Betrachtung erkennen lässt. Das Konzept der Interferenz, das in der Sprach‐ kontaktforschung einen festen Platz hat, verbindet sich mit der Vorstellung eines monolingual gedachten homogenen Systems, in das Elemente aus einer anderen Sprache einbrechen oder eben interferieren. Die Modellierung von Sprache als einem homogenen System steht auch hinter den meisten Theorien, die sich im Kontext von Mehrsprachigkeit mit den schlichtweg alltäglichen Praktiken des Codeswitchings und Codemixings befassen, dabei allerdings in einem monolingualen Beschreibungsmodus verharren. Mit dem Blick von außen versuchen sie, die einzelnen Elemente der Äußerungen entweder der einen oder der anderen Sprache zuzuordnen oder sie, in der Perspektive von Hybridisierung, d. h. von Mischungsprozessen, als etwas Neues bzw. Synkretistisches darzustellen, das weder zur einen noch zur anderen Sprache gehört. 293 5.7 Sprachliche Verhältnisse im frühen 21. Jahrhundert 57 Die folgenden Ausführungen nehmen Gedanken aus Erfurt/ De Knop 2019, insbes. S. 13-20 auf. Für frischen Wind in der Mehrsprachigkeitsforschung 57 sorgten in den letzten Jahren die soziolinguistischen Diskussionen um das Konzept des ‚sprachlichen Repertoires‘ (u. a. Blommaert/ Backus 2013) und das Konzept des ‚Translanguaging‘, wie es prominent von Ofelia García und KollegInnen in Umlauf gebracht wurde. Beiden Konzepten gemeinsam ist ihre Veranke‐ rung in Prozessen des sprachlichen Lernens, und dies nicht begrenzt auf den schulischen oder allgemeiner, den institutionellen Bereich, für den der schriftkulturelle Ausbau zentral ist, sondern auch bezogen auf die vielfälti‐ gen sprachbiografischen Erfahrungen und Lernmodi der Individuen. Es gibt bekanntlich viele Wege und Modi im Laufe eines Lebens, das sprachliche Repertoire zu erweitern und die sprachlichen Register aus- und umzubauen. Einer davon ist das schulische Lernen in gleichzeitig zwei Sprachen, z. B. in der gesellschaftlich dominanten und in einer Minderheitensprache, wie es in Schulkonzepten der reziproken Immersion (auch two-way-immersion) praktiziert wird (vgl. u. a. Streb 2016). Und selbst das Lernen in drei Sprachen, wie es in den dreisprachigen ladinischen Schulen in Südtirol mit Ladinisch, Deutsch und Italienisch praktiziert wird (vgl. Franceschini 2013), lässt auf erfolgreiche Schulkarrieren der SchülerInnen schließen. Derartige mehrsprachige Schulprojekte stellen den Anknüpfungspunkt für das Konzept des ‚Translanguaging‘ dar. Entwickelt wurde es zunächst in den 1990er Jahren in Großbritannien im Kontext von Programmen zum Spracherhalt (language maintenance) für die Minderheitensprachen wie Walisisch und Gälisch und ihrer Einführung in ein bilinguales schulisches Curriculum in Kombination mit der Mehrheitssprache Englisch. ‚Translan‐ guaging‘ steht hier für eine pädagogische Praxis in bilingualen Klassen, bei der der Input und der Output in unterschiedlichen Sprachen erfolgen. Der Input fokussiert auf das Lesen und Hören in einer Sprache, zum Beispiel Englisch, und der Output, zum Beispiel im Walisischen, bezieht sich auf das Sprechen und Schreiben (vgl. Lewis/ Jones/ Baker 2012, 643 f.). García (2009), Blackledge/ Creese (2014), Hornberger/ Link (2012) u. a. grei‐ fen den Terminus für diese Praxis auf und weiten seine Bedeutung in meh‐ rere Richtungen aus. García verband damit zunächst eine kritische Revision der so genannten dual language programs für Englisch und Spanisch in den USA, in denen spanischsprachige und englischsprachige Kinder gemeinsam in einer Klasse und in beiden Sprachen unterrichtet werden. Dabei lernen 294 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit 58 Vgl. Budach/ Erfurt/ Kunkel 2008, Fialais 2018, Gogolin/ Neumann 2008, Streb 2016. 59 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung in Erfurt/ Weirich/ Caporal-Ebersold 2018. die Kinder mit- und voneinander die beiden Sprachen für die mündlichen und für die schriftlichen Anforderungen zu nutzen. Wohlgemerkt, Kinder aus der dominanten englischsprachigen Mehrheitsgesellschaft lernen hier mit Kindern aus den sozial marginalisierten hispanophonen Minderheiten miteinander und gemeinsam in beiden Sprachen, so wie dies in vergleich‐ baren Schulprojekten beispielsweise für deutschsprachige und italienisch‐ sprachige Kinder in Berlin, Frankfurt/ M., Hamburg, Stuttgart, Wolfsburg und anderen Städten erfolgt. 58 Für die pädagogische Praxis des Umgangs mit mehreren Sprachen im Klassenraum haben Celic/ Seltzer (2011) in Zusammenarbeit mit Ofelia García einen „Translanguaging-Guide“ erarbei‐ tet, der auch vielfältige Anregungen für den Ausbau schriftsprachlicher Kompetenzen in beiden Sprachen enthält. García fasst die mehrsprachigen Sprachnutzungsstrategien der SchülerInnen in der Formel zusammen: „to mediate understandings, to co-construct meaning and to include others“ (García 2009, 154). Mit seiner weiteren Verbreitung wurde der Begriff des Translanguaging nicht mehr nur zur Beschreibung der Lernstrategien und der sprachlichen Praktiken von zwei- oder mehrsprachigen Personen verwendet. Denn stär‐ ker ins Sprachtheoretische gewendet, steht er nun prominent für eine Sprachkonzeption, die der Modellierung von Bilingualität als zwei getrenn‐ ten und autonomen Sprachsystemen im Kopf des Individuums diametral entgegengesetzt ist. 59 Wie zuvor schon Cummins und andere, gehen auch die VertreterInnen des Translanguaging-Konzepts davon aus, dass das Sprachwissen von Mehrsprachigen nicht additiv, d. h. als Summe von mehr‐ fach einzelsprachlich gebundenem Wissen zu modellieren ist, sondern zu einem erheblichen Teil als sprachübergreifendes Wissen für das Sprechen, Schreiben und Verstehen mehrerer Sprachen zur Verfügung steht. In diesem Sinne gewinnt der Begriff des Translanguaging in jüngster Zeit weiter an sprachtheoretischer Kontur, indem er dazu herausfordert, den Begriff von ‚Sprache‘ erneut zur Diskussion zu stellen (vgl. Otheguy, García & Reid 2015, 283). Otheguy, García & Reid (2015) bestimmen Translanguaging as the deployment of a speaker’s full linguistic repertoire without regard for watchful adherence to the socially and politically defined boundaries of named (and usually national and state) languages. (ebd., 283) 295 5.7 Sprachliche Verhältnisse im frühen 21. Jahrhundert Dabei betonen sie, dass Translanguaging nicht mit der weithin bekannten Praxis des Codeswitchings (siehe oben) zu verwechseln sei. Denn streng genommen bleibt der Begriff des Codeswitichings einer monolingualen Betrachtungsweise verhaftet, indem er diese Praxis als Wechsel von einer Sprache in eine andere Sprache modelliert. Translanguaging hingegen gilt als a particular conception of the mental grammars and linguistic practices of bilinguals. […] Under translanguaging, the mental grammars of bilinguals are structured but unitary collections of features, and the practices of bilinguals are acts of feature selection, not of grammar switch. (ebd.) Auch andere Forschungsansätze, die sich mit dem sprachlichen Repertoire von Mehrsprachigen befassen, teilen diese Sichtweise, so z. B. Matras (2009), der aus der Perspektive der Sprachkontaktforschung argumentiert, dass das Sprachwissen Mehrsprachiger ein sprachenübergreifendes Repertoire darstellt. Abschließend ist zu zeigen, wo diese Argumentation hinführt. Sie gibt ei‐ nerseits einen konkreten Hinweis darauf, wie eine Alternative, genauer: eine weitere Alternative zu der oben kritisierten Universalgrammatik aussieht, eine Alternative, die sowohl der kognitiven Dimension des Sprachlichen als auch dem Lernen, der Mobilität der Akteure und der Restrukturierung ihrer sprachlichen Repertoires Rechnung trägt