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Handbuch Fremdsprachenunterricht

2016
978-3-8385-8655-7
UTB 
Eva Burwitz-Melzer
Grit Mehlhorn
Claudia Riemer
Karl-Richard Bausch
Hans-Jürgen Krumm

Das Handbuch Fremdsprachenunterricht ist ein unentbehrliches Standardwerk für alle, die mit dem Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen befasst sind. Es liegt nun in der 6., vollständig überarbeiteten und erweiterten Auflage vor. Die Beiträge greifen die aktuellen wissenschaftlichen, sprachen- und bildungspolitischen Entwicklungen auf und tragen den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung, die sich in den letzten Jahren sowohl international als auch in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz ergeben haben. Berücksichtigt werden die Kompetenz- und Standardorientierung, die Anforderungen von Globalisierung und Migration auf die Ausbildungssysteme sowie die Aufgaben- und Inhaltsorientierung. Ein Fokus liegt auf Mehrsprachigkeitskonzepten, Interkomprehension und Entwürfen zu einem Gesamtsprachencurriculum. Lernerperspektiven und Lernerbiografien wurden bei der Darstellung der Lernenden verstärkt berücksichtigt. Ein detailliertes Verweissystem, weiterführende Literaturhinweise sowie ein ausführliches Begriffs- und Personenregister erleichtern die Arbeit. "Eine großartige Orientierungshilfe für jeden, der mit Fremdsprachen zu tun hat." (Moderne Sprachen)

Burwitz-Melzer | Mehlhorn Riemer | Bausch | Krumm (Hg.) Handbuch Fremdsprachenunterricht 6. Auflage Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn A. Francke Verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol Waxmann · Münster · New York utb 0000 utb 8043 Eva Burwitz-Melzer, Dr. phil., Professorin für Englischdidaktik an der Justus-Liebig- Universität in Gießen. Grit Mehlhorn, Dr. phil., Professorin für Didaktik der slawischen Sprachen an der Universität Leipzig. Claudia Riemer, Dr. phil., Professorin für Deutsch als F remd- und Zweitsprache an der Universität Bielefeld. Karl-Richard Bausch, Dr. phil., ordentlicher Professor emeritus für Sprachlehrforschung an der Ruhr-Universität Bochum / Professeur associé à l’Université de Montréal (ret.) Hans-Jürgen Krumm, Dr. phil., emeritierter Universitätsprofessor für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Wien. . Eva Burwitz-Melzer / Grit Mehlhorn / Claudia Riemer / Karl-Richard Bausch / Hans-Jürgen Krumm (Hg.) Handbuch Fremdsprachenunterricht 6., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage A. Francke Verlag Tübingen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. 6., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage 2016 5., unveränderte Auflage 2007 4., vollständig neu bearbeitete Auflage 2003 3., überarbeitete und erweiterte Auflage 1995 2., unveränderte Auflage 1991 1. Auflage 1989 © 2016 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • info@francke.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Satz: pagina GmbH, Tübingen Printed in Germany UTB-Nr. 8043 ISBN 978-3-8252-8655-2 Mit Eva Burwitz-Melzer, Grit Mehlhorn und Claudia Riemer wurde das bisherige Herausgeberteam um drei neue Herausgeberinnen ergänzt - sie stehen in der Titelei vorn, weil sie auch für mögliche weitere Auflagen des H andbuchs die V erantwortung übernehmen werden, während Karl-Richard Bausch und Hans-Jürgen Krumm zugleich dokumentier en, dass die T radition des H andbuchs auch mit dieser Neubearbeitung fortgeführt wird. Insofern verstehen wir die doppelt alphabetische Reihenfolge bei der Nennung der Herausgeberinnen und Herausgeber auch als Zeichen für den Generationenwechsel im Herausgeberteam. Die Internetverweise im Handbuch Fremdsprachenunterricht wurden am 29. Juni 2016 überprüft und auf den neuesten Stand gebracht. Inhalt Vorwort zur sechsten, vollständig neu bearbeiteten und erweiterten Auflage . . . . . . . XI Vorwort zur vierten, vollständig neu bearbeiteten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Vorwort zur dritten, überarbeiteten und erweiterten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV Einleitung zur ersten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII A Das Lehren und Lernen von Sprachen: Grundlagen 1. Fremdsprachendidaktik und Sprachlehr-/ -lernforschung (Karl-Richard Bausch / Eva Burwitz-Melzer / Hans-Jürgen Krumm / Grit Mehlhorn / Claudia Riemer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Sprachenbegriffe (Karl-Richard Bausch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3. Mehrsprachigkeit (Adelheid Hu) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 4. Interkulturalität (Claus Altmayer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 5. Interdisziplinarität (Karl-Richard Bausch / Eva Burwitz-Melzer / Hans- Jürgen Krumm / Grit Mehlhorn / Claudia Riemer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 B Interdisziplinäre Bezüge auf das Lernen und Lehren von Sprachen 6. Fokus: Lernen (Britta Hufeisen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 7. Fokus: Lehren (Gabriele Kniffka) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 8. Fokus: Sprache (Christian Fandrych) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 9. Fokus: Texte - Medien - Literatur - Kultur (Wolfgang Hallet) . . . . . . . . . . 39 C Sprachenpolitische, bildungspolitische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen 10. Sprachenpolitik und das Lernen und Lehren von Sprachen (Hans-Jürgen Krumm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 11. Globalisierung und Standardisierung in ihrer Auswirkung auf das Lernen und Lehren von Sprachen (Eike Thürmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 12. Staatliche Regelungen für den Fremdsprachenunterricht: Curricula, Richtlinien, Lehrpläne (Ingeborg Christ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 V Inhalt 13. Folgen der Migration für Bildung und Erziehung (Ingrid Gogolin) . . . . . . . 60 14. Sprachen lernen und lehren im Elementar- und Schulbereich (Jutta Rymarczyk / Karin Vogt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 15. Sprachen lernen und lehren in der Erwachsenenbildung (Marion Grein) . . . 70 16. Sprachen lernen und lehren an Hochschulen (Karin Kleppin / Astrid Reich) 74 17. Sprachen lernen und lehren im nichtöffentlichen Bildungsbereich (Jürgen Quetz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 D Kompetenzen und Standards 18. Kompetenzorientierung im Kontext des Lernens und Lehrens von Sprachen (Lutz Küster) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 19. Standardorientierung im Kontext des Lernens und Lehrens von Sprachen (Claudia Harsch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 20. Hör- und Hör-Sehverstehen (Camilla Badstübner-Kizik) . . . . . . . . . . . . . . . 93 21. Leseverstehen (Madeline Lutjeharms) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 22. Sprechen und Interagieren (Torben Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 23. Schreiben (Hans P. Krings) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 24. Sprachmittlung (Frank G. Königs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 25. Verfügen über sprachliche Mittel: Wortschatz (Christine Neveling) . . . . . . . 116 26. Verfügen über sprachliche Mittel: Phonetik (Ursula Hirschfeld) . . . . . . . . . . 121 27. Verfügen über sprachliche Mittel: Grammatik (Theresa Summer) . . . . . . . . 126 28. Kulturell geprägte Konventionen des Sprachgebrauchs (Anne Barron) . . . . . 131 29. Interkulturelle kommunikative Kompetenz (Britta Freitag-Hild) . . . . . . . . . 136 30. Text- und Medienkompetenz (Eva Burwitz-Melzer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 31. Sprachenbewusstheit und Sprachlernkompetenz (Claus Gnutzmann) . . . . . 144 E Entwicklung sprachlicher Curricula 32. Curriculare Entwicklungsprinzipien (Hermann Funk) . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 33. Inhalte zur Entwicklung sprachlicher und literarischer Kompetenzen (Andreas Bonnet / Helene Decke-Cornill) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 34. Inhalte zur Entwicklung landeskundlicher und interkultureller Kompetenzen (Uwe Koreik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 35. Gesamtsprachencurriculum (Britta Hufeisen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 36. Sprachen lernen und lehren im Elementarbereich: Curriculare Dimension (Michaela Sambanis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 37. Sprachen lernen und lehren im Primarbereich: Curriculare Dimension (Daniela Elsner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 38. Sprachen lernen und lehren im Sekundarbereich I: Curriculare Dimension (Claudia Finkbeiner / Marc Smasal) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 39. Sprachen lehren und lernen im Sekundarbereich II: Curriculare Dimension (Lena Heine) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 40. Schulische Übergänge (Elisabeth Kolb) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 41. Sprachen lernen und lehren an Hochschulen: Curriculare Dimension (Thomas Vogel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 VI Inhalt 42. Sprachen lernen und lehren in der Erwachsenenbildung: Curriculare Dimension (Karin Vogt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 43. Berufsorientiertes und -begleitendes Sprachenlernen und -lehren: Curriculare Dimension (Udo Ohm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 F Spezifische Formen des Lernens und Lehrens von Sprachen 44. Bilinguale Bildungsangebote, sprachen- und fachintegrierter Unterricht (Ingeborg Christ / Lars Schmelter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 45. Sprachförderung in der Unterrichtssprache (Claudia Benholz / Güls¸ ah Mavruk) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 46. Herkunftssprachenunterricht (Hans H. Reich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 47. Konzepte und Programme der Alphabetisierung (Alexis Feldmeier) . . . . . . . 226 48. Ansätze zum Mehrsprachigkeitsunterricht (Hans-Jürgen Krumm / Hans H. Reich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 49. Interkomprehension (Franz-Joseph Meißner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 G Die Sprachenlernenden 50. Lernerperspektive und Lernerorientierung (He´ le`ne Martinez) . . . . . . . . . . . 241 51. Lernerbiographische Perspektiven (Rita Franceschini / Daniela Veronesi) . . 247 52. Alter (Rüdiger Grotjahn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 53. Geschlecht (Barbara Schmenk) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 54. Sprachlerneignung (Karin Aguado) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 55. Lernstile (Karin Aguado) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 56. Affektive Faktoren (Claudia Riemer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 57. Soziale Faktoren (Anja Pietzuch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 58. Auslandsaufenthalte von Lernenden (Maike Grau) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 H Spracherwerb und Sprachenlernen 59. Die Dichotomie Spracherwerb und Sprachenlernen (Frank G. Königs) . . . . 281 60. Formen von Zwei- und Mehrsprachigkeit (Karl-Richard Bausch) . . . . . . . . 285 61. Formen von Zwei- und Mehrsprachigkeit im Elementar- und Primarschulalter (Ingelore Oomen-Welke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 62. Lernen von zweiten und weiteren Fremdsprachen im Sekundarschulalter (Nicole Marx) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 63. Sprachenlernen im Erwachsenenalter (Jürgen Quetz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 I Die Lehrenden 64. Sprachenlehren als Beruf (Daniela Caspari) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 65. Kompetenzen der Sprachlehrenden (Hans-Jürgen Krumm) . . . . . . . . . . . . . 311 J Methodische Prinzipien und Verfahren 66. Didaktische und methodische Prinzipien der Vermittlung (Friederike Klippel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 67. Vermittlungsmethoden: Historischer Überblick (Sabine Doff) . . . . . . . . . . . 320 VII Inhalt 68. Aufgabenorientierung (Andreas Müller-Hartmann / Marita Schocker) . . . . 325 69. Inhaltsorientierung (Stephan Breidbach) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 70. Sozialformen im Überblick (Frank Haß) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 71. Einzelarbeit (Dagmar Abendroth-Timmer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 72. Partner- und Gruppenarbeit (Ivo Steininger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 73. Frontalunterricht (Carmen Mendez) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 74. Projektunterricht (Michael Legutke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 75. Dramapädagogische Ansätze (Manfred Schewe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 76. Binnendifferenzierung (Maria Eisenmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 77. Unterricht mit großen Gruppen (Angelika Loo) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 K Förderung selbst gesteuerten Sprachenlernens 78. Lernerautonomie und selbst gesteuertes Sprachenlernen (Barbara Schmenk) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 79. Lernerstrategien und Lerntechniken (He´ le`ne Martinez) . . . . . . . . . . . . . . . . 372 80. Sprachenlernen im Tandem (Mark Bechtel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 81. Sprachlernberatung (Tina Claußen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 82. Formen selbstgesteuerten Lernens in der digitalen Welt (Nicola Würffel) . . 386 L Leistungsmessung, Bewertung, Selbstevaluation 83. Leistungsmessung, Bewertung, Selbstevaluation (Ulrike Arras / Gabriele Kecker) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 84. Testen und Prüfen (Henning Rossa) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 85. Verfahren der Lernstandserhebung (Gabriele Kniffka) . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 86. Prozesse schriftlicher Fehlerkorrektur (Karl-Richard Bausch / Karin Kleppin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 87. Prozesse mündlicher Fehlerkorrektur (Karin Kleppin) . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 88. Sprachenportfolios (Eva Burwitz-Melzer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 89. Sprachenzertifikate (Michaela Perlmann-Balme) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 90. Sprachdiagnostik für Migrantinnen und Migranten (Marion Döll) . . . . . . . 423 91. Sprachprüfungen für Migrantinnen und Migranten (Gabriele Kniffka) . . . . 428 M Lehr-/ Lernmaterialien und Medien 92. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien im Überblick (Hermann Funk) . . . . . . . 435 93. Lehrwerke (Daniela Elsner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 94. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zum Wortschatzlernen (Jürgen Kurtz) . 445 95. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zum Grammatiklernen (Theresa Summer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 96. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zur Ausspracheschulung (Kerstin Reinke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 97. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zum Aufbau interkultureller Kompetenzen (Christiane Lütge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 98. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zum Aufbau von Textkompetenzen (Sabine Schmölzer-Eibinger / Elisabeth Langer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 VIII Inhalt 99. Digitale Medien und soziale Netzwerke im Kontext des Lernens und Lehrens von Sprachen (Andreas Grünewald) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 100. Kriterien für die Auswahl von Lernmaterialien und Medien (Jörg Roche) . 466 101. Prinzipien der Entwicklung und Evaluation von Lernmaterialien und Medien (Dietmar Rösler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 N An Schulen deutschsprachiger Länder unterrichtete Sprachen 102. An Schulen deutschsprachiger Länder unterrichtete Sprachen (Eva Burwitz- Melzer / Hans-Jürgen Krumm / Grit Mehlhorn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 103. Albanisch (Basil Schader) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 104. Arabisch (Khatima Bouras-Ostmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 105. Bosnisch / Kroatisch / Serbisch (Gordana Ilic´ Markovic´ / Milica Sabo) . . . 487 106. Chinesisch (Andreas Guder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 107. Dänisch (Elin Fredsted) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 108. Deutsch als Zweitsprache (Julia Ricart Brede) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 109. Englisch (Markus Kötter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 110. Französisch (Christian Minuth) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 111. Italienisch (Daniel Reimann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 112. Japanisch (Gerhard Dillmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 113. Neugriechisch (Elmar Winters-Ohle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 114. Niederländisch (Veronika Wenzel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 115. Polnisch (Grit Mehlhorn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 116. Portugiesisch (Sı´lvia Melo-Pfeifer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 117. Russisch (Grit Mehlhorn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 118. Schwedisch (Nicola Jordan) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 119. Slowakisch (Viera Wambach) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 120. Slowenisch (Elizabeta Jenko) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 121. Sorbisch (Jana Schulz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 122. Spanisch (Marcus Bär) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 123. Tschechisch (Grit Mehlhorn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 124. Türkisch (Almut Küppers / Christoph Schroeder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 125. Ungarisch (Alexandra Wojnesitz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 O Forschungsmethoden und Forschungsansätze 126. Forschungsmethodologie (Claudia Riemer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 127. Quantitative Forschung (Julia Settinieri) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 128. Qualitative Forschung (Daniela Caspari / Lars Schmelter) . . . . . . . . . . . . . 583 129. Unterrichtsforschung und Videographie (Karen Schramm) . . . . . . . . . . . . . 587 130. Aktionsforschung (Klaus-Börge Boeckmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 P Aus-, Fort- und Weiterbildung von Sprachlehrenden 131. Ausbildung von Sprachlehrenden an Hochschulen (Carola Surkamp) . . . . . 597 132. Praxisphasen in der Ausbildung von Sprachlehrenden (Marita Schocker) . . 602 133. Ausbildung von Sprachlehrenden in der zweiten Phase (Hans-Ludwig Krechel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 IX Inhalt 134. Fort- und Weiterbildung von Sprachlehrenden (Engelbert Thaler) . . . . . . . 611 135. Internationale Mobilität von Sprachlehrenden (Nicole Marx) . . . . . . . . . . . 615 Q Geschichte des Fremdsprachenunterrichts 136. Geschichte des Fremdsprachenunterrichts bis 1945 (Marcus Reinfried) . . . 619 137. Geschichte des Fremdsprachenunterrichts in deutschsprachigen Ländern seit 1945 (Rudolf de Cillia / Friederike Klippel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 R Organisationen und Institutionen zur Förderung des Lernens und Lehrens von Sprachen 138. Förderung des Lernens und Lehrens von Sprachen durch Europarat und Europäische Union (Hans-Jürgen Krumm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 139. Förderung des Lernens und Lehrens von Sprachen durch Mittlerorganisationen (Ursula Paintner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 140. Ausländische Sprach- und Kulturinstitute in den deutschsprachigen Ländern (Rudolf de Cillia) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 141. Institutionen zur Förderung des Lernens und Lehrens von Sprachen für Migrantinnen und Migranten (Heike Roll) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 142. Auslandsschulen deutschsprachiger Länder (Beate Helbig-Reuter) . . . . . . . 647 143. Fachverbände (Rainer Berthelmann unter Mitarbeit von Jürgen Quetz) . . . 651 144. Zeitschriften (Eva Wilden) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659 Begriffsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687 X Vorwort zur sechsten, vollständig neu bearbeiteten und erweiterten Auflage Das Handbuch Fremdsprachenunterricht verfolgt das Ziel, eine differenzierte und möglichst vollständige Bestandsaufnahme des Fremdsprachenunterrichts in allen seinen institutionellen und fachlichen Ausprägungen vorzulegen. Es erschien zum ersten Mal im Jahr 1989 und hat sich seither im deutschsprachigen und internationalen Raum über fünf Auflagen zu einem Standardwerk für alle entwickelt, die praktisch und wissenschaftlich mit Konzepten, Aufgaben, methodischen Ansätzen und Rahmenbedingungen des Lehrens und Lernens von Fremd- und Zweitsprachen befasst sind. Die einschlägigen wissenschaftlichen, gesellschaftlichen, curricularen und praktischen Rahmenbedingungen haben sich nachweislich in den vergangenen Jahren massiv verändert. Um diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen, hat sich der Verlag entschlossen, die Tradition des Handbuchs Fremdsprachenunterricht mit einer sechsten, vollständig neu bearbeiteten und erweiterten Auflage fortzuführen. Mit Eva Burwitz-Melzer, Grit Mehlhorn und Claudia Riemer wurde das bisherige Herausgeberteam um drei neue Herausgeberinnen ergänzt - sie stehen in der Titelei vorn, weil sie auch für mögliche weitere Auflagen des Handbuchs die Verantwortung übernehmen werden, während Karl-Richard Bausch und Hans-Jürgen Krumm zugleich dokumentieren, dass die Tradition des Handbuchs auch mit XI dieser Neubearbeitung fortgeführt wird. Insofern verstehen wir die doppelt alphabetische Reihenfolge bei der Nennung der Herausgeberinnen und Herausgeber auch als Zeichen für den Generationenwechsel im Herausgeberteam. Die vorliegende Neubearbeitung liefert mit 144 Beiträgen Einblicke in die zentralen unterrichtlichen Fragestellungen und den Forschungsstand des Lehrens und Lernens fremder Sprachen in den verschiedenen Alters- und Lernstufen sowie im schulischen und außerschulischen Bereich. Das Handbuch greift die aktuellen curricularen, wissenschaftlichen und sprachenpolitischen Entwicklungen auf. Alle Beiträge wurden entweder neu verfasst oder grundlegend überarbeitet. Die sechste Auflage ist in die folgenden Großkapitel untergliedert: A Das Lehren und Lernen von Sprachen: Grundlagen B Interdisziplinäre Bezüge auf das Lernen und Lehren von Sprachen C Sprachenpolitische, bildungspolitische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen D Kompetenzen und Standards E Entwicklung sprachlicher Curricula F Spezifische Formen des Lernens und Lehrens von Sprachen G Die Sprachenlernenden H Spracherwerb und Sprachenlernen I Die Lehrenden J Methodische Prinzipien K Förderung selbst gesteuerten Sprachenlernens L Leistungsmessung, Bewertung, Selbstevaluation M Lehr-/ Lernmaterialien und Medien N An Schulen deutschsprachiger Länder unterrichtete Sprachen O Forschungsmethoden und Forschungsansätze P Aus-, Fort- und Weiterbildung von Sprachlehrenden Q Geschichte des Fremdsprachenunterrichts R Organisationen und Institutionen zur Förderung des Lernens und Lehrens von Sprachen Die Herausgeber beklagen den Tod ihres Kollegen Herbert Christ, der am 26. Februar 2011 aus ihrer Mitte gerissen wurde. Herbert Christ hatte das Handbuch Fremdsprachenunterricht von seiner Entstehung, über seine konzeptuelle und strukturelle Entwicklung mit großem Engagement und unermüdlicher Schaffenskraft mitgetragen. Die jetzt vorgelegte sechste Auflage möchte sich posthum als kollegialer und freundschaftlicher Dank für die jahrzehntelange, stets herausragende und fachlich spannende Zusammenarbeit verstehen. XII Vorwort zur 6. Auflage Wir danken allen Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge und die kollegiale und konstruktive Zusammenarbeit, durch die das Handbuch in der vorliegenden Form entstehen konnte. Dem Verlag gilt unser Dank für sein Interesse an der Fortführung des Projekts, die finanzielle Unterstützung, die hervorragende verlegerische Betreuung und die stets angenehme Zusammenarbeit. Herzlich danken möchten wir Eva-Maria Jenkins- Krumm für ihre hilfreiche Unterstützung bei der Endredaktion der Neubearbeitung und die überaus sorgfältige Erstellung des Begriffs- und Personenregisters. Frühsommer 2016 Eva Burwitz-Melzer Grit Mehlhorn Claudia Riemer Karl-Richard Bausch Hans-Jürgen Krumm Vorwort zur vierten, vollständig neu bearbeiteten Auflage Die erste Auflage des Handbuchs Fremdsprachenunterricht verfolgte das Ziel, eine differenzierte und möglichst vollständige Bestandsaufnahme des Fremdsprachenunterrichts in allen seinen institutionellen und fachlichen Ausprägungen vorzulegen und dabei konsequent Praxis und Forschung miteinander zu verbinden. Sie erschien im Jahre 1989; ihr folgten 1991 als zweite Auflage ein unveränderter Nachdruck und 1995 eine überarbeitete und erweiterte dritte Fassung. Nach einer Laufzeit von nunmehr über zehn Jahren wurde es aus Sicht der Herausgeber und des Verlags notwendig, das Handbuch vollständig neu zu bearbeiten. Die vorliegende vierte Auflage will den aktuellen Entwicklungen sowie den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung tragen, die sich seit der dritten Auflage (1995) im internationalen wie im deutschsprachigen Kontext eingestellt haben. Alle Autoren hatten es übernommen, ihre Artikel völlig neu zu konzipieren und abzufassen. Sachbedingt sind neue Artikel hinzugekommen, so dass die Neuauflage nunmehr 140 Beiträge umfasst. Desgleichen wurde das Sachregister entsprechend angepasst und zusätzlich durch ein separates Verzeichnis der zitierten Autoren ergänzt. Das Handbuch Fremdsprachenunterricht ist zwischenzeitlich zu einem Standardwerk insbesondere im deutschsprachigen Raum geworden. Folgerichtig wurde bei der Neube- XIII arbeitung nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch die Situation des Fremdsprachenunterrichts in Österreich und der Schweiz mit einbezogen, so dass zumindest die Konturen eines Überblicks über den gesamten deutschsprachigen Raum sichtbar werden. Die vorliegende vierte Auflage bleibt grundsätzlich dem ursprünglichen Konzept verpflichtet, das sich seit dem Erscheinen der ersten Auflage bewährt hat. Gleichwohl wurden Aufbau und Struktur - ausgehend von der aktuellen Situation, in der sich das Lehren und Lernen fremder Sprachen befindet, aber auch unter Berücksichtigung von Anregungen aus dem Benutzerkreis - neu gestaltet. So wurde z. B. auf den eigenständigen Bereich „Erforschung einzelner Problembereiche des Fremdsprachenunterrichts: Forschungsmethoden und Forschungsertrag“ (vgl. dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage S. 475-521) verzichtet. Die Autoren wurden vielmehr gebeten, Forschungsmethoden und -perspektiven in ihre jeweiligen Einzelbeiträge zu integrieren. Die vierte Auflage ist in die folgenden Großkapitel untergliedert: A Das Lehren und Lernen fremder Sprachen als Gegenstand von Wissenschaften B Politische und institutionelle Aspekte des Lehrens und Lernens fremder Sprachen C Curriculare Aspekte des Lehrens und Lernens fremder Sprachen D Konzeptionelle Aspekte des Lehrens und Lernens fremder Sprachen E Methodische Aspekte des Lehrens und Lernens fremder Sprachen F Förderung selbst gesteuerten Fremdsprachenlernens G Personale Aspekte beim Lehren und Lernen fremder Sprachen H Leistungsmessung, Lernerfolgskontrolle und Selbstkontrolle I Lehr- und Lernmaterialien und Unterrichtsmedien J Typen des Fremdsprachenerwerbs K Ausbildung, Fortbildung und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrern L Forschungsmethoden M An Schulen deutschsprachiger Länder unterrichtete Fremdsprachen N Programme und Organisationen zur Förderung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen O Geschichte des Fremdsprachenunterrichts Die drei Herausgeber möchten auch dieses Mal wieder mannigfach Dank sagen. Sie tun dies bei der zurückgelegten „Durststrecke“ der XIV Vorwort zur 4. Auflage vollständig neuen Bearbeitung mit besonders herzlichem Nachdruck: Sie danken allen Beiträgern für die kollegiale und konstruktive Zusammenarbeit. Sie danken des Weiteren der Leitung des Francke Verlags, die das gemeinsame Vorhaben nach Kräften unterstützt hat. Sie danken schließlich erneut und ganz besonders herzlich allen „guten Geistern“ vor Ort: in Bochum stellvertretend für alle, die tatkräftig mitgeholfen haben, Nicola Heimann-Bernoussi, Beate Helbig, Lars Schmelter und Enke Spänkuch sowie in Wien Andrea Koban und Imke Mohr. Aus Platzgründen und um der besseren Lesbarkeit willen wurde auf Doppelungen von Bezeichnungen, z. B. auf die maskuline und feminine Benennung von Personen, verzichtet. Die maskuline Form wird immer im generischen Sinne verwendet. Im Sommer 2002 Karl-Richard Bausch Herbert Christ Hans-Jürgen Krumm Vorwort zur dritten, überarbeiteten und erweiterten Auflage Das Handbuch Fremdsprachenunterricht ist in seiner ersten Auflage 1989 erschienen. Ziel bei der Konzipierung des Werkes war damals, eine differenzierte und möglichst vollständige Bestandsaufnahme des Fremdsprachenunterrichts in allen seinen Ausprägungen vorzulegen und dabei gleichzeitig und konsequent Praxis und Forschung miteinander zu verbinden. Die Akzeptanz, auf die diese erste Auflage gestoßen ist, hat dazu geführt, daß 1991 eine zweite, inhaltlich jedoch unveränderte erscheinen konnte. Die Situation des Fremdsprachenunterrichts hat sich seit 1989 entscheidend verändert: die deutsche Vereinigung, die Öffnung der Grenzen in Mittel- und Osteuropa und die modifizierten gesellschaftlichen Bedingungen und Haltungen haben für Praxis und Forschung neue Fragestellungen ins Blickfeld gerückt. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen stellte sich die durchaus reizvolle Frage, ob es unter den gegebenen Umständen nicht angezeigt wäre, ein völlig neues Handbuch zu planen. Die Entscheidung fiel dann jedoch wohlbegründet für eine sorgfältige Überarbeitung und Erweiterung, also für eine Veränderung von mittlerer Reichweite: Aktualisierung und Ergänzung dort, wo sich dies aufgrund neuerer Erkenntnisse und Einsichten als geboten erweist, und Beibehaltung der bewährten Zugriffe da, wo diese weiterhin Gültigkeit haben. Dies bedeutet z. B. für die Si- XV tuation des Fremdsprachenunterrichts in den neuen Bundesländern, daß sie grundsätzlich Berücksichtigung findet, jedoch nicht in allen Bereichen erschöpfend dargestellt werden kann: Aufklärung der Vergangenheit und zukunftsweisende Konsolidierung des Fremdsprachenunterrichts und seiner Erforschung können heute noch immer nicht als abgeschlossen gelten. Die dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage enthält unter Beibehaltung der bewährten Gliederungsstruktur elf neu aufgenommene Beiträge; sie behandeln die folgenden Themenbereiche: Artikel 3 Das Lehren und Lernen von fremden Sprachen: Wissenschaftskonzepte im internationalen Vergleich (Bausch/ Christ/ Krumm) Artikel 12 Zwei- und Mehrsprachigkeit (Bausch) Artikel 26 Interkulturelles Lernen und interkulturelle Kommunikation (Krumm) Artikel 47 Kreative Übungen (Weirath) Artikel 48 Lernerstrategien (Tönshoff) Artikel 54 Hausaufgaben (Pauels) Artikel 57 Fehlerkorrektur (Königs) Artikel 74 Fachsprachen und Fachsprachendidaktik (Baumann) Artikel 90 Schwedisch (Bonnekamp) Artikel 92 Sorbisch (Faßke) Artikel 118 Mittlerorganisationen für den Deutschunterricht im Ausland (Blaasch) Ferner sind der Überblicksartikel „Fremdsprachen im Primar- und Sekundarbereich“ und der historische Überblick „Geschichte des Fremdsprachenunterrichts“ aufgeteilt worden, so daß sich diese Bereiche jetzt wie folgt darstellen: Artikel 17 Fremdsprachen im Vorschul- und Primarbereich (Gogolin) Artikel 18 Fremdsprachen im Sekundarbereich I (Arnold) Artikel 19 Fremdsprachen im Sekundarbereich II (Schröder) Artikel 123 Geschichte des Fremdsprachenunterrichts bis 1945 (Lehberger) Artikel 124 Geschichte des Fremdsprachenunterrichts seit 1945 (Christ/ Hüllen) Die „alten“ Beiträge wurden von den jeweiligen Autoren unter Mitwirkung von Herausgebern und Verlag gründlich überprüft und durchgehend auf den neuesten Stand gebracht; dies gilt natürlich in besonderer Weise für die Literaturangaben. Schließlich wurde das Register der ersten und zweiten Auflage, das sich nicht als besonders benutzerfreundlich erwiesen hat, neu konzipiert: die globalen Verweise auf die jeweils einschlägigen Beiträge wurden durch konkrete Verweise auf Seitenzahlen ersetzt, so daß nunmehr eine schnellere und leichtere Auffindbarkeit der Begriffe gewährleistet sein dürfte. XVI Vorwort zur 3. Auflage Werner Hüllen, Mitherausgeber der ersten und zweiten Auflage des Handbuchs, ist auf eigenen Wunsch aus dem Herausgeberkreis ausgeschieden. Er ist jedoch nach wie vor als Autor bzw. Mitautor mehrerer Beiträge beteiligt. Den drei Herausgebern obliegt es, auch dieses Mal wieder mannigfach Dank zu sagen: Sie danken zunächst den „alten“ und den neu hinzugekommenen Beiträgern für die gute und zügige Zusammenarbeit. Desgleichen danken sie für die vielseitigen konstruktiv-kritischen Hinweise und Ratschläge, die sie im Laufe der vergangenen fünf Jahre von Rezensenten, Kollegen und Studierenden erhalten haben. Sie danken des weiteren der Leitung des Francke-Verlags, insbesondere Frau Brigitte Narr, die das gemeinsame Unternehmen nach Kräften gestützt und gefördert hat. Sie danken schließlich ihren „guten Geistern“ vor Ort für die tatkräftige Mithilfe im Alltag des Überarbeitungsprozesses: Frau Beate Helbig in Bochum, Herrn Mark Bechtel in Gießen und Frau Nadja Kerschhofer in Wien. Im Sommer 1994 Karl-Richard Bausch Herbert Christ Hans-Jürgen Krumm Einleitung zur ersten Auflage 1. Inhalt und Struktur eines Handbuchs in der hier vorgelegten Form reflektieren eine mehrere Jahrzehnte umfassende wissenschaftliche Entwicklung. Das Lehren und Lernen fremder Sprachen hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland in geradezu revolutionärer Weise verändert. Die Höheren Schulen haben ihren Monopolanspruch auf Vertretung des fremdsprachlichen Unterrichts endgültig aufgeben müssen; ihnen ist als Partner, aber auch als Konkurrent, die Erwachsenenbildung in ihren vielfältigen Erscheinungsformen gegenübergetreten. Auch die Zahl der an unseren Bildungseinrichtungen gelehrten und gelernten Fremdsprachen hat sich in den letzten Jahrzehnten vervielfacht. Ferner beschäftigen sich heute Forscher in sehr viel stärkerem und differenzierterem Maße mit dem Problem des Lehrens und Lernens fremder Sprachen als in früheren Jahrzehnten, und sie tun dies in ganz unterschiedlichen Disziplinen mit jeweils spezifischen Erkenntnisinteressen. Das Bedürfnis nach Information über den Fremdsprachenunterricht ist unter diesen Umständen ohne Zweifel angestiegen, zumal umfassende Darstellungen über den Gesamtgegenstand in seiner gewachsenen Komplexität fehlen. Die Herausgeber dieses Handbuchs haben sich auf Grund dieser Sachlage von folgenden Überlegungen leiten lassen: XVII • die Realität des Lehrens und Lernens fremder Sprachen ist komplex, das Bild diffus; • nicht nur Lehren und Lernen von fremden Sprachen sind in viele verschiedene Institutionen eingebunden, sondern die Erforschung dieses Gegenstandsbereichs erfolgt auch von unterschiedlichen Disziplinen aus; • die institutionellen Unterschiede und Gegensätze haben allerdings, sowohl in der Praxis als auch in der Forschung, die Gemeinsamkeit des Aufgabenfeldes nicht aus dem Blick geraten lassen. Beweis dafür sind z. B. Kongresse, Tagungen und Publikationsorgane, in denen Fremdsprachendidaktiker und Sprachlehrforscher sowie Vertreter anderer Disziplinen, Fremdsprachenlehrer, Curriculum-Planer, Lehr- und Lernmaterialautoren sowie Lehrmittelproduzenten gleichermaßen zu Wort kommen; • was bislang jedoch fehlt, ist ein Überblick, in dem möglichst alle Aspekte des Lehrens und Lernens fremder Sprachen im Lichte unterschiedlicher wissenschaftlicher Ansätze dargestellt werden. Das Handbuch Fremdsprachenunterricht versucht deshalb, den genannten Gegenstandsbereich - in seiner praktischen Dimension sowie als Forschungsobjekt - möglichst vollständig zu erfassen und differenziert darzustellen. Ausgangspunkt ist dabei das derzeitige Erscheinungsbild in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Blickrichtung schließt allerdings nicht aus, daß Tendenzen und Entwicklungen im Ausland und namentlich auch der Beitrag ausländischer Forschungsansätze gebührend berücksichtigt werden. Fremdsprachenunterricht ist nach Auffassung der Herausgeber gegenüber allen anderen Erscheinungsformen des Lernens, Erwerbs und Umgehens mit Sprache(n) so deutlich von spezifischen Eigenschaften bestimmt, daß er als Wirklichkeitsbereich eigener Art verstanden wird. Er ist nur dann angemessen zu erfassen, wenn man von seinen jeweils gegebenen Besonderheiten ausgeht. Nicht zuletzt dieser wissenschaftsmethodische Standpunkt, der von den Herausgebern vertreten wird, hat die Struktur des Handbuchs geprägt. 2. Das Handbuch gliedert sich in vier große Kapitel: Das erste Kapitel (A) geht von den vorhandenen Disziplinen aus. An erster Stelle stehen Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung, die den Fremdsprachenunterricht als ganzen bedenken. An zweiter Stelle kommen Disziplinen zu Wort, die Areale des Fremdsprachenunterrichts abdecken, und zwar Angewandte Linguistik, Psycholinguistik und Sprachpsychologie, Soziolinguistik, die Erziehungswissenschaft, Lerntheorie und Lernpsychologie, die Literaturwissenschaft und schließlich die Kultur- und Landeswissenschaften. Im zweiten Kapitel (B) werden Problembereiche des Fremdsprachenunterrichts behandelt, die gegenüber dem eher globalen Zugriff der vorhergehenden Erörterungen einen sehr viel spezifischeren Zugriff verlangen. Als Ordnungsgesichtspunkte gelten somit nicht mehr Wissenschaftsdisziplinen, sondern bedenkenswerte Phänomene der fremdsprachenunterrichtlichen Wirklichkeit. Sie gehören vier Problembereichen an. XVIII Einleitung zur ersten Auflage Im ersten Problembereich (B1) werden Stellung und Funktion von Sprachen im schulischen und nicht-schulischen Fremdsprachenerwerb behandelt; hierzu zählen das Verhältnis von Muttersprachen- und Fremdsprachenunterricht, von altsprachlichem Unterricht und (neusprachlichem) Fremdsprachenunterricht, die Probleme des Zweitsprachenunterrichts Deutsch, die Stellung der Herkunftssprachen ausländischer Wohnbevölkerungen und schließlich die Funktion der Fremdsprachen im deutschen Primar- und Sekundarschulsystem, in den Hochschulen und in der nicht-universitären Erwachsenenbildung; weiterhin gehören hierher die Fremdsprachenvermittlung durch Massenmedien sowie sprachenpolitische Perspektiven. Der zweite Problembereich (B2) thematisiert übergreifende Aspekte, die sich - unabhängig von einer bestimmten Fremdsprache - einerseits aus den nicht-sprachlichen Unterrichtsbedingungen und andererseits aus jenen Eigenheiten ableiten, die allen Sprachen gemeinsam sind; hierzu gehören das sprachliche, das landeskundliche sowie das literarische Curriculum, sodann die Lehr- und Lernziele, der Fremdsprachenlerner sowie der Fremdsprachenlehrer und schließlich die Interaktion zwischen Lehrer und Lerner; es folgen allgemein Beiträge, die im Überblick das Verhältnis von Methodik und Methoden, einschließlich der sogenannten Alternativen Methoden, behandeln, sowie auf konkrete unterrichtsmethodische Verfahrensweisen, wie etwa auf Sozialformen, Arbeits- und Übungsformen, Lerntechniken, Leistungsmessung und Medien konzentrierte Darstellungen. Am Ende dieses zweiten Problembereichs steht die Behandlung des Übersetzens und Dolmetschens sowie des sogenannten bilingualen Sachunterrichts. Anschließend werden die derzeit an den Schulen der Bundesrepublik gelehrten modernen Fremdsprachen, vom Arabischen bis zum Türkischen, einschließlich des Deutschen als Zweitsprache und des Deutschen als Fremdsprache, charakterisiert. Es werden folglich in diesem dritten Problembereich (B3) jene Aspekte angesprochen, die gerade nicht auf alle, sondern jeweils nur auf eine bestimmte Fremdsprache zutreffen. Schließlich werden im vierten Problembereich (B4) Typen des Fremdsprachenerwerbs ausdifferenziert, die durch Erwerbsweise und Alter der Lerner begründet sind. Hierher gehört zunächst die übergreifende Differenzierung in Lernen und Erwerben, sodann geht es um den frühkindlichen Bilingualismus, den Fremdsprachenerwerb im Vorschul- und Primarschulalter sowie im Sekundarschulalter, wobei prinzipiell zwischen der ersten und allen weiteren Fremdsprachen unterschieden wird, und schließlich um den Fremdsprachenerwerb im Erwachsenenalter. Das dritte Kapitel (C) behandelt Forschungsmethoden und -erträge, bezogen auf ausgewählte Problembereiche des Fremdsprachenunterrichts. Deshalb kommen das sprachliche, das landeskundliche und das literarische Curriculum, die Lehr- und Lernzieldiskussion, die Analyse des Fremdsprachenlerners und -lehrers sowie ihrer Interaktion, die Relation von Zwei- und Mehrsprachigkeit, Unterrichtsmethoden, Sozialformen, Arbeits- und Übungsformen, Leistungsmessung und schließlich Unterrichtsmittel und -medien erneut zur Sprache. Die Artikel aus dem zweiten Problembereich des Kapitels (B2) und aus dem Kapitel (C) ergänzen sich in dem Sinne, daß in der erstgenannten Artikelfolge der Stand des gesicherten Wissens beschrieben und in der zweitgenannten die jeweiligen forschungsorientierten und -methodischen Problematisierungen aufgezeigt werden. Das vierte Kapitel (D) hat schließlich die institutionelle Seite des Fremdsprachenunter- XIX Einleitung zur ersten Auflage richts zum Gegenstand. Es geht um Schulformen, Schulfremdsprachen, Stundentafeln, Abschlüsse, um den Fremdsprachenunterricht an Hochschulen, die Fremdsprachenlehrerausbildung, den Fremdsprachenunterricht an Institutionen der nicht-universitären Erwachsenenbildung, an Übersetzer- und Dolmetscherinstituten, ferner um die Fort- und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrern und um deren Fachverbände. Im fünften Kapitel (E) wird die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts umrißartig dargestellt. Sie wird in den vorhergehenden Kapiteln jedoch keineswegs ausgeblendet; die meisten Autoren haben vielmehr die historische Perspektive ihres jeweiligen Gegenstandes berücksichtigt. So kann im letzten Artikel der Stand der historischen Forschung als solcher im Bereich Fremdsprachenunterricht thematisiert werden. 3. Die Gliederung des Handbuchs soll das Bemühen spiegeln, den Wirklichkeitsbereich „Fremdsprachenunterricht“ einschließlich seiner bisherigen wissenschaftlichen Betrachtung so detailliert und zugleich so vollständig wie möglich zu erfassen. Dahinter steht die Annahme, daß eine umfassende Darstellung dieser Art, wie sie hier wohl erstmals vorgelegt wird, nicht aus einer Feder allein stammen kann. Die Gliederung des Handbuchs ist nicht im strengeren Sinne eine Systematik; sie zeigt im Gegenteil, daß es eine solche Systematik nicht gibt und wohl auch nicht geben kann. Mit dem Fremdsprachenunterricht tritt komplexes menschliches Handeln ins Blickfeld, das zwar nach hervorstechenden Eigenschaften zu beschreiben, aber niemals zur Gänze in einer Handlungstypologie zu fassen ist. Es erschien deshalb sinnvoll, die Fülle der Probleme in zwei gegenläufigen Verfahren aufzusuchen, nämlich einerseits orientiert an den Traditionen und Begriffen bestehender Disziplinen, die sich innerhalb ihrer eigenen Voraussetzungen und Zielvorstellungen bewegen, und andererseits phänomenologisch an der Wirklichkeit des Unterrichts, der in seiner Praxis stets neue Fragen aufwirft. Bei der analytischen Verarbeitung aller unterrichtlichen Erfahrung wie bei den daraus gewonnenen Einsichten für neu zu planenden Unterricht - seien sie nun theorie- oder problemorientiert - entstehen Wissensbestände, die umgehend wieder dem Test der Praxis unterworfen werden müssen und dabei selbstverständlich neue Probleme entstehen lassen. Dies legt nahe, dem (sogenannten) gesicherten Wissen über den Fremdsprachenunterricht immer wieder Problematisierungen an die Seite zu stellen, die auf die Offenheit dieses Wissens im Hinblick auf die Praxisprobe aufmerksam machen. Schließlich ist der praktizierte Fremdsprachenunterricht hinsichtlich aller seiner Formen in Institutionen eingebunden, die ihrerseits häufig eine lange Tradition, in fast allen Fällen auch eine recht rigide Binnenstruktur haben, welche dem Unterrichtenden ihre Bedingungen auferlegt. Die Gliederung des Handbuchs in fünf Kapitel ist wesentlich von den Spezifika des Gegenstands bestimmt. Sowohl die Gliederung wie auch die Aufteilung auf über hundert Autoren führt unvermeidlich zu Überschneidungen und Wiederholungen. Zudem entsteht eine Vielfalt an wissenschaftlichen Positionen, die innerhalb bestimmter Themenbereiche unweigerlich zu Widersprüchen und Gegensätzen führt. Die Herausgeber haben solche Widersprüche bewußt nicht ausgeräumt. Sie betrachten vielmehr den Pluralismus der Standpunkte als ein Charakteristikum der Wissenschaft vom Lehren und Lernen fremder Sprachen. 4. Die Erklärung des Aufbaus des Gesamtwerks dürfte hinreichend deutlich gemacht haben, warum die Herausgeber die Form ei- XX Einleitung zur ersten Auflage nes Handbuchs gewählt haben. Sie sind der Überzeugung, daß der Gegenstandsbereich in monographischer Form heute nicht mehr (oder noch nicht wieder) abzuhandeln ist. Andererseits erschien ihnen eine lexikalische Darstellungsform unangemessen. Das Alphabet ist zwar ein brauchbares Ordnungsmittel, wenn es um das Auffinden von Begriffen geht; doch läßt es den Leser immer dann im Stich, wenn er zusammenhängende Darstellungen sucht. Der begriffliche, alphabetisch zusammengestellte Zugang wird dem Benutzer allerdings über das Register angeboten. Die Herausgeber sind sich bewußt, daß der gesamte Gegenstandsbereich in einer raschen Fortentwicklung begriffen ist. Veränderungen werden sich wahrscheinlich in der Zukunft noch schneller vollziehen, als es in den letzten Jahrzehnten der Fall gewesen ist; das Jahr 1992, das Jahr, in dem die Niederlassungsfreiheit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft realisiert wird, bedeutet nicht nur für Westeuropa und für das Lehren und Lernen fremder Sprachen in dieser Weltregion eine gewaltige Herausforderung. So soll das Handbuch für das letzte Jahrzehnt unseres Jahrhunderts markieren, wie der Entwicklungsstand gegen Ende der 80er Jahre gewesen ist; es will von daher begründen helfen, warum und in welchem Rahmen die Verhältnisse in Praxis und Forschung konsolidiert bzw. verändert werden sollten. 5. Herausgeber und Verlag haben den Autoren der einzelnen Artikel einige formale Vorgaben gemacht. Die Beiträger mußten sich an eine einheitliche Gliederung der Artikel halten; auf Textzitate sollte gänzlich verzichtet werden; die Zahl der Literaturangaben wurde begrenzt. Die Autoren waren ferner gehalten, für ein breiteres, am Fremdsprachenunterricht und seiner Erforschung interessiertes Publikum zu schreiben. Angesichts der notwendigen Kürze der Beiträge sollte auf Doppelung von Bezeichnungen, z. B. auf die maskuline und feminine Benennung von Personen wie z. B. Schüler/ Schülerin, Lehrer/ Lehrerin, verzichtet werden. Die maskuline Form wird immer generisch verwandt. 6. Den Herausgebern bleibt es schließlich, Dank zu sagen. Sie danken zunächst allen Autoren für die gute, zügige und verständnisvolle Zusammenarbeit. Sie danken ferner den Leitern des Francke-Verlags und ihren Mitarbeitern für wirksame Förderung des Unternehmens und für die sorgfältige Betreuung der Herstellung. Ein besonderer Dank gilt Herrn Heinz Diste, der den Herausgebern als Redaktionsassistent zur Seite gestanden hat. Ihm ist vor allem für die formale Anpassung der Beiträge XXI Einleitung zur ersten Auflage sowie die Mitwirkung bei der Erstellung des Schlagwortregisters zu danken; bei der zuletzt genannten Arbeit wurde er von Frau Ruth Eßer und Frau Anette Hammerschmidt unterstützt. Schließlich danken die Herausgeber besonders der Cornelsen-Stiftung und ihrem Vorsitzenden, Herrn Prof. Dr. h. c. Franz Cornelsen, für eine namhafte finanzielle Unterstützung, durch die die Arbeit an der Herausgabe des Handbuchs ganz wesentlich gefördert worden ist. Im Winter 1988 Karl-Richard Bausch Herbert Christ Werner Hüllen Hans-Jürgen Krumm A Das Lehren und Lernen von Sprachen: Grundlagen 1. Fremdsprachendidaktik und Sprachlehr-/ -lernforschung 1. Begrifflichkeiten Fremdsprachendidaktik und Sprachlehr-/ -lernforschung (im weiteren Text der im deutschen Sprachraum üblich gewordene Begriff Sprachlehrforschung) bezeichnen Wissenschaftsdisziplinen, die sich mit dem Erwerb, Lernen und Lehren von fremden Sprachen bzw. Zweitsprachen beschäftigen und diese mit differenzierten gegenstandsangemessenen Methoden erforschen. Sie tun dies grundsätzlich mit dem Ziel der konzeptbildenden und/ oder empirisch begründeten Veränderung von didaktisch-methodischen Verfahren und (Fremdsprachen-)Lernstrategien. Dabei ist es von großer Bedeutung, dass durch die komplexen Vielsprachigkeitskontexte, in denen sich unsere Gesellschaften heute befinden, ein besonderes Forschungsinteresse der Entwicklung von didaktischmethodischen Mehrsprachigkeitsprofilen gilt (vgl. Art. 3 und 60). Somit werden auch alle außerinstitutionellen Kontexte, in denen Fremdbzw. Zweitsprachen gelernt werden, und alle Altersstufen in Betracht gezogen, wenn diese Formen des Sprachenlernens mit 1 institutionell unterstützten Verfahren interagieren. Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung bilden darüber hinaus den Nachwuchs an Fremdsprachenlehrern und -lehrerinnen für alle Kontexte und alle Institutionen in der ersten Ausbildungsphase an den Universitäten und Pädagogischen Hochschulen aus und sind in Fort- und Weiterbildung tätig. Während sich die Fremdsprachendidaktik schwerpunktmäßig mit dem schulischen Fremdsprachenlernen und -lehren befasst, fokussiert die Sprachlehrforschung dezidiert auch andere institutionelle Kontexte, u. a. die Fremdsprachenlehrerausbildung im tertiären und/ oder quartären Bildungsbereich (Hochschulen und Erwachsenenbildung). Die Ko-Existenz beider Disziplinen ist historisch begründet; seit Mitte der 1990er Jahre ist die Zusammenarbeit zwischen ihnen enger geworden; vielfach überlappen sich ihre Arbeitsfelder. Versuche, sie zu einer Disziplin zusammenzuführen, waren allerdings bisher nicht erfolgreich (vgl. Bausch et al. 2003: 1) und sind angesichts neuerer struktureller Entwicklungen an den Universitäten und der an den meisten Hochschulen andauernden Verortung der Fremdsprachendidaktiken in den Philologien wohl auch nicht in größerem Umfang zu erwarten. 2. Entstehung und Aufgaben der Fremdsprachendidaktik Das Lernen und Lehren von Fremdsprachen hat eine jahrhundertealte Tradition. Die Fremdsprachendidaktik als die Wissenschaft, die sich maßgeblich mit dem schulischen Unterricht in den neueren Sprachen, ihren Lehrenden und Lernenden beschäftigt, kann mit der Gründung erster Professuren für neuere Philologien an Universitäten, fachspezifischer Zeitschriften und einschlägiger Fachverbände und wissenschaftlicher Vereinigungen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland und den anderen deutschsprachigen Ländern verortet werden (vgl. Art. 136, 137 sowie Flechsig 1962 und 1965). Zu diesem Zeitpunkt begreifen sich die Vertreter der Disziplin als Didaktiker bzw. Fachdidaktiker, die jedoch nicht der allgemeinen Didaktik angehören, sondern ausschließlich auf die neueren Sprachen und den neusprachlichen Unterricht bezogen forschen und lehren. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist es gerade die Abkehr von der Methodik der alten Sprachen Griechisch, Hebräisch, Latein und ihrer Grammatik-Übersetzungs-Methodik, die die Fremdsprachendidaktiker der neuen Sprachen eint. Innerhalb der Fremdsprachendidaktik formieren sich die Vertreter einzelner Sprachen zu eigenen Fachgruppen des englischen, französischen, italienischen, russischen oder spanischen Sprachunterrichts. Es gehört zur institutionellen Geschichte der Fremdsprachendidaktik, dass ihre Vertreter seit der Begründung der Professuren nach 1945 bis heute ihre Titel in der Regel nach ihren jeweiligen Zielsprachen und -kulturen benennen. Die Verortung der Fremdsprachendidaktiken an den Pädagogischen Hochschulen und seit den 1970er Jah- 2 K.-R. Bausch / E. Burwitz-Melzer / H.-J. Krumm / G. Mehlhorn / C. Riemer ren an den Universitäten ist unterschiedlich; während einige Universitäten diese Wissenschaftsdisziplin in die erziehungswissenschaftlichen Bildungsgänge integriert haben, ordnen die meisten Hochschulen die Einzelsprachendidaktiken den Fachwissenschaften der jeweiligen Fremdsprache zu. Die Bedeutung der Fremdsprachendidaktik wächst nach dem zweiten Weltkrieg mit dem Ansteigen des Fremdsprachenunterrichts, insbesondere des Englischunterrichts, sprunghaft an. Während bis 1945 z. B. der Englischunterricht v. a. an Gymnasien und Realgymnasien bzw. Realschulen erteilt wird, wird er nach 1964 auch an Hauptschulen und in Österreich 1983, in Deutschland 1993 an Grundschulen eingeführt. Die Fremdsprachendidaktik beschäftigt sich infolgedessen mit den jeweils neu hinzukommenden Schulformen. Ende der 1960er Jahre weitet sich das Arbeitsfeld über die Schulen hinaus auf die Volkshochschulen aus. Diese Entwicklung spiegelt sich in der im Jahr 1972 erfolgten Umwandlung des historisch ausschließlich für die Lehrenden an höheren Schulen ausgerichteten Allgemeinen Deutschen Neuphilologen-Verbandes (ADNV) in den Fachverband Moderne Fremdsprachen (FMF), der Lehrenden an allen Schulformen, aber auch an Hochschulen und anderen Institutionen offen steht. In der Folge entsteht die jährliche „Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker an Pädagogischen Hochschulen und Universitäten der Bundesrepublik Deutschland“ , aus der später die Kongresse für Fremdsprachendidaktik werden. Die Fremdsprachendidaktik zeichnet sich, insbesondere seit Mitte der 1960er Jahre durch eine nachhaltige wissenschaftsmethodische Diskussion der Frage nach Bezugswissenschaften im Sinne konzeptueller Abhängigkeitsstrukturen aus, zunächst von dem Berliner lehr-/ lerntheoretischen Ansatz, dem (allgemeinen) Didaktik- Modell der sog. Potsdamer Schule von Heimann, Otto & Schulz (1965). Insbesondere die Sprach-, Kultur- und Literaturwissenschaften sowie die Erziehungswissenschaften, die Allgemeine Didaktik und die Pädagogische Psychologie spielen als Bezugsgrößen eine Rolle, wobei sich die bezugswissenschaftlichen Relationierugen jeweils an der wissenschaftsmethodischen Stringenz der konkreten fremdsprachendidaktischen Aufgabenfelder ausrichten (vgl. Müller 1979). Während in den Jahren des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts besonders die Phonetik (im Sinne von Prinzipien der Ausspracheschulung) im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, legt die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Schwerpunkt auf die Literatur- und Kulturwissenschaften (vgl. Bausch et al. 2003: 2). Dieser Fokus wird abgelöst durch eine Hinwendung zur strukturellen Linguistik, zur Psycholinguistik, zur Sozio- und zur Pragmalinguistik. In Abhängigkeit von den jeweiligen Bezugsdisziplinen und den damit verbundenen Lehr- und Lerntheorien ändert die Fremdsprachendidaktik dabei auch ihre normativen Auffassungen von Unterricht und ihr Erkenntnisinteresse. So tritt in den 1950er Jahren mit der audiolingualen, der situativen und audiovisuellen Methode ein instruktionsbetontes Lehr-/ Lerngefüge in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, seit den 1970er Jahren mit der kommunikativen Wende das kommunikative sowie das handlungsorientierte Konzept, und mit dem Aufkommen des Kognitivismus Ende der 1990er Jahre entwickelt sich ein stark kognitions- und neurowissenschaftlich orientiertes Bild vom Lernen und Lehren fremder Sprachen. Entsprechend ihrer normativen Ausprägung legt die Fremdsprachendidaktik mit wechselndem Fokus in den Lerntheorien auch stets neue Ziele des Fremdsprachenunterrichts und andere Anforderungen an den Lernenden fest (vgl. den Überblick bei Hufeisen & Riemer 2010). 3 1. Fremdsprachendidaktik und Sprachlehr-/ -lernforschung Allerdings darf nicht übersehen werden, dass das Verhältnis der Fremdsprachendidaktik zu ihren Bezugswissenschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der einschlägigen Literatur durchaus kontrovers diskutiert wird, wobei es zuweilen sogar mit Konzeptlosigkeit und Unschärfe der Begrifflichkeit in Zusammenhang gebracht wird (vgl. Mihm 1972). Eine stärkere Konzeptbildung und ein größeres Interesse an neuen, z. B. auch empirischen Forschungsmethoden fehlten zunächst noch weitgehend. Daher wird in den 1970er und 1980er Jahren die Fremdsprachendidaktik häufig als Kompendienliteratur wahrgenommen (vgl. Achtenhagen & Wienold 1975), obgleich es in dieser Zeit durchaus philologisch orientierte Fachzeitschriften gibt (z. B. Der neusprachliche Unterricht, Die Neueren Sprachen). Erst eine deutliche Hinwendung zu empirischen Forschungsmethoden seit den 1990er Jahren hat dafür gesorgt, das Arbeitsfeld der Fremdsprachendidaktik neu zu entdecken und abzustecken sowie neue begriffs- und konzeptbildende Erkenntnisse und Theorien in der Fremdsprachendidaktik zu entwickeln. Der wichtigste Impuls hin zu einer solchen empirischen Forschungsauffassung stammt aus der Sprachlehrforschung, die sich seit den 1970er Jahren entwickelt hat. 3. Entstehung und Aufgabengebiete der Sprachlehrforschung Begleitet von einem umfassenden Ausbau der universitären Sprachenzentren und Zentralen Fremdspracheninstitute sowie der Lehramtsstudiengänge, entwickelt sich seit den 1970er Jahren die Sprachlehrforschung, die sich forschungsmethodisch von Anfang an als eigenständige Wissenschaftsdisziplin mit durch den Gegenstandsbereich begründeter Forschungsmethodik neben in Deutschland bereits etablierten Disziplinen wie der Fremdsprachendidaktik, der (angewandten) Linguistik, der Zweitsprachenerwerbsforschung sowie den Erziehungswissenschaften begreift. Sie knüpft dabei an internationale Entwicklungen der Applied Linguistics und der Second Language Acquisition Research aus dem angelsächsischen Raum sowie an glottodidaktischen Forschungskonzepten aus osteuropäischen Ländern und Italiens an. Die Fremdsprachendidaktik und ihre Bezugswissenschaften werden von den Begründern der Sprachlehrforschung als „lediglich reduktionistische Konzepte“ verstanden (Bausch et al. 2003: 3), die zur Erforschung des komplexen Gegenstandsbereichs Fremdsprachenunterricht nicht optimal gerüstet seien. Auf Anregung des Senats der Deutschen Forschungsgemeinschaft wird vor diesem Hintergrund im Jahr 1973 ein Forschungsförderungsprogramm für den genuinen Gegenstandsbereich des Lehrens und Lernens fremder Sprachen definiert und als DFG-Forschungsschwerpunkt „Sprachlehrforschung“ eingerichtet (vgl. Koordinierungsgremium 1977). Die folgenden Jahre sind v. a. gekennzeichnet von wissenschaftsmethodischen Auseinandersetzungen, die sich darauf konzentrieren, dass der spezifische Gegenstandsbereich des Lehrens und Lernens fremder Sprachen eigene Erkenntnisinteressen, Forschungsmethoden und Vermittlungsverfahren benötigt, die die bisher etablierten Disziplinen in nicht ausreichender Weise bereitstellen können, da sie in ihren bisherigen Forschungsansätzen jeweils nur Teilaspekte des Interaktionsfelds herausgegriffen haben. Dabei sind die erkenntnistheoretischen Ansätze der Forscherinnen und Forscher der Sprachlehrforschung betont interdisziplinär ausgelegt (vgl. Art. 5). Aus dem DFG-Schwerpunkt Sprachlehrforschung geht die 1. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts 4 K.-R. Bausch / E. Burwitz-Melzer / H.-J. Krumm / G. Mehlhorn / C. Riemer (Bausch et al. 1981; Koordinierungsgremium 1983) hervor, die die wissenschaftstheoretische und -methodische Neuorientierung dokumentiert, die sich in diesen Jahren vollzog (vgl. Bausch & Kasper 1979). Die Aufgabengebiete der Sprachlehrforschung von den 1970er Jahren bis zur Jahrtausendwende sind zahlreich und können hier nur ausschnitthaft wiedergegeben werden: Ausgehend von der Grundauffassung, dass das Lehren und Lernen fremder Sprachen einen hochkomplexen, wissenschaftsmethodisch eigenständigen Forschungsbereich - gekennzeichnet als sog. Faktorenkomplexion - darstellt, werden die Fremdsprachenlehr- und -lernbedingungen untersucht, wobei in funktionaler Perspektive z. B. fremdsprachenlernpsychologische, linguistische, pädagogische und soziale Phänomene einbezogen werden. Als besonderer Schwerpunkt kristallisieren sich die Lernenden selbst heraus; ihre Perspektiven, ihre Vorbedingungen und Dispositionen werden erstmalig systematisch erforscht. Zentrale Fragestellungen wie das Sprachenlernen in verschiedenen Altersstufen, Faktoren der Lernerorientierung und Lernerautonomie werden aus den Konzepten zum Lerner abgeleitet und stellen neue Schwerpunkte des Erkenntnisinteresses dar. Die Beschäftigung mit Lernerdispositionen führt zu der Erkenntnis, dass Fremdsprachenlernende oft multilingual und multikulturell geprägt sind, wobei sich diese Prägungen in komplexen mentalen Verarbeitungsprozessen beim Erlernen fremder Sprachen beobachten und nutzen lassen. Der Sprach-, Kommunikations- und Kulturbesitz der Lernenden schlägt sich nieder in spezifischen didaktisch-methodischen Formen der Mehrsprachigkeit (vgl. Art. 44-49 sowie 60-63). Insgesamt bemüht sich die Sprachlehrforschung um einen empirisch-systematischen Forschungsansatz, der interdisziplinär verankert ist und eine umfassende Konzeptbildung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen anstrebt. Fragestellungen der Sprachlehrforschung gehören seit Erscheinen der Einführung von Edmondson und House (1993) zum festen Bestandteil des Lehrangebots in der Ausbildung von Fremdsprachenlehrenden. 4. Perspektiven Nach achtjähriger Laufzeit endete im Jahr 1980/ 81 das Forschungsschwerpunktprogramm „Sprachlehrforschung“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Um für die Folgezeit v. a. die wissenschaftsmethodischen Diskussionen zum Erforschen des Lehrens und Lernens von fremden Sprachen weiterführen zu können, wurde die „Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts“ gegründet. Diese Konferenz findet seitdem einmal im Jahr im Schloss Rauischholzhausen, einer Tagungsstätte der Justus-Liebig-Universität Gießen, statt. Die dort geführten Diskussionen nehmen v. a. Fragen zur Entwicklung von Forschungskonzepten und Forschungsmethoden, nach Lernbedingungen und Lernprozessen ins Visier, nicht selten werden Themen aufgegriffen, die für alle Fremdsprachendidaktiker und Sprachlehrforscher wegweisend sind und dabei helfen, den Fremdsprachenunterricht auf allen Ebenen weiterzuentwickeln. Die den Diskussionen zu Grunde liegenden Thesen werden jährlich als „Arbeitspapiere der Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts“ publiziert. Im Zuge der stärkeren Zusammenarbeit von Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung entstand auch die Deutsche Gesellschaft für Fremdsprachenforschung, deren Gründung 1989 mit dem Ziel erfolgte, durch das Zusammenwirken beider Disziplinen deren Gewichte im Kontext der forschungsbe- 5 1. Fremdsprachendidaktik und Sprachlehr-/ -lernforschung tonten Wissenschaftsorganisationen und der Lehrerbildung zu stärken und die ohne eine Organisation durchgeführten Arbeitstagungen der Fremdsprachendidaktiker, die sich zu beachtlichen Kongressen entwickelt hatten, auf eine organisatorische Basis zu stellen (www.dgff.de). Aktuelle Strukturveränderungen an den deutschen Hochschulen sorgen für Veränderungen im disziplinären Gefüge. So sind die Verbindungen zwischen Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung sowie dem sich seit Ende der 1970er Jahre an deutschen Universitäten konstituierenden Fach Deutsch als Fremdbzw. Zweitsprache enger geworden, nicht zuletzt auch durch die höhere Aufmerksamkeit für Prozesse der Entwicklung von Mehrsprachigkeitsprofilen sowie Migration, die auch den schulischen Fremdsprachenunterricht und seine heterogene Schülerschaft betreffen. Das akademische Fach Sprachlehrforschung konnte hingegen nicht als eigenständige Wissenschaftsdisziplin mit entsprechenden Studiengängen aufrechterhalten werden: So laufen z. B. die Studiengänge an der Universität Hamburg und der Ruhr-Universität Bochum derzeit aus. Diesbezügliche Professuren werden nicht wiederbesetzt oder in andere Disziplinen verlagert; gleichzeitig entstehen jedoch neue vergleichbare Arbeitsgebiete wie z. B. das auf Mehrsprachigkeit fokussierte Zentrum an der Universität Salzburg, ein Institut für Mehrsprachigkeit an der Universität Fribourg/ Schweiz und eine Professur für Sprachlehrforschung an der Universität Bremen. Sprachlehrforschung wird zukünftig stärker den Status einer sich dezidiert empirisch und lehr-/ lernwissenschaftlich verstehenden Forschungsrichtung akademischer Fächer wie z. B. DaF/ DaZ, der Englisch- oder Französisch-, Spanisch- oder Russischdidaktik haben, wobei sich hier durch die sprachenübergreifende Zusammenarbeit ein Verständnis von Sprachlehrforschung als forschungsorientierter Querstruktur herausbildet. Solche Entwicklungen stellen auch Herausforderungen für die Forschungs- und Gegenstandsprofilierung der Fremdsprachendidaktik dar, die sich - häufig auf institutionellen Druck auf ihre Hochschulvertreterinnen und -vertreter - umfangreichen Verpflichtungen in der Lehrerausbildung der ersten Phase stellen müssen. Der Bereich des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen außerhalb des engeren Kontexts der Schulen (inkl. des naheliegenden Bereichs des Fremdsprachenlehrens und -lernens an Hochschulen) droht angesichts der strukturellen Auflösung des Fachs Sprachlehrforschung noch mehr aus dem Fokus von Forschung und Lehre zu geraten, als er es ohnehin ist. Dies wäre angesichts der zunehmenden Tendenz zu lebenslangem Fremdsprachenlernen und der Hybridisierung von Lernprozessen, die einmal mehr, einmal weniger durch institutionelle Unterstützung geprägt sind, nicht angemessen. Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung haben sich bis heute weitgehend einander angenähert. Hierfür waren gemeinsame Diskussionen, z. B. im Rahmen der Frühjahrskonferenzen zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts, und vielfältige Aktivitäten, z. B. durch die Deutsche Gesellschaft für Fremdsprachenforschung initiierte Kongresse und die Gründung der Zeitschrift für Fremdsprachenforschung, wichtige Beiträge. Heute bilden die Fremdsprachendidaktikerinnen und -didaktiker sowie die Sprachlehrforscherinnen und -forscher eine Gruppe, die fachlich bezogene forschende, analysierende und auch operative wissenschaftliche Ziele verfolgt, womit auch normative Ansprüche verknüpft werden können (vgl. Decke-Cornill & Küster 2010: 3-5). Diese Disziplin erforscht, beschreibt und interpretiert Unterricht, seine Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie seine Lehr-Lernpro- 6 K.-R. Bausch / E. Burwitz-Melzer / H.-J. Krumm / G. Mehlhorn / C. Riemer zesse (vgl. Bausch et al. 2010: 7 f.). Aktuelle Schwerpunkte stellen die Kompetenzorientierung (vgl. Art. 18) und Formen der Didaktik und Methodik der Mehrsprachigkeit dar (vgl. Art. 3, 48 und 60), aber auch die globale Ausweitung des Fremdsprachenlehrens und -lernens mit kulturell geprägten Unterschieden in Methodik und Inhaltsorientierung, eine moderne Lehrwerkgestaltung, die adressaten- und altersspezifische Gestaltung von Curricula und Lehrplänen sowie Formen des interkulturellen Lernens (vgl. Art. 32 und 34). Die weitere wissenschaftsmethodische Schärfung und Profilierung gehört zu den aktuellen sowie perspektivisch zu den zukünftigen Aufgaben der mit dem Erwerb, Lernen und Lehren von fremden Sprachen bzw. Zweitsprachen befassten Wissenschaftsdisziplinen. Als übergeordnete Perspektive wäre für die Zukunft eine systematische wissenschafts- und forschungsmethodische Kooperation zwischen allen mit dem Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen befassten Disziplinen anzuvisieren und in neue gemeinsam arbeitende Organisationsformen zu überführen. Literatur Achtenhagen, F. / Wienold, G., Hrsg. (1975): Lehren und Lernen im Fremdsprachenunterricht Bd. 1. München. Bausch, K.-R. / Burwitz-Melzer, E. / Königs, F. G. / Krumm, H.-J., Hrsg. (2010): Vorwort, in: K.-R. Bausch / E. Burwitz-Melzer / F. G. Königs / H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachen lehren und lernen: Rück- und Ausblick: Arbeitspapiere der 30. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen, 7. Bausch, K.-R. / Christ, H. / Hüllen, W. / Krumm, H.-J., Hrsg. (1981): Arbeitspapiere der 1. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Bochum. Bausch, K.-R. / Christ, H. / Krumm, H.-J., Hrsg. (2003): Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Aufl. Tübingen, 1-9. Bausch, K.-R. / Kasper, G. (1979): Der Zweitsprachenerwerb. Möglichkeiten und Grenzen der ,großen‘ Hypothesen. Linguistische Berichte 64, 3-35. Decke-Cornill, H. / Küster, L. (2010): Fremdsprachendidaktik. Eine Einführung. Tübingen. Edmondson, W. / House, J. (1993, 4. Aufl. 2011): Einführung in die Sprachlehrforschung. Tübingen. Flechsig, K.-H. (1962): Die Entwicklung des Verständnisses der neusprachlichen Bildung in Deutschland. Göttingen. Flechsig, K.-H., Hrsg. (1965): Neusprachlicher Unterricht. Weinheim. Heimann, P. / Otto, G. / Schulz, W. (1965): Unterricht: Analyse und Planung. Hannover. Hufeisen, B. / Riemer, C. (2010): Spracherwerb und Sprachenlernen, in: H.-J. Krumm / C. Fandrych / B. Hufeisen / C. Riemer (Hrsg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. Bd. 1, 738-753. Koordinierungsgremium im DFG -Schwerpunkt „Sprachlehrforschung“ , Hrsg. (1977): Sprachlehr- und Sprachlernforschung. Eine Zwischenbilanz. Kronberg. Koordinierungsgremium im DFG -Schwerpunkt „Sprachlehrforschung“ , Hrsg. (1983): Sprachlehr- und Sprachlernforschung: Begründung einer Disziplin. Tübingen. Mihm, E. (1972): Die Krise der neusprachlichen Didaktik. Frankfurt a. M. Müller, R.-M. (1979): Das Wissenschaftsverständnis der Fremdsprachendidaktik, in: H. Heuer / H. Sauer / H. Kleineidam / E. Obendiek (Hrsg.): Dortmunder Diskussionen zur 7 2. Sprachenbegriffe Fremdsprachendidaktik. 8. Arbeitstagung der Fremdsprachendidaktiker 1978. Dortmund, 132-148. Karl-Richard Bausch Eva Burwitz-Melzer Hans-Jürgen Krumm Grit Mehlhorn Claudia Riemer 2. Sprachenbegriffe 1. Problemaufriss Im Unterschied zu dem modern-linguistischen Sammelbegriff ,Sprache‘ (Art. 8) ist es im Kontext des Wirklichkeitsbereichs Lehren und Lernen von modernen Fremdbzw. Zweitsprachen (Art. 1 und 5) notwendig, zwischen jeweils spezifischen Sprachenbegriffen funktional zu unterscheiden. Diese Differenzierung findet ihren Grund in der Tatsache, dass das, was man in der Sprachlehrforschung unter Sprache versteht, in der Regel nicht als abstrakte und statische Entität in Erscheinung tritt, sondern vielmehr stets in interaktive (fremd-)sprachliche Kommunikationskontexte, und zwar auf der Basis der sog. Faktorenkomplexion (Art. 1) eingebettet ist. Dies gilt sowohl für den Bereich der global ausgelegten, ganzheitlichen Kompetenzstufen als auch für die fertigkeitsbzw. modalitätenbezogenen Teilkompetenzen (vgl. GeR, Europarat 2001). Vor diesem prinzipiellen Hintergrund ist anzumerken, dass die Funktionalität des jeweiligen Sprachenbegriffs an erster Stelle in Abhängigkeit von dem gewählten unterrichtsmethodischen Vermittlungskonzept determiniert wird; die folgenden Beispiele, die in der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts belegt sind (Art. 136, 137), mögen diese Feststellung hier kurz erläutern: • z. B. das im europäischen schulischen Bildungssystem noch immer weit verbreitete klassische direkte Fremdsprachenvermittlungskonzept, das einen assoziativ-begründeten, strikt einsprachig-semantisierenden (Fremd-)Sprachenbegriff beinhaltet und sich hierdurch konsequent von dem kognitiv-zweisprachigen Sprachenbegriff der sog. Grammatik-Übersetzungsmethode absetzt; • z. B. der rein-situativ und/ oder -audiovisuell konturierte (Fremd-)Sprachenbegriff, der im Kontext des klassisch-strukturellen linguistischen Modells in taxonomischklassifizierender Form auf die (fremd-) sprachliche Bewältigung von sog. Alltagssituationen ausgerichtet ist; • z. B. der behavioristisch ausgelegte (Fremd-) Sprachenbegriff, der im nordamerikanischen Kontext als habitualisierender Sprachenbegriff vorrangig in utilitaristischer Ausprägung und in der Regel ohne semantische bzw. introspektive Komponente fungiert; • z. B. der individuell-intentionale (Fremd-) Sprachenbegriff, der handlungsorientiert in sprechakttheoretischen bzw. pragmadidaktischen Kontexten seine Funktionen übernimmt; • z. B. der (Fremd-)Sprachenbegriff, der sich in seiner kommunikativen Reichweite auf einzelne Teilkompetenzen, wie z. B. Hörverstehen, Sprachmittlung etc. limitiert (vgl. Bausch et al. 2011). 2. (Fremd-)Sprachenbegriffe in Lehrmaterialien Die in der Sprachlehrforschung nach wie vor kontrovers diskutierte Frage nach der kommunikativ-angemessenen Reichweite eines in die Faktorenkomplexion eingebundenen (Fremd-)Sprachenbegriffs lässt sich an dem dichotomisch gegenübergestellten Beispiel 8 K.-R. Bausch von Lehrmaterialien verdeutlichen, die einerseits traditionell einem systemlinguistischen (inklusive einem generativ-transformationellen) und andererseits einem zeitgemäßen sog. „weiten“ inhaltsorientierten bzw. interkulturell fundierten (Fremd-)Sprachenbegriff folgen. Diese dichotomische Diskrepanz spiegelt sich im Übrigen und gleichermaßen nahezu weltweit in den jeweiligen länderbzw. schulformenspezifischen Curricula und Lehrplänen: a) Der systemlinguistisch begründete Sprachenbegriff umfasst im Sinne des strukturalistisch-linguistischen Beschreibungsmodells die Sprachebenen Lexikon, Morphosyntax bzw. Grammatik, Lautung und Schreibung; er ist formorientiert, grammatikzentriert, verfolgt konsequent das Sprachrichtigkeitsprinzip und berücksichtigt keine individuellen (fremd-)sprachlichen intentionalen Kategorisierungen; er ist demzufolge in Bezug auf die Wertigkeit seiner (fremd-)sprachlichen Strukturen und Inhalte als reduktionistische Begrifflichkeit zu klassifizieren. b) Im Unterschied zu dem systemlinguistischen Sprachenbegriff konzentriert sich der weite (Fremd-)Sprachenbegriff auf die sog. lebensweltlich relevante, kommunikativ wichtige und zugleich kompetenzorientierte Mitteilungsebene und ist somit in seinem Kern interkulturell begründet und nicht mehr vorrangig den formalsprachlichen Strukturen und -inhalten verpflichtet. Dies bedeutet, dass sich die Entwicklung von fremdsprachlichen Lehrmaterialien an einen kompetenzorientierten Sprachenbegriff anzulehnen hat, der sich an der kommunikativ-interkulturellen Reichweite der jeweiligen Mutterbzw. Erstsprache messen lassen und folglich - neben den klassisch-strukturalistischen - sozusagen gleichberechtigt die Ebenen der pragmatisch-handlungsorientierten sowie der kulturspezifischen Routinen, Konventionen und nonverbalen Verhaltensmuster einbeziehen muss. Insgesamt richtet sich demzufolge das aus dem weiten (Fremd-) Sprachenbegriff abgeleitete didaktisch-methodische Vermittlungskonzept auf die kompetenzorientierte Betonung der interkulturell begründeten Inhaltsdimension und somit vorrangig auf Formen des interkulturellen fremdsprachlichen Lernens; die bloße Sprachrichtigkeitskategorisierung tritt dabei in den Hintergrund. 3. Lernerzentrierte (Fremd-)Sprachenbegriffe Im Unterschied zu den bisher aufgeführten (Fremd-)Sprachen haben die Konzepte der Sprachlehrforschung und der modernen Fremdsprachendidaktik einen weiteren spezifischen, grundsätzlich dynamisch ausgelegten (Fremdsprachen-)Lernbegriff entwickelt, der sich per definitionem von dem gesamten (Fremdsprachen-)Lernstand her definiert, den ein konkreter Lerner zu einem genau deskribierten Zeitpunkt seines Lernprozesses erreicht hat bzw. in einer bestimmten Phase ,besitzt‘. Dieser sog. Sprachenbesitz bzw. traditionell auch als Interlanguage, als ,Zwischensprache‘ oder Interlangue bezeichnet (vgl. Bausch & Clas 2014; Selinker 1972; 1992), ist stets instabil und variabel sowie durch komplexe intralinguale und interlinguale Transferprozesse determiniert. Diese Transfers können auf der sprachlichen Produktebene sowohl als pro- oder retroaktive und zugleich als positive Resultate (in Form von positiven Intraferenzen) wie auch als negative Transfers (in Form von Interferenzen) auftreten, und zwar konkret z. B. als Übergeneralisierungsstrukturen auf allen Sprachebenen innerhalb einer ersten bzw. ,stärksten‘ Sprache oder z. B. auch zwischen den im individuellen Sprachenbesitz vorhandenen 9 2. Sprachenbegriffe fremdund/ oder zweitsprachlichen Kommunikationssystemen. 4. Zwei Perspektiven Die für den eigenständigen Wirklichkeitsbereich des Lehrens und Lernens von modernen Fremd- und Zweitsprachen genuin verantwortlichen Wissenschaftsdisziplinen der Sprachlehrforschung und der modernen Fremdsprachendidaktik (vgl. Art. 1 und 5) haben bisher eine systematische Erarbeitung eines spezifischen wissenschaftsmethodisch begründeten Gerüsts für (Fremd-)Sprachenbegriffe vernachlässigt; sie haben sich vielmehr relativ selbstverständlich an Komponenten von rein linguistischen Systemen und Modellen orientiert. Vor diesem Hintergrund wäre es perspektivisch an der Zeit, sich dieser überfälligen Thematik zuzuwenden, um die Entwicklung von gegenstandsangemessenen, vorrangig inhaltssowie interkulturell bezogenen, d. h. also weiten Sprachenbegriffen systematisch in den Blick zu nehmen; dabei wäre vorrangig die curricular- und lehrmaterial-ausgerichtete Entwicklungsarbeit in den Fokus zu stellen. Die traditionelle Interlanguage -Forschung hat sich bisher ausschließlich als (Fremdsprachen-)Erwerbsbzw. -Lernhypothese verstanden; sie war folglich bezüglich ihrer Sprachenbegrifflichkeit strikt „zuwachsorientiert“ (vgl. Bausch 2013). Perspektiven des individuellen Vergessens von fremdsprachlichen Globalbzw. Teilkompetenzen sind weder praxisnoch forschungsorientiert in den Blick genommen worden; man hatte sich vielmehr im Wesentlichen auf die Analyse der abstrakten Prozessdichotomie ,proaktiv - retroaktiv‘ begrenzt. Vor diesem Hintergrund wäre die Perspektive für einen (fremdsprachen-)lernerbezogenen, dynamisch konzipierten Sprachenbegriff aufzugreifen, der gleichermaßen auch Komponenten der Fremdsprechenvergessenskategorien mit einschließt und dieses umfassende Konzept noch zusätzlich auf den sog. Age Factor (vgl. Grotjahn 2013 sowie Art. 52) hin ausdehnt. Diese Perspektive wäre des Weiteren dringend für praxis- und forschungsorientierte Fragestellungen zu öffnen und zwar auf der Grundlage eines interdisziplinär-integrativen Forschungsansatzes (vgl. hierzu auch Art. 5). Dabei wäre zusätzlich die Perspektive mit einzubeziehen, dass in unseren vielsprachigen Gesellschaften (vgl. Art. 3 und 60) fremdsprachliche kompetenzbasierte Bedarfs- und persönliche Bedürfnislagen gegeben sind (vgl. Weinrich 2011), für diese gesellschaftlich relevanten Bereiche wären v. a. auch die Entwicklung von Fremdsprachen-Revitalisierungskonzepten sowie diesbezügliche, curricular begründete Fremdsprachenvermittlungsmethoden angezeigt. Literatur Bahr, A. / Bausch, K.-R. / Helbig, B. / Kleppin, K. / Königs, F. G. / Tönshoff, W. (1996): Forschungsgegenstand Tertiärsprachenunterricht. Ergebnisse eines empirischen Projekts. Bochum. Bausch, K.-R. (2013): Der ,weite‘ Sprachenbegriff: META , Journal des Traducteurs, 78-92. Bausch, K.-R. / Bergmann, B. / Grögor, B. / Heinrichsen, H. / Kleppin, K. / Menrath, B. (2011): Rahmenplan ,Deutsch als Fremdsprache‘ für das Auslandsschulwesen. Bochum, Köln. Bausch, K.-R. / Christ, H. / Hüllen, W. / Krumm, H.-J. (1987): Sprachbegriffe im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 7. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen. Bausch, K.-R. / Clas, A. (2014): Le concept de linterlangue et l’enseignement de l’italien, lange seconde. META , Journal des Traducteurs, 56-66. 10 Adelheid Hu Europarat (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Strasbourg. Grotjahn, R. (2013): Alter und Fremdsprachenlernen. Ein Forschungsüberblick, in: A. Berndt / T. Schlak (Hrsg.): Fremdsprachen in der Perspektive lebenslangen Lernens. Frankfurt a. M., 13-45. Selinker, L. (1972): Interlanguage. International Review of Applied Linguistics in Language Teaching 10, 209-241. Selinker, L. (1992): Interlanguage revisited, London. Weinrich, H. (2011): Fremdsprachenbedürfnis versus Fremdsprachenbedarf: Ein gesellschaftlicher Gegensatz? Linguistique appliquée de l’Université du Québec à Montréal ( UQUAM ) 25 (4), 21-33. Karl-Richard Bausch 3. Mehrsprachigkeit 1. Problemaufriss Mehrsprachigkeit ist ein komplexes Phänomen, das in vielen Teilen der Welt seit jeher eine Normalität darstellt. Als Forschungsthema ist Mehrsprachigkeit hingegen vergleichsweise jung. Durch die lange Zeit vorherrschende nationalstaatliche und monolinguale Ausrichtung vieler Schulsysteme wie auch der westlichen Linguistik (vgl. Gogolin 1993; Milroy & Muysken 1995: 3) wurde erst vergleichsweise spät intensiver zu Fragen der Mehrsprachigkeit gearbeitet - mit Ausnahme der Forschungen zum traditionell etablierten Fremdsprachenunterricht, in dem fremdsprachliche Lehr- und Lernprozesse (in der Regel allerdings ohne Beachtung der Mehrsprachigkeit der Lernenden) im Zentrum standen (Bausch & Krumm 2003). Auch existiert schon seit mehr als 100 Jahren eine gut entwickelte Bilingualismusforschung (vgl. Milroy & Muysken 1995: 4 ff.), die sich aber - wie es der Name sagt - mit Zweisprachigkeit und nicht mit Mehrsprachigkeit beschäftigt. Schon hier muss allerdings festgestellt werden, dass bis heute das Verständnis darüber, was unter Bilingualismus / Zweisprachigkeit bzw. Multilingualismus / Mehrsprachigkeit jeweils verstanden wird, keineswegs einheitlich ist. Entscheidend ist - wie unten näher ausgeführt wird - das jeweils zugrunde gelegte Sprachkonzept. Aufgrund von Migration, Globalisierung und zunehmendem Sprachkontakt hat sich Mehrsprachigkeit inzwischen seit circa 30 Jahren weltweit zu einem zentralen Forschungsthema entfaltet: In der Sozio-, Kontakt- und Psycholinguistik, der Zweitspracherwerbsforschung, der Literaturwissenschaft, der Erziehungswissenschaft wie auch der Sprachlehrforschung und Fremdsprachendidaktik (vgl. Art. 1) nehmen Fragen der Mehrsprachigkeit einen großen Raum ein. Zu beobachten ist gerade in den didaktischen Forschungsbereichen eine Hinwendung zu spezifisch mehrsprachigkeitsorientierten Ansätzen, die die traditionelle Ausrichtung auf eine sog. Zielsprache zugunsten einer mehrsprachigen Perspektive öffnen und die Sprachlernerfahrungen sowie die mehrsprachigen Praktiken der Lernenden wie z. B. Translanguaging als Lernpotential erkennen (Garcia & Li Wei 2014). Diese Entwicklungen müssen dabei in Zusammenhang mit sprach- und schulsprachpolitischen Initiativen gesehen werden, wo Mehrsprachigkeit ebenfalls ein wichtiges Thema darstellt (vgl. z. B. Council of Europe 2007; Grommes & Hu 2014: 15-112). 11 3. Mehrsprachigkeit 2. Begrifflichkeit Der Begriff Mehrsprachigkeit wird in den verschiedenen Disziplinen und Sprachräumen nicht einheitlich benutzt. Während in der Psycholinguistik und der Zweitsprachenerwerbsforschung Bilingualismus häufig als Form von Mehrsprachigkeit angesehen wird oder die Begriffe Bilingualismus und Mehrsprachigkeit sogar synonym gebraucht werden, wird von Vertreterinnen und Vertretern der Tertiärsprachenforschung und auch der Fremdsprachendidaktik eine Person oft erst dann als mehrsprachig bezeichnet, wenn sie neben der Erstsprache mindestens zwei weitere Sprachen erworben bzw. gelernt hat (vgl. etwa zum Konzept der „echten“ Mehrsprachigkeit Bausch 2003 sowie Art. 60). Entscheidend ist für die jeweiligen Definitionen der zugrunde gelegte Sprachbegriff. Fasst man etwa Dialekte und Soziolekte auch unter das Konzept „Sprache“ , kann jeder Mensch grundsätzlich als mehrsprachig bezeichnet werden (Wandruszka 1979). Abstrahiert man jedoch von der auch jeder Einzelsprache inhärenten Mehrsprachigkeit wie auch von mehrsprachigen Praktiken, konstruiert man einen Monolingualismus, der erst durch das Erlernen von sogenannten Fremdsprachen überwunden werden kann. Sprachen erscheinen in dieser letzteren Sicht objektiviert, voneinander abgrenzbar und zählbar (L1, L2, L3 etc.) - eine Sicht, die angesichts von Sprachmischungsphänomenen und einem subjektorientierten Sprachkonzept zunehmend in Frage gestellt wird (Busch 2013: 9; Hu 2003: 298 f.; Kramsch 2009). Hinzu kommt das Kriterium der sprachlichen Kompetenz: In der Forschung zeichnet sich dabei ein deutlicher Trend zu einer Abwendung von der lange verbreiteten ausgewogenen / symmetrischen Mehrsprachigkeit als Leitidee ab. Nicht Perfektion, sondern die Fähigkeit, kommunikative und interkulturelle Situationen konstruktiv zu bewältigen, wird zum Kriterium für mehrsprachige Kompetenz (Grosjean 2012: 4). Die Frage der dynamischen Entwicklung von Mehrsprachigkeit in verschiedenen Phasen des Lebens sowie Formen der funktionalen Mehrsprachigkeit (für bestimmte Lebensbereiche werden unterschiedliche Sprachkompetenzen entwickelt) spielen eine zunehmende Rolle. Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (Europarat 2001) hat hier einen wichtigen Beitrag geleistet, indem unterschiedliche Profile in den verschiedenen Teilkompetenzbereichen beschreibbar gemacht wurden. Das auf John Gumpertz zurückgehende Konzept des Sprachenrepertoires (vgl. Busch 2013: 20 ff.), über das ein Individuum durch unterschiedliche Lern- und Erwerbskontexte sowie Sprachkontaktsituationen verfügt, gewinnt in diesem Zusammenhang an Bedeutung. Ein weiteres Unterscheidungskriterium betrifft die individuelle und die gesellschaftliche Mehrsprachigkeit. Insbesondere der Europarat schlägt hier eine terminologische Differenzierung vor: Der Begriff Mehrsprachigkeit (engl.: plurilinguism, frz. plurilinguisme) wird für die individuelle Mehrsprachigkeit verwendet, bei der mehrere Sprachen im mentalen System einer Person als miteinander interagierend und vernetzt angenommen werden. Davon abgehoben wird Vielsprachigkeit (engl.: multilingualism, frz. multilinguisme) als ein gesellschaftliches Phänomen des additiven Nebeneinanders von Sprachen, z. B. in mehrsprachigen Ländern (etwa der Schweiz) oder Schulsystemen mit rein additivem Sprachenangebot (Europarat 2001: 17). Diese Unterscheidung hat sich insbesondere im französischen Forschungskontext durchgesetzt, wo häufig zwischen multilinguisme und plurilinguisme unterschieden wird (vgl. z. B. Zarate, Lévy & Kramsch 2008). 12 Adelheid Hu 3. Forschungsstand In den letzten Jahren sind eine Reihe von umfassenden Monographien und Sammelbänden zu dem hochgradig komplexen Thema Mehrsprachigkeit erschienen, in denen die Thematik und die Forschungsentwicklung in ihrer ganzen Bandbreite aus jeweils unterschiedlichen disziplinären Perspektiven dargestellt wird (vgl. z. B. Aronin & Singleton 2012; Auer & Wei 2007; Busch 2013; Müller et al. 2011). In diesem kurzen Beitrag soll der Fokus auf die Mehrsprachigkeitsforschung in institutionellen Lehr-Lernkontexten eingegrenzt werden. Es ist in diesem Forschungskontext festzustellen, dass nach wie vor zwei relativ getrennte Forschungsstränge existieren: Zum einen hat sich eine kritisch-engagierte Forschung entwickelt, die das Verhältnis von migrationsbedingter Mehrsprachigkeit und der jeweils dominanten Schulsprache in den Blick nimmt. Ausgehend von den lebensweltlichen mehrsprachigen Praxen von Kindern und Jugendlichen in mehrsprachigen Settings geht es in dieser Forschung v. a. darum, Schul- und Unterrichtsmodelle zu entwickeln, die Spracherhalt, Förderung in der Bildungssprache sowie bilinguale Erziehung ermöglichen und somit zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen (vgl. z. B. Busch 2013: 170-183; García & Wei 2014; Weber 2014). Ein anderer Forschungsstrang richtet sich auf Mehrsprachigkeit im Rahmen der in der Schule vermittelten Fremdsprachen. Über die nach wie vor existierenden einzelsprachlich orientierten Forschungen hinaus haben sich in den letzten Jahrzehnten verschiedene mehrsprachigkeitsorientierte Forschungszweige entwickelt, bei denen es nicht nur um die Kompetenzentwicklung in einer Zielsprache geht, sondern bei der die zu unterrichtende Sprache mit explizitem Einbezug der bereits vorhandenen Mehrsprachigkeit der Schüler gelehrt wird. Verschiedene Forscher setzen hier jeweils unterschiedliche Akzente: So wurde z. B. eine Form von Mehrsprachigkeitsdidaktik entwickelt, die sich v. a. auf typologisch verwandte Sprachen bezieht. Man geht hier davon aus, dass durch die Bewusstmachung ähnlicher sprachlicher Phänomene in verschiedenen Sprachen innerhalb einer Sprachfamilie der interlinguale Transfer zum gleichzeitigen Erlernen mehrerer Sprachen, insbesondere im rezeptiven Bereich, führen kann (Bär 2009; Meißner & Reinfried 1998 sowie Art. 49). Andere Ansätze mehrsprachigkeitsdidaktischer Forschung - oft auch L3-Forschung oder Tertiärsprachenforschung genannt - beschäftigen sich mit der Bedeutung von in der Schule oder anderen Bildungsinstitutionen bereits gelernten (Fremd-)Sprachen für den Erwerb einer weiteren Sprache, also etwa Französisch nach Englisch (vgl. z. B. Aronin & Hufeisen 2009). Eine dritte Forschungsrichtung widmet sich dem Verhältnis von migrationsbedingter Mehrsprachigkeit und schulischem Fremdsprachenlernen (vgl. z. B. Hu 2003). Die Thematik ist insofern komplex, als es sich bei den sogenannten Migrationssprachen nicht nur um eine Vielzahl verschiedener Sprachen aus unterschiedlichen Sprachfamilien (mit z. T. unterschiedlichen Schriftsystemen) handelt, auch kann der Sprachstand der Schülerinnen und Schüler sehr differieren. In den letzten Jahren hat man begonnen, sich dem Thema Bilingualität und L3-Erwerb in Studien mit größeren Probandenzahlen anzunähern. Erste Forschungsergebnisse zeigen, dass mehrsprachige Lernende im Vergleich zu ihren monolingual Deutsch aufgewachsenen Mitschülerinnen und Mitschülern etwa beim Lernen des Englischen einen leicht signifikanten Vorteil haben (DESI-Studie; Hesse, Göbel & Hartig 2008), und dass bei deutschtürkisch bilingualen Schülern signifikant positive Effekte auf die Englisch-Lesekompetenz zu beobachten waren (Rauch 2014). Die- 13 3. Mehrsprachigkeit se Effekte werden u. a. dadurch erklärt, dass Lernstrategien aus dem L2-Erwerb auf den L3-Erwerb übertragen werden, und dass eine erhöhte Sprachbewusstheit vorhanden ist, die dem L3-Erwerb zugutekommt (vgl. auch Jessner 2006). 4. Perspektiven für Praxis und Forschung Sprachliche, kulturelle und soziale Diversität stellen eine der großen Herausforderungen für die Bildungssysteme der Zukunft dar. Es gilt zum einen biografisch oder migrationsbedingte Mehrsprachigkeit als Potential zu verstehen und zu nutzen, um zu mehr Bildungsgerechtigkeit beizutragen. Gleichzeitig geht es darum, Sprachen - auch über die Herkunfts- oder die dominante Schulsprache hinaus - in Bildungsinstitutionen zu fördern. Auf vielen Ebenen ist Handlungsbedarf: Auf der Diskursebene gilt es, eingebürgerte Konzepte (z. B. Herkunftssprache, Muttersprache, Fremdsprache etc.) auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen; das immer noch verwurzelte Leitbild des native speakers sollte durch die Idee des intercultural speakers bzw. mehrsprachiger Repertoires (mit unterschiedlichen Kompetenzen in den verschiedenen Fertigkeiten) ersetzt werden (vgl. z. B. Kramsch 1998: 30). Im Sprachenunterricht selbst sollte eine Kultur der Mehrsprachigkeit gefördert werden: Sprachvergleiche semantischer, morphologischer, lexikalischer und syntaktischer Art können Spezifika der unterschiedlichen Sprachen erhellen, „Fehler“ und faux amis erklären sowie spezifische Blickrichtungen auf die Welt verdeutlichen. Mehrsprachige Praktiken wie z. B. Code-Switching sollten reflektiert werden. Für Sprachen mit unterschiedlichen Schriftsystemen und stark divergierenden Strukturen ist die semantischkulturelle Ebene besonders interessant: Hier können auch zwischen entfernten Sprachen Verbindungen gezogen werden. Für die Lehrerrolle ist dabei ein Umdenken erforderlich. Die noch vorherrschende monolinguale Einstellung von Fremdsprachenlehrkräften („Französischlehrer“, „Englischlehrer“ ) sollte einem Selbstverständnis weichen, das die Rolle eines Sprachlernberaters impliziert, der Neugier, Respekt und Interesse für Sprachen im allgemeinen fördert und dementsprechend Sprachlernprozesse - auch über die Zielsprache hinaus - bewusst macht und anregt. In der Forschung wird es darum gehen, die verschiedenen und zum Teil deutlich getrennten Forschungsstränge stärker als bisher aufeinander zu beziehen und in einen interdisziplinären Dialog zu treten. Auch gilt es nach wie vor, eingefahrene didaktische Traditionen angesichts der gesellschaftlichen Umbrüche kritisch in Frage zu stellen, um zu innovativen Konzepten zu gelangen (vgl. Cenoz 2015). Der bislang stark auf die Schule gerichtete Forschungsdiskurs sollte verstärkt auch auf vorschulische Bereiche (vgl. z. B. das BMBF-Projekt von Kratzmann & Sachse 2015) wie aber auch auf den universitären Kontext ausgeweitet werden (Hu 2015). Literatur Aronin, L. / Hufeisen, B. (2009): The exploration of multilingualism. Development of research on L3, multilingualism and multiple language acquisition. Amsterdam, Philadelphia. Aronin, L. / Singleton, D. (2012): Multilingualism. Amsterdam, Philadelphia. Auer, P. / Wei, L. (2007): Handbook of multilingualism and multilingual communication. Berlin. Bär, M. (2009): Förderung von Mehrsprachigkeit und Lernkompetenz. Fallstudien zu Interkomprehensionsunterricht mit Schülern der Klassen 8 bis 10. Tübingen. 14 Adelheid Hu Bausch, K.-R. 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Diese betreffen zum einen die kulturellen Ausgangslagen, die die Lernenden mitbringen und die deren Lernprozesse maßgeblich beeinflussen, sie betreffen zum zweiten die mit der zu erlernenden Sprache mitgelieferten Inhalte und Deutungsangebote und sie betreffen zum dritten die spezifischen Lehr- und Lernsituationen und die in sie eingehenden kulturellen Vorannahmen, Deutungs- und Interaktionsprozesse selbst. Der abstrakte Begriff der Interkulturalität ist innerhalb der Fremdsprachendidaktiken bislang nicht sehr weit verbreitet, dagegen sind zusammengesetzte und konkretere Begriffe wie interkulturelles Lernen, interkulturelle Kommunikation oder interkulturelle Kompetenz seit Mitte der 1990er Jahre gut etabliert. Die Annahme, dass das Lehren und Lernen von Sprachen mit den umgebenden (national-)kulturellen Rahmenbedingungen untrennbar verknüpft ist, kann heute als eigenes Paradigma der Fremdsprachendidaktik gelten, das allerdings in letzter Zeit auch kritisch in Frage gestellt, differenziert und weiter entwickelt wird. 2. Hintergründe und Entstehung Wissenschaftsgeschichtlich geht die vergleichende Beschäftigung mit Kultur, wie sie im Begriff der Interkulturalität angelegt ist, auf die Culture and Personality -Schule der amerikanischen Kulturanthropologie und die sog. Nationalcharakterstudien der 1940er und 50er Jahre zurück. Als Erfinder des Paradigmas gilt der Kulturanthropologe Edward T. Hall, der in zahlreichen Publikationen bis heute einflussreiche Dimensionen von Interkulturalität wie kulturdifferente Positionierungen im Raum, unterschiedliche Umgangsweisen mit Zeit oder auch den Unterschied zwischen kontextabhängigen und kontextunabhängigen Kulturen in die Diskussion eingeführt hat (vgl. Hall 1959). Seit den 1960er Jahren fielen solche Überlegungen insbesondere in dem neu entstehenden interdisziplinären Forschungsfeld zur interkulturellen Kommunikation auf fruchtbaren Boden, das v. a. die Probleme und Risiken grenzüberschreitender Zusammenarbeit in den Fokus nimmt (vgl. Haas 2009: 17 ff.). Als zweite Quelle des Interkulturalitätsparadigmas in den Fremdsprachendidaktiken insbesondere im deutschen Sprachraum ist die Erfahrung der migrationsbedingten Mehrsprachigkeit an Schulen und die Diskussion um eine interkulturelle Pädagogik zu nennen. Diese verstand sich schon früh als Alternative zu einer paternalistischen ,Ausländerpädagogik‘ und betonte die Notwendigkeit, die spezifischen kulturellen Identitäten von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund als gleichberechtigt anzuerkennen und zu interkulturellem Verstehen und Dialog beizutragen (vgl. Auernheimer 2003: 22). Dabei bleibt die Frage, inwieweit eine interkulturelle Pädagogik mit einem erhöhten Problembewusstsein auch für die Mechanismen struktureller und institutioneller Diskriminierung und rassistischer Ausgrenzung im deutschen Schulalltag vereinbar ist und ob Fremdheit und Stigmatisierung damit sogar noch gefördert werden, bis heute umstritten (vgl. ebd.: 120 f.). 16 Claus Altmayer 3. Konzepte von Interkulturalität innerhalb der Fremdsprachendidaktiken In den Fremdsprachenwissenschaften innerhalb des deutschen Sprachraums wurde die Diskussion über Interkulturalität zunächst v. a. im Fach Deutsch als Fremdsprache vorangetrieben, wo bereits seit Mitte der 1980er Jahre Lehrwerke mit einer interkulturellen Grundausrichtung entstanden sind (Sichtwechsel 1984 bzw. 1995; Sprachbrücke 1987). Hier wie auch in anderen Fremdsprachendidaktiken stand zunächst der aus der Pädagogik entlehnte Begriff des interkulturellen Lernens im Vordergrund (vgl. Bausch et al. 1994), der den Fremdsprachenunterricht als Begegnung mit der fremden Kultur auf der Basis der eigenen verstand und an Lernzielen wie dem „Aushalten von Verschiedenheit“ , der „Bereitschaft zur Infragestellung eigener Normen“ oder der „Sensibilisierung für andere Sprach- und Verhaltensformen“ ausrichtete (Krumm 1995: 158). Damit gewinnt der Fremdsprachenunterricht zugleich einen umfassenderen Bildungsanspruch zurück, der im Zuge der nicht selten als Banalisierung verstandenen kommunikativen Wende verloren zu gehen drohte (vgl. ebd.: 159). Dieses über das Fremdsprachenlernen im engeren Sinn hinausgehende Verständnis von interkulturellem Lernen stieß aber auch auf Kritik, weil es der Fremdsprachenvermittlung allgemeinpädagogische, humanistische und sozio-affektive Lernziele überstülpe und das eigentliche Sprachenlernen vernachlässige (vgl. Edmondson & House 1998). Als ein übergreifendes Prinzip des Fremdsprachenunterrichts konnte sich der Begriff des interkulturellen Lernens weder auf theoretischer noch auf praktischer Ebene wirklich durchsetzen. Maßgeblichen Einfluss hatte die Diskussion v. a. im Bereich der herkömmlichen Landeskunde, die sich konzeptionell von einem Faktenvermittlungsfach zur interkulturellen Landeskunde wandelte und sich nunmehr an Lernzielen wie transnationale Kommunikationsfähigkeit oder der Fähigkeit zum Umgang mit kultureller Verschiedenheit orientierte. In den 1990er Jahren wurde das hermeneutische Konzept des Fremdverstehens entwickelt, das erhebliche wissenschaftliche Kreativität entfaltet hat (vgl. u. a. Bredella 2010). Das „Verstehen des Anderen“ auf der Basis je eigener kultureller Prägungen und Vorannahmen ist nach Bredella die zentrale Aufgabe eines interkulturellen Fremdsprachenunterrichts und erfordert komplexe, weit über die bloß kognitive Dimension des Wissens um kulturelle Spezifika hinausgehende Fähigkeiten wie Empathie, die Fähigkeit zu Perspektivenübernahme und Perspektivenkoordination oder die Fähigkeit, eigene kulturelle Prägungen zu reflektieren und in Frage zu stellen. Theoretisch konzeptionalisiert wurde der Begriff des Fremdverstehens als hermeneutische Vermittlung zwischen Innen- und Außenperspektive: Auf der Basis ihrer hermeneutisch unhintergehbaren eigenkulturellen Außenperspektive seien Lernende in die Lage zu versetzen, die ihnen in der fremden Sprache entgegentretende fremdkulturelle Innenperspektive einzunehmen, diese im Dialog mit ihrer jeweiligen Außenperspektive als sinnvoll wahrzunehmen und zu akzeptieren und dadurch zugleich die eigene Perspektive kritisch zu reflektieren. In besonderer Weise didaktisch und wissenschaftlich fruchtbar wurde das Konzept des Fremdverstehens v. a. im Kontext einer interkulturellen fremdsprachlichen Literaturdidaktik, es hat aber auch Studien zur empirischen Erforschung interkultureller Lernprozesse angeregt. Der seit der Jahrtausendwende in den Fremdsprachendidaktiken wie im gesamten Bildungsbereich beobachtbare Wandel von der Inhaltszur Kompetenzorientierung hat in der Diskussion um Interkulturalität dazu geführt, dass der Begriff der interkulturellen 17 4. Interkulturalität Kompetenz deutlich in den Vordergrund getreten ist. Dabei ist insbesondere das mehrdimensionale Modell von Michael Byram wichtig geworden, das interkulturelle Kompetenz als ein Miteinander kognitiver (knowledge, savoir), affektiver (attitudes, savoir être) und handlungsbezogener (skills, savoir comprendre, savoir apprendre, savoir faire) Teilfähigkeiten auffasst (vgl. Byram 1997) und dem darüber hinaus mit dem Teillernziel kritische Kulturbewusstheit (critical cultural awareness, savoir s’engager) noch eine übergreifende und im weitesten Sinne politische Komponente hinzugefügt wurde. Auch in den von der Kultusministerkonferenz beschlossenen Bildungsstandards für die Fremdsprachen gilt interkulturelle kommunikative Kompetenz als unverzichtbare Teilkomponente fremdsprachlicher Handlungsfähigkeit. In der aktuellen Diskussion über Interkulturalität in den Fremdsprachendidaktiken liegt ein Schwerpunkt bei der konkreten Umsetzung interkultureller Lehr- und Lernziele im Unterricht, etwa bei der Frage nach dem interkulturellen Potenzial bestimmter Textsorten, Medien, Themen, Aufgabenformate oder Projektideen. Als ein zweiter Schwerpunkt hat sich die Frage nach möglichen Stufenmodellen für die Entwicklung interkultureller Kompetenz herausgebildet, wie sie den Kannbeschreibungen auf den verschiedenen Niveaustufen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens entsprechen würden (vgl. Witte 2009). Ein dritter Schwerpunkt schließlich sind die immer wichtiger werdenden Bemühungen um eine wissenschaftliche Absicherung und Überprüfung der bislang eher auf theoretisch-normativer Ebene angesiedelten Begrifflichkeiten von Interkulturalität durch empirische Studien, die zumindest teilweise den Anspruch erheben und begründen, interkulturelle Kompetenzen im Hinblick auf ihre empirische Überprüfbarkeit operationalisieren und messen zu können. Der zuletzt genannte Aspekt der empirischen Überprüfbarkeit oder Messbarkeit interkultureller Kompetenz verweist zudem auf grundsätzlich unterschiedliche Positionen und „widerstreitende Diskurse“ (Hu 2008: 13) im Hinblick auf die Frage, ob die interkulturellen Aspekte des Fremdsprachenlernens und -lehrens sich in den derzeit dominanten bildungspolitischen Diskurs der Standardisierung und Kompetenzorientierung bruchlos integrieren lassen oder ob sie nicht einen sehr viel umfassenderen Bildungsanspruch des Fremdsprachenunterrichts markieren (vgl. Art. 11), der das Fremdsprachenlernen als Teil einer pluralen Bildung und einer global citizenship begreift und den es gerade in Zeiten einer immer dynamischer sich entwickelnden Globalisierung aufrecht zu erhalten gelte (vgl. Küster 2003; Bredella 2010; Byram 2010). 4. Kritik und Weiterentwicklung Die Herausbildung einer übergreifenden interkulturellen Perspektive auf das Fremdsprachenlernen war von Anfang an auch von kritischen Stimmen begleitet, die u. a. das homogenisierende Verständnis von Kultur als Nationalkultur in den Blick nehmen, das der realen Heterogenität und Komplexität globalisierter Gesellschaften nicht mehr entspreche. Auch die Problematik der kulturalistischen Zuschreibung kultureller Identitäten von Fremdsprachenlernern und deren Reduktion auf ihre Rolle als Repräsentanten ihrer nationalen Herkunft wird verstärkt diskutiert. Schließlich gerät auch die fremdsprachendidaktische Zielorientierung der interkulturellen Kompetenz mehr und mehr in die Kritik, deren Spezifik - insbesondere in Abgrenzung gegenüber einer allgemeinen sozialen Kompetenz - zunehmend in Zweifel gezogen wird (vgl. u. a. Altmayer 2006: 45 ff.; Risager 2009). 18 Claus Altmayer Die Kritik hat eine Reihe interessanter und vielversprechender Weiterentwicklungen hervorgebracht, deren tatsächliches wissenschaftliches und didaktisches Potenzial allerdings derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Zum einen spielen Begriffe wie Hybridität, Third Space oder Transkulturalität, die der realen Heterogenität und Komplexität der globalisierten Welt gerecht zu werden versuchen, auch innerhalb der Fremdsprachendidaktik eine gewisse Rolle (vgl. Freitag-Hild 2010). Und zum anderen und in engem Zusammenhang damit werden aktuelle und weltweit diskutierte kulturwissenschaftliche Theorieansätze wie die Cultural Studies, die Postcolonial Studies oder die Diskursforschung derzeit verstärkt auch in der Fremdsprachendidaktik rezipiert und haben hier innovative Ansätze eines an Zielen wie global citizenship, symbolic competence oder Diskursfähigkeit orientierten kulturellen Lernens hervorgebracht (vgl. u. a. Byram 2010; Hallet 2008; Kramsch 2009; Risager 2009). 5. Ausblick Das Paradigma der Interkulturalität steht innerhalb der Fremdsprachendidaktiken derzeit unter doppeltem Rechtfertigungsdruck: Der dominante Diskurs der Standardisierung und Kompetenzorientierung verlangt zum einen die Entwicklung handhabbarer und überprüfbarer Stufenmodelle einer Entwicklung interkultureller Kompetenz im Fremdsprachenunterricht, die die ursprünglich weiter gedachte Idee interkultureller Bildung zu unterlaufen drohen. Und zum anderen treibt der alternative kulturtheoretische Diskurs Differenzierungen hervor, auf die das immer noch v. a. auf nationalkultureller Ebene argumentierende Interkulturalitätsparadigma keine passenden Antworten mehr hat. Es wird sich in den nächsten Jahren zeigen, ob und in welcher Form das Paradigma aufrechterhalten werden kann oder durch ein neues Paradigma abgelöst wird, bei dem offenere Lernziele wie die Fähigkeit, an Prozessen der diskursiven Aushandlung von Bedeutung in der Fremdsprache zu partizipieren, im Vordergrund stehen werden. Unabhängig davon aber wird die seit einiger Zeit erkennbare Tendenz, Konzepte und Diskurse zu den kulturellen Aspekten des Lehrens und Lernens von Sprachen künftig weitaus stärker empirisch zu verankern als bisher, auch in Zukunft eine wichtige und eher noch wachsende Rolle spielen. Literatur Altmayer, C. (2006): Kulturelle Deutungsmuster als Lerngegenstand. Zur kulturwissenschaftlichen Transformation der Landeskunde. 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(2009): Das interkulturelle Paradigma. Passau. Hall, E. T. (1959): The silent language. Garden City, N. Y. Hallet, W. (2008): Diskursfähigkeit heute. Der Diskursbegriff in Piephos Theorie der kommunikativen Kompetenz und seine zeitgemäße Weiterentwicklung für die Fremdsprachendidaktik, in: M. Legutke (Hrsg.): Kommunikative Kompetenz als fremdsprachendidaktische Vision. Tübingen, 76-96. Hu, A. (2008): Interkulturelle Kompetenz. Ansätze zur Dimensionierung und Evaluation einer Schlüsselkompetenz fremdsprachlichen Lernens, in: V. Frederking (Hrsg.): Schwer messbare Kompetenzen. Herausforderungen für die empirische Fachdidaktik. Baltmannsweiler, 11-35. Kramsch, C. (2009): Discourse, the symbolic dimension of intercultural competence, in: M. Byram / A. Hu (Hrsg.): Interkulturelle Kompetenz und fremdsprachliches Lernen. Modelle, Empirie, Evaluation. Intercultural competence and foreign language learning: models, empiricism, assessment. Tübingen, 107-121. Krumm, H.-J. 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Intercultural competence and foreign language learning: models, empiricism, assessment. Tübingen, 49-66. Claus Altmayer 5. Interdisziplinarität 1. Begrifflichkeit und Problemaufriss Mit dem Begriff der Interdisziplinarität wird die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass zur Bearbeitung komplexer wissenschaftlicher und gesamtgesellschaftlich relevanter Fragen und Themenfelder Theorien, Wissenschaftslogiken und damit verbunden auch Methoden verschiedener, jeweils spezialisierter Einzelwissenschaften im Sinne der Gewinnung eines holistischen Blicks heranzuziehen sind und dass dadurch auch ein Beitrag zur Verbesserung des Anwendungsbezugs und der Praxisrelevanz von Wissenschaft geleistet werden könne. „Inter“, also zwischen den Disziplinen, entsteht eine neue Qualität wissenschaftlicher Erkenntnis. Auf Interdisziplinarität wird gern als Qualitätsmerkmal verwiesen. Gleichwohl wird der Begriff häufig unscharf verwendet, insbesondere in Bezug auf die Organisation und Intensität der Zusammenarbeit bzw. des nebeneinander Agierens der beteiligten Disziplinen und den Grad der Verständigung auf gemeinsame Arbeitslogiken, Begrifflichkeiten und Referenzsysteme (vgl. Jungert et al. 2010). Ein sensibler Bereich ist dabei auch das Verhältnis der Disziplinen zueinander, wobei 20 K.-R. Bausch / E. Burwitz-Melzer / H.-J. Krumm / G. Mehlhorn / C. Riemer Fragen nach dem gleichberechtigten Miteinander, der funktionalen Nutzung gegenseitiger Erkenntnisse, gegenseitige Wertschätzung und Akzeptanz jeweils in Projektverbünden zu bearbeiten sind. „Kleine“ Interdisziplinarität kennzeichnet die Zusammenarbeit mehrerer eng benachbarter Disziplinen, wie etwa die von Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik bzw. unterschiedlicher Fachdidaktiken (z. B. das Gießener Graduiertenkolleg „Fremdverstehen“ , in dem verschiedene Fremdsprachendidaktiken zusammenarbeiteten, vgl. Bredella et al. 2000). Von „mittlerer“ Interdisziplinarität kann dann gesprochen werden, wenn Verbünde z. B. innerhalb der Geistes- und Sozialwissenschaften geschlossen werden (z. B. Zusammenarbeit von Kulturwissenschaft, Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaft, Sprach- und Literaturwissenschaft und Fremdsprachendidaktik wie in dem seit 2001 an der Universität Gießen bestehenden Graduiertenkolleg „Kulturwissenschaften“ ). Große“ Interdisziplinarität beinhaltet die Kooperation von Geistes-, Sozialsowie Natur- und Technikwissenschaften. Auf den Gegenstandsbereich Lernen und Lehren von Fremd- und Zweitsprachen bezogen wurden in der jüngeren Geschichte des Wissenschaftsbereichs unterschiedliche Auffassungen von Interdisziplinarität und zum Zusammenwirken von Einzeldisziplinen vertreten. Sie reichen von der beanspruchten Vorrangstellung der Einzelphilologien und Sprachwissenschaft in ihrem Verhältnis zur Fremdsprachendidaktik bis hin zur Begründung eines sich als interdisziplinär orientierten Wissenschaftsbereichs Sprachlehrforschung. Mit der Entwicklung der Fremdsprachendidaktik (vgl. Art. 1) etablierte sich zunächst die Vorstellung von Grund- und Bezugswissenschaften, deren Erkenntnisse jeweils zu integrieren seien (vgl. Digeser 1983; Ehlich 2010). In jüngerer Zeit ist das Bemühen um stärkere Vernetzung der Fremdsprachendidaktik(en) mit näher bis entfernteren Disziplinen gewachsen, woraus Kooperationen insbesondere mit der Erziehungswissenschaft, den Sprach- und Kultur-/ Literaturwissenschaften, den Sozialwissenschaften, aber auch - mit Blick auf in den letzten Jahren emergierende Themenfelder wie z. B. CLIL und Fachsprachendidaktik - den MINT-Bereichen entstehen. 2. Konzepte von Interdisziplinarität in der Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung a) Der reduktionistische interdisziplinäre Ansatz Der Erwerb sowie das Lehren und Lernen von modernen Fremdbzw. Zweitsprachen sind häufig durch konzeptuell naive bzw. einfach behauptete interdisziplinäre Abhängigkeitskomponenten im Sinne von ihnen zugrunde liegenden Basisdisziplinen gesteuert und somit im Kern reduktionistisch. In der Geschichte der mit diesem Gegenstandsbereich befassten Wissenschaften wurden den jeweils vorherrschenden sprachwissenschaftlichen Ansätzen bzw. linguistischen Modellen eine herausragende, in der Regel alleinige Bedeutung zugesprochen, so - um nur wenige, jedoch typische Beispiele anzuführen (vgl. auch im Detail Art. 1 und 2) - dem kognitivierend-grammatisierenden Konzept aus der Vermittlung von klassischen Sprachen, dem situativ-assoziierenden Modell der in Deutschland bis in die 1960er Jahre hinein vorherrschenden direkten Methode und seiner französischen audiovisuellen Variante, dem behavioristisch-habitualisierenden audiolingualen Lernkonzept aus dem nordamerikanischen Raum sowie seit der jüngeren Vergangenheit den diversen situativ ausgelegten Konzepten und schließ- 21 5. Interdisziplinarität lich den individuell-handlungs- und intentionsorientierten Lernansätzen; dabei war allen diesen naiven Ansätzen gemeinsam, dass sie sich lediglich an abstrakte (Fremdsprachen-)Lernerentitäten richteten und keine realen adressatenbzw. altersspezifischen (Fremdsprachen-)Lernerprofile mit einbezogen. Diese reduktionistischen Konzepte beherrschten bis in die 1960er Jahre hinein nicht nur die praktischen fremdsprachenvermittlungsmethodischen Verfahren und Strategien, sondern insbesondere auch die damit verbundenen Erkenntnisinteressen bei diesbezüglichen Forschungsvorhaben. Ihre Interdisziplinarität wurde im Wesentlichen als Behauptung angenommen, sie zeichnete sich in der Sache jedoch keinesfalls durch interaktive, zwischendisziplinär begründete Verbundsysteme aus. Exemplarisch sei hier auf das für diese Ansätze wohl repräsentative Forschungs- und Praxisvorhaben des „Français fondamental: premier degré et deuxième degré“ des französischen Erziehungsministeriums verwiesen (Ministère 1966 ff.), das die diffusion de la langue française weltweit, und zwar als français universel systematisch befördern sollte. Hierfür wurden mithilfe von statistischen Verfahren aus der quantitativen taxonomischen Linguistik akribische Frequenzlisten umfassend für lexematische und morphosyntaktische Strukturen erstellt und als interdisziplinäres Modell deklariert, das dann als Grundlage für die Entwicklung von strukturalistisch ausgelegten Sprachlehrprogrammen genommen sowie durch ein eigens geschultes CREDIF-Lehrpersonal implementiert wurde. Die kommunikative Reichweite dieser naiv interdisziplinären Fremdsprachenvermittlungskonzepte erwies sich ab den 1970er Jahren als wenig effizient; der Hauptgrund für diese Erkenntnis wurde dabei in der Tatsache gesehen, dass derart reduktionistische Modelle lediglich abstrakte (Fremdsprachen-)Lernerkonzepte berücksichtigten und somit die realen adressatenspezifischen Kommunikationsbedürfnisse sowie die damit verbundenen objektiven Bedarfslagen erst gar nicht in den Blick nehmen konnten. b) Der prognostische interdisziplinäre Ansatz Ausgelöst durch die geringe kommunikative Reichweite des reduktionistischen Konzepts wurde in der Folgezeit an diversen Forschungsinstitutionen über den sich damals weltweit verbreitenden sog. (angewandt-) kontrastiv-linguistischen Ansatz eine Form der prognostischen Interdisziplinarität geschaffen, die sich international in bedeutenden, weit verbreiteten Serienpublikationen manifestierte. Hierzu zählten insbesondere die Contrastive Structure Series des Centers for Applied Linguistics der University of Washington mit rund einem Dutzend kontrastiv angelegter Studien des Englischen, das mit nahezu allen westlichen ,Kultursprachen‘ auf seine jeweiligen interlingualen Strukturunterschiede in Vergleich gesetzt wurde (vgl. Ferguson 1962 ff.) sowie die entsprechende kontrastive Grammatikreihe des Mannheimer Instituts für deutsche Sprache, in der das Deutsche mit den wichtigsten osteuropäischen Gegenwartssprachen ebenfalls vorwiegend bezüglich ihrer zwischensprachlichen Strukturunterschiede synchron gegenübergestellt wurden (vgl. Engel 1977). Dem angewandt-linguistischen Kontrastierungsmodell - häufig auch als kontrastive Spracherwerbshypothese bezeichnet (vgl. Bausch & Kasper 1979) - wurde in seiner sog. starken Version die interdisziplinäre Annahme zugrunde gelegt, dass einerseits interlinguale Strukturdivergenzen, also z. B. sprachliche Unterschiede zwischen zwei Sprachen, generell für jedweden (Fremdsprachen-)Ler- 22 K.-R. Bausch / E. Burwitz-Melzer / H.-J. Krumm / G. Mehlhorn / C. Riemer ner prognostisch zu lernbzw. erwerbsschwierigen Problembereichen werden, die im Übrigen dann als solche in sog. Lernschwierigkeitshierarchien uminterpretiert und unterrichtlich, d. h. in erster Linie kognitivierend, behandelt werden müssten, während andererseits zwischensprachliche Konvergenzen als lernleicht anzusehen seien und somit keiner didaktisch-methodischen Behandlung bedürften. Dabei wird der wissenschaftsmethodische Fehlgriff bewusst in Kauf genommen, dass nämlich strukturelllinguistische (v. a. klassisch-taxonomische und generativ-transformative Verfahren) mit (lern-)psychologischen Erkenntniszielen und Analysemethoden gleichgesetzt bzw. keinen begründeten Differenzierungen unterzogen werden. Zusätzlich wird - wie bei dem reduktionistischen Ansatz - kein real differenziertes (Fremdsprachen-)Lernerkonzept einbezogen bzw. implizit anvisiert. c) Der interdisziplinär-integrative Ansatz Gegen Ende der 1970er Jahre werden mit der Konzipierung der Wissenschaftsdisziplin Sprachlehrforschung die bisherigen Ansätze einer reduktionistischen bzw. prognostischen Interdisziplinarität durch eine umfassende wissenschafts- und forschungsmethodische Neubestimmung des Lehrens und Lernens von modernen Fremdbzw. Zweitsprachen abgelöst: Fremdsprachenunterricht wird demnach mit Hilfe der holistisch begründeten Faktorenkomplexion als genuiner, durch Eigengesetzlichkeiten determinierter Wirklichkeitsbereich definiert. Faktorenkomplexion meint die umfassende Berücksichtigung der vielfältigen, den Fremdsprachenunterricht beeinflussenden Faktoren sowie deren Beachtung in der Erkenntnisgenese qua Heranziehen geeigneter Theorien, Methoden und Forschungsergebnisse unabhängig ihrer disziplinären Provenienz. Dies hat wissenschafts- und forschungsmethodisch zur Konsequenz, dass ausschließlich gegenstandsimmanente Fragestellungen (und nicht mehr „fremd bestimmte“ Themen aus anderen Wissenschaftsdisziplinen) in den Fokus genommen werden (z. B. List 1987: 19 am Beispiel der Psychologie). Die Bearbeitung dieser Fragestellungen geschieht dann unter Berücksichtigung z. B. didaktischer, psychologischer, sprachwissenschaftlicher und kulturwissenschaftlicher Perspektiven. Affine Bezugsdisziplinen übernehmen dabei keine tragenden, sondern dienende Funktionen; zugleich werden interdisziplinäre Komponenten und Verfahren zu integrativen Bestandteilen des jeweiligen Vorhabens gemacht (vgl. Koordinierungsgremium 1983, besonders 39-44 und 56 f.). Als konkrete Beispiele für diesen interdisziplinär-integrativen Ansatz sei zum einen auf das Forschungsprojekt des Bochumer Tertiärsprachenprojekts zu den Spezifika des „Italienisch- und Spanischunterrichts der Gymnasialen Oberstufe“ verwiesen (Bahr et al. 1996). In dieser durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderten Langzeitstudie diente als Ausgangsfrage die unterrichtsmethodisch spezifische und somit unmittelbar gegenstandsimmanente Fragestellung nach den unterrichtsmethodischen Besonderheiten des Italienisch- und Spanischunterrichts der gymnasialen Oberstufe. Die hierbei eingesetzten empirischen Untersuchungsverfahren waren integrativ-interdisziplinär aus curricularen Komponenten der Faktorenkomplexion abgeleitet, multidimensional ausgelegt und durchgängig disziplinimmanent begründet. Zum zweiten sei auf den vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung für den Zeitraum 2013-2017 ausgeschriebenen Forschungsschwerpunkt „Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit“ verwiesen: Hier werden Projekte gefördert, die erfolgreiche Prozesse der Entwicklung von Mehrsprachigkeit in 23 5. Interdisziplinarität Kindertageseinrichtungen und Schulen erarbeiten, die die Praxis der Förderung sprachlicher Bildung verbessern helfen. Ein zentrales Kriterium dabei ist, dass es sich um interdisziplinäre Forschungsvorhaben handelt (vgl. www.empirische-bildungsforschung-bmbf. de/ de/ 252.php). 3. Perspektiven Dem interdisziplinär-integrativen Ansatz innerhalb der mit dem Lernen und Lehren von Fremd- und Zweitsprachen befassten wissenschaftlichen Disziplinen stellen sich grundsätzliche Herausforderungen, wenn Zusammenarbeit im Sinne von „mittlerer“ oder „großer“ Interdisziplinarität angestrebt wird. So sind u. a. Gegenstandsbestimmungen, Konzeptbildungen und Operationalisierungen in interdisziplinären Forschergruppen immer auch risikobehaftete Aushandlungsgegenstände, die aber auch Chancen für Weiterentwicklungen der Einzeldisziplinen in sich bergen. So sind z. B. im Rahmen der empirischen Wende in den Fachdidaktiken mittels einer Zusammenarbeit mit Wissenschaften, die eine längere empirische Tradition ausweisen, schnellere Entwicklungen in Richtung elaborierter forschungsmethodischer Zugänge zu erwarten. Sprachen- und bildungspolitische Fragestellungen können im größeren Verbund aus mehreren Perspektiven angegangen werden. Börsch hat schon 1987 auf Grund einer Studie in Projekten des DFG-Schwerpunkts Sprachlehrforschung deutlich gemacht, dass eine integrative Interdisziplinarität auch Anforderungen an und Konsequenzen für die Zusammenarbeit von Personen unterschiedlicher fachlicher Prägung hat bzw. Mehrfachqualifikationen die Zusammenarbeit erleichtern (Börsch 1987). Chancen bietet z. B. die 2015 in Deutschland gestartete „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“, die an den geförderten Hochschulstandorten zu einer neuen Qualität von - mit (zumindest über einige Jahre lang) zusätzlichen Ressourcen gestützten - Zusammenarbeit (auch fremdsprachlicher) Fachdidaktik, Fachwissenschaft und Bildungswissenschaft führt. Ähnlich wird auch in Österreich und der Schweiz versucht, die an der Lehrerbildung beteiligten Hochschulen und Disziplinen nicht nur organisatorisch in Zentren für Lehrerbildung zusammenzuführen, sondern auch integrierte Forschungs- und fachübergreifende Lehrgebiete einzurichten (vgl. u. a. Braunsteiner 2014). Literatur Bahr, A. / Bausch, K.-R. / Helbig, B. / Kleppin, K. / Königs, F. G. / Tönshoff, W. (1996): Forschungsgegenstand Tertiärsprachenunterricht. Bochum. Bausch, K.-R. / Kasper, G. (1979): Der Zweitsprachenerwerb: Möglichkeiten und Grenzen der „großen“ Hypothesen. Linguistische Berichte 64, 3-35. Börsch, S., Hrsg. (1987): Die Rolle der Psychologie in der Sprachlehrforschung. Tübingen. Bredella, L. / Christ, C. / Legutke, M., Hrsg. (2000): Fremdverstehen zwischen Theorie und Praxis: Arbeiten aus dem Graduierten-Kolleg „Didaktik des Fremdverstehens“ . Tübingen. 24 K.-R. Bausch / E. Burwitz-Melzer / H.-J. Krumm / G. Mehlhorn / C. Riemer Braunsteiner, M.-L. (2014): Grundlagen und Materialien zur Erstellung von Curricula. Wien. Digeser, A. (1983): Fremdsprachendidaktik und ihre Bezugswissenschaften. Stuttgart. Ehlich, K. (2010): Bezugswissenschaft, in: H. Barkowski / H.-J. Krumm (Hrsg.): Fachlexikon Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Tübingen, 27-28. Engel, U., Hrsg. (1977): Deutsche Sprache im Kontrast. Tübingen. Ferguson, C. A., General Editor (1962 ff.): Contrastive structure series, Chicago. Jungert, M. / Romfeld, E. / Sukopp, T. / Voigt, W., Hrsg. (2010): Interdisziplinarität. Theorie, Praxis, Probleme. Darmstadt. Koordinierungsgremium im DFG-Schwerpunkt „Sprachlernforschung“ , Hrsg. (1983): Sprachlehr- und Sprachlernforschung. Eine Zwischenbilanz. Kronberg. List, G. (1987): Die Rolle der Psychologie in der Sprachlehrforschung, in: S. Börsch (Hrsg.): Die Rolle der Psychologie in der Sprachlehrforschung. Tübingen, 17-36. Ministère de l’éducation nationale (1966 ff.): Le Français fondamental: premier degré et deuxième degré. Paris. Karl-Richard Bausch Eva Burwitz-Melzer Hans-Jürgen Krumm Grit Mehlhorn Claudia Riemer B Interdisziplinäre Bezüge auf das Lernen und Lehren von Sprachen 6. Fokus: Lernen 1. Begrifflichkeit Lernen wird im umgangssprachlichen und im fachwissenschaftlichen bzw. fachdidaktischen Sinne gebraucht. Im umgangssprachlichen Sinn bezeichnet es zum einen den Zuwachs an Wissen oder Verhalten und zum anderen den Zugewinn an körperlichenmotorischen Fertigkeiten. Bei der fachwissenschaftlichen bzw. fachdidaktischen Beschreibung des Lernens ist der Kontext des jeweiligen Fachs ausschlaggebend für die Arbeitsschwerpunkte, die gesetzt werden. Die hier interessierenden Fachgebiete arbeiten ebenfalls mit unterschiedlichen Definitionen von Lernen bzw. verschiedenen Schwerpunkten: Während Lernen und Erwerben in der Spracherwerbsforschung und der europäischen Zweitspracherwerbsforschung oft synonym für die erfolgreiche Aneignung von sprachlichen Regeln und Prozeduren verwendet werden, unterscheidet die Fremdsprachendidaktik zwischen diesen beiden: Während Erwerben sich auf die Aneignung von sprachlichen Regeln und Prozeduren bezieht, die sich entlang interner, wenig von außen beeinflussbarer Verarbeitungsreihenfolgen ent- 25 wickeln, bezeichnet Lernen die lernerseitige Verarbeitung von Input zu Intake, die dann erfolgreich ist, wenn die dafür notwendige neurophysiologische Lernbereitschaft besteht (vgl. Schmidt 2010 sowie Art. 59). In der englischsprachigen Zweitspracherwerbsforschung (second language acquisition - SLA) wird in der Regel nicht oder viel seltener zwischen acquisition und learning unterschieden, weil Lernen als eine Spezialform von Erwerben angesehen wird, die sich aber forschungsmethodisch nicht genügend von Erwerben abgrenzen lässt. Die Kognitionspsychologie untersucht Lernen als neuronale Verarbeitungsprozesse aufgrund von Reizen, die in Wissens-, Könnens- und bzw. oder Verhaltensänderungen münden (vgl. Schmidt 2010), während im Rahmen soziokultureller Ansätze Lernen als eine individuelle Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen, ökologischen, ökonomischen, kulturellen, politischen und bildungspolitischen, sprachlichen, kulturellen, auch geschlechtsspezifischen Gegebenheiten betrachtet wird (vgl. Aguado 2010). Darüber hinaus können wir annehmen, dass Definitionen immer stark von den jeweils herrschenden allgemeinen Lerntheorien und -modellen, dem Erkenntnisinteresse und der wissenschaftstheoretischen Perspektive des jeweiligen Faches, aus der man Lernen betrachtet, abhängen. So werden Fragen und Herangehensweisen zum Lernen aus einer Perspektive der Zweitspracherwerbsforschung andere sein als aus der Perspektive der allgemeinen Lernpsychologie, die Lernen als einen beobachtbaren Prozess der erfahrungsbasierten Veränderung von Denken, Fühlen und Verhalten betrachtet (vgl. Edelmann & Wittmann 2012: 18). Die empirische Bildungsforschung beschreibt Lernen als quantifiziert messbares Verhalten, welches auch selbstgesteuert sein kann, aufgrund von Input von außen, der individuell verarbeitet wird (vgl. Wilhelm & Nickolaus 2013: 25; in Bezug auf Zweitsprachen z. B. auch Gogolin 2005), während in der Fremdsprachendidaktik oft noch angenommen wird, dieser Input könne Lernen tatsächlich steuern (vgl. Burwitz-Melzer, Königs & Riemer 2015), so dass es kaum je allgemeinen Konsens gegeben hat oder geben wird, was alle unter dem Begriff Lernen verstehen. Das gilt ebenso für die Betrachtung der Aneignung einer oder mehrerer Erstsprachen im Vergleich zur Aneignung von später gelernten (Fremd-)Sprachen: Darüber, welche Prozesse der Aneignung allgemein und der Aneignung bestimmter sprachlicher Phänomene identisch, ähnlich oder vollkommen unterschiedlich sind, gibt es ebenfalls noch kein grundsätzliches Einverständnis über alle Fachgebiete hinweg. 2. Problemaufriss Die Entwicklung von Wissenschaft und Forschung verschafft uns neue Einblicke in das Konstrukt Lernen, so dass wir heute nicht mehr glauben, dass Lernen sich allein durch das Nachahmen von Gesehenem oder Gehörtem oder Erfahrenem und damit einhergehendem Lob oder Tadel einstellt, wie es behavioristische Lerntheorien annahmen (vgl. z. B. Skinner 1957), und zwar auch in Bezug 26 Britta Hufeisen auf das Lernen von Erst- und Fremdsprachen. Zum Zeitpunkt ihres Entstehens schienen diese Annahmen jedoch plausibel und evidenzbasiert zu sein, und es wäre ungerecht, ihnen im Nachhinein ihre heute erkannten Defizite vorzuwerfen, weil wir heute so viel mehr über das Lernen wissen, was zum damaligen Zeitpunkt noch nicht bekannt war oder noch nicht beobachtet werden konnte, wie z. B. neuronale Hirnaktivitäten, aufgrund derer wir bestimmte Lernvorgänge deduzieren. Die offenkundig werdenden Defizite behavioristischer Ansätze mündeten in der Entwicklung von nativistischen Ansätzen, deren bekanntester Vertreter Chomsky war und ist, nach denen Lernen und auch die Aneignung von Sprachen nicht als Nachahmung von Gehörtem verstanden werden konnte, sondern als ein Anwenden und Umsetzen angeborener Fähigkeiten, die z. B. spezifisch auch für die Aneignung von Sprachen vorhanden sind (vgl. Chomsky 1981). Empirisch beobachtbare Sprachentwicklungen, wie z. B. die Produktion von nie gehörten Äußerungen, schienen darauf hinzudeuten, dass Sprache aus dem Individuum heraus geniert werden kann und wird. Chomsky nannte diese angeborene Sprachgenerierung zunächst Language Acquisition Device und später Universal Grammar, mit der er das grundsätzliche Verfügen über Sprachen und Sprache allgemein und das Entwickeln einer oder mehrerer spezifischen Sprachen - je nach Input - beschrieb. Es ist bisher nicht abschließend geklärt, ob wir für das Lernen von Fremdsprachen in späteren Lebensphasen und -altern auf diese Universalgrammatik vollständig, teilweise oder gar nicht mehr zugreifen können. Manche Erwerbsvorgänge und -sequenzen scheinen für bestimmte Phänomene einer Sprache die gleichen zu sein, egal ob diese Sprache als L1, L2 oder L3 gelernt wird, für andere Phänomene scheint dies sicher nicht zu gelten (vgl. z. B. Ellis 2008: 289 f.). 3. Forschungsstand Zum Zeitpunkt des Entstehens dieser Handbuchausgabe sind kognitivistisch, konstruktivistisch und konnektionistisch orientierte Annahmen über das Lernen von Sprachen aktuell, die gemeinsam davon ausgehen, dass Lernen die individuelle Aneignung von Wissen und Können in Relation zu und in Anbindung an das bereits vorhandene Wissen und Können darstellt: „Der Begriff ,Lernen‘ kann als ein Prozess kognitiver Veränderungen verstanden werden“ (Wilhelm & Nickolaus 2013: 25), der von emotionalen Veränderungen getrennt ist. Dabei können sich sowohl eine Erweiterung, eine Verschiebung als auch eine Verengung des Wissens und Könnens ergeben. In diesen Rahmungen ist Lernen ein von der lernenden Person zu leistender mentaler, unbewusster (zufälliger, beiläufiger, inzidenteller, impliziter) oder auch bewusster (absichtlicher, zielgerichteter, intentionaler) Prozess. In der stärker mit der SLA verknüpften Psycholinguistik forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beziehen emotionale Aspekte mit in ihre Arbeit ein und sehen Lernen als einen zuweilen als anstrengend empfundenen, zuweilen als nicht bemerkten Prozess, der von außen durch Input angestoßen und unterstützt, aber nicht durchgeführt oder durchgesetzt werden kann (vgl. Schmidt 1990), während die deutschsprachige Psycholinguistik näher an der Neuro- und Kognitionswissenschaft arbeitet. Lernen scheint durch eine hohe (intrinsische oder extrinsische) Motivation vereinfacht zu werden oder als weniger anstrengend empfunden zu werden (vgl. Dörnyei & Ushida 2011 sowie Art. 56). Lernen ist danach ein dynamischer Prozess, zu dem auch die Teilprozesse Verlernen und Vergessen gehören, weil einmal Gelerntes nicht auf immer verfügbar und benutzbar ist, sondern eben bei Nichtverwendung auch wieder verlernt oder vergessen werden kann (vgl. Jessner 2013). 27 6. Fokus: Lernen Sozial-interaktionistische Ansätze der auf das Lernen von L2 konzentrierten Interaktionsforschung, die kognitivistische und soziokulturelle Modelle als komplementär ansehen, versuchen, die empirischen Erkenntnisse zum Lernen als mentalen Prozess mit den Annahmen, dass sich das Lernen einer L2 als ein sozialer Aushandlungsprozess gestaltet, zu vereinen (Schoormann & Schlak 2007). Sie gehen davon aus, dass zwar mentale Voraussetzungen zum L2-Lernen gegeben sein müssen, dass aber erst in der Interaktion Sprache erfahren, aufgenommen und verarbeitet werden und zu Lernen führen kann, nämlich wenn das Aufgenommene auf andere Kontexte übertragen werden kann bzw. wenn das Neue gerade etwas anspruchsvoller als das ist, was bereits beherrscht wird, d. h. sich in der Zone der nächsten Entwicklung befindet (vgl. Vygotskij 1978). Soziokulturelle Ansätze (vgl. Lantolf & Poehner 2014), die auch die lernerexternen Faktoren, und hier insbesondere die gesellschaftlichen, sozioökonomischen und bildungspolitischen Bedingungen, als Determinanten beim Lernen der Erst-, Zweitals auch der Fremdsprachen als relevant berücksichtigen, werden derzeit stark in der deutschen Deutsch als Zweitsprache-Forschung aufgegriffen (vgl. z. B. Ohm 2007). Diese Ansätze, die die lernerexternen Faktoren in den Fokus rücken, werden vermehrt auch für den Zweitsprachenunterricht fruchtbar zu machen versucht (vgl. Art. 57). 4. Praxisrelevanz Bei allen Strömungen und allen Perspektiven sind wir darauf angewiesen, aus dem beobachtbaren sprachlichen Verhalten auf Denk-, Verarbeitungs- und Lernvorgänge zu schließen. Auch wenn wir mittlerweile mittels Hirnscans sehen können, welche neuronalen Aktivitäten beim Denken und (Sprachen-) Lernen ablaufen, so können wir immer noch nur ausschließlich deduzieren, was und wie dabei gedacht und gelernt wird (vgl. Müller 2013: 35). Manche fremdsprachendidaktische oder auch pädagogische Richtung geht davon aus, dass Lernen von außen durch Input (= Lehren) nicht nur unterstützt, sondern gesteuert werden kann. Dem stehen empirische Beobachtungen und spracherwerbstheoretische Annahmen über die Entwicklungsstufen und Erwerbssequenzen bspw. im Bereich des Erwerbs von Tempora (z. B. Fredriksson 2006) oder Kasus und Genus (z. B. Diehl et al. 2000) teilweise entgegen. Das heißt nicht, dass zielgerichteter Input nicht auch Lernen in Gang setzen kann, aber Input zur Unzeit (das Individuum ist noch nicht bereit für die neue Entwicklungsstufe) löst kein Lernen aus (vgl. Lantolf 2010: 165 f.). Ebenso sind bewusstmachende Verfahren im Unterricht noch nicht mit Kognitivierung im Sinne des oben beschriebenen Lernens gleichzusetzen. Annahmen darüber, was Lernen ist, haben in der Regel Folgen für den Unterrichtsalltag, indem neue Lehrwerke, Aufgaben- und Übungstypen erforderlich sind oder Texte in einer bestimmten Form präsentiert werden müssen. Die relativ neu entwickelte kognitive Sprachdidaktik ist theoretisch in ihre linguistische Bezugsdisziplin, die Kognitive Linguistik, eingebettet. Die Kognitive Linguistik nimmt an, dass Sprache Konzeptualisierung ist und sich gebrauchsbasiert kulturspezifisch entwickelt. Die kognitive Sprachdidaktik orientiert sich an dem, was eine Lernerin in einer bestimmten Entwicklungsphase verarbeiten kann, und integriert so die Erkenntnisse der Kognitiven Linguistik mit denen der Spracherwerbsforschung, Lernpsychologie und Psycholinguistik. Sie sucht Sprache und Kommunikation inhaltlich-konzeptuell und strukturell nachvollziehbar und vermittelbar zu machen und vermittelt sie in ihren kulturellen Bezügen interkulturell transpa- 28 Britta Hufeisen rent bezogen auf den individuellen Erwerbsstand der Lerner und erweitert sie sukzessive mittels relevanter Handlungskontexte und -aufgaben), bspw. unter Nutzung metaphorischer Kompetenz („oben“ - höhere Qualität, „unten“ niedrigere Kompetenz (vgl. Roche & Suñer 2014: 4-6)). 5. Perspektiven Es ist unwahrscheinlich, dass es je eine von allen beteiligten Wissenschaftsdisziplinen einheitlich verwendete Definition von Lernen geben wird, so dass man sich je bei der eigenen Lektüre versichern und bei der eigenen Textproduktion angeben muss, auf welchen theoretischen Rahmen sich eine Aussage bezieht bzw. beziehen soll. Weitere Forschungserkenntnisse werden dafür sorgen, dass sich die unterschiedlichen Definitionen und Anwendungsreichweiten weiter entwickeln. Vielleicht werden aber auch neue Lexeme und Termini geprägt, um die Vielschichtigkeit des Terminus Lernen aufzulösen, wie wir es derzeit in der Debatte der empirischen Bildungsforschung beobachten können, die mit dem Konzept der „Kompetenz“ agieren, um dem definitorischen Chaos rund um „Lernen“ zu entkommen (vgl. Wilhelm & Nickolaus 2013). Wünschenswert wäre in deutschsprachigen Ländern sicher zukünftig eine stärkere Kooperation zwischen den verschiedenen Forschungsgruppen, insbesondere zwischen den stärker spracherwerbstheoretisch orientierten und den fremdsprachendidaktisch orientierten Gruppen, bzw. eine stärkere gegenseitige Beachtung und Akzeptanz, wie wir sie aus dem angloamerikanischen Raum wahrnehmen (vgl. Lantolf 2010). Literatur Aguado, K. (2010): Sozial-interaktionistische Ansätze, in: H.-J. Krumm / C. Fandrych / B. Hufeisen / C. Riemer (Hrsg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. 1. Halbband. Berlin, New York, 817-826. Burwitz-Melzer, E. / Königs, F. G. / Riemer, C., Hrsg. (2015): Lernen an allen Orten? Die Rolle der Lernorte beim Lehren und Lernen von Fremdsprachen. Tübingen. Chomsky, N. (1981): Lectures on government and binding. Dordrecht. Diehl, E. / Christen, H. / Leuenberger, S. / Pelvat, I. / Studer, T. (2000): Grammatikunterricht: Alles für der Katz? Untersuchungen zum Zweitsprachenerwerb Deutsch. Tübingen. Dörnyei, Z. / Ushioda, E. (2011): Teaching and researching motivation, 2nd ed., Harlow. Edelmann, W. / Wittmann, S. (2012): Lernpsychologie, 7. Aufl., Weinheim. Ellis, R. (2008): The study of second language acquisition, 2nd ed., Oxford. Fredriksson, C. (2006): Erwerbsphasen, Entwicklungssequenzen und Erwerbsreihenfolge: Zum Erwerb der deutschen Verbalmorphologie durch schwedische Schülerinnen und Schüler. Uppsala. Gogolin, I. (2005): Bilinguale Literalisierung, in: B. Hufeisen / M. Lutjeharms (Hrsg.): Gesamtsprachencurriculum. Integrierte Sprachendidaktik. Common curriculum. Tübingen, 89-99. Jessner, U. (2013): Dynamics of multilingualism, in: C. A. Chapelle (Hrsg.): The encyclopedia of applied linguistics. New York, 1798-1805. Lantolf, J. P. (2010): Sociocultural theory and the pedagogical imperative, in: R. B. Kaplan (Hrsg.): The Oxford Handbook of Applied Linguistics. 2nd ed., Oxford, 163-177. Lantolf, J. P. / Poehner, M. E. (2014): Sociocultural theory and the pedagogical imperative in L2 education. Vygotskian praxis and the theory/ practice divide. New York. 29 6. Fokus: Lernen Müller, H. M. (2013): Psycholinguistik - Neurolinguistik. Stuttgart. Ohm, U. (2007): Informationsverarbeitung vs. Partizipation: Zweitsprachenerwerb aus kognitiv-interaktionistischer und soziokultureller Perspektive, in: R. Eßer / H.-J. Krumm (Hrsg.): Bausteine für Babylon: Sprachen, Kulturen, Unterricht. München, 24-33. Roche, J. / Suñer, F. (2014): Kognition und Grammatik: Ein kognitionswissenschaftlicher Ansatz zur Grammatikvermittlung am Beispiel der Grammatikanimationen. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 19/ 2, 119-145 (online). Schmidt, C. (2010): Kognitivistische/ Konstruktivistische/ Konnektionistische Ansätze, in: H.-J. Krumm / C. Fandrych / B. Hufeisen / C. Riemer (Hrsg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. 1. Halbband. Berlin, New York, 808-817. Schmidt, R. W. (1990): The role of consciousness in second language learning. Applied Linguistics 11, 129-158. Schoormann, M. / Schlak, T. (2007): Die Interaktionshypothese. Überblick und aktueller Forschungsstand. Fremdsprache und Hochschule 79/ 80, 79-113. Skinner, F. B. (1957): Verbal behavior. Acton (Nachdruck 1992). Vygotskij , L. S. (1978): Mind in society. The development of higher psychological processes. Cambridge, MA . Wilhelm, O. / Nickolaus, R. (2013): Was grenzt das Kompetenzkonzept von etablierten Kategorien wie Fähigkeit, Fertigkeit oder Intelligenz ab? Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 16, 23-26. Britta Hufeisen 7. Fokus: Lehren 1. Lehren: Begriffsbestimmung Mit Lehren wird allgemein eine bestimmte soziale Praxis in bestimmten Kontexten bezeichnet, die im weitesten Sinne die gezielte Steuerung von Lernprozessen umfasst. Lehren, so Gruschka (2014: 17 ff.), stelle eine spezifisch absichtsvolle Form der Ansprache in sozialer Kommunikation und Interaktion dar. Der Geltungsbereich dieser sozialen Praxis ist begrenzt: Lehren ist in solchen Kontexten legitimiert, wo es institutionell verankert ist, wie bspw. in Schule oder Hochschule, oder wo es explizit gefordert wird, etwa in der betrieblichen Ausbildung. Lehren bedarf in der Regel der Autorisierung, im Rahmen der Erteilung von Integrationskursen für Deutsch als Zweitsprache bspw. durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Aus kommunikationsanalytischer Sicht stellt Lehren normalerweise keine symmetrische Interaktionsform dar, sondern bezeichnet, zumindest in traditioneller Auffassung, ein hierarchisches Verhältnis: Interaktionspartner A lehrt Interaktionspartner B etwas, das Letzterer noch nicht weiß oder kann. Außerdem ist Interaktionspartner A, im institutionellen Kontext, in der Regel derjenige, der das Rederecht vergibt. Unter Lehren kann eine Reihe von Operationen im Rahmen von Unterrichtsinteraktion zusammengefasst werden. Zu etwas anleiten, etwas erklären, etwas vormachen oder etwas zeigen: Diese und weitere unterrichtliche Handlungen können als Ausdrucksformen des Lehrens im engeren Sinne bezeichnet werden (Gruschka 2014: 18). Unterrichtliche Handlungen wie strafen, prüfen, loben etc. gehören laut Gruschka nicht zu den Operationen des Lehrens, sondern zählen zu unterstützenden Maßnahmen. Lehren als unterrichtliche Tätigkeit impliziert eine Person, die diese Tätigkeit aus- 30 Gabriele Kniffka übt, den Lehrer bzw. die Lehrerin. Er / Sie folgt in diesem unterrichtlichen Tun einer Lehrmethode und vermittelt jeweils bestimmte Lerninhalte (vgl. Art. 64-69). 2. Empirische Befunde zu erfolgreichem Lehrerhandeln Die Bedeutung der Lehrperson für erfolgreiches schulisches Lernen wurde im Zusammenhang mit den Ergebnissen der vielbeachteten Hattie-Studie (2009) verstärkt diskutiert: Unter den sechs Faktorengruppen, die auf das schulische Lernen einwirken, ist die Faktorengruppe 5 Lehrer/ in die effektstärkste: Die Person des Lehrenden gehört zu den wirkmächtigsten Einflussgrößen auf das Lernen: teachers make the difference. Lehrende sind allerdings nicht gleichermaßen effektiv, sondern diejenigen, die bestimmte Merkmale in ihrem Unterrichtshandeln aufweisen. Zu diesen Merkmalen zählen u. a. die Darbietung kognitiv herausfordernder Inhalte und die Anleitung der Lernenden zur Reflexion und zum kritisch-strategischen Umgang mit diesen Inhalten (Hattie 2009: 34). Unterrichtliches Handeln, so Hattie, erfordert bewusste Intervention. Lehrpersonen müssen anleiten, Einfluss nehmen und zugleich fürsorglich und aktiv engagiert sein. Lehrende sollten sich die individuellen Lernvoraussetzungen ihrer Lernenden bewusst machen, um Lerngelegenheiten und Lernaufgaben zu modellieren, die den Lernenden angemessen sind. Eine der Schlüsselkompetenzen in diesem Zusammenhang ist die Fähigkeit des Perspektivwechsels: Lehrende müssen in der Lage sein, Lernaufgaben und Lernhürden aus dem Blickwinkel ihrer Lernenden wahrzunehmen und deren Lernschwierigkeiten einzuschätzen (Hattie 2009: 238). Grundlage hierfür ist die fachinhaltliche Kompetenz der Lehrperson, die zwar einen niedrigeren Effekt hat als andere Größen. Aber es ist das fachliche Wissen, das es der Lehrperson erlaubt, qualitativ hochwertige Rückmeldungen an die Lernenden zu geben, Feedback, das diesen einen kontinuierlichen Lernzuwachs ermöglicht (vgl. auch Spada 2014: 47 f.). Die Wirksamkeit der Qualität des Feedback zeigt sich u. a. auch darin, dass der Faktor Micro-teaching innerhalb der Faktorengruppe Lehrer/ in den höchsten Rang einnimmt (Hattie 2009: 112). Des Weiteren muss die Lehrperson die Lernziele ihres Unterrichts und die Maßstäbe für das Erreichen der Lernziele kennen. Ebenso wichtig ist es aber, sich den Lernstand jedes einzelnen Schülers bewusst zu machen und, vor dem Hintergrund des zu erreichenden Lernziels, zu überlegen, wie der/ die Lernende voranschreitet und wie der nächste Schritt auf das Ziel hin aussehen sollte. Lehrende müssen in der Lage sein, (fachliche) Konzepte einzuführen, diese miteinander zu verknüpfen und kontinuierlich zu erweitern. Damit bieten sie Lernenden Gelegenheiten, ihr eigenes Wissen und eigene Konzepte auf- und auszubauen. Im Fokus stehen dabei nicht Wissensbestände und Konzepte als Gegenstände, sondern die Prozesse kognitiver Konstruktion aufseiten der Lernenden (Hattie 2009: 239). Eine Schlüsselbedingung für erfolgreiches Lehren ist, das wird aus dem Gesagten deutlich, die kritische kontinuierliche Kontrolle des eigenen unterrichtlichen Handelns. Dies geschieht bestenfalls im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen und stets evidenzbasiert, d. h. auf der Grundlage von im Unterricht (auch informell) erhobenen Daten. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass nach Hatties Analysen diejenigen Lehrenden wirksam sind, die kognitiv-aktivierende Unterrichtsmethoden einsetzen (Lehrperson als activator), die hohe Erwartungen an ihre Lernenden haben und die eine positive Beziehung zu ihren Lernenden zu etablieren vermögen (Terhart 2014: 18 f.). 31 7. Fokus: Lehren 3. Aktuelle Tendenzen und Anforderungen des Unterrichts Die Hattie-Studie erfasst Untersuchungen und Einzelfallstudien, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Die Ergebnisse der Meta-Studie liefern empirische Evidenz für vermeintlich allgemein Bekanntes zum Thema Wirksamkeit von Lehrerhandeln, aber sie geben auch vielfältige Anregungen zum Umgang mit aktuellen gesellschaftlichen und bildungspolitischen Tendenzen. In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Hattie-Studie breit rezipiert. Die Rezeption dieser Ergebnisse gliedert sich ein in bildungspolitische Diskussionen, die zuvor bereits tiefgreifende Veränderungen im Bildungssystem hervorgebracht hatten, v. a. als eine Reaktion auf internationale Schulvergleichstests (PISA). In diesem Zusammenhang verzeichnet die empirische Bildungsforschung in Umfang und Qualität einen deutlichen Zuwachs. V. a. innerschulische und unterrichtliche Bedingungsgefüge, Prozesse und Wirkungsanalysen stehen hier im Mittelpunkt. Wenngleich die Lehrperson, wie oben skizziert, nur einen Faktor in diesem Gesamtgefüge darstellt, so ist ihr Stellenwert nicht zu unterschätzen. Nach Terhart bilden Lehrende den zentralen Faktor, wenn es um „Fragen der Gestaltung und Umsetzung von Innovationen in Schule und Unterricht geht“ (Terhart 2014: 10). Das heißt, letztlich sind es die Lehrenden, die durch ihr unterrichtliches Handeln Veränderungen im Gesamtsystem bewirken. Auch der Fremdsprachenunterricht ist somit, wie Unterricht allgemein, in den letzten Jahrzehnten auf bildungspolitischer Ebene durch eine Reihe teils tief greifender Veränderungen gekennzeichnet. Eine der wichtigsten konzeptionellen Veränderungen im schulischen Bereich stellt dabei die Kompetenzorientierung (Output-Orientierung) dar, die sich in der Einführung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens, in der Festlegung von Bildungsstandards zeigt (vgl. Art. 18 und 19). Die Implementierung eines umfassenden Bildungsmonitorings zur Qualitätssicherung und -entwicklung (vgl. Lernstandserhebungen) zählt ebenso zu diesem Konzept. Im Rahmen des Bildungsmonitorings sind es die Lehrpersonen, die zum einen zur Rechenschaftslegung verpflichtet werden: Die Wirksamkeit ihres unterrichtlichen Handelns wird evaluiert. Zugleich aber sind sie über die Rückmeldung der Ergebnisse gefordert, über ihr Lehren, über ihr Handeln im Unterricht zur Qualitätsentwicklung auf Systemebene beizutragen. Wie Herzog und Makarova (2014: 97) kritisch bemerken, wird damit Lehrenden abverlangt, dass sie sich nicht allein für ihr unterrichtliches Handeln verantwortlich fühlen, sondern dass sie ihr unterrichtliches Handeln für den Erfolg ihrer Schule einsetzen, wobei Schulerfolg gleichgesetzt werde mit den erbrachten Schülerleistungen. Auch wenn mit Bezug auf die Schülerleistungen die Lehrperson eine wichtige Rolle einnimmt, so hängt bei weitem nicht alles, was im Unterricht pädagogisch relevant ist, vom Lehrer oder der Lehrerin ab. Weitere Herausforderungen stellen sich durch den allgemeinen gesellschaftlichen Wandel: Lehrpersonen sind in ihrem unterrichtlichen Handeln gefordert, mit Heterogenität und Mehrsprachigkeit umzugehen, individuelle Lernprozesse zu begleiten und Inklusion zu realisieren. Mehrsprachigkeit, so Gogolin 2015, werde in zweierlei Hinsicht zu einer grundlegenden Voraussetzung für das Lehren und Lernen von Sprachen: Zum einen verändere die tägliche Erfahrung mit zwei oder mehr Sprachen die individuellen Voraussetzungen der Lernenden, zum anderen mache die zunehmend heterogene sprachliche Zusammensetzung der Schülerschaft die Rücksichtnahme auf die unterschiedlichen Spracherfahrungen in Lerngruppen erforderlich. Im Fremdsprachenun- 32 Gabriele Kniffka terricht speziell stellen sich neue Anforderungen durch language awareness -Konzepte, language learning awareness -Konzepte (vgl. Art. 31), Tandem-Lernen und das Lernziel Mehrsprachigkeit. Als bedeutendste, bildungs- und sprachenpolitisch bedingte, curriculare Neuerungen führen Gnutzmann et al. (2011: 14) den frühen Fremdsprachenunterricht und sprach- und fachintegrierenden Fremdsprachenunterricht (u. a. bilinguale Angebote, content and language integrated learning) auf (vgl. auch Art. 44). Erhöhte Anforderungen stellen sich auch durch den Einzug neuer Medien in den Unterricht. Der konkrete Umgang mit Smartphone, Internet, sozialen Medien etc. erfordert u. U. neue Lehrmethoden (vgl. Art. 99). Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Aspekt ist die mit der Multimodalität moderner Medien geforderte Multiliteralität, die neueren Untersuchungen zufolge Lernziel sein sollte und somit in Lehr-Lern-Konzepte Eingang finden muss (vgl. Cope & Kalantzis 2000; Kalantzis & Cope 2013). 4. Lehrerprofessionalisierung Die oben angeführten Entwicklungen und die damit einhergehenden Anforderungen verlangen immer wieder neue und v. a. neu zu erwerbende Kompetenzen aufseiten von Lehrenden. Ergebnisse der empirischen Unterrichtsforschung zeigen, dass die in der Erstausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht weit genug reichen, um den Herausforderungen der gesellschaftlichen und bildungspolitischen Veränderungen gerecht zu werden. Insofern ergibt sich die Notwendigkeit, die fehlenden Kompetenzen während der Berufsausübung zu erwerben, und zwar über Lehrerfortbildungen (vgl. Art. 134). Ihre Bedeutung für die Professionalisierung von Lehrenden wurde lange Zeit verkannt (vgl. Terhart 2002), jedoch zeigen Forschungen zur Wirksamkeit von Lehrerfortbildungen, dass ein Kompetenzerwerb während und im Zusammenhang mit der Berufsausübung nachhaltig und erfolgversprechend sein kann, wenn sie durch bestimmte Merkmale gekennzeichnet sind (vgl. Lipowsky 2010; 2014). Effektive Lehrerfort- und -weiterbildung ist fortlaufend, d. h., sie begleitet die gesamte Berufslaufbahn, und erstreckt sich über einen längeren Zeitraum. Die herrschende Praxis der halbtägigen Fortbildungsveranstaltungen scheint dagegen wirkungsarm zu sein. Ein weiteres Merkmal wirkungsstarker Fortbildungen ist die Fokussierung auf ein fachdidaktisches Thema, welches das Lernen und die Lernprozesse der Lernenden einbezieht. Hier haben sich datengeleitete Formen von Lehrerfortbildungen als hocheffektiv erwiesen, d. h. Umgang mit Schülerarbeiten oder Videos, die das (eigene) Unterrichtshandeln dokumentieren und zur Reflexion anregen. Viele wirksame Fortbildungsmaßnahmen zeigen eine Kombination aus Reflexionsphasen und handlungspraktischen Erprobungsphasen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass (a) die Lehrenden durch externe Experten begleitet werden, die ihnen ein fundiertes Feedback geben können, und (b) dass die Fortbildungen an die Kognitionen und Konzepte der Lehrpersonen anknüpfen. Zur Wirksamkeit von Professionalisierungsmaßnahmen tragen aber auch die individuellen Voraussetzungen der teilnehmenden Lehrenden bei. Ob eine Lehrperson an einer Fortbildung teilnimmt, hängt u. a. von der Motivation ab. Nicht minder wichtig erscheinen die subjektiv wahrgenommene Relevanz des angebotenen Fortbildungsinhaltes und die Möglichkeit der Partizipation. Ob die in der Fortbildung vermittelten Inhalte tatsächlich im Unterricht umgesetzt werden, ist von den tatsächlichen Anwendungsmöglichkeiten abhängig: So kann der Umgang mit neuen Medien nur dann Ein- 33 7. Fokus: Lehren gang in den Unterricht finden, wenn Zugang zu den entsprechenden Medien besteht. Ein zweiter wichtiger Gesichtspunkt ist der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen - Fort- und Weiterbildungen sind effektiver in Teams. Nicht zuletzt bedarf es der Unterstützung durch Vorgesetzte und das Schulkollegium (vgl. auch OECD 2005). Schulen, so eine Empfehlung der OECD (2005, 2009), sollten zunehmend als „lernende Organisationen“ konzipiert werden, in denen Lehrende ihr unterrichtliches Handeln und ihre Lehr-Erfahrungen systematisch reflektieren, so dass Qualitätssicherung und -entwicklung im System verankert sind und nicht auf dem Individuum lasten. In diesem Sinne kann Lehrerprofessionalisierung langfristig wirkungsstark sein. Literatur Cope, B. / Kalantzis, M., Hrsg. (2000): Multiliteracies. Literacy learning and the design of social futures. London, New York. Gnutzmann, C. / Königs, F. G. / Küster, L. (2011): Fremdsprachenunterricht und seine Erforschung. 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Sprachliche Gegenstände Der Lehr- und Lerngegenstand Sprache kann in Anlehnung an Ehlich (2007: 12) in systematischer Weise in sieben Teilbereiche unterteilt werden: Phonetik (rezeptiv wie produktiv, segmental sowie suprasegmental-proso- 34 Christian Fandrych disch), Lexiko-Semantik (Ausdrucksinventar; angemessene Verbindung von Vorstellungen / Konzepten, Wirklichkeitselementen und sprachlichen Ausdrücken); Morpho- Syntax (Verstehen und eigene Produktion von komplexen sprachlichen Ausdrücken und Ausdruckskombinationen), alltagsbezogene Pragmatik (Einschätzung fremder Handlungsziele, Umsetzung eigener Handlungsziele); mündlicher Diskurs (Formen und Strukturen der unmittelbaren sprachlichen Kooperation, Diskursmuster); Literalität und Textkompetenz (rezeptive Vertrautheit mit der Graphie, Lesekompetenz, Orthographie, Text(sorten)kompetenz, Sprachbewusstheit); gesellschafts- und deutungsbezogene Pragmatik (Verständnis für die Einbettung von Sprachhandlungsmustern in soziale und gesellschaftliche Wirklichkeitsbereiche und Teilhabe an diesen Wirklichkeitsbereichen). Selbstverständlich greifen diese Dimensionen der Sprachkompetenz ineinander. So entstehen größere Lernkomplexe, die eine - auch schon sprachsystematisch kontroverse - strikte Trennung in „linguistische Kompetenzen“ in einem sehr engen Sinne auf der einen Seite, „soziolinguistische“ bzw. „pragmatische Kompetenzen“ auf der anderen Seite mehr als fragwürdig erscheinen lassen (diese Trennung findet sich im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen, vgl. Europarat 2001: 113). So ist eine strikte Trennung zwischen Lexiko-Semantik und Morpho-Syntax gerade aus Lernerperspektive eher künstlich, denn nicht nur gehört das kombinatorische Potenzial von Wortschatzeinheiten - ihre „Grammatik“ - zu ihren Grundeigenschaften (und ist von Sprache zu Sprache häufig anders strukturiert), sondern auch die über rein morpho-syntaktische Regelhaftigkeiten hinausgehenden kollokationellen Affinitäten von Wörtern gehören zu den Lernaufgaben in der Fremdsprache. In der Sprachwissenschaft und der Spracherwerbsforschung haben in den letzten Jahren gebrauchsbasierte (kognitiv bzw. konstruktionsgrammatisch orientierte) Ansätze an Boden gewonnen, welche die Kompositionalität des sprachlichen Wissens und die Vorstellung vom Spracherwerb als einer Aneignung bzw. Parametrisierung von Regeln mehr oder weniger stark in Frage stellen (vgl. allgemein Fischer & Stefanowitsch 2006; zu den romanischen Sprachen De Knop et al. 2013). Stattdessen spielt die Aneignung von vorgefertigten Versatzstücken und Mustern eine zentrale Rolle im Spracherwerb, aber auch beim idiomatisch angemessenen Sprechen und Schreiben (vgl. Wray 2002). Es ist paradox, dass das lexikalische Lernen gleichzeitig immer noch zu den Stiefkindern der Fremdsprachendidaktik gehört. Ein weiterer übergreifender Lernkomplex besteht in der Verflechtung von Aussprache mit weiteren Aspekten der Mündlichkeit einerseits (Grammatik der Mündlichkeit, einschließlich situations- und registerspezifischer Variation; Sprechwirkung und Pragmatik; hier spielen auch kontrastiv angelegte Ansätze eine zentrale Rolle), mit der Literalität andererseits (denn es ist davon auszugehen, dass gerade im schulischen Fremdsprachenunterricht die differente Laut-Schrift-Zuordnung in der zu erlernenden Sprache ein erhebliches Problem auch für den Ausspracheerwerb darstellt; diese Zusammenhänge sind noch kaum empirisch untersucht). Des Weiteren ist die Frage nach der Stil-, Register- und Genrevielfalt und -angemessenheit in einer Zeit, in der das Repertoire an (v. a. auch medial vermittelten) Kommunikationsformen sich in dramatischer Weise erweitert und sowohl im alltagspraktischen, als auch im bildungsinstitutionellen Kontext von immer größerer Relevanz wird, ein zentrales Thema der Angewandten Sprachwissenschaft ebenso wie der didaktischen Forschung und Praxis (vgl. die Beiträge in Reinfried & Volkmann 2012 sowie Art. 9). 35 8. Fokus: Sprache Während bisher als Lerngegenstand v. a. die Zielsprache als mehr oder weniger geschlossenes System im Blick stand, ist in jüngerer Zeit die strikte Trennung zwischen den Kompetenzen in einer (oder mehreren) L1 und der Zielsprache in Frage gestellt worden; Forschungen zu Formen der (individuellen und gesellschaftlichen) Mehrsprachigkeit zeigen, dass „Sprachkompetenz“ als dynamisches, holistischeres Ressourcensystem aufgefasst werden muss, in welchem die Lernenden über eine Vielfalt von Konstruktionen, Routinen, Wortformen und sprachlichen Mustern verfügen, die sie häufig kreativ und erfolgreich einsetzen (vgl. Matras 2009: 79-100). Aus dieser Perspektive besteht ein weiterer zentraler Lerngegenstand des Fremdsprachenunterrichts darin, die Lernenden für ihre bereits vorhandenen Sprachressourcen zu sensibilisieren und Strategien zu entwickeln (sowie Bewusstsein zu schaffen) für eine erfolgreiche Nutzung dieser Ressourcen für die Kommunikation in der Zielsprache. 2. Sprache als Forschungsgegenstand der Fremdsprachendidaktik und Angewandten Linguistik Es ist selbstverständlich, dass der Gegenstand Sprache im Fremdsprachenunterricht eine zentrale Rolle spielt. Weniger klar und unumstritten ist, wie genau unterschiedliche Konzepte von Sprache und Formen der Sprachbeschreibung für Sprachdidaktik, Sprachunterricht und Sprachenlernen von Relevanz sein können und diese auch (mit-)prägen. Zu bestimmen ist daher nicht zuletzt das Verhältnis von Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik. Hier kann man mindestens zwei Auffassungen unterscheiden: Zum einen wird die Sprachwissenschaft als eine Art Bezugswissenschaft gesehen, aus deren Forschungsergebnissen die Fremdsprachendidaktik auswählen und diese an ihre Bedürfnisse anpassen müsse (so erklärt sich nicht zuletzt auch der Begriff „Angewandte Linguistik“ ). Relevante linguistische Erkenntnisse werden gleichsam in die Sprachdidaktik importiert und mit lernpsychologischen, anthropologischen, didaktischen, medienwissenschaftlichen Erkenntnissen und Anforderungen verbunden (vgl. Spillner 2007: 32). Zum anderen wird die Position vertreten, dass die fremdsprachenphilologisch orientierten Fächer eine stärker eigenständige Perspektive und so auch ein eigenständiges Forschungsinteresse in Bezug auf den Gegenstand Sprache entwickeln müssten: Die jeweils interessierende Sprache müsse aus der Perspektive von Lernerinnen und Lernern betrachtet und entsprechend untersucht und beschrieben werden (vgl. Fandrych 2010: 173). Dies bedeutet häufig eine größere Explizitheit bei der Beschreibung von sprachlichen Phänomenen, als dies bei Grammatiken für L1-Sprecherinnen und -Sprecher üblich ist. Daneben müssen sich Regeln und Regelhaftigkeiten an der Lern- und Verarbeitungskapazität der Lernenden orientieren und explizit oder doch latent kontrastiv angelegt sein. Gerade im Kontext einer Mehrsprachigkeitsdidaktik, welche Sprachenlernen als Gesamtprojekt betrachtet und bereits vorhandene sprachliche Wissensbestände für neue Sprachlernaufgaben nutzbar macht, ist eine solch kontrastive Herangehensweise von zentraler Bedeutung. Aus fremdsprachendidaktischer Perspektive ist zudem ein Sprachbegriff zu bevorzugen, der sprachliches Handeln in seiner ganzen Vielfalt ernst nimmt und auch an der Realität des Sprachgebrauchs orientiert ist (einschließlich regionaler, sozialer, medialer, nationaler Varietäten und Stile). Das bedeutet für die Sprachbeschreibung auch, dass die strikte Trennung zwischen Sprachsystem und Sprachverwendung zumindest deutlich relativiert werden muss: Sprachliche Mittel und die verschiedenen 36 Christian Fandrych Ebenen der Sprachbeschreibungen (wie die Phonetik, Morpho-Syntax, Lexik und Semantik) müssen immer wieder auf das sprachliche Handeln, also auf ihre kommunikative Funktion und kommunikativen Möglichkeiten hin bezogen werden und auch im Zusammenhang mit sprachlichem Handeln in Texten und Dialogen beschrieben werden (vgl. Fandrych & Thurmair 2011). Mit dem Begriff Educational Linguistics (vgl. Spolsky 2010) wird eben diese Perspektive eingenommen (auf Deutsch am ehesten wiederzugeben als „bildungsbezogene Linguistik“ ; zur Geschichte von Angewandter und bildungsbezogener Linguistik vgl. Spillner 2007; Hult 2010). Eine an der Sprachrealität und am Sprachgebrauch orientierte Sprachbeschreibung kann heutzutage auf ein rasant wachsendes Inventar an Sprachkorpora zurückgreifen, welche allerdings noch lange nicht ausreichend auf die Bedürfnisse von Lehrenden oder gar Sprachlernenden ausgerichtet sind. Die Einbeziehung von Korpusdaten für die Sprachbeschreibung gerade auch im fremdsprachendidaktischen Kontext ist ein zentrales Forschungs- und Arbeitsfeld in der bildungsbezogenen Linguistik (vgl. Conrad & LeVelle 2010). 3. Sprache und Fach In den letzten Jahren sind verstärkt - auch im schulischen Bereich - (schul-)fachbezogene, berufs- und bildungsbezogene sprachliche Kompetenzen in Forschung und praktischer Arbeit in den Mittelpunkt gerückt. Aus der Sicht der bildungsbezogenen Linguistik ist hier ein wichtiges Forschungsfeld entstanden, das stärker die kommunikativen und sprachlichen Anforderungen von spezifischen Kommunikations- und Handlungsdomänen (wie die schulische Interaktion in verschiedenen Fächern, die sprachlichen Anforderungen in bestimmten Berufsfeldern etc.) in den Blick nehmen muss und mit der Fremdsprachendidaktik entsprechende Konzepte für einen integrierten Sprach- und Fachunterricht (CLIL) erarbeiten muss (vgl. Becker-Mrotzek et al. 2013 sowie Art. 44). Viele Zusammenhänge sind empirisch noch nicht annähernd erforscht; wichtig erscheint gerade aus der Perspektive einer Mehrsprachigkeitsdidaktik, dass CLIL-Ansätze nicht zu fachbezogenem monolingualem Immersionsunterricht in der L2 führen, sondern auch eine kritische Mehrsprachigkeitsbewusstheit und mehrsprachige Kompetenz aufbauen. 4. Sprachreflexion und metasprachliches Wissen Es liegt auf der Hand, dass gute linguistische Kenntnisse im gerade geschilderten Sinne über die zu vermittelnde Sprache zentrales Handwerkszeug von Lehrenden sowie allen weiteren professionellen Akteuren im Kontext Fremdsprachenunterricht sein müssen (Testentwickler, Curriculums-Entwickler, Autoren von Lehrmaterialien, Fortbilder etc.) - unabhängig davon, ob sie nun dieses explizite Wissen auch im Unterricht thematisieren oder es eher dazu nutzen, um Materialien, Curricula, Tests zu beurteilen, zu entwickeln, anzupassen oder auch die Kompetenzen der Lernenden richtig einschätzen zu können. Dies ist gerade in einem Kontext wichtig, in dem Lehr- und Lernmaterialien immer individualisierter und handlungsorientierter werden und in dem die mediale Vielfalt enorm zugenommen hat. Nicht zuletzt erfordert ein Mehrsprachigkeitsansatz (vgl. Marx & Hufeisen 2010), der strukturelle, typologische und auch pragmatische Wissensbestände und Kompetenzen von Lernenden für das Erlernen weiterer Sprachen nutzen will, ein erhöhtes Maß an metasprachlichem Wissen und an Sprachreflexion auf der Seite der Leh- 37 8. Fokus: Sprache renden - und zwar bezogen auf mehrere Sprachen und Kulturen. Solche Kompetenzen werden bislang auch in den Studiengängen noch nicht ausreichend vermittelt; gerade für die gängigen Schulsprachen sowie die Herkunftssprachen von mehrsprachigen Bevölkerungsgruppen im deutschsprachigen Raum muss hier sowohl in der Lehrerbildung wie auch in der praktischen Umsetzung noch viel Grundlagen- und Aufbauarbeit verrichtet werden. Dies betrifft nicht zuletzt auch die schon für den Muttersprachenunterricht unbefriedigende grammatische Terminologie, mit deren Erneuerung sich derzeit die am IDS Mannheim angesiedelte Arbeitsgruppe „Schulgrammatische Terminologie“ beschäftigt (vgl. Hennig 2012; www.grammatische terminologie.de). Konsequent gedacht, müsste eine solche schulgrammatische Terminologie auf alle Schulsprachen beziehbar sein (vgl. Hudson 2010: 56 f.), um so Sprachbeschreibung, Sprachvergleich und Sprachreflexion zu fördern. Sprachbewusstheit, eine solide grammatisch-lexikalische Analysefähigkeit, die Kompetenz, sprachliche Mittel und ihre je verschiedenen Funktionen auch im Sprachvergleich herausarbeiten zu können, zählen aufgrund der zentralen Rolle von Sprache im Bildungsprozess und in einer diskursiv und medial zunehmend ausdifferenzierten Gesellschaft zu den zentralen schulischen Lernzielen, unabhängig davon, wie man die Möglichkeiten einschätzt, dass explizite Instruktion auch die sprachliche Handlungskompetenz selbst direkt fördern kann. Sprachliche Reflexion sollte sich aber gerade angesichts der zunehmenden Medialisierung und Stilvielfalt keinesfalls nur auf die grammatischen Kernbereiche beschränken, sondern soziolinguistische und textbzw. diskurslinguistische Aspekte mit einbeziehen (vgl. Mesthrie 2010; Fandrych & Thurmair 2011). Auch aus Sicht der Psycholinguistik und der Spracherwerbsforschung sprechen gewichtige Gründe dafür, dass verschiedene Formen der expliziten Sprachvermittlung - so sie denn kommunikativ orientiert und auf die sprachliche Handlungskompetenz bezogen sind - auch dazu beitragen können, eine praktische Sprachkompetenz aufzubauen; gerade im Jugendlichen- und Erwachsenenalter werden ohne solche explizite Instruktion bestimmte zielsprachliche Strukturen nicht oder nicht angemessen erworben (N. Ellis 2007; R. Ellis 2010). Literatur Becker-Mrotzek, M. / Schramm, K. / Thürmann, E. / Vollmer, H., Hrsg. (2013): Sprache im Fach. Sprachlichkeit und fachliches Lernen. Münster u. a. Conrad, S. 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Die diskursive und symbolische Verfasstheit von Kulturen In allen geläufigen Konzepten des Fremdsprachenunterrichts wird das Erlernen einer Sprache immer auch als kulturelles Lernen und als Begegnung mit anderen Kulturen aufgefasst. Für die Konzeptualisierung dieser kulturellen Dimension des Fremdsprachenlernens hat sich als pädagogisches und als didaktisches Leitziel seit Längerem die interkulturelle Kompetenz etabliert (vgl. Art. 4, 29, 34). So gehören die Initiierung sog. interkultureller Lernprozesse und die Gestaltung kultureller Begegnungen zwischen Kulturen mittlerweile zum fremdsprachendidaktischen Standardrepertoire. Hingegen sind etliche Fragen, die das kulturelle Lernen im Fremdsprachenunterricht betreffen, nach wie vor nicht sonderlich gut geklärt. Dazu gehören v. a. Vorstellungen davon, was überhaupt unter Kultur zu verstehen ist und auf welche Weise fremdsprachige Kulturen im Fremdsprachenunterricht modelliert werden können. Hinsichtlich ethnographischer (kulturinterpretativer) Verfahren im Unterricht, der Kategorien, mittels derer sich „kulturelle Deutungsmuster“ (Altmayer 2009: 126 ff.; Volkmann 2010: 55 ff.) erfassen lassen, der Reflexion eigener kultureller Denkweisen und Praktiken sowie des Umgangs mit kulturellen Differenzerfahrungen ist es jedoch unabdingbar, eine genauere Vorstellung davon zu erlangen, was unter Kultur zu verstehen ist. Dazu bietet es sich an, auf R. Posners kultursemiotisches Modell (Posner 1991; 2003) zurückzugreifen, das Kultur als ein Zusammenspiel dreier Dimensionen modelliert. Posner unterscheidet (1) die soziale Dimension, die sich auf die sozialen Akteure und Institutionen sowie auf Handlungen, 39 9. Fokus: Texte - Medien - Literatur - Kultur Praktiken und Verhaltensweisen bezieht; (2) die materiale Dimension, die alle Äußerungen und Texte, Artefakte und materialen Produkte umfasst; und (3) die mentale Dimension, welche das Vorhandensein und die Wirksamkeit von Denkweisen, -kategorien und -mustern, Wertvorstellungen oder Weltanschauungen in kulturellen Prozessen bezeichnet. Natürlich trägt das Modell auch der Tatsache Rechnung, dass in der kulturellen Wirklichkeit diese Dimensionen nicht je für sich, sondern stets nur im Zusammenspiel wirksam sind. Was die soziale Dimension fremdsprachiger Kulturen angeht, so ist diese in schulischen Kontexten nur in unmittelbaren Begegnungen erfahrbar, also z. B. bei Klassenfahrten oder bei Austauschbesuchen. Die mentale Dimension lässt sich nur interpretativ aus dem kulturellen Handeln oder aus Äußerungen und Kulturprodukten erschließen. Aus diesen strukturellen Einschränkungen ergibt sich die überragende Bedeutung aller Texte und der symbolischen und medialen Darstellungen im Fremdsprachenunterricht: Jede Wahl eines Textes und die Zusammenstellung von Materialien in Gestalt von Lese- und Hörtexten, Videofilmen, Photos, Graphiken und Zeichnungen vermittelt stets ein bestimmtes Bild von der fremdsprachigen Kultur, ihrer inneren Verfasstheit und ihrem Verhältnis zu anderen Kulturen. Diese kulturprägende Wirkungsweise der Text- und Medienarbeit im Unterricht bürdet der Wahl- und Planungshoheit der Lehrenden ebenso wie der Lehrwerk- und Materialentwicklung ein hohes Maß an Verantwortung auf und muss daher Teil der professionellen Qualifizierung von Lehrkräften sein. Hinsichtlich der materialen Dimension ist bedeutsam, dass ihr ein weitgefasster Kulturbegriff zugrunde liegt, der die Vorstellung von Kultur als ,Hochkultur‘ (,Culture ‘ mit großem ,C‘, im Wesentlichen also die klassischen Künste wie Musik, Malerei und Literatur) überwindet und alle Arten von kulturellen Produkten umfasst (,culture ‘ mit kleinem ,c‘), sodass nunmehr auch Kleidung, Architektur, populärkulturelle Produkte, Werbung, Zeitungstexte usw. Gegenstand der wissenschaftlichen Beschreibung, der Interpretation und - im Fremdsprachenunterricht - des kulturellen Lernens sind. Diesem Kulturbegriff entspricht ein weit gefasster Textbegriff, der nicht nur Schrifttexte, sondern alle kohärenten Mengen von Zeichen, also v. a. auch Bilder und Filme, als Texte auffasst (vgl. Hallet 2002: 15 f.; Decke-Cornill & Küster 2010: 243 f.). Damit nimmt die Fremdsprachendidaktik einen Kulturbegriff auf, der zuvor in den cultural studies (im Wesentlichen der American Studies seit Ende der 1950er und der British Cultural Studies seit Beginn der 1960er Jahre) entwickelt worden war (vgl. Küster 2005; Delanoy & Volkmann 2006; Freese 2007; Sommer 2007). V. a. in der Englisch- und DaF-Didaktik wird auf diese Weise ein mit der herkömmlichen Landeskunde verbundener statischer Kulturbegriff überwunden zugunsten der Betonung des prozessualen, diskursiven und symbolischen Charakters von Kultur (vgl. Nünning & Nünning 2000; Volkmann 2010: 45 ff.), der in der Metapher von ,Kultur als Text‘ oder von ,Kultur als Hypertext‘ manifest wird (Hallet 2002; Altmayer 2004; Volkmann 2010: 40 ff.). Aber auch in der Didaktik der romanischen Sprachen hat sich eine Öffnung des Kulturbegriffs durchgesetzt (vgl. exemplarisch Schumann 2005), die ihren Niederschlag u. a. in einer ,interkulturellen Landeskunde‘ gefunden hat, welche herkömmliche Stereotypisierungen und geschlossene Vorstellungen von Kultur problematisiert und die innere Pluralisierung und Hybridisierung fremdsprachiger Kulturen thematisiert (vgl. Lüsebrink 2003; 2005). 40 Wolfgang Hallet 2. Prinzipien der textuellen und medialen Repräsentation und Vermittlung von Kulturen im Fremdsprachenunterricht Für die textuelle und mediale Repräsentation fremdsprachiger Kulturen sind kulturelle Prozesse bedeutsam, die mit der postkolonialen Migration, der Internationalisierung und der Globalisierung einhergehen. Diese Makro-Prozesse haben zur Folge, dass Kulturen sich sozial (also z. B. in ihren Praktiken oder Institutionen) und diskursiv in einer solchen Vielfalt von kulturellen Austauschprozessen und Durchdringungen herausbilden, dass sich einzelne ,Ursprünge‘ oder ,Abgrenzungen‘ kaum identifizieren oder zuverlässig beschreiben lassen. Mit dieser Öffnung von Kulturen nach außen korrespondiert eine kulturelle Pluralisierung, Diversifizierung und Heterogenität kultureller Deutungsmuster und Orientierungen nach innen, zu denen neben den ethnischen auch vielfältige populär-, sub- und jugendkulturelle Auffächerungen und medienkulturelle Praktiken gehören. Geschlossene, nationalkulturell oder ethnisch orientierte, essentialisierende oder homogenisierende Kulturkonzepte sind daher seit Langem auch in der Fremdsprachendidaktik der Kritik unterworfen (vgl. Volkmann 2010: 73 ff.) zugunsten von Konzepten, die auf die kulturelle Diversität und Hybridität der Gegenwartsgesellschaften fokussieren. Diese Öffnung und Pluralisierung der fremdsprachigen Kulturen hat Folgen für deren textuelle und mediale Repräsentation und die Repräsentativität der Texte und Materialien im Fremdsprachenunterricht: Es ist nicht länger denkbar, dass ,eine‘ Kultur in einer Art Überblicksdidaktik auf einfache, monologische Weise (survey; vgl. Sommer 2007) unterrichtlich vermittelt wird. Die heterogenisierenden, komplexen kulturellen Zirkulations- und Aushandlungsprozesse der Gegenwartsgesellschaften lassen sich im Fremdsprachenunterricht nur durch eine entsprechende Vielfalt und Heterogenität der symbolischen und diskursiven Repräsentation der Vermittlungsmaterialien modellieren (sampling ; vgl. ebd.). Dementsprechend verändern sich auch die Anforderungen an die Text- und Mediendidaktik: • Der Vielstimmigkeit der Kulturen wird durch eine entsprechende Text- und Materialvielfalt Rechnung getragen; die textuellen und medialen Stimmen (Sprech- und Lesetexte, Fotos, Filme usw.) modellieren die Bandbreite und Vielfalt der kulturellen Sichtweisen (eines Ausschnitts) in den fremdsprachigen Gegenwartsgesellschaften und machen die kulturelle Pluralität im fremdsprachlichen Klassenzimmer erfahrbar. • Text-, Medien- und Materialkombinationen für den Fremdsprachenunterricht modellieren oder nehmen Bezug auf reale gesellschaftliche Diskurse und aktuelle kulturelle Entwicklungen in fremdsprachigen Gesellschaften (oder Ausschnitte davon) und ermöglichen den Lernenden, deren Relevanz und Bedeutsamkeit zu erkennen. • Die ausgewählten Texte und Medien sollten hinsichtlich der Inhalte und der Positionen weder redundant noch zusammenhanglos sein, sondern in einem (für die Lernenden erkennbaren) Differenzverhältnis zueinander stehen (vgl. Hallet 2002: 56 ff.), sodass die Lernenden einerseits den Diskurs in seiner Gesamtheit, andererseits einzelne Positionen und Stimmen im Diskurs erkennen können. • Die Vielfalt von Genres, die Multimedialität und die Multimodalität der Text- und Materialkombinationen im Unterricht spiegeln die große Zahl der Darstellungs- und Symbolisierungsformen wider, die an der Herausbildung kultureller Vorstellungen, Deutungsmuster und Handlungswei- 41 9. Fokus: Texte - Medien - Literatur - Kultur sen beteiligt sind (vgl. Hallet 2011: 107 ff.). Dazu gehören auch literarische Texte und Filme. • Die Multimedialität der Texte und die Multimodalisierung des Unterrichts durch die Vielzahl der symbolischen Darstellungsformen erfordern die Ausbildung einer entsprechenden Vielzahl von literacies (Literalitäten oder Kompetenzen), z. B. einer electronic literacy zum Umgang mit digitalen Medien oder einer visual literacy zum Verstehen von Bildern (vgl. Hallet 2011: 108 ff.). • Die Lernenden finden sich in einem so als Text- und Medienunterricht angelegten Kulturunterricht als kulturelle Akteure wieder, die, wie in ihrer eigenen Lebenswelt auch, kulturelle Deutungsangebote explorieren, sich in der Vielfalt der fremdsprachigen kulturellen Sichtweisen orientieren und sich selbst darin positionieren, Haltungen einnehmen und Urteile bilden. • Die Verstehens-, Explorations- und Orientierungsprozesse der Lernenden werden durch komplexe Lern- oder Kompetenzaufgaben initiiert; denn Texte, Medien und Materialien sprechen nicht für sich, sondern können und müssen unter bestimmten Gesichtspunkten und Fragestellungen untersucht, verstanden und ausgewertet werden. Im Idealfall treten die Lernenden in solchen Explorations- und Orientierungsprozessen in einen realen kommunikativen Austausch mit Repräsentanten der betreffenden fremdsprachigen Kultur(en) ein. 3. Die Bedeutung der Literatur Literarische Texte haben schon allein deshalb ihren Platz im Fremdsprachenunterricht, weil sie selbst authentische kulturelle Äußerungen darstellen. Sie verarbeiten reale gesellschaftliche Diskurse in fiktionaler Weise und wirken ihrerseits auf diese ein (Interdiskursivität; vgl. Link 1988). Ein einschlägiges Beispiel sind fictions of migration, die die Multikulturalität des heutigen Großbritanniens sowie die mit der Immigration verbundenen problematischen Identitätsbildungsprozesse zum Gegenstand der literarischen Betrachtung machen (Sommer 2001; Freitag-Hild 2010). Auch vermögen literarische Texte und Filme imaginäre Gegenwelten jenseits der realen Welt zu entwerfen (vgl. Zapf 2005). V. a. aber entfalten literarische Texte affektive und emotionale Wirkung und bilden auf diese Weise eine Brücke zwischen der fremdsprachigen fiktionalen Welt und der Erfahrungswelt der Lesenden. Im Akt der Rezeption erfahren sich die Lernenden selbst als Individuen und kulturelle Akteure. In dieser Text-Leser-Interaktion erkennt der rezeptionsästhetische Ansatz daher die bildende Funktion der Literatur im Fremdsprachenunterricht und die Möglichkeit, die Reflexionsfähigkeit der Lernenden zu entwickeln (Bredella 2007). Literarische Texte zeichnen sich aber nicht zuletzt dadurch aus, dass sie die fremde Sprache in ästhetisierender Weise verwenden. In literarischen Texten finden sich Rede- und Darstellungsweisen sowie Formen und Strukturen, die etwas darzustellen vermögen, was in der Alltagssprache nicht kommuniziert werden kann. Lyrische Texte z. B. können etwas zum Ausdruck bringen, für das ansonsten keine Sprache zur Verfügung steht. Mit literarischen Texten muss daher auch ein literarisch-ästhetisches Lernen verbunden sein, das die Lernenden befähigt, die besondere ästhetische Qualität eines Textes zu erfassen und literarisch-ästhetische Darstellungsweisen zu verstehen (vgl. umfassend Hallet et al. 2015). All diese Eigenschaften machen literarische Texte und Filme zu unverzichtbaren Elementen eines bildenden Fremdsprachenunterrichts. 42 Wolfgang Hallet Literatur Altmayer, C. (2004): Kultur als Hypertext. Zu Theorie und Praxis der Kulturwissenschaft im Fach Deutsch als Fremdsprache. München. Altmayer, C. (2009): Instrumente für die empirische Erforschung kultureller Lernprozesse im Kontext von Deutsch als Fremdsprache, in: A. Hu / M. Byram (Hrsg.): Interkulturelle Kompetenz und fremdsprachliches Lernen. Modelle, Empirie, Evaluation - Intercultural competence and foreign language learning. Models, empiricism, assessment. Tübingen, 123-138. Bredella, L. (2007): Bildung als Interaktion zwischen literarischen Texten und Leser/ innen. Zur Begründung der rezeptionsästhetischen Literaturdidaktik, in: W. Hallet / A. Nünning (Hrsg.), 49-68. Decke-Cornill, H. / Küster, L. (2010): Fremdsprachendidaktik. Eine Einführung. Tübingen. Delanoy, W. / Volkmann, L. (2006): Cultural studies in the EFL classroom. Heidelberg. Freese, P. (2007): Der Beitrag der American Studies zum fortgeschrittenen Englischunterricht in Deutschland, in: W. Hallet / A. Nünning (Hrsg.), 167-182. Freitag-Hild, B. (2010): Theorie, Aufgabentypologie und Unterrichtspraxis inter- und transkultureller Literaturdidaktik. „British Fictions of Migration“ im Fremdsprachenunterricht. Trier. Hallet, W. (2002): Fremdsprachenunterricht als Spiel der Texte und Kulturen. Intertextualität als Paradigma einer kulturwissenschaftlichen Didaktik. Trier. Hallet, W. (2011): Lernen fördern: Englisch. Kompetenzorientierter Unterricht in der Sekundarstufe I. Seelze. Hallet, W. / Nünning, A., Hrsg. 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(2007): Vom ,Survey‘ zum ,Sample‘: Kulturdidaktische Modelle zwischen Landeskunde, Interkulturellem Lernen und Kulturwissenschaft, in: W. Hallet / A. Nünning (Hrsg.), 183-195. Volkmann, L. (2010): Fachdidaktik Englisch: Kultur und Sprache. Tübingen. Zapf, H. (2005): Das Funktionsmodell der Literatur als kultureller Ökologie: Imaginative Texte im Spannungsfeld von Dekonstruktion und Regeneration, in: M. Gymnich / A. Nünning (Hrsg.): Funktionen von Literatur. Theoretische Grundlagen und Modellinterpretationen. Trier, 55-77. Wolfgang Hallet C Sprachenpolitische, bildungspolitische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen 10. Sprachenpolitik und das Lernen und Lehren von Sprachen 1. Begrifflichkeit Sprachenpolitik ist ein relativ junger Begriff im Bereich des Fremdsprachenunterrichts und seiner Wissenschaften. Im deutschen Sprachraum hatte die Indienstnahme von Sprachen und Sprachwissenschaft durch den Nationalsozialismus zu einer Ausblendung sprachenpolitischer Fragen aus dem Fachdiskurs geführt; im Bildungsbereich herrschte die Auffassung vor, dass Sprachunterricht sich innerhalb des jeweils bildungspolitisch vorgegebenen Rahmens zu bewegen habe, der selbst nicht in Frage gestellt wurde. Insbesondere Herbert Christ (1980) hat mit seinen Arbeiten dazu beigetragen, Sprachenpolitik als Thema von Sprachlehrforschung und Lehrerausbildung zu etablieren. Dabei hat sich die von ihm vorgeschlagene Differenzierung, nach der Sprachpolitik sich auf intralinguale Regelungen einer Sprache, Sprachenpolitik dagegen auf interlinguale Fragen beziehe (Christ 1991: 100), nicht durchgesetzt. Beide Formen werden eher undifferenziert gebraucht. 45 Sprachenpolitik geht davon aus, dass Entscheidungen darüber, welche Sprachen Menschen lernen und gebrauchen, in der Regel nicht nur biographisch-individuell getroffen werden, sondern immer auch sozialen, politischen und wirtschaftlichen Zwängen unterliegen und eine freie Sprachenwahl nicht die Regel ist. Begriffe wie „Sprachimperien“ (Hamel 2007) oder „linguistischer Imperialismus“ (Phillipson 1992) machen deutlich, dass Sprachen vielfach auf Grund von politisch gesetzten Bedingungen gelehrt und gelernt werden. Für Vereinbarungen über den Sprachgebrauch in Institutionen wie zum Beispiel der Europäischen Union hat sich der Begriff des „Sprachenregimes“ eingebürgert (Wu 2005), der inzwischen auch in anderen Bereichen, z. B. bezogen auf die Sprachenpolitik gegenüber Migrantinnen und Migranten, verwendet wird, um deutlich zu machen, dass hier vielfach offen oder versteckt wirkende Regeln und Praktiken existieren, die bestimmte Sprachen und deren Sprecherinnen und Sprecher begünstigen, die anderen dagegen abwerten oder ausgrenzen. 2. Problemaufriss Sprachenpolitik manifestiert sich zum einen als offizielle, weitgehend explizite Sprachenpolitik, die in Gesetzen, Richtlinien, institutionellen und finanziellen Regelungen fixiert wird, und zum zweiten als personelle, individuelle Dimension, das Agieren der Menschen, die Sprachen nachfragen und benutzen oder auch ablehnen. Allerdings sind beide Ebenen eng verflochten: So ist z. B. im deutschen Grundgesetz - anders als im österreichischen Bundes-Verfassungsgesetz (Art. 8) - nicht festgelegt, dass die deutsche Sprache die offizielle Sprache der Bundesrepublik ist, dennoch steht außer Frage, dass Deutsch in Deutschland quasi Verfassungsrang hat und die reguläre Unterrichtssprache an Schulen ist. Migranten und ihre Kinder können durch Gesetz verpflichtet werden, Deutsch zu lernen, um Zugang zur Aufenthaltsberechtigung und Staatsbürgerschaft zu erhalten. Für eine Gruppe, Gemeinschaft oder ein Land wird vorgeschrieben oder vereinbart, welche Sprache(n) als Familiensprache(n), Gruppen- und Gemeinschaftssprache(n), als Bildungs- und Unterrichtssprachen und als Staatssprachen zugelassen bzw. anerkannt werden. So ist z. B. durch nationales Recht wie auch durch übernationale Vereinbarungen (Menschenrechte, Minderheitencharta) fixiert, dass anerkannte Minderheiten ein Recht auf Unterricht in ihrer jeweiligen Minderheitensprache haben. Prüfungen oder andere Nachweise regeln den Zugang zu Gruppen oder Berufen, z. B. Lateinkenntnisse den Zugang zu höherer Bildung oder zum Medizinstudium; Englisch gehört verbindlich zur Ausbildung von Piloten. Neben den offiziellen gibt es auch im Inneren informelle Sprachregelungen: So gelten Englischkenntnisse als sozial und beruflich wichtig, während osteuropäische und Migrantensprachen einen niedrigeren Status haben und entsprechend weniger häufig als Lernangebote be- 46 H.-J. Krumm reitgestellt und nachgefragt werden. Bourdieu (1983) bezeichnet Sprache als soziales Kapital, das dazu beiträgt, den Handlungsspielraum von Menschen zu vergrößern. Krumm (2014) spricht im Hinblick auf die Ungleichbehandlung von Sprachen und ihren Sprechern im Bildungswesen von einer Elite- und einer Armutsmehrsprachigkeit. Sprachenpolitik nach außen betrifft zum einen das Sprachenregime in internationalen Institutionen wie UNO und Europäischer Kommission, zum anderen bezieht sie sich auf Bemühungen, die Landessprache eines Staates als Fremdsprache in anderen Ländern zu verankern und dafür über Kulturabkommen und die Einrichtung von sog. Mittlerorganisationen auch institutionelle Möglichkeiten zu schaffen (vgl. Art. 139 und 140). Auch die Innen- und die Außenperspektive sind eng miteinander verzahnt, wie sich z. B. am Erasmus-Programm als einem sprachenpolitisch begründeten Programm ablesen lässt, das die Internationalisierung im Hochschulbereich durch Austausch fördert und dabei für alle Partner Anforderungen an Sprachunterricht und Sprachfähigkeiten stellt (vgl. Wippel 2013). Für die Sprachenpolitik im deutschen Sprachraum gilt, dass sie im Zusammenhang mit politisch-wirtschaftlichen Entwicklungen zu sehen ist: Die gegenwärtige Sprachenlandschaft in Schule und Gesellschaft ist ein Ergebnis der europäischen Nachkriegszeit, der Besatzungsmächte, der Phase des Kalten Krieges und der Wirtschaftsexpansion der Vereinigten Staaten sowie seit den 1970er Jahren der zunehmenden Arbeits- und Flüchtlingsmigration. Eine solche, sich politisch-wirtschaftlich orientierende Sprachenpolitik erfährt mit dem Zusammenwachsen Europas und der Globalisierung seit etwa 2000 eine massive Aufwertung (vgl. Art. 11). Sprachprüfungen können nicht nur Qualifikationen zertifizieren, sondern auch als Barrieren bzw. Ausgrenzungskriterien wirken. Sprachenrechte, wie sie die vom internationalen PEN-Club 1996 beschlossene „Allgemeine Erklärung der Sprachenrechte“ (www.gfbv.it/ 3dossier/ barcelona96-dt.html) formuliert, sind daher auch Gegenstand von Verfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. 3. Sprachenpolitik und Mehrsprachigkeit Im Zentrum der Sprachenpolitik in Europa steht die Frage nach dem Erhalt der Mehrsprachigkeit gegenüber der zunehmenden Dominanz von Englisch in allen Lebensbereichen (vgl. Art. 138). Die Europäische Union hat, ausgehend von dem Grundsatz der Gleichberechtigung aller Sprachen ihrer Mitgliedsländer, eine Sprachenpolitik entwickelt, die Mehrsprachigkeit fördert mit dem Ziel, jeder europäische Bürger solle in Zukunft außer der Muttersprache mindestens zwei Fremdsprachen beherrschen. Hier geht es um das Zusammenwachsen Europas und das Ziel, die Mobilität der Menschen auf dem globalen Arbeitsmarkt zu erhöhen. Zugleich gilt Mehrsprachigkeit als Merkmal europäischer Identität; die Anerkennung der eigenen Sprache sichert das Zugehörigkeitsgefühl der europäischen Bürger und garantiert, so die These, die Bewahrung des kulturellen Erbes der Mitgliedsländer. Die Europäische Kommission hat daher seit 2000 zahlreiche Empfehlungen zur Förderung der Mehrsprachigkeit verabschiedet und erhebt regelmäßig die Sprachkenntnisse in den Mitgliedsländern. 2011/ 12 wurde erstmals eine systematische Erhebung zu den Sprachkompetenzen (Europäische Kommission 2012) publiziert, an der sich die deutschsprachigen Länder allerdings nicht beteiligt haben. Es ist geplant, auf dieser Grundlage einen europäischen Indikator für Sprachenkompetenz zu entwickeln, um Fortschritte bei der Umsetzung des Ziels „Muttersprache plus zwei 47 10. Sprachenpolitik und das Lernen und Lehren von Sprachen Fremdsprachen“ messen zu können. Gestützt wird diese Entwicklung durch die Sprachenprogramme des Europarats, in denen der Gesichtspunkt der interkulturellen Verständigung und Friedenssicherung ein stärkeres Gewicht hat. Mit der Förderung der Mehrsprachigkeit geht eine Politik der Standardisierung einher, um die Gültigkeit erworbener Sprachkompetenzen auch überregional und international abzusichern (vgl. Art. 11). Der vom Europarat entwickelte Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR) hat sich inzwischen weit über Europa hinaus als Messinstrument für Sprachkompetenzen etabliert (vgl. Art. 89). Aus fachlicher Sicht wird diese Tendenz zur Standardisierung allerdings auch kritisch diskutiert (vgl. Bausch et al. 2003), da Standardisierung auch die Gefahr birgt, individuelle Sprachenprofile und kreativ-ästhetische Inhalte, für die der Referenzrahmen keine Deskriptoren bereithält, zu verhindern. 4. Schulsprachenpolitik Für den schulischen Fremdsprachenunterricht besteht die Notwendigkeit, Sprachenfolgen festzulegen. Mit den „Homburger Empfehlungen für ein sprachenteiliges Europa“ (Christ et al. 1980) wurde zu Beginn der sprachenpolitischen Debatte in der Bundesrepublik ein sprachenpolitisches Konzept erarbeitet, das für Fremdsprachenlernen und bilinguale Lernangebote bereits in Vor- und Grundschule plädiert und für die Sprachenfolge der Sekundarstufe I eine „Fundamentalsprache“ sowie eine weitere internationale Verkehrssprache vorschlägt, während für die Sekundarstufe II ein breiteres Angebot von Erschließungssprachen - in neueren sprachenpolitischen Dokumenten als „persönliche Adoptivsprache“ bezeichnet (http: / / eu ropa.eu/ rapid/ press-release_IP-08-129_de. htm) - individuelle und berufsspezifische Profile ermöglichen soll. Die staatlichen Zuständigkeiten für die Schulsprachenpolitik liegen in der Bundesrepublik bei den Ländern, für die die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) einen gemeinsamen Rahmen erarbeitet hat, das „Hamburger Abkommen“ von 1964, inzwischen durch eine Reihe von Vereinbarungen ergänzt (vgl. im Einzelnen Art. 12), welches die Sprachen und die Sprachenfolge für die schulischen Angebote festlegt und sicherstellt, dass eine Fremdsprache, in der Regel Englisch, zum durchgängigen Pflichtprogramm aller Schulen gehört, weitere Fremdsprachen möglich und für die Hochschulreife zwei Fremdsprachen verpflichtend sind. Durch Vorgaben wie z. B. die Bildungsstandards (vgl. Art. 19), die Mitwirkung an internationalen Vergleichsuntersuchungen, aber auch durch Bestandsaufnahmen und Empfehlungen (vgl. die „Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur Stärkung von Fremdsprachenkompetenz“ KMK 2011 sowie die Konzeption für die Grundschule KMK 2013) gestaltet die KMK die Schulsprachenpolitik in Deutschland. In Österreich werden die Rahmenvorgaben und die Lehrpläne zentral durch das Bildungsministerium abgesteckt, der Lehrplan „Lebende Fremdsprachen“ umfasst allerdings für die Schulstufe 1-4 sieben und für die Sekundarstufe 11 bzw. 12 Sprachen, so dass den Schulen im Rahmen der Schulautonomie für die erste wie für weitere Fremdsprachen ebenso wie für den Muttersprachlichen Unterricht (vgl. Art. 46) viel Spielraum bleibt, der allerdings kaum genutzt wird: Ca. 98 % aller österreichischen Schülerinnen und Schüler lernen Englisch als erste Fremdsprache, der Anteil derjenigen, die zwei Fremdsprachen lernen, liegt insgesamt bei knapp 10 %. Mit der Weiterentwicklung seiner Schulsprachenpolitik und der Betreuung zahlreicher Schulprojekte hat das Bildungsministerium das Österreichische Sprachen-Kompetenzzentrum beauftragt, welches u. a. die För- 48 H.-J. Krumm derung der Mehrsprachigkeit und die Lehrerfortbildung im Bereich Zweit- und Fremdsprachenunterricht betreibt (vgl. www.oesz.at). Die Schweiz ist durch ein Mit- und Nebeneinander zentraler und kantonaler bzw. lokaler Regelungen charakterisiert. Zu unterscheiden sind dabei die Amtssprachenpolitik, d. h. die Förderung der vier Schweizer Landessprachen, und die Förderung der Vielsprachigkeit darüber hinaus (vgl. Haas 2010). Auf Bundesebene fördert das Bundesamt für Kultur (BAK) die Mehrsprachigkeit, bei der Bundeskanzlei gibt es einen „Berater für Sprachenpolitik“ (www.bk.admin.ch/ themen/ lang/ 04925/ 04939/ index.html? lang=de). Zur systematischen Analyse und Weiterentwicklung der Schulsprachenpolitik hat der Europarat ein Verfahren entwickelt, bei dem er in Kooperation mit interessierten Mitgliedsländern bzw. Regionen Sprachunterrichtsprofile (Language Education Policy Profiles) erarbeitet. Der Analyseprozess umfasst allgemeine Fragen nach der Bedeutung von Mehrsprachigkeit in Schule und Gesellschaft ebenso wie die Frage nach angemessenen Unterrichtsmethoden und der Qualifizierung der Lehrkräfte; er orientiert sich an den zentralen Grundsätzen des Europarats: Gleichwertigkeit von Sprachen, Vermeidung von (sprachlicher) Diskriminierung, Mehrsprachigkeit als Beitrag zur interkulturellen Verständigung und zum sozialen Zusammenhalt (Council of Europe 2007). 17 Mitgliedsländer des Europarates, darunter Österreich und Luxemburg, haben dieses Verfahren umgesetzt (vgl. www.coe.int/ t/ dg4/ linguistic/ Profils1_EN.asp#TopOfPage, für Österreich Bundesministerium et al. 2008). 5. Sprachenpolitik in der Zuwanderungsgesellschaft Erst spät haben Deutschland, Österreich und die Schweiz auf die Tatsache reagiert, dass sie sich zu Einwanderungsgesellschaften entwickelt haben und in zunehmendem Maße Kinder mit anderen Familiensprachen die Schule besuchen und Erwachsene ohne Deutschkenntnisse ihren Platz in der Gesellschaft finden müssen. Seit den 1980er Jahren ist die Frage nach ihrer „sprachlichen Integration“ zu einem zentralen Thema sprachen- und bildungspolitischer Debatten und Maßnahmen geworden. Für die Schule galt lange und gilt teilweise noch heute, was Gogolin (1994) den „monolingualen Habitus der multilingualen Schule“ genannt hat. Dass Kinder mit anderen Muttersprachen möglichst rasch Deutsch lernen sollen, um in der deutschsprachigen Schule Erfolg zu haben, hat zur Entwicklung unterschiedlicher Sprachfördermodelle geführt (vgl. Art. 45), bei denen aber teilweise strittig ist, ob diese Sprachförderung segregiert vor oder neben dem Regelunterricht oder aber in diesen integriert erfolgen soll. Aus sprachenpolitischer Sicht geht es um die Öffnung des Bildungswesens für die lebensweltliche Mehrsprachigkeit aller Kinder, also darum, ihre mitgebrachten Sprachen als wichtige Ressourcen aufzugreifen. Das bedeutet, die Familiensprachen nicht nur im Herkunftssprachenunterricht (vgl. Art. 46) zu bewahren, sondern in einem allgemeinen Konzept sprachlicher Bildung für alle Kinder zugänglich zu machen. In diesem Sinne sind Mehrsprachigkeitsdidaktik und Mehrsprachigkeitsunterricht (vgl. Art. 48) auch als sprachenpolitische Antworten zu verstehen, um der Vernachlässigung der Familiensprachen und der Segregation von Kindern im Bildungswesen zu begegnen (zu der fachlichen und sprachenpolitischen Kontroverse vgl. Gogolin & Neumann 2009). 49 10. Sprachenpolitik und das Lernen und Lehren von Sprachen Was erwachsene Zuwanderer betrifft, so sind seit der Jahrtausendwende in vielen europäischen Ländern, so auch in Deutschland (Zuwanderungsgesetz) und in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz) Gesetze in Kraft getreten, die die Zuwanderung an den Nachweis von Sprachkenntnissen binden - vor der Einreise, um ein Visum zu erhalten, nach der Einreise für die Aufenthaltsberechtigung und zum Erlangen der Staatsbürgerschaft. Menschenrechtlich ist umstritten, wie weit z. B. die Familienzusammenführung von Sprachkenntnissen abhängig gemacht werden kann und wie zumutbar die Anforderungen, die Kosten und eventuelle Sanktionen sind (vgl. Krumm 2004). Skutnabb-Kangas (2000) betont deshalb den engen Zusammenhang von Sprachenrechten, Menschenrechten und Sprachenpolitik. 6. Perspektiven Christ (1992) charakterisiert „Sprachenpolitik als Bedingung der Möglichkeit des Fremdsprachenunterrichts“. Er sieht Sprachenpolitik daher als genuines Feld der Fremdsprachendidaktik, zugleich aber auch als Forschungsaufgabe. Sprachenpolitik als Forschungsfeld ist jedoch bisher nicht systematisch strukturiert. Neben historischen Untersuchungen (z. B. Christ & Rang 1985) dominieren Untersuchungen zu einzelnen Sprachen (etwa Ammon 1991 zur internationalen Stellung der deutschen Sprache) und Ländern. In jüngerer Zeit ist die Sprachförderung für Migrantenkinder auch unter sprachenpolitischen Fragestellungen untersucht worden (vgl. die Arbeiten des sog. FörMig-Projekts: www.foermig.uni-hamburg.de). Insgesamt jedoch ist die sprachenpolitische Diskussion bisher eher durch Modelle und Konzepte als durch empirisch fundierte Studien bestimmt. Die Strukturierung des Forschungsfeldes Sprachenpolitik steht noch aus. In der Lehrerbildung dagegen etabliert sich das Thema Sprachenpolitik zunehmend als Schwerpunktthema innerhalb fremdsprachendidaktischer Angebote, wobei insbesondere die Rolle des Englischen und der Mehrsprachigkeit, Fragen der Sprachenwahl und Sprachberatung sowie der Umgang mit sprachlicher und kultureller Heterogenität bearbeitet werden. Literatur Ammon, U. (1991): Die internationale Stellung der deutschen Sprache. Berlin. Bausch, K.-R. / Christ, H. / Königs, F. G. / Krumm, H.-J., Hrsg. (2003): Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Tübingen. Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur / Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (2008): Länderbericht: Sprach- und Sprachunterrichtspolitik in Österreich: Ist-Stand und Schwerpunkte. www.coe. int/ t/ dg4/ linguistic/ Source/ Austria _Country Report_final_ DE .pdf Bourdieu, P. (1983): Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: R. 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(2013): Sprachenpolitik und ihre Umsetzung am Beispiel des Mobilitätsprogramms Erasmus Mundus. Language Learning in Higher Education 2 (2), 479-497. Wu, H. (2005): Das Sprachenregime der Institutionen der Europäischen Union zwischen Grundsatz und Effizienz: eine neue Sichtweise in der institutionellen Sprachenfrage Europas. Frankfurt a. M. Hans-Jürgen Krumm 11. Globalisierung und Standardisierung in ihrer Auswirkung auf das Lernen und Lehren von Sprachen 1. Begrifflichkeit Aktuelle Tendenzen der Globalisierung und Standardisierung sind von enormer Bedeutung für Gegenwartsdeutung und Zukunftspropädeutik der Fremdsprachendidaktik. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob der Fremdsprachenunterricht Lernende angemessen auf eine sich verändernde Wirklichkeit einstellen und Standardisierung die pädagogisch-fachliche Qualität fremdsprachlicher Bildungsangebote gewährleisten kann. Unter Globalisierung wird in diesem Kontext der Strom von Kapital, Waren, Menschen, Bildern und Diskursen verstanden, der, von nationalstaatlichen Grenzen zunehmend weniger behindert, um die Erde fließt 51 11. Globalisierung u. Standardisierung in ihrer Auswirkung auf das Lernen und Lehren von Sprachen und von Fortschritten in den Medien und Informations- und Kommunikationstechnologien beschleunigt wird. Dieser Prozess erzeugt neue kulturelle und kommunikative Verhaltensmuster im privaten und im öffentlichen Sektor sowie neue Organisationsformen in politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontexten (vgl. Blommaert 2010: 13). Makroökonomisch gesehen kann Standardisierung als Instrument der Globalisierung angesehen werden, mit dem durch Normierung von Produkten und Dienstleistungen Vorteile bei Kosten, Koordination und Kontrolle sowie Wissens- und Erfahrungstransfer angestrebt werden. 2. Problemaufriss In Zeiten beschleunigter Globalisierung wird die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung fremdsprachlicher Kompetenzen zunehmend wahrgenommen, was zu einer Aufwertung der Sprachen mit globaler kommunikativer Reichweite und wirtschaftlichem Prestige führt. Die sowohl von den Führungseliten als auch von der Mehrheit der Bevölkerung vollzogene Einordnung von Fremdsprachen als Wirtschaftsgut (global commodity ) mit hohem Tauschwert hat weltweit zur Verbreitung des Englischen als Verkehrssprache geführt - noch verstärkt durch seine Funktion als dominante Sprache des Internets. Englisch ist zu einem „Weltreich mit anderen Mitteln“ (vgl. The Economist 2001) geworden. Als Folge zeichnet sich die Tendenz ab, dass Bildungssysteme finanzielle Mehraufwendungen für die erste Fremdsprache durch Budgetkürzungen für weitere Sprachen kompensieren. Gegen solche Tendenzen haben der Europarat und die Europäische Gemeinschaft mit ihrer Sprachenpolitik deutlich Position für sprachliche Pluralität und individuelle Mehrsprachigkeit bezogen. Sie haben deshalb Minimalanforderungen für schulische Bildung durch die Formel „1 (Muttersprache) + 2 (Fremdsprachen)“ definiert sowie Initiativen zur Förderung von individueller Mehr- und institutioneller Vielsprachigkeit finanziell unterstützt (vgl. Art. 138). Mit Englisch als globalem Verständigungsmittel verbinden sich Hoffnungen und Befürchtungen, die Johnson (2009: 132-144) auf drei Paradoxien reduziert: (a) Englisch als Instrument des wirtschaftlichen Erfolgs oder als Ursache für neue Ungleichheit und Benachteiligung, (b) Englisch als Werkzeug grenzüberschreitender interkultureller Verständigung oder als Macht des kulturellen Imperialismus und der kulturellen Gleichschaltung, (c) globales Englisch als historische Episode oder als qualitativ andere und damit dauerhafte globale Kommunikationsstruktur. Globalisierungsprozesse werden in der Regel durch Maßnahmen zur Standardisierung von Bildungsqualität und zu ihrer Überprüfung im nationalen und internationalen Vergleich verbunden. Dabei wird Bildungsqualität v. a. durch die Ergebnisse des Lehrens und Lernens an vorgegebenen Bildungsstandards definiert und gemessen. Im Kontrast zu anderen Schulfächern und Lernbereichen existiert für den fremdsprachlichen Unterricht mit dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR) ein vom Europarat (Europarat 2001) entwickeltes und international weitgehend akzeptiertes Referenzsystem von Niveaustufenbeschreibungen. Die Festlegung von Bildungsstandards liegt allerdings weiterhin in der Verantwortung regionaler und/ oder nationaler Bildungsbehörden, die sich der Kategorien des GeR bedienen. Die Vorteile eines solchen Referenzsystems lassen sich so zusammenfassen: empirisch abgesicherte Skalen bzw. Niveaustufenbeschreibungen zur Operationalisierung und differenzierten Beschreibung von kommunikativer Kompe- 52 Eike Thürmann tenz - Transparenz, Kohärenz und Vergleichbarkeit mit Blick auf die Leistungsmessungsverfahren - Kompatibilität der Standards quer durch alle Ausbildungssektoren - Vergleichbarkeit der curricularen Anforderungen und Zertifizierungssysteme. Allerdings wird die Diskussion über den Nutzen des GeR, der Bildungsstandards und ihrer Überprüfung für die Qualitätsentwicklung von Experten durchaus kontrovers geführt (z. B. Bausch et al. 2003, 2005). Die Kritiker erkennen in diesem Zusammenhang Defizite in der Fixierung auf messbare funktional-sprachliche Kompetenzen (Grünewald, Plikat & Wieland 2013: 11), was die Beliebigkeit der Inhalte sowie die Marginalisierung der ästhetisch-literarischen sowie der interkulturellen Kompetenzen und somit des Bildungsanspruchs von Fremdsprachenunterricht nahelege. Schwerdtfeger (2003) schreibt Bildungsstandards und Standardüberprüfungen negative Effekte zu, die sich grundlegend mit makroökonomischen Prozessen und Intentionen der Globalisierung verbinden, und erhebt den Vorwurf der „McDonaldisierung“ (Schwerdtfeger 2003: 177) des Fremdsprachenlernens. Von den Befürwortern psychometrischer Messverfahren wird andererseits beklagt, dass die Kompetenzbeschreibungen zu große Spielräume für individuelle Interpretationen zulassen (vgl. Barkowski 2003: 26-28). Trotz aller Einwände und Kritik hat sich der GeR nahezu weltweit zur maßgeblichen Instanz für Bildungsstandards und Lehrpläne, ihre Überprüfung und Zertifizierung entwickelt. Konsequenterweise wurden auf der Grundlage des GeR Instrumente für die Selbst- und Fremdevaluation von Fremdsprachenkompetenzen, für die Definition von Sprachanforderungen für Jugendliche und Erwachsene mit Migrationshintergrund sowie Expertenwissen zur Konstruktion von Tests und zur Harmonisierung von Zertifizierungssystemen entwickelt. Inzwischen wird von der EU ein datenbasiertes Monitoringsystem für die Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts mit dem Ziel aufgebaut, Mitgliedstaaten Steuerungswissen bereitzustellen, mit dem sie die in ihren Bildungssystemen erreichten Niveaus von Fremdsprachenkompetenzen einordnen und angemessene Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung ergreifen können (European Commission, o. J.). Eingeschlossen sind Daten zu demographischen, sozialen und ökonomischen Faktoren, die die Effektivität des Lehrens und Lernens von Sprachen beeinflussen können. Verlässliche Daten zum Fremdsprachenunterricht im europäischen Raum lagen bisher im Wesentlichen nur bezüglich der Selbsteinschätzung sprachlicher Fähigkeiten, der Rahmenbedingungen des Lehrens und Lernens sowie der Einstellungen zum Sprachenlernen und zu sprachlicher Vielfalt vor (z. B. Eurydice / Eurostat 2012; European Commission, Directorate-General for Communication 2012). Allerdings kann man aus den statistischen Werten für die Selbsteinschätzung auf sog. Sprachlücken schließen, d. h. dass Sprachfähigkeiten ungleich über die Mitgliedstaaten der EU verteilt sind. Dieser Befund hat zu der politischen Entscheidung geführt, einen empirisch fundierten Sprachkompetenzindikator zu entwickeln und Schulleistungserhebungen durchzuführen. Die erste Erhebung des European Survey on Language Competences (ESLC) an einer repräsentativen Stichprobe aus europäischen Ländern, zu denen Deutschland allerdings nicht gehörte, wurde im Frühjahr 2011 nach üblichen empirischen Standards durchgeführt. Mit den Daten dieser Erhebung wurden die Befürchtungen bezüglich der ungleichen nationalen Verteilung von Fremdsprachenkompetenzen bestätigt. Für die erste Fremdsprache ordnen sich die einzelnen Bildungssysteme zwischen dem maximalen Anteil von 82 % der Schülerinnen und Schüler, die B2 am Ende der Vollzeit- 53 schulpflicht erreichen (Schweden, Malta), und den minimalen Werten von 14 % in Frankreich für die Fremdsprache Englisch und 9 % in England für die Fremdsprache Französisch ein. 3. Praxisrelevanz Für den deutschen Bildungsraum sind Auswirkungen der Globalisierung im Hinblick auf fremdsprachliche Unterrichtsangebote nicht zu übersehen: • flächendeckende Vorverlegung des schulischen Fremdsprachenunterrichts in den Primar- und vereinzelt in den Elementarbereich; • Ausweitung der bilingualen Unterrichtsangebote (CLIL) für die Nutzung einer Fremdsprache als Arbeitssprache; • Aufnahme von Fremdsprachen in den Fächerkanon der beruflichen und berufsvorbereitenden Bildungsgänge; • Ausweitung der fremdsprachlich geführten Studiengänge an Universitäten und Fachhochschulen. Zugleich lassen sich auch Anzeichen dafür erkennen, dass Didaktiker und Praktiker der großen Verkehrssprachen einen eigenen Beitrag zur Mehrsprachigkeit reflektieren, indem sie z. B. der Anbahnung von Sprachbewusstheit und der Entwicklung von transferfähigen Kompetenzen für lebenslanges Sprachenlernen einen besonderen Stellenwert zuweisen. So hat Vollmer (2000: 82) schon sehr früh auf das Potenzial des Englischunterrichts in der Primarstufe als „Basis für Mehrsprachigkeit“ hingewiesen und curriculare Zielsetzungen definiert. Auch aus dem Französischunterricht werden Türen für das Lernen anderer Sprachen geöffnet (vgl. u. a. Meißner 2008; Nieweler 2002). Zu verzeichnen ist weiterhin eine von der Bildungspolitik explizit geförderte Tendenz 11. Globalisierung u. Standardisierung in ihrer Auswirkung auf das Lernen und Lehren von Sprachen zu einer curricular transversal und fächerintegrierend angelegten Pädagogik des globalen Lernens als Reaktion auf die gesellschaftlichen Herausforderungen von Globalisierungsprozessen (vgl. Schreiber, Edler & Schawe 2010; BMZ, KMK 2007). Globales Lernen zeigt demnach eine Vielfalt von Schnittmengen u. a. zu Friedenserziehung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, interkulturellem Lernen und zu human rights education. Mit welchen Zielen, Themen, Materialien und Arbeitsformen globales Lernen in den modernen Fremdsprachenunterricht integriert werden kann, wird z. B. in dem Arbeitsdokument zum Orientierungsrahmen für den Lernbereich globale Entwicklung (Siege & Schreiber 2015) für den Englischunterricht gezeigt (für den Spanischunterricht vgl. Danninger & Schank (2010)). Ob und in welcher Form globales Lernen die Praxis des Fremdsprachenunterrichts in Zukunft stärker prägen wird, ist sicherlich auch davon abhängig, wie Verlage und Schulbuchautoren traditionelle landeskundliche Paradigmen erweitern bzw. in globaler Perspektive umsetzen. Global agierende Menschen und Institutionen sind auf reale und/ oder virtuelle räumliche Welterfahrung und territoriale Entgrenzung angewiesen. Beide Mobilitätskomponenten ermöglichen konkretes und authentisches Sprachhandeln sowie Meinungsaustausch über global relevante Fragen und Perspektiverweiterungen. Das quantitative Gesamtvolumen realer grenzüberschreitender Mobilität zwecks Weiterentwicklung sprachlicher und interkultureller Fähigkeiten lässt sich nicht zuverlässig angeben. Unterstützt und koordiniert werden solche Kontakte und Reisen von supranationalen Institutionen (z. B. COMENIUS im Rahmen des EU-Bildungsprogramms für lebenslanges Lernen), von Bildungsbehörden der Länder, von Jugendwerken (Deutsch-Französisches Jugendwerk, Deutsch-Polnisches Jugendwerk) und von Sprachreiseveranstaltern. 54 Eike Thürmann 4. Perspektiven Niemals zuvor, stellt Kramsch (2014: 296) fest, hat es eine Zeit gegeben, in der Sprachenlernen schüleraktiver, interaktiver und anregender war als heute. Sie verweist dabei auf die Folgen der Globalisierung und die Möglichkeiten, Sprachen wirklichkeitsbezogen kommunikativ und handlungsorientiert zu lehren und zu lernen. Zugleich aber war ihrer Meinung nach die Spannung zwischen dem, was im Fremdsprachenunterricht gelernt wird, und dem, was die Lernenden tatsächlich brauchen, wenn sie die Schule verlassen haben, niemals so groß. Eine vertiefte fremdsprachendidaktische Auseinandersetzung mit den Widersprüchlichkeiten zwischen den sich seit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts entwickelnden professionellen Gewissheiten und den kommunikativen und kognitiven Praktiken globalisierter postmoderner Gesellschaften steht jedoch noch aus. Literatur Barkowski, H. (2003): Skalierte Vagheit - der europäische Referenzrahmen für Sprachen und sein Versuch, die sprachliche Kommunikationskompetenz des Menschen für Anliegen des Fremdsprachenunterrichts niveaugerecht zu portionieren, in: Bausch, K.-R. et al. (Hrsg.), 22-28. Bausch, K.-R. / H. Christ / F. G. Königs / H.-J. Krumm, Hrsg. (2003): Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Tübingen. Bausch, K.-R. / Burwitz-Melzer, E. / Königs, F. G. / Krumm, H.-J., Hrsg. (2005): Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfstand. Tübingen. Blommaert, J. (2010): The sociolinguistics of globalization. Cambridge. BMZ / KMK , Hrsg. (2007): Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung. Bonn. Danninger, E. / Schank, K. 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Der Bund kann bei Angelegenheiten mitwirken, die von überregionaler Bedeutung sind, wenn dies zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet beiträgt und die Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich in Frage steht (GG VIII 91a (1); 91b (2) (Voßkuhle 2014: 46 f.). Die Sicherung fundamentaler Gemeinsamkeiten obliegt der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK). Ihr wurde auch nach der Auflösung der Deutschen Demokratischen Republik und deren Beitritt zum Bereich des Grundgesetzes in Kap. VIII Art. 37 (4) des Einigungsvertrags vom 3. 10. 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik die Zuständigkeit für Rechtsangleichungen im Schulwesen der neugeschaffenen Länder übertragen (Voßkuhle 2014: 99 f.). Ihre einstimmig gefassten Beschlüsse sind Empfehlungen mit dem Auftrag zur Umsetzung in Landesrecht. 2. Historische Aspekte Im Mittelalter lag das Schulwesen in der Hand der Kirche. Nach der Reformation ging es an Gemeinden und Fürsten über. Staatli- 56 Ingeborg Christ che Regelungen, insbesondere zur Schulpflicht, wurden im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eingeführt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde das Schulwesen zunehmend verstaatlicht oder der Aufsicht staatlicher Schulbehörden unterstellt, nachdem 1787 das erste Oberschulkollegium in Preußen gegründet worden war (Christ & Rang 1985: 92). Der Fremdsprachenunterricht war bis ins 19. Jahrhundert vielfach privat. Im Verlauf des Jahrhunderts wurden Fremdsprachen ordentliche Schulfächer nach staatlichen Regelungen (Klippel 1994: 287 ff.). In den neuhumanistischen Gymnasien dominierten die alten Sprachen. Um den Anforderungen der durch Welthandel und technische Errungenschaften geprägten Zeit zu entsprechen, führte Kaiser Wilhelm 1890 die Schulform Realgymnasium mit der Kombination neue Sprachen und Latein sowie die Oberrealschule mit naturwissenschaftlich-mathematischem Schwerpunkt ein. Die Dreigliedrigkeit des Schulwesens hatte Bestand bis zur Oberstufenreform von 1972 (KMK 2013). Nach dem 2. Weltkrieg knüpfte die föderale Regelung des Schulwesens an die Zeit der Weimarer Republik an. Allerdings wandelten sich mit den politischen Entwicklungen die Vorgaben zum Sprachenlernen ebenfalls. In den drei Besatzungszonen wurde jeweils die Sprache der Besatzer gelehrt: Englisch in der britischen und amerikanischen, Französisch in der französischen, Russisch in der russischen Zone. Die Teilung Deutschlands führte zu unterschiedlichen Entwicklungen im Westen und im Osten. Das am 23. 5. 1949 geschaffene Grundgesetz, das den westlichen Teil Deutschlands prägte, schrieb die Zuständigkeit der Länder in den Bereichen Kultur, Schul- und Hochschulwesen fest. Mit der Koordination in schulorganisatorischen und Bildungsfragen beauftragten die Besatzungsmächte die am 2. 7. 1948 zusammengetretene „Konferenz der westlichen Kultusminister“ , die diese Aufgabe seit 1949 als „Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland“ ausübt (Schulz-Hardt & Fränz 1998). Das 1964 geschlossene „Abkommen zwischen den Ländern der Bundesrepublik Deutschland zur Vereinheitlichung auf dem Gebiet des Schulwesens“ (Hamburger Abkommen) gilt mit verschiedenen Weiterentwicklungen bis heute, auch für die 1990 neu geschaffenen Länder (KMK 2001). Mit der „Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II“ vom 7. 7. 1972 (KMK 2013) wurde das Kurssystem eingerichtet. Der deutsche Einigungsprozess und die europäische Integration führten zu Beschlüssen über die Dauer des Bildungsgangs zur allgemeinen Hochschulreife (G 8/ G 9), über die Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit des allgemeinbildenden und des beruflichen Schulwesens und über neue didaktische Konzepte. Sie alle betrafen auch den Fremdsprachenunterricht. 3. Regelungen des Fremdsprachenunterrichts Der Unterricht in einer Fremdsprache beginnt in Deutschland flächendeckend in der Grundschule, vorrangig in den Klassen 3 und 4, in einigen Ländern bereits in den Klassen 1 und 2. In der Hauptschule ist eine Fremdsprache (in der Regel Englisch) von Jahrgangsstufe 5 bis 9 Pflichtfach, in der Realschule kann zusätzlich eine zweite Fremdsprache im Wahlpflichtbereich gewählt werden. Am Gymnasium ist eine zweite Fremdsprache obligatorisch, eine dritte Fremdsprache und weitere können im Wahlpflicht- oder Wahlbereich gelernt werden. In der Sekundarstufe I beginnt die erste Fremdsprache in Klasse 5, dies ist eine moderne Fremdsprache (zumeist Englisch) oder Latein (am Gymnasium). Die zweite Fremdsprache, beginnend in Klasse 6 oder 7, ist Französisch 57 12. Staatliche Regelungen für den Fremdsprachenunterricht: Curricula, Richtlinien, Lehrpläne oder Latein oder Englisch, sofern letztere nicht bereits erste Fremdsprache ist. Herkunfts- oder Muttersprachen der Kinder von Aussiedlern und Ausländern können als erste oder zweite Fremdsprachen in der Sekundarstufe gelernt werden, ferner werden generell auch andere zweite Fremdsprachen zugelassen (KMK 2001). Zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife werden zwei Fremdsprachen vorausgesetzt: Im ersten Jahr der gymnasialen Oberstufe, der „Einführungsphase“ , sind eine von Klasse 5, 6 oder 7 an fortgeführte Fremdsprache sowie eine weitere Fremdsprache zu belegen. Wer keine zweite Fremdsprache mindestens vier Jahre lang durchgängig in der Sekundarstufe I gelernt hat, muss eine neu einsetzende Fremdsprache bis zum Ende des Bildungsgangs belegen. In der zweijährigen „Qualifikationsphase“ bis zum Abitur ist eine fortgeführte Fremdsprache verpflichtend (KMK 2013). Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine Fremdsprache (Englisch) zum Kernbereich der schulischen Bildung von der Primarstufe an gehört, grundsätzlich auch bei Förderbedarf eines Kindes. Das Ziel der Europäischen Kommission (1995) allerdings, alle Bürgerinnen und Bürger Europas sollen mindestens zwei moderne Sprachen außer der Muttersprache lernen, ist im Schulbereich nicht durchgängig über alle schulischen Bildungsgänge hin verbindlich. 4. Curricula, Richtlinien, Lehrpläne, Bildungsstandards Einen gewichtigen Bereich staatlicher Regelungen bilden Richtlinien, Lehrpläne und Curricula. Die Begriffe weisen auf unterschiedliche Perspektiven und Verbindlichkeiten hin, werden allerdings oft synonym verwendet. Curricula berücksichtigen im Grundsatz sämtliche Dimensionen von Lehr-/ Lernprozessen, Rahmenbedingungen, personelle Voraussetzungen, Fachziele und Inhalte sowie methodische Prinzipien. Sie erheben den Anspruch, Planungsentscheidungen auf wissenschaftliche Grundlagen zu stellen und entsprechend zu legitimieren (Flechsig & Haller 1973). Richtlinien zielen mit den Funktionen Orientierung, Steuerung und Gewährleistung von Freiräumen auf die Gestaltung unterrichtlicher Lehr-Lernprozesse. Sie ermöglichen individuelle Planung bei gemeinsamer Grundbildung und sind ein bevorzugtes Regelungsinstrument für das Kurssystem der reformierten gymnasialen Oberstufe (KMK 2013). Richtlinien definieren fachübergreifende und fächerverbindende Leitziele, während die in der Regel damit verbundenen Lehrpläne fachspezifische Ziele und Inhalte zusammen mit Hinweisen zu Unterrichtsverfahren, Übungs- und Prüfungsbeispielen, auf den Jahresplan eines Faches verteilt, darstellen (Bausch 2003: 112). 1997 beschloss die KMK, das deutsche Schulwesen einem internationalen Vergleich zu unterziehen. Die Ergebnisse wiesen darauf hin, dass die in Deutschland übliche Steuerung von Unterricht über Richtlinien und Lehrpläne nicht zu der gleichen Qualität der Leistungen führt wie sie in Staaten mit regelmäßiger Rechenschaftslegung und zentraler Leistungserhebung erreicht wird (PISA-Konsortium 2001). Daher rückte die Entwicklung bundesweit geltender und international anschließbarer Bildungsstandards in das Zentrum der Bemühungen der KMK. Seit 2003 konkretisieren sie die zu erwartenden Kompetenzen, deren Erfüllung mittels geeigneter Aufgaben gestuft messbar gemacht wird. Dieser Prozess der Ergebnisorientierung und Rechenschaftslegung im Bildungswesen stellt in mehrfacher Hinsicht eine Neuerung dar: Die Bildungsziele werden vorausgesetzt, 58 Ingeborg Christ sie werden nicht vorab begründet. Neu sind die zentrale Erstellung von Vorgaben und ihre länderübergreifende Reichweite. Neu sind der Blick von außen auf schulische Vorgänge und Messungen von Lernergebnissen zum Ländervergleich. Bemerkenswert ist auch der Aufbau gleich strukturierter Vorgaben von der Primarstufe bis zur Oberstufe und zum Abitur und darüber hinaus. Für Steffens (2007: 5 f.) ist mit den Bildungsstandards ein ökonomischer Aspekt und damit ein „Wertewandel“ in die Bildung eingetreten: Messbarkeit setze standardisierte, situationsunabhängige Maßstäbe voraus, wie sie in ökonomischen Zusammenhängen angewendet würden. Er sieht hier die Gefahr einer „verwaltungsmäßigen Ausübung“ von Vorgaben als „Top-Down-Prozess“ . Lehrkräfte erscheinen in dieser Sicht als ausführende Verwaltungsbeamte. In fachlicher Hinsicht bemerkt Schröder (2012) allerdings weiterführende Impulse: Insbesondere die Kompetenzbereiche Sprachlernfähigkeit, Mehrsprachigkeit und interkulturelles Lernen eröffneten neue Themenfelder, Aufgabentypologien und Neuerungen in der Leistungsbeurteilung. 5. Perspektiven Das Regelungssystem durch Bildungsstandards ist inzwischen weitgehend abgeschlossen. Noch nie gab es eine ähnlich durchgängige Steuerung des Fremdsprachenunterrichts in Deutschland. Dabei ist daran zu erinnern, dass das Lernen von Sprachen als kulturell bereicherndes, Horizonte öffnendes Bildungs-, Begegnungs- und Sprachabenteuer erfahren werden soll und das „Lernen für Tests“ nicht vorrangig die Aufmerksamkeit beanspruchen darf. Dies bedeutet u. a., dass die in den Bildungsstandards nur spärlich abgebildeten thematischen Inhalte stärker in den Fokus gerückt werden. Die eher spröde wirkende Auflistung detaillierter Kompetenzen bedarf zusätzlich des fachdidaktischen Diskurses zu kulturellen, gesellschaftlichen und literarischen Gegenständen des Unterrichts. Es muss für die Lernenden erkennbar sein, welche Welt sie sich durch die Mühen des Erlernens einer und möglichst mehrerer Sprachen erschließen. 6. Ein Blick auf Österreich und die Schweiz In Österreich ist das Schulwesen durch gesamtstaatliche Gesetzgebung geregelt. Die Rahmenbedingungen sind in dem Schulorganisationsgesetz Nr. 242 von 1962 festgelegt, das mit zahlreichen Novellierungen bis heute gilt (BGBl. 1962). Die neun Bundesländer verfügen über Zuständigkeiten der Vollziehung der Vorgaben. Das Gesetz erlaubt allerdings, örtlichen Erfordernissen durch „schulautonome Lehrplanentwicklung“ (§ 6) sowie Schul- und Modellversuche (§ 7) Rechnung zu tragen. In der Schweiz obliegt das Pflichtschulwesen den 26 Kantonen, die im nachobligatorischen Bereich die Zuständigkeiten mit dem Bund teilen. Harmonisierend wirkt die „Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren“ (EDK) über interkantonale Konkordate, Empfehlungen und Beschlüsse. Im Bereich des Sprachenlernens stehen in Österreich schul- und sprachenpolitisch Verantwortliche vor der Herausforderung, die Sprachenvielfalt zu stärken. Dies gilt für die durch Bundesgesetz geschützten Sprachen autochthoner Minderheiten, für Sprachen von Migranten und für Fremdsprachen (LEPP 2008: 53 f.). Die Lehrpläne „Lebende Fremdsprache“ für die Grundschule und die Sekundarstufe I legen die erste Fremdsprache nicht fest, sondern ermöglichen eine schulautonome Auswahl aus sieben (Schulstufe 1-4) bzw. elf (Sekundarstufe I) Sprachen. In der 59 12. Staatliche Regelungen für den Fremdsprachenunterricht: Curricula, Richtlinien, Lehrpläne Praxis allerdings dominiert die Fremdsprache Englisch, zunehmend auch im Frühbeginn. Andere Sprachen sind eher marginal. In der offiziell viersprachigen Schweiz gibt es immer wieder Auseinandersetzungen um die Sprachen in der Primarstufe. Eine Strategie zum obligatorischen Sprachenunterricht (EDK 2004) und eine interkantonale Harmonisierungsvereinbarung von 2007 (EDK 2011a) schufen Voraussetzungen für den (nicht unumstrittenen) Kompromiss, dass alle Kinder außer der eigenen Landessprache (Schulsprache) spätestens ab Klasse 3 bzw. 5 eine zweite Landessprache und Englisch mit gleichem Kompetenzziel bis zum Ende der Sekundarstufe I lernen, wobei die Reihenfolge kantonal geregelt wird. Zurzeit beginnen 14 Kantone mit Englisch, 12 mit der zweiten Landessprache (EDK 2014). In beiden Ländern wurden nationale Bildungsstandards eingeführt, in Österreich 2008, wo sie die „Neue Reifeprüfung“ (2014/ 15) bestimmen, in der Schweiz beschreiben sie seit 2011 Kompetenzen in der Schulsprache und in Fremdsprachen (EDK 2011b). Literatur Bausch, K.-R. (2003): Funktionen des Curriculums für das Lehren und Lernen fremder Sprachen, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm, Hrsg.: Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Aufl., Tübingen, 111-116. ( BGB l) Bundeskanzleramt, Hrsg. (1962), 242. Bundesgesetz: Schulorganisation (vom 25. 7. 1962), in: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich Wien, 1178-1200. Christ, H. / Rang, H.-J., Hrsg. (1985): Fremdsprachenunterricht unter staatlicher Verwaltung 1700 bis 1945. Eine Dokumentation amtlicher Richtlinien und Verordnungen. Bd. 1: Einleitung und Orientierung. Tübingen. EDK , Hrsg. (2004): Sprachenunterricht in der obligatorischen Schule: Strategie der EDK und Arbeitsplan für die Gesamtschweizerische Koordination. Beschluss der Plenumsversammlung der EDK vom 25. März 2004. Bern. EDK , Hrsg. (2011a): Die interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule (HarmoS-Konkordat) vom 14. Juni 2007. Kommentar, Entstehungsgeschichte und Ausblick, Instrumente. Bern. 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Es ist zumeist dieser letztere Typus gemeint, wenn Folgen der Migration für Bildung und Erziehung angesprochen werden. 2. Problemaufriss Migration ist ein kontinuierliches Moment der Entwicklung der Menschheit. Sie war und ist ein Motor für soziale und ökonomische, technische und kulturelle Entwicklung (Bade et al. 2011). Historische Kontinuität haben ebenfalls die Beweggründe für Migration. Sie liegen auf einem Kontinuum von Müssen und Wollen. Menschen begeben sich auf Wanderschaft in der Folge von Not und Bedrohung, etwa aufgrund von Naturkatastrophen, Armut oder Verfolgung. Auf der anderen Seite des Kontinuums liegen das Interesse an Neuem, Kreativität, Abenteuerlust als Migrationsmotive. Ein drittes Kontinuitätsmoment ist es, dass Migration sowohl in den Regionen, die verlassen werden, als auch in jenen, die die Migranten aufnehmen, sehr unterschiedliche Reaktionen hervorrufen kann. In den Entsenderegionen kann Auswanderung Entlastung, sogar Gewinn bedeuten, etwa dadurch, dass die Zahl von Hungernden sich reduziert oder die Nichtgewanderten von den Migranten finanziell unterstützt werden. Sie kann aber auch Verlust bedeuten, z. B., wenn viele ,Leistungsträger‘ die Region verlassen. Ebenso ambivalent kann die Reaktion in der Zuwanderungsregion sein. Einerseits werden Migranten willkommen geheißen, wie etwa Künstler, Fußballspieler. Andererseits wird Migranten oft mit Misstrauen und Abwehr begegnet, und es werden Mechanismen zu ihrer Abwehr installiert. Die Folgen der Migration sind also vielschichtig und vielfach widersprüchlich. Sie betreffen das Feld der Bildung und Erziehung nicht nur in vorschulischen Einrichtungen und der Schule, sondern im ganzen Spektrum des lebenslangen Lernens. An Erwachsene als Adressaten 61 13. Folgen der Migration für Bildung und Erziehung richten sich sog. Integrationskurse - Kurse, in denen Neuzuwandernde v. a. die deutsche Sprache lernen sollen, aber auch wesentliche Merkmale der ,Kultur‘ im Zuwanderungsland. Auch hier zeigt sich die Ambivalenz der Folgen von Migration: Einerseits wird den Neuzuwandernden ein Angebot gemacht, das ihnen das Einfinden in die neue Lebenslage erleichtern kann, andererseits aber werden sie durch restriktive Vorschriften zur Wahrnehmung dieses Angebots verpflichtet; insbesondere in Österreich ist ein Verstoß gegen die Verpflichtung mit negativen Folgen für die Aufenthaltsmöglichkeiten verbunden. 3. Forschungsstand Die wissenschaftliche Beobachtung der Folgen von Migration für Bildung und Erziehung konzentriert sich in Europa auf die Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg. In dieser Zeit sind erhebliche Veränderungen der Migrationsmuster zu erkennen. Von den frühen 1950er bis in die 1970er Jahre, oft bezeichnet als Phase der Anwerbung von ,Gastarbeitern‘, sind große Gruppen von Migranten aus relativ wenigen Herkunftsregionen in die Aufnahmestaaten gewandert. Seit den 1980er Jahren verändert sich dieses Muster: Migranten aus immer mehr Herkunftsregionen wandern zu, aber die Größe der Gruppen einer Herkunft verringert sich. Seit Beginn der 2010er Jahre leben in Deutschland, Österreich und der Schweiz Menschen aus fast allen anerkannten Staaten der Welt. Mit dieser Entwicklung geht eine Zunahme der sprachlichen, kulturellen und sozialen Heterogenität der Bevölkerung einher. Im Feld von Bildung und Erziehung wirkt sich dies besonders aus, weil die Migrantenbevölkerung im Durchschnitt deutlich jünger ist als die altansässige. In vielen Großstädten wird jedes zweite Kind in eine Familie mit Migrationshintergrund geboren (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2015; Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014). Da die Mehrzahl der Staaten der Welt mehrsprachig ist, liegt auf der Hand, dass die Zahl der Sprachen, die Migranten in die Region der Zuwanderung mitbringen, eher höher ist als die Zahl der Herkunftsstaaten (Duarte & Gogolin 2013). Eine Folge der Migration für Bildung und Erziehung ist Bildungsbenachteiligung. Die Forschung zeigt, dass Schülerinnen und Schüler aus Migrantenfamilien das Bildungssystem im Durchschnitt weniger erfolgreich durchlaufen als nichtgewanderte Gleichaltrige. Allerdings ist dieser Befund nicht für alle Herkunftsgruppen gleich. So sind in Deutschland und weltweit junge Menschen vietnamesischer Herkunft sogar erfolgreicher als nichtgewanderte. Hingegen sind Kinder und Jugendliche türkischer Herkunft in den deutschsprachigen Ländern deutlich weniger erfolgreich als der Durchschnitt aller Schülerinnen und Schüler. Die Gründe dafür sind noch weitgehend ungeklärt. Erstaunlich ist, dass beide Gruppen mit Blick auf ihre sozio-ökonomische Ausgangslage und andere Einflussfaktoren die gleichen ungünstigen Bedingungen für Bildungserfolg aufweisen. Ursachen für die dennoch ungleiche Bildungsteilhabe könnten darin liegen, dass unterschiedliche Erfahrungen und Traditionen beider Gruppen zu einem unterschiedlichen Umgang mit Bildungsangeboten führen (Nauck & Schnoor 2015). Generell ist es unumstritten, dass Gründe für die Bildungsbenachteiligung von Migranten in ihrer (im Vergleich zur altansässigen Bevölkerung) durchschnittlich ungünstigeren Ausstattung mit sozialem, ökonomischem und kulturellem Kapital liegen. Soziales Kapital - also die Einbindung in Beziehungsnetzwerke - geht durch den Migrationsprozess zum Teil verloren. Dadurch stehen möglicherweise weniger Informanten über das Bildungssystem und Unterstützer 62 Ingrid Gogolin für Bildungsprozesse zur Verfügung. Zu den Ursachen zählt ferner, dass kulturelles Kapital, z. B. in der Form von Bildungsabschlüssen aus der Herkunftsregion, oft nicht in die Ankunftsregion übertragen werden kann. Weil Studien- oder Berufsabschlüsse nicht anerkannt werden, sind Migranten vielfach unterhalb ihrer Qualifikation und in wenig angesehenen Berufen mit geringem Einkommen beschäftigt. Fest steht jedoch, dass diese Zusammenhänge die Bildungsbenachteiligung von jungen Migranten nur zum Teil erklären (Klieme et al. 2010). Oft wird in der Forschungsliteratur auch die Tatsache, dass in Migrantenfamilien die Sprache der Herkunft neben der Sprache der Aufnahmeregion benutzt wird, als Ursache für Bildungsbenachteiligung angeführt. Hier sind die Forschungsergebnisse aber keineswegs eindeutig. Einerseits wurde nachgewiesen, dass das Aufwachsen und Leben in zwei oder mehr Sprachen zu Vorteilen gegenüber Einsprachigen führt. Diese betreffen besonders den Bereich der kognitiven Entwicklung. Solche Vorteile können sich sowohl auf Sprachaneignung als auch auf das Lernen generell positiv auswirken (Bialystok & Poarch 2014). Andererseits zeigen Untersuchungen, dass Schülerinnen und Schüler, die in mehr als einer Sprache leben, Leistungsnachteile erleiden. Dies zeigt sich z. B. in Tests, die in internationalen Schulleistungsvergleichen eingesetzt werden. So erzielen Jugendliche mit Migrationshintergrund durchschnittliche schlechtere Resultate in den PISA-Studien als Nichtgewanderte. Allerdings bleibt auch hier ungeklärt, welche Rolle das Sprechen einer anderen als der Schulsprache im Elternhaus dabei spielt, denn die Leistungsdifferenz zeigt sich auch, wenn in den Familien vorwiegend Deutsch gesprochen wird (Stanat et al. 2010). Vor dem Hintergrund dieses Forschungsstands gehen jüngere Untersuchungen der Frage nach, welche Bedingungen dazu führen, dass sich Mehrsprachigkeit positiv oder negativ auf Lernen und Schulerfolg auswirkt (Klinger et al. 2015). Ebenfalls wenig durch empirische Forschung geklärt ist die Frage, welche Rolle der Gestaltung der Schule und des Unterrichts selbst dabei zukommt, dass Leistungsdifferenzen zwischen den Lernenden mit und ohne Migrationshintergrund zustande kommen. Es gibt kaum substanzielle Schul- und Unterrichtsforschung, die diese Frage klären hilft. Vorliegende Analysen legen jedoch nahe, dass in der sprachlichen Gestaltung des Unterrichts Ursachen für die Leistungsunterschiede liegen. Hingewiesen wird dabei besonders auf den Zusammenhang zwischen der sprachlichen Darbietung der Lerninhalte und der Möglichkeit, sie in der Sache zu verstehen. Dieser Zusammenhang wird unter dem Begriff ,Bildungssprache‘ diskutiert (Gogolin et al. 2011). Er verweist darauf, dass die Form der Sprache, die für schulisches Lernen relevant ist, sich von anderen Formen wie dem Sprachgebrauch im Alltag erheblich unterscheidet. Als grobe Charakterisierung kann gelten, dass die lern- und schulleistungsrelevanten Formen der Sprache stärker am schriftlichen Sprachgebrauch als am mündlichen orientiert sind. Im Verlaufe der Bildungskarriere nehmen Komplexität und Differenziertheit der spezifisch schulischen sprachlichen Anforderungen zu, etwa dadurch, dass sich die Formen zunehmend unterscheiden, in denen die Inhalte der Lernbereiche oder Fächer dargeboten werden. So wird z. B. das Problem einer ,fairen Verteilung‘ im Mathematikunterricht auf eine andere Weise dargestellt und diskutiert als in Religion oder Ethik. Eine Ursache für Leistungsunterschiede wird darin gesehen, dass diese spezifischen sprachlichen Anforderungen von Lernenden, die einsprachig in der Sprache der Schule leben, anders bewältigt werden als von mehrsprachigen Lernenden. Dieser Umstand müsste bei der Gestaltung des Unterrichts systematisch berücksichtigt 63 13. Folgen der Migration für Bildung und Erziehung werden (vgl. Art. 45). Dafür aber fehlen vielfach die Voraussetzungen. So zeigt sich in entsprechenden Studien, dass Lehrkräfte nicht genügend auf die Aufgabe vorbereitet sind, sowohl auf die sachlichen als auch auf die sprachlichen Anforderungen Rücksicht zu nehmen, die ihr Fach oder ein Unterrichtsgegenstand an die Lernenden stellt (Riebling 2013). 4. Praxisrelevanz Migrationsbedingte sprachliche und kulturelle Vielfalt ist eine Grundbedingung für das Lehren und Lernen in Zuwanderungsregionen. In der Bildungspraxis müsste daher bedacht werden, dass sich damit die Bildungsvoraussetzungen der einzelnen Lernenden ebenso wie die von Lerngruppen verändern. So beeinflusst Zwei- oder Mehrsprachigkeit als Lebensbedingung die Sprachwahrnehmung und Sprachverarbeitung. Damit sind auch Einflüsse auf die Wahrnehmung und Verarbeitung von Lerninhalten verbunden, die ja ganz überwiegend sprachlich dargeboten werden. Die sprachliche Komplexität und Differenziertheit schulischer Anforderungen steigt im Verlaufe einer Schülerkarriere an, und zwar im Verbund mit der Komplexität und Schwierigkeit der zu lernenden Inhalte. Daher ist es erforderlich, sprachliche Bildung an der gesamten Bildungsbiographie entlang zu gestalten. Ein hierfür entwickeltes Konzept nennt sich ,durchgängige Sprachbildung‘. Mit dem Verweis auf ,Durchgängigkeit‘ wird zum einen auf die Notwendigkeit der kontinuierlich die Bildungsbiographie begleitenden Sprachbildung verwiesen. Zum anderen wird angezeigt, dass Sprachbildung nicht die Aufgabe des sprachlichen Unterrichts allein ist, sondern dass das gesamte Spektrum der Fächer daran beteiligt sein muss (vgl. Gogolin et al. 2013 sowie Art. 35). Hieraus ergibt sich auch die Herausforderung, dass prinzipiell alle Lehrerinnen und Lehrer für die Aufgabe, in sprachlich und kulturell heterogenen Lernkonstellationen angemessen zu unterrichten, qualifiziert sein sollten. Sie sollten über diagnostische Fähigkeiten verfügen, die sie in die Lage versetzen, die unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen der Lernenden in sprachlich und kulturell heterogenen Lernkonstellationen angemessen einzuschätzen. Darüber hinaus sollten ihnen Kompetenzen für ein differenziertes, individuelle Bedürfnisse und Fähigkeiten angemessen berücksichtigendes Unterrichtshandeln zur Verfügung stehen. 5. Perspektiven Neben der Klärung von Ursachen für Bildungsbenachteiligung wendet sich die Forschung zunehmend der Frage zu, wie Lehrprozesse in Kindergarten, Schule und Erwachsenenbildung gestaltet sein müssten, um die Chancen zu nutzen, die in sprachlicher und kultureller Heterogenität für das Lernen liegen. Angesichts der Unentschiedenheit der Forschungsergebnisse über Vorzüge und Nachteile von Mehrsprachigkeit geht es dabei besonders um Untersuchungen, die aufdecken sollen, wie es gelingen kann, die Vorteile für das Lernen zu nutzen und die Nachteile möglichst zu reduzieren. Studien mit dieser Zielsetzung werden z. B. im Forschungsschwerpunkt ,Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit‘ gefördert (Koordinationsstelle Mehrsprachigkeit und Bildung 2014). Auch in anderen Bereichen sind Anstrengungen für die Verbesserung der Bildungschancen von Menschen mit Migrationshintergrund zu finden. So kommen zunehmend Material- und Lehrwerksentwicklungen in Gang, in denen die Heterogenität der Lerngruppen berücksichtigt wird und neben den sachlichen auch die sprachli- 64 Ingrid Gogolin chen Lernanforderungen zum Thema gemacht werden. Mit Blick auf die Qualifizierung von Lehrkräften wurden ebenfalls Veränderungen in Gang gesetzt, die zur Verbesserung der Bildungschancen aller Lernenden in der heterogenen Bildungslandschaft beitragen sollen (vgl. z. B. Qualitätsoffensive Lehrerbildung, Bundesministerium für Bildung und Forschung 2015). Literatur Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2014): Bildung in Deutsc7 (1) hland 2014. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur Bildung von Menschen mit Behinderungen. Bielefeld. Bade, K. J. / Lorentz, B. / Pries, L. (Hrsg.) (2011): Migration and Integration. Reflections on our common future. Leipzig. Bialystok, E. / Poarch, G. (2014): Language experience changes language and cognitive ability. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 17 (3), 433-446. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge / Bundesministerium des Inneren, Hrsg. (2015): Migrationsbericht 2013. Berlin. http: / / tinyurl.com/ mfp2yj2 Bundesministerium für Bildung und Forschung (2015): Qualitätsoffensive Lehrerbildung. Berlin. www.bmbf.de/ de/ 21697.php Duarte, J. / Gogolin, I. (2013): Linguistic superdiversity in educational institutions, in: J. Duarte / I. Gogolin (Hrsg.): Linguistic superdiversity in urban areas. Research approaches. Amsterdam, 1-24. Gogolin, I. / Dirim, I. / Klinger, T. / Lange, I. / Lengyel, D. / Michel, U. et al. 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Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 67, erscheint. Riebling, L. (2013): Sprachbildung im naturwissenschaftlichen Unterricht. Eine Studie im Kontext migrationsbedingter sprachlicher Heterogenität. Münster u. a. Stanat, P. / Rauch, D. / Segeritz, M. (2010): Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, in: E. Klieme / C. Artelt / J. Hartig / N. Jude / O. Köller / M. Prenzel et al. (Hrsg.): PISA 2009. Bilanz nach einem Jahrzehnt. Münster u. a., 200-230. United Nations Department of Economic and Social Affairs, Population Division (2013): International Migration Report 2013. United Nations. New York ( ST / ESA / SER .A/ 346). Ingrid Gogolin 65 14. Sprachen lernen und lehren im Elementar- und Schulbereich 14. Sprachen lernen und lehren im Elementar- und Schulbereich 1. Problemaufriss Die staatlichen Regelungen für den Fremdsprachenunterricht an Schulen und Hochschulen durch Gesetze, Erlasse und Verordnungen haben sich bis auf eine Ausnahme in den letzten 12 Jahren nicht wesentlich geändert (vgl. Art. 12 und Christ 2007: 71 ff.). Die Ausnahme bildet das frühe Fremdsprachenlernen, das in Deutschland seit dem Schuljahr 2004/ 05 durch die Grundschullehrpläne aller 16 Bundesländer, zumeist ab Klasse 3, institutionalisiert ist (Kötter & Rymarczyk 2015: 7), zunehmend aber auch im Elementarbereich der Kindergärten und Kindertageseinrichtungen (Kitas) angeboten wird. Diese Entwicklung entspricht den Forderungen der Europäischen Union nach einem frühzeitigen Fremdsprachenlernen (vgl. Art. 10, 138). 2. Begrifflichkeiten, Rahmenbedingungen und Forschung a) Elementarbereich Obwohl Deutschland bereits 2010 in der Vorschulbetreuung der Dreibis Fünfjährigen unter den OECD-Staaten an dritter Stelle stand und das Erlernen von Fremdsprachen vom Kindergarten an nach wie vor gefördert werden soll, gibt es immer noch keine fremdsprachendidaktische Ausbildung für das dortige Personal. In den meisten Kitas werden Englisch- oder Französisch-„ AGs“ von Erzieherinnen und Erziehern mit hoher fremd- oder auch erstsprachlicher Kompetenz angeboten. Allerdings nimmt die Zahl der bilingualen Kitas stark zu. Der Anstieg von 340 Einrichtungen im Jahr 2004 auf 1035 Anfang 2014, d. h. auf 2 % der Gesamt-Kita- Zahl (FMKS 2014), spiegelt das zunehmende Interesse der Elternschaft an einem frühen Kontakt zur Fremdsprache. Das Erlernen der Fremdsprache im Elementarbereich (vgl. auch Art. 36) ist eher an die Mechanismen des Erstspracherwerbs als an die des schulischen Fremdsprachenunterrichts angelehnt. Damit rücken die Faktoren der Kontaktzeit und der Erzieherinnen bzw. Erzieher in den Vordergrund. Durch die mehrsprachig und -kulturell geprägte Welt steigt die Zahl der Kinder, die Deutsch als Zweitsprache (DaZ) erwerben. Laut Mikrozensus 2013 weisen rund 1,1 Mio. Kinder unter fünf Jahren einen Migrationshintergrund im weiteren Sinne auf. Im Zuge des PISA-Schocks entstanden zahlreiche Projekte zur Förderung von bildungsbenachteiligten Kindern und Jugendlichen, insbesondere zur frühen DaZ-Förderung von Kindern nichtdeutscher Herkunftssprachen. Für den Elementarbereich verbindlich ist der Gemeinsame Rahmen für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen der Jugendministerkonferenz und der KMK (KMK 2006), der die DaZ-Frühförderung nicht explizit erwähnt. Allerdings wird in den Bildungsplänen einiger Bundesländer (Berlin, Hessen) für den Elementarbereich die Sprachförderung für Kinder mit Migrationshintergrund präzisiert. In nahezu allen Bundesländern existieren mittlerweile Verfahren zur Sprachstandserhebung sowie zur Sprachförderung für diese Kinder (vgl. Art. 45), teilweise sogar mittels flächendeckender Tests wie dem Test „Sprachverhalten und Interesse an Sprache bei Migrantenkindern in Kindertageseinrichtungen“ in Bayern. Die effektive Einbeziehung und damit Wertschätzung der Herkunftssprachen, die einen echten Beitrag zu Mehrsprachigkeit und zur Förderung von Sprachbewusstheit leisten könnte (vgl. Art. 46), steht flächendeckend allerdings bislang noch weitgehend aus. 66 Jutta Rymarczyk / Karin Vogt In Österreich fallen Kindergärten in die Zuständigkeit der Bundesländer, doch zeigen sich insgesamt ähnliche Trends: Es werden die Sprachen angeboten, die die Eltern wünschen, also v. a. Englisch; zunehmend gibt es mehrsprachige Kindergärten, die auch Migrantensprachen unterstützen. Insbesondere aber sollen Kinder mit nichtdeutscher Erstsprache bereits im Kindergarten in der deutschen Sprache gefördert werden (vgl. BMUKK & BMWF 2008). b) Primarbereich In Deutschland wird Englisch in der Regel als erste Fremdsprache und zumeist mit je zwei Stunden in den Klassen 3 und 4 unterrichtet (vgl. auch Art. 37). Durch die kulturföderalistisch bedingten Unterschiede in den Lehrplänen kommt es jedoch sowohl strukturell als auch inhaltlich zu erheblichen Abweichungen zwischen einzelnen Bundesländern. So beläuft sich die Kontaktzeit mit der Fremdsprache in Brandenburg mit der Begegnung mit fremden Sprachen in den Klassen 1 und 2 sowie Englischunterricht in 3 und 4 auf insgesamt 10 Stunden in den ersten vier Schuljahren und somit auf das 2,5-fache verglichen mit den meisten anderen Ländern. Das angestrebte Niveau der funktionalen kommunikativen Kompetenzen mit Ende der Klasse 4 liegt in der Regel bei A1 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (GeR). Die Spanne der Variationen liegt hier zwischen Sachsen, das dem Primat des Mündlichen folgend nur die Fertigkeiten Hören und Sprechen vorsieht, und Nordrhein-Westfalen, das den vier traditionellen Fertigkeiten noch die Sprachmittlung hinzufügt. Die Vorrangstellung des Mündlichen zeigt sich auch in Spezifika der Niveaustufen. So fordert Hamburg die Stufe A2.1 für das Hören, A1+ für das Sprechen und A1 für die schriftlichen Fertigkeiten. Auch in der Leistungsermittlung und -bewertung zeigt sich diese Heterogenität: Während die in Baden-Württemberg vorgesehenen Noten in den Klassen 3 und 4 nicht über schriftliche Arbeiten ermittelt werden dürfen und auch keine Versetzungsrelevanz besitzen, sieht Brandenburg für die Klasse 4 drei schriftliche Arbeiten für versetzungsrelevante Noten vor. Ein weiterer gravierender Unterschied zwischen den Bundesländern liegt in der Handhabung zur Einführung der Schriftsprache, der Beginn variiert zwischen den Klassen 1 und 3. Hier ist allerdings hinzuzufügen, dass Länder, deren Curricula die Schrift bislang kaum berücksichtigt haben, diesen Punkt in Neufassungen anders behandeln. So sieht etwa der Bildungsplan 2016 in Baden-Württemberg sowohl Lesen als auch Schreiben ab Klasse 1 vor. Intensität sowie Komplexität der zu erreichenden Fertigkeiten klaffen jedoch mitunter noch weit auseinander (vgl. hierzu z. B. Thüringen vs. Rheinland-Pfalz). Auch wenn trotz dieser Uneinheitlichkeit eine generelle Tendenz zur Berücksichtigung der Schriftsprache und die Ergänzung der bislang ausschließlich genutzten spielerischen Ansätze durch analytische zu verzeichnen ist (Diehr & Rymarczyk 2012), so fordern Fremdsprachendidaktiker zunehmend Bildungsstandards ein. Es wird als notwendig erachtet, die Qualitätsentwicklung und -sicherung des Fremdsprachenunterrichts auf der Primarstufe länderübergreifend festzulegen. Österreich führte 1983/ 84 Fremdsprachenunterricht in der Grundschule flächendeckend ein. Trotz eines vielfältigen Sprachenlernangebots lernen ca. 98 % aller Schülerinnen und Schüler Englisch (vgl. Gesamtbilanz des BMUKK & BMWF 2008). Sowohl in Deutschland als auch europaweit wird dem bilingualen Unterricht der Primarstufe großes Potenzial zugesprochen. Die Unterrichtsmethode kann dazu beitragen, dass die als deutlich zu gering empfun- 67 14. Sprachen lernen und lehren im Elementar- und Schulbereich dene Kontaktzeit mit der Fremdsprache vervielfacht wird, und stellt eine Chance für in verschiedener Form benachteiligte Kinder dar (vgl. Art. 44). Diverse Studien zeigen, dass Kinder mit Migrationshintergrund in immersiven Settings im Bereich Englisch dieselben oder gar bessere Leistungen als Kinder ohne Migrationshintergrund erbringen können (vgl. z. B. Steinlen & Piske 2015). Ferner wird betont, dass bilingualer Unterricht das Empathievermögen in multikulturellen Gruppen fördert. In Klassen, in denen die Unterrichtssprache für alle Lernenden neu ist, erfahren einsprachige Kinder, was es bedeutet, Inhalte in einer unbekannten Sprache zu erlernen. „Children obtain positive attitudes towards inclusivity, openness, tolerance and acceptance of ,otherness‘“ (Egger & Lechner 2012). Da zu Beginn des Jahres 2014 30,8 % der Altersgruppe der Fünfbis Zwanzigjährigen einen Migrationshintergrund im weiteren Sinn aufwiesen, wird lebensweltliche Mehrsprachigkeit durch bilinguale Programme oder in anderer Form zukünftig stärker zu berücksichtigen sein. Erfolgreiches frühes Fremdsprachenlernen ist nicht vom geringen Alter der Kinder abhängig, sondern von ausreichender Kontaktzeit und der Qualität des Inputs. Damit wird die grundständige Ausbildung der Lehrkräfte zur obersten Prämisse. c) Sekundarbereich Nach in der Regel vier Jahren Grundschulzeit erfolgt der Eintritt in die weiterführenden Schulen der Sekundarstufe I. Je nach Leistungsvermögen besuchen die Lernenden die Haupt- oder Realschule bzw. das Gymnasium, wobei sich je nach Land zunächst eine zweijährige Orientierungsstufe anschließt, in der die Kinder teilweise weiter gemeinsam unterrichtet werden, bis die Schulformwahl endgültig abgeschlossen ist. Der Übergang im Fremdsprachenunterricht von der Primarzur Sekundarstufe wird seit geraumer Zeit beforscht (Wagner 2009; vgl. Art. 40). Im Schuljahr 2013/ 14 besuchten ca. 8,4 Mio. Lernende allgemeinbildende und etwa 2,5 Mio. berufliche Schulen in Deutschland, beides mit leicht sinkender Tendenz. Dabei erfreut sich das Gymnasium der größten Beliebtheit, während die Hauptschulen weiter an Boden verlieren (6,5 % weniger Schulen von 2013 zu 2014). Die Dreigliedrigkeit des Schulsystems wird jedoch aufgebrochen von integrierten Gesamtschulen (Zuwachs von 23 % von 2013 zu 2014), die teilweise auch über gymnasiale Oberstufen verfügen, sowie Schularten mit mehreren Bildungsgängen wie der Realschule plus oder der Regionalen Schule. Englisch ist die am meisten unterrichtete Fremdsprache sowohl an allgemeinbildenden (mit ca. 7,3 Mio. Lernenden) als auch an beruflichen Schulen (mit ca. 1,3 Mio. jeweils im Schuljahr 2013/ 14). Französisch ist die zweitwichtigste Fremdsprache an allgemeinbildenden Schulen, gefolgt von Latein, während Spanisch an vierter Stelle liegt, aber als einzige Schulfremdsprache Zuwachs verzeichnet. Durch den Beginn der ersten Fremdsprache in Klasse 1 und dem entsprechend früheren Einsatz der zweiten und dritten Fremdsprache stellen die Fremdsprachen im Gymnasium die einzige Fachgruppe dar, die keinen Verlust von Unterrichtszeit durch die Verkürzung der Gymnasialzeit (sog. G8) aufweist. In Österreich besuchen Lernende nach der vierjährigen Volksschule mehrheitlich die Hauptschule oder die allgemeinbildenden höheren Schulen. Letztere untergliedern sich in weitere Schulformen (u. a. Gymnasien, Realgymnasien) und führen zur Reifeprüfung „Matura“ . Das berufsbildende Schulwesen umfasst eine berufsbildende Pflichtschule, eine mittlere Schule und eine höhere Schule, die ebenfalls zur Matura führt. Bis zur achten Klasse wird in der Regel eine lebende Fremd- 68 Jutta Rymarczyk / Karin Vogt sprache unterrichtet, eine zweite kommt insbesondere in den allgemeinbildenden höheren Schulen hinzu. Zwar ist das Sprachenangebot breit, jedoch dominiert Englisch klar als Schulfremdsprache, gefolgt von Französisch und Italienisch. Seit der PISA-Untersuchung im Jahr 2000 ist die Standard- und Kompetenzorientierung in Deutschland im Fremdsprachenunterricht eine Konsequenz des danach eingeführten Bildungsmonitorings, in dessen Zuge u. a. standardisierte Tests als Vergleichsarbeiten in der Sekundarstufe I (erste Fremdsprache) in den meisten Ländern vorgesehen sind und sich eine deutliche Tendenz zu zentralen Schulabschlussprüfungen (mittlerer Schulabschluss, Abitur) abzeichnet (vgl. Art. 18, 19). Mit der Kompetenzorientierung von Fremdsprachenunterricht zusammenhängende Aspekte sind in der Fremdsprachendidaktik rege diskutiert worden. Besonders zu nennen sind Arbeiten zu Kompetenzmodellen z. B. der literarischen Bildung (Steininger 2014). Die Sekundarstufe und insbesondere das Gymnasium ist der Bereich, in dem bilingualer Sachfachunterricht mit bilingualen Zügen sowie verstärktem Fremdsprachenunterricht zu dessen Vorbereitung in den Klassen 5 und 6 am deutlichsten verankert ist. Auch Versuche der flächendeckenden Ausweitung von bilingualem Sachfachunterricht im Zusammenhang mit der Ausweitung auf andere Schulformen sind hier zu nennen (vgl. Art. 44; exemplarisch Schwab, Kessler & Hollm 2014). Die Berücksichtigung der Diversität der Schülerschaft in allen Schularten durch die sich abzeichnende Tendenz zur Zweigliedrigkeit des Schulsystems (Gymnasium und Schule, die zu „niedrigeren“ Bildungsabschlüssen führt) erfordert angepasste didaktisch-methodische Zugänge für das Fremdsprachenlernen. Auch die erforderliche Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention u. a. mit der Forderung nach gemeinsamem Lernen für alle Kinder und Jugendlichen in inklusiven Lernumgebungen bringt Herausforderungen und Chancen für die fachdidaktische Forschung und die Unterrichtspraxis mit sich. Klemm (2013: 6 f.) zufolge betrug der Inklusionsanteil in der Sekundarstufe I im Schuljahr 2011/ 12 lediglich 21,9 % im Vergleich zum Elementarbereich mit 67,1 %, d. h. von den Kindern mit besonderem Förderbedarf wurden 67,1 % in Kitas integrativ betreut, in der Sekundarstufe wurden 21,9 % der Lernenden mit besonderem Förderbedarf integrativ beschult. Nur 9,8 % der inklusiv beschulten Jugendlichen lernten an Realschulen oder Gymnasien, d. h., dass ca. 45 % der Kinder mit besonderem Förderbedarf vor oder im Laufe ihrer Grundschulzeit in das Sonderschulsystem wechseln. Inklusion bedeutet aber nicht nur den Einbezug von Lernenden mit sonderpädagogischem Förderbedarf, sondern ein gemeinsames Fremdsprachenlernen potenziell aller Lernenden, das soziale Lernerfahrungen für alle schafft. Es gibt noch großen Forschungsbedarf im fremdsprachendidaktischen Bereich, damit die Umsetzung in der Praxis theoriebasiert erfolgen kann. 3. Perspektiven Zahlreiche Initiativen aus dem Grundschulbereich deuten an, dass Immersionsprogramme in der Grundschule eine wichtigere Rolle spielen werden, was die Frage nach der Qualität des regulären Fremdsprachenunterrichts in der Grundschule aufwirft. Weitere Entwicklungen wie die Tendenz zur Zweigliedrigkeit des Schulsystems mit entsprechend heterogenen Lerngruppen und die Umsetzung von Inklusion müssen auf fachdidaktisch gesicherten Erkenntnissen und mit grundständig ausgebildeten Lehr- und Lernbegleitungskräften geschehen und nicht nur 69 14. Sprachen lernen und lehren im Elementar- und Schulbereich auf der Basis bildungspolitischer Setzungen, damit die Praxis des Fremdsprachenunterrichts nachhaltig angepasst und verbessert werden kann. Schließlich sei hier die Diskussion um den Wert eines Gesamtsprachencurriculums erwähnt, das die bisher eher additive Sprachenfolge in ein Gesamtkonzept sprachlicher Bildung integriert. In einem solchen Gesamtkonzept könnten die Spezifika des Erlernens zweiter und weiterer Fremdsprachen, die auf zuvor gemachten Sprachlernerfahrungen aufbauen, gezielter berücksichtigt werden (vgl. Art. 35 und 48). Diese Diskussion kann aber nur sinnvoll geführt werden, wenn die für den Fremdsprachenunterricht der Primarstufe immer noch ausstehenden Bildungsstandards vorliegen. Literatur BMUKK (Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur) & BMWF (Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung), Hrsg. (2008): Länderbericht Sprach- und Sprachunterrichtspolitik in Österreich: Ist-Stand und Schwerpunkte. Wien. Christ, I. (2007): Staatliche Regelungen für den Fremdsprachenunterricht: Curricula, Richtlinien, Lehrpläne, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 5. Aufl., Tübingen, Basel, 71-77. Diehr, B. / Rymarczyk, J. (2012): Current developments in teaching English as a foreign language in German primary schools. Anglistik 23/ 1, 13-23. Egger / G., Lechner, C., Hrsg. (2012): Primary CLIL around Europe. Learning in two languages in primary education. Marburg. FMKS - Frühe Mehrsprachigkeit an Kindertageseinrichtungen und Schulen (2014): Bilinguale Kitas in Deutschland. www.fmks-online. de/ download.html Klemm, K. (2013): Inklusion in Deutschland - eine bildungsstatistische Analyse. Gütersloh. KMK (2006): Gemeinsamer Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen. www.kmk.org/ fileadmin/ veroeffentli chungen _beschluesse/ 2004/ 2004 _06_03- Fruehe-Bildung-Kindertageseinrichtungen. pdf Kötter, M. / Rymarczyk, J. (2015): Einleitung, in: M. Kötter / J. Rymarczyk (Hrsg.): Englischunterricht auf der Primarstufe: neue Forschungen - weitere Entwicklungen. Frankfurt u. a., 7-13. Schwab, G. / Kessler, U. / Hollm, J. (2014): CLIL goes Hauptschule - Chancen und Herausforderungen bilingualen Unterrichts an einer Hauptschule. Zentrale Ergebnisse einer Longitudinalstudie. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 25 (1), 3-37. Steininger, I. (2014): Modellierung literarischer Kompetenz. Eine qualitative Studie im Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe I. Tübingen. Steinlen, A. / Piske, T. (2015): Zur Entwicklung der Schulleistungen von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund in einer bilingualen Grundschule: Eine Pilotstudie, in: M. Kötter / J. Rymarczyk (Hrsg.): Englischunterricht auf der Primarstufe: neue Forschungen - weitere Entwicklungen. Frankfurt u. a., 123- 149. Wagner, U. (2009): Übergang Englisch. Fallanalysen zum Wechsel von der Grundschule zur weiterführenden Schule. Tübingen. Jutta Rymarczyk Karin Vogt 70 Marion Grein 15. Sprachen lernen und lehren in der Erwachsenenbildung 1. Begrifflichkeit Erwachsenenbildung wird definiert als „Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluss einer unterschiedlich ausgedehnten ersten Bildungsphase“ (Deutscher Bildungsrat 1972: 197, zit. nach Tippelt & von Hippel 2010: 12). Erwachsenenbildung bezieht sich folglich auf institutionalisiertes Lernen unter professioneller Betreuung, mit didaktisch strukturiertem Aufbau (vgl. auch Kade, Nittel & Seitter 2007: 13, 68). Wittpoth (2013: 16 f.) fordert jedoch, dass in zukünftigen Ansätzen der Erwachsenenbildung auch autodidaktische Formen des „lebenslangen Lernens“ zu berücksichtigen sind. Die institutionalisierte Erwachsenenpädagogik ist eine relativ junge Wissenschaft: Erste universitäre Lehrstühle wurden erst in den 1960er Jahren eingerichtet. Derzeit gibt es ca. 50 Professuren im Bereich der Erwachsenenpädagogik (vgl. Wittpoth 2013: 36), dabei keinen Lehrstuhl spezifisch für den Bereich Sprachvermittlung. Allerdings haben sich die zahlreichen Deutsch als Fremdsprache-Studiengänge schon immer auch auf das Fremdsprachenlernen von Erwachsenen konzentriert, während die Fremdsprachendidaktik in der Regel den schulischen Bereich fokussiert. Lediglich das Zentrum für Wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Mainz bietet ein Kontaktstudium Sprachandragogik an, das sich gezielt mit dem Ausbau und der Verbesserung der pädagogischen Qualifikation für die Arbeit im Fremdsprachenunterricht mit Erwachsenen beschäftigt. 2. Anbieter im Quartären Bereich Größte Anbieter im Bereich des Fremdsprachenunterrichts der Erwachsenenbildung sind in Deutschland und Österreich die Volkshochschulen (Deutscher Volkshochschulverband e. V. (DVV) und Bundesverband Österreichischer Volkshochschulen (VÖV)). In der Schweiz ist der größte Anbieter die eduQua-zertifizierte Klubschule Migros (gegründet 1944) mit insgesamt 50 Schulungszentren. Migros ist auch die größte Erwachsenenbildungsinstitution der Schweiz. Das Sprachkursangebot machte 2013 31,4 % des gesamten Lehrangebotes aus. Daneben gibt es auch in der Schweiz die Volkshochschulen (Verband der schweizerischen Volkshochschulen (VSV)). In den letzten Jahren sind neben den großen Sprachschulen wie Berlitz und Inlingua zahlreiche kleine Sprachschulen entstanden, die sich besonders auch auf Fachsprachenkurse Deutsch für Pflegepersonal spezialisiert haben. Ferner bietet das Bundessprachenamt an 60 Orten Sprachkurse in 48 Sprachen an. Darüber hinaus sind die Sprachzentren der Hochschulen zu nennen, die über ein breites Angebot an Fremdsprachenkursen verfügen. Einen Überblick bietet der Arbeitskreis der Sprachenzentren, Sprachlehrinstitute und Fremdspracheninstitute (AKS). Dem AKS gehören über 100 Sprachenzentren und vergleichbare Hochschuleinrichtungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz an. Belegungen 2002 2013 Differenz in Prozent Deutsch 322.254 530.904 +208.650 +64,74 % Englisch 690.501 486.523 -203.978 -29,54 % Französisch 192.116 150.161 -41.955 -21,83 % Italienisch 201.728 151.034 -50.694 -25,12 % Spanisch 221.369 184.662 -36.707 -16,58 % Gesamt 1.627.968 1.503.284 -124.684 -7,6 % Eigene Darstellung, Daten aus den Volkshochschulstatistiken (DIE) 71 15. Sprachen lernen und lehren in der Erwachsenenbildung Wie dargestellt, nehmen die Volkshochschulen im Sprachenbereich, zumindest in Deutschland und Österreich, eine Vormachtstellung ein. In Bezug auf die angebotenen Unterrichtsstunden liegt der Sprachenbereich in Deutschland mit 43,5 % (vgl. Horn & Ambos 2014: 27 f. und 31; Huntemann & Reichart 2014: 5) und in Österreich mit 39,2 % an erster Stelle (vgl. Statistikbericht der Volkshochschulen in Österreich). In der Schweiz nehmen Sprachen, nach Gesundheit, mit 21 % den 2. Platz ein (vgl. VHS Schweiz Geschäftsbericht 2013). 3. Die Volkshochschule in Deutschland Im Jahr 2013 verteilten sich auf die 16 VHS- Landesverbände insgesamt 917 Volkshochschulen (ohne die zahlreichen Außenstellen). Ungefähr zwei Drittel (76,4 %) der Volkshochschulen werden hauptberuflich geleitet. Dem pädagogischen Personal (mit 3.289 Stellen) und den 3.836 Verwaltungsstellen standen 2013 188.000 freiberufliche Seminarleitende (Honorarkräfte) gegenüber. Der Sprachenbereich der Volkshochschulen (im Vergleich zu den anderen Bereichen) ist zwar in den letzten Jahren von 41,7 % im Jahr 2009 auf 43,5 % im Jahr 2013 gestiegen, allerdings hängt dies mit den steigenden Teilnehmerzahlen in Integrationskursen (also DaZ/ DaF 30,8 %) zusammen. Während 2011 noch Englisch die meist gelernte Fremdsprache war, ist es 2014 mit einem Anteil von 47 % Deutsch als Fremd-/ Zweitsprache (vgl. Huntemann & Reichart 2014: 8). In der Langzeitentwicklung zeigt sich eine Stagnation, die lediglich durch das Wachstum im Bereich DaF/ DaZ ausgeglichen wird. Die Zahl der üblichen Sprachkursteilnehmenden (25-49-Jährige) stagniert seit etwa zehn Jahren. Die Belegungszahlen an den Volkshochschulen im Allgemeinen zeigen, dass die Gruppe der unter 25-Jährigen mit ca. 6 % die kleinste Gruppe ist. 2004 hatte die Gruppe der 25-34-Jährigen noch einen Anteil von 20,7 %, 2013 waren es noch 16,4 %. Die 35-49-Jährigen, vormals die stärkste Gruppe, hatten 2013 einen Anteil von 29,3 %. Die Gruppe der zwischen 50- und 64-Jährigen lag bei 26,1 % und der Anteil der Lernenden ab 65 Jahren bei 15,4 %. Somit sind heute 41,5 % aller VHS-Besucher über 50 Jahre alt (vgl. Huntemann & Reichart 2014: 10). 4. Die Volkshochschule in Österreich In Österreich, mit neun Landesverbänden und einem Dachverband, gibt es derzeit 270 Volkshochschulen (ohne Außenstellen). Wie bereits angedeutet, stagniert der Bereich Sprachen in den letzten Jahren (vgl. Statistikbericht der Volkshochschulen in Österreich). Die Stagnation ist einer der Gründe für die Bemühungen um die neue Zielgruppe der Senioren. In der Organisation und Verwaltung arbeiten rund 900 feste Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die meisten Festanstellungen finden sich dabei an der Volkshochschule Wien. Ihnen stehen rund 20.000 freiberufliche Lehrkräfte gegenüber (vgl. Verband Österreichischer Volkshochschulen). Die am stärksten besuchten Sprachen sind Deutsch, Englisch, Italienisch, Spanisch und Französisch. Wie in Deutschland sinkt der Anteil der Fremdsprachenkursteilnehmenden und wird durch die Kurse „Deutsch als Zweitsprache“ ausgeglichen (vgl. Vater & Zwielehner 2014: 31). 72 Marion Grein 5. Die Volkshochschule in der Schweiz In der Schweiz finden sich 91 Volkshochschulen, ohne Zweigstellen (vgl. VHS Schweiz Geschäftsbericht 2013. http: / / www.up-vhs. ch/ de/ verband). Insgesamt spielt hier der Deutschunterricht eine geringere Rolle (21 %). Deutlich wichtigste Sprache ist das Englische (33 %), gefolgt von Italienisch und Spanisch mit je 11 % sowie Französisch mit 10 %. Auch in der Schweiz nimmt der Anteil an älteren Lernenden zu (vgl. Bundesamt für Statistik 2013: 18). Allerdings spielt das Lernen von Sprachen in der Erwachsenenbildung in einem ohnehin mehrsprachigen Land eine weitaus geringere Rolle als in Deutschland und Österreich, so wird für 2007 (aktuellste Studie) im Bereich Weiterbildung der Fremdsprachenbereich lediglich mit 16 % der Kursstunden angegeben (vgl. Schläfli & Sgier 2008: 44). 6. Qualifizierung von Sprachkursleitenden in der Erwachsenenbildung Die Volkshochschulen bieten ihren Lehrenden eine grundlegende und oftmals verpflichtende Qualifizierung in Form einer sog. „Basisqualifizierung für Sprachkursleitende“ an. Die Fortbildung der Kursleitenden wird heute als wesentliches Element der Qualitätssicherung verstanden. Einen Überblick über Veranstaltungen in Deutschland bietet die Weiterbildungsdatenbank Qualidat des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE). Für den Bereich der Integrationskurse ist eine vom Bundesamt für Migration (BAMF) akkreditierte Zusatzqualifikation zu erwerben. Es finden sich weitere Qualifizierungsinstitutionen, deren Anerkennung jedoch nicht einheitlich geregelt ist. Die International Language Association (ICC) bietet mit EUROL- TA (European Certificate in Language Teaching to Adults) eine zertifizierte, methodisch-didaktische Ausbildungsreihe für Sprachkursleitende in der Erwachsenenbildung an. Weitere Weiterbildungsseminare werden von der TELC GmbH angeboten, so z. B. der Abschluss „zertifizierter Experte (w/ m) der Fremdsprachendidaktik“. In Österreich erfolgt die Weiterbildung der Sprachkursleitenden vorwiegend durch den Verband Österreichischer Volkshochschulen. Auch hier findet eine Basisqualifizierung in Form eines „Zertifikatslehrgangs für Sprachkursleiter/ innen“ statt. In der Schweiz bietet die Schule für Angewandte Linguistik (SAL) eine (nicht akkreditierte) Ausbildung als Sprachlehrer/ in für Erwachsene an. Daneben finden sich wiederum zahlreiche Weiterbildungsseminare, bei denen v. a. auch die Angebote der Klubschule Migros zu erwähnen sind. In den Klubschulen Migros kann man das EUROLTA-Zertifikat erwerben; nach erfolgreicher EUROL- TA-Qualifizierung und einem Praxisnachweis erhält man das SVEB-Zertifikat Stufe I (SVEB: Schweizerischer Verband für Weiterbildung), das als Teilabschluss für den eidgenössischen Fachausweis Ausbildner/ in angerechnet wird. An den Volkshochschulen werden Seminare mit dem Titel „die Ausbildung der Ausbilder“ (AdA) angeboten, die aber derzeit noch nicht verpflichtend sind. Weitere Informationen zu Weiterbildungsangeboten erhält man über die Akademie der Erwachsenenbildung (AEB) in Zürich und den SVEB. 7. Perspektiven Das Interesse an der Fremdsprachen-Andragogik hat in den letzten fünf Jahren stark zugenommen. Dies hat verschiedene Gründe, so v. a. das Leitkonzept des lebenslangen Lernens (life long learning; vgl. Bubolz-Lutz et al. 2010: 17), den demographischen Wandel der Gesellschaft (vgl. Schröder & Gilberg 2005) 73 15. Sprachen lernen und lehren in der Erwachsenenbildung und im Besonderen die neurobiologischen Erkenntnisse über den Fremdsprachenlernprozess älterer Menschen - Stichwort „adulte Neurogenese“ (vgl. Kade 2009; Tippelt et al. 2009; Grein 2013: 59-67) und die Erkenntnis, dass Fremdsprachenlernen den Demenzprozess verzögert (vgl. Craik, Bialystok & Freedman 2010). Der Fokus - sowohl bei der Kursgestaltung als auch im Bereich der Forschung - verschiebt sich auf die Zielgruppe der Senioren. Literatur AKS - Arbeitskreis der Sprachenzentren e. V. www.aks-web.de Bubolz-Lutz, E. / Gösken, E. / Kricheldorff, C. / Schramek, R. (2010): Geragogik. Bildung und Lernen im Prozess des Alterns. Das Lehrbuch. Stuttgart. Bundesamt für Statistik (2013): Lebenslanges Lernen in der Schweiz. Ergebnisse des Mikrozensus Aus- und Weiterbildung 2011. Neuchâtel. Craik, F. I. M. / Bialystok, E. / Freedman, M. (2010): Delaying the onset of Alzheimer disease: Bilingualism as a form of cognitive reserve. Neurology, 75, 1717-1725. DIE - Deutsches Institut für Erwachsenenbildung. www.die-bonn.de Grein, M. (2013): Neurodidaktik. Grundlagen für Sprachkursleitende. München. Horn, H. / Ambos, I. (2014): Weiterbildungsstatistik im Verbund 2012. Kompakt. Bonn. Huntemann, H. / Reichart, E. (2014): Volkshochschul-Statistik. 52. Folge. Arbeitsjahr 2013. Bonn. Kade, S. (2009): Alter und Bildung: eine Einführung. 2. Aufl. Bielefeld. Kade, J. / Nittel, D. / Seitter, W. (2007): Einführung in die Erwachsenenbildung. 2. Aufl. Stuttgart. Migros Klubschulen. www.klubschule.ch Schläfli, A. / Sgier, I. (2008): Porträt Weiterbildung Schweiz. Bielefeld. Schröder, H. / Gilberg, R. (2005): Weiterbildung Älterer im demographischen Wandel. Bielefeld. Statistikbericht 2014 der Österreichischen Volkshochschulen. http: / / www.adulteduca tion.at/ de/ struktur/ statistik Tippelt, R. / Schmidt, B. / Schnurr, S. / Sinner, S. / Theisen, C. (2009): Bildung Älterer - Herausforderungen des demografischen Wandels. Bielefeld. Tippelt, R. / von Hippel, A., Hrsg. (2010): Handbuch Erwachsenenbildung / Weiterbildung. 4. Aufl. Wiesbaden. Vater, S. / Zwielehner, P. (2014): Statistikbericht der Österreichischen Volkshochschulen. VÖV Materialien 49. Wien. VHS Schweiz Geschäftsbericht 2013. www. up-vhs.ch/ de/ verband/ Verband Österreichischer Volkshochschulen. www.vhs.or.at/ 109 Wittpoth, J. (2013): Einführung in die Erwachsenenbildung. 4. Aufl. Opladen, Toronto. Marion Grein 16. Sprachen lernen und lehren an Hochschulen 1. Sprachlernkontext Hochschule Explizit ausgewiesene Sprachlernkontexte an Hochschulen liegen dann vor, wenn Lernende mit hochschulspezifischen Voraussetzungen und Bedürfnissen fremdsprachliche Handlungskompetenzen aufbauen bzw. weiterentwickeln. Der Beitrag konzentriert sich auf die Rahmenbedingungen der Fremdsprachenlernkontexte, u. a. die sprachenpolitischen Aspekte, auf Lernerspezifika sowie Fragen der institutionellen Verankerung, 74 Karin Kleppin / Astrid Reich welche den Kontext der Fremdsprachenlernangebote determinieren. An nahezu allen Hochschulen in den deutschsprachigen Ländern existieren mehr oder weniger ausdifferenzierte Sprachlernangebote, die dazu dienen, Studierenden und Mitarbeitern eine Weiterqualifizierung im Hinblick auf Studium oder Berufstätigkeit zu ermöglichen. Diese Sprachlernangebote werden zunehmend - in Deutschland u. a. angeregt durch den Hochschulrektorenkonferenz-Beschluss vom 22. 11. 2011 (Mitgliederversammlung der HRK 2011) - als integraler Bestandteil der jeweiligen Internationalisierungsstrategie und der mehr oder minder expliziten Sprachenpolitik der Hochschulen angesehen. Sprachenpolitische Entscheidungen beeinflussen dabei die Sprachenwahl - wie etwa Entscheidungen für die sog. großen Schulsprachen, grenznahe Nachbarsprachen oder auch Sprachen, die in Kooperationen und Projekten der Hochschule eine Rolle spielen. Sprachen werden an den unterschiedlichsten Einrichtungen der Hochschulen angeboten: In fremdsprachenphilologischen Studiengängen ist das Sprachenlernen integraler Bestandteil der Ausbildung. Ähnliches gilt für interdisziplinäre Studiengänge mit einem Sprachenanteil (z. B. der Masterstudiengang Kulturwirtschaft / International Cultural and Business Studies an der Universität Passau). Viele Hochschulen bündeln mittlerweile ihre Sprachlernangebote, insbesondere für Nichtphilologen, in Sprachenzentren bzw. Zentren für Schlüsselqualifikationen, an wieder anderen Hochschulen existieren - historisch gewachsene - dezentrale Angebote unterschiedlichster Provenienz (z. B. Zusammenarbeit mit privaten Sprachschulen, Studierendenausschüssen, Graduiertenkollegs, Angebote der Fakultäten). 