und sich somit auch in eine transkulturelle Betrachtung einfügt. Andererseits und allgemeiner weist die Argumentation in eine Richtung, in welcher es um eine Dynamisierung des Beschreibungsapparats in dem Sinne geht, dass statische Betrachtungs‐ weisen überwunden werden und das Prozesshafte, wie es gerade für eine transkulturelle Perspektive zentral ist, zunehmend besser in den Griff zu bekommen ist. 296 Kapitel 5: Transkulturalität, Sprache und Mehrsprachigkeit Kapitel 6: Entflechtungen von Transkulturalität 6.1 Verflechtungen und Entflechtungen Kehren wir zurück zum Frankfurter Hauptbahnhof, kehren wir zurück zum Anfang des ersten Kapitels. Am Hauptbahnhof, der sinnbildlich für die bewegte Geschichte der Stadt, die Mobilität der Menschen und das Aufeinandertreffen von Angehörigen unterschiedlichster Milieus und Kul‐ turen steht, nahm die ethnografische Begehung des Bahnhofsviertels ihren Ausgang. Entlang der oft stark belebten Straßen und der Gebäude werden die vielfältigen Verflechtungen zwischen Personen, Räumen, Institutionen und Zeiten greifbar: Verflechtungen zwischen den Arbeits- und Geschäftswelten lokalen wie globalisierten Zuschnitts, den transnationalen Dienstleistungen, der Ethnoökonomie und den Büros, Praxen und Geschäften, den KundInnen, PassantInnen und BewohnerInnen vor Ort, den Etablissements der Unter‐ haltungs- und der Sexindustrie, der Drogen- und der Partyszene usw. Von dieser Begehung inspiriert, findet das Konzept der ‚Verflechtung‘ Eingang in die Begriffsbildung zu Transkulturalität (vgl. die Abschnitte 1.2 und 2.8). Seine Konturen erhält der Begriff der Transkulturalität zunächst auf einer theoretischen Ebene in der Diskussion dessen, was unter Kultur zu verstehen ist und in welcher Weise sich die untereinander verwandten Konzepte der Bi-, Multi- und Interkulturalität von Transkulturalität unterscheiden (vgl. Kapitel 2). Diese Diskussion folgt zwei Grundannahmen, wonach einerseits Kultur und Kulturen immer in Macht-, Herrschaft- und Klassenverhältnisse eingebettet sind und andererseits der Kontakt der Kulturen auf Konfliktma‐ nagement angewiesen ist. Verflechtung, so sie zustande kommt, findet in der Regel in asymmetrischen Konstellationen statt, weshalb die Konfliktper‐ spektive im Kontakt von Kulturen immer einzukalkulieren ist. Eine dritte Grundannahme, aus der dann auch die rasch wachsende Verbreitung des Konzepts der Transkulturalität resultiert, hängt mit den historischen Verän‐ derungen im Spätkapitalismus zusammen. Hatten die Praktiken der Bi-, Multi- und Interkulturalität ihren Bezugsrahmen im Nationalstaat, so entfalten sich die transkulturellen Verflechtungen vor allem unter den Verhältnissen der Globalisierung und der Erosion von Grenzen, die zuvor Staaten, Märkte, Zivi‐ lisationen, Kulturen, Lebenswelten und Menschen trennten. Die Folgen für das Leben der Menschen und ihre kulturellen Praktiken sind erheblich: Begriffe wie ‚multiple Modernitäten‘, ‚Superdiversität‘, ‚Patchwork‘ oder ,Hybridität‘ verweisen sowohl auf die Auswirkungen des kolonialen und postkoloniales Gefüges, auf die wachsende Migration und Mobilität der Akteure als auch auf die durch digitale Medien und Netzwerke neu entstehenden kulturellen und kommunikativen Praktiken. HistorikerInnen werden an dieser Stelle einwenden, und dies zurecht, dass transkulturelle Verflechtungen auch schon in der frühen Neuzeit stattfanden und, vom Kolonialismus angetrieben, seit den frühen Phasen der Globalisierung nachzuweisen sind. Verändert haben sich seither besonders das Tempo und die Vielgestaltigkeit in der Ausdifferenzierung kultureller Praktiken. Aus diesen Grundannahmen leiten sich dann, noch immer auf der Ebene der Theorie, die Schlüsselkonzepte für den Zugang zu Transkulturalität her: Ungleichheit, Differenz und Emergenz. Mit anderen Worten: die Pro‐ zesse und Strukturen von Transkulturalität sind nun nicht mehr, wie bei Bi-, Multi- und Interkulturalität, differenztheoretisch zu modellieren, sondern sie bedürfen zusätzlich einer emergenztheoretischen Reflexion, um die Seiteneffekte von Verflechtungsbeziehungen, um Unbeabsichtigtes, Unvorhersehbares und neu entstehende kulturelle Formen und Praktiken beschreiben und erklären zu können. Eingebettet ist diese Theorie in eine Geschichte der Wanderung oder auch der Neuerfindung des Konzepts der Transkulturalität, die Gegenstand von Kapitel 3 ist. Ausgehend vom Werk des kubanischen Anthropologen Fernando Ortiz (1940) wandert der Begriff der Transkulturalität durch andere Räume, Zeiten und wissenschaftliche Disziplinen. Seine jeweilige disziplinäre Neuverortung im Laufe der letzten 50 Jahre (vgl. die Synopse in Abschnitt 3.6) drückt dem Konzept in methodischer, gegenständlicher und begrifflicher Hinsicht ihren Stempel auf. Doch bedeutsamer als die damit verbundenen Ausdeutungen und Veränderungen des Konzepts ist jener Aspekt, der auf die Positionierung der Akteure verweist und sich auf den Zusammenhang von Kultur und Individuum bezieht. Mit dem Konzept der Transkulturalität verschiebt sich die „althergebrachte […] Frage, was unterschiedliche Kulturen mit dem Menschen tun, zur neuen Frage, was unterschiedliche Menschen mit der Kultur tun“ (Schulze-Engler 2006, 46). Soweit man bereit ist, die Schlüssigkeit dieser Theorie transkultureller Verflechtungen anzuerkennen, sieht man sich auf einer anderen Ebene als der theoretischen mit mindestens einem gravierenden Problem konfrontiert. Angesichts so hochkomplexer und teils auch schillernder Bezugspunkte 298 Kapitel 6: Entflechtungen von Transkulturalität von Transkulturalität wie Globalisierung, Kultur und kulturelle Verhält‐ nisse, Individuum, Konflikt, Mobilität, Migration usw. und letztlich auch von Verflechtung, stellt sich unabdingbar die Frage, wie Transkulturalität erforscht werden soll und wie sich die Forschung zu Transkulturalität ope‐ rationalisieren lässt. Wie kann es gelingen, von der Beobachtung zunehmen‐ der Verflochtenheit von Gesellschaften und wachsender Kulturalisierung menschlichen Handelns ausgehend, eine Forschungspraxis zu entwickeln, die ihrem Gegenstand angemessen ist? Es ist dies die Frage, die hinter den Kapiteln 4 und 5 steht und die beim Ausarbeiten dieser Kapitel in verschiedenen Zusammenhängen angespro‐ chen wurde. Es sieht ganz danach aus, dass ein Verständnis der wachsenden Komplexität von Verflechtungen am ehesten durch eine analytische Praxis zu erreichen ist, die, um im Bilde zu bleiben, als Entflechtung zu beschreiben ist. Was ‚Entflechtung‘ dabei bedeutet, bedarf der Klärung am jeweiligen Fall. Entflechtung kann dadurch erreicht werden, dass in methodischer Hinsicht verschiedene Ebenen betrachtet werden, z. B. Entflechtung auf der Ebene der Objekte, der Perspektiven oder der Analysepraktiken. Hierbei handelt es sich um Ebenen, die auch Werner/ Zimmermann (2002) im Rah‐ men ihrer „Histoire croisée“ im Auge haben, nur eben, dass deren Anliegen darin besteht, auf diesen Ebenen Verflechtungen und nicht Entflechtungen untersuchen zu wollen. Ein anderes Verständnis von Entflechtung läuft darauf hinaus, das histo‐ rische Gewordensein transkultureller Phänomene im Blick zu behalten. Dies allerdings nicht in einer teleologischen Perspektive, sondern dadurch, dass von heute aus historisch rekonstruierend verfahren wird. Um dies an einem Beispiel zu illustrieren: In Kapitel 5, Abschnitt 5.4 wurde danach gefragt, was es für sprachliche Phänomene und für sprachwissen‐ schaftliche Untersuchungen gegeben hat, bevor überhaupt von Transkultu‐ ralität die Rede war. So kam die Rede speziell auf Kreolisierungsprozesse, die Hugo Schuchardt Ende des 19. Jahrhunderts erforschte, aus denen er die Einsicht ableitete, dass Mischungsprozesse von Sprachen und Kulturen allgegenwärtig sind und immer stattgefunden haben. Die Vorgehensweise in Kapitel 4 basiert ebenfalls auf diesem historisch rekonstruierenden Verfahren. Entflechtung bedeutet hierbei, dass das Trans‐ kulturelle entlang einzelner Konzepte und Forschungsfelder diskutiert wird, beginnend bei Mischung und Hybridität, über Diaspora und diasporische Lesart usw. bis hin zu Translatio und dass sie jeweils in ihrem Wandel dargestellt werden. 299 6.1 Verflechtungen und Entflechtungen Bei den in Kapitel 4 dargestellten Konzepten lassen sich in transkultureller Hinsicht verschiedene Szenarien des Wandels unterscheiden: a. Das Konzept der Mischung steht für genuin transkulturelle Prozesse. Auch ‚migrantisches Schreiben - Literaturen ohne festen Wohnsitz“ wäre hier einzuordnen. b. Das Konzept der Diaspora und seine Ausdeutung als ‚diasporische Lesart‘ steht für die Neukontextualisierung von seit langer Zeit ver‐ wendeten Begriffen. Der Fokus liegt hierbei sowohl auf kulturellen Aneignungsprozessen als auch auf Positionierungsaktivitäten der Ak‐ teure gegenüber herrschenden Praktiken, Normen und Anschauungen. Hier wäre auch das Konzept der Generation einzuordnen. c. Das Konzept der Erinnerung steht für eine Spezifizierung oder auch „Transkulturalisierung“ von allgemeinen Phänomenen und Praktiken, das seine spezifische Ausformung im ‚transkulturellen Erinnern‘ bzw. in ‚Erinnerung in Bewegung‘ erhält. Hierzu gehören auch die über‐ greifend mit Translatio beschriebenen Prozesse des Transfers und der Translation sowie die um das Jahr 2000 eingeführte Spezifizierung von ‚Biographie‘ zu ‚Sprachbiographie‘. Wie schon an anderer Stelle betont, finden in der vorliegenden Darstellung (nur) jene Konzepte Berücksichtigung, die Gegenstand sprach-, literatur- und translationswissenschaftlicher Forschung sind. 6.2 Operationalisierung transkultureller Forschung Der Sinn von Entflechtung besteht darin, transkulturelle Forschung zu operationalisieren. Die nachfolgende synoptische Darstellung unternimmt den Versuch, die Ausführungen theoretischer Art in den Kapiteln 1 und 2 mit den stärker empirisch orientierten Analysen in den Kapiteln 4 und 5 zusammenzuführen und auf diese Weise die verschiedenen Zugänge der Forschung zu Transkulturalität in einer Übersicht abzubilden. Die Synopse berücksichtigt zunächst das in den Abschnitten 1.2 und 2.8 angesprochene Verhältnis von Prozess und Struktur bzw. von Trans‐ kulturation und Transkulturalität. Wie schon erwähnt: wenn sich ‚Trans‐ kulturation‘ auf Prozesse der kulturellen Verflechtung bezieht, referiert Transkulturalität auf den Strukturaspekt dieser Prozesse. Die Liste der Strukturelemente von Transkulturalität, wie sie in Kapitel 4 dargestellt 300 Kapitel 6: Entflechtungen von Transkulturalität wird, ist keinesfalls abgeschlossen. Die Struktur aus Elementen von Trans‐ kulturalität ist offen, und sie ist vor allem in Bewegung, wie dies schon verschiedentlich in den einzelnen Abschnitten zum Ausdruck kam, denken wir nur an „Erinnerung in Bewegung“ oder an „Literaturen ohne festen Wohnsitz“. Die synoptische Darstellung erstreckt sich auf jene Elemente, die in den Abschnitten 4.2 bis 4.8 behandelt wurden. Somit werden die oben im Abschnitt 4.9 nur kurz angesprochenen Konzepte des Kosmopolitismus und der Indigenität nicht berücksichtigt, prinzipiell aber ist die Struktur um diese und andere Elemente erweiterbar. Dass die in diesen Abschnitten diskutier‐ ten Phänomene immer auch sprachlich verfasst sind, wurde entweder direkt im Zusammenhang mit den einzelnen Phänomenen gezeigt oder es ergibt sich indirekt aus den Darlegungen und Analysen in Kapitel 5. In Spalte 1 werden gemäß der Reihenfolge in Kapitel 4 die einzelnen Elemente aufgelistet. In Spalte 2 wird der Versuch unternommen, sowohl die Bedeutung des jeweiligen Elements innerhalb der Struktur von Transkultu‐ ralität zu benennen als auch auf dessen Beziehung zu anderen Elementen der Struktur hinzuweisen. Mit der dritten Spalte erfolgt eine Situierung der Phänomene, die mit dem jeweiligen Konzept gefasst werden, auf der empirischen Ebene transkultureller Prozesse. Die vierte Spalte verweist auf die theoretische Einbettung der Konzepte, dies gegebenenfalls auch unter Verweis auf verwandte Konzepte. Die fünfte Spalte schließlich greift die in Kapitel 2 im Zusammenhang mit der Bestimmung von Transkulturali‐ tät dargestellten kulturtheoretischen Schlüsselkonzepte der ‚Ungleichheit‘, ‚Differenz‘ und ‚Emergenz‘ auf, um zu zeigen, wie sich das jeweilige Element zu Aspekten von Ungleichheit, Differenz und Emergenz verhält. 301 6.2 Operationalisierung transkultureller Forschung Element Struktur von Transkul‐ turalität Empirische Ebene der Pro‐ zesse, Phänomene Theoretische Ebene Verhältnis zu Ungleichheit, Differenz, Emergenz Mischung, Hybridität Mischung als allgegen‐ wärtiges, nicht selten umkämpftes und kon‐ fliktives Muster im Zuge von Kontakt; bildet innerhalb der Strukturelemente den Gegenpol zu Translatio. Mischung kultureller Formen und Praktiken ist allgegen‐ wärtig; als nicht selten um‐ kämpfter, konfliktiver Nor‐ malfall steht sie im Gegensatz zu Homogenität und zu De‐ markation. Hybridität, Hybridisie‐ rung. Weitere Konzepte: mé‐ tissage, créolité, Synkre‐ tismus, double voicing, Multi-Sprech, crossing u.a. Spiegelt sozioökonomische Ungleichheit von Lebensfor‐ men und kulturellen Prakti‐ ken; verweist auf Verhand‐ lung von Grenzen und Arrangements der AkteurIn‐ nen. Ausdruck von Differenz und Heterogenität. Mischungsprozesse als Auslö‐ ser für die Entstehung neuer kultureller Formen und Prak‐ tiken. Diaspora, diaspori‐ sche Les‐ art Diaspora steht als spe‐ zieller Fall von Migra‐ tion für allgemeine Pro‐ zesse der Migration; ansonsten ist Migration eine Konstituente aller der hier dargestellten Elemente. Diasporische Lesart als Verfahren der Perspek‐ tivenumkehr. Migration ist zusammen mit Mobilität Motor von Trans‐ kulturalität. Diaspora als spe‐ zieller Fall steht für das Ma‐ nagement von Grenzregimes zwischen Gruppen/ Kulturen. Diasporische Lesart als Per‐ spektivumkehr lenkt den Blick auf Brüche in den Bio‐ grafien, auf Konflikte zwi‐ schen hierarchisierten kultu‐ rellen Praktiken und auf Strategien der AkteurInnen zur Subversion, Transforma‐ tion und Hybridisierung. Die Erweiterung des Konzepts von Diaspora und Diasporisierung zu diasporischer Lesart. Erfahrung von Ungleichheit durch Marginalisierung und Ausgrenzung im Kontext von Flucht, Vertreibung und, allge‐ meiner, von Migration. Markierung von Differenz (u. a. durch Komik) als indivi‐ duelle Strategie im Umgang mit Praktiken des Ausschlus‐ ses seitens der Mehrheitsge‐ sellschaft. Emergenz von sprachlichen Mischformen und Prozessen der Kreolisierung. 