2. Zielgruppen Folgende prototypische Zielgruppen stehen im Fokus der Sprachlernangebote an Hochschulen: • Studierende nichtphilologischer Fächer, die im Hinblick auf einen Auslandsaufenthalt oder die zukünftige Berufstätigkeit ihr Qualifikationsprofil erweitern und / oder im Rahmen optionaler Studienanteile Kreditpunkte erwerben möchten (vgl. auch Art. 135). Diesen Lernenden stehen in der Regel kursgebundene oder individualisierte Angebote zur Verfügung, mit denen akademische und berufsbezogene sprachliche Handlungsfähigkeiten entwickelt werden sollen. • Studierende der Fremdsprachenphilologien, insbesondere angehende Fremdsprachenlehrende, die im Hinblick auf ihre spätere Tätigkeit berufsbezogene Sprachkompetenzen benötigen. Angebote für diese Zielgruppe innerhalb der Philologien umfassen vorrangig Veranstaltungen, in denen der Erwerb deklarativen Wissens über formale und normativ interpretierte Aspekte der Fremdsprache dominiert und nicht im engeren Sinne fremdsprachliche Handlungskompetenz im Fokus steht. Darüber hinaus dienen Übersetzungskurse der Sensibilisierung für Sprachkontraste und stilistische Phänomene. Diese Ausrichtung ist insofern problematisch, als die Weiterentwicklung der sprachlichen Kompetenzen wie auch die möglichst authentische Verwendung der Sprache in der Ausbildung vernachlässigt werden. • Ausländische Studierende und Wissenschaftler, die für einen kurzen oder längeren Zeitraum an einer deutschsprachigen Hochschule studienbegleitend oder -vorbereitend Lehrangebote für Deutsch als Fremdsprache in Anspruch nehmen. Studienvorbereitende Kurse dienen dem Trai- 75 16. Sprachen lernen und lehren an Hochschulen ning im Hinblick auf Studienzulassungstests (z. B. TestDaF), während studienbegleitende Angebote eher sprachliche Handlungssituationen fokussieren, in denen sich die ausländischen Studierenden und Forschenden während ihres Aufenthalts befinden. Solche Angebote bewegen sich auf einem Kontinuum zwischen grammatikbasierten Kursen bis hin zu komplexen interkulturellen Trainings für spezifische Kontexte (z. B. für zielkulturell adäquate Schreibformate oder angemessenes Verhalten in Veranstaltungen an der Hochschule). • Studierende mit Migrationshintergrund, die in ihrer Erstbzw. Familiensprache akademische bzw. berufsrelevante Kompetenzen entwickeln möchten, um diese im Sinne einer individuellen Profilbildung zu nutzen. Dieser Gruppe werden zunehmend teilkompetenzspezifische Angebote (z. B. Alphabetisierung in einem fremden Schriftsystem, akademisches Schreiben, Trainings für mündliche Verhandlungssituationen) gemacht, die überwiegend auf höheren Kompetenzstufen angesiedelt sind. • Hochschulmitarbeitende aus Wissenschaft, Verwaltung und Technik, die sich für ihren Aufgabenbereich fremdsprachlich weiterqualifizieren wollen oder müssen, wobei in diesem Zusammenhang überwiegend Englisch nachgefragt wird. Für diese Zielgruppe werden allgemeinsprachliche bis hin zu sehr spezifischen Veranstaltungen angeboten, in denen Handlungskompetenzen - wie etwa englischsprachige Vorträge halten und in Fachdiskussionen agieren können - entwickelt werden. 3. Spezifika der Lernenden und Konsequenzen Lernende an Hochschulen unterscheiden sich von Schülerinnen und Schülern des Primarbzw. Sekundarbereichs und von Lernenden anderer Institutionen der Erwachsenenbildung (Volkshochschulen oder Sprachenschulen) hinsichtlich einer Reihe - auch individuell ausgeprägter - Lernervariablen, auf welche die Lernangebote abzustimmen sind und Lehrende mit ihrem Verhalten reagieren müssen: Alter und institutioneller Kontext lassen auf hohe kognitive Fähigkeiten schließen. Zudem liegt die Vermutung nahe, dass Lernende an Hochschulen häufig einen eher analytisch orientierten Lernstil bevorzugen, auf den bei der Konkretisierung von methodisch-didaktischen Prinzipien Rücksicht zu nehmen ist. In der Regel verfügen Lernende an Hochschulen über Lernvorerfahrungen und vorher gelernte Fremdsprachen. Ein Großteil der Studierenden, wissenschaftlichen Mitarbeitenden, Gastwissenschaftler und Mitarbeitenden aus Technik und Verwaltung bringen aus dem schulischen Unterricht Kompetenzen im Englischen mit, häufig Kompetenzen in weiteren Fremdsprachen auf einer meist niedrigeren Kompetenzstufe sowie andere Erst- oder Herkunftssprachen. Lernen sie Fremdsprachen, die mit vorher gelernten Fremdsprachen verwandt sind (z. B. Spanisch nach Französisch, Niederländisch nach Deutsch, Tschechisch nach Russisch) kann auf mehrsprachigkeitsdidaktische Verfahren zurückgegriffen werden. Da Fremdsprachen entweder konstitutive Elemente eines selbstgewählten Studiengangs oder ein optionales und freiwilliges Angebot darstellen, bringen Lernende an Hochschulen in Sprachlehrveranstaltungen und individuelle Lernangebote spezifische Motive und Motivationsstile mit, auf die Lehrende bzw. Lernbegleiter wie Berater, Coachs oder Tutoren eingehen müssen. Emotionale und kognitive Faktoren der Motivation, wie etwa Einstellungen zur gelernten Fremdsprache, zu der antizipierten Verwendungssituation, zur Unterrichtssituation und zu 76 Karin Kleppin / Astrid Reich den Mitlernenden oder Lernpartnern, doch auch Sprechangst u. v.m. spielen im Hochschulkontext sicherlich auch eine Rolle, weisen aber andere Ausprägungen als im Schulkontext auf. Die Diversität individueller Lern(er)biografien, Zielvorstellungen, Medienerfahrung und Arbeitskontexte von Fremdsprachenlernern an Hochschulen erfordert gegenüber anderen Fremdsprachenlernkontexten eine stärkere Individualisierung: Zu diesem Zweck kommen in den Sprachenzentren der Hochschulen unterschiedliche Verfahren zum Einsatz: Formen des Tandemlernens in face-to-face und Distanztandems (vgl. Art. 80), Sprachlernberatung bzw. -coaching (vgl. Art. 81), Sprachtrainings, Tutorenprogramme sowie selbstunterstützte und (lernplattformbegleitete) Blended Learning-Formate, schließlich auch Portfolios und E-Portfolios für den tertiären Bildungsbereich (vgl. Art. 88). 4. Institutionelle Verankerung An den meisten Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz existieren mittlerweile Zentren, die die Sprachlernangebote für verschiedene Zielgruppen bündeln und dafür zunehmend Gebühren verlangen. Sie werden z. B. Sprachenzentrum, Fachsprachenzentrum, Fremdsprachenzentrum, Sprachlernzentrum, Zentrum für Fremdsprachenausbildung genannt oder sind - organisatorisch gesehen - wesentliche Teile von Hochschuleinrichtungen, die dem Erwerb von Schlüsselkompetenzen dienen. Ihre Organisationsformen variieren in Abhängigkeit von • der Angebotspalette der zu entwickelnden Kompetenzen. So wird in einigen Zentren allein das Fremdsprachenlernen fokussiert, wohingegen in anderen (z. B. an den Hochschulen in Göttingen, Siegen, Potsdam) ebenfalls interkulturelle Kompetenzen, Medienkompetenzen, Präsentationstechniken etc. entwickelt werden sollen. • der Auswahl der angebotenen Sprachen. Dieser kann eine bewusste, sprachenpolitisch motivierte Profilbildung zugrunde liegen oder sie orientiert sich an Bedarfserhebungen in Studiengängen bzw. bei Studierenden. In einigen wenigen Zentren können neben modernen Fremdsprachen auch Latein als Vorbereitung auf das Latinum oder Gebärdensprache gelernt werden. Noch andere Zentren sind allein - wie etwa die Zentren an den transnationalen Bildungsprojekten (DAAD & HRK 2014) - darauf ausgerichtet, bei Studierenden in meist nur einer Sprache (z. B. Deutsch an der German Jordanian University ) Studierfähigkeit zu entwickeln. • den angezielten Kompetenzen. In der Regel orientieren sich Sprachenzentren nicht nur bezüglich der Niveaustufen, sondern auch bezüglich der kommunikativen Teilkompetenzen an den Kompetenzbeschreibungen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR, Europarat 2001) und entwickeln diese für akademische Kontexte weiter. Hier haben die an einigen Hochschulen bereits seit langem existierenden Fachsprachenzentren - insbesondere in der ehemaligen DDR - vermutlich eine Vorreiterrolle gespielt. Heutzutage werden jedoch weniger Fachsprachen im engeren Sinne vermittelt. Vielmehr orientieren sich die Sprachlernangebote konzeptionell an hochschulspezifischen Handlungssituationen oder antizipieren relevante Handlungskompetenzen in den Berufsfeldern der Hochschulangehörigen. • der methodisch-didaktischen Ausrichtung. Neben den an Hochschulen üblichen Präsenzveranstaltungen gibt es in den Zentren Schwerpunktbildungen hinsichtlich verschiedener Fachorientierungen, im Be- 77 16. Sprachen lernen und lehren an Hochschulen reich eLearning oder dem selbstgesteuerten Lernen wie etwa Tandemlernen und möglichen Unterstützungsformen sowie individuell zugeschnittenen Lernszenarien (vgl. Art. 78). • der verpflichtenden oder optionalen Verankerung in Studiengängen. Die Angebote können von Studierenden aller Fakultäten freiwillig wahrgenommen werden oder als Wahlpflichtbzw. Pflichtmodule in Studiengänge eingebunden sein. Solche Einbindungen gelten sowohl für philologische als auch nicht-philologische Studiengänge (z. B. Italienisch für Kunsthistoriker, Englisch für Ingenieure, Türkisch für Juristen). • der Beschäftigungsstruktur. In vielen Zentren gibt es neben festangestellten Mitarbeitenden eine große Anzahl von Lehrbeauftragten, die sich in prekären Beschäftigungssituationen befinden, was häufig zu einer erheblich Fluktuation im Lehrkörper führt und einen großen Betreuungs- und Fortbildungsbedarf zur Folge hat. • der wissenschaftlichen Ausrichtung. In der Mehrheit sind Sprachenzentren zentrale Institute und werden als Service-Einrichtungen angesehen. Selbst wenn einige Zentren eine wissenschaftliche Leitung haben und/ oder die Bezeichnung ,wissenschaftliche Einrichtung‘ tragen, ist es den Mitarbeitenden u. a. aufgrund des hohen Lehrdeputats nur selten möglich, wissenschaftlich begründete Entwicklungsarbeit zu leisten und in systematisch organisierter Form das Lernen und Lehren an Hochschulen empirisch zu evaluieren. Viele Sprachenzentren des deutschsprachigen Raums haben sich in Verbänden organisiert, in Deutschland der Arbeitskreis der Sprachenzentren e. V. (AKS), in Österreich der Verband universitärer Sprachenzentren und -institutionen (VUS) und in der Schweiz der Fremdsprachenunterricht an Hochschulen in der Schweiz (IG-FHS). Mit UNIcert ® (vgl. Reich & Mainzer 2014) bietet der AKS ein Ausbildungs- und Zertifikationssystem für den Fremdsprachenerwerb im Hochschulbereich an, mit FOBIcert ® ein Fortbildungszertifikat für Sprachlehrkräfte. Der AKS (vgl. Gebert et al. 2012) zeichnet ferner verantwortlich für die Fachzeitschriften „Fremdsprachen und Hochschule“ (FuH), die Publikationsreihe „Fremdsprachen in Lehre und Forschung“ (FLF) und die Dokumentationen der von ihm durchgeführten Tagungen. Europaweit haben sich die nationalen Verbände in dem übergeordneten europäischen Verband European Confederation of Language Centres in Higher Education (CercleS) zusammengeschlossen, dessen Publikationsorgan Language Learning in Higher Education (LLHE) seit 2011 eine Plattform für Forschung und Best Practice-Beispiele zum Fremdsprachenlernen und -lehren an Hochschulen bietet. 5. Perspektiven Die Hochschulen bemühen sich zunehmend um die Formulierung einer Internationalisierungsstrategie, mit deren Hilfe sie ihre Stellung in internationalen Zusammenhängen definieren. Sprachenlernen bzw. -lehren an der Hochschule ist somit kein Selbstzweck oder Luxusgut, sondern letztlich tief im Selbstverständnis und in den strategischen Ausrichtungen der Hochschule verankert. Vor diesem Hintergrund müssen sich die Hochschulen und damit auch ihre Sprachenzentren mit einer Reihe von konzeptionellen Fragen befassen und darauf aufbauend auch Entscheidungen treffen - dabei handelt es sich um Fragen wie: • Will die Hochschule ein eigenes Sprachenprofil erstellen und worauf gründet sie ihre diesbezügliche Entscheidung - z. B. auf regionale Schwerpunkte, strategische Partnerschaften, auf einem erhobenen Bedarf? 78 Karin Kleppin / Astrid Reich • Welche hochschulspezifischen fremdsprachlichen Curricula (vgl. Art. 41) sollen entwickelt werden? Welche Rolle und welches Gewicht sollen dabei Fachbzw. Berufsorientierung zukommen? Welche Rolle können die Fremdsprachenphilologien in diesem Prozess spielen? Inwieweit können solche Curricula sinnvoll evaluiert und kontinuierlich weiterentwickelt werden? • Wie können aus der aktuellen Fachdiskussion der Sprachlehrforschung innovative Formen für das Lernen von Fremdsprachen an der Hochschule gewonnen werden (z. B. Konzepte für mehrsprachige Kurse, für Sprachmittlung, für individuelle Trainings, Weiterentwicklung von eLearning- Szenarien)? • Welchen Stellenwert soll anwendungsorientierte Forschung (vgl. Kleppin 2012) und Entwicklungsarbeit in den Aktivitäten der Einrichtung erhalten, die für die Sprachlernangebote der Hochschule verantwortlich zeichnet? • Welche Bereiche müssen in Bezug auf die Qualitätsentwicklung berücksichtigt werden (z. B. Aus- / Weiterbildung, Evaluationskonzepte bzw. -verfahren, Struktur- und Personalentwicklung)? Die Antworten auf diese Fragen haben Auswirkungen auf die Organisations- und Personalstruktur der jeweiligen Einrichtung und an ihnen wird deutlich, dass Sprachenzentren nicht als unspezifische, allein auf die Praxis orientierte Serviceeinrichtungen konzipiert werden können. Literatur AKS - Arbeitskreis der Sprachenzentren e. V. www.aks-sprachen.de DAAD / HRK , Hrsg. (2014): Entwicklung von Sprachenkonzepten: Ein Praxisleitfaden für deutsche Hochschulprojekte im Ausland. Bonn. www.daad.de/ tnb CercleS. www.cercles.org Gebert, D. / Hettiger, A. / Mügge R. / Lorenz, G. (2012): Ziele des AKS 2012-2014. Fremdsprachen und Hochschule 86, 7-22. IG - FHS - Fremdsprachenunterricht an Hochschulen in der Schweiz. http: / / www. ig-fhs-elhe.ch Kleppin, K. (2012): Anwendungsorientierte Forschung in und für Fremdsprachenzentren: Eine neue (? ) Herausforderung. Language Learning in Higher Education 2 (2), 245- 265. Mitgliederversammlung der HRK (2011): Empfehlung der 11. Mitgliederversammlung der HRK am 22. 11. 2011 in Berlin „Sprachenpolitik an deutschen Hochschulen“ . www.hrk.de/ positi onen/ beschluesse-nach-thema/ convention/ empfehlung-sprachenpolitik-an-deutschenhochschulen/ conventionyear/ 2011/ Reich, A. / Mainzer, M. (2014): Sprachenübergreifende Vergleichbarkeit herstellen - aber wie? Ein qualitatives Projekt zur Harmonisierung der Niveaustufe UNI cert ® I (B1). Language Learning in Higher Education 4 (1), 95-115. VUS - Verband universitärer Sprachenzentren und -institutionen. http: / / www.uni-salz burg.at/ index.php? id=204492 Karin Kleppin Astrid Reich 17. Sprachen lernen und lehren im nichtöffentlichen Bildungsbereich 1. Begrifflichkeiten In Deutschland lernen Millionen von Menschen Fremdsprachen, und eine unüberschaubare Zahl von Personen verdient Geld damit. Die Strukturen im ,öffentlichen‘ 79 17. Sprachen lernen und lehren im nichtöffentlichen Bildungsbereich Schulwesen sind in den Kapiteln C und D dieses Handbuchs beschrieben. Es gibt aber auch ,Grauzonen‘, z. B. bei Privatschulen, die, sofern sie bestimmten Regeln und Standards folgen, vom Staat mitfinanziert werden. Das gilt auch für Volkshochschulen, die oft in der Rechtsform des e. V. arbeiten. Dort gibt es die sog. ,Drittelfinanzierung‘, an der sich das jeweilige Bundesland und die Kommunen beteiligen und der Rest aus Teilnehmergebühren stammt (was nicht bedeutet, dass alle gleich viel dazu beitragen). Die Abgrenzung zum ,öffentlichen Bildungsbereich‘ ist also schwierig. Klar sind die Verhältnisse dort, wo Fremdsprachenunterricht von Unternehmen angeboten wird, die ohne öffentliche Unterstützung auskommen, und von Menschen nachgefragt wird, die dafür aus eigenen Mitteln bezahlen. In diesem Bereich gibt es eine Vielfalt von Angeboten für alle Altersgruppen. Das beginnt mit privaten Kindertagesstätten, Kindergärten und Vorschulen, in denen auch Fremdsprachenunterricht angeboten wird. Allerdings gibt es viele Eltern, die aus Prestigegründen für ihre Kinder besondere Angebote nutzen wollen und z. B. bilingualen Unterricht wünschen. Für Kinder und Jugendliche im Regelschulsystem tut sich ein großer und vielfältiger Markt auf: die Nachhilfe, in der sowohl kommerzielle Organisationen in großer Zahl aktiv sind, wo aber auch ein unübersichtliches System an privatem Nachhilfeunterricht existiert, an dem v. a. ältere Schülerinnen und Schüler, aber auch pensionierte (und teilweise sogar aktive) Lehrkräfte beteiligt sind. Im Bereich der Erwachsenenbildung findet man (neben den Volkshochschulen) private Sprachenschulen (wie BERLITZ u. a.) und den betriebsinternen Fremdsprachenunterricht, der sich in ERFA Wirtschaft Sprache organisiert hat. Für alle Altersgruppen gibt es außerdem das weite Feld der Sprachreisen. Einige der wichtigen Anbieter sollen in diesem Beitrag kurz vorgestellt werden, und zwar unter den Aspekten ,Zielgruppe‘, ,Organisation / Lehrkräfte‘, ,besondere Merkmale des Sprachenangebots (Methodik / Didaktik)‘. Der gesamte Komplex ist bislang nur in Ansätzen erforscht; einzig mit dem Bereich ,Nachhilfe‘ hat man sich in letzter Zeit gründlicher befasst, weil hier besonders deutlich Defizite des öffentlichen Schulwesens von hoher bildungspolitischer Bedeutung zutage treten (Klemm & Klemm 2010; Dohmen et al. 2008). 2. Frühes Fremdsprachenlernen Auf die Ideen und Forschungen von Henning Wode geht die Gründung des e. V. FMKS (Frühe Mehrsprachigkeit an Kindertageseinrichtungen und Schulen) zurück. Dabei handelt es sich v. a. um öffentliche Einrichtungen, die Fremdsprachenunterricht anbieten; Wodes Immersionsmethode wird aber auch von privaten Trägern benutzt. Englisch ist die dominierende Sprache, aber es gibt auch Unterricht in anderen Sprachen (www.fmks.eu). Die Ausstrahlung auch in nicht-öffentliche Bereiche dokumentiert eine Fachtagung 2010 in Magdeburg (http: / / fmks-online.de/ down load/ ELIASConferencePresentations_110512. pdf; vgl. auch Kersten et al. 2010). Zwei- oder mehrsprachige Kindertagesstätten, playgroups etc. gibt es in fast allen größeren Städten. 3. Nachhilfe Man kann bei diesem Markt zwischen professionellen Anbietern unterscheiden und einer großen Zahl von Nachhilfelehrkräften (die ihr Einkommen in der Regel nicht versteuern). Dies betrifft vor allen Dingen ältere Schülerinnen und Schüler, die jüngeren Nachhilfe geben. Nachhilfe findet außer- 80 Jürgen Quetz schulisch statt, regelmäßig, jedoch nur vorübergehend. Sie dient der ,Wissenssicherung‘ und ,Wissensergänzung‘ im Hinblick auf ein Unterrichtsfach oder mehrere Unterrichtsfächer und ergänzt den Unterricht in der Schule. Hauptmerkmal ist, dass sie privat finanziert wird (Dohmen 2008: 15 ff.). Im Übrigen gibt es keine didaktischen und methodischen Regeln, an die sich Nachhilfelehrerinnen und -lehrer halten müssen: einzig der Erfolg zählt, und der misst sich an der Verbesserung der jeweils folgenden Schulnote. Außer Mathematik wird v. a. Englisch unterrichtet, und zwar auf allen Stufen. Aktuelle oder gar verlässliche Zahlen gibt es hierzu nicht, aber Schätzungen kommen auf ca. 1,1 Mio. Schülerinnen und Schüler, denen Nachhilfe erteilt wird (vgl. Klemm & Klemm 2010: 3). Es darf vermutet werden, dass im Laufe ihrer Schulzeit gut die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler Nachhilfe in Anspruch nimmt (vgl. Wikipedia ,Nachhilfe‘ - http: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Nachhilfe - sowie Cleuvers 2008). Den Eltern geht es aber nicht nur um Hilfe bei Lernversagen; auch eine allgemeine Förderung des Bildungsniveaus der Kinder wird oft angestrebt. Marktführer sind Studienkreis und Schülerhilfe mit je ca. 1.000 Filialen im Franchisebetrieb. Sie bieten in der Regel Kleingruppenunterricht statt teurem Einzelunterricht an. Das FiBS (Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie ) schätzt, dass jeder 10. Schüler aktuell Nachhilfe nimmt. Dafür geben Eltern bis zu 1,5 Mio. Euro im Jahr aus (Klemm & Klemm 2010: 4). Die Lehrkräfte sind in der Regel auf Honorarbasis beschäftigt (7-10 † pro Stunde auf 450 † -Basis); auch große Unternehmen zahlen oft keine Kranken- oder Sozialversicherungsbeiträge oder Urlaubsgeld. Größere Anbieter werben mit Gütesiegeln und einer hohen Professionalität des Nachhilfeunterrichts. Cleuvers (2008) weist allerdings darauf hin, dass es keine einheitlichen Qualitätsstandards gibt: „Insbesondere fehlt eine Überprüfung der pädagogischen Inhalte, da der Nachhilfesektor nicht der Schulaufsicht unterstellt ist“. Empirische Studien kommen allerdings zu anderen Auffassungen, z. B. Wittwer (2008). Klemm & Klemm (2010: 5) kommen zu dem Fazit, dass die Wirksamkeit von Nachhilfeunterricht in einigen Studien bestätigt wurde. Die Investitionen in Nachhilfe seien daher aus der Sicht der Eltern sinnvoll. Allerdings sind nicht alle Eltern in der Lage, ihren Kindern Nachhilfeunterricht zu ermöglichen. So kommt es, dass v. a. Kinder aus wohlhabenden Familien oder Elternhäusern mit höheren Schulabschlüssen in den Genuss von Nachhilfestunden kommen. Dies verschlechtert natürlich die Chancengerechtigkeit in einem Bildungssystem. Ziel eines chancengerechten Schulsystems müsse es daher sein, Nachhilfe möglichst überflüssig zu machen. Auch Dohmen (2008) kritisiert, dass der wachsende Nachhilfemarkt die Selektivität des Bildungssystems verstärkt. Welchen Einfluss bildungspolitische Entwicklungen auf Nachhilfe haben, z. B. die Einführung von G8 oder die Entwicklung zu Ganztagsschule, lässt sich derzeit noch nicht absehen. 4. Private Sprachenschulen M. D. Berlitz ,erfand‘ Ende des 19. Jhs. für seine eigene Privatschule an der Ostküste der USA eine Methode des Fremdsprachenunterrichts, in der auf Grammatik weitgehend verzichtet wurde. Diese Methode BERLITZ ® wurde zum Kern eines weltweiten Sprachschul-Imperiums und zum Vorbild für viele Konkurrenten. Heute folgen die meisten privaten Sprachenschulen diesem Ansatz: Der Schwerpunkt liegt auf mündlicher Kommunikation mit muttersprachlichen Lehrerinnen und Lehrern, die auf die Methode und die hauseigenen Lehrmaterialien verpflichtet 81 17. Sprachen lernen und lehren im nichtöffentlichen Bildungsbereich werden und deshalb keine fachdidaktische Ausbildung haben müssen, sondern in Schnellkursen geschult werden. Die Verträge mit ihnen sehen v. a. Unterricht in den Abendstunden und an Wochenenden vor; Kündigungsschutz bzw. Sozialleistungen gibt es oft nicht. Der Unterricht wird von den Lernenden aber als effektiv empfunden, zumal er meist in Kleingruppen, in angenehmen Räumen und mediengestützt stattfindet. Alle diese Sprachenschulen haben ihre Angebotspalette aber inzwischen erweitert und bilden Fremdsprachenkorrespondentinnen aus oder bieten fachsprachliche Kurse für spezielle Bedarfe an (Business English), oft in Kooperation mit dem betriebsinternen Fremdsprachenunterricht. Die Websites der bekanntesten Sprachschulen geben einen guten Überblick über Angebot, spezielle Schwerpunkte und Preise (www.berlitz.de, www.in lingua.de, www.wallstreetenglish.com u. a.). 5. Sprachreisen und Kurse im Land der Zielsprache Für Jugendliche und Erwachsene gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, Fremdsprachen dort zu lernen bzw. aufzufrischen, wo die Sprache selbst gesprochen wird. Das Angebot reicht von ein paar Wochen bis zu einem längerfristigen Austausch. Die Kosten richten sich nach der Dauer des Aufenthalts, v. a. aber nach der Qualität der Betreuung im fremden Land. Wiederum tummeln sich auf diesem Feld zahlreiche kleinere und größere Anbieter, und die Qualität der Angebote ist völlig unüberschaubar. Bei Sprachreisen muss man darauf achten, dass nicht zu viele andere Lernende mit der gleichen Muttersprache das gleiche Angebot des gleichen Veranstalters nutzen, sonst ist der Kontakt zur Zielsprache oft minimal. Auskunft über aktuelle Angebote gibt hier die Stiftung Warentest (www.test.de/ Sprachen-lernen-Die-besten- Sprachreisen-und-Kurse-1596302-0/ bzw. www.test.de/ Sprachreisen-fuer-Erwachsene- Lernen-und-Urlaub-1617297-0/ ). Dort finden sich auch nützliche Analysen zu dieser speziellen Lernsituation, Hinweise auf typische interkulturelle Schwierigkeiten u. a. 6. Sprachenzertifikate und Vorbereitungskurse auf Prüfungen Ein spezieller Markt hat sich über die Anbieter von Qualifikationsnachweisen entwickelt, denn TOEFL/ TOEIC, Cambridge Assessment, CIEP und das deutsche Goethe-Institut, die TELC sowie TestDaF bieten nicht nur Prüfungen an, sondern auch Vorbereitungskurse auf diese international anerkannten Zertifikate. Dies geschieht in Kooperation mit privaten Schulen, aber auch in eigener Regie. Eine Sonderstellung nimmt dabei Deutsch als Fremdsprache ein; viele Partner des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, www.bamf.de) bieten hierzu Kurse und Prüfungen an. Die Zertifikate sind nach wie vor Basis für die Zuwanderung. Auf diesem Feld der Integrations- und Deutschkurse tummelt sich mittlerweile eine kaum überschaubare Zahl von privaten und öffentlichen Anbietern. 7. Betriebsinterner Fremdsprachenunterricht Handel, Banken und Industrie signalisieren in ihren Stellenausschreibungen fast immer einen Bedarf zumindest an Englischkenntnissen. Eine Sonderstellung nimmt das Netzwerk ERFA wirtschaft sprache (www.erfawirtschaft-sprache.de) ein, in dem sich international agierende Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengefunden haben. Zurzeit treffen sich die Mitglieder zweimal jährlich zu einer in 82 Jürgen Quetz der Regel zweitägigen Konferenz mit Vorträgen und Workshops für den Erfahrungsaustausch (daher das Kürzel ERFA). Die Informationen, die im Netzwerk zu Anbietern, Verlagen, neuen Entwicklungen etc. ausgetauscht werden, sind eine wichtige Grundlage für den betriebsinternen Fremdsprachenunterricht. Literatur Cleuvers, B. A. (2008): Fi BS legt Analyse zu Angebot, Nachfrage und Wirkungen von Nachhilfe. https: / / idw-online.de/ pages/ de/ news258565 Dohmen, D. / Erbes, A. / Fuchs, K. / Günzel, J. (2008): Was wissen wir über Nachhilfe? - Sachstand und Auswertung der Forschungsliteratur zu Angebot, Nachfrage und Wirkungen. Bielefeld. Kersten, K. / Rohde, A. / Schelletter, C. / Steinlen, A. (2010): Guidelines for language use in bilingual preschools, in: K. Kersten / A. Rohde / C. Schelletter / A. K. Steinlen (Hrsg.): Bilingual preschools: Best practices. Trier, 103- 116. www.elias.bilikita.org/ docs/ guidelines _ for_language_use_in_bilingual_preschools _e. pdf Klemm, K. / Klemm, A. (2010): Ausgaben für Nachhilfe - Teurer und unfairer Ausgleich für fehlende individuelle Förderung. Gütersloh. Wikipedia (2014): Nachhilfe. http: / / de.wiki pedia.org/ wiki/ Nachhilfe Wittwer, J. (2008): Warum wirkt Nachhilfe? Hinweise aus der Forschung zum Einzelunterricht. Zeitschrift für Pädagogik 54/ 3, 416- 431. Jürgen Quetz D Kompetenzen und Standards 18. Kompetenzorientierung im Kontext des Lernens und Lehrens von Sprachen 1. Problemaufriss In den didaktischen Diskursen aller Schulfächer nimmt der Kompetenzbegriff derzeit die unangefochten zentrale Stellung ein. Dies erklärt sich in erster Linie aus den bildungspolitischen Reformbemühungen, die durch den sog. PISA-Schock in Folge des enttäuschenden Abschneidens deutscher Schülerinnen und Schüler in der internationalen Vergleichsstudie ausgelöst wurden und zu einer grundsätzlichen Umorientierung führten. Waren die Vorgaben für die Gestaltung von Unterricht in Form der bundesländerspezifischen Rahmen- oder Lehrpläne zuvor auf den zu vermittelnden Stoff bezogen, werden nunmehr primär die zu erreichenden Lernergebnisse definiert; dies gilt als Paradigmenwechsel von einer Inputzu einer Output- Orientierung. Die Qualitätssicherung des schulischen Bildungswesens wird seither nicht so sehr von einer klassischen Schulaufsicht erwartet als vielmehr von einer länderweiten und länderübergreifenden Überprüfung der Lernergebnisse mittels Vergleichsarbeiten. Um wiederum Leistungsstände 83 vergleichbar machen zu können, sind einheitliche Bewertungsmaßstäbe vonnöten. In Anlehnung an das Instrumentarium des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) (Europarat 2001) dienen hierzu gestufte Modelle fachspezifischer Kompetenzen. Diese finden sich in den bundeseinheitlichen Bildungsstandards und darauf bezugnehmend in den ländereigenen Rahmenplänen wieder (vgl. Art. 19). In Österreich und der Schweiz sind analoge Entwicklungen zu beobachten (vgl. ÖSZ 2009 und EDK 2011). Doch auch unabhängig von dieser Entwicklung spielt der Kompetenzbegriff in der Fremdsprachendidaktik spätestens seit der kommunikativen Wende Mitte der 1970er Jahre eine wichtige Rolle. Seinerzeit galt der Innovationsschub einer konsequenten Ausrichtung fremdsprachlichen Lernens und Lehrens auf pragmatische Ziele der Sprachverwendung in Alltagssituationen und somit einer Abkehr von Zielsetzungen, die in vielerlei Hinsicht einem elitären Verständnis klassischer Bildung verpflichtet waren. Vergleichbare Absichten verfolgten schon lange zuvor Didaktiker und Pädagogen der Refombewegung wie Viëtor oder Freinet und auf andere Weise später die Vertreter behavioristisch inspirierter Sprachlehrmethoden. Wir haben es demzufolge mit einem Grundkonflikt zu tun, der entlang einer Differenzlinie zwischen sprachlichem Können und sprachlich-kulturellem Wissen als primärem Ziel des Fremdsprachenunterrichts verläuft und auf tiefer liegenden Schichten unterschiedliche Verständnisse von Sprache und Bildung sowie letztlich jeweils anders akzentuierte Menschenbilder erkennen lässt. Charakteristisch für die Kompetenzorientierung ist einerseits, dass sie an den Könnensbeständen der Lernenden ansetzt. Damit werden nicht nur die Maßstäbe eines native speaker-ähnlichen Sprachvermögens und die aus ihnen resultierende Fehlerbzw. Defizitorientierung des Unterrichts außer Kraft gesetzt, vielmehr rückt nunmehr die Individualität des lernenden Subjekts in den Mittelpunkt. Dessen Selbst- und Selbstwirksamkeitskonzepte zu stärken, wird ein wesentliches Anliegen didaktischer Bemühungen. Andererseits geht mit der Konzentration auf pragmatisches Können eine Vernachlässigung von Zielen der Persönlichkeitsbildung und eine Annäherung an das ökonomisch geprägte Leitbild eines homo faber einher. Vor diesem Hintergrund wird in fremdsprachendidaktischen Diskursen der Gegenwart die Frage diskutiert, inwiefern Kompetenzziele, die per definitionem gegenstandsneutral sind, Inhalte und Verfahren des Lernens aus dem Fokus der Aufmerksamkeit verdrängen dürfen (vgl. u. a. Bausch et al. 2009). Denn mit den Inhalten geraten nicht nur die zu erwerbenden Wissensbestände, sondern auch all jenes stärker in den Blick, was den Einzelnen in der Klärung seines Selbst-Weltverhältnisses betrifft. Darüber hinaus erfährt der Kompetenzbegriff durch eine Proliferation von Neologismen (sog. „Bindestrichkompetenzen“ ) in verschiedensten Bereichen des Bildungswesens den Charakter eines modischen Passe-partout, dessen Bedeutungsgehalt zwangsläufig an Trennschärfe einbüßt. 84 Lutz Küster 2. Forschungsstand Der Kompetenzbegriff wurde namentlich von Noam Chomsky (1959) eingeführt und bezeichnet dort eine den Menschen angeborene Sprachlernfähigkeit; beobachtbare sprachliche Praxis in konkreten Situationen ordnet Chomsky hingegen der Performanz zu. Diese allein ist Gegenstand der linguistischen Pragmatik, die Sprache im Wesentlichen als Instrument zur Realisierung von Sprechakten versteht. Sowohl sprachdidaktisch als auch sozialwissenschaftlich finden beide Ansätze ihren Niederschlag in der Entwicklung des Konzepts kommunikativer Kompetenz. Bei Habermas (1971) verbindet es sich mit Leitgedanken einer herrschaftsfreien, symmetrischen Kommunikation, die ihrerseits von Piepho (1974) aufgegriffen werden, der für den Fremdsprachenunterricht Zielvorstellungen formuliert, die zwar einer Alltagsverwendung von Sprache in realen Kontexten gelten, zugleich aber den Ansprüchen emanzipatorischer Pädagogik und Didaktik folgen. In Theorie und Praxis des Fremdsprachenunterrichts setzte sich in den 1980er Jahren hingegen die erstgenannte Orientierung durch. Mit dem Erscheinen des GeR erfuhr - nicht zuletzt über die definierten Niveaustufenmodelle - der Kompetenzbegriff eine Wiederbelebung. Gleichzeitig ging von ihm ein starker Impuls zur Implementierung der Aufgabenorientierung als einer Art Königsweg zur Erreichung der Kompetenzziele aus. Während die Stufenmodelle vonseiten fremdsprachendidaktischer Forschung vielfach als empirisch nicht hinreichend gesichert kritisiert wurden (vgl. Bausch et al. 2003), stieß die Aufgabenorientierung auf sehr breite Zustimmung (vgl. Hallet & Müller-Hartmann 2006). Die fachdidaktischen Forschungsdiskurse rekurrieren in aller Regel auf die überfachlichen Kompetenzmodelle, die in der Erziehungswissenschaft, hier insbesondere vonseiten der empirischen Bildungsforschung, entwickelt wurden. Als Standardreferenz hat sich die Definition von Franz Weinert (2001: 27) erwiesen, der Kompetenzen beschreibt als die „bei Individuen verfügbaren oder von ihnen erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ . An diesem weitgefassten Verständnis wird zum einen deutlich, dass Kompetenzen erheblich mehr einschließen als technische Fertigkeiten, zum anderen, dass die beschriebenen Handlungsdispositionen auf Problemlösungsverhalten in konkreten Praxisfeldern bezogen sind. In der Regel unterscheidet man zwischen allgemeinen und fachspezifischen Kompetenzen. Für erstere ließe sich auch der Begriff Schlüsselqualifikationen verwenden, geht es doch in erster Linie um solche übergreifenden Dimensionen menschlicher Fähigkeiten, die einzelne Handlungsmöglichkeiten erst „aufschließen“ . Zu ihnen zählen in dem Kompetenzmodell des GeR beispielsweise die vier Bereiche 1) des deklarativen Wissens (savoir), 2) des prozeduralen Wissens bzw. der Fertigkeiten incl. der Steuerung und Überprüfung konkreter Handlungen (savoirfaire), 3) der persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen und Einstellungen (savoir-être ) und 4) der Lernfähigkeit (savoir-apprendre ). Auf einer nachgeordneten Ebene siedeln sich dann fachspezifische Kompetenzen an. Für den Sprachenbereich sind dies 1) die sprachlichen Kompetenzen mit der Unterteilung in lexikalische, grammatische, semantische und phonologische Kompetenzen, 2) die soziolinguistischen Kompetenzen, womit v. a. eine 85 18. Kompetenzorientierung im Kontext des Lernens und Lehrens von Sprachen adressatengerechte Sprachverwendung gemeint ist, und 3) pragmatische Kompetenzen, die sich auf das Organisieren und Strukturieren, die funktionale Zielrichtung und den genregerechten Einsatz sprachlichen Handelns richten. Als besonders wirkmächtig haben sich die an bestimmten Deskriptoren festgemachten Spezifizierungen der sprachlichen Kompetenzen in den einzelnen Fertigkeitsbereichen des Hör-/ Hörseh- und Leseverstehens, des Sprechens, Schreibens und der Sprachmittlung behauptet. Die Kompetenzmodellierungen des GeR haben zwar Eingang gefunden in die deutschen Bildungsstandards für die 1. Fremdsprache (vgl. KMK 2004, 2005, 2012 sowie Art. 19), ihre Komplexität ist dort jedoch, v. a. in den Vorgaben für die Sekundarstufe I, deutlich reduziert worden. Dies ist vor dem Hintergrund der engen Ausrichtung auf eine Nutzung im Kontext von Leistungsüberprüfungen zu verstehen. In der Entwicklung von Testaufgaben und in der Durchführung von breit angelegten Leistungsüberprüfungen stellte sich jedoch heraus, dass selbst im eingegrenzten Gebiet sprachlicher Fertigkeiten einige Teilkompetenzen leichter und andere nur schwer messbar sind (vgl. Hu & Leupold 2008). Zu letzteren werden gemeinhin v. a. Sprechen und Sprachmittlung gezählt, darüber hinaus als sog. „weiche Kompetenzen“ die Methodenkompetenz und die interkulturelle Kompetenz. Zwei zuvor nicht in dieser Form konzipierte Kompetenzbereiche kommen zudem in den Abiturstandards (KMK 2012) mit „Sprachenbewusstheit“ und „Sprachlernkompetenz“ neu zum Tragen. Sie stellen insofern eine Verbindung zu Leitgedanken des Referenzrahmens für Plurale Ansätze (Candelier et al. 2007) her, als sie dem Prinzip der Reflexivität eine zentrale Stellung einräumen und somit Annäherungen an bildungstheoretisch fundierte Konzeptionen darstellen. Gleichwohl lässt sich das Konzept der Bildung mit seinen Leitgedanken einer allseitigen Entfaltung der dem Menschen innewohnenden Potenziale und einer Entwicklung politisch-sozialer Mündigkeit nur eingeschränkt mit den gegenwärtigen Kompetenzdiskursen der Bildungsadministrationen in Einklang bringen. Deren Kritiker wie z. B. der Biologiedidaktiker Klein (2010: 13) stoßen sich insbesondere an der Ökonomisierung des Bildungswesens, die sich daran zeige, dass Bildung „ausschließlich als Mittel verstanden werde [ … ], um sich auf dem freien Markt der globalen Kräfte zu positionieren bzw. sich durchsetzen zu können“ . 3. Praxisrelevanz Als übergreifendes Prinzip reicht die Kompetenzorientierung in alle Felder lernender und lehrender Praxis hinein. Vom IQB initiiert (vgl. Art. 19), doch auch unabhängig von ihm ist in den zurückliegenden Jahren eine Fülle fremdsprachendidaktischer Arbeiten entstanden, die beispielhaft und praxisorientiert aufzeigen, wie in unterschiedlichen Zielbereichen an Aufgaben und Inhalten kompetenzorientierter Unterricht gestaltet werden kann (vgl. z. B. Müller-Hartmann & Schocker-v. Ditfurth 2005; Tesch, Leupold & Köller 2008). Besonders hervorgehoben sei Wolfgang Hallets (2012) Konzept einer komplexen Kompetenzaufgabe: An die Komplexität des Weinertschen Kompetenzverständnisses anknüpfend ist es explizit auf das Leitziel einer kulturellen Teilhabe im Sinne soziokultureller Lernforschung gerichtet und trägt nicht zuletzt den Inhalten (hier als „Topikalität“ gefasst), der Vielfalt textueller Genres in Rezeption und Produktion sowie der Initiierung und der Stützung von Lernprozessen Rechnung. Insbesondere dem Scaffolding kommt in diesem Kontext eine wichtige Funktion zu, was verdeutlicht, dass Kompetenzorientierung ohne Individualisierung und Binnendifferenzierung nicht zu denken 86 Lutz Küster ist. Von hoher Praxisrelevanz, hingegen noch nicht breit implementiert, sind ferner Verfahren der Kompetenzdiagnostik als Grundlage individueller Förderung. Gerade diese aber ist ein Kernaspekt der Kompetenzorientierung, denn über die Feststellung von Leistungsständen sollen Lehrkräfte in die Lage gelangen, individuelle Förderbedarfe ihrer einzelnen Schülerinnen und Schüler zu erkennen und gezielt Unterstützungsangebote zu entwickeln (vgl. auch Art. 65). Inwiefern dies angesichts der Knappheit materieller und personeller Ressourcen zu leisten ist, muss erst die Zukunft erweisen. 4. Perspektiven Im Rückblick auf die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts lässt sich beobachten, dass die Entwicklung oft pendelartig verläuft. Wahrgenommene Defizite werden zum Anlass genommen, in deren Umkehrung gänzlich andere Wege einzuschlagen. So hat die Frage Berechtigung, was nach der Kompetenzorientierung kommen könnte. Mittelfristig ist angesichts des starken politischen Willens vonseiten der Bildungsadministrationen und der scheinbaren Unhinterfragbarkeit einer auf unmittelbare Nützlichkeit gerichteten Denkweise mit keinen größeren Änderungen zu rechnen. Doch vielleicht führt die Kritik an der Inhaltsleere des Kompetenzkonstrukts dazu, den Gegenständen des Lernens wieder mehr Beachtung zu schenken. Auf kürzere Sicht geben vermutlich die Abiturstandards insofern eine Richtung vor, als sie die Bedeutung der Selbstreflexion mit den Zielkonzepten von Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz besonders hervorheben. Literatur Bausch, K.-R. / Burwitz-Melzer, E. / Königs, F. G. / Krumm, H.-J., Hrsg. (2009): Fremdsprachenunterricht im Spannungsfeld von Inhaltsorientierung und Kompetenzbestimmung. Tübingen. Bausch, K.-R. / Christ, H. / Königs, F. G. / Krumm, H.-J., Hrsg. (2003): Der gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Tübingen. Candelier, M. / Camilleri Grima, A. / Castellotti, V. / de Pietro, J.-F. / Lörincz, I. / Meißner, F.-J. / Schröder-Sura, A. / Noguerol, A., Hrsg. (2007): CARAP - Cadre de référence pour les approches plurielles des langues et des cultures. Strasbourg. Chomsky, N. (1959): A review of B. F. Skinner’s verbal behavior. Language 35/ 1, 26-58. EDK (Die Schweizerische Konferenz der Kantonalen Erziehungsdirektoren) (2011): Grundkompetenzen für die Fremdsprachen. http: / / edudoc.ch/ record/ 96780/ files/ grund komp_fremdsprachen _d.pdf Europarat (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen. Lernen, lehren, beurteilen. Berlin. Habermas, J. (1971): Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz, in: J. Habermas / N. Luhmann (Hrsg.): Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Was leistet die Systemforschung? Frankfurt a. M., 101-141. Hallet, W. / Müller-Hartmann, A. (2006): For better of for worse? Bildungsstandards Englisch im Überblick. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 81, 2-8. Hallet, W. (2012): Die komplexe Kompetenzaufgabe. Fremdsprachige Diskursfähigkeit als kulturelle Teilhabe und Unterrichtspraxis, in: W. Hallet / U. Krämer (Hrsg.): Kompetenzaufgaben im Englischunterricht. Grundlagen und Unterrichtsbeispiele. Seelze, 8-19. Hu, A. / Leupold, E. (2008): Kompetenzorientierung und Französischunterricht, in: B. Tesch / E. Leupold / O. Köller (Hrsg.), 51-84. 87 18. Kompetenzorientierung im Kontext des Lernens und Lehrens von Sprachen Hymes, D. H. (1972): On Communicative Competence, in: J. B. Pride / J. Holmes (Hrsg.): Sociolinguistics. Selected Readings. Harmondsworth, 269-293. Klein, H. P. (2010): Die Kompetenzorientierung springt als Tiger und landet als Bettvorleger! Interview in: Begegnung 3, 12-14. KMK (2004): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 4. 12. 2003. München. KMK (2005): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Hauptschulabschluss. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 15. 10. 2004. München. KMK (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18. 10. 2012. Köln. Müller-Hartmann, A. / Schockerv. Ditfurth, M., Hrsg. (2005): Aufgabenorientierung im Fremdsprachenunterricht. Tasked-based language learning and teaching. Tübingen. ÖSZ - Österreichisches Sprachen-Kompetenz- Zentrum ( 4 2009): Bildungsstandards für Fremdsprachen (Englisch), 8. Schulstufe. Praxishandbuch. Graz. Piepho, H.-E. (1974): Kommunikative Kompetenz als übergeordnetes Lernziel im Englischunterricht. Dornburg-Frickhofen. Tesch, B. / Leupold, E. / Köller, O. (Hrsg.): (2008): Bildungsstandards Französisch: konkret. Sekundarstufe I: Grundlagen, Aufgabenbeispiele und Unterrichtsanregungen. Berlin. Weinert, F. E. (2001): Vergleichende Leistungsmessung in Schulen - eine umstrittene Selbstverständlichkeit, in: F. E. Weinert (Hrsg.): Leistungsmessung in Schulen. Weinheim, Basel, 17-31. Lutz Küster 19. Standardorientierung im Kontext des Lernens und Lehrens von Sprachen 1. Begrifflichkeiten Standards legen Lehr- und Lernziele des Unterrichts auf verschiedenen Abstraktionsgraden fest, von fachspezifischen, konkreten Aufgabenstellungen bis hin zu generellen Bildungszielen. Standards sind in der Regel output-orientiert, da sie auf die Ergebnisse des Unterrichts fokussieren und nicht wie traditionell auf die Inhalte und Methoden, die dem Unterricht zugrunde liegen. Standards formulieren lernerorientierte Leistungen und Kompetenzen, die zu bestimmten Zeitpunkten in der Schullaufbahn erwartet werden (Klieme et al. 2003), weshalb sie auch Kompetenz- oder Leistungsstandards genannt werden. Standards können als Minimal-, Regel- und Maximalstandards formuliert werden. Minimalstandards beschreiben als unerlässlich betrachtete Grundkompetenzen, die etwa am Ende der Grundschule von allen Lernenden erworben worden sein sollen. Regelstandards legen die Kernkompetenzen fest, die von der Mehrheit der Lernenden erwartet werden, wie sie etwa in den KMK-Bildungsstandards für den Hauptschul- und den Mittleren Schulabschluss formuliert sind. Maximalstandards hingegen formulieren Leistungen, die unter optimalen Bedingun- Abschluss Standards Lernaufgaben Hauptschulabschluss (HSA) 2004 Französisch (Tesch, Leupold & Köller 2008); Englisch (Müller-Hartmann, Schocker & Pant 2013) Mittlerer Schulabschluss (MSA) 2003 Allgemeine Hochschulreife (AH) 2012 AH-Konzeption (2013); Tesch et al. (2015); Aufgabenpool für Abitur 2016/ 17 Tabelle 1: BiStas 88 Claudia Harsch gen erwartet werden können und weit oberhalb der Regelstandards angesiedelt sind. In Deutschland erließ die KMK Bildungsstandards (BiStas) als Instrumente zur Qualitätsentwicklung und Sicherung. Tabelle 1 zeigt die abschlussbezogenen, bundesweit verbindlichen BiStas für die erste Fremdsprache (Englisch, Französisch; online: KMK- Bildungsstandards) und begleitende Lernaufgaben. Standards dienen einerseits der Unterrichtsentwicklung und Optimierung: Sie geben transparente Lehr- und Lernziele vor, an denen sich Lehrende und Lernende orientieren können, und sie geben Impulse, den Unterricht kompetenz- und outputorientiert zu gestalten. Andererseits ermöglichen Standards die Beurteilung der Lernerfolge, der „Erträge“ des Unterrichts auf allen Schulebenen: Intern können Lernende an vergleichbaren Kriterien gemessen werden. Externe Evaluation erlaubt es, systematisch Klassen, Schulen und Bundesländer in Bezug auf dieselben Kriterien miteinander zu vergleichen. Diese evaluativen Vergleiche erfolgen mittels des bundesweiten Ländervergleichs und der Vergleichsarbeiten auf Länderebene. Sie werden in regelmäßigen Abständen durchgeführt, wie in der Gesamtstrategie der KMK zum Bildungsmonitoring (KMK 2006) festgelegt. Zur Evaluation der BiStas wurde 2004 das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Humboldt-Universität zu Berlin gegründet. Am IQB werden Lern- und Testaufgaben entwickelt, die auf die BiSta-Vorgaben ausgerichtet sind; ebenso wird dort Implementationsforschung zum Einsatz der BiStas durchgeführt. 2. Problemaufriss Die Standards für die erste Fremdsprache wurden von Expertenkommissionen unter enger Bezugnahme auf das Kompetenzmodell und die Könnensbeschreibungen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR, Europarat 2001) entwickelt. Die BiStas beschreiben funktionale kommunikative Kompetenzen bezogen auf die verschiedenen Schulabschlüsse, denen wiederum bestimmte GeR-Niveaus zugewiesen sind. Den sprachlichen Mitteln kommt im Vergleich zu den Fertigkeiten dienende Funktion zu. Dazu treten interkulturelle und methodische Kompetenzen (für eine detailliertere Beschreibung des Kompetenzmodells vgl. Art. 18). Tabelle 2 gibt eine Übersicht der BiStas und GeR-Niveaus: HSA MSA AH A2 B1, teils B2 B2, teils C1 Tabelle 2: BiStas und GeR-Niveaus BiStas bieten transparente und vergleichbare Zielvorgaben zur Curriculaentwicklung und zur Bestimmung von Lehr- und Lernzielen. Durch ihre Kompetenz- und Output-Orientierung haben sie das Potential, Ziel und Mittel einer kompetenzorientierten Unterrichtsentwicklung zu sein. Da die Könnensbeschreibungen aus Sicht der Lernenden formuliert sind, ermöglichen sie Lernerorientierung. Durch ihre relativ generell gehaltene Formulierung schaffen sie Autonomieräume für Lehrende und Lernende, doch bringen sie auch eine größere Verantwortung für die Arbeit mit den Standards im Unterrichtsalltag. 89 19. Standardorientierung im Kontext des Lernens und Lehrens von Sprachen Unterrichtsergebnisse können kriterienorientiert am Erreichen der Standards gemessen werden. Standardbasierte Tests ermöglichen die konkrete Überprüfung bestimmter Lernziele und geben gezielt Hinweise, welche Bereiche zu fördern sind - ein wesentlicher Vorteil gegenüber den rein numerischen Schulnoten. Somit schaffen BiStas evidenzbasierte Steuerungsmöglichkeiten auf allen Wirkebenen von Schule (Zeitler, Heller & Asbrand 2012). So erhalten Lehrkräfte durch Vergleichsarbeiten Rückmeldung zur Wirksamkeit des eigenen Unterrichts, Einzelschulen können sich mit dem Landesdurchschnitt vergleichen, während der Ländervergleich Steuerung auf bildungspolitischer Ebene ermöglicht. An den BiStas wird jedoch auch Kritik geäußert (vgl. Hu et al. 2008), etwa an der ,Reduzierung‘ des Bildungsbegriffs auf anwendungsorientierte Alltagskompetenzen (vgl. Art. 18). Beispielsweise fehlen Aspekte zum Umgang mit literarischen Texten und Inhalte werden nicht thematisiert. Sollten die BiStas zu eng ausgelegt werden, könnte dies zur Verengung des Curriculums und des Unterrichts führen (vgl. Bausch et al. 2005; Küster 2006). Ebenso könnte es passieren, dass der Unterricht auf ein teaching to the test ausgelegt wird, wenn die BiStas reduziert werden auf Aspekte, die leicht in Testaufgaben überprüfbar sind. Hier liegt die Verantwortung bei den Lehrenden, dem Unterricht einen angemessen Bildungsbegriff zugrunde zu legen und ihn nicht auf die Kernbereiche zu reduzieren, die in den BiStas erfasst werden. BiStas wollen lediglich einen transparenten Zielrahmen stecken und erlauben dadurch Freiräume, die im Einzelfall adäquat gefüllt werden müssen. Anregungen, um den Unterricht entsprechend weit zu fassen, bieten z. B. Lernaufgaben (vgl. Tabelle 1 und Art. 68) ebenso wie die didaktischen Handreichungen, die regelmäßig zu den Vergleichsarbeiten veröffentlicht werden. Ein weiteres hilfreiches Instrument ist der Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA, EZMF/ Europarat 2009). Er beschreibt die ,weichen‘ Kompetenzen der Bereiche Sprachlernkompetenz, interkulturelles Lernen und Mehrsprachigkeit. Wenngleich er sich nicht direkt auf die BiStas bezieht, gibt er doch Anstöße, einer Engführung des Curriculums gegenzusteuern. 3. Forschungsstand Die Evaluation der BiStas, d. h. die empirische Überprüfung der Zielerreichung durch standardbasierte Testaufgaben, erfolgt in regelmäßigen Abständen durch das IQB, erstmalig für den MSA 2008/ 2009 (Köller, Knigge & Tesch 2010). Dazu wurden die BiStas und angrenzende GeR-Niveaus in Testaufgaben operationalisiert, die standardisierten Tests für die Population der Lernenden der Sekundarstufe 1 normiert, und schließlich wurden die Tests formal an die Niveaus des GeR angebunden. Aus dieser Evaluation konnten Minimal- und Regelstandards für den MSA abgeleitet werden (ebd.). Im Zuge der Testentwicklung, Validierung und Kompetenzmodellentwicklung gibt es zahlreiche Forschungsprojekte, deren Ergebnisse in wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht wurden (vgl. etwa Harsch & Hartig 2011; Harsch, Pant & Köller 2010; Harsch & Rupp 2011; Porsch, Tesch & Köller 2010; Rupp et al. 2008). Neben den Testaufgaben wurden die o. g. Lernaufgaben für HSA/ MSA-Standards entwickelt und in Fallstudien und Aktionsforschung erprobt (Müller-Hartmann et al. 2013; Tesch 2010; Tesch et al. 2008). Für die Standards der AH sind Beispielaufgaben in Tesch et al. (2015) veröffentlicht; die empirische Erforschung, Validierung und Evaluation steht noch aus. 90 Claudia Harsch Implementationsforschung stellt einen weiteren wichtigen Aspekt der BiSta-Begleitforschung dar. Hier wird untersucht, wie die Standards von Lehrenden und Lernenden wahrgenommen werden, wie sich Schulmerkmale und die Kompetenzen der Lehrenden auf unterrichtliches Handeln und Lernerleistungen auswirken, welche Unterstützungsangebote in welchem Ausmaß angenommen werden, oder welchen Zusammenhang es zwischen Qualität und Nutzung von Rückmeldungen gibt. Einen ersten Überblick über diese Forschung gibt die IQB- Homepage (IQB-Implementation); erste Studien werden bspw. in Pant et al. (2008) und Zeitler et al. (2012) berichtet. 4. Praxisrelevanz Die BiStas haben zunächst direkte Relevanz für den fremdsprachlichen Unterricht: Curricula, Lehr- und Lernziele und der Unterricht selbst können an den Standards orientiert werden. Publizierte Lernaufgaben geben Impulse zur lerner- und kompetenzorientierten Unterrichtsgestaltung und zur Interpretation der BiStas in einem weit gefassten Bildungsrahmen. Lernerautonomie kann gefördert werden durch Selbstbeurteilung (vgl. Wilkening 2013). Hier kann das Europäische Sprachenportfolio wertvolle Dienste leisten, denn die Könnensbeschreibungen des Portfolios sind direkt auf die der BiStas beziehbar, da beide Instrumente auf dem GeR basieren. Klassen- und Abschlussarbeiten, die sich an den BiStas orientieren und kompetenzorientierte Testaufgaben nutzen, unterstützen die Überprüfung der zu erreichenden Ziele und erlauben die Verknüpfung von Lerner- und Lehrerbeurteilung. Interne Evaluation kann wiederum sinnvoll und transparent mit externer Evaluation verbunden werden, etwa durch die Vergleichsarbeiten, die sich ebenfalls an den BiStas orientieren. Die Handreichungen zu den Vergleichsarbeiten helfen, die Ergebnisse der klassenbezogenen Diagnoseinstrumente sinnvoll in den Unterricht zurückfließen zu lassen. Auf der Systemebene des Bildungsmonitorings sind die externen Evaluationsinstrumente ebenfalls an den BiStas und am GeR ausgerichtet: Im regelmäßig veröffentlichten Bildungsbericht werden die Ergebnisse der Vergleichsarbeiten auf Länderebene und des Ländervergleichs auf Bundesebene mit internationalen Erhebungen verzahnt. Auf dieser Ebene erlauben die Standards eine empiriegestützte Steuerung der Bildungspolitik. Standards und GeR schaffen einen gemeinsamen Bezugsrahmen auf allen Ebenen von Schule zur Planung, Curriculaentwicklung, Unterrichtsorientierung, Beurteilung und Evaluation. Darüber hinaus erlaubt dieser Rahmen den Vergleich von Selbst-, Peer- und Lehrerbeurteilungen, ebenso wie er die Verzahnung interner mit externer Evaluation ermöglicht. Lehr- und Lernziele, Notengebung und Schulabschlüsse orientieren sich an vergleichbaren Kriterien. Erstmalig in Deutschland werden dadurch die Voraussetzungen zu transparenter und evidenzbasierter Überprüfung der Lernerfolge des Unterrichts geschaffen. 5. Perspektiven Die Begleitforschung im Klassenzimmer stellt einen wichtigen Bereich zur Unterstützung der Umsetzung der BiStas im Fremdsprachenunterricht dar, etwa mittels Aktionsforschung durch Lehrende. Hier kann untersucht werden, wie BiStas im Unterricht umgesetzt werden oder wie mit Rückmeldungen aus den Vergleichsarbeiten umgegangen wird. Dazu sollte Implementationsforschung treten, die sich mit langfristigen Wirkungen und Wirksamkeit der Standards auseinandersetzt und etwa Auswirkungen 91 19. Standardorientierung im Kontext des Lernens und Lehrens von Sprachen auf Lernerfolge, die Gestaltung der Lehr- und Lernpraktiken oder die Wahrnehmung der BiStas durch Lehrende und Lernende untersucht. Bezüglich der Standards für die AH steht die empirische Evaluation und Validierung noch aus. Das Papier zur AH-Konzeption (2013) stellt in Aussicht, dass die Länder bis 2015/ 16 einen Aufgabenpool einspeisen, der von einer Expertengruppe im Hinblick auf die Umsetzung der AH-Standards bewertet wird. Hier bleibt abzuwarten, wie mit diesem Aufgabenpool umgegangen wird. Begleitforschung kann wiederum untersuchen, wie sich die Aufgabenkultur im Abitur verändert und welche Auswirkungen dies auf den Unterricht hat. Eine weitere Perspektive, der nachgegangen werden könnte, ist der Vergleich der zentralen Dokumente, die für die BiStas von Relevanz sind. So bietet es sich an, BiStas und GeR mit dem REPA zu vergleichen, etwa in Form einer Dokumentenanalyse, und Studien zur gegenseitigen Validierung durchzuführen, um den REPA qualitativ auf BiStas und GeR beziehen zu können. Literatur Bausch, K.-R. / Burwitz-Melzer, E. / Königs, F. G. / Krumm, H.-J. (Hrsg.) 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Claudia Harsch 20. Hör- und Hör-Sehverstehen 1. Begrifflichkeit und Problemaufriss Hörverstehen ist als eine der vier Grundfertigkeiten des fremdsprachlichen Kommunikationsprozesses fest in der Fremdsprachendidaktik etabliert und hat vielfältige Aufmerksamkeit gefunden (z. B. Adamczak- Krysztofowicz 2009, 2010; Rost 2002), bis hin zu zahlreichen Aufgabenkatalogen und Übungen, die vermehrt online angeboten werden. Hör-Sehverstehen, verstanden als bild- und zeichengestütztes Hörverstehen, ist seit Raasch (1984) und Schwerdtfeger (1989) Gegenstand intensiver fachlicher Diskussion und wurde 2004 im Kompetenzraster der KMK etabliert. Theoretische Grundlegung und die Erarbeitung von Aufgabensequenzen liegen hier bisher v. a. für den Kontext der fremdsprachlichen Filmdidaktik vor (z. B. Blell & Lütge 2004; Grünewald & Lusar 2006). Hör- und Hör-Sehverstehen werden den rezeptiven Fertigkeiten zugerechnet, gleichwohl verlaufen sie entlang von konstruktiven Verstehensprozessen, bei denen die vom Hör-/ Hör-Sehtext gelieferten sprachlichen und außersprachlichen Daten unablässig mit dem Wissen der hörenden/ sehenden Personen interagieren. Hör-/ Hör-Sehverstehens- Prozesse sind intendiert und volitiv, vereinzelt und verinnerlicht. Ihre Ergebnisse können sich individuell stark voneinander unterscheiden. Fremdsprachliches Hören/ Hör-Sehen mündet in der Regel in sprachliche oder nicht-sprachliche, mündliche oder schriftliche Interaktion, dies ist aber nicht zwingend, vgl. z. B. Hörverstehen mit dem Ziel der Wissensaufnahme. Im Allgemeinen werden verschiedene Verstehensformen unterschieden: global - auch kursorisch, selektiv, detailliert, gelenkt und ungelenkt. Aus ihnen können Aufgaben- und Übungstypen unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades abgeleitet und Progression gestaltet werden. 93 20. Hör- und Hör-Sehverstehen Auditives und (audio-)visuelles Verstehen wird im Fremdsprachenunterricht meist getrennt erarbeitet. Hör-Sehverstehen trägt dabei vielfach optionalen Charakter und fokussiert auf Hörverstehen, die visuelle Komponente bleibt untergeordnet. Das zeigt, dass es der Fremdsprachenlehr- und -lernforschung bislang nicht gelungen ist, auditive Wahrnehmungs- und Verstehensprozesse in ihrer essentiellen Verknüpfung mit visuellen zu erfassen, zu integrieren und didaktisch-methodisch entsprechend zu verankern. Dabei impliziert die Ablösung auditiver von visueller Wahrnehmung eine Reduktion, die den Erfahrungen und Erwartungen von Sprachenlernenden zuwiderläuft. Auch jenseits der Arbeit mit Filmen sind beide eng verbunden und aufeinander bezogen. Dies gilt für das Agieren im Unterrichtsraum, erst recht aber im authentischen fremdsprachlichen Kontext. So kann z. B. das Verstehen von Bahnhofs- oder Flughafendurchsagen, eine populäre Aufgabe zum selektiven Hörverstehen, nicht isoliert vom visuellen Kontext betrachtet werden, in dem es situiert ist und der durch Anzeigetafeln, Uhren, Piktogramme und die Handlungen weiterer Personen gekennzeichnet ist. Auch das globale Verstehen des Argumentationsverlaufs in einer Talkshow wird immer durch das visuelle Erscheinungsbild der Gesprächspartner, Mimik, Gestik und Raumgestaltung mitbestimmt. 2. Praxisrelevanz Hör-/ Hör-Sehverstehen ist von medialen Trägern abhängig und wird durch diese konditioniert. Die zugrunde liegenden Wahrnehmungsvorgänge sind zeitgebunden und flüchtig, sie müssen ggf. wiederholt werden. Unterschieden werden muss zwischen Hör-/ Hör-Sehverstehen unter den Bedingungen direkter und indirekter Kommunikation. Im ersten Fall ist eine räumlich-zeitliche Einheit gegeben, in der die Sender und Empfänger auditiver und audiovisueller Mitteilungen aufeinander bezogen sind und direkt miteinander interagieren. Dabei kann es sich zum einen um Situationen handeln, bei denen mehrere Personen im gleichen Raum miteinander in Kontakt treten. Standardsituationen sind Gespräch und Vortrag. Zum anderen handelt es sich um Kommunikationssituationen, in denen die räumlich-zeitliche Einheit aufgegeben wird und Interaktion medial vermittelt sowie u. U. zeitverzögert stattfindet, z. B. in Gesprächen per Skype. Indirekte Kommunikationssituationen setzen die räumlich-zeitliche Einheit insgesamt außer Kraft, zwischen der Aussendung von auditiven/ audiovisuellen Impulsen und ihrem Empfang können Entfernungen liegen, die theoretisch unbegrenzt sind. Die Notwendigkeit sprachlicher Interaktion kann hier ganz aufgehoben werden, dafür nimmt die Abhängigkeit von der medialen, gattungsspezifischen und situativen Konditionierung des Rezeptionsprozesses zu. Zu bedenken ist, dass mediale Träger spezifische Erwartungshaltungen und Handlungsmuster in Bezug auf Hör-/ Hör-Sehverstehensprozesse aufrufen, vgl. z. B. die unterschiedlichen Nutzungsgewohnheiten in Bezug auf Radio, CD-Player oder mobile Endgeräte. Zusätzlich kann zwischen spontanen und nicht-spontanen, authentischen und nicht-authentischen auditiven bzw. audiovisuellen Mitteilungen unterschieden werden. Direkte, spontane und nicht-authentische Mitteilungen gelten aus didaktischer Perspektive als leichter, z. B. das Unterrichtsgespräch. Indirekte und authentische Mitteilungen sind schwieriger, seien sie spontaner oder nicht-spontaner Natur, vgl. z. B. im Fernsehen übertragene Talkshows und Theateraufführungen. Auf dieser Klassifizierung kann u. a. die Progression von Übungen aufbauen (Schumann 1995). 94 Camilla Badstübner-Kizik In den Bildungsstandards der KMK (2012) ist Hör-/ Hör-Sehverstehen als integrativer Bestandteil funktionaler kommunikativer Kompetenz verankert, zudem gilt es als wesentlicher Bestandteil einer übergreifenden Text- und Medienkompetenz. Dementsprechend sind beide Bereiche obligatorischer Prüfungsbestandteil. Empfohlen wird ein breites Textsortenrepertoire unter Berücksichtigung audiovisueller Formate, z. B. Theaterproduktionen, Fernsehserien, Nachrichtensendungen. Die Vermittlung adäquater Rezeptionsstrategien gilt ebenso wie die zunehmende Authentizität der eingesetzten Materialien als zwingend. 3. Lernziele, Lernstrategien, Übungsformen Im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts ist es sinnvoll, sich auf Übungsformen zu konzentrieren, die Hör- und Hör-Sehverstehensprozesse bewusst machen und die Grundlagen für ein Verstehen legen. Diesbezügliche Lernziele sollten primär prozessorientiert sein und dem Einüben von Strategien gelten, Ergebniskontrolle bleibt zweitrangig. Das impliziert die regelmäßige und wiederholte Durchführung von Hör-/ Hör-Sehaktivitäten an unterschiedlichen Textsorten mit ansteigender Progression in Bezug auf Länge, Tempo, sprachliche Varietät, Register, Komplexität und Authentizität sowie den Anteil an visueller Unterstützung, vgl. z. B. die Abfolge Lehrwerk-Dialog, kurze authentische Ansage, Nachrichtensendung, Filmausschnitt, Hörspiel. Um eine breite Hörerfahrung aufzubauen, sind indirekte Kommunikationsanlässe durch direkte, authentische zu ergänzen, z. B. Skype-Kontakte, Begegnungssituationen. Dabei muss es sich nicht zwingend um die Kommunikation mit native speakern handeln, da zunehmend mit der Kommunikationssituation der lingua franca zu rechnen ist. Grundlegende Lernziele betreffen die Diskriminierung einzelner Phoneme, Morpheme und Lexeme sowie die darauf aufbauende Fähigkeit, Lexemverbindungen als sinnvoll wahrzunehmen und vor dem Hintergrund eines längeren gesprochenen Textes zu interpretieren. Schumann unterscheidet dementsprechend auditive, semantische, syntaktische, pragmatische und kognitive Komponenten des Hörverstehens (Schumann 1995). Lernziele in diesen Bereichen stehen in engem Zusammenhang mit dem Aufbau produktiver Fertigkeiten, z. B. Ausspracheschulung, Wortschatzerwerb, mündliche und schriftliche Kommunikationsfähigkeit. Daneben steht der Erwerb textbezogener und textsortenspezifischer Kompetenzen, z. B. syntaktische Strukturen oder Sprecherintentionen erkennen. Diskriminieren, Antizipieren und Assoziieren bekannter Elemente wird durch Selektieren, Kombinieren und Interpretieren unbekannter sprachlicher Merkmale ergänzt. Eine wichtige Rolle spielt die Strategie des Inferierens, da der Anspruch bei der Rezeption von Hör-/ Hör-Sehtexten immer über den produktiven Fähigkeiten liegt. Auf Hör- und Hör-Sehverstehen bezogene Übungsformen können didaktisch mehrfach kategorisiert werden, eine zeitliche und komponentenbezogene Anordnung ist besonders häufig. Die Aufspaltung in Aufgaben vor, während und nach dem Hören/ Hör-Sehen zerlegt den komplexen Wahrnehmungsvorgang und dient seiner didaktisch gerechtfertigten Bewusstmachung und Entschleunigung. Im Vorfeld werden gern Übungsformen platziert, die auf den Rezeptionsprozess einstimmen, ihn vorbereiten, fokussieren sowie lexikalisch, grammatikalisch oder inhaltlich vorentlasten. Dazu gehören v. a. assoziierende und ordnende Aktivitäten, z. B. Wortnetze zu Schlüsselwörtern aufbauen, Wörter nach bestimmten Kategorien einteilen. Eine besondere sprachevozierende Wirkung kommt dem narrativem Antizipieren zu, z. B. entlang 95 20. Hör- und Hör-Sehverstehen der Frage: Worum könnte es im Text gehen? Während des Hör-/ Hör-Sehvorgangs werden häufig Übungen eingesetzt, die durch entsprechende Fragestellungen gelenkt sind und Hörintentionen aufbauen. Ihre Lösung beruht auf zeitnahen Entscheidungen, die verbal, para- oder non-verbal umgesetzt werden müssen, z. B. Richtig-Falsch-Fragen beantworten, mimisch oder gestisch reagieren. Eine wichtige Rolle spielt die Fähigkeit, Laute und Schriftzeichen im Lesebzw. Schreibprozess während des Wahrnehmungsvorgangs sinnvoll aufeinander zu beziehen. Populäre Aufgabenstellungen sind z. B. Ordnungs- und Zuordnungsübungen, Unterschiede zwischen Hör- und Lesetext finden, Lückentexte vervollständigen, Orts- oder Zeitangaben notieren. Nach dem Wahrnehmungsvorgang geht es meist um die mündliche oder schriftliche Rekonstruktion des Gehörten bzw. Gesehenen, um Kontrolle bzw. Vergleich der Rezeptionsleistung sowie um nachhaltige Vernetzung und Festigung, z. B. lexikalische Weiterarbeit, Diskussionen zum Inhalt. Auf einzelne Komponenten des Wahrnehmungsvorgangs beziehen sich Diskriminierungsübungen (z. B. Phoneme, Morpheme, Lexeme, Intonationen unterscheiden), Übungen zum Aufbau semantischer (z. B. Namen, Zahlen, Wortverbindungen heraushören), syntaktischer (z. B. prosodische Einheiten markieren), pragmatischer (z. B. Sprecherintentionen markieren) und sprachkognitiver Kompetenzen (z. B. gesprochene und geschriebene Sprache vergleichen; gesprochene Sprache und Gestik/ Mimik in Beziehung setzen). Der Übergang zwischen didaktisch vereinfachten, auf das Wiedererkennen formaler Merkmale fokussierten, und komplexeren, auf den Erwerb von Informationen ausgerichteten Hör-/ Hör-Sehverstehens- Prozessen kann sich schwierig gestalten, da den Höranlässen in Lehrwerken oft eine authentische Dimension fehlt: natürliches Sprechtempo, Regio- oder Soziolekte, Umgebungsgeräusche und nicht zuletzt ein genuines Informationsinteresse bei den Lernenden gehören hier ebenso wie linguistische Besonderheiten der gesprochenen Sprache zu den Ausnahmen, z. B. Modalpartikeln, Anakoluthe. Hier ist auf die Kreativität von Lernenden und Lehrenden zu setzen. 4. Perspektiven Unter den Bedingungen einer weitgehend visuell, multi- und transmedial ausgerichteten Realität, die die Gleichzeitigkeit und enge Verflechtung von auditiven und visuellen Wahrnehmungs- und Verstehensprozessen zum Normalfall macht, ist die Trennung von Seh- und Hör-Sehverstehen ausschließlich didaktisch zu rechtfertigen, sie kommt einem Lernen mit eingeschränktem Sehvermögen gleich. Der vorbereitende und vorläufige Charakter dieser Vorgehensweise muss daher deutlich gemacht werden. Isoliertes Hörverstehen kann leicht als irrelevant und lebensfremd erscheinen, wie z. B. der im Klassenraum von der CD gehörte Wetterbericht. Im besten Falle ist es mit der Rezeptionssituation von Radiosendungen, Hörbüchern oder Audio-Podcasts vergleichbar, ohne dass aber Subjektivierung, potenzielle räumliche und zeitliche Mobilität, innere Imaginationsfähigkeit oder Multitasking als deren wesentliche Merkmale bisher ausreichend berücksichtigt werden, vgl. z. B. das Hören beim Autofahren. Der wünschenswerten nachhaltigen Etablierung eines integrativen Hör-/ Hör-Sehverstehens müssen dringend theoretische Überlegungen an die Seite gestellt werden, wobei auf eine fremdsprachendidaktisch taugliche Definition von Sehverstehen sowie auf die Verknüpfung auditiver und visueller Rezeptionsprozesse zu achten ist, insbesondere im Bereich der Bild/ Zeichen- Klang-Beziehungen. Daneben ist eine stärkere Differenzierung von Hör-/ Hör-Sehver- 96 Camilla Badstübner-Kizik stehens-Strategien hinsichtlich verschiedener Textsorten anzustreben, nicht zuletzt auch unter kultur- und medienspezifischen Aspekten und in Hinblick auf die Erwartungen und Bedürfnisse der Lernenden, z. B. Hören/ Hör-Sehen mit Bezug auf Vorlesungen, Nachrichtensendungen, Filmkonsum oder touristisches Ambiente. Schließlich wäre das Verstehen und Interpretieren nicht-verbaler auditiver Komponenten gezielter als bisher zu fördern, darunter prosodische Merkmale gesprochener Sprache, z. B. Lautstärke, Stimmführung, Sprechtempo. Auch Geräusche und Töne müssen eine stärkere Rolle spielen, da sie entscheidenden Anteil an fremdsprachlichen Verstehensprozessen haben und eine kulturelle Dimension annehmen können, z. B. Pausenfüllung. Charakteristisch für viele Hör- und Hör- Sehverstehens-Anlässe sind potenzielle Zeit- und Ortsunabhängigkeit, Individualisierung der Rezeptionssituation und die Möglichkeit einer Wiederholung, Sequenzierung und Staffelung nach Dauer, sprachlicher Komplexität oder Erkenntnisinteresse. Fremdsprachiges Hör-/ Hör-Sehverstehen wird v. a. außerhalb formalisierter Lehr-Lernsituationen praktiziert, z. B. über online-Filmkonsum. Dies eröffnet ein in diesem Kontext noch wenig beachtetes methodisches Spektrum im Hinblick auf autonomes Lernen und die Nutzung außerschulischer Lernorte im virtuellen und öffentlichen Raum. Subjektive Lernintentionen, Lernstrategien und Recherchekompetenzen sowie Kompetenzen zur Erstellung von geeigneten Aufgaben und deren Überprüfung sollten im Kontext Hör-/ Hör-Sehverstehen daher verstärkt eine Rolle spielen. Lehrende müssen vermehrt eine Moderatoren-Rolle einnehmen, Wege zu motivierenden Hör-/ Hör-Sehanlässen zeigen sowie bei der Wahl geeigneter Übungs- und Kontrollstrategien beraten. Diese sollten schrittweise über das übliche Angebot in Lehrwerken hinausgehen. Literatur Adamczak-Krysztofowicz, S. (2009): Fremdsprachliches Hörverstehen im Erwachsenenalter. Theoretische und empirische Grundlagen zur adressatengerechten und integrativen Förderung der Hörverstehenskompetenz am Beispiel Deutsch als Fremdsprache in Polen, Poznan´ . Adamczak-Krysztofowicz, S. (2010): Hören und Hörverstehen, in: W. Hallet / F. G. Königs (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber, 79-83. Blell, G. / Lütge, C. (2004): Sehen, Hören, Verstehen und Handeln. Filme im Fremdsprachenunterricht. Praxis Fremdsprachenunterricht 6, 402-405. Grünewald, A. / Lusar, R. (2006): Spielfilme und Videos, in: A. Nieweler (Hrsg.): Fachdidaktik Französisch, Stuttgart, 224-231. KMK , Hrsg. (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18. 10. 2012. Köln. Raasch, A. (1984): Hörverstehen - Hör-, Sehverstehen - Seh-, Hörverstehen. Eine Zeitschriftenschau. Zielsprache Französisch 16/ 4, 194-195. Rost, M. (2002): Teaching and researching listening. London. Schumann, A. (1995): Übungen zum Hörverstehen, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 3. Aufl., Tübingen, Basel, 244-246. Schwerdtfeger, I. C.(1989): Arbeit mit Filmen im Unterricht Deutsch als Fremdsprache, Berlin, München. Schwerdtfeger, I. C. (2003): Übungen zum Hör- Sehverstehen, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Aufl., Tübingen, Basel, 299- 302. Segermann, K. (2003): Übungen zum Hörverstehen, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. 97 21. Leseverstehen Krumm (Hrsg): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Aufl., Tübingen, Basel, 295-299. Camilla Badstübner-Kizik 21. Leseverstehen 1. Begrifflichkeiten Leseverstehen bedeutet die Verarbeitung eines schriftlich vorgegebenen Textes mit dem Ziel, den Textinhalt verstehen zu können. Das Leseverstehen ist ein komplexer Prozess, bei dem der Einsatz vieler Fertigkeiten und Kenntnisse erforderlich ist. Die Beherrschung dieser komplexen Tätigkeit ist die Lesekompetenz. Beim muttersprachlichen Erwerb des Leseverstehens sind bereits Sprachkenntnisse vorhanden, die Lesekompetenz muss erst erworben werden. Beim Erwerb des fremdsprachlichen Leseverstehens verhält es sich normalerweise umgekehrt. Die muttersprachlich erworbene Lesekompetenz kann erst übertragen werden, wenn die Lernenden über ein Minimum an Fremdsprachenkenntnissen verfügen. 2. Der Leseprozess Ein Lesetext besteht aus Zeichen; bei einer alphabetischen Schrift sind dies Buchstaben. Meist werden nicht einzelne Buchstaben, sondern Rechtschreibmuster und Morpheme als Einheiten verarbeitet. Bei einer noch unbekannten Schrift muss die Mustererkennung zuerst aufgebaut werden. Die beim Lesevorgang vorgenommene Verarbeitung der Zeichen wird Dekodieren genannt. Beim Dekodieren werden mehrere Teilfertigkeiten unterschieden (Lutjeharms 2007; 2010: 16 ff.; Koda 2005). Die Mustererkennung führt zum lexikalischen Zugriff, d. h. zum Zugriff auf die Wortrepräsentation im mentalen Lexikon. Mit mentalem Lexikon wird das Sprachwissen im Langzeitgedächtnis bezeichnet. Der lexikalische Zugriff kann nur stattfinden, wenn für das Wort oder das Morphem eine Repräsentation besteht. Wörter im Kontext werden schneller verarbeitet als isolierte Wörter, weil ein ganzes Netzwerk mit Verbindungen auf mehreren Repräsentationsebenen aktiviert wird, was die Verarbeitung von zum Kontext passenden Informationen beschleunigt. Für das Satzverstehen spielt neben den wortbedingten syntaktischen Eigenschaften auch die Wortfolge eine Rolle. Im Englischen ist die Wortfolge der wichtigste syntaktische Auslöser (mit der feststehenden Folge Subjekt - Verb - Objekt). Bei der komplexen deutschen Wortfolge müssen mehr Auslöser zur Dekodierung eingesetzt werden. Wenn deutschsprachige Lernende Englisch oder auch Französisch lesen lernen, werden sie mit ihnen schon vertrauten Satzmustern konfrontiert. Der Erwerb deutscher Satzmuster verlangt hingegen mehr Übung. Geübte Lesende sind imstande, sprachliche Informationen sehr schnell automatisch zu dekodieren. Automatische Verarbeitung belastet das Arbeitsgedächtnis nicht (Schmidt 2006); daher kann die Aufmerksamkeit der inhaltlichen Verarbeitung gewidmet werden. Sobald das Dekodieren Aufmerksamkeit erfordert, wird der Leseprozess gestört. Durch Übung können Dekodierprozesse automatisiert werden. Beim Leseverstehen der L1 setzen schwache Lesende Ratestrategien ein und übergehen Informationen, damit die Arbeitsgedächtniskapazität nicht überfordert wird und sie zu einer inhaltlichen Deutung kommen. Beim Lesen einer noch nicht gut beherrschten Fremdsprache sind solche Strategien oft unumgänglich. Schriftlich fixierte Texte bieten den Vorteil, dass man das De- 98 Madeline Lutjeharms kodiertempo selbst bestimmen kann, dass man bei Problemen im Text zurückgehen oder auch Textteile überspringen kann. Erfolgreiches Dekodieren führt unter Einsatz von Aufmerksamkeit zur Sinnentnahme, d. h. zum Leseverstehen. Bei der Sinnentnahme muss inhaltliches Vorwissen eingesetzt werden. Dieses Vorwissen wird auch schemabasiertes Wissen genannt. Ein Schema ist die Abstrahierung vorheriger Erfahrungen, so wissen wir bspw., was eine Schule oder eine Reise ist, oder was Gefühle sind. Je mehr Vorwissen zum Textinhalt zur Verfügung steht, desto leichter wird die inhaltliche Verarbeitung. Zum Verstehen von Inhalten muss inferiert (geschlussfolgert) werden, um Kohärenz, also inhaltlichen Zusammenhang, herzustellen. In der Regel werden Texte für eine bestimmte Adressatengruppe verfasst, wobei ein spezifisches Hintergrundwissen vorausgesetzt wird. Wenn das passende Vorwissen eingesetzt werden kann, wird automatisch inferiert. Überschriften, Zusammenfassungen und zum Thema passende Bilder unterstützen den Einsatz des entsprechenden Vorwissens. Beim Lesen einer weniger gut beherrschten Sprache sind solche Hinweise besonders wichtig. Hier muss oft schon bei der Worterkennung kompensatorisch inferiert werden, weil sonst ohne Hilfe (Wörterbuch, Nachfrage) kein Bedeutungsabruf erfolgen kann. Kompetente Lesende beherrschen das Inferieren als Problemlösestrategie besser als schwache Lesende. Sie können mehr Auslöser gleichzeitig verarbeiten. Zudem sind sie imstande, ihre bessere Textkompetenz, wie beispielsweise die Berücksichtigung globaler Textkohärenz, erfolgreich einzusetzen. Textverstehen entsteht aus einer Interaktion der Dekodierungsergebnisse mit inhaltlichem Vorwissen. Der Zugriff auf die Wortrepräsentation und die syntaktische Verarbeitung führen zu einer Repräsentation des Satzinhaltes (Proposition) im Gedächtnis. Beim Weiterlesen wird ein inhaltliches Modell der Textinformation (ein mentales Modell) aufgebaut, das verdichtete Textinformationen mit Vorwissen kombiniert und so in das Langzeitgedächtnis aufgenommen wird. Weil Leseabsicht und Vorwissen individuell variieren, kann das mentale Modell für ein und denselben Text sehr unterschiedlich sein. Aufgrund des Vorwissens werden zudem Inferenzen gebildet, die über den Textinhalt hinausgehen: sogenannte Elaborationen. Sie werden mit dem Textinhalt gespeichert. Erfahrung mit Texten führt zu Vorwissen über abstrakte Textmuster und Textsorten. Konventionelle Textstrukturen wirken entlastend für das Gedächtnis, wenn die Lesenden damit vertraut sind. Textschwierigkeit ist ein relativer Begriff. Sie wird außer durch textinterne Faktoren v. a. durch das Ausmaß der Sprachbeherrschung und des Vorwissens auf allen Verarbeitungsebenen bedingt. Wenn ein Text für eine bestimmte Adressatengruppe verfasst wurde, ist er für diese leichter zu rezipieren. Das Leseverstehen ist kein einheitlicher Prozess; auch innerhalb eines Textes kann die Art des Verstehens variieren. Es lassen sich folgende Lesestile unterscheiden. Das Scanning ist ein suchendes, selektives Lesen, z. B. nach einem Wort, einer Zahl etc. Bei einer elektronischen Datei hilft hierbei die Suchfunktion. Beim orientierenden Lesen oder Skimming versucht man, schnell einen Überblick zu erhalten, der bei der Entscheidung hilft, ob man weiterlesen bzw. gründlicher lesen möchte. Unter kursorischem Lesen versteht man die globale Erfassung des Textinhaltes. Beim gründlichen Lesen versucht man, den Textinhalt genau zu verarbeiten. Beim argumentativen Lesen geht man über den Textinhalt hinaus und elaboriert - ein Lesestil, der beim Lernen des Textinhaltes hilft. Den unterschiedlichen Lesestilen entsprechend kommen viele Arten des Verste- 99 21. Leseverstehen hens vor - je nach Zielsetzung, Sprachkenntnissen und individuellen Voraussetzungen. Auch die Textform ist wichtig; man liest die Aufschrift eines Schildes anders als einen wissenschaftlichen Artikel, einen Trivialtext anders als eine Gebrauchsanleitung. 3. Übungsgestaltung und Testformen Im Anfangsunterricht ist gelegentliches Vorlesen von Textteilen durch die Lehrkraft sinnvoll, da die Aufnahme über zwei Kanäle - visuell und akustisch - das Verständnis und den Spracherwerb unterstützt. Korrekte Intonation kann bei der Satzsegmentierung helfen. Das erste Herangehen an einen Text erfolgt im Unterricht jedoch am besten in Form des stillen Lesens, weil auch außerhalb des Unterrichts meist so gelesen wird. Nach dem Anfangsunterricht sollte regelmäßig mit längeren Texten gearbeitet werden. Es ist sinnvoll, mehrere Lesestile an einem Text auszuprobieren. Die Lernenden können selbst vorschlagen, welche Textteile gründlich gelesen werden oder in Kleingruppen mit verschiedenen Textteilen arbeiten. Sie können auch selbst Texte für die Arbeit im Unterricht vorschlagen. Dabei ist gerade die Suche nach Texten eine gute Leseübung. Bei vorhandener L1-Lesekompetenz wird fremdsprachliches Lesen v. a. durch mehr Fremdsprachenerwerb gefördert (vgl. Schramm 2001: 112 ff.). Dies bedeutet, dass Übungen zum Wortschatzerwerb und zu eventuellen grammatischen Schwierigkeiten die Lesekompetenz verbessern. Solche Übungen können leicht mithilfe von Texten gestaltet werden. Die Lernenden sollen selbst entdecken, welche Kenntnislücken sie haben: Welche Wörter verstehen sie nicht, können sie diese im Kontext erschließen oder benötigen sie ein Wörterbuch? Über unauffällige oder bekannt wirkende Wörter wird leicht hinweggelesen. Das braucht nicht problematisch zu sein, wenn man den Text trotzdem versteht. Um Verständnisprobleme festzustellen, ist Aufmerksamkeit für den Inhalt erforderlich. Manche Lernende müssen dazu angehalten werden, sich mehr zuzutrauen und kontextuell zu raten; andere müssen lernen, vorsichtiger zu sein und schneller zum Wörterbuch zu greifen. Wie ein Wörterbuch verwendet werden soll, muss ebenfalls geübt werden. Aufgabenstellungen zum fremdsprachigen Leseverstehen sind vielgestaltig (Ehlers 2007). Besonders in der Anfangsphase ist die Arbeit mit unterschiedlichen Aufgaben zum selben Text nützlich, damit die Lernenden nicht überfordert werden. Zudem festigt die wiederholte Verarbeitung desselben Sprachmaterials das Behalten. Bei Suchaufgaben auf der Dekodierebene kann es um bestimmte Wörter gehen (wie Internationalismen, wichtige neue Wörter, die Unterscheidung von Substantiven und Verbformen usw.), um Wortteile (wie Affixe oder Wörter mit demselben Grundmorphem), um Flexionsmorpheme u. ä. Lückentexte zu grammatischen und Wortschatzproblemen sind möglich bei Vorgabe der getilgten Wörter. Zu den Aufgaben auf der Inhaltsebene gehören die Bildung von Hypothesen zum Textinhalt oder zur Fortsetzung, die Unterstreichung von Schlüsselwörtern, die Analyse und Markierung der Textstruktur, die Inhaltszusammenfassung in der Ausgangs- oder der Zielsprache, die Suche nach Wiederholungen oder Beispielen, die Unterscheidung von Fakten und Meinungen, ferner Inhaltsfragen, die auch in der L1 beantwortet werden können. Die gemeinsame Besprechung der gefundenen Lösungen fördert die Sprach(lern)bewusstheit. Viele Übungsformen können als informelle Tests eingesetzt werden. Bei Leistungstests muss genau überlegt werden, was getestet werden soll. In der Schulpraxis werden 100 Madeline Lutjeharms Lesetexte oft für Testaufgaben zu produktiven Fertigkeiten eingesetzt. Soll nur das Leseverstehen getestet werden, sind geschlossene Aufgaben wie Fragen zum Text (Ja/ Nein/ Nicht im Text), Mehrfachwahlantworten (a, b oder c) und Zuordnungsaufgaben (z. B. Textteile zu Bildern, Teilüberschriften zu Textabschnitten) mögliche Überprüfungsformen. Auch mit der Wiederherstellung der richtigen Reihenfolge durcheinander gewürfelter Textabschnitte kann das Leseverstehen überprüft werden. Bei der Konstruktion der Items sollte eine Progression vom globalen zum Detailverstehen erfolgen. In der didaktischen Forschungsliteratur steht Englisch als Fremdsprache im Mittelpunkt. Hier werden u. a. folgende Themen untersucht: Verständnishilfen, Lesestrategien und die Unterschiede zwischen kompetenten und schwachen Lesenden, die Frage, ob Wortschatzerwerb, Strategieeinsatz oder extensives Lesen im Vordergrund stehen soll, sowie Fragen der Lesegeschwindigkeit (vgl. Reading in a Foreign Language ). Gelegentlich veröffentlichen didaktische Zeitschriften Themenhefte zum Leseverstehen (Babylonia 2006, Französisch heute 2007). 4. Bildungsstandards und Leseverstehen Leseverstehen ist im Kapitel 4.4.2.2 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) eine der fünf zentralen Kompetenzen (vgl. Europarat 2001). Dort finden sich eine gestufte Skala zum „Leseverstehen allgemein“ sowie vier weitere Skalen zu speziellen Formen des Leseverstehens. Alle enthalten Deskriptoren von A1 bis C2, mit deren Hilfe verschiedene Stufen der Entwicklung von Leseverstehen in verschiedenen kommunikativen Domänen erfasst werden. Auch beim Raster zur Selbstbeurteilung (ebd.: 36) werden alle Referenzniveaus mit Deskriptoren konkretisiert, wobei teilweise Inhaltsbereiche, teilweise Textsorten als Konkretisierung benutzt werden, so bspw. bei A2 Alltagstexte wie Anzeigen, Prospekte, Speisekarten, Fahrpläne und kurze, einfache persönliche Briefe. In Abschnitt 4.4.2.2 (ebd.: 74 f.) wird auch auf Lesestile eingegangen. In den Bildungsstandards für die erste Fremdsprache wird das Leseverstehen für die Sekundarstufe I und II als eine der funktionalen kommunikativen Kompetenzen formuliert, wobei sich die Autorinnen und Autoren an den Skalen des GeR orientieren (KMK 2004 und 2005). Während das Leseverstehen des Englischen und Französischen für den Hauptschulabschluss (KMK 2005) auf dem Niveau A2 und für den Realabschluss auf dem Niveau B1 (KMK 2004) angesiedelt wird, hat man sich für die gymnasiale Oberstufe am GeR-Niveau B2 orientiert (grundlegendes Niveau), für Englisch in Teilbereichen an C1 (erhöhtes Niveau, KMK 2012). In den Bildungsstandards für die gymnasiale Oberstufe wird das Leseverstehen in Einzelstandards aufgeteilt, die sich auf unterschiedliche Textsorten und -gattungen beziehen. Im Mittelpunkt der Standards stehen das Erkennen von Detail- und Globalaussagen von Texten sowie Verfahren der Textanalyse, die unter Einsatz des Vorwissens und mit Hilfe von Inferenzen geleistet werden soll. Hervorgehoben ist auch die Entschlüsselung des Wirkungspotenzials von Texten in ihrem jeweiligen zielkulturellen Zusammenhang (KMK 2012: 15 f.). Darüber hinaus sollen unterschiedliche Rezeptionsstrategien selbstständig eingesetzt werden, um die Texte der Leseabsicht gemäß zu dekodieren (ebd.). Bei den Testaufgaben fällt auf, dass Leseverstehen vorwiegend indirekt und implizit über das Schreiben geprüft wird (vgl. KMK 2012: 27); da man in den Bildungsstandards jedoch mehrfach Bezug auf eine integrative Sprachverwendung nimmt (vgl. KMK 2012: 22, 30), erscheint eine integrative Testform unter diesen Voraussetzungen konsequent. 101 21. Leseverstehen 5. Perspektiven Schriftlichkeit und damit Leseverstehen ist in unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten immer wichtiger geworden, allerdings auch vielfältiger. In den sozialen Medien hat Schriftlichkeit die Mündlichkeit zum Teil ersetzt, doch manche Eigenschaften der Mündlichkeit in anderer Form beibehalten. Im Bereich der Fremdsprachen ist die Rolle des Englischen gerade für Leseverstehen in unserer Wissensgesellschaft nicht mehr wegzudenken. Zum Erwerb einer Fremdsprache ist Lesen - besonders, wenn man außerhalb des Zielsprachengebietes lebt - wohl die wichtigste Fertigkeit. Literatur Babylonia (2006): Leseverstehen in der Fremdsprache. XIV , 3-4. Ehlers, S. (2007): Übungen zum Leseverstehen, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 5. Aufl. Tübingen, 287-292. Europarat, Hrsg. (2001). Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Strasbourg. Französisch heute (2007): Lesen, Lesestrategien und Spracherwerb. 38, 2. KMK (2004). Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 4. 12. 2003. München. KMK (2005). Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Hauptschulabschluss. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 15. 10. 2004. München. KMK (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18. 10. 2012. Köln. Koda, K. (2005): Insights into second language reading. A cross-linguistic approach. Cambridge. Lutjeharms, M. (2007): Processing levels in foreign language reading, in: J. D. ten Thije / L. Zeevaert (Hrsg.): Receptive Multilingualism. Amsterdam, 265-284. Lutjeharms, M. (2010): Der Leseprozess in Mutter- und Fremdsprache, in: M. Lutjeharms / C. Schmidt (Hrsg.): Lesekompetenz in Erst-, Zweit- und Fremdsprache. Tübingen, 11-26. Reading in a Foreign Language. http: / / nflrc. hawaii.edu/ rfl Schmidt, C. (2006): Die Rolle des Arbeitsgedächtnisses beim Aufbau der Lesekompetenz. Babylonia XIV / 3-4, 16-19. Schramm, K. (2001): L2-Leser in Aktion. Münster. Madeline Lutjeharms 22. Sprechen und Interagieren 1. Begrifflichkeiten Die systematische Entwicklung der Befähigung zum Sprechen in der Fremdsprache gilt als eine Kernaufgabe des Fremdsprachenunterrichts. Sprechen ist dabei als hochkomplexer, eng mit anderen Fähigkeiten, Kompetenz- und Wissensbereichen (z. B. lexikalisch-idiomatisches und grammatisches Wissen, phonetisches Wissen, inhaltliches Wissen, Hörverstehenskompetenz, pragmatische Kompetenz) verbundener Vorgang zu verstehen. Nach Levelts (1989: 9) mentalem Modell der Sprachproduktion vollzieht sich der Prozess der Realisierung von Sprechabsichten im Wesentlichen in vier Phasen: 102 Torben Schmidt • Konzeption: Klärung der Sprechabsicht, Auswahl relevanter Informationen, Aktivierung von Schemata, Theorien und Skripten • Formulierung: Bereitstellung von Lemmata und Satzstrukturen, phonetische und prosodische Enkodierung • Artikulation: Ausführung durch die Sprechorgane • Selbstkontrolle: self-monitoring, Prüfung und ggf. Korrektur unpassender oder unrichtiger Äußerungen. Sprechen ist somit als informationsverarbeitender Prozess zu verstehen, „in dem Absichten, Gedanken und Gefühle“ situationsangemessen „in Sprache transformiert werden“ (Weskamp 2001: 124). Der in diesem Zusammenhang zentrale Begriff der Sprechkompetenz beinhaltet die vier Zieldimensionen der Flüssigkeit (fluency), der Korrektheit des Gebrauchs sprachlicher Regeln (accuracy), der lexikalischen und grammatischen Breite (complexity ) und der pragmatischen Angemessenheit (appropriacy ). Doff & Klippel (2007: 100) unterscheiden mit Blick auf die Förderung der mündlichen Kompetenzen fünf Äußerungsformen: 1. das Nachsprechen mit Fokus auf Korrektheit der Aussprache und Intonation, 2. die Rezitation, z. B. von Monologen, Textbuchdialogen, Gedichten, ohne die Notwendigkeit zur selbständigen, spontanen Sprachproduktion, 3. das reproduzierende Sprechen, das häufig sehr gesteuert und auf das korrekte Anwenden bestimmter Strukturen ausgerichtet ist, 4. das zusammenhängende Sprechen, etwa in Präsentationen, mit einem Fokus auf Komplexität, Kohärenz und Flüssigkeit und 5. das interaktive Sprechen. Bei letztgenannter Form darf sich die sprachliche Handlungskompetenz nicht auf die Realisierung einzelner Sprechabsichten beschränken, sondern sollte vielmehr die Ausbildung einer interaktionalen fremdsprachlichen Gesprächskompetenz zum Ziel haben (Vollmer 1998: 237 f.; Lütge 2010: 294). Der Begriff der mündlichen Interaktion beschreibt dabei ein komplexes Zusammenspiel von Prozessen, bei dem im direkt zwischen Personen in Echtzeit stattfindenden, sprachlichen Austausch, unter Verwendung von Sprachrezeptions- und -produktionsstrategien sowie kognitiven und kooperativen Prozesssteuerungs- und -kontrollstrategien auf linguistischer, paralinguistischer und kontextueller Ebene Bedeutungsaushandlungen geleistet und Diskurse kooperativ konstruiert werden. Mündliches Interagieren umfasst dabei unter Berücksichtigung linguistischer, soziolinguistischer und pragmatischer Komponenten zunächst im Rahmen der Planung die Aktivierung von Schemata, situationsbezogenen kommunikativen Handlungsabfolgen und demzufolge angemessenen konversationellen Zügen sowie die Einschätzung der kommunikativen Distanz zu den Gesprächspartnern und die Identifizierung von Informationslücken. Hinzu kommen im Laufe der Interaktion sprachverwendende Strategien im Bereich der Ausführung durch turn taking und gegenseitige Verständnissicherung sowie der Kontrolle durch die Überprüfung der Wirkung des Gesagten und den Abgleich mit Schemata. Auch Strategien der kommunikativen Reparatur, z. B. zur Klärung von Missverständnissen, spielen hier eine Rolle (vgl. Europarat 2001: 87 f.). Eine besondere Herausforderung besteht für Fremdsprachenlernende in der Dynamik von mündlichen Interaktionen, da sich in Gesprächen die Äußerungen der Beteiligten häufig überlappen. Prozesse des Verarbeitens von sprachlichen Äußerungen im Rahmen des Hörverstehens, inklusive des Dekodierens suprasegmentaler Elemente wie Prosodie, Sprechgeschwindigkeit und nonverbaler Äußerungen durch Gestik und Mimik, überschneiden sich mit Prozessen des Bildens von Hypothesen bzgl. des Gesprächsverlaufs und 103 22. Sprechen und Interagieren dem parallelen Planen, Produzieren, Prüfen und Korrigieren eigener Äußerungen. 2. Historische Entwicklung und Forschungsstand Im 19. Jahrhundert wurde, zunächst orientiert an der aus den altsprachlichen Fächern bekannten Grammatik-Übersetzungs-Methode, auch im neusprachlichen Unterricht fixiert auf die Schriftsprache die deduktive Vermittlung von Grammatikregeln durch das Ableiten von Beispiel- und Übungssätzen zu den vorgegebenen Regeln als zentrale Methode genutzt. Beginnend mit dem 20. Jahrhundert fanden dann im Kontext des neusprachlichen Reformunterrichts in Deutschland eine Aufwertung der Förderung der mündlichen Kompetenzen und eine Zurückdrängung von Übersetzungsaktivitäten und der Verwendung der Muttersprache im neusprachlichen Fremdsprachenunterricht statt. Die maßgeblich auf Viëtors (1882) Ausführungen beruhende direkte/ natürliche Methode, die im Zusammenhang mit dem neusprachlichen Reformunterricht in den 1920er-Jahren aufgegriffen wurde, definierte nun diametral zur Grammatik-Übersetzungs-Methode die Förderung der mündlichen Kompetenzen der Lernenden als zentrales Desiderat. Dabei wurde der Zielsprachenerwerb analog zum Erstsprachenerwerb gesehen. In einem in der Zielsprache gestalteten Fremdsprachenunterricht sollte dabei durch die Imitation des gebotenen Sprachmaterials durch Hören und Nachsprechen sowie den Einsatz eng gesteuerter Kommunikationsübungen das explizite Kognitivieren von grammatischen Regeln durch das Ableiten des Grammatik- und Sprachwissens aus den genutzten Sprachbeispielen ersetzt werden. Lernziel war somit die Entwicklung von Sprachkönnen und Sprachgefühl durch die Teilnahme an mündlicher Interaktion mit Fokus auf Einsprachigkeit, Anschaulichkeit, Praxisnähe, Assoziation und Imitation. Ebenso wie im Kontext der direkten/ natürlichen Methode stand auch in dem den Prinzipien der audiolingualen und audiovisuellen Methode folgenden Unterricht ab den 1940er Jahren die gesprochene Sprache im Mittelpunkt. Hierbei lag der methodische Fokus unter Einfluss der aus der Linguistik bekannten deskriptiv-strukturalistischen Beschreibung von Satzmustern (sentence patterns) und der zu dieser Zeit sich verbreitenden behavioristischen Theorie der Lernverstärkung auf der Gewöhnung an das Hörverstehen und das Sprechen im Sinne eines medial, auditiv und visuell gestützten Darbietens, Einschleifens und Anwendens von Sprachstrukturen (pattern drills) und der Ausbildung von Sprechgewohnheiten (formation of correct speech habits) durch Imitation, Repetition, Umformung und Anwendung von situativ eingebetteten Strukturmustern. Im Rahmen des kommunikativen Ansatzes und der kommunikativen Wende im Fremdsprachenunterricht seit den 1980er Jahren (Piepho 1974; Widdowson 1978) wurde dann, anknüpfend an anglo-amerikanische Entwicklungen in der Pragmalinguistik und Sprechakttheorie und später eng verknüpft mit den methodisch auf dem kommunikativen Ansatz aufbauenden Konzepten der Lernerorientierung, Ganzheitlichkeit und Handlungsorientierung (z. B. Legutke 1988; Timm 1995), die Ausbildung von kommunikativer Kompetenz als zentrales Ziel des Fremdsprachenlernens definiert. Anstelle eines formelhaften Einübens sprachlicher Strukturen entwickelte sich ein Verständnis von Lernenden als kommunikativ Handelnde. Im zeitgenössischen Fremdsprachenunterricht wird unter Einbezug affektiver und attitudinaler, wissensbezogener, analytischer sowie handlungsorientierter Komponenten nun ein Verständnis der Lernenden als interkulturell bzw. transkulturell kommunikativ 104 Torben Schmidt Handelnde vertreten. Durch die Realisierung authentischer Sprechintentionen und die Teilnahme an bedeutungsvollen sprachlichen Aushandlungssituationen (Krashen 1985; Swain 1995; Long 1996) in vielfältigen Interaktionskontexten sollen die Lernenden somit im modernen Fremdsprachenunterricht sukzessive die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten für ein funktionales mündliches Sprachhandeln (Sprechen und Interagieren) erwerben. 3. Bezug auf GeR und Bildungsstandards Der Kompetenzbereich Sprechen und Interagieren wird sowohl im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (GeR) als auch in den nationalen Bildungsstandards der KMK als zentrales Element der Fremdsprachenkompetenz dargestellt. So bietet der GeR (Europarat 2001: 62 ff.) im Abschnitt „Kommunikative Aktivitäten und Strategien“ (ebd.: Kap. 4.4) Beispielskalen und Deskriptoren für die Niveaustufen A1 bis C2 für die mündliche Sprachproduktion allgemein (ebd.: 64 f.), das monologische Sprechen (Erfahrungen beschreiben und Argumentieren, z. B. in einer Diskussion), für den Bereich öffentliche Ankündigungen/ Durchsagen machen sowie das Sprechen vor Publikum. Für die mündliche Interaktion (ebd.: 78-85) finden sich im GeR Beispielskalen für die Bereiche muttersprachliche Gespräche verstehen, Konversation, informelle und formelle Diskussion, Besprechungen, zielorientierte Kooperation, Transaktionen, Dienstleistungsgespräche, Informationsaustausch und Interviewgespräche. Zusätzlich liefert der GeR im Bereich „soziolinguistische Angemessenheit“ (ebd.: 121 f.) sowie unter der Überschrift „Pragmatische Kompetenzen“ (ebd.: Kap. 5.2.3) mit Bezug zu diskursiven Fertigkeiten für Aspekte wie Flexibilität, Sprecherwechsel, Themenentwicklung, Kohärenz und Kohäsion Beispielskalen (ebd.: 124 f.). Hinzu kommen Skalen zur Flüssigkeit und Genauigkeit als zwei allgemeine qualitative Faktoren, die den funktionalen Erfolg der Sprachverwendenden mitbestimmen (ebd.: 129). In den Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss (Jahrgangsstufe 10) (KMK 2004: 13) wird für die mündliche Sprachverwendung als Teilbereich der kommunikativen Fertigkeiten eine Unterteilung in die Bereiche „An Gesprächen teilnehmen“ und „Zusammenhängendes Sprechen“ vorgenommen. Entsprechend der Niveaustufe B1 wird demnach erwartet, dass die Lernenden am Ende der Mittelstufe „an Gesprächen über vertraute Themen teilnehmen, persönliche Meinungen ausdrücken und Informationen austauschen können“ . Außerdem sollen die Schülerinnen und Schüler Erfahrungen und Sachverhalte zusammenhängend darstellen können, z. B. durch Beschreiben, Berichten, Erzählen, Bewerten oder Präsentieren. Im Rahmen der Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife (KMK 2012: 16 f.) wird Sprechen als Teil der funktionalen, kommunikativen Kompetenz aufgeführt und in die Bereiche „An Gesprächen teilnehmen“ und „Zusammenhängendes monologisches Sprechen“ aufgeteilt. Dabei sollen die Lernenden weitgehend flüssig, sprachlich korrekt, „adressatengerecht“ und „situationsangemessen“ in Sprechsituationen agieren können, „auch wenn abstrakte“ und teilweise „weniger vertraute Themen behandelt werden“ . Sie sollen mündlich klare und detaillierte Darstellungen bieten, „ihren Standpunkt vertreten und erläutern“ und „Vor- und Nachteile verschiedener Optionen angeben“ können (ebd.: 16). Insgesamt wird für die mündliche Sprachproduktion in der Regel das Niveau B2 am Ende der gymnasialen Oberstufe erwartet. Dabei unterscheiden die Bildungsstandards zwischen einem 105 22. Sprechen und Interagieren grundlegenden Niveau (Grundkurs) und einem erhöhten Niveau (Leistungskurs). 4. Ausblick Vor dem Hintergrund fortschreitender Globalisierung und digitaler Vernetzung ist davon auszugehen, dass der Förderung der Fähigkeit zum Sprechen und Interagieren in einer Fremdsprache zukünftig weiterhin ein hoher Stellenwert zugemessen werden wird. Ziel des Unterrichts sollte es dabei verstärkt sein, aufbauend auf bedeutungsvollen Lernaufgaben und motivierenden Übungsformen (z. B. Neveling et al. 2012) die Künstlichkeit und „alltagsunterrichtliche Versteinerung der Sprachhandlungsprozesse“ (Kurtz 2001: 14) häufiger aufzubrechen, die kommunikative Realität der Sprachverwendung in den Fokus zu rücken und den Lernenden etwa durch die Nutzung digitaler Kommunikationsmedien Gelegenheiten zu einem regelmäßigen, authentischen Gebrauch der Fremdsprache in vielfältigen, inhaltlich relevanten Diskursen zu ermöglichen. Auch die verstärkte Nutzung von dramaorientierten Verfahren wie Improvisationen, Rollenspielen oder Simulationsprojekten können hier einen wichtigen Beitrag leisten. Insgesamt sollte ein Unterricht realisiert werden, bei dem ausgehend von „reproduktiv-imitativen“ Formen des Sprechens, z. B. durch die Arbeit mit Musterdialogen, Reimen und Formen des chorischen Nachsprechens im Anfangsunterricht, über „responsiv-reaktive“ bis hin zu „imitativkommunikativen, diskursiven“ Sprechhandlungen abwechslungsreiche, „längerfristig zyklisch angelegte“ (Kurtz 2013: 7) Prozesse der Förderung von Mündlichkeit realisiert werden. Generell muss hinterfragt werden, ob trotz der grundsätzlich kommunikativen Ausrichtung, der Kompetenz- und Standardorientierung, die im Unterricht verwendeten Methoden geeignet sind, um die nötigen kommunikativen Fähigkeiten zum freien, flexiblen, kreativen, pragmatisch angemessenen Sprachhandeln in vielfältigen alltäglichen Anwendungssituationen zu erwerben, bzw. welcher Unterricht hier nötig wäre, um Lernende zielgerichteter und realitätsnäher auf komplexe, dynamische Sprachhandlungssituationen vorzubereiten. Literatur Doff, S. / Klippel, F. (2007): Englischdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II . Berlin. Europarat, Hrsg., (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Strasbourg. KMK , Hrsg. (2004): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 4. 12. 2013. München. KMK , Hrsg. (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18. 10. 2012. Köln. Krashen, S. D. (1985): The input hypothesis: issues and implications. New York. Kurtz, J. (2001): Improvisierendes Sprechen im Fremdsprachenunterricht. Eine Untersuchung zur Entwicklung von spontansprachlicher Handlungskompetenz in der Zielsprache. Tübingen. Kurtz, J. (2013): Mündlichkeit im Englischunterricht systematisch und nachhaltig entwickeln, in: C. Edelhoff / T. Schmidt (Hrsg.): Mündlichkeit fördern und bewerten. Anregungen zur Differenzierung im kommunikativen Englischunterricht. Braunschweig, 6-8. Legutke, M. (1988): Lebendiger Englischunterricht. Kommunikative Aufgaben und Projekte für schüleraktiven Fremdsprachenunterricht. Bochum. 106 Torben Schmidt Levelt, W. J. M. (1989): Speaking: From intention to articulation. Cambridge. Long, M. H. (1996): The role of the linguistic environment in second language acquisition, in: W. C. Ritchie / T. K. Bhatia (Hrsg.): Handbook of second language acquisition. New York, 413-468. Lütge, C. (2010): Sprechen, in: C. Surkamp (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart, 291-294. Neveling, C. / Hoyer, B. / Zausch, A. (2012): Unterrichtsverfahren zur Förderung der Sprechkompetenzen. Französisch heute 43 (3), 107-115. Piepho, H.-E. (1974): Kommunikative Kompetenz als übergeordnetes Lernziel im Englischunterricht. Dornburg, Frickhofen. Swain, M. (1995): Three functions of output in second language learning, in: G. Cook / B. Seidlhofer (Hrsg.): Principle and practice in applied linguistics. Oxford, 125-144. Timm, J.-P., Hrsg. (1995): Ganzheitlicher Fremdsprachenunterricht. Weinheim. Viëtor, W. (1882): Der Sprachunterricht muss umkehren! Ein Beitrag zur Überbürdungsfrage von Quousque Tandem, Heilbronn 1882. Wiederabdruck. Die neueren Sprachen 81/ 1982, 120-148. Vollmer, H.-J. (1998). Sprechen und Gesprächsführung, in: J. P. Timm (Hrsg.): Englisch lehren und lernen. Didaktik des Englischunterrichts. Berlin, 237-249. Weskamp, R. (2001). Fachdidaktik: Grundlagen und Konzepte Anglistik Amerikanistik. Berlin. Widdowson, H. G. (1978): Teaching language as communication. Oxford. Torben Schmidt 23. Schreiben 1. Begriffliche Differenzierungen - Das Schreiben und seine Teilkompetenzen Die fremdsprachliche Schreibkompetenz umfasst eine Reihe von Teilkompetenzen, die in der fachdidaktischen Diskussion nicht immer deutlich genug voneinander getrennt werden. Zu differenzieren sind: 1. die Beherrschung der Schreibmotorik, die zu einem handschriftlichen oder elektronischen Schreibprodukt führt. Während die elementare handschriftliche Motorik in der Grundschule erworben wird, beeinflusst der Grad der Beherrschung des daktylographischen Schreibens jede Art von Textproduktion an elektronischen Medien wie PC, Notebook, Tablet oder Smartphone. 2. die Beherrschung der Orthographie. Insbesondere in Sprachen, in denen die Schreibung nicht auf einheitlichen Phonem- Graphem-Zuordnungen beruht, sondern zusätzlich stark von morphologischen und etymologischen Prinzipien beeinflusst wird oder auf historischen Konventionen beruht, wie es z. B. im Englischen und Französischen der Fall ist, wird die Orthographie zu einem wichtigen Lerngegenstand im Fremdsprachenunterricht. 3. die Beherrschung eines fremdsprachlichen Schriftsystems. Der damit verbundene Lernaufwand hängt stark davon ab, ob es sich dabei um eine Alphabetschrift (wie beim Russischen, Griechischen, Arabischen oder Hebräischen) mit zwei bis drei Dutzend Zeichen oder um eine logographische Schrift wie beim Chinesischen (Hanzi) mit mehreren tausend Zeichen handelt, die für ganze Wörter oder Wortbestandteile stehen. 4. die Fähigkeit, Texte entsprechend gültigen Textkonventionen verfassen zu können. Dies ist zweifellos die Kernkompetenz des Schreibens. Sie setzt sich wiederum aus mehreren Teilkompetenzen zusammen. Dazu ge- 107 23. Schreiben hört die Kenntnis von Textsortenkonventionen, die nicht nur von Textsorte zu Textsorte, sondern auch für gleiche Textsorten von Sprache zu Sprache differieren können. Eine große Rolle spielt auch die Beherrschung der Schriftsprache mit ihren z. T. deutlichen Abweichungen von der gesprochenen Umgangssprache. 5. die Fähigkeit, die komplexen mentalen Teilprozesse der Textproduktion zu planen und zu steuern, und zwar so, dass sie zu dem gewünschten Textprodukt führen. Diese Teilkompetenz des Schreibens, die ich explizit als Schreibprozessmanagement bezeichne, ist die am häufigsten übersehene Teilkompetenz des Schreibens. Je umfangreicher und anspruchsvoller der hervorzubringende Text gemessen an den Schreiberfahrungen des Textproduzenten ist, desto größer ist die Bedeutung dieser Teilkompetenz. 2. Die Rolle des Schreibens im Fremdsprachenunterricht Historisch gesehen ist das Schreiben, verstanden im Sinne der oben genannten Teilkompetenzen 4 und 5, ein im Fremdsprachenunterricht eher vernachlässigter Vermittlungsgegenstand. Die Grammatik-Übersetzungs-Methode griff zwar in erheblichem Umfang auf schriftliche Arbeitsweisen zurück, stellte diese aber fast ausschließlich in den Dienst des Erwerbs des Regelsystems der Zielsprache. Die audiolingualen und audiovisuellen Methodenkonzeptionen erkannten zwar das Schreiben als eigene Fertigkeit an, setzten die Priorität ihrer Vermittlungsbemühungen aber eindeutig im mündlichen Sprachgebrauch. Mit der kommunikativen Wende rückten dann zwar Texte als eigene kommunikative Einheiten stärker ins Blickfeld, im Fokus stand aber die Realisierung von kommunikativ angemessenen Äußerungen in interaktiven mündlichen Sprachverwendungssituationen. Erst mit der Ausrichtung an einem umfassenden Kompetenzbegriff etwa seit Beginn des neuen Jahrtausends stieg das Schreiben endgültig zu einer grundsätzlich gleichberechtigten Teilkompetenz auf. Maßgeblich für diese Neuausrichtung sind der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR) und in dessen Gefolge die Bildungsstandards für die Schulen. Der GeR unterscheidet acht kommunikative Sprachverwendungsformen (communicative language activities), darunter das Schreiben, das in eine rein produktive und eine interaktive Variante differenziert wird. Neben dieser horizontalen Unterscheidung nach kommunikativen Verwendungszusammenhängen differenziert der GeR sprachliche Teilkompetenzen auch erstmals sprachübergreifend vertikal in Form der bekannten sechs Niveaustufen von A1 (Breakthrough ) bis C2 (Mastery). Die entsprechenden Deskriptoren für die Teilkompetenz „Schriftliche Produktion allgemein“ reichen damit von „kann einfache, isolierte Wendungen und Sätze schreiben“ für A1 bis zu „kann klare, flüssige komplexe Texte in angemessenem und effektivem Stil schreiben, deren logische Struktur den Lesern das Auffinden der wesentlichen Punkte erleichtert“ für C2 (Europarat 2001: 67). Mit der Festlegung von Bildungsstandards durch die Kultusministerkonferenz erhielt die Kompetenzorientierung des GeR Einfluss auch auf Ziele und Inhalte des Fremdsprachenunterrichts an den Schulen. Das Schreiben kommt in den Kompetenzbereichen der Bildungsstandards zum einen als „kommunikative Fertigkeit“ und zum anderen als Anwendungsfeld für „methodische Kompetenzen“ vor (KMK 2004: 8 ff.). Hier scheint erstmals auch die Prozessperspektive des Schreibens auf, wenn es heißt, die Schüler sollen in der Lage sein, „die Phasen des Schreibprozesses (Entwerfen, Schreiben, 108 Hans P. Krings Überarbeiten) selbstständig durch[zu]führen“ (ebd.: 17). Bis zum Mittleren Schulabschluss sollen die Lernenden im Regelfall das Niveau B1 des GeR erreichen. Für das Schreiben bedeutet dies, dass folgende Deskriptoren zutreffen sollten: „kann unkomplizierte, zusammenhängende Texte zu mehreren vertrauten Themen aus seinem/ ihren Interessengebiet verfassen, wobei einzelne kürzere Teile in linearer Abfolge verbunden werden“ (ebd.: 77). Die Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife (KMK 2012) übertragen die Kompetenzorientierung auf die Oberstufe und definieren die Anforderungen im Abitur. Der verpflichtende schriftliche Prüfungsteil setzt voraus, dass die Lernenden bis dahin „Texte zu einem breiten Spektrum von Themen des fachlichen und persönlichen Interesses adressatengerecht und textsortenspezifisch verfassen“ können und „über Techniken und Strategien des formellen, informellen und kreativen Schreibens“ verfügen (ebd.: 17). Das anzustrebende GeR-Niveau wird mit B2/ C1 angegeben (ebd.: 27). Es finden sich umfangreiche detaillierte Musterbeispiele für Prüfungsaufgaben, die diese Anforderungen veranschaulichen (ebd.: 30-187). 3. Zum Forschungsstand Parallel zur geringen Beachtung, die das Schreiben in den methodischen Unterrichtskonzeptionen gespielt hat, ist es auch in der Forschung lange vernachlässigt worden. Erst seit etwa den 1980er Jahren hat es, ausgehend vom angelsächsischen Raum, eine wachsende Aufmerksamkeit erfahren. Im Mittelpunkt der Forschung stehen dabei die zugrunde liegenden mentalen Prozesse. Gefragt wird also nicht mehr primär nach dem Schreibprodukt, sondern nach dem Weg, der zu diesem hinführt, also dem Schreibprozess. Als Methoden zur minutiösen Rekonstruktion der Schreibprozesse dienen v. a. Tastaturprotokolle, Bildschirmaufzeichnungen (screen-recording) sowie Laut-Denk- und Dialogprotokolle von kooperativen Schreibprozessen. In neuerer Zeit ist eine interessante Perspektivenverschiebung zu beobachten, und zwar von der Frage, wie man das Schreiben lernt, hin zu der Frage, wie das Lernen durch das Schreiben befördert wird, also vom learning to write zum writing to learn (Manchón 2011). Die wichtigsten Ergebnisse lassen sich etwa wie folgt zusammenfassen (vgl. Krings 1992; Schnell 2016). 1) Das Schreiben in der Fremdsprache ist (wie das Schreiben in der Muttersprache) ein komplexer, diskontinuierlicher, hierarchischer Prozess, dessen Ablauf nicht aus dem Textprodukt rekonstruierbar ist. Charakteristisch für diesen Prozess ist das ständige Hin- und Her-Pendeln zwischen inhaltlicher Planung und deren sprachlicher Realisierung einerseits und retrospektiven Phasen der Selbstvergewisserung und der Evaluation des bereits hervorgebrachten Textes andererseits. 2) Beim Schreiben muss eine Vielzahl von Teilprozessen koordiniert werden, was zu einer erheblichen Belastung und häufig auch Überlastung des Arbeitsgedächtnisses führt. Zu den typischen Folgen gehört das Übersehen von Mängeln im eigenen Text, die bei isolierter Betrachtung leicht erkannt worden wären (von Schreib- und Tippfehlern über fehlende Wort- oder Satzbestandteile bis zu agrammatischen Konstruktionen oder Mängeln im Textaufbau). In schwereren Fällen kommt es zum Auftreten massiver Schreibprobleme bis hin zur Schreibblockade. 3) Bei der Steuerung fremdsprachlicher Schreibprozesse ist selbst bei fortgeschrittenen Lernenden von einer starken Rolle der Muttersprache auszugehen. Die Lernenden greifen im Formulierungsprozess in erheblichem Maße auf sprachliche Mus- 109 23. Schreiben ter aus der Muttersprache zurück. Fremdsprachliche Texte wirken deshalb oft wie aus der Muttersprache übersetzt. 4) In den eigentlichen, inhaltlich gesteuerten Schreibprozess lagern sich immer wieder L2-Realisierungsprobleme ein. Diese führen zu einer L2-spezifischen Problemlösungsschleife, die den eigentlichen Textproduktionsprozess unterbricht. Aufgrund des im Vergleich zum Sprechen fehlenden Zeitdrucks werden sowohl diese L2-Probleme wie auch die zu ihrer Lösung eingesetzten Lösungsstrategien den Lernenden in hohem Maße bewusst. Sie führen oft zu Hypothesen darüber, welche Formulierung in der Fremdsprache richtig oder angemessen wäre. 5) Den quantitativ größten Anteil an den beim Schreiben in der Fremdsprache auftretenden L2-Problemen haben Probleme lexikosemantischer Art, d. h. sie kreisen um die Frage, mit welchen lexikalischen Mitteln die gewünschten gedanklichen Inhalte in der Zielsprache versprachlicht werden können. 6) Bei fremdsprachlichen Schreibprozessen ist ein hohes Maß an individueller Variation in praktisch allen Subprozessen zu beobachten. Sie betrifft z. B. den Grad der Vorabplanung, die Schreibgeschwindigkeit, den Umfang der Revisionen, den Schreibstil, die Bereitschaft, Hilfsmittel einzusetzen, die Präferenz für ein Schreibmedium oder eine Schreibumgebung usw. 7) Kooperative Schreibprozesse von zwei oder mehr Lernenden verändern den Schreibprozess nachhaltig. Sie verlängern zwar häufig die Bearbeitungszeiten, können den Schreibprozess selbst aber sowohl kognitiv wie affektiv positiv beeinflussen. 4. Unterrichtspraktische Konsequenzen Aus den vorausgehenden Forschungsergebnissen, aber auch aus den bisherigen Diskussionen in der fremdsprachenbezogenen Schreibdidaktik lassen sich eine Reihe von Orientierungsmarken für die unterrichtspraktische Vermittlung von Schreibkompetenz ableiten, die im Folgenden stark verdichtet in sechs Punkten zusammengefasst werden. 1) Die in Abschnitt 1 aufgezeigten Teilaspekte von Schreibkompetenz bedürfen eigener methodischer Vermittlungsansätze. Die Einübung der Orthographie, das Erkennen und Beachten von typischen Merkmalen der Schriftsprache im Gegensatz zur gesprochenen Umgangssprache, die typischen Merkmale einzelner Texttypen oder die Vermittlung von Strategien zur optimalen Steuerung eigener Schreibprozesse müssen im Schreibunterricht einzeln bewusst gemacht, geübt und erst graduell im Zuge einer sinnvollen Progression zu einer gesamthaften Schreibkompetenz zusammengesetzt werden. 2) Ein wichtiger methodischer Grundsatz ist die Zerlegung komplexer Schreibprozesse in einzelne Schreibphasen (procedural facilitation), mit jeweils einem bestimmten Aufmerksamkeitsfokus. Die Lernenden sollten die Fähigkeit erwerben, den Gesamtprozess der Textproduktion zumindest in eine Planungsphase, eine Recherchier- und Materialsammlungsphase, eine Strukturierungsphase, eine Erstformulierungsphase und eine Überarbeitungsphase zu zerlegen (detaillierter dazu: Der Bremer Schreibcoach). 3) Um den Einfluss der Muttersprache in der Steuerung fremdsprachiger Textproduktionsprozesse zu reduzieren, erscheint es sinnvoll, die Lernenden zunächst mit umfangreichem textsortenspezifischem 110 Hans P. Krings fremdsprachigem Input zu versorgen und die typischen Strukturen in diesen Texten bewusst zu machen. Dazu sind Inputverarbeitungstechniken wie spot-the-gap, spotthe-difference und customize-your-input hilfreich (für eine nähere Beschreibung vgl. Krings 2015). 4) Das besondere Bewusstwerden von Lücken in der fremdsprachigen Ausdrucksfähigkeit in Verbindung mit der Verfügbarkeit der nötigen Zeit, um sie strategiehaft zu bearbeiten, verleiht dem Schreiben ein besonderes Potential für das Fremdsprachenlernen insgesamt (writing to learn). Voraussetzung ist, dass der Fokus im Unterricht auf genau diese L2-Probleme im Schreibprozess (und nicht nur auf Fehler im Schreibprodukt) gelegt wird und dass ein umfassendes Inventar an Strategien zu ihrer Bearbeitung vermittelt wird, z. B. in Form einer differenzierten Kompetenz zur Benutzung von Hilfsmitteln. In diesem Sinne kann das Schreiben auch als schriftliches Probesprechen eingesetzt werden und so eine wichtige Funktion für den Erwerb produktiver Kompetenzen insgesamt übernehmen. 5) Die deutlichen individuellen Unterschiede können im Unterricht nur aufgefangen werden durch ein hohes Maß an Differenzierung und Individualisierung der Lernangebote. Das schließt auch die Berücksichtigung verschiedener Schreibarten und Textgattungen sowie die Benutzung eines breiten Repertoires an Arbeits- und Übungsformen ein (für einen knappen, aber aussagekräftigen Überblick vgl. z. B. Haß 2006: 104 ff.). 6) Kooperative Schreibprozesse sollten fester Bestandteil des fremdsprachlichen Schreibunterrichts sein. Denn zum einen lenken sie durch die in ihnen auftretenden Aushandlungsprozesse den Fokus zwangsläufig vom Produkt auf den Prozess und zum anderen erweitern sie den Schreiberfahrungshorizont der Lernenden. Dass heute auch in der Berufspraxis die kooperative Textproduktion oft ein praktisches Erfordernis ist, unterstreicht deren Bedeutung noch weiter. Für eine weitergehende Beschäftigung mit den Grundlagen einer fremdsprachlichen Schreibdidaktik sei verwiesen auf Portmann (1991), mit Blick auf angelsächsische Sichtweisen auf Williams (2004), mit besonderem Interesse an der Evaluation von Schreibprodukten auf Weigle (2002), mit einem Fokus auf die Rolle des Schreibens im Englischunterricht an deutschen Schulen auf Porsch (2010) und mit Blick auf die Hochschulen auf den zumindest in Teilen immer noch aktuellen Band von Börner & Vogel (1992). Literatur Börner, W. / Vogel, K., Hrsg. (1992): Schreiben in der Fremdsprache: Prozeß und Text, Lehren und Lernen (Fremdsprachen in Lehre und Forschung 10). Bochum. Der Bremer Schreibcoach. www.bremerschreibcoach.uni-bremen.de Europarat, Hrsg. (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Strasbourg. Haß, F., Hrsg. (2006): Fachdidaktik Englisch. Stuttgart. KMK , Hrsg. (2004): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 4. 12. 2013. München. Krings, H. P. (1992): Empirische Untersuchungen zu fremdsprachlichen Schreibprozessen - ein Forschungsüberblick, in: W. Börner / K. Vogel (Hrsg.), 47-77. Krings, H. P. (2015): Wie kann aus Sprachlernforschung Sprachlehrpraxis werden? Fragen - Konzepte - Beispiele, in: H. P. Krings / 111 24. Sprachmittlung B. Kühn, Hrsg. (2015): Fremdsprachliche Lernprozesse. Erträge des 4. Bremer Symposions zum Fremdsprachenlehren und -lernen an Hochschulen. Bochum, 30-55. KMK , Hrsg. (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18. 10. 2012. Köln. Manchón, R. M., Hrsg. (2011): Learning-to-write and writing-to-learn in an additional language. Amsterdam. Porsch, R. (2010): Schreibkompetenzvermittlung im Englischunterricht in der Sekundarstufe I. Münster. Portmann, P. R. (1991): Schreiben und Lernen. Grundlagen der fremdsprachlichen Schreibdidaktik. Tübingen. Schnell, A. K. (erscheint 2016): Schreibprozesse und Schreibentwicklung in der Fremdsprache. Empirische Untersuchung zum Schreibverhalten von Französischstudierenden in der ersten Studienhälfte. Weigle, S. C. (2002): Assessing writing. Cambridge. Williams, J. (2004): Teaching writing in second and foreign language classrooms. Boston. Hans P. Krings 24. Sprachmittlung 1. Begrifflichkeit Im Kontext des Fremdsprachenunterrichts wird unter Sprachmittlung die sinngemäße - mündliche oder schriftliche - Übertragung eines ausgangssprachlichen Inhalts in die Zielsprache verstanden, ohne dass formale textuelle Äquivalenz angestrebt wird oder vonnöten ist. Die Fokussierung auf den Inhalt schließt dabei inhaltliche Vollständigkeit keineswegs ein, wohl aber die Erfassung der für den Ausgangstext wesentlichen Inhaltselemente. Der Begriff Sprachmittlung stammt ursprünglich aus der Übersetzungswissenschaft und war dort der Oberbegriff für Übersetzen auf der einen und Dolmetschen auf der anderen Seite. Unter dem Einfluss des Englischen tauchte in den letzten Jahren für die Sprachmittlung (im Fremdsprachenunterricht) auch der Begriff mediation auf, der es in der deutschen Variante ,Mediation‘ bis in amtliche Papiere und Lehrpläne geschafft hat, obwohl er zu begrifflichen Verwechslungen mit dem längst etablierten Konzept der Mediation (= Streitschlichtung) führt. 2. Problemaufriss Die Diskussion um die Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht lässt sich auf zwei Stränge konzentrieren, die ihrerseits beide auf die fremdsprachliche Reformbewegung zurückgeführt werden können. Mit dem berühmten Satz Wilhelm Viëtors, wonach das Übersetzen eine Kunst sei, die den Fremdsprachenunterricht nichts anginge, begann eine Entwicklung, die das Übersetzen bei der Entwicklung der nachfolgenden Vermittlungskonzepte weitgehend zu verhindern trachtete. Gleichzeitig mit dieser kritischen Haltung gegenüber dem Übersetzen im Fremdsprachenunterricht wurde die Muttersprache in ihrer möglichen Hilfsfunktion für die Aneignung einer fremden Sprache systematisch zurückgedrängt. Schaut man sich fremdsprachliche Lehrwerke der 1970er und 1980er Jahre an, wird man allerdings überrascht feststellen können (oder müssen), dass Übersetzungsübungen dort durchaus vorhanden waren (vgl. die eindrucksvolle Abrechnung mit unzureichenden Übersetzungsübungen bei Weller 1991). Fremdsprachendidaktische Theorie und fremdsprachenunterrichtliche Praxis klafften auch damals in nicht unwesentlichen Teilen auseinander. Ähnliches gilt für die Rolle der 112 Frank G. Königs Muttersprache, die nach weit verbreiteter Lehrmeinung im Fremdsprachenunterricht nichts verloren habe und die sich erst langsam - nicht zuletzt dank des vehementen Einsatzes von Wolfgang Butzkamm (resümierend dazu Butzkamm 2004) sowie entsprechender psycholinguistischer Erkenntnisse - ihres ausschließlich negativen Stigmas entledigen konnte (vgl. dazu Königs 2015a) und inzwischen für bestimmte Phasen der unterrichtlichen Fremdsprachenaneignung durchaus als nützlich angesehen wird. Nicht zuletzt aus dieser Einsicht heraus und unter Bezug auf situationsbezogene Varianten des sprachlichen Mittelns, die den strengen Maßstäben der Übersetzung(swissenschaft) nicht genügen konnten, aber die Bedürfnisse der Lernenden trafen, gewann der Begriff der Sprachmittlung an Konturen und Bedeutung für den Fremdsprachenunterricht. 3. Forschungsstand Die neue Sichtweise auf das Übersetzen speiste sich aus einer abwägenden Gegenüberstellung von Pro- und Contra-Argumenten. Damit bahnte sie der Sprachmittlung den Weg in das fremdsprachliche Klassenzimmer, in Lehrmaterialien und Verordnungen. Diese Aspekte berühren immer noch die Haltung gegenüber der Sprachmittlung und enthalten u. a. folgende Positionen (vgl. Königs 2006: 169 f.; vgl. auch Hallet 2008): • Ein Zuviel an Muttersprache gefährde die Fremdsprachenaneignung. • Die Ausprägung der vier Fertigkeiten Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben werde durch sprachmittlerische Aktivitäten behindert. • Die zum Übersetzen notwendige Zeit fehle im Fremdsprachenunterricht. • Übersetzen sei für den Fremdsprachenunterricht zu komplex. • Lehrende im Fremdsprachenunterricht seien mit den komplexen Formen der Sprachmittlung überfordert. • Als Testform zur Überprüfung der fremdsprachlichen Kompetenz sei Übersetzen unangemessen. Dagegen werden für das Sprachmitteln u. a. folgende Argumente genannt: • Lernende könnten mit seiner Hilfe Strukturdivergenzen zwischen den Sprachen erkennen und für das eigene Lernen nutzen. • Negative Transfers könnten durch sprachmittlerisches Handeln verhindert werden. • Das Sprachbewusstsein (in Mutter- und Fremdsprache) werde gefördert. • Es sei - zumindest partiell - im Spracherwerb angelegt. • Es sei außerhalb des Fremdsprachenunterrichts selbstverständlicher Bestandteil fremdsprachlicher Kommunikation. • Es schule im Umgang mit (ein- und zweisprachigen) Wörterbüchern. In der Summe ergaben sich damit gute Gründe, das Sprachmitteln nicht aus dem Fremdsprachenunterricht zu verbannen. Dabei betonten die Vertreter der Fremdsprachendidaktik allerdings auch deutlich, dass es nicht um das Übersetzen im Sinne der Übersetzungswissenschaft gehe und gehen könne. Tatsächlich wurden bereits Übungsszenarien beschrieben, in denen die Formkonstanz eine deutlich geringere Rolle als in der Übersetzungswissenschaft spielt, bevor der Terminus Sprachmittlung mit den vorbereitenden Arbeiten zum Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (GeR, Europarat 2001) und natürlich mit diesem selbst der Begriff der Sprachmittlung salonfähig wurde. Vor diesem Hintergrund entstanden gerade in den letzten Jahren Arbeiten wie die von Reimann und Rössler (2013), die Sprachmittlung als zentralen Gegenstand behandeln, sich aber nur partiell explizit auf analoge vorangehen- 113 24. Sprachmittlung de Entwicklungen zur Behandlung der Übersetzung im Fremdsprachenunterricht beziehen (vgl. zur Kritik daran Nied Curcio 2014). Mit der gestiegenen Bedeutung der Sprachmittlung und ihrer Rolle bei Aufbau und Überprüfung insbesondere mündlicher fremdsprachlicher Kompetenzen wird eine diesbezügliche Aufgabenentwicklung nötig. Diese muss sich an den Bedingungen und Situationen für eine Sprachmittlung außerhalb des fremdsprachlichen Klassenzimmers orientieren und verlangt nach Szenarien, wie sie z. B. im Handbuch von Katelhön und Nied Curcio (2012) entfaltet werden. 4. Praxisrelevanz Die unmittelbare Bedeutung der Sprachmittlung für die fremdsprachenunterrichtliche Praxis ergibt sich aus einer Reihe von Gründen: Zum einen kann man konstatieren, dass Sprachen lernen und Sprachen mitteln in einem unmittelbaren Bezug zueinander stehen (vgl. Königs 2015b). Dieser Bezug ergibt sich aus Prinzipien des Spracherwerbs ebenso wie aus Erkenntnissen der Mehrsprachigkeitsforschung und der Mehrsprachigkeitsdidaktik sowie aus den Kompetenzbeschreibungen, wie sie nicht zuletzt durch den GeR Einzug in die Planung und Gestaltung des Fremdsprachenunterrichts gefunden haben. Zum anderen heben die darauf basierenden Bildungsstandards auf die Bewältigung von alltäglichen Situationen ab, in denen Sprachmittlungssituationen nicht mehr als Ausnahme, sondern als genuiner Bestandteil fremdsprachlicher Interaktion verstanden werden. Das Bild, das sich dem Betrachter der Bildungsstandards in ihren unterschiedlichen Präsentationsformen bietet, ist in seiner Gesamtheit uneinheitlich und eher verwirrend: Im hessischen Kerncurriculum für die modernen Fremdsprachen auf der Sekundarstufe I (HKM o. J.) fällt der Begriff Sprachmittlung einmal; sprachmittelndes Handeln wird indes mehrfach thematisiert und durchgängig als adressatengerechtes mündliches und schriftliches Übertragen von vertrauten Inhalten gekennzeichnet, ohne dass dafür Beispiele gegeben werden oder erläutert würde, was unter adressatengerecht zu verstehen ist. Der dazugehörige Leitfaden (HKM 2011) thematisiert Sprachmittlung häufiger, beschränkt sich aber auf abstrakte, häufig wiederholte Allgemeinplätze. Die Bildungsstandards für die fortgeführten Fremdsprachen Englisch/ Französisch zur Erlangung der Hochschulreife (KMK 2012) sind bei weitem differenzierter und enthalten auch Bewertungsvorschläge. Ob die Sprachmittlungsaufgaben allesamt funktional angemessen und authentisch gleichermaßen gehaltvoll sind, wird man sicher diskutieren können und müssen. Von daher benötigt der Fremdsprachenunterricht insgesamt mehr Szenarien, an denen er sich zur Schulung der Sprachmittlungskompetenz orientieren kann. Fremdsprachliche Lehrwerke - insbesondere für zweite und weitere Fremdsprachen - greifen nicht selten auf Standardsituationen zurück, in denen die Lernenden zwischen Eltern und fremdsprachigen Austauschschülern bei einem ersten Kontakt sprachmitteln sollen. Wie vielfältig die Sprachmittlungssituationen sind, in die Lernende geraten können, zeigen die Beispiele von Katelhön und Nied Curcio (2012). Obwohl die Mehrsprachigkeitsdidaktik (vgl. Art. 3) gerade auf vorhandenes Sprachwissen und -können in mehreren Fremdsprachen abhebt, stellen diesbezügliche Sprachmittlungssituationen eher die Ausnahme als die Regel in Lehrwerken und Aufgabenszenarien der Bildungsstandards (KMK 2012) dar. So wäre es z. B. durchaus denkbar, einen Italienisch- oder Spanischlerner im jeweiligen Ausland auf einen anderen, ausschließlich anglophonen Touristen treffen zu lassen, der sich mit muttersprachlichen Sprechern des Italienischen oder Spanischen, 114 Frank G. Königs die ihrerseits keine Englischkenntnisse haben, in bestimmten touristischen Situationen (z. B. Fahrkartenkauf, Bahn-, Schiffs- oder Busverbindungen, Wegbeschreibungen etc.) verständigen und absprechen muss. Eine denkbare Option für ein Lehrbuch ist es, Lehrbuchprotagonisten einen fremdsprachigen Text vorzulegen, den sie sich sprachmitteln lassen; vorstellbar wäre dabei z. B. eine Aufgabenstellung, in der dieser Text bereits im Lehrbuch gemittelt wird und die Aufgabe für die Lernenden darin besteht, das Ergebnis der Sprachmittlung analytisch zu betrachten und Gegensätze zum Übersetzen explizit herauszuarbeiten. Situationen wie die beschriebene sind eindeutige, offensichtliche Sprachmittlungssituationen. Von ihnen zu unterscheiden sind lehrbuchseitige Aufgaben, in denen Lernende in ihrer Muttersprache Anweisungen darüber erhalten, was sie in der Fremdsprache zum Ausdruck bringen sollen. Diese Aufgaben stellen eine verdeckte Sprachmittlung dar, die nicht als wirkliche Sprachmittlungssituation an der Oberfläche sichtbar ist, die jedoch vom Lernenden mentales sprachmittlerisches Handeln erfordert und dieses auch als Mittel zum Spracherwerb ansieht. Vielfach wird Sprachmittlung als natürlicher Teil fremdsprachlicher Kompetenz angesehen, die es nicht unbedingt bewusst zu machen gelte. Unter Verweis auf die Abgrenzung zum form- und inhaltsäquivalenten Übersetzen lässt sich durchaus dafür plädieren, dass die Bewusstmachung ein wichtiges Mittel für die Lernenden ist, um Sprachmittlung gegenüber dem Übersetzen abzugrenzen und in der jeweiligen kommunikativen Leistungsfähigkeit beurteilen zu können. Angesichts der Tatsache, dass Sprachmittlungsaufgaben zur Feststellung und Überprüfung fremdsprachlicher Kompetenz herangezogen werden sollen, gibt es gute Gründe dafür, sich im Fremdsprachenunterricht bewusstmachend und analytisch mit dem Sprachmitteln auseinanderzusetzen, damit Lernende erkennen, welche Bestandteile eine erfolgreiche Sprachmittlung enthalten muss und welche ggf. verzichtbar sind. 5. Perspektiven Der GeR hat zwar die Sprachmittlung deutlich aufgewertet, jedoch nur sparsame Ausführungen zu den Deskriptoren geliefert. Und auch die Bildungsstandards haben hier - nicht zuletzt angesichts einer offensichtlichen länderspezifischen Uneinheitlichkeit - noch erhebliches Nachholpotenzial, um lehrerseitige Unsicherheiten bei der unterrichtlichen Behandlung von Sprachmittlungssituationen aufzubrechen. Mit Blick auf die unterrichtliche Praxis stellen sich aus meiner Sicht aktuell die folgenden Aufgaben: • Zwar wird die Sprachmittlung inzwischen als selbstverständlicher Bestandteil von Fremdsprachenunterricht angesehen und in Bildungsstandards und Referenzrahmen entsprechend gewürdigt. In der unterrichtlichen Praxis ist sie jedoch noch nicht bei allen Unterrichtsaktanten gleichermaßen angekommen. Nicht selten besteht auf Seiten der Lehrkräfte Unsicherheit darüber, ob es sich dabei lediglich um eine veränderte Bezeichnung für das verpönte Übersetzen handelt oder inwieweit es gerechtfertigt ist, sie als eigenständige Sprachhandlung anzusehen. Hier müssen auch die Bildungsstandards eindeutiger gefasst wer den. • Lernende sind sich nicht zwangsläufig darüber bewusst, welche Anforderungen an eine gelungene Sprachmittlung zu stellen sind. • Fremdsprachliche Lehrwerke widmen sich Sprachmittlungsaufgaben bislang eher sporadisch, nicht hinreichend systematisch und kaum in Verbindung mit bewusst ma- 115 24. Sprachmittlung chenden Aktivitäten. Realistische Sprachmittlungssituationen müssten variationsreicher in die Lektionen integriert werden. • Ob und in welchem Umfang auf eine vertiefte Sprachmittlungskompetenz noch eine stärkere Übersetzungskompetenz auf den Fremdsprachenunterricht draufgesattelt werden kann oder soll, sollte ausgewogen und vorurteilsfrei zum Gegenstand fremdsprachendidaktischer Überlegungen gemacht werden (vgl. Rösler 2015). Es scheint gerade angesichts fremdsprachlicher Herausforderungen in der Berufswelt angemessen, diese Option weiterzuverfolgen. Literatur Butzkamm, W. (2004): Lust zum Lehren, Lust zum Lernen. Eine neue Methodik für den Fremdsprachenunterricht. Tübingen, Basel. Europarat, Hrsg. (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Strasbourg. Hallet, W. (2008): Zwischen Sprachen und Kulturen vermitteln. Interlinguale Kommunikation als Aufgabe . Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 93, 2-7. HKM (o. J.): Bildungsstandards und Inhaltsfelder. Das neue Kerncurriculum für Hessen. Sekundarstufe I - Gymnasium. Moderne Fremdsprachen (online). HKM (2011): Leitfaden. Maßgebliche Orientierungstexte zum Kerncurriculum der Sekundarstufe I. Moderne Fremdsprachen (online). Katelhön, P. / Nied Curcio, M. (2012): Hand- und Übungsbuch zur Sprachmittlung Italienisch- Deutsch. Berlin. KMK (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18. 10. 2012. Köln. - Königs, F. G. (2006): Ein ,altes‘ Thema bleibt aktuell: theoretische Erwägungen und praktische Anregungen zum Übersetzen im Fremdsprachenunterricht, in: U. O. H. Jung (Hrsg.): Praktische Handreichung für Fremdsprachenlehrer. 4. Aufl. Frankfurt a. M. u. a., 167-174. Königs, F. G. (2015a): Keine Angst vor der Muttersprache - vor den (anderen) Fremdsprachen aber auch nicht! Überlegungen zum Verhältnis von Einsprachigkeit und Zweisprachigkeit im Fremdsprachenunterricht. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 2/ 2015 (online). Königs, F. G. (2015b): Sprachen lernen - Sprachen mitteln: Warum das eine nicht ohne das andere geht, in: M. Nied Curcio / P. Katelhön / I. Basic (Hrsg.): Sprachmittlung - Mediation - Mediazione linguistica: Ein deutsch-italienischer Dialog. Berlin, 29-40. Nied Curcio, M. (2014): Rezension zu D. Reimann / A. Rössler, Hrsg. (2013): Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht. Tübingen. Fremdsprachen Lehren und Lernen 43/ 1, 130- 133. Reimann, D. / Rössler, A., Hrsg. (2013): Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht. Tübingen. Rösler, D. (2015): Übersetzen und Übersetzungen als sprachdidaktische und landeskundliche Herausforderungen für den Fremdsprachenunterricht, in: S. Hoffmann / A. Stork (Hrsg.): Lernerorientierte Fremdsprachenforschung und -didaktik. Tübingen, 247-258. Weller, F.-R. (1991): Vom Elend schulischer Übersetzungslehre. Anmerkungen zur Rolle der Übersetzung in neuen Lehrwerken für den Französischunterricht. Die Neueren Sprachen 90/ 5, 497-524. Frank G. Königs 116 Christiane Neveling 25. Verfügen über sprachliche Mittel: Wortschatz 1. Problemaufriss Die Herausforderungen des fremdsprachigen Wörterlernens sind das langfristige Behalten möglichst vieler Wörter und ihr treffsicherer, schneller und möglichst normgerechter Abruf für den Sprachgebrauch. Um dies zu erreichen, greifen die Lern- und Lehrverfahren idealerweise die Repräsentationsformen des mentalen Lexikons auf und setzen sie lernergerecht, abwechslungsreich und möglichst spielerisch um. Anders als bei den traditionellen Vermittlungsmethoden, allen voran der Grammatik- Übersetzungs-Methode, haben Wortschatzkenntnisse nach heutigem Verständnis keinen Selbstzweck, sondern eine dienende Funktion: Sie werden erst dadurch bedeutsam, dass sie als eines der sog. sprachlichen Mittel zur Kommunikation beitragen. Unter Bezug auf den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (GeR) legen die Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (KMK 2004: 6 f.; 9) und für das Abitur (KMK 2012: 18) für die Bundesländer verbindlich fest, dass die Lexikkompetenz den kommunikativen Fertigkeiten untergeordnet ist und daher kontextgebunden gefördert werden sollte. 2. Forschungsstand Nach der kommunikativen Wende stand das Wörterlernen weder in der Forschung noch in der Praxis im Zentrum, weil man annahm, es stelle sich durch die Förderung der Fertigkeiten automatisch ein (inzidentelles Lernen). Ab den 1990er Jahren mehrten sich im Rahmen der Strategienforschung empirische Studien zur Lexik (Stork 2003; Neveling 2004; Ender 2007; Haudeck 2008). Außerdem beeinflusste die Untersuchung des mentalen Lexikons durch die angewandte Linguistik (u. a. Börner & Vogel 1994; Blank 2001; Müller-Lancé 2006; Jehle 2007) maßgebend das Wiederaufleben der Lexik in der Fremdsprachendidaktik. Wörter werden in der Didaktik als ein- und mehrgliedrige Ausdrücke aufgefasst, z. B. engl. go for a walk. Der weithin verwendete und gängige Begriff Vokabeln ist bei Lernenden häufig einseitig und negativ belegt (Neveling 2004: 349 f.). Wörter sind komplexe Lerngegenstände. Wie der Strukturalismus gehen auch die kognitiven Wissenschaften von einer doppelten Speicherform aus (Blank 2001: 130 ff.), der der Wortform und der der Bedeutung (signifiant) mit den phonologischen, orthografischen, morphosyntaktischen und signifié mit den semantischen Merkmalen). An das Konzept (z. B. Fisch: im Wasser lebendes Tier) ist zunächst der muttersprachliche Begriff geknüpft: dt. Fisch, engl. fish, span. pez. Kulturell geladene Begriffe müssen oft konzeptuell um- oder neugelernt werden, so haben z. B. Brot, bread, pain, pan, chleb unterschiedliche Bestandteile, Formen, Geschmäcker oder Konstellationen des Verzehrs, was in konkreten zielsprachigen Situationen ein entsprechendes Handlungswissen und -können erfordert. Wo Konzepte nicht lexikalisiert sind, z. B. Rabenmutter in vielen Sprachen, kann Wörterlernen Ausgangspunkt für soziokulturelle Reflexionen und Vergleiche sein. Bewusst mitzulernen sind ferner konnotative, die Denotate überlagernde Bedeutungen (z. B. Hiroshima ), metaphorische Ausdrücke (to fish in troubled waters) sowie die Register einer Sprache (frz. manger - bouffer) und damit in der Regel die Unterschiede zwischen geschriebener und gesprochener Sprache. Bedeutsam sind schließlich auf syntagmatischer Ebene grammatische Merkmale wie präpositionale Anschlüsse (z. B. dt., engl., frz. von etwas träumen, span. soñar con) und die idiomatischen Kol- 117 25. Verfügen über sprachliche Mittel: Wortschatz lokationen (frz., engl. „Zähne bürsten“, span., poln. „Zähne waschen“). Die kognitiven Repräsentationsformen von Mutter- und Fremdsprachen sind prinzipiell gleich: Das mentale Lexikon ist nach gängigen Modellen dynamisch und stets erweiterbar, ökonomisch geordnet und in vernetzter Weise geknüpft. Allerdings differiert die Menge der Vernetzungen zwischen L1 und L2. Das umfangreichere, sicherer beherrschte L1-Wissen ist engmaschig und undurchlässiger geknüpft, das L2-Wissen insbesondere in frühen Lernstadien breitmaschiger und instabiler, damit vergessensanfälliger. Die kognitive Linguistik geht aktuell von fünf Speichermodellen aus, deren Plausibilität u. a. in ihrer Widerspruchsfreiheit besteht. Sie modellieren drei verschiedene Speicherformen. Auf einer sememischen Speicherform basieren die Merkmalsmodelle (Fisch: Flossen, Schuppen, schwimmt, [essbar]). Auf systematischen Relationen der Konzepte und Begriffe untereinander mit spezifischen Subsystemen gründen die Netzwerkmodelle. Eine holistische Speicherform nutzen die Prototypentheorie (Speicherung typischer, aufs Wesentliche reduzierter und häufig kulturell geprägter Vertreter einer Klasse wie ,Haus‘ - Haus), zweitens die Schematabzw. Skripttheorie (episodische Speicherung stereotyper Situationen und Handlungsabläufe, z. B. beim Einkauf: entrar, buscar productos, hacer cola, pagar, salir häufig kulturell gebunden) und drittens die Theorie der Verarbeitungstiefen: Je mehr Ebenen (Bedeutung, Form, Lesen, Schreiben, Hören, Aussprechen, Handeln) ein Wort durchläuft, desto tiefer wird es gespeichert. Die auf vernetzten Assoziationstests beruhende Theorie der mentalen Wörternetze (Neveling 2004: Kap. 4) integriert die genannten Modelle und präzisiert sie durch die Annahme acht lexikalisch-semantischer Relationstypen, die im mentalen Lexikon Teilnetztypen abbilden: 1) Sememisch verknüpft sind (Quasi-)Synonyme (frz.: manger - dîner - souper), skalare Adjektive (froid - chaud - brûlant), Antonyme, Konversen (commander - servir) in Merkmalsnetzen. 2) Sememisch und hierarchisch relationiert sind hyponyme Nomen in Begriffsnetzen (boissons: eau, café, infusion). 3) Über räumliche und thematische Kontiguität verbunden sind Wörter aller Wortarten in Sachnetzen (faire la cuisine, repas, bon, ensemble, … ), was sich jedes Lehrwerk per Lektionssystem und viele Lernerwörterbücher modernen Zuschnitts zunutze machen. 4) Über Stammmorpheme (boire, boisson, buvable) oder Affixe wie in-buvable sind Wortfamilien verknüpft. 5) Über syntagmatische Linearität in Form von Chunks, usuelle Verbindungen (c’est très bon), präpositionale Verbanschlüsse (finir de manger) oder Kollokationen (bon appétit) sind syntagmatische Netze verknüpft. 6) Phonetisch verknüpft sind Homophone oder Reime in Klangnetzen (engl. ate - eight [e i t]). 7) Über Emotionen sind stark affektiv belegte Wörter verankert, was für positive Affekte speicherdienlich ist. Eng verbunden sind schließlich interlingual relationierte Wörter (so können Lernende in der Regel schnell in die L1 übersetzen) sowie Kognaten bzw. Internationalismen - formähnliche Begriffe in anderen, vorgelernten Sprachen, die sich die Mehrsprachigkeitsdidaktik bei der Vermittlung von Folgefremdsprachen (z. B. russ. kommunizm, taksi, pianino, interesnyj ) zentral zunutze macht. 3. Praxis Die Entwicklung der Wortkenntnis beginnt mit einem vagen Verständnis, das sich zunehmend formal und semantisch ausdifferen- 118 Christiane Neveling ziert. Ein Wort gilt aber nicht erst mit der Kenntnis aller Komponenten als erworben, sondern wenn es trotz unregelmäßiger Nutzung kommunikativ erfolgreich eingesetzt werden kann. Ebenso finden neue Wörter erst nach und nach ihren Platz im Lernerlexikon, welches seine Struktur mit jedem Neuzugang verändert (Meara 2009: 26f). Damit ist die Definition kriterienbezogen und individuell zugleich. Moderne Wortschatzarbeit nutzt die Prinzipien der language (learning) awareness und des focus on form. Je nach Wort(korpus) und Lerngruppe sind instruktivistische oder konstruktivistische Lehrverfahren sinnvoll. Bei ersteren nehmen die Lernenden eine rezeptive Rolle ein, und die Lehrkraft verantwortet Thema, Auswahl, Niveau und Darbietung der Wörter. Konstruktivistische Ansätze schreiben externer Steuerung einen geringeren Effekt zu als einem hohen Inputangebot zur Förderung von Eigentätigkeit und Verantwortung für Lernprozesse und -erfolge. Bei der Semantisierung nehmen die Lernenden die L2-Form und -Bedeutung auf und verbinden sie mit ihrem Vorwissen. Je nach Wort, (vermutetem) Vorwissen und Zeit greifen lerner- oder lehrergesteuerte Verfahren. Bei der Autosemantisierung stellen Lernende eine Hypothese über eine Wortbedeutung auf, indem sie einen Transfer auf der Basis vier möglicher Wissensquellen vornehmen: formähnliche Wörter aus anderen Sprachen, Kenntnis des Zielsprachenwortes und der Wortbildungsregeln (Affixe wie im-, -age), das allgemeine Weltwissen (Picasso pintó Guernica) sowie der Kontext: Ko-text, Bilder, Überschriften, Beschriftungen. Jedoch erfordert das Inferieren eine Minimalkenntnis des umgebenden Wortschatzes und ein Testen der aufgestellten Hypothesen. Hierdurch entsteht ein enormer potenzieller Wortschatz, ein Konstrukt, das bereits in den 1970er Jahren beschrieben wurde. Die lehrergesteuerten Verfahren können zwei- oder einsprachig sein. Erstere beruhen auf L1-Übersetzungen. Ihr Vorteil ist die schnellere Bedeutungserfassung, ihr Nachteil, dass sie eine bei den meisten Wörtern nicht vorhandene semantische, grammatikalische und kulturelle Identität vortäuschen (Schule - school/ college) und kulturspezifische Erklärungen erfordern. Zu den zweisprachigen Verfahren zählt auch die sog. Kontrollübersetzung durch die Schülerinnen und Schüler, die das Verstehen einer einsprachigen Erklärung absichert. Diese stammt aus der reformpädagogischen Tradition der einsprachig ausgerichteten Direkten Methode. Hierbei sollte das Korpus a priori statt nach Textreihenfolge nach den kognitiven Prinzipien sortiert und ggf. um sinnvolle Wörter (z. B. aus der Wortfamilie) ergänzt werden. Geeignet sind merkmalsorientierte Techniken (Vergleiche, Gegensätze, Beispiele, Beschreibungen, Definitionen, Hyponymien) oder holistisch orientierte Techniken: Non- und Paraverbalia, Pantomime, Realien, Bilder, Grafiken, Wortikone, Teil-Ganzes-Beziehungen, Symbole, Hör-, Geschmacks-, Riechproben, räumliche oder vernetzte Wortanordnungen, welche den - in Listen sinnlosen - Positionseffekt durch optischen Bezug zusammengehöriger Wörter gedächtnispsychologisch sinnvoll nutzen. Syntagmatisch orientierte Techniken, z. B. Minikontexte, Paraphrasen mit Analogien konsekutiver, finaler oder kausaler Art (tomar drogas - morirse) sind v. a. für Adjektive (amor profundo ), Deiktika, Funktionswörter (Pronomen, Präpositionen, Partikeln) hilfreich. Für das bewusstmachende Lernen von Kollokationen belegt Hulbert (2015) die Effektivität der Dictogloss-Aufgabe. Festigungsübungen verfolgen das Ziel, der multiplen Einflechtung ins Lernerlexikon durch Anregung seiner Ordnungs- und Wiederholungsprinzipien Vorschub zu leisten. Sie sind gezielt lexikalisch orientiert und för- 119 25. Verfügen über sprachliche Mittel: Wortschatz dern paradigmatische, vernetzte und syntagmatische Einbindungen. So liegt auf der Hand, dass das Paar-Assoziationslernen in zweispaltigen Listen wegen der Einfachbindung L1 - L2 viel kognitives Potential verschenkt. In Lehrwerken und externen Sammlungen finden sich Übungen zur Wortform wie Bingo, Wörterdomino, -puzzle, Kreuzwortgitter, -rätsel, grafisch defekte bzw. durch Nebengeräusche gestörte Wörter sowie Wortergänzungen in Kognatenlisten oder Wortfamilien. Zum Vertiefen semantischer und taxonomischer Ordnungen begegnet man dem Begrifferaten (The thingie is … ), unvollständigen Taxonomien (odd man out/ trouver l’intrus) oder interkulturellen Reflexionen von hotwords (Kühn 2008: 28ff). Zur ganzheitlichen Speicherung nutzt man räumliche und elaborative bzw. kreative Übungen wie Pantomime (darstellen/ erraten), das Bilden von Reimen, möglichst lustigen, bizarren Wortikonen, Merkversen oder Akronymen, das Vorstellen klangschöner Wörter, das sinnhafte Ordnen von Wörtern eines Korpus in Blöcken oder Wörternetzen (Konstruktion von 7 miteinander durch Linien, Bilder, Farben, Symbole vernetzten Teilnetzen, Neveling 2004: Kap. 5) oder die altbewährte Schlüsselwortmethode (verbindet L2-Wort mit klangähnlichem L1-Wort) und Loci-Methode (verbindet Wörter mit einer bekannten räumlichen Abfolge). Schließlich sollten Wiederholungsübungen systematisch, gezielt, selektiv sein und in sukzessiv größer werdenden Intervallen stattfinden, was der Karteikasten - möglichst mit kontextuellen, grammatischen und anderen Zusätzen - umsetzt. Die Übungen reichen vom lauten oder leisen Vorsprechen und dem bewussten intensiven Anschauen über das gegenseitige Abfragen und das Aufschreiben von Wörtern bis hin zu der (Re)Konstruktion von Teilnetzen oder vollständigen Wörternetzen. Um eine Monotonie in Wiederholungsphasen auszugleichen, sind seit den 1980er Jahren Sprachlernspiele im Fremdsprachenunterricht gängig. Sie sind durch ihren Wettbewerbscharakter und den Zufallsfaktor spannend und fördern soziale Interaktion, Spaß und Lerneffekte (Jentges 2007: 34 f.). Sie stellen didaktische Ausgestaltungsformen von (traditionellen) Übungen dar (ebd.: 22 f.) und reichen von Brett-, Kartenspielen über Rollenspiele hin zu Planspielen und Simulationen. Jentges (2007: 37, 111, 122) weist nach, dass Sprachlernspiele kurz-, mittel- und langfristig eine ebenso hohe bzw. teilweise signifikant höhere Behaltensleistung erzielen wie Übungen ohne Spielcharakter. Sie sind allein aus motivatorischen Gründen empfehlenswert, solange sie lernziel- und lerngruppenorientiert eingesetzt werden. Übungen zum Sprachgebrauch sind rein syntagmatisch und stets ins Training von Fertigkeiten integriert, sie zielen auf die Steigerung der Automatisierung und den schnellen Abruf. Hierfür eignen sich alle Übungen und Aufgaben, die die Fertigkeiten trainieren, z. B. Elfchen und Visual Poetry/ Kalligramme. Der Abruf bzw. die Ergebniskontrolle sollte prinzipiell so gestaltet sein, wie die Speicherung verlaufen war, also nicht paarassoziierend, sondern möglichst intralingual und offen für individuelles Wissen. Eigene Wortschatzsammlungen (Tagebuch, Portfolio) fördern die Eigenständigkeit und Bewusstheit, sie erzeugen Übersichtlichkeit und Zufriedenheit. Wortschatzarbeit sollte weiterhin Kontextualisierungen und Kollokationslernen (Shin & Nation 2008) sowie Spiele einsetzen, deutlich mehr den lexikalisch-semantisch geordneten, vernetzten Charakter des mentalen Lexikons aufgreifen, Lexik und Grammatiklernen verbinden (vgl. Handwerker et al. 2015) und stets die Tatsache verdeutlichen, dass die Lernzeit an sich notwendig, ergiebig und gut investiert ist. 120 Christiane Neveling Literatur Blank, A. (2001): Einführung in die lexikalische Semantik für Romanisten. Tübingen. Börner, W. / Vogel, K., Hrsg. (1994): Kognitive Linguistik und Fremdsprachenerwerb. Tübingen. Ender, A. (2007): Wortschatzerwerb und Strategieneinsatz bei mehrsprachigen Lernenden. Baltmannsweiler. Handwerker, B. / Bäuerle, R. / Doval, I. / Lübke, B., Hrsg. (2015): Zwischenräume: Lexikon und Grammatik im Deutschen als Fremdsprache. Baltmannsweiler. Haudeck, H. (2008): Fremdsprachliche Wortschatzarbeit außerhalb des Klassenzimmers: Eine qualitative Studie zu Lernstrategien und Lerntechniken in den Klassenstufen 5 und 8. Tübingen. Hulbert, J. (2015): Ist Kollokationsbewusstheit implizit zu vermitteln ? , in: Handwerker et al. (Hrsg.), 171-190. Jehle, G. (2007): The advanced foreign learner’s mental lexicon: Storage and retrieval of verbnoun collocations like ,to embezzle money‘. Hamburg. Jentges, S. (2007): Effektivität von Sprachlernspielen. Zur Theorie und Praxis des Spieleinsatzes im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht. Baltmannsweiler. KMK (2004): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss (Jahrgangsstufe 10). Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 4. 12. 2003. München. KMK (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18. 10. 2012. Köln. Kühn, P. (2006): Interkulturelle Semantik. Nordhausen. Meara, P. (2009): Connected words: word associations and second language vocabulary acquisition. Amsterdam. Müller-Lancé, J. ( 2 2006): Der Wortschatz romanischer Sprachen im Tertiärsprachenerwerb. Tübingen. Neveling, C. (2004): Wörterlernen mit Wörternetzen: Eine Untersuchung zu Wörternetzen als Lernstrategie und als Forschungsverfahren. Tübingen. Shin, D. / Nation, P. (2008): Beyond single words: the most frequent collocations in spoken English. ELT Journal 62/ 4, 339-348. Stork, A. (2003): Vokabellernen: Eine Untersuchung zur Effizienz von Vokabellernstrategien. Tübingen. Christiane Neveling 26. Verfügen über sprachliche Mittel: Phonetik 1. Begrifflichkeiten Gegenstand von Phonologie und Phonetik sind sowohl einzelne Laute (Segmente) als auch lautübergreifende, die Segmente verbindende und sie beeinflussende suprasegmentale Merkmale wie Sprechmelodie, Sprechtempo, Sprechspannung und Dauer. Phonologie und Phonetik, Sprachsystem und sprecherische Realisierung, sind für das Lehren und Lernen einer fremden Sprache gleichermaßen wichtig. Aus phonologischer Sicht geht es dabei um den Erwerb des Phonemsystems, um abstrakte segmentale und suprasegmentale Merkmale, Einheiten, Muster und Regeln, d. h. um das Erkennen von bedeutungstragenden bzw. bedeutungsunterscheidenden Elementen. Aus phonetischer Sicht geht es darum, konkrete, suprasegmental gestaltete Segmentfolgen (Silben, Wörter, Wortgruppen usw.) möglichst korrekt hören und (aus)sprechen zu lernen. 121 26. Verfügen über sprachliche Mittel: Phonetik Der Begriff Phonetik steht im Kontext des Fremdsprachenunterrichts für Aussprache bzw. Aussprachetraining, er umfasst Perzeption und Produktion gesprochener Sprache und die phonologisch-phonetischen sowie methodisch-didaktischen Grundlagen (vgl. Barkowski & Krumm 2010: 248). In diesem Sinne wird er im vorliegenden Artikel verwendet. Perzeption und Produktion gesprochener Sprache unterliegen unterschiedlichen Anforderungen. Perzeptiv werden Fremdsprachenlernende mit einer Vielzahl an Aussprachevarietäten und -varianten konfrontiert, neben Standardsprachen sind das Dialekte oder regionale Umgangssprachen, hinzu kommen phonostilistisch-situative, emotionale und individuelle Aussprachevarianten. Für den produktiven Bereich ist es empfehlenswert, sich zunächst an einer normierten Standardaussprache (Standardvarietät) zu orientieren, für die eindeutige Ausspracheregeln formuliert sind, die meist in Lehrmaterialien verwendet wird, die überregional anerkannt ist und die - auch beim Auftreten eines fremden Akzents (vgl. 2a) - im allgemeinen gut verstanden wird. 2. Problemaufriss Gegenüber den Bereichen Wortschatz und Grammatik müssen beim Lehren und Lernen der Phonetik einige Besonderheiten berücksichtigt werden, die zugleich Ursachen für spezifische Probleme einzelner Lernender bzw. ganzer Lerngruppen sein können. a) Systeminterferenzen Die Muttersprache führt auf Grund von Systeminterferenzen zu weitgehend vorhersagbaren Ausspracheschwierigkeiten in der Zielsprache, so dass ein typischer fremder Akzent (interferenzbedingte suprasegmentale und segmentale Ausspracheabweichungen) erkennbar ist. Dies betrifft auch den Grammatik- und Wortschatzerwerb. In der Phonetik zeigen sich die Interferenzen jedoch nicht nur in der Übertragung von Regeln und Mustern, sondern auch in hochautomatisierten Artikulationsabläufen sowie in Perzeptions- und Sprachverarbeitungsprozessen, die in der Muttersprache unbewusst ablaufen. Das bedeutet, dass im Unterricht die Sprechmotorik und die auditive Differenzierung und Identifizierung bewusst gemacht, systematisch geübt und automatisiert werden müssen. Dafür brauchen Fremdsprachenlernende konkrete Unterstützung durch die Lehrenden. b) Aussprache- und Sprachniveau Der „fremde Akzent“ wird unterschiedlich schnell abgebaut, er korrespondiert nicht mit dem Sprachstand: Es gibt Anfänger, die schnell sehr gut hören und aussprechen lernen, und Fortgeschrittene, die sehr flüssig sprechen, aber mit einem starken muttersprachigen Akzent. Die Aufteilung von Aussprachefehlern bzw. -fertigkeiten auf die einzelnen Sprachniveaustufen, wie sie im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen vorgenommen wird, entspricht deshalb nicht der Realität (Europarat 2001: 117): „C2/ C1 Kann die Intonation variieren und so betonen, dass Bedeutungsnuancen zum Ausdruck kommen. … A1 Die Aussprache eines sehr begrenzten Repertoires auswendig gelernter Wörter und Redewendungen kann mit einiger Mühe von Muttersprachlern verstanden werden, die den Umgang mit Sprechern aus der Sprachengruppe des Nicht-Muttersprachlers gewöhnt sind.“ 122 Ursula Hirschfeld Diese Formulierungen finden sich wortwörtlich in den Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss (KMK 2004: 80 f.) und den Hauptschulabschluss (KMK 2005: 62 f.) in der ersten Fremdsprache (Englisch/ Französisch). c) Individuelle Voraussetzungen Wie stark der fremde Akzent ist bzw. wie schnell er überwunden wird, hängt vom Lernalter und den damit verbundenen individuellen Voraussetzungen ab, die jeder Lernende mitbringt bzw. bei der Aneignung früher gelernter Fremdsprachen entwickelt hat. Dazu gehören insbesondere: • Hörfertigkeiten, • motorische (artikulatorische) Fertigkeiten, • mentale Fertigkeiten, • Sensibilität für phonetische Merkmale, • Musikalität, • Aussprachelernstrategien. Individuell unterschiedlich sind auch die Motivation und die Einstellung zur (Aus-)Sprache, beides hat ebenfalls großen Einfluss auf Lernfortschritte. d) Gruppenspezifik Neben den individuellen Voraussetzungen sind für die Festlegung von Lehr-/ Lerninhalten und -methoden auch gruppenspezifische Faktoren zu berücksichtigen. Dazu gehören v. a. das übergeordnete Lernziel, z. B. bei zukünftigen Lehrenden, Dolmetschern, Studierenden von Fremdsprachenphilologien, aber auch die Ausgangssprache(n), früher gelernte Fremdsprachen, der Sprachbzw. Lernstand, das Lernalter, verfügbare Lernstrategien und Lerntraditionen sowie die aktuelle Gruppensituation wie Gruppengröße, ausgangssprachliche Zusammensetzung, Atmosphäre in der Gruppe, das Verhältnis Lehrende - Lernende. 3. Kompetenzen, Lehr- und Lerninhalte Unter dem Abschnitt „Verfügen über sprachliche Mittel“ in den Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife wird ausgeführt, dass die Schülerinnen und Schüler ein gefestigtes Repertoire typischer Aussprache- und Intonationsmuster verwenden und dabei eine meist klar verständliche Aussprache und angemessene Intonation zeigen können: sie können mit repräsentativen Varietäten der Standardsprache umgehen, wenn klar artikuliert gesprochen wird (KMK 2012: 18). Im GeR wird die zu erlangende „phonologische“ Kompetenz ebenfalls beschrieben, gemeint sind Kenntnisse und Fertigkeiten (es geht also auch um „phonetische“ Kompetenz) der Wahrnehmung und der Produktion in Bezug auf folgende Lehr- und Lerninhalte (vgl. Europarat 2001: 117): Chin. Dt. Engl. Ital. Russ. 1. Tonsprache + - - - - 2. Rhythmus: akzentzählend - + + - + 3. Wortakzent (bedeutungsunterscheidend) - + + + + 4. Wortakzent beweglich - + + + + 5. Silbenbau komplex - + - - + 6. vokalreich (Zahl der Phoneme) + + + - - 7. Vokallänge distinktiv - + + - - 8. Ö- und Ü-Laute - + - - - 9. Vokalneueinsatz - + - - - 10. konsonantenreich (Zahl der Phoneme) - + + + + 11. Auslautverhärtung - + - - + 12. progressive Assimilation - + - - - Eine solche Übersicht ermöglicht Lehrenden eine erste Orientierung für den Ausspracheunterricht, d. h. für die Festlegung von inhaltlichen Schwerpunkten. 123 26. Verfügen über sprachliche Mittel: Phonetik • die lautlichen Einheiten (Phoneme) der Sprache und ihre Realisierung in bestimmten Kontexten (Allophone); • die phonetischen Merkmale, die Phoneme voneinander unterscheiden (distinktive Merkmale, z. B. stimmhaft, gerundet, nasal, plosiv); • die phonetische Zusammensetzung von Wörtern (Silbenstruktur, Phonemfolge, Wortakzent, Wortton); • Satzphonetik (Prosodie): Satzakzent und Satzrhythmus, Intonation; • phonetische Reduktion: Vokalabschwächung, starke und schwache Formen, Assimilation, Elision. Diese allgemeinen Angaben gelten für sprachlich heterogene Lerngruppen, die systematisch in alle Bereiche der Aussprache eingeführt werden müssen. Für sprachlich homogene Gruppen sind interferenzbedingte Aspekte wesentlich, dafür können kontrastive Analysen herangezogen werden. So lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Ausgangs- und Zielsprache feststellen, wie die folgende Tabelle an ausgewählten Phänomenen (zur Terminologie vgl. Barkowski & Krumm 2010) zeigt: 4. Unterrichtsmethodische Aspekte Es ist für jeden (Aussprache-)Unterricht erforderlich, gruppenspezifische und individuell realisierbare Ziele und Teilziele festzulegen, um damit den Lehr- und Lernprozess zu strukturieren und Überforderungen zu vermeiden. Für viele Lernende/ Lerngruppen - von künftigen Fremdsprachenlehrenden, Dolmetschern usw. abgesehen - ist es nicht erforderlich, die Standardaussprache vollkommen zu beherrschen. Wichtiges Teilziel ist hier eine sog. komfortable Verständlichkeit: Dazu gehören korrekte Gliederung, Rhythmisierung, Melodisierung und Akzentuierung sowie das Umsetzen wesentlicher phonologischer Korrelationen. a) Systematik und Progression Die phonetischen Sprachmittel werden von Anfang an komplett gebraucht, Stoffverteilung und Progression wie im Grammatik- und Wortschatzbereich sind nicht möglich. Dennoch ist es für viele Lernende wichtig, dass gezielt und systematisch an der Entwicklung ihrer Hör- und Aussprachefertigkeiten gearbeitet und nicht nur spontan korrigiert wird. Phonetik sollte insbesondere in der Anfangsphase konzentriert gelehrt und gelernt werden, damit Lernende über diese sprachlichen Mittel bald sicher verfügen können und Ausspracheabweichungen nicht automatisiert werden. Prinzipiell gilt auch, dass die Suprasegmentalia Vorrang haben sollen, weil sie regulierend auf die Segmentalia einwirken, z. B. was die Spannung und Quantität der Segmente betrifft. b) Kognition Aussprachetraining wird sehr unterschiedlich gestaltet, oft wird v. a. auf Imitation ge- 124 Ursula Hirschfeld setzt. Das ist bei Kindern eine mögliche Herangehensweise, bei Jugendlichen und Erwachsenen muss die Imitaion durch kognitive Elemente ergänzt, teilweise sogar ersetzt werden. Dazu gehören Kenntnisse über phonetische Merkmale der Fremdsprache ebenso wie das bewusste Erkennen eigener Unzulänglichkeiten im Hören und Aussprechen. Der kognitiven Fundierung dienen Erklärungen, Abbildungen, Regeln, Termini (auch Transkriptionszeichen) und Hand- oder Körperbewegungen. Wie umfangreich und tiefgehend deren Einsatz sein soll/ kann, hängt vom Lernalter, vom Lernziel und auch von Lerntraditionen ab. c) Hörtraining Richtiges Hören ist Voraussetzung für richtiges (Aus-)Sprechen. Es sollte ein spezielles Hörtraining angeboten werden, bei dem phonetische Formen voneinander unterschieden (diskriminiert) bzw. erkannt (identifiziert) werden. Die gängige Unterrichtspraxis, Hörbeispiele zu geben, ohne die Hörergebnisse zu kontrollieren, ist unzureichend. Nicht nur Lehrende sollten wissen, wo Lernende Schwierigkeiten haben, auch sie selbst sollten ihre Hörprobleme erkennen. Kontrollierbare Hörübungen - Markieren, Ordnen, Transkribieren, Schreiben (Diktat, Lückendiktat), Nachsprechen, (Hand-)Zeichen, Körperbewegungen - können, wenn die Lösung den Lernenden zugänglich ist, sehr gut als Selbstlernaufgaben eingesetzt werden. d) Integration in den Unterricht Die Arbeit am Hören und Aussprechen ist grundlegend für die Entwicklung aller sprachlichen Fertigkeiten: für das (verstehende) Hören, das (freie) Sprechen, das Lesen und das Schreiben. Um die engen Zusammenhänge zwischen den Fertigkeiten und zwischen den Sprachebenen deutlich zu machen, um die Motivation der Lernenden sowie den Automatisierungsgrad zu erhöhen, sollte neben eigenständigen phonetischen Übungen in Grammatik-, Wortschatz-, Text-, Gesprächs- und Redeübungen, wenn sich das anbietet, systematisch und explizit auch auf die Aussprache eingegangen werden. Wenn also z. B. neue Lexik eingeführt wird, sollten mindestens immer auch entsprechende Wortakzentregeln sowie die Merkmale der Akzentvokale sowie sonstige Besonderheiten (Konsonantenverbindungen, Reduktionen usw.) vermittelt werden. e) Automatisierung Die Stabilisierung der motorischen Abläufe kostet Zeit und Konzentration, das Verhältnis von Aufwand und Fortschritt ist im Ausspracheunterricht deshalb meist nicht günstig. Die für die Automatisierung erforderliche Motivation bleibt erhalten, wenn verschiedene Lernstrategien angesprochen werden. Es sollten ebenso nicht immer die gleichen Übungen eingesetzt werden, Aufgaben und Übungsbeispiele sollten variieren, der Anforderungsgrad steigen. Abwechslungsreiche und kreative Übungen gehen von größeren Spracheinheiten (rhythmisch-melodischen Gruppen) aus, sind situativ und kontextgebunden aufgebaut, sie berücksichtigen kommunikative Aspekte. Das Üben von Einzellauten und Einzelwörtern sollte auf die Anbahnungsbzw. Korrekturphasen beschränkt bleiben. Übungsschritte und die Vorgehensweise bei der Erstellung und Adaption von Ausspracheübungen werden in Art. 96 dargestellt. 125 26. Verfügen über sprachliche Mittel: Phonetik f) Transkription Für die Darstellung von Phonemen und Lauten werden die Zeichen des Internationalen Phonetischen Alphabets (IPA, vgl. IPA 1999) verwendet. Die Einführung der Transkription im Fremdsprachenunterricht ist umstritten, dabei ist ihr Nutzen offensichtlich: Die Phonem-Graphem-Beziehungen werden eindeutig wiedergegeben und Lernende werden in die Lage versetzt, sich Transkriptionsangaben in Wörterbüchern selbstständig zu erschließen. g) Anforderungen an Lehrende Die Lehrenden nehmen bei der Entwicklung der Aussprachefertigkeiten ihrer Lernenden eine Schlüsselrolle ein, zu ihren Aufgaben gehören (vgl. Dieling & Hirschfeld 2000: 16): • das Bewerten von Übungsangeboten im Lehrwerk, die Variation und Ergänzung vorhandener Übungen, • das Beherrschen eines Methodeninventars, um methodische Abwechslung und ausreichende Automatisierung sichern zu können, • das Erkennen und Korrigieren von Ausspracheproblemen der Lernenden, • die Bewertung von Ausspracheleistungen und Aussprachefortschritten, • die Motivation der Lernenden. 5. Perspektiven Im Vergleich zu den 1990er Jahren hat sich die Situation des Ausspracheunterrichts teilweise verbessert: Es gibt zunehmend mehr wissenschaftliche und unterrichtspraktische Publikationen zur Fremdsprachenphonetik (vgl. z. B. Babylonia 2011, Eckert & Barry 2002, Gilbert 2008, Pustka 2011, Rogerson- Revell 2014, Trouvain & Gut 2007). Und in Lehrwerken findet man hinsichtlich der Übungsschwerpunkte, der methodischen Abwechslung und des Umfangs von Übungen ein besseres Angebot. Unbefriedigend ist jedoch noch immer, dass im Fremdsprachenunterricht im Allgemeinen zu wenig an Hör- und Ausspracheproblemen gearbeitet wird, so dass häufig auch weit fortgeschrittene Lernende nicht nur ihren fremden Akzent beibehalten, sondern ernsthafte Probleme in der mündlichen Kommunikation haben. Die Perspektiven liegen nicht nur in der Verbesserung computergestützter Ausspracheübungen - hier sind durch die Notwendigkeit direkter und individueller Korrekturhilfen klare Grenzen gesetzt (vgl. Art. 96). Es kommt nach wie vor vielmehr darauf an, die Lehreraus- und -fortbildung zu verbessern, d. h. in ausreichendem Maße und auf hohem Niveau fachliche (Phonologie/ Phonetik) und didaktisch-methodische Grundlagen zu vermitteln. Darüber hinaus sollten lehrwerkergänzende Zusatzmaterialien entwickelt werden, die den speziellen Interessen der unterschiedlichen Zielgruppen gerecht werden. Literatur Babylonia. Zeitschrift für Sprachunterricht und Sprachenlernen: Themenheft Aussprache. 2/ 2011. Barkowski, H. / Krumm, H.-J., Hrsg. (2010): Fachlexikon Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Tübingen, Basel. Dieling, H. / Hirschfeld, U. (2001): Phonetik lehren und lernen. München. Eckert, H. / Barry, W. (2002). The phonetics and phonology of English pronunciation. Trier. Europarat (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Strasbourg. Gilbert, J. B. (2008): Teaching pronunciation. Cambridge u. a. 126 Theresa Summer International Phonetic Association ( IPA ), Hrsg. (1999): Handbook of the International Phonetic Association. Cambridge. KMK (2004): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 4. 12. 2003. München. KMK (2005): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Hauptschulabschluss. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 15. 10. 2004. München. KMK (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18. 10. 2012. Köln. http: / / www.kmk.org/ fileadmin/ ver oeffentlichungen _beschluesse/ 2012/ 2012_ 10_18-Bildungsstandards-Fortgef-FS-Abi. pdf Pustka, E. (2011): Einführung in Phonetik und Phonologie des Französischen. Berlin. Rogerson-Revell, P. (2014): English phonology and pronunciation teaching. Kobo Edition (eBook). Trouvain, J. / Gut, U., Hrsg (2007): Non-native prosody. Phonetics description and teaching practice. Berlin, New York. Ursula Hirschfeld 27. Verfügen über sprachliche Mittel: Grammatik 1. Begrifflichkeit Der Begriff Grammatik stammt ab vom griechischen Wort grammatike „Anfangskenntnisse“ und grammatikos „(sprachliche) Anfangskenntnisse besitzend, des Lesens und Schreibens kundig“ (Müller et al. 2009: 321). Folgende vier Sichtweisen zeigen auf, inwiefern Grammatik unterschiedliche Bedeutung zugewiesen werden kann. 1) Die linguistische Perspektive beschäftigt sich mit der Beschreibung grammatischer Strukturen und Funktionen von Sprache. Dabei stellt Grammatik als Regelwerk neben Wortschatz und Phonetik einen der Kernbereiche der Sprache dar und wird in die Bereiche Morphologie (Formenlehre von Wörtern) und Syntax (Satzbau) untergliedert. Sämtliche sprachliche Zeichen sind dabei Teil der Vorstellungswelt des Menschen, welche wiederum durch konzeptuelle Kategorien strukturiert werden (Pörings & Schmitz 2003: 23). Grammatische Kategorien liefern somit den strukturellen Rahmen. 2) Die pädagogisch-lernzielorientierte Perspektive betrachtet Grammatik als (Teil) kompetenz. In den aktuellen Bildungsstandards wie auch im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (GeR) wird Grammatik den funktional kommunikativen Kompetenzen zugeordnet und hat somit als sprachliches Mittel eine dienende Funktion (Europarat 2001: 113; KMK 2004: 13; KMK 2012: 14 f.). 3) Die didaktisch-methodische Perspektive geht von Grammatik als Lehr- und Lerngegenstand aus. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie diese Kompetenz erworben, erlernt und gelehrt werden kann und welche methodischen Ansätze sich zur Förderung grammatischer Kompetenz eignen. 4) Die konzeptionelle Perspektive bezieht sich auf Grammatik als Lehr- und Lernmaterial. Während sich eine linguistische Grammatik als allumfassende sprachwissenschaftliche Beschreibung von Sprache versteht, ist eine pädagogische Grammatik für Lernende verfasst, folgt einer Progression und enthält ausgewählte grammatische Phänomene mit vereinfachten Erklä- 127 27. Verfügen über sprachliche Mittel: Grammatik rungen und Beispielen. Für die Fremdsprachendidaktik ist von besonderem Interesse, geeignete Materialien für das Einführen, Üben und Vertiefen von Grammatik zu entwickeln (vgl. Art. 95). 2. Problemaufriss Bis in das 19. Jahrhundert wurde in der Fremdsprachendidaktik ein Fokus auf die Fertigkeiten Lesen und Schreiben gelegt. Eine zentrale Rolle spielte in der damals zentralen Grammatik-Übersetzungs-Methode die grammatische Analyse von Sprache (Mackey 1965: 134). Während im 19. Jh. und darüber hinaus weitgehend Einigkeit herrschte, dass Grammatikunterricht ein immanenter Teil von Fremdsprachenlehren sein sollte, sind heute zwei gegensätzliche Standpunkte erkennbar, die der Grammatikvermittlung unterschiedliche Rollen zuweisen (vgl. Timmis 2 2013: 120 f.): Die Grammatik-Gegner (non-interventionist position) vertreten den Standpunkt, dass Grammatik am besten durch das Bereitstellen von Sprachinput und interaktive Kommunikation erworben wird. Krashen (1981) ist wohl der bekannteste Verfechter dieses Ansatzes. Er erachtet Grammatikwissen jedoch, wie er in seiner Monitor-Hypothese aufführt, als wichtig, um sprachliche Produktion auf Korrektheit zu prüfen. Verfechter des aufgabenorientierten Ansatzes legen zudem viel Wert auf interaktive Kommunikation (vgl. Art. 68). Die Grammatik-Befürworter (interventionist position) betrachten expliziten Grammatikunterricht, der einen bewussten Lernvorgang und verbalisierbares Wissen einschließt, als hilfreich. Dieser Ansicht nach dient bspw. das Erlernen grammatikalischer Termini als Orientierungshilfe (Gnutzmann 2000: 69). Zahlreiche Forschungsergebnisse von Studien belegen zudem, dass explizite Grammatikinstruktion förderlich sein kann (vgl. Norris & Ortega: 2000: 479). Die Frage, welcher Stellenwert dem Grammatikunterricht zuzuordnen ist, wurde v. a. für Englisch als Zielsprache vielfach debattiert (z. B. Ellis 2006; Sheen 2006). In Bezug auf morphologiereichere Sprachen, in denen der für Lernende oft schwierige Erwerb grammatischer Kategorien wie Kasus oder Verbalaspekt für die Kommunikation höchst relevant ist, stehen eher Fragen der Art und Weise der Grammatikvermittlung im Zentrum der Diskussion. Generell ist jedoch eine differenzierte Betrachtungsweise erforderlich: Zum einen darf der Kontext des Fremdsprachenlernens nicht ausgeblendet werden, nämlich, wie die situationsbezogenen Begebenheiten (Lernort, Lehrperson, Klassengröße, Medien etc.) beschaffen sind. Zweitens muss Raum für die Berücksichtigung individueller Unterschiede von Lernenden gegeben werden. Des Weiteren ist eine Berücksichtigung der Zielsprache und deren struktureller Komplexität essentiell. Es sollte somit weniger um die Frage gehen, ob Grammatik vermittelt werden soll, sondern eher darum, wie und welche Hilfsmittel sich dafür eignen. Traditionell wird dabei zwischen einem deduktiven Ansatz, bei welchem eine Regel präsentiert und dann an Beispielen verwendet wird, und einem induktiven Ansatz, welcher das Ableiten einer Regelhaftigkeit durch die Präsentation von Beispielen enthält, unterschieden. Beim entdeckenden Lernen werden Schüler ermutigt, Hypothesen über grammatische Regularitäten oder Ähnlichkeiten zwischen Sprachen anzustellen und diese selbstständig zu überprüfen. So können Lernende z. B. aus einem vorgegebenen Text oder aus einer Datenbank mit Hilfe eines Konkordanzprogrammes Passagen heraussuchen, in denen eine bestimmte Struktur vorkommt und deren Funktion und Verwendung im Kontext erkennen. Dabei werden gleichzeitig Lern- 128 Theresa Summer strategien und der Umgang mit Nachschlagewerken geübt. 3. Forschungsstand Ausgehend von der Direkten Methode, die der Beherrschung gesprochener Sprache große Bedeutung zuschrieb, und der Audiolingualen Methode, die durch Repetition und Imitation sprachliche Entwicklung fördern wollte, steht seit mehreren Jahrzehnten das Erlangen kommunikativer Kompetenz im Vordergrund. Durch die kommunikative Wende in den 1970er Jahren veränderte sich der Blick auf Grammatik. Unter dem Motto fluency before accuracy rückte der erfolgreiche Austausch von Bedeutungen in den Vordergrund (Brumfit 1984). Ein didaktisches Konzept, das die Wichtigkeit von Grammatik als Mittel zur Kommunikation hervorhebt, ist Newbys (2008: 29) „kognitive und kommunikative Grammatik“. Es betrachtet Grammatik als Teilsystem einer Reihe von Fertigkeiten, die Lernende erwerben müssen. Larsen-Freeman (2003: 19) vertritt eine ähnliche Sichtweise. Ausgehend von einer Studie, in der sie erfasste, dass die Mehrheit der Lehrkräfte Grammatik mit Regeln, Auswendiglernen, roter Tinte, Drills und Langeweile assoziierten, entwickelte sie das Konzept Grammaring - die Fähigkeit, Grammatik korrekt, bedeutsam und angemessen verwenden zu können. Während im kommunikativen Fremdsprachenunterricht Sprachreflexion eine untergeordnete Rolle zugeordnet wurde, verstehen Vertreter dieses Ansatzes sprachreflexive Aufgabentypen als hilfreich. Hulstijn (1995: 383) hebt hervor, dass der Sprachinput durch explizites Wissen geordnet und dadurch besser verstanden werden kann, was den natürlichen Erwerbsprozess unterstützt. Das Konzept von language awareness geht zurück auf Hawkins (1984: 4), der durch die Förderung von Sprachbewusstheit Lernende beim Fremdsprachenlernen im Vergleich zu einer oder mehreren Muttersprachen unterstützen wollte. Die deutschen Bildungsstandards führen Sprachbewusstheit als separaten Kompetenzbereich auf, in dem sowohl das Nachdenken über Kommunikation als auch Sensibilität für kulturell bestimmte Formen des Sprachgebrauchs mit Standards bedacht werden (KMK 2012: 21). Aktuell wird von Wissenschaftlern vermehrt die kulturelle Dimension von Sprache berücksichtigt. Dabei wird anerkannt, dass eine Sprache immer auch Träger und Spiegel kultureller Werte ist. Das Forschungsgebiet der kulturkontrastiven Grammatik, welches soziokulturelle Besonderheiten von Lernenden berücksichtigt, widmet sich diesem Thema (Diyani Bingan 2009: 309). Für eine konkrete praktische Umsetzung dieses Konzepts bedarf es weiterer Forschung sowie der Entwicklung didaktischer Konzepte. Neben Grammatik ist auch Lexik ein zentrales Fundament von Sprache. In den letzten Jahrzehnten gab es zahlreiche Bemühungen diese zwei Bereiche zu verbinden. In seinem lexical approach betrachtet Lewis (1993: vi) Sprache als „grammatikalisierte Lexik“ und nicht als „lexikalisierte Grammatik“ . Er vertritt die Ansicht, dass der Schlüssel zu erfolgreichem Fremdsprachenerwerb darin liegt, lexikalische Phrasen (Chunks und Kollokationen) anstatt isolierter Strukturen zu lernen (vgl. auch Art. 25). Die Bildungsstandards (KMK 2012: 18) greifen dies auf und heben die Wichtigkeit eines breiten Repertoires grammatischer und lexikalischer Strukturen hervor, sodass komplexe Sachverhalte bewältigt werden können. Diesbezüglich haben in den letzten Jahrzehnten Entwicklungen im Bereich der digitalen Korpuslinguistik ermöglicht, zentrale Merkmale gesprochener Grammatik systematisch aufzuschlüsseln. Davon ausgehend wird argumentiert, dass in der Grammatik- 129 27. Verfügen über sprachliche Mittel: Grammatik vermittlung auch gesprochene Strukturen sowie gängige Kollokationen behandelt werden sollen, um aktive Sprachverwendung zu ermöglichen (McCarthy & Carter 2002: 58). 4. Praxisrelevanz Wenn wir Grammatik als eine sich im jeweiligen Kulturkreis etablierte Form von Bedeutungsvermittlung betrachten, die eng mit Lexik verknüpft ist, ergeben sich daraus ein bestimmter methodischer Ansatz und Aufgabenformen für die Entwicklung grammatischer Kompetenz. Raabe (2003: 283) betont die Notwendigkeit grammatischen Übens, um von anfänglichem Verstehen schrittweise zu einer freien Produktion fremdsprachlicher Strukturen zu gelangen. Daher sollten grammatische Übungen in inhalts- und mitteilungsbezogene situativ-kommunikative Zusammenhänge eingebettet sein (ebd.). Je nach Besonderheiten und Komplexität der erlernten Sprache im Vergleich zur Muttersprache müssen für unterschiedliche Grammatikinhalte unterschiedliche Lernaufgaben bereitgestellt werden. Hierfür exakte Richtlinien zu erstellen ist eine Herausforderung und wahrscheinlich sogar unmöglich. Sinnvoll erscheint jedoch eine Stufung vom Einfachen zum Komplexen, von geschlossenen Übungen zu offeneren Aufgaben und eine zyklische Progression, die sich an Sprechintentionen und Textsorten orientiert sowie auf kommunikativen Sprachgebrauch abzielt. Übungstypen wie strukturbasierte Tandembögen für die Partnerarbeit fördern eine interaktive Anwendung grammatischer Strukturen und Funktionen, während Entdeckungsaufgaben eine kognitive Reflexion über Grammatikbausteine sowie Unterschiede zu anderen den Schülerinnen und Schülern bekannten Sprachen in den Vordergrund stellen. Beispiele für Lernaufgaben, die der Entwicklung verschiedener Kompetenzen dienen sollen, sind in den Bildungsstandards (KMK 2012: 209-217) vorzufinden. Sie zielen z. B. auf einen sukzessiven Aufbau von Sprachbewusstheit durch inter- und intralingualen Sprachvergleich ab (ebd.: 216). 5. Perspektiven Sowohl in der Unterrichtspraxis und der Lehrwerkforschung als auch beim Erstellen von Unterrichtsmaterialien müssen die vielseitigen Komponenten von Grammatik als Lerninhalt berücksichtigt werden. Dabei bedarf es der Weiterentwicklung kreativer Modelle für eine differenzierte Grammatikvermittlung und nicht der Suche nach der ultimativen Methode. In seinem Postmethod- Konzept stellt Kumaravadivelu (1994: 38) zehn Makrostrategien auf, die als Wegweiser für einen Fremdsprachenunterricht, der den aktuellen pädagogischen Anforderungen gerecht wird, dienen soll. Dabei führt er das Fördern von Sprachbewusstheit, das Kontextualisieren linguistischen Inputs, das Fördern von Lernerautonomie und das Erhöhen eines kulturellen Bewusstseins als Strategien auf (ebd.: 33-42). Diese Strategien weisen auch bezüglich des Erwerbs grammatischer Kompetenz in eine richtige Richtung. Dabei müssen in Bezug auf die jeweilige Zielsprache folgende Fragen diskutiert und erforscht werden: • Welche methodischen Ansätze eignen sich für das Lehren, Lernen und Bewusstmachen bestimmter Formen des Sprachgebrauchs sowie lexikalisierter Phrasen? • In welchen Lehr-/ Lernkontexten ist eine explizite Vermittlung grammatischer Phänomene sinnvoll; inwieweit kann dafür die in bereits erworbenen Chunks vorhandene Grammatik bewusst gemacht werden? • Wie verwenden Lernende für sie neue grammatische Strukturen in der Fremdsprache? 130 Theresa Summer • Inwiefern profitieren sie von bewusstmachenden Verfahren (focus on form) und Fehlerkorrektur (vgl. Art. 86-87)? • Welche Lernstrategien und -techniken unterstützen das Grammatiklernen? • Wie kann Grammatikvermittlung den Aspekt der Heterogenität in Bezug auf unterschiedliche Lernstile berücksichtigen? Wenn Lehrende Grammatik als integrativen Bestandteil von Sprache berücksichtigen, sich kritisch mit den oben aufgeführten Fragen beschäftigen und dahingehend methodische Konzepte entwickeln, wird sich eine Grammatikvermittlung entwickeln, die unterschiedlichen Lernertypen und den heutigen Bildungszielen gerecht wird. Zudem bedarf es in sämtlichen Fremdsprachen mehr empirischer Unterrichtsforschung, damit aufgezeigt werden kann, welche methodischen Ansätze sich für welche Strukturen am besten eignen. Literatur Brumfit, C. (1984): Communicative methodology in language teaching: The roles of fluency and accuracy. Cambridge. Diyani Bingan, C. B. (2009): Für eine kulturkontrastive Grammatik im Deutschunterricht, in: L. Götze / P. Mueller-Liu / S. Traoré (Hrsg.): Kulturkontrastive Grammatik - Konzepte und Methoden. Frankfurt a. M., 309-327. Ellis, R. (2006): The author replies: A balanced perspective: a reply to Ron Sheen. TESOL Quarterly 40/ 4, 833-837. Europarat, Hrsg. (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Strasbourg. Gnutzmann, C. (2000): Englisch als globale lingua franca: Funktion und Entwicklung - Fragen des Lehrens und Lernens - Lernziel ,Mehrsprachigkeit‘. Fremdsprachen Lehren und Lernen 29, 23-36. Hawkins, E. (1984): Awareness of language: an introduction. Cambridge. Hulstijn, J. H. (1995): Not all grammar rules are equal: giving grammar instruction its proper place in foreign language teaching, in: R. Schmidt (Hrsg.): Attention and awareness in foreign language learning. Honolulu, 359-386. KMK (2004): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Hauptschulabschluss. München. KMK (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18. 10. 2012. Köln. Krashen, S. (1981): Second language acquisition and second language learning. Oxford. Kumaravadivelu, B. (1994): The postmethod condition: (e)merging strategies for second/ foreign language teaching. TESOL Quarterly 28/ 1, 27-48. Larsen-Freeman, D. (2003): Teaching language: from grammar to grammaring. Boston. Lewis, M. (1993): The lexical approach: the state of ELT and a way forward. London. Mackey, W. F. (1965): Language teaching analysis. London. McCarthy, M. / Carter, R. (2002): Ten criteria for a spoken grammar, in: E. Hinkel / S. Fotos (Hrsg.): New perspectives on grammar teaching in second language classrooms. Mahwah, 51-75. Müller, M. / Rocha-Lieder, A. / Roll, B. / Schrameyer, A., Hrsg. (2009): Herkunftswörterbuch. Gütersloh. Newby, D. (2008): Representations of pedagogical grammar: a cognitive + communicative approach, in: W. Delanoy / L. Volkmann (Hrsg.): Future perspectives for English language teaching. Heidelberg, 29-44. Norris, J. M. / Ortega, L. (2000): Effectiveness of L2 instruction: a research synthesis and quantitative meta-analysis. Language Learning 50/ 3, 415-528. 131 28. Kulturell geprägte Konventionen des Sprachgebrauchs Pörings, R. / Schmitz, U. (2003): Sprache und Sprachwissenschaft: Eine kognitiv orientierte Einführung. Tübingen. Raabe, H. (2003): Grammatikübungen. In: K.-R. Bausch, / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Aufl., Tübingen, 283-287. Sheen, R. (2006): Comments on current issues in the teaching of grammar: an SLA perspective. TESOL Quarterly 40/ 4, 828-832. Timmis, I. ( 2 2013): Introduction: teaching grammar, in: M. Eisenmann / T. Summer (Hrsg.): Basic issues in EFL teaching and learning. Heidelberg, 119-129. Theresa Summer 28. Kulturell geprägte Konventionen des Sprachgebrauchs 1. Begrifflichkeit Sich eine Sprache anzueignen ist mehr, als Vokabular und Grammatik zu lernen. Vielmehr sind Sprachen in einen bestimmten kulturellen Kontext eingebettet. Die Regeln ihres Gebrauchs werden von der Kultur geformt und formen im Gegenzug die Kultur (vgl. Bredella 1999: 86-90). Daher gehört zum Erlernen einer Sprache auch die Einsicht, dass die Konventionen des Sprachgebrauchs, d. h. wie man jemandem etwas anbietet, wie man bittet, sich entschuldigt, Komplimente macht oder gar jemanden beleidigt, kulturell geprägt sind (Martínez-Flor & Usó-Juan 2010: 423). So zeigt eine neuere Studie von Ogiermann (2009) z. B., dass Bitten und Aufforderungen auf Deutsch, Englisch, Polnisch und Russisch mit unterschiedlicher Direktheit und anhand unterschiedlicher Modifikationspräferenzen realisiert werden. Ein weiteres Beispiel ist die Arbeit von Günthner (1994), in der gezeigt wird, dass rituelle Ablehnungen von Angeboten im Chinesischen ganz im Gegensatz zum Deutschen Standard sind. Wer eine Sprache lernt, muss auch lernen, dass ein unterschiedlicher Gebrauch von Sprache zu Missverständnissen führen kann. Die Gesetze unseres Handelns (also auch des Gebrauchs von Sprache) werden bei der kindlichen Sozialisation erworben und daher oft als universell verstanden. Verstöße gegen die Regeln des Sprachgebrauchs werden daher nicht selten als Defizite in der Persönlichkeit des Sprechers fehlinterpretiert (Yates 2010: 300 f.): Wenn ein Russe in einer Situation eine Imperativform verwendet, in der ein Engländer eine weniger direkte Strategie verwenden würde, hält ihn sein englischer Gesprächspartner für unhöflich - eben deshalb, weil nur ein unhöflicher Engländer in dieser Situation eine Befehlsform verwenden würde. Gerade weil sich solche Missverständnisse ereignen können, ist anzustreben, dass Fremdsprachenlernende auch lernen, wie sie die alltäglichen oder die für sie nötigen linguistischen Handlungen in der Zielsprache angemessen umsetzen. Die Tatsache, dass sprachliche Kommunikation ein wichtiger Bestandteil interkultureller Kompetenz ist, wird in Modellen der Fremdsprachendidaktik immer wieder betont (vgl. Byram 1997; vgl. auch Art. Nr. 29). Dessen ungeachtet merkt Spencer-Oatey (2010) in einer Analyse einschlägiger Modelle an, dass kulturellen Unterschieden in der Verwendung von Sprache in diesen Modellen häufig keine große Aufmerksamkeit gezollt wird. Das ist auch in Byrams (1997) Beschreibung der Komponenten interkultureller kommunikativer Kompetenz der Fall: Byram erwähnt nur an einer einzigen Stelle - nämlich bei den Fähigkeiten zu interpretieren und Bezüge herzustellen - , dass es kulturelle Unterschiede im Sprachgebrauch gibt, führt diesen Punkt aber nicht weiter aus. 132 Anne Barron Die Bedeutung kulturell geprägter Konventionen wird im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (Europarat 2001) im Bereich kommunikativer Sprachkompetenz und teilweise auch im Bereich der interkulturellen Fertigkeiten (5.1.2.2) angesprochen. Darüber hinaus heißt es unter 5.2.2.2 über Höflichkeitskonventionen, einem Teilbereich der kommunikativen Sprachkompetenz, sie variierten von einer Kultur zur anderen und seien häufig Quelle interkultureller Missverständnisse (vgl. Europarat 2001: 96). Wenn man kulturellen Konventionen auf linguistischer Ebene mehr Aufmerksamkeit schenkt, profitiert davon die Entwicklung kommunikativer, aber auch und insbesondere interkultureller kommunikativer Kompetenz. Vor dem Hintergrund der Bildungsstandards (KMK 2012) für den Fremdsprachenunterricht der gymnasialen Oberstufe versteht sich der vorliegende Text als Bindeglied: Er leistet sowohl einen Beitrag für den Bereich interkultureller kommunikativer Kompetenz, wie auch für den Kompetenzbereich „Verfügen über sprachliche Mittel“ , der zu den kommunikativen Kompetenzen gehört (vgl. KMK 2012: 11, 20-22). 2. Historischer Abriss Das Forschungsfeld der interkulturellen Pragmatik beschäftigt sich mit kulturell geprägten Konventionen des Sprachgebrauchs. Der Fokus liegt dabei zum einen auf der Frage, wie kommunikative Funktionen in verschiedenen Sprachen realisiert werden (pragmalinguistischer Fokus). Zusätzlich wird dabei auch der soziale Kontext kommunikativer Handlung in Betracht gezogen (soziolinguistischer Fokus). Die Forschung auf diesem Gebiet begann in den 1980er Jahren. Sie konzentrierte sich zunächst auf die Analyse von Sprechakten, neuerdings auch auf Diskurskonventionen im kulturellen Vergleich. Wegweisend dabei war das Cross Cultural Speech Act Realisation Project (CCSARP ), das Bitten und Entschuldigungen in verschiedenen Situationen und verschiedenen Kulturen untersuchte (Blum-Kulka, House & Kasper 1989). Die Tochterdisziplin der Lernersprachenpragmatik beschäftigt sich mit dem Sprachgebrauch von Lernenden einer Fremd- oder Zweitsprache (Kasper 2010a, 2010b; Bardovi-Harlig 2013). In den späten 1980er und 1990er Jahren konzentrierten sich die Studien auf die Sprachproduktion von Lernenden. Ausgewertet wurde v. a., wie „höflich“ (aus Sicht der muttersprachlichen Norm) ein Lernender verschiedene Sprechakte im Vergleich zu einem Muttersprachler formulierte (Bardovi-Harlig 2010b: 232; 2013: 147; Yates 2010: 291-295). Diese Phase wurde stark durch die interkulturelle Pragmatikforschung und die Höflichkeitstheorie von Brown & Levinson (1987) beeinflusst. Seit Anfang dieses Jahrhunderts sah sich die Lernersprachenpragmatik zunehmend durch die Forschung zum Zweitsprachenerwerb beeinflusst. Eine Reihe von Langzeit- und Querschnittstudien untersuchte etwa den Erwerb pragmatischer Kompetenz in einer Vielzahl von Kontexten sowie die Auswirkung von Lehrinterventionen. Gleichzeitig wurden die Angemessenheit einer muttersprachlichen Norm und die Auswirkungen der globalen Gesellschaft auf die anzustrebende Norm diskutiert. Derzeit gewinnt die Forschung zum Sprachgebrauch des Lerners auf der Interaktionsebene an Dynamik (Bardovi-Harlig 2010a; Barron 2012: 44 f.). 3. Forschungsstand Die Forschung in der interkulturellen Pragmatik hat eine Fülle von interkulturellen Beschreibungen verschiedener Sprechakte her- 133 28. Kulturell geprägte Konventionen des Sprachgebrauchs vorgebracht (Yates 2010; Ochs 1996: 425- 431). Die Mehrheit dieser Sprechakte hat sich als universell erwiesen, wie auch die zu ihrer Realisierung angewandten Strategien. Auf der anderen Seite wurden viele Unterschiede sichtbar. So zeigte sich bspw., dass sich die Gewichtung spezifischer Kontextfaktoren zwischen Kulturen unterscheidet. Ferner werden bestimmte Strategien und Modifikationstypen in verschiedenen Kulturen unterschiedlich häufig gewählt. Dazu kommen Unterschiede in der sprachlichen Realisierung von Sprechaktstrategien. Studien in der Lernersprachenpragmatik haben gezeigt, dass es Lernenden häufig gelingt, sich gemäß den Konventionen ihrer Zielsprache auszudrücken. Allerdings klappt das v. a. bei jenen Konventionen, die nachgewiesenermaßen universell sind, in denen die Lernenden also einfach die Gebrauchsregeln ihrer Muttersprache übertragen können. Häufig verwenden Lernende zudem in einem bestimmten Kontext andere semantische Formeln als Muttersprachler und realisieren die Strategien sprachlich auf andere Weise (Bardovi-Harlig 2010a: 236 f.; Kasper 2010b: 143 f.). Diese Unterschiede lassen sich ebenfalls als pragmatische Übertragung aus der Muttersprache interpretieren - in diesem Fall jedoch als negative, also falsche, pragmatische Übertragung. Darüber hinaus können Unterschiede zum Sprachgebrauch von Muttersprachlern auch von der begrenzten Sprachkompetenz des Lernenden herrühren. So erfordern Modifizierungen über die Vergangenheitsform, Bedingungssätze oder Modalverben ein höheres Maß an Sprachkompetenz als der Höflichkeitsmarker bitte, was dazu führen kann, dass diese Form trotz Unangemessenheit verwendet wird. Oft erklären sich unangemessene Realisierungen von Lernenden jedoch schlicht daraus, dass sie die Ausdrucksroutinen der erlernten Sprache nicht kennen (vgl. Kasper 2010b: 143 f.). Daraus resultieren dann Ablehnungsstrategien, wie in Barron (2003) berichtet, wie Ich brauche Sie nicht, Ich habe keine Probleme oder Ich brauche keine Hilfe statt der angemesseneren Ausdrucksroutinen es geht schon oder nicht nötig. Angesichts der engen Beziehung zwischen Kultur und Sprachgebrauch sowie der Unterschiede zwischen Lernenden und Muttersprachlern auf der Ebene des Sprachgebrauchs besteht ein allgemeiner Konsens, dass pragmatische Kompetenz vermittelt werden muss. Dass ein solcher Unterricht erfolgreich sein kann, dokumentieren inzwischen einige Studien (Bardovi-Harlig 2013: 152 f.; Martínez-Flor & Usó-Juan 2010: 423). Die aktuelle Forschung konzentriert sich darauf, welche pädagogisch-didaktischen Ansätze in der Lehre pragmatischer L2-Kompetenz am effektivsten sind (Glaser 2014). Besonders erfolgversprechend scheint heute ein expliziter Ansatz zu sein, der die Bereitstellung metapragmatischer Informationen einbezieht (Takahashi 2010). 4. Praxisrelevanz Lehrwerke wurden lange dafür kritisiert, dass sie Lernenden keine geeigneten pragmatischen Inhalte bieten. Viele Sprechakte wie etwa Ablehnungen und Beschwerden kommen in Lehrwerken nur selten vor (Delen & Tavil 2010). Die Sprechakte, die enthalten sind, spiegeln oft nicht den wirklichen Sprachgebrauch wider, und pragmalinguistische Realisierungen werden ohne Kontext präsentiert. Weitere Kritikpunkte beziehen sich auf einen Mangel an Möglichkeiten für die gemeinsame Übung und einen Mangel an metapragmatischer Reflexion (Martinéz- Flor & Usó-Juan 2010; Bardovi-Harlig 2013: 158 f.). Es gibt vielfältige Empfehlungen, diese gegenwärtigen Beschränkungen anzugehen. Die Analyse von Filmsequenzen oder von 134 Anne Barron Transkripten natürlicher Gespräche ist eine Möglichkeit, den pragmatischen Input zu steigern. Der erste Schritt bei der Aneignung pragmatischer Kompetenz in einem Sprechakt ist es, die Lernenden dafür zu sensibilisieren, dass sich die Sprachkonventionen unterscheiden. Dazu können Lernende z. B. vergleichen, wie sich Sprechakte in der Zielsprache von denen in ihrer eigenen Muttersprache unterscheiden. Nach dieser Sensibilisierung folgt das Training dieser Sprechakte in der kommunikativen Praxis - etwa in Rollenspielen oder durch Interaktion mit Muttersprachlern bzw. Sprechern mit fortgeschrittenen Kenntnissen im Rahmen einer computervermittelten Kommunikation (Martínez-Flor & Usó-Juan 2010). 5. Perspektiven Es gibt viele Möglichkeiten, die Ergebnisse der interkulturellen und lernersprachenpragmatischen Forschung in Fremdsprachenlehrbücher aufzunehmen. Diese gilt es in Zukunft verstärkt zu nutzen. Eine wichtige Frage ist in diesem Zusammenhang, wie sich der Erwerb pragmatischer L2-Kompetenz objektiv messen lässt. Die aktuelle Forschung hat die Zuverlässigkeit, Validität und Praktikabilität einer Reihe von Testmethoden untersucht. Die Ergebnisse sind allerdings inkonsistent. Die etablierten Tests müssen daher weiter validiert und neuartige Testmethoden entwickelt werden (Liu 2010: 483; Ross & Kasper 2013). Abschließend ein Wort zur Pragmatik plurizentrischer Varietäten, also von Sprachen, die in verschiedenen Regionen als Muttersprache gesprochen werden (z. B. Englisch in den USA, Irland und Indien oder Spanisch in Spanien, Ecuador und Uruguay): Die Forschung zu kulturell geprägten Konventionen des Sprachgebrauchs hat sich in den letzten 35 Jahren auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den pragmatischen Normen verschiedener Sprachen konzentriert. Kontrastive pragmatische Untersuchungen auf der Ebene nationaler Varianten sind eine vergleichsweise neue Entwicklung und stellen ein Forschungsgebiet von zunehmendem Interesse dar (Schneider & Barron 2008). Gerade für Sprachen mit plurizentrischen Varietäten wie Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch sind die Ergebnisse solcher Untersuchungen - auch für den Fremdsprachenunterricht - von großer Bedeutung. Literatur Bardovi-Harlig, K. (2010a): Exploring the pragmatics of interlanguage pragmatics: Definition by design, in: A. Trosborg (Hrsg.): Pragmatics across languages and cultures. Berlin, 219-259. Bardovi-Harlig, K. (2010b): Pragmatics and second language acquisition, in: R. B. Kaplan (Hrsg.): The handbook of applied linguistics. Oxford, 232-243. Bardovi-Harlig, K. (2013): Pragmatics in second language acquisition, in: S. M. Gass / A. Mackey (Hrsg.): The Routledge handbook of second language acquisition. London, 147-162. Barron, A. (2003): Acquisition in interlanguage pragmatics: Learning how to do things with words in a study abroad context. Amsterdam. Barron, A. 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In der Fremdsprachendidaktik ist der Begriff eng 136 Britta Freitag-Hild mit Michael Byrams (1997) Modell der intercultural communicative competence verknüpft, das sich nicht nur in der fremdsprachendidaktischen Forschung etabliert, sondern auch zentrale nationale und europäische bildungspolitische Dokumente wie den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (GeR) sowie die Bildungsstandards im deutschen Bildungssystem geprägt hat. Mit Byrams Ansatz, der die Bedeutung des soziokulturellen Kontextes für Kommunikation und Verständigung hervorhebt, erfährt die fremdsprachendidaktische Zielsetzung der kommunikativen Kompetenz eine signifikante Erweiterung: In der von Migration und Globalisierungsprozessen geprägten Welt muss Kommunikation als mehr als der erfolgreiche Austausch von Informationen oder das Senden kommunikativer Botschaften verstanden werden, weil jede kommunikative Situation auch von den Wahrnehmungen, den Einstellungen und Sichtweisen der Gesprächspartner und ihren komplexen sozialen und kulturellen Identitäten beeinflusst wird (vgl. Byram 1997: 3). Byram hinterfragt daher das Modell des native speakers als Leitbild für den Fremdsprachenunterricht und plädiert stattdessen für die Orientierung am Konzept eines intercultural speaker, der neben der linguistischen und soziolinguistischen Kompetenz sowie der Diskurskompetenz auch über interkulturelle Kompetenzen verfügt. Byrams Modell identifiziert fünf Faktoren interkultureller Kommunikation, die für die Ausbildung interkultureller Kompetenz besonders zu berücksichtigen sind: attitudes, knowledge, skills of interpreting and relating, skills of discovery and interaction, critical cultural awareness (vgl. ebd.) Um interkulturelle Lehr- und Lernprozesse im Fremdsprachenunterricht strukturierbar und individuelle Lernleistungen überprüfbar zu machen, operationalisiert Byram die fünf Lernzielbereiche, indem er konkrete Teilziele bestimmt: 1) Attitudes : Neugier und Offenheit gegenüber kultureller Fremdheit gelten als notwendige Voraussetzungen für erfolgreiche interkulturelle Kommunikation. Zudem gilt es die Bereitschaft der Lernenden zu fördern, sich auf andere kulturelle Denk- und Wahrnehmungsweisen einzulassen, eine wertschätzende Haltung gegenüber kultureller Fremdheit zu entwickeln und sich von eigenen kulturellen Sichtweisen und Vorannahmen zu distanzieren, sie zu relativieren und auch kritisch zu hinterfragen (,Dezentrierung‘). 2) Knowledge : Interkulturelle Kommunikation wird u. a. durch das Wissen der Gesprächspartner über gesellschaftliche Gruppen im ,eigenen‘ Land bzw. im Land des Gesprächspartners, über die Geschichte, das nationale Gedächtnis und Sozialisationsprozesse beeinflusst. Der intercultural speaker muss ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie dieses Wissen die eigene Wahrnehmung, die eigene Reaktion auf kulturelle Fremdheit, aber auch diejenige des Gesprächspartners prägt und wie man in einer kommunikativen Situation damit umgehen kann. 3) Skills of interpreting and relating: Dieser Lernzielbereich bezieht sich auf die Fähigkeit, fremdkulturelle Dokumente oder Ereignisse zu interpretieren und zu verstehen sowie mit eigenen kulturellen Dokumenten und Sichtweisen in Beziehung zu setzen. Der intercultural speaker verfügt dabei über Fähigkeiten, ethnozentrische Sichtweisen, Missverständnisse und Unterschiede in der kulturellen Wahrnehmung zu erkennen, in ihrer Entstehung zu verstehen und gegensätzliche Sichtweisen miteinander auszuhandeln. 4) Skills of discovery and interaction : Der intercultural speaker verfügt außerdem über Fertigkeiten, um sich selbstständig neues Wissen über Kulturen und kulturelle Bedeutungen oder Verhaltensweisen anzueignen 137 29. Interkulturelle kommunikative Kompetenz und zur Bewältigung konkreter Kommunikationssituationen einzusetzen. Dabei geht es sowohl um das Erschließen von Quellen zur Informationsbeschaffung als auch um die Auseinandersetzung mit Gesprächspartnern in konkreten Kommunikations- und Interaktionssituationen, in denen der intercultural speaker geeignete Techniken und Strategien nutzt, um z. B. Missverständnisse aufzuklären, Hindernisse in der Kommunikation aus dem Weg zu räumen oder die Rolle eines Vermittlers einzunehmen. 5) Critical cultural awareness : In Byrams Ansatz kommt zudem der Ausbildung der Fähigkeit zur kritischen Bewertung eigener und fremder kultureller Sichtweisen auf der Grundlage definierter Werte eine besondere Bedeutung zu, und er sieht eine wichtige Aufgabe des Fremdsprachenunterrichts darin, zur politischen Bildung der Fremdsprachenlernenden beizutragen. 2. Problemaufriss In der deutschen Fremdsprachendidaktik haben sich Ansätze zum interkulturellen Lernen seit Beginn der 1990er Jahre zum festen Bestandteil des Fremdsprachenunterrichts entwickelt. Insbesondere die Didaktik des Fremdverstehens (vgl. z. B. Bredella & Christ 1995; 2007), aber auch weitere Ansätze zur kulturwissenschaftlichen Öffnung der Fremdsprachendidaktik (vgl. z. B. Hallet 2002; Hallet & Nünning 2007) haben dabei zur Theoriebildung beigetragen und die Auseinandersetzung über Zielsetzungen, Inhalte und Methoden im interkulturellen Fremdsprachenunterricht vorangetrieben. Obgleich der Begriff interkulturelles Lernen unterschiedlich gefüllt wird, beruhen die verschiedenen Ansätze allesamt auf einem durch die Kulturwissenschaften veränderten Kulturbegriff sowie einer veränderten Rolle der Lernenden (vgl. Delanoy & Volkmann 2006: 12 f.). In Abgrenzung von einer positivistisch verstandenen Landeskunde gehen Ansätze zum interkulturellen Lernen von einem prozesshaften, dynamischen und komplexen Kulturverständnis aus und richten ihr Augenmerk auf die aktive Rolle der Lernenden im (inter-)kulturellen Lernprozess. Die Zielsetzungen interkulturellen Lernens beziehen sich dabei sowohl auf kognitive als auch auf affektive Lernziele, die den drei Bereichen Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen zugeordnet werden können. Mit der Veröffentlichung des GeR wurde in der Fremdsprachendidaktik eine Entwicklung eingeleitet, die den Fremdsprachenunterricht sowie die fremdsprachendidaktische Forschung in Europa insgesamt nachhaltig beeinflusst hat: Die Formulierung von Kompetenzniveaus beim Fremdsprachenlernen und die Bestimmung von Teilkompetenzen in Form von Könnensbeschreibungen führte zu einer stärkeren Ausrichtung an der Ausbildung der Kompetenzen von Fremdsprachenlernenden. Die Leistung des GeR und der in den Blick genommenen Kompetenzorientierung für das interkulturelle Lernen wird dabei ambivalent beurteilt: Einerseits wird die Bedeutung interkultureller Lernziele gestärkt, indem neben den kommunikativen Kompetenzen auch die Ausbildung interkultureller Kompetenzen als wichtiges Lernziel im Fremdsprachenunterricht definiert wird (u. a. interkulturelles Bewusstsein, interkulturelle Fertigkeiten, Einstellungen wie Offenheit, Neugier, Bereitschaft zur Dezentrierung; vgl. Europarat 2001: 105 ff.). Im Gegensatz zu den kommunikativen Fertigkeiten, die mithilfe von Könnensbeschreibungen und Kompetenzskalen konkretisiert werden, fehlt jedoch andererseits eine solche Definition von Teilkompetenzen für den Bereich der interkulturellen Kompetenzen, sodass Kritiker vor einer Ausblendung interkultu- 138 Britta Freitag-Hild reller Lerninhalte in der Praxis warnen (vgl. die Beiträge in Bausch et al. 2003). Die im GeR bereits angelegte Kompetenzorientierung wurde im deutschen Bildungssystem durch die Implementierung der nationalen Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss (KMK 2003; 2004) zusätzlich verstärkt und prägt mittlerweile u. a. durch die Erarbeitung von Kerncurricula in den Bundesländern, Schulcurricula und kompetenzorientierten Lehrwerken die Vorstellung von ,gutem‘ Fremdsprachenunterricht. Die Kultusministerkonferenz definiert in den Bildungsstandards für die erste Fremdsprache die Entwicklung „interkultureller Handlungsfähigkeit“ (KMK 2003: 6) als zentralen Bildungsauftrag des schulischen Fremdsprachenunterrichts und misst der Entwicklung interkultureller Kompetenzen neben der Ausbildung funktionaler kommunikativer Kompetenzen und einer umfassenden Methodenkompetenz einen hohen Stellenwert bei (ebd.: 6 ff.). Als Teilbereiche interkultureller Kompetenzen werden der Erwerb von „soziokulturelle[m] Orientierungswissen“ , von „Fähigkeiten im Umgang mit kultureller Differenz“ und von „Strategien und Fähigkeiten zur praktischen Bewältigung interkultureller Begegnungssituationen“ angestrebt (ebd.: 10). Trotz der Bedeutung interkultureller Lernziele versäumen es die Bildungsstandards für den Haupt- und Realschulabschluss (vgl. KMK 2004, 2005) allerdings ebenso wie der GeR, interkulturelle Kompetenzen in Form von Könnensbeschreibungen näher zu bestimmen, Niveaustufen für den Erwerb interkultureller Kompetenz zu definieren und Aufgabenbeispiele zur Veranschaulichung der Anforderungen im interkulturellen Fremdsprachenunterricht zu entwickeln. Die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache für die Allgemeine Hochschulreife (KMK 2012) stellen insofern eine Weiterentwicklung der Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss dar, als interkulturelle Kompetenz hier als interkulturelle kommunikative Kompetenz neu definiert und positioniert wird (vgl. ebd.: 12 f.). Sie wird als „wesentliches Element des fremdsprachlichen Bildungskonzepts der gymnasialen Oberstufe“ (ebd.: 13) gesehen, das sich im fremdsprachlichen Verstehen und Handeln manifestiert und die Dimensionen Wissen, Einstellungen und Bewusstheit umfasst (vgl. ebd.: 12 f.). Lernende sollen sowohl fremdkulturelles Wissen in Form von soziokulturellem Orientierungswissen als auch strategisches Wissen über Kommunikation in interkulturellen Kontexten erwerben, die Bereitschaft und Fähigkeit zur respektvollen und kritischen Auseinandersetzung mit kultureller Fremdheit ausbilden und auch ihre Bereitschaft und Fähigkeit zur bewussten Wahrnehmung und kritischen Reflexion eigener Standpunkte entwickeln (vgl. ebd.: 19). Auf diese Weise sollen sie in die Lage versetzt werden, „zu kulturellen Geprägtheiten Empathie wie auch kritische Distanz zu entwickeln, ein begründetes persönliches Urteil zu fällen und ihr eigenes kommunikatives Handeln situationsangemessen und adressatengerecht zu gestalten“ (ebd.). Die Bildungsstandards verzichten auch hier auf eine Niveauabstufung für den Erwerb interkultureller Kompetenzen, da sie mit Verweis auf mangelnde empirische Erkenntnisse in der Forschung als nicht sinnvoll erachtet wird (vgl. ebd.: 14). Hingegen löst das bildungspolitische Dokument die lange geforderte Veranschaulichung der definierten Anforderungen ein, indem sowohl exemplarische Prüfungsaufgaben als auch Lernaufgaben vorgestellt werden, die komplexe Lernprozesse anstoßen sollen, und komplexe Kompetenzen bei der Überprüfung nicht auf Teilfertigkeiten reduziert werden. 139 29. Interkulturelle kommunikative Kompetenz 3. Forschungsstand und Perspektiven Die Ausblendung zentraler Lerninhalte in den Kompetenzbeschreibungen und Aufgabenbeispielen der Bildungsstandards stieß in der Fremdsprachendidaktik auf Kritik (vgl. u. a. die Beiträge in Bausch et al. 2005). Mehrfach wurde die Forderung nach empirischen Forschungsprojekten und der Entwicklung von Aufgabenbeispielen im Bereich der interkulturellen und literarischen Kompetenzen geäußert (vgl. z. B. Zydatiß 2005) - zwei Kompetenzbereiche, die als schwer messbar gelten und daher auch in den Bildungsstandards nur unzureichend operationalisiert worden waren. In den folgenden Jahren führte dies zu Bemühungen bei der Entwicklung von Aufgabenbeispielen zur Konkretisierung der in den Standards definierten Anforderungen (vgl. z. B. Tesch et al. 2008) sowie zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit der Frage nach der Evaluation und Überprüfung interkultureller Kompetenzen (vgl. Hu & Byram 2009) bzw. der Entwicklung geeigneter Kompetenzmodelle (vgl. Eberhardt 2013). Verschiedene empirische Studien zur Unterrichtsforschung in diesem Bereich setzen sich außerdem mit der Erforschung interkultureller Lernprozesse und geeigneter Aufgaben im Fremdsprachenunterricht auseinander (vgl. z. B. Burwitz-Melzer 2003; Freitag-Hild 2010; Jäger 2011). Ein weiterer aktueller Forschungsbereich beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern die Begriffe des interkulturellen Lernens und der interkulturellen Kompetenz durch Begriffe wie transkulturelles Lernen bzw. transkulturelle Kompetenz erweitert oder sogar ersetzt werden sollten (vgl. hierzu Art. 4 in diesem Band sowie Eckerth & Wendt 2003; Freitag 2010; Matz et al. 2014). Literatur Bausch, K.-R. / Burwitz-Melzer, E. / Königs, F. G. / Krumm, H.-J., Hrsg. (2005): Bildungsstandards auf dem Prüfstand. Arbeitspapiere der 25. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen. Bausch, K.-R. / Christ, H. / Königs, F. G. / Krumm, H.-J., Hrsg. (2003): Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Arbeitspapiere der 22. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen. Bredella, L. / Christ, H., Hrsg. (1995): Didaktik des Fremdverstehens. Tübingen. Bredella, L. / Christ, H., Hrsg. (2007): Fremdverstehen und interkulturelle Kompetenz. Tübingen. Burwitz-Melzer, E. (2003): Allmähliche Annäherungen. Fiktionale Texte im interkulturellen Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe I. Tübingen. Byram, M. (1997): Teaching and assessing intercultural communicative competence. Clevedon. Delanoy, W. / Volkmann, L., Hrsg. (2006): Cultural studies in the EFL classroom. Heidelberg. Eberhardt, J.-O. (2013): Interkulturelle Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht. Auf dem Weg zu einem Kompetenzmodell für die Bildungsstandards. Trier. Eckerth, J. / Wendt, M., Hrsg. (2003): Interkulturelles und transkulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht. Frankfurt a. M. Europarat, Hrsg. (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Strasbourg. Freitag, B. (2010): Transkulturelles Lernen, in: W. Hallet / F. G. Königs (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber, 125- 129. Freitag-Hild, B. 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Begrifflichkeit Der Begriff der Text- und Medienkompetenz stammt aus den Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife (KMK 2012) und wird dort erstmalig für ein neu konzipiertes, integratives Kompetenzfeld eingeführt. Ziel der Modellierung dieses Kompetenzbereichs war einerseits, einen zeitgemäßen offenen Textbegriff in den Bildungsstandards zu verankern und ihn mit Standards und Aufgaben zu veranschaulichen. Andererseits sollte der Arbeit mit einer Vielfalt von Textsorten und unterschiedlichen Medien im Fremdsprachenunterricht für fortgeschrittene Lernende eine operationalisierte Grundlage gegeben werden. Damit unterscheidet sich dieser Kompetenzbereich maßgeblich von allen anderen rezeptiven und produktiven Kompetenzen wie Hörverstehen oder Sprechen, die jeweils einen isolierten Fertigkeitsbereich zu einem Bündel von Operationalisierungen zusammenfassen. Sein Konzept basiert nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen der Sprachdidaktik, sondern auf dem Bemühen, eine sinnvolle text-, kultur- und mediendidaktische Grundlage von Standards zu schaffen, die aus unterrichtlichen Erkenntnissen gewonnen wurde und nun in den Unterricht zurückwirken soll. Hier wird also ein Kompetenzbereich geschaffen, der - quasi als Schnittmenge - verschiedene Kompetenzbereiche miteinander in Beziehung setzt und sie in einer zielgerichteten Operationalisierung in den Fremdsprachenunterricht der gymnasialen Oberstufe integriert. 141 30. Text- und Medienkompetenz 2. Problemlage Die Grundlage, auf der das Konzept der Text- und Medienkompetenz aufbaut, ist komplex (vgl. Burwitz-Melzer & Caspari 2016). Bereits Mitte der 1990er Jahre führt die New London Group einen offenen Textbegriff ein, der Medien und Drucktexte gleichberechtigt nebeneinander stellt. Gleichzeitig fordert die Gruppe von Autoren eine neue Pädagogik für den Unterricht, um Lernende angemessen auf die Anforderungen in der modernen Welt vorzubereiten (vgl. New London Group 1996: 10). Fremdsprachendidaktiker greifen diesen Appell auf (vgl. Art. 9); sie entwickeln neben literatur-, kultur- und filmdidaktischen Modellierungen von Kompetenzen auch Konzepte, die eine Arbeit mit dem damals neuen Medium Computer und seinen vielfältigen Textsorten erlauben (z. B. Burwitz-Melzer 2007; Hallet & Krämer 2012). Dabei ist man sich einig, dass ein zukunftsweisender Fremdsprachenunterricht nur erfolgreich sein kann, wenn eine Vielfalt an Texten und Medien, wie sie in der Lebens- und zukünftigen Berufswelt der Lernenden vorkommen, als Gesprächs- und Reflexionsanlass angeboten wird. Dies schließt kontinuierliche und diskontinuierliche Texte, Print-, Audio- und audiovisuelle Texte ein (vgl. Hecke 2010: 325 f.), hatte doch die Lehr-/ Lernerfahrung mit der Kompetenzorientierung in der Sekundarstufe I in den Jahren nach ihrer Einführung gezeigt, dass nur sehr wenige Textsorten neben den traditionellen Lehrwerktexten im Unterricht eingesetzt werden. Ein weiterer Kritikpunkt der fremdsprachlichen Fachdidaktik richtete sich gegen die sehr eindimensionale Darstellung der komplexen Verstehens- und Produktionsprozesse, die im Unterricht mit Texten und Medien ablaufen: Die bisherige Darstellung der rezeptiven und produktiven Kompetenzbereiche in den Bildungsstandards für die Sekundarstufe I konnte diese Prozesse nicht ausreichend abbilden (vgl. Bredella 2005; Burwitz-Melzer 2007). Dieses Manko wird verständlich, wenn man die Genese der Bildungsstandards betrachtet. Im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (Europarat 2001), einem der wichtigsten bildungspolitischen Grundlagen für die Bildungsstandards im Fremdsprachenunterricht (vgl. Quetz & Vogt, 2009: 64-69) wird der neu entdeckten Text- und Medienvielfalt im Fremdsprachenunterricht zwar oberflächlich Rechnung getragen, doch werden die neuen Medien meist ebenso wie literarische Texte bei der Erstellung der Skalen ausgespart. Die Autoren erkennen mittels einer salvatorischen Klausel zwar an, dass es eine Vielfalt von (literarischen) Textsorten gibt, die sie nicht berücksichtigt haben, doch legen sie das Problem einer Einbeziehung solcher Texte in die Hände der bildungspolitisch Verantwortlichen in den einzelnen europäischen Ländern (vgl. Europarat 2001: 96). Mit dieser Ausklammerung eines traditionell zentralen Textbereichs für den Fremdsprachenunterricht treten auch die Kompetenzen, die mit der Sinnkonstitution dieser Texte verbunden sind, in den Hintergrund. Kulturelles, soziokulturelles und interkulturelles Wissen und die damit verbundenen Fertigkeiten und Fähigkeiten werden im GeR nur zu einem sehr geringen Teil angesprochen, nicht aber als wichtige Kompetenzen für Lese- und Hörverstehen oder Hör-/ Sehverstehen oder die Sprachproduktion dargestellt. Da die Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss (KMK 2004) auf der Grundlage der Kompetenzbeschreibungen im Referenzrahmen verfasst werden, spiegeln sie diese Problematik wider. In Bezug auf die Kompetenzbeschreibungen zum Lesen, Hörverstehen und Hör-/ Sehverstehen, aber auch beim Schreiben und Sprechen, haben sie die einseitige Darstellung der 142 Eva Burwitz-Melzer Dekodier- und Arbeitsprozesse und die Operationalisierung der dabei beteiligten Kompetenzen aus dem Referenzrahmen übernommen (vgl. Art. 18). Auch hier kommen literarische Texte bei den Kompetenzbeschreibungen und bei den exemplarischen Musterbeispielen für Aufgaben zu kurz. 3. Praxisrelevanz Die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife (KMK 2012) wollen beide von den Fachdidaktikern angemahnten Mängel beseitigen. Bereits im ersten Absatz der Beschreibung der Text- und Medienkompetenz wird deutlich gesagt, dass „alle mündlich, schriftlich und medial vermittelten Produkte, die Schülerinnen und Schüler rezipieren, produzieren oder austauschen“ als Text verstanden werden (ebd.: 22). Später wird ausgeführt, dass die Text- und Medienkompetenz auch das „Verstehen und Deuten von kontinuierlichen und diskontinuierlichen - auch audio- und audio-visuellen Texten“ (ebd.: 23) umfassen soll; mehrfach ist vom Einbezug inhaltlich komplexer, literarischer und nicht-literarischer Texte die Rede (vgl. ebd.). Einbezogen in die Kompetenzbeschreibungen werden sollen erstmalig auch die Beziehungen zwischen Texten und Medien, also Intertextualität und Intermedialität. Betrachtet man die Operationalisierung der Standards, so geht man von einer grundlegenden und einer erhöhten Niveaustufe aus, die sich auf die Zielvorstellung von Grundbzw. Leistungskursen in der Fremdsprache beziehen und im Prinzip die Unterrichtsarbeit mit Texten unterschiedlichster Art widerspiegeln: Die ersten drei Standards beziehen sich auf das Verstehen von Texten und die Fertigkeit, sie strukturiert zusammenzufassen und zu analysieren. Dabei werden die verschiedenen Ebenen des Verstehens von sprachlichem sowie inhaltlichem, textsortenspezifischem und stilistisch-rhetorischem Wissen detailliert aufgeführt. Neben dem Verstehen werden die eigene Deutung der Texte und die Zitierfähigkeit eingefordert. Darüber hinaus sollen die Lernenden aber auch die Wirkung von Gestaltungsmitteln erklären und deuten können (KMK 2012: 23). Einbezogen in die Textarbeit wird auch der Perspektivenwechsel, dessen Konzept ursprünglich aus dem Bereich der Entwicklungs- und Sozialpsychologie stammt. Dieser Standard, der ebenfalls im Kompetenzbereich der interkulturellen kommunikativen Kompetenz genannt wird (vgl. Art. 29), setzt einen gewissen sozialen Reifegrad junger Menschen voraus, der sich in der Textarbeit des Fremdsprachenunterrichts auch einüben lässt. Er umfasst, grob gesagt, das Erkennen der Lebenssituation anderer Menschen mit ihren Gedanken, ihren Wünschen und Plänen und das folgerichtige Einschätzen ihrer Situation und Adressatenbezogenheit (vgl. Silbereisen 1998: 831). Ein neuer Aspekt wird in die Textarbeit eingebracht, indem einer der Standards explizit auf die Individualität der Deutung durch die Lernenden verweist. Gestützt und verstärkt wird er durch einen weiteren Standard, der die Wichtigkeit betont, das Erstverstehen eines Textes kritisch zu überdenken und ggf. auch zu revidieren. Hier tritt die Auffassung zutage, dass die Rezeption bei der Arbeit mit Texten und Medien grundsätzlich zyklischer Natur ist und prozesshaft abläuft. Gleichzeitig verdeutlicht dieser Standard auch, wie eng Rezeptions- und Produktionsebene bei der Textarbeit beieinander liegen. Dass man sich Textvorlagen oft gut erschließen kann, wenn man selbst darüber spricht oder schreibt, eventuell auch einen eigenen Film dreht oder ein Gedicht verfasst, drückt ein weiterer Standard aus. 143 30. Text- und Medienkompetenz Auch der sinnvolle Gebrauch von Hilfsmitteln für die Rezeption und Produktion von Texten wird abschließend in den Standards für das grundlegende Niveau festgehalten, wobei wiederum der prozesshafte Charakter und die Idee des vernetzenden Lernens deutlich spürbar werden. Dieses Hinzuziehen weiterer Wissensbestände und Materialien wird im Sinn des vernetzenden Lernens wie auch der Selbstlernkompetenz eingeplant. Die Standards des erhöhten Niveaus vertiefen einige Aspekte der grundlegenden Standards, wobei es gelegentlich etwas schwer fällt, den graduellen Unterschied zwischen den beiden Niveaustufen in den Formulierungen festzustellen. Eine besondere Hilfestellung wird Lehrkräften geboten, indem etliche Lern- und Prüfungsaufgaben zur Illustration der Standards bereitstehen (vgl. KMK 2012: 30-303). Für Englisch und Französisch wurden Text- und Medienbeispiele unterschiedlichster Art konzipiert, die zeigen, wie man komplexe Lern- und geeignete Prüfungsaufgaben plant und durchführen kann, wobei besonders darauf geachtet wurde, dass alle jeweils beteiligten Standards aufgeführt werden. Die Systematik des Dokuments erschließt sich damit weit besser, als dies bei den Bildungsstandards für die Sekundarstufe I der Fall war. 4. Perspektiven Die Text- und Medienkompetenz muss als neu konzipierter Kompetenzbereich erst grundlegend erforscht werden. Weder ist bisher erwiesen, wie der quer zu den traditionellen Kompetenzbereichen verlaufende Kompetenzbereich sich im unterrichtlichen Zusammenspiel bewährt, noch ist geklärt, wie stringent Prüfungen und Bewertungen mit diesem Kompetenzbereich ablaufen können. Literatur Bredella, L. (2005): Bildungsstandards, Kerncurricula und bildungsrelevante Lerngegenstände, in: K.-R. Bausch / E. Burwitz-Melzer / F. G. Königs / H.-J. Krumm (Hrsg.): Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfstand. Tübingen, 47-57. Burwitz-Melzer, E. (2007): Kompetenzen im fremdsprachlichen Literaturunterricht: Ein Plädoyer für ein neues Konzept, in: K.-R. Bausch / E. Burwitz-Melzer / F. G. Königs / H.-J. Krumm (Hrsg.): Textkompetenzen. Tübingen, 37-48. Burwitz-Melzer, E. / Caspari, D. (2016, erscheint). Text und Medienkompetenz, in: B. Tesch / X. von Hammerstein / H. Rossa / P. Stanat (Hrsg.): Bildungsstandards aktuell: Englisch/ Französisch in der Sekundarstufe II . Frankfurt a. M. Europarat (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Strasbourg. Hallet, W. / Krämer, U., Hrsg. (2012): Kompetenzaufgaben im Englischunterricht. Grundlagen und Unterrichtsbeispiele. Seelze. Hecke, C. (2010): Visuelle Kompetenz, in: C. Surkamp (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart, 325-326. KMK , Hrsg. (2004): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 4. 12. 2003. München. KMK , Hrsg. (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18. 10. 2012. Köln. New London Group (1996): A pedagogy of multiliteracies: Designing social futures. Harvard Educational Review, 66 (1), 64. Quetz, J. / Vogt, K. (2009): Nationale Bildungsstandards für die erste Fremdsprache: Spra- 144 Claus Gnutzmann chenpolitik auf unsicherer Basis. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 20 (1), 63-90. Silbereisen, R. (1998): Soziale Kognition: Entwicklung von sozialem Wissen und Verstehen, in: R. Oerter / L. Montada (Hrsg.): Entwicklungspsychologie, 4. Aufl. München, 823- 861. Eva Burwitz-Melzer 31. Sprachenbewusstheit und Sprachlernkompetenz 1. Begrifflichkeit Die Begriffe Sprachbewusstheit und Sprachenbewusstheit (Gnutzmann 2003; Burwitz-Melzer et al. 2012) werden in der Literatur eher synonym verwendet und nicht systematisch voneinander abgegrenzt, auch wenn es vereinzelte Versuche gibt, erstere mit Sprache und sprachlichem Handeln allgemein und letztere mit Einzelsprachen in Verbindung zu bringen (vgl. Schramm 2012: 199). Unter Sprach(en)bewusstheit lassen sich Entwicklungen in der Fremdsprachen- und Muttersprachendidaktik, der Sprachlehr- und -lernforschung sowie der Zweitsprachenerwerbsforschung subsumieren, denen gemeinsam ist, dass sie als Ablösung eines behavioristisch geprägten Paradigmas und als Ausdruck einer kognitiven Neuorientierung in ihren jeweiligen Disziplinen zu verstehen sind (Bausch et al. 1998). Mit Sprachbzw. Sprachenbewusstheit ist v. a. das explizite Wissen über Sprache und Einzelsprachen gemeint, das vom impliziten sprachlichen Wissen zu unterscheiden ist. Aus Sicht der KMK (2012: 21) „leistet die Entwicklung von Sprachbewusstheit einen wichtigen Beitrag zum Aufbau fremdsprachiger Kompetenz und über diese hinaus zum interkulturellen Lernen sowie zur Persönlichkeitsbildung“. Allerdings ist die Frage, inwieweit deklaratives, explizites Wissen in prozedurales, implizites, dann unbewusstes Wissen transformiert werden kann (vgl. hierzu auch Gnutzmann 2012: 41), in der Forschung noch nicht abschließend geklärt. Die Begriffe Sprachbewusstsein und Sprachbewusstheit, deren Existenz und Verbreitung v. a. auf die Übernahme von language awareness in die deutsche Sprachdidaktik zurückzuführen sind (vgl. Gnutzmann 1997), befassen sich mit den Prozessen und Produkten der verschiedenen Typen des Spracherwerbs in schulischen und außerschulischen Kontexten. Als Ergebnis einer verstärkten Fokussierung der Sprachlernperspektive bildete sich der Begriff language learning awareness (Sprachlernbewusstheit) heraus, der sich auf die mentale Verarbeitung von Sprache bezieht, d. h. wie Lernende ihre Sprachlernprozesse organisieren und wie sie versuchen, diese durch den Einsatz von Lernstrategien positiv zu beeinflussen. Im deutschen Kontext wird als terminologische Alternative zu Sprachlernbewusstheit mittlerweile das Konzept Sprachlernkompetenz verwendet, worunter die Fähigkeit und Bereitschaft von Lernenden verstanden wird, das eigene Sprachenlernen selbstständig zu analysieren und bewusst zu gestalten. In diesem Prozess greifen die Lernenden auf ihr mehrsprachiges Wissen und auf individuelle Sprachlernerfahrungen zurück. Zum Aufbau von Sprachlernkompetenz nutzen die Lernenden zielgerichtet ein breites Repertoire von Strategien und Techniken des reflexiven Sprachenlernens. Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz werden beide als eigene Kompetenzen verstanden, die zugleich den Ausbau der anderen Kompetenzen (funktionale kommunikative Kompetenz, interkulturelle kommunikative Kompetenz, Text- und Medienkompetenzen) fördern. Ihnen wird über die kognitive und instrumentelle Dimension des 145 31. Sprachenbewusstheit und Sprachlernkompetenz Sprachenlernens hinaus ebenso ein eigener Bildungswert attestiert, nicht nur im Hinblick auf die Persönlichkeitsbildung der Schüler und Schülerinnen, sondern auch auf Berufs- und Wissenschaftspropädeutik (vgl. KMK 2012: 12 f., 22; zu Sprachlernkompetenz vgl. auch Meißner 2012; 2013). 2. Problemaufriss Die Rezeption und Weiterentwicklung des der britischen Sprachdidaktik entstammenden Konzepts language awareness (Hawkins 1984; Svalberg 2007, 2012) und seine terminologische Übernahme durch Sprachbewusstheit bzw. -bewusstsein in Deutschland kann auch als Reaktion auf die Diskussion und Praxis des Lernziels kommunikative Kompetenz verstanden werden und ist deshalb sicherlich mehr als das Ergebnis einer direkten Übernahme aus dem Englischen. Während in der Theorie der kommunikativen Kompetenz schriftliche und mündliche Kompetenz als komplementäre und prinzipiell gleichwertige Formen der Kommunikation angesehen werden, wurde in der Praxis des Fremdsprachenunterrichts kommunikative Kompetenz zunächst v. a. mit mündlicher Kommunikationsfähigkeit und dem Erwerb der dafür notwendigen sprachlichen Mittel verbunden. Insofern blieb der kommunikative Fremdsprachenunterricht der ihm vorangehenden audio-lingualen Methode durchaus verhaftet, was sich etwa in der Vernachlässigung sprachreflexiver Inhalte und Übungsformen zeigte. Unter methodischem Gesichtspunkt hatte dies zur Folge, dass kognitivierenden Verfahren (Tönshoff 1992), sprachlicher Bewusstmachung und Bewusstwerdung, üblicherweise als wesentliche Verfahren und Voraussetzungen für den Erwerb von Schreibkompetenz erachtet, nur eine marginale Rolle im Fremdsprachenunterricht zugewiesen wurde. Wegen ihrer hohen Komplexität entziehen sich sprachbezogene Kognitivierungen einer generellen sprachdidaktischen Anwendung und erfordern deshalb einen „flexiblen, situations- und lernerangemessenen Einsatz im Sprachunterricht“ (vgl. Grotjahn 2000: 101). 3. Forschungsstand Die Annahme, dass implizites, unbewusstes Wissen eine essenzielle Voraussetzung für sprachliche Kompetenz darstellt, kann als gesichert gelten, dagegen ist die Rolle des expliziten, bewussten Wissens in dieser Hinsicht weniger eindeutig. Während die meisten Formen des ,traditionellen‘, kognitiv ausgerichteten Grammatikunterrichts darauf beruhten, dass die Bewusstmachung von grammatischen Erscheinungen ,irgendwie‘ zu ihrer automatisierten Aneignung durch die Sprachbenutzer führte, wurde diese Auffassung, bekannt als Interface-Hypothese, durch die Zweitsprachenerwerbsforschung zunächst grundsätzlich in Frage gestellt und in ihren Anwendungen auf den Fremdsprachenunterricht verworfen. Der Nachweis, inwieweit explizites, bewusstes Wissen in implizites, automatisiertes Wissen überführt werden kann, ist empirisch nur schwer zu erbringen, auch wenn Lernende aufgrund ihrer eigenen Sprachlernerfahrungen diese Hypothese immer wieder für sich selbst bestätigt sehen. Des Weiteren ist nicht zu übersehen, dass die Stimmen, die zumindest ein weak interface model of L2-acquisition postulieren, immer deutlicher vernehmbar geworden sind. Dieses Modell besagt, dass explizites L2-Wissen den Erwerb impliziten Wissens ermöglichen kann, und zwar in dreifacher Weise: Explizites Wissen kann die Schülerinnen und Schüler unterstützen, spezifische Merkmale des sprachlichen Inputs bewusst wahrzunehmen. Diese Form der Wahrnehmung, noticing im Sinne von Schmidt (1990), bildet eine un- 146 Claus Gnutzmann abdingbare Voraussetzung für die Umwandlung von input in intake, wobei letzterer erst den Spracherwerb ermöglicht. Lernende können so in die Lage versetzt werden, den von ihnen wahrgenommenen Input mit ihrem eigenen Output zu vergleichen und auf der Grundlage dieser Vergleiche Hypothesen ihres impliziten sprachlichen Wissens zu bestätigen oder zu verwerfen. Drittens kann explizites Wissen als „Monitor“ (Krashen 1982) fungieren, entweder während der sprachlichen Produktion (bei nicht-spontanem Sprechen) oder danach, also für eine bereits produzierte Äußerung oder für schriftliche Texte. Zu Untersuchungen, die sich mit der Wirkung sprachlicher Bewusstmachung ausgewählter grammatischer Erscheinungen im Fremdsprachenunterricht befassen, lässt sich kritisch anmerken, dass sie sich im Allgemeinen nur über kurze Zeiträume erstrecken. So kann dann zwar im Sinne der Interface- Hypothese ein positiver Zusammenhang von explizitem Wissen und Kompetenzentwicklung festgestellt werden, es bleibt aber auf Grund fehlender Langzeitstudien offen, ob die gelernte sprachliche Regel ebenfalls langfristig verfügbar ist. Auch Tönshoff (2005) konstatiert in seinem Forschungsbericht zur mündlichen Korrektur im Fremdsprachenunterricht, dass es sich bei den von ihm referierten Unterrichtsstudien, von einer Ausnahme abgesehen, um Kurzzeituntersuchungen von mehreren Wochen handelt. Hinsichtlich der Wirkung von Fehlerkorrekturen kommt er zu dem Ergebnis, „dass Korrekturen die Aufmerksamkeit von Fremdsprachenlernern lenken und die Aneignung der fremden Sprache fördern können“ (ebd.: 16), wobei explizitere Korrekturen und Hinweise zur Selbstkorrektur sich als erheblich effektiver erwiesen haben als andere. Knapp (2013: 75 f.) unterscheidet verschiedene Lesarten von language awareness wie Sprachstrukturbewussheit, Sprachkönnensbewusstheit, Sprachlernbedarfsbewusstheit etc., für deren Konzeptualisierungen sie zwar Forschungsbedarf feststellt, aber auch auf grundsätzliche Probleme hinweist, die sich aus der unzureichenden theoretischen Fundierung des Konzeptes language awareness wie auch seiner empirischen Erforschung ergeben. 4. Praxisrelevanz Die folgende Übersicht fasst die in der vorangehenden Darstellung angesprochenen didaktischen Implikationen von Sprachenbewusstheit und Sprachlernkompetenz unter Berücksichtigung der Faktoren Lernerorientierung, Methodik und Inhalte zusammen. Stärkere Lernerorientierung im Fremdsprachenunterricht • bewusstere Wahrnehmung und Wertschätzung von mehrsprachig und multikulturell zusammengesetzten Lerngruppen und entsprechendes Handeln für die Unterrichtsplanung und -durchführung • intensivere Erforschung und Berücksichtigung der Bedürfnisse und Interessen der Lernenden im Unterricht • Kommunikation über Lernprozesse und Kommunikation im Unterricht, also mehr Metakognition und Metakommunikation Methodische Akzentverschiebung • höherer Stellenwert der Kognition und der Sprachbetrachtung (entdeckendes Lernen, kontrastives Lernen) • positiver Zusammenhang zwischen sprachlichem Wissen und Sprachperformanz bzw. „Kennen“ und „Können“ • modifizierte Einsprachigkeit durch positive Sicht der Muttersprache und bisher gelernter Fremdsprachen Andere Akzente für die sprachlich-inhaltliche Seite des Unterrichts 147 31. Sprachenbewusstheit und Sprachlernkompetenz • Neubestimmung der Übersetzung mit Blick auf ihr sprachreflexives und sprachvergleichendes Potential (vgl. Art. 24) • stärkere Berücksichtigung des Sprachvergleichs, auch mit Blick auf Interkulturalität und interkulturelles Lernen • Legitimation für Fehleranalyse und -reflexion 5. Perspektiven Während der generelle Nutzen von Sprachenbewusstheit bzw. language awareness unter emanzipatorischen und spracherzieherischen Gesichtspunkten im Allgemeinen als positiv eingeschätzt wird, gilt dies sehr viel weniger für die Frage, ob und inwieweit Sprachenbewusstheit als explizites (deklaratives) sprachliches Wissen zur Erweiterung der sprachlichen Performanz beitragen kann. Deshalb wird die performance domain nicht zu Unrecht als die problematischste der verschiedenen fünf Dimensionen (kognitiv, sozial, affektiv, politisch, performance ) von language awareness angesehen, wie bereits an der obigen Diskussion der Interface-Hypothese verdeutlicht wurde. Die in der Forschungsliteratur im Kontext des autonomen Lernens (vgl. exemplarisch Martinez 2008) vertretene Position, dass bei Lernenden eine starke Bereitschaft vorhanden ist, ihre Lernprozesse selbst zu organisieren, legt es nahe, dass gezielte Maßnahmen seitens der Lehrenden, bspw. in der Bewusstmachung von Lernstrategien, als konstruktiv und hilfreich eingeschätzt werden. Bisherige Einschätzungen und Untersuchungen (vgl. hierzu die Beiträge in Raupach 2009) lassen den Schluss zu, dass derartige Übungen und Verfahren geeignet sein können, die Lernenden in die Lage zu versetzen, neue, selbständige Konzepte des Sprachenlernens zu entwickeln mit der Perspektive, den autonomen Anteil des Lernens kontinuierlich zu vergrößern. Es spricht deshalb vieles dafür, dass sich die Forschungen im Umfeld von Sprachenbewusstheit und Sprachlernkompetenz in der Zukunft noch stärker auf die Erforschung der mentalen Verarbeitung von Sprache und der Optimierung dieser Prozesse durch die Erweiterung lernstrategischer Kompetenzen konzentrieren werden. Es hat sich gezeigt, dass es bisher nur sehr wenige Langzeitstudien gibt, die den Einfluss der Bewusstmachung sprachlicher Erscheinungen, z. B. in Form von consciousness raising-Aufgaben und expliziten, auch schriftlichen Fehlerkorrekturen, zum Gegenstand haben. Solche Studien sind bekanntermaßen äußerst zeitaufwendig und hinsichtlich der Vielzahl der am Unterricht beteiligten Faktoren und der Schwierigkeiten, diese zu kontrollieren, darüber hinaus problematisch in der Durchführung wie auch in der Auswertung. Die Schwierigkeit, schulisches von außerschulischem Fremdsprachenlernen klar zu trennen, stellt ein weiteres potenzielles Hindernis dar. Dies mögen Gründe dafür sein, dass zumindest (im deutschen Sprachraum) größer angelegte Projekte zu dieser Thematik bisher kaum vorliegen. Derartige Langzeitstudien stellen nichtsdestoweniger ein dringliches Forschungsdesiderat für die Erforschung des Verhältnisses von explizitem und implizitem sprachlichen Wissen und Sprachhandlungsfähigkeit dar. Literatur Bausch, K.-R. / Christ, H. / Krumm, H.-J., Hrsg. (1998): Kognition als Schlüsselbegriff bei der Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Tübingen. Burwitz-Melzer, E. / Königs, F. G. / Krumm, H.-J., Hrsg. (2012): Sprachenbewusstheit im Fremdsprachenunterricht. Arbeitspapiere der 32. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen. 148 Claus Gnutzmann Ellis, R. (2002): Does form-focused instruction affect the acquisition of implicit knowledge? A review of the research. Studies in Second Language Acquisition 24, 223-236. Gnutzmann, C. (1997): Language Awareness. Geschichte, Grundlagen, Anwendungen. Praxis des Neusprachlichen Unterrichts 44/ 2, 227- 236. Gnutzmann, C. (2003): Language Awareness, Sprachbewusstheit, Sprachbewusstsein, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 3. Aufl. Tübingen, 335-339. Gnutzmann, C. (2012): Kennen und Können: Wie hängt das zusammen? , in: E. Burwitz- Melzer et al. (Hrsg.), 40-47. Grotjahn, R. (2000): Sprachbezogene Kognitivierung: Lernhilfe oder Zeitverschwendung? , in: H. Düwell / C. Gnutzmann / F. G. Königs (Hrsg.): Dimensionen der didaktischen Grammatik. Bochum, 83-106. Hawkins, E. (1984): Awareness of language. An introduction. Cambridge. KMK (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18. 10. 2012. Köln. Knapp, A. (2013): Still aware of language awareness? Fremdsprachen Lehren und Lernen 42/ 1, 65-79. Königs, F. G. (2010): Gibt es eine Mythenbildung in der Fremdsprachenforschung? Fremdsprachen Lehren und Lernen 39, 160- 174. Krashen, S. D. (1982): Principles and practice in second language acquisition. Oxford. Martinez, H. (2008): Lernerautonomie und Sprachlernverständnis. Eine qualitative Untersuchung bei zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern romanischer Sprachen. Tübingen. Meißner, F.-J. (2012): Sprachlernkompetenz zwischen Sprachenbewusstheit und Sprachenwissen, in: E. Burwitz-Melzer / F. G. Königs / H.-J. Krumm (Hrsg.), 84-90. Meißner, F.-J. (2013): Die REPA -Deskriptoren der ,weichen‘ Kompetenzen: eine praktische Handreichung für den kompetenzorientierten Unterricht zur Förderung von Sprachlernkompetenz, interkulturellem Lernen und Mehrsprachigkeit. http: / / geb.uni-giessen.de/ geb/ volltexte/ 2013 9372/ pdf/ GiFon-Bd2.pdf Raupach, M., Hrsg. (2009): Strategien im Fremdsprachenunterricht. Fremdsprachen Lehren und Lernen, Bd. 38. Tübingen. Schmidt, R. W. (1990): The role of consciousness in second language learning. Applied Linguistics 11, 129-158. Schramm, K. (2012): Explizites Wissen über Sprachen und sprachliches Handeln - Lehrgrundlage, Lerngerüst und Zugangsschlüssel, in: E. Burwitz-Melzer et al. (Hrsg.), 198-209. 149 31. Sprachenbewusstheit und Sprachlernkompetenz Svalberg, A. M.-L. (2007): Language awareness and language learning. Language Teaching 40, 287-308. Svalberg, A. M.-L. (2012): Language Awareness in language learning and teaching: A research agenda. Language Teaching 45/ 3, 271-308. Tönshoff, W. (1992): Kognitivierende Verfahren im Fremdsprachenunterricht. Formen und Funktionen. Hamburg. Tönshoff, W. (2005): Mündliche Fehlerkorrektur im Fremdsprachenunterricht. Ein Blick auf neuere empirische Untersuchungen. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 16/ 1, 3-21. Claus Gnutzmann / E Entwicklung sprachlicher Curricula 32. Curriculare Entwicklungsprinzipien 1. Zur Entwicklung des Begriffs der curricularen Planung Planung als anthropologische Grundkategorie im Sinne von Karl Jaspers bedeutet für den pädagogischen Bereich die Antizipation und Strukturierung von Prozessen und Produkten zukünftigen Handelns. In diesem Sinne gehört sie, in welcher Form und Explizitheit auch immer, zu den Grundkomponenten eines jeden pädagogischen Prozesses. Der Begriff „Curriculum“ fand - aus dem amerikanischen Sprachgebrauch kommend - im Verlauf der westdeutschen Bildungsreformdebatte in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre Eingang in die Fachdiskussion im deutschsprachigen Raum (vgl. Robinsohn 1967). Er bezeichnete den Übergang von einer Planung, die auf Stoffplänen, d. h. einer präskriptiven Auflistung von Unterrichtsinhalten basierte, bzw. auf Lehrplänen, die Listen übergeordneter und detaillierter Zielvorgaben mit der Auflistung von Lehrstoff verbanden, zu einer umfassenderen Planungsform, die unterschiedliche Ebenen des pädagogischen Planungsprozesses einbezog. Curriculare Planung bedeutete das Einbeziehen von 151 Lehrenden, Lernenden, Rahmenbedingungen und die Evaluation von Prozessen und Lernergebnissen (vgl. Westphalen 1985: 22). Das Offenlegen und die Kritik kollektiv-normativer Prozesse, ihr Aufbrechen zugunsten einer an individuellen Dispositionen der Lernenden orientierten ganzheitlichen Planung (vgl. Garlichs et al. 1974) in der Folge der Diskussion um die Thesen der sog. Frankfurter Schule (Adorno, Habermas u. a.) gehört zu den bedeutendsten Hinterlassenschaften der ersten umfassenden Bildungsreformdebatte der alten Bundesrepublik und bleibt Leitgedanke auch für die bildungspolitischen und fremdsprachendidaktischen Debatten der Gegenwart. Präskriptive Planungsformulierungen im Kollektiv-Subjekt („Der Schüler soll … “) wurden abgelöst durch subjektivdifferenzierende, deskriptive Formulierungen: „Schülerinnen und Schüler lernen, machen, usw.“ Eine Folge dieser gesamtgesellschaftlichen Entwicklung war in den 1970er Jahren die im Unterschied zur angelsächsischen Entwicklung idealistisch-pädagogische Variante des Lernziels der „kommunikativen Kompetenz“ im Fremdsprachenunterricht (vgl. Piepho 1974) mit Langzeitwirkungen für die Fremdsprachendidaktik. Früher als in den Konzepten zum Englischunterricht wurde die kommunikative Grundorientierung der fremdsprachlichen Lernzielplanung seit Mitte der 1980er Jahre im Bereich Deutsch als Fremdsprache durch die Komponente der interkulturellen Kompetenz ergänzt. Die Planung eines an kommunikativen Kompetenzen ausgerichteten Fremdsprachenunterrichts muss demnach von einem Prozess des Aushandelns von Bedeutung ausgehen, der die Fremd- und Selbstwahrnehmung der am Lehr-/ Lernprozess Beteiligten einbezieht und bewusste interkulturelle Perspektivwechsel zum Bestandteil der Inhaltsplanung des Unterrichts macht (vgl. Byram & Morgan 1994). Die Veröffentlichungen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR 2001) und der Bildungsstandards der deutschen Kultusministerkonferenz von 2004 (vgl. KMK 2014) stehen für einen weiteren wesentlichen Einschnitt für curriculare Planungen. Letztere definieren die zu erreichenden Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler am Ende der 10. Jahrgangsstufe. Sie wurden in den folgenden Jahren in die Kerncurricula der Bundesländer aufgenommen und damit zu Vorgaben der schulischen Planung und einer „anforderungsbezogenen Aufgabenkultur“ (KMK 2014: 11). Um die Jahrtausendwende fand damit erneut ein partieller Paradigmenwechsel statt, der im Kontext einer Konzentration und Qualitätssicherung in einer komplexeren, weil differenzierteren und globalisierten, d. h. auch stärker an ökonomischen Prinzipien ausgerichteten Bildungslandschaft gesehen werden muss. Auslöser waren dieses Mal internationale Vergleichsstudien wie z. B. die PISA-Studie, die öffentliche Aufmerksamkeit fanden. Partiell war der Paradigmenwechsel deshalb, weil die Grundlagen eines kommunikativ ausgerichteten Fremdsprachenunterrichts unverändert blieben, aber um die Kriterien der Standardorientierung, der (internationalen) Vergleichbarkeit, der Rechenschaftslegung (accountability ) und einer Präzisierung, aber auch Einengung des 152 Hermann Funk Kompetenzbegriffes im Sinne einer Output- Orientierung (KMK 2014: 8, 18) ergänzt wurden. Spätestens mit der Expertise von Klieme et al. (2003) zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards in der Folge des KMK- Papiers, die im Anhang einen Auszug aus dem GeR enthielt, war der GeR Orientierungspunkt, Forschungsgegenstand und Streitpunkt der Fremdsprachendidaktik in Deutschland. Vielfach missverstanden oder gar missbraucht etwa als normative Vorgabe im Sinne traditioneller Lehrpläne und ebenso oft mit meist guten Gründen kritisiert (vgl. Bausch et al. 2003) als - z. B. im Sinne der Oserschen Qualitätskriterien - mangelhaft, entfaltete er in den vergangenen 15 Jahren trotzdem eine umfassende Wirkung auch über Europa hinaus auf allen Planungsebenen des Fremdsprachenunterrichts wie kein anderes Dokument der internationalen Sprachenpolitik. Er hat zu Vergleichbarkeit, Ergebnistransparenz, pragmatisch-realistischer Zielsetzung nicht zuletzt auch in der Anwendung auf die weniger gelernten und weniger erforschten sog. „kleineren“ Sprachen und damit zur Entwicklung der Mehrsprachigkeit im Sinne der sprachenpolitischen Ziele Europas beigetragen (vgl. Art. 138). Auf seiner Grundlage konnten nationale integrative Sprachlernkonzepte und Konzepte einer funktional-differenzierten Mehrsprachigkeit (für Österreich z. B. beschrieben in BMUKK et al. 2008: 87) aufbauen. Hier ist Forschungs- und Dokumentationsbedarf auch für andere Länder erkennbar. Eine weitere Adaption des GeR galt mit „Arbeitsplatz Europa“ (DIHK et al. 2007) der beruflichen Sprachverwendung, der Beschreibung von arbeitsplatzbezogenen Kommunikationskompetenzen nach den Vorgaben des GeR, die als Ausgangshypothese einer für die curriculare Planung in außerschulischen Kontexten (vgl. Huhta 2002; Huhta et al. 2013) unerlässlichen, situationsspezifischen Bedarfsanalyse (needs analysis ) verwendet werden kann, die insgesamt drei Analysebereiche umfassen sollte: a) die Zielsituationsanalyse (target situation analysis ), die die Begründung und Erreichbarkeit von Zielen unter gegebenen Rahmenbedingungen thematisiert und mögliche Schritte auf dem Weg definiert, b) die Ausgangssituationsanalyse (present situation analysis ), die aktuelle Lehr-/ Lernszenarien, Routinen und Lernumfeldbedingungen, bzw. ggf. betriebliche Abläufe einbezieht, und c) die Lernsituationsanalyse (learning situation analysis ), die auf die Potenziale von Lehrenden und Lernenden abzielt und Zeitbzw. Qualifikationsbedarf erhebt. Zu den schulisch-allgemeinsprachlichen und den außerschulischen, d. h. in der Regel berufsorientierten Szenarien curricularer Planungen für den Fremdsprachenunterricht sind in den letzten 15 Jahren verstärkt curriculare Planungsszenarien hinzugetreten, die den Erwerb fremdsprachlicher Kompetenz an den Erwerb anderer als sprachlicher Kompetenzen, an andere Lernfelder, Schulfächer oder extracurriculare Aktivitäten (z. B. Sprachcamps, temporäre Immersion) binden. Diese Bindung wird meistens unter dem Sammelbegriff Content and Language Integrated Learning (CLIL) (vgl. Art. 44) zusammengefasst. Der Begriff überdacht unterrichtliche Settings wie den Fachunterricht in einer Fremdsprache - in Deutschland v. a. Geschichte, Sozialkunde, Biologie und Geographie auf Englisch (vgl. Theis 2010: 47), im Ausland z. B. den deutschsprachigen Fachunterricht etwa an den deutschen Auslandsschulen. Zu sprach- und unterrichtsinternen Progressionsüberlegungen kommen zwei grundlegende Planungsfaktoren hinzu: die Lernziel-Priorität der fachlichen Inhalte und die Unmittelbarkeit der Anwendung erworbener fremdsprachlicher Kompetenzen, wo- 153 32. Curriculare Entwicklungsprinzipien mit der motivationspsychologischen Problematik des Lernens auf Vorrat begegnet wird. Ausgangspunkt der Planung sind dementsprechend die Kommunikationsanforderungen des Faches und seine Begrifflichkeit, was Fremdsprachenlehrkräfte mit einer Kompetenz in einem zweiten Unterrichtsfach und kooperierende Kollegien voraussetzt. 2. Forschungsstand In Bezug auf die hermeneutische und empirische Erforschung der Begründung, Umsetzung und Praktikabilität von curricularen Standards und Rahmencurricula des Fremdsprachenunterrichts bieten sich die vier Qualitätskriterien von Oser (1997) als Leitlinie für Forschungsansätze an: a) Das Kriterium der Theorie: Welche theoretische Fundierung nehmen Standards und Curricula für sich in Anspruch? Ist die Ableitung theoretisch schlüssig? Bezieht sie die relevanten Ergebnisse der interdisziplinären Sprachlehr- und -lernforschung ein? b) Das Kriterium der Empirie: Sind die Vorschläge zur curricularen Umsetzung unter Praxisbedingungen erprobt und beispielhaft belegt? c) Das Kriterium der Ausführbarkeit: Sind Standards und curriculare Vorgaben in lokale schulische Curricula und Unterrichtsvorgaben umsetzbar und unter den konkreten Bedingungen unterrichtlichen Handelns erfüllbar? d) Das Kriterium der Qualität: Führen Standards und curriculare Vorgaben zu einer messbaren Verbesserung der Qualität von Prozessen und Ergebnissen des Fremdsprachenunterrichts? Das im Zuge der KMK-Beschlüsse gegründete Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Humboldt-Universität zu Berlin koordiniert seitdem die Begleitforschung zur praktischen Umsetzung von Standards sowie der Evaluation und begleitet die Entwicklung von Modellaufgaben (KMK 2004: 20). Ausgehend von der Erkenntnis, dass sprachliche Kompetenzen in der Erstsprache und den weiteren Sprachen nicht getrennt voneinander zu entwickeln sind, und der Tatsache, dass schulische Fremdsprachen-Planungsansätze vom Primarbereich bis zur schulischen Oberstufe im Sinne eines integrierten Kompetenzzuwachses keine konsistente Verbindung haben, fordert das Konzept eines Gesamtsprachencurriculums die Erforschung von Konzepten der Entwicklung von Synergien über Schulstufen und Sprachen hinaus. Bisherige Forschungsergebnisse sehen diese v. a. in den Strategien des Spracherwerbs, in Formen des Lerntransfers und universeller Kompetenzen (vgl. Hufeisen & Lutjeharms 2005 sowie Art. 35). 3. Praxisrelevanz: Von Standards zu Lehr- Lernszenarien Mit der Reduktion formaler Vorgaben in Bezug auf den Lernkanon bei gleichzeitiger Vorgabe von an Standards orientierten Rahmenplänen und gestuften Richtzielen erhalten regionale und einzelschulische Planungen mehr Gewicht. Als Strukturbeispiel für viele andere Planungssituationen sei hier der „Rahmenplan Deutsch als Fremdsprache“ der Zentralstelle für das Deutsche Auslandsschulwesen (Bundesverwaltungsamt 2009) genannt, auf dessen Grundlage einzelne Schulen aufgefordert sind, im Rahmen der regionalen Lehrerfortbildung Schulpläne für den fremdsprachlichen Unterricht zu erstellen. Der Lehrerfortbildung kommt bei der Verzahnung von Schulentwicklungsplanung, Lehrkompetenzentwicklung und Transmission von Standards und Rahmenplanungen 154 Hermann Funk eine verstärkte Rolle zu, die aber auf der systemischen Ebene bisher oft noch ungenügend abgesichert wird. Ziel der curricularen Planung auf Schul- und Schulstufen-Ebene ist es, fremdsprachliche Kompetenzziele für Lerngruppen bzw. Jahrgangsklassen ggf. im Hinblick auf standardisierte Prüfungen in einem definierten Zeitrahmen unter Berücksichtigung der infrastrukturellen Rahmenbedingungen und Ressourcen sowie der Voraussetzungen bei Lehrenden und Lernenden darzustellen und einen umsetzbaren Verteilungsvorschlag für Lernziele, -aufgaben, -inhalte und Interaktionsformen des Fremdsprachenunterrichts zu machen. Im Sinne eines Gesamtsprachencurriculums sollten dabei Synergien und Bezugspunkte der einzelnen Fremdsprachen deutlich werden. Die curriculare Planung liefert Kriterien für die Auswahl geeigneter Unterrichtsmaterialien, sie stärkt die Kommunikation bzw. Kooperation im Fachkollegium und legt zeitliche und inhaltliche Evaluationsabschnitte fest. Nunan (1988) spricht zuerst von einem lernerzentrierten Curriculum. Geht man von der erwiesenen Wirksamkeit informeller und kommunikativ-authentischer Settings beim Fremdsprachenlernen aus, so sind besonders auf den Ebenen der schulischen Curricula Freiräume für die Integration außerschulischer Lernorte und -szenarien zu sichern. Aufbauend auf Standards, Rahmenplänen und schulischen Curricula muss die kursinterne Planung (in der Regel auf der Grundlage von Lehrwerkprogressionen) Lernsequenzen und Evaluationsabschnitte festlegen. Breen und Littlejohn (2000: 19 ff.) definieren die prozessorientierte curriculare Planung auf dieser Ebene als Aushandlungsprozess zwischen Lehrpersonen und Lernenden, deren Kenntnisse anderer Sprachen und Lerngegenstände und deren Motivation auf diese Weise in die Planung, die im Konsens entstehen soll, einbezogen werden. Sie sehen im Aushandlungsprinzip einen notwendigen Teil eines emanzipatorischen Erziehungsprozesses. Für die Planung von Unterrichtsabschnitten (Phasen, Sequenzen) ist das Prinzip der „Rückwärtsplanung“ (Ende et al. 2013: 112 ff.) leitend: Die kommunikative Aufgabe bestimmt die Auswahl der Lerninhalte, die Verteilung der Fertigkeiten im Kurs, die Textsorten, die sprachlichen Mittel, den Grad der angestrebten Korrektheit, Lernwege und -stufen sowie die Übungsformate. Der Sinn einer Übungsform und -sequenz erweist sich ggf. in ihrem Beitrag zu einer konkreten curricularen Vorgabe. Gehen die Vorgaben bspw. von der Bewältigung kommunikativer Aufgabenstellungen, etwa der Vorbereitung auf ein Bewerbungsgespräch, aus, so ist der Beitrag einer einzelnen Übung jeweils im Hinblick auf diese Aufgabenstellung zu bewerten. Die Überprüfung dieser Rückbindung auch in Bezug auf die Lehrwerkinhalte ist ein permanenter Teil des curricularen Planungsprozesses. Wo die curricularen Vorgaben auf die fremdsprachliche Kommunikationsleistung abzielen (Output-Orientierung), hat sich eine gleichgewichtige Verteilung der vier Lernfelder über einen längeren Zeitraum hin als effektiv erwiesen (vgl. Nation & Newton 2009): 1) Lernfeld: Input-zentrierte Phasen (Arbeit mit Texten, Inhalten und Medien) 2) Lernfeld: Sprachform-fokussierte Phasen (Bewusstmachung, Arbeit an Regeln, Strukturen und Strategien) 3) Lernfeld: Output-orientierte Phasen (Verwendung der Fremdsprache zu Mitteilungszwecken) 4) Lernfeld: Automatisierungsphasen, serielles Üben (Aufbau von Verwendungsroutinen) In der Planung der Abläufe einzelner Lerneinheiten bzw. Unterrichtsstunden sind die Lehrkräfte gefordert, Standards und Grundprinzipien des Lernens fremder Sprachen (z. B. Handlungsorientierung, Interaktions- 155 32. Curriculare Entwicklungsprinzipien orientierung, Individualisierung) in eine begründbare und für die Lernenden nachvollziehbare Stufung von Lernaktivitäten umzusetzen. Die meisten Stundenverlaufsmodelle gehen bei unterschiedlichen Bezeichnungen von einer dreiphasigen Einteilung aus und folgen darin den allgemeinpädagogischen Modellen wie dem hier zitierten Modell von Hilbert Meyer (2002: 149): Einstiegsphase → Arbeitsphase → Ergebnissicherung. Da die Dauer einzelner Phasen ebenso unterschiedlich sein kann wir ihre genaue Funktion im Ablaufplan des Unterrichts und da Sprache auch durch frühen eigenen Output gelernt wird und letztlich auch bei Präsentationen und Anwendungen fremdsprachliches Üben stattfindet, erscheint die allgemeinpädagogisch inspirierte Dreiteilung nur als eine der Möglichkeiten eines sinnvoll gestuften Unterrichtsverlaufs. Eine logische Stufung könnte ebenso ausgehen von einer frühen Präsentationsphase der Lernenden auf der Grundlage von gesammelten oder vorgegebenen Materialien etwa in einem Lernspiel, gefolgt von automatisierenden mündlichen Übungen, einer anschließenden Phase der Erarbeitung von Regeln und Strukturen sowie einer Phase des freieren Gebrauchs. Grundprinzip eines systematischen Scaffoldings, dem Aufbau von aufeinander aufbauenden Unterrichtsphasen und Übungsaktivitäten, bleibt die Wiederholung, die Umsetzung (andere Medien, andere Fertigkeiten, andere Textsorten) und die sprachliche Variation von gelernten sprachlichen Einheiten mit dem Ziel nachhaltigen Lernens. Literatur Bausch, K.-R. / Christ, H. / Königs, F. G. / Krumm, H.-J., Hrsg. (2003): Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen in der Diskussion. Arbeitspapiere der 22. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen. Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur / Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung / Österreichisches Sprachen-Kompetenz-Zentrum (2008): Sprach- und Sprachunterrichtspolitik in Österreich. Länderbericht. Wien. Bundesverwaltungsamt / Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, Hrsg. (2009): Rahmenplan Deutsch als Fremdsprache für das Auslandsschulwesen. Köln. www.pasch-net.de/ mmo/ priv/ 3326745-ST ANDARD.pdf Breen, M. P. / Littlejohn, A., Hrsg. (2000): Classroom decision-making. Negotiating and process syllabuses in practise. Cambridge. Byram, M. / Morgan, C. (1994): Teaching-andlearning language-and-culture. Clevedon. Deutscher Industrie- und Handelskammertag ( DIHK ), Hrsg. (2007): Arbeitsplatz Europa. Sprachkompetenz wird messbar. 3. überarb. Aufl. Düsseldorf. Ende, K. / Grotjahn, R. / Kleppin, K. / Mohr, I. (2013): Curriculare Vorgaben und Unterrichtsplanung. Berlin. Garlichs, A. / Heipcke, K. / Messner, R. (1974): Didaktik offener Curricula. Weinheim. Hufeisen, B. / Lutjeharms, M., Hrsg. (2005): Gesamtsprachencurriculum - Integrierte Sprachendidaktik - Common Curriculum. Theoretische Überlegungen und Beispiele der Umsetzung. Tübingen. Huhta, M. (2002): Tools for planning language training. Guide for the development of language education policies in Europe. From linguistic diversity to plurilingual education. Reference study. Language Policy Division, Council of Europe. Strasbourg, Cambridge. Huhta, M. / Vogt, K. / Johnson, E. / Tulkki, H., Hrsg. (2013): Needs analysis for language course design. A holistic approach to ESP . Cambridge. Klieme, E. / Avenarius, H. / Blum, W. / Döbrich, P. / Gruber, H. / Prenzel, M. / Reiss, K. / Ri- 156 Hermann Funk quarts, K. / Rost, J. / Tenorth, H.-E. / Vollmer, H. (2003): Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise. Berlin. KMK (2004): Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz. Erläuterungen zur Konzeption und Entwicklung. Online. KMK (2014): Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften. Beschluss der KMK vom 16. 12. 2004 i. d. Fassung vom 12. 06. 2014. Anlage VI . Meyer, H. (2002): Unterricht analysieren, planen und auswerten, in: H. Kiper / H. Meyer / W. Topsch (Hrsg.): Einführung in die Schulpädagogik. Berlin, 147-156. Nation, P. / Newton, J. (2009): Teaching ESL / EFL . Listening and speaking. London. Nunan, D. (1988): The learner-centred curriculum. Cambridge. Oser, F. (1997): Standards in der Lehrerbildung. Teil 1 und Teil 2. Beiträge zur Lehrerbildung 15/ 1, 26-37, 210-228. Piepho, H.-E. (1974): Kommunikative Kompetenz als übergeordnetes Lernziel im Englischunterricht. Dornburg-Frickhofen. Robinsohn, S. B. (1967): Bildungsreform als Revision des Curriculums. Neuwied, Berlin. Theis, R. (2010): Bilingualer Geschichtsunterricht, in: Doff, S. (Hrsg.) Bilingualer Sachfachunterricht in der Sekundarstufe. Eine Einführung. Tübingen, 44-57. Westphalen, K. (1985): Lehrplan - Richtlinien - Curriculum. Stuttgart. Hermann Funk 33. Inhalte zur Entwicklung sprachlicher und literarischer Kompetenzen 1. Einleitung Das Verhältnis zwischen Sprache und Inhalt, die hier heuristisch getrennt werden, wurde in Geschichte und Gegenwart des Fremdsprachenunterrichts höchst unterschiedlich konzipiert. Dass Sprachkenntnis bedeutet, die Elemente und Regelhaftigkeiten der Sprache zu beherrschen, wird seit der Reformbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Frage gestellt. Im Zuge der kommunikativen Wende der 1970er Jahre wird auch theoretisch fundiert, dass Sprache nicht nur für, sondern auch durch inhaltlich bedeutsame Kommunikation zu lernen sei und Inhalte nicht Vorwand für ein linguistisches Programm sein sollten. Diese Kommunikationsorientierung stößt immer wieder auf das für den Fremdsprachenunterricht konstitutive Problem der Diskrepanz zwischen Welt- und Sprachwissen, das sich abhängig von Lernjahr, Lebensalter und bereits vorhandener Sprachlernerfahrung auf unterschiedlichen Klassenstufen in verschiedener Weise darstellt. Ziel des Fremdsprachenunterrichts ist die kommunikative Kompetenz, also eine fremdsprachliche Diskursfähigkeit, für die prozedurales Sprachkönnen fundamental ist, zu der aber auch Bildungsziele gehören: Bezogen auf Sprache sollen die Lernenden deren Funktion für die Konstruktion von Identität und deren Wirkungsweise in unterschiedlichen Diskursen verstehen und bewerten sowie die horizonterweiternden und -überschreitenden Möglichkeiten literarisch-ästhetischer Kommunikation kennenlernen. Nach Hallet (2009: 70) sind Zugang zu und Partizipation an Diskursen das eigentliche Bildungsziel sprachlichen Lernens in der Schule, weil es die Chancen einer selbstbe- 157 33. Inhalte zur Entwicklung sprachlicher und literarischer Kompetenzen stimmten Lebensgestaltung der Heranwachsenden bestimmt. Es fragt sich, welche Prinzipien unter dieser Prämisse für eine spracherwerbs- und bildungstheoretisch begründete Inhaltswahl im Fremdsprachenunterricht gelten und welche Probleme bei ihrer Umsetzung auftreten. 2. Verortung sprachlicher und literarischer Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht Im Folgenden werden zwei Komplexe unterschieden, die als Gesamtheit eine fremdsprachliche Diskursfähigkeit ausmachen, und ihre inhaltsrelevanten Implikationen erörtert. Der erste betrifft die Einübung in vorfindliche sprachliche Strukturen und deren diskursadäquate Anwendung. Als prozedurale Kompetenzen gewährleisten sie die praktische Teilhabe an Interaktionen in der Fremdsprache. Aufgrund der auf diesen Stufen noch großen Diskrepanz zwischen Weltwissen und fremdsprachlicher Kompetenz gelten sie üblicherweise als Anliegen der Primarstufe und der Sekundarstufe I. Der zweite betrifft analytische und transformatorische - d. h. zur Kritik und Erneuerung der je eigenen Selbst- und Weltverhältnisse beitragende (z. B. Kokemohr 2007) - Sprachkompetenzen, also den reflexiven und kreativen Sprachgebrauch. Aufgrund der für einen solchen Gebrauch als notwendig angenommenen Sprachkompetenz im kognitiv-akademischen Bereich, vielleicht aber auch aus der gymnasialen Tradition der Elitebildung heraus, gelten diese Ziele üblicherweise als Anliegen der Sekundarstufe II. Sollen sie jedoch für alle Fremdsprachenlernenden gelten, müssten sie stufenübergreifend berücksichtigt werden. a) Inhalte zur Förderung der prozeduralen Sprachkompetenzen Voraussetzung sprachlicher Diskursfähigkeit ist zum einen die Verfügbarkeit über sprachliche Mittel und ihre Anwendung im kommunikativen Handeln. Die Frage nach den dafür tauglichen Inhalten wird unterschiedlich beantwortet. Im Kontext der inzwischen weitgehend verworfenen starken Interface- Hypothese, dass deklaratives Sprachwissen Voraussetzung für Sprachkönnen sei, wäre zunächst die sprachliche Form selbst primärer Inhalt des Sprachunterrichts, die Anwendung dann das Bewährungsfeld. Sprachformales stünde im Mittelpunkt, und kontextualisierende Inhalte wären Vehikel für die Vermittlung der sprachlichen Form, also nicht authentisch im Sinne kommunikativer Bedeutsamkeit. Dagegen wird in aktuellen Spracherwerbstheorien der Erwerb sprachformbezogener Inhalte als Irrweg gesehen. Im Rahmen einer starken Non-Interface- Hypothese (z. B. Krashen 2003) benötigt der Sprachunterricht vielmehr Inhalte, die in den Lebenszusammenhängen der Lernenden relevant sind, ihren Horizont erweitern und von ihnen gesucht werden; Spracherwerb vollzieht sich implizit in der fremdsprachlichen Interaktion (Ideal: total immersion ), z. B. beim Lesen selbstgewählter literarischer Texte oder beim Umgang mit lebensweltlich bedeutsamen Sachverhalten in komplexen Lernaufgaben oder in realen oder medialen Begegnungen mit Sprechern und Sprecherinnen der Fremdsprache. Idealerweise geraten die Aufgaben des Lehrens und Lernens über weite Strecken des Unterrichts zugunsten inhaltlicher Involviertheit aus dem Blick. Für diese Position wird Authentizität im Sinne kommunikativer Bedeutsamkeit in Anspruch genommen. Auch in der dritten, integrativen Konzeption geht es um relevante Inhalte, aber hier wird auch die sprachliche Form als legitimer Inhalt des Unterrichts anerkannt, 158 Andreas Bonnet / Helene Decke-Cornill „wenn Lernende während der interaktiven und mitteilungsbezogenen Anwendung von Sprache sprachsystembezogene Unsicherheiten erspüren, die nur kognitiv beseitigt werden können“ (Kieweg 2006: 3). Auch hierfür wird der Begriff der Authentizität in Anspruch genommen: Dass die Kontextsituation Fremdsprachenunterricht nicht ignoriert werde, sondern offen zutage liege, mache ihn authentisch im Sinne von fach- und institutionsbezogener Transparenz (Seedhouse 1996). Angesichts der Einigkeit über den Primat lebensweltlich bedeutsamer Inhalte in der aktuellen Fremdsprachendidaktik stellt sich die Frage, wie und durch wen solche Inhalte bestimmt werden. Erstens - und weitgehend die Regel - kann sich der Unterricht an einem oft nicht explizit begründeten Kanon orientieren, der Inhalte vorschreibt und ihre gesellschaftliche Bedeutsamkeit unterstellt. So können bestimmte geopolitische Regionen als Inhalte aufgrund dem Schulsystem interner (z. B. Bildungspläne) oder externer (z. B. politische Verflechtungen) Faktoren tradiert werden. Zweitens können, wie dies im bilingualen Unterricht geschieht, andere Schulfächer Lieferanten für Inhalte des Fremdsprachenunterrichts sein (vgl. Art. 44). Drittens kann die Bestimmung der Inhalte indirekt über die Festlegung von Auswahlkriterien erfolgen. Sie kann lehrerseitig z. B. aufgrund eines angenommenen Lebensweltbezugs oder aufgrund der Einschätzung als „epochales Schlüsselproblem“ (Klafki 1985) erfolgen. Sie kann aber auch interaktiv erfolgen; dann würden Lehrende und Lernende in einer Haltung praktischer Solidarität (Peukert 1998) miteinander verhandeln, welche Inhalte sie jeweils für relevant erachten. b) Förderung reflexiver Kompetenzen: Sprachanalyse und Transformation durch literarisch-ästhetische Sprache Die bis hierher thematisierte grundlegende Sprachhandlungsfähigkeit ermöglicht eine praktische Teilhabe an der kulturellen Diskursivität fremdsprachlicher Texte und Interaktionen. Damit diese Teilhabe reflektiert geschehen kann, gehört zur Diskursfähigkeit auch die kritische Betrachtung sowie die experimentelle und ggf. widerständige Auseinandersetzung mit der Beschaffenheit der Diskurse. Um analytisch-reflexive Kompetenzen im Sinne einer critical language awareness zu fördern, wird Sprache in dieser Dimension nicht im spracherwerblichen Sinne zum Inhalt, sondern um den Lernenden eine Analysefähigkeit mit emanzipatorischem Potenzial zu vermitteln (z. B. van Lier 1995). Auch dabei geht es um die Funktionalität von Sprache, aber diesmal nicht im praktischen, sondern im reflexiven Sinne: Sprache wird als Medium in den Blick genommen, das unsere Vorstellungen von der Welt erzeugt und gesellschaftliche Verhältnisse und Identitäten hervorbringt. Hier kann die Mehrsprachigkeit der Lernenden mit Gewinn für Sprachvergleiche und für die unterrichtliche Erforschung der Rolle von Sprache(n) bei der Konstruktion der eigenen Identität genutzt werden. Wenn Sprache im Zuge ihrer Analyse als ein gemachtes, lebendiges, umkämpftes Bezeichnungssystem erkennbar wird, dann treten nicht nur ihre Möglichkeiten zutage, diskursive Ordnungen und damit verbundene Schemata von Selbst und Welt zu erzeugen, sondern auch die Möglichkeiten, sich der gesellschaftlich-diskursiven Komplexitätsreduktion zu widersetzen. Diese Möglichkeit zu nutzen, ist das Projekt des Ästhetischen. Literatur, Film und Kunst sind geeignet, Nahes und Alltägliches genauer und als Fremdes zu sehen und andererseits Fremdes und Un- 159 33. Inhalte zur Entwicklung sprachlicher und literarischer Kompetenzen gewöhnliches erfahrbar und zugänglich zu machen. Eines der wichtigsten Anliegen des Literarischen sei es, sprachlich-diskursive Normalitäten zu entnormalisieren, so Guy Cook (1994: 256) Er begreift Literarizität als dynamisches Wechselspiel zwischen sprachlich-textstruktureller Form einerseits und Weltschemata andererseits, das die Vorstellungen der Lesenden verändert. Für diese bildende Erfahrung der Transformation sprachlich-diskursiver Ordnungen bieten sich im Fremdsprachenunterricht einerseits Auseinandersetzungen mit literarisch-ästhetischen Werken und andererseits eigene Versuche der entroutinisierenden Diskursbetrachtung und -erneuerung an, etwa das Erproben literarischen Schreibens. 3. Das Verhältnis von Inhalt und Sprache in der Phase der Sprachvermittlung Während in der Theoriebildung für den Primat der bedeutsamen Inhalte argumentiert und dies in der Sekundarstufe II auch in der Praxis abgebildet wird, sieht die Praxis in der Primar- und Sekundarstufe I häufig anders aus. Hier geraten, oft ohne Not, Kommunikationsorientierung und Reflexivität aus dem Blick. a) Scheinauthentizität In fremdsprachlichen Lehrmaterialien der Primarstufe und der Sekundarstufe finden sich immer wieder Dialoge, in denen die Lehrbuchcharaktere in ihrem jeweiligen lebensweltlichen Kontext agieren. Dies wird aber im Unterricht häufig nicht thematisch. Vielmehr werden sie als Grundlage zur Vermittlung von Teilfertigkeiten (z. B. Hörverstehen, korrekte Aussprache, Wortwissen) und explizitem Grammatikwissen genutzt. Lernende, die die Texte, Dialoge und Situationen inhaltlich ernst nehmen, werden zurückgewiesen. In solchen Situationen verhindert die sprachformale Agenda der Lehrenden authentische Kommunikation, und das Lehrmaterial - als linguistisches Korpus auf grammatische Phänomene durchsucht oder zum Fertigkeitstraining verwendet - erweist sich als scheinauthentisches Mäntelchen der Formorientierung, also als jener halbherzige Versuch, über die Sprachlehr-/ -lernsituation hinwegzutäuschen, den Seedhouse (1996) kritisiert, weil er die Lernenden vom Fremdsprachenunterricht entfremdet. b) Trivialisierung und intellektuelle Unterforderung Die sich daraus ergebende Vorabüberzeugung von der inhaltlichen Belanglosigkeit von Lehrwerktexten ist weit verbreitet. Sie scheint stillschweigender Konsens zwischen Lehrwerkautorinnen und -autoren und Lehrkräften und erfasst schon in der Primarstufe auch die Schülerinnen und Schüler. Dabei enthalten Lehrwerktexte manchmal durchaus Brisantes und Aushandlungswürdiges oder können aushandlungswürdig gewendet werden. Es wäre z. B. möglich, die Texte mit unerwarteter Aufgabenstellung erschließen oder unter ungewöhnlicher Perspektive lesen zu lassen und auf diese Weise trivialem Inhalt Brisanz und Komplexität zu verleihen. Mit solchen Interventionen würden Risse in die glatte Oberfläche zunächst nichtssagend erscheinender Lehrbuchtexte gebracht, Leerstellen täten sich auf, die die Mitwirkung der Lesenden herausfordern, Perspektive und Problemhaltigkeit könnten entstehen und die Klischeefiguren gewönnen Gesicht und Individualität. Die Auffassung, inhaltlich komplexe Aushandlungen seien sprachlich von Lernenden in den ersten Jahren ihres Fremdspracherwerbs nicht zu leisten, ist zum einen nicht gesichert und müsste im Einzelfall 160 Andreas Bonnet / Helene Decke-Cornill nachgewiesen werden; zum zweiten wäre der Umgang mit ihren Sprachdefiziten eine Gelegenheit für die Schülerinnen und Schüler, sich in Kompensationsstrategien einzuüben; und drittens wäre eine auf Deutsch geführte Diskussion eine weitere Option. c) Diskrepanzen zwischen den Spracherwerbstheorien der Akteurinnen und Akteure Manchmal sind es gerade nicht die Lehrkräfte, sondern die Schülerinnen und Schüler, die sprachformale Inhalte als zentralen Aspekt des Sprachunterrichts betrachten und einfordern. Dabei kann es geschehen, dass ihre am Produkt Sprachwissen orientierte Spracherwerbstheorie sich von der impliziten, prozeduralen, am Produkt Sprachkönnen orientierten Vorstellung ihrer Lehrkräfte unterscheidet. Dann ist es nötig, die dem kommunikativen Lehrkonzept unterliegende Spracherwerbstheorie zum Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts zu machen, seine Gestaltung auf der Metaebene mit den Lernenden zu erörtern und zu klären, warum Sprachunterricht nicht auf deklaratives Sprachformwissen hinarbeitet und welch eingeschränkte Rolle dieses Wissen beim Spracherwerb spielt. Handlungsleitende Spracherwerbstheorien gehören also zu den Inhalten eines transparenten Fremdsprachenunterrichts. d) Zum Verhältnis von Altersstufe und Lernbeginn Die Ausgangslage der Lernenden hinsichtlich des Fremdsprachenunterrichts verändert sich im Laufe der Primar- und Sekundarstufe merklich. Das Weltwissen der Schülerinnen und Schüler nimmt rapide zu, sie sind kognitiv zu zunehmend abstrakteren Denkoperationen in der Lage, und sie durchlaufen im Übergang von Kindheit zu Jugend grundlegende Veränderungen ihrer motivationalen und sozialen Orientierungen. Im Zuge ihrer Sprachlernerfahrungen mit der ersten Fremdsprache nehmen auch ihr Sprachkönnen, Sprachwissen und ihre Sprachlernbewusstheit zu. Dies führt dazu, dass der spät einsetzende Unterricht in einer zweiten oder dritten Fremdsprache mit einer nochmals vergrößerten Diskrepanz zwischen Welt- und spezifischem Sprachwissen konfrontiert ist und sich die Ausgangslage nochmals weiter von der Situation des natürlichen Erstspracherwerbs entfernt. Das Potenzial einer größeren Sprach- und Sprachlernbewusstheit steht dem Problem zunehmender Kommunikationshemmung durch Angst vor Ansehensverlust oder Bewertungskonsequenzen gegenüber. Der Fremdsprachenunterricht kann auf verschiedene Arten darauf reagieren. Ungünstig - aber nicht selten praktiziert - ist der Weg der Trivialisierung, indem in der zweiten und dritten Fremdsprache nochmals mit Name, Alter, Hobbies und Haustieren gestartet wird. Die erste Alternative dazu unternimmt den Versuch, das Weltwissen der Lernenden ernst zu nehmen und den Unterricht an der Situation des Erstspracherwerbs zu orientieren, indem authentische Inhalte stark gemacht werden. Hierzu eignen sich die unter 3.b) genannten Strategien, die eine anspruchsvolle Inhaltsorientierung in Situationen verminderter Sprachkompetenz der Lernenden, also im früh beginnenden Unterricht der ersten Fremdsprache oder in den ersten beiden Lernjahren der zweiten und dritten Fremdsprache ermöglichen. Dazu bieten außerdem z. B. Storytelling oder Storyline (z. B. Bell & Harkness 2006) angemessene und adaptierbare methodische Ansätze, die aufgrund ihrer Narrativität besonders identitätsrelevant sind. Die zweite Alternative besteht darin, die Sprach(lern-)bewusstheit der 161 33. Inhalte zur Entwicklung sprachlicher und literarischer Kompetenzen Lernenden ernst zu nehmen und ausdrücklich stärker auf Sprache als auf Inhalt zu setzen. Ausgehend von ihren Erfahrungen mit Fremdsprachen und Fremdsprachenlernen werden Sprachbezug und Kognitivierung bewusst intensiviert (vgl. Art. 51). Die dritte Alternative ist kein eigenständig anderer Ansatz, sondern ermöglicht es den Lernenden durch Individualisierung, die für sie passende Balance zwischen Inhalts- und Sprachbezug und damit zwischen Sprachlernen und Spracherwerb zu finden. Dies fördert nicht nur den Spracherwerb durch Individualisierung des jeweiligen Zugangs, sondern stärkt auch die Autonomie der Lernenden. 