302 Kapitel 6: Entflechtungen von Transkulturalität Element Struktur von Transkul‐ turalität Empirische Ebene der Pro‐ zesse, Phänomene Theoretische Ebene Verhältnis zu Ungleichheit, Differenz, Emergenz Erinne‐ rung in Bewegung Erinnerung und Ge‐ dächtnis als kul‐ turstrukturierendes kollektives und indivi‐ duelles Phänomen der Reflexion von Wandel‐ prozessen. Enger Zu‐ sammenhang mit Dia‐ spora und konstitutiv auch für die beiden fol‐ genden Konzepte. Positionierungsaktivität in Bezug auf Erlebtes und Erfah‐ renes im Spannungsfeld von Erinnern und Vergessen, von individueller und kollektiver, lokaler und transarealer Di‐ mension. Wachsende Bedeutung digi‐ taler Medien, in welchen Erinnerungen geformt, ge‐ speichert, archiviert und verfügbar gehalten werden. Häufiges Motiv und Projekti‐ onsfläche in literarischen und filmischen Werken, auch im Zusammenhang mit Genera‐ tion. Memory studies, trans‐ kulturelles Gedächtnis. Transkulturelles Erinnern als Möglichkeit der Überwindung von Ungleichheiten (race, class, gender) in hegemonial geprägten Erinnerungskultu‐ ren. Mobilisierung und Trans‐ zendierung herkömmlicher Gedächtnisrahmen durch Multi-Skalarität von Erinne‐ rungen. Herausbildung neuer Formen globaler Verantwortung unter Bezug auf universelle Sym‐ bole. Migranti‐ sches Schreiben Zentral für literatur‐ wissenschaftlichen Zu‐ griff auf Transkulturali‐ tät; befasst sich mit Migran‐ tInnen als LiteratInnen und LiteratInnen als MigrantInnen und ih‐ ren Sichtweisen auf eine Welt in Bewegung. Literatur, die nicht territorial fixiert ist und deren Auto‐ rInnen sich nicht auf eine Sprache festlegen lassen; äs‐ thetisch geformte Auseinan‐ dersetzung schreibender Indi‐ viduen mit Erfahrungen der Migration, der kulturellen Dif‐ ferenz und Ungleichheit; Ent‐ wurf sozialer Utopien. Literaturen ohne festen Wohnsitz (Ette); écri‐ ture croisée; Kosmopoli‐ tisierung der literari‐ schen Produktion. Ungleichheit in den sozialen und sprachlichen Ressourcen der AkteurInnen. Auseinan‐ dersetzungen mit den von der Mehrheitsgesellschaft erzeug‐ ten Vorstellungen von Norma‐ lität und legitimer Sprache. Herausbildung von Techniken oszillierender Spiegel. 303 6.2 Operationalisierung transkultureller Forschung Element Struktur von Transkul‐ turalität Empirische Ebene der Pro‐ zesse, Phänomene Theoretische Ebene Verhältnis zu Ungleichheit, Differenz, Emergenz Sprach‐ biografie Zentral für sprachwis‐ senschaftlichen Zugriff auf Transkulturalität. Enger Zusammenhang mit allen anderen Ele‐ menten und mit Prozes‐ sen der Individuation und Sozialisation. Narrative/ erinnerende Re‐ konstruktion von sprachbio‐ grafisch relevanten Ereignis‐ sen und Erfahrungen; Selbstvergewisserung bezüg‐ lich der sprachlichen Ressour‐ cen im Zuge von Mobilität und Migration. Erforschung von sprachlichen Reper‐ toires, Sprachausbau und Sprachkonflikten. Sprachbiografie auch als Methode kulturpo‐ litischer, didaktischer und sprachwissen‐ schaftlicher Forschung. Sprachbiographie als Form der Auseinandersetzung mit gelebter Geschichte und mit Erfahrungen der Ungleich‐ heit, Ausgrenzung, Abwer‐ tung sprachlicher Ressourcen. Eröffnet Zugriff auf Prozesse der Individuation. Genera‐ tion Generation referiert auf die zeitliche Dimension des Wandels kulturel‐ ler Praktiken: vertikal als Auseinandersetzung um Tradierung, hori‐ zontal als Auseinander‐ setzung um Identifika‐ tionsmuster innerhalb und zwischen Altersko‐ horten. Enger Zusammenhang mit Sprachbiographie und Erinnerung in Be‐ wegung. Diskursiv konstruiertes Ord‐ nungskonzept von zeitlich bestimmten Kohorten in der Auseinandersetzung über Tradierung, Reichweite oder Verwerfung von kulturellen Praktiken, Erfahrungen, Wer‐ ten und Anschauungen. Von zentraler Bedeutung für die Spannungen zwischen den Erfahrungswelten und kultu‐ rellen Praktiken von Eltern und Kindern und den jeweili‐ gen Peers in Situationen der Migration. Traumaforschung; Drei-Generatio‐ nen-Modell und dessen sozioökonomi‐ sche, sozialpsycholo‐ gische und konfliktthe‐ oretische Fundierung; Literaturwissenschaft. Ungleichheiten im sozioöko‐ nomischen und symbolischen Kapital und den sozialen Er‐ fahrungen zwischen den Ge‐ nerationen und je nach Grad der Modernisierung auch in der symbolischen Macht/ Au‐ torität. Besonders im Migra‐ tionskontext kulturelle Dif‐ ferenzen im Habitus der Individuen und in den Ar‐ rangements mit den familiä‐ ren und den gesellschaftlichen Bindungen. Translatio Strategien und Techni‐ ken der Vermittlung, Weitergabe und Verar‐ beitung von Wissen Kontrollierter Kontakt zwi‐ schen Kulturen und bewusste Wahrnehmung der Grenzen im kulturellen Verstehen; Translationswissen‐ schaft; Kulturtransfer‐ forschung. Weitere Konzepte: Ungleichheit in den symboli‐ schen Formen und Machtge‐ fälle zwischen den Kulturen 304 Kapitel 6: Entflechtungen von Transkulturalität Element Struktur von Transkul‐ turalität Empirische Ebene der Pro‐ zesse, Phänomene Theoretische Ebene Verhältnis zu Ungleichheit, Differenz, Emergenz und kulturellen Diffe‐ renzen. Gegenpol zu Hybridi‐ tät. (meist) professionalisierte Auseinandersetzung mit Dif‐ ferenzen im Hinblick auf Ver‐ mittlung von Wissen für das Verstehen in der Zielkultur. Prozesse und Formen des Transfers und der Translation von Wissen, Macht und Ein‐ fluss zwischen Kulturen. Histoire croisée; entang‐ led history. und den am Translationspro‐ zess beteiligten Akteuren. Steht für kontrollierten und professionalisierten Umgang mit kultureller Differenz. Herstellen von Formen der wechselseitigen Verstän‐ digung der Akteure. Tab. 6.1: Synopse zur Operationalisierung transkultureller Forschung 305 6.2 Operationalisierung transkultureller Forschung Literaturverzeichnis Acheraïou, Amar (2011): Questioning Hybridity, Postcolonialism and Globalization. New York [u. a.]: Palgrave Macmillan Ackermann, Andreas (2012): Cultural Hybridity: Between Metaphor and Empiri‐ cism. In: Stockhammer, Philipp (Hrsg.): Conceptualizing cultural hybridization. A transdisciplinary approach. Berlin [u. a.]: Springer, 5-25 Agard, John (1985): Mangoes and Bullets, London: Serpent’s Tail Allen, Chadwick (2012): Transindigenous: Methodologies for Global Native Literary Studies. Minneapolis: University of Minnesota Press AmkA (2007): mitSprache. Deutsch als Zweitsprache, Mehrsprachigkeit. Elternar‐ beit. Lehrerfortbildung. Frankfurt am Main: Stadt Frankfurt am Main. Amt für multikulturelle Angelegenheiten AmkA (2009): 20 Jahre AmkA 1989-2009. Frankfurt am Main: Stadt Frankfurt am Main. 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AnalphabetInnen 242 Aneignung 18, 27, 101f., 125, 174, 176, 193, 201, 224, 291, 300 Anglo-Homogenisierung 72 Angola 230 Anthropologie/ anthropologisch 27, 30, 34, 36, 38, 46, 101f., 106-114, 123, 212, 217, 232 Antillen 244 Antisemistismus/ anitsemitisch 171, 248 Apartheit 100 Äquatorialguinea 230 Arabisch/ arabisch 166f., 241 Hocharabisch, klassisches, dia‐ lektales Arabisch 165, 198, 229f., 240, 270, 277 Arbeit 14, 27, 67, 70, 72, 149f., 170, 190f., 196, 230, 245, 252, 254, 289f. Arbeitswissenschaften 27 Armut 19, 81-83 Arrangement 37, 75, 147, 176, 190, 251, 259, 281, 302, 304 Asien 47, 60, 107, 242, 250, 280 Attrition 100, 229 Ausbau sprachlicher 187, 198, 223, 225f., 228-230, 238-240, 249-252, 259, 280ff., 294f. Aushandlung 26, 29, 37, 56ff., 69, 97, 148, 195, 285 Autobiografie 164, 181 autochthone Völker 169 Auto-Odi, auch Selbsthass 235 Bahnhofsviertel 13-17, 19f., 22f. Balkanstaaten 60 Belgien 42ff., 58, 75, 83 Bikulturalismus, Bikulturalität 30, 39, 44, 58, 60f., 80, 95 Bildung 27, 46, 53, 82f., 129f., 168, 178, 233, 251, 253, 282 Bildungsforschung 66 Bildungsungleichheit 81, 83 Biografie, Autobiografie, siehe auch Sprachbiografie 152 Border Studies 86 British Columbia 70, 250, 267, 279, 285 Bruch, Brüche, gesellschaftliche/ r - 71, 100, 124, 155, 183, 189, 193, 228f., 250, 253, 258f., 283f., 302 Brüssel 43f., 108 Bukowina 142 Chiac 137-141 China 30, 47, 60, 121 Christianisierung 38, 72 Cocoliche 140 Codemixing 261, 293 Codeswitching 217, 261, 287, 293, 296 Commonwealth 59, 185 Crossing 261, 302 Dekolonialisierung 38 Dekonstruktion 52, 67, 76 Demarkation 86, 124, 302 Denkmalpflege 27, 133 Deutsch 9, 18f., 22, 35, 100, 150, 154, 169, 172-175, 178, 201, 214, 222, 227, 238, 241, 245, 247, 249, 286, 290, 292, 294 Deutschland 18, 21, 31, 34, 59f., 66, 88, 98, 108, 123, 129, 141, 143, 157, 162, 169ff., 186, 195, 202, 238, 242, 292 Dialekt/ dialektal 43, 79, 197, 228, 230, 235, 291 Diaspora 31, 38, 69, 89f., 101, 114, 129, 133, 135, 145-151, 153, 155, 164, 167, 207, 213, 220, 249, 265, 286f., 299f., 302f. jüdische 248 Diasporaforschung 145, 147 diasporische Lesart 101, 133, 135, 145, 155, 299f., 302 Diasporisierung 151, 302 Differenz 24, 28f., 39f., 49, 51, 67f., 76, 79f., 85, 87, 89, 91, 97, 102, 150, 154, 188, 195, 199, 204, 219, 221, 241, 260, 298, 302f., 305 Differenzierung 80, 87, 89, 260, 277 soziale 80 Differenztheorie/ differenztheore‐ tisch 29, 31, 40, 91f., 94f., 99, 102, 149, 288, 300 Digitalisierung 33, 47, 103, 161 Diskriminierung 42, 44, 62, 65, 71, 83f., 98, 116 Diskurs 49, 65, 68, 76, 106, 115f., 124, 142, 198, 231 Diskurstheorie 57, 232 Distinktion 24, 26, 29, 49, 51, 56, 97, 102, 252 Diversität 88 kulturelle 13, 17, 22, 24, 32, 61f., 64, 66, 69 sprachliche 18, 23, 83, 249 Dolmetschen 194f., 197, 203f. Drei-Generationen-Modell 186ff., 304 eine Sprache-eine Person/ une personne-une langue/ one per‐ son-one language 247f. Einsprachigkeit 50, 62, 116, 125, 139, 174, 178, 182, 186, 191, 220, 225, 229, 231, 236, 239f., 283f., 287, 291 349 Register institutionelle 43, 252, 278 Einwanderung 107 Elsass 142 Emergenz 24, 27f., 31, 40, 42, 92-96, 218f., 298, 301f. Emergenztheorie/ emergenztheore‐ tisch 29, 31, 40, 93-95., 99, 102, 286, 288, 298-300 Emotion/ emotional 52, 71, 104, 154, 173, 235, 270, 272, 280 Englisch 9, 19, 62, 70f., 96, 115, 125, 138, 140, 154, 216, 222, 230, 238, 240, 245, 257, 260, 262, 266, 270, 273, 276-281, 284, 294 Entflechtung 299f. Entkolonialisierung 90 Entwurzelung 90 Erfahrung sprachliche - 87, 90, 153, 176, 223, 225, 233ff., 284, 289, 302 Erinnern 156-159, 162f., 284, 300, 303 Erinnerung, - in Bewegung 133, 135, 156-165, 183, 185, 207f., 284, 286f., 300f., 304f. Erosion 28f., 75, 91, 101, 131, 142, 284, 297 Erreichbarkeit 189, 265 Erstsprache 100, 192, 237, 259, 268, 270, 280 Erziehung 53, 67, 70, 72f., 118, 247f., 282, 286 Erziehungswissenschaften 27, 30, 34, 118, 212 Essentialisierung/ essentialistisch 57, 77, 90, 115 Ethnie 26, 49, 89, 150, 158 Ethnologie 27, 30, 34, 36, 38, 46, 48, 56, 101, 108f., 118f., 125, 212 Ethnomethodologie 217, 232 Ethnoökonomie 16, 22f., 297 Europa 65, 107, 110, 165, 168, 186, 188, 195, 238, 291 Europäisches Sprachenportfolio 179 Exil 164, 167, 248 Exilliteratur 166f. Familiensprache 226, 253, 268, 278 Feld, Feldtheorie 34, 39, 41, 65f., 97f., 133, 150f., 192, 196, 205, 214f., 218, 232, 292 Flandern 43 Flucht 16, 37, 104, 234, 302 Fossilisierung 100 Francophonie/ Frankophonie 59, 138 Frankfurt am Main 9f., 13, 15ff., 19ff., 25, 31-34, 58, 169, 286 Frankfurter Weg 14, 17 Frankreich 31, 34, 37, 59, 65f., 72, 75, 103, 106, 108, 138, 156, 158f., 163f., 166, 168f., 172, 181, 188, 195, 201f., 233f., 242, 247, 267 Französisch 9, 22, 43, 62, 70f., 115f., 125, 138, 140, 172-175, 177, 194, 204, 227, 230, 235, 240f., 245, 247, 260, 267f., 270, 273, 275-282, 284, 290 Französische Revolution 54 Gagausien 251f., 257, 265, 283 Gagausisch 261f., 265 Galizien 142 Gebärdensprache 191f., 195, 203, 228 Gebrauchsbasiertheit, gebrauchsba‐ siert, usage-based 223, 236 350 Register Gedächtnis 156ff., 163f., 172, 303 episodisches 158 kulturelles 27, 156, 159, 162 Kurzzeit- 158 Langzeit- 158 transkulturelles 135, 303 Gedächtnisort 158f. Gedächtnisrahmen 160, 303 Geflüchtete 16 Gemeinsamer Europäischer Refe‐ renzrahmen für Sprachen (GeR) 239 Gender 84, 87, 89, 158, 217f., 233 Gender Studies, Genderforschung 27, 30, 87 Generation 31, 73, 82, 101, 133, 135, 155, 158, 166, 168, 174, 183-190, 193, 220, 286, 300, 303f. dritte - 185, 187 zweite - 184, 186ff. Generative Grammatik/ Universal‐ grammatik 212, 216, 223f., 296 Genozid, kultureller 40, 47, 70ff., 100, 156, 162 Geschichtswissenschaft 25, 101, 119, 143, 157, 177, 201 Geschlecht 65, 84f., 158, 217, 232f. Geschlechtergerechtigkeit 85 Gesellschaft 24, 28, 40f., 44-48, 50, 52f., 57f., 62f., 65, 69, 75, 79, 81, 83, 90, 97, 107, 116, 122-125, 134, 155, 190, 207, 243, 250, 253, 281, 284, 290 Gesellschaftstheorie 27 Gesundheits- und Pflegewissen‐ schaften 27 Gewalt 71, 75, 151, 184 symbolische - 87, 89, 95, 130 Ghettoisierung 100 Gleichheit 24, 42, 80 Globalisierung 25, 27-30, 51, 67, 75, 79, 91, 102f., 110, 114, 121, 123ff., 129ff., 142, 150, 159, 166, 201, 233, 297, 299 Globalisierung von oben 23 Globalisierung von unten 23, 129 Glokalisierung 129 Glottonymstreit 253, 265 Grafie 252, 260, 262 Graubünden 249 Grenzauflösung 148 Grenze(n) 28f., 42, 55f., 73, 75f., 85- 91, 101, 127ff., 134, 138, 142f., 146, 148, 157, 173, 194, 201, 204, 225f., 243, 284, 287, 293, 297, 302, 304 Grenzerhalt 146, 148 Griechisch 21, 198, 270, 277 Großbritannien 59, 62, 65, 103, 114, 151, 163, 168, 183, 185, 188, 202, 238, 242, 294 Gruppe 26, 45f., 53, 93, 97, 150, 159, 185, 207, 216f., 260 Habitus 27, 49, 56, 87, 153, 196, 304 Haiti 60 Handeln 26, 66, 94, 99, 155, 158, 173, 194, 196, 223, 225, 230-233, 289 politisches - 27, 59, 98f. Handlung 94, 156, 197, 230 Herkunftssprachen 18, 66, 100, 168, 186-188, 282 Herrschaft 50, 54, 69, 85, 130, 297 Herrschaftsdiskurs 140 Herrschaftsformen 124 Herrschaftsverhältnisse 32, 81, 87 351 Register Heterogenität 24, 26, 29, 49, 51, 68, 102, 124, 143, 160, 238, 249, 302 Hierarchie(n) 37, 69, 138, 239 Histoire croisée 299, 305 Hochkultur 48f. Holocaust 156, 159f., 163, 184 Homogenität 24, 28f., 49, 51, 76, 88, 102, 120, 284, 302 Hugenotten 37f., 168, 203 Hybridisierung 124, 136, 141ff., 145, 151, 155, 185, 293, 302 Hybridität 30f., 51, 89, 101, 133-138, 140-144, 148, 286f., 298f., 302, 305 Hyperkultur(alität) 77, 98 Identifikation 42, 54, 90, 143, 189, 252 Identität 24, 89f., 124, 146, 148f., 166, 181f. kollektive 108, 117, 124 kulturelle 46, 90, 117, 142 sprachliche 65 Imago 43, 50, 70, 251, 287 Imitation 155, 224 Immersion, reziproke, two-way-im‐ mersion 279, 286, 294 Individualisierung 91, 131 Individuation, -sprozesse 182, 251, 304 Individuum, Individuen 25, 29, 37, 42, 44, 52, 66, 69, 79, 93f., 97, 101f., 104, 114, 119, 124, 135, 140, 159, 172, 182, 184, 191, 228, 233f., 236, 265, 284f., 288f., 292, 294, 298f., 303f. Industriekapitalismus 75 Integration 22, 55, 62, 76, 82, 84, 130, 182, 187f., 220 Integrationspolitik 19 Interaktion 26, 33, 51f., 66f., 86, 94, 102, 142, 144, 159, 181, 197, 217f., 221, 224, 226, 231, 233f., 277, 288 Interaktionslinguistik 213 Interkomprehension 247, 280, 292 Interkulturalismus 63f., 66 Interkulturalität 29ff., 39f., 58, 63-69, 72, 74, 80, 90, 95, 98f., 102, 106, 115, 117, 120, 123, 125, 221, 288, 297f. Internet 29f., 32, 102f., 127, 137, 151, 161f., 189, 192, 206, 233, 255 Intersubjektivität 93, 95 Inuit 60, 70 Italien 59f., 108, 168f., 187, 190, 252 Italienisch 22, 115, 125, 190, 235, 238, 241, 245, 277, 280, 286, 294 Italiese, Italianese 140 Jiddisch 177, 249, 290 Judaistik 248f. Jugoslawien 51, 152, 168 Kanada/ Canada 31, 38f., 43, 47, 58- 66, 70-74, 83, 98, 106, 114f., 117, 123, 126, 138, 140, 156, 163, 168, 184, 186, 251, 279 Kanak Sprak 141 Karibik 60, 168 Kategorie, Kategorisierung 75, 84f., 129, 160, 162, 167, 182, 221 KatholikInnen 43, 65 Kirche 47 anglikanische 72 katholische 60f. protestantische 285 Klasse, -nverhältnisse 50, 54, 63, 75f., 78, 80, 85f., 160, 188, 297 Klimawandel 47, 232 352 Register Kolonialismus 38, 60, 65, 85, 90, 106f., 109, 111, 121f., 124, 142, 150, 160, 194, 232, 244, 283, 298 belgischer -, französischer - , britischer - 43, 71, 90, 108, 111, 114 Kommodifikation, Kommodifizie‐ rung, Kommodifzierbarkeit 78f., 91 Kommunaldolmetschen 204 Kommunikation 35, 39, 46, 66f., 79, 97, 103, 106, 128, 154, 159, 172f., 189, 196f., 204, 211, 217f., 220, 224, 228, 233, 253f., 258, 262, 264, 291 institutionelle 226 Kommunikationswissenschaft 