4. Fazit Wie kommt der Fremdsprachenunterricht zu seinen Inhalten? Unter den Bedingungen einer reflexiven Moderne, in der unreflektierte Setzungen oder Haltungen nicht tragfähig sind, und einer schulischen Gesamtzielsetzung der Autonomie und gegenseitigen Anerkennung sind kanonische Festlegungen von Inhalten fragwürdig. Vielmehr müssen Inhalte des Fremdsprachenunterrichts spracherwerbs- und bildungstheoretisch begründet ausgewählt werden. Folgende Prinzipien ergeben sich aus diesen Überlegungen: 1) Transparenz der Zielsetzungen in Bezug auf die beiden Zielkomplexe des Fremdsprachenunterrichts, vor deren Hintergrund jeder Inhalt zu begründen ist, 2) reflektierte Authentizität, indem Lebensweltbezug angestrebt, aber berechtigte Formorientierung nicht verschleiert, sondern transparent gemacht wird, 3) rückgekoppelte Relevanzsetzung, indem nicht unterstellte, sondern durch Partizipation der Schülerinnen und Schüler sichergestellte Bedeutsamkeit die Wahl der Inhalte steuert, 4) Mut zum Bedeutungsüberschuss, indem die Subversivität selbstläufiger Kommunikation ausgehalten und literarisch-ästhetische Texte sowie die literarisierende Lektüre von Texten integraler Bestandteil des Fremdsprachenunterrichts werden. Natürlich hat die offene oder versteckte Dominanz des Formbezugs vordergründig mit der speziellen Situation des Fremdsprachenunterrichts (Diskrepanz zwischen Weltwissen und Sprachkönnen) zu tun. Die Subversivität selbstläufiger Kommunikation (be-) trifft aber die Institution Schule insgesamt. Die Zurückweisung schülerseitiger Relevanzsetzungen ist keine Besonderheit des Fremdsprachenunterrichts. Die darin liegende Vermeidung von Sinnüberschuss zugunsten von lehrerseitig kontrollierter Unterrichtsplanung und Interaktionsroutinen erscheint institutionell konstitutiv und zeigt sich in zahllosen Unterrichtstranskripten aus verschiedenen Fächern und Stufen (vgl. z. B. Gruschka 2005). Eine Umsetzung der o. g. Prinzipien einer reflektierten Inhaltswahl für einen auf performative und reflexive Diskurskompetenz zielenden Fremdsprachenunterricht bedarf daher nicht nur der fremdsprachendidaktischen, sondern auch der schulpädagogischen Professionalisierung der Lehrenden und ist ohne Schulentwicklung dauerhaft nicht zu haben. Literatur Bell, S. / Harkness, S. (2006): Storyline - Promoting language across the classroom. Royston. Cook, G. (1994): Discourse and literature. Oxford. Gruschka, A. (2005): Auf dem Weg zu einer Theorie des Unterrichtens. Die widersprüchliche Einheit von Erziehung, Didaktik und Bildung in der allgemeinbildenden Schule. Frankfurt a. M. Hallet, W. (2009): ,Ways of being in the world‘. Diskursfähigkeit als Kompetenzziel und die 162 Andreas Bonnet / Helene Decke-Cornill Inhaltsorientierung des Fremdsprachenunterrichts, in: K.-R. Bausch / E. Burwitz- Melzer / F. G. Königs / H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht im Spannungsfeld von Inhaltsorientierung und Kompetenzbestimmung. Tübingen, 68-77. Kieweg, W. (2006): Kommunikative Grammatikübungen. Sprechaktkompetenz als Lernziel. Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch 82, 2-8. Klafki, W. (1985): Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Weinheim. Kokemohr, R. (2007): Bildung als Welt- und Selbstentwurf im Anspruch des Fremden, in: Koller, H.-C. / Marotzki, W. / Sanders, O. (Hrsg.): Bildungsprozesse und Fremdheitserfahrung. Beiträge zu einer Theorie transformatorischer Bildungsprozesse. Bielefeld, 13-68. Krashen, S. D. (2003): Explorations in language acquisition and use. Portsmouth, NH . Peukert, H. (1998): Zur Neubestimmung des Bildungsbegriffs, in: M. A. Meyer / A. Reinartz (Hrsg.): Bildungsgangdidaktik. Denkanstöße für pädagogische Forschung und schulische Praxis. Opladen, 17-29. Seedhouse, P. (1996): ELT classroom interaction: Possibilities and impossibilities. English Language Teaching Journal (50) 1: 16-24. van Lier, L. (1995): Introducing language awareness. London. Andreas Bonnet Helene Decke-Cornill 34. Inhalte zur Entwicklung landeskundlicher und interkultureller Kompetenzen 1. Begrifflichkeit Die Frage nach den zu vermittelnden Inhalten und Kompetenzen in dem Bereich, der in den mit Sprachvermittlung befassten Philologien trotz aller Kritik am Begriff schon seit Jahrzehnten hartnäckig „Landeskunde“ genannt wird, reicht zumindest bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts zurück. Schon damals war das Ziel die Modernisierung des Fremdsprachenunterrichts: Unter dem Schlagwort Realienkunde sollten insbesondere im Englisch- und Französischunterricht an deutschen Realgymnasien nützlichere Kenntnisse vermittelt werden. Darunter verstand man konkret anwendbare Wissensbestände über Land und Leute im Gegensatz zu den in den Altphilologien tradierten literarischen, philosophischen und auch kunsttheoretischen Inhalten mit der Absicht, nicht nur Kenntnisse über die traditionelle Hochkultur, sondern auch anwendungsfähige Kompetenzen zu vermitteln. Seitdem werden in zunehmend variierter Form die Inhalte und Zielsetzungen kultureller Vermittlungsgegenstände den jeweils veränderten und komplexer gewordenen globalen gesellschaftspolitischen Bedingungskontexten angepasst, wobei in den Philologien seit einigen Jahren zunehmend Kompetenzen gegenüber Inhalten in den Vordergrund rücken. Landeskunde kann immer weniger als ein klar abgrenzbares konkretes Feld begriffen werden, sondern „vielmehr als ein theoretisch-begriffliches Konzept, das im Rahmen fremdsprachendidaktischer Debatten als ein Interpretations- und Argumentationsmuster zur Bezeichnung (und Konturierung) der soziokulturellen Dimensionen von Sprache, Spracherwerb und Sprachgebrauch dient“ (Koreik & Pietzuch 163 34. Inhalte zur Entwicklung landeskundlicher und interkultureller Kompetenzen 2010: 1442). Dieses Konzept kann nur noch im Kontext der Diskussionen um interkulturelles Lernen bzw. interkulturelle Kompetenz betrachtet werden, die sogar schon als historisches Nachfolgekonzept der Landeskunde gesehen wurde. Insgesamt kann jedoch weiterhin als allgemeingültige Erkenntnis gelten: „Sprachenlernen ist immer Kulturenlernen“ (Krumm 1998: 524). 2. Problemaufriss Grob lassen sich - rückblickend und für die aktuelle Diskussion immer noch bedeutsam - drei grundlegende Ansätze unterscheiden: eine informationsvermittelnde Vorgehensweise, oft kognitiver Ansatz genannt, bei der die Vermittlung von Wissen und Kenntnissen über das Zielsprachenland bzw. die Zielsprachenländer im Vordergrund steht, ein seit den 1980er Jahren auf die Bewältigung von konkreten Alltagssituationen ausgerichteter kommunikativer Unterricht, in dem Kontextwissen und Handlungskompetenzen vermittelt werden sollen, die ein möglichst reibungsloses Funktionieren im Zielsprachenland ermöglichen und darauf aufbauend etwa eine Dekade später ein sog. interkultureller Ansatz, bei dem über den Vergleich hinaus kulturelle Sensibilisierung sowie Lernziele wie etwa Empathiefähigkeit und Ambiguitätstoleranz in den Vordergrund gerückt sind. Korrekter ist es wohl, dem kognitiv-wissensorientierten, dem kommunikativ-pragmatischen sowie dem interkulturell-interaktiven einen vierten, den kulturkundlich-mentalitätsorientierten Ansatz hinzuzufügen (vgl. Rozenberg 2013: 313). Auch wenn dieser Ansatz selten dezidiert so genannt wird und er zudem durch den ihm anhaftenden Hauch des Glaubens an einen „Völkercharakter“ , geprägt durch die Kulturkunde der 1920er und 1930er Jahre, desavouiert erscheinen mag, hat er dennoch insbesondere durch den prägenden Ansatz der Mentalitätsgeschichte französischer Provenienz (Philippe Ariès, Fernand Braudel u. a.) bis heute Auswirkungen auf die Landeskundediskussion in der Sprachvermittlung, wobei Volkmann (2010: 74) klar definiert: „Mentalitäten beruhen auf Konstruktionen von Wirklichkeit“ , um zugleich jedoch mit Verweis auf Weber, Schütz und Altmayer zu formulieren, dass sich „Mitglieder einer Gemeinschaft entsprechend kulturell ,vorgefertigter‘ Muster und Schemata [bedienen] um die sie betreffende Lebenswirklichkeit zu deuten und entsprechend zu handeln“ . Allen Ansätzen liegt dabei zunächst jedoch ein Kulturverständnis zugrunde, welches zwar historisch begründet, dennoch aber schon lange in problematischer Weise zu sehr auf vermeintlich homogene Nationalkulturen ausgerichtet ist und dabei dichotomisch Fremd- und Eigenkultur als „nach innen weitgehend homogener und nach außen [ … ] klar abgrenzbarer Einheiten“ (Altmayer 2004: 38) konstruiert. Eine vereinfachte und damit reduktionistische Sicht auf Kultur (vgl. Schmenk 2006: 273) ist gerade auch angesichts gesellschaftlicher Diversifikationsentwicklungen und weltweiter Migrationsprozesse kaum mehr möglich; Kulturen können nur noch als sozial konstruierte, dynamische, heterogene und multidimensionale Gebilde (vgl. Hu & Byram 2009: VII) beschrieben werden. Eine Reduktion der Komplexität ist jedoch zumindest zu einem großen Teil mit den eingängigen und wirkungsmächtigen Publikationen des niederländischen Sozialanthropologen Gert Hofstede (www.geert-hofste de.com) oder des deutschen Psychologen Alexander Thomas (1996) gegeben, in denen das Konzept von weitgehend einheitlichen Kulturstandards vertreten, keineswegs jedoch eine angemessene Beschreibungsgrundlage für komplexe Gesellschaften geboten wird. Gleichwohl muss konstatiert werden, dass einfache kulturvergleichende Konzepte 164 Uwe Koreik allein deswegen so beeindruckend sind, weil sie zumindest in verführerischer Weise vordergründig zu überzeugen vermögen, indem sie auch immer wieder offensichtliche und im Alltag nachvollziehbare Wahrheiten enthalten und zudem für die Unterrichtsebene - und damit für Lehrbuchautorinnen und -autoren wie für Lehrkräfte - sofort, relativ anschaulich und v. a. konkret anwendbar sind. Ein zusätzliches Grundproblem der Diskussion um Landeskunde bzw. interkulturelle Kompetenz ist seit langem zudem, dass in den einzelnen Fächerdiskursen nicht immer eindeutig zwischen den verschiedenen Ebenen unterschieden oder aber der Eindruck vermittelt wird, grundsätzliche theoretische Überlegungen ließen sich bruchlos übertragen: Es gibt erstens die Ebene des Sprachunterrichts, in dem schon in den ersten Lehrbuchlektionen landeskundliche Inhalte auftauchen oder durch Dialogsituationen spezifische kulturell prägnante Kommunikationsakte eingeübt werden sollen; daneben steht zweitens die Ebene der Ausbildung, bei der zukünftige Sprachlehrkräfte auf die Vermittlung landeskundlicher Inhalts- und Kompetenzvermittlung vorbereitet werden; und zum dritten wird unter dieser Begrifflichkeit weitgehend auch die relevante Forschung subsumiert, wobei konstatiert werden muss, dass wir immer noch viel zu wenig über die tatsächliche Wirkung der Vermittlung kultureller Inhalte und Strategien im Sprachunterricht wissen. Ein Blick auf die in Schule und Hochschule angebotenen Fremdsprachen und ihre Zielsprachenländer verdeutlicht zudem, dass eine umfassende Wissensvermittlung für alle in Frage kommenden Länder im normalerweise zur Verfügung stehenden Zeitrahmen auch nicht annähernd möglich ist. Für die Schulsprachen Englisch, Französisch oder Spanisch ist das angesichts des weltweiten Verbreitungsgrades offensichtlich. Schon lange steht in diesen Sprachen nicht mehr nur das „Kernland“ der Zielsprache im Fokus, sondern ist die Vielfalt, für Englisch z. B. Großbritannien, USA, Australien, Südafrika usw., für Spanisch neben Spanien das spanischsprachige Südamerika oder für Französisch neben Frankreich auch Kanada, Belgien, die französischsprachige Schweiz oder französischsprachige ehemalige Kolonien, in den Blick gerückt. Für Deutsch als Fremdsprache gilt seit dem DACH(L)-Konzept (Bettermann 2010) die Forderung, neben Deutschland auch Österreich, die Schweiz und eventuell auch Liechtenstein in die landeskundliche Vermittlung mit einzubeziehen. Das Problem ist in allen Fällen schon lange offensichtlich: Hatte Picht (1990: 12) bereits das Ansinnen, die Komplexität einer Gesellschaft durch Wissensvermittlung abbilden zu wollen, als „Aporien der Totalität“ bezeichnet, so ist allzu deutlich, dass dieses erst recht eine unlösbare Aufgabe ist, wenn der gesamte Zielsprachenraum in den Blick gerät. Deswegen ist es nur nachvollziehbar, wenn Lüsebrink bereits (1993: 84) dem Konzept, „die Gesamtbreite einer Gesellschaft [ … ], angefangen von den wirtschaftlichen Gegebenheiten über die sozialen, politischen, mentalen und kulturellen Strukturen bis hin zur Literatur“ darstellen und vermitteln zu wollen, eine klare Absage erteilte. Die Aufgliederung in einen „intellektuell-ästhetischen“ Begriff, der bildungsbürgerliche Inhalte umfassen und um alltagskulturelle Inhalte erweitert werden sollte, einerseits und in „die kollektiven Verhaltens-, Wahrnehmungs- und Denkweisen einer Gesellschaft“ andererseits (Lüsebrink 2003: 489) wurde allerdings nicht aufgegriffen, weil dies trotz der Systematisierung keine wirkliche Reduktion bedeutete. 165 34. Inhalte zur Entwicklung landeskundlicher und interkultureller Kompetenzen 3. Interkulturelle Kompetenz und transkulturelle Mentalität Weitaus folgenreicher war demgegenüber das von Byram bereits 1997 etablierte Modell zum Erwerb interkultureller Kompetenz, in dem er diese als ein Zusammenwirken von Wissen (knowledge), Fähigkeiten (skills) und Einstellungen (attitudes) charakterisiert, das von der Bereitschaft und der erkannten Notwendigkeit sich zu engagieren motiviert wird (savoir s’engager). Bedeutsam ist hierbei die Offenheit und Fähigkeit, eigene Wahrnehmungsweisen vor dem Hintergrund fremder Kulturmuster relativieren zu können (savoir être), sowie die Fertigkeit der kritischen Interpretation von Texten und Ereignissen fremder Kulturen (savoir comprehendre) gepaart mit dem Willen, selbständig das Wissen über fremde Kulturen zu erweitern und dieses in Kommunikation und Interaktion mit Vertretern der fremden Kultur anzuwenden (savoir appendre/ savoir faire). Interkulturelle Kompetenz wird damit zu einer Art Metawissen oder Metatechnik (vgl. Art. 29). Mit Altmayers (2004) fachübergreifendem folgenreichen Konzept einer transdisziplinär-kulturwissenschaftlichen Analysepraxis „kultureller Deutungsmuster“ hingegen, mit dem Kulturvermittlung statt von einer inhaltsorientierten Gegenstandsbezogenheit von dem erkenntnisleitenden Interesse an kulturellen Lernprozessen her gedacht werden soll, wird neben einer weit reichenden theoretischen Fundierung der Kulturvermittlung das Individuum in den Blick gerückt. Kramsch verdeutlicht ebenfalls mit Blick auf das Individuum die Bedeutung „symbolischer Kompetenz“ , die weit über den strukturalistischen Blick auf Sprache und das Erfassen von Wissensbeständen hinausgeht, indem schwer messbare Faktoren wie Werte, Glaubenshintergründe und Identitäten in den Blick geraten. Dies führt angesichts der zunehmenden Orientierung an Kompetenzen und einer damit einhergehenden Fokussierung auf Messbarkeit zu ihrer Forderung, dass wir uns in diesem Bereich den politischen Hintergrund von Tests zu vergegenwärtigen hätten und uns weigern sollten, etwas messen zu wollen, was nicht seriös gemessen werden kann (Kramsch 2009: 119). Sie rückt dabei das Lernerindividuum in den Vordergrund, das sie nicht auf die Rolle eines Repräsentanten einer Kultur oder Nation reduziert, sondern als eigenständiges plurales, konfliktives und Fremdes bereits in sich aufnehmendes Subjekt begreift (ebd.: 115). Als Ziel des Fremdsprachenunterrichts formuliert sie deshalb „vor allem die Fähigkeit, ein zwischensprachliches Bewusstsein, eine transkulturelle Mentalität zu entwickeln“ (Kramsch 2011: 39). Diese Forderung resultiere aus der Erkenntnis, dass wir nicht mehr einfach „davon ausgehen können, einander auf Grund der gemeinsamen Sprache oder der gemeinsamen globalen Kultur zu verstehen“. Die Voraussetzung von Verstehen sei „vielmehr, sich der historisch und gesellschaftlich vermittelten Muster bewusst zu werden, auf denen das eigene Selbstverständnis beruht“ (ebd.). 4. Perspektiven Während in der Diskussion um interkulturelle Kompetenz schon länger zunehmend die dichotomische Verengung auf Fremdes und Eigenes kritisch gesehen und eine vornehmlich instrumentelle Handlungsausrichtung beklagt wird, muss man sich in der Landeskundediskussion dem Vorwurf der „Entkulturalisierung und Preisgabe der Inhalte“ (Rössler 2007: 9) im Rahmen standard- und kompetenzorientierter Curricula stellen. Um sich exemplarisch „der historisch und gesellschaftlich vermittelten Muster bewusst zu werden“ , wird seit einigen Jahren das Kon- 166 Uwe Koreik zept der „Erinnerungsorte“ auf den Sprachunterricht übertragen (Koreik & Roche 2014), was aber in allen Sprachen erst ab dem Sprachniveau B1 realisierbar ist. Das Potential dieses Ansatzes ist theoretisch fundiert, empirisch überprüft und didaktisch ausgefeilt zuletzt umfassend von Fornoff (2016) nachgewiesen worden. Das Ausloten des Verhältnisses von landeskundlichen und interkulturellen Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht dürfte noch einen langen Entwicklungsprozess vor sich haben, in dem diverse Pendelschwünge zu erwarten sind. Literatur Altmayer, C. (2004): Kultur als Hypertext. Zu Theorie und Praxis der Kulturwissenschaft im Fach Deutsch als Fremdsprache. München. Bettermann, R. (2010): D-A- CH -Konzept, in: H. Barkowski / H.-J. Krumm (Hrsg.): Fachlexikon Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Tübingen, 41. Byram, M. (1997): Teaching and assessing intercultural communicative competence. Clevedon. Fornoff, R. (2016): Landeskunde und kulturwissenschaftliche Gedächtnisforschung. Erinnerungsorte des Nationalsozialismus im Unterricht Deutsch als Fremdsprache. Eine theoretischempirische Studie, Baltmannsweiler. Hu, A. / Byram, M., Hrsg. (2009): Interkulturelle Kompetenz und fremdsprachliches Lernen: Modelle, Empirie und Evaluation. Tübingen. Koreik, U. / Pietzuch, J. P. (2010): Entwicklungslinien landeskundlicher Ansätze und Vermittlungskonzepte, in: H.-J. Krumm / C. Fandrych / B. Hufeisen / C. Riemer (Hrsg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. Berlin, New York, 1440-1453. Koreik, U. / Roche, J. (2014): Zum Konzept der ,Erinnerungsorte‘ in der Landeskunde für Deutsch als Fremdsprache - eine Einführung, in: J. Roche / J. Röhling (Hrsg.): Erinnerungsorte und Erinnerungskulturen - Konzepte und Perspektiven für die Sprach- und Kulturvermittlung. Baltmannsweiler, 9-26. Kramsch, C. (2009): Discourse, the symbolic dimension of intercultural competence, in: A. Hu / M. Byram (Hrsg.), 107-121. Kramsch, C. (2011): Symbolische Kompetenz durch literarische Texte. Fremdsprache Deutsch 44, 35-40. Krumm, H.-J. (1998): Landeskunde Deutschland, D-A- CH oder Europa? Über den Umgang mit Verschiedenheit im DaF-Unterricht. Informationen Deutsch als Fremdsprache 5, 523-544. Lüsebrink, H.-J. (1993): Romanische Landeskunde zwischen Literaturwissenschaft und Mentalitätsgeschichte, in: K. P. Hansen (Hrsg.): Kulturbegriff und Methode. Der stille Paradigmenwechsel in den Geisteswissenschaften. Tübingen, 81-94. Lüsebrink, H.-J. (2003): Landeskunde als Komponente der nichtgermanistischen Fremdsprachenphilologien in Deutschland, in: A. Wierlacher / A. Bogner (Hrsg.), Handbuch interkulturelle Germanistik. Stuttgart, 487-493. Picht, R. (1990): Von der Landeskunde zur internationalen Kommunikation, in: H.-J. Althof (Hrsg.): Deutschlandstudien international 1: Dokumentation des Wolfenbütteler DAAD -Symposiums 1988. München, 9-24. Rössler, A. (2007): Standards ohne Stoff? Anmerkungen zum Verschwinden bildungsrelevanter Inhalte aus den curricularen Vorgaben für den Französisch- und Spanischunterricht. Beiträge zur Fremdsprachenvermittlung 46, 3-20. Rozenberg, M. (2013): Metamorphose der Landeskunde in Deutsch als Fremdsprache. Hinführung zu einer inklusiven Landeskunde - Beginn einer Debatte oder eine utopische Hoffnung? Convivium, 307-330. 167 35. Gesamtsprachencurriculum Schmenk, B. (2006): Kraut und Rüben? Kulturwissenschaftliche Ansätze und mögliche Implikationen für die Fremdsprachenforschung, in: A. Hahn / F. Klippel (Hrsg.), Sprachen schaffen Chancen. Dokumentation zum 21. Kongress für Fremdsprachendidaktik der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung ( DGFF ). München, 267-278. Thomas, A., Hrsg. (1996): Psychologie interkulturellen Handelns. Göttingen. Volkmann, L. (2010). Fachdidaktik Englisch: Kultur und Sprache. Tübingen. Uwe Koreik 35. Gesamtsprachencurriculum 1. Begrifflichkeit Ein Gesamtsprachencurriculum zielt darauf, die Sprachenangebote in der Schule miteinander und mit den Sachfächern zu vernetzen und sie zeitlich und im Bildungsgang der Lernenden aufeinander abzustimmen. Wie bei vielen neuen Sachverhalten, Ideen und Entwicklungen gibt es auch zu dieser Thematik verschiedene Termini, die oft zeitnah geprägt werden und auf ähnliche Konzepte verweisen bzw. große Schnittmengen aufweisen. Alle im Folgenden referierten Begriffe beziehen sich auf Konzepte, die insgesamt mehr Sprache(n) in einem individuellen Lernleben unterbringen, die mehr Sprachen in die Schulcurricula aufnehmen, die auch andere Sprachen als die klassischen Fremdsprachen mit einbeziehen und die diese Sprachen länger, intensiver und anwendungsorientierter gelernt sehen möchten, die also die konsequente Kooperation zwischen den Sprachenfächern einerseits und zwischen den Sprachenfächern und den Sachfächern andererseits systematisieren und umsetzen möchten. Die Begriffe beziehen sich zum einen auf Konzepte zur Lehrplanebene wie z. B. Gesamtsprachencurriculum (Hufeisen 2005; 2011), curriculare Mehrsprachigkeit (Krumm 2005) oder Curriculum Mehrsprachigkeit (Reich & Krumm 2013), zum anderen auf Konzepte zur didaktisch-methodischen Umsetzung solcher Unterrichtsplanungen, z. B. Mehrsprachigkeitsdidaktik, Tertiärsprachendidaktik oder integrative/ integrierende Sprachendidaktik, die besonders in der Schweiz konzeptionell weit fortgeschritten entwickelt ist (vgl. Hufeisen & Thonhauser 2014). Relevant für praktisch alle Konzepte ist der Einbezug aller an einem Standort vorhandenen Sprachen: Umgebungssprache(n), jeweils als L1 und als L2, Herkunftssprachen, Minderheitensprachen, die üblichen und herkömmlichen Fremdsprachen, seltene Fremdsprachen, aber auch klassische (Fremd)Sprachen (vgl. Hufeisen 2015). Alle Konzepte sind sprachen-, fächer- und evtl. jahrgangsübergreifend und oft projektorientiert angelegt. Wenigstens im Rahmen des Gesamtsprachencurriculums wird auch eine Integration der Nichtsprachenfächer angestrebt. 2. Problemaufriss In manchen Ländern gibt es Tendenzen, sich schulcurricular auf die erste und einzige Fremdsprache Englisch zu konzentrieren (oder auch zu beschränken), um in den Stundentafeln mehr Zeit für andere wichtige Fächer zu erhalten. Dies geschieht in der Annahme, dass im internationalen Diskurs ja alles auf Englisch gesagt werden könne. Dabei wird außer Acht gelassen, dass mit Sprache auch kulturspezifische Dimensionen von Geschichte, Politik, Wirtschaft, Kultur selbst transportiert werden, die beim Gebrauch einer einzigen fremden Verständigungssprache wie dem Englischen nur noch wenig durch- 168 Britta Hufeisen scheinen. Wenn andere Sprachen nicht gelernt werden, lernt man auch nur wenig über die dahinter stehenden Länder und Kulturen. Zwar gibt es von Seiten der Bildungspolitik des Europarats und der Europäischen Union die Forderung, neben der Erstsprache bzw. den Erstsprachen wenigstens zwei weitere Sprachen zu lernen (vgl. Art. 138). Dies klingt allerdings mehr wie ein Appell an Individuen und nicht so sehr wie eine Empfehlung an die Mitgliedsländer, die oft genug, statt mehr Sprachen in den Curricula unterzubringen, eher immer weniger Sprachen in ihre Curricula aufnehmen bzw. die Sprachenauswahl reduzieren und sich oft genug - mit Verweis auf angebliche Lernprobleme oder spätere Lebensrelevanz - auf English only konzentrieren. Hier ist der starke Wunsch von Elternseite, dass ihre Kinder Englisch lernen sollen, und zwar möglichst früh, möglichst lange und möglichst intensiv, ein wesentlicher Grund; stattdessen wäre es wichtig, Eltern davon zu überzeugen, dass tatsächlich mehrsprachige Individuen interkulturell vielfältiger sprachhandeln können, fast immer mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben als die, die ausschließlich Englisch anzubieten haben, und dass Englisch zwar unbedingt in einem individuellen Sprachenrepertoire vorhanden sein muss, nicht unbedingt aber als erste und auf keinen Fall als die einzige Fremdsprache. Hier gibt es deutlich mehr Informationsverpflichtung auf Seiten der Wissenschaften, die sich mit Sprachenlernen und Sprachendidaktik beschäftigen, um die Vor- und Nachteile von Sprachenlernen mit allen Beteiligten konstruktiv zu diskutieren. Um das Argument der geringen Lernzeit zu entkräften, sind verschiedene Konzepte entwickelt und erprobt worden, um mehrere Fremdsprachen auch weiterhin in den Schulcurricula unterzubringen, sie aber besser miteinander zu vernetzen und die Lernzeit effektiver auszunutzen, so z. B. der bilinguale Sachfachunterricht, der Sprache mit Sachfachinhalten verknüpft (vgl. Art. 44). Ein Gesamtsprachencurriculum versteht sich als ein umfassender Versuch, ein reichhaltiges Sprachenangebot auch unter engen institutionellen Vorgaben zu verwirklichen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Bildungsfragen primär keine europäische Angelegenheit, sondern Aufgabe der einzelnen Staaten und Nationen und in vielen Staaten auch noch Länder-, Regionen-, Schulamtsbezirkssache sind. Außerdem wird es meist zu Recht als schwierig empfunden, wenn Bildungsideen ausschließlich von politischer Seite verordnet werden. Dass Konzepte wie ein Gesamtsprachencurriculum aussichtsreiche Maßnahmen zur Schulentwicklung sein können, müssen die einzelnen Schulen erkennen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch von unten, an der aktiven Basis vor Ort, umsetzen. Bei aller prinzipiellen Euphorie über solche neuen Konzepte darf allerdings nicht übersehen werden, dass im Vergleich zu traditionellem Unterricht die Umsetzung eines Gesamtsprachencurriculums u. a. ein hohes Maß an Absprachen zwischen Sprachen- und auch zwischen Sprachen- und Sachfachlehrenden erfordert, eine Anstrengung, die von Anfang an mitbedacht werden will. Zu dieser Anstrengung müssen alle bereit und in der Lage sein. Schulen, die gesamtsprachencurricular organisiert sind, gehen oft projektorientiert vor und sind von dem gemeinsamen Willen getragen, curricular und unterrichtsorganisatorisch neue Wege zu gehen. Aber selbst wenn es aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich ist, eine gesamte Schule gesamtsprachencurricular umzuorganisieren, gibt es viele Möglichkeiten, Einzelelemente wie z. B. eine gemeinsame Grammatikterminologie für alle Sprachen einzuführen und auf diese im jeweiligen Einzelunterricht zu verweisen oder Fächer in Projektwochen oder per Stundenplan zusammenzubringen. Solche Einzelprojekte ziehen oft genug größere Pro- 169 35. Gesamtsprachencurriculum jektverbünde nach sich, weil sowohl das Kollegium als auch Eltern den Mehrwert von gesamtsprachencurricularen Anstrengungen erkennen. Im Rahmen solcher Anstrengungen lassen sich bspw. auch sprachförderliche Maßnahmen für Nichtsprachenfächer durchführen, die selbstverständlich ebenfalls sprachlich gefasst sind und eine eigene Fachsprache aufweisen, aber gelegentlich bildungssprachliche Probleme aufwerfen können. Erfolgreiche gesamtsprachencurriculare Schulprojekte ziehen meist weitere, auch dauerhafte Änderungen in der Schulorganisation nach sich und haben Vorbildcharakter für andere Schulen. 3. Forschungsstand Bisher liegen in erster Linie Konzepte und Vorschläge vor. Spracherwerbsbzw. sprachenlehrlerntheoretische Forschung rekurriert bislang auf Modelle und Hypothesen zu multiplem Sprachenlernen (z. B. Jessner 2008; Hufeisen 2010). Erziehungs- und bildungswissenschaftliche Forschung im engeren Sinne gibt es noch wenig. Ein zielgerichtetes Anwendungsprojekt mit gesamtsprachencurricularem Schwerpunkt („Schulische Gesamtsprachencurricula PlurCur“) am Europäischen Fremdsprachenzentrum in Graz wird allerdings durch qualitativ orientierte Forschung begleitet und evaluiert (vgl. Henning 2015 und Kordt 2015a; 2015b). Ein umfassender Bericht zu den Schulprojekten und verschiedenen Begleitforschungsprojekten findet sich in Allgäuer-Hackl et al. (2015). Dass auch Sachfächer sprachlich gefasst sind und die Lehrkräfte für die Fach- und Bildungssprache ihrer Fächer sensibilisiert werden könnten, und dass dies oft am einfachsten über Konzepte wie bilingualer Sachfachunterricht oder im Team Teaching geschehen kann, zeigt Drumm (2016) mit ihrer Arbeit zu Vorstellungen von Biologielehrkräften zur Sprache ihres Faches. So reichen gesamtsprachencurriculare Anstrengungen weit über die Sprachenfächer hinaus und können dazu beitragen, auch Probleme anzugehen, die auf bildungssprachliche Defizite hinweisen. Welche Konsequenzen ein solchermaßen mehr- und vielsprachiger Unterricht für die Lehramtsausbildung und für die Lehrkräftefort- und -weiterbildung bzw. die Professionalisierung von Lehrkräften haben müsste und könnte, wird in den Beiträgen in Vetter (2013) diskutiert. Es wird hier sehr deutlich, dass auch in der Lehramtsausbildung stärker über Vernetzung zwischen den einzelnen Sprachen-, aber auch Sachfächern gearbeitet werden könnte, dass bestimmte Themen übergreifende Themen sein könnten, die für alle Lehramtsstudierenden relevant sind, wie z. B. die sprachliche Gefasstheit von Sachinhalten, auch von MINT-Inhalten. Anders formuliert: Auch in der Mathematik oder in Physik wird über die Inhalte mit Sprache gesprochen, gelesen, gehört und geschrieben. Das muss gelernt und geübt werden, im Zusammenspiel mit den Sprachenfächern kann dies professioneller angegangen werden, ohne dass ein Fach nur ein Zubringerfach für das andere sein muss. Insbesondere bei der Frage nach der Fremdperspektive auf MINT-Fächer wird deutlich, dass Deutsch als Zweitsprache auch in Mathematik eine Zweitsprache darstellt und im mathematischen Diskurs berücksichtigt werden muss (vgl. Prediger 2013). 4. Praxisrelevanz Auf den ersten Blick haben die genannten Konzepte zunächst keine Praxisrelevanz, weil eine möglicherweise reguläre Umsetzung an den derzeitigen Curricula scheitert. Für die Praxis führt allerdings kein Weg daran vorbei, Sprachenangebote besser zu vernetzen. Das Konzept des Gesamtsprachen- 170 Britta Hufeisen curriculums hat hier vieles in Bewegung gesetzt. Auch wenn die Konzeptideen in absehbarer Zeit nicht als Ganze in die Praxis umgesetzt werden, so haben sie ihren heuristischen Wert bereits bewiesen, indem sie Projekte angestoßen und die Diskussion zur Schulentwicklung belebt haben. Einzelne Schulprojekte in PlurCur (Europäisches Fremdsprachenzentrum) zeigen, dass gesamtsprachencurriculare Versuche funktionieren können und dass alle, Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Direktionen, Eltern und Verwaltungsbehörden solchen Initiativen positiv gegenüber stehen. MINT- Fächer und andere Nichtsprachenfächer miteinzubeziehen ist zuweilen ein langwieriger Prozess, der aber trotz seiner Komplexität angegangen werden sollte. Bei den PlurCur-Projektschulen haben sich einige Elemente als recht rasch machbar erwiesen wie z. B. eine schulweite mehrsprachige Grammatikterminologieliste für alle Sprachen (inklusive der jeweiligen L1). An fast allen Schulen ließen sich sprachenübergreifende Tage, Wochen der Sprachen, Sprachencafés einrichten, während derer auch Eltern und die Öffentlichkeit informiert werden konnten. Publikumswirksame Projektwochen und Arbeitsgemeinschaften, wie Fasse (Viel- und mehrsprachiges Theater in der 7./ 8. Klasse, Fasse 2014) und Kordt (EuroComGerm an der Schule, Kordt 2015a) sie beschreiben, sind ebenfalls umsetzbar und tragen dazu bei, eine größere Öffentlichkeit von der Sinnhaftigkeit mehrsprachigen Lernens zu überzeugen. Auch Team Teaching zwischen Sprachen- und Sachfachlehrkräften scheint ein Format zu sein, welches sich ohne großen administrativen Aufwand umsetzen ließe (weitere Erfahrungsberichte in Allgäuer-Hackl et al. 2015). Dass die an vielen Schulen mittlerweile gut etablierten Portfolios insbesondere für Schülerinnen und Schüler sichtbarer Beweis für das sprachenübergreifende Lernen und Verfügen über Sprachen sein können, zeigen die Beiträge im Themenheft „Portfolio“ (Ballweg 2011). Aber auch hier gilt, dass die Vernetzung bewusst gemacht und zum Gegenstand des Lernens und Begreifens gemacht werden muss. 5. Perspektiven Falls Forderungen nach lebenslangem Lernen und lebenslanger individueller Mehrsprachigkeit wirklich ernst gemeint sind, wird man in der Schulentwicklung um Initiativen wie das Gesamtsprachencurriculum oder curriculare Mehrsprachigkeit nicht herum kommen. Allerdings muss mit beträchtlichem Beharrungsvermögen von Etabliertem, Traditionellem und immer schon so Dagewesenem gerechnet werden, so dass man bei Versuchen, Schule gesamtsprachencurricular zu entwickeln, einen langen Atem haben muss und nicht etwa nach fünf Jahren schon aufgeben darf. Literatur Allgäuer-Hackl, E. / Brogan, K. / Henning, U. / Hufeisen, B. / Schlabach, J. (2015): Mehr- Sprachen - PlurCur! Forschung, Entwicklung und Berichte aus der Praxis zu Gesamtsprachencurricula. Baltmannsweiler. Ballweg, S., Hrsg. (2011): Portfolioarbeit (= Themenheft Fremdsprache Deutsch 45/ 2). Drumm, S. (2016): Sprachbildung im Biologieunterricht. Eine Studie zu Vorstellungen von Lehrenden an Schulen zum Fach und dessen Sprache. Berlin. Europäisches Fremdsprachenzentrum: Plurilingual whole school curricula - PlurCur. www. ecml.at/ plurcur Fasse, G. (2014): Im Meer der Sprachen. Fremdsprache Deutsch 50, 36-41. 171 35. Gesamtsprachencurriculum Henning, U. (2015): Begleitstudie zu vielsprachigem Theaterspiel - Spracheinstellungen qualitativ erforschen, in: E. Allgäuer-Hackl et al. (Hrsg.): Mehr Sprachen? - PlurCur! Baltmannsweiler, 107-123. Hufeisen, B. (2005): Gesamtsprachencurriculum: Einflussfaktoren und Bedingungsgefüge, in: B. Hufeisen / M. Lutjeharms (Hrsg.): Gesamtsprachencurriculum - Integrierte Sprachendidaktik - Common Curriculum. Theoretische Überlegungen und Beispiele der Umsetzung. Tübingen, 9-18. Hufeisen, B. (2010): Theoretische Fundierung multiplen Sprachenlernens - Faktorenmodell 2.0. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 36, 200-207. Hufeisen, B. (2011): Gesamtsprachencurriculum: Überlegungen zu einem prototypischen Modell, in: R. S. Baur / B. Hufeisen (Hrsg.) (2011): „Vieles ist sehr ähnlich.“ - Individuelle und gesellschaftliche Mehrsprachigkeit als bildungspolitische Aufgabe. Baltmannsweiler, 265- 282. Hufeisen, B. (2015): Zur möglichen Rolle der sog. klassischen Sprachen für Gesamtsprachencurriculumskonzepte, in: S. Hoffmann / A. Stork, Hrsg. (2015): Lernerorientierte Fremdsprachenforschung und -didaktik. Tübingen, 45-57. Hufeisen, B. / Thonhauser, I., Hrsg. (2014): Mehrsprachigkeit (= Themenheft Fremdsprache Deutsch 50). Jessner, U. (2008): A DST model of multilingualism and the role of metalinguistic awareness. The Modern Language Journal 92/ 2, 270- 283. Kordt, B. (2015a): Die Affordanzwahrnehmung von SchülerInnen bei der schulischen Umsetzung des EuroComGerm-Konzepts - Einblicke in eine explorativ-interpretative Studie, in: E. Allgäuer-Hackl et al. (Hrsg.): Mehr Sprachen? - PlurCur! Baltmannsweiler, 85-106. Kordt, B. (2015 b): Sprachdetektivische Spracharbeit. Praxis Fremdsprachenunterricht 4, 4-9. Krumm, H.-J. (2005): Von der additiven zur curricularen Mehrsprachigkeit: Über die Notwendigkeit der Einbeziehung von Minderheiten-, Migrations- und Nachbarsprachen, in: B. Hufeisen / M. Lutjeharms (Hrsg.): Gesamtsprachencurriculum - Integrierte Sprachendidaktik - Common Curriculum. Theoretische Überlegungen und Beispiele der Umsetzung. Tübingen, 27-36. Prediger, S. (2013): Darstellungen, Register und mentale Konstruktion von Bedeutungen und Beziehungen - Mathematikspezifische sprachliche Herausforderungen identifizieren und überwinden, in: M. Becker-Mrotzek / K. Schramm / E. Thürmann / H. J. Vollmer (Hrsg.): Sprache im Fach - Sprachlichkeit und fachliches Lernen. Münster, 167-183. Reich, H. H. / Krumm, H.-J. (2013): Sprachbildung und Mehrsprachigkeit. Ein Curriculum zur Wahrnehmung und Bewältigung sprachlicher Vielfalt im Unterricht. Münster. Vetter, E., Hrsg. (2013): Professionalisierung für sprachliche Vielfalt. Perspektiven für eine neue LehrerInnenbildung. Baltmannsweiler. Britta Hufeisen 36. Sprachen lernen und lehren im Elementarbereich: Curriculare Dimension 1. Problemaufriss Europa hat sich als Gemeinschaft gegen eine lingua franca-Lösung und für die Förderung von Mehrsprachigkeit (vgl. Art. 3 und 138) entschieden und dazu verschiedene Projekte auf den Weg gebracht. Als ein Beispiel sei Multilingual Families erwähnt, ein EU-Projekt, das insbesondere mehrsprachige Familien dazu ermutigen möchte, Kinder nicht monolingual, sondern mehrsprachig auf- 172 Michaela Sambanis wachsen zu lassen. Zur Unterstützung der mehrsprachigen Erziehung sind auf der Projekthomepage Informationen und Materialien für pädagogische Fachkräfte, Eltern und Kinder in 17 Sprachen frei zugänglich. Die folgenden Ausführungen gehen der Frage nach, welchen Auftrag sich die Elementarstufe als grundlegende Stufe des Bildungssystems (Tietze 2008: 21) im Hinblick auf das Lehren und Lernen von Sprachen im noch nicht schulpflichtigen Alter gibt und ob das Entwicklungspotential dieser „elementare[n] Bildungszeit“ (Elschenbroich 2001: 27) auch für eine erste Fremdsprache genutzt werden sollte. In den vergangenen Jahren zeichnete sich eine Weiterentwicklung und Zunahme von Sprachangeboten bereits auf der Elementarstufe ab, teilweise in Form bilingual-bikultureller Einrichtungen, und auch das Bewusstsein für Sprachen als Ressource und für einen wertschätzenden Umgang mit unterschiedlichen Herkunfts- und Familiensprachen wurde gestärkt. Um dem Ziel der Mehrsprachigkeit näher zu kommen, bedarf es jedoch weiterer Maßnahmen, die auch die frühe Kindheit als bedeutende Entwicklungsphase und damit die Elementarstufe des Bildungssystems noch konsequenter berücksichtigen. Auf der Primarstufe wurde durch die Einführung des Fremdsprachenunterrichts als Pflichtfach bereits vor gut zehn Jahren eine wichtige Weichenstellung vorgenommen. In den meisten deutschen Bundesländern lernen Grundschüler und -schülerinnen ab dem dritten Schuljahr, mancherorts ab dem ersten, eine Fremdsprache (vorwiegend Englisch oder Französisch). Gestützt auf entsprechende Befunde (vgl. u. a. Engel et al. 2009; Sambanis 2007) kann bestätigt werden, dass die an den Fremdsprachenunterricht in der Grundschule gestellten Erwartungen erfüllt werden (vgl. Goethe-Institut 2010: 6) - insbesondere dann, wenn für die erforderlichen Rahmenbedingungen gesorgt wird. 2. Sachstand in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland Die Situation in der Schweiz, einem viersprachigen Land, ist eine besondere. Im Jahr 2004 wurde eine Fremdsprachenstrategie erarbeitet, die zu einer Harmonisierung des Angebots in den 26 Kantonen führen sollte (vgl. Schweizerischer Bildungsserver). Ein von den meisten Kantonen getragener und in Umsetzung befindlicher Konsens wurde gefunden, der darin besteht, dass alle Kinder in der Schweiz im Rahmen der obligatorischen Schulzeit zwei Fremdsprachen, nämlich eine zweite Landessprache und Englisch (im Tessin drei Fremdsprachen), lernen sollen. In mittlerweile 19 Kantonen ist der Besuch der Vorschulstufe, d. h. des letzten bzw. bald der letzten beiden Jahre des Kindergartens, obligatorisch, wodurch in der Schweiz nahezu alle Kinder (ca. 99 %) schon vor dem Schuleintritt eine pädagogische Einrichtung besuchen. Auf der Elementarstufe wird großes Gewicht auf den Entwicklungsbereich Sprache gelegt, besonders auf die Förderung der Schulsprache. In den meisten Kantonen der Deutschschweiz, mit Ausnahme des Kantons Zürich, bedeutet dies zugleich eine Fokussierung auf die Standardsprache im Gegensatz zur Mundart. Der Fremdsprachenunterricht setzt in der Schweiz auf der Primarstufe ein, die erste Fremdsprache spätestens im dritten, die zweite im fünften Schuljahr. In Österreich haben Kinder bereits ab dem ersten Jahr der Volksschule Kontakt zu einer Nachbar- oder Fremdsprache - zumeist handelt es sich um Englisch - und zwar im Rahmen der verbindlichen Übung „Lebende Fremdsprache“ . Kinder mit einer anderen Erstsprache können außerdem bei Bedarf 173 36. Sprachen lernen und lehren im Elementarbereich: Curriculare Dimension Förderung in der Bildungssprache Deutsch erhalten und am muttersprachlichen Unterricht teilnehmen. In Niederösterreich, dem größten Bundesland Österreichs, wird Englisch flächendeckend schon im Kindergarten angeboten (vgl. Boeckmann et al. 2011). Außer dem Englischen bezieht dort die sprachliche Bildung ab der Elementarstufe die jeweiligen Nachbarsprachen (Tschechisch, Slowakisch, Ungarisch, Slowenisch, Italienisch) mit ein. Ferner ist vorgesehen, durch die Berücksichtigung sog. Begegnungssprachen, d. h. jener Sprachen, die z. B. durch andere Familiensprachen, innerhalb oder außerhalb des Spektrums der Nachbarschaftssprachen, in der pädagogischen Einrichtung vertreten sind, die sprachlichen Erlebnisse der Kinder zu erweitern. Hinzu kommt die Förderung des Deutschen bei Kindern mit anderer Erstsprache. Statistik Austria (2014) zufolge besuchen in Österreich über 90 % der Dreibis Fünfjährigen eine Kinderbetreuungseinrichtung, in Niederösterreich sind es 95,5 %. In Deutschland besuchen laut Statistischem Bundesamt (2014) 93,6 % aller Dreibis Sechsjährigen eine Kindertagesstätte bzw. eine andere öffentlich geförderte Kindertagespflegeeinrichtung. Die höchste Betreuungsquote in diesem Alterssegment liegt bei 97,7 % (Rheinland-Pfalz), die niedrigste bei 90,1 % (Hamburg). Somit besucht auch in Deutschland die Mehrheit der Kinder im sog. „Kindergartenalter“ eine pädagogische Einrichtung, d. h. nahezu alle Kinder verbringen schon vor Schuleintritt mehrere tausend Wachstunden in einer Institution, die pädagogische Ziele verfolgt (vgl. Elschenbroich 2001: 15). Kindertageseinrichtungen haben, so ist es im Sozialgesetzbuch (SGB) im achten Buch § 22 verankert, einen Auftrag, der Erziehung, Bildung und Betreuung umfasst. Der 2004 von der Jugendministerkonferenz (JMK) und der Kultusministerkonferenz (KMK) beschlossene gemeinsame Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen in Deutschland fasst die Grundsätze der Bildungsarbeit, auf die sich die Länder geeinigt haben, zusammen. Innerhalb dieses Rahmens bewegen sich die weiteren Konkretisierungen in Form von Bildungsplänen der Bundesländer sowie schließlich auf Trägerebene. Die ganzheitliche Förderung der Kinder wird im gemeinsamen Rahmen der Länder hervorgehoben, die interkulturelle Bildung als eine Querschnittsaufgabe beschrieben, und sechs Bildungsbereiche werden angeführt (JMK & KMK 2004: 4-5), darunter Sprache, Schrift, Kommunikation. Mehrsprachigkeit findet keine Erwähnung, obschon in Deutschland mehr als 25 % der Kindergartenkinder zwischen drei und sechs Jahren einen Migrationshintergrund haben. Hinzu kommen Kinder, die durch andere Umstände multilinguale und multikulturelle Einflüsse erleben. Im gemeinsamen Rahmen der Länder finden sich außerdem keine Hinweise darauf, dass zur sprachlichen Bildung auch eine erste Fremdsprache gehören kann. Die deutschen Bundesländer haben in den zurückliegenden Jahren Bildungspläne, auch Bildungsprogramm oder -empfehlung, Orientierungsplan, Rahmenplan, Grundsätze oder Leitlinien genannt, für den Elementarbereich veröffentlicht. Sie unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht voneinander; wie die Vielfalt der Bezeichnungen erahnen lässt, im Hinblick auf ihre Verbindlichkeit, aber auch hinsichtlich des Geltungsbereichs (Krippe, Kindertagesstätte etc.) und der Altersgruppe, auf die sie sich beziehen (ab drei Jahre oder darunter bis Schuleintritt, bis zehn oder sogar vierzehn Jahre). Drei Schwerpunkte lassen sich für den Bildungsbereich Sprache identifizieren: 174 Michaela Sambanis 1) Sprachförderung, verstanden als Förderung der Bildungssprache Deutsch, 2) Mehrsprachigkeit, zumeist in engster oder ausschließlicher Verbindung zu den Familiensprachen und 3) eine Fremdsprache. Die Relevanz einer frühen Förderung der Bildungssprache Deutsch wird vielfach durch Hinweise auf deren Schlüsselrolle im Hinblick auf schulischen und beruflichen Erfolg sowie die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben hervorgehoben. Zumeist wird sie als Querschnittsaufgabe bezeichnet und ein möglichst konsequent alltagsintegriertes Vorgehen gefordert. Auch die Bedeutung von Interaktionen für sprachliche Erwerbsprozesse findet in den meisten Plänen Erwähnung, oftmals verknüpft mit Hinweisen auf Bilderbuchbetrachtung, Vorlesen und Erzählen. In einigen Bildungsplänen wird außerdem auf Imitation und Herausfiltern von Regelhaftem hingewiesen. Vereinzelt werden Verbindungen zur kindlichen Freude an Bewegung, Rhythmus und Musik hergestellt (vgl. Sambanis 2013: 82 f., 89 ff.). Auch das Entdecken von Schriftkultur und der Symbolfunktion von Schrift findet Erwähnung (vgl. auch Art. 45). Der Bildungsbereich Sprache auf der Elementarstufe beinhaltet außerdem, wie sich zumindest einigen der Bildungspläne entnehmen lässt, Ziele auf dem Gebiet des Sprachbewusstseins und der interkulturellen Kompetenz, und auch die Mehrsprachigkeit wird hier verortet. In diesem Zusammenhang finden sich Hinweise auf Dialekte (z. B. Bayern, Berlin, Hamburg) oder die Regionalsprache (Niedersachsen), auf Gebärdensprache (Thüringen) und im Hinblick auf Grenzregionen auch auf die Sprache des Nachbarlandes (z. B. Baden-Württemberg). Deutlich größeres Gewicht wird auf die Wertschätzung und Berücksichtigung der Herkunftssprachen und unterschiedlichen Familienkulturen der Kinder gelegt und vielfach betont, dass andere Familiensprachen als Chance und Bereicherung, nicht als Belastung oder Risiko zu betrachten seien. Es wird nahegelegt, die verschiedenen Herkunftssprachen am besten durch Elternbeteiligung einzubinden. Dies erscheint in zweifacher Hinsicht naheliegend: zum einen, da von pädagogischen Fachkräften nicht verlangt werden kann, einer oder mehrerer Herkunftssprachen mächtig zu sein (vgl. Art. 46). Zum zweiten kann sich die Beteiligung von Eltern förderlich auf die Akzeptanz und die Nähe zur pädagogischen Institution auswirken und sich als indirekter Effekt u. a. auf Kindebene spiegeln (vgl. Tietze 2008: 19). Die Möglichkeit, außerdem schon im Elementarbereich, wie in Niederösterreich, eine erste moderne Fremdsprache zu verankern, was komplementäre Funktionen zur Begegnung mit Herkunftssprachen erfüllen könnte, thematisieren die deutschen Bildungspläne kaum. Verschiedene Bundesländer positionieren sich gar nicht (z. B. Bremen, Hamburg). In einigen Plänen wird betont, dass eine erste Fremdsprache erst in der Grundschule erlernt werde (Baden-Württemberg) bzw. dass zunächst ein differenzierter Gebrauch der sog. Erstsprache erreicht werden müsse, bevor Prozesse zur Aneignung anderer Sprachen angestoßen werden könnten (Sachsen). Nur sehr vereinzelt werden moderne Fremdsprachen überhaupt erwähnt. Im Saarland, das eine Frankreichstrategie verfolgt, hingegen ist Zweisprachigkeit erklärtes Ziel. Im Elementarbereich setzt man auf bilinguale und bikulturelle Kindergärten, die dort bereits bei einem Anteil von 40 % liegen mit weiter steigender Tendenz. Bundesweit liegt der Anteil bei 2 %. 175 36. Sprachen lernen und lehren im Elementarbereich: Curriculare Dimension 3. Praxisrelevanz Wie gezeigt verbringen die meisten Kinder in Deutschland ein beachtliches Ausmaß ihrer Zeit innerhalb einer für sprachliche Entwicklungsprozesse wichtigen Phase in einer pädagogischen Einrichtung. Für viele Kinder, nicht zuletzt jene, die in eher bildungsfernen Umfeldern aufwachsen, ist das Angebot der Kindertagesstätte von besonderer Relevanz, und sowohl ermöglichte als auch verpasste Bildungserlebnisse können Folgen zeigen. Angesichts der Bildungsverantwortung des Elementarbereichs muss ernsthaft diskutiert werden, ob dem Kontakt mit einer ersten Fremdsprache nicht ebenso selbstverständlich ein Platz zugestanden werden sollte wie z. B. dem Entdecken von Naturphänomenen, dem in den vergangenen Jahren einige Beachtung geschenkt wurde. Die Nachfrage nach kommerziellen Angeboten und Kindergärten mit bilingualen Programmen, deren Zahl sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht haben soll, spiegelt den Elternwunsch. Da dieses Angebot aber nicht allen Kindern zugänglich ist, könnte in einem zentralen Entwicklungsbereich Chancenungleichheit entstehen. 4. Perspektiven Die Frage nach einem zeit- und zukunftsgemäßen Verständnis von sprachlicher Bildung ist noch nicht abschließend geklärt. Sie muss, auch vor dem Hintergrund der Diskussion um Qualitätssicherung und -entwicklung im Elementarbereich (Tietze 2008), weitergeführt werden, wobei für den Bildungsbereich Sprache nicht nur die Bildungssprache (vgl. Gogolin & Lange 2011: 108) und Mehrsprachigkeit in Verbindung mit Herkunftssprachen, sondern auch der mögliche Beitrag einer ersten modernen Fremdsprache zur sprachlichen Bildung gemeinsam in den Fokus rücken müssen. Des Weiteren sind Überlegungen dazu anzustellen, welche Fremdsprachen für den Elementarbereich geeignet erscheinen. Die Sprache mit dem höchsten Nutzwert ist Englisch. Mit einer Entscheidung für Englisch wäre die Herausforderung der Kontinuität (vgl. Kompetenzzentrum Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund), die für die Nachhaltigkeit der auf der Elementarstufe gesetzten Bildungsimpulse von wesentlicher Bedeutung ist, einfacher zu bewerkstelligen als bei unterschiedlichen Fremdsprachen, aber es kann, wie das Beispiel des Saarlands zeigt, auch andere Kriterien geben. Als Argument gegen Englisch als erste Sprache in der Sprachenfolge wird mitunter die möglicherweise eingeschränkte Bereitschaft zum späteren Lernen anderer Fremdsprachen ins Feld geführt. Weiterhin gilt es zu klären, wie die moderne Fremdsprache im Rahmen eines übergreifenden Sprachenkonzeptes, das mehrere Dimensionen verbindet, verankert werden könnte, unter welchen Bedingungen sie in einem solchen Gesamtgefüge Berücksichtigung finden und mit welcher Zielsetzung sie einen Beitrag leisten kann. Literatur Boeckmann, K.-B. / Lins, S. / Orlovsky, S. / Wondraczek, I. (2011): Mehrsprachigkeit in den Kindergärten. Methodisches Handbuch für die Sprachenvermittlung. St. Pölten. Bundesministerium für Bildung und Frauen (Österreich): Volksschule. www.bmbf.gv.at/ schulen/ bw/ abs/ vs.html Deutscher Bildungsserver: Bildungspläne der Bundesländer für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen. www.bildungsserver.de/ Bildungsplaene-der-Bundeslaender-fuer-diefruehe-Bildung-in-Kindertageseinrichtungen- 2027.html 176 Michaela Sambanis Elschenbroich, D. (2001): Weltwissen der Siebenjährigen. München. Engel, G. / Groot-Wilken, B. / Thürmann, E., Hrsg. (2009): Englisch in der Primarstufe - Chancen und Herausforderungen. Evaluation und Erfahrungen aus der Praxis. Berlin. Goethe-Institut, Hrsg. (2010): Nürnberger Empfehlungen zum frühen Fremdsprachenlernen. Neubearbeitung. München. Gogolin, I. / Lange, I. (2011): Bildungssprache und durchgängige Sprachbildung, in: S. Fürstenau / M. Gomolla (Hrsg.): Migration und schulischer Wandel: Mehrsprachigkeit. Wiesbaden, 107-127. JMK / KMK , Hrsg. (2004): Gemeinsamer Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen. Beschluss der Jugendministerkonferenz vom 13.-14. 05. 2004 / Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 03.-04. 06. 2004. www.kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlichungen_beschluesse/ 2004/ 2004 _06_03-Fruehe-Bildung-Kindertageseinricht ungen.pdf Kompetenzzentrum Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund - FörMig. www. foermig.uni-hamburg.de Multilingual Families. www.multilingual-fami lies.eu Sambanis, M. (2007): Sprache aus Handeln. Englisch und Französisch in der Grundschule. Landau. Sambanis, M. (2013): Fremdsprachenunterricht und Neurowissenschaften. Tübingen. Schweizerischer Bildungsserver. http: / / bil dungssystem.educa.ch/ de Sozialgesetzbuch. www.gesetze-im-internet. de/ sgb_8/ BJNR 111630990.html Statistik Austria (2014): Kindertagesheime. www.statistik.at/ web_de/ statistiken/ bildung _und_kultur/ formales _bildungswesen/ kind ertagesheime_kinderbetreuung/ index.html Statistisches Bundesamt (2014): Betreuungsquote. www.destatis.de/ DE / ZahlenFakten/ GesellschaftStaat/ Soziales/ Sozialleistungen/ Kindertagesbetreuung/ T abellen/ Tabellen_ Betreuungsquote.html Tietze, W. (2008): Qualitätssicherung im Elementarbereich, in: E. Klieme / R. Tippelt (Hrsg.): Qualitätssicherung im Bildungswesen. Zeitschrift für Pädagogik, Suppl. 53, 16-35. Michaela Sambanis 37. Sprachen lernen und lehren im Primarbereich: Curriculare Dimension 1. (Fremd-)sprachliche Bildung im Primarbereich Sprachliche Bildung im Primarbereich setzt die konstruktive und lebenslange Auseinandersetzung mit Mehrsprachigkeit und kultureller Vielfalt in Gang. Mit Blick auf ein politisch und wirtschaftlich zusammenwachsendes Europa berücksichtigt sie dabei die 1995 im Weißbuch der Europäischen Kommission erklärte Vision, dass möglichst alle Bürgerinnen und Bürger Europas neben ihrer Muttersprache zwei weitere Sprachen beherrschen. Neben dem Unterricht in Deutsch als Erstsprache und der frühen Förderung von Deutsch als Zweitsprache von Kindern mit einer anderen Muttersprache als Deutsch ist das Lernen einer Fremdsprache seit dem Schuljahr 2004/ 2005 fester Bestandteil des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Grundschule. 2. Historische Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts im Primarbereich Schon 1919 integrierten die Freien Waldorfschulen fremdsprachlichen Unterricht in ihr 177 37. Sprachen lernen und lehren im Primarbereich: Curriculare Dimension Grundschulcurriculum, während dieser an öffentlichen Schulen erst in höheren Jahrgangsstufen angeboten wurde. Auf Basis der Empfehlungen des Strukturplans für das deutsche Bildungswesen der KMK (1970) startete in Deutschland erstmals eine Reihe von Schulversuchen zur Erprobung des frühen Fremdsprachenlernens im Primarbereich, die im Gesamtergebnis zeigten, dass sich der frühe Beginn positiv auf die Entwicklung affektiver und fremdsprachlicher Kompetenzen der beteiligten Lernenden auswirkte (vgl. zusammenfassend Sauer 1993). Bildungspolitisch blieben diese Erkenntnisse jedoch, v. a. aufgrund eines fehlenden Gesamtkonzepts für den frühen Fremdsprachenunterricht, zunächst folgenlos. Erst Anfang der 1990er Jahre entfachten die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Europa erneute Diskussionen um die Vorverlegung des Fremdsprachenunterrichts in den Primarbereich. Damit einher ging die Suche nach einer geeigneten Konzeption in den Bundesländern (vgl. zusammenfassend Elsner 2010: 2 ff.). Während man in NRW das Modell der Begegnung mit Sprachen erprobte, das die Kinder in Anlehnung an das britische Konzept der language awareness v. a. für Sprachunterschiede und -gemeinsamkeiten sensibilisieren sollte, setzte man in Hessen und Niedersachsen auf einen systematischen und lehrgangsorientierten Fremdsprachenunterricht. Dieser zielte auf eine sprachliche Progression der Lerner, war aber gleichermaßen kindgemäß-spielerisch organisiert. In Baden-Württemberg wurden die Kinder im Projekt „Lerne die Sprache deines Nachbarn“ systematisch für Begegnungssituationen mit französischen Partnerklassen vorbereitet. In Kiel und in Wolfsburg erprobte man parallel das Konzept der Immersion; in Rheinland-Pfalz wurde im integrativen Modell die Fremdsprache täglich in kurzen Phasen in die übrigen Grundschulfächer integriert. Im Anschluss an die Veröffentlichung eines KMK-Beschlusses von 1994, welcher die Einführung des Fremdsprachenunterrichts ab Klasse 3 empfahl, erschien 1997 die erste Didaktik zur „Fremdsprachenarbeit in der Grundschule“ , in welcher Heidemarie Sarter versuchte, die erprobten Modelle miteinander in Einklang zu bringen. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts legten die Bundesländer sukzessive Lehr- und Rahmenpläne vor, welche einheitlich einen ergebnisorientierten und spielerisch-kindgemäßen Fremdsprachenunterricht mit einem Fokus auf die Ausbildung mündlicher Fertigkeiten propagierte. Auch heute verschreibt sich der Fremdsprachenunterricht in der Grundschule diesen Prinzipien, wenngleich die schriftsprachliche Progression zunehmend an Bedeutung gewinnt. Vor dem Hintergrund einer sprachlich heterogenen Schülerschaft werden zudem vermehrt Versuche unternommen, auch andere Sprachen neben der Zielfremdsprache in den Unterricht zu integrieren. Dabei sollen die Lernenden im Sinne einer Mehrsprachigkeitsdidaktik zu Sprachvergleichen und zur Nutzung von sprachübergreifenden Lernstrategien angeregt werden (vgl. Art. 48). In Österreich wurde zumindest eine Fremdsprache ab 1983/ 84 ab Klasse 3 und seit 2002/ 2003 für die Primarstufe (Volksschule) ab Klasse 1 verpflichtend eingeführt; 2008 lernten 93,7 % aller Kinder auf der Primarstufe eine Fremdsprache. Obwohl die Sprachenwahl grundsätzlich offen ist und der Lehrplan neben Englisch auch die Wahl von Französisch und allen österreichischen Nachbarbzw. Minderheitensprachen erlauben würde, lernen über 98 % aller Kinder Englisch (im Einzelnen vgl. de Cillia & Krumm 2010). Die Schweizerische Konferenz der Kantonalen Erziehungsdirektoren hat 2004 eine Strategie zur Weiterentwicklung des Sprachenunterrichts verabschiedet, die u. a. das frühe Sprachenlernen fördern sollte. Eine in- 178 Daniela Elsner terkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule (HarmoS-Konkordat) von 2009 setzt dafür den Rahmen und gibt die Grundkompetenzen vor, für die Grundschule neben der Unterrichtssprache zwei Fremdsprachen, eine zweite Landessprache und Englisch. In 14 Kantonen ist Englisch die erste Fremdsprache, in 12 Kantonen die zweite Landessprache, wobei diese oft erst ab Klasse 5 angeboten wird (vgl. Eurydice 2013). 3. Frühes Fremdsprachenlernen und -lehren heute Die KMK (2013: 3) verweist darauf, dass der verbindliche Fremdsprachenunterricht in der Grundschule länderübergreifend kompetenzorientiert und standardbasiert ausgerichtet ist, die inhaltliche und strukturelle Organisation des Unterrichts jedoch in den länderspezifischen Curricula individuell geregelt werden. Für alle Bundesländer liegen mittlerweile Bildungspläne vor, welche neben den Aufgaben, Zielen und Inhalten des frühen Fremdsprachenunterrichts die zu erreichenden Standards am Ende der 4. Jahrgangsstufe festlegen. Diese wiederum orientieren sich - aufgrund fehlender nationaler Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht an Grundschulen - am Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR) (Europarat 2001) sowie den Bildungsstandards für den Mittleren Bildungsabschluss in der ersten Fremdsprache (KMK 2004). Bundeslandübergreifend beschreiben die Curricula einen spielerisch-handlungsorientierten und multisensorischen Fremdsprachenunterricht, bei dem der Schwerpunkt zwar nach wie vor auf der Ausbildung der mündlichen Teilkompetenzen liegt, schriftsprachliche Kompetenzen jedoch ebenfalls gefördert werden. Spiele, Lieder, Geschichten und Reime sind zentrale Elemente des Unterrichts, zunehmend finden auch eher ungelenkte, kreative und problemlösende Lernaufgaben (tasks) ihren Weg in den Unterricht, um kommunikative, interkulturelle und/ oder methodische Kompetenzen zu entwickeln und einen ersten fremdsprachlichen Grundwortschatz und ein basales grammatisches Verständnis zugrunde zu legen. Die zu erreichenden Anforderungen in den drei Kernkompetenzbereichen liegen in etwa auf dem Niveau A1 des GeR. Im Hinblick auf Fragen der Leistungsmessung haben sich die meisten Bundesländer für die Vergabe von Zeugnisnoten ausgesprochen, spätestens am Ende der 4. Jahrgangsstufe, in der Regel ab dem 3. Schuljahr. Entsprechend werden punktuelle Leistungstests ebenso durchgeführt wie prozessbezogene Evaluationen. Daneben hat sich das Portfolio als geeignetes Instrument der Selbsteinschätzung etabliert. In Bezug auf die Sprachenwahl sind sich die Entscheidungsträger der Bundesländer weitgehend einig, dass Englisch als erste Fremdsprache unterrichtet werden soll. Begründet wird dies in den curricularen Vorgaben v. a. mit der Rolle der englischen Sprache als internationaler Sprache der Wirtschaft, der Wissenschaft und der modernen Medien sowie mit der Relevanz der aktiven Teilhabe der europäischen Bürgerinnen und Bürger in einer globalen Gesellschaft. Ausnahmen bilden das Saarland und die Grenzregionen in Baden Württemberg, in denen ausschließlich Französisch in der Grundschule angeboten wird. In einigen Schulen werden anstelle von bzw. neben Englisch auch andere Fremdsprachen wie Französisch, Italienisch, Spanisch, Polnisch, Russisch oder Sorbisch als Unterrichtsfach oder im Rahmen von AGs angeboten. Das fremdsprachliche Pflichtangebot an weiterführenden Schulen bleibt von diesem Sprachenangebot unbeeinflusst. Hinsichtlich des Startzeitpunktes besteht bislang kein bundesweiter Konsens. Wäh- 179 37. Sprachen lernen und lehren im Primarbereich: Curriculare Dimension rend in einigen Bundesländern (BW, BB, HH, NRW, RP) ab der ersten Jahrgangsstufe mit dem Fremdsprachenlernen begonnen wird, fangen die übrigen Länder erst ab der 3. Klasse an. In Bezug auf die Unterrichtszeit ist diese in den meisten Bundesländern auf zwei Schulstunden pro Woche begrenzt. Dabei wird der Unterricht in den ersten beiden Jahrgangsstufen meist in den grundlegenden Unterricht integriert. Erst ab der dritten Klasse wird die Fremdsprache in der Regel als eigenständiges Unterrichtsfach im Stundenplan ausgewiesen. Neben dem integrativen oder fachlich separierten Unterricht in einer ausgewählten Fremdsprache haben sich in den letzten Jahren bilinguale Lehr- und Lernangebote etabliert (vgl. auch Art. 44). Dabei werden v. a. zwei Organisationsformen praktiziert. Bei der ersten Variante wird die Fremdsprache im Rahmen von bilingualen Modulen in zeitlich begrenzten Unterrichtsphasen eingesetzt, um altersgemäße Sachinhalte zu erarbeiten. Bei der zweiten Variante - dem Immersionskonzept - werden mindestens 50 % der Unterrichtsfächer komplett inder Fremdsprache unterrichtet (vgl. Elsner & Keßler 2013: 16 ff.). Knapp 300 Grundschulen listet der Verein für Frühe Mehrsprachigkeit an Kitas und Schulen (FMKS) aktuell auf seiner Homepage von denen mindestens zwei Sprachen als Unterrichts- oder Arbeitssprache in den Sachfächern verwendet werden. 4. Forschungsstand Aktuelle Publikationen und Dokumentationen von Konferenzen zum frühen Fremdsprachenunterricht zeigen rege Forschungsaktivitäten im Bereich des frühen Fremdsprachenlernens in Europa. Diese erstrecken sich über alle zentralen Bereiche der Fremdsprachendidaktik, wie die Entwicklung von Teilkompetenzen, den Einsatz neuer Medien, Verfahren der Leistungsmessung, Lehrerprofessionalisierung, bilinguale Lernprozesse etc. (u. a. Enever et al. 2014; Kötter & Rymarczyk 2015; Nikolov 2009). Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang solche Studien, die die sprachliche Progression bzw. die erreichten Kompetenzen der Lernenden unter Berücksichtigung verschiedener Einflussfaktoren (methodische Gestaltung des Unterrichts, sprachlicher und sozioökonomischer Hintergrund der Lernenden, Ausbildung der Lehrkraft etc.) auf der Basis unterschiedlicher Datensätze und mithilfe verschiedener Forschungsmethoden analysieren, um so die Effektivität des Unterrichts zunächst zu beurteilen und auf dieser Grundlage angemessene Implikationen für eine veränderte Unterrichtspraxis geben. Die Ergebnisse solch breit angelegter Erhebungen, wie z. B. die aus der nordrhein-westfälischen EVENING -Studie (Engel et al. 2009), der Europäischen ELLiE-Studie (Enever 2011) oder den Untersuchungen zum frühen Fremdsprachenlernen im „Ganz In“-Projekt (Wilden & Porsch 2014) weisen den jungen Fremdsprachenlernenden insgesamt - und unter Berücksichtigung der geringen Unterrichtsstunden - erwartungsgemäße sprachliche Entwicklungen (in etwa Niveaustufe A1 des GeR) am Ende der 4. Jahrgangsstufe nach, wenngleich sich diese bislang v. a. in den rezeptiven und mündlichen Kompetenzbereichen zeigen. Deutlich höhere rezeptive und produktive Sprachkompetenzen zeigen Kinder, die in Immersionsschulen eine Fremdsprache neben der Landessprache Deutsch im Rahmen sachfachlicher Unterrichtsprozesse erwerben (vgl. hierzu Steinlen & Rohde 2013). Insgesamt lässt sich auf der bislang vorliegenden Datenbasis erkennen, dass die sprachliche Progression der Lernenden in unmittelbarem Zusammenhang mit der Quantität des sprachlichen Inputs und der Qualität des Unterrichts steht. Ebenso wirken Faktoren wie Motivation, das Sprachen- 180 Daniela Elsner selbstkonzept und der sozioökonomische Hintergrund der Lernenden, elterliche Unterstützung, eine angstfreie Lernatmosphäre sowie die Kompetenz der Lehrkraft auf die sprachliche Entwicklung. Der frühe Einsatz von Schrift fördert die sprachliche Entwicklung ebenso wie die bewusste Auseinandersetzung mit Sprache im Sinne der language awareness und der gezielte Einsatz von Strategien. 5. Perspektiven Seit der flächendeckenden Einführung des Fremdsprachenunterrichts an Grundschulen werden sein Sinn und Nutzen in regelmäßigen Abständen von Bildungspolitikern sowie von Wissenschaftlern, Eltern und Lehrkräften in Frage gestellt. In diesem Kontext werden häufig die noch niedrigen fremdsprachlichen Kompetenzen der Lernenden sowie eine starke sprachliche Leistungsheterogenität der Schülerschaft bei Eintritt in die Sekundarstufe kritisiert, ohne dabei jedoch die gegebenen Voraussetzungen (u. a. geringe Unterrichtszeit, fehlende nationale Bildungsstandards, Einsatz fachfremder Lehrkräfte etc.) zu berücksichtigen. Insbesondere die großen Unterschiede in den Kompetenzprofilen der Schülerinnen und Schüler am Anfang von Jahrgangsstufe 5 sollten sich bundeslandintern durch die Aufnahme von Standards für den Fremdsprachenunterricht in die Grundschulcurricula zukünftig deutlich verringern. Allerdings kann auch dies nur dann gelingen, wenn entsprechend qualifizierte Lehrkräfte im Fremdsprachenunterricht der Grundschule zum Einsatz kommen und das Fach nicht - wie bislang häufig der Fall - als Randfach betrachtet wird, welches auch von fachlich nicht ausgewiesenen Lehrkräften quasi nebenbei unterrichtet werden kann. Zurückhaltend zeigt sich bislang die KMK im Hinblick auf die Einführung nationaler Bildungsstandards, die seitens der Fremdsprachendidaktiker und -didaktikerinnen als dringendes Desiderat gesehen werden. Ebenfalls muss überlegt werden, wie man z. B. mit einer flächendeckenden Erhöhung der Stundenzahl, ggf. auch durch die vermehrte Schaffung bilingualer Unterrichtsangebote an Regelschulen, die Quantität und Qualität des frühen Fremdsprachenunterricht optimieren kann. Die rasant zunehmende Anzahl an bilingualen Kindertagesstätten (laut FMKS derzeit ca. 1.135) veranschaulicht zudem, dass sich das Interesse am fremdsprachlichen Lernen in den letzten Jahren auch sichtbar in den vorschulischen Bereich ausgeweitet hat. Damit folgt Deutschland dem allgemeinen europäischen Trend, das Erlernen einer Fremdsprache zum frühestmöglichen Zeitpunkt für alle Kinder im Bildungssystem zu ermöglichen (vgl. EACEA 2012: 20). Zeitgemäße Konzepte zur Integration von Muttersprachen und tragfähige Konzepte im Sinne einer Mehrsprachigkeitsdidaktik sind bislang nur in Ansätzen vorhanden, werden aber sowohl für den Elementarals auch den Primar- und Sekundarbereich konsequent weiterentwickelt (vgl. Art. 35). Literatur de Cillia, R. / Krumm, H.-J. (2010): Fremdsprachenunterricht in Österreich. Sociolinguistica 24, 153-169. EACEA (Education, Audiovisual and Culture Executive Agency) (2012): Key data on teaching languages at school in Europe. 2012 edition. Brüssel. Elsner, D. (2010): Englisch in der Grundschule unterrichten. Grundlagen, Methoden, Praxisbeispiele. München. Elsner, D. / Keßler, J. (2013): Bilingual approaches to foreign language education in pri- 181 37. Sprachen lernen und lehren im Primarbereich: Curriculare Dimension mary school, in: D. Elsner / J. Keßler (Hrsg.): Bilingual education in primary school. Aspects of immersion, CLIL , and Bilingual Modules. Tübingen, 16-27. Enever, J., Hrsg. (2011): ELL iE. Early language learning in Europe. London. Enever, J. / Lindgren, E. / Ivanov, S., Hrsg. (2014): Conference proceedings from early language learning: Theory and practice 2014. Umea. Engel, G. / Groot-Wilken, B. / Thürmann, E., Hrsg. (2009): Englisch in der Primarstufe - Chancen und Herausforderungen. Evaluation und Erfahrungen aus der Praxis. Berlin. Europarat, Hrsg. (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen. Strasbourg. Europäische Kommission (1995): Weißbuch „Lehren und Lernen. Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft“ . Brüssel, Luxemburg. Eurydice (2013): Schweiz: Lehren und Lernen im Primarbereich. https: / / webgate.ec.europa.eu/ fpfis/ mwikis/ eurydice/ index.php/ Schweiz: Lehren_und_Lernen_im_Primarbereich FMKS - Verein für frühe Mehrsprachigkeit an Kindertageseinrichtungen und Schulen FMKS e.V. www.fmks-online.de/ index.html KMK , Hrsg. (1970): Strukturplan für das Bildungswesen. Stuttgart. KMK , Hrsg. (2004): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch / Französisch) für den Mittleren Schulabschluss. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 4. 12. 2003. München. KMK , Hrsg. (2013): Bericht der Kultusministerkonferenz mit Beschluss vom 17.10.2013: „Fremdsprachenunterricht in der Grundschule - Sachstand und Konzeptionen 2013“. Bonn. Kötter, M. / Rymarczyk, J., Hrsg. (2015): Englischunterricht auf der Primarstufe: neue Forschungen - weitere Entwicklungen. Frankfurt a. M. Nikolov, M., Hrsg. (2009): Early learning of modern foreign languages. Processes and outcomes. Bristol. Sarter, H. (1997): Fremdsprachenarbeit in der Grundschule: neue Wege, neue Ziele. Darmstadt. Sauer, H. (1993): Fremdsprachlicher Frühbeginn in der Diskussion. Skizze einer historisch-systematischen Standortbestimmung. Neusprachliche Mitteilungen 46/ 2, 85-94. Steinlen, A. K. / Rohde, A., Hrsg. (2013): Mehrsprachigkeit in bilingualen Kindertagesstätten und Schulen. Voraussetzungen - Methoden - Erfolge. Berlin. Wilden, E. / Porsch, R. (2014): Children’s receptive EFL competences at the end of primary education: Evidence from the German „Ganz In“ project, in: J. Enever et al., Hrsg. (2014): Conference proceedings from early language learning: Theory and practice 2014. Umea, 131- 135. Daniela Elsner 38. Sprachen lernen und lehren im Sekundarbereich I: Curriculare Dimension 1. Fremdsprachenangebot in der Sekundarstufe I Der Sekundarbereich I beginnt in den meisten Bundesländern mit der Klassenstufe 5 und umfasst die Bildungsgänge der Hauptschule, Realschule und des Gymnasiums sowie bestimmter Förderprogramme, die heute zunehmend unter dem Dach der Inklusion zusammengeführt sind. Die verschiedenen Bildungsgänge werden oft unterschiedlich bezeichnet und zum Teil in Gesamtschulen zusammengefasst. Ein besonderes Augenmerk ist auf den Übergang von der Primarstufe in den Sekundarbereich I (vgl. Art. 40) zu legen, für dessen Gelingen eine enge Kooperation zwischen den Grundschulen und den weiterführenden 182 Claudia Finkbeiner / Marc Smasal Schulen notwendig ist. Die Ausgestaltung dieser Kooperation ist in einigen Bundesländern Deutschlands in den Lehrplänen und im Schulrecht geregelt (KMK 2013a), wodurch die in der Grundschule erworbenen Kenntnisse und Kompetenzen in der Sekundarstufe I kontinuierlich ausgebaut werden können (KMK 2011). Dabei ist zu beachten, dass je nach Bundesland die erste Fremdsprache unterschiedlich lange gelernt wird (Englisch wird z. B. in Baden-Württemberg ab Klasse 1, in Hessen ab Klasse 3 unterrichtet). Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (2014: 86 ff.) sind Englisch, Französisch, Latein und Spanisch die meist gelernten Schulfremdsprachen in Deutschland. Sie werden als erste, zweite oder dritte Fremdsprache angeboten und unterschiedlich kombiniert und gewichtet. Je nach Schulprofil werden zudem Altgriechisch, Italienisch oder Russisch angeboten. Darüber hinaus werden die Sprachen der europäischen Nachbarn gelehrt, z. B. Dänisch in Schleswig-Holstein oder Tschechisch in Sachsen und Bayern. In mehreren Bundesländern werden auch Türkisch, Portugiesisch oder Chinesisch und Japanisch angeboten. Das Fremdsprachenangebot in Österreich umfasst neben Englisch, Französisch und Spanisch u. a. auch Ungarisch, Slowakisch, Kroatisch und Italienisch (de Cillia & Krumm 2010). In der Schweiz ist die Sprachenfolge in den einzelnen Kantonen unterschiedlich geregelt. Der Fremdsprachenunterricht beginnt in der dritten Klasse mit Deutsch (Westschweiz), Französisch oder Englisch (Deutschschweizer Kantone) oder Rätoromanisch/ Italienisch bzw. Deutsch oder Französisch (Graubünden und Tessin). In Abhängigkeit von der ersten Fremdsprache lernen die Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I entweder Englisch oder Französisch als zweite Fremdsprache (EDK 2015). Die weitaus größte Anzahl aller Haupt- und Realschulen in Deutschland bietet Englisch als erste Fremdsprache an. Im Saarland wird aus historisch-politischen Gründen an den meisten Haupt- und Realschulen Französisch als erste Fremdsprache unterrichtet. Dasselbe gilt für einige Realschulen in Baden- Württemberg im Grenzgebiet zu Frankreich sowie für einige Schulen in Rheinland-Pfalz und in Hessen. In den Realschulen sowie an Realschulzweigen wird im Rahmen des Wahlpflichtunterrichts ab Klassenstufe 7 bis 10 eine zweite Fremdsprache (z. B. Französisch) angeboten. Die gewählte Wahlpflichtfremdsprache wird gleich gewichtet wie Mathematik, Deutsch und Englisch. Am Ende der Klasse 10 findet eine mündliche Prüfung statt. Seit der Revidierung des Hamburger Abkommens im Jahr 1971 besteht an Gymnasien keine verpflichtende Sprachenfolge mehr. Jede als Schulsprache zugelassene Fremdsprache kann als erste Fremdsprache unterrichtet werden. Diese Vorgabe wird je nach Profil des jeweiligen Gymnasiums unterschiedlich umgesetzt. 2. Ziele und Inhalte des Fremdsprachenunterrichts im Sekundarbereich I Für den Fremdsprachenunterricht in der Sekundarstufe I gelten weiterhin die 1992 in den Maastrichter Verträgen formulierten Bildungsziele (Finkbeiner 1995), d. h. die Stärkung des europäischen Gedankens durch Angebote zum Erlernen der Sprachen der Mitgliedsstaaten und die Förderung der Mobilität von Lernenden und Lehrenden. Dies hat weitreichende Folgen, denn die Zahl der Mitgliedsstaaten (28 im Jahr 2015) und der damit potentiell zu unterrichtenden Sprachen hat sich seit Gründung der Europäischen Union stetig erhöht. Damit die Lernenden ihre Chancen auf dem internationalen Arbeitsmarktes nutzen können, sind eine 183 38. Sprachen lernen und lehren im Sekundarbereich I: Curriculare Dimension berufsqualifizierende Fremdsprachenkompetenz und interkulturelle Kompetenzen unabdingbar (Finkbeiner 1995). Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR) formuliert einheitliche Standards für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen in Europa. Der Fremdsprachenunterricht in der Sekundarstufe I orientiert sich daran und führt zu einer systematischen Erweiterung der rezeptiven und produktiven Sprachkompetenzen in der ersten Fremdsprache bis hin zum Referenzniveau B1 (mittlerer Schulabschluss) bzw. A2 (Hauptschule) (KMK 2011). Der Unterricht in der ersten Schulfremdsprache zielt darauf ab, „die kommunikativen, interkulturellen und methodischen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler für ihr sprachliches Handeln in mehrsprachigen Situationen“ (KMK 2004: 7) zu fördern: • Funktionale kommunikative Kompetenzen: die Lernenden entwickeln mündliche (Hör-/ Hör-Sehverstehen, Sprechen) und schriftsprachliche Kompetenzen (Leseverstehen, Schreiben) und können über die verschiedenen sprachlichen Mittel (Grammatik, Wortschatz, Aussprache und Intonation, Orthographie) der jeweiligen Fremdsprache verfügen. • Interkulturelle Kompetenzen: anhand verschiedener Themen und Inhalte erwerben die Lernenden ein kulturelles Orientierungswissen, das es ihnen ermöglicht, ihre „eigenen Sichtweisen, Wertvorstellungen und gesellschaftlichen Zusammenhänge mit denen anderer Kulturen tolerant und kritisch zu vergleichen“ (ebd.: 6). • Methodische Kompetenzen: zur Förderung des selbstregulierten lebenslangen Fremdsprachenlernens lernen die Schülerinnen und Schüler Strategien und Methoden für die Rezeption und Produktion geschriebener und gesprochener Texte sowie zur Interaktion in der Fremdsprache kennen (Finkbeiner 2005; Finkbeiner et al. 2012). 3. Deutsch als Zweitsprache Für 7,7 % der Lernenden der Sekundarstufe I in Deutschland (Statistisches Bundesamt 2014: 10) und ca. 5,8 % in Österreich (Statistik Austria 2014: 156) ist Deutsch nicht Muttersprache, sondern oft Zweit- oder Tertiärsprache. Im günstigen Fall ist die Muttersprache der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund offizielle Fremdsprache an der jeweiligen Schule. Nach einer relativ kurzen Integrationsphase mit Deutschkursen findet für diese Lernenden der Wechsel in den regulären Deutschunterricht statt. Eine Einstufung ihrer Sprachen in Mutter- und Fremdsprache scheint deshalb für eine zunehmend größer werdende Zahl von Jugendlichen schwierig. Bei schriftlichen Erhebungen zum Stand der Mutter- und Fremdsprachenkompetenz (z. B. zu Forschungszwecken) scheint deshalb nicht die Frage nach der Mutterbzw. Fremdsprache geeignet als vielmehr die Frage danach, in welchen Sprachen sich Jugendliche zuhause fühlen (Finkbeiner 2005). Aufgrund der Multikulturalisierung der Schulen ist die Bedeutung von Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache in allen deutschsprachigen Ländern enorm gewachsen. Die Beherrschung der deutschen Sprache stellt eine entscheidende Schlüsselqualifikation für den schulischen Erfolg dar (vgl. Art. 45). Umgekehrt wird die Sprachenvielfalt, die an deutschen Schulen herrscht, noch zu wenig gepflegt. Zukünftige fremdsprachenpolitische Entscheidungen müssen deshalb auch darauf gerichtet sein, den Reichtum der Sprachenvielfalt zu erhalten und weiter auszubauen. Dies ist in einem auf language awareness basierenden Programm anzubahnen (Fink- 184 Claudia Finkbeiner / Marc Smasal beiner & Svalberg 2015). Da eine wachsende Zahl von Kindern jedoch die jeweilige Herkunftssprache nur noch im Mündlichen beherrscht, gehört darüber hinaus auch eine konsequente Pflege der schriftlichen Literalität in der Herkunftssprache dazu (Finkbeiner 2008; vgl. Art. 46). 4. Bilingualer Sachfachunterricht Bilingualen Sachfachunterricht (vgl. Art. 44) gibt es in der Sekundarstufe I in Form gesonderter bilingualer Züge (Fehling 2008). Dabei wird Sachfachunterricht (z. B. Geschichte oder Biologie) in einer Fremdsprache unterrichtet. Die Fremdsprache wird dabei als Kommunikationsmedium und Arbeitssprache verstanden. Somit stehen die Lernziele des Sachfaches im Vordergrund, die in der Fremdsprache vermittelt und erarbeitet werden. Die Vermittlung von Sachkompetenz und nicht von Sprachkompetenz ist wichtigstes Ziel des bilingualen Sachfachunterrichts (vgl. KMK 2013b; Fehling 2008; 2010). 5. Evaluation und Erforschung des Lernens und Lehrens fremder Sprachen Seit dem Jahr 2000 nehmen Deutschland, Österreich und die Schweiz an der PISA-Studie teil. Generelle Zielsetzung der Studien ist es, OECD-Ländern Indikatoren für Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten von 15-jährigen Schülern u. a. in dem Bereich Leseverständnis auf einer verlässlichen und national repräsentativen Basis in Zeitreihe zur Verfügung zu stellen. Zusätzlich führte die Kultusministerkonferenz die Vergleichsstudie DESI durch, um Erkenntnisse zum Leistungsstand von Lernenden im Englischen und in der aktiven Beherrschung der deutschen Sprache zu gewinnen (vgl. DESI-Konsortium 2008). Die Erkenntnisse aus den PISA-Studien haben in den Erziehungswissenschaften und Fachdidaktiken u. a. den Fokus auf das selbstregulierte Lernen und den Einsatz von Lernstrategien gelenkt (Finkbeiner 2005; Finkbeiner et al. 2012). Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Lehrplänen und Bildungsstandards wieder, in denen die Befähigung der Schülerinnen und Schüler zum selbstständigen und reflektierten Fremdsprachenlernen einen wichtigen Stellenwert einnimmt. Weitere Mittel zur Evaluation des Unterrichts stellen die jährlich stattfindenden zentralen Lernstandserhebungen (in Klasse 8 u. a. in Englisch und Französisch) sowie der Bundeswettbewerb Fremdsprachen dar, der in verschiedenen Kategorien ab Klasse 5 ausgetragen wird. 6. Veränderte Jugend Die Fremdsprachenlehrkräfte in der Sekundarstufe I sehen sich Jugendlichen in einer ganz besonderen Lebensphase gegenüber: diese Jugendlichen befinden sich in einer Entwicklungsphase, in welcher der Prozess des Übergangs von der Kindheit zum Erwachsenenalter beginnt und für manche auch bereits in dieser Stufe zum Abschluss kommt. Jedoch ist auffällig, dass insbesondere bei Jugendlichen in westlichen Industriestaaten der Prozess der Adoleszenz relativ viel Zeit in Anspruch nimmt, kaum abgrenzbar ist und mit ganz konkreten Rollen- und Statusdefinitionen verbunden ist. Dies ist auch für den Fremdsprachenunterricht von großer Relevanz, da sich daran direkt Fragen der Identitätsfindung, des Selbstwertgefühls, der sozialen Zuordnung und der kognitiven Entwicklung anschließen. Diese Faktoren beeinflussen das gesamte unterrichtliche Geschehen (z. B. interaktive Prozesse, die Fähigkeit zur Empathie und zum Perspektivenwechsel). Darüber hinaus 185 38. Sprachen lernen und lehren im Sekundarbereich I: Curriculare Dimension stellt sich immer mehr die Frage, wie der Fremdsprachenunterricht adäquat auf die Mediennutzung der Lernenden reagieren kann. Das Internet bspw. ist über Smartphones praktisch immer verfügbar. Rund 94 % der 12bis 19-Jährigen besitzen ein solches Mobiltelefon (Feierabend et al. 2014: 6) und nutzen es zu unterschiedlichen Zwecken. Es gilt, die Möglichkeiten dieser Technologie auszuloten und sinnvoll in den Fremdsprachenunterricht zu integrieren unter gleichzeitiger Entwicklung von critical literacy (Fairclough 1995). Damit sollte das Ziel verbunden sein, gemeinsam mit den Lernenden Wege zu erarbeiten, wie sie sicher und reflektiert mit den Informationen aus dem Internet (mobil und stationär) umgehen können und Texte in ihrer manipulativen Intention auch kritisch hinterfragen lernen. Dies fordert ganz konkrete lernpsychologische Konsequenzen: Fremdsprachenunterricht im Sekundarbereich I muss zahlreiche Anknüpfungspunkte bieten und eine Auseinandersetzung der Jugendlichen mit sich selbst und ihren Medien zulassen. Jugendliche müssen zunehmend als Erwachsene gesehen und in dieser Rolle ernst genommen werden. Unter Berücksichtigung der Andersartigkeit und unterschiedlichen Interessen nicht nur zwischen Kulturen, sondern auch Generationen sollte es gelingen, den vom Europarat vorgezeichneten Weg gemeinsam mit entsprechender Energie und hoher Motivation weiterzuverfolgen. Literatur de Cillia, R. / Krumm, H.-J. (2010): Fremdsprachenunterricht in Österreich. Sociolinguistica 24, 153-169. DESI -Konsortium, Hrsg. (2008): Unterricht und Kompetenzerwerb in Deutsch und Englisch: Ergebnisse der DESI -Studie. Weinheim. EDK - Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (2015): Faktenblatt. Fremdsprachenunterricht in der obligatorischen Schule. www.edk.ch/ dyn/ 11911.php Fairclough, N. (1995): Critical discourse analysis. Boston. Fehling, S., (2008): Language awareness bei monolingual und bilingual unterrichteten Schülerinnen und Schülern: Eine komparative Studie. Frankfurt a. M. Fehling, S. (2010): Critical language awareness im bilingualen Unterricht: Relevanz für die Lernenden und unterrichtliche Umsetzungsmöglichkeiten, in: S. Doff (Hrsg.): Bilingualer Sachfachunterricht in der Sekundarstufe. Eine Einführung. Tübingen, 182-195. Feierabend, S. / Plankenhorn, T. / Rathgeb, T. (2014). JIM 2014. Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisstudie zum Medienumgang 12bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart. Finkbeiner, C. (1995): Englischunterricht in europäischer Dimension: Zwischen Qualifikationserwartungen der Gesellschaft und Schülereinstellungen und Schülerinteressen. Berichte und Kontexte zweier empirischer Untersuchungen. Bochum. Finkbeiner, C. (2005): Interessen und Strategien beim fremdsprachlichen Lesen. Wie Schülerinnen und Schüler englische Texte lesen und verstehen. Tübingen. Finkbeiner, C. (2008): Culture and good language learner, in: C. Griffiths (Hrsg.): Lessons from good language learners. Cambridge, 131- 141. Finkbeiner, C. / Ludwig, P. / Knierim M. / Smasal, M. (2012): Self-regulated cooperative EFL reading tasks: students’ strategy use and teachers’ support. Language Awareness 21/ 1-2, 57-83. Finkbeiner, C. / Svalberg, A., Hrsg. (2015): Awareness matters: Language culture literacy. London. 186 Lena Heine KMK , Hrsg. (2004): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 4. 12. 2003. Bonn. KMK , Hrsg. (2011): Empfehlung der Kultusministerkonferenz zur Stärkung der Fremdsprachenkompetenz. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 08. 12. 2011. Bonn. KMK , Hrsg. (2013a): Bericht: Fremdsprachen in der Grundschule - Sachstand und Konzeptionen 2013. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 17. 10. 2013. Bonn. KMK , Hrsg. (2013b): Bericht: Konzepte für den bilingualen Unterricht - Erfahrungsbericht und Vorschläge zur Weiterentwicklung. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 17. 10. 2013. Bonn. Statistik Austria, Hrsg. (2014): Bildung in Zahlen. Tabellenband. Wien. Statistisches Bundesamt Deutschland (2014): Allgemeinbildende Schulen. Schuljahr 2013/ 2014. Wiesbaden. Claudia Finkbeiner Marc Smasal 39. Sprachen lehren und lernen im Sekundarbereich II : Curriculare Dimension 1. Charakterisierung Der Sekundarbereich II, auch Sekundarstufe II oder gymnasiale Oberstufe genannt, bündelt in Deutschland verschiedene Bildungsangebote für ca. 16bis 18-jährige Schülerinnen und Schüler (Jahrgangsstufen 11-13 bzw. nach G8 10-12 oder 11-12), die bereits die Bildungsgänge des Sekundarbereichs I durchlaufen haben. Er hat die Vorbereitung auf den qualifizierten Berufseinstieg oder die fachbezogene oder allgemeine Hochschulzugangsberechtigung zum Ziel und lässt sich in einen berufsbildenden und einen allgemeinbildenden Bereich einteilen. Ersterer wird z. B. an Berufsschulen, Fach- und Berufsoberschulen und betriebsintegrierten Ausbildungsgängen realisiert, der zweite in der Regel an Gymnasien und Gesamtschulen. Maßgeblich für die derzeitige Ausformung des Sekundarbereichs II sind die Rahmenvereinbarungen der Kulturministerkonferenz „Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II“ (KMK 2013). Das Spektrum der Bildungsangebote im Sekundarbereich II ist in den letzten Jahren insgesamt durch eine Flexibilisierung der Bildungsabschlüsse in Hinblick auf einen verbreiterten Zugang zum Abitur gekennzeichnet, das nicht mehr nur über das Gymnasium, sondern auch über Gesamtschule, Realschule oder Fachoberschule mit Fachabitur erreicht werden kann oder gar ganz als Eingangsvoraussetzung für den Hochschulzugang fällt, indem sich z. B. die Universitäten auch für Personen mit beruflichen Qualifikationen (z. B. Meisterprüfung in einem Handwerk) öffnen (vgl. hierzu Köller et al. 2004: 681 ff.). Die Sekundarstufe II zeichnet sich damit im Gegensatz zum vergleichsweise einheitlichen Angebot in der Primarstufe oder im Sekundarbereich I dadurch aus, dass sie sehr heterogene Bildungsangebote mit einem stark aufgefächerten Spezialisierungsangebot bündeln muss, deren Schwerpunkte von der praxisorientierten Ausbildung bis hin zur wissenschaftspropädeutischen Vorbereitung auf ein Universitätsstudium mit freier Fächerwahl reichen. Diese verschiedenen Zielsetzungen im Sekundarbereich II manifestieren sich in unterschiedlichen internen Organisationsstrukturen der jeweiligen Ausbildungsgänge, die je nach Ausrichtung mehr oder weniger flexible Fachwahlmöglichkeiten mit sich bringen. Die gymnasiale Oberstufe an 187 39. Sprachen lehren und lernen im Sekundarbereich II: Curriculare Dimension Gymnasien und Gesamtschulen gliedert sich dabei in eine Einführungs- und eine Qualifikationsphase, die einzelnen Fächer können als Grund- oder Leistungskurse gewählt werden. Neben vorgegebenen Pflichtbereichen können durch Wahlbereiche individuelle Schwerpunkte gesetzt werden. An berufs- und fachorientierten Ausbildungsinstitutionen ist diese Struktur jedoch u. U. durch weniger Wahlmöglichkeiten gekennzeichnet. 2. Zum Stellenwert des Fremdsprachenunterrichts im Sekundarbereich II Die fremdsprachlichen Fächer nehmen im Sekundarbereich II eine zentrale Rolle ein. Während die fachgebundene Hochschulreife bereits mit einem fremdsprachlichen Fach erworben werden kann, ist die uneingeschränkte Hochschulreife an mindestens zwei Fremdsprachen gebunden. Sofern nicht bereits vor Eintritt in die Sekundarstufe II mindestens vier Jahre eine zweite Fremdsprache gelernt worden ist (KMK 2013: 9), sind in der Sekundarstufe II durchgängig zwei Fremdsprachen zu belegen. Darüber hinaus haben die Fremdsprachen auch als Abiturprüfungsfächer einen hohen Stellenwert: Zwei der drei Prüfungsfächer müssen entweder Deutsch, eine Fremdsprache oder Mathematik sein (KMK 2013: 11). In mehreren Bundesländern werden fremdsprachliche Fächer nur noch als Kernfächer auf erhöhtem Anforderungsniveau unterrichtet und sind verpflichtend. Fremdsprachen werden in der Sekundarstufe II entweder fortgeführt oder neu einsetzend gelernt und in Grund- und Leistungskursen bzw. in Kursen auf grundlegendem und erhöhtem Anforderungsniveau unterrichtet. Während durch das „Hamburger Abkommen“ zwar festgelegt ist, in welchen Jahrgangsstufen (i. d. R. vor Beginn der Sekundarstufe II) die jeweils erste, zweite und ggf. dritte Fremdsprache einsetzen können, ist nicht vorgegeben, um welche Fremdsprachen es sich dabei im Einzelnen handeln muss. Allerdings wird dem Englischen als lingua franca gegenüber anderen Fremdsprachen eine Sonderstellung eingeräumt (KMK 2011: 2). Somit kann damit gerechnet werden, dass an allen Schulformen im Sekundarbereich II ein Englischlehrangebot besteht, in dem der Englischunterricht der Sekundarstufe I fortgeführt wird. Unterricht in anderen Fremdsprachen gehört ebenfalls zum Standardangebot an allen Schulen, allerdings mit einem stärker durch Diversität gekennzeichneten Angebot. Neben Latein werden hier v. a. Französisch, Spanisch und Italienisch angeboten; aber auch Altgriechisch, Chinesisch, Arabisch und Türkisch, Neugriechisch, Portugiesisch und Russisch sind als fortgeführte oder neu einsetzende Fremdsprachen in der Sekundarstufe II in allen Bundesländern zu finden (vgl. entsprechende Kernlehrpläne). Ein Unterrichtsangebot in Minderheiten- und Nachbarsprachen wie Sorbisch, Tschechisch oder Dänisch beschränkt sich v. a. auf die entsprechenden Grenzregionen in Deutschland. Die Wochenstundenanzahl, die den fremdsprachlichen Fächern zur Verfügung steht, variiert laut Kernlehrplänen zwischen drei bis sechs Wochenstunden. Wer in Österreich eine Allgemeine Höhere Schule (AHS) absolviert hat, hat mindestens in einer und optional in bis zu drei lebenden Fremdsprachen Unterricht erhalten, wobei es für die zweite lebende Fremdsprache eine sechsjährige (ab 7. Schulstufe) und eine vierjährige (ab 9. Schulstufe) Variante gibt. Eine dritte lebende Fremdsprache ist nicht die Regel, kann aber schulautonom ab Schulstufe 9 oder 10 angeboten werden. Der österreichische Lehrplan ist sprachoffen formuliert, doch wählen über 90 % aller Schülerinnen und Schüler Englisch als erste Fremdsprache, als zweite Fremdsprache dominieren Fran- 188 Lena Heine zösisch und Italienisch, während die österreichischen Nachbar- und Minderheitensprachen nur von sehr kleinen Schülergruppen gewählt werden; Spanisch und Russisch werden v. a. an Schulen mit beruflicher, wirtschaftlicher oder technischer Ausrichtung gelernt (vgl. im einzelnen de Cillia & Krumm 2010). In der Schweiz sind an Gymnasien mindestens zwei Fremdsprachen obligatorisch, wobei die Ziele je nach Abschluss (gymnasiale Matura, Berufsmaturität, Fachmaturität) variieren (vgl. Grossenbacher & Vögeli-Mantovani 2010). Neben den anderen Landessprachen, die im Sinne einer „vertikalen Kohärenz“ dominieren, können die einzelnen Kantone in der nichtobligatorischen Sekundarstufe II das Sprachenangebot relativ frei gestalten und Schulen den Sprachunterricht durch zusätzliche Stunden als Schwerpunkt etablieren (vgl. EDK 2013). 3. Curriculare Aspekte, Leistungserwartungen und Prüfungsformen In den vergangenen Jahren wurden für die meisten Schulfächer Kompetenzmodelle entwickelt und Bildungsstandards festgelegt, mit denen die traditionellen Lehrpläne als zentrale Dokumente abgelöst wurden (vgl. Art. 18 und 19). Diese Entwicklung, die auch mit bundesweit zentralisierten Abiturprüfungen einhergeht, manifestiert sich für den Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe II in den „Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife“ (KMK 2012) bzw. für die fremdsprachlichen Fächer, für die noch keine Bildungsstandards formuliert worden sind, in den jeweiligen „Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung“. Sie werden von den einzelnen Bundesländern durch Lehrpläne, Kerncurricula, Rahmenrichtlinien und curriculare Vorgaben konkretisiert. In allen fremdsprachlichen Fächern stellen die Kompetenzniveaubeschreibungen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) eine zentrale Grundlage dar. In Anlehnung an den GeR legen die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache „umfassende Kommunikationsfähigkeit in verschiedenen Fremdsprachen sowie interkulturelle Kompetenz“ und „die Befähigung zum mündlichen und schriftlichen Diskurs“ (KMK 2012: 9) als zentrale Ziele des Fremdsprachenunterrichts in der Oberstufe fest. Sie untergliedern sich in funktionale kommunikative Kompetenz, interkulturelle kommunikative Kompetenz, Text- und Medienkompetenz, Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz in allen vier Fertigkeiten, die so oder so ähnlich auch in den bundeslandspezifischen Ausführungen aufgegriffen werden. Am Ende der gymnasialen Oberstufe wird im Bereich der funktionalen kommunikativen Kompetenz Niveau B2 des GeR (für Englisch in rezeptiven Teilkompetenzen auch C1) erwartet. Außer sprachlichen Kompetenzen im engeren Sinne wie Wortschatz, Grammatik, Stil und Register werden in den ausführenden Dokumenten auch Texterschließungs-, Kommunikations- und Mittlerkompetenzen als wichtige Lernziele betont. Daneben werden meist verschiedene inhaltliche Themenbereiche aufgeführt, die kultur- und landeskundliche Unterrichtsthemen verbindlich vorgeben. Sie sind häufig explizit an das Behandeln literarischer Texte und somit an ein Literaturstudium gebunden. Im Lehrplan des hessischen Italienischunterrichts als spät beginnender Fremdsprache sind dies bspw. die Themen „Italien heute“, „Menschliche Beziehungen“ , „Wirtschaft und Politik“ , „Der Staat und das Individuum“ und „Italien und Italienbild“ ; im Rahmenlehrplan Russisch für die gymnasiale Oberstufe in Berlin die Inhaltsfelder „Individuum und Gesellschaft“, „Nationale und kulturelle Identität“ , „Eine Welt - Globale Fragen“ und „Heraus- 189 39. Sprachen lehren und lernen im Sekundarbereich II: Curriculare Dimension forderungen der Gegenwart“ . Ein Überblick über die jeweiligen Dokumente auch der anderen Fächer macht deutlich, dass durch die starke Betonung von Themen wie Globalisierung, Interkulturalität und Völkerverständigung dem Fremdsprachenunterricht im schulischen Fächerkanon der Sekundarstufe II nach wie vor eine betonte Rolle als Kulturvermittler und interkulturelles Verbindungsglied zugeschrieben wird. Der Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe II weist in dieser literatur- und kulturwissenschaftlichen Ausrichtung eine ausgeprägte inhaltliche Dimension auf und kann damit auch als eine Art Content and Language Integrated Learning verstanden werden. Die Standard-Prüfungsform ist laut Lehrplänen in allen Fremdsprachenfächern die schriftliche Arbeit bzw. Klausur. Die Überprüfung von Hör- und Leseverstehen wird entweder in die schriftliche Arbeit integriert oder isoliert durch halboffene bzw. geschlossene Aufgabenformate überprüft. Für die Überprüfung von mündlichen Fertigkeiten werden (z. T. optional) mündliche Prüfungen eingesetzt, die u. U. - ebenso wie eine größere schriftliche Arbeit (Facharbeit, Seminarfacharbeit) - eine schriftliche Klausur ersetzen können. In Österreich ist für die 12. Schulstufe (Maturajahr) als Lernziel das Niveau B2 des GeR in allen Dimensionen festgelegt, für die 2. lebende Fremdsprache je nach Dauer B2 bzw. B1 in einzelnen Dimensionen und für die 3. lebende Fremdsprache A2. Bei der Reifeprüfung ist eine lebende Fremdsprache als Klausur oder mündlich verpflichtend (vgl. de Cillia & Krumm 2010). Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren hat 2013 eine „Sprachenstrategie Sekundarstufe II“ verabschiedet (EDK 2013), in der die Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit und der interkulturellen Sensibilität als vorrangige Ziele des Fremdsprachenunterrichts auf der Sekundarstufe II festgelegt werden. Insbesondere in den zweisprachigen Kantonen, aber keineswegs nur dort, bieten Gymnasien zweisprachige Ausbildungsgänge an; damit diese im Abiturzeugnis anerkannt werden, müssen mindestens zwei Sachfächer in der gewählten Immersionssprache mit einer Mindeststundenzahl von 600 unterrichtet werden (2009 in ca. 70 der 177 anerkannten Gymnasien). In der deutschsprachigen Schweiz ist dabei Englisch, in der Westschweiz Deutsch die am häufigsten gewählte Immersionssprache (Grossenbacher & Vögeli-Mantovani 2010 : 13). 4. Zur Kompetenzzielerreichung in der Sekundarstufe II Inwiefern die soeben skizzierten fremdsprachlichen Kompetenzen in der gymnasialen Oberstufe tatsächlich erreicht werden, lässt sich nach derzeitigem Forschungsstand nicht klar beantworten. Allerdings zeichnen sich Tendenzen ab, die zumindest den breiten Erfolg des Fremdsprachenunterrichts in der Sekundarstufe II in Frage stellen. So stellen Köller et al. 2004 fest, dass rund 80 % der untersuchten Abiturienten nicht über Kompetenzniveaus im Englischen hinauskommen, die man am Ende der Hauptschule erwartet, wenngleich sich eine große Leistungsspanne auftut (in Leistungskursen allgemeinbildender Gymnasien erreichen über 40 % die Niveaus C1 oder C2 und 55 % B1/ B2, während in berufsbildenden Gymnasien fast 40 % auf den Stufen A1/ A2 stehen bleiben). Große Unterschiede zwischen Leistungs- und Grundkursen und den verschiedenen gymnasialen Bildungsgängen zeigen sich in vergleichbarer Weise in den Hamburger Studien LAU (Behörde für Schule und Berufsbildung 2012) und KESS (Vieluf et al. 2014) und in der TOSCA-Studie (Jonkmann et al. 2012; Köller et al. 2004), die u. a. ver- 190 Lena Heine deutlicht, dass das Leistungskursniveau an den untersuchten beruflichen Gymnasien einem Grundkursniveau an allgemeinbildenden Gymnasien entspricht. Weiter wird betont, dass ein mehrmonatiger Aufenthalt in einem englischsprachigen Land erhebliche Auswirkungen auf das Leistungsniveau hat, was die Autoren zu der Überlegung anregt, „ob der gezielt geplante Auslandsaufenthalt im Laufe der Schulzeit nicht eine Kompensationschance für berufliche Gymnasien und integrierte Gesamtschulen sein könnte“ (Köller et al. 2004: 698). Ebenfalls Bedenken wegen der fremdsprachlichen Kompetenzen von deutschen Abiturienten werden aus der hochschulischen Perspektive geäußert: So stellen bspw. Knapp & Münch (2004) fest, dass sich nur eine Minderheit der deutschsprachigen Studierenden durch ihren schulischen Englischunterricht auf den Besuch von englischsprachigen Veranstaltungen an der Hochschule vorbereitet fühlt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich bei der Erfassung der Fremdsprachenkompetenzen von Abiturienten noch erhebliche Forschungsdesiderate zeigen, insbesondere was andere Sprachen außer Englisch anbelangt. Zusätzlich fehlt es noch vollständig an empirischen Ergebnissen, die über die Kompetenzdimensionen Lese- und Hörverstehen, Wortschatz, Grammatik und Orthographie hinausgehen. Die in den Lehrplänen explizierten Ziele (literaturwissenschaftliche) Wissenschaftspropädeutik, Kultur- und Landeskunde sind bisher noch kaum operationalisiert; erste Ansätze finden sich bei Hallet, Surkamp & Krämer (2015), hier ist jedoch noch viel Grundlagenarbeit erforderlich. 5. Aktuelle Trends und Herausforderungen: Neben den genannten inhaltsbzw. fachorientierten Kompetenzbereichen, die den Fremdsprachenunterricht der gymnasialen Oberstufe de facto in die Nähe des Content and Language Integrated Learning stellen, weisen sich derzeit die Themen „Umgang mit Heterogenität“ und „durchgängige Sprachbildung in allen Fächern“ als gesamtschulisch relevante Themen aus, die neuerdings auch für die Didaktiken der fremdsprachlichen Fächer der Sekundarstufe II in den Fokus rücken. Indem sich immer stärker abzeichnet, dass auch die Schülerschaft der gymnasialen Oberstufe einen nicht unerheblichen Sprachförderbedarf insbesondere im Hinblick auf Text- und Diskurskompetenzen aufweist (z. B. Strecker 2010; Petersen 2014), sind die fremdsprachlichen Fächer - wie alle anderen Fächer auch - im Sinne einer fachintegrativen Sprachförderung in der Pflicht, das jeweilige Potenzial ihres Faches z. B. im Sinne von sprachübergreifenden Textkompetenzen, der Nutzung von Herkunftssprachen etc. weiter zu beforschen und didaktisch-methodisch auszubauen (vgl. Art. 45). Ein aktuelles Themenfeld ist die durch gesetzliche Vorgaben geregelte Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen in die Regelschulen. Da es an einer inklusiven Didaktik für den Fremdsprachenunterricht im Allgemeinen und den der Sekundarstufe II im Besonderen noch fehlt, werden hier große Herausforderungen auf die Schulpraxis und die Lehrerbildung zukommen. Literatur Behörde für Schule und Berufsbildung, Hrsg. (2012): LAU - Aspekte der Lernausgangslage und Lernentwicklung - Klassenstufen 11 und 13. Münster. 191 39. Sprachen lehren und lernen im Sekundarbereich II: Curriculare Dimension de Cillia, R. / Krumm, H.-J. (2010): Fremdsprachenunterricht in Österreich. Sociolinguistica 24, 153-169. EDK (2013): Sprachenstrategie Sekundarstufe II . www.edudoc.ch/ static/ web/ dokumentation/ sprachenstrat _sek2_d.pdf Grossenbacher, S. / Vögeli-Mantovani, U. (2010): Sprachenpolitik und Bildungsstrategien in der Schweiz. SKBF paper 1 (online). Hallet, W. / Surkamp, C. / Krämer, U. (2015): Literaturkompetenzen Englisch: Modellierung - Curriculum - Unterrichtsbeispiele. Stuttgart. Jonkmann, K. / Trautwein, U. / Nagy, G. / Köller, O. (2012): Fremdsprachenkenntnisse in Englisch vor und nach der Neuordnung der gymnasialen Oberstufe in Baden-Württemberg, in: U. Trautwein / M. Neumann / G. Nagy / O. Lüdtke / K. Maaz (Hrsg.): Schulleistungen von Abiturienten. Die neu geordnete gymnasiale Oberstufe auf dem Prüfstand. Wiesbaden, 181-214. KMK , Hrsg. (2011): Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur Stärkung der Fremdsprachenkompetenz. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 08. 12. 2011 (online). KMK , Hrsg. (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18. 10. 2012. Köln. KMK , Hrsg. (2013): Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II . Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 07. 07. 1972 in der Fassung vom 06. 06. 2013 (online). Knapp, A. / Münch, A. (2004): Doppelter Lernaufwand? Deutsche Studierende in englischsprachigen Lehrveranstaltungen, in: A. Knapp / A. Schumann (Hrsg.): Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität im Studium. Frankfurt a. M., 171-196. Köller, O. / Baumert, J. / Cortina, K. S. / Trautwein, U. / Watermann, R. (2004): Öffnung von Bildungswegen in der Sekundarstufe II und die Wahrung von Standards. Analysen am Beispiel der Englischleistungen von Oberstufenschülern an integrierten Gesamtschulen, beruflichen und allgemein bildenden Gymnasien. Zeitschrift für Pädagogik 50/ 5, 670-700. Petersen, I. (2014): Schreibfähigkeit und Mehrsprachigkeit. Berlin. Strecker, G. (2010): Die Förderung von Deutsch als Zweitsprache in der Sekundarstufe II - ein Luxusproblem? , in: M. Rost-Roth (Hrsg.): DaZ-Spracherwerb und Sprachförderung Deutsch als Zweitsprache. Stuttgart, 255-272. Vieluf, U. / Ivanov, S. / Nikolova, R. (2014): KESS 12/ 13. Kompetenzen und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern an Hamburger Schulen am Ende der gymnasialen Oberstufe. http: / / bildungsserver.hamburg.de/ contentblob/ 4396048/ data/ kess12-13.pdf Lena Heine 40. Schulische Übergänge 1. Begrifflichkeit Auf ihrem Bildungsweg erleben alle Lernenden verschiedene Übergänge (vgl. Kramer & Helsper 2013: 593-600). Vertikale Übergänge finden statt von der fakultativen Elementarbildung zur obligatorischen Primarstufe, von der Primarstufe zur Sekundarstufe I, im Anschluss für einige Lernende von der Sekundarstufe I zur Sekundarstufe II und dann von der Sekundarstufe zur Berufsbzw. Hochschulbildung. Horizontale Übergänge liegen vor beim Wechsel zwischen parallelen Bildungsgängen, die unterschiedliche Zugangsvoraussetzungen haben bzw. zu unterschiedlichen Abschlüssen führen. Dies ist in Deutschland z. B. der Fall beim Übertritt zwischen Haupt-, Gesamt- und Realschule 192 Elisabeth Kolb sowie Gymnasium. In allen deutschsprachigen Ländern ist der Wechsel in eine Förderschule oder der Übergang von allgemeinbildenden in berufsbildende höhere Schulen möglich. Insgesamt gibt es aufgrund des Föderalismus eine große regionale Vielfalt an Bildungsgängen. In Deutschland sichert das Hamburger Abkommen (1964) über Bundesländergrenzen hinweg eine gemeinsame Grundstruktur. Während sich vertikale Übergänge mit zunehmendem Alter automatisch für alle Lernenden ergeben, sind horizontale Übergänge charakteristisch für die Bildungssysteme der deutschsprachigen Länder, die durch äußere Differenzierung geprägt sind. Somit bestehen bei vertikalen Übergängen standardisierte, institutionalisierte und offensichtliche Schnittstellen, wohingegen andere Übergänge wie Schulformwechsel, Klassenwiederholung oder auch die Integration von Lernenden mit Migrationshintergrund individuelle Übergänge in der Bildungsbiographie darstellen. Daneben gibt es weitere Übergänge innerhalb eines Bildungsgangs als Übergang von einer Fremdsprache zur anderen (Sprachenfolge), zwischen verschiedenen (Fremd-)Sprachen und anderen Fächern (fächerübergreifender bzw. fächerverbindender Unterricht, bilingualer Unterricht) oder durch Öffnung gegenüber außerschulischen Lernorten (Schmelter & Vogt 2009: 58-59). Übergänge ergeben sich auch durch unterschiedliche Leistungsniveaus innerhalb von Lerngruppen (Binnendifferenzierung) und durch Lehrer- oder Bundeslandwechsel. All diese Schnittstellen betreffen jeweils nur Teile der Schülerpopulation. 2. Problemaufriss Bei allen Übergangsformen stellt sich die Frage nach der Kontinuität bzw. dem Bruch an den Schnittstellen. Seit der Einführung des verpflichtenden Fremdsprachenunterrichts in der Primarstufe ist die „Übergangsproblematik“ (Burwitz-Melzer & Legutke 2004: 2) an der Schnittstelle von Primar- und Sekundarstufe I am auffälligsten. Sie gilt jedoch auch für andere Übergänge und betrifft sowohl die institutionellen Rahmenbedingungen (Organisation, Schulentwicklung, Curricula, Lehrerbildung) als auch Didaktik und Methodik (Ziele, Inhalte, Verfahren, Lernmittel). An der Schwelle von der Primarzur Sekundarstufe bezieht sich diese Problematik in Deutschland und Österreich meist auf das Fach Englisch. Während der Fremdsprachenunterricht in den Sekundarstufen von den anvisierten Abschlüssen aus organisiert ist, gibt es für die Primarstufe bisher kein einheitliches Abschlussniveau, so dass die Curricula von Primar- und Sekundarstufe I oft wenig aufeinander abgestimmt sind. Daher treten die Lernenden mit sehr heterogenen Leistungsständen in die Sekundarstufe I über. Weitere Brüche ergeben sich durch unterschiedliche Zielsetzungen, methodische Verfahren und Unterrichtsprinzipien: Während in der Primarstufe die spielerische Begegnung mit der Fremdsprache und der fremden Kultur, impliziter Spracherwerb, ganzheitliches Lernen, Mündlichkeit und Hörverstehen im Vordergrund stehen, dominieren in der Sekundarstufe häufig ein systematischer Lehrgang mit Hilfe eines Lehrwerks, kognitive Verfahren, Schriftlichkeit und Leistungsmessung (Burwitz-Melzer & Legutke 2004: 2-4). Dieser von den Lernenden wahrgenommene Bruch kann durch Defizite in der Lehrerbildung verstärkt werden: Die Lehrkräfte der Primarstufe haben teilweise anstatt eines Fremdsprachenstudiums immer noch nur Fortbildungen oder Anpassungslehrgänge besucht, und den Sekundarlehrkräften fehlen Kenntnisse über kindgemäßes Fremdsprachenlernen, Diagnose von Lernständen und den Umgang mit heterogenem Vorwis- 193 40. Schulische Übergänge sen. Wird in der Primarstufe Französisch, Italienisch oder eine andere Sprache unterrichtet, kann sich der Übergang als noch stärkerer Bruch darstellen, da in der Sekundarstufe I vorwiegend Englisch als erste Fremdsprache gelehrt wird, so dass mit dem Übertritt ein Neubeginn stattfindet und tatsächlich von Anfangsunterricht gesprochen werden kann. Der Übergang zwischen Sekundarstufe I und II kann neben dem vertikalen Übergang in eine höhere Jahrgangsstufe auch einen horizontalen Übergang mit Schulformwechsel beinhalten. Zwar sind an dieser Schnittstelle die Veränderungen weniger auffällig, jedoch stehen in der Sekundarstufe II anstelle des Spracherwerbs literarische und interkulturelle Ziele und Inhalte im Vordergrund. Dies kann von Lernenden als sprachliche Stagnation empfunden werden. Charakteristisch ist der Übergang von der lehrgangsförmigen Arbeit mit dem Lehrwerk als Leitmedium zum Einsatz von zunehmend authentischen Materialien, Textsammlungen und Literatur. Mit der Einführung des achtjährigen Gymnasiums ist allerdings auch in der Oberstufe eine Tendenz zum Lehrwerkeinsatz zu beobachten. Wenn dieser Übergang einen Schulformwechsel einschließt, so ist häufig ein Übergangsjahr nötig, um die zweite fortgeführte Fremdsprache einzuführen bzw. den Wechsel zu erleichtern. Bei horizontalen Wechseln innerhalb der Sekundarstufe I oder II werden das Ziel der interkulturellen Kommunikationsfähigkeit und die Fachinhalte in Abhängigkeit von der angenommenen Leistungsfähigkeit bzw. den vermutlichen zukünftigen Bedürfnissen der Lernenden unterschiedlich akzentuiert. So bestand lange die Tendenz, im gymnasialen Fremdsprachenunterricht allgemeinbildende, kulturelle Inhalte zu vermitteln und in Haupt-, Real- oder Gesamtschulen den Fokus eher auf praktisches Sprachkönnen zu legen. Gegenwärtig entwickeln jedoch verschiedene deutsche Bundesländer auf Basis der Bildungsstandards gleichlautende Lehrpläne für verschiedene Schulformen. In berufsbildenden Schulen stehen oft anwendungsbezogene Textsorten, Themen und Fertigkeiten der beruflichen Kommunikation im Vordergrund. 3. Forschungsstand Übergänge sind am besten in den Erziehungswissenschaften in international vergleichender Perspektive und unter den Gesichtspunkten der Durchlässigkeit des Systems und der Bildungs(un-)gerechtigkeit erforscht (vgl. Kramer & Helsper 2013: 600- 606). Aus fremdsprachendidaktischer Perspektive ist bisher vorwiegend für das Fach Englisch (vgl. A. Kolb & Mayer 2010: 2-4) und begrenzt auch für Französisch (vgl. Christ 2001: 14-17) der Übergang von der Primarin die Sekundarstufe I untersucht worden. Ergebnisse liegen u. a. für die Evaluation und Diagnose von Lernständen in den Fertigkeiten und bei den sprachlichen Mitteln, für Einstellungen auf Seiten der Lehrkräfte und der Lernenden auf den verschiedenen Stufen sowie zu spezifischen Lernzielen und Methoden vor. Dabei werden vorwiegend Brüche konstatiert, so z. B. auch in Österreich von Buchholz (2005). Dagegen werden die entstandardisierten, horizontalen Übergänge kaum thematisiert; eine Ausnahme stellt die Analyse des Lehrplandiskurses zu kulturellen Zielen und Inhalten des Englischunterrichts in verschiedenen Schulformen dar (E. Kolb 2013: Kap. 4). 4. Praxisrelevanz Da alle Lernenden und Lehrenden an verschiedenen Stellen des Bildungssystems Übergänge erleben, ist es wichtig, Brüche und Anschlussmöglichkeiten zu thematisieren. 194 Elisabeth Kolb Dabei sind auf Ebene der Institutionen besonders die Lehrkräfte sowohl der abgebenden als auch der aufnehmenden Schulformen gefordert: In Bayern gibt es z. B. als „Vierblättrige Kleeblätter“ bezeichnete Kooperationen zwischen Lehrkräften aus Grund-, Mittel- und Realschulen sowie Gymnasien zum Austausch und zur gegenseitigen Hospitation. Didaktisch-methodische Abstimmung ist wichtig, um die Lernenden auf die neuen Anforderungen vorzubereiten, aber auch um ihre Motivation aufrechtzuerhalten und keine wertvolle Lernzeit zu verlieren, weil Vorkenntnisse nicht berücksichtigt werden. Der Einsatz von Brückenaufgaben (vgl. A. Kolb et al. 2012) und die Selbsteinschätzung der Lernenden durch Portfolios können Übergänge erleichtern. Im Rahmen der Schulentwicklung ist es Aufgabe der verschiedenen Einzelschulen, Anschlussprofile zu erstellen und ihre schulformspezifischen Ziele zu schärfen. Übergänge können durch Einrichtung von Orientierungsstufen, Freigabe von Sprachenfolgen oder Binnendifferenzierung gemanagt werden. Auf curricularer Ebene werden gerade am Übergang von der Primarin die Sekundarstufe I die neuen, kompetenzorientierten Lehrpläne stärker als bisher aufeinander abgestimmt. Auch Bildungsstandards und Vergleichsarbeiten können die Durchlässigkeit der Schulformen erhöhen. 5. Perspektiven Außer dem Übergang von der Primarin die Sekundarstufe (vgl. BIG-Kreis 2009) sind weitere Schnittstellen bisher weitgehend unbeachtet geblieben. So sollten erste Ansätze einer „Didaktik des Übergangs“ (vgl. Mertens 2003) weiterverfolgt und über diesen Übergang hinaus ausgeweitet werden. Forschungsdesiderate betreffen besonders die horizontalen Übergänge sowie den Übergang in die Sekundarstufe II. Mit zunehmender Öffnung der Bildungsgänge stellt sich verstärkt die Frage der Vergleichbarkeit von Abschlüssen (vgl. Köller et al. 2004). Neben den schulformunabhängigen Niveaustufen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens müssten aufgrund von gesellschaftlichen Erwartungen an Schulabsolventen auch die Schnittstellen zur Berufswelt (vgl. Vogt 2009) und zum Studium stärker beachtet werden. Auch werden mit zunehmender Heterogenität der Lernerschaft die Herausforderungen an die Lehrerbildung in Bezug auf Diagnosefertigkeiten steigen. Literatur BIG -Kreis (2009): Fremdsprachenunterricht als Kontinuum. Der Übergang von der Grundschule in die weiterführenden Schulen. München. Buchholz, B. (2005): Die Nahtstelle zwischen Primar- und Sekundarschulen in Englisch. Erziehung und Unterricht 5-6/ 2005, 525-541. Burwitz-Melzer, E. / Legutke, M. (2004): Die Übergangsproblematik. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 69, 2-8. Christ, H. (2001): Lernen in zwei Sprachen und Fremdsprachenunterricht. Probleme beim Übergang von der Grundschule zur Sekundarstufe I. Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 49, 14-19. Kolb, A. / Mayer, N. (2010): Mehr Kontinuität! Englischkenntnisse aus der Grundschule weiterentwickeln. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 103, 2-6. Kolb, A. / Mayer, N. / Stotz, D. (2012): Bridging tasks. Kontinuität zwischen den Schulstufen. Grundschulmagazin Englisch 10/ 6, 7-8. Kolb, E. (2013): Kultur im Englischunterricht. Deutschland, Frankreich und Schweden im Vergleich (1975-2011). Heidelberg. Köller, O. / Baumert, J. / Cortina, K. S. / Trautwein, U. / Watermann, R. (2004): Öffnung von Bildungswegen in der Sekundarstufe II 195 41. Sprachen lernen und lehren an Hochschulen: Curriculare Dimension und die Wahrung von Standards. Analysen am Beispiel der Englischleistungen von Oberstufenschülern an integrierten Gesamtschulen, beruflichen und allgemein bildenden Gymnasien. Zeitschrift für Pädagogik 50/ 5, 679-700. Kramer, R.-T. / Helsper, W. (2013): Schulische Übergänge und Schülerbiographien, in: Schröer, W. / Stauber, B. / Walther, A. / Böhnisch, L. / Lenz, K. (Hrsg.): Handbuch Übergänge. Weinheim, 589-613. Mertens, J. (2003): Didaktik des Übergangs. Eine Skizze. Französisch heute 34/ 2, 160-172. Schmelter, L. / Vogt, K. (2009): Übergänge - Brücken, Brüche, Neuanfänge. Praxis Fremdsprachenunterricht 6/ 1, 56-59. Vogt, K. (2009): English for work and life. Berufsorientierte Fremdsprachenkompetenz erwerben. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 98, 2-8. Elisabeth Kolb 41. Sprachen lernen und lehren an Hochschulen: Curriculare Dimension 1. Die studienintegrierte Sprachausbildung: Kontext und Ziele Die Hochschulen Europas sind durch Internationalisierung und Migration mehrsprachig geworden. Die Curricula der Hochschulsprachausbildung mussten an diese Entwicklung angepasst werden. Da jede Hochschule die Curricula für die Sprachausbildung selbst gestaltet, sind diese durch ein hohes Maß an Heterogenität gekennzeichnet. Durch den Bologna-Prozess mit der Schaffung eines europäischen Hochschulraumes und die Einrichtung von englischsprachigen Studiengängen musste sich die Sprachausbildung auch neuen Qualitätsansprüchen stellen. Der in den nationalen und europäischen Netzwerken der Sprachenzentren (AKS, CercleS, Wulkow-Group) begonnene Prozess der Qualitätssicherung führt inzwischen schrittweise zum Abbau der erwähnten Heterogenität. Die folgenden Lernziele finden sich in den hochschulspezifischen Curricula für die integrierte Sprachausbildung: • Sie vermittelt Sprachkenntnisse für die Bewältigung studienbezogener Anforderungen in Kursen zu Studienvorbereitung oder in studienbegleitenden Kursen. • Sie bereitet Studierende auf ein Auslandsstudium vor. • Sie bereitet Studierende auf die globale Berufswelt vor. • Sie trägt zur Bildung der Persönlichkeit und der Erweiterung der Identität bei. Sie fördert die Herkunftssprachen von Studierenden. Bei der Entwicklung der Curricula ist die interdisziplinäre Kooperation mit Institutionen innerhalb (Fachdisziplinen) und außerhalb der Hochschule (Wirtschaft und Gesellschaft) unverzichtbar. 2. Fachsprache oder Allgemeinsprache Nach Krekeler (2013) steht die Frage nach der Orientierung der Sprachausbildung am Beginn jeder Curriculumentwicklung. Krekeler unterscheidet dabei zwischen einer Berufsorientierung (languages for occupational purposes) und einer akademischen Orientierung (languages for academic purposes). Für welche Variante man sich entscheidet, hängt von dem Bedarf der Studierenden und der Strategie der einzelnen Hochschule ab. Neben einer fachorientierten Ausbildung finden sich in allen Hochschulen auch allgemeinsprachliche Kurse mit Hochschulbezug. Nü- 196 Thomas Vogel bold (2010) plädiert für die Aufgabe der strikten Trennung von allgemein- und fachsprachlicher Ausbildung zugunsten eines ganzheitlichen Ansatzes, der die Studierenden auf die gesamten Anforderungen einer discourse community vorbereitet. Die gleiche Forderung nach einer integrativen Sprachausbildung, die die Trennung von Alltags- und Wissenschaftskommunikation aufgibt, erheben auch Fandrych & Sedlaczek (2012) für die Deutschausbildung ausländischer Studierender. 3. Methoden Die universitäre Sprachausbildung ist gekennzeichnet durch eine steile grammatische Progression, den frühen Einsatz authentischer Materialien und die Schulung akademischer Fertigkeiten wie Zusammenfassen, Darstellen, Argumentieren und Präsentieren. Die Lesefertigkeit wird so spätestens ab Stufe B1 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) mit Texten aus dem jeweiligen Studienfach oder mit fachübergreifenden Texten geschult. Für das Hörverstehen werden Podcasts von Vorlesungen oder anderen akademischen Veranstaltungen verwandt. Lehrbücher für die hochschulspezifische Sprachausbildung, die genügend Freiraum für ein maßgeschneidertes Curriculum lassen, gibt es mit Ausnahmen nur für die englische und die deutsche Sprache. Vorhandene Lehrwerke lassen sich kaum an die Vorgaben einer hochschulspezifischen Kursstruktur anpassen und ihre Texte sind schnell veraltet. Somit müssen die für die Sprachausbildung Verantwortlichen Materialien selbst entwickeln und auf den individuellen Bedarf der Studierenden zuschneiden. Dabei spielt die durch die Informationstechnologie zugängliche Fülle an authentischen Materialien eine immer größere Rolle. Die Sozialformen des Unterrichts orientieren sich weitgehend an den in der akademischen Kultur vorhandenen Kommunikationssituationen. Dazu gehören vor allen Dingen die Projektarbeit und die Veranstaltung von studentischen Konferenzen in der Fremdsprache zu fachspezifischen Themen. Die Integration von Fach und Sprache findet sich in 3 verschiedenen Unterrichtsmodellen: • CLIL (content and language integrated learning, vgl. Art. 44) Der Sprachunterricht vermittelt gleichzeitig auch neue Fachinhalte. • Tandem-Teaching Zwei Lehrende (Fach + Sprache) gestalten den Unterricht gemeinsam. • Studierende als Experten Die Studierenden liefern den fachlichen und die Sprachlehrenden den sprachlichen Input. 4. Förderung der Lernerautonomie Eine hochschuladäquate Sprachdidaktik muss der Diversität der Lernerbiografien durch eine stärkere Individualisierung der Ausbildung und eine Förderung der Lernerautonomie gerecht werden. Durch die intensive Reflexion über Lernstrategien sollen die Lernenden in die Lage versetzt werden, die Verantwortung für das Lernen zu übernehmen. Ziel ist es, dass die Studierenden über die Festlegung der eigenen Lernziele das Curriculum mitgestalten. Es ist die Aufgabe der Lehrenden, diesen Reflexionsprozess zu unterstützen und eine entsprechende Lernumgebung zu schaffen. Zur Förderung der Lernerautonomie werden in der Praxis folgende Methoden angewandt: 197 41. Sprachen lernen und lehren an Hochschulen: Curriculare Dimension • die Einführung eines Sprachlernportfolios; • die Vermittlung von kognitiv orientierten Lernstrategien durch die Sprachlernberatung (u. a. auch durch Peer-Tutoren); • die Vermittlung von Tandem-Partnerschaften und eine entsprechende Prozessbegleitung; • die Verwendung von Lernplattformen im Internet, die kollaboratives Arbeiten ermöglichen. Unter den Bedingungen des Bologna-Prozesses kann das Bemühen um Lernerautonomie im Widerspruch zu den Bedingungen des Fachstudiums stehen, bei dem es eher um abprüfbares Wissen und um die Kreditierung von Studienleistungen geht. Es ist die Aufgabe der Sprachausbildung, diesen vermeintlichen Widerspruch in Kooperation mit den Fachdisziplinen aufzulösen. 5. Sprachtests - Zertifizierungssysteme - UNIcert ® Bei der Integration von Sprache in das Studium spielen Sprachtests und Zertifizierungssysteme eine immer größere Rolle. Dies gilt sowohl für die Zulassung zum Studium als auch für entsprechende Nachweise während oder am Ende des Studiums. Zur Studienzulassung für ausländische Studierende stehen im deutschsprachigen Raum die von der deutschen Hochschulrektorenkonferenz akkreditierte und von den einzelnen Hochschulen durchgeführte Deutsche Sprachprüfung zum Hochschulzugang (DSH) und der an Testzentren angebotene TestDaF des Test- DaF-Instituts zur Verfügung. Darüber hinaus erkennen die Hochschulen das Österreichische Sprachdiplom (ÖSD Zertifikate B2, C1 oder C2) bzw. für diesen Zweck bestimmte Diplome des Goethe-Institutes an. Zusätzlich fordern immer mehr Hochschulen auch den Nachweis von Englischkenntnissen, insbesondere für englischsprachige Studiengänge. Hier ist das Bild noch sehr uneinheitlich. In der Regel wird der TOEFL - bzw. der IELTS- Test bzw. UNIcert ® als Zulassungsprüfung anerkannt. Da sowohl ausländische als auch deutschsprachige Studierende nach dem Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung noch nicht über die Studierfähigkeit in einer Fremdsprache verfügen, bieten die Hochschulen in verstärktem Maße Vorbereitungskurse vor Beginn des Studiums an und erweitern das Angebot an studienbegleitendem Sprachunterricht, der speziell auf die Bedürfnisse des Fachstudiums zugeschnitten ist. Die Qualitätssicherung der hochschulspezifischen Sprachausbildung durch institutionenübergreifende adäquate Prüfungs- und Zertifizierungsverfahren erfolgt an einigen Institutionen durch die Übernahme eines kommerziellen Prüfungs- und Testverfahrens (z. B. TOEFL, DELF/ DALF usw.). In diesem Fall wird das Curriculum auf das vorgegebene Test- und Prüfungssystem abgestimmt. Die Association of Language Testers in Europe ALTE (www.alte.org) listet 26 Sprachen auf, für die es inzwischen Test- und Zertifizierungssysteme mit entsprechender Qualitätssicherung gibt (vgl. Art. 89). Ein alternative Möglichkeit bietet das von den deutschen Sprachenzentren im Rahmen des Arbeitskreises der Sprachenzentren AKS e. V. (www.aks-web.de) entwickelte institutionenübergreifende Test- und Zertifizierungssystem UNIcert ® (vgl. www.unicertonline.org; für einen Überblick: Eggensperger & Fischer 1998 und Voss 2010). Verantwortlich für die Qualitätssicherung, die Weiterentwicklung des UNIcert ® -Systems und die Akkreditierung der Mitgliedsinstitutionen sind die UNIcert ® -Arbeitsstelle und eine wissenschaftliche Kommission. Das UNIcert ® -System gibt in einer Rahmenordnung die Ausbildungsstruktur und das Prüfungsformat vor. Modular aufgebaut führt die Ausbildung über sechs Stufen von UNIcert ® Basis (GeR A2) zu UNIcert ® IV 198 Thomas Vogel (GeR C2). Jede Stufe darf dabei einen Umfang von 8-12 Lehrveranstaltungsstunden nicht unterschreiten. Auf Stufe II hat die Institution die Möglichkeit, zwischen allgemeinsprachlichen und fachbzw. wissenschaftsspezifischen Ausbildungsmodulen und Zertifikaten zu unterscheiden. Im Fokus von UNIcert ® steht eine auf die Bedürfnisse der Studierenden und die sehr unterschiedlichen Bedingungen einzelner Hochschulen zugeschnittene Ausbildung. 6. Interkulturelle Bildung Die Einbeziehung interkultureller Aspekte in die Curricula erfolgt entweder sprach- und kulturspezifisch oder sprach- und kulturübergreifend in entsprechenden Trainingseinheiten. Hettiger (2012) geht davon aus, dass ein Auslandsstudium, das Lernen im Tandem wie auch eine handlungsorientierte Sprachausbildung den idealen Rahmen für die Entwicklung interkultureller Sensibilität darstellen. Die Internationalisierung der Hochschulen macht den Sprachunterricht zum interkulturellen Erfahrungsraum. Kultur ist jedoch nicht nur Vermittlungsgegenstand im Sprachunterricht an der Hochschule, sondern sie determiniert auch Form und Inhalt und die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden. Dies nimmt Räsänen (2011) auf, wenn sie zwischen ethnischer, disziplinärer, lokaler und akademischer Kultur unterscheidet, die auf unterschiedliche Weise Einfluss auf den Lerngegenstand und den Lernprozess nehmen. Die hochschulspezifische Sprachausbildung ist der Ort, an dem Lehrende und Lernende die Interaktion dieser unterschiedlichen Kulturen reflektieren können. 7. Die Sprachausbildung in den philologischen Studiengängen Dass die Qualität der Sprachausbildung in den Lehramtsstudiengängen zumindest in den 1990er Jahren noch zu wünschen übrig ließ, wird in den 22 Thesen zur Reform der universitären Fremdsprachenlehrerausbildung von Hagge et al. (1997) deutlich. In These 11 fordern die Autoren für Lehramtsstudierende, die über ein hohes Sprachniveau in der zu unterrichtenden Sprache verfügen sollten, verstärkte Bemühungen um eine verbesserte, intensive Sprachausbildung. In ihrer empirischen Untersuchung zur Einstellung von Lehramtsstudierenden zu ihrer sprachpraktischen Ausbildung stellt Mehlhorn (2009) fest, dass sich diese vor allen Dingen einen stärker kommunikativ orientierten Sprachunterricht wünschen, in dem auch Lernstrategien reflektiert und explizit erlernt werden können. Der Blick auf die aktuellen Studien- und Prüfungsordnungen von Lehramtsstudiengängen zeigt, dass auch hier Veränderungen in der Sprachausbildung eingetreten sind. Inzwischen werden Eingangsniveaus präziser definiert und die Curricula der Sprachausbildung kommunikativ ausgerichtet. Die Lernziele „Präsentieren, Debattieren, Paraphrasieren und Diskussionen leiten“, wie sie z. B. in der Studien- und Prüfungsordnung für das Fach Englisch der Universität Potsdam aufgeführt werden, unterscheiden sich in keiner Weise von den Lernzielen der Sprachausbildung für Studierende nicht-philologischer Fächer. Sprachausbildung in den Philologien wird somit verstanden als Fachsprachenausbildung für die Philologien und für den späteren Lehrberuf. In diesem Zusammenhang stehen auch die Qualitätsprinzipien für den Sprachunterricht in den Lehramtsstudiengängen (vgl. Jopp-Lachner 2009): • eine integrative Schulung aller Kompetenzen, 199 41. Sprachen lernen und lehren an Hochschulen: Curriculare Dimension • eine fachspezifische Ausrichtung, • ein Bezug zu Mehrsprachigkeit und Sprachlernbewusstheit. 8. Die Sprachausbildung an Hochschulen als Laboratorium für Mehrsprachigkeit Einige Sprachenzentren entwickeln auf der Basis ihrer Erfahrungen als Kompetenzzentren für Mehrsprachigkeit maßgeschneiderte, zielgruppenorientierte Angebote für die Nachfrage außerhalb der Hochschule. So organisiert das Sprachenzentrum der Europa- Universität Viadrina Frankfurt (Oder) in Kooperation mit der ausgegründeten Gesellschaft „viadrina sprachen“ die Sprachausbildung von deutschen, tschechischen und polnischen Rettungssanitätern, von grenzüberschreitenden Polizeikräften in Brandenburg und Polen und ist aktiv bei der Förderung von Mehrsprachigkeit im vorschulischen Bereich tätig (vgl. Vogel 2009). Die Erfahrungen aus diesen Projekten fließen wieder in die berufsorientierte Sprachausbildung der Studierenden ein. Das gemeinsam von der Universität und der Pädagogischen Hochschule Fribourg getragene Institut für Mehrsprachigkeit ist als Wissenschaftliches Kompetenzzentrum für Mehrsprachigkeit für die gesamte Schweiz konzipiert. Die Qualität der Sprachausbildung an Hochschulen trägt der Entschließung der Hochschulrektorenkonferenz von 2011 Rechnung, in der diese ein verstärktes Bewusstsein für sprachenpolitische Fragen und die Förderung von Mehrsprachigkeit fordert. Literatur Eggensperger, K.-H. / Fischer, J., Hrsg. (1998), Handbuch UNI cert ® . Bochum. Fandrych, C. / Sedlaczek, B. (2012): „I need German in my life“. Eine empirische Studie zur Sprachsituation in englischsprachigen Studiengängen in Deutschland. Tübingen. Hagge, H. P. / Schröder, K. / Tesch, F. / Vollmer, H.-J. / Wolff, D. / Zydatiß, W. (1997): 22 Thesen zur Reform der universitären Fremdsprachenlehrerausbildung. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 2(2), 1-9 (online). Hettiger, A. (2012): Interkulturelle Kompetenz in nicht-sprachlichen Studiengängen: Fachliche und strategische Überlegungen. Fremdsprachen Lehren und Lernen 41/ 2, 97-106. Hochschulrektorenkonferenz (2001): Empfehlung „Sprachenpolitik an deutschen Hochschulen“ https: / / www.hrk.de/ positionen/ beschlue sse-nach-thema/ convention/ empfehlungsprachenpolitik-an-deutschen-hochschulen/ . Jopp-Lachner, K. (2009): Eierlegende Wollmilchsäue auf C2-Niveau? Fremdsprachenlehrerausbildung und die (mögliche) Rolle der Ausbildung am Sprachenzentrum, in: A. Poletti (Hrsg.): Sprachen als akademische Schlüsselkompetenz. Dokumentation der 25. Arbeitstagung 2008. Bochum, 52-59. Krekeler, C. (2013): Languages for specific academic purposes or languages for general academic purposes? A critical appraisal of a key issue for language provision in higher education. Language Learning in Higher Education 3/ 1, 43-60. Little, D. / Ushioda, E. (2000): LSP , LAP and institution-wide language programmes , in: M. Ruane / D. P. Ó Baoill (Hrsg.): Integrating theory and practice in LSP and LAP . Dublin, 43-56. Mehlhorn, G. (2009): „Wir haben einfach zu wenig Sprachpraxis an der Uni! “ Subjektive Sichtweisen von Lehramtsstudierenden zum Fremdsprachenlernen, in: A. Poletti (Hrsg.): Sprachen als akademische Schlüsselkompetenz. Dokumentation der 25. Arbeitstagung 2008. Bochum, 83-90. Nübold, P. (2010): Zum Verhältnis von Allgemeinsprache zu Fachsprache: getrennt be- 200 Karin Vogt handeln oder kombiniert? in: B. Voss (Hrsg.): UNI cert ® Handbuch 2. Bochum, 117-134. Räsänen, A. (2011): International classrooms, disciplinary cultures and communication conventions: a report on a workshop for content and language teachers. Quality Assurance Review for Higher Education, Romanian Agency for Quality Assurance in Higher Education ( ARACIS ), 3/ 2, Bucharest, 155-161 . Studien- und Prüfungsordnung für das Bachelor- und Masterstudium im Fach Englisch. www.uni-potsdam.de/ am-up/ 2013/ ambek- 2013-09-486-510.pdf The Wulkow Memoranda on Languages in Higher Education. https: / / www.sz.europauni.de/ de/ startsite _news/ spalte _4_informa tionen/ news4 _wolkow_memorandum/ wul kow_memorandum.html Vogel, T. (2009): Das Sprachenzentrum der Viadrina. Ein Laboratorium für die Mehrsprachigkeit und Multikulturalität Europas, in: R. Pyritz / M. Schütz (Hrsg.): Die Viadrina: Eine Universität als Brücke zwischen Deutschland und Polen. Berlin, 275-284. Voss, B., Hrsg. (2010): UNI cert ® Handbuch 2. Stand - Entwicklungen - Perspektiven. Bochum. Thomas Vogel 42. Sprachen lernen und lehren in der Erwachsenenbildung: Curriculare Dimension 1. Begrifflichkeit Der Deutsche Bildungsrat (1970: 197) definiert Erwachsenenbildung als „Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluss einer verschiedenartig ausgedehnten ersten Bildungsphase“ und erklärte bereits in den 1960er Jahren die Erwachsenenbildung zur vierten Säule des Bildungssystems (Nuissl 2010: 405). Der Bildungsrat hält den Abschluss eines Bildungsganges für konstitutiv für die Begriffsbildung, während andere Konzeptionen vom Alter als zentraler Kategorie ausgehen (ebd.). Im fremdsprachlichen Bereich wird mit dem Begriff häufig der institutionalisierte Fremdsprachenunterricht an Institutionen wie etwa der Volkshochschule (VHS) als größtem Anbieter assoziiert, während eine Vielzahl von Lernenden fremdsprachliche Kompetenz in Sprachenschulen, Unternehmen oder zunehmend im Rahmen des informellen Lernens erwirbt (vgl. Art. 17). Daher wird an dieser Stelle für eine erweiterte Sichtweise von Sprachenlernen und -lehren im Erwachsenenalter plädiert. 2. Problemaufriss Fremdsprachen stellen seit Jahrzehnten einen wichtigen Bereich der Erwachsenenbildung dar. Im Berichtsjahr 2012 der Weiterbildungsstatistik des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) entfallen 23,8 % der Themen auf Sprachveranstaltungen, sie weisen den größten zeitlichen Anteil am Weiterbildungsangebot auf (Ambos & Horn 2014). Weiß (2009) konstatiert in ihrer diachronen Analyse der Volkshochschulstatistik einen stetig wachsenden Anteil von Fremdsprachen am Gesamtprogramm mit einer zunehmenden Diversität im Sprachenangebot, wobei Englisch bei den Fremdsprachen nach wie vor den wichtigsten Stellenwert hat. Auch im Bereich Deutsch als Zweitsprache steigt die Nachfrage nach Integrationskursen, die eine sprachliche und eine kulturelle Komponente beinhalten, seit ihrer Einführung 2005 kontinuierlich (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF 2015). Die genannten Zahlen erfassen lediglich Angebote großer institutioneller Anbieter 201 42. Sprachen lernen und lehren in der Erwachsenenbildung: Curriculare Dimension wie des Deutschen Volkshochschulverbandes und nicht das gesamte Angebot fremdsprachlicher Erwachsenenbildung, das durch Diversität der Lernenden, der Lernangebote, der Anbieter sowie der Kursleiterinnen und Kursleiter wenig übersichtlich ist. Die Dimension der Heterogenität als primäres Merkmal fremdsprachlicher Erwachsenenbildung umfasst zunächst die Teilnehmenden an fremdsprachlichen Weiterbildungsmaßnahmen; sie schließt auch unterschiedlichste Lernbiografien und Ausbildungsstände ein. Das Alter ist eine weitere relevante Kategorie. Während laut Weiß (2009) alle Altersgruppen vertreten sind, ist es die mittlere Altersgruppe von 35-49 Jahren, die verstärkt fremdsprachliche Weiterbildungsmaßnahmen nachfragt, v. a. aus beruflichen Gründen. Durch die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens verschiebt sich diese Schwerpunktaltersgruppe nach hinten. Die Motivation und die Zielsetzungen von Fremdsprachenlernenden divergieren ebenfalls und reichen von den beruflichen Motiven über Freizeitgestaltung (vgl. Eschmann et al. 2001) und persönlicher Fortbildung bis zur instrumentalen Notwendigkeit der Sprachkenntnisse zwecks Einbürgerung. Ebenso vielfältig wie die Adressatengruppe ist der Kreis der Anbieter von fremdsprachlichen Weiterbildungsmaßnahmen. Institutionelle Anbieter wie die Volkshochschulen (924 in Deutschland, 270 in Österreich und ca. 100 in der Schweiz, letztere ergänzt bspw. durch Migros-Klubschulen) machen den größten Anteil von Weiterbildungsmaßnahmen aus. Für diese Anbieter gibt es regelmäßig veröffentlichte Weiterbildungsstatistiken. Institutionelle Anbieter wie die Volkshochschulen haben auch einen Weiterbildungsauftrag zu erfüllen, was sie von den kommerziell orientierten privaten Anbietern unterscheidet. Diese Gruppe umfasst große global agierende Franchiseketten wie auch Kleinstbetriebe mit freiberuflich tätigen Einzelpersonen. Fremdsprachenunterricht in Unternehmen wird häufig von privaten Anbietern bedient, jedoch finden sich in Großunternehmen auch intern organisierte Angebote z. B. durch eigene Weiterbildungsabteilungen, die äußerst flexibel und zeitnah bestimmte Sprachlernbedürfnisse der Teilnehmenden und / oder des Unternehmens bedienen können. Die Qualifikation der Lehrenden ist ein weiterer Heterogenitätsfaktor der fremdsprachlichen Erwachsenenbildung. Anders als im schulischen Fremdsprachenunterricht gibt es weder einen Ausbildungsberuf mit klaren Qualifikationsanforderungen noch ein einheitliches Berufsbild. Muttersprachler mit oder ohne fachdidaktische Qualifikation unterrichten neben Nicht-Muttersprachlerinnen. In den letzten Jahren hat sich das Berufsbild der Lehrenden in der Erwachsenenbildung mit Angeboten in Form von Zusatz- oder Kontaktstudien (Universität Trier, Universität Mainz für Fremdsprachen, diverse universitäre Angebote für DaF / DaZ) professionalisiert. Auch internationale Anbieter wie die University of Cambridge bieten für Lehrkräfte des Englischen Zertifikate wie das Certificate in English Language Teaching to Adults (CELTA) als Qualifikationsnachweis an. Mit dem Curriculum GlobALE-Projekt des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung und des Deutschen Volkshochschulverbands (2013) wurde ein Kerncurriculum für die Ausbildung von Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildnern konzipiert. Auf Grund dieser Heterogenität sind Inhalte und Ziele von fremdsprachlichem Unterricht in der Erwachsenenbildung divergent. Außer bei Sprachenzertifikaten von Anbietern wie etwa TELC oder dem Goethe- Institut ist der Fremdsprachenunterricht weder auf Abschlüsse bezogen, noch ist er notenorientiert. Entsprechend unverbindlich gestalten sich die Curricula; eine Ausnahme bilden die Angebote für Migrantinnen und 202 Karin Vogt Migranten (BAMF 2015). Mit dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR) fanden die jahrzehntelangen Bemühungen des Europarats, ein umfassendes, transparentes gemeinsames europäisches Referenzsystem zur Beschreibung von Sprachkompetenz auf allen Ebenen für potenziell alle Sprachen vorzulegen, ein (vorläufiges) Ergebnis. Mögliche Funktionen des GeR sollten u. a. in der Planung von Sprachlernprogrammen, der Planung von Lernzielen und Inhalten von Kursen sowie der anschließenden Zertifizierung liegen (North 2014). Aktuell stellt der GeR das wichtigste Leitdokument für Curricula in der fremdsprachlichen Erwachsenenbildung dar. Außer den GeR-Niveaustufen und den Kompetenzbeschreibungen, die sich in den Deskriptoren finden, ergeben sich für Curricula etwa im Vergleich mit dem allgemeinbildenden Fremdsprachenunterricht nur wenig inhaltliche Anknüpfungspunkte, so dass der inhärente produktorientierte Ansatz des GeR für funktional-notionale Curricula weiterhin vorherrscht und nur zögerlich von prozessorientierten Curricula mit einer Handlungs- und Lernerorientierung abgelöst wird (vgl. Quetz 2002). Auch in methodisch-didaktischer Hinsicht sind die Anknüpfungspunkte eher vage und bestimmt von dem Bekenntnis zur Mehrsprachigkeit bzw. der plurilingualen und -kulturellen Sichtweise von fremdsprachlicher Kompetenz sowie auf der methodischen Ebene dem aufgabenorientierten Ansatz von Fremdsprachenlernen, der dem GeR in einer erweiterten Form zugrunde liegt. Im Dokument selbst finden sich z. B. in Kapitel 8 Vorschläge zu Optionen der Curriculumgestaltung v. a. für den schulischen Bereich, aber es werden auch Überlegungen zur Rolle von Weiterbildung im Sinne des lebenslangen Fremdsprachenlernens und zur Bedeutung informeller Fremdsprachenlernerfahrungen in außerschulischen Kontexten angestellt, jedoch sind diese Teile des GeR in der Rezeption bislang eher unterrepräsentiert. Als Fazit kann festgehalten werden, dass es außer für Deutsch als Zweitsprache keine nachhaltige Verbindlichkeit für Curricula in der institutionellen fremdsprachlichen Erwachsenenbildung gibt. Für den nicht-institutionellen Bereich gilt diese Feststellung in besonderem Maße, da bspw. für Maßnahmen im Bereich des Fachsprachenunterrichts (Languages for Specific Purposes ) primär ein bedarfsorientiertes Curriculum im Zentrum steht, das in der Regel auf der Grundlage einer Bedarfsanalyse individuell zwischen den Beteiligten ausgehandelt wird bzw. maßgeblich von den Bedürfnissen der Lernenden in Hinblick auf Zielsetzung und Inhalt ausgeht. 3. Forschungsstand Erwachsene Lernende verfügen über differenziertes Welt- und Handlungswissen sowie über eine abgeschlossene Sprachentwicklung in ihrer ersten Sprache. Diese kognitiven und sprachlichen Grundlagen werden in der fremdsprachlichen Erwachsenenbildung häufig genutzt, etwa im Sinne einer Berücksichtigung des mentalen Lexikons für die kontrastiv arbeitende Wortschatzvermittlung sowie kognitivierender Verfahren für die Aneignung von Strukturen in der Fremdsprache. Die Lernbiografie erwachsener Lerner kann auch hinderlich sein etwa in Bezug auf fossilisierte Lernroutinen und -strategien oder das phonologische Inventar des Lernenden, das ggf. das Erwerben neuer Laute erschwert. Dies steht in Zusammenhang mit Lennebergs (1967) Critical Period Hypothesis, die das Alter als einen Einflussfaktor beim Fremdsprachenlernen sieht. Auf Grund widersprüchlicher Ergebnisse empirischer Untersuchungen (z. B. Singleton 1995; Scherag et al. 2004) kann sie weder bestätigt noch widerlegt werden. Vielmehr scheinen andere 203 42. Sprachen lernen und lehren in der Erwachsenenbildung: Curriculare Dimension individuelle Einflussfaktoren relevant zu sein, die schwer zu isolieren sind (vgl. Art. 63). Anders als das schulische fremdsprachliche Lernen ist das Fremdsprachenlernen Erwachsener in der Regel eine Nebentätigkeit z. B. neben dem Beruf. In diesem Zusammenhang ist die Motivation von Lernenden durchaus unterschiedlich und reicht von der Kontaktsuche über beruflich motivierte instrumentelle (extrinsische) Motivation bis hin zu intrinsisch motivierten Zielsetzungen (Juchem-Grundmann 2010: 4). Deshalb betont North (2014: 107) die Relevanz von Bedarfsanalysen für die Kursplanung und plädiert für die Nutzung des GeR zu diesem Zweck. Bedarfsanalysen sind bislang zentral für den nicht-institutionellen Fremdsprachenunterricht in der Erwachsenenbildung und beeinflussen entsprechend Curricula, angefangen von sektorbzw. unternehmensübergreifenden bis zu lokalen Kontexten. In Deutschland sind seit den 1990er Jahren die Forschungsarbeiten im Auftrag des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft zu nennen, die den Fremdsprachenbedarf in Unternehmen bzw. Sektoren der Wirtschaft vornehmlich mittels quantitativer Forschungsmethoden ermittelten (etwa Römer et al. 2004). Bedarfsanalysen werden auch kursbezogen in Fachsprachenkursen eingesetzt und beforscht, und es gibt eine Vielzahl an Methoden von Dokumentenanalyse, Befragungen und teilnehmender Beobachtung bis zu Tagebüchern und Sprachaudits (Übersicht in Long 2005), in jüngerer Zeit mit einer Tendenz zu mixed methods-Forschungszugängen, die dem komplexen Gegenstand eher Rechnung tragen. Zwar stehen für den institutionellen Sektor der fremdsprachlichen Erwachsenenbildung Forschungsergebnisse im Hinblick auf GeR-basierte Curriculumentwicklung weitgehend aus. Vereinzelt wird jedoch forschungsbasierte Bedarfsanalyse auf der Grundlage des GeR durchgeführt, z. B. in Huhta et al. (2013) mittels mixed methods- Zugängen. Forschungsbedarf besteht auch hinsichtlich der GeR-basierten Entwicklung von Lernmaterialien. Für zahlreiche Materialien wird eine GeR-Niveaustufe angegeben, ohne dass eine explizite Methode der Anbindung (linking) durchgeführt worden wäre. Für die Anbindung von bestehenden Sprachtests und Zertifikaten an den GeR und dessen Niveaustufen existiert eine aufwändig erprobte Anleitung (Europarat 2009); für Lernmaterialien als wichtigem Bestandteil von Curricula steht dies noch aus. Das informelle Fremdsprachenlernen Erwachsener außerhalb von institutionellen Rahmenbedingungen dürfte auf Grund der Flexibilisierung der Arbeitswelt, schnelleren Wissenszuwachses und zunehmender Globalisierung wachsende Bedeutung haben. Während im AES-Trendbericht (BMBF 2015) steigende Teilnahmequoten an informellem Lernen von Erwachsenen allgemein verzeichnet werden, gibt es bis dato für den Bereich des Fremdsprachenlernens in der Erwachsenenbildung kaum forschungsbasierte Einblicke. 4. Perspektiven Die Heterogenität der fremdsprachlichen Erwachsenenbildung bedingt das Fehlen einer systematischen Dokumentation von Weiterbildungsaktivitäten in Form einer umfassenden Weiterbildungsstatistik, die für die Etablierung systematischer sowie zielgruppenspezifischer Forschung notwendig wäre. Eine erste Professionalisierung des Berufsbildes Fremdsprachenlehrkraft in der Erwachsenenbildung ist zu beobachten, jedoch ist man von Standards, wie sie etwa für fremdsprachliche Lehrkräfte in allgemeinbildenden Schulen existieren, noch weit ent- 204 Karin Vogt fernt. Die Passgenauigkeit von Curricula für die fremdsprachliche Erwachsenenbildung ist durch den GeR als Leitdokument möglich, daraus resultieren jedoch wenige inhaltliche Gemeinsamkeiten. Um die systematische und transparente Flexibilisierung von Curricula in der Erwachsenenbildung zu gewährleisten, sind Bedarfsanalysen vielversprechend, insbesondere wenn sie auf den institutionalisierten Fremdsprachenunterricht ausgeweitet werden. Literatur Ambos, I. / Horn, H. (2014): Weiterbildungsstatistik im Verbund 2012 - Kompakt. http: / / diebonn.de/ doks/ 2014-weiterbildungsstatistik- 01.pdf BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2015): Bericht zur Integrationskursgeschäftsstatistik für den Zeitraum vom 01. 01. bis 30. 09. 2014. www.bamf.de Bundesministerium für Bildung und Forschung ( BMBF ) (2015): Weiterbildungsverhalten in Deutschland 2014. AES -Trendbericht. Berlin. Deutscher Bildungsrat (1970): Strukturplan für das Bildungswesen. Stuttgart. Deutsches Institut für Erwachsenenbildung / Institut für Internationale Zusammenarbeit des Deutschen Volkshochschulverbands (2013): Curriculum glob ALE . Global curriculum for adult learning and education. Bonn. Eschmann, D. / Richter-Lönnecke, H. / Neuhaus, K. / Brack, U. / Ladwig, U. (2001): Fremdsprachenlernende an Volkshochschulen. Ismaning. Europarat, Hrsg. (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen. Strasbourg. Europarat (2009): Relating language examinations to the Common European Framework of Reference for languages: learning, teaching, assessment. A manual. Strasbourg. Huhta, M. / Vogt, K. / Johnson, E. / Tulkki, H. (2013): Needs analysis for language course design: A holistic approach to ESP . Cambridge. Juchem-Grundmann, C. (2010): Andragogik, in C. Surkamp (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart, 2-4. Lenneberg, E. H. (1967): Biological foundations of language. New York. Long, M. H., Hrsg. (2005): Second language needs analysis. Cambridge. North, B. (2014): The CEFR in practice. Cambridge. Nuissl, E. (2010): Weiterbildung / Erwachsenenbildung, in: R. Tippelt / B. Schmidt (Hrsg.): Handbuch Bildungsforschung, 4. Aufl. Wiesbaden, 405-420. Quetz, J. (2002): Lernziele und Inhalte, in J. Quetz / G. von der Handt (Hrsg.): Neue Sprachen lehren und lernen. Fremdsprachenunterricht in der Weiterbildung. Bielefeld, 30-48. Römer, C. / Schöpper-Grabe, S. / Wegener, A. / Weiß, R. (2004): Bilateraler Fremdsprachenbedarf in Deutschland und Frankreich. Eine Bestandsaufnahme in Großunternehmen. Abschlussbericht. Köln. Scherag, A. / Demuth, L. / Rösler, F. / Neville, H. / Röder, B. (2004): The effects of late acquisition of L2 and the consequences of immigration on L1 for semantic and morphosyntactic language aspects. Cognition 93, B97-B108. Singleton, D. (1995): Introduction: A critical look at the critical period in second language acquisition research, in: D. Singleton / Z. Lengyel (Hrsg.): The age factor in second language acquisition. Clevedon, 1-29. Weiß, C. (2009): Fremdsprachen - Trendsprachen. Konjunkturen des Sprachenerwerbs Erwachsener am Beispiel des Volkshochschulangebots. DIE -Zeitschrift 2/ 2009, 45-47. Karin Vogt 205 43. Berufsorientiertes und -begleitendes Sprachenlernen und -lehren: Curriculare Dimension 43. Berufsorientiertes und -begleitendes Sprachenlernen und -lehren: Curriculare Dimension 1. Begrifflichkeit In der englischen Terminologie kommen die Begriffe English for Vocational Purposes und Vocationally-oriented language learning dem hier behandelten berufsorientierten und -begleitenden Sprachenlernen und -lehren am nächsten (Kuhn 2007: 123 f.). Angesprochen werden damit die sprachlichen Bedarfe sowohl in Ausbildung und Qualifizierung als auch am Arbeitsplatz, wobei nicht auf die unmittelbaren Anforderungen am Arbeitsplatz verengt, sondern auf das generelle Ziel orientiert wird, in der Fremdsprache am Arbeitsplatz und im Privatleben kommunizieren zu können, um die Beschäftigungschancen zu erhöhen und dadurch die Basis für gesellschaftliche Teilhabe zu schaffen. In der deutschsprachigen Fachdiskussion wird im Bereich des Fremdsprachenlernens und -lehrens der Begriff berufsorientiertes bzw. berufsbezogenes Fremdsprachenlernen als Ober- oder Sammelbegriff bevorzugt. Funk (2010: 1146 f.) nimmt eine Differenzierung des Begriffs nach dem Grad der jeweils vorhandenen Berufserfahrung vor und unterscheidet berufsvorbereitenden, berufsbegleitenden und berufsqualifizierenden Deutschunterricht. Im Bereich Deutsch als Zweitsprache dominiert der Begriff berufsbezogenes Deutsch bzw. berufsbezogene (Zweit-)Sprachförderung. Im fachlichen Diskurs gilt Berufsbezug als Desiderat eines aus formalrechtlichen Gründen zunächst auf allgemeinsprachlichen Kompetenzerwerb fokussierenden Integrationskurssystems. Der Begriff berufsorientiertes Deutsch bzw. berufsorientierter Deutschunterricht bezeichnet Zweitsprachenunterricht, der thematisch allgemein auf die Arbeitswelt orientiert und ggf. exemplarisch Begegnungen mit ihr in den Unterricht integriert wie z. B. Betriebserkundungen in Kursen des Europäischen Sozialfonds / Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (ESF-/ BAMF-Kurse). 2. Problemaufriss Durch die Globalisierung der Arbeitswelt (Internationalisierung unternehmerischen Handelns, Migration von Arbeitskräften) hat die Bedeutung des Fremd- und Zweitsprachenlernens für den beruflichen Sektor stark zugenommen. Die Fähigkeit zum Gebrauch von Fremdsprachen wird nicht mehr nur in der Führungsebene von Unternehmen, sondern auch auf der Ebene der Fertigung und des Kundenkontakts erwartet. Dabei steht die Fremdsprache Englisch zweifellos an erster Stelle, aber je nach regionaler (Grenzregionen) und globaler wirtschaftlicher Verflechtung fragen Betriebe in Deutschland insbesondere auch Französisch-, Polnisch-, Russisch- und Spanischkenntnisse nach. Hierauf hat die Kultusministerkonferenz mit einer „Rahmenvereinbarung über die Zertifizierung von Fremdsprachenkenntnissen in der beruflichen Bildung“ reagiert (KMK 1998/ 2008). Sie ermöglicht beruflichen Schulen, Fremdsprachenkenntnisse ihrer Schülerinnen und Schüler auf freiwilliger Basis und unabhängig von einer Benotung im Zeugnis in Orientierung am Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR) zu zertifizieren. Die Prüfungen sollen den Berufsbezug sicherstellen, indem sie auf jeder Kompetenzstufe nach den Erfordernissen der verschiedenen Berufsbereiche (kaufmännisch-verwaltend, gewerblich-technisch etc.) differenzieren und innerhalb dieser Bereiche möglichst weitere Konkretisierungen vornehmen (KMK 1998/ 2008: Abs. 2). Für den Bereich der Entwicklung der Zweitsprache Deutsch muss festgehalten werden, dass die sprachlichen Anforderun- 206 Udo Ohm gen in der Arbeitswelt - gerade auch im Bereich der kommunikativen Fähigkeiten - für alle Arbeitskräfte gestiegen sind. Zudem erhöht die Erwartung der Betriebe, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich angesichts immer kürzerer Innovationszyklen regelmäßig fort- und weiterbilden, die sprachlichen Anforderungen zusätzlich und zwar insbesondere im Bereich der an Schriftsprache orientierten Fähigkeiten (Hufnagl et al. 2011). Die mittlerweile an allgemeinbildenden Schulen in vielen Bundesländern vorgesehene Unterstützung der zweitsprachlichen Entwicklung von Lernenden nicht-deutscher Herkunftssprache in allen Fächern muss demzufolge auch in der beruflichen Ausbildung fortgeführt werden (vgl. Ohm 2014). 3. Forschungsstand Die sprachlich-kommunikativen Anforderungen im Beruf bzw. in der beruflichen Qualifizierung wurden traditionell mit besonderen sprachstrukturellen Merkmalen von Fachsprache in den Bereichen Lexik, Grammatik und Textsorte begründet. Neuere Forschungen heben hervor, dass der fachliche Kommunikationsprozess in der Regel multimodal ist und aus einem „Zusammenspiel semiotischer Codes in kulturell wie institutionell geprägten Kontexten“ besteht (Jakobs 2011: 106). Dies gilt insbesondere für die lange Zeit vernachlässigte mündliche Fachkommunikation, die sich als ein Ineinandergreifen von verbaler und nonverbaler Kommunikation unter Nutzung alltags- und fachsprachlicher Ressourcen in Verbindung mit der Durchführung von praktischen Tätigkeiten darstellt. Die mündliche Fachkommunikation fußt dabei auf makrostrukturellen Erwartungen, die nicht den schriftsprachlichen Textsorten entsprechen, sondern eigene Muster, die man als kommunikative Genres bezeichnen kann, aufweisen (z. B. telefonische Meldung von Maschinenstörungen, Erklärung von Handlungsabläufen, Problemlösegespräche). Aus ganzheitlicher Perspektive konstituiert sich berufliche Kommunikation aus parallel verlaufenden oder sich abwechselnden und überlappenden, kommunikativen und darstellenden sprachlichen Aktivitäten, die sich auf den Einsatz unterschiedlicher Medien stützen, häufig handlungsbegleitend erfolgen und mit nonverbalen Aktivitäten kombiniert werden (vgl. ebd.: 111). Anforderungen beruflicher Kommunikation ergeben sich demzufolge nicht nur aus den sprachstrukturellen Merkmalen von Fachsprache, sondern auch aus der Notwendigkeit, in den jeweiligen beruflichen Handlungssituationen die unterschiedlichen verbalen und nonverbalen Codes, alltags- und fachsprachlichen Ressourcen und medialen Darstellungsformen für die kooperative Bedeutungskonstitution zu nutzen. Wie jede Sprachentwicklung ist auch die berufliche auf die Erschließung von Räumen sozialen Handelns und von kognitiven Räumen, d. h. von Wissens- und Denkstrukturen, ausgerichtet. Die Erschließung der sozialen Handlungsräume am Arbeitsplatz erfordert einen Sprachausbau, der zur wechselseitigen Steuerung der Aufmerksamkeit bei der Durchführung praktischer Tätigkeiten befähigt. Ausgehend von nonverbalen Kommunikationsmitteln wie lokalisierenden Gesten, aber auch Gesten, die räumliche Beziehungen (z. B. bei der Besprechung eines Bauplans) oder rhythmische Abfolgen eines Ereignisses (z. B. bei der Einweisung in die Bedienung einer Maschine) anzeigen, sowie alltagssprachlichen Ressourcen wie Deiktika (engl. here, there; span. aquí, allí) und einfachen Adverbien (engl. afterwards ; span. después; russ. затем ) müssen neben Fachbegriffen zur präzisen Identifizierung von Gegenständen, Ereignissen und Prozessen z. B. auch komplexe Adverbialien, die eine fachlich präzisierende und differenzierende Darstellung (engl. be- 207 43. Berufsorientiertes und -begleitendes Sprachenlernen und -lehren: Curriculare Dimension hind the protective grille, until the surface is smooth; span. detrás de la reja protectora, hasta que la superficie está lisa; russ. за защитной решёткой, пока поверхность не станет гладкой ; dt. hinter dem Schutzgitter, bis die Oberfläche glatt ist) ermöglichen, erworben werden. Je nach Kommunikationssituation wird von Lernenden daher auch im Medium der Mündlichkeit bereits die Fähigkeit zur Rezeption und Produktion von kommunikativen Genres erwartet, die die Merkmale konzeptioneller Schriftlichkeit aufweisen (z. B. telefonische Meldung einer Maschinenstörung: engl. A red warning light has come on the instrument panel just to right of the pressure indicator; span. En el cuadro de mandos está encendida una luz de aviso roja a la derecha del indicador de presión; dt. Auf der Instrumententafel leuchtet rechts neben der Druckanzeige eine rote Warnleuchte ). Die Erschließung der kognitiven Räume des Berufs, d. h. die Aneignung seiner Wissens- und Denkstrukturen, findet systematisch v. a. im Rahmen von Ausbildungs- und Qualifizierungsphasen statt. Die Erschließung kognitiver Räume zeigt sich auf der Ebene der sprachlichen Entwicklung „als Dezentrierung des sprachlichen Verhaltens über die interaktive Einbindung hinaus“ (Maas 2008: 332) und geht mit der Erweiterung der sprachlichen Kompetenz auf die systematische Nutzung der symbolischen Funktion von Sprache einher. Von Auszubildenden und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird zunehmend verlangt, sich auch im Medium der Fremd- und Zweitsprache über Fachtexte Begriffe, Konzepte, Ideen, Pläne, Ziele etc. anzueignen und in gewissem Umfang bei der Produktion eigener Texte zur Darstellung zu bringen (Prüfprotokolle, Berichte etc.). Hierzu ist ein Sprachausbau in das formelle Register der Fremdbzw. Zweitsprache notwendig. Ein zentrales Merkmal des formellen Registers ist z. B. die Situationsentbindung: Da verallgemeinernd auf berufliche Handlungssituationen Bezug genommen wird, müssen die Rahmenbedingungen von Prozessen und Handlungen sprachlich expliziert werden (Ohm 2014: 15 f.). Dies kann beim konzeptionell schriftlichen Gebrauch des Englischen bspw. zu einer Häufung von Adverbialien führen (z. B. Air dry the gloves [in the steamer pan] [for four to six hours before use], remove them [with forceps] and place [into a disinfected container with a lid]). 4. Praxisrelevanz Ein berufsorientierter Fremdsprachenunterricht lässt sich unter der Maßgabe der Berücksichtigung der Erfahrungswelt der Lernenden in jeder Schulstufe realisieren. Dabei geht es sowohl um den Einbezug von beruflichen Themen, Situationen und Szenarien als auch um die berufsorientierte Entwicklung der Fremdsprachenkompetenz. Bereits in den Englischunterricht der Primarstufe können berufsorientierte Themen einbezogen werden, indem die Schülerinnen und Schüler bspw. im Kreise ihrer Eltern, Verwandten und Freunde Interviews zu den dort vertretenen Berufen und deren typischen Tätigkeiten durchführen, die Ergebnisse aufbereiten und im Unterricht in der Fremdsprache vortragen (vgl. Vogt 2009: 4). Im Zusammenhang mit solchen Aufgaben erwerben sie bereits in der Grundschule nicht nur berufsorientierte Inhalte und den entsprechenden Wortschatz für deren Darstellung, sondern auch spezifische Strukturen der Fremdsprache - im Beispiel etwa das simple present für die Darstellung typischer, sich wiederholender beruflicher Tätigkeiten - , die für berufliche Kontexte funktional sind. Berufsorientierung lässt sich im allgemeinbildenden Fremdsprachenunterricht in vielfältiger Weise durch die Integration von Inhalten, Handlungskontexten und Szenarien, Methoden und Strategien, die Bezüge zu 208 Udo Ohm beruflichen Tätigkeiten und Handlungsfeldern aufweisen und häufig eine Vernetzung mit beruflichen Lernorten implizieren, realisieren. Sei es die Vorbereitung des Berufspraktikums, die Simulation eines Bewerbungsgesprächs, die Simulation eines Geschäftsmeetings in einem Unternehmen, die Erstellung eines Werbeflyers für ein Schülerunternehmen, berufsorientierte Aufgaben-, Rollenspiel- und Projektformate bieten zahlreiche Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit beruflichen Textsorten (formaler Brief, Geschäftsgrafiken und -diagramme, Werbeanzeigen etc.) bzw. kommunikativen Genres (formales Telefonat, Bewerbungsgespräch, Kundenbzw. Dienstleistungsgespräch etc.), die je nach beruflicher Handlungssituation einen Registerwechsel, d. h. einen spezifischen Gebrauch fremdsprachlicher Mittel verlangen, der von dem im kommunikativen Fremdsprachenunterricht nicht selten dominierenden alltagssprachlichen Gebrauch der Fremdsprache abweicht. In beruflichen Schulen kann und sollte der Fremdsprachenunterricht berufsbegleitend angelegt sein. Da die Lernenden unmittelbar Zugang zur beruflichen Praxis haben, drängen sich authentische Gesprächsanlässe und beruflich relevante und handlungsorientierte Aufgabenstellungen förmlich auf: Authentische Materialien können in den Unterricht mitgebracht werden (z. B. Speisekarten und Rechnungsformulare im Bereich des Hotel- und Gaststättengewerbes); Szenarien, Situationen und Handlungsabläufe können mit Bezug auf die Erfahrungen, die die Auszubildenden am Arbeitsplatz machen, thematisiert werden (z. B. einen Produktionsablauf erklären, ein Gerät beschreiben oder dessen Funktionsweise erklären, einen Supermarkt einrichten); die Situation in Ausbildung und Beruf kann selbst zum Gegenstand des Unterrichts gemacht werden (z. B. Ausbildungssituationen und Zukunftsperspektiven beschreiben und erfragen, berufliche Perspektiven und Vor- und Nachteile des Berufs erklären bzw. erfragen). Die berufsorientierte Entwicklung der Zweitsprache Deutsch ist in allgemeinbildenden und beruflichen Schulen mit der berufsorientierten Behandlung von Inhalten in allen Fächern verbunden. Fachunterricht sollte insbesondere mit Blick auf evtl. vorliegenden besonderen Förderbedarf von Schülerinnen und Schülern nicht-deutscher Herkunftssprache - ggf. aber auch von solchen mit Erstsprache Deutsch - sprachsensibel ausgerichtet sein. Das bedeutet, dass Fachlehrer sich nicht nur für die fachliche Entwicklung, sondern auch für die mit dieser untrennbar verbundenen sprachlichen Entwicklung ihrer Lernenden im Sinne des oben umrissenen Sprachausbaus verantwortlich fühlen sollten. 5. Perspektiven Die mehrsprachige Ausdifferenzierung des beruflichen Alltags lässt die Divergenzen zwischen fremd-, zweit- und erstsprachlich ausgerichtetem Sprachenlernen und -lehren immer mehr verschwimmen. Zukünftig wird es darum gehen, die Konvergenzen hervorzuheben: Die technologische Entwicklung wird die multimodale und multimediale Komplexität von Kommunikationsverläufen am Arbeitsplatz weiter erhöhen. Die insgesamt zu beobachtende Zunahme der fachlichen Anforderungen in allen Berufen geht mit einer Zunahme auch der (mehr-)sprachlichen Anforderungen einher. Wegen der vielfältigen und je unterschiedlichen sprachlichen Anforderungen in Ausbildung und Beruf sowie der eher noch zunehmenden sprachlichen Heterogenität der Lernenden könnte die Sprachbedarfsanalyse daher zu einem wichtigen gemeinsamen Arbeitsfeld nicht nur von Fremdsprachenlehrkräften und damit zu einem Kristallisationspunkt für fächerübergreifenden berufsorientierten bzw. -begleitenden Unterricht werden. 209 43. Berufsorientiertes und -begleitendes Sprachenlernen und -lehren: Curriculare Dimension Literatur Funk, H. (2010): Berufsorientierter Deutschunterricht, in: H.-J. Krumm / C. Fandrych / B. Hufeisen / C. Riemer (Hrsg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch, Bd. 2, Berlin, New York: 1145- 1151. Hufnagl, C. L. / Daase, A. / Haider, B. / Szablewski-Çavus¸ , P. / Weiss, W. (2011): Deutsch für den Beruf: Modelle und Perspektiven, in: B. Haider (Hrsg.): Deutsch über alles: Sprachförderung für Erwachsene. Wien, 127-145. Jakobs, E.-M. (2011): Multimodale Fachkommunikation, in: K.-D. Baumann (Hrsg.): Fach - Translat - Kultur. Interdisziplinäre Aspekte der vernetzten Vielfalt. Bd. 1, Berlin, 106- 124. KMK (1998/ 2008): Rahmenvereinbarung über die Zertifizierung von Fremdsprachenkenntnissen in der beruflichen Bildung. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 20. 11. 1998 i. d. F. vom 27. 06. 2008 (online). Kuhn, C. (2007): Fremdsprachen berufsorientiert lernen und lehren. Kommunikative Anforderungen der Arbeitswelt und Konzepte für den Unterricht und die Lehrerausbildung am Beispiel des Deutschen als Fremdsprache. Jena. www.dbthueringen.de/ servlets/ DerivateServlet/ Der ivate-13903/ Kuhn/ Dissertation.pdf Maas, U. (2008): Sprache und Sprachen in der Migrationsgesellschaft. Göttingen. Ohm, U. (2014): Ohne sprachliche Qualifizierung keine berufliche Qualifizierung. Zum konstitutiven Verhältnis zwischen der Aneignung von Fachwissen bzw. beruflicher Handlungskompetenz und Sprachentwicklung. Deutsch als Zweitsprache (1), 7-19. Vogt, K. (2009): English for work and life. Berufsorientierte Fremdsprachenkompetenz erwerben. Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch (98), 2-8. Udo Ohm F Spezifische Formen des Lernens und Lehrens von Sprachen 44. Bilinguale Bildungsangebote, sprachen- und fachintegrierter Unterricht 1. Begrifflichkeit und Problemaufriss Bilinguale Bildungsangebote zielen auf die Ausbildung einer zweibzw. mehrsprachigen (Fach-)Kompetenz (Literalität). Dazu werden zumeist zwei Sprachen systematisch für die Vermittlung von nicht-sprachlichen Inhalten und Kompetenzen genutzt. Die Angebote können zu unterschiedlichen Zeitpunkten und Umfängen im Bildungssystem angelegt sein und reichen vom vorschulischen Elementarbereich über die Primar- und Sekundarstufe bis hin zu Angeboten im berufsbildenden Bereich und auf der Hochschulebene. Unterschiede ergeben sich hinsichtlich der Begründungen und Zielsetzungen, der institutionellen Verankerung und curricularen Grundlagen. Auch unterscheiden sie sich in den involvierten Sprachen und Fächern, im Umfang und in der didaktisch-methodischen Gestaltung der Angebote sowie in den Verfahren der Zertifizierung. Unterschiede bestehen auch in der Ausstattung mit entsprechenden Lehr- und Lernmaterialien sowie in der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Lehr- 211 personen. Entsprechend zahlreich sind die Begriffe, die bei der Bezeichnung der diversen Angebote nicht immer einheitlich genutzt werden. Gestützt auf den Eurydice-Bericht (Eurydice 2006 a; b) kann zumindest für Europa eine große Verbreitung und Diversifizierung bilingualer Angebote festgestellt werden. Die nordamerikanischen bilingualen Angebote, insbesondere die kanadischen Immersionsangebote, sind v. a. für die empirische Wirkungsforschung weiterhin von Interesse (García 2009; Lyster 2007). Bilinguale Angebote mit ihren je spezifischen Bedingungen und Ausgestaltungen werden auch in Südamerika (vgl. Latin American Journal of Content and Language Learning (LAJCL)), Afrika und Asien (vgl. z. B. Lin & Man 2009) erforscht. Über die Entwicklung der bilingualen Angebote in Deutschland, die im Folgenden im Mittelpunkt stehen, gibt der seit 1998 mehrfach aktualisierte Bericht der Kultusministerkonferenz (KMK) (zuletzt 2013) Auskunft. Um der begrifflichen und konzeptuellen Vielfalt bilingualer Bildungsangebote zumindest einen begrifflichen Rahmen zu geben, hat sich insbesondere im europäischen Diskussionskontext der Oberbegriff Content and Language Integrated Learning (CLIL) durchgesetzt (Eurydice 2006a). Dabei wird auf die im Begriff angelegte Lernperspektive sowie den dualen bzw. fusionierenden Fokus auf sprachliches und fachliches Lernen verwiesen. Diese Perspektive wird allerdings durch das französische Äquivalent EMILE (Enseignement d’une matière intégré à une langue étrangère), das stärker auf die Lehre und den Fremdsprachenunterricht abzielt, wieder relativiert (Eurydice 2006b). Außerdem bezieht sich der Begriff für einige Autoren ausdrücklich nicht auf Immersionsangebote (z. B. Dalton-Puffer & Smit 2013). 2. Ziele und Organisationsformen In zweisprachigen Regionen und Staaten bzw. in Kontexten, die durch migrationsbedingte Mehrsprachigkeit geprägt sind, zielen bilinguale Bildungsangebote in der Regel darauf ab, neben der Schulsprache eine weitere Verkehrs-, National-, Regional-, Minderheitenbzw. Herkunftssprache zu vermitteln bzw. aufrechtzuerhalten und bildungssprachlich auszubauen. Die Schülerinnen und Schüler dieser Angebote kommen zumeist mit beiden involvierten Sprachen über den institutionellen Kontext hinaus in einen alltäglichen funktionalen Kontakt. Häufig setzen diese Angebote bereits im Elementarbereich als sog. Immersionsangebote ein und münden in bilinguale Primarschulangebote ein. In Kontexten, die weniger stark durch eine einheitliche lebensweltliche Mehrsprachigkeit geprägt sind, handelt es sich bei den beiden Sprachen zumeist um die reguläre Verkehrs- und Schulsprache einerseits und um eine schulisch vermittelte Fremdsprache andererseits, die bei der Vermittlung in nicht-sprachlichen Fächern herangezogen wird. Mehrheitlich setzen diese Angebote erst im Sekundarbereich ein. Neben der Vertiefung und Erweiterung der (fremd-)sprachlichen Kom- 212 Ingeborg Christ / Lars Schmelter petenzen sollen bilinguale Bildungsangebote auch „die sachfachliche Kompetenz durch zusätzliche Blickrichtungen“ vertiefen (Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW 2012: 5), indem bspw. Themen und Materialien aus Ländern der Zielsprache mit dem Ziel der Kontrastierung und des Perspektivenwechsels sowie des interkulturellen Lernens einbezogen werden. Language Across the Curriculum (LAC) zielt nach Vollmer (2010) auf die innersprachliche Mehrsprachigkeit, da jeder Unterricht immer auch sprachliches Lernen zum Gegenstand hat, um fach- und genrespezifische Aspekte zu erlernen. Dabei geht es v. a. um eine Ausdifferenzierung der Kompetenzen in der Schulsprache. Der bilinguale Unterricht zielt demgegenüber sowohl auf die innerals auch auf die außersprachliche Mehrsprachigkeit, die bezogen auf die Fremdsprache der Fremdsprachenunterricht allein nicht gewährleisten kann, da ihm dazu sowohl die Zeit als auch der fachspezifische Anwendungskontext fehlt, der nötig ist, um fachsprachliche Elemente einüben zu können (z. B. Thürmann 2010). Je nach Land und Kontext sind bilinguale Bildungsangebote unterschiedlich organisiert (Eurydice 2006a; b). In Deutschland bestehen folgende Organisationsformen (im Einzelnen vgl. KMK 2013: 8 f.): • Bilinguale Bildungsgänge (bilinguale Züge) in strukturierter Form, bei denen mehrere Sachfächer bis zum Ende der Sekundarstufe I oder der Qualifikationsphase geführt werden. Der Unterricht in der Fremdsprache ist in der Regel (epochenweise) verstärkt, bspw. vor dem Beginn des Lernens in Sachfächern. Sie haben in Deutschland die längste Tradition. • Durchgängiger Sachfachunterricht in der Fremdsprache in der Mittelund/ oder Oberstufe (Minimum ein Schuljahr oder Fortführung, auch als Abiturfach) mit der Möglichkeit der Reduzierung des Fremdsprachenunterrichts. • Bilinguale Module in Sekundarstufe I und II (fremdsprachliches Modul im deutschsprachigen Sachfachunterricht; sachfachorientiertes Modul im Fremdsprachenunterricht; sachfachorientierte Arbeitsgemeinschaft oder Projekt). Diese Organisationsform wird häufig als Einstiegsmodell in bilinguale Angebote genutzt. Inzwischen gibt es bilinguale Angebote in allen Ländern Deutschlands, in allen Schulformen (KMK 2013: 10 ff.) und für alle modernen Schulfremdsprachen (zumeist Englisch und Französisch, gefolgt von Spanisch, Italienisch, Russisch, zuletzt auch Chinesisch); in Grenzregionen auch für Nachbarsprachen (Niederländisch, Polnisch, Tschechisch) sowie für Migrations- Minderheiten- und Herkunftssprachen (Dänisch, Griechisch, Portugiesisch, Sorbisch, Türkisch) (KMK 2013: 13 ff.). Das Fächerangebot umfasst alle nichtsprachlichen Fächer. Zwar liegt weiterhin ein Schwerpunkt im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich, aber es hat sich insbesondere für Englisch ein weiterer Schwerpunkt in den MINT-Fächern (Mathematik und Naturwissenschaften) herausgebildet. Diese Angebote sind gestützt durch rechtliche und curriculare Vorgaben. Auf den Abschlusszeugnissen der Sekundarstufen I und II werden Teilnahme und Niveau der Kompetenzen zertifiziert. Zunehmend bieten Schulen die Möglichkeit, internationale Zertifikate und Abschlüsse zu erwerben, die die Teilnahme an bilingualem Unterricht voraussetzen, z. B. das deutschfranzösische ABI/ BAC, das „Exzellenzlabel CertiLingua“ sowie das International Baccalaureate. Bilinguale Bildungsangebote in Österreich spiegeln sowohl historisch-geographische als auch soziale Gegebenheiten wider und sind entsprechend zahlreich und verschieden. Zu benennen sind u. a. 213 44. Bilinguale Bildungsangebote, sprachen- und fachintegrierter Unterricht • der zweisprachige Unterricht für Kinder von „Volksgruppen“ , der sich aus dem Österreichischen Staatsvertrag und dem dort verankerten Recht autochthoner Minderheiten auf ihre Sprachen sowie ihrem Anspruch, sie im Elementar- und Mittelschulwesen zu lernen, ergibt (Busch 2008), • die niederösterreichische Sprachenoffensive, die seit 2003 die Kenntnis der Nachbarsprachen (Slowakisch, Tschechisch, Ungarisch) vom Kindergarten bis ins Erwachsenenalter durch Begegnungs- und Sprachprojekte unter Beteiligung muttersprachlicher Lehrkräfte fördert, • die diversen Angebote für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, • das Wiener Angebot bilingualer Schulen für alle Schulstufen, bei dem sich die Klassen je zur Hälfte aus Kindern deutscher und z. B. englischer Muttersprache zusammensetzen und von deutschen und englischen Lehrkräften auf der Grundlage österreichischer Lehrpläne und mit dem Ziel einer gleichwertigen Kompetenz in beiden Sprachen unterrichtet werden (Stadtschulrat Wien), • das seit 1992 eingeführte Angebot „Englisch als Arbeitssprache“ , das auf Förderung der englischen Sprache in allen allgemeinbildenden und insbesondere auch berufsbildenden Fächern zielt und erst in jüngster Zeit auf die international bekanntere Bezeichnung CLIL zurückgreift (Dalton-Puffer et al. 2008). In der ausgeprägt föderalistischen Schweiz, deren Viersprachigkeit in der Verfassung verankert ist, wird Sprachenpolitik auch als innenpolitische Angelegenheit betrachtet. Die bilingualen Angebote sind entsprechend vielfältig und komplex (einen guten Einstieg und Überblick bietet u. a. Hutterli 2012). 3. Didaktisch-methodische Grundlagen und Prinzipien Zentral für die Festlegung der didaktischmethodischen Grundlagen und Prinzipien bilingualer Bildungsangebote ist die Beantwortung der Frage, ob eher ein um Fachinhalte erweiterter Fremdsprachenunterricht oder ein Fachunterricht unter Einbezug einer Fremdsprache angestrebt wird. Die KMK (2013: 7) sieht das Sachfach als „Leitfach“ , fordert jedoch zugleich eine „interdisziplinäre Didaktik“ , die nicht nur dem Primat des Sachfachs, sondern auch den (fremd-)sprachlichen Lehr- und Lernbedingungen und -zielen der bilingualen Angebote gerecht wird. Besondere Aufmerksamkeit haben in diesem Zusammenhang die (fremd-)sprachlichen Voraussetzungen des fachlichen Lehrens und Lernens gefunden. Das Konzept des Gerüstbaus (Scaffolding ) liefert dabei wichtige Anregungen. Die Metapher verweist auf fachliche und sprachliche Unterstützungsmaßnahmen, die zugleich Hilfen beim Formulieren eigener sprachlicher Produkte im Fach bieten. Zwar können sie in den diversen Kontexten und Fächern unterschiedlich ausfallen. Sie sollten jedoch möglichst systemisch und nicht bloß anlassbezogen gestaltet werden (vgl. Thürmann 2010) und im Kern darauf abzielen, die Gesamtkomplexität inhaltsbezogenen Lernens bzw. bilingualen Unterrichts in einem Maß zu halten, das von den Schülerinnen und Schülern noch bewältigt werden kann. An dieser Stelle werden Beziehungen der bilingualen Didaktik zu Konzepten des sprachsensiblen Unterrichts (Leisen 2013) bzw. des Language Across the Curriculum (Vollmer 2010) deutlich. Mit Blick auf das Ziel einer doppelten Fachliteralität stellt sich für bilinguale Angebote die Frage, ob der Unterricht möglichst einsprachig in der Fremdsprache zu gestalten ist oder ob dieses Ziel besser durch ein funk- 214 Ingeborg Christ / Lars Schmelter tional komplementäres Einbeziehen der schulischen Verkehrssprache erreicht wird (vgl. zu einem Typologisierungsvorschlag Diehr 2012). Albrecht und Böing (2010) plädieren für einen bilingualen Unterricht, der auf beide Sprachen zurückgreift, und bringen dazu das Konzept kultureller Skripte aus der Geographiedidaktik in die Diskussion ein. Erschwert werden didaktisch-methodische Entscheidungen an dieser Stelle dadurch, dass die staatlichen Curricula bisweilen mit widersprüchlichen Anforderungen aufwarten, z. B. wenn die Prüfungen vollständig in der Fremdsprache zu halten sind oder wenn Inhalte festgelegt werden, die eine weitgehend deutschsprachige Behandlung zumindest nahelegen (z. B. im bilingualen Geschichtsunterricht die Weimarer Verfassung). 4. Forschungsstand Die empirische und konzeptuelle Forschung zu bilingualen Unterrichtsangeboten hat in den letzten gut 20 Jahren national und international erheblich an Umfang gewonnen (vgl. de Zarobe & Catalán 2009). Angesichts der großen Verbreitung und Diversität bilingualer Bildungsangebote auf nationaler und internationaler Ebene können aus den publizierten Studien nicht in jedem Falle Befunde festgehalten werden, die sich auf den deutschen Schulkontext übertragen lassen. Einen Überblick über den Stand der Forschung in Deutschland bietet das „Handbuch Bilingualer Unterricht“ (Hallet & Königs 2013). Als gesichert kann mittlerweile gelten, dass Schülerinnen und Schüler bilingualer Bildungsgänge über deutlich höhere Fremdsprachenkenntnisse verfügen als Schüler normaler Fremdsprachenlehrgänge (vgl. z. B. Köller et al. 2012). Inwiefern hier außer dem Faktor „time on task“ der bilinguale Unterricht ursächlich ist, lässt sich mit den bislang vorliegenden Untersuchungen nicht klären. Weil die Erfolge durchaus auch auf andere Faktoren zurückzuführen sein könnten, warnen mittlerweile nicht nur Fachdidaktiker vor allzu viel Euphorie und unreflektierter Übertragung der Erfolge bilingualer Zweige auf andere Kontexte (vgl. z. B. Bonnet 2012). Forschungen zu den fachlichen Lernergebnissen in bilingualen Angeboten sind noch nicht eindeutig. Häufig zeigen sie jedoch, dass die Leistungen mit denen in nichtbilingualen Angeboten vergleichbar sind (siehe z. B. Staschen-Dielmann 2012). Von besonderem Interesse für die Forschung, aber auch für die didaktisch-methodische Gestaltung bilingualer Angebote sind Studien, die sich mit der Konzeptentwicklung der Lernenden beschäftigen (z. B. Botz & Frisch 2016). Mit Blick auf die bildungspolitische Diskussion um den Ausbau bilingualer Angebote sind Untersuchungen zur Entwicklung der Schülerpopulationen in diesen Angeboten wichtig (u. a. fremdsprachliche Vorkenntnisse, soziale Zusammensetzung, Abbrecher- Profile). Insofern sind auch die Studien zu Effekten bilingualer Module von Interesse. Untersucht werden neben den Einflüssen auf das Kompetenzniveau in der Fremdsprache und im Fach auch die motivationalen und affektiven Auswirkungen. Die Materialangebote der Verlage sind ebenso wie die lehrerseitig entwickelten Materialien bislang kaum Gegenstand empirischer Untersuchungen. Auch die Interaktionen im bilingualen Unterricht und die in ihr erfolgenden Sprachwechsel sind trotz vorliegender Studien noch nicht abschließend untersucht worden. Des Weiteren fehlen bislang ausreichende Untersuchungen, die mit Blick auf eine Didaktik der Mehrsprachigkeit und der immer wieder betonten positiven Wirkungen bilingualen Unterrichts den Einfluss des bilingualen Lernens auf das Lernen weiterer Sprachen einer empirischen Überprüfung zuführten. Dabei wäre auch zu untersuchen, ob lebensweltlich 215 44. Bilinguale Bildungsangebote, sprachen- und fachintegrierter Unterricht erworbene Sprachen im bilingualen Unterricht eine Rolle spielen und welche sie vielleicht spielen könnten. 5. Perspektiven Die KMK (2013: 21) geht von der Einschätzung aus, dass das bilinguale Lehren und Lernen sich bewährt hat und strebt für die Zukunft verstärkte Anstrengungen in folgenden Bereichen an: • noch stärkere didaktische Reflexion und Systematisierung fachsprachlicher und allgemeinsprachlicher Diskursfähigkeit, sprachenübergreifend im Sinne des Gesamtsprachencurriculums (Language Across the Curriculum ); • eine noch konkretere Kompetenzbeschreibung für sachfachliches Lernen in interdisziplinärer Sicht bei den verschiedenen Angeboten; • Vereinheitlichung der Zertifizierungsverfahren; • Entwicklung der Lehreraus- und -fortbildung; • Nutzung von Netzwerken zu länder- und grenzüberschreitender Kooperation bei der Entwicklung spezifischer Unterrichtsmaterialien; • Förderung der wissenschaftlichen Begleitung in den Bereichen Diskurskompetenz, interkulturelle Kompetenzen und Leistungsbewertung in den Sachfächern. Für die Verständigung in der wissenschaftlichen und bildungspolitischen Diskussion wäre angesichts der national und international beobachtbaren Vielfalt bilingualer Angebote eine klare begrifflich-konzeptuelle Differenzierung wünschenswert. Dies ist insbesondere von Bedeutung, wenn es um die Übertragung offensichtlich erfolgreicher Angebote auf andere Kontexte und Schülergruppen geht. Literatur Albrecht, V. / Böing, M. (2010): Wider die gängige monolinguale Praxis? ! - Mehrperspektivität und kulturelle Skripte als Wegbereiter der Zweisprachigkeit im bilingualen Geographieunterricht, in: S. Doff (Hrsg.): Bilingualer Sachfachunterricht in der Sekundarstufe. Eine Einführung. Tübingen, 58-71. Bonnet, A. (2012): Towards an evidence base for CLIL . How to integrate qualitative and quantitative as well as process, product and participant perspectives in research. International CLIL Research Journal 1/ 4, 66-78. Botz, L. / Frisch, S. 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Terminologische, typologische und programmatische Überlegungen zum Verhältnis der Sprachen im bilingualen Unterricht, in: B. Diehr / L. Schmelter (Hrsg.): Bilingualen Unterricht weiterdenken - Programme, Positionen, Perspektiven. Frankfurt a. M., 17-36. 216 Ingeborg Christ / Lars Schmelter Eurydice (2006a): Content and language integrated learning ( CLIL ) at school in Europe. Brussels. Eurydice (2006b): L’enseignement d’une matière intégré à une langue étrangère ( EMILE ) à l’école en Europe. Bruxelles. García, O. (2009): Bilingual education in the 21st century: A global perspective. Malden, MA . Hallet, W. / Königs, F. G., Hrsg. (2013): Handbuch bilingualer Unterricht / Content and language integrated learning. Seelze. Hutterli, S. (Hrsg.) (2012): Koordination des Sprachenunterrichts in der Schweiz. Aktueller Stand - Entwicklungen - Ausblick. Bern. Köller, O. / Leucht, M. / Pant, H. A. (2012): Effekte bilingualen Unterrichts auf die Englischleistungen in der Sekundarstufe I. 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Bereits 1977 werden die zentralen Elemente des heutigen Diskurses um durchgängige Sprachbildung und Sprachförderung, aber auch um mehrsprachigen Spracherwerb und Spracherhalt benannt. Die Ergebnisse sog. Large-Scale-Assessments wie IGLU, TIMMS und PISA (OECD 2010) zeigen, dass für mehrsprachige Schülerinnen und Schüler (Schüler, die in ihren Familien ihre Herkunftssprachen nutzen und Deutsch als Zweitsprache erwerben) auch heute noch Bildungsbenachteiligungen bestehen, die es abzubauen gilt. Hierbei wird v. a. auf die Förderung in der Unterrichtssprache gesetzt, die leider nur selten mit der Förderung der mitgebrachten Sprache vernetzt und verknüpft wird. 217 45. Sprachförderung in der Unterrichtssprache Das Konzept der durchgängigen Sprachbildung aus dem Modellprogramm FörMig der Bund-Länder-Kommission (BLK) will „sprachliche Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen über Schnittstellen hinweg durchgängig planen und gestalten“ , hierbei allen Schülerinnen und Schülern einen Zugang zu Bildungssprache eröffnen und Sprachbildung im Unterricht aller Fächer umsetzen (Gogolin et al. 2011: 7). Sprachbildung versteht sich hier als integraler Bestandteil von Regelunterricht, während Sprachförderung eher additive Angebote umfasst. Die Grenzen der Begrifflichkeiten sind jedoch fließend und oft wenig konturiert: Sie werden synonym verwendet oder auch in Kombination, wie etwa „Sprachbildung und Sprachförderung“ im Unterricht. Kurtz et al. (2014: 6) führen zusätzlich den Begriff Sprachintensiver Unterricht ein, der integrative und additive Bestandteile beinhaltet. Sprachbildung bezieht sich hier auf alle Lernenden, Sprachförderung auf die spezifische Förderung von mehrsprachigen Schülerinnen und Schülern. Schmölzer-Eibinger et al. (2013: 20) entwickeln Leitlinien für einen sprachaufmerksamen Fachunterricht zur Unterstützung der Lehrkräfte bei der Planung und Umsetzung eines sprachbewussten Unterrichts in allen Fächern. Allen Konzeptionen gemeinsam ist, dass es bei den in Deutschland aufgewachsenen Kindern und Jugendlichen, sog. Bildungsinländern, v. a. um die Vermittlung der Bildungssprache geht. Das Konzept der Bildungssprache hat eine mehr als 100jährige Geschichte mit vielfachem Wandel in der Bedeutung. Bezogen auf mehrsprachige Schülerinnen und Schüler waren die Überlegungen von Cummins zu den Basic Interpersonal Communication Skills (BICS) und der Cognitive Academic Language Proficiency (CALP) (Cummins 1981) prägend. Aufbauend auf der angloamerikanischen Forschung (Halliday 1978/ 1994) wird Bildungssprache aus soziolinguistischer Perspektive als sprachliches Register bezeichnet (Feilke 2012: 6; Gogolin et al. 2011). Dieses Register setzt insbesondere schriftsprachliche Kompetenzen voraus, die funktionalen und formalen Eigenschaften unterliegen (Feilke 2012; Redder & Weinert 2013). Allerdings stehen klare Abgrenzungen zwischen Bildungssprache, Umgangssprache und Fachbzw. Unterrichtssprache bislang noch aus. Operationalisierbare Beschreibungen der Sprachen in den verschiedenen Unterrichtsfächern fehlen und Modelle zur Beschreibung bildungssprachlicher Kompetenzen finden sich nur vereinzelt in den sprachbezogenen Standards des Rahmenlehrplans Deutsch. Sie könnten als Grundlage für die Entwicklung fachspezifischer und fächerübergreifender Kompetenzmodelle fungieren. Dies alles führt nicht selten dazu, dass der konkrete Förderbedarf nicht exakt benannt und somit auch nur unzureichend bearbeitet wird. 2. Problemaufriss Mehrsprachige Schülerinnen und Schüler erweitern ihre zweitsprachlichen Kompetenzen insbesondere auch in schulischen Kontexten. Das Lernen der Zweitsprache unterscheidet sich dabei von dem gesteuerten Fremdsprachenunterricht, da flankierend sowohl die Zweitsprache, als auch alle weiteren fachlichen, konzeptionell schriftsprachlichen Inhalte in der Zweitsprache erworben werden müssen (vgl. Rösch 2012: 157). Der altersadäquate Gebrauch der Fachsprache sowie ein präziser Sprachgebrauch werden in den Fächern als Schlüsselkompetenz vorausgesetzt, aber meist nicht als eigenes Lehrziel dargestellt, das im Unterricht zu fördern ist (Feilke 2012: 4). Lange vor PISA war bekannt, dass es nach jahrzehntelanger Einwanderung nicht gelungen ist, eine adäquate Sprachförderung für 218 Claudia Benholz / Güls¸ ah Mavruk mehrsprachige Schülerinnen und Schüler sicherzustellen. Unzureichende Präventions- und Fördermaßnahmen sowie Mängel in der Schulentwicklung betreffen neben den Bildungsinländern in besonderem Maße neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler, die sog. Seiteneinsteiger, die einen Teil ihrer Schulbildung im Herkunftsland absolviert haben. Auf zuwandernde Flüchtlinge und Arbeitsmigranten ist Deutschland auch in jüngster Zeit wieder „unvorbereitet“ . Erneut werden verschiedene Modelle diskutiert, die Bezeichnungen wie Go In, internationale Förderklassen, DaZ-Zentren, Auffang- oder Vorbereitungsklassen tragen und in den Bundesländern sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. Die Gruppe der neu Zugewanderten benötigt jedoch nicht nur eine breite Förderung in allen sprachlichen Basisqualifikationen (Ehlich 2007), sondern auch eine pädagogische Betreuung in allen Lebensbereichen und bei der Verarbeitung von Flucht und Traumata (Beese et al. 2014: 147). Die bildungspolitische Debatte verlagert sich zunehmend von den Schülerinnen und Schülern hin zu den Akteuren in der Bildungspolitik. Die Lehrerausbildung verändert sich zögerlich, bis heute gibt es in Deutschland nur drei Bundesländer (Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen), die eine verpflichtende Ausbildung im Bereich Deutsch als Zweitsprache für alle Lehramtsstudiengänge und alle Unterrichtsfächer vorsehen. Die Pflichtanteile umfassen jedoch nur kleine Anteile und können so weder die für sprachbildenden (Fach-)Unterricht erforderlichen Kenntnisse noch die darüber hinausgehenden Inhalte für den Unterricht der neu Zugewanderten sicherstellen. 3. Forschungsstand „Faktisch verbietet es sich, von dem Zweitsprachen-Schüler zu sprechen, so unterschiedlich kann die individuelle Ausgangssituation bei Eintritt in die Schule sein, übrigens selbst dann, wenn bedeutsame Einflussfaktoren ähnlich sind“ (Barkowski 2007: 159). Diese Tatsache macht das Forschungsfeld komplex. Basale prinzipielle Forderungen der Zweitspracherwerbsforschung bestehen darin, Lernervarietäten als Annäherungen an die Zielsprache zu begreifen und mit dem Unterricht an die individuellen Vorkenntnisse der Lernenden anzuknüpfen (Barkowski 2007: 158). Allerdings bereitet schon die Feststellung der sprachlichen Vorkenntnisse Probleme, da es an zuverlässigen Diagnoseverfahren für die verschiedenen Altersgruppen und Spracherwerbstypen fehlt. Hier müssen längere Zeiträume in den Blick genommen werden, da nach Cummins (1981: 148) das Sprachlernen für die in der Schule benötigte CALP sechs Jahre und länger benötigt. Für dringend erforderliche umfangreiche Forschungsaktivitäten, insbesondere für Längsschnittuntersuchungen werden leider bislang zu wenig finanzielle Mittel eingesetzt. Sprachliche Kompetenzen in der Zweitsprache Deutsch stehen in direktem Zusammenhang mit Fachleistungen. Geringe Zweitsprachkompetenzen können zu schwachen Leistungen in allen Unterrichtsfächern führen. So wurde empirisch belegt, dass sich Lesedefizite von mehrsprachigen Schülerinnen und Schülern auf fachliche Leistungen in Mathematik und Physik auswirken (Prediger & Özdil 2011). Sprache in Mathematik und in den Naturwissenschaften ist dabei breiter untersucht als in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern. Trotz einschlägiger wissenschaftlicher Erkenntnisse befindet sich das gesamte Forschungsgebiet noch im Aufbau und bedarf weiterer differenzierter Untersuchungen und der Systematisierung, um für die schulische Praxis valide Konzepte bereitstellen zu können. 219 45. Sprachförderung in der Unterrichtssprache Im methodischen Bereich sind die Arbeiten zum Scaffolding wegweisend, die v. a. im australischen Kontext entwickelt (Gibbons 2002) und für den deutschsprachigen (Fach-) Unterricht und als Impulsgeber für Schulentwicklung adaptiert und weiterentwickelt wurden. In jüngster Zeit wird in diesem Kontext der Förderung der literalen Routinen durch eine konsequente Erarbeitung schulisch relevanter Textsorten im Fachunterricht (Beese et al. 2014) besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Schließlich steht auch die Erfassung von Lehrkompetenzen für den Bereich DaZ noch in den Anfängen (vgl. Art. 65). Das Projekt DaZKom befasst sich derzeit mit der theoretischen Modellierung und empirischen Überprüfung von DaZ-Kompetenzen, die angehende Lehrkräfte besitzen sollten, um Schülerinnen und Schüler mit anderen Familiensprachen im regulären Unterricht angemessen fördern zu können (vgl. Koch-Priewe et al. 2013). Ziel ist die Beschreibung empirisch begründeter Standards. 4. Perspektiven Die zentrale Bedeutung der Sprachförderung ist in Deutschland von der KMK festgeschrieben, alle Bundesländer sind zu Maßnahmen im Bereich Sprachbildung und Sprachförderung verpflichtet (KMK 2013: 5-6). Allerdings wird Sprache in den Bildungsstandards der Fächer in der Regel nur implizit berücksichtigt, hier besteht konkreter Reformbedarf. Um die Förderung der Bildungssprache Deutsch in Österreich flächendeckend zu gewährleisten, entwickelte das Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK 2013) gemeinsam mit dem Staatssekretariat für Integration und zahlreichen Expertinnen und Experten ein Mehrstufen- Programm zur Sprachförderung, das sukzessiv in die Bildungslandschaft integriert werden soll (BMUKK u. a. 2008: 53). Ein intensiverer Austausch zwischen Deutschland und Österreich könnte hier sicher neue Impulse setzen, wobei eine stärkere Förderung auch der mitgebrachten Sprachen und damit der Mehrsprachigkeit in beiden Ländern fokussiert werden sollte. Dies gilt auch für den Fachunterricht, in den die in den Familiensprachen codierten kulturellen und fachlichen Wissensbestände gewinnbringend einbezogen werden können. Die Veränderungen in der Lehrerausbildung müssen ausgebaut, im Referendariat vertieft und in der Fort- und Weiterbildung berufstätiger Lehrkräfte verpflichtend verankert werden. Eine bessere Lehrerbildung in allen drei Phasen (Studium, Referendariat, Weiterbildung) ist grundlegende Voraussetzung für eine adäquate Förderung in der Unterrichtssprache und ein Baustein auf dem Weg zu vergleichbaren Schulerfolgen von mehrsprachigen und monolingualen Schülerinnen und Schülern. Leider fehlt es hier oft noch an Vernetzung. Das „Modellprojekt ProDaZ - Deutsch als Zweitsprache in allen Fächern“ an der Universität Duisburg-Essen geht hier neue Wege. Ein umfangreiches Webportal (www.uni-due.de/ prodaz) stellt Informationen zu Mehrsprachigkeit, Sprachentwicklung, Sprachstandsdiagnose, Sprachbildung und -förderung sowie Konzepte zur Lehrer(aus)bildung bereit. Literatur Barkowski, H. (2007): Zweitsprachenunterricht, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 5. Aufl. Tübingen, 157-163. Beese, M. / Benholz, C. / Chlosta, C. / Gürsoy, E. / Hinrichs, B. / Niederhaus, C. / Oleschko, S. (2014): Sprachbildung in allen Fächern. München. 220 Claudia Benholz / Güls¸ ah Mavruk BMUKK (2013): Verbindliche Richtlinien zur umfassenden Sprachförderung bei sprachlichem Förderbedarf - Entwicklung von Modellprojekten in allen Bundesländern im Schuljahr 2013/ 14. Unveröff. Erlass des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur vom 17. 06. 2013. 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Er entspricht dem Interesse der Eltern, ihre Sprachen auch außerhalb ihrer ursprünglichen Sprachgemeinschaften an die Kinder weiterzugeben, und zwar auch in ihrer Standardvarietät - als Schrift-, Bildungs- und Kultursprachen. Organisiert wird dieser Unterricht von sehr unterschiedlichen Trägern, namentlich Vertretungen der Herkunftsstaaten, religiösen Gemeinschaften, Migrantenorganisationen. Seit den 1970er Jahren haben sich in Europa auch die Bildungsbehörden der Einwanderungsstaaten aktiv in die Gestaltung des Herkunftssprachenunterrichts eingeschaltet und dafür Rückendeckung durch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften erhalten. Die von den Einwanderungsstaaten eingeschlagenen Strategien führten allenthalben zu gemischten Systemen, in denen allerdings nationale Präferenzen deutlich zu erkennen sind: in den skandinavischen Ländern die Übernahme institutioneller und curricularer Verantwortung durch den Einwanderungsstaat, in England lokale Kooperationen mit den Communities der Migranten, in Frankreich vertragliche Vereinbarungen mit den Vertretungen der Herkunftsstaaten. Von den deutschsprachigen Bildungssystemen folgt Österreich dem skandinavischen Modell und hat den „Muttersprachlichen Unterricht“ fest in das Regelschulwesen eingebaut. Die Schweiz geht davon aus, dass es „die organisierten Sprachgemeinschaften“ sind, die die „Kurse in heimatlicher Sprache und Kultur“ anbieten; die kantonalen Bildungsverwaltungen sind aber gehalten, die Durchführung dieser Kurse zu unterstützen. In den Ländern der Bundesrepublik Deutschland ist der „muttersprachliche Ergänzungsunterricht“ , der teils als ein von den Vertretungen der Herkunftsstaaten verantworteter Konsulatsunterricht, teils als Zusatzunterricht unter deutscher Verantwortung erteilt wird, die Normalform. Daneben existieren Kurse „anstelle einer Fremdsprache“ , bilinguale Klassen und bilinguale Schulen sowie Angebote außerhalb der staatlichen Regelungen und ohne begriffliche Fixierung. 2. Problemaufriss Das zentrale Problem des Herkunftssprachenunterrichts ist seine Anerkennung als legitimer und konstitutiver Bestandteil des öffentlichen Bildungswesens. Befürworter der Anerkennung verweisen auf die Bedeutung der Erstsprache für die Identitätsentwicklung und das weitere Sprachenlernen (Cummins 2013) sowie auf allgemeine sprachenrechtliche Prinzipien (Gogolin & Oeter 2011). Gegner der Anerkennung argumentieren v. a. mit bildungsökonomischen Argumenten, dass nämlich die für den Herkunftssprachenunterricht aufgewendete Lernzeit dem Erwerb der Bildungssprache des Einwanderungslandes abgehe (Hopf 2005) und dass auch eine gut entwickelte Zweisprachigkeit nichts zum Bildungserfolg der Migrantenkinder im Einwanderungsland beitrage (Esser 2006: 285- 398). Darüber hinaus wird die Legitimität des Herkunftssprachenunterrichts auch theore- 222 Hans H. Reich tisch angezweifelt. Kollektive Sprachenrechte für Migranten seien nicht zu begründen, da die Migration eine freiwillige individuelle Entscheidung darstelle und mithin die Pflege oder Vernachlässigung der Herkunftssprache ebenfalls als eine individuelle Angelegenheit betrachtet werden müsse (Brumlik 2000; Esser 2011). Eine systematische Didaktik des Herkunftssprachenunterrichts ist bisher nicht erarbeitet worden. Den amtlichen Erlassen und Lehrplänen können nur die offiziell gewünschten Orientierungen entnommen werden, deren Entwicklung in groben Zügen bekannt ist: In den 1970er Jahren stand die Rückbindung an Sprache und Kultur der Herkunftsgesellschaften im Vordergrund, der Unterricht orientierte sich demgemäß am „heimatlichen“ Curriculum der jeweiligen Nationalsprache und die Lehrkräfte arbeiteten mit Materialien, die für dieses Curriculum produziert worden waren. Nach dem Wechsel der Bildungspolitik hin zum Vorrang der gesellschaftlichen Integration der Migrantenkinder in den 1980er Jahren verschob sich die didaktische Aufmerksamkeit auf die sprachlich-kulturelle Situation der Migrantenfamilien im Einwanderungsland, die interkulturelle Pädagogik sollte als allgemeiner Rahmen dienen. Es erschienen migrantenspezifische Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien, und auch Familiensprachen ohne offiziellen Status in einem der Herkunftsstaaten wurden in das Unterrichtsangebot einbezogen. Die nächste, in die Gegenwart hineinreichende Phase ist gekennzeichnet durch das Bestreben, den Herkunftssprachenunterricht nach Möglichkeit in bestehende Lehrplansysteme einzufügen. Drei Beispiele: Die neueren österreichischen Texte (Bundesministerium 2014: 32-36) geben Mehrsprachigkeit als bildungspolitischen Rahmen vor, betonen die Analogie des Herkunftssprachenunterrichts zum muttersprachlichen Deutschunterricht und formulieren entsprechend hohe Erwartungen. In deutlichem Unterschied dazu versteht sich der nordrhein-westfälische Kernlehrplan Türkisch (Ministerium 2013) als Lehrplan für eine „weitere moderne Fremdsprache“ und übernimmt dementsprechend die niedrigeren Ziele des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens sowie dessen fremdsprachendidaktische Begrifflichkeit. Der Rahmenlehrplan des Kantons Zürich für Heimatliche Sprache und Kultur (Bildungsdirektion 2013) orientiert sich an den Volksschul-Lehrplänen zu Sprache und zu „Mensch und Umwelt“ , die er um herkunfts- und migrationsbezogene Aspekte ergänzt; bei der Bezugnahme auf den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen werden im Zürcher Lehrplan die hohen Niveaus als Maßstab für den Herkunftssprachenunterricht genommen. Eine nahtlose Einpassung in das Bestehende gelingt bei keinem der drei Beispiele. Die ausdrückliche Unterstellung des Herkunftssprachenunterrichts unter die allgemeinen Bildungsziele der Schule kann jedoch als Annäherung an eine Problemlösung gesehen werden. 3. Forschungsstand Die Forschung konzentriert sich auf die Frage, ob der Herkunftssprachenunterricht eine Erschwerung oder eine Unterstützung für den Erwerb der Bildungssprache des Einwanderungslandes bedeute. Gerne wird dabei auf US-amerikanische Untersuchungen zur dortigen „bilingual education “ zurückgegriffen, in der Regel ohne zu überprüfen, inwieweit diese als Vergleichsgröße wirklich geeignet ist. Zusammengefasst ergeben sich aus den amerikanischen Untersuchungen „keine Anzeichen dafür, dass sich zweisprachige Schulprogramme negativ auf die schulischen Leistungen in der Zweitsprache (L2) 223 46. Herkunftssprachenunterricht auswirken“ . Im Einzelnen variieren die Ergebnisse „je nach Unterrichtsmodell und weiteren Kontextmerkmalen ( … ) zwischen neutral und teilweise signifikant positiv“ (Söhn 2005: 64). Die in diesem Zusammenhang häufig zitierte Re-Analyse einer umfangreichen amerikanischen Untersuchung zum Zusammenhang von Zweisprachigkeit und Schulerfolg durch Esser (2006: 371-379), der zu einer ganz skeptischen Einschätzung der Herkunftssprache kommt, ist nur bedingt heranzuziehen, da sie sich nicht auf herkunftssprachlichen Unterricht bezieht, sondern auf Korrelationen des selbsteingeschätzten Grades von Zweisprachigkeit mit den Ergebnissen englischsprachiger Schultests. Wo Esser auf die Auswirkungen des Unterrichts zu sprechen kommt (a. a. O.: 387-398), bleibt er zwar skeptisch, konzediert aber, dass auch die amerikanische Forschung kein verlässliches Urteil hierzu erlaubt. Gleichartige Untersuchungen in deutschsprachigen Bildungssystemen sind selten und beziehen sich auf sehr viel kleinere Stichproben (Haenni Hoti 2006; Caprez-Krompàk 2010: 182-184; Moser et al. 2010). Sie kommen jedoch trotz fraglicher Vergleichbarkeit zu ähnlichen Ergebnissen: keine negativen Auswirkungen auf den Zweitspracherwerb, aber auch keine durchschlagenden förderlichen Effekte. An differenzierenden Untersuchungen fehlt es weitgehend, doch haben sich mittelfristig positive Auswirkungen einer integrierten und koordinierten Unterrichtsorganisation nachweisen lassen (Reich 2016). Zahlreiche weitere Einflussfaktoren sind ununtersucht geblieben. 4. Praxis Die insgesamt sehr unterschiedliche Praxis des Herkunftssprachenunterrichts kann nur unter erheblichen Vorbehalten beschrieben werden, da in jeder Hinsicht mit Abweichungen und Ausnahmen zu rechnen ist. Herkunftssprachenunterricht ist nicht ohne weiteres in die organisatorischen Schemata der schulischen Sprachbildung einzufügen. Häufig resultieren daraus prekäre Beschäftigungsverhältnisse und irreguläre Arbeitsbedingungen. Die angebotenen Sprachen variieren nach den lokalen und regionalen Verhältnissen. In Österreich, wo eine sehr sorgfältige Statistik geführt wird, sind es insgesamt 25 verschiedene Sprachen, die an staatlichen Schulen unterrichtet werden, am häufigsten Türkisch und Bosnisch/ Kroatisch/ Serbisch. In der Schweiz, wo informative Übersichten existieren, sind es 36 verschiedene Sprachen, die von akkreditierten Trägern angeboten werden; stark vertreten sind Albanisch, Kroatisch, Serbisch, Türkisch, Tamilisch, Italienisch, Spanisch und Portugiesisch. Für die Bundesrepublik Deutschland gibt es keine zusammenfassenden Statistiken. Im Bundesland Nordrhein-Westfalen werden 16 verschiedene Sprachen in Formen des vom Land verantworteten Herkunftssprachlichen Unterrichts angeboten, am häufigsten Türkisch. In der Regel wird der Unterricht durch Muttersprachler erteilt, die über eine Lehrerqualifikation des Herkunftslandes verfügen. Fortbildungen, die den Unterricht im Einwanderungsland thematisieren, werden von Institutionen der Herkunftsländer wie von Institutionen der Einwanderungsländer angeboten, allerdings mit überwiegend allgemeindidaktischen Inhalten (vgl. Schader 2015: 157-163). In der Bundesrepublik Deutschland bieten zwei Universitäten eine Lehramtsausbildung für das Fach Türkisch an. Spezifische Unterrichtsmaterialien existieren in Druckform nur für wenige Sprachen, etwa für das Türkische und das Albanische; es gibt jedoch eine Reihe von Internetforen, bei denen Unterrichtsvorschläge 224 Hans H. Reich auch für andere Sprachen abgerufen werden können. Die fachliche Selbstorganisation ist insgesamt nicht sehr stark; auf die „Interessengemeinschaft Erstsprachen“ in der Schweiz sei deshalb eigens hingewiesen. 5. Perspektiven Es ist davon auszugehen, dass die Faktoren des Spracherhalts eine gesellschaftliche Konstante darstellen, die die weitere Existenz von Angeboten des Herkunftssprachenunterrichts verbürgt. Es ist andererseits von einer weiterhin widerspruchsvollen Interessenlage der Bildungssysteme in den Einwanderungsstaaten auszugehen, so dass die Suche nach Kompromisslösungen, bei denen die Spracherhaltsinteressen der Migranten mit den „universellen“ Bildungsansprüchen des Einwanderungslandes zusammengebracht werden, die wahrscheinlichste Perspektive darstellt. Solche Kompromisse könnten z. B. durch eine allgemeine Diversifikation des Sprachenangebots, durch den Einsatz von Herkunftssprachen als Unterrichtsmedium, durch lokale Regelungen, die eine weitergehende organisatorische Integration vorsehen, durch das Angebot von Lehrerqualifikationen für den Herkunftssprachenunterricht nach den Normen des Einwanderungslandes herbeigeführt werden. Ansätze dazu sind vorhanden, sie könnten kurz- und mittelfristig ausgebaut werden. Eine längerfristige Perspektive eröffnet die europäische Dreisprachigkeitspolitik. Das Modell der „persönlichen Adoptivsprache“ sieht vor, dass von jedem Bürger Europas neben einer Weltsprache und der jeweiligen Nationalsprache eine weitere Sprache nach individueller Wahl erlernt werden sollte (Europäische Kommission 2008). Wenn es gelänge, diese Politik an den Schulen zu implementieren, dann stünde eine Lösung zur Verfügung, die eine gleichberechtigte Integration auch des Herkunftssprachenunterrichts in die europäische Sprachenbildung der Zukunft gewährleisten könnte. Literatur Bildungsdirektion des Kantons Zürich (Hrsg.) (2013): Rahmenlehrplan für Heimatliche Sprache und Kultur ( HSK ). Erlassen vom Bildungsrat am 28. Februar 2011. Mit Erläuterungen zu den Rahmenbedingungen des Unterrichts, 3. Aufl., Zürich. Brumlik, M. (2000): „Den muttersprachlichen Unterricht ersatzlos streichen“ . Erziehung und Wissenschaft, Heft 2/ 2000, 21-23. Bundesministerium für Bildung und Frauen (2014): Fachlehrpläne für den Muttersprachlichen Unterricht. Informationsblätter des Referats für Migration und Schule Nr. 6/ 2014-15, 9. aktualisierte Auflage, 28-36. Caprez-Krompàk, E. (2010): Entwicklung der Erst- und Zweitsprache im interkulturellen Kontext. Eine empirische Untersuchung über den Einfluss des Unterrichts in heimatlicher Sprache und Kultur ( HSK ) auf die Sprachentwicklung. Münster. Cummins, J. (2013): Immigrant students’ academic achievement: Understanding the intersections between research, theory and policy, in: I. Gogolin / I. Lange / U. Michel / H. H. Reich (Hrsg.): Herausforderung Bildungssprache - und wie man sie meistert. Münster, 19-41. Esser, H. (2006): Sprache und Integration. Die sozialen Bedingungen und Folgen des Spracherwerbs von Migranten. Frankfurt a. M., New York. Esser, H. (2011): Migranten als Minderheiten? Eine Reaktion auf den Beitrag „Sprachenrechte und Sprachminderheiten. Übertragbarkeit des internationalen Sprachenregimes auf Migrant(inn)en“ von Ingrid Gogolin und Stefan Oeter. Recht der Jugend und des Bildungswesens 1/ 2011, 45-54. 225 46. Herkunftssprachenunterricht Europäische Kommission (2008): Eine lohnende Herausforderung. Wie die Mehrsprachigkeit zur Konsolidierung Europas beitragen kann. Vorschläge der von der Europäischen Kommission eingesetzten Intellektuellengruppe für den interkulturellen Dialog. Brüssel. Gogolin, I. / Oeter, S. (2011): Sprachenrechte und Sprachminderheiten - Übertragbarkeit des internationalen Sprachenregimes auf Migrant(inn)en. Recht der Jugend und des Bildungswesens 1/ 2011, 30-45. Haenni Hoti, A. (2006): Determinanten des Schulerfolgs von albanischsprachigen Schülerinnen und Schülern in der Deutschschweiz, in: B. Schader (Hrsg.): Albanischsprachige Kinder und Jugendliche in der Schweiz. Hintergründe. Sprach- und schulbezogene Untersuchungen. 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(2005): Zweisprachiger Schulunterricht für Migrantenkinder. Ergebnisse der Evaluationsforschung zu seinen Auswirkungen auf Zweitspracherwerb und Schulerfolg, Berlin. Hans H. Reich 47. Konzepte und Programme der Alphabetisierung 1. Begrifflichkeiten in und Organisation der Alphabetisierungsarbeit Die Vermittlung schriftsprachlicher Kompetenzen wird im deutschen Sprachraum in unterschiedlichen Bildungssystemen verwirklicht. Insbesondere im Primarbereich kommt der Vermittlung dieser Kulturtechniken eine tragende Rolle zu, da sie Schlüsselkompetenzen für das weitere schulische Lernen darstellen. Das Lesen- und Schreibenlernen blickt in diesem Bereich daher auf eine sehr lange Tradition und auf eine sehr breite wissenschaftlich fundierte Basis zurück. Verstärkt wird in den letzten Jahren auch die Aufmerksamkeit auf die Vermittlung schriftsprachlicher Kompetenzen in der Sekundarstufe I und II (auch in berufsbildenden Schulen) durch die Zuwanderung von Flüchtlingen gelenkt. Parallel zum Primarbereich und Sekundarstufe spielt auch im außerschulischen Bereich die Alphabetisierung von Jugendlichen und Erwachsenen eine zunehmend wichtige Rolle. Sowohl die Alphabetisierungsarbeit mit Menschen deutscher Muttersprache, die im deutschsprachigen Raum das Schulsystem gänzlich durchlaufen haben (zum Teil funktionale Analphabeten), als auch mit zugewanderten Menschen mit unzureichender oder fehlender Schulerfahrung (zum Teil primäre Analphabeten) stellen eine immer stärker im Fokus stehende Zielgruppe dar. Für die zugewanderten Menschen mit Alphabetisierungsbedarf werden 226 Alexis Feldmeier zurzeit etwa in Deutschland vorrangig Angebote im Rahmen des Integrationskurssystems bereitgestellt. Die Vermittlung schriftsprachlicher Kompetenzen wird mit unterschiedlichen Begriffen belegt, mit denen auf verschiedene unterrichtsrelevante Aspekte Bezug genommen wird. Im Primarbereich sind bspw. in Deutschland das „Lesen, der Umgang mit Texten und Medien, Schreiben und Verfassen von Texten“ im Fach Deutsch in einem schulischen Gesamtrahmen als didaktische Ziele verankert (vgl. KMK 2004). Gelesen und geschrieben wird jedoch nicht ausschließlich im Fach Deutsch, so dass die Vermittlung schriftsprachlicher Kompetenzen im Fach Deutsch auch von ihrer zunehmenden Bedeutung und Berücksichtigung für das Lernen in allen Schulfächern profitiert. Die Erstalphabetisierung von mehrsprachigen Kindern mit Migrationshintergrund erfolgt in der Regel in der deutschen Sprache. Im Sekundarbereich I und II wird die Alphabetisierung hingegen als abgeschlossen vorausgesetzt, ohne die das schulische Lernen nicht möglich ist. Nach wie vor sind Veröffentlichungen, curriculare Beschreibungen und professionelle Strukturen rar, um mit neu zugewanderten Jugendlichen mit Alphabetisierungsbedarf angemessen umgehen zu können (vgl. z. B. Schulte- Bunert 2000). In Abhängigkeit vom Alphabetisierungsgrad der zu beschulenden Kinder und Jugendlichen werden zurzeit verschiedene organisatorische und didaktische Ansätze erprobt, die von der Schaffung spezialisierter Schulen oder der Einrichtung spezieller Klassen bis zum inklusiven Unterricht in Regelklassen gehen. Im Bereich der Alphabetisierung von Erwachsenen mit Deutsch als Muttersprache (darunter auch Menschen mit Migrationshintergrund) ist in den letzten Jahren eine klare Entwicklung zu verzeichnen: Zwischen 2007 und 2012 wurden im Rahmen des Förderschwerpunktes „Forschung und Entwicklung zur Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“ zahlreiche Forschungsprojekte finanziert (vgl. BVAG 2008; Alphabund 1), von denen die Ergebnisse der „leo.-Level one“-Studie eine aufschreckende Wirkung hatten (Grotlüschen & Riekmann 2011). Nach dieser Studie, die erstmals belastbare Daten zum Analphabetismus in Deutschland liefert, beträgt der Anteil der deutschen Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter, die trotz Schulbesuchs als funktionale Analphabeten gilt, 14,5 % (insgesamt 7,5 Millionen) der Gesamtpopulation, von denen 41,8 % angeben, eine andere Erstsprache als Deutsch zu haben, was absolut betrachtet 3,1 Millionen Menschen entspricht (ebd.: 8; zu Einschränkungen in der Stichprobe vgl. Buddenberg & Riekmann 2012: 213-214). Ähnliche Ergebnisse erzielt die PIAAC-Studie für Deutschland (Programme for the International Assessment of Adult Competencies, vgl. Rammstedt 2013). Im Falle Österreichs liefert die PIAAC-Studie erstmalig belastbare Daten, aus denen eine ähnlich hohe Anzahl von Menschen mit unzureichenden schriftsprachlichen Kompetenzen hervorgeht (Statistik Austria 2013: 48 und 152). Die Ergebnisse dieser Studien haben dazu beigetragen, dass Analphabetismus und Alphabetisierung endgültig auf die politische Agenda gesetzt wurden. Diesbezüglich ist z. B. auf die „Nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener in Deutschland“ hinzuweisen, die im Jahr 2011 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Kultusministerkonferenz (KMK) formuliert wurde (vgl. Alphabund 2). Nicht zuletzt durch die Ergebnisse des ersten Förderschwerpunkts ist auch der vom BMBF im Zeitraum 2012 bis 2015 finanzierte Förderschwerpunkt „Arbeitsplatzorientierte Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“ (60 Forschungsprojekte) zu begründen (vgl. Projektübersicht Alphabund). Mit Blick auf die Alphabetisierung von Erwachsenen mit 227 47. Konzepte und Programme der Alphabetisierung Migrationshintergrund und Deutsch als Muttersprache ist in diesem Zusammenhang als herausstechende Veröffentlichung das „Rahmencurriculum für eine abschlussorientierte Grundbildung“ zu nennen (Deutscher Volkshochschulverband / DVV 2014a; 2014b). Die Alphabetisierung Erwachsener nicht deutscher Muttersprache stützt sich im deutschsprachigen Raum auf langjährige Praxisarbeit. Bereits im Rahmen der in Deutschland vom Sprachverband finanzierten Kurse hatte die Alphabetisierung einen festen Platz (vgl. Barkowski 2003). Mit der Übergabe der Aufgaben vom Sprachverband an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ab dem Jahr 2005 erfuhr das Kurssystem eine starke äußere Differenzierung und Verbesserung in der Finanzierung, aus der auch die Alphabetisierungsarbeit Vorteile ziehen konnte. Die Finanzierung der Alphabetisierungsarbeit in Österreich ist hingegen als völlig unzureichend zu bezeichnen (Ritter 2005). Die Veröffentlichung eines für Alphabetisierungskurse bundesweit gültigen Konzepts (BAMF 2009), eines für Alphabetisierungskurse gültigen Einstufungsverfahrens sowie die Finanzierung von (zuletzt verpflichtenden) Qualifizierungsmaßnahmen für Lehrkräfte in Alphabetisierungskursen (vgl. Integrationskursvereinbarung = IntV, § 15, (3)) sind wichtige Meilensteine in der Professionalisierung der Alphabetisierungsarbeit, wenngleich in Deutschland das gesamte Integrationskurssystem insbesondere hinsichtlich der Arbeitsverhältnisse von Lehrkräften und des für die Beschäftigung von Lehrkräften notwendigen Qualifizierungsgrades Defizite aufweist. Innerhalb der Alphabetisierungsarbeit von Migrantinnen und Migranten spielt die Alphabetisierung in der Fremdsprache Deutsch eine bis heute geringe Rolle. Diese wird im Falle Deutschlands und Österreichs durch die Bedingung, im Rahmen des Ehegattennachzugs Sprachkompetenzen bis zum Niveau A1 im Heimatland (d. h. vor der Einreise) nachweisen zu müssen, bewirkt (vgl. hierzu Feick et al. 2010; Feick et al. 2013). 2. Didaktische Grundsäulen in Konzepten für die Alphabetisierungsarbeit Im Folgenden wird beispielhaft Bezug auf die Alphabetisierungsarbeit in der Zweitsprache Deutsch mit erwachsenen Migrantinnen und Migranten genommen. Hierzu liegen für den deutschsprachigen Raum verschiedene Konzepte vor, von denen in Deutschland das vom BAMF veröffentlichte Konzept das größte Gewicht aufweist (BAMF 2009; vgl. zu anderen Konzepten Feldmeier 2010b). Für Österreich ist insbesondere das Wiener Rahmencurriculum hervorzuheben (Fritz et al. 2006). Den meisten Curricula und Konzepten für die Erwachsenenalphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch ist u. a. gemein, dass die Vermittlung mündlicher Deutschkompetenzen ein fester Bestandteil ist. So zeichnet sich das BAMF-Konzept durch einen integrativen Ansatz aus, welcher im Gegensatz zu additiven Konzepten, bei welchen die Vermittlung schriftsprachlicher Kompetenzen der Vermittlung mündlicher Kompetenzen vorgeschaltet wird, Deutsch als Zweitsprache und Alphabetisierung gleichzeitig miteinander verbindet. In diesem Sinne beschreibt der Begriff „Deutsch als Zweitsprache mit Alphabetisierung“ den integrativen Ansatz besser als der häufiger verwendete Begriff „Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch“ . Eine weitere Grundsäule der Alphabetisierungsarbeit ist in vielen Konzepten ein ganzheitlicher Ansatz, der schon dadurch gegeben ist, dass neben der Vermittlung schriftsprachlicher auch mündliche Kompetenzen vermittelt werden. Der ganzheitliche Ansatz geht jedoch darüber hinaus, indem er auch wichtige Aspekte des Lernens einbezieht. Grundlegender Gedanke ist insbeson- 228 Alexis Feldmeier dere mit Blick auf die Gruppe der primären Analphabeten, dass die fehlende Schulerfahrung nicht nur Schriftunkundigkeit zur Folge hat, sondern eine fehlende schulisch bezogene Lernerfahrung. Die Förderung von Lernerautonomie stellt deshalb ein wichtiges Ziel der Alphabetisierungsarbeit dar, welches im BAMF-Konzept sogar als gleichrangig mit der Förderung mündlicher und schriftlicher Kompetenzen in Deutsch als Zweitsprache definiert wird (vgl. im Falle Österreichs auch Ritter 2002). Weitere Ziele beziehen sich u. a. auf die Förderung von interkultureller oder von Medienkompetenz. Insgesamt betrachtet wird mit der Alphabetisierungsarbeit mit zugewanderten Erwachsenen nicht nur die Befähigung zum Lesen und Schreiben beabsichtigt; vielmehr wird versucht, wichtige Schritte zur Befähigung zur Teilhabe an der Gesellschaft einzuleiten. 3. Forschungsstand Die Alphabetisierungsarbeit im Primarbereich basiert auf einer sehr breiten Forschungstätigkeit, während für den Sekundarbereich ein Forschungsdesiderat zu konstatieren ist. Für die hier beispielhaft in den Blick genommene Alphabetisierungsarbeit mit Erwachsenen ist erst in den letzten Jahren eine Zunahme der Forschungstätigkeit zu verzeichnen. Von Relevanz für die Alphabetisierungsarbeit ist u. a. die Evaluation des Integrationskurssystems (Ramboll 2006; vgl. auch BAMF 2010; 2012). Im Rahmen der vom BMBF finanzierten Förderungsschwerpunkte sind weitere Forschungsprojekte zu nennen, die einen direkten Bezug zur Alphabetisierungsarbeit mit Migrantinnen und Migranten aufweisen (vgl. Albert et al. 2015; Kuhnen et al. 2014); hinzu kommen Projekte, die im Rahmen weiterer Programme gefördert wurden (vgl. z. B. Markov et al. 2015; zu internationalen Projekten vgl. die Tagungsbände Low Educated Second Language and Literacy Acquisition (LESLLA)). 4. Praxisrelevanz und Perspektiven Von den ermittelten 3,1 Mio. funktionalen Analphabeten nimmt zurzeit nur ein Bruchteil Alphabetisierungsangebote wahr. Hier besteht deshalb ein riesiger Bedarf, der in den nächsten Jahren kaum gestillt werden kann. Ebenso dringend offenbaren sich derzeit die Probleme bei der Beschulung von neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern mit Alphabetisierungsbedarf, die im Rahmen inklusiver Ansätze auch in Regelschulen unterrichtet werden. Insbesondere im Sekundarbereich und in berufsbildenden Schulen prallen inklusive Ansätze auf Schulebene, individuelle Bedarfe der Schülerinnen und Schüler und fehlende Qualifizierung aufseiten der Lehrkräfte aufeinander. Auch hier ist in den nächsten Jahren eher mit einer Zuspitzung der Probleme zu rechnen. Literatur Albert, R. / Heyn, A. / Rokitzki, C. / Teepker, F. (2015): Alphabetisierung in der Fremdsprache Deutsch - Lehrmethoden auf dem Prüfstand. Marburg. Alphabund 1: www.alphabund.de/ 1861.php Alphabund 2: www.alphabund.de/ 1619.php BAMF (2009): Konzept für einen bundesweiten Alphabetisierungskurs. Nürnberg (online). BAMF (2010): Das Integrationspanel. Ergebnisse einer Befragung von Teilnehmenden zu Beginn ihres Alphabetisierungskurses. Working Paper 29 (online). BAMF (2012): Das Integrationspanel. Entwicklung der Deutschkenntnisse und Fortschritte der Integration bei Teilnehmenden an Alphabetisierungskursen. Working Paper 42 (online). 229 47. Konzepte und Programme der Alphabetisierung Barkowski, H. (2003): 30 Jahre Deutsch als Zweitsprache - Rückblick und Ausblick. Info DaF 6, 521-540. BMBF - Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.): Arbeitsplatzorientierte Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener. Projektübersicht zum Förderschwerpunkt. www. alphabund.de/ _media/ projektuebersicht _al phabund.pdf Buddenberg, K. / Riekmann, W. (2012): Literalität und Erstsprache, in: A. Grotlüschen / W. Riekmann (Hrsg.): Funktionaler Analphabetismus in Deutschland. Ergebnisse der ersten leo.- Level-One Studie. Münster u. a., 210-225. BVAG (2008): Alphabund. Forschung zur Alphabetisierung & Grundbildung. Projekte. Alfa-Forum, Heft 68. DVV - Deutscher Volkshochschul Verband (2014a): Rahmencurriculum für eine abschlussorientierte Grundbildung. Rahmencurriculum Schreiben. http: / / grundbildung.de/ fortbildu ng/ konzepte/ rahmencurricula.html DVV - Deutscher Volkshochschul Verband (2014b): Rahmencurriculum für eine abschlussorientierte Grundbildung. Rahmencurriculum Lesen. http: / / grundbildung.de/ fortbildung/ konzepte/ rahmencurricula.html Feick, D. / Heintze, A. / Schramm, K., Hrsg. (2010): Fokus Alphabetisierung bei der Sprachförderung im Rahmen des Ehegattennachzugs. Für Lehrkräfte und Multiplikatoren der Goethe- Institute und ihrer Partner. München, Leipzig. Feick, D. / Pietzuch, A. / Schramm, K. (2013): Alphabetisierung für Erwachsene (Deutsch Lehren Lernen, Bd. 15). München. 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Beschluss vom 15. 10. 2004, München. Kuhnen, C. / Dammers, E. / Feldmeier, A. (2014): Individualisierung im Unterricht Deutsch als Zweitsprache am Beispiel der Grundbildungsarbeit. Deutsch als Zweitsprache 2, 30-42. LESLLA - Low Educated Second Language and Literacy Acquisition. http: / / lesllaportal. airprojects.org/ Proceedings.aspx Markov, S. / Scheithauer, C. / Schramm, K. (2015): Lernberatung für Teilnehmende in DaZ- Alphabetisierungskursen. Münster, New York. Ramboll (2006): Evaluation der Integrationskurse nach dem Zuwanderungsgesetz. www.bmi. bund.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE / Ver oeffentlichungen/ evaluation _integrations kurse_de.pdf? __blob=publicationFile Rammstedt, B., Hrsg. (2013): Grundlegende Kompetenzen Erwachsener im internationalen Vergleich. Ergebnisse von PIAAC 2012.. https: / / www.bmbf.de/ files/ PIAAC _Ebook.pdf Ritter, M. (2002): Autonome Zugänge zur Textkompetenz in der Alphabetisierung mit MigrantInnen. Alfazentrum: Wien. www.vhs.at/ file admin/ uploads _lernraum/ AlfaZentrum/ Down loadbereich/ Artikel/ artikel_autonome_zugae nge.pdf Ritter, M. (2005): Beilage zur Stellungnahme zur „Integrationsvereinbarungs-V erordnung“ . Alfa- 230 H.-J. Krumm / Hans H. Reich zentrum für MigrantInnen. Wien. http: / / v004107.vhost-vweb-02.sil.at/ wp-content/ uploads/ 2012/ 10/ 20051107_Stellungnahmezum-Rahmencurriculum-Alphab.pdf Schulte-Bunert, E. (2000): Alles noch einmal von vorn? Zweitschrifterwerb für Seiteneinsteiger in der Sekundarstufe I. Baltmannsweiler. Statistik Austria, Hrsg. (2013): Schlüsselkompetenzen von Erwachsenen - Erste Ergebnisse der PIAAC -Erhebung 2011/ 12. Wien. Alexis Feldmeier 48. Ansätze zum Mehrsprachigkeitsunterricht 1. Begrifflichkeit Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR) versteht die „mehrsprachige und plurikulturelle Kompetenz“ nicht als ein unverbundenes Neben- und Miteinander von Sprachen, sondern vielmehr „als eine komplexe oder sogar gemischte Kompetenz, auf die der Benutzer zurückgreifen kann“ (GeR 2001: 163). Schulische Sprachenangebote dagegen erfolgen in der Regel nach Sprachen getrennt und gewichtet: Deutsch (als Muttersprache), Deutsch als Zweitsprache, erste Fremdsprache, zweite Fremdsprache usw., Herkunftssprachen. Mehrsprachigkeitsunterricht versteht sich demgegenüber als ein Unterrichtskonzept, das die Trennung nach Sprachfächern überwindet und Raum für die mitgebrachten Sprachen der Kinder, insbesondere jener mit verschiedenen Familiensprachen, bietet, die hier ihren schulischen Ort finden. Gleichzeitig vermittelt Mehrsprachigkeitsunterricht allen Kindern unabhängig von den jeweiligen Familiensprachen die Fähigkeit, mit sprachlicher Vielfalt umzugehen und selbst eine mehrsprachige Kompetenz zu erwerben. Dazu bedarf es eines Bildungskonzepts, das Mehrsprachigkeit als eigenständiges Ziel und durchgängiges Unterrichtsprinzip verankert und dieses mit Hilfe einer Didaktik der Vielfalt in der Praxis verwirklicht. 2. Problemaufriss In Forschung, Sprachdidaktik und Unterrichtspraxis finden sich zahlreiche Versuche, monolinguale Konzepte von Sprachangeboten zu überwinden. Konzepte wie language awareness und éveil aux langues, die „Sprachbegegnung“ und languages across the curriculum (vgl. Art. 31 und 45), aber auch das Konzept der Interkomprehension (vgl. Art. 49) und die Tertiärsprachendidaktik können als Versuche gesehen werden, Verbindungen zwischen Sprachen sichtbar zu machen, um mit Hilfe der Entwicklung von Sprachenbewusstheit Fähigkeiten zum Umgang mit Mehrsprachigkeit zu entwickeln. Gemeinsam ist diesen Ansätzen, das von der jeweiligen Mehrheitssprache dominierte Unterrichtsangebot für die von den Lernenden mitgebrachten bzw. zuvor gelernten Sprachen als wichtige Ressourcen für das weitere (Sprachen-)Lernen zu öffnen (vgl. u. a. Boeckmann et al. 2011; Daryai-Hansen et al. 2015). Der im Rahmen eines Projektes des Europäischen Fremdsprachenzentrums entwickelte „Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (RePA)“ (Candelier et al. 2007) stellt einen umfassenden Versuch dar, entsprechende Kompetenzen zu beschreiben. Analog zu dem für die schulischen Sachfächer entwickelten Begriff des „Flächenfaches“ kann auch für die sprachlichen Fächer nach übergreifenden Fähigkeiten und gemeinsamen Fertigkeitsbereichen gefragt werden. So wurden mit den neuen Lehrplänen für Thüringen 2011 ein sprachenübergreifender Lernbereich „Über Sprache, 231 48. Ansätze zum Mehrsprachigkeitsunterricht Sprachverwendung und Sprachenlernen reflektieren“ etabliert und sprachenübergreifende Kompetenzen formuliert, die sprachenübergreifendes Lernen (hier zwischen den Sprachen Deutsch, Englisch, Russisch und Latein) möglich machen sollen (Thüringer Schulportal: Sprachunterricht sprachenübergreifend). Unter dem Stichwort „Gesamtsprachencurriculum“ (vgl. Art. 35) sind Versuche zu verstehen, die sprachlichen wie die Sachfächer miteinander zu vernetzen und die Sprachlernangebote in der Schule in ein Gesamtkonzept sprachlicher Bildung zu integrieren. Das Projekt „Plurilingual Whole School Curricula “ entwickelt Konzepte und Materialien für mehrsprachige, interkulturelle und inklusive Gesamtsprachencurricula (vgl. PlurCur). Mehrsprachigkeitsunterricht ist der weitergehende Versuch, Kenntnisse und Fähigkeiten, die sprachenübergreifend anzuwenden sind, systematisch zu vermitteln. Dabei - und das ist das Spezifikum von Mehrsprachigkeitsunterricht gegenüber anderen Versuchen vernetzter Sprachenangebote - ist der Ausgangspunkt durchgängig die individuelle Mehrsprachigkeit der Lernenden sowie die gesellschaftliche Vielsprachigkeit ihrer Lebenswelt. Das ist grundsätzlich konfliktträchtig; denn es führt dazu, dass auch Sprachen, die nicht zum gängigen Kanon der Schulsprachen, wohl aber zur Lebenswelt der Kinder gehören, einbezogen werden. 3. Zielsetzungen des Mehrsprachigkeitsunterrichts Durch einen systematischen Mehrsprachigkeitsunterricht können im Vergleich zu einem nach Sprachen getrennten Unterricht die folgenden Zielsetzungen besser erreicht werden (vgl. Reich & Krumm 2013: 10 f.): • ein breiteres und differenzierteres Bild der sprachlichen Wirklichkeit, • eine tiefere Verankerung des sprachlichen Lernens im Persönlichen, • eine allgemeinere Gültigkeit des Gelernten, • und eine verstärkte Kooperation zwischen den Fächern. Gegenüber dem Unterricht der einzelnen Sprachen übernimmt der Mehrsprachigkeitsunterricht Funktionen der Erweiterung, der Entlastung, der sprachpädagogischen Vertiefung und der Koordination. Er bezieht sich nicht nur auf die an einer Schule ohnedies unterrichteten Sprachen, sondern bezieht im Rahmen des Möglichen alle in einer Klasse präsenten Sprachen und Dialekte mit ein. Er vermittelt dadurch ein realistisches Bild der Sprachenvielfalt und der sozialen wie der linguistischen Unterschiede zwischen den Sprachen. Indem er gleiche Ziele zusammenfasst, die in den Lehrplänen der verschiedenen Fächer getrennt voneinander aufgeführt werden, kann er unnötige Doppelungen von Lernschritten vermeiden, terminologische Einheitlichkeit fördern und eine durchgehende Systematik bei der Aneignung der Strategien des Sprachenlernens verbürgen. Dadurch schafft er nicht nur eine gemeinsame kognitive Basis für das Sprachenlernen, sondern trägt zugleich zur Wertschätzung jeder einzelnen Sprache und zu einem sprachenfreundlichen Klima an der Schule bei, das die motivationale Basis für das Lernen der einzelnen Sprachen erweitert und stärkt. Der Mehrsprachigkeitsunterricht stellt explizit Vergleiche zwischen den Sprachen an und fördert damit eine sprachenübergreifende Begriffsbildung; er übt den Perspektivenwechsel, v. a. hinsichtlich des Umgangs mit vielsprachigen Situationen; er untersucht Zusammenhänge zwischen Sprachen auf der einen Seite, sozialen und kulturellen Gege- 232 H.-J. Krumm / Hans H. Reich benheiten auf der anderen und verbindet dadurch sprachliches und soziales Lernen. Die Lernergebnisse des Mehrsprachigkeitsunterrichts erfahren im einzelsprachlichen Unterricht spezifische Anwendungen, Fortsetzungen oder Differenzierungen. Umgekehrt fließen Lernergebnisse des einzelsprachlichen Unterrichts in den Mehrsprachigkeitsunterricht ein und werden dort abgeglichen und mit weiteren Spracherfahrungen und Spracheinsichten verbunden. Beides setzt den Mehrsprachigkeitsunterricht in eine Position, die es ihm ermöglicht, in bevorzugter Weise als Schaltstelle für kooperative Unterrichtsprojekte zu fungieren, an denen sich mehrere sprachliche Fächer oder unterschiedliche Sprach- und Sachfächer beteiligen. 4. Perspektiven Mehrsprachigkeit und damit auch der Mehrsprachigkeitsunterricht sind als eine Herausforderung und Chance für das Bildungssystem insgesamt zu sehen, für deren Verwirklichung es auch eines bildungspolitischen Willens bedarf (vgl. Art. 10 und Art. 138). Sie betreffen die Curriculum- und Lehrmaterialentwicklung ebenso wie die Schulentwicklung und Lehrerbildung. Mehrsprachigkeitsunterricht wird in der Regel nicht als Alternative zum Unterricht einzelner Sprachen gesehen und angelegt, sondern versteht sich als ein ergänzendes und zugleich integrierendes Modell, wobei je nach Lernstufe und Lehrpersonal unterschiedliche Einzelfächer eine koordinierende Funktion übernehmen können - zentral ist, dass Mehrsprachigkeit in diesem Zusammenhang nicht Randthema, sondern ein curricular eigenes Thema schulischen Lehrens und Lernens darstellt: Sollen Kinder es lernen, in einer vielsprachigen Welt selbstbestimmt zu handeln und sich neuen, heute nicht absehbaren sprachlichen Herausforderungen zu stellen, so benötigen sie Einzelsprachen übergreifende Lernangebote, in welcher organisatorischen Form auch immer. Krumm und Reich (2011) haben die Zielsetzungen für den Mehrsprachigkeitsunterricht in einem „Curriculum Mehrsprachigkeit“ für die Klassenstufen 1 bis 12 präzisiert. Das Curriculum definiert drei bzw. ab der Sekundarstufe vier Lernbereiche: 1) Wahrnehmung und Bewältigung vielsprachiger Situationen, 2) Wissen über Sprachen: Dieser Bereich wird auf der Sekundarstufe in die beiden Bereiche a) Vergleichen von Sprachen und b) Erarbeiten sozialer und kultureller Bezüge von Sprachen ausdifferenziert, 3) Sprachlernstrategien. Die Basis bildet der Bereich der Wahrnehmung und Bewältigung vielsprachiger Situationen. Hier geht es um die Handlungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler im Raum der Sprachenvielfalt mit ihren kognitiven, affektiven und attitudinalen Komponenten. Die Aktivitäten in diesem Bereich beziehen sich auf die Erkundung von Sprachen und Sprachvarietäten als Erscheinungen ihrer Lebenswelt und als Bedingungen wie als Resultate menschlichen Handelns. Es geht um die Entwicklung von Sprachaufmerksamkeit und um Sicherheit auch in sprachlich komplexen Situationen. Für die kognitive Dimension ist der Bereich des Erwerbs von Wissen über Sprachen zentral. Es geht um die Fähigkeiten, sprachliche Elemente, Strukturen und Regeln zu beschreiben und in Beziehung zueinander zu setzen, sowie darum, Zusammenhänge zwischen Sprachen, Sprachengebrauch und menschlichem Zusammenleben zu erkennen. Im Bereich der Sprachlernstrategien geht es um die Möglichkeiten der bewussten Aneignung von Sprachen mit dem Fernziel des selbstbestimmten Lernens. 233 48. Ansätze zum Mehrsprachigkeitsunterricht Das Curriculum Mehrsprachigkeit bietet für den Mehrsprachigkeitsunterricht unterschiedliche Szenarien von einem eigenen einbis zweistündigen Unterrichtsangebot bis zu fächerintegrativen Lösungen und Stoffverteilungsplänen für die beteiligten Fächer an (vgl. Reich & Krumm 2013: 19 f.). Unabhängig von der konkreten schulorganisatorischen Ausgestaltung des Mehrsprachigkeitsunterrichts setzt dieser in jedem Fall entsprechende Lehrkompetenzen voraus, zum einen im Bereich des Wissens (Sprachenvergleich, Sprachengeographie, Sprachenpolitik), zum zweiten im Bereich des Könnens (Analyse sprachlich-sozialer Situationen, Interpretation von Sprachenbiographien), zum dritten im Bereich des didaktischen Handelns (Mehrsprachigkeitsdidaktik), v. a. aber im Bereich der Einstellungen: Hier geht es, völlig unabhängig vom jeweiligen Unterrichtsfach um die Lust auf und an Sprachen und um die Einsicht in die Normalität der Vielsprachigkeit in Schule und Gesellschaft. Lehramtsstudiengänge enthalten inzwischen zunehmend Module zur Mehrsprachigkeitsdidaktik (vgl. die Hinweise in Bausch et al. 2004). Für die Lehrerbildung in Österreich hat eine Arbeitsgruppe am Österreichischen Sprachen-Kompetenz- Zentrum „Basiskompetenzen sprachliche Bildung“ für alle Lehrenden entwickelt und in ein Ausbildungsmodell gefasst, welches Eingang in die Neuordnung der Lehrerbildung in Österreich finden soll (ÖSZ 2014). Literatur Bausch, K.-R. / Königs, F. G. / Krumm, H.-J., Hrsg. (2004): Mehrsprachigkeit im Fokus. Tübingen. Boeckmann, K.-B. / Aalto, E. / Abel, A. / Atanasoska, T. / Lamb, T. (2011): Mehrsprachigkeit fördern. Die Mehrheitssprache im vielsprachigen Umfeld. Strasbourg, Graz. Candelier, M. / Camilleri Grima, A. / Castellotti, V. / de Pietro, J. F. / Lörincz, I. / Meißner, F.-J. / Schröder-Sura, A. / Noguerol, A. (2007): Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen. Graz. Daryai-Hansen, P. / Lörincz, I. / Gerber, B. / Haller, M. / Ivanova, O. / Krumm, H.-J. / Reich, H. H. 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Begrifflichkeit und Problemaufriss In den Wissenschaften vom Lernen und Lehren fremder Sprachen ist Interkomprehension ein junger Begriff. Seine Definition - eine fremde Sprache hörend und/ oder lesend verstehen, ohne diese qua Unterricht, Selbstunterricht oder in Interaktion mit ihren Sprechern erworben zu haben - liegt auf dem Spannungsbogen von Verständnis und Verstehen, also der sprachformbezogenen Dekodierungskompetenz einerseits sowie der tieferen und breiteren mentalen Verarbeitung identifizierter Inhalte andererseits. Die Interkomprehension rückt interlinguale Nähe- und Distanzfragen zu Formen, Bedeutungen und Funktionen in den Blick: Je größer die Ähnlichkeit, desto besser die Interkomprehension. So gelten romanische oder slawische Sprachen in ihrer mündlichen, mehr noch verschrifteten Gestalt gemeinhin als relativ interkomprehensibel. Welche Ressourcen nun eine Person aus welcher/ n Sprache/ n heranzieht, um eine ,fremde‘ Sprache zu verstehen, ist indes eine subjektive Entscheidung, die vom individuellen Vorwissen abhängt. Offensichtlich spielt neben messbaren interlingualen Distanzen die subjektive (psychotypische) Einschätzung eine Rolle, wie sehr welche Sprache bei der Dekodierung (beim Erlernen) einer anderen hilft. Interkomprehension berührt auch die kulturelle Nähe zwischen Sprachgemeinschaften. Sie begegnet in Gestalt der von verschiedenen Kulturen geteilten Themen und Konventionen auf den Achsen von Zeit und Raum. Bei alledem reicht ein Rückgriff auf sprachliche und kulturelle Ressourcen nicht aus, um Interkomprehension zu bewirken. Notwendig ist immer die Mobilisierung volitionaler Ressourcen: eine fremde Sprache verstehen und/ oder lernen wollen. Interkomprehension liegt in der Natur von Sprache(n) und Spracherwerb. Dies erklärt, weshalb interkomprehensive Lehr- Lern-Verfahren zum Repertoire der Fremdsprachendidaktik gehören (sollten). 2. Historische Skizze Interkomprehension ist viel älter als unsere (normierten) Sprachen. In Antike, Mittelalter und weitgehend noch in der Neuzeit transportierte v. a. das Lateinische eine gemeinsame, die europäischen Nationen übergreifende Gelehrsamkeit . Es verband mit den Themen der klassischen auctoritates und dem Christentum die europäischen Sprach- und Kulturräume miteinander. In der Romania existierten zudem ungezählte lateinbasierte Varietäten in ununterbrochener volkssprachlicher Mündlichkeit. Die an der Beschreibung des Lateinischen angelehnte Grammatikographie der Volkssprachen blieb nicht folgenlos für das Lehren und Lernen derselben, worauf schon die Synonymie von frz. grammaire und méthode ,Lehrbuch‘ hindeutet. Indes erklärt sich die Parallelität zahlreicher historischer Lehrwerke für unterschiedliche Sprachen auch aufgrund der praktischen Erfahrungen der Autoren (oft Sprachmeister) mit dem Erwerb der eigenen Mehrsprachigkeit. Nicht zufällig verraten biographische Quellen interkomprehensive Strategien zur Methodik des Sprachenlernens. Erinnert sei an August Ludwig von Schlözers (1735-1809) auf zwischensprachliche ,Eselsbrücken‘ abhebende „Wurzelmethode“ oder an die Nutzung der von Gottfried Keller (1638-1707) verfassten lateinischen Wortkunde für das Italienischlernen durch den jungen Goethe (1811) (Meißner 2016). Interkomprehension hat offensichtlich viel damit zu tun, wie transparent linguistische Varietäten füreinander sind. Dies zeigen 235 49. Interkomprehension augenfällig Räume, in denen sich Regiolekte erst spät zu Sprachen emanzipierten: Mit Blick auf Schwedisch, Norwegisch und Dänisch spricht die Skandinavistik von einem Dialektkontinuum. Auch ohne eine gemeinsame Dachsprache sind diese Sprachen interkomprehensibel (z. B. Börestam Uhlmann 1999). EuroComGerm (Hufeisen & Marx 2014) beschreibt nach dem Muster von EuroComRom (Klein & Stegmann 2004) zu didaktischen Zwecken die in Verwandtschaft begründete Ähnlichkeit der germanischen Sprachen; Tafel et al. (2009) tun dergleichen für die slavischen. 3. Rezeptive Mehrsprachigkeit als Grundlage der Eurokomprehension Indem sie die Kommunikation zwischen Mutter- und Nichtmuttersprachlern erleichtert, erweitert Interkomprehension den Radius jeder einzelnen Sprache. Damit bedient sie die Interessen nationaler Sprachpolitiken. So können die Fremdsprachen Deutsch etwa im Verbund mit Niederländisch oder Französisch mit Italienisch, Portugiesisch, Spanisch u. a. m. ihre Attraktivität steigern. Internationale Statistiken weisen Englisch als die global am meisten und frühesten gelernte Fremdsprache aus: Didaktische Modelle wie Deutsch nach Englisch (DaFnE) (Hufeisen 2006) oder romanische Mehrsprachigkeit nach Englisch schließen ebenso wie etwa heutige Tertiärsprachendidaktiken konsequent an den lernerseitig relevanten Vorkenntnissen an. Auch English after German (EaG) folgt dem Prinzip des vernetzenden Sprachenlernens. Dass im Wesentlichen drei Familien die europäische Sprachenlandschaft prägen, wirft die Frage der „Eurokomprehension“ (Klein 1997) auf. Denn wenn Menschen jeweils eine germanische, romanische und slawische Sprache auf einem gewissen Niveau beherrschen, so gibt ihnen dies brauchbare linguale Ressourcen für den Erwerb einer umfassenden europäischen Mehrsprachigkeit. Dies verlangt allerdings etwa im deutschsprachigen Raum einen schulischen Unterricht von jeweils einer romanischen und einer slawischen Sprache - neben Englisch. Die Leitlinie ,Muttersprache plus mindestens zwei Fremdsprachen‘ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2003: 8) definiert ein Mehrsprachen-Minimum, das Platz für unterschiedliche Mehrsprachigkeitsprofile zulässt. 4. Forschungsstand und Praxisrelevanz Die Erforschung der Interkomprehension ist Teil der Interlinguistik, die sich mit dem Namen des Romanisten Mario Wandruszka verbindet. Ihm ging es nicht zuletzt um das „Gespräch zwischen den Sprachen in uns“ (1971: 10). Auf dem Boden einer reichen Unterrichtserfahrung mit Interkomprehension avant la lettre hat die romanistische Didaktik seit den 1990er Jahren eine breite empirische Forschung entfaltet. In der Romania betraf dies zunächst die Interkomprehensibilität der einzelnen Zielsprachen für Romanischsprachige (u. a. zuletzt Doyé & Meißner 2010; Meißner et al. 2011; Álvarez et al. 2011; Kennedy et al. 2015). Ein weiterer Forschungsschwerpunkt untersucht die plurilinguale romanophone Kommunikation im Rahmen einer vielnationalen internetbasierten Projektarbeit. Seit den 1990er Jahren förderte die EU mehrfach die Entwicklung einschlägiger Lehr-Lern- Materialien. In der Romania erweitern diese sowohl den muttersprachlichen primarstuflichen als auch den romanischen Fremdsprachenunterricht. In der deutschsprachigen Forschung war neben den Brücken- und Zielsprachen das Deutsche insoweit schon immer mitbetrof- 236 Franz-Joseph Meißner fen, als allein dessen Bildungswortschatz interlinguale Transferbasen in großer Zahl bereitstellt. Über Sprachenfolgen wie Spanisch/ Italienisch nach Französisch oder Latein und Englisch oder Polnisch nach Russisch usw. ist der interkomprehensive Ansatz eng mit dem Tertiärsprachenlernen verknüpft (Meißner 2016; Mehlhorn 2011). Der Niederländisch- oder Schwedischunterricht an Deutschsprachige nutzt die in der Verwandtschaft der germanischen Sprachen begründeten Transferbasen seit jeher. Zahlreiche empirische germanistische und slavistische Arbeiten spiegeln das Interesse an der Interkomprehension, zum Teil bis in die Translationswissenschaft hinein (Zeevaert & Möller 2011; Zybatow 2010). Die mentale Organisation des interlingualen Identifikationstransfers verlangt zwischen unterschiedlichen Sprachfamilien weiter ausgreifende Such- und Konstruktionsprozesse als innerhalb der Familien. Die romanistische Fremdsprachendidaktik hat solche für Deutschsprachige empirisch untersucht, um auf dieser Grundlage eine Methodik des auf Interkomprehension basierten Unterrichts zu entwickeln (Meißner 2016). Auch der Unterricht selbst wurde in mehreren Fallstudien empirisch beschrieben (u. a. Bär 2009). Die Methodik umfasst neben dem systematischen Rückgriff auf das relevante Vorwissen der Lernenden im Wesentlichen: 1) lernerseitig die Umwandlung des trägen Wissens in lernpraktisches Wissen, 2) die Initiierung des interlingualen Identifikationstransfers und 3) lehr- und lernseitig die Förderung von Aufmerksamkeit für Sprachverarbeitungs-, Transfer- und Lernprozesse. Als zielführende Lehr-Lern-Strategie ist die lernerseitige Erstellung einer mehrsprachigen Hypothesengrammatik (im Moment der verstehenden Begegnung mit der Zielsprache oder kurz danach) und ihre Überprüfung sowie ein Monitoring bezüglich der eigenen Interkomprehensionshandlung zu nennen. Solche Steuerung entspricht dem hypothesenbasierten reflexiven Lernen. Unterstützt werden entsprechende Verfahren v. a. durch: 1) die Erstellung von Laut-Denk-Protokollen, 2) das ,diagnostische Schreiben‘ (in der zu erschließenden Zielsprache zur Identifizierung der individuellen mehrsprachlichen Interlanguage ) sowie 3) den Entwurf eines individuellen Lernplans. Von Beginn an arbeitet der Interkomprehensionsunterricht mit zielsprachlichen und/ oder mehrsprachlichen Texten. Geeignete Präsentationsformen, etwa Interlinear- oder Paralleltexte, und eine adressatenbezogene Textauswahl können den Entwurf der Hypothesengrammatik erleichtern. Allgemein ist der Unterricht dadurch gekennzeichnet, dass er die lernerseitig ablaufenden Lernhandlungen und Prozesse angemessen analysiert und thematisiert. Nach Ausweis empirischer Studien zeitigen auf Interkomprehension basierte Verfahren folgende Ergebnisse: 1) Auf der Grundlage der Kenntnis einer z. B. romanischen Sprache, ihrer deutschen Mutter- oder Zweitsprache und des Englischen erreichen Schüler der Sekundarstufen I und II schon nach wenigen Unterrichtsstunden eine Lesekompetenz in einer zweiten romanischen Sprache, die in etwa derjenigen der zuvor erlernten ersten romanischen Sprache entspricht (u. a. Bär 2009). Die Kenntnis weiterer Sprachen, darunter Englisch oder Latein, ist hierbei eine Stütze. 2) Das der Interkomprehension zugrundeliegende Vergleichen sprachlicher Schemata sensibilisiert für Ähnlichkeiten und Unterschiede von Polysemien, Homonymien, 237 49. Interkomprehension Bedeutungen und Funktionen in unterschiedlichen Sprachen. Dies erklärt ihre Wirksamkeit als ein Verfahren der Fehlerprophylaxe und zur Beförderung von Sprachaufmerksamkeit, -lernbewusstheit und -lernkompetenz bzw. des reflexiven Lehrens und Lernens von Sprachen. 3) Interkomprehensives Lernen zeigt den praktischen Nutzen bereits erworbener Sprachen- und Sprachlernkenntnisse für den Weiterbau der eigenen Mehrsprachigkeit. Hiermit verbundene Selbstwirksamkeitserfahrungen optimieren die Einstellungen zum Sprachenlernen. 4) Interkomprehension bildet bereits nach kurzer Zeit entsprechende Sprachlernroutinen aus. 5) Interkomprehensionsdidaktische Verfahren lassen sich breit unter Erwachsenen finden, die sich selbst als „autonome Lerner“ bezeichnen (Martinez 2008). Auch Kinder vergleichen schon im Kindergarten (Doyé 2009: 26 f.) und zu Beginn der Sekundarstufe (Morkötter 2015) sprachliche Schemata miteinander 6) Als Strategie zur Beförderung von Mehrsprachigkeit unterstützt Interkomprehension die Ausbildung einer pluri-referentiellen europäischen Identität (Meißner 2016). 5. Perspektiven Interkomprehensionsdidaktische Ansätze sind solche des vernetzenden (Sprachen-)Lernens. Sie verbinden (a) Wiederholungsmit (b) Elaborations- und (c) Kontrollstrategien. Betroffen sind (a) Ausbau von sprachlichen Rezeptions-, Produktions- und Sprachlernroutinen, (b) Entwurf einer Hypothesengrammatik und Abgleich neuer mit schon bekannten sprachlichen Schemata sowie (c) Überprüfung und Modifizierung der Hypothesengrammatik und der Sprachlernhypothesen. Reflexives Lehren und Lernen von Sprachen ist ohne das im- und explizite Vergleichen lingualer Schemata und des individuellen Lernverhaltens nicht möglich. So schaltet Interkomprehension letztlich Ressourcen von Mehrsprachigkeit und Sprachlernkompetenz zusammen. Genau deshalb ist Interkomprehension eine sehr wirksame Strategie des lernaufmerksamen Lernens und Lehrens. Der systematische Rückgriff der Lernenden auf ihr mehrsprachiges mentales Lexikon erklärt, weshalb Interkomprehension als echte Lernerorientierung zentraler Bestandteil jeder Mehrsprachigkeitsdidaktik ist. Die Qualität zukünftigen Fremdsprachenunterrichts wird auch davon abhängen, inwieweit Lehrkräfte interkomprehensionsdidaktische Verfahren lernwirksam in ihren Unterricht einbeziehen (können). Literatur Álvarez, D. / Chardenet, P. / Tost, M., Hrsg. (2011): L’intercompréhension et les nouveaux défis pour les langues romanes. Paris. Bär, M. (2009): Förderung von Mehrsprachigkeit und Lernkompetenz. Fallstudien zu Interkomprehensionsunterricht mit Schülern der Klassen 8 bis 10. Tübingen. Börestam Uhlmann, U. (1999): Interscandinavian Communication, in: G. Kischel / E. Gothsch, (Hrsg.): Wege zur Mehrsprachigkeit im Fernstudium. Hagen, 89-100. Doyé, P. (2009): Didaktik der bilingualen Vorschulerziehung. Dargestellt am Beispiel der vorschulischen Einrichtungen in Berlin und Wolfsburg. Tübingen. Doyé, P. / Meißner, F.-J., Hrsg. (2010): Lernerautonomie durch Interkomprehension / Promoting learner autonomy through intercomprehension / L’autonomisation de l’apprenant par l’intercompréhension. Tübingen. Hufeisen, B. (2006): DaFnE, EuroComGerm, EaG - Forschungsbeiträge für die Entwick- 238 Franz-Joseph Meißner lung eines allgemeinen und doch (noch) idealtypischen Gesamtsprachencurriculums, in: H. Martinez et al. (Hrsg.), 111-123. Hufeisen, B. / Marx, N., Hrsg. (2014): EuroCom- Germ - Die sieben Siebe: Germanische Sprachen lesen lernen. Aachen. Kennedy, S. / Guénette, D. / Murphy, J. / Allard, S. (2015): Le rôle de la prononciation dans l’intercompréhension entre locuteurs de français lingua franca. 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München, Zürich. 239 49. Interkomprehension Zeevaert, L. / Möller, R. (2011): Wege, Irrwege und Holzwege bei der Texterschließung - Empirische Studien zur germanischen Interkomprehension, in: F.-J. Meißner et al. (Hrsg.), 146-163. Zybatow, L. (2010): EuroComTranslat - ein Weg zur Mehrsprachigkeit in der Übersetzerausbildung: Kognitiv-konstruktivistische Grundlagen, in: P. Doyé / F.-J. Meißner, 74-88. Franz-Joseph Meißner G Die Sprachenlernenden 50. Lernerperspektive und Lernerorientierung 1. Begrifflichkeit Die Auseinandersetzung mit der Lernerperspektive verbindet sich mit einer umfassenden Umorientierung in der Sprachlehrforschung, die mit dem Konzept der Lernerzentrierung bzw. Lernerorientierung einhergeht. Lernerorientierung bezeichnet eine „Verlagerung der Erkenntnisinteressen von der Lehrperspektive hin zur Lernperspektive [und Lernerperspektive: HM]“ (Bausch 1982: 12) ab Mitte/ Ende der 1970er Jahre, welche die Forschung der letzten 30 Jahre entscheidend geprägt und zu einer „Polarisierung“ zugunsten der Lernerzentrierung in der Fremdsprachenforschung geführt hat (Königs 2010: 105). Lernerorientierung wird insofern als Paradigmenwechsel oder Wende aufgefasst, als durch die Zentrierung des Interesses auf den Lernenden dominante Grundmuster zur Beschreibung des Fremdsprachenunterrichts relativiert und in ein neues Bezugssystem eingebracht werden (vgl. Christ 1982: 34). Dieser Wechsel steht im engen Zusammenhang mit der Erkenntnis, dass institutionalisiertes Fremdsprachenlernen kein „bloßes Resultat von Vermittlungsprozessen“ ist 241 (Riemer 2015: 170 f.), sondern ein von vielfältigen (personalen, kontextuellen, gesellschaftlichen) Faktoren abhängiger Prozess, bei dem das lernende Subjekt mit seinen individuellen Merkmalen eine aktive und entscheidende Rolle spielt. Dies geht einher mit der Gründung einer neuen Disziplin, der Sprachlehrforschung, welche gezielt die Spezifik des unterrichtlichen Fremdsprachenlernens und die Komplexität der fremdsprachlichen Lernperspektive bzw. Lernerperspektive fokussiert - ohne die Lehrperspektive völlig aus dem Blick zu verlieren (vgl. Art. 1). 2. Problemaufriss Diese Wende von der Lehrzur Lern(er)perspektive lässt sich auch auf den Paradigmenwechsel von behavioristisch geprägten zu kognitiv-konstruktivistischen Lernannahmen zurückführen. Aus psychologischer Sicht war für diese Neuorientierung insbesondere die Rezeption der Arbeiten zur Interlanguage (u. a. Selinker 1972) ausschlaggebend, die das lernende Individuum, seine Vorerfahrungen und seine individuellen Lernstadien sowie die mit ihnen verbundenen Prozesse und Strategien in das Zentrum der Forschung stellten. Dabei wurde der bisher eher statische, systemlinguistisch gefasste Sprachbegriff durch einen produktiven und dynamischen Sprachlernbegriff ersetzt, welcher der Prozessdimension der Lernersprache einen besonderen Akzent verlieh. Dieser Wechsel der didaktischen Perspektive - vom Lerngegenstand und Lehren zum Lernprozess und zu den Lernenden - wurde in unterschiedlicher Weise interpretiert, wobei in Europa der Entwicklung des kommunikativen Ansatzes und der Berücksichtigung der den Lernenden unterstellten Bedürfnisse im Sinne von ,Adressatenspezifik‘ eine besondere Bedeutung zukam. Die Berücksichtigung individueller Lernerbedürfnisse - auch als subjective needs bezeichnet (Tudor 1996: 96 ff.) - findet im Ansatz der Individualization ihren Niederschlag, welcher auf Erkenntnissen über individuelle Variablen des Lerners gründet (vgl. Chastain 1975). Individualisierung bezeichnet das Bestreben, die Lehrmethode an die Bedürfnisse und Interessen der Lernenden anzupassen. Dabei wird zwischen vier Formen der Individualisierung unterschieden: Individualization of pacing, Individualization of instructional goals, Individualization of mode of learning und Individualization of the learner’s expectation (Altman 1977). Im anglo-amerikanischen Bereich sind die Grenzen zwischen Individualization und dem Konzept der autonomy fließend. Individualization fungiert als ein Sammelkonzept, das unterschiedliche Lehr- und Lernansätze, von individualised instruction bis hin zu selfdirected learning und autonomy umfasst. Tudor (1996: 12) schlussfolgert zu Recht, dass das eigentliche Ziel der Individualization erst im Konzept der Autonomie seinen richtigen Ausdruck gefunden hat. Beide Perspektiven fordern eine neue Lehrer- und Lernerrolle (der Lehrer wird zum learning facilitator ) und fokussieren auf die Notwendigkeit des ,Lernen lehrens‘ bzw. ,Lernen lernens‘. Diese Vorstellung von einem aktiven Fremdsprachenlerner findet sich v. a. in der fachdidaktischen Diskussion um Lernerautonomie, Lerner- 242 Hélène Martinez strategien und selbstgesteuertes Lernen und hat zu unterschiedlichen Forschungsaktivitäten geführt (vgl. Art. 78 und 79). 3. Erforschung individueller Unterschiede Auf der Forschungsebene steht das Konzept der Lernerorientierung bzw. -zentrierung für die Erforschung der Persönlichkeitsmerkmale (Bausch et al. 1982) und somit die Erforschung der Lernerperspektive. Die Auseinandersetzung mit den lernerindividuellen Variablen bzw. Faktoren, die den Prozess des gesteuerten Fremdsprachenerwerbs beeinflussen, geht auf Forschungen in der pädagogischen Psychologie zurück, wo sich in den 1950er Jahren der besondere Forschungsschwerpunkt der „individuellen Unterschiede“ etabliert. Insbesondere die Studien zu Sprachlerneignung sowie Motivation bilden seit den 1960er Jahren auch einen Schwerpunkt der Fremdsprachenforschung. Durch die Arbeiten zum good language learner (u. a. Naiman et al. 1978) in den 1970er Jahren gewinnt das Interesse an individuellen Faktoren zunehmend an Bedeutung (Dörnyei 2005: 4 ff.). Dieses Forschungsfeld basiert auf der Annahme, dass „learners differ in how successfully they adapt to, and profit from instruction“ (Robinson 2002: IX) und sucht nach Erklärungen für die individuellen Variationen bezüglich des Lernerfolgs. Die Identifizierung der Faktoren, die zu individuellen Variationen von Fremdsprachenerwerbsprozessen führen, hat zu unterschiedlichen Auflistungen und Klassifikationssystemen geführt. Während sich Skehan (1989) in einem ersten Forschungsüberblick mit aptitude, motivation, learner strategies und learner styles auseinandersetzt , nennen Oxford & Ehrmann (1993) neun Variablen: aptitude, motivation, anxiety, self-esteem, tolerance of ambiguity, risk-taking, language learning styles, age und gender (ähnlich Dörnyei 2005; Griffiths 2008b). Die Bezeichnung der Faktorengruppen sowie ihre Klassifizierung sind dabei sehr heterogen. Im Sinne einer klareren Abgrenzung plädiert Riemer (1997) für die Unterscheidung zwischen individuell vs. universell. Individuelle Einflussfaktoren lassen sich weiterhin in sprachliche vs. außersprachliche unterscheiden. Sprachliche Faktoren beziehen sich auf die sprachlichen Ressourcen der Lernenden. Außersprachliche Variablen werden in lerner-endogene und lerner-exogene Faktoren unterteilt. Während lerner-endogene Variablenkomplexe affektive, kognitive sowie biologische Faktoren beinhalten, sind lerner-exogene Variablen im Umfeld des Lerners angesiedelt, wie z. B. der Unterricht (Lerner, Lehrer, Methoden, Materialien etc.) sowie das soziale Umfeld des Lerners (ebd.: 233). Zu den sprachlichen Faktoren zählen alle Sprachen und Interlanguages (vgl. Hufeisen 2003), die dem Lerner zur Verfügung stehen, sowie seine Sprachlernerfahrungen. Sprachen und fremdsprachenspezifische Variablen sind in den letzten Jahren insbesondere in der Mehrsprachigkeits- und Tertiärsprachenforschung als wesentliche Einflussfaktoren für das Erlernen von Fremdsprachen hervorgehoben worden (vgl. das Faktorenmodell von Gibson & Hufeisen 2003: 18 sowie Art. 62). Untersuchungen zeigen, dass Lernende, die bereits eine Fremdsprache oder Fremdsprachen gelernt haben, über eine nachweislich höhere Sprach(lern)bewusstheit verfügen sowie höhere und schnellere Leistungen erzielen (Hufeisen 2003: 97; Meißner & Morkötter 2009). Sprachlerneignung (language aptitude ), Lernstile und Lernstrategien zählen zu den kognitiven Faktoren (vgl. Art. 54 und 55). Das „good language learner-Projekt“ ist eines der umfassendsten und einflussreichsten Forschungsprojekte mit empirischen Befunden zu kognitiven Faktoren und Strategien. In diesem Projekt wurde explizit die Hoffnung 243 50. Lernerperspektive und Lernerorientierung formuliert, durch die Ermittlung der Charakteristika und des Strategieninventars von prototypischen ,guten‘ Lernenden Hinweise für die Förderung der ,schlechteren‘ zu gewinnen. Zu den affektiven Faktoren zählen Motivation, Einstellungen und Angst (vgl. Art. 56). Motivation ist seit Ende der 1950er Jahre Gegenstand von empirischen Untersuchungen (Gardner & Lambert 1959; für den deutschen Kontext u. a. Düwell 1979) und zählt zu einer der wichtigsten Variablen neben der Sprachlerneignung. Das soziale Umfeld - insbesondere die Möglichkeit der Auseinandersetzung von Lernenden mit ihrer Umwelt - wurde in Studien zum Zweitsprachenerwerb als relevanter Einflussfaktor erfasst (zuletzt Norton & Toohey 2001; vgl. auch Art. 57). Die Frage, inwiefern bei gesteuertem Fremdsprachenlernen das soziale Umfeld bzw. die Möglichkeit der Auseinandersetzung von Lernenden mit ihrer Umwelt förderlich wirkt, ist bislang von der Forschung überwiegend vernachlässigt worden. Biologische Faktoren sind invariabel, bilden neurophysiologische Bedingungen des Fremdsprachenlernens und stehen in enger Verbindung zu den genannten Faktoren (zum Faktor Alter vgl. z. B. Griffiths 2008a: 41 sowie Art. 52). Interne Faktoren sind intensiver als externe erforscht worden (Riemer 2015: 171). Darüber hinaus muss angemerkt werden, dass mit der Ablösung des empirisch-behavioristischen durch das rationalistisch-kognitivistische Paradigma Ende der 1960er Jahre eine Betonung der mentalen (d. h. kognitiven) Aspekte der Fremdsprachenlernprozesse zu Lasten der emotional-affektiven Faktoren in der Fremdsprachenlehr- und -lernforschung stattgefunden hat. Zimmermann schlussfolgert, dass das kognitivistische Paradigma als „Forschungsschema“ die Eigenschaft hat, Forschungsgegenstände und typische Erhebungsmethoden festzulegen und abweichende Perspektiven - wie z. B. die emotionale Dimension - auszublenden oder in ihrer Bedeutung zu minimieren (Zimmermann 1998: 211). Der Höhepunkt der Fokussierung auf die kognitiven Aspekte des Lernens und Lehrens in der Fremdsprachenlehr- und -lernforschung liegt in der Übernahme der Erkenntnistheorie des radikalen Konstruktivismus im Laufe der 1990er Jahre (vgl. Reinfried 1999). Obwohl bis heute noch nicht von einem emotional turn bzw. einer emotionalen Wende - zumindest nicht in der Fremdsprachenforschung - gesprochen werden kann, werden die Grenzen der kognitionswissenschaftlichen Orientierung erkannt, welche zu kurz greift, wenn sie Emotionen ausblendet (vgl. Börner & Vogel 2004). Dementsprechend erfährt die Variable Emotion in den letzten Jahren besondere Aufmerksamkeit (u. a. Arnold & Fonseca Mora 2011). Die Forschung zu den individuellen Unterschieden ist dadurch gekennzeichnet, dass sie jahrzehntelang die Ausprägung der einzelnen individuellen Faktoren auf die Lernleistung von Schülerinnen und Schülern im Rahmen von quantitativ-statistisch orientierten Forschungsdesigns ermittelte und weder die Wechselwirkung der einzelnen Faktoren untereinander noch qualitativ-interpretative Forschungsansätze berücksichtigte. Ebenfalls bezeichnend für diese Forschungsrichtung - und als inhärenter Widerspruch zu nennen - ist die Tendenz, die Erkenntnisse im Hinblick auf die Relevanz individueller Faktoren für erfolgreiches Lernen zu verallgemeinern (vgl. das good language learner- Projekt). Richtungsweisend für alternative Forschungen in diesem Bereich ist die Arbeit von Riemer (1997) mit der Bestätigung der Einzelgängerhypothese, welche jeden Einzelfall als einen singulären und äußerst individuellen Faktorenkomplex konzeptualisiert, der durch subjektive Theorien der Lernenden hinsichtlich der Effektivität spezifischer Va- 244 Hélène Martinez riablen bzw. Verhaltensweisen strukturiert wird (ebd.: 228 f.). 4. Praxisbezug Die Lernerorientierung hätte ihr Ziel verfehlt, wenn keine Auswirkungen auf die Praxis erkennbar wären (für einen kritischen Überblick vgl. Krumm 2011). In der Vermittlungsperspektive bedeutet sie das Ernstnehmen und die Wertschätzung der Lerneridentität (mitgebrachte Kenntnisse, Sprachen und (Lern-)Erfahrungen), den Einbezug von Interessen und vorhandenen (mehrsprachigen) Ressourcen der Lernenden, die Abstimmung der Unterrichtsinhalte, Aktivitäten und Aufgaben sowie der Unterrichtsmethoden auf die Lernenden und nicht zuletzt differenzierte, abwechslungsreiche und genderspezifische Lernangebote entsprechend den individuellen Lernerbedürfnissen. Die Lernerorientierung hat zur Entwicklung unterschiedlicher (alternativer) pädagogischer Arrangements und Ansätze geführt, wie z. B. das Erstellen von Lernverträgen, Stationenlernen und Lernberatung (vgl. Art. 81). Lernerorientierung bedient sich selbstreflexiver und introspektiver Aufgabenformate (Selbsteinschätzungsbögen, Lerntagebücher, Portfolios), welche die Lernerperspektive in den Vordergrund rücken und den Lernenden eine aktivere Rolle zuschreiben. In der Konsequenz bedeutet Lernerorientierung eine Fokussierung auf die Aneignungsperspektive, d. h. die gezielte Förderung der Lernerautonomie sowie das Empowerment der Lernenden. 5. Perspektiven Der Paradigmenwechsel der Lernerorientierung geht mit einer Subjektivierung bzw. „subjektive[n] Wende“ (De Florio-Hansen 1998: 4) in der Forschungsmethodologie einher, welche die persönliche Sicht der Individuen in den Mittelpunkt stellt und sich durch die Herausbildung des Begriffs Innenbzw. Binnensicht kennzeichnen lässt. Der Terminus Binnensicht verweist auf den Wechsel von der Fremdperspektive der Forschenden hin zu einer subjektorientierten bzw. Eigenperspektive der Befragten (vgl. Kallenbach 1995: 93; Anm. 2), die als reflexive Individuen an der Rekonstruktion ihrer Innensicht mit beteiligt sind. Im Zentrum dieser Forschung stehen die subjektiven Theorien der Lernenden bzw. ihre beliefs oder représentations (vgl. Grotjahn 1998) bezüglich Sprachen, Lernen, Lehren bzw. Unterricht (u. a. Kallenbach 1996). Die Zentrierung auf den Lerner und die Lernerperspektive hat dazu geführt, dass der Lehrer und die Lehrerperspektive als Gegenstand der fremdsprachendidaktischen Forschung weitgehend vernachlässigt wurden. Ausnahmen bilden Studien zu subjektiven Theorien von Lehrenden bzw. zu Lehrerkognitionen (vgl. Caspari 2014 für einen Überblick). Neuere Untersuchungsergebnisse im Bereich der Fremdsprachendidaktik und der Schulpädagogik weisen dezidiert auf die entscheidende Rolle des Faktors ,Lehrer‘ im Lehr-Lern-Prozess hin und sprechen dafür, dass in der Komplexität des Lehr- und Lernprozesses sowohl die Perspektive des Lerners als auch die des Lehrers in der Zukunft gleichermaßen zu berücksichtigen sind. Literatur Altman, H. B. (1977): Individualized foreign language instruction and systems thinking: symbiosis and synergism. System 5/ 2, 76-83. Arnold, J. / Fonseca Mora, C., Hrsg. (2011): Focus on affect in language learning. Anglistik. 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Dieser Weg stellt eine lernerzentrierte Herangehensweise dar, die v. a. durch Detailreichtum und soziale Bezugnahme durch die Sprecher hervorsticht. Sprachbiographien umfassen jegliche Art von Narration (mündlich oder schriftlich), die das Erleben mit den eigenen Sprachen zum Gegenstand hat, wie auch immer man diese erworben haben mag. Meist gründen die Daten auf narrativen (Tiefen-)Interviews. Es gibt aber auch gemalte Darstellungen; ebenso finden sich engere, elizitierte Formate, die bspw. mittels (semistrukturiertem) Fragebogen erhoben werden und auch als ,Sprachbiographien‘ bezeichnet werden. Das Aufkommen des Interesses an Sprachbiographien ist noch jung und kann in die Anfänge der 1990er Jahre zurückverfolgt werden. Es geht mit einem zusehenden Interesse an individuellen Ausprägungen von Mehrsprachigkeit einher, welches in denselben Jahren aufkam; einen Bezug kann man - epistemologisch gesehen - mit der zuvor entstandenen oral-history -Bewegung ausmachen, die den Menschen in den Mittelpunkt der Beobachtungen stellte. In der Sozio- und Pragmalinguistik sowie in Teilen der Spracherwerbsforschung kann 247 51. Lernerbiographische Perspektiven man parallel dazu einen subjective turn ausmachen, der sich gerade rund um die Befassung mit mehrsprachigen Individuen und deren Spracherwerb entwickelt hatte. Die damals gängigen Theorien schienen zu sperrig, um den Komplexitätsgrad und die Flexibilität, die mehrsprachige Individuen in ihrem Verhalten und ihrer Verarbeitung zeigen, zu erfassen. So fand wohl eine Art Rückbesinnung auf grundlegende, im Erleben der Subjekte fußende Sachlagen statt. Gepaart mit der Erfahrung, dass Fragebogenuntersuchungen für ein vertieftes Verständnis von Spracherwerbsprozessen im Lebensverlauf unzulänglich sind, haben sich narrative Sprachbiographien, in denen dem Sprecher bzw. der Sprecherin viel Raum eingeräumt wird, als vorzügliches Instrument erwiesen, um die erlebte und interpretierte Realität von (mehrsprachigen) Individuen zu erfassen (vgl. dazu Sammelbände wie Adamzik & Roos 2002; Franceschini 2010; Franceschini & Miecznikowski 2004; Thüne & Betten 2011; methodologische Überlegungen in Pavlenko 2007). Der Reichtum, den autobiographisches Erzählen transportiert, ist natürlich aus den Studien in den Literaturwissenschaften bekannt. Daraus, aber auch aus Studien zu (Lern-)Tagebüchern, nährt sich der sprachbiographische Ansatz. Mittlerweile kann man von einem eigentlichen sprachbiographischen Ansatz sprechen, zumal Datensammlung mittels Sprachbiographie immer mehr zu jenem methodischen Instrumentarium gehört, das viele empirische Studien als sprechernahe (doch immer zu kontextualisierende) Informationsquelle nutzen, von Untersuchungen zu Mehrsprachigkeit in Schulen, bis hin zur Gruppenbildung, selbst in neurobiologischen Studien. Die dichteste oder unerwartete Information gewinnt man durch narrative Tiefeninterviews, in denen der Erzähler selbst als Experte im Mittelpunkt steht und der Interviewer als aufmerksamer Zuhörer wenig mehr als Rückmeldesignale gibt, beim Stocken geduldig die Erzählung relanciert, und erst wenn der Erzähler der Narration ein Ende setzen will, Nachfragen stellt (vgl. Veronesi 2010). Die Ziele, wofür Sprachbiographien gesammelt werden, können unterschiedlicher Natur sein und lassen sich auch kombinieren. Grob gefasst gehen diese aus folgenden Interessen hervor: • dokumentarische Interessen: eine Bevölkerungsgruppe, die einen gesellschaftlichen Wandel vollzogen hat, wird mittels dieses Ansatzes im Detail untersucht, wobei die gesellschaftlichen Aspekte aus dem individuellen Erleben herausgearbeitet werden und umgekehrt; vgl. dazu die frühen Studien zum Spracherleben russlanddeutscher Übersiedler, von Ostdeutschen bei der deutschen Wiedervereinigung, von Migranten in Deutschland oder von sog. Jekes in Israel (vgl. Meng 2001; Fix & Barth 2000; Stevenson & Carl 2010; Betten & Du-nour 2004). • spracherwerbstheoretische Interessen: mittels Sprachbiographien werden bisher nicht beachtete Aspekte ans Licht gehoben und operationalisierbar gemacht: bspw. Lernerstile (implizit, explizit, unfokussiert), Konstellationen von individuellen sprachlichen Repertoires oder die Wandlung von emotionalen Einstellungen zu den Sprachen in einer mehrsprachigen Gesellschaft. • narratologische Interessen: die Sprachbiographien werden als Textgattung analysiert und die konstitutiven Elemente (bspw. Figuren sprachbiographischen Erzählens) herausgearbeitet (vgl. allgemein Busch & Busch 2010). 248 Rita Franceschini / Daniela Veronesi 2. Didaktische Anwendungen Über die oben erwähnten Forschungszwecke hinaus haben Sprachbiographien im letzten Jahrzehnt auch im Rahmen der Fremdsprachendidaktik großes Interesse geweckt, v. a. seitdem sie im Jahre 2000 vom Europarat im Zusammenhang mit dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (GeR) als Teil des Sprachenportfolios (vgl. Art. 88) eingeführt worden sind. In der sogenannten Sprachlernbiographie wird den Lernenden geraten, die „Geschichte“ des eigenen Sprachenlernens schriftlich zu erfassen, die eigene Kommunikationsfähigkeit in verschiedenen Sprachen einzuschätzen sowie die Ziele für das weitere Fremdsprachenlernen darzustellen. Somit gilt die Sprachlernbiographie als Dokumentations-, Reflexions- und Sprachförderungsinstrument im Unterricht; differenzierte Versionen des Sprachenportfolios sind inzwischen für unterschiedliche Klassenstufen, für Erwachsene und für mehrsprachige Kontexte entwickelt worden (vgl. z. B. Gelmi & Senorer 2011). Weitere sprachbiographische Ansätze wie bspw. Zeichnungen - Sprachenporträts, bei welchen Körper-Konturen mit unterschiedlichen Farben bemalt werden, die mit den eigenen Sprachen verbunden sind - haben sich auch bei Kindern und Jugendlichen als wichtiges Mittel zur Bewusstwerdung der eigenen sprachlichen Ressourcen erwiesen. Besonders bei mehrsprachigen Schulklassen dienen sie dazu, die individuelle und soziale Mehrsprachigkeit sichtbar zu machen und wertzuschätzen, wie es u. a. Krumm und Jenkins (2001) gezeigt haben. Ähnliche Erfahrungen sind im universitären Bereich dokumentiert, wobei Sprachbiographien zugleich als Forschungsinstrumente Einsichten zu Einstellungen, Wertvorstellungen und Lernerfahrungen mit Fremdsprachen sowie zu Phänomenen des Sprachverlusts liefern können (Hinton 2001; Riemer 2011). Sprachbiographien - schriftlich verfasste oder durch Interviews gesammelte - werden schließlich in der Lehreraus- und -weiterbildung zum Zwecke der Sprachreflexion und im Hinblick auf didaktische Anwendungen (vgl. etwa Schulze 2013) eingesetzt; darüber hinaus werden sie im Zusammenhang mit der Debatte um Sprachkompetenzen und Sprachwissen verwendet, welche bei Lehrpersonen, in erster Linie Fremdsprachendozenten, vorhanden sein sollen (Ellis 2010). 3. Ausblick Mit dem sprachbiographischen Ansatz kann ein Granularitätsgrad erreicht werden, der qualitativ sehr aussagereich ist. In Tiefeninterviews kommen bisher unbeachtete Aspekte des Spracherwerbs, des Sprachkontakts und der Mehrsprachigkeit zum Vorschein. Sprachbiographien erzeugen einen Lupeneffekt. Wie diese Aspekte zu gewichten sind, ist eine der Herausforderungen der qualitativen bzw. quantitativen Datenanalyse. Mit dem sprachbiographischen Ansatz können sprechernahe (emische) Variablen operationalisiert werden. Diese können zu einer Gruppeneinteilung führen, die der erlebten Wirklichkeit näher kommt: So können etwa nicht allein L1, L2, L3, Ln im Verlaufe des Lebens bestimmt werden, sondern auch komplexere Dimensionen der Lernerprofile oder Muster von Spracheinstellungen interindividuell verglichen werden. Die Forschungsliteratur zu diesem Ansatz ist (noch) überschaubar und in erster Linie europäisch geprägt. Dies dürfte sich bald ändern, da sich aus ihm ein Forschungsinstrument entwickelt hat, das in vielen Untersuchungen zur Anwendung kommt und dabei die klassischen soziolinguistischen Fragebögen ersetzt. 249 51. Lernerbiographische Perspektiven Literatur Adamzik, K. / Roos, E., Hrsg. (2002): Biografie linguistische/ Biographies langagières/ Biographias linguisticas / Sprachbiographien. Bulletin vals-asla 76. Betten, A. / Du-nour, M. (2004): Wir sind die Letzten. Fragt uns aus. Gespräche mit den Emigranten der dreißiger Jahre in Israel, Neuaufl. Gießen (1.-3. Aufl. Gerlingen 1995 ff.). Busch, B. / Busch, T. (2010): Die Sprache davor. Zur Imagination eines Sprechens jenseits gesellschaftlich-nationaler Zuordnungen, in: M. Bürger-Koftis / H. Schweiger / S. Vlasta (Hrsg.): Polyphonie. Mehrsprachigkeit und literarische Kreativität. Wien, 81-103. Ellis, E. M. 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Der Faktor Alter kann sich dabei sowohl auf mit dem chronologischen Alter verbundene intrapersonale neurobiologische Reifungsprozesse als auch auf altersabhängige Veränderungen in den kognitiv-affektiven und soziokulturellen Bedingungen des L2-Erwerbs beziehen. Alter hat damit den Status einer Makrovariablen, wobei der jeweilige kausale Einfluss der miteinander kovariierenden Einzelvariablen strittig ist (vgl. Muñoz & Singleton 2011: 16). 2. Problemaufriss Alter gilt zusammen mit der Sprachlerneignung (Art. 54), affektiven Faktoren (Art. 56) und sozialen Faktoren (Art. 57) als zentrale Variable zur Erklärung von inter- und intraindividuellen Unterschieden beim L2-Erwerb. Es werden Antworten u. a. auf folgende Fragen gesucht (vgl. Grotjahn & Schlak 2013: 14): 1) Gibt es in Bezug auf den L2-Erwerb kritische bzw. sensible Phasen, d. h. frühe optimale Zeitfenster? 2) Gibt es altersbedingte Unterschiede im letztendlich erreichten/ erreichbaren L2- Kompetenzprofil? 3) Gibt es altersbedingte Unterschiede in der Schnelligkeit, mit der eine L2 erlernt wird? 4) Unterscheiden sich Lernende verschiedener Altersstufen in den Prozessen, mit denen sie eine L2 erlernen und/ oder verarbeiten? 