35 Kompetenz, -en 173, 217, 239, 291f. Konflikt 30, 39ff., 44, 52, 58, 63, 71, 74, 78, 81, 87, 99, 104, 123, 130f., 134, 141, 150, 155, 170, 174, 177, 182f., 187, 199f., 219, 228, 232, 251, 253, 282, 288, 299, 302 Konfliktforschung 28, 41 Konfliktmanagement 31, 37, 39, 44, 46, 53, 58, 61, 74, 80, 85, 95, 97f., 124, 221, 297 Konflikttheorie/ konflikttheoretisch 41f., 304 Konföderation, kanadische 63 Konstruktionsgrammatik 96, 232, 236 Konstruktivismus/ konstruktivis‐ tisch 50, 52f., 97f. Kontakt 23, 26, 29, 38, 40f., 52, 66, 86, 99ff., 103, 108, 111, 113, 124, 133f., 136, 140, 143, 150, 160, 173, 183, 198, 208, 212f., 226, 243f., 248f., 261, 286, 288, 304 Kontaktlinguistik 41, 113, 213, 220293 Kontaktzone 112, 124f. Konzeptualisierung 118, 199 Kooperation 10, 34, 224, 231, 251, 292 Koreanisch 270, 277 Kosmopolitisierung 28, 160f., 207, 303 Kosmopolitismus 31, 129, 147, 171, 207, 286, 301 Kreol, -sprache 113, 168, 243f. Kreolisierung 90, 124f., 148, 151, 155, 243, 302 Kreolisierungsprozesse 299 Kreolistik 213, 243f. Kroatisch 229 Kuba 106ff., 110, 114f., 123f., 164 Kultur 10, 21, 25-30, 37ff., 43-58, 62- 65, 74ff., 78, 81, 85f., 89, 97f., 108f., 111, 118-121, 123, 125, 157, 197f., 201, 211-218, 220f., 235, 246-249, 252, 289, 297ff. Kulturalisierung 40, 49, 76ff., 91, 122, 125, 130f., 299 Kulturalität 10, 74, 76, 133, 195f., 211, 220f. Kulturkontakt 100, 120 Kulturphilosophie 38 Kulturpolitik 39, 45f., 50, 54f., 58 Kulturtransfer 31, 112, 144, 193, 201f. Kulturwissenschaft 34, 46, 48, 157, 212, 220 Langue des signes française 194 Legitimation 55, 178, 282 Lernersprache 154 Linguistik, siehe auch Sprachwis‐ senschaft 205, 212, 215, 217, 223 353 Register Literaturen ohne festen Wohnsitz 162, 164, 166f., 169, 171, 179, 207, 300f., 303 Literaturwissenschaft 34, 106, 110f., 116, 123, 157, 166, 185, 195, 304 Macht, -verhältnisse 27, 29, 32, 47, 50, 54, 57, 69, 81, 83ff., 87, 94f., 101, 103, 116, 122, 134, 150, 182, 185, 196, 198, 232, 284, 297, 304f. Maghreb 60, 165, 230 Majorisierung 42, 66, 288 Maori-Literatur 185, 207 Mediation 27, 288 Mediator 235 Mediävistik 143 Medienwissenschaft 157 Mehrheit, -sgesellschaft 39, 65f., 71, 75, 83, 126, 146ff., 170, 194, 253, 280, 282, 285, 290, 295, 302f. Mehrschriftigkeit 213, 223, 236f., 239f., 261, 273, 280, 282f., 285f. Mehrsprachigkeit 17, 84, 125, 139f., 166f., 174, 177f., 183, 186, 220f., 223, 225, 229, 231, 233, 236-241, 249ff., 261, 265, 277, 288-291 Memory Studies 32, 286 Migration 24, 26f., 29ff., 38, 54f., 66, 68, 98, 100f., 107ff., 122ff., 128, 131, 133, 135, 140f., 145, 150, 153, 167ff., 177, 186ff., 208, 220f., 228, 252, 281, 283f., 288, 291, 302-304 Arbeits-, Bildungs-, Heirats-, Pendel- 21, 167-169, 183-188 Migrationsbiografie 13, 17f., 177 Migrationsforschung 27f., 37, 101, 129, 187 Migrationslinguistik 213 Milieu 49, 135, 139f., 234 Minderheit, -en 39, 42f., 55, 62f., 65f., 74f., 83, 117, 123, 154, 251f., 278f., 282 anglophone - 281 armenische - 246 bulgarische - 251 deutschsprachige - 43 ethnische - 75 frankophone - 60, 64, 66, 268ff., 280f. hispanophone - 297 indigene - 41, 55, 60, 64, 70f., 100, 246, 251, 267, 279, 281 italienische - 117, 123 religiöse - 55 sichtbare - 55 Minderheitensprachen 138, 195, 199f., 233f., 238, 253, 279, 291, 294 Minorisierung 42, 66, 288 Mischung 29, 31, 66, 101, 124, 134ff., 138, 140, 142f., 212f., 243, 284, 299f., 302 Mischvarietät 138, 140f. Missionierung 38, 72, 194 Mitchif 140 Mittelschicht 131 Mittel- und Südamerika 60, 115, 280 Mobilisierung 22, 37, 58, 140, 146, 162, 303 Mobilität 23f., 29f., 38, 98, 101, 103f., 114, 124, 128f., 133, 135, 157, 162f., 166, 173, 177, 182, 186, 189, 212, 221, 233, 252f., 281, 284, 286, 288f., 291, 296f., 299, 304-306 Modernisierung 24, 198, 304 Modernisierungsschub 37 354 Register Moldau, Republik Moldau, Moldova 31, 189f., 250f., 253f., 260, 265, 277, 282, 285 Moldauisch 253f., 259, 262, 264 Moncton 137ff. Mozambique 230 Multikulturalismus 27, 31, 39, 44, 59, 62-65, 69f., 72, 74, 80, 98, 115, 117, 120, 123, 125, 288 Multikulturalität 39, 51, 60, 67, 95, 115 Multi-Skalarität 160f., 303 Mündlichkeit 225, 231, 237, 288 Musikwissenschaft 27, 30 Muttersprache 113, 152, 170, 172f., 228, 267, 280 Nation 26, 49f., 55, 65, 74, 76, 89, 120, 123, 129, 150, 159, 161, 247 kubanische - 107f. Willens- 50 Nationalismus 51, 63, 77, 98, 139, 143 methodologischer - 28 Nationalstaat 39, 50, 54, 79, 83, 97, 129, 131, 183, 251, 292, 297 Neoliberalismus 30, 98 Netzwerk 11, 47, 120, 202, 208f., 238 Neubelgien 43 Neu-Frankreich/ la Nouvelle-France 59, 72 Neuseeland 74, 185, 207, 242 Nordamerika 64, 74, 106, 133, 159, 199 Nouchi 140f. Nouveau-Brunswick/ New Bruns‐ wick 59, 138f. Oka-Krise 71 Okanagan Nation 73 Ontario 59, 114 Orientierung 38, 115, 146, 161, 177, 220, 292 sexuelle 65 Orthografiewissen 276f. Österreich, Österreich-Ungarn 172, 177, 181, 245 Ozeanien 47 Pädagogik 113, 130 interkulturelle - 66-69, 157 Patchwork-Identitäten 119 Philosophie 27, 30, 92f., 123, 198, 212 Pidgin 113, 243 Pidginsprache 125 Polen 34, 60, 96, 163, 282 Politik 28, 34, 39, 44, 53, 55, 57, 61-64, 69, 72, 99, 115f., 131, 157 Politikwissenschaft 27f., 30, 75, 178 Populärkultur 141 Populismus 232 Portugal 60, 103, 114, 168 Portugiesisch 140 Portuñol, Fronterizo 140 Postkolonialismus, -forschung 107, 111, 121 Pragmatik 232 funktionale 232 Prestige 81 Protestanten/ protestantisch 43, 65 Psychologie 27, 75, 157, 169, 175, 212 Québec/ Quebec 59ff., 63-66, 71f., 74, 98, 106, 114f., 117, 123, 125, 251, 267f., 278, 283 Querung 116, 166 355 Register Rassismus 64f., 170f., 232 Referendum über die Unabhängig‐ keit in Québec 115 Register 226, 228f., 284 formelles 191, 226, 228ff., 254, 264, 272, 278, 280ff. informelles 226, 229, 264 intimes 226, 228f. schriftsprachliches 226, 280, 283, 294 sprachliches 228f., 239, 248 Registerausbau 230, 239 Reichweite 10, 39, 49, 79, 98, 116, 128, 135, 189, 201, 260, 265, 285, 304 Religionswissenschaft 27 Restrukturierung 265 sprachlicher Repertoires 213, 228f., 249f., 252, 265f., 283, 285- 288, 296 Ruanda 55, 183 Rumänien 172, 181, 245, 251f. Rumänisch 139, 172f., 190, 253ff., 257, 259, 261ff., 273, 275-278, 280, 283, 285 Russisch 139, 177, 253ff., 257, 259, 261-264, 283, 285, 290 Russland 108, 163, 202, 251 Saskatchewan 140, 266 Schließung, Prozess der sozialen - 28, 56, 77f., 220 Schreiben, Schreibung 31, 73, 133, 152, 166, 169, 174, 183, 230, 237, 239ff., 252, 259f., 270, 276-280, 294f., 300, 303 Schreiben, migrantisches 23, 83 Schriftdeutsch 230 schriftlose Kultur, -en 214 Schriftsystem 242, 253 Schrumpfung des Raums 25 Schulbücher 70ff. Schweiz 50, 152f., 187, 229, 248 Sedimentierung 96 Segregation 100, 188 Shoa 55, 100, 185 Siebenbürgen 245f. Sowjetunion 30, 51, 121, 228, 250, 252, 265, 283 Soziogenese, soziogenetisch 224, 231, 289 Soziolinguistik 11, 216, 232 Soziologie 27f., 30, 38, 46, 56, 91, 93, 129, 157, 177, 196, 207, 212 Spanglish 140 Spanisch 9, 19, 125, 140, 230, 238, 273, 277f., 280, 294 Spatial turn 107, 127f. Spätkapitalismus 29f., 40, 72, 74-78, 91, 97f., 102, 110, 122, 125, 297 Sprachausbau 42, 100, 174, 229f., 237ff., 277f., 286, 289, 304 Sprachbewusstsein 42 Sprachbiografie 101, 133, 135, 172- 176, 179, 181, 189, 207, 223, 235, 265, 286, 304 Sprachdidaktik 179, 221, 292 Sprache anzestrale 73 offizielle 43, 50, 62, 66, 115, 238, 252f., 267f. Spracheinstellung 174 Sprachgrenze 43f., 138 Sprachkontakt 41f., 125, 220, 248f., 261, 282, 286 Sprachkontaktforschung 296, siehe Kontaktlinguistik 356 Register Sprachkultur 48, 214 Sprachloyalität 42 Sprachmischung 141, 243, 278, 281 Sprachpolitik 95, 179, 182, 221, 233, 251, 281 Sprachstruktur 225 Sprachtheorie 216, 223, 232 Sprachverschiedenheit 222, 225, 243 Sprachwandel 95 Sprachwissenschaft 53, 96, 100, 113, 184, 188, 193, 195, 212-215, 218, 220, 236, 242f., 248, 287f., 290, siehe Linguistik Sprechakt, Sprechakttheorie 231 Staat 42, 50, 54, 57, 59ff., 74, 250f., 254, 285 Staatsbürgerschaft 54, 63, 149, 181, 188 Stille Revolution 60f. Südostasien 142 Superdiversität 227, 298 Syilx 73f. Synkretismus 148, 151, 302 Teil-Ganzes-Beziehungen 92 Territorialitätsprinzip 44, 50 Territorium 51, 72, 127, 169 Theologie 34ff., 113 Theorie der unsichtbaren Hand 95f. Transfer 128, 135, 137, 176, 193, 201f., 204, 277f., 280ff., 285 Transferwissen 238 Transgender 127 Transgenerationalität 186 Translanguaging 261, 294ff. Translatio 31, 101, 133, 135, 163, 191ff., 195, 200, 203f., 246, 286f., 299f., 302, 304 translatio imperii 192 translatio studii 192 Translation 135, 193, 195ff., 200, 203ff., 287f., 300, 305 Translationswissenschaft 27, 101, 192, 195ff., 199, 204ff., 286, 304 Transmedialität 127 Transmigration 188 transnationale Migration 22, 76, 91, 129, 183, 185, 187, 207, 283 Transnationalismus 127ff. Transregionalität 127 Transstaatlichkeit 127 Trauma 184 Türkisch 22, 165, 229 Überlieferung 193 Übersetzen 195f., 199, 204 Übersetzung 27, 29, 31, 165, 193, 196-201, 205f., 218, 245f., 262, 284, 286 maschinelle 205f. Übersetzungswissenschaft 199 Ukraine 60, 141, 251 UNESCO 39, 45, 48ff., 52f., 55f., 76, 237, 242 Ungarn, Königreich Ungarn 245f. Ungleichheit 24, 31, 40, 80-85, 99, 298, 302-305 Bildungs- 82f. sozioökonomische 40, 54, 57, 81ff., 104, 130f. sprachliche 83ff. Universalgrammatik 212, 216, 223f., siehe Generative Grammatik Unterrichtssprache 268 Ureinwohner 60, 216 Uruguay 114, 123, 140 357 Register USA 62, 103, 109, 111, 113f., 123, 140, 163, 168, 184, 186, 188, 195, 202, 238, 242, 294 Variation 197, 204, 222, 231, 233, 251, 278, 291 Varietäten 42, 79, 96, 138f., 140f., 154, 174, 176, 182, 229, 231, 243, 249, 291 Varietätenlinguistik 232 Venezuela 114, 123 Verarbeitung 107, 111, 124f., 147, 194, 204, 235, 304 Verflechtung(en) 19, 22f-29, 39, 101, 128-131-135, 161, 189, 208, 284, 297-300 Vergessen 100, 113, 157, 159, 163, 228, 303 Vermittlungs- und Übertragungs‐ prozesse 135, 196 Vernetzung 16, 23f., 26, 28, 66, 75, 89, 92, 119, 124, 128, 131, 167, 207, 209, 212, 288 Vertreibung 37f., 99, 104, 183, 214, 302 Völker autochthone 38-40, 70-74, 100, 155, 169, 287 indigene 47, 55, 64, 70, 100 Völkerkunde 108f., 215 Wallonien 43 Wandel 26, 28, 30, 42, 46, 85, 88f., 99, 109, 119, 121, 178, 231, 288, 299 Wanderung 105f., 113, 298 Weltkonferenz der UNESCO 30, 39, 45, 58 Weltkrieg Erster 58 Zweiter 13, 19f., 24, 60, 121, 168 Weltliteratur 120, 192, 245f. Wissen 51f., 99f. 108, 135, 141, 192f., 201, 204, 216f., 289, 291, 293 Orthografie- 278f. sprachliches - 198, 223, 232-235, 279, 285, 289, 295, 304f. Transfer- 238 transnationales - 23, 124, 176 Yanito/ Llanito 140 Zivilgesellschaft, zivilgesellschaft‐ lich 58, 72, 75 zivilisatorische Mission 47 Zweisprachigkeit siehe Mehrspra‐ chigkeit Zweitsprache 18, 154, 227, 279f. 358 Register Abbildungsverzeichnis Abb. 1.1: Bahnhofsviertel Frankfurt am Main . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Abb. 2.1: Chronologie der Einführung von Konzepten des Kulturkonfliktmanagements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Abb. 4.1: Sprachenportrait eines Schülers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Abb. 4.2: Netzwerk von Konzepten zur Erforschung von Transkulturalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Abb. 5.1: Systemische Dimension des Sprachausbaus des Individuums aus der Perspektive der Schriftlichkeit . . . . 240 Abb. 5.2: Formular zur Laboruntersuchung des Blutes . . . . . . . . . . 256 Abb. 5.3: Formular zur Laboruntersuchung des Urins . . . . . . . . . . 258 Abb. 5.4: Textausschnitt aus dem Bericht einer Arzthelferin in Comrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Abb. 5.5: Textausschnitte aus den Berichten einer Ärztin, links in rumänischer und rechts in russischer Sprache (siehe vergrößerte Ansicht S. 361) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Abb. 5.6: Selbstdarstellung der Sprachen von Anne . . . . . . . . . . . . 269 Abb. 5.7: Selbstdarstellung der Sprachen von Jiu . . . . . . . . . . . . . . . 271 Abb. 5.8: Selbstdarstellung der Sprachen von Radu . . . . . . . . . . . . 274 Abb. 5.9: Text von Radu in Französisch und Rumänisch . . . . . . . . 275 Tabellenverzeichnis Tab. 1.1: Studiengänge zu Transkulturalität an deutschsprachigen Universitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Tab. 3.1: Synoptische Darstellung zur Begriffsgeschichte von Transkulturalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Tab. 4.1: Sprachbiografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Tab. 5.1: Sprachliches Repertoire einer Ärztin in Comrat . . . . . . . . . . 262 Tab. 5.2: Analyse der Ausschnitte aus den Texten einer Ärztin in Rumänisch und in Russisch (siehe vergrößerte Ansicht S. 362f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Tab. 5.3: Systematische Darstellung des sprachlichen Repertoires der Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Tab. 6.1: Synopse zur Operationalisierung transkultureller Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Rumänisch 1 / J„i,<z, - 0 ibt' ' / "1 f 2,0t-rA wt µ, Tntr-o zi, dupa program mi Eines Tages, nach der Arbeit Dat-PP g - Q, Cl o/'lß. !, a. f 0 r"i.2rilli vrl iJ-J u! � s-a adresat 0 pacienta 'in varsta hat sich an mich gewandt eine Patientin im Alter d"R_ J-'f (f Cl 0/4 <9-"'- 12, e Af;;., '[flf 0" lz,/ , ,e4, de 24 ge i ani CU schija 'in partea von 24 Jahren d,e, � w !l O<de sus a von unten des P O..Jv1' ß ".) 0._ 0, Pacienta a mit einem Splitter im Teil f ; @ i' o �u .' Jri"ef 1. piciorului drept. rechten Fußes. S uj,e '1,1/ Wt suferit un "'�1tiof,e (,( f accident k la Die Patientin hat erlitten einen Unfall im &,a"�f"__ cLe 4 C\ v1"' " u 2 1-«<l uv<L,' LYf'�!f,J vvt varsta de 4 ani 'in urma ii unei explozii Alter von 4 Jahren in Folge einer Explosion o/ ,e A MN,· rt. C\.., 'i" ...i "- " (20,..'2,«.,'a. :S ,' - "- ,? ,'e�'[/4,fde mina iii, 'in urma caruia si iv -a pierdut von (einer) Mine, in deren Folge sie hat verloren � J"eo..rfi �( 5, 'l o .&� t'ß sd!.'J--e / i'vill"""mana dreapta si v s-a ales cu schije die rechte Hand und hat abbekommen Splitter fli. foo. fa. !, LIr 'W,. f �f': Oc e,-02 1 u...eu,··. pe toata suprafata corpului. über die ganze Fläche des Körpers. fo,<E..; .e 1.,t.fa. a@L/ 1"°'-of�1 rvz ri.e,. ,t:o� ; ,e.., 6"-'<f' Pacienta acuta durere la piciorul Die Patientin (hatte) akute Schmerzen im Fuß 1h...erf �., """"" 'c,U,0 "'f . d sa.. 0 '71-uf. In.. drept si viii ma ix rugat sa 0 ajut. Tn rechten und hat mich gebeten ihr zu helfen. In ,l,'f �"'-.. ".....e d ,'c-0 ,&u. • ., a._ f'>...Qtu. ,'!- .g;{ lipsa medicului, a trebuit Sa x Abwesenheit eines Arztes, musste ich [ ... ] Zeile 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Russisch f:> _,W(),Ce{ / 'l,-/ --vttr::.vlM-'t ? ,C ,F c,.-l. ./4 ���� V moej praktike byl takoj In meiner Erfahrung gab es einen solchen CL,L'rf � f:j O /U, U{t?(L 35 .,e"u �y a(t' slucaj: Bol'soj 35 let muz. Fall: Erwachsener, 35Jahre Mann. 00�6/"-/A{ )L eß, Obratilsja Sprach von ,Z,/ Ml 11 tvoß, gripom, an Grippe, tM,€,/ ti, ,w f' tel'noe e ,Ue<::l, A-Or)tr<: />o"e_e ,e "_ " s faloby: boleet 5 dnej Beschwerden: ist erkrankt (seit) 5 Tagen [i o/CU ff u)P -&"' e, / ('.eo 1;;u"Utboli V pravoe uxo. Znaci- Schmerzen im linken Ohr. Wesentwo v<M = ee vUA ,r "1f "1 ( I - & (J /U,( ponizenie sluxa, boli liehe Abnahme des Gehörs, Schmerzen uj"vA '1(-' v( /z;j� lradiiruscaja (v) ausstrahlend (in die) � � ß 10. v_ ' golovy. des Kopfes «;w-;t;r� pravuju rechte V ;;c� �/ , /, polovinu Hälfte j,J1M- Ovt,We tw i,U,( L{ �{;<. (r = ;ia� UA-,<..