5) Wie lassen sich beobachtete altersabhängige Unterschiede in den sprachlichen Kompetenzen insgesamt theoretisch erklären? 6) Inwieweit lässt sich anhand der vorliegenden empirischen Befunde ein Fremdsprachenfrühbeginn anhand des Faktors Alter begründen? 7) Was bedeuten nachgewiesene altersabhängige Effekte im Hinblick auf einen alterssensiblen Fremdsprachenunterricht? 3. Forschungsstand Einen aktuellen Überblick über die umfangreiche Forschung und die kontroverse Diskussion vermitteln z. B. DeKeyser (2012), Granena & Long (2013), Grotjahn & Schlak (2013), Meisel (2011: Kap. 6), Muñoz & Singleton (2011), Nikolov & Mihaljevic´ Djigunovic´ (2011), Singleton (2014). Hinweise zu thematisch relevanten Spezifika älterer Erwachsener finden sich u. a. in Berndt (2013), Hulstijn (2015: Kap. 6 und 8) und Stemmer (2010). Ein gut belegter Befund aus der Forschung ist, dass der letztendlich erreichte Stand in einer L2 insbesondere in Migrations- oder Immersionskontexten negativ mit dem Zeitpunkt des Spracherwerbsbeginns korreliert: Je später ein intensiver Spracherwerb beginnt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, eine (nahezu) muttersprachliche Kompetenz zu erreichen. Umstritten ist, wie der höhere letztendliche Sprachstand frühbeginnender L2-Lernender (z. B. Kinder im Alter von sechs Jahren) in Relation zu spätbeginnenden Lernenden (z. B. postpubertäre Jugendliche) zu erklären ist. Eine zentrale Hypothese bezieht sich auf die Existenz von kritischen bzw. sensiblen Phasen, d. h. von neurobiologisch begründeten Zeitfenstern für einen optimalen Spracherwerb - mit Endpunkten im Bereich von zumeist 3 bis 251 52. Alter 15 Jahren. Im Zusammenhang mit den Zeitfenstern wird u. a. auf die altersabhängige Abnahme der Plastizität des Gehirns, auf altersabhängige Einschränkungen beim Zugriff auf einen angeborenen Spracherwerbsmechanismus oder auch auf eine entwicklungsbedingte Abnahme der Fähigkeit zum impliziten Verarbeiten und Lernen von Sprache verwiesen. Da mögliche Zeitfenster im Fall des L2-Erwerbs nicht abrupt enden und auch interindividuell variieren, wird zunehmend der Begriff sensible Phase bevorzugt (vgl. Long 2013: 5). Sensible Phasen wurden am häufigsten erforscht und/ oder theoretisch angenommen für den Ausspracheerwerb (mit Endpunkten zumeist zwischen 6 und 12 Jahren) sowie für den Erwerb von Morphosyntax (mit strukturspezifischen Endpunkten zumeist zwischen 3 und 15 Jahren). In einigen wenigen Studien wurden auch lexikosemantische Aspekte untersucht und alterskorrelierte Unterschiede z. B. beim Erwerb von Kollokationen oder auch Ortspräpositionen anhand von sensiblen Phasen erklärt (vgl. Long 2013: 11-13, 32-33). Nicht wenige Forscher sprechen sich allerdings gegen die Hypothese neurobiologisch begründeter sensibler Phasen als (alleinige) Ursache aus und führen alterskorrelierte Unterschiede im letztendlich erreichten Kompetenzprofil (zusätzlich) auf Faktoren wie Motivation, Affekt, Selbstkonzept, interaktionaler Input, Einfluss der Erstsprache oder auch Sprachlerneignung zurück. Außerdem wird argumentiert, dass die Existenz von kritischen bzw. sensiblen Phasen im Hinblick auf die Frage nach dem optimalen Anfangszeitpunkt des Fremdsprachenunterrichts letztendlich irrelevant sei (vgl. z. B. Singleton 2014; Singleton & Les´niewska 2012: 108). Wichtiger als die Frage nach dem letztendlich erreichbaren Stand ist gerade im Hinblick auf die Praxis, inwieweit es altersabhängige Unterschiede in der Schnelligkeit des unterrichtlichen Erlernens von Fremdsprachen gibt. Hierzu konnte gezeigt werden, dass ältere Jugendliche und junge Erwachsene insbesondere die Morphosyntax gewöhnlich schneller lernen als jüngere Schülerinnen und Schüler. Zudem scheinen entsprechende Geschwindigkeitsvorteile älterer Lernender auch nach langjährigem intensiven Unterricht größtenteils erhalten zu bleiben (vgl. Grotjahn & Schlak 2013: 20-22; Muñoz 2011). Allerdings trifft der mögliche Vorteil älterer Lernender nur mit Einschränkungen auf die Aussprache und das Hörverstehen zu. Vorteile älterer Lernender in Morphosyntax, Lexik oder Pragmatik lassen sich tendenziell u. a. anhand größerer kognitiver Ressourcen, größeren Weltwissens, anderer gelernter Fremdsprachen oder auch zunehmender Literalität in der L1 erklären (vgl. Artieda & Muñoz 2013; Hulstijn 2015: Kap. 8). Beim Erwerb von Aussprache und Hörkompetenzen in einer L2 scheint sich dagegen die zunehmende Verfestigung der motorischen Abläufe und perzeptuellen Muster in der L1 bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt negativ auszuwirken. Dies schließt den Erwerb einer weitgehend muttersprachlichen Aussprache jedoch nicht grundsätzlich aus (vgl. z. B. Moyer 2013: Kap. 2 und 6). Betrachtet man den L2-Erwerb älterer Erwachsener und Senioren, sind eine Reihe weiterer Aspekte zu bedenken. Altern ist relativ früh mit der Abnahme der Leistungsfähigkeit bestimmter neuro-kognitiver Funktionen verbunden. So beginnt z. B. die Abnahme der Hörschärfe bereits im Alter von ca. 25 Jahren. Außerdem verringern sich z. B. die Verarbeitungsgeschwindigkeit, die Effizienz des Arbeitsgedächtnisses, die Fähigkeit zum Enkodieren und Abrufen von Informationen und die Effizienz von exekutiven Kontrollprozessen, während dagegen z. B. das deklarative Sprachwissen noch bis ins hohe Alter erweitert werden kann (vgl. Hulstijn 2015: Kap. 6; Stemmer 2010: 15). Die Folge sind u. a. Probleme beim Verstehen insbesondere 252 Rüdiger Grotjahn schnell gesprochener und/ oder komplexer Äußerungen, wodurch mit mangelnden L2-Ressourcen einhergehende Hörverstehensprobleme älterer Lernender massiv verstärkt werden können. Weniger gravierend ist das neurokognitive Altern im Fall des Lesens, v. a. wenn kein Zeitdruck besteht. Hier können auch ältere L2-Lernende hohe Verstehensleistungen erreichen und sogar zuweilen Muttersprachler übertreffen, v. a., wenn die Lernenden einen höheren Bildungsgrad und eine höhere Literalität als die Muttersprachler aufweisen (vgl. Hulstijn 2015: 47-48). 4. Praxisrelevanz Erklärungen alterskorrelierter sprachlicher Kompetenzunterschiede anhand von biologisch-neurologischen Reifungsprozessen sind zum einen nicht unumstritten; zum anderen haben sie im Hinblick auf die Begründung konkreter unterrichtlicher Maßnahmen ein weit geringeres didaktisch-methodisches Potential als Erklärungen z. B. anhand von alterskorrelierten affektiv-kognitiven Faktoren wie motivationale Disposition oder Selbstkonzept. In Bezug auf den Frühbeginn lässt sich festhalten, dass deutliche sprachliche Lerneffekte im frühbeginnenden Fremdsprachenunterricht mit geringer Kontaktstundenzahl kaum erwartet werden können. Jugendliche und jüngere Erwachsene lernen insbesondere unter unterrichtlichen Bedingungen deutlich schneller als Kinder. Junge Lernende scheinen allerdings Vorteile in den Bereichen Aussprache und Hörverstehen zu haben. Um diese zu nutzen, bedarf es jedoch eines geeigneten Inputs durch die Lehrenden (vgl. Muñoz 2013). Außerdem kann ein adäquater frühbeginnender Fremdsprachenunterricht entscheidende motivationale, affektive und metakognitive Grundlagen für ein erfolgreiches Lernen weiterer Fremdsprachen legen (vgl. Nikolov & Mihaljevic´ Djigunovic´ 2011). In Bezug auf das Fremdsprachenlernen im höheren Erwachsenenalter gilt u. a., dass in den Bereichen Hörverstehen und Aussprache mit erheblichen Lernproblemen zu rechnen ist. Dies gilt es bei der Festlegung der Lernziele und bei der Gestaltung eines alterssensiblen Fremdsprachenunterrichts zu berücksichtigen. So sollte zumindest anfänglich der Hörinput möglichst einfach gestaltet werden (z. B. durch langsames und deutliches Sprechen, hinreichende Lautstärke, lexikalischsyntaktische Vereinfachungen). Außerdem ist u. a. auf gute Lichtverhältnisse und eine altersangemessene Schriftgröße zu achten. 5. Perspektiven In jüngerer Zeit werden im Zusammenhang mit dem Faktor Alter zunehmend auch alterskorrelierte Veränderungen in der Variablen Sprachlerneignung (Art. 54) untersucht (vgl. Granena & Long 2013). Entsprechende Untersuchungen haben ein hohes Potential im Hinblick auf einen die kognitiven Stärken und Schwächen der Lernenden berücksichtigenden individualisierten Fremdsprachenunterricht und sollten deshalb verstärkt bei didaktisch-methodischen Entscheidungen einbezogen werden. Literatur Artieda, G. / Muñoz, C. (2013): The role of age and literacy in adult foreign language learning, in: A. Berndt (Hrsg.), 163-180. Berndt, A., Hrsg. (2013): Fremdsprachen in der Perspektive lebenslangen Lernens. Frankfurt a. M. DeKeyser, R. M. (2012): Age effects in second language learning, in: S. M. Gass / A. Mackey 253 52. Alter (Hrsg.): The Routledge handbook of second language acquisition. London, 442-460. Granena, G. / Long, M. H., Hrsg. 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Muñoz, C. / Singleton, D. (2011): A critical review of age-related research on L2 ultimate attainment. Language Teaching 44/ 1, 1-35. Nikolov, M. / Mihaljevic´ Djigunovic´ , J. (2011): All shades of every color: An overview of early teaching and learning of foreign languages. Annual Review of Applied Linguistics 31, 95-119. Singleton, D. (2014): Is there a best age for learning a second language? in: V. Cook / D. Singleton: Key topics in second language acquisition. Bristol, 17-36. Singleton, D. / Les´niewska, J. (2012): Age and SLA : Research highways and bye-ways, in: M. Pawlak (Hrsg.): New perspectives on individual differences in language learning and teaching. Heidelberg, 97-113. Stemmer, B. (2010): A cognitive neuroscience perspective on learning and memory in aging. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 15/ 1, 7-25 (online). Rüdiger Grotjahn 53. Geschlecht 1. Begrifflichkeit Forschungsarbeiten zum Geschlecht unterscheiden das biologische (sex) vom sozialen bzw. kulturellen Geschlecht (gender). Im deutschen Sprachraum wird diese Unterscheidung inzwischen ebenfalls verwendet, wenn sie sich auch in der Fremdsprachenforschung erst in jüngerer Zeit durchzusetzen begonnen hat (Decke-Cornill & Volkmann 2007). Ältere Arbeiten aus der Fremdsprachenforschung hingegen tendieren noch dazu, soziale, kulturelle und biologische Aspekte zum Thema „Geschlecht“ zu vermischen. 2. Forschungsstand Welche Rolle das Geschlecht im Rahmen des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen spielt, gilt bis heute als nicht eindeutig geklärt. Dennoch liegt mittlerweile eine Reihe von Studien vor, die sich dem Thema „Geschlecht“ widmen und dieses aus unterschiedlichen Blickwinkeln untersuchen. Thematisch lassen sich diese Forschungsarbeiten verschiedenen Schwerpunktbereichen zuordnen, die für den Gegenstand Fremdsprachenunterricht relevant sind. Vor allem in neueren Arbeiten ist die Tendenz zu beobachten, auch Wechselwirkungen zwischen verschiedenen dieser Bereiche zu untersuchen. 254 Barbara Schmenk a) Geschlecht und Lernerfolg Die wohl bekannteste Annahme zum Bereich Geschlecht ist die von einer weiblichen Überlegenheit beim Fremdsprachenlernen. Ältere Publikationen und Überblicksdarstellungen zum Thema „Fremdsprachenlernen und Geschlecht“ bestätigen dies noch ausnahmslos (z. B. Ellis 1994), wobei zum Beleg dieser Annahme auf ein recht geringes Korpus von (nur zum Teil empirischen) Studien zurückgegriffen wurde, das Mädchen bessere Leistungen im Fremdsprachenunterricht attestierte. In vielen Fällen wurden die im Durchschnitt besseren Schulnoten von Mädchen in fremdsprachlichen Fächern als hinreichender Beweis für deren Überlegenheit gewertet. Die fraglose Akzeptanz einer weiblichen Überlegenheit charakterisiert auch viele empirische Arbeiten zu geschlechtsspezifischen Aspekten von fremdsprachlichen Lernprozessen noch bis in die 1990er Jahre hinein. Seit Ende der 1990er Jahre ist hingegen die Tendenz zu beobachten, differenzierter mit dem Bereich „Geschlecht und Fremdsprachenlernerfolg“ umzugehen und nicht mehr pauschal davon auszugehen, dass Mädchen „besser“ oder „begabter“ seien als Jungen (Schmenk 2002; Sunderland 2000). Vielmehr zeigen Studien zum Vergleich männlicher und weiblicher Lernender inkonsistente Ergebnisse (Sunderland 2000; Fuchs 2013) und belegen somit, dass keines der Geschlechter beim Fremdsprachenlernen per se als leistungsstärker anzusehen ist. b) Motivation und Einstellungen Die Forschungslage zeigt ein ähnliches Bild, wenn es um Aspekte der Motivation und Einstellung gegenüber dem Fremdsprachenlernen geht. So wählen zwar weibliche Lernende deutlich mehr und öfter als männliche Lernende fremdsprachliche Kurse und Studienfächer, und das in vielen Ländern (Carr & Pauwels 2006; Faulstich-Wieland 2004; Fuchs 2013; Schmenk 2007). Versuche, geschlechtsspezifische Motivationsprofile zu identifizieren, haben sich allerdings als schwierig erwiesen (Sunderland 2000). So haben z. B. die Bemühungen, weiblichen Lernenden eine eher integrative, männlichen hingegen eine eher instrumentelle Orientierung dem Fremdsprachenlernen gegenüber nachzuweisen, keine konsistenten Ergebnisse hervorgebracht. Warum so viele Frauen fremdsprachliche Fächer (wie auch andere stereotyp weiblich assoziierte Fächer und Berufe; vgl. Faulstich-Wieland 2004) wählen, lässt sich nicht mit einem bestimmten „weiblichen“ Motivationsprofil begründen. Wie im Bereich des Lernerfolgs gilt hier: Systematische Unterschiede zwischen der Gruppe der männlichen und der Gruppe der weiblichen Lernenden lassen sich nicht nachweisen. Dennoch ist der Bereich der Einstellungen, Haltungen und Motivation von entscheidender Bedeutung - allerdings erfordert ein genaueres Verständnis von männlicher und weiblicher Fächer- und Berufswahl andere Zugriffe auf die Erforschung von „Geschlecht und Fremdsprachenlernen“ , die die Komplexität des Phänomens anerkennen und es entsprechend soziokulturell kontextualisieren. c) Geschlecht und Interaktion Untersuchungen des Interaktionsverhaltens der Geschlechter sind seit den 1970er Jahren v. a. in der Soziolinguistik durchgeführt worden. Im Zuge der einflussreichen Studie von Lakoff (1975) wurde zunächst versucht, die Sprachverwendung der Geschlechter zu vergleichen, um zu ermitteln, inwiefern sich die sozial unterschiedlichen Positionen von Männern und Frauen in deren Sprachgebrauch manifestieren (Sunderland 2000). Die 255 53. Geschlecht im Zuge dieser Untersuchungen aufgestellten Hypothesen gelten mittlerweile jedoch als problematisch, da es nicht gelang nachzuweisen, dass sich Sprache und Interaktionsverhalten der Geschlechter tatsächlich systematisch unterscheidet (Cameron 2005; Sunderland 2000). Seit Mitte der 1990er Jahre wird stattdessen versucht, Geschlecht als eine diskursiv erzeugte Kategorie zu konzeptualisieren. Dabei wird argumentiert, dass es v. a. der Bereich von gender ist, der im Diskurs verhandelt und performativ konstruiert, mitunter auch dekonstruiert wird (Harrington et al. 2008). Das biologische Geschlecht könne demgegenüber nicht als ausschlaggebend für soziale und kulturelle Entwicklungen der Geschlechter gesehen werden (Cameron 2005; Pavlenko 2001). Die Tendenz, das Geschlecht als sozial und kulturell konstruiert zu sehen, hat sich seitdem auch im Bereich der Erforschung des Fremdsprachenlernens und -lehrens zunehmend verbreitet und zur Entwicklung neuer Forschungsthemen und -fragestellungen in diesem Feld geführt (Sunderland 2000). Wurden vormals primär Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Lernenden gesucht (gemäß einer auf dem Faktor sex basierenden Forschungstradition), werden mittlerweile verstärkt Fragestellungen untersucht, die gender als eine (neben anderen) Kategorien berücksichtigen, wenn es um Zusammenhänge von Identität und Sprachenlernen in konkreten sozialen und kulturellen Zusammenhängen geht (Decke-Cornill & Volkmann 2007; Schmenk 2002). d) Historische Studien Auch die Geschichtsschreibung des Fremdsprachenunterrichts ist seit Doffs (2002) Studie zum weiblichen Fremdsprachenlernen korrekturbedürftig geworden. Was zuvor als weithin bekannte Geschichte des Fremdsprachenlernens und v. a. der Lehrmethoden galt, stellte lediglich die Seite männlicher Bildung dar. Dass Mädchen bis weit in das 20. Jahrhundert hinein anders unterrichtet wurden, stellt die Geschichtsschreibung in diesem Bereich vor die Notwendigkeit, vormalige historische Darstellungen zu ergänzen und zu korrigieren. 3. Perspektiven Der discursive turn in der Erforschung von gender hat zu einem neuen Verständnis der Kategorie Geschlecht geführt. Statt davon auszugehen, dass Männer und Frauen zwei relativ homogene Gruppen darstellen, deren Verhalten, Sprache, kognitive Prozesse etc. bestimmten geschlechtsspezifischen Mustern folgen, wird das Geschlecht als sozial und kulturell konstruiert gesehen. Die einflussreiche Studie von Norton (2000) untersucht Zusammenhänge zwischen Identitätsbildungsprozessen und Sprachenlernen, wobei das Geschlecht als wichtige Kategorie identifiziert wird, wenn es um das Selbstverständnis der Lernenden wie auch die Fremdsicht auf sie geht. Dieser Perspektivwechsel auf das Geschlecht als gender erfordert sowohl eine stärkere Kontextsensibilität beim Umgang mit individuellen Lernenden, ihren Erwartungen und ihrem Selbstverständnis als auch in Bezug auf soziale und kulturelle Erwartungen und Zuschreibungen. In neueren Studien schlägt sich dies insofern nieder, als z. B. die tradierte Feminisierung des Fremdsprachenlehrens und -lernens nicht länger durch geschlechtsspezifische Charakteristika, Motivationsprofile oder Leistungen zu erklären versucht wird, sondern diese tradierten Vorstellungen werden als historisch und kulturell kodierte verstanden, denen Lernende und Lehrende ausgesetzt sind und mit denen sie sich auseinandersetzen müssen (Carr & Pauwels 2006; Kissau & Salas 2013). Zudem wird 256 Barbara Schmenk das Geschlecht in Bezug auf seine Wechselbeziehungen zu anderen Kategorien gesehen, die für das Fremdsprachenlernen und -lehren ausschlaggebend sein können. Neben kulturellen Hintergründen sind hier insbesondere Sprachenbiographien, die soziale Klasse, das Alter, der Bildungshintergrund sowie die sexuelle Orientierung berücksichtigt worden (Sunderland 2000). Mit diesen Perspektivwechseln im Gegenstandsbereich Geschlecht geht außerdem eine forschungsmethodologische Wandlung einher: Die traditionell eher quantitativnomologisch angelegten Studien zum Vergleich männlicher und weiblicher Probanden werden durch Studien zu gender auch um mehr qualitativ-interpretative Forschungsdesigns komplementiert. 4. Praxisrelevanz Die Diskussionen um gender im Fremdsprachenunterricht zeigen, dass in der Praxis eine erhöhte Sensibilität für das Thema vonnöten ist. Dies betrifft zunächst die Einstellung gegenüber dem Sprachenlernen und -lehren (wie auch gegenüber weiblichen und männlichen Lernenden und Lehrenden). Um das stereotypisch „weibliche Image“ des Sprachenlernens einer kritischen Revision zu unterziehen, kann gender im Rahmen von Reflexionen über das Sprachenlernen im Fremdsprachenunterricht thematisiert werden. Daneben sind auch Themen- und Materialauswahl hinsichtlich einer möglichen implizit oder explizit gender-gebundenen Ausrichtung zu überprüfen (Kissau & Salas 2013). Auch die in Lehrwerken (häufig implizit) vermittelten Geschlechterbilder sind hier zu hinterfragen (Sunderland 2000). Gerade der Fremdsprachenunterricht bietet darüber hinaus die Möglichkeit, verschiedene - alternative - Konstruktionen und Repräsentationen von gender in verschiedenen soziokulturellen Räumen und zu verschiedenen Zeiten zum Thema zu machen. Literatur Cameron, D. (2005): Language, gender and sexuality: current issues and new directions. Applied Linguistics 26/ 4, 482-502. Carr, J. / Pauwels, A. (2006): Boys and foreign language learning. Real boys don’t do languages. Basingstoke, New York. Decke-Cornill, H. / Volkmann, L., Hrsg. (2007): Gender studies and foreign language teaching. Tübingen. Doff, S. (2002): Englischlernen zwischen Tradition und Innovation. Fremdsprachenunterricht für Mädchen im 19. Jahrhundert. München. Ellis, R. (1994): The study of second language acquisition. Oxford. Faulstich-Wieland, H. (2004): Geschlechteraspekte in der Bildung. Berlin. Fuchs, S. (2013): Geschlechtsunterschiede bei motivationalen Faktoren im Kontext des Englischunterrichts. Eine empirische Studie zu Motivation, Selbstkonzept und Interesse im Fach Englisch in der Sekundarstufe I. Frankfurt a. M. u. a. Harrington, K. / Litosseliti, L. / Sauntson, H. / Sunderland, J., Hrsg. (2008): Gender and language research methodologies. Basingstoke, New York. Kissau, S. / Salas, S. (2013): Motivating male language learners: The need for „more than just good teaching“ . Canadian Journal of Applied Linguistics 16/ 1, 88-111. Lakoff, R. (1975): Language and the woman’s place. New York. Norton, B. (2000): Identity and language learning: Gender, ethnicity and educational change. London. Pavlenko, A. (2001): Bilingualism, gender, and ideology. International Journal of Bilingualism 5/ 2, 117-151. 257 54. Sprachlerneignung Schmenk, B. (2002): Geschlechtsspezifisches Fremdsprachenlernen? Zur Konstruktion geschlechtstypischer Lerner- und Lernbilder in der Fremdsprachenforschung. Tübingen. Schmenk, B. (2007): Foreign language research and the feminization of language learning, in: H. Decke-Cornill / L. Volkmann (Hrsg.), 121- 135. Sunderland, J. (2000): Issues of language and gender in second and foreign language education. Language Teaching 33/ 4, 203-223. Barbara Schmenk 54. Sprachlerneignung 1. Begrifflichkeit Die im Folgenden näher zu beleuchtende, mit dem Sprachlernerfolg höher als jeder andere Faktor korrelierende Sprachlerneignung gilt als „one of the ,big two‘ individual difference factors (the other being motivation)“ (Ellis 2004: 531). Allerdings ist festzustellen, dass man sich in den ersten 50 Jahren der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Sprachlerneignung mehr darauf konzentriert hat, Instrumente zu entwickeln, mit denen man sie testen kann, als die Frage zu klären, wie dieses Konstrukt theoretisch fundiert und empirisch überprüft werden kann. Um etwas messen zu können, muss es operationalisiert werden. Damit es operationalisiert werden kann, muss es definiert werden. Und genau hier liegt ein zentrales Defizit der Sprachlerneignungsforschung: Es gibt nach wie vor keinen allgemeinen Konsens darüber, was Sprachlerneignung genau ist, aus welchen Komponenten sie sich im Einzelnen zusammensetzt und in welchem Verhältnis diese zueinander stehen. Einigkeit besteht derzeit lediglich darüber, dass es sich um ein mehrdimensionales, komplexes, verschiedene kognitive Fähigkeiten umfassendes Konstrukt handelt, die zusammen genommen individuelle Lerneignungsprofile ergeben. Dabei wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass Lernende sich lediglich hinsichtlich ihrer individuellen Lerngeschwindigkeit und der jeweils langfristig erreichbaren L2-Kompetenz unterscheiden. Entsprechend betrachtet man die Sprachlerneignung heute nicht länger als ein angeborenes, stabiles Persönlichkeitsmerkmal, sondern als eine sich im Laufe der Lernbiographie durch Erfahrung entwickelnde Expertise. Wir haben es also hier nicht nur mit einem interindividuell, sondern auch mit einem intraindividuell variablen Faktor zu tun. 2. Problemaufriss: Vom MLAT zum Hi-LAB bzw. vom theoriefreien Testen zum fundierten Messen In den 1950er und 1960er Jahren ging es in erster Linie darum, Personen zu identifizieren, die sich als besonders geeignet für das gesteuerte Erlernen einer Fremdsprache erwiesen. Der von den US-amerikanischen Psychologen Carroll und Sapon auf der Basis umfangreicher empirischer Testreihen anhand von ursprünglich 40 Subtests mit ca. 5.000 Probanden entwickelte und im Jahr 1959 publizierte Modern Language Aptitude Test (MLAT) ist - trotz zum Teil massiver Kritik - nach wie vor der am meisten verbreitete kommerzielle Sprachlerneignungstest. Er misst anhand von insgesamt fünf Aufgaben die folgenden vier kognitiven Fähigkeiten: 1. Phonetic coding ability: Fähigkeit, neue Laute zu erkennen, sie einem Symbol zuordnen und sich diese Assoziation kurzzeitig merken zu können; 2. Grammatical sensitivity : Fähigkeit, die Funktion von Wörtern in Sätzen erkennen zu können; 258 Karin Aguado 3. Rote learning ability: Fähigkeit zum schnellen Auswendiglernen; 4. Inductive language learning ability: Fähigkeit zur Entdeckung von grammatischen Relationen und Regeln. Neben der fehlenden theoretischen Grundlage wird der MLAT u. a. für die mangelnde Trennschärfe seiner Subtests kritisiert (vgl. dazu z. B. Skehan 1989). Hier wird deutlich, dass es Carroll und Sapon vorrangig um den praktischen Nutzen der Prognostizierbarkeit von Lernerfolg und weniger um die theoretisch basierte und empirisch abgesicherte Erklärung von Sprachlerneignung ging. Im Jahr 1966 hat Pimsleur den von ihm speziell für den Einsatz in High Schools entwickelten, ebenfalls kommerziell vertriebenen Test Pimsleur Language Aptitude Battery (PLAB) veröffentlicht. Dieser Test weist eine Reihe von Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zum MLAT auf: Da es Pimsleur um eine möglichst frühzeitige Sprachlerneignungsdiagnose zwecks Anpassung der Unterrichtspraxis ging, legte er in seinem Test den Fokus auf die Messung der für den schulischen Lernerfolg seiner Auffassung nach ausschlaggebenden auditiven Fähigkeiten. Der von Meara (2005) entwickelte, kostenlos elektronisch zur Verfügung gestellte und vorrangig auf die Messung rezeptiver Fähigkeiten beschränkte Eignungstest LLA- MA umfasst insgesamt vier, konzeptionell mit dem MLAT nahezu identische Subtests, und zwar zum Wortschatzlernen, zur Lauterkennung, zur Laut-Symbol-Assoziation und zur grammatischen Inferenz. Trotz seiner inzwischen recht starken Verbreitung handelt es sich hier allerdings nicht um einen standardisierten Test, da er die dafür erforderlichen Gütekriterien Genauigkeit und Zuverlässigkeit nicht erfüllt. Mit dem expliziten Ziel, eine hohe Sprachkompetenz vorhersagen zu können, hat sich eine Gruppe renommierter L2-Forscherinnen und -Forscher (u. a. Robert DeKeyser, Catherine Doughty, Michael Long und Peter Robinson) an der University of Maryland daran gemacht, einen auf neuesten kognitionswissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden prognostischen Test zu konzipieren. Es handelt sich hierbei um eine außerordentlich komplexe und differenzierte, noch in der Entwicklung befindliche und bisher bereits über 30 Subtests umfassende Testbatterie namens Hi-LAB, mittels derer zum einen aus neueren gedächtnistheoretischen Erkenntnissen abgeleitete Teilkompetenzen wie z. B. die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses oder die Exekutive Kontrolle und zum anderen Eigenschaften wie z. B. Ambiguitätstoleranz oder pragmatische Sensibilität gemessen werden sollen (für eine ausführliche Darstellung vgl. z. B. Linck et al. 2013). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in der Konzeption und der Durchführung von Sprachlerneignungstests seit Mitte des 20. Jahrhunderts eine Entwicklung von der Selektion zur Diagnose erfolgt ist. Insbesondere in jüngster Zeit sind erhebliche Fortschritte erzielt worden, so dass inzwischen theoretisch und empirisch fundierte Instrumente vorliegen, die es allerdings noch weiter zu entwickeln bzw. zu ergänzen gilt, nicht zuletzt auch um z. B. die bisher weitgehend vernachlässigten produktiven Fähigkeiten von Lernenden angemessen zu erfassen. 3. Forschungsstand und Praxisrelevanz Wie am Hi-LAB deutlich erkennbar ist, wird das Arbeitsgedächtnis inzwischen als eine wesentliche Komponente der Sprachlerneignung betrachtet, dessen Komplexität mittels einfacher Gedächtnisaufgaben, wie sie im MLAT oder im LLAMA zum Einsatz kommen, nicht adäquat erfasst werden kann. Nach Baddeley (2003) besteht das kapazitär begrenzte Arbeitsgedächtnis aus mehreren Sub- Komponenten, nämlich der phonologischen 259 54. Sprachlerneignung Schleife (für die kurzzeitige Speicherung phonetisch-phonologischer Informationen), dem räumlich-visuellen Notizblock (für die vorübergehende Speicherung von räumlichen und visuellen Informationen), dem episodischen Puffer (einem multimodalen Speichersystem mit begrenzter Kapazität) und der Zentralen Exekutive (einer Instanz für die Kontrolle der Aufmerksamkeit und die Herstellung von Verbindungen zum Langzeitgedächtnis), wobei insbesondere letztere für eine effiziente Informationsverarbeitung auch unter weniger günstigen Bedingungen (wie z. B. in außerunterrichtlichen Lernsituationen) bedeutsam ist. Lange Zeit ging man davon aus, dass die Sprachlerneignung ausschließlich für das gesteuerte, nicht jedoch für das ungesteuerte Lernen von Sprachen von Belang sei. Aufgrund von Beobachtungen, denen zufolge die individuellen Eigenschaftskonstellationen von Lernenden dynamisch mit der jeweiligen Lehr-Lern-Situation interagieren, vertreten Skehan (1989; 1998) und Robinson (2002; 2007) jedoch die für die Praxis außerordentlich relevante Auffassung, dass die Sprachlerneignung nicht losgelöst von dieser Variable konzipiert werden kann. In seinem auf kognitionspsychologischen Erkenntnissen basierenden Processing Stage Model of Aptitude nimmt Skehan (2002) zunächst einmal die folgenden vier Makrophasen an: noticing, patterning, controlling und lexicalizing. Diese untergliedert er weiter in insgesamt neun Erwerbsstadien, denen er dann Lerneignungskomponenten wie Segmentierung, Aufmerksamkeitssteuerung, Arbeitsgedächtnis, grammatische Sensibilität, Restrukturierungskapazität, Automatisierung oder Chunking zuordnet. Spätestens an dieser Stelle wird nachvollziehbar, warum Lernende bei ihrem Fremdsprachenerwerb so starke inter- und intraindividuelle Unterschiede aufweisen und warum es sinnvoll ist, hier ein multikomponentielles Konstrukt anzunehmen. Robinson (2001) geht in seiner Konzeption von sogenannten Aptitude Complexes aus, die sich aus der Interaktion von individuellen kognitiven Fähigkeiten und spezifischen unterrichtlichen Lernsituationen ergeben. Die von ihm angenommenen primären Fähigkeiten der Mustererkennung, der Kapazität und Verarbeitungsgeschwindigkeit des phonologischen Arbeitsgedächtnisses sowie der grammatischen Sensibilität bilden die Grundlage für sprachlernspezifische Fähigkeiten wie z. B. noticing the gap, Inferieren von Bedeutung und Bilden von Analogien oder Erkennen und Ableiten von grammatischen Regeln. In dem daraus entwickelten methodisch-didaktischen Ansatz geht es um die optimale Abstimmung (Matching) von individuellen Lernerprofilen und Vermittlungsmethoden (vgl. Robinson 2012: 60). Die methodisch-didaktische Umsetzung dieses in der empirischen Fremdsprachenforschung vergleichsweise neuen Aptitude-Treatment-Interaction (ATI)-Ansatzes in die unterrichtliche Praxis stellt die Lehrkräfte zweifelsohne vor große Herausforderungen. Bisherige empirische Forschungen wie z. B. die von Wesche (1981) belegen jedoch, dass sich dieser Aufwand lohnt und nicht nur zu einem größeren Lernerfolg, sondern auch zu einer höheren Lernerzufriedenheit führt. Die aktuelle Sprachlerneignungsforschung weist eine hohe Praxisrelevanz auf, v. a. wenn man nicht nur die selektive, sondern insbesondere auch die diagnostische Funktion von Sprachlerneignungstests und die daraus ableitbaren Konsequenzen für die methodischdidaktische Gestaltung von Unterricht berücksichtigt. Wenn z. B. Lernende mit einer niedrigen Sprachlerneignung mehr von metasprachlichen Erklärungen profitieren, dann sollte ihnen diese Unterstützung angeboten werden. Oder wenn Lernende mit einem schwach ausgebildeten Arbeitsgedächtnis in einem kommunikativ angelegten Sprachunterricht im Nachteil sind, weil die für sie damit verbundenen kognitiven Herausforde- 260 Karin Aguado rungen - also z. B. gleichzeitig auf Form und Inhalt achten zu müssen - zu groß sind, dann muss man diesen Lernenden entweder mehr Zeit einräumen oder ihnen andere entlastende Hilfestellungen anbieten. 4. Perspektiven Nach wie vor ist zu beobachten, dass insgesamt mehr Energie in die Entwicklung von Sprachlerneignungstests als in die Erforschung des zugrundeliegenden Konstrukts investiert wird. Dabei ist zu beachten, dass die Testvalidität wesentlich von der Konstruktvalidität abhängt. Der bisher noch nicht erzielte Konsens hinsichtlich der zu berücksichtigenden Komponenten, ihres Verhältnisses zueinander bzw. ihrer Gewichtung sowie die Frage, welche davon im Laufe der Zeit - z. B. durch Erfahrung oder Training - veränderbar sind und welche nicht, stellt ein Problem hinsichtlich der Konzeption sowie der Vergleichbarkeit von Studien dar. Das heißt, die starke Heterogenität der aktuellen Sprachlerneignungsforschung ist der Akzeptanz des Konstrukts auf Seiten der Fremdsprachendidaktik nicht unbedingt zuträglich. Daraus folgt, dass - insbesondere auch im deutschsprachigen Raum - mehr empirische Studien vonnöten sind, da nur so überprüft werden kann, ob die in der internationalen Sprachlerneignungsforschung gewonnenen Erkenntnisse auch für den hiesigen Kontext von Bedeutung sind (vgl. dazu bereits Schlak 2008). Auch in Bezug auf die empirische Fundierung des zuvor knapp skizzierten und vielversprechenden ATI-Ansatzes sind für begründete methodisch-didaktische Empfehlungen noch weitere Untersuchungen - insbesondere auch hinsichtlich des bisher kaum berücksichtigten Faktors „Lehr- und Lernmaterialien“ - erforderlich (vgl. dazu v. a. Valtz et al. 2013: 286). In diesem Zusammenhang relevant ist Robinsons (2012) Hinweis darauf, dass die Sprachlerneignung bisher ausschließlich statisch bzw. punktuell getestet wird. Er schlägt stattdessen ein dynamisches bzw. kontinuierliches Testen vor, u. a. um zu ermitteln, wie schnell Lernende sich an Lernsituationen anpassen können bzw. ob und wie sich ihre Lerneignung im Laufe des Lernprozesses verbessert. Was also geboten scheint, ist die longitudinale Erfassung der Entwicklungsdimension der Sprachlerneignung. Den hier zu erwartenden Ergebnissen kommt eine besonders hohe methodisch-didaktische Relevanz zu. Wünschenswert wäre künftig mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Sprachwissenschaftlern, Fremdsprachenforschern, Sprachdidaktikern, Psychologen und Neurowissenschaftlern, deren Ziel sowohl in der gemeinsamen Theorieentwicklung als auch in der kooperativen Durchführung mehrmethodisch und longitudinal angelegter empirischer Forschung zum besseren Verständnis des komplexen Sprachlerneignungskonstrukts bestehen sollte. Literatur Baddeley, A. D. (2003): Working memory and language: an overview. Journal of Communication Disorders 36, 189-208. Carroll, J. B. / Sapon, S. M. (1959): Modern Language Aptitude Test ( MLAT ). New York. Ellis, R. (2004): Individual differences in second language learning, in: A. Davies / C. Elder (Hrsg.): The handbook of applied linguistics. Oxford, 525-551. Linck, J. A. / Hughes, M. M. / Campbell, S. G. / Silbert, N. H. / Tare, M. / Jackson, S. R. / Smith, B. K. / Bunting, M. F. / Doughty, C. 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Leaver, Ehrman & Shektman 2005). Aber man findet auch das Umgekehrte: So betrachten Dörnyei und Skehan (2003) den kognitiven Stil als die von einem Individuum bevorzugte, situationsübergreifende Weise, Informationen wahrzunehmen und zu kategorisieren, während der Lernstil die auf einen Lernkontext bezogene bzw. sich in Lernsituationen manifestierende individualtypische Präferenz des Umgangs mit Informationen bezeichnet. Nicht vollkommen geklärt ist ferner die Abgrenzung zu Lernstrategien. Sowohl Lernstile als auch Lernstrategien haben verhaltenssteuernde 262 Karin Aguado Funktionen, sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich des Grades an Bewusstheit: Während es sich bei den Strategien um bewusstseinsfähige, mentale Pläne handelt, die spezifische Handlungen und Techniken umfassen, welche gezielt zum Lernen eingesetzt werden können und entsprechend vermittelbar und trainierbar sind, ist dies bei Lernstilen nicht der Fall. Wichtig ist hier ferner, dass Lernstrategien im Unterschied zu Lernstilen prinzipiell als situationsabhängig betrachtet werden. Hinsichtlich des Verhältnisses beider Konstrukte wird angenommen, dass der individuelle Lernstil den Erwerb und Gebrauch kognitiver, metakognitiver, affektiver und sozialer Lernstrategien und somit auch den Lernerfolg beeinflusst. Zusammenfassend kann das Konstrukt Lernstil mit Bezug auf Reid (1995) und Grotjahn (2007) als die bevorzugte, relativ stabile und situations-, inhalts- und aufgabenunspezifische individuelle Präferenz bei der Wahrnehmung, der Aufnahme, der Verarbeitung und dem Behalten von neuen Informationen bezeichnet werden. Und genau hier setzt eine wichtige Frage an, die es weiter empirisch zu untersuchen gilt: Sind Lernstile tatsächlich tief in der Persönlichkeit eines Individuums verankerte invariante und weitgehend unbewusste Dispositionen, oder können sie sich im Laufe einer Lernbiographie z. B. durch Reifung, Einsicht oder Training ändern? 2. Forschungsstand In der einschlägigen Forschung sind eine Reihe unterschiedlicher Lernstile identifiziert worden, von denen im Folgenden nur die für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen als relevant betrachteten kurz skizziert werden sollen. Lernstile werden häufig als bipolare Skalen konzipiert, d. h. dass sich Individuen mit ihren jeweiligen Stilen irgendwo zwischen den beiden extremen Polen ansiedeln. Im Normalfall liegt dies innerhalb ihrer persönlichen Komfortzone (Ehrman 1996). Mit keinem Pol ist per se eine bessere oder schlechtere Leistung oder Kompetenz verbunden: Verschiedene Lernende können mit verschiedenen Lernstilen gleichermaßen erfolgreich sein. Es handelt sich beim Lernstil also um ein individuelles Präferenz-Konstrukt zur Beschreibung der Art, wie ein Individuum bevorzugt Informationen wahrnimmt und verarbeitet. Die Anzahl der angenommenen, theoretisch unterschiedlich gut fundierten Lernstildimensionen schwankt: während z. B. Oxford und Anderson (1995) über zwanzig solcher Dimensionen annehmen, umfasst das Learning Style-Modell von Ehrman und Leaver (2003) lediglich zehn solcher Skalen. Die Lernstildimension Feldabhängigkeit - Feldunabhängigkeit gehört dabei zu den prominentesten. Empirische Forschungen zeigen, dass feldabhängige Personen eher ganzheitlich wahrnehmen, eine starke Außenorientierung aufweisen und interpersonalen Beziehungen eine große Bedeutung beimessen. Bei der Informationsverarbeitung gehen sie eher intuitiv vor, sie beziehen den Kontext ein, da ihnen das Herauslösen von Einzelreizen Schwierigkeiten bereitet. Demgegenüber weisen feldunabhängige Individuen eine stärkere Innenorientierung bzw. eine von internalisierten Standards geprägte Herangehensweise auf. D. h. sie nehmen eher analytisch wahr, und es fällt ihnen vergleichsweise leicht, dem Kontext Details zu entnehmen. In Bezug auf das Lernen von Fremdsprachen ist festzustellen, dass feldunabhängige Lernende eher Vorteile im gesteuerten - d. h. von außen strukturierten und eher formbezogenen - Fremdsprachenerwerb haben, während feldabhängige Lernende mehr von ungesteuerten - d. h. meist nur wenig vorstrukturierten und eher kommunikationsbezogenen - Erwerbssituationen profitieren. 263 55. Lernstile Eng mit der soeben skizzierten Lernstildimension hängt die Skala analytisch - global zusammen: Lernende mit einem eher globalen Lernstil ziehen es vor, bei der Verarbeitung von Informationen den gesamten Kontext zu erfassen, Lerner mit einem eher analytischen Lernstil bevorzugen es hingegen, sich auf einzelne Aspekte zu konzentrieren, die sie anschließend zu einem Ganzen verknüpfen. Während Erstere als intuitiv und assoziativ und stärker kommunikations- und gruppenbezogen bezeichnet werden, gelten Letztere als systematisch und kognitiv und damit eher formorientiert. Eine weitere im Zusammenhang mit dem Erwerb von Fremdsprachen häufig genannte Lernstildimensionen ist Ambiguitätstoleranz - Ambiguitätsintoleranz (vgl. Chapelle und Roberts 1986). Sie bezieht sich auf die Fähigkeit von Lernenden, unvollständige, mehrdeutige oder gar widersprüchliche Informationen wahrnehmen und „aushalten“ zu können. Ambiguitätsintolerante Lernende haben in der Regel einen starken Wunsch nach Eindeutigkeit. Gerade der natürliche, ungesteuerte Erwerb verlangt von L2-Lernenden viel Ambiguitätstoleranz, da sie permanent mit unbekanntem Wortschatz, neuen Strukturen, unerwarteten Situationen und auch mit divergierenden sprachbezogenen Verhaltensnormen konfrontiert werden. Der gesteuerte Erwerb zeichnet sich hingegen durch angepassten und strukturierten Input sowie durch entsprechende Übungen und Erklärungen aus. Für eher ambiguitätsintolerante Lernende, die gern alles verstehen möchten und die einen starken Wunsch nach Erklärungen und Regelformulierungen haben, ist dies daher die bevorzugte Lernsituation, während ambiguitätstolerante Individuen auch mit weniger strukturierten Settings gut zurechtkommen. Die Lernstildimension Extraversion - Introversion findet sich in allen wichtigen Persönlichkeitsmodellen (vgl. bereits z. B. Eysenck & Eysenck 1964 oder Myers-Briggs- Type-Indicator = MBTI). Es handelt sich hierbei um eine der wenigen Lernstildimensionen, die (neuro)physiologisch messbar und somit objektiv nachweisbar sind. Während extrovertierte Individuen eher risikobereit sind, spontan handeln und dabei häufig weniger akkurate Ergebnisse erzielen, handeln introvertierte Lernende eher systematisch und fokussiert, so dass ihre Ergebnisse meist entsprechend korrekter ausfallen. Extrovertierte Lernende gelten als sozial aufgeschlossen, kontaktfreudig und anpassungsfähig, was sich auf den Erwerb derjenigen sprachlichen Fertigkeiten positiv auswirken kann, für die eine solche Disposition günstig ist, z. B. das Sprechen. Introvertierte Lernende haben hingegen Vorteile beim Erwerb von Fertigkeiten, für die der Kontakt mit anderen nicht unbedingt erforderlich oder wichtig ist, z. B. das Schreiben. Bei der Lernstildimension Reflexivität - Impulsivität geht es um das Entscheidungsverhalten von Individuen, also um den Grad an Spontaneität bei der Bearbeitung von Aufgaben. Zusammenfassend ist zu sagen, dass impulsive Lernende eher dazu tendieren, bei komplexen Problemlösungen spontan vorgehen, während eher reflexive Lernende es vorziehen, mehr zu planen. Während Letztere also insgesamt bedachter handeln, was sich v. a. auch bei Aufgaben, bei denen mehr Zeit zur Verfügung steht, wie z. B. beim Lesen oder Schreiben, positiv auswirken kann, sind Erstere in Bezug auf Fertigkeiten im Vorteil, die schnelles Handeln erfordern, wie z. B. Hören und Sprechen. Zu beachten ist hier, dass beide Ausprägungen sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich bringen können: So kann die zum Teil sehr stark ausgeprägte Selbstkontrolle eher reflexiver Lernender zu Sprachverwendungsängsten führen und somit deren weiteren Erwerbsprozess behindern. 264 Karin Aguado Abschließend seien hier noch die individuellen Präferenzen für die verschiedenen Wahrnehmungskanäle genannt. Es werden auditive, visuelle, kinästhetische und taktile bzw. haptische Perzeptionsstile unterschieden, die sich folgendermaßen auswirken können: Während auditive Lerner am besten lernen, wenn sie zuhören, verarbeiten visuelle Lerner Informationen dann am effizientesten, wenn sie ihnen optisch dargeboten werden. Kinästhetische Lerner bevorzugen dagegen körperliche Bewegung, um etwas zu lernen, und taktile Lerner wollen den Lerngegenstand anfassen - was zwar im Anfängerunterricht (und mit Kindern) zum Teil durchaus möglich ist, auf fortgeschrittenem Niveau (und mit Erwachsenen) jedoch sehr schnell an seine Grenzen stößt. Trotz aller Beliebtheit dieser Lernstildimension auch in der fremdsprachendidaktischen Praxis ist zu beachten, dass es bisher keine psychometrisch validierten empirischen Nachweise für einen kausalen Zusammenhang zwischen der inhaltsunabhängigen Präferenz für einen Wahrnehmungskanal und dem Erfolg beim Fremdsprachenlernen gibt. Zur Ermittlung der Lernstile wird in den etablierten standardisierten Verfahren (vgl. z. B. das Learning Style Inventory von Kolb 1976) mehrheitlich die Methode des Selbstberichts verwendet. Dabei wird bevorzugt mit Fragebögen gearbeitet, die den Vorteil haben, dass sie vergleichsweise leicht erstellt, durchgeführt und ausgewertet werden können. Zu beachten ist, dass bei solchen Befragungen Personen begünstigt werden, die in der Lage sind, über sich und ihr Lernverhalten zu reflektieren und die über ausreichende metakognitive und metasprachliche Fähigkeiten verfügen, diese Reflexionen angemessen zu verbalisieren. Abgesehen davon, dass es sich beim Lernstil um eine eher unbewusste Disposition handelt, zu der u. U. nur ein eingeschränkter Zugang besteht, stellt sich hier das methodisch-methodologische Problem, dass in solchen Befragungen häufig mit imaginierten Lernsituationen gearbeitet wird. Fraglich ist hier, ob sich jemand in einer konkreten Situation tatsächlich so verhält, wie er/ sie es angibt bzw. glaubt, sich zu verhalten. Problematisch sind hier also die in der empirischen Forschung bekannten Reaktivitäts- Effekte (wie z. B. soziale Erwünschtheit, Konsistenzeffekt oder Tendenz zur Mitte). Daher erscheint es insgesamt angemessener, individuelle Lernstile mittels eines mehrmethodischen Designs zu erfassen, bei dem Fremd- und Selbstbeobachtungen miteinander kombiniert werden. So könnte zusätzlich zur Ermittlung von Präferenzen in bereits erlebten Lernsituationen konkretes Verhalten bei der Bearbeitung von Aufgaben - evtl. ergänzt durch Lautes Denken oder Lautes Erinnern - beobachtet, beschrieben, analysiert und erklärt werden. 3. Praxisrelevanz Auch wenn immer wieder prinzipielle Zweifel an der Relevanz von Lernstilen für das erfolgreiche Lernen von Fremdsprachen formuliert werden (vgl. z. B. Dörnyei 2005: 157- 159), besteht gleichzeitig ein starkes fremdsprachendidaktisches und unterrichtspraktisches Interesse an diesem Konstrukt. Unterschiedliche Lernstilausprägungen sind für unterschiedliche Situationen, Fertigkeiten oder Aufgaben unterschiedlich günstig. Ein wichtiger praktischer Schritt könnte daher in der Bewusstmachung von Lernstilen liegen bzw. in der Sensibilisierung von Lehrenden für eine bessere Beobachtung ihrer Lernenden, z. B. durch den Einsatz von Lernstilfragebögen (vgl. dazu Grotjahn 2007: 330). Die unterrichtliche Berücksichtigung von Lernstilen erscheint auch deshalb wichtig, weil die Ergebnisse empirischer Untersuchungen (vgl. Oxford, Ehrman & Lavine 1991; Ehrman 1996) nahelegen, dass aus einer mangelnden 265 55. Lernstile Passung von Lehrstil auf der einen Seite und Lernstil auf der anderen Seite Lernschwierigkeiten erwachsen können. Hinsichtlich der Herstellung einer solchen Passung schlägt die Lernstilforschung die Förderung der beiden Prozesse Matching und Stretching (vgl. Kinsella 1995; Ehrman 1996; Leaver, Ehrman & Shekhtman 2005) vor. Während es beim Matching darum geht, dass Lehrende ihr Lehrverhalten an die Lernstilpräferenzen ihrer Lernenden anpassen, geht es beim Stretching darum, dass sich Lernende z. B. durch angeleitete Reflexionen ihrer individuellen Präferenzen bewusst werden und die Bereitschaft entwickeln, ihre Komfortzone zu verlassen oder zumindest auszuweiten, indem sie andere, bisher von ihnen eher vernachlässigte Lernstildimensionen erkennen und zu ihrem Vorteil, also zur Optimierung ihres Lernerfolgs nutzen. 4. Perspektiven Der empirische Beweis eines kausalen Zusammenhangs von Lernstilen und Lernerfolg sowie die Überprüfung der Annahme, dass eine bessere Lehrstil-Lernstil-Passung tatsächlich zu mehr Lernerfolg führt, stehen noch aus. Ferner erscheint es insbesondere mit Blick auf die unterrichtliche Praxis unverzichtbar, künftig auch die soziokulturellen und kulturspezifischen Charakteristika von Lernstilen systematisch und vergleichend zu untersuchen und daraus entsprechende Empfehlungen für die fremdsprachenunterrichtliche Praxis abzuleiten. Dass sich Lernende aufgrund individueller Unterschiede hinsichtlich ihres Fremdsprachenlernerfolgs unterscheiden, ist in der Fremdsprachenforschung inzwischen ausreichend empirisch belegt und daher unumstritten. Es stellt sich jedoch die Frage, in welcher Weise diese Faktoren den Erwerbsprozess konkret beeinflussen und in welchen Wechselwirkungen sie zueinander stehen. In Bezug auf den hier behandelten Faktor Lernstil sollten weitere, das individuelle Präferenzverhalten maßgeblich beeinflussende Faktoren wie Gegenstand, Interesse, Fähigkeiten und Kontext stärker berücksichtigt werden. Literatur Chapelle, C. A./ Roberts, C. (1986): Ambiguity of tolerance and field independence as predictors of proficiency in English as a second language. Language Learning 36, 27-45. Dörnyei, Z. (2005): The psychology of the language learner: Individual differences in second language acquisition. Mahwah, NJ . Dörnyei, Z. / Skehan, P. (2003): Individual differences in second language learning, in: C. J. 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So bewirken affektive Faktoren wie Motivation, Einstellungen oder Angst gemeinsam mit anderen Faktoren, dass Sprachen unterschiedlich schnell und erfolgreich gelernt werden; häufig können Lernschwierigkeiten darauf zurückgeführt werden. Sie sind Teil der personalen Faktoren, aber anders als kognitive Faktoren wie Sprachlerneignung (vgl. Art. 54) unterliegen sie kurz- und langzeitigen Veränderungen v. a. in Wechselwirkung mit anderen affektiven Faktoren und auch Faktoren, die aus vorhandenen Lernerfahrungen und aus dem Umfeld der Lernenden stammen (vgl. zu den sozialen Faktoren Art. 57). Affektive Faktoren sind nicht einfach zu erforschen, da sie mehrdimensional, dynamisch und teils tief in der Persönlichkeit der Lernenden und ihrer Lernbiographie (vgl. Art. 51) verwurzelt sind. Außerdem sind sie nicht direkt beobachtbar, weder durch die Forschung (weshalb v. a. auf Befragungsverfahren zurückgegriffen wird), noch durch die Lehrenden, die eher nur Oberflächenphänomene in Form von (Un-) Willensbekundungen und anderen Emotionen wahrnehmen können. 2. Forschungsstand a) Einstellungen Einstellungen von Lernenden zur gelernten Fremd- oder Zweitsprache, zur mit der Sprache assoziierten Sprachgemeinschaft und Kultur und zum Sprachlernprozess selbst wurden von der Zweitsprachenerwerbsforschung häufig zusammen mit dem Faktor Motivation untersucht. Generell gelten positive Einstellungen als spracherwerbsförderlich und die Motivation stützend (vgl. Cook & Singleton 2014: 91-94). Frühe Studien im Migrationskontext haben aber auch ergeben, dass Lernende mit positiven Einstellungen zur Zweitsprache nicht zwangsläufig die erfolgreicheren Lernenden sind (vgl. exemplarisch Oller et al. 1977). b) Motivation Motivation ist der affektive Faktor, dem in der Fremdsprachendidaktik die meiste Beachtung geschenkt wird - und dem neben dem kognitiven Faktor Sprachlerneignung forschungsseitig die größte Erklärungskraft in Bezug auf individuelle Unterschiede beim Fremdsprachenlernen zugesprochen wird. Die Forschung hat sich bis dato stärker mit den Beweggründen von Lernenden für das 267 56. Affektive Faktoren Fremdsprachenlernen und damit verbundenen Willensbildungsprozessen als mit motivationalen Prozessen im Verlauf des Fremdsprachenlernens befasst. Die äußeren Quellen, z. B. der vermeintlich simple Aspekt, ob Sprachen im jeweiligen Schulsystem angeboten werden oder nicht, die diese Beweggründe und Prozesse (mit) initiieren und aufrechterhalten bzw. hemmen oder gar zum Erliegen bringen, werden hingegen eher in der Forschung zu Fremdsprachen, die keine internationale lingua franca sind (wie z. B. die Fremdsprache Deutsch), berücksichtigt (vgl. Riemer 2011). Die fremdsprachenspezifische Motivationsforschung lässt sich in unterschiedliche Phasen unterteilen (vgl. Dörnyei & Ryan 2015: 72-105): Bis in die 1990er Jahre dominierte eine Auffassung, die sich im prominenten socio-educational model (vgl. Gardner 1985) niederschlug, dass nämlich positive Einstellungen von Lernenden zu der sowie Interesse für die zu erlernende Sprache und für die damit verbundene Kultur sowie spezifische Orientierungen, die sich auf die Hauptbeweggründe und langfristigen Ziele des Fremdsprachenlernens richten, erfolgreiches Fremdsprachenlernen bedingen. Unterschieden werden die integrative Orientierung, die aus lernerseitigem Interesse und Offenheit für die fremde Kultur erwächst, und die instrumentelle Orientierung, die sich in der lernerseitigen Annahme spiegelt, dass die Zielsprache für das spätere Leben nützlich sei (z. B. Verbesserung der Berufschancen). Insbesondere die integrative Orientierung (bzw. die sog. integrativeness als Bündel von Einstellungen, Interesse und Orientierung; vgl. Gardner 1985) wurde intensiv erforscht und tendenziell als nachhaltiger eingeschätzt. Dennoch wurde der lernförderliche Einfluss beider Orientierungen - die sich auch nicht gegenseitig ausschließen - nachgewiesen; weitere spezifische Orientierungen wie Reisemotive, Bildungsmotive und allgemeine Kontaktmotive wurden außerdem ermittelt (vgl. Clément & Kruidenier 1983). In Bezug auf Deutsch als Fremdsprache konnte im Rahmen unterschiedlicher Länderstudien ermittelt werden, dass (neben länder- und regionenspezifischen Merkmalen) allgemeine Motivationstendenzen zu beobachten sind, die insbesondere die Instrumentalität und den besonderen Status von Deutschkenntnissen als Bereicherung des mehrsprachigen Profils, in Ergänzung zu Englischkenntnissen, betonen (vgl. Riemer 2011). Allerdings hat die Forschungsrezeption das socio-educational model häufig zu sehr auf das Konzept integrativeness verengt. Der Ansatz ist deutlich breiter aufgestellt und sieht Lernmotivation auch wesentlich in den Einstellungen des Lernenden zur Lernaufgabe selbst sowie im Ausmaß der Lernanstrengung verankert (vgl. Gardner 2010). Anfang der 1990er Jahre geriet das socioeducational model in starke Kritik; es wurde als zu einseitig kritisiert, ergänzt und später tendenziell abgelöst. Pädagogische und (kognitions-)psychologische Konzepte und Theorien und auch Prozessmodelle, die den instabilen Charakter von Motivation betonen (vgl. Dörnyei & Ottó 1998), spielen in der Folge eine größere Rolle, u. a. die Selbstbestimmungstheorie und Attributionstheorie. Fremdsprachenlernen wird danach auf intrinsische, aus Interesse und Selbstantrieb geleitete Motivation bzw. extrinsische, sich aus externen Anreizen (wie etwa dem Erzielen guter Schulnoten oder der Vermeidung von Strafen) getriebene Motivation zurückgeführt (vgl. Noels et al. 2000) sowie die lernerseitige Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Erfolgserlebnisse können demnach die Lernmotivation verstärken, Misserfolgserlebnisse sie aber schwächen. Und dies insbesondere dann, wenn die lernende Person die Ursachen für erfolgreiches oder weniger erfolgreiches Fremdsprachenlernen (Kausalattributionen) auf sich selbst zurückführt, wobei 268 Claudia Riemer Selbstwahrnehmungen, Selbstvertrauen und generalisierte Überzeugungen der Lernenden zur eigenen Person eine entscheidende Rolle spielen (vgl. Williams et al. 2001). In der jüngeren Forschung wird der Zusammenhang von Sprachenlernen, damit verbundener Motivation und der Identitätsentwicklung und -entfaltung der Lernenden in ihrem sozio-kulturellen Milieu betont. Zentral hierfür ist das Konstrukt des ideal L2 self, mit dem ein Selbstkonzept gemeint ist, nach dem die Beherrschung einer Fremdsprache bzw. Mehrsprachigkeit eine vom Lernenden angestrebte Eigenschaft darstellt, der motivationale und verhaltensregulatorische Kraft (Stärkung der Lernanstrengung) zugesprochen wird, insbesondere wenn Lernende Diskrepanzen zwischen ihrem aktuellen und angestrebten Selbstkonzept wahrnehmen (vgl. Dörnyei 2009). c) Angst Fremdsprachenspezifische Angst ist ein weiterer affektiver Faktor, dem viel Aufmerksamkeit geschenkt und der den Emotionen zugeordnet wird (vgl. Dörnyei & Ryan 2015: 9 f., 175-179). Teilweise geschieht dies im Rahmen umfassenderer Ansätze - wie auch im Rahmen des socio-educational models - , häufiger im Rahmen spezifischer Untersuchungen, die allerdings einen eher schwachen Einfluss des Faktors Angst auf das erfolgreiche Fremdsprachenlernen nachweisen können (vgl. zusammenfassend Horwitz 2010). In der fremdsprachenspezifischen Angstforschung sind unterschiedliche Konstrukte entwickelt bzw. adaptiert worden. MacIntyre und Gardner (1991) unterscheiden zwischen trait anxiety (Ängstlichkeit, Angst als Persönlichkeitsmerkmal), state anxiety (Angst, die bei ängstlichen Menschen in Stresssituationen auftritt, wie etwa Prüfungsangst) und situationsspezifischen Ängsten, die mit dem Fremdsprachenlernen (z. B. Sprechangst) verbunden sind. Für das Fremdsprachenlernen im Unterricht entwickelten Horwitz et al. (1986) anhand unterschiedlicher Studien das Konstrukt foreign language classroom anxiety, das Variablen der Kommunikationsangst (Sprechangst inkl. Verstehensangst), Angst vor negativer Bewertung durch Mitlernende und Lehrer (soziale Angst) sowie Angst vor Testsituationen umfasst. Zusammenfassend bezeichnet fremdsprachenspezifische Angst die affektive Reaktion von Individuen auf Situationen, in denen sie mit einer Sprache bzw. dem Lernen und Gebrauch dieser Sprache konfrontiert werden, die nicht beherrscht wird. Sie spiegelt sich z. B. in verringerter Verarbeitungskapazität, fehlendem Selbstvertrauen und reduzierter Selbstwirksamkeit und kann, muss aber nicht äußerlich sichtbar werden (z. B. Erröten, Stottern, Schwitzen). 3. Praxisrelevanz Forschungsergebnisse über individuelle Unterschiede beim Fremdsprachenlernen sind per se für die Praxis relevant, da sie Prinzipien eines lernerorientierten Fremdsprachenunterrichts begründen und Diskussionen z. B. um die Notwendigkeit und Grenzen von differenzierten Unterrichtsangeboten, Lernberatung, Individualisierung, Binnendifferenzierung (vgl. Ellis & Shintani 2014: 283- 317) sowie der Förderung von Lernendenautonomie (vgl. Art. 76, 78) unterstützen können. Gerade den affektiven Faktoren kommt von Seiten der Unterrichtspraxis eine besondere Bedeutung zu, da sie - anders als etwa die viel stabileren und weniger beeinflussbaren kognitiven Faktoren wie Sprachlerneignung (vgl. Art. 54) und Lernstil (vgl. Art. 55) - als durch Unterricht und/ oder andere Lernumgebungen veränderbare Bereiche gelten können. Durch unterrichtsseitig gestei- 269 56. Affektive Faktoren gerte Motivation (soweit dies die Lernenden wünschen und wollen) sowie reduzierte Angst werden Chancen für verbesserte und schnellere Lernergebnisse gesehen. So gilt seit der Aufnahme der Forschungsergebnisse zu affektiven Faktoren in den internationalen wissenschaftlichen Diskurs der Fremdsprachendidaktik der Entwicklung von Maßnahmen zur Motivierung von Fremdsprachenlernenden ein besonderes Interesse (vgl. exemplarisch Solmecke 1976 sowie die vielfältigen unterrichtspraktischen Anregungen in Hatfield & Dörnyei 2013). Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Begründung und Entwicklung von Lehrstrategien sowie Unterrichtsformen, -inhalten und -materialien, ja ganzer Unterrichtsszenarien, die Lernende dabei unterstützen, sich realistische Lernziele zu setzen, über ihre eigenen Ziele und Fortschritte zu reflektieren und Erfolgserlebnisse zu erfahren. Aus der Einsicht in die Individualität und Komplexität des Motivationsfaktors ist allerdings zu schlussfolgern, dass das motivierende Potenzial von spezifischen unterrichtlichen Maßnahmen nicht generell vorherzusagen ist. Für jede Lerngruppe sind daher zunächst die Lernervoraussetzungen, -motive und Lerninteressen zu erkunden, was allerdings auch als authentischer Kommunikationsanlass in der Fremdsprache genutzt werden kann. Auch darf nicht übersehen werden, dass in den Bedingungen des Fremdsprachenunterrichts und insbesondere begründet in der Person des Lehrenden vielfach auch Ursachen fehlender Motivation und ausgelöster Angst liegen, die es zunächst zu erkennen und dann abzubauen gilt. Internationale Studien (vgl. zusammenfassend Nerlicki & Riemer 2012) weisen darauf hin, dass dem Faktor Angst im Fremdsprachenunterricht und insbesondere Angst vor dem Lehrer inkl. Angst, Fehler zu begehen, zu wenig Beachtung geschenkt wird. Die Verhinderung bzw. Verringerung von Angst, insbesondere Sprechangst in der Fremdsprache, setzt Unterrichtsmodelle voraus, die positive Gruppendynamik und ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden inkl. unterstützender Feedback-Verfahren sowie hinreichende Sprechzeit von Lernenden vorsehen. 4. Perspektiven Insbesondere hinsichtlich der höchst individuellen und interdependenten Ausprägung der affektiven Lernerfaktoren ist weitere Forschung erforderlich; die Bedeutung der einzelnen Faktoren ist zwar unbestritten, allerdings weder theoretisch noch empirisch hinreichend im Gesamtkontext der Lernerfaktoren verankert. Neben Fallstudien (vgl. exemplarisch Riemer 1997) können auch quantitative, auf Repräsentativität zielende Studien hier wichtige Fragen bearbeiten, z. B. wie die Kommunikationsbereitschaft (willingness to communicate, vgl. zusammenfassend MacIntyre 2013) - die unzweifelhaft eine wichtige Voraussetzung für den aktiven Sprachgebrauch von Fremdsprachenlernenden innerhalb und außerhalb des Unterrichts darstellt - mit anderen affektiven und kognitiven Faktoren interagiert. Auch erlaubt der aktuelle Forschungsstand eher recht allgemein bleibende Hinweise auf die Relevanz affektiver Faktoren für erfolgreiches Fremdsprachenlernen, aber zu wenig Aussagen, wie diese Faktoren auf der Mikroebene der Sprachlernprozesse, der Sprachverarbeitung und der Sprachproduktion wirken. Solche Forschung wäre allerdings nötig, um z. B. spezifisch wirksame Motivierungsmaßnahmen besser begründen zu können. 270 Claudia Riemer Literatur Clément, R. / Kruidenier, B. G. (1983): Orientations in second language acquisition: I. The effects of ethnicity, milieu, and target language on their emergence. Language Learning 33, 273-291. Cook, V. / Singleton, D. 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Claudia Riemer 271 57. Soziale Faktoren 57. Soziale Faktoren 1. Begrifflichkeit Unter sozialen Faktoren versteht die Forschungsliteratur äußere Einflüsse, die auf den Lernenden und seinen intramentalen Lernprozess einwirken. Die Frage, inwiefern solche äußeren Einflüsse den Sprachlernprozess befördern oder beeinträchtigen können und ob sie überhaupt eine entscheidende Rolle spielen, hat sowohl die Sprachlehr- und -lernforschung als auch die Spracherwerbsforschung seit langem beschäftigt (Ellis 2008: 279 f.). Dies spiegelt sich in den verwendeten Begrifflichkeiten, in der Thematisierung dieser Einflüsse in den einschlägigen Handbüchern und in unterschiedlichen Vorschlägen zur Klassifizierung wider. Verbreitet ist nach wie vor die Abgrenzung der sozialen oder auch „externen“ von den „internen“ Lernerfaktoren (z. B. Rohmann 2010: 886 ff.). So werden in der Regel jene Aspekte, die nicht unmittelbar dem individuellen, kognitiven (also internen) Verarbeitungsprozess zugerechnet werden können, als „extern“ bezeichnet, so z. B. gesellschaftliche Klasse und ethnische Zugehörigkeit, Kontakte der Lernenden mit Sprechern der Zielsprache, verschiedene Aspekte des privaten und beruflichen Umfeldes, der Einfluss von Unterrichtsinteraktion, Lehrwerken, Lehrmethoden (Riemer 1997), bei Zweitsprachenlernenden deren Bleibeabsicht, ihre gesellschaftliche Integration etc. Neuere Arbeiten (z. B. Ohm 2004: 48) stellen jedoch zur Diskussion, die Trennung von Innen- und Außenperspektive aufzuheben, soziale Faktoren nicht mehr isoliert zu betrachten und stattdessen die Eingebundenheit des Lernenden in soziale Kontexte zu untersuchen. 2. Historische Entwicklung Bereits in den 1970er Jahren wurden im deutschen Sprachraum soziale Faktoren als Variablen in mehreren großen Studien zum Zweitspracherwerb untersucht. Man vermutete, dass bestimmte äußere Bedingungen zum Lernerfolg beitragen oder aber ihn hemmen oder verhindern können. Die Forscher des Heidelberger Projekts Pidgindeutsch (HPD 1975) erhoben durch Interviews und Fragebögen nicht nur soziobiographische Informationen bei ihren Teilnehmern, sondern befragten diese auch zu ihren Lebensumständen und setzten anschließend die Ergebnisse der linguistischen Analyse der Sprachdaten mit Faktoren wie Arbeitsbedingungen, sozialem Umfeld und Bleibeabsicht der Beteiligten ins Verhältnis. In der anglo-amerikanischen Spracherwerbsforschung (SLA - Second Language Acquisition) waren Studien, die soziale Faktoren berücksichtigten, bis in die 1990er Jahre unterrepräsentiert. Die meisten Forschungsarbeiten waren stark geprägt durch kognitivistische Denkansätze, die das Lernen in der Tradition Chomskys als intramentalen Prozess im Individuum verorteten und nach universellen Gesetzmäßigkeiten suchten. Diese sollten sich situations- und kontextunabhängig bei jedem Sprachenlernenden nachweisen lassen. Selbst wenn Spracherwerb in Interaktionssituationen untersucht wurde, verstand man den Lernenden aus dieser Perspektive als reinen Informationsverarbeiter, der Lerninhalte aufnimmt (input), verarbeitet und wiedergibt (output), ohne dass den sozialen Bedingungen, unter denen dieser Prozess abläuft, Beachtung geschenkt wurde. Ausnahmen bildeten in den 1970er und 1980er Jahren die sozialpsychologischen Modelle von Schumann (1978), Gardner (1985) und Tajfel (1981). Schumann (1978) entwickelte aus Ergebnissen einer Längsschnittstudie sein Akkulturationsmodell, demnach 272 Anja Pietzuch soziale und affektive Faktoren maßgeblich am Erfolg oder Misserfolg des Zweitspracherwerbs beteiligt sind. Unter Akkulturation versteht er dabei die Annäherung des Lernenden an die Zielkultur; soziale und psychologische Nähe zu dieser fördern den Sprachlernerfolg, Distanz hemmt ihn. Gardners (1985: 54) Überlegungen führten noch weiter, da er in seinem socio-educational model Lerneinstellungen und -motivation (vgl. Art. 56) mit dem sozialen Kontext, innerhalb dessen die Sprache erlernt werden sollte, in Zusammenhang brachte. Tajfels (1981) Theorie der sozialen Identität betrachtete Sprachenlernen als Teil eines gesellschaftlichen Integrationsprozesses: Gruppen, die einen starken inneren Zusammenhalt haben, so z. B. ein starkes ethnisches Zugehörigkeitsgefühl, tendieren weniger dazu, sich an anderen (oder anderssprachigen) Gruppen zu orientieren. Wenn die eigene in-group jedoch wenig positive Identifikationsangebote macht, steigt das Interesse an der out-group und an ihrer Sprache. Dass Theorien wie diese lange einen Ausnahmestatus besaßen, wurde von Autoren, die sich stärker an Referenzwissenschaften wie der Psychologie oder der Soziologie orientierten, zunehmend kritisiert (Pavlenko 2002: 277). Dies änderte sich erst Ende der 1990er Jahre, als insbesondere innerhalb der angloamerikanischen SLA-Forschung Forderungen laut wurden, Sprachenlernen nicht mehr nur aus kognitivistischer Perspektive zu untersuchen, sondern sozialwissenschaftliche Fragestellungen stärker als bislang in die theoretische Auseinandersetzung mit sprachlichen Lernprozessen aufzunehmen (Firth & Wagner 1997). Für diese Neuausrichtung wurde der Begriff des social turn der Spracherwerbsforschung geprägt (Block 2003), die entsprechende Forschungsrichtung ist im deutschen Sprachraum als soziokulturelles Paradigma bekannt. 3. Forschungsstand Innerhalb des soziokulturellen Paradigmas bildeten sich verschiedene Theorien und Ansätze heraus, denen gemeinsam ist, dass sie soziale Aspekte als zentral für den Spracherwerb betrachten. Charakteristisch ist auch, dass sie nicht mehr von einzelnen sozialen Faktoren ausgehen, deren Auswirkungen auf das Sprachenlernen sich als Variablen messen und kontrollieren lassen; vielmehr verstehen sie den Lernenden als eingebettet in ein Geflecht von sozialen Beziehungen, welches eine Voraussetzung dafür ist, dass und in welcher Form Lernen stattfindet. Soziale und kulturelle Kontexte sind somit konstitutiv für das Sprachenlernen. Besonders bekannt und theoretisch gut ausgearbeitet ist die soziokulturelle Theorie, die auf den russischen Psychologen Lev Vygotskij zurückgeht und von James P. Lantolf in die Spracherwerbsforschung eingebracht wurde, so dass sie mittlerweile in zahlreichen Handbüchern und Sammelbänden als anerkannte Spracherwerbstheorie vertreten ist (vgl. Lantolf & Thorne 2006). Vygotskij ging davon aus, dass jegliches Wissen und jede Art von höherer geistiger Fähigkeit (so auch Sprache) nur über soziale Handlungen erworben werden kann. Obwohl bestimmte kognitive Voraussetzungen gegeben sein müssen, findet das eigentliche Lernen somit immer erst auf der sozialen Ebene, in der Interaktion mit anderen Menschen und im Umgang mit kulturellen, von Menschen erzeugten Werkzeugen (Artefakten) statt, über die die entsprechenden Inhalte zunächst vermittelt und dann vom Lernenden verinnerlicht (internalized ) werden können. Vygotskij definiert verschiedene Domänen, innerhalb derer Entwicklungs- und Lernprozesse stattfinden und untersucht werden können. Das Erlernen einer Fremd- oder Zweitsprache ist dabei am besten in der „mikrogenetischen Domäne“ zu erkennen, denn sie beschreibt 273 57. Soziale Faktoren das Reorganisieren und Entwickeln von Wissensbeständen in einer relativ kurzen Zeitspanne, so z. B. beim Austausch eines Sprachenlernenden mit einem Sprecher der Zielsprache (oder Lehrer). Für den potenziellen Lernfortschritt des Lernenden in diesem Prozess hat Vygotskij den Begriff der ZPD (Zone of proximal development - Zone der erreichbaren Entwicklung) geprägt. Typische Forschungsarbeiten hierzu sind entsprechend Untersuchungen zur Unterrichtsinteraktion. So haben Lantolf & Aljaafreh (1994) analysiert, wie korrektives Tutoren-Feedback zu einem besseres Verständnis des Verbgebrauchs beiträgt. Donato (1994) kam zu dem Ergebnis, dass mitunter auch das kooperative Scaffolding gleich kompetenter Lernender zu Lernfortschritten führen kann. Auch der Sprachsozialisationsansatz (Duff 2012) und das Konzept des situierten Lernens (Lave & Wenger 1991) konzentrieren sich auf die soziale Bedingtheit von Sprache. Im Mittelpunkt steht bei beiden Ansätzen die Frage, wie Lernende durch die Fremd- oder Zweitsprache in neue Gruppen (z. B. im Beruf, im Sprachkurs, in einer Gastfamilie) hineinsozialisiert werden, d. h. wie sie soziale und sprachliche Praktiken dieser Gruppen erlernen und welche kulturellen Werte, Konzepte und Sichtweisen hierdurch weitergegeben werden. Eine weitere Denkströmung, die sich mit dem Einfluss sozialer Kontexte auf Sprachlernprozesse beschäftigt, ist in den angewandten Sprachwissenschaften zu finden: Es sind kritisch-politische Arbeiten, die ein besonderes Interesse an der makrostrukturellen Ebene des sozialen Lernkontextes, d. h. an der gesellschaftlichen Einbindung des Sprachenlernens haben. Sie beschäftigen sich u. a. mit Fragen der ideologischen Einflussnahme auf Fremdsprachencurricula, -lehrwerke und -unterricht, mit politischen Diskursen, die den Umgang mit Sprache und Sprachenlernenden prägen können, mit der Wahrnehmung der Zielkultur durch die Lernenden, mit dem Zugang zu Interaktionsmöglichkeiten in der Zweitsprache und auch mit Fragen der Mehrsprachigkeit (Norton 2000). 4. Praxisrelevanz Unabhängig davon, ob man soziale Lernfaktoren als Bedingung für das Lernen an sich versteht, oder aber als äußeren Einfluss, der nur indirekt auf den intern ablaufenden Lernprozess einwirkt, kann inzwischen davon ausgegangen werden, dass sie sowohl für den Fremdsprachenunterricht als auch für den ungesteuerten Spracherwerb relevant sind. Wie sich soziale Faktoren auswirken, ist stark abhängig vom Lernkontext: Gesteuertes Lernen einer Fremdsprache im Unterricht unterliegt anderen sozialen Einflüssen als der ungesteuerte Erwerb einer Zweitsprache, z. B. im Rahmen eines längeren Auslandsaufenthaltes. Im Kurs- oder Klassenraum kann es die unmittelbare Unterrichtsmethodik und -interaktion sein, die Gruppendynamik in der Lernergruppe oder aber die eingesetzten Sozialformen, die das Lernen der Fremdsprache fördern oder hemmen. Der social turn legt nahe, diesen Aspekten besonders viel Aufmerksamkeit zu schenken, indem z. B. Partnerarbeit zwischen einem „Experten“ , also schon relativ kompetenten Lernenden, und einem „Novizen“ , also noch weniger kompetenten Lernenden, ermöglicht wird, so dass der eine den anderen in seinem Lernfortschritt unterstützen kann (Bråten & Thurmann-Moe 1998: 133 f.). Denkbar ist auch, durch Videokonferenzen oder Tandemprojekte Kontakt zu gleichaltrigen Sprechern der Zielsprache herzustellen, so dass jene die Expertenrolle einnehmen können. Für den Zweitspracherwerbskontext, und hierbei insbesondere für die Situation neu- 274 Anja Pietzuch zugewanderter Lernender, hat Norton (2000) nachgewiesen, dass das Ausmaß der sozialen Integration und somit der Zugang zu zielsprachlicher Interaktion entscheidend für den Lernprozess sein können. Selbst wenn Einwanderer Sprachkursangebote wahrnehmen, ist der tägliche Gebrauch der Sprache im Alltag und im Beruf unerlässlich für schnelle Lernfortschritte. Nicht zuletzt gilt es, die kritisch-politische Sicht auf den sozialen Lernkontext beim Planen von Sprachkursangeboten und Unterricht zu berücksichtigen. Sie fordert von den Lehrenden, sich intensiv mit den Diskursen, Sozialformen und Handlungspraktiken auseinanderzusetzen, die konstitutiv für jeden Lehr- und Lernprozess sind. 5. Perspektiven Die dem soziokulturellen Paradigma zuzurechnenden Denkströmungen traten zunächst im anglo-amerikanischen Raum auf, haben jedoch in den vergangenen zehn Jahren zunehmend auch die deutsche Forschungslandschaft beeinflusst. Mehrere Arbeiten haben sich mit der sozialen Dimension von Zweitspracherwerb und Fremdsprachenlernen beschäftigt, wobei eine Neuausrichtung sowohl theoretisch als auch forschungsmethodologisch zu erkennen ist (vgl. Ohm 2004). So verknüpft Ohm narrative Erhebungsmethoden mit soziokulturellen Konzepten und zeichnet so Spracherwerbsprozesse aus der Perspektive der Lernenden nach - eine Vorgehensweise, die, auch wenn sie keine breite Generalisierbarkeit der Ergebnisse ermöglicht, doch einen besseren Einblick in die soziale Dimension des Lernens erlaubt. Solche Arbeiten verdeutlichen, dass Sprachenlernende immer nur insoweit durch eigene Handlungsinitiative Lernfortschritte machen können, wie ihr soziales Umfeld es durch Akzeptanz und Möglichkeiten zum Sprachgebrauch zulässt. Pietzuch (2015) verbindet das Interesse an der sozialen Bedingtheit des Sprachenlernens mit psychologischen Identitätskonzepten und der Analyse von sprachlichen Handlungspraktiken hochqualifizierter Migranten in Deutschland. Insbesondere für die Aussagekraft größerer Erhebungen im Bereich des Zweitspracherwerbs, so z. B. bei der Evaluation staatlicher Sprachkursangebote, wäre eine Sichtweise, die sich nicht nur auf die quantitative Messung einzelner sozialer Faktoren stützt, sondern stärker als bislang mit qualitativen Methoden die soziale Eingebundenheit von Lernprozessen auslotet, eine wichtige Ergänzung. Literatur Block, D. (2003): The social turn in second language acquisition. Washington D. C. Bråten, I. / Thurmann-Moe, A. (1998): Den nærmeste utviklingssonen som utgangspunkt for pedagogisk praksis, in: I. Bråten (Hrsg.): Vygotski i pedagogikken. Oslo, 123- 143. Donato, R. (1994): A sociocultural perspective on language learning strategies: the role of mediation. The Modern Language Journal 78/ 4, 453-464. Duff, P. A. (2012): Second language socialization, in: A. Duranti / E. Ochs / B. B. Schieffelin (Hrsg.): The handbook of language socialization. Malden, 564-586. Ellis, R. (2008): The study of second language acquisition. 2. Aufl. Oxford. Firth, A. / Wagner, J. 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Cambridge, New York. Anja Pietzuch 58. Auslandsaufenthalte von Lernenden 1. Begrifflichkeit und Problemaufriss Mit dem Slogan „rein ins Land - raus mit der Sprache! “ werben nicht nur Schulen, sondern auch private Anbieter für ihre Austauschprogramme, Sprachkurse und Auslandspraktika. Auch in der universitären und der beruflichen Bildung bieten die Fördermittel des europäischen Bildungsprogramms Erasmus+ jungen Menschen die Möglichkeit, studien- und berufsrelevante Erfahrungen im Ausland zu sammeln. Hinter der großen Nachfrage steht oft die Vorstellung, durch Auslandsaufenthalte ganz nebenbei die jeweilige Fremdsprache zu erlernen. Aus der Sicht der Forschung beeinflusst jedoch eine Vielzahl von Faktoren den Erfolg beim Fremdsprachenlernen, so dass der Aufenthalt in einer bestimmten sprachlichen Umgebung alleine noch keine Garantie sein kann (Riemer 2002: 68 ff.). Demgemäß liegen bislang keine eindeutigen Forschungsergebnisse zum Faktor Auslandsaufenthalt als Bedingung für den Erwerb sprachlicher Kompetenzen vor bzw. fallen Ergebnisse eher verhalten aus (Ehrenreich 2008). Über den reinen Spracherwerb hinaus besteht bei Lernenden, Lehrenden und in vielen Fällen auch bei Eltern die Erwartung, dass auf Austausch- oder Studienfahrten, bei multilateralen Begegnungen oder im Auslandspraktikum kulturelle Erfahrungen gesammelt werden, die über das Lernen im Klassenzimmer hinausgehen. Historisch gesehen waren Schüleraustausch und andere Begegnungsprojekte ab der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts als Möglichkeiten zur europäischen Völkerverständigung gesehen worden. Austauschorganisationen wie das Deutsch-Französische oder Deutsch-Polnische Jugendwerk wurden mit dem Ziel gegründet, Vorurteile zwischen nationalen und kulturellen 276 Maike Grau Gruppen durch das gegenseitige Kennenlernen junger Menschen abzubauen und stattdessen das Entdecken von Gemeinsamkeiten zu fördern. Mit der interkulturellen Wende in der Pädagogik und der Fremdsprachendidaktik wurde die Bedeutung von Begegnungen in Form von Schüleraustausch, internetgestützten Projekte u. a. als wichtige Ergänzungen zum Lernen im Klassenzimmer gestärkt, aber auch hinsichtlich ihrer Wirkung kritisch hinterfragt. 2. Formen von Auslandsaufenthalten Während an vielen Schulen der klassische Schüleraustausch mit den Ländern Frankreich und Großbritannien fortgeführt wird, sind mittlerweile auch Programme mit Schulen in Russland, China, Spanien und vielen anderen Ländern entstanden. Manche Schulen, die keine Partnerschulen auf den britischen Inseln finden, organisieren Begegnungen, bei denen die englische Sprache als lingua franca verwendet wird, etwa mit Partnern in Skandinavien (Hufeisen 2005). Alternativen zum Austausch mit Familienunterbringung bieten Drittortbegegnungen in Jugendherbergen, die darüber hinaus günstige Rahmenbedingungen für projektorientiertes Arbeiten schaffen. Im Zuge des Fremdsprachenunterrichts auf der Primarstufe werden auch jüngere Schülerinnen und Schüler bereits in den ersten Jahren der Sekundarbzw. in der Grundschule in interkulturelle Projekte mit einbezogen. Dagegen werden für ältere Schülerinnen und Schüler allgemeinbildender Schulen wie auch für Lernende in der beruflichen Bildung durch Auslandspraktika Möglichkeiten geschaffen, die Erkundung von Arbeitsbereichen mit dem Kennenlernen anderer Kulturen sowie mit der Erprobung echter kommunikativer Situationen zu verbinden. Eine weitere Ausweitung des traditionellen Austauschmodells ist die Multilateralität, d. h. die Beteiligung von mindestens drei Bildungseinrichtungen, die durch die europäischen Förderprogramme eingefordert wird. Sowohl die Multilateralität und die damit verbundene Komplexität von Projekten als auch die geographische Entfernung zwischen manchen Partnerinstitutionen legen eine Verknüpfung von direkten Begegnungen mit medial vermittelten nahe, was bspw. durch die Nutzung von Videokonferenzen und E-Mails in der Phase vor einer direkten Begegnung erreicht werden kann. Im Hochschulbereich wird die Möglichkeit, im Rahmen eines Auslandssemesters Studieninhalte in einer anderen Sprache zu durchdenken und gleichzeitig andere Kulturen kennenzulernen, insbesondere durch das 1987 eingeführte europäische Förderprogramm Erasmus (bzw. seit 2014 Erasmus+ ) von unzähligen Studierenden wahrgenommen; auch im Rahmen von Sprachassistenzen von Lehramtsstudierenden (vgl. Art. 135). Schließlich sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass viele Schülerinnen und Schüler in den Ferien Sprachreiseangebote kommerzieller Anbieter nutzen. Auch diese Erfahrungen lohnt es in ihren Wechselwirkungen mit dem institutionellen Fremdsprachenunterricht im Blick der Unterrichtspraxis wie auch der Erforschung von Auslandsaufenthalten zu behalten (Caspari 2011). 3. Auslandsaufenthalte als Forschungsfeld Ungeachtet ihrer wachsenden Beliebtheit sind Auslandsaufenthalte von der Fremdsprachenforschung noch wenig erschlossen. Durch die Verknüpfung sprachlicher und interkultureller Lernziele in unterschiedlicher Ausprägung und die damit verbundene Heterogenität von Auslandsprogrammen sind diese nach wie vor ein komplexes und interdisziplinäres Feld. Auch auf internationaler Ebene lassen sich Forschungsergebnisse zu 277 58. Auslandsaufenthalte von Lernenden dem vermeintlich einheitlichen Themenfeld daher nur bedingt vergleichen. Während in Publikationen aus dem angelsächsischen Raum überwiegend universitäre Austauschprogramme untersucht werden, stehen im deutschsprachigen Raum eher schulische Kontexte im Vordergrund. Wie Coleman (2010) in seiner 20 Parameter enthaltenden study abroad taxonomy aufzeigt, kann nicht nur das Alter von Teilnehmenden und die institutionelle Verankerung bei einem Auslandsaufenthalt variieren, sondern u. a. auch die Art der Unterbringung, Vorbereitung, Dauer und inhaltliche Ausrichtung. Die Frage nach dem Lernpotenzial von Auslandsaufenthalten kann also nur bedingt und in Abhängigkeit von den jeweiligen Rahmenbedingungen beantwortet werden. Kompetenzerweiterungen im sprachlichen Bereich wurden bisher vor allem bei mehrmonatigen Auslandsaufenthalten Studierender untersucht. Coleman (1997) zeigt, dass viele Studien zwar eine Verbesserung der sprachlichen Kompetenz insgesamt feststellen, Ergebnisse zu Teilfertigkeiten aber bedingt durch individuelle, institutionelle sowie forschungsmethodologische Faktoren oft widersprüchlich ausfallen, insbesondere bezüglich des Konzepts der fluency (flüssige Kommunikation). Beim schulischen Austausch liegt ein Schwerpunkt auf der Erforschung interkultureller Lernprozesse. Sozialpsychologische Untersuchungen in den 1980er Jahren kamen zu dem Ergebnis, dass Begegnungen an sich noch keine Lernerfolge garantieren, sondern vielmehr die Rahmenbedingungen entscheidend für das interkulturelle Lernpotenzial von Kontaktsituationen sind (Thomas 1988). Eine touristische Ausrichtung von Auslandsprogrammen versetzt Teilnehmende weniger in die Lage, in den für das interkulturelle Lernen notwendigen Dialog mit Menschen anderer kultureller Prägung zu treten, als eine themen- und projektorientierte Programmgestaltung. Dadurch rücken die Lehrenden in ihren vielfältigen Rollen als Verantwortliche für die Vorbereitung, die Gestaltung und die Betreuung von Austausch- und Begegnungsprojekten ebenfalls in das Augenmerk der Forschung (Grau 2001). Für die Evaluation von Programmen sowie die Erforschung individueller Lernprozesse in Auslandsaufenthalten sind methodologische Fragen, die sich bei der Forschung zum interkulturellen Lernen generell stellen, nach wie vor von zentraler Bedeutung. In der Forschungsliteratur werden Instrumente für die Selbstevaluation durch ein Portfolio bis hin zu psychometrischen Testverfahren bzw. die Kombination unterschiedlicher Methoden diskutiert (Byram 2009). 4. Praxisrelevanz Die Forschung zum interkulturellen Lernen im Schüleraustausch legt eine Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung der Begegnung nahe und weist dadurch Lehrenden bzw. Begleitern außerschulischer Jugendbegegnungen eine wichtige Rolle zu. Als Folge aus diesen Erkenntnissen wurden Fortbildungsprogramme und Materialien entwickelt (z. B. ILTIS 2002), in denen Prinzipien einer thematischen bzw. projektorientierten Gestaltung von Begegnungssituationen im Mittelpunkt stehen. Die prozess- und produktorientierte Zusammenarbeit, die auch in Form von sportlichen oder künstlerischen Aktivitäten durchgeführt werden kann, soll Teilnehmenden an interkulturellen Begegnungen die Möglichkeit geben, sich weniger in ihren nationalen Gruppen, sondern vielmehr als Mitglied einer Arbeitsgemeinschaft zu erleben, die von gemeinsamen Interessen und Zielen geprägt ist. Weitere Entwicklungen in der schulischen Praxis sind Vorbereitungsmodule für Begegnungen, die Teilnehmende in die Lage versetzen sollen, das Er- 278 Maike Grau lebte einzuordnen, zu dokumentieren und zu reflektieren. Wichtig ist außerdem die Sensibilisierung der Teilnehmenden für angemessenes Sprachhandeln in interkulturellen Kommunikationssituationen. Die Thematisierung eines Austauschs oder einer Studienfahrt kann, etwa durch das Rollenspiel einer Situation in der Gastfamilie, einen sinnvollen Bezug für das Fremdsprachenlernen im Klassenzimmer herstellen (z. B. Fellmann & Kollenrott 2012). Bezüglich des sprachlichen Kompetenzerwerbs legen Forschungsergebnisse nahe, dass eine Einführung in selbstverantwortliches, strategisches Lernverhalten im Vorfeld von Auslandsprojekten den Lernerfolg befördern kann (Coleman 1997: 15). 5. Perspektiven Angesichts der beachtlichen Formenvielfalt von Auslandsprogrammen, die in unterschiedlicher Art und Weise mit institutionellem Fremdsprachenunterricht verknüpft sind, gibt es weiterhin einen großen Forschungsbedarf. Der derzeitige Schwerpunkt auf dem interkulturellen Lernen in schulischen Austauschprojekten sollte durch Forschung zum Erwerb sprachlicher Kompetenzen ergänzt werden. Da die Faktorenkomplexität und die individuelle Ausprägung der Programme die Generalisierbarkeit von Daten erschwert, können Fallstudien dazu beitragen, das Lern-, Arbeits- und Forschungsfeld Auslandsaufenthalte genauer bestimmen zu können. Literatur Byram, M. (2009): Evaluation and/ or assessment of intercultural competence, in: A. Hu / M. Byram (Hrsg.): Interkulturelle Kompetenz und fremdsprachliches Lernen: Modelle, Empirie, Evaluation. Intercultural competence and foreign language learning: Models, empiricism, assessment. Tübingen, 215-233. Caspari, D. (2011): Private Sprachreisen und schulischer Fremdsprachenunterricht: Ergebnisse einer Schülerbefragung. Praxis Fremdsprachenunterricht Basisheft 8/ 3, 9-11. Coleman, J. A. (2010): Study abroad and SLA : defining goals and variables, in: A. Berndt / K. Kleppin (Hrsg.): Sprachlehrforschung: Theorie und Empirie. Frankfurt a. M., 181-196. Coleman, J. A. (1997): Residence abroad within language study. Language Teaching 30, 1-20. Ehrenreich, S. (2008): Sprachlernsituation Ausland: Sprachbad-Mythen und Lingua- Franca-Realitäten, in: S. Ehrenreich / G. Woodman / M. Perrefort (Hrsg.): Auslandsaufenthalte in Schule und Studium. Bestandsaufnahmen aus Forschung und Praxis. Münster, 105-121. Fellmann, G. / Kollenrott, A. I. (2012): For me a BigMac - I want a coke: Fremdsprachliche Begegnungen wollen gelernt sein, in: G. Blell / 279 58. Auslandsaufenthalte von Lernenden C. Lütge (Hrsg.): Fremdsprachendidaktik und Lehrerbildung: Konzepte, Impulse, Perspektiven. Berlin, Münster, 53-67. Grau, M. (2001): Arbeitsfeld Begegnung: Eine Studie zur grenzüberschreitenden Lehrertätigkeit in europäischen Schulprojekten. Tübingen. Hufeisen, B. (2005): „But then you don’t learn anything! “ Wie man beim Schüleraustausch eine neue Lernkultur entdecken kann. Englisch 40/ 1, 9-23. ILTIS -Projektpartner (Hrsg.) (2002): Sprachenlernen - Interkulturelles Lernen in Schülerbegegnungen. 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Demgegenüber bezeichnet Lernen den einer Steuerung unterliegenden Aneignungsvorgang, der sich überwiegend in einer Form von Unterricht abspielt und von diesem auch in erheblichem Umfang beeinflusst wird. 2. Problemaufriss Die begriffliche Dichotomie lässt sich mit dem Interesse erklären, das fremdsprachlichen Aneignungsvorgängen seit den späten 1960er Jahren entgegengebracht wurde und das sich auf mehrere Ursachen zurückführen lässt: 281 • In Deutschland war die Zahl ausländischer Arbeitnehmer in erheblichem Umfang angestiegen. Deren Sprachkompetenz in der Umgebungssprache Deutsch war nicht nur Quelle für Verständigungsschwierigkeiten, sondern auch Auslöser für Beobachtungen und Interpretationen dazu, wie sich die zweitsprachlichen Kompetenzen dieser Bevölkerungsteile entwickelten oder auch gerade nicht weiter entwickelten. Mit dem Zweitsprachenerwerb tauchte also ein Phänomen in der Forschung auf, das sich von schulischen Lernvorgängen offenkundig unterschied und zumindest zu anderen Beherrschungsgraden der fremden Sprache führte. • Die internationale Forschung begann, ausgelöst durch ein Erstarken der psycholinguistischen Forschung, mit der Suche nach Modellen, mit denen sich fremdsprachliche Aneignungsvorgänge angemessen abbilden ließen. Dabei wurden unterschiedliche, zum Teil stark divergierende, zum Teil auch partiell miteinander kompatible Ansätze entwickelt; sie führten zu theoretischen Ansätzen, mit denen es möglich sein sollte, fremdsprachliche Aneignungsvorgänge umfassend zu beschreiben, zu erklären und zu prognostizieren. • Insbesondere in Deutschland nahmen seit den auslaufenden 1970er Jahren Bemühungen zu, die wissenschaftliche Erforschung des fremdsprachenunterrichtlichen Lehrens und Lernens zu konsolidieren, empirisch abzusichern und damit eine Neubestimmung des wissenschaftlichen Zugriffs auf das fremdsprachliche Lehren und Lernen in eine Disziplin münden zu lassen, die ihre Forschungsgegenstände zwar aus der unterrichtlichen Praxis abzuleiten bemüht war, ihre Forschungstätigkeit aber empirisch ausrichtete und das Ineinandergreifen zahlreicher, den Fremdsprachenunterricht genuin beeinflussender Faktoren immer als zentrales Erklärungspotenzial betrachtete (vgl. Art. 1). Der Versuch der Modellierung fremdsprachlicher Aneignungsvorgänge brachte unterschiedliche theoretische Ansätze hervor. Nach dem zeitlich ersten Versuch, sprachliche Aneignungsvorgänge durch den Bezug zur Muttersprache zu erklären und sogar zu prognostizieren, richtete sich in Ablehnung dieses Ansatzes das Augenmerk auf den Versuch, den Spracherwerb durch das jeweilige Sprachsystem im Zusammenspiel mit grundsätzlichen Verarbeitungsvorgängen im menschlichen Gehirn sowie im Gedächtnis zu erklären. Die Annahme der sog. Identitätshypothese war, dass der Erwerb einer bestimmten Sprache immer identisch verlaufe, unabhängig davon, ob sie als Erst- oder Zweitsprache erworben würde. Einer der zentralen Vertreter dieser Annahme war Stephen Krashen (vgl. exemplarisch 1982), dessen umfassender Modellierungsansatz weltweit breite Aufmerksamkeit und anfangs auch viel Zustimmung erfuhr. Seine zentralen Annahmen lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1) Erwerben und Lernen machen im Wesentlichen die fremdsprachliche Aneignung aus; Erwerben entziehe sich dem (meta-) 282 Frank G. Königs sprachlichen Bewusstsein, und die Lernenden seien durch Fehlerkorrektur ,von außen‘ nicht zu beeinflussen. Demgegenüber enthalte Lernen einen hohen Anteil an Bewusstheit und der Lerner reagiere auf Einflüsse von außen (wie die Fehlerkorrektur). Erwerben sei der bessere und erstrebenswertere Vorgang. Wenn ein Individuum lerne, so liege das nur daran, dass der qualitativ bessere Vorgang des Erwerbens noch nicht habe stattfinden können. 2) Der Erwerb vollziehe sich in Entwicklungssequenzen, d. h. in relativ festen Abfolgen, in denen sich der Erwerbende eine Struktur nach und nach aneigne. 3) Wenn Lernen überhaupt einen positiven Effekt haben könne, dann den, dass der Lernende lerne, seinen Monitor (= eine Art mentale Überwachung) je nach verfügbarer Zeit und Problemstellung angemessen einzusetzen. 4) Der erfolgreiche Erwerb setze voraus, dass die neuen sprachlichen Informationen (= der Input) den Lernenden nicht über- oder unterfordere; mit der Formel des i+1 sollte nach Krashen zum Ausdruck gebracht werden, dass das Inventar an neuen sprachlichen Informationen dem Informationsstand des individuellen Lerners angepasst sein muss, damit sich der Erwerb gleichsam natürlich vollzieht. 5) Je mehr sprachlichen Input der affektive Filter (= Ausprägung von Faktoren wie z. B. Hemmungen, Motivation; vgl. auch Art. 56) in das Gehirn zur weiteren Verarbeitung und zum Aufbau der fremdsprachlichen Kompetenz lasse, desto umfassender könne der Language Acquisition Device, eine Art zentraler Algorithmus im menschlichen Gehirn, seine Arbeit aufnehmen und für den Erwerb der fremden Sprache sorgen. Gegen das von Krashen entworfene Modell wurde eine Vielzahl von Argumenten ins Feld geführt. Für das hier in Rede stehende Begriffspaar ,Spracherwerb - Sprachenlernen‘ dürften insgesamt drei Gegenargumente von besonderer Bedeutung gewesen sein: • Die mit den Termini ,Erwerb‘ und ,Lernen‘ bezeichneten Kontexte lassen sich nicht exakt voneinander trennen. In den allermeisten Fällen kann nicht einwandfrei festgestellt werden, ob das Ergebnis einer Aneignung auf das eine oder das andere zurückgeführt werden kann. Und auch für die Aneignungskontexte gilt, dass sie selten eindeutig nur Erwerben oder nur Lernen bedingen. Hat ein Schüler, der im Fremdsprachenunterricht der Schule Englisch und dabei die conditional clauses ,lernt‘, diese aufgrund der bewusst machenden Regeln gelernt oder aufgrund der vielfältigen Konfrontation mit diesem Phänomen der englischen Syntax im Sprachgebrauch der Lehrkraft oder des außerschulischen Inputs ,erworben‘? Und findet außerhalb des fremdsprachlichen Klassenzimmers tatsächlich keine Steuerung statt? • Das Phänomen der Entwicklungssequenzen wird nicht von allen Forschern gleichermaßen angenommen. Es gibt sowohl festgestellte Abweichungen von ihnen als auch die durchaus plausible Annahme, dass sie durch Maßnahmen der (unterrichtlichen) Steuerung beeinflusst werden können. • Die Annahme eines affektiven Filters zeigt, dass fremdsprachliche Aneignungsvorgänge sehr wohl von außen beeinflussbar sind. Von daher stellt die Annahme eines solchen Filters einen internen Widerspruch innerhalb der Annahme der Identitätshypothese dar. 283 59. Die Dichotomie Spracherwerb und Sprachenlernen 3. Forschungsstand Krashen selbst orientierte sich mit seinem Modell an den sog. morpheme order studies. Diese inspirierten eine beträchtliche Anzahl von Forschern zu Analysen, deren Ziel u. a. im Nachweis derartiger Entwicklungssequenzen bestand. Für den deutschen Sprachraum gilt dies für Arbeiten beispielsweise von Felix (1982), von Pienemann (1998) oder von Keßler (2006). Allerdings bleiben auch Arbeiten nicht aus, die den empirischen Gegenbeweis anzutreten bemüht waren (vgl. z. B. Klein Gunnewiek 2000, die eine kritische Gegenposition zu den Annahmen und Ergebnissen Pienemanns bezog). Der Versuch von Felix (1982), aus den verfügbaren Daten ein Erwerbsmodell zu entwickeln, das Aneignungsvorgänge vorsah, die in weiten Teilen unabhängig von äußeren Einflüssen verlaufen, wurde seitens der sich in dieser Zeit konstituierenden Sprachlehrforschung unter Verweis auf die Wirkmächtigkeit der fremdsprachenunterrichtlichen Faktorenkomplexion vehement kritisiert (vgl. exemplarisch die Auseinandersetzung dazu in der Zeitschrift „Die Neueren Sprachen“ 1983 bis 1985). Etliche der in der zeitlichen Nachfolge entstandenen Arbeiten lassen den Schluss zu, dass die einstigen extrem gegensätzlichen Positionen einerseits nach wie vor bestehen, andererseits aber auch ein Stück weit aufgeweicht worden sind. So deuten zahlreiche andere in der Zwischenzeit entstandene modellhafte Vorstellungen vom Fremdsprachenlernen (z. B. die Interlanguage-, die Interaktions-, die Output- oder die Einzelgänger- Hypothese; vgl. Schoormann & Schlak 2012; Riemer 1997) darauf hin, dass fremdsprachliche Aneignungsvorgänge durchaus von individuellen Lernerfahrungen (mit-)bestimmt werden und folglich zumindest in Teilen auch unterrichtlich beeinflussbar erscheinen (vgl. zu einem kursorischen Überblick Königs 2014). Allerdings ist die Wirkung derartiger Steuerungsmaßnahmen nur schwer messbar und schon gar nicht generalisierbar. Gleichzeitig entstehen sowohl Arbeiten, die sich dem empirischen Nachweis der Existenz und Wirkmächtigkeit von Entwicklungssequenzen verpflichtet fühlen (vgl. z. B. Keßler 2006), als auch solche, die die Individualität fremdsprachlicher Aneignungsvorgänge herausarbeiten (vgl. z. B. Hoffmann 2014). Diese Arbeiten sind an die Stelle vehementer Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Richtungen getreten und belegen auf ihre Weise, dass die vorhandene Datenlage Verallgemeinerungen hinsichtlich fremdsprachlicher Aneignungsvorgänge nur bedingt zulässt. 4. Praxisrelevanz Insbesondere in den USA ist aus dem Ansatz Krashens nicht zuletzt unter seiner Mitwirkung das Konzept des Natural Approach entstanden (vgl. Krashen & Terrell 1983). Es versteht sich als methodischer Versuch, in zweitsprachlicher Umgebung möglichst lebensnahe Gesprächsanlässe zum Gegenstand von Unterricht zu machen und auf Steuerungsmaßnahmen, die einer sprachlichen Progression entspringen, weitgehend zu verzichten. Ähnliche methodische Konsequenzen sind für die deutsche Fremdsprachenforschung nicht zu verzeichnen, die sich zwar für eine Verwendung authentischer Materialien stark macht, jedoch auch die Künstlichkeit des Fremdsprachenunterrichts mit seinen Übungsphasen und bewusstmachenden Phasen als natürlich ansieht (Butzkamm 1989). Von daher spielt eine strikte Trennung zwischen ,Erwerben‘ und ,Lernen‘ allenfalls am Rande noch eine Rolle. Begrifflich lassen sich deshalb leicht Argumente für einen neutraleren Sprachgebrauch finden (z. B. ,Sprachaneignung‘). Dies gilt, wenngleich die disziplinäre Differenz zwischen Deutsch als 284 Frank G. Königs Fremdsprache (= Unterricht in überwiegend muttersprachlicher Umgebung der Lerner) und Deutsch als Zweitsprache (= Sprachaneignung in überwiegend deutschsprachiger Umgebung) in letzter Zeit stärker betont wird. Literatur Butzkamm, W. (2002): Psycholinguistik des Fremdsprachenunterrichts: Von der Muttersprache zur Fremdsprache. 3., neu bearb. Aufl., Tübingen. Felix, S. W. (1982): Psycholinguistische Aspekte des Zweitsprachenerwerbs. Tübingen. Hoffmann, S. (2014): Mündliche Kompetenz und Bewusstsein beim unterrichtlichen Fremdsprachenlernen. Tübingen. Keßler, J.-U. (2006): Englischerwerb im Anfangsunterricht diagnostizieren. Linguistische Profilanalysen am Übergang von der Primarstufe in die Sekundarstufe I. Tübingen. Klein Gunnewiek, L. (2000): Sequenzen und Konsequenzen. Zur Entwicklung niederländischer Lerner im Deutschen als Fremdsprache. Amsterdam. Königs, F. G. (2014): Disciplines relating to language acquisition, in: C. Fäcke (Hrsg.): Manual of language acquisition. Berlin, 17-30. Krashen, S. D. (1982): Principles and practice in second language learning and acquisition. Oxford. Krashen, S. D. / Terrell, T. D. (1983): The Natural Approach: language acquisition in the classroom. Hayward, CA . Pienemann, M. (1998): Language processing and second language development: processability hypothesis. Amsterdam. Riemer, C. (1997): Individuelle Unterschiede im Fremdsprachenerwerb. Eine Longitudinalstudie über die Wechselwirksamkeit ausgewählter Einflußfaktoren. Baltmannsweiler. Schoormann, M. / Schlak, T. (2007): Die Interaktionshypothese. Überblick und aktueller Forschungsstand. Fremdsprachen und Hochschule 79/ 80, 79-114. Frank G. Königs 60. Formen von Zwei- und Mehrsprachigkeit 1. Problemaufriss: allgemein Formen der Zwei- und Mehrsprachigkeit prägen in unseren modernen Gesellschaften die „lebensweltliche“ (Gogolin 2004), die individuell gelebte und die zwischenmenschlich-gesellschaftliche sowie die (sprachen-) politische Kommunikation in mannigfacher Weise (vgl. bereits in Ansätzen die sog. Trilinguismus-Deklaration (Europäische Kommission 1995: 45-51) sowie als aktuellen Überblick über die gesamte aktuelle Mehr- und Vielsprachigkeitssituation mit Schwerpunkt auf den europäischen Sprachenräumen Christ & Christ 2015). 2. Problemaufriss: konkret Im Kontext des Lehrens und Lernens von fremden Sprachen werden die Begriffe der Zwei- und Mehrsprachigkeit noch immer in wenig differenzierter Form gebraucht. Man begegnet nicht selten einer Begriffsverwendung, die implizit davon ausgeht, dass die Beherrschung von zwei oder mehreren Sprachen stets und selbstverständlich mit der vollen, in einer Erstsprache erworbenen Kompetenz gleichzusetzen wäre. Hinzu kommt oftmals, dass die Begriffe Zwei- und Mehrsprachigkeit im unterrichtsmethodischen und curricularen sowie v. a. auch im 285 60. Formen von Zwei- und Mehrsprachigkeit sprachenpolitischen Kontext noch immer synonym gebraucht werden, obwohl einschlägige Forschungsergebnisse seit langem erwiesen haben, dass sich echte Mehrsprachigkeit mit dem Erwerb einer dritten modernen Sprache bzw. mit dem Lernen einer zweiten Fremdsprache auszuformen beginnt. Der Begriff Mehrsprachigkeit meint folglich quantitativ und qualitativ immer etwas anderes als bloße Zweisprachigkeit (vgl. Bausch & Heid 1992; Bausch 2001 sowie Art. 3, 10 und 62). Die Ursachen für die genannten begrifflichen Unklarheiten liegen mit Blick auf den genuinen Wirklichkeitsbereich des Lehrens und Lernens fremder Sprachen in der Komplexität der Sache selbst, wobei die folgenden Aspekte besonders relevant sind: • Zweibzw. Mehrsprachigkeit wird durch die im menschlichen Individuum angelegte Fähigkeit ermöglicht, grundsätzlich „viele Sprachen“ (Wandruszka 1979) erwerben, lernen und gebrauchen zu können. Gleichwohl liegt das Faktum auf der Hand, dass sog. maximal bilinguals bzw. maximal multilinguals, die also tatsächlich über volle Kompetenzen in zwei bzw. mehreren Sprachen relativ konstant verfügen, in Wirklichkeit die Ausnahme, keinesfalls jedoch die Regel bilden. Wenn also von zwei- oder mehrsprachigen Individuen die Rede ist, dann handelt es sich überwiegend, gemessen an der jeweils erworbenen mutter- oder erstsprachlichen Sprachfähigkeit, um approximative, individuell unterschiedlich konturierte Kompetenzen (vgl. u. a. die Selbstzeugnisse von Schweitzer, Buber, Canetti und Elwert in Wandruszka 1979). • Zweibzw. Mehrsprachigkeit tritt häufig als individuelles und gleichzeitig als gruppensoziales bzw. gesellschaftlich-kollektives Phänomen in Erscheinung. Die wechselseitigen Beziehungen zwischen diesen Realitäten sind extrem vielschichtig. Sie lassen deshalb gleichermaßen Zugriffe aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen, wie z. B. der Linguistik, der Soziologie, der Psychologie, der Pädagogik und der Sprachlehrforschung zu. • Die Determinierung von konkreter Zwei- oder Mehrsprachigkeit hängt prinzipiell davon ab, ob diese Fähigkeit überwiegend über Prozesse des Erwerbens oder des Lernens aufgebaut werden (vgl. Art. 59). Dabei ist eine real gegebene Zwei- oder Mehrsprachigkeit sowohl auf der individuellen als auch auf der gesellschaftlich-kollektiven Ebene durch kontinuierliche Instabilität gekennzeichnet (so steigert sich in der Regel z. B. der konkret erworbene ,Beherrschungsgrad‘ in einer Fremdsprache durch die Intensivierung von privaten oder beruflichen Kontakten mit entsprechenden Muttersprachlern), wobei gleichzeitig die funktionale Reichweite der jeweiligen fremdsprachlichen Kompetenz in unterschiedlicher Hinsicht eingeschränkt sein kann (so z. B. bei einer sich mehr oder weniger natürlich einstellenden Reduktion der Teilkompetenz Schreiben in einer Situation, in der eine bestimmte Herkunftssprache in zielsprachlicher Umgebung nur noch mündlich z. B. als sog. Familiensprache benutzt wird). • Der Begriff zweisprachig bzw. bilingual wird im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen mittlerweile nicht nur mit Blick auf die komplexe Problematik von individuellen bzw. kollektiven Sprachfähigkeiten verwendet, sondern zusätzlich für die Bezeichnung von unterrichtsmethodischen Prinzipien herangezogen. Dies gilt insbesondere für die nach wie vor kontrovers geführte Diskussion über das Unterrichtsprinzip der Einsprachigkeit in Relation zu Verfahren der sog. funktionalen bzw. funktional-zweisprachigen Unterrichtsführung (vgl. Königs 1983; Bahr et al. 1996 sowie Art. 66 und 67) sowie für die 286 K.-R. Bausch unterrichtsmethodischen Konzepte des bilingualen Lehrens und Lernens (vgl. Art. 44). 3. Konkrete Formen der Zwei- und Mehrsprachigkeit In der Vergangenheit wurden unterschiedliche Versuche unternommen, Formen der individuellen Zwei- und Mehrsprachigkeit mittels konkreter Typologien darzustellen. Diese Formen bzw. Typologien sind für das Lehren und Lernen fremder Sprachen insofern relevant, als mit ihrer Hilfe die Lernziele in Unterrichtskonzepten und curricularen Modellen sowie die dabei jeweils angestrebten Zweibzw. Mehrsprachigkeitsprofile von Adressatengruppen systematisiert werden können. Im Folgenden werden die wichtigsten Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen aufgeführt: In einer ersten Gruppierung sind die Typen zusammengefasst, mit denen sich Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen von dem Leitkriterium der sog. globalen Sprachfertigkeit (im Sinne eines jeweils konkret erreichten Sprachstandes) her ausdifferenzieren lassen; dabei gilt, dass sich diese Kompetenztypen unter den Bedingungen sowohl von Fremdsprachenerwerbsals auch von -lernkontexten entwickeln können. Die wichtigsten dieser Sprachfähigkeitsformen sind die folgenden: a) die minimalen Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen , unter denen man die sog. incipient bilinguals zusammenzufassen versucht, d. h. also Individuen, die in einer oder in mehreren Fremdsprachen lediglich rudimentäre, in der Regel nicht satzübergreifend kontextualisierbare (Teil)-Kompetenzen aufweisen (meist in Form von feststehenden Wendungen, Begründungsritualen etc.); b) die maximalen Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen , die sich auf Individuen beziehen, die eine oder mehrere Fremdsprache(n) native like ,beherrschen‘ und wohl eher als idealisierte Zielgrößen denn als Regelfall verstanden werden müssen. Dies gilt insbesondere für Fremdsprachenlernkontexte, wenngleich sich Curricula und Lehrpläne häufig über den Lernzielbegriff der near nativeness an diese Idealisierung anzunähern versuchen; c) die ausgewogenen oder symmetrischen Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen, mit denen Individuen beschrieben werden, die z. B. für zwei Sprachen, bezogen auf alle möglichen Kommunikationstexte, einen (ungefähr) gleichgewichtigen Sprachstand erlangt haben und die zusätzlich in der Lage sind, diesen ambilingualen bzw. äquilingualen Sprachfertigkeitsgrad über einen längeren Zeitraum in etwa konstant zu halten. Dieses Phänomen ist insbesondere bei Kleinkindern zu beobachten, die in sog. bilingualen Lebensgemeinschaften nach den Prinzipien des doppelten Erstsprachenerwerbs erzogen werden; d) die dominanten oder asymmetrischen Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen, mit denen Individuen beschrieben werden, die eine oder mehrere Fremdsprachen ,beherrschen‘ und bei denen abwechselnd die kommunikative Reichweite einer einzelnen Sprache gegenüber der bzw. den anderen größer oder kleiner wird; dabei kann sich der Dominanzgrad häufig durch sozial oder geographisch bedingte Mobilität verändern. Diese Formen finden sich insbesondere bei Migrantenpopulationen, die einzelne Sprachen erwerben und andere simultan lernen; e) die Semilingualismusformen, mit denen Individuen beschrieben werden, die in allen ihren Sprachen - gemessen an jeweils monolingual kompetenten Personen - über längere Zeiträume hinweg quantita- 287 60. Formen von Zwei- und Mehrsprachigkeit tive und qualitative Defizite aufweisen, so dass in der Regel nur rudimentäre, auf den alltäglichen Lebensbedarf abgestellte Kommunikationsabläufe stattfinden können; die jeweiligen Defizite können nicht nur alle Sprachebenen (v. a. jedoch Lexikon und Morphosyntax), sondern auch die pragmatischen, affektiven und psycholinguistischen Planungs- und Realisierungsprozeduren betreffen. Es ist evident, dass sich die aufgeführten Typen nur unter Zugrundelegung eines Kontinuums gegeneinander abgrenzen lassen; dabei ist festzuhalten, dass bisher lediglich die ausgewogene bzw. symmetrische Zweisprachigkeit intensiver diskutiert worden ist, wobei v. a. in den 1970er Jahren die Existenz von tatsächlich ausgewogenen bilingualen Individuen bezweifelt wird, die ihre beiden Sprachen in einer Vielzahl von Situationen gleichermaßen kompetent einsetzen können. Vielmehr wird es - ausgehend von empirisch ermittelten Befunden - für realistisch gehalten, dass die bilingualen Sprachfähigkeiten je nach kommunikativer Intention bzw. Funktion unterschiedliche Perfektionsstufen und Merkmale aufweisen und dass gleichzeitig jede der beiden individuellen Sprachkompetenzen für sich genommen durch kontinuierliche Instabilität gekennzeichnet ist. In einer zweiten Gruppierung werden Typen zusammengefasst, die sich, je nach soziokulturellem Kontext, sowohl auf Erwerbssituationen als auch auf Fremdsprachenlernkontexte beziehen können, freilich auch auf wechselseitig funktionierende Mischkontexte; dabei gilt, dass der Leitbegriff der globalen Sprachfertigkeit nunmehr durch sog. individualspezifische Orientierungskriterien (Lernbzw. Erwerbsumfeld, kommunikative Absichten bzw. Ziele, Kommunikationspartner, gewählte Sprachenfolge etc.) ersetzt wird, so dass sich von hier aus die wichtigsten Typen wie folgt bestimmen lassen: a) die funktionalen Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen, die sich zum einen von den individuellen Kommunikationsintentionen (mit wem, mit welcher Absicht, wann, wo, mit welcher Sprache? ) und zum anderen von den einzusetzenden Sprachproduktions- und -rezeptionsverfahren her (welche Teilkompetenzen setze ich z. B. in welcher Situation, einem bestimmten Adressaten gegenüber ein? ) bestimmen lassen. Konzepte der funktional ausgelegten Zwei- und Mehrsprachigkeit haben in der Vergangenheit das Lehren und Lernen fremder Sprachen im Kontext der sog. fertigkeitsorientierten Kursentwicklungen v. a. im nordamerikanischen Raum erheblich beeinflusst. Hierbei spielt die nach wie vor kontrovers geführte Auseinandersetzung über Vor- und Nachteile der Ausbildung von funktionalen, kulturellen und v. a. kritischen Lese- und Schreibfertigkeiten, d. h. also von biliteracies, eine besondere Rolle; dies trifft insbesondere auf den allgemeinen schulischen Fremdsprachenunterricht zu. Zusätzlich gehört in diesen Kontext die für das Lehren und Lernen fremder Sprachen generell wichtige und unmittelbar einschlägige Diskussion über produktive Zweibzw. Mehrsprachigkeitsformen einerseits, bei denen alle Teilkompetenzen in ausgewogener Weise ausgebildet sind, und über rezeptive Formen andererseits, bei denen die Sprachfähigkeit bewusst und gezielt auf das Hörund/ oder Leseverstehen eingegrenzt wird. b) Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen, die sich von der Art ihrer mentalen Repräsentation, d. h. von der Art ihrer Speicherung im Gehirn des bibzw. multilingualen Individuums, her bestimmen lassen. Hierher gehören insbesondere die beiden folgenden klassischen Typen, die jedoch lediglich als abstrakte Konstrukte zu betrachten sind: 288 K.-R. Bausch - der kombinierte Zweibzw. Mehrsprachigkeitstyp, dessen Hauptmerkmal darin liegt, dass für eine gemeinsame Bedeutungsebene (compound level) zwei verschiedene sprachliche Kodierungssysteme mental gespeichert werden; als Standardtyp hierfür wird im Allgemeinen das Lernen von Fremdsprachen in schulischen Situationen, und zwar auf der Basis des jeweiligen erstbzw. muttersprachlichen Umfelds angesetzt; - der koordinierte Zweibzw. Mehrsprachigkeitstyp, dessen Hauptmerkmal darin besteht, dass die jeweiligen Sprachen in ihrer Gesamtheit völlig voneinander getrennt als sog. coordinate systems mental gespeichert sind; die Palette der hierfür in Frage kommenden Erwerbs- und Lernkontexte ist hierbei sehr viel breiter ausgelegt als beim kombinierten Typus. In jedem Fall wird jedoch davon ausgegangen, dass dieses Bilingualitätskonzept dem sog. true bilingual zugrunde liegt, der z. B. in der Lage ist, die eine Sprache (z. B. Türkisch) mit seinen Eltern und die andere (z. B. Deutsch) funktional getrennt im beruflichen Umfeld zu benutzen. c) Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen, die sich ausgehend vom Faktor Alter ausdifferenzieren lassen (vgl. allgemein zum Faktor Alter Art. 52). Hierher gehören insbesondere die folgenden Typen: - die frühkindlichen Bilingualismusformen , bei denen in der Regel nach dem ganzheitlich ausgelegten Erziehungsprinzip „une personne - une langue ” ein doppelter Erstsprachenerwerb aufgebaut wird (hierzu exemplarisch Kielhöfer & Jonekeit 1998); - die konsekutiv-additiven oder sukzessiven Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen, die insbesondere für monokulturelle Erwerbs- und Lernkontexte die Regel darstellen und in denen, bedingt durch ministeriell vorgegebene Sprachenfolgeregelungen für die jeweiligen Schul- und Ausbildungssysteme, Zwei- und Mehrsprachigkeitsprofile systematisch strukturiert und festgeschrieben sind (vgl. Art. 61-63). Unabhängig von den soeben angesprochenen, schulsprachenpolitischen und -organisatorischen Aspekten, die seit einiger Zeit wieder intensiven Diskussionen ausgesetzt sind, werden im Rahmen der konsekutivadditiven oder sukzessiven Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen v. a. die beiden folgenden Problembereiche behandelt: • einerseits die Frage nach der Bildung von Hypothesen über das ,beste‘ Alter, um eine oder mehrere Fremdsprachen optimal und möglichst ,perfekt‘ auf Dauer lernen zu können. Hierzu wurde - ausgehend von neuropsychologisch geführten Diskussionen über die Critical Period Hypothesis - eine Reihe von empirisch begründeten, jedoch häufig nicht miteinander kompatiblen Thesen vorgelegt, die von der globalen, auch alltagssprachlich weit verbreiteten Position „je jünger desto besser ” über spezialisierende Thesen wie z. B. „je jünger desto besser die Aussprache ” oder „je älter desto besser, zumindest am Anfang ” bis hin zu der sich immer stärker durchsetzenden Position „in jedem Alter mit je spezifischen Lernwegen möglich ” reichen (vgl. ausführlich Grotjahn 2003 und Art. 52); • andererseits - ausgehend von den soeben angesprochenen Hypothesen - die Frage nach einer immer präziseren Differenzierung des Altersfaktors und nach der damit verbundenen Begründung einzelner Altersperioden; dabei konzentriert sich die Diskussion aus der Fremdsprachenlehrperspektive heraus auf die Entwicklung von unterrichtsmethodischen Konzepten, denen zentral jeweils altersspezifische Lernerqualitäten und -entwicklungsstände zugrunde gelegt werden (vgl. Art. 61-63). 289 60. Formen von Zwei- und Mehrsprachigkeit 4. Perspektiven für eine Didaktik und Methodik der ,echten‘ Mehrsprachigkeit Die Diskussion über die Relevanz von Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen für das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen hat sich in den letzten Jahren spürbar intensiviert; dabei ist insbesondere hervorzuheben, dass heute aus sprachenpolitischer Sicht immer häufiger trilinguale, also ,echte‘ Mehrsprachigkeitsprofile eingefordert und die ,bloßen‘ Formen der individuellen Zweisprachigkeit als nicht mehr ausreichend für den Bau eines sprachenteiligen und -toleranten „Europäischen Sprachenhauses“ zurückgewiesen werden (Landesinstitut für Schule und Weiterbildung 1997/ 1998/ 1999 sowie Art. 10). In diesem Zusammenhang übernehmen die Perspektiven des Europarats, in denen eine begründete Language policy for a multilingual and multicultural Europe angestrebt wird, eine immer stärkere Steuerungskraft. Hinzu tritt schließlich die Tatsache, dass unsere modernen Gesellschaften - und damit insbesondere die Lernerpopulationen in allen schulischen, tertiären und quartären Bildungsbereichen - bereits als solche durch komplexe individuell gelebte, lebensweltliche sowie kollektiv-gesellschaftliche Mehrsprachigkeitsrealitäten (Art. 3) gekennzeichnet sind. Die angeführte Realität stellt insbesondere das Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen mit Blick auf den herkömmlichen, seit Jahrzehnten im Wesentlichen unverändert gebliebenen Schulsprachenkatalog vor grundsätzlich neue didaktisch-methodische Probleme (vgl. Art. 10 und 11). Die genannten Fakten führen insgesamt zu der übergeordneten Perspektive, systematisch eine eigenständige Didaktik und Unterrichtsmethodik der ,echten‘ Mehrsprachigkeit zu erarbeiten, die Erkenntnisse v. a. aus der Mehrsprachigkeitsforschung einbezieht und deren genuines Ziel auf die Ausbildung von ,echten‘ Mehrsprachigkeitsprofilen gerichtet wird (vgl. Meißner & Reinfried 1998; Landesinstitut für Schule und Weiterbildung 1998; Bausch 2001; Hu 2003; Martinez 2015). Literatur Bahr, A. / Bausch, K.-R. / Helbig, B. / Kleppin, K. / Königs, F. G. / Tönshoff, W. (1996): Forschungsgegenstand Tertiärsprachenunterricht. Ergebnisse eines empirischen Projekts. Bochum. Bausch, K.-R. (2001): Glanz und Elend der Mehrsprachigkeit in unserer Gesellschaft. Ansprache zur Eröffnung des Europäischen Jahres der Sprachen 2001. Manuskript. Bausch, K.-R. / Heid, M., Hrsg. (1992): Das Lehren und Lernen von Deutsch als zweiter oder weiterer Fremdsprache: Spezifika, Probleme, Perspektiven. Bochum. Christ, H. (posthum) / Christ, I., Hrsg. (2015): Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität in personaler und gesellschaftlicher Perspektive. Fremdsprachen Lehren und Lernen 44/ 2, 215-229. Europäische Kommission, Hrsg. (1995): Weißbuch. Strasbourg. Gogolin, I. (2004): Lebensweltliche Mehrsprachigkeit, in: K.-R. Bausch / F. G. Königs / H.-J. Krumm (Hrsg.): Mehrsprachigkeit im Fokus. Tübingen, 55-61. Grotjahn, R. (2003): Der Faktor ,Alter‘ beim Fremdsprachenlernen: Mythen, Fakten, didaktisch-methodische Implikationen. Deutsch als Fremdsprache 40/ 1, 32-41. Hu, A. (2003): Schulischer Fremdsprachenunterricht und migrationsbedingte Mehrsprachigkeit. Tübingen. Kielhöfer, B. / Jonekeit, S. (1998): Zweisprachige Kindererziehung. Tübingen. Königs, F. G. (1983): Normenaspekte im Fremdsprachenunterricht. Tübingen. 290 Ingelore Oomen-Welke Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Hrsg. (1997/ 1998/ 1999): Wege zur Mehrsprachigkeit, Informationen zu Projekten des sprachlichen und interkulturellen Lernens 1-4. Soest. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Hrsg. (1998): Auf der Suche nach dem Sprachlernabenteuer. Neue Wege beim Lehren und Lernen der dritten Fremdsprache. Bönen. Martinez, H. (2015): Mehrsprachigkeitsdidaktik: Aufgaben, Potenziale,und Herausforderungen. Fremdsprachen Lehren und Lernen 44/ 2, 7-19. Meißner, F.-J. / Reinfried, M., Hrsg. (1998): Mehrsprachigkeitsdidaktik: Konzepte, Analysen, Lehrerfahrungen mit romanischen Fremdsprachen. Tübingen. Wandruszka, M. (1979): Die Mehrsprachigkeit der Menschen. München. Karl-Richard Bausch 61. Formen von Zwei- und Mehrsprachigkeit im Elementar- und Primarschulalter 1. Kinder und Sprachen - Formen des Sprachkontakts Alle Kinder im amtlich deutschen Sprachgebiet kommen mit mehreren Sprachen in Kontakt. Die häufigsten Kontaktformen sind • das Aufwachsen in einer Familie mit mehreren Sprachen oder mit einer Familiensprache, die nicht Umgebungssprache ist, • in einer zwei- oder mehrsprachigen Region, • Betreuung durch eine anderssprachige Person, • eine Fremdsprache in einer elementarpädagogischen Einrichtung, • früher Fremdsprachenunterricht in der Grundschule, • eine zwei-/ mehrsprachige Schule, • Umzug in ein Land mit anderer Sprache. Grob lassen sich zwei Stränge der Zweibzw. Mehrsprachigkeit unterscheiden, nämlich die schulische/ kulturelle, die als Bildung vermittelt wird, Prestige hat und honoriert wird; dagegen die soziale, die lebensweltlich entsteht, meist nicht selbstgewählt wird, nicht per se prestigehaltig ist und nicht honoriert wird (elitist and folk bilingualism, vgl. Harding- Esch & Riley 4 2007: 23 f.; zum sozialen Erfolg vgl. Woellert & Klingholz 2014). 2. Sprachengebrauch in zwei- und mehrsprachigen Familien - quantitativ Die Zahl binationaler und oft zweisprachiger Lebensgemeinschaften und Ehen ist seit den 1970er Jahren stark gestiegen, Gründe sind Arbeitsmigration und globale Mobilität (Mikrozensus 2013: 138; Schroedter 2006: 424). Der Mikrozensus (2011: 232) zählt 2,7 Mio. Familien mit Migrationshintergrund im engeren Sinne, davon 1,2 Mio. mit einem Kind und 1 Mio. mit zwei und mehr Kindern, neben 345.000 Alleinerziehenden (vgl. für Deutschland u. a. Beauftragte der Bundesregierung 2012; für Österreich Statistik Austria 2014; für die Deutschschweiz z. B. Bundesamt für Statistik 2015). Bestandsaufnahmen der Familiensprachen in Großstädten und in Regionen geben Aufschluss über Art und Umfang häuslicher Mehrsprachigkeit; sie fanden in Essen (2003), in Freiburg (2010, 2011), in Hamburg (2003), in Wien (2011), in Thüringen (2013) statt und erstreckten sich vornehmlich auf Grundschulen (vgl. Angaben und Berichte in Decker-Ernst & Oomen-Welke 2013; Oomen- Welke & Dirim 2013). Replikationen (Chlosta & Ostermann 2016) zeigen, dass die Ergeb- 291 61. Formen von Zwei- und Mehrsprachigkeit im Elementar- und Primarschulalter nisse stabil sind; nicht berücksichtigt sind die größeren Flüchtlingsströme seit 2010. Während in den west- und süddeutschen Städten knapp 28 % bis 40 % der Kinder angaben, eine oder mehrere nichtdeutsche Sprachen zu sprechen, waren es in Wien 56 %, in Erfurt 13,9 % (vgl. Ahrenholz et al. 2013: 52). Zu den meistgesprochenen Sprachen und der vorherrschenden Form der Zwei- oder Mehrsprachigkeit: In Essen fand man 2003/ 2014 neben Deutsch 122 Sprachen, am häufigsten Türkisch mit 27,2/ 30 %, Arabisch mit 13,9/ 15 % und Polnisch mit 12/ 13 %; in Hamburg gab es 2003 100 Sprachen, davon an der Spitze Türkisch mit 32 %, Polnisch und Russisch mit je 11 % . In Freiburg wurden 2010 Französisch mit 15 %, Englisch mit 14 %, Russisch und Arabisch mit je 12 % angegeben. In Essen und Hamburg erklärt sich das Bild v. a. aus der Arbeitsmigration der Familien, in Freiburg durch die Nähe zu Frankreich sowie verbliebene Familien nach Abzug der französischen Garnison, für Russisch durch Aussiedlerkontingente v. a. in den 1990er Jahren. In Freiburg wurde die Erhebung auch in Förderschulen durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass 53 % der Kinder dort Albanisch, Romanes und Arabisch als häufigste Familiensprache(n) nannten. Als ein wichtiger Wanderungsgrund können hier Flucht und Vertreibung vermutet werden. Wien als alte internationale Stadt und Tor zu Osteuropa zeigt bei 110 Sprachen als stärkste Sprachen Serbisch und weitere Nachfolgesprachen des Serbokroatischen, mit Abstand folgen Türkisch sowie Polnisch (Statistik Austria vom 1. 1. 2012); in Wien sind alle Lagen der Mehrsprachigkeit vermischt. Es scheint nicht, dass frühes Fremdsprachenlernen Einfluss auf Sprachen in den Familien hat. 3. Blick auf zweisprachige Regionen In zweisprachigen Regionen hat sich meist eine ursprünglich gesprochene Sprache erhalten, während sich z. B. durch politische Grenzverschiebungen eine andere Sprache verbreitet hat. Beispiele mit Deutsch sind das Elsass, Ostbelgien, Nordfriesland, die deutsch-dänische Grenzregion, das Sorbengebiet in Brandenburg und Sachsen, Oberschlesien, Burgenland, Kärnten, Südtirol, Graubünden; Luxemburg als Zwischenland kennt die drei Landessprachen Lëtzebuergesch, Deutsch und Französisch, die über die Bildungsinstitutionen stufenweise ausgebaut werden. Die Familien können ein-, zwei- oder mehrsprachig sein. Migration kommt hinzu. 4. Sprachpraxis bei zwei oder drei Sprachen in einer Familie Eine bekannte Form zweisprachiger Praxis von Anfang an ist die sog. funktionale Sprachentrennung, wenn beide Eltern mit den Kindern verschiedene Sprachen sprechen: „une personne - une langue “, „Mama- und Papasprache“ (vgl. Müller et al. 2 2007: 48 f.; Leist-Villis 6 2014: 126 f.). Regelungen für den Sprachengebrauch werden für die Gesamtfamilie und die Außenkontakte getroffen. Spätestens mit vier Jahren können Kinder die gebrauchten Ausdrücke den Sprachen zuordnen (Sprachentrennung). Es kommen weiterhin Sprachmischungen vor (die nur, wenn sie durchgängig bleiben, Besorgnis erregen), sowie quasi beabsichtigte Sprachwechsel (switching ). Ist eine der beiden Sprachen auch Umgebungssprache, wird sie durch Kindertagesstätte und Grundschule verstärkt. Beide Sprachen werden bei ausreichendem Sprachkontakt voll ausgebildet; auch Kinder mit Sprachbehinderung lernen auf ihrem Niveau beide Sprachen (vgl. Leist-Villis 6 2014). 292 Ingelore Oomen-Welke Kinder können dreisprachig aufwachsen, z. B. wenn Betreuungspersonen drei verschiedene Sprachen mit ihnen sprechen. Ohne intensiven Sprachkontakt mit allen drei Sprachen bleibt mindestens eine zurück. Auftretende Probleme und Konflikte sind nicht in den Sprachen oder der Zweisprachigkeit begründet, sondern meist in der sozialen Situation (vgl. Leist-Villis 6 2014: 111 ff.). - In Europa wird Familien nicht zu gemischtem Sprachengebrauch geraten (vgl. Müller et al. 2 2007: 50). 5. Sprachpraxis bei Verschiedenheit von Familiensprache(n) und Umgebungssprache(n) In zweisprachigen Regionen und bei Migration wird oft in den Familien eine Sprache gesprochen und in der Umgebung eine andere. Komplizierter ist die Situation mit mehr als einer Sprache in der Familie oder mehreren anderen Sprachen in der Umgebung (vgl. Brizic´ 2007). Den Erwerb der zweiten Sprache nach der Erstsprache nennt man „versetzt“. Kontakt der Kinder zur Umgebungssprache erfolgt spätestens mit Eintritt in die Kindertagesstätte oder Grundschule. Oft besteht ein Problem, die Familiensprache (z. B. Georgisch, Dari oder Vietnamesisch) zu erhalten, da die Umgebungssprache für die Kinder attraktiver und mächtiger wird. Der Familiensprache fehlen oft gleichsprachiger Kontakt und kindgerechte Medien. Eltern befürchten Sprachwechsel oder Sprachverlust der Kinder, wenn Geschwister untereinander Deutsch sprechen. Der Sprachwechsel ist nämlich nicht konfliktfrei, weil er das Selbstverständnis der Familienmitglieder tangiert. In Großstadtvierteln, in denen Familien mit Sprachen leben, die nicht amtliche Landessprachen sind, kann es schwierig sein, ausreichenden Sprachkontakt zu Landes- und Schulsprache(n) zu finden. Der Unterricht auf Deutsch bleibt insulär inmitten lebensweltlich anderer Mehrsprachigkeit, oft findet kaum schriftkultureller Ausbau des Deutschen statt. Sprachpraktiken sprachbewusster Eltern, die selbst sowohl ihre Heimatsprache als auch die Umgebungssprache sprechen, zeigen Wege: Für beide Sprachen werden Momente eingerichtet, um mit dem Kind zu lesen/ vorzulesen, zu besprechen und zu erzählen. Durch eigene Zweisprachigkeit als Modell vermitteln Eltern dem Kind den Wert der Zweibzw. Mehrsprachigkeit (vgl. Apeltauer 2 2011; Heller 2013; Kalkavan 2013). Von der Elitepraxis, bei der ein Elternteil konsequent eine sehr gut beherrschte Fremdsprache zur Kommunikation mit dem Kind benutzt, wird oft abgeraten. Beispiele zeigen jedoch, dass zumindest ein gutes Hörverstehen als Basis erreicht werden kann (Müller et al. 2 2007: 50). 6. Zwei- und mehrsprachige Bildungseinrichtungen Zweisprachige Einrichtungen im Elementarbereich kommen oft als Elterninitiative oder durch Trägervereine zustande. Die Sprachen alternieren teils halbtäglich nach Wochenplan: L1 Montagvormittag, L2 Montagnachmittag usw., teils in Epochenarbeit, teils räumlich („Sprach-Raum“ für jede Sprache o. Ä., zu Modellen und Analyse vgl. Nauwerck 4 2016). Die pädagogische und sprachliche Kompetenz der Sprachmittler ist entscheidend. Praktische Anleitung gibt z. B. der Verein für frühe Mehrsprachigkeit. Neben der Landessprache Deutsch als L1 wird als L2 oft eine Bildungsfremdsprache oder eine Einwanderersprache gewählt. Grundschulen im amtlich deutschsprachigen Gebiet sind regulär deutschsprachig. In zweisprachigen Regionen werden amtlich 293 61. Formen von Zwei- und Mehrsprachigkeit im Elementar- und Primarschulalter entweder parallel separate Schulen für beide Sprachgruppen eingerichtet (Autonome Provinz Bozen Südtirol), oder Schulzüge sind - teils auf Antrag - zweisprachig (Elsass, Schleswig-Holstein, Kärnten, Graubünden). Außerdem bestehen nicht-regionale mehrsprachige Schulen wie die Europäischen Schulen mit Pflicht- und Wahlsprachen. Die Staatliche Europaschule Berlin führt inzwischen neun zweisprachige Züge. 7. Deutsch als Zweitsprache im Elementarbereich - sprachpädagogische Aspekte Um Nachteile der sozialen Zweisprachigkeit zu minimieren, sollen Kinder mit nichtdeutschen Erstsprachen im Kindergarten möglichst früh und gut Deutsch lernen und evtl. ihre Sprachen ausbauen (vgl. Anstatt 2007). Das geschieht sprachlich und nonverbal u. a. durch imitierendes Mittun bei Routinen (Begrüßung etc.) und durch Reim, Rhythmus, Melodie, Bewegung als Stützelemente des Spracherwerbs, im alltäglichen Handeln und beim dialogischen Vorlesen, durch die zugewandte, leicht verzögerte Sprechweise der pädagogischen Fachkraft, ihre nachdrückliche Betonung des Wichtigen und ihr handlungsbegleitendes Sprechen, das bald dialogisch wird. Nicht korrekte Äußerungen der Kinder erfahren durch beiläufige, korrekte Wiederholung ein freundliches Feedback. Täglich mehrfache Adressierung zeigt dem Kind, dass es gemeint und wichtig ist. Zur Lerndokumentation eignen sich Sprachenportfolios (Tipps bei Leist-Villis 6 2014: 86 f.; Oomen-Welke 2015: 70 ff.). Kinder im Elementarbereich erwerben Sprache über das Hören und den Umgang mit den Dingen, manche brauchen längere Kontaktzeit. Der Wortschatz entsteht aus Kita- Organisation (z. B. holen, geben, festhalten, Becher) und dem Themenangebot (z. B. Tiere, Jahreszeiten) entsprechend den Orientierungsplänen der Länder. Den Sprachausbau nehmen die Kinder in Portionen vor: Den Artikel z. B. erwerben sie nach einer Phase der Artikellosigkeit, angefangen mit die oder der für alle Artikelformen, danach den, später dem (Kaltenbacher & Klages 3 2012: 85). Die Wortstellung durchläuft Stationen ähnlich dem Erstspracherwerb; entgegen früheren Ansichten stellt die Verbklammer in sehr jungen Jahren kein besonderes Problem dar. Das Interesse der Umgebung kann sich günstig auf das Deutsche als Zweitsprache auswirken. 8. Deutsch als Zweitsprache bis zum Ende der Grundschulzeit Im Sinne durchgängiger sprachlicher Bildung sollten die Sprachen und Welten der Kinder in Kontakt gesehen werden, so dass der Sprachausbau alle Fächer und Lebensbereiche betrifft. Für Kinder ohne oder mit geringen Deutschkenntnissen im Primarbereich gibt es Sprachlernkurse oder -klassen, die transitorisch angelegt sind. Danach erhalten (ein-, zwei- und mehrsprachige) Kinder mit Sprachförderbedarf in der Regelklasse weitere Unterstützung. Neue Befunde ergeben insgesamt geringfügig niedrigere Leistungen von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache in deutscher Orthografie, die jedoch eher von der „sozialen Schichtzugehörigkeit“ bestimmt zu sein scheint (Betzel & Steinig 2013: 180 ff.). Als erweiterungsbedürftig angesehen wird v. a. der Wortschatz, was sich im Sach- und später in Fachunterricht bemerkbar macht und den Schulerfolg beeinflusst. Literatur Ahrenholz, B. / Oomen-Welke, I., Hrsg. ( 4 2016): Deutsch als Zweitsprache. Baltmannsweiler. 294 Ingelore Oomen-Welke Ahrenholz, B. / Hövelbrinks, B. / Maak, D. / Zippel, W. (2013): Mehrsprachigkeit an Thüringer Schulen (Ma TS ) - Ergebnisse einer Fragebogenerhebung zu Mehrsprachigkeit an Erfurter Schulen, in: I. Oomen-Welke / I˙ . Dirim (Hrsg.), 43-58. Anstatt, T., Hrsg. (2007): Mehrsprachigkeit bei Kindern und Erwachsenen. Erwerb - Formen - Förderung. 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Neben den diversen individuellen, methodischen, curricularen, situationellen, institutionellen und politischen Rahmenbedingungen, die das Fremdsprachenlernen beeinflussen, treten besondere, mit dem Lernen einer zweiten oder weiteren Fremdsprache im Sekundarschulalter verbundene individuelle und curriculare Bedingungen hinzu. Mit Tertiärsprache wird jede Sprache bezeichnet, die nach der erstgelernten (gesteuerten) Fremdsprache (L2) gelernt wird. Sie wird oft wegen der chronologischen Reihenfolge als L3 (dritte Sprache) oder L2 2 spezifiziert, die Termini L4 (vierte Sprache) bzw. L2 3 etc. sind weniger gebräuchlich. Mit Tertiärsprachenlernen, L3-Lernen oder multiplem Sprachenlernen wird diese besondere Lernsituation bezeichnet. Die Tertiärsprachenforschung geht dieser besonderen Situation und deren Auswirkungen auf das Sprachenlernen nach. 2. Problemaufriss Weltweit stellt Mehrsprachigkeit den Normalfall dar. Wie viele Personen jedoch mindestens zwei Fremdsprachen erlernen und somit als Tertiärsprachenlernende bezeichnet werden können, ist unbekannt. In Europa lernen z. B. derzeit etwa 65 % aller Schülerinnen und Schüler eine zweite Fremdsprache, wobei dieser Anteil bei über 95 % in Luxemburg, Malta, Rumänien, Finnland, Island, Liechtenstein und dem ehemaligen Jugoslawien, jedoch unter 10 % in Irland, Ungarn und Österreich stark länderspezifisch ist (EuroStat 2012). Auch innerhalb der jeweiligen Länder sind größere Unterschiede zu verzeichnen. Für Deutschland gilt z. B., dass nur Gymnasiasten verpflichtend eine zweite schulische Fremdsprache belegen; in weiteren Schulformen konkurrieren Fremdsprachen mit Fächern wie Technik oder Gesellschaftswissenschaften im Wahlpflichtbereich - ein Grund, warum weniger als ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler eine zweite Fremdsprache lernen (Eurobarometer 2012). Wird eine zweite Fremdsprache in der Sekundarstufe belegt, folgt dies fast immer dem Englischen als erster schulischer Fremdsprache (vgl. Art 109). Auch Sprachen wie z. B. das Deutsche oder das Russische (Art. 117), die regional bedingt traditionell als erste Fremdsprache gelernt wurden, haben immer seltener diesen Status. Die Wahl einer L3 oder L4 ist dann unterschiedlichen Begebenheiten geschuldet, die mit curricularen Traditionen (z. B. Latein, Französisch), geographischer Nähe zu Sprechergemeinschaften (z. B. Polnisch im Bundesland Sachsen) oder wirtschaftlichen Überlegungen (Chinesisch), aber auch wechselnden Trends (Spanisch anstatt Französisch) zusammenhängen können. Dies hat zur Folge, dass der schulische Fremdsprachenunterricht in der Regel entweder Englischunterricht oder faktisch Tertiärsprachenunterricht ist. 296 Nicole Marx 3. Forschungsstand Seit ihren Anfängen wird die Tertiärsprachenforschung vor die Problematik gestellt, dass Studien zum Fremdsprachenlernen und zur Zweisprachigkeit oft ungekennzeichnet mit mehrsprachigen Untersuchungsteilnehmern durchgeführt werden. Somit ist in einem bedeutenden Anteil von Studien zum L2-Lernen fraglich, inwiefern Ergebnisse tatsächlich für L2- oder eher L3-Lernende zutreffen. Ab Anfang der 1970er Jahre zogen vereinzelt Studien Konsequenzen daraus und gingen dem L3-Lernen dezidiert nach (z. B. de Vriendt 1972). Dabei werden nach wie vor v. a. Interferenzerscheinungen von einer L2 in eine L3 fokussiert, die - ebenfalls wie positive Transfers - durch unterschiedliche, mit der L2 zusammenhängende Faktoren begünstigt werden (zusammenfassend Hammarberg 2013). Hierzu gehören u. a. eine etymologische Verwandtschaft zwischen der L2 und L3 und dabei insbesondere eine vom Lernenden subjektiv empfundene Nähe, eine höhere L2-Kompetenz, ein früherer Lernbeginn der L2 und eine häufigere Verwendung der L2. Auch die bloße gemeinsame Eigenschaft der L2 und L3 als „Fremdsprachen“ scheint den L2-Einfluss auf die Tertiärsprache zu begünstigen. In Bezug auf die L3 sind Transfers v. a. dann nachzuweisen, wenn diese noch auf einem niedrigen Niveau beherrscht wird. Transfererscheinungen sind in den linguistischen Bereichen unterschiedlich stark nachzuweisen. Während Lexik anfälliger für L2-Transfer zu sein scheint, werden bei syntaktischen Strukturen oder pragmatischem Handeln häufiger L1-Transfererscheinungen berichtet. Ab den 1980er Jahren wurden neben dem interlingualen Transfer verstärkt Vorteile Tertiärsprachenlernender in diversen Lernkontexten, Ländern und Sprachenkonstellationen erforscht (zusammenfassend De Angelis 2007). Dabei konnte nachgewiesen werden, dass Tertiärsprachenlernende mehrere Unterschiede zu L2-Lernenden aufweisen, was nicht nur auf quantitative Änderungen (Anzahl der gelernten Sprachen), sondern auch auf qualitative (Alter, Lernumgebung und emotionale, kognitive, fremdsprachenspezifische und linguistische Faktoren) zurückzuführen ist (vgl. das Faktorenmodell von Hufeisen 1998). So sind L3-Lernende im Sekundarschulalter aufgrund ihres vergleichsweise etwas höheren Alters strukturierter und weisen erhöhte kritische Analysefähigkeiten auf. Durch die Auseinandersetzung mit anderen Sprachen üben sie eine stärkere kognitive Kontrolle aus, sind aber auch kognitiv flexibler und haben einen kreativeren Umgang mit Sprache. Zudem sind das Lernen unterstützende kognitive Faktoren wie Lernstrategien, Monitoringprozesse und Systematisierungsvermögen weiter entwickelt. Bessere kognitive Kompetenzen sind aber auch der Tatsache geschuldet, dass in Ländern mit niedrigeren Zahlen L3-Lernender v. a. solche eine L3 wählen, die sich bereits in einer akademisch orientierten Schullaufbahn befinden (z. B. im Gymnasium in Deutschland) oder die sprachenaffin sind (weil sie die L3 als Wahlpflichtfach belegen). Auch die Lernumgebung trägt in Form curricularer Begebenheiten (der L3 steht insgesamt weniger Zeit zur Verfügung als der L2) sowie Einstellungen der Lehrenden zur Mehrsprachigkeit und Kenntnisse dieser über und Erfahrungen mit plurilingualen Ansätzen zum Erfolg des Tertiärsprachenlernens bei (vgl. Marx 2005). So sind diejenigen L3-Lernenden erfolgreicher, die im Rahmen des L3-Unterrichts explizit auf ihre anderen Sprachen und ihre Sprachlernerfahrungen hingewiesen werden, Sprachenvergleiche gezielt üben und somit die Systematik von Sprachen reflektieren. Ein für andere Sprachen offenes Schulklima trägt ebenfalls zum 297 62. Lernen von zweiten und weiteren Fremdsprachen im Sekundarschulalter erfolgreicheren Lernen bei, was jedoch v. a. auf erhöhte motivationale Einflüsse zurückzuführen ist. Die Lernmotivation kann weiter verstärkt werden durch die Tatsache, dass die L3 meist die erste vom Schüler gewählte Sprache darstellt. Umgekehrt kann ein niedrigerer Status der L3 im Vergleich zur internationalen Sprache - Englisch - die Motivation hemmen, v. a. dann, wenn die L3 als Pflichtfach belegt wird. Beim Lernbeginn einer L2 sind fremdsprachenspezifische Faktoren noch nicht vorzuweisen, sondern werden während des L2- und später L3-Unterrichts (weiter) ausgebaut. So weisen L3-Lernende einen verbesserten Umgang mit Ambiguitäten sowie ein erweitertes metalinguistisches Bewusstsein (Jessner 2006) auf. Sie setzen Lern- und Kommunikationsstrategien gezielter und erfolgreicher ein, die mit jeder neu gelernten Sprache umfangreicher und zudem immer häufiger herangezogen werden (vgl. Mißler 1999). Zudem sind Tertiärsprachenlernende zielorientierter, selbstständiger und eher (sprachlich) risikobereit, und sie schätzen formale Richtigkeit im kommunikativen Kontext als weniger bedeutsam ein als L2-Lernende. Schließlich können linguistische Kenntnisse nicht nur aus der Erstsprache und der bereits angefangenen L2 übertragen werden, sondern erweisen sich auch beim Tertiärsprachenlernen als nützlich. So ist es z. B. besonders hilfreich, beim Lernen des Deutschen vorher eine germanische L2 (Englisch) gelernt zu haben, besonders dann, wenn die Erstsprache etymologisch weiter entfernt ist (z. B. Russisch, Spanisch). Tertiärsprachenlernende können zur Lösung kommunikativer Unklarheiten gezielt sprachenübergreifend agieren und bereits erworbenes Wissen aus anderen Sprachen nutzen (vgl. Müller-Lancé 2003). Besonders die seit den 1990er Jahren immer bedeutender werdende Mehrsprachigkeitsforschung und politische Bemühungen zur Unterstützung des schulischen Fremdsprachenlernens (vgl. das Weißbuch des Europarats 1995, das das Lernen mindestens zweier Fremdsprachen fordert) haben einen wichtigen Beitrag zur Untersuchung dieser Besonderheiten geleistet. 4. Praxisrelevanz Der Unterricht der L3 befasst sich zum ersten Mal mit den besonderen o. g. Faktoren und legt somit einen Grundstein für das weitere Tertiärsprachenlernen. Daraus folgt, dass für den regulären Fremdsprachenunterricht, insbesondere für den Nullanfängerunterricht entwickelte didaktische Konzepte durch plurilinguale Ansätze zu ergänzen sind, um die besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten Tertiärsprachenlernender sinnvoll aufzugreifen und für den Tertiärsprachenunterricht zu nutzen. Diese mitgebrachten Wissensbestände werden allerdings oft verkannt (De Angelis 2011). Stattdessen wird Sprachenlehre prinzipiell monolingual (zielsprachlich), höchstens bilingual (mit Bezug auf die Majoritätensprache) aufgebaut. Ein solches Vorgehen vernachlässigt jedoch Möglichkeiten, nicht nur konkrete zielsprachliche Kompetenzen weiter auszubauen, sondern übergreifende linguistische und kommunikative Kompetenzen zu vernetzen, die sich in unterschiedlichen Sprachen gegenseitig unterstützen können. Besonders unbefriedigend erscheint dies im Lichte dessen, dass Lernende zwar auch automatisch auf bereits erworbene L2-Kenntnisse zurückgreifen, aber insbesondere dann davon profitieren, wenn sie auf diese aufmerksam gemacht werden und im Unterricht die Gelegenheit erhalten, sprachenübergreifende Vorgehensweisen zu üben. Plurilinguale Ansätze wie die Tertiärsprachendidaktik, die Mehrsprachigkeitsdidak- 298 Nicole Marx tik, éveil aux langues, Interkomprehension (vgl. Art. 49) und rezeptive Mehrsprachigkeitskonzepte agieren sprachen- und fachübergreifend und beziehen dabei mehr als nur die Majoritätensprache und die Zielsprache ein. Dabei gefördert werden 1) die selbstständige Reflexion über Sprachen, insbesondere das Erschließen interlingualer Parallelen jeglicher Art, das Systematisieren neuen Wissens, die Reflexion über sprachliche Register und die Erweiterung der Sprachenbewusstheit sowie 2) die Reflexion über den Prozess des Sprachenlernens, v. a. die Wahrnehmung von Sprache und sprachlichen Strukturen, die Entwicklung einer Metasprache zur Beschreibung dieser Strukturen, die Bewusstheit über das Kommunikationssystem Sprache sowie Erkenntnisse zum eigenen Lernprozess. Auf Grund der meist konsekutiven Aufnahme von Fremdsprachen im schulischen Unterricht erweist sich hier die Tertiärsprachendidaktik als besonders relevant. Diese entwickelte sich ab Anfang der 1990er Jahre u. a. als Reaktion auf die zunehmende sprachenpolitische und curriculare Fokussierung auf das Englische. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass der Tertiärsprachenunterricht wegen unterschiedlicher Vorkenntnisse und Hintergründe der Lernenden einerseits heterogenere Zielgruppen hervorbringt. Andererseits bietet die neue Homogenität der Lernenden in Bezug auf sprachliches Vorwissen (z. B. aus der L1 und der L2) und vorhandene Erfahrungen im Sprachenlernen eine Basis für die neue Sprache. Für den Tertiärsprachenunterricht nennen Neuner et al. (2009) folgende Richtlinien, die hier in leicht adaptierter Form dargestellt werden: a. Eine sprachenreflektierende Vorgehensweise erlaubt den Vergleich sprachlicher Strukturen zwischen der Zielsprache und anderen, bereits bekannten Sprachen und ermöglicht somit die Entfaltung des interlingualen Potentials beim Lernenden; gleichzeitig unterstützt eine Thematisierung von bereits im L2-Unterricht eingesetzten Strategien deren Weiterentwicklung. b. Die inhaltliche und textuelle Einbettung sprachlicher Strukturen unterstützt den Lernprozess, ermutigt die Lernenden zur Reflexion dieser und erlaubt in der L3- Lernsituation eine steilere Lernprogression. c. Rezeptive Kompetenzen entwickeln sich schon zu Beginn des Unterrichts nicht nur schneller, sondern auch umfangreicher; dies gilt besonders bei etymologischer Verwandtschaft der L3 mit der L1 bzw. L2. Die erreichten Niveaus können sich entsprechend fertigkeitsbezogen unterscheiden. Hierdurch können thematisch interessante, komplexere Texte in den Unterricht einbezogen werden. d. Ökonomisierung des Lernprozesses: Die im Tertiärsprachenunterricht im Vergleich zum L2-Unterricht verkürzte Zeit verlangt eine gesteigerte Lehr- und Lerneffizienz. Besonders im sog. Anfangsunterricht bieten leicht aufzudeckende Transferquellen einen wichtigen Stützpfeiler. Als Einstieg in eine L3 können zudem Ansätze wie ein sprachenübergreifender Unterricht wie Janua Linguarum oder ein Unterricht mit intensiven Lernphasen (vgl. Hinger 2001) besonders förderlich sein. Zur Unterstützung der curricularen Entwicklung und zur Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit bietet sich der RePA (Candelier et al. 2007) an. 5. Perspektiven Trotz umfangreicher unterstützender Forschung sowie politischem und didaktischem 299 62. Lernen von zweiten und weiteren Fremdsprachen im Sekundarschulalter Willen bleibt die Sprachdidaktik noch vornehmlich monolingual ausgerichtet. Der Tertiärsprachenunterricht verläuft insgesamt zu wenig sprachenintegrativ, und Sprachlehrende vernachlässigen zu oft mehrsprachige Vorteile ihrer Lernenden, statt dieses Potential in gebührendem Umfang zu nutzen. Es bleibt ein wichtiges Desiderat, Forschungserkenntnisse in die Lehrerbildung, in die Lehrmaterialentwicklung und in die Praxis des Tertiärsprachenunterrichts einzubinden, um der besonderen Lernsituation von Tertiärsprachenlernenden gerecht zu werden und zu einer Öffnung des traditionell additiven Konzepts des Fremdsprachenlernens zu führen. Schließlich muss dringend für eine Aufrechterhaltung bzw. eine Wiederbelebung der zweiten schulischen Fremdsprache plädiert werden, die nicht nur einen Grundstein für das Lernen weiterer Fremdsprachen legt, sondern für die meisten Schülerinnen und Schüler die einzige echte Wahlfremdsprache darstellt. Literatur Candelier, M. / Camilleri Grima, A. / Castellotti, V. / de Pietro, J. 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Das zeigt, dass sich die Motivation für das Fremdsprachenlernen stark verändert hat: Insbesondere die Notwendigkeit, schnell die für Zuwanderung notwendigen Kompetenzen zu erreichen, dominiert gegenüber beruflichen Zwecken. Im Rahmen von internationaler Kommunikation und wegen der zunehmenden Medialisierung von Kommunikation wird v. a. English as Lingua Franca heute weltweit benutzt und basiert meist auf spontanen Erwerbsprozessen, oft unter Verzicht auf Normen. Vereinfachte grammatische Strukturen und ein reduzierter Wortschatz sowie eine phonetisch stark ausgangssprachlich beeinflusste Aussprache werden in Kauf genommen, um schnell zu einer funktionalen Grundkompetenz zu gelangen, um sich in Alltagssituationen mit einfachsten sprachlichen Mitteln verständlich machen zu können („Me Tarzan, you Jane“). Ähnliches gilt auch für andere Fremdsprachen. Bei systematischem Unterricht allerdings stellt sich die Frage, wie erfolgreich Erwachsene Fremdsprachen überhaupt noch lernen können. 2. Historischer Überblick über Forschungsergebnisse und Theoriebildung a) Personale und affektive Faktoren Die Tendenz von Erwachsenen, sich mit einer funktionalen Grundkompetenz zufrieden zu geben, die sie für ihre Ziele benötigen, darf nicht mit mangelnder Sprachlernfähigkeit verwechselt werden. Die Wirkung von Motivation und Einstellungen wie Ethnozentrismus auf den Lernerfolg ist gut untersucht. Kinder sind vermutlich eher in der Lage, sich den kulturellen Perspektiven anzupassen, die der Erwerb einer Fremdsprache im Unterricht bzw. in einem anderen Land mit sich bringt. Der „affektive Filter“, wie Krashen (1981) die Gesamtheit dieser Faktoren nennt, wird undurchlässiger. Es ist auch zu vermuten, dass Erwachsene einen starken Akzent als Schutzmechanismus beibehalten, der verhindert, dass Muttersprachler (oder Lehrende) zu hohe Anforderungen an sie stellen. Eine aktuelle Darstellung, auch auf neurolinguistischer Grundlage, findet sich bei Schumann (1999), die sich allerdings nicht explizit auf Erwachsene bezieht. b) Lernen Kinder Fremdsprachen erfolgreicher als Erwachsene? Dass Kinder Fremdsprachen leichter und besser lernen als Erwachsene, erschien früher aus der Sicht der in der psychologischen Altersforschung entwickelten „Adoleszenz- Maximum-Hypothese“ plausibel. Diese besagt, dass die Lernfähigkeit bis zum Abschluss der Adoleszenz zu- und vom 40. Lebensjahr an wieder abnimmt. Allerdings ist darauf hingewiesen worden, dass Erwachsene auf Grund ihrer größeren kognitiven Fähigkeiten auch bessere Fremd- 301 63. Sprachenlernen im Erwachsenenalter sprachenlerner sein müssten als Kinder. Diese Ansicht wurde v. a. im GUME-Adult-Project von von Elek & Oskarsson (1975) empirisch geprüft; sie fanden, dass Erwachsene lieber (und besser) nach einer kognitiven Methode lernten, bei der Grammatikregeln und kontrastive Vergleiche benutzt werden. c) Die Critical Period Hypothesis Trotzdem ist zu festzustellen, dass die meisten Kinder auf lange Sicht eine höhere Sprachkompetenz erreichen als Erwachsene. Auf der Basis gehirnphysiologischer Forschungen erklärte das Lenneberg (1967) so, dass Sprachenlernen, auch das Lernen einer zweiten Sprache, durch biologische Faktoren determiniert sei. Zwischen dem 2. und dem 12. Lebensjahr gebe es eine Critical Period, während der Sprachen optimal gelernt werden; danach sei dies nur noch mit erheblichen Schwierigkeiten möglich. Dies gelte v. a. für die Aussprache: „Foreign accents cannot be overcome easily after puberty“ (Lenneberg 1967: 176). Der Grund dafür sei in Hirnreifungsprozessen zu suchen. Diese Hypothese ist mittlerweile mit recht widersprüchlichen Resultaten überprüft worden. Bei Krashen et al. (1982) finden sich zwei Gruppen von empirischen Arbeiten. Die einen kommen zu dem Ergebnis, dass das Alter bei der Ankunft von Einwanderern im Land der Zielsprache der entscheidende Faktor ist: Je niedriger es ist, desto besser wird die Aussprache. Andere Faktoren, wie etwa die Länge des Aufenthalts im Land, seien bedeutungslos für den L2-Erwerb: Weder die Aussprache noch die Fähigkeit des Hörverstehens, noch gar die grammatische Kompetenz dieser Einwanderer seien dadurch nennenswert beeinflusst. Eine zweite Gruppe von Forschungen sieht allerdings Lennebergs Theorie als widerlegt an, weil Erwachsene zumindest im ersten Jahr des L2-Erwerbs erfolgreicher sind als Kinder (Snow & Hoefnagel-Höhle 1978). In kontrollierten Experimenten zeigte sich sogar, dass auch Erwachsene in der Lage sind, das Lautsystem einer fremden Sprache völlig akzentfrei zu lernen. Walsh & Diller (1981) vertreten daher sogar die Auffassung, dass die zunehmend dichtere Vernetzung des Gehirns Erwachsene zu erfolgreicherem Fremdsprachenlernen befähigt als Kinder und dass lediglich der Bereich der Aussprache eine Sonderstellung einnimmt. Die Critical Period Hypothesis wird allerdings unterstützt durch die psycholinguistischen Theorien Chomskys (vgl. Art. 6): Es gehöre zur angeborenen genetischen Ausstattung des Menschen, die Grundprinzipien von Sprachen erkennen und sprachliche Daten aus der Umwelt verarbeiten zu können. Gesetzmäßigkeiten, die allen Sprachen zugrunde liegen (Universalien), stehen dem Menschen aber offenbar nur bis zum Abschluss des Erwerbs seiner Muttersprache zur Verfügung; danach müsse der Fremdsprachenerwerb andere Wege einschlagen. Westphal (1989) etwa nimmt an, dass man sich v. a. beim Fremdsprachenlernen im Erwachsenenalter nicht mehr neue grammatische Kategorien erschließt (parameter setting), sondern nur noch vorhandene uminterpretiert (parameter switching ). Clahsen & Muysken (1986) folgern aus eigenen Untersuchungen, dass Kinder die linguistisch einfacheren Regeln in der Tiefenstruktur der L2 noch spontan erfassen können, diese also mit Prinzipien der Universal Grammar wie ihre Muttersprache erwerben, während Erwachsenen dieser Zugriff verschlossen ist: Sie gingen stattdessen Umwege über linguistisch zum Teil sogar falsche Regelhypothesen und erreichten folglich auch nicht den gleichen Grad an Kompetenzen wie Kinder. In erheblichem Gegensatz zu dieser Auffassung stehen neuere Untersuchungen zur 302 Jürgen Quetz Universal Grammar-Theorie. Martohardjono & Flynn (1995: 135) z. B. fanden, dass es gerade die „innate principles and parameters of Universal Grammar (UG) governing the acquisition of syntax“ seien, die auch nach der Critical Period den effizienten Erwerb solcher grammatischen Strukturen ermöglichen, die von der Universalgrammatik gesteuert werden; sprachspezifische Strukturen hingegen seien für Erwachsene problematischer als für Kinder. Anders ist die Behandlung des Faktors ,Alter‘ im Ansatz von Klein (1984). Er zeigt auf, dass alle Fremdsprachenlernenden, gleich welchen Alters, vor den gleichen Problemen stehen und sich zu ihrer Lösung ebenfalls gleicher Strategien bedienen. Altersbedingte Unterschiede im Lernresultat werden als akzidentiell betrachtet. Wie stark die Unsicherheit in der Rezeption der Forschungslage dieser Jahre ist, zeigt sich daran, dass verschiedene Autoren in Standardwerken zum Fremdsprachenlernen im Erwachsenenalter sie unterschiedlich zusammenfassen. Long (1990: 251) sieht den Grund für Differenzen im Erwerbstempo und im unterschiedlichen Grad der am Ende erreichten Sprachkompetenz im Alter, in dem der Erwerb begonnen hat. Singleton (1989: 137) hingegen meint, dass Kinder auf lange Sicht keineswegs immer die erfolgreicheren Sprachenlerner sind, auch nicht im Bereich der Phonetik/ Phonologie, wo Long (ebd.) die stärksten Differenzen sieht. Long führt die von ihm beschriebenen Unterschiede auf Hirnreifungsprozesse und nicht auf affektive oder kognitive Faktoren oder unterschiedlichen Input zurück, wie Krashen et al. (1989) noch vermuteten. In der neueren Hirnforschung hat man diese Frage auch noch nicht abschließend geklärt (Abutalebi et al. 2008: 67), obgleich das dominierende Erklärungsmuster in Hirnreifungsprozessen gesehen wird. 3. Aktueller Forschungsstand und Theoriebildung Die aktuelle Theoriebildung in der Sprachlehrforschung wird derzeit stark von der Hirnforschung beeinflusst. Mit bildgebenden Verfahren sind diejenigen Hirnareale inzwischen sehr genau beschrieben worden, die beim Spracherwerb und beim Sprechen eine Rolle spielen. Hier sind vor allen Dingen die Arbeiten der Arbeitsgruppe um Angela Friederici vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig zu nennen. Diese Arbeiten beschäftigen sich jedoch in erster Linie mit dem Erstspracherwerb, v. a. mit Bilingualismus. Eine auf L2 fokussierte Forschung ist nur in Ansätzen vorhanden. Zu nennen ist hier das Mailänder Team um Jubin Abutalebi, das auf der Basis neuer, bildgebender Verfahren die neuronale Basis von L2-Prozessen und ihre Verbindung zu solchen in der L1 untersucht: „The long-held assumption that L1 and L2 are necessarily represented in different brain regions in bilinguals has not been confirmed. On the contrary, the available evidence indicates that L1 and L2 are processed by the same neural devices“ (Perani & Abutalebi 2005: 202). Deshalb machen Perani und Abutalebi auch keinen Unterschied zwischen Lernen und Erwerben, sondern untersuchen die Differenzen zwischen L1- und L2-Erwerb bzw. -Gebrauch in Bezug auf „[ … ] the age of acquisition, the degree of mastery and the level of exposure to each language“ (ebd.). Damit verändert sich auch die Ausgangssituation für die Erforschung des Fremdsprachenlernens bei Erwachsenen, weil ein neuer Parameter in Spiel kommt, nämlich wachsende Sprachkompetenz, genauer gesagt: fast muttersprachen-ähnliche Fähigkeiten, die dazu führen, dass Sprachverarbeitung nicht mehr - wie bei Anfängern - bewusst und kontrolliert erfolgt, sondern automatisch (Abutalebi 2008: 466). 303 63. Sprachenlernen im Erwachsenenalter Damit ist die Diskussion um die Critical Period Hypothesis wieder eröffnet; man muss nämlich fragen, ob es stimmt, dass der Lernerfolg umso größer ist, je früher ein Kind mit dem Spracherwerb beginnt, also der reine Zeitfaktor, oder ob Hirnreifungsprozesse der entscheidende Faktor sind (vgl. Perani & Abutalebi 2005: 469 sowie Osterhout et al. 2008). Paradis (2004) stellt in seiner Neurolinguistic Theory of Bilingualism fest: Wer früh mit zwei Sprachen aufwächst, verarbeitet beide Sprachen in den gleichen Hirnarealen; wer die L2 erst später lernt, benutzt verschiedene Orte für die Verarbeitung - diese können aber bei wachsender Sprachkompetenz im gleichen Bereich zusammenfließen. Bei Grein (2013) findet sich auch ein Abschnitt über Neurotransmitter, die für Gedächtnisstrukturen und affektive Dimensionen von Lernprozessen zuständig sind (vgl. auch Schumann 1999). Die Konsequenzen, die Grein daraus ableitet, sind allerdings nicht neu und betreffen das Anknüpfen an vorhandenes Wissen, die Aufmerksamkeitsspanne, Bewegung, Medien, Emotionen, Motivation und vieles Andere, was in der allgemeinen Erwachsenenpädagogik schon seit vielen Jahren eine Rolle spielt und jetzt auch gehirnsphysiologisch untermauert wird. Zusammenfassend kann man sagen, dass neuere Theorien zum Fremdsprachenlernen bei Erwachsenen die Revision einiger basaler Theoriefragmente mit sich gebracht haben, deren Bedeutung noch nicht recht erfassbar ist. Dazu kommt die Bestätigung effektiver Lernweisen, die allerdings in der Erwachsenenbildung schon lange verfolgt werden. Bei Grein (2013: 68-79) werden diese Lehr- und Lernweisen mustergültig zusammengefasst: Man muss Neues an bereits vorhandenes Wissen andocken; individuell unterschiedliche Aufmerksamkeitsspannen müssen berücksichtigt werden; beim Lernen sollten verschiedene Medien eingesetzt werden; Bewegung und Emotionen sollten in den Unterricht einbezogen werden; motivationsfördernd kann sich auch Lob auswirken und vieles Andere mehr. 4. Praxisrelevanz und Perspektiven Obgleich besondere Bedingungen personaler und affektiver Art die Lernerfolge Erwachsener behindern können, und obgleich für sie einige spezielle Probleme im Bereich der Aussprache existieren, kann man insgesamt doch davon ausgehen, dass Fremdsprachenunterricht für diese Zielgruppe uneingeschränkt sinnvoll ist. Man wird aber verstärkt den Bereich derjenigen Faktoren erforschen müssen, über deren genaueren Einfluss noch zu wenig bekannt ist (vgl. Grein 2013, Kap. 14). Literatur Abutalebi, J. 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Auch heute findet Sprachenlehren als Beruf in vielen Formen und Kontexten statt, in Form von individuellem Unterricht in Firmen, Nachhilfeinstitutionen oder als onlinebzw. E-Mail-Betreuung, in Form von Sprachlernberatung und individueller Betreuung in Selbstlernzentren, in Form von Gruppenunterricht in Kindergärten, Schulen, Hochschulen, Volkshochschulen, Kulturinstituten, privaten Sprachenschulen oder Begegnungsstätten wie dem Deutsch-Französischen oder dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk. Je nach Institution, Aufgabe und Status variieren die Bezeichnungen von Sprachtrainer über Sprachdozent, Nachhilfelehrer, Sprachberater, Assistenzlehrkraft oder Lektor bis zu Fremd- oder Zweitsprachenlehrkraft. Auch Art und Umfang der Beschäftigung sind sehr unterschiedlich: In der Erwachsenenbildung und im außerschulischen Unterricht mit Kindern und Jugendlichen kommt die freiberufliche Tätigkeit am häufigsten vor, daher sind Lehrkräfte dort auch 305 oft gleichzeitig in verschiedenen Einrichtungen tätig; in der Erwachsenenbildung handelt es sich in aller Regel um muttersprachliche Lehrkräfte. Lehrkräfte an Schulen dagegen sind normalerweise fest angestellt, in der Regel Nicht-Muttersprachler und sie unterrichten im deutschsprachigen Raum zumeist zwei oder mehr, auch nicht-sprachliche Fächer. 2. Problemaufriss (Schul-)Lehrkräfte und ihr berufliches Umfeld werden v. a. in den Erziehungswissenschaften, der Psychologie und der Soziologie erforscht (vgl. z. B. Terhart et al. 2011). Während sich die Lehrerforschung in diesen Disziplinen nur selten auf Lehrkräfte bestimmter Fächer fokussiert und häufig allgemeine Aspekte (wie z. B. das Belastungserleben) thematisiert, konzentriert sich die fremdsprachendidaktische Lehrerforschung auf Sprachenlehrkräfte und ihr Umfeld, wobei thematisch zumeist fremdsprachenspezifische Aspekte im Mittelpunkt stehen. Aufgrund der skizzierten großen Heterogenität des Tätigkeitsfeldes und der Tendenz, sich in der Regel nicht nur auf einzelne thematische Aspekte, sondern auch auf Lehrkräfte einzelner Sprachen bzw. bestimmter beruflicher Kontexte zu beschränken, stellt sich die Forschungslandschaft extrem uneinheitlich und unübersichtlich dar. Eine übergreifende Gesamtdarstellung steht noch aus. 3. Forschungsstand Aus heutiger Sicht verwundert, dass sich die Fremdsprachendidaktik erst seit knapp zwanzig Jahren in nennenswertem Umfang für diesen zentralen Akteur des unterrichtlichen Geschehens interessiert (vgl. Hattie 2009: 22: „What teacher do matters “). Davor hatten sich Fachdidaktik und Sprachlehrforschung v. a. für Unterrichtsmethoden sowie für Fremdsprachenlernende und ihre Aneignungsprozesse interessiert. Es bedurfte der Erkenntnis, dass sich Unterricht nicht auf ein schlichtes Prozess-Produkt-Konzept reduzieren lässt, sondern dass es sich dabei um ein „komplexe[s], von vielfältigen Wechselbeziehungen sowie Wert- und Interessenkonflikten geprägte[s] und damit potentiell unvorhersehbares Geschehen“ handelt (Schart 2014: 39). Dazu kam die Erkenntnis, dass auch autonom Lernende nicht nur Lernbegleiter, sondern auch Lernermöglicher benötigen und dass es in erster Linie die Lehrenden sind, die für Veränderungen des Unterrichts verantwortlich zeichnen (vgl. Königs 2014: 71, zu weiteren Gründen vgl. ebd.: 66-71; Schart 2014: 38-40). Seit Mitte der 1990er Jahre erschienen im deutschsprachigen Raum eine Reihe größerer und kleinerer fremdsprachendidaktischer Studien, die sich der Professionsforschung, d. h. der „Deskription, Analyse und Entwicklung des Wissens und Könnens von Lehrpersonen im weitesten Sinne“ (Trautmann 2010: 246) zuordnen lassen. Sie sind im Wesentlichen in vier Übersichtsarbeiten in der Zeitschrift „Fremdsprachen lehren und lernen“ erfasst (Caspari 2014; Königs 2014; Roters & Trautmann 2014; Schart 2014). Einen Überblick 306 Daniela Caspari über internationale Forschung unternimmt z. B. Kleinsasser (2013). Der allergrößte Anteil der deutschsprachigen fremdsprachendidaktischen Forschungen liegt in Form von Qualifikationsarbeiten vor und bezieht sich auf Lehrkräfte an Schulen, häufig im Fach Englisch; Lehrkräfte in außerschulischen Feldern standen mit Ausnahme der Arbeiten von Christ (1990), Demmig (2007) und Schart (2003) bislang selten im Mittelpunkt größerer Forschungsarbeiten bzw. sind in Studien zur Aus- und Fortbildungsforschung eingebettet (z. B. Duxa 2001, Feld-Knapp 2014). a) Geschichte des Lehrberufes Die Feststellung Sauers, dass es keine „Gesamtdarstellung der Geschichte der Fremdsprachenlehrer gibt“ (Sauer 1995: 171), gilt nach wie vor. Trotzdem lassen sich aus einer großen Zahl an schulhistorischen und biographischen Einzelarbeiten bestimmte Grundelemente und Tendenzen ableiten (vgl. ebd., Klippel 2014). Man unterscheidet vier „Realisationen“ (Sauer) von Fremdsprachenlehrkräften: die meist muttersprachlichen „Sprachmeister“ an Schulen, Ritterakademien, Universitäten und in privaten Haushalten vom 16.-19. Jh., die als Lehrer ausgebildeten „Reallehrer“ an Real- und Mittelschulen im 18./ 19. Jh., die meist philologisch gebildeten, am Gymnasium tätigen „Neuphilologen“ ab dem 19. Jh. und die speziell für schulischen Fremdsprachenunterricht ausgebildeten „professionellen Fremdsprachenlehrer“ seit Mitte des 20. Jhs. Während dieser Entwicklung haben sich im 19. Jh. die Bereiche der an Schulen und im privaten Sektor tätigen Lehrenden getrennt. Für die aktuelle Diskussion erscheint wichtig, dass die Entwicklung des Berufsbildes und der beruflichen Situation „keineswegs linear verlaufen“ ist (Klippel 2014: 8), dass bestimmte, auch heute noch aktuelle Grundfragen des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen und der Lehrkräfteausbildung schon seit Jahrhunderten diskutiert werden (ebd.: 12) und dass derzeit als neu und innovativ geltende Ansätze wie die Aktionsforschung in Einzelfällen schon vor über 100 Jahren erprobt wurden (ebd.: 17). b) Konzeptuelle Forschung Die konzeptuelle Forschung widmet sich v. a. der Frage, was eine ,gute‘ Fremdsprachenlehrkraft ausmacht. Ansatzpunkte für diese Überlegungen können die von einer Lehrkraft zu bewältigenden Aufgaben, die von ihr zu erfüllenden Rollen, notwendige Persönlichkeitseigenschaften oder Ziele und Inhalte eines zu der jeweiligen Zeit aktuellen Unterrichts sein (vgl. Krumm 2003: 353 f.). Damit überschneidet sie sich mit der Erforschung von Lehrerkompetenzen (vgl. Art. 65). Der Fokus der Forschung hat sich im Laufe der Zeit von normativen zu eher beschreibenden Konzepten verschoben. Allerdings werden auch aus solchen Konzepten häufig handlungsleitende Empfehlungen oder Überlegungen für die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften abgeleitet (vgl. Art. 126-134). Zum anderen hat sich der Fokus von umfassenden Beschreibungen und Analysen (z. B. der Untersuchung des Faktorenkomplexes ,Lehrer‘ von Königs 1983) zur Untersuchung von Einzelaspekten hin verschoben. Dabei werden sowohl Aspekte diskutiert, die sich aus neuen Anforderungen, z. B. Autonomieförderung (vgl. Art. 78), Einsatz neuer Medien (vgl. Art. 99), Fremdsprachenunterricht in der Grundschule (vgl. Art. 37), CLIL (vgl. Art. 44) oder Umgang mit Heterogenität und Mehrsprachigkeit (vgl. Art. 48) ergeben, als auch solche, die zu den ,klassischen‘ Themen gehören und teilweise unter neuen Aspekten beleuchtet werden, z. B. wird das Thema Leh- 307 64. Sprachenlehren als Beruf rersprache aus Lehrersicht unter den Aspekten muttersprachliche bzw. nicht-muttersprachliche Lehrkraft, Einbzw. Mehrsprachigkeit, Förderung der Kompetenz Sprechen untersucht, das Thema Sprachnorm bzw. Umgang mit Fehlern wird nun unter den Aspekten Diagnostik, Evaluation und Fehlerkultur oder der Umgang mit Grammatik im Kontext kompetenzorientierten Unterrichts analysiert. Durch alle neueren Publikationen zieht sich der Grundgedanke der Lehrkraft als „reflective practitioner “ (Schön 1983). c) Qualitative Forschung Der größte Teil der fremdsprachendidaktischen empirischen Lehrerforschung ist qualitativ-explorativer Art und beschäftigt sich mit teacher cognition. In Anlehnung an Borg (1997, wiedergegeben in Borg 2003: 82) versteht man darunter „beliefs, knowledge, theories, attitudes, images, assumptions, metaphors, conceptions, perspectives [ … a]bout teaching, teachers, learning, students, subject, matter, curricula, materials, instructional activities, self“. Trotz der Schwierigkeit, die genannten Begriffe bzw. die damit bezeichneten Konzepte voneinander abzugrenzen, und der insgesamt begrenzten Reichweite qualitativer Forschung, erlauben diese Arbeiten eine Vielzahl von Einsichten in die subjektiven Sichtweisen von Lehrkräften (vgl. im Folgenden die Zusammenstellungen in Caspari 2014; Roters & Trautmann 2014; Schart 2014). Aus Arbeiten, die mithilfe unterschiedlicher Zugänge eine umfassende Rekonstruktion der subjektiven Sichtweisen von Lehrkräften unternehmen, wird deutlich, dass es sich dabei um hoch komplexe und heterogene Konstrukte handelt, die jeweils von zentralen Überzeugungen strukturiert werden. Diese berufsbezogenen Überzeugungen werden insbesondere von der individuellen Berufsbiographie (eigene Lernerfahrungen, Aus- und Weiterbildung, berufliche Erfahrung) sowie der subjektiven Wahrnehmung personaler und institutioneller Rahmenbedingungen beeinflusst (vgl. z. B. Caspari 2003). Einen weiteren wichtigen Faktor stellt das im Laufe der beruflichen Sozialisation erworbene, sozial geteilte Wissen dar (Appel 2000). Obwohl diese Überzeugungen das unterrichtliche Handeln nachweislich beeinflussen, ist ihre Aussagekraft aufgrund situativer und sozial wie individuell unbewusster Faktoren begrenzt (vgl. z. B. Schart 2003). Die zahlreichen Arbeiten, die auf Einzelaspekte fokussieren, belegen ebenfalls die hohe Individualität und Diversität von teacher cognitions. Besonders aufschlussreich sind daher Untersuchungen, die die Sichtweisen von Lehrkräften und Lernenden zueinander in Beziehung setzen und neben Gemeinsamkeiten und Unterschieden auch gegenseitige Beeinflussungen feststellen (z. B. Tesch 2010). d) Quantitative Forschung Forschungsarbeiten mit quantitativen Zugängen sind in der Fremdsprachendidaktik bislang wenig vertreten (vgl. auch Roters & Trautmann 2014). Außer einzelnen Arbeiten zur Berufswahl liegen von Bohnensteffen (2010) zur Fehlerkorrektur und Finkbeiner (2005) zum fremdsprachlichen Lesen zwei von Einzelpersonen durchgeführte Untersuchungen vor. Daneben sind einzelne Arbeiten im Kontext größerer Projekte der empirischen Bildungsforschung entstanden, z. B. Porsch (2010). Als bislang größte Untersuchung gilt die Studie „Deutsch Englisch Schülerleistungen International“ (DESI 2008), die eine Reihe von Befunden zur beruflichen Situation von Englischlehrkräften, zu ihrer Alltagspraxis, ihrer interkulturellen Sensibilität und zur 308 Daniela Caspari Wirksamkeit des Lehrerhandelns darstellt. Deutlich wird in den allermeisten Aspekten ein großer Unterschied zwischen den Lehrkräften unterschiedlicher Schulformen. Als lernförderlich erweisen sich - neben einer allgemeinen guten Klassenführung - u. a. Kontakte der Lehrpersonen ins englischsprachige Ausland, fachdidaktisches Engagement, der häufige Gebrauch der Zielsprache im Unterricht, die Gelegenheit zu längeren Schüleräußerungen, die Ermutigung zu Selbstkorrektur sowie das Warten auf Schülerantworten. Derzeit wird in einer großen Studie „Teacher Education and Development Study: Learning to Teach“ (TEDS-LT) im Rahmen des Expertenansatzes das fachwissenschaftliche und fachdidaktische Wissen von angehenden Englischlehrkräften zu zwei Messzeitpunkten untersucht (vgl. Roters & Trautmann 2014: 58-62). Erste Ergebnisse deuten ebenfalls auf Unterschiede zwischen den Studierenden der unterschiedlichen Lehrämter hin. 4. Fazit und Perspektiven Wie diese Übersicht zeigt, hat sich die Erforschung von Lehrkräften in der Fremdsprachendidaktik inzwischen etabliert. Es liegt eine Vielzahl von Studien vor, sowohl solche, die Sprachenlehrende in einem umfassenden Sinne betrachten, als auch solche, die sich auf bestimmte Aspekte des Fremdsprachenlehrberufes konzentrieren. Sie berücksichtigen Lehrkräfte in unterschiedlichen institutionellen Kontexten und für unterschiedliche Sprachen, wobei die Schwerpunkte auf Lehrkräften für bilingualen Sachfachunterricht (CLIL), auf Lehrkräften an Grundschulen und auf Lehrkräften für das Fach Englisch liegen. Die Studien verwenden unterschiedliche forschungsmethodische Ansätze, wobei der allergrößte Anteil der Arbeiten qualitativ-explorativer Art ist und subjektive Sichtweisen von Lehrkräften erforscht. Diese Schwerpunktsetzung könnte zum einen der Forschungslage geschuldet sein, denn es galt zunächst einmal Zugänge zu diesem großen Forschungsgebiet zu finden und es zu explorieren. Sie hängt zum anderen vermutlich mit Ressourcen und fachkulturellen Vorlieben zusammen (Roters & Trautmann 2014: 52). Der Hauptgrund dürfte jedoch in dem vorherrschenden prospektiv-elaborativen Menschenbild liegen, das es möglich und erforderlich macht, die Fähigkeit der Forschungspartner zu Reflexion, Rationalität, Kommunikation und intentionalem Handeln zu nutzen (vgl. Art. 128). Angesichts der durch die Hattie-Studie (2009) eindrucksvoll belegten Bedeutsamkeit des Lehrerhandelns für erfolgreiches Lernen und der aufschlussreichen Ergebnisse der DESI-Video-Studie (2006) wären jedoch weitere Studien zum Lehrerhandeln im Fremdsprachenunterricht, auch mit dem Ziel der Identifikation von bestpractice-Beispielen, wünschenswert. Zu den Desideraten gehören ebenfalls Studien mit größeren Teilnehmerzahlen. Es ist jedoch fraglich, ob eine generelle Neuausrichtung der fremdsprachendidaktischen Lehrerforschung auf die in den Bezugswissenschaften derzeit vorherrschenden Forschungsfelder und -konzepte tatsächlich bedeutende Fortschritte in Bezug auf Wissen und Erkenntnisse über die für Fremdsprachenlehrkräfte spezifischen Themen und Aspekte erbrächte (vgl. Trautmann 2010: 348, der aus erziehungswissenschaftlicher Sicht großen theoretischen und empirischen „Nachholbedarf“ attestiert). Möglicherweise ist die Fokussierung auf spezifisch fremdsprachendidaktische Themen ein Grund dafür, dass sich die meisten Studien nicht explizit in den entsprechenden Ansätzen der Bezugswissenschaften verorten. Viele fremdsprachendidaktische Studien greifen zudem auf mehrere Forschungsfelder zurück (in der Studie von Kollenrott 2008 z. B. auf biographische Aspekte, Rahmenbedingungen, Ko- 309 64. Sprachenlehren als Beruf gnitionen und Belastungen von Lehrkräften), um den entsprechenden Gegenstand (hier: den Gebrauch von Lehrwerken für den CLIL-Unterricht) zu erfassen. Jedoch sollten für die notwendige systematische Weiterentwicklung fremdsprachenspezifischer Lehrerforschung sowohl die forschungsmethodischen Entwicklungen in der allgemeinen Lehrerforschung wie auch die Themen, Ansätze und Befunde aus den internationalen Forschungen zu Fremdsprachenlehrkräften verstärkt berücksichtigt werden. Dazu gehört auch, Lehrkräfte bei der Erforschung ihres eigenen Unterrichts zu unterstützen (Aktionsforschung, vgl. Art. 130) bzw. sie zu eigenem Forschen zu ermutigen und die Ergebnisse dieser Forschungen besser zugänglich zu machen. Genauso wichtig erscheint es, in der Lehrerforschung zeitnah auf die aktuellen Veränderungen und Herausforderungen im schulischen und außerschulischen Bildungswesen zu reagieren (derzeit u. a. Kompetenzorientierung einschließlich der dienenden Funktion der Grammatik, Standardisierungstendenzen, neue Formen der Evaluation, lebensweltliche Mehrsprachigkeit, Schüler und Schülerinnen ohne Deutschkenntnisse, Heterogenität, Inklusion, Lehrkräfte als Quer- und Seiteneinsteiger). Dies sollte sowohl in Form von theoretischen Konzepten als auch durch empirische Forschung geschehen. Denn erst eine Systematisierung der Anforderungen, eine breite Kenntnis der beruflichen Praxis und differenziertes Wissen über die Innensicht von Lehrkräften ermöglichen tiefere Einsichten in dieses so komplexe und sich beständig ändernde Berufsfeld. Literatur Appel, J. (2000): Erfahrungswissen und Fremdsprachendidaktik. München. Bohnensteffen, M. (2010): Fehler-Korrektur: Lehrer- und lernerbezogene Untersuchungen zur Fehlerdidaktik im Englischunterricht der Sek. II . Frankfurt a. M. Borg, S. 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Kompetenzen der Sprachlehrenden Lehrkompetenzen in einem weiten Verständnis umfassen sowohl die sprachlichen, die sprach- und literaturwissenschaftlichen und landeskundlichen als auch die pädagogischen, fachdidaktischen und unterrichtspraktischen Fähigkeiten und schließen auch affektive Komponenten und Einstellungen ein. Neben diesem weiten hat sich auch ein engerer Begriff von Lehrkompetenz eingebürgert, der gezielt auf die lehr- und lernprozessbezogenen Kompetenzen fokussiert. Hallet unterscheidet dabei „unterrichtsbezogene Kompetenzen im engeren Sinne“ sowie „übergreifende pädagogische und didaktische Kompetenzen“ , die auch personale und soziale sowie Entwicklungskompetenz einschließen (Hallet 2006: 36). Dieses engere Verständnis liegt vielen der in den letzten Jahren entwickelten Konzepte und Instrumente zur Beschreibung und zum Training von Lehrkompetenzen zu Grunde. Zwar werden in diesem Zusammenhang die fachlichen und fachdidaktischen Kompetenzen meist mitgenannt, detailliert ausformuliert sind aber v. a. pädagogische Kompetenzen, die soziale Kompetenz und die Selbstkompetenz (vgl. Schart & Legutke 2012; Braunsteiner et al. 2014). 2. Problemaufriss 2004 hat die Ständige Konferenz der Kultusminister (KMK) Standards für die Lehrerbildung in Deutschland beschlossen, die einen Katalog von auf die Berufsrolle bezogenen Lehrkompetenzen enthalten; einleitend heißt es programmatisch: „Lehrerinnen und Lehrer sind Fachleute für das Lehren und Lernen. Ihre Kernaufgabe ist die gezielte und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltete Planung, Organisation und Reflexion von Lehr- und Lernprozessen sowie ihre individuelle Bewertung und systemische Evaluation“ (KMK 2004: 3; vgl. auch KMK 2008/ 2015). Kompetenzen werden hier aber nur für die bildungswissenschaftlichen Lehraufgaben formuliert, fachdidaktische Kompetenzen werden nur marginal behandelt und für die fachlichen Aspekte bleibt es bei Inhaltsangaben. Eine grundsätzliche Kompetenzorientierung der Lehrerbildung wurde durch die KMK-Empfehlungen nicht eingeleitet. Allerdings wurden in den Folgejahren in der Erziehungswissenschaft ebenso wie in verschiedenen Fachdidaktiken zahlreiche Kompetenzmodelle entwickelt, die zunehmend auch Eingang in die Lehrerbildung finden (vgl. Hallet 2006; Frey & Jung 2011; für die Schweiz Beck et al. 2008). In jüngster Zeit wurde in Deutschland, je nach Bundesland unterschiedlich, begonnen, die Lehramtsstudiengänge kompetenzorientiert umzugestalten; eine besondere Rolle spielen dabei Praxismodule und Praktikumssemester als integrale Bestandteile der Professionalisierung (vgl. Art. 131): „Im Praxissemester werden berufsrelevantes wissenschaftliches Theorie- und Reflexionswissen aus Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Bildungswissenschaften in einer forschenden Grundhaltung mit einer wissenschaftlich fundierten Ausbildung für die berufspraktische Tätigkeit verknüpft“ (NRW 2010 § 1). In Österreich wird die gesamte Lehrerinnen- und Lehrerausbildung ab 2015 kompetenzorientiert und praxisbezogen angelegt (vgl. Braunsteiner et al. 2014). Die KMK regt die Einführung von „Eignungsabklärungsverfahren“ an (KMK 2013), um Lehramtsstudierende von Beginn ihres Studiums an in Prozesse der Reflexion über ihre Eignung und die Kompetenzentwicklung im Hinblick auf den Lehrberuf einzubeziehen. 3. Reflexives Lehren als Ziel der Entwicklung von Lehrkompetenz Insbesondere die Studie „Visible Learning “ von John Hattie (2009) hat dazu geführt, nach ei- 312 H.-J. Krumm ner Phase der Lernerorientierung die Bedeutung der Lehrpersonen und Lehrkompetenzen für den Unterrichtserfolg wieder ins Zentrum zu rücken. Dabei sind für Hattie v. a. die Einstellungen, mit denen eine Lehrkraft an das Unterrichten herangeht, die Haltungen, die er oder sie den Lernenden gegenüber einnimmt, entscheidend: „It is the teachers who are open to experience, learn from errors, seek and learn from feedback from students and who foster effort, clarity and engagement in learning“ (Hattie 2009: 35). Unterricht ist ein komplexes Geschehen, die Lerngruppen sind vielfältig heterogen, so dass es nicht funktioniert, wenn Lehrende vorgegebenen Methoden folgen. Es bedarf vielmehr einer professionellen Urteilskraft, einer situativen Handlungskompetenz und einer entwickelten reflexiven Haltung gegenüber dem eigenen Unterrichten, um Unterricht immer wieder neu an die jeweiligen Voraussetzungen und Bedürfnisse der Lernenden zu adaptieren (vgl. Duxa 2001). Mit dem Europäischen Portfolio für Sprachlehrende in Ausbildung (EPOSA 2007) wurde am Europäischen Fremdsprachenzentrum eine erste umfassende Beschreibung solcher auf reflexives Lehren zielender pädagogischer Kompetenzen entwickelt und in Form eines Übungsinstrumentes für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrenden ausgestaltet. Der zentrale Kern, das Kapitel „Selbstbeurteilung“ , umfasst Deskriptoren für 194 Lehrkompetenzen. Sie sind in Form von „ich kann“-Beschreibungen formuliert, d. h. Lehrkompetenzen sind keine Stoffkataloge, die Auskunft geben, was im Studium vermittelt oder was in einer Prüfung als Wissen nachgewiesen wird. Es geht um die Herstellung von situativer Handlungsfähigkeit durch Reflexion des eigenen pädagogischen Handelns in Kooperation mit anderen Lehrenden und den Lernenden. Ähnlich konzipiert ist das Europäische Profilraster für Sprachlehrende (EPR 2013), das im Rahmen eines EU-Projektes von Institutionen aus 11 verschiedenen europäischen Ländern entwickelt wurde und bereits unterrichtenden Lehrenden Gelegenheit zu professioneller Weiterentwicklung ihrer Lehrkompetenzen geben soll. Für Lehrende ist das Profilraster insbesondere in der digitalen Version ein Instrument zur Selbstüberprüfung und kollegialen Zusammenarbeit, wie die folgenden Beispiele zeigen: • „versteht in Hospitationen bei erfahreneren Kolleginnen/ Kollegen, warum sie sich für bestimmte Lehrtechniken und Lernmaterialien entschieden haben“ (EPR Didaktik/ Methodik 1.1) • „kann theoretische Konzepte hinter Lehrtechniken und Lernmaterialien erkennen“ (EPR Didaktik/ Methodik 2.2) • „kann einen sinnvollen Zusammenhang zwischen einzelnen Unterrichtseinheiten herstellen und dabei die Lernergebnisse der letzten Unterrichtseinheiten berücksichtigen“ (EPR Unterrichts- und Kursplanung 1.2) Kollegiale Unterrichtsbeobachtung und Videographie (vgl. Art. 129) sowie Praxiserkundungsprojekte gelten als geeignete Verfahren, um solche Lehrkompetenzen sichtbar zu machen und zu trainieren (vgl. Schart & Legutke 2012). 4. Perspektiven Um Deskriptoren zur Lehrkompetenz zu bestimmen, wäre ein Verständnis über das, was erfolgreichen Sprachunterricht ausmacht, erforderlich - es verwundert daher nicht, dass vorliegende Kompetenzbeschreibungen eher allgemeinpädagogische und abstraktere fachdidaktische Einsichten zur Grundlage haben - dazu gehören methodische Kompetenzen im Sinne von Methodensouveränität, Diagnose- und Beratungskompetenz, Sozial- 313 65. Kompetenzen der Sprachlehrenden kompetenz, die Fähigkeit, reflexiv zu unterrichten, und Selbstkompetenz. Diese allgemeinen Kompetenzbeschreibungen werden inzwischen durch spezifische, auf spezielle Berufsfelder zugeschnittene und oft in Fortbildungsprojekte eingebundene Kompetenzbeschreibungen ergänzt: So entwickelt Unger-Ullmann (2013) ein Lehrkompetenzprofil für Sprachlehrkräfte an Hochschulen, Haller und Wojnesitz (2014) stellen ein Rahmenmodell zur Entwicklung der sprachlichen Kompetenzen vor, welches Lehrende aller Unterrichtsfächer befähigen soll, Sprachentwicklung als Aufgabe auch des Fachunterrichts qualifiziert wahrzunehmen. Insbesondere für den Unterricht in mehrsprachigen und multikulturellen Klassen werden in verschiedenen Projekten Anforderungen an die Lehrkompetenz formuliert (vgl. u. a. Michalak 2013). Auch an den Hochschulen steigen die Anforderungen an professionelles Unterrichten; einige Universitäten (z. B. Graz und Münster) richten Zentren für Lehrkompetenz ein (vgl. Hofer 2013). Kompetenzbeschreibungen verstehen sich als Instrumente der professionellen Entwicklung und haben nicht das Ziel, für alle Lehrenden identische Kompetenzprofile zu erreichen; zugleich aber lassen sie sich auch als normierende Standards verstehen und als Beurteilungskriterien für Lehrkräfte nutzen. In diesem Fall allerdings werden sie von den Lehrenden nicht mehr als Hilfen zur eigenen professionellen Entwicklung wahrgenommen. Hinzu kommt, dass v. a. personale Kompetenzen sich einer Operationalisierung als abprüfbare Standards entziehen. Die Messbarkeit von Lehrkompetenz bleibt eine offene Frage der Lehrerforschung und Lehrerbildung. Literatur Beck, E. / Baer, M. / Guldimann, T. / Bischoff, S. / Brühwiler, C. / Müller, P. / Niedermann, R. / Rogalla, M. / Vogt, F. (2008): Adaptive Lehrkompetenz. Münster. Braunsteiner, M.-L. unter Mitarbeit von Soukup-Altrichter, K. / Zemanek, J. / Seethaler, E. / Wobak, M. / Schulz-Kolland, R. / Weitlaner, R. 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Zudem werden Begriffe wie „Unterrichtsprinzipien“ , „didaktisch-methodische“ bzw. „methodisch-didaktische Prinzipien“ meist synonym gebraucht. In der Allgemeinen Didaktik prägt die jeweils zugrundeliegende theoretische Konzeption von Bildung, Erziehung und Unterricht die Auswahl und Gewichtung von Prinzipien. Folglich sind Unterrichtsprinzipien abhängig von den jeweils etablierten didaktischen Konzepten und Prämissen und ändern sich dementsprechend im Verlauf der Bildungsgeschichte. Die gängigen Theorien der letzten Jahrzehnte (u. a. die bildungstheoretische Didaktik nach Klafki, die lehrtheoretische Didaktik der „Berliner Schule“ , die konstruktivistische Didaktik oder die Bildungsgangdidaktik; vgl. dazu Terhart 2009: 127 ff.; Jank & Meyer 2002: 203 ff.) besitzen zudem einen jeweils leicht anderen Fokus, der entweder stärker auf den Inhalten und deren Bildungswirkung (Klafki), auf der 315 Organisation von Lehr-Lern-Prozessen (Berliner Schule), auf den Lernprozessen selbst (konstruktivistische Didaktik) oder der Dynamik individueller Bildungsverläufe (Bildungsgangdidaktik) liegt. Schließlich ist auch das Verhältnis von Didaktik zu Methodik zu bedenken. Kron (1993: 38 f.) unterscheidet zwischen zwei Arten von Beziehungen: 1) Methodik und Didaktik stehen in einem Wechselverhältnis, wobei Methodik jedoch als Teil der Didaktik verstanden wird. Die Didaktik widmet sich eher den allgemeinen, stärker pädagogischen und curricularen Fragen - dem „Was“, während die Methodik das „Wie“ und somit die praktische Umsetzung in den Blick nimmt. 2) In der zweiten Beziehung ist die Methodik der Didaktik klar nachgeordnet. Rein organisatorisch folge die methodische Umsetzung stets auf die vorangegangene didaktisch motivierte Analyse und Auswahl von Bildungsinhalten, denn erst wenn die Ziele und Inhalte von Unterricht didaktisch begründet wurden, könne man überlegen, mit welchen methodischen und organisatorischen Verfahren sie vermittelt werden (sollen). Eine Methodik ohne didaktische Fundierung wäre in diesem Konzept wenig sinnvoll. Allerdings ist hier zu fragen, ob methodische Verfahren wirklich pädagogisch zweitrangig und nur durch die Inhalte bestimmt sind oder ob erzieherische und bildende Wirkungen nicht auch durch einzelne methodische Vorgehensweisen hervorgerufen oder behindert werden können. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass sich die Didaktik als Wissenschaft mit Lehren und Lernen befasst und didaktisch-methodische Prinzipien oder Unterrichtsprinzipien auf den Unterricht gerichtet sind. Wiater (2014: 6) zufolge sind Unterrichtsprinzipien „für alle Fächer geltende Grundsätze oder Handlungsregeln der Unterrichtsgestaltung“ . Wenn man sie befolge, sichere man „die Effizienz und die Qualität des Unterrichts“ (ebd.). Allerdings wird die Verknüpfung zwischen Unterrichtsprinzipien und Qualität des Unterrichts oftmals weniger direkt gesehen. Vielmehr gelte es Unterrichtsprinzipien immer in Verbindung mit dem jeweiligen Kontext des Unterrichtsgeschehens zu bringen und dabei die „subjektiven, intersubjektiven und objektiven Perspektiven [ … ] im Sinne von Passung und Anpassung aufeinander zu beziehen“ (Kiel 2008: 19). Die Effekte der Prinzipien auf die am Geschehen Beteiligten werden somit stärker berücksichtigt; die normative Wirkung der Prinzipien wird dadurch relativiert. Das bedeutet aber auch, dass man didaktischmethodische Prinzipien nicht ohne weiteres im Rahmen empirischer Unterrichtsforschung als Checkliste für die Bestimmung von Unterrichtsqualität verwenden kann. Obwohl der Gegenstandsbereich von Didaktik und empirischer Lehr-Lern-Forschung derselbe ist, ist der Rahmen der Didaktik weiter gefasst, da in sie auch etwa Überlegungen zum Menschenbild und zur Funktion von Schule in der Gesellschaft eingehen (Terhart 2009: 158). In der Schulpädagogik existieren unterschiedliche Listen von Unterrichtsprinzipien. Wiater (2014) bspw. unterscheidet zwischen 316 Friederike Klippel fundierenden und regulierenden Unterrichtsprinzipien. Als grundlegend für alle Fächer und Schulstufen sieht er Schülerorientierung, Sachorientierung und Handlungsorientierung an (Wiater 2014: 8-14); folgende Prinzipien erachtet er als den Unterricht regulierend: Selbsttätigkeit, Differenzierung/ Individualisierung, Veranschaulichung, Motivierung, Ganzheit, Zielorientierung/ Zielverständigung, Strukturierung, Ergebnissicherung/ Nachhaltigkeit (ebd.: 15-100). In Kiel (2008) werden die Unterrichtsprinzipien Strukturierung, Motivation, Differenzierung, Veranschaulichung, Kreativitätsförderung und Übung diskutiert; wie man sieht, ergibt sich nur eine partielle Überschneidung mit den bei Wiater (2014) genannten. Weitere Übereinstimmungen bestehen mit den Bereichen der Unterrichtsqualität, wie sie Helmke (2009: 168 f.) beschreibt, der u. a. Klarheit und Strukturiertheit, Konsolidierung und Sicherung, Motivierung, Schülerorientierung, Umgang mit Heterogenität erörtert. 2. Fremdsprachendidaktische Konkretisierung Für den Fremdsprachenunterricht gilt es zu überlegen, inwieweit die allgemeinen Unterrichtsprinzipien Gültigkeit besitzen, in welcher Weise sie für die Vermittlung von Sprache und Kultur konkretisiert werden müssen und ob zusätzliche didaktisch-methodische Prinzipien sachangemessen und erforderlich sind. Letzteres würde jedoch von der oben angeführten Definition abweichen, dass Unterrichtsprinzipien für alle Fächer gelten. Es ist unbestritten, dass es auch im Fremdsprachenunterricht um die drei großen Bereiche des Didaktischen Dreiecks geht, nämlich um Lehren, Lernen und den Lerngegenstand; diese Bereiche sind eingebettet in den schulischen und gesellschaftlichen Kontext des Unterrichts. Folglich ist klar, dass Unterrichtsprinzipien sich unter Berücksichtigung des Umfelds auf die Verfahren des Lehrens, die Prozesse des Lernens und die angemessene Darbietung des Lernstoffs beziehen. Die von Kiel (2008) und Wiater (2014) aufgeführten Prinzipien sind zweifelsohne auch für den heutigen Fremdsprachenunterricht von Bedeutung. Schüler-, Sach- und Handlungsorientierung bilden die Basis: Ein wirksamer Unterricht muss schülerbzw. lernerorientiert sein, um Inhalte adressatengerecht zu vermitteln und dadurch anschlussfähige Lernprozesse zu ermöglichen. Desgleichen sind sachliche Korrektheit und Angemessenheit unabdingbar, was sich sowohl auf die sprachlichen als auch die kulturellen Inhalte des Fremdsprachenunterrichts und damit auch auf die Lehrerkompetenzen bezieht (vgl. Art. 65). Zentral für die Sprachvermittlung ist das Prinzip der Handlungsorientierung (so Bach & Timm 2003), da es nicht nur um deklaratives Wissen, sondern um den Erwerb funktionaler Kompetenzen geht, die bspw. in Aufgaben (vgl. Art. 68) oder Projekten (vgl. Art. 74) zur Festigung und Anwendung kommen. Seit der kommunikativen Wende steht der Kompetenzerwerb in der Zielsprache im Zentrum des Sprachunterrichts; die Kompetenzorientierung ist somit in den Sprachenfächern bereits seit einiger Zeit Leitprinzip. Die übrigen genannten Prinzipien lassen sich grob den Bereichen des Didaktischen Dreiecks zuordnen: So betrifft die Zielorientierung vor allem die Inhaltsebene des Unterrichts. Da sich die Ziele des Fremdsprachenunterrichts im Laufe der Zeit wandeln, wird dieses Unterrichtsprinzip jeweils anders konkretisiert. Zu den Unterrichtsprinzipien, die insbesondere Lehrertätigkeiten fokussieren, gehören Motivation bzw. Motivierung, Veranschaulichung, Strukturierung, Differenzierung und Nachhaltigkeit. Für das Lernen besonders relevant sind Selbsttätigkeit, Ganzheit und Übung. Das Unterrichtsprinzip der Passung, das als solches weder bei Kiel 317 66. Didaktische und methodische Prinzipien der Vermittlung (2008) noch bei Wiater (2014) erwähnt wird, beschreibt die Notwendigkeit, dass die Komplexität des Lehrstoffs, die Verfahren seiner Vermittlung, die Organisation der Lernaktivitäten den Voraussetzungen der (individuellen) Lernenden angepasst sind und umfasst damit sowohl Beziehungen zwischen Lernenden und Lerninhalten als auch solche zwischen Lernzielen und Methoden und Lernenden und Methoden. Insofern fließen in dieses didaktisch-methodische Prinzip Aspekte von Differenzierung, Individualisierung und Strukturierung ebenso ein wie solche der Motivierung. 3. Unterrichtsprinzipien des heutigen Sprachenunterrichts Für den Fremdsprachenunterricht werden aktuell neben der Kompetenz- und Handlungsorientierung implizit weitere fachspezifische Unterrichtsprinzipien vertreten. So galt in der direkten Methode gegen Ende des 19. Jahrhunderts und wiederum seit der audiolingualen Methode in den 1960er Jahren das Prinzip der Einsprachigkeit des Unterrichts, auch wenn sich dies in der Realität des Klassenzimmers nicht immer umsetzen ließ. Inzwischen ist die dogmatische Schärfe dieses Prinzips verblasst, nachdem in der fremdsprachendidaktischen Diskussion nicht nur die seit vielen Jahren geäußerten Argumente von Wolfgang Butzkamm (Butzkamm & Caldwell 2009) zunehmend Gehör finden, sondern auch das Übersetzen erneut gewürdigt wird (Cook 2010). Allerdings kommt den Erstsprachen im Klassenzimmer v. a. eine stützende Funktion zu, inzwischen jedoch auch wieder mit dem Ziel der direkten sprachlichen Kontrastierung, was lange verpönt war. Zudem hat die im Zuge von Mobilität und Globalisierung veränderte Zusammensetzung der Lernerpopulation zu der Erkenntnis geführt, dass die sprachlichen Voraussetzungen der Lernenden, ihre Erst- und Herkunftssprachen sowie früher gelernte Sprachen viel stärker für den Unterricht nutzbar gemacht werden sollten. Die Berücksichtigung von (individueller) Mehrsprachigkeit, von sprachenübergreifendem und sprachenverbindendem Lernen ist für alle Sprachenfächer relevant: für Englisch erwächst daraus die Aufgabe, für das Sprachenlernen generell zu motivieren, Sprachlernstrategien zu vermitteln und somit Mehrsprachigkeit anzubahnen; für die romanischen Sprachen empfiehlt sich der Interkomprehensionsansatz (vgl. Art. 49). Dennoch ist weiterhin als Prinzip gültig, dass v. a. die Fremdsprache im Unterricht von den Lernenden so umfassend und intensiv wie möglich gebraucht werden sollte. Das hat zu einer Reihe von Entwicklungen in der fremdsprachlichen Unterrichtsmethodik geführt, die kommunikative Aufgabenstellungen (Klippel 2004), Rollenspiele, dramapädagogische Ansätze (vgl. Art. 75), Interaktion in Partnerarbeit oder Kleingruppen (vgl. Art. 72) und Projektarbeit (vgl. Art. 74) umfasst. Im Zusammenhang mit dem Prinzip, den Lernenden im Unterricht Gelegenheit zu geben, die fremde Sprache im größtmöglichen Umfang einsetzen zu können, steht die Forderung danach, die Lehrersprechzeit so gering wie möglich zu halten. Dies ist darin begründet, dass dem Unterrichtsprinzip der Selbsttätigkeit heute generell viel Gewicht beigemessen wird, so dass der von der Lehrkraft dominierte Frontalunterricht (vgl. Art. 73), der im Fremdsprachenunterricht häufig praktiziert wird, reduziert werden sollte. Es ist klar: Je mehr die Lehrkraft spricht, desto weniger können die Lernenden sprechen. Dabei muss jedoch bedacht werden, dass die Lehrersprache neben den verwendeten Materialien und Medien einen wichtigen sprachlichen Input darstellt. Zudem liefert die Interaktion zwischen Lehrkraft und Lerngruppe adressatengenaue Erklärungen und 318 Friederike Klippel individualisiertes Feedback und sorgt somit für intensive Lerngelegenheiten. Eine ausgewogene Unterrichtsgestaltung, in der die unterschiedlichen Formen der sozialen Organisation (classroom management ) sinnvoll und zielorientiert eingesetzt werden, erscheint didaktisch angemessen. Ein anderes fremdsprachendidaktisches Unterrichtsprinzip besagt, dass aus Gründen der Motivation und mit Blick auf das Hauptlernziel des Fremdsprachenunterrichts möglichst authentische Sprache, Texte und Materialien zum Einsatz kommen sollten, um die Lernenden mit dem realen Sprachgebrauch (in den Zielkulturen) vertraut zu machen, auf den sie letztendlich vorbereitet werden. Die Forderung nach Authentizität entspringt der Annahme, dass v. a. die Begegnung mit der Realität lernwirksam ist - sei es die Auseinandersetzung mit „echter Sprache“ aus den bestehenden Korpora, sei es das Betrachten von Filmen oder Bildern aus der fremdsprachigen Welt oder das Bearbeiten von lebensnahen Aufgaben, die auf die Verwendung der gelernten Sprache in der Realität vorbereiten. Das Prinzip der Authentizität beeinflusst nicht nur die Unterrichtsplanung der Lehrkräfte, die solche Materialien ausfindig machen und im Unterricht umsetzen müssen, sondern auch die Gestaltung der Sprachlehrwerke, in die einerseits immer häufiger Auszüge aus Korpora und tatsächlich aus der Zielkultur stammende Texte aufgenommen werden und in denen andererseits zahlreiche authentisch scheinende Texte und Illustrationen zu finden sind. Die Abwägung zwischen authentischen und didaktischen bzw. didaktisierten Materialien muss auf der Basis von Ziel- und Lernerorientierung erfolgen. Authentische Materialien und Texte können wegen der ihnen innewohnenden sprachlichen und/ oder kulturellen Komplexität die Lernenden eher entmutigen oder von ihnen nur sehr oberflächlich verstanden werden; sie können aber auch durch diese Herausforderungen anregen und das weitere sprachliche und kulturelle Lernen nachhaltig fördern. Es bleibt die grundsätzliche Frage, ob es nicht gerade Aufgabe der Schule und des Unterrichts ist, die Realität - im Fremdsprachenunterricht ist das die zu lernende Sprache - so (didaktisch) aufzubereiten, dass sie möglichst zugänglich und effektiv lernbar wird (vgl. dazu Widdowson 2003: 179). Nicht alle der in der Praxis des Fremdsprachenunterrichts gegenwärtig kursierenden didaktisch-methodischen Empfehlungen basieren auf theoretisch begründeten Konzepten. Auch die Ergebnisse empirischer Forschung führen zu Handlungsempfehlungen. Wie bereits für das Prinzip der Einsprachigkeit gezeigt wurde, besitzen didaktisch-methodische Prinzipien keine zeitlich unbegrenzte Gültigkeit, da sich die Bedingungen für Unterricht ändern und frühere Annahmen durch neue Forschungsergebnisse revidiert werden müssen. Man denke etwa an die Art der mündlichen Fehlerkorrektur, wobei die früher empfohlenen recasts (Umformulierungen) sich letztlich als wenig lernwirksam erwiesen haben (Ellis 2012: 148), oder an den Nutzen extensiven Lesens für den impliziten Wortschatzerwerb. Und schließlich gibt es in der Sprachlehrerschaft verbreitete subjektive Theorien, die Lehrerhandeln beeinflussen und die sich selbst dann noch halten, wenn sie die Forschung längst widerlegt hat. Ob man jedoch diese subjektiven Theorien als Unterrichtsprinzipien bezeichnen kann, selbst dann, wenn sie von sehr vielen Lehrpersonen geteilt werden, ist fraglich, denn sie gründen zwar auf Erfahrungen und individuellem Wissen, nicht jedoch auf fremdsprachendidaktischen Theorien oder Forschungsergebnissen. Das Fazit von Ellis (2012: 341-348) zu den gegenwärtig als gesichert anzusehenden Resultaten der Sprachlernforschung, auf denen Empfehlungen an die Lehrkräfte basieren können, fällt bescheiden aus: mehr Auf- 319 66. Didaktische und methodische Prinzipien der Vermittlung merksamkeit für den Diskurs im Sprachunterricht, Berücksichtigung von form and meaning, Lenkung der Aufmerksamkeit der Lernenden auf die zu lernende sprachliche Form. 4. Aspekte der Generierung und Abwägung von Unterrichtsprinzipien Theoretische, historische und empirische Forschung liefern die Grundlagen für sinnvolle didaktisch-methodische Prinzipien. Aus der langen historischen Entwicklung des Sprachenlernens und -unterrichtens arbeitet Stern (1983: 505-507) drei Dimensionen von Lehroptionen für den Fremdsprachenunterricht heraus, die zu allen Zeiten von Relevanz waren: „crosslingual ˘ intralingual ; objective ˘ subjective ; explicit ˘ implicit“. Die erste Dimension betrifft die Rolle der Erstsprache im Fremdsprachenunterricht, die entweder zum Vergleich herangezogen und bewusst eingesetzt (= crosslingual ) oder vermieden werden kann (= intralingual ). Die zweite Dimension bezieht sich auf die Vermittlung des sprachlichen Systems in seiner Regelhaftigkeit (= objective ) und in seiner Funktion als individuelles Kommunikationsmittel (= subjective); in der dritten Dimension versteht Stern unter explicit den Einsatz kognitivierender Verfahren, die Sprachstrukturen bewusst machen, während implicit stärker spielerische und andere aufgabenbasierte Methoden meint, in denen Sprache nebenbei gelernt wird. Wenn man die Dimensionen nicht als Dichotomien versteht, sondern als Endpunkte von Skalen, dann ergeben sich vielfältige Möglichkeiten für situationsangemessene Lehrstrategien, die alle Elemente in bestimmter Mischung verbinden. Je mehr unterschiedliche Unterrichtsprinzipien als beachtenswert angesehen werden, desto wahrscheinlicher wird es, dass einzelne Empfehlungen miteinander in Konflikt geraten. So mögen authentische Texte dem Prinzip der Motivierung und der Veranschaulichung genügen, nicht jedoch denen der Passung und Differenzierung oder Individualisierung (vgl. Art. 76). Es stellt sich also die Frage nach der Gewichtung von didaktisch-methodischen Prinzipien. Diese muss kontextabhängig geschehen und die Perspektiven der Lehrenden und Lernenden unter Beachtung des Lehr-/ Lernziels berücksichtigen. Gerade weil die Bedingungen für den Sprachunterricht so verschieden sein können, ist nicht zu erwarten, dass man dauerhaft und ubiquitär gültige Prinzipien festschreiben kann, ebenso wenig, wie es die beste Unterrichtsmethode für Sprachen geben kann (vgl. Art. 67). Die Priorisierung bestimmter Prinzipien - gegenwärtig etwa Kompetenzorientierung und Differenzierung - erfolgt nicht nur aus fachlichen, sondern auch aus bildungspolitischen Gründen. Wenn heute weltweit die Forderung nach Inklusion besteht und man von einer großen Heterogenität der Lerngruppen ausgehen muss, steigt die Bedeutung binnendifferenzierender Maßnahmen auf der Basis von sorgfältiger Diagnose individueller Lernvoraussetzungen und Lernstände. Es ist dann die Aufgabe der Lehrkräfte, in Kenntnis ihrer Lernenden diejenigen Unterrichtsprinzipien und Lehrstrategien verstärkt anzuwenden, die im Hinblick auf die gesetzten Ziele einen möglichst lernertragreichen und wirkungsvollen Sprachunterricht ermöglichen. Literatur Bach, G. / Timm, J.-P., Hrsg. (2003): Englischunterricht. Grundlagen und Methoden einer handlungsorientierten Unterrichtspraxis. Tübingen. Butzkamm, W. / Caldwell, J. A. W. (2009): The bilingual reform. A paradigm shift in foreign language teaching. Tübingen. 320 Sabine Doff Cook, G. (2010): Translation in language teaching - an argument for reassessment. Oxford. Ellis, R. (2012): Language teaching research and language pedagogy. Oxford. Helmke, A. (2009): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Stuttgart. Jank, W. / Meyer, H. (2002): Didaktische Modelle. 11. Aufl., Berlin. Kiel, E., Hrsg. (2008): Unterricht sehen, analysieren, gestalten. Bad Heilbrunn. Klippel, F. (2004): Keep talking. 22. Aufl., Cambridge. Kron, F. W. (1993): Grundwissen Didaktik. München. Stern, H. H. (1983): Fundamental concepts of language teaching. Oxford. Terhart, E. (2009): Didaktik. Eine Einführung. Stuttgart. Wiater, W. (2014): Unterrichtsprinzipen. 6. überarb. Aufl. Donauwörth. Widdowson, H. G. (2003): Defining issues in English language teaching. Oxford. Friederike Klippel 67. Vermittlungsmethoden: Historischer Überblick 1. Begrifflichkeit Vermittlungsmethoden (von lateinisch-griechisch methodus / méthodos : „der Weg auf ein Ziel hin“) sind Wege, die eine Lehrkraft beschreitet, Inhalte im Fremdsprachenunterricht zu behandeln und damit bestimmte Ziele zu erreichen. Knapp gefasst bildet eine Vermittlungsmethode die Antwort auf die Frage, wie Lehren und Lernen organisiert wird. Eine wissenschaftlich begründete, für den unterrichtlichen Kontext relevante Methode zur Vermittlung von Sprachwissen und Sprachkönnen ist strukturell denkbar in einem Theorie-Praxis-Kontinuum, in dem die folgenden drei überlappenden Cluster jeweils unterschiedlich stark expliziert, jedoch im Sinne einer unterliegenden Folie stets mitzudenken sind (Richards & Rodgers 2001): theoretische Grundlagen (d. h. wissenschaftlich begründete Annahmen über die Beschaffenheit von Sprache und über erfolgreiches Sprachlernen), Designprinzipien (Ziele, Syllabus, Aufgabentypen, Rolle der Lehrkraft und der Lernenden, Materialien) sowie praktische Umsetzung (beim Einsatz einer Methode gewählte, d. h. beobachtbare Techniken, Verfahren, Praxen und Verhaltensweisen). Die Geschichte des Fremdsprachenunterrichts, und damit auch der mit dem Lehren und Lernen von Fremdsprachen befassten Wissenschaften, ist geprägt durch die Frage nach der „besten“ , im Hinblick auf das Verhältnis von Aufwand und Ertrag für Lehrende und insbesondere Lernende effektivsten Vermittlungsmethode, die je nach Epoche und kulturellen Kontexten unterschiedlich beantwortet wurde bzw. wird. Ob Vermittlungsmethoden - selbst beim Bemühen um eine größtmögliche Passung der genannten Faktoren (Inhalte, Ziele, Lernende/ Lehrende) - tatsächlich zum Lernerfolg führen, ist in der Fachdiskussion umstritten. Unterrichtsbefürwortende, in der Fremdsprachendidaktik dominante Positionen - z. B. im Kontext des kommunikativen Ansatzes - bejahen dies; unterrichtsskeptische Positionen wie der auf dem Monitormodell von Krashen & Terrell (1983) basierende natural approach oder die Teachability -Hypothese von Pienemann (1989) gehen davon aus, dass Vermittlungsmethoden in unterrichtlichen Settings maximal ein Unterstützungsangebot für im Wesentlichen Input-abhängigen, an natürlichen Erwerbssequenzen orientierten Spracherwerb darstellen. 321 67. Vermittlungsmethoden: Historischer Überblick 2. Problemaufriss In der aktuellen, ca. seit den 1980er Jahren häufig als post-method bezeichneten Periode (u. a. Kumaravadivelu 2006) dominiert die Idee, dass Vermittlungsmethoden in der Regel nicht als abgeschlossene, in einer logischen Abfolge einander ablösende Konzepte darstellbar seien. Vielmehr wird betont, dass in zentralen Punkten als gegensätzlich wahrgenommene Vermittlungsmethoden (oder Bestandteile davon) durchaus parallel zueinander in Gebrauch sind. So erfreuen sich bspw. Ausprägungen der Grammatik-Übersetzungs-Methode in bestimmten Teilen der Welt bis dato großer Beliebtheit oder die Direkte Methode spielt auch aktuell eine durchaus wichtige Rolle als dominante Vermittlungsmethode im Kontext der Berlitz- Sprachinstitute (vgl. Larsen-Freeman 2000: 177). In Übereinstimmung mit diesen Überlegungen ist die Geschichte der Vermittlungsmethoden im Fremdsprachenunterricht sinnvoll denkbar als ein Nebeneinander unterschiedlicher methodischer Dimensionen (nach Pennycook 1989 basic options, vgl. dazu auch Thornbury 2011: 192 f.), die - wie die folgende Übersicht zeigt - denkbar sind als fachspezifische Konkretisierung (Subdimensionen a.1, a.2 … ) von vier breiten allgemeinpädagogischen Dimensionen (a, b, c, d) zur inhaltlichen Konzeption von Vermittlungsmethoden (Terhart 2005: 23-64): Die einzelnen Subdimensionen sind nicht immer trennscharf und weisen häufig Überschneidungen auf. So ist naheliegend, dass in einer Vermittlungsmethode, die Sprache als Form akzentuiert, der Syllabus auf sprachlichen Systemen basiert und analytisches Sprachenlernen im Vordergrund steht. In einzelnen Vermittlungsmethoden treten eine oder mehrere dieser (Sub-)Dimensionen unterschiedlich stark hervor, was nachfolgend a) Dimension „Zielerreichung“ (Vermittlungsmethode als Weg zur Erreichung von Lernzielen): a) Dimension „Zielerreichung“ (Vermittlungsmethode als Weg zur Erreichung von Lernzielen): a.1 Produktorientierung Prozessorientierung a.2 Fluency Accuracy b) Dimension „Sachbegegnung“ (Vermittlungsmethode als Verbindung von Gegenstand und Lernenden): b) Dimension „Sachbegegnung“ (Vermittlungsmethode als Verbindung von Gegenstand und Lernenden): b.1 Sprache als Form Sprache als Funktion b.2 Syllabus basiert … auf sprachlichen Systemen … auf sprachlichen Fertigkeiten b.3 sprachübergreifende Verfahren sprachimmanente Verfahren c) Dimension „Lernhilfe“ (Vermittlungsmethode als Weg zur Herstellung optimaler Lehr-Lernbedingungen): c) Dimension „Lernhilfe“ (Vermittlungsmethode als Weg zur Herstellung optimaler Lehr-Lernbedingungen): c.1 analytisches Sprachenlernen erfahrungsbasiertes Sprachenlernen c.2 Kognition Emotion c.3 Instruktion Kollaboration c.4 Deduktion Induktion d) Dimension „Rahmung“ (Vermittlungsmethode als Weg zur institutionellen Verankerung von Unterricht): d) Dimension „Rahmung“ (Vermittlungsmethode als Weg zur institutionellen Verankerung von Unterricht): d.1 Sprache als … separates Unterrichtsfach … integriertes Unterrichtsfach (CLIL) Tabelle 1: Methodische Dimensionen an ausgewählten Beispielen veranschaulicht wird. 3. Forschungsstand Bei diesem Überblick zu besonders einflussreichen Vermittlungsmethoden in der Geschichte des institutionalisierten Fremdsprachenunterrichts in Deutschland ist Folgendes zu beachten: Bei den nachfolgend als prototypische Vermittlungsmethoden beschriebenen methodischen Konzeptionen handelt es sich um wissenschaftlich konstruierte Idealtypen, die Entwicklungstendenzen im Hervor- und Zurücktreten verschiedener (Sub-) Dimensionen beschreiben, damit aber nicht beanspruchen, dass es in den angezeigten Perioden eine praktische Umsetzung („Metho- 322 Sabine Doff dologie“ ) in Reinform gab. Die nachfolgenden Darstellungen erheben ferner keinen Anspruch auf umfassende Darstellung der einzelnen Vermittlungsmethoden, sondern markieren ausgewählte, im vorliegenden Zusammenhang besonders relevante (Sub-)Dimensionen. Im 19. Jahrhundert im Zuge der Einführung der modernden Fremdsprachen in das staatliche Schulwesen weit verbreitet war die sog. Grammatik-Übersetzungs-Methode. In Anlehnung an den Unterricht in den klassischen Sprachen wurde Sprache in dieser Vermittlungsmethode formal gefasst; als Ziel steht accuracy (d. h. formale Korrektheit) beim Verstehen und bei der Konstruktion eigener Sätze und Texte im Vordergrund. Das Curriculum war entlang der in diesem Zusammenhang wichtigsten sprachlichen Teilsysteme - Kenntnis von Wörtern (Bausteine) und Grammatikregeln (Baugesetze) - organisiert. Hohe Bedeutung kam im Rahmen der Grammatik-Übersetzungs-Methode dem geschriebenen Wort und dem analytischen Sprachenlernen zu, das zum Ausdruck kommt in der möglichst genauen Übersetzung in die oder aus der Fremdsprache. Die Grammatik-Übersetzungs-Methode war führend in Lehrwerken sowohl für Französisch (z. B. Meidinger 1811) als auch für Englisch (z. B. Fick 1800), d. h. im Unterricht in den beiden meist gelernten Fremdsprachen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit der Etablierung der Neusprachen in Realanstalten, Gymnasien und Töchterschulen wurde offensichtlich, dass für die klassischen Sprachen geeignete Vermittlungsmethoden den Anforderungen an dem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auch an Nützlichkeit und Praktikabilität orientierten modernen Fremdsprachenunterricht nicht gerecht wurden. Mit der sog. Direkten Methode, deren Anfänge im institutionalisierten Schulwesen in den 1860er und 1870er Jahren lagen, wurden in einer antithetischen Absetzung (ein häufiges Muster in der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts nicht nur in Bezug auf die Vermittlungsmethoden) von der Grammatik-Übersetzungs-Methode die Charakteristika lebender Fremdsprachen (u. a. gesprochene Sprache als Funktion, demgemäß Orientierung des Syllabus an sprachlichen Fertigkeiten) akzentuiert. Für die später von Vertretern der Neusprachlichen Reformbewegung propagierten Direkten Methode (u. a. Viëtor 1882) bedeutete dies, dass dem induktiven (erschließenden) Lernen sowie sprachimmanenten Verfahren (Ausschluss der L1 der Lernenden) eine wichtige Rolle zukam. Mit der umfassenden Rezeption neuer Ansätze in der linguistischen und lernpsychologischen Forschung in den 1950er und 1960er Jahren insbesondere aus den USA 323 67. Vermittlungsmethoden: Historischer Überblick (u. a. Lado 1967) wurden in Westdeutschland im Laufe der 1960er neue, allerdings früh kritisch diskutierte Erwartungen an die Wirksamkeit von Vermittlungsmethoden deutlich. Der damit verbundene Fachdiskurs zeigt eine Verwissenschaftlichung der Reflexion auf Sprache und Sprachunterricht (Hüllen 2005: 142). Diese neuen Erwartungen zeigten sich u. a. im methodischen Konzept der audiolingualen und deren Weiterentwicklung in der audiovisuellen Methode, die in Westdeutschland im Zuge der Diskussionen um einen hauptschulgemäßen Englischunterricht (ab 1960) erheblich an Bedeutung gewannen. Basierend auf der linguistischen Theorie des Strukturalismus wurde Sprache formal erklärt mittels der in ihrem spezifischen Formensystem vorhandenen Gegebenheiten (patterns, z. B. in den Bereichen Vokabular, Lautsystem, Satzbau). Demnach war der Syllabus entlang sprachlicher Systeme organisiert (Grammatikprogression); im Vordergrund stand die gesprochene (Alltags-)Sprache, die in Dialogform (in sog. pattern drills) habituell eingeübt wurde (Sprachenlernen als erfahrungsbasierte Verhaltensänderung). Hören und Sprechen hatten Vorrang vor Lesen und Schreiben, der Unterricht sollte hauptsächlich in Form von in Alltagssituationen eingebetteten Situationen einsprachig erfolgen. Eine Weiterentwicklung erfuhr die audiolinguale Methode in der zunächst in Frankreich und den USA populären audiovisuellen Methode; hierzu leistete die Weiterentwicklung der im Fremdsprachenunterricht eingesetzten technischen, insbesondere visuellen (Dias, Filme, Folien) und auditiven (Tonband, Kassette, Sprachlabor) Medien einen wesentlichen Beitrag. Integrative Bestandteile der audiovisuellen Methode waren der Einsatz visueller Medien sowie die Situations- und Kontextabhängigkeit von Sprache, d. h. die Zurückdrängung analytischer Verfahren sowie kognitiver Elemente. Für die Ausgestaltung des Unterrichts war eine strikte Phasierung vorgesehen; Elemente aus der audiolingualen Methode wurden vertieft (u. a. Ausschluss der Muttersprache, strukturale Übungstypen). Aus der Kritik an diesen Vermittlungsmethoden (u. a. Vernachlässigung von Kognition und Kreativität) und unter Einbezug anderer einflussreicher Entwicklungen (u. a. der politischen Theorie der Frankfurter Schule) wurden ab Beginn der 1970er Jahre Forderungen nach Vermittlungsmethoden stark, die es Lernenden ermöglichten, als aktive und emanzipierte Mitglieder den Fremdsprachenunterricht und darüber (hinaus) die Gesellschaft mitzugestalten. Eine Schlüsselrolle wurde in diesem Prozess der Kommunikation zuerkannt. Seitdem ist ein Pluralismus an methodischen Ausprägungen (eher als eine umfassende wissenschaftliche Konzeption einer Vermittlungsmethode) unter dem Dach des sog. Kommunikativen Ansatzes feststellbar, die sich am Leitziel der kommunikativen Kompetenz (u. a. Piepho 1974) orientierten. Im Wesentlichen bedeutete dies zunächst eine methodisch offene Gestaltung des Fremdsprachenunterrichts mit einem Fokus auf flüssige Kommunikation (fluency) bei gleichzeitigem Verzicht auf formale Korrektheit (accuracy). Mit dieser Neufokussierung verbunden war eine Abwendung von Lehren und Gegenstand bei einer gleichzeitigen Hinwendung zum Lernen(den). Als Ausdruck dieser Öffnung und Neuorientierung sind auch die sog. alternativen Methoden, wie z. B. Silent Way, Suggestopädie oder Total Physical Response, zu verstehen. Diese häufig in der Erwachsenenbildung entstandenen methodischen Konzepte stärken tendenziell affektive gegenüber kognitiven Komponenten und betonen deren kritische Rolle für den Erfolg des Fremdsprachenlernens (vgl. Ortner 1998). Den kommunikativen methodischen Ausprägungen unter dem Dach des Kommunikativen Ansatzes, die bis heute den 324 Sabine Doff Fremdsprachenunterricht dominieren (u. a. handlungsorientierter Fremdsprachenunterricht, interkulturelle Didaktik, task-based learning ) ist gemeinsam, dass sie Sprache funktional fassen und den Syllabus demgemäß an sprachlichen Fertigkeiten ausrichten; zu weiteren Kernmerkmalen gehören Produktorientierung, Kollaboration und induktive Verfahren. 4. Praxisrelevanz und Perspektiven Für Fremdsprachenlehrkräfte handelt es sich bei der Methodenwahl um eine Kernfrage ihres praktischen Handelns, von dem das Alltagsgeschäft des Unterrichts in hohem Maße bestimmt ist (vgl. Terhart 2005: 93-98). Die Beschäftigung mit und die Diskussion von Vermittlungsmethoden bildet demnach auch einen Kerninhalt der mit dem Lehren und Lernen von Fremdsprachen befassten angewandten Wissenschaften („a clear and classic applied linguistic problem“ , Cook 2003: 38), das weitreichende Folgen nicht nur für das Unterrichtsgeschehen, sondern auch für die Entwicklung von Materialien und Curricula sowie insbesondere für die Fremdsprachenlehreraus- und -weiterbildung hat. Ein zentrales, bislang zu wenig erforschtes Phänomen bildet in diesem Kontext das Spannungsgefüge von Methode als wissenschaftlich umfassend begründetes Konzept (methods) einerseits und als Anwendung von Techniken, Verfahren und Alltagspraxen andererseits (methodology ; Kumaravadivelu 2006: 84; vgl. auch Thornbury 2011: 195 f.). Ein Hauptanliegen der Aus- und Weiterbildung von (zukünftigen) Fremdsprachenlehrkräften besteht darin, sie mit einem möglichst breiten Methodenrepertoire an Handlungsoptionen vertraut zu machen, damit sie ihr eigenes methodisches Handeln kritisch reflektieren (reflective practice, vgl. Burton 2009) und situationsangemessen die größtmögliche Passung zwischen Inhalt, Ziel und Beteiligten über die Wahl und Ausgestaltung der Vermittlungsmethode herstellen können. Literatur Burton, J. (2009): Reflective practice, in: A. Burns / J. Richards (Hrsg.): The Cambridge guide to second language teacher education. Cambridge, 298-308. Cook, G. (2003): Applied linguistics. Oxford. Fick, J. C. (1800): Theoretisch-praktische Anweisung zur leichtern Erlernung der Englischen Sprache. Erster Theil, 3. Aufl. (1. Aufl. 1793). Erlangen. Hüllen, W. (2005): Kleine Geschichte des Fremdsprachenlernens. Berlin. Krashen, S. D. / Terrell, T. D. (1983): The Natural Approach: Language aquisition in the classroom. Oxford. Kumaravadivelu, B. (2006): Understanding language teaching. From method to post-method. New York. Lado, R. (1967): Moderner Sprachunterricht. Eine Einführung auf wissenschaftlicher Grundlage [Language Teaching], übersetzt von R. Freudenstein. München. Larsen-Freeman, D. (2000): Techniques and principles in language teaching. 2. Aufl. Oxford. Meidinger, J. V. (1811): Practische Französische Grammatik. Frankfurt. Neuner, G. (2003): Vermittlungsmethoden: Historischer Überblick, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Aufl. Tübingen, Basel, 225-234. Ortner, B. (1998): Alternative Methoden im Fremdsprachenunterricht. Lerntheoretischer Hintergrund und praktische Umsetzung. Ismaning. Pennycook, A. (1989): The concept of method, interested knowledge, and the politics of language teaching. TESOL Quarterly 23, 589- 618. 325 68. Aufgabenorientierung Pienemann, M. (1989): Is language teachable? Psycholinguistic experiments and hypotheses. Applied Linguistics 10/ 1: 52-79. Piepho, H.-E. (1974): Kommunikative Kompetenz als übergeordnetes Lernziel im Englischunterricht. Limburg. Richards, J. / Rodgers, J. (2001): Approaches and methods in language teaching, 2. Aufl. Cambridge. Terhart, E. (2005): Lehr-Lernmethoden. Eine Einführung in Probleme der methodischen Organisation von Lehren und Lernen, 4. erg. Aufl. Weinheim und München. Thornbury, S. (2011): Language teaching methodology, in: J. Simpson (Hrsg.): The Routledge handbook of applied linguistics. Abingdon, New York, 185-199. Viëtor, W. (1882): Der Sprachunterricht muss umkehren! Heilbronn. Sabine Doff 68. Aufgabenorientierung 1. Begrifflichkeit Komplexe Lernaufgaben ermöglichen die integrierte Entwicklung der von den Bildungsstandards geforderten funktionalen kommunikativen, methodischen und interkulturellen Kompetenzen anhand relevanter Inhalte. Dabei ist der Bildungsgedanke bei der fremdsprachlichen Kompetenzorientierung zentral, wonach „die Heranwachsenden zur Teilhabe an den eigenen lebensweltlichen Diskursen und zugleich an analogen oder damit unmittelbar verbundenen fremdsprachigen Diskursen in anderen kulturellen Kontexten befähigt“ werden (Hallet 2011: 56). Das bedeutet, Lernende mit ihren verschiedenen Erfahrungen, Interessen, Neigungen und Lernroutinen ernst zu nehmen und diese heterogenen Ausgangslagen bei der Aufgabenentwicklung zu bedenken. Van den Branden (2006: 4) hat eine grundlegende und zugleich umfassende pädagogische, d. h. nicht auf die reine Sprachverwendung begrenzte Definition von Lernaufgaben vorgelegt (zu weiteren Definitionen vgl. Ellis 2003: 1-16), die die beiden Voraussetzungen für einen zielgerichteten und jeweils persönlich relevanten Sprachgebrauch verbindet: „A task is an activity in which a person engages in order to attain an objective, and which necessitates the use of language.“ Menschen lassen sich dann engagiert auf eine Aufgabe ein, deren Bewältigung die Fremdsprache verlangt, wenn sie damit ihre eigenen Bedeutungen, Inhalte oder Gefühle kommunizieren können. Je nach Kontext unterscheidet man zwischen Task-Based Language Learning (TBLT) und Task-Supported Language Teaching (TSLT), die unterschiedliche Passungen der Aufgaben zu diesen Lernerbedürfnissen benennen. TBLT wird in Kontexten unterrichtet, denen ein rein aufgabenorientiertes und damit prozessorientiertes Curriculum zu Grunde liegt - eine Ausrichtung, die erst in wenigen Ländern anzutreffen ist (z. B. in Belgien, wo für Migranten Zielaufgaben entwickelt worden sind, die ihre sprachlichen Bedürfnisse bspw. bei Verwaltungsgängen oder im Beruf abdecken; vgl. Van den Branden 2006). Meistens findet man aber eine Mischung aus strukturellen Curricula, die auf einer linguistischen Progression basieren, und Aufgaben, die einem inhaltlichen Rahmenthema zugeordnet sind. Sie werden durch Lehrbücher vorstrukturiert, wobei sich Art und Umfang der Aufgaben je nach Lehrwerk unterscheiden. Diese Lehrbuchaktivitäten können dann entweder wie vorgegeben übernommen, für eine Lerngruppe adaptiert oder auch ganz ersetzt werden, je nach dem Selbstverständnis der Lehrenden. Aufgaben werden in unserem Fremdsprachenlernkontext als pädagogische, oft lehrbuchbasierte Werk- 326 Andreas Müller-Hartmann / Marita Schocker zeuge im institutionellen Fremdsprachenunterricht eingesetzt. 2. Problemaufriss und Forschungsstand Der Vorläufer des aufgabenorientierten Lernens, der kommunikative Ansatz, stammt aus den 1970er Jahren und markiert die Abkehr von einem grammatischen Lehransatz hin zu einem Fremdsprachenunterricht, in dem die Anforderungen realer Kommunikationssituationen im Zentrum stehen (Piepho 1979). In den späten 1980er Jahren (z. B. Prabhu 1987) hat sich TBLT entwickelt. Dieser erfahrungs- und lernerorientierte Ansatz geht von den Bedürfnissen und Interessen der Lernenden aus und sieht authentische und bedeutungsvolle fremdsprachliche Interaktion mit Hilfe eines vielfältigen Materialangebotes und verschiedenen Zielaufgaben (target tasks) vor, aus denen diese auswählen können. Gleichzeitig integriert TBLT im Gegensatz zum kommunikativen Ansatz auch die Entwicklung von Sprachkorrektheit in den Aufgabenprozess (vgl. Kumaravadivelu 2006; Samuda & Bygate 2008). Begründungen für TBLT liefern die bildungspolitischen Rahmenvorgaben des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens, die TBLT als geeignetes Verfahren zur Kompetenzentwicklung empfehlen (Council of Europe 2001), die Ergebnisse der Spracherwerbsforschung (Ellis 2003; Samuda & Bygate 2008) sowie die fremdsprachendidaktische Forschung, die Lernprozesse im Klassenzimmer untersucht und forschungsmethodische Entwürfe vorgelegt hat, die die Sichtweisen aller Beteiligten (Lernende, Lehrende) einbeziehen, um valide Ergebnisse zu erzielen (Müller-Hartmann et al. 2013; Müller-Hartmann & Schocker-v. Ditfurth 2011; Van den Branden 2006; Van den Branden et al. 2007). Inzwischen ist TBLT als angemessener und weltweit verbreiteter Sprachlernansatz zur Vermittlung von Fremdsprachen von der Grundschule bis zur Erwachsenenbildung etabliert. Eine zweijährige internationale Konferenz und die seit 2009 existierende Buchreihe Task-based language teaching: Issues, research and practice (TBLT) sowie eine Vielzahl von Veröffentlichungen in zahlreichen Fachzeitschriften zeugen von einer sehr regen Forschungstätigkeit. Die psycholinguistisch orientierte Spracherwerbsforschung hat sich lange Zeit vornehmlich damit befasst, die Wirkung einzelner Aufgabenmerkmale auf den Umfang und die Qualität der Sprachproduktion einzelner Lernender unter Laborbedingungen zu erforschen (vgl. Ellis 2003; Samuda & Bygate 2008). Dies hat zwar das Bewusstsein für die am Sprachlernprozess beteiligten Aufgabenmerkmale geschärft, es aber nur sehr begrenzt vermocht, übertragbare Erkenntnisse zur unmittelbaren Verbesserung einer immer komplexeren, heterogenen und nicht nur rein sprachlich definierten Sprachlernsituation zu liefern, die auch wesentlich durch motivationale Faktoren oder die Beziehungen zwischen den Lernenden geprägt ist. Aktuelle Entwicklungen in der Spracherwerbsforschung tragen dieser Einsicht Rechnung, indem sie die Interaktion im Klassenzimmer nicht mehr nur als kognitiven psycholinguistischen Prozess, sondern v. a. auch als kommunikatives und soziales Ereignis begreifen und deshalb die Lerner- und die Lehrerperspektiven in die Forschung einbeziehen (z. B. Eckerth & Siekmann 2008). Wie Schart (2008: 43) hervorhebt, sind Lernende keinesfalls nur „information processing units“ und Aufgaben finden nicht in einem soziokulturellen Vakuum statt, sondern es ist notwendig „to accept my learners as historically situated active agents“ (ebd.). Aufgaben müssen Lernende deshalb dazu motivieren, sich engagiert auf eine Aufgabe einzulassen, da ansonsten Lernen nicht stattfindet. Dabei sind die Inhalte und die Rolle der Lehrenden wesent- 327 68. Aufgabenorientierung liche Kategorien, die lange von der Spracherwerbsforschung ignoriert wurden, zwischenzeitlich aber immer intensiver von der pädagogisch orientierten Aufgabenforschung untersucht werden (East 2012; Müller-Hartmann, Schocker & Pant 2013; Schart 2008; Van den Branden 2006; Van den Branden et al. 2007). 3. Praxisrelevanz Wir unterscheiden unterschiedliche Aufgabenformen: komplexe Lernaufgaben, die die Kompetenzentwicklung steuern, bis hin zu Diagnose-, Bewertungs- und Testaufgaben. Letztere werden zur Überprüfung der fremdsprachlichen Kompetenzen auf regionaler und nationaler Ebene eingesetzt. Im alltäglichen, durch Lernaufgaben gesteuerten Unterricht sollten aber auch die Diagnose- und Bewertungsaufgaben weitgehend den unten dargestellten Aufgabenkriterien entsprechen, denn es geht darum, dass Bewertung und Feedback das Lernen unterstützen und ein teaching to the test verhindert wird (washbackeffect). Die Arbeit mit Lernaufgaben ist durch mehrere Phasen charakterisiert. J. Willis (1996) hat mit dem task cycle dazu ein stark strukturiertes methodologisches Konzept vorgelegt, dass mit pre-task(s) (sprachlichinhaltliche Vorbereitung), task cycle (Durchführung der Aufgabe und Planung/ Präsentation der Ergebnisse) und language focus (Spracharbeit) einen grundsätzlichen Dreischritt in der Aufgabenbearbeitung vorschlägt (vgl. Müller-Hartmann & Schocker-v. Ditfurth 2011 für einen abgewandelten Ansatz für TSLT, der die unterrichtlichen Rahmenbedingungen berücksichtigt). Willis & Willis (2007) haben eine große Anzahl an Aufgabentypen entwickelt und diese systematisiert in listing, ordering, problem solving, sharing personal experiences- Aufgaben, die entsprechend einer spezifischen Lerngruppe ausgewählt werden können. Ein aufgabenorientierter Unterricht weist folgende Merkmale auf (vgl. Müller-Hartmann, Schocker & Pant 2013: Kap. 3; auch Hallet 2011): 1) Lehrende wählen Aufgaben, die für die Lernenden lebensweltlich relevant sind, unter deren Beteiligung aus; diese bearbeiten sie in einer sicheren und sie unterstützenden Lernumgebung, in der sie sich trauen, fremdsprachlich aktiv zu werden. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben, die Lernenden zu motivieren, sich auf die Bearbeitung einer komplexen Aufgabe einzulassen, in deren Prozess sie ihre sprachlichen Ressourcen zur Bewältigung der Aufgabe nutzen können. 2) Sie entwickeln komplexe Aufgaben, d. h. solche, die die kommunikativen Fertigkeiten integrieren, die den Lernenden einen Rahmen für diverse Aktivitäten anbieten, innerhalb dessen individuelle Schwerpunktsetzungen und Lösungswege möglich sind und die so zu unterschiedlichen Lernerprodukten führen. 3) Die Lehrenden integrieren einen sprachlichen Formfokus an unterschiedlichen Stellen im task cycle (präaktiv, integriert oder reaktiv), abhängig von den sich oft erst im Prozess ergebenden Bedürfnissen einer Lerngruppe. Die Forschung hat gezeigt, wie notwendig dieser flexible Formfokus ist, um den Sprachlernprozess der Lernenden effektiv zu unterstützen. Dabei ist ein Formfokus, der die Aufmerksamkeit der Lernenden auf sprachliche Aspekte lenkt, immer dann sinnvoll, wenn es die kommunikative Aufgabe erfordert und es die Lernenden bei ihrem Versuch, sich zu verständigen, unterstützt (Kumaravadivelu 2006). 4) Um eine für den Sprachlernprozess grundlegende, möglichst intensive sprachliche 328 Andreas Müller-Hartmann / Marita Schocker Interaktion zu ermöglichen (negotiation of meaning ) leiten sie die Lernenden zur Arbeit in interaktionalen problembearbeitenden Formen (Partner-, Gruppenarbeit) an. 5) Sie stimmen die Aufgabenanforderungen (task demands ) und entsprechende Unterstützungsangebote (task support) in Bezug auf die spezifische Lerngruppe aufeinander ab. Letztere müssen während des Unterrichtsprozesses (task-in-process ) kontinuierlich angepasst werden, denn die Aufgabe ist immer nur ein erstes Angebot an die Lernenden, das auch im Prozess nach ihren Bedürfnissen adaptiert wird. Wie unschwer zu sehen ist, setzt ein aufgabenorientiertes Lernen Lehrpersönlichkeiten voraus, die in der Lage sind, flexibel, sprachlich kompetent und kreativ Lernprozesse zu planen, zu begleiten und diese gemeinsam mit den Lernenden auszuwerten. Eine Übersicht der Kompetenzen, die dieser Struktur folgt, findet sich in Müller- Hartmann, Schocker & Pant (2013). 4. Abgrenzung von Lern- und Testaufgaben Wir unterscheiden zwischen Lernaufgaben und Testaufgaben (vgl. Müller-Hartmann & Schocker-v. Ditfurth 2011: 232). Beide Aufgabenformate sollten grundsätzlich dieselben Merkmale aufweisen, wie z. B. die Erfahrungen der Lernenden aktivieren und sie dadurch involvieren, aber es gibt auch deutliche Unterschiede. Testaufgaben schränken das, was Lernende tun können, ein, z. B. was Wahlmöglichkeiten angeht. Der Aufgabenprozess spielt bei Testaufgaben keine Rolle, da es darum geht, zu bewerten, inwieweit jemand die Anforderungen der Aufgaben in einem bestimmten Zeitrahmen erfüllen kann. Bevor Lernende allerdings an Tests teilnehmen können, müssen sie ihre Kompetenzen durch Lernaufgaben entwickeln. In diesem Prozess spielen pädagogisch motivierte Bewertungsformate eine zentrale Rolle, also Formate, die den Lernprozess unterstützen, wie z. B. in-/ direktes Feedback sowie Formen von peer- und self-assessment. Zu Beginn des Prozesses stehen Diagnoseaufgaben, die es ermöglichen, sowohl den Kompetenzstand als auch mögliche Entwicklungen der Lernenden rückzumelden. Aufgabenorientierte Bewertung stellt die Kompetenz der Lernenden (can do) fest, d. h. wie sie Sprache (und non-verbale Mittel) in bestimmten Situationen kommunikativ nutzen können. Die Bewertung ist deshalb transparent hinsichtlich der Kompetenzen, die geprüft werden, kriterienorientiert und von den Lernenden intersubjektiv nachvollziehbar (vgl. Müller- Hartmann et al. 2013: Kap. 3). 5. Perspektiven Samuda und Bygate (2008: Kap. 10) haben eine umfassende Liste an Forschungsfragen zusammengestellt, die immer noch aktuell ist. Dabei geht es u. a. um die Art und den Zeitpunkt des Formfokus in Lernaufgaben oder die Sicht von Lernenden und Lehrenden auf Lernaufgaben. Letzteres ist v. a. auch wegen der unterschiedlichen kulturellen Bildungskontexte von Bedeutung (vgl. dazu auch Shehadeh & Coombe 2012). Aus Forschungsperspektive sind fallbezogene qualitative Designs wichtig, um die Vielzahl an Faktoren und Perspektiven, die einen Lernkontext ausmachen, berücksichtigen zu können. Ebenso bedarf es mehr Longitudinalstudien, sowohl auf der Programmebene wie auch auf der Lehrerbildungsebene, denn die Entwicklung von Kompetenzen zum aufgabenorientierten Unterrichten benötigt Zeit (vgl. Müller-Hartmann et al. 2013: Kap. III.1). Auch angesichts der heterogenen Sprachlernkontexte wird es immer wichtiger, die traditionell nach wie vor übliche Trennung in Forschende und Lehrende zu überwinden. 329 68. Aufgabenorientierung Dazu müssen Lehramtsstudierende ein berufliches Selbstverständnis entwickeln, das die Entwicklung von Unterricht und ihrer eigenen Kompetenzen als ständigen Wechsel von praktischer Erfahrung und Reflexion dieser Erfahrungen versteht. Ansätze forschenden Lernens (Schocker-v. Ditfurth 2001), die Integration und Reflexion praktischer Erfahrungen von Anfang an und die Fähigkeit, Klassenforschungsprojekte in Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen und mit Unterstützung von Fachdidaktikerinnen und -didaktikern durchzuführen, tragen dazu bei. Dabei geht es v. a. auch darum, die Perspektive der Lernenden einzubeziehen, ohne die ein lern- und lernerorientiertes Arbeiten, auf dem TBLT / TSLT basiert, nicht möglich ist. Literatur Council of Europe, Hrsg. (2001): Modern languages: Learning, teaching, assessment. A common European framework of reference. Cambridge. East, M. (2012): Task-based language teaching from the teachers’ perspective. Insights from New Zealand. Amsterdam. Eckerth, J. / Siekmann, S., Hrsg. (2008): Taskbased language learning and teaching. Theoretical, methodological, and pedagogical perspectives. Frankfurt a. M. Ellis, R. (2003): Task-based language learning and teaching. Oxford. Hallet, W. (2011): Lernen fördern: Englisch. Kompetenzorientierter Unterricht in der Sekundarstufe I. Seelze. Kumaravadivelu, B. (2006): Learner perception of learning tasks. International Journal of Applied Linguistics 152, 127-149. Müller-Hartmann, A. / Schocker, M. / Pant, H. A., Hrsg. (2013): Kompetenzaufgaben in der Sek I. Lernaufgaben Englisch aus der Praxis. Mit zahlreichen Unterrichtsvideos und Materialien. Braunschweig, Berlin. Müller-Hartmann, A. / Schocker-v. Ditfurth, M. (2011): Task-supported language teaching. Paderborn. Piepho, H.-E. (1979): Kommunikative Didaktik des Englischunterrichts. Theoretische Begründung und Wege zur praktischen Einlösung eines fachdidaktischen Konzepts, Dornburg-Frickhofen. Prabhu, N. S. (1987): Second language pedagogy. Oxford. Samuda, V. / Bygate, M. (2008): Tasks in second language learning. New York. Schart, M. (2008): What matters in TBLT - task, teacher or team? An action research perspective from a beginning German language classroom. In: J. Eckerth / S. Siekmann (Hrsg.), 47-66. Schocker-v. Ditfurth, M. (2001): Forschendes Lernen in der fremdsprachlichen Lehrerbildung. Tübingen. Shehadeh, A. / Coombe, C. A. (2012): Task-based language teaching in foreign language contexts. Research and implementation. Amsterdam. Van den Branden, K., Hrsg. (2006): Task-based language education. From theory to practice. Cambridge. Van den Branden, K. / Van Gorp, K. / Verhelst, M., Hrsg. (2007): Tasks in action. Task-based language education from a classroom-based perspective. Cambridge. Willis, J. (1996): A framework for task-based learning. Harlow. Willis, D. / Willis, J. (2007): Doing task-based teaching. Oxford. Andreas Müller-Hartmann Marita Schocker 330 Stephan Breidbach 69. Inhaltsorientierung 1. Zum Begriff Inhaltsorientierung hat verschiedene Bedeutungsebenen, die sich aus der Geschichte des Begriffes in der Fremdsprachendidaktik ergeben. Einen Ausgangspunkt bildet die Diskussion um die Funktion von Inhalten im Fremdsprachenunterricht in der in den 1980er Jahren aufkommenden Kritik an der weitgehenden Produktorientierung bestehender Curricula. Diesen wurde angelastet, einseitig auf ein zuvor definiertes kommunikatives Repertoire und zu wenig auf kommunikative Handlungsfähigkeit zu setzen (vgl. Breen 1984: 51, zit. in Johnson 2009: 322). Ausgehend von dem durch Breen entwickelten Konzept der Prozessorientierung lässt sich Inhaltsorientierung in zwei Perspektivierungen betrachten: zum einen curricular zur Bestimmung von Lernwegen und damit auch des sprachlichen Lehrplans durch Unterrichtsinhalte und den damit situativ erforderten formalsprachlichen und kommunikativen Strukturen. Zum anderen kommunikations- und bildungstheoretisch zur Bestimmung von Zielen des Fremdsprachenunterrichts, die mittelbzw. unmittelbar mit der Art der Beschäftigung mit bestimmten Inhalten in Verbindung gebracht werden können. In der fremdsprachendidaktischen Diskussion finden sich entsprechend unterschiedliche Verwendungen von Inhaltsorientierung, wenngleich der Bezug auf die genannten Perspektiven nicht immer expliziert wird. So wird Inhaltsorientierung zum einen im Sinne eines Unterrichtsprinzips und zum anderen im Sinne einer Unterrichtskonzeption verwendet. Als didaktisches Prinzip wird Inhaltsorientierung v. a. im deutschsprachigen Raum handlungsorientiertem Fremdsprachenunterricht zugeordnet. Hier steht es neben anderen lernpsychologisch bzw. allgemeindidaktisch sowie pädagogisch begründeten Prinzipien wie der Lern- und Aufgaben-, Kommunikations- und Lernerorientierung. Als Unterrichtskonzeption wird Inhaltsorientierung auch synonym mit dem Begriff der Inhaltsbasierung verwendet. Zwar sind im deutschsprachigen Raum beide Bezeichnungen vorwiegend auf Fremdsprachenunterricht bezogen, in der internationalen Diskussion zeigt die begriffliche Angleichung jedoch die Tendenz an, Fragen von Sprache im Unterricht aus einer schulpädagogischen sowie allgemeindidaktischen und nicht unter einer allein spracherwerbs- oder motivationstheoretischen Perspektive zu betrachten. Ähnlich wie die Language-Across-the-Curriculum-Bewegung der 1970er Jahre hebt diese Perspektive darauf ab, Sprache als Medium des Lernens in allen schulischen Kontexten zu betrachten. Dabei wird hervorgehoben, dass in den Schulfächern Lernende gefordert sind, den Übergang von alltagsnaher (Basic Interpersonal Communication Skills, BICS) zu akademisierter Sprache (Cognitive Academic Language Proficiency, CALP) (Cummins 1984) zu vollziehen. Der Gedanke des schulischen CALP-Erwerbs wird verknüpft mit der soziokulturellen Lerntheorie Vygotskijs, derzufolge komplexes Denken eine kulturelle Praxis darstellt, in der sprachliche Praktiken als kognitive Werkzeuge fungieren. Voraussetzung für deren Erwerb ist die Möglichkeit der Lernenden zur aktiven Partizipation an ihrerseits durch die zu erwerbenden Praktiken charakterisierte sozialer Interaktion (vgl. Art. 57). Vor diesem Hintergrund bezeichnet Content-Based Instruction (CBI) vor allem im anglo-amerikanischen Sprachraum ein Spektrum zwischen schwachen und starken Formen der Inhaltsorientierung, das von inhaltsorientiertem Fremdsprachenunterricht im deutsch-europäischen Verständnis (schwach) über bilingualen (Sachfach-)Unterricht bzw. 331 69. Inhaltsorientierung Content and Language Integrated Learning (CLIL) (vgl. Art. 44) und sheltered instruction - Programmen, in denen Fachlehrerinnen und -lehrer im Medium einer Zweitsprache unter ausdrücklicher Berücksichtigung des sprachlichen Erwerbsstandes der Lernenden unterrichten, bis hin zu den verschiedenen Varianten von Immersion (stark) reicht (Lyster & Ballinger 2011). In der englischsprachigen Literatur hat sich zudem die Auffassung etabliert, dass CBI und CLIL weitgehend deckungsgleiche Unterrichtskonzeptionen darstellen. Cenoz (2015) legt dar, dass sich beide mit Blick auf die pädagogischen, sprachlichen sowie bildungspolitischen Kernanliegen und Prinzipien gleichen, während Differenzen, die sich in den lokalen Ausprägungen der jeweiligen Programme finden, gradueller Art sind. 2. Forschungsstand Fremdsprachendidaktisch lassen sich alle Formen der Inhaltsorientierung dem kommunikativen Paradigma zurechnen. Unterscheidet man innerhalb dieses Paradigmas wiederum starke und schwache Formen kommunikativen Unterrichts, erweisen sich alle Ansätze der Inhaltsorientierung als grundsätzlich eher starke Formen. Anhand der Funktion, die Inhalten für den Unterricht zugeschrieben wird, lassen sich gleichwohl schwache und starke Formen der Inhaltsorientierung unterscheiden. In schwachen Formen werden Inhalte vorwiegend als Anlässe für den Erwerb kommunikativer (Teil-)Kompetenzen behandelt. Gegenstände werden eher situativ ausgewählt und folgen nicht stringent fachlichen Curricula. Hier bedeutet Inhaltsorientierung, dass ein Schwerpunkt auf der kommunikativen Bedeutung (focus on meaning ) liegt. Die sprachliche Form (focus on form) ist zwar keineswegs bedeutungslos, sie stellt jedoch weder für das sprachliche Curriculum noch für die Ziele des Fremdsprachenunterrichts insgesamt die dominierende Grundlage dar. Dem entgegengesetzt finden sich starke Formen inhaltsorientierten Fremdsprachenunterrichts und weitere Unterrichtsformen, in denen das sprachliche Curriculum im Wesentlichen durch Inhalte und Ziele des Fachunterrichts bestimmt wird. Das spezifische Verhältnis von Inhalt und Form wurde in den vergangenen ca. 30 Jahren v. a. in Anlehnung an Hallidays Theorie einer systemisch-funktionalen Linguistik zu bestimmen versucht. In dieser kommt der sprachlichen Form als der materiellen (d. h. sprachlich-expressiven) Seite symbolischen Handelns eine große Bedeutung zu. In der systemisch-funktionalen Linguistik wird die Bedeutung der Einheit sprachlichen und kognitiven Handelns betont, die im Formenkonzept der Lexikogrammatik gefasst wird (d. h. dem Zusammenfließen von Lexik mit grammatischen Formen zur Gestalt eines sprachlichen Ausdrucks). Der Begriff der Grammatik bezieht sich in diesem Zusammenhang sowohl auf die formal-strukturelle Oberflächen- und Tiefenstruktur sprachlicher Äußerungen als auch auf den Verwendungskontext, dessen Konventionen die Form bestimmen. Umgekehrt verweisen Inhalt und Form einer Äußerung nur zusammen auf einen disambiguierenden Kontext, wodurch eine Äußerung überhaupt erst für Verstehensprozesse zugänglich wird (Eggins 2004). Dieser Zusammenhang wird mit dem Begriff Register gefasst. Register wird in sprachlichen Äußerungen in Bezug auf drei Metafunktionen von Sprache grammatikalisiert. Diese Funktionen sind nach Halliday die Thematisierung von Inhalten (ideational function), die Bezeichnung interpersonaler Beziehung zwischen den realen oder auch nur indizierten Teilnehmenden einer Interaktion (interpersonal function) sowie die Organisation von Information (textual function). Allen sprachlichen Äußerungen 332 Stephan Breidbach sind daher Aussagen über einen Gegenstand bzw. Inhalt (field), das Wesen der an dem Inhalt/ Gegenstand Beteiligten und ihre Beziehung zueinander (tenor) sowie über die Beziehung zwischen Sprecher/ in bzw. Autor/ in und Empfänger/ in bzw. Leser/ in (mode) inhärent. Dabei limitiert der Verwendungskontext, durch welche möglichen lexikogrammatischen Formen diese Funktionsebenen in einem objektsprachlichen Ausdruck realisiert werden. Die Systemisch-Funktionale Linguistik geht neben der Kontextbedingtheit von Register von einer weiteren Kontextdimension aus. Demnach ist jeder kommunikative Text auf eine übergeordnete Praxis ausgerichtet bzw. in eine solche eingebettet. Solche Praktiken werden als Genres bezeichnet und bestehen in konventionalisierten Sprachhandlungsmustern. Sie basieren auf einem in Grenzen flexiblen Repertoire von Einzelelementen, die funktional aufeinander bezogen und auf ein Handlungsziel ausgerichtet sind. In kulturwissenschaftlicher Betrachtung findet sich für denselben Zusammenhang einer kulturell konventionalisierten Kommunikationspraxis der Begriff Diskurs (Hallet 2009). Genres bzw. Diskurse lassen sich in Alltagsroutinen (z. B. Bezahlen an der Kasse; Reklamationsgespräch mit der Telefonhotline) ebenso bestimmen wie in komplexeren Kontexten wie der Politik (z. B. Argumentation), Kunst (z. B. Reflexion ästhetischer Erfahrung), Wirtschaft (z. B. Analystenbewertung), Religion (z. B. Beichtgespräch) oder Wissenschaft (z. B. Ablaufprotokolle oder Textanalysen). In starken Formen von CBI/ CLIL spielen fachliche Diskurse bzw. Genres didaktisch eine zentrale Rolle (Morton et al. 2012). Hier sind Lernende gefordert, die fremde Sprache als generische Praxis in den jeweiligen Fachbezügen zu erwerben. In der CBI/ CLIL-Diskussion wird dies mit dem Begriff der fachlichen Diskurskompetenz (Zydatiß 2013) gefasst. 3. Praxisrelevanz Aus dem dargelegten Zusammenhang, dass sowohl Form und Inhalt nicht isoliert betrachtet als auch diese gemeinsam konzeptuell von der diskursiven Kontextdimension nicht sinnvoll zu trennen sind, ergeben sich verschiedene Implikationen für inhaltsorientierten Fremdsprachenunterricht. Grundlegend gewinnt die Textebene gegenüber der Wort-Satz-Ebene an Bedeutung (Halliday & Martin 1993). Weiterhin wird, sofern gilt, dass Fremdsprachenunterricht praktische Partizipation an einer möglichst hohen Zahl an gesellschaftlich relevanten, zunehmend fremdsprachlich geführten Diskursen ermöglichen soll, „fremdsprachliche Diskursfähigkeit zum Leitziel des Fremdsprachenunterrichts“ (Hallet 2009: 70). Damit geht eine Perspektivenverschiebung für Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung einher, die aufgefordert sind, sich zunehmend als Diskursdidaktik zu verstehen. Relevant sind diese Überlegungen auch für den Beitrag der Fremdsprachendidaktik zur Diskussion um das bildungspolitisch prominent gewordene Konzept der durchgängigen sprachlichen Bildung. Bildungssprachliche Kompetenz heißt an dieser Stelle nicht in erster Linie die Verfügung über einen differenzierten allgemein- und fachsprachlichen Wortschatz oder über komplexe grammatische Formen, sondern die Fähigkeit, auf allen drei der in Abschnitt 2 genannten Funktionsebenen mit sprachlichen Äußerungen absichtsvoll und kontextangemessen umgehen zu können (vgl. Morek & Heller 2012; Vollmer & Thürmann 2013). 4. Perspektiven Traditionell bezieht der Fremdsprachenunterricht Inhalte aus den sprachlichen, kulturell-landeskundlichen bzw. literarischen 333 69. Inhaltsorientierung Teildisziplinen des jeweiligen Sprachenfaches (vgl. Art. 32-35). Diskursdidaktische Ansätze der Inhaltsorientierung stehen vor dem Problem, aufgrund des hohen Abstraktionsgrades sprachlicher Diskursfunktionen und Genres diese nicht kanonisch, sondern nur exemplarisch an konkrete Inhalte anbinden zu können (Hallet 2009: 74). Der sich daraus ergebenden Schwierigkeit der Auswahlbegründung wird in kritisch-emanzipativen Ansätzen durch eine Rückkoppelung der Prinzipien der Bestimmung von Inhalten an bildungstheoretische Überlegungen begegnet. Kurtz (2009) schlägt in Anlehnung an Klafkis kritisch-konstruktive Didaktik und das Konzept der epochaltypischen Schlüsselprobleme vor, Inhalte in Bezug auf „globale Kernthemen des 21. Jahrhunderts“ sowie auf die in diesem Zusammenhang erforderlichen „kritisch-reflexiven Fähigkeiten“ (ebd.: 127) zu bestimmen. Ebenfalls gegenwartsanalytisch argumentiert Hallet (2009), wobei er dadurch, dass er die Entwicklung von Fähigkeiten des kritischen Umgangs mit multimodalen Symbolsystemen und ihrer sozialen, politischen wie ökonomischen Einbettung in den Kontext eines beschleunigten Kapitalismus und poststrukturalistischer Identitätsentwürfe ins Zentrum stellt, die Affinität von Inhaltsorientierung zur Multiliteralitätsdidaktik (Cope & Kalantzis 2000) unterstreicht. Arbeiten aus dem Bereich der Bildungsgangdidaktik ergänzen diese Perspektive durch eine Orientierung der Inhaltsauswahl am sozialpsychologischen Konstrukt der individuellen und kollektiven Entwicklungsaufgabe (z. B. Bonnet et al. 2010). Perspektivisch dürften sich starke Formen von CBI in der Praxis konsolidieren. Entsprechend wird es fachdidaktisch verstärkt um die Erforschung methodischer Verfahren gehen, die den Aufbau diskursiver Sprachfähigkeiten stützen (scaffolding ; vgl. Zydatiß 2013). Bei den sprachlichen Curricula dürfte sich die Entwicklung zur Einbeziehung globaler Perspektiven fortsetzen, d. h. die Berücksichtigung von Varietäten von Einzelsprachen sowie der soziolinguistischen Dynamik, mit der sich die am weitesten verbreiteten Schulfremdsprachen (Englisch, Französisch, Russisch, Spanisch) zu überregionalen linguae francae entwickeln. Damit eng verknüpft ist das Problemfeld der kritischen Reflexion systemischdiskursiver Aspekte von Sprache und Sprachgebrauch (z. B. Fairclough 2000). Hier bestehen Berührungspunkte zur Diskussion um den Stellenwert von (Critical) Language Awareness im Fremdsprachenunterricht. War im Zuge der kommunikativen Wende in der Fremdsprachendidaktik die Rolle expliziten sprachlichen Wissens stark in den Hintergrund getreten, so kommen v. a. an kritischemanzipativen Pädagogiken ausgerichtete Ansätze von CBI ohne metalinguistisches und metadiskursives Wissen gar nicht aus (Breidbach et al. 2014). Literatur Bonnet, A. / Decke-Cornill, H. / Hericks, U. (2010): Bildungsgangdidaktik, in: W. Hallet / F. G. Königs (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber, 265-269. Breidbach, S. / Medina, J. / Mihan, A. (2014): Critical literacies, multiliteracies and foreign language education. Fremdsprachen lehren und lernen 43/ 2, 91-106. Cenoz, J. (2015): Content-based instruction and content and language integrated learning: the same or different? Language, Culture and Curriculum 28/ 1, 8-24. Cope, B. / Kalantzis, M. (Hrsg.) 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(2009): Kompetenz, Inhalt und Partizipation: Einige grundsätzliche Überlegungen aus fremdsprachendidaktischer Perspektive, in: K.-R. Bausch / E. Burwitz-Melzer / F. G. Königs / H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht im Spannungsfeld von Inhaltsorientierung und Kompetenzbestimmung. Tübingen, 122-130. Llinares, A. / Morton, T. / Whittaker, R. (2012): The roles of language in CLIL . Cambridge. Lyster, R. / Ballinger, S. (2011): Content-based language teaching: Convergent concerns across divergent contexts. Language Teaching Research 15/ 3, 279-288. Morek, M. / Heller, V. (2012): Bildungssprache - Kommunikative, epistemische, soziale und interaktive Aspekte ihres Gebrauchs. Zeitschrift für Angewandte Linguistik 2012, 67-101. Vollmer, H.-J. / Thürmann, E. (2013): Sprachbildung und Bildungssprache als Aufgabe aller Fächer der Regelschule, in: M. Becker- Mrotzek / K. Schramm / E. Thürmann / H.-J. Vollmer (Hrsg.): Sprache im Fach. Sprachlichkeit und fachliches Lernen. Münster, 41-58. Zydatiß, W. (2013): Kompetenzerwerb im bilingualen Unterricht, in: W. Hallet / F. G. Königs (Hrsg.): Handbuch bilingualer Unterricht. Content and language integrated learning. Seelze-Velber, 131-138. Stephan Breidbach 70. Sozialformen im Überblick 1. Problemaufriss Fremdsprachenunterricht war und ist in der Regel so organisiert, dass eine Lehrperson eine Gruppe Lernender unterrichtet. Schulklassen werden in der Regel gebildet, indem Kinder und Jugendliche auf der Basis ihres gleichen Alters und damit ihres vermeintlich gleichen Entwicklungsstandes in Klassen einer Jahrgangsstufe zusammengefasst werden. Obwohl heute hinreichend bekannt ist, dass das biologische Alter einen sehr unzuverlässigen Indikator für die tatsächliche biologische, kognitive, emotionale etc. Entwicklung des Individuums darstellt, wird an diesem Verfahren mangels besserer - in der Fläche praktikabler - Alternativen festgehalten. Die damit kausal verbundene Heterogenität der so gebildeten Lerngruppen ist in den letzten Jahren zunehmend in das Bewusstsein aller pädagogischen Disziplinen gerückt (vgl. Haß 2008: 2 ff.). Lerngruppen in der Erwachsenenbildung sind häufig durch eine noch größere Heterogenität geprägt. Zeitgleich wuchs u. a. auch das Bewusstsein um die Bedeutung der interpersonalen Beziehungen in Lerngruppen. 2. Begrifflichkeit Das Treffen richtiger (ziel-, inhalts- und adressatengerechter) methodischer Entscheidungen ist Kern des Alltagsgeschäftes des 335 70. Sozialformen im Überblick Lehrberufs. Methodische Kompetenz sollte somit eine Grundkompetenz jedes Lehrenden darstellen. Paradoxerweise scheint allerdings das didaktische Konstrukt der „Methode“ und somit auch das der methodischen Kompetenz bis dato nicht zufriedenstellend definiert zu sein. Gemeinhin wird unter dem Methodenbegriff noch immer eine Vielzahl unterschiedlichster Verfahren der Unterrichtsgestaltung zusammengefasst, die der im gemeinsamen Handeln von Lehrenden und Lernenden vollzogenen Weltaneignung der Lernenden dienen (vgl. Meyer 1987: 45 ff.) Unstrittig ist allerdings, dass die Gestaltung der sozialen Interaktionen im Klassenzimmer zum Kern unterrichtsmethodischer Entscheidungen gehört. Die jeweils intendierten Lernprozesse können durch die Wahl der richtigen Sozialstruktur entscheidend gefördert oder auch gestört werden (vgl. Köck 2005: 323 ff.). Somit gehören Sozialformen in das große Spektrum der Unterrichtsmethoden. Sie erfassen und beschreiben die unterschiedlichen personellen Konstellationen und die daraus resultierenden Beziehungsstrukturen in der Lerngruppe. Prinzipiell sind vier unterschiedliche personelle Konstellationen denkbar: 1) Alle am Unterricht Beteiligten arbeiten gemeinsam im Plenum (Plenarunterricht). 2) Zeitlich befristet wird das Plenum in eine Mehrzahl kleinerer Arbeitseinheiten aufgebrochen (Gruppenarbeit). 3) Die Arbeitseinheit besteht aus jeweils zwei Lernenden (Partnerarbeit). 4) Jeder Lerner arbeitet individuell (Einzelarbeit). Unterschiedliche Sozialformen entstammen unterschiedlichen Epochen und wurden je nach Voraussetzungen und Zielen schulischer Bildung bildungspolitisch / bildungsideologisch auch immer unterschiedlich bewertet (vgl. Keck et al. 2004: 460 f.). Im Zuge der Entwicklung der empirischen Schul- und Unterrichtforschung der letzten Jahre mussten einige dieser Bewertungen jedoch relativiert werden, so dass heute eine Entscheidung für oder gegen eine Sozialform allein pädagogisch bzw. didaktisch begründet sein sollte. Entscheidungsgrundlagen sind dabei in erster Linie die individuellen Lerndispositionen, die intendierten Lernziele / Unterrichtsziele sowie die unterrichtlichen Rahmenbedingungen. • lokal: Unter welchen räumlichen Bedingungen findet Unterricht statt? • temporal: Welcher zeitlichen Struktur folgt der Unterricht? • personal: Wie viele Lehrende / pädagogische Kräfte stehen für die Unterrichtsgestaltung zur Verfügung? • institutionell: Gilt es Besonderheiten der jeweiligen Bildungsinstitution zu berücksichtigen? Wie bei allen methodischen Entscheidungen überlappen sich dabei sowohl pädagogische wie auch fachdidaktische Erwägungen. Lange Zeit wurde der Reflexion der Sozialformen von der Fremdsprachendidaktik eher geringe Aufmerksamkeit geschenkt und selbige eher dem Zuständigkeitsbereich der Schulpädagogik bzw. der Allgemeinen Didaktik zugeordnet. In den letzten Jahren allerdings wurde zunehmend erkannt, dass methodische Entscheidungen immer auch fachdidaktische Entscheidungen sein müssen, die die Fachspezifik des jeweiligen Unterrichtsgegenstandes ausreichend berücksichtigen. 3. Vor- und Nachteile der Sozialformen im Überblick Für die Wahl der passenden Sozialform ist eine genaue Kenntnis der jeweiligen Potenziale, aber auch der möglichen Stolpersteine wichtig. Im Folgenden soll nur ein kurzer Überblick über Vor- und Nachteile gegeben 336 Frank Haß werden. Detailliertere Betrachtungen finden sich in den Art. 73 (Frontalunterricht), 72 (Partner- und Gruppenarbeit) und 71 (Einzelarbeit) dieses Bandes. Die wohl typischste Form schulischen Unterrichts ist der Unterricht einer Lehrperson mit einer Gruppe Lernender, also Plenarunterricht. Historisch war damit der Anspruch verbunden, dass ein Lehrender eine Gruppe Lernender anhand eines gemeinsamen Inhaltes vermittels gleicher methodischer Schritte zum gleichen Ziel führen könnte (darbietender Unterricht, gelenktes Unterrichtsgespräch). Diese Form stark lehrerzentrierten und lehrergeleiteten Unterrichts wurde und wird häufig als „Frontalunterricht“ bezeichnet und eher kritisch gesehen. Diese ausschließlich kritische Sicht auf Plenarunterricht lässt sich heute allerdings nicht mehr aufrecht halten. Zum einen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Phasen der direkten Steuerung durch die Lehrperson („direkte Instruktion“ ) durchaus ihre Berechtigung haben können (vgl. Hattie 2014: 262). Zum anderen ist Plenarunterricht nicht notwendigerweise lehrerzentriert, denn auch einzelne Lernende bzw. Lernergruppen können die Steuerung der Lernprozesse für die gesamte Klasse übernehmen, z. B. in Form von Präsentationen, Referaten und Vorträgen. Eine besondere Form lernergeleiteten Plenarunterrichts stellt das Konzept „Lernen durch Lehren“ dar (vgl. Martin 1985), wobei Lernende in Unterrichtsphasen die Rolle des Lehrenden annehmen. Die wichtigsten Vorteile des Plenarunterrichts: • Durch das hohe Maß an vorhersagbarer Struktur entsteht Sicherheit für den Lehrenden und die Lernenden gleichermaßen. Dieses Sicherheitsgefühl stellt eine wichtige emotionale Voraussetzung für erfolgreiches Lernen besonders von Lernenden mit Lernschwierigkeiten (vgl. Haß & Kieweg 2013: 27 f.) dar. • Die Sprache des Lehrenden bzw. des besonders gut vorbereiteten Mitlernenden kann als Vorbild für die Lernenden dienen (z. B. Vorträge, Referate, Präsentationen). Auch wenn heute vielfältige (digitale) Medien helfen, den Muttersprachler ohne besondere Umstände live in das Klassenzimmer zu holen, so bleibt die Lehrperson doch auch auf absehbare Zeit das wichtigste Modell eines kompetenten Sprachnutzers. • Kommunikative Kompetenz kann ohne Sprachwissen (Wortschatz, Strukturen, Strategien etc.) nicht aufgebaut werden. Die direkte Instruktion hat sich dabei als der effizienteste Weg zum Aufbau reproduzierbaren Wissens erwiesen. Klar ist dabei natürlich, dass reproduzierbares Wissen allein nicht ausreicht. Es muss in weiteren Unterrichtsphasen sowohl durch gezieltes sprachorientierten Üben (focus on language ) als auch besonders durch Phasen inhaltsorientierter Kommunikation (focus on communication ) in die Anwendbarkeit überführt werden. Die wichtigsten Nachteile des Plenarunterrichts: • Die starke lehrerseitige Planung und Lenkung des Unterrichts verhindert häufig die Anbahnung selbstgesteuerten und selbstständigen Lernens, was heute als Voraussetzung lebenslangen Lernens und damit als Schlüsselqualifikation gesehen wird. • Die Homogenität der Lerndispositionen einer Schulklasse ist und bleibt eine Fiktion. Plenarunterricht kann den heterogenen individuellen Lernvoraussetzungen nicht in ausreichendem Maße gerecht werden. • Die individuelle Kommunikationszeit der einzelnen Lernenden ist im Plenarunterricht gering. Formen reproduktiver Sprachverwendung (z. B. Chorsprechen, Abschreiben, Diktatschreiben) sind zwar möglich, die 337 70. Sozialformen im Überblick produktiven Fertigkeiten Sprechen oder wirkliches freies oder kreatives Schreiben kommen häufig eher zu kurz. • Ebenfalls als Folge der starken Lehrersteuerung wird soziale Kompetenz als eine weitere Schlüsselkompetenz nur ungenügend entwickelt. Reiner Plenarunterricht als Darbietung (z. B. Lehrervortrag) oder Unterrichtsgespräch war und ist über längere Zeiträume selten anzutreffen. In den allermeisten Fällen wurde und wird die Plenararbeit mit Phasen der Einzelarbeit kombiniert. Unter Einzelarbeit wird in diesem Kontext das gleichzeitige, nicht unter der direkten Lenkung der Lehrperson stehende selbstständige und selbsttätige Arbeiten der einzelnen Lerner einer Gruppe verstanden. Einzelarbeit bietet deshalb viele Möglichkeiten für eine Individualisierung der Lernprozesse. Die wichtigsten Vorteile der Einzelarbeit: • Lernende einer Gruppe arbeiten unterschiedlich schnell. Die Gründe hierfür sind häufig vielfältig. So kann unterschiedliche kognitive Leistungsfähigkeit (z. B. differente fluide und kristalline Intelligenz) ebenso eine Ursache sein wie ein unterschiedlich entwickeltes Lern- und Arbeitsverhalten (Motivation, Volition, Verfügung über relevante Lern- und Arbeitstechniken). In Phasen der Einzelarbeit hat der Lerner die Möglichkeit, in seinem individuellen Tempo zu arbeiten. Dies kann besonders bei der Entwicklung der rezeptiven Fertigkeiten oder auch des Schreibens vorteilhaft sein. • Ebenso kann das Lernen für den einzelnen Lerner durch maßgeschneiderte Aufgaben (mit individuellen Lernzielen, individuellen Lerninhalten, individuellen Lernmethoden und / oder individuellen Lernhilfen) sehr stark individualisiert werden. • Darüber hinaus fördert Einzelarbeit das selbstgesteuerte Arbeiten bzw. wird in der Einzelarbeit sowohl für den Lerner wie auch für die Lehrperson offensichtlich, wo Stärken und Schwächen des einzelnen Lerners liegen. • Ebenso wird die Selbstständigkeit des Lerners im Allgemeinen (z. B. Problembewusstsein, Problemlösefähigkeit, Selbstvertrauen) gefördert. Die wichtigsten Nachteile der Einzelarbeit: • Die direkte mündliche Interaktion und Kommunikation ist in Einzelarbeit nicht möglich. Hierfür müssen andere Sozialformen gewählt werden. • Einzelarbeit steht in der Gefahr, Egoismus und Konkurrenzdenken zu stark zu fördern. Diese Gefahr besteht besonders in Verbindung mit einem ausgeprägten, an Ziffernnoten orientierten Leistungsdenken. Zwischen Plenar- und Einzelarbeit ist die Gruppenarbeit zu sehen. Dabei wird die Gesamtlerngruppe (z. B. die Schulklasse) zeitlich befristet in eine Mehrzahl kleinerer Lerngruppen aufgebrochen. Kleingruppen mit zwischen drei und sechs Lernenden haben sich in der Praxis als am günstigsten erwiesen. Bei themengleicher Gruppenarbeit arbeiten alle Gruppen parallel - wie bei der Plenararbeit - an einem Thema. Der Vorteil der Gruppenarbeit besteht hierbei in der möglichen größeren Arbeitsintensität. Themenverschiedene Gruppenarbeit bietet die Chance, über information gap bzw. opinion gap activities echte Gesprächsanlässe und wirkliches Kommunikationsbedürfnis zu katalysieren. Themenverschiedenheit kann dabei zwischen unterschiedlichen Gruppen oder auch innerhalb einer Gruppe selbst inszeniert werden. Die wichtigsten Vorteile der Gruppenarbeit: 338 Frank Haß • Als besonderer Vorteil für den Fremdsprachenunterricht kann Gruppenarbeit helfen, die individuelle Sprechzeit (mündliche Kommunikationsfähigkeit) der Lernenden zu erhöhen. Die größte methodische Herausforderung besteht hierbei darin, die Lerner in diesen Phasen zum Gebrauch der Fremdsprache zu motivieren, damit sie nicht in die Muttersprache ausweichen. • Im Bereich der Entwicklung der Schlüsselqualifikationen kann Gruppenarbeit die Entwicklung sozialer Kompetenzen fördern. Teamfähigkeit gilt heute generell als eine der wichtigsten Schlüsselkompetenzen. Gruppenarbeit hilft dabei, die möglichen Nachteile der Einzelarbeit auszugleichen. • Daneben werden durch die Gruppenarbeit weitere wichtige Schlüsselkompetenzen wie Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit, Eigen- und Mitverantwortung, Kreativität, Toleranz und Solidarität entwickelt. Die wichtigsten Nachteile der Gruppenarbeit: • Je nach Persönlichkeitsstruktur der jeweiligen Gruppe kann es passieren, dass starke Lernende (leistungsstark und / oder starke Persönlichkeit) die Gruppe dominieren und schwächere Lernende (leistungsschwach und / oder weniger starke Persönlichkeit) sich nicht entfalten können. Hier muss die Lehrperson die Gruppenarbeit aufmerksam verfolgen und ggf. nachsteuernd eingreifen. • Ebenfalls besteht die Gefahr, dass „Trittbrettfahrer“ (weniger engagierte Lernende) sich das Engagement aktiver Mitlernender zu Nutze machen. Hierbei muss - methodisch - sichergestellt werden, dass wirklich alle Lernenden angehalten sind, zum Ergebnis der Gruppe beizutragen. Aus den möglichen Nachteilen von Gruppenarbeit ergibt sich die Notwendigkeit einer gut durchdachten, strukturierten Planung durch die Lehrperson (ein nicht zu unterschätzender Vorbereitungsaufwand). Dies beginnt bereits bei der Gruppenzusammenstellung: Stellt die Lehrperson die Gruppen zusammen, wählen die Lernenden ihre Lernpartner aus oder werden die Gruppen nach dem Zufallsprinzip zusammengestellt? Jede Möglichkeit der Gruppenzusammenstellung hat ihre Vor- und Nachteile. Wichtig für eine gelingende Gruppenarbeit sind weiterhin klare Rollenverteilungen. Die aus dem Konzept des kooperativen Lernens (vgl. Green & Green 2007) übernommene Idee des Schaffens positiver Abhängigkeiten (positive Interdependenzen) kann dazu beitragen, alle Lernenden bestmöglich zu involvieren und zu aktivieren (vgl. Haß 2010a: 268 f.). So können z. B. individuelle Teilaufgaben so gestaltet werden, dass nur durch die Zusammenschau der Arbeitsergebnisse der einzelnen Gruppenmitglieder das Gesamtergebnis erreicht werden kann. Partnerarbeit ist die Arbeit in der kleinstmöglichen Gruppe (zwei Personen). Die Vor- und Nachteile der Gruppenarbeit gelten auch für die Partnerarbeit. Als besonderer Vorzug der Partnerarbeit gegenüber der Gruppenarbeit wäre zu erwähnen, dass der Vorbereitungs- und Planungsaufwand geringer ist, die Lerneraktivierung allerdings noch höher. Besonders die individuelle Sprechzeit wird gegenüber der Gruppenarbeit noch einmal gesteigert. Dem Erproben von individuellen Lern- und Kommunikationsstrategien sowie dem selbstständig entdeckenden Lernen insgesamt kann mehr Raum gegeben werden, ohne dass der Lerner - wie in der Einzelarbeit - ganz auf sich allein gestellt wäre. Abschließend wäre zu erwähnen, dass - wie bei jeder anderen Methode auch - der überlegte, wohl dosierte, abwechslungsreiche 339 70. Sozialformen im Überblick und intentionale Einsatz der unterschiedlichen Sozialformen der Schlüssel zum Erfolg ist, da dadurch einerseits die Potenziale der jeweiligen Sozialform ausgeschöpft und andererseits die möglichen Nachteile kompensiert werden können. Eine institutionsübergreifende und interdisziplinäre empirische Forschung zu Einsatz und Wirkstärke der unterschiedlichen Sozialformen wäre ein Desiderat erster Ordnung sowohl für die Allgemeine Didaktik als auch für die Fremdsprachendidaktik (vgl. Haß 2010b). Literatur Green, N. / Green, K. (2007): Kooperatives Lernen im Klassenraum und im Kollegium. Das Trainingsbuch. Seelze-Velber. Haß, F. (2008): Keiner wie der andere. Im differenzierenden Unterricht Lernprozesse individualisieren. Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch. Heft 94. Differenzierung, 2-9. Haß, F. (2010a): Sozialformen, in: Surkamp, C. (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart, Weimar, 266-269. Haß, F. 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Sie stellt neben dem Plenum oder der Partner- und Gruppenarbeit eine Sozialform dar, bei der Lernende eigenverantwortlich an einer selbst oder von der Lehrperson gestellten Aufgabe konzentriert und ungestört arbeiten. Die Lernenden sind dabei selbstständig, selbsttätig, beweisen Ausdauer und entdecken ihre fachlichen und methodischen Ressourcen (vgl. Huwendiek 2004: 93). Einzelarbeit dient der Differenzierung und Individualisierung (vgl. Art. 76) unter Berücksichtigung von Lernstilen und -strategien (vgl. Art. 55, 79), Lernniveaus und -tempi. Demnach fördert sie Autonomie (vgl. Art. 78) und eröffnet dem Lehrenden Freiraum für die Zuwendung zu einzelnen Lernenden (vgl. Brüning & Saum 2010: 86). Individuell kann nach der Einführung eines Themas oder nach bearbeiteten Übungen dazu sowie zusätzlicher Klärung in Gruppen weitergearbeitet werden (Scholz 2007: 19). Ebenso kann die Neuerarbeitung eines Themas in Einzelarbeit erfolgen. Sie kann ferner eine Unterrichtssequenz (z. B. Präsentationsvorbereitung, Hausaufgaben oder Tests) abschließen. Aufgaben, die Lernende alleine erledigen, können daher unterschiedlich komplex sein (vgl. Haß 2010: 267). Einzelarbeit ist zudem Bestandteil kooperativen Lernens, wenn individuelle Arbeitsergebnisse in ein 340 Dagmar Abendroth-Timmer Gruppenprojekt einfließen. Ferner ist sie Charakteristikum von offenen Ansätzen wie der Freiarbeit, dem Stationenlernen etc. und dient im Fall der Portfolio-Arbeit der individuellen Weiterentwicklung. 2. Historische Skizze Der Wechsel von lehrergesteuerten Methoden hin zum kommunikativen Unterricht führte zunächst zu einer Akzentuierung von Partner- und Gruppenarbeit. Kooperative Lernformen integrieren jedoch heutzutage Phasen der Einzelarbeit (vgl. Brüning & Saum 2010: 84). Bestrebungen zur Individualisierung begannen mit der Reformpädagogik und offenen Unterrichtsformen (vgl. Kunter & Trautwein 2013: 129). Erneut aufgegriffen wurde Individualisierung mit der Gesamtschulbewegung der 1970er Jahre (vgl. Wolff 2009: 4) und im Zuge der Lernerorientierung sowie inzwischen als bildungspolitische Forderung (vgl. Kunze 2010: 15). Die Erkenntnistheorien des Kognitivismus und des Konstruktivismus brachten die Vorstellung des Lernenden als Gestalter seiner Lernprozesse mit sich und liefern Argumente für Phasen der Einzelarbeit. Mit dem Aufkommen der Debatte um Menschenbilder entstand die Sichtweise, dass sowohl Individualität als auch Kollektivität gleichermaßen den Erkenntnis- und Lernprozess stützen (Kurtz 2003: 155). Komplexe Lernaufgaben liefern Ansätze hierfür. Die Lernenden erhalten die Möglichkeit, über Unterrichtsinhalte sowohl alleine als auch gemeinsam intensiv zu reflektieren und dadurch zu einem tieferen Verständnis zu gelangen. Nicht zuletzt wird empfohlen, die Wahl der Sozialform phasenweise den Lernenden selbst zu überlassen (vgl. Abendroth-Timmer, Frevel, Lüning & Vásquez 2014: 52), um individuelle Verstehens- und Konstruktionsprozesse in ihrem Verlauf zu begünstigen. 3. Forschungsstand Grundsätzlich ist die Forschungslage zur Einzelarbeit dünn. Eine skandinavische Studie von Carlgren, Klette, Mýrdal, Schnack & Simola (2006) und eine deutsche Vergleichsstudie von Wiechmann (2004) zeigen Veränderungen hin zur Individualisierung bei einem Rückgang von lehrerorientierten zugunsten von lerneraktivierenden Methoden. Die Einzelarbeit verzeichnet dabei in Deutschland einen in den letzten Jahrzehnten kaum veränderten Anteil von 9,8 % der Methoden (vgl. Wiechmann 2004: 321, 327). Einzelarbeit hat jedoch mitunter eine andere Qualität gewonnen, wenn Lernende nicht am gleichen (lehrwerkgestützten) Material, sondern nach eigenem Lernplan an unterschiedlichen Materialien arbeiten (vgl. Carlgren et al. 2006: 306). Dies mag bisweilen die Schriftlichkeit durch Arbeitsblätter mit genaueren Anweisungen erhöhen und den gemeinsamen Diskurs im Klassenraum schmälern (vgl. ebd.: 309). Zur Wirkung von Einzelarbeit wird im Zusammenhang mit kooperativem Lernen geforscht. Kooperatives Lernen ist demnach je nach Gestaltung rein individuellem Lernen bezogen auf Gruppenprodukte und individuelle Lernzuwächse überlegen (vgl. Hattie 2009: 94 f., 212-214; Lou, Abrami & d’Apollonia 2001: 476-480). Die Besonderheit liegt in der Kombination von Einzel- und Gruppenarbeitsphasen. Auf Grundlage einer vorbereitenden Einzelarbeit (vgl. Brüning & Saum 2010) kann eine positive Wirkung einer kooperativen Lernform durch die soziale Eingebundenheit bei gemeinsamem Argumentieren, Begründen und Verifizieren eintreten (vgl. Lou et al. 2001). Die Aufgabenbearbeitung kann in Einzelarbeit hingegen schneller erfolgen als in Gruppen (vgl. ebd.). Je nach Organisation der kooperativen Phasen (z. B. Lerntempoduett), ermöglicht Einzelarbeit den für jeden Lernenden optimalen 341 71. Einzelarbeit Zeitaufwand für eine Aufgabe, da die Lerngeschwindigkeit innerhalb einer Klasse deutlich divergieren kann (vgl. Brüning & Saum 2010: 87). Schließlich begünstigt eine äußere Strukturierung von Arbeitsschritten und Materialien die Einzelarbeit gerade in offenen Lernkontexten. Dies gilt umso mehr für Lernende mit geringen Vorkenntnissen im Lernbereich (vgl. Kunter & Trautwein 2013: 134-138). Hausaufgaben als Sonderform der Einzelarbeit sind schließlich effektiv, wenn es um das Einüben und Wiederholen geht, bergen jedoch die Gefahr falscher Routinen (vgl. Hattie 2009: 235). 4. Praxisrelevanz In der Einzelarbeit lassen sich die Lernenden auf den Lernstoff ein und haben Zeit, ihre Fragen und ihr Verständnis hierzu zu formulieren; sie sind auf ein späteres Unterrichtsgespräch vorbereitet (vgl. Breit 2007: 170 f.). In dem Maße wie Einzelarbeit mit dem Ziel der Individualisierung eingesetzt wird, variieren Aufgaben, Materialien und Ziele (vgl. Abendroth-Timmer et al. 2014). Diese können im Sinne kooperativen Lernens am Ende durchaus in ein gemeinsames Produkt eingehen. Einzelarbeit ist aber auch der Ort eigenständigen Vertiefens gleicher Aufgaben. Dies ist für die gemeinsame Weiterarbeit nützlich und hat für die Lehrkraft eine evaluative Funktion, wenn sie so feststellt, ob alle Lernenden den Lernbereich gleichermaßen erfasst haben. Bezüglich der sprachlichen Fertigkeitsbereiche sollte insbesondere sinnentnehmendes Lesen in Einzelarbeit erfolgen, da der Dekodierungsprozess dadurch fokussiert wird und im individuellen Rhythmus erfolgen kann. Eine Störung des Verarbeitungsprozesses durch lautes Vorlesen oder hörendes Mitlesen wird vermieden (vgl. Henseler & Surkamp 2010: 88). Der Prozess der Subvokalisierung, des inneren Mitlesens wird mit dem Ziel der Sinnentnahme ermöglicht. Gespeicherte Sprachmodelle (inneres Hören) werden aktiviert und die Planung einer eigenen Sprachproduktion wird angestoßen (vgl. Rohrer 1987: 93). Zudem ermöglicht es Einzelarbeit, Leseinteressen zu berücksichtigen. In Einzelarbeit können weiterhin die Aussprache sowie reproduktives Sprechen und Hörverstehen je nach Ausstattung computergestützt geübt werden. Für das Abfassen eigener schriftlicher Texte sind ebenfalls Stillarbeitsphasen und inneres Sprechen erforderlich (vgl. im Kontext der Erstsprache Deplazes 2006: 135, 143), die mit Planungsund/ oder Überarbeitungs- und Korrekturphasen in Partner- oder Gruppenarbeit zu verbinden sind. Einzelarbeit ist ferner einsetzbar für die konzentrierte Vorbereitung auf monologisches oder dialogisches Sprechen in Form von Vorträgen, Präsentationen, Diskussion oder Rollenspielen etc. Weiterhin ist sie der Ort für individuelle Gedächtnisleistungen wie beim Einüben von Wortschatz oder grammatikalischen Strukturen. Inneres Sprechen ist hier eine wichtige Gedächtnisstrategie (vgl. ebd.: 139-141). Dieses Einüben wird häufig in die Hausaufgaben verlagert, sollte aber anhand von Strategien gezielt angeleitet und begleitet werden. Aufgaben zur Einzelarbeit müssen, um störungsfrei und zielorientiert bearbeitet zu werden, besonders transparent sein und sind daher mit Scaffolding -Maßnahmen bzw. unterstützenden Materialien (Hinweisen zu Strategien, Wortschatz, Lösungen etc.) zu versehen. Zu diesem Zweck und angepasst an Ausdauer und Alter der Lernenden sind sie zeitlich zu begrenzen (vgl. Breit 2007: 171). Je nach Möglichkeiten stehen Hilfsmaterialien oder Ansprechpartner (peers, Lehrkraft) für Rückfragen und Korrekturen in einem anderen Raum oder einem abgetrennten Teil des Raums zur Verfügung. Für die Einforde- 342 Dagmar Abendroth-Timmer rung von Hilfen durch die Lernenden muss es ferner Regeln geben. Schließlich ist die Sicherung der Einzelarbeit durch den individuellen Austausch mit peers, der Lehrkraft oder durch Präsentationen in Gruppen und im Plenum sicherzustellen. 5. Perspektiven Insgesamt fördert Einzelarbeit die Bewusstmachung von Kompetenzen und die Verantwortung für eigenes Lernen. In kooperativen Lernszenarien entfaltet sie ihre Wirkung. Autonomie ist damit neben Interaktion konstitutiver Bestandteil des Lernprozesses. Literatur Abendroth-Timmer, D. / Frevel, C. / Lüning, M. / Vázquez, G. (2014): Ansätze zur differenzierenden Arbeit mit dem Lehrwerk, in: A. Grünewald / U. Krämer (Hrsg.): Vielfalt gestalten: Differenzierung im Spanischunterricht. Eine Selbststudieneinheit. Seelze, 43-76. Breit, G. (2007): Einzelarbeit, in: G. Breit / D. Eichner / S. Frech / K. Lach / P. Massing (Hrsg.): Methodentraining für den Politikunterricht II . Arbeitstechniken - Sozialformen - Unterrichtsphasen. Schwalbach, 169-173. Brüning, L. / Saum, T. (2010): Individuelle Förderung durch kooperatives Lernen, in: I. Kunze / C. Solzbacher (Hrsg.): Individuelle Förderung in der Sekundarstufe I und II . Baltmannsweiler, 83-90. Carlgren, I. / Klette, K. / Mýrdal, S. / Schnack, K. / Simola, H. (2006): Changes in Nordic teaching practices: From individualised teaching to the teaching of individuals. Scandinavian Journal of Educational Research 50/ 3, 301-326. www.tandfonline.com/ doi/ abs/ 10.1080/ 00313830600743357 Deplazes, A. (2006): Inneres Sprechen. Vom Handeln zum sprachlichen Denken. Fallanalysen. Bern u. a. Haß, F. (2010): Sozialformen. In: C. Surkamp (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Ansätze - Methoden - Grundbegriffe. Stuttgart, Weimar, 266-269. Hattie, J. (2009): Visible learning - a synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. London u. a. Henseler, R. / Surkamp, C. (2010): Lesen und Leseverstehen, in: W. Hallet / F. G. Königs (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber, 87-92. Huwendiek, V. (2004): Unterrichtsmethoden, in: G. Bovet / V. Huwendiek (Hrsg.): Leitfaden Schulpraxis. Pädagogik und Psychologie für den Lehrberuf. 4. komplett überarb. Aufl. Berlin, 68-103. Kunter, M. / Trautwein, U. (2013): Psychologie des Unterrichts. Paderborn. Kunze, I. (2010): Begründungen und Problembereiche individueller Förderung in der Schule - Vorüberlegungen zu einer empirischen Untersuchung, in: I. Kunze / C. Solzbacher (Hrsg.): Individuelle Förderung in der Sekundarstufe I und II . Baltmannsweiler, 13-25. Kurtz, J. (2003): Menschenbilder in der Theorie und Praxis des Fremdsprachenunterrichts: Konturen, Funktionen und Konsequenzen für das Lehren und Lernen. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 14/ 1, 149-167. Lou, Y. / Abrami, Ph. C. / d’Apollonia, S. (2001): Small group and individual learning with technology: a meta-analysis. Review of Educational Research 71/ 3, 449-521. http: / / rer. sagepub.com/ content/ 71/ 3/ 449 Rohrer, J. (1987): Inner speech. Implications for foreign language learning. Die Neueren Sprachen 86/ 2, 92-101. Scholz, I. (2007): Es ist normal, verschieden zu sein - Unterrichten in heterogenen Klassen, in: I. Scholz (Hrsg.): Der Spagat zwischen Fördern und Fordern: Unterrichten in heterogenen Klassen. Göttingen, 7-23. 343 72. Partner- und Gruppenarbeit Wiechmann, J. (2004): Das Methodenrepertoire von Lehrern - ein aktualisiertes Bild, in: M. Wosnitza / A. Frey / R. S. Jäger (Hrsg.): Lernprozess, Lernumgebung und Lerndiagnostik. Wissenschaftliche Beiträge zum Lernen im 21. Jahrhundert. Landau, 320-335. Wolff, M. (2009): Individualisierung und Differenzierung. Ihre Bedeutung für schwächere Lerner. Praxis Fremdsprachenunterricht 3, 4-8. Dagmar Abendroth-Timmer 72. Partner- und Gruppenarbeit 1. Begrifflichkeit Bei Partner- und Gruppenarbeit handelt es sich um Sozialformen, die darauf zielen, dass zwei (Partnerarbeit) oder mehrere Lernende (Gruppenarbeit) sprachlich und inhaltlich kooperativ arbeiten. Die kooperative Konstellation beider Formen begünstigt die Schüleraktivität im Unterricht und erhöht die zielsprachliche Sprechzeit der Lernenden. Zudem bieten Phasen der Partner- und Gruppenarbeit Gelegenheit, die Zielsprache nicht in einem exponierten Plenarszenario, sondern in eher persönlicheren Zusammenhängen zu nutzen (vgl. Grieser-Kindel, Henseler & Möller 2009: 9). Partner- und Gruppenarbeitsphasen können dabei sowohl sprachlich-formalen als auch inhaltlichkommunikativen Zielen dienen, die von der Reproduktion bis hin zur Produktion reichen; abhängig ist der jeweilige Fokus von der Aufgabenstellung sowie der Rollenverteilung. In Phasen der Partnerarbeit interagieren zwei Lernende (z. B. die Sitznachbarn) miteinander. Vorteile dieser Sozialform bestehen in der raschen Einsetzbarkeit, dem hohen Sprechanteil der Lernenden, der meist ausgewogenen Beteiligung und den herabgesetzten Sprechhemmungen. Gruppenarbeit ist dadurch gekennzeichnet, dass mehrere Lernende gemeinsam an einem bestimmten Themenbereich arbeiten (vgl. Schwerdtfeger 2001: 185), dies kann themengleich oder themenverschieden geschehen. Die ideale Gruppenstärke für Kleingruppen liegt zwischen 3 bis 5 Personen. Bei der Erteilung von Arbeitsaufträgen muss darauf geachtet werden, dass die Gruppenarbeit ein klares Ziel hat, dass allen Lernenden von Anfang an klar ist, was in der Gruppe geleistet werden soll und dass das Interesse zur Bearbeitung der Aufgabe aufrechterhalten wird. 2. Problemaufriss und Forschungsstand Die Potentiale von Partner- und Gruppenarbeit für das Fremdsprachenlernen sind mittels Annahmen der interactionist theory zu ergründen (vgl. Lightbown & Spada 1999: 42-45): Sprachlich transportierte Inhalte werden für Lernende als Input dadurch nachvollziehbar, dass Verstehbarkeit durch Modifikation des Inhalts innerhalb sprachlicher Interaktion erreicht werden kann. Dies geschieht nicht nur durch Vereinfachung des Inputs, sondern beinhaltet auch zusätzliche Ausführungen, Erklärungen, Gesten, Mimik, langsames Sprechen etc. (vgl. ebd.: 43). Für den Fremdsprachenerwerb sind (modifizierte) Interaktionen nicht nur mit Muttersprachlern, sondern auch mit sprachlichen Modellen im Unterricht (Lehrende) sowie gerade mit peers förderlich. In Partner- oder Gruppenarbeit liegen dabei sowohl die Initiierung, die Aufrechterhaltung als auch die zielführende Durchführung der Interaktion im Verantwortungsbereich der Lernenden. Dadurch wird nicht nur der Redeanteil der Lernenden erhöht, sondern auch die Bandbreite der verwendeten sprachlichen Strukturen (vgl. ebd.: 124). 344 Ivo Steininger Historisch zurückzuführen sind die Positionen der interactionist theory auf Forschungsergebnisse im Kontext der anglophonen Diskursanalysen seit Anfang der 1970er Jahre. Forschungsarbeiten, die sich auf die positiven Effekte von Partner- und Gruppenarbeit für das Fremdsprachenlernen konzentrierten, beschäftigten sich bspw. mit Lernersprache in Gruppenarbeiten (vgl. Long et al. 1976) oder mit Formen der Interaktion bei der kommunikativen Aushandlung von Meinungen und Standpunkten (vgl. Long & Porter 1985). Auf den Fremdsprachenunterricht wirkten Ergebnisse dahingehend, dass zunehmend die Konzentration auf eine normativ ausgerichtete Grammatikvermittlung einer Öffnung des Fremdsprachenunterrichts hin zu kommunikativen Lernzielen (vgl. Schwerdtfeger 2003: 207) wich. In diesem Zusammenhang sind lernerinitiierte und -durchgeführte Interaktionen in Partner- und Gruppenarbeitsszenarien zu zählen. Neuere Forschungen zielen u. a. auf diesen Bereich, indem Reflexions- und Lernprozesse von Fremdsprachenlernenden in Gruppenarbeitsszenarien untersucht werden (vgl. Hoffmann 2008), oder wie Lernende fremdsprachlich interagieren, welche Lernergebnisse sich aus aufgabenorientierten Interaktionen ableiten lassen und wie dabei die Rollen der Lehrenden und Lernenden verteilt sind (vgl. Eckerth 2003). 3. Praxisrelevanz In der Unterrichtspraxis sind neben der Maximierung der lerneranteiligen Redezeit im Fremdsprachenunterricht auch die kooperative Arbeitsweise und die damit verbundene Förderung allgemeiner bzw. sozialer Kompetenzen relevant. Partnerwie Gruppenarbeit kann dabei themengleich oder themenverschieden im Unterricht eingesetzt werden. Bei themengleichem Einsatz zielt die kooperative Arbeit auf Ko-Konstruktion: Lernende bringen unterschiedliche sprachliche, thematische und (inter-)kulturelle Konstruktionen ein und ergänzen sich so gegenseitig. Die ko-konstruierende kommunikative Auseinandersetzung in Partner- und Gruppenarbeit wird im Fremdsprachenunterricht auch als negotiation of meaning bezeichnet. Gemeint ist damit, dass Lernenden im Fremdsprachenunterricht die Gelegenheit gegeben wird, eigene Standpunkte, Meinungen und Absichten auszudrücken und auszutauschen, um dann bspw. eine themengleiche oder themenverschiedene Aufgabe zu bewältigen (vgl. Lightbown & Spada 1999: 122- 124). Damit die Potentiale des Arbeitens als Gruppe bzw. als Team für die thematische wie sprachliche Auseinandersetzung fruchtbar gemacht werden können, ist die im Unterricht durch die Lehrkraft oder die Gruppe definierte gemeinsame Aufgabe zentral. Diese Aufgabe sollte einen auf (modifizierter) Interaktion beruhenden zielsprachlichen Austausch befördern und beinhalten. Zu unterscheiden ist dabei zwischen sog. information gap oder opinion gap activities (vgl. Rixon 1979). Während Aufgabenformate, die ersterem zuzurechnen sind, den zusammentragenden Austausch von Informationen befördern, die auf unterschiedliche Art von verschiedenen Gruppenmitgliedern oder Partnern gewonnen und verarbeitet werden, regen die der opinion gap zuzuordnenden Aufgabenformate dazu an, den Aussagen und Standpunkten der Gruppenmitglieder oder Partner zu widersprechen, ihnen argumentativ zu begegnen und damit weniger Kooperation als Wettstreit mittels der Aufgabenstellung zu fördern (vgl. Rixon 2000: 253). Die Rolle der Lehrkraft in Partner- und Gruppenarbeit liegt vornehmlich darin, eine Arbeitsumgebung zu kreieren (classroom management ), die sprachliche (modifizierte) In- 345 72. Partner- und Gruppenarbeit teraktion zwischen den Partnern und Gruppenmitgliedern entlang gezielter Arbeitsaufträge initiiert. Dazu gehören organisatorische Aspekte (wer arbeitet mit wem an welchem Material für wie lange? ), inhaltliche (was gibt es herauszufinden/ mitzuteilen/ zu diskutieren? ) sowie sprachliche (welche grammatischen/ lexikalischen/ pragmatischen Anforderungen begegnen den Lernenden und wie können sie auf benötigte Strukturen zurückgreifen? ). Während der Gruppenarbeit beobachtet die Lehrkraft die Gruppen, gibt Tipps und hat die Möglichkeit, sich einzelnen Lernenden, die mehr Unterstützung benötigen, individuell zuzuwenden. Wichtig ist zudem, genügend Zeit für die Phase der Ergebnissicherung und Präsentation der Gruppen einzuplanen. Gruppenarbeit muss also intensiv vorbereitet und anschließend im Unterricht ausgewertet werden (vgl. Schwerdtfeger 2001). Die Arbeit in Gruppen ist dabei abhängig vom Alter der Lernenden, von den bereits erlebten Methoden und Formaten im Unterricht, aber auch von individuellen Vorlieben. Dies führt u. a. dazu, dass Lernende mehr oder weniger bereit bzw. in der Lage sind, selbstständig in Gruppen zu arbeiten. Daher müssen kooperative Arbeitsformen angeleitet und begleitet werden, wobei binnendifferenzierende Aspekte beachtet werden sollten, die die gezielte Zusammenstellung der Gruppen bzw. Partner nach Leistungsstand, Interessen, Arbeitstempo und Mentor betreffen (vgl. ebd.: 101-118). Nach Ziebell (2002: 66) lassen sich vier Phasen der Gruppenarbeit unterscheiden: Auf die Vorbereitungsphase folgt die Informationsphase, in der mittels Arbeitsaufträgen die Zieldimension vermittelt wird. Die Gruppen werden entweder von den Lernenden gewählt, zufällig oder durch die Lehrkraft kriteriengeleitet eingeteilt (vgl. Schwerdtfeger 2001: 100-104). In der Durchführung kann die Lehrkraft Unterstützung anbieten und die Gruppen beraten. Die Präsentation und Auswertung dient dazu, Ergebnisse zu vergleichen und zu sichern (vgl. ebd.: 154-159). Für die Lernenden bedingen elaborierte Formen der Partner- und Gruppenarbeit, dass sowohl die Initiierung, Aufrechterhaltung als auch der zielführende Abschluss der fremdsprachlichen Kommunikation in der Durchführung im eigenen Verantwortungsbereich liegen (können) (vgl. Breidenstein 2006: 138-173). Während diese Anforderungsbereiche in Gruppenarbeitsszenarien durchaus komplex ausfallen können und diese Komplexität durch entsprechende Planung zu reduzieren ist, sind Phasen der Partnerarbeit in Abhängigkeit zur methodisch-didaktischen Zielsetzung zumeist mit weniger planerischem und materialseitigem Aufwand einzubinden. Folgende Beispiele an Aktivitäten für den Fremdsprachenunterricht können als repräsentativ für die Bereiche information oder opinion gap sowie sprachlich-strukturelle Übungen gelten: 1) sprachlich-strukturelle Übungen - geleitete Minikonversation: Lernende üben mit Arbeitsblättern Grammatik und Wortschatz entlang vorgegebener Strukturen ein. Die Partner können dabei die jeweiligen Antworten mit vorgegebenen Lösungen vergleichen und korrigieren. - Automatisierung durch Übung: Sequenzen bestimmter Diskurstypen (sich vorstellen, einkaufen, bestellen, erfragen etc.) werden in Partner- oder Gruppenarbeit anhand eines Modells eingeübt. Vertiefend wird nach dem Modell ein eigener Text entworfen. 2) information gap - Partnerinteraktion: Die Lernenden arbeiten mit einem Partner, vergleichen Ergebnisse, tauschen Informationen aus bzw. erfragen fehlende Information. Z. B. müssen sich die Partner auf einen Tag einigen, an 346 Ivo Steininger dem sie eine bestimmte Unternehmung gemeinsam durchführen können. - Gruppenpuzzle: Die Lernenden arbeiten themenverschieden mit Materialien bzw. Texten, denen Information entnommen werden sollen. In der Gruppe werden die Ergebnisse verglichen. In einer Variante kann im ersten Schritt auch themengleich in Teams oder Gruppen gearbeitet werden (AAA, BBB, CCC), die sich dann in themenverschiedenen Gruppen austauschen (ABC, ABC, ABC). 3) opinion gap - Rollenspiel / Simulation: Den Lernenden wird ein bestimmter Standpunkt zugewiesen, der argumentativ vertreten werden muss. Dafür müssen Argumente vorbereitet und sprachlich transportiert werden. Literatur Breidenstein, G. (2006): Teilnahme am Unterricht: Ethnographische Studien zum Schülerjob. Wiesbaden. Eckerth, J. (2003): Fremdsprachenerwerb in aufgabenbasierten Interaktionen. Tübingen. Grieser-Kindel, C. / Henseler, R. / Möller, S. (2009): Method guide. Methoden für einen kooperativen und individualisierenden Englischunterricht in den Klassen 5-12. Braunschweig. Hoffmann, S. (2008): Selbstreflexion und Evaluierung von Fremdsprachenlernprozessen in der Projektarbeit. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 19/ 2, 209-246. Lightbown, P. M. / Spada, N. (1999): How languages are learned. Revised edition. Oxford. Long, M. H. / Adams, L. / Mclean, M. / Castanos, F., Hrsg. (1976): Doing things with words: verbal: On TESOL ’76. Washington, DC , 137-153. Long, M. / Porter, P. (1985): Group work, interlanguage talk and second language acquisition. TESOL Quarterly 19/ 1, 115-123. Rixon, S. (2000): Group work, in: M. Byram, (Hrsg.): Routledge encyclopedia of language teaching and learning. London, New York, 252- 251. Rixon, S. (1979): The information gap and the opinion gap. English Language Teaching Journal 33/ 2, 104-106. Schwerdtfeger, I. C. (2001): Gruppenarbeit und innere Differenzierung. Berlin, München. Schwerdtfeger, I. C.(2003): Gruppenunterricht und Partnerarbeit, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht, 4. Aufl., 206-208. Ziebell, B. (2002): Unterrichtsbeobachtung und Lehrerverhalten. Berlin, München. Ivo Steininger 73. Frontalunterricht 1. Begrifflichkeit Unter Frontalunterricht versteht man eine Sozialform des Lehrens und Lernens, bei der eine Lehrperson eine Lerngruppe als Einheit unterrichtet (vgl. Walter 2003: 251). Synonym mit Frontalunterricht werden oft weitere Termini verwendet: lehrerzentrierter Unterricht, direktes Unterrichten , instruktivistischer Unterricht, Klassen-, Lehrgangsunterricht - je nachdem, ob primär die Lehrerbzw. Lerner-Rolle, die Umsetzung des Lehrplans, die Sozialform, die Zusammensetzung der Lerngruppe oder die räumliche Situation gemeint ist. Haß (2010: 266) favorisiert aufgrund der terminologischen Unklarheiten den Begriff Plenarunterricht, da der Begriff Frontalunterricht rein auf die räumliche Konstellation im Unterrichtsraum fokussiere (vgl. Art. 70). Im Wesentlichen ist Frontalunterricht ein „zumeist thematisch orientierter und sprachlich vermittelter Unterricht, in 347 73. Frontalunterricht dem der Lernverband (die ,Klasse‘) gemeinsam unterrichtet wird und in dem die Lehrkraft - zumindest dem Anspruch nach - die Arbeits-, Interaktions- und Kommunikationsprozesse steuert und kontrolliert“ (Meyer 1987: 183). 2. Problemaufriss Der Frontalunterricht als jahrgangshomogener Klassenunterricht entstand aus der Kritik an der mittelalterlichen Schule mit Einzelunterricht. Er entwickelte sich Ende des 18. und im frühen 19. Jh. zu einem „fabrikmäßig rationalisierten Massenunterricht“ in „Industrieschulen“ (ebd.: 185 f.). Im 19. Jh. ermöglichte der Frontalunterricht die Einführung der allgemeinen Schulpflicht; neben der Vermittlung von Bildungsinhalten und Arbeitstugenden diente er jedoch auch der politischen Indoktrination bestimmter Vorstellungen und Ziele (vgl. Gudjons 2007: 11-19). Frontalunterricht bestimmt bis in die heutige Unterrichtspraxis zu einem wesentlichen Teil die Unterrichtszeit, obwohl er seit längerer Zeit regelmäßig, mitunter sehr einseitig in Form einer Entweder-Oder-Logik, in der Kritik steht. Folgende Argumente werden gegen den traditionellen Frontalunterricht aufgeführt (vgl. u. a. Haß 2010: 266; Hoffmann 2010: 165): • starke Lehrerzentriertheit und Zurückstellen eigener Stellungnahmen bei den Lernenden, • unidirektionale Weitergabe von Wissen ohne Rückmeldungen zum Verständnis des Lehrstoffs, • geringe Verarbeitungstiefe, • Risiko der passiven Übernahme und des schnellen Vergessens von vermitteltem Wissen, • Verhinderung von selbstständigem und selbstgesteuertem Lernen durch dominante und kleinschrittige Lenkung durch die Lehrperson, • ungenügende Berücksichtigung der individuellen Entwicklung einzelner Lernender, • Unterbindung fremdsprachlicher Kommunikation zwischen den Lernenden, • wenig Möglichkeiten zur Entwicklung von Sozialkompetenz. Der größte Nachteil der Sozialform Frontalunterricht besteht jedoch darin, dass er Lernenden kaum Möglichkeiten zur Entwicklung produktiver Fertigkeiten (freies Sprechen, Diskurskompetenz, argumentatives und freies Schreiben) gibt (vgl. Walter 2003: 253). Frontalunterricht ist daher im kommunikativen Fremdsprachenunterricht in Verruf geraten, weil er dazu führen kann, dass die Lernenden sehr passiv bleiben, mental schnell abschalten und lediglich rezeptiv Wissen aufnehmen, das meist rasch vergessen wird. Dennoch gibt es eine Reihe von Gründen, die für Frontalunterricht sprechen. So ist aus Lehrersicht eine planvolle, zeitlich und kognitiv strukturierte Vermittlung von Lernstoff zur Absicherung der Umsetzung der Lehrplanziele sowie eine effiziente Form der Darstellung von Zusammenhängen möglich; durch das hohe Maß an Planbarkeit entsteht Sicherheit für die Lehrkraft. Sie hat alle Lernenden gleichzeitig im Blick und kann für die Lernenden wichtige Unterrichtsrituale inszenieren. Weitere Vorteile werden von Thaler (2010: 6) für den Fremdsprachenunterricht aufgeführt: • Vorbildfunktion der Lehrperson: Verhalten, Sprache (Aussprache, Intonation), Methodik, • Sicherheit für Lernende durch Transparenz von Zielen und Erwartungen, • kontinuierlicher Aufbau einer Gesprächskultur, 348 Carmen Mendez • Ermöglichung direkter Rückkopplungen an die Lernenden, • Anwendung einer breiten Palette unterschiedlicher Lehrtechniken, • willkommene Entlastung für die Lernenden (innere Auszeit), • günstiges Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag in der Vorbereitung und Durchführung des Unterrichts. Auch die Lerntradition kann eine entscheidende Rolle spielen: In vielen Ländern stoßen kooperative Sozialformen wie Partner- und Gruppenarbeit auf wenig Akzeptanz und die Lernenden erwarten einen darbietenden Unterricht von der Lehrkraft. Zudem haben die Lehrenden im Rahmen der Lehrerbildung kaum andere Sozialformen bzw. den gezielten Einsatz anderer Sozialformen und damit verbundene Techniken kennengelernt. Nicht zu vergessen ist ein politisch-ökonomisch bedeutsamer Aspekt von Frontalunterricht: Er ist eine ökonomische Form der Unterweisung von großen Lernergruppen (vgl. Art. 77). In Bezug auf die Unterrichtsorganisation sind hier Partner- und Gruppenarbeit (vgl. Art. 72) schwerer zu realisieren. Auch der Einsatz neuer Medien wie der „interaktiven“ Whiteboards im Klassenzimmer ist keine Garantie für einen interaktiven Fremdsprachenunterricht, er kann sogar den Anteil von Frontalunterricht vergrößern, wenn die interaktive Tafel das Medium der Lehrkraft bleibt. 3. Forschungsstand Trotz der dominanten Stellung des Frontalunterrichts in der Schule ist diese Sozialform relativ wenig erforscht worden (vgl. Art. 70) bzw. unterschiedliche Ergebnisse müssen auf ungelöste forschungsmethodologische Probleme zurückgeführt werden. Thaler (2010: 5 f.) verweist auf einzelne Befunde, wonach sich ein lehrerzentrierter Frontalunterricht aus fachlicher Perspektive als effektiver als offenere Ansätze gezeigt hat, weil insbesondere leistungsschwächere Lernende von einer klaren Unterrichtsstruktur, eindeutigen Maßstäben und effizienter Zeitverwendung profitieren. O’Neill (1991) stellte im Englischunterricht die Überlegenheit von teacher-centred classrooms dem plausible myth of learner-centredness gegenüber, zeigt jedoch auch, dass der traditionelle Unterricht in den Einstellungen und Persönlichkeitsvariablen (Initiative, Problemlösen, soziales Verhalten, Lerneinstellungen, Verhalten zur Lehrperson) schlechtere Werte erzielte (vgl. Thaler 2010: 6). 4. Praxisrelevanz Schwerdtfeger (2001: 13 ff.) empfiehlt eine differenzierende Sichtweise auf Frontalunterricht. Meyer und Meyer (1997) erweitern den Begriff und zählen Präsentationen einzelner Lernender, Referate und Vorträge, aber auch Rollenspiele oder das Anschauen von Filmen in der Großgruppe dazu. Thaler (2010: 6 ff.) plädiert für ein Balanced Teaching, d. h. die Wahl der „angemessenen Methode bzw. den passenden Mix aus Lernarrangements“ in Abhängigkeit von den Voraussetzungen und Zielen. Für ein Gelingen des Frontalunterrichts sind Mattes (2002: 75) zufolge die folgenden Aspekte zu beachten: • Setzen von Zeitlimits für rein frontale Phasen und Beenden dieser Phasen bei nachlassender Aufmerksamkeit der Lernenden, • Einräumen von ausreichend Wartezeit bei Fragen und Impulsen, • Sammeln mehrerer Antworten und Ermuntern / Aufrufen passiver Lernender, • ansprechende Visualisierung des Unterrichtsstoffes, • Aufbrechen frontaler Phasen durch Interaktionen mit und zwischen den Lernenden. 349 73. Frontalunterricht Frontalunterricht sollte immer wieder durch Aktivitäten der Lernenden angereichert und damit in seiner tendenziellen Monotonie aufgebrochen werden. Gudjons (2008: 8) entwirft hierfür das Konzept des „integrierten Frontalunterrichts“ , der in „Unterrichtsformen integriert ist, die Eigentätigkeit, Selbstverantwortung, Selbststeuerung und Kooperation der Lernenden fördern“ und der „im Rahmen dieser Integration als wichtige Phase eigenständige didaktische Funktionen nachweisen kann“. Reformpädagogischen Schulen gelingt eine Veränderung der frontalen Unterrichtskultur u. a. mit einer veränderten Raumregie. Dabei findet z. B. ein Wechsel zwischen frontalem Kreisgespräch (Stuhlkreis in der Raummitte) und einem Lernen in Gruppen an Tischen dauerhaft als institutionalisierter Grundstruktur und „Kulturtechnik“ des Unterrichts statt (John et al. 2008: 24). Alle Organisations-, Handlungs- und Sozialformen des Unterrichts sind auf diese Grundstruktur ausgerichtet. Der Unterricht beginnt in ritualisierter Form als gemeinsames Gespräch, aus dem heraus sich alle weiteren Lernschritte entwickeln. Mündliche Phasen finden im Kreis, schriftliche Arbeiten an den Gruppentischen statt. Die klare räumliche Trennung der Phasen erzwingt die von Gudjons für einen integrierten Frontalunterricht eingeforderte Methodenvielfalt und ist auch in einem traditionellen Klassenraum realisierbar. Zu den Arbeitsformen, die sich für einen integrierten Frontalunterricht eignen, gehören u. a. • die Zielorientierung bzw. Themeneinführung, • das Unterrichtsgespräch, • Referate, • die Präsentation von Hörtexten und Filmen, • Diskussion, • Chorlesen, • Chorsprechen, • Murmellesen und • von der Lehrkraft angeleitete Sprachspiele. Hoffmann (2010: 164) ergänzt noch die Aktivitäten • Vorsprechen-/ Nachsprechen-Lassen, • lautes Lesen und • Diktate. Frontalunterricht kann u. a. dadurch aufgelockert werden, dass die Lehrkraft bei ihren Erklärungen Medien zur Veranschaulichung einsetzt, Rückfragen an die Lerngruppe stellt (fragend-entwickelnder Unterricht) oder wenn einzelne Lernende z. B. im Rahmen der alternativen Lehrmethode „Lernen durch Lehren“ Präsentationen übernehmen. Beispiele für abwechslungsreichen Frontalunterricht und wechselnde Interaktionsformen im Fremdsprachenunterricht finden sich in Mendez (2010). Ein solches Verständnis von Frontalunterricht kann zu einer größeren Methodenvielfalt beitragen, die auch die Erhöhung des Anteils mündlicher Arbeitsphasen und des Sprechanteils der Lernenden, die Integration von selbständiger Lernertätigkeit sowie Binnendifferenzierung und Individualisierung (vgl. Art. 76) anstreben. Literatur Gudjons, H. (2007): Frontalunterricht - neu entdeckt. Integration in offene Unterrichtsformen. Bad Heilbrunn. Gudjons, H. (2008): Vor der Klasse stehen. Raumregie und Körpersprache. Pädagogik 11/ 2008, 6-11. Haß, F. (2010): Sozialformen, in: C. Surkamp (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart, Weimar, 266-269. Hoffmann, S. (2010): Sozialformen, in: W. Hallet / F. G. Königs (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber, 164-168. 350 Michael Legutke John, G. / Frommer, H. / Fauser, P., Hrsg. (2008): Ein neuer Jenaplan. Befreiung zum Lernen. Die Jenaplan-Schule 1991-2007. Seelze- Velber. Mattes, W. (2002): Methoden für den Unterricht. 75 kompakte Übersichten für Lehrende und Lernende. Paderborn. Mendez, C. (2010): Frontal (nur! ) im Kreis. „Integrierter Frontalunterricht“ zwischen Offenheit und Geschlossenheit. PRAXIS Fremdsprachenunterricht 1/ 2010, 10-14. Meyer, H. (1987): Unterrichtsmethoden II : Praxisband. Berlin. Meyer, H. / Meyer, M. A. (1997): Lob des Frontalunterrichts. Argumente und Anregungen, in: M. A. Meyer / U. Rampillon, / G. Otto / E. Terhart (Hrsg.): Friedrich Jahresheft 15, 34-37. O’Neill, R. (1991): The plausible myth of lernercentredness: or the importance of doing ordinary things well. ELT Journal 4, 293-304. Schwerdtfeger, I. C. (2001): Gruppenarbeit und innere Differenzierung. Berlin u. a. Thaler, E. (2010): Balanced Teaching. Fremdsprachenunterricht zwischen Offenheit und Geschlossenheit. PRAXIS Fremdsprachenunterricht 1/ 2010, 5-9. Walter, G. (2003): Frontalunterricht, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Aufl. Tübingen, Basel, 251-254. Carmen Mendez 74. Projektunterricht 1. Begriffsbestimmung und Traditionslinien Projektunterricht bezeichnet eine offene, themenzentrierte Unterrichtsform, die ein hohes Maß an Mitbestimmung der Lernenden erlaubt. Themen- und Problemkonkretisierung sowie die Planung der einzelnen Aktionsphasen resultieren aus einem Aushandlungsprozess, der sowohl Raum für die Entfaltung von Lernerinteressen als auch für die pädagogisch-fachdidaktisch begründeten Vorschläge der Lehrkraft lässt. Ein gemeinsam entwickelter Projektplan zur Bearbeitung des Themas/ der Problemstellung gibt der Lerngruppe die Orientierung, kann jedoch als Resultat der Reflexionsphasen modifiziert werden. Projektunterricht ist durch eine Balance von Prozess- und Produktorientierung charakterisiert: Themen und Sachverhalte werden forschend, arbeitsteilig und oftmals interdisziplinär vernetzt bearbeitet; Erkenntnisse und Produkte werden präsentiert und gemeinsam evaluiert. Das Bemühen der Erziehungswissenschaft um den Projektunterricht beginnt im Rahmen der Reformphase der 1980er Jahre. Projektunterricht wurde als Beitrag zur Demokratisierung von Schule begriffen und sollte zur Überwindung historisch verfestigter Trennungen von Schule und Leben beitragen. Seine philosophisch-pädagogischen Wurzeln, die Betonung handelnden und forschenden Lernens, reichen in den amerikanischen Pragmatismus, v. a. zu den Arbeiten von Dewey und Kilpatrick und in die Reformpädagogik zurück (Bastian et al. 2009; Gudjons 2014). Während Projektunterricht lange als randständige Unterrichtsform galt, erfuhr er im Kontext der gesellschaftlichen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte eine Aufwertung. Der Projektunterricht als selbstbestimmte, erfahrungsbasierte und fächerübergreifende Unterrichtsform wird als Möglichkeit verstanden, Schlüsselqualifikationen der Lernenden wie Teamfähigkeit, Flexibilität und selbstständige Problemlösungskompetenz zu entwickeln (Hoffmann & Schart 2008). Ferner legt die Verbreitung der digitalen Medien eine Neukonzeption der Unterrichtformen nahe: das Arbeiten in Projekten zur Nutzung der neuen Möglichkeiten erscheint eher geeignet als ein von der Lehr- 351 74. Projektunterricht person zentral gesteuerter Lehrgang. Wegen der im Projektunterricht notwendigen Arbeitsteilung müssen die Lernenden nicht nur Planungsaufgaben bewältigen, sondern auch Lehrfunktionen übernehmen. 2. Projekte im Fremdsprachenunterricht Für das Lehren und Lernen fremder Sprachen gewinnt der Projektunterricht mit der kommunikativen Wende der 1980er Jahre an Bedeutung (vgl. Art. 67). Der Projektunterricht stellt nach Auffassung der kommunikativen Didaktik Handlungsräume bereit, welche die Realisierung „kommunikativer Ernstfälle“ eher ermöglicht als andere Unterrichtsformen (Legutke 1988). Als Beispiel für fremdsprachlichen Projektunterricht gilt das Airport-Projekt, bei dem Lernende einer 6. Gesamtschulklasse ihre fremdsprachliche Kompetenz auf einem internationalen Flughafen testen (Legutke 2006). Der „Ernstfall“ , nämlich das Durchführen von Interviews in englischer Sprache, wurde durch gezieltes Üben der sprachlichen, sozialen und medialen Fertigkeiten der Lernenden vorbereitet. Die von Kleingruppen gesammelten Interviewdaten bildeten die Grundlage der Spracharbeit im Regelunterricht und führten zur Produktion, Präsentation und Bewertung unterschiedlicher Lernertexte (Berichte, Portraits). Richtungsweisend für das Lernen in „Ernstfällen“ waren ferner die Arbeiten zur Klassenkorrespondenz, welche die Freinet- Pädagogik für die Fremdsprachendidaktik erschlossen: Kernstück ist der briefliche Kontakt mit Sprechern der Zielsprache (Dietrich 1979). Seit dieser Pionierzeit hat Projektunterricht Eingang in die fachdidaktische Diskussion gefunden. Zahlreiche Berichte belegen, dass er trotz des hohen Anspruchs auch mit Anfängern zu realisieren ist (u. a. Legutke 2003; Legutke & Thomas 1999; Minuth 2012; Wicke 2004). Projektunterricht kommt verstärkt zum Einsatz bei der Integration außerschulischer Lernorte (Rymarczyk 2013) und in der Telecollaboration (O’Dowd 2007). Die Berichte dokumentieren vielfach positive Erfahrungen, hohe Motivation der Lernenden und sprachliche Erträge, ohne allerdings Lernprozesse im Klassenzimmer systematisch zu analysieren. Die Berichte zeigen ferner, dass eine kohärente Theorie des Projektunterrichts noch fehlt und dass der Projektbegriff häufig inflationär gebraucht wird, sein Inhalt und Umfang vielfach vage bleiben (Schart 2003: 214-235). 3. Projekttypen und Aktionsphasen Eine Systematisierung des Projektunterrichts kann über die Quellen erfolgen, aus denen Projekte schöpfen, auch wenn die Kategorien für Projekttypen nicht trennscharf sind (Legutke & Thomas 1999): Projekte lassen sich auf einen Kontinuum von reinen Textprojekten bis zu komplexen Begegnungsprojekten anordnen. Erstere bearbeiten Textensembles im Klassenzimmer und an nichtschulischen Lernorten (vgl. Rymarczyk 2013; Schmidt 2009), letztere suchen direkte Begegnungen mit Sprechern der Zielsprache in der unmittelbaren Umgebung, wie im Airport-Projekt, sowie im Rahmen von Klassenfahrten und Austauschprogrammen. Zwischen diesen Polen lässt sich ein Spektrum medial vermittelter Begegnungen mit klassischer und digital gestützter Korrespondenz platzieren. Korrespondenzprojekte sind für beginnende wie fortgeschrittene Fremdsprachenlernende dokumentiert (Rau 2009; O’Dowd 2007). Konzepte der Aufgabenorientierung (Art. 68) bieten eine weitere Möglichkeit, den Projektunterricht zu systematisieren, denn Projekte realisieren sich in einer Vernetzung von Übungen und Lernaufgaben, die auf komplexe Zielaufgaben zuführen. Die Anforderungen der Zielaufgaben strukturieren die 352 Michael Legutke Aktions- und Lernphasen, die durchlaufen werden müssen, damit die Anforderungen bewältigt werden können. Das Airport-Projekt ist durch zwei Zielaufgaben strukturiert, nämlich die Durchführung der Interviews in englischer Sprache durch Schülergruppen sowie die Produktion und Präsentation der Lernertexte. Solche Zielaufgaben (die Produktion eines englischen Schul-Podcasts, die Transformation eines Romankapitels in ein Filmskript) sind ein bestimmendes Merkmal von Projektunterricht. Schließlich folgen die einzelnen Aktionsphasen einem Ablaufschema, das cum grano salis alle Projekte auszeichnet (Frey 2012; Legutke & Thomas 1999: 169- 181): Projekte beginnen mit einer Projektidee. Diese wird in einer Phase der Themenfindung konkretisiert und mündet in einen Projektplan. Dieser bildet den Rahmen, aus dem durch Lernerinitiativen und Lehrerinterventionen aufgabengesteuerte Lernphasen hervorgehen, die die Lernenden zur Bewältigung der Zielaufgaben befähigen. Verschiedene Formen der Präsentation sowie deren Vorbereitung gehören ebenso zum Projektprozess wie metakommunikative Phasen, die sich auf die bearbeiteten oder zu bearbeitenden Inhalte, die Sprache und das Lernen beziehen. Prozess- und Produktevaluation thematisieren das Erreichte sowie die Behandlung sprachlicher und inhaltlicher Defizite und die Planung möglicher Folgeprojekte. Die von den Lernenden im Projektunterricht hergestellten Texte erhalten eine besondere Funktion, denn mit ihnen teilen die Lernenden ihre Sicht der Welt anderen mit und testen zugleich die Grenzen und Möglichkeiten ihrer sprachlichen Leistungsfähigkeit. Im Projektunterricht wird das Klassenzimmer zur Textwerkstatt oder im Sinne Freinets zum Atelier. 4. Brennpunkte und Perspektiven Obwohl der Projektunterricht seit der kommunikativen Wende kontinuierlich Beachtung findet, ist bis heute kaum erforscht, wie er genau in der Praxis funktioniert und welche Erträge er tatsächlich liefert. Weder sind Grenzen und Möglichkeiten der Realisierung von Projektunterricht im Kontext etablierter Lehr-/ Lernstrukturen genauer untersucht, noch strukturelle Herausforderungen analysiert, die in den Projektberichten eher nur am Rande ins Blickfeld treten. Nicht untersucht ist, wie Lernende im fremdsprachlichen Unterricht selbst und in Vernetzung mit den anderen Fächern Projektkompetenz (lernstrategische, soziale, organisatorische, textproduktive, mediale und didaktische Fertigkeiten) erwerben. Ferner müsste die Studie zum subjektiven Verständnis des Projektunterrichts bei Lehrenden (Schart 2003) durch auf konkrete Projektprozesse bezogene Untersuchungen zur Projektkompetenz der Lehrenden ergänzt werden. Sollen Projekte stärker im Schulalltag verankert werden, bedarf es Projektmaterialien, die in Form zielgruppenadäquater Szenarien ein flexibles Angebot von Themen und Texten in vielfältigen Textsorten mit fertigkeitsbezogenen Übungen und kommunikativen Aufgaben verknüpfen und dabei die Möglichkeiten multi-medialer Lernumgebungen und sozialer Netzwerke nutzen. Bis heute liegen nur wenige Erkenntnisse zur Erfassung und Bewertung der Erträge des Projektunterrichts vor (Hoffmann 2008). Weitere Arbeiten sind nötig, die auf die Bereiche Inhalte, Fertigkeiten sowie das fremdsprachliche Wissen und Können zu fokussieren wären (Hoffmann & Schart 2008: 35). Eine verengte Rezeption des Projektunterrichts hat schließlich zu unproduktiven Dichotomien in der Diskussion geführt, die seine Akzeptanz erschweren: offene Schule vs. Unterrichtsschule, Lernerzentrierung vs. 353 74. Projektunterricht Lehrerzentrierung. Eine Aufgabe der Zukunft wird es sein, auf der Basis der Projektberichte und erster Studien ein Forschungsprogramm zu entwerfen, das untersucht, wie sich Öffnung und Steuerung, Lernerorientierung und Themen-/ Sachbezug ergänzen, in welcher Weise selbstbestimmte, explorative Gruppenarbeit und klassische Formen der Wissensvermittlung den Fremdsprachenerwerb voranbringen. Literatur Bastian, J. / Gudjons, H. / Schnack, J. / Speth, M., Hrsg. ( 3 2009): Theorie des Projektunterrichts. Hamburg. Dietrich, I. (1979): Freinetpädagogik im Fremdsprachenunterricht. Englisch-Amerikanische Studien 1, 542-563. Edelhoff, C. / Liebau, E., Hrsg. (1988): Über die Grenze. Praktisches Lernen im fremdsprachlichen Unterricht. Weinheim/ Basel. Frey, K. ( 12 2012): Die Projektmethode. Der Weg zum bildenden Tun. Weinheim. Gudjons, H. ( 8 2014): Handlungsorientiert lehren und lernen. Schüleraktivierung - Selbsttätigkeit - Projektarbeit. Bad Heilbrunn. Hoffmann, S. (2008): Fremdsprachenlernprozesse in der Projektarbeit. Tübingen. Hoffmann S. / Schart, M. (2008): Unbestimmtheit als Potenzial. Projektorientiertes Lehren und Lernen. Fremdsprache Deutsch 38, 29-35. Legutke, M. (1988): Lebendiger Englischunterricht. Kommunikative Aufgaben und Projekte für schüleraktiven Fremdsprachenunterricht, Bochum. Legutke, M (2003): Deutsch lernen in Projekten: Eine kritische Bestandsaufnahme. Neue Beiträge zur Germanistik. Internationale Ausgabe der Doitsu Bungaku. Zeitschrift der Japanischen Gesellschaft für Germanistik 2, H.3/ 113, 115-132. Legutke, M. (2006): Projekt Airport - revisited. Von der Aufgabe zum Szenario, in: A. Küppers / J. Quetz (Hrsg.): Motivation revisited. Festschrift für Gert Solmecke . Berlin, 71-80. Legutke, M. / Thomas, H. ( 4 1999): Process and experience in the language classroom. Harlow. Minuth, C. (2012): Fremdsprachenlernen in Projekten. Entdecken, kommunizieren, verstehen, gestalten. Bad Heilbrunn. O’Dowd, R., Hrsg. (2007): Online intercultural exchange. An introduction to foreign language teachers. Clevedon. Rau, N. (2009): A teddy bear project - Ein Klassenkorrespondenzprojekt im Fremdsprachenunterricht der Grundschule. Forum Sprache 1, 88-108 (online). Rymarczyk, J., Hrsg. (2013): Foreign language learning outside school. Places to see, learn, and enjoy. Frankfurt a. M. Schart, M. (2003): Projektunterricht - subjektiv betrachtet. Eine qualitative Studie mit Lehrenden für Deutsch als Fremdsprache. Baltmannsweiler. Schmidt, T. (2009): Mündliche Lernertexte auf der 2.0-Bühne - Mediale Inszenierungen im Englischunterricht am Beispiel eines Schulpodcast-Projekts. Forum Sprache 1, 24-43 (online). Wicke, R (2004): Aktiv und kreativ lernen. Projektorientierte Spracharbeit im Unterricht. Ismaning. Michael Legutke 354 Manfred Schewe 75. Dramapädagogische Ansätze 1. Einführung und begriffliche Klärung Der Begriff ,dramapädagogisch‘ wurde in Deutschland erstmalig 1988 in der Zeitschrift „Informationen Deutsch als Fremdsprache“ verwendet (vgl. Ausgabe 4 mit dem Themenschwerpunkt „Theater“ ). Inzwischen ist er im Bereich Fremdsprachen zu einem gängigen Fachbegriff avanciert, der sich speziell auf die mit Drama in Education assoziierte pädagogische Theorie und Praxis und, in einem weiteren Sinne, auf die Theorie und Praxis aller spiel- und theaterorientierten Formen des Lehrens und Lernens bezieht. Während es spiel- und theaterorientierte Ansätze im Bereich Erziehung schon seit jeher gibt, lässt sich von Dramapädagogik erst seit dem Beginn des 20. Jhs. sprechen, als in der britischen New Education-Bewegung immer häufiger das Wort drama verwendet wurde, um handlungsorientierte Formen des Lehrens und Lernens bzw. auch Formen einer reflektierten Spielpraxis zu kennzeichnen. Seitdem die Pioniere der Dramapädagogik durch ihre inspirierende Praxis - und in Einzelfällen auch mit ihren Schriften (vgl. Finlay-Johnson 1911) - reformerische Impulse gaben, haben verschiedene Generationen engagierter Pädagoginnen und Pädagogen in oft auch kontroversen Auseinandersetzungen an ihrer Weiterentwicklung mitgewirkt. Im Laufe der Jahrzehnte haben sie an Hochschulen die Etablierung von Dramapädagogik als einer erziehungswissenschaftlichen Teildisziplin sowie die Einführung von Drama als Schulfach und als Vermittlungsmethode im Fachunterricht vorangetrieben, wobei Gavin Bolton aufgrund seiner wegweisenden Publikationen zur Theoriebildung, Fachgeschichte oder auch zur von ihm angestrebten Zentralstellung von Drama im Schulcurriculum (1984) besondere Erwähnung verdient. 2. Dramapädagogik und Erstsprachenunterricht Welches Potenzial dramapädagogische Arbeitsweisen im Bereich Sprachvermittlung haben, wurde zunehmend in den 1980er Jahren thematisiert, zunächst v. a. in Forschungsprojekten, die im Erstsprachenunterricht durchgeführt wurden. Zunehmend wurde erkannt, dass in fiktiven Kontexten einzigartige Sprachlernerfahrungen ermöglicht werden können. Booth (1987: 5) z. B. spricht von „true language experience “ im dramapädagogisch gestalteten Unterricht, denn im Verlaufe von szenischen Improvisationen befänden Lernende sich in einer Hier- und Jetzt-Dynamik, in der es immer wieder um die Erzeugung und Vermittlung von (sprachlicher) Bedeutung gehe. Jederzeit könne es im Spielverlauf auch einen Moment geben, an dem eine Reflexion über das Handeln - und damit sprachliche Verständigung auf abstrakterer Ebene - möglich werde. Wagner (1998) hat erstmalig systematischer zusammengestellt, in welchen Sprachbereichen Lernprozesse dramapädagogisch initiiert und intensiviert und wie effektiv dabei bestimmte Sprachlernziele erreicht werden können; in ihrem Forschungsüberblick wird auch der Fremdsprachenunterricht kurz gestreift. 3. Dramapädagogik und Fremdsprachenunterricht Erste Impulse für den Einsatz dramapädagogischer Arbeitsformen im Fremdsprachenunterricht gingen zwar auch von Großbritannien aus (z. B. Maley & Duff 1985), doch geschah der Brückenbau zwischen der Dramapädagogik und Fremdsprachendidaktik und damit eine Systematisierung und Konzeptualisierung des neuen Praxis- und Forschungsfeldes in den 1990er Jahren und 355 75. Dramapädagogische Ansätze in der ersten Dekade des 21. Jhs. weitgehend außerhalb Großbritanniens. So fungierte Schewe als Vermittler zwischen den genannten Disziplinen bzw. auch als interkultureller Mittler, indem er mit seiner umfangreichen Studie „Fremdsprache inszenieren“ (1993) Lehrende und Forschende in deutschsprachigen Ländern auf die vielfältigen Möglichkeiten einer von der britischen Dramapädagogik inspirierten Fremdsprachenpraxis aufmerksam machte und in seinem Aktionsforschungsprojekt aufzeigte, dass eine dramapädagogische Gestaltung von Fremdsprachenunterricht grundsätzlich in allen Teilbereichen des Fremdsprachenunterrichts möglich ist. In den Folgejahren kam es in den verschiedenen Fachdidaktiken zu einer weiteren Ausdifferenzierung des neuen Feldes durch Studien, die sich auf bestimmte theoretische Quellen stützten, um innovative pädagogische Konzepte zu entwickeln (in der Romanistik etwa Dufeus (2003) Sprachpsychodramaturgie) und/ oder sich auf bestimmte Teilbereiche konzentrierten (im Fach Deutsch als Fremdsprache z. B. Evens (2003) „Drama-Grammatik“ ; im Fach Italienisch z. B. Marini-Maio & Ryan-Scheutz’ (2010) Evaluation von Lernprozessen bei der Inszenierung von Theaterstücken; in der Anglistik z. B. Kesslers (2008) Vorüberlegungen zu einer interkulturellen Dramapädagogik). Im Jahre 2007 wurde die bilinguale (deutschenglische) Fachzeitschrift Scenario mit dem Schwerpunkt Drama und Theater in der Fremd- und Zweitsprachenvermittlung gegründet. Damit wurde in diesem Bereich ein internationales Forum geschaffen, in dem seither eine lebendige Fachdiskussion stattfindet und punktuell auch Bestandsaufnahmen (vgl. die Ausgaben 1/ 2007; 1/ 2012; 1/ 2013) vorgenommen werden, was neuere Entwicklungen in diesem Praxis- und Forschungsfeld angeht. 4. Dramapädagogische Ansätze: Performative Klein- und Großformen Inzwischen gibt es in Deutschland und zusehends auch in anderen Ländern eine beachtliche Bandbreite dramapädagogischer Ansätze in der Sprach-, Literatur- und Kulturvermittlung für verschiedene Sprachniveaus und Zielgruppen (in der genannten Fachzeitschrift finden sich zahlreiche Beispiele). Zur besseren Orientierung bietet es sich dabei an, zwischen performativen Kleinformen und performativen Großformen zu unterscheiden, wobei die Grenze zwischen diesen Formen allerdings fließend ist; denn was im Rahmen einer Unterrichtsstunde oder -einheit in kleinem Format entsteht, kann zu einem größeren Projekt werden (etwa in eine Theateraufführung vor öffentlichem Publikum münden); und auch in umgekehrter Richtung ist Bewegung möglich, denn was großformatig erfahren wurde, kann im Unterricht dramapädagogisch nachbereitet bzw. vertieft werden. Elis (2015) liefert kleinformatige Beispiele, indem sie zeigt, wie z. B. dramapädagogische Mittel wie Standbild, Pantomime, Linienimprovisation etc. im Sprachunterricht effektiv eingesetzt werden können, um Lernzuwachs in den Bereichen Wortschatz, Grammatik, Aussprache, Hör- und Sehverstehen, Sprechen, Lesen und Schreiben zu erreichen. Um eine komplexe performative Kleinform handelt es sich bei dem für die Dramapädagogik charakteristischen Process Drama- Ansatz. Zugrunde liegt ein Verständnis von Unterricht als gestaltete Improvisation. Die Lehrperson bzw. auch die Lernenden in ihren wechselnden Funktionen als Agierende, Regieführende, kreativ Schreibende bzw. auch Zuschauende reagieren auf Impulse, die - im Rahmen eines fiktiven Kontextes - improvisierendes Handeln in Gang setzen. Dabei entstehen im Laufe des Unterrichtsprozesses immer wieder - ästhetisch durchaus an- 356 Manfred Schewe spruchsvolle - Produkte in Form sinnlich erfahrbarer Gestaltungen (etwa ein Standbild oder eine pantomimische Darstellung). Während die Lernenden diese vorbereiten, präsentieren und miteinander auswerten, handeln sie verbal und nonverbal in intensiver Weise. Anzumerken ist, dass eine improvisierende Gestaltung von Unterricht am ehesten gelingt, wenn die Lehrperson in der Ausund/ oder Fortbildung entsprechende Erfahrungen gemacht hat und sich mit dramatischen Kunstformen (primär Theater, aber auch Literatur/ Erzählkunst, Film etc.) und deren Potenzial für den Bereich (Fremdsprachen-)Pädagogik intensiv auseinandergesetzt hat. Denn Gestalten-Können setzt voraus, dass die Lehrperson über Gestaltungsmittel verfügt und im Laufe von Selbsterfahrungen auch künstlerisches Gespür entwickelt hat. Eine hilfreiche Einführung in Bezug auf den Einsatz von Process Drama im Fremdsprachenunterricht findet sich bei Kao und O’Neill (1998) (zum Einsatz von Process Drama in Italienischkursen für australische Studierende und in Englischkursen für japanische Studierende vgl. z. B. die Scenario-Ausgabe 1/ 2014). Als klassische performative Großform gilt die Theateraufführung in der jeweiligen Fremdsprache. In der Regel basiert sie auf einer literarischen Vorlage, aber es gibt zunehmend auch Projekte, in denen die Teilnehmenden im Laufe von Improvisationsarbeit - und in damit verbundenen kreativen Schreibübungen - eigene Stücke erarbeiten und öffentlich zur Aufführung bringen. Welche Lernprozesse bei der Mitarbeit an solchen Theaterprojekten gemacht werden, thematisieren z. B. Marini-Maio & Ryan- Scheutz (2010). Aufgrund des großen Zeit- und teils auch beträchtlichen logistischen Aufwands gehören weiterhin zu den Großformen: theaterpädagogische Workshops, die von Theatern speziell für Sprachlernende angeboten werden, Theatre in Education-Projekte, die meist mit der Aufführung eines von (semi-)professionellen teacher-actors speziell entwickelten Stückes verbunden sind sowie Improtheaterprojekte, performativ ausgerichtete PASCH-Projekte und Sprachcamps oder auch dramatische Kulturtransferprojekte (vgl. die detailliertere Darstellung dieser Formen in Schewe 2015). 5. Perspektiven Wurde die Dramapädagogik bis in die 1990er Jahre noch mit alternativen Methoden in Verbindung gebracht, hat sie inzwischen den Weg zu einer neuen, die Körperlichkeit stark akzentuierenden Lehr- und Lernkultur gebahnt und steht als treibende Kraft hinter der Entwicklung einer performativen Fremdsprachendidaktik, in der künftig u. a. Ansätze aus der britischen Drama- und deutschen Theaterpädagogik zusammengeführt werden können. In dem von Hallet und Surkamp (2015) herausgegebenen Handbuch zum Schwerpunkt Dramendidaktik und Dramapädagogik im Fremdsprachenunterricht ist das Kap. I den Grundlagen einer performativen Fremdsprachendidaktik gewidmet. Darin betont Schmenk die enormen Entwicklungen, die es im innovativ-dramapädagogischen Praxisfeld gegeben habe, doch gelte es nun, „vermehrt Unterrichtsforschung und Unterrichtsentwicklung in interdisziplinären Forschungsteams zu betreiben, damit man konkrete Lern- und Lehrszenarien aus unterschiedlichen Perspektiven und damit detaillierter erfassen kann als bisher“ (2015: 47). Es bleibt abzuwarten, inwieweit dies, etwa auch im Rahmen von Projekten der 2014 neu gegründeten European Association for Performing Arts in Language Learning (EU- ROPEARLL ), in den nächsten Jahren eingelöst werden kann. 357 75. Dramapädagogische Ansätze Literatur Bolton, G. (1984): Drama as education. An argument for placing drama at the centre of the curriculum. Harlow. Booth, D. (1987): Drama words. The role of drama in language growth. Toronto. Dufeu, B. (2003): Wege zu einer Pädagogik des Seins. Mainz. Elis, F. (2015): Mit dramapädagogischen Methoden sprachliche und kommunikative Kompetenzen fördern, in: W. Hallet / C. Surkamp (Hrsg.), 89-115. Even, S. (2003): Drama Grammatik. Dramapädagogische Ansätze für den Grammatikunterricht Deutsch als Fremdsprache. München. Finlay-Johnson, H. (1911): The dramatic method of teaching. London. Hallet, W. / Surkamp, C., Hrsg. (2015): Dramendidaktik und Dramapädagogik im Fremdsprachenunterricht. Trier. Kao, S.-M. / O’Neill, C. (1998): Words into worlds. Learning a second language through process drama. Stanford, Conn. Kessler, B. (2008): Interkulturelle Dramapädagogik. Dramatische Arbeit als Vehikel des interkulturellen Lernens im Fremdsprachenunterricht. Frankfurt a. M. Maley, A. / Duff, A. (1985): Szenisches Spiel und freies Sprechen im Fremdsprachenunterricht. München. Marini-Maio, N. / Ryan-Scheutz, C., Hrsg. (2010): Set the stage. Teaching Italian through theatre. New Haven, London. Scenario (2007 ff.): Online-Zeitschrift. www. ucc.ie/ en/ scenario Schewe, M. (1993): Fremdsprache inszenieren. Zur Fundierung einer dramapädagogischen Lehr- und Lernpraxis. Oldenburg. Schewe, M. (2015): Fokus Fachgeschichte: Die Dramapädagogik als Wegbereiterin einer performativen Fremdsprachendidaktik, in: W. Hallet / C. Surkamp (Hrsg.), 21-36. Schmenk, B. (2015): Dramapädagogik im Spiegel von Bildungsstandards, GeR und Kompetenzdiskussionen, in: W. Hallet / C. Surkamp (Hrsg.), 37-50. Wagner, B. J. (1998): Educational drama and language arts. What research shows. Portsmouth. Manfred Schewe 76. Binnendifferenzierung 1. Problemaufriss Die Praxis der Aufteilung der Lernenden in verschiedene Schularten spiegelt eine fiktive Homogenität vor, die faktisch nicht gegeben ist. Die unterschiedlichen Reifegrade, unterschiedlichen Begabungen, Interessen der Geschlechter, Bildungsvoraussetzungen des Elternhauses, Ausgangssprachen und (Sprach-) Kompetenzen - all das sind Faktoren, die die Gruppe der Lernenden inhomogen machen. Hinzu kommt eine durch (inter-)nationale Leistungsvergleichsstudien angestoßene Debatte um den unzureichenden Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht. Diesen Standardisierungstendenzen scheint die pädagogische Forderung nach Individualisierung, Differenzierung und Lernerautonomie im Fremdsprachenunterricht entgegenzustehen. Einerseits soll der Unterricht möglichst viele Lernertypen abhängig von ihren kognitiven, emotionalen und motivationalen Strukturen entsprechend ihren Voraussetzungen optimal fördern, andererseits geht man in Zeiten zentraler Kompetenzstandardüberprüfungen von einer größtmöglichen Homogenität der Lernvoraussetzungen für alle Lernenden aus. Angesichts dieser zunehmend heterogenen Lerngruppen stellt Binnendifferenzierung eine wichtige didaktische Perspektive dar, die durch eine facettenreich 358 Maria Eisenmann eingesetzte Methodik zu einer Intensivierung von Förder- und Lernprozessen führen kann. 2. Begrifflichkeit Neben dem Prinzip der äußeren Differenzierung, das durch die bildungspolitischen Normen gesellschaftlich sehr stark vorgegeben ist und kaum von Lehrer- oder Schülerseite verändert werden kann, gibt es die innere Differenzierung (vgl. Paradies & Linser 2010: 23). Sie ist offen, flexibel und dynamisch und liefert die methodische Vielfalt, verschiedene Aspekte des Lernprozesses in einer Lerngruppe unterschiedlich zu gestalten. Bönsch (2011) zufolge handelt es sich dabei um eine situations- und lernzielgebundene gruppeninterne Differenzierung, die von der Lehrkraft individuell eingesetzt werden kann. In der Fachliteratur werden die Begriffe innere Differenzierung, Binnendifferenzierung und Individualisierung auch häufig synonym verwendet (vgl. z. B. Paradies & Linser 2010), wobei Individualisierung als „Höchstform der Differenzierung“ (Eberle et al. 2011: 5) verstanden werden muss. Während im binnendifferenzierenden Unterricht in der Regel zwischen verschiedenen (leistungs-)starken Gruppen unterschieden wird, soll bei der Individualisierung jeder Lernende einzeln betrachtet und gefördert werden, was die Einbeziehung der individuellen Persönlichkeit erfordert. Methodisch bedeutet das für den Fremdsprachenunterricht das Arbeiten an unterschiedlichen Aufgaben- und Themenstellungen, Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen und Leistungsvermögen, unterschiedliche Lehrmaterialien und Arbeitshilfen, aber auch zusätzliche Hilfen, Lernstandsdiagnostik und Lernstandserhebungen, Förderpläne für schwache Schülerinnen und Schüler, passende Diagnose des Ist- Standes der Individuen, Reflexion des Lernfortschritts seitens der Lernenden und evtl. additive Unterrichtsangebote. 3. Forschungsstand Die Erkenntnis, dass sich Menschen und somit auch Lernende unterscheiden, ist nichts Neues und auch die Frage des Umgangs mit Heterogenität bzw. die Diskussion um Binnendifferenzierung ist „ein altes Thema in der aktuellen Diskussion“ (Bohl et al. 2012: 5). Die Prinzipien der Differenzierung des Unterrichts gehen zum Teil bis in die Reformpädagogik zurück und wurden darüber hinaus schon in den 1970er Jahren in der Allgemeinen Didaktik unter dem Stichwort Binnendifferenzierung und in der psychologischen Lehr-Lernforschung unter dem Stichwort adaptiver Unterricht intensiv diskutiert (vgl. ebd.). Neu an der Diskussion ist jedoch die Loslösung von der Sichtweise, in der Binnendifferenzierung ausschließlich im Hinblick auf Leistungsdifferenzierung verknüpft und Individualisierung in erster Linie mit Einzel- und Förderunterricht verbunden wurde. Ausgelöst durch die DESI-Studie und die PISA-Ergebnisse gibt es darüber hinaus in unserer Gesellschaft eine neue bildungspolitische Debatte über soziale Benachteiligungen im deutschen Bildungssystem, insbesondere für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Dies hat zur Folge, dass der individuellen Förderung ein hoher Stellenwert beigemessen wird, bis hin zur expliziten Verankerung in den Schulgesetzen der Länder und den Vereinbarungen der Kultusministerkonferenz. Aktuelle Diskussionen um Bildung kreisen seit längerem um die Frage, wie unterschiedliche Bildungseinrichtungen der tatsächlichen Heterogenität der Schülerschaft in Bezug auf Geschlecht, Migration und soziale Herkunft gerecht werden können. Auch die Kategorie Behinderung wurde als zentraler Kristallisationspunkt sozialer Ungleichheit ausgemacht. In der Folge der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtkonvention durch die Bundesrepublik Deutschland, die von den 359 76. Binnendifferenzierung Bundesländern sukzessive und in verschiedenem Maße umgesetzt wird, wird Inklusion als besondere Form der Differenzierung und Individualisierung als zentrale Aufgabe des Bildungssystems betrachtet. Die allgemeinpädagogischen Publikationen der letzten Jahre führen als didaktisch-methodische Prinzipien für inklusiven Unterricht ähnliche Ansätze an, die auch im Hinblick auf die methodische Umsetzung von Binnendifferenzierung genannt werden, z. B. • Freiarbeit, • Projektmethode/ Lernen am gemeinsamen Gegenstand, • Werkstatt-/ Stationsarbeit, • Wochenplanarbeit, • Aufgabenformate, • selbstreflexive und dialogische Dokumentation und • gezielte Feedback- und Rückmeldungsansätze (vgl. Amrhein & Dziak-Mahler 2014; Reich 2014). Daraus wird deutlich, dass sich bisherige Ansätze einer inklusiven Didaktik und Methodik als an den allgemeinen Differenzierungsdiskurs anschlussfähig erweisen und sukzessive weiterentwickelt werden können. Einigkeit besteht in der Forschung darüber, dass differenzierender und inkludierender Unterricht nicht im Gleichschritt erfolgen darf und dass Strategien notwendig sind, mit denen in differenzierender Weise an die individuellen Ausgangslagen der Lernenden angeknüpft werden kann. In Bezug auf die praktischen Möglichkeiten methodischer Umsetzung von Differenzierung gibt es eine Reihe neuer Konzepte, die es erlauben, Einzelmethoden sinnvoll aufeinander zu beziehen und für Differenzierung sowie inklusive Förderung im Unterricht fruchtbar zu machen (z. B. Bohl et al. 2012; Eisenmann 2011; Eisenmann & Summer 2013: Kap. 10). 4. Praxisrelevanz Lernen findet in jedem einzelnen Kopf statt, d. h. die Steuerung des Lernprozesses muss dem Lernenden selbst übergeben werden. Individualisierendes und differenzierendes Unterrichten fördert das selbstständige Lernen und stärkt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Differenzierung darf nicht nur durch eine Reduzierung oder ein Mehr an Stoff erfolgen, sondern v. a. durch ein Mehr an Individualisierung der Aufgabenstellungen und Anforderungen. Erfolgreiche Individualisierung und Differenzierung erfolgt in der Regel durch verschiedene Themenbereiche, Aufgabenstellungen, Sozialformen, Lernwege und Lernstrategien. Unterschiedliche didaktische Techniken, die verschiedene Begabungen und Neigungen ansprechen, können über das Schuljahr hinweg variiert werden (vgl. Gardner 1999; Haß 2008). Aus diesen Überlegungen lassen sich die folgenden Prinzipien ableiten, die im Hinblick auf Lernarrangements bei der Unterrichtsplanung berücksichtigt werden sollten (vgl. Eisenmann 2014: 17-23): • Methodenvielfalt, d. h., ein breites Methodenspektrum dient als Grundlage für einen abwechslungsreichen, interessanten und aktivierenden Unterricht. Methodische Verfahren, die in einem lernerorientierten Fremdsprachenunterricht zum Einsatz kommen, sind z. B. Freiarbeit, (Wochen)Planarbeit, Lernwerkstatt, Lerntheke, Stationenlernen, Projektunterricht, aufgabenorientierter Unterricht, Rollen- und Sprachlernspiele, Simulationen, Lernen durch Lehren, die Arbeit mit einem Lesetagebuch oder die Nutzung von Web 2.0bzw. 3.0-Angeboten. • Ganzheitliches Lernen heißt handlungsorientiertes Lernen und ist kommunikativ, sozial, interaktiv, emotional und kreativ. Es findet unter Einbeziehung möglichst 360 Maria Eisenmann vieler Sinneskanäle statt und ermöglicht den Schülerinnen und Schülern dadurch, nicht nur auf kognitive, sondern auch auf affektive und psychomotorische Weise zum Unterrichtsgeschehen beizutragen. • Öffnung des Unterrichts ist entdeckendes, problemlösendes, handlungsorientiertes und selbstverantwortliches Lernen. Es ist eine methodische Orientierung auf bestimmte öffnende Methoden gegenüber dem Frontalunterricht und bedeutet, dass die Lernenden in der Regel nicht nur die Sozialform, die Methoden und die Reihenfolge der zu bearbeitenden Lernaufgaben selbst bestimmen, sondern auch ihre Lernziele. Im Zentrum des offenen Unterrichts steht die Verwirklichung der Erziehungsziele Selbstständigkeit und Mündigkeit durch den Einsatz entsprechender Unterrichtspraktiken. • Kooperative Lernformen bieten viele Möglichkeiten für einen differenzierenden bzw. individualisierenden Unterricht. Im kooperativen Unterricht arbeiten die Schülerinnen und Schüler in der Regel in Gruppen oder Paaren zusammen, d. h., der soziale Aspekt ermöglicht es dem Lernenden, seine Persönlichkeit zu entfalten, sich Wissen anzueignen und seine Methodenkompetenz zu erweitern. Kooperative Methoden im Fremdsprachenunterricht ermöglichen viele Anlässe zur Kommunikation zwischen den Lernenden und damit ein hohes Maß an Schüleraktivierung bzw. Redezeit. • Material- und Medienvarianz bietet gezielte Unterstützung für individualisiertes und binnendifferenzierendes Lernen. Der hohe Grad der Wahlfreiheit bei Lernmaterialien und Medien führt zu einer Stärkung der Selbstkompetenz, der Methodenkompetenz, aber auch der Kreativität des einzelnen Lernenden. So kann derselbe Inhalt je nach Interesse, Medienpräferenz, (Vor-)Erfahrungen und individuellen Fähigkeiten unterschiedlich erarbeitet werden. Auch verschiedene Techniken beim Erarbeiten oder Präsentieren von Inhalten können als Grundlage für die Differenzierung dienen und durch einen individualisierten Zugang autonomes Lernen fördern. 5. Perspektiven Differenzierende und individualisierende Maßnahmen müssen immer am Wohl der Lernenden ausgerichtet sein, denn eine Orientierung an einem Durchschnittsschüler funktioniert im modernen Fremdsprachenunterricht heute nicht mehr. Dies führt zwangsläufig zu einer veränderten Rolle der Lehrkraft, die neben der Wissensvermittlung auch Beratungselemente in den Lernprozess integriert, indem sie das individuelle Lernen anregt und betreut (vgl. Art. 65). Die Lehrkraft ist somit auch Moderator und Lerngestalterin, die Lernumgebungen so einrichtet, dass die Schülerinnen und Schüler optimal lernen können. Grundsätzlich sollte der Fokus im Verlaufe des Lernprozesses immer darauf liegen, Stärken des Einzelnen aufzubauen. Die grundlegende Herausforderung besteht darin, Heterogenität als Chance zu begreifen und einen positiven Zugang und produktiven Umgang damit zu lernen. Literatur Amrhein, B. / Dziak-Mahler, M. (2014): Fachdidaktik inklusiv. 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Merkl (Hrsg.): Englisch lehren, lernen, erforschen. Oldenburg, 11-28. Gardner, H. (1999): Intelligence reframed: multiple intelligences for the 21 st century. New York. Haß, F. (2008): Auf unterschiedliche Weise schlau werden. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 94, 30-35. Paradies, L. / Linser, H.-J. (2010): Differenzieren im Unterricht. 7. Aufl. Berlin. Reich, K. (2014): Inklusive Didaktik. Bausteine für eine inklusive Schule. Weinheim, Basel. Maria Eisenmann 77. Unterricht mit großen Gruppen 1. Bedingungen In den OECD-Ländern ist die durchschnittliche Klassengröße gesunken, während sie insbesondere in den Ländern der Sub-Sahara-Zone und in Teilen Asiens aufgrund der Verbreitung der allgemeinen Schulpflicht sowie des Bevölkerungswachstums gestiegen ist (vgl. Benbow et al. 2007). Nicht erfasst sind hierbei all jene großen Lerngruppen, deren Frequenzen auf einem gleichbleibend hohen Niveau verharren. Auch ist die Länderspezifik kein zuverlässiger Indikator für das Auftreten großer Lerngruppen im Fremdsprachenunterricht. Im gleichen Land lassen sich, abhängig von der Bildungsinstitution und entsprechenden Vorgaben zur Lerngruppengröße, oft gleichzeitig sowohl große als auch kleine Lerngruppen finden. 2. Ausgangslage Es gibt keinen definitiven Konsens über die numerische Definition einer „großen Lerngruppe“ , da neben der Anzahl der Lernenden auch weitere Faktoren wie Fach, Lernziele, Methoden, Eigenschaften der Lernenden (z. B. Alter oder Anfänger in einer Institution oder einem Fach), Art und Zusammensetzung der Lerngruppe sowie die Ressourcen eine Rolle spielen. Diese Faktoren tragen zur subjektiven Valenz, d. h. zur gefühlten Gruppengröße bei. Gewöhnlich wird jedoch ab ca. 30 Lernenden von einer mittelgroßen und ab ca. 80 von einer großen Lerngruppe ausgegangen. 3. Herausforderungen und Grenzen Das Lernen in großen Lerngruppen ist charakterisiert durch eine potentiell größere Heterogenität der Lerngruppe sowie durch eine vermehrte Anonymität sowohl unter den Lernenden als auch zwischen Lernenden und der Lehrperson. Der kumulative Effekt dieser Faktoren begünstigt zum einen eine Neigung zu passivem Lernverhalten und zum anderen eine größere Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Störungen. Diese Faktoren addieren sich jedoch nicht einfach nur, sondern beeinflussen und verstärken einander, so dass ein qualitativer Unterschied entsteht, der 362 Angelika Loo dazu führt, dass große Lerngruppen - zumindest unter bestimmten Gesichtspunkten - anders organisiert sein müssen als kleinere (vgl. TEDI 2001). Aufgrund der schieren Größe der Lerngruppe ist bereits die Wahrnehmung individuell unterschiedlicher Lernziele, Lerngewohnheiten, Interessen und Kompetenzniveaus erschwert, so dass sie im Unterricht oft nur unzureichend berücksichtigt werden können. Seitens der Lernenden leiden dadurch die Motivation und die Arbeitshaltung. Nach subjektivem Empfinden gut versteckt in der großen Lerngruppe, wird bei solcherart frustrierten Lernenden entweder ein geistiges Abschalten in Form passiven Lernverhaltens oder die Hinwendung zu Nebenaktivitäten in Gestalt stiller oder geräuschvoller Störungen begünstigt. Da Großgruppen eine eigene Dynamik in Gestalt von Affektsteigerung und Ansteckungseffekten besitzen, so dass intensive Stimmungsänderungen konstruktiver wie destruktiver Art auftreten und sich in einer Art Pingpong- Effekt ungemein schnell ausbreiten, können Frustrationen sich schnell auf die ganze Lerngruppe auswirken und die Lernhaltung sowie das gesamte Lernklima beeinträchtigen. Dementsprechend ist eines der wichtigen Anliegen von Lehrenden mit großen Lerngruppen die Sorge, sie könnten die Kontrolle über die Lerngruppe verlieren (vgl. Hess 2001: 4). Weitere zentrale Anliegen von Lehrenden betreffen die Wahl geeigneter Lehr-Lern-Methoden, die Kurs- und Unterrichtsorganisation, den Komplex von Feedback und Lernerfolgskontrollen sowie unter Umständen die Frage unzulänglicher Ressourcen wie z. B. Medien (vgl. Ward & Jenkins 1992). Eine Ressource, die in der Literatur wenig berücksichtigt wird, ist die Kontinuität, d. h. der Faktor Zeit mit bzw. in einer großen Lerngruppe; durch den Kontinuitätsfaktor lässt sich die Wahrnehmung von Heterogenität verbessern und die Anonymität reduzieren (vgl. Loo 2012: 9). Je nachdem, wie Lehrende und Lernende die Herausforderungen zu bewältigen wissen, sind dem Fremdsprachenlernen in großen Lerngruppen engere oder weitere Grenzen gesetzt. Beim Feedback sind diese Grenzen allerdings oftmals recht eng gesteckt, zumal bei hohem Stundendeputat mit mehreren großen Gruppen. Die Entwicklung des Hörverstehens und der mündlichen Sprachproduktion hängt davon ab, inwieweit die Fremdsprache sukzessive als Unterrichtssprache verwendet wird, inwieweit allen Lernenden Gelegenheit zur mündlichen Anwendung der Fremdsprache, z. B. in Partner- und Kleingruppenarbeit, gegeben wird (vgl. Art. 72) und inwieweit die Lernenden diese Methoden verstehen und nutzen. Auf Seiten der Positiva beim Unterricht mit großen Lerngruppen ist an erster Stelle die Kosteneffektivität zu nennen, so dass vielen Lernenden gleichzeitig eine Chance zum Unterrichtsbesuch geboten wird. Als weitere Pluspunkte nennt Hess (2001: 2-4) die Vielfalt in der Lerngruppe, die mit den erweiterten Interaktionsmöglichkeiten zu einem lebendigen Unterricht beitragen kann und peer tutoring, etwa durch Expertengruppen, begünstigt. 4. Forschungsstand Strittig ist die Frage des Zusammenhangs zwischen der Größe der Lerngruppe und dem Lernerfolg. Ingenkamp et al. (1985) kommen zu dem Schluss, dass erstens keine linearen Effekte nachweisbar sind (wie „je kleiner, desto besser“ ) und zweitens ein Faktor wie der Klassenzusammenhalt eine deutliche Korrelation aufweist, während bei anderen Faktoren nur eine geringe oder gar keine Signifikanz nachweisbar ist. So fielen die TIMMS-Ergebnisse südkoreanischer und japanischer Lernender ausgezeichnet aus, obwohl die Klassenfrequenzen im Schnitt um rund 50 lagen. Daher kommt von Saldern (1998: 241) zu dem Schluss, dass „ein gene- 363 77. Unterricht mit großen Gruppen reller Vergleich zwischen Klassen unterschiedlicher Größe allein und ohne Berücksichtigung moderierender Variablen (wie Unterrichtsmethodik) dem Gegenstand nicht angemessen ist“; die Klassengröße ist eine Mediatorvariable (vgl. Schulte Ladbeck 2009: 93). Untersuchungen zur Korrelation von Klassengröße und Lernerfolg weisen außerdem darauf hin, dass bei konventionellen Testverfahren wenig Einfluss zu verzeichnen ist, wohl aber, sobald es um anspruchsvollere Lernziele wie Analyse, Synthese und Anwendung geht; hierfür werden ein Mangel an Interaktion und Interaktionen auf niedrigerem kognitivem Niveau verantwortlich gemacht (vgl. TEDI 2001: 2). Für das Fremdsprachenlernen lässt sich daraus folgern, dass ein besonderes Augenmerk der Entwicklung der Kompetenzen, der Interaktion und dem kognitiven Niveau des Unterrichts zu widmen ist. 5. Möglichkeiten der Unterrichtsgestaltung Die eingangs genannten Charakteristika des Unterrichts mit großen Lerngruppen und ihre potentiellen Auswirkungen legen für den fremdsprachlichen Unterricht nahe, insbesondere auf Lerneraktivierung, Berücksichtigung und Nutzung der Vielfalt sowie auf Lehrwerksadaption zu achten. Lerneraktivierung gelingt u. a. durch die Bearbeitung von Aufgaben in Partner- oder Gruppenarbeit, die zusätzlich den Vorteil reduzierter Sprechhemmungen bieten (vgl. Shamim et al. 2007: 27 sowie Art. 72), oder auch mittels Fragen mit Kärtchen-Aufzeigen als Antwort (vgl. Loo 2012: 62). Der Vielfalt von Interessen und Lernstilen kann der Fremdsprachenunterricht mit seiner großen Auswahl an Materialien und Medien gut entgegenkommen. Formen der Binnendifferenzierung (vgl. Art. 76) bieten sich ebenfalls an, wobei die „kostenlosen“ , d. h. ohne zusätzlichen Materialaufwand einsetzbaren (vgl. Loo 2012: 66 f.), z. B. ein Text/ drei Aufgabenniveaus, in großen Gruppen leichter zu handhaben sind. Bei der Qualität von Gruppenarbeit spielt der Faktor „Kontinuität“ besonders dann eine Rolle, wenn sie zunächst gelernt und eingeübt werden muss. Partnerarbeit eignet sich als Einstieg und für kurzfristigere Kurse. Angesichts bestehender Lerngewohnheiten mag die Einführung methodischer Neuerungen nötig sein, die jedoch in großen Gruppen häufig nicht effektiv funktionieren (vgl. Shamim et al. 2007: 87). Methodische Innovationen haben aber gute Chancen, wenn sie erläutert, kleinschrittig eingeführt und sorgfältig angeleitet werden (vgl. ebd.; Loo 2012: 101). Wenn in gängigen Lehrwerken die Stofffülle sowie manche Aufgabenstellungen mit großen Gruppen nicht zu bewältigen sind, wird eine Adaption nötig, etwa durch Umformulieren von Aufgabenstellungen, arbeitsteiliges Vorgehen oder strategische Reduktion (vgl. ebd.: 75 ff.). Große Gruppen verlangen aufgrund des höheren logistischen Aufwands eine straffere Unterrichtsorganisation und deshalb gleichzeitig phasenweise Freiräume für die Lernenden (Binnendifferenzierung). Eine (gemeinsame) Etablierung von Regeln, Routinen und Ritualen ermöglicht ein kooperatives Klassenmanagement und hilft, den Anteil echter Lernzeit zu optimieren (vgl. Shamim et al. 2007: 39; Loo 2012: 41 ff.) und den Klassenzusammenhalt (Mediatorvariable) zu stärken (vgl. Dörnyei & Murphey 2003; Loo 2007: 50 ff.). Als signifikanter Faktor für Lernerfolg gilt u. a. das Feedback, dessen Quantität und Qualität in großen Lerngruppen oft leiden. Eine individuelle Korrektur von Hausaufgaben und schriftlicher Sprachproduktion wird kaum mehr handhabbar und es muss, z. T. ergänzend, auf PowerPoint, Stichproben, Gruppenarbeiten sowie Selbst- und Peer- Evaluation zurückgegriffen werden, wobei letztere mit Einführung und entsprechendem 364 Angelika Loo Material (Lehrwerk) in großen Gruppen durchaus durchführbar sind. Bei individuellen Lernerfolgskontrollen kommt es wegen des schieren Korrekturaufwands auf korrekturfreundliche Konzipierung und ein möglichst eindeutiges Bewertungsraster an. Umfangreichere offene Aufgaben lassen sich ggf. zeitlich vorziehen; geschlossene Aufgaben können von teaching assistants oder Lernenden höherer Kurse vorkorrigiert werden. Benotete Gruppenarbeiten sind eine Option, sofern Klarheit bezüglich der Bewertungskriterien hergestellt wurde. 6. Perspektiven Der Fokus der Forschung zum Fremdsprachenunterricht mit großen Gruppen hat sich verschoben: von der Untersuchung der Problematik zu einer Beteiligung von Großgruppenlehrenden selbst im Sinne der Aktionsforschung (vgl. Art. 130). Dadurch sollen kontextspezifische Bewältigungsstrategien überprüft, Prinzipien von good practice identifiziert und entsprechende Beispiele (z. B. über das Netzwerk Teaching English in Large Classes) kommuniziert werden. Inwieweit die Forschungsergebnisse zur Theoriebildung beitragen können, bleibt abzuwarten. Für die Praxis des Fremdsprachenunterrichts mit großen Gruppen bleibt zu wünschen, dass die Institutionen ihre Ressourcenallokation überdenken und die betreffenden Lehrenden bewusst fördern, dass Lehreraus- und -weiterbildung den Themenkomplex ggf. berücksichtigen und dass z. B. Lehrerhandbücher geeignete Adaptionsoptionen für große Grup pen bereitstellen. - Literatur Benbow, J. / Mizrachi, A. / Oliver, D. / Said- Moshiro, L. (2007): Large class sizes in the developing world: what do we know and what can we do? www.equip123.net/ docs/ E1-Large Classrooms.pdf Dörnyei, Z. / Murphey, T. (2003): Group dynamics in the language classroom. Cambridge. Hess, N. (2001): Teaching large multilevel classes. Cambridge. Ingenkamp, K. / Petillon, H. / Weiß, M. (Hrsg.) (1985): Klassengröße: Je kleiner desto besser? Weinheim, Basel. Loo, A. (2007): Teaching and learning modern languages in large classes. Aachen. Loo, A. (2012): Deutsch-Unterricht in großen Lerngruppen international. Ein Praxis-Handbuch. Aachen. von Saldern, M. (1998): Klassengröße, in: D. Rost (Hrsg.): Handwörterbuch Pädagogische Psychologie. Weinheim, 239-242. 365 77. Unterricht mit großen Gruppen Schulte Ladbeck, O. (2009): Relevanz der Klassengröße? Eine Überprüfung des Zusammenhangs von Klassengröße und Lernerfolg anhand der PIRLS -Daten 2001 zur Schülerleseleistung. Dissertation, Münster. Shamim, F. / Negash, N. / Chuku, C. / Demewoz, N. (2007): Maximizing learning in large language classes: Issues and options. Addis Ababa. Teaching and Educational Development Institute ( TEDI ) (2001): Teaching large classes. University of Queensland. www.cadad.edu.au/ largeclasses Ward, A. / Jenkins, A. (1992): The problems of learning and teaching in large classes, in: G. Gibbs / A. Jenkins, Hrsg. (1992): Teaching large classes in higher education. London, 23-36. Angelika Loo K Förderung selbst gesteuerten Sprachenlernens 78. Lernerautonomie und selbst gesteuertes Sprachenlernen 1. Begrifflichkeit Lernerautonomie und selbst gesteuertes Sprachenlernen werden im Alltag des Fremdsprachenunterrichts häufig als Synonyme oder als unmittelbar zusammengehörige Begriffe verstanden. Das ist allerdings problematisch, da das Konstrukt der Lernerautonomie mehr umfasst, als die Begriffe des selbst gesteuerten bzw. „autonomen“ Lernens nahelegen. Auch das Verhältnis von Lernerautonomie und selbst gesteuertem Lernen variiert je nach dem Verständnis von Lernerautonomie. Einerseits findet man in der Forschung die Sicht, dass Lernerautonomie die Voraussetzung für selbst gesteuertes Lernen sei; andererseits trifft man aber auch auf die Ansicht, dass durch selbst gesteuertes Lernen die Lernerautonomie von Lernenden gefördert werde (vgl. Benson 2001). Unter Lernerautonomie werden heute verschiedene Konzepte verstanden, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte herauskristallisiert haben. 367 2. Problemaufriss Der aus dem Griechischen stammende Begriff der Autonomie (Selbstgesetzgebung) betraf ursprünglich soziale und politische Gruppen (z. B. Stadtstaaten). Erst in der Aufklärung wurde Autonomie als individuelle Kategorie umgedeutet (Kant 1998; vgl. Meyer-Drawe 1990). Dieses Konzept der personalen Autonomie hat sich im westlichen Denken durchgesetzt und liegt auch heutigen Vorstellungen von Lernerautonomie zugrunde. Der Begriff „Lernerautonomie“ geht auf Henri Holec (1980) zurück. Holec (1980: 4) definierte Lernerautonomie im Hinblick auf Erwachsenenbildung als die Fähigkeit, das eigene Lernen selbst in die Hand zu nehmen. Lernenden obliege damit die Aufgabe, alle mit dem Lernprozess verbundenen Entscheidungen selbst zu treffen: Sie müssen sich selbst Lernziele setzen, Inhalte und Progression ihres Lernens bestimmen, geeignete Methoden und Techniken zur Erreichung ihrer Lernziele auswählen sowie ihren eigenen Lernprozess wie auch ihre eigenen Lernfortschritte überwachen (monitoring ) und evaluieren können. Lernerautonomie wird hier also als notwendige Fähigkeit (Voraussetzung) definiert, die selbst gesteuertes Lernen ermöglicht. Wer über Lernerautonomie verfügt, ist Holec zufolge in der Lage, sowohl Planung als auch Durchführung und Evaluation von Lernprozessen eigenverantwortlich zu übernehmen. Selbst gesteuertes Lernen erfordert demnach spezifische Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten in den relevanten Bereichen des Sprachenlernens, Übungsmethodik sowie Evaluation und ist bei Holec ausdrücklich nicht für den schulischen Fremdsprachenunterricht konzipiert, sondern nur in außerschulischen Lernumgebungen im Erwachsenenbereich zu praktizieren. Dass Lernerautonomie dennoch für den Fremdsprachenunterricht ein so wichtiges Konzept geworden ist, liegt daran, dass sich eine verkürzte Form von Holecs Definition rasch verbreitete: Lernerautonomie wird oft lediglich als die Fähigkeit verstanden, das eigene Lernen selbst in die Hand zu nehmen bzw. zu steuern. In dieser verkürzten Version werden Lernerautonomie und selbst gesteuertes Lernen erstens amalgamiert (deshalb werden beide oft als Synonyme aufgefasst), und zweitens konnte die Formel des selbstverantwortlichen Lernens so auch auf alle Bereiche fremdsprachlichen Lernens ausgedehnt werden - auch auf den schulischen Fremdsprachenunterricht. Insbesondere das Lernstrategientraining wurde in diesem Zusammenhang als notwendiges (und häufig auch als hinreichendes) Mittel zur Entwicklung von Lernerautonomie und der Fähigkeit zur Selbststeuerung verstanden. Somit lässt sich sagen, dass Lernerautonomie und selbst gesteuertes Lernen zwar auf Holec zurückgehen, dessen Vorstellungen jedoch häufig nicht berücksichtigen (Benson 2001; Schmelter 2004; Schmenk 2008). Mittlerweile existieren verschiedene Konzeptionen von Lernerautonomie. Benson (1997) unterscheidet technische, psychologische und politische Versionen von Lernerautonomie: Technische Versionen legen das Hauptaugenmerk auf das allein verantwort- 368 Barbara Schmenk liche Lernen (entsprechen also der verkürzten Form von Holecs Definition), wobei insbesondere die Entwicklung computergestützten Lernens zur starken Popularisierung dieser Auffassung von Lernerautonomie beigetragen haben dürfte. Psychologische Versionen von Lernerautonomie verschieben den Fokus auf lernerseitige Voraussetzungen (Lerntechniken und Strategien, Einstellungen, Motivation). Hier wird Lernerautonomie als Ausdruck individueller Fähigkeiten und Fertigkeiten verstanden, die es innerhalb und außerhalb des Fremdsprachenunterrichts zu fördern gilt (Little 1991). Politische Versionen hingegen umfassen diejenigen Ansätze, die Lernerautonomie als Ausdruck unterrichtlicher Mitsprache und Verantwortungsübernahme seitens der Lernenden verstehen (Pennycook 1997; Benson 2001). Im deutschsprachigen Raum stellt sich zudem ein weiteres konzeptuelles Problem, da der Autonomiebegriff bereits seit Jahrzehnten in der Pädagogik und Erziehungsphilosophie etabliert ist, dort aber anders akzentuiert wird als in der Diskussion um Lernerautonomie. Autonomie gilt dort neben Emanzipation und Mündigkeit als oberstes Ziel demokratischer Erziehung (Baumgart 2001), wobei der Autonomiebegriff seit geraumer Zeit sehr kritisch diskutiert wird (Meyer-Drawe 1990). Fremdsprachendidaktische Diskussionen zur Lernerautonomie haben im deutschsprachigen Raum jedoch lange Zeit kaum oder keine Notiz von den erziehungswissenschaftlichen und philosophischen Debatten zur Autonomie genommen. Wenn dies geschieht, wird allerdings deutlich, dass kritische Diskussionen der Möglichkeiten und Grenzen von Autonomie, wie sie in der Erziehungsphilosophie geführt werden, auch für die Fremdsprachenforschung unmittelbar relevant sind (Benson 2007; Schmenk 2008). Mittlerweile lassen sich auch in der internationalen Diskussion weitere Auffassungen von Lernerautonomie unterscheiden. So ist zum einen neuerdings ein deutlicher Trend zu beobachten, Lernerautonomie als soziales Konzept umzudeuten (Benson 2013; Murray 2014) und nicht mehr die individuelle, selbst gesteuerte Dimension des Lernens in den Vordergrund zu rücken. Dabei spielen v. a. soziales Lernen und die Entwicklung interkultureller kommunikativer Kompetenz eine wichtige Rolle (Sercu 2002) - Konzepte also, die die o. g. politische Dimension von Lernerautonomie stärker in den Vordergrund rücken. Mit dieser Sozialisierung des Autonomiekonzepts sind allerdings auch zusätzliche begriffliche Verwirrungen verbunden, da sie in einem immanenten Spannungsverhältnis zu denjenigen Auffassungen von Lernerautonomie stehen, die primär das individuelle, selbst gesteuerte und strategiebasierte Lernen als Ausdruck von Lernerautonomie verstehen. Insbesondere im Kontext neoliberaler Erziehungs- und Bildungsdiskurse hat sich außerdem ein weiterer Autonomiebegriff etabliert, der stark ökonomische Züge trägt. Im Rahmen der Diskussion zur Notwendigkeit lebenslangen Lernens z. B. wird Autonomie als eine Schlüsselkompetenz bezeichnet, die Einzelne in modernen Informationsgesellschaften besitzen müssen (Benson 2001). Autonomie als Voraussetzung zum gesellschaftlichen „Funktionieren“ zu verstehen, konterkariert allerdings sowohl die mit Lernerautonomie verbundenen Ziele eines empowerments von Lernenden im Fremdsprachenunterricht (vgl. Block et al. 2012) als auch die pädagogischen Ziele der Mündigkeit und des kritischen selbstständigen Entscheidens, so dass Meyer-Drawe (1990) hier von „Scheinautonomie“ spricht, die primär von Heteronomie (Fremdbestimmung) geprägt ist, wenn sie auch als „Autonomie“ bezeichnet wird. Um diese Scheinautonomie auch in Diskussionen zur Lernerautonomie beim Sprachenlernen zu identifizieren, schlägt 369 78. Lernerautonomie und selbst gesteuertes Sprachenlernen Schmenk (2008) vor, Autonomie auch als eine „kritische Reflexionsfolie“ zu nutzen, um die (im institutionellen Sprachenlernen immer vorhandenen) heteronomen Bedingungen der Lernenden zu berücksichtigen und ggf. zu reduzieren. 3. Forschungsstand Die Bandbreite der Konzeptionen von Lernerautonomie stellt heute für Forschende und Lehrende eine Herausforderung dar, denn um Lernerautonomie zu erforschen (oder ihre Förderung im Fremdsprachenunterricht zu ermöglichen) gilt es zunächst, das eigene Konzept von Lernerautonomie zu explizieren und von anderen abzugrenzen. Je nachdem, wie man Lernerautonomie definiert, werden Forschungsanliegen und -designs ebenfalls variieren. Tassinari (2010: 124 ff.) z. B. erörtert verschiedene Auffassungen von Autonomie und deren Unterscheidungsmerkmale, bevor sie für ihre eigene Studie Lernerautonomie als „Konstrukt von Konstrukten“ definiert (und dies als „Definitionsversuch“ bezeichnet). Mit Hilfe ihrer psychologisch angelegten Lernerautonomie- Definition kann sie in ihrer Studie zum selbst gesteuerten Sprachenlernen an der Hochschule ein dynamisches Modell von Lernerautonomie entwickeln, das ihr ermöglicht, Leitfadeninterviews und Fragebogenitems zur Selbsteinschätzung von Sprachenlernenden zu entwickeln. Ihre Arbeit dient insofern der Entwicklung von individuellen Profilen von Lernenden und erlaubt so eine differenzierte Innensicht in Sprachenlernende und deren Erfahrungen und Voraussetzungen mit selbst gesteuertem Lernen. Zugleich erlaubt ihr dynamisches Modell, unterschiedliche Autonomiegrade zu identifizieren, die nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb einzelner Lernendenprofile variieren können. Schmelter (2004) hingegen kommt nach seiner ausführlichen Diskussion des Autonomiebegriffs und des selbst gesteuerten Lernens in der Forschung zu dem Schluss, dass beide Begriffe ungeeignet für seine Studie zum Tandemlernen seien und entwickelt statt dessen in Anlehnung an Holzkamp (1995) das alternative Konzept des „expansiven Lernens“, das subjektive Sichtweisen von Lernenden in den Vordergrund rückt. Anders gelagert ist die Auffassung von Lernerautonomie bei O’Leary (2014): Sie entwickelt für ihre Studie mit Hochschulstudierenden einen sozialkonstruktivistischen Autonomiebegriff und betont die Notwendigkeit sozialen Lernens für die Entwicklung von Lernerautonomie. Schmenk (2008, 2012) hingegen argumentiert, dass das soziale Lernen nicht lediglich für die Förderung individueller Lernerautonomie instrumentalisiert werden sollte, und schlägt statt dessen einen Autonomiebegriff vor, der in sozialen Gruppen selbst verortet wird und somit wieder an den antiken politischen Autonomiebegriff der Selbstgesetzgebung anknüpft. 4. Praxisrelevanz Der Trend zur Sozialisierung von Lernerautonomie hat sich auch in der Praxis des selbst gesteuerten Lernens niedergeschlagen (z. B. Biebighäuser et al. 2012). Unter Selbststeuerung wird heute nicht mehr nur das individuell gesteuerte und strategiegeleitete (Selbst-)Lernen verstanden, sondern auch das gemeinsame Lernen in virtuellen oder realen Lernumgebungen, das gemeinsame Planungs-, Durchführungssowie Evaluationsprozesse erfordert. Um das zu fördern, sind neben Strategietraining v. a. Prozessreflexionen notwendig, die es Lernenden ermöglichen, eigene Lern- und Entscheidungsprozesse zu erfassen, kritisch zu überprüfen und ggf. zu modifizieren. Auch der Einsatz digitaler Medien hat sich inzwischen als durch- 370 Barbara Schmenk aus kompatibel mit und förderlich für das soziale Lernen erwiesen (Benson & Chik 2010). Je nachdem, was man unter Lernerautonomie versteht, wird man außerdem ggf. beratend eingreifen oder Lernenden zur Seite stehen (z. B. Kleppin & Spänkuch 2014, vgl. Art. 81). Auch für den Fremdsprachenunterricht gilt die Notwendigkeit, Lernerautonomie- Begriffe zu reflektieren und den Unterricht entsprechend zu gestalten. Individualisierte Lernerautonomie-Begriffe sind generell eher Basis für einen Fremdsprachenunterricht, in dem das individuelle selbst gesteuerte Lernen eine große Rolle spielt. Soziale Lernerautonomie-Begriffe hingegen erfordern methodisch-didaktische Arrangements, die Gruppen- und Projektarbeit in den Vordergrund stellen (diese können dann wiederum von Lernteams selbst gesteuert sein und in virtuellen oder realen Räumen stattfinden). Dabei ist auch zu bedenken, dass gerade im schulischen Fremdsprachenunterricht zahlreiche Rahmenvorgaben existieren, die die Autonomie aller Beteiligten (Lehrender wie auch Lernender) einschränken. Hier ist deshalb eine realistische Einschätzung der Autonomiepotenziale vonnöten, damit Scheinautonomie identifiziert und ggf. abgebaut werden kann. Wichtig ist zudem eine Klärung unter Kolleginnen und Kollegen, wenn es um eine gemeinsame Strategie der Förderung von Lernerautonomie und des selbst gesteuerten Lernens geht. Da die Schlagworte Autonomie und selbst gesteuerten Lernen zwar sehr populär sind, zugleich jedoch auf so unterschiedliche Weise gefüllt und gedeutet werden, sind hier gemeinsame Absprachen unabdingbar. 5. Perspektiven Angesichts der Entwicklung der Forschungsdiskurse zur Lernerautonomie und dem selbst gesteuerten Lernen steht zu vermuten, dass auch weiterhin verschiedene Konzeptionen beider neben einander existieren und womöglich um noch weitere ergänzt werden. Um in diesem konzeptuellen Dschungel eine gewisse terminologische Klarheit zu erhalten, sind Absprachen und Begriffsklärungen in Zukunft umso dringlicher, wenn man eine Erosion des pädagogischen und fachdidaktischen Ziels Autonomie verhindern will. Mittlerweile liegen zudem zahllose Materialien und Vorschläge für den Fremdsprachenunterricht vor, die auf das selbst gesteuerte Lernen und die Förderung von Lernerautonomie zielen. Auch beim Umgang mit diesen ist angeraten, sie auf die Kompatibilität mit den eigenen pädagogischen und didaktischen Lernerautonomie-Prinzipien sowie den eigenen Vorstellungen zur Rolle der Selbststeuerung zu befragen und ggf. zu modifizieren. Literatur Baumgart, F., Hrsg. (2001): Erziehungs- und Bildungstheorien. Erläuterungen, Texte, Arbeitsaufgaben. 2. Aufl., Bad Heilbrunn. Benson, P. (1997): The philosophy and politics of learner autonomy, in: P. Benson / P. Voller (Hrsg.): Autonomy and independence in language learning. London, New York, 18-34. Benson, P. (2001): Teaching and researching autonomy in language learning. Harlow. Benson, P. (2007): Autonomy in language teaching and learning. Language Teaching 40, 21-40. Benson, P. (2013): Drifting in and out of view: autonomy and the social individual, in: P. Benson / L. Cooker (Hrsg.): The applied linguistic individual. Sociocultural approaches to identity, agency and autonomy. Sheffield, 75-89. Benson, P. / Chik, A. (2010): New literacies and autonomy in foreign language learning, in: M. J. 371 78. Lernerautonomie und selbst gesteuertes Sprachenlernen Luzón / M. N. Ruiz-Madrid / M. L. Villanueva (Eds.): Digital genres, new literacies, and autonomy in language learning. Newcastleupon-Tyne, 63-80. Biebighäuser, K. / Zibelius, M. / Schmidt, T., Hrsg. (2012): Aufgaben 2.0. Tübingen. Block, D. / Gray, J. / Holborow, M. (2012): Neoliberalism and applied linguistics. London, New York. Holec, H. (1980): Learner autonomy. Strasbourg. Holzkamp, K. (1995): Lernen. Subjektwissenschaftiche Grundlegung. Frankfurt, New York. Kant, I. (1998): Kritik der reinen Vernunft. Hamburg. Kleppin, K. / Spänkuch, E. (2014): Konzepte und Begriffe im Umfeld von Sprachlernberatung - Aufräumarbeiten im terminologischen Dschungel, in: A. Berndt / R.-U. Deutschmann (Hrsg.): Sprachlernberatung - Sprachlerncoaching. Frankfurt a. M., 33-50. Little, D. (1991): Learner autonomy. Definitions, issues and problems. Dublin. Meyer-Drawe, K. (1990): Illusionen von Autonomie. Diesseits von Ohnmacht und Allmacht des Ich. München. Murray, G., Hrsg. (2014): Social dimensions in autonomy in language learning. Basingstoke. O’Leary, C. 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Tassinari, M. G. (2010): Autonomes Fremdsprachenlernen. Komponenten, Kompetenzen, Strategien. Frankfurt a. M. Barbara Schmenk 79. Lernerstrategien und Lerntechniken 1. Begrifflichkeit In der Literatur besteht keine Einheitlichkeit hinsichtlich Definition und Verwendung der Begriffe Lernstrategien, Lerntechniken, Lernerstrategien und Kommunikationsstrategien. Allgemein gilt Lernerstrategien als Oberbegriff, welcher Lernstrategien und Sprachverwendungsstrategien (Kommunikationsstrategien) umfasst. Sofern zwischen Lerntechniken und Strategien differenziert wird, werden Techniken bzw. Prozeduren als Teilhandlungen von Strategien verstanden. Lerntechniken bezeichnen in diesem Sinne eher Fertigkeiten, die Lernende einsetzen, um etwas sprachlich zu bewältigen (z. B. die Fertigkeit, Wortbedeutungen im Wörterbuch nachschlagen zu können). Diese Differenzierung deutet auf die unterschiedliche Hierarchiehöhe der jeweiligen Prozesse hin, wobei mit Strategie der hierarchiehöhere Prozess bezeichnet wird (vgl. Zimmermann 1997: 98). Lernstrategien bzw. Lerntechniken werden 372 Hélène Martinez allgemein als Verfahren bezeichnet, mit denen Lernende den Aufbau, die Speicherung, den Abruf und den Einsatz von Informationen steuern und kontrollieren. 2. Historischer Abriss Die Beschäftigung mit Lernerstrategien ist auf die umfassende Umorientierung in der Sprachlehrforschung zurückzuführen, welche durch das Konzept der Lernerorientierung gekennzeichnet ist (vgl. Art. 50). Mit der Ablösung der behavioristisch geprägten Lerntheorie durch die in den 1960er Jahren einsetzende kognitive Wende rückten Fragen nach den inneren, mentalen Vorgängen des Individuums beim Fremdsprachenlernen in den Mittelpunkt des Interesses. Ausschlaggebend dafür war insbesondere die Rezeption der Arbeiten zur Interlanguage von Selinker (1972), der als einer der ersten die Relevanz von Strategien für den Aufbau der Lernersprache postulierte. Wegweisend für die Entwicklungen der vergangenen vierzig Jahre im Bereich der Fremdsprachendidaktik waren die impulsgebenden Arbeiten von Rubin (1975), Stern (1975) und Naiman et al. (1978), die Erfolg beim Fremdsprachenlernen u. a. mit dem Einsatz von effektiven (Informationsverarbeitungs-)Strategien erklären. Ziel dieser Anfangsstudien war die Untersuchung guter Fremdsprachenlernender im Hinblick auf die Ursachen ihres Lernerfolgs. Grundlegend dafür war die Annahme, dass bestimmte Lernende erfolgreicher als andere sind, weil sie effiziente Strategien einsetzen, von deren Einsatz weniger erfolgreiche Lernende im Fremdsprachenunterricht profitieren können. Wenngleich die Studien zu dem Ergebnis kommen, dass der eine erfolgreiche oder gute Sprachenlerner nicht existiere und sich vielmehr zahlreiche verschiedene individuelle Typen identifizieren lassen, können die Eigenschaften und Strategien des guten Fremdsprachenlerners in wenigen Kategorien zusammengefasst werden: Der gute Fremdsprachenlerner • setzt sich innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers aktiv mit dem Fremdsprachenlernprozess auseinander, • begreift die Sprache als Kommunikationsmittel und nutzt Gelegenheiten, die Fremdsprache in realen Situationen zu verwenden, • versteht gleichzeitig die Sprache als System und sucht nach formalen Gesetzmäßigkeiten, • überwacht und überprüft die Leistung in der L2 und die Entwicklung seiner Lernersprache, • setzt sich mit den emotionalen Forderungen des Fremdsprachenlernprozesses auseinander und entwickelt affektive Strategien (vgl. Naiman et al. 1978: 13 ff.). Gute Lernende zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie in der Lage sind, ihren Strategieneinsatz intentional zu planen, durchzuführen und zu evaluieren. Demnach kann nicht zwischen guten und schlechten Strategien unterschieden werden, sondern zwischen einem für eine jeweilige Problemlösung geeigneten und nicht geeigneten Gebrauch von Strategien bzw. einer erfolgreichen oder mangelnden metakognitiven Steuerung (vgl. O’Malley & Chamot 1990: 8). Damit verbinden sich eine Reihe weiterer Annahmen und Fragestellungen, die die Strategieforschung bis heute prägen: u. a. die Frage der Korrelation zwischen Strategieneinsatz und Lernerfolg, der Vermittlung von Strategien und deren Auswirkungen sowie einer konsistenten Klassifikation von Strategien. Einen aktuellen Band zur deutschsprachigen Diskussion von Strategien liefert Raupach (2009). 373 79. Lernerstrategien und Lerntechniken 3. Merkmale von Lernerstrategien und Klassifikationsansätze Strategien werden in der Regel als (mental repräsentierte) Handlungspläne definiert, die zur Erreichung eines Lernziels eingesetzt werden (vgl. u. a. Bimmel & Rampillon 2000). Sie sind problemorientiert, zielen auf die Lösung einer Aufgabe oder die Verbesserung der Sprachenkenntnis ab, sind (potentiell) bewusst (oder bewusstseinsfähig) und werden intentional angewendet (Raabe 1989: 193 ff.). Verschiedene Klassifizierungsversuche zielen auf eine prinzipielle Unterscheidung zwischen kognitiven und metakognitiven Strategien, Kommunikationsbzw. Sprachgebrauchsstrategien sowie affektiven und sozialen Strategien (u. a. O’Malley & Chamot 1990; Oxford 1990). Kognitive Strategien betreffen die Gedächtnis- und Sprachverarbeitungsstrategien. Es sind z. B. Repetitions-, Elaborations- oder Organisationsstrategien, welche die Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von neuen Informationen und deren Abruf unterstützen (z. B. Üben durch leise oder laute Imitierung eines fremdsprachlichen Modells; Verbindung von neuen Informationen mit bereits im Gedächtnis gespeicherten Konzepten; Notizen machen etc.). Metakognitive Strategien dienen der Steuerung und Regulierung des Lernprozesses und befassen sich mit dem Planen, Beobachten und Evaluieren der (kognitiven) Prozesse (z. B. Lernplanung, Selbstevaluation). Soziale Strategien beziehen sich auf die Interaktion der Lernenden, z. B. mit anderen Lernenden oder muttersprachlichen Sprechern (z. B. Zusammenarbeit, Bitte um Unterstützung oder Korrektur). Unter affektiven Strategien versteht man Verhaltensmuster, die mit den Gefühlen des Lerners verbunden sind und u. a. dazu beitragen, Ängste zu verringern, sich selbst Mut zu machen etc. Kommunikationsstrategien dienen nicht in erster Linie dem Erwerb einer Fremdsprache, sondern der Sicherung der Kommunikation und werden auch als Sprachgebrauchsstrategien bezeichnet. Sie werden oft als Kompensationsstrategien zum Ausgleichen sprachlicher Defizite eingesetzt (z. B. Rückgriff auf die Muttersprache, Einsatz von Gestik und Mimik und intelligentes Raten; vgl. Bimmel & Rampillon 2000: 64 ff.). Eine strikte Trennung zwischen Lernstrategien und Kommunikationsstrategien ist allerdings nicht sinnvoll, da Kommunikationsstrategien durchaus auch als Lernstrategien fungieren können (Tarone 1981). Intra- und interlinguale Strategien, die auf Sprachenvergleich basieren und im Rahmen mehrsprachigkeitsdidaktischer Ansätze unerlässlich sind, gehören zu den kognitiven Strategien (vgl. Art. 48-49). Der Einsatz von Strategien steht in Wechselbeziehung zu anderen Faktoren, die den Erfolg guter Fremdsprachenlerner miterklären, insbesondere Persönlichkeitsmerkmale und kognitive Stile. Zu letzteren gehören u. a. die Variablen Ambiguitätstoleranz, Abenteuerneigung und Risikobereitschaft sowie Feldunabhängigkeit, die sich als Prädiktoren für Lernerfolg bewährt haben (vgl. Riemer 2009 sowie Art. 55). Nicht zuletzt beeinflussen die subjektiven Theorien des jeweiligen Lerners, die Anzahl der gelernten (Fremd-)Sprachen sowie der Umfang an Sprachlernerfahrungen Wahl und Einsatz von Strategien (vgl. Hosenfeld 1978, Mißler 1999; für eine Auseinandersetzung mit kulturellen und sozialen Aspekten von Lernstrategien und mit der Variable ,Gender‘ vgl. Schmenk 2009). 4. Lehrbarkeit von Strategien und Strategietraining Einhergehend mit Bestrebungen, der Lernerautonomie einen größeren Stellenwert im Fremdsprachenunterricht einzuräumen, erhielten zunehmend auch Vermittlungskon- 374 Hélène Martinez zepte zur Förderung strategischen Verhaltens von Fremdsprachenlernenden Einzug in die fachdidaktische Diskussion. Wichtige Impulse hierfür finden sich in den Konzepten zum Strategietraining (vgl. exemplarisch Ellis & Sinclair 1989) sowie in den Arbeiten von O’Malley & Chamot (1990). Die meisten dieser Ansätze beruhen auf einem vierbis fünfschrittigen Grundmuster: 1) Bewusstmachung vorhandener individueller Strategien und Lerngewohnheiten; 2) Präsentation (alternativer) strategischer Verhaltensweisen; 3) Erprobung der thematisierten Strategien anhand von Übungsaufgaben; 4) Evaluation der Erprobungserfahrungen; 5) Transfer der erarbeiteten Strategien auf neue Aufgaben. Strategientraining scheint besonders wirksam zu sein, wenn Strategien in den Fremdsprachenunterricht integriert und nicht isoliert vermittelt werden, wenn den Lernenden die Gelegenheit gegeben wird, ihre Strategien nicht nur anzuwenden, sondern über deren Einsatz zu reflektieren. Es ist mehrfach empirisch bestätigt worden, dass eine explizite Lernstrategievermittlung keine dauerhafte und größere Lerneffizienz sicherstellt, wenn sie nicht die Entwicklung der Metakognition bzw. metakognitiven awareness bei den Lernenden fördert (vgl. Anderson 2005: 767) und damit ermöglicht, dass die Lernenden bewusst und begründet die für sie effektivsten Strategien auswählen. Nur so kann die Gefahr der Reduktion von Strategien auf ein eher instrumentalistisches, auf Effektivierung der Lernprozesse gerichtetes Konzept vermieden werden (Rampillon 1997). Neuere Untersuchungen zeigen außerdem, dass das explizite Training bereichsspezifischer Strategien indirekt zu unterstützen ist durch die Förderung interagierender Variablen wie die thematische Motivation, das persönliche Lerninteresse sowie eine positive, lernförderliche Unterrichtssituation (Nold 2009). 5. Praxisrelevanz Die Forschung zu Lernerstrategien hat ihre praktische Bedeutung v. a. durch die Einbettung in die Diskussion um die Lernerautonomie erhalten (Tönshoff 2003; vgl. auch Art. 78). Lernerstrategien - und ihre Vermittlung - gelten als Kernkomponente eines lernerorientierten und autonomiefördernden Unterrichts. Lernende werden selbstständiger, d. h. autonomer, indem sie ihre Fähigkeit (weiter-)entwickeln, die eigenen Lernwege zu erkennen, zu bewerten und effektiver zu gestalten (vgl. Tönshoff 2003). Die Strategievermittlung hat auch in Lehrwerke Eingang gefunden, wenn auch oft lediglich in Form von Lerntipps. Im Rahmen der Implementierung eines kompetenzorientierten und aufgabenorientierten Fremdsprachenunterrichts ist die Auseinandersetzung mit Strategien inzwischen unerlässlich geworden. Komplexe und lebensnahe Aufgaben setzen auf die Entfaltung von Lernstrategien sowie die Reflexion über ihre Effektivität (vgl. Art. 68). So sind Lernstrategien auch als feste Bestandteile in den Bildungsstandards für die Sekundarstufe I und II verankert und werden als Grundlage der Sprachlernkompetenz gesehen, von der angenommen wird, dass sie alle Kompetenzen und deren Entwicklung durchdringt (vgl. Art. 19). Ebenso setzt die Förderung mehrsprachiger und mehrkultureller Kompetenz (Europarat 2001) auf die strategische Kompetenz der Schülerinnen und Schüler. Die Verankerung sprachenübergreifender Kompetenzen - basierend auf der Ausbildung und Förderung von Sprach(en)- und Sprach(en)lernbewusstheit - in den Lehrplänen spiegelt diese Bestrebungen wider (vgl. Art. 35). 375 79. Lernerstrategien und Lerntechniken 6. Perspektiven Anliegen zahlreicher Studien in der Strategieforschung war es, das Lernstrategieverwendungsprofil von Lernenden zu erheben. Zu diesem Zweck orientieren sich bis heute viele Untersuchungen am Strategy Inventory for Language Learning (SILL, Oxford 1990). Leider haben diese Arbeiten nicht immer hinreichend zwischen Strategiewissen und tatsächlichem Strategiegebrauch unterschieden, sondern beide Ebenen gleichgesetzt. Daneben existieren inzwischen auch qualitativinterpretative Studien, die nicht mit Hilfe von Selbsteinschätzungsskalen operieren und Einblicke in den individuellen Strategiegebrauch bzw. die Strategievermittlung und ihre Grenzen erlauben (vgl. für einen kritischen Überblick z. B. Macaro 2006). Auch die Mehrsprachigkeitsdidaktik und die Tertiärsprachenforschung haben zur Identifizierung mehrsprachiger - d. h. sprachenvergleichender - Strategien beigetragen. Viele Forschungsfragen bleiben noch unbeantwortet. Möglicherweise bietet ein komplexer, kompetenz- und aufgabenorientierter mehrsprachigkeitsfördernder Fremdsprachenunterricht Raum für den Einsatz und die weitere Erforschung von Lernerstrategien. Literatur Anderson, N. J. (2005): L2 learning strategies, in: E. Hinkel (Hrsg.): Handbook of research in second language teaching and learning. Mahwah, New Jersey, 757-776. Bimmel, P. / Rampillon, U. (2000): Lernerautonomie und Lernstrategien. Berlin. Ellis, G. / Sinclair, B. (1989): Learning to learn English. A course in learner training. Cambridge. Europarat, Hrsg. (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen. Strasbourg. Hosenfeld, C. (1978): Students’ mini-theories of second language learning. Assocation Bulletin 30/ 2, 1-3. Macaro, E. (2006): Strategies for language learning and language use: revising the theoretical framework. The Modern Language Journal 90/ 3, 320-337. Mißler, B. (1999): Fremdsprachenlernerfahrungen und Lernstrategien. Eine empirische Untersuchung. Tübingen. Naiman, N. / Fröhlich, M. / Stern, H. H. / Todesco, A. (1978): The good language learner. Toronto. Nold, G. (2009): Lernstrategien im Netzwerk von Einflüssen auf den Prozess des Fremdsprachenlernens. Fremdsprachen Lehren und Lernen 38, 37-50. O’Malley, M. J. / Chamot, A. U. (1990): Learning strategies in second language acquisition. Cambridge. Oxford, R. L. (1990): Language learning strategies. What every teacher should know. Boston. Raabe, H. (1989): Fragen im Fremdsprachenunterricht und Lernstrategien, in: F. G. Königs / A. Szulc (Hrsg.): Linguistisch und psycholinguistisch orientierte Forschung zum Fremdsprachenunterricht. Bochum, 193-214. Rampillon U. (1997): Sind Lerntechniken und Lernstrategien eigentlich technizistisch? Gedanken zur Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden im Bereich des prozeduralen Wissens und Könnens, in: F.-J. Meißner (Hrsg): Interaktiver Fremdsprachenunterricht: Wege zu authentischer Kommunikation. Tübingen, 119-128. Raupach, M., Koord. (2009): Strategien im Fremdsprachenunterricht. Fremdsprachen Lehren und Lernen 38. Riemer, C. (2009): Training und Stretching im Fremdsprachenunterricht - Lerneignung, Lernstile und Lernstrategien. Fremdsprachen Lehren und Lernen 38, 18-36. 376 Mark Bechtel Rubin, J. (1975): What the „good language learner“ can teach us. TESOL Quarterly 9/ 1, 41-51. Schmenk, B. 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Begrifflichkeit Von Sprachenlernen im Tandem spricht man, wenn zwei Lernende unterschiedlicher Muttersprache zusammenkommen, um miteinander zu kommunizieren und sich gegenseitig beim Erlernen ihrer Sprachen zu unterstützen, wobei die Muttersprache des einen die Zielsprache des anderen ist. Als Methode bietet es sich immer dort an, wo es zu Begegnungen zwischen verschiedensprachigen Personen kommt, die ein beiderseitiges Sprachlerninteresse haben. Unterschieden werden Einzeltandem und Tandemsprachkurs sowie die Modi Präsenz- und Distanztandem. Beim Tandem lernen zwei Tandempartnerinnen bzw. -partner außerunterrichtlich von- und miteinander. Sie finden sich über eine Vermittlungsstelle vor Ort oder eine Online-Tandempartner-Börse, erhalten von dieser methodische Hinweise zum Tandemlernen, entscheiden dann aber gemeinsam und selbstgesteuert, wo, wann, wie lange sie sich treffen sowie was und wie sie voneinander lernen. Einige Vermittlungsstellen bieten auch Sprachlernberatung an (vgl. Art. 81). Bei Tandemkursen kommen zwei zahlenmäßig (möglichst) gleich große Lerngruppen unterschiedlicher Muttersprache zu einem Kurs zusammen, der innerhalb eines institutionellen Rahmens stattfindet und somit einer didaktisch-methodischen Planung und Ausgestaltung von außen unterliegt. Im Rahmen von Tandemkursen ist das Tandemlernen nur eine der möglichen Sozialformen, jedoch eine zentrale. Von Präsenztandem spricht man, wenn beide Tandempartner gleichzeitig am selben Ort anwesend sind, der Austausch erfolgt hierbei von Angesicht zu Angesicht, zeitlich synchron und mündlich. Tandem auf Distanz (auch „E-Tandem“ ) bedeutet, dass beide Partner räumlich voneinander getrennt mit Hilfe elektronischer Medien kommunizieren (Brammerts & Little 1996). Bei E-Mail-Tandems findet die Interaktion zeitlich asynchron und schriftlich statt. Die Videotelefonie (Skype) erlaubt einen synchronen mündlichen Austausch und bietet zusätzlich die Möglichkeit, Dokumente zu verschicken und gleichzeitig auf bestimmte Internetseiten zuzugreifen. 377 80. Sprachenlernen im Tandem 2. Problemaufriss Das Sprachenlernen im Tandem blickt mittlerweile auf eine über 50-jährige Geschichte zurück (Herfurth 1993). Entstanden ist die Tandem-Idee Ende der 1960er Jahre im Umfeld des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) als Methode zur Ausgestaltung von Sprachprogrammen im Rahmen außerschulischer deutsch-französischer Jugendbegegnungen, wo sie bis heute angewendet wird (DFJW 2007; OFAJ/ DFJW 2014). In den 1970er Jahren wird die Idee vereinzelt in der Erwachsenenbildung aufgenommen (bspw. deutsch-türkische Tandemkurse an der Volkshochschule München). Die erste Tandem-Vermittlungsstelle entsteht 1979 in Madrid für das Sprachenpaar Deutsch-Spanisch, aus der in Zusammenarbeit mit dem Goethe- Institut 1982 ein Tandemkursprogramm entwickelt wird, das Unterricht in getrennten Gruppen (Deutsch bzw. Spanisch als Fremdsprache) verbindet mit angeleiteten Tandemarbeitsphasen sowie Einzeltandems außerhalb des Kurses (Wolff 1984). Mitte der 1980er Jahre greifen einige Hochschulen die Tandem-Idee auf. Die ersten Tandem-Vermittlungsstellen werden eingerichtet, Intensiv-Tandemkurse organisiert, oft mit einer fachsprachlichen Ausrichtung (z. B. die Universitäten Bochum - Oviedo, Mainz - Dijon). Mittlerweile existieren an fast allen universitären Sprachlernzentren Tandembüros. Im letzten Jahrzehnt wurde an einigen Standorten das Angebot durch Tandemkurse im Distanzmodus ergänzt (z. B. Universität Hannover). Im schulischen Bereich wird die Tandem-Idee vereinzelt zur Ausgestaltung von Schüleraustausch genutzt (Böing 2007; Sommerfeldt et al. 2014), hat sich aber (noch) nicht durchgesetzt. Neue Initiativen wie Tele-Tandem oder etwinning, die auf die Nutzung neuer Medien setzen, sollen hier Abhilfe schaffen (OFAJ/ DFJW o. J.). Seit den 1990er Jahren ist auch das Deutsch-Polnische Jugendwerk (DPJW) im Tandembereich aktiv (vgl. Mehlhorn et al. 2013). Die 1993 gegründete Stiftung TANDEM- Fundazioa hat sich zur Aufgabe gemacht, Impulse für die Aus- und Fortbildung, die Erstellung von Tandem-Materialien und eine intensivere Erforschung zu geben. Ein Forum dafür bieten die seit 1989 stattfindenden Tandem-Kongresse und ihre Tagungsdokumentationen (zuletzt Hahn & Reinecke 2013). Zur Systematisierung des Wissens tragen Handbücher bei (DFJW 2007; Brammerts & Kleppin 2 2005; Holstein & Oomen-Welke 2006). Das auf den Prinzipien der Gegenseitigkeit und der Lernerautonomie (vgl. Art. 78) beruhende Sprachenlernen im Tandem ist eine Mischform aus ungesteuertem Spracherwerb und gesteuertem Sprachenlernen (Herfurth 1993; vgl. Art. 59). Einerseits weist es Charakteristika des ungesteuerten Spracherwerbs auf, da der direkte Kontakt mit einem Muttersprachler Möglichkeiten der authentischen, natürlichen Kommunikation eröffnet, so wie man es außerhalb von Unterricht im Zielsprachenland antrifft. Andererseits findet die Kommunikation in einem Lehr-Lern-Kontext statt, bei dem die Tandempartner durch eine (explizite oder implizite) „didaktische Vereinbarung“ wechselseitig die Rolle des Lernenden der Fremdsprache und die des Lehrenden für die eigene Muttersprache einnehmen. In der Lernerrolle wendet der Tandempartner die Fremdsprache an, bittet bei Formulierungsschwierigkeiten um Hilfe und Korrekturen, versucht die muttersprachlichen Gesprächsbeiträge des Gegenübers zu verstehen, fragt bei Verständnisproblemen nach und notiert sich Formulierungen, die für den eigenen Gebrauch nützlich sein könnten. In der Rolle des Muttersprachlers ist der Tandempartner „Lehrperson“ in dem Sinn, dass er zum einen den Tandempartner hinsichtlich vereinbarter Fehleraspekte korrigiert und auf sprachliche Formulierungsalternativen hinweist. Zum 378 Mark Bechtel anderen dient er durch eigene muttersprachliche Beiträge als sprachliches Vorbild und hilft bei Verständnisschwierigkeiten. Zu dieser Rolle gehört beim Sprachenlernen im Tandem dagegen nicht, Lernziele und Lernwege für das Gegenüber festzulegen. Dem Prinzip der Lernerautonomie folgend ist es der Tandempartner in der Lernerrolle, der bestimmt, wozu, was und wie er lernen möchte (Schmelter 2004). Auch wenn durch die Beidseitigkeit des Sprachlerninteresses prinzipiell unterschiedliche Sprachenkonstellationen möglich sind (vgl. Bechtel 2003), wird bei mündlicher Kommunikation empfohlen, dass beide Tandempartner die Hälfte der zur Verfügung stehenden Zeit in der einen Sprache, die andere Hälfte in der anderen Sprache miteinander kommunizieren. Durch einander abwechselnde, einsprachige Phasen soll sichergestellt werden, dass beide Tandempartner in gleichem Maße auf ihrem jeweiligen Niveau in der Fremdsprache sprechen und das Gegenüber in seiner Muttersprache sprechen hören können. Bei schriftlicher Kommunikation über E-Mail wird geraten, einen Teil der E-Mail in der Muttersprache zu verfassen, den zweiten Teil in der Fremdsprache. Eine klare Sprachentrennung und die Hälfte-Hälfte-Regel sind insbesondere dann von Vorteil, wenn die Tandempartner die Fremdsprache unterschiedlich gut beherrschen. Nur so kann gewährleistet werden, dass in jeder Sprache auf dem entsprechenden Niveau kommuniziert und gelernt wird. Brammerts & Kleppin (2005) weisen darauf hin, dass Tandem nicht für Personen geeignet ist, die gerade erst mit dem Lernen einer neuen Sprache beginnen. Neben der Anwendung kommunikativer Kompetenzen bietet das Sprachenlernen im Tandem einen besonderen Ort zum interkulturellen Lernen. Zum einen stellt es eine interkulturelle Begegnungssituation dar, die die Tandempartner praktisch bewältigen müssen. Gleichsam erleichtert der Lehr-Lern- Kontext und die Beidseitigkeit des Lerninteresses, sich wechselseitig kulturelles Wissen anzueignen, eigene Wirklichkeitserfahrungen mit denen des Gegenübers in Beziehung zu setzen, die eigene Perspektive darzustellen und zu versuchen, die Perspektive des Gegenübers zu verstehen (Bechtel 2003). Für die Tandemarbeit bieten sich insbesondere Themen und Aufgaben an, die auf den unmittelbaren Erfahrungsbereich der Tandempartner abzielen, über den sie kompetent berichten können (Familie, Freunde, Schule/ Arbeitswelt, Freizeit, usw.). Das Material liefern die Tandempartner dabei gewissermaßen selbst, wenn sie in der Muttersprache über ihre Wirklichkeitserfahrungen berichten. Als Anregung dienen Tandemarbeitsblätter mit Fragen, Bild- und Textmaterial, durch die der Austausch auf bestimmte Aspekte des Themas gelenkt wird. Tandemaufgaben für unterschiedliche Sprachen sind im Internet frei zugänglich (Brammerts 1996- 1999). Die umfangreichste Sammlung steht für das Sprachenpaar Deutsch-Französisch zur Verfügung (OFAJ/ DFJW 2012). Andere Publikationen enthalten Aufgaben speziell für Tandemkurse in Präsenzform (DFJW/ OFAJ 2007; Herfurth 1993, Mehlhorn et al. 2013) oder für den Einsatz beim Schüleraustausch (OFAJ/ DFJW 2014). 3. Forschungsstand Im Fokus der Forschung stehen das sprachliche und das interkulturelle Lernen im Tandem sowie die Tandem-Lernberatung. Mittels konversationsanalytischer Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass beim Sprachenlernen im Tandem sowohl Kommunikationsstrategien anzutreffen sind, wie sie in „natürlicher“ Muttersprachler-Nichtmuttersprachler-Kommunikation beobachtet werden können (Dausendschön-Gay 379 80. Sprachenlernen im Tandem 1987), als auch ein spezielles Sprachlehr- und -lernverhalten, das beide Tandempartner anwenden, um die Fremdsprache zu lernen und den Partner beim Sprachenlernen zu unterstützen (Rost-Roth 1995). Herfurth (1993) kommt in seiner Fragebogenuntersuchung mit Teilnehmenden von universitären Tandemkursen zu dem Ergebnis, dass Kommunikationsschwierigkeiten, die sich aus begrenztem Sprachwissen und unzureichenden Kenntnissen über den kulturellen Hintergrund des Gegenübers ergeben, im Tandem zur Antriebskraft für die weitere Kommunikation werden können, wodurch auch Probleme interkultureller Art leichter, schneller und offener thematisiert würden. Bechtel (2003) zeigt in seiner diskursanalytischen Untersuchung, wie Tandempartner eines universitären deutschfranzösischen Tandemkurses bei der Darstellung und Übernahme von Perspektiven vorgehen und wie sie dabei ihre Rolle als Mittler zwischen den unterschiedlichen Perspektiven ausfüllen. Aus der Rekonstruktion der Art und Weise, wie Tandempartner das selbstgesteuerte Fremdsprachenlernen im Tandem aus ihrer Sicht gestalten und wie Beratende dies einschätzen, werden Vorschläge zur Verbesserung der Beratungspraxis abgeleitet (Schmelter 2004; Hahn & Reinecke 2013). 4. Praxisrelevanz Das Sprachenlernen im Tandem hat überall dort praktische Relevanz, wo es zu direkten oder virtuellen Begegnungen von Lernenden mit beiderseitigem Sprachlerninteresse kommt. Als Einzeltandem im Präsenzbzw. Distanzmodus erlaubt es Fremdsprachenlernenden im Kontakt mit Muttersprachlern ihre Kenntnisse außerunterrichtlich selbstgesteuert anzuwenden, meist in Ergänzung zu einem Sprachkurs oder als Alternative, wenn aus zeitlichen oder finanziellen Gründen ein Sprachkurs nicht in Frage kommt. Eine Reihe von Online-Tandemportalen hat mittlerweile die Suche von Tandempartnerinnen und -partnern vor Ort vereinfacht (z. B. www. tandempartners.org). Ein weiteres Praxisfeld sind Austauschprogramme im Präsenz- oder Distanzmodus. Das Mit- und Voneinanderlernen im Tandem ist eine erprobte Methode, solche Begegnungsprogramme effektiv didaktisch-methodisch auszugestalten, sei es in der Erwachsenenbildung, beruflichen Weiterbildung oder im universitären, schulischen bzw. außerschulischen Bereich. In beiden Praxisfeldern ist eine individuelle Sprachlernberatung hilfreich. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass es sich beim Sprachenlernen im Tandem um eine autonome Lernform handelt, für die die Lernenden anfangs oft Unterstützung benötigen, z. B. zur Festlegung erreichbarer Lernziele, Reflexion von Lernstrategien und Evaluation von Lernfortschritten (vgl. Art. 81). 5. Perspektiven Im Bereich der Einzeltandems konzentrieren sich die Online-Tandembörsen v. a. auf die durch Datenbanken gesteuerte Vermittlung von Präsenztandems. Wünschenswert wäre zum einen eine Ausweitung auf Distanztandems, um Tandeminteressierte weltweit ortsunabhängig zusammenzubringen, zum anderen die Bereitstellung methodisch-didaktischer Hinweise für das Sprachenlernen im Tandem in mehreren Sprachen, so wie sie beispielhaft der Tandem-Server der Ruhr- Universität Bochum zur Verfügung stellt (Brammerts 2001). Im Bereich der Tandemkurse ist das Potential weder im Präsenznoch im Distanzmodus ausgeschöpft. Austauschprojekte als 380 Mark Bechtel eTandemkurse sind überall dort einsetzbar, wo es an Zeit und Geld für einen Besuch vor Ort fehlt. Es bedarf dazu allerdings eines zwischen den Organisatoren abgestimmten Lernszenarios, das eine gut durchdachte Abfolge von Tandem-Aufgaben mit einem sinnvollen Einsatz unterschiedlicher Kommunikationsmedien (Blog, Email, Chat, Videotelefonie) verknüpft, und einer tutoriellen Begleitung. Im Präsenzmodus sind Tandemkurse als Ergänzung zur universitären sprachpraktischen Ausbildung und zur Intensivierung des Schüleraustauschs durch die aktive Herbeiführung von Tandemphasen zwischen den Schülergruppen aus den Partnerschulen denkbar. Literatur Bechtel, M. (2003): Interkulturelles Lernen beim Sprachenlernen im Tandem. Eine diskursanalytische Untersuchung. Tübingen. Böing, M. (2007): Sprachdynamik garantiert! Erlebnisorientierte Tandemaktivitäten für den Schüleraustausch. Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 41/ 87, 10-19. Brammerts, H. (1996-1999): International Tandem Network. Aufgaben für das Sprachenlernen im Tandem. www.cisi.unito.it/ tandem/ tan dem/ idxdeu21.html Brammerts H. (2001): eTandem Europa. www.cisi.unito.it/ tandem/ etandem/ etindex-de.html Brammerts, H. / Kleppin, K., Hrsg. ( 2 2005): Selbstgesteuertes Lernen im Tandem. Ein Handbuch. Tübingen. Brammerts, H. / Little, D., Hrsg. (1996): Leitfaden für das Sprachenlernen im Tandem über das Internet. Bochum. www.cisi.unito.it/ tandem/ email/ org/ brochdeu. PDF Dausendschön-Gay, U. (1987): Lehren und Lernen in Kontaktsituationen, in: J. Gerighausen / P. C. Seel (Hrsg.): Aspekte einer interkulturellen Didaktik. Dokumentation eines Werkstattgesprächs des Goethe-Instituts München vom 16.-17. Juni 1986. München, 60-81. DFJW / OFAJ (2007): Die Tandem-Methode. Theorie und Praxis in deutsch-französischen Sprachkursen. www.tele-tandem.de/ public/ Tandem _Handbuch.pdf Hahn, N. / Reinecke, K., Hrsg. (2013): Erfahrungen mit Sprachlerntandems: Beratung, Begleitung und Reflexion. Freiburg. Herfurth, H.-E. (1993): Möglichkeiten und Grenzen des Fremdsprachenerwerbs in Begegnungssituationen. Zu einer Didaktik des Fremdsprachenlernens im Tandem. München. Holstein, S. / Oomen-Welke, I. (2006): Sprachen- Tandem für Paare, Kurse, Schulklassen. Ein Leitfaden für Kursleiter, Lehrpersonen, Migrantenbetreuer und autonome Tandem-Partner. Freiburg. Mehlhorn, G. / Jakubowicz-Pisarek, M. / Zawadzka, A. (2013): Zum Tandem braucht man zwei. Tandemmaterialien für Multiplikatoren im deutsch-polnischen Jugendaustausch. Rzeszów. OFAJ / DFJW (2012): Tête à tête. Anregungen für das Sprachenlernen im Tandem. Paris, Berlin, www.dfjw.org/ sites/ default/ files/ tete-a-tetetravail-arbeitsblaetter _0.pdf. OFAJ / DFJW (2014): Tête à tête macht Schule. Tandemlernen im Schüleraustausch. Paris, Berlin. www.dfjw.org/ sites/ default/ files/ flipbook/ tete_a_tete_fait_ecole-macht _schule/ index. html OFAJ / DFJW (o. J.): Tele-tandem. www.dfjw.org/ tele-tandem Rost-Roth, M. (1995): Sprachenlernen im direkten Kontakt. Autonomes Tandem in Südtirol. Eine Fallstudie. Meran. Schmelter, L. (2004): Selbstgesteuertes oder potenziell expansives Fremdsprachenlernen im Tandem. Tübingen. Sommerfeldt, K. / Glenk, L. / Langhoff, J. / Runge, A. (2014): De intercambio. Zweisprachiges Tandemlernen. Der fremdsprachliche Unterricht Spanisch 12/ 44, 12-17. 381 81. Sprachlernberatung Wolff, J. (1984): TANDEM -Kurse: Fremdsprachenlernen im Austausch. Der fremdsprachliche Unterricht 18/ 71, 240-242. Mark Bechtel 81. Sprachlernberatung 1. Begrifflichkeit Auch wenn die Sprachlernberatung in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen hat und eine beachtliche Menge an Fachliteratur dazu erschienen ist, steht eine einheitliche Konzeptualisierung noch immer aus und es ist auch fraglich, ob ein einheitliches Begriffsverständnis überhaupt erzielt werden kann. Das liegt v. a. darin begründet, dass mittlerweile unter diesem Begriff sich stark voneinander unterscheidende Beratungsformen verstanden werden, die sich auf unterschiedliche Beratungsansätze berufen und auch in ihrer Organisationsform sehr unterschiedlich ausgestaltet sein können, z. B. Individualberatung, Tandemberatung, Online- Beratung, Peer-Beratung, Aussprachlernberatung etc. Seit ungefähr 2010 wird im Kontext des Sprachenlehrens und -lernens der Begriff der Beratung zunehmend um den des Coachings ergänzt bzw. durch ihn ersetzt; ein prominentes und aktuelles Beispiel dafür ist das systemisch-konstruktivistische Sprachlern-Coaching (vgl. u. a. Kleppin & Spänkuch 2012). Aber auch der Coaching- Begriff ist nicht einheitlich definiert und stützt sich auf unterschiedliche Ansätze. Allen Formen der Sprachlernberatung gemein ist, dass sie eine - in der Regel professionelle - Unterstützung oder Hilfestellung beim Lernen von Fremdsprachen bieten. Sie fokussieren den individuellen Lernenden und nehmen seine persönlichen Anliegen in Bezug auf das Sprachenlernen in den Blick. Dazu gehören u. a. das Klären von Lernzielen, möglicher Wege zum Erreichen dieser Ziele, die Auswahl geeigneter Materialien und die Evaluation des Lernprozesses. 2. Problemaufriss und historische Entwicklung Die Entwicklung der Sprachlernberatung ist im Kontext des selbstgesteuerten Lernens und des bereits schon in den 1970er Jahren für den lernerzentrierten Unterricht geforderten Wandels der Lehrerrolle zu sehen, die sich von der Funktion eines reinen Wissensvermittlers hin zu einem Lernbegleiter oder -berater verändern sollte. Erste Sprachlernberatungsangebote, die unabhängig von Lehrenden und Unterrichtssituation angeboten wurden, gab es an Selbstlernzentren, die seit den 1970er Jahren an Hochschulen entstanden. Prominentes Beispiel ist das Centre de recherches et d’applications pédagogiques en langues (CRAPEL) in Nancy, das untrennbar mit dem Namen Henri Holec verbunden ist. Dieses Selbstlernzentrum mit seinem Beratungsangebot wurde durch viele bis heute häufig zitierte Publikationen, v. a. im Zusammenhang mit dem Konzept der Lernerautonomie und dem selbstgesteuerten Lernen, bekannt (u. a. Holec 1981). In Deutschland wurde die Entwicklung der Sprachlernberatung durch weitere Formen des selbstgesteuerten Lernens angestoßen, so können z. B. an der Ruhr-Universität in Bochum seit Ende der 1980er Jahre Tandem-Beratungen wahrgenommen werden (vgl. die Beiträge in Brammerts & Kleppin 2005). Aber auch die verstärkte Nutzung digitaler Medien zum Fremdsprachenlernen förderte die Implementierung von Sprachlernberatungsangeboten, z. B. in Mediatheken oder zur Begleitung des Einsatzes von (elektronischen) Sprachenportfolios. 382 Tina Claußen Die ersten Konzeptualisierungen von Sprachlernberatung stützten sich auf die humanistische Psychologie nach Carl Rogers und übernahmen deren Menschenbild, allgemeine Beratereigenschaften und die Gesprächs- und Beratungstechniken der nichtdirektiven, personenzentrierten Beratung (u. a. Rogers 1972). Die Grundannahme besteht darin, dass der Beratende den Lernenden dabei unterstützt, für seine Anliegen und Lernschwierigkeiten Lösungen zu finden, die der Lernende selbst in sich trägt. In der Konsequenz bedeutet dies, dass ein Beratungsgespräch auf Augenhöhe stattfindet und der Beratende das Gespräch nicht zu stark steuern, sondern den Ratsuchenden zu Reflexionen anregen soll. Eine strikt nicht-direktive Vorgehensweise wird mittlerweile aufgrund von empirischen Forschungsergebnissen und Praxiserfahrungen zunehmend in Frage gestellt. Stattdessen wird für eine situations- und adressatenadäquate, allgemein flexiblere Beratungspraxis plädiert (Claußen & Deutschmann 2014: 92-95, 103-104). Neben der humanistischen Psychologie nimmt die Sprachlernberatung Bezug auf das Konzept der Lernerautonomie (vgl. Art. 78). Die Förderung von Lernerautonomie oder des selbstgesteuerten Lernens wird zudem in vielen Publikationen als zentrales Ziel der Sprachlernberatung benannt. Allerdings wurde an diesem Konzept vermehrt Kritik geübt (u. a. Schmenk 2008), da berechtigterweise die Frage gestellt werden kann, inwieweit Autonomie in einem institutionalisierten Lern- und Beratungskontext gefördert werden kann. Der Beratung kann aber die Aufgabe zukommen, den Lernenden dabei zu helfen, die internen und externen Einflussfaktoren des eigenen Lernens in den Blick zu nehmen und somit über selbst- und fremdbestimmtes Lernen zu reflektieren (Schmelter 2006; Schmenk 2014). 3. Forschungsstand Obgleich mittlerweile viele Institutionen Sprachlernberatung anbieten, liegen bislang vergleichsweise wenig Forschungsarbeiten vor. In anderen Disziplinen jedoch, wie z. B. den Erziehungswissenschaften, der Gesprächslinguistik, der Psychologie und der akademischen Schreibberatung, sind Beratungsgespräche ein häufiger Forschungsgegenstand. Ein Teil der Forschungsarbeiten, der sich explizit mit Sprachlernberatung beschäftigt, untersucht das Beraterverhalten und die Interaktion in Beratungsgesprächen (z. B. Mozzon-McPherson 2012). Die meisten dieser Studien bedienen sich dabei gesprächsanalytischer Verfahren, um u. a. interaktionale Merkmale von Beratungsgesprächen zu beschreiben und ihren Einsatz und ihre Wirkung zu überprüfen. Sie verfolgen oftmals das Ziel, Anstöße für die Veränderung von Beratungsgesprächen zu geben, um die Beratungspraxis weiterzuentwickeln. Eine weitere Gruppe von Forschungsarbeiten beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Sprachlernberatung auf den individuellen Lernprozess oder mit ihrer Wirksamkeit (z. B. Claußen 2009; Saunders 2010; Schmelter 2006). Eine Schwierigkeit bei der Erforschung der Wirksamkeit oder gar des Erfolgs von Sprachlernberatung stellen die unterschiedlichen Erwartungen der Beteiligten dar. Forschungsergebnisse zeigen, dass Beratende, Lernende und ggf. auch die die Beratung anbietende Institution mit Sprachlernberatung unterschiedliche Ziele verfolgen. Es muss also zunächst festgelegt werden, wann und für wen eine Beratung als wirksam oder erfolgreich bezeichnet werden kann. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Auswirkungen von Lernberatungen erst nach längerer Zeit zeigen können. Es ist zudem festzuhalten, dass die Wirksamkeit nicht unabhängig von weiteren inneren und äußeren 383 81. Sprachlernberatung Faktoren, die auf den Lernenden einwirken, untersucht werden kann (Koch & Saunders 2014: 142). Die bislang vorliegenden Studien arbeiteten vorzugsweise mit Forschungsmethoden, die dem qualitativen Paradigma zuzuordnen sind, die sich für die Bearbeitung eher offener Fragestellungen in diesem vergleichsweise unerforschten Feld anbieten. Außerdem wirkt eine Vielzahl an Faktoren auf den Beratungsprozess ein, wodurch eine Kontrolle von Variablen, wie sie die quantitative Forschung fordert, erschwert wird. Dennoch böten sich auch Möglichkeiten quantitativer Zugriffe auf den Forschungsgegenstand der Sprachlernberatung an, z. B. durch den Einsatz standardisierter Fragebögen bei der Evaluation von Beratungen (zu Methoden der Beratungsforschung vgl. Koch & Saunders 2014). 4. Praxisrelevanz Die Sprachlernberatung wird mittlerweile in immer mehr Lernkontexten in unterschiedlichen Formen angeboten. Da bei der Klassifikation von Sprachlernberatungsangeboten verschiedene Kriterien herangezogen werden, wird eine systematisierende Darstellung erschwert (Claußen & Deutschmann 2014: 90). Einen Versuch dazu haben Kleppin und Spänkuch (2014) unternommen, die verschiedene Kategorien erarbeitet haben, mit denen die unterschiedlichen Beratungskontexte voneinander abgegrenzt werden können. Eine für die Praxis sinnvolle Einteilung der Sprachlernberatungsangebote richtet sich nach den zu beratenden Adressaten. An Hochschulen können Studierende auf Beratungsangebote zurückgreifen, die sie in ihrem Fremdsprachenlernen unterstützen. Dazu zählen Tandemberatungen, Beratungen in Selbstlernzentren oder auch zu einzelnen Fertigkeiten, wobei der Schreibberatung eine zentrale Rolle zukommt. Eine Form der Sprachlernberatung, die sich auch eher an Studierende und erwachsene, lerngewohnte Lernende richtet, ist die Online-Sprachlernberatung über Mail, Chat und Internettelefon (vgl. Saunders 2010). Eine weitere Zielgruppe sind erwachsene Sprachenlernende an Volkshochschulen oder anderen Bildungseinrichtungen, wie private Sprachschulen, Goethe- Institute usw. Die dort oft angebotene Beratung zum Finden eines geeigneten Kurses unterscheidet sich aber von der in diesem Beitrag behandelten Sprachlernberatung, da diese Kursberatung nur bedingt als ein Unterstützungsangebot des individuellen Sprachenlernens gesehen werden kann. Darüber hinaus bieten einige Bildungsträger in Abhängigkeit ihrer Ausstattung Kursteilnehmenden den Besuch von Sprachlernberatung an. Dazu gehören v. a. Beratungsangebote, die sich an erwachsene Lernende des Deutschen als Zweitsprache richten, die an Integrationskursen teilnehmen. Allerdings gehören diese Sprachlernberatungen nicht zum regulären Angebot der Integrationskurse, sondern sind häufig an Projekte gebunden. Stellvertretend seien hier das Projekt „Leipziger Lernberatung in Integrationskursen mit Alphabetisierung“ (Markov, Scheithauer & Schramm 2015) und „SPRUNQ - Sprachcoaching für berufliche Unterstützung und Qualifizierung“ genannt (Daase, Ferber-Brull, Kaplinska-Zajontz & Romero 2014). Schülerinnen und Schüler haben an einigen Schulen die Möglichkeit eine allgemeine Lernberatung in Anspruch zu nehmen, unterrichtsunabhängige Sprachlernberatungsangebote dürften jedoch Ausnahmen darstellen. Allerdings gibt es Vorschläge, wie Beratungselemente in den Fremdsprachenunterricht integriert werden können. Zentral dabei ist es, den Lernenden Unterrichtsziele und -vorgehensweisen, die teilweise auch institutionell vorgegeben sind, transparent zu 384 Tina Claußen machen und die Lernenden zu Reflexionen über das eigene Lernen anzuregen (Kleppin & Spänkuch 2012: 48 f.). Sprachlernberatung wird von unterschiedlich qualifizierten Beratenden durchgeführt. Häufig fungieren Lehrende auch als Sprachlernberatende, sie sind aber auf diese Tätigkeit unterschiedlich gut vorbereitet. Obwohl in einigen Institutionen Beraterausbildungen angeboten werden, bestehen noch keine einheitlichen Ausbildungsstandards (vgl. Kleppin 2003). Grundsätzlich sind Beratende Experten für das Lernen und Lehren von Sprachen und können dabei auf linguistisches und pädagogisches Wissen zurückgreifen. Sie sind in der Lage, Lernschwierigkeiten zu identifizieren und im Gespräch mit dem Ratsuchenden geeignete Wege und Lösungen zu finden. Damit dies gelingt, müssen die Beratenden zusätzlich spezifische Beratungskompetenzen aufweisen, zu denen u. a. der Einsatz von Gesprächstechniken gehört, die zum Nachdenken über das Sprachenlernen anregen. Weiterhin ist eine kritische Reflexion der Beraterrolle - auch in Abgrenzung zur Lehrerrolle - und des eigenen Beraterverhaltens grundlegend für die professionelle Sprachlernberatung (zu praktischen Hinweisen für die Durchführung von Beratungen vgl. u. a. Markov et al. 2015 und Mehlhorn et al. 2009). 5. Perspektiven Aufgrund der Notwendigkeit der individuellen Förderung einzelner Lernender und einer weiteren Ausdifferenzierung sprachlicher Bedarfe und kommunikativer Bedürfnisse wird die Sprachlernberatung auch künftig eine sinnvolle Ergänzung des institutionellen Sprachenlernens darstellen. Dabei wird sich das Konzept vermutlich noch weiter ausdifferenzieren, die begrifflichen Unschärfen bedürfen aber weiterer Aufmerksamkeit und Bearbeitung. Die Forschung sollte sich zur weiteren Etablierung des Konzeptes und der Professionalisierung der Praxis trotz aller methodischen Schwierigkeiten weiterhin mit den Auswirkungen bzw. der Wirksamkeit von Sprachlernberatung beschäftigen und darüber hinaus geeignete Instrumente zur Evaluierung von Beratungen entwickeln. Wünschenswert wären zudem Untersuchungen von eher weniger prototypischen Beratungssituationen, wie z. B. der Beratung im Unterricht oder in den Tür-und-Angel-Gesprächen zwischen Lehrenden und Lernenden vor und nach dem Unterricht. Mit Blick auf die Beratungspraxis ist zu konstatieren, dass trotz der in der Praxis und einigen empirischen Untersuchungen grundlegend positiven Bewertung von Sprachlernberatung die Implementierung von Beratungsangeboten oftmals an der personellen und finanziellen Ausstattung scheitert und noch zu häufig von dem persönlichen Engagement einzelner Personen abhängt. Literatur Berndt, A. / Deutschmann, R.-U., Hrsg. (2014): Sprachlernberatung -Sprachlerncoaching. Frankfurt a. M. Brammerts, H. / Kleppin, K., Hrsg. (2005): Selbstgesteuertes Lernen im Tandem. Ein Handbuch, 2. Aufl., Tübingen. Claußen, T. (2009): Strategientrainig und Lernberatung. Auswirkungen auf das Kommunikations- und Lernerverhalten ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen. Tübingen. Claußen, T. / Deutschmann, R.-U. (2014): Sprachlernberatung - Hintergründe, Diskussionen und Perspektiven eines Konzepts, in: A. Berndt / R.-U. Deutschmann (Hrsg.), 83-111. Daase, A. / Ferber-Brull, R. / Kaplinska-Zajontz, M. / Romero, A. (2014): Ein SprunQ-Brett 385 81. Sprachlernberatung auf dem Weg zum individuellen Ziel. Das Modellprojekt „Sprachcoaching für berufliche Unterstützung und Qualifizierung“ . Deutsch als Zweitsprache 2, 6-23. Holec, H. (1981): Autonomy and foreign language learning. Oxford. Kleppin, K. (2003): Sprachlernberatung: Zur Notwendigkeit eines eigenständigen Ausbildungsmoduls. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung, 14/ 1, 71-85. Kleppin, K. / Spänkuch, E. (2012): Sprachlern- Coaching. Reflexionsangebote für das eigene Fremdsprachenlernen. Fremdsprache Deutsch, 46, 41-49. Kleppin, K. / Spänkuch, E. (2014): Konzepte und Begriffe rund um Sprachlernberatung. Aufräumarbeiten im terminologischen Dschungel. Ein Bochumer Vorschlag, in: A. Berndt / R.-U. Deutschmann (Hrsg.), 33-50. Koch, L. / Saunders, C. (2014): Theoretische Grundlagen und empirische Methoden in der Erforschung von Sprachlernberatung, in: A. Berndt / R.-U. Deutschmann (Hrsg.), 131-149. Markov, S. / Scheithauer, C. / Schramm, K. (2015): Lernberatung für Teilnehmende in DaZ- Alphabetisierungskursen. Münster. Mehlhorn, G. unter Mitarbeit von K.-R. Bausch / T. Claußen / B. Helbig-Reuter / K. Kleppin (2009): Studienbegleitung für ausländische Studierende an deutschen Hochschulen, 2. Aufl., München. Mozzon-McPherson, M. (2012): The skills of counselling in advising: Language as a pedagogic tool, in: J. Mynard / L. Carson (Hrsg.): Advising in language learning. Dialogue, tools and context. Harlow, 43-64. Rogers, C. (2010): Die nicht-direktive Beratung, 13. Aufl. Frankfurt a. M. Saunders, C. (2010): Einsatz von Distanzlernberatung - eine qualitative Evaluation, in: C. Altmayer / G. Mehlhorn / C. Neveling / N. Schlüter / K. Schramm (Hrsg.): Grenzen überschreiten: sprachlich - fachlich - kulturell. Baltmannsweiler, 63-74. Schmelter, L. (2006): Prekäre Verhältnisse: Bildung, Erziehung oder Emanzipation? Was will, was soll, was kann die Beratung von Fremdsprachenlernern leisten? Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht. 11 (2) 2006, 1-22 (online). Schmenk, B. (2008): Lernerautonomie. Karriere und Sloganisierung des Autonomiebegriffs. Tübingen. Schmenk, B. (2014): Autonomie durch Beratung? Überlegungen zu einem reflexiven Autonomiebegriff und seinen Implikationen für die Sprachlernberatung, in: A. Berndt / R.-U. Deutschmann (Hrsg.), 13-31. Spänkuch, E. (2014): Systemisch-konstruktivistisches Sprachlern-Coaching, in: A. Berndt / R.-U. Deutschmann (Hrsg.), 51-81. Tina Claußen 82. Formen selbstgesteuerten Lernens in der digitalen Welt 1. Begrifflichkeiten Selbstgesteuertes Lernen ist ein Lernen, bei dem der Lernende „die wesentlichen Entscheidungen, ob, was, wann, wie und woraufhin er lernt, gravierend und folgenreich beeinflussen“ kann (Weinert 1982: 102). Die Entscheidungen, die Lernende treffen müssen, beziehen sich auf Lernziele, Lernmethoden, die zu bearbeitenden Inhalte, Fragen der Progression und Fragen der Evaluation des eigenen Lernprozesses und -erfolgs. Neben diesen eher kognitiven Entscheidungen müssen selbstgesteuert Lernende darüber hinaus auch ihre Motivation, ihr Verhalten und ihren Lernkontext regulieren und Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess übernehmen (vgl. Art. 78). Häufig wird der Begriff des selbstgesteuerten Lernens nur in 386 Nicola Würffel Bezug auf Individuen verwendet; in diesem Artikel wird er aber auch auf Gruppen bezogen, die über unterschiedliche Grade von Selbststeuerung verfügen können. Digitalen Medien bzw. digitalen Lehr- und Lernmaterialien wird das Potenzial zugesprochen, selbstgesteuertes Lernen in besonderem Maße zu fördern - häufig allein aus dem Grund, weil Lernende beim Lernen in der digitalen Welt Ort und Zeit ihres Lernens einfacher bestimmen können. Tatsächlich gehen die Möglichkeiten der digitalen Medien zur Unterstützung des selbstgesteuerten Lernens aber weit darüber hinaus (vgl. Rösler 2012: 116). 2. Problemaufriss In Verbindung mit selbstgesteuertem Lernen tauchen die digitalen Medien häufig in zwei Begründungszusammenhängen auf: Zum einen wird darauf hingewiesen, dass in modernen Gesellschaften eine „Wissensexplosion“ zu beobachten ist, die u. a. auch mit der technischen Entwicklung zu tun hat (Friedrich 2002: 2). Um auf diese angemessen reagieren zu können, werden Lernformen wie das selbstgesteuerte Lernen bzw. auch das lebenslange Lernen wichtiger. Zum anderen haben die digitalen Medien die Möglichkeiten zum selbstgesteuerten Lernen erhöht und diversifiziert, u. a. indem sie durch den Einsatz vielfältiger Werkzeuge ein orts- und zeitflexibles Lernen, die Herstellung reichhaltiger Lernumgebungen, das Design komplexer Lernaufgaben und Handlungsformen sowie die gezielte Förderung spezifischer Kompetenzen ermöglichen und so den Lernenden unabhängiger vom Lehrenden machen können. In der Diskussion um das selbstgesteuerte Lernen in der digitalen Welt lassen sich Schwierigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen ausmachen. So gehen besonders im Zusammenhang mit den digitalen Medien die Begrifflichkeiten des individuellen Lernens, des Alleinlernens, des Selbstlernens und des selbstgesteuerten Lernens stark durcheinander (vgl. Rösler 2012: 116). Das computerunterstützte Selbstlernen wird darüber hinaus häufig nur als ein individuelles Lernen außerhalb von Institutionen gefasst - vielfältige Formen des computergestützten selbstgesteuerten Lernens im Klassenzimmer oder Seminarraum (individuell und in Gruppen) geraten damit gar nicht erst in den Blick. Schließlich werden selbstgesteuert Lernende häufig als Ideal propagiert. Im Zusammenhang mit den digitalen Medien entsteht zudem der Eindruck, Lernende könnten mit ihrer Hilfe völlig isoliert eine Sprache lernen. Dabei werden wichtige Punkte übersehen, z. B. die Bedeutung des sozialen Kontextes, den Lernende für das Lernen einer fremden Sprache brauchen, der aber bei vielen Formen des selbstgesteuerten Fremdsprachenlernens in der digitalen Welt nicht gegeben ist (vgl. Meese 2001: 51 f.). 3. Forschungsstand Untersucht man die Forschungsliteratur hinsichtlich der Formen, die die digitalen Medien zur Unterstützung des selbstgesteuerten Lernens bereitstellen, kann man folgende Schwerpunkte finden: • Es wird beschrieben, womit selbstgesteuert gelernt werden kann (d. h. Medien und Werkzeuge werden benannt). • Es wird ausgeführt, wie mit der Unterstützung digitaler Medien selbstgesteuert gelernt werden kann (d. h. methodische Konzepte werden dargestellt). • Es werden Charakteristika aufgezählt, die ein computergestütztes selbstgesteuertes Lernen ausmachen. 387 82. Formen selbstgesteuerten Lernens in der digitalen Welt a) Digitale Medien und Werkzeuge zur Unterstützung des selbstgesteuerten Lernens Digitale Medien und Werkzeuge, die zum selbstgesteuerten Sprachenlernen genutzt werden können, liegen offline in Form von CD-ROMs, DVDs bzw. auf Sticks oder online im Internet vor; sie sind darüber hinaus zum Teil für mobile Endgeräte geeignet oder eher für stationäre Geräte konzipiert. Man kann Medien und Werkzeuge voneinander abgrenzen: Während ein Werkzeug eine inhaltsleere digitale Anwendung darstellt, ist das Medium ein Informationsträger, der „aus Verbindungen von Zeichen- und Symbolsystemen mit einer jeweils dazu passenden Präsentationsform“ (Mitschian 2004: 13) besteht. Neben diesen eher technischen Unterscheidungsmerkmalen lassen sich die Medien und Werkzeuge auch noch nach didaktisch-methodischen Aspekten differenzieren: So kann man nach Mitschian (vgl. ebd.: 20-28) zwischen authentischen (ohne didaktische Ausgangsqualität), adaptierten (für Lernzwecke hergestellten) und methodisierten (d. h. mit einem Lernverfahren verknüpften) Medien und Werkzeugen unterscheiden. Die in Tab. 1 angegebenen Medien und Werkzeuge sind als Beispiele zu verstehen (vgl. ausführlicher Würffel 2010). Untersuchungen liegen vor zu den methodisierten Medien, die den Anspruch haben, dem Lernenden umfassende Sprachkenntnisse zu vermitteln (vgl. u. a. Nandorf 2004), und zu solchen, mit denen der selbstgesteuerte Erwerb bestimmter Fertigkeiten (vgl. u. a. Würffel 2006, Rösler 3 2010: 115 ff. und Adamczak-Krysztofowicz et al. 2015), der Aussprache (vgl. u. a. Kaltenböck 2001), des Erwerbs bestimmter Kompetenzbereiche wie Wortschatz und Grammatik (vgl. u. a. Gick 2002 und Mitschian 2010) oder auch von Lernstrategien (vgl. u. a. Würffel 2006) gefördert werden können. Zur Einordnung und Evaluation methodisierter Medien liefert Offline stationär Online stationär Mobil Authentische Medien Lexika; Hörbücher; Spielfilme/ Dokumentationen auf CD-ROM/ DVD Informationsseiten jeglicher Art im WWW (Homepages, Blogs, Wikipedia u. v. m.); Online-Lexika; Videoclips; Sprachkorpora ebooks Adaptierte Medien Elektronische Wörterbücher oder Kinderlexika auf CD-ROM/ DVD Online-Grammatiken; Online-Wörterbücher Portable elektronische Wörterbücher Methodisierte Medien Lernsoftware auf CD-ROM/ DVD Lernprogramme; Lehrbuch-Erweiterungen; Lernspiele Lern-Applikationen für mobile Endgeräte Authentische Werkzeuge Textverarbeitungsprogramme; Präsentationsprogramme; Strukturierungsprogramme (zum Erstellen von Mindmaps): Konkordanzprogramme Soziale Netzwerke; E-Mail; Foren; Chat; Instant Messaging mit Sprach- oder Videomessaging; Audio- oder Videokonferenzen; Kooperative Editoren (u. a. Wikis); Weblogs Kommunikations-Apps (Whatsapp, Facebook Messenger); SMS; Podcasts; GPS Adaptierte Werkzeuge Lernplattformen Mobile Lernplattformen Methodisierte Werkzeuge Autorenprogramme; Vokabeltrainer Autorenprogramme; Vokabeltrainer; E-Portfolio; Webquestgeneratoren Vokabeltrainer Tabelle 1: Digitale Medien und Werkzeuge zur Unterstützung des selbstgesteuerten Lernens Mitschian (2004) ein nachvollziehbares und gut strukturiertes Bewertungsinstrumentarium, das diese anhand der Kategorien Medialität, Interaktivität und Adaptivität zu beschreiben und zu bewerten versucht. b) Methodische Ansätze zum selbstgesteuerten Lernen in der digitalen Welt In der Forschungsliteratur werden sowohl Orte als auch spezifische Formate des com- 388 Nicola Würffel putergestützten selbstgesteuerten Lernens (außerhalb des Klassenzimmers bzw. Seminarraums) thematisiert - beiden Schwerpunkten liegt die Diskussion spezifischer methodischer Ansätze zugrunde. Eine lange Tradition hat die Diskussion zu Selbstlernzentren, in denen schon sehr früh digitale Medien eingesetzt worden sind - zunächst v. a. in Form von Sprachlernprogrammen auf CD-ROM und DVD, später auch in Form vielfältiger Internetanwendungen. Charakteristisch für Sprachlernzentren ist, dass Lernende hier zwar selbstgesteuert individuell und ohne Anwesenheit eines Lehrenden lernen sollen/ müssen, dass ihnen zur Unterstützung aber bei Bedarf häufig eine Tutorin oder ein Tutor und zum Teil auch vorstrukturiertes Material (je nach Sprachniveau) zur Verfügung gestellt werden (vgl. Nalezinski & Raaf 2007: 61 f.). Trotz dieses Angebots stellt (auch) für Selbstlernzentren die Motivierung der Lernenden eine hohe Herausforderung dar. In Selbstlernzentren werden deshalb vielfältige Versuche unternommen, dem Abbruch des Lernens entgegenzuwirken: Intrinsische Motivation soll durch eine stetige Verbesserung der angebotenen Materialien erreicht werden, die stärker auf die Bedürfnisse der Zielgruppe zugeschnitten werden (diese Bedürfnisse sehen jedoch häufig ganz anders aus, als die Materialersteller sich das zunächst vorgestellt haben, vgl. Hess 2006: 319) oder die methodisch in einer Weise gestaltet werden, die das Selbstlernen besonders gut unterstützen soll (z. B. durch die Integration eines expliziten Strategietrainings, vgl. Würffel 2006: 457). Die extrinsische Motivation der Lernenden wiederum soll durch Verträge und/ oder das Erstellen von Zertifikaten erhöht werden (vgl. Nalezinski & Raaf 2007: 65). Sehr viel neuer, dafür aber deutlich prominenter ist die Diskussion um das mobile Selbstlernen von Sprachen - wobei sich ,mobil‘ sowohl auf das genutzte Endgerät beziehen kann als auch auf den Nutzenden (vgl. Mitschian 2010: 17). Zentral ist damit für das mobile Lernen neben dem technischen Charakteristikum der Nutzung mobiler Endgeräte die Möglichkeit, an ganz unterschiedlichen Orten und in ganz unterschiedlichen Kontexten in Interaktion mit anderen Personen oder Objekten zu treten und zu lernen (vgl. de Witt 2013: 16 f.): Während mit Vokabel-Apps jederzeit und überall gelernt werden kann (irrelevanter Kontext), erlaubt es die Nutzung von GPS, dem Lernenden für 389 82. Formen selbstgesteuerten Lernens in der digitalen Welt einen spezifischen physischen Kontext hilfreiche Informationen oder Aufgaben zur Verfügung zu stellen und auf diese Weise ein situiertes und informelles Lernen zu ermöglichen oder zu fördern (vgl. Waragai et al. 2013: 181 ff.) Spezifische Unterstützungsformate des selbstgesteuerten Fremdsprachenlernens in der digitalen Welt sind darüber hinaus z. B. das eTandem (vgl. Art. 80) oder das Lernen mit ePortfolios (vgl. Art. 88). c) Charakteristika eines computergestützten selbstgesteuerten Lernens Als wichtigstes Charakteristikum digitaler Medien zur Unterstützung des selbstgesteuerten Fremdsprachenlernens gilt meist die Lernerkontrolle. Der Begriff wird dabei in Zusammenhang mit Entscheidungen der Lernenden gebracht, wann und wo sie lernen, welche Formen von Feedback sie erhalten, mit welchem Material sie lernen, welchen Lernweg sie wählen und welche Lernstrategien sie verwenden wollen. Diese Entscheidungen können/ müssen Lernende auch beim selbstgesteuerten Lernen außerhalb der digitalen Welt treffen; die digitalen Medien können durch die spezifischen Eigenschaften einzelner Werkzeuge und Medien diese Entscheidungen aber in besonderer Weise unterstützen: Dazu gehören die Distributionsmöglichkeiten der digitalen Medien genauso wie der Bereich des direkten Feedbacks. Bei vielen Lernmedien können die Lernenden zudem die Kontrolle über Materialauswahl und Lernweg ausüben, wobei ihnen diese Kontrollmöglichkeit v. a. durch die häufig nichtlineare Struktur der Lernmedien und die einfache Verfügbarkeit unzähliger Angebote näher gelegt wird als bei der Nutzung eines Lehrbuchs. 4. Praxisrelevanz Das selbstgesteuerte Lernen ist zwangsläufig immer Bestandteil eines Fremdsprachenlernprozesses. Die Unterstützung dieses Lernens durch digitale Medien ist längst selbstverständlich geworden, wobei die Spannbreite der genutzten Möglichkeiten aber sehr groß ist. Gerade für die institutionelle Praxis erscheint es wünschenswert, Lernende noch stärker bzw. differenzierter mit digitalen Selbstlernmaterialien arbeiten zu lassen, da sie im institutionellen Kontext besser dabei unterstützt werden können, diese Arbeit effektiv und für sich selbst motivierend zu gestalten. Dazu gehört die Hilfe bei der Suche nach und der Auswahl von geeigneten Materialien und Werkzeugen ebenso wie die Förderung der nötigen kognitiven und metakognitiven Strategien zur Bewältigung der Steuerungsinteraktionen und der didaktischen Interaktionen mit dem digitalen Lernmaterial (vgl. Würffel 2006: 34). 5. Perspektiven Gerade weil die Nutzung digitaler Medien beim selbstgesteuerten Fremdsprachenlernen kaum noch wegzudenken ist, ist es nötig, die Qualität der zur Verfügung stehenden Medien und Werkzeuge kontinuierlich zu verbessern. Besonders dringlich erscheint dies zurzeit im Bereich der mobilen Lernanwendungen: So gibt es inzwischen einige kostenfreie und einfache Lern-Apps, die viele Menschen dazu motivieren, (wieder) Zeit für das Sprachenlernen zu investieren. Viele dieser Apps sind aber sehr begrenzt - sowohl in der angewandten Lehrmethode (die häufig stark an die Grammatik-Übersetzungs-Methode erinnert) als auch in der Nutzung der Vorteile mobiler Anwendungen (meist beschränkt auf eine Zeit- und Ortsunabhängigkeit). Die Begrenztheit der Anwendungen 390 Nicola Würffel kann zu schnellen Abbrüchen und womöglich zu einer nachhaltigen Frustration führen. Es erscheint deshalb wünschenswert, dass der Kontextualisierung mobiler Anwendungen in Theorie und Praxis mehr Beachtung geschenkt wird: Eine viel genauere Spezifizierung der möglichen Kontexte und ihrer jeweiligen Potenziale würde es erlauben, den Mehrwert einzelner mobiler Lernanwendungen für das selbstgesteuerte Sprachenlernen besser zu fassen und Medien und Werkzeuge zielgenauer zu entwickeln. Literatur Adamczak-Krysztofowicz, S. / Stork, A. / Trojan, K. (2015): Mobiles Fremdsprachenlernen mit Podcasts. MedienPädagogik, 27. Feb., 15-30. www.medienpaed.com/ 2015/ #adam czak1502 de Witt, C. 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Kapitel D) oder andere Referenzsysteme wie der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR, Europarat 2001) herangezogen. Die Vorgaben eines Lehrplans werden als Anforderungen in Kompetenzskalen, Lern- oder Prüfungsaufgaben und Bewertungskriterien umgesetzt. In ihrer konkreten Ausgestaltung sind sie davon abhängig, wer die Evaluation ausführt, welchem Zweck sie dient und welcher Grad an Operationalisierung dafür erforderlich ist. Sofern Lernende ihre Kompetenz oder ihren Lernfortschritt selbst einschätzen, wird die Ermittlung der Leistungen zur Selbstevaluation; sofern dies durch exter- 393 ne Tests, durch die Lehrkraft oder andere Mitglieder der Lerngruppe geschieht, wird sie zur Fremdevaluation bzw. Peer-Evaluation. Mithilfe der Selbstevaluation sollen Lernende im Sinne der Förderung von Lernerautonomie (vgl. Art. 78) dazu befähigt werden, das eigene Lernen zu steuern und sich eigene Ziele für ihren Lernfortschritt zu setzen, ggf. auch unabhängig von der Bezugsnorm der Lerngruppe. Die dazu bereit gestellten Instrumente umfassen beispielsweise Lerntagebücher, Checklisten, Raster mit Kriterien zur Erfüllung einer Aufgabe oder Portfolios (vgl. Art. 88). Im Allgemeinen werden bei der Ermittlung und Beschreibung von Leistungen je nach Zielsetzung diagnostische, formative oder summative Verfahren unterschieden. Die diagnostische Leistungsermittlung dient der Identifizierung von Stärken und Schwächen einer Lerngruppe und einzelner Lernerinnen und Lerner. Eine formative Leistungsermittlung stellt eher den Lernprozess und -fortschritt in den Mittelpunkt und liefert nicht nur den Lernenden, sondern auch der Lehrkraft Hinweise auf bereits erreichte Lernschritte, weitere Lernbedürfnisse und die Effizienz des Unterrichts. Die summative Leistungsermittlung erfolgt punktuell zum Ende einer Unterrichtseinheit, eines Lernabschnitts oder Kurses und soll Aufschluss über die erreichten Lernziele geben. Sofern bei der summativen Leistungsermittlung das Kompetenzniveau der Lernenden unabhängig vom Unterricht erfasst werden soll, können auch außerschulische standardisierte Prüfungen oder Tests (vgl. Art. 84) von Testanbietern eingesetzt werden. Sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Kontext wird die Feststellung von Leistungen als Leistungsmessung bezeichnet, wenn nicht nur eine Beschreibung, sondern auch eine Bewertung der ermittelten Leistung vorgenommen wird und dies im Rahmen eines informellen oder standardisierten Testverfahrens erfolgt. Hierbei wird das zu messende Merkmal (z. B. Sprachkompetenz) mithilfe von Punktwerten quantifiziert. Zur Leistungsmessung können nicht nur Testaufgaben im engeren Sinne, sondern bspw. auch Projektarbeiten, Präsentationen oder Referate herangezogen werden. Die mündlich oder schriftlich erbrachte Leistung der Lernenden wird von der Lehrkraft nach bestimmten Kriterien und/ oder einem Punktesystem bewertet und anschließend in eine Notenskala übertragen. Im schulischen Kontext wird unter Bewertung die Beurteilung von Wissen, Fähigkeiten oder Fertigkeiten verstanden, die nach vorher festgelegten Anforderungen im Hinblick auf die Aufgabenstellung als angemessen oder nicht angemessen bzw. als richtig oder falsch gelten. Bewertung kann sich außerhalb von Testverfahren im Unterrichtsgeschehen mehr oder minder explizit äußern. 2. Historische Skizze In den zurückliegenden 50 bis 60 Jahren wurden sowohl die Fremdsprachenvermittlung als auch die Leistungsmessung und die Sprachtestentwicklung durch unterschiedliche Theorien geprägt, die anfangs auf die Linguistik zurückgriffen und später eher aus der 394 Ulrike Arras / Gabriele Kecker Spracherwerbsforschung hervorgegangen sind. Die folgenden Ausführungen dazu orientieren sich an Davies (2014: 3 f.). In den 1960er Jahren bis zu Beginn der 1980er Jahre war ein strukturalistischer Ansatz in der Linguistik maßgeblich, demzufolge das Sprachsystem in homogene separate Teilbereiche untergliedert war (z. B. Phonologie, Morphologie, Syntax, Lexik), die aufeinander aufbauten. Die in dieser Zeit erstellten Tests folgten implizit dem damit verbundenen Verständnis von Sprachkompetenz, indem sie vorwiegend Einzelphänomene in dekontextualisierten Aufgaben untersuchten (vgl. Lado 1961). Zusätzlich wurde in dieser Zeit die objektive psychometrische Auswertbarkeit von Testaufgaben favorisiert und führte zur überwiegenden Verwendung von geschlossenen Aufgabenformaten in Tests. In den darauffolgenden Jahren vollzog sich eine allmähliche Umorientierung zu Sprachfähigkeit als einheitlichem Merkmal (Skehan 1988), das integrativ in Cloze-Tests oder Diktaten überprüft wurde, und weiter zu einer Sicht von Sprachfähigkeit als kompetenz- und performanzbasierter Eigenschaft (Canale & Swain 1980). Die stärkere Ausrichtung des Unterrichts an Sprachverwendung entsprach dem Ansatz kommunikativer Kompetenz, der in den 1980er und 1990er Jahren zur Entwicklung von stärker verwendungsorientierten, direkten Testformaten geführt hat. Charakteristisch für diese Entwicklung ist u. a. die zunehmende Berücksichtigung mündlicher Kompetenz bei der Testentwicklung, die in ganz unterschiedliche Formate mündete: a) als klassisches Prüfungsgespräch zwischen Lehrkraft und Lernendem; b) als Prüfungsgespräch zwischen Lehrkraft und zwei oder mehr Lernenden, die auch untereinander interagieren; c) semi-direkt als simulierte Interaktion mit Stimuli von einem Tonträger (SOPI - Simulated Oral Proficiency Interview, vgl. Stansfield & Kenyon 1992) und d) als Telefoninterview (aktuell Versant English Test von Pearson, früher bezeichnet als SET-10 von Ordinate). Durch die Konstellationen in c) und d) konnten anders als zuvor auch die mündlichen Leistungen größerer Gruppen in kurzer Zeit überprüft werden. Dieser Aspekt der Praktikabilität ging jedoch im Versant English Test zu Lasten des direkten Formats, da dieser Test auch indirekte Methoden wie z. B. Vorlesen oder Satzwiederholungen einsetzt. Des Weiteren wurde in kommunikativ ausgerichteten Sprachprüfungen darauf geachtet, die Aufgaben in eine kommunikative Situation einzubetten, einen authentischen kommunikativen Anlass für die sprachliche Äußerung zu schaffen und möglichst authentische Materialien für die Testaufgaben zu verwenden. Die Veröffentlichung des GeR mit einem handlungsorientierten Ansatz kommunikativer Kompetenz (Europarat 2001) hat die zuvor beschriebene Entwicklung weiter verstärkt. Ungeachtet der zum Teil berechtigten Kritik am GeR hat sich dieser mittlerweile europaweit zum Standard für die Beschreibung und Messung fremdsprachlicher Leistungen etabliert. 3. Forschungsstand Die Entwicklung der Leistungsmessung wurde in den letzten 15 bis 20 Jahren von höheren Qualitätsanforderungen im standardisierten Testen beeinflusst, die mit verstärkten Anstrengungen in der Sprachtestforschung einhergingen. Sprachprüfungen sollten möglichst internationalen Standards (vgl. AERA, APA & NCME 2014) und Testgütekriterien (vgl. Ingenkamp & Lissmann 2005: 51 f.) entsprechen, damit die Prüfungsteilnehmenden und andere Interessierte wie z. B. Arbeitgeber sich auf die Gültigkeit der erzielten Ergebnisse verlassen können. Diese Standards umfassen u. a. die präzise Beschreibung des Testkonstrukts und des Testformats sowie die 395 83. Leistungsmessung, Bewertung, Selbstevaluation Pilotierung und psychometrische Analyse der eingesetzten Aufgaben. Als weiteres Merkmal von Qualitätsstandards gilt in dem Zusammenhang das Monitoring der Beurteilung von produktiven Leistungen der Testteilnehmenden, bspw. durch den Einsatz der Multifacetten-Rasch-Analyse (vgl. Eckes 2011) zum statistischen Ausgleich von verzerrenden Einflussgrößen der Beurteilung wie Beurteilerstrenge und -milde. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Qualitätssicherung wurde durch das Projekt des Europarats Relating Language Examinations to the Common European Framework of Reference (2004-2008) auf breitere wissenschaftliche Grundlagen gestellt: ein empirisches Verfahren zur Niveaustufenzuordnung von Lernerleistungen und Sprachprüfungen zum GeR. Der in diesem Projekt entwickelte methodische Ansatz zur Niveaustufenzuordnung (Council of Europe 2009) wurde von vielen europäischen Sprachtestanbietern und Bildungsbehörden aufgegriffen, wenn auch in unterschiedlichem Maße umgesetzt. Ausgehend von diesem methodischen Ansatz haben in Deutschland Sprachtestanbieter wie das Goethe-Institut oder das TestDaF-Institut sowie Einrichtungen der Kultusministerkonferenz, wie z. B. das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), für ihre neu entwickelten Sprachprüfungen oder Testaufgaben ein Standard-Setting durchgeführt. Das Standard-Setting diente in diesem Fall dazu, Bestehensgrenzen und/ oder Übergänge zwischen den GeR-Kompetenzstufen empirisch zu ermitteln und auf der Grundlage dieser Daten festzulegen. Seit dem Jahr 2005 hat das IQB kompetenzorientierte Lern- und Testaufgaben für verschiedene Schulabschlüsse entwickelt, die die Implementierung der nationalen Bildungsstandards (z. B. KMK 2003) im Unterricht unterstützen sollen. Derzeit werden - in Vorbereitung eines gemeinsamen Abiturs der Bundesländer in den Fremdsprachen - von Vertretern der Bundesländer am IQB gemeinsame Abituraufgaben entwickelt, die ab 2017 zum Einsatz kommen sollen. Parallel zur dargestellten Professionalisierung in der Leistungsmessung durch standardisierte Tests hat in den letzten Jahren die formative Leistungsermittlung als Mittel zur Steuerung des Lernprozesses und als Orientierung für den Unterricht an Bedeutung gewonnen. Leistungsevaluation und -beurteilung im Unterricht werden nicht mehr nur als Überprüfung der durch den Unterricht erzielten Resultate verstanden (assessment of learning ), sondern zunehmend auch als Instrument zur Entwicklung des Lernprozesses (assessment for learning ) und als Lernen selbst (assessment as learning ). Letzteres beispielsweise in Form von Selbstevaluation oder durch die Beurteilung anderer Gruppenmitglieder (vgl. Mathew & Poehner 2014: 634; Oscarson 2014: 713). Im Zusammenhang mit der formativen Leistungsermittlung ist auch die dynamische Evaluation (dynamic assessment) zu nennen, die auf soziokulturelle Konzepte Vygotskijs (1978) zurückgeht. Durch eine stärkere Interaktion zwischen Lehrkraft und Lernenden werden das Lernpotenzial und die Entwicklungsmöglichkeiten von Lernenden in den Vordergrund gerückt. 4. Praxisrelevanz Die Rückwirkung (Washback-Effekt) der zuvor geschilderten Qualitätsentwicklung in der Leistungsmessung auf die Praxis im schulischen Unterricht und die Lehrerfortbildung ist intendiert und wird in europäischen Ländern auf unterschiedliche Weise umgesetzt. So erhoffte man sich bspw. in Italien (seit 2000) und Frankreich (seit 2007) allein schon durch die Einführung von außerschulischen auf den GeR bezogenen Sprachprüfungen deutscher Testanbieter für Sekundarschülerinnen und -schüler („Fit in Deutsch“ 396 Ulrike Arras / Gabriele Kecker des Goethe-Instituts in Italien, „Deutsches Sprachdiplom I“ der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen in Frankreich) eine positive Rückwirkung auf den schulischen Fremdsprachenunterricht in Form einer stärkeren kommunikativen Ausrichtung. In Deutschland wurden bei der Implementierung der nationalen Bildungsstandards (z. B. KMK 2003) im Fremdsprachenunterricht durch das IQB Lehrkräfte als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in der Testentwicklung fortgebildet und z. B. an der Entwicklung von Beurteilerskalen für kompetenzorientierte Aufgaben im Schreiben beteiligt (vgl. Rupp, Vock, Harsch & Köller 2008: 77, 84). Da die Entscheidung über die Beteiligung der Lehrkräfte an entsprechender Fortbildung auf Länderebene bei den Bildungsministerien liegt, ist die Auswirkung auf den Unterricht und das Verhalten der Lehrkräfte je nach Bundesland unterschiedlich. Die Entwicklung von Beurteilerskalen stellt für die Einführung eines kompetenzorientierten Unterrichts jedoch eine folgerichtige Konsequenz dar, denn nach Schröder (2010: 179) bietet die frühere klassische Bewertung von Fehlern, die sich am Sprachsystem orientiert und Defizite ermittelt, keinen Maßstab für die Bewertung im kommunikativen Fremdsprachenunterricht. Kommunikative Aufgaben mit mündlicher oder schriftlicher Sprachproduktion, bei denen es um die Erfüllung handlungsorientierter kommunikativer Ziele geht, können nicht angemessen mit Fehlerquotienten ausgewertet werden. Die Bedeutung der Selbstevaluation als Konzept zur Entwicklung von Lernerautonomie ist für die Praxis des Fremdsprachenunterrichts unstrittig. Lehrkräfte sehen die Verwendung von Instrumenten zur Selbstevaluation jedoch häufig kritisch. Sie bezweifeln die Fähigkeit der Lernenden, ihre Kompetenz richtig einzuschätzen und bemängeln das Ausfüllen von Checklisten oder Lerntagebüchern als mechanisch und als zusätzliche Belastung des Unterrichts. Untersuchungen (vgl. Oscarson 2014: 717-719) haben jedoch gezeigt, dass bspw. die Selbstevaluation anhand von Checklisten oder Kompetenzskalen durchaus zuverlässige Ergebnisse liefern kann, sofern die dargestellten sprachlichen Anforderungen auf einer konkreten aufgabenbezogenen Ebene operationalisiert werden (vgl. auch Grotjahn & Kleppin 2015: Kap. 2.11.2) und die Lernenden damit vertraut sind. Darüber hinaus sollte die Verwendung solcher Instrumente keine lästige routinemäßige Pflicht darstellen, sondern gezielt vermittelt und eingesetzt werden. Laut Oscarson (2014: 714) bilden die Transparenz der Lernziele und der Bewertung im Unterricht sowie authentische Aufgaben und die Beteiligung der Lernenden an der Planung der Unterrichtsinhalte die Voraussetzung dafür. Insofern ist Selbstevaluation im Unterricht mehr als nur die bloße Verwendung von entsprechenden Arbeitsmaterialien. Sie beinhaltet ein Konzept und eine Lernkultur, auf die Lehrkräfte in ihrer Ausbildung vorbereitet werden müssen. 5. Perspektiven Wie bereits dargestellt, haben in den letzten beiden Jahrzehnten die Entwicklungen im Bereich des standardisierten Testens zu einer verstärkten Professionalisierung geführt. Für die Anwendung einer fachgerechten Testentwicklung in der Praxis des Unterrichts fehlt jedoch bisher eine systematische Vermittlung des methodischen Instrumentariums für den Unterrichtsbedarf. Lediglich in einigen Studiengängen der Lehrerausbildung sind Veranstaltungen zur Leistungsmessung, die auch die Testentwicklung berücksichtigen, inzwischen integraler Bestandteil geworden. Auch wenn an informelle Tests nicht dieselben Qualitätsanforderungen gestellt werden können wie an die Entwicklung standardisierter 397 83. Leistungsmessung, Bewertung, Selbstevaluation Tests, gibt es eine Reihe von Empfehlungen für Lehrkräfte, die in der Praxis berücksichtigt werden sollten (vgl. Grotjahn 2009; Grotjahn & Kleppin 2015). Dazu gehört bspw. die Forderung, in einem kommunikativ ausgerichteten Unterricht auch direkte Testformate mit offenen Aufgaben für die Überprüfung produktiver Leistungen zu verwenden und die Leistungen dann entsprechend der kommunikativen Ziele zu bewerten. Des Weiteren sollten Instrumente formativer Leistungsermittlung Verwendung finden und möglichst auf die im Unterricht eingesetzten Lernaufgaben zugeschnitten sein (Grotjahn 2009: 6-7). Weitere für die Praxis des Fremdsprachenunterrichts interessante Entwicklungen zeichnen sich auf dem interdisziplinären Gebiet der computerbasierten Testdurchführung und Leistungsbeurteilung ab. In den letzten 15 Jahren sind die standardisierten Tests TOEFL iBT (ETS) und Pearson Test of English Academic (PTE Academic) entwickelt worden, die eine automatisierte computerisierte Auswertung von Leistungen für die schriftliche Sprachproduktion anwenden. Im Falle des PTE Academic wird auch die mündliche Sprachproduktion auf diese Weise beurteilt. Die kontrovers geführte Diskussion dazu konzentriert sich auf Fragen der Praktikabilität und Effizienz einerseits und auf Fragen der Validität und Äquivalenz andererseits. Ungeachtet der Auseinandersetzung zum Einsatz in Tests erwachsen aus der computerisierten Beurteilung jedoch Möglichkeiten für das autonome Lernen innerhalb und außerhalb des Unterrichts. Denkbar sind hierbei verschiedene Formen von Feedback zu produktiven Leistungen, bspw. zur Fehleranalyse. Auch in anderer Hinsicht ergeben sich Möglichkeiten der Anwendung für autonomes Lernen innerhalb und außerhalb des Unterrichts. Die Umsetzung von verschiedenen Formen der Selbstevaluation ist Teil selbstgesteuerten Lernens und wird als solches über den Schulunterricht hinaus als Beitrag zum lebenslangen Lernen gesehen (vgl. Strategiepapier der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung 2004). Der Begriff lebenslanges Lernen hat sich als Reaktion auf die dauerhafte Anforderung an das Individuum in einer ständig wechselnden Gesellschaft herausgebildet. Grundkompetenzen autonomen Lernens wie den Lernbedarf erkennen, sich Lernziele setzen, den eigenen Lernprozess steuern gewinnen in verschiedenen Lebensphasen an Bedeutung, um auf ständig neue Bedarfe - auch am Arbeitsmarkt - reagieren zu können. Literatur American Educational Research Association / American Psychological Association / National Council on Measurement in Education (2014): Standards for educational and psychological testing. Washington, DC . Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (2004): Strategie für lebenslanges Lernen in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn. Canale, M. / Swain, M. (1980): Theoretical bases of communicative approaches to second language teaching and testing. Applied Linguistics, 1, 1-47. 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Ein diagnostischer Test soll aufzeigen, in welchen Bereichen die Testteilnehmenden ihre Kompetenzen bereits gut entwickelt haben und wo eine gezielte Förderung den Lernprozess unterstützen könnte. Ein semantischer Unterschied zwischen den Begriffen Testen und Prüfen liegt darin, dass Prüfungen, deren Ergebnisse den Erwerb einer Qualifikation dokumentieren und/ oder den Zugang zu einer Ausbildung erlauben, üblicherweise aus einer Kombination mehrerer Tests bestehen. Für Leistungsmessungen, die das Lernen begleiten (engl. formative assessment ), werden in der Regel unterschiedliche Instrumente eingesetzt; auch informelle Tests, interaktive Formate (wie z. B. das dynamic assessment ) und Selbsteinschätzungen der Lernenden (engl. self assessment). Dem Prüfen als Prozedur mit dem Ziel der Leistungsmessung wird oft auch eine stärkere Offenheit der eingesetzten Aufgabenformate zugeschrieben (etwa bei der Messung mündlicher Sprachkompetenzen), während mit dem Begriff Testen die stärker standardisierten und geschlossenen Aufgaben, 399 84. Testen und Prüfen z. B. vom Typ Multiple-Choice, verknüpft werden. Diese qualitative Unterscheidung der Begriffe lässt sich auch auf die Frage anwenden, ob sich die Inhalte und Anforderungen der Leistungsmessung auf ein konkretes Unterrichtsvorhaben bzw. einen Sprachkurs beziehen (Prüfung , engl. achievement assessment), oder ob sie davon unabhängig zur Feststellung des aktuellen Leistungstandes (Test, engl. proficiency assessment ) eingesetzt werden (vgl. ALTE Members 1999; Davies et al. 1999). Das Testen und Prüfen von Leistungen in der Fremdsprache geschieht gegenwärtig in bildungspolitisch regulierten Kontexten, die stark durch die Begriffe Standardorientierung und Kompetenzorientierung geprägt werden. Seit Veröffentlichung der Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (KMK 2003; 2012) ist zu beobachten, wie traditionelle schulische Prüfungsformen wie Klassenarbeiten, Klausuren und informelle Tests zunächst um externe Leistungsmessungen, also Vergleichsarbeiten, Lernstandserhebungen und zentrale Prüfungen ergänzt wurden. Diese mittlerweile auch curricular verankerte Kompetenz- und Standardorientierung führt zu einer Weiterentwicklung der in der Schule üblichen Formen des Testens und Prüfens. 2. Die Problematik der Leistungsmessung Unabhängig von der Frage, zu welchem Zweck eine Prüfung oder ein Test beim Lehren und Lernen einer Fremdsprache eingesetzt wird, bleibt die Anforderung dieselbe: Es geht darum, die Testteilnehmenden zu einer fremdsprachlichen Leistung herauszufordern, diese möglichst genau zu messen und adäquat zu bewerten. Diese Kernaufgabe steht im Spannungsfeld zwischen zwei gegensätzlichen Ansprüchen. Mit Blick auf die Ziele des modernen Fremdsprachenunterrichts ist es einerseits wichtig, kommunikativ situierte, kontextbezogene, komplexe und eigenständige Prüfungsleistungen einzufordern. Andererseits sollen die Leistungen unter Bedingungen erfasst werden, die für alle Testteilnehmenden möglichst fair und vergleichbar sind. Dies wird üblicherweise durch den Einsatz eines standardisierten Vorgehens angestrebt, das bestimmten Gütekriterien entsprechen muss, um wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen. Die drei am häufigsten genannten Kriterien sind die Objektivität, die Reliabilität und die Validität. Die Objektivität bezeichnet die Unabhängigkeit der Testergebnisse von irrelevanten Einflussfaktoren, z. B. von Personen, die den Test durchführen, auswerten und interpretieren. Die Reliabilität ist ein Maß für die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Leistungsmessung. Die Validität ist das umfassendste der drei Kriterien und stellt im Kern die Frage nach der Gültigkeit der Testergebnisse: Inwiefern gelingt es dem Test tatsächlich, die von den Entwicklerinnen und Entwicklern spezifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten der Testteilnehmenden, z. B. die Ausprägung der Kompetenz im fremdsprachlichen Hörsehverstehen, auf einem bestimmten Anforderungsniveau zu erfassen? Hinsichtlich des Ziels, in der Testsituation möglichst authentische fremdsprachliche Leistungen der Testteilnehmenden herauszufordern, ergibt sich ein methodisches Dilemma: Je komplexer die erfasste Leistung ist, die in subjektiv bedeutsamen Kontexten und ggf. in Interaktion mit mehreren Sprechern erfasst wird, desto eher kann sie als repräsentatives Beispiel für die Kompetenzen der Testteilnehmenden gelten. Mit der Komplexität der Leistung steigt aber auch die Schwierigkeit, die Messung reliabel und objektiv durchführen zu können: Wie können die individuellen Äußerungen der Testteilnehmenden den definierten Kategorien eines Auswertungsschemas zugeordnet werden? Welche Strategien und Fähigkeiten haben die Testteilnehmenden in der Situation der Leis- 400 Henning Rossa tungsmessung tatsächlich eingesetzt? Diese Fragen können verlässlicher eingeschätzt werden, wenn die Leistungen eher isoliert erfasst werden (z. B. in einem Vokabeltest) und wenn für die Äußerungen der Testteilnehmenden nur wenige, eindeutig als „falsch“ oder „richtig“ zu bewertende Lösungen denkbar sind (z. B. schriftlich rekonstruierte Lücken in einem C-Test). Der Begriff der Leistungsmessung impliziert, dass es sich hier um einen Vorgang handelt, der eine erfasste Leistung quantifiziert, also in Zahlen repräsentiert. Eine quantifizierte Leistung (z. B. eine Gesamtpunkzahl, eine Schulnote, die Einstufung in ein Leistungsniveau) lässt sich zweifellos gut mit den Leistungen anderer Testteilnehmender vergleichen. Es stellt sich aber die Frage, inwiefern die Kriterien, die zur Ermittlung der Messergebnisse herangezogen wurden, in unterschiedlichen Situationen der Leistungsmessung vergleichbar sind. Im schulischen Fremdsprachenunterricht lässt sich bspw. beobachten, dass Lehrkräfte die Leistungsunterschiede zwischen den Lernenden in einer Gruppe in der Regel recht gut einschätzen können. Allerdings bedeutet dies nicht, dass verschiedene Lehrkräfte für vergleichbare Leistungen auch dieselben Noten vergeben würden. Es zeigt sich, dass für eine faire Einschätzung von Schülerleistungen die klasseninternen Bezugsmaßstäbe um ein vergleichbares, externes Kriterium (z. B. curricular erwartete Kompetenzbeschreibungen) ergänzt werden müssten (vgl. Schrader & Helmke 2001). An dieser Stelle wird deutlich, dass die Problematik der Leistungsmessung eng mit der Frage verknüpft ist, wie Leistungen zu bewerten sind (vgl. Brown & Abeywickrama 2010: 4-5). Der Prozess der Leistungsbewertung fügt dem dargestellten Dilemma noch ein weiteres Problem hinzu: Die Ergebnisse der Leistungsmessung müssen sachgerecht interpretiert werden, damit die daraus abgeleiteten Konsequenzen, z. B. Rückmeldungen für Lehrende und Lernende in Bezug auf den Erfolg von Lehr-/ Lernprozessen, für die weitere Kompetenzentwicklung tatsächlich von Nutzen sind (vgl. die Kriterien der Nützlichkeit von Tests und Prüfungen, engl. usefulness, nach Bachman & Palmer 1996). Prüfungs- und Testergebnisse können sehr bedeutsame Rückwirkungen auf die beteiligten Lernenden, ihre Lebens- und Bildungswege haben, und auch die Lehr-/ Lernkontexte, die im Zusammenhang mit Tests und Prüfungen stehen, werden durch die Ergebnisse und ihre Bewertung beeinflusst (vgl. Tschirner 2001; Wall 2005). Um das Gewicht einzelner Tests und Prüfungen zu relativieren, ist es angezeigt, Lehrenden den Einsatz einer möglichst großen Bandbreite an Formen der Leistungsmessung und -bewertung zu empfehlen, die unterschiedliche Funktionen wie Diagnose, Rückmeldung, Motivation, Selektion und Förderung erfüllen, stärker individualisierte Rückmeldungen zulassen, die Lernende für die Steuerung des eigenen Lernprozesses nutzen können, und insgesamt zu einer ausgewogeneren Rückwirkung auf den Unterricht beitragen. 3. Forschungsstand Die Forschung und Theoriebildung zum Testen und Prüfen sprachlicher Kompetenzen ist, wie die gesamte Fremdsprachenforschung, noch eine recht junge wissenschaftliche Disziplin. Methodisch kann sich dieser Forschungsbereich zwar auf die tradierten Ansätze der psychologischen Diagnostik stützen (vgl. Hartig & Klieme 2006), inhaltlich muss er aber auch heute noch, ebenso wie eine wichtige Bezugswissenschaft, die Zweitsprachenerwerbsforschung, Grundlagenforschung betreiben. Es verwundert daher nicht, dass zentrale Fragestellungen aus den Anfangsjahren der Sprachtestforschung weiter- 401 84. Testen und Prüfen hin bearbeitet werden: Was bedeutet Sprachkönnen? Welche Teilbereiche der Sprachverwendung können identifiziert und mit Tests erfasst werden? Welche mentalen Prozesse und Wissensbereiche werden in der Testsituation herausgefordert? Wie lassen sich Tests und Prüfungen mit Blick auf theoretisch entwickelte Gütekriterien evaluieren? Ein zusammenfassender Blick auf den gegenwärtigen Forschungsstand zeigt, dass sich die überwiegende Mehrheit der Arbeiten in der Sprachtestforschung der vergangenen 20 Jahre mit mindestens einem der folgenden vier Bereiche beschäftigt hat (vgl. Stoynoff 2009): 1) der Struktur fremdsprachlicher Kompetenzen und ihrer Operationalisierung in Sprachtestaufgaben; 2) dem Gütekriterium der Validität; 3) dem Einsatz der Computertechnik in Sprachtests und Effekte bzgl. der Validität; 4) der politischen Dimension des Sprachtestens, d. h. den Wirkungen des Einsatzes von Sprachtests auf gesellschaftliche Kontexte, u. a. auf die Praxis des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen. Die theoretische Modellierung fremdsprachlicher Kompetenzen orientiert sich zunehmend an der Vorstellung, dass bei der Sprachverwendung in kommunikativen Situationen die Bedeutungen der kommunizierten Inhalte von den handelnden Personen gemeinsam, d. h. ko-konstruiert werden. Bei der Entwicklung von Sprachtestaufgaben, die diese Vorstellung in ein konkretes Testinstrument einbringen sollen, ergibt sich die Schwierigkeit, in einer interaktiven, von den Testteilnehmenden gemeinsam konstruierten Situation individuelle Beiträge zu erfassen und zu bewerten. Das Gütekriterium der Validität wird gegenwärtig als eine integrierte Bewertung der Frage verstanden, inwiefern verschiedene Interpretationen von Testergebnissen - und darüber hinaus weisende Konsequenzen - als sachlich angemessen angesehen werden können. Zu diesem Zweck werden in Studien zur Validität verschiedene theoretische Argumente und empirische Belege, z. B. zur computergestützten Auswertung von Testleistungen in offeneren Aufgabenformaten, vereint und abgewogen. Arbeiten zu den Wirkungen von Sprachtests, d. h. zur politischen Dimension des Sprachtestens, werden in der internationalen Forschung unter dem Begriff washback (auch backwash oder impact) zusammengefasst. Die Studien von Wall (2005) und Turner (2009) zeigen, dass die von Lehrenden wahrgenommenen Wirkungen zentraler Abschlussprüfungen im Bereich Englisch als Zweitbzw. Fremdsprache von einer großen Zahl verschiedener Faktoren abhängen und nur schwer zu prognostizieren sind. Im Gegensatz zur Tendenz vorhergehender Studien bewerten die Lehrenden bei Turner (2009) die Effekte einer zentralen Prüfung in Québec auf ihren Unterricht eher positiv. 4. Praxisrelevanz: Kompetenzorientiertes Testen und Prüfen Es liegt in der Natur der Sache, dass jeder Anstrengung beim Lehren und Lernen einer Fremdsprache, sei es beim individualisierten Lernen mithilfe einer Software oder im Rahmen eines Sprachkurses, eine Vorstellung davon zugrunde liegt, was die Lernenden gegenwärtig zu leisten im Stande sind und wie die weitere Entwicklung sprachlicher Kompetenzen zu prognostizieren ist. Dies gilt für alle denkbaren Beteiligten: für die Lernenden, die Lehrenden, die für die Entwicklung des Curriculums Verantwortlichen und für diejenigen, die Lehrbzw. Lernmaterialien herstellen. In der Praxis stellt sich die Frage, welche Formen der Beobachtung und Messung sprachlicher Leistungen nützlich sind 402 Henning Rossa und wie sie in die Prozesse des Lehrens und Lernens, des Ausprobierens und Übens integriert werden können. Das Testen und Prüfen besitzt aufgrund seines diagnostischen Potenzials eine hohe Relevanz für eine Unterrichtspraxis, die für jeden Lernenden möglichst effektive, d. h. auf die individuellen Ausprägungen der Kompetenzentwicklung passende, Lerngelegenheiten und Unterstützungsangebote schaffen will (vgl. Art. 18, 19). Eine stetig wachsende Relevanz von Tests und Prüfungen, etwa mit Blick auf den Zugang zu weiterführenden Bildungsangeboten, lässt sich für die Dokumentation sprachlicher Kompetenzen durch Sprachenzertifikate beobachten (vgl. Art. 89). 5. Perspektiven Die Auswirkungen der bildungspolitisch beförderten Orientierung an Kompetenzen und Standards und der verstärkten Implementierung von Formaten des Testens und Prüfens auf die Gestaltung des Fremdsprachenunterrichts wurden in vielen theoretischen Beiträgen diskutiert und kritisiert, aber bislang kaum in empirischen Untersuchungen erforscht. Hier liegt für die Fremdsprachenforschung ein dringliches Forschungsdesiderat, das es zukünftig zu erfüllen gilt. Die Dringlichkeit ergibt sich bspw. daraus, dass sich das schulische Prüfen in der Praxis schon bald ändern wird; durch zentral gestellte Abituraufgaben, die in der fortgeführten Fremdsprache (Englisch/ Französisch) stärker als die bislang üblichen Prüfungsformen im Abitur kompetenzorientiert sein werden. So werden neben der traditionellen, langen Schreibaufgabe zwei weitere Prüfungsteile verpflichtend, in denen Kompetenzen des Hörbzw. Hörsehverstehens, des Sprechens, des Leseverstehens und in der Sprachmittlung überprüft werden (KMK 2012: 25). Literatur ALTE Members (1999): Multilingual glossary of language testing terms. Cambridge. Bachman, L. F. (1990): Fundamental considerations in language testing. Oxford, UK . Bachman, L. F. / Palmer, A. D. (1996): Language testing in practice. Oxford, UK . Brown, H. D. / Abeywickrama, P. (2010): Language assessment. Principles and classroom practices. White Plains, NY . Davies, A. / Brown, A. / Elder, C. / Hill, K. / Lumley, T. / McNamara, T. (1999): Dictionary of language testing. Cambridge, UK . Hartig, J. / Klieme, E. (2006): Kompetenz und Kompetenzdiagnostik, in: K. Schweizer (Hrsg.): Leistung und Leistungsdiagnostik. Heidelberg, 127-143. KMK , Hrsg. (2003): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 4. 12. 2003. München. KMK , Hrsg. (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18. 10. 2012. Köln. Kunnan, A. J. / Jang, E. (2009): Diagnostic feedback in language assessment, in: M. H. Long / C. Doughty (Hrsg.): The handbook of language teaching. Malden, MA , 610-627. Schrader, F.-W. / Helmke, A. (2001): Alltägliche Leistungsbeurteilung durch Lehrer, in: F. Weiner (Hrsg.): Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim, 45-58. Stoynoff, S. (2009): Recent developments in language assessment and the case of four large-scale tests of ESOL ability. Language Teaching 42/ 1, 1-40. Tschirner, E. (2001): Die Evaluation fremdsprachlicher mündlicher Handlungskompetenz: Ein Problemaufriss. Fremdsprachen Lehren und Lernen 30, 87-115. 403 85. Verfahren der Lernstandserhebung Turner, C. (2009): Examining washback in second language education contexts: A high stakes provincial exam and the teacher factor in classroom practice in Quebec secondary schools. International Journal of Pedagogies and Learning 5/ 1, 103-123. Wall, D. (2005): The impact of high-stakes examinations on classroom teaching: A case study using insights from testing and innovation theory. Cambridge, UK . Henning Rossa 85. Verfahren der Lernstandserhebung Unter Lernstandserhebungen (engl. oft educational monitoring ) werden, ganz allgemein, (standardisierte) Messverfahren verstanden, mit denen bestimmte Kompetenzen von Lernenden bzw. Wirkungen von Unterricht erfasst werden sollen. Diesen Verfahren ist gemeinsam, dass sie nicht auf Inhalte eines konkreten Unterrichts oder eines Curriculums Bezug nehmen, sondern sich an externen Standards orientieren, die Richtwerte hinsichtlich erwartbarer Ergebnisse von Bildungsprozessen repräsentieren. In diesem Sinne sind sie klar abgrenzbar gegenüber sog. achievement tests oder Kursabschlussprüfungen (vgl. Art. 83, 84). In der Bundesrepublik Deutschland etwa definieren die Bildungsstandards der KMK für die erste Fremdsprache für den Mittleren Schulabschluss die Bezugsnormen im Bereich Fremdsprachen (vgl. KMK 2004). Je nach Zweck des Tests, z. B. formativ oder summativ, Rahmenbedingungen, Zielgruppe oder Evaluationsebene können unterschiedliche Testverfahren zum Einsatz kommen: umfassende Tests, Screenings oder Beobachtungsverfahren. 1. Entwicklung und aktuelle Tendenzen Der flächendeckende Einsatz von Lernstandserhebungen bedeutet für die Bundesrepublik Deutschland eine im internationalen Vergleich relativ neue Entwicklung. Die Einführung von bundesweit gültigen Bildungsstandards im Jahr 2004, eine Reaktion auf die Ergebnisse der ersten PISA-Studie, markiert dabei eine bildungspolitische Wende von einer Input-Orientierung hin zu einer Kompetenz- und Output-Orientierung (vgl. Art. 18, 19). Lernstandserhebungen sind Teil einer umfassenderen Gesamtstrategie zum Bildungsmonitoring, welches die KMK im Jahr 2006 verabschiedete. Dieses Bildungsmonitoring umfasst verschiedene Verfahren und Instrumente auf allen Systemebenen, um eine kompetenzorientierte Unterrichtsentwicklung zu fördern, das Erreichen der Standards und die Qualität von Bildungsprozessen zu sichern (vgl. Groß Ophoff 2013: 22; KMK 2004: 4). Mit der Entwicklung von Testformaten und Aufgaben wurde das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) betraut, das 2004 als zentrales Institut zur Unterstützung der Bundesländer gegründet wurde. 2. Begriffliches Der Begriff Lernstandserhebung wird nicht einheitlich verwendet: Mehrheitlich fungiert er als Oberbegriff für externe standardisierte Messverfahren mit formativer Funktion. In einigen Bundesländern der BRD und auf der Website des IQB wird der Begriff Lernstandserhebung jedoch auch synonym zum Terminus Vergleichsarbeiten benutzt. Die Ergebnisse von Lernstandserhebungen lassen Rückschlüsse auf die Qualität von Schul- und Unterrichtsprozessen zu und bilden die Basis zur Ableitung geeigneter Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung und -si- 404 Gabriele Kniffka cherung. Lehrkräfte können über die Rückmeldung des Leistungsstandes ihrer Lerngruppe kontrollieren, inwieweit die angestrebten Ziele erreicht wurden. Sie haben somit die Möglichkeit, ihr Unterrichtshandeln zu reflektieren und ggf. anzupassen (vgl. Groß Ophoff 2013: 20). Über diese Form der Lernstandserhebungen hinaus finden national und international in regelmäßigen Abständen Schulleistungsstudien im Bereich Sprachen statt, die ebenfalls mit einer Lernstandserhebung einhergehen, deren Hauptziel aber im System- Monitoring liegt. Evaluationsebene sind hier die einzelnen Bundesländer. Bei den nationalen Schulleistungsstudien werden in Deutschland alle drei Jahre am Ende der Jahrgangsstufe 9 Daten zum Kompetenzerwerb in der ersten Fremdsprache, optional auch in der zweiten Fremdsprache (Englisch und/ oder Französisch), erhoben; es handelt sich um eine Stichprobenerhebung nach dem Zufallsprinzip. Ähnlich wie bei den Vergleichsarbeiten sind die Probanden gefordert, Aufgaben aus den Fertigkeitsbereichen Leseverstehen und Hörverstehen zu lösen. Vergleichsarbeiten (VERA) sind eine Form der Lernstandserhebung. Sie werden in Deutschland in den Fächern Deutsch, Mathematik und in der ersten Fremdsprache durchgeführt, in Deutsch und Mathematik in den Jahrgangsstufen 3 (VERA-3) und 8 (VE- RA-8), in der ersten Fremdsprache nur in der Jahrgangsstufe 8. Vergleichsarbeiten dienen vornehmlich der Unterrichts- und Schulentwicklung, d. h. einzelne Schulen und Klassen werden mit Bezug auf die Bildungsstandards evaluiert und positioniert. Die Evaluationsebene ist also die Schule bzw. die Klasse / Lerngruppe und nicht individuelle Lernende. Die Ergebnisse von VERA sollten folglich nicht zur Benotung von Schülerinnen und Schülern herangezogen oder als Basis für eine Schulempfehlung genutzt werden (KMK 2012), wie in der Vergangenheit geschehen, als Vergleichsarbeiten u. a. in Nordrhein- Westfalen eine Klassenarbeit ersetzen konnten. Bei VERA handelt es sich um jährlich durchgeführte Vollerhebungen, d. h. es werden alle Schülerinnen und Schüler einer Jahrgangsstufe erfasst. Von der Teilnahme ausgenommen sind lediglich Förderschulen. Im Bereich der ersten Fremdsprache (Englisch oder Französisch) soll laut KMK-Beschluss mindestens die Domäne Lese- oder Hörverstehen überprüft werden. Die Dauer des Tests beträgt ca. 90 Minuten. Die Testformate für VERA 8 werden zentral - unter der Leitung des IQB - entwickelt; die Erarbeitung neuer Testsätze erfolgt ebenfalls zentral unter der Leitung des IQB. VERA findet jährlich zu bundesweit einheitlichen Terminen statt und wird von Lehrkräften administriert. Die Auswertung der Tests erfolgt dezentral über Lehrkräfte bzw. die Landesinstitute, die Rückmeldung der Testergebnisse zeitnah innerhalb weniger Wochen nach der Durchführung. Im Gegensatz zu Vergleichsarbeiten geht es bei der Lernstandsdiagnostik um die Erfassung von individuellen Lernständen. Ziel ist eine möglichst genaue Erfassung des Kenntnisstandes eines Lernenden mit Bezug auf eine zu lernende Fähigkeit oder Kompetenz. Eine Lernstandsdiagnostik erfolgt ebenfalls kriteriumsorientiert. Bezugsnormen können hier etwa die Niveaustufen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens sein oder die KMK-Bildungsstandards, die ebenfalls auf diesen basieren. Auch L2-Erwerbssequenzen können als Orientierungssystem dienen. Diese Art der Erfassung von Lernständen dient dazu, Lehrkräften eine Rückmeldung hinsichtlich des Lernerfolgs individueller Lernender zu geben und ggf. ein entsprechendes Lernangebot zu planen. Leitfragen können in diesem Kontext sein: Was kann der/ die Lernende im Bereich X bereits? Was muss er oder sie im Bereich X noch ler- 405 85. Verfahren der Lernstandserhebung nen? Was kann der/ die Lernende mit Hinblick auf die Zone der proximalen Entwicklung als nächstes angehen? (vgl. Budde et al. 2011: 169). Im Rahmen von Lernstandsdiagnostik können im Bereich des Fremdsprachenlernens z. B. Fehleranalysen zum Einsatz kommen; für den Elementarbereich wurden eine Reihe von Sprachstandserhebungsverfahren, teils in Verbindung mit einer Sprachförderdiagnostik, u. a. auch für Deutsch als Zweitsprache, entwickelt. Für einen kritischen Überblick vgl. Grgic & Eckhardt (2011); Mercator-Institut (2013). Screenings sind Messverfahren, die nur eine Eigenschaft oder eine begrenzte Anzahl von Fähigkeiten der zu Testenden erfassen. Sie dienen häufig der ersten Grobauslese von Probanden und bilden damit die erste Stufe in einem mehrstufigen Verfahren. Der Vorteil von Screenings liegt darin, dass sie zeitökonomisch und relativ unkompliziert in der Anwendung sind. Screenings können etwa als Einstufungstest genutzt werden, um Lernende in einer Sprachschule einer Kursstufe zuzuweisen oder um Kandidatinnen eine Einschätzung darüber zu geben, ob der erreichte Lernstand in einer Fremdsprache für die Teilnahme an einem aufwendigeren Test ausreicht. Bei Einsatz in letzterer Funktion könnte man den OnDaF, der das Format eines C-Tests hat und Rückschlüsse auf die allgemeine Sprachkompetenz eines Teilnehmers oder einer Teilnehmerin zulässt, als Screening bezeichnen: Die Ergebnisse des On- DaF bieten eine valide Basis zur Entscheidung darüber, ob die Teilnahme am weitaus aufwendigeren TestDaF aussichtsreich ist oder nicht. Screening-Verfahren finden auch im Elementarbereich bzw. bei Schuleintritt zur Erfassung des Sprachstands Anwendung, sowohl im muttersprachlichen wie im zweitsprachlichen Bereich. Auch hier haben sie Auswahlfunktion: Es werden diejenigen Kinder identifiziert, die einem umfassenderen diagnostischen Verfahren zur Ermittlung des Sprachförderbedarfs unterzogen werden müssen (vgl. z. B. das Bayerische Screening -Modell 2002). Screenings machen generell keine differenzierten Aussagen zu Kompetenzen in einzelnen sprachlichen Fertigkeitsbereichen. Sie eignen sich daher nicht zum Einsatz als Diagnoseinstrument. 3. Diskussion und Ausblick In vielen Ländern der Welt finden regelmäßig Lernstandserhebungen mit dem Ziel der Rechenschaftslegung statt, jedoch sind diese nicht gleichermaßen implementiert und auf breiter Basis akzeptiert (vgl. Groß Ophoff 2013: 29). So wird zum Teil recht kontrovers diskutiert, inwieweit die Annahme gerechtfertigt ist, dass durch hohe Leistungsstandards und ein System zu deren Überprüfung und der Verpflichtung der Lehrkräfte zur Rechenschaftslegung die Qualität von schulischen Bildungsprozessen tatsächlich gefördert wird. Ein Problemfeld scheint der Umgang mit den Ergebnissen der Lernstandserhebungen zu sein: Sie werden nicht immer, wie vorgegeben, allein zur Evaluation auf Schul- oder Systemebene genutzt, sondern auch für die individuelle Beurteilung von Schülerinnen und Schülern (z. B. zur Nutzung der VERA-8-Ergebnisse als Ersatz für eine Klassenarbeit). Vor dem Hintergrund, dass Lehrkräfte bei Lernstandserhebungen die Komponente Rechenschaftslegung stärker wahrnehmen als die formative Komponente (Maier 2008), besteht die Gefahr, dass die Anforderungen als zu hoch und damit als bedrohlich empfunden werden. In der Folge kann die Durchführung der Erhebungen beeinträchtigt werden (Groß Ophoff 2013: 28). So ist aus den USA belegt, dass schwächere Schülerinnen und Schüler am Testtag von der Teilnahme ausgeschlossen 406 Gabriele Kniffka werden oder dass die Auswertung oder die Dateneingabe fehlerhaft erfolgen. Eine weitere, nicht zu unterschätzende Auswirkung besteht in der Gefahr des teaching to the test, die eine Verengung der Lerninhalte impliziert und einer tatsächlichen Kompetenzentwicklung aufseiten der Lernenden entgegensteuert. Positiv zu vermerken ist andererseits, dass die Einführung von Lernstandserhebungen mit dem Ziel der Rechenschaftslegung eine stärkere Ausrichtung an den (Bildungs)Standards hervorrufen und letztlich zu einer Verbesserung der fremdsprachlichen Unterrichtspraxis führen kann (vgl. Vollmer 2005). Literatur Budde, M. / Riegler, S. / Wiprächtiger-Geppert, M. (2011): Sprachdidaktik. Berlin. Grgic, M. / Eckhardt, A. (2011): Landesweite Sprachstandserhebung und Sprachförderung vor der Einschulung - Kann die Vielfalt vergleichbar gemacht werden? , in: Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.): Vertiefende Studien zu ausgewählten Aspekten der Indikatorenentwicklung für den nationalen Bildungsbericht. Bonn, Berlin, 159-185. Groß Ophoff, J. (2013): Lernstandserhebungen: Reflexion und Nutzung, Münster. KMK , Hrsg. (2004): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Bildungsabschluss. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 4. 12. 2013. Bonn. KMK , Hrsg. (2012): Vereinbarung zur Weiterentwicklung von VERA . Beschluss der KMK vom 08. 03. 2012. www.kmk.org/ fileadmin/ ver oeffentlichungen _beschluesse/ 2012/ 2012 _ 03_08_Weiterentwicklung- VERA .pdf Maier, U. (2008): Rezeption und Nutzung von Vergleichsarbeiten aus der Perspektive von Lehrkräften. Zeitschrift für Pädagogik 54/ 1, 95-117. Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache, Hrsg. (2013): Qualitätsmerkmale für Sprachstandsverfahren im Elementarbereich. Köln. Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (2002): Kenntnisse in Deutsch als Zweitsprache erfassen. Screening-Modell für Schulanfänger. Stuttgart. Vollmer, H. (2005): Das Gespenst der Standardisierung geht um ODER : Lehren und Lernen fremder Sprachen auf der Basis von Bildungsstandards, in: K.-R. Bausch / E. Burwitz-Melzer / F. G. Königs / H.-J. Krumm (Hrsg.) (2005): Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfstand. Tübingen, 258-271. Gabriele Kniffka 86. Prozesse schriftlicher Fehlerkorrektur 1. Begrifflichkeit Als schriftliche Fehlerkorrektur gelten in der Regel schriftliche Anmerkungen zu Schreibprodukten, die sich auf die inhaltliche (z. B. Text und Problemverständnis, Themaentfaltung) und sprachliche Korrektheit (z. B. Beachtung einer sprachlichen Norm, Beachtung der Konventionen der geforderten Textart, stilistische Angemessenheit) beziehen (vgl. u. a. KMK 2002: 15 ff.; KMK 2004: 20 ff.; Nieweler 2005; 2010) und mit denen der Korrigierende ein mangelndes Einverständnis mit Teilen der Lernerproduktion zeigt. Dies geschieht meist in der Absicht, eine verwertbare Rückmeldung zu geben. Insofern wird die schriftliche Korrektur in der Fachliteratur häufig auch im Rahmen der Diskussion zum Lehrerfeedback abgehandelt (vgl. u. a. Bausch et al. 2011; Busse 2015; Hattie & Timperley 407 86. Prozesse schriftlicher Fehlerkorrektur 2007). Dabei wird die Bedeutung der in Korrekturen enthaltenen mehr oder minder expliziten Informationen zum Fehler hervorgehoben, die Lernende nutzen sollen und die sie dann möglicherweise in ihr weiteres Verhalten integrieren können. Im Gegensatz zur mündlichen Fehlerkorrektur (vgl. Art. 87), bei der Lehrende meist sehr schnell und häufig intuitiv reagieren, kann die Wahrnehmung bei der schriftlichen Fehlerkorrektur auf die Identifikation, auf die Art und Ursache einzelner Fehler und auf mögliche Hinweise und Weiterhilfen gelenkt werden. 2. Problemaufriss: Funktionen schriftlicher Fehlerkorrektur Die schriftliche Korrektur kann mit zwei Funktionen verbunden werden: Einerseits haben schriftliche Korrekturen eine Rückmeldefunktion. Hierbei werden Informationen und Weiterhilfen im Hinblick auf Fehler gegeben. Andererseits haben sie eine Bewertungsfunktion. Hierbei wird die schriftliche Korrektur als Ausgangspunkt für eine weitere Bewertung herangezogen. Die beiden Funktionen sind nicht immer klar voneinander abzugrenzen, zumal Lernende eine Fehlerkorrektur auch häufig dann als Bewertung wahrnehmen, wenn Lehrende eine reine Rückmeldung und Weiterhilfe intendiert haben. Die jeweilige Funktion sollte also klargestellt und der Fehler als Anlass zum Weiterlernen thematisiert werden (vgl. Art. 87). Bei der schriftlichen Fehlerkorrektur scheinen v. a. folgende Fragestellungen von Bedeutung zu sein: • Wie viel an schriftlicher Korrektur ist notwendig im Hinblick auf die jeweilige Funktion? Welche Argumente sprechen für eine Korrektur aller Fehler, welche hingegen für individualisierte oder den jeweiligen Lerngegenstand fokussierende Korrekturen? • Welche Korrekturverfahren, die unter 4. noch näher beschrieben werden, bieten sich für welche Funktion und welche Lernenden besonders an? Sollte eher direkt korrigiert oder auf indirekte Verfahren zurückgegriffen werden, mit denen Lernenden Feedback und Hilfen zur Selbstkorrektur geboten werden (vgl. Grotjahn & Kleppin erscheint 2016)? • Soll bei einer Fehlerbewertung besonders gewichtet werden (vgl. u. a. Kleppin 1998: 68 ff.), z. B. im Hinblick auf „besonders schwerwiegend“ , da kommunikationsbehindernd oder „eher zu vernachlässigen“ ? Wie geht man mit dem sog. Fehlerquotienten um, der in letzter Zeit in die Diskussion geraten ist und der bei der Bewertung keine herausragende Rolle (mehr) spielen soll (vgl. u. a. Grotjahn & Kleppin 2008)? • Sollte man standardisierte Prüfungen als Vorbild nehmen, bei denen Fehler meist nur angemerkt und je nach Konstrukt der Testaufgabe die sprachliche Korrektheit bzw. Angemessenheit eingeschätzt und mit anderen Bewertungskriterien wie Inhalt, Struktur, Komplexität (vgl. Art. 83) abgeglichen wird? • Wie sollen die sog. Positivkorrekturen, z. B. das Hervorheben von besonders gelungenen Äußerungen eingesetzt werden (vgl. u. a. Königs 2003: 379)? • Welche Maßnahmen können sinnvoll an Korrekturen angeschlossen werden? • Welchen Stellenwert sollten Aufgaben zur Bewusstmachung von Fehlern erhalten (vgl. z. B. Kleppin 1998: 61-68; Kleppin & Mehlhorn 2008)? Dazu gehören u. a. Aufgaben, bei denen Lernende in der Regel in Paararbeit Fehler „detektivisch“ entdecken und eventuell schon korrigieren, interessante mögliche Fehlerursachen herausfinden und kategorisieren oder besondere Schwierigkeiten identifizieren. Hilfestellungen des Lehrenden unterstützen sie dabei in ihrem Arbeits- und Lernprozess. 408 K.-R. Bausch / Karin Kleppin • Wie setzt man z. B. individuelle Fehlerprotokolle oder auch Fehlerstatistiken sinnvoll ein? Welche Rolle spielen nach einer schriftlichen Arbeit und dem zumeist schriftlichen lehrerseitigen Feedback zur Arbeit Feedbackgespräche? 3. Forschungsstand Obgleich die in den 1970er bis 1990er Jahren häufig durchgeführten Fehleranalysen sich meist an schriftlichen Fehlern orientierten (vgl. Spillner 1991), wurden empirische Untersuchungen eher zur mündlichen als zur schriftlichen Korrektur durchgeführt (vgl. Art. 87). In ihrer Meta-Analyse zu schriftlichkorrektivem Feedback greifen Kang & Han (2015) auf Untersuchungen zurück, die sich mit der Nachhaltigkeit und Effektivität u. a. von schriftlichen Korrekturverfahren auseinandersetzen. Letztendlich kommen sie zu keinen klaren Ergebnissen. Unterschiedliche Korrekturverfahren z. B. im Hinblick auf die Fokussierung von spezifischen Fehlern (besondere grammatische Phänomene) oder im Hinblick auf eine einfache Fehlermarkierung, Fehlerklassifikationen oder die Berichtigung durch Lehrende scheinen sich nicht wesentlich in ihrer Effektivität voneinander zu unterscheiden. Grundsätzlich kommen die Autoren der Meta-Analyse aber zu dem Ergebnis, dass schriftliche Korrekturen, die für Lernende verständlich sind, bei der Weiterentwicklung grammatischer Korrektheit eine entscheidende Rolle spielen. Dabei könnte - so Dobric´ & Sigott (2014) - eine weitgehend einheitliche Fehlertaxonomie die Formulierung von Feedback an Lernende erleichtern. Trotz der in den unterschiedlichen curricularen Vorgaben der Bundesländer weitgehend normierten Vorgaben (Bewertungsskalen o. J.) fällt in Deutschland eine nicht einheitliche Konkretisierung im Hinblick auf Fehlerbezeichnung, Fehlergewichtung, Anwendung der Sprachnorm sowie Gewichtung der Bewertungsbereiche auf (vgl. Bohnensteffen 2010: 134). Empirische Untersuchungen im Zusammenhang mit schriftlicher Fehlerkorrektur weisen darüber hinaus wie auch bei der mündlichen Fehlerkorrektur darauf hin, dass ein selbstständiges und bewusstes Auseinandersetzen mit den eigenen Fehlern, die Reflexion über Fehlerschwerpunkte und ihre Ursachen sowie eine sich daraus ergebene „schülerorientierte Fehlerdidaktik“ (vgl. ebd.: 92) das Interesse der Lernenden an der Sprache erhöhen können. Für das Englische als lingua franca und eine entsprechende Zielsetzung im Englischunterricht sowie vor dem Hintergrund eines Mehrsprachigkeitskonzeptes (vgl. Art. 60) wird allerdings eine erhöhte Fehlertoleranz gefordert, die dazu dienen soll, dass Lernende insbesondere zur Bewältigung von lebensweltlich bedeutsamen Handlungssituationen befähigt werden sollen. 4. Praxisrelevanz Es existiert eine Reihe von unterschiedlichen schriftlichen Korrekturverfahren, die - kombiniert oder auch unabhängig voneinander - eingesetzt werden. Dazu gehören: 1) die einfache Fehlermarkierung, d. h. das Anstreichen oder Unterstreichen des Fehlers. Bei der einfachen Fehlermarkierung können auch farbliche Abstufungen im Hinblick auf bestimmte Fehlertypen verwendet werden. Die Farben können sich auf linguistische Klassifikationen oder auch auf den Unterschied zwischen vermuteten Kompetenz- und Performanzfehlern beziehen; 2) die Fehlermarkierung mit Korrekturzeichen, d. h. das Anstreichen des Fehlers mit der Angabe, um welchen Fehler es sich 409 86. Prozesse schriftlicher Fehlerkorrektur handelt, je nach Adressatengruppe z. B. auch unter durchdachter und möglicherweise adaptierter Zuhilfenahme von Klassifikationen. Bei der Fehlerkennzeichnung durch Korrekturzeichen gibt man - ähnlich wie bei der farblichen Kennzeichnung - an, um welche Fehler es sich handelt und unterstützt dadurch den Lernenden bei einer möglichen Selbstkorrektur, die dann eventuell mit Sonderpunkten belohnt werden kann. Dies könnte v. a. bei Fehlern im morphosyntaktischen Bereich nützlich sein; denn es handelt sich bei diesen Fehlern häufig nur um Fehlgriffe (Performanzfehler), die die Lernenden eher selbst korrigieren können. Lexiko-semantische und sozio-pragmatische Fehler hingegen sind eher selten selbst zu korrigieren, da es sich hierbei häufig um Kompetenzfehler handelt. Unumgänglich ist es, dass die Korrekturzeichen für die Lernenden so einfach und verständlich wie nötig, aber auch so hilfreich wie möglich sind. Da keine Klassifikation in sich wirklich stimmig und logisch ist, können Klassifikationen nicht nur an die jeweilige Gruppe, sondern auch an den jeweiligen Lernstand angepasst und dementsprechend weiter ausdifferenziert werden. Zum Teil kann es auch sinnvoll sein, Korrekturhilfen zu geben, die sich auf inhaltliche oder logische Zusammenhänge beziehen, z. B. bei einem Fehler wie: Ich gehe heute *im Kino. Gegebene Hilfe: „Wohin? “; 3) die Berichtigung durch die Lehrkraft, d. h. der Versuch, die Äußerungsabsicht des Lerners sprachlich korrekt zu rekonstruieren. Dies ist dann angebracht, wenn Lernende versucht haben etwas auszudrücken, was sie noch nicht ausdrücken konnten. Durch den Versuch haben sie allerdings ihr Bedürfnis bzw. ihren Bedarf im Hinblick auf die Äußerungsabsicht artikuliert. Ein Lösungsvorschlag kann also möglicherweise dazu führen, dass sie den betreffenden Ausdruck in ihr Repertoire integrieren. Solche Versuche können auch Anlass für eine weitere kurze Behandlung des Phänomens im Unterricht sein, v. a. wenn es sich z. B. um für Lernende lebensweltlich relevante Themen oder kulturspezifische Routinen (vgl. Art. 60) handelt. Lösungsvorschläge sollten allerdings nur dann verwendet werden, wenn man relativ sicher ist, dass Lernende nicht mit kleinen Hilfen zu eigenen Lösungen oder Selbstkorrekturen kommen können. 4) Selbstkorrektur an Hand von zu gebenden Weiterhilfen, an Hand von Lösungsschlüsseln oder idealtypischen Benchmarking- Texten. Sinnvoll ist dabei v. a., dass Lernende sich noch einmal mit ihrem Schreibprodukt und den aufgetretenen Fehlern auseinandersetzen, indem sie ihre Produkte mit den richtigen Lösungen bzw. idealtypischen Textvorschlägen vergleichen. Einigkeit besteht weitgehend dabei, dass Fehler als notwendiges Durchgangsstadium beim Lernprozess gelten und dass die schriftliche Fehlerkorrektur - unabhängig von ihrer Funktion als Bewertungsgrundlage - auch als Hilfestellung für das Weiterlernen genutzt werden sollte. Eine ,trickreiche‘ Möglichkeit bietet sich bei formativen Prüfungen an (vgl. Art. 84): An Hand von Anmerkungen zu Fehlern könnten Lernende eine Selbstkorrektur nach einer ersten Sichtung der schriftlichen Produktion durch die Lehrkraft vornehmen. Der korrigierte Text kann dann mit Sonderpunkten belohnt werden. Sichtbare Fortschritte der Lernenden können in die Bewertung einbezogen werden (vgl. Grotjahn & Kleppin 2014: Kap. 4 und 6). Darüber hinaus sollten nachträgliche Feedbackgespräche nicht nur im Hinblick auf die vorgenommenen Korrekturen, sondern z. B. auch im Hinblick auf mögliche ,interessante‘ Fehlerursachen durchgeführt werden. 410 K.-R. Bausch / Karin Kleppin 5. Perspektiven Bisher wird eine schriftliche Fehlerkorrektur zumeist auch dann, wenn sie nicht für eine Bewertung herangezogen wird, für alle Lernenden in einer Gruppe gleichermaßen vorgenommen. Doch ähnlich wie bei der mündlichen Korrektur existieren sowohl bei Lehrenden als auch bei Lernenden unterschiedliche Vorlieben bei Korrekturverfahren. Zieht Schülerin X es vor, dass Fehler nur markiert werden, damit sie sich noch einmal intensiv mit ihrer Produktion auseinandersetzen kann und durch eine Überarbeitung möglicherweise eine bessere Note erlangt, so wird Schüler Y möglicherweise durch das Markieren aller Fehler völlig überfordert. Für ihn wäre eventuell eine klare Fokussierung auf die ,bedeutendsten‘ Fehler sinnvoll gewesen. Lerner- und Lehrervorlieben in Übereinstimmung zu bringen, stellt eine nur schwer zu bewältigende Herausforderung dar. Allerdings können Korrekturverfahren und sinnvolle Reaktionen auf Korrekturen in interaktiven Feedbackgesprächen eine Rolle spielen. Solche Feedbackgespräche können sich u. a. auf die gestellte Aufgabe und die damit verbundenen Anforderungen, auf einzelne besonders schwierige Teilbereiche, auf die Bearbeitungsstrategien, auf Bewertungskriterien und auf weitere Tipps und Hilfen zum Schreiben beziehen. Sie müssen interaktiv ausgerichtet werden, indem Lernende z. B. gemeinsam eine Schreibaufgabe lösen, sich bei Unsicherheiten gegenseitig helfen oder die Lehrkraft zu Rate ziehen, besondere Schwierigkeiten identifizieren und Lösungen diskutieren. In solchen interaktiven Feedbackgesprächen könnte dann die bei der schriftlichen Fehlerkorrektur deutliche passive Rolle der Lernenden aktiver umgestaltet werden. Schriftliche Korrektur kann dementsprechend nicht mehr allein auf die schriftlichen Anmerkungen zu Schreibprodukten reduziert werden. Vielmehr ist sie in Verbindung mit schriftlichem und mündlichem Feedback zu schriftlichen Leistungen zu sehen. Literatur Bausch, K.-R. / Bergmann, B. / Grögor, B. / Heinrichsen, H. / Kleppin, K. / Menrath, B. / Thürmann, E. (2011): Rahmenplan „Deutsch als Fremdsprache“ für das Auslandsschulwesen. Bochum, Köln. Bewertungsskalen. www.kmk-format.de/ mate rial/ Fremdsprachen/ 5-3-2_Bewertungsskal en_Schreiben.pdf Bohnensteffen, M. (2010): Fehler-Korrektur. Lehrer- und lernerbezogene Untersuchungen zur Fehlerdidaktik im Englischunterricht der Sekundarstufe II . Frankfurt a. M. Busse, V. (2015): Förderung von schriftsprachlichen Kompetenzen im Fremdbzw. Zweitsprachenunterricht: Zum Verhältnis von Motivation und schriftlichem Feedback. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 20/ 1, 201-214 (online). Dobric´ , N. / Sigott, G. (2014): Towards an error taxonomy for student writing. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 19/ 2, 111-118 (online). Grotjahn, R. / Kleppin, K. (2008): Bewertung produktiver sprachlicher Leistungen, in: B. Tesch / E. Leupold / O. Köller (Hrsg.): Bildungsstandards Französisch: konkret. Sekundarstufe I: Grundlagen, Aufgabenbeispiele. Berlin, 187-204. Grotjahn, R. / Kleppin, K. (2015): Prüfen, Testen, Evaluieren (= Deutsch Lehren Lernen, Bd. 7). München. Grotjahn, R, / Kleppin, K. (erscheint 2016): Feedback zu schriftlichen Lernerproduktionen, in: B. Akukwe / R. Grotjahn / S. Schipolowski (Hrsg.): Schreiben in der Fremdsprache. Schülertexte kriterienorientiert bewerten. Berlin. 411 86. Prozesse schriftlicher Fehlerkorrektur Hattie, J. / Timperley, H. (2007): The power of feedback. Review of Educational Research 77/ 1, 81-112. Kang, E. / Han, Z. (2015): The efficacy of written corrective feedback in improving L2 written accuracy: A meta-analysis. The Modern Language Journal 99/ 1, 1-18. http: / / dx. doi.org/ 10.1111/ modl.12189 Kleppin, K. (1998): Fehler und Fehlerkorrektur. Berlin. Kleppin, K. / Mehlhorn, G. (2008): Zum Stellenwert von Fehlern. Am Beispiel des Französischen und Russischen. Praxis Fremdsprachenunterricht 4, 17-20. KMK , Hrsg. (2002): Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Englisch. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 01. 12. 1989 i. d. F. vom 24. 05. 2002. www. kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlichungen _be schluesse/ 1989/ 1989_12_01- EPA -Englisch. pdf KMK , Hrsg. (2004): Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Französisch. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 01. 12. 1989 i. d. F. vom 05. 02. 2004. www. kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlichungen _be schluesse/ 1989/ 1989_12_01- EPA -Franzoe sisch.pdf Königs, F. G. (2003): Fehlerkorrektur, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Aufl. Tübingen, 377-382. Nieweler, A. (2005): Korrigieren und Berichtigen. Lernerorientierter Umgang mit schriftlichen Arbeiten. Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 78, 2-6 Nieweler, A. (2010): Beurteilung schriftlicher Leistungen, in: W. Hallet / F. G. Königs (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber, 219-223. Spillner, B., Hrsg. (1991): Fehlerkunde. Beiträge zur Fehleranalyse, Fehlerbewertung und Fehlertherapie. Berlin. Karl-Richard Bausch Karin Kleppin 87. Prozesse mündlicher Fehlerkorrektur 1. Begrifflichkeit Der Begriff ,mündliche Fehlerkorrektur‘ ist weitgehend alltagssprachlich geprägt. Meist wird damit eine (relativ spontane) lehrerseitige - zuweilen auch lernerseitige - unterschiedlich ausgeprägte - Reaktion auf wahrgenommene Fehler verbunden. In der Fachliteratur bezieht sich der Begriff auf ein breiteres Spektrum: So wird Korrektur z. B. von Reparatur abgegrenzt (vgl. Rehbein 1984), wobei Korrektur als eine Handlung gekennzeichnet wird, in der der Lernende seine Äußerungsabsicht aufgrund der Lehrerintervention aufgibt, während sich bei der Reparatur der Lehrende dem Handlungsfokus des Lernenden anpasst. Henrici & Herlemann (1986) verstehen Korrekturen als interaktive Verfahren zur Verständnissicherung in der Kommunikation und schlagen eine Aufteilung nach fremdinitiierter und selbstinitiierter Fremdbzw. Selbstkorrektur vor. Häufig wird mündliche Fehlerkorrektur in eine enge Verbindung mit Feedback (vgl. u. a. Schoormann & Schlak 2012) oder Rückmeldung gebracht. Damit wird die Bedeutung der in Korrekturen enthaltenen Informationen zum Fehler hervorgehoben. Wieder andere Autoren benutzen den Begriff ,Fehlertherapie‘ (Häuptle-Barceló 2007), der verdeutlichen soll, dass der Umgang mit Fehlern über die zeitlich begrenzte Korrektur hinausgehen sollte. Allerdings suggeriert Fehlertherapie - wohl ungewollt - , dass Fehler als ,Krankheitssymptom‘ und nicht als notwendiger Bestandteil im Lernprozess angesehen werden. Der Begriff ,Fehlerdidaktik‘ (vgl. u. a. Bohnensteffen 2010) scheint dagegen neutraler, will man hervorheben, dass Fehlern nicht allein mit Korrekturen begegnet werden sollte, sondern dass sie z. B. Gegenstand von Lernaufgaben sein können. 412 Karin Kleppin 2. Problemaufriss: Funktionen mündlicher Fehlerkorrektur Das schon seit langem währende Interesse an der mündlichen Fehlerkorrektur verwundert nicht, da beim mündlichen Fehler die sich anschließenden - häufig sehr emotionalen - Lehrer- und Lernerreaktionen sowohl auf die Interaktion im Unterricht als auch auf das gesamte weitere Lernen einwirken. Es existiert eine Fülle von Faktoren, die mündliche Fehlerkorrekturen beeinflussen. Dazu gehören u. a. die Rahmenbedingungen im Unterricht, Lehrerfaktoren wie etwa Lehrstile und subjektive Theorien über Lernprozesse, Lernerfaktoren wie etwa das Alter, Selbstkonzepte, Lernstile, Motivation, Vorerfahrungen und Einstellungen zu Fehlern und zu Korrekturen. In Abhängigkeit verschiedener Faktoren, wie z. B. der Intention des Korrigierenden (Lehrender oder Mitlernende) oder der Wahrnehmung des Korrigierten, kann eine Korrektur unterschiedliche Funktionen haben. Dazu gehören z. B. die Diagnose-, Feedback-, Modell-, die Bewertungsfunktion sowie die möglichen Hilfestellungen zum Weiterlernen. Die Funktionen sind nicht immer klar voneinander abgrenzbar und können sich überschneiden. Die Diagnose im engeren Sinne zielt auf das Aufdecken spezifischer Stärken und Schwächen der Lernenden ab. Sie dient als Grundlage für fördernde Maßnahmen zum Weiterlernen. Ein Feedback in Form von Hinweisen zum Fehler und zur Korrektur kann v. a. bei Performanzfehlern sinnvoll sein, da diese im Gegensatz zu Kompetenzfehlern von den Lernenden selbst korrigiert werden können. Dabei existieren unterschiedliche Verfahren, wie etwa ein (nonverbaler) Hinweis auf das Vorliegen eines Fehlers, Verweise auf die Fehlerart oder Fehlerursache oder andere Hilfestellungen zur Selbstkorrektur. Lehrende geben häufig auch das korrekte Modell in Form einer direkten bzw. expliziten Korrektur vor oder verwenden es in Form einer indirekten Korrektur (recast), die eher beiläufig - wie in authentischer und natürlicher Kommunikation - erfolgt. Jede korrigierende Tätigkeit beinhaltet - dies suggeriert auch die Verortung dieses Artikels im Umfeld von Evaluation und Leistungsmessung - allerdings eine mehr oder minder objektive Bewertung der korrigierten Äußerung als Fehler. Letztendlich können Fehler einen Anlass zum Weiterlernen bieten, wenn sie von allen Beteiligten als notwendiger Bestandteil des Lernprozesses gesehen werden und eine Auseinandersetzung mit ihnen erfolgt, die je nach individuellen Vorlieben der Lernenden bewusst im Hinblick auf Sprachstrukturen und soziopragmatisches Verhalten oder eher spielerisch erfolgen kann. Für die Praxis im Unterricht scheinen v. a. folgende Fragestellungen von Bedeutung zu sein: • Welche Auswirkungen haben bestimmte Ziele und Funktionen von mündlichen Korrekturen auf die jeweiligen Aktanten? Ab wann kann man überhaupt von Wirksamkeit von Korrekturen sprechen? Dann, wenn sie vom Lernenden oder Mitlernenden wahrgenommen wurden und eine sichtbare Reaktion erfolgt, wenn Fehler mit Hilfen selbst korrigiert werden können oder wenn der entsprechende Fehler gar nicht mehr auftritt? • Welchen Fehlern sollte besondere Beachtung geschenkt werden und welche sind im Hinblick auf welche Unterrichtsziele eher zu vernachlässigen (z. B. Grammatikfehler, sozio-pragmatische Fehler)? • Gibt es günstige Zeitpunkte für Fehlerkorrekturen (sofort nach dem Fehler, nach einer Äußerungssequenz, in einer späteren Korrekturphase)? • Welche Unterschiede existieren zwischen einer Korrektur durch den Lehrenden oder 413 87. Prozesse mündlicher Fehlerkorrektur durch andere Mitlernende? Gibt es Vorlieben bei Lernenden? • Welche Verfahren der mündlichen Fehlerkorrektur bieten sich bei welchen Lernern bzw. Lernergruppen an? Welche Vor- und Nachteile sind mit welchen Verfahren verbunden? Wovon hängen solche Vor- oder Nachteile ab? Welchen Stellenwert haben Korrekturen, die vom Lernenden selbst vorgenommen werden können im Hinblick auf sein weiteres Lernen? • Welche Maßnahmen können ,sinnvoll‘ an Korrekturen bzw. Korrektursequenzen angeschlossen werden (z. B. Aufforderung zum Wiederholen der korrekten Form)? • Welchen Stellenwert sollten sog. Fehleraufgaben für welche Adressatengruppen erhalten? Wie können Fehleraufgaben so eingesetzt werden, dass Lernende motiviert sind, sich mit ihren Fehlern auseinanderzusetzen (vgl. Kleppin & Raabe 2001)? 3. Forschungsstand Die Diskussion und Forschung zur mündlichen Fehlerkorrektur (zu einem Überblick vgl. u. a. Schoormann & Schlak 2011, 2012; Tönshoff 2005) hat sich in den letzten 50 Jahren v. a. an der veränderten Einstellung zu Fehlern beim Lernprozess orientiert, die maßgeblich durch eine weitgehende Akzeptanz der Lernersprachenhypothese (vgl. Selinker 1972 sowie Art. 6) angestoßen wurde. Fehler werden als notwendiger Bestandteil von Lernprozessen gesehen. Empirische Untersuchungen versuchen einerseits deskriptiv vorzugehen, um einen Einblick in die komplexen Vorgänge bei der mündlichen Fehlerkorrektur zu erhalten und andererseits herauszufinden, welche Einstellungen die beteiligten Personen (Lehrende und Lernende) zu Fehlerkorrekturen haben. Andererseits will man zu Aussagen über die Wirksamkeit von Korrekturen gelangen (vgl. u. a. Havranek 2002; Lochtmann 2002). Eine Reihe von Untersuchungen insbesondere im anglophonen Bereich konzentriert sich auf die Frage, welche Korrekturverfahren sich als effektiver herausstellen, ob dies z. B. bei eher impliziten Verfahren (indirekte Korrektur bzw. recast) oder eher expliziten bewusstmachenden Verfahren der Fall ist, in denen die Aufmerksamkeit der Lernenden auf die Form der Aussage gelenkt werden soll. Eine eindeutige Antwort auf das, was als effektiv gelten soll, liegt bisher nicht vor. Bedeutet Effektivität, dass eine Korrektur überhaupt wahrgenommen wird oder dass sich an die Korrektur eine Reaktion z. B. in Form einer Wiederholung anschließt? Oder bezeichnet man eine Korrektur erst dann als effektiv, wenn die korrekte Form im Laufe einer Unterrichtsstunde bzw. in folgenden Unterrichtsstunden wieder auftritt? Darüber hinaus kann man eine Einschätzung zur Effektivität nicht nur auf das Verhalten derjenigen beziehen, die den Fehler begangen haben, sondern auch auf die Mitlernenden. Schoormann und Schlak (2012) betonen, dass Effektivität von vielen Faktoren abhängig sein kann, wie etwa von kognitiven und motivationalen Faktoren und z. B. Fremdsprachenverwendungsangst. Daher lassen sich kaum generalisierbare Ergebnisse aus den empirischen Untersuchungen ableiten. 4. Praxisrelevanz Da empirische Ergebnisse zu durchaus widersprüchlichen Ergebnissen führen und letztendlich nicht generalisierbar sind, können Empfehlungen für die Praxis zumindest den Blick auf den komplexen Prozess der mündlichen Fehlerkorrektur lenken und Lehrende dafür sensibilisieren, die vielfältigen Faktoren wahrzunehmen und ihr Verhalten daran auszurichten. Allerdings stimmen vorsichtige Folgerungen aus Befunden empirischer Untersuchungen (vgl. u. a. Klep- 414 Karin Kleppin pin & Königs 1991, die Synthese der ausgewerteten Studien in Schoormann & Schlak 2011: 20) sowie didaktische Empfehlungen, die sich zusätzlich auf Beobachtungen und Erfahrungen in der Unterrichtspraxis stützen, in einigen wesentlichen Punkten überein: • Fehler sind nicht als ,Sündenfall‘ im Lernprozess zu betrachten, sie gehören vielmehr zum Lernprozess und werden manchmal vom Lernenden bewusst - quasi als besondere Lernstrategie - verwendet, um eine bestimmte Hypothese zu testen und vom Lehrenden oder anderen Lernenden ein Feedback z. B. in Form einer Korrektur zu erhalten. Im Übrigen scheinen auch die in der Praxis agierenden Lehrenden und Lernenden Korrekturen eine positive Einstellung entgegenzubringen. • Einigkeit besteht v. a. darin, dass ermutigend, nicht sanktionierend und nicht bloßstellend korrigiert werden sollte. • Häufig werden Empfehlungen gegeben, das Korrekturverhalten dem jeweiligen Unterrichtsfokus anzupassen und z. B. in einer schwächer gesteuerten - möglicherweise eher mitteilungsbezogenen - Unterrichtsphase weniger oder eher mit einer indirekten bzw. impliziten Korrektur wie in einer authentischen Kommunikation zu reagieren oder Fehler mit zu notieren und in einer anschließenden Korrekturphase zu behandeln. In der Unterrichtspraxis lässt sich ein solch differenziertes Verhalten allerdings nicht immer durchhalten. Vielmehr scheinen Lehrende über bestimmte Korrekturtechniken zu verfügen, die sie grundsätzlich in allen Phasen anwenden und die sich somit teilweise zu Korrekturroutinen entwickeln. Für Lehrende ist es sinnvoll, sich mit unterschiedlichen Korrekturtechniken auseinanderzusetzen und ein möglichst breit gefächertes Spektrum an Korrekturverfahren einzusetzen. • Bewusstmachenden Korrekturmaßnahmen, die zur Reflexion über die eigenen Fehler anregen und zu Selbstkorrekturen führen sollen, wird in vielen Publikationen ein positiver Stellenwert zugesprochen, insbesondere auch im Kontext eines Entwicklungsprozesses zum autonomen selbstreflexiven Lerner. Viele, v. a. morphosyntaktische Fehler, die häufig von Lehrenden quasi automatisch direkt korrigiert werden, können von den Lernenden selbst erkannt und korrigiert werden, da sie zu großen Teilen dem Bereich der sog. Performanzfehler zugerechnet werden dürften. • Im Großteil der neueren Fachliteratur zur mündlichen Fehlerkorrektur wird darauf verwiesen, dass Korrekturmaßnahmen mit den Lernenden besprochen werden sollten und dass sich Lehrende vor allem (mit Hilfe von Gesprächen, anonymen schriftlichen Befragungen und Fragebogen) über Wünsche und Bedürfnisse der Lernenden informieren und sie so weit wie möglich in ihr Verhaltensrepertoire integrieren sollten. 5. Perspektiven Der auf Vygotskij (1978) zurückgehende Ansatz der interaktionistischen dynamischen Evaluation (vgl. Lantolf & Poehner 2011) geht davon aus, dass sich individuelle Kompetenzen in der sozialen Interaktion mit anderen entwickeln. Zentral für seinen Ansatz ist das Konzept einer individuellen Phase der nächsten Entwicklung (zone of proximal development (ZPD)) eines Lernenden. Die ZPD kann als Distanz zwischen dem aktuellen Entwicklungsstand eines Lernenden und seinem potentiell erreichbaren nächsten Entwicklungsstand definiert werden. Während man den aktuellen Entwicklungsstand eines bestimmten Lernenden daran erkennt, ob er eine Aufgabe ohne Hilfe einer kompetenteren Person 415 87. Prozesse mündlicher Fehlerkorrektur lösen kann, erkennt man den potentiell nächsten erreichbaren Entwicklungsstand daran, ob und inwieweit der Lernende in der Lage ist, eine Aufgabe mit (kleinen) Hilfen einer kompetenteren Person zu lösen. Im Hinblick auf die mündliche Fehlerkorrektur bedeutet dies, dass ein Lernender während der mündlichen Produktion eine Rückmeldung in Form einer Hilfe zur Selbstkorrektur erhält, die er dann weiter verwerten kann, wenn er das entsprechende Potenzial bereits besitzt. Es kann sich dabei um implizite Hilfen handeln, wie etwa nonverbale (z. B. besondere Gesten), paraverbale oder verbale Hinweise auf das Vorliegen eines Fehlers (z. B. Wiederholung des Fehlers mit fragender Intonation). Es können explizite und konkrete Hinweise auf die Art des Fehlers gegeben werden (z. B. Hinweise zu möglichen Ursachen von Fehlern) oder auch Vorschläge zu Lösungsmöglichkeiten unterbreitet werden. In einem dynamischen Wechselspiel mit dem Lernenden gehen Lehrende von eher impliziten zu expliziteren Hilfen vor (vgl. Grotjahn & Kleppin 2015, Kap. 6.1.2). Wenn der Lernende von sich aus zu keiner adäquaten Reaktion auf diese Hilfen fähig ist, dann ist in einem solchen Fall davon auszugehen, dass er noch nicht über das Potenzial zur Lösung der entsprechenden Aufgabe verfügt, d. h. er befindet sich in Bezug auf die zur Lösung der Aufgabe notwendigen Kompetenzen noch nicht in der individuellen Phase der nächsten Entwicklung. Eine Weiterführung des Verfahrens könnte sogar demotivieren und/ oder zu Sprechhemmungen führen. Auch wenn es sich bei der interaktionistischen dynamischen Evaluation in der Regel um recht individuelle Aushandlungsprozesse handelt, können sie doch für eine gesamte Lerngruppe nutzbar gemacht werden, wenn Lernende die Aufmerksamkeit auf die jeweilige Korrektursequenz und den Aushandlungsprozess lenken. Eine Voraussetzung für eine solche Aufmerksamkeitslenkung ist allerdings in jedem Fall eine positive Einstellung zu Fehlern als Lernanlass. Literatur Bohnensteffen, M. (2010): Fehler-Korrektur. Lehrer- und lernerbezogene Untersuchungen zur Fehlerdidaktik im Englischunterricht der Sekundarstufe II . Frankfurt a. M. Grotjahn, R. / Kleppin, K. (2015): Prüfen, Testen, Evaluieren (= Deutsch Lehren Lernen, Bd. 7). München. Häuptle-Barceló, M. (2007): Fehlertherapie als Lernstrategie. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 88, 28-32. Havranek, G. (2002): Die Rolle der Korrektur beim Fremdsprachenlernen. Frankfurt a. M. Henrici, G. / Herlemann, B. (1986): Mündliche Korrekturen im Fremdsprachenunterricht. München. Kleppin, K. (1998): Fehler und Fehlerkorrektur. Berlin. Kleppin, K. / Königs, F. G. (1991): Der Korrektur auf der Spur. Untersuchungen zum mündlichen Korrekturverhalten von Fremdsprachenlehrern. Bochum. Kleppin, K. / Raabe, H. (2001): Fehler als Übungs- und Lernanlass. Der Fremdsprachliche Unterricht Französisch 52, 15-19. Lantolf, J. P. / Poehner, M. E. (2011): Dynamic assessment in the foreign language classroom: A teacher’s guide. 2. Aufl. University Park, PA . Lochtmann, K. (2002): Korrekturhandlungen im Fremdsprachenunterricht. Bochum. Rehbein, J. (1984): Reparative Handlungsmuster und ihre Verwendung im Fremdsprachenunterricht. Roskilde. Schoorman, M. & Schlak, T. (2011): Hilfreich oder ohne praktischen Nutzen? - Die Forschung zur mündlichen Fehlerkorrektur im Zweit- und Fremdsprachenunterricht. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 22/ 1, 43-84. 416 Eva Burwitz-Melzer Schoormann, M. / Schlak, T. (2012): Sollte korrektives Feedback „maßgeschneidert“ werden? Zur Berücksichtigung kontextueller und individueller Faktoren bei der mündlichen Fehlerkorrektur im Zweit/ Fremdsprachenunterricht. Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 17/ 2, 172-190 (online). Selinker, L. (1972): Interlanguage. International Review of Applied Linguistics 10, 219-231. Tönshoff, W. (2005): Mündliche Fehlerkorrektur im Fremdsprachenunterricht. Ein Blick auf neuere empirische Untersuchungen. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 16/ 1, 3-22. Vygotskij, L. S. (1978): Mind in society: The development of higher psychological processes. Cambridge, MA . Karin Kleppin 88. Sprachenportfolios 1. Begrifflichkeit Der Begriff des Sprachenportfolios steht im Kontext der Fremdsprachendidaktik für eine Sammlung von zumeist zertifizierten Selbsteinschätzungsdokumenten, individuellen Sprachenbiographien und selbst angefertigten fremdsprachigen Arbeitsbeispielen, die in regelmäßigen Abständen einen gewissen Sprachstand und damit gleichzeitig den eigenen Lernprozess im Bereich der Fremdsprachen darstellen. Sprachenportfolios werden in verschiedenen schulischen und außerschulischen Lernbereichen angefertigt, sowohl von jungen Lernenden als auch von Erwachsenen erstellt, und enthalten je nach Einsatzgebiet und institutionellem Kontext andere Schwerpunkte. Ein Portfolio kann abhängig vom Lehr-/ Lernumfeld zur Selbstevaluation und zur selbstständigen Lernplanung, aber auch zu Dokumentations- und Evaluationszwecken - etwa in Bewerbungssituationen - eingesetzt werden. Grundsätzlich unterscheidet man bei einem Sprachenportfolio zwischen dokumentierenden und pädagogischen Funktionen: Es dokumentiert eine bestimmte Lernentwicklung unter bestimmten Bedingungen in einem bestimmten Zeitraum. Darüber hinaus belegt es bereits erbrachte und aktuelle sprachliche Leistungen und interkulturelle Erfahrungen. Zu den pädagogischen Funktionen zählt, dass es durch die kontinuierliche Selbsteinschätzung die Lernendenautonomie stärkt und zudem eine wichtige Planungshilfe für den eigenen fremdsprachlichen Lernprozess darstellt (vgl. Burwitz-Melzer 2006). Diese Funktionen werden von den drei verschiedenen Teilen des Sprachenportfolios unterschiedlich realisiert: Der Sprachenpass dokumentiert summativ mit der Sammlung von Zeugnissen, Sprachqualifikationen und Belegen über Auslandsaufenthalte des Portfolioeigners, welche institutionellen Schritte beim Erlernen der Sprachen bereits absolviert wurden. Dabei werden die Mehrsprachigkeit des Portfolioeigners, sowie seine interkulturellen Erfahrungen sichtbar gemacht. Dieser Teil des Portfolios ist bei Wechseln in eine andere schulische oder universitäre Bildungsinstitution und bei beruflichen Bewerbungen im In- und Ausland von großem Wert. Die Sprachlernbiographie hat eine prozessdiagnostische und eine planerische Funktion: Hier findet der Lernende Deskriptoren zu den fünf sprachlichen Kompetenzbereichen, die der Gemeinsame europäische Referenzrahmen (GeR, Europarat 2001) beschreibt (Hörverstehen, Sprechen als Interaktion, monologisches Sprechen, Lesen und Schreiben), die im Portfolio ebenfalls als Könnens-Beschreibungen formuliert sind (vgl. Kleppin 2005). Durch die individuelle Beschreibung des eigenen Kompetenzstandes 417 88. Sprachenportfolios mit Hilfe der Checklisten wird ein Selbstevaluationsprozess in Gang gesetzt, der Lernenden abverlangt, ihre Lernfortschritte in regelmäßigen Abständen differenziert einzuschätzen. Die Checklisten beziehen sich grundsätzlich immer auf alle vom Lerner gesprochenen, erworbenen oder formell erlernten Sprachen und werden für jede dieser Sprachen gesondert ausgefüllt. Diese Art der formativen Selbsteinschätzung bezieht die Mehrsprachigkeit sowie die unterschiedlichen Teilkompetenzen in den verschiedenen Sprachen des Portfolioeigners mit ein (Schärer 2003: 389). Im Dossier kommen sowohl die produktorientierte Dokumentationsfunktion wie auch die prozessdiagnostische Funktion zum Tragen, es ist ebenfalls eine formative Art der Selbsteinschätzung: Indem die Portfolioeigner selbst besonders gute, jeweils aktuelle Arbeiten zum Nachweis ihres Sprachenlernens auswählen und dort präsentieren, akkumulieren sich im Laufe der Zeit Dokumente ihres Lernprozesses, die einen Lernfortschritt belegen. Bereits die Auswahl der einzelnen Arbeitsbeispiele regt zur Reflexion über den eigenen Lernprozess an. 2. Historische Skizze Portfolios werden im angelsächsischen Sprachraum, v. a. in den USA und Kanada, seit mehr als vierzig Jahren insbesondere in writing classes an Schulen und Colleges benutzt, um individuelle Lernwege aufzuzeigen, aber auch, um die punktuelle Evaluation durch Tests und Klausuren durch Selbstevaluation zu ergänzen (vgl. Rebel & Wilson 2002). Im europäischen Bildungswesen sind Portfolios seit mehr als zwanzig Jahren bekannt, sie entstanden im Zusammenhang mit der Entwicklung des GeR (Europarat 2001). Geleitet vom Gedanken der Förderung der Mehrsprachigkeit in Europa schlug der Europarat bereits 1997 den Einsatz eines European Language Portfolios (Europäisches Sprachenportfolio) vor, das als Lernbegleiter und Selbstevaluationsinstrument angelegt ist und aus den skizzierten drei Teilen besteht. Nach dem Muster des europäischen Sprachenportfolios konzipierte Sprachenportfolios, die alle denselben Sprachenpass haben, deren Sprachlernbiografie und Dossier in Aussehen, Form und Sprachduktus aber durchaus - dem jeweiligen Lehr-/ Lernkontext gemäß - differiert, wurden 2000 bis 2010 offiziell vom Europarat akkreditiert, 2011 bis 2014 gab es nur noch eine Registrierungsprozedur; der Europarat stellt weiterhin Hilfen für die Entwicklung von und Arbeit mit Sprachenportfolios bereit. Ursprünglich waren Sprachenportfolios v. a. für Erwachsene vorgesehen, da sie sich mit ihrer Hilfe im Zeitalter wachsender Migration und Globalisierung leichter bei wechselnden internationalen Arbeitgebern vorstellen können sollten. Um aber auch bei Schülerinnen und Schülern den Prozess der Selbstevaluationskompetenz anzuregen und zu fördern, wurden Sprachenportfolios bald auch in Schulen und Hochschulen eingesetzt (Kleppin 2005). Speziell entwickelte schulformübergreifende Sprachenportfolios gehen mit ihrer Arbeitssprache v. a. bei den Checklisten der Sprachbiografie auf die jeweilige Adressatengruppe genau ein und decken dabei ein Lernerfeld von der Grundschule bis zum Abitur und darüber hinaus ab. Elektronische Sprachenportfolios erleichtern Jugendlichen und Erwachsenen den Prozess des Ausfüllens und Verwaltens. Das Europäische Sprachenportfolio wird inzwischen in sehr vielen europäischen Ländern eingesetzt (vgl. Schärer 2008 & Little, Gouillier & Hughes 2011: 11). In Deutschland, Österreich und der Schweiz sind Portfolios an Schulen etabliert, allerdings liegt der Schwerpunkt der Portfolioarbeit in den Klas- 418 Eva Burwitz-Melzer sen der Primar- und Sekundarstufe I, in der Oberstufe findet meist keine gezielte Arbeit mit dem Selbsteinschätzungsinstrument statt (vgl. Schärer 2008). Allerdings nutzen etliche Universitäten das Europäische Sprachenportfolio in der Ausbildung ihrer Lehramtsstudenten, die ein Sprachenfach belegen (vgl. Ballweg 2015). In Deutschland existieren zahlreiche Portfolio-Modelle nebeneinander, besonders erfolgreich sind schulform- und schulstufenübergreifende, von mehreren Bundesländern gemeinsam entwickelte Portfolios, die bei jüngeren und älteren Lernenden bis ins Erwachsenenalter variabel eingesetzt werden können (vgl. Burwitz-Melzer 2006). In Österreich hat das Österreichische Sprachen-Kompetenz-Zentrum in Graz drei nationale Portfolio-Modelle entwickelt: ein Grundschulmodell, eines für die Sekundarstufe I und eines für die Sekundarstufe II. In Österreich beziehen sich u. a. Lehrpläne, Bildungsstandards für Fremdsprachen und Diplomprüfungen bzw. standardisierte Reifeprüfungsformen auf den GeR, so dass Portfolio und Standards ineinandergreifen. Auch in der Schweiz leistet das Sprachenportfolio einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Mehrsprachigkeit. Sprachenpass und Sprachbiographie sind jeweils an die speziellen Bedürfnisse der verschiedenen Alters- und Schulstufen angepasst worden. Damit kann das Selbsteinschätzungsinstrument stufenübergreifend genutzt werden: Dem Portfolino für 4bis 7-Jährige folgen auf den verschiedenen Schulstufen sukzessive drei Portfolios, die bis ins Erwachsenenalter begleiten. 3. Problemaufriss Die aktuellen empirischen Forschungen zum Portfolio weisen nach, dass es v. a. zwei immer wieder aufgegriffene Problembereiche beim Einsatz des Portfolios gibt: Die Zuverlässigkeit der Selbsteinschätzung der Lernenden und die bisher noch fehlende Implementierung in den Curricula der meisten europäischen Länder. Die Wahrscheinlichkeit der realistischen Selbsteinschätzung von Kindern und Jugendlichen wird oft von Lehrkräften angezweifelt. Bisherige Forschungen zeigen allerdings, dass Schülerinnen und Schüler unterschiedlichen Alters zahlreiche verschiedene Strategien anwenden, um ihre Selbsteinschätzung zu stützen (vgl. Kolb 2007; Quetz 2011: 33-48). Insgesamt kommen neuere Studien zu dem Schluss, dass eine Selbsteinschätzung, die von Lehrenden angemessen angeleitet und begleitet wird, durchaus als realistisch angesehen werden kann (Ballweg 2015). Obwohl die Einführung des europäischen Sprachenportfolios im Zeitraum von 1998 bis 2000 durch eine aufwändige Pilotphase gestützt wurde und das Feedback aus den damaligen 15 Teilnehmerstaaten durchweg positiv war, ist es nicht in allen Ländern gelungen, das Portfolio dauerhaft und nachhaltig in den Fremdsprachen-Curricula zu implementieren. Die Erfahrungen von Little, der die Implementierung in Irland (vgl. Little 2005) darstellt, und die erfolgreiche Implementierung in Österreich sind Ausnahmen; die meisten europäischen Länder berichten inzwischen von einem Nachlassen des Interesses an dem Selbsteinschätzungsinstrument (Little, Gouillier & Hughes 2011: 12). Als problematisch gilt v. a. der große Zeitaufwand, der für das Anleiten zum Ausfüllen des Sprachenportfolios aufgebracht werden muss (vgl. Burwitz-Melzer 2006; Kolb 2007). Insbesondere in der Primarstufe und den unteren Klassen der Sekundarstufe I muss diese Anleitung in der Schulsprache Deutsch erfolgen; diese Zeit fehlt vielen Lehrkräften als Übungszeit für die Fremdsprachen. Es kommt erschwerend hinzu, dass Lehrkräfte oft die Deskriptoren des Portfolios in recht aufwändigen Verfahren auf die schuleigenen 419 88. Sprachenportfolios Lehrwerke beziehen, um die Deskriptoren für die Schülerinnen und Schüler besser verständlich zu machen. 4. Ausblick Die Standardorientierung im Fremdsprachenunterricht (vgl. Art. 19) legt es nahe, weiter und intensiver als bisher mit dem europäischen Sprachenportfolio zu arbeiten, da es bei den Lernenden das Verständnis von Kompetenzen fördern kann. Auch Lehrkräfte, die mit diesem Instrument arbeiten, gewinnen mehr Sicherheit im Umgang mit Deskriptoren und Könnens-Beschreibungen. Weitere Forschung insbesondere zu den momentan als problematisch wahrgenommenen Faktoren könnte die Implementierung des europäischen Sprachenportfolios unterstützen, so dass seine Implementierung in die Ländercurricula voranschreitet, um bereits bei jungen Lernenden ein tieferes Wissen um Selbsteinschätzung, interkulturelle Erfahrungen, autonomes Lernen und Lernplanung anzuleiten. Literatur Ballweg, S. (2015): Portfolioarbeit im Fremdsprachenunterricht. Tübingen. Burwitz-Melzer, Eva (2006): Motivation durch Selbsteinschätzung: Fremdsprachenportfolios für die Klassen 3 bis 10, in: A. Küppers / J. Quetz (Hrsg.): Motivation Revisited. Berlin, 91-102. Europäisches Sprachenportfolio / European Language Portfolio. www.coe.int/ t/ dg4/ educati on/ elp/ ELP - REG / Default_ EN .asp Europarat, Hrsg. (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen. Strasbourg. Kleppin, K. (2005): Die Förderung der Fähigkeit zur Selbstevaluation beim Fremdsprachenlernen, in: E. Burwitz-Melzer / G. Solmecke (Hrsg.): Niemals zu früh und selten zu spät: Fremdsprachenunterricht in Schule und Erwachsenenbildung. Berlin, 107-118. Kolb, A. (2007): Portfolioarbeit: Wie Grundschulkinder ihr Sprachenlernen reflektieren. Tübingen. Little, D. (2005): The Common European Framework and the European Language Portfolio: involving learners and their judgements in the assessment process. Language Testing 22 (3), 321-336. Little, D. / Gouillier, F. / Hughes, G. (2011): The European Language Portfolio: The story so far (1991-2011). Strasbourg. Quetz, J. (2011): Das Europäische Sprachenportfolio als Mittel zur Förderung des selbstgesteuerten Fremdsprachenlernens? , in: R. Arntz / H. P. Krings / B. Kühn (Hrsg.): Autonomie und Motivation. Bochum, 33-48. Rebel, K. / Wilson, S. (2002): Das professionelle Portfolio in der angelsächsischen Lehrerbildung aus deutscher und kanadischer Sicht. Forum Lehrerbildung, 36, 60-77. Schärer, R. (2003): Sprachenportfolio, in: Bausch, K.-R. / Christ, H. / Krumm, H.-J. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Aufl., Tübingen, 387-390. Schärer, R. (2008): European Language Portfolio: Interim Report 2007. From piloting to implementation 2001-2007. DGIV / EDU / LANG (2008) 1, Strasbourg. Eva Burwitz-Melzer 420 Michaela Perlmann-Balme 89. Sprachenzertifikate 1. Begrifflichkeit Ein Sprachenzertifikat bezeichnet das Ergebnis einer Sprachstandsfeststellung in der Zweitsprache oder einer Fremdsprache. Es bescheinigt die Ergebnisse einer Sprachprüfung unabhängig davon, wo, wie und wie lange gelernt wurde. Damit unterscheidet sich das Sprachenzertifikat von Tests zum Lernfortschritt und Kursabschluss, die sich auf Inhalte des Unterrichts, des verwendeten Lehrbuchs oder eines Curriculums beziehen. Bei einem Sprachenzertifikat geht es um sprachliche Performanz zum Zeitpunkt der Prüfung und nicht um das Festhalten eines Lernprozesses. Die Messung erfolgt schriftlich papier- oder computerbasiert, mündlich erfolgt sie mit Gesprächspartnern face-toface oder indirekt mithilfe von Tonträgern. Das Ergebnis wird als Voraussage über die sprachliche Leistungsfähigkeit einer geprüften Person in der realen Welt interpretiert. Meistens weist es Leistungen bzw. Kompetenzen in den vier Fertigkeiten Lesen, Hören, Schreiben und Sprechen einzeln oder in Kombination aus. In Einzelfällen dokumentiert ein Sprachenzertifikat darüber hinaus linguistisches Wissen in Form von Grammatik und Wortschatz sowie die Kompetenz der Sprachmittlung. Die Zeugnisurkunde gibt die gemessene Leistung in Punkten, Prozenten, Noten, Niveauangaben oder nur mit „bestanden“ wieder. Seit der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR) 2001 erschien und über Europa hinaus breit rezipiert wird, findet sich auf der Urkunde meistens das erreichte Kompetenzniveau als Angabe einer der sechs Niveaustufen A1 bis C2. Damit bezieht sich das Sprachenzertifikat auf die Niveaubeschreibungen des GeR und auf die Sprachhandlungen, Notionen, Wortschatz, Grammatik, die z. B. für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in „Profile Deutsch“ (Glaboniat et al. 2005) beschrieben sind. 2. Historische Skizze Die ersten Sprachenzertifikate im modernen Sinne entstanden vor dem Ersten Weltkrieg in den Vereinigten Staaten (Spolsky 1995: 50 f.). In den USA werden seither Sprachenzertifikate entwickelt, bei denen höchster Wert auf empirisch belegbare Ergebnisse, Effizienz und teilweise auch auf kommerzielle Verwertbarkeit gelegt wird. Der zur Universität von Princeton gehörende English Testing Service (ETS) gibt seit den 1960er Jahren den weltweit wohl bekanntesten Englischtest, TOEFL (Test of English as a Foreign Language), heraus. In Großbritannien erstellt das English Language Assessment Cambridge (UCLES) seit 1924 für Englisch als Fremdsprache das Certificate of Proficiency in English (CPE). Der Einfluss der rationalistisch-empirischen Schule, wie sie im angelsächsischen Raum zu Hause war, schlug sich für Deutsch erstmals in der Entwicklung des Zertifikats Deutsch als Fremdsprache (ZDaF) Ende der 1960er Jahre nieder. Wahlaufgaben vom Typ Multiple- Choice traten an die Stelle von offenen Aufgaben. Durch den zunehmenden Einsatz automatisierter Bewertungsverfahren im computerbasierten Testen treten offene Aufgaben vom Typ freie schriftliche Beantwortung von Fragen - abgesehen von Tests für den Hochschulzugang - zunehmend zurück. 3. Forschungsstand Das Sprachenzertifikat als Forschungsgebiet ist angelsächsisch bestimmt. Der Grund liegt zum einen in der großen Bedeutung des Englischen als Fremdsprache, zum anderen in der britischen Tradition im Bildungswesen. In Großbritannien und den Staaten des Com- 421 89. Sprachenzertifikate monwealth dienen von externen Institutionen ausgestellte Sprachenzertifikate der Qualitätskontrolle gegenüber relativ frei agierenden Schulen. Diese Ausgangslage hat dazu geführt, dass angelsächsischen Institutionen in England, Australien, Kanada sowie in den USA eine Vorreiterrolle zukommt. Aber auch in Asien, speziell in China, dem Ursprungsland des Testens (Spolsky 1995: 15 ff.), sowie in Japan und Korea gibt es Testexperten von Rang. Die internationale Fachkonferenz für Sprachtests ist das jährlich stattfindende Language Testing Research Colloquium, das von der International Language Testing Research Association (IALTA) ausgerichtet wird. Europäische Vereinigungen, die sich auf die Forschung zum Prüfen und Testen von Sprachenkompetenz spezialisiert haben, sind die Association of Language Testers in Europe (ALTE) und die European Association for Language Testing and Assessment (EALTA). Die wichtigsten Fachzeitschriften, Language Testing (Sage) und Language Assessment Quarterly (Routledge), erscheinen im angelsächsischen Raum. Die erstgenannte führte drei Erhebungen zur Forschungslage im Fach durch, die 1982, 1988 und 2001 erschienen (Davies 2014: 4). Seit 1985 gibt Cambridge University Press die wissenschaftliche Reihe Studies in Language Testing heraus. In den mehr als 30 Bänden wurden die terminologischen Grundlagen des Fachs im Dictionary of Language Testing (Band 7) gelegt. Die thematisch ausgerichteten Bände befassen sich mit der Darstellung international bekannter Sprachenzertifikate wie IELTS, FCE und CAE (Band 4, 19, 25, 28) sowie die inhaltlich spezialisierten mit Studium und Berufssprache (Band 12, 17). In weiteren Bänden geht es um die Eichung auf die Sprachniveaus des GeR (Band 33), die Fertigkeiten Lesen (Band 29, 32), Schreiben (Band 26) und Sprechen (Band 13, 14, 30) oder den Einfluss von Sprachenzertifikaten auf den Unterricht (Band 21, 22, 24, 25). 4. Praxisrelevanz Sprachenzertifikate werden in vier gesellschaftlichen Bereichen eingesetzt: auf dem Arbeitsmarkt, im privaten und öffentlichen Bildungswesen, in der Hochschulzulassung und bei der Vergabe von Aufenthaltstiteln. Für Arbeitgeber spart ihr Einsatz im Rahmen einer Einstellung Zeit und Geld. Für Teilnehmende erhöhen sie die Chancen auf eine Stelle, weshalb viele Menschen sie freiwillig und auf eigene Kosten erwerben. Aktuelle Beispiele für diese Verwendung sind Sprachenzertifikate für Ärzte und Pflegepersonal. Sprachenzertifikate werden zunehmend in staatlichen Schulsystemen eingesetzt, insbesondere als Ersatz für eine schulische Abschlussprüfung. Eltern erhoffen sich für ihre Kinder einen Vorteil, wenn diese an ihrer Schule neben den regulär angebotenen Schulprüfungen wie in Deutschland das Abitur bspw. ein Französisch-Zertifikat der CIEP (Centre international études pédagogiques ) erwerben. Als prestigereich gilt die Anerkennung der Leistungen, da eine muttersprachliche französische Behörde dafür bürgt. Sprachenzertifikate werden von Einrichtungen des tertiären Bildungsbereichs regelmäßig als Zugangsvoraussetzung verlangt. Beispiele sind das Deutsche Sprachdiplom der Kultusministerkonferenz (DSD II), das Deutsche Sprachdiplom für den Hochschulzugang (DSH) und der TestDaF. Sie dienen den deutschen Hochschulen zur Einschätzung der sprachlichen Studierfähigkeit ausländischer Bewerberinnen und Bewerber. Ein vierter Einsatzbereich ist der der Staatsangehörigkeit und der Niederlassungserlaubnis. Der Nachweis „Start Deutsch 1“ ist bspw. seit 2007 Teil des für die deutschen Auslandsvertretungen festgelegten Visaverfahrens und dient als Grundlage für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Ehegattennachzugs. 422 Michaela Perlmann-Balme Anbieter von Sprachzertifikaten sind Kultur- und Bildungseinrichtungen wie das Goethe-Institut, spezialisierte Einrichtungen wie das Österreichische Sprachdiplom (ÖSD), das Institut der Gesellschaft für Akademische Studienvorbereitung und Testentwicklung (g. a.s. t.), Einrichtungen der Erwachsenenbildung wie die telc GmbH, Institute an Hochschulen wie die Universität Fribourg in der Schweiz, aber auch staatliche Organe wie die Kultusministerkonferenz und die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen als Arbeitseinheit des Bundesverwaltungsamts. 5. Perspektiven Auf der Basis eines Sprachenzertifikates werden Entscheidungen von teilweise existentieller Bedeutung für die Teilnehmenden gefällt. Auf Seiten der Testexperten und ihrer fachlichen Mitwirkung bei der Testentwicklung, Politikberatung u. a. liegt damit eine hohe Verantwortung. Diese Tatsache stellt die Frage der Glaubwürdigkeit der dokumentierten Kompetenzen in den Vordergrund. Prinzipien der Standesethik (principles of good practice) und des Qualitätsmanagements rücken dadurch ins Blickfeld. Je schwerwiegender die Konsequenzen sind, die sich für das Leben eines Teilnehmenden ergeben, umso höher sind die Ansprüche an die Validität (Gültigkeit) und Reliabilität (Zuverlässigkeit). Die wichtigsten Trends mit Blick in die Zukunft sind die Umstellung auf Prüfungsdurchführung online und die Qualitätsentwicklung. Ein verstärktes Qualitätsbewusstsein hat seit Mitte der 1990er Jahre bei den einschlägigen Fachorganisationen Einzug gehalten, was wiederum zu einer zunehmenden Selbstkontrolle der Anbieter von Sprachenzertifikaten weltweit führte. Für den europäischen Raum formulierte die Association of Language Testers in Europe (ALTE) nach amerikanischem Vorbild Selbstverpflichtungen in Form eines Code of Practice. Niedergelegt wurden 17 minimum acceptable standards, deren praktische Umsetzung anhand von best practice-Beispielen erläutert wird. Von „Mindeststandards“ wird gesprochen, weil es Unterschiede bei der Umsetzung einzelner Standards zwischen großen Anbietern wie z. B. das English Language Assessment Cambridge mit mehreren Millionen Teilnehmenden pro Jahr für die Sprache Englisch oder die Universität von Sofia St. Kliment Ohridski mit weniger als hundert Teilnehmenden pro Jahr für Bulgarisch gibt und geben muss. Nicht alle Anbieter verfügen über dieselben Ressourcen, die es ihnen erlauben vergleichbare Analysen vorzunehmen. Die klassischen Gütekriterien von Tests, also Gültigkeit bzw. Validität, Zuverlässigkeit bzw. Reliabilität, Einfluss auf Gesellschaft und Unterricht sowie Fairness, sind in Form von 17 Qualitätsstandards festgeschrieben und in vier inhaltliche Abschnitte gruppiert: Testentwicklung, Interpretation der Ergebnisse, Streben nach Fairness und Information der Teilnehmenden. Ein Mindeststandard mit Schlüsselfunktion ist die Sicherstellung einer reliablen Bewertung der produktiven Leistungen durch geschulte Bewertende. Anbieter von international anerkannten Sprachenzertifikaten mit einem ausgedehnten, zum Teil weltweiten Prüferschulungsnetzwerk kontrollieren ihre Bewertenden regelmäßig und systematisch, um zu garantieren, dass die Abweichungen einen zulässigen Wert nicht über- oder unterschreiten. Über die Einhaltung und Weiterentwicklung der Standards wacht die Quality Management Subgroup der Organisation. Von 2007 bis 2014 wurden in der ALTE 34 Audits bei 23 der insgesamt 34 Vollmitglieder durchgeführt. 423 90. Sprachdiagnostik für Migrantinnen und Migranten Literatur ALTE (2007): 17 Mindeststandards zur Sicherstellung von Qualität in den Prüfungen der ALTE . www.alte.org/ attachments/ files/ minimum _ standards_de.pdf Davies, A. / Brown, A. / Elder, C. / Hill, K. / Lumley, T. / McNamara, T. (1999): Dictionary of language testing. Studies in language testing. Vol. 7. Cambridge. Davies, A. (2014): Fifty years of language assessment, in: A. J. Kunnan (Hrsg.): The companion to language assessment. Berlin, 3-23. Deutscher Volkshochschul-Verband, Goethe- Institut, Hrsg. (1995): Das Zertifikat Deutsch für den Beruf. Lernziele, Wortliste, Testmodell, Bewertungskriterien. Frankfurt a. M. Europarat, Hrsg. (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen. Strasbourg. Glaboniat, M. / Müller, M. / Rusch, P. / Schmitz, H. / Wertenschlag, L. (2005): Profile deutsch, Berlin. Spolsky, B. (1995): Measured words. The development of objective language testing. Oxford. Studies in language testing 15th anniversary edition (2010): Cambridge. Michaela Perlmann-Balme 90. Sprachdiagnostik für Migrantinnen und Migranten 1. Einleitung Die Feststellung sprachlicher Fähigkeiten bei Migrantinnen und Migranten hat seit einigen Jahren Hochkonjunktur. Es liegen unterdessen in großer Zahl Verfahren vor, mit denen zu politischen und pädagogischen Zwecken Sprachdiagnosen erstellt werden. 2. Problemaufriss Die Feststellung von Deutschkompetenzen bei Personen mit sog. Migrationshintergrund erfährt im amtlich deutschsprachigen Raum seit einigen Jahren besondere Aufmerksamkeit. Zu unterscheiden sind Verfahren, die im Kontext der Allgemein- und der Erwachsenenbildung Verwendung finden. Verfahren zur Feststellung zweitsprachlicher Fähigkeiten bei Erwachsenen lassen sich in drei am Anwendungskontext orientierte Kategorien differenzieren (vgl. O’Sullivan 2012): • Verfahren zur Regelung von Einwanderung und Vergabe von Staatsbürgerschaft, z. B. Zertifikat B1 des Österreichischen Sprachdiploms zur Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft, • unspezifische Verfahren zur Feststellung sprachlicher Fähigkeiten für den Arbeitsmarkt, z. B. Zertifikat Deutsch für den Beruf, und • spezifische Verfahren zur Feststellung professionsbezogener sprachlicher Fähigkeiten, z. B. telc Deutsch B1-B2 Pflege. Während in Bezug auf Erwachsene also migrations-, sprachen- und arbeitsmarktpolitische Zwecke im Vordergrund stehen, sind im Bereich der Allgemeinbildung in den letzten Jahren v. a. Verfahren zu pädagogischen Zwecken entwickelt worden, die vornehmlich der Ermittlung von Anknüpfungspunkten für die sprachpädagogische (Förder-)Arbeit dienen. Hierzu zählen v. a. Profilanalysen (z. B. Hamburger Verfahren zur Analyse des Sprachstands Fünfjähriger, Reich & Roth 2004) und Beobachtungsverfahren (z. B. Unterrichtsbegleitende Sprachstandsbeobachtung Deutsch als Zweitsprache, Fröhlich et al. 2014). Daneben liegen Verfahren vor, die zu bildungspolitischen und evaluativen Zwecken eingesetzt werden. Sie ermöglichen die Identifikation sprachförderbedürftiger Kinder und Jugendlicher und im Zusammenhang 424 Marion Döll damit Hinweise für die Zuweisung materieller und/ oder personeller Ressourcen sowie die Prüfung der Effekte der Ressourcenzuweisung. Besonders häufig werden hierfür aus ökonomischen Gründen Testverfahren (z. B. Linguistische Sprachstandserhebung Deutsch als Zweitsprache, Schulz & Tracy 2011) eingesetzt. 3. Diskussionen, Kontroversen Für die Feststellung sprachlicher Fähigkeiten werden, wie bereits angedeutet, verschiedene Verfahrensarten verwendet. Die gemeinhin bekannteste Verfahrensart ist zweifellos der Test. In den vergangenen Jahren haben sich im amtlich deutschsprachigen Raum, bislang v. a. für den Einsatz bei Kindern und Jugendlichen, als interessante Alternativen zu Tests Profilanalysen und Beobachtungen etabliert. Tests sind theoriegeleitete Routineverfahren zur Erfassung empirisch abgrenzbarer Merkmale mit dem Ziel einer möglichst genauen quantitativen Aussage über den Grad der individuellen Merkmalsausprägung. Für die Erfassung der Merkmalsausprägung werden Probandinnen und Probanden mit Aufgaben konfrontiert, die sie zu bewältigen haben. Dabei können bestimmte sprachliche Phänomene gezielt elizitiert werden. Das kommunikative Handeln der Probandinnen und Probanden wird in der Testsituation gesteuert und reduziert erfasst. Die Menge richtiger bzw. falscher Lösungen, die Qualität der Lösungen oder auch die zum Lösen benötigte Zeit können den Grad der Merkmalsausprägung anzeigen. Tests sind in Durchführung und Auswertung in der Regel standardisiert und bieten durch Normierung eine effiziente und objektive Ergebnisinterpretation. Aufgrund ihrer Anlage werden Tests häufig zu Screeningzwecken, d. h. zur schnellen Selektion oder Identifikation von Sprachförderbedarf, eingesetzt. Profilanalytische Verfahren haben ihre Wurzeln in der Sprachheilpädagogik, eine erste Adaption für Deutsch als Zweitsprache fand Mitte der 1980er Jahre statt (Clahsen 1986). Sie ermöglichen detaillierte Analysen spontaner oder quasi-spontaner gesprochener und geschriebener Sprache. Probandinnen und Probanden werden, meist auf Grundlage eines Bildimpulses, mit einer alltagsnahen sprachlichen Handlungsaufgabe konfrontiert, z. B. dem Erzählen einer Geschichte. Je nach Anwendungskontext sind bei der Analyse verschiedene Schwerpunktsetzungen möglich (z. B. bildungssprachliche Fähigkeiten). Das Ergebnis einer Profilanalyse weist in Form eines Sprachkompetenzprofils Stärken und Schwächen in den verschiedenen kontextrelevanten sprachlichen Qualifikationsbereichen aus (z. B. bildungssprachliche Lexik und Syntax). Im Vergleich zu Tests sind Profilanalysen weniger standardisiert und gelten daher als alltagsnäher und weniger unnatürlich. Die Analysen sind in der Regel aufwändiger und anspruchsvoller als die Auswertung von Tests. Die Beobachtung gilt als grundlegende Methode der pädagogischen Diagnostik. Diagnostisch intendierte Beobachtungen sind eine Form wissenschaftlicher Beobachtung und bieten die Möglichkeit, ein breites Spektrum des relevanten Verhaltens zu erfassen. Im Vergleich zu Alltags- und Gelegenheitsbeobachtungen sind sie durch starke Systematisierung gekennzeichnet (Greve & Wentura 1996), d. h., die Wahrnehmung wird auf einen konkreten Beobachtungsgegenstand gerichtet und methodisch kontrolliert (vgl. hierzu Döll 2012). Beobachtungen sind nicht selten Teil komplexer Testverfahren, werden aber im Kontext der Allgemeinbildung als förderdiagnostische Instrumente auch autonom eingesetzt. Bei diesen Beobachtungsverfahren handelt es sich in aller Regel um Instrumente der systematischen teilnehmenden Feldbeobachtung. Die Dokumentation des 425 90. Sprachdiagnostik für Migrantinnen und Migranten Beobachteten erfolgt zumeist reduktiv deskriptiv und reduktiv einschätzend. Eine sorgfältige Verfahrenskonzeption und intensive Beobachterschulung vorausgesetzt, stehen Beobachtungsverfahren anderen Verfahrenstypen bezüglich der Einhaltung von Testgütekriterien in nichts nach (vgl. Döll 2012). Im Gegensatz zu anderen Verfahrensarten sind sie besonders gut dazu geeignet, einen breiten Überblick über die sprachlichen Kompetenzen in bestimmten Situationen zu generieren, da genau dort beobachtet werden kann, wo das entscheidungsrelevante sprachliche Handeln stattfindet. Ein weiterer Vorteil der Beobachtungverfahren ist die Wiederholbarkeit, die eine mehrjährige diagnostische Begleitung von Lernenden ermöglicht. Das Anspruchsniveau der Durchführung einer sprachdiagnostischen Beobachtung ähnelt dem einer Profilanalyse. Aus der biografischen Reichweite von Entscheidungen (z. B. Bleiberecht vs. Ausweisung, Ableitung angemessener Sprachbildungsmaßnahmen), die auf Grundlage von sprachdiagnostischen Ergebnissen getroffen werden, ergeben sich die Anforderungen an die Qualität der Verfahren. Konsens besteht darüber, dass allgemeine Testgütekriterien grundsätzlich einzuhalten sind, wobei die biografische Reichweite von diagnosebasierten Entscheidungen Anhaltspunkte für die bei der Beurteilung der Gütekriterien notwendigen Strenge gibt: Je weitreichender die Entscheidung, desto strenger sollten allgemeine Testgütekriterien eingehalten werden. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von unstrittigen Kriterien, die aus den Diskursen der pädagogischen Diagnostik abgeleitet werden. Hierzu zählen u. a. Fairness im Sinne des Ausschlusses von Benachteiligungen und Fehldiagnosen im Zusammenhang mit Differenzkategorien wie bspw. Gender und Ethnie, und Praktikabilität, die für Akzeptanz eines Verfahrens durch die Durchführenden relevant ist. Neben diesen akzeptierten und in der Verfahrensentwicklung überwiegend berücksichtigten Anforderungen gibt es in Bezug auf die Sprachkompetenzmodellierung und den Umgang mit Mehrsprachigkeit einige Kriterien und Fragestellungen, denen man sich in Zukunft intensiver wird widmen müssen: Soll Sprachkompetenz festgestellt werden, ist zunächst einmal darzulegen, was darunter verstanden wird. Spolsky formulierte bereits 1968: „[ … ] fundamental [ … ] is the theoretical question: What does it mean to know a language? “ (Spolsky 1968: 79). Sprachdiagnostische Verfahren bilden stets nur einen Ausschnitt aus der Sprachkompetenz einer Person ab (z. B. dann, wenn nur bildungssprachliche Fähigkeiten erfasst werden), daher ist es notwendig den Kompetenzausschnitt zu benennen und zu erfassen, der für den Diagnoseanlass relevant ist (Bachman & Purpura 2010: 463). Vor diesem Hintergrund ist die Forderung nach einer gegenstandsangemessenen Strukturmodellierung, die Douglas (2001) für Verfahren zur Feststellung berufsspezifischer Sprachkompetenzen formuliert, verallgemeinernd für alle sprachdiagnostischen Verfahren zu fordern. Idealerweise geht ihr die empirische Analyse typischer Sprachverwendungssituationen zur Ableitung angemessener Inhalte voraus, die darüber hinaus Hinweise für geeignete Testbzw. Erhebungsformate und -methoden liefert. Neben einem dem Anwendungszweck angemessenen Strukturmodell ist auch der Einbezug spracherwerbstheoretischer Erkenntnisse und Berücksichtigung von Mehrsprachigkeit zu fordern, womit zwei zentrale Herausforderungen verknüpft sind. Einerseits müssen die Kompetenzen in allen Sprachen erhoben werden, die eine lebensweltlich mehrsprachige Person spricht. Ist nur eine der Sprachen für eine Entscheidung relevant, ist die Reduktion auf diese eine Sprache plausibel und zulässig; es sollte jedoch bewusst gemacht werden, dass das Ergebnis nur einen 426 Marion Döll Ausschnitt aus der Gesamtsprachkompetenz einer Person widerspiegelt. Andererseits stellt sich im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit die Frage nach einer geeigneten Bezugsnorm. Die Normierung von diagnostischen Verfahren in Form der Angabe sozialer Bezugsnormen galt lange Zeit als selbstverständlich. Reich (2005) stellt jedoch fest, dass für die Bewertung sprachlicher Fähigkeiten Mehrsprachiger keine richtige Norm existiert (Reich 2005: 148): Werden die Ergebnisse mehrsprachiger Personen mit Werten Monolingualer verglichen, kann dies zu einer Verstärkung defizitärer Perspektiven auf Mehrsprachige führen; der Vergleich mit Werten Mehrsprachiger hingegen kann eine Sonderstellung Mehrsprachiger nach sich ziehen oder festigen; der Vergleich mit Daten einer gemischten Stichprobe setzt Ungleiches, nämlich die Aneignung einer Sprache als L1 und L2, gleich (ebd.). Statt sozialer Bezugsnormen kommen für die Beurteilung zweitsprachlicher Fähigkeiten daher vielmehr sachlich-kriteriale und individuelle Normen infrage. 4. Herausforderungen in der Praxis Ausgehend vom Markt zur Verfügung stehender Verfahren und dem Stand der Diskussionen über Gütekriterien ergeben sich für die Praxis drei zentrale Herausforderungen. Im Fall der Erfassung des überaus komplexen Phänomens Sprachkompetenz tritt neben die gemeinhin als am wichtigsten angesehenen allgemeinen Testgütekriterien die Gegenstandsbzw. Entscheidungsangemessenheit eines Verfahrens. Mit einem Verfahren erfassbare sprachliche Qualifikationsbereiche werden von den Autorinnen und Autoren bislang jedoch nicht immer benannt und begründet. Für Lehrkräfte ergibt sich daraus die Herausforderung, verschiedene Verfahren im Hinblick auf die Frage, ob entscheidungsrelevante Ausschnitte der Sprachkompetenz damit erfasst werden, zu prüfen, oder sich im Falle der Vorgabe einzusetzender Verfahren durch übergeordnete Stellen im Falle ihrer Unangemessenheit dazu positionieren zu müssen. Die dritte zentrale Herausforderung berührt das für die Sprachdiagnose typische Spannungsdreieck von angemessener Aussagekraft, angemessenem Anforderungsniveau bei der Anwendung und Durchführungsökonomie eines Verfahrens: Eine Sprachkompetenz detailliert messende Testbatterie, deren Einsatz mehrere Tage in Anspruch nimmt, mag zwar ohne aufwändige Schulung bzw. Weiterqualifizierung der Durchführenden aussagekräftige Ergebnisse liefern, ist aus zeitökonomischen Gründen in der Regel jedoch nicht anwendbar. Auf der anderen Seite liefern diagnostische Verfahren, die sich schnell und ohne vorherige Schulungen verwenden lassen, in der Regel nur einen ersten Eindruck von der Sprachkompetenz, der für zu treffende Entscheidungen oft zu unpräzise ist. Verfahren, die zeitökonomisch detaillierte Ergebnisse liefern (z. B. Profilanalysen), verlangen den Durchführenden in nicht unerheblichem Umfang linguistisches Wissen und sprachanalytische Fähigkeiten ab. 5. Kritik und Perspektiven Die Phänomene Sprache, Kompetenz und Sprachkompetenz sind nach wie vor nicht eindeutig und konkret bestimmbar; der Behauptung, dass ein bestimmtes Kompetenzniveau innerhalb eines, unter Umständen nur eingeschränkt validen, Strukturmodells (z. B. Niveau A2 im Deutschen) für eine zu treffende Entscheidung von Relevanz sei, mangelt es in der Regel an einer empirischen und/ oder theoretischen Grundlage. Dessen ungeachtet werden sprachdiagnostische Verfahren für das Treffen biografisch weitreichender Entscheidungen (z. B. Bleiberecht vs. Auswei- 427 90. Sprachdiagnostik für Migrantinnen und Migranten sung, Eignung für den Schuleintritt u. ä.) herangezogen. Die mit der Gleichsetzung von Integration und Deutschkompetenz bzw. schulischer Leistungsfähigkeit und Deutschkompetenz einhergehende Überhöhung sprachdiagnostischer Ergebnisse ist ethisch sehr bedenklich (vgl. Paran 2010). Um Aussagen darüber zu treffen, ob Personen über hinreichende Deutschkompetenzen für z. B. einen dauerhaften Aufenthalt, die Tätigkeit in einem bestimmten Berufsfeld oder Schulbesuch verfügen, ist im Sinne des von Douglas (2001) geforderten Gütekriteriums der Gegenstandsangemessenheit und der von Reich (2005) geäußerten Kritik an sozialen Bezugsnormen zunächst die Analyse des tatsächlichen Sprachbedarfs für die verschiedenen Situationen notwendig, wobei auch in Erwägung gezogen werden muss, dass in bestimmten Lebenslagen oder Berufsfeldern der Bedarf an sprachlichen Mitteln in der deutschen Sprache gering ausfällt und eine Öffnung für Mehrsprachigkeit, d. h. für Herkunfts- und Fremdsprachen, ratsam ist. Derartige Analysen stehen für das Deutsche noch aus - aber nur auf Grundlage dieser wird es möglich sein, Verfahren zu entwickeln, die über die Ausprägung der relevanten Sprachkompetenzen Auskunft geben. Literatur Bachman, L. F. / Purpura, J. (2010): Language assessments: Gate-keepers or door-openers? In: B. Spolsky / F. M. Hult (Hrsg.): The handbook of educational linguistics. Chichester, 456- 468. Clahsen, H. (1986): Die Profilanalyse: ein linguistisches Verfahren für die Sprachdiagnose im Vorschulalter. Berlin. Döll, M. (2012): Beobachtung der Aneignung des Deutschen bei mehrsprachigen Kindern und Jugendlichen. Modellierung und empirische Prüfung eines sprachdiagnostischen Beobachtungsverfahrens. Münster. Douglas, D. (2001): Language for specific purposes assessment criteria: where do they come from? Language Testing 18 (2), 171-185. Fröhlich, L. / Döll, M. / Dirim, I˙ . (2014): Unterrichtsbegleitende Sprachstandsbeobachtung Deutsch als Zweitsprache in Österreich. Wien. Greve, W. / Wentura, D. (1996): Wissenschaftliche Beobachtung. Weinheim. O’Sullivan, B. (2012): Assessment issues in languages for specific purposes. The Modern Language Journal 96, 71-88. Paran, A. (2010): More than language. The additional faces of testing and assessment in language learning and teaching. In: A. Paran / L. 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Sprachprüfungen für Migrantinnen und Migranten Im Zusammenhang zunehmender globaler Migrationsbewegungen sind in den letzten 20 Jahren Sprachprüfungen für Zuwanderer, Einbürgerungswillige und Asylsuchende weltweit Gegenstand politischer wie fachwissenschaftlicher Diskussion geworden. Viele Staaten verlangen im Kontext von Zuwanderung, Einbürgerung und Asyl den Nachweis von Sprachkenntnissen der jeweiligen Landessprache und betrachten diese Anforderung als Teil umfassenderer politischer und sozialer Integration. 1. Sprachprüfungen im Kontext von Migration und Integration: Begriffsbestimmung Zum Nachweis von Sprachkompetenz wurden, v. a. seit Beginn des 21. Jhs., in vielen westlichen Ländern staatlicherseits entsprechende Prüfungsinstrumente entwickelt. Die Entwicklung und der Einsatz von Sprachprüfungen werden u. a. damit begründet, dass Sprachkompetenz in der Sprache der aufnehmenden Gesellschaft unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration ist. Der Nationale Integrationsplan der Bundesrepublik Deutschland vermerkt, dass Sprache Voraussetzung von Integration sei (vgl. Nationaler Integrationsplan 2007: 16). Noch deutlicher streicht das britische Home Office den Stellenwert des Spracherwerbs heraus und weist diesem erste Priorität im Integrationsprozess (main priority for integration ) zu (Home Office 2004: 10). Sprachprüfungen für Migrantinnen und Migranten weisen weltweit einige Gemeinsamkeiten auf: 1) Es handelt sich in der Regel um Zweitsprachenprüfungen, d. h. die Sprachkompetenz wird in einem Umfeld getestet, in dem die geprüfte Sprache Nationalsprache und Kommunikationsmittel der Bevölkerungsmehrheit ist. Zum anderen nehmen die Prüfungsinhalte - die angenommenen Handlungsfelder und die damit verbundenen Sprachhandlungen, Redemittel und der Wortschatz - Bezug auf dieses Umfeld. 2) Die nachzuweisenden Sprachkenntnisse bewegen sich, zumindest in den europäischen Ländern, zwischen den Niveaustufen A1 und B2 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (GeR, Europarat 2001). 3) Mithilfe der Sprachprüfung soll zugleich die Integrationswilligkeit der Bewerberinnen und Bewerber mit erfasst werden. So fordert Heilbronner (2001: 7), dass man Ausländern, die einen Daueraufenthalt in Deutschland beabsichtigen, verstärkte Integrationsbemühungen, die sich v. a. im Erwerb von Deutschkenntnissen zeigen, abverlangen müsse. 4) In einigen Ländern, die eine Sprachprüfung bei der Zuwanderung verlangen, ist diese an einen Wissenstest gekoppelt, in dem Bewerberinnen und Bewerber ihre Kenntnisse in Bezug auf politische, soziale und kulturelle Fakten und Wertesysteme zeigen müssen. Viele europäische Länder bieten Sprach- und Landeskundekurse an, die auf die jeweiligen Prüfungen vorbereiten und mit diesen abschließen. In der Bundesrepublik Deutschland leistet dies der Integrationskurs, dessen Ziele, Inhalte und Rahmenbedingungen in der sog. Integrationskursverordnung festgelegt sind (vgl. Art. 141). Der Integrationskurs besteht im Wesentlichen aus einem Sprachkurs von insgesamt 600 Stunden Dauer und einem Orientierungskurs im Umfang von insgesamt 60 Stunden. Je nach Teilnehmergruppe wird der Integrationskurs durch einen Alphabetisierungskurs eingeleitet. Der Kurs dient laut § 3 Absatz 1 der Integrations- 429 91. Sprachprüfungen für Migrantinnen und Migranten kursverordnung der erfolgreichen Vermittlung ausreichender Deutschkenntnisse nach § 43 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes und § 9 Abs. 1 Satz 1 des Bundesvertriebenengesetzes sowie der Vermittlung von Alltagswissen und Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte Deutschlands, insbesondere auch der Werte des demokratischen Staatswesens der Bundesrepublik Deutschland und der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und Religionsfreiheit. In § 3, Absatz 2 der Integrationskursverordnung werden ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache in Anlehnung an die Niveaubeschreibungen B1 des GeR (Europarat 2001: 35) definiert. 2. Entwicklung und aktuelle Tendenzen Der Einsatz von Sprachprüfungen ist keine Erscheinung der heutigen Zeit. Schon zu Beginn des 20. Jhs. mussten Personen, die z. B. nach Australien einwandern wollten, jenen umstrittenen Diktattest ablegen, der einzig das Ziel hatte, unliebsame Einwanderer abzuweisen (vgl. McNamara 2009). In den europäischen Ländern herrschten bis in die 1990er Jahre hinein relativ liberale Praktiken, was die sprachlichen Anforderungen bei Zuwanderung und Integration betraf. In den 1950er und 60er Jahren, der Zeit der Anwerbung von Arbeitsmigranten aus den Mittelmeerländern, gab es keine Sprachprüfungen, wie wir sie heute kennen. Dafür war wohl die Annahme ausschlaggebend, dass die Arbeitsmigranten sich nur vorübergehend im Aufnahmeland aufhalten würden und minimale Sprachkompetenzen daher hinreichend seien. In späteren Jahren wurden Kenntnisse in der Landessprache im Zuge von Einbürgerungsverfahren verlangt. Diese wurden - informell - von einem Beamten in der zuständigen Ausländerbehörde überprüft. Seit Anfang des 21. Jhs. ist jedoch in den westlichen Ländern allgemein eine Verschärfung der Gesetzgebung im Bereich von Zuwanderung zu verzeichnen, mit der eine Veränderung im Sinne einer Erhöhung der sprachlichen Anforderungen einhergeht. Diese Veränderung manifestiert sich, europaweit gesehen, in folgenden sprachenpolitischen Maßnahmen (vgl. Pochon-Berger & Lenz 2014): 1) Im Zusammenhang mit Zuwanderung und Integration werden neue Sprachprüfungen eingeführt oder bestehende Sprachprüfungen revidiert. In einigen Ländern werden Nachweise über Sprachkenntnisse auf weitere administrative Phasen des Zuwanderungsprozesses (vor Einreise - Beantragung von unbegrenztem Aufenthalt - Beantragung von Einbürgerung) ausgedehnt. Fanden zunächst Sprachprüfungen lediglich bei Einbürgerungsverfahren statt, wurden sie in einem nächsten Schritt bei der Beantragung eines unbefristeten Aufenthalts (BRD: Niederlassungserlaubnis) gefordert. Zuletzt verlangten einige Länder (darunter die Niederlande, Dänemark, Großbritannien, Deutschland) den Nachweis von Sprachkenntnissen bereits vor der Einreise, v. a. im Zusammenhang mit Familien- und Ehegattenzuzug (vgl. Council of Europe 2014). 2) In den meisten Ländern werden zunehmend standardisierte, formale Sprachprüfungen eingesetzt, und zwar in allen drei o. g. Phasen des Zuwanderungsprozesses. Die geforderten Sprachkenntnisse werden - in Europa - für jede Phase mit Bezug auf den GeR genau festgelegt. Die 3. Erhebung des Europarats 2014 ermittelte folgendes Bild: Für die Einreise variieren die Anforderungen in den einzelnen Staaten zwischen A1 und B1, für den unbegrenzten Aufenthalt zwischen A1 und B2 (ggf. plus Wissenstest) und für die Erlangung der Staatsbürgerschaft zwischen A2 und B2 (ggf. plus Wissenstest). Während sich die 430 Gabriele Kniffka europäischen Länder bei der Festlegung der sprachlichen Anforderungen an den Kompetenzbeschreibungen des GeR orientieren und damit indirekt eine gewisse Transparenz gewährleisten, bleiben die Anforderungen in anderen Ländern (etwa Australien oder Kanada) vage, was Testexperten zu deutlicher Kritik veranlasst hat (Kunnan 2012, McNamara 2009). 3) In einigen westlichen Ländern wird für die unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis und für die Einbürgerung neben der Sprachprüfung ein Wissenstest gefordert (etwa in Deutschland, Großbritannien und Dänemark), in dem Kenntnisse zur Kultur, Gesellschaft und zum politischen System des Aufnahmelandes abgefragt werden. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass sich ein Bewerber oder eine Bewerberin mit der Aneignung von Wissen über soziokulturelle Fakten, Normen und Werte der Aufnahmegesellschaft zugleich mit diesen identifiziert - eine empirisch nicht belegte Annahme. Abgesehen von der umstrittenen Wirksamkeit dieser Maßnahme wird von der Fachwissenschaft kritisiert, dass es sich bei den Wissenstests um verdeckte Sprachtests handelt, da die Testaufgaben in der Nationalsprache des Aufnahmelandes vorgelegt werden und das sprachliche Wissen, das zum Lösen der Aufgaben erforderlich ist, das Kompetenzniveau, welches für die korrespondierende Sprachprüfung nachgewiesen werden muss, übersteigt (vgl. Möllering 2010). 3. Diskussion Seit ihrer Einführung sind Sprachprüfungen im Kontext von Zuwanderung und Integration Gegenstand kontroverser Diskussion. So wird bspw. infrage gestellt, ob die Kompetenzbeschreibungen des GeR in diesem Zusammenhang überhaupt eine geeignete Referenzgröße darstellen (vgl. etwa Krumm 2007) oder inwieweit das zugrunde liegende Konstrukt als prognostisch valide angesehen werden kann: Soll ein Test Aussagen darüber machen, inwieweit der oder die Getestete zukünftig in der Lage ist, in bestimmten Alltagssituationen in der Aufnahmegesellschaft sprachlich handeln zu können, so müssen die Merkmale der geforderten Sprachhandlungen im Testkonstrukt bzw. in den Testaufgaben gespiegelt sein (vgl. Bachman & Palmer 1996). Tatsächlich aber spiegeln die Deskriptoren des GeR, an denen die europäischen Sprachprüfungen für Migrantinnen und Migranten ausgerichtet sind, deren alltagssprachliches Handeln in der Aufnahmegesellschaft nicht notwendigerweise wider. Insofern ist die Aussagekraft der Testergebnisse mit Bezug auf die Validität fraglich. Shohamy (2009: 51 f.) nimmt in dieser Hinsicht eine besonders kritische Position ein. Ihrer Ansicht nach tragen die Tests dazu bei, dass Staaten weiterhin politische Ideologien, wie die der auf homogenen Kategorien beruhenden Vorstellung „eine Nation, eine Sprache“ propagieren und fortschreiben. Darüber hinaus, so Shohamy, werden in diesen Prüfungen vorab festgelegte Normen mit Bezug auf Korrektheit zugrunde gelegt und unrealistische sprachliche Ziele und Kriterien vorgegeben, die dem tatsächlich beobachtbaren Umgang erwachsener Zweitsprachlernender mit neuen Sprachen nicht gerecht werden. Es sei daher damit zu rechnen, dass nicht viele Einwanderer in der Lage sind, solche Tests erfolgreich zu absolvieren. Dies wiederum könne dazu führen, dass Testnehmer als Personen wahrgenommen werden, deren sprachliche Handlungskompetenz im Alltag nicht ausreiche und denen daher die Einbürgerung verweigert werde. Statt den Testnehmern Vorteile zu bringen, können die Prüfungen, wenngleich nicht so intendiert, letztlich dazu beitragen, bestimmte Personengruppen auszugrenzen. 431 91. Sprachprüfungen für Migrantinnen und Migranten Ein weiterer Vorbehalt, unter dem Sprachprüfungen für Migrantinnen und Migranten diskutiert werden, ist die Stichprobenverzerrung (bias): Obschon mit der Standardisierung von Sprachprüfungen für Migrantinnen und Migranten eine stärkere Berücksichtigung von Testgütekriterien einherging, erscheinen bestimmte Gruppen von Testteilnehmenden aufgrund der Test- oder Aufgabenmerkmale benachteiligt, nämlich (funktionale) Analphabeten und Menschen mit niedrigem Bildungsniveau, die nicht über die in den Prüfungsaufgaben vorausgesetzten literalen Kompetenzen bzw. entsprechenden literalen Praktiken verfügen. Pochon-Berger & Lenz (2014: 32) beklagen allgemein den Mangel an umfassenden Validitätsstudien und an diesbezüglichen wissenschaftlichen Publikationen. Sie würdigen die Ansätze, die es in Bezug auf den niederländischen Toets Gesproken Nederlands (De Jong et al. 2009) und den Deutschtest für Zuwanderer (DTZ) (Perlmann-Balme 2011; Perlmann-Balme et al. 2009) gibt, halten diese aber insgesamt für nicht ausreichend. 4. Ausblick In jüngster Zeit sind, etwa im Projekt LAMI (Language Assessment for Migration and Immigration), welches von Europarat und ALTE gemeinsam durchgeführt wird, Bemühungen zu erkennen, die Entwicklungen hinsichtlich der sprachlichen Anforderungen im Kontext von Migration und Integration genauer zu erfassen, zu dokumentieren und Handlungsempfehlungen zu formulieren (Council of Europe 2008). Wie Pochon-Berger & Lenz (2014) bemerken, stehen umfassende wissenschaftliche Untersuchungen zur Validität der eingesetzten Sprachprüfungen noch aus. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, vor allem um die von Kunnan (2012: 162) beklagte Diskrepanz zwischen dem, was zu testen angegeben wird, und dem, was tatsächlich mit den Tests bezweckt wird, nämlich Ausgrenzung und Selektion, zu beseitigen. Auch der immer wieder vorausgesetzte Zusammenhang von Sprachkompetenz in der Landessprache und Integrationswilligkeit bedarf der empirischen Überprüfung. Nicht zuletzt ist an die Haltung der sprachenpolitisch Verantwortlichen zu appellieren. Ein demokratischer Staat vermag Migrantinnen und Migranten unter zwei Bedingungen gesellschaftlich zu integrieren: Sie selbst müssen Integrationsbereitschaft zeigen, welche durch Hilfe beim Spracherwerb gestärkt werden muss, und die aufnehmende Gemeinschaft muss interkulturelle Sensibilität aufbringen. Der Europarat fordert daher nachdrücklich Maßnahmen, die das Bewusstsein der Bürger hinsichtlich sprachlicher und kultureller Diversität schärfen, denn sprachliche und kulturelle Diversität haben sich im Verlauf der europäischen Geschichte als unschätzbare Quelle geistiger Bereicherung erwiesen (vgl. Europarat 2014: 32). Literatur Association of Language Testers in Europe ( ALTE ) (2014): Language assessment for migration and integration. Paris. www.insl.lu/ Fi chiers%20 PDF / Nationalite/ LAMI %20 ALTE . pdf Bachman, L. F. / Palmer, A. S. (1996): Language testing in practice. Oxford. BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2007): Integrationskursverordnung vom 05. 12. 2007. https: / / www.bamf.de/ Shared- Docs/ Anlagen/ DE / Downloads/ Infothek/ In tegrationskurse/ Kurstraeger/ Sonstige/ lesefas sung-intv-neu-05-12-2007-pdf.pdf? __blob= publicationFile Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland (2007): Der Nationale Integrationsplan. 432 Gabriele Kniffka Berlin: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Europarat, Hrsg. (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen. Lehren, lernen, beurteilen. Strasbourg. Europarat, Hrsg. (2008): Language tests for social cohesion and citizenship - an outline for policymakers. Strasbourg. Europarat, Hrsg. (2014): Linguistic integration of adult migrants: final report on the 3rd Council of Europe survey. Strasbourg. www.coe.int/ langmigrants Extra, G. / Spotti, M. / Van Avermaet, P., Hrsg. (2009): Language testing, migration and citizenship. London. Hailbronner, K. (2001): Reform des Zuwanderungsrechts. Konsens und Dissens in der Ausländerpolitik. Aus Politik und Zeitgeschichte B43/ 2001, 7-19. Hogan-Brun, G. / Mar-Molinero, C. / Stevenson, P., Hrsg. (2009): Discourses on language and integration: critical perspectives on language testing regimes in Europe. Amsterdam. Home Office ( 2 2004): Life in the United Kingdom - A journey to citizenship. London. Krumm, H.-J. (2007): Profiles instead of levels: The CEFR and its (ab)uses in the context of migration. The Modern Languages Journal 91/ 2007, 667-669. Kunnan, A. J. (2012): Language assessment for immigration and citizenship, in: G. Fulcher & F. Davidson (Hrsg.): The Routledge handbook of language testing, New York, 162-177. McNamara, Tim (2009): The spectre of the dictation test: language testing for immigration and citizenship in Australia, in: G. Extra / M. Spotti / P. van Avermaet (Hrsg.): Language testing, migration and citizenship. London, 224- 241. Möllering, M. 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Stevenson (Hrsg.): Discourses on language and integration: critical perspectives on language testing regimes in Europe. Amsterdam. 45-59. Gabriele Kniffka M Lehr-/ Lernmaterialien und Medien 92. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien im Überblick 1. Meilensteine der Lehrwerkentwicklung In seinem „Vortrag an den Leser“, den er 1658 seinem Lehrbuch Orbis sensualium pictus voranstellt, gibt Jan Amos Komensky, besser bekannt als Comenius, der Hoffnung Ausdruck, die Schule möge ein „warhafftiger Schauplatz der sichtbaren Welt“ sein und stellt dieses Motto jenem Buch voran, das für zwei Jahrhunderte in verschiedenen Variationen das Bild des Lehrbuchs bestimmen sollte. Mit seinem pansophistischen inhaltlichen Gesamtkonzept, das sich insbesondere in Stellenwert und Form der Visualisierungen ausdrückt, didaktischen und methodischen Vorbemerkungen, u. a. zu den Text-Bild-Koppelungen, setzte das Lehrbuch Standards in Bezug auf die Einheitlichkeit von Konzept, Gestaltung und Verwendung von Lehrmitteln - nicht zuletzt auch mit dem oben zitierten Prinzip der Untrennbarkeit von Lebenswelt und Lernumwelt, die über mediale Veränderungen hinweg Gültigkeit beanspruchen kann. Comenius’ Lehrbuch will über das Abbild der sichtbaren Dinge und die Verbildlichung der unsichtbaren einen Beitrag zur Struktur eines mehrsprachigen Weltverstehens leisten - 435 auch hierin durchaus zeitlos aktuell. Mit ganzseitigen Fotos von Stadtansichten und dem Münzsystem (S. 33) als farbiger Fotolithografie in ihrem „Englischen Lesebuch“ setzten Viëtor und Dörr (1887) mit dem Abbild von „Realien“ in Lehrwerken einen weiteren Meilenstein der Lehrwerkentwicklung. Der gleiche Verlag, B. G. Teubner in Leipzig, begründete mit der Beigabe von Schellackplatten zu seinen später vom Ernst Klett Verlag fortgeführten Lehrwerkreihen Études Françaises und Learning English Mitte der 1920er Jahre jene Tradition der immer zahlreicher werdenden auditiven und später audiovisuellen Zusatzmaterialien zu den Lehrbüchern, die für die gegenwärtige Situation fremdsprachlicher Unterrichtsmaterialien auch 20 Jahre nach Einführung internetgestützter Lehr-/ Lernmaterialien noch prägend bleibt. Aus dieser Entwicklungslinie sticht die umfangreiche, aber kurzlebige Entwicklung der Sprachlabormaterialien in den 1960er und frühen 70er Jahren heraus, die die Folge einer kurzzeitigen lernpsychologisch eindimensional-behavioristischen Ausrichtung der Fremdsprachendidaktik und -methodik war. Ca. 20 Jahre nach den ersten im Internet verfügbaren Lehr-/ Lernmaterialien ist aktuell die Bereitstellung des Gesamtangebots eines Verlagslehrwerks über Internetportale von Verlagen nunmehr ein Schritt, dessen Konsequenzen die Gestaltung von Lehr- Lernumwelten einmal mehr nachhaltig und grundlegend verändern wird. 2. Definitionen, Komponenten Sprachlehr-/ -lernmaterialien bzw. Lehr-/ Lernmedien sind alle Texte im weitesten Sinne, Materialien und Medien, die von Lehrenden und Lernenden zur Unterstützung von Sprachlernprozessen verwendet werden. Dabei kann unterschieden werden zwischen von Lernenden selbst produzierten Materialien (Texte, Blog-Einträge, Tabellen, Notizen, etc.) und didaktisierten bzw. undidaktisierten extern produzierten Materialien. Konfektionierte, didaktisierte Lehr-/ Lernmaterialien liegen in der Regel als Verlagsprodukte in Form von Lehrwerken und Zusatzmaterialien vor. Die Spannbreite der undidaktisierten Materialien, die von Lehrenden und Lernenden zum Sprachenlernen und -erwerben herangezogen werden können, reicht von Zeitungstexten bis zu Internet-Routenplanern, Einkaufs- und Musikportalen. Die Entwicklung der Begriffe vom Lehrbuch über das Lehrwerk zu Lehr-/ Lernmaterialien steht v. a. für fachdidaktische Paradigmenwechsel, aber auch für mediale Veränderungen, wie sie in der Einleitung skizziert wurden. Zu den Komponenten, die derzeit als Teil eines Grundstufenlehrwerks in den großen Schulfremdsprachen und in Deutsch als Fremdsprache angeboten werden (vgl. Rösler & Würffel 2014: 12 ff.), gehören sowohl Printprodukte als auch Zusatzmaterialien auf digitalen Datenträgern (abnehmend) bzw. im Internet (zunehmend) über Verlagsportale bzw. Apps für ortsunabhängiges Lernen. Die Begriffe des Lehr- und Lernmaterials bleiben dabei Synonyme, wobei Lehrmaterial nicht mehr ausschließlich mit der klassischen Lehrsituation des Klassenzimmers gleichzusetzen ist, wie die Tabelle zeigt. 436 Hermann Funk Da Verwendungsorte nur bedingt bestimmbar sind und mediale Hybridität von Angebotsformen (pdf-Dateien zum Ausdrucken, Lehrerhandbücher als digitale Unterrichtsmanager, etc.) zum Regelfall wird, erscheint die Angebotsform des Materials tabellarisch nur bedingt systematisierbar. Über den Grad der Nutzung konfektionierter Zusatzmaterialien über die Basiskomponenten Lehr- und Arbeitsbuch hinaus gibt es zudem keine öffentlich verfügbaren Daten. Da weder die Unterrichtszeiten noch die Lernzeiten an anderen Lernorten beliebig erweitert werden können, ist die Annahme plausibel, dass über die Nutzung der unmittelbar unterrichtssteuernden Komponenten hinaus die meisten Materialien nur einen geringen Nutzergrad aufweisen. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Verlage in der Regel digitale Angebote derzeit immer noch weitgehend unter Marketing verbuchen. Die zwischenzeitlich seit 2011 verstärkt angebotenen digitalen Whiteboard-Materialien zu den Lehrwerken werden derzeit nach und nach abgelöst durch digitale Vollversionen der Lehrwerke, die in Lehrer- und Schülerversionen inzwischen vermehrt Hardware-unabhängig (Tablets, PC, digitale Whiteboards) angeboten werden. Damit wird die Reduktion auf die wenigen digital darstellbare Übungsformate (v. a. match, drag & drop, right/ wrong, fill-in-the-gap ), die die ersten 15 Jahre PC-gestützter Übungen weitgehend bestimmte, wieder erweitert werden auf die Vielfalt traditioneller Lehrwerkübungsformate. Die von Rüschoff und Wolff (1999) aus konstruktivistischer Perspektive kritisierte Einengung der Lernenden durch Vollprogramme und die erwähnten reaktiv-reproduktiven Übungsformate sind v. a. in den letzten Jahren durch die Möglichkeit der Nutzung sozialer Medien (Facebook, Blogs, etc.) wieder auf Lernformen erweitert worden, die individuelles und kollaborativ-problemlösendes Lernen ermöglichen. Zu all dem gibt es eine Viel- Printmedien Digital verfügbare Materialien Internetangebote Materialien v. a. für den Unterricht (Kernbereich) • Lehrbuch • Test-Training • Lehrerhandbuch • Arbeitsbuch • Audio-DVD • Video-DVD • Digitale Whiteboard-Materialien • Lehrbuch / Tabletversion • E-Book-DVD • Digitaler Unterrichtsplaner (Zeitmanagement) • Digitale Unterrichtsmanager / Lehrerhandbücher • Internetportal • Übungen (HTML) • Zusatz-Audios • Zusatz-Videoangebote • pdf-Downloads • Sprachlernspiele Materialien v. a. für außerschulische Lernorte (Peripheriebereich) • Intensivtrainer • Zusatz-Lesehefte • Wortschatzheft • Vokabeltaschenbuch • Vokabel-Apps zahl von Anwendungsbeispielen, aber keine systematischen Forschungsergebnisse, die auf Nutzungsumfang und Nutzungsformen schließen ließen. Eine Konstante über Medien- und Paradigmenwechsel hinweg stellt die zweifache Erwartung von Lehrenden und Lernenden an die Funktionalität publizierter Lehrmaterialien dar: Sie erwarten eine Unterstützung der Phasierung, motivierenden Gestaltung und transparenten Strukturierung des Lehrbzw. des Lernprozesse durch die Bereitstellung von Unterrichtsinhalten und Übungsanlagen - auf der Grundlage sprachlehr-/ -lernwissenschaftlicher Expertise (vgl. Tomlinson 2001). Da die Analyse von Unterrichtsmaterialien und -sequenzen, geschweige denn ihre Erstellung, eher selten zum Ausbildungscurriculum des Fremdsprachen-Lehrpersonals gehören, kann die Aussage von Lehrkräften, sie unterrichteten ohne Lehrwerk, sowohl Ausdruck einer wünschenswerten Individualisierung des Lehr-Lernprozesses und der lernerorientierten Materialproduktion als 437 92. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien im Überblick auch Ausweis eines intransparenten, von schlichten Übungsdesigns (Lückenübungen) dominierten und durch keine externe Qualitätsprüfung unterstützten Materialdesigns sein. In der beschriebenen medialen Vielfalt, in der Lehrwerkprotagonisten eigene Facebook-Seiten haben (Rösler & Würfel 2014: 15), Lernende ihre Texte in fremdsprachlichen Blogs publizieren, die andernorts zum Unterrichtsgegenstand werden und Lehrwerktexte z. B. von digital bearbeiteten Agenturphotos begleitet werden, löst sich der in der Fachliteratur ohnehin schon immer unscharf definierte Begriff des „authentischen Textes“ letztlich auf und wird obsolet. Ein Klassifikationsmerkmal bleibt dagegen der Unterschied zwischen didaktisiertem und undidaktisiertem Material. Die Qualität von Texten in konkreten Lehr-/ Lernszenarien ergibt sich aus ihrer Plausibilität, Adaptibilität, d. h. Offenheit und ihrer Effizienz in Bezug auf subjektive und „objektive“ , d. h. gesetzte Lernziele. Dabei können in reichhaltigen Lernumgebungen Texte und dazugehörige Übungssequenzen, die enhanced input (Sharwood Smith 1993), d. h. ein fokussiertes, aufmerksamkeitssteuerndes Verarbeitungsangebot bieten, ebenso zielführend sein, wie offene Textangebote, die zum impliziten und inzidentellen entdeckenden Lernen einladen. 3. Von der Lehrwerkanalyse und Lehrwerkforschung zum Qualitätsmanagement von Unterricht und Unterrichtsmaterial Aus der Tatsache, dass Lehrwerke immer auch „Kompromisse [ … ] zwischen fortschreitender Theorie und beharrender Praxis“ (Heuer & Müller 1973: 7) darstellen, ergibt sich der zwangsläufige Defizitbefund als Ergebnis einer Lehrwerkanalyse und -kritik, die Lehrwerke an aktuellen Entwicklungen der Fachdidaktik und -methodik misst. Die systematische Lehrwerkanalyse entwickelte sich daher gerade im Übergang vom audiolingual/ audiovisuellen zum kommunikativen Fremdsprachenunterricht, einem besonders weit reichenden Paradigmenwechsel und Wechsel der Bezugswissenschaften der Fremdsprachendidaktik zu Beginn der 1970er Jahre (vgl. Kast & Neuner 1996). In diesem Übergang wird eine weitere Funktion des Lehrwerks sichtbar, die schon Comenius im erwähnten Vorwort anspricht. Durch eine strukturierte Vorgabe zu Inhalten und Verlauf des Lernprozesses auf Basis eines theoriebasierten Gesamtkonzeptes wirkt es in diesem Sinne auf die Weiterbildung der Lehrkräfte ein. Seit dieser Zeit ist die Lehrwerkanalyse und -kritik mancherorts Teil der Ausbildung der Fremdsprachenlehrkräfte, viel öfter Gegenstand der Fortbildung mit dem Ziel des kritisch-reflektierten Umgangs mit Lehr-/ Lernmaterialien und der Befähigung zu ihrer Adaption auf die Bedürfnisse konkreter Lerngruppen und -situationen (vgl. Nodari 1995: 84 ff.). 438 Hermann Funk Da das lernpsychologische Fortschrittssignal des progressiven Durcharbeitens eines Buches derzeit de facto noch kein digitales Pendant gefunden hat, erscheint es für Lehrende und Lernende vielfach noch alternativlos. Demzufolge ist auch die hermeneutische Analyse von vorgeschlagenen Lerninhalten, Lernwegen und der Stoffverteilung (rate & route), der Abgleich von publizierten Lehr-/ Lernmaterialien mit dem Forschungsstand der Fremdsprachendidaktik nach wie vor sinnvoll, wenngleich ihre Aussagekraft in Bezug auf die Qualität von Lehr-/ Lerndesigns begrenzt ist. Lasnier et al. (2001) schlagen daher neun Prinzipien der Qualität von Materialien vor: Relevanz, Transparenz, Reliabilität, Attraktivität, Flexibilität, Generierungsfähigkeit, Partizipation, Effizienz und Sozialisation. Zu allen Prinzipien nennen sie jeweils Indikator-Fragen und Beispiele. Mit ihrem Kreislaufmodell zum Qualitätsmanagement (ebd.: 6) von Lehr-/ Lernmaterialien stellen sie ein umfassendes sprachenübergreifendes Modell einer integrierten Qualitätssicherung von Lehr-/ Lernmaterialien, Lehr-/ Lernprozessen und -ergebnissen vor und geben damit ein Prozessmodell einer Lehrwerkwirkungsforschung vor, die Material-, Prozess- und Ergebnisanalyse verbindet. Der konzeptuelle Entwurf, das „Design“ des Lehr-/ Lernmaterials basiert im Idealfall auf empirischen Bedarfsanalysen. Design, Umsetzung des Materials in die Praxis und die Ergebnisse des Unterrichts selbst werden in einem fortlaufenden („formativen“ ) Evaluationsprozess an festgelegten Qualitätsprinzipien, die ihrerseits forschungsbasiert sind, überprüft. Die auf den drei genannten Ebenen dadurch entstehenden Qualitätsprofile sollten wieder in Bezug auf das Design des Materials gesetzt werden, dieses ggf. verändern und damit den Zirkel schließen. Die fortschreitende Digitalisierung der Lehr-/ Lernmaterialien stellt allerdings sowohl die Lehrwerkanalyse als auch die Lehrwerkwirkungsforschung vor ein dreifaches Problem. Zum einen hat die zunehmende Spezialisierung in der Erarbeitung von Lehr-/ Lernmaterialien dazu geführt, dass die Autorentätigkeit zunehmend von forschenden Fachdidaktikern auf (in der Regel freiberufliche) Redakteure und fachfremde Entwickler verlagert wurde, was in der Anlage von rein-digitalen Produkten wie Apps im Rückgriff auf Standardübungsformen vordigitaler Zeit ablesbar ist. Zum anderen entzieht sich die Vielfalt der Materialkomponenten für ortsunabhängige Lernszenarien weitgehend einer kriteriengeleiteten hermeneutischen Analyse und schwächt damit deren Aussagekraft. In der Vergangenheit war dies schon daran ablesbar, dass die in Bezug auf ihren Anteil an der Lernzeit bedeutungsvollen Arbeitsbücher und die auditiven Medien (oder Lehrerhandbücher) in Lehrwerkanalysen selten einbezogen wurden. Für eine ohnehin nur schwach ausgeprägte empirische Lehrwerkwirkungsforschung kommt nun als dritter Faktor erschwerend hinzu, dass die zunehmende Vielfalt der Lernorte und Lernwege für eine Beobachtung bzw. videographische Erfassung nicht zugänglich ist. Nutzungswege, -anteile und -intensität digitaler Lehrmaterialien wären letztlich nur durch die dabei entstehenden Daten erfassbar. Inhaltlich müssen sich sowohl hermeneutische Lehrwerkforschung als auch Aktionsforschung und andere Designs empirischer Lehrwerkwirkungsforschung an den gut erforschten didaktisch-methodischen Grundprinzipien (Long 2009; Funk 2010b: 942 f.) und Modellen (Funk 2012) wirksamen Fremdsprachenunterrichts messen lassen. Kriterien-generierend für die Produktion und Analyse von Lehr-Lernmaterialien sind dabei in gleicher Weise v. a. die Prinzipien der Handlungsorientierung, der integrativen Fertigkeitsvermittlung, der Inhaltsorientierung (Inhalt vor Form), der Aufgabenorien- 439 92. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien im Überblick tierung (kommunikative Aufgaben mit „Sitz im Leben“), der Individualisierung und Personalisierung von Inhalten und Verarbeitungsangeboten, der themenzentrierten Interaktionsorientierung (Förderung der Interaktionsqualität), der Autonomieförderung durch Offenheit und Projektorientierung, der Reflexionsförderung (Einsicht in Strukturen durch Fokus-auf-Form), der Berücksichtigung mehrsprachiger Lernpotenziale, und der Automatisierung (Einüben produktiver Routinen). Die summative und formative Evaluation von Lehr-/ Lernprozessen (Prozessevaluation und Testtraining) ist integrativer Bestandteil des Lehr-/ Lernmaterials. 4. Gestaltungsfaktor Lehrwerkmarkt Der Übergang vom Lehrbuch zum Lehrwerk in den großen Schulfremdsprachen bzw. in Deutsch als Fremdsprache mit einer Vielzahl von Zusatzmaterialien war für die Verlage zunächst ökonomisch sinnvoll, weil der Absatz von Peripherieprodukten mit geringeren Entstehungskosten (z. B. einfarbige Arbeitshefte) eine Umsatzsteigerung ermöglichte und zur Verlängerung der Produktlaufzeiten des Lehrwerks beitrug. Für die Nutzer bedeutete er eine quantitative und qualitative Ausweitung des Übungsangebots und die Chance der Profilierung des Angebots nach individuellem Lernbedarf. Die medial immer anspruchsvolleren Zusatzmaterialien (Filme, digitale Übungsangebote, Whiteboard-Programme) wurden allerdings zunehmend kostspieliger und müssen derzeit nach wie vor weitgehend durch den Verkauf der Printprodukte finanziert werden. Mit Lernportal- Lösungen bemühen sich die größeren deutschen Lehrwerkverlage derzeit die Kundenbindung zu erhöhen und mittelfristig zu einer netzgestützten Abrechnungspraxis zu kommen, um so der Kostenschere eines Schulmarktes mit sinkenden Schülerzahlen bei gleichzeitig steigenden Produktionskosten der Einzeltitel zu begegnen. Diese wirkt sich auf die mediale und gestalterische Ausstattung der Produkte ebenso aus wie auf die zurückgehende Risikobereitschaft von Verlagen in Bezug auf innovative Konzepte. Die Folge ist eine zunehmende Marktkonzentration bei gleichzeitiger Zunahme der Menge unterschiedlicher Lehrwerke für die gleiche Zielgruppe. In diesem Kontext und nicht als Folge didaktisch-methodischen Fortschritts muss auch die Verkürzung der Produktlaufzeiten auf 3-5 Jahre besonders im Erwachsenen-Markt der „großen“ Sprachen eingeordnet werden. Die Markterwartung einer medialen Vollausstattung von Lehrwerken auf A1 bis B1-Niveau, die allein schon zu Vorkosten im sechsstelligen Bereich führt, hat zur Folge, dass regionale und speziell zielgruppenorientierte Produkte seltener werden bzw. nur noch Adaptionen großer Lehrwerkreihen sind. Sie verstärkt auch die Diskrepanz zwischen der medialen Ausstattung von Lehr-/ Lernmaterialien für die weniger gelernten Sprachen und regionalen Produkte und den Materialien für die großen Schulfremdsprachen und Deutsch als Fremdsprache. Obgleich es wünschenswert wäre, bei der Erstellung von Lehrmaterialien (Funk 2010a) dem erwähnten Zirkel des Qualitätsmanagements zu folgen, und einer Publikation eine umfassende kriteriengeleitete Praxis-Erprobung vorauszuschicken, erfolgt diese unter den konkreten Bedingung des Wettbewerbs am Markt bisher eher sporadisch, stichprobenartig und in der Regel durch verlagsnahe Lehrkräfte. Ergebnisse entziehen sich ggf. der öffentlichen Nachprüfbarkeit. Die komplexen zeitgleichen Abläufe komplexer Medienproduktionen machen zukünftig systematische Erprobungsphasen noch unwahrscheinlicher. 440 Hermann Funk 5. Perspektiven In den letzten 15 Jahren ist entgegen einiger Prognosen die Rolle der Lehrbücher als Ankermedium durch ihre Leitfunktion in einem multimedial vielfältiger und nicht selten verwirrender werdenden Lehr-/ Lernmaterialangebot eher noch wichtiger geworden. Dies ist derzeit etwa an gedruckten QR-Codes als bequeme Schnittstelle vom Lehrbuch aus zu den Internetangeboten des Lehrwerks (augmented reality) erkennbar, etwa zu Facebook- Seiten und landeskundlichen Zusatztexten. Damit ist ein Übergang zu einer multimedialen Lernumwelt erkennbar, der von der kostenlosen Beigabe von E-Books und Lehrwerk-Vollversionen auf Tablet-Computern, zu umfassend netzgestützten Lehr-/ Lernangeboten führt und die Ankerfunktion des Druckwerks zu minimieren beginnt. Dass in dieser Entwicklung mittelfristig die Rolle von Verlagen in der Bereitstellung von Lehr-/ Lernmaterial eine grundlegende Veränderung erfahren wird, liegt auf der Hand. Literatur Comenius, J. A. (1658): Orbis sensualium pictus. Nürnberg. Funk, H. (2010a): Lehrwerkforschung, in: W. Hallet / F. G. Königs (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze, 364-368. Funk, H. (2010b): Methodische Konzepte für den DaF-Unterricht. Grundlagen, Prinzipien, Lernfelder und Modelle, in: H.-J. Krumm / C. Fandrych / B. Hufeisen / C. Riemer (Hrsg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. Berlin, New York, 940-952. Funk, H. (2012): Four models of language learning and acquisition and their methodological implications for textbook design. Electronic Journal of Foreign Language Teaching 9/ 2012, 298-311 (online). Heuer, H. / Müller, R. M., Hrsg. (1973): Lehrwerkkritik. Ein Neuansatz, Dortmund. Kast, B. / Neuner, G., Hrsg. (1996): Zur Analyse, Begutachtung und Entwicklung von Lehrwerken für den fremdsprachlichen Deutschunterricht. 2. Aufl. Berlin. Lasnier, J.-C. / Morfeld, P. / Serra Borneto, C. (2001): European language learning materials study. 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(1887): Englisches Lesebuch. Unterstufe, Leipzig. Hermann Funk 441 93. Lehrwerke 93. Lehrwerke 1. Begrifflichkeiten Der Begriff Lehrwerk bezeichnet ein komplexes Medienverbundsystem, „bestehend aus einem Lehrbuch für Schüler als zentralem Element und weiteren skripturalen, auditiven, visuellen oder audiovisuellen Materialien, die teils für den Lerner, teils für die Lehrperson konzipiert wurden“ (Leupold 2009: 2). Neben dem Schülerbuch, das kurze Texte und Bildmaterial, Grammatikdarstellungen, Übungen und komplexe Lernaufgaben sowie eine Vokabelliste integriert, gehören meist ein Arbeitsheft mit schriftlichen Aufgaben, eine Audio-CD mit Hörtexten und Liedern sowie Lehrerhandreichungen zu diesem Ensemble; zunehmend werden auch CD-ROMs, DVDs und Portfolios in diesem Verbund angeboten. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts werden Lehrwerke von privatwirtschaftlichen Schulbuchverlagen angeboten, die wiederum ein Autorenteam damit beauftragen, die Inhalte und das Konzept des Lehrwerks auf der Grundlage curricularer Rahmenvorgaben zu erarbeiten. Die Konzeption eines Lehrwerkes steht somit unmittelbar im Zusammenhang mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Theorien zum Sprachenlehren und -lernen. 2. Historische Entwicklung Als wegweisend für die Entwicklung von Lehrwerken wird der Orbis sensualium pictus (1658) von Johann Amos Comenius bezeichnet, ein Sprach- und Sachbuch, welches in 150 Kapiteln das Realienwissen des 17. Jahrhunderts in lateinischen und deutschen Texten sowie durch Abbildungen (Holzschnitte) präsentierte. Bis ins 19. Jahrhundert wurde dieser „Prototyp eines fremdsprachlichen Lehrbuchs“ (Freudenstein 2001: 8) in Klassenzimmern als Grundlage eines übersetzungsorientierten, situativen und anschaulichen Fremdsprachenunterrichts eingesetzt. Mitte des 19. Jahrhunderts erschien eine Grammatik zum Erlernen „lebender Sprachen“ (ebd.), welche sich in ihrer Konzeption an die damals verbreitete Grammatik- Übersetzungs-Methode anlehnte. Ende des 19. Jahrhunderts, zur Zeit der direkten Methode, wurden Schulbücher vorgelegt, die den Anteil der Muttersprache deutlich reduzierten und Anschauungsbilder integrierten, welche von Legenden und Lückentexten, teils bereits durch kurze Fragen und Aufgaben begleitet wurden. Mit der Verbreitung der audiolingualen und nachfolgend der audiovisuellen Methode Mitte des 20. Jahrhunderts erschienen neue Schulbücher, die erstmalig auch von Tonträgern, Folien, später auch Videos begleitet wurden. Mit der kommunikativen Wende Mitte der 1970er Jahre kam eine neue Lehrwerkgeneration auf den Markt, deren Texte und Aufgaben deutlich schüler- und handlungsorientierter konzipiert waren, wenngleich sie weiterhin einer grammatischen Progression folgten. Anfang des 21. Jahrhunderts kam es international zu einer Gegenbewegung zum Einsatz von Lehrwerken (zusammenfassend Thaler 2011: 16 f.), allerdings konnten sich die Kritiker nicht durchsetzen. Weltweit gilt das Lehrwerk auch heute noch als das „zentrale Instrument der Unterrichtssteuerung“ (Neuner 2003: 400; vgl. auch Forman 2014: 73). Eine besondere Herausforderung für die Lehrwerkautoren stellen die aktuellen Prinzipien einer modernen Fremdsprachendidaktik im Sinne der Aufgaben- und Kompetenzorientierung dar, welche mit einer auf Eigenaktivität und Kreativität ausgerichteten Gestaltung von Lernprozessen verbunden sind. Gleichzeitig ist es unerlässlich, dass ein Lehrwerk über eine gewisse Strukturierung verfügt, da Lehrkräfte Lehrwerke v. a. unter den Aspekten Planungssicherheit, Arbeitser- 442 Daniela Elsner leichterung und Zielorientierung beurteilen (vgl. Hutchins & Weishaar 2012: 69). 3. Praxisrelevanz Die Zulassung von Schulbüchern und Arbeitsheften erfolgt seitens der Kultusministerien der Länder. Diese bestellen Gutachter, welche auf der Grundlage der jeweils gültigen Rechtsverordnung beurteilen, ob die zulassungspflichtigen Lehrwerkbestandteile (in der Regel das Schulbuch und das Arbeitsheft) für den Einsatz im Unterricht geeignet sind. In der Regel werden Schulbücher dann zugelassen, wenn sie den allgemeinen Verfassungsgrundsätzen nicht widersprechen, mit curricularen Vorgaben vereinbar sind, den didaktischen Prinzipien des Fachs genügen, keine sachlichen Fehler aufweisen und keine geschlechts-, religions- oder rassendiskriminierenden Inhalte haben. Welches Lehrwerk angeschafft wird, entscheidet die Fach- oder Gesamtkonferenz einer Schule. Einer internen Statistik eines großen deutschen Schulbuchverlags von 2015 zufolge arbeiten in der Sekundarstufe I nahezu alle Klassen (ca. 98,5 %) mit einem Englischlehrwerk, in der Grundschule sind es immerhin 88 %. Damit ist das Lehrwerk als Mittler zwischen curricularen Rahmenvorgaben und Unterrichtspraxis das unangefochtene Leitmedium des Unterrichts, welches das Verhalten von Lehrenden und Lernenden nachhaltig beeinflusst (vgl. Neuner 2003: 400). Nieweler (2000: 14 ff.) zufolge lassen sich dezidierte Argumente für den Einsatz von Lehrwerken finden: • Das Lehrwerk wirkt „katalysierend“ bei der Umsetzung neuer didaktischer Erkenntnisse, • sein Einsatz erleichtert die Vergleichbarkeit von Abschlüssen, • es dient den Schülerinnen und Schülern als Strukturierungshilfe im Lernprozess, • es spart Lehrkräften Zeit bei der Unterrichtsvorbereitung, • es geht mit curricularen Vorgaben konform. Auf der anderen Seite lassen sich ebenso gut Grenzen des Einsatzes von Lehrwerken aufzeigen. So kritisiert Nieweler (ebd.: 17), dass Lehrkräfte häufig zu dogmatisch mit dem Lehrwerk umgehen. Es ist deshalb anzuraten, die Aufgaben und Texte im Lehrwerk an die jeweilige Klasse und Lernsituation anzupassen, aus ihnen auszuwählen und eigene Ideen und authentische Texte hinzuzufügen. Insgesamt ist man sich in der Fremdsprachendidaktik darüber einig, dass Lehrwerke ein sinnvolles Hilfsmittel im Unterricht darstellen, ihr Einsatz aber nicht dazu dienen sollte, diesen im Sinne eines hidden curriculum zu steuern. 4. Forschungsstand Trotz ihrer zentralen Rolle sind Lehrwerke und ihr Einsatz im Fremdsprachenunterricht nur wenig erforscht (vgl. Art. 92). Bislang lassen sich drei Dimensionen der Lehrwerkforschung ausmachen (u. a. Kurtz 2011: 3): 1) Die Lehrwerkkritik/ -analyse beschäftigt sich mit dem Medium selbst. Mithilfe von vorab festgelegten Kriterien werden ausgewählte inhaltliche, sprachliche oder bildliche Aspekte des Lehrwerks kontextanalytisch untersucht (Lehrwerkanalyse) bzw. soll eruiert werden, ob die Materialien bestimmte, z. B. durch curriculare Vorgaben festgelegte, Prinzipien erfüllen (Lehrwerkkritik). 2) In Studien zur Lehrwerkverwendung untersucht man im Sinne eines nutzungs- oder wirkungsorientierten Zugangs, warum und mit welcher Wirkung Lehrwerke in der Praxis eingesetzt werden. 443 93. Lehrwerke 3) Untersuchungen zur Lehrwerkentwicklung nehmen den Entstehungsprozess von Lehrwerken bis hin zu deren Zulassung in den Blick. Für die Fremdsprachendidaktik sind v. a. die in den 1970er Jahren betriebenen Untersuchungen des Arbeitskreises Lehrwerkforschung und Lehrwerkkritik (Heuer et al. 1973) von Bedeutung, welche im Wesentlichen die systematische Analyse von Lehrwerken zum Ziel hatten. Nachfolgend entstanden eine Reihe von Kriterienkatalogen für die theoretische Analyse und Evaluation, aber auch für die praktische Auswahl von fremdsprachlichen Lehrwerken (z. B. Kieweg 1998, Brill 2005: 36-44). Weitere Untersuchungen wurden u. a. mit Blick auf landeskundliche und interkulturelle Inhalte in Lehrwerken vorgenommen (z. B. Abendroth-Timmer 1998), zur Auswahl von Sprachstrukturen und Lernverfahren in Lehrwerken für den Fremdsprachenunterricht an Grundschulen (Vollmuth 2004), zur Authentizität in Lehrwerken (Cakir 2006) oder hinsichtlich der Konzipierung von Prinzipien bei der Entwicklung von Lehrwerken (Abdalla 2011). Zunehmend entstehen auch Arbeiten, die sich mit mehrsprachigkeitsdidaktischen Aspekten in Lehrwerken befassen (vgl. Augschöll Blasbichler et al. 2013). Forschungsdesiderate stellen u. a. Untersuchungen zu folgenden Fragen dar: • Inwiefern haben neuere fremdsprachendidaktische Unterrichtsansätze Eingang in die neue Lehrwerkgeneration gefunden? • Welche Einstellungen/ Vorstellungen haben Lehrkräfte bezüglich des Einsatzes von Lehrwerken und wie gehen sie konkret mit diesen im Unterricht um? • Welche sprachlichen Strukturen zur sprachlichen Progression findet man in aktuellen Lehrwerken und inwiefern orientiert sich deren Auswahl an den Forschungserkenntnissen der Spracherwerbsforschung? • Welchen Effekt hat der Einsatz eines Lehrwerks im Unterricht im Hinblick auf die Entwicklung sprachlicher Kompetenzen? 5. Perspektiven Im digitalen Zeitalter stellt sich für die Schulbuchverlage die Frage, wie sie ihre Lehrwerke zukünftig gestalten müssen, damit diese weiterhin im Unterricht eingesetzt werden. Die meisten Lehrwerke verfügen bereits über ein großes Angebot an digitalen Zusatzkomponenten, viele Schulbücher liegen in einer digitalisierten Form vor. Diese können auf verschiedenen Endgeräten und auf Whiteboards genutzt werden und bieten Möglichkeiten für Annotationen, Textmarkierungen und -abdeckungen, sie haben eine Zoomfunktion und können mit anderen Dateien, z. B. Lehrerhandreichungen oder Audiodateien, verlinkt werden. Weitere Tools, wie z. B. animierte Buchseiten oder die Integration von Gamifizierungselementen, werden nicht mehr lange auf sich warten lassen. Die Entwicklung einer ausgereiften Didaktik zum Umgang mit digitalen Schulbüchern im Fremdsprachenunterricht stellt in den kommenden Jahren eine ebenso große und spannende Herausforderung dar, wie die Erforschung der Nutzung und Wirkung digitaler Schulbücher im Rahmen fremdsprachlicher Lehr- und Lernprozesse. Literatur Abdalla, H. (2011): Prinzipien bei der Entwicklung von Lehrwerken für das Fach Deutsch als zweite Fremdsprache an der ägyptischen Oberschule unter Berücksichtigung der Schreibkompetenz. Bochum. Abendroth-Timmer, D. (1998): Der Blick auf das andere Land. Ein Vergleich der Perspektiven in 444 Daniela Elsner Deutsch-, Französisch-, und Russischlehrwerken. Tübingen. Augschöll Blasbichler, A. / Videsott, G. / Wiater, W., Hrsg. (2013): Mehrsprachigkeit und Schulbuch. Bad Heilbrunn. Brill, L. M. (2005): Lehrwerke/ Lehrwerkgenerationen und die Methodendiskussion im Fach Deutsch als Fremdsprache. Aachen. Cakir, G. (2006): Zur Frage der Authentizität in Lehrwerken des Deutschen als Fremdsprache. Hamburg. Foreman, R. (2014): How local teachers respond to the culture and language of a global English as a foreign language textbook. Language, Culture and Curriculum 27/ 1, 72-88. Freudenstein, R. (2001): Fremdsprachen lernen ohne Lehrbuch. Zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft fremdsprachlicher Unterrichtsmaterialien. Praxis des neusprachlichen Unterrichts 48/ 1, 8-19. Heuer, H. / Müller, R. M. / Schrey, H. (1973): Möglichkeiten der Lehrwerkforschung und Lehrwerkkritik, in: H. Heuer / R. M. Müller (Hrsg.): Lehrwerkkritik. Ein Neuansatz. Dortmund, 9-14. Hutchins, A. / Weisshaar, H. (2012): Kompetenzaufgaben und Lehrwerke. Die Integration komplexer Kompetenzaufgaben in Englisch-Lehrwerken für die Sekundarstufe I, in: W. Hallet / U. Krämer (Hrsg.): Kompetenzaufgaben im Englischunterricht. Grundlagen und Unterrichtsbeispiele. Seelze, 68-76. Kieweg, W. (1998): Lernprozessorientierte Kriterien zur Evaluierung von Lehrwerken. Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch 34/ 4, 27-38. Kurtz, J. (2011): Lehrwerkkritik, Lehrwerkverwendung, Lehrwerkentwicklung. Zur Einführung in den Themenschwerpunkt. Fremdsprachen lehren und lernen, 40/ 2, 3-14. Leupold, E (2009): Das Lehrwerk im Fremdsprachenunterricht. Ein viel diskutiertes Medium, in: U. O. H. Jung (Hrsg.): Praktische Handreichung für Fremdsprachenlehrer. Frankfurt a. M., 1-9. Neuner, G. (2003): Lehrwerke, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht, 4. Aufl. Tübingen, 399-401. Nieweler, A. (2000): Sprachenlernen mit dem Lehrwerk - Thesen zur Lehrbucharbeit im Fremdsprachenunterricht, in: R. Fery / V. Raddatz (Hrsg.): Lehrwerke und ihre Alternativen. Frankfurt a. M., 13-19. Thaler, E. (2011): Die Zukunft des Lehrwerks - Das Lehrwerk der Zukunft. Fremdsprachen lehren und lernen 40/ 2, 15-30. Vollmuth, I. (2004): Englisch an der Grundschule. Wie Handreichungen den Frühbeginn sehen. Eine didaktisch-methodische Analyse. Heidelberg. Daniela Elsner 94. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zum Wortschatzlernen 1. Systematisierung Das Spektrum der Lehr-/ Lernmaterialien, Werkzeuge und Dienste, die heutzutage für das fremdsprachenunterrichtliche und das außerunterrichtliche Wortschatzlernen und -lehren zur Verfügung stehen, ist so breit und vielfältig wie nie zuvor. Es umfasst kostenpflichtige und kostenfreie, lehrwerkgebundene und lehrwerkunabhängige, gedruckte und elektronische, offline oder online zugängliche, fremd gestaltete und selbst gestaltbare, informative und interaktive sowie multibzw. crossmediale Angebote, die ein-, zwei- oder mehrsprachig angelegt sein können. Aufgrund vielfältiger Überschneidungen, v. a. aber aufgrund der großen Entwicklungsdynamik im Bereich der digitalen Technologien, wird im Folgenden eine vorläufige Systematisierung des Gegenstandsbereichs vor- 445 94. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zum Wortschatzlernen genommen, die der nach wie vor gegebenen fremdsprachenunterrichtlichen Dominanz der Lehrwerke Rechnung trägt (zur Problematik der Entwicklung einer trennscharfen, längerfristig noch tragfähigen fremdsprachendidaktischen Medientypologie vgl. Rösler 2010: 1199-1201). Lehrwerkgebundene Angebote zum Wortschatzlernen und -lehren lassen gegenwärtig einen deutlichen Trend zur medialen und technologischen Diversifizierung, teilweise auch bereits zur Medienkonvergenz im Sinne einer Verschmelzung bislang getrennt zugänglich gemachter gedruckter und elektronischer Lehr-/ Lernmaterialien und Medien erkennen. Dem gedruckten Lehrbuch (Schülerbuch) wird als Leitmedium aber nach wie vor die Aufgabe zugewiesen, ein Grundinventar an lexikalischen Mitteln (Verstehens- und Mitteilungswortschatz) bereitzustellen, das in Bezug auf Umfang, Auswahl und Progression den jeweiligen Rahmenvorgaben entspricht. In der Regel finden sich im Schülerbuch (sowie weitergehend auch im Schülerarbeitsbuch) bereits vielfältige Ressourcen, die dem rezeptiven, produktiven und reflexiven lexikalischen Lernen in formbezogener und mitteilungsbezogener Dimensionierung dienlich sein können. Hierzu gehören einerseits Texte aller Art, aber auch Abbildungen und Zeichnungen, die in Verbindung mit den vorgeschlagenen Übungen und Aufgaben zum systematisch gesteuerten Wortschatzlernen genutzt werden können. Andererseits gehören zu den im Schülerbuch (bzw. im Schülerarbeitsbuch) befindlichen Ressourcen aber auch Verweise auf nützliche Lern- und Arbeitstechniken, Hinweise zur Fehlervermeidung, Anleitungen zum eigenständigen Lernen sowie lehrbzw. lernchronologisch und alphabetisch angeordnete (ein- und zweisprachige) Wörterlisten. Diese können der Ermöglichung des reflexiven, schülerseitig stärker selbstgesteuerten und selbstverantwortlichen Wortschatzlernens dienen. Die im Lehrwerkverbund ebenfalls bereitgestellten visuellen, auditiven und audiovisuellen Medien und Materialien (Bildkarten, Foliensätze, Hörtexte, Lieder, Filme, etc.) stellen ein wichtiges Bindeglied zwischen dem schriftsprachlichen und dem sprechsprachlichen Wortschatzlernen dar. Moderne Lehrwerke beinhalten darüber hinaus aber auch einige elektronische Werkzeuge, mit denen sich wortschatzbezogene Lehr-/ Lernmaterialien und Medien personalisieren bzw. kontextbezogen adaptieren lassen. Exemplarisch sei hier auf digitale Karteikästen oder e-Portfolios für die Lernenden sowie auf elektronische Autorenbzw. Assistenzprogramme für die Lehrenden verwiesen. Letztere können bei der Erstellung von themenorientierten Wörterlisten oder Wortfeldern, von Einsetz-, Umform- und Übersetzungsübungen, in Teilen aber auch von komplexeren lexikalischen Lernaufgaben und Unterrichtssequenzen hilfreich sein. Darüber hinaus werden gegenwärtig verstärkt auch testorientierte elektronische Lernmaterialien (sog. Vokabeltrainer oder kompetenzorientierte Vokabeltests) zur Prüfungsvorbereitung angeboten. Diese reduzieren sich vielfach jedoch auf überwiegend geschlossene Übungsformate mit Einsetz-, Umform- oder Übersetzungscharakter, auf multiple choice-Aufgaben sowie auf Lernprogramme der ersten Generation mit simplen, nicht immer hilfreichen Richtig-/ Falsch- Rückmeldungen im strukturalistisch-behavioristischen CALL-Design (vgl. Blake 2 2013: 49 f. zur theoretischen Abgrenzung gegenüber kommunikativ-integrativen und interkulturell sensitiven CALL-Angeboten). Insgesamt gesehen besteht hier noch erheblicher Entwicklungsbedarf, und zwar erstens in Bezug auf die medial sinnvoll gestützte Förderung des reflexiven, in Teilen sprachenübergreifenden Wortschatzlernens, zweitens hinsichtlich der über das Einzelwortlernen 446 Jürgen Kurtz hinausgehenden Gestaltung von Übungen, Lern- und Testaufgaben sowie drittens in Bezug auf die Verknüpfung des lexikalischkonzeptuellen mit dem interkulturell-kommunikativen Lernen. Dem beachtlichen Bestand an lehrwerkgebundenen Lehr-/ Lernmaterialien und Medien steht eine unübersichtliche Masse von lehrbuchunabhängigen Ressourcen gegenüber, die ebenfalls zum Wortschatzlernen und -lehren verwendet werden können. Dabei reicht die Angebotspalette im Printbereich von Bilder-, Übungs-, Aufgaben-, Spiel- und Rätselsammlungen über Lernkarteien und Zusammenstellungen spezieller Lern- und Mnemotechniken bis hin zu ein-, zwei- oder mehrsprachigen Nachschlagewerken (z. B. allgemein- und fachsprachliche Wörterbücher, Thesauri und Lexika) für unterschiedliche Nutzergruppen, Nutzungszwecke und Benutzungssituationen. Im Bereich der digitalen Medien finden sich viele vergleichbare Angebote, die aufgrund ihrer Hypertext- und Multimediastruktur aber weitreichendere Möglichkeiten der audiovisuellen Stützung (Bild, Ton, Animation, Simulation), des Verweisens auf weiterführende lexikogrammatische Informationen und weitaus komfortablere Suchfunktionen bieten. An dieser Stelle sei exemplarisch auf internetbasierte sprachenübergreifende Wörterbücher wie etwa http: / / dict.leo.org oder www.dict.cc verwiesen. Dem digitalen, lehrbuchunabhängigen Bereich sind zudem Wortschatzlernprogramme und Selbstlernkurse (mit mehr oder minder ausgeprägter Personalisierungs-, Feedback- und Tutoring-Funktionalität) sowie Lernmanagementsysteme und elektronische Hilfsprogramme zur selbstgesteuerten Lehr-/ Lernorganisation bzw. zur eigenständigen Erstellung von Wortschatzübungen zuzuordnen. Viele der auf digitalen Datenträgern oder im Internet angebotenen Programmsysteme entsprechen aufgrund ihrer Fokussierung auf das Einzelwortlernen jedoch nicht dem aktuellen Stand der wortschatzdidaktischen Forschung. Zu den vorwiegend online zugänglichen wortschatzbezogenen Ressourcen zählen die großen elektronischen Sprachkorpora, Datenbanken und Archive (u. a. mit differenzierten Recherchemöglichkeiten in Bezug auf lexikalische Frequenzen, Konkordanzen), aber auch digitale Wortfelderzeugungsprogramme mit dynamischer Visualisierung der vermuteten Repräsentation bestimmter Wortschatzsegmente im mentalen Lexikon (sog. Wortwolkenprogramme; vgl. z. B. www. visuwords.com), phraseologische bzw. kollokationsbezogene Recherchewerkzeuge (wie www.phraseup.com) sowie lexiko-grammatische Expertendienste (wie http: / / linguist list.org). Die Potentiale, die sich aus diesen Ressourcen für das lexikalische Lernen und Lehren ergeben, werden in der wissenschaftlichen Diskussion v. a. in der Authentifizierung und der phraseologischen Aufwertung der wortschatzbezogenen Lehr-/ Lernmaterialien und Medien gesehen (vgl. Hidalgo et al. 2007). Letztendlich lassen sich aber auch viele synchrone und asynchrone interaktive Dienste, social media-Plattformen und Netzwerke (z. B. E-Mail, Instant Messaging, Foren, Chats, Video- und Audiokonferenzen, Podcasts, Blogs, Wikis, 3-D-Welten, Multi-Player- Online-Games and Communities ) für das gesteuerte und ungesteuerte Wortschatzlernen nutzen. Es wird somit, wie Knapp-Potthoff ( 5 2007: 431) zutreffend hervorhebt, immer schwieriger, den hier betrachteten Gegenstandsbereich trennscharf einbzw. abzugrenzen. 2. Forschungsstand Nach dem aktuellen Stand der Forschung sind Wörter als kulturell geprägte Denk- und 447 94. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zum Wortschatzlernen Formulierungswerkzeuge zu betrachten, die in Verbindung mit anderen Wörtern für kommunikative Zwecke genutzt werden. Das Wortschatzlernen und -lehren muss von daher als ein vielschichtiger, auf unterschiedliche Aspekte der Sprachaneignung bezogener Prozess verstanden werden (vgl. Art. 25). Dem Four Strands-Modell von Nation (2001) entsprechend sind wortschatzbezogene Lehr-/ Lernmaterialien und Medien im Fremdsprachenunterricht unter den folgenden Aspekten zu betrachten, auszuwählen und zu verwenden: der Bereitstellung von meaningfocused input, der Ermöglichung von meaningfocused output, der Entwicklung von fluency sowie der Berücksichtigung von language focused learning. Lerntheoretisch ist dabei zu beachten, dass sich das Wortschatzlernen systematisch-intentional, inzidentell und inkrementell vollzieht. Es bedarf von daher geeigneter, mitteilungs- und formorientierter Lehr-/ Lernansätze bzw. Unterrichtsformate, die rezeptives und produktives, aber auch reflexives lexikalisches Lernen im Sinne der Förderung von Sprach(en)bewusstheit und Sprachlernbewusstheit unterstützen (vgl. hierzu auch Kühn 2010: 1252-1255). Dies gilt sowohl für das allgemeinsprachliche wie auch das fachsprachliche Wortschatzlernen. 3. Praxisrelevanz Effektivität und Effizienz des Wortschatzlernens und -lehrens lassen sich nicht allein an der Qualität der eingesetzten Lehr-/ Lernmaterialien und Medien festmachen. Der lerner- und kontextgerechten Medienauswahl und -verwendung kommt eine ebenso große Bedeutung zu. Ein kommunikativer, gebrauchsorientierter und medial sinnvoll konzipierter Unterricht muss auch weiterhin einigen bekannten und bewährten Lehr-/ Lernprinzipien entsprechen. Hierzu gehören a) das situierte Wortschatzlernen, das sich nicht auf das Einzelwortlernen reduzieren darf, b) das zeitlich sinnvoll verteilte, Form und Bedeutung ausbalancierende lexikalische Üben sowie c) das spiralförmig-progressiv angeordnete, wiederholte Anwenden von Wortschatzsegmenten in lernerseitig attraktiven und bedeutsamen kommunikativen Kontexten. Im Fremdsprachenunterricht kann der Aufgabenorientierung (vgl. Art. 68) aufgrund seiner zyklischen Grundkonzeption hierbei eine große Bedeutung zukommen. 4. Perspektiven Abzuwarten bleibt, ob die zunehmend für portable Endgeräte konzipierten, gegenwärtig in erster Linie für das individuelle Wortschatzlernen entwickelten Computerapplikationen, aber auch all jene netzbasierten Kommunikationswerkzeuge und Dienste, die nicht unmittelbar auf das Wortschatzlernen abheben, einen Mehrwert im Sinne eines freudvollen, effektiven und effizienten lexikalischen Lernens bieten werden (vgl. Mitschian 2010). Es ist zumindest anzunehmen, dass es im Zuge der fortschreitenden Ausbreitung der sog. social media zu einer Ausweitung der Möglichkeiten webbasierten Wortschatzlernens kommen wird. Die Entwicklung von digitalen Medien, die auf neuesten elektronischen Technologien basieren (automatisierte Bild- und Spracherkennung, Sprachsteuerung, Übersetzung), steckt dagegen noch in den Kinderschuhen. Derartige Entwicklungen könnten das (allgemeinsprachliche und fachsprachliche) Wortschatzlernen in einer heute noch kaum überschaubaren Art und Weise verändern. 448 Theresa Summer Literatur Blake, R. J. ( 2 2013): Brave new digital classroom. Technology and foreign language learning. Washington, D. C. Hidalgo, E. / Quereda, L. / Santana, J., Hrsg. (2007): Corpora in the foreign language classroom. Amsterdam. Knapp-Potthoff, A. ( 5 2007): Lehr- und Lernmaterialien in Neuen Medien, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen, Basel, 430-435. Kühn, P. (2010): Materialien für das Wortschatzlehren und -lernen, in: H.-J. Krumm / C. Fandrych / B. Hufeisen / C. Riemer (Hrsg.): Handbuch Deutsch als Fremdsprache. 2. Halbband. Berlin, New York, 1252-1258. Mitschian, H. (2010): M-Learning - die neue Welle? Mobiles Lernen für Deutsch als Fremdsprache. Kassel. Nation, I. S. P. (2001). Learning vocabulary in another language. Cambridge. Rösler, D. (2010): Die Funktion von Medien im Deutsch als Fremd- und Deutsch als Zweitsprache-Unterricht, in: H.-J. Krumm / C. Fandrych / B. Hufeisen / C. Riemer (Hrsg.): Handbuch Deutsch als Fremdsprache. 2. Halbband. Berlin, New York, 1199-1214. Jürgen Kurtz 95. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zum Grammatiklernen 1. Einleitung Im Grammatikunterricht spielen Materialien und Medien eine zentrale Rolle, denn sie können bei zielgerichtetem und kreativem Einsatz Wegbereiter für ein vielfältiges und erfolgreiches Lernen sein. So kann eine Lehrkraft bspw. einer formorientierten Grammatikübung im Lehrbuch in der praktischen Umsetzung kommunikative Elemente hinzufügen, um somit das Realisieren von Sprechabsichten zu trainieren. 2. Klassische Medien Während die Tafel primär in der Kognitivierungsphase beim Festhalten grammatischer Formen und Funktionen eine wichtige Rolle spielt, bietet der Overheadprojektor oder eine Dokumentenkamera zusätzlich die Möglichkeit, Strukturen visuell zu kontextualisieren oder die Schüleraktivierung zu erhöhen (z. B. bei Zuordnungsaufgaben). Zudem können schriftliche Aufgaben projiziert und im Klassenverband verbessert werden. Dabei spielt die Verwendung von verschiedenen Farben zum Hervorheben unterschiedlicher Strukturen oder Signalwörtern eine entscheidende Rolle. Um grammatisches Wissen kognitiv zu verankern und die Funktionalität einer Struktur aufzuzeigen, eignen sich Bildimpulse, die Szenarien authentischer Sprechanlässe darstellen. Kieweg (2012: 134-142) präsentiert zahlreiche Visualisierungstechniken (z. B. Cartoons, Jokes, Klappbilder, Zeitachsen), die dem affektiven Durchdringen von Redemitteln dienen können. Die Konzeption des Lehrwerks kann die Grammatikvermittlung stark beeinflussen. Je nach Aufbau wird eine bestimmte Herangehensweise des Grammatiklernens vorgegeben. Viele Lehrbücher der letzten Jahrzehnte weisen dabei folgendes Schema auf: Situativ wird in einem Text die neue Struktur eingeführt. Daraufhin folgt ein Hinweis auf den Grammatikanhang, der Strukturen vereinfacht und mit Beispielen erläutert (deduktive Grammatikvermittlung). Daneben finden sich Anregungen zur induktiven Grammatikvermittlung und zum entdeckenden Lernen, 449 95. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zum Grammatiklernen wobei die Lernenden zu aktivem Handeln angeregt werden, indem sie selbstständig Hypothesen aufstellen, diese überprüfen und sich grammatische Formen und deren Funktionen erschließen. Zur Förderung einer aktiven Auseinandersetzung mit einzelnen Grammatikbereichen eignen sich kleinschrittige Übungsformen, die Lernende gezielt an eine neue Struktur heranführen sowie visuelle Lernhilfen (z. B. Symbole, farbliche Hervorhebungen in Texten oder illustrierende Bilder). Grammatikübungen werden in Lehrwerklektionen, Arbeitsheften sowie Kopiervorlagen bereitgestellt und zum Teil in Lehrerhandreichungen erläutert. Darüber hinaus enthalten Schülerbücher hilfreiche Visualisierungen zur Veranschaulichung grammatischer Phänomene (z. B. Satzklammern zur Verdeutlichung der Verbstellung im deutschen Satz), Anregungen zum Sprachvergleich sowie zusätzliche grammatische Informationen (z. B. zu Wortart, Pluralbildung, Deklination) in den Vokabelverzeichnissen. Im Grammatikanhang finden Lernende nicht nur Verbtabellen, sondern auch zusätzliche Lerntipps und Eselsbrücken in Form von Merkversen, die das Einprägen der Strukturen erleichtern sollen. Lehrbücher haben sich seit der Grammatik-Übersetzungs-Methode stets weiterentwickelt und um eine situative Einführung neuer Strukturen bemüht. Während bspw. viele Englischlehrbücher der späten 1990er Jahre einen formorientierten Ansatz verfolgen, bei dem kommunikative und kreative Aufgabenformen häufig vernachlässigt werden (Summer 2011: 387-391), weisen neuere Lehrwerke kompetenzorientierte Ansätze auf, die erkennen lassen, dass das Erlernen von Grammatik der Realisierung kommunikativer Ziele dienen soll. 3. Neue technische Medien Zu den neuen technischen Medien zählen digitale (mobile) Geräte und der Computer samt Internet und erhältlicher Apps sowie Lernsoftware. Im Rahmen der Entwicklung von CALL (Computer-Assisted Language Learning) oder CELL (Computer-Enhanced Language Learning ) wurden auch für den Grammatikunterricht computerbasierte Übungen erstellt. Diese wurden in ihren Anfängen kritisiert, da sie v. a. pattern drills der audiolingualen Methode glichen (Tesch 1995: 117). Heute bieten zahlreiche Webseiten Übungsmöglichkeiten unterschiedlicher Qualität sowie Videos und Podcasts an, die sich der Erklärung grammatischer Strukturen widmen. Es gibt zahlreiche Optionen, Grammatikübungen für das Wiederholen online bereitzustellen. Hot Potatoes (www.hotpotatoes.net) bietet bspw. Programme an, mit denen interaktive Übungen (z. B. Multiple-Choice-, Einsetz- und Zuordnungsübungen) generiert und online zur Verfügung gestellt werden können, um abwechslungsreiches Üben in einer virtuellen Umgebung zu ermöglichen. Diesbezüglich haben Studien gezeigt, dass Grammatiklernen mit Computern einen positiven Einfluss auf die Einstellung gegenüber Grammatik bei Lernenden haben kann (Barr 2008: 112). Seit der Entwicklung des interaktiven Whiteboards bieten Verlage „Digitale Unterrichtsassistenten“ an (z. B. zum Lehrwerk Découvertes: Série Jaune), die das Schulbuch digital auf der Tafel projizieren und direkten Zugriff auf den Grammatikanhang und Lösungen zu Übungen ermöglichen. Interaktiv animierte Grammatikübungen können mithilfe der Software zu interaktiven Tafeln selbst erstellt werden. Hierzu zählen Spiele wie Memory oder Würfel (versehen mit Personalpronomen, Artikeln etc.). Fertig programmierte Grammatikübungen für den Einsatz interaktiver Tafeln wer- 450 Theresa Summer den vermehrt online (kostenpflichtig) angeboten (z. B. www.onestopenglish.com). Sie unterscheiden sich insofern von gedruckten Übungen, als sie auditive Elemente und animierte Bilder beinhalten und nach der Eingabe von Antworten programmiertes Feedback geben. Insbesondere für fortgeschrittene Lerngruppen bieten Korpora gesprochener und geschriebener Sprache die Möglichkeit, grammatische Strukturen im Kontext zu entdecken. Eine Reflexion über bestimmte wiederkehrende Muster kann die Sprachbewusstheit erhöhen. 4. Ergänzende Materialien Ergänzende Materialien dienen Lernenden zum Nachschlagen, Selbstlernen, Wiederholen oder Lehrkräften zur Unterrichtsvorbereitung. Für beide Zielgruppen sind Materialien in gedrucktem Format und online erhältlich. Das online-Angebot ist dabei kaum überschaubar und es gibt erhebliche Qualitätsunterschiede. Zum Wiederholen können Lernende auf Übungsgrammatiken mit Progression im Anspruchsniveau zurückgreifen, zu denen neben einem Buch auch häufig eine CD-ROM erhältlich ist. Einzelne Lektionen beginnen meist mit einer Erklärung, gefolgt von (produktiven) Übungen (z. B. Rudolph 2012). Zudem gibt es digitale Grammatiktrainer mit Übungen und einem Grammatikglossar, zu denen ein individuelles Lernprogramm zusammengestellt werden kann, das auch Fortschritte und zukünftige Lernbereiche aufzeigt. Explizite Grammatiken gibt es als Lerngrammatiken (pädagogische Grammatiken für Lernende) oder Referenzgrammatiken (für Lehrkräfte). Erstere sind didaktisch reduziert und konzentrieren sich dabei v. a. auf häufig gebrauchte Phänomene, verwenden vereinfachte Termini und folgen einer bestimmten Progression. Referenzgrammatiken zielen auf eine allumfassendere Darstellung ab und es wird auf mehr Einzelheiten, z. B. Unterschiede zwischen geschriebener und gesprochener Sprache, eingegangen. Zur Unterrichtsvorbereitung haben Lehrkräfte die Möglichkeit, auf Materialien zurückzugreifen, die der Inspiration zur Erstellung von Arbeitsblättern dienen können. Hierzu zählen Kopiervorlagen, Übungshefte oder Sammlungen verschiedenster kommunikativer, kreativer Aufgabentypen (z. B. Ur 2 2009). Grammatikspiele sind für häufig gelernte Fremdsprachen erhältlich (z. B. Zaorob & Chin 2001; Pfau & Schmid 2001). Für Abwechslung in Übungsphasen sorgen zudem Konjugationswürfel, Illustrationskarten (z. B. mit Bildern, Verben, Signalwörtern etc.) oder Grammatikposter, die sowohl von Verlagen angeboten als auch eigens von Lernenden erstellt werden können. Für Lernende morphologiereicher Sprachen ist der kompetente Umgang mit Deklinationstabellen und das rasche Auffinden grammatischer Informationen in Wörterbüchern für die Unterstützung der eigenen Sprachproduktion wichtig. Die Verwendung von Liedern bietet zahlreiche Möglichkeiten für die Kognitivierungsphase und zur integrativen Sprachvermittlung (Ludke 2009: 18-21). 5. Perspektiven Thaler (2012: 87) plädiert in seinem Konzept des balanced grammar teaching für eine Kombination von tradierten Ansätzen (induktive, deduktive, textbasierte Verfahren) und moderneren Elementen (Grammatik via Song, Film, Humor, Spiel, Korpus etc.). Zu den Kriterien für die Einschätzung und Auswahl passender Materialien zur Förderung grammatischer Kompetenz gehören u. a.: Lernziel, Kontext (der situative Rahmen), Fertigkeits- 451 95. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zum Grammatiklernen bezug, Grad an Sprachproduktion (rezeptiv, reproduktiv, produktiv), Medium (mündlich, schriftlich, online), Sozialformen, Interaktionsmöglichkeiten, Schwierigkeitsgrad, Kreativität, Art des benötigten Wissens (deklarativ vs. prozedural) und Differenzierungsmöglichkeiten. Für die Einschätzung von Selbstlernmaterialien stellen Lernhilfen wie Musterbeispiele, Erklärungen, Lösungsschlüssel und - im Rahmen von Lernsoftware und Online-Übungen - die Art der Rückmeldung sowie der Materialumfang (z. B. Textlänge, Anzahl der Übungen) wichtige Qualitätsmerkmale dar. Bei der Erstellung und Nutzung von Materialien und Medien bedarf es der kritischen Betrachtung dieser Aspekte, um grammatische Kompetenz bestmöglich zu fördern. Dies schließt die Entwicklung entsprechender Methodenkompetenzen bei Lehrenden mit ein, um die Qualität interaktiver Übungen einschätzen, ausgewählte Materialien adaptieren und an die Bedürfnisse der Lerngruppe anpassen zu können. Außerdem ist zu beachten, dass der Einsatz eines modernen, neuen Mediums nicht gleich „moderner Unterricht“ bedeutet. Wie Evans ( 2 2013: 219) berichtet, sind sowohl auf aktuellen Webseiten als auch Lernpodcasts Grammatikübungen vorzufinden, die es weit vor der Entwicklung digitaler Lernmedien gab. Dies bedeutet, dass sich sowohl die Entwicklung neuer Medien als auch neuer Materialien mit Erkenntnissen der Fremdsprachenerwerbsforschung und Unterrichtsmethodik beschäftigen muss. Dabei scheint noch ein tiefer Graben zwischen vorhandenem Wissen bezüglich methodischer Möglichkeiten und didaktischer Umsetzung vorhanden zu sein, den es zu überwinden gilt. Literatur Barr, D. (2008): Computer-enhanced grammar teaching, in: F. Zhang / B. Barber (Hrsg.): Handbook of research on computer-enhanced language acquisition and learning. Hershey, 101-113. Digitaler Unterrichtsassistent Découvertes: Série Jaune zum Lehrbuch: B. Bruckmayer / L. Jouvet / U. C. Lange / A. Nieweler / S. Prudent / M. Putnai (2012): Découvertes: Série Jaune Band 1. Stuttgart. Evans, M. ( 2 2013): Introduction: traditional and modern media, in: M. Eisenmann / T. Summer (Hrsg.): Basic issues in EFL teaching and learning. Heidelberg, 217-227. Kieweg, W. (2012): Grammatik visualisieren: Bildimpulse zur Festigung grammatischer Kompetenzen im Englischunterricht. Seelze. Ludke, K. M. (2009): Teaching foreign languages through songs. Edinburgh. Pfau, A. / Schmid, A. (2001): 22 Brettspiele Deutsch als Fremdsprache. Stuttgart. Rudolph, H. (2012): Die neue Power-Grammatik Spanisch: Für Anfänger zum Üben und Nachschlagen. Ismaning. Summer, T. (2011): An evaluation of methodological options for grammar instruction in EFL textbooks: are methods dead? Heidelberg. Tesch, F. (1995): Computer und Grammatikunterricht, in: G. Zimmermann / F. G. Königs (Hrsg.): Perspektiven des Grammatikunterrichts. Tübingen, 111-124. Thaler, E. (2012): 10 modern approaches to teaching grammar: Methoden und Materialien für den Englischunterricht (Sek. I und II ). Braunschweig. Ur, P. ( 2 2009): Grammar practice activities: a practical guide for teachers. Cambridge. Zaorob, M. L. / Chin, E. (2001): Games for grammar practice: a resource book of grammar games and interactive activities. Cambridge. Theresa Summer 452 Kerstin Reinke 96. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zur Ausspracheschulung 1. Überblick Aktuelle Lehrwerke enthalten i. d. R. Ausspracheübungen. Diese sind entweder mit anderen Übungen der Lektionen verknüpft (integrierte Ausspracheschulung) und/ oder befinden sich an exponierten Stellen im Kursbuch (z. B. immer am Ende von Lektionen) und/ oder im Arbeitsbuch. Viele Lehrwerke enthalten Übersichten zu Laut-Buchstaben-Beziehungen. Manche Lehrwerke beginnen die erste Lektion mit einer starken Fokussierung auf die Aussprache, sensibilisieren für den fremden Klang, schaffen Vergleichsmöglichkeiten zur eigenen Muttersprache und zu anderen Sprachen (z. B. mithilfe von Internationalismen) und machen die Lernenden mit den Laut-Buchstaben-Beziehungen der Fremdsprache vertraut. Hinweise zu Ausspracheregeln, zu Übungs- und Fehlerkorrekturmöglichkeiten (in Verknüpfung mit den Ausspracheübungen im Lehrwerk) sind meist in Lehrerhandbüchern enthalten. Zum Lehrwerk gehören in der Regel noch CDs / CD-ROMs / DVDs / Online- Audios und -Videos, die die auditiven Stimuli der Ausspracheübungen (manchmal auch visuelle Präsentationen der Aussprache) enthalten. Einzelne Lehrwerke verfügen auch über ein komplexes Zusatz- und Ergänzungsmaterial zur Ausspracheschulung (vgl. Reinke 2012). Unter Lernmaterialien zur Ausspracheschulung werden lehrwerkunabhängige Zusatzmaterialien (mit beigelegter CD / CD- ROM / DVD) zur Ausspracheschulung verstanden. Dazu gehören im Einzelnen: • Phonetische Vorkurse: Sie sind systematisch aufgebaut und sensibilisieren für den Klang der zu erlernenden Fremdsprache im Vergleich zur Muttersprache der Lernenden sowie zu anderen Sprachen. Vermittelt werden anhand eines begrenzten und für den Erstkontakt mit der Fremdsprache nützlichen Wortschatzes die Laut- Buchstaben-Beziehungen sowie relevante Ausspracheregeln. Die Kurse sind so angelegt, dass mit minimalem Zeitaufwand späteren Aussprachefehlern vorgebeugt werden kann (vgl. Reinke 2011). • Aussprachelernmaterialien mit einer komplexen Auswahl phonetischer Themen: Die Auswahl der Themen orientiert sich in der Regel daran, welche phonetischen Phänomene für die meisten Lernenden (unabhängig von ihrer Ausgangssprache) schwierig sind, bzw. die zudem eine besondere Bedeutung für die Verständlichkeit besitzen - das betrifft z. B. wichtige distinktive (bedeutungsunterscheidende) lautliche Merkmale und suprasegmentale Besonderheiten (Akzentuierung, Melodisierung, Gliederung, Sprechrhythmus). Die Reihenfolge der offerierten phonetischen Themen entspricht oft einer Progression vom Leichten zum Schwierigeren und/ oder vom Wichtigen zum weniger Wichtigen. Zudem lassen sich Inhalte auch nach dem Baukastensystem auswählen. Die Materialien sind in Bezug auf Wortschatz, sprachliche Strukturen und Inhalte an bestimmte Sprachniveaustufen (A1-C1) angepasst. Einzelne Materialien richten sich an Lernende mit bestimmten Ausgangssprachen. Manche Lernmaterialien eignen sich aufgrund passender Übungen (zum kontrollierten Hören, zum Nachsprechen) komplett oder teilweise für selbstständiges Lernen (vgl. González Hermoso & Romero Dueñas 2002 für Spanisch, Hancock 2007 für Englisch und Hirschfeld et al. 2007 für DaF). • Lernmaterialien, die auf speziellen Methoden der Ausspracheschulung basieren: Sie ergänzen systematische Aussprache- 453 96. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zur Ausspracheschulung trainings und nutzen verstärkt oder ausschließlich Elemente aus dem nonverbalen (Gesten), musikalischen (Mitbrummen, Singen, Musizieren) und metrisch-rhythmischen (klare rhythmische Sprachstrukturen) Bereich (vgl. Fedotova 2009). • Aussprachespiele: Sie dienen nicht der Einführung phonetischer Aspekte sowie der Fehlerkorrektur, sondern v. a. der spielerischen Automatisierung und Anwendung von bereits Erworbenem. Mithilfe traditioneller, adaptierter Spiele (z. B. Memory, Domino) oder explizit für das Aussprachetraining entwickelter Spiele wird phonetisches / phonologisches Hören und die korrekte Aussprache trainiert (vgl. Reinke & Hirschfeld 2014). • Online- und softwarebasierte Aussprachelernmaterialien: Sie bieten aufgrund typischer Übungsformen (häufig mit Multiple- Choice-Charakter) gute Möglichkeiten zum Training des (kontrollierten) Hörens und zum automatisierten Einschleifen (Nachsprechen) auditiver Musterstimuli, allerdings ohne die verlässliche Kontrolle / Korrektur / Bewertung durch eine erfahrene Lehrperson. Weiterhin lassen sich mit Videosequenzen, beweglichen Sagittalschnitten, Animationen u. ä. einzelne Artikulationsbewegungen und die Realisierung suprasegmentaler Merkmale anschaulich visualisieren (vgl. Sounds of Speech*™ ). Auch Ausspracheregeln können bewusst gemacht und mit Hilfe entsprechender Übungen kontrolliert werden. Zu weiteren Materialien, die auch für die Ausspracheschulung genutzt werden können, gehören: • Aussprachewörterbücher: In ihnen lässt sich die Aussprache von (unbekannten) Wörtern anhand der phonetischen Umschrift (IPA) nachprüfen. Sogenannte „sprechende Wörterbücher“ (online oder als CD-ROM, manchmal mit Videosequenzen zur Visualisierung der Aussprache) eignen sich zudem zum Hören und Nachsprechen. • Sprachlernsoftware: Entsprechende Programme (z. B. von Digital Publishing für verschiedene Sprachen) versprechen, dass Lernende ihre Ausspracheleistungen z. B. über die Darstellung von Intonationskonturen (visible speech) kontrollieren, bewerten und verbessern können. Sie sollten jedoch nicht ohne Unterstützung durch eine erfahrene Lehrperson eingesetzt werden, da Aussprache in ihrer Komplexität und Variabilität noch kaum angemessen technisch dargestellt wird und (teilweise aus diesem Grund) das programmierte Feedback nicht ausreicht. 2. Analyse von Ausspracheübungen in Lehrwerken Die in den aktuellen Lehrwerken vorhandenen Ausspracheübungen werden in Bezug auf die entsprechende Lernergruppe nicht immer allen Anforderungen gerecht (vgl. Hirschfeld & Reinke 2012: 131 ff. sowie Art. 26). Das bedingt eine intensive Auseinandersetzung mit den im verwendeten Lehrwerk angebotenen Ausspracheübungen, um diese ggf. besser an die entsprechende Lernergruppe anpassen zu können (vgl. auch Hirschfeld & Reinke 2013: 78 ff.). Folgende Aspekte und Fragestellungen sind hierbei relevant: Ist die Auswahl phonetischer Themen den Bedürfnissen der Lernergruppe (Ausgangssprache, Alter, Lernziel etc.) angemessen? Können ggf. einzelne Themen weggelassen / ergänzt / vertieft werden? Entspricht die Systematik und Progression der vermittelten phonetischen Themen den Erfordernissen der Lernergruppe? Werden z. B. besonders relevante und schwierige Probleme zum richtigen Zeitpunkt geübt oder zu früh / zu spät, zu häufig / zu selten? Sind also ggf. Umstellungen nötig? 454 Kerstin Reinke Wie erfolgt die Präsentation / Darstellung phonetischer Inhalte? Wird die phonetische Transkription (IPA) verwendet? Welche einheitlichen Markierungen werden zur Verdeutlichung von Aussprachemerkmalen (z. B. zur Markierung betonter Silben im Deutschen, Englischen und Russischen oder zur Kennzeichnung der Wortbindung im Französischen und den slawischen Sprachen) benutzt? Welche Mittel zur Bewusstmachung der Aussprache werden eingesetzt (Abbildungen, verständliche Hinweise zur Aussprache, Erklären und/ oder Herleiten von Ausspracheregeln). Sind ggf. Modifikationen / Ergänzungen nötig? Welchen Stellenwert haben Ausspracheübungen? Haben sie einen festen Platz in der Lektion (im Kurs- oder Arbeitsbuch) oder sind sie nur ein Anhängsel? Wie umfangreich sind sie (Anzahl der Übungen und der Übungsbeispiele)? Müssen Übungen / Übungsbeispiele ergänzt werden? Werden die Übungsziele durch die Übungsanweisungen und Aufgabenstellungen verdeutlicht? Müssen sie konkretisiert werden? Ist eine sinnvolle Reihenfolge der Übungsschritte im Sinne einer Übungstypologie wie folgt erkennbar? • Hören: 1. vorbereitende Hörübung; 2. kontrollierbare Hörübungen (Identifikations- und Diskriminationsübungen); 3. angewandte Hörübungen • Sprechen: 1. einfache Nachsprechübungen; 2. produktive (Aus-)Sprechübungen in Verbindung mit Grammatik- und Wortschatzübungen etc.; 3. angewandte (Aus)Sprechübungen (Vorlesen, Vortragen, freies Sprechen, szenisches Gestalten). Wird (kontrolliertes) Hören und Aussprechen im Zusammenhang systematisch geübt? Sind fachliche und didaktische Hinweise zur Phonetik im Lehrerhandbuch enthalten? Falls nicht (ausreichend), welche Publikationen können ggf. genutzt werden? Enthält das Lehrwerk Zusatzkomponenten zum expliziten Aussprachetraining? 3. Ausspracheübungen adaptieren und entwickeln Falls das verwendete Lehrwerk keine Ausspracheübungen in erforderlicher Quantität und/ oder Qualität enthält, sollten diese mit Blick auf die Bedürfnisse der speziellen Lernergruppe adaptiert bzw. selbst entwickelt werden. Aus den aufgrund der Ausgangssprache zu erwartenden / anzutreffenden Ausspracheabweichungen kann auf die relevanten phonetischen Themen geschlossen werden. Folgende Vorgehensweise ist empfehlenswert: • Phonetisches Thema festlegen, z. B. Wortakzentuierung • Zum phonetischen Thema passende Wörter, Sätze, Wortgruppen aus einem bestimmten Themenbereich aus den bereits behandelten Lektionen suchen (kein unbekanntes Sprachmaterial), z. B. zum Themenbereich Hobby. • Übungsschritte festlegen und Übungsziele bestimmen: Hörübung: in Wörtern die betonte Silbe unterstreichen / Wort vorsprechen und mit dem Finger oder mit einem Signalkärtchen anzeigen, welche Silbe betont ist (1., 2., 3., … ) / gebrummtes Wort hören und das dazu passende Wort sagen Bewusstmachung: mit den Lernenden gemeinsam die Regeln finden (z. B. Betonungsmuster erkennen); die Aussprachemodalitäten bewusstmachen (z. B. über den Klang der betonten vs. unbetonten Silbe); Unterschiede zwischen Ausgangs- und Zielsprache herausarbeiten (z. B. werden im Spanischen betonte Silben viel weniger hervorgehoben als in anderen Sprachen). 455 96. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zur Ausspracheschulung Nachsprechübungen: Wörter hören und die Betonungsmuster nachbrummen, dann synchron mitsprechen, danach nachsprechen und dabei die betonte Silbe klatschen, klopfen, stampfen. Produktive Übungen: a) grammatische Umformungen vornehmen und überprüfen, ob der Wortakzent auf der gleichen Silbe bleibt; b) einen Sketch spielen oder einen kurzen Text ausdrucksvoll vortragen, in dem alle geübten Wörter vorkommen. Außerdem sollten alle Übungen aus Lehrbüchern auf ihr Potenzial für Ausspracheübungen überprüft werden. Es eignen sich z. B. Grammatikübungen, Übungen zu kommunikativen Handlungen, Texte etc. Wort- und Satzbeispiele aus Texten und anderen Übungen können nach formalen phonetischen Gesichtspunkten geordnet und an ihnen Regeln zur Aussprache erklärt und bewusst gemacht werden. Einzelne Wörter, Sätze und Abschnitte können gehört, nachgebrummt, nachgesprochen und gelesen werden. Literatur Digital Publishing. www.digitalpublishing.de Fedotova, N. (2009): Ne fonetika - pesnja! Učebnoe posobie dlja inostrancev, izucˇajušcˇich russkij jazyk. Sankt-Peterburg. González Hermoso, A. / Romero Dueñas, C. (2002): Fonética, entonación y ortografía. Más de 350 ejercicios para el aula y el laboratorio. Madrid. Hancock, M. (2007): English pronunciation in use. Intermediate. Self study and classroom use. Cambridge. Hirschfeld, U. / Reinke, K. (2012): Integriertes Aussprachetraining in DaF/ DaZ und der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen. Deutsch als Fremdsprache 3/ 2012, 131-138. Hirschfeld, U. / Reinke, K. (2013): Phonetik in Deutsch als Fremd-/ Zweitsprache, in: I. Bose / U. Hirschfeld / B. Neuber / E. Stock (Hrsg.): Einführung in die Sprechwissenschaft. Phonetik, Rhetorik, Sprechkunst. Tübingen, 69-80. Hirschfeld, U. / Reinke, K. / Stock, E. (2007): Phonothek intensiv. Stuttgart. Krech, E.-M. / Stock, E. / Hirschfeld, U. / Anders, L. C. (2009): Deutsches Aussprachewörterbuch. Berlin, New York. Reinke, K. (2011): Einfach Deutsch aussprechen. Phonetischer Einführungskurs. Leipzig. Reinke, K. (2012): Phonetiktrainer A1 - B1. Stuttgart. Reinke, K. / Hirschfeld, U. (2014): 44 Aussprachespiele. Stuttgart. Sounds of Speech*™ . http: / / soundsofspeech. uiowa.edu/ Kerstin Reinke 97. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zum Aufbau interkultureller Kompetenzen 1. Problemaufriss Die Vielfalt von Lehr- und Lernmaterialien in Print- und Onlineversionen sowie an Medien, die für den Aufbau interkultureller Kompetenzen genutzt werden, ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Sowohl in klassischen Lehrwerken und ihren Zusatzmaterialien, in Lektüren, Textsammlungen und Lesebüchern, computergestützten Lehr- und Lernmaterialien als auch in visuellen, auditiven und audiovisuellen Medien finden sich Aspekte, die das inter- und transkulturelle Lernen betreffen. Die Integration interkultureller Kompetenzen in Materialien für den Fremdsprachenunterricht ist über ihre 456 Christiane Lütge explizite Benennung in den KMK-Standards (KMK 2003; KMK 2012) und die Einbeziehung in die Themenstellungen des Zentralabiturs vieler Bundesländer seit Mitte der 2000er Jahre stark befördert worden (vgl. Art. 4). Auch der Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (RePa) (Candelier et al. 2009) liefert hier neue Ansätze. In Abkehr von älteren Konzeptionen von Landeskunde als lehrerseitiger Vermittlung von Faktenwissen rückten seit den 1990er Jahren Überlegungen zum interkulturellen Lernen und im Kontext der Kompetenzorientierung seit den 2000er Jahren schließlich die interkulturellen Kompetenzen in den Vordergrund (vgl. Art. 29). In Lehrwerken begegnen sehr unterschiedliche Methoden und Aufgaben für das interkulturelle Lernen. Teilweise wird dabei mit sogenannten critical incidents gearbeitet, teilweise auch mit Aufgaben, die den Lernenden bewusst machen sollen, dass es beim Wahrnehmen fremdkultureller Phänomene zu Missverständnissen kommen kann und vorsichtig mit Deutungen umzugehen ist (Bredella 2010). Für den Erwerb interkultureller Kompetenzen werden insbesondere literarische Texte und Filme häufig als besonders geeignet bezeichnet, weil sie die kulturelle Komplexität mit ihrer Vielzahl von Diskursen und Charakteren sowie möglichen Konflikten darstellen und zwischen dem spannungsreichen Verhältnis von individuellen und kollektiven Identitäten zu vermitteln vermögen. Die Kombination von Text und Bild in vielen aktuellen Lehrwerken mit inter- und transkulturellen Bezügen stellt zunehmend dynamischere Modelle für den Erwerb interkultureller Kompetenzen her. Dies kann nicht nur über Filme, sondern auch Fotos, Comics oder graphic novels realisiert werden. Solche nicht genuin für didaktische Zwecke produzierten oder kompilierten Texte und Medien stellen eine wichtige Ergänzung für die an Lehrplänen ausgerichteten Lehrwerke dar, in die sie zwecks Ausbildung interkultureller Kompetenzen aber auch zunehmend Eingang finden. 2. Aufbau interkultureller Kompetenzen Dass Lehr- und Lernmaterialien und Medien nicht automatisch einen erfolgreichen Aufbau interkultureller Kompetenzen gewährleisten, sondern eines reflektierten methodischen Einsatzes im Unterricht bedürfen, mag einerseits banal erscheinen, ist insbesondere mit Blick auf die folgenden Aspekte zu berücksichtigen: 1) Im Zuge der Diskussion des inter- und transkulturellen Lernens sind im Bereich der Literaturdidaktik neue Texte, Materialien und Medien erschlossen worden, die teilweise auch schon Eingang in Lehrwerke oder Anthologien für den Unterricht gefunden haben. Dies betrifft zunehmend Kinder- und Jugendliteratur, allgemein auch zeitgenössische Literatur und Filme zu multikulturellen Themen, z. B. Migrationsliteratur (Freitag-Hild 2010). Die Überwindung einer häufig beklagten Kanonisierung schulischer Lektüren im Zuge des interkulturellen Lernens hat zu einer erfreulich großen Vielfalt an Materialien geführt, die zusammengenommen sehr facettenreich verschiedene Dimensionen interkulturellen Lernens thematisieren. 2) Dass keine automatische Übertragung einer dem Lernmaterial zugeschriebenen Qualität zur Ausbildung einer Kompetenz konstatiert werden kann, stellt ein grundsätzliches Problem dar. Eine Festlegung, die bestimmte Materialien als interkulturell wertvoll klassifiziert, ist problematisch. Die Suche nach dem „perfekten“ Lehr- und Lernmaterial für das interkulturelle Lernen kann daher nicht abschließend und kategorisch, sondern diskursiv und als normativ-didaktischer Näherungswert ver- 457 97. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zum Aufbau interkultureller Kompetenzen handelt werden. Die Problematik essentialistischer Zuschreibungen muss hier ebenfalls im Blick behalten werden. Lehr- und Lernmaterialien als Steinbrüche für simplifizierende Aussagen zu bestimmten kulturellen Kontexten zu funktionalisieren, ist für eine erfolgreiche Kompetenzentwicklung wenig hilfreich. Insbesondere bei audiovisuellen Medien, die vermeintlich die Realität zeigen, „wie sie wirklich ist“, besteht die Gefahr für didaktische Kurzschlüsse in spezifischen kulturellethnischen Kontexten (vgl. Lütge 2013). Wege zu interkultureller Kompetenz werden in zahlreichen Publikationen thematisiert (vgl. Caspari & Küster 2010 und Caspari 2010). 3. Forschungsstand Die aktuelle Diskussion um inter- und transkulturelles Lernen wird von der Frage der Messbarkeit interkultureller Kompetenzen geprägt. Die Operationalisierbarkeit für die empirische Überprüfung und das Testen dieser Kompetenzen werfen nach wie vor eine Reihe von Fragen auf, etwa die nach der Integration von critical incidents in Lehrwerken (vgl. Bredella 2010), die in der fachdidaktischen Diskussion zum interkulturellen Lernen häufig kritisch bewertet werden. Fragen, die die Modellierung sogenannter „weicher“ Kompetenzen des fremdsprachlichen Lernens betreffen - neben dem interkulturellen v. a. das literarische Lernen - werden im Kontext fremdsprachlicher Bildung kontrovers diskutiert (Küster et al. 2015). Zentrale Merkmale interkulturellen Lernens umfassen die Mehrdimensionalität, Subjektorientierung, Kontrastivität, Dialogizität, Reflexivität und Unabschließbarkeit dieses Prozesses (Bechtel 2013). Konzepte interkulturellen Lernens zielen auch immer darauf ab, stereotypisierte Vorstellungen nicht als negativ zu verurteilen, sondern zum Ausgangspunkt für eine Beschäftigung im Unterricht zu machen, um dem Bild vom anderen Bilder gegenüberzustellen, um homogenisierende Vorstellungen kontinuierlich zu hinterfragen und zu relativieren. Andererseits ist im Fremdsprachenunterricht auch die Homogenisierung von Kulturen immer wieder ein Thema, etwa im Kontext von Stereotypen, die Lehrende und Lernende als „Gepäck“ mit in den Unterricht bringen (ebd.: 113) oder aber auch durch die explizite Thematisierung in Lehrwerken und anderen Unterrichtsmaterialien. Die Verbindung kompetenzorientierter Zugänge zum Fremdsprachenlernen mit inter- und transkulturellen Inhalten wird in der Forschung intensiv diskutiert und für die Unterrichtspraxis perspektiviert (Burwitz-Melzer 2006; Hallet & Krämer 2012). 4. Praxisrelevanz Der Einsatz von Lehr- und Lernmaterialien und Medien mit dem Ziel eines kontinuierlichen Aufbaus interkultureller Kompetenzen macht eine Einbeziehung aller Altersstufen erforderlich. Die Verbindung von Text und Bild stellt dabei Lehrwerkautoren vor die Herausforderung, kulturelle Lebenswelten vermeintlich realistisch, repräsentativ bzw. exemplarisch darzustellen. Für Lehrkräfte besteht eine wichtige Aufgabe darin, bestehende Lehrwerke und Materialien diesbezüglich kritisch zu prüfen, selbstständig Lernmaterialien miteinander zu kombinieren und passende Aufgabenstellungen zu entwickeln, die eine Bewusstmachung interkultureller Thematiken unterstützen. Dabei ist ein problembewusster Umgang mit Materialien, die entweder einseitig konfliktbehaftete Kulturkontakte oder oberflächlich harmonisierende Konzepte politischer Korrektheit darstellen, kritisch zu betrachten. Der Einsatz von Bilderbüchern im Anfängerun- 458 Christiane Lütge terricht oder von multikultureller Kinder- und Jugendliteratur im Fremdsprachenunterricht (Bland 2013) kann eine Sensibilisierung für interkulturelle Themen schon früh und in verschiedenen Altersstufen befördern. Neben der Diskussion auf der Inhaltsebene ist dabei eine Verknüpfung mit der Unterrichtsmethodik, hier insbesondere mit Blick auf Aufgabentypologien entscheidend (Freitag-Hild 2010; Hallet & Krämer 2012). In einer Unterrichtsreihe für eine achte Klasse zeigen Engbers & Senkbeil (2011), wie interkulturelles Lernen in altersangemessene Sprachmittlungskontexte eingebettet werden kann. 5. Perspektiven In der Diskussion um inter- und transkulturelles Lernen wird in einer Abkehr binärer Modelle des „Eigenen“ und des „Fremden“ zunehmend die Komplexität und Vielschichtigkeit kultureller Kontexte auch für den schulischen Fremdsprachenunterricht fokussiert (vgl. Art. 4). Dies bleibt nicht ohne Einfluss auf die Textauswahl, aber auch die Entwicklung von unterrichtsmethodischen Ansätzen. Dabei werden zunehmend auch Themen jenseits ethnisch-nationaler „otherness“ in den Fokus gerückt; außerdem wird die Bedeutung von audiovisuellen und online-Medien sowie von multimodal konzipierten Lernmaterialien voraussichtlich zunehmen. Dies macht eine kontinuierliche und systematische Entwicklung interkultureller Kompetenzen im Sinne einer altersangemessenen Progression erforderlich, die genügend Raum gibt für die Entwicklung eines allgemeinen Bewusstseins von Differenz und Diversität sowie den Möglichkeiten und Grenzen ihrer grundsätzlichen Abbildbarkeit in Lehr- und Lernmaterialien. Literatur Bechtel, M. (2013): Förderung interkultureller Kompetenzen im Französischunterricht: Analyse einer Aufgabe aus Band 1 des Lehrwerks Découvertes - Série jaune, in: A. Grünewald / J. Plikat / K. Wieland (Hrsg.): Bildung - Kompetenz - Literalität. Fremdsprachenunterricht zwischen Standardisierung und Bildungsanspruch, Seelze, 110-122. Bland, J. (2013): Children’s literature and learner empowerment. London. Bredella, L. (2010): Interkulturelles Lernen, in: C. Surkamp (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart, 123-126. Burwitz-Melzer, E. (2006): Interkulturelles und sprachliches Lernen mit fremdsprachlichen literarischen Texten: Zwei zentrale Elemente eines neuen Lesekompetenzmodells. Fremdsprachen Lehren und Lernen 35, 104-120. Candelier, M. / Camilleri Grima, A. / Castellotti, V. / de Pietro, J.-F. / Lörincz, I. / Meißner, F.-J. / Schröder-Sura, A., Hrsg. (2009): Re- PA - Referenzrahmen für Plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen. Europäisches Fremdsprachenzentrum Graz. Caspari, D. (2010): Auf der Suche nach dem spezifischen Beitrag des Fremdsprachenunterrichts zu den interkulturellen Kompetenzen. Ausgangspunkt: Die „ EPA Französisch“ , in: D. Caspari / L. Küster (Hrsg.), 103-114. Caspari, D. / Küster, L. (Hrsg.) (2010): Wege zu interkultureller Kompetenz. Fremdsprachendidaktische Aspekte der Text- und Medienarbeit. Frankfurt a. M. Engbers, S. / Senkbeil, K. (2011): Materialien zur Schulung interkultureller Kompetenz durch Sprachmittlungsaktivitäten. Eine Unterrichtsreihe für die 8. Klasse. Forum Sprache 6/ 2011, 90-105 (online). Freitag-Hild, B. (2010). Theorie, Aufgabentypologie und Unterrichtspraxis inter- und transkultureller Literaturdidaktik: ,British Fictions of Migration‘ im Fremdsprachenunterricht. Trier. 459 98. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zum Aufbau von Textkompetenzen Hallet, W. / Krämer, U., Hrsg. (2012): Kompetenzaufgaben im Englischunterricht. Seelze. KMK (2003): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für den Mittleren Schulabschluss. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 4. 12. 2003. München. KMK (2012): Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18. 10. 2012. Köln. Küster, L. / Lütge, C. / Wieland, K., Hrsg. (2015): Literarisch-ästhetisches Lernen im Fremdsprachenunterricht. Frankfurt a. M. Lütge, C. (2013): Global (audio)visions: teaching cultural studies through film. In: D. Elsner / S. Helff / B. Viebrock (Hrsg.): Films, graphic novels & visuals. Developing multiliteracies in foreign language education - an interdisciplinary approach. Münster, 141-153. Christiane Lütge 98. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zum Aufbau von Textkompetenzen 1. Textkompetenz: Begrifflichkeit Der Begriff der Textkompetenz hat seine Wurzeln in der angloamerikanischen Literacy-Forschung. Literat sein bedeutet, mit verschiedenen Optionen der Sprache in einer Schriftkultur umgehen und über sie als ein „kulturelles Werkzeug“ verfügen zu können (Brockmeier 1998: 201). Textkompetenz wird nach Portmann- Tselikas (2002: 14) als Fähigkeit verstanden, Texte eigenständig zu lesen und die dabei gewonnenen Informationen und Erkenntnisse für das weitere Denken, Sprechen oder Schreiben zu nutzen. Textkompetenz schließt die Fähigkeit ein, Texte für andere herzustellen und damit Intentionen verständlich und adäquat mitzuteilen (ebd.). Der Umgang mit Texten soll demnach rezeptiv wie auch produktiv unter Beteiligung aller Fertigkeiten beherrscht werden. In aktuellen Arbeiten werden synonym auch die Begriffe literale Handlungskompetenz (Schmölzer-Eibinger & Dorner 2012) und literale (Text)kompetenz (Feilke & Lehnen 2012) verwendet. Die Textkompetenzforschung war von Beginn an v. a. auf das Lernen in der Zweit- und Fremdsprache bezogen, im schulischen Bereich insbesondere auf Wissensvermittlung und -aneignung im Fachunterricht (Schmölzer-Eibinger 2008). Um dem technisch-medialen Wandel moderner Gesellschaften gerecht zu werden, wurde in den letzten Jahren für eine multimodale Perspektive (Kress 2000) plädiert, die in den Begriffen multimedia literacy bzw. multimodale Textkompetenz (Weidacher 2007) ihren Ausdruck fand. Damit gemeint ist das Vermögen, Texte nicht nur als verbale Zeichensysteme, sondern auch als Text-Bild- Kombinationen zu verstehen bzw. selbst als solche zu konstruieren (ebd.: 50 f.). Für den Unterricht und die Gestaltung von Lehrmaterialien bedeutet dies eine Nutzung multimodaler Handlungsoptionen moderner Schriftkommunikation durch Einbeziehung von Medien. So geht etwa der didaktische Einsatz von „Hypertexten“ über die reine Werkzeug-Funktion hinaus und generiert qualitativ neue Aspekte: Hypertexte sind geeignet, die formal und inhaltlich vernetzte Struktur von Texten sichtbar zu machen und das alternierende Lesen, Schreiben und Kommunizieren im Blended Learning und E-Learning zu realisieren . Roche (2008: 14) umreißt den funktionalen Mehrwert mediendidaktischer Ansätze im Fremdsprachenunterricht. Für den Erwerb von Textkompetenz nennt er u. a. folgende Faktoren: 460 Sabine Schmölzer-Eibinger / Elisabeth Langer • die Distanzüberbrückung, weil kooperatives Arbeiten an Texten in gemischtsprachigen Lerngruppen disloziert ermöglicht wird; • die Diversifizierung und Individualisierung des Lernens, weil Scaffolding (Thürmann 2013) mithilfe von Medien genauer an die Bedürfnisse der Lernenden angepasst werden kann; • den Wissenstransfer, weil der problemlose Zugang zu authentischen Experten-Texten eine breitere und tiefere Auseinandersetzung mit vielfältigen Themen ermöglicht; • den Zuwachs an Handlungskompetenz durch den Umgang mit elektronisch generierten Textsorten (z. B. Blogs und Wikis); • die Einsicht in Textverarbeitungsprozesse, da Texte laufend be- oder überarbeitet, mit anderen verknüpft bzw. durch non-verbale Darstellungsformen ergänzt und erweitert werden können. In die gängigen Fremdsprachenlehrwerke hat das Konzept der Textkompetenz bislang kaum Eingang gefunden. Diese fokussieren auf alltagsbezogenes Sprachhandeln und ein isoliertes Fertigkeitstraining und sind an standardisierten Kompetenzprofilen und festgelegten Lernzielkatalogen orientiert. Der Verflechtung verschiedener sprachlicher Fähigkeiten in unterschiedlichen Kontexten wird damit ebenso wenig Rechnung getragen wie den ungesteuert erworbenen Sprachkompetenzen von Zweitsprachenlernenden als Lernressource. Einen höheren Stellenwert hat die Förderung von Textkompetenz im Zweitsprachenbereich selbst und hier insbesondere im schulischen Sachfachunterricht. Die Förderung fachlicher „Diskurskompetenz“ ist auch ein Anliegen des bilingualen Sachfachunterrichts (Zydatiß 2010). Der rezeptive und produktive Umgang mit Fach- und Sachtexten ist zentraler Bestandteil dieses Ansatzes. Im Folgenden werden einige didaktische Konzepte vorgestellt, die dem skizzierten Textkompetenzbzw. Literacy-Begriff entsprechen. Die gemeinsamen Prinzipien dieser Modelle sind situiertes, authentisches Sprachhandeln, die Berücksichtigung soziokulturell etablierter, konventionalisierter Sprachgebrauchsschemata, die Vernetzung verschiedener Fertigkeiten im Umgang mit Texten und die Betonung der Rolle des Schreibens als Lerninstrument. 2. Förderung von Textkompetenz im Unterricht Alle hier vorgestellten Konzepte zielen auf einen gestuften, didaktisch kleinschrittigen Aufbau von Textkompetenz bzw. Literalität ab. Rezeptive und produktive Aktivitäten werden dabei systematisch aufeinander bezogen. Textkompetenz soll im Sinne der genannten Definitionen sowohl mündlich als auch schriftlich gefördert werden. a) Der erste didaktische Ansatz dieser Art ist der sog. literacy-based approach (Kern 2000). Dieser wurde für Austauschstudierende an amerikanischen Universitäten entwickelt, ist jedoch auch andernorts einsetzbar. Ziel ist es, Fremdsprachenstudierende zu einem im jeweiligen soziokulturellen Umfeld adäquaten, kritisch-reflektierenden Umgang mit Texten zu befähigen. Die didaktischen Prinzipien dieses Konzepts sind situiertes Lernen, aktives Problemlösen und Sprachreflexion. Die Interpretation und Analyse literarischer Texte spielt schon in frühen Phasen des Fremdsprachenerwerbs eine wichtige Rolle. In späteren Arbeiten zeigt Kern (2006) auf, wie die in diesem Ansatz vernetzten Denk- und Arbeitsweisen durch den Einsatz moderner Technologie intensiviert werden können. 461 98. Lehr-/ Lernmaterialien und Medien zum Aufbau von Textkompetenzen b) Die sog. literale Didaktik (Schmölzer-Eibinger 2008) zielt auf die Förderung von Textkompetenz in der Schule ab und fokussiert auf das Lernen in der Zweitsprache im Fachunterricht. Im Rahmen des 3-Phasen-Modells zur Förderung von Textkompetenz sollen v. a. Zweitsprachenlernende dabei unterstützt werden, die in der Schule geforderten schriftsprachlichen Fähigkeiten zu erwerben. Das Modell ist aber auch zur Förderung der Textkompetenz von Erst- und Fremdsprachenlernenden geeignet. Es ist in verschiedenen Schulstufen und Fächern und anhand unterschiedlicher Themen und Texte anwendbar. In den Aufgabenstellungen stehen kooperatives Schreiben, authentisches Sprachhandeln und ein reflexiver Umgang mit Texten im Vordergrund. Insbesondere die dritte Phase der Texttransformation eignet sich auch zur individuellen und kooperativen Arbeit mit und an Hypertexten. Auf diese Weise wird auch der kritischreflektierende Umgang mit Texten aus dem Internet (vgl. z. B. Langer 2012) im Sinne einer critical multimedia literacy gefördert (Lemke 2006: 3). Umgesetzt wurde dieses Konzept bisher v. a. im Fachunterricht mehrsprachiger Klassen im deutschsprachigen Raum und im deutschsprachigen Fachunterricht deutscher Auslandsschulen. Didaktisierungen des Modells sind für den Geschichtsunterricht und verschiedene naturwissenschaftliche Fächer verfügbar (Schmölzer-Eibinger 2008; Langer 2010; Schmölzer-Eibinger & Langer 2010; Helten-Pacher 2012; Schmölzer-Eibinger et al. 2013). c) Das Modell zur Förderung literaler Handlungskompetenz (Schmölzer-Eibinger & Dorner 2012) fokussiert auf sprachlichkognitive Handlungen wie das Beschreiben, Erklären oder Argumentieren. Diese sind v. a. im Fachunterricht für die Vermittlung und den Erwerb von Wissen von besonderer Bedeutung. Im Mittelpunkt des Konzepts steht die Auseinandersetzung mit sog. „literalen Prozeduren“ (Feilke & Lehnen 2012) und das Verstehen bzw. der adäquate Gebrauch typischer Handlungsschemata und sprachlicher Ausdrucksmuster. Kooperatives Schreiben, Sprachaufmerksamkeit und Sprachreflexion sind wesentliche Prinzipien des Modells. Die Umsetzung in Materialien ist bislang für den Sprachunterricht, den Geschichts-, Geographie-, Psychologie- und Naturwissenschaftsunterricht erfolgt (Schmölzer- Eibinger & Dorner 2012; Schmölzer-Eibinger et al. 2013) Die hier kurz skizzierten Modelle und Materialien mögen verdeutlichen, warum und auf welche Weise der Förderung von Textkompetenz im dargestellten Sinne an Schule und Hochschule erhöhte Beachtung geschenkt werden sollte. Die Entwicklung weiterer mediengestützter Materialien ist ein Desiderat für Forschung und Praxis. Literatur Brockmeier, J. (1998): Literales Bewußtsein. Schriftlichkeit und das Verhältnis von Sprache und Kultur. München. Feilke, H. / Lehnen, K. (2012): Schreib- und Textroutinen. Frankfurt a. M. Helten-Pacher, M.-R. (2012): Die Kelten. Lebensweise eines europäischen Volkes. www.lesenund verstehen.at/ pluginfile.php/ 741/ mod _re source/ content/ 1/ ifsl _geschichte_kelten_9_ 10.pdf Kern, R. (2000): Literacy and language teaching. Oxford. Kern, R. (2006): Perspectives of technology in learning and teaching languages. TESOL Quarterly 40/ 1, 183-201. Kress, G. (2000): Multimodality, in: B. Cope / M. Kalantzis (Hrsg.): Multiliteracies: Literacy 462 Sabine Schmölzer-Eibinger / Elisabeth Langer learning and the design of social futures. London, 182-202. Langer, E. (2010): Spracherwerb im Naturwissenschaftsunterricht in Klassen mit Migrationshintergrund, in: G. Fenkart / A. Lembens / E. Erlacher-Zeitlinger (Hrsg.): Sprache, Mathematik und Naturwissenschaften. Innsbruck, 89-108. Langer, E. (2012): Gesunde Ernährung und Energy Drinks.. www.oesz.at/ sprachsensiblerun terricht/ materialienliste 02.php? kat=%25 Lemke, J. (2006): Toward critical multimedia literacy: Technology research and politics, in: M. C. McKenna / L. D. Labbo / D. K. Ronald / D. Reinking (Hrsg.): International handbook of literacy and technology, Vol. II . New Jersey, 3-14. Portmann-Tselikas, P. R. (2002): Textkompetenz und unterrichtlicher Spracherwerb, in: P. R. Portmann-Tselikas & S. Schmölzer- Eibinger (Hrsg.): Textkompetenz. Neue Perspektiven für das Lernen und Lehren, Innsbruck. Roche, J. (2008): Handbuch Mediendidaktik - Fremdsprachen. Ismaning. Schmölzer-Eibinger, S. (2008): Lernen in der Zweitsprache. Grundlagen und Verfahren der Förderung von Textkompetenz in mehrsprachigen Klassen. Tübingen. Schmölzer-Eibinger, S. / Dorner, M. (2012): Bilder beschreiben. Ein Beitrag zur Förderung literaler Handlungskompetenz. Praxis Deutsch 233, Seelze, 48-53. Schmölzer-Eibinger, S. / Dorner, M. / Langer, E. / Helten-Pacher, M.-R. (2013): Sprachförderung im Fachunterricht in sprachlich heterogenen Klassen. Stuttgart. Schmölzer-Eibinger, S. / Langer, E. (2010): Sprachförderung im naturwissenschaftlichen Unterricht in mehrsprachigen Klassen. Ein didaktisches Modell für das Fach Chemie, in: B. Ahrenholz (Hrsg.): Fachunterricht und Deutsch als Zweitsprache. 2. Aufl. Tübingen, 202-217. Thürmann, E., Hrsg. (2013): Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 126. Weidacher, G. (2007): Multimodale Textkompetenz, in: S. Schmölzer-Eibinger, / G. Weidacher (Hrsg.): Textkompetenz. Eine Schlüsselkompetenz und ihre Vermittlung. Tübingen, 39-56. Zydatiß, W. (2010): Die Überprüfung fächerübergreifender transferfähiger Diskurskompetenzen im bilingualen Sachfachunterricht, in: S. Doff (Hrsg.): Bilingualer Sachfachunterricht in der Sekundarstufe. Tübingen, 258-271. Sabine Schmölzer-Eibinger Elisabeth Langer 99. Digitale Medien und soziale Netzwerke im Kontext des Lernens und Lehrens von Sprachen 1. Begriffliches Digitale Medien ist der Oberbegriff für alle elektronischen Medien, die auf der Basis digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien arbeiten. Hierzu sind der Computer, das Internet, der E-Book-Reader, DVDs, die Lernsoftware etc. zu zählen. Die Weiterentwicklung dieser Technologien führte in den vergangenen Jahren dazu, dass digitale Medien im Fremdsprachenunterricht neben anderen Medien mittlerweile regelmäßig eingesetzt werden. Grundsätzlich lassen sich digitale Medien zum Sprachenlernen in Offline-Medien (z. B. Lernsoftware auf DVD) und Online-Medien (z. B. Online-Sprachlernkurs) klassifizieren. Dabei ist ein Trend weg von Offline-Medien hin zu Online-Angeboten mit Anbindung an eine serverbasierte Speichermöglichkeit (cloudcomputing ) zu beobachten. 463 99. Digitale Medien und soziale Netzwerke im Kontext des Lernens und Lehrens von Sprachen Seit ca. 2000 wurden zunächst E-Mail- Projekte in den Fremdsprachenunterricht integriert. E-Mail wird als ein asynchrones Kommunikationsmittel bezeichnet, da die Kommunikation zeitversetzt stattfindet. Ein Chat ist dagegen ist ein synchrones Kommunikationsmittel. Mittlerweile kommunizieren Schülerinnen und Schüler kaum noch via E-Mail, die Weiterentwicklung des Internets zum Web 2.0 eröffnet neue Kommunikationswege, soziale Netzwerke oder Apps wie Facebook, Twitter, Instagram und WhatsApp werden von den Lernenden sowohl auf dem Computer als auch auf Tablets oder Smartphones selbstverständlich genutzt. Der Begriff „soziales Netzwerk“ bezeichnet in diesem Zusammenhang eine online community, in der Nutzerinnen und Nutzer, die im Internet über bestimmte Plattformen miteinander vernetzt sind, interagieren. Im Bereich des computergestützten Fremdsprachenlernens zählen neben dem Internet multimediale Lernprogramme auf DVD zu unterschiedlichen Fremdsprachen und Lernniveaus zu den am häufigsten genutzten Angeboten. Multimedial beschreibt in diesem Zusammenhang die digitale Zusammenführung verschiedener Medien unter einer Oberfläche (z. B. Text, Bilder, Film, Ton). Schmidt (2010: 280) nennt als wesentliche Merkmale für Multimedia die Multikodierung, Multimodalität, Interaktivität und Adaptivität. Kriterien für gute Sprachlernsoftware sind deren Interaktivität und Bedienbarkeit, die Qualität der angebotenen Rückmeldungen, die Vielfalt der Inhalte und abwechslungsreiche Übungsformate (vgl. Grünewald 2006: 98; Schmidt 2010: 282). E-Learning ist ein weit verbreiteter, jedoch nicht klar eingegrenzter Begriff: Rösler (2007: 8) präzisiert, dass im Kontext des Fremdsprachenlernens nur von E-Learning die Rede sein kann, wenn tatsächlich die kommunikations- und informationstechnologischen Medien in den Lernprozess eingebunden werden und auf diese Weise sowohl Phasen des onlineals auch des offline-Lernens, synchrone und asynchrone Kommunikation sowie die Beschaffung von Lernmaterialien und Informationen verstanden wird. E-Learning Szenarien reichen für fremdsprachliche Lernprozesse von einem Sprachkurs an einer Schule oder Universität, bei dem online-Komponenten oder Lernsoftware eine über das Lehrwerk begleitende Funktion hinausgehende Rolle spielen, über Formen des Blended Learnings bis hin zu ausschließlich virtuellen Kursen. Blended Learning meint ein Lernarrangement, in dem Präsenzlernen und virtuelles Lernangebot miteinander kombiniert werden. Mobiles Lernen (mobile learning ) stellt eine Weiterentwicklung von E- Learning dar, welche die örtliche Ungebundenheit des Lernens als zentrales Merkmal aufweist. Dabei kommen mobile Endgeräte wie Smartphones, Netbooks, Tablets und MP3/ 4-Player zum Einsatz. 2. Entwicklungslinien Die Abgrenzung des Begriffs E-Learning von dem Akronym CALL (Computer-Assisted Language Learning ) ist schwierig, weil beide einen ähnlichen Bereich beschreiben, aber zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind. Die Entwicklung des computergestützten Sprachenlernens, das im anglo-amerikanischen Raum als CALL bezeichnet wird, ist eng verknüpft mit der hohen Geschwindigkeit des technischen Fortschritts im Bereich der Hard- und Software. Noch in den 1960er Jahren gab es nur einzelne Großrechner zur militärischen Nutzung, später dann auch für Universitäten. Ende der 1970er Jahre wurden erste Desktop-Computer marktfähig und damit begann der Siegeszug des Computers. Die Entwicklung insbesondere in den vergangenen 20 Jahren kann als rasant bezeichnet werden. In den 1980er Jahren gab es unter- 464 Andreas Grünewald schiedliche militärische und wissenschaftliche Netzwerke, die nicht miteinander verbunden waren (z. B. Arpanet, Bitnet, Usenet etc.). Erst zu Beginn der 1990er Jahren kam es zum Zusammenschluss regionaler und nationaler Netzwerke. Deutschland schloss sich 1991 dem „Internet“ an. Bedenkt man, dass es nach Angaben einer Studie von ARD und ZDF (2013: 359) Ende der 1990er Jahre eine nur sehr geringe Anzahl von Internetnutzern in Deutschland gab, die Zahl 20 Jahre später aber bei knapp 80 % der Gesamtbevölkerung und für die Jugendlichen bei 98 % liegt (vgl. DIVISI 2014: 11), veranschaulicht das die rasante Entwicklung auch auf Nutzerseite. 3. Forschungsstand In der fremdsprachendidaktischen Forschung liegen meist explorative Studien zum Einsatz digitaler Medien vor. Diese sind in aller Regel nicht repräsentativ und lassen kaum verallgemeinerbare Aussagen zu. Die unter experimentellen Bedingungen durchgeführten Designs lassen sich häufig nicht direkt auf schulische Lehr- und Lernsituation übertragen. Auch für den Einsatz von digitalen Medien im Fremdsprachenunterricht gilt, dass der bloße Einsatz digitaler Medien nicht zu einer gesteigerten Motivation oder zu einem effektiven Lernen führt. Entscheidend dafür ist die Auswahl des Lerngegenstands und dessen didaktisch-methodische Aufbereitung. Herzig (2014) berichtet zwar im Zusammenhang mit Notebook- oder Tablet-Projekten für den überfachlichen Bereich von motivationalen Effekten (Schaumburg et al. 2007), stärkerer Kooperation (Koile & Singer 2008), höherer Medienkompetenz (Reinmann & Häuptle 2006) und stärkerer Selbststeuerung. Die motivationalen Effekte sind aber zeitlich begrenzt und damit auf den Umgang mit dem technischen Gerät bezogen. Es handelt sich dann häufig um einen Effekt, der bei der Auseinandersetzung mit einem neuen Medium auftritt und daher nicht auf den Lerngegenstand übertragen werden kann. Für den Fremdsprachenunterricht an Schulen ist belegt, dass durch die Verwendung von Multimedia nicht automatisch die Motivation der Lernenden gesteigert wird, durch den Medieneinsatz in Kombination mit geeigneten didaktischen Modellen und bei vorhandenen positiven Einstellungen allerdings das Interesse verstärkt, Neugier geweckt oder emotionale Beteiligung der Lernenden hervorgerufen werden kann (Grünewald 2006: 298 ff.). Entscheidend für die Lernmotivation ist die Frage, ob die Lernenden im Lerngegenstand für sich selbst ein Lernmotiv erkennen. Der Computer kann lediglich ein Motivationsanlass sein, sich auf die Lernsituation einzulassen (vgl. ebd.: 307). Schmidt (2010: 284) führt aus, dass die mit multimedialen Lerninhalten häufig assoziierte Erhöhung des Lernerfolgs und Verbesserung der Unterrichtskultur keinesfalls allein von den technischen Gegebenheiten abhängt. Weitaus bedeutender sei hierfür eine innovative, medienadäquate Didaktik mit qualitativ hochwertigen Aufgaben- und Übungsformaten, Lern- und Projektarrangements und nicht zuletzt motivierenden Inhalten (vgl. auch Grünewald 2006: 307). Hattie konstatiert in seiner Metastudie eine eher durchschnittliche Wirksamkeit im Sinne der Effektstärke für den Computereinsatz. Die Stärke der Effekte schätzt Hattie so ein, dass sie in etwa dem entsprechen, was eine Lehrperson im Laufe eines Jahres an Lernerfolg auch ohne digitale Medien - also mit anderen Medien - erzielen könnte (Hattie 2009: 20). 465 99. Digitale Medien und soziale Netzwerke im Kontext des Lernens und Lehrens von Sprachen 4. Unterrichtlicher Einsatz und Perspektiven Für den Fremdsprachenunterricht erweisen sich die folgenden drei Funktionen des Internets als besonders sinnvoll: Information, Kommunikation, Präsentation. Das Internet bietet Unterrichtenden schnellen und ortsunabhängigen Zugang zu authentischen fremdsprachlichen Webseiten, zu Podcasts, Videopods, zielsprachlichen Radiosendern, Kurzfilmen, zielsprachlichen Tageszeitungen etc., erleichtert damit die Unterrichtsvorbereitung enorm und leistet einen Beitrag zu einem lernerorientierten und kommunikativen Fremdsprachenunterricht. Rechercheaufgaben und Web-Quests (erkundungsorientierte Web-Aktivität) sind feste Bestandteile des Fremdsprachenunterrichts. In Bezug auf die Kommunikationsfunktion ist auf den Mehrwert des Einsatzes von Newsgroups und Foren, Chats, Wikis und sozialen Netzwerken hinzuweisen. Die verwendete Sprache weicht mitunter sehr von dem ab, was als Standard im Fremdsprachenunterricht verwendet wird. Gleichwohl kann die Aufgabe, sich im Fremdsprachenunterricht mit dem soziolinguistischen Phänomen der netzspezifischen Kommunikation auseinanderzusetzen, durchaus reizvoll sein. E-Mail- Projekte verlieren an Bedeutung, weil die Lernenden zunehmend weniger via E-Mail kommunizieren. Mit der Präsentationsfunktion des Internets wird auf die aktive Gestaltung von eigenen Webauftritten im fremdsprachlichen Kontext, auf Weblogs bzw. Blogs oder das Erstellen von fremdsprachlichen Podcasts und Wikis verwiesen. Beim Einsatz von Lernsoftware im Fremdsprachenunterricht ist zwischen lehrwerksbegleitenden Programmen, die als Übungsmedium die im Unterricht erarbeiteten Inhalte vertiefen sollen, und lehrwerksunabhängigen Programmen, die als Selbstlernkurse insbesondere im Bereich der Erwachsenenbildung ihren Einsatz finden, zu unterscheiden. Gemeinsam ist beiden, dass sie vorrangig für das individuelle Lernen konzipiert sind und in der Regel keinen Eingang in Unterrichtskontexte finden (vgl. Grünewald 2006: 94 ff.). Auch wenn das Angebot mittlerweile groß ist, befindet sich manche Lernsoftware didaktisch und methodisch keinesfalls auf dem neuesten Stand. Gute multimediale Lernsoftware bietet im Vergleich zu anderen Medien eine Vielfalt zusätzlicher Möglichkeiten: So können Bilder, Texte, Grafiken und Filme eingebunden, individuelle Lernwege zugelassen und auf den einzelnen Lerner abgestimmtes Feedback angeboten werden (vgl. Grünewald ebd.; Schmidt 2010: 281). Der Einsatz interaktiver Whiteboards (IWB) kann auch für den Fremdsprachenunterricht einen Mehrwert darstellen: Lehrwerke werden mittlerweile meist mit „Digitalem Unterrichtsassistenten“ geliefert, einer Software, die neben den interaktiv aufbereiteten Inhalten des Schülerbuches durch Vernetzung mit online verfügbaren Materialien zusätzliche multimediale Inhalte zur Verfügung stellt. Auch im schulischen Fremdsprachenunterricht ist eine Entwicklung zum cloudcomputing zu beobachten (vgl. auch Art. 92). Literatur ARD / ZDF (2013): Onlinestudie 2013. http: / / ti nyurl.com/ nrccydx DIVISI (2014): Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in der digitalen Welt. http: / / tinyurl. com/ nmtujs5 Grünewald, A. (2006): Multimedia im Fremdsprachenunterricht. Frankfurt a. M. Hattie, J. (2009): Visible Learning. A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. London, New York. Herzig, B. (2014): Wie wirksam sind digitale Medien im Unterricht? https: / / www.bertelsmann- 466 Jörg Roche stiftung.de/ de/ themen/ aktuelle-meldungen/ 2014/ november/ wie-wirksam-sind-digitalemedien-im-unterricht/ Koile, K. / Singer, D. (2008): Assessing the impact of a tablet- PC -based classroom interaction system. http: / / tinyurl.com/ kabj56f Reinmann, G. / Häuptle, E. (2006): Notebooks in der Hauptschule. Eine Einzelfallstudie zur Wirkung des Notebook-Einsatzes auf Unterricht, Lernen und Schule. Augsburg. Rösler, D. (2007): E-Learning Fremdsprachen. Eine kritische Einführung. Tübingen. Schaumburg, H. / Prasse, D. / Tschackert, K. / Blömeke, S. (2007): Lernen in Notebook-Klassen. Endbericht zur Evaluation des Projekts „1000mal1000: Notebooks im Schulranzen“ . http: / / tinyurl.com/ qg76db7 Schmidt, T. (2010): Multimediale Lernumgebungen für das Fremdsprachenlernen, in: W. Hallet / F. G. Königs (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik, Seelze-Velber, 280- 284. Andreas Grünewald 100. Kriterien für die Auswahl von Lernmaterialien und Medien 1. Materialauswahl und Lehrmethode Die Auswahl des Lernmaterials und anderer Medien ist in der Unterrichtspraxis meist abhängig von organisatorischen Aspekten wie der verfügbaren Zeit im Unterricht, der benötigten Vorbereitungszeit, den unmittelbaren Zielen des Unterrichts, der (Un-)Zufriedenheit mit dem Lehrbuch, dem Zugang zu Quellen und der Verfügbarkeit von Medien. Oft wird die Auswahlentscheidung daher am einfachsten an vorhandene, von Verlagen produzierte Lehrbücher und andere Materialien delegiert, aber nicht immer mit dem erwarteten Resultat und nicht immer zur Zufriedenheit aller. Der Unterricht folgt dann nämlich der thematischen und grammatischen Progression dieser Materialien und scheint nicht genügend Raum für adressatenspezifische Interessen und Variation zu lassen. Durch die Normierung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (GeR) und daraus abgeleiteter Standards für Unterrichtsmaterial hat sich diese Tendenz verstärkt. Es wird allgemein angenommen, dass diese Standards theoretisch so abgesichert sind, dass sich daraus optimales Lehr- und Testmaterial - und entsprechende Entwicklungskompetenzen der Lehrkräfte - ableiten lassen. Auch wenn die Annahme der theoretischen Fundierung so nicht zutrifft, weil die Niveaustufen auf einer subjektiven, bestenfalls plausiblen Einschätzung eines mehr oder weniger alltagskommunikativen Bedarfs basieren, werden mit dem GeR verbreitet Lehrplananforderungen entweder ersetzt, ergänzt oder genauestens abgestimmt. Da der Zugang zu Quellen und Medien außerhalb des Gebietes der Zielsprache beschränkt ist, werden vorhandene Lehrmaterialien oft nur durch sporadische „authentische“ Materialien von Lehrkräften ergänzt. Der Hauptfokus liegt, wie bei den medialen Zusatzangeboten der Verlage, auf Übungsmaterial, v. a. auf Material zum Einüben von Strukturen und Redemitteln. Auch „authentische“ Lehrmaterialien werden gerne für die Einübung struktureller Eigenschaften der fremden Sprache verwendet. Solches Übungsmaterial lässt sich vermeintlich schnell selbst produzieren, zumal wenn genaue Listen für die Grammatik und geeignete Redemittel vorliegen, wie das z. B. für Deutsch als Fremdsprache mit „Profile deutsch“ der Fall ist. Daher verfügen die meisten Lehrkräfte (und manchmal auch Lehrteams) über entsprechende Archive mit Übungs- und Testmaterial. Die Erstellung von lerngeeignetem Material ist in Wirklich- 467 100. Kriterien für die Auswahl von Lernmaterialien und Medien keit aber komplexer als die Produktion von Lückentexten oder die Suche nach authentischen Textbelegen. Erstens bedarf es eines funktionalen Verständnisses von Sprache (im Gegensatz zu einem rein form-orientierten), zweitens bedarf es eines aufgeklärten Verständnisses von Fehlern und Fehlerkulturen (im Sinne der Entwicklungsmodelle der Erwerbsforschung) und drittens bedarf es realistischer, relevanter und auf die betreffenden Produktions- und Verstehensphasen abgestimmter Aufgabenstellungen (im Gegensatz zu strukturellen, primär formorientierten). Für die Materialerstellung sind zwei - in der Praxis mehr oder minder scharf konturierte und deswegen auch entsprechend unterschiedliche - Paradigmen maßgebend: das Instruktionsparadigma mit starker äußerer Steuerung des Lehr-/ Lernprozesses und das Handlungsparadigma mit Aufgaben-, Kompetenz- und Autonomieorientierung. 2. Didaktisierung und Phasierung im Instruktionsdesign Das Instruktionsdesign basiert auf einer den Unterricht steuernden Vorauswahl, Vorsortierung und Vorstrukturierung des Lehrmaterials durch Autorinnen, Lehrkräfte, Lehrpläne und Lehrwerke und einer klaren Phasierung seiner Präsentation und Bearbeitung im Unterricht („Didaktisierung“ ). Als wichtigstes Leitprinzip gilt das Prinzip der steigenden Komplexität, das sich meist in einer festgelegten grammatischen Progression und in einem bestimmten, oft intuitiven Verständnis von sprachlicher Einfachheit ausdrückt. Meist wird es zusammen mit dem Prinzip des Rezeption-Produktion-Kontinuums realisiert, nach dem die Schulung der Verstehensfertigkeiten der Produktion vorangeht. Sinnvoll wäre es dabei, das Material stärker in Bezug auf die kontextuelle Schwierigkeit zu bewerten, als nach den abstrakten Normen einer schwer definierbaren Standardsprache auszurichten, und für den Übergang von Rezeption zu Produktion mehr Interaktivität und Zeit zu erlauben. Eine Ausrichtung des Unterrichts und Materials auf Kompetenzen (Kompetenzprinzip) statt Fertigkeiten soll eine Output-Orientierung markieren (vgl. Art. 1 und 18), die in der Praxis jedoch oft nicht realisiert wird. Ein weiteres Desiderat stellt die Aufbereitung des Materials nach psycho- und kognitionslinguistischen Prinzipien dar: Die erwerbslinguistisch festgestellten konzeptuellen Sequenzen des Spracherwerbs (Klein & Perdue 1997), die natürlichen Prozesse der induktiven Regelfindung der Lernenden (chunking - dechunking, Handwerker & Madlener 2009) sowie die psycholinguistische Produktionskette von der Aktivierung der Vorwissensspeicher und der Konzeptualisierung über die Aktivierung des mentalen Lexikons, die grammatische Formulierung bis zur Artikulation - und in umgekehrter Reihenfolge beim Sprachverstehen (Roche 2013; de Bot 2004) - liefern eine Menge fundierter Hinweise auf Materialaufbereitungsverfahren, die einen besser verdaulichen, systematischen und regelgeleiteten Spracherwerb ermöglichen. Das heißt, um die negativen Effekte reiner Drillverfahren zu vermeiden, ist es sinnvoll, mit dem Lehrmaterial jeweils die gesamte Kette von den Inhalten über den Wortschatz bis zur Grammatik und dann erst zur grammatischen und phonetischen Automatisierung zu durchlaufen und den Lernenden durch das Material und entsprechende Aufgaben systematische Hilfen beim Entdecken der grammatischen Regeln zu geben. Die genannten Prinzipien lassen sich in den einzelnen Phasen und in der Makrostruktur des Unterrichts sowie dem dafür nötigen Material folgendermaßen darstellen (Roche 2013: 264 f.): 468 Jörg Roche • Aktivierung / Vorentlastung / Einführung. Wichtigste Funktion: die Aktivierung des Vorwissens und teilweise vorhandenen Wortschatzes in einem bestimmten Themenbereich und die Vermittlung nötiger Redemittel, vorwiegend durch rezeptive Texte und Aufgaben. Material: einfache Texte, Assoziogramme, bildgestütztes Material/ Foto-Hörgeschichte, Zuordnungsaufgaben. • Thematische Differenzierung. Wichtigste Funktion: Hinführung und Darstellung des Themas und Sprachmaterials mittels relevanter, inhaltlich variierender und ggf. kontrastierender Ausrichtung. Material: Texte (Dialoge, Lesetexte) auf Zielniveau, Redemittel, mediale und sprachliche Varianten. • Strukturelle Differenzierung. Wichtigste Funktion: Vermittlung, Erklärung, Einübung der sprachlichen und landeskundlichen Besonderheiten. Material: vorwiegend Übungsmaterial unterschiedlicher Typen, Tabellen, Erklärungen. • Erweiterung/ Expansion: Wichtigste Funktion: Anwendung, Festigung, Transfer, Vertiefung des Themas und seiner sprachlichen Realisierung, Behandlung von sprachlichen Varianten und thematischen, auch kontrastierenden Perspektiven. Material: Texte mit vielen Leerstellen oder vertiefendem Sprachmaterial, Transfer- oder Zusatzübungen (z. B. literarische, satirische Texte). • Integration/ Reflexion. Wichtigste Funktion: Entwicklung kontrastiver und reflektierender Perspektiven zur Erweiterung des sprachlichen und (inter-)kulturellen Horizontes (Aufbau einer „kritischen Kompetenz“ ). Material: der Stufe angemessene, aber möglichst originelle und herausfordernde Texte und Abbildungen (z. B. Graffiti, Werbetexte, Liedtexte etc.). Es wird hier deutlich, dass sich ein solches „didaktisiertes“ Verfahren auch für die Vermittlung landeskundlicher Lehrziele eignet. Im weiteren Sinne lassen sich damit auch transdifferente Perspektiven vermitteln, wie es die transkulturelle Landeskunde anstrebt (Breinig & Lösch 2006). Hierfür eignen sich „klassisches“ Landeskundematerial genauso wie Texte zu Themen der Inter-Kultur (zum Beispiel literarische Texte von interkulturellen Grenzgängern fremder Ausgangssprachen, die in der Zielsprache schreiben, im Deutschen als „Chamisso-Literatur“ bekannt; Oliver 2013) sowie Texte zu interkulturell sensiblen Erinnerungsorten (Roche & Röhling 2014). Das Schema lässt sich an die Unterrichtsbedingungen und Interessen der Zielgruppe anpassen. In den meisten Lehrwerken ist es meist in verkürzter Form und mit einer stärkeren Gewichtung von Übungsphasen umgesetzt. 3. Von tutoriellen Materialien zur Aufgaben- und Handlungsorientierung Primär auf Handlung ausgerichtete Unterrichtsverfahren stellen anders als die instruktionistischen die eigenen Aktivitäten und die eigene Verantwortung der Lernenden in den Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens, indem sie für Schülerinnen und Schüler relevantes Handeln und Probehandeln in authentischen Situationen mit realen Zielsetzungen verfolgen, nicht ohne Struktur und Vorbereitung, aber mit weniger (Über-)Steuerung. Handlungsorientierte Verfahren sind in vielen Bildungsbereichen die Grundlage einer praxisnahen Ausbildung, z. B. im sprachsensiblen und fächerübergreifenden Unterricht der Berufsschulen (Riedl & Schelten 2013), im Fallstudien-basierten Lernen (etwa in der medizinischen, juristischen oder ingenieurtechnischen Ausbildung), allgemein in Lernszenarien und Projekten. 469 100. Kriterien für die Auswahl von Lernmaterialien und Medien Die Auswahl und Bewertung möglichst authentischen aufgaben- und handlungsbasierten Materials (vgl. Art. 101) lässt sich in der Praxis gut auf die folgende Formel bringen: Wer kommuniziert in welcher Situation mit wem über welches Thema? Wenn sich in einem Szenario Sprecher (wer? ), Adressat (mit wem? ), Gegenstand (Thema) authentisch füllen lassen und sich aus der Situation eine authentische Textsorte ergibt, dann sind die Grundlagen für relevantes Lehrmaterial im Sinne aufgaben- und handlungsorientierter Lernmodelle gegeben. Damit kommt als Lehrmaterial jede Art von authentischem Sprachmaterial in Frage: eine Werbeinformation, ein Zeitungsartikel oder eine Nachrichtensendung genauso wie eine SMS, eine Sitcom, ein Raptext oder ein Spiel oder Theaterstück. Im Mittelpunkt bei der Auswahl von Material im handlungsorientierten Paradigma steht die kommunikative Absicht, nicht allein die Form. Die für das Verstehen oder aktive Bearbeiten der Formaspekte des Materials nötigen Fertigkeiten und Kompetenzen eignen sich die Lernenden im Kontext der Aufgabe an. Dabei sollen sie auch Materialien von außerhalb des Unterrichts und - zunehmend - digitale Ressourcen möglichst eigenständig nutzen. In einer Kriterien- Checkliste für die Auswahl geeigneten Lernmaterials sind daher folgende Aspekte zu berücksichtigen: • Relevanz des behandelten Themas für die Adressaten; • Authentizität der Situation und des Kommunikationszwecks; • Auswahl relevanter, adressatenspezifischer Textsorten; • Berücksichtigung des Sprachniveaus, vorbereitende und zu vermittelnde/ vertiefende formale Aspekte der Sprache; • Entwicklung angemessener Szenarien, passender Aufgaben und möglicher kommunikativer Rollen der Lernenden nach den o. g. handlungsdidaktischen und psycholinguistischen Prinzipien (konzeptuelle Progression, Kompetenzorientierung, vom De-chunking zur Regelanwendung); • Erschließung verfügbarer Ressourcen und Vermittlung der nötigen Strategien und Techniken; • Auswahl angemessener Leistungsmessungsverfahren. 4. Mehrwerte durch elektronische Medien Gestützt werden kann die Nutzung authentischen Lernmaterials durch Ressourcen und - im Bereich computerbasierten Lernens durch - instrumentell-explorativ-referentielle Programme, bei denen der authentische, kommunikative Werkzeugcharakter im Mittelpunkt steht. Zu diesen Lern- und Ar beitswerkzeugen gehören demnach Recht schreibprüfungen, Thesauri, Webeditoren, Textverarbeitungsprogramme, Wörterbücher, e-Ressourcen, e-Fragebögen, Spiele und vieles mehr. Instrumentell-explorativ-referentielle Programme lassen sich wegen der Vielfalt und der Möglichkeiten der prinzipiellen Veränderbarkeit und Offenheit besonders gut online realisieren. Unter einer tutoriellen Ausrichtung des Lehrmaterials sind Lehr- oder Wiederholungsmaterialien zu verstehen, mit denen Lernende grammatische, lexikalische oder phonetische Themen erarbeiten und üben können. Zusätzliches Übungsmaterial, das Verlage zu ihren Lehrwerken online oder auf DVDs anbieten, gehört vorwiegend in die Kategorie des tutoriellen Materials. Elektronische Programme geben in der Regel einfache Rückmeldungen - meist nach einer richtig/ falsch-Dichotomie - und enthalten gelegentlich auch automatisierte Fehlerauswertungen. Situativ eingebettete Materialien basieren auf kurzen Dialogen/ Texten, einer einleitenden Foto-Hörgeschichte oder einem kurzen Video oder einer 470 Jörg Roche Audio-Aufnahme. Die Situationen in computerbasierten Programmen unterscheiden sich in Art, Intention und didaktischer Konzeption jedoch wenig von Ton- oder Filmaufnahmen älterer Medien (Kassetten). Manche von ihnen folgen einem rein behavioristischen Verfahren aus Stimulus und Konditionierungsübungen. Wissenschaftlich beforscht sind diese Verfahren und Programme kaum, aber Reeder et al. (2001) stellen dafür eine Taxonomie zur Verfügung. Als vorwiegend didaktisches Instrument können die Medien auch helfen, Transparenz in der Grammatik (zum Beispiel durch Animationen, Grass 2013) und in Kommunikationsstrukturen (z. B. durch Sichtbarmachung von Textstrukturen und Sprachvarietäten, vgl. Suñer 2013) zu schaffen. Moderne Lernplattformen kombinieren die Vorteile von multimedialem, didaktisiertem Lernmaterial mit der Fülle des weniger strukturierten, offenen, dynamischen aufgabenbasierten Lernmaterials, das im Internet verfügbar ist, durch entsprechende Lernwege und Navigationsinstrumente. Dadurch schaffen sie eine solide Ausgangsbasis und die nötige Sicherheit für Lernende, gleichzeitig aber auch Möglichkeiten für selbständiges und vertieftes Weiterlernen durch den Zugang zu einem offenen Materialkosmos, wie im richtigen Leben. Literatur Breinig, H. / Lösch, K. (2006): Transdifference. Journal for the Study of British Cultures 13/ 2, 105-122. De Bot, K. (2004): The multilingual lexicon: Modelling selection and control. 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(2013): Bildhaftigkeit und Metaphorisierung in der Grammatikvermittlung am Beispiel der Passivkonstruktion . Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 18/ 1, 4-20 (online). Jörg Roche 471 101. Prinzipien der Entwicklung und Evaluation von Lernmaterialien und Medien 101. Prinzipien der Entwicklung und Evaluation von Lernmaterialien und Medien 1. Zielgruppenbezug Der Begriff ,Lernmaterial‘ bezeichnet alle Materialien, die für das Fremdsprachenlernen verwendet werden können, unabhängig davon, ob sie extra dafür produziert wurden oder nicht. In ihrem Bezug auf diese Materialien sind die Begriffe ,Lernmaterial‘ und ,Lehrmaterial‘ synonym, sie unterscheiden sich durch die angenommene Perspektive: Traditionell wurde von Lehrmaterial gesprochen, mit der Wende zur Lernerorientierung (vgl. Art. 50) geriet der Blick auf die Lernenden stärker in den Vordergrund. Lehrwerke sind ein besonderer Teil der Lernmaterialien, von ihnen wird erwartet, dass sie den sprachlichen und kulturellen Lernprozess der Zielsprache für einen bestimmten Zeitraum zumindest teilweise steuern (zur Unterscheidung von Lehrwerk und Lernmaterial vgl. ausführlicher Rösler & Würffel 2014: Kap. 1-2). Während Lernmaterial für eine konkrete Gruppe von Lernenden ausgesucht oder produziert werden kann, können Lehrwerke (vgl. Art. 93) nie genau zu den jeweiligen Lernergruppen und Lernzielen passen. Es gibt Festlegungen, mit denen versucht wird, sie so zielgruppengenau wie möglich zu gestalten. Lehrwerke, die an Schulen verwendet werden, beziehen sich auf ein bestimmtes sprachliches Niveau, auf den Lernort Schule und eine Klassenstufe und damit auch auf das Alter der Lernenden. Andere Lehrwerke, z. B. die im Bereich Deutsch als Fremdsprache weltweit eingesetzten, sind in ihren Angaben meist weniger genau: Sie beziehen sich auf die Niveaustufen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (GeR) und differenzieren nach dem Alter der Lernenden. Schon früh entwickelte sich deshalb gerade im Fach Deutsch als Fremdsprache Kritik an ihrer Unangemessenheit für bestimmte Regionen (vgl. Osterloh 1978) und eine Diskussion um die Regionalisierung von weltweit vertriebenen Lehrwerken (vgl. Gerighausen & Seel 1984). Niveaustufen, Lernorte, Altersangaben, Lernziele und der Bezug zu den Ausgangssprachen der Lernenden sind fünf für die Charakteristik einer Lernergruppe relevante Faktoren, die bei der Entwicklung von Lehrwerken beachtet werden. Zu den wichtigen Prinzipien der Lehrwerkerstellung gehört es, den Zielgruppen- und Lernzielbezug so weit wie möglich zu realisieren. Je genauer ein Lehrwerk auf bestimmte Zielgruppen bezogen ist, desto kleiner ist jedoch die Zahl der Käufer. Zumeist werden die kommerzielle Machbarkeit eines Lehrwerks und der Zielgruppenbezug in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. 2. Individualisierung und Adaption im Kontext der Digitalisierung Andere, für den Lernprozess mindestens ebenso wichtige Faktoren, wie die unterschiedlichen Sprachlerngewohnheiten und andere Lernervariablen (vgl. Art. 52-57), lassen sich aufgrund der individuellen Unterschiede der Lernenden nicht in Lehrwerken umsetzen, sind jedoch für die Auswahl, Adaption und Produktion von Lernmaterialien, mit denen eine konkrete Lernergruppe arbeitet, ebenso relevant wie die anderen Faktoren. Das fehlende Eingehen von Lehrwerken auf die inhaltlichen Interessen und Lerngewohnheiten konkreter Lernender führt dazu, dass die Arbeit mit Lehrwerken immer wieder in Frage gestellt worden ist. Besonders in alternativen Konzepten, für die die inhaltliche Selbstbestimmung der Lernenden das wesentliche Bestimmungsmerkmal ist, wurde der Arbeit mit Lehrwerken ein 472 Dietmar Rösler Lernen ohne Lehrbuch entgegengesetzt. Auch gab es immer wieder Versuche, zumindest die dominierende Rolle von Lehrwerken dadurch zu reduzieren, dass man Lehrwerke als Steinbruch begreift, aus dem sich Lehrende und Lernende im konkreten Unterricht bedienen können, oder versucht, Teile des Lehrwerks für konkrete Lernergruppen zu adaptieren (vgl. den Überblick in Rösler 1984: Kap. 3 und 4). Zur Zeit der analogen Medien waren die Möglichkeiten der Lehrwerke, auf thematische Interessen der Lernenden einzugehen und Individualisierungsmaßnahmen zu unterstützen, sehr begrenzt. Dies ändert sich mit Aufkommen der digitalen Medien. Die Bereitstellung von Möglichkeiten zur Aktualisierung, Individualisierung und Adaption des Materials und zur Kooperation von Lernenden wird durch sie ebenfalls ein Prinzip der Lehrwerkproduktion, realisierbar z. B. durch Lernsoftware, die sich stärker an individuelle Lernende anpasst, durch ergänzende Materialien oder in Zukunft vielleicht durch ein Lehrwerk on demand, das durch die Kombination von zentralen und peripheren Teilen versucht, den fehlenden Zielgruppenbezug von Lehrwerken zumindest teilweise zu verkleinern (vgl. Rösler 1999). Auch sind erste Versuche festzustellen, soziale Netzwerke (vgl. Art. 99) als Orte, an denen Lernende sich über für sie relevante Gegenstände verständigen und dabei parallel Sprache lernen, in Lehrwerke zu integrieren, z. B. dadurch, dass eine Lehrwerkfigur dort ,weiterlebt‘ (vgl. Rösler & Würffel 2014: 15 f.). Lehrwerke müssen heute mitbedenken, dass Lernende über Smartphones oder Computer jederzeit Zugriff auf sprachliches Material aller Art und Kommunikationsmöglichkeiten in der Zielsprache haben. Offen ist zur Zeit, wie das für die Entwicklung von Lehrwerken produktiv gemacht werden kann und ob das Sprengen der Grenzen des Klassenzimmers digital in Lehrwerke integriert werden kann. Ebenfalls offen ist die Frage, ob und inwieweit die Digitalisierung zu einer Stärkung des autonomen Lernens (vgl. Art. 78) beitragen kann. Zweifelsohne führt sie zu einer stärkeren Selbstbestimmung im Hinblick auf Zeit und Ort des Lernens, die zumeist unter dem Begriff M-Learning bzw. ,mobiles Lernen‘ (vgl. Mitschian 2010) diskutiert wird. Einen echten Beitrag zur Stärkung von Lernerautonomie wird sie jedoch nur dann leisten können, wenn sie darüber hinaus den Lernenden Zugang zu größerer Selbstbestimmung ihrer Lernwege und -gegenstände verhilft (vgl. den Überblick zum selbstgesteuerten Lernen mit digitalen Medien von Schmidt 2005). 3. Prinzipien der Entwicklung von Lehrwerken Lehrwerke passen mit ihren thematischen Angeboten nicht immer zu den Interessen der konkreten Lernergruppe; Lehrende vor Ort können für ihre Lernenden zumeist relevantere Texte auswählen. Zu den Prinzipien der Erstellung von Lehrwerken muss deshalb gehören, dass sie den gesamten Lernprozess so abdecken, dass ihr Einsatz für die Lernenden und Lehrenden einen Mehrwert darstellt. Über die Bereitstellung von Wortschatz und landeskundlichen Informationen hinaus müssen Lehrwerke diese deshalb so gut wie möglich mit der Unterstützung des Erwerbs der Aussprache, mit der Präsentation von und mit Übungen zu grammatischen und lexikalischen Phänomenen, mit abwechslungsreichen Arbeits- und Sozialformen und unterschiedlichen Textsorten, mit einer durchdachten Förderung des Sprechens, Schreiben, Lesens und Hörens und des Zusammenspiels dieser Fertigkeiten, mit der Förderung von Lernstrategien usw. (vgl. Rösler & Würffel 2014: Kap. 2) verknüpfen. Je stärker Lehrwerken diese Verzahnung gelingt, desto hilf- 473 101. Prinzipien der Entwicklung und Evaluation von Lernmaterialien und Medien reicher sind sie für den Unterricht, desto schwieriger wird es aber gleichzeitig, die dominierende Rolle des Lehrwerks zu unterminieren, da durch das Ineinandergreifen der einzelnen Teile deren Ersetzung/ Bearbeitung schwieriger wird. Die Prinzipien der Komplexitätssteuerung und der Bereitstellung von Adaptionsmöglichkeiten stehen also in einem Spannungsverhältnis zueinander. 4. Erprobung vor Drucklegung und Beurteilung im Alltag Ein Lehrwerk müsste eigentlich vor Drucklegung in all seinen Teilen ausführlich in verschiedenen Lernergruppen erprobt werden, denn sobald das gedruckte Lehrwerk vorliegt, sind Änderungen erst in einer nächsten Auflage möglich. Der mit der Produktion einhergehende Zeitdruck und das Interesse daran, ein entwickeltes Lehrwerk auch an die Lernenden zu bringen, sind Gegenkräfte zu einer ausführlichen Erprobung (vgl. zu den wenigen Berichten über Erprobungen Krumm & Ohms-Duszenko 2001: 1036 f.). Je stärker das Konzept der Erprobung sich von einer Rückmeldung zur Arbeit mit dem Lehrwerk hin zu einer Adaption von Material bezogen auf bestimmte Zielgruppen entwickelt, bei der die veränderten Materialien Teil einer für andere zugänglichen Materialdatenbank werden, desto stärker könnten Erprobungen Teil einer kontinuierlichen Verbesserung werden. Informelle Evaluationen von Lernmaterialien gibt es als Reaktion auf die Arbeit im Alltag. Lehrende werden Material danach einschätzen, wie hilfreich es für ihre Lernenden war, und es entsprechend weiterverwenden, weiterempfehlen oder zur Seite legen. Gruppen von Lehrenden werden bei der Abschaffung eines bisher eingesetzten und der Einführung eines neuen Lehrwerks ihre Erfahrungen und die ihrer Kollegen an anderen Institutionen und die Ergebnisse von Kooperationen in Fortbildungsveranstaltungen zu Rate ziehen. Parallel zu dieser individuellen alltäglichen Evaluation gibt es einen Teilbereich der Fremdsprachendidaktik, der sich systematisch mit der Einschätzung von Lernmaterialien beschäftigt, die Lehrmaterialanalyse, früher auch Lehrwerkkritik genannt. In dieser unterschiedlichen Begrifflichkeit schwingt mit, dass die eine eher deskriptiv, die andere eher präskriptiv sei, und dass die eine sich stärker auf Lernmaterialien insgesamt beziehe, während die andere sich nur mit Lehrwerken auseinandersetze. Diese beiden Ebenen sind bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Lernmaterial tatsächlich zu finden, allerdings ist die terminologische Eindeutigkeit nicht gegeben: der Begriff Lehrmaterialanalyse, der sich weitgehend durchgesetzt hat, umfasst Arbeiten zu beiden. 5. Lehrmaterialanalyse Die Lehrmaterialanalyse lässt sich systematisch unterteilen in eine Rezeptionsanalyse und eine Werkanalyse (vgl. Rösler 2012: 48 ff.), wobei diese systematische Nebeneinanderstellung verdeckt, dass die Rezeptionsanalyse, die Lerner- oder Lehrerverhalten beim Umgang mit Lehrwerken oder Teilen von Lehrwerken wie Übungen und Aufgaben oder Textformaten analysiert, recht unterentwickelt ist. Der größte Teil der Evaluation von Lehrwerken und Lernmaterialien ist werkanalytisch. Evaluation findet entweder verdeckt durch die Beurteilung von Lehrwerken für Zulassungen oder öffentlich durch Rezensionen und umfangreichere wissenschaftliche lehrmaterialanalytische Arbeiten statt. Die Lehrmaterialanalyse im deutschsprachigen Raum hat ihren Ursprung in den Dortmunder Arbeiten der sog. Praxis-Grup- 474 Dietmar Rösler pe (vgl. Heuer & Müller 1973). Während diese zunächst stärker beschreibend waren, begann im Fachgebiet Deutsch als Fremdsprache mit dem Mannheimer Gutachten (Kommission für Lehrwerke DaF 1978) und ihrem Versuch, Lehrwerke im Hinblick auf ihre Zielgruppengenauigkeit zu bestimmen, eine stärker wertende Lehrmaterialanalyse. Der große Umfang der dabei hinzugezogenen Kriterien führte zu einer Vielzahl von Versuchen, handhabbarere Kriterienkataloge zu erstellen (vgl. Krumm 1994). Die Lehrmaterialanalyse ist bezogen auf die Schulfremdsprachen in Deutschland unterschiedlich stark entwickelt (vgl. als Überblick die Beiträge in Kurtz 2011: für Russisch Mehlhorn & Wapenhans 2011, für die romanischen Sprachen Grünewald 2011 und Martinez 2011 sowie für Englisch Thaler 2011), sie umfasst die Beschäftigung mit einer Vielzahl von Teilaspekten. Im Kontext der Mehrsprachigkeitsdidaktik (vgl. Art. 3) stehen Arbeiten, die sich mit der Aufnahme bereits gelernter Sprachen in Lehrwerken für eine neue Zielsprache befassen (vgl. Hufeisen 2011), so arbeiten Mehlhorn & Wapenhans (2011) den Bezug neuerer Russischlehrwerke zu den bereits gelernten Sprachen heraus, Meißner (1991) diskutiert die Bedeutung eines übereinzelsprachlich rezeptiv transferablen Wortschatzes am Beispiel der Analyse eines Englisch- und eines Französischlehrwerks. Neben der Diskussion um Kriterien für die Auswahl von Lehrwerken finden sich Arbeiten, die die Lehrwerkdiskussion in die jeweils aktuelle Fachdiskussion einbinden (z. B. Bezug zum GeR oder Kompetenzorientierung (Martinez 2011)). Auch Analysen, die sich auf bestimmte Lerngegenstände beziehen, sind reichlich zu finden, von der Phonetik bis zur Pragmatik, vom Blick auf die Details der Arbeitsanweisungen bis zur Vermittlung interkultureller Komponenten. Durch Brill (2005) gibt es auch eine differenzierte und kritische Auseinandersetzung mit der Annahme, dass Lehrwerke und Lehrwerkgenerationen als Ausdruck bestimmter Methoden (vgl. Art. 67) gelten. Eher selten vorhanden sind umfassende Vergleiche über mehrere Sprachen wie Abendroth-Timmer (1998) zu Deutsch-, Französisch- und Russischlehrwerken oder Thimme (1996) zur Landeskunde in Lehrwerken für Französisch und Deutsch als Fremdsprache. Literatur Abendroth-Timmer, D. (1998): Der Blick auf das andere Land. Ein Vergleich der Perspektiven in Deutsch-, Französisch- und Russischlehrwerken. Tübingen. Brill, L. M. (2005): Lehrwerke, Lehrwerkgenerationen und die Methodendiskussion im Fach Deutsch als Fremdsprache. Aachen. Gerighausen, J. / Seel, P. (1984): Der fremde Lerner und die fremde Sprache. Überlegungen zur Entwicklung regionalspezifischer Lehr- und Lernmaterialien für Länder der Dritten Welt. Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 10, 126-162. Grünewald, A. (2011): Förderung der interkulturellen Kompetenz in Französisch- und Spanischlehrwerken. Fremdsprachen Lehren und Lernen 40/ 2, 64-82. Heuer, H. / Müller, R., Hrsg. (1973): Lehrwerkkritik. Ein Neuansatz. Dortmund. Hufeisen, B. (2011): Wie sich mehrsprachigkeitsdidaktische Ideen in Lehrmaterialien umsetzen lassen. Vorstellung einiger konkreter Beispiele. Fremdsprachen Lehren und Lernen 40/ 2, 106-119. Kommission für Lehrwerke DaF (1978): Mannheimer Gutachten zu ausgewählten Lehrwerken Deutsch als Fremdsprache. Heidelberg. Krumm, H.-J. (1994): Stockholmer Kriterienkatalog, in: B. Kast / G. Neuner (Hrsg.): Zur Analyse, Begutachtung und Entwicklung von Lehrwerken für den fremdsprachlichen Deutschunterricht. Berlin, 100-105. 475 101. Prinzipien der Entwicklung und Evaluation von Lernmaterialien und Medien Krumm, H.-J. / Ohms-Duszenko, M. (2001): Lehrwerkproduktion, Lehrwerkanalyse, Lehrwerkkritik, in: G. Helbig / L. Götze / G. Henrici / H.-J. Krumm (Hrsg.): Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales Handbuch. 2. Halbband. Berlin, 1029-1041. Kurtz J., Koord. (2011): Lehrwerkkritik, Lehrwerkverwendung, Lehrwerkentwicklung. Fremdsprachen Lehren und Lernen 40/ 2. Martinez, H. 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Problemaufriss Die in Deutschland, Österreich und der Schweiz gelernten Sprachen haben einen unterschiedlichen Stellenwert im Rahmen der drei Schulsysteme, sie werden auch innerhalb dieser Systeme unterschiedlich bezeichnet (Fremdsprache, zweite Landessprache, Herkunftssprache bzw. Muttersprache, Deutsch als Zweitsprache u. a.). Die Autonomie der Schulen in Bezug auf die Lehrpläne für Sprachen in Deutschland, in Österreich und der Schweiz variiert; so gibt es in Österreich einen sprachenoffenen Lehrplan ab der Primarstufe, in der Schweiz gelten unterschiedliche kantonale und regionale Bestimmungen in Bezug auf das Sprachenangebot, und auch in Deutschland gibt es je nach Bundesland unterschiedlich sprachoffene Lehrpläne. Deshalb liegen in den drei Ländern schulrechtlich unterschiedliche Curricula und Lehrmaterialien für den Primarbereich und die weiterführenden Schulen vor. Das Englische (vgl. Art. 109) nimmt als lingua franca einen besonderen Stellenwert ein: Es wird fast überall als erste Fremdsprache 477 gelernt und kommt darüber hinaus neben anderen modernen Fremdsprachen als Arbeitssprache im bilingualen Sachfachunterricht zur Anwendung (vgl. KMK 2011). Das gilt auch für Österreich, obwohl der Lehrplan „Lebende Fremdsprache“ bereits in der Primarstufe 12 Sprachen zur Wahl stellt. In der Schweiz sind zwei Fremdsprachen, eine zweite Landessprache und Englisch, für die obligatorische Schule verpflichtend, wobei die Sprachenfolge zwischen den Kantonen variiert (vgl. EDK 2015). Bunter ist das Bild in allen deutschsprachigen Ländern zum einen im Bereich der frühen Fremdsprachen im Elementarbereich, wo stärker lokale Besonderheiten und Elternwünsche berücksichtigt werden (vgl. Art. 14 und 36), zum anderen auf der Primarstufe im Zusammenhang mit dem Herkunftssprachenunterricht für Kinder mit Migrationshintergrund (vgl. Art. 46) und in Österreich durch das Recht auf zweisprachigen Unterricht für Angehörige der anerkannten Minderheiten (vgl. Bundesministerium et al. 2008). Bei den Folgefremdsprachen gibt es ein diversifiziertes Angebot, das schulstufen- und schulformenabhängig und regional unterschiedlich ausgeprägt ist. So spielt das Italienische in Österreich - mit etwa so viel Lernenden wie das Spanische - eine weitaus größere Rolle als in Deutschland. Unter den gelernten Sprachen finden sich auch Nachbarsprachen (z. B. Art. 114, 115, 123) und Minderheitensprachen (Art. 107, 121) sowie das Deutsche als Zweitsprache (Art. 108). Ein Mehrsprachigkeitskonzept, das auf lebenslanges Lernen ausgerichtet ist und den Primar-, Sekundar- und Tertiärbereich umfasst, muss jedoch auch erstsprachige Kompetenzen in den Fremdsprachenerwerb integrieren und entsprechende Synergien nutzen (vgl. Reich & Krumm 2013). Im sog. herkunftssprachlichen bzw. muttersprachlichen Unterricht (vgl. Art. 46) sowie im Unterricht des Deutschen als Zweitsprache (vgl. Art. 45) liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung schriftsprachlicher Kompetenzen und der Bildungssprache, die nur begrenzt im familiären Umfeld vermittelt werden können. Auch hier gibt es regional große Unterschiede. So wird Bosnisch/ Kroatisch/ Serbisch (Art. 105) in Österreich häufiger gelernt als in Deutschland. In einigen deutschen Bundesländern (Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen) können Herkunftssprachen als Ersatz für eine reguläre Schulfremdsprache gelten und in Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen bis zum Abitur weitergeführt werden (vgl. Schmitz & Olfert 2013: 218). Für einige typische Herkunftssprachen, z. B. Türkisch (Art. 124), gibt es Bestrebungen, sie auch als reguläre Schulfremdsprache zu implementieren, während andere etablierte Schulfremdsprachen wie Russisch (Art. 117) und Spanisch (Art. 122) gleichzeitig auch häufig gelernte Herkunftssprachen darstellen. 478 Eva Burwitz-Melzer / H.-J. Krumm / Grit Mehlhorn 2. Sprachendiversität und Lernerzahlen: Zur Auswahl der in diesem Kapitel vertretenen Schulsprachen Die Zahl der in deutschsprachigen Ländern unterrichteten Sprachen ist sehr groß. In das vorliegende Handbuch wurden diejenigen Sprachen aufgenommen, für die zumindest in einem der deutschsprachigen Länder kodifizierte Curricula und Lehrpläne sowie gesicherte Zahlen für ein regelmäßiges Unterrichtsangebot an Schulen vorliegen und die nicht ausschließlich regional verankert sind. So entsteht ein umfassender, wenn auch nicht völlig lückenloser Überblick über das schulische Sprachenangebot in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Nicht aufgenommen werden konnten u. a. die Schulfremdsprache Hebräisch, die Herkunftssprachen Kurdisch, Vietnamesisch und Romanes (die Sprache der Sinti und Roma) sowie Minderheitensprachen wie Friesisch und Niederdeutsch. Ein Grund dafür liegt darin, dass es für diese seltener gelernten Sprachen schwierig ist, belastbare aktuelle Schülerzahlen zu erhalten. So weist das Statistische Bundesamt in Deutschland (www.destatis.de) bedauerlicherweise neuerdings nur Angaben für die häufiger gelernten Schulfremdsprachen aus. Bei den Angaben aus den einzelnen Bundesländern wird nicht immer zwischen Lernenden der Schulfremdsprachen und Herkunftssprachen differenziert; zum Teil werden auch Schülerinnen und Schüler in Arbeitsgemeinschaften erfasst. Einen guten statistischen Überblick über den muttersprachlichen Unterricht in Österreich liefern die Informationsblätter des Referats für Migration und Schule (www.schule-mehrsprachig.at/ index. php? id=316). Für Deutschland und Österreich bieten auch die von der Exekutivagentur für Bildung, Audiovisuelles und Kultur (Eurydice) regelmäßig herausgegebenen „Schlüsselzahlen für das Sprachenlernen an den Schulen in Europa“ (zuletzt Exekutivagentur 2012) einen Überblick. 3. Aufbau der Sprachenartikel In den folgenden 23 Beiträgen wird zunächst auf die Verbreitung und Bedeutung der Sprache eingegangen; es folgt eine kurze Charakteristik sprachstruktureller und -typologischer Spezifika, wobei auch typische Lernschwierigkeiten und Lernerleichterungen erwähnt werden. In den Abschnitten zur Vermittlung der Sprache im schulischen Kontext und in der Erwachsenenbildung werden u. a. die Entwicklung der Lernerzahlen und das Angebot in verschiedenen Schulformen, die curriculare Verankerung der Sprachen in Lehrplänen und Bildungsstandards sowie Studienmöglichkeiten einschließlich der Lehrerausbildung thematisiert. Der Umfang des Angebots und die Aktualität der Lehrwerke und -materialien hängen von den Lernerzahlen der jeweiligen Sprache ab. Neben Lernmaterialien und Internetressourcen wird auf für die jeweilige Sprache ggf. relevante Zeitschriften sowie auf Abschlüsse und Zertifikate (z. B. telc, UNIcert ® ) eingegangen; zudem werden Fachverbände und weitere Institutionen zur Verbreitung der jeweiligen Sprache und Kultur erwähnt. Grundlage für die Definition der Abschlussniveaus fremdsprachlichen Lernens vom Primarbis zum Sekundarbereich II ist der Gemeinsame europäische Referenzrahmen (GeR) für Sprachen des Europarates (2001). Die dort definierten Kompetenzstufen werden in mehr als der Hälfte der europäischen Länder für die Festlegung der Mindestleistungsniveaus für die Fremdsprachenbeherrschung herangezogen (vgl. Exekutivagentur 2012: 12) und finden sich auch in den national und international anerkannten schulischen und außerschulischen Zertifikaten wieder (vgl. Art. 89). 479 102. An Schulen deutschsprachiger Länder unterrichtete Sprachen Literatur Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur / Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (2008): Länderbericht: Sprach- und Sprachunterrichtspolitik in Österreich: Ist-Stand und Schwerpunkte. www.coe. int/ t/ dg4/ linguistic/ Source/ Austria _Coun tryReport_final_ DE .pdf EDK - Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (2015): Faktenblatt Fremdsprachenunterricht in der obligatorischen Schule. www.edudoc.ch/ static/ web/ arbeiten/ sprach _unterr/ fktbl _sprachen_d. pdf Europarat, Hrsg. (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren beurteilen. Strasbourg. Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur, Hrsg. (2012): Schlüsselzahlen zum Sprachenlernen an den Schulen in Europa - 2012. http: / / eacea.ec.europa.eu/ education/ Eurydice/ documents/ key _data_series/ 143 DE .pdf KMK (2011): Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur Stärkung der Fremdsprachenkompetenz. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 8. 12. 2011. Bonn. Reich, H. H. / Krumm, H.-J. (2013): Sprachbildung und Mehrsprachigkeit: ein Curriculum zur Wahrnehmung und Bewältigung sprachlicher Vielfalt im Unterricht. Münster. Schmitz, A. / Olfert, H. (2013): Minderheitensprachen im deutschen Schulwesen - Eine Analyse der Implementierung allochthoner und autochthoner Sprachen. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 24/ 2, 203-227. Eva Burwitz-Melzer Hans-Jürgen Krumm Grit Mehlhorn 103. Albanisch 1. Verbreitung Die albanische Sprache (gjuha shqipe) ist eine isolierte indoeuropäische Sprache, die sich vermutlich aus dem antiken Illyrisch entwickelt hat (Demiraj 1988: 19 ff., 145 ff.). Albanisch wird von ca. 7,5 Mio. Menschen gesprochen, dies vorwiegend in den traditionellen Siedlungsgebieten auf dem Balkan, die sich als Folge der Großmachtpolitik (Konferenz von London 1912) auf die Staaten Albanien, Kosovo (alban. Kosova, fem.), Mazedonien, Montenegro, Serbien und Griechenland verteilen. Große albanische Sprachgruppen finden sich aber auch in den alten Auswanderungsgebieten Süditalien (Arbëreshen), Nordgriechenland (Arvaniten) und der Türkei sowie in den neueren Immigrationsländern (v. a. Westeuropa, aber auch USA, Australien u. a., vgl. Schader 2011: 17; Nehring 2002: 47 f.). In der Schweiz stellen die Albanerinnen und Albaner mit rund 250.000 Personen die größte Gruppe der neueren Migration dar; in Deutschland leben ca. 400.000 und in Österreich ca. 60.000 Albanerinnen und Albaner. In allen drei Ländern stammen 70-75 % der Albanischsprachigen aus dem Kosovo, gut 20 % aus Mazedonien und rund 5 % aus der Republik Albanien. Albanisch teilt sich auf in die zwei großen Dialekte Gegisch/ Nordalbanisch (wozu u. a. der Kosovo zählt) und Toskisch/ Südalbanisch; die Grenze bildet der Fluss Shkumbin in Albanien. Die beiden Dialekte wurden erst 1972 zu einer übergreifenden Schrift- und Standardsprache vereint, die allerdings mehrheitlich auf dem nordtoskischen Dialekt beruht. Dies kann den Zugang für Gegischsprachige erschweren und dürfte einer der Gründe für die oft defizitären literalen Kompetenzen von Albanischsprachigen aus dem Kosovo in der Migration sein (Schader 2006: 129 ff., 177 ff.). 480 Basil Schader 2. Sprachliche Besonderheiten Der albanische Siedlungsraum war über rund 2000 Jahre von fremden Mächten (Römern, Venezianern, Slawen, Osmanen etc.) besetzt. Dass die albanische Sprache in ihrer Grundstruktur und in Teilen des Wortschatzes überhaupt überlebte, ist erstaunlich, selbstverständlich hinterließen die zahlreichen Besatzungen aber sprachliche Spuren. Zu den Charakteristika des Albanischen zählen denn auch die vielen Lehnwörter aus dem Alt- und Mittelgriechischen, Lateinischen, Südslawischen, Türkischen, Italienischen und neuerdings aus dem Angloamerikanischen. Grammatikalisch verfügt das Albanische u. a. über zwei Geschlechter (mask. und fem.; das Neutrum ist stark rezessiv), acht Zeitformen (inkl. Aorist I und II) und über die im Deutschen unbekannten Modi Admirativ (qenke e bukur ,du bist aber schön! ‘) und Optativ (rrofsh! ,mögest du leben! ‘). Albanisch zählt zum sog. Balkansprachenbund und weist typologische Gemeinsamkeiten u. a. mit Griechisch, Rumänisch und Bulgarisch auf, so etwa das Fehlen eines Einwort-Infinitivs, den nachgestellten Artikel (mur ,eine Mauer‘ - muri ,die Mauer‘) oder die Bildung des Futurums mit dem Hilfsverb ,wollen‘ (Nehring 2002: 49 ff., Schader 2011: 19 ff.). 3. Schulischer Bereich Als reguläres Schul- oder Wahlfach wird Albanisch in den Immigrationsländern Deutschland, Österreich und Schweiz nicht angeboten. In allen drei Ländern kann hingegen fakultativ der mutter- oder herkunftssprachliche Unterricht in Albanisch besucht werden, dies in der Regel im Rahmen von zwei Wochenstunden. Das Angebot ist nicht flächendeckend und vielerorts kaum mit dem regulären Schulsystem vernetzt. Die Organisation der Kurse obliegt meistens lokalen Trägerschaften (in der Schweiz z. B. dem albanischen Lehrer- und Elternverband Naim Frashëri). Im Schuljahr 2013/ 14 besuchten in Deutschland ca. 5.000 Kinder und Jugendliche den albanischen Herkunftssprachenunterricht, davon die Hälfte in Nordrhein-Westfalen. In Österreich waren es 2.450 Schülerinnen und Schüler. In der Schweiz wurde der Herkunftssprachenunterricht Albanisch von rund 2.200 Kindern und Jugendlichen besucht, was knapp 10 % aller dortigen albanischsprachigen Schülerinnen und Schüler entspricht (gegenüber rund 60 % in Schweden, wo der herkunftssprachliche Unterricht deutlich besser ins reguläre Schulsystem eingebunden ist). Die Vergleiche illustrieren, dass die Vernetzung des Herkunftssprachenunterrichts mit dem regulären Schulsystem sehr unterschiedlich und in der Schweiz und manchen deutschen Bundesländern (wo die Lehrkräfte auch nicht vom Staat entlohnt werden) besonders unbefriedigend ist. Dies ist umso bedauerlicher, als positive Effekte des Unterrichtsbesuchs auch auf den Erfolg in der Regelschule höchst wahrscheinlich sind (Schader 2006: 69 ff., 97 ff.; Reich 2015: 168 ff.). Unterstützung bietet das kosovarische Bildungsministerium (Ministria e Arsimit, e Shkencës dhe e Teknologjisë ), das für die Lehrkräfte jährliche Fortbildungs- und Austauschseminare im Kosovo, in Albanien oder Mazedonien organisiert und neue, konzeptionell aktuelle Lehrmittel für den herkunftssprachlichen Unterricht herausgegeben hat (Ministria 2013). Materialien für den Albanischunterricht finden sich auch auf Websites wie der des albanischen Lehrer- und Elternvereins in der Schweiz oder von „Schule mehrsprachig“ (Österreich), vgl. ferner die neue Reihe „Materialien für den herkunftssprachlichen Unterricht“ (IPE 2015 f.), die auch in albanischer Übersetzung erscheinen wird. Für Regelklassenlehrerinnen und -lehrer, die sich über die Erstsprache ihrer albanisch- 481 103. Albanisch sprachigen Schülerinnen und Schüler und über eventuelle erstsprachbedingte Probleme beim Deutscherwerb informieren wollen, bietet das Kapitel „Albanisch“ Auskunft (Schader 2011), vgl. auch den „Sprachensteckbrief“ Albanisch (www.schule.mehrsprachig. at). 4. Erwachsenenbildung Als Studienfach kann Albanologie bzw. albanische Sprache und Literatur in Albanien, im Kosovo und in Mazedonien studiert werden, ferner an der Università della Calabria in Cosenza/ Italien. Albanisch bieten ferner die Università l’Orientale in Neapel und die Università degli Studi in Palermo an, desgleichen die Universitäten von Belgrad, Sofia, St. Petersburg und Budapest. Der Masterstudiengang in Albanologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde eingestellt, Albanisch kann dort noch im Rahmen des Bachelorstudiengangs Allgemeine und Indogermanische Sprachwissenschaft oder des neuen Masterstudiengangs Balkanphilologie studiert werden. Albanischkurse auf universitärem Niveau werden u. a. angeboten vom Spracheninstitut der Universität Leipzig und vom Sprachenzentrum der Universität Wien. Angebote zum Fach Osteuropäische Geschichte, die auch die albanische Geschichte betreffen, sind zahlreicher (vgl. die Links auf der Website des Albanischen Instituts in St. Gallen). Das Angebot an nichtuniversitären Kursen der albanischen Sprache entwickelt sich stetig, dies fraglos auch als Folge der vermehrten gemischtsprachlichen Ehen. In der Schweiz boten für das Herbstsemester 2015 allein die Migros-Klubschulen 17 Kurse auf dem Niveau A1 an (plus acht Angebote für Privatunterricht); dazu kommen Kurse der Reisehochschule und anderer Institutionen. In Deutschland bieten Volkshochschulen und andere Anbieter in allen größeren Städten Albanischkurse an, in Österreich u. a. die Wiener Volkshochschulen und das Berufsförderungsinstitut (bfi). Nicht zu vergessen sind schließlich die mehrwöchigen Sprachkurse vor Ort, die jeweils im Sommer in Albanien und im Kosovo von den staatlichen Universitäten und von privaten Anbietern organisiert werden. 5. Lehrwerke und Abschlüsse Für deutschsprachige Lernende liegen einige wenige methodisch-didaktisch aktuelle Lehrgänge vor, von denen v. a. das „Lehrbuch der vereinheitlichten albanischen Schriftsprache“ (Hetzer & Finger 2007) und „Albanisch intensiv“ (Pani 2009) zu nennen sind. Einen umfassenden Einblick in die Grammatik bieten Buchholz und Fiedler (1987). Der „Einstieg Albanisch für Kurzentschlossene“ (Nosbers & Jusufi 2012) und die „Wort-für-Wort“-Büchlein Albanisch (Jaenicke & Jaenicke 2014) bzw. Kosovo-Albanisch (Koeth & Drude 2014) eignen sich für einen ersten, niederschwelligen Einblick in die Sprache. Als Taschenwörterbuch ist Hetzer (2009) zu empfehlen, für den erweiterten Gebrauch Buchholz (2000). Für den schulischen Gebrauch konzipiert ist das Wörterbuch „Die Wörterbrücke“ (Schader & Rexhepi 2008). Einen fundierten Einblick in historische und kulturelle Aspekte bieten die Monografien von Schmitt (2008 und 2012). Standardisierte Abschlüsse bzw. Zertifikate existieren für das Albanische noch nicht. Literatur Buchholz, O. (2000): Langenscheidt Handwörterbuch Albanisch. München, Wien. Buchholz, O. / Fiedler, W. (1987): Albanische Grammatik. Leipzig. 482 Basil Schader Demiraj, Sh. (1988): Gjuha shqipe dhe historia e saj. Tiranë. Hetzer, A. (2009): Taschenwörterbuch Albanisch. Hamburg. Hetzer, A. / Finger, Z. (2007): Lehrbuch der vereinheitlichten albanischen Schriftsprache. Hamburg. IPE - Zentrum International Projects in Education der PH Zürich (2015 f.): Materialien für den herkunftssprachlichen Unterricht. Handbuch und 5 Hefte Didaktische Anregungen. Zürich. Jaenicke, A. / Jaenicke, Ch. (2014): Albanisch Wort für Wort. Bielefeld. Koeth, W. / Drude, S. (2014): Kosovo-Albanisch Wort für Wort. Bielefeld. Ministria e Arsimit, e Shkencës dhe e Teknologjisë e Kosovës, Hrsg. (2013): Tekste mësimore për shkollën shqipe të mësimit plotësues në diasporë. Pejë (19 Hefte). http: / / masht.rks-gov. net/ tekste-dhe-materiale-mesimore Nehring, G.-D. (2002): Albanisch, in: M. Okuka (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Klagenfurt, 47-66. wwwg.uniklu.ac.at/ eeo/ Albanisch.pdf Nosbers, H. / Jusufi, L. (2012): Einstieg Albanisch für Kurzentschlossene. München. Pani, P. (2009): Albanisch intensiv. Lehr- und Grammatikbuch. Wiesbaden. Reich, H. H. (2015): Untersuchungen zur Wirksamkeit des herkunftssprachlichen Unterrichts, in: B. Schader (Hrsg.): Materialien für den herkunftssprachlichen Unterricht. Grundlagen und Hintergründe. Zürich, 168 ff. Schader, B. (2006): Albanisch und Deutsch. Stichworte zu einem Sprachvergleich, in: B. Schader (Hrsg.): Albanischsprachige Kinder und Jugendliche in der Schweiz. Zürich, 41-68. Schader, B. (2011): Albanisch, in: B. Schader (Hrsg.): Deine Sprache - meine Sprache. Handbuch zu 14 Migrationssprachen und Deutsch für Lehrpersonen an mehrsprachigen Klassen und für den DaZ-Unterricht. Zürich, 17-23. Schader, B. / Rexhepi, F. (2008): Die Wörterbrücke - Ura e fjalëve. Deutsch-albanisches Schulwörterbuch. Zürich. Schmitt, O. J. (2008): Kosovo. Kurze Geschichte einer zentralbalkanischen Landschaft. Wien u. a. Schmitt, O. J. (2012): Die Albaner. Eine Geschichte zwischen Orient und Okzident. München. Internet Albanische Unterrichtsmaterialien. www.schu le-mehrsprachig.at/ index.php? tx_inmemttm_ pi1[language]=3&tx_inmemttm_pi1[age]=1& tx_inmemttm_pi1[category]=5&id=276 Albanischer Lehrer- und Elternverein in der Schweiz. www.lapsh.ch Albanisches Institut St. Gallen. http: / / albani sches-institut.ch Ministria e Arsimit, e Shkencës dhe e Teknologjisë e Kosovës; mësimi plotësues në diasporë. http: / / masht.rks-gov.net/ mesimi-plotesuesne-diaspore-1 Sprachensteckbrief Albanisch. www.schulemehrsprachig.at/ index.php? id=92 Basil Schader 104. Arabisch 1. Verbreitung Arabisch ist die Muttersprache von mehr als 200 Mio. Menschen und wird von etwa 300 Mio. Sprechern verwendet. Dies gilt insbesondere für die Staaten der Arabischen Liga, aber auch für weitere Länder wie Afghanistan, Eritrea, den Iran oder die Türkei. Damit liegt es an fünfter Stelle der meistgesprochenen Sprachen der Welt. Zudem hat Arabisch für mehr als eine Milliarde Men- 483 104. Arabisch schen hohe Bedeutung im kulturellen und religiösen Bereich. Im Laufe der Jahrhunderte hatte Arabisch starken Einfluss auf die Sprachen Asiens, Afrikas und Europas. Davon zeugen nicht zuletzt die Schriftsysteme des Persischen und Urdu sowie zahlreiche Lehnwörter im Haussa, Malayischen, Suaheli und Türkischen. Auch einige deutsche Lexeme entstammen dem Arabischen. 2. Adressaten Die arabische Sprache als Schlüssel zur Kultur des Orients wird traditionell von Studierenden der einschlägigen Fachrichtungen belegt. In den letzten Jahren nutzen auch Kinder von Migranten verstärkt die Möglichkeit, sich im Rahmen eines Hochschulstudiums intensiver mit der Kultur der Herkunftsländer ihrer Eltern auseinanderzusetzen. Viele arabische Staaten sind reich an Bodenschätzen und investieren intensiv in ihre Infrastruktur. Sie entwickeln sich zunehmend zu bedeutenden Handelspartnern der Bundesrepublik. Die deutsche Ausfuhr in die Länder der Arabischen Liga hat sich in den letzten 25 Jahren auf mehr als 37 Mrd. Euro im Jahre 2014 fast verfünffacht; die Einfuhr wurde auf knapp 12 Mrd. Euro etwa verdoppelt (Statistisches Bundesamt 2015a). Durch Investitionen deutscher Unternehmen in den arabischen Ländern und umgekehrt festigen sich die wirtschaftlichen Beziehungen. Entsprechend wächst speziell das Interesse von Geschäftsleuten, Ingenieuren und Technikern an der arabischen Sprache. Außerdem sind einige arabische Länder beliebte Urlaubsziele, für die gerne ein Sprachkurs belegt wird. Auch bei der Betreuung arabischer Touristen oder Patienten sind entsprechende Sprachkenntnisse von Vorteil. Die jüngsten Umwälzungen in den arabischen Ländern verändern internationale Konstellationen und rücken diese Region in den Mittelpunkt weltweiten Interesses. Dadurch besteht entsprechender Bedarf an der Vermittlung von Arabischkenntnissen bei Diplomaten und anderen Mitarbeitern von Institutionen. 3. Varietäten des Arabischen Arabisch gehört zur westsemitischen Sprachfamilie. In den arabischen Ländern sind verschiedene Sprachvarietäten nebeneinander anzutreffen. Die komplexe Grammatik des klassischen Arabisch als Sprache der Religion und Poesie geht auf das 8. Jh. zurück. In den Medien, der zeitgenössischen Literatur, dem Schulunterricht und offiziellen Sprachgebrauch wird hingegen meist das moderne Hocharabisch verwendet. Für die alltägliche, weniger formelle Kommunikation wird auf Dialekte rekurriert. Im Unterschied zum klassischen Arabisch und Hocharabischen sind diese in der Regel nicht schriftlich kodifiziert und unterscheiden sich in Phonetik, Lexik, Morphologie und Syntax teilweise erheblich von der Hochsprache. Von besonderer Bedeutung sind die Dialekte Ägyptens, der Arabischen Halbinsel, des Iraks, Maghrebs und Syriens. Wie in vielen anderen Sprachen ist diese Diglossie durch das Nebeneinander von Hochsprache und Dialekt zugleich Bereicherung und Herausforderung (Fischer & Jastrow 1980; Maas 2008). 4. Sprachliche Besonderheiten Die arabische Alphabetschrift besteht aus 28 Konsonantenzeichen, die linksläufig geschrieben werden. Im Wort bilden sie zusammengesetzte Graphomorpheme, wobei die Grapheme abhängig von ihrer Stellung durch unterschiedliche Allographen realisiert werden. Während lange Vokale in den Konsonan- 484 Khatima Bouras-Ostmann tenzeichen inkludiert sind, ist die Schreibung der drei kurzen Vokale, des Nullvokals und der Konsonantenquantität fakultativ (Endreß 1982). Beim Erlernen der arabischen Schrift stellen diese beiden Phänomene besondere Herausforderungen dar, da zum einen die verschiedenen Buchstabenausprägungen eingeübt werden müssen und zum anderen nicht vokalisierte Texte erst dann korrekt gelesen werden können, wenn ihr Sinn mit Hilfe von Wortschatz und Grammatik erschlossen wurde. Im Lautbestand sind gegenüber dem Deutschen besonders die Kehllaute und emphatischen Konsonanten charakteristisch. Eine auditive Sensibilisierung für diese Phonemdifferenzierung sowie ihre Realisation sind für den Lernenden nicht immer einfach. Aufgrund der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Sprachfamilien bestehen zwischen der Lexik des Arabischen und Deutschen nur wenige Gemeinsamkeiten, so dass sich der Wortschatzerwerb entsprechend aufwändig gestaltet. In der arabischen Wortstruktur dominieren Wurzeln aus drei konsonantischen Radikalen, von denen durch Hinzufügung von Präfixen, Infixen oder Suffixen Nomina und Verben abgeleitet werden. Die Wortwurzel ist meist auch das Ordnungskriterium in arabischen Wörterbüchern, was die Suche für Studierende anfangs erschwert. Des Weiteren sind die Verbformen des Arabischen eher aspektals tempusorientiert. 5. Bildungsinstitutionen a) Arabisch im Schulunterricht Der herkunftssprachliche Unterricht in Deutschland geht auf eine Richtlinie der Europäischen Gemeinschaften für Wanderarbeitnehmerkinder von 1977 zurück. Im Laufe der Jahrzehnte wandelte er sich zu einem Instrument zur Förderung der muttersprachlichen Kompetenz und Vermittlung der Kultur des Herkunftslandes der Eltern. Für Kinder von Eltern aus Ländern mit arabischer Verkehrssprache ist diese allerdings nicht immer die eigentliche Muttersprache, bspw. bei Familien aus mehrheitlich berberophonen Regionen. Der optionale Unterricht steht nicht an allen Schulen und erst ab einer gewissen Gruppengröße zur Verfügung. In der Sekundarstufe kann er teilweise als Ersatz für eine zweite Fremdsprache gewählt werden. In Nordrhein-Westfalen wird Arabisch im Rahmen des herkunftssprachlichen Unterrichts als zweithäufigste Sprache belegt. Als Ersatz für eine Pflichtfremdsprache wurde Arabisch hier nach dem Schuljahr 2006/ 07 nicht mehr angeboten. Die Schülerzahl des herkunftssprachlichen Unterrichts ging im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen von 116.422 im Jahre 2001 auf 61.602 im Jahre 2014 zurück. Während sich in diesem Zeitraum die gesamte Teilnehmerzahl also etwa halbierte, verringerte sie sich für den Unterricht in Arabisch lediglich um rund ein Fünftel (MSW-NRW 2002, 2014). Einige Bundesländer führen keinen herkunftssprachlichen Unterricht mehr durch. Dagegen wurde der herkunftssprachliche Unterricht in Österreich in den letzten Jahren kontinuierlich ausgebaut und die Teilnehmerzahl von 1998 bis 2013 um fast die Hälfte erhöht. Speziell für Arabisch wuchs die Schülerzahl in diesem Zeitraum um mehr als das Zwanzigfache und stand 2013 an vierter Stelle (BMUKK 2009, BMBF 2014). Arabisch als Fremdsprache wird an deutschen Schulen eher sporadisch angeboten. In Nordrhein-Westfalen war dieses Unterrichtsfach im Schuljahr 2013/ 14 an keiner Schule mehr vertreten (MSW-NRW 2014). Aufgrund der verstärkten Einwanderung von arabischsprachigen Menschen in jüngster Zeit ist demnächst eine verstärkte Nachfrage 485 104. Arabisch nach Arabisch als Herkunftssprache zu erwarten. b) Arabisch in der Erwachsenenbildung An deutschen Volkshochschulen belegen etwa 10.000 Teilnehmer jährlich Arabischkurse, welche in manchen Städten bis zum Niveau B2 des GeR reichen (Deutsches Institut für Erwachsenenbildung 2013). Sprachenzertifikate im Rahmen des Volkshochschulverbandes bietet Telc (The European Language Certificates ) an, für Arabisch derzeit allerdings nur auf der Niveaustufe B1. Daneben existiert ein diversifiziertes Angebot von privaten Sprachschulen im deutschsprachigen und arabischen Raum. c) Arabisch im akademischen Bereich An deutschen Hochschulen wird die arabische Sprache insbesondere in den Bereichen Arabistik, Islamwissenschaft und Orientalistik vermittelt. Das Interesse an allen drei Studienfächern ist in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Die Zahl der Studierenden hat sich von 2001 bis 2013 auf etwa fünftausend fast verdoppelt (Statistisches Bundesamt 2015b). Das Seminar für Orientalistik und Islamwissenschaft der Universität Bochum betreut rund ein Zehntel der bundesdeutschen Studierenden dieser Fachbereiche, wobei sich die Teilnehmerzahl in den letzten zehn Jahren etwa verdreifacht hat. Abhängig vom Studienschwerpunkt liegt der Fokus an den Hochschulen auf dem modernen Hocharabisch oder klassischen Arabisch. Vielfach werden Einführungen in ausgewählte Dialekte angeboten. Die Universität Leipzig vermittelt traditionell ein breites sprachliches Spektrum vom klassischen Arabisch über das Hocharabische bis hin zur Dialektologie, mit besonderen Angeboten in den Bereichen Lexikologie und Translation. Spezielle Studiengänge für Übersetzer offeriert die Universität Mainz. Für Studierende anderer Fachrichtungen bieten einige Hochschulen Arabischkurse an den Sprachenzentren an. Die kommunikativ ausgerichteten Intensivkurse mit interkulturellen Komponenten am Arabicum des Landesspracheninstituts der Universität Bochum sind speziell für die jeweilige Zielgruppe gestaltet, u. a. für Geschäftsleute, Diplomaten, Journalisten und Studierende. Teilweise werden diese in Kooperation mit der German Jordanian University in Amman durchgeführt. Besonders erwähnenswert sind auch die Kurse in Arabisch als Fremdsprache der Universitäten von Damaskus und Kairo. Prüfungen und Zertifikate auch für die arabische Sprache orientieren sich zunehmend an den Niveaustufen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (GeR). Dazu gehören UNIcert ® des Arbeitskreises für Sprachenzentren und der Al-Arabiyya-Test der Universität Leipzig. 6. Lehrwerke In Ermangelung verbindlicher Schulmaterialien für den herkunftssprachlichen Unterricht in Arabisch werden diese in der Regel von den Lehrkräften selbst zusammengestellt, wobei zunehmend auf Lehrwerke aus dem europäischen Ausland anstelle solcher aus den Herkunftsländern zurückgegriffen wird. In der deutschsprachigen akademischen Lehre werden meist die folgenden Werke verwendet: „Modernes Hocharabisch: Lehrbuch mit einer Einführung in Hauptdialekte“ ; „Lehrbuch des modernen Arabisch“ ; „Arabische Sprachlehre“ ; „Lehrgang für die arabische Schriftsprache der Gegenwart sowie Modernes Hocharabisch: Lehrbuch für Fort- 486 Khatima Bouras-Ostmann geschrittene, Dolmetscher und Übersetzer“ ; kommunikativ orientiert ist „Arabisch Intensiv - Grundstufe des Landesspracheninstituts in der Ruhr-Universität Bochum“ . Ergänzendes Material bietet „A Textbook for Arabic“. Im Rahmen der Erwachsenenbildung kommen häufig die folgenden Lehrbücher zum Einsatz: „Usrati - Lehrbuch für modernes Arabisch“ ; „Salam! Arabisch für Anfänger sowie Modernes Hocharabisch - Konversationskurs“ . Literatur Bundesministerium für Bildung und Frauen BMBF , Hrsg. (2014): Der muttersprachliche Unterricht in Österreich. Statistische Auswertung für das Schuljahr 2012/ 13. Wien. Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur BMUKK , Hrsg. (2009): Der muttersprachliche Unterricht in Österreich. Zehnjahresübersicht für die Schuljahre 1998/ 99 bis 2007/ 08. Wien. Deutsches Institut für Erwachsenenbildung DIE , Hrsg. (2013): Volkshochschul-Statistik, 51. Folge, Arbeitsjahr 2012. Bonn. Endreß, G. (1982): Die arabische Schrift, in: W. Fischer (Hrsg.): Grundriß der arabischen Philologie, Band I: Sprachwissenschaft. Wiesbaden. 165-197. Fischer, W. / Jastrow, O., Hrsg. (1980): Handbuch der arabischen Dialekte. Wiesbaden. Maas, U. (2008): Sprache und Sprachen in der Migrationsgesellschaft. Göttingen. MSW - NRW - Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, Hrsg. (2002): Das Schulwesen in Nordrhein- Westfalen aus quantitativer Sicht 2001/ 02. Düsseldorf. MSW - NRW - Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, Hrsg. (2014): Das Schulwesen in Nordrhein- Westfalen aus quantitativer Sicht 2013/ 14. Düsseldorf. Statistisches Bundesamt, Hrsg. (2015a): Aus- und Einfuhr (Außenhandel). Wiesbaden. Statistisches Bundesamt, Hrsg. (2015b): Studierende: Deutschland, Semester, Nationalität, Geschlecht, Studienfach. Wiesbaden. Khatima Bouras-Ostmann 105. Bosnisch / Kroatisch / Serbisch 1. Verbreitung Die Sprachbezeichnung Bosnisch/ Kroatisch/ Serbisch (B/ K/ S) wird außerhalb der Länder verwendet, in denen diese Sprachen Amtssprachen sind. Die Amtssprache in Kroatien ist Kroatisch, in Serbien Serbisch, in Bosnien Bosnisch, Kroatisch und Serbisch sowie in Montenegro Montenegrinisch. Die Zahl der Sprechenden dieser Sprache(n), zusammengezählt in Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Montenegro und Serbien beträgt laut aktuellen offiziellen statistischen Daten dieser Länder ca. 14 Mio.: Serbisch ca. 7,8 Mio., Kroatisch ca. 4,5 Mio., Bosnisch ca. 1,3 Mio. und Montenegrinisch ca. 230.000. Dabei ist anzumerken, dass die Staatsgrenzen keine Sprachgrenzen bilden. Hinzu kommt eine sehr hohe Anzahl von Sprechenden außerhalb der Herkunftsländer, wozu allerdings keine verlässlichen statistischen Angaben vorliegen. 2. Sprachgeschichte Nach einer langen Phase der eigenständigen Sprachentwicklung des Serbischen und des Kroatischen wurde in den 1830er Jahren im Zuge der sog. Illyrischen Bewegung eine einheitliche Sprache angestrebt. Dies ermöglichte die Durchsetzung des einzigen für Serben 487 105. Bosnisch / Kroatisch / Serbisch und Kroaten gemeinsamen Dialektes, des Štokawischen, als Basis der gemeinsamen Schriftsprache. Diese Absicht wurde mit dem Wiener Sprachabkommen (1850) bekräftigt. Die offizielle Sprachbezeichnung ,Serbokroatisch‘ wurde Anfang des 20. Jhs. in der Habsburger Monarchie eingeführt. Ab der Zwischenkriegszeit setzte sich Serbokroatisch/ Kroatoserbisch auf dem gesamten Gebiet des neugegründeten Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen (später Königreich Jugoslawien) durch. Bis in die 1990er Jahre war diese binationale Sprachbezeichnung im Gebrauch, die den plurizentrischen Ansatz in der Sprachenpolitik verdeutlicht. Nach 1990 ging man zu einer nationalstaatlichen Sprachenpolitik über. Heute spricht man vom Serbischen, Kroatischen, Bosnischen und Montenegrinischen. Da die Sprache mit der nationalen Zugehörigkeit gleichgesetzt wird, ist auch statt Bosnisch der Begriff Bosniakisch im Gebrauch (vgl. Okuka 1998; Okuka & Krenn 2002). 3. Sprachliche Besonderheiten B/ K/ S zählt zur westlichen Gruppe der südslawischen Sprachen. Alle Standardvarianten basieren auf dem štokavischen Dialekt, der für eine wechselseitige Verständlichkeit sorgt. Allerdings entwickelten sich die einzelnen Varianten unter verschiedenen historischen, religiösen und politischen Gegebenheiten und befanden sich zudem abwechselnd im Kontakt mit unterschiedlichen Sprachen. Darüber hinaus kam es im Laufe der Geschichte auch zu gegenseitigen Beeinflussungen der Standardvarianten. Das Bosnische und das Kroatische wird lateinisch und das Serbische sowohl kyrillisch als auch lateinisch geschrieben. Beim Erlernen fällt die unterschiedliche Wiedergabe des altslawischen Lautes Jat (eˇ) in den verschiedenen Subdialekten auf (z. B. Milch: mlijeko vs. mleko). Im Bosnischen, Kroatischen und Montenegrinischen wird Ijekawisch und im Serbischen sowohl Ekawisch als auch Ijekawisch gesprochen. B/ K/ S ist sprachtypologisch eine flektierende Sprache, mit sieben Kasus, drei Genera, zwei Numeri und einer reichen Verbalflexion (vgl. Kunzmann-Müller 2002). Alle Standardvarianten sind grammatisch normiert (Težak & Babic´ 2004; Piper & Klajn 2014; Cˇ edic´ 2013). Die meisten Unterschiede finden sich im lexikalischen und phraseologischen Bereich, einige weitere in der Phonologie, Morphologie und Syntax. Die Differenziertheit dieser Standards stellt aber kein signifikantes Verständnishindernis dar. 4. B/ K/ S im schulischen Kontext In Deutschland wird B/ K/ S im Herkunftssprachenunterricht bzw. in Österreich im muttersprachlichen Unterricht an den Schulen gelehrt. Der Herkunftssprachenunterricht in Deutschland wird in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt. So verfügen z. B. Rheinland-Pfalz und Sachsen über ein gemeinsames Rahmencurriculum für alle Herkunftssprachen. Lehrpläne aus Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen bieten einen Rahmenplan für das Bosnische, Serbische und Kroatische an. In Hamburg ist nur das Bosnische im Lehrplan zu finden. Dies hat zur Folge, dass der Konsulatsunterricht der einzelnen Länder stark ausgebaut ist, bspw. Kroatisch-Unterricht in Hamburg oder Serbisch-Unterricht in Baden-Württemberg, der nach dem Lehrplan der Herkunftsländer abläuft und von Lehrkräften aus dem Herkunftsland angeboten wird. Dieser Unterricht findet nachmittags außerschulisch statt. Aus sprachdidaktischer Sicht sollten im Herkunftssprachenunterricht des B/ K/ S v. a. die schriftsprachlichen Kompetenzen entwickelt werden (vgl. Cvikic´ et. al. 2010: 120). 488 Gordana Ilic´ Markovic´ / Milica Sabo In Österreich hat B/ K/ S mit 10.778 Lernenden direkt nach Türkisch die meisten Schülerinnen und Schüler im muttersprachlichen Unterricht des Pflichtschulbereichs in allen Bundesländern (vgl. BMBF 2014: 16). In den letzten Jahren sind leicht sinkende Schülerzahlen zu verzeichnen, insbesondere an den Volksschulen (ebd.: 15). Dem steht ein wachsendes, von privaten Migrantenorganisationen organisiertes außerschulisches Sprachangebot für Kinder und Jugendliche gegenüber, das nach Kroatisch und Serbisch getrennt ist. B/ K/ S wird an einigen Schulstandorten auch als Unterrichtsfach ,Lebende Fremdsprache‘ im sekundären Bildungsbereich an allgemeinbildenden (AHS) und berufsbildenden höheren Schulen (BHS) angeboten. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Bosnisch, Kroatisch und Serbisch als Freifach, Wahlfach oder als unverbindliche Übung anzubieten bzw. in Form einer externen Prüfung als erste oder zweite Fremdsprache zu belegen und ins Schulzeugnis eintragen zu lassen. Am Berufsförderungsinstitut Oberösterreich wurden kompetenzbasierte Curricula und Leitfäden für Lehrgänge in B/ K/ S zur Berufsreifeprüfung entwickelt (vgl. BFI 2014). An den österreichischen Universitäten werden im Lehramt Lehrkräfte für das Unterrichtsfach B/ K/ S als erste, zweite oder dritte Fremdsprache oder Wahlfach an AHS und BHS ausgebildet. Die Lehrkräfte, die im Pflichtschulbereich (Volksschule, Hauptschule und Kooperative Mittelschule: 1. bis 9. Schulstufe) im muttersprachlichen Unterricht tätig sind, verfügen meistens über eine im Ausland erworbene Lehrbefähigung. 5. B/ K/ S in der Erwachsenenbildung Neben Sprachkursangeboten an den Volkshochschulen wird Bosnisch/ Kroatisch/ Serbisch an den deutschsprachigen Universitäten an den slawistischen Instituten gelehrt, als erste Slawine im Rahmen des Studienganges Südslawistik oder als zweite oder weitere slawische Sprache im Rahmen der allgemeinen Slawistik. Manche Universitäten bieten darüber hinaus auch im Rahmen des interdisziplinären Studienganges Südosteuropastudien Sprachkurse an. Hörer/ innen aller Fakultäten können allgemeinsprachliche Kurse an universitären Sprachenzentren belegen. Einige (Süd-)Slawistikstudierende verfügen bereits zu Studienbeginn über sprachliche Vorkenntnisse (zur Situation erwachsener Herkunftssprechenden vgl. Hansen et al. 2013). Ein weiterführendes sprachpraktisches Modul für Herkunftssprachenunterricht wird nur an der Universität Tübingen angeboten. In allen anderen Fällen wird die Sprache ohne Vorkenntnisse studiert. Der didaktische Schwerpunkt liegt deshalb auf der Vermittlung von B/ K/ S als Fremdsprache, die nach den Prinzipien des modernen Fremdsprachenunterrichts vermittelt wird. An den österreichischen Universitäten wird B/ K/ S im Rahmen eines Bachelorstudiums Slawistik, Masterstudiums B/ K/ S und Lehramtsstudiums für das Unterrichtsfach B/ K/ S angeboten. B/ K/ S wird als erste oder als zweite Slawine im Rahmen der Slawistik studiert. Für das Studium sind keine Vorkenntnisse erforderlich, außer beim Bachelorstudium Transkulturelle Kommunikation und beim Masterstudium Dolmetschen bzw. beim Masterstudium Übersetzen. 6. Lehrwerke und Zertifikate Je nach Adressatengruppe gestaltet sich auch der Zugang zu dem unterrichtsdidaktischen Bereich der jeweiligen Sprache. Im Vergleich zu den älteren, rein philologisch ausgerichteten Lehrbüchern setzen die neueren Lehrwerke sowohl des Serbischen als auch des Kroatischen ihre Schwerpunkte in den Be- 489 105. Bosnisch / Kroatisch / Serbisch reichen Hören, Lesen, Sprechen und Schreiben. Außerdem beziehen sich alle neuen Lehrwerke auf die Sprachniveaus nach dem GeR. Für Kroatisch sind das die Lehrwerke des Sprachenzentrums Croaticum der Philosophischen Fakultät in Zagreb Hrvatski za pocˇ etnike und Razgovarajte s nama A2-C1, für Serbisch die Lehrwerke des Instituts für Serbische Sprache und Linguistik der Philosophischen Fakultät in Novi Sad: Naučimo srpski - Let’s learn Serbian (2 Bde.). Für das Kroatische sind Deskriptoren bzw. umfassende Beschreibungen für das Niveau B1 nach dem GeR ausgearbeitet worden (vgl. Grgic´ et al. 2013). Ebenfalls auf dem neuesten Stand der Methodik und Didaktik des Fremdsprachenlernen und -lehrens sind die aktuellen Lehrwerke für Serbisch des Sprachenzentrums Azbukum. Ein Zertifikat für Serbisch kann im Zentrum für Serbisch als Fremdsprache an der Philologischen Fakultät der Universität Belgrad erworben werden. Für das Kroatische ist dies am Sprachenzentrum Croaticum möglich. Literatur BFI (Berufsförderungsinstitut Oberösterreich), Hrsg. (2014): Berufsreife-Leitfaden und Curriculum für B/ K/ S. https: / / bfi-ooe.at/ bfiweb/ sites/ default/ files/ bfi _common/ Projekte/ Leitfaden%20und%20Curriculum%20Berufs reife%20 BKS .pdf BMBF - Bundesministerium für Bildung und Frauen (2004): Informationsblätter des Referats für Migration und Schule 5/ 2013-14. Der muttersprachliche Unterricht in Österreich. Statistische Auswertung für das Schuljahr 2012/ 13. Wien. Cˇ edic´ , I. (2013): Osnove gramatike bosanskog jezika. Institut za jezik, Sarajevo. Cvikic´ , L. / Jelaska, Z. / Kanajet Šimic´ , L. (2010): Nasljedni govornici i njihova motivacija za ucˇenje hrvatskog jezika. Croatian Studies Review, 6, 113-127. Hansen, B. / Romic´ , D. / Kolakovic´ , Z. (2013): Okviri za istraživanje sintakticˇkih struktura govornika druge generacije bosanskoga, hrvatskoga i srpskoga jezika u Njemacˇkoj. Lahor: časopis za hrvatski kao materinski, drugi i strani jezik. 15/ 1, 9-45. Kunzmann-Müller, B. (2002): Grammatikhandbuch des Kroatischen unter dem Einschluss des Serbischen. Frankfurt a. M. MU - Muttersprachlicher Unterricht. www. schule-mehrsprachig.at/ index.php? id=9 Neweklowsky, G. (2002): Serbisch, in: M. Okuka / G. Krenn (Hrsg.), 443-460. Okuka, M. (1998): Eine Sprache, viele Erben. Sprachenpolitik als Nationalisierungselement in Ex-Jugoslawien. Klagenfurt. Okuka, M. / Krenn, G., Hrsg. (2002): Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens. Bd. 10: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Klagenfurt. Piper P. / Klajn, I. (2013): Normativna gramatika srpskog jezika, Matica srpska, Novi Sad. Schubert, G. (2002): Montenegrinisch, in: M. Okuka / G. Krenn (Hrsg.), 319-321. Sprachinstitut für Serbisch, Azbukum. www. azbukum.org.rs Težak, S. / Babic´ , S. (2004): Gramatika hrvatskoga jezika. Prirucˇnik za osnovno jezicˇno obrazovanje. Zagreb. Universität Belgrad, Zentrum für Serbisch als Fremdsprache. http: / / learnserbian.fil.bg.ac. rs/ ? lang=en Universität Novi Sad, Sprachenzentrum für Serbisch als Fremdsprache. www.srpskistrani.com/ index.php? option=com _frontpa ge&Itemid=1 Universität Zagreb, Sprachenzentrum für Kroatisch als Zweit- und Fremdsprache, Croaticum. http: / / croaticum.ffzg.unizg.hr Völkl, S. D. (2002): Bosnisch, in: M. Okuka / G. Krenn (Hrsg.), 209-218. 490 Andreas Guder Wingender, M. (2002): Kroatisch, in: M. Okuka / G. Krenn (Hrsg.), 275-286. Gordana Ilic´ Markovic´ Milica Sabo 106. Chinesisch 1. Verbreitung Mit über 800 Mio. Sprechern gilt das Chinesische als meistgesprochene Muttersprache der Welt. Sowohl hinsichtlich des Bruttoinlandprodukts als auch seiner Präsenz im Internet ist es inzwischen auf Platz 2 der Weltsprachen angekommen. Der chinesische Sprachraum kann in seiner Vielfalt, Größe und historischen Dimension nur mit ganz Europa verglichen werden; entsprechend divers gestaltet sich die Landschaft der dort gesprochenen Sprachen. Die seit jeher stark zentralistische Struktur Chinas und audiovisuelle Massenmedien haben jedoch dazu geführt, dass standardisiertes Hochchinesisch heute innerhalb und außerhalb Chinas als chinesische lingua franca akzeptiert ist. Diese Form des (gesprochenen) Chinesisch stellt heute dasjenige Idiom dar, das auch im Kontext der Fremdsprachenforschung unter „Chinesisch“ verstanden wird. Es handelt sich dabei um diejenige sprachliche Varietät, die im englischen Sprachraum auch anachronistisch als Mandarin Chinese, in der Volksrepublik China als pu˘ to¯ nghuà ( 普通话 „Allgemeinsprache“ ) und in Taiwan als guóyu˘ (国 语 „Nationalsprache“ ) bezeichnet wird. Die Unterschiede zwischen diesen beiden gesprochenen Varietäten des Hochchinesischen sind gering, Differenzen finden sich primär in der Klangfärbung und der Lexik. Der häufig betonte Unterschied zwischen dem Chinesisch in Taiwan und dem des Festlands besteht in der Graphemik: Die Volksrepublik hat in den 1960er Jahren etwa 40 % der Schriftzeichen (meist regelhaft) vereinfacht, während Taiwan und Hongkong bis heute die ursprüngliche Schriftform beibehalten haben. 2. Besonderheiten Als nicht-indoeuropäische Sprache verfügt das Chinesische über viele Eigenschaften, die sich stark von den europäischen Sprachen unterscheiden und hier nur angedeutet werden können: Chinesische Sprachen sind Tonsprachen. Im Hochchinesischen besteht das Silbeninventar aus nur ca. 400 Silben in fünf verschiedenen Tonkurven, was die Zahl phonologisch diskriminierbarer Silben auf ca. 1300 erhöht. Selbst phonologisch gleich lautende Silben verfügen über eine Fülle von Bedeutungskonzepten unterschiedlicher etymologischer Herkunft. Im Chinesischen gibt es keine Flexionsmorphologie. Von wenigen Fremdwörtern abgesehen, stellt jede Sprechsilbe ein bedeutungstragendes Morphem, meist jedoch mehrere semantisch vollkommen unterschiedliche Morpheme dar. Nicht zuletzt wegen dieser Homophonie setzen sich die meisten Lexeme des heutigen Chinesisch aus zwei Silben (= zwei Schriftzeichen) zusammen. Da keine morphologischen Kennzeichnungen syntaktischer Funktionen existieren und auch herkömmliche (europäische) Wortarten für das Chinesische nicht immer eindeutig definierbar sind, kommt v. a. im mündlichen Chinesisch informationsstrukturellen Aspekten eine herausragende syntaktische Bedeutung zu, womit sich auch die Sprachbeschreibung häufig von der Satzebene zur Textebene hin bewegen muss. Chinesisch wird in Sinographemen ( 漢 字 chin. Hànzì) verschriftlicht, dem einzigen 491 106. Chinesisch Schriftsystem, das nicht primär phonographisch arbeitet (und das auch vom Japanischen verwendet wird). Die Kenntnis der Binnenstrukturen dieser Zeichen, von semantisch oder phonetisch fungierenden Subgraphemen, von Strichfolgeregeln sowie die Fähigkeit zur Benutzung entsprechender Nachschlagewerke und digitaler Hilfsmittel sind elementare Grundlagen chinesischer Lese- und Schreibkompetenz. Die Fremdheit des Chinesischen eröffnet dem europäischen Lernenden darüber hinaus auf allen Ebenen kommunikativen Handelns neue Wissenswelten zu kommunikativen Konventionen, paralinguistischen Aspekten, historischen Kontextualisierungen u. v.m. (vgl. Liang 2003, 2008). 3. Schulischer Bereich Von einzelnen Standorten abgesehen, begann die Etablierung von Chinesisch als Wahlpflichtfach erst in den 1990er Jahren. Heute liegt die Zahl der Schulen mit Chinesisch- Arbeitsgemeinschaften und Chinakontakten bundesweit bei etwa 200 (KMK 2011). Mehr als 70 Sekundarschulen in 10 Bundesländern bieten inzwischen Chinesisch als 2., 3. oder spät beginnende Schulfremdsprache an. Fast jede Schule mit Chinesischunterricht bemüht sich trotz hoher Kosten auch um eine Partnerschaft zu einer Sekundarschule im chinesischsprachigen Raum mit regelmäßigem Schüleraustausch. Auch in Österreich und der Schweiz sowie an einzelnen Real-/ Sekundarschulen und Berufsakademien in Deutschland gehört Chinesisch inzwischen zum Sprachenangebot. Die Zahl der Chinesischlernenden an deutschsprachigen Schulen liegt heute bei etwa 6.000 und hat sich damit in den letzten 20 Jahren verzehnfacht. Da Chinesisch zunehmend als Migrationssprache anzutreffen ist, haben sich in vielen Großstädten chinesische Samstagsschulen etabliert, in denen versucht wird, hierzulande aufwachsenden Kindern und Jugendlichen chinesischer Herkunft Kompetenzen in chinesischer Sprache und v. a. der komplexen Schriftlichkeit zu ermöglichen. 4. Chinesisch an Hochschulen und in der Erwachsenenbildung In Deutschland werden an mehr als 20 chinawissenschaftlichen Universitätsinstituten Chinesischkurse angeboten, wobei sich die größten Hochschulinstitute in Bochum, Köln, Heidelberg, Frankfurt und an der FU Berlin befinden (im deutschsprachigen Raum außerdem Wien und Zürich; vgl. Bermann & Guder 2010). An mehreren Hochschulen existieren außerdem berufsorientierte Studiengänge, in denen fortgeschrittene Chinesischkenntnisse mit wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagen zu anwendungsorientierten Studiengängen kombiniert werden (so in Konstanz, Ludwigshafen und Zwickau, in Bremen auch mit Maschinenbau). Die meisten universitären Sprachenzentren bieten Chinesischkurse für Hörerinnen und Hörer aller Fakultäten an. Chinesischkurse an Volkshochschulen und chinesisch-deutschen Freundschaftsgesellschaften erfreuen sich ebenfalls großer Beliebtheit. Auch die seit 2006 seitens der VR China in Deutschland gegründeten 14 Konfuzius-Institute betrachten die Vermittlung der chinesischen Sprache als eines ihrer zentralen Anliegen. 5. Lehrwerke und -materialien Deutschsprachige Lehrwerke für Chinesisch auf Niveau A1/ A2 sind inzwischen zahlreich; das zentrale fachdidaktische Problem in Lehrwerken wie auch vieler didaktischer Online-Angebote besteht in der methodischen 492 Andreas Guder Gratwanderung zwischen kommunikativen mündlichen Lernzielen einerseits und einer sinnvollen Einführung in die zahlreichen Aspekte der chinesischen Schrift andererseits. Manche Lehrwerke verzichten zugunsten einer raschen Progression in mündlichen Kompetenzen (auf Basis des lateinischen Transkriptionssystems Hanyu Pinyin) auf die Vermittlung der Schrift, wodurch sich schneller mündliche Erfolgserlebnisse einstellen. Für Chinesischunterricht auf Mittelstufenniveau, wie er v. a. in chinawissenschaftlichen Studiengängen und in China selbst angeboten wird, existieren fast nur einsprachige oder englischsprachige weiterführende Lehrwerke, die grundsätzlich auch Lesekenntnisse im Chinesischen fordern. Eine zielgruppenorientierte Übersicht über gängige Lehrwerke findet sich auf der Website des Fachverbands Chinesisch. 6. Abschlüsse, Zertifikate Die 2010 reformierte Chinesischprüfung HSK (Hanyu Shuiping Kaoshi 汉语水 平 考试 , Chinese Proficiency Test) aus der VR China stellt die am weitesten verbreitete standardisierte Chinesischprüfung dar und kann an den Konfuzius-Instituten abgelegt werden. Parallel existiert die Prüfung TOCFL (Test of Chinese as a Foreign Language ), die ebenfalls an einigen Orten in Deutschland - sowohl in Kurzzeichen als auch in (taiwanischer) Langzeichenversion - abgelegt werden kann. Auch wenn beide Prüfungen primär rezeptive Chinesischkenntnisse (Hör- und Leseverstehen) zertifizieren, bieten diese Prüfungen bisher die einzige reliable Möglichkeit eines objektiven Vergleichs erreichter Chinesischkenntnisse. Über die von VR-chinesischer Seite postulierte Vergleichbarkeit der HSK- Stufen mit denen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (GeR) gibt es allerdings große Differenzen (vgl. Fachverband Chinesisch 2010). Eine sprachkompetenzorientierte Übersetzer-Ausbildung wird im deutschsprachigen Raum nur an der Universität Mainz in Germersheim sowie eine Dolmetscher-Ausbildung für das Sprachenpaar Chinesisch- Deutsch an der privaten Hochschule SDI München angeboten. An den Universitäten Göttingen, Tübingen und Bochum kann Chinesisch auch als Lehramtsfach studiert werden. 7. Chinesisch als distante Fremdsprache Mehrfach wurde festgestellt, dass für das Erreichen vergleichbarer Kompetenzziele im Chinesischen mit etwa dem doppelten Lern- und Arbeitsaufwand im Vergleich zu europäischen Sprachen gerechnet werden muss (Guder 2005, Meyer 2009). Für das Fach Chinesisch an Schulen wird daher das Niveau A2 als realistisches Lernziel betrachtet, ab mindestens fünf Schuljahren als Wahlpflichtfach auch Anteile von B1 (Fachverband Chinesisch 2005 und 2012). Einen Einstieg in die Lernzieldiskussion unter binnendifferenzierenden Gesichtspunkten bietet Benedix (2009). Ein von der Europäischen Kommission finanziertes Projekt European Benchmarks for the Chinese Language (2012) überträgt die vom GeR definierten Can-do-Statements auf das Chinesische. Die Tatsache, dass das Chinesische über kein primär phonographisches Schriftsystem verfügt, führt jedoch dazu, dass von einer Lesekompetenz für authentisches Textmaterial erst gesprochen werden kann, wenn dem Lernenden die Bedeutungskonzepte von mindestens 1.500 Schriftzeichen vertraut sind, wodurch bei den Deskriptoren des GeR eine Neudefinition von Orthographiebzw. Graphemkompetenz sowie eine Differenzierung hinsichtlich Lese- und Schreibkompetenz auf den Niveaustufen A1 bis B1 erforderlich wurde. 493 106. Chinesisch Das Fach Chinesisch als Fremdsprache steht erst an seinem Anfang. Überblicke zum Forschungsstand finden sich in „CHUN - Chinesischunterricht“ , dem Journal of CLTA (z. B. Ke 2012) sowie bei Liang (2011). Angesichts der zahlreichen linguistischen, kulturellen und schriftsystemischen Faktoren erscheint es für die Fremdsprachenforschung in Europa sinnvoll, Chinesisch als Prototyp einer „distanten“ Fremdsprache gegenüber den in unserem Bildungssystem verbreiteten „affinen“ Fremdsprachen zu betrachten (Guder 2008), deren Lehr- und Lernziele nicht in jeder Hinsicht mit den Kriterien der hierzulande primär unterrichteten europäischen Fremdsprachen bewertet und gemessen werden können. Literatur Benedix, A. (2009): Chinesisch als Fremdsprache in der Sekundarstufe. Binnendifferenzierung und die Gestaltung von Unterrichtsmaterialien. Wiesbaden. Bermann, I. / Guder, A. (2010): 拔苗 助 长 ? Bá miáo zhù zha˘ ng? Eine Erhebung zur Sprachausbildung in chinawissenschaftlichen BA -Studiengängen an deutschsprachigen Hochschulen 2010. CHUN - Chinesischunterricht 25/ 2010, 129- 140. CHUN - Chinesischunterricht. Zeitschrift, hrsg. vom Fachverband Chinesisch. Erscheint einmal jährlich seit 1984. EBCL Project (2012): European Benchmarks for the Chinese Language. http: / / ebcl.eu.com Fachverband Chinesisch (2005): Empfehlungen des Fachverbands Chinesisch e. V. zur Stellung der Fremdsprache Chinesisch in chinawissenschaftlichen Studiengängen. www.fachverbandchinesisch.de Fachverband Chinesisch (2010): Erklärung des Fachverbands Chinesisch e. V. zur neuen Chinesischprüfung HSK . www.fachverband-chi nesisch.de Fachverband Chinesisch (2012): Acht Thesen zur Etablierung des Schulfachs Chinesisch im Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland. www.fachverband-chinesisch.de Guder, A. (2005): Kann man das überhaupt lernen? Zur Vermittlung von Chinesisch als distanter Fremdsprache. Lebende Sprachen 2/ 2005, 61-68. Guder, A. (2008): Was sind distante Fremdsprachen? Ein Definitionsversuch am Beispiel des Chinesischen. in: E. Burwitz-Melzer / W. Hallet / M. Legutke / F.-J. Meißner / J. Mukherjee (Hrsg.): Sprachen lernen - Menschen bilden. Baltmannsweiler, 69-78. Journal of the Chinese Language Teachers Association ( JCLTA ). Zeitschrift der US -amerikanischen Chinese Language Teachers Association. Ke, C. (2012): Research in second language acquisition of Chinese: Where we are, where we are going. Journal of the Chinese Language Teachers Association 47/ 3, 43-113. KMK (2008/ 2011): Chinesisch an Schulen in Deutschland. Bonn. Liang, Y. (2003): Zur linguistischen Pragmatik des Chinesischen als Fremdsprache. CHUN - Chinesischunterricht 18/ 2003, 17-38. Liang, Y. (2008): Sprachliche und interkulturelle Kompetenz. CHUN - Chinesischunterricht 23/ 2008, 11-26. Liang, Y. ( 梁镛 ) (ed.) (2011) Guoji Hanyu jiaoxue yanjiu: Deguo juan 国 际汉语教 学 研究 :德国卷 (Research on Teaching Chinese in the World: Germany ). Beijing. Meyer, F. (2009): Was ist Chinesischkompetenz? Standardisierte Chinesischprüfungen und Untersuchungen zur Sprachstandmessung. CHUN - Chinesischunterricht 24/ 2009, 21-45. Andreas Guder 494 Elin Fredsted 107. Dänisch 1. Verbreitung Ca. 5,6 Millionen Menschen sprechen Dänisch als Erstsprache. Primäres Verbreitungsgebiet ist das Königreich Dänemark; hinzu kommen die zum Reichsverband gehörenden Färöer und Grönland, wo Dänisch überwiegend als Zweitsprache dient. Außerhalb der Reichsgrenzen gibt es Sprachgemeinschaften, welche Dänisch als Erstund/ oder Zweitsprache verwenden, so z. B. die dänische Minderheit im Landesteil Schleswig/ Deutschland (ca. 50.000 Personen). Sprachhistorisch gehört Dänisch zum ostskandinavischen Zweig der nordgermanischen Sprachen. Intern gliedert sich das Dänische in drei Hauptdialekte: das Jütländische, das Inseldänische sowie das Ostdänische, das sich heute auf Bornholm beschränkt. Der Sprachkontakt mit der mittelniederdeutschen Sprache während der Hansezeit beeinflusste die Lexik nachhaltig. Sprecher der festlandsskandinavischen Sprachen Schwedisch, Norwegisch und Dänisch können einander ohne größere Schwierigkeiten verstehen, wenn sie eine distinkte Aussprache benutzen. Aus historischen Gründen (Verwaltung in dänischer Sprache 1380-1814) liegt das norwegische Bokmål besonders nahe am Dänischen. 2. Besonderheiten Charakteristisch für das Dänische ist die Differenz zwischen Schrift und Aussprache: Die Orthographie ist historisierend-etymologisierend, während sich die Aussprache stark verändert hat. Von allen festlandskandinavischen Sprachen hat sich das Dänische von der Lautung des gemeinsamen Altnordischen am weitesten entfernt. Diese Entwicklung beginnt schon im Hochmittelalter (Braunmüller 2007: 87). In der Aussprache bereitet Lernenden die Unterscheidung einer Vielzahl von Vokalen Schwierigkeiten, bspw. die langen und kurzen e/ æ/ o/ ø-Vokale sowie die a-Allophone. Charakteristisch ist die Absenkung kurzer, gespannter Vokale, insbesondere positionsbedingt vor und nach -r. Im Konsonantismus hat sich die Aussprache der Klusile im Verhältnis zum Altnordischen in- und auslautend geschwächt, so dass / b, d, g/ postvokalisch zu [w, ð, j/ w] geöffnet werden oder gänzlich wegfallen können. Diese Klusilschwächung stellt einen Unterschied zum Norwegischen und Schwedischen dar; sie wird in der Graphie nicht markiert. Die Prosodie kennzeichnet eine gleichmäßig (,global‘) fallende Satzintonation (Fredsted 2011). Gemeinsam mit Norwegisch und Schwedisch ist die stark reduzierte Flexionsmorphologie. Charakteristisch für diese Sprachen sind der suffigierte bestimmte Artikel, Kongruenzflexion der Adjektive (auch als adjektivisches Prädikat) sowie ein enklitisches Passiv (auf -s). In syntaktischer Hinsicht handelt es sich um Sprachen, bei denen im Aussagesatz (Hauptsatz) das finite Verb immer an zweiter Stelle steht (sog. V2-Sprache). Die Stellung der Satzadverbien im Hauptsatz unterscheidet sich von der Stellung im Nebensatz. Die Wortstellung ist relativ fest, wobei die dem Hauptverb zugeordneten Satzglieder nach einem Kontaktprinzip in der Reihenfolge obligatorische Satzglieder vor freien Angaben stehen, so dass die Informationsstruktur des Satzes nach dem finiten Verb ,spiegelverkehrt‘ im Verhältnis zum Deutschen verläuft (Fredsted 1987). 3. Dänisch als Nachbarsprache in Schleswig- Holstein 1460-1864 wurden die damaligen Herzogtümer Schleswig und Holstein in Personal- 495 107. Dänisch union mit dem dänischen König regiert. Die Verwaltungssprache war ab dem 17. Jahrhundert Hochdeutsch. Nach einem nationalen Krieg 1864 zwischen Preußen-Österreich und Dänemark wurde Schleswig-Holstein zunächst preußische Provinz, ab 1871 Teil des Deutschen Reichs. Eine Volksabstimmung trennte 1920 das Herzogtum Schleswig in einen nördlichen Teil (Nordschleswig/ Sønderjylland, Dänemark) und einen südlichen Teil, den heutigen Landesteil Schleswig. Spätestens seit dem Mittelalter bildet Schleswig eine Übergangszone zwischen Mitteleuropa und Skandinavien und gleichzeitig eine Sprachkontaktzone zwischen westgermanischen und nordgermanischen Sprachen. Nach der Reformation (1524) wurde das Herzogtum Schleswig kirchensprachlich geteilt. Das Bistum Schleswig (im Süden und Osten) hatte Deutsch als Kirchensprache, die nördliche Westküste und der Nordosten dänische Kirchensprache. Diese Beobachtung ist äußerst wichtig, da die Schulsprache sich später nach der Kirchensprache richtete, die somit für die Literarisierung und die Schriftkultur der Bevölkerung maßgeblich wurde. In Verbindung mit dem Schulgesetz 1814 wurde die Schulsprache so festgelegt, dass sie mit der Kirchensprache übereinstimmte. Die 1920 entstandene Landesgrenze zu Dänemark fällt mit der Kirchensprachgrenze zusammen (Fredsted 2009). Heute wächst Schleswig wieder zusammen: Im Rahmen der Region Sønderjylland-Schleswig (seit 1997) gibt es eine formalisierte grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die auch die Bereiche Kultur und Sprache umfasst. 4. Dänisch als Fremdsprache an öffentlichen Schulen in Schleswig-Holstein Das Fach Dänisch wird an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen in Schleswig-Holstein als Fremdsprache unterrichtet. Nach offiziellen Angaben des Schleswig- Holsteinischen Landtages (2014: 6) gibt es insgesamt 117 Schulstandorte mit Dänischunterricht und 7.804 Schülerinnen und Schüler, die im Schuljahr 2013/ 14 Dänischunterricht erhalten haben. Ca. 60 % der Schulen mit Dänischunterricht liegen im Landesteil Schleswig; am größten ist das Interesse für Dänisch in unmittelbarer Grenznähe. In den Grundschulen ist die Zahl der Schulen, die Dänisch anbieten, stark rückläufig und tendiert zurzeit gegen Null. Innovative didaktische Initiativen (Europäischer Sprachpreis 2009), Dänisch als früh beginnende Nachbar- und Begegnungssprache einzuführen, erwiesen sich schulpolitisch als wirkungslos, nachdem Englisch 2006 in Schleswig-Holstein als Fremdsprache in der Grundschule verpflichtend eingeführt wurde. An Gemeinschaftsschulen kann Dänisch in Klasse 7 oder 9 im Wahlpflichtbereich gewählt und in der Sekundarstufe II in Klasse 11 fortgeführt oder neu begonnen werden. An Gymnasien besteht die Möglichkeit Dänisch ab Klasse 8 (G8) oder Klasse 9 (G9) zu wählen. An den berufsbildenden Schulen kann Dänisch in der Sekundarstufe II fortgeführt oder neu begonnen werden. In verschiedenen Schularten der berufsbildenden Schulen wird Dänisch auch berufsorientiert angeboten. Dänisch kann mündliches Prüfungsfach für den mittleren Schulabschluss und (in Teilen mit zentral gestellten Aufgaben) schriftliches oder mündliches Prüfungsfach für das Abitur sein (Jacob 2014). Im öffentlichen Schulsystem werden die gängigen Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien von Lehrkräften erarbeitet. Hingewiesen sei hier auf die Lehrwerke „Dansk for os“ bzw. „Mere dansk for os“ für den Unterricht ab Jahrgangsstufe 7 sowie „Det er dansk“, das sich an Jahrgangsstufen ab Klasse 9 wendet. Ergänzende Materialien finden sich auf der 496 Elin Fredsted Internetseite des IQSH-Fächerportals (http: / / faecher.lernnetz.de/ faecherportal). Zurzeit (2015) werden in Verbindung mit den neuen Fachanforderungen für die Sekundarschulen spezifische, am Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (GeR) orientierte Niveaubeschreibungen für das Schulfach Dänisch ausgearbeitet. Ein weitergehendes Ziel des Dänischunterrichts in Schleswig- Holstein ist es, sprachkompetente Nachbarn zu schaffen, gegenseitiges Vertrauen zu entwickeln und die Grundlage für ein friedliches Miteinander und ein weiteres Zusammenwachsen der Region in einer europäischen Lebenswelt zu sichern. Das Fach Dänisch bietet Lernenden Zugang zu einer modernen Fremdsprache, der nicht nur durch enge historische, sondern auch durch vielfältige aktuelle Beziehungen zwischen Deutschland und Dänemark eine Mittlerrolle zukommt. Die engen Verbindungen in der Infrastruktur, im Handel und in der Wirtschaft machen Dänischkenntnisse zu einem wichtigen Qualifikationsmerkmal, besonders auf dem grenznahen Arbeitsmarkt. Außerdem dient die dänische Sprache als eine wichtige Brücke zu Skandinavien und öffnet eine Tür in die Kultur des Nordens. 5. Dänisch als Erst- und Zweitsprache an den Bildungseinrichtungen der dänischen Minderheit Bei der Teilung Schleswigs 1920 entstanden nationale Minderheiten: eine deutsche in Nordschleswig (Dänemark) und eine dänische südlich der Grenze. Beide Minderheiten unterhalten ihr eigenes privates Schulsystem. Die dänischen Schulen haben eine doppelte Aufgabe: sie wollen ihren Schülerinnen und Schülern die dänische Sprache und Kultur vermitteln und auch auf ein Leben in der deutschen Gesellschaft vorbereiten. Bis auf den Deutschunterricht und den Fremdsprachenunterricht ist die Unterrichtssprache Dänisch. Die Schulzeit bis zum Abitur beträgt 13 Jahre. Die Kinder werden vor ihrer Schulzeit in Kinderkrippen und Kindergärten in die dänische Sprache und Kultur spielerisch nach Prinzipien eingeführt, die einer frühen Immersion ähneln. 2014 betrug die Anzahl der Kinder in den Kindergärten und Kinderkrippen 2.220 (Dansk Skoleforening 2014: 42). Schulträger der dänischen Privatschulen ist Dansk Skoleforening for Sydslesvig e. V., aber die dänischen Schulen unterliegen der Aufsicht des Kieler Bildungsministeriums. Dansk Skoleforening betreibt 46 Schulen mit 5.715 Schülern, hiervon 673 in der gymnasialen Oberstufe (Dansk Skoleforening 2014: 50). An den meisten dänischen Schulen gibt es eine ,Schulfreizeitordnung‘, was ungefähr einer öffentlichen Ganztagsschule entspricht. Die Abgangszeugnisse werden sowohl in Deutschland als auch in Dänemark anerkannt. Die dänische Minderheit bietet vielfältige Möglichkeiten, sich mit der dänischen Kultur und Sprache zu beschäftigen: gut ausgestattete Bibliotheken, Autorenlesungen, Theater, Sportvereine und Erwachsenenunterricht. Im Bereich Erwachsenenunterricht bietet die Minderheit Dänischkurse auf verschiedenen Niveaus an. 2013/ 14 gab es 3.019 Teilnehmende an Kursen in dänischer Sprache und Literatur (Dansk Skoleforening 2014: 94). 6. Erwachsenenbildung An der Europa-Universität Flensburg kann Dänisch für das Lehramt an Grundschulen, für Sonderpädagogik und für die Lehrämter Sekundarstufe I und Sekundarstufe II studiert werden. Das Dänische Seminar in Flensburg bildet Lehrkräfte für das öffentliche Schulwesen (Dänisch als Fremdsprache) und für die Schulen der beiden nationalen 497 107. Dänisch Minderheiten (Dänisch als Erst- und Zweitsprache) aus. Bei der Zulassung zum Studium müssen die Studienanfänger gute Dänischkenntnisse nachweisen. Das Institut für Skandinavistik der Universität Kiel bildet Sekundarstufenlehrkräfte (I und II) aus. Dänisch als Hochschulfach gibt es innerhalb der Nordischen Philologien bzw. Skandinavistik an den Universitäten in Kiel, Göttingen, Greifswald, Berlin, Frankfurt, Mainz, Münster, Köln, Bonn, München, Tübingen, Freiburg, Wien, Basel und Zürich. Dänisch wird an den Volkshochschulen unterrichtet, besonders häufig im Norden Deutschlands. 2013 gab es an den Volkshochschulen deutschlandweit 1.163 Dänischkurse mit ca. 10.000 Belegungen. Außerdem gibt es private Anbieter von Sprachkursen sowie betriebliche Fortbildungsmaßnahmen. Lehrbuchverlage veröffentlichen Lehrwerke für den Volkshochschulunterricht, jedoch vorwiegend für die GeR-Niveaustufen A1 und A2. Literatur Braunmüller, K. (2007): Die skandinavischen Sprachen im Überblick. Tübingen, Basel. Dansk Skoleforening (2014): Beretning om Skoleforeningens virksomhed i skoleåret 2013-14. Flensburg. Fredsted, E. (1987): Syntax. Deutsch - dänisch kontrastiv, in: U. Groenke (Hrsg.): Akten der 7. Arbeitstagung der Skandinavisten des deutschen Sprachgebiets. Frankfurt a. M., 19-36. Fredsted, E. (2009): Sprachen und Kulturen in Kontakt, in: C. Stolz (Hrsg.): Neben Deutsch. Die autochthonen Minderheiten- und Regionalsprachen Deutschlands. Bochum, 1-23. Fredsted, E. (2011): Dansk segmental fonologi og prosodi. En lærebog i dansk udtale for sprogstuderende. Flensburg. Jacob, R. (2014): Dänisch an öffentlichen Schulen in Schleswig-Holstein. Kiel. Schleswig-Holsteinischer Landtag (2014): Druck sache 18/ 2435 des Schleswig-Holsteinischen Landtages: Dänisch- und Friesischunterricht in Schleswig-Holstein. Kiel. Elin Fredsted 108. Deutsch als Zweitsprache Deutsch ist eine plurizentrische Sprache, die dem germanischen Sprachzweig der indoeuropäischen Sprachfamilie zugeordnet werden kann. Sprachtypologisch handelt es sich um eine flektierende Sprache (vgl. Schäfer 2010). Verschriftet wird sie über das lateinische Alphabet mit nicht ein-eindeutiger Phonem-Graphem-Korrespondenz. Zentral für den Satzaufbau des Deutschen ist die Verbalphrase, die ein- oder mehrteilig sein kann (Barkowski et al. 2014: 101 ff.). Während der Erwerb der Verbstellungsregeln (inklusive der sog. Verbklammer mit Verbzweit- und Verbletztstellung) jedoch zumindest bei jüngeren Lernenden überwiegend unproblematisch verläuft, stellt bspw. der Bereich der Nominalphrasen für Deutsch-als-Zweitsprache-Lernende (im Folgenden DaZ-Lernende) einen häufigen Fehlerschwerpunkt dar. Herausforderungen liegen dabei v. a. im Artikelgebrauch bzw. allgemein in der Deklination der Nominalphrasen nach Numerus, Kasus und Genus (vgl. ebd.: 57 ff.; Ahrenholz 2009). Komplex sind Nominalphrasen im Deutschen des Weiteren oftmals durch die Voranstellung kasusregierender (Wechsel-)Präpositionen sowie aufgrund umfangreicher Komposita. Im DaZ-Unterricht wird die deutsche Sprache zum Lerngegenstand. Hierbei gilt es 498 Julia Ricart Brede schulischen DaZ-Unterricht, der sich an schulpflichtige Kinder und Jugendliche richtet, von außerschulischem DaZ-Unterricht zu unterscheiden, der vornehmlich an (teils auch junge) Erwachsene adressiert ist. Eine Gemeinsamkeit schulischer wie außerschulischer DaZ-Angebote ist die Heterogenität der Lernerschaft: nicht nur bezüglich des Alters, sondern auch hinsichtlich der jeweiligen Erstsprachen und Lernerfahrungen (bspw. des Alphabetisierungsgrades); ihr ist mit hinreichender (Binnen-)Differenzierung zu begegnen. 1. Schulischer DaZ-Unterricht Schulischem DaZ-Unterricht begegnet man sowohl in sämtlichen deutschsprachigen Ländern als auch im nicht-deutschsprachigen Ausland. Die zentrale Organisationsform für letzteres sind sog. Auslandsschulen (vgl. Art. 142); sie zielen darauf ab, das sprachliche und kulturelle Erbe einer marginalisierten Minderheit zu stärken. Neben Deutschstämmigen werden diese Schulen von bildungsnahen Eltern gewählt, die für ihre Kinder eine (nahezu) zweisprachige (Bildungs-)Sozialisation wünschen; die Grenze zwischen DaZ und DaF (Deutsch als Fremdsprache) ist hier fließend. Im deutschsprachigen Inland spielt DaZ einerseits in Form von DaZ-(Förder-) Unterricht, andererseits im sprachsensiblen Fachunterricht eine Rolle. Ein wesentlicher Unterschied zwischen sprachsensiblem Fachunterricht und explizitem DaZ-Unterricht ist, dass die DaZ-Lernenden bei letzterem - entweder als Vorbereitung auf eine Eingliederung in den Regelunterricht oder als ergänzende Maßnahme zu diesem - unter Ausschluss der Mehrheitskinder unterrichtet werden (vgl. Niedrig 2011). Zielgruppe des DaZ-(Förder-)Unterrichts sind in Deutschland jene Schülerinnen und Schüler, die einen Migrationshintergrund ha- ben und/ oder für die Deutsch eine Zweitsprache darstellt. Bei einem Gros der Schülerschaft im DaZ-Unterricht handelt es sich um Seiteneinsteiger und damit um solche Kinder und Jugendliche, die erst im schulpflichtigen Alter nach Deutschland migriert sind und deren Schulbiographien damit in der Regel bereits im Herkunftsland begonnen haben (vgl. Maak 2014: 319 f.). Aufgrund unterschiedlicher Bedürfnislagen und Möglichkeiten in Ballungszentren und eher ländlich geprägten Gebieten, insbesondere aber aufgrund der föderalistischen Struktur des Bildungswesens ist das schulische Lehrangebot im DaZ-Bereich sowohl curricular als auch strukturell sehr heterogen gestaltet. Ganz grundlegend kann unterschieden werden, ob neuzugewanderte Schülerinnen und Schüler direkt in die Regelklasse integriert werden, sodass der DaZ-Unterricht eine ergänzende Maßnahme darstellt oder ob zunächst eine auf den Regelunterricht vorbereitende Vollzeitbeschulung in DaZ erfolgt (vgl. auch Kunz 2008: 116 ff.). Das sog. go-in- Prinzip, bei dem die Neuzugewanderten in das Sprachbad der Regelklasse „eintauchen“ , folgt der Annahme, dass der gemeinsame Unterricht von Lernenden mit und ohne Zuwanderungsgeschichte gegenseitiges Verständnis schafft und einen besonderen Beitrag zur Integration leistet (vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung Nordrhein- Westfalen 2014: 1). Anwendung findet das Prinzip v. a. in Regionen mit sehr geringen Zuwanderungsquoten (bspw. in Thüringen und in Teilen Nordrhein-Westfalens). Die Alternative, sog. (internationale) Vor(bereitungs)klassen, wurden als „Brücke zum Regelunterricht“ erstmals in den 1970er Jahren empfohlen (vgl. Decker 2010: 163). Auch heute stellt der DaZ-Unterricht in Vollzeitbeschulung in zahlreichen Bundesländern wie Bayern, Berlin und Hamburg ein zentrales Moment der Förderstruktur v. a. für die ersten Monate nach der Ankunft in Deutschland 499 108. Deutsch als Zweitsprache dar (vgl. Kunz 2008). Häufig folgt eine sukzessive Eingliederung in die Regelklasse (zunächst in „sprachärmeren“ Fächern wie Sport, Kunst und Musik), wobei dieser Übergang maßgeblich aufgrund von Fortschritten in der Sprachkompetenz, aber auch mit Blick auf die jeweilige Persönlichkeitsstruktur und die emotionale Verfasstheit der Lernenden erfolgt. Besonderes Gewicht erfährt die schrittweise Eingliederung im sächsischen und im schleswig-holsteinischen Konzept. Bspw. sieht das Mehrstufenmodell Schleswig-Holsteins eine Stufe I (nahezu Vollzeitbeschulung in DaZ bis zum Sprachniveau B1 mit beginnender Teilintegration, Fokussierung auf Alltagssprache und Wortschatzaufbau), eine Stufe II (Teilnahme am Regelunterricht plus wöchentlich ca. 2-6 Stunden in DaZ, stärkere Berücksichtigung von Morphosyntax, Aufbau von Textkompetenz) und eine Stufe III (vollständige Integration in die Regelklasse, idealerweise ergänzende DaZ- Stützkurse mit Blick auf sprachliche Besonderheiten des Fachunterrichts) vor (vgl. Budde & Schulte-Bunert 2009: 5-11). Während für die Umsetzung der ersten beiden Stufen sog. DaZ-Zentren von zentraler Bedeutung sind, gerät mit Stufe III der reguläre Fachunterricht zunehmend in den Fokus, um durchgängig sprachbildend tätig zu sein. Curriculare Grundlage für den schulischen DaZ-Unterricht stellen die vom jeweiligen Ministerium herausgegebenen DaZ- Lehrpläne dar. Eine Schlüsselrolle spielt dabei der bereits 2001 veröffentlichte DaZ- Lehrplan des Freistaates Bayern (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2001), der als Vorlage für die Entwicklung weiterer DaZ-Lehrpläne (wie etwa den Berliner und den Thüringer DaZ-Lehrplan) diente. Neben allgemeinen Informationen und theoretischen Grundlagen bspw. zum Spracherwerb beschreiben DaZ-Lehrpläne die von den Lernenden zu erwerbenden Kompetenzen. Bayern wählt hierfür eine Darstellung in sog. Lernfeldern, die thematisch angelegt sind und quer zu Sprachbereichen liegen (vgl. ebd.: 10). Im sächsischen DaZ-Lehrplan sowie in den Curricularen Grundlagen Schleswig Holsteins und den dazugehörigen Konkretisierungen folgt die Ausbuchstabierung der Kompetenzen in sprachlichen Lernbereichen wie „Hörverstehen und Sprechen“ oder „Umgang mit Texten“ (vgl. Sächsisches Staatsministerium für Kultus 2009; Budde & Schulte-Bunert 2009: 23 ff.; Ministerium für Bildung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein 2011). Neben den teilweise bereits sehr ausdifferenzierten Lehrplänen spielen Lehrwerke im schulischen DaZ-Unterricht eine wichtige Rolle. Die Reihe „der, die, das“ wird dabei bspw. häufig für sehr junge, aber auch für lernschwache DaZ-Lernende eingesetzt, wohingegen mit „geni@l klick“ bspw. ein Materialverbund zur Verfügung steht, der insbesondere für DaZ-Lernende der Sekundarstufe geeignet ist. Trotz deutlicher Fortschritte in den vergangenen Jahren stellt die Ausbildung qualifizierter Lehrkräfte für den schulischen DaZ- Unterricht bis dato ein Desiderat dar (vgl. Winters-Ohle, Seipp & Ralle 2012; Baur & Scholten-Akoun 2010). Mit ein Grund hierfür sind Unklarheiten bzw. Uneinigkeiten in Bezug auf die Zuständigkeiten: Gilt es entsprechende DaZ-Module in der ersten und/ oder in der zweiten Phase der Lehramtsausbildung zu installieren und sind sie dem Bereich der Pädagogik oder der Germanistik zuzuordnen? Zu unterscheiden ist weiterhin, ob die implementierten Module lediglich dazu dienen sollen, für DaZ bzw. für durchgängige Sprachbildung zu sensibilisieren (oftmals richten sie sich dann an alle Lehramtsstudierenden) oder ob durch die Module tatsächlich DaZ-Lehrkräfte ausgebildet werden sollen (für einen Überblick über die DaZspezifischen Ausbildungsangebote vgl. auch Baumann & Becker-Mrotzek 2014). In Bezug 500 Julia Ricart Brede auf die Frage, über welche Kompetenzen angehende DaZ-Lehrkräfte verfügen sollten, werden neben theoretischem wie didaktischmethodischem Wissen in den Bereichen Linguistik, Diagnostik sowie Migration und Mehrsprachigkeit häufig auch volitionale und einstellungsbezogene Forderungen wie die „Reflexion schulsprachlicher Normalitätserwartungen“ (Ohm 2009: 28) gestellt. Wenngleich schulischer DaZ-Unterricht nicht auf eine Abschlussprüfung im eigentlichen Sinn hinarbeitet, spielt die Feststellung des Sprachstandes zur Zuweisung von Förderangeboten doch eine (zunehmend) wichtige Rolle. Von wachsender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das ursprünglich für das Auslandsschulwesen konzipierte Deutsche Sprachdiplom (DSD). 2. Außerschulischer DaZ-Unterricht Das außerschulische DaZ-Angebot ist im Allgemeinen weit ausgebaut: Es gibt spezielle Kurse zur Alphabetisierung, Kurse für bestimmte Zielgruppen wie Jugendliche (als Nachhilfeunterricht auch mit starker Nähe zum schulischen DaZ-Unterricht), Frauen oder Studierende sowie Kurse mit besonderen Foki wie Berufsorientierung. Entsprechend basiert das außerschulische DaZ- Angebot auf einer breiten Trägerschaft. Ein prominenter Kursanbieter ist u. a. das Goethe-Institut; im Hochschulbereich zu nennen sind in diesem Zusammenhang v. a. die Sprachenzentren. Eine zentrale Rolle im außerschulischen DaZ-Unterricht spielt das Lehrwerk. Die in der Regel zu Medienverbünden ausgebauten Reihen wie „Berliner Platz NEU“, „Schritte plus“, „studio 21“ bestehen dabei oftmals aus Lehrbuch, Arbeitsbuch, CD/ DVD plus Zusatzmaterial. Außerschulische DaZ-Kurse münden in der Regel in einer am Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (GeR) orientierten Prüfung, weshalb dem Testen und Prüfen eine große Bedeutung zukommt. Wichtige Testformate sind u. a. OnDaF (Online-Einstufungstest Deutsch als Fremdsprache), DTZ (Deutsch-Test für Zuwanderer) und telc (The European Language Certificates ). Im C1-C2-Bereich ist zudem die über den FaDaF (Fachverband Deutsch als Fremdsprache) organisierte DSH (Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang) zu erwähnen, die bundesweit den Hochschulzugang für jene Personen regelt, die nicht über eine deutsche Hochschulzugangsberechtigung verfügen. In Form sog. Sprachkurse bildet DaZ- Unterricht auch einen integralen Bestandteil der seit 2005 bestehenden Integrationskurse. Teilnehmende dieses aus Orientierungs- und Sprachkurs bestehenden Angebotes im Umfang von 660 Stunden sind jugendliche und erwachsene Migrantinnen und Migranten, die nach Paragraph 44 a des Aufenthaltsgesetzes entweder zur Kursteilnahme berechtigt oder verpflichtet sind (vgl. www.bamf.de). Angeboten werden Integrationskurse von einer freien Trägerschaft; häufige Kursanbieter sind die Volkshochschulen. Lehrwerke werden in Integrationskursen kurstragend eingesetzt, d. h. sie bilden die zentrale Grundlage des Unterrichts. Eine Liste der für Integrationskurse zugelassenen Lehrwerke ist über das BAMF erhältlich (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2015). Abgeschlossen wird der Integrationskurs mit zwei Prüfungen: mit dem sprachbezogenen DTZ und dem die Inhalte des Orientierungskurses fokussierenden Test „Leben in Deutschland“ . Werden beide Kurse erfolgreich (und der DTZ auf der Stufe B1) absolviert, erhalten die Teilnehmenden das „Zertifikat Integrationskurs“ (vgl. www.bamf.de). 501 108. Deutsch als Zweitsprache Literatur Ahrenholz, B. (2009): Vom Nutzen der Zweitspracherwerbsforschung für die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 153, 26- 38. Barkowski, H. / Grommes, P. / Lex, B. / Vicente, S. / Wallner, F. / Winzer-Kiontke, B. (2014): Deutsch als fremde Sprache (Reihe DLL 3). München. Baumann, B. / Becker-Mrotzek, M. (2014): Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache an deutschen Schulen: Was leistet die Lehrerbildung? Überblick, Analysen und Handlungsempfehlungen. Hrsg. v. Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. www.mercator-institut-sprachfoer derung.de/ publikationen Baur, R. S. / Scholten-Akoun, D. in Zusammenarbeit mit der Stiftung Mercator, Hrsg. (2010): Deutsch als Zweitsprache in der Lehrerausbildung. 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Sie ist trotz der wachsenden Bedeutung von Spanisch und Chinesisch auch die wichtigste lingua franca im internationalen Austausch und die weltweit meistgelehrte und -gelernte Schulfremdsprache. Englisch ist neben Großbritannien in Australien, Irland, Kanada, Neuseeland, Südafrika, in den USA und in diversen Staaten in der Karibik entweder Muttersprache der Mehrheit der Bevölkerung und/ oder offizielle Verkehrssprache. Rund 325 Mio. Menschen in diesen Staaten sind Muttersprachler des Englischen. Für weitere ca. 50 Mio. ist Englisch Zweit- oder Fremdsprache. Neben diesem inner circle gibt es einen outer circle (vgl. zum Konzept der circles Kachru 1992) mit mehr als 50 Staaten, in denen Englisch aus historischen Gründen eine prägende Rolle spielt und in mehrsprachigen Kontexten mindestens den Status einer Zweitsprache hat (z. B. in Indien und Singapur). Dies betrifft etwa 300-500 Mio. Menschen. Eine dritte Gruppe bildet der sog. expanding circle. Hier, u. a. in China, Japan, Russland und vielen mitteleuropäischen Ländern, ist Englisch weniger auf Grund historischer Faktoren von Bedeutung, sondern weil der Fähigkeit zu seinem Gebrauch ein kultureller und/ oder ökonomischer Nutzen zugeschrieben wird. Dieser Personenkreis umfasst je nach Schätzung zwischen einer halben und einer Milliarde Menschen. Für die heutige Verbreitung des Englischen lassen sich mehrere Gründe anführen. Historisch gesehen haben besonders das Expansionsstreben des British Empire sowie der Aufstieg der USA zur Weltmacht im 20. Jh. zu diesem Prozess beigetragen. Auch nach dem Ende der Kolonialzeit diente und dient Englisch in ehemaligen Einflussgebieten der britischen Krone - oft sogar per Verfassung verankert - als zentrales Mittel der kulturellen, politischen und ökonomischen Verständigung. Englisch war in den letzten einhundert Jahren in nahezu allen wichtigen internationalen Kontexten und Vereinigungen gleichberechtigte, teils sogar alleinige Amtssprache, z. B. im Völkerbund und später bei den UN, der NATO, dem Europarat, in der EU, aber auch bei der OPEC oder der ASEAN, der Organisation südostasiatischer Staaten. Englisch wird in über 100 Ländern der Erde als Schulfremdsprache gelehrt (vgl. Crystal 2003: 6) und ist damit nicht nur die weltweit wichtigste Handels- und Wissenschaftssprache, sondern auch die populärste Jugendsprache. Dank dieser Faktoren sowie politischer Entwicklungen, Migrationsprozesse, der Populärkultur und des in vielen Bereichen durch Englisch dominierten Internets dürften der Status von Englisch und seine Nutzung als lingua franca absehbar mindestens konstant bleiben, wahrscheinlich sogar noch weiter steigen (für aktuelle Daten zu Gebrauch und Verbreitung des Englischen vgl. Lewis, Simons & Fennig 2015). 503 109. Englisch 2. Sprachliche Besonderheiten Wie alle Sprachen ist auch das Englische einem steten Wandel unterworfen. Dieser Prozess vollzieht sich in unterschiedlichen Sprachgemeinschaften, Kontexten und Teilen der Welt aber mit variierender Dynamik. Bedingt durch die geographische Ausbreitung des Englischen mit üblicherweise nachfolgender Loslösung der neuen Sprachgemeinschaften von ihrem ursprünglichen Kern entstanden schon im inner circle nach und nach neue Standardvarietäten, die ebenso kodifiziert wurden, wie sie mit der Zeit ihrerseits weitere regionale, soziale und funktionale Varietäten bildeten. Hier unterscheidet man in der Regel zwischen britischem, amerikanischem, australisch-neuseeländischem, irischem und südafrikanischem Englisch sowie manchmal zusätzlich zwischen nordamerikanischem und kanadischem Englisch. Neben diesen Varietäten, die sich v. a. orthographisch, lautlich und pragmatisch voneinander unterscheiden, haben sich in vielen Staaten des outer circle Varianten entwickelt, bei denen auch morphologisch und syntaktisch teils erhebliche Unterschiede zu älteren Standardvarietäten des Englischen wie auch untereinander bestehen (Trudgill & Hannah 2002). Das Aufkommen dieser sog. New Englishes, die in mehrsprachigen Gesellschaften oft als regionale Zweitsprache fungieren, hat in Kombination mit dem Fortbestehen etablierter Varietäten dazu geführt, dass Englisch heute eine plurizentrische Sprache mit diversen gleichberechtigten Standards ist. Wie sehr diese Varietäten, die formal nicht selten Überschneidungen mit Merkmalen von Lernersprache aufweisen, inzwischen auch den Diskurs über Englisch als Ganzes beeinflussen, lässt sich exemplarisch an der Verbreitung und Rezeption der bereits 1981 gegründeten Zeitschrift World Englishes ablesen. Der Hinweis auf die teils große Nähe zwischen den New Englishes und lernersprachlichen Varietäten ist aber auch deshalb wichtig, weil es sinnvoll sein kann, sich in einer auf Englisch als lingua franca basierenden Kontaktsituation nicht bzw. zumindest nicht einzig einer in nur einem Land kodifizierten Varietät zu bedienen (vgl. auch Jenkins 2009). 3. Englisch als Schulfremdsprache Seit Herbst 2004 wird die erste Schulfremdsprache in Deutschland bundesweit bereits auf der Primarstufe unterrichtet. Englisch ist in allen Ländern der Bundesrepublik Teil dieses Angebots. Vielerorts wird sogar nur Englisch gelehrt. In Österreich ist seit Herbst 2003 an allen Volksschulen Fremdsprachenunterricht ab der 1. Schulstufe verpflichtend. In den ersten zwei Jahren erfolgt dies in den Unterricht anderer Fächer integriert. Ab Klasse 3 wird Englisch oder eine andere lebende Sprache eigenständig im Umfang von einer Wochenstunde gelehrt. In der Schweiz wird seit 2010 ab Klasse 3 die erste und seit 2012 spätestens ab Klasse 5 eine zweite Schulfremdsprache unterrichtet. Auch hier gehört Englisch zum verfügbaren Angebot. Das in den letzten Jahren somit nahezu im gesamten deutschsprachigen Raum erfolgte Vorziehen von Englisch war nicht unumstritten. Manche fürchteten, dass es bei der Alphabetisierung zu Interferenzen mit dem Deutschen kommt. Zudem wurde debattiert, ob und, wenn ja, welche Lern- und Arbeitstechniken aus der Sekundarstufe in die Primarstufe übertragen werden können oder ob der Englischunterricht in der Grundschule einer eigenen Didaktik bedarf. Viele anfangs geäußerte Bedenken gelten mittlerweile als ausgeräumt oder zumindest beherrschbar, da heute eine erheblich breitere empirische Basis existiert und da auch die Lehrenden inzwischen besser für ihre Aufgabe ausgebildet sind (vgl. Diehr & Rym- 504 Markus Kötter arczyk 2012). Das bedeutet nicht, dass der Forschungsbedarf zum frühen Englischunterricht gestillt ist (Kötter & Rymarczyk 2015). Zudem fehlt es noch immer an bundesweit einheitlichen Vorgaben für die Erteilung von Englischunterricht in der Grundschule, da die Kultusministerkonferenz (KMK) für diesen Lernbereich noch keine Bildungs standards verabschiedet hat. Insgesamt hat sich die Diskussion jedoch beruhigt. Grundlage von Englischunterricht auf der Sekundarstufe I in allen Schulformen einschließlich Berufs- und Förderschule sind die 2003 bzw. 2004 von der KMK vorgelegten Bildungsstandards. Sie bilden die Basis für bundeslandspezifische Kernlehrpläne, die ihrerseits Leitlinien für die lokal zu erstellenden Schulcurricula vorgeben. Sowohl im Primarals auch im Sekundar- und Tertiärbereich ist zudem der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR) eine wichtige Richtschnur, fungiert er doch ebenso als Bezugsgröße zur Beschreibung der zu erwerbenden Kompetenzen wie auch als Anker für die Vergleichbarkeit der zu erreichenden Niveaus. Die Kernlehrpläne verweisen darum nicht nur auf Stufen des GeR, z. B. sollen Lernende in Nordrhein-Westfalen (NRW) im Fach Englisch am Ende der Primarstufe in allen Fertigkeitsbereichen die Stufe A1 mit Anteilen von A2 erreicht haben, Gymnasiasten dann am Ende von Klasse 6 durchgängig A2, am Ende von Klasse 8 Stufe A2 mit Anteilen von B1, am Ende von Klasse 9 Stufe B1, am Ende Klasse 10 B1 mit Anteilen von B2 und im Abitur Stufe B2 mit Anteilen von C1, wogegen Hauptschüler und Hauptschülerinnen am Ende von Klasse 10 Englisch auf dem Niveau von A2 mit Anteilen von B1 beherrschen sollen. Insgesamt ist schon seit einigen Jahren eine Abkehr von inhaltsbasierten Vorgaben bei gleichzeitiger Hinwendung zu kompetenzorientierten Zielformulierungen zu beobachten. Der Kernlehrplan für die Sekun- darstufe II in NRW etwa weist, wie schon die Richtlinien von 1999, das „Leitziel der interkulturellen Handlungsfähigkeit“ (MSW NRW 2013: 10) als Kernaufgabe des Englischunterricht aus, setzt aber anders als sein Vorgänger nun auch strukturell auf detailliert aufgeschlüsselte „Kompetenzbereiche und Kompetenzerwartungen“ (ebd.: 14 ff.). Durch diesen Paradigmenwechsel wurden - nicht nur in NRW - über die gesamte Schulzeit hinweg besonders die Aneignung von Sprachlerntechniken, die Entwicklung von Sprachbewusstheit und der Umgang mit Medien stark aufgewertet. Eine weiterer Trend ist die Einrichtung bilingualer Züge, d. h. von Content and Language Integrated Learning (CLIL), also einer mindestens teilimmersiven Nutzung v. a. von Englisch auch im Sachfachunterricht und dies auf der Sekundarstufe ebenso wie mancherorts schon auf der Primarstufe bzw. im vorschulischen Bereich (vgl. für eine konzise Darstellung der Formen von CLIL Diehr 2012). Dieser auch im Lichte des Vorziehens der ersten Schulfremdsprache in die Grundschule und der Forderung nach einer Erhöhung des Anteils mehrsprachiger Bürgerinnen und Bürger in Europa zu sehende Prozess hat gleichermaßen zum Anstieg von auf Englisch verfassten Lernmitteln für ein breites Fächerspektrum wie auch zur (Wieder-) Einrichtung spezieller Studiengänge für CLIL-Lehrkräfte geführt. Dass CLIL u. a. im Hinblick auf die Entwicklung von Sprachbewusstheit einen Mehrwert haben kann, ist heute unstrittig (Wolff 2011). Es ist aber noch nicht absehbar, wie weit seine Ausbreitung gehen wird, da z. B. die Entwicklung und Erprobung solider Curricula gerade erst begonnen hat. 505 109. Englisch 4. Unterrichtsdidaktische und -methodische Spezifika Englisch gehört dank seiner relativ gering ausdifferenzierten Flexionsmorphologie zu den scheinbar leicht lernbaren Fremdsprachen. Diesen Eindruck gewinnen deutschsprachige Lernende u. a. deshalb, weil zwischen Deutsch und Englisch erkennbar Ähnlichkeiten beim Satzbau sowie diverse etymologische Beziehungen auf der Ebene des Wortschatzes bestehen. Verantwortlich dafür sind zum einen gemeinsame sprachhistorische Wurzeln. Zum anderen werden besonders in den Bereichen Wirtschaft, Gesellschaft und Technik kontinuierlich aus dem Englischen stammende Wörter in den deutschen Sprachgebrauch übernommen und oft schließlich auch lexikalisiert, z. B. workshop, lifestyle oder carbon footprint sowie in jüngerer Zeit paywall, selfie oder voice mail. Bereits Schulanfänger kennen Entlehnungen wie Clown, Puzzle, und T-Shirt sowie bald auch Computer, Jeans oder Smartphone. Nicht jede Ähnlichkeit zwischen Englisch und Deutsch sollte jedoch genutzt werden, um sorglos in die eine oder andere Richtung zu transferieren. Im Bereich des Wortschatzes gibt es sog. false friends, d. h. scheinbar bedeutungsgleiche oder mindestens verwandte Wörter, deren Lautung oder Bedeutung in den beiden Sprachen aber tatsächlich erheblich divergiert. Wer mobbt, betreibt Mobbing. Dessen englischsprachige Entsprechung ist aber bullying und das Verb lautet to bully. Zwar gibt es in beiden Sprachen den wütenden Mob. Das Verb *to mob ist im Englischen aber ebenso unbekannt wie trotz deutschem Jogging oder Joggen das Verb *to jog. Neben Einzelwörtern können multi-word units wie Idiome, Kollokationen und Komposita sowie Verben mit nicht anhand des Deutschen vorhersagbaren Präpositionen oder Partikeln (cry off, cry over, cry about) Lernenden Probleme bereiten. Beim Tempus sind Verlaufsformen und die Bildung von Konditionalsätzen häufige Fehlerquellen. Auf pragmatischem Gebiet können u. a. die Nichtbeachtung von Höflichkeitskonventionen sowie das Weglassen von Hedging und anderer die Wirkung einer Äußerung beeinflussenden Optionen für unerwartete Irritationen sorgen. Auch vor diesem Hintergrund ist in jüngster Zeit vermehrt die Forderung nach einem Ausbau sprachsensiblen Unterrichts laut geworden. Oft genügt es nämlich nicht, sich verständlich zu machen. Es ist ebenso wichtig, ein Anliegen auch pragmatisch und soziokulturell adäquat vorbringen zu können. Wege zum Erreichen dieses Ziels sind Rollenspiele, Simulationen und interkulturelle Trainings bzw. die Auseinandersetzung mit Texten und Medien aus anderen Kulturkreisen. Wichtig ist aber auch die kontinuierliche Arbeit an der Sprach- und Sprachlernbewusstheit von der Primarstufe bis in den tertiären Sektor, wobei das Fach Englisch hier Verantwortung für das Anbahnen von Mehrsprachigkeit und lebenslangem Lernen hat. Um steten Wandel sprachlicher und gesellschaftlicher Anforderungen bewältigen zu können, benötigen speziell ältere Englischlernende Lernerautonomie. Zu den in jüngerer Zeit erfolgreich genutzten Instrumenten und Verfahren um diese Ziele zu erreichen zählen der Einsatz von Sprachenportfolios und ein hohes Maß an Aufgabenorientierung. Das Europäische Sprachenportfolio (Council of Europe 2011) bietet diverse Anlässe zur Integration von Sprachlernprozessen und der Reflexion darüber in den Unterricht. Die Arbeit mit Aufgaben hilft, Lebensweltbezüge im Blick zu behalten und zugleich Problemlösefähigkeiten zu erproben und Strategien zum selbstständigen Lernen zu erwerben (Müller- Hartmann & Schocker-v. Ditfurth 2011). Als erste Orientierung dazu, wie man Englisch lehren und lernen kann, bietet sich ungeachtet ihres Alters die Einführung von Hedge 506 Markus Kötter (2000) an. Aus diversen nützlichen Publikationen jüngeren Datums ist u. a. die 2. Auflage der Einführung von Johnson (2008) zu empfehlen. Auch nach der Schulzeit hilft das Sprachenportfolio, um Kompetenzen aufzuzeigen. Volkshochschulen und Sprachenzentren bereiten auf Englisch-Zertifikate wie IELTS, TELC, TOEFL oder TOEIC vor, während Hochschulen durch UNIcert ® zertifiziert werden können. Organisatorisch vertreten u. a. der Verband Englisch und Mehrsprachigkeit, die Gesellschaft für Angewandte Linguistik und die Deutsche Gesellschaft für Fremdsprachenforschung die Profession. Wichtige Zeitschriften sind u. a. „Der fremdsprachliche Unterricht Englisch“ und „Fremdsprachen Lehren und Lernen“ sowie international das „ELT Journal“, „SSLA“, „System“ und „The Modern Language Journal“. Literatur Council of Europe, Hrsg. 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Menschen in 77 Staaten (ca. 3 % der Weltbevölkerung) sprechen Französisch. Als einzige offizielle Landessprache gilt es neben Frankreich und seinen überseeischen Gebieten in dreizehn und als gleichberechtigte offizielle Landessprache in weiteren sechzehn Staaten. Den größten Anteil 507 110. Französisch daran haben die afrikanischen Staaten. Aufgrund ihrer demographischen Entwicklung werden 2050 ca. 85 % der frankophonen Menschen in Afrika leben. Die Anteile französischsprechender Menschen auf den Kontinenten betrugen 2014 etwa 51 % in Nordafrika und Afrika (südlich der Sahara), dem Nahen Osten und dem Indischen Ozean, 8 % in Amerika und der Karibik, 1 % in Asien und Ozeanien und etwa 40 % in Europa. Dies entspricht ca. 77 Mio. Menschen, davon etwa 63 Mio. in Frankreich, 8,3 Mio. in Belgien und 5,5 Mio. in der Schweiz (Organisation internationale de la Francophonie, 2016). 2. Spezifika des Französischen In den ersten Lernjahren Französisch bilden v. a. die phonetischen (Nasale; stummes -e; Stimmhaftigkeit vs. Stimmlosigkeit als bedeutungsunterscheidende Elemente) und morphosyntaktischen Unterschiede des Französischen im Vergleich zum Deutschen und die fehlende lexikalische Basis die größten Lernschwierigkeiten für deutschsprachige Lerner. Hinzu kommt die große Differenz zwischen Schreibnorm und Aussprache. Bietet die Homophonie für fortgeschrittene Lernende die Möglichkeit, mit der Sprache kreativ umzugehen, stellt sie Lernanfänger vor große Probleme: vert, vers, verre. Profitieren können Lernende jedoch auch von englischfranzösischen Kognaten aufgrund der Überlagerung des Angelsächsischen durch das normannische Französisch sowie germanischer Lehnwörter (z. B.: la table - the table, riche - rich). Allerdings stellen hier die faux amis eine Schwierigkeit dar, bspw. frz. actuel / engl. actual oder frz. pain / engl. pain. Im Bereich der Alltags- und Jugendsprache sind u. a. die Elision des -e und starke Verkürzungen ein weiteres Problem für die Schüler/ innen. Qu’est-ce qu’ils disent wird umgangssprachlich zu [skidiz]; Il n’y a qu’à zu [yaka]. Speziell in der Jugendsprache sind neben den Anglizismen viele verlanisierte Wörter in die Alltagssprache eingegangen. Diese sind für deutsche Lernende schwierig zu dekodieren: meuf - femme, chelou - louche, beur - arabe, keuf - flic (vgl. u. a. Stein 2000; Barme 2012; Bulot & Blanchet 2013). Wie im Englischunterricht, der hierzulande auf einer subkulturellen Basis aus Werbung, Popmusik und Fernsehserien ruht, die dem Französischunterricht weitgehend fehlt, muss dieser die aktuellen Tendenzen des modernen Französisch in allen Ausprägungen - Musik, Film, Internet - viel stärker in den Fokus nehmen und sich um Authentizität und Aktualität bemühen. 3. Französisch als Schulfremdsprache Das Erlernen der französischen Sprache an den öffentlichen Schulen in Deutschland hat seit dem Elysée-Vertrag vom 23. 1. 1963 eine privilegierte Stellung im Vergleich zu anderen Fremdsprachen. Neben der Verpflichtung, Bemühungen zu unternehmen, damit junge Menschen beider Länder die Nachbarsprache lernen, erfolgten bilaterale Absprachen: über die Errichtung deutsch-französischer Gymnasien (1973), den gleichzeitigen Erwerb des deutschen Abiturs und des französischen baccalauréat und gleichwertiger Prüfungsordnungen (1994 und 2006), über zweisprachige Bildungsgänge (1995), über den Lehreraustausch (1997) und bilinguale Kindertageseinrichtungen (2013) u. v. a. m. (vgl. KMK 2013: 5 ff.). Französisch gehört in allen Bundesländern zum regulären Fremdsprachenangebot; dies basiert v. a. auf dem Hamburger Abkommen von 1964, wobei die Bedeutung dieses Schulfachs im Verlauf der letzten zehn Jahre insgesamt leicht zugenommen hat (vgl. KMK 2013: 11). Der Anteil der Französischlernenden in der BRD ist von 16,1 % (1999-2000) 508 Christian Minuth auf 18,8 % (2011-2012) gestiegen. Im Jahr 2011-2012 lernten insgesamt 1.632.803 Schülerinnen und Schüler Französisch. Dieser Zuwachs geht u. a. auf eine verstärkte Wahl des Französischen im Gymnasium zurück. Für den Sekundarbereich II ist jedoch in allen Ländern zu beobachten, dass weniger Lernende Französisch in der gymnasialen Oberstufe fortführen. Während 1997-1998 37,2 % Französisch in der gymnasialen Oberstufe belegten, waren es 2011-2012 nur rund 26 % (ebd.: 15 f.). In der Primarstufe kann Französisch in vielen Bundesländern sowohl als reguläre Fremdsprache ab Klassenstufe 1 bzw. 3 (Baden-Württemberg, Saarland) als auch in Arbeitsgemeinschaften angeboten werden. In der Sekundarstufe I kann Französisch erste, zweite oder dritte Fremdsprache sein und ab der Klassenstufe 6 oder 7 bzw. als weiter geführte erste Fremdsprache unterrichtet werden. Französisch wird an den Gymnasien aller Bundesländer unterrichtet und kann ab Klasse 6 oder 7 als zweite Fremdsprache bzw. ab Klasse 8 oder 9 als dritte Fremdsprache gewählt werden. Als Folgefremdsprache nach Englisch ist Französisch - trotz der zunehmenden Bedeutung des Spanischen in vielen Bundesländern - in der Regel die erste romanische Fremdsprache in der Lernbiographie der Schülerinnen und Schüler und erleichtert durch das Phänomen Interkomprehension (vgl. EuroComRom, Meißner 2003) den Einstieg in eine weitere romanische Fremdsprache. In der Oberstufe richtet sich der Französischunterricht an den gemeinsamen Bildungsstandards für die allgemeine Hochschulreife aus, für die als Abiturniveau der Fremdsprachenbeherrschung das Niveau B2 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) gilt (vgl. KMK 2013: 12 ff.). An den Berufsschulen wird Fremdsprachenunterricht entsprechend seiner Bedeutung für den jeweiligen Ausbildungsberuf unterrichtet und kann je nach Zielkompetenzstufe von ca. 40 Stunden bis max. 120 Stunden umfassen, wenn das Ziel fremdsprachiger Kommunikationsfähigkeit angestrebt wird (vgl. KMK 2015). Die Ausbildung des Lehrpersonals obliegt den Universitäten, die teilweise fachdidaktische Lehrstühle für zwei oder drei romanische Sprachen eingerichtet haben. Hiervon unterscheidet sich die Situation in Baden-Württemberg, wo die Ausbildung der Grund-, Haupt-, Real- und Sonderschullehrenden den pädagogischen Hochschulen obliegt. Die Umstellung auf die Bachelor-/ Masterstruktur des Lehramtsstudiums wird 2016 in Deutschland weitgehend abgeschlossen sein und die pädagogischen Hochschulen werden hier mit den Universitäten kooperieren. Bei den Praktika setzt sich zunehmend die Organisationsform des betreuten, semesterbegleitenden Schulpraktikums durch. Längere Studienaufenthalte im frankophonen Ausland werden von Französischstudierenden generell an allen Hochschulen erwartet. Hier spielen v. a. die Programme des Deutsch- Französischen Jugendwerks, ERASMUS und des DAAD eine wichtige Rolle. Zur Förderung des Französischen allgemein sind die Instituts Français mit ihren kulturellen Angeboten und dem France Mobil engagiert. 4. Methodisch-didaktische Entwicklungen und Lehrpläne Die Lehrplansituation in der Bundesrepublik zeichnet sich durch ein buntes, relativ uneinheitliches föderales Patchwork aus. Insgesamt sechzehn Lehrpläne für Französisch liegen vor, die allerdings durch allgemeingültige Bildungsstandards und einheitliche Prüfungsanforderungen im Abitur vereinheitlicht werden. So werden bspw. für den mittleren Schulabschluss in der ersten Fremdsprache Kompetenzen im Bereich B1 bzw. B1+ erwartet und in den Grund- und Leistungskursen des Gymnasiums bis zum Abitur 509 110. Französisch allgemeine Sprachkompetenzen von B2. Das Bild ist weit weniger einheitlich bei den Anforderungen für Französisch als zweite Fremdsprache. Hier gelten Länderregelungen, die teilweise sowohl in den Anforderungsprofilen der jeweiligen Klassenstufen als auch der Progression erheblich untereinander differieren. Als Besonderheit in Baden- Württemberg wird an der sogenannten Rheinschiene von der Schweizer Grenze bis Karlsruhe Französisch als erste Fremdsprache ab der ersten Klasse der Grundschule angeboten; im Saarland wird schon im Vorschulbereich mit dem Erlernen der französischen Sprache begonnen und im Rahmen des Schulversuches ,Französisch ab Klasse 1‘ weitergeführt. Methodisch-didaktische Grundprinzipien dieses frühen Fremdsprachenlernens sind Immersion und die Integration des bilingualen Lehrens und Lernens bei späterer Einführung der Schrift. Das Zeitalter der großen Methoden ist einer Phase von methodisch-didaktischem Eklektizismus und großer Methodenvielfalt gewichen (vgl. Puren 1994). In dem Maße, wie die Komplexität des schulischen Lernzusammenhangs zugenommen hat, bedienen sich die Lehrenden intuitiv der verschiedensten methodologischen Ansätze und praktizieren einen undogmatischen Methodenmix. Im Zuge einer Neubesinnung auf Prinzipien der Reformpädagogik haben sich die Wertigkeiten in der didaktischen Relation verändert, denn mit der Schülerorientierung rücken die echten Mitteilungsbedürfnisse und das sprachliche Handeln der Schülerinnen und Schüler ins Zentrum des Fremdsprachenlernens und mit ihnen die Aufgaben- und Produktorientierung. Die Verbindung zwischen der fremdsprachendidaktischen Forschung und der schulischen Praxis wird durch die einschlägigen Fachzeitschriften hergestellt: „Französisch heute“, „Praxis Fremdsprachenunterricht“ , „Der fremdsprachliche Unterricht: Französisch“ , „Zeitschrift für romanische Sprachen und ihre Didaktik“ . Sehr praxisorientiert und landeskundlich informativ ist die französische Zeitschrift „Le français dans le monde“. Des Weiteren sind in den letzten Jahren verschiedene Fachdidaktiken Französisch erschienen (Leupold 2002; Nieweler et al. 2006; Fäcke 2010; Krechel 2014), die über Didaktikseminare der Hochschulen und die zweite Phase der Lehrerausbildung von den zukünftigen Lehrkräften rezipiert werden. 5. Lehrmaterialien und Lehrwerke Die Lehrwerke, die in der vergangenen Dekade entstanden, zeigen im Allgemeinen - im Gegensatz zu früheren Lehrwerken - drei veränderte didaktische Schwerpunkte: eine stärkere Betonung des Hörverstehens, der Sprachmittlung und der Aufgabenorientierung. Dabei entsprechen alle Lehrwerke den Prinzipien der Kommunikations- und Handlungsorientierung und bieten auch umfangreiches Übungsmaterial für entdeckendes und kreatives Lernen, bei unterschiedlicher Schwerpunktsetzung der Verlage. Verbesserungen wurden im Bereich der Authentizität der Texte und der kommunikativen Situationen erreicht. Ebenfalls erfolgte eine stärkere Einbindung von Chansons, poetischen Texten und Beispielen aus der Kinder- und Jugendliteratur. Moderne Lehrwerke streben zudem die Einbindung anderer frankophoner Regionen und verschiedener Varietäten an. Generell sind die Lehrwerke mit einem breit gefächerten Angebot von Zusatzmaterialien umgeben bzw. in nutzerfreundlichen Internetplattformen abrufbar. In Deutschland repräsentieren aktuell drei große Verlagshäuser den Schulbuchmarkt im Fach Französisch: der Ernst Klett-Verlag (Tous ensemble und Découvertes ), der Cornelsen-Verlag (A toi und A plus) und der Verlag Moritz Diesterweg (Ça va bien). Die noch vor zehn 510 Christian Minuth Jahren recht bedeutende fachdidaktische und -methodische ,graue Literatur‘ der verschiedenen Lehrerfortbildungsinstitutionen, die beträchtlichen Einfluss auf die Unterrichtspraxis hatte, verlor in demselben Maße an Bedeutung, wie die Lehrwerke im Sinne der Standards weiterentwickelt und die genannten Institutionen finanziell eingeschränkt wurden; viele der Ideen aus den Fortbildungsmaterialien sind inzwischen in die kommerziellen Produkte eingeflossen. 6. Zertifikate In Zusammenarbeit der Bildungsministerien und mit den regionalen Instituts Français können in allen Bundesländern Schülerinnen und Schüler an DELF (Diplôme d’Études en Langue Française ) bzw. DALF-Prüfungen (Diplôme Approfondi de Langue Française ) teilnehmen. Die Zahl der Prüfungen liegt bei etwa 60.000 pro Jahr, die seit 2006 an die Niveaustufen des GeR angepasst sind. Mit dem Hörverstehen, dem Leseverstehen, dem Schreiben und dem Sprechen überprüft DELF die funktionalen kommunikativen Kompetenzen, die auch im modernen Fremdsprachenunterricht eine wesentliche Rolle spielen: DELF scolaire bzw. DELF junior; DALF für die Niveaustufen C1 und C2; DELF prim für die Niveaustufen A1 und A2 (vgl. KMK 2013: 26 f.). In Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis der Sprachenzentren, Sprachlehrinstitute und Fremdspracheninstitute (AKS) können Französischkenntnisse mit UNIcert ® zertifiziert werden; weitere Französischzertifikate bietet die telc GmbH an. 7. Situation in Österreich und der Schweiz In den letzten zehn Jahren hat sich die Situation des Schulfaches Französisch an staatlichen österreichischen Schulen verschlechtert. Bei insgesamt rückläufigen Schülerzahlen und neben der unangefochtenen Position des Englischen verliert das Fach stark (107.000 gegenüber 125.000 zehn Jahre zuvor), während Spanisch Zuwächse verzeichnen kann (37.000 gegenüber 17.000 zehn Jahre zuvor, vgl. Göschl et al. 2009: 5). Seit 2009 liegen Bildungsstandards für Französisch, Italienisch, Spanisch vor und wurden durch eine Verordnung des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur im österreichischen Schulwesen verankert. Die Schweiz ist offiziell ein viersprachiges Land und hat dementsprechend ihr Fremdsprachenlernkonzept an diese mehrsprachige Situation angepasst. Kernstück der Sprachenpolitik ist die Einführung von zwei Fremdsprachen in der Primarschule für alle Kinder. Zusätzlich zur Muttersprache der Kinder sind dies eine zweite Landessprache ab dem dritten bzw. Englisch spätestens ab dem fünften Schuljahr. Seit 2011 hat die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) nationale Bildungsziele formuliert und für die Fremdsprachen detaillierte Beschreibungen der Grundkompetenzen in den zwei Fremdsprachen der Primarschule herausgegeben. Allerdings gibt es immer noch politische Vorstöße, die sich für eine Veränderung des Sprachunterrichts in der obligatorischen Schule einsetzen (vgl. EDK 2014). Literatur Barme, S. (2012): Gesprochenes Französisch. Romanistische Arbeitshefte, Bd. 58. Berlin. Bulot, T. / Blanchet, P. (2013): Une introduction à la sociolinguistique. Pour l’étude des dynamiques de la langue française dans le monde. Paris. Fäcke, C. (2010): Fachdidaktik Französisch: Eine Einführung. Tübingen. 511 110. Französisch Göschl, A. / Isak, G. / Moser, W. / Ritt, L. / Truxa, E. / Zellinger, S. / Zisser, B. (2009): Kompetenzbeschreibungen für Französisch, Italienisch, Spanisch, 8. Schulstufe (zweites Lernjahr). Praxishandbuch. ÖSZ Praxisreihe 9. 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Zudem ist es v. a. in Nord- und Lateinamerika wie auch in Deutschland infolge der italienischen Emigration des 19./ 20. Jhs. als Herkunftssprache stark präsent, v. a. in den USA, Brasilien, Argentinien, Deutschland und Kanada (Bossong 2008: 206). Infolge der Einwanderung nach Italien v. a. seit den 1990er Jahren wird Italienisch in Italien zunehmend als Zweitsprache bzw. nunmehr bereits in zweiter Generation auch als Erstsprache von Sprecherinnen und Sprechern mit Zuwanderungsgeschichte gesprochen. Dabei dient das Italienische auch als lingua franca unter Einwanderern verschiedener Ethnien. In Deutschland stellen Italiener (9,1 % aller Ausländer) die drittgrößte Ausländergruppe nach Türken und Polen dar (Statistisches Bundesamt 2014), woraus sich zahlreiche unmittelbare Anwendungsmöglichkeiten der Sprache ergeben. Italien ist für die Bundesrepublik Deutschland zweitstärkster romanophoner Handelspartner nach Frankreich. Unbestritten ist weiterhin das kulturelle Gewicht der Sprache, die maßgebliche Beiträge zur europäischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte geleistet hat; Italienisch ist noch heute u. a. in den Berei- 512 Daniel Reimann chen Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Archäologie und Architektur eine nachgefragte Fachsprache. 2. Besonderheiten Als indoeuropäische Sprache des italischen Zweiges und romanische Sprache weist das Italienische für deutschsprachige Lernende keine unüberwindbaren Schwierigkeiten auf. Lernende des Italienischen können im Regelfall zumindest auf Kenntnisse im vorgelernten Englischen zurückgreifen; dieses bietet aufgrund seines im Mittelalter durch das Französische und das (Mittel-) Lateinische vermittelten hohen romanischen und latinisierenden Anteils zahlreiche transparente lexikalische Anknüpfungspunkte für die Lernenden (z. B. to arrive - arrivare, different - differente, plate - piatto); nur in Ausnahmefällen ergeben sich aus dem Englischen ,falsche Freunde‘ wie etwa pavement (Bürgersteig) - pavimento (Fußboden). Entscheidend aus lernpsychologischer Perspektive ist die Transparenz des zu transferierenden Wortschatzes (vgl. Hausmann 2005), die in zahlreichen Fällen gegeben ist. Dadurch ist grundsätzlich mit einer schnellen Progression im Wortschatz zu rechnen. Haben Lernende zusätzlich Kenntnisse in Latein, Französisch und/ oder Spanisch erworben, bieten diese genetisch und typologisch noch näher stehenden Sprachen zahlreiche weitere Transferbasen in der Lexik, der Aussprache, den Phonie-Graphie-Relationen, in der Morphosyntax sowie im Bereich der inter- und transkulturellen kommunikativen Kompetenz (z. B. nonverbale Kommunikation einschließlich Proxemik und Haptik, scripts wie Bedeutung des Frühstücks u. v. a.). 3. Schulischer Bereich Bereits im 18. Jh. ist Italienisch u. a. als Schulfach an Realschulen und als Wahlfach an Gymnasien belegt; ab dem 19. Jh. wurden auch Lehramtsprüfungen abgenommen (Reimann 2009: 18 ff.). Als entscheidende Phasen der jüngeren Geschichte des Italienischunterrichts können das Jahr 1972, die Jahre um 1985 sowie das Jahr 2000 gelten. Mit der Oberstufenreform des Jahres 1972/ 73 kann sich Italienisch als Grund- und Leistungskursfach der gymnasialen Oberstufe etablieren: Nordrhein-Westfalen bietet sehr früh Leistungskurse in der in Jahrgangsstufe 11 neu einsetzenden Fremdsprache an und wird somit zum Vorreiter in der Entwicklung des Italienischen als (Wahl-)Pflichtfach. Bayern und Baden-Württemberg, die inzwischen gemeinsam mit Nordrhein-Westfalen zu den Hochburgen des schulischen Italienischunterrichts zählen, aber auch Hamburg führen um 1985 Italienisch als 3. Fremdsprache ein, die alsbald in Bayern und Baden-Württemberg auch in den Leistungskurs mündet. Nachdem sich Italienisch seit Mitte der 1980er Jahre als Wahlpflichtfach neben Französisch etablieren kann, so z. B. auch in Rheinland-Pfalz, Hessen und dem Saarland, nach der Wende auch in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt (vgl. Reimann 2009: 45), erfährt das Italienische einen weiteren Schub mit der Einführung einer neu einsetzenden spät beginnenden Fremdsprache ab Jahrgangsstufe 11 bzw. 10 gerade auch in den Flächenstaaten Bayern und Baden-Württemberg ab dem Jahr 2000 (vgl. Reimann 1997, 2009: 2014). Am stärksten ist Italienisch in Baden- Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen vertreten. Außer in Bremen und in Mecklenburg-Vorpommern liegen inzwischen in allen Bundesländern Lehrpläne für das Fach Italienisch vor. Derzeit besuchen nach Angaben des Statistischen Bundesamts ca. 60.000 Lernende an allgemeinbildenden 513 111. Italienisch und beruflichen Schulen in Deutschland Unterricht im Fach Italienisch; im wesentlich kleineren Österreich sind es etwa genauso viele (vgl. Statistik Austria 2014). In der Schweiz geht man in den nicht-italophonen Kantonen von etwa 10.000 Italienischlernenden an den Schulen aus (Sperduto 2014). Nach Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch ist Italienisch mithin die fünftgrößte moderne Schulfremdsprache in Deutschland, in Österreich nach Englisch und Französisch die drittgrößte. Damit hat sich das Lernerkontingent etwa in Deutschland in den letzten beiden Jahrzehnten beinahe verdreifacht (vgl. Reimann 1997). Italienisch wird überwiegend an Gymnasien und Gesamtschulen, zumeist als 3. Fremdsprache ab Jahrgangsstufe 8 oder als spät beginnende Fremdsprache ab Jahrgangsstufe 10, teilweise auch als 2. Fremdsprache erlernt. Die Bedeutung des herkunftssprachlichen Unterrichts nimmt zusehends ab. Dagegen wird Italienisch immer öfter an der Grundschule und als 1. Fremdsprache, v. a. in bilingualen Zügen, unterrichtet. Diese Sonderform des Italienischunterrichts stellt zwar insgesamt nach wie vor die Ausnahme dar, wird aber in den Ballungsräumen zunehmend nachgefragt. 4. Erwachsenenbildung Italienisch erfreut sich in der Erwachsenenbildung an den Volkshochschulen nach wie vor großer Beliebtheit. Im Jahr 2013 war Italienisch mit 7 % aller im Programmbereich Sprachen angebotenen Unterrichtsstunden die drittmeist nachgefragte Fremdsprache nach Englisch (20,6 %) und Spanisch (8,4 %) vor Französisch (mit 6,5 %). Somit fanden laut Statistik des Deutschen Volkshochschulverbandes 2013 insgesamt 17.716 Italienisch-Kurse mit einem Umfang von 436.330 Italienischstunden statt (Huntemann & Reichart 2014: 7, 30). Darüber hinaus ist angesichts einer Tendenz zur Diversifizierung des Sprachkursmarktes davon auszugehen, dass an den immer zahlreicheren privaten Sprachschulen entsprechend viele Italienischkurse stattfinden. In methodischer Hinsicht ist Italienisch an den Volkshochschulen mit denselben Schwierigkeiten der Heterogenität der Lernergruppen in Bezug auf unterschiedlich sprachlernerfahrene Lernende konfrontiert wie andere Sprachen; infolge der oben skizzierten Entwicklung des Schulfaches Italienisch werden zunehmend auch die Gruppen der „falschen Anfänger“ und der „Wiedereinsteiger“ zu bedienen sein. Auch in der betrieblichen Weiterbildung wird Italienisch aufgrund der o. g. wirtschaftlichen Bedeutung Italiens stark nachgefragt (vgl. Schöpper-Grabe & Weiß 1998). 5. Lehrwerke und -materialien Die Entwicklung des Lehrwerkangebots in den letzten Jahrzehnten ist ein Spiegel des Interesses an der italienischen Sprache. Während es bis in die frühen 1990er Jahre nur wenige Lehrwerke gab, die für die Erwachsenenbildung konzipiert waren und faute de mieux auch im schulischen Bereich eingesetzt wurden, ist das Angebot an Materialien für die Erwachsenenbildung und für das Selbststudium angesichts der großen Popularität der italienischen Sprache in Deutschland inzwischen immens. Spezifische Lehrwerke für den schulischen Italienischunterricht gibt es indes in jüngerer Zeit erst seit den 1990er Jahren (Capito, Appunto, In Piazza (Neu), Giro, Ecco, Ragazzi, andiamo! ). Seit dem Beginn des neuen Jahrtausends liegen mit den Reihen Panoramica bzw. EinFach Italienisch thematische Text- und Arbeitshefte für die Oberstufenarbeit vor. Erstmals erschien 2013 mit Incontri. Italienisches Lesebuch für die Oberstufe ein Oberstufen-Lehrwerk für die fortgeführte Fremdsprache. Darüber hinaus veröffent- 514 Daniel Reimann lichen inzwischen auch die großen Verlage punktuell Lehrerhandreichungen, Oberstufen- und Abiturvorbereitungsmaterialien. 6. Abschlüsse, Zertifikate Wo Italienisch in der Oberstufe als fortgeführte Fremdsprache besucht wird, kann es auch als Abiturprüfungsfach gewählt werden. Wird Italienisch als spät beginnende Fremdsprache belegt, ist eine Wahl als mündliches „Colloquiums“ -Prüfungsfach möglich. Derzeit noch Ausnahmefälle sind Pilotprojekte wie die Internationale Sektion Italienischer Sprache am Rupprecht-Gymnasium München oder dem Königin-Katharina-Stift Stuttgart, an denen nach dem Vorbild des AbiBac nach bilingualem Vorlauf gleichzeitig sowohl das deutsche als auch das italienische Abitur abgelegt werden kann. Der Besuch eines bilingualen Zuges kann in den Zeugnissen eigens ausgewiesen werden. Darüber hinaus gibt es für das Italienische mehrere Zertifizierungen, die überwiegend von den in Italien für den Italienischunterricht als Fremdsprache traditionell maßgeblichen Institutionen angeboten werden und auch in den schulischen Bereich Einzug gehalten haben. Insgesamt sind es für den allgemeinsprachlichen Bereich fünf einschlägige Zertifikate: CELI, CILS, ele.IT, PLIDA und telc. Nachdem ele.IT als erstes Zertifikat eine eigene „Junior-Variante“ vorgelegt hat, gibt es inzwischen neben ele.IT junior mit CELI adolescenti, PLIDA juniores und CILS UNO - B1 Adolescenti mehrere inhaltlich speziell auf die Interessen Jugendlicher zugeschnittene Zertifikate. Einzelne Zertifizierungen stehen auch für den fachsprachlichen Bereich (CIC - Certificazione dell’Italiano Commerciale, ab B1) zur Verfügung. Zudem gibt es Zertifizierungen für Italienischlehrkräfte, die insbesondere für die berufsbegleitende Qualifikation für die Erwachsenenbildung in Italien bzw. für die Arbeit an italienischen Kulturinstituten im Ausland einschlägig sind (DITALS der Ausländeruniversität Siena und ITALS der Universität Venedig; diese Universitäten, die Ausländeruniversität Perugia und inzwischen auch weitere Universitäten bieten auch entsprechende Master-Studiengänge für die Didaktik des Italienischen als Zweit- und Fremdsprache an). Literatur Ammon, U. (2015): Die Stellung der deutschen Sprache in der Welt. Berlin u. a. Bossong, G. (2008): Die romanischen Sprachen. Eine vergleichende Einführung. Hamburg. Hausmann, F. J. (2005): Der undurchsichtige Wortschatz des Französischen. Lernwortlisten für Schule und Studium. Aachen. Huntemann, H. / Reichart, E. (2014): Volkshochschul-Statistik. 52. Folge, Arbeitsjahr 2013. Deutsches Institut für Erwachsenenbildung Bonn. Reimann, D. 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Erstellt am 09. 12. 2014. www.statistik.at/ web _de/ statis tiken/ menschen _und_gesellschaft/ bildung _und_kultur/ formales _bildungswesen/ schu len_schulbesuch/ index.html Statistisches Bundesamt (2014): Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Ausländische Bevölkerung. Ergebnisse des Ausländerzentralregisters 2013. Wiesbaden. Daniel Reimann 112. Japanisch 1. Sprachtyp und Sprachverwandtschaft Japanisch ist eine agglutinierende Sprache und gehört sprachtypologisch zur Sprachfamilie der altaischen Sprachen. Es ist damit entfernt verwandt z. B. mit dem Türkischen, näher verwandt mit dem Koreanischen, gar nicht verwandt aber mit dem Chinesischen. Japanisch wird muttersprachlich von ca. 125 Mio. Menschen gesprochen. Seine Verbreitung beschränkt sich hauptsächlich auf das japanische Staatsgebiet. 2. Sprachliche Besonderheiten Das Japanische ist eine der großen Kultursprachen der Welt. Es verfügt über eine reiche literarische und wissenschaftliche Tradition und weist als Sprachvarietäten eine differenzierte Vielfalt an historischen Sprachstufen, Dialekten und Regiolekten sowie Soziolekten, Funktiolekten und Texttypen auf. Das texttypologische Spektrum des Japanischen ist vom Umfang und der Ausprägung her im Großen und Ganzen mit dem Deutschen vergleichbar. Die japanische Schrift ist eine Kombination aus den historisch etwa seit dem 4. Jh. n. Chr. aus dem Chinesischen übernommenen Wort-Bild-Schriftzeichen (Logogrammen), den Kanji, und Silben-Schriftzeichen, den Kana, die im Laufe des 9. Jhs. aus diesen entwickelt worden sind, und zwar ähnlich wie im lateinischen Alphabet die Doppelung aus Groß- und Kleinbuchstaben, in zwei parallel existierenden Systemen, den Hiragana- und den Katakana. Die regulär gemischte Schriftverwendung in der heutigen Form ist, dass im Wesentlichen Wortstämme und Bedeutungskerne in Kanji, grammatische Endungen und Erweiterungsformen in Hiragana, ausländische Namen und Bezeichnungen dagegen in Katakana geschrieben werden. Im Bereich der Formenbildung fällt im Vergleich zum Deutschen auf, dass das Japanische mit einem relativ geringen grammatischen Formenbestand auskommt. Verben haben keine Personalendungen, Adjektive und Nominaladjektive flektieren attributiv nicht, und Nomen besitzen gar keine Flexionsformen, also weder Kasusendungen noch Numerus oder Genus. Alle vier Haupt-Wortklassen unterscheiden lediglich zwei Zeitstufen, nämlich Präsens und Perfekt, sowie zusätzlich jeweils affirmativ vs. negativ, und zwar auch bei den Adjektiven mit eigenständigen morphologischen Formen, nur bei den Nomen und Nominaladjektiven dagegen über die Kopula wie im Deutschen. Im Bereich der Syntax ist für deutsche Lernende ungewohnt, dass im Japanischen als (S)-O-V-Sprache die einzelnen Satzsegmente im Vergleich zum Deutschen häufig in genau umgekehrter Reihenfolge angeordnet sind. In dieser Spiegelung ist auch die Schwierigkeit der deutsch-japanischen Simultanübersetzung begründet. Insgesamt gesehen ist der grammatische Formenbestand des Japanischen für deutsche Lernende leicht zu überschauen. Da auch die Aussprache im Großen und Ganzen unpro- 516 Gerhard Dillmann blematisch ist, können gelernte Strukturen ohne Weiteres immer schnell auch aktiv verwendet werden. Das Japanische eignet sich somit sehr für einen modernen, konsequent auf aktive Kommunikation ausgerichteten Fremdsprachenunterricht. Auf der kommunikativen Ebene liegt eine weitere Besonderheit des Japanischen darin, dass der sprachliche Ausdruck von Höflichkeit gegenüber dem Kommunikationspartner als Höflichkeitsmorphem am Ende jedes Satzes realisiert wird, also nicht wie im Deutschen nur in der Form der Anrede des Gesprächspartners beim Siezen. Durch die stereotype Wiederholung in jedem Satz wird ein sehr präsenter, konstanter Höflichkeitston erzeugt, im Gegensatz zum einfachen Gesprächsstil, funktional vergleichbar dem Duzen im Deutschen, bei dem am Satzschluss durchgehend die einfache Form der Verben, Adjektive oder der Kopula verwendet werden. Über diese beiden Stilebenen hinaus gibt es noch eine dritte Ebene der ausgesuchten Höflichkeit, die Ebene der Höflichkeitssprache im engeren Sinne. Diese wird erzeugt u. a. durch besondere lexikalische Ausdrücke insbesondere im Verbbereich, Erweiterung von Nomen durch Höflichkeitspräfixe sowie formelhafte syntaktische Erweiterungen, die allesamt nach dem Prinzip der strikten Unterscheidung zwischen Ich-Bezug und Partner-Bezug funktionieren. Einen einführenden linguistischen Überblick zur japanischen Sprache geben Ebi und Eschbach-Szabo (2015), für speziellere kontrastive Fragestellungen vgl. Kaneko und Stickel (1984, 1987) sowie Rickmeyer (2014). 3. Japanisch an Schulen Japanisch wird mittlerweile an über 66 deutschen weiterführenden Schulen angeboten, und zwar entweder als Arbeitsgemeinschaft oder als Wahlfach. Letzteres kann meist bis zum Abitur belegt und mit einer Abiturprüfung abgeschlossen werden. Eine vollständige Liste (Stand September 2012) findet sich auf www.vjsonline.de/ downloads; Beispiele für Japanisch an Schulen in Österreich und der Schweiz sind das Gymnasium Bäumlihof in Basel sowie die Theresianische Akademie Wien. Die curricularen Grundlagen für den Japanischunterricht an Schulen wurden in dem von sechs Bundesländern gemeinsam durchgeführten Modellversuch „Japanischunterricht in den Sekundarstufen I und II“ (1987-1993) gelegt, in dessen Rahmen Lehrpläne für die Sekundarstufe I und II sowie Lehr- und Lernmaterialien entwickelt und auch Lehrerfortbildungen durchgeführt wurden. Die Ergebnisse des Modellversuchs sind in einem Abschlussbericht ausführlich dokumentiert und kommentiert (Goetz & Hoffmann 1995). Eine gemeinsame Grundlage für das Japanisch-Abitur an deutschen Gymnasien ist mit den Einheitlichen Prüfungsanforderungen der Abiturprüfung (KMK 1999) geschaffen worden. Verbandsmäßig organisiert sind die Lektoren an weiterführenden Schulen seit 1993 im „Verein der Japanischlehrkräfte an weiterführenden Schulen im deutschsprachigen Raum e. V.“, welcher mit regelmäßigen Workshops und einer jährlichen überregionalen Fachtagung insbesondere auf den Gebieten Lehrerfortbildung und Weiterentwicklung von Unterrichtsmaterialien aktiv ist (www.vjsonline.de). Herkunftssprachlichen Unterricht für schulpflichtige japanische Kinder und Jugendliche gibt es in Deutschland, organisiert von japanischen und internationalen Schulen oder auch Elterninitiativen, in vielen Großstädten mit japanischer Gemeinde, so in Berlin, Bonn, Dresden, Düsseldorf, Heidelberg, Karlsruhe, Köln, München und Stuttgart. Informationen zu den Unterrichtsorten in Deutschland finden sich auf der Homepage der regional zuständigen japanischen Gene- 517 112. Japanisch ralkonsulate Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg und München, für Berlin der japanischen Botschaft. 4. Japanisch in der Erwachsenenbildung Über die Schulen hinaus werden auch an den meisten größeren Volkshochschulen, einigen Berufskollegs und diversen anderen Einrichtungen Japanischkurse in verschiedenen Schwierigkeitsstufen angeboten. Organisiert sind die Lektoren an den Volkshochschulen seit 1992 im „Verein zur Förderung des Japanisch-Unterrichts an VHS e. V. (VJV)“, (http: / / vhs japanisch.jimdo.com), der ebenfalls im Bereich Lehrerfortbildung und Lehrmaterialentwicklung aktiv ist. Im Hochschulbereich ist Japanisch zentral im Studiengang Japanologie an den japanologischen Instituten angesiedelt, an vielen Universitäten auch im Rahmen fester Studienfachkombinationen z. B. mit Politik, Wirtschaft, Geschichte, Jura u. a.; Zentren der japanologischen Ausbildung in Österreich und der Schweiz sind Wien und Zürich. An einigen wenigen deutschen Universitäten sind neuerdings auch Lehramtsstudiengänge mit Japanisch als Hauptfach eingerichtet worden, so u. a. in Köln und Bochum. Außerdem ist Japanisch in der Regel auch an den Sprachenzentren der Hochschulen vertreten. Verbandsmäßig organisiert sind die Lektoren an deutschen Hochschulen seit 1994 im Verein „Japanisch an Hochschulen e. V. (JaH)“ (www.japanisch-an-hochschu len.de), mit einer jährlichen wissenschaftlichen Fachtagung im Bereich Fremdsprachendidaktik sowie einem eigenen Publikationsorgan „Japanisch als Fremdsprache“ (auch online: http: / / www.japanisch-als-fremdspra che.de). Zentrale Einrichtungen zur Verbreitung der japanischen Sprache und Kultur in Deutschland sind auf japanischer Seite das Japanisch-Deutsche Zentrum Berlin (www. jdzb.de) sowie die vergleichbar dem deutschen Goethe-Institut international operierende Japan Foundation, mit dem Japanischen Kulturinstitut Köln als deutscher Vertretung (www.jki.de). Auftrag dieser beiden Institutionen sind Veranstaltungen, Austausch und Förderung auf dem Gebiet von Wissenschaft und Kultur (JDZB) bzw. Kultur und Sprache (JKI), darüber hinaus bieten beide Einrichtungen aber auch Sprachkurse auf allen Lernniveaus an. Eine wichtige zentrale Einrichtung für den Sprachunterricht Japanisch auf deutscher Seite ist das LSI-Japonicum - eines der Teilinstitute des Landesspracheninstituts an der Ruhr-Universität Bochum (www.lsi-bochum. de). Hier werden, unabhängig vom Semesterbetrieb der Universität, über das Jahr verteilt 2-3wöchige Intensivkurse Japanisch auf verschiedenen Lernniveaus angeboten. 5. Lehrwerke Die auch in Deutschland am weitesten verbreiteten Unterrichtsmaterialien sind die international vertriebenen Lehrwerke „Genki“ (Japan Times) und „Minna no nihongo “ (3A Corporation), neuerdings auch das von der Japan Foundation speziell für die Zielgruppe jüngerer Lernender in einer deutschsprachigen Ausgabe neu herausgebrachte „Marugoto “. Für deutsche Lernende entwickelt wurde „Japanisch, bitte! “ (2014) sowie die institutseigenen Unterrichtsmaterialien des LSI-Japonicum, besonders erwähnenswert darunter das Selbstlernprogramm „Kana interaktiv“ , die Text- und Grammatikbände zu den einzelnen Kursstufen sowie die systematischen Kanji-Lernkartensets. An Grammatiken stehen zur Verfügung die „Praktische Grammatik der japanischen Sprache“ , die in Übersichtsform gehaltene „Grammatik Japanisch“ sowie als englisch- 518 Gerhard Dillmann sprachige Referenzgrammatik das „Dictionary of Basic Japanese Grammar “ und das „Dictionary of Intermediate Japanese Grammar “, an Wörterbüchern der „Grundwortschatz Japanisch für junge Leute“ (1997) sowie das „Universal-Wörterbuch Japanisch“ (2003). Besonders anwenderfreundlich sind für die Bereiche Wörterbuch und Kanji-Lexikon auch die neueren digitalen Medien, so z. B. die Wörterbuch- und Kanji-App Japanese (http: / / japaneseapp.com). 6. Zertifikate Der von der Japan Foundation weltweit jährlich durchgeführte Japanese Language Proficiency Test (JLPT) zertifiziert die japanischen Sprachkenntnisse auf neuerdings fünf Stufen, nämlich von JLPT-N1 als oberster Stufe bis JLPT-N5, mit „N“ für die neue Stufung seit 2010 (www.jlpt.jp/ e). Durchführungsorte in Deutschland sind die VHS Düsseldorf, die VHS Stuttgart und die Humboldt-Universität zu Berlin sowie das Ostasieninstitut der Universität Hamburg. Prüfungszentrum in Österreich ist die VHS Brigittenau in Wien, in der Schweiz das Asien-Orient-Institut der Universität Zürich. An den JLPT-Prüfungen in Deutschland nahmen 2014 insgesamt ca. 1.370 Prüflinge teil. Für die Sprachprüfungen des akademisch ausgerichteten UNIcert ® - Zertifikats sind inzwischen bereits zehn deutsche Universitäten auch mit Japanisch akkreditiert, und zwar auf den Stufen Basis sowie I und II. Literatur Ebi, M. / Eschbach-Szabo, V. (2015): Japanische Sprachwissenschaft. Eine Einführung für Japanologen und Linguisten. Tübingen. Goetz, H. / Hoffmann, G., Hrsg. (1995): Japanischunterricht in der Bundesrepublik Deutschland. Abschlussbericht. Mainz. KMK , Hrsg. (1999): Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Japanisch. Beschluss der KMK vom 31. 3. 1999. Bonn. Kaneko, T. / Stickel, G., Hrsg. (1984): Japanische Schrift, Lautstrukturen, Wortbildung (Deutsch und Japanisch im Kontrast, Bd. 1). Heidelberg. Kaneko, T. / Stickel, G., Hrsg. (1987): Syntaktisch-semantische Kontraste (Deutsch und Japanisch im Kontrast, Bd. 4). Heidelberg. Rickmeyer, J. (2014): Japanische Morphosyntax. 2., überarb. Aufl., Heidelberg. Gerhard Dillmann 113. Neugriechisch 1. Verbreitung Das Neugriechische ist, obwohl mit seinen ca. 15 bis 16 Mio. Sprecherinnen und Sprechern eine der kleinen Sprachen, fast auf dem ganzen Erdball anzutreffen. So leben ca. zwei Drittel dieser Sprachgruppe in Griechenland und Zypern, während sich das andere Drittel auf Länder wie die USA (ca. 2,5 Mio.), Australien (ca. 500.000; hier stellt die griechischsprachige Gruppe den zweitgrößten Bevölkerungsanteil), Deutschland, Österreich und die Schweiz (ca. 450.000) sowie Russland mit osteuropäischen und asiatischen Staaten (ca. 400.000) verteilt. Das Griechische ist eine der Amtssprachen der EU. 2. Sprachliche Besonderheiten Das Griechische gehört zur indoeuropäischen Sprachfamilie. Die sprachliche Verwandtschaft mit dem Deutschen zeigt sich in der Morphologie und bei einzelnen Wortstämmen. Das moderne Griechisch wies bis 519 113. Neugriechisch in die Neuzeit zwei in Lexik, Flexion und Syntax voneinander partiell unterschiedene Sprachvarianten auf: die archaisierende Katharéwussa (= gereinigte Sprache), eine Art Kanzleisprache, der sich vorwiegend die Verwaltung, das Rechtswesen, die Wissenschaft und die Kirche bedienten und die nach der Staatsgründung im Jahr 1832 als allgemeine Schriftsprache eingeführt wurde, sowie die Dhimotikí (= Volkssprache), die allgemeine, weithin standardisierte Umgangssprache, die Sprache der Belletristik, der Bühne, des Films, die eigentliche Alltagssprache, die im Jahr 1976 als das offizielle griechische Idiom etabliert wurde. Die Nachwirkungen dieser Diglossie sind allerdings immer noch nicht ganz überwunden. Das heutige Griechisch wurde zu einem Teil von sprachlichen Strata mitgeprägt, welche nicht zum genetischen Erbe dieser Sprache gehören, sich aber soziolektal auswirken, z. B. die Einflüsse der türkischen, albanischen, rumänischen und italienischen Sprache. Eine kurze, prägnante und für die Lehrpraxis gut geeignete Darstellung der griechischen Sprache ist im Projekt proDaz an der Universität Duisburg-Essen entstanden (vgl. Chrissou & Iordanidou 2013). a) Die griechische Schrift Die Verschriftlichung der griechischen Sprache kann auf eine über 2.800 Jahre alte Geschichte zurückblicken mit der Besonderheit, dass es sich beim Griechischen als eigenständige Form innerhalb der indoeuropäischen Sprachenfamilie um die älteste noch heute benutzte, fast unveränderte europäische Schriftsprache mit 24 Buchstaben handelt und das Alphabet als Weiterentwicklung des Phönizischen erstmalig Vokalzeichen eingeführt hat. Vor gut 1.000 Jahren diente das griechische Schriftsystem als Grundlage für die alte kyrillische Schrift. Von der auf den ersten Blick möglicherweise fremd wirkenden griechischen Schrift stimmen 14 Majuskeln mit den lateinischen überein; ein Teil der Buchstaben dürfte den Lernenden zudem aus dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht bekannt sein. b) Orthographie und Aussprache Alle zwei- und mehrsilbigen griechischen Wörter tragen seit der Orthographie-Reform von 1982 im Unterschied zum früheren polytonischen System nur noch einen Akzent, der wie ein Akut aussieht. Substantive außer Eigennamen werden mit kleinen Anfangsbuchstaben geschrieben. Im Altgriechischen war die Phonem-Graphem-Zuordnung recht eindeutig. Durch den späteren Lautwandel (Jotazismus) ist die Orthographie heute nicht mehr so phonematisch, denn der Laut [i] kann als i , h , y , ei , yi oder oi wiedergegeben werden, was nicht nur für Griechisch-Fremdsprachenlernende eine Herausforderung darstellt. Als Fragezeichen wird das Semikolon verwendet, das deutsche Semikolon wird durch einen Hochpunkt dargestellt. Die griechischen Vokale werden stets kurz und offen gesprochen, der Wortakzent kann nur auf einer der drei letzten Silben liegen, und die Wörter innerhalb eines Satzes werden durch Koartikulation so miteinander verbunden, dass im kontinuierlichen Sprechstrom Wortgrenzen nicht immer erkennbar sind. Das griechische [r r ] wird stets als ,gerolltes r‘ (alveolar), bekannt als ,Zungenspitzen-R‘, ausgesprochen; hier liegt eine Ausspracheschwierigkeit v. a. bei den Sprechern außerhalb der bayerischen, österreichischen und deutschschweizerischen Landstriche. Eine weitere Ausspracheschwierigkeit betrifft das griechische [g g ] vor Konsonanten und dunklen Vokalen als stimmhafter velarer 520 Elmar Winters-Ohle Frikativ, gebildet als ,Reibelaut‘ am hinteren Zungenrücken wie in mega low [ mε γɑlɔs ] groß, gra fv [ γɾɑfɔ ] ich schreibe. c) Grammatik Die griechischen Substantive kennen wie im Deutschen die drei Genera Femininum, Maskulinum und Neutrum. Die Endungen im Nominativ Singular lassen bedeutend häufiger das Genus erkennen als im Deutschen. So enden die meisten Maskulina auf [-os], [-as] oder [-is]; die meisten Feminina auf [-a] oder [-i] und die Neutra in der Regel auf [-o], [-i] oder [-(m)a]. Dativformen gibt es nicht mehr, ein Verlust gegenüber dem Altgriechischen, der auf den Einfluss von Balkanidiomen zurückzuführen ist; hier springen der Genitiv oder eine Umschreibung mit Präposition + Akkusativ ein. Das Griechische weist weit weniger Präpositionen auf als das Deutsche, und diese erfordern mit wenigen Ausnahmen den Akkusativ. Die neugriechischen Verben kennen keinen Infinitiv; im Wörterbuch sind sie mit ihrer 1. Person Singular Präsens Indikativ Aktiv (resp. Passiv bei den Medio-Passiva) angegeben. Das Griechische ist eine pro-drop- Sprache: In der Regel muss ein Pronomen in Subjektposition nicht realisiert werden, um einen grammatikalisch vollständigen Satz zu konstituieren. Passivformen sind im modernen Griechischen bedeutend seltener als im Deutschen. Sie können in der konventionellen Ausdrucksweise aktivische, reflexivische oder passivische Funktionen haben, was für deutschsprachige Lernende etwas Ungewohntes ist. Eine Lernschwierigkeit für deutschsprachige Griechischlernende stellt zudem die grammatische Kategorie des Aspekts dar. Eine Handlung kann mit dem imperfektiven Aspekt als ein wiederholtes Geschehen oder als Verlauf beschrieben werden. Wird eine Handlung oder ein Geschehen dagegen als einmalig und abgeschlossen betrachtet, dann spricht man vom perfektiven oder auch aoristischen Aspekt. Für diese beiden Sachverhalte stehen jeweils eigene Verbstämme mit eigenen Konjugationsendungen zur Verfügung (vgl. Eideneier 1979; Winters- Ohle 2001). Es gibt eine Fülle griechischer Lehn- und Fremdwörter im Deutschen, insbesondere im Wortschatz der Wissenschaften, Kunst, Politik, Religion und Technik. Bemerkenswert ist auch, dass viele griechische Elemente bei der Fremdwortbildung Pate gestanden haben, z. B. Präfixe wie An-, Amph-, Ap(o)-, Ek-, Ex-, Eu-, Hyper-, Hypo-, Syn- oder ganze Wortteile wie Arch(i)-, Astro-, Biblio-, Bio-, Demo-, Makro-, Mikro-, Mon(o)-, Neo-, Ortho-, Pan-, Phil(o)-, Phon(o)-, Poli-, Poly-, Pseudo-, Psycho-, Tacho-, Tele-, Theo-. 3. Schulischer Bereich Im Gegensatz zum Altgriechischen, das in Deutschland, Österreich und der Schweiz noch an etlichen Gymnasien - allerdings mit abnehmender Tendenz - nach bestimmten Lehrplänen unterrichtet wird, hat das Neugriechische im Schulbereich hauptsächlich Bedeutung für die Kinder von griechischen Einwanderern. In Österreich und der Schweiz spielt neugriechischer Unterricht an den öffentlichen Schulen so gut wie keine Rolle; hier wird lediglich in einigen Großstädten z. B. von griechischen Vereinen zusätzlicher muttersprachlicher Unterricht angeboten. In Deutschland dagegen können Schülerinnen und Schüler an einigen Gymnasien Neugriechisch als Wahlfach bis zum Abitur belegen, vgl. z. B. für Nordrhein- Westfalen den „Kernlehrplan für die Sekundarstufe II Gymnasium/ Gesamtschule: Neugriechisch“ (MSW NRW 2013). 521 113. Neugriechisch Der herkunftssprachliche Unterricht für griechischstämmige Kinder verteilt sich auf staatliche Europa-Schulen (z. B. in Berlin), deutsche Schulen mit bilingualem Zweig deutsch-griechisch (z. B. in Düsseldorf), deutsche Schulen mit griechischem Ergänzungsunterricht, Privatschulen (z. B. in München und Nürnberg) sowie rein griechische Ergänzungsschulen, die vom griechischen Staat unterhalten und mit Lehrpersonal ausgestattet werden und nach griechischem Lehrplan arbeiten und deren Abiturzeugnis erst nach einer zusätzlichen Prüfung als Hochschul- Zugangsberechtigung in Deutschland anerkannt wird (z. B. in Hannover, Wuppertal, Dortmund, Köln, Stuttgart, Frankfurt a. M.). Die Zukunft der Ergänzungsschulen ist ungewiss. Laut Mitteilung der Griechischen Botschaft in Berlin wurden im Jahr 2015 an den genannten Schulen über 9.000 griechische Schülerinnen und Schüler unterrichtet. 4. Erwachsenenbildung Griechischunterricht wird an sehr vielen Volkshochschulen und weiteren Sprachschulen zumeist von griechischen Muttersprachlehrkräften erteilt, insbesondere in den größeren Städten. Die meisten Kursbesucher lernen Griechisch aus touristischen Gründen. Auch sehr viele universitäre Sprachenzentren haben Griechisch für Hörer aller Fakultäten im Angebot. Neogräzistik als Haupt- und Nebenfach kann an der Freien Universität Berlin, der Ludwig-Maximilian Universität München, der Universität Hamburg, der Johannes Gutenberg Universität Mainz/ Germersheim, der Universität Leipzig sowie an der Universität Wien studiert werden. Vom „Zentrum für die Griechische Sprache Thessaloniki“ wird unter Aufsicht des griechischen Kultusministeriums nach bestandener Prüfung das „Zertifikat Neugriechisch“ ausgegeben. Informationen zu den Prüfungszentren in Deutschland und anderen Ländern für die Teil-Prüfungen A2, B1, B2 und C1 können unter www.greeklangu age.gr/ certification eingeholt werden. Für die Forschung und Lehre auf dem Gebiet der Neogräzistik setzen sich u. a. die Arbeitsgemeinschaft für Neogräzistik in der Bundesrepublik Deutschland, die Österreichische Gesellschaft für Neugriechische Studien, die Socie´ te´ Suisse des E´ tudes Néohelléniques sowie die Europäische Gesellschaft für Neogräzistik ein. 5. Lehrwerke und Lehrmaterialien Gegenüber früheren Jahren gibt es inzwischen eine große Vielfalt an Griechisch- Lernmaterialien insbesondere für die Erwachsenenbildung aller Schwierigkeitsstufen als komplette Lehrwerke mit Tonträgern (vgl. Bachtsevanidis 2014; Mastoras 2015; Winters-Ohle 2014), Sprachführer, Reisedolmetscher, leichte Lektüren sowie lernergerechte Grammatikdarstellungen (vgl. Metger 2014; Militsis & Reumuth 2014; Ruge 2002). Überwiegend werden Lehrmaterialien aus deutschsprachiger Produktion verwendet. Der Unterricht mit griechischen Schülern stützt sich hauptsächlich auf Materialien aus der staatlichen griechischen Schulproduktion Athen, die über deutsche Lehrmittelverlage bezogen werden können. Literatur Bachtsevanidis, V. (2014): Pa me ! Pa´ me! Der Griechischkurs, 1 + 2. München. Chrissou, M. / Iordanidou, Ch. (2013): Sprachbeschreibung Griechisch. In: proDaz, Universität Duisburg-Essen. 30 S. 522 Elmar Winters-Ohle Eideneier, H. (1979): Sprachvergleich Griechisch - Deutsch (Teil Phonetik von H. Ruge). München. Mastoras, D. (2015): Griechisch aktiv. Hamburg. Metger, W. (2014): Neugriechische Kurzgrammatik. München. Militsis, V. / Reumuth, W. (2014): Praktische Grammatik der neugriechischen Sprache. Wilhelmsfeld. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, Hrsg. (2013): Kernlehrplan für die Sekundarstufe II Gymnasium / Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen. www.schulentwicklung.nrw.de/ lehrplaene/ lehrplannavigator-s-ii/ gymnasiale-oberstufe / griechisch/ index.html Ruge, H. (2002): Grammatik des Neugriechischen: Lautlehre, Formenlehre, Syntax. Köln. Winters-Ohle, E. (2001): Kontrastive Analysen Deutsch - Griechisch: eine Übersicht, in: G. Helbig / L. Götze / G. Henrici / H.-J. Krumm (Hrsg.): Deutsch als Fremdsprache: Ein internationales Handbuch. 1. Halbband. Berlin, New York, 416-422. Winters-Ohle, E. (2014): Sprachkurs Griechisch. München. Internet Arbeitsgemeinschaft für Neogräzistik in der Bundesrepublik Deutschland. www.neogrä zistik.de Europäische Gesellschaft für Neogräzistik. www.eens.org/ forscher/ suche.asp Österreichische Gesellschaft für Neugriechische Studien. www.byzneo.univie.ac.at/ oes terreichische-gesellschaft-fuer-neugriechischestudien Socie´ te´ Suisse des E´ tudes Ne´ ohelle´ niques. www.eens.ch Elmar Winters-Ohle 114. Niederländisch 1. Verbreitung Niederländisch ist die Standardsprache in den Niederlanden und im flämischen Teil Belgiens (Flandern), ebenso in Surinam, sowie einiger dem Königreich der Niederlanden angeschlossenen karibischen Inseln. Es gilt dieselbe Grammatik und Rechtschreibung, erfasst in der Algemene Nederlandse Spraakkunst (ANS) und der Woordenlijst der Nederlandse Taal, (Groene Boekje). Die regionalen Standardvarietäten unterscheiden sich überwiegend lexikalisch und phonetisch. Sie werden mit Noord-Nederlands (auch Nederlands Nederlands ), Zuid-Nederlands (auch Belgisch Nederlands, umgangssprachlich Vlaams) und Surinaams Nederlands bezeichnet und sind von Dialekten (z. B. Westvlaams, Achterhoeks) oder Soziolekten (z. B. Poldernederlands, Verkavelingsvlaams ) zu unterscheiden. Insbesondere in Flandern haben Dialekte auch heute noch gesellschaftliche Bedeutung. Insgesamt gibt es etwa 17 Mio. Niederländer, 6 Mio. Flamen und 500.000 Surinamer, deren Muttersprache oder tägliche Verkehrssprache Niederländisch ist. 2. Niederländisch als Nachbarsprache Kultureller und persönlicher Kontakt mit Sprechern des Niederländischen hat insbesondere in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen eine lange Tradition. Intensive Handelsbeziehungen und eine dynamische Wohn-, Studien- und Arbeitsmigration im Grenzraum sorgen für politische und ökonomische Verflechtungen. Für den Unterricht erwächst aus diesem Merkmal ein besonderer Anspruch an die Anwendbarkeit der Sprache in alltäglichen und beruflichen Zusammenhängen. 523 114. Niederländisch Ein weiteres Merkmal des Niederländischen ist dessen sprachliche Nähe zum Deutschen. Die beiden westgermanischen Sprachen haben gemeinsame Wurzeln. Zwischen Deutsch und Englisch nimmt Niederländisch eine Mittelstellung ein (vgl. Van Haeringen 1956, neuer: Vismans et al. 2010, Ruijgendijk et al. 2012). Insbesondere wegen der lexikalischen Nähe zum Deutschen lässt sich recht schnell eine Lese- und Hörverstehenskompetenz auf höherem Niveau erwerben und kann der Unterricht nahezu von Beginn an weitgehend einsprachig erfolgen (funktionale Einsprachigkeit). Für die produktiven Kompetenzen gilt die Erleichterung nur bedingt: ,Falsche Freunde‘ (valse vrienden) und Unterschiede in Wortbildung, Satzbau oder Rechtschreibung müssen systematisch erfasst werden. Aus diesem Merkmal erwächst der Anspruch, die eigene Mehrsprachigkeit effektiv nutzen und für weiteres Sprachenlernen ausbauen zu können. Ein drittes Merkmal ist die kulturelle Ähnlichkeit. Begrüßungen, Essgewohnheiten oder Freizeitgestaltung unterscheiden sich nicht grundsätzlich von den deutschen. Hieraus ergeben sich einerseits keine besonderen Probleme in Begegnungssituationen, andererseits kann die Erwartungshaltung der absoluten Übereinstimmung aber zu interkulturellen Missverständnissen führen, die sich erst spät aufdecken lassen. Beispiele betreffen abweichende Verhandlungsstrategien (übrigens auch zwischen Niederländern und Flamen), Feiertage (Sinterklaas, 4 en 5 mei), andere Institutionen und Systeme und die kulturspezifischen Bedingungen des Duzens und Siezens. Für den Sprachunterricht bedeutet das den Einbezug kultursensibler Handlungsfähigkeit, um in Begegnungssituationen angemessen agieren zu können. 3. Niederländisch als Schulfremdsprache Der Niederländischunterricht in den o. g. Bundesländern entwickelte sich etwa seit den 1970er Jahren zu einem regulären Unterrichtsfach in allen weiterführenden Schulformen (vgl. Wenzel 2014a). Das Interesse ist groß, insbesondere an Schulen in unmittelbarer Grenznähe. In Nordrhein-Westfalen sind mit 27.295 (Schuljahr 2013/ 2014) die meisten Niederländischschüler anzutreffen (Regelunterricht, ohne AGs), viele davon im Berufskolleg (u. a. auch mit dem Ziel der allgemeinen Hochschulreife), Gymnasium und in der Realschule. Niedersachsen zählt 3.057 Niederländischlernende an allgemeinbildenden Schulen (2013, ohne berufsbildende Schulen). Niederländisch setzt in der Sekundarstufe I entweder als 2. oder 3. Fremdsprache ein, in der Sekundarstufe II kann die Sprache fortgeführt werden oder neu einsetzen. In Nordrhein-Westfalen gibt es eine zentrale Abiturprüfung für Grund- und Leistungskurs, in Niedersachsen eine dezentrale. Auch an Grundschulen findet Niederländisch Beachtung, sei es im Ganztagsangebot oder als bilinguales Lernen, insbesondere dort, wo niederländische Kinder beschult werden. Trotz regional nicht unbedeutender Grenzmigration hat Niederländisch als Herkunftssprache eine eher geringe Verbreitung. 4. Erwachsenen- und Lehrerbildung An Volkshochschulen und anderen Erwachsenenbildungsstätten erfreut sich Niederländisch sehr großer Beliebtheit (2013 knapp 2.000 VHS-Kurse). Im grenznahen Raum ist das Angebot nach Niveau und Lernintention ausgefächert und auf den grenzüberschreitenden Ausbildungs- und Arbeitsmarkt bezogen, andernorts überwiegen allgemeinkommunikative Kurse für den Urlaub. 524 Veronika Wenzel Die Universitäten in Münster, Köln, Oldenburg und Berlin bieten das Studienfach Niederlandistik an, die drei Erstgenannten zudem grundständige Lehramtsausbildungen. Hinzu kommen Sprachkurse an anderen Universitäten. Die Niederlandistiken in Wien und Zürich vervollständigen das Angebot im deutschsprachigen Raum. Ein Netzwerk für Lehrende an den verschiedenen Bildungseinrichtungen bietet die seit 1986 bestehende Fachvereinigung Niederländisch e. V. (www.fvnl.de) mit momentan etwa 500 Mitgliedern. 5. Begegnungssituationen Begegnungen mit Muttersprachlern motivieren in besonderem Maße zum Lernen und stellen gleichzeitig das Gelernte auf den Prüfstand. An grenznahen Schulstandorten sind sie ohne allzu große finanzielle und zeitliche Belastung realisierbar. Es ist charakteristisch für den Niederländischunterricht, dass er durch realitätsnah situierte Lernaufgaben auf solche Begegnungen vorbereitet. Tagesausflüge ins Nachbarland können dem frühen Erproben pragmatischer, lebensweltbezogener Sprechhandlungen (einkaufen, nach dem Weg fragen etc.) dienen. Als didaktisch-methodischer Ansatz hat sich das niederländische Taaldorp (Sprachendorf, auch Sprachenstadt) nahezu etabliert: Lernende erhalten kommunikative Aufträge, die sie in authentischer oder vorbereitend simulierender Umgebung bewältigen müssen. Museums-, Theater-, Ausstellungs- oder Kinobesuche im Nachbarland können, eingebettet in die längerfristige Unterrichtsplanung, den Umgang mit literarischen Texten (vgl. Lücke 2014) oder die Diskussion gesellschaftlich-kultureller Zusammenhänge bereichern. Der Besuch einer Hochschule oder ein Berufspraktikum im Nachbarland eröffnet neue Zukunftsperspektiven. Kulturbedingte Systemunterschiede sind Anlass zum Vergleichen und Hinterfragen der eigenen Sozialisation. Intensive Alltagserfahrungen bietet ein Schüleraustausch in einer Gastfamilie. Dadurch können stereotype Fremd- und Selbstbilder, die gerade in Grenzräumen gerne kultiviert werden, einer kritischen Prüfung unterzogen werden (vgl. Bachmann 2014). 6. Tertiärsprache Niederländisch ist in den meisten Sprachlernbiografien eine Tertiärsprache: Ältere Lernende haben mindestens Englisch erlernt und sprechen Deutsch. Erworbene Sprachlernstrategien und ihr Wissen über Sprache(n) können sie nutzen (Wenzel 2012). Für Unterrichtende bedeutet das, dass sie eine steile Progression planen und die Lernerfahrungen ihrer Lerngruppe kennen und berücksichtigen müssen. Nicht selten werden ,falsche Freunde‘ in der anfänglichen Euphorie unterschätzt und es stellt sich zunächst Verunsicherung beim Lernen ein. Viele Kognaten zum Englischen und Deutschen haben unerwartet partielle Bedeutungsunterschiede oder andere Verwendungskontexte. So bedeutet nl. kist erwartbar ,Kiste‘, aber oft auch ,Sarg‘, wohingegen die deutsche Kiste diese Bedeutung nicht hat. Auch sind längst nicht alle Kisten mit kist zu übersetzen, je nach Beschaffenheit ist manches doos (vergleichbar, aber nicht identisch mit Dose) oder bak. Die sprachliche Nähe stellt die Niederländischlehrkraft vor methodische und motivatorische Herausforderungen, gilt es doch fortwährend, für den Erwerb Nutzbares von Hinderlichem zu trennen. Auch zeigt sich, dass die bereits vor längerem erworbene Fremdsprache Englisch Einfluss auf das Niederländische hat (vgl. 525 114. Niederländisch L2-Status-Faktor bei Hammarberg 2001, siehe auch Vismans & Wenzel 2012). Lexikalische Versprecher offenbaren die Aktivierung dieser dominanten Fremdsprache, frequent ist auch die fehlerhafte Anwendung der englischen Syntax des Nebensatzes auf das Niederländische, obwohl positiver Transfer aus dem Deutschen möglich wäre. In der Regel begegnet die Niederländischlehrkraft negativem Transfer mit Bewusstmachung und kontrastierenden Verfahren, positivem Transfer mit Verstärkung oder Bestätigung. Formfokussierung (vgl. Long & Robinson 1998) ist wegen des Kontrastmangels ein bedeutsames Verfahren. 7. Lehrwerke und Lernmittel Vorteil der weitgehenden Verständlichkeit der Sprache ist die frühe Verwendung authentischen Materials. Diese Authentiziät ist in schulischen Kontexten auch notwendig: Während regelmäßig Lehrwerke für die Volkshochschule erscheinen (neuere Werke sind derzeit Welkom und Wat Leuk), gibt es bislang keine von den namhafteren Schulbuchverlagen, die für die Schule, eine bestimmte Schulform oder gar jüngere Schüler konzipiert sind. Man behilft sich mit Adaption der Volkshochschulwerke (lang etabliert ist Taal Vitaal op school) oder greift auf niederländische Zweitsprachenlehrwerke zurück, die auch von deutschen Verlagen vertrieben werden. In der Oberstufe wird oft nach dem ersten Lernjahr ohnehin ohne Lehrwerk unterrichtet. Soziokulturelles Wissen, wie etwa um die politisch-historischen Gegebenheiten Belgiens oder das deutschniederländische Verhältnis, wird mit Hilfe authentischer Medien erarbeitet. Das stellt hohe Anforderungen an die Lehrkraft, die selber über Progression und Didaktisierung von Lese- und Hörtexten entscheidet, Übungen erstellt und methodisch die Kluft zwischen der vergleichsweise hohen Verstehenskompetenz und der noch eingeschränkten Produktionsfähigkeit der Lernenden (vgl. Braam & Wenzel 2014) schließen muss. 8. Zertifikate Das Certificaat Nederlands als Vreemde Taal (CNaVT, vgl. www.cnavt.org) wird an Erwachsenenbildungsstätten und an Schulen abgelegt. Die verschiedenen Profile unterscheiden sich nach Anwendungskontext (Tourismus, Beruf, Hochschule etc.) und Anforderungsniveau (von A2 bis C1). Das B2-Profil PTHO (Profiel Taalvaardigheid Hoger Onderwijs ) gilt als Sprachnachweis für die Aufnahme eines Hochschulstudiums in den Niederlanden und Flandern. An berufsbildenden Schulen wird häufig auch das bekannte deutsche KMK-Zertifikat abgelegt. Literatur Bachmann, M. (2014): Austausche und Begegnungen gestalten, in: V. Wenzel (Hrsg.), 282- 296. Braam, M. / Wenzel, V. (2014): Funktional einsprachig unterrichten, in: V. Wenzel (Hrsg.), 258-266. Hammarberg, B. (2001): Roles of L1 and L2 in L3 production and acquisition, in: J. Cenoz / B. Hufeisen / U. Jessner (Hrsg.): Cross-linguistic influence in third language acquisition. Psycholinguistic perspectives, Clevedon, 21-41. Long, M. H. / Robinson, P. (1998): Focus on form: Theory, research and practice, in: C. Doughty / J. Williams (Hrsg.): Focus on form in classroom second language acquisition, Cambridge, 15-41. Lücke, N. (2014): Interkulturelle Kompetenz, in: V. Wenzel (Hrsg.), 55-74. 526 Grit Mehlhorn Ruigendijk, E. / Van de Velde, F. / Vismans, R., Hrsg. (2012): Germanic Sandwich 2010: Dutch between English and German. Leuvense Bijdragen 98. Van Haeringen, C. B. (1956): Nederlands tussen Duits en Engels, Den Haag. Vismans, R. / Hüning, M. / Weerman, F., Hrsg. (2010): Dutch between English and German. Journal of Germanic Linguistics 22.4. Vismans, R. / Wenzel, V. (2012): Dutch between English and German: language learners’ perception of linguistic distance, in E. Ruigendijk, E. et al. (Hrsg.), 4-26. Wenzel, V. (2012): Meertaligheid: Nederlands na Duits en Engels. Internationale neerlandistiek 50.2, 100-128. Wenzel, V., Hrsg. (2014): Fachdidaktik Niederländisch. Münster. Wenzel, V. (2014a): Niederländischunterricht in Deutschland, in: V. Wenzel (Hrsg.), 1-48. Veronika Wenzel 115. Polnisch 1. Verbreitung und Bedeutung Polnisch (je ˛zyk polski) gehört zur Familie der westslawischen Sprachen. Mit ca. 38 Mio. Sprechern in der Republik Polen und weiteren 15-18 Mio. Mitgliedern der Polonia (Bezeichnung für die polnische Diaspora) stellt das Polnische nach dem Russischen die am zweithäufigsten gesprochene slawische Sprache dar. Als Minderheitensprache ist Polnisch in Litauen, Rumänien, Tschechien, der Slowakei und der Ukraine anerkannt. Große Gruppen polnischstämmiger Menschen im Ausland leben in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Nordeuropa sowie in den USA, Kanada, Brasilien und Australien. Die polnische Immigration nach Deutschland blickt auf eine mehr als hundertjährige Geschichte zurück. Heute geht man von ca. 2 Mio. in Deutschland lebenden Menschen mit polnischem Migrationshintergrund aus (vgl. Loew 2014: 9 f.). Die sprachlichen Verhältnisse in deutsch-polnischen Familien behandelt Jan´ czak (2013). 2. Sprachliche Besonderheiten In phonetischer Hinsicht ist das Polnische durch komplexe Silbenstrukturen, zwei Nasalvokale, eine große Anzahl palatalisierter (weicher) Konsonanten und regressive Assimilation gekennzeichnet. Der Wortakzent liegt regelhaft auf der vorletzten Silbe. Vokale werden in betonter und unbetonter Position etwa gleich lang und ungespannt artikuliert. Das Polnische verwendet das lateinische Alphabet und diakritische Zeichen. Die komplexen Phonem-Graphem-Beziehungen sind u. a. durch Digraphen (Kombinationen aus zwei Buchstaben für die Bezeichnung eines Lauts, z. B. 〈 sz 〉 für [ ʃ ]), das Vorhandensein von zwei Graphemen für ein Phonem (z. B. 〈 ó 〉 = 〈 u 〉 , 〈 rz 〉 = 〈 z˙ 〉 , 〈 si 〉 = 〈 s´ 〉 , 〈 ch 〉 = 〈 h 〉 ) und die teilweise von der Aussprache abweichende Schreibweise der Nasalvokale gekennzeichnet. Unsicherheiten in der auditiven Differenzierung der Vokale [y], [i] und [e] sowie der palatalisierten und nicht palatalisierten, insbesondere der sog. historisch weichen Konsonanten verursachen entsprechende Rechtschreibfehler bei deutschen Polnischlernenden. Das Polnische ist eine stark flektierende Sprache mit sieben Kasus, wozu außer den im Deutschen bekannten noch der Instrumental, Lokativ und Vokativ gehören. Schwierigkeiten beim Erlernen der polnischen Sprache stellen die Flexionsendungen sowie die Konsonanten- und Vokalalternationen in der Flexion dar. Das maskuline Genus wird in 527 115. Polnisch die drei Subgenera „Personalmaskulinum“ , „Maskulinum für Belebtes“ und „Maskulinum für Unbelebtes“ unterteilt (vgl. Cirko & Rytel-Schwarz 2010: 654). Hinzu kommt die Unterscheidung zwischen „Personalform“ und „Sachform“ im Plural. Nichtslawische Lernende brauchen erfahrungsgemäß lange, um den Verbalaspekt zu erfassen. Die Wortfolge im Satz ist relativ frei und informationsstrukturellen Gegebenheiten unterworfen. Durch jahrhundertelangen Sprachkontakt gibt es zahlreiche Entlehnungen aus dem Deutschen, z. B. dach, fracht, handel, tapeta, kindersztuba, szlafrok (vgl. auch Nagórko 2007). Eine Grammatik speziell für deutschsprachige Polnischlernende bietet Madelska (2007). 3. Polnisch in der Schule Dem KMK-Bericht zur Situation des Polnischunterrichts in Deutschland zufolge lernten im Schuljahr 2011/ 12 etwa 8.300 Schülerinnen und Schüler Polnisch als Fremdsprache (KMK 2012: 16). Damit hat sich die Lernerzahl an deutschen Schulen in den letzten zehn Jahren vervielfacht; Grucza und Martyniuk (2003: 551) sprachen damals von etwa 1.500 Lernenden bundesweit. Dennoch gilt Polnisch als kleine Schulfremdsprache und ist aufgrund der vergleichsweise geringen Lernerzahlen auch in einer schwierigen Situation (vgl. Mehlhorn 2010). Der KMK-Bericht (2012: 6-15) fasst überblicksartig Möglichkeiten zum Polnischlernen in den einzelnen Bundesländern zusammen; allerdings existieren längst nicht für alle curricular verankerten Möglichkeiten konkrete Unterrichtsangebote. Die meisten Fremdsprachenlernenden finden sich in den grenznahen Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Berlin (vgl. Hildebrandt 2012). Hier besteht die Möglichkeit, Polnisch in der Grundschule, an weiterführenden Schulen als zweite oder dritte Fremdsprache sowie an Berufsschulen zu erlernen. In drei Gymnasien direkt an der polnischen Grenze - in Görlitz (Sachsen), Frankfurt/ Oder (Brandenburg) und Löcknitz (Mecklenburg- Vorpommern) lernen deutsche und polnische Schülerinnen und Schüler gemeinsam die jeweilige Nachbarsprache im Rahmen eines bilingualen Bildungsgangs. Neben der Integration von Polen- und polnischbezogenen Elementen in den fächerverbindenden Unterricht und außerschulischen fakultativen Angeboten zum Polnischlernen wie Arbeitsgemeinschaften bieten Fremdsprachentage, Rezitationswettbewerbe und Tage der offenen Tür an Schulen sowie Schüleraustausch und Klassenfahrten nach Polen Möglichkeiten der Begegnung mit der polnischen Sprache (vgl. Mehlhorn 2015: 125). In den meisten Bundesländern ist Polnisch als Abiturfach zugelassen. Für Kinder und Jugendliche mit polnischem Migrationshintergrund gibt es das Recht und die Möglichkeit der Teilnahme an Herkunftssprachenunterricht. Anbieter sind Konsulatsschulen, kirchliche Träger sowie polnische Organisationen und Verbände, z. B. der Schulverein Os´ wiata in Berlin (www.os wiataberlin.de) oder in Frankfurt am Main die deutsch-polnische Elterninitiative zur Förderung der Zweisprachigkeit (www.kras nale.de). Das Strategiepapier zur Förderung der Herkunftssprache Polnisch (KMK 2013) gibt Empfehlungen für den Erhalt, den Ausbau und die Weiterentwicklung entsprechender Bildungsangebote. In einigen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen hat Herkunftssprachenunterricht den Status einer zweiten Fremdsprache und ist somit für die Lernenden abschlussrelevant. In Österreich kann Polnisch als muttersprachlicher Unterricht gelernt werden, z. B. an 15 Grundschulen und 6 weiterführenden Schulen in Wien (Schuljahr 2015/ 16), in der Botschafts- 528 Grit Mehlhorn schule Wien (mit 460 Lernenden in 19 Klassen von der Vorschule bis zur Matura, vgl. www.wieden.orpeg.pl), sowie an Samstags- und Sonntagsschulen in Innsbruck und Klagenfurt. Der vom Polnischen Bildungsministerium finanzierte Unterricht umfasst neben Polnischunterricht auch eine Ausbildung im Bereich der Geschichte, Gesellschaftskunde sowie Geographie Polens und orientiert sich am polnischen Lehrplan. 4. Polnisch in der Erwachsenenbildung Neben privaten Sprachinstituten und Kursen der Industrie- und Handelskammer gibt es an vielen deutschen, österreichischen und Schweizer Volkshochschulen die Möglichkeit, Polnisch zu lernen, wobei Anfängerkurse mit Abstand am stärksten nachgefragt sind. Die österreichischen Universitäten Wien und Klagenfurt bieten ein Studium der Polonistik im Rahmen der Slawistik an, an der Universität Graz kann ebenfalls Polnisch gelernt werden. An einer Reihe deutscher Universitäten sowie in Freiburg, Bern und Zürich in der Schweiz gibt es Polnischangebote im Rahmen eines Westslawistik- oder Polonistikstudiums. Darüber hinaus bieten viele Sprachenzentren Polnischmodule für Studierende aller Fakultäten an; im Rahmen von europaorientierten Studiengängen wie European Studies ist auch eine Spezialisierung auf Polen möglich. Polnischlehrkräfte werden an den Universitäten Greifswald, Leipzig und Potsdam sowie in Wien ausgebildet, ein Dolmetscher/ Übersetzer-Studium bieten die Universität Mainz-Germersheim und die Hochschule Zittau-Görlitz an. 5. Lehrwerke und Materialien Das erste an deutschen Schulen zugelassene Polnischlehrwerk Witaj Polsko! ist seit 2009 auf dem Markt. In der Erwachsenenbildung kommen v. a. die Lehrwerke Witam! und Razem zum Einsatz, die zum Niveau A2 des GeR führen. Für höhere Niveaustufen werden häufig auch in Polen erstellte Lehrbücher und Begleitmaterialien verwendet, denen ein kommunikativer Zugang der Sprachvermittlung zugrunde liegt. Beliebte Internetseiten zum Polnischlernen sind www.ilovepolish.com, http: / / pol nisch.net/ und http: / / mowicpopolsku.com/ de. Die Lernplattform „Na kon´ cu je ˛zyka“ (www.nakoncujezyka.uni-freiburg.de) beinhaltet Übungen für Lernende des Polnischen als Herkunftssprache in den Bereichen Orthografie, Grammatik und Schreiben offizieller Texte. 6. Abschlüsse und Zertifikate Zertifizierte Prüfungen für Polnisch auf den Niveaus B1, B2 und C2 des GeR werden in Polen selbst und in Ländern mit vielen Polnischlernenden von einer staatlichen Prüfungskommission aus Polen abgenommen (www.certyfikatpolski.pl). Neben den Kompetenzen Leseverstehen, Hörverstehen, Sprechen und Schreiben werden in einem fünften Subtest auch grammatische Kenntnisse überprüft. Das Zertifikat der Stufe B2 gilt als Sprachbefähigungsnachweis für die Zulassung zum Studium an einer polnischen Hochschule. Das telc-Zertifikat Je ˛zyk polski B1-B2 Szkoła ist eine skalierte Prüfung, die allgemeinsprachliche Polnischkenntnisse auf zwei Kompetenzstufen prüft und speziell für Jugendliche mit Polnisch als Herkunftssprache entwickelt wurde. Für Studierende aller Fakultäten werden UNIcert ® -Prüfungen auf verschiedenen Niveaustufen an den Spra- 529 115. Polnisch chenzentren einiger deutscher Universitäten angeboten (z. B. Frankfurt/ Oder bis UNIcert ® III, Passau bis UNIcert ® IV). 7. Fachverbände und weitere Institutionen Die 2009 gegründete Bundesvereinigung der Polnischlehrkräfte in Deutschland vertritt die Interessen der in Deutschland tätigen Polnischlehrenden, bietet Fortbildungen und Konferenzen an, setzt sich für die Förderung des Polnischen und die Popularisierung der polnischen Kultur in Deutschland und Europa ein und gibt die Zeitschrift „Polski w Niemczech - Polnisch in Deutschland“ heraus, die in gedruckter Form und online erscheint (http: / / polnischunterricht.de). Die Niederlassungen der Polnischen Institute in Berlin (mit einer Filiale in Leipzig), Düsseldorf und Wien organisieren Kulturprogramme in den Bereichen polnische Literatur, Kunst und Geschichte, pflegen Kontakte zu polnischen Künstlern und Wissenschaftlern in Deutschland und unterstützen Gruppen in Deutschland, die sich mit polnischen Themen beschäftigen. Das Deutsche Polen-Institut mit Sitz in Darmstadt (www.deutsches-polen-institut. de) ist ein Zentrum für polnische Geschichte, Politik, Kultur und Gesellschaft und die deutsch-polnischen Beziehungen. Die 2015 gestartete Aktion „PolenMobil“ soll einen Anreiz für deutsche Schulen bieten, Schülerinnen und Schüler zur inhaltlichen Beschäftigung mit Polen zu motivieren. Das 1991 gegründete Deutsch-Polnische Jugendwerk (DPJW) mit Filialen in Potsdam und Warschau (www.dpjw.org) bringt v. a. durch die Förderung vielfältiger Begegnungsprojekte junge Menschen aus Deutschland und Polen zusammen und finanziert u. a. deutsch-polnische Tandemsprachkurse für Multiplikatoren. Literatur Cirko, L. / Rytel-Schwarz, D. (2010): Kontrastive Analyse Polnisch-Deutsch, in: H.-J. Krumm / Ch. Fandrych / B. Hufeisen / C. Riemer (Hrsg.): Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales Handbuch. Berlin, 1. Halbband, 654-660. Grucza, F. / Martyniuk, W. (2003): Polnisch, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Aufl., Tübingen. Hildebrandt, S. (2012): Relevanz von Mehrsprachigkeit und interkultureller Kompetenzentwicklung in der deutsch-polnischen Grenzregion. Argumentationsanalyse für einen Fremdsprachenfrühbeginn mit der Nachbarsprache. Rostock. Jan´ czak, B. A. (2013): Deutsch-polnische Familien: ihre Sprachen und Familienkulturen in Deutschland und Polen. Frankfurt a. M. KMK , Hrsg. (2012): Zur Situation des Polnischunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland. Bericht der Kultusministerkonferenz vom 22. 08. 1991 i. d. F. vom 04. 10. 2012. Köln. KMK , Hrsg. (2013): Strategiepapier „Förderung der Herkunftssprache Polnisch“ . Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 20. 06. 2013. Köln. Loew, P. O. (2014): Wir Unsichtbaren. Geschichte der Polen in Deutschland. München. Madelska, L. (2007): Polnisch entdecken. Eine Lernergrammatik. Kraków. Mehlhorn, G., Hrsg. (2010): Werbestrategien für Polnisch als Fremdsprache an deutschen Schulen. Hildesheim u. a. Mehlhorn, G. (2015): Zur Situation des Polnischunterrichts in Sachsen, in: Ch. Prunitsch / A. Berndt / R. Buraczyn´ ski (Hrsg.): Sprache als Schlüssel zur Zusammenarbeit. Status und Prestige der Nachbarsprachen im polnisch-sächsischen Grenzgebiet. Frankfurt a. M., 117-136. 530 Sílvia Melo-Pfeifer Nagórko, A. (2007): Lexikologie des Polnischen. Hildesheim. Grit Mehlhorn 116. Portugiesisch 1. Verbreitung Laut Camões-Instituto da Cooperaç-o e da Língua (auch Camões-ICL) - portugiesische Kulturinstitution zur Förderung der portugiesischen Sprache und Kultur - steht Portugiesisch an der vierten Stelle der meistgesprochenen Muttersprachen der Welt und ist auf allen Kontinenten vertreten. So stellt das Portugiesische die Amtssprache in Angola, Brasilien, Kap Verde, Guinea-Bissau, Mosambik, Portugal sowie S-o Tomé und Príncipe dar; darüber hinaus ist es Ko-Amtssprache in Äquatorialguinea, Osttimor und Macau. Zudem gehört Portugiesisch - mit steigender Tendenz - zu den fünf am meisten verwendeten Sprachen in den sozialen Netzwerken sowie in der Wissenschaft. 2. Sprachliche Besonderheiten Das Portugiesische gehört zur Familie der romanischen Sprachen. Aufgrund des Kontakts des Portugiesischen mit unterschiedlichen Substraten in den verschiedenen Ländern, in denen es Amtssprache ist, weist die Sprache zahlreiche Besonderheiten auf. Dies verdeutlichen bspw. die lexikalischen Unterschiede zwischen dem europäischen und dem brasilianischen Portugiesisch. Zudem sind in beiden Varietäten Dialekte und regionale Varietäten mit eigenen Besonderheiten anzutreffen (Bagno 2011; Mateus et al. 2003). Bei der Darstellung der Hauptunterschiede zwischen beiden Varietäten wird in der Regel die Aussprache, die Lexik (z. B. Ônibus/ Autocarro ), die Stellung der unbetonten Pronomen im Satz sowie die Verwendung des Gerundiums oder des Infinitivs genannt. Bezüglich dieses letzten Aspektes nutzt das brasilianische Portugiesisch meist das Gerundium (z. B. estou comendo ), während im europäischen Portugiesisch in diesem Kontext die Konstruktion „estar a + Infinitiv“ (z. B. estou a comer) verwendet wird. Auf phonetischer und phonologischer Ebene unterscheiden sich beide Varietäten im Bereich der Aussprache der unbetonten Vokale, die im brasilianischen Portugiesisch deutlicher artikuliert werden als in der europäischen Variante, wo diese stark reduziert oder getilgt werden (vgl. Delgado-Martins 1988). Weitere Unterschiede bestehen im Vorhandensein eines bestimmten Artikels vor Possessivpronomen - die Kombination von beiden ist im europäischen Portugiesisch häufiger anzutreffen - , im Nichtvorhandensein der zweiten Person Plural (vós) sowie des nahezu kaum zum Einsatz kommenden persönlichen Infinitivs (Infinitivo Pessoal) und des Konjunktivs Futur im brasilianischen Portugiesisch. In Bezug auf die Orthographie gab es zwischen 1945 und 2009 (Jahr der Umsetzung des Acordo ortográfico - Abkommen zur Rechtschreibung für die portugiesische Sprache) zwei verschiedene Rechtschreibnormen: eine in Brasilien und eine in den restlichen lusophonen Ländern. Durch die Umsetzung des Acordo ortográfico wurden beispielsweise die stummen Konsonanten aus der Norm des europäischen Portugiesisch entfernt, was eine stärkere Annäherung an die Rechtschreibung des brasilianischen Portugiesisch ermöglichte. Zudem verschwand der Umlaut „ü“ aus dem brasilianischen Portugiesisch. Im heutigen Portugiesischunterricht in Deutschland, Österreich und der Schweiz las- 531 116. Portugiesisch sen sich zwei Tendenzen verzeichnen: Die eine Seite vertritt die Einbeziehung beider Varietäten in den Unterricht und den ständigen Verweis auf die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede (Standpunkt des Camões-ICL und des Referenzrahmens für Portugiesischunterricht im Ausland 2009), während die andere Seite auf der Vermittlung einer konkreten Varietät besteht (Standpunkt von Linguisten wie Bagno 2011). 3. Portugiesisch als Herkunftssprache Im Schulsystem der deutschsprachigen Länder wird das Portugiesische am häufigsten als Herkunftssprache gelehrt (vgl. Reimann 2014). Dies erklärt sich durch die starke Präsenz lusophoner Einwanderergemeinschaften, v. a. in Deutschland, in der Schweiz und in Luxemburg. So lebten bspw. in Deutschland im Jahr 2013 127.368 Portugiesen - 7.000 mehr als im Vorjahr. In den restlichen Ländern mit Deutsch als Amtssprache ließ sich ein ähnlicher Anstieg verzeichnen. In der Schweiz war der Anstieg am stärksten (vgl. Staatssekretariat der Portugiesischen Gemeinschaften 2014). Trotz dieses Anstiegs nehmen die Lernendenzahlen an dem vom Camões-ICL organisierten Unterricht ab. Bei einem Vergleich der Anzahl der eingeschriebenen Schülerinnen und Schüler zwischen 2011/ 12 und 2013/ 14 lässt sich in Deutschland und in der Schweiz ein Rückgang von mehr als 30 % verzeichnen. In Deutschland gingen die Lernendenzahlen von 5.490 auf 3.150 zurück (-42 %), in der Schweiz von 15.365 auf 11.510 (-25 %). Dieser Rückgang wird mit einigen Prozessänderungen im Rahmen der Sprachpolitik für das Portugiesische im Ausland in Verbindung gebracht, wie der Einführung von Kursgebühren in Höhe von 100 EUR im Jahr (seit dem Schuljahr 2013/ 14). Aufgrund der geringen Anzahl an Portugiesischsprechenden in Österreich und Liechtenstein verfügt das Camões-ICL über kein Netzwerk für den Portugiesischunterricht in diesen Ländern. In Deutschland sichern einige Bundesländer, wie Hessen oder Nordrhein-Westfalen, einen Teil des Portugiesischunterrichts für die Einwanderergemeinschaften, wobei in den vergangenen Jahren das Kursangebot und die Bereitstellung von Lehrpersonal abgenommen haben. Andere Bundesländer, wie Baden-Württemberg und Hamburg, gewähren neben der Unterstützung des Lehrangebots für Portugiesisch als Herkunftssprache finanzielle Zuschüsse für den Erhalt der Kurse und die Ausbildung von Lehrkräften. In Österreich bietet der Stadtschulrat von Wien seit kurzem freiwilligen Portugiesischunterricht in der Form von „muttersprachlichem Unterricht“ an. Das Angebot richtet sich an Schülerinnen und Schüler über 10 Jahre. Weitere Initiativen sind innerhalb von Einwandererorganisationen sowohl der brasilianischen Gemeinde (z. B. Papagaio - Österreichisch-Brasilianischer Bildungs- und Kulturverein) als auch der portugiesischen Gemeinde (z. B. die Österreichisch-Portugiesische Gesellschaft in Wien) zu finden. 4. Portugiesisch als Fremdsprache Trotz der starken Präsenz des Portugiesischen in Bezug auf die Sprecherzahlen und seiner Verbreitung in unterschiedlichen Bereichen ist Portugiesisch als Schulfremdsprache selten Bestandteil der Lehrpläne der deutschsprachigen Länder, was D. Reimann (2014: 124) dazu bewegt, sie als „verkannte Weltsprache“ zu bezeichnen. Während Portugiesisch in Österreich als Fremdsprache angeboten wird, ist es in der Schweiz und in Luxemburg im Vergleich zu anderen Sprachen nur marginal in den Lehrplänen vertreten. In Deutschland lassen sich einige Beispiele für Portugiesisch als Schulfremdspra- 532 Sílvia Melo-Pfeifer che, z. B. das Max-Planck-Gymnasium in Dortmund oder das Geschwister-Scholl- Gymnasium in Stuttgart, nennen. Mit einer Kombination aus Unterricht für Portugiesisch als Herkunftssprache, als Muttersprache und als Fremdsprache sind zudem die zweisprachigen Schulen in Berlin und Hamburg als erfolgreiche Beispiele hervorzuheben. Dort werden die Unterrichtsfächer auf beide Sprachen verteilt und die Kompetenzen der Lernenden entwickeln sich nach dem Ansatz des CLIL (Content and Language Integrated Learning ). Das Angebot reicht von der Grundschule bis zum Abitur. Im Allgemeinen ist Portugiesisch häufig als dritte Fremdsprache (wie im Fall von Bayern und Hamburg) und als Wahlpflichtfach in den Lehrplänen vertreten. In den meisten Bundesländern beschränkt sich die Präsenz des Portugiesischen in den Schulen jedoch auf Arbeitsgemeinschaften. Den von Reimann (2014) ermittelten Daten zufolge bieten die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen Portugiesisch als Schulfremdsprache an. Einige deutsche Universitäten haben ein umfangreiches Bachelor- und Masterangebot für das Studium der portugiesischen und lusophonen Sprache und Kultur (Lusitanistik), z. B. Aachen, Berlin, Chemnitz, Köln, Frankfurt, Gießen, Hamburg, Jena, Leipzig, Marburg, Saarbrücken, Trier und Tübingen, andere bieten ein Dolmetscher- und Übersetzerstudium für die Sprachkombination Portugiesisch-Deutsch an (Heidelberg, Germersheim und München). Zudem kann man an den Sprachenzentren der meisten deutschen Universitäten Portugiesischkurse belegen. Hier reicht das Angebot zum Teil bis Stufe B2. In Österreich wird Portugiesisch als Hauptfach am Institut für Romanistik und am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien angeboten. An der Universität Graz ist Portugiesisch als Nebenfach vertreten und in Salzburg ist es Bestandteil des Angebots des Sprachenzentrums. In der deutschsprachigen Schweiz kann man an der Universität in Zürich Portugiesisch lernen. Dort wurde 2013 der Lehrstuhl Cátedra Carlos Oliveira des Camões-ICL eingerichtet. In der Erwachsenenbildung ziehen in Deutschland und in Österreich die Volkshochschulen zahlreiche Portugiesischlernende an, v. a. in den Anfängerkursen. In diesem Kontext sind die Portugiesischkurse entweder auf die brasilianische oder auf die europäische Varietät ausgerichtet. Bei einer Durchsicht des Kursangebots in Deutschland konnten lediglich 99 Portugiesischkurse gezählt werden, die sich größtenteils auf die Elementarstufen (A1 und A2) erstrecken, was auf eine rückläufige Tendenz hinweist, die bereits von Scotti-Rosin (2007) festgestellt worden war. In Österreich konnten mindestens 59 Portugiesischkurse gezählt werden, die meisten davon in Wien (52). Somit ist hier die Situation ähnlich wie in Deutschland. Das Erlernen des Portugiesischen erfolgt oft aus beruflichen Gründen: Verschiedene wissenschaftliche Studien verweisen auf das Portugiesische als attraktive Sprache, die ein Plus im Lebenslauf darstellt (Reto 2012). Neben dieser instrumentellen Motivation besitzt das Portugiesische eine weitere Anziehungskraft: Schülerinnen und Schüler mit guten Vorkenntnissen in einer anderen romanischen Sprache (z. B. Französisch und Spanisch) finden aufgrund der Vorteile der Interkomprehension einen schnellen und einfachen Einstieg in das Portugiesische. 5. Programme und Lehrpläne Auf der Grundlage des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) entwickelte die portugiesische Regierung ein spezifisches Dokument für Portugiesisch im Ausland: Quadro de Referência para 533 116. Portugiesisch o Ensino Português no Estrangeiro (Referenzrahmen für Portugiesischunterricht im Ausland 2009). Dieses Dokument enthält die Grundlage für einen Unterricht, der einerseits die Entwicklung von interkulturellen und mehrsprachigen Kompetenzen und andererseits die Entwicklung von sprachlichen, pragmatischen und soziolinguistischen Kompetenzen im Portugiesischen zum Ziel hat. Das Portugiesische soll dabei als globale Sprache vermittelt werden (vgl. die Lehrwerke Lado a Lado für Portugiesisch als Herkunftssprache und Salpicos für Portugiesisch als Schulfremdsprache). In Deutschland verfügen die Bundesländer Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen zudem über eigene Programme und Lehrpläne, in denen ebenfalls die Leitlinien des GeR befolgt werden. Zu den am meisten verwendeten Lehrwerken für Erwachsene zählen Olá Portugal und Oi Brasil. 6. Zertifizierung Das Camões-ICL führte 2012 ein System für die Bewertung und Zertifizierung von Kompetenzen im Rahmen der Lehre des Portugiesischen als Herkunftssprache ein. Die für diese Zertifizierung erforderlichen Prüfungen finden alljährlich in allen Ländern statt, in denen das Institut eine solche Zertifizierung anbietet. Die Sprachprüfungen werden in Zusammenarbeit mit den Botschaften und Konsulaten Portugals organisiert. In verschiedenen deutschen Bundesländern, in denen herkunftssprachlicher Unterricht angeboten wird, gibt es ebenfalls die Möglichkeit zur Zertifizierung dieser Sprachkompetenzen. In diesem Fall sind die Bundesländer selbst für die Organisation der Prüfungen zuständig. Im Zusammenhang mit der Zertifizierung von Kompetenzen im Portugiesischen als Fremdsprache lassen sich verschiedene Prüfungen unterscheiden. Brasilien bietet das Zertifikat Celpe-Bras an, das vier Stufen umfasst. Diese Zertifizierungsprüfungen können am Instituto Cultural Brasileiro Zürich (Schweiz), an der Universität Jena (Deutschland) und an der Universität Salzburg (Österreich) abgelegt werden. Portugal bietet fünf jährliche Zertifizierungsprüfungen an: das CIPLE (Stufe A2), das DEPLE (Stufe B1), das DIPLE (Stufe B2), das DAPLE (Stufe C1) und das DUPLE (Stufe C2). Diese Prüfungen können in Deutschland (an den Universitäten in Hamburg, Köln und Berlin), in Luxemburg (am Institut National des Langues ), in Österreich (an den Universitäten Salzburg und Wien) und in der Schweiz (in der Coordenaç-o do Ensino Português in Bern und in Genf) abgelegt werden. Darüber hinaus bietet die telc GmbH (The European Language Certificates ) ein Portugiesisch-Zertifikat auf B1-Niveau an. An den Sprachenzentren mehrerer deutscher Hochschulen kann der erfolgreiche Besuch von Portugiesischkursen mit einer UNIcert ® - Prüfung abgeschlossen werden. Literatur Bagno, M. (2011): Gramática Pedagógica do português Brasileiro. S-o Paulo. Camões - Instituto da Cooperaç-o e da Língua. www.instituto-camoes.pt Delgado-Martins, M. R. (1988): Ouvir falar: Introduç-o à Fonética do Português. Lisboa. Mateus, M. M. / Brito, A. / Duarte, I. / Hub Faria, I. / Frota, S. / Matos, G. / Oliveira, F. / Vigário, M. / Villalva, A. (2003): Gramática da Língua Portuguesa. Lisboa. Ministério da Educaç-o e Ciência (2009): Quadro de Referência para o Ensino Português no Estrangeiro (= Referenzrahmen für Portugiesischunterricht im Ausland). Portaria n. o 914/ 2009 534 Grit Mehlhorn Reimann, D. (2014): Portugiesischunterricht in Deutschland als Beitrag zu Mehrsprachigkeit und transkultureller Identitätsbildung. Historische Entwicklung und gegenwärtige Perspektiven, in: D. Reimann (Hrsg.): Transkulturelle kommunikative Kompetenz in den romanischen Sprachen. Theorie und Praxis eines neokommunikativen und kulturell bildenden Französisch-, Spanisch-, Italienisch- und Portugiesischunterrichts. Stuttgart, 219-258. Reto, L. (2012): Potencial económico da Língua Portuguesa. Alfragide. Scotti-Rosin, M. (2007): Portugiesisch, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm, Hrsg. (2003): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Aufl. Tübingen, 554-556. Staatssekretariat der Portugiesischen Gemeinschaften/ Secretaria de Estado das Comunidades Portuguesas. www.secomunidades.pt Sílvia Melo-Pfeifer 117. Russisch 1. Verbreitung und Bedeutung Das Russische ( русский язык ) gehört zum Zweig der indoeuropäischen Sprachen und stellt die am häufigsten gesprochene und gelernte slawische Sprache dar. Sie bildet zusammen mit dem Ukrainischen und Weißrussischen die Gruppe der ostslawischen Sprachen, verwendet das kyrillische Alphabet und ist eine der sechs offiziellen Sprachen der Vereinten Nationen. Für ca. 170 Mio. Menschen ist das Russische Erstsprache. Von ihnen leben etwa 130 Mio. in Russland, weitere 26 Mio. in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und ca. 8 Mio. Menschen in Ländern mit starker russischer Immigration (v. a. Deutschland, USA, Kanada, Australien und Israel). Zählt man diejenigen hinzu, für die Russisch Zweitsprache ist, kommt man auf etwa 260 Mio. Russischsprechende (vgl. Aref’ev 2014: 32). In Deutschland ist Russisch mit derzeit mindestens 4,5 Mio. Russischsprachigen - russlanddeutschen Spätaussiedlern, jüdischen Zuwanderern und Ausländern aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion - die meistgesprochene Migrantensprache (vgl. Anstatt 2011: 103). Das heutige Russisch ist aus dem Gemeinostslawischen hervorgegangen, das während der Entstehung der Kiever Rus’ Literatur- und Handelssprache war. Mit der Annahme des Christentums 988 wurde es durch die Einführung des Altkirchenslawischen als offizielle Sprache der Liturgie abgelöst. Für die Periode vom 9. bis 14. Jh. war das Altrussische kennzeichnend. Unter Peter dem Großen wurde viel Fachvokabular aus den Sprachen Westeuropas entlehnt und eine Alphabetreform durchgeführt. Die moderne Literatursprache wird gewöhnlich auf die Zeit Alexander Puškins im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts datiert. Nach der Rechtschreibreform von 1918 und der letzten Kodifizierung von 1956 erhielt das geschriebene Russisch seine heutige Erscheinungsform. Politische Umstände und die sowjetischen Erfolge in Bereichen des Militärs, der Wissenschaft, Technologie und Raumfahrt verhalfen dem Russischen zu weltweitem Ansehen, v. a. in der Mitte des 20. Jhs. In der UdSSR war Russisch in allen Republiken dieses multinationalen Staates lingua franca, dominante Unterrichtssprache und/ oder Unterrichtsfach, in den Staaten des ehemaligen Ostblocks erste obligatorische Fremdsprache (vgl. Wingender 2008: 194). Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 geriet das Russische in allen Nachfolgestaaten (außer der Russischen Föderation) in die Situation einer Minderheitensprache (ebd.: 195); auch die Nachfrage nach Russisch als Fremdsprache ging stark zurück. Viele Russischlehrkräfte wurden arbeitslos; ein großer 535 117. Russisch Teil schulte auf Englisch um (vgl. Mehlhorn & Heyer 2011: 7). Auch heute gilt Russisch in den meisten Nachfolgestaaten der Sowjetunion als die am besten kodifizierte Sprache in allen Sphären und Fachsprachen und die dominante Sprache in der Hochschulbildung, die nach wie vor als Zweit- und Fremdsprache gelernt wird. In Ländern mit hohem russischem Bevölkerungsanteil - Lettland, Kasachstan, Estland, Kirgistan, Weißrussland und der Ukraine - genießt das Russische immer noch ein hohes Prestige und wird „als Sprache einer Weltliteratur, eines multinationalen Staates mit großem internationalen Einfluss und langer Geschichte sowie als weit verbreitete und voll ausgebaute Standardsprache wahrgenommen“ (Wingender 2008: 198). 2. Sprachstrukturelle und -typologische Spezifika Das russische Alphabet umfasst 33 Buchstaben und kommt ohne diakritische Zeichen aus. Die kyrillische Schrift hat sowohl mit dem griechischen als auch dem lateinischen Alphabet Ähnlichkeiten. Schulkinder erlernen sie in wenigen Wochen, Erwachsene innerhalb einiger Stunden. Das Russische gilt durch seine komplexen Silbenstrukturen, die Reduktion unbetonter Vokale, variable Silbengrenzen, eine dynamisch, phonetisch stark ausgeprägte, freie und bewegliche Betonung mit komplexen Akzentregeln als typische akzentzählende Sprache. Charakteristisch sind zudem der relativ große Sprechstimmumfang und die bedeutungsunterscheidenden Möglichkeiten der russischen Intonation (vgl. Svetozarova 1998: 265 f.). Eine weitere Herausforderung für Russischlernende stellt die Palatalitätsopposition, d. h. die Unterscheidung sog. weicher und harter Konsonanten, dar. In der morphologiereichen russischen Sprache flektieren die Wörter innerhalb grammatischer Kategorien durch Hinzufügen von Affixen und Veränderungen des Wortstammes. Das Russische verfügt über sechs Kasus - außer den im Deutschen bekannten noch Instrumental und Präpositiv - , drei grammatische Geschlechter und zwei Numeri. Darüber hinaus existiert im Russischen die Kategorie der Belebtheit, die bei der Deklination zwischen belebten (Lebewesen) und unbelebten (Sachen) Nomen unterscheidet. Mit dem Verbalaspekt werden Handlungen im Zeitgeschehen als perfektiv bzw. imperfektiv spezifiziert. Das Russische erlaubt eine relativ freie Wortfolge, da die syntaktischen Beziehungen im Satz durch die Flexion deutlich gemacht werden. Die zugrundeliegende Satzgliedfolge ist SVO. In der Vergangenheit hat das Russische Wortschatz aus dem Deutschen, Niederländischen, Französischen und Latein entlehnt, seit der Perestrojka (1985-1991) auch aus dem Englischen. Neue Wörter werden mit Hilfe der Derivation gebildet. Dialekte spielen im Russischen eine erstaunlich geringe Rolle (vgl. Tošovic´ 2002: 410). Trotz der großen Entfernungen innerhalb Russlands liegen Ausspracheunterschiede nirgends so weit auseinander, dass es zu Verständnisproblemen kommen könnte. Genauere linguistische Beschreibungen des Russischen finden sich u. a. bei Gladrow (1998) und Bruns (2007). Ein beliebtes Nachschlage- und Informationsportal zur russischen Sprache ist www.gramota.ru. Als slawische Sprache mit den größten Sprecher- und Lernerzahlen gilt das Russische als besonders geeignete Brückensprache für die slawische Interkomprehension (vgl. Zybatow 2003 sowie Art. 49). 536 Grit Mehlhorn 3. Russisch in der Schule Basler (1987) gibt einen umfassenden Überblick über den Russischunterricht an deutschen Schulen aus historischer Perspektive. In Deutschland kann außer im Saarland in allen Bundesländern Russisch in der Schule gelernt werden. Auffällig sind die großen regionalen Unterschiede bezüglich der Verteilung der Russischlernenden in der Schule, mit etwa 70 % in den neuen Bundesländern. Eine Ursache hierfür ist die Tradition des Russischunterrichts in der ehemaligen DDR, wo Russisch obligatorische erste Fremdsprache ab Klasse 5 war (vgl. Frenzel 2000). Nach der Wende hat sich der Russischunterricht sehr schnell von der ideologisch orientierten Vermittlung verabschiedet. Für den Russischunterricht gelten ähnliche Kompetenzziele wie für andere moderne Schulfremdsprachen. Russisch wird typischerweise als zweite (v. a. in den neuen Bundesländern) bzw. dritte Schulfremdsprache (in den alten Bundesländern) gelernt und oft bis zum Abitur fortgeführt. Als erste Fremdsprache wird Russisch an wenigen Grundschulen, z. B. in Berlin, sowie traditionell ab Klasse 1 an vielen Waldorfschulen angeboten (vgl. KMK 2014). In Deutschland lernen derzeit 107.132 Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen und 5.691 an Berufsschulen Russisch (Angaben zum Schuljahr 2013/ 14, vgl. www.destatis.de). Damit haben sich die Lernerzahlen nach einer längeren Phase der Ohnmacht in den letzten Jahren auf niedrigem Niveau stabilisiert. In Österreich gab es 2013/ 14 etwa 7.400 Russischlernende v. a. an Allgemeinbildenden und Berufsbildenden Höheren Schulen (vgl. www.russischlehrer. at). Damit steht das Russische in diesen Ländern an fünfter Stelle der gelernten Fremdsprachen. Für die aktuelle Nachfrage spielen v. a. wirtschaftliche und politische Faktoren eine Rolle. Wie viele andere Sprachen auch wurde Russisch lange Zeit mit Hilfe der Grammatik- Übersetzungs-Methode vermittelt. Seit den 1980er Jahren wird Russisch jedoch verstärkt kommunikativ unterrichtet. Neue Tendenzen in der russischen Fremdsprachendidaktik liegen in der Positionierung des Russischen im Rahmen von Mehrsprachigkeitskonzepten sowie in Konzepten für die Binnendifferenzierung, um den speziellen Bedürfnissen von Lernenden mit russischsprachigem Hintergrund im Unterricht des Russischen als Fremdsprache gerecht zu werden. Schülerinnen und Schüler mit russischsprachigem Hintergrund erhalten oft Herkunftssprachenunterricht (vgl. Art. 46) bzw. in Österreich muttersprachlichen Unterricht. In einigen deutschen Bundesländern ist dieser Unterricht der zweiten Fremdsprache gleichgestellt. V. a. in größeren Städten bieten Vereine der russischsprachigen Diaspora ein vielfältiges Bildungsprogramm und gezielte Sprachförderung und in diesem Rahmen auch herkunftssprachlichen Unterricht an Samstags- und Sonntagsschulen an (z. B. www.mitra-ev.de). Die besten Russischlernenden nehmen an Russisch-Spracholympiaden und Bundessprachwettbewerben teil. Der Bundescup „Spielend Russisch lernen“ (www.spielend russisch.de) soll Jugendliche auf spielerische Weise an das Russische heranführen. Die seit 2006 bestehende Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch (www.stiftung-drja. de) ist bundesweit das zentrale Koordinierungszentrum für den Jugend- und Schüleraustausch mit Russland, wirbt u. a. mit dem „RussoMobil“ für das Erlernen der russischen Sprache und fördert neben schulischem und außerschulischem Austausch auch Projekte der beruflichen Bildung. Über den Pädagogischen Austauschdienst werden jährlich ca. 35 Fremdsprachenassistentinnen aus der Russischen Föderation an deutsche Schulen vermittelt. 537 117. Russisch 4. Russisch in der Erwachsenenbildung Inzwischen lernen viele Menschen Russisch erst im Erwachsenenalter, wobei v. a. Wirtschaftsrussisch nachgefragt wird. Neben privaten Sprachinstituten gibt es in den meisten deutschen und österreichischen Bundesländern die Möglichkeit, die Sprache an Volkshochschulen zu lernen. An allen Slawistikinstituten kann Russisch im Rahmen eines Slawistikstudiums studiert werden, darüber hinaus an 22 deutschen Universitäten im Rahmen eines Lehramtsstudiums. Auch die Universitäten Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Salzburg und Wien bieten Russischlehrerausbildung an. Beliebte Intensivkurse finden traditionell in Timmendorfer Strand und Eisenstadt sowie am Russicum in Bochum statt. 5. Lehrwerke und Materialien Die aktuellen Lehrwerke für Russisch als zweite Schulfremdsprache in Deutschland sind Dialog und Konečno! , für die dritte Fremdsprache Privet! und Konečno! Intensivnyj Kurs. Die Oberstufenlehrwerke heißen Vmeste undDal’še (füreinenÜberblick vgl.Mehlhorn & Wapenhans 2011). Diese Lehrwerke werden auch an österreichischen Schulen verwendet. Lehrwerke wie Most, Otlično und Jasno kommen in der Erwachsenenbildung zum Einsatz, in Österreich zudem noch Russisch für Anfänger. 2014 erschien eine Einführung in die russische Fachdidaktik, herausgegeben von Anka Bergmann. Neue Impulse für die Lehrplanentwicklung und lehrwerkbegleitende Materialien für das Russische kommen seit vielen Jahren aus dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (ThILLM), vgl. u. v. a. Behr (2009). Die Zeitschrift „PRAXIS Fremdsprachenunterricht Russisch“ erscheint 6-mal jährlich mit Beiträgen für den schulischen Russischunterricht und richtet sich an Russischlehrkräfte, Referendare und Unterrichtspraktikanten. 6. Abschlüsse und Zertifikate Der TRKI (Test po russkomu jazyku kak inostrannomu ) ist ein international anerkanntes Sprachzertifikat, das von der Moskauer Lomonosov-Universität gemeinsam mit dem Bildungsministerium der Russischen Föderation für Russischlernende auf der ganzen Welt erstellt wurde. Das Zertifikat kann an verschiedenen Prüfungszentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz oder auch in Russland selbst abgelegt werden. Der TRKI ist sowohl für Schülerinnen und Schüler mit russischsprachigem Hintergrund als auch für Fremdsprachenlernende ein attraktiver Nachweis ihrer Kenntnisse und kommunikativen Kompetenzen im Russischen. Zugangsvoraussetzung für ein Studium an einer russischen Hochschule sind Sprachkenntnisse auf dem Niveau TRKI-1 (entspricht B1 des GeR). Zusätzlich können u. a. am Halleschen Zertifizierungszentrum für Russisch Sprachzertifikate für Wirtschaftsrussisch auf drei Niveaustufen erworben werden. Von telc (The European Language Certificates) werden Russischzertifikate auf den Niveaustufen A1, A2, B1 und B2 des GeR v. a. für erwachsene Lernende an Volkshochschulen angeboten. Viele Sprachenzentren an Hochschulen geben Studierenden aller Fachrichtungen die Möglichkeit, UNIcert ® -Prüfungen für Russisch abzulegen. 7. Fachverbände und weitere Institutionen Für Russischlehrkräfte gibt es in Deutschland derzeit zwei große Verbände: den Deutschen Russischlehrerverband e. V. (www.drlv.de) und den Verband „Russisch und Mehrsprachigkeit e. V.“ unter dem Dach des Ge- 538 Grit Mehlhorn samtverbands Moderne Fremdsprachen (www.russisch-und-mehrsprachigkeit.de). In Österreich aktiv ist der VRÖ - Verband der Russischlehrerinnen und Russischlehrer Österreichs (www.russischlehrer.at) und in der Schweiz der VRUS - Verein der Russischlehrerinnen und Russischlehrer in der Schweiz (www.oprjas.ch). Die Lehrerverbände organisieren Fortbildungen (der VRÖ z. B. jährlich in Raach/ Niederösterreich), Russischolympiaden, TRKI-Prüfungen für Schülerinnen und Schüler und sind Mitglied im MAPRJaL (Meždunarodnaja Associacija Prepodavatelej Russkogo Jazyka i Literatury ) - der Organisation zur Verbreitung des Russischen als Fremdsprache in der Welt (http: / / ru. mapryal.org). Für die Förderung und Verbreitung der russischen Sprache, die Vermittlung von Wissen über russische Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft sind u. a. das Russische Haus der Wissenschaft und Kultur in Berlin und das Russische Kulturinstitut in Wien zuständig (vgl. Art. 140). Auch die russischen Zentren der Stiftung Russkij Mir veranstalten regelmäßig Konferenzen, Ausstellungen, Theater- und Filmaufführungen sowie Russischkurse. Literatur Anstatt, T. (2011): Russisch in der zweiten Generation. Zur Sprachsituation von Jugendlichen aus russischsprachigen Familien in Deutschland, in: L. M. Eichinger / A. Plewnia / M. Steinle (Hrsg.): Sprache und Integration. Über Mehrsprachigkeit und Migration. Tübingen, 101-128. Aref’ev, A. L. (2014): Russkij jazyk v mire: prošloe, nastojašcˇee, budušcˇee. Vestnik Rossijskoj Akademii Nauk 84/ 10, 31-38. Basler, F. (1987): Russischunterricht in drei Jahrhunderten: ein Beitrag zur Geschichte des Russischunterrichts an deutschen Schulen. Wiesbaden. Behr, U. (2009): Anregungen für die Arbeit am Hörverstehen im Russischunterricht der Grundschule. Bad Berka. Bergmann, A., Hrsg. (2014): Fachdidaktik Russisch: eine Einführung. Tübingen. Bruns, T. (2007): Einführung in die russische Sprachwissenschaft. Tübingen. Frenzel, B. (2000): Und jeder mußte Russisch lernen! Zur Geschichte der Didaktik und Methodik des Russischunterrichts in der ehemaligen DDR . Stadtallendorf. Gladrow, W., Hrsg. (1998): Russisch im Spiegel des Deutschen. Eine Einführung in den russischdeutschen und deutsch-russischen Sprachvergleich. Frankfurt a. M. KMK , Hrsg. (2014): Zur Situation des Russischunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland. Bericht der Kultusministerkonferenz vom 07. 03. 2014. Köln. Mehlhorn, G. / Heyer, Ch., Hrsg. (2011): Russisch und Mehrsprachigkeit. Lehren und Lernen von Russisch an deutschen Schulen in einem vereinten Europa. Tübingen. Mehlhorn, G. / Wapenhans, H. (2011): Die neue Lehrwerkgeneration für Russisch als zweite und dritte Fremdsprache. Fremdsprachen Lehren und Lernen 40/ 2, 49-63. Svetozarova, N. (1998): Russian. In: D. Hirst / A. Di Cristo (Hrsg.): Intonation systems: A survey of twenty languages. Cambridge, 261-274. Tošovic´ , B. (2002): Russisch. In: M. Okuka (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Klagenfurt, 409-436. Wingender, M. (2008): Offizielle Sprachpolitik und sprachliche Realität in mehrsprachigen Ländern des östlichen Europas - mit Fokus auf dem Russischen, in: E. Burwitz-Melzer / W. Hallet / M. Legutke / F.-J. Meißner / J. Mukherjee (Hrsg.): Sprachen lernen - Menschen bilden. Baltmannsweiler, 191-202. 539 118. Schwedisch Zybatow, L. (2003): EuroComSlav - a road to Slavic languages. Wiener Slawistischer Almanach 52, 281-295. Grit Mehlhorn 118. Schwedisch 1. Verbreitung und Bedeutung Schwedisch ist die Hauptsprache in Schweden mit ca. 9 Mio. Sprechern sowie neben Finnisch eine der beiden Nationalsprachen in Finnland mit ca. 300.000 Sprechern (ca. 6 % der finnischen Bevölkerung). In Finnland ist Schwedisch als Schulfach auch für Erstsprecher des Finnischen obligatorisch, seit 2005 allerdings nicht mehr als Abiturfach. Die tatsächlichen Schwedischkompetenzen der finnischsprachigen Bevölkerung sind jedoch sehr unterschiedlich ausgeprägt. In einer historisch-genetischen Sichtweise bildet Schwedisch zusammen mit Dänisch den ostnordischen Zweig der nordgermanischen Sprachen, während Färöisch, Isländisch und Norwegisch dem westnordischen Zweig angehören. Im Hinblick auf ihre geografische Verteilung und sprachtypologische Entwicklung seit dem Spätmittelalter werden die skandinavischen bzw. nordischen Sprachen heute meist in eine festlandskandinavische (Dänisch, Norwegisch und Schwedisch) und eine inselskandinavische (Färöisch und Isländisch) Gruppe unterteilt. Für die Kommunikation unter Sprechern innerhalb der jeweiligen Gruppe, also etwa im Bereich der Nachbarsprachen Dänisch, Norwegisch und Schwedisch, wird in der Regel die eigene Sprache verwendet. Da auf Grönland, Island und den Färöern Dänisch bzw. eine der anderen festlandskandinavischen Sprachen obligatorisches Schulfach sind, umfasst der skandinavische Kommunikationsraum de facto alle nordischen Länder (Braunmüller 2007: 1 ff.; Svenska institutet 2015). 2. Sprachspezifische Besonderheiten Schwedisch gilt als eine Fremdsprache, die Lernenden mit der Erstsprache Deutsch relativ leicht zugänglich ist, was in erster Linie mit der Tatsache begründet wird, dass ca. 40 % des schwedischen Wortschatzes aus dem Deutschen stammen, insbesondere aus dem Kontakt zum Niederdeutschen während der Zeit der Hanse (z. B. arbete, betala, bliva, möjlig; zu beachten sind aber „falsche Freunde“ (z. B. semester - Ferien). Hinzu kommen zahlreiche weitere Parallelen zum Deutschen im Hinblick auf Formen und Strukturen sowie der Umstand, dass das Schwedische eine vergleichsweise reduzierte Flexionsmorphologie aufweist. Außerdem können die meisten deutschsprachigen Lernenden auf Lernerfahrungen mit Englisch und möglicherweise weiteren Fremdsprachen zurückgreifen. Insgesamt erreichen deutsche Lernende v. a. zu Lernbeginn tatsächlich häufig eine relativ steile Progression. Zu den sprachspezifischen Phänomenen, die didaktisch besonders zu berücksichtigen sind, gehören im Bereich der Aussprache die Unterscheidung zwischen Akzent 1 (akut, z. B. ‘fågel - Vogel) und Akzent 2 (grav, z. B. ‘flicka - Mädchen), aus dem sich zahlreiche Minimalpaare ergeben (z. B. ‘anden - die Ente / ‘anden - der Geist), im Bereich der Grammatik der bestimmte Schlussartikel (z. B. dagen - der Tag, dagarna - die Tage) sowie die Unterscheidung zwischen reflexivem und nicht-reflexivem Possessivpronomen, z. B. sin/ hans - sein, vgl. Hultman 2003). Zu den Herausforderungen des Schwedischunterrichts kann auch die explizite Förderung einer rezeptiven Mehrsprachigkeit gehören, die den Lernenden einen sprachlichen Zugang zum gesamten Kommunikationsraum der nordischen Länder erschließt (Braunmüller 2007: 18 ff.). 540 Nicola Jordan 3. Schwedisch als Schulfremdsprache Als Schulfremdsprache ist Schwedisch nur in Mecklenburg-Vorpommern und dort v. a. in den Hansestädten Greifswald, Rostock und Stralsund vertreten, was sich auf gemeinsame kulturhistorische Traditionen (Schwedisch- Pommern 1630-1815) und die geografische Nähe zurückführen lässt, die diese Region zu einer Drehscheibe für den wirtschaftlichen wie auch kulturellen Austausch und Schwedisch zu einer nützlichen beruflichen Qualifikation hat werden lassen. Schwedisch wird an Gymnasien und integrierten Gesamtschulen ab Jahrgangsstufe 7 als zweite und ab Jahrgangsstufe 9 als dritte Fremdsprache unterrichtet. In der Qualifikationsstufe der gymnasialen Oberstufe (Jahrgangsstufe 11 und 12) kann Schwedisch als vierstündig unterrichtetes Hauptfach oder als neu beginnende Fremdsprache belegt und als Abiturfach gewählt werden. Für die Jahrgangsstufen 7-10 liegt ein Rahmenplan vor, für die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe ein Kerncurriculum (Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern 2002; 2006). Dem Statistischen Amt Mecklenburg-Vorpommern zufolge haben im Schuljahr 2013/ 14 688 Schülerinnen und Schüler an 15 allgemein bildenden Schulen am Schwedischunterricht teilgenommen. Darüber hinaus wird Schwedisch in ganz Deutschland an zahlreichen v. a. allgemeinbildenden Schulen in Form von Arbeitsgemeinschaften, Sprachkursen und Lernprojekten, teils auch in Verbindung mit Schulpartnerschaften, Schüleraustausch und Begegnungsprogrammen gepflegt. 4. Schwedisch in der Erwachsenenbildung Schwedisch kann als Teilgebiet der Skandinavistik bzw. Nordischen Philologie im Rahmen von BA- und MA-Studiengängen im deutschsprachigen Raum an Universitäten in Basel, Berlin, Bonn, Erlangen, Frankfurt a. M., Freiburg, Göttingen, Greifswald, Kiel, Köln, Mainz, München, Münster, Tübingen, Wien und Zürich studiert werden. Greifswald und Kiel bieten außerdem ein Lehramtsstudium für das Fach bzw. Erweiterungsfach Schwedisch an. Hinzu kommen deutschlandweit ca. vierzig Sprachenzentren und ähnliche Einrichtungen, die Schwedisch für Hörende alle Fakultäten im Programm haben, meist bis zur Niveaustufe A2 oder B1. Die Angebote beschränken sich auf den allgemeinsprachlichen studien- und berufsbezogenen Bereich. Insgesamt liegen über 50 der insgesamt 225 vom Svenska institutet (www.si.se), dem u. a. für die Förderung des Schwedischen an Hochschulen im Ausland zuständigen Kulturinstitut, unterstützten Hochschulen in Deutschland; nirgends auf der Welt ist Schwedisch weiter verbreitet. Laut Svenska institutet nahmen im akademischen Jahr 2013/ 14 an deutschen Hochschulen ca. 6.700 Studierende an Schwedisch- Lehrveranstaltungen teil; die tatsächliche Zahl dürfte jedoch noch höher liegen. Zahlenmäßig kaum zu erfassen sind diejenigen Studierenden, die ihre Schwedischkompetenzen bspw. im Rahmen von Tandem- oder Tutorenprogrammen erweitern. Motivation für die Wahl der Sprache sind häufig ein geplantes Auslandssemester oder -praktikum, die Aufnahme eines Studiums, ein beruflich oder privat bedingter Umzug nach Schweden, daneben aber auch der Wunsch, eine weniger verbreitete Sprache eines positiv besetzten Landes als mögliche berufliche Qualifikation zu erlernen, oder privates Interesse (Svenska institutet 2015). Im Bereich der Erwachsenen- und Weiterbildung gehört Schwedisch zu den am stärksten nachgefragten Sprachen. Die bundesweite Volkshochschul-Statistik weist für das Arbeitsjahr 2013 insgesamt 2.270 Schwe- 541 118. Schwedisch dischkurse mit 53.773 Unterrichtsstunden und 20.673 Belegungen aus. Gemessen an der Belegungszahl nimmt Schwedisch hinter Deutsch als Fremdsprache, Englisch, Spanisch, Italienisch und Französisch den sechsten Rang ein (Deutsches Institut für Erwachsenenbildung 2014: 30). Ähnlich dürfte es sich auf dem sehr unübersichtlichen Markt der übrigen, oft privaten Erwachsenenbildungseinrichtungen und Sprachschulen verhalten; eine Reihe von ihnen sind auf Schwedisch oder skandinavische Sprachen spezialisiert. Seit einigen Jahren gibt es auch Sprachlernangebote speziell für Kinder. Das Interesse der Teilnehmenden liegt meist im touristischen und privaten Bereich begründet. Schweden ist für unterschiedlichste Zielgruppen ein attraktives Reiseland, und die Deutschen bilden die drittgrößte Gruppe der ausländischen Ferienhausbesitzer. Vor dem Hintergrund des hohen Lebensstandards und der Attraktivität des schwedischen Arbeitsmarkts, z. B. im Bereich Gesundheitswesen oder für Ingenieure, werden die Kurse aber auch zur Vorbereitung auf eine Berufstätigkeit in Schweden genutzt. Entsprechende Angebote werden teils durch die Agentur für Arbeit oder schwedische Arbeitgeber gefördert und richten sich teils auch an spezifische Zielgruppen (Schwedisch für Mediziner). Abschließend sei noch auf Schwedischangebote im Bereich der innerbetrieblichen Weiterbildung verwiesen, insbesondere bei Tochterfirmen oder Filialen schwedischer Firmen oder bei Unternehmen, die intensive Geschäftsbeziehungen zu schwedischen Partnern pflegen. 5. Lehr- und Lernmaterialien Seit dem Erscheinen des GeR ist das Angebot an Schwedischlehr- und lernmaterialien auf dem deutschen Buchmarkt deutlich größer und vielfältiger geworden. Lehrwerke wie Tala svenska (2008), Välkomna (2013) und Javisst (2007), die zumeist die Kompetenzstufen A1 bis B1 abdecken, sind weitaus stärker einem kompetenz- und handlungsorientierten Ansatz verpflichtet als frühere Lehrbücher und beziehen neben touristischen und landeskundlichen Themen in geringerem Umfang auch solche aus Studium und Beruf mit ein; neu ist auch, dass sich die Materialien im Hinblick auf Kompetenzen wie auch auf Formate für die Vorbereitung auf die Zertifikatsprüfung Swedex eignen. Insgesamt richten sich die originär in Deutschland erscheinenden Lehrwerke jedoch weiterhin in erster Linie an ein touristisch interessiertes Publikum in der Erwachsenenbildung. Daneben gibt es eine Reihe von Selbstlernmaterialien und inzwischen mit Smultronstället und Lextra Junior Schwedisch auch zwei für Kinder im Grundschulalter konzipierte Materialien mit ähnlicher Ausrichtung. Für den Einsatz im Hochschulbereich bietet sich das seit einigen Jahren als Lizenzausgabe auch in Deutschland erscheinende Rivstart an (2014), das lerngewohnte Teilnehmende in relativ steiler Progression bis auf C1 führen soll; der B1+B2- Band Rivstart Yrkesliv kann der sprachlichen und interkulturellen Vorbereitung auf das schwedische Arbeitsleben dienen. 6. Zertifikate Die standardisierte, international bekannte Zertifikatsprüfung Swedex (www.swedex.info) wird an Universitäten, Einrichtungen der Erwachsenenbildung sowie privaten Sprachschulen angeboten, seit 2005 für die Niveaustufen A2 und B1, seit 2011 auch für B2. Einige Universitäten führen den in etwa auf C1 liegenden, standardisierten Sprachtest Tisus (Test i svenska för universitetsoch högskolestudier, www.su.se/ svefler/ tisus) durch. Er richtet sich in erster Linie an Studienbe- 542 Nicola Jordan werber mit ausländischer Hochschulzugangsberechtigung, die in Schweden ein Studium aufnehmen möchten. Im deutschen Hochschulraum verbreitet ist das hochschulspezifische Zertifikationssystem UNIcert ® ; fünfzehn der über fünfzig akkreditierten Institutionen bieten Schwedisch auf einer oder mehreren der Stufen Basis, I, II oder III an. Mit 2.460 ausgestellten Zertifikaten (Stand: April 2016) ist Schwedisch die sechstgrößte UNIcert ® -Sprache (UNIcert ® 2016). Literatur Braunmüller, K. (2007): Die skandinavischen Sprachen im Überblick. Tübingen, Basel. Deutsches Institut für Erwachsenenbildung (2014): Volkshochschul-Statistik, 52. Folge, Arbeitsjahr 2013. www.die-bonn.de/ doks/ 2014volkshochschule-statistik-01.pdf Hultman, T. G. (2003): Svenska Akademiens språklära. Stockholm. Institutet för språk och folkminnen (2014): Nordiskspråkförståelse. www.sprakochfolkmin nen.se/ sprak/ vad-ar-sprakvard/ sprakvard-inorden/ nordisk-sprakforstaelse.html Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern (2002): Rahmenplan Schwedisch, Gymnasium/ Integrierte Gesamtschule, Jahrgangsstufen 7-10, Erprobungsfassung. www.bildungsserver-mv. de/ download/ rahmenplaene/ rp-schwedisch -7-10-gym-02.pdf Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern (2006): Kerncurriculum für die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe, Schwedisch. www. bildungsserver-mv.de/ download/ rahmenpla ne/ kc-schwedisch-11-12-gym.pdf Svenska institutet (2015): Universitet med svenskstudier. https: / / svenskaspraket.si.se/ for-larare/ universitet-med-svenskstudier e UNI cert ® (2016): Aktuelle Zahlen: UNI cert ® -Statistik. www.unicert-online.org/ de/ aktuellezahlen-unicert ® -statistik Nicola Jordan 119. Slowakisch 1. Verbreitung Die slowakische Sprache (slovenský jazyk) ist die offizielle Staatssprache in der Slowakischen Republik (Panzer 1999: 112). Die Einwohnerzahl liegt laut Statistikamt der Slowakischen Republik/ Štatistický úrad Slovenskej republiky (ŠÚSR) zum 30. September 2014 bei 5.421.034. Bei der letzten Volkszählung im Jahr 2011 haben 78,6 % der Bevölkerung Slowakisch als Muttersprache gewählt (ŠÚSR 2014: 83). Die Zahl der sog. Auslands-Slowaken wird auf ca. 2,8 Mio. geschätzt, wobei die meisten in den USA, der Tschechischen Republik, Ungarn und in Kanada leben (vgl. Ondrejovicˇ 2008: 23). Von den deutschsprachigen Ländern dominiert das Nachbarland Österreich, v. a. in den Bundesländern Niederösterreich und Wien, wo die Slowaken zu den anerkannten Volksgruppen gehören, da ihnen am 9. Juni 1993 der Status einer eigenständigen Minderheit nach dem Volksgruppengesetz 1976 zugesprochen wurde (vgl. Ondrejovicˇ 2005: 97). Slowakisch ist seit 2004 eine der EU-Amtssprachen. 2. Sprachliche Besonderheiten Das Slowakische (slovenčina) gehört innerhalb der indoeuropäischen Sprachfamilie gemeinsam mit dem Polnischen, Tschechischen und dem Sorbischen in die Gruppe der westslawischen Sprachen. Hier wird das Slowaki- 543 119. Slowakisch sche der tschecho-slowakischen Untergruppe zugeordnet, wobei das Tschechische dem Slowakischen am nächsten steht. Die Nähe zum Tschechischen wurde trotz der gesonderten Entwicklung, die für längere Zeit v. a. politisch bedingt war, beibehalten. Man kann jedoch auch diverse Entsprechungen im Vergleich zum Südslawischen beobachten (z. B. Formen wie laketˇ ; die Endung -m für die 1. Person Sg.), sowie im Bereich der westslawischen Sprachen einige Gemeinsamkeiten mit dem Polnischen (z. B. das Präfix pre-, der Erhalt des Konsonanten dz), und schließlich gibt es auch Parallelen (z. B. in der Lexik) zu den ostslawischen Sprachen. Aus diesem Grund wird das Slowakische als „Esperanto“ der slawischen Sprachen bezeichnet (Ondrejovicˇ 2008: 6). Das Slowakische entwickelte sich aus dem Späturslawischen westslawischer Prägung wie folgt: Urslowakisch (950-1400/ 1450) Älteres Slowakisch (1400/ 1450- 1780/ 1880) sowie nach mehreren Kodifikationsversuchen (1780/ 1800-1840) und auf der Grundlage der mittelbzw. zentralslowakischen Mundart, das sog. Neuslowakisch (vgl. Newerkla 2011: 34). Herausforderungen beim Slowakischlernen liegen v. a. in der Nominalflexion (6 Kasus) und der Kategorie des Verbalaspekts. 3. Schulischer Bereich In Österreich wird v. a. in den Bundesländern Wien und Niederösterreich Slowakisch im schulischen Kontext gelernt. Hervorzuheben ist die bilinguale Einrichtung des Schulvereins Komenský mit Tschechisch/ Slowakisch und Deutsch als Unterrichtssprachen. Der Verein bietet eine private Ausbildung für Kinder von 2 bis 18 Jahren in Form von Kindergarten, Volksschule, Sekundarschule, Wiener Mittelschule und Gymnasium an. Im Bundesland Wien werden außerdem vom Europabüro des Stadtschulrats für Wien seit 1997 die sog. CentroLING-Sprachkurse für Slowakisch gefördert. Derzeit findet in sechs Wiener Schulen unverbindlicher (nachmittags) und verbindlicher (vormittags) Slowakischunterricht statt. Laut Mitteilungen des Stadtschulrats für Wien haben Schüler und Schülerinnen der AHS (Allgemeine Höhere Schule) auch die Möglichkeit, eine externe Jahresprüfung sowie die Matura abzulegen. Slowakisch wird dabei als erste bzw. zweite lebende Fremdsprache gewählt. Anträge hierfür werden vom Realgymnasium und Oberstufenrealgymnasium 15 in Wien an die Externistenprüfungskommission geleitet. In Niederösterreich wurde im Schuljahr 2003/ 04 von Landeshauptmann Erwin Pröll die sog. NÖ-Sprachoffensive ausgerufen. Sie ist auf Kinder, Jugendliche und Erwachsene ausgerichtet und hat zum Ziel, die Sprache der Nachbarn zu vermitteln. Dies geschieht an den Pflichtschulen in Niederösterreich ab einer Gruppe von 5 Lernenden (NÖ-Pflichtschulgesetz). Zu den Kooperationspartnern gehören der Landesschulrat NÖ, die Pädagogische Hochschule NÖ, das Amt der NÖ- Landesregierung, Abteilung Kindergarten sowie der Regionalverband Industrieviertel. Das Sprachkompetenzzentrum an der NÖ- Landesakademie (NÖ-LAK) fungiert seit Februar 2006 als zuständiges Informationszentrum für innovative Sprachprojekte und Sprachdienstleistungen. Seit Beginn der NÖ- Sprachoffensive nahmen mehr als 30 Schulen (6.000 Lernende) und 40 Kindergärten (5.000 Kinder) an Slowakisch als unverbindlicher Übung, Wahlpflichtfach oder als Arbeitssprache teil (vgl. NÖ-LAK). In der Schweiz werden in Zürich an der Slovenská škola - International School Zürich North, Wallisellen wöchentlich am Nachmittag zwei Unterrichtseinheiten Slowakisch à 45 Minuten angeboten. 544 Viera Wambach 4. Erwachsenenbildung In der Erwachsenenbildung kann man Slowakisch an zahlreichen Institutionen v. a. in Wien und Niederösterreich erlernen, z. B. im Wirtschaftsförderungsinstitut, an den Volkshochschulen, im Sprachkompetenzzentrum der Universität Wien, an der Pädagogischen Hochschule in Wien und Hollabrunn sowie am Slowakischen Kulturinstitut in Wien, das der slowakischen Botschaft untersteht. Die meisten Slowakischkurse in diesen Einrichtungen werden regelmäßig angeboten und finden auf Nachfrage statt. Auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung sind ebenfalls das Sprachinstitut des österreichischen Bundesheeres an der Landesverteidigungsakademie (LvAk) in Wien sowie die Sicherheitsakademie in Wien zu nennen, wo quartalsweise Slowakischunterricht für Angehörige des Bundesheeres und der Polizei organisiert wird. An der LvAk können außerdem die Lehramtsstudierenden ihr fachbezogenes Praktikum absolvieren. Im universitären Bereich kann man Slowakisch in Österreich am Institut für Slawistik der Universität Wien in Form eines Bachelor-, Master- oder PhD-Studiums sowie als Lehramt studieren. Weiters wird Slowakisch abwechselnd mit Tschechisch an der Universität für Bodenkultur in Wien und an der Wirtschaftsuniversität in Wien (Raiffeisen-Sprachlehrzentrum) angeboten. In Deutschland kann man Slowakisch im Rahmen der Slawistik studieren, allerdings beobachtet man eine stetige Reduktion dieses Faches mit negativen Auswirkungen auf den Slowakischunterricht. Ein Beispiel für solche Einsparungen ist die Universität in Leipzig, die die längste slawistische Tradition (seit 1870) in Deutschland hat und wo Slowakisch nach der Auflösung des Lektorats nicht mehr als Pflichtsprache im Rahmen der Westslawistik und als Wahlfach fungiert, sondern nur als Sprachmodul für Anfänger und für Studierende aller Fakultäten angeboten wird (vgl. Pekarovicˇová 2001: 85). Über eine einmalige Einrichtung in der Bundesrepublik Deutschland verfügt das sog. Regensburger Slovacicum, das mit einem Zertifikat der Universität Regensburg nach einem Studienjahr abgeschlossen werden kann. Es handelt sich um eine Zusammenarbeit der Universität Regensburg mit der Comenius-Universität in Bratislava. Die Studierenden haben hier die Möglichkeit ohne Vorkenntnisse und studienbegleitend Kenntnisse aus dem Bereich der Slowakistik zu erwerben. Außerdem befindet sich hier seit 1998 ein slowakisches Lektorat (ebd: 87). Am Slavischen Institut der Universität zu Köln kann man Slowakisch als slawische Wahlsprache (neben Polnisch) im Rahmen eines Ergänzungsmoduls erwerben. Slowakisch wurde hier bereits in den 1960er und 70er Jahren unterrichtet und 1998 wurde hier das Slowakisch-Lektorat eingeführt (ebd.: 82). In Deutschland wird Slowakisch des Weiteren am Institut für Slawistik der Humboldt- Universität zu Berlin im Rahmen der Studiengänge B. A. Slawische Sprachen und Literaturen, M. A. Slawische Sprachen sowie M. A. Kulturen und Literaturen Mittel- und Osteuropas angeboten. Das Institut verfügt über ein Lektorat für slowakische Sprache und Kultur, das neben Sprachkursen auf verschiedenen Niveaustufen auch sprach- und literaturwissenschaftliche Lehrveranstaltungen anbietet. 5. Lehrwerke und Abschlüsse In Österreich werden für den schulischen Bereich die Lehrwerke Slovenčina slovo za slovom sowie Slovenčina - Slowakisch für die 3./ 4. Schulstufe verwendet. Bei den Publikationen Slovenčina neu, Lehrbuch der slowakischen Sprache, Slowakisch. Lehrbuch für Anfänger und Fortgeschrittene, Praktická slovenčina, Slowaki- 545 119. Slowakisch sche Formenlehre in Tabellen und Slowakisch für alle Fälle handelt es sich um Lehrmaterialien für die Erwachsenenbildung. Außerdem gibt es für Slowakischlernende auch kostenlose Internetportale wie z. B. e-slovak.sk, slovake.eu . Im Rahmen der Fachrichtung Slawistik/ Slowakisch am Institut für Slawistik der Universität Wien kann ein Bachelor-, Mastersowie ein Doktoratsstudium absolviert werden. Seit 2010 besteht hier auch die Möglichkeit Slowakisch auf Lehramt zu studieren. Im Bereich der Erwachsenenbildung werden Zeugnisse mit den absolvierten Stufen vergeben. Das Sprachenzentrum der Universität Wien vergibt dabei auch ECTS-Punkte. Das Sprachinstitut des Österreichischen Bundesheeres geht bei der Einteilung der Kurse nicht vom Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR) aus, sondern hält sich an das NATO-Standardisierungsabkommen (STANAG 6001) mit den dort vorgesehenen Niveaustufen (vgl. Nestler 2011: 36). Literatur Bohušová, Z. (2014): Grammatik der slowakischen Sprache: ein Studienbuch. Nümbrecht. Monte, O. (2014): Slowakisch für alle Fälle. Bad Vöslau. Nestler, B. (2011): Sprachenpolitik und Mehrsprachigkeit in der Österreichischen Verteidigungspolitik - „Mehr Sicherheit durch Mehrsprachigkeit“ . Wien. Newerkla, S. M. (2011): Sprachkontakte Deutsch- Tschechisch-Slowakisch. Frankfurt a. M. Ondrejovicˇ, S. (2005): Ethnosprachliche Bemerkungen über die Slowaken in Niederösterreich, in: E. Hrabovec / W. Reichel (Hrsg.): Die unbekannte Minderheit. Slowaken in Wien und Niederösterreich im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M. Ondrejovicˇ, S. (2008): Slovenský jazyk, jazyky na Slovensku. Bratislava. Panzer, B. (1999): Die slavischen Sprachen in Gegenwart und Geschichte. Frankfurt a. M. Pekarovicˇová, J. (2001): Slovakistika v zahraničí. Bratislava. ŠÚSR (2014): Sčítanie obyvatel’ov, domov a bytov 2011. Fakty o zmenách v živote obyvatel’ov SR . Bratislava. Internet e-slovak. www.e-slovak.sk Centro LING -Sprachkurse Slowakisch. www. eb.ssr-wien.at/ index.php/ de/ projekte/ slowa kisch Lektorat für Slowakisch HU -Berlin. www.sla wistik.hu-berlin.de/ de/ fachgebiete/ westsla sw/ slowakisch-lektorat NÖ - LAK . http: / / sprachkompetenz.noe-lak.at/ angebote Schulverein Komenský. www.komensky.at Slavisches Institut der Universität zu Köln. http: / / erl.phil-fak.uni-koeln.de/ 11966.html slovake.eu. http: / / slovake.eu Slowakische Schule in der Schweiz. http: / / www.slovenskezvesti.ch ŠÚSR . http: / / slovak.statistics.sk Viera Wambach 120. Slowenisch 1. Verbreitung und Bedeutung Slowenisch gehört zur Familie der südslawischen Sprachen. Die Freisinger Denkmäler, drei religiöse Texte, entstanden um das Jahr 1000, gelten als die ältesten Zeugnisse der slowenischen Sprache sowie eines slawischen Textes in lateinischer Schrift. Im 16. Jh. wurde das Slowenische vom protestantischen Geistlichen Primož Trubar (1508-1586) auf 546 Elizabeta Jenko Basis eines zentralen Dialektes erstmals in Buchform (Catechismus ) verschriftlicht und 1550 in Tübingen veröffentlicht. Damit wurde die Grundlage für den Status einer Schriftsprache gelegt, die im Zuge der nationalstaatlichen Bewegungen im 19. Jahrhundert zu einer einheitlichen Form fand. Die geographische Gliederung des slowenischen Siedlungsgebietes spiegelt sich in der dialektalen Diversifizierung in mehr als 40 Dialekten wider, die durch die geopolitische Lage mit romanischen Nachbarn im Westen, germanischen im Norden, finno-ugrischen im Osten und südslawischen Nachbarn im Süden verstärkt wird. Diese Nachbarschaften machen sich besonders in der Sprachmelodie und Lexik der angrenzenden Umgangssprachen und Dialekte bemerkbar. Seit 1991 ist Slowenisch Staatssprache der nunmehr souveränen Republik Slowenien und seit 2004 Amtssprache der EU. Bis 1991 ohne eigene Staatlichkeit, definierte sich die slowenische nationale Identität v. a. über die Sprache. Zwar galten sowohl in der Habsburgermonarchie wie auch in Jugoslawien, zu dessen Staatengebilde Slowenien bis 1991 gehörte, de iure sprachliche und kulturelle Gleichberechtigung, de facto wurden diese aber nie in vollem Umfang realisiert (Jenko 2014). Slowenisch wird von ca. zwei Mio. Menschen als Erstsprache benutzt. Die meisten davon leben in der Republik Slowenien, wo das Slowenische Staatssprache ist. Historisch bedingt wird Slowenisch von Minderheiten in Italien, Österreich und Ungarn gesprochen sowie von einer nicht unbedeutenden Anzahl von emigrierten Slowenen und Sloweninnen, z. B. in Argentinien, den USA, Kanada, der Schweiz, Schweden und Deutschland. w 2. Sprachstrukturelle und -typologische Spezifika Slowenisch ist eine stark flektierende Sprache mit sechs Kasus, die als eine der wenigen indoeuropäischen Sprachen durch die Erhaltung des Duals auffällt. Die Betonung der Wörter unterliegt keiner Regelmäßigkeit und wird auch graphisch nicht gekennzeichnet, d. h. sie muss mit jedem Wort extra gelernt werden. Auch die verschiedenen Aussprachevarianten der mittleren Vokale e und o (kurz / lang, offen / geschlossen, betont / unbetont, e auch als Schwa-Laut) sowie der Sonanten v und l sind aus dem Schriftbild nicht ersichtlich. Die etymologische Orthographie stellt ebenfalls eine Herausforderung dar. Nichtslawische Lernende brauchen erfahrungsgemäß lange, um den Verbalaspekt zu erfassen, eine grammatische Kategorie, die zwischen prozess- und ergebnisorientierter Betrachtung einer Handlung unterscheidet. Für jedes deutsche Verb müssen in den meisten Fällen zwei slowenische Verbformen gelernt werden. Eine genauere linguistische Beschreibung des Slowenischen in deutscher Sprache findet sich in Jenko (2000), in englischer Sprache in Herrity (2000). 3. Slowenisch in der Schule Die Möglichkeiten, im deutschsprachigen Raum Slowenisch als Fremdsprache zu lernen, sind begrenzt. Gemäß Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrags (1955) haben österreichische Staatsangehörige der slowenischen und kroatischen Minderheit Anspruch auf Elementarunterricht in slowenischer oder kroatischer Sprache sowie auf eine verhältnismäßige Anzahl von Mittelschulen. Für das Slowenische betrifft das die Bundesländer Kärnten und Steiermark. Darauf basierend wurde 1959 das Minderheiten- Schulgesetz für Kärnten erlassen, „womit für 547 120. Slowenisch das Bundesland Kärnten Vorschriften zur Durchführung der Minderheitenschulbestimmungen des Österreichischen Staatsvertrages“ (vgl. Minderheitenschulgesetz 1959: 1) getroffen wurden. Für die Steiermark gibt es eine solche Spezifizierung nicht. Das Recht auf zweisprachigen Unterricht, das für die slowenische Volksgruppe im Besonderen in Betracht kommt, ist jedoch nicht an die Zugehörigkeit zur slowenischen Volksgruppe gebunden, formal allerdings an die österreichische Staatsbürgerschaft. In der Praxis wird diesbezüglich nicht unterschieden, sodass das regionale Bildungsangebot für alle Schülerinnen und Schüler zugänglich ist (vgl. Jahresbericht 2011: 268). Aufgrund der gesellschaftspolitischen Entwicklungen seit den 1990er Jahren ist ein steigendes Interesse am Slowenischen festzustellen. Dieser Entwicklung wird in der österreichischen Schulpraxis nur vereinzelt Rechnung getragen. In Klagenfurt etwa durch eine öffentliche zweisprachige Volksschule (erste vier Klassen der Schulpflicht in Österreich), an der die Unterrichtssprache wöchentlich zwischen Deutsch und Slowenisch wechselt, sowie eine private Volksschule mit täglichem Sprachenwechsel. In diesem Zusammenhang ist das viersprachige (Deutsch, Slowenisch, Italienisch, Englisch) Projekt der Kugy-Klassen zu erwähnen, das seit dem Schuljahr 1999/ 2000 am Slowenischen Gymnasium in Klagenfurt durchgeführt wird. Eine Pionierrolle hatten die zweisprachige Handelsakademie in Klagenfurt sowie die konfessionelle zweisprachige Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe in St. Jakob im Rosental inne. An einigen Schulen in Kärnten und in der Steiermark wird bei entsprechender Anzahl an angemeldeten Schülerinnen und Schülern Slowenisch als Wahl- oder Freifach angeboten. Vom theoretisch zwar umfangreichen Angebot an lebenden Fremdsprachen an österreichischen Schulen profitieren die Sprachen der österreichischen Minderheiten und insbesondere das Slowenische jedoch nur marginal (vgl. LEPP Länderbericht 2008: 41). Die statistischen Auswertungen zu Kärnten, die das regional steigende Interesse am Slowenischen belegen, sind, nach Schulen getrennt, dem Jahresbericht über das Schuljahr 2010/ 2011 der Abteilung für das Minderheitenschulwesen des Landesschulrates für Kärnten zu entnehmen. Für Kinder mit Migrationshintergrund gibt es das Recht und die Möglichkeit eines muttersprachlichen Unterrichts. Dabei wird neben sprachlicher Kompetenz großer Wert auf interkulturelles Lernen sowie die Erhaltung der slowenischen Identität gelegt. Neben dem Sprachunterricht geht es darüber hinaus auch um die Auseinandersetzung mit der slowenischen Kultur und ihre Wertschätzung im Kontext anderer Sprach- und Kulturgemeinschaften. In Österreich findet dieser Unterricht derzeit (2014/ 15) in Wien und in Vorarlberg statt (40 Kinder). Kinder slowenischer Eltern in Liechtenstein haben in Eschen die Möglichkeit, Sprachunterricht zu erhalten (4 Kinder). In Deutschland und in der Schweiz, wo zahlreiche slowenische Migrantinnen und Migranten leben, gibt es in mehreren Städten ein Angebot an muttersprachlichem Zusatzunterricht (262 bzw. 94 Kinder). Die aktuellen Kursorte und -zeiten werden auf der Internet-Seite des Amtes der Republik Slowenien für das Schulwesen (Zavod Republike Slovenije za šolstvo) veröffentlicht, das die aktuellen Zahlen zur Verfügung gestellt hat. 4. Slowenisch als Fremdsprache in der Erwachsenenbildung Slowenisch als Fremdsprache ist insbesondere in der Erwachsenenbildung aktuell. Neben privaten Sprachinstituten gibt es in den österreichischen Bundesländern Wien, Steiermark und Kärnten die Möglichkeit, die 548 Elizabeta Jenko Sprache an verschiedenen Volkshochschulen zu lernen bzw. sie - ohne Vorkenntnisse - an den Universitäten Wien, Graz und Klagenfurt in einem Bachelor-, Master- und Lehramtsstudium zu studieren. In Klagenfurt werden an der Pädagogischen Hochschule ein Lehrgang für zweisprachigen Unterricht an Volksschulen mit deutscher und slowenischer Unterrichtssprache sowie Zusatzqualifikationen für den Slowenischunterricht in der Sekundarstufe I angeboten. Als Ergänzung zum Studium stehen diverse Programme wie etwa das Sommerkolleg auf der Insel Premuda zur Verfügung, ein österreichisch-slowenischkroatisches Kooperationsprojekt zum literarischen Übersetzen auf Tandem-Basis an der Universität Graz. An den deutschen Universitäten in Berlin, Köln, Regensburg und Tübingen sowie der Universität Bern in der Schweiz kann man Slowenisch im Slawistikstudium lernen. Das Sprachinstitut des Österreichischen Bundesheeres in Wien bietet im Rahmen des Projektes ,Sprachliche Bildung für die Arbeitswelt im Sprachinstitut des Bundesheeres‘ gelegentlich Slowenischkurse an, die auch von Bediensteten des Innenministeriums besucht werden können. 5. Lehrwerke und Materialien Slowenien trägt einiges zur sprachlichen und sprachdidaktischen Präsenz außerhalb des Landes bei. Vom Zentrum für Slowenisch als Zweit-/ Fremdsprache (Center za slovenščino kot drugi / tuji jezik) in Ljubljana werden über 50 Universitäten in Europa und außerhalb des Kontinents mit Sprachlektorinnen und -lektoren beschickt und fachlich unterstützt. In diesem Zusammenhang sind auch das wissenschaftlich orientierte, alljährlich in Ljubljana stattfindende Seminar zur slowenischen Sprache, Literatur und Kultur (Seminar slovenskega jezika, literature in kulture ) und die praxisorientierte Sommerschule (Poletna šola slovenskega jezika) zu erwähnen. Für beide Veranstaltungen werden vom o. g. Zentrum auch Stipendien vergeben. Sommerkurse für ausländische Studierende finden ebenfalls an der Univerza na Primorskem in Koper und an der Universität Maribor statt. Im Rahmen seiner Verlagsaktivitäten gibt das Zentrum Lehrbücher des Slowenischen für Anfängerinnen und Anfänger sowie für Fortgeschrittene heraus, wobei der kommunikative Zugang im Vordergrund steht. Die Metasprache Slowenisch, manchmal ergänzt durch einige, meist englische Kurzanweisungen, stellt jedoch eine Schwierigkeit besonders im Anfangsstadium dar. Hierzu sei auf die in deutscher Sprache verfasste Grammatik der slowenischen Sprache (Jenko 2000) hingewiesen. Auch das Projekt von Monika Penicˇ, bei dem ein speziell für deutschsprachige Anfängerinnen und Anfänger frei zugänglicher Online-Sprachkurs entwickelt wurde, versucht diese Lücke zu schließen. An der Universität Wien wird der Slowenistik verstärktes didaktisches Interesse zugeschrieben. Dort entstanden einige innovative Lehrmaterialen, die für einen erfahrungsorientierten Unterricht zum Training des Hörverstehens (Jenko, Pecˇnik & Reichmayr 2002), Leseverstehens (Jenko 2006) sowie für einen landeskundlichen Zugang zur Sprache (Jenko & Krajnc Cerny 2013) eingesetzt werden können. 6. Abschlüsse und Zertifikate Als Mitglied der Association of Language testers in Europe ist das erwähnte Zentrum für Slowenisch die Adresse für zertifizierte Prüfungen des Slowenischen auf allen Niveaustufen des GeR. Dort werden entsprechende - auch auf individuelle Bedürfnisse abgestimmte - Kurse angeboten. Neben den Kursen dienen Musterprüfungsbögen und Wegweiser zum 549 120. Slowenisch Zertifikat bei den Vorbereitungen zur Prüfung als Unterstützung. Literatur Herrity, P. (2000): Slovene: A comprehensive grammar. Routledge. Jenko, E. (2000): Grammatik der slowenischen Sprache. Klagenfurt. Jenko, E. (2006): Slowenisch lesen und verstehen. Klagenfurt. Jenko, E. (2014): Ein Streifzug zur Situation des Slowenischen als Fremdsprache - von der Habsburgermonarchie über den Vielvölkerstaat bis hin zur EU , in: E. Cwanek-Florek / I. Nöbauer (Hrsg.): Deutsch und die Umgangssprachen der Habsburgermonarchie. Wien, 79- 92. Jenko, E. / Krajnc Cerny, D. (2013): Slowenien unter der Lupe. Wien. Jenko, E. / Pecˇnik, D. / Reichmayr, M. (2002): Slowenisch hören und verstehen. Klagenfurt. Internet Center za slovenšcˇino kot drugi / tuji jezik. www.centerslo.net Jahresbericht 2011. www.2sprachigebildung.at/ jahresbericht2011.pdf LEPP Länderbericht 2008. www.oesz.at/ down load/ publikationen/ lepp_dt.pdf Minderheitenschulgesetz. www.ris.bka.gv.at/ Dokumente/ BgblPdf/ 1959_101_0/ 1959_101 _0.pdf Staatsvertrag. www.ris.bka.gv.at/ GeltendeFas sung.wxe? Abfrage=Bundesnormen&Gesetzes nummer=10000265 Elizabeta Jenko 121. Sorbisch 1. Sprachliche Besonderheiten Sorbisch mit der Eigenbezeichnung serbšc´ ina bzw. obersorbisch serbska rěč, niedersorbisch serbska rěc (= sorbische Sprache, älter auch „Wendisch“ ) ist eine im Freistaat Sachsen und Land Brandenburg gesprochene slawische Minderheitensprache. Das Sorbische gehört zur westslawischen Sprachengruppe und ist nah mit dem Polnischen, Kaschubischen, Tschechischen und Slowakischen verwandt. Es wird zwischen der ober- und niedersorbischen Sprache unterschieden, die beide das lateinische Alphabet mit diakritischen Zeichen verwenden. Das Sorbische der Gegenwart wird durch die Sprachvarietäten Schriftsprache, Umgangssprache und eine Vielzahl regional begrenzter Dialekte repräsentiert, wobei die ober- und niedersorbische Schriftsprache das jeweils überregionale und allgemein verbindliche Verständigungsmittel der Sprechergruppe darstellen (vgl. Pohontsch & Wölke 2014), das als Lerngegenstand in zweisprachigen Schulen der Ober- und Niederlausitz vermittelt wird. Die Anzahl der Lausitzer Sorben ist im 2014 erschienenen „Sorbischen Kulturlexikon“ mit ca. 50.000 bis 60.000 „bewussten Angehörigen des Volkes“ beziffert worden, von denen „die Sprecherzahl bei etwa der Hälfte liegen dürfte“ (Schön & Scholze 2014: 373). Alle Sprecher des Sorbischen sind heute ausnahmslos zweisprachig. Sie bilden im Siedlungsgebiet - bis auf die Region zwischen Bautzen, Kamenz und Hoyerswerda, dem sogenannten ,Kerngebiet‘ - eine Minderheit. Aktive Sprachkenntnisse bei deutschen Mitbewohnern der Lausitz sind Ausnahmen (ebd.: 375). Sorbisch wird diaglossisch gebraucht und konkurriert als Kommunikationsmittel mit dem Deutschen, wobei es auf die Bereiche Familie, Dorfgemeinschaft, Kirche, Vorschule und 550 Jana Schulz Schule begrenzt ist und seltener in der Öffentlichkeit verwendet wird. Der Status des Sorbischen ist im Land Brandenburg als Zweit- oder Fremdsprache, im Freistaat Sachsen als Mutterbzw. Erstsprache, Zweit- oder Fremdsprache gesetzlich festgeschrieben. Im katholisch geprägten ,Kerngebiet‘ stellt sich gegenwärtig die Sprachsituation als relativ stabil dar. Hier wird die obersorbische Sprache zumeist in den Familien erworben und an künftige Generationen weitergegeben. Dieser natürliche Reproduktionsprozess ist außerhalb des Territioriums bereits vor Jahrzehnten abgebrochen. Dramatisch ist die Situation des Niedersorbischen in Brandenburg, wo bereits vor zwei Generationen ein Sprachenwechsel zum Deutschen stattgefunden hat, so dass ungesteuerter Spracherwerb nur noch in Ausnahmefällen erfolgt. Auch aus diesem Grunde ruhen hohe Erwartungen auf dem 1998 eingeführten ,Revitalisierungsprojekt‘ Witaj, in dessen Rahmen Ressourcen in der Ober- und Niederlausitz aktiviert und langfristig Sprecherinnen und Sprecher des Sorbischen (wieder)gewonnen werden sollen. In der Ober- und Niederlausitz lernen zurzeit annähernd 1.300 Kinder in 37 Kindertagesstätten unterschiedlicher Trägerschaft Sorbisch (Schulz 2015: 11). Das Konzept zielt darauf, dass auch Kinder aus deutschen Elternhäusern sowie aus gemischtsprachigen Familien von frühester Kindheit an zusätzlich zu ihrer Erstsprache Deutsch die Zweitbzw. Fremdsprache Sorbisch erwerben. Am Witaj-Projekt knüpfen konzeptionell schulische Curricula für Sachsen und Brandenburg an. 2. Problemaufriss Anfänge des Elementarschulwesens reichen in der Lausitz bis in das 15./ 16. Jhd. zurück. Seit dieser Zeit erfolgte in Kirchorten der sorbischen Region - mit wechselnder Intensität in der Ober- und Niederlausitz - Unterricht in Sorbisch. Als erste sorbische Schulbücher erschienen 1671 ein ABC-Buch, 1689 eine Schreib- und Leselehre und im Jahr 1735 ein katholisches ABC-Büchlein (Schön & Scholze 2014: 348). Im 19. Jh. exisitierten in 26 sächsischen Kirchspielen 62 Schulen, an denen im Jahr 1853 insgesamt 8.636 Kinder unterrichtet wurden, dazu „zehn katholische Schulen mit 1.213 Kindern, die fast ausschließlich von sorbischen Schülern besucht wurden“ (ebd.: 350 f.). Im 20. Jh. unterschied man Schulen des Typs A (im katholischen Siedlungsgebiet, hier Sprachunterricht und sorbischer Fachunterricht) und Typs B (zweisprachige Schulen außerhalb des Kerngebiets mit fakultativem Sprachunterricht). In den 1950er Jahren „existierten im zweisprachigen Gebiet elf sorbische Schulen (Typ A) und 94 Schulen mit sorbischem Sprachunterricht (Typ B), davon 22 in der Niederlausitz“ (ebd.: 353) mit bis zu 12.000 Schülerinnen und Schülern. In den 1970er Jahren nahmen lediglich noch 5.000 Lernende, in den 1980er Jahren ca. 6.000 am sorbischen Sprachunterricht teil, der nunmehr fakultativ war. Jedoch war dieses Schulsystem mit einer „starren Sprachdidaktik und wenig Sprachanwendung in der Praxis“ kaum geeignet, zu einer effektiven, stabilen Sprachbeherrschung zu führen (ebd.: 354). Sorbisch als Unterrichtssprache blieb lediglich im Einzugsgebiet der sogenannten A-Schulen erhalten. In den 1990er Jahren konnte die bisherige Einteilung in A- und B-Klassen v. a. wegen der sinkenden Schülerzahlen nicht aufrechterhalten werden. Im Zuge der Umstrukturierung des Schulwesens wurde die bisherige Aufteilung in muttersprachlichen und fremdsprachlichen Sorbischunterricht zugunsten sprachlich heterogener Lernergruppen aufgehoben. 551 121. Sorbisch 3. Forschungsstand Inzwischen existiert eine Vielzahl von gesetzlichen Bestimmungen, in denen der Schutz und die Förderung des Ober- und Niedersorbischen geregelt und festgeschrieben worden ist. Die „Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“ sowie das „Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten“ beziehen sich auf den Bereich der schulischen Bildung, die Verwendung von Minderheitensprachen in öffentlichen Bereichen, z. B. in Justiz- und Verwaltungsbehörden, in modernen Medien, Kunst und Kultur. Die Bundesländer Sachsen und Brandenburg regeln u. a. in den sog. Sorbengesetzen, separaten Kita- und Schulgesetzen sowie in weiteren Verordnungen und Durchführungsbestimmungen das Vorschul- und Schulwesen betreffende Angelegenheiten (Schulz 2010). Sowohl zweisprachige Vorschuleinrichtungen als auch Schulen sind seit 1990 eingebettet in das Bildungs- und Schulsystem beider Länder, sie haben grundsätzlich gleiche Bildungsziele und Abschlüsse. In Sachsen ist das Fach Sorbisch als Muttersprache dem Fach Deutsch gleichgestellt. Der Schulunterricht erfolgt auf der Grundlage länderspezifischer sowie schulinterner Curricula und Lehr- und Lernmaterialien, die von den zuständigen Landesbildungsinstituten (LISUM Brandenburg sowie SBI Radebeul), der Arbeitsstelle für sorbische/ wendische Bildungsentwicklung sowie von dem 2001 gegründeten Witaj-Sprachzentrum mit Abteilungen in Cottbus und Bautzen erarbeitet werden. Als Fachgremium fungiert der Sorbische Schulverein e. V. Im Jahr 2012 hat die Sächsische Staatsregierung einen „Maßnahmenplan zur Ermutigung und zur Belebung des Gebrauchs der sorbischen Sprache“ beschlossen. Die Konzeption sieht konkrete Maßnahmen vor, die den Erwerb der sorbischen Sprache fördern, den Sprachgebrauch im öffentlichen Leben steigern und Kenntnisse über die sorbische Sprache und Kultur vermitteln sollen (vgl. SMWK 2013). 4. Praxisrelevanz Gegenwärtig nehmen in der Ober- und Niederlausitz etwa 4.000 Lernende am Sorbischunterricht teil, ca. 1.300 davon am muttersprachlichen und bilingualen Sachbzw. Fachunterricht (insgesamt 3.998: Sachsen 2.476, Brandenburg 1.522; Schülerzahlen nach Angaben der Sächsischen Bildungsagentur sowie des Brandenburgischen Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport, Stand 2015). In diesem Zusammenhang hat der Freistaat Sachsen erhebliche Anstrengungen unternommen, mit dem schulartenübergreifenden „2plus“-Modell die Stellung des Sorbischen als zu unterrichtende Erst-, Zweit und Fremdsprache an den Regelschulen der gesamten Region zu stärken. Gleichzeitig gilt „2plus“ als ,Auffangmodell‘, um den Verfall des ehemals geschlossenen sorbischsprachigen Dorfmilieus im sorbischen Kerngebiet zu kompensieren. Das Lernen von Sprachen hat sich in der Praxis als optimal erwiesen, wenn es auch im bilingualen Sachbzw. Fachunterricht sowie im musisch-ästhetischen und sportlichen Bereich Anwendung findet. Auf diesem Grundsatz beruht die schulartübergreifende Konzeption „2plus“: Die Kinder wachsen mit der Mehrheitssprache Deutsch und der in der Region verankerten Minderheitensprache Sorbisch auf und weitere Sprachen kommen zeitversetzt hinzu („plus“). Sorbisch als Unterrichtssprache wird aktuell in 9 Grund- und 6 Mittelschulen in Sachsen sowie in 5 Grundschulen in Brandenburg verwendet; je ein Sorbisches Gymnasium befindet sich in Bautzen und Cottbus. Sorbisch als Unterrichtsfach mit unterschiedlicher Stundenzahl und Intensität bieten zwei weitere Gymnasien in Hoyerswerda sowie 39 weitere Grundschulen in Sachsen und Brandenburg an. 552 Jana Schulz Das bilinguale Modell hat den Vorteil, dass die Schülerinnen und Schüler nicht nur die sorbische Sprache lernen, sondern sie auch in ihrer Funktion als Medium für Bildung erfahren. Problem des historisch etablierten Schulwesens der sorbischen Minderheit bleibt laut Oeter (2011: 43) dessen „geographischer und sozialer Nischencharakter“ . Für das Niedersorbische im Land Brandenburg ist trotz konstanter und tendenziell stabiler Schülerzahlen das bisherige Niveau der Bemühungen im Schulwesen unzureichend, um „dem dramatischen Sprachsterben Einhalt zu gebieten“ (ebd.: 45). Derzeit beginnt eine Evaluation der niedersorbischen Bildungsangebote an insgesamt 22 Grundschulen, da bislang eine umfassende und auf empirischen Daten basierende Untersuchung zum Sprachstand von Lernenden, die am Sorbischunterricht teilnehmen, fehlt. Zusammenfassend stellt sich die Frage, ob die in der Ober- und Niederlausitz angewandten Schulmodelle flächendeckend ausreichende Unterrichtsqualitäten und auch rein quantitativ genügend Stundenzahlen bieten, um den „schleichenden Sprachverfall“ beider Minderheitensprachen aufzuhalten“ (ebd.). 5. Perspektiven Infolge der beschriebenen Situation in Kindertagesstätten und Schulen kommt v. a. der Aus- und Weiterbildung von Erzieherpersonal und Lehrkräften eine Schlüsselstellung zu. Das Institut für Sorabistik an der Universität Leipzig ist die einzige universitäre Einrichtung, an der Sorbischlehrkräfte für Sachsen und Brandenburg - differenziert nach Schularten - ausgebildet werden. Perspektivisch fehlen nicht nur Sorbischlehrkräfte, sondern insbesondere auch das Sorbische beherrschende Fachlehrerinnen und -lehrer. Dieser Bedarf wird allein mit dem regulären Lehramtsstudium an der Universität Leipzig nicht abzudecken sein. Auch im Maßnahmenplan der Sächsischen Staatsregierung sind konkrete Maßnahmen zur Stärkung der Ausbildung von sorbischsprachigen Lehrkräften sowie Erzieherinnen und Erziehern formuliert worden (vgl. SMWK 2013). Darüber hinaus sind Strategien zur Gewinnung von Lehrernachwuchs gefragt; ein Quereinsteiger-Programm sowie Maßnahmen zur berufsbegleitenden Lehrerfortbildung befinden sich in der Diskussion. Literatur Oeter, S. (2011): Aus europäischer Sicht: Die Regional- und Minderheitensprachen und ihr Platz in den deutschen Schulsystemen, in: R. Goltz / U. T. Lesle / F. Möller (Hrsg.): Mit den Regional- und Minderheitensprachen auf dem Weg nach Europa. Bremen, 34-62. Pohontsch, A. / Wölke, S. (2014): Sorbisch. In: F. Schön / D. Scholze (Hrsg.), 373-375. Schön, F. / Scholze, D., Hrsg. (2014): Sorbisches Kulturlexikon. Bautzen. Schulz, J. (2010): Mehrwert durch Minderheiten? Aktuelle Probleme des sorbischen Bildungswesens, in: M. T. Vogt / J. Sokol / D. Bingen / J. Neyer / A. Löhr (Hrsg.): Minderheiten als Mehrwert. Frankfurt a. M., 491-532. Schulz, J. (2015): Bilingualer Spracherwerb im Witaj-Projekt. Bautzen. SMWK , Hrsg. (2013): Maßnahmenplan der Sächsischen Staatsregierung zur Ermutigung und zur Belebung des Gebrauchs der sorbischen Sprache. Dresden. Jana Schulz 553 122. Spanisch 122. Spanisch 1. Verbreitung und Status des Spanischen in der Welt Die Zahl der spanischsprachigen Menschen wird u. a. von Berschin, Fernández-Sevilla & Felixberger (2012: 16) auf ca. 400 Mio. geschätzt. Das Instituto Cervantes hat im Jahr 2014 in einem eigenen Bericht die Zahl der hispanohablantes mit „nativen Kenntnissen“ auf rund 470 Mio. taxiert, davon ca. 424 Mio. in Ländern mit Spanisch als (ko-)offizieller Sprache und ca. 46 Mio. in Ländern, in denen Spanisch nicht zu den offiziellen Amtssprachen gehört (vgl. Instituto Cervantes 2015: 6 ff.). Hier fallen insbesondere die über 41 Mio. hispanohablantes auf dem Territorium der Vereinigten Staaten von Amerika ins Gewicht (ebd.: 7). Spanisch gehört somit neben Chinesisch (Mandarin) und Englisch zu den Top-3- Sprachen der Welt. Prognosen zufolge wird die Zahl der Spanisch sprechenden Menschen auch in Zukunft aufgrund der demografischen Entwicklung weiter steigen: Im Jahr 2050 werden sich voraussichtlich ca. 10 % der Weltbevölkerung auf Spanisch verständigen (ebd.: 9). Spanisch ist Amtssprache in 21 Ländern, zudem anerkannte Minderheitensprache in Marokko und auf den Philippinen (und somit auf vier Erdteilen offiziell präsent) sowie Amts- und Arbeitssprache bei zahlreichen internationalen Organisationen wie z. B. den Vereinten Nationen (UN), der Europäischen Union (EU), der Organisation Südamerikanischer Nationen (UNASUR ) oder der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). 2. Sprachliche Besonderheiten Das Spanische gehört zur Familie der romanischen Sprachen, die wiederum aus dem Vulgärlatein hervorgegangen sind. Der Ursprung des castellano liegt im Gebiet um Burgos in Alt-Kastilien; von dort aus breitete es sich im Zuge der Wiedereroberung der von den Mauren beherrschten Gebiete durch die Christen (Reconquista ) immer weiter nach Süden aus. Der große Einfluss der arabischen Sprache, die über 700 Jahre auf der Iberischen Halbinsel vorherrschend war, ist bis heute v. a. im Wortschatz erkennbar, z. B. am vorgesetzten arabischen Artikel „a(l)“ wie in alfombra (Teppich), albañil (Maurer) oder almohada (Kopfkissen). Eine Besonderheit des Spanischen als plurizentrische Sprache stellt der große diatopische, diastratische und diaphasische Varietätenreichtum dar. So existieren in den verschiedenen Ländern, in denen Spanisch als Amtssprache gilt, zum Teil deutliche Unterschiede im Wortschatz (spa. coche, mex. carro, arg. auto oder spa. bolígrafo, ven./ col. lapicero, arg./ ur. birome, mex. portaminas ), in der Grammatik (voseo vs. tuteo oder leísmo vs. loísmo) oder bei der Aussprache (yeísmo vs. lleísmo oder ceceo vs. seseo) (vgl. weiterführend z. B. Kabatek & Pusch 2009), wenngleich die Unterschiede zwischen europäischem und amerikanischem Spanisch in der Regel nicht zu Verständnisschwierigkeiten führen. Während der Varietätenreichtum des Spanischen aus Schülersicht in Teilen als Lernschwierigkeit angesehen wird, bedeutet für Lernende der spanischen Sprache die vielfach anzutreffende 1: 1-Beziehung zwischen Phonem und Graphem zumeist eine Erleichterung, da die spanische Orthografie relativ exakt die Aussprache wiedergibt. Insbesondere für Lernende, die bereits über Kenntnisse in einer anderen romanischen Sprache verfügen, bietet die Interkomprehension als methodisches Vorgehen diverse Möglichkeiten der Vernetzung auf sprachlicher und kultureller Ebene, die wiederum zu einem schnelleren Einstieg und einer erhöhten Progression führen (vgl. z. B. Klein & Stegmann 2000). 554 Marcus Bär In Bezug auf den Spanischunterricht wird immer wieder die Frage gestellt, welches Spanisch zu lehren und lernen sei. Die 1713 nach französischem Vorbild gegründete Real Academia Española (RAE), die mit inzwischen 21 weiteren Sprachakademien die Asociación de Academias de la Lengua Española (ASALE) bildet, verweist in diesem Zusammenhang u. a. darauf, dass alle Varietäten als gleichberechtigt anzusehen sind. 3. Spanisch als Fremdsprache Neben einem Wachstum von Mutterbzw. Erstsprachlern des Spanischen gewinnt die spanische Sprache auch als internationale Verkehrssprache u. a. wegen des sich seit Jahren intensivierenden Handels mit Ländern Mittel- und Südamerikas immer mehr an Bedeutung. Spanisch ist inzwischen mit ungefähr 20 Mio. Lernenden nach Englisch die meist gelernte Fremdsprache weltweit (vgl. El País 2007). Spanisch als Fremdsprache wird hierbei - je nach Nachfrage und persönlichen Lernzielen - von unterschiedlichen Einrichtungen in sehr unterschiedlichen Kontexten angeboten, so z. B. im Rahmen des institutionellen Unterrichts an Schulen und Hochschulen sowie in Form von Sprachkursen an staatlich geförderten Institutionen (Volkshochschulen, Instituto Cervantes ) oder auch in Form von kommerziellen Angeboten an privaten Sprachschulen sowie in betriebseigenen Kursen zur Sprache und Kultur der jeweiligen Handelspartner. Im schulischen Kontext wird dem Spanischen in Deutschland seit einigen Jahren oftmals ein „Boom“ nachgesagt, der sich bei näherer Betrachtung v. a. als ein „prozentualer Boom“ herausstellt (vgl. u. a. Bär 2012: 241). In einem Zeitraum von zehn Jahren (2003/ 04-2013/ 14) hat sich die (absolute) Zahl der Spanischlernenden an deutschen Schulen zwar mehr als verdoppelt, nichtsdestotrotz liegt Spanisch an allgemeinbildenden Schulen über alle Schulformen und Jahrgangsstufen hinweg mit insgesamt 391.552 Lernenden in der Gunst der Schülerschaft bundesweit noch weit hinter Englisch, Französisch und auch Latein (vgl. Destatis 2014: 86 ff.). Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die das Fach Spanisch im Laufe ihrer Schulzeit belegen, beträgt zurzeit etwa 4,7 % der Gesamtschülerschaft (2003/ 04 = 1,8 %). Spanisch ist somit trotz sinkender Gesamtschülerzahl das fremdsprachliche Fach mit den höchsten Zuwachsraten. Dabei sind allerdings die festzustellenden Unterschiede zwischen einzelnen Bundesländern zum Teil enorm: Während das Fach Spanisch in vielen ostdeutschen Bundesländern nur eine Randposition einnimmt und bspw. auch in Bayern zumeist ,nur‘ als Tertiärsprache im Oberstufenbereich gewählt wird, verzeichnen die Stadtstaaten Bremen und Hamburg traditionellerweise einen großen Andrang; so wird hier Spanisch bereits mehrheitlich als zweite Fremdsprache nach Englisch ab Jahrgangsstufe 6 belegt (vgl. ebd.: 96). Trotz regionaler Unterschiede werden in Zukunft deutschlandweit immer mehr Schülerinnen und Schüler ab Klasse 6 oder 7 bei der Wahl der zweiten Fremdsprache vor einer ,Qual der Wahl‘ bzw. einem ,Entweder- Oder‘ stehen, da eine steigende Anzahl an Fremdsprachen zur Auswahl steht bzw. diese auf den ersten Blick gegeneinander konkurrieren (vgl. hierzu z. B. Caspari & Rössler 2008). Im Sinne einer (interkomprehensiv ausgelegten) Mehrsprachigkeitsdidaktik sollte allerdings von Beginn an vielmehr das Miteinander der einzelnen Sprachen im Vordergrund stehen und verstärkt nach Vernetzungsmöglichkeiten zwischen den Sprachen und Kulturen gesucht werden (vgl. u. a. Leitzke-Ungerer, Blell & Vences 2012; Bär 2009; Meißner & Reinfried 1998). Der Deutsche Spanischlehrerverband (DSV), der mit über 2.500 Personen mitglie- 555 122. Spanisch derstärkste monolinguale Fremdsprachenlehrerverband in Deutschland, vertritt die Interessen der Spanischlehrkräfte und unterstützt deren Arbeit u. a. durch die Organisation von Kongressen und Fortbildungsveranstaltungen sowie durch (didaktische) Beiträge in der viermal jährlich erscheinenden Fachzeitschrift Hispanorama und die Herausgabe der Buchreihe „Theorie und Praxis des modernen Spanischunterrichts“ . 4. Richtlinien, Lehrpläne und Lehrwerke Im Zuge der Einführung von bundesweiten Bildungsstandards (2003 und 2012) und einer hiermit verbundenen verstärkten Kompetenzorientierung haben die Bundesländer in den letzten zehn Jahren ihre bisher gültigen inputorientierten Lehrpläne auf standard- und outputorientierte Curricula (Kernlehrpläne, Bildungspläne) umgestellt (vgl. Art. 18 und 19). Die dort genannten Zielperspektiven müssen schließlich noch von den jeweiligen Fachgruppen in den einzelnen Schulen in sog. schulinternen Curricula hinsichtlich der Inhalte (und Methoden) konkretisiert werden. Aufgrund dieses Paradigmenwechsels sind auch die Schulbuchverlage zu einer stärker kompetenzorientierten Ausrichtung ihrer Lehrwerke ,gezwungen‘ worden. Für das Fach Spanisch ist während der vergangenen Dekade eine nahezu unüberschaubare Fülle an Unterrichtsmaterialien und zusätzlichen Hilfsmitteln von den führenden Schulbuchverlagen entwickelt worden. Neben Neuauflagen traditioneller Lehrwerke wie bspw. Encuentros Edición 3000 (mit Schülerbuch, Grammatik- und Vokabelheft, Arbeitsheft, Audio-CD, Video-DVD usw.) finden zurzeit verstärkt Lehrwerke mit einer flacheren Progression und mit gesondert ausgewiesenen (binnen)differenzierenden Aufgaben wie z. B. ! Vamos! ! Adelante! den Weg in die Schulen; Zielgruppe sind vorrangig Schülerinnen und Schüler, die an Gesamtschulen Spanisch als zweite Fremdsprache wählen. Insbesondere in der Oberstufe treten an die Seite der Lehrwerke immer häufiger Zusatzmaterialien, die die Förderung einzelner Kompetenzen in den Vordergrund stellen, so z. B. die Reihe „Abi- Workshop Spanisch“ („Sicher in Hörverstehen und Sprachmittlung“ oder „Sicher in Leseverstehen und Textproduktion“ ), oder die sich im Hinblick auf das Zentralabitur einzelnen Themen widmen (so z. B. die Themenarbeitshefte mit CD-Rom zu „Argentina“ , „México“ oder „Andalucía“ ). Das 2014 erschienene Punto de vista - Nueva edición offeriert den Oberstufenschülerinnen und -schülern einzelne Dossiers zu abiturrelevanten Themen und ist aufgabenorientiert konzipiert (tarea mini, tarea final). Ganz im Sinne der fortschreitenden Digitalisierung stellen die Verlage heute immer häufiger nicht nur interaktive Tafelbilder für Whiteboards und Beamer zur Verfügung, sondern entwickeln weitere Hilfestellungen wie z. B. Vokabeltrainer-Apps, mit denen sich die Schülerinnen und Schüler am Smartphone oder Tablet dem Lernen der spanischen Sprache widmen können (vgl. Kap. M in diesem Band). Einen Nachholbedarf im Sinne eines vielfältigen und differenzierenden Lehrwerksbzw. Materialangebots besteht im Fach Spanisch einerseits noch im Bereich der berufsbildenden Schulen und andererseits im Bereich des bilingualen Lehrens und Lernens. So bieten die führenden Schulbuchverlage bspw. keine gesonderten Materialien für den Unterricht einzelner Sachfächer auf Spanisch (und Deutsch) an, da in Deutschland der Markt des bilingualen Sachfachunterrichts noch sehr stark vom Englischen (und Französischen) dominiert wird und die Materialentwicklung für Spanisch in diesem Segment (noch) keiner Wirtschaftlichkeitsprüfung standhält. Im Hochschulbereich lohnt für Lehramtsstudierende des Spanischen zunächst ein 556 Marcus Bär Blick in die speziell die Spanischdidaktik betreffenden Einführungen, so z. B. von Grünewald & Küster (2009), Fäcke (2010) oder Bär & Franke (im Druck). 5. Abschlüsse und Zertifikate Im schulischen Bereich dominiert als Abschluss das Abitur. In den von der Kultusministerkonferenz beschlossenen Einheitlichen Prüfungsanforderungen für die Abiturprüfung (EPA) im Fach Spanisch (2013) werden neben der fachlichen Qualifikation u. a. auch die einzelnen Anforderungsbereiche sowie (Teil-)Aufgabenformate der schriftlichen sowie mündlichen Abiturprüfung festgelegt und näher erläutert (vgl. hierzu KMK 2013: 11 ff.). Im universitären Bereich wurde aufgrund des europaweiten Bologna-Prozesses bei den Lehramtsstudiengängen das bisherige erste Staatsexamen in vielen Bundesländern durch den Abschluss des Master of Education abgelöst, der in der Regel nach einer Studienzeit von zehn Semestern bzw. einem workload von 240 Leistungspunkten erreicht wird. Bundesweit einheitliche Anforderungen hinsichtlich der Form und Gestaltung einer Master- oder Examensprüfung gibt es für das Fach Spanisch nicht. Über alle Lernergruppen hinweg ist in den vergangenen Jahren die Bedeutung von offiziellen Sprachzertifikaten gestiegen. Das 1991 gegründete Instituto Cervantes, das sich die Förderung der spanischen Sprache und Kultur zum Ziel gesetzt hat, ist weltweit im Namen des spanischen Ministeriums für Bildung, Kultur und Sport für die Organisation und Durchführung der entsprechenden Prüfungen zur Erlangung eines DELE-Zertifikats (Diploma de Español como Lengua Extranjera ) zuständig. Auf der Grundlage der an der Universität Salamanca auf den verschiedenen Niveaustufen des GeR entwickelten Testformate und der dort auch korrigierten Prüfungen stellt das Ministerium die jeweiligen Zertifikate an alle interessierten (und zahlenden) Lernenden aus, die hierdurch einen international von Unternehmen und Bildungseinrichtungen anerkannten Nachweis über die erreichte Sprachkompetenzstufe im Spanischen erhalten. Darüber hinaus existiert noch eine Vielzahl weiterer Sprachzertifikate, so z. B. von der gemeinnützigen telc GmbH (The European Language Certificates ), die einerseits Tests auf den Niveaustufen A1 bis B2 für (meist erwachsene) Lernende entwickelt haben, die bspw. an Volkshochschulen erworben werden können, und die andererseits Tests unter dem Namen Español Escuela speziell für Schülerinnen und Schüler konzipiert haben. Für Studierende aller Fachrichtungen besteht bspw. die Möglichkeit einer studienergänzenden oder studienintegrierten Zusatzqualifikation (UNIcert ® ), die an ausgewählten Standorten (z. B. Sprachenzentren der Hochschulen) erworben werden kann und die in fünf Stufen zum Niveau C2 führt. Literatur ASALE . www.asale.org Bär, M. (2009): Förderung von Mehrsprachigkeit und Lernkompetenz. Fallstudien zu Interkomprehensionsunterricht mit Schülern der Klassen 8 bis 10. Tübingen. Bär, M. (2012): Der ,Virus der Hispanophilie‘ an Schulen in Deutschland: Traum oder Wirklichkeit? , in: W. Altmann / R. Pardellas Velay / U. Vences (Hrsg.): Historia hispánica. Su presencia y (re)presentación en Alemania. Berlin, 241-252. Bär, M. / Franke, M., Hrsg. (im Druck): Fachdidaktik Spanisch. Berlin. Berschin, H. / Fernández-Sevilla, J. / Felixberger, J. (2012): Die spanische Sprache. Verbreitung, Geschichte, Kultur, 4. Aufl. Hildesheim. 557 122. Spanisch Caspari, D. / Rössler, A. (2008): Französisch gegen Spanisch? Überlegungen aus Sicht der romanischen Mehrsprachigkeitsdidaktik. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 19/ 1, 61-82. DELE . http: / / diplomas.cervantes.es Destatis (2014): Fachserie 11 - Bildung und Kultur, Reihe 1 - Allgemeinbildende Schulen, Schuljahr 2013/ 2014. Wiesbaden. https: / / www.de statis.de/ DE / Publikationen/ Thematisch/ Bil dungForschungKultur/ Schulen/ Allgemeinbi ldendeSchulen2110100147004.pdf Deutscher Spanischlehrerverband ( DSV ). www. hispanorama.de El País (2007): El español es el segundo idioma que más se estudia en el mundo, según el Instituto Cervantes. http: / / cultura.elpais.com/ cultura/ 2007/ 04/ 26/ actualidad/ 1177538408 _85021 5.html Fäcke, C. (2010): Fachdidaktik Spanisch. Tübingen. Grünewald, A. / Küster, L. (Hrsg.) (2009): Fachdidaktik Spanisch. Tradition - Innovation - Praxis. Stuttgart. Instituto Cervantes. www.cervantes.es Instituto Cervantes, Hrsg. (2015): El español: una lengua viva. Informe 2015. https: / / www.icex. es/ icex/ wcm/ idc/ groups/ public/ documents/ documento _anexo/ mde2/ njm1/ ∼ edisp/ dax 2016635284.pdf Kabatek, J. / Pusch, C. D. (2009): Spanische Sprachwissenschaft. Tübingen. Klein, H. G. / Stegmann, T. D. (2000): EuroCom- Rom - Die sieben Siebe: Romanische Sprachen sofort lesen können. Aachen. KMK , Hrsg. (2013): Einheitliche Prüfungsanforderungen für die Abiturprüfung Spanisch. www. kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlichungen _be schluesse/ 1989/ 1989_12_01_ EPA -Spanisch. pdf Leitzke-Ungerer, E. / Blell, G. / Vences, U., Hrsg. (2012): English-Español. Vernetzung im kompetenzorientierten Spanischunterricht. Stuttgart. Meißner, F.-J. / Reinfried, M., Hrsg. (1998): Mehrsprachigkeitsdidaktik. Konzepte, Analysen, Lehrerfahrungen mit romanischen Fremdsprachen. Tübingen. RAE . www.rae.es TELC . www.telc.net UNI cert ® . www.unicert-online.org Marcus Bär 123. Tschechisch 1. Verbreitung und Bedeutung Das Tschechische (český jazyk) gehört zur Familie der westslawischen Sprachen und ist am nächsten mit dem Slowakischen (vgl. Art. 119) verwandt. Von den ca. 13 Mio. Sprechern des Tschechischen leben mehr als 10 Mio. in der Tschechischen Republik. Darüber hinaus wird Tschechisch in Österreich (v. a. in Wien), in Polen, der Ukraine (Wolhyner Tschechen), in Kroatien (im Gebiet um Daruvar) und im westlichen Rumänien (Banat) gesprochen. Mehrere tausend Tschechen leben in der Slowakei. Außerhalb Europas wird die tschechische Sprache in Australien, Kanada und insbesondere in den Vereinigten Staaten gesprochen. Tschechisch ist Amtssprache in der Europäischen Union und für Deutsche und Österreicher zugleich auch Nachbarsprache. Das Nachbarland ist ein wichtiger Handelspartner, v. a. in den angrenzenden Bundesländern. 2. Sprachliche Besonderheiten Das Tschechische verwendet das lateinische Alphabet mit diakritischen Zeichen und weist eine für Lernende günstige Graphem-Phonem-Korrespondenz auf, die als eher pho- 558 Grit Mehlhorn nologisch bezeichnet werden kann (vgl. Kucˇera 2009). Die gesprochene Umgangssprache (obecná čeština) unterscheidet sich stark von der Schriftsprache (spisovná čeština). Dialektal kann man die böhmischen, mittel- und ostmährischen sowie schlesischen Dialektgruppen unterscheiden. Der Wortakzent im Tschechischen befindet sich regelhaft auf der ersten Silbe; in Wortverbindungen, die ein phonologisches Wort bilden, kann auch die Präposition betont werden, z. B. ve škole („in der Schule“ ). Die Vokalquantität ist im Tschechischen bedeutungsdifferenzierend (vgl. Palková 1997), wobei lange Vokale orthografisch durch diakritische Zeichen wiedergegeben werden: á, é, í, ó, ú/ ů, ý, vgl. Minimalpaare wie byt („Wohnung“ ) vs. být („sein“). Eine Schwierigkeit für deutschsprachige Tschechischlernende stellt die Differenzierung langer und kurzer Vokale in unbetonten Silben dar. Das Tschechische gilt als konsonantenreiche Sprache und verfügt über Wörter, in denen sonore Konsonanten (r, l) den Silbenkern bilden, z. B. prst („Finger“ ), vlk („Wolf“). Weich (palatalisiert) ausgesprochen werden die Konsonanten t’, d’ und nˇ . Tschechisch ist eine stark flektierende Sprache mit sieben Kasus und drei Genera im Singular und Plural. Bei maskulinen Nomen spielt zusätzlich die Kategorie der Belebtheit eine wichtige Rolle. Tschechische Verben bilden Aspektpaare aus einer perfektiven und imperfektiven Form (vgl. Vintr 2001). In der tschechischen Wortbildung dominiert die Derivation vor Wortverbindung, Konversion und Komposition. Besonders produktiv sind Diminutiva. Im Gegensatz zum Deutschen stellt das Tschechische eine typische Null- Subjektsprache dar, in der Personalpronomina diskursbedingt starken Restriktionen unterliegen (vgl. Kosta 2010). Durch intensiven deutsch-tschechischen Sprachkontakt in der Vergangenheit umfasst das Tschechische eine Vielzahl an Germanismen, die Deutschsprachigen den Einstieg in die Sprache erleichtern können, z. B. brýle (Brille), knoflík (Knopf), muset (müssen), taška (Tasche). Internationalismen werden phonetisch und morphologisch an das Sprachsystem angepasst. Eine umfangreiche kontrastive Darstellung des Tschechischen im Vergleich zum Deutschen findet sich bei Štícha (2003). 3. Tschechisch in der Schule Gemäß Artikel 25 des Deutsch-Tschechischen Nachbarschaftsvertrags vom 27. Februar 1992 setzen sich Deutschland und Tschechien mit Nachdruck für Unterricht in der Nachbarsprache ein und unterstützen Initiativen zur Gründung von Schulen mit Unterricht in beiden Sprachen. Dennoch beschränken sich die Möglichkeiten, in Deutschland Tschechisch als Schulfremdsprache zu lernen, derzeit auf die an Tschechien angrenzenden Bundesländer Bayern und Sachsen. Im Schuljahr 2014/ 15 lernten in Sachsen 2.865 Schülerinnen und Schüler an 33 Schulen Tschechisch als Fremdsprache, an 13 weiteren Schulen wurden tschechische Arbeitsgemeinschaften angeboten (www. medienservice.sachsen.de). In Sachsen kann Tschechisch an Grundschulen, Oberschulen, Gymnasien und Berufsschulen gelernt werden, wobei diese Schulen auf das unmittelbare Grenzgebiet konzentriert sind und das Friedrich-Schiller-Gymnasium in Pirna das umfangreichste Tschechischangebot bereithält. Neben Tschechisch als zweiter Schulfremdsprache ab Klasse 6 gibt es hier einen binationalen Bildungsgang, in dem deutsche Schülerinnen und Schüler ab Klasse 5 intensiv Tschechisch lernen und ab Klasse 7 zusammen mit tschechischen Schülern bilinguale Klassen bilden (vgl. ausführlicher Wenzel 2003). An Gymnasien mit Tschechischangebot kann das Abitur abgelegt werden (vgl. 559 123. Tschechisch KMK 1997/ 2013). Seit 2008 findet in Sachsen die Bohemiade statt - ein Wettbewerb für Tschechisch lernende Schülerinnen und Schüler der 5. bis 12. Klassen, in dem die Besten in den Wertungsgruppen A1 bis B2 ermittelt werden. Dabei treten die Teilnehmenden u. a. in Dialog mit tschechischen Jugendlichen und erfahren in der Begegnung mit den Muttersprachlern, inwieweit sie ihre Tschechischkenntnisse auf Situationen im Alltag übertragen können. Auch die Zahl der Tschechischlernenden in Bayern ist in den letzten Jahren gewachsen. 2012 lernten 759 Schülerinnen und Schüler Tschechisch an 33 bayrischen Realschulen (www.km.bayern.de). Insbesondere an Realschulen in der Oberpfalz wird Tschechisch als Wahlfach angeboten. Es sind Lehrpläne für die Jahrgangsstufen 7 bis 10 entwickelt worden (www.isb.bayern.de/ realschule/ faecher/ sprachen/ tschechisch). Außerdem kann man an 26 bayrischen Grund- und fünf Mittelschulen Tschechisch in Arbeitsgemeinschaften lernen. In Deutschland wird Herkunftssprachenunterricht Tschechisch an wenigen Standorten in Bayern angeboten; in Österreich dagegen ist muttersprachlicher Unterricht stärker verbreitet und kann aufgrund der tschechischen Minderheit v. a. in Wien auf eine lange Tradition zurückblicken (vgl. Newerkla 2007). So betreibt allein der Schulverein Komenský in Wien einen Kindergarten, eine Volksschule, eine bilinguale Sekundarschule sowie ein bilinguales Oberstufenrealgymnasium bis zur Matura, in denen insgesamt 445 Kinder und Jugendliche Tschechisch lernen (vgl. Fischer & Doleschal 2013: 84). In den Informationsblättern des Referats für Migration und Schule für das Schuljahr 2012/ 13 werden zusätzlich 67 Tschechischlernende ausgewiesen, was einem Anstieg von reichlich 200 % im Vergleich zum Vorjahr entspricht (BMBF 2014: 16 f.). 4. Tschechisch in der Erwachsenenbildung Insbesondere in den grenznahen Bundesländern Bayern, Sachsen, Nieder- und Oberösterreich kann Tschechisch auf verschiedenen Niveaustufen an vielen Volkshochschulen gelernt werden. Die meisten Kurse - ca. 80 pro Semester - bieten die Wiener Volkshochschulen an (vgl. Newerkla 2007: 72). Bohemistik - die Wissenschaft von der tschechischen Sprache - bzw. Tschechisch im Rahmen eines (West-)Slawistikstudiums wird u. a. an den Universitäten in Bern, Berlin, Dresden, Hamburg, Leipzig, München, Regensburg, Salzburg, Tübingen und Wien studiert; eine Reihe weiterer Universitäten und Fachhochschulen bietet Tschechischkurse für Hörer aller Fachrichtungen an. Tschechischlehrkräfte werden an den Universitäten Leipzig, Regensburg und Wien ausgebildet, an der Universität Leipzig gibt es zudem einen binationalen B. A.-Studiengang „Interkulturelle Kommunikation und Translation Tschechisch-Deutsch“ . Das Bohemicum Regensburg-Passau (www. bohemicum.de) veranstaltet Fachtagungen und kulturelle Veranstaltungen und bietet die studienbegleitende Zusatzausbildung Bohemicum in Regensburg und Passau zum Erwerb von Sprach- und Fachkompetenz für Tschechien an. Darüber hinaus koordiniert das Bohemicum den interdisziplinären B. A.- Studiengang „Deutsch-Tschechische Studien“. 5. Lehrwerke und Materialien In Sachsen sind die Lehrwerke „Třesky plesky, uč se česky! “ (Bd. 1), „Uč se česky, je to hezký! “ (Bd. 2) und „Je to hezký umět česky! “ (Bd. 3) mit separaten Audio-CDs für Hörtexte, Dialoge und Lieder für den Unterricht an Gymnasien zugelassen. In Grundschulen kommt u. a. „Hrátky s čestinou“ zum Einsatz. Aus zwei 560 Grit Mehlhorn Bänden einschl. Lehrerhandreichung und Arbeitsblättern auf CD-ROM bestehen die schulartübergreifend angelegten „Materialien für den Tschechischunterricht in Bayern“ , in denen ein kommunikativer Zugang im Vordergrund steht. Bekannte Lehrwerke für Erwachsene sind u. a. „Tschechisch Schritt für Schritt“ , „Tschechisch kommunikativ“ , „Čeština pro život“ sowie „Tschechisch - Faszination der Vielfalt“ . Online-Wörterbücher finden sich z. B. unter https: / / de.glosbe.com/ de/ cs/ und www.lin guatools.de/ deutsch-tschechisch. Beliebte Internetseiten für das Tschechischlernen sind www.tschechisch-lernen.at, http: / / mluvteces ky.net sowie das deutsch-tschechische Jugendportal www.ahoj.info. 6. Abschlüsse und Zertifikate Das telc-Zertifikat Český jazyk existiert nur für die Niveaustufe B1 des GeR. Für Studierende aller Fachrichtungen werden an den Sprachenzentren einiger Hochschulen UNIcert ® -Prüfungen für das Tschechische angeboten, z. B. bis UNIcert ® III an der Ostbayrischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden und der Universität Regensburg oder bis UNIcert ® IV an der Universität Passau. Seit 2011 werden in Bayern zudem in Zusammenarbeit mit der Karlsuniversität Prag Sprachzertifikatsprüfungen in Tschechisch für Lernende an Realschulen auf den Niveaustufen A1 und A2 durchgeführt, die von immer mehr Schülerinnen und Schülern erfolgreich absolviert werden. 7. Institutionen Ziel der tschechischen Kulturinstitute ist die Förderung der tschechischen Sprache und Kultur im Ausland. Sie veranstalten u. a. Ausstellungen, Lesungen, Diskussionen, Konzerte, Filme und führen Sprachkurse durch. Ein Tschechisches Zentrum (České centrum) existiert in Wien, von dem aus auch die Schweiz mitbetreut wird, in Berlin, München und Düsseldorf. Seit 2006 wird vom Institut für Slavistik der TU Dresden und der Brücke/ Most-Stiftung Dresden im Rahmen der alljährlichen „Tschechisch-Deutschen Kulturtage“ die Tagung Bohemicum Dresdense veranstaltet. Die Koordinierungszentren Deutsch- Tschechischer Jugendaustausch - Tandem (www.tandem-org.de) fördern die gegenseitige Annäherung und die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen jungen Menschen aus Deutschland und Tschechien. Dazu gehören auch Sprachanimation und Projekte im Vorschulbereich wie Odmalička (www.vonkleinauf.info). Literatur BMBF - Bundesministerium für Bildung und Frauen (2014): Der muttersprachliche Unterricht in Österreich. Statistische Auswertung für das Schuljahr 2012/ 13. www.schule-mehr sprachig.at Fischer, G. / Doleschal, U. (2013): Von Minderheitensprachen zu Nachbarsprachen - Die Rolle der Minderheitensprachen in Österreichs Bildungswesen 2011, in: R. de Cillia / E. Vetter (Hrsg.): Sprachenpolitik in Österreich. Eine Bestandsaufnahme. Wien, 68-93. KMK (1997/ 2013): Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 07. 11. 1997 i. d. F. vom 06. 06. 2013. www.kmk.org/ file admin/ veroeffentlichungen _beschluesse/ 1997/ 1997_11_07-EPA-Tschechisch.pdf Kosta, P. (2010): Kontrastive Analyse Tschechisch-Deutsch, in: H.-J. Krumm / C. Fandrych / B. Hufeisen / C. Riemer (Hrsg.): Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales Handbuch. Berlin, Bd. 1, 711-719. 561 124. Türkisch Kucˇera, K. (2009): The orthographic principles in the Slavic languages: phonetic/ phonological, in: S. Kempgen / P. Kosta / T. Berger / K. Gutschmidt (Hrsg.): Slavische Sprachen. Ein internationales Handbuch ihrer Struktur, ihrer Geschichte und ihrer Erforschung, Bd. 1. Berlin, New York, 70-75. Newerkla, S. M. (2007): Der Tschechischunterricht (und der Slowakischunterricht) in Österreich von seinen Anfängen bis in die Gegenwart. Zeitschrift für Slawistik 52, 52-75. Palková, Z. (1997): Fonetika a fonologie češtiny, Praha. Štícha, F. (2003): Česko-německá srovnávací gramatika, Praha. Vintr, J. (2001): Das Tschechische. Hauptzüge seiner Sprachstruktur in Gegenwart und Geschichte, München. Wenzel, B. (2003): Tschechisch, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Aufl., Tübingen, Basel, 573-577. Grit Mehlhorn 124. Türkisch 1. Verbreitung und Besonderheiten Türkisch ist die offizielle Sprache der Republik Türkei (ca. 77,5 Mio. Einwohner 2014), und Erstsprache einer Mehrheit der Einwohner der Türkei. Auch ist Türkisch, zusammen mit Griechisch, Amtssprache der Republik Zypern. Darüber hinaus wird Türkisch auf dem Balkan von ca. 1 Mio. Menschen gesprochen und es ist eine der Sprachen von mehr als 2,5 Mio. Menschen in Westeuropa, von denen die meisten in Deutschland leben. Auch in der Neuen Welt gibt es größere türkische Sprechergruppen. Genetisch gehört Türkisch zum oghusischen Zweig der Turksprachen. Diese bilden mit den mongolischen und den tungusischen Sprachen die altaische Sprachfamilie oder den altaischen Sprachbund. Die türkische Standardsprache hat acht Vokal- und 21 Konsonantenphoneme. Türkische Vokale sind in der Regel kurz. Die Silbenstruktur des Türkischen ist recht einfach; es gibt nur wenige Konsonantenhäufungen am Silbenrand. Eine lautliche Besonderheit des Türkischen ist die sogenannte „Vokalharmonie“ , was bedeutet, dass jede nichterste Silbe in einem Wort sich in Bezug auf bestimmte vokalische Merkmale der Vorgängersilbe angleicht. Eine Besonderheit des Türkischen ist die Tatsache, dass sehr viele grammatische Kategorien durch Suffixe ausgedrückt werden - Türkisch ist eine agglutinierende Sprache. Untergeordnete Sätze sind immer nichtfinit. Partizipien bilden das Äquivalent zu den deutschen Relativsätzen. Nominalisierungen sind das Äquivalent zu Satzgliedsätzen und Gerundien das Äquivalent zu adverbialen Nebensätzen. Die Wortstellung ist recht frei, tendiert aber zu Subjekt - Objekt - Verb (SOV). Modifizierende Wörter (Adverbien, Attribute) stehen wie im Deutschen in der Regel vor ihrem Bezugswort (Schroeder & S¸ ims¸ ek 2014). Türkisch hat eine lange Schrifttradition. Während der osmanischen Zeit wurde ein Arabisch basiertes Schriftsystem verwendet. Das 1928 eingeführte lateinische Alphabet hat 29 Buchstaben. Die moderne lateinische Orthographie des Türkischen ist recht stark phonologisch bestimmt (Menz & Schroeder 2015). 2. Türkisch in deutschsprachiger Umgebung Türkisch ist eine der am stärksten vertretenen Minderheitensprachen in den deutschsprachigen Ländern, vital nicht nur als ge- 562 Almut Küppers / Christoph Schroeder sprochene Sprache, sondern auch als Sprache von Printmedien (Bücher, Zeitschriften), Fernseh- und Radiosendern, öffentlichen Bekanntmachungen, Schildern, Ankündigungen und in der Werbung. Kinder, die mit Türkisch als Familiensprache aufwachsen, erwerben in der Regel früh Deutsch, von den Geschwistern, im Kindergarten, über die Medien und andere Beziehungen in der deutschsprachigen Umgebung. Diese spezifische Erwerbssituation führt natürlich zu Unterschieden im sprachlichen Repertoire zu einsprachigen Sprechern in der Türkei. So haben die Sprecher des Türkischen in deutschsprachiger Umgebung wesentlich weniger Zugang zum türkischen Standard und können in der Kommunikation mit anderen zweisprachigen Sprechern aus einem Kontinuum zwischen dem einsprachigen Modus in beiden Sprachen und unterschiedlichen Graden der Sprachmischung wählen. Auch hat der Sprachkontakt mit dem Deutschen zu gewissen Veränderungen in der Struktur des Türkischen in Deutschland geführt und es scheint sich eine spezifische Varietät zu entwickeln (Küppers et al. 2015). 3. Türkischunterricht im schulischen Kontext Gemessen an der Vitalität der türkischen Sprache und der Größe ihrer Sprechergruppe muss der Zustand des Türkischunterrichts in Deutschland als „traurig“ bezeichnet werden (für aktuelle Analysen vgl. Küppers et al. 2014 sowie Schroeder & Küppers 2016, Küppers et al. 2015). An deutschen und österreichischen Schulen steht er in der Tradition des Herkunftssprachenunterrichts, sein Bildungspotenzial als 2. und 3. Fremdsprache sowie in bilingualen CLIL-Programmen wurde bislang weitestgehend ignoriert. Stattdessen sind in Deutschland die Teilnehmerzahlen an Türkischangeboten seit der Jahrtausendwende zurückgegangen. Konkrete Zahlen sind aufgrund des föderalen Schulsystems in Deutschland und der unterschiedlichen Zuständigkeiten in den Bundesländern (zum Teil die türkischen Konsulate, zum Teil die Kultusministerien der Bundesländer) schwer zu ermitteln; es kann aber davon ausgegangen werden, dass derzeit lediglich ca. 100.000 bis 120.000 Lernende an Türkischangeboten teilnehmen; zur Jahrtausendwende waren es dagegen noch ca. 300.000 (vgl. Küppers et al. 2015 sowie Schroeder & Küppers 2016). In Österreich waren die Teilnehmerzahlen ebenfalls zunächst rückläufig; im Schuljahr 2012/ 13 sind sie erstmals wieder leicht gestiegen; es nahmen knapp 15.000 Lernende am Türkischunterricht teil (vgl. Garnitschnig 2014: 16). Der herkunftssprachliche Türkischunterricht leidet an einem hartnäckigen Imageproblem; Türkisch wird als „Sprache der armen Migranten“ wahrgenommen. Das schlechte Image wurde zudem durch bildungspolitisch relevante Ereignisse beeinflusst wie durch den „PISA-Schock“ und die anschließend kontrovers geführte öffentliche Debatte um mehr Deutschunterricht für Kinder mit Migrationshintergrund. Als eine Konsequenz wurden die Angebote für Herkunftssprachenunterricht in etlichen Bundesländern zurückgefahren. a) Organisationsformen Der schulische Türkischunterricht wurde in Deutschland wie auch in Österreich im Zuge der zunehmenden Arbeitsmigration aus der Türkei institutionalisiert. In den Bundesländern wurde er als „muttersprachlicher Ergänzungsunterricht“ (heute zumeist „Herkunftssprachenunterricht“ ) institutionalisiert, der grundsätzlich von Vorkenntnissen des Türkischen als Familiensprache ausgeht. In NRW, wo die meisten Türkischlernenden le- 563 124. Türkisch ben, findet 72 % des Unterrichts auf Grundschulniveau statt (vgl. Schmitz & Olfert 2013: 217); auch bundesweit wird Türkisch zum größten Teil an Grundschulen unterrichtet. Einige wenige Grundschulen (in Berlin, Köln, Frankfurt) bieten koordinierte Alphabetisierungsprogramme in Türkisch und Deutsch an. In einigen Bundesländern (NRW, Berlin, Bremen, Hamburg, Bayern, Niedersachsen) gibt es die Möglichkeit für Lernende mit familiensprachlichen Kenntnissen Türkisch in der Sekundarstufe I als zweite oder dritte Fremdsprache anstatt einer der klassischen Fremdsprache zu wählen; in Hessen und BW gibt es aktuell Initiativen in diese Richtung. Eine Option als Abiturfach ist Türkisch ebenfalls in einigen Bundesländern wie z. B. NRW, Berlin, Bremen, Hamburg, Niedersachsen (vgl. Schmitz & Olfert 2013). CLIL-Angebote mit Türkisch sind an weiterführenden Schulen mit einer Ausnahme bislang nicht zu finden. An einigen wenigen Sekundarschulen in NRW, Hamburg, Bremen und Berlin kann türkischer Fremdsprachenunterricht auch von Lernenden ohne Vorkenntnisse gewählt werden. Vielversprechende Ansätze gibt es im Grundschulbereich. In Berlin und Hamburg bestehen bilinguale deutsch-türkische Angebote. Mit dem Konzept der „Partnersprachen“ werden die Kinder in unterschiedlichen Gruppen (Hauptsprachen) an die jeweils andere Partnersprache herangeführt. Eine Grundschule in einem sozial benachteiligten Stadtteil in Hannover hat ein bilinguales Programm als Instrument zur interkulturellen Öffnung und zum Abbau der starken Segregationstendenzen im Einzugsgebiet implementiert (vgl. Küppers & Yag˘mur 2014). Durch das deutsch-türkische CLIL-Angebot konnten die Mittelschichtfamilien wieder für die Schule interessiert werden (vgl. auch Küppers 2016). b) Herausforderungen und Perspektiven Als Herkunftssprachenunterricht hat der Türkischunterricht mit etlichen strukturellen Problemen zu kämpfen. Er wird meist am Nachmittag angeboten und findet nur dann statt, wenn die Lerngruppen groß genug sind; die Materialien sind größtenteils veraltet. Für das Fach gibt es in der Regel keine Noten, es ist nicht versetzungsrelevant. Sein Stellenwert im Curriculum ist entsprechend gering. Türkischlehrende haben ihre Ausbildung häufig in der Türkei absolviert, unterrichten z. T. an mehreren Schulen und sind in den Kollegien oft wenig integriert. Häufig wird Türkisch von muttersprachlichen Lehrenden mit Migrationshintergrund fachfremd unterrichtet, die zwar in Deutschland studiert, aber keine Fakultas für Türkisch erworben haben. Aus der Türkei für max. fünf Jahre entsendete, den jeweiligen türkischen Konsulaten zugeordnete sog. „Konsulatslehrer“ - besitzen kaum Kenntnisse über die deutsche Varietät des Türkischen, das deutsche Schulsystem oder die unterschiedlichen Lernbedürfnisse der Lernenden. Unter diesen Bedingungen leiden die Qualität und der Ruf des Faches. Der Türkischunterricht scheint derzeit an einem Scheideweg zu stehen. Setzt sich der Trend fort und die Teilnehmerzahlen nehmen weiter ab, so droht ihm eine zunehmende Marginalisierung. Auch sind die Grenzen zwischen herkunfts- und fremdsprachlichem Türkischunterricht nicht mehr klar zu ziehen. Das Etikett „türkischer Herkunftssprachenunterricht“ ist daher überholt, denn es trägt zur Aufrechterhaltung einer Ethnisierung durch Sprachunterricht bei. Als vollwertiger moderner Fremdsprachenunterricht könnte das Fach Türkisch hingegen wertvolle, identitätsstiftende Erfahrungsräume eröffnen - für Kinder mit türkischen Vorkenntnissen und für einsprachige Kinder der sog. Mehrheitsgesellschaft gleichermaßen. 564 Almut Küppers / Christoph Schroeder Eine evidenzbasierte, fundierte integrative Fachdidaktik steht allerdings noch aus; ein Fremdsprachen-Lehrwerk existiert ebenfalls noch nicht. Bildungspolitisch sind die Weichen für den Ausbau des Türkischunterrichts zu einem gleichwertigen Fach neben Spanisch und Italienisch jedoch längst gestellt. Seit 1989 gibt es die einheitlichen Prüfungsanforderungen für das Fach Türkisch im Abitur (vgl. KMK 2004). 4. Erwachsenen- und Lehrerbildung, Tests Entgegen dem Trend im staatlichen Schulsystem erfreut sich Türkisch an den Volkshochschulen und den Sprachzentren der Universitäten zunehmender Beliebtheit. Mit Blick auf die Zahlen der Erasmusstudierenden, die in der Türkei Auslandsstudien absolvieren, spricht der DAAD sogar von einem Boom. Grund dafür wird u. a. in der Attraktivität der Stadt Istanbul und der Türkei als dynamischem Wirtschaftsraum gesehen. Türkisch auf Lehramt kann allerdings lediglich an der Universität Duisburg-Essen studiert werden, an wenigen anderen Universitäten sind Teilstudien möglich. Das bundesweit einzige Studium für das Lehramt Türkisch an Grundschulen in Hamburg ist derzeit von der Schließung bedroht. Sprachenzertifikate können von TÖMER auch online erworben werden; TELC bietet einen Türkischtest auch für die Grundschule an. Literatur Garnitschnig, I. (2014): Der muttersprachliche Unterricht in Österreich. Statistische Auswertung für das Schuljahr 2012/ 13. Informationsblätter des Referats für Migration und Schule Nr. 5/ 2013/ 14. www.schule-mehrsprachig. at/ fileadmin/ schule _mehrsprachig/ redaktio n/ muttersprachlicher _unterricht/ Fachtexte/ MU _Schulrechtl_Schulorganisat.pdf KMK , Hrsg. (2004): Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Türkisch. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 01. 12. 1989 i. d. F. vom 05. 02. 2004. www. kmk.org/ fileadmin/ veroeffentlichungen _ beschluesse/ 1989/ 1989_12_01- EPA -Tuer kisch.pdf Küppers, A. (2016): Das Potenzial von Migrantensprachen für die Entwicklung transnationaler Bildungskonzepte am Beispiel Türkisch als Fremdsprache, in: A. Küppers / B. Pusch / P. Uyan Semerçi (Hrsg.): Bildung in transnationalen Räumen. Education in transnational spaces. Heidelberg, 167-190. Küppers, A. / S¸ ims¸ ek, Y. / Schroeder, C. (2015): Turkish as a minority language in Germany: Aspects of language development and language instruction. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 26/ 1, 29-51. Küppers, A. / Yag˘mur, K. (2014): Why multilingual matters. Alternative change agents in language education policy. IPC Focus-Report. Istanbul. http: / / ipc.sabanciuniv.edu/ en/ publi cation/ why-multilingual-matters-alternati ve-change-agents-in-language-educationpolicy/ Küppers, A. / Schroeder, C. / Gülbeyaz, E. I. (2014): Languages in transition. Turkish in formal education in Germany. Analysis & perspectives. Istanbul. http: / / ipc.sabanciuniv.edu/ en/ publication/ languages-in-transition-tur kish-in-formal-education-in-germany-analy sis-and-perspectives/ Menz A. / Schroeder, C. (2015): Schrifterwerb in der Türkei (und türkischer Schriftspracherwerb in Deutschland), in: C. Röber / H. Olfert (Hrsg.): Schriftsprach- und Orthographieerwerb: Erstlesen und Erstschreiben. Baltmannsweiler, 55-68. Schmitz, A. / Olfert, H. (2013): Minderheitensprachen im deutschen Schulwesen. Eine Analyse der Implementierung allochthoner und autochthoner Sprachen. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 24/ 2, 203-228. 565 125. Ungarisch Schroeder, C. / Küppers, A. (2016): Türkischunterricht im deutschen Schulsystem. Bestandsaufnahme und Perspektiven, in: A. Küppers / B. Pusch / P. Uyan Semerçi (Hrsg.): Bildung in transnationalen Räumen. Education in transnational spaces. Heidelberg, 191-212. Schroeder, C. / S¸ ims¸ ek, Y. (2014): Das Türkische, in: M. Krifka / J. Błaszczak, / A. Leßmöllmann, / A. Meinunger / B. Stiebels / R. Tracy / H. Truckenbrodt (Hrsg.): Das mehrsprachige Klassenzimmer. Berlin, 115-134. Almut Küppers Christoph Schroeder 125. Ungarisch 1. Verbreitung und Bedeutung des Ungarischen Ungarisch wird von 14-15 Mio. Menschen auf der ganzen Welt gesprochen, von denen ca. zwei Drittel (zehn Mio.) in Ungarn leben. Über 2,5 Mio. Ungarn sind in den Nachbarstaaten beheimatet, die meisten davon in Rumänien (insbesondere in Siebenbürgen), der Slowakei, Serbien (vorwiegend in der Wojwodina), in Österreich (Burgenland) und der Karpato-Ukraine. Als Folge mehrerer Migrationsbewegungen ab dem Jahr 1880 leben Ungarn auch in Amerika und in Australien. Erst 1867 wurde Ungarisch offiziell als Staatssprache des ungarischen Landesteils der österreichisch-ungarischen Monarchie anerkannt (Haarmann 2011: 402 ff.). Bei der Volkszählung 2001 gaben 40.583 in Österreich lebende Personen an, Ungarisch als Umgangssprache zu gebrauchen. 9.565 davon sind in Österreich geboren (Statistik Austria). Im Burgenland gaben im Jahr 2001 4.704 österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger Ungarisch als Umgangssprache an (Wolf et al. 2013: 224). In Deutschland leben ca. 120.000 Ungarn, wobei der Großteil in Bayern wohnhaft ist. In der Schweiz beheimatet sind etwa 18.000- 19.000 Einwohnerinnen und Einwohner ungarischer Herkunft (Fenyvesi 2005: 3). Die Eigenbezeichnung für die ungarische Sprache ist magyar nyelv. Zu Zeiten der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie wurde von Magyaren und dem Magyarischen gesprochen. Die Fremdbezeichnung „Ungarisch“ lässt sich auf das bulgartürkische Wort onogur zurückführen (Forgács 2008: 20). Der Lehnwortbestand ist hauptsächlich türkischer, slawischer, deutscher und lateinischer Herkunft. Neologismen englischer Herkunft sind vorhanden, aber nicht stark ausgeprägt. Dialektal ist das ungarische Sprachgebiet wenig differenziert (Haarmann 2001: 402 ff.). 2. Sprachstrukturelle und -typologische Spezifika Ungarisch gehört zum finno-ugrischen Sprachzweig der uralischen Sprachfamilie, deren weitere bekannteste Vertreter Finnisch, Estnisch und Samisch sind. Zwar lassen sich Gemeinsamkeiten mit den verwandten Sprachen in der Phonologie, Morphologie, Syntax und Lexik mit wissenschaftlichen Methoden feststellen, eine Interkomprehension ist jedoch auf Grund der frühen Trennung von den verwandten Sprachgruppen nicht möglich. Das Ungarische hat seinen ursprünglichen Charakter als agglutinierende Sprache bewahrt und ähnelt in diesem Punkt strukturell den Turksprachen. In seiner direkten Umgebung gibt es keine verwandten oder typologisch ähnlichen Sprachen. Lernschwierigkeiten betreffen (insbesondere für Anfängerinnen und Anfänger) auf Grund der geringen Anzahl an Internationalismen in erster Linie den Wortschatz, das reiche Kasussystem sowie die Wortstellung. 566 Alexandra Wojnesitz Die Wortfolge im Ungarischen richtet sich nach der Informationsstruktur im Satz; in der Regel wird die Position vor dem Prädikat fokussiert. 3. Ungarisch als Herkunftssprache und Schulfremdsprache Auf Grund der Lage als Nachbarstaat ist Ungarisch als unterrichtete Sprache in Österreich sehr viel stärker präsent als in Deutschland und der Schweiz. Dies gilt insbesondere für das autochthone Siedlungsgebiet der burgenländischen Ungarn, wo die ungarische Volksgruppe als Minderheit gesetzlich anerkannt wird. Das Minderheiten-Schulgesetz für das Burgenland (1994) sichert der ungarischen Volksgruppe das Recht zu, die „ungarische Sprache als Unterrichtssprache zu gebrauchen oder als Pflichtgegenstand zu erlernen“ . Im Burgenland steigen im Pflichtschulbereich die Zahlen der Lernenden kontinuierlich an, im Schuljahr 2011/ 12 lernten 2.447 Kinder an allgemein bildenden Pflichtschulen und 185 Schülerinnen und Schüler an allgemein bildenden höheren Schulen Ungarisch: im zweisprachigen Unterricht, als Wahlpflichtfach, unverbindliche Übung oder Freigegenstand (Wolf et al. 2013: 224). Insgesamt gibt es an 93 Standorten Ungarischunterricht, zwei Volksschulen sind zweisprachig. Im Schulmodell „Pannonisches Gymnasium“ am Bundesgymnasium und Bundesrealgymnasium „Franz Liszt“ in Oberpullendorf (Burgenland) wird Ungarisch in der Unterstufe (Sekundarstufe 1) als Pflichtfach im Umfang von drei Wochenstunden angeboten. In der Oberstufe (Sekundarstufe 2) kann Ungarisch als zweite lebende Fremdsprache gewählt werden. Im Bundesgymnasium Oberschützen ist Ungarisch Freifach bzw. Wahlfach und fakultatives Maturafach. Im zweisprachigen Gymnasium in Oberwart werden alle Fächer außer Mathematik, Deutsch und Englisch zweisprachig unterrichtet. Die Ablegung der standardisierten kompetenzorientierten Reifeprüfung ist an dieser Schule ab 2015 auch in Ungarisch möglich. In der Europäischen Neuen Mittelschule in Oberwart wird Ungarisch in der sog. „Ungarischklasse“ auf jeder Schulstufe im Rahmen von vier Wochenstunden unterrichtet. In Wien gibt es an 16 Volksschulen Ungarisch-Angebote. In der Europäischen Mittelschule Neustiftgasse in Wien wird Ungarisch im Schulversuch sowohl im lehrplanmäßigen Unterricht unterrichtet als auch im Zweig „Europäische Studien“ als zweite lebende Fremdsprache angeboten. Die Ablegung der Reifeprüfung ist in Wien nur über die Externistenprüfungskommission am Bundesrealgymnasium Henriettenplatz möglich. Im Rahmen der niederösterreichischen Sprachenoffensive können Schulen Ungarisch als unverbindliche Übung, Wahlpflichtfach oder als Arbeitssprache anbieten. Das Angebot ist klassen-, schulstufen- und schulübergreifend möglich. Im Rahmen des fakultativen muttersprachlichen Unterrichts, der vom Staat als unverbindliche Übung im Ausmaß von zwei Wochenstunden organisiert ist, wird Ungarisch in Wien, in Niederösterreich, in der Steiermark und in Tirol angeboten. Im Schuljahr 2012/ 13 unterrichteten neun Lehrende 202 Schülerinnen und Schüler, wobei 45,7 % der Stunden in Wien gehalten wurden (Garnitschnig 2014: 21 ff.). In Deutschland gelten in Bezug auf den Herkunftssprachenunterricht für jedes Bundesland andere Regelungen. In der Schweiz gibt es keinen staatlich organisierten muttersprachlichen Unterricht, sondern der HSK-Unterricht (Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur) ist über Botschaften 567 125. Ungarisch und/ oder Vereine organisiert. Der Rahmenlehrplan für heimatliche Sprache und Kultur stammt aus dem Jahr 2011 (Calderón et al. 2013: 41). 4. Ungarisch in der Erwachsenenbildung Ein Studium der Hungarologie (BA, MA und Lehramt) ist an der Universität Wien in der Abteilung für Finno-Ugristik möglich. Am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien werden Übersetzerinnen und Übersetzer sowie Dolmetscherinnen und Dolmetscher ausgebildet. An der Universität Graz können das Bachelor- und das Masterstudium Transkulturelle Kommunikation jeweils mit Diplomen für das Dolmetschen bzw. Übersetzen abgeschlossen werden. Zwei Universitätszertifikate für Ungarisch (Ungarisch - Sprache und Kultur, Grundstufe und Aufbau) können von Studierenden aller Fächer als Zusatzqualifikation erworben werden. An der Humboldt-Universität zu Berlin können Studierende das Bachelor-Studium „Ungarische Literatur und Kultur“ absolvieren. Studiengänge der Finno-Ugristik bieten die Universitäten Hamburg (BA), Göttingen (BA) und München (BA, MA, Dr. phil.) an. An der Pädagogischen Hochschule Burgenland ist ein sechssemestriger Lehrgang „Zweisprachiger Unterricht an Volksbzw. Hauptschulen mit deutscher und ungarischer Unterrichtssprache sowie Ungarischunterricht an Volksbzw. Hauptschulen“ eingerichtet. Im Studiengang „Internationale Wirtschaftsbeziehungen“ der Fachhochschule Burgenland in Eisenstadt kann Ungarisch als zweite lebende Fremdsprache gewählt werden. Außerhalb der Universitäten und Hochschulen werden Ungarischkurse für Erwachsene an Volkshochschulen und den ungarischen Kulturinstituten (Balassi-Institut/ Collegium Hungaricum) in Berlin, Stuttgart und Wien angeboten. Für Ungarisch können sowohl ECL-Prüfungen (durchgeführt vom European Consortium for the Certificate of Attainment in Modern Languages ) als auch die staatlich anerkannten Origo-Sprachprüfungen abgelegt werden. Letztere Prüfung wird hauptsächlich in Ungarn abgenommen, aber auch in Wien und Oberwart. Beide Sprachzertifikate orientierten sich am Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen. 5. Lehr- und Übungsmaterialien Ein Problem für den Unterricht stellt der Mangel an Lehrbüchern dar. Die Lehrwerke werden hauptsächlich in Ungarn geschrieben und herausgegeben und sind häufig für die Erwachsenenbildung (z. B. für ausländische Studierende, die in Ungarn an einer Universität studieren) bestimmt. An österreichischen Schulen sind sie nur bedingt einsetzbar, weshalb die Lehrenden häufig selbst verschiedene Lehrmaterialien entwickeln müssen. Die Didaktik des Ungarischunterrichts wird im schulischen und universitären Bereich als Folge der modernen Migration immer mehr mit dem Problem konfrontiert, ob bzw. in welchem Maße Ungarisch als Fremd-, Herkunfts- oder Muttersprache unterrichtet werden soll. Die heterogenen Lerngruppen und Klassen stellen eine große Herausforderung für die Lehrenden und die Lehramtsausbildung dar (vgl. Csire 2008 sowie Csire & Laakso 2014). Literatur Berényi-Kiss, H. / Laakso, J. / Parfuss, A. (2013): Hungarian in Austria. ELDIA Case-Specific Re- 568 Alexandra Wojnesitz port. Studies in European Language Diversity 22. https: / / fedora.phaidra.univie.ac.at/ fedo ra/ get/ o: 308806/ bdef: Content/ get Calderón, R. / Fibbi, R. / Truong, J. (2013): Arbeitssituation und Weiterbildungsbedürfnisse von Lehrpersonen für den Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur. Bern. Csire, M. (2008): Ungarisch-deutsche Zweisprachige im Sprachunterricht: Über die Problematik einer speziellen Zielgruppe, in: J. Laakso (Hrsg.): Ungarischunterricht in Österreich: Perspektiven und Vergleichspunkte / Teaching Hungarian in Austria: perspectives and points of comparison. Wien, 138-153. Csire, M. (2009): Téma. Materialien zur ungarischen Sprache und Kultur. Wien. Csire, M. / Laakso, J. (2014): L3, L1 or L0? Heritage-language students as third-language learners, in: A. Otwinowska / G. De Angelis (Hrsg.): Teaching and learning in multilingual contexts. Sociolinguistic and educational perspectives. Bristol, 215-231. Fenyvesi, A. (2005): Introduction, in: A. Fenyvesi (Hrsg.): Hungarian language contact outside Hungary. Studies on Hungarian as a minority language. Amsterdam, Philadelphia, 1-9. Forgács, T. (2004): Ungarische Grammatik. 2., verbesserte Auflage. Wien. Garnitschnig, I. (2014): Der muttersprachliche Unterricht in Österreich. Statistische Auswertung für das Schuljahr 2012/ 13. BMBF , 15. Aufl. (Informationsblätter des Referats für Migration und Schule 5/ 2013-14). Wien. Haarmann, H. (2001): Kleines Lexikon der Sprachen: Von Albanisch bis Zulu. München. Minderheiten-Schulgesetz für das Burgenland (1994), in: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Nr. 641. Wien. Statistik Austria. www.statistik.at Wolf, W. / Sandrieser, S. / Vukman-Artner, K. / Domej, T., Hrsg. (2013): Natürlich zweisprachig. Graz. Internet Balássi-Institut Stuttgart. www.stuttgart.balas siintezet.hu/ de Balássi-Institut/ Collegium Hungaricum Berlin. www.berlin.balassiintezet.hu/ de/ Balássi-Institut Collegium Hungaricum Wien. www.becs.balassiintezet.hu/ at 569 125. Ungarisch ECL -Prüfungen. www.ecl.hu Magyaróra - Webseite zum Ungarischlernen. www.magyarora.com/ magyar/ index.html Origo-Sprachprüfung. www.itk.hu/ index.php? id=285&fomenu=8&menu=19&almenu=28 &lang=hun Alexandra Wojnesitz 5 O Forschungsmethoden und Forschungsansätze 126. Forschungsmethodologie 1. Begriffsbestimmung Mit „Forschungsmethodologie“ (alternativ: Forschungsmethodik) wird ein disziplinenübergreifender Wissenschaftsbereich bezeichnet, der sich mit den Regeln und Kriterien des Einsatzes von Forschungsmethoden bei der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung befasst. Im Rahmen empirischer Forschung bezieht sich der Begriff „Forschungsmethode“ hingegen auf einzelne wissenschaftliche Verfahrensweisen bei der Erhebung, Aufbereitung und Analyse von empirischen Daten. Zusammenfassend basiert empirische Wissenschaft auf gegenstandsbezogener, geplanter, systematischer und methodengeleiteter Erfahrung in direkter Auseinandersetzung mit Daten aus der Wirklichkeit, die mittels Befragung, Beobachtung im Feld oder Messung erhoben und systematisch analysiert und interpretiert werden. 2. Problemaufriss Allgemeine forschungsmethodologische Grundregeln betonen, dass eingesetzte For- 571 schungsmethoden dem Gegenstand und dem Erkenntnisinteresse angemessen sein sollen und der Forschungsprozess transparent darzulegen ist. Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung unterliegen diesen Prämissen gleichermaßen, und im Verlauf ihrer stärker empirischen Forschungsausrichtung (vgl. Art. 1) werden forschungsmethodologische Fragen zunehmend auch mit stärker disziplinenspezifischem Blick aufgegriffen und bearbeitet. Wegweisende Beiträge hierfür lieferte Grotjahn (u. a. 1987, 1999, 2003, 2006); in den letzten Jahren entstanden zunehmend auch Einführungen und Handbücher (vgl. Doff 2012; Settinieri et al. 2014; Caspari et al. 2016), die vergleichbare Publikationen aus dem Kontext der englischsprachigen second language acquisition research (SLA) ergänzen (u. a. Seliger & Shohamy 1989; Dörnyei 2007; Mackey & Gass 2016). Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung haben es mit einem mehrdimensionalen und dynamischen, potenziell hinsichtlich seiner Einzelfacetten unkontrollierbaren und damit schwierig zu operationalisierenden Untersuchungsgegenstand zu tun. Das Lernen und Lehren von Fremd- und Zweitsprachen wird durch eine Vielzahl sich wechselseitig beeinflussender, auch individueller Faktoren bestimmt (Faktorenkomplexion). Spezifische Untersuchungsgegenstände aus dem Wirklichkeitsbereich des Lernens und Lehrens von Fremd- und Zweitsprachen können Produkte (z. B. getestete Sprachkompetenz zu einem bestimmten Zeitpunkt) oder Prozesse (z. B. Lernprozesse, die zu einer bestimmten Sprachkompetenz führen) sein; sie können teils direkt beobachtet werden (z. B. reine Sprechzeit von Lernenden oder Interaktionen im Fremdsprachenunterricht) oder nur indirekt erhoben werden (z. B. Haltungen von Lehrenden zu bestimmten Korrekturverfahren). Mit der in jeder Form von Forschung notwendigen Fokussierung einzelner Ausschnitte sind stets Fragen der Umsetzung von Forschungsergebnissen in den jeweils spezifischen soziokulturellen Lehr-/ Lernkonstellationen, ggf. innerhalb von Institutionen mit eigenen Handlungslogiken, verbunden. Angesichts dieser Ausgangslage stellt empirische Forschung stets eine forschungsmethodologische Herausforderung dar, die durch die komplexen allgemeinen Forschungsziele eher noch verstärkt wird: Von für die Wissenschaftsdisziplin genuiner Bedeutung ist die praxisorientierte Anforderung, „die Forschungsmethodik so anzulegen, dass sie Probleme aus der Praxis aufgreift, der systematischen und integrativen Forschung zuführt und wieder in die Praxis einbringt, sei es in Form von Bestätigungen für gewohntes Unterrichtsverhalten, sei es als Empfehlung bzw. Handlungsalternative für eine begründete Veränderung desselben“ (Bausch et al. 2003: 4). Besonders Aktionsforschung, bei der Lehrende als Forschende involviert sind und unmittelbare Praxisfragen und Handlungsalternativen zum Ausgangspunkt und zum Ziel von Forschung werden (vgl. Art. 130), kann dieses Postulat erfüllen, aber andere Forschungsziele dagegen in der Regel nicht hinreichend abbilden. Denn neben solchen praxisorientierten Zielen stehen Ziele der disziplinenspezifischen Theoriegenese und 572 Claudia Riemer -überprüfung sowie der Anspruch, durch Forschung auch sprachen- und bildungspolitische Beiträge zu leisten (vgl. Riemer 2007). 3. Forschungsansätze Die Forschungsmethodologie unterscheidet zwischen „quantitativen“ und „qualitativen“ Forschungsansätzen, die die bipolaren Extrempunkte eines Kontinuums stärker quantitativ bzw. stärker qualitativ orientierter Ausrichtungen markieren, und jeweils unterschiedliche Voraussetzungen, forschungsmethodologische Standards (Gütekriterien) und Vorstellungen über die Forschungsorganisation implizieren. Grotjahn (1987: 55-60) benennt mit den Parametern „analytisch-nomologisch“ und „explorativ-interpretativ“ die zentralen Merkmale der beiden Forschungsansätze. Quantitative Forschung setzt für den je fokussierten Untersuchungsausschnitt einen vorhandenen, theorie- und empiriegestützten Wissensstand voraus, der es erlaubt, vorab begründete Forschungshypothesen aufzustellen, die im Verlauf der Forschung getestet, d. h. verifiziert (bestätigt) oder falsifiziert (zurückgewiesen) werden. Qualitative Forschungsansätze werden in der Regel dann gewählt, wenn Vorannahmen über das Untersuchungsfeld zunächst erkundet und Hypothesen generiert werden sollen oder vertiefende Einblicke angestrebt werden. Beide Forschungsansätze bieten für sich gesehen und in begründeter Kombination unverzichtbare Zugänge, sich dem komplexen Gegenstand des Lernens und Lehrens von Fremd- und Zweitsprachen anzunähern. a) Quantitative Forschung Quantitative Forschung zielt aus der Außenperspektive auf verallgemeinerbare Gesetzmäßigkeiten, die den spezifischen Untersuchungsgegenstand beschreiben und erklären. Damit die ausgewählten Einzelaspekte unverfälscht erforscht werden können, wird das Feld weitestgehend kontrolliert, d. h., mögliche intervenierende Variablen (Störvariablen) werden ausgeschlossen, indem z. B. Probanden mit Merkmalen, deren Einfluss auf den Untersuchungsgegenstand vermutet wird (wie etwa Erstsprache, außerschulische Sprachkontakte), die aber nicht im Zentrum des Erkenntnisinteresses stehen, aus einer Stichprobe entfernt werden. Ein solches Vorgehen erfordert in der Regel eine Manipulation des Untersuchungsfeldes, indem Teilbereiche isoliert und kontrolliert werden. Dies gelingt am besten im Rahmen eines (quasi-) experimentellen Ansatzes, mit dem z. B. die Wirksamkeit spezifischer Unterrichtsverfahren überprüft werden kann. Experimente gelangen in der Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung allerdings selten zum Einsatz. Typischer sind quantitativ-deskriptive Studien, in denen z. B. Zusammenhänge zwischen Lernervariablen und der gemessenen Sprachkompetenz ermittelt werden. Zu weiteren zentralen Merkmalen quantitativer Forschung zählen eine sorgfältige Zusammenstellung der Probandengruppen und größere Stichproben sowie standardisierte Datenerhebungs-, -aufbereitungs- und -auswertungsverfahren (vgl. Art. 127). b) Qualitative Forschung Qualitative Forschung hingegen zielt auf den empathischen Nachvollzug des jeweils untersuchten Wirklichkeitssegments aus der Perspektive der Untersuchungsteilnehmer; hierbei wird das für den Untersuchungsgegenstand jeweils relevante Gesamtfeld holistisch in den Blick genommen. Hypothesen und Theorien sollen erst während des Forschungsprozesses durch das interpretative Auffinden wiederkehrender Kategorien und 573 126. Forschungsmethodologie sich erschließender Muster in den Daten erschlossen werden. Das Untersuchungsfeld soll so weit wie möglich natürlich belassen sein und möglichst tiefgründige, reichhaltige Daten liefern. Dies impliziert den Einsatz offener und semi-offener Forschungsmethoden zur Erhebung der Daten, was wiederum interpretative Verfahren der Datenanalyse erforderlich macht. In der Regel können nur kleine Stichproben, z. B. im Rahmen von Fallstudien, untersucht werden (vgl. Art. 128). c) Triangulation Jede Forschungsmethode birgt je spezifische Schwächen und Verzerrungen in sich und kann stets nur mit Einschränkungen ein getreues Abbild der repräsentierten Wirklichkeit, im Extremfall Methodenartefakte, produzieren. Triangulationsansätze, die mit Methodenkombinationen arbeiten, bieten hier Auswege. Ziele von Triangulation sind eine bessere Operationalisierung des Untersuchungsgegenstandes, die gegenseitige Überprüfung von Forschungsergebnissen (Validierungsstrategie) und/ oder die Gewinnung reichhaltiger, komplementärer, mehrperspektivischer Einsichten in den Forschungsgegenstand. Die Kombination unterschiedlicher Methoden kann zunächst innerhalb qualitativer oder quantitativer Forschungsansätze erfolgen. Unterschieden werden können mit Bezug auf Denzin (1970) 1. die Methoden-Triangulation, bei der unterschiedliche Methoden zur Untersuchung desselben Gegenstands eingesetzt werden (multiple Operationalisierung); 2. die Daten- Triangulation, bei der mehrere, wiederholte Datenerhebungen erfolgen (z. B. an unterschiedlichen Orten, zu verschiedenen Zeitpunkten, mit Personen unterschiedlicher Herkunft); 3. die Forscher-Triangulation, bei der z. B. unterschiedliche Beobachter, Interviewer, Datenauswerter zusammenarbeiten und ihre jeweiligen Ergebnisse miteinander abgleichen; 4. die Theorien-Triangulation, die unterschiedliche theoretische Perspektiven auf einen Untersuchungsgegenstand insbesondere bei der Datenauswertung einnimmt. In der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung werden zunehmend triangulative Ansätze diskutiert und eingesetzt, wobei Chancen der Qualitätsverbesserung insbesondere qualitativer Forschung, aber auch mit mehrmethodischen Ansätzen einhergehende forschungsmethodologische Probleme (z. B. Gefahr der Beliebigkeit, Geltungsbegründung der unterschiedlichen Datentypen) und Modeerscheinungen thematisiert werden (vgl. Elsner & Viebrock 2015). Zur Untersuchung komplexerer Fragestellungen werden zunehmend auch mehrmethodische Ansätze (multi-method research) verfolgt, in denen quantitativ und qualitativ ausgerichtete Teilstudien im Rahmen eines Gesamtprojekts kombiniert werden (vgl. Dörnyei 2007: 24-47; Brown 2014). Gemischte Untersuchungsansätze können im Rahmen integrierter Designs u. a. als sequenzielle Abfolge von qualitativen und quantitativen Teilstudien (z. B. qualitative Pilotstudie zur Hypothesengenerierung und hypothesentestende quantitative Hauptstudie; Kombination einer quantitativen Breitenbefragung mit anschließenden vertiefenden qualitativen Fallstudien) oder als parallele Teilstudien, bei denen kontinuierlich sowohl qualitative und quantitative Daten erhoben werden, organisiert werden. Die Verwirklichung gemischter Untersuchungsdesigns ist in der Regel sehr aufwendig und nur im Rahmen größerer Projekte zu realisieren. 574 Claudia Riemer 4. Methoden der Datenerhebung, -aufbereitung und -analyse Forschungsmethodologische Entscheidungen spiegeln sich in der Auswahl der Methoden zur Erhebung, Aufbereitung und Analyse von quantitativen und/ oder qualitativen Daten, die je nach Verortung im Forschungsansatz eher standardisiert bzw. offener gehalten sind. Gängige Datenerhebungsmethoden sind 1. schriftliche (Fragebogen) und mündliche Befragung (Interview, Gruppendiskussion); 2. Beobachtung (z. B. Unterrichtsbeobachtung; vgl. auch Art. 129); 3. Introspektion von Kognitionen (z. B. introspektives Interview, Retrospektion, Lautes-Denken-Protokoll, Lerntagebuch) und 4. Tests (z. B. Sprachtests; vgl. Art. 83 und 84). Für stärker sprachwissenschaftlich ausgerichtete Untersuchungen (z. B. von lernersprachlichen Entwicklungen) werden häufig umfangreiche Korpora erhoben. Vor der Analyse und Interpretation müssen die Daten in eine bearbeitbare Form gebracht werden: Quantitative Daten werden in auszählbare Werte überführt (quantifiziert), Daten aus qualitativen Erhebungen, die in der Regel als Verbaldaten vorliegen, werden in eine schriftliche Form gebracht (transkribiert). Sehr starke Unterschiede gibt es bei der Analyse quantitativer und qualitativer Daten. Während quantitative Daten mittels (zumeist elektronisch verfügbarer) statistischer Instrumentarien (z. B. SPSS, R) ausgewertet werden (vgl. Art. 127), erfolgt qualitative Datenanalyse auf der Basis interpretativer Verfahren, die je nach Grad der Offenheit stärker deduktive oder stärker induktive Kategorisierungen vornehmen (vgl. Art. 128); eingesetzt werden z. B. Verfahren der Diskurs- und Konversationsanalyse, der qualitativen Inhaltsanalyse und des offenen/ axialen/ selektiven Kodierens nach Richtlinien der Grounded Theory. 5. Gütekriterien Die Sicherstellung der forschungsmethodologischen Standards empirischer Forschung erfolgt über das Heranziehen von Qualitätskriterien, sog. Gütekriterien. Als dem quantitativen und qualitativen Paradigma übergeordnetes Gütekriterium gilt Transparenz als Bedingung für die Nachvollziehbarkeit des gesamten Forschungsprozesses und der dabei gewonnenen Erkenntnisse (vgl. Aguado 2000). Transparenz bedeutet auch, dass neben grundsätzlichen Überlegungen auch Schwierigkeiten, Irrtümer und Umorientierungen im Verlauf des Forschungsprozesses offengelegt werden - was auch Lernmöglichkeiten für die gesamte Forschungsgemeinschaft und insbesondere für Forschungsnovizen beinhaltet. Zu den klassischen Gütekriterien zählen Validität, Reliabilität und Objektivität. Objektivität bedeutet, dass Datenerhebung, -analyse und -interpretation vom jeweiligen Forschenden unabhängig ist, d. h., dass unterschiedliche Forschende idealerweise zu demselben Ergebnis kommen würden. Reliabilität bezieht sich auf die Zuverlässigkeit und Genauigkeit der verwendeten Messmethoden und impliziert, dass ein erneutes Messen mit einer vergleichbaren Stichprobe zum gleichen Ergebnis führen würde. Mangelnde Objektivität führt damit automatisch zur Senkung der Reliabilität. Validität wird im Allgemeinen den anderen Gütekriterien übergeordnet. Forschung gilt dann als valide, wenn eine alternative Operationalisierung des Untersuchungsgegenstands zu den gleichen Ergebnissen geführt hätte. Eine Prüfung der Validität fragt also kritisch danach, ob die Untersuchung tatsächlich das erforscht, was sie zu erforschen vorgibt. Zu unterscheiden sind u. a. interne und externe Validität: Intern valide sind Ergebnisse dann, wenn sie eindeutig zu interpretieren sind und z. B. nicht durch Störvariablen beeinflusst sind. Externe 575 126. Forschungsmethodologie Validität bedeutet, dass die Ergebnisse über die untersuchte Probandengruppe hinaus zu verallgemeinern sind. Interne und externe Validität stehen dabei grundsätzlich in einem Wechselverhältnis zueinander. Je stärker im Rahmen eines quantitativen Forschungsansatzes die Erhebungssituation kontrolliert wird, desto mehr steigt die interne Validität der Messungen. Gleichzeitig sinkt jedoch die externe Validität, da die Erhebungssituation wenig(er) mit natürlichen Gegebenheiten übereinstimmt. Die klassischen Gütekriterien sind im Rahmen qualitativer Forschungsansätze umzudeuten bzw. zu ergänzen (vgl. Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld 1996). Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung, in denen qualitative Forschungsarbeiten bis dato gegenüber quantitativen in der Überzahl sind, knüpfen hier an differenzierte Überlegungen v. a. von Steinke (1999) an. Zu betonen sind danach u. a. die vollständige Offenlegung und Dokumentation der (Vor-)Annahmen, Daten und Interpretationen sowie der methodischen Vorgehensweisen (Kriterium der Indikation) sowie die Überprüfbarkeit der empirischen Verankerung der Theoriegenese durch ausreichende Datenbeispiele. 6. Planung des Forschungsprozesses und Forschungsethik Forschungsmethodologische Fragen spielen bei der Planung von Forschungsprojekten eine zentrale Rolle; sie stellen vielfältige Herausforderungen dar, die in den Entscheidungen für ein spezifisches Forschungsdesign nachvollziehbar einzulösen sind. Wesentliche Planungsschritte sind: 1) die Festlegung der spezifischen Fragestellung sowie des damit verfolgten wissenschaftstheoretischen (und auch u. U. praxisorientierten) Erkenntnisinteresses auf der Basis des jeweils vorliegenden wissenschaftlichen Forschungsstands; 2) die Festlegung des Untersuchungsgegenstands und damit verbundener Konstruktdefinitionen sowie -operationalisierungen; 3) die Auswahl der Forschungsmethoden zur Datenerhebung, -aufbereitung und -analyse; 4) die Festlegung der Untersuchungsgruppe bzw. Stichprobe. Die Entscheidung für einen quantitativen Forschungsansatz impliziert, dass der gesamte Forschungsprozess vorab exakt und detailliert festzulegen ist, da z. B. während der Datenanalyse festgestellte Erhebungsfehler kaum nachträglich korrigiert werden können. Aber auch qualitative Forschungsprojekte sind sehr gut vorzuplanen; hier verläuft der Forschungsprozess allerdings insgesamt flexibler (z. B. wechseln sich Phasen der Datenerhebung und Dateninterpretation im sog. theoretical sampling ab); der spezifische Untersuchungsgegenstand kann in gewissem Umfang nachjustiert werden. Quer zu den methodischen Festlegungen sind Fragen der Realisierbarkeit, der Finanzierung und der Zeitplanung des Projekts zu berücksichtigen; vor Beginn der Datenerhebungen sind verwendete Instrumentarien zwingend zu pilotieren und der Feldzugang (inkl. ggf. notwendiger Genehmigungsverfahren) ist sicherzustellen (vgl. Riemer 2010). Von großer Wichtigkeit sind forschungsethische Aspekte, die vor Aufnahme und während des gesamten Forschungsprozesses zu reflektieren sind und ggf. Modifikationen erforderlich machen. Neben der Berücksichtigung allgemeiner Datenschutzregelungen, die z. B. im Fall von Unterrichtsvideographien (vgl. Art. 129) Einverständniserklärungen der Beteiligten und Erziehungsberechtigten erforderlich machen oder grundsätzlich die Anonymisierung oder Pseudonymisie- 576 Claudia Riemer rung von Daten verlangen, spielen insbesondere allgemeine Fragen nach dem Umgang mit den Forschungsteilnehmenden, nach dem Ausmaß ihrer Information über die Gegenstände und Ziele der Forschung sowie nach den für sie aus dem Forschungsprojekt resultierenden möglichen Konsequenzen eine wichtige Rolle (vgl. Bach & Viebrock 2012; Bausch et al. 2011 sowie in der internationalen SLA: Mackey & Gass 2016: 30-51; Dörnyei 2007: 63-72). 7. Perspektiven In der Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung harren noch viele nicht hinreichend geklärte Fragen, z. B. nach der Wirksamkeit und Implementierung spezifischer Unterrichtshandlungen, Lernszenarien und Medien, ihrer empirischen Erforschung. Vielfältige Forschungsherausforderungen verbergen sich hinter aktuellen Entwicklungen, u. a. der Kompetenzorientierung, der Aufgabenorientierung, der Festlegung von Bildungsstandards und Kompetenzprofilen von Fremdsprachenlehrenden, die mit empirisch untermauerten, also validierten Modellierungen zu hinterlegen sind. Eine sich weiter und breiter entwickelnde forschungsmethodologische/ -methodische Fachexpertise ist notwendig, um hierfür zielführende Forschungsansätze zu entwickeln, die der Faktorenkomplexion des Lernens und Lehrens von Fremd- und Zweitsprachen gerecht werden (vgl. Art. 1). Eine solche Entwicklung unterstützt die sich in den letzten Jahren intensivierende fachspezifische Diskussion um Forschungsmethoden. Hier ist nichtsdestotrotz noch erhebliche Entwicklungsarbeit zu leisten. So stellt z. B. die Sicherstellung einer forschungsmethodologischen / -methodischen Grundausbildung im Rahmen fremdsprachendidaktischer Studiengänge noch weitgehend ein Desiderat dar (vgl. Riemer 2011). Zum einen ist die Kenntnis grundlegender forschungsmethodologischer Zusammenhänge (nicht nur) für Studierende unabdingbar für die kritische Rezeption empirischer Forschungsarbeit und die Einschätzung der Relevanz von Forschungsergebnissen für die Unterrichtspraxis - auch und gerade mit Blick auf die weitere Professionsentwicklung als „reflektierende Praktiker“ . Hier stellt die aktuelle Implementierung sog. „forschenden Lernens“ in Praxisphasen (vgl. Art. 132) geradezu auf der Hand liegende Anlässe bereit, empirische Forschungsmethoden im Rahmen lehrerausbildender Studiengänge zu verankern. Zum anderen kann nur durch den frühzeitigen Beginn und die systematische Weiterentwicklung der forschungsmethodologischen/ -methodischen Qualifikation von Nachwuchswissenschaftlern und damit von der Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung insgesamt erwartet werden, dass komplexere Forschungsansätze und interdisziplinäre Forschungsarbeit mit anderen empirischen Wissenschaften (vgl. Art. 5) auf methodenkompetenter Augenhöhe möglich werden. Literatur Aguado, K. (2000): Empirische Fremdsprachenerwerbsforschung. Ein Plädoyer für mehr Transparenz, in: K. Aguado (Hrsg.): Zur Methodologie in der empirischen Fremdsprachenforschung. Baltmannsweiler, 119-131. Arbeitsgruppe Fremdsprachenerwerb Bielefeld (1996): Fremdsprachenerwerbsspezifische Forschung. Aber wie? Theoretische und methodologische Überlegungen. Teil I: Deutsch als Fremdsprache 33, 144-155; Teil II : Deutsch als Fremdsprache 33, 200-210. Bach, G. / Viebrock, B. (2012): Was ist erlaubt? Ethik in der Fremdsprachenforschung, in: S. Doff (Hrsg.), 17-33. 577 126. Forschungsmethodologie Bausch, K.-R. / Burwitz-Melzer, E. / Königs, F. G. / Krumm, H.-J., Hrsg. (2011): Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen: Forschungsethik, Forschungsmethodik und Politik. Tübingen. Bausch, K.-R. / Christ, H. / Krumm, H.-J. (2003): Fremdsprachendidaktik und Sprachlehrforschung, in: K.-R. Bausch et al. (Hrsg.), 1-9. Bausch, K.-R. / Christ, H. / Krumm, H.-J., Hrsg. (2003): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4., vollst. neu bearb. Aufl. Tübingen, Basel. Brown, J. D. (2014): Mixed methods research for TESOL . Edinburgh. Caspari, D. / Klippel, F. / Legutke, M. / Schramm, K., Hrsg. (2016): Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik. Ein Handbuch. Tübingen. Denzin, N. K. (1970): The research act. Chicago. Doff, S., Hrsg. (2012): Fremdsprachenunterricht empirisch erforschen. Grundlagen - Methoden - Anwendung. Tübingen. Dörnyei, Z. (2007): Research methods in applied linguistics. Oxford. Elsner, D. / Viebrock, D., Hrsg. (2015): Triangulation in der Fremdsprachenforschung. Frankfurt a. M. u. a. Grotjahn, R. (1987): On the methodological basis of introspective methods, in: C. Færch / G. Kasper (Hrsg.): Introspection in second language research. Clevedon, 54-81. Grotjahn, R. (1999): Thesen zur empirischen Forschungsmethodologie. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 10/ 1, 133-158. Grotjahn, R. (2003): Konzepte für die Erforschung des Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Forschungsmethodologischer Überblick, in: K.-R. Bausch et al. (Hrsg.), 493- 499. Grotjahn, R. (2006): Zur Methodologie der Fremdsprachenerwerbsforschung, in: P. Scherfer / D. Wolff (Hrsg.): Vom Lehren und Lernen fremder Sprachen. Eine vorläufige Bestandsaufnahme. Frankfurt a. M. u. a., 247- 270. Mackey, A. / Gass, S. M. (2016): Second language research. Methodology and design. 2. Aufl. Mahwah, NJ , London. Riemer, C. (2007): DaF/ DaZ und empirische Forschung: wechselnde Herausforderungen. Info DaF 34: 445-459. Riemer, C. (2010): Erste Schritte empirischer Forschung: Themenfindung, Forschungsplanung, forschungsmethodische Entscheidungen, in: C. Chlosta / M. Jung (Hrsg.): DaF intergriert: Literatur - Medien - Ausbildung. Göttingen, 423-434. Riemer, C. (2011): Empirie und Fremdsprachenforschung: Herausforderung Forschungsmethodik, in: K.-R. Bausch / E. Burwitz-Melzer / F. G. Königs / H.-J. Krumm (Hrsg.): Fremdsprachen lehren und lernen: Rück- und Ausblick. Tübingen, 194-203. Seliger, H. / Shohamy, E. (1989): Second language research methods. Oxford. Settinieri, J. / Demirkaya, S. / Feldmeier, A. / Gültekin-Karakoc¸ , N. / Riemer, C., Hrsg. (2014): Einführung in empirische Forschungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Paderborn. Steinke, I. (1999): Kriterien qualitativer Forschung. Ansätze zur Bewertung qualitativ-empirischer Sozialforschung. Weinheim. Claudia Riemer 127. Quantitative Forschung 1. Begrifflichkeit Quantitative empirische Forschung zeichnet sich definitorisch betrachtet in erster Annäherung schlicht dadurch aus, dass sie mit Zahlen operiert, während die davon abzugrenzende qualitative Forschung (vgl. Art. 128) Verbaldaten nutzt und der triangulative Ansatz (vgl. auch Art. 126) sich auf inter- und 578 Julia Settinieri intraparadigmatische Kombinationen von Forschungsansätzen bezieht. Dieses zunächst recht formal anmutende Hauptcharakteristikum steht mit zahlreichen weiteren Eigenschaften quantitativer Forschung in Zusammenhang. 2. Merkmale quantitativer Forschung So testet quantitative Forschung prototypisch Hypothesen, die sich jeweils auf einen sehr engen, klar begrenzten Ausschnitt des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen beziehen. Forschungsergebnisse quantitativer Forschung versuchen auf diese Weise, Wahr- Falsch-Aussagen zu treffen, die möglichst über den konkreten Unterrichtsbzw. Erwerbszusammenhang hinaus verallgemeinerbar sein sollten. Diese können sich auf Unterschiede zwischen Lernergruppen, z. B. bzgl. Erwerbsgeschwindigkeit oder -erfolg, oder Zusammenhänge zwischen darauf einwirkenden Variablen beziehen. Um präzise Aussagen über klar abgrenzbare Gegenstände treffen zu können, werden bei der Datenerhebung in aller Regel geschlossene Formate genutzt, die nur bestimmte Merkmalsausprägungen überhaupt erfassen. Benötigt wird außerdem eine vergleichsweise große Probandenanzahl, um eine gewisse Repräsentativität der Ergebnisse über die im konkreten Fall untersuchte Personengruppe hinaus zu erreichen. Darüber hinaus wird die Erhebungssituation stark kontrolliert, um mögliche ergebnisverfälschende Störeinflüsse, die z. B. aus Unterschieden in den Sprachlernbiographien der Probanden resultieren können, auszuschließen (vgl. z. B. Meindl 2011: 38-42 zu unterschiedlichen Kontrollmöglichkeiten). Bspw. werden in quantitative Studien in der Regel je hälftig weibliche sowie männliche Probanden einbezogen, um einen möglichen Einfluss der Variable Geschlecht auf die Ergebnisse zu kontrollieren. Das beschriebene Merkmalsbündel wirkt sich auf Verfahrensweisen sowohl der Datenerhebung, der -aufbereitung als auch der -auswertung sowie auf die erkenntnistheoretischen Möglichkeiten und Grenzen quantitativer Forschung aus. Allerdings sind quantitative und qualitative Forschungszugänge grundsätzlich auf einem Kontinuum angesiedelt, so dass einzelne methodische Herangehensweisen mehr oder weniger prototypische Merkmale quantitativer Forschung tragen können. 3. Gütekriterien quantitativer Forschung Die Güte quantitativer Forschung wird traditionell an den drei Hauptgütekriterien der klassischen Testtheorie, Objektivität, Reliabilität und Validität, gemessen, wobei eine transparente Darstellung der durchgeführten Untersuchung die Vorbedingung zur Einschätzung ihrer Messgüte darstellt. Während Objektivität auf die Unabhängigkeit der Messung vom Untersuchungsdurchführenden zielt und Reliabilität sich auf die Zuverlässigkeit der Messung bezieht, hinterfragt das Kriterium der Validität die Gültigkeit von Forschungsergebnissen, beschäftigt sich also mit der Frage, ob tatsächlich gemessen wurde, was intendiert war. Dabei stehen die drei genannten Kriterien in einem Inklusionsverhältnis zueinander, da eine Messung, die nicht objektiv ist, auch nicht reliabel sein kann, eine nicht reliable Messung auch nicht valide. Weiter wird zwischen interner und externer Validität differenziert. Als intern valide kann eine Untersuchung dann gelten, wenn gemessene Effekte eindeutig mit bestimmten Einflussvariablen in Zusammenhang gesetzt werden können und die Daten nicht etwa durch Störeinflüsse kontaminiert wurden. Als darüber hinaus extern valide wird quantitative Forschung dann angesehen, wenn 579 127. Quantitative Forschung ihre Ergebnisse auf unterschiedliche reale Lehr-Lern-Kontexte übertragbar erscheinen und nicht lediglich Artefakte einer künstlich erzeugten Untersuchungssituation darstellen. In Abhängigkeit von der Methode der Datenerhebung kommen ggf. weitere Nebengütekriterien hinzu, wie im Bereich der Sprachtests bspw. die Kriterien der Testökonomie oder auch der Testfairness. 4. Quantitative Methoden in der Sprachlehrforschung und Fremdsprachendidaktik Als klassische quantitative Methoden der Datenerhebung in der Sprachlehrforschung und Fremdsprachendidaktik können Tests (vgl. einführend z. B. Porsch 2014) und schriftliche Befragungen (vgl. einführend z. B. Dörnyei & Taguchi 2010) gelten, wobei beide Formen auch in Kombination vorliegen können. Weniger häufig werden experimentelle oder quasi-experimentelle Designs eingesetzt (vgl. einführend Blom & Unsworth 2010), da im Rahmen experimenteller Studien in besonderem Maße erforderliche kontrollierte Untersuchungsbedingungen angesichts der auf den Spracherwerb wirkenden Faktorenkomplexion nur schwer herzustellen sind. Experimentelle Untersuchungen prüfen den Einfluss unabhängiger Variablen auf abhängige, indem Probanden zufällig auf eine Untersuchungsgruppe, die ein bestimmtes Treatment (z. B. eine neuartige Unterrichtsform) erhält, und eine Kontrollgruppe (die bspw. weiterhin konventionell unterrichtet wird) verteilt werden und im Anschluss mittels Prätest-Posttest-Vergleich Gruppenunterschiede gemessen werden. Quasi-Experimente unterscheiden sich von Experimenten lediglich darin, dass die Gruppenzuweisung nicht randomisiert erfolgt, sondern mit bereits vorhandenen Gruppen, wie z. B. unterschiedlichen Sprachkursstufen, gearbeitet wird. Darüber hinaus kommen auch ganz unterschiedliche Formen quantitativer Beobachtung (insbesondere Unterrichtsbeobachtung) zum Einsatz. Allen genannten methodischen Herangehensweisen ist gemeinsam, dass sie Daten streng kontrolliert elizitieren, was in aller Regel auch mit einer Standardisierung der Vorgehensweise einhergeht. Auf diese Weise erhobene Daten müssen im Anschluss für die Auswertung aufbereitet werden, wobei die jeweilige Vorgehensweise von der Forschungsfrage abhängt. Dabei können grundsätzlich sowohl genuin quantitative Daten als auch zunächst nicht in Zahlenform vorliegende Daten zur quantitativen Auswertung weiterverarbeitet werden. In der Regel werden die Daten im Vorgang der Datenaufbereitung in Tabellenform gebracht, wobei hierzu wiederum in aller Regel Datenmatrices von Statistikprogrammen genutzt werden. Die Datenauswertung erfolgt im Rahmen quantitativer Forschung ausschließlich mittels unterschiedlicher Rechenverfahren, d. h. statistisch. Dabei können sowohl deskriptive als auch inferenzielle Verfahren zum Einsatz kommen. Deskriptivstatistische Verfahren dienen zunächst dazu, die unübersichtlichen Zahlenmengen, die in Datenmatrices schnell entstehen, in überblicksartiger Form zusammenzufassen. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen dabei Maße der zentralen Tendenz (z. B. arithmetisches Mittel), die Aufschluss darüber geben, welche Werte für eine Verteilung typisch sind, und Streuungsmaße (auch Dispersionsmaße genannt, z. B. Standardabweichung), die einen Eindruck davon vermitteln, ob die vorkommenden Werte einander eher ähneln oder ob sie vielmehr deutlich voneinander abweichen. Deskriptivstatistische Werte beschreiben also lediglich eine in einem Datensatz vorhandene Werteverteilung (vgl. einführend Gültekin-Karakoç & Feldmeier 2014). Inferenzstatistik hingegen verfolgt das Ziel, über die gemessenen Werte in einer tat- 580 Julia Settinieri sächlich untersuchten Stichprobe hinaus Schlussfolgerungen auf Verhältnisse in einer Gesamtpopulation zu ziehen. Sie prüft also, wie wahrscheinlich das Auftreten gemessener Werte angesichts theoretischer Verteilungen in der Realität erscheint (ausgedrückt im sog. p- oder auch a -Wert, wobei sich in der Fremdsprachenforschung eine Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % als Signifikanzgrenzwert etabliert hat), mit welcher Wahrscheinlichkeit ein in der Population vorhandener Effekt im Rahmen eines konkreten Forschungsdesigns überhaupt entdeckt werden kann ( e , die Teststärke oder Power) oder auch wie stark gemessene Effekte tatsächlich sind (Effektstärken, z. B. Cohen’s d oder r 2 ). Im Rahmen multivariater Verfahren sind darüber hinaus auch komplexere Modellierungen möglich (vgl. Backhaus et al. 2006 für einen Überblick), die das Zusammenspiel mehrerer spracherwerbsrelevanter Faktoren abbilden. Da inferenzstatistische Verfahren von einer Stichprobe auf eine Population schließen möchten, ist die Ziehung einer möglichst repräsentativen Stichprobe, die eine Art „Miniaturabbild“ (Bortz 2005: 86) der Gesamtpopulation darstellen soll, unabdingbar. In Frage kommen hier z. B. Zufallsstichproben, geschichtete Stichproben oder auch Klumpenstichproben, welche entweder randomisiert vorgehen, die prozentuale Verteilung bestimmter Merkmale bei der Ziehung berücksichtigen oder aber innerhalb einer Gesamtverteilung zufällig ausgewählte Cluster gesamthaft untersuchen (vgl. genauer z. B. Bortz & Döring 2006: 393; Raithel 2008: 54-61). Außerdem müssen Stichproben je nach Untersuchungskonstellation eine bestimmte Mindestgröße haben, um ggf. vorhandene Effekte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aufdecken zu können. Dieser sog. optimale Stichprobenumfang, der von den angestrebten Signifikanz-, Teststärke- und Effektstärkegrößen sowie der Datenerhebungsmethode abhängig ist, kann im Vorfeld der Untersuchung exakt berechnet werden (vgl. genauer z. B. Larson-Hall 2010: 104- 111). Soll bspw. untersucht werden, ob Vokabellernmethode A gegenüber Vokabellernmethode B (Treatment) zu einem mindestens fünf Punkte (Effektstärke) besseren Vokabeltestergebnis führt, so kann errechnet werden, wie groß die Lernergruppen A und B mindestens sein müssen (optimaler Stichprobenumfang), um mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % einen bezogen auf die Population vorhandenen Effekt im Rahmen der geplanten Studie mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 % (Teststärke) auch tatsächlich aufdecken zu können. Darüber hinaus ist der Einsatz inferenzstatistischer Verfahren an bestimmte Voraussetzungen der Merkmalsverteilung gebunden (häufig z. B. an eine vorliegende Normalverteilung) und hängt vom Skalenniveau der einzelnen Variablen (nominal vs. ordinal vs. metrisch; vgl. genauer Rasch et al. 2006: 8-14) ab. Zur Visualisierung statistischer Ergebnisse werden häufig Abbildungen, wie z. B. Kurven, Kreis- oder Balkendiagramme, boxplots usw. (vgl. einführend Larson-Hall 2012; Meindl 2011: 93-98 für einen Überblick) verwendet, die von einschlägigen Statistik- Softwares, wie z. B. SPSS oder R, automatisch generiert werden können. 5. Perspektiven Quantitative Forschungsergebnisse liefern folglich Aussagen über Zahlenverhältnisse in Bezug auf den jeweiligen Forschungsgegenstand. Auch kann eingeschätzt werden, wie belastbar diese Zahlenverhältnisse sind und wie groß oder klein und damit auch wie lebensweltlich relevant beobachtete Effekte erscheinen. Häufig nicht möglich ist es hingegen, diese Ergebnisse näher zu erklären, z. B. hinsichtlich möglicher Ursachen 581 127. Quantitative Forschung oder Wirkungszusammenhänge. Entsprechend schwierig gestaltet es sich häufig auch, aus quantitativen Forschungsergebnissen unmittelbare Praxisimplikationen für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen abzuleiten. Dies leistet in der Regel qualitative Forschung besser, so dass ein zunehmender Trend zur Verbindung qualitativer und quantitativer Methoden sowohl in der internationalen Zweitsprachenerwerbsforschung (mixed methods ; vgl. Hashemi & Babaii 2013 für einen Überblick) als auch in der deutschsprachigen Sprachlehr- und -lernforschung (Triangulation; vgl. z. B. Elsner & Viebrock 2014) erkennbar ist. Auch unterschiedliche quantitative Methoden können einander triangulierend ergänzen, um so der notwendigerweise vorhandenen Ausschnitthaftigkeit quantitativer Forschung entgegenzusteuern. Dabei stellt quantitative Forschung einen grundlegenden und gleichzeitig komplexen Bereich der empirischen Erforschung des Lernens und Lehrens von Fremdsprachen dar, der sich zunehmend auch an den bereits länger etablierten forschungsmethodologischen Standards verwandter Disziplinen, wie z. B. der Psychologie oder der Soziologie, orientiert, wobei hier nach wie vor Weiterentwicklungspotential besteht. So kommt Plonsky (2013: 678), der im Rahmen einer Metaanalyse über 600 quantitative Studien bzgl. Design, Datenanalyse und Berichtsform betrachtet, zu dem kritischen Schluss, dass hinsichtlich der statistischen Analysen bspw. häufig zu kleine Stichproben verwendet, nicht-signifikante Ergebnisse aus der Ergebnisdarstellung ausgespart und keine Angaben dazu gemacht werden, ob die vorliegenden Daten bestimmte statistische Voraussetzungen erfüllen; auch würden nur selten multivariate Analyseverfahren eingesetzt. Die Ursachen dieser Probleme sind sicherlich primär im Ausbildungssystem zu verorten. Während fremdsprachendidaktische Studiengänge in aller Regel kaum auf empirische Forschungstätigkeit im Allgemeinen - und noch weniger auf eine quantitative - vorbereiten, sind in den letzten Jahren jedoch zahlreiche Angebote im Fortbildungsbereich entstanden (vgl. Settinieri 2015 für einen Überblick), die es angehenden Forscherinnen und Forschern ermöglichen, sich außerhalb des Studiums forschungsmethodisch zu profilieren. Ebenso ist eine wachsende Anzahl disziplinenübergreifender sowie fachspezifischer Publikationen (z. B. Larson- Hall 2010; Albert & Marx 2014) zu nennen, die in einschlägige quantitative Forschungsmethoden einführen. Literatur Albert, R. / Marx, N. (2014): Empirisches Arbeiten in Linguistik und Sprachlehrforschung. Anleitung zu quantitativen Studien von der Planungsphase bis zum Forschungsbericht. 2., überarb. u. aktualis. Aufl. Tübingen. Backhaus, K. / Erichson, B. / Plinke, W. / Weiber, R. (2006): Multivariate Analyseverfahren. Eine anwendungsorientierte Anwendung. 11. Aufl. Berlin. Blom, E. / Unsworth, S., Hrsg. (2010): Experimental methods in language acquisition research. Amsterdam. Bortz, J. (2005): Statistik für Human- und Sozialwissenschaftler. 6., vollst. überarb. u. aktualis. Aufl. Heidelberg. Bortz, J. / Döring, N. (2006): Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler. 4., überarb. Aufl. Heidelberg. Dörnyei, Z. / Taguchi, T. (2010): Questionnaires in second language research. Construction, administration, and processing. 2. Aufl. New York. Elsner, D. / Viebrock, B., Hrsg. (2014): Triangulation in der Fremdsprachenforschung. Frankfurt a. M. Gültekin-Karakoç, N. / Feldmeier, A. (2014): Analyse quantitativer Daten, in: J. Settinieri et al. (Hrsg.), 183-211. 582 Julia Settinieri Hashemi, M. R. / Babaii, E. (2013): Mixed methods research. Toward new research designs in applied linguistics. The Modern Language Journal 97, 828-852. Larson-Hall, J. (2010): A guide to doing statistics in second language research using SPSS . New York. Larson-Hall, J. (2012): How to run statistical analyses, in: A. Mackey / S. M. Gass (Hrsg.): Research methods in second language acquisition. Malden/ MA , 245-274. Meindl, C. (2011): Methodik für Linguisten. Eine Einführung in Statistik und Versuchsplanung. Tübingen. Plonsky, L. (2013): Study quality in SLA . An assessment of designs, analyses, and reporting practices in quantitative L2 research. Studies in Second Language Acquisition 35, 655-687. Porsch, R. (2014): Test, in: J. Settinieri et al. (Hrsg.), 87-102. Raithel, J. (2008): Quantitative Forschung. Ein Praxiskurs. 2., durchges. Aufl. Wiesbaden. Rasch, B. / Friese, M. / Hofmann, W. / Naumann, E. (2006): Quantitative Methoden 1/ 2. 2., erw. Aufl. Heidelberg. Settinieri, J. (2015): Zur forschungsmethodologischen Fundierung der Fremdsprachenforschung, in: S. Doff / A. Grünewald (Hrsg.): WECHSEL -Jahre? Wandel und Wirken in der Fremdsprachenforschung. Trier, 61-74. Settinieri, J. / Demirkaya, S. / Feldmeier, A. / Gültekin-Karakoç, N. / Riemer, C., Hrsg. (2014): Einführung in empirische Forschungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Paderborn. Julia Settinieri 128. Qualitative Forschung 1. Grundsätze qualitativer Forschung Qualitative fremdsprachendidaktische Forschung verfolgt das Ziel, die komplexen Bedingungen der soziokulturellen Umfelder, in denen Personen Fremdsprachen lehren und lernen, möglichst unverändert zu erfassen sowie die Auffassungen und das Handeln der Personen in den untersuchten Feldern nachzuvollziehen, zu verstehen und aus ihrer Perspektive, d. h. aus einer Innenperspektive, zu beschreiben. Auf diese Weise sollen Zusammenhänge, Muster, Typen usw. entdeckt, interpretiert und in begrenztem Umfang erklärt werden. Zumeist geht es nicht um die Überprüfung zuvor formulierter, theoretisch abgeleiteter Hypothesen, sondern um deren Generierung sowie um die Entwicklung von Hypothesen und Theorien; in bislang wenig erforschten Handlungsfeldern auch um die Exploration dieser Felder. Ob die Datenerhebung und -auswertung möglichst ohne theoretische Vorstrukturierung erfolgen sollte (ethnographische Ansätze) oder umgekehrt theoretische Vorüberlegungen z. B. die Datenanalyse vorstrukturieren bzw. durch sie herausgefordert werden sollen (grounded theory), wird unterschiedlich bewertet. Dem Charakter qualitativer Forschung wird der von Grotjahn (1987) in die Sprachlehrforschung und Fremdsprachendidaktik eingeführte Begriff „explorativ-interpretativ“ daher besser gerecht als die disziplinenübergreifend stärker präsente Kategorie „qualitativ“, zumal sich letztere auf die Form der Datenerhebung, der verwendeten Daten und deren Auswertung beziehen kann. Qualitative Forschungsansätze gehen davon aus, dass die soziale Wirklichkeit kommunikativen Charakter hat, und heben hervor, dass „,[o]bjektive‘ Lebensbedingungen [ … ] durch subjektive Bedeutungen für die Lebenswelt relevant“ werden (Flick et al. 583 128. Qualitative Forschung 2012: 22). Ihnen liegt konsequenterweise ein prospektiv-elaboratives Menschenbild zugrunde, das es möglich und zugleich erforderlich macht, die Fähigkeit der Fremdsprachenlehrenden und -lernenden zur (Selbst-) Reflexion und Kommunikation im Rahmen der Forschung z. B. durch Introspektion oder dialogische Formen der Befragung zu nutzen (Grotjahn 2005). Die besondere Stärke der verschiedenen qualitativen Forschungsansätze liegt im explorativen Charakter ihrer Erkenntnisgewinnung, der auch unerwartete Entdeckungen ermöglicht. Durch den kommunikativen Charakter und die Einbindung der im Feld handelnden Personen gelingt es ihnen, selbst sehr komplexen Situationen und Phänomenen Sinn zu geben und die Gründe für bestimmtes Handeln aufzuspüren. Durch ihren umfassenderen Blick auf das möglichst natürliche Untersuchungsfeld gelingt es ihnen zudem, die individuell unterschiedliche Ausprägung und Verknüpfung wichtiger Einzelfaktoren untereinander besser zu erfassen, als dies in quantitativen Ansätzen möglich ist, die durch die von Beginn an notwendige Fokussierung ausgewählter Faktoren möglicherweise zentrale Dimensionen aus dem Blick verlieren. Da qualitative Forschung sich durch Flexibilität auszeichnet, gelingt es ihr zudem z. B. auf Fehler, die im Rahmen der Datenerhebung, -aufbereitung oder -analyse deutlich werden, bereits während der Forschung durch entsprechende Erweiterung der Forschungsfragen oder Umstellungen in der Untersuchung korrigierend zu reagieren. Dadurch eignen sich qualitative Forschungsansätze auch gut für longitudinale Untersuchungen. Dem gegenüber stehen einige Schwächen qualitativer Forschung. So gelingt es aufgrund fehlender personaler oder zeitlicher Ressourcen nur selten, eine ausreichend große Zahl von Fällen zu untersuchen, die eine Generalisierung der gewonnenen Erkenntnisse ermöglichte. Sie ist jedoch auch mit qualitativen Ansätzen durchaus möglich (Riemer 2007). Problematisch ist auch der Umstand, dass in qualitativen Ansätzen nicht immer durch verbindlich kodifizierte methodische Verfahrenslogiken versucht wird, den Einfluss, den Forschende unabhängig von den forschungsmethodologischen Grundlagen auf allen Ebenen und in allen Phasen des Forschungsprozesses durch ihr Handeln auf die Daten nehmen können, transparent und systematisch einzugrenzen. Daher besteht die Gefahr, dass unreflektiertes und nicht-dokumentiertes Vorgehen den Wert der gewonnenen Erkenntnisse deutlich mindern; v. a. wenn Subjektivität und Flexibilität mit Beliebigkeit verwechselt werden. Daher sind zusätzlich zu den allgemeinen Gütekriterien, die sowohl für quantitative (vgl. Art. 127) als auch qualitative Forschungsansätze angeführt werden können, weitere Kriterien zur Bewertung qualitativer Forschung notwendig, die die besonderen Charakteristika dieser Forschungsansätze berücksichtigen. Grundsätzlich sollte jede Forschung sich durch Transparenz im Sinn intersubjektiver Nachvollziehbarkeit, Offenlegung und Begründung des Gegenstandsverständnisses, Berücksichtigung und Einbettung der Untersuchung in die fremdsprachendidaktische Faktorenkomplexion, durch Anschlussfähigkeit und die Diskussion des Praxisbezuges sowie die Einhaltung ethischer Standards auszeichnen. Darüber hinaus können wichtige Grundprinzipien qualitativer Forschung (Offenheit, Flexibilität, Kommunikativität und Reflexivität) zugleich als Gütekriterien für Arbeiten in diesem Paradigma herangezogen werden (Schmelter 2014). 584 Daniela Caspari / Lars Schmelter 2. Qualitative Forschung in der Sprachlehrforschung und Fremdsprachendidaktik Als Indikator für die seit den 1990er Jahren rasant gewachsene Bedeutung qualitativer Forschungsmethoden in der Sprachlehrforschung und Fremdsprachendidaktik gilt der 2001 erschienene Sammelband von Müller- Hartmann & Schocker-v. Ditfurth. Dort werden in der Darstellung ganz unterschiedlicher Dissertations- und Habilitationsprojekte die Vielfalt der verwandten Erhebungs- und Auswertungsmethoden und die Breite der Anwendungsmöglichkeiten sichtbar. Außerdem wird in der forschungsmethodischen Auseinandersetzung mit den zumeist aus der qualitativen Sozialforschung und der Psychologie übernommenen Designs die Notwendigkeit eigener, gegenstandsangemessener Forschungsinstrumente für Fragen des Lehrens und Lernens fremder Sprachen formuliert. In den letzten 15 Jahren findet auch innerhalb der deutschsprachigen Fremdsprachenforschung eine rege Diskussion über forschungsmethodologische und forschungsmethodische Fragen statt, die sich inzwischen in einer Reihe von Sammelbänden sowie ersten Handbüchern bzw. Einführungen niederschlägt (Caspari et al. 2016; Doff 2012; Settinieri et al. 2014, in denen u. a. in unterschiedliche qualitative Methoden der Erhebung und Analyse von Daten genauer eingeführt wird). Qualitativen Verfahren kommt darin ein prominenter Stellenwert zu, denn ihre Beliebtheit scheint ungebrochen. So weist der größte Teil der seit der Jahrtausendwende erschienenen Qualifikationsarbeiten (vgl. die Zusammenstellung in Sauer 2006 und ihre Fortführung in der sog. Sauer-Klippel-Liste der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung, www.dgff.de/ de/ qualifikati onsarbeiten.html) qualitative Anteile auf oder ist sogar bzgl. aller drei Parameter (Art der Erhebung, Art der Daten, Art der Auswertung) als qualitativ zu verorten. Diese große Beliebtheit dürfte zum einen auf die o. g. Vorteile qualitativer Forschungsfahren und die häufig grundlegenden oder relativ umfassenden Forschungsfragen zurückzuführen zu sein. Zum anderen dürfte sie der Tatsache geschuldet sein, dass es sich häufig um Projekte handelt, die in Einzelarbeit entstehen, und dass qualitative Erhebungs- und Auswertungsverfahren nicht zuletzt aufgrund ihrer Nähe zu Alltagsverfahren leichter erlern- und handhabbar erscheinen. Einzelne Forschungsdesigns, wie die Aktionsforschung, die auf unmittelbare Praxisveränderung abzielt (vgl. Art. 130), arbeiten denn auch fast ausschließlich mit qualitativen Verfahren. 3. Erhebungs- und Auswertungsverfahren Diese Beliebtheit darf jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass qualitative Verfahren sich beständig weiterentwickeln und ausdifferenzieren und dass ihre funktionale Auswahl und korrekte Anwendung eine hohe forschungsmethodische Kompetenz verlangen. Zu den zentralen Verfahren qualitativer Datenerhebung zählen: • Beobachtung (verdeckt - offen, teilnehmend - nicht teilnehmend, strukturiert bzw. systematisch - unstrukturiert bzw. unsystematisch, Fremdbeobachtung - Selbstbeobachtung, online - offline, vgl. Art. 129); • Befragung, schriftlich (Fragebogen: halboffen - offen, auf Papier - elektronisch); • Befragung, mündlich (Interview: einzeln - in Gruppen, strukturiert - semistrukturiert - offen); • Introspektion, auch: Lautes Denken (während des Ausführens einer Handlung (simultan) - danach (retrospektiv), mit - ohne Abspielen einer Videoaufzeichnung der Handlung); 585 128. Qualitative Forschung • Verfahren zur Erhebung von Lernersprache, auch: Elizitierungsverfahren (mündlich - schriftlich, natürlich - kontrolliert bzw. künstlich); • Tests (informell - formell bzw. formal, large-scale - small-scale, z. B. die eigene Lerngruppe, formativ, d. h. lernbegleitend bzw. lernfördernd - summativ, d. h. Fokus auf Können zu einem bestimmten Zeitpunkt, schriftlich - mündlich, vgl. auch Art. 83-85). Die genannten Varianten stellen häufig die beiden Pole eines Kontinuums unterschiedlicher Realisierungsmöglichkeiten dar, manchmal werden in einer Erhebungssituation auch unterschiedliche Varianten kombiniert (z. B. kann ein semistrukturierter Interviewleitfaden auch Impulse zu Narrationen enthalten). Die Aufbereitung der Daten (z. B. in Form eines nachträglich angefertigten Beobachtungsbogens, eines kommentierten Interviewtranskripts oder eines Protokolls) erfolgt in Hinblick auf das Ziel der Untersuchung sowie das gewählte Analyseverfahren. Sie stellt bereits durch die Art der Darstellung und die Auswahl der festgehaltenen Elemente eine erste Interpretation der Daten dar. Bei den Auswertungsverfahren unterscheidet man grundsätzlich zwischen solchen, die (zunächst) die Menge des Datenmaterials erhöhen und solchen, die sie reduzieren. Zu ersteren zählen insbesondere • hermeneutische Verfahren (Prinzip: mehrere Durchgänge durch die Daten ermöglichen neue Sichtweisen; verschiedene Interpretationsverfahren, z. B. die strukturale, textimmanente Analyse und Interpretation, die komparative, mit anderen Texten zum gleichen Thema oder aus dem gleichen Genre vergleichende Interpretation oder die experimentelle, alternative Deutungsmuster durchspielende Interpretation) (Rittelmeyer 2010); • grounded theory (ein komplexes System zur Gewinnung, Analyse und Interpretation von Daten, bei dem die einzelnen Phasen nicht nacheinander, sondern ineinandergreifend erfolgen können; die zentralen Auswertungsverfahren sind das nacheinander erfolgende offene, axiale und selektive Kodieren, das zunächst nah am Text Konzepte markiert, diese in einen kategorialen Zusammenhang bringt und dabei Kernkategorien identifiziert und diese mit dem Gesamtmaterial abgleicht, z. B. Truschkat et al. 2005); • dokumentarische Methode (Ziel: Rekonstruktion von spezifischen Orientierungen der Befragten durch Reformulierung und reflektierende Interpretation ausgewählter Interviewbzw. Gesprächspassagen). Zu den Verfahren, die auf eine Reduktion des Datenmaterials abzielen, zählen insbesondere • qualitative Inhaltsanalyse (Analyse des Datenmaterials nach deduktiven, d. h. theoretisch abgeleiteten, und/ oder induktiven, d. h. aus dem Textmaterial erschlossenen, Kategorien, z. B. Aguado 2012); • Typenbildung (Identifikation von Zusammenhängen und Unterschieden zwischen einzelnen Fällen, daraus: Konstruktion von Gruppen mit möglichst hoher interner Ähnlichkeit bei möglichst großem Kontrast zu den anderen Gruppen, z. B. Tippelt 2010). Zu jedem der Verfahren gibt es eine Reihe von Varianten. Qualitatives Forschen scheint manchmal dazu einzuladen, möglichst schnell „ins Feld“ zu gehen. Dabei entstehen nicht selten große Datenmengen, die jedoch oft nur zu kleinen Teilen genutzt werden („Datenfriedhöfe“ ). Auch bei qualitativem Forschen ist es vor der Datenerhebung daher unerlässlich, Thema, Forschungsfrage, Forschungsdesign, Erhe- 586 Daniela Caspari / Lars Schmelter bungs- und Auswertungsverfahren möglichst präzise zu bestimmen, da diese sich in der Regel gegenseitig bedingen. Dieser, meist rekursive und recht langwierige, Prozess kann jedoch durch eine frühzeitig durchgeführte Pilotstudie bzw. das probeweise Auswerten erster Daten vor der endgültigen Festlegung des Verfahrens verkürzt bzw. fokussiert werden (zur Herangehensweise an ein Forschungsprojekt vgl. z. B. Riemer 2010). 4. Fazit und Perspektiven Qualitative Forschungsansätze sind in vielerlei Hinsicht komplexer geworden. Jüngere Arbeiten beschränken sich nicht mehr nur, wie dies anfangs zu beobachten war, auf das Führen von Interviews, die inhaltsanalytisch ausgewertet werden. Immer häufiger greifen fremdsprachendidaktische Studien zudem auf komplexe Designs zurück, bei denen mehrere Erhebungs- und Auswertungsverfahren kombiniert werden, auch quantitativer und qualitativer Art (vgl. Art. 126). Die anspruchsvolle Position der Sprachlehrforschung und Fremdsprachendidaktik, relevante Fragen der Praxis des Fremdsprachenlehrens und -lernens aufzugreifen und der Forschung in einer Weise zuzuführen, die sich nicht auf Grundlagenforschung beschränkt, sondern konstruktiv zur Fortentwicklung der Praxis beiträgt (vgl. Art. 1), erklärt die Attraktivität, die derzeit der Ansatz der design-basierten Forschung ausübt. Dabei handelt es sich um einen vielgestaltigen Ansatz, der z. B. Lehr-Lern-Methoden entwickelt, didaktisch analysiert und empirisch evaluiert und dann weiterentwickelt. Möglicherweise ist im Aufgreifen dieses Ansatzes, der vor allem in stark empirisch und quantitativ forschend ausgerichteten Fachdidaktiken propagiert wird, aber auch die häufig als normsetzend empfundene Rezeption von Entwicklungen in der empirischen Bildungsforschung zu erkennen. Literatur Aguado, K. (2012): Die Qualitative Inhaltsanalyse in der empirischen Fremdsprachenforschung: Grenzen, Potentiale, Desiderate, in: K. Aguado / L. Heine / K. Schramm (Hrsg.): Introspektive Verfahren und Qualitative Inhaltsanalyse in der Fremdsprachenforschung. Frankfurt a. M., 119-135. Caspari, D. / Klippel, F. / Legutke, M. / Schramm, K., Hrsg. (2016): Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik. Ein Handbuch. Tübingen. Doff, S., Hrsg. (2012): Fremdsprachenunterricht empirisch erforschen. Grundlagen - Methoden - Anwendung. Tübingen. Flick, U. / von Kardorff, E. / Steinke, I. (2012): Was ist qualitative Forschung? Einleitung und Überblick, in: U. Flick / E. von Kardorff / I. Steinke (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. 9., überarb. Aufl. Reinbek, 13-29. Grotjahn, R. (1987): On the methodological basis of introspective methods, in: C. Færch / G. Kasper (Hrsg.): Introspection in second language research. Clevedon u. a., 54-81. Grotjahn, R. (2005): Subjektmodelle in der Sprachlehr- und Sprachlernforschung: Implikationen für Theoriebildung und Forschungsmethodologie. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 16/ 1, 23-56. Müller-Hartmann, A. / Schocker-v. Ditfurth, M., Hrsg. (2001): Qualitative Forschung im Bereich Fremdsprachen lehren und lernen. Tübingen. Riemer, C. (2007): DaF/ DaZ und empirische Forschung: wechselnde Herausforderungen. Informationen Deutsch als Fremdsprache 34/ 5, 445-459. Riemer, C. (2010): Erste Schritte empirischer Forschung: Themenfindung, Forschungsplanung, forschungsmethodologische Entscheidungen, in: C. Chlosta / M. Jung (Hrsg.): DaF integriert: Literatur - Medien - Ausbildung. Göttingen, 423-434. 587 129. Unterrichtsforschung und Videographie Rittelmeyer, C. (2010): Methoden hermeneutischer Forschung, in: B. Friebertshäuser / A. Langer / A. Prengel (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. 3. Aufl. Weinheim, München, 235-248. Sauer, H. (2006): Dissertationen, Habilitationen und Kongresse zum Lehren und Lernen fremder Sprachen. Eine Dokumentation. Tübingen. Schmelter, L. (2014): Gütekriterien, in: J. Settinieri et al. (Hrsg.), 33-45. Settinieri, J. / Demirkaya, S. / Feldmeier, A. / Gültekin-Karakoç, N. / Riemer, C., Hrsg. (2014): Empirische Forschungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Eine Einführung. Paderborn. Tippelt, R. (2010): Idealtypen konstruieren und Realtypen verstehen - Merkmale der Typenbildung, in: J. Ecarius / B. Schäffer (Hrsg.): Typenbildung und Theoriegenerierung. Methoden und Methodologien qualitativer Bildungs- und Biographieforschung. Opladen, 115-126. Truschkat, I. / Kaiser, M. / Reinartz, V. 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Typischerweise findet Unterrichtsforschung, die im Englischen auch als classroom research oder instructed second language acquisition bezeichnet wird, in authentischen Klassenzimmern statt; grundsätzlich ist sie jedoch auch in spezifisch dafür eingerichteten Laboratorien mit besonderen Aufnahmevorrichtungen durchführbar. Sie bedient sich qualitativer (vgl. Art. 127) und quantitativer (vgl. Art. 128) Forschungsmethoden, aufgrund der Faktorenkomplexion häufig in mehrmethodischer Form, wobei im Umgang mit Lernenden (ggf. auch ihren Eltern) und Lehrenden datenschutzrechtliche Vorgaben und ethische Überlegungen zu berücksichtigen sind. Ziele von Unterrichtsforschung sind in der Regel Deskription, Evaluation und/ oder explanatorische Modellierung von Unterricht. Dabei sind Interventionsstudien von solchen zu unterscheiden, in denen der Unterricht ohne Einfluss seitens der Forschenden auf den Unterrichtsverlauf untersucht wird. Von Aktionsforschungsprojekten (vgl. Art. 130) bis zu ländervergleichenden Studien kann Unterrichtsforschung in unterschiedlichen Dimensionen durchgeführt werden. Replikationsstudien und Metaanalysen spielen eine wichtige Rolle dabei, Einzelbefunde von Unterrichtsforschung in verschiedenen Kontexten miteinander zu vergleichen und in Beziehung zu setzen. Videogestützte Unterrichtsforschung als eine Form der Unterrichtsforschung, die sich als besonders ergiebig erwiesen hat, zielt dabei 588 Karen Schramm v. a. auf Einsichten in den Prozess des Fremdsprachenunterrichts; sie wird in der Regel zur deskriptiven Erforschung von Unterrichtsabläufen und -interaktionen sowie auch in Kombination mit anderen Daten zur Erforschung von Merkmalen der Unterrichtsqualität eingesetzt. 2. Formen von Unterrichtsforschung Forschungsfragen und Designs von Unterrichtsforschung sind dementsprechend vielfältig (vgl. zur Einführung bspw. Nunan & Bailey 2008). Nicht nur im Zuge der Output- Orientierung spielen erstens Tests und Lernersprachenanalysen eine prominente Rolle, um neben anderen Variablen insbesondere die Lernvoraussetzungen und Lernergebnisse zu messen. Oft dienen sie im Rahmen einer rationalistischen wissenschaftstheoretischen Auffassung dazu, aus etischer (d. h. auf die Außenperspektive bezogener) Perspektive allgemeingültige Aussagen über Unterricht zu treffen und bspw. die Wirksamkeit bestimmter Unterrichtsarrangements bzw. gezielter Interventionen (z. B. Methoden, Aufgaben, Materialien) in (Quasi-) Experimenten oder (exploratorischen oder konfirmatorischen) Faktorenanalysen zu überprüfen. Dabei gehen aktuelle Ansätze nicht von einem einfachen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang von Lehrerhandeln auf Lernerfolg aus, sondern beziehen sich u. a. auf die Vorstellung, dass Unterricht als gemeinsames Produkt von Lehrenden und Lernenden ein Angebot bereitstellt, das von individuellen Lernenden unterschiedlich genutzt wird. Zweitens eignen sich Befragungen in Form von unterrichtsbezogenen Interviews und Fragebögen insbesondere zur Erforschung der emischen (d. h. auf die Innenperspektive der Akteure bezogenen) Perspektive auf Fremdsprachenunterricht und werden vor dem Hintergrund einer relativis- tischen Wissenschaftstheorie prototypischerweise im Rahmen ethnographischer Zugänge eingesetzt, um (sozio-)kulturelle (Unterrichts-)Realitäten zu beschreiben. Als Sonderform der Befragung geben introspektive Befragungen von Lehrenden und Lernenden (z. B. in Form von Erlebnisstichproben während des Unterrichts oder Retrospektionen nach dem Unterricht) Aufschluss über die kognitive Dimension des Fremdsprachenunterrichts und eignen sich somit bspw. zur Erforschung von lehrerseitigen Entscheidungsprozessen oder von lernerseitigen Einsichten in den Lerngegenstand. Drittens haben Unterrichtsbeobachtungen und insbesondere Interaktionsanalysen in der Fremdsprachenforschung eine ausgeprägte Tradition. Ein wichtiger früher Bezugspunkt ist das (nicht fremdsprachenunterrichtsspezifische) Flanders System of Interaction Categories (FIAC) von Flanders (1960), der bereits zu diesem frühen Zeitpunkt das Potential einer systematischen Beobachtung der Beiträge von Lehrenden und Lernenden bzw. ihren Redeanteilen für die Lehrerbildung erkennt. Das ebenfalls prominente Beobachtungsschema Communicative Orientation of Language Teaching (COLT, Fröhlich et al. 1985) illustriert dagegen einen fremdsprachenunterrichtsspezifischen Zugriff; wie auch beim FIAC handelt es sich um ein time-sampling, d. h., in regelmäßigen zeitlichen Abständen wird das Vorliegen bestimmter Phänomene kodiert, um auf diese Weise aus etischer Perspektive Aussagen über deren Auftretenshäufigkeit zu treffen. Beobachtungsbögen können alternativ auf ein eventsampling, also die selektive Beobachtung bestimmter Ereignisse ausgelegt sein (vgl. dazu Ziebell & Schmiedjell 2012). In engem Zusammenhang mit dem Aufkommen der Pragmalinguistik, die ab den 1970er Jahren die mündliche Kommunikation in ihrem sprachlichen Handlungscharakter zu erforschen beginnt, stehen diskursanalytische Unterrichts- 589 129. Unterrichtsforschung und Videographie beobachtungen (z. B. Sinclair & Coulthard 1975; Ehlich & Rehbein 1986; Schwab 2009). Entsprechende Studien arbeiten in der Regel mit Transkripten, die häufig mit hoher Detailgenauigkeit (z. B. mit einem Transkriptionsverhältnis von 1 Minute Aufnahmezeit zu 80 Minuten Transkriptionszeit) unter Einsatz professioneller Transkriptionssoftware (z. B. EXMARaLDA, FOLKER , Transana) auf der Grundlage einer Transkriptionskonvention (z. B. CAT, CHAT, GAT, HIAT) erstellt werden. Sie erfassen beispielsweise Sprechakte, Turns, Sprecherwechsel, Paarsequenzen oder Handlungsmuster des Fremdsprachenunterrichts. Dabei können in theoretischer Hinsicht interaktionsanalytische (inkl. konversations- und gesprächsanalytische) von funktionalpragmatischen Herangehensweisen unterschieden werden (vgl. Schwab & Schramm erscheint 2016). Die mündliche Fehlerkorrektur in ihren vielen Ausprägungsformen mit den Teilschritten Fremd- oder Selbstinitiierung, Fremd- oder Selbstdurchführung und ggf. Wiederaufnahme ist ein für diese Tradition exemplarisches Phänomen, das besonders intensiv erforscht wurde. Auch Muster wie der IRF-Pattern (initiation, response, feedback) oder das Frageverhalten der Lehrperson im Plenumsgespräch sind Beispiele für prominente Untersuchungsgegenstände, während andere Sozialformen bislang deutlich weniger Aufmerksamkeit der Fremdsprachenunterrichtsforschung erfahren haben. 3. Videogestützte Unterrichtsforschung Die Unterrichtsdiskursanalyse ist Ausgangspunkt für methodologische Weiterentwicklungen videogestützter Unterrichtsforschung mit qualitativer und quantitativer Ausprägung (vgl. Schramm & Aguado 2010). Qualitative videogestützte Fremdsprachenunterrichtsforschung verfolgt zunehmend auch eine emische Perspektive und trianguliert zu diesem Zweck Videoaufnahmen des Fremdsprachenunterrichts mit Befragungen der Lehrenden und Lernenden in Form von Fragebögen, Interviews und/ oder Lautem Erinnern (vgl. Schramm 2014). Das videobasierte Laute Erinnern (z. B. Feick 2012) stellt dabei eine besonders häufig genutzte Möglichkeit dar und zielt auf die Erhebung von reflectionin-action (d. h. die Wiedergabe erinnerter Gedanken, die während der vergangenen Handlung abliefen), während mittels Befragungen in der Regel reflexive Daten im Sinne einer reflection-on-action (d. h. die Wiedergabe aktueller Gedanken, die sich auf eine vergangene Handlung beziehen) erhoben werden. Beide Formen der Methodentriangulation kombinieren dabei die Aussagekraft der Videodaten bezüglich der interaktionalen Dimension mit der Auswertung der Befragungsdaten hinsichtlich der mentalen Dimension. Quantitative videogestützte Fremdsprachenunterrichtsforschung knüpft ebenfalls an die pragmalinguistische Tradition der Interaktionsanalysen an, hat aber darüber hinaus aus der erziehungswissenschaftlichen Diskussion wichtige Impulse zur Quantifizierung von Videodaten aufgenommen (Appel & Rauin 2015). Internationale video surveys (d. h. auf Sichtstrukturen von Unterricht bezogene Studien) wie die TIMMS-Studien und videobasierte Unterrichtsforschung (d. h. auf theoretisch basierte Modelle bezogene Studien) in anderen Fachdidaktiken (vgl. Riegel & Macha 2013) haben auch Fremdsprachenforschende zu quantifizierenden Untersuchungen angeregt. Prominentestes Beispiel einer solchen Herangehensweise ist die DESI-Videostudie (Helmke et al. 2008), in der eine mikroanalytische Basiskodierung von 105 transkribierten Englischstunden und anschließende Beurteilungen im Hinblick auf Aspekte der Unterrichtsqualität vorgenommen wurden. Dieses Vorgehen ermöglicht nicht nur quan- 590 Karen Schramm titative Aussagen zu einer Reihe von Aspekten des untersuchten Englischunterrichts (z. B. verwendete Unterrichtssprache, Sprechanteile von Lehrenden und Lernenden, Art und Länge der Lerneräußerungen, Fehlerkorrektur und Wartezeit); die Triangulation mit weiteren Befragungs- und Testdaten erlaubt bspw. auch einen Abgleich mit der Selbsteinschätzung des Sprechanteils durch die Lehrenden oder die Korrelation der diversen kodierten Unterrichtsmerkmale mit Lernerleistungen (z. B. in einem C-Test oder Hörverstehenstest). Ähnliche quantifizierende Vorgehensweisen illustrieren bspw. auch die umfassende mixed-methods-Untersuchung von Sprachfördereinheiten in Kindertagesstätten von Ricart Brede (2011) und die Untersuchung von sprachförderlichen Merkmalen der Lehrersprache im Grundschulunterricht von Neumann und Mahler (2013). Im Hinblick auf quantifizierende Videoanalysen ist von Bedeutung, ob Sicht- oder Tiefenstrukturen kodiert werden: Niedrig-inferente Kodierungen von beobachtbarem Verhalten (wie z. B. Schülermeldungen) sind dabei zu unterscheiden von hoch-inferenten Beurteilungen nicht-beobachtbarer Aspekte (wie z. B. eine Beurteilung der Motivation), die ein umfassendes Training der Beurteilenden erfordern und durch Berechnung der Interrater-Reliabilität überprüft werden. Quantifizierende videogestützte Unterrichtsforschung verzichtet teils auf Transkriptionen und nimmt die Kodierung direkt auf der Grundlage der Videodaten vor. Mithilfe entsprechender Analysesoftware (z. B. Transana oder Videograph ) lassen sich Quantifizierungen und Muster in der zeitlichen Ausdehnung der Unterrichtsstunde nicht nur zur Hypothesengenerierung und systematischen Auswertung, sondern auch zur leserfreundlichen graphischen Aufbereitung der Analyseergebnisse erstellen. 4. Fazit Fremdsprachenunterrichtsforschung ist aufgrund des hochkomplexen Untersuchungsgegenstands mit seinen vielen Faktoren ein herausforderndes Unterfangen, das die Berücksichtigung zahlreicher Bezugsdisziplinen erfordert und umfassende Design- und Methodenkenntnisse voraussetzt. Tests und lernersprachliche Daten geben dabei Auskunft über die Lernvoraussetzungen und -ergebnisse des zu untersuchenden Unterrichts. Befragungsdaten und entsprechende Analysemethoden bieten Zugang zur mentalen Dimension von Lernenden und Lehrenden und damit zu ihrer individuellen Wahrnehmung von Unterricht. Die Auswertung von Beobachtungsdaten - sei es auf der Grundlage ausgefüllter Beobachtungsbögen, Videoaufnahmen und/ oder detaillierter Transkripte - erschließt die interaktionale Dimension des Fremdsprachenunterrichts in seinem zeitlichen Verlauf. Die videogestützte Erforschung von Fremdsprachenunterricht hat dabei im vergangenen Jahrzehnt eine vielversprechende Ausdifferenzierung in (pragmalinguistische) Videointeraktionsanalysen, (methodentriangulatorische) Videographie und (quantifizierende, modellbildende) videobasierte Unterrichtsforschung erfahren sowie zahlreiche fundierte Einsichten in die Beschaffenheit und die Qualitätsmerkmale von Fremdsprachenunterricht erbracht. Aufgrund des deutlich angestiegenen methodologischen und methodischen Diskussionsniveaus sind in diesem aktiven Forschungsfeld in den kommenden Jahren aufschlussreiche deskriptive, evaluative und explanatorische Studien zum Handlungsfeld Fremdsprachenunterricht zu erwarten. 591 129. Unterrichtsforschung und Videographie Literatur Appel, J. / Rauin, U. (2015): Methoden videogestützter Beobachtungsverfahren in der Lehr- und Lernforschung, in: D. Elsner / B. Viebrock (Hrsg.): Triangulation in der Fremdsprachenforschung. Frankfurt a. M., 59-79. Ehlich, K. / Rehbein, J. (1986): Muster und Institution. Untersuchungen zur schulischen Kommunikation. Tübingen. Feick, D. (2012): Videobasiertes Lautes Erinnern als Instrument zur Untersuchung fremdsprachlicher Gruppenaushandlungsprozesse, in: S. Doff (Hrsg.): Fremdsprachenunterricht empirisch erforschen. Grundlagen - Methoden - Anwendung. Tübingen, 202-217. Flanders, N. A. (1960): Interaction analysis in the classroom: a manual for observers. Ann Arbor, Michigan. Fröhlich, M. / Spada, N. / Allen, P. (1985): Differences in the communicative orientation of L2 classrooms. TESOL Quarterly 19/ 1, 27-57. Helmke, T. / Helmke, A. / Schrader, F.-W. / Wagner, W. / Nold, G. / Schröder, K. (2008): Die Video-Studie des Englischunterrichts, in: DESI -Konsortium (Hrsg.): Unterricht und Kompetenzerwerb in Deutsch und Englisch. Ergebnisse der DESI -Studie. Weinheim, 345-363. Neumann, A. / Mahler, I. (2013): Sprachförderliche Merkmale der Lehrersprache, in: U. Riegel / K. Macha (Hrsg.), 115-132. Nunan, D. / Bailey, K. M. (2008): Exploring second language classroom research: A comprehensive guide. Boston. Ricart Brede, J. (2011): Videobasierte Qualitätsanalyse vorschulischer Sprachfördersituationen. Freiburg i. Br. Riegel, U. / Macha, K., Hrsg. (2013): Videobasierte Kompetenzforschung in den Fachdidaktiken. Münster. Sinclair, J. M. / Coulthard, R. M. (1975): Towards an analysis of discourse. The English used by teachers and pupils. Oxford. Schwab, G. (2009). Fremdsprachenunterricht und Konversationsanalyse. Landau. Schwab, G. / Schramm, K. (2016): Diskursanalytische Auswertungsmethoden, in: D. Caspari / F. Klippel / M. Legutke / K. Schramm (Hrsg.): Forschungsmethoden in der Fremdsprachendidaktik. Ein Handbuch. Tübingen. Schramm, K. (2014): Besondere Forschungsansätze: Videobasierte Unterrichtsforschung, in: J. Settinieri / S. Demirkaya / A. Feldmeier / N. Gültekin-Karakoç / C. Riemer (Hrsg.): Empirische Forschungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Paderborn, 243- 254. Schramm, K. / Aguado, K. (2010): Videographie in den Fremdsprachendidaktiken - Ein Überblick, in: K. Aguado / K. Schramm / H.-J. Vollmer (Hrsg.): Fremdsprachliches Handeln beobachten, messen und evaluieren. Neue methodische Ansätze der Kompetenzforschung und Videographie. Frankfurt a. M., 185-214. Ziebell, B. / Schmiedjell, A. (2012): Unterrichtsbeobachtung und kollegiale Beratung. Berlin. Karen Schramm 130. Aktionsforschung 1. Begrifflichkeit Aktionsforschung (auch als action research, Handlungsforschung oder Praxisforschung bezeichnet) ist eine Art von Forschung, die von professionell Handelnden (z. B. Lehrenden) direkt in ihrem Praxisumfeld durchgeführt wird. Ziel ist, eine Intervention zur Verbesserung der Praxis - die „Aktion“ - forschend zu begleiten (Burns 2010: 2). Dabei entsteht ein Kreislauf von Aktion, Forschung und Reflexion, der mehrfach durchlaufen werden kann und sowohl einen Erkenntnisfortschritt in Hinblick auf die Theorie als 592 Klaus-Börge Boeckmann auch einen Entwicklungsfortschritt in Hinblick auf die Praxis erbringt (Altrichter & Posch 2007: 27) und aus diesem Grund oft auch als Spirale beschrieben wird (Herr & Anderson 2015: 5). Vom alltäglichen Praxishandeln - das ja oftmals auch Phasen des Ausprobierens, Beobachtens und Reflektierens enthält - unterscheidet sich Aktionsforschung durch ihre Systematik (Riemer 2010: 361), die Dokumentation des Prozesses (Feldmeier 2014: 261) und die Verbreitung der Ergebnisse (Altrichter & Posch 2007: 29). Aktionsforschung im Kontext des Fremdsprachenunterrichts kann daher als systematische Untersuchung der Unterrichtspraxis durch die Beteiligten verstanden werden (Schart 2010: 1371). Ziel ist dabei die Entwicklung einer „praktischen Theorie“ - einer „Wissensbasis, die PraktikerInnen in einer konkreten Handlung benutzen“ (Altrichter & Posch 2007: 76). Forschen die Lehrenden selbst, wird für Aktionsforschung auch die Bezeichnung „Lehrerforschung“ (teacher research) verwendet (Feldmeier 2014: 255). Das legt den Akzent auf die professionelle Weiterentwicklung von Lehrenden, die ebenfalls ein ganz wesentlicher Aspekt von Aktionsforschung ist. Sie kann demnach auch als „Qualitätsentwicklung ,von unten‘“ (Boeckmann 2011a: 90) verstanden werden. Oftmals ist es dabei auch sinnvoll, Kooperationen einzugehen, sei es innerhalb der eigenen Institution mit anderen Lehrenden, mit Studierenden/ Lernenden oder mit externen Institutionen, etwa Lehrerbildungsund/ oder Forschungseinrichtungen wie z. B. Universitäten (Burns 2010: 2). Entscheidend ist aber die federführende Mitwirkung von Praxisbeteiligten. Von anderen Forschungsansätzen der empirischen Sozialforschung unterscheidet sich Aktionsforschung demnach v. a. durch ihre unmittelbare Situierung in der Praxis, die Durchführung durch Praxisbeteiligte und die Anwendung der Ergebnisse auf diese Praxis. Aktionsforschung lässt sich somit als Forschung „aus der Praxis - in der Praxis - für die Praxis“ (Boeckmann 2011a: 83) bezeichnen. 2. Entstehung und Entwicklung Aktionsforschung hat ihre Ursprünge in der US-Sozialanthropologie und -psychologie der 1940er Jahre. In den 1960er Jahren wurde sie in der englischen Curriculumbewegung um Stenhouse (1975) mit einer emanzipatorischeren Grundorientierung und einer Schwerpunktsetzung auf professionelle Weiterentwicklung wieder aufgegriffen. Eine weitere Quelle der aktuellen Ausprägung von Aktionsforschung sind die Gedanken des amerikanischen Philosophen Schön (1983) zur reflexiven Praxis, die er einem instrumentellen Handeln auf Grund theoretischen Wissens entgegenstellte (Schart 2010: 1372). Die Arbeiten von Stenhouse, Schön und anderen wurden im deutschsprachigen Raum zunächst in Österreich nachhaltig rezipiert und die Aktionsforschung etablierte sich dort v. a. als Mittel der Lehrerweiterbildung (Altrichter & Posch 2007: 333 ff. und 349 ff.). Speziell seit den späten 1990er Jahren findet Aktionsforschung auch systematisch Anwendung auf den (Fremd-)Sprachenunterricht im deutschsprachigen Raum (Gierlinger 1998; Hermes 2001; Schocker-v. Ditfurth 2001). Die dynamischste Entwicklung nimmt Aktionsforschung dennoch nach wie vor im anglo-amerikanischen Raum, wo internationale Fachzeitschriften beheimatet sind wie Educational Action Research (Taylor & Francis 2015), Action Research (Sage 2015) oder Networks (University of Wisconsin 2015) und professionelle Netzwerke wie das Collaborative Action Research Network (CARN 2015), das allerdings immerhin auch einen deutschsprachigen Zweig hat. 593 130. Aktionsforschung 3. Wissenschaftlichkeit Aktionsforschung ist in gewisser Weise als Gegenbewegung zu etablierter Sozial- und Unterrichtsforschung zu sehen und wurde von dieser oft wegen mangelnder Einhaltung konventioneller Forschungsstandards kritisiert (Schart 2010: 1372 ff.). So wird der Aktionsforschung mangelnde Distanz der Forschenden zu ihrem Forschungsfeld, die Vernachlässigung von Gütekriterien in der „Laienforschung“ und die mangelnde Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse vorgeworfen. So lautet ein Argument: „Aktionsforschung führe zu Einzelaussagen und nicht, wie traditionelle Forschung, zu allgemein gültigen Aussagen“ (Altrichter & Posch 2007: 341). Obwohl diese Kritikpunkte durchaus ernst zu nehmen sind, verschleiern sie doch die Tatsache, dass in konventioneller Forschung diese Fragen nicht automatisch besser gelöst sind. Es lässt sich sogar argumentieren, dass Aktionsforschung durch das wiederholte Durchlaufen des Aktionsforschungskreislaufs, von Altrichter & Posch (2007: 342 ff.) „Iterativität“ genannt, strengeren Qualitätsprüfungen unterliegt als konventionelle Forschung, da die praktische Theorie dabei immer wieder einem Praxistest unterzogen und ggf. revidiert wird. Inzwischen hat sich in der Aktionsforschung zudem eine Reihe eigener Standards bzw. Gütekriterien herausgebildet (Feldmeier 2014: 257). So nennen Altrichter & Posch (2007: 116 ff.) erkenntnistheoretische, pragmatische und ethische Gütekriterien für Aktionsforschung. Von besonderer Bedeutung für Aktionsforschung ist auch eine intensive Reflexion der Rolle der Forschenden: Herr und Anderson (2015: 37 ff.) sprechen von einem „Kontinuum der Positionalität“ , das von insiders (die ihr eigenes Praxisfeld erforschen) bis zu outsiders (die die insiders aus einer Außenperspektive beforschen) sechs Positionen umfasst, denen sie jeweils verschiedene Validitätskriterien zuordnen. Das Streben nach Distanzierung und Objektivierung, das outsiderbzw. konventionelle Forschung von Aktionsforschung unterscheidet, ist auch einer der Punkte, die aus der anschaulichen Kontrastierung eines aktionsforschenden und eines konventionellen Zugangs bei Burns (2010: 11 ff.) hervorgehen. Oft wird argumentiert, Aktionsforschung sei weniger eine eigene Forschungsrichtung als eine Orientierung oder ein Standpunkt gegenüber dem Forschungsprozess und den Beteiligten - mit anderen Worten: angewandte Forschung, die sich nur in Hinblick auf die Inklusion der Betroffenen unterscheidet (Herr & Anderson 2015: 2). Aktionsforschung bedient sich der Forschungsmethoden der qualitativen wie auch der quantitativen Forschung. Dazu gehören sowohl qualitative Zugänge, z. B. Tagebücher, Interviews oder Gruppendiskussionen, als auch quantitative Verfahren, z. B. standardisierte Fragebögen oder Quasi-Experimente (Schart 2010: 1371). Aus diesem Grund ist Aktionsforschung also wohl nicht als eigenes Forschungsparadigma anzusehen (Feldmeier 2014: 256). 4. Forschungsprozess Trotz der Anleihen bei konventioneller empirischer Sozialforschung weist Aktionsforschung eine Reihe von charakteristischen Merkmalen auf: die sich aus der Einbindung von Praxisbeteiligten ergebende große Relevanz für die Unterrichtspraxis, die unmittelbare Rückführbarkeit der Ergebnisse der Forschungen in diese Praxis, die Aufwertung professionellen Handlungswissens und die Sicherung von Unterrichtsqualität. Damit hat sie gegenüber der konventionellen - sowohl der quantitativen als auch (in geringerem Ausmaß) der qualitativen - Forschung, die von Unterrichtenden oft als wenig brauchbar 594 Klaus-Börge Boeckmann für die eigene Praxis empfunden wird, entscheidende Vorteile (Feldmeier 2014: 256). Aktionsforschung bietet einen alternativen Zugang: Bei der Generierung von Forschungsfragen durch die Beteiligten selbst ist sichergestellt, dass Forschungsprozess und -ergebnisse Relevanz für ihre eigene Praxis haben: „Ausgangspunkt [ … ] ist der Wunsch, den eigenen Unterricht verbessern zu wollen“ (Feldmeier 2014: 265). Auslöser können Stärken (z. B. vielversprechende Ideen), Schwierigkeiten oder Unklarheiten (z. B. überraschende Wahrnehmungen) der Unterrichtenden sein (Altrichter & Posch 2007: 54). Eine systematische Auflistung von unterschiedlichen Aspekten der Unterrichtsgestaltung von der „Lernendenorientierung“ bis zur „Teamorientierung“ , die als Ausgangspunkt für Forschungsfragen dienen können, findet sich bei Hermes (2001: 63). Solche Fragen werden dann mit möglichst unaufwendigen Methoden erforscht und reflektiert. Von den genannten methodischen Zugängen spielt das (Unterrichts- und Forschungs-) Tagebuch in der Aktionsforschung eine besondere Rolle, da es an einer alltäglichen Fertigkeit anknüpft, einen geringeren organisatorischen Aufwand als andere Forschungstechniken verursacht, sich auch zur Dokumentation von Daten eignet, die mit anderen Verfahren der Datensammlung gewonnen werden, und zudem ermöglicht, „die Entwicklung der Vorstellungen und Einsichten über die verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses hinweg“ zu dokumentieren (Altrichter & Posch 2007: 30 f.). Somit lässt sich das Tagebuch als zentraler Ort der Forschungsdokumentation einsetzen. Für die Auswahl von Datengewinnungsverfahren ist besonders auf drei Aspekte zu achten: 1) die Angemessenheit des Verfahrens für die Fragestellung, 2) die Vereinbarkeit mit der Unterrichtssituation und die Bewältigbarkeit durch in der Unterrichtspraxis stehende Lehrende (Boeckmann 2011a: 88). Der Aktionsforschungsprozess wird in teils recht komplexen Phasenmodellen beschrieben, wesentliche Komponenten nennt etwa Burns (2010: 7-10): Planung - Aktion - Beobachtung - Reflexion. In Anlehnung an Burns (2010) entwickelt Feldmeier (2014: 263 f.) eine tabellarische Übersicht der Forschungsphasen von den Vorbedingungen und Vorentscheidungen über die Definition und Prüfung der Forschungsfrage, die Planung, Implementierung, Datenerhebung, -aufbereitung und -auswertung bis hin zur Reflexion der Ergebnisse. An dieser Stelle gibt es zwei mögliche ,Ausgänge‘: entweder das Forschungsziel wurde schon erreicht und die Ergebnisse werden in irgendeiner Form verbreitet, sei es durch Präsentationen in der eigenen Institution bzw. überinstitutionellen professionellen Netzwerken, sei es durch (elektronische oder gedruckte) Publikationen. Oder das Ziel wurde noch nicht erreicht und ein neuer Zyklus beginnt mit dem Einstieg in einen neuen Aktionsplan (Altrichter & Posch 2007: 27). Genaueres zur Konzeption von Aktionsforschungsprojekten findet sich in den zahlreichen Anleitungen in Buchform, so etwa Burns (2010), für Vorhaben mit akademischem Anspruch Herr und Anderson (2015), deutschsprachig Altrichter und Posch (2007). 5. Perspektiven Seit 1990, dem Erscheinungsjahr der Erstauflage ihres Buchs, vermerken Altrichter und Posch eine zunächst schleppende, dann aber an Dynamik zunehmende Verbreitung des Aktionsforschungskonzepts (2007: 349). Schart (2010: 1375) gibt allerdings zu bedenken, über Aktionsforschung werde „viel mehr [ … ] geschrieben als mit ihr gearbeitet“ . 595 130. Aktionsforschung Fest steht, dass, auch wenn die Aktionsforschung zunehmend an Aufmerksamkeit gewinnt, ihr Potential noch lange nicht ausgeschöpft ist. Allerdings: Voraussetzung für Aktionsforschung ist die Vermittlung von forschungsmethodischen Kompetenzen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrenden. Besonders im Ausbildungsbereich ist dies bisher viel zu wenig praktiziert worden (Riemer 2010: 363). Es steht zu hoffen, dass sich das ändert und Aktionsforschung in Zukunft speziell im Übergangsbereich von Lehrerbildung und Unterrichtspraxis, also sowohl in der Erstausbildung von Studierenden, als auch bei Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen von in der Praxis stehenden Lehrenden vermehrt eingesetzt wird. Denn die Anregung (und Anleitung) zur selbst gesteuerten Erforschung der eigenen Praxis und damit der Übernahme von Verantwortung ist für die Qualität des Unterrichts von wesentlicher Bedeutung (Warneke 2007: 75). Hier kann Aktionsforschung ihre Stärke, nämlich eine systematische Praxisreflexion, besonders zur Geltung bringen. Auch kombinierte Praxis- und Forschungssemester für Ausbildende in der Lehrerbildung wären eine sinnvolle Einrichtung (vgl. Art. 132). Die zentrale Bedeutung der Lehrkraft für die Unterrichtsqualität wurde zuletzt in der intensiv diskutierten Großstudie von Hattie bekräftigt (Hattie 2013: 129 ff.). So scheint es hoch an der Zeit, dass Aktionsforschungsbeiträge von Lehrenden aus der Unterrichtspraxis als integraler Bestandteil der Fremdsprachenforschung gesehen werden (Boeckmann 2011b). Denn es wird auch in Zukunft immer wieder der „reflektierten Entwicklungsarbeit“ von Lehrenden bedürfen, um erwünschte Weiterentwicklungen im Unterricht auf den Weg zu bringen und nachhaltig abzusichern (Altrichter & Posch 2007: 23). Literatur Altrichter, H. / Posch, P. (2007): Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht. Unterrichtsentwicklung und Unterrichtsevaluation durch Aktionsforschung. 4., überarb. u. erw. Aufl. Bad Heilbrunn. Boeckmann, K.-B. (2011a): Forschendes Lehren als Instrument der Qualitätsentwicklung, in: H. Barkowski / S. Demmig / H. Funk / U. Würz (Hrsg.): Deutsch bewegt. Entwicklungen in der Auslandsgermanistik und Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Baltmannsweiler, 79-91. Boeckmann, K.-B. (2011b): Spracherwerbstheorie und Sprachunterrichtspraxis, in: M. Clalüna / B. Etterich (Hrsg.): Spracherwerb DaF/ DaZ. Forschen - Lehren - Lernen. Akten der Dritten Gesamtschweizerischen Tagung für Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer 11. und 12. Juni 2010. Bern, 33-44. Burns, A. (2010): Doing action research in English language teaching: a guide for practitioners. New York. CARN (2015): Collaboration action research network. www.esri.mmu.ac.uk/ carnnew Feldmeier, A. (2014): Besondere Forschungsansätze: Aktionsforschung, in: J. Settinieri / S. Demirkaya / A. Feldmeier / N. Gültekin- Karakoç / C. Riemer (Hrsg.): Empirische Forschungsmethoden für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Stuttgart, 255-267. Gierlinger, E., Hrsg. (1998): Reflective teaching and action research in language teaching: an international approach - background reading materials for an international introductory course in reflective teaching. Linz. Hattie, J. (2013): Lernen sichtbar machen: überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von „Visible Learning“ . Baltmannsweiler. Hermes, L. (2001). Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung von Unterricht in der Sekundarstufe I Englisch. Materialien zu dem Themenbereich: Action Research - Lehrkräfte erforschen ihren Unterricht. Erpro- 596 Klaus-Börge Boeckmann bungsfassung. http: / / ltsc.ph-karlsruhe.de/ Actionresearch.pdf Herr, K. / Anderson, G. L. (2015): The action research dissertation: a guide for students and faculty. 2. Aufl. Thousand Oaks, California. Riemer, C. (2010): Empirische Unterrichtsforschung und Action Research, in: W. Hallet / F. G. Königs (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze-Velber, 359-363. Sage Publications (2016): Action Research. http: / / arj.sagepub.com Schart, M. (2010): Aktionsforschung/ Handlungsforschung, in: H.-J. Krumm / C. Fandrych / B. Hufeisen / C. Riemer (Hrsg.): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch, Bd. 2. Berlin, New York, 1370-1377. Schocker-v. Ditfurth, M. (2001). Forschendes Lernen in der fremdsprachlichen Lehrerbildung. Grundlagen, Erfahrungen, Perspektiven. Tübingen. Schön, D. A. (1983). The reflective practitioner. London. Stenhouse, L. (1975): An introduction to curriculum research and development. London. Taylor & Francis (2015): Taylor & Francis Online: Educational Action Research. www.tandf online.com/ loi/ reac20#. VPV 1 SU uBjbR University of Wisconsin (2015). Networks: An On-Line Journal for Teacher Research. http: / / journals.library.wisc.edu/ index.php/ networks Warneke, D. (2007). Aktionsforschung und Praxisbezug in der DaF-Lehrerausbildung. Kassel. Klaus-Börge Boeckmann P Aus-, Fort- und Weiterbildung von Sprachlehrenden 131. Ausbildung von Sprachlehrenden an Hochschulen 1. Die Struktur der Lehrerbildung allgemein Die Lehrerbildung in Deutschland ist in zwei Phasen aufgeteilt: Auf ein Hochschulstudium (erste Phase) folgt der Vorbereitungsdienst (Referendariat) an Studienseminaren und Ausbildungsschulen (zweite Phase, vgl. Art. 133). Die sog. dritte Phase, die Berufseinstiegsphase, ist kein betreuter Teil der Ausbildung, obwohl dies seit geraumer Zeit gefordert wird. Für die erste Phase sind die Universitäten und Pädagogischen Hochschulen (Baden- Württemberg) zuständig. Ausgebildet wird in der Regel in zwei Schulfächern und nach Schulformen bzw. -stufen. Die Struktur der Ausbildung ist von der gewählten Schulform abhängig; teilweise ist die Ausbildung schulformübergreifend angelegt (z. B. für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen). Nicht jede Hochschule bietet alle Lehramtstypen an; für einige Schulformen erfolgt die Ausbildung zudem in manchen Bundesländern in Form eines Aufbaustudiums oder erst in der zweiten Phase (z. B. in Brandenburg für die beruflichen Schulen). 597 Aufgrund der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland liegen demnach für die Lehrerbildung länderspezifisch unterschiedliche Bedingungen vor. Verschiedene übergreifende Vereinbarungen durch die Kultusministerkonferenz (KMK), wie zuletzt 2013 liefern allerdings Leitlinien für die gegenseitige Anerkennung von Lehramtsabschlüssen. Inzwischen überall erfolgt ist die Neuordnung der Lehrerbildung nach der Bachelor- Master-Struktur (BA/ MA) im Rahmen des Bologna-Prozesses und damit einhergehend die Modularisierung der Studiengänge. Ziele der Reform hin zu konsekutiven Modellen seit Beginn der 2000er Jahre waren insbesondere die Verkürzung der Studienzeiten, die Vereinheitlichung von Studieninhalten, die auch internationale Vergleichbarkeit der Abschlüsse sowie der Aufbau von anschlussfähigem und berufsqualifizierendem Wissen. Hinsichtlich der Stufung der Studiengänge sind in den Bundesländern Unterschiede festzustellen. Eher additiven Modellen, bei denen auf einen sechssemestrigen, fachwissenschaftlich orientierten Zwei-Fach- BA ein MA mit einem Fokus auf erziehungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Anteilen folgt, stehen schulformspezifische BA-Studiengänge gegenüber, die durch die Integration von Bildungswissenschaften und Fachdidaktiken eine frühe berufsbezogene Schwerpunktsetzung aufweisen und die Vertiefung fachwissenschaftlicher Anteile in einem anschließenden MA-Studiengang vorsehen. Einige Bundesländer (u. a. Bayern, Hessen und Sachsen) behalten trotz der Umstellung auf die gestufte und modularisierte Struktur die Staatsexamensprüfung bei. Weitere länderübergreifende Eckpunkte sind durch die Kompetenz- und Standardorientierung im Bildungswesen nach PISA entstanden. Lehrerbildung wird von den Zielen her gedacht, d. h. von den Kompetenzen, die angehende Lehrende zum Abschluss ihres Studiums erworben haben müssen, um berufliche Handlungsanforderungen bewältigen zu können (vgl. Art. 65). Nach den Standards für die bildungswissenschaftlichen Anteile in der ersten Phase (KMK 2004) hat die KMK 2008 und - überarbeitet sowie um den Aspekt der Inklusion erweitert - 2014 die „Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung“ beschlossen. Sie bieten einen Rahmen, innerhalb dessen von den Ländern und Universitäten Schwerpunktsetzungen vorgenommen werden können, und sie dienen als Grundlage für die Akkreditierung und Evaluierung von Studiengängen. Die zu entwickelnden Kompetenzen werden phasenbezogen bestimmt: Während die Hochschulen für die Vermittlung fachwissenschaftlicher Erkenntnis- und Arbeitsmethoden sowie fachdidaktischer Anforderungen zuständig sind, ist die Entwicklung unterrichtspraktisch definierter Kompetenzen für die zweite Phase vorgesehen; die Entwicklung in der beruflichen Rolle als Lehrerin bzw. Lehrer soll in der Fort- und Weiterbildung erfolgen (vgl. Art. 134). Unterschiede im Hinblick auf die Schulstufen bestehen v. a. in der Forderung nach einem höheren Spezialisierungs-, Komplexitäts- und Abstraktionsgrad sowie einer stärkeren For- 598 Carola Surkamp schungsorientierung des Studiums für die Sekundarstufe II. Durch die Lehrerausbildungsgesetze der Länder gibt es Vorgaben zur Verteilung der Pflichtanteile der Studieninhalte anhand von Leistungspunkten oder des Veranstaltungsumfangs. Nicht zuletzt aufgrund der Forderungen der von der KMK Ende der 1990er Jahre eingesetzten Kommission für die Lehrerbildung nach einem ausgewogeneren Theorie-Praxis-Verhältnis und einer quantitativen und qualitativen Aufwertung der fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Studieninhalte (vgl. Terhart 2000: Kap. 3), haben die Reformbewegungen nicht nur zu strukturellen, sondern auch zu inhaltlichen Veränderungen geführt. Für die mittlerweile obligatorischen Schulpraktika gibt es z. B. verschiedene Konzepte, die entweder mehrere Praktikumsphasen unterschiedlicher Ausrichtung und Länge über die BA-/ MA-Struktur verteilen (Orientierungspraktika zu Beginn des BAs und Professionalisierungspraktika im MA) oder ein zusammenhängendes Praxissemester vorsehen (vgl. Art. 132). Auch in Österreich wird die Lehrerbildung derzeit neu organisiert (vgl. Mayr & Posch 2012). Während die Universitäten bisher fachorientiert auf das Lehramt an höheren Schulen ausgerichtet sind und die Pädagogischen Hochschulen einphasig und praxisorientiert die Pflichtschullehrkräfte für Grund- und Hauptschulen ausbilden, soll es in Zukunft eine von beiden Institutionen gemeinsam getragene universitäre Lehrerbildung geben. Im Hinblick auf ihre Dauer und das akademische Niveau soll sie internationalen Standards entsprechen und außerdem grundständig angelegt sein, d. h. von Anfang an bildungswissenschaftliche, fachwissenschaftliche, fachdidaktische und schulpraktische Ausbildungselemente integrieren. Eingerichtet werden dafür Schools of Education bzw. Zentren für Lehrerbildung als teilautonome Organisationseinheiten der Universitäten, wie sie auch an manchen Standorten in Deutschland existieren, um den an der Lehrerbildung beteiligten Fächern und Fakultäten ein eigenes Dach zu geben und eine stärkere Verzahnung der verschiedenen Ausbildungselemente und -phasen zu gewährleisten. 2. Fachbezogene Besonderheiten der Ausbildung von Sprachlehrenden Für die Darstellung der Spezifika der Ausbildung von Sprachlehrenden an Hochschulen bedarf es eines Blickes in die Geschichte (vgl. ausführlich Bausch et al. 2007; Schröder 2010). Traditionell waren die neueren Philologien an den Universitäten für die Ausbildung von Sprachlehrenden an höheren Schulen zuständig. Daraus ergaben sich vornehmlich sprach- und literaturwissenschaftlich ausgerichtete Studiengänge. Seit den 1970er Jahren wurde in der Fachdiskussionen immer wieder Kritik am einseitig philologisch orientierten Lehramtsstudium für Fremdsprachen geübt (vgl. Zydatiß 1998a; Bausch et al. 2003). Reformvorschläge bezogen sich v. a. auf eine stärkere Berücksichtigung sprachpraktischer und fremdsprachendidaktischer Studienanteile sowie einen engeren Theorie- Praxis-Bezug. Die Umstellung auf gestufte, modularisierte Studiengänge wurde daher als Chance für grundlegende Veränderungen gesehen (vgl. Pilypaityté 2013: 61). In den meisten Curricula nimmt die Entwicklung der Zielsprachenkompetenz heute einen großen Raum ein. An vielen Universitäten werden obligatorische Auslandsaufenthalte gefordert. Werden diese im Rahmen einer Fremdsprachenassistenz absolviert, können Studierende sich dies in der Regel auf ihre Schulpraktika anrechnen lassen (vgl. Art. 135). 599 131. Ausbildung von Sprachlehrenden an Hochschulen Auch die fremdsprachendidaktischen Studienanteile haben eine Aufwertung erfahren. An inhaltlichen Neuerungen sind v. a. die Einbeziehung der Themen ,Interkulturalität‘ und ,Neue Medien‘ zu nennen, was nicht nur auf länderübergreifende Forderungen der KMK (2008), sondern auch auf Entwicklungen innerhalb der Fremdsprachendidaktik als Disziplin zurückzuführen ist. Daneben sind gerade für Sprachlehrende die Themenbereiche wichtig geworden, welche die KMK fächerübergreifend als Schwerpunktsetzungen für die Lehrerbildung deklariert: Deutsch als Zweitsprache (DaZ), Inklusion und Heterogenität (vgl. Terhart 2000). Angehende Sprachmittler, die immer auch Kulturmittler sind (Zydatiß 1998b: 5), sollen die Fähigkeit zum Umgang mit Verschiedenheit ausbilden. Angesichts (sozio-)kulturell und sprachlich heterogener Lerngruppen und vor dem Hintergrund der europäischen Sprachenpolitik, die zur Stärkung der Fremdsprachenkompetenz das Erlernen von mindestens zwei Fremdsprachen fordert, bedeutet dies für Sprachlehrende auch, Mehrsprachigkeitskompetenz zu entwickeln. D. h., sie sollen Wissen über fremdsprachliche Lehr- und Lernprozesse auch unter dem Gesichtspunkt von Mehrsprachigkeit erwerben (KMK 2008) sowie die Fähigkeiten entwickeln, die Erstsprachen der Lernenden in den Unterricht zu integrieren und Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf lebenslanges Sprachenlernen zu beraten. Inwiefern Ansätze der Mehrsprachigkeitsdidaktik Eingang in die Lehrerbildung finden, unterscheidet sich regional. In Berlin ist eine Zusatzqualifikation in DaZ obligatorischer Bestandteil der Ausbildung von Sprachlehrenden, in NRW ist die Auseinandersetzung mit Sprachförderung verpflichtend für alle angehenden Lehrkräfte, wenngleich nur im Umfang eines kleinen Studienmoduls. Auch in Österreich gibt es im Zuge der Neustrukturierung der Lehrerbildung Bestrebungen, die Aspekte ,Mehrsprachigkeit‘ und ,Interkulturalität‘ in den neuen Lehrerbildungscurricula zu verorten. So hat das Bildungsministerium für alle Lehrerbildungsbereiche ein Handbuch herausgegeben, in dem auch Kompetenzen für die Bereiche ,Interkulturalität‘, ,interkulturelle Bildung‘ und ,Migrationspädagogik‘ beschrieben sind (Braunsteiner et al. 2014: Kap. 10.8). In der Schweiz hat die Einführung eines Gesamtsprachenkonzepts für den schulischen Fremdsprachenunterricht (frühes Fremdsprachenlernen, bilingualer Sachfachunterricht, konsequente Austauschpädagogik und Einbindung des europäischen Sprachenportfolios) ebenfalls zu neuen Vorgaben in den Sprachlehrerbildungsprogrammen an Hochschulen geführt (vgl. Schneider 2007: 147). Zur Ausbildung von Sprachlehrenden in Deutschland hinzugekommen sind an einigen Hochschulen zudem Angebote zur Spezialisierung, v. a. für den bilingualen Sachfachunterricht und für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Diese ermöglichen entweder als eigener Studiengang (für bilingualen Unterricht z. B. in Freiburg, Karlsruhe und Wuppertal) oder studienbegleitend in Form von Wahlmodulen (z. B. in Braunschweig) oder als Aufbaustudium eine besondere Profilbildung. Des Weiteren gibt es an einer Reihe von deutschen und österreichischen Universitäten grundständige Bachelor- und Masterstudiengänge für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (z. B. in Bielefeld, Jena, Leipzig, Wien). 3. Perspektiven Trotz des feststellbaren größeren Berufsfeldbezugs der heutigen Ausbildung von Sprachlehrenden an Hochschulen besteht insbesondere bei polyvalenten BA-Studiengängen, die auch auf einen MA in den Fachwissenschaften vorbereiten, weiterhin das Problem einer 600 Carola Surkamp zu geringen Orientierung an der Schulpraxis. Perspektivisch sollten die verschiedenen Studienanteile daher noch deutlicher aufeinander bezogen und z. B. in speziellen Modulen integriert (vgl. Königs 2008: 22) sowie mehr lehramtsbezogene Veranstaltungen auch außerhalb der Fachdidaktik angeboten werden. In der Diskussion um eine Professionalisierung der Lehrerbildung wird zudem dafür plädiert, von Beginn an die Entwicklung eines forschend-reflektierenden Habitus zu befördern. Dies spricht weiterhin für eine auch wissenschaftsfundierte Sprachlehrausbildung, allerdings nicht primär orientiert an den Philologien, sondern an den Tätigkeitsfeldern von Sprachlehrenden (vgl. Zydatiß 1998b: 15). Dafür müssten die Fachdidaktiken zukünftig noch enger mit den Bildungswissenschaften verzahnt werden. Die Polyvalenz von Studiengängen kann aber auch alternativ gedacht werden, indem statt einer schulformbezogenen Ausbildung die Entwicklung von Sprachlehrenden zu Experten für alle Altersstufen und Bildungsbereiche angestrebt wird. Dies wurde schon Anfang der 1990er Jahre vorgeschlagen (vgl. Krumm 2003: 145), auch um der Gefahr der Lehrerarbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Heute könnten solche Angebote außerdem dazu dienen, den veränderten Zielgruppen gerecht zu werden und Sprachlehrende auch auf außerschulische Tätigkeitsbereiche z. B. im Vorschulbereich oder der Erwachsenenbildung vorzubereiten, für die es keine eigenen Studienprogramme gibt (vgl. Bausch et al. 2007: 479). Ein weiterer Vorschlag (vgl. Königs 2008: 23) bezieht sich auf eine stärkere Profilbildung von Sprachlehrenden als Spezialisten für bestimmte Bereiche (z. B. bilingualer Unterricht oder Neue Technologien). Ebenfalls weitergedacht werden sollte die Qualitätsentwicklung und -sicherung der Ausbildung. Neben (Re-)Akkreditierungsprozessen, die das Hauptinstrument für die Überprüfung von Studiengängen als Ganzes sind, und lokalen Verbünden zwischen Staat und Hochschulen zur Begleitung und Analyse der Lehrerbildung bedarf es dafür verstärkt empirischer Befunde zur Wirksamkeit der Ausbildung. Bislang vorliegende Studien (z. B. Jansing et al. 2013) weisen auf die Stabilität und Resistenz subjektiver Theorien von Studierenden über das Lehren und Lernen von Fremdsprachen hin. Dies verdeutlicht nicht zuletzt die Notwendigkeit der Diskussion über didaktisch-methodische Standards auf Hochschulebene (Stichworte ,erfahrungsorientiertes Lernen‘, ,reflektierendes Lernen‘, ,forschendes Lernen‘; vgl. Kuhfuß 2010: 345). Aussagen über die Qualität der Studiengänge sind zudem möglich, wenn die Universität in alle Phasen der Ausbildung von Sprachlehrenden eingebunden ist - einige Zentren für Lehrerbildung (z. B. in Hamburg) setzen dies mit innovativen Konzepten bereits um. Literatur Bausch, K.-R. / Christ, H. / Krumm, H.-J. ( 5 2007): Ausbildung von Fremdsprachenlehrern an Hochschulen, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 5. Aufl. Tübingen, 475-481. Bausch, K.-R. / Königs, F. G. / Krumm, H.-J., Hrsg. (2003): Fremdsprachenlehrerausbildung: Konzepte, Modelle, Perspektiven. Tübingen. Braunsteiner, M.-L./ Schnider, A. / Zahalka, U., Hrsg. (2014): Grundlagen und Materialien zur Erstellung von Curricula. Graz. Jansing, B. / Haudeck, H. / Keßler, J.-U. / Nold, G. / Stancel-Piatak, A. (2013): Professionelles Wissen im Studienverlauf: Lehramt Englisch, in: S. Blömeke / A. Bremerich-Vos / G. Kaiser / G. Nold / H. Haudeck / J.-U. Keßler / K. Schwippert (Hrsg.): Professionelle Kompetenzen im Studienverlauf. Münster, 77-106. 601 131. Ausbildung von Sprachlehrenden an Hochschulen Königs, F. G. (2008): Fremdsprachenlehrerausbildung: Minenfeld oder Artenreichtum? Zeitschrift für Romanische Sprachen und ihre Didaktik 2/ 2, 9-32. KMK (2004/ 2014): Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16. 12. 2004 i. d. F. vom 12. 06. 2014. Berlin, Bonn. KMK (2008/ 2015): Ländergemeinsame inhaltliche Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung. 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Lange Jahre stand die universitäre Lehrerbildung in der Kritik, da sich deren Inhalte und Verfahren nicht aus einer Analyse der berufsfeldbezogenen Kompetenzen ableiteten, sondern unreflektiert gelehrt wurde, was die Philologien erforschten (Zydatiß 1998). In den letzten Jahren wurden durch entsprechende bildungspolitische Vorgaben die strukturellen Voraussetzungen dafür geschaffen, Praxisphasen verbindlich in die erste Phase der Lehrerausbildung zu integrieren. Im sogenannten „Quedlinburger Beschluss“ forderte die Kultusministerkonferenz (KMK) im Zusammenhang der Einführung von Bachelor-/ Masterstrukturen eine stärkere Orientierung an den Erfordernissen des Lehrerberufs. Dazu sei der Anteil der schulpraktischen Studien deutlich zu erhöhen (eine mindestens anderthalbjährige schulpraktische Ausbildung, davon mindestens ein Jahr als Vorbereitungsdienst) und mit den Bildungs- und Fachwissenschaften und ihren Didaktiken stärker zu vernetzen (KMK 602 Marita Schocker 2005). Die Länder sehen u. a. Eignungs-, Orientierungs-, Einführungs- und Professionalisierungspraktika sowie mehrmonatige Praxissemester im Berufsfeld Schule vor. Laut aktuellem Sachstandsbericht der KMK (2014) bieten sieben Bundesländer Praxissemester an, für die mehrheitlich die Hochschulen verantwortlich sind. Zwei planen die Einführung im Jahr 2015, ein Bundesland bietet ein zweisemestriges Kernpraktikum an, in dem die Studierenden während der Vorlesungszeit einen Tag an der Schule verbringen und in der vorlesungsfreien Zeit ein Praktikumsblock stattfindet (für Art und Dauer der Praktika und Praxissemester, klassifiziert nach Lehramtstypen aller Bundesländer und Verzahnung von erster und zweiter Phase vgl. die Übersicht der KMK 2014). Ein Großteil der Praxisphasen wird durch verpflichtende Seminare begleitet. 2. Problemaufriss und Forschungsstand Die Notwendigkeit einer intensiven Einbeziehung von Praxisphasen von Beginn an ist durch zahlreiche Lehrerausbildungsstudien übereinstimmend belegt (vgl. den Forschungsüberblick in Schockerv. Ditfurth 2001: Kap. 1 und Wideen et al. 1998). Denn Lehramtsstudierende verbinden fachdidaktische Begriffe mit relativ fest geprägten Vorstellungen, die sie bereits zu Beginn ihres Studiums durch ihre eigenen schulischen Lernerfahrungen und das Erfahrungswissen von Lehrkräften, dem sie anlässlich zufälliger Unterrichtserfahrungen begegnen, entwickelt haben. Demgegenüber spielen fachwissenschaftliche und fachdidaktische Inhalte ihrer universitären Ausbildung kaum eine Rolle, da ihnen die Anschaulichkeit und damit die Glaubwürdigkeit fehlt, weshalb sie sich nicht auf ihr berufliches Selbstverständnis auswirken (Fullan 1993). Selbst wenn Praktika Teil des universitären Angebotes sind, gelingt es den Studierenden kaum, Studienwissen und praktische Erfahrungen aufeinander zu beziehen, wenn sie nicht dazu angeleitet werden (Gabel 1997). Ein weiterer Grund für fehlende Wirkungen ist das an Universitäten lange vorherrschende Unterrichtsmodell des Wissenstransfers, wonach theoretisches Wissen zu einer Veränderung praktischer Handlungstheorien führen könne. Als Vorbereitung auf dynamische Praxiskontexte wie das Klassenzimmer ist es jedoch wenig geeignet, da diese sich durch die Merkmale Unsicherheit, Komplexität, Einzigartigkeit, Instabilität und Wertkonflikte auszeichnen, in denen man nur dann professionell handeln und sich entwickeln kann, wenn man je spezifische Antworten für diese heterogenen Kontexte erarbeitet, erprobt, deren Wirkungen unter Einbeziehung der Perspektiven aller Beteiligten ermittelt und daraus Schlüsse für die weitere Arbeit zieht (Schön 1983). Dieser Entwicklungsprozess, in dessen Verlauf die Studierenden ihre Vorstellungen von Unterricht reflektieren und ihre Vermittlungskompetenzen (vgl. Art. 65) allmählich so entwickeln können, dass sie für heterogene Sprachlernkontexte angemessen sind, ist langwierig (Appel 1995), aber durch einen hochschuldidaktischen Ansatz forschenden Lernens möglich, das Praxisphasen integriert und den Lernprozess aufgabengeleitet in den folgenden vier aufeinander bezogenen Schritten strukturiert (Schocker-v. Ditfurth 2001): 1) Aktivieren des lernbiografisch geprägten Erfahrungswissens der Studierenden, um sich der eigenen Vorstellungen über das Lehren und Lernen von Sprachen bewusst zu werden; 2) Auseinandersetzung mit relevantem publiziertem Wissen, um die persönlichen lernbiografisch geprägten Theorien zu prüfen und theoriegeleitet zu entwickeln; 3) Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen von direkt erfahrbarem oder dokumentiertem Praxiswissen; 603 132. Praxisphasen in der Ausbildung von Sprachlehrenden 4) Anbahnen von Handlungskompetenzen durch verschiedene Formen forschenden Lernens (z. B. Klassenforschungsprojekte), die relevante Perspektiven auf das Lehren und Lernen integrieren. Angehende Sprachenlehrende können sowohl direkte Praxiserfahrungen im Rahmen von Praktika an Schulen machen, sie können sich aber auch über publizierte dokumentierte Unterrichtspraxis aus unterschiedlichen Praxiskontexten (z. B. videografierter Unterricht) mit vielfältigen Lehrpraktiken auseinandersetzen. Dabei geht es nicht etwa um eine Art Vorverlagerung des Vorbereitungsdienstes, sondern vorrangig um eine Integration der bereits genannten vier Dimensionen forschenden Lernens. 3. Direkte Praxiserfahrungen a) Praxissemester Nordrhein-Westfalen z. B. sieht ein von den Hochschulen verantwortetes Praxissemester im Masterstudium vor (Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2010). Es soll „berufsrelevantes wissenschaftliches Theorie- und Reflexionswissen aus Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Bildungswissenschaften in einer forschenden Grundhaltung mit einer wissenschaftlich fundierten Ausbildung für die berufspraktische Tätigkeit verknüpft“ werden (ebd.: 4). Ein Schulforschungsteil zielt auf die Entwicklung konzeptionell-analytischer Kompetenzen ab, in einem schulpraktischen Teil geht es um die Anbahnung reflexiver Handlungskompetenzen. Zur Begleitung der forschenden Lernprozesse werden universitäre Begleitseminare angeboten, die Studierende bei der Planung, Durchführung und Reflexion ihrer Unterrichtsprojekte und der Entwicklung einer forschenden Lernhaltung unterstützen. Ein verpflichtendes Reflexions- und Dokumentationsportfolio unterstützt die Kompetenzentwicklung und die Entwicklung eines professionellen Selbst, es ist Grundlage eines Bilanz- und Perspektivgesprächs. Die Bedeutung des Praxissemesters wird dadurch unterstrichen, dass die Zusammenarbeit zwischen der Universität, den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung (ehemals: Studienseminare) und den Schulen gesetzlich vorgeschrieben ist. Ein weiteres Beispiel sind die zunächst als Pflichtmodule angebotenen, begleiteten und durch Portfolio dokumentierten Praxismodule im DaF-BA und MA-Studium der Universität Jena, deren Evaluation vorliegt (Kleinespel 2014). Sie werden ab 2015/ 16 als erweiterte Praxisanforderungen bereits im 5. Semester im Rahmen des sog. Jenaer Modells in Form eines begleiteten Praxissemester eingeführt. Es dient außer der Überprüfung der Berufswahlentscheidung ebenfalls der Planung, Anwendung, Auswertung und Präsentation eines Forschungsprojektes. Zahlreiche DaF/ DaZ-Studiengänge in Deutschland und Österreich beinhalten integrierte Unterrichtspraktika im In- und Ausland (vgl. Fandrych 1996). b) Projektseminare mit Klassenforschungskomponente Phasen forschenden Lernens in Klassenzimmern können auch als Teil eines als Projekt angelegten Seminars an der Hochschule integriert werden. Dies hat den Vorteil, dass Studierende Innovationen, die sie an der Hochschule kennenlernen, in überschaubaren Praxisphasen erproben und die Schulen wiederum durch diese Öffnung ihren Unterricht entwickeln können, bspw. den Einsatz neuer Medien (Schocker-v. Ditfurth & Legutke 2002) oder die Vorbereitung und Begleitung interkultureller Erfahrungen bei 604 Marita Schocker Klassenfahrten ins fremdsprachige Ausland (Müller-Hartmann & Schocker-v. Ditfurth 2005). 4. Dokumentierte Unterrichtspraxis Videografierte Unterrichtsbeispiele spielen eine wichtige Rolle in teilvirtualisierten Studiengängen, aber auch in Präsenzseminaren, die fachdidaktische Inhalte anschaulich und didaktisch reflektiert vermitteln. Für angehende Englischlehrende für den Primarbereich wurde ein im Blended Learning-Format angebotener internationaler Masterstudiengang mit einer umfangreichen Videodatenbank entwickelt, der außer Klassenforschungsprojekten die kontextbezogene Auseinandersetzung mit vielfältig dokumentierter Unterrichtserfahrung verlangt (Landesstiftung et al. Baden-Württemberg 2008). Auch für den Sekundarbereich liegt die bisher größte Videodatenbank für den Englischunterricht vor (Müller-Hartmann et al. 2013). Sie ist das Ergebnis eines dreijährigen Forschungs- und Entwicklungsprojektes, in dem Englischlehrende aller Schularten in mehreren Aktionsforschungszyklen in ihren Klassen Lernaufgaben zu den Bildungsstandards gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen entwickelt, erprobt, aufgezeichnet und unter Einbeziehung der Perspektiven der Lernenden sowie weiterer Personen ausgewertet haben. Für beide Kontexte wurde ein Implementationskonzept entwickelt, das sich an den o. g. vier Schritten forschenden Lernens orientiert (ebd.: 182-193). Die Lernerfolge sind durch die forschende Begleitung beider Projekte belegt (Bennit 2014; Zibelius 2015; Müller-Hartmann, Schocker & Pant 2013: 186-193). 5. Perspektiven Die Erforschung von Professionalisierungsprozessen in der Lehrerbildung steht trotz verdienstvoller Arbeiten nicht ausreichend im Fokus der Fremdsprachenforschung (Roters & Trautmann 2014), und dies, obwohl seit langem gefordert wird sicherzustellen, dass die konzeptuell einleuchtenden Konzepte tatsächlich zu einer stärkeren Professionalität führen (Frederking et al. 2004). Aktuelle Lehrerausbildungsstudien, die sich explizit der Rolle der Praxiserfahrungen für Sprachenlehrende widmen, liegen für die Primarstufe (Bennit 2014; Zibelius 2015) und die Sekundarstufe vor (Elsner 2010). Übersichtsartikel belegen jedoch, dass Fragen der Professionalisierung im Zusammenhang mit Praxiserfahrungen in der Forschung kaum eine Rolle spielen (Wright 2010; Schart 2014). Die jetzt in einigen Bundesländern gesetzlich vorgeschriebene Zusammenarbeit zwischen erster und zweiter Phase der Lehrerausbildung ist erfreulich. Soll die berufliche Entwicklung nicht als berufsbiografischer Bruch erlebt werden, wird es aber um eine starke Verzahnung der Institutionen gehen müssen (Raith 2011). Schließlich ist zu hoffen, dass durch die soziokulturelle Wende in der Spracherwerbsforschung (Johnson 2006) die institutionelle Trennung von Hochschule und Praxis im Interesse einer kooperativen und multiperspektivisch informierten Fallforschung überwunden wird. Dadurch erhielten Sprachenlehrende eine weitere Möglichkeit, Praxisphasen forschend zu begleiten, was sich positiv auf ihr berufliches Selbstverständnis als forschende Praktiker auswirken würde. 605 132. Praxisphasen in der Ausbildung von Sprachlehrenden Literatur Appel, J. (1995): Diary of a language teacher. Oxford. Bennit, N. (2014): Forschen, Lehren, Lernen - Aktionsforschung in der fremdsprachlichen Lehrerbildung. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 25/ 1, 39-71. Elsner, D. (2010): Kompetenzerwerb im Fachpraktikum Englisch: Ergebnisse einer Between-Methods-Untersuchung, in: M. Engelhardt / W. Gehring (Hrsg.): Fremdsprachendidaktik: Neue Aspekte in Forschung und Lehre. Oldenburg, 207-235. Fandrych, C. (1996): Das Auslandspraktikum im Studium Deutsch als Fremdsprache und seine interkulturelle Dimension: Das Beispiel Mexiko, in: A. Wierlacher / G. Stötzel (Hrsg.): Blickwinkel. München, 323-336. Frederking, V. / Hu, A. / Krejci, M. / Legutke, M. / Oomen-Welke, I. / Vollmer, H. J. (2004): Sprachdidaktik in fachübergreifender Sicht. Ein Versuch zur sprachdidaktischen Orientierung nach PISA , in: H. Bayrhuber / B. Ralle / K. Reiss / H. Vollmer (Hrsg.): Konsequenzen aus PISA . 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Vorbemerkungen Die zweite Phase der Lehrerausbildung folgt der universitären Phase. Während die erste Phase (vgl. Art. 131) ausgehend von der Theorie die pädagogische Praxis erschließt, stehen in der zweiten Phase diese Praxis und deren theoriegeleitete Reflexion im Zentrum. Die zweite Phase der Lehrerausbildung blickt in Deutschland auf eine über 130-jährige Tradition zurück: Anfänge der seminaristischen Ausbildung von Fremdsprachenlehrern lassen sich in die 1860er Jahre zurückverfolgen, als sie als Meisterlehre in enger Anbindung an eine Ausbildungsschule durchgeführt wurde. Allerdings hat sie sich erst seit der Verselbständigung der Studienseminare in den 1920er Jahren zu einer eigenständigen Phase der Lehrerausbildung entwickelt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die zweite Phase feste Komponente der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern aller Schulformen. Allerdings hat im Rahmen der föderativen Ordnung jedes Bundesland ein eigenständiges System der Referendarausbildung entwickelt, und zwar in Verbindung mit den jeweils landesspezifischen Strukturen des Schulsystems. 2. Organisationsformen Trotz gewisser Unterschiede ist die Grundstruktur der zweiten Phase in den meisten Bundesländern gleich. Die Ausbildung erfolgt zeitlich parallel in den Lehrerausbildungsstätten der zweiten Phase und in den Ausbildungsschulen. Sie umfasst eine allgemeindidaktische und fachdidaktische Ausbildung im Rahmen von Haupt- oder Kernseminaren und Fachseminaren, ferner eine schulpraktische Ausbildung und endet mit der zweiten 607 133. Ausbildung von Sprachlehrenden in der zweiten Phase Staatsprüfung für Lehrämter, die zugleich die Zugangsvoraussetzung für die Einstellung als Lehrerin oder Lehrer schafft. Sie besteht einheitlich aus verschiedenen Prüfungsteilen: den unterrichtspraktischen Prüfungen (mindestens ein Prüfungsunterricht pro Unterrichtsfach), einer schriftlichen Arbeit und einem Kolloquium bzw. einer oder mehreren mündlichen Prüfungen. Sie ist aber in den Bundesländern unterschiedlich organisiert. In den meisten Bundesländern dauert die zweite Phase der Lehrerausbildung heute 18 Monate. In einigen Bundesländern, dauert sie länger (z. B. in Bayern und Thüringen 24 Monate, in Hessen 21 Monate), in anderen ist sie kürzer (z. B. in Sachsen-Anhalt 16 Monate, in Sachsen 12 Monate). In Bayern wird der Vorbereitungsdienst nicht an Studienseminaren, sondern an sog. Seminarschulen abgeleistet, in Baden-Württemberg wird das Studium der angehenden Lehrkräfte für die Primarstufe und die Sekundarstufe I weiterhin an den noch bestehenden pädagogischen Hochschulen angeboten. Die Ausbildung an Seminar und Schule ist in der gesamten zweiten Phase der Lehrerausbildung stark vernetzt. Die Auszubildenden nehmen am Lernort Seminar an regelmäßig stattfindenden Seminarveranstaltungen teil. In den Haupt- oder Kernseminaren werden vorwiegend allgemeinpädagogische, allgemeindidaktische, gesellschaftliche und schulrechtliche Fragestellungen behandelt. In den Fach- oder fachdidaktischen Seminarveranstaltungen werden insbesondere fachdidaktische, fachwissenschaftliche und unterrichtspraktische Fragestellungen behandelt und Kompetenzen zur konkreten, fachbezogenen Unterrichtsplanung und Unterrichtsreflexion/ -analyse vermittelt. In den Bundesländern ist dabei heute immer stärker die Tendenz zur Modularisierung, auch zu fachübergreifenden Angeboten zu beobachten, die wie z. B. in Baden-Württemberg verschiedenen Bausteinen mit unterschiedlichen pädagogischen Themenstellungen wie Medienorientierung oder Handlungsorientierung zugeordnet werden können. Am Lernort Schule finden Hospitationen, Ausbildungsunterricht und eigenständiger Unterricht statt. Ausbilderinnen und Ausbilder bzw. Mentorinnen und Mentoren beraten die Auszubildenden im Unterricht, geben ihnen Gelegenheit, in ihrem Unterricht zu hospitieren. Im begleiteten Ausbildungsunterricht erteilen die Auszubildenden bei Anwesenheit des Mentors ihre Stunden und besprechen diese mit ihnen - im Idealfall - vor und nach der Stunde. In einigen Ländern läuft der Ausbildungsunterricht bis zum Ende des Vorbereitungsdienstes parallel zum eigenständigen Unterricht. Nach einer je nach Bundesland unterschiedlichen Vorbereitungszeit erteilen die Studienreferendare zusätzlich eigenständigen Unterricht: Das Pensum schwankt je nach Bundesland zwischen 6 und 12 Unterrichtsstunden. Im eigenständigen Unterricht haben die Auszubildenden alle Aufgaben einer Lehrkraft, sie erteilen den Unterricht alleine, entwerfen Klassenarbeiten und Tests, geben mündliche und schriftliche Noten und beraten Schülerinnen und Schüler wie Eltern. Durch Unterrichtsbesuche der Fachleiter sollen sie eine Rückmeldung über ihre Leistung erhalten. Sie fertigen für die Unterrichtsbesuche Unterrichtsentwürfe an, anschließend finden Beratungsgespräche statt, in denen die Fähigkeit zur Selbstreflexion entwickelt werden soll. An Seminartagen werden Lehrbeispiele unter bestimmten Schwerpunkten analysiert oder theoretische Grundlagen für den Lehrerberuf gelegt. In Österreich wird derzeit die gesamte Lehrerbildung umstrukturiert und in das Bachelor-/ Masterstudium überführt. Hier heißt die zweite Phase „Unterrichtspraktisches Jahr“, das in einem eigenen Gesetz geregelt ist (vgl. Bundesministerium für Bildung und Frauen 2009). In der neuen Struktur ist die 608 Hans-Ludwig Krechel zweite Phase als sog. „Induktionsphase“ geplant, in der die angehenden Lehrkräfte als sog. Turnuslehrkräfte einen besonderen Praktikantenstatus haben. Geplant ist ein umfassendes Drei-Phasen-Modell, das eine klar aufeinander aufbauende und miteinander verknüpfte Struktur für Grundbildung, Berufseinführung und weiterführende Phasen des lebenslangen Lernens - Fort- und Weiterbildung - vorsieht. Die neue Struktur baut auf den im Rahmen der integrierten Grundbildung erworbenen berufs- und schulpraktischen Erfahrungen auf. Dabei ist die Berufseinführungsphase so zu gestalten, dass der Abschluss einer Masterqualifikation berufsbegleitend möglich ist. Auf Basis des erfolgreichen Abschlusses der zweiten Phase der Lehramtsausbildung können funktionsbezogene Zusatzqualifikationen für Bereiche wie Schulmanagement, Schulleitung, Fachbereichsleitung, inklusive Pädagogik, Diversity Management, Management, Informations- und Kommunikationstechnologie, Innovation und Qualitätssicherung, Bildungsverwaltung und Schulentwicklung oder für weitere Bereiche erworben werden (Master of Advanced Studies). Zudem soll die zweite Phase ähnlich wie in Deutschland auf lebensbegleitendes Lernen, Fort- und Weiterbildung in der dritten Phase vorbereiten. 3. Ziele und inhaltliche Anforderungen Hinsichtlich der zentralen Aufgabe und der Ziele der zweiten Phase der Lehrerausbildung besteht ein breiter Konsens. Es geht insbesondere um die Anbahnung didaktischmethodischer Professionalität, die v. a. in der Vertiefung der pädagogischen und fachdidaktischen Ausbildung und einer Umsetzung in Handlungskompetenzen für den Schulalltag und deren Reflexion besteht. Alle Auszubildenden sollen wissenschaftlich fundierte Sachkenntnisse und Handlungsstrategien in Umgang mit Kindern und Jugendlichen erwerben mit dem Ziel, in der Schule fachliches, soziales und personales Lernen zu ermöglichen und diesen Prozess beratend und erzieherisch zu begleiten. Die Ausbildung orientiert sich an den grundlegenden Kompetenzen für Unterricht und Erziehung, Beurteilung, Diagnostik, individuelle Förderung und Umgang mit Heterogenität, Beratung, Kooperation und Schulentwicklung sowie an den wissenschaftlichen Anforderungen der Fächer. Ihre zentrale Aufgabe ist der Aufbau der beruflichen Handlungsfähigkeit künftiger Lehrkräfte bezogen auf alle Lehrfunktionen (Unterrichten, Erziehen, Beurteilen, Beraten, Organisieren, Verwalten, Innovieren). Im Verlauf dieser Ausbildung entwickeln die Auszubildenden die erforderlichen Qualifikationen und Kompetenzen in den miteinander verbundenen beruflichen Handlungsfeldern. Ziel der Ausbildung in den Fremdsprachenfächern ist der Aufbau einer theoretisch fundierten und in der Praxis tragfähigen Kompetenz als Fremdsprachenlehrkraft. Die Ausbildung erfolgt auf der Basis der Auseinandersetzung mit den fachrelevanten wissenschaftlichen Theorien und Grundlagen, mit ausgewählten Beispielen und gestützt auf praktische Unterrichtserfahrung. Im Verlauf des Referendariats werden ein differenziertes Grundverständnis, professionelle Urteils- und Handlungssicherheit, kritisches Problembewusstsein und praktische Problemlösefähigkeit aufgebaut. Die Auszubildenden lernen, die Standards und Kompetenzen des Bildungsplans im Unterricht schülerorientiert umzusetzen. Unter Standards (vgl. Art. 19) werden die verbindlich festgelegten Kompetenzen des Lehrerberufes, die notwendigen Wissens- und Könnensbestände (und deren Performanz) verstanden, über die Lehrpersonen unbedingt verfügen müssen, damit sie unterrichtliche und schulische Situationen (Standardsituati- 609 133. Ausbildung von Sprachlehrenden in der zweiten Phase onen) erfolgreich bewältigen. Diese Standards und entsprechende Kompetenzbereiche sind in den länderübergreifenden Vereinbarungen der Kultusministerkonferenz (KMK 1999) festgelegt. In den Vorgaben der KMK (2008/ 2015) sind einzelne Kompetenzfelder und Inhalte für einzelne Fächer oder Fachgruppen festgelegt, wie z. B. für die Fremdsprachen „Unterricht beobachten und planen“ , „Unterricht durchführen und reflektieren“. Die Auszubildenden für die fremdsprachlichen Fächer erwerben professionelle Handlungskompetenzen, z. B. kommunikative Fertigkeiten entwickeln, sprachliche Mittel kompetenzorientiert erarbeiten, schulen und festigen, mit dem Lehrwerkverbund arbeiten, mit authentischen kontinuierlichen und diskontinuierlichen Texten arbeiten etc. Bei der Behandlung dieser Themen in den Seminarsitzungen werden nachhaltig wirkende Methoden der Seminardidaktik eingesetzt, verschiedene kooperative Arbeitsformen, Unterrichtssimulationen, Feedback- und Blitzlichtrunden etc. (vgl. Wahl 2006). Hinzu kommen die Auswertung von Videographien, Unterrichtsbeobachtungen und Erprobungen im Unterricht auch im Rahmen von Gruppenhospitationen und Seminartagen vor Ort. Die berufliche Handlungsfähigkeit der künftigen Lehrkraft muss durch ein wissenschaftlich begründetes und gesellschaftlich legitimiertes Verständnis von Schule, Bildung und Erziehung durch eine übergreifende Konzeption inhaltlich bestimmt und abgesichert werden. Die für ihre Ausübung erforderlichen Fähigkeiten werden weitgehend in der Praxis des Lehrens und Lernens im Schulalltag in konkreten schulischen Handlungssituationen erworben. Die Professionalität der Lehrkraft zeigt sich u. a. in der Bewältigung von Standardsituationen. Dabei handelt es sich um unterrichtliche und schulische Situationen, die häufig vorkommen und in gewissem Sinne verallgemeinerbar sind, bei der Ausbildung von Sprachlehrkräften sind z. B. folgende Standardsituationen wichtig: eine Unterrichtsreihe und eine Unterrichtsstunde planen, die Lektionseinführung, die Einführung sprachlicher Mittel, die Einführung und Einübung von grammatischen Pensen, die Arbeit mit literarischen Texten, der Umgang mit Sachtexten, die Arbeit mit Liedern, Chansons und Raps, die Arbeit mit Filmen und Videosequenzen, die Durchführung von Rollenspielen und authentischen Gesprächsformen, die Durchführung von Unterrichtsgesprächen, der Einsatz der Fremdsprache und der Muttersprache, der Umgang mit Sprachmittlung, das Konzipieren von schriftlichen und mündlichen Formen der Leistungsüberprüfung (u. a. die mündliche Klassenarbeit) und die Bewertung der Lernleistungen, die Fehlerkorrektur im Schriftlichen und Mündlichen, die Vorbereitung eines Schüleraustausches, die Beratung von Schülern und Eltern bei der Sprachenwahl etc. 4. Neuere Anforderungen und Entwicklungen Der fortschreitende Prozess der europäischen Integration und die zunehmende Mobilität auf dem internationalen und v. a. europäischen Markt sowie die größere soziokulturelle Heterogenität der Schülerschaft infolge verstärkter Migration erfordern ebenfalls neue Wege in der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern in der zweiten Phase. Seit etwa 20 Jahren wird in einigen Bundesländern an Ausbildungsstätten der zweiten Phase eine Ausbildung für bilingualen Sachfachunterricht in Französisch organisiert (Kuhfuß 1994: 74 ff.; Raue 1996: 306 f.). Den Auszubildenden, die die Fächerkombination Englisch oder Französisch und Sachfach (Erdkunde, Geschichte, Sozialwissenschaften/ Politik, Biologie) haben, wird der 610 Hans-Ludwig Krechel Erwerb eines Zertifikates als Ergänzung zum zweiten Staatsexamen ermöglicht, wenn sie folgende Voraussetzungen erfüllen: Die Auszubildenden sind einer Ausbildungsschule mit bilingualem Bildungsgang zugeordnet und führen Unterrichtseinheiten im bilingualen Sachfachunterricht mit Unterrichtsbesuchen durch die begleitenden Fachleiter und -leiterinnen durch, nehmen am Fachseminar Geschichte, Erdkunde, Politik teil, in die Ausbildungseinheiten der bilingualen Sachfachdidaktik integriert sind, und führen eine unterrichtspraktische Prüfung im bilingualen Sachfachunterricht durch. Zudem sind Fragen des bilingualen Lehrens und Lernens Teilthema des Kolloquiums im Rahmen der zweiten Staatsprüfung. Im Vorbereitungsdienst in Rheinland- Pfalz und in Nordrhein-Westfalen wurde die europäische Dimension von Lehrerausbildung übernommen. Zusätzlich werden Aspekte der Mehrsprachigkeitsdidaktik in das Ausbildungsprogramm integriert. Am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung (ehemals Studienseminar) Bonn bspw. werden mehrere Module im Rahmen des Memo- Arbeitskreises angeboten, in denen gemeinsam von Seminarausbildern und Auszubildenden u. a. Themen wie mehrsprachliches Lernen und Dimensionen des interkulturellen Lernens im Fachunterricht behandelt werden, ferner fachübergreifende und fächerverbindende Projekte im Rahmen von bilingualen und mehrsprachigen Modulen sowie adäquate Unterrichtsmaterialien entwickelt und erprobt werden (Memo-Projekt: Comenius 2.1; Krechel 2000: 169 f.). Literatur Bundesministerium für Bildung und Frauen (2009): Unterrichtspraktikumsgesetz. www. bmbf.gv.at/ schulen/ lehrdr/ gesetze_verordnu ngen/ upg.html# a01 KMK (1999): Zur Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für Fremdsprachen. Bonn. KMK (2008/ 2015): Ländergemeinsame inhaltliche Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16. 10. 2008 i. d. F. vom 10. 09. 2015. Berlin, Bonn. Krechel, H.-L. (2000): Techniques d’apprentissage et de travail dans les classes bilingues - une formation particulière des enseignants (= Le français dans le monde. Numéro spécial: Janvier 2000), 160-170. Kuhfuß, W. (1994): Ausbildung bilingualer Sachfachlehrerinnen und -lehrer in der 2. Phase der Lehrerausbildung (das Modell Rheinland-Pfalz), in: Dokumentation DGFF - Kongreß Halle, 74-87. Raue, H. (1996): Lehrerausbildung mit bilingualer Profilbildung, in: I. Buchloh / H. Christ / E. Klein (Hrsg.), Konvergenzen. Fremdsprachenunterricht: Planung-Praxis-Theorie. Tübingen, 304-319. Studienseminar Koblenz: Standardsituationen und Handwerkskasten für Lehrer. www. studienseminar-koblenz.de/ bildungswissens chaften/ standardsituationen.htm Wahl, F. ( 2 2006): Lernumgebungen erfolgreich gestalten. Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln. Bad Heilbronn. Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung Bonn: Bilinguale Ausbildung. www.zfsl-bonn. nrw.de/ Seminar _GyGe/ Seminarprogramm/ Bilinguale_Ausbildung/ index.html Hans-Ludwig Krechel 134. Fort- und Weiterbildung von Sprachlehrenden 1. Begrifflichkeit Im Wesentlichen gliedert sich die Lehrerbildung in Deutschland in drei Phasen: Studium (erste Phase) - Referendariat (zweite Phase) - Berufstätigkeit (dritte Phase). Fort- und 611 134. Fort- und Weiterbildung von Sprachlehrenden Weiterbildung beziehen sich somit auf diese dritte Phase lebenslangen Lernens, die mit dem Berufseintritt beginnt und sich über die ganze Periode der beruflichen Tätigkeit erstreckt. Eine allgemein gültige Definition von Fortbildung und Weiterbildung gibt es nicht. Oft werden sie als Synonyme verwendet; mitunter wird Fortbildung als Hyperonym betrachtet. Will man an der Doppelbezeichnung festhalten, können die beiden Termini folgendermaßen bestimmt werden (u. a. Raasch 2007: 486; Duxa 2010: 354): Fortbildung basiert auf einer Ausbildung und bezieht sich auf die Fortentwicklung vorher erworbener Kompetenzen, um den sich verändernden gesellschaftlichen, beruflichen und individuellen Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen. Diese dynamische Anpassung des individuellen Profils an den stetigen Wandel des externen Berufsumfeldes ist als permanenter Prozess zu verstehen: Fortbildung sollte immer sein. Weiterbildung kann als Erwerb weiterer Qualifikationen definiert werden, wobei diese zusätzlichen Kompetenzen Karriereschritte begründen (z. B. Aufgaben in der Schulleitung) oder dem Kompetenzprofil neue Komponenten hinzufügen (z. B. Qualifikation für Fremdsprachenunterricht in der Grundschule). 2. Handlungsrahmen Die Notwendigkeit von Fortbildung ergibt sich daraus, dass die Lehrkraft mit Ende der Ausbildung noch nicht ausgebildet ist und in einer sich immer schneller verändernden Welt der Adaption und Selbst-Aktualisierung bedarf. Nicht zuletzt die Meta-Meta-Studien von John Hattie (2009) haben die Person der Lehrkraft wieder deutlicher ins Zentrum gerückt und damit auch die Bedeutung von Fort-/ Weiterbildung verstärkt. Die Ziele sind im Rahmen eines Qualitätsmanagements zu verankern. Entsprechende Maßnahmen können die Qualität der Lehrkraft, des Unterrichts und schließlich der Schule erhöhen. Da hier Fortbildung und Lehrtätigkeit - im Gegensatz zur Ausbildung - zeitgleich ablaufen, können sich beide in einem Wechselspiel kontrollieren und befruchten. Der Bereich der Lehrerfortbildung wurde in Deutschland seit den 1960er Jahren kontinuierlich ausgebaut (Schröder 2010: 166; zu Österreich vgl. u. a. ÖSZ 2015 und PISA-Austria 2015). Als Akteure treten zunächst die staatlichen Träger in Erscheinung, wobei insbesondere die Landesinstitute der einzelnen Bundesländer zentrale Angebote bereitstellen (vgl. Landesinstitute 2015); daneben bieten auch Universitäten und Schulen (SchiLF: schulinterne Lehrerfortbildung) entsprechende Veranstaltungen an. Zu den freien Trägern zählen Verlage, Verbände, Gewerkschaften, Kirchen und kommerzielle Anbieter. Der entscheidende Akteur ist allerdings unbestreitbar die Lehrkraft selbst. „Fortbildung ist Sich-Fortbildung oder reflexive Fortbildung“ (Raasch 2007: 488). Auch wenn inzwischen eine bestimmte Anzahl von Veranstaltungen für Lehrende obligatorisch ist, dürfen sie sich nicht mit einer rezeptiven Rolle begnügen, sondern müssen den Dialog mit Fortbildnern, Kollegen, Schülern, Eltern, Medien pro-aktiv suchen. Deshalb sind die traditionellen Fortbildungsveranstaltungen auch lediglich als Hilfe zur Selbsthilfe zu verstehen; sie sind nicht die Fortbildung, sondern nur Beiträge zur Fortbildung (Krumm 1987). Neben den klassischen Formen (Seminare, Kongresse, Vorträge) gibt es auch andere, noch stärker selbstgesteuerte Arten wie Fernstudium, Selbststudium, Lektüre, audiovisuelle Materialien (TV, CDs), interaktive Medien (chatgroups, E-Mail-Kontakte), kollegiale Unter- 612 Engelbert Thaler richtshospitation und Auslandsaufenthalte (language bath). Die Themen der Fortbildung ergeben sich zum einen aus offiziellen Richtlinien zur Lehrer(fort)bildung. Dazu zählen in Deutschland die „Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften“ (KMK 2004/ 2014), die auch für die Fortbildung gelten und in denen die Kompetenzen für die Bereiche Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und (! ) Innovieren formuliert werden. Die Kultusministerkonferenz verabschiedete 2008 auch die „Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung“ (KMK 2008/ 2015). Auf europäischer Ebene sind das European Profile for Language Teacher Education (Kelly & Grenfell 2004) sowie das „Europäische Profilraster für Sprachlehrende“ (EPR) zu erwähnen (vgl. die Bewertung durch Krumm: Goethe-Institut 2015). Zum anderen resultieren die Themen aus aktuellen bildungspolitischen, technologischen und fachdidaktischen Entwicklungen. So haben bspw. die Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss sowie das Abitur, technologische Innovationen oder die Konzepte von Kompetenzorientierung, Interkulturalität, Mehrsprachigkeit, Heterogenität und Aufgabenorientierung deutliche Spuren im Fortbildungsangebot hinterlassen. 3. Forschungsstand Empirische Studien sind „für eine Optimierung ,nach innen‘ und Legitimierung ,nach außen‘“ (Duxa 2010: 357) notwendig. Angesichts der zunehmenden Autonomie der Schulen sowie der wachsenden Pluralität der Fortbildungsangebote (inkl. derer freier Träger) erscheint empirische Wirkungsforschung mit longitudinalem Forschungsdesign umso dringender. Eine Literatur-Recherche zum Thema „Fort- und Weiterbildung von Sprachlehrenden“ beim Informationszentrum für Fremdsprachenforschung (Universität Marburg) ergab zwar für den Zeitraum 2005-2015 über 130 einschlägige Beiträge. Diese waren aber überwiegend regional verankert, thematisch auf spezielle didaktische Aspekte beschränkt, als small-scale -Praxisberichte angelegt, insgesamt von geringer Repräsentativität und empirischer Fundierung. Die Metaanalysen zu professional development, die allerdings nicht speziell auf Fremdsprachen fokussieren und weitgehend in einem anglo-amerikanischen Kontext situiert sind, liefern anschauliche Belege für die Wirksamkeit von Fortbildungsmaßnahmen. Hattie (2009: 120) errechnet auf der Basis von 537 Studien eine Effektstärke der Lehrerfortbildung von d = .62, die damit zu den stärksten Einflussgrößen seiner Studie zählt. Als besonders effektiv erwiesen sich die Auseinandersetzung mit neuen Unterrichtsmethoden, Micro-teaching, Video- und Audio- Feedbacks sowie praktische Übungen. Vorträge, Diskussionen, Rollenspiele und geführte Exkursionen waren weniger wirksam. Timperley et al. (2007) identifizieren sieben Elemente erfolgreicher Lehrerfortbildung: • Fortbildung über längeren Zeitraum, • Einsatz externer Expertise, • aktive Einbeziehung der Teilnehmer, • Ausrichtung auf effektiven Unterricht, • Infragestellung tradierter Unterrichtsmuster, • intensiver Austausch in professionellen Arbeitszusammenhängen, • Unterstützung durch Schulleitungen. Schließlich ist erwiesen, dass Fremdsprachenlehrkräfte ohne ständigen Kontakt mit der Zielsprache nach einer gewissen Zeit im Schuldienst ein langsames, aber stetiges Schwinden ihrer Fremdsprachenkompetenz 613 134. Fort- und Weiterbildung von Sprachlehrenden erfahren müssen. Auslandsreisen, persönliche Kontakte mit Muttersprachlern oder zumindest virtuelle Zielsprachenkontakte sind daher unerlässlich. 4. Herausforderungen In der Praxis der Fort- und Weiterbildung lassen sich mehrere Spannungsfelder und Herausforderungen konstatieren, die teils im individuellen und teils im strukturell-institutionellen Bereich liegen: • Berufseingangsphase: Die ersten Jahre nach Abschluss des Referendariats werden trotz ihrer formativen Signifikanz noch nicht angemessen betreut. • Komplexität: Die unterschiedlichen Anforderungen sind schwer zu vereinbaren, Reflexion eigenen Handelns und Erforschung eigenen Unterrichts bedürfen methodischer Anleitung. • Motivation: Nicht nur zeitliche, auch affektive Barrieren (Ängste vor Bewertung durch Fortbildner und Teilnehmende, Verunsicherung durch Introspektion, Abstumpfung, Bequemlichkeit) müssen überwunden werden (vgl. auch Bifie 2010). • Permanenz: Die Vorstellung von Fortbildung als lebenslanger Prozess steht im Gegensatz zur Beharrlichkeit unbewusster Kognitionen (subjektive Theorien) und der These von Entwicklungspsychologen, wonach die Persönlichkeitsstruktur eines Menschen am Ende des dritten Lebensjahrzehnts weitgehend gefestigt ist. • Ergebnisorientierung: Eine gute Fortbildung muss konkrete Resultate hervorbringen. Effektivität und Nachhaltigkeit bedürfen aufwändiger Longitudinalstudien. Valide Erfolgskontrollen von Fortbildung gibt es bisher kaum. • Transformations-Problematik: Zwischen Wissen und Tun klafft eine Lücke: die kognitive Einsicht in die Notwendigkeit von Veränderung führt nicht automatisch zur praktischen Umsetzung im konkreten Unterrichtsgeschehen. • Koordination: Die drei Phasen der Lehrerbildung bedürfen einer stärkeren Verzahnung. Theorie und Praxis, evidenzbasiertes Lehren und unterrichtsbezogene Wissenschaft müssen in allen Phasen harmonischer verbunden werden. Eine abgestimmte Kooperation der einzelnen Fortbildungsträger existiert nicht. • Modernisierung: Das Master-Modell (craft model) und andere traditionelle Formen der Fortbildung haben durchaus ihre Berechtigung. Daneben gilt es, neuere Ansätze zu installieren, z. B. Handlungsforschung, subjektive Theorien, reflective practitioner approach, berufsbiografischer Ansatz, Open- Space-Verfahren, didaktische Werkstätten, PLCs (professional learning communities ), Verknüpfung zwischen Kontaktphasen und hands-on-Erprobung, Nutzung moderner IT-Technologien. 5. Perspektiven Die Lehrerbildung ist nach dem Ende des Referendariats mitnichten am Ende. Eine gute 4 Au’s Au sdifferenzierung Au fgehobensein Au ffrischung Au slandserfahrungen sich verbessern sich wohl fühlen sich erneuern ein Sprachbad nehmen Selbstreflexion Kollegialität Fortbildung Urlaub Handlungsforschung Freundschaften Fachzeitschriften Schüleraustausch Referendarbetreuung Feste & Feiern Kongressbesuche mediale Kontakte Abbildung 1: Die „4 Au’s“ der Lehrerzufriedenheit 614 Engelbert Thaler Fort- und Weiterbildung hängt sowohl von (externen) Bildungsstrukturen als auch (interner) Bildungsbereitschaft ab. Staatliche Angebote dürfen quantitativ nicht reduziert und qualitativ nicht nur als Reaktion auf unmittelbare Entwicklungen konzipiert werden. Die „4 Au’s“ (Thaler 2012: 47) (s. Abbildung 1) können einem „Aua-Gefühl“ in der dritten Phase vorbeugen und die so wichtige Berufszufriedenheit fördern (vgl. Abb.). Denn zufriedene (nicht selbst-zufriedene) Lehrer sind bessere Lehrer. Literatur Bifie - Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens (2010). www.bifie.at/ buch/ 1179/ 2 Duxa, S. (2010): Fort- und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrern, in: W. Hallet / F. G. Königs (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachendidaktik. Seelze, 354-358. Goethe-Institut (2015): Das Europäische Profilraster für Lehrende - eine Modellierung von Lehrkompetenzen für die LehrerInnenbildung. www.goethe.de/ resources/ files/ pdf22/ EPR _ Einschaetzung _von_H-J_Krumm.pdf Hattie, J. (2009): Visible Learning. London. Kelly, M. / Grenfell, M. (2004): European profile for language teacher education - A frame of reference. www.lang.soton.ac.uk/ profile/ report/ MainReport.pdf KMK (2004/ 2014): Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16. 12. 2004 i. d. F. vom 12. 06. 2014. Berlin, Bonn. KMK (2008/ 2015): Ländergemeinsame inhaltliche Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16. 10. 2008 i. d. F. vom 10. 09. 2015. Berlin, Bonn. Krumm, H.-J. (1987): Lehrerfortbildung - Hilfe zur Selbsthilfe oder Methodenexport? , in: D. Sturm (Hrsg.): Deutsch als Fremdsprache - weltweit. München, 111-122. Landesinstitute (2015). www.bildungsserver. de/ Landesinstitute-600.html ÖSZ - Österreichisches Sprachenkompetenzzentrum (2015). www.oesz.at/ OESZNEU / main_00.php PISA -Austria (2015): Pisa Studie Österreich. Lehrerfortbildung. www.pisa-austria.at/ lehrerfo rtbildung Raasch, A. (2007): Fort- und Weiterbildung von Fremdsprachenlehrern, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 5. Aufl. Tübingen, 486-491. Schröder, K. (2010): Lehrerbildung, in: C. Surkamp (Hrsg.): Metzler Lexikon Fremdsprachendidaktik. Stuttgart, 164-167. Thaler, E. (2012): Englisch unterrichten. Berlin. Timperley / Wilson, A. / Barrar, H. / Fung, I. (2007): Teacher professional learning and development. Wellington. Engelbert Thaler 615 135. Internationale Mobilität von Sprachlehrenden 135. Internationale Mobilität von Sprachlehrenden 1. Beweggründe für internationale Mobilität Sprachen können nicht getrennt von den Personen, die sie erleben, und den Kulturen, die sie beeinflussen, gelehrt und gelernt werden - weshalb auch Dokumente wie das Europäische Profilraster für Sprachlehrende (vgl. Art. 65) oder die Resolution zur Internationalisierung der Lehramtsausbildung (DAAD 2013) Sprachlehrende dazu auffordern, zumindest vorübergehend in einem anderen Land als dem eigenen tätig zu sein. Aus institutioneller und politischer Sicht entstehen hierdurch mehrere Vorteile. Zunächst spielt die Weiterbildung von Fremdsprachenlehrenden eine zentrale Rolle (vgl. Art. 134), die einerseits auf die eigenen sprachlichen Kompetenzen, andererseits auf die Entwicklung didaktischer und methodischer Kompetenzen eingeht. Zweitens sind bildungspolitische Beweggründe von Bedeutung, denn in den beteiligten Ländern sollen Bildungssysteme reflektiert und weiterentwickelt werden. Dies gilt nicht nur für sog. „Drittweltländer“ , sondern beruht auf einem Prinzip der gegenseitigen Bereicherung. Und drittens treten politische Beweggründe hinzu, insbesondere die Unterstützung demokratischer Prinzipien betreffend. Zur individuellen Entscheidung für eine Tätigkeit als Sprachlehrkraft im Ausland tragen unterschiedliche persönliche Motive bei, die sich ebenfalls in drei Kategorien einordnen lassen. Zunächst steht oft eine allgemeine Neugier bzw. eine Offenheit anderen gegenüber im Vordergrund: Eine Mitarbeit in einer Institution im Ausland erlaubt andere Einblicke in fremde Kulturen als bloße Urlaubsreisen, die Chance eines bedeutsamen kulturellen Austausches ist für die Einzelperson deutlich höher. Darüber hinaus spielen durchaus auch politisch und ideologisch geleitete Motive eine Rolle, indem eine Tätigkeit als Vertreter des Heimatlandes als Möglichkeit aufgefasst wird, einen Beitrag zur internationalen Verständigung zu leisten. Schließlich ist die persönliche und professionelle Weiterbildung von Bedeutung: Im Rahmen von Sprachassistenzen wird die Chance gesehen, erste Lehrerfahrungen im Ausland zu sammeln; bei bereits im Dienst stehenden Lehrkräften liegt ein Schwerpunkt auf dem Erfahrungsaustausch mit Kollegen im Zielland. Nicht unwesentlich ist zudem die Gelegenheit, in ein Land zu fahren, in dem die zu Hause unterrichtete Fremdsprache als Majoritätensprache gesprochen wird, und somit die Gelegenheit zu ergreifen, die eigenen Fremdsprachenkompetenzen zu erweitern. 2. Förderung der Mobilität während und direkt nach der Lehrerausbildung Für Sprachlehrende, die im Laufe des Studiums, nach dem Abschluss oder während des Berufslebens eine zeitlich begrenzte Tätigkeit im Ausland ausüben wollen, stehen unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung. Neben privaten oder kirchlichen Trägern unterstützen diverse regionale, nationale und internationale Einrichtungen mit organisatorischer und finanzieller Hilfe, wobei der Ausbildungsbzw. Berufsstatus eine starke Auswirkung auf die Auswahl und die Chancen auf eine Förderung hat. Wer früh, z. B. als Studierender oder direkt nach der Ausbildung, den Schritt ins Ausland wagt, wird leichter eine mehrmonatige Förderung als sog. Sprachassistent erhalten. Für bereits tätige Lehrende an Schulen oder Hochschulen ist die Lage schwieriger: Hier sind die institutionellen Strukturen nicht mehr so flexibel, was dazu führt, dass längere Aufenthalte an Schulen außerhalb des Heimatlandes wesentlich seltener gefördert werden, und viele Pro- 616 Nicole Marx gramme - auch von privaten Trägern - nur eine kürzere Austauschdauer von bis zu einigen Wochen unterstützen. Aus fachlicher Perspektive kann aber eine spätere Tätigkeit an z. B. einer vom Heimatland geförderten Auslandsschule (vgl. Art. 142) zumindest den Vorteil mit sich bringen, dass das eigene Fremdsprachenfach unterrichtet werden kann. In Vorbereitung auf eine Tätigkeit als Sprachlehrkraft wird oft empfohlen, im Rahmen von sog. Auslandsschulpraktika bereits während des Studiums Erfahrungen mit dem Unterricht im Ausland zu sammeln. Allerdings unterscheidet sich die Bereitschaft zur Teilnahme an Praktika genauso wie zur Anrechnung und zur Unterstützung solcher Praktika stark, und zwar landes-, bundesland-, universitäts- und fachspezifisch. In Deutschland sowie in Österreich bestehen z. B. so gut wie keine Vorschriften über Pflichtauslandspraktika für Fremdsprachenstudierende in Lehramtsstudiengängen oder Fachstudiengängen wie z. B. für Deutsch als Fremdsprache (DaF), auch wenn die jeweiligen Bundesländer in den einzelnen Lehrerausbildungsgesetzen in der Regel auf die Möglichkeit einer frühen Auseinandersetzung mit dem Lehren von Fremdsprachen im Ausland verweisen und diese im Rahmen von schulpraktischen Studien einräumen. Ohne Anrechnung eines Praktikums stehen mehr Möglichkeiten für Studierende offen, die für eine begrenzte Zeit im Ausland lehren wollen. So werden in Österreich solche Angebote zentral durch das Bundesministerium für Bildung und Frauen („Unterrichtsministerium“ ) unterstützt, in Deutschland durch das Fremdsprachenassistenzprogramm des Pädagogischen Austauschdiensts (PAD). In Großbritannien vermittelt der British Council im Rahmen des Language-Assistant-Programms analog zum PAD englische Muttersprachler ins Ausland und Fremdsprachenassistenzen nach Großbritannien. Allerdings - und dies ist aus fachlicher Sicht besonders problematisch - werden Studierende meistens nicht in den Fremdsprachenfächern eingesetzt, die sie später auch unterrichten sollen. Wer Deutsch und Spanisch als Lehramtsfächer studiert und ein Praktikum in Sevilla absolviert, assistiert in der Regel in Deutsch als Fremdsprache - in einem Fach also, in dem keine Facultas erzielt wird. Der Unterricht von Deutsch als Majoritätensprache oder von Spanisch als Fremdsprache wird nicht erprobt, es geht vielmehr um den Ausbau der fremdsprachlichen Kompetenzen des zukünftig Lehrenden. Einzige Ausnahme hierzu ist das Nicht-Lehramtsfach DaF (bzw. Französisch als Fremdsprache in Frankreich etc.). Wie viele Fremdsprachenbzw. Lehramtsstudierende die Möglichkeit wahrnehmen, im Ausland ein Lehrpraktikum oder eine Fremdsprachenassistenz zu absolvieren, wird nicht statistisch erfasst. Etwa ein Drittel aller Studierenden der Sprach- und Kulturwissenschaften an deutschen Universitäten in den alten Studienstrukturen nehmen die Möglichkeit eines studienbezogenen Auslandsaufenthalts wahr; darin eingeschlossen sind die etwa 15 %, die ein Praktikum im Ausland absolvieren. Ob dies mit Sprachlehre verbunden ist, lässt sich allerdings nicht erschließen (Bundesministerium für Bildung und Forschung - BMBF 2013); auch nähere Informationen zu den fremdsprachlichen Fächern sowie zu Master-Programmen sind leider nicht zugänglich. Direkt im Anschluss an das Studium ermöglichen weitere Programme (z. B. die des DAAD) ein Auslandsjahr als Sprachassistenz (vgl. Rüstow 2003) oder eine längere Lehrtätigkeit, ohne dass eine feste Anstellung an einer Schule bereits bestehen muss. Hierzu gehören z. B. ein Lehraufenthalt von zwei Jahren als Bundes- oder Landesprogrammlehrkraft über die deutsche Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA), eine Tätigkeit 617 135. Internationale Mobilität von Sprachlehrenden für die Dauer eines Schuljahres an einer französischen Sekundarschule (unterstützt durch das Institut Français ) bzw. als Französischlehrkraft über das Jules-Verne-Programm im nichtfranzösischsprachigen Ausland oder eine Tätigkeit als DaF-Lehrkraft an einem der weltweiten Goethe-Institute. Wer im Anschluss an das Studium ein freiwilliges Praktikum oder soziales Jahr anstrebt, findet auch durch mehrere private Träger eine Förderung; hierzu zählt z. B. das Project Abroad, das ausgebildete Grundschullehrkräfte zum Unterrichten des Englischen nach Afrika schickt. 3. Förderung der Mobilität während des Berufslebens Für bereits im Dienst tätige Sprachlehrkräfte ist der Weg ins Ausland ungleich schwerer - und auch hier wird das eigene Fremdsprachenfach selten unterrichtet; viel eher bieten solche Aufenthalte die Möglichkeit, eine kurze Zeit ins Land der in der Heimatschule unterrichteten Sprache einzutauchen, die eigenen Sprachkompetenzen wieder aufzufrischen und auszubauen, und Kooperationen zwischen Partnerinstitutionen zu stärken. Ähnliches gilt für Hochschullehrkräfte sowie für Fremdsprachenlehrende an Auslandsschulen. Im Gegenzug ist es nicht ungewöhnlich, dass z. B. ein Mathematiklehrer in einer vom PAD unterstützten Schule auch als Lehrer für DaF eingesetzt wird. International unterstützt Erasmus+ - ein EU-Programm - derzeit diverse Austauschmöglichkeiten, wobei alle eine Anbindung an institutionelle Strukturen voraussetzen und eine Förderdauer von zwei Tagen bis maximal zwei Monaten vorsehen. Hochschullehrende müssen sich daher innerhalb der eigenen Institution bewerben, und auch Lehrkräfte an vorschulischen und schulischen Einrichtungen können nur im Rahmen von bereits bestehenden, recht aufwändigen Schulkooperationen gefördert werden. Wie viele Sprachlehrkräfte durch die Erasmus- Initiative ins Ausland gehen, lässt sich anhand offizieller Statistiken nicht eruieren. Auf nationaler Ebene werden sowohl kürzere als auch längere Auslandstätigkeiten gefördert. Das österreichische Bildungsministerium unterstützt bereits im Dienst tätige Sprachlehrkräfte mit zweibis vierwöchigen Schulaufenthalten im Rahmen von Hospitationspraktika, pädagogischen Aufenthalten oder kleineren Praxistätigkeiten an österreichischen Auslandsschulen, aber auch längere Tätigkeiten von zwei bis sechs Jahren sind an den Auslandsschulen, den Europäischen Schulen oder weiteren ausländischen Schulen möglich. In Deutschland werden (verbeamtete) Lehrende aus dem öffentlichen Schuldienst als Schulleiter oder als Landesprogrammlehrkraft an deutsche Auslandsschulen durch die ZfA (Zentralstelle für das Auslandsschulwesen) vermittelt. Da solche Programme stets länderspezifisch und nicht immer von vergleichbaren Behörden organisiert und finanziert werden, ist es an dieser Stelle kaum möglich, nähere Auskünfte über weitere Förderlinien zu geben. Für Personen mit einer Ausbildung in einer Majoritätensprache des Heimatlandes sind darüber hinaus weitere Mobilitätsförderprogramme vorhanden, die v. a. den Austausch kulturellen und sprachlichen Wissens zum Ziel haben und über die die Art. 138, 139 und 140 in diesem Band einen Überblick bieten. So verbleiben die knapp 500 im Förderjahr 2014/ 15 tätigen DAAD-Regellektoren für DaF, Germanistik und Landeskunde z. B. bis zu fünf Jahre an der Hochschulinstitution im Ausland; über 70 % von ihnen haben einen universitären Abschluss und Lehrerfahrung in der Germanistik oder DaF. 618 Nicole Marx 4. Eigeninitiative oder institutionelle Gebundenheit? Wie sich die Mobilität von Sprachlehrpersonen in Zukunft entwickeln wird, lässt sich kaum vorhersagen. Erkennbar scheint allerdings der Trend, kürzere, institutionell gebundene Austauschmöglichkeiten zu unterstützen, während längerfristige, an individuelle Personen gebundene Tätigkeiten einen deutlich kleineren Anteil der „mobilen“ Sprachlehrenden ausmachen. Von einer institutionellen Bindung profitieren sicherlich die einzelnen Bildungsinstitutionen, gleichzeitig erschweren sie eine Eigeninitiative seitens interessierter Sprachlehrkräfte, wenn - aus welchem Grund auch immer - die schulischen Strukturen oder Interessen einen auch nur kurzen, berufsbezogenen Austausch nicht ermöglichen. Literatur BMBF - Bundesministerium für Bildung und Forschung (2013): Internationalisierung des Studiums - Ausländische Studierende in Deutschland - Deutsche Studierende im Ausland. Ergebnisse der 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks. www.studenten werke.de/ sites/ default/ files/ 06_International isierungbericht.pdf DAAD - Deutscher Akademischer Austauschdient (2013): Resolution zur Internationalisierung der Lehramtsausbildung. www.daad.de/ veranstaltungen/ lehrerbildung/ lb/ de/ 26676resolution-zur-internationalisierung-der-lehr amtsausbildung Rüstow, L. (2003): Fremdsprachenassistenten, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Aufl. Tübingen, 362-364. Nicole Marx Q Geschichte des Fremdsprachenunterrichts 136. Geschichte des Fremdsprachenunterrichts bis 1945 1. Zur Forschung Ende der 1880er Jahre, mitten in der neusprachlichen Reformbewegung, entstanden die ersten Pläne zu einer Historiographie des neusprachlichen Unterrichts. In den folgenden zwei Jahrzehnten erschienen mehrere längere Schulprogramm-Schriften und Aufsätze, in denen v. a. die schulische Institutionalisierung des Fremdsprachenunterrichts, Unterrichtsmethoden und Lernmittel historisch behandelt werden (vgl. Reinfried 2013: 206 ff.). Aber erst ab den 1970er und 1980er Jahren nahmen Zahl und Umfang der Arbeiten, ihre Spezialisierung auf einzelne Aspekte und die Präzision der historischen Durchdringung zu. Neben Quellensammlungen (vgl. Schröder 1980-1985; Christ & Rang 1985; Schröder 1991-1999) erschienen die ersten Überblicksdarstellungen zu einzelnen Fremdsprachen in Deutschland: zum Englischen im 19. Jh. (Walter 1982) und zum Russischunterricht vom 18. bis zum 20. Jh. (Basler 1987). Besonders gründlich haben Glück (2002; 2013) die Entwicklung der Fremdsprache Deutsch von etwa 1400 bis 1800 so- 619 wie Kuhfuß (2014) die Historie des Französischunterrichts von 1490 bis 1820 beschrieben. Entsprechende Überblickswerke fehlen noch für das Italienische und Spanische in Deutschland. Es gibt außerdem eine sprachenübergreifende Kleine Geschichte des Fremdsprachenlernens von Hüllen (2005), die sich von der Antike bis zum Ende des 20. Jhs. erstreckt. Im Gegensatz zur relativ reichhaltigen Literatur zu Deutschland gibt es kaum Überblicksliteratur zu älteren, dem 20. Jh. vorangehenden Epochen des Fremdsprachenunterrichts in Österreich und der Schweiz. Beide Länder weisen eine mehrbis vielsprachige Vergangenheit auf; in den habsburgischen Ländern wurden zeitweilig bis zu einem Dutzend Umgangssprachen gesprochen, in der Schweiz gab es im 19. Jh. drei Nationalsprachen. Gründlichere Studien sind v. a. im Bereich des Deutsch als Fremd- und Zweitsprachenunterrichts erschienen: Eder (2006) befasst sich mit dem Deutschen als Amts-, Schul- und Universitätssprache im Österreich des 18. Jhs., Extermann (2013) mit den Lehrern, Zielen und Inhalten, Bezugswissenschaften und Methoden des Deutschunterrichts ab 1790 in der französischsprachigen Schweiz. 2. Die Frühzeit des neusprachlichen Fremdsprachenunterrichts Im Spätmittelalter bildeten sich die Anfänge des Unterrichts in den neueren Fremdsprachen v. a. in England und Flandern aus, wo man Französisch lernte. Auch in deutschen Handelsstädten wurde im 15. und 16. Jh. von Sprachmeistern Französisch- und Italienischunterricht angeboten (vgl. z. B. Glück 2002: 88; Hüllen 2005: 53). Italien glänzte nicht nur in Kunst und Wissenschaft, sondern war auch führend im Bankenwesen und der Mode. Folglich wurde Italienisch von Kaufleuten, jungen Adligen, Künstlern, Gelehrten, bisweilen auch Handwerkern erlernt (Reinfried 2014a: 257). In Deutschland blieb das Italienische bis zum letzten Drittel des 18. Jahrhunderts die zweithäufigste neuere Fremdsprache (vgl. Schröder 1985: IXff.). In der Mitte des 17. Jhs. wurde das Französische in Deutschland zur mit großem Abstand wichtigsten neueren Fremdsprache - eine Position, die es zweieinhalb Jahrhunderte lang halten sollte. Es verdankte diese Stellung v. a. der zeitweiligen französischen Hegemonie in Europa, der militärtechnischen und administrativen Führungsrolle Frankreichs, dem Ansehen der französischen Kultur. Französisch wurde zu einem besonders wichtigen Fach an allen deutschen Hofschulen und Ritterakademien, blieb aber an den typischen Lateinschulen im fakultativen, kostenpflichtigen Zusatzbereich (Kuhfuß 2014: 273 ff.). Im 18. Jh. nahm die Zahl der Französischlernenden weiter zu, das Erlernen der französischen Sprache drang bis in das breite Bürgertum vor. Es wurde zu einem Hauptfach im Rahmen einer gehobenen Mädchenbildung und der ersten Realschulen (Reinfried 2014a: 258). Über die Hälfte der Sprachlehrenden waren im 17. und 18. Jh. französische Glaubensflüchtlinge, öfter auch Abkömmlinge aus Hugenottenfamilien, die 620 Marcus Reinfried sich schon vor einiger Zeit in Deutschland niedergelassen hatten (vgl. Schröder 1991- 1999). Die spanische Sprache erlebte eine erste Nachfrage im 16. Jh., als Spanien unter Kaiser Karl V. eine große politische und wirtschaftliche Bedeutung in Europa bekam (Voigt 1998: 31). Damals erreichte Spanisch in Deutschland unter den neueren Fremdsprachen einen dritten Platz (vgl. Schröder 1980: VIIff.). Doch bereits ab dem 17. Jh. ließ das Interesse an Spanisch nach, was auch mit einem Mangel an hispanophonen Sprachmeistern und an in Deutschland vorhandenen Sprachlehrbüchern zusammenhing (vgl. Voigt 1998: 26 ff.). Dafür nahm ab dem letzten Drittel des 18. Jhs. das Interesse an Englisch zu. Zuvor hatten Unterrichtsangebote zu dieser Sprache sich vorwiegend auf Universitäten und Ritterakademien beschränkt, wo man in einzelnen Fächern wissenschaftliche Literatur aus Großbritannien schätzte. Nun begannen eine Reihe von Handels- und Realschulen, Philanthropinen und Kadettenanstalten, Englischunterricht anzubieten; manche Gymnasien nahmen die Sprache in ihr Lehrangebot auf, obwohl oft nur im fakultativen Bereich (vgl. Klippel 1994: 458 ff.). Das Englische rückte unter den neueren Fremdsprachen deutschlandweit an die zweite Position. 3. Die Ausbildung von Unterrichtsmethoden Die große Variation von Unterrichtsverfahren, über die wir heute verfügen, musste im Laufe von Jahrhunderten erarbeitet werden. Auch die didaktisch-methodische Reflexion konnte sich nur langsam entwickeln, da in der Frühzeit die Entwicklung einer Fachöffentlichkeit und der unterrichtsbezogene gedankliche Austausch noch begrenzt waren. Immerhin gab es aber schon im 16. und 17. Jh. im neusprachlichen Fremdsprachenunterricht zwei ausgebildete methodische Hauptrichtungen: 1) Eine hauptsächlich vom traditionellen Lateinunterricht inspirierte deduktive Richtung (vgl. Streuber 1914: 20 ff.). Sie begann mit dem Auswendiglernen von (in Deutschland während des 17. Jhs. auch noch in vielen Grammatiken neuerer Sprachen lateinisch formulierten) Grammatikregeln und den dazu gehörigen zielsprachlichen Beispielsätzen. Zur Textlektüre kam es bei diesem Unterrichtsverfahren erst in einem fortgeschrittenen Stadium. 2) Eine eher imitative Richtung, die keine zuvor erworbenen Lateinkenntnisse voraussetzte und entweder mit verschriftlichten Dialogen oder einfacheren zielsprachlichen Texten begann (Kuhfuß 2014: 647; Streuber 1914: 113, 165). Diese Richtung setzte Grammatik im Anfangsunterricht nur sehr reduziert ein (vgl. z. B. Streuber 1914: 127 ff.) und kann als Lese-Übersetzungs-Methode bezeichnet werden. Die imitative Methode differenzierte sich im 18. Jahrhundert weiter aus. Dabei wurde die „Versinnlichungsmethode“ am Dessauer Philanthropin, einem von Johann Bernhard Basedow gegründeten Reforminternat, neu entwickelt. Dort versuchte man, den Fremdsprachenunterricht möglichst nur in der jeweiligen Zielsprache durchzuführen. Der an der Schule unterrichtende Christian Hinrich Wolke entwickelte eine Reihe von Unterrichtstechniken zur Semantisierung fremdsprachiger Wörter, wobei er auch systematisch Bilder einsetzte (Reinfried 1992: 56 ff.). Diese „Versinnlichungsmethode“ verlor sich aber zu Beginn des 19. Jhs. an den höheren Schulen. In der zweiten Jahrhunderthälfte wurde sie unter der Bezeichnung „Anschauungsmethode“ erneut entdeckt (ebd.: 81 ff.). 621 136. Geschichte des Fremdsprachenunterrichts bis 1945 4. Moderne Fremdsprachen als schulische Pflichtfächer Vor dem 19. Jh. unterlag der prototypische neusprachliche Fremdsprachenunterricht kaum der staatlichen Kontrolle. Das änderte sich in Preußen, dem größten deutschen Land (in dem etwa 60 % der deutschen Bevölkerung ansässig waren), 1787 durch die Gründung eines Oberschulkollegiums, das 1809 durch eine Schulabteilung im preußischen Innenministerium ersetzt wurde. Von nun an wurden der Unterricht und seine Qualitätssicherung zentral durch Erlasse geregelt. 1810 wurde das Examen pro facultate docendi (Lehramtsprüfung) eingeführt, 1834 kam es zur Festlegung des eigentlich schon länger bestehenden Abiturs als alleiniger Zulassungsvoraussetzung für ein Universitätsstudium (von Walter 1982: 153 f.; Reinfried 2014b: 12 f.). 1837 wurde der Französischunterricht an den preußischen Gymnasien als obligatorische neuere Fremdsprache eingeführt. Anfangs beschränkte er sich auf sechs Schuljahre mit jeweils zwei Wochenstunden (Christ & Rang 1985, Bd. VII: 5, 23). Konnte man in der Jahrhundertmitte noch notfalls Französischlehrer an Gymnasien einsetzen, die das Fach nicht studiert hatten und auch nur geringe einschlägige Sprachkenntnisse hatten, so wurde dies in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. bei den vielen neugegründeten neunklassigen Realanstalten unmöglich. Gegen Ende des 19. Jhs. wurden an den preußischen Realgymnasien 48 Wochenstunden Latein, 31 Wochenstunden Französisch und 18 Wochenstunden Englisch im Laufe der Schulzeit unterrichtet. An den Oberrealschulen waren es sogar 47 Wochenstunden Französisch und 25 Wochenstunden Englisch (Christ & Rang 1985, Bd. VII: 90, 131). An vielen deutschen Universitäten wurden neuphilologische Seminare eröffnet, die sich um die Fachbildung der vielen benötigten Französisch- und Englischlehrkräfte kümmern sollten. Im Jahre 1900 wurde die formale Gleichwertigkeit des Abiturs an den Gymnasien, Realgymnasien und Oberrealschulen durch einen Erlass Kaiser Wilhelms II. festgelegt. Bis zur Mitte der 1920er Jahre überwogen vorübergehend noch die alten Sprachen, dann wurde ein ungefährer Gleichstand der Schülerzahlen an klassischen Gymnasien, Realgymnasien und den lateinlosen höheren Schulen erreicht; die neueren Sprachen hatten damit quantitativ ein Übergewicht erreicht (Reinfried 2014b: 14 f.). 5. Von der Grammatik-Übersetzungs- Methode zur Reformbewegung Bei der Grammatik-Übersetzungs-Methode handelt es sich um eine nahezu europaweit verbreitete Methodenkonzeption, die prägend für das 19. Jh. wurde. Ihren Anfang nahm sie 1783 mit der Veröffentlichung von Johann Valentin Meidingers „Practischer Französischer Grammatik“ . Diese teilt die grammatischen Lernziele in kleine Lektionen auf: Auf grammatische Regeln, Deklinations- oder Konjugationsparadigmen folgen in jeder Lektion Hinübersetzungen, die etwa den doppelten Umfang des Vermittlungsteils aufweisen und der Einübung der jeweiligen grammatischen Formen oder Strukturen dienen, wobei den Schülern unbekannte Wörter oder Redewendungen durch deutsch-französische Vokabelgleichungen angegeben werden. Dadurch wird die grammatische Bewusstmachung, die in dieser „Practischen Grammatik“ klein portioniert und leicht verständlich erfolgt, erstmals systematisch mit umfangreichen, darauf abgestimmten Übungen kombiniert (Kuhfuß 2014: 511 ff.). Diese synthetische Form der Grammatik- Übersetzungs-Methode wurde ab 1848 durch Karl Julius Ploetz’ „Elementarbuch der französischen Sprache“ abgelöst, das Meidin- 622 Marcus Reinfried gers Lehrbuch in der zweiten Jahrhunderthälfte als führenden Bestseller ersetzte. Ploetz’ „Elementarbuch“ war wie Meidingers Grammatikübungsbuch einer neusprachlichen Lehrkonzeption verbunden, die die grammatische Analyse ins Zentrum und an den Anfang stellte, und harmonierte deshalb mit neuhumanistisch geprägten höheren Schulen, in denen dies als formal bildend geschätzt wurde. Ploetz korrigierte die gravierende Schwäche von Meidingers Lehrbuch, das im ersten Teil, der Elementargrammatik, keine Texte, ja kaum Sätze in der Zielsprache enthält, indem er den Übersetzungen in die Fremdsprache stets Übersetzungen aus der Fremdsprache voranstellte. Dadurch trug er dem didaktischen Prinzip Rechnung, dass die Grammatik von den Schülern zuerst rezeptiv verarbeitet werden muss, bevor sie aktiv angewendet werden kann. Außerdem führte er in seinem Lehrbuch für die Reihenfolge der Lernziele didaktische Progressionen ein, wobei auch der Aussprache Rechnung getragen wurde (Reinfried 2014a: 266 f.). 1882, als das „Elementarbuch der französischen Sprache“ von Ploetz an fast zwei Dritteln aller Gymnasien und höheren Realanstalten in Preußen eingeführt war, sorgte ein anonymes Pamphlet mit dem Titel „Der Sprachunterricht muss umkehren! “ für Aufsehen. Der Marburger Anglistikprofessor Wilhelm Viëtor, der sich wenige Jahre später als Autor dieser Streitschrift bekannte, kritisierte darin die Grammatik-Übersetzungs- Methode als wenig effektiv für den Erwerb praktischer Sprachkompetenzen, v. a. im Bereich der mündlichen Kommunikation. Er kritisierte die allzu seltenen Aussprache- Übungen, stellte die deduktive Grammatikvermittlung als monoton und zu wenig schüleraktivierend dar und bezog Position gegen die Hinübersetzung, die bei Ploetz noch etwa ein Drittel des Elementarunterrichts ausfüllte. Viëtor ( 2 1886: 19 ff.) plädierte stattdessen für die zusammenhängende Textlektüre bereits zu Unterrichtsbeginn, knüpfte also an die Lese-Übersetzungs-Methode an. Viëtors Pamphlet gilt als Beginn der neusprachlichen Reformbewegung, die zwei Jahrzehnte lang zu lebhaften Auseinandersetzungen in der neusprachlichen Lehrerschaft führte. Die Reformmethode bezog neben der Lese-Übersetzungs-Methode, die damals vorwiegend als Lesebuch-Methode bezeichnet wurde, auch noch die Anschauungsmethode ein, die eng mit dem Einsprachigkeitsprinzip verbunden war. Großformatige Bildtafeln sollten im Klassenunterricht die visuelle Semantisierung des Wortschatzes sowie Sprechübungen in der Zielsprache ermöglichen (Macht 1987: 105 ff.; Reinfried 1992: 103 ff.). Beide Methoden waren bereits zur Jahrhundertmitte an Realschulen und teilweise im Rahmen der Mädchenbildung praktiziert worden (vgl. Doff 2002: 382 ff.), rückten aber im Verbund erst während der Reformbewegung in den Fokus der Aufmerksamkeit und wurden in der ersten Hälfte des 20. Jhs. europaweit als direkte Methode bekannt. 6. Vom Ersten Weltkrieg zum Dritten Reich Der Krieg und der Friedensvertrag von Versailles, der Deutschland die Alleinschuld am Kriegsausbruch gab und hohe Reparationsforderungen begründete, führten zu antifranzösischen Ressentiments. Als es 1923 zu einer Verzögerung der deutschen Kohle- und Holzlieferungen kam, wurde das Ruhrgebiet durch frankobelgische Soldaten besetzt. Diese harten Auseinandersetzungen um die Sachreparationen zu einem Zeitpunkt, als Deutschland unter einer galoppierenden Inflation litt, putschten die öffentliche Meinung so sehr auf, dass immer häufiger die Abschaffung des Französischen als erste neuere Fremdsprache an höheren Schulen gefordert wurde. Aufgrund der neu eingeführten Fle- 623 136. Geschichte des Fremdsprachenunterrichts bis 1945 xibilisierung der Sprachenwahl ergab sich deutschlandweit ein ungefährer Gleichstand zwischen Französisch- und Englischunterricht bis zum Ende der 1920er Jahre. Nachdem allerdings das außenpolitische Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich sich wieder verbessert hatte, wurde auf die Initiative des preußischen Kultusministers Adolf Grimme hin die Wiedereinführung des Französischen als erste neuere Fremdsprache in den meisten deutschen Ländern für 1933 beschlossen (Reinfried 2014b: 15 ff.). Die nationalsozialistische Schulreform etablierte ab 1938 Englisch aus ideologischen und ökonomischen Gründen als Pflichtfremdsprache an allen höheren Schulen. Auch Latein wurde an den meisten höheren Schulen - aber insgesamt mit weniger Wochenstunden als Englisch - etabliert. Das Französische, dessen Beibehaltung als erste neuere Fremdsprache noch in der Anfangszeit des Dritten Reichs von einigen Fremdsprachen-Experten in gedruckten Stellungnahmen zur anstehenden Schulreform gefordert worden war, wurde auf eine Minderheit der Schularten begrenzt und selbst dort nur drei Schuljahre lang jeweils drei, maximal vier Wochenstunden lang unterrichtet. Außerdem konnte und sollte Französisch, das nun vorwiegend als Tertiärsprache vorgesehen wurde, durch Unterricht in Spanisch, welches bereits in den 1920er Jahren einen schulischen Aufschwung in Preußen erlebt hatte, oder auch Italienisch ersetzt werden. Diese beiden Fremdsprachen wurden von vielen Nationalsozialisten aus außenpolitischen sowie ideologisch-rassistischen Gründen stärker als das Französische geschätzt (Lehberger 1986: 70 ff.; Reinfried 2014b: 20 ff.). Doch konnte die NS-Schulreform während des Zweiten Weltkriegs nur unvollkommen praktisch umgesetzt werden, und danach beeinflussten die vier Sieger- und Besatzungsmächte die Fortsetzung der deutschen Fremdsprachenpolitik. Literatur Basler, F. (1987): Russischunterricht in drei Jahrhunderten. Ein Beitrag zur Geschichte des Russischunterrichts an deutschen Schulen. Wiesbaden. Christ, H. / Rang, H. J. (1985): Fremdsprachenunterricht unter staatlicher Verwaltung 1700 bis 1945. 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In der sowjetischen Besatzungszone standen zunächst ab Klasse 5 Englisch, Französisch oder Russisch zur Wahl; von 1948 an wurde in Grundschulen ausschließlich Russisch unterrichtet, Englisch und Französisch nur in der Oberschule ab Klasse 9 mit geringem Stundenumfang, von 1957 an ab Klasse 7. In der französischen Besatzungszone wurde Französisch ab Klasse 5 die erste Pflichtfremdsprache in Gymnasien und Realschulen; in den Volksschulen (Klassen 5-8) wurde Französisch wahlweise unterrichtet. Im Saarland begann von 1947 an Französischunterricht ab Klasse 2. In der amerikanischen und britischen Besatzungszone setzte der 625 137. Geschichte des Fremdsprachenunterrichts in deutschsprachigen Ländern seit 1945 Fremdsprachenunterricht mit Englisch ein, doch wurde damit lediglich die 1937 von der nationalsozialistischen Regierung getroffene Festlegung des Englischen als erster Fremdsprache fortgeführt. Auf die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts nahmen die Amerikaner keinen Einfluss. Generell ist nach 1945 eine Ausweitung des Fremdsprachenunterrichts festzustellen. Am stärksten geschah dies in der sowjetischen Besatzungszone und im Saarland, wo alle Schüler wenigstens eine Fremdsprache lernen mussten. In den erstarkenden Volkshochschulen gab es ein breites Angebot an Kursen in vielen Sprachen. b) Fremdsprachenunterricht in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1990 In der Bundesrepublik Deutschland liegt die Kulturhoheit bei den Ländern, die das Schulwesen in eigener Verantwortung regeln. Jedoch werden wichtige Fragen von den Kultusministern einvernehmlich beschlossen. Sie haben 1948 die KMK begründet, die seit 1949 die offizielle Bezeichnung ,Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK)‘ trägt (vgl. Art. 12). Die wichtigsten schulsprachenpolitischen Regelungen findet man im/ in: • Düsseldorfer Abkommen der Ministerpräsidenten von 1955, das die dominante Stellung des Englischen als „in der Regel“ erste und Französisch als zweite Fremdsprache festlegte; • Hamburger Abkommen der Ministerpräsidenten von 1964, jetzt in der Fassung von 1971 und ergänzt 2001, das die Rolle des Englischen bekräftigt; • den Empfehlungen zur Hauptschule von 1969, die alle Länder verpflichteten, in Hauptschulen obligatorischen Fremdsprachenunterricht „leistungsdifferenziert“ einzuführen; • der Empfehlung ,Unterricht für Kinder ausländischer Arbeitnehmer‘ von 1976 zum muttersprachlichen Ergänzungsunterricht; • der sog. „Bonner Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II“ von 1972; • den Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung (seit 1975), die 2012 durch die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/ Französisch) ersetzt wurden. c) Fremdsprachenunterricht in der Deutschen Demokratischen Republik 1949-1990 Das Ministerium für Volksbildung der DDR war die zentrale Steuerungsinstanz für das Schulwesen. Ab 1948 fand der Fremdsprachenunterricht in einer einheitlichen achtjährigen Grundschule und einer vierjährigen Oberschule, ab 1982 in der zehnjährigen Polytechnischen Oberschule mit zweijähriger Erweiterter Oberschule (Abiturstufe) statt. An den Hochschulen bestanden Fremdsprachen-Sektionen, in denen Studierende aller Fächer weiterhin Fremdsprachenkurse belegen mussten. Als staatliche Einrichtung war auch die Volkshochschule in das Volksbildungssystem eingebunden. Ab 1960 konnten einige Schulen Polnisch und Tschechisch, ab 1967 auch Spanisch und Latein als dritte Fremdsprachen anbieten. Schon 1952 wurde an einigen Schulen Russischunterricht ab Klasse 3 erteilt. In den 1980er Jahren wurde erweiterter Unterricht in Englisch und Französisch in den Klassen 11 und 12 ermöglicht. Die Einführung des Russischunterrichts für alle hatte die Einrichtung von Lehramtsstudiengängen an Universitäten und Pädagogischen Hochschulen zur Folge; außerdem wurden Fernstudiengänge entwickelt. Die Studierenden verbrachten ein 626 Rudolf de Cillia / Friederike Klippel Semester an sowjetischen Hochschulen (Röske 1984 ff.). d) Fremdsprachenunterricht in Deutschland nach der Vereinigung Die Wiedervereinigung Deutschlands im Jahre 1990 brachte für die neuen Bundesländer einige Veränderungen mit sich: Das Schul- und Hochschulwesen und darin eingeschlossen die Lehrerbildung wurden nach westlichem Vorbild grundlegend umgestaltet. Der verpflichtende Fremdsprachenunterricht an Hochschulen wurde abgeschafft. Der Fremdsprachenunterricht sah sich zu Beginn der 1990er Jahre durch den Ausbau der Europäischen Union, die politischen Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa, verstärkte Zuwanderung und Folgen der Globalisierung vor neue Herausforderungen gestellt. Daraus resultierte das Postulat der Mehrsprachigkeit (KMK-Beschluss 1994). In mehreren Beschlüssen erfolgte in den 1990er Jahren zudem die Fortschreibung der „Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung“ für weitere Sprachen, etwa für Polnisch (1993), Türkisch (1995), Chinesisch (1998), Tschechisch (1997) und Japanisch (1999). Bis heute ist eine Fremdsprache für das Abitur obligatorisch. Seit den späten 1990er Jahren wird die deutsche Bildungspolitik im Hinblick auf den Fremdsprachenunterricht zunehmend von europäischen und internationalen Entwicklungen beeinflusst. So hat die verstärkte Output-Orientierung im Bildungswesen die Formulierung von Bildungsstandards nach sich gezogen (vgl. Art. 12 und 19). Die KMK-Empfehlungen zur Stärkung der Fremdsprachenkompetenz von 2011 greifen die Entschließung des Europäischen Rates zu einer europäischen Strategie der Mehrsprachigkeit aus dem Jahr 2008 auf; das Englische wird nun verstärkt in seiner Funktion als lingua franca und Arbeitssprache verstanden, der Fremdsprachenunterricht in den Schulen soll standardbasiert und kompetenzorientiert erfolgen. Dies geschieht in allen Bundesländern bereits ab der Grundschule, und zwar entweder ab Klasse 1 oder 3 (KMK-Beschluss 2013). 2. Die Geschichte des schulischen Fremdsprachenunterrichts in Österreich Mit der Wiedererrichtung der Republik 1945 wurde die Schule von österreichischen Behörden verwaltet, war aber bis 1955 von der Tatsache beeinflusst, dass Österreich in vier alliierte Zonen aufgeteilt war. Die österreichische Regelschule umfasste bis 1962 vier Jahre Volksschul-Unterstufe, auf die entweder vier Jahre Volksschul-Oberstufe oder Hauptschule oder aber eine achtjährige Form der Mittelschule (Gymnasium, Realgymnasium, Realschule oder Frauenoberschule) folgte, welche zur Matura führte. Auf der Sekundarstufe II gab es neben den Mittelschulen eine Reihe berufsbildender höherer Schulen. Fremdsprachenunterricht wurde in den ersten Klassenzügen der Hauptschule, in den Mittelschulen, Handelsakademien und in Gewerbeschulen angeboten. Durchgängig gilt, dass der Beginn der ersten Fremdsprache mit der Klasse 5 einsetzte. In den Hauptschulen wurde mehrheitlich Englisch unterrichtet. In den Mittelschulen wurde in Klasse 5 generell mit einer lebenden Fremdsprache (meist Englisch) begonnen. Mit dem Schulorganisationsgesetz von 1962 erhielt das Schulwesen seinen im Wesentlichen bis heute gültigen Rahmen. Danach folgen auf eine vierklassige Volksschule entweder vier Jahre Hauptschule - ab 2015/ 16 wird daraus die Neue Mittelschule - oder die „allgemeinbildende höhere Schule“ (AHS, d. h. Gymnasium bzw. Realgymnasium) als Mittelstufe. Die Hauptschu- 627 137. Geschichte des Fremdsprachenunterrichts in deutschsprachigen Ländern seit 1945 len haben eine lebende Fremdsprache - in der Regel Englisch - als Pflichtfach, die AHS ebenfalls ab Klasse 5 (zumeist Englisch, selten Französisch oder Russisch) und differenzieren mit Klasse 7 zwischen Gymnasium (mit Latein oder einer zweiten lebenden Fremdsprache als Pflichtfach) und Realgymnasium (ohne weitere Pflichtfremdsprache). Mit Klasse 9 steht den Schülerinnen und Schülern wahlweise ein polytechnischer Lehrgang als Übergangsstufe zur Berufsschule, die Oberstufe der AHS (Klassen 9-12) mit einer zweiten Fremdsprache ab Klasse 9, eine berufsbildende mittlere Schule (ohne Matura) oder eine berufsbildende höhere Schule (meist mit nur einer Fremdsprache, mit Ausnahme der Handelsakademien und Höheren Lehranstalten für wirtschaftliche Berufe) offen. Die Grundstruktur von 1962 wurde durch eine Reihe von Reformen modifiziert. So wurde in den AHS die Möglichkeit geschaffen, ab der 10. Schulstufe in Wahlpflichtfächern eine dritte Pflichtfremdsprache zu erlernen, ab 1983/ 84 wurde verpflichtend die erste lebende Fremdsprache in den Klassen 3 und 4 (eine Wochenstunde) eingeführt, mit dem Schuljahr 2003/ 04 ab der Klasse 1. Gleichzeitig gibt es seit den 1980er Jahren den Einsatz der Fremdsprache als Arbeitssprache (in der Regel Englisch), in geringem Ausmaß auch weitergehende bilinguale Schulformen. Zu maßgeblichen Innovationen kam es durch das Europäische Jahr der Sprachen und durch die Durchführung des LEPP-Prozesses in Österreich (vgl. Art. 138). Wichtige neuere Entwicklungen waren am GeR orientierte Lehrpläne (2004 bzw. 2006), die Entwicklung von nationalen Versionen des Europäischen Sprachenportfolios, die Aufnahme neuer Sprachen in den Fächerkanon an den AHS (2006, Polnisch und Slowakisch), die Einführung von Bildungsstandards für Englisch und von Kompetenzbeschreibungen für romanische Sprachen in der 8. Klasse sowie die Einführung der zentralen „standardisierten, kompetenzorientierten Reifeprüfung“ (für AHS 2014/ 15). 3. Die institutionelle Geschichte des Fremdsprachenunterrichts in der Schweiz In der viersprachigen Schweiz herrscht das (sprachliche) Territorialprinzip, wobei die meisten der 26 Kantone einsprachig sind. Die größte Sprachgruppe lebt in einer diglossen Situation (Schweizerdeutsch und Standarddeutsch). Die Verantwortung für das obligatorische Bildungswesen liegt in erster Linie bei den Kantonen, für den nachobligatorischen Bereich bei Kantonen und beim Bund. Für die Umsetzung des Verfassungsauftrags der „Harmonisierung“ unter den Kantonen (Schuleintrittsalter, Schulpflicht, Dauer und Ziele der und Übergänge zwischen den Bildungsstufen) gemäß HarmoS-Konkordat vom 14. Juli 2007 („Interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule“ ) sorgt die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), was besonders für den Sprachenunterricht relevant ist. Nach der Harmonisierung umfasst die Primarstufe heute die Klassen 1-6, die anschließende Sekundarstufe I die Schuljahre 7-9 (Ausnahme Tessin mit vier Jahren). Manchmal werden zwei Jahre Vorschule/ Kindergarten mitgerechnet, sodass nach dieser Zählung die obligatorische Schule elf Jahre dauert. Die Unterrichtssprache ist je nach Sprachgebiet Deutsch, Französisch, Italienisch oder Rätoromanisch, und während der obligatorischen Schulzeit erhalten alle Schülerinnen und Schüler heute Unterricht in zwei Fremdsprachen, einer zweiten Landessprache und Englisch. In der „nachobligatorischen Bildung“ stehen Gymnasium, Fachmittelschule, Berufsmaturitätsschule und berufliche Grundbildung als Option offen. 628 Rudolf de Cillia / Friederike Klippel Bis Mitte der 1970er Jahre fand Fremdsprachenunterricht - von einzelnen Versuchen abgesehen - nur in Sekundarschulen statt (die je nach Kanton mit Klasse 5, 6 oder 7 begannen). In den deutschsprachigen Kantonen war die erste Fremdsprache Französisch, als weitere Fremdsprachen wurden dort Italienisch und Englisch unterrichtet. Ab 1975, mit den Empfehlungen der EDK betreffend die Einführung, Reform und Koordination des Unterrichts in der zweiten Landessprache während der obligatorischen Schulzeit, kann man von einer bewussten Schulsprachenpolitik in der Schweiz sprechen. Danach sollte die erste Fremdsprache immer eine ,zweite Landessprache‘ sein, und in möglichst vielen Schulen sollte zudem Englisch angeboten werden. 1998 wurde von der EDK ein Gesamtsprachenkonzept veröffentlicht, das u. a. empfahl, dass alle Schülerinnen und Schüler zusätzlich zu ihrer eigenen mindestens eine zweite Landessprache lernen sollten und darüber hinaus Englisch. Auseinandersetzungen um Sprachenangebot und Sprachenfolge führten schließlich zur „Sprachenstrategie vom 25. 3. 2004“ der EDK, wonach die erste Fremdsprache spätestens ab dem 3. Schuljahr und die zweite spätestens ab dem 5. Schuljahr unterrichtet werden, die Reihenfolge der unterrichteten Sprachen (zweite Landessprache oder Englisch) regional koordiniert (2014 ist in 14 Kantonen Englisch, in 12 die zweite Landessprache Einstiegssprache, EDK 2014) und zum Ende der obligatorischen Schulzeit in beiden Sprachen vergleichbare Kompetenzen erreicht werden sollen. Die Harmonisierung der Ziele für den Fremdsprachenunterricht ist für alle Kantone verfassungsmäßig verankert (Art. 62 Abs. 4 der Bundesverfassung). Im Zug dieser Entwicklung wurden HarmoS-Basisstandards für Fremdsprachen erarbeitet, die schon in neue sprachregionale Lehrpläne eingeflossen sind. Auf der Sekundarstufe II gibt es weitgehende Projekte immersiven Unterrichts. In 18 von 26 Kantonen werden an rund 70 gymnasialen Maturitätsschulen zweisprachige Lehrgänge angeboten (Schwerpunkt Englisch, in der Romandie Deutsch) und in Berufsschulen existieren ebenfalls bilinguale Projekte mit zweisprachigen Lehrabschlussprüfungen (Hutterli & Stotz 2010: 159). Für 2015 plant die EDK eine Bilanz der Harmonisierung der obligatorischen Schule, und an einer Koordination der Sprachenausbildung auf der Sekundarstufe II wird gearbeitet. 4. Kurze Geschichte der Fremdsprachenlehrenden und -lernenden In der zweiten Hälfte des 20. Jhs. hat sich der Fremdsprachenunterricht grundlegend verändert, und zwar sowohl im Hinblick auf die Lehrenden als auch die Lernenden, weil (fast) alle Schülerinnen und Schüler und viele Erwachsene nun Sprachen lernen. Infolge dessen hat auch die Zahl der Fremdsprachenlehrenden erheblich zugenommen, und zudem hat sich diese Gruppe vielfältig differenziert. In Deutschland begann mit der Einrichtung von Professuren für Englisch und - in geringerem Maße - Französisch an den Pädagogischen Hochschulen seit den späten 1960er Jahren die Etablierung der Didaktiken der englischen Sprache und der romanischen Sprachen als akademische Disziplinen mit eigenem Forschungsprofil (Doff 2008; Doff & Wegner 2006). Mit der Integration der Pädagogischen Hochschulen in die Universitäten seit den 1970er Jahren (Ausnahme Baden- Württemberg) in den alten Bundesländern erfolgte die Eingliederung der fremdsprachendidaktischen Professuren in die jeweiligen Philologien oder in eigene erziehungswissenschaftlich-fachdidaktische Fakultäten (z. B. Hamburg, FU Berlin, Köln). 629 137. Geschichte des Fremdsprachenunterrichts in deutschsprachigen Ländern seit 1945 5. Kurze Geschichte der Inhalte und Methoden des Fremdsprachenunterrichts in den deutschsprachigen Ländern nach 1945 Nach dem Zweiten Weltkrieg griff man zunächst auf bewährte methodische Konzepte der Vorkriegszeit zurück, bis in den 1960er Jahren die audiolinguale und wenig später die audiovisuelle Methode vielfältig propagiert und in Lehrwerken umgesetzt wurden. Mit der Ausweitung des Englischunterrichts auf alle Schulformen und dem Ausbau der Fremdsprachenlehrerbildung für den nichtgymnasialen Unterricht im Anschluss an das Hamburger Abkommen erfolgte zudem eine stärkere Berücksichtigung methodischer Ansätze wie situatives Lernen oder Kontextualisierung für weniger leistungsstarke Schülerinnen und Schüler (z. B. Gutschow 1964) sowie eine breite wissenschaftliche Debatte zu Unterrichtsmethodik und didaktischen Ansätzen (Appel 2004). Ab dem Ende der 1970er Jahre gewann der kommunikative Ansatz an Bedeutung, wenn auch in der Unterrichtspraxis noch lange weiterhin traditionelle Verfahren eingesetzt wurden. Analysiert man die Lehrpläne in deutschsprachigen Ländern im Hinblick auf die Ziele, dann erkennt man zum ersten eine Entwicklung von überwiegend sprachlichen und landeskundlichen Zielen in den ersten Nachkriegsjahrzehnten hin zu einem breiteren Zielspektrum, das auch methodische und interkulturelle Kompetenzen umfasst und neben der sprachlichen Korrektheit auch Sprachflüssigkeit betont. Zum zweiten bedingt die zunehmend stärkere Berücksichtigung funktionaler Ziele auch eine Ausweitung der empfohlenen Methoden und Lernorte (Stichworte: Öffnung des Klassenzimmers, Lernen im Tandem, offene Lernformen und alternative Methoden, Austausch). Zum dritten bietet die technische Entwicklung seit 1945 vielfältige Neuerungen bei Lehr- und Lernmaterialien. Die in den 1960er bis 1980er Jahren üblichen Sprachlabore wurden durch Multimedialabore ersetzt, diese weichen zunehmend tragbaren digitalen Speichermedien; auch der ab den 1970er Jahren in fast allen Klassen zu findende Overheadprojektor wird mehr und mehr von digitalen Medien verdrängt (Art. 92, 94 bis 101). Das klassische Lehrbuch, das bis in die 1960er Jahre aus Schülerbuch und Lehrerhandreichung bestand, wurde stetig um weitere Komponenten, wie Arbeitsbuch, Audiomaterial, Tests, Übungs-CD ROM, Webseiten ergänzt (Art. 93). Für den Grundschulfremdsprachenunterricht wird seit den 1970er Jahren, als erste große Schulversuche mit Grundschulenglisch stattfanden (Doyé & Lüttge 1977), ganzheitliches, spielerisches, handlungsbezogenes Lernen empfohlen, das insbesondere die mündlichen Fertigkeiten fördert (Art. 14). Es gibt erste Ansätze zur historischen Lehrwerkanalyse (Macht 1987, 1990), aber historische Untersuchungen zu den Lehrplänen (Art. 12) fehlen noch weitgehend. Eine umfassende historische Analyse der Ziele und Inhalte des Fremdsprachenunterrichts steht noch aus. Der Einsatz literarischer Texte im Fremdsprachenunterricht ist seit 1945 grob durch drei Phasen charakterisiert. Auf die Zeit intensiver Lektüre literarischer Werke im fortgeschrittenen Unterricht bis in die 1970er Jahre folgte eine Periode der Bevorzugung von Sachtexten und journalistischer Prosa, wenngleich im Englischunterricht wenige klassische literarische Texte weiter behandelt wurden. Seit den späten 1990er Jahren gewinnt die Literatur im Kontext neuerer theoretischer Entwicklungen erneut an Bedeutung (Hallet & Nünning 2007). 630 Rudolf de Cillia / Friederike Klippel 6. Perspektiven für eine Geschichtsschreibung zum Fremdsprachenunterricht nach dem Zweiten Weltkrieg Für die Darstellung der historischen Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts müssen gesellschaftliche und institutionelle, personale, methodologische sowie inhaltliche Aspekte beachtet werden. Allerdings vollzieht sich diese Entwicklung nicht allein in nationalen Grenzen, sondern ist von internationalen Strömungen in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft beeinflusst. Ferner ist dem wachsenden Einfluss europäischer und internationaler Institutionen Rechnung zu tragen. Es sei hier nur auf die zunehmende Bedeutung bilateraler und multilateraler Studiengänge, binationaler, europäischer und internationaler Schulen, binationaler oder internationaler Abschlüsse, internationaler Vergleiche und Tests, des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen sowie europäischer Institutionen (z. B. Council of Europe und European Centre for Modern Languages, vgl. Art. 138) hingewiesen. Fachhistorische Forschung ist wenig populär, so dass noch viele Aspekte in der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts der Untersuchung harren. Literatur Appel, J. (2004): Aufschwung im Rückblick. Fremdsprachendidaktik der sechziger Jahre. München. Christ, H. / de Cillia, R. (2003): Geschichte des Fremdsprachenunterrichts in deutschsprachigen Ländern seit 1945, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 4. Aufl. Tübingen, 614-621. Doff, S. (2008): Englischdidaktik in der BRD 1949- 1989. Konzeptuelle Genese einer Wissenschaft im Dialog von Theorie und Praxis. München. Doff, S. / Wegner, A., Hrsg. (2006): Fremdsprachendidaktik im 20. Jahrhundert. Konstituierung einer wissenschaftlichen Disziplin im Spannungsfeld von Theorie und Praxis. München. Doyé, P. / Lüttge, D. (1977): Untersuchungen zum Englischunterricht in der Grundschule. Braunschweig. EDK - Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. www.edk.ch Gutschow, H. (1964): Englisch an Hauptschulen. Bielefeld. Hallet, W. / Nünning, A., Hrsg. (2007). Neue Ansätze und Konzepte der Literatur- und Kulturdidaktik. Trier. Hutterli, S. / Stotz, D. (2010): Länderbericht Schweiz, in: BMWF / bm: ukk/ EDK (Hrsg.): 631 137. Geschichte des Fremdsprachenunterrichts in deutschsprachigen Ländern seit 1945 Die Bedeutung der Sprache. Bildungspolitische Maßnahmen und Konsequenzen, Berlin, 141- 183. KMK (o. J.): Allgemeines zum fremdsprachlichen Unterricht. www.kmk.org/ bildung-schule/ allgemeine-bildung/ faecher-und-unterrichts inhalte/ fremdsprachen.html Macht, K. (1987, 1990): Methodengeschichte des Englischunterrichts. Band 2: 1880-1960; Band 3: 1960-1985. Augsburg. Röske, M. (1984-1986): Chronik des Fremdsprachenunterrichts in der DDR I- IV . Fremdsprachenunterricht 1984, 437-451, 578-580; 1985, 583-585; 1986, 68-70, 261-263, 358- 362. Rudolf de Cillia Friederike Klippel R Organisationen und Institutionen zur Förderung des Lernens und Lehrens von Sprachen 138. Förderung des Lernens und Lehrens von Sprachen durch Europarat und Europäische Union 1. Problemaufriss Die sprachliche Situation Europas ist geprägt durch die Herausbildung der Nationalstaaten im 18. Jh.: Sprache spielte bei der Nationenwerdung vielfach eine konstituierende Rolle als identitätsstiftendes Element, woraus bis heute die in vielen europäischen Staaten verankerte Vorstellung „ein Staat - eine Sprache“ resultiert (vgl. Schreiner 2006). Hier liegt ein entscheidender Grund dafür, dass sich mit dem Zusammenwachsen Europas keine Einheitssprache durchgesetzt hat, sondern die Förderung der Mehrsprachigkeit im Zentrum der europäischen Sprachenpolitik steht (vgl. Art. 10). Zugleich führt diese Ausgangssituation zu zwei grundlegenden Widersprüchen: Zum einen ist die Vorstellung von einsprachigen, durch eine Nationalsprache konstituierten Staaten, so sie denn je existiert haben, durch Globalisierung und die zunehmende Mobilität der europäischen Bürger einerseits sowie durch die unterschiedlichen Migrationsbewegungen (Armuts- und Flücht- 633 lingsmigration ebenso wie Arbeits- und Freizeitmigration) andererseits längst Fiktion. Trotz der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit wird jedoch - und das gilt insbesondere für das Bildungswesen - an dieser Vorstellung von Einsprachigkeit festgehalten, die Gogolin (1994) für die Schule als den monolingualen Habitus der multilingualen Schule charakterisiert; d. h., Mehrsprachigkeit in europäischen Programmen bezieht sich in erster Linie auf die Nationalsprachen der Mitgliedsländer der jeweiligen europäischen Institution und nur in Form von Sonderregelungen auch auf Minderheitensprachen. Zum zweiten hat sich - in einem deutlichen Widerspruch zur programmatischen Zielsetzung der Mehrsprachigkeit - innerhalb der europäischen Institutionen ein wenige Sprachen favorisierendes Sprachenregime etabliert, wofür unterschiedliche Gründe (Kosten, Arbeitsökonomie) angeführt werden (vgl. Gellert-Novak 1993; Loehr 1998). Hinzu kommt, dass der Europarat in der Regel nur Empfehlungen aussprechen kann, an die die Mitgliedsländer nicht gebunden sind. Nichtsdestotrotz haben Europarat und Europäische Union das Sprachenlernen und -lehren in Europa und darüber hinaus entscheidend verändert und geprägt. 2. Die Sprachenpolitik des Europarats Der Europarat, 1949 als Reaktion auf den 2. Weltkrieg gegründet, stellt die Menschenrechte und die demokratische Teilhabe aller Bürger sowie die Förderung der kulturellen Zusammenarbeit ins Zentrum seiner Arbeit. Zur Umsetzung seiner in der Europäischen Kulturkonvention verankerten sprachenpolitischen Ziele und Projekte wurde 1957 eine sprachenpolitische Abteilung (language policy division; heute: language policy unit) eingerichtet. 1994 wurde im Rahmen eines Teilabkommens, dem nicht alle Europaratsmitglieder beigetreten sind, das in Graz lozierte Europäische Fremdsprachenzentrum (European Centre for Modern Languages - ECML / Le centre européen des langues vivantes - CELV) gegründet. Seine Aufgabe ist die Implementation der sprachenpolitischen Grundsätze des Europarats und die Förderung innovativer Methoden des Lehrens und Lernens von Sprachen, wobei Fremdsprachenlehrende die wichtigste Zielgruppe darstellen. Das Europäische Fremdsprachenzentrum schreibt dafür jeweils auf fünf Jahre befristete Arbeitsprogramme aus. Die Language Policy Division hat seit 1954 Instrumente und Materialien entwickelt, die kommunikative und kompetenzorientierte Verfahren des Sprachenlernens fördern (vgl. Trim 2007). Als besonders einflussreich haben sich die Kompetenzbeschreibungen für die grenzüberschreitende Kommunikation erwiesen: Threshold Level 1975, Un Niveau Seuil 1976, Kontaktschwelle Deutsch als Fremdsprache 1981. In der Weiterentwicklung wurden diese Sprachkompetenzen ausdifferenziert, auf sechs Niveaustufen beschrieben und 2001 als Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen (GeR) publiziert (Europarat 2001). Der GeR hat weltweite Verbreitung gefunden und liegt zurzeit in 38 Sprachfassungen vor. Er dient als Grund- 634 H.-J. Krumm lage für die Curriculum- und Lehrmaterialentwicklung, insbesondere aber für die Entwicklung von standardisierten Sprachprüfungen (vgl. Art. 89). Kritisch wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Intention des GeR, die Ausformung individueller Sprachenprofile zu erleichtern, durch die Nutzung für standardisierte Prüfungen konterkariert wird und nicht leicht standardisierbare Lernziele aus dem Blick geraten (vgl. Bausch et al. 2003; vgl. Art. 11). Mit dem Europäischen Sprachenportfolio existiert dagegen seit 1997 ein Instrument, das den individuellen Zugang zu Sprachen und die Autonomie der Lernenden fördert; über eine Webseite werden Hilfen für die Arbeit mit Portfolios gegeben. In den deutschsprachigen Ländern wurden adaptierte Fassungen für die Erwachsenenbildung und für die verschiedenen Schulstufen entwickelt und sind fester Bestandteil des Sprachunterrichts (vgl. Art. 88). Seit 2003 führt der Europarat zusammen mit interessierten Ländern Analysen der jeweiligen Sprachunterrichtspolitik durch, um auf Grund einer Stärken-Schwächen-Bilanz Profile für die Weiterentwicklung des Sprachunterrichts zu erarbeiten. Von den deutschsprachigen Ländern hat nur Österreich 2006-2008 ein solches Language Education Policy Profile entwickelt, welches dort starke Impulse für eine sprachensensible Schulentwicklung gesetzt hat (vgl. BMUKK et al. 2008, ÖSZ et al. 2009; vgl. Art. 137). Ein besonderes Augenmerk widmet der Europarat der Sicherung der Menschenrechte von sprachlichen Minderheiten. Die 1992 vorgelegte „Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“ trat 1998 in der Schweiz, 1999 in Deutschland und 2001 in Österreich in Kraft. Ein regelmäßiges Monitoring sorgt dafür, dass die Charta in den Unterzeichnerstaaten eine Sprachenrechte schützende Funktion erfüllt, allerdings nur für die anerkannten Regional- und Minderheitensprachen, nicht für andere sprachliche Minderheiten wie z. B. Migrantinnen und Migranten. Mit dem Projekt Linguistic Integration of Adult Migrants entwickelt der Europarat Konzepte und Materialien für die (sprachliche) Integration erwachsener Migrantinnen und Migranten, um in den Mitgliedsländern ein menschenrechtskonform gestaltetes Sprachenregime zu erreichen; kritisch werden insbesondere die (negativen) Auswirkungen von Sprachtests auf Familiennachzug und Integration gesehen (vgl. Strik 2013). Mit dem Projekt Language(s) of Schooling werden seit 2005 Bemühungen unterstützt, um einerseits den Zugang aller Kinder zu Bildung durch Förderung der Unterrichtssprache zu verbessern, andererseits aber auch die Familien- und Herkunftssprachen in das Bildungssystem zu integrieren; als Beispiel sei der Guide for the development and implementation of curricula for plurilingual and intercultural education (2010) genannt. 3. Sprachenpolitik der Europäischen Union (EU) Die Förderung des Sprachenlernens und der Mehrsprachigkeit gehört in nahezu allen konstitutiven Dokumenten der EU zu den zentralen sprachenpolitischen Zielen. Sprachkenntnisse sollen dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit Europas und die Beschäftigungsfähigkeit und Mobilität sowie die interkulturelle Verständigung der Bürger zu erhöhen; die Achtung der Sprachenvielfalt ist ein in der Charta der Grundrechte (Nizza 2000) verankerter Grundwert. 2002 wurde als sog. Barcelona-Ziel vereinbart, jeder europäische Bürger solle neben seiner Muttersprache mindestens zwei Fremdsprachen sprechen können. 635 138. Förderung des Lernens und Lehrens von Sprachen durch Europarat und EU 2007 bis 2010 verfügte die EU-Kommission über ein eigenes Kommissariat für Mehrsprachigkeit, seitdem sind Sprachenfragen wieder in der Generaldirektion Bildung und Kultur loziert. Die Sprachenpolitik der EU wird in regelmäßigen Entschließungen formuliert und in konkrete Programme umgesetzt. Zu nennen sind hier insbesondere die Europäische Strategie für Mehrsprachigkeit 2008 („Mehrsprachigkeit: Trumpfkarte Europas, aber auch gemeinsame Verpflichtung“ ) sowie die Rahmenstrategie „Bildung und Ausbildung 2020“ (ET 2020, vgl. Europäischer Rat 2009), die Fremdsprachenkenntnisse zu den acht Schlüsselkompetenzen zählt. Als wichtigstes Förderprogramm ist „Erasmus Plus“ (Laufzeit 2014-2020) zu nennen, in dem das Sprachenlernen mit Mobilitätsprogrammen und mit strategischen Partnerschaften zur Entwicklung von Material, von Tests und von Forschungsprogrammen unterstützt wird. Hinsichtlich Erhalt und Förderung von Regional- und Minderheitensprachen kooperiert die EU u. a. mit dem Europäischen Forschungszentrum zur Mehrsprachigkeit und zum Sprachenerwerb (Mercator). Für sprachenpolitische Entscheidungen sind die von der EU erhobenen Daten zur Entwicklung des Sprachunterrichts und der Sprachkenntnisse in den Mitgliedsländern wichtig: Das Projekt „Poliglotti4.eu“ ist eine Plattform mit Erhebungen zur Sprachenvielfalt und mit sprachenpolitischen Diskussionen; 2007 wurde die Einführung eines Europäischen Indikators für Sprachenkompetenz vereinbart, um zu überprüfen, wie weit die Mitgliedsländer das Ziel „Muttersprache + 2“ umsetzen. Die erste Erhebung, an der die deutschsprachigen Länder nicht beteiligt waren, zeigt, dass die Situation insbesondere bezüglich der zweiten Fremdsprache sich von Land zu Land erheblich unterscheidet (Europäische Kommission 2012). 4. Perspektiven Seit dem gemeinsam durchgeführten Europäischen Jahr der Sprachen 2001 hat eine Zusammenarbeit von Europarat und Europäischer Union begonnen: So bildet der GeR die Grundlage des Europäischen Indikators für Sprachkompetenz ebenso wie des von der EU lancierten Europass-Sprachenpasses. In diese Zusammenarbeit wird zunehmend auch das Europäische Fremdsprachenzentrum einbezogen. Über Projekte wie das Europäische Portfolio für Sprachlehrende in Ausbildung bzw. das Europäische Profilraster für Sprachlehrende (vgl. Art. 65) nehmen Europarat und EU auch Einfluss auf die Ausbildung von Sprachlehrenden. Auch wenn dabei eine stärkere Berücksichtigung unterschiedlicher Lehr- und Lernkulturen und eine bessere Einbindung in forschungsgeleitete Lehr- und Lernkontexte der Hochschulen wünschenswert wäre, so tragen diese Projekte doch entscheidend zu einer Modernisierung des Fremdsprachenunterrichts und der Fremdsprachenlehrerausbildung z. B. im Bereich der Kompetenzorientierung bei. Über die negativen Auswirkungen von Standardisierungen und Benchmarks auf Lerninhalte und individuelle Sprachenprofile ist noch wenig bekannt, nicht zuletzt, weil begleitende Evaluationen und kritische Forschung zur europäischen Sprachenpolitik noch kaum entwickelt ist (vgl. Art. 11). Wie der in den europäischen Institutionen und den nationalen Bildungssystemen angelegte Widerspruch zwischen einer die Mehrsprachigkeit in den traditionellen Fremdsprachen fördernden, die lebensweltliche Vielsprachigkeit aber immer noch stark ausblendenden Schulsprachenpolitik gelöst werden kann, bleibt eine offene Frage der europäischen Sprachenpolitik. 636 H.-J. Krumm Literatur Bausch, K.-R. / Christ, H. / Königs, F. G. / Krumm, H.-J., Hrsg. (2003): Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Tübingen. BMUKK / BMWF , Hrsg. (2008): Language education policy profil: Länderbericht Sprach- und Sprachunterrichtspolitik in Österreich. Graz. Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. http: / / conventions.coe.int/ Treaty/ Commun/ QueV oulezVous.asp? CL = GER & NT =148 Europäische Kommission: Sprachen. http: / / ec. europa.eu/ languages/ index _de.htm Europäischer Rat (2009): ET 2020. http: / / eurlex.europa.eu/ legal-content/ DE/ TXT/ PDF/ ? uri=CELEX: 52009XG0528(01)&from=EN Europäisches Fremdsprachenzentrum. www. ecml.at/ Home/ tabid/ 59/ language/ en-GB/ Default.aspx Europarat (o. J.): Language policy unit. www.coe. int/ t/ dg4/ linguistic Europarat, Hrsg. (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen. Strasbourg. Gellert-Novak, A. (1993): Europäische Sprachenpolitik und Euroregionen. Tübingen. Gogolin, I. (1994): Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. Münster. Loehr, K. (1998): Mehrsprachigkeitsprobleme in der Europäischen Union. Frankfurt. ÖSZ / BMUKK / BMWF , Hrsg. (2009): Language education policy profiling. Sprach- und Sprachunterrichtspolitik in Österreich. Länderprofil. www.oesz.at/ download/ publikationen/ The menreihe_4.pdf Schreiner, P. (2006): Staat und Sprache in Europa: Nationalstaatliche Einsprachigkeit und die Mehrsprachenpolitik der Europäischen Union. Frankfurt. Strik, T. (2013): Integration tests: helping or hindering integration? www.assembly.coe.int/ CommitteeDocs/ 2013/ amdoc11_2013 TA . pdf Trim, J. L. M. (2007): Modern languages in the Council of Europe 1954-1997. International cooperation in support of lifelong language learning for effective communication, mutual cultural enrichment and democratic citizenship in Europe. Strasbourg. Hans-Jürgen Krumm 139. Förderung des Lernens und Lehrens von Sprachen durch Mittlerorganisationen 1. Sprachförderung durch Mittlerorganisationen Die Förderung der jeweils eigenen Sprache in anderen Ländern ist eine zentrale Aufgabe der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Die Sprachförderung schlägt Brücken ins jeweilige Land, legt die Grundlagen für wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Austausch und vermittelt ein aktuelles Bild des eigenen Landes. Während diese Aufgabe teils von Organen der Außenpolitik wie den Instituts Français wahrgenommen wird, die im jeweiligen Gastland unmittelbar der Botschaft unterstellt sind, ist für Deutschland die Sprachförderung durch Mittlerorganisationen charakteristisch. Diese erhalten ihre Budgets in der Regel von der Bundesregierung (mit Blick auf die Deutschförderung v. a. aus dem Etat des Auswärtigen Amtes), sind in ihren Maßnahmen und Angeboten aber unabhängiger und unterstehen nicht unmittelbar einer politischen Direktive. Hierfür gibt es v. a. historische Gründe: Nach der Gleichschaltung sämtlicher Kulturförderinstitutionen im Nationalsozialismus war es das erklärte Ziel der Nachkriegszeit, die auswärtige Kulturpolitik 637 139. Förderung des Lernens und Lehrens von Sprachen durch Mittlerorganisationen von nationalistischen und kulturchauvinistischen Zwecken freizuhalten (Göbel 2015: 29). Eine koordinierende Funktion übt das Netzwerk Deutsch (vormals Ständige Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache) unter Federführung des Auswärtigen Amtes aus. Hier werden auch im Fünfjahresrhythmus die Deutschlernerzahlen erhoben, deren leicht steigende Tendenz in der letzten Erhebung im Vergleich zu 2010 auch als Erfolg der Arbeit der Mittlerorganisationen gewertet wird (Auswärtiges Amt 2015: 5). In Österreich liegt die Deutschförderung anders als in Deutschland nicht in der Hand unabhängiger Mittlerorganisationen, sondern wird bspw. vom Österreichischen Austauschdienst (OeAD), einer GmbH im Eigentum des Bundes, wahrgenommen. Mit ihrem Lektoratsprogramm fördert die OeAD GmbH u. a. die Vermittlung von deutscher Sprache sowie österreichischer Literatur und Landeskunde an ca. 120 Hochschulstandorten weltweit. Auch die Österreich Institut GmbH, die an acht Standorten vornehmlich in Osteuropa Sprachkurse anbietet, ist Eigentum der Republik Österreich und damit keine Mittlerorganisation im eigentlichen Sinne. Wiederum anders ist die Lage in der Schweiz, die aufgrund ihrer Mehrsprachigkeit äußerste Zurückhaltung bei der Förderung einzelner Landessprachen im Ausland übt. Eine Sprachförderung durch Mittlerorganisationen findet in diesem Kontext nicht statt (vgl. zur Lage in Österreich und der Schweiz auch Demmig et al. 2013: 155-228, außerdem Keilholz-Rühle 2003). Im Zentrum der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik vorrangig in Deutschland steht das Ziel, langfristige Bindungen nach Deutschland bzw. in die deutschsprachigen Länder zu etablieren und so verlässliche Beziehungen zu schaffen. Hierbei bildet die deutsche Sprache „den wichtigsten Schlüssel zu unserer Kultur“ (Auswärtiges Amt 2011: 6). Spätestens seit Beginn des neuen Jahrtausends steht die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zudem im Zeichen einer soft diplomacy, die über die Etablierung langfristiger Bindungen und wechselseitigen Verständnisses hinaus auch auf Krisenprävention und -bekämpfung ausgerichtet ist. Sprachförderung ist allerdings ein langfristiges und nachhaltiges Instrument, das stabiler Strukturen bedarf. Wie dies seinen Platz in der zukünftigen Außenpolitik findet, wird die Entwicklung der nächsten Jahre zeigen. Eine Sonderstellung nimmt die Förderung deutschsprachiger Minderheiten in Regionen Osteuropas, aber bspw. auch in Lateinamerika ein. 2. Deutschförderung durch Mittlerorganisationen Die deutschen Mittlerorganisationen sind in ihrer heutigen Form mehrheitlich nach dem 2. Weltkrieg gegründet worden, teils als Neugründung älterer Institutionen, so z. B. der Deutsche Akademische Austauschdienst e. v. (DAAD). Gemäß ihren Satzungen und allgemeinen Zielen üben sie Aufgaben der Deutschförderung in unterschiedlichen Bereichen aus. a) Goethe-Institut Das Goethe-Institut e. V. mit Sitz in München und 160 Goethe-Instituten in 94 Ländern repräsentiert an vielen Orten der Welt das Gesicht deutscher Kultur (Goethe-Institut 2014: 129). Es wurde 1951 als Nachfolgeinstitution der Deutschen Akademie gegründet. Seine Aufgaben sind die Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache, die Förderung internationaler kultureller Zusammenarbeit sowie die Vermittlung eines aktuellen Deutschlandbildes durch die Bereitstellung von Bibliotheken, Informationszentren so- 638 Ursula Paintner wie durch ein breites Spektrum an Kulturveranstaltungen. Im Jahr 2015 lernen insgesamt rund 229.000 Menschen Deutsch an Goethe-Instituten im Ausland (Auswärtiges Amt 2015: 16). Dabei geht die Aufgabe des Goethe-Instituts über die Organisation der Sprachkurse weit hinaus. Es entwickelt Lehrmaterialien sowie Materialien zur Lehrerfortbildung nach aktuellem Stand der Forschung und führt, teils in Kooperation mit Hochschulen in Deutschland und vor Ort, Programme zur Lehrerbildung durch. Zudem bietet es Sprachprüfungen für unterschiedliche Zielgruppen und Zwecke an. In der Zusammenarbeit mit Deutschlehrerverbänden und bildungspolitischen Institutionen in den Zielregionen wirkt das Goethe-Institut v. a. darauf hin, dass Deutsch in möglichst vielen Bildungssystemen seinen Platz an den Schulen behält bzw. ausbauen kann. Da Deutsch v. a. in den Ländern stabile Lernerzahlen hat, in denen eine zweite Pflichtfremdsprache im Schulsystem verankert ist, liegt hier ein Schlüssel zur langfristig erfolgreichen Deutschförderung. b) DAAD Als Selbstverwaltungsorganisation der deutschen Hochschulen ist zentrales Ziel des DAAD die Internationalisierung der deutschen Hochschulen. Mit den drei strategischen Feldern „Stipendien für die Besten“ , „Weltoffene Strukturen“ und „Wissen für Wissenschaftskooperationen“ hat der eingetragene Verein mit Sitz in Bonn seine Aufgabenbereiche prägnant formuliert (DAAD 2014: 18-46). Die Förderung der deutschen Sprache durch den DAAD ist grundsätzlich im Zusammenhang mit diesen generellen Aufgaben im Hochschulbereich zu sehen. Der DAAD bietet nicht selbst Kurse oder Materialien an, sondern stellt entsprechende Förderprogramme zur Verfügung, als wichtigstes im Deutschbereich das Lektorenprogramm. Rund 500 Germanistinnen und Germanisten bzw. DaF- Expertinnen und -Experten vermitteln an Hochschulen in über hundert Ländern Germanistik, Deutsch als Fremdsprache und, zu einem geringen Anteil, andere Fächer mit Deutschlandbezug, so z. B. Jura oder Geschichte. Weitere Programme sollen die Zusammenarbeit zwischen deutschen und internationalen Hochschulen im Deutschbereich stärken, so z. B. die „Germanistischen Institutspartnerschaften“ für die Regionen Mittelosteuropa, GUS, Afrika, Lateinamerika und Asien. Eine zentrale Aufgabe des DAAD besteht darin, der wachsenden Nachfrage nach Deutsch für Studierende anderer Fächer - z. B. für Ingenieure und Juristen - Rechnung zu tragen, ohne die Germanistik dabei aus dem Blick zu verlieren. Gerade der kooperative Ansatz der deutschen auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist auf ein fruchtbares Miteinander mit Fachvertretern vor Ort angewiesen. Besonders deutlich wird dies in Hochschulprojekten mit deutscher Beteiligung im Ausland (transnationale Bildungsprojekte), bei denen ein Sprachlernangebot mit zum Programm gehört. Der DAAD misst qualifizierten Dozentinnen und Dozenten besondere Bedeutung bei, wie überhaupt die Ausbildung von Multiplikatoren im Fokus der Deutschförderung der auswärtigen Kulturpolitik steht (Auswärtiges Amt 2003: 11). c) ZfA Im Auftrag der Kultusministerkonferenz betreut die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) als eigene Abteilung innerhalb des Bundesverwaltungsamts die 140 deutschen Auslandsschulen weltweit sowie ca. 1.100 Schulen der jeweiligen nationalen Bil- 639 139. Förderung des Lernens und Lehrens von Sprachen durch Mittlerorganisationen dungssysteme, die das Deutsche Sprachdiplom anbieten (vgl. auch Art. 142). Die deutschen Auslandsschulen befinden sich in der Regel in der Trägerschaft privater Trägervereine und sind als Begegnungsschulen konzipiert. Sie bieten entweder das deutsche Abitur oder einen vergleichbaren Abschluss an. Die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen unterstützt die Schulen sowohl fachlich als auch finanziell durch Lehrkräfte, Fachberater, Lehrerfortbildungen etc. d) PASCH-Initiative Ca. 90 % der aktiven Deutschlernenden weltweit lernen Deutsch an Schulen. Die 2008 von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) ins Leben gerufene Initiative „Schulen - Partner der Zukunft“ (PASCH) trägt dieser Sachlage Rechnung und verfolgt das Ziel, in der Zusammenarbeit von Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, Goethe-Institut, DAAD und Auswärtigem Amt das Netzwerk an Schulen mit erweitertem Deutschunterricht weltweit nachhaltig zu stärken. e) Weitere Mittlerorganisationen Neben den „großen“ Mittlerorganisationen DAAD, Goethe-Institut und Zentralstelle für das Auslandsschulwesen nehmen eine Reihe weiterer Organisationen Aufgaben der Deutschförderung wahr, namentlich die Deutsche Welle mit einem breiten digitalen Angebot zum Deutschlernen sowie die Deutsche Auslandsgesellschaft e. V. mit der Aufgabe, Deutschlehrkräfte aus Nord- und Nordosteuropa fortzubilden. 3. DACHL Im Vergleich zu den anderen deutschsprachigen Ländern hat Deutschland sich früh und prominent in der Deutschförderung im Ausland engagiert, was zumindest punktuell als „Hegemonialanspruch“ im DaF-Bereich wahrgenommen wurde (Stangl 2013: 182). Dieser strukturellen Differenz versucht das DACHL-Prinzip inhaltlich entgegenzuwirken, indem es den Blick auf die Plurizentrik des deutschen Sprachraums lenkt. In der Arbeit der Mittlerorganisationen und nicht zuletzt der Fachleute vor Ort ist das DACHL- Prinzip zunehmend von Bedeutung. Literatur Auswärtiges Amt (2003): Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (Edition Diplomatie). http: / / www.ifa.de/ fileadmin/ pdf/ aa/ akbp2003.pdf Auswärtiges Amt (2011): Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in Zeiten der Globalisierung. Partner gewinnen, Werte vermitteln, Interessen vertreten. www.auswaertiges-amt.de/ cae/ servlet/ contentblob/ 632978/ publicationFile/ 174954/ AKBP _Globalisierung.pdf Auswärtiges Amt (2015): Deutsch als Fremdsprache weltweit. Datenerhebung 2015. Berlin. DAAD (2014): Jahresbericht 2014. http: / / imperia. daad.com/ medien/ der-daad/ medien-publi kationen/ publikationen-pdfs/ daad _jahresbe richt_2014.pdf Demmig, S. / Hägi, S. / Schweiger, H., Hrsg. (2013): DACH -Landeskunde. Theorie - Geschichte - Praxis. München. Eurobarometer (2012): Spezial Eurobarometer 386. Die europäischen Bürger und ihre Sprachen. http: / / ec.europa.eu/ public_opinion/ archives / ebs/ ebs_386_de.pdf Göbel, J. (2015): Aufbruch und neue Anfänge, in: DAAD (Hrsg.): 90 Jahre DAAD . Eine Erfolgsgeschichte, Bonn, 28-43. 640 Rudolf de Cillia Goethe-Institut (2014): Jahrbuch 2013/ 2014. www.goethe.de/ resources/ files/ pdf26/ Jahr buch-Goethe-Institut _20141.pdf Keilholz-Rühle, N. (2003): Mittlerorganisationen für Deutsch als Fremdsprache, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht, 4. Aufl. Tübingen, Basel, 596-600. Stangl, A. (2013): ÖD aF - Österreichischer Verband für Deutsch als Fremdsprache/ Zweitsprache, in: Demmig et al. (Hrsg.), 181-184. Ursula Paintner 140. Ausländische Sprach- und Kulturinstitute in den deutschsprachigen Ländern 1. Die Bedeutung von Sprach- und Kulturinstituten für den Sprachenunterricht Sprach- und Kulturinstitute sind ein wichtiges Instrument der Auslandssprachen- und kulturpolitik und der Sprachförderung bzw. Sprachverbreitungspolitik (Ammon 2000). Dabei ist Fremdsprachenunterricht nicht die einzige Aufgabe - ausländische Sprach- und Kulturinstitute verstehen sich primär als Stätten des Kulturaustauschs. Sie werden in der Regel von den jeweiligen Staaten finanziert, wobei die rechtlichen und organisatorischen Strukturen unterschiedlich sein können. Manche sind privatrechtlich als Vereine organisiert, z. B. der British Council und das Goethe-Institut, häufiger unterstehen sie aber den jeweiligen Außenministerien wie die Instituts Français oder die Istituti Italiani di Cultura. Gelegentlich gibt es auch binationale, vom Entsendewie vom Gastland gemeinsam getragene, Institutionen. Daneben gibt es private Vereine als Sprach- und Kulturmittler im Ausland, z. B. die Alliance Française und die Società Dante Alighieri, die im Wesentlichen auch mit staatlichen Mitteln finanziert, aber von lokalen Komitees getragen werden. Die Aktivitäten der Sprach- und Kulturinstitute sind vielfältig, und je nach Einzelfall werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Sie unterhalten Bibliotheken und Mediensammlungen, unterstützen den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch, bieten Sprachkurse und Sprachprüfungen für international anerkannte Zertifikate an, unterstützen Lehrpersonen der jeweiligen Sprachen durch Weiterbildungsangebote und kooperieren mit Fremdsprachenlehrerverbänden und staatlichen Schulbehörden. Außerdem führen sie Kulturveranstaltungen unterschiedlichster Art (Ausstellungen, Filmpräsentationen, Theateraufführungen, wissenschaftliche Symposien etc.) durch, häufig in Kooperation mit entsprechenden Institutionen der Gastländer. 2. Historische Entwicklung Sprach- und Kulturinstitute oder vergleichbare Institutionen gibt es seit Ende des 19. Jhs. Ihre Zahl nahm nach 1945 weltweit stark zu. Das gilt auch für Deutschland und Österreich, wo die Besatzungsmächte nach dem Ende des Krieges Sprach- und Kulturinstitute in großer Zahl einrichteten: Großbritannien unter dem Namen Die Brücke, die USA unter dem Namen Amerika Haus und Frankreich unter dem Namen Instituts Français oder Centres Culturels Français. Die Sowjetunion förderte ihrerseits binationale Einrichtungen. Die Zahl der Sprach- und Kulturinstitute ging allerdings bereits ab den 1960er Jahren wieder zurück. Heute unterhalten die großen Entsendestaaten zahlreiche solcher Institute: British Council gibt es in 110 Ländern, Goethe-Institute in 94 Ländern, Institut Français in 100. 641 140. Ausländische Sprach- und Kulturinstitute in den deutschsprachigen Ländern Nach 1989 kam es zu einer Reihe von Neugründungen westlicher Entsendeländer in den osteuropäischen Staaten und Schließungen an anderen Orten, sowie zur Eröffnung von Sprach- und Kulturinstituten osteuropäischer Länder, z. B. des Slowakischen Instituts in Wien oder der Rumänischen Kulturinstitute (seit 2004). Seit 1991 gibt es das Instituto Cervantes mit heute weltweit über 40 Zentren, und in jüngster Vergangenheit fördert die VR China verstärkt die Verbreitung der chinesischen Sprache, v. a. durch die Konfuzius-Institute, die 2012 gemeinsam mit lokalen Partnern (z. B. Hochschulen, Verbänden oder Handelskammern) in über 100 Ländern ca. 400 Institute unterhielt. Eine Zusammenarbeit zwischen den Sprach- und Kulturinstituten einzelner Länder ist seit 2006 durch die Gründung von EU- NIC (European National Institutes for Culture, 33 Mitglieder aus 27 Ländern) erleichtert. Das weltweit agierende Netzwerk fördert durch Projekte, z. B. Language Rich Europe oder Poliglotti4.eu Language Observatory, den interkulturellen Dialog, kulturelle Vielfalt und Mehrsprachigkeit. 3. Die wichtigsten Kulturinstitute in alphabetischer Ordnung Amerika Häuser wurden in (West-)Deutschland und Österreich ab 1945 von den USA als Kultur- und Informationszentren mit Bibliotheken und Schallplattensammlungen gegründet, vermittelten den Austausch von Künstlern und Wissenschaftlern und spielten eine wichtige Rolle für die „Umsetzung umfassender geistig-ideologischer oder pädagogischer Neuorientierung“ der beiden Länder (Schöttler 2011: 9). Ab 1953 waren sie der bis 1999 existierenden USIA (United States Information Agency) unterstellt. Anfang der 1950er Jahre gab es 27 Häuser in der BRD, Anfang der 70er Jahre nur mehr 8 Institute, 2007 wurde als letztes das Kölner Amerika Haus geschlossen. In Österreich gab es bis in die 1960er Jahre sechs Häuser, heute existiert nur noch das in Wien in einer reduzierten Form. Eine Reihe binationaler Institute und Gesellschaften sorgen heute für die Zusammenarbeit mit den USA. Unter dem Namen Balassi-Institut werden seit 2011 die ungarischen Kulturinstitute zusammengefasst, die es in Berlin, Stuttgart und Wien gibt - letzteres bekannt unter dem Namen Collegium Hungaricum - und zu deren Aufgaben u. a. allgemeine Kulturarbeit und Sprachkurse gehören. British Council, ein gemeinnütziger Verein, der auf kulturellem und wissenschaftlichem Gebiet sowie im Bildungswesen die Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und anderen Ländern fördert, hat Niederlassungen in Berlin, Wien und Bern. Er bietet Sprachprüfungen an, Angebote zum Sprachenlernen im Internet und mit Apps sowie Sprachkurse, Workshops für Lehrpersonen, auch Online- Kurse, „Webinars“ , und ist in den sozialen Netzwerken sehr aktiv. Portugal unterhält ein dem portugiesischen Außenministerium unterstelltes Centro de Língua Portuguesa / Instituto Camões in Hamburg und Wien, das Ausstellungen und Filmreihen organisiert und in Kooperation mit den Universitäten, an die es angebunden ist, Portugiesischkurse anbietet. China unterhält in der BRD das 2008 eröffnete Chinesische Kulturzentrum in Berlin; in Österreich und der Schweiz gibt es keine vergleichbare Einrichtung. Die Aufgabe des Berliner Zentrums ist es, einer breiten Öffentlichkeit in Deutschland die chinesische Kultur, Kunst und Bildung näherbringen, den kulturellen Austausch und die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern zu fördern und Kurse zum Erlernen der chinesischen Sprache anzubieten. Konfuzius-Institute, die gemeinsam mit unterschiedlichen lokalen Partnern betrieben werden, gibt es in Berlin, Bre- 642 Rudolf de Cillia men Erlangen-Nürnberg, Düsseldorf, Hannover, Frankfurt, Hamburg, München, Leipzig, Trier, Duisburg, Heidelberg, Freiburg und Stuttgart, in Österreich in Wien und Graz, in der Schweiz in Basel, Genf und Zürich. Die griechische Kulturstiftung unterhält im deutschsprachigen Raum eine Zweigstelle in Berlin, die über eine Bibliothek verfügt, Kulturveranstaltungen anbietet und Prüfungen zum Erwerb des Neugriechisch-Zertifikats des Zentrums für Griechische Sprache in Thessaloniki durchführt. Aufgaben des Instituts Français sind heute - mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung nach Standort - Unterstützung der wissenschaftlichen sowie universitären Kooperation, Förderung von Studenten- und Forschermobilität, Unterricht von Französisch als Fremdsprache und Durchführung von Prüfungen, Vermittlung der zeitgenössischen französischen Kultur sowie Information über Frankreich. In Deutschland gibt es seit 2009 das Institut Français Deutschland als Dachverband, unter dem bundesweit 11 Instituts Français zusammengefasst sind, und 10 bilaterale Centres franco-allemands, in Österreich ein Institut Français in Wien und in Innsbruck, in der Schweiz acht von der französischen Botschaft unterstützte Niederlassungen der Alliance Française. Das Instituto Cervantes mit Standorten in Wien, Berlin, Bremen, Frankfurt, Hamburg und München hat zum Ziel, die spanische Sprache zu fördern, sowie das Kulturgut Spaniens und der iberoamerikanischen Länder im Ausland weltweit zu verbreiten. Zu seinen Aufgaben gehört die Durchführung von Sprachkursen und offiziellen Zertifikatsprüfungen für das Sprachdiplom DELE, von Aus- und Fortbildungskursen für Spanischlehrende und von Kulturveranstaltungen. Niederlassungen des Polnischen Instituts (Instytut Polski) gibt es in Berlin (mit einer Filiale in Leipzig), Düsseldorf und Wien. Die Institute verfügen über Bibliotheken und veranstalten ein Kulturprogramm, haben kein Sprachkursangebot, aber andere Informationsangebote für Schüler und Jugendliche. Istituti Italiani di Cultura, die es in Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München, Stuttgart und Wolfsburg, in Wien und in Zürich gibt, sind heute Zentren der Information und Kulturförderung, bieten Italienischkurse auf verschiedenen Niveaustufen und Fortbildung für Italienischlehrkräfte an und haben seit 1978 auch den Auftrag, Arbeitsemigranten als Forum für kulturelle Begegnungen zu dienen (Neuschäfer 1997: 427). Das Japanische Kulturinstitut in Köln ist die Vertretung der Japan Foundation in der BRD und ist im gesamten deutschsprachigen Raum aktiv. In Österreich und der Schweiz unterhalten die Botschaften Japanische Informations- und Kulturzentren . Eine der zentralen Aufgaben ist die Förderung des Japanischunterrichts und 2mal im Jahr wird der Japanese Language Proficiency Test durchgeführt. Rumänische Kulturinstitute (Institutul Cultural Român) gibt es seit 2004, davon zwei im deutschsprachigen Raum in Berlin und Wien. Beide Institute unterhalten eine Bibliothek, führen ein Kulturprogramm durch und bieten Sprachkurse an. Das Russische Haus der Wissenschaft und Kultur ( Российский дом науки и культуры ) in Berlin hat die Förderung des Erlernens und die Verbreitung der russischen Sprache im Ausland, die Vermittlung von Wissen über russische Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft und Förderung der Zusammenarbeit zwischen russischen und deutschen Wissenschafts- und Bildungsträgern zur Aufgabe. In Wien gibt es ein Russisches Kulturinstitut mit einer großen Bibliothek, in dem regelmäßig Konzerte, Konferenzen, Ausstellungen, Seminare, Treffen mit Kunstschaffenden, Theater- und Filmaufführungen stattfinden und Russischkurse angeboten werden. 643 140. Ausländische Sprach- und Kulturinstitute in den deutschsprachigen Ländern Ein Slowakisches Institut (Slovenský Inštitút) zur Verbreitung und Förderung der slowakischen Sprache und Kultur gibt es seit 1994 in Wien und Berlin. Sie bieten eine breite Palette von Veranstaltungen zur Förderung der kulturellen Kontakte zwischen der Slowakei und den Partnerländern und Sprachkurse an. Ein Tschechisches Zentrum (České centrum) existiert in Wien, von dem aus seit 2012 die Schweiz mitbetreut wird, in Berlin, München und Düsseldorf. Sie veranstalten u. a. Ausstellungen, Lesungen, Diskussionen, Konzerte, Filme und führen Sprachkurse durch. Literatur Ammon, U. (2000): Auf welchen Interessen beruht Sprachförderungspolitik? Ansätze einer erklärenden Theorie, in: U. Ammon (Hrsg.): Sprachförderung. Schlüssel auswärtiger Kulturpolitik, Frankfurt a. M., 153-150. British Council. www.britishcouncil.org EUNIC . www.eunic-online.eu Institut Français. www.institutfrancais.com Instituto Cervantes. www.cervantes.es Neuschäfer, A. (1997): Istituti Italiani di Cultura, in: Brütting, R. (Hrsg.): Italien-Lexikon, Berlin, 428-429. Russisches Haus der Wissenschaft und Kultur. http: / / russisches-haus.de Schöttler, S. (2011): Das Kölner Amerika Haus und die Kulturinstitute der Vereinigten Staaten von Amerika in Deutschland. Worms. Rudolf de Cillia 141. Institutionen zur Förderung des Lernens und Lehrens von Sprachen für Migrantinnen und Migranten 1. Problemaufriss Die institutionelle Verankerung der sprachlichen Lehr-Lernprozesse für Migrantinnen und Migranten ist eng verbunden mit sprachenpolitischen Zielen und Maßgaben auf nationaler und europäischer Ebene. Kompetente Mehrsprachigkeit wird vom Europarat auch mit Blick auf autochthone Sprachen als Bildungsziel gefordert und unterstützt (Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen 1998). Ein vergleichbarer Status wird für Migrantensprachen (vgl. die Artikel im Kap. N dieses Bandes) bislang nicht anerkannt, so dass für Migrantinnen und Migranten kein Anspruch auf Erhalt und Förderung der mitgebrachten Sprache besteht. Nachdem jahrzehntelang in allen deutschsprachigen Ländern keine systematische Sprachförderung betrieben wurde, markiert zur Jahrtausendwende der Erlass von Integrationsgesetzen einen Paradigmenwechsel hin zu einer Einwanderungspolitik, in der vorrangig deutsche Sprachkenntnisse als Schlüssel zu Teilhabe und Herstellung von Chancengerechtigkeit betrachtet werden. Kognitive und identitätsbildende Ressourcen einer migrationsbedingten Mehrsprachigkeit, die, wie internationale linguistische und pädagogische Befunde belegen, für den Zweitspracherwerb relevant sind (vgl. Art. 60), bleiben somit vielfach ungenutzt. 2. Institutionen und Akteure in Deutschland Die Schulleistungsstudie PISA 2000 deckte einen Leistungsabstand zwischen den zugewanderten und nicht zugewanderten Schü- 644 Heike Roll lerinnen und Schülern auf. Als ein Grund wurde das nicht ausreichende Beherrschen der Bildungs- und Unterrichtssprache in ihrer literalen Dimension identifiziert (vgl. Art. 45). Sprachbildung wird dabei als Konstituente des Regelunterrichts verstanden, während Sprachförderung zielgruppenspezifische Maßnahmen umfasst. Im Nationalen Integrationsplan (2007) haben sich fast alle Länder verpflichtet, sprachliche Bildung als Querschnittsaufgabe zu implementieren und Erzieherinnen und Erzieher im Elementarbereich sowie Lehrkräfte aller allgemein- und berufsbildenden Schulformen und Fächer in den Bereichen Diagnostik, Deutsch als Zweitsprache, Sprachförderung im Fach und Mehrsprachigkeit aus- und fortzubilden (einen Überblick über die Lehrerbildung gibt die Dokumentenanalyse von Baumann & Becker-Mrotzek 2014). Das Modellprojekt Pro- DaZ entwickelt Konzepte und Materialien für alle Phasen der Lehrerbildung (seit 2010) und hat beratende und vernetzende Funktionen, ebenso wie das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache an der Universität zu Köln (seit 2012). Angebote zur Förderung der Herkunftssprache haben nur eine begrenzte Reichweite: im schulischen, vielfach durch außerschulische Institutionen wie Konsulate, Migrantenselbstorganisationen oder Moscheevereine erteilten Herkunftssprachenunterricht (vgl. Art. 46), im Rahmen bilingualer Modelle oder mehrsprachigkeitsdidaktischer Vorgehensweisen im Unterricht (vgl. Art. 48). Neue Sprachlernräume eröffnet der offene und gebundene Ganztag für Kooperationen mit Museen, theaterpädagogischen Initiativen oder Sportvereinen. Additive Fördermaßnahmen in Auffang- und Vorbereitungsklassen werden für neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler angeboten. Studierende aus dem Ausland müssen in der Regel die „Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang“ (DSH) oder die vom TestDaF-Institut zentral organisierte Test- DaF-Prüfung ablegen. Vorbereitende Deutschkurse werden an eigenständigen Lehrgebieten der Universitäten oder an privaten Sprachschulen angeboten. Mehrsprachige Studierende können Angebote zur fach- und wissenschaftssprachlichen Förderung in Deutsch sowie in einigen Erstsprachen an universitären Schreibwerkstätten nutzen. Bei der Sprachförderung für Erwachsene setzt der Bund seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes 2005 und des bundesweiten Integrationsprogramms zwei Schwerpunkte: allgemeinsprachliche Integrationskurse und berufsbezogene Sprachfördermaßnahmen im Rahmen des Europäischen Sozialfonds zur sprachlichen Qualifizierung von sog. Altzuwanderern. Nach der Auflösung des 1974 gegründeten „Sprachverbands Deutsch für ausländische Arbeitnehmer e. V.“ im Jahr 2003 wurden dessen Aufgaben an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) übertragen: Das BAMF akkreditiert und evaluiert Sprachkursanbieter sowie Lehrwerke. Das vom Goethe-Institut (2007) entwickelte Rahmencurriculum beschreibt in Orientierung am Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR, Europarat 2001) kommunikative Handlungskompetenz in alltagsrelevanten Handlungsfeldern. In der Regel werden 600 bis 900 Stunden Sprachkurs und 30 Stunden Orientierungskurs belegt, die mit einer Sprachprüfung auf dem Niveau B1 des GeR sowie einem Orientierungskurstest abzuschließen sind (vgl. Art. 91). Integrationskurse mit Alphabetisierung richten sich an Migrantinnen und Migranten, deren Lese- und Schreibkenntnisse nicht ausreichen, um einen regulären Integrationskurs zu besuchen. Das Konzept für einen bundesweiten Alphabetisierungskurs (BAMF 2009) führt im Rahmen von 945 bis maximal 1.245 Unterrichtsstunden bis zum Niveau A1 und vermittelt auch Elemente von Grundbil- 645 141. Institutionen zur Förderung des Lernens u. Lehrens von Sprachen für Migrantinnen u. Migranten dung. Kritisiert wird, dass die für literate Fremdsprachenlernende entwickelten Kompetenzstufen des GeR Lernfortschritte in der Alphabetisierung nur unzureichend beschreiben und dass die Prüfungsorientierung bedarfsgerechtes Lernen verhindert. Alphabetisierung in der Erstsprache sowie eine zweisprachige Alphabetisierung werden nur vereinzelt angeboten. Die Kurse verteilen sich auf unterschiedliche Trägerarten (vgl. Integrationskursstatistik): Die Mehrheit der Kursteilnehmenden besucht Kurse an Volkshochschulen und Sprachschulen. Weitere Anbieter sind kirchliche Trägergruppen, Wohlfahrtsverbände, Bildungswerke, freie Träger und Initiativen. Beispielhaft für eine kommunale Vernetzung von Sprach- und Integrationsförderangeboten ist das Amt für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt. Seit 2007 müssen nachziehende Ehegatten (§ 30 Aufenthaltsgesetz) aus Drittstaaten vor der Einreise einfache Deutschkenntnisse (Niveaustufe A1) nachweisen, was als Diskriminierungstatbestand rechtlich angefochten wird. Das Goethe-Institut bietet weltweit Kurse zu dieser sog. vorintegrativen Sprachförderung an, auch für Lernende, die nicht in ihrer Erstsprache alphabetisiert sind. Weisen Lehrkräfte in Integrationskursen kein abgeschlossenes Hochschulstudium DaZ/ DaF vor, können abgestufte Zusatzqualifizierungen erworben werden (u. a. Fernstudium Goethe-Institut, Weiterbildungsstudium „Deutsch unterrichten - Grundlagen für die Praxis“ an der Friedrich-Schiller Universität Jena, zertifizierte private Träger). Interessensvertretungen wie die „Initiative prekäre Bildung“ kritisieren, dass die prekären Arbeitsbedingungen den hohen Anforderungen in den Sprach- und Alphabetisierungskursen nicht entsprechen. 3. Institutionen und Akteure in Österreich und der Schweiz Auch in Österreich entwickelten die Bundesländer gemeinsam mit dem Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) ein Sprachförderkonzept für alle Schulformen und -fächer, in dessen Zentrum die Vermittlung von Bildungssprache steht (LEPP 2009). Ein besonderer Fokus liegt seit 2015 auf Programmen der sprachlichen Frühförderung. In der künftigen Lehramtsausbildung ist Deutsch als Zweitsprache als Pflichtfach in der Ausbildung der Primar- und Sekundarschullehrkräfte verankert, fachspezifische Studiengänge sind an den Fachbereichen für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache in Wien (Masterstudium DaZ/ DaF) und Graz (postgradualer Universitätslehrgang DaZ/ DaF) verortet. Deutsch- und Alphakurse für Migrantinnen und Migranten aus Drittstaaten werden im Rahmen der Integrationsvereinbarung verpflichtend angeboten und sind damit Bestandteil des Aufenthaltsrechts (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz 2003, Neufassung von 2011). Beauftragt mit der Koordination und Gestaltung (u. a. Zertifizierung der Anbieter und Lehrwerke) ist der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF). Zielniveau der Kurse ist die Niveaustufe A2, die Inhalte sind in einem Rahmencurriculum geregelt, das auf einer langjährigen Expertise in der Migrationsbildung aufbaut (Faistauer et al. 2007). In den 1970er bis 1990er Jahren wurden Deutsch- und Alphakurse bundesweit von verschiedenen Einrichtungen angeboten, die bis heute in der Migrations- und Beratungsarbeit tätig sind. Auch in der Schweiz ist die Förderung der Landessprachen zentrales Anliegen der Integrationspolitik, wobei aufgrund der föderalen Struktur sowie der territorialen Mehrsprachigkeit keine einheitlichen Schulprogramme vorliegen. Wegweisend für die 646 Heike Roll Förderung der deutschen Bildungssprache in Schulen mit einer heterogenen Schülerschaft unter der schweiztypischen Bedingung medialer Diglossie ist das Schulentwicklungsprogramm im Kanton Zürich QUIMS (Qualität in multikulturellen Schulen). Auf der Grundlage des 2008 in Kraft getretenen Ausländergesetzes und der Integrationsverordnung hat das Bundesamt für Migration (BFM) in Kooperation mit der Eidgenössischen außerparlamentarischen Kommission für Erziehungsfragen (EKM) und dem Staatssekretariat für Migration (SEM) ein Gesamtkonzept für die Erwachsenenbildung entwickelt. Grundlage für das Programm „fide/ Français, Italiano, Deutsch in der Schweiz - Lehren, lernen, beurteilen“ (2012) ist das 2009 vom Institut für Mehrsprachigkeit der Universität Freiburg/ PH Freiburg erarbeitete „Rahmencurriculum für die sprachliche Förderung von Migrantinnen und Migranten“ , das einem bedürfnisorientierten, szenariobasierten Ansatz folgt. Seit 2015 koordiniert die Geschäftsstelle Fide die Organisation und Zertifizierung von Sprachkursen für die Gesamtschweiz. 4. Perspektiven Der Fachdiskurs DaZ/ DaF und Mehrsprachigkeit steht in allen Ländern durchaus quer zur restriktiven Sprachenpolitik des Bundes. Die vermehrte Zusammenarbeit bei der institutionellen Verankerung von Konzepten und Strategien, die den bildungssprachlichen Erwerb der deutschen Sprache und der Herkunftssprachen als Querschnittsaufgabe unterstützen, kann dazu beitragen, die europäische Zielstellung einer kompetenten Mehrsprachigkeit auch auf Migrantensprachen auszuweiten und die Akzeptanz einer gesellschaftlichen Sprachenvielfalt zu stärken. Literatur BAMF (2009): Konzept für einen bundesweiten Alphabetisierungskurs. Überarbeitete Fassung für 945 UE . Nürnberg. BAMF (2014): Bericht zur Integrationskursstatistik. www.bamf.de/ SharedDocs/ Anlagen/ DE/ Downloads/ Infothek/ Statistik/ Integration/ 2014-halbjahr-1-integrationskursgeschaefts statistik-laender.html? nn=1694492 Baumann, B. / Becker-Mrotzek, M. (2014): Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache an deutschen Schulen: Was leistet die Lehrerbildung? Überblick, Analysen, Handlungsempfehlungen. Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache Köln. BFM (2009): Rahmencurriculum für die sprachliche Förderung von Migrantinnen und Migranten. www.bfm.admin.ch/ dam/ data/ bfm/ inte gration/ berichte/ sprache/ rahmencurriculum -d.pdf BMUKK , BMWF , Österreichisches Sprachenkompetenzzentrum (2008): Länderbericht. Sprach- und Sprachunterrichtspolitik in Österreich: Ist- Stand und Schwerpunkte. Graz, Wien. Europarat, Hrsg. (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Lernen, lehren, beurteilen. Strasbourg. Faistauer, R. / Fritz, T. / Hrubesch, A. / Ritter, M. (2006): Rahmencurriculum Deutsch als Zweitsprache und Alphabetisierung mit MigrantInnen. Wien. Goethe-Institut (2007): Rahmencurriculum für Integrationskurse Deutsch als Zweitsprache. München. www.goethe.de/ lhr/ prj/ daz/ pro/ Rahmencurriculum _online_final_Version5. pdf Internet Bundesamt für Migration. www.bfm.admin.ch/ bfm/ de/ home.html 647 142. Auslandsschulen deutschsprachiger Länder Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. www.bamf.de Initiative Bildung prekär. www.mindesthono rar.de Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. www.mercatorinstitut-sprachfoerderung.de Österreichischer Integrationsfonds. www.inte grationsfonds.at ProDaZ. www.uni-due.de/ prodaz Projekt Fide. www.fide-info.ch Heike Roll 142. Auslandsschulen deutschsprachiger Länder 1. Problemaufriss Die Auslandsschularbeit Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, die in diesem Beitrag als deutschsprachige Länder thematisiert werden, stellt einen wichtigen Bestandteil der jeweiligen auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik dar. Ihren Ursprung hat sie bereits im 14. Jh. (Krath 2008: 26). Die Gründung des überwiegenden Teils deutschsprachiger Auslandsschulen erfolgte nach dem zweiten Weltkrieg. 2. Schul- und Unterrichtsangebote Im deutschen Auslandsschulwesen werden v. a. zwei verschiedene Typen schulischer Einrichtungen gefördert. Dies sind zum einen ca. 140 „Deutsche Auslandsschulen“ und zum anderen ca. 1.100 Schulen des nationalen Bildungswesens, an denen das Deutsche Sprachdiplom der Kultusministerkonferenz (DSD) vergeben wird (sog. „DSD-Schulen“ ). Zielgruppe der Deutschen Auslandsschulen sind einerseits Familien, die sich (vorübergehend) im Ausland befinden und die für ihre Kinder eine deutsche Schulausbildung (fortzusetzen) wünschen. Andererseits richtet sich das Angebot, und zwar zunehmend, an Kinder der Gastländer und anderer Kulturen, die intensiv Deutsch (als Fremdsprache) lernen und ihre Erfahrungen mit dem deutschen Kulturkreis ausweiten wollen. Die meisten Deutschen Auslandsschulen sind heute als sog. Begegnungsschulen konzipiert. Dortige Lehrsprache ist Deutsch und teilweise auch die Sprache des Gastlandes. Einige dieser Schulen bieten nur deutsche Abschlüsse an, andere Schulen verfolgen bikulturelle Schulziele. Die DSD-Schulen wiederum unterliegen ausschließlich rechtlich und administrativ den Regularien der Gastländer. Sie bieten intensivierten Deutschunterricht an, bereiten auf die zentral in Deutschland erstellten DSD-Prüfungen vor, und ihre Lehrkräfte führen unter der Aufsicht von Vertreterinnen und Vertretern des Bundes und der Länder die Prüfungen durch. Eine bestandene DSD II-Prüfung, die Sprachkompetenz auf dem Niveau C1 des GeR zertifiziert, berechtigt sprachlich zum Hochschulzugang in Deutschland, eine erfolgreich absolvierte DSD I-Prüfung (Niveau B1 des GeR) zur Einschreibung in ein Studienkolleg. Die skizzierten Angebote richten sich an Schülerinnen und Schüler des Sitzlandes oder anderer Kulturen, die hier neben dem DSD einheimische Abschlüsse erlangen können. Teilweise bieten diese Schulen auch deutschsprachigen Fachunterricht an. An den Deutschen Auslandsschulen werden insgesamt 82.000 Kinder und Jugendliche unterrichtet, darunter rund 60.000 Landeskinder und Jugendliche anderer Muttersprachen, an den DSD-Schulen sind es 377.000. 2015 nahmen insgesamt ca. 74.000 Personen an DSD-Prüfungen teil 648 Beate Helbig-Reuter (Bundesverwaltungsamt 2016). Unter den genannten Schulen befinden sich 12 mit berufsbildenden Angeboten. Dem Verband der Österreichischen Auslandsschulen (ÖAS) gehören derzeit acht Schulen an. Sie werden in erster Linie von Kindern des Gastlandes besucht; es handelt sich damit um Begegnungsschulen. Diese befinden sich in Europa, Mexiko sowie Guatemala. Die Einrichtungen arbeiten mit einer Ausnahme mit vom österreichischen Bundesministerium für Bildung und Frauen (BMBF) entsandten Lehrkräften und Ortslehrkräften (BMBF 2015). Insgesamt werden an den Österreichischen Auslandsschulen über 3.300 Kinder und Jugendliche unterrichtet (Lukasser 2014). Die Schweiz unterhält 17 vom Bund anerkannte Schweizer Schulen (SSA) in zehn Ländern. Diese befinden sich in Europa, Mittel- und Südamerika sowie in Asien. Darüber hinaus unterstützt die Eidgenossenschaft 18 weitere Standorte, u. a. durch den Einsatz von Schweizer Lehrpersonen an deutschen, französischen und internationalen Schulen. Insgesamt besuchen ca. 7.500 Schülerinnen und Schüler die anerkannten Schweizer Schulen, davon etwa 1.800 mit schweizerischer Staatsangehörigkeit (educationsuisse 2015; Stand: 2013/ 2014). 3. Rechtlicher Rahmen und Organisationsformen der Auslandsschularbeit Im Auftrag des Auswärtigen Amtes fördert und berät die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) wesentliche Teile der Auslandsschularbeit, indem sie diese pädagogisch, personell, organisatorisch und finanziell unterstützt und dabei auch die Schulaufsicht des Bundes über die Deutschen Auslandsschulen übernimmt. Daneben ist auch das Goethe-Institut (GI) an der Auslandsschularbeit beteiligt. Insgesamt versteht sich das deutsche Auslandsschulwesen als Bund-Länder-Kooperation, die auf der Arbeit des Bund-Länder- Ausschusses für Schulische Arbeit im Ausland fußt. Dort werden Grundsatzfragen geregelt, darunter curriculare Entwicklungen sowie prüfungsbezogene Angelegenheiten, die im Wesentlichen der Ständigen Konferenz der Kultusminister (KMK) obliegen. Die KMK ist mit der Anerkennung der deutschen Abschlüsse betraut, die an den Deutschen Auslandsschulen erworben werden. Seit dem 1. Januar 2014 existiert mit dem Auslandsschulgesetz erstmals eine gesicherte gesetzliche Grundlage für die Förderung der deutschen Auslandsschularbeit (Auswärtiges Amt 2015). In der Schweiz trat am 1. Januar 2015 das Bundesgesetz über die Vermittlung schweizerischer Bildung im Ausland in Kraft. Dieses regelt u. a. die Anerkennungsvoraussetzungen für die Schweizer Schulen (educationsuisse 2015). Die Schulen müssen laut Gesetz einem Patronatskanton zugeordnet werden. Dieser berät sie in pädagogischen und administrativen Belangen, unterstützt bei der Rekrutierung, Vorbereitung und Fortbildung von Lehrkräften und übt die pädagogische Schulaufsicht aus. Die Interessen der Schweizer Schulen im Ausland werden gegenüber der Öffentlichkeit, Wirtschaft und Behörden durch den Verein educationsuisse vertreten (educationsuisse 2015). Die Deutschen Auslandsschulen werden von privaten Schulvereinen gemäß der Gesetzgebung des Landes getragen. Das jeweilige deutsche und schweizerische Auslandsschulgesetz sichert den Schulen eine finanzielle Förderung zu. Diese deckt in der Regel rund 30 % der Gesamtkosten ab. Rund 70 % werden durch Schulgelder und Spenden finanziert. Träger der österreichischen Schulen sind ebenfalls private Träger bzw. Stiftungen. 649 142. Auslandsschulen deutschsprachiger Länder 4. Lehrpläne und Abschlüsse Die Aufgaben für das Abschlussverfahren in der Sekundarstufe I werden im deutschen Auslandsschulwesen für die Kernfächer zentral von Vertreterinnen und Vertretern mehrerer Bundesländer entwickelt. Grundlage hierfür bilden die Bildungsstandards der KMK für den Mittleren Schulabschluss (Petersen 2014: 34 f.). Für den Unterricht der gymnasialen Oberstufe gelten insgesamt und für die Abiturprüfung auf Ebene der Regionen jeweils einheitliche Standards. Diese werden u. a. geregelt über Einheitliche Prüfungsanforderungen für die Abiturprüfung und ein 2010 in Kraft getretenes Kerncurriculum für die gymnasiale Oberstufe der Deutschen Schulen im Ausland, das Fachcurricula für sieben Fächer beinhaltet. Das Abitur wird als sog. Regionalabitur (mit regional einheitlichen Prüfungsaufgaben) durchgeführt (KMK 2015). An den Österreichischen Auslandsschulen gilt der Österreichische Lehrplan in Verbindung mit curricularen Adaptierungen an das jeweilige Gastland (ÖASW 2014: 3). An den Schweizer Schulen im Ausland wiederum gibt es keine einheitlichen Lehrpläne. Hier muss mit Ausnahme der Schule in Singapur jeweils ein Spagat zwischen den Vorgaben der Patronatskantone und denen des Gastlandes bewerkstelligt werden. Grundsätzlich findet eine Ausrichtung an den Schweizer, als Grundkompetenzen formulierten Bildungszielen statt (educationsuisse 2013: 23). Die Abschlüsse, die an Deutschen Auslandsschulen vergeben werden, umfassen den Haupt- und Realschulabschluss, Abschlüsse der beruflichen Bildung, das Abitur und seit 2009 die Deutsche Internationale Abiturprüfung (DIAP) sowie internationale Abschlüsse wie das International Baccalaureate (IB) (KMK 2015). An den Österreichischen Auslandsschulen werden die Österreichische Matura, an den berufsbildenden Schulen auch Diplomprüfungen und spezifische Landesabschlüsse angeboten (Lukasser 2014: 4). Mögliche Abschlüsse an den Schweizer Schulen im Ausland sind die Matur und an vier Schulen das IB. An allen Schulen ist Deutsch neben der Landessprache bzw. Englisch die zweite Unterrichtssprache (educationsuisse 2015). 5. Aktuelle Entwicklungen und Perspektiven im Bereich Deutsch als Fremdsprache Im deutschen Auslandsschulwesen hat die Initiative des Auswärtigen Amtes „Schulen: Partner der Zukunft“ (PASCH) seit 2008 die Auslandsschularbeit wesentlich gefördert. Diese Initiative unterstützt weltweit mehr als 1.800 Partnerschulen (Bundesverwaltungsamt 2015). Hiervon haben neben Deutschen Auslandsschulen und DSD-Schulen auch die vom Goethe-Institut betreuten knapp 600 FIT-Schulen profitiert. Der DSD-Bereich wurde seit 2006 weiterhin durch länderspezifische Prüfungen erheblich ausgeweitet. Insgesamt zeichnet sich seit einigen Jahren ab, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die eine andere Muttersprache als Deutsch haben, zunimmt. Dies bedeutet, dass der Umgang mit sprachlich heterogenen Lerngruppen und mit komplexeren (fremd-) sprachlichen Lehr- und Lernsituationen an Bedeutung gewinnt. Insbesondere an den Deutschen Auslandsschulen sind die Übergänge von fremdbzw. zweit- und muttersprachlichem Deutschunterricht fließend. Dies erfordert neue Konzepte im Sekundar- und im Primarbereich. Auch Kindergarten und Vorschule rücken im Hinblick auf den Deutschunterricht im Sekundarbereich stärker in den Fokus. Schließlich werden neue Lernwege, wie z. B. eine bilinguale Alphabetisierung in der Primarstufe, eingeschlagen. 650 Beate Helbig-Reuter Ein Hauptaugenmerk galt in den letzten Jahren dem Deutschsprachigen Fachunterricht (DFU) (Leisen 2013). Neben der Zunahme solcher Angebote ist hier eine umfängliche Fortbildungsarbeit zu verzeichnen, die neuerdings, wie auch in anderen Fortbildungsbereichen, in Teilen auf Blended learning-Konzeptionen beruht. Auch die standardorientierte Unterrichtsentwicklung wurde im letzten Jahrzehnt im Auslandsschulwesen verankert. In diesem Sinne wurde neben dem erwähnten Kerncurriculum ein Rahmenplan Deutsch als Fremdsprache entwickelt und implementiert (BVA 2009). Ferner wurden innovative Systeme des pädagogischen Qualitätsmanagements und der Schulinspektion, die auch den DaF-Bereich umfassen, implementiert. Aktuell stehen die Förderung der inklusiven Beschulung sowie der Ausbau berufsbildender schulischer Angebote im Fokus. Literatur Auswärtiges Amt (2015): Deutsche Auslandsschulen - Orte der Begegnung und des interkulturellen Dialogs. www.auswaertiges-amt.de/ DE / Aussenpolitik/ KulturDialog/ 04-Schulen Uebersicht_node.html Bundesministerium für Bildung und Frauen (2015): Österreichische Schulen im Ausland. www.bmbf.gv.at/ schulen/ bw/ ueberblick/ bi dungswege _as.html Bundesverwaltungsamt - Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, Hrsg. (2009): Rahmenplan „Deutsch als Fremdsprache“ für das Auslandsschulwesen, Köln. Bundesverwaltungsamt - Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (2014), Bund-Länder- Inspektion 2.0. BLI -Folgezyklus. Köln. Bundesverwaltungsamt - Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (2016): Deutsche Auslandsschularbeit, Bonn. / l Educationsuisse, Hrsg. (2013): 2013 Jahresbericht. www.educationsuisse.ch/ files/ _Jahres bericht_2013_definitiv.pdf Educationsuisse (2015): Schweizer Schulen und Schweizer Bildungsprojekte im Ausland. www. educationsuisse.ch KMK (2015): Auslandsschulen. http: / / www.kmk. org/ dokumentation-und-statistik/ beschlues se-und-veroeffentlichungen/ bildung-schule/ auslandsschulen.html Krath, S. (2008): Deutsche Auslandsschularbeit: spannende Geschichte mit langer Tradition. Bundesverwaltungsamt - Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (Hrsg.): Deutsche Auslandsschularbeit: 40 Jahre ZfA. 1968-2008, 20-27. Leisen, J. (2013): Handbuch Sprachförderung im Fach - Sprachsensibler Fachunterricht in der Praxis, Stuttgart. Lukasser, A. (2014): Grundlageninfos Österreichisches Auslandsschulwesen ( ÖASW ), unveröffentlichtes Manuskript. BMBF Wien. Österreichisches Auslandsschulwesen ( ÖASW ) (2015): Österreichische Auslandsschulen. www. weltweitunterrichten.at/ site/ auslandsschulen/ home Petersen, A. (2014): Zentrale Aufgaben. Begegnung 35/ 4, 34-38. Schönrock, K. L. / Krath, S. (2014): Wie funktioniert die deutsche Auslandsschularbeit? Begegnung 35/ 2, 6-9. Beate Helbig-Reuter 143. Fachverbände Fachverbände leisten als Interessenvertretungen der Sprachlehrkräfte und der Fremdsprachendidaktiker und -didaktikerinnen in Deutschland einen wesentlichen Beitrag zur Aus-, Fort- und Weiterbildung der Fremd- 651 143. Fachverbände sprachenlehrkräfte, sind in sprachenpolitischen Gremien der Bildungsbehörden vertreten und beteiligen sich an der Erarbeitung von Bildungskonzeptionen, Standards, Lehrplänen und Lehrbüchern. Sie tragen auch dazu bei, die Forschung für den Fremdsprachenunterricht anzuregen. Es liegt im Interesse dieser Fachverbände, die vom Europarat geforderte Mehrsprachigkeit in Deutschland und Europa zu fördern und die sprachlichen Voraussetzungen für die gegenseitige kulturelle Bereicherung, Kommunikation und Mobilität der Menschen zu schaffen. In diesem Beitrag sind fachdidaktisch orientierte Verbände aus deutschsprachigen Ländern berücksichtigt, die die Interessen von Lehrkräften im öffentlichen Schulwesen, im privaten Bildungsbereich (vgl. Art. 1, 14-17) sowie an Hochschulen vertreten. Hinzu kommen einige internationale Dachverbände, mit denen deutsche Verbände vernetzt sind. 1. Historischer Abriss Interessenvertretungen der Neuphilologen gibt es seit Mitte des 19. Jhs. Die älteste multilinguale Vereinigung von Fremdsprachenlehrkräften in Deutschland ist der 1880 als Verein für neue Sprachen gegründete Allgemeine Deutsche Neuphilologenverband (ADNV), der sich 1886 seinen endgültigen Namen gab und eigene Publikationen herausgab: Ab 1947 erschien ein Mitteilungsblatt, ab 1965 die Zeitschrift „Neusprachliche Mitteilungen aus Wissenschaft und Praxis“ (NM). Aus dem ADNV ging 1972 der Fachverband Moderne Fremdsprachen (FMF) hervor, zu dieser Zeit als Vertretung der Lehrkräfte für Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Niederländisch, Chinesisch, Japanisch und Deutsch als Fremdsprache. Der FMF führte die ADNV-Zeitschrift als „Neusprachliche Mitteilungen“ (NM) fort. Alle zwei Jahre veranstaltete der FMF international offene Bundeskongresse, z. B. in Luxemburg 1998, Berlin 2000, Halle 2002 (Schwerpunkt „Slavische Sprachen“ ). Er verfolgte mit seinen zuletzt ca. 10.000 Mitgliedern eine national und international anerkannte Verbands- und Sprachenpolitik. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands 1989 hatte sich jedoch angesichts der strukturellen Veränderungen der Wunsch verstärkt, bei den Bildungsbehörden und in der Öffentlichkeit mit einer Stimme zu sprechen und die Kräfte aller Verbände zu bündeln. Dies führte zu langwierigen, aber letztlich erfolgreichen Gesprächen über die Schaffung eines gemeinsamen Dachs. 2006 löste sich der FMF auf, und es entstand eine Vereinigung deutscher Sprachenverbände auf der Basis korporativer Mitgliedschaft - der Gesamtverband Moderne Fremdsprachen (GMF) (www.gmf.cc, vgl. Schröder 2006). Die FMF-Landesverbände Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern lösten sich nicht auf und sind seither regional aktiv. 2. Deutsche Verbände für Fremdsprachenlehrkräfte und die Fremdsprachenforschung Die Fachverbände für Lehrkräfte fanden in Deutschland ihr Pendant in der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF, seit 1989, www.dgff.de), einem Verband vorwiegend für Fachdidaktiker und -didaktikerinnen an Hochschulen, in dem aber auch zahlreiche Fremdsprachenlehrkräfte Mitglied sind, sowie in der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL, seit 1968, www.gal-ev.de), die sich ebenfalls mit sprachdidaktisch relevanten Themen befasst. Der Gesamtverband Moderne Fremdsprachen (GMF) vertritt als Dachorganisation die an Schulen, Hochschulen und im privaten Sektor tätigen Lehrkräfte. Diese größte multilinguale Vereinigung der Fremdsprachen- 652 Rainer Berthelmann unter Mitarbeit von Jürgen Quetz lehrkräfte in Deutschland ist von der Kultusministerkonferenz als Gesprächspartner anerkannt. In ihrer Struktur verwirklicht sich das vom Verband unterstützte Prinzip der Mehrsprachigkeit. Dazu werden die strukturellen, personellen und finanziellen Kräfte der Einzelverbände vereinigt. Dem GMF gehören derzeit 9 monolinguale Mitgliedsverbände mit über 8.000 Mitgliedern an, in alphabetischer Reihenfolge: Associazione Docenti d’Italiano in Germania (www.adi-germania.org); Bundesvereinigung der Polnischlehrkräfte (www.polnischunter richt.de); Deutscher Spanischlehrerverband (www.hispanorama.de); Fachverband Chinesisch (www.fachverband-chinesisch.de); Fachverband Deutsch als Fremd- und Zweitsprache FaDaF (www.fadaf.de); Fachverband Russisch und Mehrsprachigkeit (www.russischund-mehrsprachigkeit.de); Fachvereinigung Niederländisch (www.fvnl.de); Verband Englisch und Mehrsprachigkeit (www.englischund-mehr.de); Vereinigung der Französischlehrerinnen und -lehrer (www.fapf.de). Für Fremdsprachenlehrkräfte und -forschende gibt es weitere Interessenvertretungen. Solche Verbände sind im Kapitel N bei den jeweiligen Sprachen aufgeführt. Ein weiterer Interessenverband ist der Arbeitskreis der Sprachenzentren, Sprachlehrinstitute und Fremdspracheninstitute (AKS), der den Bereich Fremdsprachenlehre an der Hochschule umfassend vertritt (www.aks.de). Ihm gehören über 100 Sprachenzentren und vergleichbare Hochschuleinrichtungen in Deutschland, Frankreich, Österreich und der Schweiz an. Alle diese Verbände pflegen neben ihren nationalen und regionalen Aktivitäten mannigfaltige Formen der Zusammenarbeit mit Verbänden und anderen Organisationen im In- und Ausland. Dies reicht von gelegentlichen Kontakten bis hin zu regelmäßiger Kooperation und gemeinsamen Fortbildungsveranstaltungen. 3. Internationale Vernetzung Außerdem sind fast alle Verbände Mitglied in europäischen Dachverbänden wie der Fédération Internationale des Professeurs de Langues Vivantes/ International Federation of Language Teachers Associations (FIPLV, http: / / fiplv.com). Dieser 1931 gegründete Dachverband vereint europaweit derzeit ca. 30 Verbände. Er sieht seine Hauptaufgabe in der Zusammenführung der Sprachlehrkräfte und der Unterstützung ihrer Kooperation. Die Association des Professeurs de Langues Vivantes de l’Enseignement (APLV, www.aplv-languesmoder nes.org) wurde bereits 1902 gegründet und bietet Fremdsprachenlehrkräften aller Sprachen vom Elementarbis zum Universitätsbereich eine Plattform. Die APLV ist Mitglied der FIPLV. Außerdem gibt es die International Association of Teachers of English as a Foreign Language (IATEFL, www.iatefl.org) mit ca. 4.000 Mitgliedern weltweit. Teachers of English to Speakers of Other Languages (TESOL, www.tesol.org) wurde in den USA gegründet, um eine professionelle Organisation für den Englischunterricht auf allen Ebenen zu schaffen. Die zahlreichen Konferenzen sind auch für deutsche Lehrkräfte interessant. Ebenfalls weltweit tätig ist der Internationale Deutschlehrerverband (IDV, http: / / idvnetz.org/ sitebeta/ der-idv), der als Dachverband national organisierter Deutschlehrerverbände ca. 250.000 Mitglieder in 85 Ländern vertritt. Die Sprachlehrforschung kooperiert v. a. mit den größeren internationalen Assoziationen im angelsächsischen Raum, so mit der International Association of Applied Linguistics (AILA, www.aila.info) und deren weltweiten Teilverbänden und Sektionen, die oft auch für Lehrkräfte interessant sind. Fremdsprachenlehrkräfte und Sprachlehrforscherinnen und -forscher sind auf allen Ebenen sehr gut vernetzt (Lamb 2014). 653 143. Fachverbände 4. Verbände in Österreich und der Schweiz Auch in den anderen deutschsprachigen Ländern gibt es ähnlich ausgerichtete Verbände. Für Fremdsprachendidaktik allgemein wurde in der Schweiz 2014 ein neuer Verband gegründet, ADLES (Association en didactique des langues étrangères en Suisse/ Associazione della didattica delle lingue straniere in Svizzera/ Verband Fremdsprachendidaktik Schweiz, www.fremdsprachendidaktik.org), der die Kommunikation zwischen Schule und Hochschule über die Sprachen hinweg verbessern will. Die Österreichische Gesellschaft für Sprachendidaktik (ÖGSD, www.oegsd.at) entspricht in ihrer Mitgliederstruktur und ihren Zielen der DGFF in Deutschland. Für DaF/ DaZ gibt es den Arbeitskreis DaF in der Schweiz (www.akdaf.ch) und den Österreichischen Verband für Deutsch als Fremdsprache/ Zweitsprache ÖdaF (www. oedaf.at), daneben auch den Verein der Lehrenden für Deutsch als Fremdsprache/ Deutsch als Zweitsprache an Hochschulen in der Schweiz (www.ledafids.ch) . Aufgenommen werden kann, wer an einer Schweizer Hochschule im Bereich DaF/ DaZ lehrt und von zwei Mitgliedern empfohlen wird. Weniger restriktiv sind die Verbände für Englisch bzw. Französisch, die Association Suisse des Professeurs de Français - ASPF (www. aspf.ch), die English Teachers Association Switzerland - ETAS (www.e-tas.ch) oder die Swiss Association of Teachers of English - SATE (www.sate.ch). 5. Aktivitäten der Verbände Die monolingualen Vereinigungen von Fremdsprachenlehrkräften nehmen für ihre Sprache bzw. Bildungsform spezifische Aufgaben wahr, z. B. die Herausgabe von Publikationen und Maßnahmen zur Fortbildung v. a. bezüglich der Unterrichtspraxis. Fachverbände sind keine Organisationen wie Gewerkschaften oder Lehrerverbände, die in tariflichen Fragen oder in Bezug auf Arbeitsbedingungen Ansprechpartner der Arbeitgeber sind. Sie erarbeiten und vertreten vielmehr politische Ziele und versuchen, sie in bildungspolitischen Gremien und Ministerien umzusetzen. Dafür suchen sie die Bildungsbehörden als Ansprechpartner. Sie unterhalten nationale und internationale Kontakte mit anderen Verbänden und führen zum Teil gemeinsame Veranstaltungen durch. Multilinguale Vereinigungen von Fremdsprachenlehrkräften wie FIPLV, GMF und andere konzentrieren sich auf die nationalen bzw. internationalen Gemeinsamkeiten der Verbände, sie fördern, strukturieren Kontakte und Kooperationen und nutzen dabei ihre Akkreditierung bei übergeordneten Institutionen, wie z. B. die FIPLV bei der UNESCO und im Europarat. In Deutschland obliegt u. a. dem Dachverband GMF die Mitgestaltung von Sprachenpolitik und Unterrichtspraxis in Bundesländer übergreifenden, aber auch in regionalen Aktivitäten, die Diskussion und Mitgestaltung solcher Themen wie Mehrsprachigkeit, Inklusion, Kompetenzorientierung, Standardisierung und Bildungsmonitoring. Zu diesem Zweck werden u. a. regionale Fortbildungsveranstaltungen und überregionale Kongresse veranstaltet sowie Publikationen wie „Die Neueren Sprachen“ (DNS) herausgegeben. In Österreich übernimmt diese Aufgaben das Sprachenkompetenzzentrum als nationale Kontaktstelle des Europäischen Fremdsprachenzentrums. Die genannten Verbände und Vereinigungen setzen sich ebenso das Ziel, Brücken zu schlagen zwischen Hochschule und Schule: Dabei konzentrieren sie sich auf das Zusammenführen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Lehrkräften in institutionellen Kontexten mit dem Ziel, bestimmte Forschungsthemen anzuregen und 654 Rainer Berthelmann unter Mitarbeit von Jürgen Quetz in die Praxis zu implementieren, z. B. den Erwerb und Gebrauch von Zweitsprachen, Themen wie Mehrsprachigkeit und interkulturelles Lernen oder die Erforschung und Optimierung von Kommunikationsprozessen. Ungeachtet der zum großen Teil unterschiedlichen Arbeitsfelder finden Fremdsprachenlehrerverbände und die Verbände für Fremdsprachendidaktik und angewandte Linguistik gemeinsame Schnittmengen, über die sich Hochschullehrkräfte mit Lehrerinnen und Lehrern auf Veranstaltungen wie den Bundeskongressen des GMF, der DGFF oder der GAL austauschen können und damit zur weiteren Förderung des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen beitragen. Literatur Schröder, K. (2006): Gesamtverband Moderne Fremdsprachen: vivat, floreat, crescat. Neusprachliche Mitteilungen aus Wissenschaft und Praxis, 59 (2), 3-5. Lamb, T. / Atanasoska, T. / Hepp, M. / Jönsdottir, S. / Zielinsky, J. (2014): Voneinander lernen: Ein Handbuch für Sprachlehrerverbände. http: / / lacs.ecml.at/ Folder/ DraftPublication fordiscussion/ tabid/ 3111/ language/ de- DE / Default.aspx Rainer Berthelmann unter Mitarbeit von Jürgen Quetz 144. Zeitschriften 1. Begrifflichkeit Zeitschriften bzw. Periodika zum Fremdsprachenunterricht sind Print- oder Online- Publikationen, die im Gegensatz zu Monographien oder Sammelbänden regelmäßig erscheinen. Die Zeitschrifteninhalte verfügen aufgrund kürzerer Publikationszyklen im Vergleich zu anderen Publikationsformen in der Regel über eine höhere Aktualität. Zudem veröffentlichen sie häufig Rezensionen, anhand derer man sich einen schnellen Überblick über aktuelle Publikationen in anderen Medien verschaffen kann. Zeitschriften zum Fremdsprachenunterricht werden oft von Verbänden herausgegeben (vgl. Art. 143). Daneben gibt es von Verlagen herausgegebene Periodika sowie solche in freier Trägerschaft. Kennzeichnend für Zeitschriften ist zudem, dass diese häufig über eine regelmäßige Leserschaft verfügen, die entweder Mitglied des jeweiligen Verbandes sind oder die Zeitschrift abonniert haben. Einige Online-Zeitschriften haben sich dem wissenschaftspolitisch bedeutsamen Open access-Ansatz (Open Access Informationsplattform: http: / / openaccess.net/ ) verschrieben, so dass die darin publizierten Artikel entgeltfrei über das Internet zugänglich sind. Besonders sei an dieser Stelle auf die Bedeutung der Verbände für fremdsprachendidaktische Zeitschriften verwiesen: Diese sichern zum einen die Existenz einer Zeitschrift - im Gegensatz zu dem kommerziellen Erfolg verpflichteten Verlagspublikationen. Zum anderen trugen Verbände entscheidend zur Entstehung fremdsprachendidaktischer Zeitschriften im 19. Jh. bei. Schröder (2007: 594 f.) skizziert neben dieser Entstehungsgeschichte v. a. die Zeitschriftenentwicklung vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher Ereignisse bzw. der Bildungsexpansion im 20. Jh. 655 144. Zeitschriften Im Folgenden soll ein Überblick über eine Auswahl von aktuellen Zeitschriften aus dem Bereich der Fremdsprachendidaktiken bzw. des Deutschen als Zweitsprache gegeben werden. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Periodika, die vorwiegend von Forschenden und Lehrenden aus dem deutschsprachigen Raum herausgegeben und rezipiert werden. Die hier berücksichtigten Zeitschriften mit inhaltlichem Bezug zum Fremdsprachenunterricht lassen sich grob zwei Kategorien zuordnen: 1) Zeitschriften mit deutlichem Forschungsbezug und 2) Zeitschriften mit deutlich unterrichtspraktischem Bezug. Dabei handelt es sich um eine nicht trennscharfe Kategorisierung, da viele Zeitschriften - im Sinne eines Brückenschlags zwischen Forschung, Theorie und Unterrichtspraxis - Beiträge publizieren, die beide Dimensionen des Fremdsprachenunterrichts berühren. Dennoch lässt sich diese Unterteilung v. a. vor dem Hintergrund der avisierten Leserschaft dieser Zeitschriften vornehmen. So zielen eher forschungsbezogene Zeitschriften auf eine Leserschaft, die sich vorwiegend wissenschaftlich mit dem Fremdsprachenunterricht befasst und sich über aktuelle Forschungsergebnisse informieren will. Dagegen adressieren eher unterrichtspraktische Zeitschriften eine Leserschaft, die überwiegend in der Praxis des Fremdsprachenunterrichts tätig ist und Zeitschriften zur individuellen Fortbildung rezipiert. Ein weiteres Charakteristikum vieler forschungsbezogener Periodika ist das Verfahren des sog. peer reviewing (referiert) bzw. des double blind reviewing (doppelt-blind referiert). Bei referierten Zeitschriften werden Manuskripte vor Annahme zur Veröffentlichung von Fachkolleginnen und -kollegen begutachtet, die Hinweise zur Überarbeitung übermitteln bzw. ein Manuskript auch ablehnen können. Das Ziel dieses reviewing ist die fachliche Qualitätssicherung durch kollegiales Feedback. Eine weitere - allerdings durchaus kritisch diskutierte - Möglichkeit zur Qualitätseinschätzung wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel sind die sog. Zitationsindexe bzw. der Journal-Impact-Factor. Danach wird die Qualität einer Zeitschrift nach dem Verhältnis der Zitationsanzahl und der Zahl der publizierten Artikel berechnet. 2. Zeitschriften mit Forschungsbezug An dieser Stelle sollen beispielhaft einige ausgewählte forschungsbezogene Zeitschriften skizziert werden. Die „Zeitschrift für Fremdsprachenforschung“ (ZFF) widmet sich als doppelt-blind referiertes Publikationsorgan der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung der Förderung und Verbreitung von Forschung zum Lehren und Lernen bzw. Erwerb fremder Sprachen. In jährlich zwei Printausgaben werden neben überwiegend empirischen Studien zum inhaltlichen Schwerpunkt der Zeitschrift auch Sammelrezensionen veröffentlicht sowie Nachrichten an die Verbandsmitglieder, wie z. B. Tagungsankündigungen oder -berichte. Ab 2015 erscheint jährlich eines der beiden Hefte der Zeitschrift als Themenheft. Bei „Fremdsprachen Lehren und Lernen“ (FLuL) handelt es sich um ein Periodikum in freier Trägerschaft, das in jährlich zwei Themenheften als Print- und Onlineausgabe erscheint. Jedes Heft wird von Expertinnen und Experten des Themenbereichs koordiniert. Neben theoretischen und empirischen Beiträgen zum jeweiligen Schwerpunkt werden auch einzelne nicht-thematische Beiträge sowie Buchrezensionen veröffentlicht. Die „Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht“ (ZIF) ist die älteste Open access-Zeitschrift auf dem Gebiet des 656 Eva Wilden Lehrens und Lernens fremder Sprachen. Ihr Ziel ist die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse über alle Aspekte des interkulturellen Fremd- und Zweitsprachenunterrichts. Beiträge zu der Zeitschrift werden in einem doppelt-blind referierten Verfahren ausgewählt. Seit 2003 werden die meisten Ausgaben als Themenheft konzipiert, wobei zusätzlich auch Beiträge außerhalb des jeweiligen Themenschwerpunkts sowie Rezensionen veröffentlicht werden. Neben diesen sprachenübergreifenden Zeitschriften, zu denen auch „Fremdsprachen und Hochschule“ gehört, gibt es zudem auf bestimmte Sprachen bezogene Forschungszeitschriften, wie z. B. „Deutsch als Fremdsprache“ (DaF). Sie ist die älteste deutschsprachige DaF-Zeitschrift und stellt Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung sowie neue Lehr- und Lernmaterialien und Fachliteratur vor. Sie erscheint in einem doppeltblind referierten Verfahren mit jährlich vier Printausgaben und seit 2011 auch als Online- Zeitschrift. Weitere Beispiele sind „Deutsch als Zweitsprache“ , „Info DaF“ oder „Zielsprache Deutsch“ . Schließlich gibt es noch forschungsbezogene Zeitschriften zu besonderen thematischen Schwerpunkten. Dazu zählt z. B. Children’s Literature in English Language Education (CLELE). Sie erschien erstmals 2013 als referierte Open access-Zeitschrift, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Rolle von Kinder- und Jugendliteratur beim Erlernen des Englischen als Fremd- und Zweitsprache zu untersuchen. Dabei werden Beiträge zu unterschiedlichen Formen von Kinder- und Jugendliteratur sowie theoretisch, empirische und konzeptuelle Beiträge berücksichtigt. Des Weiteren gibt es mit dem englischsprachigen International CLIL Research Journal (ICRJ) eine seit 2008 mit etwa einer Ausgabe pro Jahr erscheinende, referierte Open access-Zeitschrift auf dem Gebiet des bilingualen Sachfachlernens (Content and Language Integrated Learning ). Ihr Ziel besteht in der Zusammenführung und Verbreitung von Forschungsergebnissen zum bilingualen Sachfachunterricht, da diese häufig aufgrund der Interdisziplinarität des Forschungsgebiets in ganz unterschiedlichen Organen veröffentlicht werden. 3. Zeitschriften mit unterrichtspraktischem Bezug Zeitschriften mit eher unterrichtspraktischem Bezug werden überwiegend von Verlagen für Bildungsmedien herausgegeben. Daneben gibt es auch einige von Verbänden herausgegebene Zeitschriften mit unterrichtspraktischem Schwerpunkt. Abgesehen von wenigen sprachenübergreifenden Ausnahmen wie „Praxis Fremdsprachenunterricht“ oder der „Zeitschrift für Romanische Sprachen und ihre Didaktik“ bezieht sich die Mehrzahl der Zeitschriften auf das Erlernen und Unterrichten einzelner Sprachen, wie z. B. die Zeitschriften „Französisch heute“, „Hispanorama“ , „OeDaF-Mitteilungen“ , „Der fremdsprachliche Unterricht Spanisch“ , „Der fremdsprachliche Unterricht Französisch“ oder „Der fremdsprachliche Unterricht Englisch“. Daneben unterscheiden sich die Zeitschriften teils nach Zielgruppen, so dass es nach der bundesweiten Einführung des frühbeginnenden Englischunterrichts explizit grundschulbezogene Periodika wie „Grundschule Englisch“ oder das „Grundschulmagazin Englisch“ gibt. Die Zeitschriften mit unterrichtspraktischem Schwerpunkt ähneln sich in ihren inhaltlichen Schwerpunkten bzw. der jeweiligen Gliederung: Neben einem großen unterrichtspraktischen Teil mit Unterrichtsmaterialien, methodischen Anregungen, Unterrichtsbeispielen sowie Projektberichten gibt es einen Teil mit Fortbildungscharakter, in dem z. B. im Lexikonstil Fachbegriffe erläu- 657 144. Zeitschriften tert bzw. in Grundlagenartikeln Forschungsstudien, Modelle oder Theorien zusammengefasst werden. Zudem verfügt dieser Teil häufig über weiterführende Lektürehinweise zu den jeweiligen thematischen Schwerpunkten. Schließlich informieren einige Zeitschriften noch über Termine anstehender Veranstaltungen sowie die geplanten Inhalte der nächsten Ausgaben. Bei der seit 1991 erscheinenden Zeitschrift Babylonia handelt es sich um ein von der Schweizer Stiftung Sprachen und Kulturen herausgegebenes Periodikum, dessen übergeordnetes Ziel darin besteht, einen Beitrag zur Verwirklichung einer mehrsprachigen und multikulturellen Gesellschaft zu leisten. So erscheint die Zeitschrift in fünf Sprachen und alle Beiträge werden in Originalsprache mit jeweils einer Zusammenfassung in einer anderen Sprache veröffentlicht. Die Zeitschrift beinhaltet neben Beiträgen zu neuen Entwicklungen, Forschungsergebnissen und erprobten Unterrichtsmaterialien auch Artikel zur Sprachenpolitik auf schweizerischer und europäischer Ebene. 4. Forschungsstand Die Rezeption von fachdidaktischen Zeitschriften durch Lehrkräfte als eine Form der Fort- und Weiterbildung ist bisher nicht ausreichend empirisch erforscht worden (Roters & Trautmann 2014). Lediglich eine Studie von Hermes (1993: 144) greift diesen Aspekt explizit auf mit einer schriftlichen Befragung von 240 Gymnasiallehrkräften (convenience sample) zu ihrer Nutzung von Fortbildungsangeboten, darunter auch die Lektüre von Fachzeitschriften. In den Ergebnissen der Befragung lässt sich eine Tendenz erkennen, dass die befragten Englischlehrkräfte vergleichsweise wenige Fachzeitschriften rezipieren und skeptisch bezüglich deren Wirkung auf den eigenen Unterricht sind. Auch in der DESI-Studie wurden Englischlehrkräfte im Sinne einer Einschätzung von unterrichtsrelevanten Wissensbeständen und fachdidaktischem Engagement dazu befragt, „ob eine fachdidaktische oder auf Fragen des Unterrichts bezogene Zeitschrift regelmäßig bezogen wird“ (Helmke et al. 2008: 368). Weniger als die Hälfte der insgesamt befragten Lehrkräfte bejahten diese Frage, wobei es hoch signifikante Unterschiede zwischen Lehrkräften verschiedener Bildungsgänge gab und die Angaben zwischen 26 % bei Hauptschullehrkräften und 62 % bei Lehrkräften an integrierten Gesamtschulen schwankte. Diese Forschungslage lässt keine gesicherten Aussagen über die Rezeption von Fachzeitschriften durch Lehrkräfte bzw. deren Wirksamkeit auf den Fremdsprachenunterricht zu. 5. Perspektiven In der Weiterentwicklung des Zeitschriftenangebots für den fremdsprachlichen Unterricht ist der Ausbau der (Open access) Online- Zeitschriften absehbar. Für die gezielte Recherche von Zeitschriftenpublikationen zu bestimmten Themen empfiehlt sich die Suche über Online-Datenbanken, wie z. B. die Datenbank Grundschulenglisch, die Bibliographie Moderner Fremdsprachenunterricht oder das Fachportal Pädagogik. Literatur Helmke, A. / Helmke, T. / Schrader, F.-W. / Wagner, W. / Nold, G. / Schröder, K. (2008): Soziodemografische und fachdidaktisch relevante Merkmale von Englischlehrpersonen, in: DESI -Konsortium (Hrsg.): Unterricht und Kompetenzerwerb in Deutsch und Englisch. Ergebnisse der DESI -Studie. Weinheim, 364- 370. 658 Eva Wilden Hermes, L. (1993): Fortbildung von Englischlehrkräften an Gymnasien: eine Umfrage. Neusprachliche Mitteilungen aus Wissenschaft und Praxis 46/ 3, 142-146. Roters, B. / Trautmann, M. (2014): Professionalität von Fremdsprachenlehrkräften. Theoretische Zugänge und empirische Befunde. Fremdsprachen Lernen und Lehren 43, 51-65. Schröder, K. (2007): Fremdsprachendidaktische Zeitschriften, in: K.-R. Bausch / H. Christ / H.-J. Krumm (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht, 5. Aufl. Tübingen, 593-596. Eva Wilden Personenregister Aalto, E. 233 Abdalla, H. 443, 444 Abel, A. 233 Abendroth-Timmer, D. 340-343 , 444, 475 Abeywickrama, P. 400, 403 Abrami, Ph. C. 341, 343 Abutalebi, J. 302, 303, 304 Achtenhagen, F. 3, 6 Adamczak-Krysztofowicz, S. 93, 97, 387, 390 Adams, L. 346 Adamzik, K. 247, 249 Adorno, T. W. 151 Aguado, K. 25, 29, 55, 257-262 , 262-266 , 575, 577, 586, 587, 589, 592 Ahrenholz, B. 291, 294, 295, 498, 501, 502 Al-Baharna, S. 271 Alatis, J. E. 249 Albert, R. 228, 229, 582 Albrecht, V. 214, 216 Aljaafreh, A. 273, 275 Allard, S. 238 Allgäuer-Hackl, E. 169, 170, 171 Althof, H.-J. 167 Altman, H. B. 242, 245 Altmann, W. 557 Altmayer, C. 15-20, 39, 40, 42, 164, 165, 166, 385 Altrichter, H. 592, 593, 594, 595, 596 A´ lvarez, D. 236, 238 Ambos, I. 71, 73, 204 Ambos, S. 201 Ammon, U. 49, 50, 512, 515, 640, 643 659 Amrhein, B. 359, 361 Anders, L. C. 456 Anderson, G. L. 592, 593, 594, 595, 596 Anderson, N. J. 263, 266, 374, 375 Anstatt, T. 294, 535, 538 Apeltauer, E. 293, 294 Appel, J. 308, 309, 590, 591, 603, 605, 629, 630 Aref’ev, A. L. 538 Arie`s, P. 164 Arnold, J. 244, 245 Arntz, R. 420 Aronin, L. 12, 13, 14 Arras, U. 393-398 Artelt, C. 65 Artieda, G. 252, 253 Asbrand, B. 89, 92 Assman, A. 43 Atanasoska, T. 233, 654 Auer, P. 12, 14 Auernheimer, G. 16, 19 Augschöll Blasbichler, A. 443, 444 Avenarius, H. 92 Babaii, E. 581, 582 Babic´ , S. 488, 490 Baca, L. 271 Bach, G. 317, 320, 576, 577 Bachman, L. F. 401, 403, 426, 427, 431, 432 Bachmann, M. 525, 526 Bachtsevanidis, V. 522 Back, T. 221 Backhaus, K. 580, 582 Baddeley, A. D. 259, 261 Bade, K. J. 61, 64 Bader, H. J. 471 Badstübner-Kizik, C. 93-97 Baer, M. 314 Bär, M. 13, 14, 236, 237, 238, 553-558 Bäuerle, R. 120 Bagno, M. 530, 531, 534 Bahr, A. 10, 23, 24, 286, 290 Bailey, K. M. 588, 591 Bainski, C. 220 Ballinger, S. 331, 334 Ballweg, S. 171, 418, 419 Barber, B. 452 Bardovi-Harlig, K. 133, 134, 135 Barkowski, H. 24, 52, 54, 121, 123, 126, 166, 219, 220, 227, 229, 250, 271, 498, 501, 596 Barme, S. 508, 511 Barr, D. 450, 452 Barrar, H. 615 Barron, A. 131-136 Barry, W. 125, 126 Barth, D. 248, 249 Basic, I. 116 Basler, F. 536, 538, 619, 624 Bastian, J. 351, 353 Baumann, B. 500, 501, 644, 647 Baumann, K.-D. 209 Baumert, J. 65, 191, 195 Baumgart, F. 368, 371 Baur, R. S. 171, 500, 501 Bausch, K.-R. 1-7, 7-10, 11, 14, 16, 19, 20-24, 38, 47, 50, 52, 54, 55, 58, 59, 69, 84, 87, 89, 91, 97, 101, 131, 138, 139, 140, 144, 148, 152, 155, 162, 220, 233, 241, 242, 245, 246, 266, 285-290 , 310, 325, 334, 347, 350, 376, 385, 407-411 , 420, 444, 448, 475, 530, 534, 561, 572, 576, 577, 578, 599, 600, 601, 615, 618, 630, 634, 636, 640, 658 Bayer, N. 225 Bayrhuber, H. 605 Bechtel, M. 376-381 , 457, 459 Beck, E. 60, 312, 314 Becker-Mrotzek, M. 37, 38, 172, 334, 500, 501, 644, 647 Beese, M. 218, 219, 220 Behr, U. 537, 539 Bell, S. 161, 162 Benbow, J. 361, 365 Benedix, A. 493 Benholz, C. 217-221 Bennewitz, H. 34, 311, 314 Bennit, N. 604, 605 Benson, P. 367, 368, 369, 370, 371 Bere´ nyi-Kiss, H. 568 Berger, T. 561 Bergmann, A. 537, 539 Bergmann, B. 10, 411 Bermann, I. 492, 493 Berndt, A. 10, 251, 253, 279, 371, 385, 386, 530 Berschin, H. 553, 557 Berthelmann, R. 651-654 Betten, A. 247, 248, 249, 250 Bettermann, R. 165, 166 Betzel, D. 294 Bhatia, T. K. 106 Bialystok, E. 62, 64, 73 Biebighäuser, K. 370, 371, 372 Biermas, B. 221 Bimmel, P. 373, 374, 375 Bingen, D. 553 Bischoff, S. 314 Blake, R. J. 446, 448 Blanchet, P. 508, 511 Bland, J. 458, 459 Blank, A. 117, 120 Błaszczak, J. 565 Blell, G. 93, 97, 279, 555, 557, 606 Block, D. 272, 275, 369, 371 Blömeke, S. 220, 466, 601 Blom, E. 579, 582 Blommaert, J. 51, 54 Blum, W. 92 Blum-Kulka, S. 133, 135 Boeckmann, K.-B. 173, 176, 231, 233, 592-596 Böhnisch, L. 195 Böing, M. 214, 216, 377, 380 Bönsch, M. 358, 361 660 Börestam Uhlmann, U. 235, 238 Börner, W. 111, 117, 120, 244, 245 Börsch, S. 23, 24 Böttger, H. 216 Bogner, A. 167 Bohl, T. 359, 361 Bohnensteffen, M. 308, 310, 409, 411, 412, 416 Bohusˇova´ , Z. 545 Bolton, G. 354, 357 Bongartz, C. M. 217 Bonnet, A. 157-162 , 215, 216, 333, 334 Booth, D. 355, 357 Borg, S. 307, 310 Bortz, J. 580, 582 Bose, I. 456 Bossong, G. 512, 515 Botz, L. 215, 216 Bouras-Ostmann, K. 483-487 Bourdieu, P. 46, 50 Bovet, G. 343 Braam, M. 526 Brack, U. 204 Brammerts, H. 377, 378, 379, 380, 382, 385 Brand, C. 246 Bra˚ ten, I. 274, 275 Brato, T. 246 Braudel, F. 164 Braunmüller, K. 494, 497, 539, 540, 542 Braunsteiner, M.-L. 24, 311, 312, 314, 600, 601 Bredella, L. 17, 18, 19, 20, 24, 42, 131, 135, 137, 140, 142, 144, 246, 456, 457, 459 Breen, M. P. 154, 156, 330 Breidbach, S. 330-335 Breidenstein, G. 346 Breinig, H. 469, 470 Breit, G. 341, 342 Bremerich-Vos, A. 601 Brill, L. M. 443, 444, 474, 475 Brito, A. 534 Brizic´ , K. 292, 294 Brockmeier, J. 459, 462 Brogan, K. 171 Brown, A. 403, 423 Brown, H. D. 400, 403 Brown, J. D. 574, 577 Brown, P. 133, 135 Bruckmayer, B. 452 Personenregister Brühwiler, C. 314 Brüning, L. 340, 341, 342 Brütting, R. 643 Brumfit, C. 128, 130 Brumlik, M. 222, 225 Bruns, T. 536, 539 Buber, M. 285 Bubolz-Lutz, E. 73 Buchholz, B. 194, 195 Buchholz, O. 482 Buchloh, I. 611 Budach, G. 216 Budde, M. 405, 406, 499, 500, 501 Buddenberg, K. 227, 229 Bürger-Koftis, M. 249 Bulot, T. 508, 511 Bunting, M. F. 261 Buraczyn´ ski, R. 530 Burden, R. L. 271 Burns, A. 325, 592, 594, 595, 596 Burton, J. 324, 325 Burwitz-Melzer, E. 1-7, 20-24, 26, 29, 54, 87, 91, 139, 140, 141-144 , 148, 149, 162, 193, 195, 246, 334, 407, 416-420 , 458, 459, 477-479 , 494, 539, 577, 578 Busch, B. 11, 12, 14, 213, 216, 248, 249 Busch, T. 248, 249 Busse, V. 407, 411 Butzkamm, W. 112, 115, 284, 317, 320 Bygate, M. 326, 327, 329, 330 Byram, M. 15, 17, 18, 19, 20, 42, 132, 135, 136, 139, 140, 152, 156, 164, 165, 166, 167, 278, 347 Cakir, G. 444 Caldero´ n, R. 567, 568 Caldwell, J. A. W. 317, 320 Cameron, D. 255, 257 Camilleri Grima, A. 87, 459 Campbell, S. G. 261 Canale, M. 394, 398 Candelier, M. 85, 87, 231, 234, 299, 456, 459 Canetti, E. 285 Cantone, K. 15, 295 Caprez-Krompa`k, E. 223, 225 Capucho, F. 238 Carl, J. 248, 250 Carlgren, I. 341, 342 Carlson, S. 220 Carr, J. 255, 256, 257 Carroll, J. B. 258, 261 Carter, R. 129, 131, 441 Caspari, D. 91, 141, 144, 245, 277, 279, 305-311 , 457, 459, 555, 557, 571, 577, 583-587 , 592 Castanos, F. 346 Castellotti, V. 87, 459 Catala´ n, J. R. M. 214, 216 Cˇ edic´ , I. 488, 489 Cenoz, J. 14, 331, 334, 526 Chamot, A. U. 373, 374, 376 Chapelle, C. A. 29, 33, 253, 263, 266 Chardenet, P. 238 Chastain, K. 242, 245 Cheryl Frenck-Mestre, C. 304 Chik, A. 370, 371 Chin, E. 451, 452 Chlosta, C. 220, 291, 294, 578, 587 Chomsky, N. 26, 29, 84, 87 Chrissou, M. 519, 522 Christ, H. 7, 10, 14, 19, 24, 38, 45, 47, 49, 50, 54, 55, 56, 59, 69, 87, 97, 101, 131, 137, 140, 148, 155, 194, 195, 220, 241, 245, 246, 266, 285, 290, 306, 310, 325, 347, 350, 376, 411, 420, 445, 448, 475, 530, 534, 561, 577, 601, 611, 615, 618, 619, 621, 624, 625, 630, 636, 640, 658 Christ, I. 56-60, 65, 69, 211-217 , 285, 290 Christen, H. 29 Chuku, C. 365 Cirko, L. 527, 530 Clahsen, H. 302, 304, 425, 427 Clalüna, M. 596 Clas, A. 9, 10 Claußen, T. 381-386 Cle´ ment, R. 268, 270, 271 Cleuvers, B. A. 80, 82 Coleman, J. A. 277, 278, 279 Colombo-Scheffold, S. 502 Comenius, J. A. 435, 440, 441 Conrad, S. M. 36, 38 Cook, G. 106, 159, 162, 317, 320, 324, 325 Cook, V. 253, 267, 270, 275 Cooker, L. 371 Coombe, C. A. 329, 330 Cope, B. 32, 33, 333, 334, 462 661 Cope, J. 270 Cortina, K. S. 191, 195 Coulthard, R. M. 589, 591 Craik, F. I. M. 73 Crystal, D. 502, 503, 506 Csire, M. 568 Cummings, L. 135 Cummins, J. 217, 219, 220, 222, 225, 331, 334 Cvikic´ , L. 488, 489 Cwanek-Florek, E. 549 Daase, A. 209, 384, 385 Dalton-Puffer, C. 212, 213, 216 Dammers, E. 230 Danninger, E. 54, 55 Daryai-Hansen, P. 231, 234 Dausendschön-Gay, U. 379, 380 Davidson, F. 432 Davies, A. 261, 394, 398, 399, 403, 421, 423 De Angelis, G. 296, 298, 299, 568 De Bot, K. 470 de Cillia, R. 178, 181, 182, 185, 188, 189, 191, 561, 625-631 , 640-643 De Florio-Hansen, I. 244, 245 De Knop, S. 35, 38 de Pietro, J.-F. 87, 459 de Vriendt, S. 296, 299 de Witt, C. 389, 390 de Zarobe, Y. R. 214, 216 Decke-Cornill, H. 6, 7, 40, 42, 157-162 , 254, 255, 257, 334 Decker, Y. 499, 501 Decker-Ernst, Y. 291, 294, 295 Degache, C. 238 DeKeyser, R. M. 251, 253, 258, 261 Delanoy, W. 40, 42, 131, 135, 138, 140 Delen, B. 134, 135 Delgado-Martins, M. R. 531, 534 Della Rosa, P. 304 Demewoz, N. 365 Demiraj, S. 480, 482 Demirkaya, S. 578, 582, 587, 592, 596 Demmig, S. 250, 271, 306, 310, 596, 637, 640 Demuth, L. 205 Denzin, N. K. 573, 577 Deplazes, A. 342, 343 Personenregister Deutschmann, R.-U. 371, 382, 383, 385, 386 Di Cristo, A. 539 Diehl, E. 28, 29 Diehr, B. 67, 69, 214, 216, 504, 505, 506 Dieling, H. 125, 126 Dietrich, I. 351, 353 Digeser, A. 20, 24 Diller, K. C. 262, 302, 304 Dillmann, G. 515-519 Dirim, I. 64, 291, 294, 295, 428 Diyani Bingan, C. B. 129, 130 Dobric´ , N. 408, 411 Döbrich, P. 92 Döll, M. 423-428 Doering, L. B. 304 Döring, N. 580, 582 Dörnyei, Z. 27, 29, 242, 245, 262, 265, 266, 267, 268, 269, 270, 271, 364, 365, 571, 574, 576, 577, 579, 582 Dörr, F. 435, 441 Doff, S. 102, 106, 156, 186, 216, 217, 255, 257, 320-325 , 463, 571, 577, 582, 584, 587, 591, 623, 624, 629, 630, 631 Dohmen, D. 80, 81, 82 Doleschal, U. 559, 561 Domej, T. 568 Donato, R. 273, 275 Dorner, M. 221, 460, 461, 462 Dose, S. 246 Doughty, C. 259, 261, 266, 403, 441, 526 Douglas, D. 426, 427, 428 Doval, I. 120 Doye´ , P. 236, 237, 238, 239, 630, 631 Drude, S. 482 Drumm, S. 169, 171 Du-nour, M. 248, 249 Duarte, I. 534 Duarte, J. 62, 64, 65 Düwell, H. 148, 243, 245 Dufeu, B. 357 Duff, A. 355, 357 Duff, P. A. 273, 275 Duranti, A. 275 Duric´ , R. 239 Duxa, S. 306, 310, 312, 314, 611, 612, 614 Dziak-Mahler, M. 359, 361 East, M. 327, 329 Eberhardt, J.-O. 139, 140 Eberle, T. 358, 361 Ebi, M. 516, 518 Ecarius, J. 587 Eckert, H. 125, 126 Eckerth, J. 139, 140, 327, 329, 330, 344, 346 Eckes, T. 395, 398 Eckhardt, A. 405, 406 Edelhoff, C. 106, 353 Edelmann, W. 26, 29 Eder, U. 619, 624 Edler, K. 54, 55 Edmondson, W. 5, 7, 16, 19 Eggensperger, K.-H. 198, 199 Egger, G. 67, 69 Eggins, S. 332, 334 Ehlers, S. 100, 101 Ehlich, K. 20, 24, 34, 38, 218, 220, 589, 591 Ehmke, T. 220 Ehrenreich, S. 276, 279 Ehrman, M. 262, 263, 265, 266 Ehrmann, M. 242, 246 Eichenberger, A. 34 Eichinger, L. M. 538 Eichner, D. 342 Eideneier, H. 521, 522 Eisenmann, M. 131, 358-361 , 452 El Paı´s 554, 557 Elder, C. 261, 403, 423 Elis, F. 356, 357 Ellis, E. M. 249 Ellis, G. 374, 375 Ellis, N. 38 Ellis, R. 26, 29, 38, 128, 130, 148, 254, 257, 261, 269, 270, 271, 275, 319, 320, 326, 327, 329 Elschenbroich, D. 172, 173, 176 Elsner, D. 177-182 , 441-445 , 459, 574, 577, 581, 582, 591, 605 Elwert, T. 285 Ende, K. 155, 156 Ender, A. 116, 120 Endreß, G. 484, 486 Enever, J. 180, 181, 182 Engbers, S. 458, 459 Engel, G. 172, 176, 180, 181 Engel, U. 22, 24 Engelhardt, M. 605 Erbes, A. 82 Erfurt, J. 216 662 Erichson, B. 582 Erlacher-Zeitlinger, E. 462 Erlenwein, S. 300 Eschbach-Szabo, V. 516, 518 Eschmann, D. 201, 204 Esser, H. 222, 223, 225 Eßer, R. 29 Etterich, B. 596 Evans, M. 451, 452 Even, S. 355, 357 Extermann, B. 619, 624 Extra, G. 432 Eysenck, H. J. 263, 266 Eysenck, S. B. G. 263, 266 Færch, C. 577, 587 Fäcke, C. 284, 510, 511, 556, 557, 624 Fairclough, N. 185, 186, 334 Faistauer, R. 230, 646, 647 Fandrych, C. 7, 29, 34-38, 166, 196, 199, 209, 275, 391, 440, 448, 530, 561, 596, 604, 605 Fasse, G. 170, 171 Faulstich-Wieland, H. 255, 257 Fauser, P. 350 Fedotova, N. 453, 455 Fehling, S. 184, 186 Feick, D. 228, 229, 590, 591 Feierabend, S. 185, 186 Feige, B. 339 Feilke, H. 218, 220, 460, 462 Feld-Knapp, I. 306, 310 Feldmeier, A. 226-230 , 578, 580, 582, 587, 592, 593, 594, 595, 596 Felix, S. W. 283, 284 Felixberger, J. 553, 557 Fellmann, G. 278, 279 Fenkart, G. 462 Fenn, P. 502 Fennig, C. D. 503, 507 Fenyvesi, A. 566, 568 Ferber-Brull, R. 384, 385 Ferguson, C. A. 22, 24 Ferna´ ndez-Sevilla, J. 553, 557 Fery, R. 445 Fibbi, R. 568 Fick, J. C. 323, 325 Fiedler, W. 482 Finger, Z. 482 Finkbeiner, C. 182-186 , 308, 310 Finlay-Johnson, H. 354, 357 Firth, A. 272, 275 Personenregister Fischer, G. 559, 561 Fischer, J. 198, 199 Fischer, K. 35, 38 Fischer, W. 484, 486 Fix, U. 248, 249 Flanders, N. A. 589, 591 Flechsig, K.-H. 2, 7, 58, 60 Fleming, M. 15 Flick, U. 583, 587 Flynn, S. 302, 304 Fohrmann, J. 43 Fonseca Mora, C. 244, 245 Foreman, R. 444 Forga´ cs, T. 566, 568 Fornoff, R. 166 Fotos, S. 38, 131 Fränz, P. 57, 60 Franceschini, R. 245, 247-250 Franke, M. 557 Frech, S. 342 Frederking, V. 19, 605 Fredriksson, C. 28, 29 Fredsted, E. 494-498 Freedman, M. 73 Freeman, D. 602, 605 Freese, P. 40, 42 Freinet, C. 351 Freitag, B. 139, 140 Freitag-Hild, B. 18, 19, 42, 136-140 , 457, 458, 459 Frenzel, B. 536, 539 Freudenstein, R. 325, 441, 444 Frevel, C. 340, 342 Frey, A. 312, 314, 343 Frey, K. 352, 353 Friebertshäuser, B. 587 Fried, M. 135 Friederici, A. 303 Friedrich, H. 386, 390 Friese, M. 582 Frisch, S. 215, 216 Fritz, T. 228, 230, 647 Fröhlich, L. 424, 428 Fröhlich, M. 246, 376, 589, 591 Frommer, H. 350 Frota, S. 534 Fuchs, K. 82 Fuchs, S. 254, 255, 257 Fürstenau, S. 176, 502 Fulcher, G. 432 Fullan, M. 602, 605 Fung, I. 615 Funk, H. 151-156 , 205, 209, 250, 271, 369, 435-441 , 596 Gabel, P. 603, 605 Garcı ´a, O. 12, 14, 211, 216 Gardner, H. 360, 361 Gardner, R. C. 243, 245, 267, 268, 270, 272, 275 Garlichs, A. 151, 156 Garnitschnig, I. 563, 564, 567, 568 Gass, S. M. 135, 253, 571, 576, 578, 582 Gebert, D. 78, 79 Gehring, W. 361, 605 Gellert-Novak, A. 633, 636 Gelmi, R. 248, 249 Gerber, B. 234 Gerighausen, J. 380, 472, 475 Gibbons, P. 219, 220 Gibbs, G. 365 Gibson, M. 243, 245 Gick, C. 387, 390 Gierlinger, E. 593, 596 Gilberg, R. 73, 74 Gingras, R. C. 275 Glaboniat, M. 421, 423, 470 Gladrow, W. 536, 539 Glaser, K. 134, 135 Glenk, L. 381 Glück, H. 619, 620, 624 Gnutzmann, C. 32, 33, 127, 130, 144-149 , 606 Göbel, J. 637, 640 Göbel, K. 13, 14 Gölz, P. 471 Göschl, A. 511 Gösken, E. 73 Goethe, J. W. von 235 Goetz, H. 517, 518 Götz, S. 246 Götze, L. 130, 475, 522 Gogolin, I. 10, 14, 26, 29, 32, 33, 49, 50, 60-65, 175, 176, 217, 218, 220, 222, 225, 285, 290, 633, 636 Goltz, R. 553 Gomolla, M. 176, 502 Gonza´ lez Hermoso, A. 453, 455 Gothsch, E. 238 Gouillier, F. 418, 419, 420 Granena, G. 251, 253, 261 Grass, A. 470 Grau, M. 276-279 Gray, J. 371 Green, K. 339 Green, N. 339 Grein, M. 70-74, 303, 304 663 Greve, W. 425, 428 Grgic, M. 405, 406 Grieser-Kindel, C. 343, 346 Griffiths, C. 243, 246 Grimm, T. 361 Grögor, B. 10, 411 Groenke, U. 497 Grommes, P. 11, 14, 15, 501, 502 Groot-Wilken, B. 176, 181 Grosjean, F. 12, 14 Groß Ophoff, J. 404, 406 Grossenbacher, S. 188, 190, 191 Grotjahn, R. 10, 146, 148, 156, 245, 246, 250-254 , 262, 265, 266, 289, 290, 397, 398, 408, 410, 411, 415, 416, 571, 572, 577, 583, 587 Grotlüschen, A. 227, 229, 230 Gruber, H. 92 Grucza, F. 527, 530 Grünewald, A. 52, 55, 91, 93, 97, 342, 459, 463-466 , 474, 475, 556, 557, 582 Gruschka, A. 30, 162 Guder, A. 490-494 Gudjons, H. 347, 349, 350, 351, 353 Gülbeyaz, E. I. 565 Gültekin-Karakoc¸ , N. 220, 578, 580, 582, 587, 592, 596 Gue´ nette, D. 238 Günthner, S. 131, 135 Günzel, J. 82 Gürsoy, E. 220 Guldimann, T. 314 Gumpertz, J. 12 Gumperz, J. J. 135 Gut, U. 125, 126 Gutschmidt, K. 561 Gutschow, H. 629, 631 Gymnich, M. 43 Haarmann, H. 565, 566, 568 Haas, H. 16, 19 Haas, W. 48, 50 Habermas, J. 84, 87, 151 Hägi, S. 640 Haenni Hoti, A. 223, 225 Häuptle, E. 464, 466 Häuptle-Barcelo´ , M. 416 Hagge, H. P. 199, 200 Hahn, A. 167 Hahn, N. 378, 379, 381 Haider, B. 209 Personenregister Hailbronner, K. 432 Hall, E. T. 16, 19 Haller, H.-D. 58, 60 Haller, M. 234, 313, 314 Hallet, W. 18, 19, 39-43, 84, 87, 97, 112, 115, 137, 140, 141, 144, 157, 162, 190, 191, 214, 216, 311, 312, 314, 325, 328, 329, 332, 333, 334, 343, 350, 357, 358, 411, 440, 444, 458, 459, 466, 494, 539, 596, 601, 614, 630, 631 Halliday, M. A. K. 217, 220, 332, 333, 334 Hamel, R. E. 45, 50 Hammarberg, B. 296, 300, 525, 526 Hammer, S. 220 Han, Z. 408, 411 Hancock, M. 453, 455 Handwerker, B. 120, 468, 471 Hannah, J. 503, 507 Hansen, B. 489, 490 Hansen, K. P. 167 Harding-Esch, E. 291, 295 Harkness, S. 161, 162 Harrington, K. 255, 257 Harsch, C. 88-92, 396, 398 Harth, D. 43 Hartig, J. 13, 14, 65, 90, 92, 401, 403 Haseldiek, K. 221 Hashemi, M. R. 581, 582 Haß, F. 110, 111, 335-340 , 343, 347, 350, 360, 361 Hatfield, J. 269, 270 Hattie, J. 30, 31, 33, 306, 310, 312, 314, 336, 339, 341, 343, 407, 411, 465, 466, 595, 596, 611, 613, 614 Haudeck, H. 116, 120, 601 Hausmann, F. J. 512, 515 Havranek, G. 413, 416 Hawighorst, B. 220 Hawkins, E. 128, 131, 145, 148 Hecke, C. 141, 144 Hedge, T. 506 Heid, M. 285, 290 Heift, T. 471 Heimann, P. 2, 7 Heine, L. 186-192 , 587 Heinrichsen, H. 10, 411 Heintze, A. 220, 229 Heipcke, K. 156 Helbig, B. 10, 24, 290 Helbig, G. 475, 522 Helbig-Reuter, B. 385, 647-651 Helff, S. 459 Heller, N. 89, 92 Heller, V. 293, 295, 333, 334 Helmke, A. 316, 320, 400, 403, 591, 658 Helmke, T. 590, 591, 658 Helsper, W. 192, 194, 195 Helten-Pacher, M.-R. 221, 461, 462 Hennig, M. 37, 38 Henning, U. 169, 171 Henning, W. 80 Henrici, G. 412, 416, 475, 522 Henseler, R. 341, 343, 346 Hepp, M. 654 Herfurth, H.-E. 377, 378, 379, 381 Hericks, U. 334 Herlemann, B. 412, 416 Hermes, L. 593, 594, 596, 657, 658 Herr, K. 592, 593, 594, 595, 596 Herrity, P. 547, 549 Herzig, B. 464, 466 Herzog, W. 32, 33 Hess, H. W. 389, 390 Hess, N. 362, 365 Hettiger, A. 79, 198, 200 Hetzer, A. 482 Heuer, H. 7, 438, 441, 443, 444, 474, 475 Heyer, Ch. 535, 539 Heyn, A. 229 Hidalgo, E. 447, 448 Hildebrandt, S. 527, 530 Hill, K. 403, 423 Hinger, B. 299, 300 Hinkel, E. 131, 375 Hinrichs, B. 220 Hinton, L. 248, 249 Hirschensohn, J. 304 Hirschfeld, U. 121-126 , 453, 454, 455, 456 Hirst, D. 539 Hoefnagel-Höhle, M. 302, 304 Höner, K. 471 Hövelbrinks, B. 294 Hofer, C. 313, 314 Hoffmann, G. 517, 518 Hoffmann, S. 116, 171, 246, 284, 344, 346, 347, 350, 351, 353 Hofmann, N. 221 Hofmann, W. 582 664 Hofstede, G. 164 Hogan-Brun, G. 432, 433 Holborow, M. 371 Holec, H. 367, 368, 371, 382, 385 Hollm, J. 68, 70 Holmes, J. 87 Holstein, S. 378, 381 Holzkamp, K. 370, 371 Hopf, D. 222, 225 Horn, H. 71, 73, 201, 204 Horwitz, E. K. 268, 269, 270 Horwitz, M. 269, 270 Hosenfeld, C. 374, 376 Hossein, N. 38 House, J. 5, 7, 16, 19, 133, 135 Hoyer, B. 106 Hrabovec, E. 545 Hrubesch, A. 230, 647 Hu, A. 10-15, 18, 19, 20, 42, 55, 85, 87, 89, 120, 139, 140, 164, 166, 278, 290, 605 Hub Faria, I. 534 Hudson, R. 37, 38 Hüllen, W. 7, 10, 50, 245, 323, 325, 619, 620, 624 Hüning, M. 526 Hüttner, J. 216 Hufeisen, B. 3, 7, 13, 14, 25-29, 37, 38, 154, 156, 166, 167-172 , 209, 235, 238, 243, 245, 246, 275, 276, 279, 300, 391, 440, 448, 474, 475, 526, 530, 561, 596 Hufnagl, C. L. 206, 209 Hughes, G. 418, 419, 420 Hughes, M. M. 261 Huhta, M. 152, 156, 204, 205 Hulbert, J. 119, 120 Hulstijn, J. H. 128, 131, 251, 252, 253 Hult, F. M. 36, 38, 427 Hultman, T. G. 540, 542 Huntemann, H. 71, 72, 73, 513, 515 Hutchins, A. 442, 444 Hutterli, S. 213, 216, 629, 631 Huwendiek, V. 340, 343 Hymes, D. H. 87 Ilic´ Markovic´ , G. 487-490 Ingenkamp, K. 363, 365, 395, 398 Inoue, K. 304 Iordanidou, Ch. 519, 522 Isak, G. 511 Personenregister Ivanov, S. 181, 182, 192 Ivanova, O. 234 Jackson, S. R. 261 Jacob, R. 496, 498 Jäger, A. 139, 140 Jäger, R. S. 343 Jaenicke, A. 482 Jaenicke, C. 482 Jakobs, E.-M. 206, 209 Jakubowicz-Pisarek, M. 381 Jan´ czak, B. A. 527, 530 Jang, E. 403 Jank, W. 315, 320 Jansing, B. 601 Jaspers, K. 151 Jastrow, O. 484, 486 Jehle, G. 117, 120 Jelaska, Z. 489 Jenkins, A. 362, 365 Jenkins, E.-M. 248, 250 Jenkins, J. 504, 506 Jenko, E. 546-549 Jentges, S. 120 Jessner, U. 13, 15, 27, 29, 169, 171, 245, 297, 300, 526 Jeuk, S. 502 Jexenflicker, S. 216 Jönsdottir, S. 654 John, G. 349, 350 Johnson, A. 52, 55 Johnson, E. 156, 205 Johnson, K. 330, 334, 506, 507 Johnson, K. E. 602, 605 Jonekeit, S. 288, 290 Jonkmann, K. 190, 191 Jopp-Lachner, K. 199, 200 Jordan, N. 539-543 Jouvet, L. 452 Juchem-Grundmann, C. 203, 205 Jude, N. 65 Jung, C. 312, 314 Jung, M. 578, 587 Jung, U. O. H. 116, 444 Jungert, M. 20, 24 Jusufi, L. 482 Kabatek, J. 554, 557 Kachru, B. B. 502, 507 Kade, S. 70, 73 Kaiser, G. 601 Kaiser, M. 587 Kalantzis, M. 32, 33, 333, 334, 462 Kalkavan, Z. 293, 295 Kalkavan-Aydın, Z. 295 Kallenbach, C. 245, 246 Kaltenbacher, E. 294, 295 Kaltenböck, G. 387, 390 Kanajet Sˇ imic´ , L. 489 Kaneko, T. 516, 519 Kang, E. 408, 411 Kant, I. 367, 371 Kao, S.-M. 356, 357 Kaplan, R. B. 29, 135 Kaplinska-Zajontz, M. 384, 385 Kasper, G. 4, 7, 22, 24, 133, 134, 135, 136, 577, 587 Kast, B. 438, 441, 475 Katelhön, P. 113, 114, 115, 116 Ke, C. 493, 494 Keck, R. W. 335, 339 Kecker, G. 393-398 Keilholz-Rühle, N. 637, 640 Keller, G. 235 Kelly, M. 612, 615 Kempgen, S. 561 Kennedy, S. 236, 238 Kenyon, D. M. 394, 398 Kern, R. 8, 461, 462 Kessler, B. 355, 357 Keßler, J. 179, 181 Keßler, J.-U. 283, 284, 601 Kessler, U. 68, 70 Kiel, E. 316, 317, 320 Kielhöfer, B. 288, 290 Kieweg, W. 158, 162, 336, 339, 443, 444, 449, 452 Kinsella, K. 265, 266 Kiper, H. 156 Kischel, G. 238 Kissau, S. 256, 257 Klafki, W. 158, 162, 315 Klages, H. 294, 295 Klajn, I. 488, 490 Klein Gunnewiek, L. 283, 284 Klein, E. 611 Klein, H. G. 235, 238, 511, 554, 557 Klein, H. P. 86, 87 Klein, W. 302, 304, 468, 471 Kleineidam, H. 7 Kleinespel, K. 604, 605 Kleinsasser, R. C. 306, 310 Klemm, A. 80, 81, 82 Klemm, K. 69, 70, 80, 81, 82 Kleppin, K. 10, 24, 74-79, 156, 279, 290, 370, 371, 378, 380, 381, 665 382, 383, 384, 385, 397, 398, 407-411 , 412-416 , 417, 418, 419 Klette, K. 341, 342 Klieme, E. 14, 62, 65, 88, 92, 152, 156, 177, 401, 403 Klinger, T. 63, 64, 65 Klingholz, R. 291, 295 Klippel, F. 56, 60, 102, 106, 167, 306, 310, 315-320 , 391, 577, 587, 592, 620, 624, 625-631 Knapp, A. 146, 148, 190, 191 Knapp, K. 334 Knapp-Potthoff, A. 447, 448 Knierim, M. 186 Kniffka, G. 30-34, 403-407 , 428-433 Knigge, M. 90, 92 Koch, L. 383, 385 Koch-Priewe, B. 219, 220 Koda, K. 98, 102 Köck, P. 335, 339 Köker, A. 220 Köller, O. 55, 65, 86, 87, 88, 90, 92, 140, 187, 190, 191, 195, 214, 216, 396, 398, 411 Königs, F. G. 6, 10, 19, 24, 26, 29, 33, 50, 54, 55, 87, 91, 97, 111-116 , 140, 144, 148, 155, 162, 214, 216, 233, 241, 246, 281-285 , 286, 290, 306, 307, 310, 311, 334, 343, 350, 376, 407, 408, 411, 414, 416, 440, 452, 466, 475, 577, 578, 596, 600, 601, 606, 614, 636 Koeth, W. 482 Kötter, M. 65, 70, 180, 181, 502-507 Koile, K. 464, 466 Koithan, U. 300 Kokemohr, R. 157, 162 Kolakovic´ , Z. 490 Kolb, A. 194, 195, 419, 420 Kolb, D. A. 264, 266 Kolb, E. 192-195 Kollenrott, A. I. 278, 279, 309, 310 Koller, H.-C. 162, 391 Kordt, B. 169, 170, 171 Koreik, U. 163-167 Kosta, P. 558, 561 Krämer, U. 42, 87, 141, 144, 190, 191, 342, 444, 458, 459 Krajnc Cerny, D. 549 Kramer, R.-T. 192, 194, 195 Personenregister Kramsch, C. 11, 12, 13, 15, 18, 19, 54, 55, 165, 167 Krashen, S. D. 104, 106, 127, 131, 146, 148, 158, 162, 282, 283, 284, 301, 302, 304, 321, 325 Krath, S. 647, 651 Kratzmann, J. 14, 15 Krech, E.-M. 456 Krechel, H.-L. 510, 511, 607-611 Kreckel, R. 50 Krejci, M. 605 Krekeler, C. 196, 200 Krenn, G. 487, 490 Kress, G. 460, 462 Kricheldorff, C. 73 Krifka, M. 565 Krings, H. P. 107-111 , 420 Kron, F. W. 315, 320 Kruidenier, B. G. 268, 270 Krumm, H.-J. 1-7, 10, 14, 19, 20-24, 29, 38, 45-51, 54, 55, 59, 69, 87, 91, 97, 101, 121, 123, 126, 131, 140, 144, 148, 155, 162, 163, 166, 167, 168, 172, 178, 181, 182, 185, 188, 189, 191, 209, 220, 230-234 , 244, 245, 246, 248, 250, 266, 275, 290, 307, 310, 311-314 , 325, 334, 347, 350, 376, 391, 407, 411, 420, 431, 432, 440, 444, 448, 473, 474, 475, 477-479 , 522, 530, 534, 561, 577, 578, 596, 600, 601, 612, 614, 615, 618, 630, 633-637 , 640, 658 Kucˇera, K. 558, 561 Kuch, H. 361 Kühn, B. 111, 420 Kühn, P. 119, 120, 447, 448 Küppers, A. 14, 354, 419, 561-565 Küster, L. 6, 7, 18, 19, 33, 40, 42, 43, 83-87, 89, 91, 92, 457, 459, 556, 557, 606 Kuhfuß, W. 601, 610, 611, 619, 620, 621, 622, 624 Kuhn, C. 205, 209 Kuhn, J. 38 Kuhnen, C. 228, 230 Kumaravadivelu, B. 130, 131, 321, 324, 325, 326, 328, 329 Kummer, M. 221 Kunkel, M. 216 Kunnan, A. J. 398, 403, 423, 430, 431, 432 Kunter, M. 340, 341, 343 Kunz, R. 499, 502 Kunze, I. 340, 342, 343 Kunzmann-Müller, B. 488, 490 Kupetz, R. 606 Kupisch, T. 15, 295 Kurabayashi, S. 391 Kursisˇa, A. 300 Kurtz, G. 217, 221 Kurtz, J. 105, 106, 333, 334, 340, 343, 443, 444, 445-448 , 474, 475 Laakso, J. 568 Lado, R. 323, 325, 394, 398 Ladwig, U. 204 Lakoff, R. 255, 257 Lamb, T. 233, 653, 654 Lambert, W. E. 243, 245 Lange, D. 60 Lange, H. 515 Lange, I. 64, 175, 176, 220, 225, 336 Lange, U. C. 452 Langer, A. 587 Langer, E. 221, 459-463 Langhoff, J. 381 Lantolf, J. P. 27, 28, 29, 273, 275, 415, 416 Larsen-Freeman, D. 128, 131, 321, 325 Larson-Hall, J. 581, 582 Lasnier, J.-C. 438, 441 Lave, J. 273, 275 Lavine, R. 265, 266 Leaver, B. L. 262, 263, 265, 266 Lechner, C. 67, 69 Legutke, M. 19, 24, 104, 106, 193, 195, 311, 313, 314, 350-354 , 494, 539, 577, 587, 592, 604, 605, 606 Lehberger, R. 623, 624 Lehnen, K. 460, 462 Leisen, J. 214, 216, 650, 651 Leist-Villis, A. 292, 293, 295 Leitzke-Ungerer, E. 555, 557 Lembens, A. 462 Lemke, J. 461, 462 Lemmen, R. 239 Lengyel, D. 64 Lengyel, Z. 205, 304 Lenneberg, E. 301, 304 Lenneberg, E. H. 203, 205 Lenz, K. 195 Lenz, P. 430, 431, 433 666 Lesle, U. T. 553 Les´niewska, J. 251, 253 Leßmöllmann, A. 565 Leucht, M. 216 Leuenberger, S. 29 Leupold, E. 55, 85, 86, 87, 88, 92, 140, 411, 441, 444, 510, 511 LeVelle, K. R. 36, 38 Levelt, W. J. M. 102, 106 Levinson, S. C. 133, 135 Le´ vy, D. 12, 15 Lewis, M. 129, 131 Lewis, M. P. 503, 507 Lex, B. 501 Liang, Y. 491, 493, 494 Liebau, E. 353 Lightbown, P. M. 344, 345, 346 Lin, A. M. Y. 211, 216 Linck, J. A. 259, 261 Lindemann, B. 300 Lindgren, E. 181 Link, J. 42, 43 Lins, S. 176 Linser, H.-J. 358, 361 Lipowsky, F. 33, 34 Lissmann, U. 395, 398 List, G. 23, 24 Litosseliti, L. 257 Little, D. 200, 368, 371, 377, 380, 418, 419, 420 Littlejohn, A. 154, 156 Llinares, A. 334 Lochtmann, K. 414, 416 Löhr, A. 553 Loehr, K. 633, 636 Lörincz, I. 87, 234, 459 Lösch, K. 469, 470 Loew, P. O. 527, 530 Long, M. H. 104, 106, 203, 205, 251, 253, 259, 261, 266, 301, 302, 304, 344, 346, 403, 439, 441, 525, 526 Loo, A. 361-365 Lorentz, B. 64 Lorenz, G. 79 Lou, Y. 341, 343 Ludke, K. M. 451, 452 Ludwig, P. 186 Lübke, B. 120 Lücke, N. 524, 526 Lüders, M. 34 Lüdi, G. 245 Lüdtke, O. 191 Personenregister Lüning, M. 340, 342 Lüsebrink, H.-J. 40, 43, 165, 167 Lütge, C. 93, 97, 103, 106, 279, 456-459 Lüttge, D. 630, 631 Luhmann, N. 87 Lukasser, A. 648, 650, 651 Lumley, T. 403, 423 Lusar, R. 93, 97 Lutjeharms, M. 29, 97-102, 154, 156, 171, 172 Luzo´ n, M. J. 371 Lyster, R. 211, 216, 331, 334 Maak, D. 294, 499, 502 Maas, U. 207, 209, 484, 486 Maaz, K. 191 Macaro, E. 375, 376 Macha, K. 590, 591 Macht, K. 623, 624, 630, 631 MacIntyre, P. D. 268, 270 Mackey, A. 135, 253, 571, 576, 578, 582 Mackey, W. F. 127, 131 Madelska, L. 527, 530 Madlener, K. 468, 471 Magnan, S. 266 Mahler, I. 590, 591 Maier, U. 406 Mainzer, M. 78, 79 Makarova, E. 32, 33 Maley, A. 355, 357 Man, E. Y. F. 80, 211, 216 Mancho´ n, R. M. 109, 111 Mar-Molinero, C. 432, 433 Marie¨n, P. 304 Marini-Maio, N. 355, 356, 357 Markov, S. 228, 230, 384, 385 Marotzki, W. 162 Martin, J.-P. 336, 339 Martin, J. R. 333, 334 Martinez, H. 147, 148, 237, 238, 241-247 , 290, 372-376 , 474, 475 Martı ´nez-Flor, A. 131, 134, 135 Martins, A. 238 Martohardjono, G. 302, 304 Martyniuk, W. 527, 530 Marx, N. 37, 38, 235, 238, 295-300 , 582, 615-618 Massing, P. 342 Mastoras, D. 522 Mateus, M. M. 530, 534 Mathew, R. 396, 398 Matos, G. 534 Matras, Y. 35, 38 Mattes, W. 349, 350 Matz, F. 139, 140 Matzner, M. 221 Mavruk, G. 217-221 Mayer, N. 194, 195 Mayer-Smith, J. 606 Mayr, J. 34, 598, 601 McCarthy, M. 129, 131 McKenna, M. C. 462 McLaughlin, J. 304 Mclean, M. 346 McNamara, T. 403, 423, 429, 432 Meara, P. 120, 258, 261 Medina, J. 334 Meese, H. 387, 390 Mehlhorn, G. 1-7, 20-24, 199, 200, 236, 238, 378, 379, 381, 384, 385, 408, 411, 474, 475, 477-479 , 526-530 , 534-539 , 558-561 Meidinger, J. V. 323, 325, 622 Meindl, C. 578, 581, 582 Meinunger, A. 565 Meisel, J. M. 251, 253 Meißner, C. 511 Meißner, F.-J. 13, 15, 53, 55, 87, 145, 148, 149, 234-239 , 243, 246, 290, 376, 459, 474, 475, 494, 508, 511, 539, 555, 558 Melle, I. 471 Melo-Pfeifer, S. 530-534 Mendez, C. 347-350 Meng, K. 248, 250 Menrath, B. 10, 411 Menz, A. 562, 565 Merkl, M. 361 Mertens, J. 194, 195 Mesthrie, R. 37, 38 Metger, W. 522 Meyer, F. 493, 494 Meyer, H. 155, 156, 315, 320, 335, 340, 347, 349, 350 Meyer, M. A. 162, 349, 350 Meyer-Drawe, K. 367, 368, 369, 371 Meyer-Ingwersen, J. 217, 221 Michalak, M. 313, 314 Michel, U. 64, 225 Miecznikowski, J. 247, 249 Mihaljevic´ Djigunovic´ , J. 251, 253 Mihan, A. 334 Mihm, E. 3, 7 667 Militsis, V. 522 Milroy, L. 10, 15 Minuth, C. 351, 354, 507-512 Mißler, B. 297, 300, 374, 376 Mitschian, H. 387, 389, 391, 448, 473, 475 Mizrachi, A. 365 Moelleken, W. 238 Möller, F. 553 Möller, R. 236, 239, 343, 346 Möller, S. 343, 346 Möllering, M. 430, 432 Mohr, I. 156 Mollica, F. 38 Montada, L. 144 Monte, O. 545 Moon, B. 606 Morek, M. 333, 334 Morfeld, P. 441 Morgan, C. 152, 156 Morkötter, S. 237, 239, 243, 246 Morton, T. 332, 334 Moser, U. 223, 225 Moser, W. 511 Moyer, A. 252, 253 Mozzon-McPherson, M. 383, 385 Mügge, R. 79 Müller, F. 34 Müller, H. 43 Müller, H. M. 28, 29 Müller, M. 126, 131, 423, 470 Müller, N. 12, 15, 292, 293, 295 Müller, P. 314 Müller, R. 474, 475 Müller, R. M. 3, 7, 438, 441, 444 Müller-Hartmann, A. 84, 86, 87, 88, 90, 92, 325-330 , 506, 507, 584, 587, 604, 606 Müller-Lance´ , J. 117, 121, 297, 300 Mueller-Liu, P. 130 Münch, A. 190, 191 Mukherjee, J. 494, 539 Mun˜ oz, C. 250, 251, 252, 253 Murphey, T. 364, 365 Murphy, J. 238 Murray, G. 369, 371 Muysken, P. 10, 15, 302, 304 Mynard, J. 385 My´ rdal, S. 341, 342 Nago´ rko, A. 527, 530 Nagy, G. 191 Naiman, N. 242, 246, 372, 373, 376 Personenregister Nalezinski, S. 389, 391 Nandorf, K. 387, 391 Nation, I. S. P. 447, 448 Nation, P. 120, 121, 155, 156 Nauck, B. 62, 65 Naumann, E. 582 Nauwerck, P. 293, 295 Negash, N. 365 Nehring, G.-D. 480, 482 Nerlicki, K. 269, 271 Nestler, B. 545 Neuber, B. 456 Neuhaus, K. 204 Neumann, A. 590, 591 Neumann, M. 191 Neumann, R. 191, 221 Neumann, U. 49, 50 Neuner, G. 298, 300, 325, 438, 441, 442, 445, 475 Neuschäfer, A. 643 Neveling, C. 105, 106, 116-121 , 385 Neville, H. 205 Newby, D. 131 Neweklowsky, G. 490 Newerkla, S. M. 543, 545, 559, 560, 561 Newton, J. 155, 156 Neyer, J. 553 Nickel, G. 299 Nickolaus, R. 26, 27, 28, 29 Nied Curcio, M. 113, 114, 115, 116 Niederhaus, C. 220 Niedermann, R. 314 Niedrig, H. 498, 502 Nieweler, A. 53, 55, 97, 407, 411, 442, 443, 445, 452, 510, 511 Nikolov, M. 180, 181, 251, 253 Nikolova, R. 192 Nittel, D. 70, 73 Nodari, C. 438, 441 Nöbauer, I. 549 Noels, K. A. 268, 271 Noguerol, A. 87 Nold, G. 91, 375, 376, 591, 601, 658 Norris, J. M. 128, 131 North, B. 202, 203, 205 Norton, B. 243, 246, 256, 257, 274, 275 Nosbers, H. 482 Nübold, P. 196, 200 Nünning, A. 40, 42, 43, 137, 140, 630, 631 Nünning, V. 40, 43 Nuissl, E. 201, 205 Nunan, D. 154, 156, 441, 588, 591 O´ Baoill, D. P. 200 O’Dowd, R. 352, 354 O’Leary, C. 370, 371 O’Malley, M. J. 373, 374, 376 O’Neill, C. 356, 357 O’Neill, R. 349, 350 O’Sullivan, B. 424, 428 Obendiek, E. 7 Ochs, E. 133, 135, 275 Oerter, R. 144 Östman, J.-O. 135 Oeter, S. 222, 225, 552, 553 Özdil, E. 219, 221 Ogiermann, E. 131, 135 Ohm, U. 27, 29, 205-210 , 220, 271, 274, 275, 500, 502 Ohms-Duszenko, M. 473, 475 Okuka, M. 482, 487, 490, 539 Oleschko, S. 220 Olfert, H. 478, 479, 563, 565 Oliveira, F. 533, 534 Oliver, D. 365 Oliver, J. 469, 471 Oller, J. W. 267, 271 Olshevska, A. 239 Ondrejovicˇ, S. 543, 545 Oomen-Welke, I. 290-295 , 378, 381, 502, 605 Orlovsky, S. 176 Ortega, L. 128, 131 Ortner, B. 324, 325 Oscarson, M. 396, 397, 398 Oser, F. 152, 153, 156 Oskarsson, M. 301, 304 Osterhout, L. 303, 304 Osterloh, K.-H. 472, 475 Ostermann, T. 291, 294 Otha, T. 391 Otto, G. 2, 7, 350 Otto´ , I. 268, 270 Otwinowska, A. 568 Oxford, R. L. 242, 246, 263, 265, 266, 373, 375, 376 Paintner, U. 637-640 Palkova´ , Z. 558, 561 Palmer, A. D. 401, 403 Palmer, A. S. 431, 432 Pani, P. 482 668 Pant, H. A. 88, 90, 92, 216, 326, 327, 328, 329, 604, 606 Panzer, B. 543, 546 Paradies, L. 358, 361 Paradis, M. 303, 304 Paran, A. 427, 428 Pardellas Velay, R. 557 Parfuss, A. 568 Pauwels, A. 255, 256, 257 Pavlenko, A. 247, 250, 255, 257, 272, 275 Pawlak, M. 253, 261 Pecˇnik, D. 549 Pekarovicˇova´ , J. 545, 546 Pelletier, L. G. 271 Pelvat, I. 29 Pennycook, A. 321, 325, 368, 371 Perani, D. 303, 304 Perdue, C. 468, 471 Perlmann-Balme, M. 420-423 , 431, 433 Perrefort, M. 279 Petersen, A. 649, 651 Petersen, I. 191, 192 Petillon, H. 365 Peukert, H. 158, 162 Pfau, A. 451, 452 Phillipson, R. 45, 51 Picht, R. 165, 167 Pienemann, M. 283, 284, 321, 325 Piepho, H.-E. 84, 87, 104, 106, 151, 156, 324, 325, 326, 330 Pietzner, V. 471 Pietzuch, A. 229, 271-275 Pietzuch, J. P. 163, 166, 229 Pilypaityte´ , L. 599, 601 Pimsleur, P. 258, 261 Piper, P. 488, 490 Piske, T. 67, 70 Pitkanen, I. 304 Plankenhorn, T. 186 Plassmann, S. 433 Plewnia, A. 538 Plikat, J. 52, 55, 459 Plinke, W. 582 Ploetz, K. L. 622 Plonsky, L. 581, 582 Poarch, G. 62, 64 Pochon-Berger, E. 430, 431, 433 Pöhlmann, C. 92 Poehner, M. E. 27, 29, 396, 398, 415, 416 Pörings, R. 127, 131 Personenregister Pohontsch, A. 550, 553 Poletti, A. 200 Poliakov, A. 304 Polleti, A. 391 Porsch, E. 180, 182 Porsch, R. 90, 92, 111, 308, 310, 579, 582 Porter, P. 344, 346 Portmann, P. R. 111 Portmann-Tselikas, P. R. 459, 462 Posch, P. 592, 593, 594, 595, 596, 598, 601 Posner, R. 39, 43 Prabhu, N. S. 326, 330 Prasse, D. 466 Prediger, S. 170, 172, 219, 221 Prengel, A. 587 Prenzel, M. 65 Pride, J. B. 87 Pries, L. 64 Prudent, S. 452 Prunitsch, Ch. 530 Przyborowska-Stolz, A. 239 Pürschel, H. 135 Puren, C. 509, 511 Purpura, J. 426, 427 Pusch, B. 14, 565 Pusch, C. D. 554, 557 Pustka, E. 125, 126 Putnai, M. 452 Pyritz, R. 200 Quereda, L. 448 Quetz, J. 79-82, 142, 144, 202, 205, 279, 300-304 , 354, 419, 420, 651-654 Raabe, H. 129, 131, 373, 376, 413, 416 Raaf, B. 389, 391 Raasch, A. 93, 97, 611, 612, 615 Raddatz, V. 445 Räsänen, A. 198, 200 Raindl, M. 391 Raith, T. 605, 606 Raithel, J. 580, 582 Ralle, B. 500, 502, 605 Rammstedt, B. 227, 230 Rampillon, U. 350, 373, 374, 375, 376 Rang, H.-J. 49, 50, 56, 59, 619, 621, 624 Rasch, B. 581, 582 Rathgeb, T. 186 Rau, N. 352, 354 Rauch, D. 13, 15, 65 Raue, H. 610, 611 Rauin, U. 590, 591 Raupach, M. 147, 149, 373, 376 Rebel, K. 417, 420 Redder, A. 218, 221 Reeder, K. 470, 471 Rehbein, J. 412, 416, 589, 591 Reich, A. 74-79 Reich, H. H. 64, 168, 172, 221-226 , 230-234 , 424, 426, 427, 428, 478, 479, 481, 482 Reich, K. 359, 361 Reichart, E. 71, 72, 73, 513, 515 Reichel, W. 545 Reichmayr, M. 549 Reid, M. 262, 266 Reimann, D. 113, 116, 512-515 , 531, 532, 534 Reinartz, A. 162 Reinartz, V. 587 Reinecke, K. 378, 379, 381 Reinfried, M. 13, 15, 35, 38, 238, 244, 246, 290, 555, 558, 619-625 Reinhard, V. 60 Reinke, K. 452-456 Reinmann, G. 464, 466 Reiss, K. 92, 605 Reto, L. 533, 534 Reumuth, W. 522 Rexhepi, F. 482, 483 Ricart Brede, J. 498-502 , 590, 591 Richards, J. 321, 325 Richter-Lönnecke, H. 204 Rickmeyer, J. 516, 519 Riebling, L. 63, 65 Riedl, A. 469, 471 Riegel, U. 590, 591 Riegler, S. 406 Riekmann, W. 227, 229, 230 Riemer, C. 1-7, 20-24, 26, 29, 38, 166, 209, 241, 243, 244, 246, 248, 250, 266-271 , 275, 276, 279, 283, 284, 374, 376, 391, 440, 448, 530, 561, 571-578 , 582, 584, 586, 587, 592, 595, 596 Riley, P. 291, 295 Risager, K. 18, 19 Ritchie, W. C. 106 Ritt, L. 511 Rittelmeyer, C. 585, 587 669 Ritter, M. 227, 228, 230, 647 Rixon, S. 347 Roberts, C. 263, 266 Robinsohn, S. B. 151, 156 Robinson, P. 242, 246, 259, 261, 270, 300, 525, 526 Rocha-Lieder, A. 131 Roche, J. 28, 29, 166, 167, 460, 462, 466-471 Rodgers, J. 321, 325 Röber, C. 565 Röder, B. 205 Röhling, J. 167, 469, 471 Römer, C. 203, 205 Rösch, H. 218, 221 Röske, M. 626, 631 Rösler, D. 115, 116, 386, 387, 391, 436, 437, 441, 445, 448, 463, 466, 471-476 Rösler, F. 205 Rössler, A. 113, 116, 166, 167, 555, 557 Rogalla, M. 314 Rogers, C. 382, 385 Rogerson-Revell, P. 125, 126 Rogge, M. 140 Rohde, A. 180, 182 Rohmann, H. 271, 275 Rohrer, J. 342, 343 Rokitzki, C. 229 Roll, B. 131 Roll, H. 644-647 Romero Duen˜ as, C. 453, 455 Romero, A. 384, 385, 453, 455 Romfeld, E. 24 Romic´ , D. 490 Roos, E. 247, 249 Rosenberg, P. 225 Rosenbrock, S. 220 Ross, S. 134, 136 Rossa, H. 92, 144, 399-403 Rost, D. 365 Rost, J. 92 Rost, M. 93, 97 Rost-Roth, M. 192, 379, 381 Roters, B. 306, 307, 308, 309, 310, 605, 606, 657, 658 Rothland, M. 34, 311, 314 Rothstein, B. 238 Rozenberg, M. 163, 167 Ruane, M. 200 Rubin, J. 372, 376 Rudolph, H. 450, 452 Personenregister Rüschoff, B. 436, 441 Rüstow, L. 617, 618 Ruge, H. 522 Ruigendijk, E. 526 Ruiz-Madrid, M. N. 371 Runge, A. 381 Rupp, A. 90, 92, 396, 398 Rusch, P. 423, 470 Rutten, S. 220 Ryan, S. 267, 268, 270 Ryan-Scheutz, C. 355, 356, 357 Rymarczyk, J. 65-70, 180, 181, 217, 352, 354, 504, 506, 507 Rytel-Schwarz, D. 527, 530 Saalmann, W. 220 Sabo, M. 487-490 Sachse, S. 14, 15 Said-Moshiro, L. 365 Salas, S. 256, 257 Sambanis, M. 172-177 Samuda, V. 326, 327, 329, 330 Sanders, O. 162 Sandfuchs, U. 339 Sandrieser, S. 568 Santana, J. 448 Sapon, S. M. 258, 261 Sarter, H. 178, 182 Sauer, H. 7, 177, 182, 306, 310, 584, 587 Saum, T. 340, 341, 342 Saunders, C. 383, 384, 385 Sauntson, H. 257 Scarcella, R. C. 304 Schader, B. 224, 225, 480-483 Schäfer, J. 498, 502 Schäffer, B. 587 Schärer, R. 417, 418, 420 Schank, K. 54, 55 Schart, M. 306, 307, 308, 310, 311, 313, 314, 327, 330, 351, 352, 353, 354, 592, 593, 594, 595, 596, 605, 606 Schaumburg, H. 464, 466 Schawe, M. 54, 55 Scheithauer, C. 230, 384, 385 Schelten, A. 469, 471 Scherag, A. 203, 205 Scherfer, P. 577 Scheuer, R. 471 Schewe, M. 354-358 Schieffelin, B. B. 275 Schindelegger, V. 216 Schlabach, J. 171 Schläfli, A. 72, 73 Schlak, T. 10, 27, 29, 250, 251, 252, 253, 260, 261, 283, 285, 412, 413, 414, 416 Schlickau, S. 471 Schlüter, N. 216, 385 Schmelter, L. 192, 195, 211-217 , 368, 369, 371, 378, 379, 381, 382, 383, 386, 506, 583-587 Schmenk, B. 164, 167, 254-257 , 357, 358, 367-372 , 374, 376, 382, 386 Schmid, A. 451, 452 Schmidt, B. 74, 205 Schmidt, C. 25, 27, 29, 98, 102 Schmidt, R. 131 Schmidt, R. W. 29, 146, 149, 271 Schmidt, T. 102-106 , 352, 354, 371, 372, 463, 465, 466, 473, 475 Schmiedjell, A. 589, 592 Schmitt, O. J. 482, 483 Schmitz, A. 478, 479, 563, 565 Schmitz, H. 423, 470 Schmitz, K. 15, 295 Schmitz, U. 127, 131 Schmölzer-Eibinger, S. 217, 221, 459-463 Schnack, J. 353 Schnack, K. 341, 342 Schneider, G. 600, 601 Schneider, K. P. 135, 136 Schnell, A. K. 109, 111 Schnider, A. 601 Schnoor, B. 62, 65 Schnurr, S. 74 Schocker, M. 88, 92, 325-330 , 602-606 Schocker-v. Ditfurth, M. 86, 87, 326, 327, 328, 329, 330, 506, 507, 584, 587, 593, 596, 602, 604, 606 Schön, D. A. 307, 311, 593, 596, 603, 606 Schön, F. 550, 551, 553 Schönrock, K. L. 651 Schöpper-Grabe, S. 205, 514, 515 Schöttler, S. 641, 643 Scholten-Akoun, D. 500, 501 Scholz, I. 340, 343 Scholze, D. 550, 551, 553 Schoormann, M. 27, 29, 283, 284, 412, 413, 414, 416 Schrader, F.-W. 400, 403, 591, 658 670 Schramek, R. 73 Schrameyer, A. 131 Schramm, K. 38, 99, 102, 144, 149, 172, 229, 230, 334, 384, 385, 577, 587-592 Schreiber, J.-R. 54, 55 Schreiner, P. 633, 636 Schrey, H. 444 Schroeder, C. 225, 561-565 Schröder, H. 73, 74 Schröder, K. 50, 58, 60, 73, 200, 396, 398, 591, 599, 601, 612, 615, 619, 620, 624, 652, 654, 655, 658 Schröder-Sura, A. 87, 459 Schroedter, J. H. 291, 295 Schröer, W. 195 Schubert, G. 490 Schütz, A. 164 Schütz, M. 200 Schulte Ladbeck, O. 363, 365 Schulte-Bunert, E. 226, 230, 499, 500, 501 Schulz, J. 550-553 Schulz, P. 424, 428 Schulz, W. 2, 7 Schulz-Hardt, J. 57, 60 Schulz-Kolland, R. 314 Schulze, K. 249, 250 Schumann, A. 40, 43, 94, 95, 97, 191 Schumann, J. H. 272, 275, 301, 303, 304 Schwab, G. 68, 70, 589, 592 Schweiger, H. 249, 640 Schweitzer, A. 285 Schwerdtfeger, I. C. 52, 55, 93, 97, 344, 345, 347, 349, 350 Schwippert, K. 601 Scotti-Rosin, M. 533, 534 Sedlaczek, B. 196, 199 Seedhouse, P. 158, 160, 162 Seel, P. C. 380, 472, 475 Seethaler, E. 314 Segeritz, M. 65 Segermann, K. 97 Seidlhofer, B. 106, 334 Seipp, B. 500, 502 Seitter, W. 70, 73 Seliger, H. 571, 578 Selinker, L. 9, 10, 241, 246, 372, 376, 413, 416 Senkbeil, K. 458, 459 Senorer, G. 248, 249 Personenregister Sercu, L. 369, 372, 428 Serra Borneto, C. 441 Settinieri, J. 571, 578-582 , 584, 587, 592, 596 Sgier, I. 72, 73 Shamim, F. 363, 365 Sharwood Smith, M. 438, 441 Sheen, R. 128, 130, 131 Shehadeh, A. 329, 330 Shekhtman, B. 262, 265, 266 Shin, D. 120, 121 Shintani, N. 269, 270 Shohamy, E. 431, 433, 571, 578 Sieber, A. 390 Siege, H. 54, 55 Siekmann, S. 327, 329, 330 Siepmann, P. 140 Sigott, G. 408, 411 Silbereisen, R. 143, 144 Silbert, N. H. 261 Simola, H. 341, 342 Simons, G. F. 503, 507 Simpson, J. 325 S¸ ims¸ ek, Y. 562, 565 Sinclair, B. 374, 375 Sinclair, J. M. 589, 591 Singer, D. 464, 466 Singleton, D. 12, 14, 203, 205, 250, 251, 253, 267, 270, 302, 304 Sinner, S. 74 Sinning, S. 515 Skehan, P. 242, 246, 258, 259, 261, 262, 266, 394, 398 Skinner, F. B. 26, 29, 87 Skutnabb-Kangas, T. 49, 51 Slade, C. 432 Smasal, M. 182-186 Smit, U. 212, 216 Smith, B. K. 261 Snow, C. E. 302, 304 Söhn, J. 223, 225 Sokol, J. 553 Solmecke, G. 269, 271, 419, 420 Solzbacher, C. 342, 343 Sommer, R. 40, 42, 43 Sommerfeldt, K. 377, 381 Soukup-Altrichter, K. 314 Spada, N. 31, 34, 344, 345, 346, 591 Spänkuch, E. 370, 371, 381, 383, 384, 385, 386 Spencer-Oatey, H. 132, 136 Sperduto, D. 513, 515 Speth, M. 353 Spillner, B. 36, 38, 408, 411 Spit¸a˘, D. 238 Spolsky, B. 36, 38, 421, 423, 426, 427, 428 Spotti, M. 432 Stanat, P. 62, 65, 92, 144 Stancel-Piatak, A. 601 Stangl, A. 640 Stansfield, C. W. 394, 398 Staschen-Dielmann, S. 215, 216 Stauber, B. 195 Stefanowitsch, A. 35, 38 Steffens, G. 58, 60 Stegmann, T. D. 235, 238, 511, 554, 557 Stein, P. 508, 512 Steinig, W. 294 Steininger, I. 68, 70, 343-347 Steinke, I. 575, 578, 587 Steinle, M. 538 Steinlen, A. 67, 70 Steinlen, A. K. 180, 182 Stemmer, B. 251, 252, 254 Stenhouse, L. 593, 596 Stern, H. H. 246, 319, 320, 372, 376 Stevenson, P. 248, 250, 432, 433 Sˇ tı ´cha, F. 559, 561 Stickel, G. 516, 519 Stiebels, B. 565 Stock, E. 456 Stötzel, G. 605 Stolz, C. 497 Stork, A. 116, 121, 171, 246, 390 Stotz, D. 195, 629, 631 Stoynoff, S. 401, 403 Strecker, G. 191, 192 Streuber, A. 621, 624 Strik, T. 635, 636 Studer, T. 29 Sturm, D. 615 Sukopp, T. 24 Summer, T. 126-131 , 359, 361, 448-452 Sunderland, J. 254, 255, 256, 257 Sun˜ er Mun˜ oz, F. 471 Sun˜ er, F. 28, 29 Surkamp, C. 42, 106, 144, 190, 191, 205, 339, 341, 343, 350, 357, 358, 398, 459, 597-602 , 615 Svalberg, A. 184, 186 Svalberg, A. M.-L. 145, 149 671 Svetozarova, N. 535, 539 Swain, M. 104, 106, 394, 398 Szablewski-C¸ avus¸ , P. 209 Szulc, A. 376 Tabyanian, S. 471 Tafel, K. 235, 239, 348 Taguchi, T. 579, 582 Tajfel, H. 272, 275 Takahashi, S. 134, 136 Tan, A.-H. 249 Tare, M. 261 Tarone, E. 374, 376 Tassinari, M. G. 369, 372 Tavil, Z. M. 134, 135 Teepker, F. 229 ten Thije, J. D. 102 Tenorth, H. 92 Terhart, E. 31, 32, 33, 34, 305, 311, 314, 315, 316, 320, 321, 324, 325, 350, 598, 599, 601 Terrell, T. D. 284, 321, 325 Tesch, B. 55, 86, 87, 88, 90, 92, 139, 140, 144, 308, 311, 411 Tesch, F. 200, 450, 452 Tezˇ ak, S. 488, 490 Thaler, E. 348, 349, 350, 442, 445, 451, 452, 474, 476, 611-615 Theis, R. 153, 156 Theisen, C. 74 Thimme, C. 475, 476 Thomas, A. 164, 167, 277, 279 Thomas, H. 351, 352, 354 Thonhauser, I. 168, 171 Thornbury, S. 321, 324, 325 Thorne, S. 273, 275 Thüne, E. M. 247, 250 Thürmann, E. 51-55, 181, 212, 214, 333, 334, 411, 460, 463 Thurmair, M. 36, 37, 38 Thurmann-Moe, A. 274, 275 Tietze, W. 172, 175, 177 Timm, J.-P. 104, 106, 317, 320 Timmis, I. 127, 131 Timperley, H. 407, 411, 613, 615 Tippelt, R. 70, 73, 74, 177, 205, 586, 587 Todesco, A. 246, 376 Tönshoff, W. 10, 24, 145, 146, 149, 290, 375, 376, 413, 416 Tomlinson, B. 437, 441 Toohey, K. 243, 246 Topsch, W. 156 Personenregister Tosˇovic´ , B. 536, 539 Tost, M. 238 Track, S. 361 Tracy, R. 424, 428, 565 Traore´ , S. 130 Trautmann, M. 306, 307, 308, 309, 310, 311, 361, 605, 606, 657, 658 Trautwein, U. 191, 195, 340, 341, 343 Trebbels, M. 65 Trim, J. L. M. 634, 637 Trojan, K. 390 Trosborg, A. 135, 136 Trouvain, J. 125, 126 Truckenbrodt, H. 565 Trudgill, P. 503, 507 Truong, J. 568 Truschkat, I. 586, 587 Truxa, E. 511 Tschackert, K. 466 Tschirner, E. 401, 403 Tudor, I. 242, 246 Tulkki, H. 156, 205 Tunger, V. 225 Turner, C. 402, 403 Unger-Ullmann, D. 313, 314 Ur, P. 451, 452 Ushioda, E. 29, 200, 270 Uso´ -Juan, E. 131, 134, 135 Uyan Semerci, P. 14, 565 Valentine, G. 304 Vallerand, R. J. 271 Valtz, K. 260, 261 Van Avermaet, P. 432 Van de Velde, F. 526 Van den Branden, K. 326, 327, 330 Van Gorp, K. 330 Van Haeringen, C. B. 523, 526 van Lier, L. 159, 162 Vater, S. 72, 74 Va´ zquez, G. 342 Vences, U. 555, 557 Verhelst, M. 330 Veronesi, D. 247-250 Verschueren, J. 135 Vetter, E. 51, 170, 172, 314, 561 Vicente, S. 501 Videsott, G. 444 Viebrock, B. 459, 574, 576, 577, 581, 582, 591 Vieluf, U. 190, 192 Vie¨tor, W. 83, 106, 323, 325, 435, 441, 622, 624 Viga´ rio, M. 534 Vigil, F. 271 Villalva, A. 534 Villanueva, M. L. 371 Vintr, J. 558, 561 Vismans, R. 523, 525, 526 Vlasta, S. 249 Vock, M. 92, 396, 398 Vögeli-Mantovani, U. 188, 190, 191 Völkl, S. D. 490 Vogel, K. 111, 117, 120, 244, 245 Vogel, T. 111, 195-200 Vogt, F. 314 Vogt, K. 65-70, 142, 144, 156, 192, 195, 200-205 , 208, 209 Vogt, M. T. 553 Voigt, B. 620, 624 Voigt, W. 24 Volkmann, L. 35, 38, 39, 40, 42, 43, 131, 138, 140, 164, 167, 254, 255, 257 Voller, P. 371 Vollmer, H. 38, 92, 406, 407, 605 Vollmer, H.-J. 53, 55, 91, 103, 106, 172, 200, 212, 214, 217, 333, 334, 592, 605 Vollmuth, I. 443, 445 von der Handt, G. 205, 279 von Elek, T. 301, 304 von Hammerstein, X. 92, 144 von Hippel, A. 70, 74 von Kardorff, E. 587 von Saldern, M. 363, 365 von Schlözer, A. L. 235 von Walter, A. 619, 621, 625 Voss, B. 198, 200 Voßkuhle, A. 56, 60 Vukman-Artner, K. 568 Vygotskij, L. S. 27, 29, 273, 398, 415, 416 Wagner, B. J. 355, 358 Wagner, J. 272, 275 Wagner, U. 68, 70 Wagner, W. 591, 658 Wahl, F. 374, 609, 611 Wall, D. 401, 402, 403 Wallner, F. 501 Walsh, T. M. 302, 304 Walter, G. 347, 348, 350 672 Walther, A. 195 Wambach, V. 543-546 Wandruszka, M. 11, 15, 236, 239, 285, 290 Wapenhans, H. 474, 475, 537, 539 Waragai, I. 389, 391 Ward, A. 362, 365 Warneke, D. 595, 596 Watermann, R. 191, 195 Weber, J. J. 12, 15 Weber, M. 164 Weber, P. 238 Weerman, F. 526 Wegener, A. 205 Wegner, A. 51, 314, 629, 631 Wei, L. 11, 12, 14 Weiber, R. 582 Weidacher, G. 460, 463 Weigle, S. C. 111 Weinert, F. 403 Weinert, F. E. 85, 87, 386, 391 Weinert, S. 218, 221 Weinrich, H. 10, 50 Weiß, C. 201, 205 Weiß, M. 365 Weiß, R. 205, 514, 515 Weiss, W. 209 Weisshaar, H. 444 Weitlaner, R. 314 Weller, F.-R. 112, 116 Wendt, M. 139, 140 Wenger, E. 273, 275 Wentura, D. 425, 428 Wenzel, B. 559, 561 Wenzel, V. 523-526 Wertenschlag, L. 423, 470 Wesche, M. 260, 262 Weskamp, R. 102, 106 Westphal, G. F. 302, 304 Westphalen, K. 151, 156 Whittaker, R. 334 Wiater, W. 316, 317, 320, 444 Wicke, R. 351, 354 Widdowson, H. G. 104, 106, 319, 320 Wideen, M. 602, 606 Wiechmann, J. 341, 343 Wieland, K. 52, 55, 459 Wienold, G. 3, 6 Wierlacher, A. 167, 605 Wilden, E. 180, 182, 655-658 Wilhelm, O. 26, 27, 28, 29, 112 Wilkening, M. 90, 92 Personenregister Williams, J. 111, 526 Williams, M. 268, 271 Willis, D. 327, 330 Willis, J. 327, 330 Wilson, A. 615 Wilson, S. 417, 420 Wingender, M. 490, 535, 539 Winters-Ohle, E. 500, 502, 519-522 Winzer-Kiontke, B. 501 Wippel, E. 46, 51 Wiprächtiger-Geppert, M. 406 Witte, A. 17, 20 Wittmann, S. 26, 29 Wittpoth, J. 70, 74 Wittwer, J. 81, 82 Wobak, M. 314 Wölke, S. 550, 553 Woellert, F. 291, 295 Wojnesitz, A. 313, 314, 565-569 Wolf, W. 566, 568 Wolff, D. 200, 436, 441, 505, 507, 577 Wolff, J. 377, 381 Wolff, M. 340, 343 Wolke, C. H. 621 Wondraczek, I. 176 Woodman, G. 279 Wosnitza, M. 343 Wray, A. 35, 38 Wright, T. 605, 606 Wu, H. 45, 51 Würffel, N. 386-391 , 436, 441, 471, 472, 473, 475 Würz, U. 250, 271, 596 Yag˘mur, K. 563, 565 Yas¸ aner, V. 229 Yates, L. 132, 133, 136 Zahalka, U. 601 Zaorob, M. L. 451, 452 Zapf, H. 42, 43 Zapp, F.-J. 50 Zarate, G. 12, 15 Zausch, A. 105, 106 Zawadzka, A. 381 Zeevaert, L. 102, 236, 239 Zeidler, B. 433 Zeitler, S. 89, 90, 92 Zellinger, S. 511 Zemanek, J. 314 Zhang, F. 452 Zibelius, M. 371, 372, 604, 605, 606 Ziebell, B. 345, 347, 589, 592 Zielinsky, J. 654 Zimmermann, G. 243, 246, 372, 376, 452 673 Zippel, W. 294 Zisser, B. 511 Zlatkin-Troitschanskaia, O. 220 Zwielehner, P. 72, 74 Personenregister Zybatow, L. 236, 239, 536, 539 Zydatiß, W. 91, 139, 140, 200, 332, 333, 334, 460, 463, 599, 600, 601, 602, 606 Begriffsregister AbiBac 514 Abitur 622, 626 Abiturprüfungsfächer 187 Abschlussprüfung 399 achievement assessment 399 Adaptivität 388 Adoleszenz-Maximum-Hypothese 301 affektiver Filter 282, 283, 301 Airport-Projekt 351 Akkulturationsmodell 272 Aktionsforschung 91, 364, 572, 592 Aktionsforschungsprozess 595 Albanisch 480-483 Albanologie 481 Allgemeinsprache 196 Alphabetisierung 226, 645 (s. auch DaZ-Unterricht) Alphabetisierungskurs 429, 645 Alphabetschrift 484 Alter 250, 288, 297, 301 alternative Methoden 324 Altgriechisch 521 Ambiguitätsintoleranz 263 Ambiguitätstoleranz 263 Amerika Haus 641 amerikanischer Pragmatismus 351 Analphabeten - funktionale 226 - primäre 226 Analphabetismus 227 Aneignungsvorgänge 283 Angewandte Linguistik 36 Angst 266, 269 Ansatz - aufgabenorientierter 127, 202 - handlungsorientierter 395 - integrativer 228 - interdisziplinär-integrativer 22 674 - kognitiver 163 - kommunikativer 104, 324, 326 - kulturkundlich-mentalitätsorientierter 163 - plurilingualer 297 - reduktionistischer 21 - rezeptionsästhetischer 42 - strukturalistischer 394 - triangulativer 578 Anschauungsmethode 621, 623 antizipieren 95 Arabisch 483-487 Arabistik 485 Arbeitsblätter 451 Arbeitsgedächtnis 98, 259 Arbeitsheft 441 Arbeitskreis der Sprachenzentren, Sprachlehrinstitute und Fremdspracheninstitute (AKS) 71, 652 Arbeitssprache 627 Armutsmehrsprachigkeit 46 Aspekt 520 audiolinguale Methode 442 audiovisuelle Medien 457 audiovisuelle Methode 442 Aufgabe 326, 445, 469 aufgaben- und handlungsorientierte Lernmodelle 469 Aufgabenformat 399 Aufgabenorientierung 84, 352, 448 Aufgabenstellung 467 augmented reality 440 Ausbildung für bilingualen Sachfachunterricht 610 Ausgangssituationsanalyse 153 Ausgangssprache 453 Ausländerpädagogik 16 ausländische Sprach- und Kulturinstitute 640 Auslandspraktika 276 Auslandsprogramme 278 Auslandsschularbeit 647 Auslandsschulen 498, 639, 647 Auslandsschulgesetz 649 Auslandssemester 277 Außenperspektive 17 außerschulische Lernorte 96, 352 Aussprache 342 Ausspracheabweichungen 124 Aussprachefertigkeiten 124 Ausspracheregeln 452 Ausspracheschulung 452 Aussprachespiele 453 Aussprachetraining 121, 124, 453 Ausspracheübung 452 Aussprachewörterbücher 453 auswärtige Kultur- und Bildungspolitik 637 Auswertung 397 Authentizität 158, 318, 469 autochthone Sprachen 644 Automatisierung 125, 453 Autonomie 367 (s. auch Lernerautonomie) Autonomieräume 89 Autosemantisierung 118 Bachelor-Master-Struktur 597 backwash 402 balanced grammar teaching 451 balanced teaching 349 Balassi-Institut 642 Basic Interpersonal Communication Skills (BICS) 217, 331 Basisqualifizierung für Sprachkursleitende 72 Bedarfsanalyse 153, 203 Bedeutungsüberschuss 162 Befragung - introspektive 589 - mündliche 585 - schriftliche 585 - unterrichtsbezogene 588 Begegnungssituationen 524 Begegnungssprache 173, 524 behavioristische Theorie 104 Beobachtung 424, 580, 585 berufliche Schulen 208 berufliches Selbstverständnis 329 berufsbezogene (Zweit-)Sprachförderung 205 Berufsbild der Lehrenden 202 berufsorientierter Deutschunterricht 205 berufsorientierter Fremdsprachenunterricht 208 berufsorientiertes und -begleitendes Sprachenlernen 205 Berufszufriedenheit 614 Bewertung 327 Bewertungsaufgabe 327 Bewertungskriterien 408 Bewertungsverfahren 421 Bewusstmachung 114, 148, 455 (s. auch Sprachbewusstheit) Bezugswissenschaften 2 bikulturelle Kindergärten 175 Bilder 450 Bildung 84 Bildungsanspruch 18 Bildungsbenachteiligung 62 Bildungsbericht 91 bildungsbezogene Linguistik 36 Bildungsbiographie 63 Bildungsgangdidaktik 333 Bildungsmonitoring 32, 68, 88, 91, 404 Bildungsplan 174 bildungspolitische Entwicklungen 81 Bildungsqualität 52 Bildungssprache 63, 217 Bildungssprache Deutsch 174 Bildungsstandards 17, 58, 67, 83, 88, 100, 104, 108, 113, 116, 122, 127, 138, 141, 152, 188, 325, 626 Bildungsstandards der KMK für den Mittleren Schulabschluss 649 Bildungsvoraussetzungen 63 Bildungsziel 157, 183 675 bilinguale - Bildungsangebote 211 - Kindergärten 175 - Kitas 65 - Lehr- und Lernangebote 179 - Module 179, 213 - Züge 68 bilingualer - Sachfachunterricht 184, 552 - Unterricht 67, 79 Bilingualismus 11 (s. auch Zwei- und Mehrsprachigkeit) Bilingualismusforschung 11 biliteracies 288 (s. auch Literalität) Binnendifferenzierung 359, 363 (s. auch Differenzierung) Blended Learning 460, 464, 604 Bohemiade 559 Bohemicum 560 Bohemistik 560 Bosniakisch 487 Bosnisch 487 Bosnisch/ Kroatisch/ Serbisch (B/ K/ S) 487-490 British Council 642 Brückensprache 536 (s. auch Interkomprehension) Bund-Länder-Ausschuss für Schulische Arbeit im Ausland 649 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 227, 645 Bundesgesetz über die Vermittlung schweizerischer Bildung im Ausland 649 Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) 646 Bundessprachenamt 71 Bundesvereinigung der Polnischlehrkräfte in Deutschland 529 CALL (Computer-Assisted Language Learning ) 464 CALL-Design 446 Camões-ICL 530 Centro de Língua Portuguesa/ Instituto Camões 642 České centrum 643 Chinesisch 490-494 , 626 Chunks 118, 129 (s. auch Kollokationen) classroom management 345 CLIL (s. Content and Language Integrated Learning ) Begriffsregister Code-Switching 13 Cognitive Academic Language Proficiency (CALP) 217, 331 Collegium Hungaricum 642 Comic 456 Computer 450, 463 Computer-Assisted Language Learning (CALL) 450 Computer-Enhanced Language Learning (CELL) 450 Content and Language Integrated Learning (CLIL) 37, 153, 189, 191, 212, 331, 505 Content-Based Instruction (CBI) 331 critical incidents 456 critical language awareness 159 Critical Period Hypothesis 203, 289, 301 (s. auch Alter) cultural studies 40 Curricula 58, 78, 196 (s. auch Lehrpläne) Curriculaentwicklung 89 curriculare Planung 151 Curriculum - Aufgabenorientierung 326 - Mehrsprachigkeit 168, 233 DACHL-Prinzip 640 Dänisch 494-498 DALF (Diploˆ me Approfondi de Langue Franc¸ aise) 510 darbietender Unterricht 336 Daten-Triangulation 573 (s. auch Triangulation) Datenauswertung 580 Datenbanken 447 datenbasiertes Monitoringsystem 53 Datenerhebungsmethoden 574, 579 DaZ-(Förder-)Unterricht 498 DaZ-Förderung 66 DaZ-Lehrpläne 499 DaZ-Unterricht - außerschulischer 498 - schulischer 498 (s. auch Alphabetisierung) Defizitorientierung 84 DELE-Zertifikat 556 DELF (Diploˆ me d’E´ tudes en Langue Franc¸ aise ) 510 DESI (Deutsch Englisch Schülerleistungen International) 308, 359 DESI-Videostudie 590 design-basierte Forschung 586 Deskription 588 Deskriptoren 85, 419, 431 Deutsch als Zweitsprache (DaZ) 177, 184, 498-502 , 644 Deutsch-Französisches Jugendwerk (DFJW) 377, 509 Deutsch-Polnisches Jugendwerk (DPJW) 529 Deutsch-Russischer Jugendaustausch 537 Deutsch-Tschechischer Jugendaustausch 561 Deutsche Akademie 638 Deutsche Auslandsgesellschaft 639 Deutsche Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF) 5, 652 Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH) 645 Deutsche Welle 639 Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD) 638 Deutsches Sprachdiplom der Kultusministerkonferenz (DSD) 639, 647 Deutschsprachiger Fachunterricht (DFU) 650 Diagnose-Aufgabe 327 (s. auch Aufgabe) Dialekt 484, 487, 536, 546, 558 Dialektkontinuum 235 Didaktik 315, 568, 629 Didaktik des Fremdverstehens 137 didaktisch-methodische - Prinzipien 315 - Professionalität 608 didaktische Ansätze seit 1945 629 didaktisches Dreieck 316 didaktisierte Lehr-/ Lernmaterialien 436 Didaktisierung 467 Differenzierung 110, 316, 340, 358, 451, 468 (s. auch Binnendifferenzierung) digitale - Angebote 436 - Medien 386, 448, 463, 472 - Ressourcen 469 Digitalisierung 438, 473 Diglossie 484, 519, 628 Diskriminierungsübungen 95, 454 676 Diskurs 41, 332 Diskurskompetenz - fachliche 332 - fremdsprachliche 157 - performative und reflexive 162 Diversität 13, 68 - kulturelle 40, 432 - sprachliche 432 doppelte Fachliteralität 214 Dossier 417 drama in education 354 Drama-Grammatik 355 dramaorientierte Verfahren 105 Dramapädagogik 354, 355 Dramendidaktik 357 durchgängige - Sprachbildung 63, 191, 217, 294, 333 - Sprachförderung 217 dynamic assessment 399 E-Learning 460, 463 E-Mails 277 E-Portfolio 446 (s. auch Sprachenportfolio) E-Tandem 377 (s. auch Tele-Tandem) educationsuisse 649 Einflussfaktoren - affektive 243 - biologische 243 - kognitive 243 - soziale 243 - sprachliche 243 Einsprachigkeit 317, 523 Einsprachigkeitsprinzip 623 Einstellungen 266 Einstufungstest 399 Einzelarbeit 335, 336, 340 (s. auch Sozialformen) Einzelgängerhypothese 244 Elaboration 99 Elementarbereich 65, 172, 293 Elitemehrsprachigkeit 46 elitist and folk bilingualism 291 Elizitierungsverfahren 585 ELLiE-Studie 180 Elysée-Vertrag 508 EMILE 212 Emotionen 244, 248, 268 Empathie 17 empirische Wissenschaft 571 Begriffsregister Englisch 168, 502-507 - expanding circle 503 - inner circle 502 - outer circle 502 Englisch als - Arbeitssprache 477 - lingua franca 188, 477 Entsenderegion 61 Entwicklungsaufgabe 333 Entwicklungssequenzen 282, 283 epochaltypische Schlüsselprobleme 333 Erasmus+ 276, 617 ERFA wirtschaft sprache 82 Erinnerungsorte 166 Erprobung 473 Erstalphabetisierung 226 Erstsprachunterricht 221 Erwachsenenalter 300 (s. auch Alter) Erwachsenenbildung 70, 200, 367, 377, 488, 492, 497 Erwachsenenpädagogik 70 Erwerben 25, 300 ethnographische Ansätze 583 Eurokomprehension 235 (s. auch Interkomprehension) Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 551, 634 Europäische Kommission 47, 177 Europäische Union (EU) 168, 626, 633, 635 Europäisches Fremdsprachenzentrum 634 Europäisches Portfolio für Sprachlehrende in Ausbildung (EPOSA) 312 Europäisches Profilraster für Sprachlehrende (EPR) 312 Europäisches Sprachenportfolio 418, 506, 634 Europarat 48, 168, 633, 635 European Association for Performing Arts in Language Learning (EU- ROPEARLL ) 357 European Language Portfolio 418 Evaluation 88, 184, 387, 393, 396, 415, 588 EVENING -Studie 180 event-sampling 589 Experiment 573 Extraversion 263 Fachkommunikation 206 Fachsprache 196, 206 Fachsprachenunterricht 203 Fachunterricht 498 Fachverbände - Deutschland 651 - international 653 - Österreich 653 - Schweiz 653 Fachverband Deutsch als Fremdsprache (FaDaF) 652 Fachverband Moderne Fremdsprachen (FMF) 651 Fachzeitschriften 3, 655, 656, 657 Faktorenkomplexion 7, 22, 283 falsche Freunde 512, 525, 540 false friends 505 (s. auch falsche Freunde) Familiensprache 291, 562 (s. auch Herkunftssprache) Familiensprachunterricht 221 (s. auch Herkunftssprachenunterricht) faux amis 507 (s. auch falsche Freunde) Feedback 327, 389, 408, 450 Feedbackgespräch 410 Fehler 412 Fehleranalyse 408 Fehlerdidaktik 412 Fehlerkorrektur 407, 412 - mündliche 412, 589 - schriftliche 407 Fehlermarkierung 409 Fehlerquotient 408 Fehlertherapie 412 Fehlertoleranz 409 Fertigkeiten 451 - kommunikative 328 - produktive 337 Festigungsübungen 119 fictions of migration 42 Film 42, 456 FIT-Schulen 650 Flächenfach 231 Flüssigkeit (fluency) 102, 277, 324 focus on form 130 FörMig 217 formative assessment 399 Forscher-Triangulation 573 (s. auch Triangulation) Forschung - anwendungsorientierte 78 - fachhistorische 630 677 - interdisziplinär-integrative 10 - qualitativ-interpretative 256 - qualitative 573, 578, 583 - quantitativ-nomologische 256 - quantitative 572, 578 Forschungsethik 575 Forschungsmethode 571 Forschungsmethodologie 571 Fortbildung 611 Französisch 507-512 Freiarbeit 340 Freinet-Pädagogik 351 fremder Akzent 121 Fremdsprachen-Andragogik 73 Fremdsprachendidaktik 1, 20, 357, 571, 599 Fremdsprachenerwerbsforschung 451 Fremdsprachenforschung 277 Fremdsprachenlehrende 629 Fremdsprachenlernkontexte an Hochschulen 74 Fremdsprachenpolitik 623 Fremdsprachenunterricht an Grundschulen 180 Fremdsprachenunterricht - berufsorientierter 208 - Bundesrepublik Deutschland 625 - Deutsche Demokratische Republik 626 - institutioneller 326 - Österreich 627 - Schweiz 628 fremdsprachliche - Diskurskompetenz 157 - Filmdidaktik 93 Fremdverstehen 17 Frontalunterricht 336, 347, 349 (s. auch Sozialformen) früher Fremdsprachenunterricht 32 frühes Fremdsprachenlernen 80, 178 funktionale - Einsprachigkeit 523 - Sprachentrennung 292 Ganz In-Projekt 180 Ganzheit 316 geleitete Minikonversation 346 gelenktes Unterrichtsgespräch 336 Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen (GeR) Begriffsregister 52, 66, 89, 104, 108, 113, 138, 152, 183, 189, 202, 206, 326, 467, 479, 634 Genre 332 Gesamtsprachencurriculum 69, 154, 167, 231 Gesamtsprachenkonzept 600, 628 Gesamtverband Moderne Fremdsprachen (GMF) 652 Geschichte der Fremdsprachendidaktik 2 Geschichte der Lehrmethoden 256 Geschichte des - Englischunterrichts 620, 623, 625 - Französischunterrichts 620, 625 - Fremdsprachenlernens 255 - Fremdsprachenunterrichts 619 - Italienischunterrichts 620 - Lateinunterrichts 623, 626 - Polnischunterrichts 626 - Russischunterrichts 625 - Spanischunterrichts 620, 626 - Tschechischunterrichts 626 Geschlecht - biologisches (sex) 254 - kulturelles (gender) 254 Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL) 652 Gesprächskompetenz 102 global citizenship 18 globale Sprachfertigkeit 286 Globalisierung 40, 51, 300, 626 Goethe-Institut 638, 648 good language learner 242 Grammatik 127, 442, 467, 470 - Lerngrammatik 450 - Referenzgrammatik 450 Grammatik-Übersetzungs-Methode 103, 107, 116, 127, 322, 442, 449, 622 Grammatikunterricht 448 Grammatikvermittlung - deduktive 449 - induktive 449 grammatische Übungen 129 graphic novel 456 griechische Kulturstiftung 642 Grounded Theory 574, 583, 586 Grundschulcurriculum 177 Grundschule 177 Gruppenarbeit 328, 335, 338, 339 (s. auch Sozialformen) Gruppenpuzzle 346 Gütekriterien 575, 579, 584, 593 guter Fremdsprachenlerner 373 gymnasiale Oberstufe 186 Hamburger Abkommen 57 Handlungskompetenz 163, 603 - literale 461 - sprachliche 102 handlungsorientierte Verfahren 469 handlungsorientierter Fremdsprachenunterricht 330 Handlungsorientierung 104, 316 Harmonisierung 628 hauptschulgemäßer Englischunterricht 323 Hausaufgaben 341 Haussa 483 Herkunftssprache 57, 174 (s. auch Familiensprache) Herkunftssprachenunterricht 221, 478, 481, 485, 488, 513, 517, 521, 528, 531, 537, 548, 559, 562, 563, 567, 644 (s. auch muttersprachlicher Ergänzungsunterricht) hermeneutische Verfahren 585 Heterogenität 40, 130, 191, 335, 358, 362 Heteronomie 369 (s. auch Autonomie) Hi-LAB-Test 259 Hirnforschung 303 Hochschulen 195, 497, 598 Hochschulreife 187 hochschulspezifische Curricula 196 Hör-Sehverstehen 93, 96 Hören - phonetisches 453 - phonologisches 453 Hörtraining 124 Hörübungen 454 Hörverstehen 93, 103, 342 Homburger Empfehlungen für ein sprachenteiliges Europa 47 Homogenität 358 Hot Potatoes 450 Hungarologie 567 Hybridisierung 40 Hypothesenbildung 100, 103 Hypothesengrammatik 236 678 ideal L2 self 268 Identifikationstransfer 236 Identifikationsübung 454 Identität 18, 47, 255, 548 Identitätshypothese 282 Immersion 331 Immersionsangebote 211 Immersionskonzept 179 Immersionsmethode 80 Immersionsprogramme 69 Immersionsschule 180 impact 402 Implementationsforschung 89, 90, 91 Improtheater 357 Impulsivität 264 incipient bilinguals 286 Individualisierung 86, 110, 242, 316, 337, 340, 358 (s. auch Binnendifferenzierung) individuelle - Berufsbiographie 308 - Faktoren 242 - Förderung 359 - Lerndispositionen 336 - Unterschiede 242, 267 inferieren 95, 98 information gap 345 Inhaltsbasierung 331 Inklusion 69, 191, 320, 359, 598 Innenperspektive 17 Input 28, 282 Institut Franc¸ ais 642 Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) 153 Instituto Cervantes 642 Institutul Cultural Romaˆ n 643 Instytut Polski 642 Integration 427, 428 Integrationskurs 61, 201, 429, 501, 645 Integrationsvereinbarung 646 integrierte Sprachausbildung 196 integrierter Sprach- und Fachunterricht (CLIL) (s. Content and Language Integrated Learning ) interactionist theory 344 Interaktion 30, 255, 318, 344, 451 - fremdsprachliche 326 - mündliche 103 Interaktionsanalyse 589 Interaktivität 388 intercultural speaker 136 Begriffsregister Interdisziplinarität 20, 23 Interface-Hypothese 146, 158 Interferenz 9, 122, 296 Interkomprehension 234, 508, 533, 536, 554 (s. auch Eurokomprehension) Interkulturalität 15, 18, 189 interkulturelle - Bildung 198 - Dramapädagogik 355 - Kompetenz 189 - Landeskunde 16, 40 - Lehr- und Lernziele 17 - Pädagogik 16 - Reflexion 119 interkulturelles Lernen 379 Interlanguage 9 interlingual 234 Interlinguistik 236 Intermedialität 142 Internationalisierung der Lehramtsausbildung 615 Internationalismen 118 Internet 463 internetgestützte Projekte 276 Intertextualität 142 Interventionsstudie 588 Introspektion 585 Introversion 263 IPA 125 Islamwissenschaft 485 Istituti Italiani di Cultura 643 Italienisch 512-515 Japan Foundation 643 Japanese Language Proficiency Test (JLPT) 518 Japanisch 515-518 , 626 japanische - Höflichkeitsformen 516 - Syntax 516 Japanologie 517 Japonicum 518 Journal-Impact-Factor 656 Kanon 158 Kapital - kulturelles 62 - soziales 62 Kerncurriculum für die gymnasiale Oberstufe der Deutschen Schulen im Ausland 649 Kernpraktikum 602 KESS 190 Kinder mit Migrationshintergrund 67 (s. auch Herkunftssprachenunterricht) Kinder- und Jugendliteratur 457 Klassengröße 361 Klubschule Migros 71 KMK (Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland) 48, 56, 597, 625, 639, 649 Ko-Konstruktion 345 Kognaten 118, 525 kognitive Fähigkeiten 258 kognitiver Stil 262 Kohärenz 98, 102 Kollokationen 117, 118, 129 (s. auch Chunks ) Komfortzone 263 Kommunikation - authentische 160 - berufliche 207 - interkulturelle 15, 136 - literarisch-ästhetische 157 - mündliche 81 Kommunikationsfähigkeit 189 Kommunikationssituationen 278 Kommunikationsstrategien 373 Kommunikationszeit 337 kommunikative - Absicht 469 - Lernziele 344 - Rollen 469 - Wende 83, 104, 116, 351, 353, 442 Kompensationsstrategien 374 Kompetenz - affektive 177 - analytisch-reflexive 159 - fremdsprachliche 177 - grammatische 451 - interkulturelle 15, 18, 39, 152, 163, 165, 189, 456 - kommunikative 128, 136, 151, 157, 324, 394 - literarische 157 - mehrsprachige 230 - methodische 183, 335 - phonetische 123 - pragmatische 134 - sachfachliche 212 - schriftsprachliche 226 - soziale 18 - sprachliche 157 679 - strategische 375 - transkulturelle 139 Kompetenzbegriff 83, 84 Kompetenzen - messbare 52 - pragmatische 104 Kompetenzentwicklung 326 Kompetenzfehler 409 Kompetenzmodelle 68, 188 Kompetenzniveau 420, 430 Kompetenzorientierung 17, 18, 68, 138, 317, 325, 399, 470, 598 Kompetenzziele 84 komplexe Lern- oder Kompetenzaufgaben 41 Konfuzius-Institut 642 Konsulatsunterricht 222 Kontext 271, 451 Kontextwissen 163 Kontiguität 118 Kontrollübersetzung 119 Konventionen im Sprachgebrauch 131 kooperative Lernformen 360 kooperatives Schreiben 462 Koordinationsstelle Mehrsprachigkeit und Bildung 64 Korrektheit (accuracy) 322, 324 Korrekturhilfen 409 Korrekturverfahren 414 Kreativitätsförderung 316 Kroatisch 487 Kultur 39 kultur- und landeskundliche Unterrichtsthemen 189 Kulturanthropologie 15 Kulturaustausch 640 Kulturbegriff 39 kulturell geladene Begriffe 117 kulturelle - Deutungsmuster 39, 40 - Diversität 40 - Gleichschaltung 52 - Identität 18 kultureller Imperialismus 52 Kulturhoheit 625 Kulturkunde 163 L2-Kompetenz 258 L3-Erwerb 13 L3-Lernende 297 Landeskunde 16, 40, 163 Language Acquisition Device 282 Begriffsregister Language Across the Curriculum (LAC) 212 Language Assessment for Migration and Immigration 431 language awareness 145, 177, 334 (s. auch Sprachbewusstheit) Language Education Policy Profile 48, 634 language learning awareness 145 (s. auch Sprachlernbewusstheit) Language-Assistant -Programm 616 Langzeitgedächtnis 98 Large-Scale-Assessment 217 LAU 190 Laut-Buchstaben-Beziehung 452 lautes Erinnern 590 lebenslanges Lernen 611 Lehr- und Lernziele 88 Lehr-/ Lernmaterialien 436, 458, 471 - lehrbuchunabhängige 446 - lehrwerkgebundene 446 Lehramtsausbildung 170 Lehramtsprüfung 621 Lehramtsstudiengänge 199 Lehramtsstudierende 329 Lehrbeauftragte 77 Lehrberuf 306 Lehrbuch 436, 441 (s. auch Lehrwerke) Lehren 30 Lehrende 30, 31, 305, 361, 396 Lehrerausbildungsforschung 602 Lehrerausbildungsstudien 602 Lehrerbildung 329, 597, 602, 611 - in der Schweiz 600 - in Deutschland 600 - in Österreich 598 Lehrerforschung 305 Lehrerfortbildung 33, 612 Lehrerhandeln 31 Lehrerhandreichungen 441 Lehrerrolle 382 Lehrersprache 307 Lehrersprechzeit 318 Lehrertätigkeit 317 Lehrfunktionen 609 Lehrkompetenzen 219, 311 Lehrmaterialanalyse 474 Lehroptionen 319 Lehrpläne 58 (s. auch Curricula) Lehrstil 265 Lehrverfahren 118 Lehrwerkanalyse 438 Lehrwerke 256, 436, 441, 445, 452, 471 Lehrwerkentwicklung 435, 443 Lehrwerkforschung 438, 443 Lehrwerkkonzeption 449 Lehrwerkkritik 443, 474 Lehrwerkmarkt 439 Lehrwerkverwendung 443 Lehrwerkwirkungsforschung 438 Leistungsbewertung 400 Leistungsermittlung - diagnostische 393 - formative 393 - summative 393 Leistungsmessung 179, 399, 470 Leistungstests 100 (s. auch Tests) Leistungsüberprüfung 85 Leitmedium 445 Lektorenprogramm 639 LEPP-Prozess 627 Lern-Applikationen 388 Lernaufgabe 88, 90, 105, 325, 446 (s. auch Aufgabe) Lerneignungskomponenten 259 Lerneignungsprofil 258 Lernen 25, 281, 300 - autonomes 473 - entdeckendes 449 - expansives 370 - fachliches 212 - forschendes 329, 577, 603 - ganzheitliches 360 - globales 54 - individuelles 387 - informelles 389 - interkulturelles 15, 137, 163, 277, 379, 457 - inzidentielles 116 - kooperatives 339, 341 - kulturelles 39 - lebenslanges 73, 369, 398 - literarisch-ästhetisches 42 - mobiles 389, 464, 473 - ort- und zeitflexibles 386 - selbstgesteuertes 242, 382, 386, 398 - selbstständiges 453 - situiertes 273, 389 - soziales 370 - transkulturelles 139, 457 - vernetzendes 237 Lernen durch Lehren 350 680 Lernen von Erwachsenen 303 Lernerautonomie 197, 242, 358, 375, 378, 382, 396, 506 Lernerdispositionen 4 Lernerfahrungen 248 Lernerfolg 254, 265, 363, 374 Lernerkontrolle 389 Lernerlexikon 119 Lernerorientierung 89, 104, 147, 241, 340, 372 Lernerperspektive 241 Lernerprodukt 328 Lernerrolle 242 Lernersprache 242 (s. auch Interlanguage ) Lernersprachenanalyse 588 Lernersprachenpragmatik 133 Lernerstil 248 Lernerstrategien 242 Lernertypen 130, 358 Lernerwörterbücher 118 Lernerzufriedenheit 260 Lernfaktoren 271 Lernfeld 155 Lernformen 360 (s. auch Sozialformen) Lernfortschritt 367 Lerngeschwindigkeit 258 Lernorte (s. außerschulische Lernorte) Lernprozess 367 Lernschwierigkeiten 336 Lernsituationsanalyse 153 Lernsoftware 450, 463, 465 Lernstandsdiagnostik 358, 405 Lernstandserhebung 358, 403 Lernstil 262, 265 - analytischer 263 - globaler 263 Lernstildimension - Feldabhängigkeit 263 - Feldunabhängigkeit 263 Lernstile 130 Lernstrategien 145, 262, 297, 372, 387 Lernstrategientraining 368 Lerntechniken 372 Lerntradition 348 Lernumgebung 328, 386 Lernwege 470 Lernziele 336, 344, 367, 451 Lese-Übersetzungs-Methode 623 Lesekompetenz 97, 99 Begriffsregister Lesestile 99, 341 Leseverstehen 97 lexical approach 129 lexikalischer Zugriff 98 Lexiko-Semantik 34 Lexikogrammatik 332 Lieder 451 lingua franca 276, 490, 502, 512, 535, 626 literacy-based approach 461 literale Didaktik 461 Literalität 34, 459 (s. auch biliteracies) literarische Texte 41, 456, 630 Literarizität 159 LLAMA-Eignungstest 258 Lusitanistik 532 Majoritätensprache 298, 616 Malayisch 483 Mannheimer Gutachten 474 MAPRJaL (Mezˇ dunarodnaja Associacija Prepodavatelej Russkogo Jazyka i Literatury) 538 Matching 265 Material - authentisches 318 - tutorielles 470 Materialerstellung 467 maximal bilinguals 285 maximal multilinguals 285 Maximalstandards 88 Medialität 388 mediation 112 Medien 348, 463 Medienkompetenz 464 Mediennutzung der Lernenden 185 Medienverbundsystem 441 mehrmethodische Ansätze 574 Mehrsprachigkeit 10, 32, 35, 47, 62, 159, 172, 174, 199, 231, 247, 285, 296, 318, 417, 626, 633, 635, 644 - ausgewogene 11 - curriculare 168 - funktionale 12 - gesellschaftliche 12 - individuelle 12, 51, 171 - innersprachliche 212 - migrationsbedingte 12, 16, 212 - rezeptive 540 Mehrsprachigkeitsdidaktik 13, 113, 118, 168, 178, 233, 474, 555, 599 Mehrsprachigkeitsforschung 297 Mehrsprachigkeitskompetenz 599 Mehrsprachigkeitskonzept 478 Mehrsprachigkeitsprofile 289 Mehrsprachigkeitsunterricht 230 Mehrstufenmodell 499 Menschenbild 309 mentale Repräsentation 288 mentales Lexikon 98, 116 Merkmalsmodelle 117 Messbarkeit 18 Metaanalyse 588 Metakognition 374 metakognitive awareness 374 metasprachliches Wissen 37 Methode - audiolinguale 104, 107, 128, 323, 442, 450 - audiovisuelle 104, 107, 323, 442 - direkte 103, 119, 128, 323, 442 - dokumentarische 586 Methoden-Triangulation 573 (s. auch Triangulation) Methodenkompetenz 360 Methodenvielfalt 350, 360 Methodik 315 Methodologie 322 Micro-teaching 613 Migranten 248, 483, 488 Migrantensprachen 46, 644 Migration 300 - internationale 60 - postkoloniale 40 Migrationshintergrund 563 Migrationsliteratur 457 Migrationsmuster 61 Migrationssprachen 13, 491 Minderheit - dänische 496 - slowenische 546 - sorbische 550 Minderheiten-Schulgesetz 547, 566 Minderheitensprachen 526, 535, 550, 562 Mindeststandards 423 Minimalstandards 88 MINT-Fächer 170 Mittlerorganisationen 637 mixed methods 581 mixed methods-Forschungszugänge 203 Mobilität 616 681 Moderator/ in 361 Modern Language Aptitude Test (MLAT) 258 Monitor 282 Monitoring 297 Monolingualismus 11 Montenegrinisch 487 Morpho-Syntax 34 Motivation 201, 242, 254, 266, 282, 297 - extrinsische 268 - intrinsische 268 motivationale Faktoren 327 Motivierung 269, 316, 389 mündlicher Diskurs 34 Mündlichkeit 101 Multikulturalität 42 Multilateralität 277 Multilingual Families 172 Multiliteralität 32 Multimedia 463 multimedia literacy 460 multimedial 463 Multimedialität 41 multimodal 458 Multimodalität 41 Muttersprache 57, 112 muttersprachlicher Ergänzungsunterricht 222 (s. auch Herkunftssprachenunterricht) Nachbarsprachen 173, 523, 528, 539, 558 Nachhilfelehrkräfte 80 Nachhilfeunterricht 79 Nationalkultur 18 Natural Approach 284 negotiation of meaning 345 Neogräzistik 521 Netzwerk Deutsch 637 Netzwerkmodelle 117 neue Medien 32 Neugriechisch 519-522 Neurolinguistic Theory of Bilingualism 303 neusprachliche Reformbewegung 323, 623 Niederländisch 523-526 Niederlassungserlaubnis 422 Niveaustufen (GeR) 52, 66, 467 Normen 431 Norwegisch 494 Begriffsregister Objektivität 575, 579 öffentlicher Bildungsbereich 79 Öffnung des Unterrichts 360 Österreich 48, 59, 66, 67, 68 Österreich Institut 637 Österreichische Auslandsschulen (ÖAS) 648 Österreichischer Austauschdienst (OeAD) 637 Österreichischer Integrationsfonds (ÖIF) 646 Österreichisches Sprachdiplom (ÖSD) 197 Offline-Medien 463 Online-Datenbanken 658 Online-Medien 463 Online-Tandembörsen 380 Online-Zeitschriften 655 Open access 655 Operationalisierung 141 opinion gap 345 Orientalistik 485 Orientierung - instrumentelle 255, 267 - integrative 255, 267 Orthographie 107, 494, 520 Output-Orientierung 31, 83, 89, 152, 155, 311, 468, 626 Pädagogischer Austauschdienst (PAD) 616 Partnerarbeit 328, 335, 339 Partnerinteraktion 346 PASCH-Projekte 357 PASCH-Schulen 639, 650 Passung 317 Patronatskanton 649 pattern drill 104, 450 peer reviewing 655 peer-assessment 329 Performanz 420 Performanzfehler 409 performative - Großformen 356 - Kleinformen 356 Persisch 483 persönliche Adoptivsprache 224 Perspektivenkoordination 17 Perspektivenübernahme 17 Perspektivenwechsel 30, 143 Phonem-Graphem-Beziehungen 125 Phonetik 34, 121 phonetische Umschrift (IPA) 453 phonetischer Vorkurs 452 Pimsleur Language Aptitude Battery (PLAB) 258 PISA 359 Plenarunterricht 335, 336, 347 PlurCur 169, 170 Podcasts 450 Polnisch 526-530 Polonia 526 Polonistik 528 Portfolio 179 (s. auch Sprachenportfolio) Portfolio-Arbeit 340 Portugiesisch 530-534 - brasilianisches 530 - europäisches 530 Postmethod -Konzept 130 Präsenztandem 377 Pragmatik - alltagsbezogene 34 - gesellschafts- und deutungsbezogene 34 - interkulturelle 132 Praxiserfahrung 602 Praxisforschung 592 Praxismodule 604 Praxissemester 602, 603 Primarbereich 66, 177, 193, 276 private Sprachenschulen 81 pro-drop-Sprache 520 process drama 356 ProDaz 644 Produktion 468 Produktorientierung 351 Professionalisierung 32, 170, 396, 600, 605 Professionsforschung 306 proficiency assessment 399 Profilanalyse 424 Prognostizierbarkeit von Lernerfolg 258 Progression 451, 453, 467 - didaktische 622 - linguistische 326 - sprachliche 180 Projektseminare 604 Projekttypen 352 Projektunterricht 350 Prototypentheorie 117 Prozessorientierung 330, 351 Prüfung 399 Prüfungsdurchführung 422 682 Psycholinguistik 27 Qualitätsentwicklung 53, 88, 422 Qualitätsentwicklung und -sicherung 600 Qualitätskriterien 153 Qualitätsmanagement 440, 612 Qualitätssicherung 198, 621 qualitative Inhaltsanalyse 586 Quedlinburger Beschluss 602 QUIMS (Qualität in multikulturellen Schulen) 646 Rahmenbedingungen 336 Rahmencurriculum für die sprachliche Förderung von Migrantinnen und Migranten 646 Rahmenplan Deutsch als Fremdsprache 154, 650 Realienkunde 163 Redeanteil der Lernenden 344 Redemittel 467 Referendariat 597 (s. auch zweite Phase der Lehrerausbildung) reflective practice 324 Reflexion 119, 382 reflexives Lehren 312 Reflexivität 85, 264 Reformpädagogik 351, 359 Regelstandards 88 Regionalabitur 649 Register 117, 207, 218, 332 Relevanz 469 Reliabilität 575, 579 Replikationsstudie 588 Rezeption 95, 468 Rezeption und Produktion von Texten 143 Richtlinien 58 Rollenspiel 278, 346 Rückwärtsplanung 155 Russisch 534-539 Russisches Haus der Wissenschaft und Kultur 643 sachfachliche Kompetenz 212 Sachfachunterricht 184, 213, 460, 477 Sachorientierung 316 Samstagsschule 492 Scaffolding 86, 155, 214, 219, 273, 342, 460 Scanning 99 Begriffsregister Scenario 355 Scheinautonomie 369 schemabasiertes Wissen 98 Schematheorie 117 Schreiben 107, 462 Schreibkompetenz 107, 110 Schreibprozess 108, 109 Schriftlichkeit 101, 207 Schriftsprache 67 Schriftsystem 107 - arabisches 483 - chinesisches 491 - griechisches 519 - japanisches 516 - kyrillisches 535 Schüleraktivierung 360 Schüleraustausch 276, 377 Schülerbuch 441 (s. auch Lehrwerke) Schülerorientierung 316 Schulbuchverlag 441 Schulentwicklung 169, 194 Schulfremdsprachen 182, 478 schulgrammatische Terminologie 37 schulische Übergänge - horizontal 192 - Schnittstellen 192 - vertikal 192 Schulleistungsstudien 404 Schulpraktika 598 schulpraktische Studien 602 Schulsprachenpolitik 47 Schwedisch 494, 539-543 Schweiz 48, 59 Schweizer Auslandsschulen (SSA) 648 Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) 628 Screening 405 Sehverstehen 96 (s. auch Hör-Sehverstehen) Seiteneinsteiger 218, 499 Sekundarstufe 193 Sekundarstufe I 67, 101, 182 Sekundarstufe II 101, 186 Selbstbericht 264 Selbstbeurteilung 90, 100 Selbsteinschätzung 179, 419 Selbstevaluation 278, 396 Selbstevaluationsprozess 417 Selbstkorrektur 408, 409, 415 Selbstlernmaterial 451 Selbstlernzentren 382, 388 Selbststeuerung 368 Selbsttätigkeit 316 self-assessment 329 self-monitoring 102 Semantisierung 118, 623 Semilingualismus 287 Serbisch 487 Serbokroatisch 487 sheltered instruction -Programm 331 signifiant 117 signifié 117 Signifikanz 580 Skandinavistik 540 Skimming 99 Slawistik 489, 537, 544, 548 Slovensky´ Insˇtitu´ t 643 Slowakisch 543-546 Slowakistik 545 Slowenisch 546-549 Slowenistik 549 social turn 272 socio-educational model 267 Sorbisch 550-553 soziale - Kontexte 271 - Lernfaktoren 271 - Medien 436 Sozialformen 335, 343, 347, 360, 451 soziokulturelle - Lerntheorie 273, 331 - Wende 605 Soziolinguistik 255 Spanisch 553-558 speech habits 104 sprach- und fachintegrierender Fremdsprachenunterricht 32 Sprachaneignung 62, 284 Sprachassistenz 277, 616 Sprachaufmerksamkeit 462 Sprachausbau 207 Sprachbedarfsanalyse 209 Sprachbewusstheit 129, 144 (s. auch Sprachenbewusstheit) Sprachbewusstsein 113 Sprachbildung 63, 217, 644 Sprachbiographie 247 (s. auch Sprachenbiographie) Sprachcamp 357 Sprachdiagnose 423 Sprachdidaktik 28 683 Sprache als Medium des Lernens 331 sprachen- und fachintegrierter Unterricht 211 Sprachen - agglutinierende 515, 562, 566 - altaische 515, 562 - festlandskandinavische 539 - finno-ugrische 566 - indoeuropäische 519, 534 - inlandskandinavische 539 - nordgermanische 539 - ostslawische 534 - romanische 530, 553 - südslawische 546 - westslawische 526, 543, 550, 558 Sprachenbegriff 7 - dynamischer 9 - inhaltsorientierter 8 - interkultureller 8 - kompetenzorientierter 8 - systemlinguistischer 8 Sprachenbegriff in Lehrmaterialien 8 Sprachenbesitz 9 Sprachenbewusstheit 85, 144 (s. auch Sprachbewusstheit) Sprachenbiographie 256 (s. auch Sprachbiographie) Sprachenfolge 47 Sprachenlernen 283 Sprachenpass 417 Sprachenpolitik 45, 51, 599, 633 Sprachenportfolio 248, 293, 417 Sprachenrechte 47 Sprachenregime 45, 633 Sprachenrepertoire 12 Sprachenvielfalt 184, 232, 646 Sprachenwahl 179 Sprachenzentren 76, 196 Sprachenzertifikate 82, 202, 402, 420, 422 Spracherwerb 113, 283 Spracherwerbsforschung 326, 605 Spracherwerbshypothese 22 Sprachfähigkeit - individuelle 286 - kollektive 286 Sprachförderbedarf 191 Sprachförderung 217, 640, 644 Sprachformwissen 160 Sprachgebrauch 120, 129 Begriffsregister Sprachhandeln 278 sprachintensiver Unterricht 217 Sprachkönnen 399 Sprachkompetenz 426, 428 - produktive 183 - rezeptive 183 Sprachkontakt 249, 292, 527 Sprachkorpora 36, 447 Sprachlehr-/ -lernforschung 1 Sprachlehrforschung 1, 3, 22, 241, 571 Sprachlern -Coaching 381 Sprachlernberatung 377, 383 Sprachlernbewusstheit 145 Sprachlernbiographie 248, 417 Sprachlerneignung 242, 257 Sprachlerneignungsdiagnose 258 Sprachlerneignungsforschung 260 Sprachlerneignungstest 258 Sprachlernkompetenz 85, 375 Sprachlernprozess 328 Sprachlernsoftware 454, 463 Sprachlernspiele 120 sprachlich-diskursive Normalität 159 sprachliche - Faktoren 243 - Pluralität 51 - Progression 180 - Repertoires 248 sprachliches Lernen 212 Sprachmischungen 11, 292 Sprachmittlung 112 Sprachniveau 469 Sprachpolitik 235 Sprachproduktion 327 Sprachprüfungen 428 Sprachpsychodramaturgie 355 Sprachreflexion 37, 249, 462 Sprachreisen 81, 277 Sprachressourcen 35 Sprachrichtigkeit 8 Sprachsozialisationsansatz 273 Sprachstandserhebungsverfahren 405 Sprachstandsfeststellung 420 Sprachtestforschung 401 Sprachtests 197 (s. auch Tests) Sprachvarietäten 470, 484 Sprachverlust 292 Sprachverwendung 101 Sprachwechsel 292 Sprachwissenschaft 35 Sprechabsicht 102 Sprechakte 133 Sprechen 102 - inneres 342 - monologisches 342 - reproduktives 342 sprechende Wörterbücher 453 Staatsangehörigkeit 422 Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) 48, 56, 597, 625, 639, 649 Standard-Setting für Sprachprüfungen 395 Standardaussprache 121 Standardisierung 18, 47, 51 Standardorientierung 399, 598 Standards 88, 141, 467, 609 Standards für die Lehrerbildung 311 Stationenlernen 340 Stereotype 458 Stereotypisierung 40 Stichprobe 580 Stichprobenverzerrung 431 Strategiegebrauch 375 Strategien 103, 470 - affektive 373 - interlinguale 374 - intralinguale 374 - kognitive 373 - metakognitive 373 - soziale 373 Strategientraining 374 Strategiewissen 375 Stretching 265 Strukturierung 316 Strukturplan für das deutsche Bildungswesen 177 Studiengänge 77 Studienseminar 607 Suaheli 483 subjektive - Theorien 245 - Wahrnehmung 308 Svenska institutet 541 systemisch-funktionale Linguistik 332 Szenarien 469 Taaldorp (Sprachendorf) 524 Tandem 376, 378 Tandemsprachkurs 377, 529 684 Task-Based Language Learning (TBLT) 326 task-cycle 327 Task-Supported Language Teaching (TSLT) 326 teacher cognition 307 Teacher Education and Development Study 308 teaching to the test 89, 327, 406 Tele-Tandem 377 (s. auch E-Tandem) Territorialprinzip 628 Tertiärsprache 23, 295, 525, 555 Tertiärsprachendidaktik 168, 298 Tertiärsprachenforschung 11, 13 Tertiärsprachenlernen 236 Tertiärsprachenunterricht 296 Testaufgabe 327 TestDaF 197, 645 Testergebnis 400 Testgütekriterien 395, 425, 431 Testmaterial 467 Tests 89, 399, 420, 421, 424, 585, 588 (s. auch Sprachtests) Text- und Materialvielfalt 41 Text- und Medienkompetenz 141 Text-Leser-Interaktion 42 Textbegriff 40, 141 Texte 456 Textgattung 248 Textkompetenz 34, 460 Textkonventionen 107 Textproduktion 107 Textschwierigkeit 99 Textsorten 141, 469 textuelle und mediale Repräsentation 40 theaterpädagogische Workshops 356 theatre in education 357 Themen- und Materialauswahl 256 Theorie - praktische 592, 593 - soziokulturelle 273 Theorien-Triangulation 574 (s. auch Triangulation) time-sampling 589 Tisus 542 TOEFL 198 Tonsprache 491 TOSCA 190 total immersion 158 Transfer 118, 296 Begriffsregister Transkript 589 Transkription 125 Transkulturalität 18 Translanguaging 11 transnationale - Bildungsprojekte 639 - Kommunikationsfähigkeit 17 Transparenz 575, 579 Triangulation 573, 590 Trilinguismus-Deklaration 285 TRKI (Test po russkomu jazyku kak inostrannomu ) 538 Tschechisch 543, 558-561 Türkisch 483, 561-565 , 626 Turksprache 562 Typenbildung 586 übersetzen 112 Übersiedler 248 Übung 316, 445 Übungsmaterial 467 Übungstypologie 454 Umgebungssprache 292 Ungarisch 565-569 UNIcert ® 197, 198 Universal Grammar 26, 302 Unterricht - Deutsch als Zweitsprache 478 - herkunftssprachlicher 221, 480, 484, 563 - instruktivistischer 347 - lehrerzentrierter 347 - muttersprachlicher 221, 478, 480, 488, 528, 537, 548, 559, 567 - offener 360 - sprachintensiver 217 unterrichtliches Handeln 31 Unterrichtsbeobachtung 589 Unterrichtsbesuch 608 Unterrichtsentwicklung 88 Unterrichtsforschung 587 Unterrichtsgespräch 336 (s. auch Sozialformen) Unterrichtshandeln 30 Unterrichtsinteraktion 30 Unterrichtsmaterialien 130 Unterrichtsmethode 320 - deduktive 621 - imitative 621 Unterrichtsmethodik 451 Unterrichtspraktisches Jahr 608 (s. auch Referendariat) Unterrichtsprinzipien 315 Unterrichtsqualität 316 Unterrichtssprache 46, 635 Unterrichtssteuerung 442 Unterrichtsziele 336 Untersuchungen - experimentelle 579 - quasi-experimentelle 579 Urdu 483 usefulness 401 Validität 401, 575, 579 Variation 467 Varietäten 134, 235, 490, 503, 523, 530, 550, 554 VERA-8 404 Veranschaulichung 316 Verarbeitungstiefe 117 Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II 57 Vergleichbarkeit 52 Vergleichsarbeiten 404 Vermittlungskompetenz 603 Verständlichkeit 453 video surveys 590 videogestützte Unterrichtsforschung 588 videografierte Unterrichtsbeispiele 604 Videokonferenzen 277 Videos 450 Vielsprachigkeit 12, 52 685 visible speech 454 Vokalharmonie 562 Volkshochschulen 71, 79, 201 - Deutschland 71 - Österreich 72 - Schweiz 72 Vorwissen 98, 468 Wahrnehmungskanäle 264 washback 396, 402 Web 2.0 463 Web-Quests 465 Weiterbildung 611, 615 Whiteboard 444, 450, 466 Wiedervereinigung 626 Wirksamkeit von Lehrerhandeln 31 Wissen 98 Wissenstest 429 Wissenstransfer 603 Witaj-Projekt 550 Wörterlernen 116 Wörternetze 117 Wortschatz 118 Wortschatzlernen 446 Zeitfenster für optimalen Spracherwerb 251 zentrale Kompetenzstandardüberprüfungen 358 Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) 639, 648 Begriffsregister Zentrum für Slowenisch als Zweit-/ Fremdsprache 548 Zertifikatsprüfung Swedex 542 Zertifizierungssystem 52 Zeugnisurkunde 420 Zielaufgabe 352 Zielorientierung 316 Zielsituationsanalyse 153 Zugangsvoraussetzung 422 Zulassung 442 Zuwanderungsgesellschaft 49 Zuwanderungsregion 61 Zweibzw. Mehrsprachigkeitstyp - kombinierter 288 - koordinierter 288 Zwei- und Mehrsprachigkeit 285 (s. auch Bilingualismus) - asymmetrische 287 - funktionale 288 - maximale 287 - minimale 286 - symmetrische 287 zweisprachige Regionen 292 Zweisprachigkeit 11 zweite Phase der Lehrerausbildung 607 (s. auch Referendariat) Zweitsprache Deutsch 206 Zweitsprachenprüfung 428 Zweitspracherwerb 644 Zweitspracherwerbsforschung 26, 588 Die Autorinnen und Autoren Universität Siegen abendroth@ romanistik.uni-siegen.de Aguado, Karin Universität Kassel karin.aguado@ uni-kassel.de Altmayer, Claus Universität Leipzig altmayer@ uni-leipzig.de Arras, Ulrike TestDaF-Institut Bochum ulrike.arras@ testdaf.de Badstübner-Kizik, Camilla Uniwersytet im. Adama Mickiewicza w Poznaniu, Polen cbkizik@ amu.edu.pl Bär, Marcus Bergische Universität Wuppertal mbaer@uni-wuppertal.de Barron, Anne Leuphana Universität Lüneburg anne.barron@ leuphana.de Bausch, Karl-Richard Ruhr-Universität Bochum karl-richard.bausch@ rub.de Bechtel, Mark Technische Universität Dresden mark.bechtel@ tu-dresden.de 687 Benholz, Claudia Universität Duisburg-Essen claudia.benholz@ uni-due.de Berthelmann, Rainer H. Halle/ Saale rainer@berthelmann.eu Boeckmann, Klaus-Börge Pädagogische Hochschule Steiermark klaus-boerge.boeckmann@ phst.at Bonnet, Andreas Universität Hamburg Andreas.Bonnet@ uni-hamburg.de Bouras-Ostmann, Khatima Ruhr-Universität Bochum Khatima.Bouras@ rub.de Breidbach, Stephan Humboldt-Universität zu Berlin stephan.breidbach@ hu-berlin.de Burwitz-Melzer, Eva Justus-Liebig-Universität Gießen Eva.Burwitz-Melzer@ anglistik.unigiessen.de Caspari, Daniela Freie Universität Berlin caspari@zedat.fu-berlin.de Christ, Ingeborg Düsseldorf herbert.ingeborg.christ@ t-online.de Claußen, Tina Universität Bielefeld tina.claussen@ uni-bielefeld.de de Cillia, Rudolf Universität Wien rudolf.de-cillia@ univie.ac.at Decke-Cornill, Helene Universität Hamburg Helene.Decke-Cornill@ uni-hamburg.de Dillmann, Gerhard Landesspracheninstitut in der Ruhr-Universität Bochum gerhard.dillmann@ lsi-bochum.de Döll, Marion Pädagogische Hochschule Oberösterreich Linz marion.doell@ ph-ooe.at Doff, Sabine Universität Bremen doff@uni-bremen.de Eisenmann, Maria Julius-Maximilians-Universität Würzburg maria.eisenmann@ uni-wuerzburg.de Elsner, Daniela Goethe-Universität Frankfurt elsner@em.uni-frankfurt.de Fandrych, Christian Universität Leipzig fandrych@ uni-leipzig.de Feldmeier, Alexis Westfälische Wilhelms-Universität Münster alexis.feldmeier@ uni-muenster.de Finkbeiner, Claudia Universität Kassel cfink@uni-kassel.de 688 Die Autorinnen und Autoren Franceschini, Rita Freie Universität Bozen rita.franceschini@ unibz.it Fredsted, Elin Europa-Universität Flensburg fredsted@ uni-flensburg.de Freitag-Hild, Britta Universität Potsdam freitagh@ uni-potsdam.de Funk, Hermann Friedrich-Schiller-Universität Jena Hermann.Funk@ uni-jena.de Gnutzmann, Claus Technische Universität Braunschweig c.gnutzmann@ tu-bs.de Gogolin, Ingrid Universität Hamburg gogolin@ uni-hamburg.de Grau, Maike Pädagogische Hochschule Freiburg maike.grau@ ph-freiburg.de Grein, Marion Johannes Gutenberg-Universität Mainz grein@uni-mainz.de Grotjahn, Rüdiger Ruhr-Universität Bochum Ruediger.Grotjahn@ rub.de Grünewald, Andreas Universität Bremen gruenewald@ uni-bremen.de Guder, Andreas Freie Universität Berlin guder@zedat.fu-berlin.de Hallet, Wolfgang Justus-Liebig-Universität Gießen Wolfgang.Hallet@ anglistik.uni-giessen.de Harsch, Claudia Universität Bremen harsch@uni-bremen.de Haß, Frank Institut für Angewandte Didaktik Kirchberg f.hass@angewandte-didaktik.de Heine, Lena Ruhr-Universität Bochum lena.heine@ rub.de Helbig-Reuter, Beate Bundesverwaltungsamt - Zentralstelle für das Auslandsschulwesen Beate.Helbig-Reuter@ bva.bund.de Hirschfeld, Ursula Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ursula.hirschfeld@ sprechwiss.uni-halle.de Hu, Adelheid Universität Luxemburg adelheid.hu@ uni.lu Hufeisen, Britta Technische Universität Darmstadt hufeisen@ spz-tu.darmstadt.de Ilic´ Markovic´ , Gordana Universität Wien gordana.ilic.markovic@ univie.ac.at Jenko, Elizabeta Universität Wien elizabeta.jenko@ univie.ac.at Jordan, Nicola Ruhr-Universität Bochum nicola.jordan@ ruhr-uni-bochum.de 689 Die Autorinnen und Autoren Kecker, Gabriele TestDaF-Institut Bochum gabriele.kecker@ testdaf.de Kleppin, Karin Ruhr-Universität Bochum karin.kleppin@ rub.de Klippel, Friederike Ludwig-Maximilians-Universität München Friederike.Klippel@ anglistik.unimuenchen.de Kniffka, Gabriele Pädagogische Hochschule Freiburg gabriele.kniffka@ ph-freiburg.de Königs, Frank G. Philipps-Universität Marburg koenigs@ staff.uni-marburg.de Kötter, Markus Universität Siegen koetter@ anglistik.uni-siegen.de Kolb, Elisabeth Kaisheim elisakolb@ gmx.de Koreik, Uwe Universität Bielefeld uwe.koreik@ uni-bielefeld.de Krechel, Hans-Ludwig Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung Bonn H.L.Krechel@ t-online.de Krings, Hans P. Universität Bremen krings@uni-bremen.de Krumm, Hans-Jürgen Universität Wien hans-juergen.krumm@ univie.ac.at Küppers, Almut Sabancı University Istanbul / Goethe-Universität Frankfurt A.Kueppers@ em.uni-frankfurt.de Küster, Lutz Humboldt-Universität zu Berlin lutz.kuester@ romanistik.hu-berlin.de Kurtz, Jürgen Justus-Liebig-Universität Gießen Juergen.Kurtz@ anglistik.uni-giessen.de Langer, Elisabeth Universität Wien Elisabeth.L.Langer@ univie.ac.at Legutke, Michael Justus-Liebig-Universität Gießen Michael.K.Legutke@ anglistik.uni-giessen.de Loo, Angelika Technische Universität Berlin loo.a@mailbox.tu-berlin.de Lütge, Christiane Ludwig-Maximilians-Universität München luetge@anglistik.uni-muenchen.de Lutjeharms, Madeline Vrije Universiteit Brussel, Belgien mlutjeha@ vub.ac.be Martinez, He´ le`ne Justus-Liebig-Universität Gießen Helene.Martinez@ romanistik.uni-giessen.de Marx, Nicole Universität Bremen nmarx@uni-bremen.de Mavruk, Güls¸ ah Universität Duisburg-Essen guelsah.mavruk@ uni-due.de 690 Die Autorinnen und Autoren Mehlhorn, Grit Universität Leipzig mehlhorn@ rz.uni-leipzig.de Meißner, Franz-Joseph Justus-Liebig-Universität Gießen Franz.J.Meissner@ sprachen.uni-giessen.de Melo-Pfeifer, Silvia Universität Hamburg silvia.melo-pfeifer@ uni-hamburg.de Mendez, Carmen Max-Rill-Gymnasium Schloss Reichersbeuern carmen.mendez@ max-rill-gym.de Minuth, Christian Pädagogische Hochschule Heidelberg minuth@urz.uni-heidelberg.de Müller-Hartmann, Andreas Pädagogische Hochschule Heidelberg andreas.mueller-hartmann@ phheidelberg.de Neveling, Christiane Universität Leipzig neveling@ uni-leipzig.de Ohm, Udo Universität Bielefeld udo.ohm@ uni-bielefeld.de Oomen-Welke, Ingelore Pädagogische Hochschule Freiburg oomenwelke@ ph-freiburg.de Paintner, Ursula Deutscher Akademischer Austauschdienst Bonn paintner@ daad.de Perlmann-Balme, Michaela Goethe-Institut München perlmann-balme@ goethe.de Pietzuch, Anja Ra˚ holt, Norwegen apietzuch@ googlemail.com Quetz, Jürgen Frankfurt am Main jquetz@hotmail.de Reich, Astrid Ruhr-Universität Bochum astrid.reich@ ruhr-uni-bochum.de Reich, Hans H. Universität Landau reich@uni-landau.de Reimann, Daniel Universität Duisburg-Essen daniel.reimann@ uni-due.de Reinfried, Marcus Friedrich-Schiller-Universität Jena marcus.reinfried@ uni-jena.de Reinke, Kerstin Universität Leipzig kreinke@ rz.uni-leipzig.de Ricart Brede, Julia Europa-Universität Flensburg julia.ricart.brede@ uni-flensburg.de Riemer, Claudia Universität Bielefeld claudia.riemer@ uni-bielefeld.de Roche, Jörg Ludwig-Maximilians-Universität München roche@daf.lmu.de 691 Die Autorinnen und Autoren Rösler, Dietmar Justus-Liebig-Universität Gießen Dietmar.Roesler@ germanistik.uni-giessen.de Roll, Heike Universität Duisburg-Essen heike.roll@ uni-due.de Rossa, Henning Universität Dortmund henning.rossa@ tu-dortmund.de Rymarczyk, Jutta Pädagogische Hochschule Heidelberg rymarczyk@ ph-heidelberg.de Sabo, Milica Friedrich-Schiller-Universität Jena milica.sabo@ uni-jena.de Sambanis, Michaela Freie Universität Berlin sambanis@ zedat.fu-berlin.de Schader, Basil Pädagogische Hochschule Zürich basil.schader@ phzh.ch Schewe, Manfred University College Cork, Irland m.schewe@ ucc.ie Schmelter, Lars Bergische Universität Wuppertal lars.schmelter@ uni-wuppertal.de Schmenk, Barbara University of Waterloo, Kanada bschmenk@ uwaterloo.ca Schmidt, Torben Leuphana Universität Lüneburg torben.schmidt@ leuphana.de Schmölzer-Eibinger, Sabine Karl-Franzens-Universität Graz sabine.schmoelzer@ uni-graz.at Schocker, Marita Pädagogische Hochschule Freiburg schocker@ ph-freiburg.de Schramm, Karen Universität Wien karen.schramm@ univie.ac.at Schroeder, Christoph Universität Potsdam schroedc@ uni-potsdam.de Schulz, Jana Universität Leipzig jschulz@rz.uni-leipzig.de Settinieri, Julia Universität Paderborn jsetti@mail.uni-paderborn.de Smasal, Marc Universität Kassel msmasal@ uni-kassel.de Steininger, Ivo Wetzlar Ivo.Steininger@ gmail.com Summer, Theresa Aschaffenburg theresa_summer@ yahoo.com Surkamp, Carola Universität Göttingen carola.surkamp@ phil.uni-goettingen.de Thaler, Engelbert Universität Augsburg thaler@phil.uni-augsburg.de 692 Die Autorinnen und Autoren Thürmann, Eike Essen thuermanneike@ googlemail.com Veronesi, Daniela Freie Universität Bozen, Italien daniela.veronesi@ unibz.it Vogel, Thomas Europa-Universität Viadrina Frankfurt/ Oder vogel@europa-uni.de Vogt, Karin Pädagogische Hochschule Heidelberg vogt@ph-heidelberg.de Wambach, Viera Universität Wien viera.wambach@ univie.ac.at Wenzel, Veronika Westfälische Wilhelms-Universität Münster wenzelv@ uni-muenster.de Wilden, Eva Universität Vechta eva.wilden@ uni-vechta.de Winters-Ohle, Elmar Technische Universität Dortmund elmar.winters-ohle@ uni-dortmund.de Wojnesitz, Alexandra Universität Wien alexandra.wojnesitz@ univie.ac.at Würffel, Nicola Pädagogische Hochschule Heidelberg wuerffel@ ph-heidelberg.de Das Handbuch Fremdsprachenunterricht ist ein unentbehrliches Standardwerk für alle, die mit dem Lehren und Lernen von Fremd- und Zweitsprachen befasst sind. Es liegt nun in der 6., vollständig überarbeiteten und erweiterten Auflage vor. Die Beiträge greifen die aktuellen wissenschaftlichen, sprachen- und bildungspolitischen Entwicklungen auf und tragen den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung, die sich in den letzten Jahren sowohl international als auch in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz ergeben haben. Berücksichtigt werden die Kompetenz- und Standardorientierung, die Anforderungen von Globalisierung und Migration auf die Ausbildungssysteme sowie die Aufgaben- und Inhaltsorientierung. Ein Fokus liegt auf Mehrsprachigkeitskonzepten, Interkomprehension und Entwürfen zu einem Gesamtsprachencurriculum. Lernerperspektiven und Lernerbiografien wurden bei der Darstellung der Lernenden verstärkt berücksichtigt. Ein detailliertes Verweissystem, weiterführende Literaturhinweise sowie ein ausführliches Begriffs- und Personenregister erleichtern die Arbeit. »Eine großartige Orientierungshilfe für jeden, der mit Fremdsprachen zu tun hat.« Moderne Sprachen Fremdsprachendidaktik Sprachwissenschaft | Pädagogik Dies ist ein utb-Band aus dem A. Francke Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen. utb-shop.de QR-Code für mehr Infos und Bewertungen zu diesem Titel ,! 7ID8C5-cigffc! ISBN 978-3-8252-8655-2