(,Jt.euw--f' Pri otoskopii vidno rassirenie Bei der Otoskopie sieht man Ausweitung V: )uo .ß ..€ f,l.,{f) C!. ll-/.K --f � ,c o/( P1, ,-Z,{ / tA1!.. jiu ...ul(� krovenosnye vi sosudy vii , giperimija der Blutgefäße, Hyperimie '/;o._.FF'o....unour· vU_fe-'f.w u v....u barabannoj pereponki. des Trommelfells. <J) -'b' .7, � tfi'<?<? v"<..<9/ z.o K"<-<,< O@ �r 0� vtA.-. (!'/"'-,f' ✓ <4'.w' D-z Pravostaronyj Ostryj. Srednij otit. Diagnose: Akute Otitis (medie) der rechten Seite. u rv:/_... 1/4,U -k'._ : " w v1M.< ,d "' "' vU<.( r::.« "" .. " . ..,., - . � H t'A7.,t-(U';fs'ltf'j_!,-X� Lecenie: antibiotiki Linkamicin 0,5 X 2r Behandlung: Antibiotikum Lincomycin 0,5 x 2 Mal [ ... ] i де - kyrillisch handgeschriebenes <g> (= d im lat. Alphabet) | ii statt: urmă | iii mină | iv şi-a | v şi | vi krovenosnyx | vii sosud | viii şi | ix m-a | x să Tab. 5.2: Analyse der Ausschnitte aus den Texten einer Ärztin in Rumänisch und in Russisch (siehe vergrößerte Ansicht S. 362f.) 263 5.5 Sprachausbau und die Restrukturierung sprachlicher Repertoires Im Folgenden finden Sie Abb. 5.5 (S. 261) und Tab. 5.2 (S. 263) in vergrößerter Ansicht: Rumänisch 1 / J„i,<z, - 0 ibt' ' / "1 f 2,0t-rA wt µ, Tntr-o zi, dupa program mi Eines Tages, nach der Arbeit Dat-PP g - Q, Cl o/'lß. !, a. f 0 r"i.2rilli vrl iJ-J u! � s-a adresat 0 pacienta 'in varsta hat sich an mich gewandt eine Patientin im Alter d"R_ J-'f (f Cl 0/4 <9-"'- 12, e Af;;., '[flf 0" lz,/ , ,e4, de 24 ge i ani CU schija 'in partea von 24 Jahren d,e, � w !l O<de sus a von unten des P O..Jv1' ß ".) 0._ 0, Pacienta a mit einem Splitter im Teil f ; @ i' o �u .' Jri"ef 1. piciorului drept. rechten Fußes. 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Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ acherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidakt DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus F \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourism \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ WL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanist Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft ologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissensc \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ nguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ orische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenhematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss schaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ aft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ orische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenhematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss schaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen aft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwe \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik emdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinav \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ WL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilolog Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ rt \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosoph ien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissensc Daniel Reimann Interkulturelle Kompetenz 2017, 90 Seiten €[D] 10,90 ISBN 978-3-8233-8113-6 e ISBN 978-3-8233-9113-5 BUCHTIPP Dieser Band behandelt Interkulturelle Kompetenz als Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts. Er erklärt Grundbegriffe, wirft einen Blick in die Geschichte, betrachtet zentrale Schlüsselwörter und führt in verschiedene didaktische Modelle des interkulturellen Lernens ein. Schließlich werden unterrichtspraktische Aspekte betrachtet: Wie lehrt man inter- und transkulturelle Kompetenz? Kann man sie evaluieren? Aufgaben mit Lösungen runden den Band ab. Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG \ Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 9797 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de uistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprach senschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik schaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Stat \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ anagement \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschicht Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ acherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidakt DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus F \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourism \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ WL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanist Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft ologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissensc \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ nguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ orische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissen hematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss schaft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ aft Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenscha Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ orische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechn Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissen hematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwiss schaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ 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Spracherwerb \ Philosoph ien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissensc BUCHTIPP Sabine Dengscherz, Michèle Cooke Transkulturelle Kommunikation Verstehen - Vertiefen - Weiterdenken 1. Auflage 2020, 270 Seiten €[D] 24,90 ISBN 978-3-8252-5319-6 eISBN 978-3-8385-5319-1 Was haben Ampelfiguren, ein Hase oder ein „Speibsackerl“ mit Transkultureller Kommunikation zu tun? Was spielt alles mit in einer Kommunikationssituation und was macht professionelle Transkulturelle Kommunikation aus? Warum braucht es ein differenziertes Kulturverständnis ohne Simplifizierung und Zuschreibungen? Mit diesen und vielen weiteren Fragen der Transkulturellen Kommunikation setzt sich diese interdisziplinäre Einführung auseinander. Das Buch richtet sich an Studierende, an Lehrende der Kultur- und Kommunikationswissenschaften sowie an alle an Kommunikation Interessierten. UVK Verlag. Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 \ 72070 Tübingen \ Germany Tel. +49 (0)7071 97 97 0 \ Fax +49 (0)7071 97 97 11 \ info@narr.de \ www.narr.de ,! 7ID8C5-cffeci! ISBN 978-3-8252-5542-8 Der Band befasst sich mit kulturellen Verflechtungs- und Austauschbeziehungen. Er geht davon aus, dass sich Gemeinschaften wie Individuen mit ihren Sprachen, Literaturen, Medien nicht in ethnisch abgeschlossenen, sprachlich homogenen und territorial abgegrenzten Räumen konstituieren, sondern durch Verflechtungen, die sich aus Migration, Mobilität und Kontakt ergeben. Er geht der Frage nach, was es bedeutet, wenn sich Kulturen in ihrer Verschiedenheit begegnen und der Kontakt zwischen ihnen auf Aushandlungsprozesse angewiesen ist. Sein Anliegen ist, einige der für Transkulturalität zentralen Forschungsfelder und Konzepte wie Hybridität, Translatio, migrantisches Schreiben, Erinnerung, Sprachbiographie, Diaspora, Kosmopolitismus u.a. zu diskutieren und hierbei die Bedeutung von Sprache, Sprachen und Mehrsprachigkeit auszuloten. Sprachwissenschaft | Kulturwissenschaft Sozialwissenschaften Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel